Thomas Geisen · Christine Riegel (Hrsg.) Jugend, Partizipation und Migration
Thomas Geisen Christine Riegel (Hrsg.)
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Thomas Geisen · Christine Riegel (Hrsg.) Jugend, Partizipation und Migration
Thomas Geisen Christine Riegel (Hrsg.)
Jugend, Partizipation und Migration Orientierungen im Kontext von Integration und Ausgrenzung 2., durchgesehene Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Max-Träger-Stiftung und des Bundesamts für Migration (Schweiz).
. 1. Auflage 2007 2., durchgesehene Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Stefanie Laux VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16618-6
Inhaltsverzeichnis Jugendliche MigrantInnen im Spannungsfeld von Partizipation und Ausgrenzung – ........ 7 eine Einführung Thomas Geisen/Christine Riegel Teil I:Konstruktionsprozesse von Jugend Gesellschaft als unsicherer Ort ......................................................................................... 29 Jugendliche MigrantInnen und Adoleszenz Thomas Geisen Young People, Migration and Metanarratives .................................................................. 51 Arguments for a Critical Theoretical Approach Pat Cox „Drin bist du noch lange nicht…“ .................................................................................... 67 Zur biopolitischen Konstruktion des Alters bei jugendlichen Flüchtlingen Katja Schikorra/Rainer Becker Teil II: Ausgrenzung und Integration Armut bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund .................................... 89 Carolin Butterwegge Sekundärer Rassismus in der Sozialen Arbeit ................................................................ 107 Claus Melter Discovering Whiteness ................................................................................................... 129 Young Adults and their Understanding of Racism Andreas Hieronymus Für mich aber hat dieses Integrationswort mit der Zeit seinen Wert verloren................. 149 Perspektiven junger Erwachsener mit Migrationshintergrund Barbara Schramkowski Integrationsprozesse von Kindern in multikulturellen Gesellschaften ............................ 169 Karin Elinor Sauer Die Fremdheit bildungserfolgreicher Migrantinnen ....................................................... 195 Merle Hummrich
Interaktionen, Fremd- und Selbstrepräsentationen.......................................................... 215 von Jugendlichen im Kontext von Migration Susanne Lang Teil III: Bildung und Mobilität Jugend in transnationalen Räumen ................................................................................. 239 Bildungslaufbahnen von Migrantenjugendlichen mit unterschiedlichem Rechtsstatus Sara Fürstenau/Heike Niedrig Education, Work and Identity ......................................................................................... 261 Young Turkish Migrants in Germany and Young Pakistani Migrants in England Bruce MZ Cohen Der Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt im Bildungswesen ................................. 281 – historisch gestaltete Institutionen als Rahmen für Ausgrenzungsprozesse Priska Sieber Der Übergang in die berufliche Ausbildung ................................................................... 305 Migrationsbezogene Bildungskonzepte in der Schweiz Sylvia Bürkler Youth on the Move? ....................................................................................................... 325 Exploring Youth Migrations in Eastern Germany and Northern Ireland David Cairns/Simone Menz Zu den Autorinnen und Autoren ..................................................................................... 341
Jugendliche MigrantInnen im Spannungsfeld von Partizipation und Ausgrenzung – eine Einführung Thomas Geisen und Christine Riegel
Das Thema ‘Jugend und Migration’ ist in den vergangenen Jahren verstärkt in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. In der Thematisierung wird dabei vielfach das Bild eines „Kampfs der Kulturen“ (vgl. Huntington 1997) oder eines „Krieg der Zivilisationen“ (vgl. Tibi 1995) sichtbar, das sich vor allem im Anschluss an die Ereignisse des 11. Septembers 2001 für die Wahrnehmung von MigrantInnen als dominantes sozial-kulturelles Interpretationsschema in der westlichen Welt etabliert hat. Im deutschsprachigen Raum hat sich in Korrespondenz dazu die Rede von einer „Parallelgesellschaft“ (vgl. Heitmeyer et al. 1997) etablieren können. Jugendliche MigrantInnen haben in einem derart ideologisch aufgeladenen sozialen Kontext eine besondere Bedeutung. Denn ihre Handlungen werden nicht nur auf gegenwärtige Auseinandersetzungen bezogen, sondern vielmehr als Zeichen künftiger Entwicklungen angesehen. So haben etwa die Jugendrevolten in Frankreich vom Herbst 2005 nicht nur gegenwärtige Konflikte einer marginalisierten Jugend – vielfach mit Migrationshintergrund – in den Vorstädten sichtbar gemacht. Sie wurden auch als eine Art Vorgeschmack auf künftige Konflikte und Auseinandersetzungen wahrgenommen, in denen die Gewaltsamkeit sozialer Konflikte zur Alltäglichkeit wird. 2006 waren es dann nicht Jugendrevolten, die für öffentliche und mediale Aufmerksamkeit sorgten, sondern eher ‘alltägliche’ Konflikte. Die Debatte um jugendliche MigrantInnen war in dieser Zeit im deutschsprachigen Raum unter anderem von den Diskussionen um Gewalt an Schulen geprägt, etwa der Rütli-Schule im Berliner Stadtteil Neukölln. Als Ursache der Gewalt wurde in den Medien der hohe AusländerInnenanteil in der Schule und im Stadtteil diskutiert und eine neue Schul- und Integrations-Debatte ausgelöst. Auch in der Schweiz entwickelte sich vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres eine Debatte um Jugendgewalt, die vor allem männliche jugendliche Migranten
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zum Gegenstand einer auf Ausgrenzung (bzw. konkret Ausweisung) zielenden Diskussion gemacht.1
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Integration und Partizipation jugendlicher MigrantInnen
Die Rede über Integrationsschwierigkeiten, eine mangelnde Bereitschaft zur Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die soziale Segregation bzw. die Bildung von sogenannten Parallelgesellschaften steht dabei – immer wieder von Neuem – im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Im Rahmen dieses Diskurses werden neben einer dominanten, einseitig problemzentrierten Wahrnehmung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund2, auch kulturalisierende Erklärungsansätze und ethnisierende Zuschreibungen sichtbar. Der Fokus der öffentlichen und politischen Debatte richtet sich dabei vor allem auf die Jugendlichen selbst, auf ihre ‘Integrationsbereitschaft’ und ihr Engagement im Integrationsprozess. Was dabei als „Integration“ verstanden wird bleibt vielfach unbestimmt und wenig konkret. Jugendliche mit Migrationshintergrund befinden sich daher in einer paradoxen Situation: Sie werden als „Andere“ oder als „nichtzugehörig“ zur deutschen Gesellschaft kategorisiert und ausgegrenzt, gleichzeitig jedoch auch mit spezifischen Anpassungs- und Integrationsforderungen konfrontiert (vgl. Riegel 2004). Ihre „Integration“ bleibt prekär und stellt eine „Integration unter Vorbehalt“ (Schramkowski 2007) dar – ist also immer auch von der Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft abhängig. Die Integration von Jugendlichen in die Gesellschaft ist daher ein voraussetzungsreiches Unterfangen, das für sein Gelingen soziale Partizipation als Praxis und Resultat zur Voraussetzung hat. Dabei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund unter mindestens zwei Perspektiven zu betrachten ist: Erstens als Integration in Bezug auf ihre soziale Positionierung als Minderheitenangehörige und zweitens in Bezug auf das Aufwachsende in der Gesellschaft. Soziologisch wird das ‘Hineinentwickeln’ in eine Gesellschaft bis zur formalen Integration mit Erreichen des Erwachsenenstatus als individuelle Integration bezeichnet (vgl. Kreckel 1994). Dieser Integrationsprozess umfasst die Seite des Individuums, dessen Aufgabe es ist, sich die für das Leben in Gesellschaft mit anderen erforderlichen Kompetenzen, wie Sprache, kulturelle Regeln, Normen oder Qualifikationen, anzueig1
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Damit wurde zum einen ein soziales Problem ethnisiert, zum anderen wurde es als Anlass genommen, um ein ‘Scheitern’ bzw. die ‘Grenzen’ der multikulturellen Gesellschaft zu konstatieren und ausgrenzende Maßnahmen – bis hin zur Abschiebung – zu fordern. Dies ist wiederum oft mit Homogenisierung und Pauschalisierung verbunden, indem von ‘der’ Gruppe der jugendlichen MigrantInnen gesprochen wird.
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nen. Von gesellschaftlicher Seite wird die individuelle Integration durch die Einbindung der Kinder und Jugendlichen in gesellschaftliche Institutionen, vor allem im Bildungs- und Ausbildungsbereich, sowie durch Maßnahmen des Wohlfahrtsstaates unterstützt (vgl. Kreckel 1994: 16ff.). Auch die Besonderheit des Integrationsprozesses im Migrations- oder Minderheitenkontext lässt sich nicht auf kulturelle Aspekte reduzieren, noch kann er als einseitige, individuelle Anpassungsleistung verstanden werden. Er umfasst vielmehr strukturelle, soziale, kulturelle und identifikatorische Dimensionen (vgl. Beger 2000) und bedarf der entsprechenden gesellschaftlichen Voraussetzungen, sodass jugendliche MigrantInnen die (gleichberechtigte) soziale, politische und kulturelle Beteiligung ermöglicht wird. Jugendliche vollziehen also in ihrem ‘Hineinwachsen’ in die Gesellschaft einen komplexen, auf vielfältigen sozialen und institutionellen Interaktionsbeziehungen beruhenden Prozess, durch den sich die Möglichkeit der Partizipation als zunehmende Einbindung und Wirksamkeit in der Gesellschaft realisiert. Für das Verständnis der Einbindung, Beteiligung und Teilhabe3 von Jugendlichen in den gesellschaftlichen Prozessen ist es daher unerlässlich, nicht nur die Jugendlichen selbst in den Blick zu nehmen, sondern auch die strukturellen und soziokulturellen Voraussetzungen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, etwa von Bildung, Politik, Arbeit, Gesundheit oder Freizeit. Die Möglichkeiten der sozialen und kulturellen Wirksamkeit werden dabei nicht zuletzt auch durch die Verfügbarkeit über ökonomische Ressourcen begrenzt. Denn Partizipation ist nicht nur vom Willen der Einzelnen, sondern auch von sozioökonomischen Bedingungen abhängig (vgl. Verba et al. 1995: 8). Für Jugendliche mit Migrationshintergrund sind die Möglichkeiten, sich gesellschaftlich zu engagieren und einbringen zu können, teilweise begrenzt: Ihr 3
Dieses Partizipationsverständnis geht über das enge, jedoch gängige Partizipationsverständnis hinaus, das Partizipation vor allem als politische Beteiligungsform versteht, etwa minimal als Wahlbeteiligung, bzw. der Einbindung von Individuen oder Organisationen in Entscheidungsund Willensbildungsprozesse, die sich in der Regel auf das Engagement in Parteien und Gewerkschaften oder auch weniger institutionalisierte Gruppierungen und Initiativen beziehen. Vielmehr geht es bei Partizipation auch um Formen der sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe, als Verfügung über soziale Ressourcen und Möglichkeiten der Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens. Auch wenn es sinnvoll ist, begrifflich zwischen einem solchen weiteren und einem engen, vor allem auf politische Beteiligung bezogenen Partizipationsverständnis zu unterscheiden, ist zu berücksichtigen, dass in der Fokussierung auf ein (zivilgesellschaftliches) BürgerInnenengagement bereits konzeptionell und begrifflich ein nationalstaatlich gefasstes Denken mit enthalten ist. Denn, auch wenn Partizipation hier nicht ausschließlich auf die Wahrnehmung des aktiven oder passiven Wahlrechts reduziert ist, welche den Besitz der Staatsbürgerschaft zur Voraussetzung hat, so stellt diese bereits eine wesentliche Einschränkung von Partizipationsmöglichkeiten von Menschen mit Migrationshintergrund dar, die nicht die Staatsangehörigkeit des Landes, in dem sie leben, haben, sondern hier als ‘BürgerInnen zweiter oder dritter Klasse’ nur über eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten verfügen.
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Zugang zu relevanten sozialen Ressourcen ist erschwert, sie sind im Bildungsund Ausbildungsbereich Benachteiligungen ausgesetzt und sie werden mit Zuschreibungs-, Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen konfrontiert. Sie verfügen also nicht über die gleichen Voraussetzungen der sozialen und gesellschaftlichen Partizipation, sondern werden sozial als ethnisch Andere, mit vermeintlichem Integrationsbedarf, konzeptionalisiert. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind daher in widersprüchlicher Weise mit gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten, Integrationsanforderungen und Ausgrenzungsprozessen konfrontiert. Ihre Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation sind im Spannungsfeld von Ein- und Ausgrenzung situiert. Vor dem Hintergrund dieser ambivalenten Positionierungen entwickeln jugendliche MigrantInnen ihre individuellen Perspektiven und nehmen aktiv Bezug auf die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Partizipation.4 Um die Frage nach einer erfolgreichen sozialen und gesellschaftlichen Partizipation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund beantworten zu können, ist daher auch der Frage nachzugehen, über welche Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe sie verfügen und in welchem Verhältnis diese zu den Integrationsanforderungen stehen, mit denen sie von Seiten der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert werden.
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Gesellschaftliche Konstruktionsprozesse der Anderen
Die gesellschaftlich dominanten Bilder über jugendliche MigrantInnen werden jedoch nicht nur durch mediale Ereignisse, öffentliche Skandalisierungen und politische Instrumentalisierungen bestimmt. Die Konstruktion gesellschaftlich ‘problematischer’ Anderer findet auch in der Konzeptionalisierung jugendlicher MigrantInnen im Rahmen wissenschaftlicher Diskurse5 und in den hieraus abgeleiteten Vorschlägen statt, unter anderem für die Bereiche Bildung und Ausbildung. So wurden bis in die 1990er Jahre (zum Teil auch heute noch) MigrantIn4
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Unter restriktiven Bedingungen können auch selbst vollzogene Ausgrenzungen, wie sie etwa in Prozessen der Selbststigmatisierung oder Selbstethnisierung zum Tragen kommen, subjektiv bedeutsame Handlungsstrategien darstellen. Die ambivalente Wirkung, die von solchen Prozessen ausgeht, wurde unter anderem von Clark et al. in „Jugendkultur als Widerstand“ (1981) untersucht. Im Blick auf die Migrationsforschung zeigen sich anhaltende theoretische und empirische Defizite in der Identifizierung und Analyse ihres Gegenstandes. So hebt etwa Michael Bommes hervor, dass Migration selbst „zumindest in der europäischen Soziologie kaum als Gelegenheit für allgemeine Theoriebildung“ (Bommes 1999: 20) betrachtet worden sei und er stellt eine „relative Distanz der Migrationsforschung zur allgemeinen Theoriediskussion“ (Bommes 1999: 22) fest. Deutlich wird dieses Defizit unter anderem in der Bestimmung des Verhältnisses von Migration und Minderheiten oder in Bezug auf den Begriff der Integration, beispielsweise dort, wo von zweiter, dritter und x-ter Generation von MigrantInnen gesprochen wird.
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nen6 von den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen vielfach unter einer homogenisierenden, also einer ent-differenzierenden, monokausalen und monokulturellen Perspektive betrachtet. Dabei ging es vor allem darum, jeweilige kulturelle Eigenheiten zu erfassen, um Lösungsansätze für konkrete soziale und politische Problemlagen in den mit Einwanderung konfrontierten Gesellschaften zu entwickeln. Das Erkenntnisinteresse bezog sich daher nicht primär auf das Verstehen der sozialen Lage der MigrantInnen in der Migrationsgesellschaft selbst, sondern vielmehr auf das Verstehen der in der Herkunftskultur erfahrenen kulturellen Prägungen. Diese wurden als Hindernis für eine Anpassung an die neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten angesehen. Theoretisch wurde in diesem Zusammenhang von ‘Kulturschock’ und ‘Kulturkonflikt’ gesprochen, dem eine Differenz von ‘modernen’ und ‘vor-modernen’, ‘entwickelten’ und ‘nicht-’ bzw. ‘weniger-entwickelten’ Gesellschaften zugrunde liegt. Die sozialkulturelle Prägung im Sozialisationsverlauf wurde als ein Hindernis für die produktive Bewältigung der Migrationssituation angesehen. Der erziehungswissenschaftlichen Diskussion wurde hierdurch „ein zusätzlicher Begründungsrahmen für die Integrations- und Schulprobleme der Migrantenkinder“ (Czock 1993: 84) erschlossen. „In der ausländerpädagogischen Problematisierung wurden nun ‘Identitäts-Störungen’,‘Identitäts-Diffusion’, ‘Identitäts-Verwirrung’ oder sogar der ‘Verlust der Identität’ bei Migrantenkindern konstatiert. Das Muster der Argumentation verlief etwa folgendermaßen: Ursächlich an den Identitätskonflikten ist das Spannungsverhältnis zwischen Kultur des Entsendebzw. Heimatlandes und der Kultur des Aufnahmelandes. Die kulturelle Identität der Migrantenkinder wurde entsprechend als ‘hin- und hergerissen zwischen Traditionellem und Neuem’, die Migrantenkinder als ‘ohne klare Identität’, ‘in ihrer Identität widersprüchlich, unvollständig und verschwommen’, ‘kulturell zerrissen’ beschrieben“ (Czock 1993: 84). Aufgrund dieser spezifischen Prob-
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Auf der begrifflichen Ebene wird hier vor allem der Begriff ‘MigrantIn’ verwendet, da er im Gegensatz zu den Spezifizierungen einer EmigrantIn oder ImmigrantIn Raum lässt für die Prozesshaftigkeit des Migrationsgeschehens, das damit auch als temporär, veränderbar und unabgeschlossen angesehen wird. Die Termini EmigrantIn/ImmigrantIn werden daher nur für spezifische Kontexte verwendet, in denen die Richtung der Wanderung eine Bedeutung hat. Darüber hinaus werden sprachliche Hilfskonstruktionen verwendet, wie etwa ‘Kinder von MigrantInnen’ oder ‘Jugendliche mit Migrationshintergrund’. Mithilfe dieser Begriffe soll der Zusammenhang von Jugend und Migration benannt werden. Die Problematik dieser Begrifflichkeit wird jedoch spätestens im generativen Wechsel offensichtlich. Hier stellt sich etwa die Frage, wie lange die Attribuierung ‘Migrationshintergrund’ als biografisch relevant angesehen werden kann oder inwieweit sich über die generative Fortschreibung des Migrationsstatus im ‘Migrationshintergrund’ eine soziale Distanzierung in Form der Außenseiterproduktion realisiert. Begriffslogisch kann dieses Problem nicht gelöst, sondern jeweils nur empirisch bestimmt werden. Daher werden hier unterschiedliche Begriffe und Begriffskombinationen verwendet.
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lemkonstellation schien eine besondere Pädagogik erforderlich, für die die kulturelle Differenz als konstitutiv angesehen wurde. Das Gegenstück zu diesem Modell einer kulturellen ‘Desintegration’, bildete die „theoretische Unterstellung einer nationalstaatlichen Integration der modernen Gesellschaften“, die bis Ende der 1980er Jahre „die weithin unhinterfragte und ungeklärte Voraussetzung soziologischen Argumentierens“ (Bommes 1999: 34) war. Dabei wird die in den Migrationsgesellschaften herrschende soziale und kulturelle Pluralität sowohl in historischer als auch in aktueller Perspektive weitgehend ausgeblendet, implizit oder explizit als unbedeutend und daher als vernachlässigbar beurteilt.7 Die Entwicklung und Etablierung einer wissenschaftlichen Perspektive, in der Migration und migrierende Menschen (gruppen) vorwiegend als Sonderfall thematisiert8 und zu sozial- und kulturell definierten ‘Anderen’ gemacht wurden, erfolgte parallel zur Entstehung der modernen Nationalstaaten ab dem 19. Jahrhundert. Darüber hinaus entwickelte sich diese bis heute vorherrschende mono-nationale Dominanz in der Wahrnehmung der Pluralität der sozialen Wirklichkeit auch und gerade in einer historischen Epoche, die entscheidend von der kolonialen und imperialen Expansion Europas in die Welt bestimmt war. Die Etablierung einer mono-kulturellen, nationalen Differenz hatte innerhalb dieses historischen Kontextes daher eine spezifische Funktion. Sie diente der Markierung einer grundlegenden Unterscheidung, die ‘das Eigene’ vom ‘Anderen’ trennt. Diese Unterscheidung war eine doppelte: Erstens richtete sie sich auf das ‘Andere’ im Inneren. Zweitens bezog sie sich auf die Differenz zwischen den Nationen und war hier auf die Differenz zu dem der eigenen (Nation-)Äußeren gerichtet. Das ‘Andere’ im Innern nahm in der nationalstaatlichen Gesellschaft verschiedene Formen an. Einmal bezog es sich auf das Geschlecht, also auf die Differenz von Mann und Frau, immer auch artikuliert in der Differenz von Kultur als dem männlichen und Natur als dem weiblichen Prinzip. Die zweite ent7
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Einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung dieser Perspektive leistete die Situierung von Migrationsforschung innerhalb einer spezifischen, vorwiegend auf kulturelle Differenzen fokussierende Problemzentrierung, die den Beginn der systematischen Migrationsforschung in Deutschland entscheidend prägte. Heike Diefenbach und Bernhard Nauck weisen darauf hin, dass Migrations- und Integrationsforschung in Deutschland erst seit den 1980er Jahren systematisch betrieben werde. „Bis zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Arbeiten, die sich mit den sog. Gastarbeitern beschäftigten, rein deskriptive Arbeiten, deren Gegenstand die soziale Lage und die Integrationsprobleme der Gastarbeiter aus den Anwerbeländern waren, womit die Gastarbeiter vorrangig als Problem- oder als Randgruppe betrachtet wurden“ (Diefenbach/Nauck 2000: 37). So werden MigrantInnen etwa vielfach funktional als bloße Produkte demografischer Entwicklungen (der sogenannten Überbevölkerung), verheerender Naturkatastrophen, dramatischer sozialer Konflikte und Verwerfungen (beispielsweise als Folge von Krieg und Armut), angesehen.
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scheidende Differenz war die zwischen Juden und Nicht-Juden, die ab dem 19. Jahrhundert nicht mehr im religiösen Vorurteil, in der religiösen Konkurrenz des sogenannten ‘Antijudaismus’ fundiert blieb, sondern sich im Antisemitismus artikulierte. Und drittens schließlich die Differenz zwischen Kindern und Erwachsenen. Auch bei ihnen wurde der Unterschied als der von Natur und Kultur gefasst. Das Kind, im Unterschied zum ‘Wilden’ wurde jedoch als zur Zivilisation fähig, als ‘erziehbar’ angesehen. Im Aufwachsen und im gelingenden Erziehungsprozess findet also ein Transformationsprozess statt, in dem sich das kindliche ‘Andere’ zum erwachsenen ‘Eigenen’ entwickelt. Der ‘Wilde’, als kulturell Anderer, wurde demgegenüber als ein absolut Äußeres definiert, der erst in einem anhaltenden evolutionären Prozess in der Lage ist, den Zustand von Zivilisiertheit zu erreichen (vgl. Geisen 1996). Aufgrund von Kolonisierung und Migration war der soziale Status des ‘kulturell Anderen’ jedoch nicht mehr eindeutig lokalisierbar. Vielmehr war er strukturell sowohl Innen als auch Außen angesiedelt. Das ‘Andere’ im Außenverhältnis der eigenen Nation zu anderen Nationen war zunächst ein Verhältnis grundlegender national-kultureller Differenz, die sich vor allem über territoriale Grenzen, Sprache und über die Konstruktion national-kultureller Traditionen manifestierte. Sie realisierte sich jedoch auch in der nationalen Konkurrenz um weltweite Einflusssphären und Ressourcen. Die Expansion der europäischen Staaten über die Welt hatte zur Folge, dass sich Unterscheidungen zwischen der eigenen europäischen und den fremden nichteuropäischen Gesellschaften etablierten. Die Dominanz der europäischen Herrschaft artikulierte sich ideengeschichtlich vor allem über die Konstruktion des ‘Anderen’ als ‘Rasse’. Die Überwindung der im Nationalstaat idealtypisch angelegten Einheit von Volk, Nation und Territorium vollzog sich daher in der Ausdehnung der Nation durch Migrationsbewegungen aus den kolonialen ‘Mutterländern’ in die Kolonien. Dies bedeutete nicht nur das politische Scheitern des auf territorialer Einheit und damit auf Begrenzung angelegten Nationalstaatsmodells (vgl. Arendt 1993: 217ff.). Es bedeutete auch das Eindringen der rassistischen Differenz in die gesellschaftlichen Strukturen und in das kulturelle Gedächtnis der national verfassten Gesellschaften, in denen das ‘Nationale’ nunmehr auch rassistisch konnotiert wird. Rassismus etablierte sich hier vielgestaltig, und zwar sowohl in biologisch als auch in kulturell argumentierenden Formen (vgl. Geisen 1996; Balibar 1992). Im Kontext von Rassismus und Nationalismus wurde Migration nunmehr zu einem Prozess der Dispersion von Nationen. Diese Perspektive auf Migration hatte zur Folge, dass Migrationsprozesse zu einer dauerhaften Perpetuierung der über die Konstruktionsprozesse von Nation und ‘Rasse’ produzierten national-kulturellen Differenzen führten.
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Aufgrund dieser doppelten Unterscheidung des Eigenen vom ‘national-kulturell’ Anderen, die sich sowohl auf das Innere der eigenen Gesellschaft, einschließlich seiner Gebiete imperialer Expansion, als auch auf das Außen der anderen Nationen bezog, artikulieren sich daher kulturelle Differenzen bis heute dominant im Modus nationaler Differenzen. Die im Kontext dieser historischen Entwicklungen etablierten Unterscheidungen haben daher für die aktuellen Gesellschaften, die sich in ihrem Selbstverständnis als nationale Gesellschaften verstehen, weiterhin eine entscheidende Bedeutung. Denn hierbei handelt es sich um grundlegende politische, soziale und kulturelle Wertungen, über die sich Nation als „imaginierte Gemeinschaft“ (vgl. Anderson 1993) begründet. Es ist dieser doppelte Konstitutionsprozess, durch den die nationalstaatliche Perspektive auch eine bestimmte Sicht auf Migration eröffnet, nämlich die Wahrnehmung von MigrantInnen als existenziell Andere, für die eine Integration in die Gesellschaft prinzipiell nicht möglich ist. Denn vor dem Hintergrund des Nationalstaates bleibt Integration immer prekär, da die (natio-)kulturelle Orientierung als dominantes Prinzip kultureller und sozialer Wertungen und Unterscheidungen keinen Raum lässt für andere sowie für mehrfach-natio-kulturelle Orientierungen. Dies gilt insbesondere dort, wo die etablierten Unterscheidungen brüchig werden, also bei den Nachkommen von MigrantInnen. Hieraus resultiert die für die modernen (National-)Gesellschaften grundlegende Ambivalenz, dass soziale Heterogenität, Wanderungs- und Mobilitätserfahrungen von Menschen mit und ohne Migrationhintergrund zwar die heutigen Migrationsgesellschaften und das Aufwachsen in diesen Gesellschaften entscheidend prägen, diese Heterogenität jedoch nicht anerkannt wird – und zwar weder politisch, noch soziokulturell, etwa hinsichtlich der Gestaltung von Bildung und Erziehung in den Migrations9 gesellschaften. Für das Verständnis des Zusammenhangs von Jugend und Migration ist dies von besonderer Bedeutung, da sich über den Generationenwechsel immer auch Prozesse national-kultureller und eurozentristischer Tradierung realisieren. Dabei zeigt sich, dass die Kontinuität einer dominierenden monokulturellen Perspektive auf die nationalen Gesellschaften in Europa gerade auch dort Bestand hat, wo vielfältige soziale und kulturelle Differenzen den Alltag der Menschen in den modernen Gesellschaften bestimmen. Die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts zeichnen sich durch soziale und kulturelle Heterogenität aus und 9
Die Tatsache, dass es sich bei den modernen Gesellschaften um Migrationsgesellschaften handelt, ist ebenfalls nicht anerkannt. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass die Kontinuität von Migrationen im kollektiven Gedächtnis nur insofern eine Bedeutung hat, als sie die Auswanderung der eigenen Bevölkerung betrifft. Ansonsten sind Migrationsprozesse lediglich als Sonderfälle im kollektiven Gedächtnis präsent, etwa die sogenannte ‘Gastarbeitermigration’ der 1950er und 1960er Jahre. Die historische und aktuelle Normalität von Migration in den (National-)Gesellschaften wird damit weitgehend ausgeblendet.
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prägen durch eine mehrfache Ausdifferenzierung und damit verbundenen Hierachisierungen die Lebenslagen und Handlungsmöglichkeiten der Individuen.10
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Jugendliche MigrantInnen in der Migrationsforschung
Kindheit und Jugend haben eine besondere gesellschaftliche Bedeutung, denn im Aufwachsen realisiert sich immer auch eine Anpassung an die bestehende Gesellschaft. Hierbei kommt es zu Formen der subjektiven Aneignung der in den gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen materialisierten Normen und Werte. Diese realisieren sich vor allem über soziale Interaktionen. Kinder und Jugendliche mit tatsächlichem oder sozial imaginiertem Migrationshintergrund sind also von Anfang an mit sozialen und kulturellen Zuschreibungen konfrontiert, in denen sie mannigfache Ausgrenzung, Aussonderung und Diskriminierung erfahren: als Kind in der Differenz zum Erwachsensein, als vermeintlich oder tatsächlich ‘ethnisch Andere’ in der Differenz zur hegemonialen, monokulturellen gesellschaftlichen Homogenität und auf unterschiedliche Weise hinsichtlich ihres jeweiligen Geschlechts. Dabei ist die im gesellschaftlichen Erziehungsprozess über national-kulturelle Zuschreibungen erfahrene implizite oder explizite Abwertung kultureller Heterogenität ein strukturell folgenreiches Phänomen, da bestehende Formen der Ausgrenzung auf diese Weise tradiert werden. Im Hinblick auf die Entwicklung des Themenfeldes ‘Jugend und Migration’ zeigt sich in der Migrationsforschung eine mit dem Zusammenhang von ‘Geschlecht und Migration’ vergleichbare Entwicklung, allerdings mit einer deutlichen zeitlichen Verschiebung. Während Geschlecht als ‘Blinder Fleck’ der Migrationsforschung lange Bestand hatte und vorwiegend in problematischer, weil kulturalisierender Weise thematisiert wurde (vgl. Lutz/Huth-Hildebrand 1998; Hahn 2000; Aufhauser 2000; Han 2003), so gilt dies auch im Hinblick auf die unzureichende Berücksichtigung der Kategorie ‘Jugend’ in der Migrationsforschung. Dieser Sachverhalt gilt ebenso für die Jugendforschung, für die der Migrationszusammenhang bis heute weitgehend ein Randthema geblieben ist (vgl. Granato 1999) und inhaltlich vor allem auf soziale und kulturelle Problem11 kontexte fokussiert . Die Situierung des Phänomens ‘Jugend und Migration’ in 10
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Auch Hoerder et al. weisen auf die Pluralität von Gesellschaften hin: „Societies (…) are composed of many intersecting cultures, defined by status as citizens or recent immigrants; by age, gender, sex, and sexuality; by access to resources; by hierarchies based on physical markers such as colour of skin, and many other aspects“ (Hoerder/Hébert/Schmitt 2005: 11). Für eine derartige Problemfokussierung in der Forschungen vgl. unter anderem Reis/Wetzstein (1998); Heitmeyer/Müller/Schröder (1997); Heitmeyer/Dollase (1996).
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verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten, wie der Jugend-, Migrations- und Geschlechterforschung, führte also nicht unbedingt zu einer interdisziplinären Betrachtung des Gegenstandes, sondern es bestand immer die Gefahr der mehrfachen Negierung des Themas oder die Gefahr einer problematischen, weil defizitorientierten und kulturalisierenden Thematisierung, die die Konzeptionalisierung als Andere reproduzierte (vgl. Riegel 2004). Als exemplarisch für die periphere Beachtung der Lebenslage Jugendlicher im Migrationskontext kann die seit den 1950er Jahren durchgeführte ShellJugendstudie gelten, die erstmals in ihrer 13. Durchführung (Deutsche Shell 2000) auch Jugendliche mit Migrationshintergrund berücksichtigt hatte, diese Erweiterung jedoch in den Folgestudien nicht fortsetzte. Die Jugendforschung blieb daher, wie die Sozialforschung im Allgemeinen, überwiegend monokulturell und nationalstaatlich orientiert. Der Randbereich, den das Thema ‘Jugend und Migration’ in der Forschung bislang einnahm, ist inzwischen zwar breiter geworden, er ist allerdings weiterhin in spezifischer Weise gefasst und konotiert. Denn als ihren Gegenstand begreift sie immer noch überwiegend Defizite und Probleme von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in einer Gesellschaft, die vorwiegend mono-kulturell strukturiert ist und sich selbst über eine Mehrheit-Minderheiten-Dichotomie definiert. Die Notwendigkeit wissenschaftlicher Forschung gründet damit nicht nur auf spezifischen sozialen Problemlagen von Jugendlichen, etwa in sozialen Auffälligkeiten wie Gewalt, Sprach- und Bildungsdefiziten, die einer gesellschaftlichen Partizipation der nachwachsenden Generationen entgegenstehen. Vielmehr werden die sozialen Problemlagen jugendlicher MigrantInnen als in besonderer Weise durch ihre ‘kulturelle Prägung’ bestimmt angesehen. Auf diese Weise wurden (und werden) die Probleme strukturell als die Probleme von ‘kulturell Anderen’ gefasst und behandelt. Der Forschung wird in diesem Zusammenhang daher auch die Aufgabe zugewiesen, die erforderlichen Instrumente zu einer entsprechenden Behebung der diagnostizierten Defizite zu entwickeln und diese an institutionelle und professionalisierte Hilfesysteme zu vermitteln. Damit stellt sich die Frage, inwieweit die Erziehungswissenschaft selbst bislang auf die Tatsache sozialer und kultureller Differenz in den modernen Gesellschaften reagiert hat.
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Jugendliche MigrantInnen in der Ausländerpädagogik und in der Interkulturellen Pädagogik
In Deutschland war es vor allem die seit den 1960er Jahren im Kontext der sogenannten ‘Gastarbeiterwanderungen’ entstehende ‘Ausländerpädagogik’, die
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ab Ende der 1970er Jahre begann, sich verstärkt mit den Kindern der MigrantInnen auseinanderzusetzen. Das Ziel der ‘Ausländerpädagogik’ in dieser Zeit bestand in einer begrenzten Assimilation: „All jene Bemühungen der ersten Phase der Ausländerpädagogik, die sich nicht auf Remigration richten, sind als ‘Assimilationspädagogik’ analysiert worden. Mit den Mitteln der kompensatorischen Erziehung sollten die Kinder und Jugendlichen ausländischer Herkunft befähigt werden, im hiesigen Schulsystem mitzulernen und möglichst einen Abschluß zu erwerben. (...) Ausländerpädagogik richtete sich also ausschließlich an ausländische Schülerinnen und Schüler und wurde darum als ‘Ausländersonderpädagogik’ kritisiert“ (Prengel 1995: 76). Die wissenschaftliche Betrachtung der Kinder und Jugendlichen war in dieser Periode durch eine spezifische Verengung der Perspektive charakterisiert, die in der kulturbezogenen und verallgemeinernden Zuschreibung von sozialen und individuellen Problemlagen bestand.12 In den 1980er Jahren kann eine zweifache Verschiebung der Perspektive in der Migrationsforschung beobachtet werden. Einerseits wird dafür plädiert, nicht nur die ‘Schwächen’, sondern auch die ‘Stärken’ der Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen, andererseits wird die Mehrheitsgesellschaft zunehmend in die Verantwortung genommen, indem ihr vorgeworfen wird, dass sie einem Teil der Bevölkerung grundlegende Rechte, etwa das Recht auf Bildung, verweigere. Es geht also in dieser kritischen Perspektive nicht mehr primär um (sozial-)pädagogische Maßnahmen zur Hilfe und Unterstützung, vielmehr geht es um die Frage der Durchsetzung von grundlegenden Rechten für Kinder und Jugendliche (vgl. Hamburger et al. 1984). Eine Einlösung dieser Forderung steht jedoch noch aus. Dies zeigte sich erneut angesichts der PISA-Vergleichsstudien (vgl. OECD 2006). Diese haben eine deutlich ausgeprägte Bildungsbenachteiligung für die Kinder der Migrant12
In einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Forschung über „Bedingungen und Verfestigungsprozesse der Delinquenz bei ausländischen Jugendlichen“ verweisen Franz Hamburger, Lydia Seuss und Otto Wolter auf die in einer derartigen Zentrierung liegenden Problematik, sie betonen: „Selbst wohlmeinende Sozialwissenschaftler unterliegen dem ‘dunklen Einschlag des Nichtintendierten’ (...), wenn sie, in pädagogischer Absicht, sich der Erforschung der ‘problematischen’ Sozialisation, der Lebens- oder Identitäts-‘Schwierigkeiten’ ausländischer Jugendlicher widmen (...). Hierbei geschieht nichts anderes, als dass gesellschaftliche Strukturmerkmale wie der rechtlich legitimierte Ausschluß, die konsequente Weigerung des Schul- und Bildungssystems, ausländische Schüler als ‘normal’ und ‘Normale’ zur Kenntnis zu nehmen, schließlich die konkrete und alltägliche Erniedrigung kaschiert und quasi gerechtfertigt werden“ (Hamburger/Seus/Wolter 1984: 34). Gegenüber einer solchen defizitorientierten Perspektive wird weiter eingewendet: „Es gilt jedoch zu argumentieren, daß sich fernab von Kategorien wie ‘Sozialisationsdefiziten’, ‘Bildungsrückständen’, ‘Integrationsschwierigkeiten’ oder wie immer es genannt wird, ausländische Jugendliche als ganz normale Menschen entwickeln, die weniger der Hilfe bedürfen als selbstverständlich vorausgesetzt, die eher darauf warten, daß man ihnen zu ihrem Recht verhilft“ (ebd.). Damit wurde bereits in den 1980er Jahren ein Sachverhalt diagnostiziert, der bis heute seine Gültigkeit hat.
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Innen nachgewiesen. Eine Tatsache, die längst bekannt war. Interessant ist nunmehr der Umgang mit den PISA-Ergebnissen, denn hier findet nicht nur eine einfache Aktualisierung der Defizitthese statt, vielmehr findet auf der bildungspolitischen Ebene eine Form der Außenseiterproduktion statt. Es sind die vielen Kinder von MigrantInnen in den Schulklassen, die ‚Außenseiter’, die den Lernprozess der sogenannten Einheimischen, der ‚Etablierten’ behindern.13 Die Studie hat damit eine die nationalen Identifikationen stärkende Wirkung, die um den Preis des kommunikativen Ausschlusses der Kinder der MigrantInnen hergestellt wird: „Weil PISA ein Vergleich zwischen Nationalstaaten ist, produziert die Kommunikation über PISA notwendigerweise Zurechnungen, auch wenn sie unangenehm sind. Abgemildert werden können die Zurechnungen nur dadurch, dass Sündenböcke gefunden werden. Das Entlastungsmuster ‘Wenn die Migranten nicht wären oder den Lernfortschritt in den Schulen nicht behindern würden ...’ aktualisiert in Deutschland ein Strukturmerkmal einer fünfzigjährigen Verdrängung von Einwanderungsprozessen: die Behauptung der Nicht-Zugehörigkeit“ (Hamburger 2005: 7). Mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund findet die herrschende mono-kulturelle Fokussierung also eine erneute Bestätigung. Denn die Existenz von MigrantInnen und ihrer Nachkommen und die Weise, auf die sie Gesellschaft hinsichtlich ihrer sozialen und kulturellen Heterogenität mitprägen, wird als Gefahr und Bedrohung für die gesellschaftliche Entwicklung angesehen, für die kulturelle Homogenität immer noch als konstitutiv angesehen wird. Dieses homogene ‘Wir’ wird dabei als Resultat eines intergenerativen national-kulturellen Tradierungsprozesses angesehen. Hoerder et al. beschreiben diesen Zusammenhang wie folgt: „The basic assumption of adults in general and adult scholars in particular is that ‘they’ – the young people – will become like ‘us’ – the mature. This ‘us’ is adults aggregated in a nation, an ethnic group, a class, one sex or gender, or a differently defined group” (Hoerder/Hébert/Schmitt 2005: 20). Soziale und kulturelle Heterogenität wird also nach wie vor gesellschaftlich als Ausnahme und nicht als Regel angesehen und anerkannt. Die PISA-Ergebnisse haben daher in Deutschland auch ein Fortschreiben eines gesellschaftlichen und bildungspolitischen Diskurses geführt, in dem ‘fremde Sprache und Kultur’ als Problem antizipiert werden.14 Sprache und 13 14
Zur Theorie von ‘Etablierten’ und ‘Außenseitern’ vgl. Elias/Scotson (1993). Die Anfänge dieses Diskurses lagen in den 1960er Jahren: „Solange ausländische Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer fremden Staatsangehörigkeit prinzipiell nicht schulpflichtig waren, war Staatsangehörigkeit eine der entscheidenden Differenzlinien und Gegenstand der Problematisierung, nicht jedoch die ‘fremde’ Sprache und Kultur. (...) Erst seit gegen Ende der 1960er Jahre in allen Bundesländern ausländische Kinder prinzipiell in die allgemeine Schulpflicht einbezogen sind, ist Staatsbürgerschaft keine bildungsrechtliche Differenzlinie mehr, und erst ab diesem Moment werden die ‘fremde Sprache und Kultur’ als Problem definiert, so wie dies vor
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Kultur sind daher nach wie vor als Distinktionsmerkmale relevant, um die Dichotomie von ‘Eigenem’ und ‚Anderem’ aufrecht zu erhalten. Ingrid Gogolin und Marianne Krüger-Potratz betonen: „Bis heute wirkt diese historisch ausgebildete oppositionelle Fassung von ‘eigen’ und ‚fremd’, die Idee einer nationalen, in-sich-homogenen Kultur und die Gleichsetzung von ‘international’ mit ‘grenzüberschreitend’ nach. Erst in jüngster Zeit ist zu beobachten, dass auch die innerstaatliche sprachlich-kulturelle, ethnische und nationale Heterogenität als ein Moment von Internationalisierung explizit mit bedacht wird“ (Gogolin/Krüger-Potratz 2006: 75f.). Dies hat Folgen für die Gestaltung von Bildung (vgl. Leiprecht/Kerber 2005) sowie für die Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Einwanderungsgesellschaft.
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Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Die aufgezeigten Formen der auf Nation und (National-)Staatlichkeit beruhenden sozialen Konstruktion von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sowie die theoretischen und institutionellen Beiträge der Erziehungswissenschaften reproduzieren also immer auch bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Ein entscheidendes Mittel hierzu bilden die Prozesse der Abwertung und Ausgrenzung des ‘Anderen’, bzw. genauer der Konstruktionsprozesse von ‘ethnisch Anderen’. Zugleich realisieren sich innerhalb dieser Konstruktionsprozesse aber auch subjektive Handlungsmöglichkeiten und Aneignungsformen. Das Aufwachsen von Jugendlichen im Allgemeinen und von Jugendlichen mit Migrati15 onshintergrund im Besonderen wird durch diese Ambivalenz bestimmt. Sie konkretisiert sich vor allem über Prozesse der sozialen Segmentierung und Fragmentierung der Gesellschaft, die unter anderem durch Ethnisierungsprozesse, aber auch durch andere Differenzlinien, etwa Geschlecht und Alter, vorgenommen werden und sich mit Verhältnissen sozialer Ungleichheit überlagern. Diese strukturellen, materiellen und symbolischen Ein- und Ausschlussprozesse prägen die Lebensrealität sowie die Handlungsmöglichkeiten und Entwicklungsperspektiven von Jugendlichen.16 Vor diesem Hintergrund gestalten Jugendliche ihr Leben, versuchen sich subjektiv zu positionieren und suchen nach
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1945 schon hinsichtlich der innerstaatlichen fremdsprachigen Minderheiten der Fall war“ (Gogolin/Krüger-Potratz 2006: 94). Zu Begriff und Konzept von Ambivalenz vgl. Geisen (2003). Jugendliche mit Migrationshintergrund werden mit personellen und institutionellen Formen des Rassismus und der Diskriminierung konfrontiert, hierdurch wird auch ihr Zugang zu sozial relevanten Ressourcen eingeschränkt.
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Möglichkeiten, sozial wirksam sein zu können und gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen. Ein- und Ausschlussprozesse bilden daher die Voraussetzungen von konkreten, jeweils individuellen Formen gesellschaftlicher Partizipation. Dabei geht es sowohl um die Frage gleicher Rechte als auch, und eng damit zusammenhängend, um die Frage, inwieweit soziale Differenzen und Zuschreibungen zu Formen der Benachteiligung führen. Der Begriff der Partizipation wird dabei in einem weiten Sinne in Bezug auf die sozial-kulturelle Teilhabe an Gesellschaft, der Verfügung über sozial relevante Ressourcen und der Möglichkeit der sozialen und kulturellen Wirksamkeit verstanden. Partizipation realisiert sich hier konkret über Aushandlungsprozesse. Dirk Hoerder et al. sprechen in diesem Zusammenhang von „Negotiating Transcultural Lives“ (2005). Für sie ist ‘Transculturation’ ein Prozess, in dem sich Individuen und Gesellschaften über die Integration verschiedener kultureller Lebenswege verändern und in neue, dynamische Lebenswege überleiten (vgl. Hoerder/Hébert/Schmitt 2005: 13). ‘Negotiating’ bedeutet demnach: „Young people, whether long-term residents or recent immigrants, develop life-perspectives by projecting assumed present capabilities, wishes, and wide-ranging fantasies into the future, i.e. into their own future and that of their societies. They intend to establish secure yet flexible belongings. They do while aspects of adult cultures – gendered, ethno-national, or ethno-immigrant, and stratified – are being transferred to them in a process of socialization. This transfer, however, is not a straightforward passing on of stable sets of symbols and values, as infants and children respond selectively to available environmental input. (…) Mutual inter- and intragenerational negotioation and transfer involves selectivity and results in the active creation of new social worlds, whether locally or, after migration, in a distant and different space“ (Hoerder/Hébert/Schmitt 2005: 21). In den Beiträgen des vorliegenden Sammelbands steht daher die Frage im Mittelpunkt, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund diese sozial-kulturelle Partizipation für sich subjektiv als gelingend realisieren können. Dabei wird auch nach den sozialen und politischen Grenzen gefragt, mit denen sie dabei konfrontiert werden und welche subjektiven Handlungsstrategien die Jugendlichen im Umgang mit diesen Grenzen entwickeln. Im ersten Teil des Buches finden sich Beiträge, die sich mit den „Konstruktionsprozessen von Jugend“ auseinandersetzen. Thomas Geisen beschäftigt sich in seinem Beitrag „Gesellschaft als unsicherer Ort. Jugendliche MigrantInnen und Adoleszenz“ mit dem Zusammenhang von sozialen Grenzen und Adoleszenz bei jugendlichen MigrantInnen. Die in der Adoleszenz stattfindende Hinwendung zur Gesellschaft ist für sie insofern prekär, da es sich um eine Gesellschaft handelt, die MigrantInnen auf vielfache Weise zu AußenseiterInnen macht. Hierin realisiert sich das
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(national-)kulturelle Primat der Mehrheitsgesellschaft. Pat Cox knüpft mit ihrem Beitrag „Young People, Migration and Metanarratives. Arguments for a Critical Theoretical Approach” thematisch daran an. Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit den Konzepten von ‘Nation’ und ‘nationale Identität’, sowie dem sich kritisch hierzu verhaltenden Konzept der ‘Hybridität’, zeigt sie am Beispiel jugendlicher Flüchtlinge in Großbritannien auf, wie den Jugendlichen Rechte und Schutz verwehrt bleiben. Prozesse der Konstruktion von Jugend und deren Folgen für jugendliche Flüchtlinge stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Katja Schikorra und Rainer Becker: „‘Drin bist du noch lange nicht...’ – Zur biopolitischen Konstruktion des Alters bei jugendlichen Flüchtlingen“. Mithilfe des Konzepts der ‘Biopolitik’ analysieren sie den administrativmedizinischen Prozess, in dem eine Altersfeststellung von jungen Flüchtlingen vorgenommen wird. Darüber hinaus fragen sie nach der Wirkung dieser biologischen Normierungspraktiken als Mittel der Ausgrenzung für die jugendlichen bzw. dann vor allem die als ‘nicht-jugendlich’ qualifizierten Flüchtlinge. Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den „Konstruktionsprozessen von Jugend“ folgt im zweiten Teil die Fokussierung auf „Ausgrenzung und Integration“. Carolin Reißland zeigt in ihrem Beitrag über „Armut bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ auf, dass diese in besonderer Weise von Armutsrisiken betroffen sind und dass sich hierdurch die bestehende ‘ethnische Unterschichtung’ weiter fortsetzt, die eine soziale Marginalisierung der Kinder der MigrantInnen zur Folge hat. Aufgrund ihrer vielfach schwierigen soziokulturellen Lage werden jugendliche MigrantInnen daher auch oft zu KlientInnen der Sozialen Arbeit. Im Umgang mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund und mit deren Erfahrungen von Rassismus bestehen jedoch deutliche professionelle Defizite, wie Claus Melter in seinem Beitrag über „Sekundären Rassismus in der Sozialen Arbeit“ herausarbeitet. Die Negierung und Abwertung von Rassismuserfahrungen durch SozialarbeiterInnen wird von ihm als ‘sekundärer Rassismus’ bezeichnet, da hierdurch die rassistische Erfahrung eine erneute Bestätigung und Verfestigung erfährt. Die in der Sozialen Arbeit Tätigen werden daher ihrer professionellen Verantwortung nicht gerecht. Dass Rassismuserfahrungen biografisch prägende Erlebnisse für Jugendliche darstellen zeigt Andreas Hieronymus in „Discovering Whiteness. Young adults and their understanding of racism“ auf. In den Erzählungen der jungen Menschen über ihre ersten persönlichen Rassismuserfahrungen zeigt sich, dass der Rassismus einen strukturellen, unter anderem über die Medien vermittelten Sachverhalt darstellt. Es zeigt sich allerdings auch, dass ein transnationaler Diskurs es ermöglicht, diese Erfahrungen kritisch zu reflektieren. Rassismus stellt auch ein Hindernis für eine soziale und gesellschaftliche Integration dar, mit der sich Barbara Schramkowski in ihrem Beitrag „Für mich aber hat dieses Integrati-
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onswort mit der Zeit seinen Wert verloren – Perspektiven junger Erwachsener mit Migrationshintergrund“ beschäftigt. Dabei zeigt sich, dass gesellschaftlich als ‘erfolgreich integriert’ beurteilte MigrantInnen, ihre ‘Integration’ weiterhin als mit dem Verdikt des Vorläufigen und Bedrohten behaftet sehen. Die Abhängigkeit der Integration von den gesellschaftlichen Bedingungen zeigt auch Karin Elinor Sauer in ihrem Beitrag über die „Integrationsprozesse von Kindern in multikulturellen Gesellschaften“. Soziale Differenzen gehören hier zu den entscheidenden Faktoren, die pädagogischen wie politischen Handlungsbedarf aufzeigen. Die Tatsache des Migrationshintergrundes wird damit als ein nicht allein bestimmender biografischer Faktor ausgewiesen. Merle Hummrich greift dies in ihrem Beitrag über „Die Fremdheit bildungserfolgreicher Migrantinnen“ ebenfalls auf. Für sie handelt es sich bei der Realisierung von Autonomiepotenzialen um einen Entfremdungsprozess, der nicht ethnisch bestimmt ist, sondern mit jugendlichen Ablösebestrebungen und personalen Anerkennungsbeziehungen in Zusammenhang steht. Erst wenn Migration zum Differenzkriterium wird, mittels dessen spezifische Gebundenheiten festgelegt werden, wird Migration zur Aufrechterhaltung individueller und gesellschaftlicher Ordnungsschemata instrumentalisiert. Solche Mechanismen werden in Familie und Schule wirksam. Susanne Lang verweist in ihrer Untersuchung über „Interaktionen, Fremd- und Selbstrepräsentationen von Jugendlichen im Kontext von Migration“ auf einen anderen Mechanismus des Umgangs mit dem ‘Anderen’. In ihrer rekonstruktiven Analyse einer Gruppendiskussion unter BerufsschülerInnen zeigt sie Mechanismen auf, über die eine Tabuisierung und Mythologisierung rassistischer Konflikte erfolgt. Die Beiträge des dritten Teils beschäftigen sich mit Fragen von „Bildung und Mobilität“. Denn in den modernen Gesellschaften wird ein enger Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und Partizipationschancen konstatiert. Fehlende Bildung bzw. nicht realisierte Bildungschancen werden dabei vielfach individualisiert. Dass gerade für die Bildung von MigrantInnen auch strukturelle Barrieren in entscheidender Weise Bildungswege beeinflussen zeigen Sara Fürstenau und Heike Niedrig in ihrem Beitrag „Jugend in transnationalen Räumen. Bildungslaufbahnen von Migrantenjugendlichen mit unterschiedlichem Rechtsstatus“. Biografisch wird hier an Fallbeispielen die Bedeutung des rechtlichen Status von MigrantInnen für die künftige Realisierung der mit der Bildung verbundenen Aspirationen aufgezeigt. Hiermit ist also das Verhältnis der ‘aufnehmenden’ Gesellschaft gegenüber den ImmigrantInnen, den Newcomern, angesprochen. Bruce MZ Cohen belegt die Bedeutung dieses Faktors in seiner vergleichenden Studie „Education, Work and Identity. Young Turkish Migrants in Germany and Young Pakistani Migrants in England“. Für die besseren Erfolge jugendlicher MigrantInnen im Bildungs- und Beschäftigungssystem ist
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demnach die Identifikation mit der aufnehmenden Gesellschaft von hoher Relevanz, dies wird im Vergleich einer strukturell eher ausgrenzenden Praxis in Deutschland und einer partizipativen Praxis in Großbritannien aufgezeigt. Dass auch das Bildungssystem selbst zu einem strukturellen Hindernis für jugendliche MigrantInnen werden kann, zeigt Priska Sieber in „Der Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt im Bildungswesen – historisch gestaltete Institutionen als Rahmen für Ausgrenzungsprozesse“. Dabei wird deutlich, dass das Prinzip der Homogenisierung von Schulklassen über Leistungsgruppen zu Aussonderungen und Sonderbeschulung führt, von denen aktuell vor allem MigrantInnen betroffen sind. Die hierdurch entstehenden systemischen Effekte, die zu einer strukturellen Benachteiligung von jugendlichen MigrantInnen führen können, werden für die Schweiz am Beispiel des Kantons Aargau konkretisiert. Dass die Gesellschaft letztlich jedoch nicht umhin kommt, auch bildungspolitisch auf die gesellschaftliche Benachteiligung von MigrantInnen zu reagieren, zeigt sich spätestens im Übergang vom Bildungs- ins Ausbildungssystem. Sylvia Bürkler beschäftigt sich in „Der Übergang in die berufliche Ausbildung. Migrationsbezogene Bildungskonzepte in der Schweiz“ mit dieser sogenannten ‘ersten Schwelle’. Ausgehend von der Analyse der Schweizer Gesellschaft und des bildungspolitischen Umgangs mit der Tatsache der Einwanderung stellt sie eine konkrete Übergangsmaßnahme vor, deren methodische Besonderheit darin besteht, dass sie einen subjektorientierten Förderansatz verfolgt, der bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund ansetzt, um Selbstbewusstsein und Verantwortlichkeit für den eigenen Lebensweg zu fördern. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass auch Migration selbst für Jugendliche solch ein kreativer Lösungsprozess sein kann, um bestehende strukturelle Grenzen in einer Gesellschaft zu überwinden und sich neue Perspektiven zu erschließen. Mit dieser Möglichkeit beschäftigen sich David Cairns und Simone Menz in ihrem Beitrag. Sie haben zwei europäische Auswanderungsregionen, Nordirland und Ost-Deutschland daraufhin untersucht, welche Motive die Jugendlichen im Übergang von der Schule in die Erwerbswelt veranlassen auszuwandern. In „Youth on the Move? Exploring Youth Migrations in Eastern Germany and Northern Ireland” zeigen sie auf, dass sich die Jugendlichen in der Umsetzung ihrer Migrationsabsichten an ihnen bekannten Migrationsverläufen orientieren. Dabei geht es den Jugendlichen letztlich darum für sich selbst neue und bessere Lebensperspektiven zu erschließen als diejenigen, die sich für sie am jetzigen Lebensmittelpunkt realisieren ließen. In dem weit gespannten thematischen Bogen der Beiträge wird insgesamt deutlich, dass die soziale Partizipation jugendlicher MigrantInnen von unterschiedlichen Faktoren abhängt. Neben den strukturell-institutionellen gesellschaftlichen Bedingungen, die auf einen historisch gewachsenen Umgang mit
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der Migrationstatsache in nationalstaatlich verfassten Gesellschaften verweisen, ist es vor allem der Einfluss dominanter kulturalisierender und problematisierender Diskurse, in denen sich vielfach rassistische Prozesse der Ausgrenzung und Abwertung realisieren. Gleichzeitig verfügen migrantische Jugendliche nicht über die gleichen sozioökonomischen Voraussetzungen zur Partizipation. Allerdings wird in den Beiträgen auch aufgezeigt, dass über individuelle und soziale Lernprozesse, die eine kritische Reflexion der konkreten sozialen Bedingungen beinhalten, bestehende Grenzen überwunden und neue Partizipationsmöglichkeiten erschlossen werden können. In diesem Sinne ist es nicht unerheblich daran zu erinnern, dass die Migrationssituation für Jugendliche nicht nur problematische Seiten, sondern auch Chancen beinhalten kann. Eine umfassende gesellschaftliche Demokratisierung, wie sie etwa in einem kritisch verstandenen Multikulturalismus angestrebt wird (vgl. Rommelspacher 2002: 185ff.), bildet daher die Voraussetzung dafür, dass sich soziale und kulturelle Pluralität gesellschaftlich ohne Zwang und Gewalt zur Anpassung entfalten könnte. Zugleich gilt aber auch, dass die Existenz sozialer und kultureller Pluralität in einer Gesellschaft nur durch die Geltung demokratischer Prinzipien dauerhaft gesichert werden kann. Zum Gelingen dieses Sammelbandes haben unsere Lektorinnen Sybille Wilß, deutschsprachige Beiträge und Layout, und Kathleen Weekley, englischsprachige Beiträge, in entscheidender Weise beigetragen. Ihnen möchten wir an dieser Stelle herzlich danken.
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Teil I Konstruktionsprozesse von Jugend
Gesellschaft als unsicherer Ort Jugendliche MigrantInnen und Adoleszenz Thomas Geisen
In den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten ist die Beschäftigung mit jugendlichen MigrantInnen vor allem als Problemdiskurs präsent. Dies ist kein neuer Befund, in besonderer Weise wurde er zuletzt im Rahmen der Sonderauswertung der PISA-Studie über den Bildungsstand von SchülerInnen mit Migrationshintergrund (vgl. OECD 2006) erneut zum Gegenstand publizistischer Initiativen und bildungspolitischer Stellungnahmen. Im Mittelpunkt der Debatte standen jedoch nicht diejenigen SchülerInnen, die neu eingewandert sind, sondern vielmehr die ‘Kinder der MigrantInnen’. Diese, im Generationenbezug auf die sogenannte ‘Gastarbeitermigration’ vielfach als ‘zweite’ und ‘dritte’ Generation bezeichnet, zeigen vor allem in Deutschland deutlich schlechtere Bildungsleistungen als neu eingewanderte MigrantInnen. Beide Gruppen liegen allerdings in ihren Leistungen weit abgeschlagen hinter der Gruppe der einheimischen SchülerInnen (vgl. ebd.). Im internationalen Vergleich variieren die PISA Ergebnisse der 15jährigen SchülerInnen deutlich. Es fällt jedoch auf, dass der Abstand zwischen den SchülerInnen mit bzw. ohne Migrationshintergrund in den Ländern, die in der Migrationsforschung als klassische Einwanderungsländer1 bezeichnet werden, deutlich geringer ausfällt, als dies in Deutschland der Fall ist – einem Land, das auch nach dem 1973 verhängten Anwerbestopp von Arbeitskräften und einer anhaltenden restriktiven Migrationspolitik eine kontinuierliche Einwanderung aufweist.2 1 2
Hierzu gehören etwa Kanada, die USA und Australien. Im kollektiven Bewusstsein ist Migration in Deutschland vor allem durch drei Migrationsbewegungen präsent: (1) die sogenannte ‘Gastarbeiterwanderung’ ab Mitte der 1950er Jahre bis zu Beginn der 1970er Jahre; (2) die Fluchtmigrationen verstärkt ab Mitte der 1980er Jahren, in den 1990er Jahren vor allem aus den ehemaligen jugoslawischen Gebieten; und (3) die Einwanderung von MigrantInnen aus den ehemaligen sowjetischen Republiken, die deutsche Vorfahren haben, die sogenannten ‘Aussiedler’, seit dem Wegfall des Ost-West-Gegensatzes (vgl. Bade/Oltmer 2003). Diese Migrationsbewegungen werden vielfach als Sonderfälle angesehen, die besonderen historischen Situationen geschuldet sind, etwa der spezifischen Nachkriegssituation mit Wiederaufbau und einer anhaltenden wirtschaftlichen Prosperität, dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten Osteuropas oder den krisenhaften politischen und ökonomischen
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Der Zusammenhang von Migration und Adoleszenz ist also in besonderer Weise mit den gesellschaftlichen Strukturen und den bestehenden Formen gesellschaftlicher Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung verbunden. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Frage nach der Bedeutung von Jugend in Migrationsgesellschaften3. Dabei wird aufgezeigt, dass Migration als Vergesellschaftungsprozess sich auch über Prozesse der Adoleszenz realisiert.
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Die migrationspolitische Debatte in Deutschland
Durch die PISA-Untersuchung hat die migrationspolitische Debatte in Deutschland einen ergänzenden Fokus erhalten: Neben der Frage der Ausgestaltung einer mehr oder weniger restriktiven Einwanderungspolitik ist nunmehr die Frage nach der ‘sozialen Integration’ der MigrantInnen getreten. Im Rahmen der Debatte um die Existenz sogenannter ‘Parallelgesellschaften’4 wurden MigrantInnen oft pauschalisierend ein Rückzug in die ‘eigenen’ ethnischen Gemeinschaften vorgeworfen. Dieser Rückzug sei mit einem Rückgriff auf antimodernistische Tendenzen verbunden und gehe mit einer Ablehnung moderner demokratischer Prinzipien einher. Der Diskurs um die Parallelgesellschaften beschränkte sich nahezu ausschließlich auf die Gegenüberstellung von ‘der’ kulturellen ‘Fremdheit’ türkischer EinwanderInnen muslimischen Glaubens und ihrer Nachkommen einerseits und ‘der’ als modern und säkular verstandenen westlichen Welt andererseits. Letztere sieht sich in der Tradition der Aufklärung, also in einer Tradition, die auf einer spezifischen Sichtweise der Vernunft beruht, und beruft sich in religiöser Hinsicht auf ihre christlichen Traditionen. Damit wird der Gegensatz von ‘Orient’ und ‘Okzident’ sowohl auf der Kontinuität religiöser Traditionen als auch auf der Tradition der Aufklärung begründet, zu
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Verwerfungen in einer globalisierten Welt. In dieser Perspektive wird die historische Kontinuität von Migrationsbewegungen in Deutschland weitgehend ausgeklammert oder in ihren Dimensionen negiert (vgl. Herbart 1986; Geisen 2004/2005). Vor dem Hintergrund der theoretischen Annahme, dass es Gesellschaften ohne Migration nicht geben kann, ist der Begriff ‘Migrationsgesellschaft’ insofern irreführend, als ihm die Annahme eines besonderen Gesellschaftstypus innewohnt (vgl. Geisen 2005). Er wird nachfolgend dennoch dort verwendet, wo es darum geht, die diesem Beitrag zugrunde liegende und von gängigen Konzepten abweichende Auffassung von Gesellschaft kenntlich zu machen. Der Begriff ‘Parallelgesellschaft’ wurde prominent bereits in einer Studie von Wilhelm Heitmeyer et al. mit dem Titel „Verlockender Fundamentalismus“ (1997) verwendet, fand aber erst seit Anfang 2000 im gesellschaftlichen und politischen Diskurs breite Verwendung zur Kennzeichnung von vermeintlich autarken, nach eigenen sozialen und kulturellen Prinzipien, inklusive eigener Rechtsprinzipien, funktionierenden MigrantInnenkulturen, die sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft abgeschottet haben.
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deren zentralen Prinzipien Humanität und Rationalität gehören. Je nach politischer Couleur lassen sich zwar Unterschiede in der Wahrnehmung des Bedrohten ausmachen, der Ausgangspunkt der Bedrohung ist jedoch gleich: der Islam. Während konservative und rechte PolitikerInnen das ‘christliche Abendland’ und das ‘westliche Wertefundament’ bedroht sehen und dementsprechend eine für alle verbindliche ‘Leitkultur’ einfordern, stehen für linke und liberale PolitikerInnen die ‘Werte der westlichen Demokratie’ und der ‘politischen Freiheit’ im Mittelpunkt. Eine die politischen Lager übergreifende Einigkeit besteht darin, dass die ‘Rechte der Frauen’ im Islam einer besonderen Bedrohung ausgesetzt und daher in besonderer Weise zu schützen seien.5 Der Islam wird daher gleichermaßen seiner sozialen und kulturellen Rückständigkeit wegen kritisiert und seiner politischen Modernisierung wegen angeprangert, die sich offensichtlich zu einer unkalkulierbaren Bedrohung für die westliche Welt entwickelt habe. Die Diskurse über die ‘Parallelgesellschaften’ verweisen jedoch nicht nur auf die Aktualität gesellschaftlicher Diskurse über Migration, in denen Jugendliche inzwischen in besonderer Weise als gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden (vgl. u. a. Heitmeyer et al. 1997). Sie verweisen zugleich auf Defizite im Umgang mit der sozialen Tatsache der Migration in modernen Gesellschaften. In theoretischer Perspektive wurde Migration bislang weitgehend als Sonderfall behandelt. Der Grund hierfür lag vor allem in der expliziten und impliziten Reduktion sozialwissenschaftlicher Theoriebildung auf das Modell des modernen Nationalstaates. Nicht nur, dass die im 19. und 20. Jahrhundert sich etablierenden Nationalstaaten in Europa neue Grenzregime ausbilden. Die Kontrolle grenzüberschreitender Migration und Mobilität bekommt hier einen gesellschaftlich konstitutiven Charakter. Denn die Abgrenzung von anderen (National-)Staaten wird hier zu einem wichtigen Element der Etablierung veränderter Formen der politischen, sozialen und kulturellen Selbstbeschreibung. Erst durch diese selbst- und fremdbezogenen Konstitutionsprozesse moderner Gesellschaftlichkeit gewinnt die nationalstaatliche Implikation einer Einheit von Bevölkerung und Territorium gesellschaftliche Relevanz und Aktualität. 5
Hier wird in der Regel ein scharfer Gegensatz gezeichnet zwischen einer westlichen Welt, in der die Frauen emanzipiert seien und einer islamischen Welt, in der die Frauen keine Rechte haben und patriarchalen Strukturen unterworfen sind (vgl. Jäger 1996). Emblematisch erfährt diese verallgemeinernde Perspektive ihre Bestätigung und Aktualisierung in den verschiedenen Debatten um das Kopftuch, Zwangsverheiratung und um sogenannte ‘Ehrenmorde’. Deren Skandalisierung dient jedoch weniger dem Schutz der in ihren Familien von Unterdrückung und Gewalt bedrohten Frauen, etwa indem die bestehenden gesetzlichen Schutzrechte und Hilfsangebote für Frauen insgesamt ausgebaut werden – denn für den Schutz von Frauen und Kindern vor Unterdrückung und Gewalt in ihren Familien bedarf es keiner ‘kulturbezogenen’ Sonderrechte für MigrantInnen.
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Diese Prozesse der Selbstbeschreibung und Selbstkonstitution allein waren jedoch nicht ausreichend für die gesellschaftliche Verankerung des neuen nationalstaatlichen Paradigmas. Entscheidend hierfür waren auch die anhaltenden nationalstaatlichen Konflikte, und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens realisierte sich in der direkten Konfrontation die jeweilige Nation in existenzieller Form als ‘nationale Gemeinschaft’. Zweitens kam es im Verlauf dieser Konflikte zu Prozessen der freiwilligen Segregation, etwa aus Angst vor der ‘fremden’ oder aus Loyalität zur ‘eigenen’ Nation, oder erzwungenen Segregation aufgrund nationaler Zugehörigkeiten. Dieser sich in den Nationalstaaten etablierende und zunehmend durch neue staatlich-bürokratische Maßnahmen, etwa dem Passwesen6 oder die Einführung von Sonderrechten für AusländerInnen7, ausgebaute doppelte Mechanismus hatte erhebliche Konsequenzen für die gesellschaftlichen und kulturellen Perspektiven auf Migration. Denn einerseits führte Migration zu einer (national-)kulturellen Heterogenisierung der Gesellschaften, andererseits kam es aber periodisch auch zu Prozessen der sozial-kulturellen Homogenisierung durch Zwang und Gewalt. Aufgrund dieser Homogenisierungsprozesse in den Migrationsgesellschaften blieb der Status von MigrantInnen so lange prekär, als sie in ihren Fremd- und Selbstzuschreibungen als MigrantInnen identifizierbar waren. Vor diesem Hintergrund wurde das Verschwinden der sozialen und kulturellen Differenzen als Ideal der sozialen Integration von MigrantInnen angesehen. Soziale Integration wird in diesem Kontext nicht als ein End-, sondern lediglich als ein Anfangspunkt angesehen, der letztlich zur Assimilation führen sollte – zu einem individuellen und sozialen Zustand also, in dem die Tatsache der Migration dauerhaft über den intergenerativen Wandel in Vergessenheit geriet. Jugendliche MigrantInnen sind hiervon in besonderer Weise betroffen, da sich gesellschaftliche Homogenisierungsanforderungen an ihnen in besonderer Weise artikulieren. Denn im intergenerativen Zusammenhang handelt es sich bei Fragen der sozialen Integration immer auch um Fragen, die die herrschenden individuellen, 6
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Das Passwesen wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den europäischen Staaten als allgemein gültiges Reisedokument eingeführt (vgl. Torpey 2000; Lloyd 2003). Der Pass, als Ausweis einer spezifischen Person, definiert und dokumentiert die Zugehörigkeit einer Person zu einem Staat. Dies war insbesondere im Hinblick auf die Verknüpfung von Bevölkerung und staatlichem Territorium von entscheidender Bedeutung. Zugleich etablierte und festigte der Nationalstaat über die Einführung des Passes die Sonderkategorien des ‘Ausländers’ und des Staatenlosen. Während es sich beim ‘Ausländer’ um den Angehörigen eines anderen Staates handelt, so ist die fehlende Staatszugehörigkeit Kennzeichen der Staatenlosen. Im Hinblick auf Migrationsprozesse kommt diesem staatlichen Kontrollzuwachs eine wichtige Bedeutung zu. Denn die grenzüberschreitende Migration wird hierdurch zu einem zentralen Moment staatlicher Verfügung und Kontrolle gemacht. Hierzu gehören etwa die Einführung eines Ausländerrechts (vgl. Weizsäcker 2005) ebenso wie eng damit verbundene bürokratische Praxen, etwa die Visaerteilung.
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das heißt das subjektive Erziehungsverhältnis, und gesellschaftlichen, das heißt die sozial-diskursiven und institutionell-organisatorischen, Formen der Erziehung betreffen. Dies gilt sowohl in Bezug auf neu einwandernde Kinder und Jugendliche als auch für die nachwachsenden Generationen, deren Eltern einen Migrationshintergrund aufweisen. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive stellt sich daher die Frage, in welcher Weise die Erziehung von MigrantInnen in Migrationsgesellschaften realisiert wird. Denn das, was für die nachwachsenden Generationen im Allgemeinen gilt, die Einführung der neu Geborenen in die bestehende Welt, ist für die MigrantInnen und ihre Nachkommen unter den gegebenen Bedingungen nationalstaatlicher Vergesellschaftung in besonderer Weise zu realisieren. Sie erfolgt hier in stärkerem Maße sowohl auf der Basis vielfältiger biografischer Erfahrungen mit kultureller Pluralität als auch im Wissen um die gesellschaftlichen Reaktions- und Umgangsformen mit dieser Pluralität. Mit anderen Worten: Die migrationspolitischen Debatten in Deutschland bestimmen und beeinflussen die gesellschaftlichen Erziehungsprozesse sowohl in ihren Strukturen als auch in ihrer konkreten Praxis. Aus der Perspektive jugendlicher MigrantInnen stellen sie daher soziale Grenzen dar.
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Erziehung und kulturelle Differenz in modernen Gesellschaften
Für die modernen Gesellschaften ist die soziale Integration zu einem historisch neuen Problem geworden, das nicht nur MigrantInnen betrifft. Soziale Integration entwickelt sich historisch zu einem in besonderer Weise durch gesellschaftliche Institutionen vermittelten und von ihnen getragenen Erziehungsprozess. Kapitalistische Nutzenmaximierung und bürgerliche Erziehung folgen dabei gleichermaßen dem Prinzip der Individuierung über funktionale Eingliederung in die Gesellschaft.8 Funktionale Eingliederung und die Ausbildung einer wertproduzierenden, rationalen Haltung wurden dabei als Resultate individueller und gesellschaftlicher Erziehungsprozesse angesehen.9 Die Aufgabe einer systematischen, institutionalisierten Erziehung bestand darin, „die Individuen für das herrschende Vernunft-System funktionstüchtig zu machen“ (Mergner 1999: 141). Dabei wurde die Erziehung der eigenen Kinder „zweckrational auf ihre 8
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Dies geschieht sowohl nach der Logik der Realabstraktion (vgl. Marx 1989) als auch im Prozess der Ausbildung einer wertproduzierenden, rationalen Haltung (vgl. Weber 1988). Zu den Analogien von Marx und Weber im Hinblick auf ihre jeweiligen Analysen zur Entstehung einer „aktiven Weltbeherrschungsmentalität“ (Weber), vgl. Geisen (2006). Wolfgang Dreßen hat diesen Zusammenhang als einen Prozess der „Industrialisierung des Bewusstseins“ charakterisiert (vgl. Dreßen 1982). „Industrialisierung“ beschreibt hier eine Haltung, die die Prinzipien der sich über den Warentausch realisierenden Abstraktionsprozesse derart verallgemeinert, dass sie als ‘sachgerecht’ und ‘notwendig’ angesehen werden.
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gesellschaftliche Nützlichkeit konzentriert. Damit produzierte die ‘kulturelle Identität’ die Ambivalenz von Orientierungsfähigkeit und Borniertheit, von Erkenntnis und Beschränkung, von Anmaßung und Melancholie“ (Mergner 1999: 141f.). Damit soziale Integration als gesellschaftliches Erziehungsziel erreicht werden konnte, war einerseits kulturelle Differenz eine notwendige Voraussetzung. Ohne solche Differenzerfahrungen würde eine allgemeine, gesellschaftliche Zielsetzung für die Erziehung hinfällig werden. Andererseits war kulturelle Differenz aber auch die Bedingung dafür, dass der Erziehungsanspruch sich in der Erziehungspraxis der bürgerlichen Gesellschaft dominant als Universalität gegenüber den vielfältigen kulturellen Partikularismen etablieren konnte.10 Kulturelle Differenzen erhielten damit für die Erziehungsprozesse eine neue und andere Funktion: Sie wurden als Mittel der Disziplinierung und Kontrolle einsetzbar. Denn während die industriellen Sozialisations- und Erziehungssysteme einerseits „verfügbare, gefügige Menschen innerhalb des Systems“ benötigen, so benötigen sie andererseits in gleichem Maße auch „stigmatisierbare Gruppen außerhalb der Nützlichkeit als Gegenpol“ (Mergner 1999: 143). Nützlichkeit wird also nicht nur zu einem gesellschaftlich zentralen Unterscheidungsmerkmal, das den sozialen Handlungen eingeschrieben ist. Zugleich werden hierüber auch Eigen- und Fremdzuschreibungen individuell und sozial wirksam über Prozesse der Grenzziehung artikuliert, in denen soziale Normen und Werte über die Abwertung des Anderen als dominant gesetzt werden. Über diesen Mechanismus „wird die Grenze zwischen ‘Ihr’ und ‘Wir’ demonstriert und notfalls exekutiert. Dies führt immer wieder zu Gewalt gegen unbrauchbare, unnütze Außenseiter“ (Mergner 1999: 143f.). Das, was sich im Prozess der Grenzziehung zwischen Kollektiven in der Entgegensetzung von ‘Ihr’ und ‘Wir’“ als Normalität artikuliert, ist daher untrennbar mit Gewalt und Unterdrückung verbunden, durch die Herrschaft etabliert und perpetuiert wird.11 Als Mittel zur Disziplinierung wurden vor allem kulturell Andere eingesetzt, die man zu Außenseitern gemacht hatte, zu ihnen gehörten auch die Kinder. An ihnen exekutiert sich qua Erziehung der Zwang zur Anpassung an die 10
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Im 19. Jahrhundert setzte ein Prozess der systematischen Negation kultureller Vielfalt ein, der sich lebensgeschichtlich über die gesellschaftliche Entwertung der in den frühen Lebensjahren erworbenen kulturellen Prägungen ausdrückte. Gerade in der historischen Epoche von Industrialisierung und Kolonialisierung, der Entstehung industrieller Zentren, der großen Migrationsbewegungen in die Zentren von Handel und Industrie ebenso wie in die kolonialen Gebiete weltweit, stellten kulturelle Differenzen eine gesellschaftliche Normalität dar. Im Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung wurden Gewalt und Unterdrückung nicht nur im Umgang mit dem ‘äußeren Fremden’ sondern auch mit dem ‘inneren Eigenen’ ausgeübt. Im Prozess der ‘Nutzbarmachung’ und ‘Verwertung’ wurde also auch die eigene Bevölkerung von den Herrschenden zum Gegenstand von Disziplinierung und Kontrolle gemacht.
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herrschenden gesellschaftlichen (Produktions-)Normen. Für Hans Mayer bildet diese wertsetzende Praxis das entscheidende Mittel zur Etablierung einer neuen sozialen Hierarchie. Demnach waren es weder die auf Ungleichheit beruhende wirtschaftliche Konkurrenz noch die Bürgertugenden, durch die sich die bürgerliche Herrschaftsform etablierte. Entscheidend war vielmehr, dass die zerstörte feudale Hierarchie durch eine neue, bürgerliche ersetzt werden musste, die im Rahmen allgemeiner Rechtsgleichheit nur auf wirtschaftlicher Ungleichheit aufgebaut werden konnte: „Fremdenfeindlich von Anfang an, wurde sie zunehmend nationalistischer. (...) Von nun an gab es Art und Abart, lebenswertes und unwertes Leben. Jeder Außenseiter wurde zur Provokation. Wer aber war undenkbar als Außenseiter?“ (Mayer 1981: 29). Die Herrschaft innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft gründet also auf Mechanismen der Produktion und Reproduktion von sozialen, rechtlichen und kulturellen Außenseitern. Für die Erziehungsprozesse ist dieser Mechanismus konstitutiv, denn Kinder galten von Anfang an als ‘unfertig’ und ‘erziehungsbedürftig’, da sie erst einmal zur gesellschaftlichen Nützlichkeit erzogen werden müssen. Kinder und Jugendliche mit Migrationhintergrund finden sich daher in einer doppelten Außenseiterposition wieder, und zwar sowohl als Kinder als auch als kulturell Andere. Im 20. Jahrhundert ist der soziale Typus des Migranten neu zu einem zentralen Modell der gesellschaftlichen Produktion von Außenseitern geworden. In den modernen Migrationsgesellschaften hat sowohl die Praxis der Erziehung zur Entwicklung verwertbarer Potenziale – also eine Erziehung zur Nützlichkeit – als auch die Praxis der Produktion und Reproduktion kultureller Dominanz über Erziehung, die Konsequenz, dass sich hierüber Mechanismen der Außenseiterproduktion etablieren. In der Praxis realisiert sich die Außenseiterproduktion über Prozesse der Abwertung. Sozial erfolgen diese über Mechanismen der Deklassierung, kulturell über die Entwertung von lebensgeschichtlich erworbenen kulturellen Prägungen.12 Es handelt sich hierbei um ein konstitutives Moment der Außenseiterproduktion. Die erfahrenen Entwertungen und Entwürdigungen prägen sowohl das individuelle Gedächtnis als auch das kollektive Gedächtnis von systematisch deklassierten sozialen Gruppen. In Tradierungsprozessen findet daher immer auch eine Verstetigung des Außenseiterstatus statt, da nachfolgende Generationen über Selbst- und Fremdzuschreibungen sozial und 12
Unter kultureller Prägung wird in diesem Zusammenhang kein Mechanismus verstanden, über den der weitere Lebenslauf grundlegend vorherbestimmt wird. Vielmehr geht es hier um den Erwerb und die Anwendung kulturspezifischer Formen des wertenden Umgangs, durch den der Mensch Handlungsfähigkeit und Autonomie in einem spezifischen sozial-kulturellen Kontext erlangt. Damit erwirbt er jedoch zugleich auch die Fähigkeit, über diese kulturellen Grenzziehungen hinauszugelangen, das heißt, sich über die Reflexion bisheriger individueller und kollektiver Lösungen für spezifische Probleme neue Lösungen zu erproben und neue Handlungsfähigkeiten zu etablieren.
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kulturell immer auch durch die Kontinuität dominanter Zuschreibungsformen in ihren Handlungsmöglichkeiten begrenzt werden. Denn über die biografisch früh erworbenen kulturellen Muster werden die in den jeweiligen gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexten geltenden sozial-kulturellen Formen und Wertungen vermittelt. Den über die Zugehörigkeit zu einem spezifischen sozial-kulturellen Kontext erworbenen Muster der Wertsetzung, die sich in den soziokulturellen Praxen bei der Lösung spezifischer sozialer Fragestellungen bewährt haben, kommt daher sowohl biografisch-individuell als auch gesellschaftlich eine besondere Bedeutung zu. Denn hierüber realisieren sich spezifische Formen der sozialen Tradierung, durch die Handlungsfähigkeit sich individuell als spezifische Form sozial-kultureller Begrenzung entwickelt. Für Mergner ist diese Ambivalenz13 von Begrenzung und Handlungsfähigkeit ein entscheidendes Prinzip der biografischen Entwicklung des Menschen: „Erst durch die kulturellen Begrenzungen und im souveränen Umgang mit ihnen werden wir zu den geschichtlichen Personen, die durch diese Begrenzungen in ihren Handlungen zwar eingeschränkt, aber zugleich handlungsfähig werden“ (Mergner 1999: 140). Für den Migrationskontext ist dieser Zusammenhang von entscheidender Bedeutung. Denn durch die Migration findet strukturell zunächst eine systematische Entwertung bisher erworbener sozial-kultureller Praxen und den damit verbundenen Orientierungen statt. Das bedeutet, dass die bisherigen Orientierungsmuster in der neuen Umgebung an Geltung und Relevanz verloren haben und die individuelle Handlungsfähigkeit begrenzen. Zugleich ist es aber gerade auch die lebensgeschichtlich erworbene Handlungsfähigkeit, die es dem Menschen ermöglicht Neues zu lernen und Lerngrenzen zu überwinden. Durch die Migration entstehen also neue Lernanforderungen. Eine systematisch-strukturelle Entwertung der früh erworbenen kulturellen Prägungen hat für Jugendliche mit Migrationshintergrund gravierende Folgen. Denn mit ihnen wird „die lebenslange Bindung des Einzelnen an seine kindlichen Erinnerungen, an die sozialen und kulturellen Dinge, in denen und mit denen er sich in seinem Leben Hoffnung, Sicherheit und Wertigkeit erworben hat“ abgewertet (ebd.). Die sozial erfahrene Entwertung der eigenen, unverwechselbaren Lebensgeschichte, aus der sich nicht nur die individuellen Vermögen schöpfen, sondern auch die persönliche Würde, zwingen dazu, „die schmerzhaft gewordenen Erinnerungen zu verarbeiten“ (ebd.). Hieraus ergeben sich unterschiedliche Folgen für die biografische Entwicklung von jugendlichen MigrantInnen, die in entscheidender Weise dadurch bedingt ist, inwieweit eine Bearbeitung dieser kritischen Lebenssituation gelingt, die sich vor allem in der 13
Zu Begriff und Konzept von Ambivalenz vgl. auch Geisen (2003).
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Phase der Adoleszenz vollzieht, in einer Phase also, in der eine Abwendung und Loslösung aus dem familiären Kontext und eine Hinwendung zur Gesellschaft erfolgt.
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Adoleszenz und soziale Integration
Der gesellschaftliche Rahmen bildet die „soziale Grenze der Erziehung“ (Bernfeld 1973: 123). Dies hat bereits für die Entstehung einer Phase der Adoleszenz in der modernen Gesellschaft Gültigkeit. Denn Adoleszenz ist das Resultat eines gesellschaftlichen Prozesses, in dem Kindheit und Jugend als neue, unabhängige Lebensphasen im Prozess der individuellen Sozialisation gesellschaftlich an Bedeutung gewinnen. Sie entstehen hier als „relativ separate Teilpopulationen, als Subsysteme, mit eigenen Verhaltenszumutungen, Umgangsstilen und Rechtsverhältnissen, die aus dem Lebensverhältnis der Erwachsenen weitgehend ausgegliedert werden“ (Brückner 2004: 26). Die Gründe hierfür lagen nicht zuletzt in der gesellschaftlichen Notwendigkeit, die direkte und unmittelbare Verwertung der Arbeitskraft junger Menschen zu vermeiden.14 Denn ein in jungen Jahren erfolgender Eintritt in die Erwerbssphäre verhindert die Ausbildung notwendiger „Basisqualifikationen“ (vgl. Brückner 2004: 27).15 Dies gilt umso mehr unter den Bedingungen postindustrieller Vergesellschaftung, die durch eine zeitliche Verlängerung der Bildungs- und Ausbildungszeiten gekennzeichnet ist. Integration und Sozialisation werden hier zu den neuen sozialpsychologischen Problemen der kapitalistischen Gesellschaft. Durch die Integration vollzieht sich die notwendige Anpassung und Normierung der nachwachsenden Generationen an die herrschenden Verhältnisse, sie bezieht sich demnach auf die Positionierung der Einzelnen innerhalb des gesellschaftlichen Kollektivs. Bei der Sozialisation handelt es sich demgegenüber um die Prozesse der Erzie14
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Die altersmäßige Verzögerung des Eintritts in die Erwerbssphäre stellte also auch eine Reaktion auf den gesteigerten Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften dar. Weitere Faktoren für die historische Verselbstständigung von Kindheit und Jugend als spezifische Teilpopulationen waren eine fortschreitende Trennung von Arbeits- und Wohnort; die Tatsache, dass Kinder von nun an „für ihre Familien eine ökonomische Belastung waren – und nicht mehr, wie früher, nützliche Arbeitskräfte, was eine Regelung ihrer sozialen Position begünstigen musste“ (Brückner 2004: 27); sowie die durch die depravierenden Folgen der Kinderarbeit im Frühkapitalismus aufgezwungene ‘Schonung’ von Kindern. Brückner weist darauf hin, dass dieser Prozess der Entwicklung einer „relativen Exterritorialität von Kindheit und Jugend“ sich im Bürgertum zeitiger herausgebildet hatte; „in den neuen Mittelschichten (vor allem seit Mitte des 19. Jahrhunderts) traten Kindheit und Jugend ganz in Strategien der äußeren Abgrenzung nach unten und des sozialen Aufstiegs ein“ (Brückner 2004: 27).
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hung, durch die subjektiv die Assimilation der „subkulturell verselbständigten und gegen die Produktion isolierten“ Kinder und Jugendlichen an die herrschenden Verhältnisse vollzogen werden soll (ebd.). Erziehung ist für Brückner daher ein integraler Bestandteil von Gesellschaftlichkeit, der sich unter jeweils spezifischen historischen Bedingungen realisiert. Mit Bernfeld kann dieses Verständnis von Erziehung auch als „die Summe der Reaktionen einer Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache“ (Bernfeld 1973: 51) beschrieben werden. Es gibt sie überall dort, „wo Kindheit in Gesellschaft abläuft. Ihre Voraussetzung sind diese zwei: die biologische und die soziale Tatsache“ (Bernfeld 1973: 50). Sie beruht auf der „ontogenetischen postnatalen Entwicklung“ des Menschen, und ist als „unvermeidliche soziale Tatsache gegeben“ (Bernfeld 1973: 49).16 In Bernfelds Verständnis von Erziehung als der „Summe der Reaktionen der Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache“ ist neben dem für Erziehung konstitutiven intergenerativen Bezug jedoch noch ein weiteres wichtiges Moment enthalten, nämlich der Hinweis auf die „soziale Grenze der Erziehung“ (Bernfeld 1973: 123). Bernfeld betont: „Man tut gut, die soziale Grenze übertrieben scharf zu zeichnen. (...) Sie bestimmt die Wege der Erziehung. Der von ihr gesetzte Rahmen für jede Erziehung: die Organisation der Erziehung diktiert das Erziehungsresultat, alles, was in diesem Rahmen sich abspielt, spielt sich bloß ab, ist verhältnismäßig unwesentlich, ändert im besten Fall nichts, hilft vielmehr im gewöhnlichen Fall – dem schlechtesten – geradezu zum Endresultat. Und dieses ist – wie es immer war – der Erwachsene dieser Gesellschaft, ihre Herrscher, ihre Bürger, ihre Proleten“ (Bernfeld 1973: 127). Die ‘soziale Grenze der Erziehung’ liegt also in der Tatsache begründet, dass die gesellschaftliche Erziehung in ihrer Gesamtheit einen konservierenden Charakter hat, der auf die Reproduktion der bestehenden Verhältnisse ausgerichtet ist.17 Vor diesem Hintergrund sind die sozialen Grenzen von Erziehung für Jugendliche mit Migrationshintergrund von entscheidender Bedeutung, denn sie sind mit der Tatsache konfrontiert, dass die Gesellschaft als Ziel des adoleszen16
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Erziehung kann es daher nur dort geben, wo es Erwachsene gibt: „Erst deren Vorhandensein wird der Gesellschaft eine Struktur geben, in der die Erziehung ihren Platz findet. Kindheit in einer Erwachsenengesellschaft verlaufend, das ist die Voraussetzung für die Erziehung“ (Bernfeld 1973: 51). Die von Bernfeld ebenfalls erhobene Forderung der „Freiheit jedes Menschen von Zwangsarbeit bis zu seinem achtzehnten Jahre“ (Bernfeld 1973: 125) verweist darauf. Fabrikarbeit von Kindern wird gesellschaftlich als notwendiges Erfordernis angesehen, zugleich bedeutet diese jedoch, dass die Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestört und gehemmt werden. „Erst die Freiheit vom Zwang zur Reproduktion ermöglicht eine Wendung nach innen, über die Jugendliche an der Hervorbringung eines eigenen Selbst arbeiten und dies in Beziehung setzen können zur Eroberung der Welt, die als neues aufregendes Objekt und Gegenstand adoleszenter Größenphantasien zunächst an die Stelle der kindlichen Bezüge und Beziehungen tritt“ (King/Müller 2000: 18).
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ten Prozesses ihnen von Anfang an vielfach feindlich gegenübertritt. Denn in den gesellschaftlichen Diskursen, im Alltag und in der erzieherischen Praxis in Schule und Ausbildung im Besonderen, sind sie mit Abwertungen und Ausgrenzungen aufgrund einer gesellschaftlich dominierenden national- und monokulturellen Orientierung konfrontiert. Im Verlauf der Adoleszenz sehen sich die jugendlichen MigrantInnen daher der paradoxen Situation gegenüber, dass die Orientierung an der Gesellschaft für sie einerseits das Ziel des adoleszenten Prozesses darstellt, dieses Ziel andererseits aber zugleich für sie negativ besetzt ist. Hierdurch wird der Verlauf der Adoleszenz beeinflusst, nicht zuletzt entsteht hier ein Bewusstsein darüber, dass die Gesellschaft für die MigrantInnen kein ‘sicherer Ort’ ist, dass sie ihre Zugehörigkeit also als prekär und bedroht ansehen. „Differenzierungsgrade“ und „Kultivierungsniveaus“ (vgl. Bernfeld 1973: 126) der Persönlichkeit18 sind für Bernfeld entscheidend vom Verlauf der Pubertät abhängig: „In ihr erwachen, aus Gründen, die in der psychischen Situation dieses komplizierten Alters liegen, zum erstenmal jene Gefühle und Gedanken, um die sich als Kern der kulturelle Gehalt und Wert der Persönlichkeit gruppieren wird. Soll diese den höchsten erreichbaren Standard des, immer noch durchschnittlichen, Menschen erreichen, so muß die Pubertät in einer ganz bestimmten Weise kompliziert sein; sie muß vor allem über die kurze Spanne der physiologischen Pubertät hinaus gestreckt verlaufen, sie muß bis ins 18., ja 20. Lebensjahr anhalten“ (Bernfeld 1973: 126). Die hier von Bernfeld angesprochene ‘gestreckte Pubertät’ beschreibt die für die Ausbildung der Persönlichkeit entscheidende Lebensphase. In ihr vollzieht sich nicht allein die körperliche Reifung der jungen Menschen. Durch die Hinwendung zur Gesellschaft vollzieht sich auch eine ‘soziale’ Reifung. Denn es werden in dieser Phase vor allem diejenigen kulturellen Fähigkeiten erprobt und erworben, die es den jungen Menschen ermöglichen, sich aus ihrem familiären Kontext zu lösen und unabhängig und autonom, das heißt, erwachsen zu werden. Die von Bernfeld in Abhängigkeit von der Dauer der Adoleszenz bestimmten Möglichkeiten zur Ausbildung von „Differenzierungsgraden“ und „Kulturniveaus“ (ebd.) verweist auch auf Benachteiligungen, die aufgrund einer verkürzten Adoleszenz entstehen. Dies ist vor allem bei den unteren sozialen Schichten der Fall, zu ihnen gehören vielfach auch Jugendliche mit Migrationshintergrund. Beim Blick auf 18
Mit „Differenzierungsgraden“ und „Kultivierungsniveaus“ meint Bernfeld die persönlichkeitsbildende Fähigkeit zur individuellen und partiellen Aneignung des sozial vorhandenen Reichtums an kulturellen Möglichkeiten. Der Grad der Differenzierung und damit auch die Ebene des erreichten „Kultivierungsniveaus“ wird damit in Abhängigkeit sowohl von den individuellen Aneignungsprozessen, als auch von den je sozial und kulturell verfügbaren Formen der Aneignung bestimmt.
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die für den Eintritt ins Erwerbsleben entscheidende Dauer der schulischen Bildung zeigt sich etwa: „Bei den ausländischen Jugendlichen19 dominiert auch weiterhin der Hauptschulabschluss. Während fast 70 % der deutschen Schulentlassenen einen mittleren oder höheren Abschluss erzielen, verlassen nur knapp 40 % der ausländischen Jugendlichen die allgemeinbildende Schule mit einem solchen Abschluss“ (BeMFI 2005: 53). In der Konsequenz führt dies dazu, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund zu einem großen Teil und meist um einige Jahre früher in ein Ausbildungs- und Beschäftigungsverhältnis eintreten als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Eine verkürzte Adoleszenz wirkt sich daher in besonderer Weise strukturell nachteilig aus, denn über das Erreichen von körperlicher und sozialer Autonomie realisiert sich nicht nur ein einfacher Prozess der Ablösung und Trennung von Eltern und Familie. Vielmehr findet hier ein innerpsychischer und sozialer Prozess der Neu-Aneignung von sozialer Realität statt. Dieser vollzieht sich als Individualisierungsprozess über Formen der Selbstpositionierung, deren Möglichkeiten jedoch sozial begrenzt sind, etwa aufgrund der individuellen Zugehörigkeit zu unterschiedlichen sozialen Schichten und Klassen. Trotz unterschiedlicher sozialer Zugehörigkeiten ist das Leben des Menschen aber nicht allein Wiederholung oder Nachvollzug. Bernfeld hebt hervor, dass es neben der „Rekapitulation“ auch noch „ein Eigenes“ hat: „Es ist ein Konkretum, es verläuft an einem konkreten Ort, in einer konkreten Zeit, unter konkreten Umständen. Und was wir das Leben des Einzelnen heißen, ist jene individuelle, einmalige Nuance der Rekapitulation, die der allgemeinen Tendenz durch ihre konkrete Lokalisation aufgeprägt wurde“ (Bernfeld 1973: 144). Es sind also konkrete Erfahrungen, die die menschliche Individualität bestimmen, und zwar nicht als eine Vergangenheit, die losgelöst und getrennt von der Gegenwart existiert, sondern als eine unmittelbar gegenwärtige, die sich als eine in den konkreten menschlichen Handlungen und psychischen Reaktionen mit aufscheinende Vergangenheit realisiert. Denn „die Geschichte, die ganze Geschichte des Individuums, wirkt auf die Handlung, auf jede psychische Reaktion“ (Bernfeld 1973: 146). Innerhalb der von Bernfeld als „gestreckte Pubertät“ bezeichneten Phase der Persönlichkeitsentwicklung finden also individuelle Lernprozesse statt, die einerseits ihre Grundlage in der bestehenden Kultur selbst haben. Dies ist möglich, da die Entwicklung von Kultur „durch soziale, und das heißt durch tradierbare Lernprozesse“ erfolgt (Erdheim 1992: 275f.). Andererseits entsteht in dieser Phase auch die „Bedingung der Möglichkeit“ dafür, „daß der Mensch auch ohne die Veränderung seines Genbestandes neue Kultur- und Anpassungsfor19
Ausländische Jugendliche ist hier enger gefasst als der Begriff Jugendliche mit Migrationshintergrund, der auch Jugendliche mit deutscher Staatsangehörigkeit einschließt, bei denen mindestens ein Elternteil MigrantIn ist.
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men schaffen und erhalten kann“ (Erdheim 1992: 276). Im Rückgriff auf Freud sieht Erdheim in der „Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung“ (ebd.) die entscheidende Grundlage hierfür.20 „Der Triebdurchbruch der Pubertät lockert die vorher in der Familie gebildeten psychischen Strukturen auf und schafft damit die Voraussetzungen für eine nun nicht mehr durch den familiären Rahmen beengte Neustrukturierung der Persönlichkeit, die neue Erfahrungen ermöglicht“ (ebd.). Insofern Lernprozesse als die Grundlage der Kulturentwicklung angesehen werden, kann nun Erdheim zufolge angenommen werden, „daß es die während der Adoleszenz eingeleiteten Lernprozesse sind, die die Einstellung des Individuums zur Kultur bestimmen werden. Die Verflüssigung der in der Familie angeeigneten psychischen Strukturen ermöglicht es dem Menschen, neue Anpassungs- und Kulturformen zu entwickeln, die nicht auf die Familie zurückführbar sind“ (Erdheim 1992: 277). In der Adoleszenz treten also die „stabile, konservative Familienstruktur“ und „die dynamisch, expansive Kulturstruktur“ als progressiver Faktor in ein antagonistisches Verhältnis zueinander (vgl. ebd.). Während es in der Anpassung an die Familienstruktur vor allem um die Einfügung in bestehende soziale Verhältnisse geht, tritt bei der Anpassung an die Kulturstruktur das ‘innovative Moment’ in den Vordergrund: „Anpassung bedeutet hier nicht Angleichung an vorgegebene Verhältnisse, sondern Mitarbeit des Individuums an den sich verändernden Strukturen der Gesellschaft“ (Erdheim 1992: 278). Die Adoleszenz steht daher in gewisser Weise zwischen Familie und Kultur. Erst im Verlauf der Adoleszenz zeigt sich, „ob die Distanzierung von der Familie gelingt und die progressiven Tendenzen weiter vorangetrieben und subjektiv angeeignet werden können; bleibt der Jugendliche jedoch an die Familienstruktur gebunden, wird er nicht die Bewußtseinsformen entwickeln können, die der gesellschaftlichen Entwicklung adäquat wären“ (ebd.). In den modernen Gesellschaften bildet die Phase der Adoleszenz die biografisch entscheidende Phase, in der die Jugendlichen jeweils individuell die für sie bedeutsamen Prozesse der körperlichen wie der sozialen Reifung vollziehen müssen. Dieser Prozess ist gleichermaßen komplex und widersprüchlich.21 Ziel der adoleszenten Entwicklung ist die Bindung an die Gesellschaft, Brückner hat 20
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Dies bedeutet zugleich, dass nicht die Erfahrungen der frühen Kindheit allein ausschlaggebend sind, sondern dass „die Dynamik der Adoleszenz einen entscheidenden Beitrag zur Möglichkeit des Kulturwandels leistet“ (Erdheim 1992: 276). Denn der adoleszente Entwicklungsprozess unterscheidet sich von einem linearen Prozess der Tradierung sozialer Werte und Normen, wie dies etwa in vormodernen Gesellschaften durch die Initiation vollzogen wurde. Denn während die Initiation auf die unmittelbare und unverbrüchliche Bindung des jungen Menschen an die sozialen Werte und Normen abzielt und sich daher hier die Dominanz der sozialen Gemeinschaft gegenüber dem Individuum realisiert, findet in der Adoleszenz ein umgekehrter Entwicklungsprozess statt.
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dies als „soziale Integration“ bezeichnet, aber die Form der Bindung ist nicht die Produktion von Gemeinschaftlichkeit, sondern von Individualität. Vera King und Burkhard K. Müller haben diese soziale Aufgabe der Adoleszenz wie folgt beschrieben: „Adoleszenz bezeichnet in diesem Sinne die soziale und psychische Komponente der Geschlechtsreifung und der Wandlungen vom abhängigen Kind zum eigenverantwortlichen Erwachsenen. Insofern dieser Prozess auf der Subjektebene seit Beginn der Moderne mit der Idee der Selbständigkeit und Individuierung verknüpft ist, stellt die Adoleszenz die Bedingung der Möglichkeit der Individuierung dar“ (King/Müller 2000: 16). Die Vorstellung vom Menschen als einer selbstständigen und selbstbewussten, als einer unabhängigen und freien Persönlichkeit bildet daher den entscheidenden gesellschaftlichen Modus, der sich in der Adoleszenz vollzieht. Im eigentlichen Sinne bedeutet dies die Entwicklung individueller Fähigkeiten, sich sowohl von den durch das Aufwachsen in der Familie erworbenen kulturellen Prägungen zu lösen als auch im Prozess der Orientierung auf die Gesellschaft zu kulturellen Veränderungen in der Gesellschaft beizutragen. Die Entwicklung der Fähigkeit zur Veränderung schließt jedoch zugleich auch die Notwendigkeit ein, die Fähigkeit zu entwickeln, Kultur zu bewahren. Erdheim beschreibt diese in der Adoleszenz strukturell angelegte Ambivalenz wie folgt: „Der Antrieb, Kultur zu verändern, muß im Menschen ebenso angelegt sein wie seine Fähigkeit, sie sich anzueignen und zu bewahren. Beide Momente spielen in der Adoleszenz eine entscheidende Rolle: Die Adoleszenz treibt den Menschen einerseits dazu, das Überlieferte in Zweifel zu ziehen, zu verunsichern und neue Perspektiven zu suchen, und andererseits stellt sie ihn vor die Aufgabe, sich nicht zu verlieren und die Kontinuität zu wahren“ (Erdheim 1992: 296):22 Adoleszenz im Migrationskontext bedeutet jedoch mehr und Anderes, da die Jugendlichen hier vor eine doppelte Aufgabe gestellt werden. Einerseits geht es um die Loslösung von den Eltern und ihrem sozial-kulturellen Erbe, andererseits geht es um die Hinwendung und Selbstpositionierung in zwei unterschiedlichen sozial-kulturellen Kontexten – und zwar derjenigen der Kultur der Eltern und der ‘neuen’ Kultur des Aufenthaltslandes. Entscheidend ist hier also auch der jeweilige soziale Ort, von dem aus der Verlauf der Adoleszenz geprägt wird. „Je nach sozialem Ort und infolge der Gesamtstruktur der Gesellschaft, sei die Arbeit und Größe der Aufgabe der Triebbewältigung eine andere. (...) denn die Größe der Entbehrung bemesse sich nicht bloß nach der Stärke der Triebregung, sondern auch nach den erreichten Befriedigungsmitteln“ (Erdheim 1992: 315). 22
Mit dem Eintreten in die Adoleszenz wird den Jugendlichen die Komplexität der zu bewältigenden Aufgabe bewusst. Denn erst „in den Bemühungen, die Adoleszenz zu meistern und in die Kultur zu integrieren, werden die Kräfte sichtbar, die bewältigt werden müssen“ (Erdheim 1992: 284).
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Die gesellschaftlichen Bedingungen setzen dem adoleszenten Prozess Grenzen und beeinflussen damit in entscheidender Weise ihren Verlauf. Erdheim fügt dieser Bedeutung des sozialen Ortes noch ein weiteres wichtiges Element hinzu, nämlich die Dynamik des sozialen Ortes: „Ich nehme an, daß das Schicksal der Adoleszenz jeweils ein anderes ist, je nachdem, welche gesellschaftlichen Kräfte auf den sozialen Ort in welchem der Adoleszente lebt, einwirken“ (Erdheim 1992: 315f.). Bei der hier angesprochenen ‘Dynamik’ des sozialen Ortes handelt es sich um die Einbeziehung der Wirkungen bestehender und sich verändernder Machtund Herrschaftsverhältnisse, die sich jeweils konkret in vielfältigen und komplexen Figurationen von „Etablierten und Außenseitern“ (vgl. Elias/Scotson 1993) realisieren. Bezogen auf Migrationsgesellschaften ist damit nicht die Frage der Zugehörigkeit an sich problematisch, denn Menschen als soziale Wesen werden von Anfang an in ein heterogenes Geflecht sozialer Beziehungen und vielfältiger sozialer Zugehörigkeiten hineingeboren. Entscheidend sind vielmehr die sozialen, kulturellen und politischen Beziehungen, die die verschiedenen sozialen Gruppen untereinander unterhalten und welche Stellung dem Individuum in diesem Geflecht zukommt. Damit geht es hier primär um die Art und Weise der Verteilung von Macht und um die Formen der Entstehung und des Erhalts von Macht innerhalb der bestehenden sozialen Figurationen. Die Frage von Zugehörigkeit wird jedoch erst dort problematisch, wo Herrschaft dazu führt, dass bestehende soziale Gruppen, die mit unterschiedlicher Macht ausgestattet sind, zu kulturellen Zwangsgemeinschaften erstarren.23 Die Entscheidung über die Zugehörigkeit wird hier nicht nur einfach zu einer Frage der gesellschaftlichen Verteilung von Ressourcen. Sie führt vielmehr zu einer sozialen und kulturellen Begrenzung der individuell-biografischen und gemeinschaftlichen Potenziale. Unter den Bedingungen von Herrschaft und kultureller Dominanz werden damit auch Fragen von Anerkennung virulent. Vera King betont in ihrer Auseinandersetzung mit dem Anerkennungskonzept im Kontext von Adoleszenz, dass hierbei nur partiell auf diese zurückgegriffen werden könne. Denn Adoleszente „kämpfen nicht im einfachen Sinne um Anerkennung (...), sondern müssen sich im Prozess der Individuation immer auch von der Anerkennung der Anderen unabhängig machen. Individuation gelingt in dem Maße, wie es Adoleszente aushalten können, gerade in ein Anerkennungsvakuum einzutreten, die damit verbundenen Schmerz-, Einsamkeits- und Verlustempfindungen auszuhalten und diese Erfahrung produktiv zu wenden“ (King 2004: 55). Bezogen auf jugendliche MigrantInnen ist dieser Zusammenhang von besonderer Relevanz, denn den Jugendlichen geht es nicht im „einfachen Sinne 23
Bei kulturellen Zwangsgemeinschaften handelt es sich um Gemeinschaften, deren Interessen nicht mehr diskutierbar sind.
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um Anerkennung“ durch eine Gesellschaft, in der sie marginalisiert sind und zu den AußenseiterInnen gehören. Nicht der „Kampf um Anerkennung“ (vgl. Honneth 1994), der auf der Grundlage von Missachtungserfahrungen geführt wird, steht für sie im Mittelpunkt, sondern ihnen geht es vielmehr um ‘Respekt’ (vgl. Sennett 2004). Dieser beruht einerseits auf Selbstachtung und andererseits auf Anerkennung. Während jedoch die Anerkennung durch andere – auch und gerade in ihrer Gegenseitigkeit – auf der Erbringung von Leistungen gründet, so ist die Selbstachtung in der Persönlichkeit fundiert. Im Bedürfnis nach ‘Respekt’ geht es daher um anderes als im Anerkennungsprozess. Es geht um ein fragloses Angenommen werden durch den oder die Anderen, das nicht auf Leistung gründet, sondern vielmehr auf der Gemeinsamkeit im Menschsein, dem das Dasein in einer gemeinsam geteilten Welt zugrunde liegt. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass im Anerkennungsprozess implizit oder explizit persönliche oder soziale Wertmaßstäbe zur Anwendung gebracht werden. Anerkennung steht damit immer auch in enger Verbindung mit Herrschaftsprozessen, denn die in der Anerkennung vollzogene Zuschreibung definiert zugleich auch ein Recht auf die Bestimmung von Differenz. Ganz anders der Respekt: Er bezieht sich auf den Anderen indem das Gemeinsame im gegenseitigen Bedürfnis nach Selbstachtung erkannt und bewahrt wird, indem die Differenz nicht zum Ausgangspunkt wertender Deutungen gemacht wird. Bei jugendlichen MigrantInnen geht es in der Phase der Adoleszenz daher nicht allein um die Anerkennung durch Andere, sondern ebenso um Selbstachtung in einer Gesellschaft, die MigrantInnen zu AußenseiterInnen macht. Richard Sennett beschreibt die Folgen mangelnden Respekts wie folgt: „Mangelnder Respekt mag zwar weniger aggressiv erscheinen als eine direkte Beleidigung, kann aber ebenso verletzend sein. Man wird nicht beleidigt, aber man wird auch nicht beachtet; man wird nicht als ein Mensch angesehen, dessen Anwesenheit etwas zählt“ (Sennett 2004: 15). Für den erfolgreichen Verlauf der Adoleszenz von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind Selbstachtung und Respekt entscheidende, zugleich aber auch knappe Ressourcen. Die adoleszente Entwicklung Jugendlicher mit Migrationshintergrund ist daher entscheidend davon abhängig, inwieweit es ihnen gelingt, Selbstachtung und Respekt zu erwerben. Die Anstrengungen hierzu erfolgen auf unterschiedlichen Ebenen, etwa im familiären, beruflichen oder Peer-Kontext, und zum Teil auch auf höchst widersprüchliche Weise, etwa an gesellschaftlich akzeptierten Leistungsprinzipien oder an subkulturellen Werten orientiert. Individualisierung als Resultat adoleszenter Prozesse vollzieht sich daher für jugendliche MigrantInnen über verschiedene Formen der Identifikation in verschiedenen sozialkulturellen Kontexten.
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Adoleszenz als Möglichkeitsraum
Die Phase der Adoleszenz stellt eine entscheidende Entwicklungsphase im Leben jugendlicher MigrantInnen dar. Vera King versteht Adoleszenz als einen „Bildungsprozess und Entwicklungsraum“, in dem ein „generativer Umschlag vorbereitet wird und insofern immer auch schon stattfindet“ (King 2004: 55). Die Produktivität von Generativität beschreibt damit den Inhalt von Adoleszenz, die in modernen Gesellschaften auf einer gelingenden Individuation gründet. Dieser Prozess vollziehe sich in erster Linie in einem psychischen und sozialen Sinne und erst in zweiter Linie auch im biologischen Sinne (vgl. King 2004: 59). Da Individualisierung den Kern von Adoleszenz in modernen Gesellschaften ausmacht, erhält diese zugleich eine formale Ausrichtung: „Sie bezeichnet den Hintergrund und den Möglichkeitsraum dafür, dass Neues entstehen kann. Sie gibt jedoch keine Inhaltlichkeit vor im Sinne eindeutig oder konkretisierbarer Tradierungen“ (King 2004: 60). Die Struktur des adoleszenten Möglichkeitsraums und damit auch der Verlauf der Adoleszenz werden entscheidend über die für die Adoleszenten verfügbaren materiellen und psychosozialen Ressourcen bestimmt. In der Adoleszenz realisieren sich daher immer auch psychosoziale Tradierungsprozesse, die nicht nur bestehende soziale Verhältnisse, sondern umfänglicher auch die mit diesen aufs Engste verknüpften psychischen Haltungen und kulturellen Wertigkeiten ganz oder teilweise reproduzieren. Im generativen Modus der Adoleszenz findet also eine psychisch-soziale Tradierung von Privilegiertheit und Ungleichheit statt. Hierin ist die spezifische Chancenstruktur des adoleszenten Möglichkeitsraums verankert: „In modernisierten Gesellschaften werden soziale Privilegiertheit oder Ungleichheit vorrangig über die Qualität des adoleszenten Moratoriums hergestellt und reproduziert. Diese Qualität des psychosozialen Moratoriums resultiert aus der Chancenstruktur des adoleszenten Möglichkeitsraums, wie sie sich im Zusammenspiel innerer und äußerer Ressourcen ergibt. Die Komplexität dieser Chancenstruktur ergibt sich daraus, dass gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen, familiale Voraussetzungen und Dynamiken und individuelle Ressourcen verschränkt sind“ (King 2004: 94). Entscheidend für den Verlauf der Adoleszenz ist damit das ambivalente Verhältnis von Autonomie und Bindung. Adoleszente Verläufe lassen sich daher nicht mehr linear auf bestimmte Herkunftsmilieus zurückführen, gleichwohl sind sie auch nicht als davon unabhängig zu verstehen. Dies gilt besonders dann, „wenn die Bedeutung von Geschlecht, nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit einbezogen werden. Denn offenkundig ist nach wie vor zumindest, dass sich die Chancenstrukturen von männlichen und weiblichen, deutschen oder nicht deutschen Adoleszenten in einigen wesentlichen Bereichen (wie z.B. die Art der Einmündung ins Berufssystem) unterscheiden“ (King 2004: 94f.).
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Die Charakterisierung von ‘Adoleszenz als Möglichkeitsraum’ verweist jedoch nicht nur auf verschiedene Möglichkeiten gelingender Adoleszenz, sondern auch auf die Möglichkeit ihres Scheiterns. Das Problem einer ‘verkürzten Adoleszenz’ wurde bereits angesprochen. Deutliche Unterschiede in der Dauer der Adoleszenz gehören immer noch für viele Jugendliche zur sozialen Realität. In Bezug auf geschlechtsspezifische Differenzen erfolgt eine verkürzte Adoleszenz bei jungen Frauen nicht nur aufgrund verkürzter Bildungsphasen, sondern auch etwa durch eine frühe Mutterschaft24. Problematische Verläufe der Adoleszenz25 ergeben sich nach King und Müller aber auch aufgrund von „Überfrachtungen und Fremdbestimmungen“, die sich durch „Identitätszumutungen“ ergeben, „wie sie mit konventionellen Geschlechtsstereotypen verknüpft sind, wenn zum Beispiel männliche wie weibliche Jugendliche in entsprechende Peer-GroupIdeale hineingezwungen werden, um dort anerkannt zu werden (...), oder allgemein: durch die geschlechtsspezifische Verteilung biographischer Chancen und Risiken“ (King/Müller 2000: 19)26 . Die Hinweise von King und Müller auf die Möglichkeiten eines Scheitern der adoleszenten Prozesse machen deutlich, „dass die Chancenstruktur der Adoleszenz sich nicht konzipieren lässt über einfache Labels wie ‘Unterschicht’, ‘ausländische Jugendliche’ usw., sondern über die Art und Weise, wie die adoleszenten Entwicklungsprozesse im jeweiligen Feld und Fall einzuschätzen sind“ (King 2004: 96). Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich bestimmte Fälle nicht anhand charakteristischer Merkmale bündeln lassen. Die empirisch auffindbaren Gemeinsamkeiten in den Verläufen der Adoleszenz jugendlicher MigrantInnen sind evident. King verweist darauf, dass es „durchaus charakteristische Korrelationen oder Konstellationen“ gebe, und zwar „insofern, als zum Beispiel Migrantenjugendliche ebenso wie arbeitslose Jugendliche überdurchschnittlich häufig mit dem Problem der fehlenden sozialen Anerkennung zu 24 25
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Zu geschlechtsspezifischen Differenzen in der Adoleszenz vgl. vor allem King 2004. Eine systematische Analyse charakteristischer Abweichungsformen vom Idealtypus der „verlängerten Adoleszenz“ hat Mario Erdheim vorgelegt. In seiner Typologie unterscheidet er die eingefrorene, die zerbrochene und die ausgebrannte Adoleszenz. Als eine weitere Möglichkeit erwähnt Erdheim schließlich noch einen vierten Typus, bei dem es aufgrund vorhergehender massiver Störungen der Ich-Struktur zu keiner eigentlichen Adoleszenz kommt (vgl. Erdheim 1992: 321). Hier könne man jedoch nicht von „Zerstörung“ sprechen, „weil die entsprechenden Reifungsprozesse nicht stattgefunden haben“ (Erdheim 1992: 321). So könne sich beispielsweise eine fehlende Verankerung in stabilen äußeren und verinnerlichten Beziehungen in einer charakteristischen Orientierungslosigkeit männlicher Jugendlicher ausdrücken, denen männliche Vorbilder fehlen, mit denen sie sich konstruktiv auseinandersetzen könnten. Schwierige Verläufe in der Adoleszenz entstehen aber auch dort, wo sich die Generationengrenzen vermischen, etwa „wenn die Eltern den Ablösungen der Kinder durch eigene quasi-adoleszente Aufbrüche, Trennungen usw. zuvorkommen, wie es, familiendynamisch betrachtet, häufig vorkommt“ (King/Müller 2000: 20).
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kämpfen haben oder mit dem Problem ungünstiger gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für die Verankerung in der Kultur der Einwanderungsgesellschaft“ (King 2004: 96).27 Theorie und Konzept des ‘adoleszenten Möglichkeitsraumes’ sind daher im eigentlichen Sinne auf den Menschen als einem handlungsfähigen Subjekt bezogen. Für jugendliche MigrantInnen bedeutet dies, dass für sie hier jeweils individuell die Möglichkeit entsteht, die im bisherigen Verlauf der biografischen Entwicklung erworbenen Bindungen und Handlungsmuster zu verändern und neu zu gestalten. Die von ihnen zu leistende Entwicklungsaufgabe im Sinne einer doppelten Adoleszenz besteht darin, die Ablösung von den Eltern und die Orientierung auf die Gesellschaft einerseits und die Ablösung von den familalen kulturellen Traditionen und die sozial-kulturelle Selbstpositionierung in der Gesellschaft andererseits biografisch zu realisieren. In der qualitativen Forschung über Jugendliche mit Migrationshintergrund wird dieser gelingende Prozess der Selbstpositionierung seit einiger Zeit beobachtet und analysiert, etwa in Bezug auf bildungserfolgreiche MigrantInnen (Badawia 2002; Hummrich 2002). Dabei zeigt sich, dass jugendliche MigrantInnen aufgrund ihres pluri-kulturellen Hintergrundes über ein erweitertes Potenzial an (kulturellen) Handlungsmöglichkeiten verfügen, das sie für die weitere biografische Gestaltung ihres Lebenswegs produktiv einsetzen können. Damit kann es ihnen zugleich auch gelingen, bestehende Formen sozialer Ungleichheit und Benachteiligung zu überwinden. Christine Riegel hat diesen Zusammenhang in ihrer Studie über junge Migrantinnen herausgearbeitet: „An dem Punkt der Neuorientierung im Übergang von Schule zum Beruf bzw. ins Leben einer Erwachsenen bekommt der Migrationhintergrund eine qualitativ neue Bedeutung. Sie interpretieren und erfahren ihren transnationalen Kontext und die damit verbundenen Kompetenzen als Erweiterung ihres Möglichkeitsraums in beruflicher und privater Hinsicht“ (Riegel 2004: 334).
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Abschließende Bemerkungen
Im Rückgriff auf Bernfelds Erziehungsbegriff, der Erziehung als die ‚Summe der Reaktionen von Gesellschaft auf die Erziehungstatsache’ versteht, wurde die besondere Bedeutung der Gesellschaft für die Erziehungsprozesse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund herausgearbeitet. Dabei wurde argumentiert, 27
Im Konzept des ‘adoleszenten Möglichkeitsraums’ werden also sowohl die positiven Entwicklungspotentiale benannt und die Kräfte sichtbar gemacht, die es in einer verlängerten Adoleszenz erfolgreich zu überwinden gilt, als auch die nicht gelingenden Verläufe der Adoleszenz thematisiert und untersucht.
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dass in den modernen Gesellschaften kulturelle Differenz und Ungleichheit die soziale Grundlage für die gesellschaftliche Organisation der Erziehungsprozesse in systematischer und institutionalisierter Form sind. Die moderne Erziehung verfolgt dabei eine doppelte Zielsetzung, denn es geht ihr sowohl um die ‘Erziehung zur Nützlichkeit’ (Mergner) als auch um die Produktion ‘sozialer Integration’ auf der Basis von Individualisierungsprozessen. Brückner zufolge ist ‚soziale Integration’ zur historisch neuen Aufgabe der modernen Massengesellschaften geworden. Die Erziehungsprozesse werden hier nicht nur durch individuelle und gemeinschaftsbezogene Grenzen bestimmt, sondern auch von ‚sozialen Grenzen’ (Bernfeld). Diese bestehen nicht nur in sozialen und politischen Strukturen, sondern auch in kulturellen Normen und Werten, die in der nationalstaatlichen Fundierung moderner Gesellschaften begründet sind. Sie beruhen auf dem Prinzip einer spezifischen national-kulturellen Homogenität, mit der die Differenz zu anderen Nationen markiert wird. Migrationsprozesse stellen diese national-kulturellen Prozesse der Grenzziehung einerseits infrage, andererseits werden die national-kulturellen Grenzen über Migrationsprozesse aber auch überhaupt erst sichtbar gemacht. Diese Ambivalenz von Migrationsprozessen in modernen Nationalstaaten realisiert sich auch im Umgang mit MigrantInnen. Denn bei den soziokulturellen Prozessen der Grenzziehung handelt es sich nicht um abstrakte Prozesse, vielmehr sind diese sowohl in die gesellschaftlichinstitutionellen Strukturen als auch in die sozial-kulturellen Praxen der Subjekte eingeschrieben. Bezogen auf die gesellschaftlichen Erziehungsprozesse stellt das nationalstaatliche Prinzip daher eine soziale Grenze dar. Gesellschaftliche Erziehungsprozesse sind hiervon nicht nur beeinflusst, vielmehr ist es ein grundlegendes Strukturierungsprinzip. Die Marginalisierung der MigrantInnen stellt daher das Resultat sozial-kultureller Prozesse der Außenseiterproduktion dar. (National-) Kulturelle Differenz wird dabei zu einem Distinktionsmerkmal gemacht, über das eigene Zugehörigkeiten nicht nur artikuliert sondern andere auch infrage gestellt werden. Die Kontinuität von Privilegien und Ungleichheit tradiert sich kulturell und psychosozial daher auch über Erziehungsprozesse, vor allem in der Phase der Adoleszenz. Doch gelingt es gerade unter Bezugnahme auf die sich in der Adoleszenz realisierende Ambivalenz von kultureller Bewahrung und der Entstehung von Neuem aufzuzeigen, dass hinsichtlich der Entwicklungsverläufe jugendlicher MigrantInnen nicht von einem deterministischen Verlauf ausgegangen werden kann. Für das Verständnis der aktuellen gesellschaftlichen Lage jugendlicher MigrantInnen ist daher die Analyse der biografischen Entwicklungsverläufe von entscheidender Bedeutung. Denn die Zuschreibung einer allgemeinen Benachteiligung jugendlicher MigrantInnen in der Gesellschaft ist ebenso falsch wie eine generelle Negierung bestehender Benachteiligungen,
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etwa in Bezug auf den erfolgreichen Übergang von der Schule in die Ausbildung oder den Arbeitsmarkt. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive ist es notwendig, sowohl die Prozesse des Gelingens als auch diejenigen des Scheiterns biographischer Entwicklungsverläufe jugendlicher MigrantInnen differenziert zu analysieren. Dabei geht es auch um die Frage nach den Einflüssen der sozialen Grenzen von Erziehung und um die Frage ihrer Überwindung.
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Young People, Migration and Metanarratives Arguments for a Critical Theoretical Approach Pat Cox
In the context of the year 2007 being designated ‘European Year of Equal Opportunities for All’ and in the context of worldwide debates about migration, I undertake some initial explorations of issues concerning young people, migration and metanarratives. In this chapter I examine the metanarratives of childhood and youth as developmental stages in becoming adult – ‘becoming’ rather than ‘being’ – and metanarratives of nation and national identity. I explore some of the understandings and concepts that subvert each of these metanarratives and then analyse some of the British government’s welfare policies for young people and the effects of immigration policies on children and young people who are asylum seekers or refugees (survivors of forced migration). I argue that a critical approach is needed in order to address the particular issues for children and young people in these circumstances. The terms ‘nation’ and ‘national identity’ continue to develop meanings that are many and various, but a detailed analysis of these is beyond the scope of this chapter. I draw here on the work of certain sociologists in order to illustrate and illuminate, not to elide these different meanings (Bhabha 1990, 2004; Brah 1996; Gilroy 1993, 2000; Hall 1992). ‘Children and young people’ are paired together throughout this chapter, indicating that I am writing about a range of ages. ‘Migrant peoples’ is not a coherent or even a homogenous category: the experiences of people thus classified can differ from one to another to the point that there may be no substantial category binding together those who have been and are called ‘migrant peoples’.
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Issues of Ontology
Any chapter such as this raises issues of ‘representativity’: ‘Who and what do we represent when we speak out, and how do we negotiate the inevitable problem in the social sciences of having to speak about people while trying not to
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speak for them?’ (Moore 1994: 79) For Henrietta Moore, ‘representativity’ is an important issue in researching, writing and speaking about issues of migration. Writing in another context, Suzanne Sgroi (1989) uses the image of individuals recovering from trauma moving through ‘circles’ of development, until they reach a ‘circle’ where they no longer identify themselves by the trauma they have experienced. In similar fashion, very few of us are likely to want to identify ourselves as ‘migrants’ or ‘immigrants’ (see for example Swirsky 1999: 193). However, issues of migration are not only ‘out there’; they are also ‘in here’. My commitment to understanding, researching and writing about migration arises from knowledge of my own migrant heritage. The granddaughter and great-granddaughter of immigrants to Britain, my heritage is a combination of North London Irish Catholic; Dublin Irish Catholic; East London Jewish; French Protestant; and Dorset. Self-understandings arising from this admixture lead to a position that is simultaneously both ‘in’ and ‘out’ (Harris 1995: 2). ‘In’ because I grew up having information about my heritage and having the luxury of absorbing this information prior to sharing it; ‘out’ because I am not a migrant and thus understanding of these particular experiences is second hand, not first hand. Because I am ‘white’, I am automatically assumed to be a British citizen with the mono-dimensionality (and safety) that implies and – unlike a number of friends and colleagues – I am rarely required to answer the question: ‘where are you from?’
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Migration and International Contexts
Issues of migration are currently widely debated across the world (see Castles and Davidson 2000; Geisen et al 2004; Kraus 2004; Martin 2001; Riegel 2004). What is frequently overlooked is that, at various times in history, most nations in the world have been settled in by migrant peoples who then became that nation and developed its resources. Hoerder limns the movements of individual and migrant peoples at micro, meso and macro levels: individual lives become part of transoceanic and even global connections. In the processes of departure and insertion into the receiving society, migrants subtract themselves from old and add themselves to new societies. They are part of macro-level socio-economic change (Hoerder 2004:32).
The particular experiences of children and young people in these processes are often overlooked or disregarded.
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Metanarratives of Childhood and Youth
Until about twenty years ago, the dominant metanarratives about childhood and youth were that these are developmental stages in becoming adult – emphasising ‘becoming’ rather than ‘being’. The main disciplines for studying children and young people had been psychology and education, both of which focus on growth, development and socialisation into the adult world. In North America and Britain it is only in the last two decades or so that migrant children and young people have become a focus for sociological study and research (Ambert 1986), though in Germany there is a well-established tradition of research with migrant children and young people (Riegel 2004). The situations of migrant children and young people have become the focus of research even more recently (Nguyen 2005; Stanley 2001). As noted by Brannen and O’Brien, the psychological focus of earlier studies had led to a view of children and young people as incomplete, not competent: … human becomings rather than human beings…adults in the making, rather than children in a state of being (Brannen and O’Brien 1995: 730).
Work by British sociologists led to recognition of this ‘absence’ of children and young people from sociology and their status as a ‘muted group’ in both sociology and society. It led also to recognition of the ways in which ‘childhood’, ‘young people’ and ‘youth’ had been and are socially constructed by adults, particularly in British society, within different social groupings at different historical times (James and James 2004; James and Prout, 1997; James, Jenks and Prout 1998; Qvortrup et al 1994). The immaturity of children is a biological fact of life, but the ways in which this immaturity is understood and made meaningful is a fact of culture (James and Prout 1997)
Thus, while previous understandings of childhood and youth were biologically determinist and of naturalistic construction, childhood and youth are now understood not as objective, universal states, but as socially constructed ones (Hacking 1999). They are also shown to be both historically and culturally determined, as is evident from both anthropological and historical research (see for example, Aries 1962; Benedict 1935; Jordanova 1989). Earlier metanarratives and assumptions have been subverted by concepts of childhood and youth further developed by social constructivist sociologists, particularly by the concept of young people’s agency and their right to be the subjects of their own lives (Archard 2004; Karban and Horrocks 2000).
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Research with children and young people continues to demonstrate their agency and their resistance to an uncritical acceptance of identities placed upon them by others. For example, the Social Identities in Adolescence Study (undertaken in London) by the Department of Health (1996), showed that young Londoners interviewed as part of this research … had a range of ways in which they negotiated their racialised identities in different contexts and at different times…the ways in which they had constructed their identities had changed over time. It is likely, therefore, that the accounts they negotiated in their interview will change over time…most of the young people were clear that they made their own decisions about whether to accept or reject the constructions that their parents, teachers and friends attempted to persuade them to use (Phoenix and Owen 1996: 92).
We might assume that this more general acceptance of childhood and youth as socially constructed, and the emphasis on young people’s rights and agency is permeating social policies relating to children and young people. However, while this is true in some instances (Bradshaw and Mayhew 2005; Hendrick 2005), one specific policy area remains almost untouched by such understandings – British Government policies in relation to immigration and protection (I return to this below).
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Metanarratives of Nation and of National Identity
The concepts of ‘nation’ and ‘national identity’ continue to be the subject of debate and analysis (see Anderson 1991; Chatterjee 1993; Hobsbawm 1990; Nairn 1990). As a result of such debate and analysis, the concepts have different meanings within a variety of discourses (Brah 1996: 15). For Benedict Anderson the nation is ‘an imagined political community’ (Anderson 1991:6), a development of the particular historical and cultural conditions in eighteenth century Europe: What then was required was a secular transformation of fatality into continuity, contingency into meaning…few things were better suited to this end than an idea of the nation. If nationstates are widely conceded to be ‘new and ‘historical’, the nations to which they give political expression always loom out of the immemorial past, and, still more important, glide into a limitless future. (Anderson 1991: 11).
Here Anderson illuminates both the mythic nature of national narratives about the origin of a nation and the image of destiny – also a significant component of many national metanarratives. Metanarratives of nation and of national identity have provided members of those nations with a sense of identity and belonging; Avtar Brah (1996) writes
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of home being an ‘invocation of narratives of “the nation”’ (Brah 1996: 3). However, she and other sociologists, including Stuart Hall, also note that a tendency to ‘essentialise’ nationality blurs the commonalities and similarities between groups and obscures very real intra-group differences: ‘things are related as much by their differences as through their similarities’ (Hall 1980: 320). Brah writes of the ‘psychic investment in belonging to “a people”’, a feeling she sees as common to many of us and not necessarily problematic in or of itself. What is problematic, she notes, is how this positive experience shades into the excesses of nationalism and racialised discourses. The concepts of nation and nationality can be used to justify racism and persecution and genocide, as in the former Yugoslavia (Brah 1996: 3). Nazir (1986) challenges many of the extant analyses of nation, national identity and nationalism: there cannot be a general or a universal definition or a general theory of nation, nationality or nationalism….no universal definitions are possible…instead of identifying essences, we need to explore concrete sets of historical relations and processes in which these ideologies become meaningful (Nazir 1986: 494-501).
Concepts of nation and of national identity are also challenged and subverted by the idea of hybridity, developed by Homi Bhabha, drawing on the work of Bakhtin. ‘Hybridity’ is a term well-known within the field of biology, where it is used to describe the result of crossing two plants or other species. Bhabha deploys the term in order to represent a ‘condition between states’ – whose virtue is that it escapes the control of either. As such, it has considerable subversive potential. Bhabha seeks to re-think issues of nation and of nationalism, emphasising a ‘third space’ (Bhabha 1990) between two cultures and in that space, ‘the emergence of a hybrid national narrative’ (Bhabha 2004: 240). He aims to disrupt familiar and taken-for-granted identity myths. The third space – the ‘inter’ and the ‘in-between’ (Bhabha 2004) – contains the potential for an identification of the self, such identification being a social construct, a movement from ‘roots’ to ‘routes’ as conceptualised by Gilroy (cited in McLeod 2000: 231). Social theorists such as Stuart Hall (1992) commend the subversive potential of ‘cultures of hybridity’, similar to Gilroy’s conceptualisation of a ‘Black Atlantic’ (1993 2000), transcending ethnicity and nationality. However, like other terms in this chapter, ‘hybridity’ itself has become a contested term. Wicker (2006) argues that hybridity is based upon an assumption that the pre-existing cultures are complex wholes whereas they are more likely to be already heterogeneous. Young (1995) points out that hybridity is a term that was used negatively in imperial and colonial discourse and expresses
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reservations about indiscriminate use of it. Parker asserts that hybridity’s dynamic potential is under-emphasised: The focus should be on specific processes of identity formation, rather than subsuming them all into one state of hybridity (Parker 1995: 26).
Questions have been asked about the limitations of this concept (Brah and Coombes 2000) and the difficulties of maintaining ‘spaces of resistances and protest’ in the face of racialised discourses that pathologise hybridities (Werbner and Modood 2006). Thus while the term has positive creative and resistant properties in the sense deployed by Bhabha, together with clear connotations of agency, it appears to remain on the level of the psychic and cultural and thereby to ‘obliterate political economy’ (Kraniauskas 2000: 250). The ideologies of origin and destiny identified by Anderson therefore continue to underpin – albeit at an unconscious and not clearly articulated level – metanarratives about nationality and national identity and membership. One manifestation of such metanarratives in Britain today is found in immigration policies and it is to an examination of such policies that I now turn.
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British Government Policies – Immigration and Protection
This section focuses on specific policies and their impact upon young people. I address issues for both unaccompanied asylum-seeking children and those who arrive in England with their families as asylum-seekers - both groups are survivors of enforced migration. In particular I examine the contradiction between legislation and policies developed in relation to young refugees and asylum seekers, which are influenced by ideologies of nation and national identity, and legislation and policies aimed at securing the welfare and safety of children and young people.1 The Immigration and Asylum Act of 1999 established the National Asylum Support Service (NASS). Since April 2000, this government body has been responsible for providing accommodation and support to destitute asylum seekers, including adults, families with children, children and young people. Home 1
In September 2008 the UK government withdrew its general reservation to the United Nations Convention on the Rights of the Child (1989) on immigration and citizenship, and agreed that children seeking asylum and those who have been trafficked into the UK will have the same rights to support and services as British-born children (UNICEF, 2008). It is hoped that this will make a significant difference to how refugee children and young people will be treated in future, although progress to date has not been swift and delivery of services will need to match up with rhetoric (Aynsley-Green, 2009; Bilson and Cox, 2007; HMIP, 2008).
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Office statistics show that 3,180 applications for asylum in Britain were made by children in 2003. Unaccompanied or separated children and young people do not undergo the same experiences as those who arrive with their families. Many do not have documentary evidence of their date of birth or age, either because their date of birth was never registered in their country of origin and they do not know it, or because they have been unable to bring papers with them. Some young people have had to make their journeys using false papers (which are sometimes adult papers) in order to avoid unnecessary attention. All of the foregoing may result in their age being disputed on arrival in Britain. If they are deemed to be 18 or over, they will be turned over to NASS and subject to treatment as adults, or they are detained until the dispute about their age is resolved. Some of those arriving with false documents have been charged in the courts and sent to secure training centres, despite the potential protection of Article 31 of the 1951 Refugee Convention, which explicitly states that asylum seekers should not be penalised for arriving in a country using false documentation (Refugee Council 2003a: 9). The placing of children in detention centres (with or without their families) is an example of the clash between immigration policies and policies whose object is the welfare of children (Refugee Council 2003b; Crawley and Lester 2005; Refugee Council and Refugee Action 2006). Such detention is contrary to international standards set out in the United Nations Convention on the Rights of the Child (1989) (UNCRC) and by the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). In 1991, the then Conservative government in Britain ratified the UNCRC. However, it also entered a reservation to the effect that children who are subject to immigration control can be excluded from the Convention’s provision, thus undermining the commitment to ensure the well-being of all children and young people, and permitting the government to put requirements of immigration control above those of vulnerable children and young people. The reservation is incompatible with the principles of UNCRC articles, 2, 3, 9 and 10, yet recent research (2005) has found increased use of detention centres: to meet the objectives of UK asylum and immigration policy … recent policy changes and failures in practice related to age-disputed asylum-seekers mean that both children in families and those who have become separated from their parents or other carer are increasingly liable to be detained (Crawley and Lester 2005: viii).
The research found evidence of children being detained for between 7 and 268 days, with the review process focussing on issues of immigration, rather than on issues of child welfare. Detention affects the mental and physical health of children. There are also unexplained transfers between detention centres, lack of
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access to good quality legal advice and lack of attention to protection from harm and abuse. In March 2006 the Refugee Councils for the UK, Scotland and Wales, Save the Children and BID (Bail for Immigration Detainees) launched a publicity campaign to stop the Home Office locking up children and young people in detention centres and to develop more humane and child-centred alternatives (Refugee Council 2006a: 1; No Place for a Child Campaign, 2006). In July 2006 the Chief Inspector of Prisons, Anne Owers, published a report that called for a ‘complete overhaul of the detention of children’ (Home Office 2006). Section 9 of the Asylum and Immigration Act (2004) has been shown to have a significant impact on children and their families. This section states that families who have come to the end of the asylum process with no further right to appeal may have financial support and accommodation withdrawn from them if they ‘fail to take reasonable steps’ to leave Britain. If they become destitute, their children may be removed from them to be cared for by social services. This section of the Asylum and Immigration Act 2004 was first implemented in three areas of Britain and the Refugee Council and Refugee Action reported on this ‘pilot’. The report by the Refugee Council and Refugee Action (2006) concluded that use of Section 9 resulted in increased levels of physical and mental illhealth amongst families, due to the potential for children to be removed and the loss of accommodation. Almost a third of families in the pilot left their accommodation and withdrew from contact with agencies – effectively going underground. The policy was found to be incompatible with basic standards of human rights and was criticised by the majority of agencies involved in its implementation. The stated aim of encouraging families to opt for voluntary return was not achieved and calls were made for the government to abandon this practice (Refugee Council and Refugee Action 2006). The British Association of Social Workers (BASW) commented on the contradiction between Section 9 and other existing child welfare policies: The possibility of children’s social services removing children from their families as a result of Section 9 is incompatible with UK childcare legislation, which upholds the fundamental right of all children to live with and be cared for by their parents….This policy is incompatible with the 1989 Children Act and the UN Convention on the Rights of the Child (BASW 2005).
As this goes to press (early 2007), the Home Office has not rolled out Section 9 any further, despite government pressure on it to do so (Refugee Council 2006b). This contradiction between the requirements of immigration policy and policy to safeguard children and young people is also apparent elsewhere. The Children Act 1989 stipulates that any child or young person under 18 referred to
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a local authority social services department must have his or her needs assessed by that department which has a duty to provide appropriate services to meet such needs. Under Section 17 of the Act, a local authority has a duty to provide services ‘appropriate to the child’s needs’. Section 20 of the Children Act 1989 places a duty on a local authority to look after a child by providing them with services and accommodation: this is a more protective level of care. The decision to provide such care is based on a comprehensive assessment of need (Department of Health 2000). Generally the majority of unaccompanied refugee and asylum-seeking children and young people have received the less protective level of support under Section 17. New guidelines issued by the Department of Health in 2003 in the form of a local authority circular, state: Where a child has no parent or guardian in this country, perhaps because he has arrived alone seeking asylum, the presumption should be that he would fall under the scope of Section 20 and become looked after, unless the needs assessment reveals particular factors which would suggest that an alternative response would be more appropriate. While the needs assessment is carried out, he should be cared for under Section 20.
This circular and a High Court judgement known as the Hillingdon Judgement together have increased the responsibilities of local authority social services departments for unaccompanied refugee and asylum-seeking children. However, research undertaken by the Refugee Council has shown that a year after policy was changed, local authorities were inconsistent in how they responded to unaccompanied asylum-seeking children (Refugee Council 2005: 7). Additional research into the effectiveness of the policy (Free 2005) showed that the majority of local authorities surveyed (two thirds of the total) were providing Section 20 support and that half of the remainder were making better provision under Section 17 whilst moving towards support under Section 20. The other half of the remainder had no plans to move from Section 17 support. The local authorities surveyed reported being concerned about the level of support they could offer and cited funding constraints and conflicting government policies as two of the things limiting their responses to the needs of unaccompanied young people. More recent child welfare legislation (Children Act 2004) has established a Children’s Commissioner and has listed agencies charged with the duty to safeguard children and young people. Meanwhile, children and young people continue to be treated differently in immigration policy and legislation. More policy changes were announced in August 2006 when the Home Office began to draw up plans for the forcible repatriation of up to 500 children to Vietnam. Repatriation of these Vietnamese children (failed asylum-seeking children without fam-
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ily in the UK) was to be a ‘trial run’, part of a programme that would then be extended to children and young people from other countries (Lewis 2006:1-2). Objections were raised by the Refugee Council and by a number of children’s charities (see, for example, Bull 2006). In the same month, a newspaper article addressing the subject of deportation of refugees and asylum seekers noted the ‘growing disregard for the opinion of independent experts’ in relation to asylum seekers and commented that ‘the UK is failing to meet its international obligations to protect those whose lives genuinely have been destroyed by conflict and violence’ (Moorhead 2006: 15).
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Discussion: Beyond Social Constructionism and Hybridity – Towards a Critical Theoretical Approach.
Social constructionist accounts of children and young people, with their focus on agency, individuality and subjectivity, may overlook the extent of the political, economic and social powers which adults can exercise over children and young people. While understandings of children’s rights have begun to permeate some social policy development, policies developed by adults relating to asylum and immigration remain virtually untouched by such ideas. Hybridity remains a psychic and cultural rather than a political term – the emphasis on individuality and subjectivity does not translate into free choice for all. Uncritical use of the concept of hybridity ignores structural issues such as the political, economic, racial and social contexts in which migrant peoples struggle to fashion and re-fashion their identities. Understandings and applications of hybridity in and of themselves do nothing to change the predominant culture, or to make life better for those who have been denied access to its privileges. To argue thus is not to argue for a return to essentialist notions of identity. Postmodern thinking has clearly established that identities are fluid and contingent, with nationality being one factor amongst, and inter-connected with, many others, such as gender, class and sexuality. In Britain, metanarratives of nation and nationality are being inappropriately deployed to centralise ideologies of national identity in immigration policies at the expense of the well-being of migrant children and young people. Davidson (2004) has analysed how hostility towards certain migrants results in state manipulation of borders and laws: in Britain, laws and policies are certainly manipulated so that vulnerable children and young people are subject to immigration controls ahead of their status and needs as children. Both social constructionist accounts of childhood and youth, and cultural accounts of hybridity have conceptual and analytical strengths, but they need to
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be set alongside understandings of social structures and issues of unequal power relations – patriarchy, capitalism, racism and colonialism – that permeate societies across the world. Questions of the inter-relationships between structure and agency are central in considering these issues. I argue that critical theory (particularly as developed within the Frankfurt School) facilitates a robust consideration of these issues and that applying critical theory is a necessary first step to resolving them. In his inaugural speech in 1931 to the Institut für Sozialforschung, Horkheimer described critical theory as a human activity that takes society as its subject and attempts to transcend tensions between individual spontaneity and the work-process relationships on which society is based (Horkheimer 1993). According to Geuss (1981), critical theory is inherently emancipatory, has cognitive content, is self-conscious and self-critical. Calhoun describes the endeavour … to distinguish critical theory from the sort of ‘traditional theory’ that accepted the selfdefinitions of the familiar and failed to look more deeply at how the categories of our consciousness were shaped and how they in turn constituted both the world we saw, and what we took to be possible….the idea of critical theory as a distinctive project, and a project that would distinctively combine traditionally abstract and universal philosophy with historically concrete and empirical knowledge of the social world …(Calhoun 2000: 515).
Writings of the Frankfurt School from Horkheimer through to Habermas are characterised by commitment and concern to make theory ‘work’ for society: the point of theory is to respond to political needs and move society in one social direction rather than another: ‘a theory of society conceived with a practical intention’ (Habermas 1973: 1). Whilst critical theory is criticised for ‘metanarratives of emancipation’, Rorty (1995) comments that there is no sense of ‘we’ and what ‘we can do to improve society’ in the work of such critics. The analytic and questioning approach of critical theory means that it can be applied to confront the ‘taken-for-granted’ metanarratives of childhood and youth and of nation and national identity. Critical theory’s political commitment to the possibilities of a freer, more inclusive society means that it can be applied to examine and critique the limitations in social constructionist concepts of children’s agency and in the concept of hybridity. Current British immigration policies de-legitimise the experiences of children and young people who are refugees or who seek asylum here: they become disempowered and are unable to make choices or create change for themselves. Critical theory’s engagement with the contemporary social world enables challenges to be made to redress these inequalities, arguing for the re-organization of national policy frameworks and moving towards ‘the development of new forms of living’ (Beck 1992: 235).
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Conclusion
Calhoun (2000) and Scambler (1998) assert the potential of critical theory to stimulate and inform ‘self-reflexive public discourse’ (Calhoun 2000: 505) within a reconstituted democratic public sphere. Scambler (1998) argues for the emergence of social critics with moral responsibilities, which includes creating and engaging effectively in a reconstituted public sphere and building alliances with other critics and with activists. A reconstituted public sphere in Britain would take time and effort to develop – but it is long overdue. Habermas (1973) criticised research that represents only what is, without using that knowledge to drive change. Research such as that described and analysed here is already having some impact, including the current Home Office reluctance to continue to roll out Section 9of the Asylum and Immigration Act (2004). A recent research report from the Institute for Public Policy Research addresses the advantages for the government and for the nation of an amnesty, making legal all those who remain in Britain illegally (Farrant et al 2006: 1). Further research, focusing on children and young people and informed by critical theory, is required. The current treatment of refugee and asylum-seeking children and young people in immigration policies contravenes many of their rights and directly contradicts other policies which address their safety and welfare. Critical engagement with these issues in ‘self-reflexive public discourse’ (Calhoun 2000: 505) is one way forward, as is Scambler’s (1998) recommendation of building alliances with like-minded critics and activists. Critical theory opens up the possibility of a unity of theory and practice in politics; in working towards these goals, I am joining the campaign against the detention of children and continuing to write and develop research in this area. The issue was not just a use of theory in the service of political ends – a version of instrumental reason – but, rather, the development of a broader sense of political practice as the constitution of ways of living together that enabled the full realisation of human potential (Calhoun 2000: 526).
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„Drin bist du noch lange nicht…“ Zur biopolitischen Konstruktion des Alters bei jugendlichen Flüchtlingen Katja Schikorra und Rainer Becker
There are, indeed, many modes of treatment in the political, as well as animal body, that contribute to accelerate or retard the approaches of age: but there can be no chance of success (...) for keeping either of them in perpetual youth. (...) A different policy (...) would infuse fresh life and vigour into every state. T.R. Malthus, On the principle of population (1798)
Menschen mit deutschem Pass können in 129 Länder einreisen, ohne ein Visum beantragen zu müssen. Besonders innerhalb der Schengen-Staaten sollen sich Menschen weitgehend frei bewegen können. Doch diese Reisefreiheit wird nicht allen Menschen zuteil. Flüchtlingen und Menschen, die aus Armut ihr Land verlassen, bleibt der Zugang nach Deutschland versperrt, ein Visum zu bekommen ist für sie geradezu utopisch. In vielen außereuropäischen Staaten nimmt der Auswanderungsdruck jedoch nicht ab. Vielerorts gibt es Krieg und Verfolgung – auch der Abstand zwischen arm und reich klafft teils erheblich auseinander. Viele Menschen sehen nur einen Ausweg: ihr Land zu verlassen, um zu versuchen, zumindest sich und ihren Familien an einem anderen Ort eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Unter ihnen sind Jugendliche, die allein in die Bundesrepublik einreisen. Da eine Entscheidung zu einer Flucht zumeist ohne langwierige Vorbereitung getroffen wird, versuchen sie ohne oder mit gefälschten Papieren – mithilfe von Fluchthelfern – in die BRD zu gelangen. Da diese Fluchthelfer oft die verwendeten Ausweispapiere einbehalten, besitzen viele junge Flüchtlinge diese nach der ‘Einreise’ nicht mehr und können somit auch ihr Alter nicht nachweisen. Im Behördenkontakt (Jugendamt, Ausländerbehörde) sind sie jedoch gezwungen,
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Katja Schikorra und Rainer Becker
ihr Alter anzugeben. In einigen Fällen wird das angegebene Alter angezweifelt, woraufhin eine Alterfeststellung durchgeführt wird.1 Wir werden im Folgenden schildern, welche Praktiken zur Feststellung des Alters angewendet werden, in welchen Kontext sie administrativ eingebettet sind um diese dann in einer umfassenderen, insbesondere historischgenealogischen Perspektive zu verorten. Biopolitische Kontextualisierungen des Phänomens ‘Jugend’ wie auch dieser Praktiken können so sichtbar werden. Basale Ein- und Ausschlussmechanismen, die sich an unserem Beispiel zeigen, bringen erhebliche Folgen mit sich – auch und besonders für junge Flüchtlinge. Das hinzugezogene Material beruht auf einer Untersuchung, die der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e. V. (BUMF e.V.)2 im Jahr 2004/05 durchführte, um zu erheben, welche Feststellungsverfahren in den einzelnen Bundesländern angewendet, wie und durch wen sie angeordnet werden. Hier wurden zum einen die Justiz- und Innenministerien der Länder sowie Amtsgerichte schriftlich befragt. Um Daten zu medizinischen Altersfeststellungen zu eruieren, wurden zum anderen insgesamt 220 medizinische Institute aus den Bereichen Orthopädie, Psychologie, Ethnologie, Gynäkologie, Neonatologie, Pathologie, Pädiatrie, Rechtsmedizin, Urologie und Zahnheilkunde angeschrieben. 43 der Institute legten eine Antwort vor und konnten in eine Auswertung miteinbezogen werden (vgl. BUMF e.V. 2005: 12). Die Datenerhebung erfolgte ausschließlich über die Auswertung der beantworteten Fragebögen.
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Praktiken der Altersfeststellungen
Um das Alter jugendlicher Flüchtlinge nachweisen können, werden in der BRD verschiedene Alterfeststellungsverfahren durchgeführt.3 Es kristallisieren sich zwei administrative Verfahren heraus:
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2
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Wie viele Altersfeststellungen tatsächlich durchgeführt werden, wird nicht statistisch erfasst (siehe lediglich für Hamburg die kleine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Antje Möller unter http://www.asyl.net/Magazin/Docs/2004/M-4/5912.pdf, 10.10.2006). Der Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. ist ein Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Interessen unbegleiteter junger Flüchtlinge in Deutschland zu vertreten und deren Situation zu verbessern. Als Zusammenschluss von haupt- und ehrenamtlichen Einzelpersonen und derzeit 35 Organisationen setzt er sich seit 1998 für die Rechte von Minderjährigen ein, die als Flüchtlinge ohne Eltern oder Erziehungsberechtigte in die Bundesrepublik einreisen. Er führt unterschiedliche Projekte durch – zum einen zur Wissensentwicklung von/über die Jugendlichen, zum anderen werden Praxisprojekte mit Partizipation der Jugendlichen initiiert. Altersfeststellungen werden nur dann durchgeführt, wenn Jugendliche ‘augenscheinlich’ älter sind als sie angeben. Wir konnten keine Hinweise darauf finden, dass Altersfeststellungen im
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eine Altersbestimmung durch Inaugenscheinnahme eine medizinische Altersdiagnostik
Innerhalb der einzelnen Bundesländer gibt es keine einheitlichen Verfahren zur Altersfeststellung4, das heißt in den Bundesländern werden Altersfeststellungen von unterschiedlichen Behörden auf verschiedene Art und Weise durchgeführt (vgl. BUMF 2005: 13). Die befragten Innenministerien der Länder gaben mehrheitlich an, eine sogenannte ‘Inaugenscheinnahme’ als einziges Instrument zur Altersfeststellung heranzuziehen. Hierbei wird behördlich ‘nach Augenmaß’ ein fiktives Geburtsdatum festgelegt. Die Beweislast liegt danach bei den Betroffenen: Sie sind es, die den Nachweis erbringen müssen, dass ihr angegebenes Geburtsdatum ‘der Wahrheit entspricht’. Dies gestaltet sich sehr schwierig, eben weil zumeist keine diese Variable bezeugenden Papiere existieren. Daher bleibt den jungen Flüchtlingen oft nichts anderes übrig, als einer medizinischen Altersfeststellung zuzustimmen, die sie unter Umständen sogar finanziell selbst tragen müssen. Bereits an diesem Punkt ist unklar, welche Gesetze diesem Verfahren zugrunde liegen, welche Rechtswege den Jugendlichen offenstehen und welche Behörden letztendlich federführend sind. So bestehen gewichtige Unstimmigkeiten auf Länderebene. Trotz der Angabe der meisten Innenministerien, nur Inaugenscheinnahme als Altersfeststellungsverfahren anzuwenden, gaben insgesamt acht von 43 fachmedizinischen Instituten an, Altersfeststellungen bei jugendlichen Flüchtlingen durchzuführen (vgl. BUMF 2005: 15). Führend sind hier rechtsmedizinische Institute, gefolgt von pädiatrischen und zahnheilkundlichen Sachverständigen. Altersfeststellungen an rechtsmedizinischen Instituten werden zumeist durch einen richterlich beauftragten Gutachter durchgeführt. Unklar ist hierbei, ob diese Altersfeststellungen mittels eines Verdachtsfalls auf Straffälligkeit (zum Beispiel einer Falschbeurkundung) angeordnet werden, die Ergebnisse der Untersuchungen dann jedoch für das Asylverfahren verwendet werden. Insgesamt ist die Gesetzeslage undurchsichtig: Wer übernimmt die Kosten? Wer ist zuständig für die Einleitung einer Altersfeststellung? Wer muss dem zustimmen? Es besteht Grund zur Annahme, dass hier primär nicht im Sinne des Wohls des Kindes gehandelt wird, sondern rein auf die Feststellung asylrelevanter Daten hin. Die staatliche Fürsorgepflicht wird zugleich abhängig gemacht von einer ‘medizinischen Untersuchung’.
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umgekehrten Fall durchgeführt werden, zum Beispiel wenn Jugendliche jünger als 16 Jahre alt wirken, sie jedoch ihr Alter mit über 16 Jahren angeben. Lediglich aus Rheinland Pfalz und dem Saarland wurde von einheitlichen Verfahren berichtet, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass es in beiden Bundesländern nur jeweils eine einzige Aufnahmestelle gibt.
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Die rechtsmedizinischen Institute selbst befürworten eine Kombination verschiedener Untersuchungen: an erster Stelle ein Handwurzelröntgen der linken Hand5, darauf folgend Untersuchungen des Gebisses sowie des gesamten Körpers (‘Pubertätsstatus’). Die Standardabweichungen des Alters-‘Ergebnisses’ variieren dabei erheblich. Einige Institute gaben eine – prinzipiell wenig zielführende – Fehlerquelle von bis zu +/- 4 Jahren an (vgl. ebd.: 16). Besonders bei der Untersuchung sexueller Reifezeichen und körperlicher Entwicklungen gäbe es zusätzliche erhebliche Fehlerquellen, die sich unter anderem auf ethnische und soziokulturelle Spezifika zurückführen ließen (Ernährungszustände, frühere Pubertät etc.). Das Röntgen des linken Handgelenks ist zwar in diesem Kontext ein sehr weit verbreitetes Verfahren, es ist jedoch – und leider scheint hier bisher die einzige Kritik an dieser Praktik anzusetzen – auch sehr umstritten, da hierbei von potenziell schädigender Strahlenexposition auszugehen ist. Den Gutachtern bleibt verborgen, wie häufig der Jugendliche in der Vergangenheit derartigen Strahlen ausgesetzt war. Auch aus anderen europäischen Ländern wird von ähnlichen Untersuchungen berichtet.6 Selten allerdings gelangen sie an die Öffentlichkeit. In die Schlagzeilen geraten Extremfälle, wie beispielsweise Altersfeststellungen bei afrikanischen Jugendlichen, die 1999 im Rahmen „der größten Polizeiaktion der 2. Republik“ (Schmidt 2001), der „Open Spring“, in Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünften Österreichs wegen des Verdachts auf Drogenkonsum und handel festgenommen wurden. Johann Szilvassy, Professor für biologische Anthropologie an der Universität Wien, Autor für das freiheitliche Magazin „Aula“ und Kurator des „Rassensaals“ im Wiener naturkundlichen Museum7 wurde hierbei für die Altersfeststellungen als Gerichtsgutachter bestellt, um zu entscheiden, ob die jungen Angeklagten unter das Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht fallen, was für die betroffenen Menschen ein unterschiedliches Strafmaß bedeutete (vgl. Ralser 2000; Leisch/Landgraf 2000). Seine angewandten Methoden in diesem Fall waren Handwurzelröntgen, Vermessung der Mundbreite, der Nasenlänge, der Hoden und die Untersuchung der Achsel- und
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Bei der Methode des Handwurzelröntgens wird eine Röntgenaufnahme des linken Handgelenks gemacht. Aus dem Verknöcherungsgrad des Handwurzelknochen wird aufgrund von Vergleichsuntersuchungen auf das ‘tatsächliche’, aktuelle Alter des/der Betroffenen geschlossen (vgl. Schulz-Ehlbeck 1999: 277). Vgl. zu England: http://www.socialeurope.com/pdfs/asylumproject/Minutes_workshop1_phase2 _english.pdf (25.02.06). Dieser Saal wurde erst 1996 geschlossen. Die Haltung Szilvassys zum Thema Migration zeigt folgende Aussage: „Wenn die Zuwanderung weitergeht, werden die Blonden bei uns in den nächsten Generationen verschwinden. Die Pigmentierung wird dunkler werden“ (Kurier 11.05.2000).
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Schambehaarung.8 Dieser öffentlichkeitswirksame, weil rassistische Stereotype direkt ansprechende Fall, bleibt allerdings eine Ausnahme der Wahrnehmung von Altersfeststellungen in der Öffentlichkeit. Auch im sozialwissenschaftlichen Kontext liegt unserem Kenntnisstand nach bisher so gut wie keine Forschung vor. Wie eindeutig rassistisch das Beispiel aus Österreich auch sein mag, mit einem reinen Rassismus-Vorwurf gegenüber administrativen Altersfeststellungspraktiken ist es in unseren Augen nicht getan. Diese erschöpfen sich weder in Vermessungen à la Szilvassy, noch sind sie darauf reduzierbar. Zudem werden sie weiterentwickelt und sollen selbst – verschiedene Interessengruppen machen sich dafür stark – in Methode und Durchführung weiterentwickelt und standardisiert werden.9 Problematisch sind die Methoden der Altersfeststellung für den gesunden Menschenverstand allemal, wie sich am österreichischen Beispiel zeigt. Noch problematischer werden die Praktiken allerdings, wenn man fragt, warum sie – in welcher Form auch immer – überhaupt angewendet werden. Warum ist beispielsweise das Alter von Fremden, von Flüchtlingen eine derartig zentrale Variable im Migrationskontext?
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Administrative Entscheidungspunkte bei jungen Flüchtlingen
Es kristallisieren sich aktuell in der BRD drei bedeutsame juridisch-administrative Entscheidungspunkte heraus. Das Alter von Flüchtlingen ist wichtig
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Trotz heftiger Kritik an diesen Verfahren hielt das Landesgericht Wien lange Zeit an deren Ergebnissen fest. Später wurden weitere Gutachter bestellt, die jedoch nicht vor Gericht erschienen. Sie verfassten ein Schreiben, in dem es heißt, dass es derzeit keine zuverlässige Methode gäbe, mit der das Alter von Menschen exakt festgestellt werden könne und sie sich aus diesem Grund weigern würden, die Gutachten zu verfassen (vgl. Der Standard 1./2.07.2000). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Österreich „medizinische Altersfeststellungsverfahren in der Richtlinie für die Aufnahmebedingungen oder in dem demnächst vorliegenden revidierten Vorschlag zu Asylverfahren verankern“ möchte (Pro Asyl 2002). 9 Problematisch ist, dass bei den vorliegenden Reformbestrebungen die Verfahren der Altersfeststellung an sich nicht hinterfragt werden, sondern nur ihre ‘Verbesserung’ angestrebt wird. So gründete sich in Deutschland beispielsweise eine „Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik“ mit bezeichnener Herkunfts- und Interessenlage. Ihr Anliegen ist es, eine ethisch akzeptable Revision und Standardisierung der Altersfeststellungspraktiken durchzusetzen. Ihre Kritik betrifft jedoch einzig den Modus der Altersfeststellungen, nicht die Praktiken als solche (vgl. AGFA 2006).
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in Bezug auf wohlfahrtliche Leistungen der Jugendhilfe, in Bezug auf das Asylrecht, zur Feststellung des Zeitpunkts eines selbstverantwortlich zu stellenden Asylantrags, in Bezug auf das Strafrecht, zur Feststellung der Strafmündigkeit.
Alle einheimischen Jugendlichen bis 18 Jahre können Leistungen der Jugendhilfe erhalten.10 Bei jungen Flüchtlingen verhält sich dies jedoch anders. Sie gelten mit 16 Jahren schon als asylmündig, das heißt, sie müssen selbstständig einen Asylantrag stellen. Dies nutzen einige Jugendbehörden dazu, sich für nicht mehr zuständig zu erklären. Somit werden junge Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren nicht mehr als Jugendliche, sondern als Erwachsene behandelt. Kein Vormund und kein Rechtspfleger werden ihnen zur Seite gestellt. Untergebracht werden sie nicht in Wohngruppen, sondern in Asylbewerberunterkünften.11 Auch entfällt bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ab 16 Jahren der Abschiebeschutz.12 Somit können sie leichter abgeschoben oder in ein „sicheres Drittland“ „zurückgeführt“ werden. Es macht demnach einen großen Unterschied, ob ein Jugendlicher nun 15 oder 16 Jahre alt ist. Während beim jugendhilferelevanten Alter der Jugendlichen gravierende Unterschiede zwischen einheimischen und Flüchtlingsjugendlichen gemacht werden, bleiben die Altersgrenzen für die Strafmündigkeit gleich. Relevante Grenze ist nach § 19 StGB das 14. Lebensjahr. Einem Kind unter 14 Jahren wird eine generelle Schuldunfähigkeit und damit Strafunmündigkeit zugesprochen. Ab 14 gilt das Jugendstrafrecht, dessen Grenze bei 18 bzw. in Ausnahmefällen 21 Jahren liegt. Werden nun junge Flüchtlinge auf ein Alter von 18 Jahren geschätzt, unterliegen sie nicht mehr länger dem Jugendstrafrecht. Auch in Österreich zeigte sich dies bei der Polizeiaktion „Open Spring“, in deren Gefolge das Alter vieler ehemals unter 18-jähriger auf über 18 Jahre datiert wurde. Sie konnten damit nach dem regulären Strafrecht verurteilt werden. 10 11
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In Ausnahmefällen auch als junge Volljährige bis 27 Jahre. Lediglich Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren scheinen oftmals noch eine Chance zu haben, in Mädchenwohngruppen aufgenommen zu werden (vgl. BUMF e.V. 2005: 19). In die Presse geriet der Fall von drei Jugendlichen aus Guinea, deren Alter die Hamburger Ausländerbehörde von angegebenen 15 Jahren auf 16 Jahre festlegte. Die Jugendlichen klagten gegen die Übernahme ihrer von der Hamburger Ausländerbehörde festgelegten Geburtsdaten durch die Ausländerbehörden in Baden-Württemberg: „Die Kläger waren 2001 ohne Papiere nach Hamburg gekommen und hatten um Asyl ersucht. Hierbei gaben sie an, 15 Jahre alt zu sein. Sachbearbeiter der Ausländerbehörde stuften die Jugendlichen jedoch ein Jahr älter ein. Als nunmehr 16-Jährige galten sie nach dem Asylverfahrensgesetz als erwachsen und verloren damit Abschiebeschutz wie ihren Anspruch auf Jugendhilfemaßnahmen und einen Vormund fürs Asylverfahren. Das Verwaltungsgericht in Freiburg, wo die Männer heute leben, hat der dortigen Asylstelle jetzt die Übernahme der angeblichen Geburtsdaten untersagt“ (taz 10.07.2004).
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Die drei für die Behandlung von Flüchtlingen hinsichtlich Strafmündigkeit administrativ relevanten Altersgrenzen 14, 16 und 18 entsprechen zwar als rechtliche Kriterien denjenigen, die auch für Einheimische gelten. Da jedoch bei der einheimischen Bevölkerung wie bei den meisten Flüchtlingen die biologische Altersvariable ‘amtlich’ bekannt ist, kann direkt zur Anwendung derjenigen Gesetze geschritten werden, die den Umgang mit Eigenem wie Fremdem regeln. Die zentrale Relevanz der Altersvariable wird erst in dem Moment sichtbar, ihre Selbstverständlichkeit erst dann problematisch, wenn Personen dieses Datum eben nicht ‘einfach so’, nämlich administrativ beglaubigt ‘vorweisen’ können – und es erst ‘nachholend’ qua biotechnischer ‘Dienstleistung’ erhoben werden muss.
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Biopolitische Einordnung der administrativen Verfahren
Die vermeintliche Selbstverständlichkeit der inkludierten Bevölkerung ‘ihrer’ administrativ gesicherten Altersvariable gegenüber zeigt in dem Moment ihre janusköpfige Gestalt, wenn deren Problematischwerden den Blick auf die Geschichte dieser und anderer vermeintlicher politischer Selbstverständlichkeiten weist. So genügt es nicht, in der Kritik der hier verhandelten Erhebungspraktiken bei einer moralischen Verurteilung oder einem zu kurz gegriffenen Rassismusvorwurf stehen zu bleiben. Die (für manchen womöglich vor-) wissenschaftliche Struktur der Altersfeststellungspraktiken ist – wie zu zeigen sein wird – vielmehr eindeutig in historische Linien anthropometrischer, also weitgehend wissenschaftlich anerkannter Vermessungsverfahren einordbar, die auch und insbesondere die inkludierte Bevölkerung traf und trifft. Pragmatischer betrachtet: ‘Kritik’ am status quo der Praktiken kommt mittlerweile auch von anderer Seite, beispielsweise von einem Zusammenschluss sogenannter ‘forensischer Altersdiagnostiker’. Deren Vorschläge zur Weiterentwicklung und partiellen Neukontextualisierung der Praktiken verbleibt jedoch gerade – wissenschaftshistorisch betrachtet – auf dem bisher verfolgten Kurs. Die aktuell von diesen ExpertInnen diskutierten „ethisch verantwortlichen“ Standardisierungen der Festsetzungsverfahren vertiefen gerade eine bestimmte historische Filiationslinie dieser Praktiken und entwickeln sie fort. Dennoch kann sich der Eindruck aufdrängen, dass es nach einer solchen Reform stärker ‘wissenschaftlich’ zugehen könnte. Eine aus größeren gesellschaftlichen Problemzusammenhängen, wie der Reproduktionsmedizin, bekannte Arbeitsteilung könnte sich derart anschicken, sich im Feld der Altersfeststellungspraktiken ‘im Kleinmaßstab’ zu reproduzieren: gesellschaftlich und bevölkerungspolitisch hochproblematische, wissenschaftlich fundierte Praktiken auf der einen,
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oftmals praxiserfahrene (bio-)ethische ExpertInnen auf der anderen Seite differenzieren ein zusehends für Außenstehende – jenseits von Fundamentalopposition (vgl. Jelinek 2006) – nicht mehr wirklich kritisierbares Praxisgeflecht aus.13 Hier wie dort wird auf diese Weise zu kurz greifenden moralischen Reflexen zusehends bereits ihre Angriffsfläche entzogen. Aber sind Vorschläge weniger offensichtlich ‘eingreifender’ Maßnamen potenziell zukünftiger Altersfeststellungen (beispielsweise mittels neuer bildgebender Verfahren oder mittels Gentests) wirklich weniger problematisch oder besser akzeptabel? Um das Feld der Altersfeststellungspraktiken in seinen Grundzügen zu beleuchten, ist es zur Entwicklung eines weiteren Beurteilungsrahmens notwendig, die vorherrschende Perspektive zu weiten und die Praktiken historisch zu untersuchen und beim Namen zu nennen: In den Verfahren der Altersfeststellung zeigen sich grundlegende biopolitische Züge moderner politischer Praxis, die Einheimische wie Fremde gleichermaßen betraf und betrifft. Es handelt sich um Ausläufer zentraler Ein- und Ausgrenzungsmechanismen, die sich im Kontext der Entwicklung der modernen Nationalstaaten in den letzten 200 Jahren stetig entwickelt und ausdifferenziert haben. Diese wie andere In- und Exklusionspraktiken in ihrem Gesamt subsumiert der Wissenschafts- und Sozialphilosoph Michel Foucault in seinen Studien zu modernen Machtformen unter dem Namen „Biomacht“.14 Die Praktiken, die das strikt moderne Phänomen der „Bevölkerung“ (Foucault 2004a: 115) betreffen, werden selbst als „biopolitische“ thematisch.15 Seine machtanalytische Perspektivierung einer „Lebensmacht“ („bio-
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Vgl. zu diesem Kontext: Gehring 2006: 110-127. Vgl. Foucault 1983: 159-173. Foucault führt den Begriff im Kontext eines Vortrags (Foucault 2005b) und von Vorlesungen 1975/76 ein (Foucault 2001: 282-312), um sie dann erst (Foucault 1976) einzusetzen. Der vorliegende Text bewegt sich auf dem Boden der bisherigen Debatte (vgl. zum Beispiel Canguilhem 1974; Magiros 1995/2004; Bröckling et al. 2000; Jacob 2002; Stingelin 2003; Bertani 2003; Gehring 2006). Einige Theoretiker entwickelten dabei Foucaults Ansatz in vielfältige Richtungen weiter (vgl. Agamben 2002; Negri/Hardt 2002). Auch im linken Spektrum wird er aktuell wieder stärker diskutiert (vgl. iz3w 225/1997 ‘Biopolitik’; Fantomas 2/2002 „Macht, Leben, Widerstan“’, Jungle World 51/52 „Vive la Evolución“; Phase 2. Zeitschrift gegen die Realität. 17/2005 „Das regierte Leben. Die Bedeutung der Biopolitik nach Foucaul“). Foucaults Begriff ‚Biopolitik’ wendet die realpolitische Verwendung des Begriffs (1902 ‚biologische Politik’ beim Rassenhygieniker Schallmayer, in den 30er Jahren ist bevölkerungsstatistisch von ‘biopolitischer Überlegenheit’ und völkisch von ‘biopolitischem Grenzkampf’ die Rede) zu einem historisch-genealogisch vorgehenden Analysefokus um. Er konstatiert dabei, dass die Definition von Aristoteles, der Mensch sei ein zoon politikon, ein „lebendes Tier, das auch einer politischen Existenz fähig ist“ durch biopolitische Interventionen ihr Antlitz wechsle. In diesem Sinne versteht er unter Biopolitik eine Lebens-Politik, die sich fürsorglich und steigernd nicht nur ‘dem Leben’ des Menschen, sondern seiner als Lebewesen annimmt. Er wird so zu einem „Tier, in dessen Politik sein Leben als Lebewesen auf dem Spiel steht.“ (Foucault 1983:171). Vgl. zum realpolitischen Begriff und seiner Geschichte: Rölli 2002.
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pouvoir“; Bios: griechisch „Leben“)16 legt ihren Akzent nicht in erster Linie auf negative Gewaltformen, zudem nicht allein auf Praktiken des Ausschlusses oder des Einschlusses, sondern auf Machtpraktiken der Grenzziehung überhaupt, welche bspw. staatlich ein Innen (das Eigene, beispielsweise den modernen Nationalstaat, seine Bevölkerung wie seinen vorherrschenden Subjekttyp) und sein Außen (das Fremde), das Innen dieses Außen (die Natur der Fremden) wie das Außen des Innen (Abweichung in der eigenen Bevölkerung) stetig generieren und weiter prozessieren. Die positive Schaffung eines ‘Mehrwerts’ von Leben, dessen stetige Verbesserung, steht bei diesen (Bevölkerungs-) Praktiken im Zentrum, negative Effekte ergeben sich erst in hierdurch legitimierten ‘hygienischen’ Abwehrgesten, beispielsweise „Formen des indirekten Mordes: jemand der Gefahr des Todes ausliefern, für bestimmte Leute das Todesrisiko oder ganz einfach den politischen Tod, die Vertreibung, Abschiebung usw. erhöhen“ (Foucault 2001: 303). Die Praxis der Feststellung des Alters bei Jugendlichen wird unter Zurhilfenahme zentraler Konzepte Foucaults in einer weiteren historischen Perspektive als Verästelung weitergehender Praxisfelder sichtbar: Sie stammt historisch ab von der sukzessiven Entwicklung bevölkerungspolitischer Praktiken wissenserhebender Durchdringung, Vermessung und Verdatung der eigenen Bevölkerung wie ihren Subjekten, um Daten über Normalität, Abweichung und Fremdes entstehen zu lassen. Diese Daten wiederum dienen Foucault zufolge unter anderem zur schrittweisen wie dauerhaften normalisierenden Verbesserung eines im selben Zuge zusehends stärker biologisch verstandenen ‘Lebens’ des nationalen Kollektivs, des Bevölkerungskörpers. Denn gerade für dessen Wohlergehen tragen die spezifischen lokalen Machtpraktiken moderner ‘Biomacht’ Rechnung. In deren Logik gilt nach Foucault das Leben der inkludierten Individuen bestimmter Bevölkerungen nur insofern als administrativ schützenswert, als diese als sicher Geschützte eine höhere (Lebens-)Wertschöpfung des Ganzen garantieren: eine Maximierungsstrategie. Hierzu dienen nicht nur staatliche oder private Institutionen, sondern grundlegender ein stetig an ihnen in den letzten 200 Jahren entstandenes, heute selbstverständlich gewordenes, Wissen um eine biologische wie soziale Normalentwicklung: beispielsweise entwicklungsbiologisches Wissen um altersspezifische Knochen- und Organentwicklung sowie entwicklungspsychologische, altersoziologische und -pädagogische Individualgenese – eine zumeist rein quantitative, statistisch fundierten Wissensbasis also. 16
Foucaults Biomacht-Arbeiten bauen, was oftmals übersehen wird, neben einer Kritik an modernen ‘Arbeits’-Konzepten auch grundlegend auf eine historische Kritik der modernen Biologie und ihrer Vorstellung von ‘Leben’ auf. Vgl. dazu Foucault 1971, insbesondere 269-366; zum quasi-metaphysischen Charakter des modernen ‘Lebens’-Konzepts vgl. insbesondere Foucault 1971: 322-342, insbesondere 383; 425-439.
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Das Wissen um normale Entwicklung ist jedoch nicht phänomenal vom individuell Gegebenen direkt ‘abzulesen’.17 Selbstverständlich muss ein Wissen wie das einer ‘Norm’ nicht nur im Einzelfall ‘gewusst’ werden, um angewendet zu werden, sondern umgekehrt als Norm selbst erst einmal entstehen. Hierzu wurde beispielsweise bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts damit begonnen, Menschen zu segregieren und zu beobachten. Die solcherart ‘Eingeschlossenen’ wurden stetig mit klinischen (vergleichende Anatomie, später Röntgen etc.) wie mit pädagogischen Mitteln (Prüfung, Test, Untersuchung) veranlasst, ein organisches wie psychologisches ‘Innenleben’ offenzulegen, um dementsprechende Konzepte nicht nur entstehen, sondern auch ausdifferenzieren zu können. Verdatet erfasst, in funktionale Einheiten zergliedert und mit der bereits zuvor amtlich gesicherten, identitären Geburtsvariable korreliert, wurden Ergebnisse dieser Studien in Beziehung setzbar. Statistische Normwerte – als späteres Kriterium beispielsweise eines Ein- oder Ausschlusses – wurden so erst möglich.18 In solcher Form entstanden nicht nur – staatlich forciert – konkrete Grundzüge der heutigen statistischen Verfahren.19 In der Traditionslinie sogenannter ‘anthropometrischer’, menschenvermessender und ‘biometrisch’ normierender Verfahren stehen gerade jene Praxistypen, die heute Altersfeststellungen ihr spezifisches Gepräge geben.20
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‘Normale Entwicklung’ gilt hier sozialkonstuktivistisch als Abstraktum, das historisch erst zu einem weitestgehend selbstverständlichen Ordnungsraster geworden ist. Als konkrete Begutachtungsfolie wurde sie erst zu einem ‘Gesetz’, was habituell, sozial wie biologisch annähernd zu erreichen und in dieser Annäherung als Wahrheit zu verkörpern ist. Die Probleme des entstandenen Normkonzepts sind vielfältig: Beispielsweise werden Normen heutzutage jeweils als bereits ‘latent“ existent veranschlagt. Sie werden jedoch zudem auch als normaler Entwicklungsgang vorausgesetzt und teils bangend (was heute beispielsweise bei der Sorge von Eltern um kindliche Wachstumsstörung bis zum Gang zum Radiologen führt) in ‘manifester’ Form erwartet. Das Wissen um ‘Norm’ wird darüber hinaus als quasi-deskriptive Größe in Stellung gebracht, gilt aber zugleich auch als ein Wissen um Wahrscheinlichkeiten, wird zudem prospektiv in Stellung gebracht und dient gleichzeitig als regulative Größe. Vgl. zum Kontext Foucault 1988. Vgl. zur Geschichte der Statistik als Herrschaftswissen vgl. Hacking 1990; Desrosières 2005. Wir können hier nur eine kleine Geschichte der Menschenvermessung und ihrer Normen skizzieren. Zum weiteren Einstieg: Gould 1983; Kaupen-Haas/Rothmaler 1994/99 sowie Foucault 2003.
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Exkurs: Von den Anfängen der Anthropometrie bis zur Altersfeststellung
Die Vermessungen und Verdatung der jugendlichen Flüchtlinge stehen in einer historischen Traditionslinie, die mit der Entstehung der sogenannten Anthropometrie ihren Anfang nahm. Johann Friedrich Blumenbach hatte dazu bereits um 1800 anhand seiner Schädelvermessungen fünf „Rassen“ (kaukasisch, amerikanisch, malaysisch, mongolisch, äthiopisch)21 separiert.22 Gall betreibt erste „phrenologische“ Praktiken (Gall 1808). Er versucht nicht nur geistige Eigenschaften eigens differenzierten Hirnarealen zuzuweisen, was über Broca und Wernicke bis zur aktuellen Hirnforschung nicht folgenlos bleibt. Auch sein Versuch, von Schädelformen (ab Taylor Morton: -volumina) auf Charakter sowie Intelligenz zu schließen, hat viele Nachahmer gefunden.23 Gall gilt auch als Wegbereiter derjenigen Schädelmessung, der Kraniometrie, die sich erst um 1900 von allzu ‘unwissenschaftlichen’ phrenologischen Kontexten löst.24 Adolphe Quetelet lernte um 1820 nicht nur durch Laplace dessen Wahrscheinlichkeitsrechnung kennen, sondern führte zudem Untersuchungen zum Brustumfang von Soldaten durch, die ihn erstmals das Gaußsche Konzept „Normalverteilung“ im Kontext der Messung menschlicher Körpermaße auffinden und umsetzen ließen. Er entwickelt um 1835 in seiner „sozialen Physik“ das erste Konzept eines „mittleren Menschen“ („homme moyen“) und im Gefolge den „Body-Mass-Index“. Insbesondere seine Begründung der Sozialstatistik – auch der ersten internationale Statistik-Konferenz von 1853 – wie im speziellen seine ersten Untersuchungen zur „Moralstatistik“ – bei denen insbesondere „antisoziale“ Verhaltensweisen untersucht werden – gehen auf seine anthropometrischen Forschungen (Quetelet 1871) zurück. Francis Galton, Vater der Eugenik, problematisiert auf dieser Basis 1869 Abweichungen vom neuentstandenen „mittleren Menschen“ in verschiedenen Typisierungen.25 Cesare Lombroso folgt dabei Galton, indem er Verbrechen quasi-zoologisch aufarbeitet (Lombroso 1876). Er legt Grundsteine für das von 21
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Wobei „seine Bezeichnung ‘Kaukasier’ für die weiße Rasse in den angelsächsischen Ländern noch heute verwendet wird“ (Braunfels et al 1973: 107). Dazu baute er auf Vorarbeiten des Anatomen Pieter Camper auf, der erstmals das Maß des Gesichtswinkels normierte. Beispielsweise bei Broca und Montessori zu geschlechterdifferenten Hirnvolumina. Denn bereits in Galls Gefolge hatten sich um 1820 „phrenologische Gesellschaften“ gegründet, die noch bis 1967 anhand der Schädelform diagnostische Vorhersagen zur Bestimmung der Kindsentwicklung inklusive Berufsvorschlägen anboten und sie zum Beurteilungskriterium für Geisteskrankheit und Straffälligkeit ausdifferenzierten. Francis Galton gilt auch als Vater eines Verfahrens der „Mischfotografie“, bei der aus Zusammenblenden von zuvor einem Typus zugeordneten Menschen auf Fotos ein mittleres „Typus“Antlitz erscheint, gewissermaßen erste ‘Phantombilder’.
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Alphonse Bertillon 1880 entwickelte „morphologische Vokabular“, „anthropometrische Signalelemente“. In breit angelegten Studien stellt Bertillon standardisierte Fotos der Länge/Breite des Kopfs, der Füße, Finger, des Vorderarms, der Größe/Farbe der Augen her und entwickelt anhand dieser einen Code, eine Symbolsprache zur Beschreibung von Körpermerkmalen und deren Abweichungen. Diese können nun erstmals symbolisch codiert werden, wodurch sich nicht nur statistisch Spezifika rubrizieren und einzelnen devianten Typgruppen zuordnen lassen. Ganze Landstriche werden nun physisch erfassbar („Bertillonage“), Datensätze telegrafisch übertragbar. Die Bertillonage wird in Frankreich erst um 1910-14 zugunsten der Abnahme des Fingerabdrucks eingestellt, der wiederum bereits 1871 von Henry Fauld und Galton im Kontext des „Criminal Tribes Act“ der Kolonialregierung Indiens eingesetzt wird, um nomadische „gefährliche Kollektive“, „kriminelle Kasten“, die sich durch ihre Nichtsesshaftigkeit dem herrschenden System der Landwirtschaft/ Lohnarbeit entziehen, per Fingerabdruck dingfest zu machen.26 Rudolf Martin führt nun 1914 sämtliche anthropologischen wie –metrischen Methoden und Maße in einem noch heute relevanten Einführungswerk zusammen (Martin 1914/1929). Die Prominenz des Gebiets im Faschismus ist bekannt.27 Im Kontext der Anthropometrie sind nicht nur stetig eine Vielzahl das Alter betreffende biologische Normen erhoben worden, sondern auch bei jeder neuen, aktuellen anthropometrischen Erhebung tritt auf diese Forschungen aufbauend die Altersvariable an zentraler Stelle entgegen, bleibt ein „sehr wichtiges Kriterium für die Gruppierung von Daten und Merkmalen“ (Karolyi 1971: 70). Ist sie nicht bekannt, wird sie nun auf Basis der bereits verdateten „Normwerte“ (Karolyi 1971: 71) ablesbar indiziert.28 In anthropometrischen Verfahren wird so auf die historisch früher konstituierten Normwert-Richtmaße zurückgegriffen, wenn Alter nicht „beurkundet“ (Karolyi 1971:70) ist. 26
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William James Herschel hatte dazu bereits 1853 Grundlagen für eine „Daktyloskopie“ gelegt, die erstmals 1896 von Ivan Vueti in Argentinien im Kontext landesweiter Statistiken erkennungsdienstlich eingesetzt wird. Wird im heutigen Selbstverständnis der Anthropometrie zwar nicht mehr phrenologisch von physischen Körpermerkmalen auf Charaktermerkmale geschlossen oder Spezifika einzelner biologischer oder sozialer ‘Rassen’ verhandelt, sind nach wie vor Rückschlüsse erlaubt: beispielsweise von der durchschnittlichen Körpergröße auf den ‘Lebensstandard’. Hierauf bezogen liegen genaueste Daten vor, alle Körpersegmente lassen sich, auf Mittelwerte gebracht und nach Alter, Untersuchungszeitpunkt und „Region“ sortiert, in international standardisierter Datenform auffinden (vgl. Jürgens/Aune/ Pieper 1989, zu den Methoden Karolyi 1971). Indizien sind: „anatomische und morphologische Merkmale:/ a) Entwicklung und das Wachstum der Zähne bzw. des Gebisses;/ b) Verknöcherungsmerkmale am Skelett und Schädel;/ c) Angaben über Körperproportionen und Merkmale: Gesichtsentwicklung, Körperentwicklung besonders der Weichteile, die sogenannten Geschlechtsmerkmale, Behaarung/ funktionelle und physiologische Merkmale:/ a) Geschlechtsmerkmale (erste Menstruation und erste Pollution)/ b) Stimmwechsel/ c) Physiologische Veränderungen (hormonale/serologische Merkmale)“ (ebd.).
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Die klinisch erhobene, im europäischen Raum traditionell staatlich erfasste und gesicherte Altersvariable (‘Geburtsdatum’) mit ihrem Raumindex kann derart nicht nur als allgemein aussagekräftiger Index für eine eindeutige Zuordnung eines Individuums zu einem spezifischen ‘Lebensraum’ dienen. Sie ermöglicht mittels ihres Zeitindex auch die Verbindung sozialer und biologischer, beispielsweise weiterer anthropometrischer Datenerhebungen, um eindeutige, normale (Alters-)Entwicklungskoordinaten der eigenen, verdateten Bevölkerung allererst statistisch aufstellen zu können. Als solche dient sie dann als Basis normalisierender, Sicherheit, Ordnung und Lebensqualität verbessernder Interventionen im eigenen Bevölkerungskörper. Zugleich aber ermöglicht sie wiederum – zumeist qua Passdaten – auch die räumlich-eindeutige Identifikation von Fremden. Das Problem der Nichtexistenz oder Nichtnachweisbarkeit dieser Altersvariable im konkreten Fall jugendlicher Flüchtlinge unterstreicht dabei ihre zentrale biopolitische Bedeutung überhaupt und bringt diejenigen anthropometrischen Praktiken an die Oberfläche gesellschaftlicher Praxis, die der inklusiven NormStatuierung des eigenen Bevölkerungskörpers zugrunde liegen. Die Existenz administrativer Altersdaten wird so als eine fundamentale biopolitische Notwendigkeit zur identitären Erhebung, Normierung und Regulation des Eigenen wie zur Zuordnung und Behandlung des Fremden verständlich. Als solche erst kann sie – als einer der ambivalentesten Punkte der Moderne – beispielsweise entwicklungspsychologisch fundiert, auch juridisch als Kriterium dienen. Wo das amtliche Geburtsdatum und damit die Altersvariable bisher administrativ eine nur untergeordnete Rolle gespielt oder gar, trotz ihrer auch kolonialen Geschichte, ganz gefehlt hat, wurden vergleichende anthropometrische, biometrische respektive entwicklungsbiologische Studien, die Erfassung entsprochener Normen von vornherein erschwert.29 Kulturalistisch bedacht, plant die AG forensischer Altersdiagnostiker jedoch bereits biologische Studien, beispielsweise in afrikanischen Ländern, um diesem Daten-Desiderat entgegenzuwirken (ebd.). Da die Genetik bereits im Kontext der Anthropometrie deutlich an Gewicht gewonnen hat30 ‘hilft’ sie vielleicht bald auch hier aus einem ‘ethischen Dilemma’. Bevölkerungsweite Gendatenerhebungen sind in einigen Ländern bereits abgeschlossen. Erste Altersfeststellungspraktiken auf Genbasis ebenfalls (vgl. Szilvassy 1979; Polzin 2001; Links AGFA). Überspitzt formuliert: Unerschöpflich produktiven, formbaren, also jugendlichen Lebensrohstoff dürfte die Genetik in absehbarer Zeit nicht anbieten können. Biopolitisch wird man in überalterten Gesellschaften mit geringen Geburts29 30
Vgl. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 101; Heft 18 vom 30.04.2004. Vgl. dazu Karolyi 1971: 64; Braunfels et al. 1973: 142/143; IAHB Links; AGFA Links.
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raten andere Wege gehen.31 Der Hinweis, dass forensische Altersdiagnostiker ebenfalls Altersfeststellungsrichtlinien anbieten, die nicht hinsichtlich der potenziellen In-/Exklusion junger, sondern verrentbarer, älterer MigrantInnen (vgl. AGFA) nutzbar sind – ein Problem, das zusehends ebenfalls im Kontext ‘Gastarbeiter’ virulent wird – tangiert nur die weitere Oberfläche des Feldes.
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Folgen der Altersfeststellung
Der geschilderte Zusammenhang von Altersfeststellungen und biopolitischer Bevölkerungsregulation mittels Konzepten biologischer wie sozialer Normalentwicklung weist auf eine Matrix zentraler In- und Exklusionsprozesse hin, welche die ambivalenten Entwicklungen des modernen europäischen Nationalstaats seit seiner Entstehung wie seiner Entwicklung und seinem Export begleiteten. An unserem historischen Exkurs soll ein Hintergrund deutlich werden, vor dem sich Fragen nach einer ‘biologischen Wahrheit’ in ihrer jeweils spezifischen Form, beispielsweise in Altersfragen, erst abzeichnen können. Aber auch jenseits dieses historischen Hintergrunds weisen die konkreten Praktiken der Altersfeststellung Probleme auf: So sind bei den aktuell genutzten Altersschätzungen Fehlerspannen von +/- 2 Jahren bis +/- 4 Jahren möglich. In diesem Zeitraum liegt jedoch genau die Altersspannweite, in der von Seiten der Behörden Zweifel gehegt werden. So werden meist bei Jugendlichen Altersfeststellungen durchgeführt, die ihr eigenes Alter zwischen 14 und 17 Jahren angeben. Selbst wenn das Altersfeststellungsprocedere qua Reformen zu wissenschaftlich eindeutigeren Vorentscheidungen für administrative Entscheidungen führen sollte, verliert sich ihre politische Relevanz keineswegs. Vielmehr gewinnt sie noch an Schärfe, wenn so eine weitere Etappe ihrer wissenschaftspolitischen wie wissenschaftshistorischen Relevanz erreicht wird. Nicht zuletzt hierzu will der historische Exkurs Hinweise geben. Das höhere Festsetzen des Alters jugendlicher Flüchtlinge, in der Regel auf 16 oder auch auf 18 Jahre, hat gravierende Folgen für deren (Über-)Leben. Unbegleitete junge Flüchtlinge haben aufgrund der Trennung von ihrem sozialen Umfeld vielfältige Verlusterfahrungen. Durch Krieg, unter dem Eindruck von Tod, Gewalt und Zerstörung und/oder einer dauerhafter Bedrohung tragen sie oft Traumatisierungen davon.32 Auch auf der Flucht erfahren sie oftmals in vielfacher Hinsicht schwer zu verwindende Erlebnisse. Das Misstrauen und der 31
32
Der stetigen Abwertung von Lebenserfahrung und ihrer ‘biologischer’ Zeichen zugunsten von Jugend korrespondiert dabei eine Aufwertung einer liberalen, privatisierten Eugenik (vgl. dazu Fittkau 2006). Vgl. dazu Ahmad/Rudolph 1999; Gäßler 1995; Sobotta 1992.
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Zweifel an ihren Berichten von Flucht, Vertreibung und Tod führen zu weiteren psychischen Belastungen. Die Rechtfertigungsposition ist eindeutig vorgegeben: Sie sind es, die beweisen müssen, dass sie diejenigen sind, die sie vorgeben zu sein. Die Möglichkeit an dieser Gesellschaft zumindest rudimentär partizipieren zu können – nämlich durch eine sichere und bedarfsgerechte Unterbringung, durch die Möglichkeit einen Arbeitsplatz zu bekommen oder eine Schule besuchen zu dürfen – wird ihnen genommen. Die medizinischen Altersfeststellungen übertreten zudem gravierend die Intimsphäre der jugendlichen Flüchtlinge33, was unter Umständen zu einem Wiederaufflammen zurückliegender Verwundungen führen kann. Vertrauen und Sicherheit, die eigentlich notwendig wären, um sich nach den Erlebnissen zu stabilisieren, können sie in einer solchen Atmosphäre des potenziellen Übergriffs, Misstrauens und verdatender Durchleuchtung kaum entwickeln. Wird ihr Alter auf 16 oder höher geschätzt, sind sie asylmündig, das heißt, dass sie ihr Asylverfahren ohne Rechtspfleger durchführen müssen. Auch entfällt oftmals die Hilfe und Unterstützung eines Vormundes. Diese auch für erwachsene Personen nicht einfache Situation trifft unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ungleich härter: Wer würde sich in kürzester Zeit in fremder Umgebung mit diesen Hintergründen auch noch alleine im Dickicht eines solchen Asylrechts zurechtfinden? Untergebracht werden die jugendlichen Flüchtlinge in der Regel mit erwachsenen Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften, die zumeist am Rande der Städte oder auf dem Land gelegen sind. Abgesehen von der Struktur, wie von Besetzungs- und Finanzlagen dieser Einrichtungen, haben junge Flüchtlinge schon allein durch die räumliche Situierung kaum Möglichkeiten, gesellschaftlich zu partizipieren. Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Vergangenheit und bei der Planung ihrer Zukunft ist so kaum zu erwarten. Ihr ‘besonderer Hilfebedarf’ findet keine Beachtung. Bei unbegleiteten jungen Flüchtlingen entfällt ab 16 Jahren der Abschiebungsschutz. Erich Peter weist darauf hin, dass sie grundsätzlich zur Sicherstellung der Abschiebung auch in Haft genommen werden dürfen (vgl. Peter 2001: 194). In Abschiebehaft sind Flüchtlinge – nicht selten monatelang – interniert, obwohl sie keine Straftat begangen haben – ohne rechtliche Vertretung. Als ‘Alternative’ zur Abschiebehaft wurden sogenannte „Ausreisezentren“ geschaffen, in denen gleichermaßen 16- bis 18-jährige Flüchtlinge untergebracht werden. Diese Art der Unterbringung ist für Flüchtlinge gedacht, deren Herkunft nicht geklärt ist und die aufgrund fehlender Papiere nicht abgeschoben werden können. Aufgrund der Ausweglosigkeit ihrer Lebensperspektive in Deutschland 33
Vgl. dazu die Berichte bei Kleffner 1999 und Dethloff/Neumann 2004.
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sollen sie dort „in eine gewisse Form der Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit geführt werden“ wie der Leiter für Flugabschiebungen Dietmar Martini Emden erklärte (vgl. Martini Emden 2002), die sie letztlich dazu bringen soll, Deutschland ‘freiwillig’ zu verlassen. Ab dem 16. Lebensjahr erhöht sich zudem die Gefahr einer „Rückführung“ in ein „sicheres Drittland“. So können Minderjährige, die über 16 Jahre alt sind, etwa nach Italien zurückgeführt werden, wenn sie erstmals über dieses Land nach Europa eingereist sind. Wird ein Jugendlicher dorthin zurückgeschoben, wird noch nicht einmal überprüft, inwiefern er dort auch bedarfsgerecht untergebracht wird. Aus Furcht vor einem Leben in den „Ausreisezentren“, vor Abschiebung, Rückführung und Abschiebehaft wählen einige minderjährige Flüchtlinge eine Flucht in die Illegalität. Mit diesem Schritt verlieren sie dann jedes Anrecht auf Lebensunterhaltssicherung, auf medizinisch-gesundheitliche Versorgung, auf Erziehung, auf Bildung, auf Rechtsbeistand. Wie sich zeigt, ist es ein nicht unerheblicher Unterschied, ob ein alleinreisender Flüchtling 15 oder 16 Jahre alt ist – oder dafür gehalten wird – wenn er noch halbwegs unversehrt dieses Land betritt.
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Ausblick
Eine zunehmende Verdatung wie biologische Herleitung von Alter ist mehr als problematisch für die In- wie Exkludierten. Auch und insbesondere für jugendliche Flüchtlinge hat diese Entwicklung schwerwiegende Folgen. Es ist offensichtlich, dass die letztlich kostensparende Methode des ‘Ältermachens’ von jugendlichen Flüchtlingen faktisch einen gesellschaftlichen Ausschluss bedeutet und dass ihnen auf diese Weise jede Partizipation unmöglich gemacht wird. Altersfeststellungen sind nur ein Bestandteil der aktuellen deutschen Flüchtlingspolitik. Andere Verfahren wie Abschiebungen, Abschiebehaft, die Einrichtung von „Ausreisezentren“ wie auch Kettenduldungen etc. stellen andere Abwehrstrategien dar.34 Zentral am Kontext Altersfeststellung selbst scheinen uns mittels der Variable Geburtsdatum fundierte biologisch-soziale Normen zu sein, auf die in der Praxis zurückgegriffen wird – sowie ihre Entstehung im Kontext anthropo- wie
34
Es sei hier darauf hingewiesen, dass sich mittlerweile jugendliche Flüchtlinge zusammengeschlossen haben, um gegen ihren Ausschluss und für eine Verbesserung ihrer rechtlichen Situation mit ihren Mitteln zu kämpfen – und damit an die Öffentlichkeit gehen (vgl. http://www.hier.geblieben. net/download/Karlsruhe%20Doku%201.pdf, 10.11.2006)
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biometrischer Datenerhebung.35 Die amtliche Altersvariable wie ihre administrative Feststellung anhand von über 200-jährig akkumulierten biologischen und sozialen Normen bildet ein wichtiges Scharnier der Behandlung des Fremden und des Eigenen, des Nomadischen und des Sesshaften, des Anderen und des Gleichen. ‘Jugend’ stellt dabei heutzutage nicht nur in Fragen temporaler, migrantischer In- oder Exklusion in den Bevölkerungskörper ein Problem dar, auch einheimische In- und Exklusionsprozesse verlaufen zusehends über diese Währung und Vermittlung. Die Relevanz des Alters trifft so die biopolitisch regulierte, inkludierte Bevölkerung, wie sie als Kriterium zur In- oder Exklusion schutzsuchender Flüchtlinge dient. Die migrantischen Altersfeststellungspraktiken markieren die Spitze eines biopolitischen Problemfelds – mit unübersehbaren wie gravierenden Folgen für jugendliche Flüchtlinge. In bevölkerungspolitisch problematischen Zeiten, wenn für die Mehrheitsgesellschaft kontrafaktisch eine bestimmte Form von Jugend zur Norm zu gerinnen scheint, stellt migrationspolitisch die Konstruktion der Phänomene Alter, Kindheit und Jugend in biologischer, sozialer wie juridischer Hinsicht einen nicht zu unterschätzenden (bio-)politischen Einschnitt zu Beginn des ambivalenten Prozesses der abendländischen Moderne und der Entwicklung der Nationalstaats, wie dessen Ein- und Ausschlussmechanismen dar. Diese biopolitischen Konstrukte in ihren historischen Verbindungen zum Problem Migration sowie zu den Ein- und Ausschlussprozessen bedürfen – hier nur skizziert – dringend weiterer theoretischer wie praktischer Auseinandersetzung. Gerade die aktuelle Lage jugendlicher Flüchtlinge dürfte dies mehr als deutlich machen.
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Die Geschichte forensischer wie medizinischer Anthropometrie ist hierbei in unseren Augen nicht zu separieren, beide sind auf einem einzigen, weitergehenden biopolitischen Dispositiv angesiedelt.
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Teil II Ausgrenzung und Integration
Armut bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Carolin Butterwegge
Armut und soziale Deprivation von Kindern und Jugendlichen sind in Deutschland zwar keine historisch unbekannten Probleme, haben aber ein erhebliches Ausmaß angenommen, wie die insbesondere während der 1990er-Jahre gestiegene Kinderarmutsquote1 belegt (vgl. Fertig/Tamm 2005: 240). Seit Hauser (1989: 126) die „Infantilisierung“ als neuen Armutstrend bezeichnete, ist dieser durch umfangreiche Forschungen dokumentiert worden.2 Die sich besonders in benachteiligten Stadtgebieten abzeichnende Kinderarmut wird in der Regel als relative und nicht als absolute Armut beschrieben, weil sie sich nicht in die physische Existenz bedrohenden Notlagen (wie in sogenannten Entwicklungsländern), sondern als differenziell benachteiligte Lebenslage in Relation zu gesellschaftlichen Einkommens- und Versorgungsstandards manifestiert (vgl. Reißlandt/Nollmann 2005). Mit Blick auf physische und psychosoziale Notlagen von auf der Straße lebenden Jugendlichen (auch mit Migrationshintergrund) und von ausländischen Familien mit ungesichertem bzw. fehlendem Aufenthaltsstatus könnte die These ausschließlich relativer Armut sicherlich hinterfragt werden (vgl. Schönig 2005), was aber eine andere Fragestellung wäre. 1
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Diese weist den Anteil von Kindern und bis 17-jährigen Jugendlichen an allen unter 18-Jährigen aus, die in Familien mit einem Einkommen unterhalb der jeweils genutzten Armutsgrenze leben. In Anlehnung an die UN-Kinderrechtskonvention und den englischen Sprachgebrauch, der mit children auf alle Minderjährigen abhebt, werden bis zu 17-jährige Kinder und Jugendliche in sogenannten Kinderarmutsquoten eingerechnet und auch im Folgenden der besseren Lesbarkeit halber gelegentlich ‘Kindern’ zugerechnet. Bis in die 1990er Jahre galt in der Regel die Hälfte des durchschnittlichen (nach der alten OECD-Skala gewichteten) sogenannten Haushaltsäquivalenzeinkommens als Armutsgrenze. Inzwischen hat sich, so auch im 2. Armuts- und Reichtumsbericht, eine Armutsschwelle von 60 Prozent des (nach der neuen OECD-Skala gewichteten) Medians des Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens durchgesetzt, was im Jahr 2003 einem monatlichen Einkommen von € 938 für eine alleinstehende Person entsprach. Vgl. BMGS: Lebenslagen in Deutschland. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht. Anhänge. Berlin 2005, Anhang X – Ergebnisse im Überblick: 86. Vgl. Bieligk 1996; BMFSFJ 1998: 90ff.; Mansel/Neubauer 1998; Klocke/Hurrelmann 2001; Butterwegge 2001; ders. u. a. 2003; Chassé u. a. 2003; Holz u. a. 2000a/2000b; Holz/Skoluda 2003; Holz u.a. 2005; APuZ 2006.
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Kinderarmut im Sinn familiärer Einkommensarmut manifestiert sich jedoch in sozialen, kulturellen und gesundheitlichen Benachteiligungen eines Kindes sowie in dessen defizitärer materieller Grundversorgung. Die individuellen Auswirkungen von Kinderarmut sind damit viel facettenreicher, als es rein auf Einkommensarmut abhebende Armutskonzepte abbilden könnten (vgl. Holz u. a. 2005: 34ff.), weshalb sich in der Armutsforschung Lebenslagenansätze etabliert haben, die Armut als Unterversorgung in zentralen Lebensbereichen (Wohnen, Bildung, Gesundheit) begreifen. Gleichwohl wird die gestiegene Armut von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Folgenden als eine spezifische, ethnisch aufgeladene Ausprägung infantilisierter, relativer Armut begriffen, als ein facettenreiches Phänomen mithin, das kontextuell in soziale Polarisierungsprozesse (Zunahme von Reichtum, Armut und sozialer Ausgrenzung) in der Gesellschaft eingebettet ist. Schon allein, weil verschiedene wissenschaftliche Armutskonzepte und indikatoren miteinander konkurrieren, ist das Ausmaß der Armut von Kindern und Jugendlichen in Deutschland kaum präzise auszuweisen; es lassen sich aber Entwicklungstendenzen nachzeichnen. So stieg die Ende der 1980er-Jahre auf einem Tiefststand von 4,5 Prozent liegende Kinderarmutsquote in Westdeutschland (berechnet als Anteil von Kindern in Familien mit weniger als der Hälfte des Durchschnittseinkommens) danach erheblich und blieb von 1994 bis 1998 unter einigen Schwankungen auf hohem Niveau um 8 Prozent stabil (vgl. Corak u. a. 2005: 6). Nach einem zwischenzeitlichen Rückgang auf 6 Prozent 1999 kletterte sie mit fast 10 Prozent 2001 auf einen historischen Höchststand in Westdeutschland. Klocke und Hurrelmann (2001c: 296) bezeichneten dies als eine „Sockelarmut“ bei Kindern und Jugendlichen in den 1990er-Jahren. Nimmt man das Sozialhilferisiko als Armutsindikator und schlüsselt es nach Altersgruppen auf, zeigt sich für Unter-18-Jährige mit rund 7 Prozent eine doppelt so hohe Empfängerquote wie im Bevölkerungsdurchschnitt (für Ende 2003), gleichzeitig stellten sie mit 1,1 Millionen das Gros der SozialhilfeempfängerInnen und ihre Armutsrisikoquoten stiegen, je jünger die Altersgruppe war (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) 2005: 60). Seither gibt es keinen Grund zur Entwarnung: Im Jahr 2005 hat sich die Zahl von auf Sozialhilfeniveau lebenden Kindern durch die Einführung des Arbeitslosengeldes II und die Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme auf 1,7 Millionen (14,2 Prozent) erhöht, schätzte der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (vgl. DPWV 2005: 22f.). Die Armut von Kindern und Jugendlichen habe hierzulande „eine historisch neue Dimension und eine neue Qualität erreicht“; nicht nur die Größenordnung des Problems sei neu, sondern „auch die Tatsache, dass diese Rekordkinderarmut mit Inkrafttreten von Hartz IV quasi über Nacht entstand“ (ebd.: 4). Im Juni des Folgejahres lebten nach Angaben
Armut bei Kindern und Jugendlichen
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der Bundesagentur für Arbeit bereits 1,89 Mio. Unter-15-Jährige in SGB-IIBedarfsgemeinschaften (vgl. Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) 2006: 2); rechnet man Kinder aus Asylbewerberleistungsempfänger- und Sozialhilfehaushalten und in verdeckter Armut hinzu, ergibt sich eine geschätzte Größenordnung von 2,5 Mio. armen Minderjährigen (Deutscher Kinderschutzbund 2006).
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Armutsrisiken und -risikogruppen bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationhintergrund
Neben Kindern und Jugendlichen von Alleinerziehenden, Arbeitslosen und solchen aus kinderreichen Familien identifizierte die Armutsforschung ausländische Kinder schon früh als besonders von Armut gefährdete Gruppe innerhalb der Minderjährigen. 1998 resümierte der Zehnte Kinder- und Jugendbericht (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 1998: 91), dass ausländische Familien generell von kurz- und längerfristiger Armut stärker als deutsche betroffen seien, was sich sowohl in dem mit 30 Prozent sehr hohen Ausländeranteil minderjähriger SozialhilfeempfängerInnen (1993) als auch in den mit rund einem Drittel ebenso hohen relativen Kinderarmutsquoten bemerkbar machte. Dies bestätigen auch die Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung aus den Jahren 2001 und 2005 (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) 2001a: 208; BMGS 2005: 201). Wenngleich nichtdeutsche Kinder und Jugendliche somit unbestritten zu den armutsgefährdetesten Gruppen innerhalb der Minderjährigen zählen, ist die Forschungslage zu ihrer spezifischen Armutsbetroffenheit keineswegs weit gediehen. Noch weniger sind das Ausmaß, migrationsspezifische Erscheinungsformen, Ursachen, Einflussfaktoren und Bewältigungsstrategien von familiärer Armut und kindlichen Belastungen für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund erforscht. Diese Erkenntnislücken resultieren primär aus der mangelhaften Präzision amtlicher Statistiken und vieler Untersuchungen, die allein die Staatsangehörigkeit, nicht aber eine familiäre Migrationsgeschichte, das Geburtsland oder die Sprachpraxis in Familien ausweisen – was der gewachsenen Pluralität von Migrationsformen in Deutschland, darunter etwa (statusdeutsche aber zugewanderte) AussiedlerInnen, Eingebürgerte und eine wachsende Zahl binationaler Ehen, immer weniger gerecht wird. Statistische Informationen zum genauen Anteil einzelner Herkunftsnationalitäten, Aufenthaltsstatus und Aufenthaltsdauer oder familiären Sprachpraxen sind überwiegend für
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größere ausländische Migrantengruppen aus den ehemaligen Anwerbeländern3 verfügbar. Hinzu kommt, dass die Mehrzahl wissenschaftlicher Studien lediglich zwischen Deutschen und AusländerInnen differenzieren, nicht aber einzelne Herkunftsgruppen von MigrantInnen unterscheiden.4 Die Zahl von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund lässt sich nur annähernd ermitteln, zumal die Größenordnung von hierzulande aufhältigen, ‘papierlosen‘ MigrantInnen und TouristInnen unbekannt ist. Erstmals für 2005 wies der Mikrozensus für 15,3 Mio. oder 19 Prozent der Bevölkerung in Deutschland einen sog. Migrationshintergrund nach, 8 Mio. bzw. 52 Prozent davon waren Deutsche mit Migrationshintergrund (Eingebürgerte, SpätaussiedlerInnen und die zweite Generation) und 7,3 Mio. bzw. 48 Prozent AusländerInnen (vgl. Statistisches Bundesamt StBA, 2006b: 76). Das bereinigte Ausländerzentralregister bezifferte indes die Ausländerzahl für Ende 2005 auf 6,76 Mio. (vgl. StBA 2006c). Schätzungsweise 30 Prozent der in Deutschland aufwachsenden Kinder und Jugendlichen stammen aus Familien mit einer Migrationsgeschichte; in westdeutschen Großstädten beträgt ihr Anteil an 15-Jährigen sogar bis zu 40 Prozent (vgl. Bundesintegrationsbeauftragte 2005: 25). Die repräsentative Internationale Schulleistungsstudie PISA (vgl. 2000: 343) wies rund 30 Prozent der NeuntklässlerInnen hierzulande als ‘Jugendliche mit Migrationshintergrund’ (also mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil) aus, worunter die größte Gruppe mit 38 Prozent aus Spätaussiedlerfamilien kamen. Unter ausländischen Kindern und Jugendlichen bilden türkische Minderjährige mit einem Viertel die größte Gruppe, ein weiteres Viertel ist BürgerIn eines EUAnwerbestaates (Italien, Griechenland, Spanien und Portugal für 2003, vgl. Bundesintegrationsbeauftragte 2005: 314); beide Gruppen sind weitgehend der zweiten bzw. dritten Generation zuzurechnen. Die ‘übrigen’ AusländerInnen haben eine Vielzahl von Staatsbürgerschaften, darunter jene der Russischen Förderation, des ehemaligen Jugoslawiens und von Ländern des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas. Rund 1,08 Mio. bzw. fast 15 Prozent aller Nichtdeutschen zählten Ende 2003 zu Flüchtlingen, Asylsuchenden oder deren Familienangehörigen; bei der Mehrzahl handelte es sich um Frauen und Kinder (Bundesamt 2004: 76 f.).
3
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Mit ca. 1,8 Mio. die größte Gruppe bilden nach wie vor Zuwanderer aus der Türkei, jene aus Italien sind mit 600.000 die zweitgrößte Gruppe, es folgen Zuwanderer aus Griechland mit 350.000; Kroatien mit 236.000, Portugal mit 130.000 und Spanien mit 126.000 Menschen; vgl. BMGS 2005: 159. Zu Ausnahmen vgl. die sogenannte AWO-ISS-Studie (Holz u. a. 2000a/2000b, 2005); BoosNünning 2005; Boos-Nünning/Karakaolu 2005; BMAS 2002.
Armut bei Kindern und Jugendlichen
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Unabhängig davon, welche Armutsindikatoren und Datenquellen herangezogen werden, zeigt sich, dass nichtdeutsche Kinder und Jugendliche nach wie vor einem erheblich höheren Armutsrisiko als deutsche Vergleichskohorten ausgesetzt sind. Der Erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (vgl. BMAS 2001b: 271) belegt, dass die Zahl ausländischer Kinder und Jugendlicher im Sozialhilfebezug von rund 57.000 im Jahr 1985 auf einen Höchststand von 272.000 1992 zunahm und bis 1998 auf 240.000 sank. Der Rückgang setzt sich seither fort; am Jahresende 2004 lebten noch 217.000 ausländische Minderjährige von laufenden Sozialhilfeleistungen (StBA 2006a: 14), womit sich deren Gesamtzahl seit 1985 insgesamt mehr als verdreifacht hat. Die höheren Sozialhilferisiken ausländischer Kinder und Jugendlicher zeigen sich zwar für alle Altersgruppen, sind aber (ebenso wie bei deutschen) bei den Jüngsten am ausgeprägtesten (StBA 2006a: 26). Je nach Altersgruppe lag ihre Sozialhilfequote im Jahr 2004 zwei bis drei Mal so hoch wie jene der deutschen Vergleichsgruppe: Am höchsten war sie mit 24 Prozent bei bis zu 3-jährigen ausländischen (und 11 Prozent bei deutschen) Kindern; bei 3- bis 7-jährigen ausländischen Kindern betrug sie rund 18 Prozent (8 Prozent bei deutschen) und bei 15- bis 18-Jährigen lag sie mit rund 13 Prozent (bzw. 4 Prozent bei deutschen) am niedrigsten. Gleichermaßen alarmierend sind die Befunde, wenn die Armutsquoten von Migrantenkindern mittels des Anteils aller Minderjährigen in Haushalten mit weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens im Zeitverlauf ausgewiesen werden. Laut Corak u. a. (vgl. 2005: 8) kann die während der 1990er-Jahre in Westdeutschland insgesamt zu beobachtende Zunahme von Kinderarmut weitgehend auf einen Anstieg der Armutsquoten von Kindern mit Migrationshintergrund zurückgeführt werden: Während die Kinderarmutsquote insgesamt von 7,7 Prozent im Jahr 1991 um 2,5 auf 10,2 Prozent 2001 leicht zunahm, erhöhte sie sich unter deutschen Kindern nur geringfügig um 0,5 auf 8,1 Prozent, verdreifachte sich allerdings bei den ausländischen Kindern von 5 auf 15 Prozent. Allerdings verbergen sich hinter diesem starken Anstieg der Kinderarmut bei MigrantInnen höchst unterschiedliche Betroffenheitsrisiken, die Zusammenhänge etwa mit dem familiären Zuwanderungszeitpunkt aufweisen. Corak u. a. (vgl. 2005: 8) zeigten sogar, dass die Kinderarmutsquote in Haushalten von ArbeitsmigrantInnen aus Anwerbeländern von 1995 bis 2001 um rund 2 auf 9 Prozent sank, während Kinder aus Haushalten neuerer (vor allem osteuropäischer) Einwanderungskohorten mit 20 Prozent (1996) und 17 Prozent (2001) das mit Abstand höchste Armutsrisiko unter Kindern Zugewanderter trugen (vgl. auch Sterbling 1998; Dietz 1999).
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Schließlich sind Kinder und Jugendliche aus asylsuchenden Familien und Flüchtlingsfamilien mit prekärem oder fehlendem Aufenthaltsstatus die Gruppen unter den Migrantenkindern, welche die höchsten Armutsrisiken tragen (vgl. Angenendt 2000; Holzapfel 1999). Die Zahl von Flüchtlingen und Asylsuchenden, welche die um rund ein Drittel unter dem (im Eckregelsatz festgeschriebenen) soziokulturellen Existenzminimum liegenden laufenden Unterhaltsleistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten, stieg seit der Einführung dieser ‘migrantenspezifischen Säule’ des sozialen Sicherungssystems 1993 auf einen Höchststand von 490.000 im Jahr 1996. Seither sinkt ihre Zahl kontinuierlich, vornehmlich bedingt durch eine zurückgehende Asyl- und Flüchtlingszuwanderung sowie die Rückkehr von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien (vgl. StBA 2006a: 18). Ende 2004 bezogen noch 230.000 Personen Asylbewerberleistungen; fast ein Drittel (84.000) davon waren minderjährig, rund 32.000 (14 Prozent) unter 7 Jahren und weitere 18.000 (8 Prozent) zwischen 7 und 11 Jahren (vgl. StBA 2006a: 19). Mit der Ausdehnung des gesetzlich vorgeschriebenen Adressatenkreises durch das Anfang 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz dürfte sich diese Zahl wieder erhöht haben (vgl. Classen 2005: 57ff.).
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Armutsrisiken verschiedener Migrantengruppen
Obgleich eine staatliche Armutsberichterstattung bis 2001 fehlte, ist die Prekarisierung der Einkommenslagen von MigrantInnen in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre in einer Vielzahl von Armutsuntersuchungen, insbesondere von Wohlfahrtsverbänden, dokumentiert worden.5 AusländerInnen zählen neben Alleinerziehenden inzwischen zu den (Kinder-)armutsgefährdetesten Bevölkerungsgruppen in Deutschland.6 Die verbreitete These pauschal größerer Armutsrisiken von MigrantInnen (Bremer 2000: 108ff.) erscheint gleichwohl nur auf den ersten Blick plausibel – wenn allein das seit den 1980er-Jahren erheblich gestiegene Armutsrisiko von AusländerInnen in den Blick genommen wird. So verdoppelte sich die Armutsrisikoquote der ausländischen Bevölkerung in Westdeutschland von 10,6 (1985) auf 21,9 Prozent (1996), sank danach aber wieder erheblich auf 14,4 Prozent (1998), nahm also über den gesamten Zeitraum um 3,8 Prozent zu (vgl. BMAS 2001b: 269). Bis 2003 stieg sie (hier für das gesamte Bundesgebiet) von 19,6 auf 24 Prozent und lag damit deutlich über jener der Gesamtbevölkerung von 15,4 Prozent (vgl. BMGS 2005: 166). 5
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Vgl. Hanesch u. a. 1994: 291/2000: 390ff.; Büchel u. a. 1997; Hübinger u. a. 1995; Seifert 2001; Bremer/Gestring 2004 Vgl. BMGS 2005: 166ff.; Bremer 2000; Boos-Nünning 2001/2005
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Armut und Niedrigeinkommensverhältnisse sind bei MigrantInnen damit nach wie vor verbreiteter als bei Deutschen. Die in den 70er- und 80er-Jahren konstatierte „ethnische Unterschichtung“ (Hoffmann-Nowotny 1973: 51; Esser 1980: 123) der deutschen durch die ausländische Bevölkerung (aus den ehemaligen Anwerbeländern) ist zwar immer noch eine dominante, aber längst nicht mehr die einzige Entwicklung. Dies ist mehreren Gründen geschuldet. So hat sich das Migrationsgeschehen etwa durch die Förderung der Zuwanderung Hochqualifizierter erheblich ausdifferenziert, ebenso die Einkommenslagen der früher angeworbenen ‘GastarbeiterInnen’, bei deren Nachkommen zum Teil durchaus eine soziale Aufwärtsmobilität zu verzeichnen ist. Hinzu kommt das Faktum, dass neue Migrantengruppen an die unterste Stelle der Einkommenshierarchie getreten sind, die allerdings vom haushaltsbezogenen SOEP oder anderen Datenquellen nur unzureichend (am ehesten noch in der Kategorie der DrittstaatlerInnen) erfasst werden. Bei diesen am stärksten von Armut bedrohten Gruppen innerhalb der Bevölkerung mit Migrationshintergrund handelt es sich um in Sammelunterkünften lebende, meist neu eingereiste Asylsuchende, um auf den Asylbewerberleistungsbezug verwiesene Flüchtlinge mit prekärem Aufenthaltsstatus (zum Beispiel mit dem befristeten Status der Duldung) sowie um ‘illegale’ MigrantInnen (vgl. Hanesch 2000: 429f.), zu denen allerdings kaum gesicherte Erkenntnisse vorliegen, etwa im Hinblick auf die Größenordnung von Kindern und Jugendlichen ohne Aufenthaltspapiere. Die Armut solcher MigrantInnen mit prekärem oder fehlendem Status basiert zumindest bei den zuerst Genannten auf ihrer aufenthaltsrechtlichen Schlechterstellung durch das Asylbewerberleistungsgesetz, weshalb dies zu Recht als „staatlich verursachte Armut“ (Boos-Nünning 2001: 156) oder „Armut per Gesetz“ bezeichnet wird. Bei der Betrachtung sogenannter Armutsrisikogruppen (als besonders von Armut bedrohten Gruppen) unter MigrantInnen konstatiert der Zweite Armutsund Reichtumsbericht, dass Zuwanderer aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien die größten und zugleich am längsten dauernden Armutsrisiken tragen und dass auch unter SpätaussiedlerInnen jede/r Vierte in Einkommensarmut lebte (vgl. BMGS 2005: 166 f.). Tucci und Wagner (2005: 82ff.) zeichneten für 2002 nach, dass die zweite Generation mit 34 Prozent das höchste Armutsrisiko trug. Die zweithöchsten Risiken hatten AusländerInnen aus nichtwestlichen Ländern mit 33 Prozent, es folgten AussiedlerInnen mit 25, Eingebürgerte mit 18, Deutsche mit 13 und AusländerInnen aus westlichen Ländern (EU-15 und andere) mit 11 Prozent. In Bezug auf soziodemografische Merkmale trugen insbesondere Jüngere und Ältere sowie Frauen mit Migrationshintergrund ein wachsendes Armutsrisiko.
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Polarisierung der Einkommenslagen von Zugewanderten
Im Zuge fortschreitender sozialstruktureller Differenzierungs- und Globalisierungsprozesse bildet sich seit langem eine wachsende Polarisierung von Einkommens- und Vermögenslagen und damit eine Spaltung der Gesellschaft in arme und reiche Bevölkerungsgruppen heraus (vgl. Butterwegge 2006:63ff.; Mansel/Heitmeyer 2005). Daten des Sozioökonomischen Panels7 belegen diese seit Mitte der 1980er-Jahre beobachtbaren Polarisierungstendenzen in Einkommens- und Vermögenslagen nicht nur für die deutsche Bevölkerung (vgl. StBA 2004: 624), sondern auch zwischen AusländerInnen und Deutschen sowie zwischen AusländerInnen untereinander. So bestätigte der Erste Armuts- und Reichtumsbericht (vgl. BMAS 2001b: 269) für 1985 bis 1998 nicht nur einen Zuwachs der Anteile einkommensarmer (um 4 auf 17 Prozent), armutsnah lebender (um 7,7 auf 31 Prozent) und einkommensreicher AusländerInnen (um 0,8 auf 1,6 Prozent), sondern auch einen Rückgang bei ausländischen Wohlhabenden um 1,2 auf 8 Prozent. Mehrfach belegt worden ist, dass die Einkommenssituation von Zugewanderten maßgeblich von ihrem Herkunftsland und weiteren migrationsspezifischen Einflussfaktoren abhängt. Laut des Datenreports (vgl. 2004: 581) erzielten im Jahr 2001 allein MigrantInnen aus den damaligen EU-Staaten mit jenen Westdeutscher vergleichbar hohe Bruttoeinkommen, während türkische Einwanderer, AussiedlerInnen und Zugewanderte aus Ex-Jugoslawien deutlich niedrigere Einkünfte hatten. Der Folgedatenreport (vgl. 2006d: 566) dokumentierte indes monatliche Haushaltsäquivalenzeinkommen und wies aus, dass MigrantInnen aus Südwesteuropa (Griechenland, Italien, Portugal und Spanien mit 1.110 €) ein leicht unter jenem der Deutschen (1.360 €) liegendes Einkommen erzielten, noch niedriger war es bei AussiedlerInnen (940 €), MigrantInnen aus Ex-Jugoslawien (879 €) sowie aus der Türkei (850 €). Eine „starke, auf Herkunft basierende Polarisierung der Einkommenslagen“ unter MigrantInnen – die sich unter anderem darin zeigt, dass einzelne, privilegierte Migrantengruppen systematisch von der Mehrheit armutsnah lebender Einwanderer unterschieden werden können – bestätigt ein Gutachten Tucci und Wagners (auch zum Folgenden: vgl. 2005: 84) für den Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht. Im Jahr 2003 erzielten die mit Abstand höchsten Einkommen Zuwanderer aus anderen (als den im Folgenden genannten) westlichen Ländern; sie waren häufiger als gebürtige Deutsche im höchsten und seltener im niedrigs7
Die in Privathaushalten erhobene Zuwandererstichprobe des SOEP war bis zum Jahr 2005 die einzige Datenquelle, die Zuwanderer differenziert nach Migrationshintergrund auswies, sodass auch SpätaussiedlerInnen und Flüchtlinge erfasst wurden. Seither ist auch der Mikrozensus verändert worden, erste Auswertungen sind allerdings erst 2007 zu erwarten.
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ten Einkommensquintil anzutreffen. AusländerInnen aus Italien, Spanien, Portugal und Griechenland waren in den beiden höchsten und im mittleren Segment relativ stark und im untersten Quintil kaum vertreten, womit sie insgesamt im Mittelfeld der Einkommensverteilung lagen. Schließlich waren Zuwanderer der zweiten Generation, hier auf ‘im Inland geborene AusländerInnen’ unter 36 Jahren sowie deren Nachkommen eingegrenzt, mit fast 30 Prozent stärker als andere Migrantengruppen (mit Ausnahme jener aus westlichen Ländern) in den beiden höchsten Quintilen vertreten, mit ca. 28 Prozent aber auch fast ebenso häufig im untersten Segment anzutreffen wie Zuwanderer aus dem ‘ehemaligen Ostblock’ und AussiedlerInnen. Die zweite Generation war dort zudem mit einem geringeren Anteil vertreten als Zuwanderer aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien (über 40 Prozent) sowie aus Drittländern (mehr als die Hälfte). Die zuletzt genannten Gruppen wiesen überdies die geringste Repräsentanz im obersten Quintil auf. Diese Befunde deuten nicht nur auf herkunfts(land)abhängige Einkommenslagen und Armutsrisiken innerhalb der zugewanderten Bevölkerung, sondern überdies auf die Einflüsse der Aufenthaltsdauer, des ausländerrechtlichen Status und der damit verbundenen Teilhaberechte (etwa im Zugang zum Arbeitsmarkt oder wohlfahrtsstaatlichen Leistungen) hinsichtlich der Einkommensgenerierung hin: Mit Ausnahme der zweiten Generation und statusdeutschen SpätaussiedlerInnen, die über relativ kurze Aufenthaltszeiten verfügen, zeigen alle Migrantengruppen mit gesichertem Status (etwa als freizügigkeitsberechtigte EU-BürgerInnen) große Anteile in hohen und jene aus EU-Drittstaaten, wie der Türkei und Ex-Jugoslawien, große Anteile in niedrigen Einkommensbereichen. Die Einkommenslagen von MigrantInnen können damit als ein breiter gewordenes Spektrum begriffen werden, an dessen Extrempolen – insbesondere in materieller Armut, vermehrt aber auch im Reichtum – tendenziell mehr Zuwanderer als früher leben: Während sich die Einkommen von MigrantInnen aus westlichen Industrie- und EU-Ländern an jene Einheimischer angleichen (sich also auch in hohen Lagen sammeln), ist am unteren Ende die Konzentration einer höchst heterogenen Gruppe zu beobachten: Die Migrantengruppen mit den niedrigsten Einkommen, also EU-DrittstaatlerInnen, Zugewanderte aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien, AussiedlerInnen sowie andere MigrantInnen aus Ländern des ehemaligen ‘Ostblocks’ sind häufig erst während der 1990er-Jahre zugewandert. Sie verfügen über keine, niedrige oder nicht anerkannte Berufsqualifikationen, geringe Deutschkenntnisse oder einen ungesicherten Aufenthaltsstatus mit nachrangigem oder keinem Arbeitsmarktzugang. Es kann daher mit Blick auf die höchst unterschiedlichen Einkommensund Armutstendenzen innerhalb der allochthonen Bevölkerung zur sozioökonomischen Situation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
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resümiert werden, dass die These einer ethnischen Unterschichtung der deutschen durch die ausländische Bevölkerung schon lange keine zutreffende Charakterisierung mehr ist. Ebenso wenig ist das Bild einer einfachen Ethnisierung der (Kinder-)Armut in Deutschland vollumfänglich geeignet, sodass nach weiteren Erklärungen zu suchen ist. Vielmehr zeichnet sich die bei der einheimischen Bevölkerung zu beobachtende Polarisierung der Einkommensverhältnisse ebenso innerhalb der allochthonen Bevölkerung ab. In diesem Zusammenhang zeigt sich daher in gewisser Weise eine zweite Form der ethnischen Unterschichtung innerhalb der Migrantengruppen selbst, was besonders für Kinder und Jugendliche türkischer oder jugoslawischer Nationalität und für jene mit prekärem bzw. fehlendem Aufenthaltsstatus mit beträchtlichen Armutsrisiken verbunden ist. Kinder und Jugendliche aus diesen Migrantenfamilien sind in entwicklungsrelevantem Alter erheblichen Risiken ausgesetzt, in einem durch Armut belasteten familiären (und Wohn-)Umfeld aufzuwachsen, das unter anderem ihre späteren Bildungschancen minimiert.
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Einflussfaktoren für Armutsrisiken von Migrantenkindern
Obwohl die Armutsrisiken von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund seit den 1990er-Jahren erheblich zugenommen haben, sind sie nicht erst seit der jüngeren Asyl- und Aussiedlerzuwanderung zu beobachten. Ihre vielfältigen Ursachen sind deshalb sowohl in migrationshistorischen als auch in jüngeren Prozessen ‘neoliberaler’ Modernisierung zu suchen, die Um- und Abbautendenzen des Wohlfahrtsstaates durch eine Reprivatisierung sozialer Risiken forcieren und eine Infantilisierung bzw. Maternalisierung der Armut von Alleinerziehenden und Kinderreichen begünstigen (vgl. Beisenherz 2002: 54). MigrantInnen sind hiervon tendenziell eher betroffen, weil sie in durchschnittlich größeren Familienzusammenhängen als Deutsche und zudem häufiger von sozialen Transferleistungen wie Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II leben. Die beschriebenen differenziellen Ethnisierungstendenzen der Armut wurzeln in der durch die Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen geprägten Geschichte von Migration und Integration(spolitik) der jungen Bundesrepublik. Sie begünstigte die als ethnische Unterschichtung beschriebene Eingliederung der nur als ‘vorübergehende Gäste’ wahrgenommenen MigrantInnen, die in den 1960/70er-Jahren vor allem in die untersten Ränge der gesellschaftlichen Statushierarchie erfolgte. Weil die Angeworbenen und ihre Familienangehörigen traditionell aus bildungsfernen Milieus kamen, vielfach geringe Deutschkenntnisse aufwiesen und als Un- bzw. Angelernte vornehmlich in industriellen, für Einheimische unattraktiven (weil niedrig entlohnten) Berufen arbeiteten, wurden die hohen Ar-
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mutsrisiken von MigrantInnen lange Zeit kaum problematisiert. Mit der wachsenden Ausdifferenzierung von Migrationsformen und den hohen Armutsrisiken der zweiten, häufig schulisch und beruflich wesentlich qualifizierteren Generation von MigrantInnen stellt sich allerdings erneut die Frage, wie sich die vor allem in den 1990er-Jahren gestiegenen Armutsrisiken der Kinder und Jugendlichen eines bestimmten Migrationshintergrunds generieren. Die Ursachen der gewachsenen Armutsrisiken von Migrantenfamilien werden meist auf deren andere soziodemografische und -ökonomische Merkmale (deutlich jüngere und größere Haushalte, geringere Bildungs- und Berufsabschlüsse), die ‘fremdkulturelle’ Herkunft oder migrationsbezogene individuelle Merkmale wie eine geringe Aufenthaltsdauer oder Deutschkompetenz zurückgeführt (vgl. Bundesintegrationsbeauftragte 2005: 62; BMGS 2005: 167). Wagner (vgl. 1995: 137) wertete niedrigere Qualifikationsniveaus und, damit zusammenhängend, erhöhte Arbeitslosigkeitsrisiken sowie eine größere Kinderzahl in Migrantenfamilien als maßgebliche Einflussfaktoren. Vor allem dem Einfluss der intergenerationalen ‘Vererbung’ von niedriger Bildung und hohen Armutsrisiken beispielsweise in der zweiten und dritten Generation türkischstämmiger Zuwanderer kommt dabei eine hohe Bedeutung zu. Hanesch u. a. (2000: 49) zeigten, dass MigrantInnen unter jenen Gruppen stark vertreten, die auch in der Gesamtbevölkerung ein hohes Risiko tragen, in Armut oder prekärem Wohlstand zu leben. Büchel u. a. (vgl. 1997: 279) hoben hervor, dass der häufigere Sozialhilfebezug von AusländerInnen nicht auf ihre nationale Herkunft, sondern auf ihre schwächere Sozialstruktur zurückzuführen sei, und dass vor allem nach 1984 Zugewanderte sehr hohe Armutsrisiken trügen, die allerdings mit steigender Aufenthaltsdauer schnell und stark abnähmen. Die bisher skizzierten Erklärungsmuster für migrationsspezifische Armutsrisiken erscheinen allerdings als verkürzt, weil sie die komplexen strukturellen Wirkungszusammenhänge auf wenige, überwiegend personale, Einflussfaktoren reduzieren. Soziodemografische und -ökonomische Merkmale der zugewanderten Bevölkerung (deutlich jüngere und größere Haushalte, geringere Bildungsund Berufsabschlüsse) sowie die häufig angeführten sprachlichen ‘(Integrations)Defizite’ einiger Herkunftsgruppen tragen zwar beträchtlich zur Genese erhöhter Armutsrisiken von Kindern mit Migrationshintergrund bei. Dies gilt insbesondere angesichts der sich seit den 1990er-Jahren tendenziell polarisierenden und im unteren Bereich verstärkt prekarisierenden Einkommenslagen von Deutschen und Zugewanderten, die als working-poor häufig Armutslöhne erzielen, welche den Lebensunterhalt (besonders von kinderreichen und alleinerziehenden) Familien kaum mehr sichern. Als alleinige Erklärungsfaktoren reichen diese Merkmale aber bei Weitem nicht aus, weil Armutsrisiken sich stetig neu reproduzieren, indem neue MigrantInnen zuwandern, die zunächst mindere oder
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keine Teilhaberechte etwa im Arbeitsmarkt besitzen oder über ein nur geringes ökonomisch verwertbares soziales und kulturelles Kapital verfügen (vgl. Kristen 2002). Darauf weist auch Boos-Nünning (vgl. 2005: 163ff.) hin, die neben der höheren Arbeitslosigkeit und niedrigeren Erwerbseinkommen die größere Kinderzahl in Migrantenfamilien sowie – und damit setzt sie sich von den auf die Individuen zentrierten Erklärungsmustern ab – die asylrechtliche Zuweisung von Flüchtlingsfamilien in den Asylbewerberleistungsbezug als Ursachen der höheren Armutsbetroffenheit bestimmter Migrantengruppen sieht. Bei der Genese von Armutsrisiken unter Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zeigt sich vielmehr, dass ein ganzes Bündel von individuellen, familiären, sozialräumlichen, institutionellen und anderen makrostrukturellen Einflussfaktoren wirksam werden, deren Wurzeln auf mehreren Ebenen (unter anderem im Arbeitsmarkt, im Bildungssystem und in den entsprechenden Politikfeldern) anzusiedeln sind. Viel ausgeprägter als bei Einheimischen, AussiedlerInnen und Eingebürgerten determinieren bei ausländischen MigrantInnen aber strukturelle, also gesellschaftliche und institutionelle, meist im geltenden Ausländerrecht festgeschriebene Rahmenbedingungen die Einkommens- und Handlungsspielräume, was beim nachrangigen Arbeitsmarktzugang von DrittstaatlerInnen mit prekärem Aufenthaltsstatus (vgl. Hanesch u. a. 2000: 402ff.) und ihrem Zugang zu Sozial- und Asylbewerberleistungen (vgl. Classen 2005) besonders deutlich wird. Für Angehörige einiger ethnischer Gruppen – auch Teilen der zweiten Generation – kommen Mechanismen indirekter Diskriminierung hinzu, die als ‘weiche’ Zugangsbarrieren eine gleichberechtigte Teilhabe etwa im Wohnungs- oder Ausbildungsmarkt erschweren. Diese zeigen sich auch am Beispiel multidimensionaler Ursachen der ethnisierten Bildungsungleichheit (vgl. Diefenbach 2003/2004) bzw. am Beispiel der Entstehung und Reproduktion von Bildungsarmut (vgl. Allmendinger 1999) unter MigrantInnen, der eine hohe Relevanz bei der Vererbung von Armutsrisiken zukünftiger Erwachsenengenerationen zuzuweisen ist. Die Grundlagen hierfür werden häufig bereits bei Vorschulkindern als Auffälligkeiten, unter anderem im kulturellen Bereich8 gelegt und verstärken sich besonders bei armen Kindern mit steigendem Kin8
Für die Bestimmung einer Auffälligkeit im sogenannten kulturellen Bereich untersuchten Hock u. a. (2000a: 36) das Spiel-, Sprach- und Arbeitsverhalten der Kindergartenkinder. Als auffällig zählte jenes Fünftel der Kinder mit den wenigsten Punkten in einem der drei Bereiche. Hinsichtlich des Spielverhaltens wurde bewertet, wie ein Kind spielt (ausdauernd, intensiv, fantasievoll, mit anderen Kindern zusammen), während beim Sprachverhalten erfasst wurde, ob es auf Fragen antwortet, sein Gegenüber dabei anschaut, deutlich und grammatikalisch richtig bzw. verständlich spricht, einen großen Wortschatz hat und Gesprochenes versteht. In Bezug auf das Arbeitsverhalten floss ein, ob ein Kind Anweisungen versteht, schnell oder eher zögerlich mit Aufgaben beginnt und diese zügig, sorgfältig und selbstständig bearbeitet, seine Aufgaben beendet und anderen Kindern hilft oder selbst Hilfe von Erziehern in Anspruch nimmt.
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des- und Jugendalter (vgl. Hock u. a. 2000a; Holz u. a. 2005). Die PISA-Studien haben die Bildungsarmut von Kindern mit Migrationshintergrund – auch wenn sie hierzulande aufgewachsen sind – zuletzt eindrucksvoll untermauert, die sich in der mit rund 19 Prozent nach wie vor sehr hohen Quote ausländischer SchulabgängerInnen ohne Abschluss (vgl. StBA 2006e: 254) und ihrer seit Jahren sinkenden, 2005 bei nur noch 4,6 Prozent aller Auszubildenden liegenden Ausbildungsbeteiligung (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006: 113) fortsetzt. Auch Becker und Lauterbach (2004: 23) sehen Einflussfaktoren für Bildungsungleichheiten auf einer Mikro-, einer Meso- sowie einer Makroebene. Nicht zuletzt ist die Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf die frühe Selektion nach Schulformen (vgl. Auernheimer 2006), auf Mechanismen institutioneller Diskriminierung im Schul- und Ausbildungssystem (vgl. Gomolla/Radtke 2002) sowie auf länderspezifische Schulangebotsstrukturen (vgl. Below 2002/2003; Hunger/Thränhardt 2006) zurückzuführen, und nicht, wie häufig angeführt, allein auf (‘Humankapital’-)Defizite von MigrantInnen (vgl. Kristen 2002). Auch Hanesch u. a. (vgl. 2000: 410ff.) betonen, dass Armutsrisiken Zugewanderter durch eine Vielzahl zusätzlicher, strukturell und aufenthaltsrechtlich verankerter Faktoren beeinflusst sind. Zentrale strukturelle Bedingungsfaktoren für die Genese und Zunahme von prekären Einkommenslagen unter Zuwanderern sind etwa in sozial-, arbeitsmarkt- und migrationspolitischen Reformen zu sehen, wie zuletzt in der „Hartz IV“-Reform und den Neuregelungen im Zuwanderungsgesetz (vgl. Butterwegge/Reißlandt 2005a/2005b; Classen/Rothkegel 2006). Insbesondere das Ausländerrecht bzw. die ihm zugrunde liegenden integrationspolitischen Entscheidungen haben sowohl in der Vergangenheit als auch im beginnenden 21. Jahrhundert entscheidend dazu beigetragen, ein hierarchisch stratifiziertes System der sozialen, arbeitsmarktbezogenen und politischen Teilhaberechte bzw. -chancen von MigrantInnen zu konstituieren und zu stabilisieren (vgl. Mohr 2005: 383), das sich mittelbar in den finanziellen Spielräumen und Einkommenslagen Betroffener niederschlägt. Die spezifischen Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (etwa in den Bereichen Bildung und materieller Grundversorgung) sind daher unter anderem auch ein Resultat der sich wandelnden Ausländer- und Integrationspolitik, die verschiedene Migrantengruppen mit äußerst unterschiedlichen politischen und sozialen (Teilhabe- bzw. Zugangs-)Rechten, etwa in der Inanspruchnahme sozialer Sicherungsleistungen (Sozialhilfe-, Asylbewerberleistungs-, Grundsicherungs- und Arbeitslosengeld II-Leistungen, Kindergeld, Hilfen zu Erziehung etc.), ausstattet. Auch wenn Integrationspolitik sich als eine „die Eigendynamik des Integrationsprozesses nur fördernd begleitende, nicht aber ersetzende Maßnahme“
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versteht (Bade 2005: 219), prägt sie in Verbindung mit sozial- und arbeitsmarktpolitischen Reformen entscheidend die strukturellen Rahmenbedingungen, welche die Handlungsspielräume von Migrantenfamilien determinieren. Denn die ausländer- und asylrechtlichen Bestimmungen geben vor, welche MigrantInnen Deutschen im Arbeitsmarktzugang gleichgestellt sind, welche nur nachrangigen oder keinen Arbeitsmarktzugang erhalten, wer Anspruch auf Integrations- und Sprachförderung sowie Eingliederungshilfen in den Arbeitsmarkt hat und auf welche Flüchtlingsgruppen der Asylbewerberleistungsbezug ausgedehnt wird, wie im Zuwanderungsgesetz Anfang 2005 geschehen. Indem die Migrationspolitik bestimmten Migrantengruppen eine gleichberechtigte Teilhabe an wichtigen Lebensbereichen wie dem Arbeitsmarkt oder dem System der sozialen Sicherung durch rechtliche Zugangsbarrieren verwehrt, ist ihr insbesondere gegenüber „unerwünschten MigrantInnen“ (vgl. Schröder/Sting 2003: 10) ohne dauerhafte Bleibeperspektive in hohem Maße eine Ausgrenzungstendenz inhärent, die ein System sozialer Ungleichheit unter der zugewanderten Bevölkerung entlang ausländerrechtlicher Statusgruppen etabliert hat. Es wurde und wird durch zahlreiche Reformen im Ausländer- und Sozialrecht immer weiter ausdifferenziert und zementiert, wodurch sich ein Spannungsfeld zwischen Integration und sozialer Exklusion konstituiert.
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Sekundärer Rassismus in der Sozialen Arbeit Claus Melter
Die Soziale Arbeit, so ist dem Selbstverständnis ihrer nationalen und internationalen Berufsorganisationen zu entnehmen, setzt sich für Chancengerechtigkeit und gegen Ausgrenzungsverhältnisse ein. So zitiert Engelke (2003) in seinem Überblickswerk „Wissenschaft Soziale Arbeit“ die 2000 in Montreal verabschiedete Definition der International Federation of Social Workers (IFSW), die 450.000 Mitglieder aus 70 Ländern hat, unter anderem auch aus Deutschland: „Grundlage der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit. (…) Soziale Arbeit wendet sich den Barrieren, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, die es in der Gesellschaft gibt, zu. Sie reagiert genauso auf Krisen und Notlagen wie auf alltäglich auftretende persönliche und soziale Probleme.“ (Engelke 2003: 299f.) Dies entspricht auch dem Gesetzesauftrag im achten Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfegesetz). Trotz und mit ihrer Doppelfunktion von Kontrolle und Unterstützung soll die Soziale Arbeit sich für die Interessen ihrer Klientel einsetzen [vgl. Sozialgesetzbuch (SGB VIII) § 1 Abs. 3]. Empirische Untersuchungen kommen jedoch nahezu einhellig zu dem Ergebnis, dass die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland im Bereich ‘Interkulturelle Kompetenz’ großen Nachholbedarf hat (vgl. Beinzger/Kallert/Kolmer 1995; Deniz 2001; Toprak 2001; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2002; Boos-Nünning/Karakaolu 2002). Den ‘interkulturell’ unprofessionellen Handlungspraxen der PädagogInnen entsprechen fast ausschließlich deutschsprachige Arbeitsstrukturen, das Auftragsverständnis der Jugendämter sowie die Einrichtungskonzepte und Leitlinien der Einrichtungen (vgl. Teuber 2002: 75). Trotz langjähriger Fachdebatten um ‘Interkulturelle Kompetenz’ sind die hier erhobenen Forderungen bislang nicht strukturell in der Jugendhilfepraxis umgesetzt worden. Stüwe betont: „Dies ist umso erstaunlicher, da inzwischen die Jugendhilfepraxis durch Leitlinien wie Betroffenenbeteiligung, Empowerment und Lebenswelt- und Ressourcenorientierung geprägt ist“ (Stüwe 2004: 264). Ausgehend von diesem Defizit habe ich im Rahmen meiner Arbeit (Melter 2006) sieben männliche Jugendliche mit ‘Immigrationshintergrund’ im Alter
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Claus Melter
von 16 bis 21 Jahren und die sie im Kontext ambulanter Jugendhilfe betreuenden PädagogInnen interviewt. Zentrale Fragestellungen waren die Interpretations- und Handlungspraxen der Jugendlichen mit ‘Immigrationshintergrund’ in Bezug auf eigene Rassismuserfahrungen, die Entwicklung ihres Zugehörigkeitsverständnisses sowie die Kommunikation über diese Themen mit den sie betreuenden PädagogInnen. In einem ersten Schritt erfolgte dies zunächst in Einzelinterviews, dann wurden der Jugendliche und ein Pädagoge/eine Pädagogin gemeinsam in einem Paarinterview themenzentriert über die im Rahmen der Betreuung erfolgte Kommunikation über Rassismus- und Zugehörigkeitsfragen interviewt (gemeinsames Klärungsinterview nach Einzelinterviews nach der Methode von Melter 2006). In der Kommunikation über institutionellen Alltagsrassismus in Form jahrelanger aufenthaltsrechtlicher Probleme und Diskriminierungen seitens Justiz und Polizei zeigen sich die abwehrenden Handlungspraxen der PädagogInnen, die über diese Themen entweder nicht sprechen wollen oder die Ursachen für Diskriminierungen durchgängig bei den Jugendlichen verorten. Nachfolgend werde ich zunächst erläutern, was ich unter Alltagsrassismus verstehe. Über das übliche Verständnis von Alltagsrassismus hinausgehend, werde ich diesen konzeptionell mit dem institutionellen Rassismus verknüpfen. Dies bezeichne ich als ‘institutionellem Alltagsrassismus’. Daran anschließend werde ich den Umgang mit aufenthaltsrechtlichen Schwierigkeiten seitens der Jugendlichen und der PädagogInnen sowie weitere zentrale Ergebnisse der Untersuchung thematisieren.
1
Ein neues Verständnis von Alltagsrassismus
Im deutschsprachigen Raum werden unter Alltagsrassismus vorwiegend subtile Ausgrenzungspraxen verstanden, bei denen in Interaktionen bestimmte Personengruppen als ‘anders’, ‘nicht-deutsch’, ‘nicht-weiß’1 und ‘nicht-dazugehörig’ definiert und benachteiligt werden. Der Begriff Alltagsrassismus wurde von Philomena Essed (1991) geprägt, um auf das Zusammenwirken und die Alltäg1
Es handelt sich bei der Unterscheidung in ‘schwarz’ und ‘weiß’ um eine politische Unterscheidung entlang ungleicher Machtverhältnisse. Die Bezeichnungen ‘schwarz’ und ‘weiß’ beruhen auf gesellschaftlich erzeugten Wahrnehmungskonstruktionen, die Einfluss auf das alltägliche Leben haben und gesellschaftliche Machtverhältnisse (re-)produzieren. Die Einteilung in ‘schwarz’ und ‘weiß’ hat maßgeblich zur Folge, ob eine Person in der jeweiligen Gesellschaft Rassismen ausgesetzt ist oder nicht. Dieses Verständnis von ‘schwarz’ und ‘weiß’ geschieht in Abgrenzung zur unhinterfragten Einteilung von Personen gemäß ihrer ‘Hautfarbe’, die dann mit der vermuteten Herkunft assoziiert und zu einer Einteilung in ‘Rassen’ benutzt wird.
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Sekundärer Rassismus in der Sozialen Arbeit
lichkeit von strukturellen und individuellen Ausgrenzungspraxen hinzuweisen. Ihr Verständnis von Alltagsrassismus schließt damit sowohl Interaktionen als auch Gesellschaftsstrukturen ein (vgl. Essed 1991: 278ff.). Sie trennt jedoch nicht zwischen institutionellem und strukturellem Alltagsrassismus und bezieht Rassismus in veröffentlichten Diskursen nicht ein. Rudolf Leiprecht konzentriert sich in seiner Definition des Alltagsrassismus demgegenüber auf offenen und subtilen Rassismus in personalen Interaktionen (vgl. Leiprecht 2001: 2). Ausgehend von diesen beiden konzeptionellen Entwürfen des Alltagsrassismus habe ich das Konzept des Alltagsrassismus erweitert und neu gefasst. 1. Von Einzelpersonen und Gruppen ausgeübter Alltagsrassismus
3. Struktureller Alltagsrassismus
2. Institutioneller Alltagsrassismus
4. Alltagsrassismus in veröffentlichten Diskursen
Abb. 1: Eine neue Konzeption von Alltagsrassismus Formen von Alltagsrassismus zeigen sich nach diesem Verständnis auf verschiedenen Ebenen: 1.
2.
3.
Rassismen sind in regelmäßig praktizierten, offenen oder subtilen rassistischen Handlungspraxen von Einzelpersonen und Gruppen zu finden. Diese Form der Ausgrenzung nenne ich alltäglichen Rassismus von Einzelpersonen und Gruppen. Rassistische Ausgrenzungsformen schlagen sich in den Gesetzen, Regelungen und Handlungspraxen von Institutionen und Organisationen nieder. Diesen Tatbestand nenne ich institutionellen Alltagsrassismus. Rassistische Ausgrenzungen sind ebenso in Sozialstrukturen erkennbar, in der allgemeinen Benachteiligung von national, kulturell oder ethnisch definierten oder rassialisierten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt, in den Ein-
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4.
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kommensverhältnissen sowie im Schul- und Bildungssystem. Diese Form der Ausgrenzung von ‘ImmigrantInnen’ ohne deutsche Staatsangehörigkeit, ‘Schwarzen Deutschen’ und anderen Personen, die als ‘nicht deutsch’ definiert werden, nenne ich strukturellen Alltagsrassismus. Dieser wird durch institutionelle Praxen wie dem Zugang zum Arbeitsmarkt oder Zuweisungspraxen im Bildungsbereich gefördert und bildet sich in einer ethnisierten und rassialisierenden Schichtung der Gesellschaft nieder (vgl. Hormel/ Scheer 2004: 10). Alltagsrassismus in veröffentlichten Diskursen: Hierzu zählen rassistische Publikationen in Print-, Audio- und audiovisuellen Medien, im Internet oder diskriminierende öffentliche Reden und Flugblätter (vgl. Butterwegge 2002: 7).
Ein Beispiel für Wechselwirkungen verschiedener Formen des Alltagsrassismus ist die Praxis der restriktiven Arbeitserlaubnisvergabe gegenüber Personen mit spezifischem Aufenthaltsstatus. Diese führt dazu, dass davon betroffene MigrantInnen bestimmte Berufe nicht ausüben oder bestimmte Arbeitsplätze nicht annehmen können. Diese von den Ausländerbehörden und Agenturen für Arbeit praktizierte gesetzliche Regelung (Vorrang für deutsche StaatsbürgerInnen, EUBürgerInnen und nach Art. 16 a Grundgesetz anerkannte Asylberechtigte) entspricht politischen Weichenstellungen, für die es in der Bevölkerung eine breite Basis der Unterstützung gibt (vgl. Heitmeyer 2005: 18). Begleitet werden diese Wirkmechanismen von Diskursen, in denen Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ als individuell verantwortlich für fehlende Bildungserfolge und subjektiv niedrige Chancen auf dem Arbeitsmarkt angesehen werden.2
Alltäglicher institutioneller Rassismus Im Gegensatz zu vielen anglophonen Ländern, werden Praxen des institutionellen Rassismus in der Migrations- und Rassismusforschung in Deutschland in der Regel weder theoretisch noch empirisch erfasst.3 Institutioneller Rassismus wird im Macpherson-Report4 definiert als das 2
3 4
Anstatt die Diskriminierungseffekte des Schulsystems zu kritisieren, werden SchülerInnen mit ‘Immigrationshintergrund’ „nicht nur für ihr eigenes Versagen, sondern auch für den Rückstand des Systems verantwortlich gemacht“ (Hamburger 2005: 7). Ausnahmen sind etwa Gomolla/Radtke 2002 und Baldauf 2002. Am 22. April 1993 wurde in Großbritannien Stephen Lawrence, ein ‘schwarzer’ junger Mann, von mehreren ‘weißen’ jungen Männern an einer Bushaltestelle getötet. Die Täter wurden nicht gefasst und es gab massive Proteste gegen die nachlässigen Ermittlungstätigkeiten der britischen Polizei. Es wurde vom Parlament eine Untersuchung der Ermittlungstätigkeiten angeord-
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kollektive Versagen einer Organisation, angemessene und professionelle Dienstleistungen für Personen wegen ihrer Hautfarbe, Kultur oder ethnischen Herkunft anzubieten. (…) Abwertende Einstellungen und Handlungsweisen tragen zur Diskriminierung und der Benachteiligung Angehöriger ethnischer Minderheiten bei. Dies erfolgt unwissentlich durch Vorurteile, Ignoranz, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotypisierungen (Macpherson-Report 1999: 6.34, Übers. C. M.).
Beachtenswert an dieser Definition ist, dass nicht nur offen rassistische Handlungen als solche benannt werden, sondern das institutionelle Handlungspraxen und ein spezifisches Professionalitätsverständnis gegenüber ethnischen Minderheiten ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. In einigen Punkten halte ich Macphersons Definition jedoch für ergänzungsbedürftig: Diskriminierungen können nicht nur unbeabsichtigt und unbewusst, sondern auch durch bewusste, wissentliche Ausgrenzungen, Vorurteile und Ignoranz erfolgen. Das kollektive Versagen erfolgt nicht wegen der ‘Hautfarbe’, ‘Kultur’ oder ‘ethnischen Herkunft’, sondern aufgrund der Konstruktion und Abwertung von Gruppen und den damit verbundenen Handlungen. Außerdem können Diskriminierungen nicht nur durch das unprofessionelle Handeln von MitarbeiterInnen erfolgen, sondern auch durch die professionelle Umsetzung von diskriminierenden Gesetzen, Erlassen, Verordnungen und (Zugangs-)Regeln. Unklar bleibt auch, unter welchen Kriterien von InstitutionenmitarbeiterInnen mehrfach ausgeübte ausgrenzende Handlungen gegenüber ethnisierten oder rassialisierten Personen als kollektiv bezeichnet werden können. Die genannten Gesichtspunkte berücksichtigend möchte ich folgende Definition von institutionellem Alltagsrassismus vorschlagen: Institutioneller Alltagsrassismus in Deutschland ist von Institutionen/Organisationen (durch Gesetze, Erlasse, Verordnungen und Zugangsregeln sowie Arbeitsweisen, Verfahrensregelungen und Prozessabläufe) oder durch systematisch von MitarbeiterInnen der Institutionen/Organisationen ausgeübtes oder zugelassenes ausgrenzendes, benachteiligendes oder unangemessenes und somit unprofessionelles Handeln gegenüber ethnisierten, rassialisierten, kulturalisierten Personen oder Angehörigen religiöser Gruppen sowie gegenüber so definierten ‘Nicht-Deutschen’ oder ‘NichtChristen’. Ausgehend von dieser konzeptuellen Bestimmung wird im Folgenden nun überprüft werden, ob die in der Sozialen Arbeit untersuchten Handlungspraxen in Bezug auf die Kommunikation über Rassismuserfahrungen als institutioneller Alltagsrassismus eingeordnet werden können.
net. Im Februar 1999 wurde der Macpherson-Report dem Parlament vorgelegt (vgl. Bünger 2002: 239ff.).
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Wie erleben männliche Jugendliche mit ‘Immigrationshintergrund’ Rassismuserfahrungen?
Im Bereich der Migrations- und Rassismusforschung werden Opfererfahrungen von Personen mit ‘Immigrationshintergrund’, insbesondere im Hinblick auf institutionellen Rassismus, tendenziell ignoriert.6 Die im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchung befragten Jugendlichen berichten jedoch, dass sie in Geschäften regelmäßig als potentielle Diebe angesehen und nicht in Diskotheken eingelassen werden. Mehrere Jugendliche schilderten auch von MitschülerInnen ausgeübte gewalttätige Übergriffe, denen die befragten Jugendlichen teilweise über einen längeren Zeitraum ausgesetzt waren. In der Schule wurden die Jugendlichen wiederholt rassistisch beleidigt. Diese Situationen wurden in der Regel von den LehrerInnen geduldet. So schildert der aus der Türkei eingewanderte kurdische Jugendliche Baran seine Anfangszeit in der Schule: Ich war in der Schule, die Deutschen haben mich angespuckt. (…) Angespuckt. Also von meiner Klasse, ich hab noch sechs Monate. Niemand hat mich angeguckt. Angeguckt schon, aber niemand hat mit mir „Hallo“ oder „Moin“, was weiß ich. Keiner hat mit mir geredet. Ich war irgendwie, wie soll ich sagen? Ich war da, aber für die Leute war ich nicht da. (…) Ich war mit auf Klassenfahrt, die haben mich behandelt, wie das letzte Dreck. (…) Wenn die mich jetzt auf der Straße sehen, die trauen sich nicht, mich anzugucken.
Die Klassenlehrerin habe – so berichtet Baran – nicht gegen die Ausgrenzungspraxen der MitschülerInnen interveniert. Das beschriebenen Ereignis ist als institutioneller Alltagsrassismus anzusehen, da ein diskriminierter Schüler durch die regelmäßige Handlungspraxis der LehrerInnen nicht vor rassistischen Übergriffen geschützt wurde.
2.1 Aufenthaltsrechtliche Schwierigkeiten Bei allen in der Untersuchung befragten Jugendlichen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, besteht die Gefahr, dass sie ausgewiesen und abgeschoben werden, da seitens der Behörden nur eine Duldung oder eine zeitlich begrenzte Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen erteilt wurde. Die aufenthaltsrechtliche Situation von Baran – einem Zwanzigjährigen mit kurdisch-türkischem Migrationshintergrund – ist zum Beispiel aufgrund der Anerkennung der politischen Verfolgung des Vaters und der begonnenen Ausbildung als aktuell sicher anzusehen. Der Aufenthaltsstatus von zwei Jugendlichen war 6
Ausnahmen, die institutionelle Diskriminierungspraxen explizit benennen, sind unter anderem Strobl (1998); Riegel (2004); Boos-Nünning/Karakaolu (2005).
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bis zum achtzehnten Lebensjahr an den ihrer Mütter gekoppelt. Seit dieser Zeit besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, keine Aufenthaltsverlängerung zu erhalten, da sie keine eigenständigen aufenthaltsbegründenden Tatsachen vorweisen können. Lediglich die Zugehörigkeit zu den Gruppen der Roma oder Ashkali7 sowie die Pflege und Unterstützung der jeweils psychisch kranken Mutter können die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörden zu einer Aussetzung der Abschiebung oder – im besten Fall – der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bewegen. Ein anderer Jugendlicher kann hoffen, nicht zur Höchststrafe für sein Delikt – eine Messerstecherei – verurteilt zu werden, ansonsten droht ihm, obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist die Abschiebung. Die Lage eines männlichen, unbegleiteten Flüchtlings erscheint aufenthaltsrechtlich perspektivlos.
2.2 Zum Umgang mit aufenthaltsrechtliche Unsicherheiten Bei allen Unterschiedlichkeiten in Bezug auf die aufenthaltsrechtlichen Situationen, Biografien und subjektiven Erklärungs- und Handlungsweisen gibt es Gemeinsamkeiten: Die Jugendlichen wissen um die Schwierigkeiten ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation, denken über ihre Zukunft nach, malen sich die Konsequenzen einer möglichen Abschiebung und die Situation im Herkunftsland ihrer Eltern aus. Sie machen sich Sorgen, wie sie ihre aufenthaltsrechtliche Situation verbessern können. Die Gedanken über ihren Aufenthaltsstatus beschäftigen und verunsichern sie. Barans Familie bekam eine Ausreiseaufforderung, anderenfalls würde sie abgeschoben. Er beschreibt die Situation wie folgt: Wir hatten vor zwei Jahren Abschiebung gehabt. […] Das war Katastrophe. […] Also da könnt ich schon gut Deutsch. Ich hatte Freunde, nur deutsche Freunde damals.
Seine Eltern tauchten mit den jüngeren Geschwistern bei Verwandten an anderen Orten unter, der über achtzehnjährige Bruder wurde von der Polizei in Abschiebegewahrsam genommen und Baran, da er erst siebzehn war und nicht allein abgeschoben werden konnte, passte mit zwei Cousins auf die elterliche Wohnung auf. Die Häufung der Aussagen, dass er alleine war und die Eltern weg waren sowie die Kommentierung dieser Situation („Das war damals hart, eh.“) zeigen, dass es sich für Baran um eine Krisensituation handelte. Die gesamte Lebenssituation war geprägt von der aufenthaltsrechtlichen Unsicherheit.
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Ashkali sind eine verfolgte ethnische Minderheit im Kosovo.
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Der Jugendliche Gino sagt zu den Umständen des Asylverfahrens, dass diese „heftig [und] (…) hammerhart [gewesen sind] (…) Aber was soll’s, ey? So ist das Leben, man muss da durch.“ Gemeinsam ist allen befragten Jugendlichen, dass sie immer wieder auch Wege finden müssen, um das Thema zeitweise zu verdrängen, da eine ständige Auseinandersetzung mit diesen Fragen psychisch kaum erträglich ist.8
2.3 Institutioneller Alltagsrassismus bei Polizei und Justiz Bisher konnte gezeigt werden, wie alltagsrassistische Praxen in den Bereichen Aufenthaltsrecht und Schulsituation das Leben der Jugendlichen negativ beeinflussen. Es gibt jedoch noch weitere Formen institutioneller Diskriminierung. Alle Jugendlichen berichten von selbst erlebten und beobachteten Rassismuserfahrungen und – im Vergleich zu Herkunftsdeutschen – von vermehrten Polizeikontrollen. Außerdem wurden diskriminierende Handlungspraxen von PolizistInnen und illegale Beschlagnahmungen sowie härtere Bestrafungen von Jugendlichen mit ‘Immigrantionshintergrund’ im Vergleich zu ‘deutschen’ Jugendlichen durch die Justiz geschildert. Der Jugendliche Baran schildert, dass Polizeibeamte seinen Bruder sehr respektlos behandelt hätten, woraufhin dieser die Polizisten als „Rassisten“ tituliert habe. Diese zeigten ihn darauf hin wegen Beamtenbeleidigung an. Mich mega aufgeregt, dass sie mir das geschickt haben und so. (…) Das, und dann war ich bei Polizei, sollte aussagen und so. Haben die mich voll verarscht die Bullen. (…) „Dann schreiben wir einfach dies und das.“ Ich sag: „Mir ist egal, was ihr schreibt, ich sag nicht aus.“ Und so. (…) Ach, (lacht resigniert) war Gericht und die haben da einfach irgendeine Akte hingelegt, das habe ich ausgesagt bei der Polizei. Ich sag: „Ich hab eigentlich noch nichts ausgesagt.“ (…) „Aber geben Sie mir irgendeine Strafe, lassen Sie mich in Ruhe!“.
Das Gericht verurteilte Baran, der sich zu Unrecht verurteilt sah, zu Arbeitsstunden und Beratung, die er beim Pädagogen Sven absolvierte. Ein anderes Beispiel für institutionellen Rassismus erzählt der nach seinem Selbstverständnis ‘deutsch-kubanische’ ‘schwarze’ Jugendliche Timo, der als Grundschüler von drei ‘weißen’ Jugendlichen tätlich angegriffen, rassistisch beschimpft und mit dem Tod bedroht wurde:
8
Im „Handbuch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Recht, Politik, Praxis, Alltag, Projekte.“ von Heinz Fronek und Irene Messinger (2002) wird zum Beispiel auf die psychischen Folgen aufenthaltsrechtlicher Unsicherheiten eingegangen.
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Und da standen da auch drei Nazis da. (…) Und der eine hat mich geschnappt, hat mich so gewürgt und ehm mit Feuerzeug meine Jacke angebrannt. Und dann ist mein Onkel gekommen, haben wir Anzeige gegen den gemacht. Aber da ist auch nichts rausgekommen. (…) Das war vor Gericht gekommen, aber denen ist nichts passiert. (…) Als wir dort vor Gericht waren und ich habe das erzählt, da hat die Richterin sogar gelacht. (…), als ich erzählt habe, hat sie gelacht. (…) Ja, eigentlich. Ich habe versucht, mich zu wehren. Eigentlich fand ich die Situation nicht so schlimm, hätte heftiger kommen können.
Über diese Erlebnisse haben der betreuende Pädagoge Bastian, der von den Vorfällen ausführliche Berichte der Mutter gehört hatte, und der Jugendliche Timo nicht gesprochen. In der vorliegenden Untersuchung zeigt es sich als durchgehendes Phänomen bei den PädagogInnen, die in der ambulanten Jugendhilfe tätig sind, dass sie Berichte über Rassismus abwehren, minimalisieren oder die Verantwortung für erlittene Diskriminierungen den Opfern zuschreiben.
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Die Kommunikation zwischen Jugendlichen und PädagogInnen über Rassismuserfahrungen
Die befragten MitarbeiterInnen in der ambulanten Jugendhilfe trennen scheinbar selbstverständlich einerseits zwischen ‘Deutschen’ und ‘AusländerInnen’ und andererseits zwischen ‘integrationswilligen’ und kooperativen, das heißt sich an die Regeln in Deutschland haltenden und die deutsche Sprache lernenden ‘guten AusländerInnen’ auf der einen Seite sowie kriminellen, nicht ‘integrationswilligen’, sich separierenden, nicht Deutsch lernenden, ‘bösen AusländerInnen’ auf der anderen Seite. In der Regel werden die befragten Jugendlichen den ‘guten AusländerInnen’ zugerechnet. Dies führt aber nicht, wie sich im Folgenden zeigen wird, zu einem empathischen Zuhören der PädagogInnen bei den Erfahrungsberichten der Jugendlichen über erlebte Formen des alltäglichen institutionellen Rassismus.
3.1 Das Schweigen der PädagogInnen Die PädagogInnen verfügen durchgängig über ein allgemeines Wissen zu aufenthaltsrechtlichen Regelungen und institutionellen Diskriminierungspraxen. Die PädagogInnen haben sich in den konkreten Betreuungsverhältnissen jedoch nicht damit auseinandergesetzt, welche psychischen Belastungen durch aufenthaltsrechtliche Unsicherheiten entstehen und wie die Jugendlichen mit dieser Situation umgehen. Sie haben schlicht bei den Jugendlichen nicht nachgefragt. Diese mangelhafte Kommunikation hierüber ist erklärungsbedürftig: Worin liegt
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die Diskrepanz begründet, dass die PädagogInnen ein allgemeines Wissen über mögliche Ängste der Jugendlichen in aufenthaltsrechtlichen Fragen haben und dennoch kaum oder gar nicht mit den betreuten Jugendlichen darüber sprechen? In meiner Untersuchung haben sich hierfür folgende Erklärungen der befragten PädagogInnen finden lassen:
„[I]st meine Erfahrung, wegen einer Sache ist er noch nicht gefährdet.“ (Der von diesem Pädagogen betreute Jugendliche würde wegen einer Verurteilung zu zwei Jahren ohne Bewährung eine Regelausweisung erhalten) „Ich glaube auch, dass wir [PädagogInnen] da eher nen gesundes Halbwissen haben.“ (Dieser Pädagoge wusste nicht, ob der Jugendliche an seinem 18. Geburtstag abgeschoben wird, da sein Aufenthaltstatus bei Volljährigkeit unabhängig von der Mutter sein wird.) „Vielleicht ahnt er [der Jugendliche] es [seine schwierige aufenthaltsrechtliche Situation]. In dem Zusammenhang so, weiß er es nicht. Ne, glaube ich nicht.“ (Tatsächlich weiß der Jugendliche um seine drohende Ausweisung und Abschiebung und macht sich Sorgen). „Also ich merke, dass ich vieles nicht, nicht weiß. Das höre ich jetzt zum ersten Mal.“ (So äußerte sich der Pädagoge Sven als er im Paarinterview von der zehnjährigen aufenthaltsrechtlichen Unsicherheit Barans hört.)
Wenn eine Gefährdung des Aufenthaltsrechts besteht, sind die gründliche Beschäftigung mit aufenthaltsrechtlichen Fragen und die Kommunikation über diese für eine sozialpädagogische Betreuung jedoch als zwingend notwendig anzusehen. Die angeführten Aussagen belegen darüber hinaus, dass die PädagogInnen deutlich dazu neigen, ihre Betreuungspraxis und ihr fehlendes Nachfragen zu rechtfertigen. Sie suchen Gründe, warum sie aufenthaltsrechtliche Themen nicht angesprochen oder nicht gründlich recherchiert haben. Die Abwehrhaltung der PädagogInnen könnte in ihrer Angst begründet liegen, dass ihnen eine unprofessionelle oder gar rassistische Betreuungspraxis vorgeworfen werden könnte. Auffällig ist, dass sie gemäß professionellen Standards nicht angemessen gearbeitet haben und die Gründe hierfür den Umständen, dem Betreuungsauftrag, dem Handeln oder der Intelligenz der Jugendlichen zuschreiben. Sie suchen die Gründe nicht bei sich selbst oder ihrer Einrichtung. Sven beispielsweise spricht über die psychische Belastung und die Handlungseinschränkungen durch einen nicht zeitlich beschränkten und unsicheren Aufenthaltsstatus bei mehreren Jugendlichen, die er betreut hat. Mit Baran hat er
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über dieses Thema nicht gesprochen. Geht man über die Tatsache der Leugnung eigener Verantwortung und der fehlenden Qualifizierung hinaus, so stellt sich neben den institutionellen Versäumnissen auch individuell die Frage, wieso die PädagogInnen sich nicht in dieses Themengebiet eingearbeitet haben, obwohl die Auseinandersetzung in unbekannte Rechtsgebiete (z. B. Hartz IV, Mietrecht, Familienrecht) zum Alltag von PädagogInnen in der Jugendhilfe gehört.
3.2 Zur Nicht-Thematisierung von institutionellem Alltagsrassismus Ein eklatantes Beispiel für eine mangelhafte Kommunikation, man könnte auch sagen Kommunikationsverweigerung, ist der teilweise (Schein-)Kontakt zwischen dem Pädagogen Sven und dem Jugendlichen Baran. Der Jugendliche spricht davon, dass er aufgrund einer Falschaussage eines Polizisten und der Fälschung seiner Aussage bei der Polizei zu Unrecht verurteilt wurde. Der Pädagoge thematisiert die Aussagen des Jugendlichen weder in der Betreuung noch im Paarinterview, als Baran diese Situation nochmals anspricht. Selbst Barans Aussage, dass der Pädagoge bei der besagten Gerichtsverhandlung anwesend gewesen sei, kommentiert der Pädagoge nicht. Auch schweigt er zu Barans Kritik an ausgrenzenden Praxen seitens Polizei und Justiz. Somit ignoriert der Pädagoge die Grundlage der gemeinsamen Arbeit (die gerichtliche Verurteilung), die Aussagen des Jugendlichen sowie dessen Meinungen, Erleben und Gefühle. Generell hat sich in der Untersuchung gezeigt, dass die PädagogInnen entweder die Kritik der Jugendlichen an Ausgrenzungspraxen der Justiz ignorieren oder den Jugendlichen selbst die Verantwortung für erlebte Diskriminierungen zuschieben, indem sie problematische Handlungen der Jugendlichen als Diskriminierungsursache postulieren. Eine Unterstützung gegenüber institutionellen Diskriminierungspraxen bleibt daher aus. Der Kritik an Ausgrenzungspraxen wird im Gegenteil tendenziell die Grundlage entzogen oder sie wird infrage gestellt.
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3.3 Mögliche Erklärungsmuster für die Handlungspraxen der PädagogInnen
Hilflosigkeit aufgrund fehlender Kompetenzen
Der Pädagoge Sven spricht im Validierungsinterview9 von der eigenen Hilflosigkeit gegenüber den Schilderungen der Jugendlichen, die er als Appell interpretiert habe. Er schildert, dass er mit Schweigen reagiert habe, da er keine alternativen Handlungsoptionen für die Situationen gesehen habe, in denen von institutionellem Rassismus berichtet worden sei. Er nimmt sich jedoch vor, zukünftig empathischer mit den Jugendlichen zu kommunizieren und Fragen des institutionellen Rassismus offen anzusprechen. Die fehlende Empathie ist jedoch nicht Sven alleine anzulasten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Sven nicht im Bereich migrationssensible und rassismuskritische Kompetenz ausgebildet worden ist.
Auftragssicherung
Ein weiterer Grund für das Schweigen der PädagogInnen zur Diskriminierungspraxis der Justiz könnte sein, dass die Justiz einem Teil der PädagogInnen Beratungsaufträge erteilt und das sie diese als gefährdet einschätzen, wenn sie Kritik äußern. Andersherum kann dies bei den Jugendlichen zur Folge haben, das diese das Handeln der BetreuerInnen im Sinne eines ‘stillen Einverständnisses’ aufgrund der fehlenden Thematisierung bestimmter Aspekte eine Nähe von Polizei, Justiz und der beratenden Einrichtung interpretieren und deshalb bestimmte Erlebnisse in der Kommunikation mit den PädagogInnen nicht ausführlich oder gar nicht darstellen. Durch ihr Schweigen stellen sich die in der vorliegenden Studie befragten PädagogInnen (möglicherweise unbeabsichtigt) einseitig auf die Seite von Polizei und Justiz und lassen die Jugendlichen somit mit ihren migrationsspezifischen Problemlagen allein. Mehr noch: Durch ihr Schweigen zur Kritik an den Behörden gehen sie nicht auf die Gefühle, Meinungen und Rechtsauffassungen der Jugendlichen ein, die sie qua Gesetz unterstützen müss(t)en. Die Handlungspraxen der PädagogInnen widersprechen damit zum einen ihren selbst geäußerten Absichten. So begründet etwa der Pädagoge Sven seine Berufswahl wie folgt:
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Die kompletten Analysetexte wurden den PädagogInnen und Jugendlichen nach der Auswertung der Interviews vorgelegt und im Rahmen eines Validierungsinterviews besprochen.
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Weil ich als Sozialarbeiter Menschen helfen wollte. Und zwar denen, die Probleme haben, die Schwierigkeiten haben, die manchmal nicht wissen, wo es langgeht, so, und auch so, ein bisschen die Geschlagenen und Getretenen dieser Welt.
Und sein Verhältnis zu Baran charakterisiert er im Einzelinterview mit den Worten: Er hat sehr viel Charme, er ist unglaublich sympathisch und er hat, er geht gut in Kontakt, und ist an der Stelle auch zuverlässig, genau und, ehm, vertrauensvoll, so würde ich ihn beschreiben.
Sven und Baran haben trotz des angeblich vertrauensvollen Verhältnisses nicht über die Gründe für die Verurteilung vor Gericht, Barans Rassismuserfahrungen und die Zeit der aufenthaltsrechtlichen Unsicherheit gesprochen. Diese Beratungspraxis widerspricht ihrem gesetzlichen Auftrag „Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen (…) und Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen“ (SGB VIII § 1 Abs. 3). In den Betreuungspraxen in der ambulanten Jugendhilfe zeigt sich damit ein entpolitisiertes Professions- und Arbeitsverständnis der PädagogInnen und der Einrichtungen. Die PädagogInnen in der ambulanten Jugendhilfe berichten einstimmig, dass sie von Leitungskräften, SupervisorInnen und TeamberaterInnen nicht explizit auf aufenthaltsrechtliche Fragestellungen und Rassismuserfahrungen der Jugendlichen angesprochen wurden. Die in den untersuchten Betreuungsverhältnissen fehlende Bezugnahme auf die Biografien und Lebenslagen der Jugendlichen widerspricht dem Gebot der Berücksichtigung der „besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familien“ (SGB VIII §9, Abs. 2). Dies stellt eine grundlegende Verletzung geltender professioneller Standards dar.
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Die Abwehrhaltung der PädagogInnen, sich mit dem Thema Rassismus auseinander zu setzen, die Bagatellisierung und Infragestellung berichteter Rassismuserfahrungen sowie ihr Erleben und ihre Interpretation, dass Rassismusvorwürfe unangemessen instrumentalisiert werden, zeigen sich sowohl beim Thema institutionalisierter Alltagsrassismus als auch in der Kommunikation über Rassismuserfahrungen, die durch Einzelpersonen und Gruppen ausgelöst wurden. So wurde dem siebzehnjährigen Roma Gino in Anwesenheit des ihn betreuenden Pädagogen mehrfach der Einlass in Diskotheken verwehrt. Dies kommentiert der Jugendliche mit dem Satz: „Die lassen mich nicht rein, weil ich Ausländer
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bin.“ Daraufhin habe der Pädagoge nur gelacht, berichtet der Jugendliche. Der Pädagoge habe gelacht, so berichtet er selbst im Validierungsinterview, weil seiner Meinung nach die Einlassverweigerung mit „seinem Kleidungsstil“ etwas zu tun gehabt habe. Die Einlassweigerung in Diskotheken habe also „nicht unbedingt etwas mit Rassismus zu tun“, da die Türsteher „Türken waren“, es sich um eine „Gymnasiastendisko“ gehandelt oder ein „Ausländerkontingent“ bestanden habe. Die hier herausgearbeitete Haltung des Leugnens und Minimierens von Rassismus, verbunden mit der Verantwortungsdelegation an die Opfer, nenne ich sekundären Rassismus10. Beim sekundären Rassismus werden – ebenso wie beim sekundären Antisemitismus – offene Abwertungen vermieden und es wird keine Verantwortung für strukturelle, institutionelle, durch Individuen oder Gruppen ausgeübte sowie diskursive Diskriminierung übernommen. Das Ausmaß von Alltagsrassismus und die Bedeutung von Rassismuserfahrungen werden geleugnet oder infrage gestellt. Die SprecherInnen fühlen sich durch das Thema Rassismus indirekt oder direkt belästigt, sie setzen sich nicht aktiv mit ihm auseinander oder fühlen sich selbst angegriffen. Es erfolgt somit eine TäterInnen-OpferInnen-Umkehrung: Nicht die Personen, die Zielscheibe von Rassismus sind, werden als Opfer gesehen, sondern die Mehrheitsangehörigen, denen angeblich übertriebene Rassismusvorwürfe gemacht werden. Die von den Jugendlichen in der Untersuchung gemachten Rassismuserfahrungen waren den PädagogInnen größtenteils nicht bekannt, da sie – wie die PädagogInnen selber einräumen – für diese Themen kein Interesse gezeigt und in Gesprächen nicht nachgefragt haben. Wenn die Jugendlichen dennoch von Rassismuserfahrungen berichteten, wurden diese von den PädagogInnen tendenziell geleugnet, verharmlost oder für den zu betreuenden Jugendlichen als unproblematisch dargestellt. Die Betreuungspraxen der PädagogInnen spiegeln die Haltung der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf Rassismus wider: Rassismus wird vielfach nicht thematisiert, in seiner Alltäglichkeit und institutionellen Verankerung nicht wahrgenommen, individualisiert, naturalisiert, pathologisiert oder als quasi unumgängliche Folge der allgemeinen wirtschaftlichen Rezession dargestellt. Die fehlenden rassismuskritischen Kompetenzen hängen sicher auch mit Defiziten in Aus- und Fortbildungen der Pädagogen zusammen. Gleichzeitig wird die Verantwortung für gewalttätige Konflikte nach rassistischen Beleidi-
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Der Terminus ‘secondary racism“ wurde von Judith Lichtenberg 2004 (Erstveröffentlichung 1998) mit einer anderen Bedeutung benutzt. Lichtenberg versteht unter secondary racism Formen von indirekter Diskriminierung, die durch Faktoren ausgelöst werden, die im Kontext von Rassialisierung Einfluss auf ‘ethnische’ Minderheiten haben, zum Beispiel die Rassialisierung/Ethnisierung des Wohn- und Arbeitsmarktes.
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gungen aber auch den Opfern der verbalen Angriffe zugeschrieben. Für den sekundären Rassismus typische Aussagen der PädagogInnen lauten: Die Jungs und jungen Männer, als Libanesen, Syrer, Araber, türkische Kurden, Yeziden. Alles, was da so kommt. Die erzählen mir was über die ‚Scheiß-Kartoffeln‘. Und ScheißKartoffeln sind Scheiß-Deutsche. So. .. Und, ehm, .. sie erzählen mir, wie sie behandelt werden, wo sie Dinge nicht verstehen, dass sie so sind, wie sie sind. .. Und, ehm, ich merke, dass ich manchmal genau danach gucke, wenn sie über Deutsche reden, .. also inwiefern piekst mich das selber an? Also wo merke ich dann irgendwie, das, das, also das gefällt mir nicht, wie der da jetzt über die Deutschen spricht. (…) Und wenn, wenn mir das dann zu weit geht, so wie sie das denn erzählen. (…) Dann frag ich auch schon mal, was er hier [in Deutschland] macht, was er hier will? (…) So, dann merk ich aber, dass das in eine Richtung geht, die den Kontakt dann früher oder später beenden an der Stelle. Aber was bei mir manchmal oft ist, was bei mir ab und zu ist, dass mich die Haltung manchmal ärgert. (…) Mit was für ner Selbstverständlichkeit, es ist ja auch so, dass deine Familie und auch du, ihr kostet dem Staat ja auch ziemlich viel Geld hier, neh? (…) Sondern sie selber müssen auch was machen. Oder sie müssen sich an bestimmte Regeln und auch bestimmte, eh, und an die Kultur, die wir hier haben, also, dass, da muss man sich vielleicht auch an bestimmte Sachen anpassen, wenn man irgendwo Gast ist. Also, er hat sein Leben komplett darauf [auf Ausgrenzungspraxen] abgestimmt.
Derartige abwehrende Haltungen spiegeln sich auch in den dominanten öffentlichen Diskursen wider: Vielfach werden rechtsextreme oder rassistische Gewalttaten bagatellisiert und beim Thema ‘Migration’ wird einseitig die Forderung gestellt, dass Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ sich anpassen sollten. Ein Veränderungs- und Handlungsbedarf auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft wird zwar grundsätzlich artikuliert („Beide Seiten gehen aufeinander zu“), aber nicht konkretisiert und realisiert. Die Mehrheitsgesellschaft wird in öffentlichen Diskursen selten als Akteurin in Bezug auf institutionelle und strukturelle Ausgrenzungsformen gesehen. Um nicht missverstanden zu werden: Mit der Benennung bestimmter Handlungspraxen als Sekundäre Rassismen möchte ich keinesfalls postulieren, dass es generell nicht möglich ist, dass Rassismusvorwürfe unzutreffend sind oder funktionalisiert werden können. Der Begriff Sekundärer Rassismus soll vielmehr auf bestehende Abwehrmechanismen hinweisen und auf die Notwendigkeit einer ernsthaften und gründlichen Überprüfung, inwieweit Formen von Alltagsrassismus allgemein und in spezifischen Situationen praktiziert werden. Ebenso geht es beim Terminus des Sekundären Rassismus nicht um ein Kritikverbot an Personen, die im Alltag Rassismuserfahrungen machen. Es geht nicht um eine neue Form von political correctness, die Kritik an Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ per se in die Nähe von Rassismus stellt. Vielmehr geht es sowohl bei der Auseinandersetzung um Sekundären Rassismus als auch bei
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der Kritik an Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ um ein genaues Hinschauen, ein Verständnis unterschiedlicher Facetten von Problemlagen und um das Nachvollziehen sowie die Konfrontation mit bestehenden Handlungspraxen. Diese Aspekte, die Grundelemente Sozialer Arbeit darstellen, sind nur kommunikativ zu verwirklichen, das heißt im Dialog mit den beteiligten GesprächspartnerInnen. Es ist legitim und sinnvoll, als problematisch erachtete Handlungen zu kritisieren. Die Kritik an Personen oder Personengruppen darf jedoch nicht dazu führen, dass tatsächlich erlittene Diskriminierungen ignoriert werden. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Kritik an Ehrenmorden oder Zwangsverheiratungen in einigen ‘türkisch-deutschen’ und muslimischen Familien darf nicht dazu führen, dass diese Handlungspraxen allen ‘türkisch-deutschen’ oder muslimischen Personen zugeschrieben werden und daraufhin islamfeindliche Haltungen, wie die Benachteiligung von ‘türkisch-deutschen’ oder muslimischen SchülerInnen im Schulsystem sowie andere Formen von Alltagsrassismus verharmlost werden. Die Kritik an Handlungspraxen von Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ und anderen diskriminierten Personen wird jedoch häufig funktionalisiert, um nicht über Alltagsrassismus und andere Diskriminierungspraxen seitens der Mehrheitsgesellschaft zu sprechen. Bemerkenswert ist, dass sowohl beim Sekundären Rassismus als auch bei problematischen Handlungspraxen von Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ die primär Leidtragenden eingewanderte Personen und ‘schwarze Deutsche’ sind. In beiden Fällen delegieren Angehörige der Mehrheitsgesellschaft ihre (Teil-)Verantwortung an Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ und vernachlässigen die Thematisierung eigener Interventionsmöglichkeiten, die über die Fokussierung bestimmter Themen und Verantwortungszuweisungen hinausgehen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Angehörige der Mehrheitsgesellschaft sich unterschiedlich zu Alltagsrassismus positionieren.
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Zentrale Ergebnisse
„Wenn du mich gefragt hättest, hätte ich es dir erzählt.“ So lassen sich die Aussagen mehrerer Jugendlicher paraphrasieren. Dies beinhaltet mehrere Aspekte: Zum einen gehen die Jugendlichen nicht von sich aus auf diese Themenbereiche ein, wenn sie nicht ausdrücklich danach gefragt werden. Zum anderen haben die PädagogInnen diesbezüglich keine oder kaum Fragen gestellt. In den Interviews mit den Jugendlichen wurde jedoch deutlich, dass die Jugendlichen mit vielfältigen Formen des institutionellen und des durch Einzelpersonen und Gruppen
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ausgeübten Alltagsrassismus konfrontiert werden. Über Diskriminierungserlebnisse sprechen die Jugendlichen nur in seltenen Situationen von sich aus mit den sie betreuenden PädagogInnen. Die Gründe hiefür können mit dem Erleben von Scham und Hilflosigkeit in Bezug auf Rassismuserfahrungen zusammenhängen. In den Betreuungsverhältnissen haben sie die Erfahrung gemacht, dass Ansätze, über diese Erfahrungen zu sprechen, von den PädagogInnen abgewehrt und die Erlebnisse verharmlost, relativiert, als Angriff gegen ‘Deutsche’ oder Deutschland interpretiert wurden. Aktiv diskriminieren die PädagogInnen die Jugendlichen, die Rassismuserfahrungen machen, nur in Ausnahmefällen. Aber sie wehren Berichte über diese Erfahrungen ab und setzen sich nicht mit den institutionellen Formen von Alltagsrassismus und dem durch Einzelpersonen und Gruppen ausgeübtem Alltagsrassismus auseinander. Es geht bei der Haltung des Sekundären Rassismus seitens der PädagogInnen um
die Abwehrhaltung gegenüber der Möglichkeit, dass Formen von Alltagsrassismus aktuell im konkreten Lebensumfeld des Jugendlichen bedeutsam sein könnten bzw. bedeutsam sind; das Negieren, dass es sich bei bestimmten Ereignissen und Konstellationen, mit denen die Jugendlichen konfrontiert sind, um Rassismus gehandelt haben könnte; das Bestreiten der Notwendigkeit, mit den Jugendlichen über Rassismuserfahrungen und Zugehörigkeitsfragen zu kommunizieren; das Leugnen der eigenen professionellen Verantwortung, sich mit Formen des alltäglichen Rassismus auseinander zu setzen; die Auffassung, dass Rassismuserfahrungen von Jugendlichen instrumentalisiert werden, um eigene problematische Handlungsweisen zu relativieren; die Interpretation, sich bei Berichten über Rassismuserfahrungen als ‘Deutscher’ angegriffen zu fühlen und das Thema abzuwehren.
Dieses Leugnen kann jedoch nicht beschönigt werden, indem von der Unwissenheit der PädagogInnen ausgegangen wird. Die befragten PädagogInnen wissen aus eigener Beobachtung wie auch aus Medienberichten und Büchern sowohl um das Vorhandensein institutioneller Diskriminierungspraxen gegenüber Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ als auch um den Alltagsrassismus, der durch Einzelpersonen und Gruppen ausgeübt wird. Sie sprechen dennoch im Rahmen der Betreuungen nicht mit den Jugendlichen über diese Themen. Der damit von den PädagogInnen praktizierte Sekundäre Rassismus zeigt sich in der faktisch kaum oder gar nicht vorhandenen Thematisierung von Rassismus- und Zugehörigkeitsfragen sowie in der Verantwortungsdelegation in alltagsrassisti-
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schen Situationen gerade an diejenigen Personen, die im Alltag Rassismuserfahrungen machen. Sekundärer Rassismus ist jedoch nicht eindimensional als individuelle Haltung und Handlungspraxis anzusehen. Rassismuskritische und migrationssensible Kenntnisse und Kompetenzen werden weder in den pädagogischen Ausbildungen vermittelt noch in den Aufträgen der Jugendämter sowie den Konzepten, Supervisionen und Fachberatungen der Einrichtungen benannt und eingefordert. Demzufolge fehlt in den untersuchten Einrichtungen auch ein effektives Kontroll- und Interventionssystem. Die Betreuungsarbeit der PädagogInnen ist somit unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie auch im Hinblick auf den spezifischen institutionellen und professionellen Kontext zu interpretieren. Insofern sind die Abwehrhaltungen, Relativierungen und die fehlende Verantwortungsübernahme der PädagogInnen in der ambulanten Jugendhilfe in diesen von Alltagsrassismen geprägten Rahmenbedingungen im Sinne des Sekundären Rassismus für die PädagogInnen subjektiv funktional, da Auseinandersetzungen mit dominanten Diskursen und Handlungspraxen und damit zusätzliche Arbeitsbelastungen vermieden werden. Eine Verbesserung der Betreuungspraxis hat daher zur Voraussetzung, dass die Probleme der Jugendlichen differenzierter wahrgenommen, kommuniziert und verstanden werden. Erst dann wird sich auch eine professionelle Praxis der Auseinandersetzung zum Beispiel mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Diskriminierungserfahrungen etablieren können. Darüber hinaus findet die kaum praktizierte Reflexion über die historische Verstrickung von PädagogInnen in ‘eugenische’ und rassistische Diskurse und damit verbundene Selektionspraktiken sowie die fehlende Thematisierung der Rolle Sozialer Arbeit in Bezug auf institutionellen Rassismus (staatlich finanzierte Soziale Arbeit im Einsatz gegen staatliche Diskriminierung) in entpolitisierten Betreuungspraxen ihren Ausdruck. Obwohl die PädagogInnen ausdrücklich betonen, sich subjekt- und lebensweltorientiert für die Interessen der Jugendlichen einzusetzen, praktizieren sie dies im Bereich migrationssensibler und rassismuskritischer Arbeit jedoch kaum oder gar nicht. Vielmehr wehren sie in der Regel Kommentare der Jugendlichen über Rassismuserfahrungen ab und interessieren sich nur sehr partiell für die Selbstverortungen der Jugendlichen. Die Nichteinhaltung professioneller Standards durch die PädagogInnen sowie die fehlende Unterstützung ihrer Klienten gegenüber institutionellen und durch Einzelpersonen und Gruppen ausgeübten rassistischen Diskriminierungen führen dazu, dass die PädagogInnen und die Einrichtungen in der ambulanten Jugendhilfe selbst institutionellen Rassismus praktizieren, da nicht nur die einzelnen PädagogInnen die Jugendlichen nicht angemessen fördern, sondern auch die Leitungskräfte, FachberaterInnen, SupervisorInnen und KollegInnen nicht
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im Sinne einer professionellen Betreuungspraxis interveniert haben. Es ist davon auszugehen, dass migrationssensible und rassismuskritische Aspekte seitens der Einrichtungen nicht als professionelle Standards angesehen werden. Die untersuchte Gruppe der Jugendlichen mit ‘Immigrationshintergrund’ wurde im Rahmen der ambulanten Jugendhilfe systematisch unprofessionell ‘unterstützt’. Gemäß der in Anlehnung an den Macpherson-Report entwickelten Definition von Institutionellem Rassismus handelt es sich bei der untersuchten Praxis der ambulanten Jugendhilfe damit um ein systematisch von MitarbeiterInnen der Institutionen/Organisationen ausgeübtes oder zugelassenes, ausgrenzendes, benachteiligendes oder unangemessenes und somit unprofessionelles Handeln gegenüber ethnisierten, rassialisierten, kulturalisierten Personen oder Angehörigen religiöser Gruppen sowie gegenüber definierten ‘Nicht-Deutschen’. Diese Betreuungspraxis in der ambulanten Jugendhilfe ist somit als institutioneller Alltagsrassismus zu bezeichnen. In der Forschung und in den öffentlichen Diskursen in Bezug auf Rechtsextremismus und Rassismus sind verbreitete Haltungen und Erklärungsmuster der Verantwortungsdelegation zu finden. Dies erfolgt vielfach gemäß der Argumentation, dass rassistische Handlungen nur von Randgruppenangehörigen, die nichts mit der Mehrheitsgesellschaft gemeinsam haben, ausgeübt wurden. Dem entspricht die Haltung der PädagogInnen, die Rassismus individualisieren und pathologisieren. Die hier vorgetragenen Untersuchungsergebnisse belegen, dass erst in den gemeinsamen Gesprächen (Paarinterviews) und in den Validierungsinterviews eigene Versäumnisse von den PädagogInnen eingeräumt werden und von der Notwendigkeit gesprochen wurde, sich fortzubilden und die eigene Betreuungspraxis zu überprüfen und zu verändern. In den Interviews mit den PädagogInnen zeigt sich, dass sie von ‘weißen’ ‘deutschen’ Menschen als Norm ausgehen, da sie nur in ihren Augen ‘schwarz’ und ‘ausländisch’ aussehende Personen benennen und bei ‘normentsprechenden’ Personen nicht die ‘Hautfarbe’ oder Nationalität definieren. Auch die einseitige Inszenierung des Themas Migration als Belastungsund Bedrohungs-Diskurs kann aufgrund der Aussagen der PädagogInnen empirisch belegt werden. Nur ein Pädagoge hat demgegenüber die Migrationserfahrung eines Jugendlichen als Ressource angesehen. Die Haltung, dass ‘Schwarze’ und ‘schwarzhaarige ImmigrantInnen’ weiterhin als ‘Gäste’ und ‘AusländerInnen’, die eigentlich nicht nach Deutschland gehören, definiert werden, spiegelt sich hingegen in einem anderen Interview wider. Die PädagogInnen vertreten fast durchgängig die Hypothese, dass Personen mit ‘Immigrationshintergrund’ primär an einem ‘Kulturkonflikt’ litten. Die Sicht der Jugendlichen ist jedoch eine andere: Sie betonen die Bedeutung alltagsrassistischer Ausgrenzungen.
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Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Handlungspraxen der PädagogInnen immer auch gesellschaftlich bedeutsamen Haltungen zu Rassismus entsprechen. Die Versäumnisse in der Ausbildung, den Hilfeplänen sowie in den Supervisionen und Fachberatungen schlagen sich daher letztlich auch in den konkreten Betreuungspraxen nieder. Die Nicht-Auseinandersetzung mit den Themen Rassismuserfahrungen und Zugehörigkeitsfragen ist innerhalb dieser Rahmenbedingungen für die PädagogInnen im Sinne einer Arbeitsersparnis und einer Konzentration auf bestehende Aufträge subjektiv funktional und entspricht den institutionellen Vorgaben. Dies führt allerdings dazu, dass die im achten Sozialgesetzbuch vorgegebene Subjekt- und Lebensweltorientierung sowie der Einsatz gegen Benachteiligungen außer Acht gelassen werden. Die dargestellten Forschungsergebnisse sind nicht isoliert zu betrachten, sondern in den Gesamtkontext der Entwicklungen im Bereich Sozialer Arbeit einzuordnen. So steht die Jugendhilfe in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen: Rechtliche und organisatorische Veränderungen auf europäischer Ebene, das Politikkonzept des aktivierenden Sozialstaats (vgl. Luckey 2004: 6), die angespannte Finanzsituation der öffentlichen Hand sowie hohe Arbeitslosigkeit werden auch weiterhin den Rahmen bilden, in dem die Jugendhilfe tätig ist (vgl. IGfH 2005: 2). Den erhöhten Anforderungen an die Effektivität der Jugendhilfemaßnahmen steht die Kürzung von Ressourcen für die Jugendhilfe gegenüber. Die ambulante Jugendhilfe, die vor allem einzelfall- oder familienorientiert arbeitet, entwickelt in dieser Situation kaum gesellschaftliche oder lokale Gegenentwürfe und sucht sich zu wenige BündnispartnerInnen, um die Lebensbedingungen der Klientel grundlegend zu verändern (vgl. Luckey 2004: 16). Nur, wenn es den Trägern der Sozialen Arbeit im Rahmen öffentlicher politischer Diskussionsprozesse gelingt, fachliche Argumente als relevante Entscheidungskriterien zu etablieren und wieder ein politisches Mandat für den Einsatz gegen Benachteiligungen zu erstreiten, wird ein schleichender Abbau Sozialer Arbeit und die fortschreitende Benachteiligung gesellschaftlich Benachteiligter zu verhindern sein. Es ist die Frage, ob die Soziale Arbeit sich als eine mögliche Gegeninstanz gegen Formen von Alltagsrassismus und den neoliberalen Umbau der Gesellschaft versteht oder ob sie nur einen Beitrag zur ‘humanen’ Abfederung von Ausgrenzungspraxen und deren Nebenwirkungen leisten will.
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Discovering Whiteness Young Adults and their Understanding of Racism Andreas Hieronymus
There has never been a document of culture, which is not simultaneously one of barbarism. Walter Benjamin 1940
Young black Africans with self-made ladders, climbing over barbed wire to reach Europe. Ships full of desperate young men trying to reach the Canary Islands, after the EU has blocked the North African coast. Hundreds of mainly black bodies are washed up on the European beaches of the Mediterranean Sea every year. These are just some of the news stories brought to the attention of Europeans in the last several months. ‘Fortress Europe’ has now been finalised and extends its borders to Northern Africa, with the help of post-colonial governments. The locking up of Europe has created separate places. Its segregated populations reproduce recognisable identities. Etienne Balibar speaks of an emerging “European Apartheid” (Balibar 2003: 253ff). In German, the word ‘Europäisierung’ (Europeanisation) stands for a positive political idea that encourages hopes of a unified, non-exclusive and non-discriminatory Europe, respects human rights and has overcome the legacies of nationalism, colonialism, imperialism and holocaust in a positive way. David Theo Goldberg presents a less idealistic understanding of social processes in Europe and argues that the “ethnoracial”1 (Goldberg 2002: 82-102) is constructed globally through specific local practices, which he names in the European context “racial Europeanisation”. He describes aspects of a structural momentum of EU migration and integration policy, which Balibar conceptualises as a question of access to European citizenships. According to Balibar, it is not yet decided whether the Europe under construction is developing a model of apartheid or a model of 1
I use the terms ‘race’ and ‘ethnicity’ as similar but distinct discourses. While ‘race’ and racism are seen as external to Europe, as Goldberg would say, ‘ethnicity’ and the holocaust are seen as belonging to Europe (Goldberg 2005). In the everyday understanding of ‘race’ and ‘ethnicity’ this distinction is often not made and therefore I speak occasionally of ‘race’ and ‘ethnicity’ or the ‘ethnoracial’ as explorative terms in order to discover more about their meanings.
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struggle against segregation that is paving the way to a new European social model (Balibar 2003: 199). This paper explores if and in what ways those structural processes are represented in the production of meanings in a group of international students from inside and outside Europe. I explore how they think critically about the racial ordering of this European social structure, its racist exclusions and social markings. By framing the ‘black’ and ‘white’ experiences and the imaginary of whiteness as ‘mediatised’ European colonial legacies, I continue to examine whiteness and its specific meanings of civilisation. It is important that the young students come from abroad, because it enables them to look from a critical outside perspective at their emotions and identifications. I then decode the ‘black’ and the ‘white’ as a way of talking about racialised transnational class relations in which marketisation, discrimination and spatial segregation play important roles. I further inquire into the potential for educating young students in such a way that they are empowered to become part of a group of critical ‘organic intellectuals’, who might be the bearers of a new nonexclusive European social model.
1
Methodology
To explore those questions, I use qualitative data produced by 23 students who attended the “Racism in Europe2” seminar. I do not look at the individual cases or my interpretations of them, but rather at the ‘inter subjective’ dimension of the worlds they are interpreting. This heuristic approach3 is different to the interpretative, hermeneutic approaches widely used in qualitative research. This has effects on the presentation of the results, because description and analysis merge. In this sense, the paper is much more a work-in-progress, presenting preliminary rather than final results. The students who participated in the seminar do not really fit into the usual category of migrant, because some of them were born in Germany and are of mixed native German and migrant background. A few migrated to Germany as children; most came recently as students. At the beginning of the seminar, the 20-30 year-old students wrote half a page about their own experiences of racism or about ones they have witnessed or heard of. All of the 23 students wrote about their first experience and 17 of 2
3
The seminar “Racism in Europe” has been run since 2002 and a total sample of approximately 100 stories about first experiences have been gathered. Some of them have been analysed in Hieronymus 2003: 63-88. The stories analysed in this article were written in 2004-2005 at the Department of Economics and Politics at the University of Hamburg’s European Studies Program. Such approaches are used in mathematics and computer science for problem-solving and include strategies for seeking and finding the unknown (Kleining 1995).
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them recorded a second story about a recent experience in Hamburg. The stories were written at home and then posted to an Internet forum, which was accessible to all participants. This material was then used during the seminar to give a practical introduction into a qualitative-heuristic research methodology and into multiple aspects of racism in Europe and other parts of the world. The applied qualitative-heuristic research methodology is based on the principal of dialogue (Kleining 1995: 99-104), which is an alternation of questions and answers. Open questions provide answers that give rise to more information than the question asked for. Those answers contain the next question, et cetera. To access the imaginings of the students, it was therefore necessary to trigger a dialogue, which started cascades of questions and answers, and constituted our research object, the meaning of ‘race’ and racism. Four basic rules must be taken into account. Rule (1) affects the subject, the researcher him- or herself and assumes openness. Prejudices, preconceived concepts and narrow-mindedness should not be guiding lines for the researcher (Kleining 1995: 231). Instead of defining racism at the beginning, the students were free to conceptualise it. It was said that the story should be tangible, short and precise. Rule (2) postulates the openness of the research object. It is unknown and unclear in the beginning, but through dialogue the shape (Gestalt) of the object becomes clearer. Only at the end of the research process, when all information is included, is the object known (Kleining 1995: 233). All stories were used and none was ruled out on the grounds of any ‘wrong’ definition. Rule (3) affects the relationship between subject (researcher) and object (research) and demands that all perspectives that might influence the object must be taken into consideration Kleining 1995: 236). Good data is diverse and contradictory. This was guaranteed by the diversity of the students and their backgrounds. The countries the students came from were clustered into four categories. The first category, internal Europe, includes stories from the founding members of the European Community, France (2) and Germany (14).4 The second is comprised of those countries that joined the EU in its various phases of enlargement and is represented by stories from the new member state Poland (2) and the old member state Portugal (2). The stories of the Turkish students (7) represent a region that seems to be neither inside nor outside of Europe. Migrants of Turkish background are one of the largest groups inside Europe and Turkey has long had special relations with several EU member states. The third grouping is made up of stories from eastern European states, like Romania (2), Kosovo (2) and Russia (1), who do not yet belong to the European Union. The rest of the collected stories come from outside of Europe: Australia (2), China (4), Columbia (1) and Kyrgyzstan (1). Twenty4
All numbers in brackets show the number of stories produced by the students of that country.
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seven stories were written by male and 13 by female students. Finally, Rule (4) suggests a focus in data analysis on commonalities (Kleining 1995: 242): What do the stories have in common? rather than how do they differ? This is the focus of the following sections of this chapter, presenting an analysis of the stories.
2
Mediatisation of Colonial Legacies
Mass media and their colonial imaginary play an important role in understanding racism. There is an interpenetration of this colonial imaginary and everyday life in the presented stories. This merging of imaginary and everyday life I refer to as the ‘mediatisation’ (Krotz 2001) of European colonial experiences. Mediatisation is closely associated with three basic functions of the media in communication processes: (1) the relay function, grounded in the media’s technological capacities, serving to bridge spatial and temporal distances between everyday life in China, Turkey, Poland, Germany or Kyrgyzstan and the past colonial experiences of Uncle Tom, Kunta Kinte or World War II. It brings the user into contact with social realities they normally are not able to see with their own eyes. (2) The semiotic function, making messages suitable for human information-processing through encoding and formatting. Information is presented in a diversity of formats. We can read a book about Uncle Tom, see him in different films from different times or we can learn about him on the Internet. Personalised stories are a form of knowledge about colonial institutions that a global mass audience is able to decode. (3) The economic function highlights the standardisation of media products as an outcome of mass production processes (Schulz 2004). It standardises the European colonial legacies into the imaginaries of a Western colonialism (including colonial conquest, slavery, black oppression in the U.S.), white supremacy (apartheid in South Africa) and Nazi anti-Semitism (holocaust in Eastern Europe) (Balibar 1990: 50) and which are reduced to commodities, which can be sold worldwide.
2.1 Framing ‘black’ and ‘white’ experience Let us start with one set of stories referring to media like television, cinema or the Internet. Media are sources shaping knowledge about racism. A Chinese student, for example, learned about racism through the film Uncle Tom's Cabin, based on a novel (…) written by Harriet Beecher Stowe, a brave American female author in the 19th century. Stowe had written the novel as an angry response to the 1850 passage of the Fugitive Slave
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Law, which punished those who aided runaway slaves and diminished the rights of fugitives as well as freed slaves. Hoping to move her fellow Americans to protest this law and slavery in general, Stowe attempted to portray ‘the institution of slavery just as it existed.’ Indeed, Uncle Tom's Cabin was nearly unique at the time in its presentation of the slaves point of view. (...) Later on I heard many stories about racism happening in the USA and South Africa. (Female Chinese student, 2005-1).5
This novel, which has been one of the most filmed in the history of cinema6, shaped this young woman’s initial understanding of racism and her emotions. She empathised with the slave and was deeply touched by the injustice. A Turkish student saw the film Roots, after the novel by the American author Alex Haley, on Turkish TV. Haley reconstructed his family history and it was one of the first historical visual representations of slavery on television. (...) the first images that come to mind are the pictures of whipped slaves from a TV serial, which was very famous during the 1980s in Turkey, Roots. (...) The main character was a West African youth, Kunta Kinte. He was captured by slave traders and sold to white masters, who beat him brutally. (Female Turkish student, 2005-2)
Another Turkish student, who openly sees himself as a perpetrator of racism, reminds us that the institution of slavery is not just part of the ‘West’, as it is often presented in the media, but has a legacy as well in Turkey. I have mostly experienced racism by applying it to others. (...) We [used to have] neighbours who were of African origin. They spoke Turkish and had been part of Turkish society for more than 200 years. As a baby, I used to cry out when I saw them. (Male Turkish student, 2005-3)
Turkey is the product of the disaggregated Ottoman Empire and the presence of black Turks is a reminder of this imperial past. The Ottoman Empire had been an active part of European and Asian politics since the Middle Ages, but is rarely part of the collective imaginary of slavery in the media7. Another story from Turkey shows how children in Turkey used the media imaginary of Kunta Kinte in Roots to frame their local context. Anyway, in my street, there was a Roma child and his skin was darker than every body else's. And everything started with the film. He became our Kunta Kinte. He was not the one with
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7
The full protocols are available online. Detailed information at www.imir.de. In 1987, 1965, 1927, 1914, 1910 and in 1903, from: http://a9.com/Uncle%20Tom's%20Cabin? src=imdb, 16.2.06, 19:11 One of the few examples of such a media imaginary is a western production. In Lawrence of Arabia, the Ottoman Empire is presented as the cruel oppressor and the Arabs, with the help of the colonial British empire, struggle heroically for their freedom. Edward Said deals with this type of imaginary in his book Orientalism (Said 1979).
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Andreas Hieronymus whom we played football together, went swimming or fishing. We, his friends, gave him the role of a film character because his skin colour was different. (...) Whenever we started to call him Kunta Kinte, he would cry and run away from us (...) there were also some boys who wanted to make him their slave. (Female Turkish student, 2005-2)
These children used the image of the slave in “Roots” to articulate the forgotten history of Roma people. New research shows that the Roma came to Europe as slaves of the Ottoman Empire (Knudsen 2003). The colour difference between the playing children is not only used to frame their everyday interaction with the colonial imaginary of the film, but also unmasks forgotten social meanings. A similar process can be observed in a story from Germany, where naming among children reveals a colonial background. Nico, a boy who came from India and was adopted by a German family at a young age spoke German as his mother tongue. [...] due to his rather black skin (...) we also made up a nickname for him by calling him “Schoko” sometimes. (...) He refused to play with us and told us he didn’t want to be called “Schoko” any more. (...) we didn’t stop shouting his name but even made fun of him. I remember him getting really angry. Finally he started crying and ran off. (Male German student, 2005-4)
The student writes that they called him “Schoko”, because it sounded like “Nico”. This reflection of the self in the other through nick-naming is one way of constructing and learning a ‘white ethnicity’. “Schoko” articulated the brown skin of Nico, because it refers to the German for chocolate, a product very much connected to the German colonial past. This colonial imaginary is still present in everyday life for example as the chocolate brand “Sarotti”, whose brand logo is a Moor with a turban8. Another German student described in her story (2005-29) how she felt when she saw a cinema advertisement using the image of a talkative Caribbean, who is silenced by the breaking of a chocolate bar, just before the film “8 Mile”, featuring the life of the white rapper Eminem. While she was horrified, everyone was laughing. This difference in perception between her and the young male audience in ‘Hip Hop outfits’ might illuminate the different framing of the ad by the audience. While one part of the audience admires the ‘whiteness’ of Eminem, who challenges the hegemony of ‘black’ in Hip Hop and plays with the image of the politically incorrect ‘white’ rebel, the student presents herself as ‘politically correct’. A Turkish student frames his experience during the Turkish-Kurdish civil war with the 1994 film The Shawshank Redemption directed by Frank Darabont. 8
see www.sarotti.de
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After a fight with a group of Kurds, this student was scarred with a knife. He identifies with the film hero, a white banker, who is convicted and sent to Shawshank prison for murdering his wife. After some years, he gains the respect of the other inmates, especially that of a long-time convict, a black-marketeer, and he becomes influential within the prison. I have carried that mark [the scar] for such a long time (...) but not as a mark of respect for Kurds, also not as a mark of hatred of Kurds, but as a mark of the futility of racism. That event could have turned me into a real racist but, thank God, did not. (...) I was racist and have been redeemed. I received redemption. (Male Turkish student, 2005-3)
This student identifies with the white banker, who in the end gains respect among equals and again becomes influential. This framing allows him to understand the injuries of his fight and the scar it left as redemption. The stigma is a reminder to him and re-establishes a respectful relationship with Kurds. His experience did not turn him “into a real racist” but made him a critical ‘white’ adult. Like “8 Mile”, this story is about struggling for respect among ethnicised people.
2.2 The Imaginary of Whiteness and the ‘East’ There is a difference in the imaginaries of the ‘West’ and the ‘East’, although the process of mediatisation seems to be the same. A male student from Kyrgyzstan for example tells in his story about his image of racism that “World War II, Adolf Hitler and Mercedes were my associations with Germany” (2005-26). It was through the films in the former Soviet Union depicting the Second World War, the “Great Patriotic War” and the fight against “evil German Nazis”, that he learned about Germany, racism and national socialism. This is another legacy of European racism and it is the students from the ‘East’ who refer to it. This student describes how he is surprised that he has not come across any racist behaviour from Germans, as he had expected after seeing these films. This expectation was somehow met however, as he described how another friend from Kyrgyzstan was hospitalised by skinheads in Mannheim. A student describing Poland as very homogeneous, gives us another ‘Eastern’ perspective on the media there. It is really hard to meet a foreigner there, at least in the town where I grew up. I can still remember the Polish films from the eighties, in which white Polish actors played the roles of black people. For this purpose their faces were coloured with black paint. If I met someone from Asia or Africa on the street (...) people would stare and point at them. (Female Polish student, 2005-5)
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The homogeneity of Poland, a country that for centuries was a German, Russian or Austrian colony and where a lot of minorities lived, is a legacy of World War II as well.9 The student went on to say that only in the past couple of years have people from Asia and Africa arrived as asylum seekers and they are kept separate, in camps on the fringes of villages. The reactions of Polish people are similar to that in the story of a Chinese student (2005-27). She was afraid of the black colleagues of her father who came to visit them. Her father was first embarrassed and then argued that foreign cultures and civilisations must be respected, otherwise she would meet the same discrimination abroad one day. At this point, we can summarise: media products such as films, TV programmes and even advertisements are used to frame the local experiences of colour differences among young people and bridge the gap between a (colonial) past and their present (the relay function). The framing of these local experiences with personalised media stories make them comprehensible in a global context where colour matters (the semiotic function). Watching films and ads and communicating via e-mail are part of a global youth culture, independent of the region they come from. Cinemas, televisions and Internet cafes are places of commodified communication (the economic function). While in the ‘West’ there is a long experience of ‘colouredness’, the ‘East’ is only recently having experiences of the meaning of colour. Racism there is related to white superiority and Nazi ideology.
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3.1 The meaning of civilisation The experience of colouredness is articulated by one of the Chinese students, who writes about the “influx of post-colonial people into the ‘white’ world” and how they have shaped the understanding of the “inequality and discrimination that pervades Western society”.10 This effect of colonialism is exposed in the memory of a Portuguese student. Her story is based on the time when colonies like Mozambique, Angola, Cap Verde, São Tomé and Princípe acquired their independence from Portugal. During this period (1975-77), many people from 9
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There is no reference to the Holocaust in the stories. It is referred to as ‘World War II’ and ‘German superiority’. The ‘Jew’ is invisible in all the stories, except in a story of a French student (2005-24), where Jews are enumerated in a long list: “Chinese, Vietnamese, Jewish, North African, African, Pakistanis, South American, East European or from the West Indies”. From protocol 2005-6, female Chinese student.
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the former colonies migrated to Portugal. These people were called “Retornados”, meaning the “returned”. The ‘Returned’ people ruined the apartments that the state gave them. They said that the ‘Returned’ burned every piece of wood [from the floor, AH] in the apartments and opened holes in the floor to make fires. They also threw their garbage down the elevator shaft. I was eight or nine years old when I heard these stories. (...) They don’t know how to live in apartments, they are primitive. (Female Portuguese student, 2005-7)
She articulates an imaginary of the ‘primitive’ overrunning Lisbon, not being able to live in a modern and ‘civilised’ European world. She reflects in her story the fact that more than half a million people migrated to Portugal, particularly to the Lisbon area at that time. But alongside the “Retornados” came Africans as well, especially from Cape Verde and Angola11. A few years later she understood that they had been put into rapidly built apartment buildings that were not ready for occupation. This image of the ‘uncivilised’ and ‘primitive’ shows some similarity to that of another German student not situated in a post-colonial context. He wrote from the perspective of a middle-class child raised in a German village, where everybody owns a house. One day, a family with five children and four dogs moved into one of the houses. At first I was happy to meet other kids but soon I realised that they were somehow different. It was not possible to play with them. They were so unfriendly and bold all the time. I couldn’t understand the new kids because they had a different slang or language. They also had ugly clothes, which were always dirty and they looked so unkempt. And all members of the family had this bad odour. (Male German student, 2005-8)
Both sides have in common an image of the ‘civilised’ Portuguese or German opposed to the ‘uncivilised’ colonial black, the ‘de-civilised’ white “Retornado” or the ‘dirty’ German family, whose ethnic background is not marked. There is a whole cluster of stories that focus on ‘dirt’. They all describe the behaviour, look, language or smell of the other as ‘dirty’, marking the self as ‘clean’, although it might be considered ‘dirty’ by others, as in the following story of a German student (2005-28). A drunk man, of migrant background himself, is insulting, in Pidgin-German, a woman wearing a head-scarf, as a “dirty foreigner pig”. The attacked women is then protected by others of both German and migrant background. In this scene, perpetrator and victim no longer fit a binary image of ‘white’ perpetrator and ‘black’ victim; it shows that naming the other ‘dirty’ is a way of constructing a ‘civilised’ self. The drunk acts in the name of an imagined majority. Such twisted representation is found in another
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http://www.migrationinformation.org/Profiles/display.cfm?ID=77, 4.3.06, 18:00 h.
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story, where migrant youth slip into the role of German Nazis and embarrass their fellow commuters in the underground. At the end of the carriage there was a group of maybe 6-7 Turkish guys – between 14 and 17 years old. (...) They made the hand sign and screamed “Heil Hitler” and talked in a way Hitler did. (...) At the first stop, half of the carriage left and went into in the next carriage. (...) I must say that I never experienced such a strong type of disgust and I felt ashamed for them and for German history at the same time. (...) I thought that I could read in their (the fellow commuters’, AH) eyes something like “oh no, those Turks again misbehaving” but also anger in the direction of “how can those immigrants dare to offend me in this manner in my own country (...). (Female German student, 2005-9)
Such acts are normally carried out by German Nazis. Here it is performed by young people of migrant background. Instead of accusing others of being Nazi, they present themselves as them. Nobody is able to handle this unusual situation and like the student, most people ignored or avoided it, although they experienced anger and shame. As we already have seen, Nazi ideology is related to the idea of ‘white supremacy’. The identification with the potential perpetrator enables the young people to turn their social position upside down, through the creation of a situation in which they are in control. On the other side, the audience, through the eyes of the student, is ‘foreign-ising’ those troublemakers, most likely born in Hamburg. They ‘misbehave’ and ‘offend’ with something that does not belong to them, in a country that is not their own. While these young people rebel against the social position that ‘Turks’ occupy in Germany, an Australian student highlights the class character of this positioning in her story. She was working as a foreign language teacher in a bilingual high school, in one of Hamburg’s most affluent suburbs. The majority of the pupils were of white Anglo background. At the end of a party, the teacher asked the students to clean up. One turned around and asked, in a superior tone, supported by the others who cheered and whistled: Why should I do that? That is why we have the Turkish Putzfrau! We have Gastarbeiters for a reason, to do the jobs that Germans find too dirty. (Female Australian student, 2005-10)
Decoding the negative meaning of ‘dirt’ in those stories leaves us with a positive meaning of ‘civilisation’ as being a clean native, having a pleasant smell, being friendly, speaking the same language, showing your hair, having no cultural traditions that leave traces on your body, having a clean job, knowing how to behave, not offending others and in the case of Germany, being “born in Germany, speaking German, and being of white skin colour” (2005-4). While being ‘white’ in the colonial context is synonymous with being ‘civilised’ and
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not being ‘black’, this changes in post-colonial Europe. Being ‘white’ is no longer a guarantee of civilisation but rather of being ‘clean’.
3.2 Being Abroad - Emotions, Identifications and the Outside A Columbian student of Jewish-German background describes how she achieved a deeper understanding of racism in Latin American and Europe. In my country many ‘races’ live together. Actually, I was not deeply aware about that until I came to Europe. Germans always ask about your racial background and this question was never asked of me before. (...) there is racism in my country, linked to poverty. Discrimination related to money and social status is open and one can see it. You can see it at the offices, at the school and university. (Female Columbian student, 2005-11)
For her, racism is linked to poverty and not to colour. It was only after leaving home that she became conscious of her own ‘race’ or ‘ethnicity’. Such is the case of a student who earlier had problems with his German identity and after having studied in the U.S., Spain and England, is now happy to be German. I have to admit that there are some things that I am quite proud of. It is impossible to live in a foreign country and to be constantly ashamed of your own nationality, it destroys your selfesteem. So I had to start to identify with my home country in order to survive. But the process came naturally to me. I discovered how ‘German’ I really am (...). (Male German student, 2005-12)
Identification is seen as a normal way to survive abroad, in the ‘outside’. One student wrote about the way people react in Germany when they learn that she is from Turkey. It is as if they start looking at her with prejudice. I feel that I am one of those Turks that invaded their country and one of those Turks that are strange, uncivilised and culturally inferior. (...) another student who is German, told me that before he met with other Turkish students here he did not like the Turks and his past ideas about Turks confirmed (...) my feelings. (Female Turkish student, 2005-13)
Another Turkish student experienced a wave of feelings when she arrived in Hamburg. In her story (2005-14), she writes about being abroad for the first time. She started to hate people from countries that historically have had problems with Turkey. Although she did not have any personal problems, she examined them according to their nationality. Only a few students wrote about an encounter with the open, violent racism of skinheads and fascists. How subtle the process of constructing an identity through violent exclusion can be, is the focus of a story of another German stu-
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dent, which provides us with a perspective from the perpetrators’ side. She went together with her mother and grandmother to a supermarket to buy some food. My grandmother took the trolley because she needs it as an aide for walking. (...) when we watched her, we saw that she was pushing the trolley at people who did not resemble the ‘Aryan’ stereotype. She drove the trolley into the backs of these people (...) My mother then apologised for my grandmother’s actions and everybody assumed that she was only an old woman who could not handle her trolley. (Female German student, 2005-15)
Three generations of Germans are involved in this story. The grandmother, who represents the old type of German fascist; her daughter, who covers up the behaviour of the grandmother in redefining the situation as a loss of control by an aged person; and the grandchild, who brings the hidden to the public of the seminar. This interaction of different generations within one family shows a legacy of dealing with the image of the ‘superior white German. This type of delusion, where the discriminating act serves to re-establish the self’s ‘racial’ identity as ‘Aryan’ and is covered up, makes it harder for the victim to identify such acts as discriminatory and he or she is left with an unspecific feeling that something is wrong. One Turkish student described in her story (2005-16) how she learned to be a ‘Turk’ in the German context. She experienced a class difference, which is framed as an ‘ethnic’ or ‘racial’ difference. In Germany, she was no longer part of the Kemalist national elite in Turkey, but was ethnicised as a Turkish worker. In this and other stories, self-ethnicisation as a strategy to deal with the emotional consequences of imposed forms of (ethnicised) exclusion becomes visible. All have learned through stepping outside themselves as preconfigured Others and ethnicise themselves according to the preconfigured ‘ethnoracial’.
3.3 ‘Black’ and ‘White’ - Decoding racialised transnational class relations How it feels to be identified as a member of an ethnicised labour force is evident in the story of a Chinese student on a visit to her grandmother in the U.S. at the age of 15. It depicts an episode during her visit to a big department store in order to purchase a Barbie doll. A sales lady saw me and said to me with a very sweet voice: “Can I help you?” I told her that I liked the Barbie doll. She was interested in my Asian features and asked: “Are you from Japan?” “No, I am from China.” “Oh, you come from Taiwan!” “No, I am from mainland China.” After hearing my answer, her expression changed. She told me that on the other side there were some toys on discount. (...) I felt offended and took 2 Barbie boxes and uttered the words: “I want these two.” And I subsequently paid for them in cash. I cannot forget the embarrassed expression on her face. On my way home I was so happy, feeling like a triumphant
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soldier, despite the fact that my victory cost me all of my pocket money (...). (Female Chinese student, 2005-17)
The student perceives the saleswoman’s behaviour as an act of discrimination because of her social position and not solely because of her Asian features. For the American saleswoman, Asians from Japan or Taiwan are potential consumers of expensive branded goods, while people from mainland China are poorer and only capable of buying cheap products. In an act of resistance, the student rebels against this imaginary of wealthy ‘western’ and poor ‘eastern’ consumer and exaggerates consumption in a way that cost her money, but left her with the satisfaction of winning in this struggle about stereotypes. In the end, she draws the conclusion that racism (...) is not only related to the colour of your skin or eyes, but also directly linked to your culture, economy, politics and the country from which you originate. (Female Chinese student, 2005-17)
For her, racism is discrimination not only on the basis of physical features, but also of cultural, economic and national belongings as well. The different experiences with racism against students belonging both to hegemonic cultures and to minority cultures, show that the imaginary of ‘black’ and ‘white’ is used to express the power relation between the hegemonic, civilised, wealthy, western consumer, who might belong to a national elite, and the un- or de-civilized poor. China transgresses those binaries as the student highlighted. Today, physical features become relevant when they are combined with other knowledge about the positioning of the person’s nationality within the global economic and political system.
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Marketisation, Discrimination and Spatial Segregation
In this last section before concluding, I reflect on how the post-cold war world is constructed in the students’ stories. I look into some of the consequences of using market-based solutions for the problem of ethnoracial. The story of a Russian student is in this sense paradigmatic for contemporary Europe. He was visiting home, and went to a night-club in Moscow. He informs us that the ‘black’ population of Moscow, especially students, has increased since the collapse of the USSR. The student paid no attention to the fact that there were no ‘black’ people inside the club until he went out with his cousin for a breath of fresh air.
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Andreas Hieronymus The security at the club claimed to be doing so-called “face control” at the entrance. They refused black people entry to the premises, irrespective of whether they were alone or in groups. In fact it had become a ‘party for whites’ and the worst thing about it was that nobody, including my cousin, would complain about it. (Male Russian student, 2005-18)
The conversation he had the next day with his cousin made him change his mind. He drew the conclusion that there is a distinction to be made between racism and manifestations of self-defence of communities. He told me that statistically 85 per cent of all drugs in Moscow are distributed by blacks, and although not all blacks are illegal dealers, almost all dealers are black. (...) On the one hand, it is not fair to blame all representatives of a particular group for what the majority or half of them do; on the other hand this appears to be the only effective way to keep drugs out of your club or other undertaking, given that the police are not powerful (or willing) enough to handle drugs themselves. (Male Russian student, 2005-18)
This story describes the process of constituting a ‘white’ gated community on the ‘inside’. As in some of the other stories, it is the step outside that allows reflection on the setting. What is remarkable is the re-interpretation of discrimination as collective self-defence. It frames the alienation of economically interdependent groups. Inside are the ‘white’ consumers, some of them probably using drugs; outside are the ‘blacks’, some of them suppliers of drugs. Borders are not containing a defined nation-state any more, but they are structuring its internal market space and are manifold. Burawoy sees this as “third wave marketization”12 “sweeping the earth, with the state no longer a bulwark to market expansion but its agent and partner”, starting from the mid-1970s with the end of Western colonialism and accelerating with the breakdown of Soviet communisms (Burawoy 2005: 157). Internal borders where discrimination functions as collective self-defence is very well illustrated by the experience of another Turkish student. Her parents originally came from eastern Turkey and migrated to Germany; she was born in Stuttgart, but then brought up in western Turkey. She describes the atmosphere during the Turkish-Kurdish civil war in the 1990s, during what would these days be called a “fight against terror”.
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“Marketisation is the use of market based solutions for social, political, or economic problems. This involves deregulation of economic controls, privatisation of industries, and freeing wages and prices from government influence. These simple steps, it is argued, will lead to the creation of a functioning market system”. (http://www.answers.com/main/ntquery?s=marketisation&gwp=13, 8.9.06). According to Burawoy, the first wave was the commodification of labour (Capitalism, Marx), the second wave, commodification of money (Imperialism, Lenin) and the third wave, the commodification of nature, the environment and the body (Burawoy 2005).
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In those years, there were always security measures against possible bomb attacks in public places so when the man looked at me closely and asked my identity card, I thought that it was some form of control. I gave my identity card in silence. The man searched both me and my bag thoroughly and at the end he allowed me to take the steamboat, after he had asked me very many questions (...). I was totally confused. (...) According to the man, my face resembled that of the people coming from the east and the people coming from east are Kurds. (Female Turkish Student, 2005-19)
As in the story from Russia, group characteristics are used to protect internal public spaces through discriminatory treatment of suspect groups, like ‘blacks’ or ‘Kurds’. Another form of internalisation of external borders was reported from Poland, where asylum seekers from African countries and Chechenya are kept in separate camps and are discriminated against by the local population, who do not allow the children to attend public school with their own children and abuse them on the streets because of their skin colour and nationality (20055). The institution of asylum was re-invented in Germany in 1993, three years after unification, and it has been part of European policy since. While earlier, it was an instrument of the cold war and was partly used to recall the experience of exile during the Nazi period, it is nowadays an instrument of tight migration control. Since then, a cordon sanitaire has been established around the neighbouring countries13. The unification of Europe and its single market is one side of the coin, Europe as a fortress and the diminished possibilities of legal migration from outside Europe is the other. One of the few ways to enter Europe legally now is through marriage. The uncle of a German student married a much younger teacher from western Africa, who lived as a refugee in Hamburg. This led to suspicion in the family, whom the student had considered to be quite cosmopolitan. But last Christmas it became apparent to me that this was not about my uncle. This had something to do with ‘double standards’. Yes, we love to travel and we have been on safari in Africa. One could call us even a cosmopolitan family to a certain degree. But the limit of tolerance in my family seemed to end at the point where my uncle marries a woman from Africa. (Female German student, 2005-21)
This story highlights that spatial separation stabilises world-wide power relations, while interpenetration is destabilising them. The orientalised African safari experience of the white, western consumer is acceptable, but not the entry of the black African into the private sphere of family life. In the case of a German student who fell in love with a Turkish man, it is less the colour that penetrates the ‘internal’ and is frightening, than nationality combined with Islam. 13
See Shadow report on Racism in Germany 2005, European Network Against Racism, http://www.enar-eu.org/en/national/germany/Germany_2005.pdf
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Andreas Hieronymus Sentences fell like ‘Turkish! This is even worse than coming up with a black guy’, (...) ‘Don't you know that they are all aggressive, it won’t be long before he makes you wear a scarf’. (...). At home I was just never a subject - until the first Muslim entered my life. (Female German student, 2005-22)
In opposition to the parental stereotype of violent and oppressive Islam, it is her rebellion with the help of a male Muslim that brought out her subjectivity. Her family does not want to share the same space as a Muslim. In another story of a German student living in a stigmatised migrant quarter of Hamburg with an allegedly high crime rate, people from western EU member states merge to form one European ‘race & ethnicity’, while eastern Europeans, Turks and people from outside Europe are made foreign. The people of African background are sitting in one corner, Muslim women in scarves are in another corner, also the Turkish or people from Eastern Europe and further. They don’t speak to each other (they all speak the same language) and when the European people are coming (from Spain, Portugal, Greek) this group put its nose in the air and stays separate. (...) For me, the word Ausländer describes all people who’re living in Germany and look different from the middle-European stereotype, doesn’t matter if they are born in Germany, have taken German citizenship or grew up [in Germany]. (Female German student, 2005-23)
Ausländer, the German word for ‘foreigners’, is a residual category for her, comprising all who are not ‘African’, or ‘middle European’. Although they all speak the ‘same’ language, those three ‘races’ inhabit segregated spaces and do not communicate. There is a multiplicity of languages in Europe. Often languages constitute their own (national) spaces and conflicting identities. The French student sees a difference between France and Germany in the way people approach language. While France is much more mixed than Germany and everybody speaks French, Germans draw conclusions about language from the appearance of the other and she concludes, “For me language and blood are not linked at all” (2005-24). Two types of language identities can be therefore observed: Ethnicised group languages (e.g. in Kosovo, Serbia, Germany) and the lingua franca (e.g. in France) where one language is a hegemonic tool for communication.
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Conclusion
I began my investigation with the image of young Africans climbing over barbed wire to come to Europe and I want to conclude with a story of an Australian student giving an example of how, for 72 years, a sort of European ‘race’
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was produced through strict migration control in this former British colony14. She is critical of this policy and still sees Australia as a racist country. In her story, she reflects on the historical background of Australia's migration policy. My grandfather used to always describe Australians as mutts. (...) I myself will admit that I am a mutt, a mix of German, English, Scottish and Irish, rolled into one. (...) Until 1973 Australia had a very strict immigration policy. It was called the ‘White Australia Policy’, all immigrants wishing to migrate to Australia had to prove their proficiency in the English language, and also come from a white European background. The policy was introduced at the turn of the 20th century; its aim was to control the number of Chinese mining migrants entering Australia. You could say things have changed dramatically since 1973 with nearly 100,000 people from over 150 nations migrating to Australia each year. (Female Australian student, 2005-25)
She calls herself a “mutt”, describing her background as a mixed white European ‘race’, which speaks the same language. She calls the White Australia Policy strict and notes that it was directed against Chinese migrants. It was supported by strong trade unions protecting the ‘White European’ labour force in Australia. Is this similar to what emerges as a European migration policy and can it be called a “White European Policy” or “European apartheid”? This tendency is reflected in some of the stories, where the students talk about the structural dimensions of racism (asylum legislation, camps, racist police control, segregated spaces, etc.). The story from Australia suggests that this dimension of exclusion has to be looked at from a broader perspective, of controlling the labour force. In the analysed stories I have carved out two colonial traditions, a ‘Western’ and an ‘Eastern’ tradition. I did not find in the stories direct evidence for what in historical research is called racial naturalism15. This might be due to the fact that it has been de-legitimised since the Holocaust and stands for a specific colonial experience of central and eastern Europe, where superiority was legitimised through nature (white supremacy). The other tradition, racial historicism16 legitimises superiority through the process of civilisation and seems to be much more alive in the experiences of the students. This tradition is part of the mediatised experiences. They bridge the gap of space and time and deliver a global imaginary that is able to frame and articulate the young people’s experiences of racism in a ‘global language’. The encoding of those local experiences
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This policy was based on the Immigration Restriction Act of 1901. Earlier acts explicitly banned non-Europeans from migrating to Australia. Those acts drew lessons from the American experiences after the abolition of slavery and the spread of wage labour. This particular act inspired similar legislation in South Africa. http://en.wikipedia.org/wiki/White_Australia_Policy, 6.3.06, 18:00 h Dominant from the 17th to the 19th century (Goldberg 2002). Dominant since the 1830`s (Goldberg 2002).
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in a language that can be decoded anywhere on the globe standardises those local experiences. We have seen in the stories that racism is framed by two main imaginaries: Western (British) colonialism, and World War II and/or its historical successors. Others are rarely visible. I would argue then that with the rise of Europe as a unified political body, a new mode of ‘Europeanness’ is in the making. It is part of a changing global ‘racialised’ labour division, with the consumer and the consumption sphere at its core. The analysis of this process in the stories of the students shows that the step outside of their known world, their ‘being abroad’, helps them to discover their own ethnicity in this global world of racialised transnational class relations. They become aware that they are surrounded by other (often excluded) ethnicities and that they have meanings and positions. In particular, the experience of their own ‘whiteness’, which is no longer ‘invisible’ and ‘neutral’, but becomes an ethnicity among others, is ambivalent. The imaginary of ‘whiteness’ is loaded with the history of colonialism, genocide, violence and the spread of ‘civilisation’. On the other side, we have seen that the young students are able to reflect critically on their experiences with racism and find new ways of articulation. I therefore want to argue for a public sociology that takes the standpoint of civil society against the (nation) state, economy and borders reinforcing an apartheid system in Europe. Public sociology needs organic sociologists who have, on the one hand, an unmediated, less visible relation to the public and are active in local social movements, and on the other hand are able to use mediatised colonial imaginaries to reflect critically on other, new forms of exclusion that are not yet mediatised and therefore are publicly invisible. My exploratory study demonstrates that there is potential among young international students for a transnational dialogue about problems of racialised transnational class relations.
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Hieronymus, Andreas (2003): Erste Erfahrungen mit Rassismus. Eine qualitativ-heuristische Analyse von Gedächtnisprotokollen aus 14 Ländern. In: Hagemann, Otmar/Krotz, Friedrich (Hrsg.) (2003). 63-88. Kleining, Gerhard (1995): Lehrbuch Entdeckende Sozialforschung. Band 1. Von der Hermeneutik zur qualitativen Heuristik. Weinheim: Beltz. Knudsen, Marko D. (2003): Die Geschichte der Roma – Ein komplettes Bild der 1000 Jährigen Roma Geschichte. Hamburg: RomaBooks.com. Krotz, Friedrich (2001): Die Mediatisierung kommunikativen Handelns. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Said, Edward (1979): Orientalism. London: Routledge. Schulz, Winfried (2004): Reconstructing mediatization as an analytical concept. In: European Journal of Communication, 2004, Vol. 19, No. 1. 87-101.
Für mich aber hat dieses Integrationswort mit der Zeit seinen Wert verloren – Perspektiven junger Erwachsener mit Migrationshintergrund Barbara Schramkowski
Das Thema Integration nimmt in öffentlichen Diskursen seit einigen Jahren einen zentralen Stellenwert ein. Dabei hat sich einerseits, vor allem seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA sowie der Ermordung Theo van Goghs in den Niederlanden im November 2004, die auf Defizite und Probleme Eingewanderter (vor allem muslimischer Zugehörigkeit) ausgerichtete Fokussierung der Diskussionen verstärkt. Andererseits wird oft die Wichtigkeit von Integration betont. Dabei werden in öffentlichen Verlautbarungen neben der Relevanz von Deutschkenntnissen die Förderung gesellschaftlicher Teilhabechancen von Personen mit Migrationshintergrund als Kernelemente der Integration hervorgehoben. Darüber hinaus wird akzentuiert, dass Integration eine fortdauernde Aufgabe ist, für deren Ausgestaltung die gesamte Gesellschaft Verantwortung trägt. Dennoch wird das Thema in der Öffentlichkeit fast ausschließlich aus der Perspektive der ‘deutschen’ Mehrheitsgesellschaft dargestellt und dabei vor allem über Personen mit Migrationshintergrund gesprochen, anstatt miteinander über Ziele der Integration zu diskutieren und Handlungsstrategien gemeinsam festzulegen.1 Somit bleibt der Blickwinkel von Personen mit Migrationshintergrund in den zahlreichen Debatten über Integration weitgehend unberücksichtigt, obwohl sie AdressatInnen der vielfältigen Forderungen sind und ihre gleichberechtigte Einbeziehung in die Ausgestaltung von Integration insofern selbstverständlich sein müsste. Auch bei der Auseinandersetzung mit der Fachliteratur fällt auf, dass es keine fundierten Studien gibt, die das Thema 1
Die Begriffe ‘Deutsche’ bzw. ‘deutsch’ und ‘Ausländer’ setzte ich in Anführungszeichen, weil die zwischen diesen Gruppen bestehenden Abgrenzungen vor allem auf konstruierten Zuschreibungen basieren. So sind Personen, die von ‘Deutschen’ als ‘Ausländer’ gesehen werden, oftmals rechtlich gesehen ‘Deutsche’. Ähnlich verhält es sich mit den Termini ‘Eingewanderte’ oder ‘Personen mit Migrationshintergrund’ und ‘(Angehörige) der Mehrheitsgesellschaft’, die ich mehrheitlich verwende. Auch Unterscheidungen zwischen Angehörigen dieser Gruppen sind vielfach konstruiert, Zugehörigkeiten sind uneindeutig und immer stärker vermischt. Aber entsprechende Begriffe werden benötigt, um das Thema adäquat erörtern zu können.
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aus der Perspektive Eingewanderter beleuchten und rekonstruieren, wie diese Integration verstehen und erleben. Die Perspektive Eingewanderter auf Integration steht daher im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags. Dabei werden Erfahrungen und Sichtweisen junger Erwachsener mit Migrationshintergrund in Bezug auf das Thema Integration beleuchtet, und es wird nachgezeichnet, wie sie ihre persönliche Integration erleben. Die dargestellten Ergebnisse rekurrieren auf einer qualitativen Studie, in deren Rahmen 16 Personen im Alter von 19 bis 26 Jahren zu ihren Erfahrungen im Integrationsprozess, ihren Assoziationen mit dem Begriff Integration sowie zu ihrem individuellen Integrationsempfinden befragt wurden (vgl. Schramkowski 2006). Acht InterviewpartnerInnen sind türkischer Herkunft und bereits in Deutschland geboren, und die andere Hälfte sind SpätaussiedlerInnen, die im Alter von neun bis achtzehn Jahren nach Deutschland immigriert sind. Sie sind jeweils zu gleichen Teilen männlich und weiblich, haben unterschiedlichste familiäre Hintergründe und Bildungsabschlüsse. Einige studieren zum Interviewzeitpunkt noch, andere haben eine Ausbildung gemacht und arbeiten bereits. Der Kontakt zu diesen jungen Erwachsenen kam über im Vorfeld interviewte ExpertInnen mit Migrationshintergrund, die in der Sozialen Arbeit mit Eingewanderten tätig sind und/oder Migrantenvereine leiten, zustande. Diese waren gebeten worden, Kontakte zu jungen Erwachsenen zu vermitteln, deren Integration sie als positiv beurteilen. Für diese Bewertungen haben sie vor allem ihre Deutschkenntnisse, die Bildungsbiografien oder die deutsche StaatsbürgerInnenschaft als Indikatoren benannt, an denen Integrationserfolge auch von der Mehrheitsgesellschaft häufig bemessen werden. Ihre Aussagen zeigen jedoch, dass sich die Mehrheit der Befragten infolge des Vorbehalts der Anerkennung ihrer Zugehörigkeit als gleichberechtigte Gesellschaftsmitglieder nicht oder nur eingeschränkt integriert und sich somit der Gesellschaft, in der sie faktisch zuhause sind, nur bedingt oder auch gar nicht zugehörig fühlten.2 Alltagsrassistische Zuschreibungen und Ausgrenzungen in den verschiedenen Lebenskontexten signalisieren ihnen, dass sie ohne Berücksichtigung ihrer individuellen Orientierungen und Lebenslagen von Teilen der Mehrheitsgesellschaft pauschal als ‘integrationsbedürftige Ausländer’ definiert
2
Hinzufügen ist, dass drei Befragte angeben, dass sie sich integriert fühlen, wobei auffällt, dass bei zweien der Migrationshintergrund von außen nicht sichtbar ist und sie insofern zumindest auf den ersten Blick nicht als ‘fremd’ identifiziert werden können. Ihre positiven Integrationsempfindungen begründen sie vor allem damit, dass sie sich mit ihrer Mehrfachzugehörigkeit als Gesellschaftsmitglieder angenommen fühlen und selten Ausgrenzungserfahrungen machen (vgl. Schramkowski 2006: 257f).
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werden.3 Diese Erlebnisse machen sie auf die alltäglich spürbaren Trennlinien zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund aufmerksam und führen ihnen vor Augen, dass sie trotz ihrer langjährigen Aufenthaltsdauer, ihres Wunsches nach Zugehörigkeit und obwohl sie gesellschaftlich vielfach angesetzte Indikatoren erfolgreicher Integration erfüllen, für die Mehrheitsgesellschaft, wie eine Interviewpartnerin formuliert, „doch etwas Anderes, etwas Fremdes [...], ja ein Mensch zweiter Klasse“ 4 sind. Diese Erfahrungen haben, wie in diesem Beitrag dargelegt wird, zum einen dazu geführt, dass ein Teil der befragten jungen Erwachsenen sich mittlerweile deutlich von der ‘deutschen’ Gesellschaft abgrenzt und ausschließlich die Zugehörigkeit zum Herkunftskontext (der Eltern) hervorhebt. Zum anderen haben die Ausgrenzungserfahrungen dazu beigetragen, dass ein großer Teil der Befragten Integration mittlerweile primär als negativ konnotierten Terminus wahrnimmt.
1
Zur Dominanz negativer Assoziationen zu ‘Integration’
In der wissenschaftlichen Fachliteratur, und teilweise auch in gesellschaftspolitischen Stellungnahmen, werden die gleichberechtigte Partizipation von Personen mit Migrationshintergrund an den Strukturen der aufnehmenden Gesellschaft, die Anerkennung ihrer transnationalen Mehrfachzugehörigkeit5 sowie ihre selbstverständliche gesellschaftliche Zugehörigkeit als Kernelemente der Integration dargestellt. Auch fassen aktuelle Definitionen Integration zumeist als eine Aufgabe auf, für deren Ausgestaltung sowohl die Mehrheitsgesellschaft als 3
4
5
Der Begriff Alltagsrassismus macht deutlich, dass Rassismuserfahrungen für Personen, die von der Mehrheitsgesellschaft als ‘fremd’ angesehen werden, kontinuierlich wiederkehrende Alltagserfahrungen darstellen, ohne diese aber infolge ihrer Alltäglichkeit zu verharmlosen. Dabei bezieht er sich auf „die alltägliche und vorherrschende Form von Rassismen der Mehrheitsgesellschaft, die keineswegs nur in extremer oder offener Form auftreten, sondern auch subtil, unauffällig verdeckt und latent sein können“ (Leiprecht 2001: 2). Alltagsrassismen schlagen sich in unterschiedlichsten und für Nicht-Betroffene oft nicht erkennbaren Formen in den (institutionellen) Strukturen der Gesellschaft, in Denkmustern und Handlungen ihrer Mitglieder im öffentlichen und privaten Raum sowie in dominanten gesellschaftlichen Diskursen nieder (vgl. Melter 2006: 26ff.). Bei Zitaten ohne Quellenangaben handelt es sich um Aussagen der interviewten jungen Erwachsenen, die aus Gründen der Verständlichkeit der Schriftsprache angeglichen wurden. Empfundene, sich auf mehrere ethnische Gruppen beziehende, von grenzüberschreitenden Zugehörigkeitsempfindungen geprägte Orientierungen, welche eine die Lebenslagen Eingewanderter mehrheitlich prägende Realität bilden, werden als Mehrfachzugehörigkeit bezeichnet. Diese ist als ein dynamisches Feld an Möglichkeiten zu verstehen, das mit einer individuellen Vermischung und Transformation bestimmter kultureller Ausrichtungen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Rahmenbedingungen einhergeht (vgl. Boos-Nünning/Karakaolu 2005: 297ff.; Badawia 2002: 284).
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Barbara Schramkowski
auch die Eingewanderten Verantwortung tragen und deren Ziel darin besteht, dass ethnische Differenzierungen ihre Relevanz für alltägliche Kategorisierungen und strukturelle Positionierungen verlieren (vgl. u. a. Auernheimer 2003: 220f.; Hamburger 2002: 24ff.; Strassburger 2001: 20ff.). Die Aussagen der jungen Erwachsenen zeichnen jedoch ein in der Literatur so kaum thematisiertes, vorwiegend negatives Bild des Integrationskonzepts (vgl. hierzu auch Schramkowski 2004: 299ff.).6 Die für die Ablehnung des Konzepts angeführten Begründungsmuster sind eng mit gesellschaftlich vorherrschenden Bildern und Diskursen hinsichtlich Integration verbunden und zeigen, dass die in wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskursen formulierten Kernelemente der Integration keine Bestandteile der von den jungen Erwachsenen erlebten Realität bilden (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: 6
Begründungsmuster für die Ablehnung des Integrationsbegriffs
Die Ablehnung des Integrationsbegriffs ist bei den InterviewpartnerInnen türkischer Herkunft im Vergleich zu den (Spät-)AussiedlerInnen deutlicher ausgeprägt. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass mit wachsender Aufenthaltsdauer das Bewusstsein für Ausgrenzungen und die Wut über fortwährende gesellschaftliche Nicht-Zugehörigkeitszuschreibungen wächst. Die genauere Kenntnis der Aufnahmegesellschaft scheint dazu zu führen, dass subtilere Zuschreibungen und Ausgrenzungsmechanismen erkannt und verstärkt Wege gesehen werden, die man angesichts eigener Kompetenzen hätte gehen können, die einem jedoch aufgrund der sozialen Positionierung als Eingewanderter erschwert oder sogar verbaut waren (vgl. Schramkowski 2006: 197f).
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Mehrheitlich verstehen die jungen Erwachsenen Integration als eine einseitige, von der Mehrheitsgesellschaft an Eingewanderte formulierte (An-) Forderung. Sie beobachten, dass zumeist über Integration gesprochen wird, um Defizite von Personen mit Migrationshintergrund hervorzuheben und ihnen gegenüber daraus abgeleitete Forderungen zu postulieren. Parallel nehmen sie kaum Bemühungen der Mehrheitsgesellschaft um die Herstellung integrationsfördernder Rahmenbedingungen wahr. Im Gegenteil: Obwohl beispielsweise die ArbeitsmigrantInnen durch ihre Arbeitskraft zum wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands beigetragen haben, wurde ihre Integration nicht unterstützt. Statt dessen werden sie bis heute wiederholt als nicht zugehörige ‘Ausländer’ konzeptionalisiert, und ihr Anwesenheitsrecht legitimiert sich öffentlichen Stellungnahmen zufolge in erster Linie über den Beitrag, den sie zur Verbesserung des Lebensstandards der Mehrheitsgesellschaft und somit zur existenten wirtschaftlichen Prosperität geleistet haben. Des Weiteren nehmen die jungen Erwachsenen wahr, dass im öffentlichen Diskurs ein Verständnis von Integration dominiert, das diese als einseitige, von Eingewanderten zu erbringende Assimilationsleistung an die ‘deutsche Kultur’ interpretiert. Immer wieder hören sie den Kommentar: „Ihr müsst Euch hier anpassen.“ Das Ziel der Integration scheint darin zu bestehen, dass ihre tendenziell als negativ bewertete ‘ausländische’ Herkunft nicht mehr erkennbar ist. Gleichzeitig werden sie von der Mehrheitsgesellschaft jedoch oft auf diese reduziert. Außerdem kritisieren die jungen Erwachsenen, dass Integration häufig allein mit dem Erwerb der deutschen Sprache gleichgesetzt wird und andere zentrale Facetten des Themas dabei außer Acht gelassen werden. Hinzu kommt, dass sie sich trotz ihrer mehrheitlich perfekten Deutschkenntnisse größtenteils nicht als Gesellschaftsmitglieder angenommen fühlen. Darüber hinaus stellen sie fest, dass oftmals einseitig Sprachschwierigkeiten Eingewanderter in der Landessprache akzentuiert werden. Personen mit Migrationshintergrund haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ihnen undifferenziert Sprachprobleme zugeschrieben werden: „Wir haben ja mehr Probleme mit der Sprache, das wurde erstmal uns so eingetrichtert.“ Diese werden dann als Rechtfertigungskategorie für diskriminierende Überweisungen auf Haupt- und Sonderschulen instrumentalisiert. Infolge solcher institutioneller Diskriminierungserfahrungen, welche die jungen Erwachsenen vor allem in der Schule, aber auch auf dem Arbeitsund Wohnungsmarkt gemacht haben, sind sie mehrheitlich zu der Überzeugung gelangt, dass keine Chancengleichheit für Eingewanderte besteht: „Ich empfinde mich hier in Deutschland nicht auf derselben Augenhöhe. Ich bin immer eins drunter.“ Diese Erlebnisse führen zu Frustration, weil Bildungserfolge als zentrale Basis dafür angesehen werden, dass Personen mit Migrationshintergrund vermehrt an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen teilhaben und somit auf die
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Barbara Schramkowski
Auflösung von mit ethnischen Herkünften verbundenen Ungleichheiten hinwirken können. Des Weiteren basieren die negativen Assoziationen, die mit dem Integrationsbegriff verbunden werden, darauf, dass er in politischen Diskursen und der Berichterstattung der Medien fast ausnahmslos in negativen Zusammenhängen diskutiert wird. Über die Betonung von Schwierigkeiten Eingewanderter und ihrer ‘kulturellen Andersartigkeit’, die ihrer erfolgreichen Eingliederung (angeblich) im Wege stehen, wird Integration ausschließlich als Problem konstruiert. Einseitige Negativdarstellungen tragen, wie die jungen Erwachsenen beanstanden, dazu bei, dass Kompetenzen oder Erfolge von Personen mit Migrationshintergrund kaum wahrgenommen werden: „Die positiven Seiten unseres Daseins hier werden eigentlich nicht gesagt“. In erster Linie wird ihnen vermittelt, „dass wir eine Belastung sind und dass wir nur Probleme machen“. Dies führt ihnen immer wieder die undifferenzierte Negativbewertung der Gruppen vor Augen, mit denen sie sich verbunden fühlen. Darüber hinaus stellen die Befragten fest, dass im Integrations-Diskurs ethnisierende Trennungslinien vielfach verstärkt werden. Denn durch die scheinbar ‘selbstverständliche’ dichotome Kategorisierung ‘Deutsche - Ausländer’ werden Unterscheidungen zwischen Personen vorgenommen, die entweder als zur Gesellschaft zugehörig angesehen werden oder als nicht zugehörig gelten. Somit tragen Integrationsdebatten paradoxerweise auch zu einer Festigung von Ausgrenzungen bei: Für mich aber hat dieses Integrationswort mit der Zeit seinen Wert verloren und, es ist jetzt ein negatives Wort, weil durch das Wort Integration werden [...] diese Ausgrenzungen gemacht. Du bist das, und du bist das.
Über dominante, zumeist pauschal an Eingewanderte gerichtete Forderungen bezüglich Integration und dadurch, dass ihre Lebenslagen oft undifferenziert an für die Bewertung von Integration angesetzten Indikatoren beurteilt werden (etwa dem Bildungsstand), fühlen die jungen Erwachsenen sich häufig weiter in die Rolle tendenziell ‘integrationsbedürftiger Ausländer’ gedrängt. Somit nehmen sie Integration als Trennungskonstrukt wahr, das durch mit dem Begriff verbundene ethnisierende Argumentationsmuster eher dazu beiträgt, bestehende gesellschaftliche Aufteilungen ethnischer Herkünfte zu stabilisieren. Ziel von Integration wäre jedoch gerade deren Überwindung. Zudem fällt den jungen Erwachsenen auf, dass der Begriff Integration von der Mehrheitsgesellschaft teilweise instrumentalisiert wird, um von ihrer eigenen Verantwortung für Integrationsprobleme abzulenken und diese einseitig auf Seiten der Eingewanderten zu lokalisieren. Dabei werden beispielsweise deren fehlende Bemühungen um Integration als Erklärungskategorien für sämtliche,
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mit Integrationsprozessen verbundene Schwierigkeiten funktionalisiert, wie beispielsweise die proportional schlechte Bildungssituation von Personen mit Migrationshintergrund oder die Entwicklung sogenannter Parallelgesellschaften. Doch, wie einer der Befragten kritisiert, „keiner (aus der Mehrheitsgesellschaft; Anm. B.S.) frägt sich, warum, haben wir auch ein bisschen Schuld dran?“ Entsprechende Erklärungsmuster verschleiern nämlich, dass auch alltagsrassistische Zuschreibungen und Ausgrenzungen sowie langjährige defizitäre Angebote der Integrationsförderung und damit also konkrete Handlungspraxen der aufnehmenden Gesellschaft zur Entwicklung von Ungleichheiten und Abgrenzungstendenzen Eingewanderter beigetragen haben. Insofern verliert sich die Gesellschaft, wie die jungen Erwachsenen beanstanden, in einer Debatte über Symptome defizitärer Integration, ohne die Ursachen umfassend zu analysieren. Doch „im Nachhinein dann einfach zu sagen, das sind doch alles Räuber, und die machen doch alle nur Diebstähle und dealen mit Drogen, das ist zu einfach. So einfach ist die Welt dann auch nicht“. Überdies nehmen die Befragten ihre Integration als unsicher wahr, ungeachtet ihrer im Sinne angeblich objektiv gültiger Indikatoren erfolgreichen Integration und dem Umstand, dass sie mehrheitlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Infolge alltagsrassistischer Erfahrungen in verschiedenen Lebenskontexten ist vor allem den jungen Erwachsenen türkisch-muslimischer Zugehörigkeit bewusst, dass ihre Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft, beispielsweise infolge von Arbeitslosigkeit oder öffentlicher Diskurse über Islamismus, jederzeit wieder revidiert oder zumindest infrage gestellt werden kann. Aktuell geschieht dies beispielsweise dort, wo sie als Bedrohung für die Sozialsysteme konzeptionalisiert werden. Die latent empfundene Bedrohung durch einen möglichen gesellschaftlichen Ausschluss ist neben einer generellen Sorge vor alltagsrassistischen Ausgrenzungen mit belastenden Unsicherheitsgefühlen verbunden. Diese spitzen sich in der Angst vor dem Verlust der Aufenthaltsberechtigung und einer hieraus resultierenden Abschiebung aus Deutschland zu. Diese beschreibt eine der interviewten jungen Frauen folgendermaßen: Man hat immer das Gefühl, es ist nie Schluss. Vielleicht schmeißen sie uns irgendwann aus Deutschland raus. Man hat dadurch, dass man nicht deutsch ist, auch wenn man die deutsche Staatsbürgerschaft hat und jahrelang hier gelebt hat, die deutsche Sprache sehr gut beherrscht, hier was aufgebaut hat, das Gefühl, vielleicht werden wir ja mal irgendwann abgeschoben.
Sie fährt fort:
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Barbara Schramkowski Immer hört man irgendwas, immer wird man damit konfrontiert. [...] Ausländergesetze, das hört man auch so oft. Dann sagt man, stimmt ja, du bist ja hier als Ausländer. Vielleicht irgendwann machen sie irgendein Gesetz, ihr müsst jetzt zurück. [...] Und was machen wir dann dort?
Weil öffentliche Diskurse ihr immer wieder die nicht vorhandene Selbstverständlichkeit der dauerhaften Zugehörigkeit von Eingewanderten aufzeigen, zweifelt sie mittlerweile die Richtigkeit der Entscheidung der Familie für eine Einbürgerung an: „War das eigentlich das Richtige, dass unsere Eltern das gemacht haben? Schmeißen die uns jetzt raus [...] aus der deutschen Staatsbürgerschaft?“ Die signifikanten Differenzen zwischen den im wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskurs formulierten Kernelementen der Integration und der von den Befragten wahrgenommenen Realität tragen dazu bei, dass ein Teil der jungen Erwachsenen die zahlreichen öffentlichen Diskussionen über Integration mittlerweile als ‘Heuchelei’ auffasst: Ihrer Ansicht nach wird das Konzept Integration eher gegen als zum Wohl von Personen mit Migrationshintergrund eingesetzt, solange diese auch nach langjähriger Aufenthaltsdauer und objektiver Integration weiter als nicht zugehörige ‘Ausländer’ dargestellt und behandelt werden.
2
Integrationsstrategien im Spannungsfeld von Alltagsrassismen und Zugehörigkeitswünschen
Infolge alltagsrassistischer Erfahrungen, die ihnen den Vorbehalt der Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Zugehörigkeit aufzeigen, sehen die jungen Erwachsenen, welche die ihnen möglichen Schritte gegangen sind, um sich zu integrieren, mittlerweile keine Handlungsoptionen mehr für die Fortentwicklung ihrer Eingliederung. Deshalb meint eine der jungen Frauen: Ich weiß nicht, was sie (Angehörige der Mehrheitsgesellschaft; Anm. B.S.) wollen. Es fehlt nur noch, [...] dass wir unsere Haare auch färben und blond rumlaufen sollen, wenn es diese Übersetzung (von Integration; Anm. B.S.) ist. Ich finde, mehr kann man doch nicht machen.
Vor diesem Hintergrund sind die befragten jungen Erwachsenen mehrheitlich zu der von einer der Befragten pointiert skizzierten Überzeugung gelangt: „Du kannst tun und lassen, was du willst, du bist eine Ausländerin, du bleibst eine Ausländerin.“ Dabei begleitet die Empfindung, nicht als gleichberechtigte Gesellschaftsmitglieder akzeptiert zu werden, viele schon seit der Kindheit: Als Kind habe ich das schon gemerkt. Man hat allen irgendwie gedankt, und man wünscht allen etwas. [...] Man kann doch auch sagen, wir wünschen auch den Andersgläubigen in der
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Weihnachtszeit [...] alles Gute vom Herzen. Die haben auch einen Beitrag geleistet, dass wir so weit gekommen sind. Die Akzeptanz, das ist nicht da. Das wird nicht honoriert. Kein bisschen Anerkennung für unsere geleistete Arbeit. Wenn der Kohl (ehemalige Bundeskanzler; Anm. B.S.) die Neujahrsansprache gemacht hat, nicht ein Wort, wir danken auch mal unseren ausländischen Leuten.
Die Reflexion dieser Erfahrung berührt einige der jungen Erwachsenen sehr, und sie konstatieren: „Mit der Zeit macht es einen schon fertig“. Auf dieser Basis fällt es ihnen schwer, sich der aufnehmenden Gesellschaft zugehörig zu fühlen und eine Heimat-Identifikation mit dem Land, das schon seit vielen Jahren bzw. seit der Geburt ihr Lebensmittelpunkt ist, aufzubauen. Dennoch geht aus ihren Schilderungen hervor, dass ihr Wunsch, nicht mehr als ‘Fremde’ wahrgenommen und behandelt, sondern mit ihrer anderen Herkunft „einfach dazugehören, [...] einfach akzeptiert [zu] werden“, ihre Bemühungen um Integration weiterhin dominiert. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Ausschlusspraxen und ethnisierender Rollenzuschreibungen versuchen sie über differente Strategien einen selbstverständlichen Platz in der Gesellschaft zu erlangen und ihre Teilhabechancen zu verbessern (vgl. auch Riegel 2004: 344ff.).7 Diese Integrations- bzw. Abgrenzungsstrategien sind mit differenten Eingliederungsformen in die Mehrheitsgesellschaft sowie verschiedenen Zugehörigkeitsverortungen verbunden und werden zentral von Ausgrenzungen und wahrgenommenen Beurteilungsschemata der Mehrheitsgesellschaft beeinflusst. Allerdings sind sie nicht als statische Zustände anzusehen, da sie sich infolge von Erfahrungen jederzeit verändern und ineinander übergehen können.
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Zu dem Begriff ‘Strategie’ möchte ich anmerken, dass er im ursprünglichen Sinn ein genau geplantes Vorgehen’ bezeichnet. Hier soll er jedoch keine bewusst geplanten Handlungen, sondern sich infolge von Erfahrungen immer wieder verändernde Praxisformen der Integration benennen, welche die InterviewpartnerInnen vor dem Hintergrund der ihnen offenstehenden Kontextbedingungen und ihres Wunsches nach Zugehörigkeit wählen.
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Abbildung 2:
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Integrationsstrategien
Bei der Beschreibung der folgenden drei Strategien wird der Fokus auf die Analyse der segregativen Eingliederungsform gelegt, weil die Tendenz, dass sich objektiv erfolgreich integrierte Personen infolge von Alltagsrassismen betont von der Mehrheitsgesellschaft distanzieren und ausschließlich auf ihre Herkunftsidentität besinnen, in der Literatur bislang nur am Rande thematisiert wird. In einer Einwanderungsgesellschaft wie Deutschland, in der mittlerweile fast jede fünfte Person einen Migrationshintergrund und in manchen Großstädten bereits jede dritte Person nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hat (vgl. Beauftragte der Bundesregierung 2005: 30; Unabhängige Kommission ‘Zuwanderung’ 2001: 15f), muss ihr jedoch verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Assimilation als Integrationsbemühen unter (versuchter) Ausblendung der ‘ausländischen’ Herkunft Einige der jungen Erwachsenen versuchen bzw. versuchten (als Kinder und Jugendliche) wahrgenommene gesellschaftliche Integrationsforderungen über eine ‘Unauffälligkeitsstrategie’ zu erfüllen (vgl. auch Riegel 2004: 274ff.). Sie bemühen sich, ihre nicht-deutsche Herkunft zu verbergen und sich maximal an als ‘deutsch’ interpretierte Denk- und Handlungsmuster anzupassen. Assimilation erscheint ihnen als ein Weg, mit dem sich die Hoffnung verknüpft, die ersehnte Anerkennung ihrer Zugehörigkeit zu erlangen. Dennoch machen sie weiter die Erfahrung, mehrheitlich als ‘nicht zugehörige Ausländer’ konzeptio-
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nalisiert zu werden. Dabei wird der Versuch der Ausblendung der Zugehörigkeit zum Herkunftskontext (der Eltern) als belastender Druck empfunden, der mit der Angst einhergeht, die nicht-deutsche Herkunft könne wieder Relevanz für alltagsrassistische Zuschreibungen und Ausgrenzungen gewinnen. Aus diesem Grund äußert einer der befragten jungen Männer: „Ich würde mich integriert fühlen, wenn absolut keiner mehr nachvollziehen kann, woher man kommt.“ Zum Interviewzeitpunkt hat die Mehrheit der jungen Erwachsenen sich jedoch (weitgehend) vom gesellschaftlichen Assimilationsdruck distanziert und das Selbstbewusstsein aufgebaut, sich trotz der vielfach weiterhin verspürten Abwertung zum Herkunftskontext zu bekennen. Insofern wird mittlerweile eher eine der beiden folgenden Integrations- bzw. Abgrenzungsstrategien gewählt.
Integrationsversuche unter Bekenntnis zur empfundenen Mehrfachzugehörigkeit Ein Teil der jungen Erwachsenen grenzt sich mittlerweile von gesellschaftlich vermittelten Assimilationserwartungen ab und bekennt sich offen zum Herkunftskontext (der Eltern): Weil ich akzeptiere das alles (Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft; Anm. B.S.), aber ich möchte so bleiben, wie ich bin, das bewahren, was ich von meinen Eltern habe. [...] Und irgendwann geht man dann mehr so diesen Weg. Und ich finde es auch schön so.
Über Freundschaften sowie infolge der langen Aufenthaltsdauer fühlen sie sich der Mehrheitsgesellschaft ebenso zugehörig.8 Dennoch äußern sie keine uneingeschränkt positiven Integrationsempfindungen und schränken ihre Zugehörigkeitsgefühle zur ‘deutschen’ Gesellschaft ein, denn sie stellen fest, dass sie auch mit dieser Zugehörigkeitsverortung nicht als vollständig integriert akzeptiert werden. Hinzu kommt, dass Alltagsrassismen immer wieder die eindeutig positive Konzeptionalisierung ihrer nicht-deutschen Zugehörigkeit behindern.
Abgrenzungsversuche unter Negierung der Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft Zwei der Befragten – Murat und Cem – reagieren auf die langjährige verletzende Empfindung, trotz ihrer Bemühungen „nicht richtig aufgenommen zu werden, so wie es sein müsste“, indem sie sich inzwischen betont von der Mehr8
Entsprechende Zugehörigkeitsverortungen der jungen Generation werden ausführlich zum Beispiel von Nevâl Gültekin (2003) und Tarek Badawia (2002) beschrieben.
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heitsgesellschaft distanzieren und ausschließlich ihre Zugehörigkeit zum Herkunftskontext (der Eltern) hervorheben.9 Beide berichten, dass sie über Jahre versucht haben, die ersehnte Zugehörigkeitsanerkennung durch Assimilation zu erlangen und sich somit zu integrieren: Ich hab dafür (für Integration; Anm. B.S.) eigentlich viel geleistet, würde ich sagen. Integriert wird man aber nur, wenn man aufgenommen wird. Wenn man nicht aufgenommen wird, kann man sich gar nicht integrieren, ist sehr schwer. Und deshalb fühle ich mich nicht integriert. Also, ich wollte mich wirklich integrieren. Und mit der Zeit ist es mir jetzt egal. Ich bin jetzt auch stolz, dass ich Türke bin.
Als ausschlaggebend für die Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft benennen beide kontinuierliche Alltagsrassismen: Das sind solche Faktoren, die einen zum Rasen bringen. Dann schluckst du und schluckst, und eigentlich schluckst du immer, jeden Tag. Es sind kleine Schlücke, aber es wird irgendwann einmal voll, und dann drehst du ab. [...] Also ich muss sagen, ich war anders. Ich bin aber ein bisschen radikaler geworden, [...] weil ich mich bei Euch nicht aufgenommen fühle, wenn Ihr mich immer als diese Person abstempelt.
Mittlerweile verdeutlichen Aussagen wie „Ich habe zwar die deutsche Staatsangehörigkeit, [...] aber ich fühle mich kein bisschen deutsch.“, dass Murat und Cem mit ihrer Selbstdefinition als ‘Türke’ oder ‘Ausländer’ gesellschaftlich vorherrschende und vor allem negativ konnotierte Fremd(heits)zuschreibungen in ihr Selbstverständnis umgewandelt haben.10 Zugleich messen sie islamischen Orientierungen mehr Bedeutung bei, suchen verstärkt Kontakte zu Personen des Herkunftslands und bemühen sich, auf eine Verbesserung der gesellschaftlichen Ausgangslage von Eingewanderten hinzuwirken: Man hat einfach immer versucht [...] der liebe Türke von nebenan zu sein, ganz anders als die anderen. [...] Und jetzt bin ich halt so weit, dass ich wenigstens versuche, den Draht zu meinen Leuten nicht zu verlieren. Und ich bin jetzt im türkischen Verein und [....] ich möchte mich jetzt engagieren für unsere Leute.
Die verstärkte Reethnisierung und die hiermit verbundene Orientierung am Herkunftskontext bzw. der Rückzug in die Herkunftsgruppe ermöglichen ihnen,
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Da es sich um eine qualitative Studie handelt und die Anzahl der befragten Personen nicht repräsentativ ist, kann aufgrund von Quantifizierungen keine über das befragte Sample hinausgehende Gültigkeit postuliert werden. Dass Eingewanderte, vor allem der jungen Generation, auf Alltagsrassismen mit einer bewussten Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft sowie verstärkten Orientierung am Herkunftskontext (der Eltern) reagieren, erwähnen auch andere Autoren (vgl. u. a. Keskin 2005: 18/26f; Schiffauer 2002: 47).
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den Migrationshintergrund endlich positiv zu konzeptionalisieren und helfen ihnen insofern bei der Verarbeitung alltagsrassistischer Erfahrungen. Cem äußert sogar konkrete ‘Rückkehrgedanken’ in die Türkei, weil er nicht einsieht, „[w]ieso soll ich das (Konfrontation mit strukturellen Diskriminierungen und alltagsrassistischen Zuschreibungen; Anm. B.S.) im ganzen Leben durchmachen, wenn ich vielleicht auch gute Möglichkeiten daheim hab“. Wenn er diese Überlegung genauer durchdenkt, vermutet er jedoch, dass er sich in der Türkei ebenso als ‘Ausländer’ fühlen würde. Insofern ist sein ‘Rückkehrgedanke’ eher als eine Projektion seines Wunsches nach einer emotionalen Heimat anzusehen, die er hofft, im Herkunftsland der Eltern zu finden, und weniger als eine realistische Alternative.
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Auslösende Faktoren der segregativ-reethnisierenden Tendenz
Da als Resultat von Ausgrenzungserfahrungen keine engen Beziehungen zur Mehrheitsgesellschaft bestehen und eine verstärkte Orientierung am Herkunftskontext zu beobachten ist, kann die Eingliederungsform dieser jungen Erwachsenen als Segregation bezeichnet werden.11 Im Folgenden sollen Einflussfaktoren dargelegt werden, welche vermutlich auslösend bzw. verstärkend auf die beschriebene Abgrenzungstendenz gewirkt haben. Sie wurden über den Vergleich der Aussagen von Cem und Murat mit jenen der jungen Erwachsenen, die differente Integrationsstrategien ‘gewählt’ haben, herausgefiltert:12
Ausmaß des Assimilationsdrucks Im Vergleich zu den übrigen InterviewpartnerInnen geht aus den Schilderungen von Cem und Murat hervor, dass sie besonders stark unter dem Assimilationsdruck und der mit ihm verbundenen Abwertung ihrer türkischen Zugehörigkeit gelitten haben. Murat beispielsweise berichtet, dass er als Kind „immer, immer 11
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Im soziologischen Sinne liegt Segregation vor, wenn „keine substanzielle Beziehung zwischen Einwandererminderheiten und der Mehrheitsgesellschaft“ (Han 2000: 201) besteht und Eingewanderte in ihrer ethnischen Kultur isoliert bzw. in sozialer Distanz zur Mehrheitsgesellschaft leben. In Bezug auf die Befragten kann streng genommen nicht von einer vollständigen Segregation gesprochen werden, weil sie über ihr Studium und andere Aktivitäten weiter am öffentlichen Leben der Mehrheitsgesellschaft teilnehmen. Auch die Häufigkeit und Intensität alltagsrassistischer Erfahrungen sind vermutlich zentrale Einflussfaktoren, doch können keine objektiven Aussagen hinsichtlich der Quantität gemacht werden. Festgestellt werden kann lediglich, dass fast alle der befragten jungen Erwachsenen von alltagsrassistischen Erfahrungen berichten, die ihren Integrations- bzw. Abgrenzungsprozess entscheidend beeinflusst haben.
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wieder“ gehört hat, „die sollen sich doch anpassen, die leben hier in Deutschland“ und aus diesem Grund in der Schule „immer einschüchtert war. Ich saß immer hinten. Ich habe mich nie getraut, was zu sagen. Es war immer, ah ja, du bist doch Türke.“ So scheinen kontinuierliche Assimilationsanforderungen langfristig die Rückbesinnung auf den öffentlich abgewerteten Identitätsteil und somit Reethnisierungstendenzen zu verstärken.
Erfahrungen der Eltern im Integrationsprozess Des Weiteren zeigt sich, dass auch die Eltern von Cem und Murat eher negative Erfahrungen im Umgang mit Angehörigen der aufnehmenden Gesellschaft gemacht und sich trotz langjähriger Bemühungen um Integration nie wirklich aufgenommen gefühlt haben. Da sie zudem keine engeren Freundschaftsbeziehungen mit Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft aufbauen konnten, war es ihnen auch nicht möglich, ihren Kindern ein positives Bild und entsprechende Gefühle hinsichtlich der aufnehmenden Gesellschaft zu vermitteln. Demzufolge ist davon auszugehen, dass Desintegrationserfahrungen im Generationsverlauf zu einer Verfestigung von Abgrenzungen entlang ethnischer Linien beitragen.
Geringe soziale Integration Wie ihre Eltern konnten auch Cem und Murat keine engen Freundschaften als positiv konnotierte Beziehungen zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft aufbauen, sondern sie sprechen davon, im Kontakt eher immer „eine Mauer“ verspürt zu haben.13 Aufgrund dieser Erfahrungen gehen sie mittlerweile davon aus, infolge vorherrschender alltagsrassistischer Denkmuster keine wirklich engen Beziehungen zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft aufbauen zu können. Sie vermuten jedoch, dass ein höherer Grad an sozialer Integration und die mit ihr verbundene Empfindung, zumindest von einzelnen Personen anerkannt zu werden, ihnen geholfen hätte, zumindest partielle Zugehörigkeitsgefühle zu Deutschland aufzubauen und sich somit in der ‘Heimat’ nicht als ‘Fremde’ zu fühlen: „Es wäre vielleicht anders gewesen, wenn ich die offene Tür gefunden hätte. Dann würde ich mich vielleicht auch gar nicht als Ausländer sehen.“
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Die Verantwortung hierfür lokalisieren sie aber nicht einseitig auf der Seite der Mehrheitsgesellschaft, sondern konstatieren, dass auch sie es nicht geschafft haben, die empfunden Distanz zu überwinden.
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Die zuletzt benannte Vermutung wird durch Aussagen der jungen Erwachsenen bestätigt, die Freundschaftsbeziehungen zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft haben. Diese fühlen sich trotz alltagsrassistischer Erfahrungen (wenn auch eingeschränkt) der aufnehmenden Gesellschaft zugehörig und bekennen sich zu ihrer Mehrfachzugehörigkeit. Darüber hinaus zeigt sich, dass sie kaum verallgemeinernd von ‘den Deutschen’ sprechen, sondern diese als eine aus individuellen Personen mit differenten Denk- und Handlungsmustern bestehende Gruppe sehen und existente Differenzen weniger in den Vordergrund stellen. Sie sprechen daher eher von: „Simone von der Arbeit. Es war nie ‘die Deutschen’“. Infolge der durch die beschriebenen Faktoren gewachsenen sozialen Distanz nehmen Cem und Murat die Mehrheitsgesellschaft mittlerweile in erster Linie als eine homogen gedachte, Eingewanderten gegenüber tendenziell ablehnend eingestellte Gruppe wahr. Dieser selektive Wahrnehmungsfokus könnte dazu beitragen, dass sich die vielfach bereits bestehende soziale Distanz zwischen Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft und Personen aus Einwanderergruppen sowie die hiermit vielfach einhergehende gegenseitige Ablehnung weiter verfestigen. Beidseitiges Denken und Reden in ethnischen Trennungskategorien, indem also Eingewanderte verstärkt von ‘den Deutschen’ und Angehörige der Mehrheitsgesellschaft von ‘den Ausländern’ reden, tragen dazu bei, dass in der gegenseitigen Wahrnehmung Nuancen verschwinden und die jeweils Anderen vor allem als Vertreter ihrer ethnischen Gruppe gesehen werden. Aufgrund der weitgehend fehlenden Unterstützung der aufnehmenden Gesellschaft für die Vervollständigung ihrer Integration und dem inzwischen entstandenen Eindruck, die Mehrheitsgesellschaft wolle sie nicht als gleichberechtigte Bürger aufnehmen, ist Integration für Cem und Murat mittlerweile kein Thema mehr. Vermutlich sitzen die mit alltagsrassistischen Erfahrungen verbundenen Verletzungen so tief, dass es fraglich erscheint, ob sie sich als Folge positiver Erfahrungen überhaupt noch (wieder) als Teil der Mehrheitsgesellschaft fühlen könnten, Anerkennung noch wahrnehmen würden und bereit wären, ihr Bild von ‘den Deutschen’ zu revidieren. Gleichzeitig lässt sich ihrer, wie einer der jungen Männer formuliert, „radikalen“ Reaktion entnehmen, dass ihr Wunsch nach Zugehörigkeit bzw. ihre Enttäuschung darüber, dass diese ihnen verwehrt wird, sehr groß sind. Zwar fühlen sie sich seit der Abkehr vom empfundenen Assimilationsdruck eigenen Aussagen zufolge wohler und haben mit ihrer Zugehörigkeitsverortung eine individuelle Form im Umgang mit einer gesellschaftlich begründeten Problemlage gefunden. Doch konstatiert Murat: „Letztendlich ist es der falsche Weg, wenn man zusammen sein will. Also letztendlich hab ich mich dann wieder
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entfremdet“. Beide gehen jedoch davon aus, auch zukünftig weiter als ‘fremd’ definiert zu werden und insofern Integration als gleichberechtigte Gesellschaftsmitglieder nicht erreichen zu können. Aus diesem Grund sind sie im Alltag bemüht, Wut, Verletzungen und Gefühle von Machtlosigkeit, die sie mit dem Thema Integration und sonstigen Alltagsrassismen verbinden, zu verdrängen. Neben den beschriebenen drei Strategien fällt auf, dass die jungen Erwachsenen, obwohl sie mehrheitlich weiter mit Zurückweisungen konfrontiert werden, weiter aktiv bemüht sind, die erwünschte Integration zu erreichen. Dabei versuchen sie vor allem über strukturelle Erfolge in Schule und Beruf Anerkennung zu erlangen. Über die Integrationsstrategie einer verstärkten Etablierung in strukturellen Positionen hoffen sie, die ihnen zugewiesenen Handlungs- und Positionierungsoptionen erweitern und sich einen Platz im gesellschaftlichen Zentrum sichern zu können, an dem sie im Rahmen einer gleichrangigen Ausgangsposition zur Auflösung ethnischer Benachteiligungsstrukturen beitragen können (vgl. auch Riegel 2004: 344). Somit übernehmen sie Verantwortung für die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, um – so ihre Hoffnung – zukünftig ‘auf gleicher Augenhöhe’ mit Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft agieren zu können. Zudem sind sie über soziales bzw. politisches Engagement bemüht, ihnen wichtige gesellschaftliche Transformationsprozesse anzustoßen: Dabei versuchen sie zum Beispiel durch konkrete Nachhilfeangebote zur Verbesserung der Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund beizutragen und durch Kritik sowie offensive Positionierungen bestehende Benachteiligungen entlang ethnischer Zugehörigkeiten zum Thema zu machen. Teilweise spielen sich ihre Bemühungen jedoch in deutlicher emotionaler Distanz zur Mehrheitsgesellschaft ab, so dass Integration verstärkt zu einem separiert statt miteinander gestalteten Prozess avanciert, nach dem Motto: ‘Wir schaffen es trotz und nicht mit Hilfe der Mehrheitsgesellschaft’.
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Schlussfolgerungen
Die Ausführungen zeigen, dass Integration als gleichberechtigte Bürger mit der transnationalen Mehrfachzugehörigkeit für die jungen Erwachsen trotz ihrer Anstrengungen und ihrer differenten ‘Lösungsstrategien’ ein unerreichbarer Zustand bleibt, solange vorherrschende Zuschreibungen und Ausgrenzungen ihnen die Möglichkeit einer entsprechenden Positionierung nicht ermöglichen. Alltagsrassismen in den verschiedenen Lebenskontexten, die – wie verschiedene AutorInnen konstatieren – ein präsenter Bestandteil im Alltag vieler Personen mit Migrationshintergrund bilden (vgl. u. a. Melter 2006; Terkessidis 2004),
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machen sie immer wieder darauf aufmerksam, dass sie vielfach weiter undifferenziert als ‘integrationsbedürftige Ausländer’ konzeptionalisiert werden. Dies ist unabhängig davon, ob sie beispielsweise aufgrund der deutschen Staatsbürgerschaft rechtlich zur Gesellschaft gehören, perfekt Deutsch sprechen, Bildungserfolge erlangt haben, sich politisch engagieren, bemüht sind, wahrgenommene Assimilationsforderungen zu erfüllen oder sich zu beiden Zugehörigkeiten bekennen und demzufolge eigentlich integriert sind. Aus diesem Grund sehen sie sich trotz ihrer objektiven Integration nicht wirklich als Teil der Gesellschaft, in der sie schon so lange leben. Vor diesem Hintergrund heben die jungen Erwachsenen mehrfach hervor, dass die Mehrheitsgesellschaft, die zumeist einseitig die defizitäre Integration von Eingewanderten hervorhebt oder davon spricht, dass diese sich integrieren sollen, indem sie die deutsche Sprache erlernen, den Kern des Themas verfehlt. Solange rassistische Strukturen, Denk- und Handlungsmuster der aufnehmenden Gesellschaft sowie ihr Mitwirken an der Benachteiligung, Ausgrenzung und Negativ-Stereotypisierung von Eingewanderten nicht auch Bestandteile öffentlicher Diskurse über Integration bilden und die scheinbar ‘selbstverständliche’, ethnisch differenzierte Gesellschaftsordnung unangetastet bleibt, bleiben zentrale Facetten des ‘Integrationsthemas’ unberücksichtigt. Integration verlangt Anstrengungen sowohl seitens der Mehrheitsgesellschaft als auch der Eingewanderten: Von den Eingewanderten ein Bemühen um den Erwerb der Landessprache, des relevanten gesellschaftlichen Orientierungswissens sowie um den Aufbau von Beziehungen zur aufnehmenden Gesellschaft und die Teilhabe an ihrem strukturellen System – Voraussetzungen, welche die interviewten jungen Erwachsenen schon lange erfüllen. Gleichzeitig hat eine Gesellschaft, welche die Verantwortung für die Entwicklung horizontal kohärenter Gesellschaftsstrukturen übernimmt, die Aufgabe, Personen mit Migrationshintergrund Integration als dauerhaft zugehörige Gesellschaftsmitglieder zu ermöglichen. Dies setzt unter anderem die offizielle Anerkennung durch höher positionierte gesellschaftliche Ebenen voraus, dass alltagsrassistische Erfahrungen für viele Eingewanderte ein Problem und keine Ausnahmeerscheinung darstellen und insofern diskutiert werden müssen. Auch erfordert dieser Schritt die Bereitschaft, etablierte Vorstellungen von (Nicht-) Zugehörigkeiten zu überdenken, sowie ein Bemühen um die Beseitigung struktureller und institutioneller Ausgrenzungsmechanismen. Wenig Anlass zu Optimismus geben existente strukturelle Benachteiligungen Eingewanderter. Auch der aktuell wieder verstärkte Negativfokus öffentlicher Diskurse auf die Integration von Personen mit Migrationshintergrund (vor allem muslimischer Zugehörigkeit) bzw. auf deren angebliches Scheitern wirkt verstärkend auf gesellschaftliche Polarisierungen entlang ethnischer Herkünfte.
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Hinzu kommt, dass in verschiedenen Untersuchungen eine weite Verbreitung alltagsrassistischer Denkmuster innerhalb der Mehrheitsgesellschaft bzw. deren Zunahme in den letzten Jahren konstatiert wird (vgl. Fichter/Stöss/Zeuner 2005; Heitmeyer 2005). Diese Phänomene könnten zu einer Verschärfung der beschriebenen Abgrenzungstendenzen beitragen und Anfälligkeiten für extreme Orientierungen hervorrufen. Der wachsende Anteil von Personen in unserer Gesellschaft, dem die selbstverständliche Zugehörigkeit verweigert wird, macht jedoch auf die Dringlichkeit der Dekonstruktion einer von Alltagsrassismen geprägten Wirklichkeit und die Etablierung der Zugehörigkeit Eingewanderter, zu deren Biografie unter anderem auch Migrationserfahrungen gehören, als fraglos gegebene Selbstverständlichkeit aufmerksam. Dies bildet die Grundlage dafür, dass Positionierungen außerhalb der Gesellschaft verhindert werden, Integration ohne Vorbehalt stattfinden kann und Personen mit Migrationshintergrund positive Integrationsempfindungen entwickeln können.
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Melter, Claus (2006): „Wenn du mich gefragt hättest, hätte ich es dir erzählt.“ Die Kommunikation über Rassismuserfahrungen und Zugehörigkeitsfragen von Jugendlichen mit Immigrationshintergrund und PädagogInnen in der ambulanten Jugendhilfe. Dissertation an der Universität Oldenburg (unveröffentlicht). Riegel, Christine (2004): Im Kampf um Zugehörigkeit und Anerkennung. Orientierungen und Handlungsformen von jungen Migrantinnen. Eine sozio-biografische Analyse. Frankfurt a. M./London: IKO. Schiffauer, Werner (2002): Migration und kulturelle Differenz. Miteinander leben in Berlin. Studie für das Büro der Ausländerbeauftragten des Senats von Berlin. Berlin im November 2002. Schramkowski, Barbara (2004): „Die Integration muss wahrscheinlich für jeden Einzelnen definiert werden.“ – Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Expert(inn)en mit Migrationshintergrund zum subjektiven Integrationsverständnis. In: Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (Hg.) (2004).: Migration und Soziale Arbeit. 26. Jg. H. 3/4. Frankfurt a. M. 298-304. Schramkowski, Barbara (2007): Integration unter Vorbehalt. Perspektiven junger Erwachsener mit Migrationshintergrund. Frankfurt a. M./London: IKO. Sozialpädagogisches Institut im SOS-Kinderdorf e. V. (Hg.) (2002): Migrantenkinder in der Jugendhilfe. München: Sozialpädagogisches Institut im SOS-Kinderdorf. Strassburger, Gaby (2001): Evaluation von Integrationsprozessen in Frankfurt am Main. Studie zur Erforschung des Standes der Integration von Zuwanderern und Deutschen in Frankfurt a. M. in drei ausgewählten Stadtteilen. Herausgegeben vom Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, Dezernat für Integration. Im Auftrag des Amts für Multikulturelle Angelegenheiten durch das ‚europäische forum für migrationsstudien’ an der Universität Bamberg. Terkessidis, Mark (2004): Die Banalität des Rassismus. Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive. Bielefeld: transcript. Unabhängige Kommission ‚Zuwanderung’ (2001): Zuwanderung gestalten – Integration fördern. Bericht der Unabhängigen Kommission ‘Zuwanderung’. Berlin: Bundesministerium des Inneren.
Integrationsprozesse von Kindern in multikulturellen Gesellschaften Karin Elinor Sauer
Der Bearbeitung des Themas Integration von Kindern und speziell von Kindern mit Migrationshintergrund liegt zugrunde, dass Kinder zwischen 9 und 14 Jahren sowohl in der Integrationsforschung als auch in der Integrationspraxis kaum beachtet werden. Während dieser Phase stehen für Kinder jedoch entwicklungspsychologische Aufgaben an, die ihre zukünftige Orientierung in verschiedenen Lebensbereichen prägen. In diesem Alter vollziehen sich daher auch bedeutende Prozesse der Integration – sowohl für Kinder mit als auch ohne Migrationshintergrund. Grundlage dieser Untersuchung ist das Forschungsprojekt „Integration von Migrantenkindern“, das 2004/05 von einer Projektgruppe der Universität Tübingen (Baden-Württemberg) und der Sonoma State University (Kalifornien) durchgeführt wurde (vgl. Sauer 2006; Held/Sauer 2005). Im Mittelpunkt stand der Vergleich von Integrationsprozessen von Migrantenkindern in BadenWürttemberg und Kalifornien. Einerseits wurde dabei eine Außenperspektive auf die gesellschaftlichen Hintergründe eingenommen, andererseits eine Innenperspektive, die die Sicht der Kinder und deren Bedeutung für Integration reflektiert. Es zeigte sich, wie die Integration auf verschiedenen Wegen und in verschiedenen Kontexten von den Kindern selbst mitgestaltet wird. Das Thema Integration kann besonders fruchtbar in heterogenen Lebensräumen mit hohem Migrationsanteil bearbeitet werden. Daher wurden Untersuchungsgebiete in zwei Ländern ausgewählt, deren ethnische Zusammensetzung charakteristisch für das jeweilige Land ist. Dies ermöglicht einen kontrastierenden Vergleich, der vor der Folie des anderen Landes die Besonderheiten der eigenen Situation genauer erkennen lässt.
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Multikulturelle Gesellschaft
Baden-Württemberg und Kalifornien sind multikulturelle Gesellschaften im Sinne von Stuart Halls (2004) Definition von ethnisch oder kulturell gemischten Gesellschaften in jeweils speziellen Situationen. Kalifornien kann als klassisches Einwanderungsland bezeichnet werden, die größten Migrantengruppen kommen aus Mexiko und Asien. Baden-Württemberg entwickelte sich – seit den 1950er Jahren – zum Einwanderungsland, in dem heute mehr als 200 Nationen leben, wobei die größte Gruppe Menschen aus dem europäischen Ausland, vor allem aus der Türkei, bilden. In beiden Ländern wurden je zwei Gebiete mit unterschiedlicher sozialökologischer Entwicklung untersucht. Eher benachteiligte, großstädtische Verhältnisse sind in den Großstädten Stuttgart und Oakland vorherrschend, und – zumindest vordergründig – weniger benachteiligte, kleinstädtische Verhältnisse sind in Tübingen und Sonoma anzutreffen.
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Untersuchungsprogramm
Um dem komplexen Forschungsthema gerecht zu werden, wurde ein Methodenset entwickelt, das quantitative und qualitative Verfahren beinhaltet und das auf Kinder zwischen 9 und 14 Jahren abgestimmt ist. Am Beginn der Studie stand eine quantitative Fragebogenuntersuchung. Als Leitfaden wurden die Dimensionen des Fragebogens in daraufhin geführten Focusgroup-Interviews aufgegriffen. Bei den anschließend erstellten Soziogrammen sollten die Kinder diejenigen KlassenkameradInnen in geheimer Wahl auf Zettel schreiben, mit denen sie am liebsten ihre freie Zeit verbringen würden, wenn einmal der Unterricht ausfallen würde. In einem zweiten Durchgang sollten sie diejenigen nennen, mit denen sie tatsächlich ihre freie Zeit verbringen. Das danach angefertigte Foto-Soziogramm, bei dem die Kinder sich jeweils einzeln mit dem besten Freund oder der besten Freundin aus der Klasse fotografieren ließen, gab Aufschluss darüber, zu wem sie auch öffentlich standen. Kinder, die sich aus den Klassen dazu bereit erklärten, nahmen außerhalb der Schulzeit an ‘Videostreifzügen’ durch ihren Stadtteil teil. So konnten Einblicke in die Alltagssituation der Kinder gewonnen werden. Begleitend wurden die Kinder in ihren Stadtvierteln und Schulen während der gesamten Untersuchung frei beobachtet. Außerdem fanden Interviews mit LehrerInnen sowie SozialexpertInnen der Stadtteile statt. In Tübingen und in Stuttgart wurde das gesamte Untersuchungsprogramm durchgeführt; in Kalifornien nur die ersten drei Teile (Fragebogen, Focusgroup, Soziogramm), da dort die weiteren Verfahren aus Datenschutzgründen nicht erlaubt waren.
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Das Untersuchungsdesign sieht zur Zusammenführung der quantitativen und qualitative Daten zwei Möglichkeiten vor, die im Handbook of Mixed Methods in Social & Behavioral Research ausgeführt werden (Tashakkori/Teddlie 2003). Erstens den Mixed-Method-Ansatz, dessen Schwerpunkt auf einer Methode liegt, die zur weiteren Konkretisierung um Ergebnisse der anderen Methoden erweitert wird, wobei die deduktive Hypothesenprüfung im Vordergrund steht (vgl. Morse 2003: 191-196). Beim vorliegenden Projekt wurde der quantitative Teil (Fragebogen) führend und die qualitativen Teile ergänzend verwendet. Zweitens den Multi-Method-Ansatz, der verschiedene Facetten des Forschungsthemas erfasst. Dabei werden die quantitativen und qualitativen Daten zunächst eigenständig ausgewertet (vgl. Morse 2003: 196-205), die Ergebnisse anschließend zusammengeführt und gemeinsam interpretiert, um charakteristische Phänomene der einzelnen Gebiete herauszuarbeiten (vgl. Kelle/Kluge 1998; Kluge 1999). Das so entstehende Gesamtbild ist aber nicht im Sinne einer Triangulation zu verstehen, die die einzelnen Ergebnisse verbindet, um sie gegenseitig abzusichern, da sich diese zum Teil auch widersprechen. Im vorliegenden Projekt wurde der Multi-Method-Ansatz gerade deshalb gewählt, da das subjektive Erleben der Kinder untersucht wird, und dieses in seinen unterschiedlichen – auch inkonsistenten – Ausdrucksformen erfasst werden sollte.
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Lebensbereiche der Kinder
In allen Gebieten wurden verschiedene Lebensfelder der Kinder untersucht, in denen sich Integrationsprozesse abspielen. Besonderes Gewicht lag auf der aktiven Beteiligung und Eigeninitiative der Kinder, da diese einen bedeutenden Einfluss darauf haben, wie Kinder sich in die Gesellschaft hineinentwickeln. Es galt, eine Verbindung herzustellen zwischen einer ‘Außenperspektive’ auf gesellschaftliche Hintergründe von Integration und einer ‘Innenperspektive’, die die Sicht der Kinder und deren Bedeutung für Integration reflektiert. Dabei ging es um die Bereiche:
Familie, die einen sozialen Nahraum darstellt, in dem besonders bei Kindern mit Migrationshintergrund auch andere Werte als in der umgebenden (Mehrheits-)Gesellschaft gelebt werden Stadtteil, dessen Gegebenheiten die Ausgangsbasis für die Erfahrungen der Kinder darstellen
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Schule, die an sich einen Integrationsraum darstellt, da Kinder mit und ohne Migrationshintergrund sowie Kinder aus unterschiedlichen sozialen Schichten aufeinandertreffen Soziale Beziehungen, an denen sich einerseits Vorurteilsmechanismen und andererseits Muster der Freundschaftsbildung ablesen lassen
Ergebnisse
Indem die quantitativen und qualitativen Daten nach zunächst getrennter Auswertung zusammengeführt wurden, ergab sich ein Gesamtbild, das charakteristische Merkmale für die einzelnen Länder darstellt. Im Folgenden wird beispielhaft für jeden der Lebensbereiche der Kinder ein Ergebnis der Untersuchung dargestellt.
4.1 Lebensbereich Familie Nach Ludwig Liegle (1984) hängen die Strukturen und Prozesse in der Familie von komplexen Wechselbeziehungen zwischen Gesellschaft, Familie und Individuum ab, die sich in der Kultur, der sozialen Schicht, den konkreten Lebensverhältnissen und den Persönlichkeitsmerkmalen der Familienmitglieder abzeichnen. In diesen familiären Strukturen und Prozessen spiegelt sich auch der Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, wider (vgl. Staub-Bernasconi 1994). Wie Kinder mit ihren gegebenen Ressourcen umgehen und welche Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe sie nutzen, wird entscheidend durch die Familie mitbestimmt. Für Kinder mit Migrationshintergrund spielt als Ressource, über die sich Partizipationsmöglichkeiten in der Residenzgesellschaft erschließen, die Sprache eine besondere Rolle. Da der Spracherwerb einen Bestandteil von Integration darstellt, wird im Folgenden der Sprachgebrauch in der Familie betrachtet. Trotz der geschilderten Vielschichtigkeit des Lebensbereichs Familie und insbesondere der Integration von Kindern aus Migrantenfamilien besteht diesbezüglich nach wie vor eine eher einseitige Sicht auf Integration. Diese basiert auf einem seit langem proklamierten ‘Integrationsautomatismus’ der allmählichen Assimilation an die umgebende Gesellschaft, die sich aus einer zunächst aufrechterhaltenen ethnischen Gemeinschaft heraus entwickelt (vgl. Park 1928). Diese Sichtweise führt mit zu der These, dass Unterschiede bestehen zwischen der ersten, zweiten und dritten Generation, wobei die dritte Generation keine Integrationsprobleme mehr aufweise (vgl. Esser nach Hämmig 2000: 54-56).
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Insofern ließe sich die Häufigkeit, mit der die Landessprache in der Familie gesprochen wird, mit der jeweiligen Generation in Zusammenhang bringen. Demnach müsste die dritte Generation in der Familie hauptsächlich die Sprache des Residenzlandes benutzen. Die Problematik dieses eindimensionalen und linearen Zusammenhangs zwischen Sprache und Integration erscheint deutlich vor dem Hintergrund kritischerer Betrachtungen multikultureller Gesellschaft (Bhabha 2000; Hall 2004). Dennoch wurde im Rahmen des Forschungsprojekts der Frage nachgegangen, in welcher Sprache die Kinder mit Migrationshintergrund mit ihrer Familie kommunizieren und nach welchen Kriterien sich diese Kommunikation verändert. Bei den im Folgenden dargestellten Aussagen der Kinder gilt es zu bedenken, dass zum einen in den USA der Diskurs um monolinguale und bilinguale Erziehung den Schulunterricht stark beeinflusst (vgl. Cummins/Swain 1998) und zum anderen die staatlichen Leistungstests der Kinder in allen Fächern nach ethnischer Zugehörigkeit aufgeschlüsselt werden (Academic Performance Index). Daher kann angenommen werden, dass das Thema Sprachgebrauch den amerikanischen Kindern allgemein sehr präsent ist und dass sich die Kinder mit Migrationshintergrund in ihren Antworten an den allgemeinen Diskursen orientieren, die die Beherrschung der Landessprache als grundlegenden Faktor der Integration in den Vordergrund stellen. Es hängt tatsächlich von der Generation der Kinder ab, ob in der Familie die Landessprache gesprochen wird oder nicht: Je länger die Migration in der Familie zurückliegt, desto eher nutzen die Kinder die Landessprache auch in der Familie. Eine Varianzanalyse bestätigt die Zunahme des Gebrauchs der Landessprache in der Familie von der ersten zur dritten Generation. Diese Tendenz herrscht länderübergreifend sowohl in Baden-Württemberg als auch in Kalifornien vor. Untersucht man aber die Unterschiede zwischen den Generationen, fällt auf, dass die Häufigkeit, in der Familie englisch bzw. deutsch zu sprechen, vor allem von der ersten auf die zweite Generation zunimmt, aber von der zweiten auf die dritte Generation fast unverändert bleibt1. Bemerkenswert ist, dass in Kalifornien die Anzahl der Kinder, die ausschließlich die Sprache des Herkunftslandes der Eltern in der Familie spricht, nicht mit jeder Generation abnimmt, sondern in der ersten Generation höher als in der zweiten Generation ist, in der dritten Generation jedoch wieder ansteigt. 1
Auf einer Skala von 1 = immer bis 4 = nie unterscheiden sich bei den kalifornischen Kindern die Mittelwerte der ersten (2,6), und der zweiten Generation (2,1) signifikant (Signifikanz: 0,002); diejenigen der zweiten (2,1) und der dritten Generation (1,9) nicht (Signifikanz: 0,460). In Baden-Württemberg ist ebenfalls nur der Unterschied von der ersten Generation (Mittelwert: 2,6) zur zweiten Generation (Mittelwert: 2,1) signifikant (Signifikanz: 0,000), nicht aber der Unterschied zwischen zweiter (Mittelwert: 2,1) und dritter Generation (Mittelwert: 2,0; Signifikanz: 0,446).
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Allerdings liegt die Anzahl der Kinder, die ausschließlich die Sprache des Herkunftslandes sprechen, in der dritten Generation unter der der ersten Generation2. Besonders auffällig ist dieses Phänomen bei Kindern lateinamerikanischer Herkunft, die verglichen mit Kindern anderer Herkunft ohnehin am seltensten Englisch zuhause sprechen3. Nach Oliver Hämmig (2000: 54) hat die Sprache eine wichtige Bedeutung für die Selbst- und Fremdzuschreibung von ethnischer Identität. In Familien, die in der dritten Generation im Residenzland wieder vermehrt die eigene Sprache sprechen, scheint also die Herkunftskultur wieder verstärkt an Bedeutung zu gewinnen. Dies spricht gegen eine über die Generationen zunehmende Integration der Kinder in die Kultur des Residenzlandes und für eine verstärkte Integration in die Kultur des Herkunftslandes. Dazu kommt es vor allem, wenn Integrationshemmnisse im Residenzland auftreten und eine Assimilation – als einseitige Anpassung an die Aufnahmegesellschaft unter Aufgabe der Integration in die ethnischen Bezüge (vgl. Esser 2001: 69f.) – nicht zu erreichen ist. Die dritte Generation integriert sich also nicht, wie nach Hartmut Esser angenommen werden kann, auf natürliche Art und Weise in die umgebende Gesellschaft, sondern weist eine spezielle Problematik auf. Elisabeth Beck-Gernsheim (2004) nennt in diesem Zusammenhang den Begriff der reaktiven Ethnizität, die mit einer Abkehr von der Kultur des Residenzlandes einhergeht. Jedenfalls befinden sich die Kinder in einer Form von Diaspora, in der beide Kulturen Integrationsräume darstellen, die miteinander in Wechselwirkung stehen4. Diese Ergebnisse problematisieren die eingangs angeführten Theorien (vgl. Park 1928; Esser nach Hämmig 2000), die eine defizitäre Sichtweise auf Kinder mit Migrationshintergrund suggerieren, indem der Sprachgebrauch als ein von anderen Bedingungen unabhängiger Indikator für Integration gesehen wird. Stattdessen scheint ein beidseitiger Integrationsbegriff eher zutreffend, der die Beziehungen zwischen Herkunfts- und Residenzgesellschaft in den Vordergrund stellt (vgl. Beger 2000) und dabei berücksichtigt, dass den MigrantInnen von Seiten dieser Gesellschaft Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt werden müssen um sich – auch sprachlich – zu integrieren (vgl. Held 1999). Die Möglichkeiten der Teilhabe von Kindern erstrecken sich über die Familie hinaus auf weitere Lebensbereiche. Im Folgenden wird der Lebensbereich Stadtteil untersucht. 2
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Von den kalifornischen Kindern sprechen 20% der ersten, 3% der zweiten und 14% der dritten Generation ausschließlich die Muttersprache (Signifikanz: 0,001). Auf einer Skala von 1 = immer bis 4 = nie erreichen die kalifornischen Kinder mit lateinamerikanischem Hintergrund einen Mittelwert von 2,4, der deutlich niedriger ist als der von Kindern mit europäischem oder multiethnischem Hintergrund (Mittelwert: jeweils 1,4), oder von Kindern aus anderen Ländern (Mittelwert: 2,0; Signifikanz: 0,000). Zum Begriff der Diaspora vgl. Wieviorka 2003: 53ff.
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4.2 Lebensbereich Stadtteil Der Lebensbereich, der die Familie am unmittelbarsten umgibt, ist die Nachbarschaft. Nicht nur die Familien prägen den Stadtteil, in dem sie wohnen, sondern auch die Wohnumgebung beeinflusst die Familien: Bis in die 1970er Jahre war es Kindern noch möglich, sich mit zunehmendem Alter zuerst Räume in der Wohnung, der näheren Umgebung und schließlich der weiteren Umgebung (großstädtische Einrichtungen, Stadtumgebung) selbst anzueignen (vgl. Thomas 1979). Seit den 1990er Jahren müssen die unterschiedlichen Sozialräume der Kinder jedoch vermehrt von außen miteinander koordiniert werden, da sie sich in einem größer gewordenen Gesamtraum befinden, der den Kindern insgesamt kaum bekannt ist und ihnen daher auch wenig bedeutet. Hartmut und Helga Zeiher (1994) sprechen daher von einer „Verinselung“ der Lebenswelt von Kindern. Der Lebensraum der Kinder muss aktiv hergestellt werden, was für die Eltern sowohl eine größere Mitwirkung in deren Lebensführung bedeutet und mit der Herausforderung verbunden ist, Kindern Freiräume zuzugestehen, in denen sie eigenverantwortlich Regeln, Grenzen und Rollenverständnisse aushandeln können. Daneben sind die Partizipationsmöglichkeiten der Kinder durch die Verinselung stärker durch die finanziellen Möglichkeiten der Eltern bestimmt. Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder, die Minderheiten angehören, sind damit in der Wahl ihrer Integrationsräume eingeschränkt. Dieser Zusammenhang wird auch von Brigitte Rauschenbach und Gerhard Wehland (1989) thematisiert, die bei Kindern aus der Mittel- und Oberschicht einen oft fest strukturierten und vorgeplanten Tagesablauf feststellen, der nur wenig Zeit lässt, selbstständig ihre Wohnumgebung zu erkunden. Die Zeit der Unterschichtkinder hingegen ist weniger verplant. Sie nutzen öffentliche Angebote und Kontakte zu Gleichaltrigen, die sie eher in ihrem unmittelbaren sozialen Nahraum finden. Die AutorInnen untersuchen noch weitere Kriterien, die über die Nutzung verschiedener Sozialräume entscheiden. Die Bedürfnisse in Bezug auf den Sozialraum unterscheiden sich beispielsweise nach Alter, Geschlecht oder Jahreszeit (vgl. Rauschenbach/Wehland 1989). Die jeweilige Situation der Kinder entscheidet darüber, ob sie sich entsprechend eigener Zielsetzungen, Wünsche und Vorstellungen Lebensräume aneignen können (vgl. Becker/Eigenbrodt/May 1982). Das in großstädtischen Zusammenhängen zunehmend festgestellten Phänomen, sich – mangels alternativer Identifikationsmöglichkeiten – mit dem Stadtteil zu identifizieren, insbesondere im Kontext dort neu entstehender ‘hybrider Kulturen’, die Sprachneuschöpfungen, Straßensport oder Hip-Hop umfassen, lässt auf eine besondere Bedeutung des Stadtteils für Integration von Kin-
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dern schließen (vgl. Hall 2004). Vor dem Hintergrund einer kritischen, nicht an Nationalkultur anlehnenden Auffassung von Kultur und mittels des Begriffs der Hybridität deutet Stuart Hall (vgl. ebd.) diese Entwicklung eher positiv. In der aktuellen Diskussion dieses Phänomens bleibt sein Standpunkt jedoch nicht unwidersprochen, da neben der von ihm vertretenen Vorstellung von Entwicklungsprozessen im Zusammenhang mit Migration nach wie vor ein defizitäres, bipolares und westlich bezogenes Kulturverständnis vorherrscht (vgl. Huntington 2005; Luft 2003): Im Diskurs um Integrationsschwierigkeiten wird vermehrt eine Abgrenzung großer Minderheitengruppen gegenüber der dominanten Gesellschaft konstatiert. In Kalifornien betrifft dies vor allem die Gruppe der mexikanischstämmigen Bevölkerung (vgl. Huntington 2005), in Baden-Württemberg die der türkischstämmigen (vgl. Luft 2003). Die Frage nach dem Wunsch, später in einem anderen Stadtteil oder einem anderen Land leben zu wollen, sollte Aufschluss darüber geben, ob sich Kinder mit Migrationshintergrund eher an ihrem Herkunftsland oder ihrem Residenzland, insbesondere ihrem Stadtteil, orientieren. Insgesamt würde knapp ein Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund und knapp ein Viertel der Kinder ohne Migrationshintergrund gern in einem anderen Stadtteil wohnen. Später in einem anderen Land zu leben, scheint attraktiver zu sein: Knapp die Hälfte der Kinder mit Migrationshintergrund und gut ein Drittel der Kinder ohne Migrationshintergrund stimmten der Frage zu5. Grundsätzlich scheint Kindern mit Migrationshintergrund die Möglichkeit der räumlichen Veränderung vertrauter als Kindern ohne Migrationshintergrund, was durch die eigene oder durch die in der Familie gemachte Migrationserfahrung bedingt sein kann. In Baden-Württemberg stimmen die Ergebnisse tendenziell mit der Gesamtgruppe überein. Dort zeigte sich zudem, dass gerade Kinder mit Migrationshintergrund ihrem Stadtteil eine zu hohe Zahl an Personen aus verschiedenen Ländern bescheinigen und sie sich – vor allem nachdem sie eine gewisse Zeit in ihrem Stadtteil verbracht haben – lieber in ihrer Nachbarschaft beteiligen, zugleich aber mehr Respektlosigkeit im Umgang der Personen in ihrer Wohnumgebung wahrnehmen. Aus diesen Gründen kann angenommen werden, dass sich Kinder mit Migrationshintergrund in Bezug auf den Stadtteil und das Land wechselwilliger zeigen als Kinder ohne Migrationshintergrund. Diese Annahme bestätigte sich: 27% der Kinder mit Migrationshintergrund und 19% der Kinder
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In der Gesamtstichprobe würden 30% der Kinder mit und 22% der Kinder ohne Migrationshintergrund gern in einem anderen Stadtteil wohnen (Signifikanz: 0,020). 49% der Kinder mit und 37% der Kinder ohne Migrationshintergrund würden später gern in einem anderen Land leben (Signifikanz: 0,000).
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ohne Migrationshintergrund würden gern in einem anderen Stadtteil wohnen6. Dies weist auf eine benachteiligte Situation der Kinder mit Migrationshintergrund hin, die sie dem Stadtteil zuschreiben. Von einem Wechsel des Stadtteils versprechen sie sich positive Veränderung, denn ihnen scheint bewusst zu sein, dass ihr Wohngebiet eine sozio-ökologische Ressource darstellt, die über ihre Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe mitentscheidet (vgl. StaubBernasconi 1994). Ob sie später gern in einem anderen Land leben würden, bejahen 51% der Kinder mit Migrationshintergrund und 35% der Kinder ohne Migrationshintergrund7. Kindern, denen Migration aus eigener Erfahrung oder durch die Eltern und Großeltern vertraut ist, können sich leichter dafür entscheiden, das Land zu verlassen. Dass sich immerhin mehr als ein Drittel der Kinder ohne Migrationshintergrund dies auch vorstellen könnte, mag daran liegen, dass sie durch den alltäglichen Umgang mit verschiedenen Kulturen in der Nachbarschaft eine Offenheit entwickelt haben, die sie – auch wenn sie keinen familiären Bezug zu einem anderen Land als Deutschland haben – zumindest neugierig macht, in einem anderen Land zu leben. Viele der Kinder mit Migrationshintergrund schildern ihre Heimat besonders positiv und behaupten, es sei dort besser als hier, sodass dies eventuell auch deutschen Kindern in ihrer benachteiligten Nachbarschaft attraktiv erscheint. Das Alltagswissen der Kinder über andere Länder spielt, ähnlich wie bei den Kindern in Kalifornien, eine große Rolle bei ihrer Entscheidung (vgl. dazu Thiersch 1986: 18). Eine Stuttgarter Hauptschülerin mit polnischem Hintergrund, die aus einer eher benachteiligten Gegend der Großstadt kommt, ist der Meinung: Ich find’s nicht so gut, weil ich find’s hier nicht so schön auch – die Gegend. (...) Also ich finde nicht schön, weil im Park sind auch voll viele so, so Penner, und so Asoziale und die greifen auch so manchmal an, bei so anderen Leuten.
Ihr Klassenkamerad, der einen pakistanischen Hintergrund hat, ergänzt: Ich hab mal so gesehen, da ist so ein Mann, mit Krücken, da ist eine Frau vor dem weggelaufen. Dann ist die Frau stehen geblieben und da hat der Mann mit der Krücke gegen ihr Gesicht gehauen. (Streifzug GHS O).
Auf die Frage, ob sie lieber woanders wohnen würden antwortet er: Ich möchte auch lieber in Palästina wohnen, weil da ist es viel schöner, finde ich.
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Signifikanz: 0,034. In Kalifornien gab es bei beiden Fragen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Signifikanz: 0,000.
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Das Mädchen meint: Ich würde auch gerne in Polen wohnen, weil da ist es auch viel ruhiger. Und es ist halt ein bisschen anders wie hier, so dorfmäßig. (Streifzug GHS O)
Der Stadtteil, in dem die Kinder wohnen, sorgt für weitere Unterschiede: 49% der Kinder aus Stuttgart und 38% der Kinder aus Tübingen würden später gern in einem anderen Land leben8. Stuttgart-Ost gilt eher als benachteiligte Gegend mit hoher Ausländerzahl, von daher überrascht das Ergebnis nicht. Vielmehr verweist es auf das Phänomen der Unterschichtung, das insbesondere in großstädtischen Gebieten aufgrund einer Überlagerung von Ethnizität und sozialer Schicht entsteht9. Für eine Stuttgarter Realschullehrerin ist dies auch bei SchülerInnen mit Migrationshintergrund und deutschem Pass ein alltägliches Thema: Sie haben den deutschen Pass, aber sagen dann selber: „Ich will hier eigentlich gar nicht sein“. Also das ist noch das viel größere Problem, welche Nationalität ich auch immer habe, ist völlig egal, nur dass eben die Schwierigkeit hinzukommt, dass die Schüler gar nicht hier sein wollen. Sondern: „Mein Heimatland ist woanders und ich möchte eigentlich dort sein“.
Dieser Wunsch, ‘woanders zu sein’ kann jedoch über den Bezug zum Herkunftsland hinaus auch auf weitere Faktoren zurückgeführt werden, beispielsweise auf die oben geschilderten Ausgrenzungserfahrungen oder Erfahrungen des Anders-Seins (vgl. dazu auch Riegel 2004). In Tübingen-Süd ist es ebenfalls möglich, dass Kinder mit Migrationshintergrund sich wünschen, in ‘ihrem’ Land zu leben. Zusätzlich liegt bei den Kindern aus der Tübinger Südstadt wohl eine Offenheit für eine globalere Orientierung zugrunde, da in den städtebaulich geförderten Gebieten auch Kinder mit Migrationshintergrund aus gehobenen Schichten wohnen. Dies kann mit verantwortlich für die Entscheidung der Kinder ohne Migrationshintergrund sein, in einem anderen Land leben zu wollen. Der folgende Ausschnitt aus einer Focus-Group mit Tübinger Viertklässlern verdeutlicht diese Offenheit und die Selbstverständlichkeit im Umgang mit verschiedenen Kulturen: Michi (kein Migrationshintergrund) Ich find’s eigentlich gut, dass ich Freunde aus dem Ausland hab. Weil ich halt, meistens, erfahr ich dann halt viel mehr. Es ist so, als der Marc (ecuadorianischer Hintergrund) aus unserer Straße eingezogen war, kann ich jetzt auch schon ein paar Wörter auf Spanisch. Sam (eritreischer Hintergrund): Sag mal die Wörter! 8 9
(Signifikanz: 0,003). An dieser Stelle sei auf dem vorliegenden Projekt vorausgegangene Untersuchungen hingewiesen, in denen die Bedeutung des Stadtteils herausgearbeitet wurde (Held/Riegel 1999; Riegel 1999; Riegel 2004).
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Michi: No, si, amigo. Mike (amerikanischer Hintergrund) Okay, und mein Vater ist auch aus Amerika, und wir sprechen halt auch fast die ganze Zeit mit meinen Vater amerikanisch. Und wir fahren jedes zweite Jahr nach Amerika, um da die Bekannten und die Brüder von uns zu sehen. Sam: Und wir sind letzten Sommer nach Eritrea gefahren. Und da hab ich auch noch meine Bekannten und Freunde da. (FS 2)
Da in Kalifornien auch die Kinder ohne Migrationshintergrund in den untersuchten Gebieten stark marginalisiert sind und sich in anderen Stadtteilen oder einem anderen Land eventuell bessere Lebensbedingungen erhoffen, verwundert es nicht, dass es bei beiden Fragen keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund gab. Die Verbundenheit mit dem Stadtteil kommt in den Fragen, ob sie gern in einem anderen Stadtteil oder später in einem anderen Land leben würden, zum Ausdruck. Die Mehrheit der Kinder würde lieber im Stadtteil bleiben. Dafür könnte (ebenso wie bei der Frage nach der Partizipation) verantwortlich sein, dass der Alltag der Kinder sich in diesen Gebieten nicht unterscheidet, was ihre Herkunft betrifft. Den meisten scheint es keine Perspektive zu bieten, ihren aktuellen Wohnort zu verlassen. Gründe dafür können sein, dass die Kinder sich unabhängig von der Zusammensetzung der Nachbarschaft eigene Integrationsräume suchen, zum Beispiel in Freundschaften innerhalb des eigenen kulturellen Hintergrundes (vgl. Tatum 2003). Dieser Zusammenhalt in von den Kindern selbst gewählten Gruppen in der Nachbarschaft kann letztendlich auch zu einer Identifikation mit dem Stadtteil führen, auch wenn dieser benachteiligt ist. Unterschiede bezüglich der Wechselwilligkeit des Landes bestehen jedoch zwischen den Kindern der ersten und der zweiten Migrantengeneration. Kinder, die selbst Migrationserfahrungen gemacht haben, können sich eher vorstellen, in ein anderes Land zu gehen, als diejenigen, bei denen lediglich die Eltern migriert sind. Dass Migration für diejenigen Kinder eine Option ist, denen der Umgang mit Migration in ihrem alltäglichen Erleben präsent ist, kann durch die Alltagstheorie von Thiersch (1986) erklärt werden. „Alltäglichkeit bezieht sich auf die Zeit, aus der mir Erinnerung und Tradition verfügbar sind, aus der Verwandte und Freunde erzählen, die sie mit ihrem mir zugänglichen Erleben bezeugen“ (Thiersch 1986: 18). Des Weiteren kommt es zu einem höchst signifikanten Unterschied zwischen den Kindern der beiden Stadtteile Sonoma und Oakland: Gegenüber 41% der Kinder aus Sonoma würden 70% der Kinder aus Oakland später gern in einem anderen Land leben. Tatsächlich scheint in Oakland ein Wechsel des Stadtteils allein wenig Veränderung zu versprechen, da der Alltag in allen Stadt-
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teilen Oaklands existenziell bedrohlich sein kann. Viel eher sind Kinder aus Oakland bereit, später in ein anderes Land zu gehen. Ein weiterer Aspekt dieser Entscheidung zeigt sich in der Ambivalenz der Kinder zu ihrem Wohngebiet, die sie in den Interviews äußern. Obwohl sie sich ihrer benachteiligten Situation bewusst sind, identifizieren sie sich mit ihrem Stadtteil über eine emotionale Bindung an ihre ähnlich benachteiligten Bezugsgruppen. Diese Bindung wollen sie zumindest zum aktuellen Zeitpunkt nicht aufgeben. Ein Mädchen aus Oakland schildert diese Situation: Even though everybody says it wasn’t safe in our environment, like I’ve been in East Oakland like, basically, all my life. Like I left, like, went to other places like Hayward, San Leandro, Modesto, way out there in the country or whatever, but always came back to East Oakland. Even though we are like unsafe or whatever, there’s a lot of fun stuff in East Oakland. We all get along; there’s a lot of parties that we just have fun – just stuff like that – a lot of family get togethers. And when we have get togethers, we get together, we all bring everything, it’s real fun out here, though, even though it’s unsafe, it’s really like fun though, out here, though. (HC 1)
Ihrer Benachteiligung aufgrund ihrer Wohnsituation sind sich die Kinder beider Länder bewusst: In Kalifornien würde knapp die Hälfte der Kinder, unabhängig ob mit oder ohne Migrationshintergrund, später gern in einem anderen Land wohnen. Diejenigen, die in den am stärksten benachteiligten Gegenden (Oakland) wohnen, wollen dies sogar zu 70 Prozent. In Baden-Württemberg sind die Kinder mit Migrationshintergrund eher bereit, von ihrem Stadtteil wegzuziehen, als Kinder ohne Migrationshintergrund: Gut die Hälfte von ihnen würde gern in einem anderen Land leben. Aus diesen Ergebnissen kann gefolgert werden, dass Kinder, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes oder ihrer sozialen Herkunft Benachteiligungen erfahren, sich eher vom Residenzland distanzieren. Ein linearer Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein eines Migrationshintergrundes und einer Identifikation mit dem Herkunftsland, die in einer Abkehr vom Residenzland resultiert (vgl. Luft 2003; Huntington 2005), kann dadurch jedoch nicht belegt werden. Vielmehr wurde durch die Aussagen der Kinder deutlich, dass weitere strukturelle Bedingungen Einfluss darauf haben, ob sie sich innerhalb ihrer Lebensräume zugehörig und anerkannt fühlen.
4.3 Lebensbereich Schule Die Schule hat neben der Nachbarschaft und der Familie eine wichtige Integrationsfunktion, dadurch dass sie den Kindern ethnienübergreifend Bildung und Werte vermitteln soll. Wie dies von den akademischen Leistungen her gelingt,
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wird regelmäßig durch Studien wie PISA in Deutschland und dem Academic Performance Index in den USA überprüft. Daraus werden häufig Probleme von Migrantenkindern und Kindern aus sozial schwachen Familien ersichtlich, die nach Mechthild Gomolla und Frank-Olaf Radtke (2000) auf strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen und Prozesse zurückgeführt werden können, beispielsweise auf institutionellen Rassismus und Diskriminierung, die Auswirkungen auf die Bildungslaufbahn von Kindern mit Migrationshintergrund haben (vgl. zu den USA: California Department of Education 2006; Olsen 1997; zu Deutschland: Stanat 2003; Tillmann/Meier 2003). In Deutschland besteht Einigkeit darin, dass „Bildung und Ausbildung (...) zu den bedeutendsten Integrationsbedingungen für heranwachsende Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien (gehören). Die Teilnahme an schulischer und beruflicher Bildung ermöglicht ihnen erst Zugehörigkeitsgefühle gegenüber der bundesrepublikanischen Gesellschaft (identifikatorische Integration) und sie bildet die Voraussetzung für das Zusammenleben von ausländischen und deutschen Kindern und Jugendlichen (soziale Integration)“ (Beger 2000: 67). Auch hier soll der Unterschied zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in den Blick genommen werden, jedoch unabhängig vom schulischen Erfolg. Die Frage „Wie wichtig ist die Schule für Dich?“ führte zu einem Ergebnis, das dem gängigen Vorurteil, Kinder mit Migrationshintergrund würden sich in der Schule schlecht integrieren, widerspricht10: In der Gesamtstichprobe ist Kindern mit Migrationshintergrund die Schule wichtiger als Kindern ohne Migrationshintergrund. Dies deutet darauf hin, dass der Integrationsraum Schule Kindern mit Migrationshintergrund Chancen für Bildung und Kontakte bietet, die für sie in anderen Lebensbereichen weniger greifbar sind als für Kinder ohne Migrationshintergrund (vgl. Rauschenbach/Wehland 1989 in 4.1). In Baden-Württemberg bestehen höchst signifikante Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund bei der Beurteilung der Wichtigkeit der Schule. Kindern mit Migrationshintergrund ist die Schule wichtiger als denjenigen ohne Migrationshintergrund11. Darüber hinaus ist ihre Einschätzung je nach Herkunftsland unterschiedlich: die Kinder aus der Türkei und mit multiethnischem Hintergrund (aus zwei und mehr unterschiedlichen Herkunftsländern) finden die Schule am wichtigsten, gefolgt von Kindern, die aus außereuropäischen Ländern stammen; auch den Kindern aus dem europäischen Ausland 10
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Auf einer Skala von 1 = sehr wichtig bis 4 = gar nicht wichtig haben die Kinder mit Migrationshintergrund einen Mittelwert von 1,4, die Kindern ohne Migrationshintergrund einen Mittelwert von 1,6 (Signifikanz: 0,000). Auf einer Skala von 1 = sehr wichtig bis 4 = gar nicht wichtig erreichen Kinder mit Migrationshintergrund einen Mittelwert von 1,4, Kinder ohne Migrationshintergrund einen Mittelwert von 1,7 (Signifikanz: 0,000).
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ist die Schule noch wichtiger als den deutschen Kindern12. Eine Erklärung dafür können die veränderten Integrationsbestrebungen seitens der Familien mit Migrationshintergrund sein. Eine Stuttgarter Lehrerin spricht in diesem Zusammenhang von „protektiven Eltern: „Wann kann mein Kind endlich auf das Gymnasium?“ “, und der Tatsache, dass „Frauen sich einfach nicht mehr in das Klischee, das sie aus den Heimatländern mitbringen, reinpressen lassen und hier dann ihre Freiheit kennen lernen“ (RS O). Außer den von der Lehrerin genannten Einstellungen von Migranteneltern bezüglich der Bildungsaspiration ihrer Kinder kann die Motivation, den Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, eine Rolle spielen – ist dieser Grund doch häufig für die Entscheidung der Familie zur Migration ausschlaggebend (vgl. Riegel 2004). Einerseits kann dies für Kinder aus solchen Familien zu starken Belastungen führen, wenn sie sich in einer Umgebung orientieren müssen, in der ihre Eltern sich selbst neu verorten (vgl. Gültekin 2003; Keval 2003). Andererseits spricht diese Tatsache für eine zunehmende Flexibilität der Lebensformen, die auch für die Kinder mit Migrationshintergrund an Bedeutung gewinnt. Unabhängig davon, wie sie ihre Lebensziele akzentuieren, stellt die Schule einen wichtigen Integrationsfaktor dar (vgl. Karakasoglu 2005). Eine Unterhaltung zwischen Mädchen mit Migrationshintergrund, die die fünfte Klasse einer Stuttgarter Realschule besuchen, zeigt verschiedene individuelle Begründungen auf: Luigina (italienischer Hintergrund): Für mich ist die Schule sehr wichtig, weil ich da neue Sprachen lernen kann. Emel (türkischer Hintergrund): Für mich ist die Schule auch sehr wichtig, weil wenn ich in einem anderen Land ohne Schule leben würde, dann wüsste ich gar nichts und das wäre auch blöd. Asli (türkischer Hintergrund): Für mich ist die Schule auch wichtig, weil wenn ich nicht zur Schule gehen würde, dann könnte ich nicht rechnen. Aglaia (griechischer Hintergrund): In der Schule kann ich Fußball spielen, aber Englisch gefällt mir auch. (RS O)
Die Aussagen machen deutlich, dass den Kindern Bildung als wichtiger Integrationsfaktor erscheint: Mathematik und Fremdsprachen werden genannt. Neben ihrer Muttersprache und Deutsch auch noch andere Sprachen lernen zu wollen, deutet darauf hin, dass die Kinder Mehrsprachigkeit als einen Vorteil für das 12
Auf einer Skala von 1 = sehr wichtig bis 4 = gar nicht wichtig gaben die Kinder folgende Mittelwerte an: türkischer Hintergrund: 1,3, multiethnischer Hintergrund: 1,3, Hintergrund außerhalb Europas und aus anderen Ländern: 1,4, europäischer Hintergrund: 1,5, Kinder aus Deutschland: 1,7 (Signifikanz: 0,000).
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Zusammenleben ansehen, zumal sie in Stuttgart-Ost ständig mit multikulturellen Begegnungen konfrontiert sind. Das türkische Mädchen, das darauf hinweist, dass es in anderen Ländern keine Schule gibt, ist sich der privilegierten Situation in Deutschland bewusst. Darüber hinaus wird Schule als Ort der Begegnung gesehen, in dem es möglich ist zum Beispiel gemeinsam Fußball zu spielen. Schule bietet somit auch einen Rahmen für kulturübergreifende Begegnungen, die ohne Sprache auskommen, und spielerisch den Kontakt mit Kindern anderer Herkunft herstellen. In den amerikanischen Schulen steht die Chancengleichheit durch Bildung im Vordergrund. Nach Allport (1971) müssten die Kinder durch den alltäglichen Umgang miteinander mögliche Vorurteile anderen gegenüber abbauen. Allport nahm an, dass dies nicht bei jeder beliebigen Form von Kontakt geschieht, sondern an eine Reihe von Randbedingungen geknüpft ist (vgl. ebd.: 268f.). Er ist der Ansicht, dass eine vorurteilsreduzierende Wirkung des Kontaktes dann zu erreichen ist, wenn dieser auf einer Basis des gleichen Status stattfindet und alle während des Kontakts die selben Ziele verfolgen (vgl. Jonas 1998: 133). In den untersuchten Schulen in benachteiligten Gegenden Kaliforniens waren sowohl hohe Anteile an Kindern mit Migrationshintergrund als auch an Kindern ohne Migrationshintergrund aus benachteiligten sozialen Verhältnissen vertreten. Von daher ist anzunehmen, dass marginalisierte Kinder sowie Kinder mit Migrationshintergrund ähnliche Integrationsprobleme haben. Die Schule stellt durch das Bildungsangebot für alle marginalisierten Gruppen einen Schlüssel zur Integration dar. Daraus ergab sich die Hypothese, dass kalifornischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund die Schule gleichermaßen wichtig ist. Tatsächlich unterscheiden sich die Kinder mit und ohne Migrationshintergrund allgemein nicht13. Bei den qualitativen Daten fällt insgesamt auf, dass die Kinder und die LehrerInnen häufig die Metapher ‘school is like family’ benützen. Dort treffen die Kinder ihre Freunde in einem sicheren Rahmen, der feste Regeln des Umgangs miteinander bietet, die von den LehrerInnen aktiv unterstützt werden. Dies kann daran liegen, dass die Kinder aus der Stichprobe häufig aus unvollständigen oder problematischen Familienverhältnissen kommen, und die Kinder in den MitschülerInnen und den LehrerInnen verlässliche Bezugspersonen finden. So berichteten LehrerInnen, dass sie Anteil an der Situation der Familien nehmen, indem sie zum Beispiel selbst mit den Kindern zum Zahnarzt gehen, oder helfen, Nahrungsmittel oder Kleidung für Kinder aus obdachlosen Familien zu besorgen. Die Kinder erzählten ihrerseits, dass das Schulpersonal über 13
Auf einer Skala von 1 = sehr wichtig bis 4 = gar nicht wichtig erreichen die kalifornischen Kinder mit Migrationshintergrund einen Mittelwert von 1,4, diejenigen ohne Migrationshintergrund einen Mittelwert von 1,3 (Signifikanz: 0,194).
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ihre privaten Belange und Beziehungen untereinander Bescheid weiß. Sowohl die Kinder als auch die LehrerInnen schienen diesen persönlichen Umgang zu schätzen. Zusammenfassend lässt sich eine große Bedeutung der Schule für Migrantenkinder feststellen, die sich aus verschiedenen Komponenten mit integrativer Funktion zusammensetzt: Einerseits ist für Kinder mit Migrationshintergrund das Streben nach akademischem Erfolg wichtig, andererseits die Interaktion mit Kindern verschiedener Herkunft und mit LehrerInnen, die sich persönlich um Integration bemühen, was sich wiederum positiv auf den Kontakt mit den Familien der SchülerInnen auswirkt. Subjektiv bewerten die Kinder mit Migrationshintergrund Schule also insgesamt positiv und verbinden mit ihr Hoffnung auf Integration, auch wenn sie in der Schule objektiv sicherlich Ausgrenzungen, zumindest institutioneller Diskriminierung, ausgesetzt sind (vgl. Gomolla/Radtke 2000; California Department of Education 2006; Olsen 1997; Stanat 2003; Tillmann/Meier 2003).
4.4 Lebensbereich Soziale Beziehungen Hinter der aktiven Entscheidung eines Kindes, einer bestimmten Freundesgruppe anzugehören, oder ein bestimmtes Kind als besten Freund zu haben, stehen verschiedene Kriterien, die mit Ressourcen in Bezug auf gesellschaftliche Teilhabe verbunden sind. Mit Pierre Bourdieu (1983) kann angenommen werden, dass diese Ressourcen insofern für die Kinder von persönlicher Bedeutung sind, als sie mit anderen Kindern Austauschbeziehungen eingehen, in denen sie bestimmte Sorten an Kapital benötigen. Welche Freunde die Kinder wählen, kann also ein Indikator dafür sein, in welchen gesellschaftlichen Positionen sie sich befinden und welche Kapitalsorten sie dort einsetzen können. Hartmut und Helga Zeiher (1994) gehen davon aus, dass Kinder mit geringen Ressourcen an ökonomischem Kapital eher unter sich bleiben, da sie zu Kindern mit hoher Ausstattung an ökonomischem Kapital, welches ihnen Zugang zu ‘verinselten’ Freizeitangeboten verschafft, keine Beziehung aufbauen können (vgl. Abschnitt 4.2). Diese strukturellen Aspekte von Freundschaften und sozialen Beziehungen dürfen bei der Interpretation der Ergebnisse – trotz der aktiven Entscheidung der Kinder für einen Freund/eine Freundin oder für einen Freundeskreis mit gemischten oder gleichen kulturellen Hintergründen – nicht unberücksichtigt bleiben. Der kulturelle Hintergrund der Gruppe von FreundInnen oder des besten Freundes/der besten Freundin sowie die Sprache, in der die FreundInnen kom-
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munizieren, können nicht allein als Kriterien gelungener oder misslungener Integration gelten. Mit der Frage nach dem kulturellen Hintergrund des besten Freundes oder der besten Freundin wurde geprüft, ob über den Integrationsraum Schule hinaus, in dem sich in den Untersuchungsgebieten Kinder jeglicher Herkunft mischen, die Kinder ihren besten Freund oder ihre beste Freundin aus ihrem eigenen kulturellen Hintergrund wählen. 48% der Kinder mit und 69% der Kinder ohne Migrationshintergrund gaben an, dass ihre bester Freundin oder ihr bester Freund den gleichen kulturellen Hintergrund hat wie sie. Kalifornien und Baden-Württemberg weisen jedoch Unterschiede auf: In Baden-Württemberg zeigt sich insgesamt eine Tendenz zum selben kulturellen Hintergrund: 55% des besten Freundes/der besten Freundin der Kinder haben den gleichen Hintergrund wie sie. Dabei spielt der Migrationshintergrund eine Rolle: Einen besten Freund/eine beste Freundin mit dem gleichen Hintergrund haben drei Viertel der Kinder ohne Migrationshintergrund und 42% der Kinder mit Migrationshintergrund. Kinder mit Hintergrund aus der Türkei haben von den Kindern mit Migrationshintergrund am häufigsten einen besten Freund aus ihrer eigenen Gruppe, wohl mit deshalb, da sie zahlenmäßig am stärksten vertreten ist. In den Interviews geben die Kinder jedoch grundsätzlich an, es sei ihnen egal, woher jemand kommt. Oft ist ihnen der Migrationshintergrund auch nicht bewusst. Nach Piaget kann das an den während der Kindheit und Adoleszenz durchlaufenen Phasen liegen, die auf das jeweilige Weltbild der Kinder schließen lassen (vgl. Piaget 1988; Piaget/Weil 1976). Vor allem für jüngere Kinder ist das Thema Herkunft nur einer von vielen Aspekten, die bei der Wahl der FreundInnen eine Rolle spielen. Eine typische Aussage machen Stuttgarter Viertklässler. Karsten (kein Migrationshintergrund):
Frage: Karsten: Mara: Frage: Mara:
Ich find’s mit den andern Kindern schon gut. Weil die kommen von andern Ländern und sind vielleicht arm – vielleicht – ja deswegen sind sie auch vielleicht netter. Von welchen Ländern? Von Berlin oder Afrika oder – keine Ahnung – England. Ein paar sind aus Deutschland und ein paar sind aus anderen Ländern: aus Albanien, Kroatien... Ich komm aus Mazedonien. Hast du auch Freundinnen aus Mazedonien? Ja, nur eine. (GHS O)
Die Kinder mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg kommen aus vielen kulturell sehr verschiedenen Ländern. Unter diesen Bedingungen ist es
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für sie schwierig einen Freund aus dem eigenen kulturellen Umfeld bzw. aus dem eigenen Herkunftsland zu finden. In Deutschland teilen sich die Kinder eher in Einheimische und „Ausländer“ auf, das heißt, dass sich die Migrantenkinder zusammengehörig empfinden und kaum nach kulturellem Hintergrund sortieren. Sie beginnen daher, eine eigene Migrantenkultur zu bilden (vgl. Held 1999). Diese Tendenz bestätigt auch die Aussage einer Stuttgarter Grund- und Hauptschulrektorin: Wir haben hier eine Fußballmannschaft, die selbst organisiert ist. Es ist unsere erfolgreichste. Die nennen sich die Ausländer, haben sich selber so genannt. Spielleiter ist ein Türke und ansonsten kommen sie auch von ganz verschiedenen Ländern. Ein Deutscher ist drin. (GHS O)
Dass jeweils differenziert werden muss, wie Kinder sich im Zusammenleben verhalten, und welche Rolle dabei die Herkunft spielt, wird in den Videostreifzügen deutlich. Eine Gruppe von je drei Kindern führte ein Kamerateam durch ihr unmittelbares Schul- und Wohnumfeld. Sie zeigten Orte, an denen sie sich oft aufhielten und kommentierten diese. Dabei reflektierten sie das Zusammenleben von Kindern verschiedener Herkunft in ihrer Gegend. Eine Gruppe Tübinger Kinder sprach positiv über ‘Ausländer’, die für sie wichtig waren, weil sie zum Beispiel im „Albaner Laden“ Süßigkeiten kauften oder weil sie von einem Nachbarjungen aus Ecuador, der spanisch spricht „was Neues lernen“ konnten (siehe oben). Sie berichteten aber auch über negative Erfahrungen aus ihrem Umfeld, als einmal Achmed, ein türkischer Junge, einen anderen von einem Geländer geschubst hatte, der dann mit einem gebrochenen Bein ins Krankenhaus musste. Von solchen Beispielen ausgehend machten die Kinder dann kulturelle Zuschreibungen: Es gibt Ausländer – so wie den Marc aus Ecuador – mit denen ist es voll gut, aber es gibt halt auch Ausländer, so wie Achmed, aus der Türkei, oder aus so ausgefallenen Ländern, bei denen es nicht so toll läuft, und das find ich dann halt nicht so gut. (Streifzug FS)
In Kalifornien haben 60% der befragten Kinder einen besten Freund/eine beste Freundin mit demselben kulturellen Hintergrund wie sie. Die Tendenz zum gleichen kulturellen Hintergrund ist je nach Herkunft der Kinder folgendermaßen ausdifferenziert: Sowohl bei Kindern ohne Migrationshintergrund als auch bei Kindern mit lateinamerikanischem und mehrfachem Migrationshintergrund überwiegen Freundschaften zu Kindern mit demselben Hintergrund. Bei Kindern mit europäischem Hintergrund sind ihre besten Freundschaften gleich auf Kinder mit demselben oder einem anderen Hintergrund verteilt. Lediglich die Kinder aus anderen Ländern finden nur selten einen besten Freund oder eine beste Freundin mit demselben Hintergrund.
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In Kalifornien waren in der Stichprobe größere Gruppen desselben kulturellen Hintergrunds, was es den Kindern erleichterte, Freundschaften innerhalb dieses Hintergrundes zu haben. Das Ergebnis in Kalifornien lässt auch darauf schließen, dass die Segregation der Personengruppen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen in Kalifornien stärker ist. Die in den Untersuchungsgebieten stark vertretenen afroamerikanischen Kinder zählen zwar zu denjenigen ohne Migrationshintergrund, jedoch bringt ihr niedriger sozialer Status ähnliche Integrationsprobleme mit sich wie bei Kindern mit Migrationshintergrund. Dass sich die Kinder am liebsten in Gruppen unter ihresgleichen anfreunden, kann vor diesem Hintergrund auch als psychologischer Schutzraum gegen gemeinsame Diskriminierungserfahrungen gesehen werden, denen sie durch die Schule, die Medien und durch damit in Verbindung stehende Fremd- und Selbststigmatisierungsprozesse ausgesetzt sind (vgl. Tatum 2003: 58). Die Freundschaft mit Kindern gleicher Herkunft ermöglicht den Austausch über gemeinsame Erfahrungen und die Entwicklung einer eigenen (oppositionellen) Identität (ebd.); diese kann auch als eine Form von „reaktiver Ethnizität“ gesehen werden (Beck-Gernsheim 2004: 25). Nach Beverly D. Tatum (vgl. 2003: 58) gilt dies für afroamerikanische Kinder ebenso wie für Kinder mit lateinamerikanischem, multiethnischem oder anderem Migrationshintergrund. Die Beobachtung der Kinder auf dem Schulhof oder bei der Essensausgabe zeigte, dass sich die Kinder nach Ethnien gruppierten, wie es Tatum (vgl. 2003: 52ff.) beschreibt: die Schwarzen blieben unter sich, die Hispanics blieben unter sich. Multiethnische Freundschaften waren bei den Beobachtungen Ausnahmeerscheinungen. Experteninterviews mit Schulleitern der kalifornischen Schulen bestätigten die Tendenz der Aufteilung der Kinder nach dem jeweiligen kulturellen Hintergrund, wobei sie das Phänomen an sich nicht erklären konnten, wurden doch die Regeln der ‘political correctness’ grundsätzlich von allen respektiert14. In den Focus-Groups war jedoch nicht die Rede von einer Präferenz desselben ethnischen Hintergrundes der Freunde und SchulkameradInnen: Frage: Tatiana (mexikan. Hintergrund) Frage:
14
Before you said it’s nice in this school that everybody meets, no matter where they come from. Is that the same after school? No, not actually. Cause usually we meet with the friends that we hang around more. So it’s not the same like in school, after school. And does it matter to you where your friends come from?
Die Sichtweisen von LehrerInnen auf kulturelle Identität im Klassenverbund und die hinter den allgemein gültigen Regeln der Toleranz ablaufenden Zuschreibungsprozesse analysieren Virginia Lea und Judy Helfand (2004).
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Karin Elinor Sauer Tatiana: Frage: Maureen (mexikan. Hintergrund) Midella (mexikan. Hintergrund): Frage: Octavia (African-American):
No…as long as they’re nice to me and everything, it doesn’t matter where they come from. And to you guys? The same thing as her. Yeah, the same too. So, who do you usually hang out with? Is it the same background, or do they have different backgrounds?” I have different backgrounds. I don’t play with everybody…like one day, I’ll play with somebody, then the next day I’ll play with somebody else” (HC).
Die kalifornischen Kinder äußerten sich grundsätzlich politisch korrekt und wussten um die Notwendigkeit des Respekts der verschiedenen Ethnien. Sie hatten die – fast omnipräsenten – Regeln eines fairen Zusammenlebens verinnerlicht und gaben diese auch wieder. Diese Äußerungen geben Anlass zu vermuten, dass die Kinder bewusst die übliche Ausdrucksweise übernehmen, auch wenn ihr Verhalten möglicherweise nicht mit ihren Aussagen übereinstimmt. Nach Gordon W. Allport (vgl. 1971: 315) kann sich, abhängig vom Alter der Kinder, die Ablehnung in der Sprache von der Ablehnung im Verhalten unterscheiden. Ihre Ablehnung wird nur im Verhalten, nicht in der Sprache deutlich. Es besteht ein Paradox in der Tatsache, dass sich Sprache und Verhalten entwickeln und verändern, dabei aber nicht übereinstimmen: Jüngere Kinder verhalten sich demokratisch, reden aber undemokratisch, bei älteren Kindern ist es umgekehrt: „Es [das Kind] braucht die ersten sechs bis acht Jahre seines Lebens, um totale Ablehnung zu erlernen, und weitere sechs Jahre um sie abzuändern“ (ebd.). Bei Kindern in Baden-Württemberg schien das Bewusstsein für den kulturellen Hintergrund der Freunde und SchulkameradInnen weniger ausgeprägt. Den befragten Kindern waren die jeweiligen Charaktereigenschaften ihrer Freunde wichtiger. Wenn sie explizit dazu befragt wurden, wie sie zu Kindern stehen, die „von woanders herkommen“ differenzierten sie ihr Verhältnis danach, welche Erfahrungen sie schon mit Kindern der entsprechenden Herkunft gemacht hatten. Davon ausgehend verallgemeinerten sie dann die Charaktereigenschaften und führten diese auf den kulturellen Hintergrund zurück. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund gab es mehr interethnische Freundschaften als in Kalifornien, was an der gleichmäßigeren Verteilung der kulturellen Hintergründe der Kinder in Baden-Württemberg liegt. Eine Tübinger Grundschulleiterin vermutete sogar: Nach wie vor haben um die 60% der Schüler einen Migrationshintergrund. Den Kindern selbst ist das nicht bewusst, es sei denn, jemand hat eine dunkle Hautfarbe. Von sich aus erzählen diese Kinder wenig, denn sie wollen nicht auffallen. Sie nehmen erst Stellung, wenn Lehrer sie bei bestimmten Themen darauf ansprechen. (HS)
Integrationsprozesse von Kindern
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Allgemein ist bei den Kindern in Baden-Württemberg und Kalifornien eine Präferenz desselben kulturellen Hintergrundes in Freundschaften festzuhalten. Nach Möglichkeit wählen die Kinder auch den selben nationalen Hintergrund, was sich bei den jeweils größten Gruppen der Kinder mit Migrationshintergrund beider Länder, den mexikanischstämmigen Kindern in Kalifornien und den türkischstämmigen Kindern in Baden-Württemberg, am deutlichsten zeigt. Die Vorliebe, in einer engen Freundschaftsbeziehung unter sich zu bleiben, drückt aus, dass die Kinder eher die Bedingungen sozialer Ungleichheit im Residenzland akzeptieren und diese auch reproduzieren. Um dagegen eine „wechselseitige Ergänzung im Sinne einer Bikulturalität“ zu erreichen (Oerter/Montada 2002: 894), das heißt, dass Freundschaften zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund entstehen können, müssen Kinder mit Migrationshintergrund sowohl eine positive Verbindung zur Mehrheitsgesellschaft wie auch zu ihrer eigenen Herkunft haben. Die Erfüllung dieser Bedingungen kann jedoch nicht unabhängig von den Gegebenheiten und Partizipationsmöglichkeiten für Kinder gesehen werden, die sie in den beschriebenen Lebensräumen Familie, Nachbarschaft und Schule vorfinden.
5
Zusammenfassung und Ausblick
Integrationsprozesse von Kindern in den USA und in Deutschland werden durch die Gegebenheiten ihrer verschiedenen Lebensräume beeinflusst. Und die Integrationsprozesse, die Kinder durchlaufen, beeinflussen gleichzeitig die Räume, in denen sie stattfinden. In beiden Ländern wird die Vernetzung zwischen Stadtteil, Schule, Familie und sozialen Beziehungen deutlich. Aus einer Außenperspektive betrachtet, funktionieren diese Netzwerke in ihrem Zusammenwirken als ‘Integrationsmaschine’15. Unterschiedlich ist jedoch der ‘Integrationsmotor’, von dem die Integrationsprozesse in Gang gesetzt werden: In Kalifornien erfüllt hauptsächlich die Schule diese Funktion16; von ihr aus entsteht elterliches Engagement und Veränderung struktureller Benachteiligung der Stadtteile; ebenso übt sie durch die Vermittlung von Verhaltensnormen einen starken Einfluss auf das Zusammenleben der ihr angehörenden SchülerInnen aus. Ihr Hauptziel ist Bildung; sie soll allen zugänglich sein, egal welcher Herkunft. Dieser Einfluss reicht außerhalb der Institution Schule aber meist nur marginal in die anderen Integrationsräume hinein. Die Gegebenheiten in Familien aus bildungsfernen 15
16
In Anlehnung an Wilhelm Heitmeyers Formulierung der „Integrationsmaschine Stadt“ (Heitmeyer 1998). Bereits Hannah Arendt wies auf die starke identitätsstiftende Bedeutung der Schule in den USA hin (Arendt 1958: 6f.).
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Schichten sowie in Stadtteilen mit starker Präsenz von Gangs überwiegen die integrativen Maßnahmen der Schulen und dominieren den Alltag und die sozialen Beziehungen der Kinder. Die Schule verfügt über wenige Möglichkeiten, ihre Integrationsförderung auf kommunaler Ebene auszuweiten. Im Gegensatz dazu besteht der ‘Integrationsmotor’ Baden-Württembergs in Integrationsmaßnahmen und -programmen der Kommunen, die nicht zuletzt auf der relativ problemlosen wirtschaftlichen Eingliederung von Migrantenfamilien aufbauen17. Baden-württembergische Städte stellen immer wieder Integrationsprogramme auf und waren häufig Preisträger für gelungene Integration (vgl. Robertson/Pavkovic/Lavadinho 2002). Daneben gehen von Schulen in Gebieten mit hohem MigrantInnenanteil verstärkte Integrationsbemühungen aus, diese können aber häufiger als in Kalifornien mit kommunalen Projekten verknüpft werden, und es sind insgesamt mehr soziale ExpertInnen im Stadtteil mit der Verbesserung der Bedingungen für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund beschäftigt (Jugendhäuser, Jugendämter, Polizei, StadtplanerInnen, Bürgerinitiativen, Ehrenamtliche). Integrationsprozesse von Kindern haben nicht nur mit dem Vorhandensein eines Migrationshintergrundes zu tun, sondern verweisen gleichzeitig auf soziale Differenzen. In beiden Ländern erleben Kinder alltäglich die Verknüpfungen zwischen kulturellem Hintergrund und sozialem Status, oft auch in negativer, strukturell ausgrenzender Weise. Die Betrachtung von Integrationsprozessen aus der Perspektive der Kinder macht den Handlungsbedarf auf politischer und pädagogischer Ebene deutlich. Gleichzeitig macht die Innenperspektive der Kinder bewusst, dass Integration nur gelingen kann, wenn Kindern die Möglichkeit offen steht, sich innerhalb ihrer alltäglichen Lebensräume in die Residenzgesellschaft aktiv einzubringen. Die Partizipation von Kindern unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft ist dann gewährleistet, wenn sie sich mit den ihnen jeweils eigenen Ressourcen oder Sorten von Kapital (Staub-Bernasconi 1994; Bourdieu 1983) Aktionsräume erschließen können. Durch die Gesamtheit aller einzelner Aktivitäten, die im Rahmen eines größeren gesellschaftlichen Zusammenhangs stattfinden und in diesem Rahmen auch wertgeschätzt werden, kann sich ein allgemeiner Zusammenhalt ausbilden, der gemeinsame Loyalität und Solidarität ebenso beinhaltet wie tragfähige soziale Beziehungen und gemeinsame Werte, das Gefühl einer gemeinsamen Identität und der Zugehörigkeit zur selben Gemeinschaft sowie gegenseitiges Vertrauen und schließlich die Verringerung sozialer Ungleichheit und Exklusion (vgl. Council of Europe 2000). Für die Entwicklung von Kindern in multikulturellen Kontexten, die vielfältige Veränderungsprozes17
Die Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg betrug 2004 bei NichtmigrantInnen 8% und bei MigrantInnen 16% (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2005).
Integrationsprozesse von Kindern
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se in unterschiedlichen Lebensbereichen mit sich bringen, scheint ein solches Verständnis von Integration sinnvoll. Der kontinuierliche Austausch zwischen heterogenen Gruppen auf der Basis einer grundsätzlichen Zusammengehörigkeit ermöglicht es auch Kindern, sich in einem differenzierten Gesamtkontext zu verorten und darin Anerkennung zu erwerben und Zugehörigkeit zu erfahren.
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Die Fremdheit bildungserfolgreicher Migrantinnen Merle Hummrich
Jugendliche MigrantInnen werden oftmals stereotyp als Fremde betrachtet. Diese Bezugnahme stellt eine Form der Ent-Fremdung1 dar, die eine Zuspitzung im Kontext der Debatte um Islam und Islamismus erfährt (vgl. Hamburger 2004, Wensierski/Lübcke 2007). Mädchen werden hier, so kritisieren zum Beispiel Boos-Nünning und Karakaolu (2005) wie auch Hamburger (2002), zu unterdrückten Opfern, Jungen zu gewaltbereiten Tätern stilisiert. Professionelle pädagogische Maßnahmen, die zum Abbau von Fremdheit im Umgang mit Migrantenkindern und -jugendlichen führen sollen – wie beispielsweise der Besuch der Kindergartengruppe in einer türkischen Familie oder in der Moschee – entfremden MigrantInnen, statt einen Beitrag zu ihrer Integration zu leisten (vgl. Badawia/Hamburger/Hummrich 2005: 336). In einer solchen Perspektive werden Familie und Schule nicht nur als strukturell unterschiedliche Handlungsfelder (vgl. Kramer/Helsper/Busse 2001: 293, Helsper/Kramer/Hummrich/Busse 2009), sondern als gegensätzlich wahrgenommen. Indem Familie als Integrationsbarriere und demgegenüber Schule als Integrationsressource gesehen wird, wird ein vereinseitigender Defizitdiskurs fortgeschrieben (vgl. ausführlich Hummrich 2006). MigrantInnen erscheinen hier als bildungsbenachteiligt und Zahlen aus den Ergebnissen der PISA-Vergleichsstudien (Baumert u. a. 2001; Prenzel u. a. 2004) oder des Statistischen Bundesamtes (2004) scheinen diese Perspektive zu bestätigen. Dieser Diskurs findet seine sozialromantische Verkehrung, etwa indem Migrantenjugendliche als „Avantgarde der postmodernen Gesellschaft“ (Rosen 1997) dargestellt werden. Beide Perspektiven sind jedoch entsubjektivierend und schreiben Fremdheit als Kennzeichen der Migration fest. Was aber hat es mit der Fremdheit der Migrantinnen auf sich? Welche Rolle spielt sie in erfolgreichen Bildungsbiographien? Um diese Fragen zu klären, wird im Folgenden 1
Ich verwende in diesem Zusammenhang absichtlich diese Schreibweise von Ent-Fremdung, weil hier nicht die alltägliche Verwendungsweise des Begriffs im Sinne von ‘einander fremd werden’ in den Vordergrund tritt, sondern das ‘fremd machen’ durch Zuschreibungen und stereotype Wahrnehmungsmuster.
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Merle Hummrich
zunächst der Begriff der Fremdheit knapp umrissen. Anschließend werden zwei kontrastierende Biografien bildungserfolgreicher Migrantinnen in den Blick genommen. Schließlich erfolgt in einer kurzen Theoretisierung eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Dimensionen von Fremdheit.
1
Fremdheit und Migration
Bereits in den klassischen Texten zum ‘Fremden’, wird der/die MigrantIn als Prototyp des/der Fremden angesehen (vgl. Simmel 1908/1999; Schütz 1972). Dabei ist Fremdheit zugleich Strukturmerkmal jeder modernen Gesellschaft (vgl. Hahn 1994) und kann sich auch in nahen Beziehungen manifestieren, etwa im Modus der Entfremdung, der der Bindung entgegengesetzt wird. Fremdheit ist eine Beziehungskategorie, die Abgrenzung zum Eigenen schafft, und kommt auf folgenden Ebenen zum Ausdruck: 1.
2.
2
Die Ebene der gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen: Die Ambivalenz des Fremden zwischen Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit greift Simmel bereits 1908 auf. Der Fremde2 ist zugleich nah und distanziert gegenüber der Gesellschaft. Die Paradoxie des Fremden beruht darauf, dass er selbst Element der Gruppe ist und zugleich nicht dazugehört. Die Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz beinhaltet einerseits die Möglichkeit der Objektivität gegenüber den gesellschaftlichen Regeln (vgl. Simmel 1908/ 1999: 766), andererseits bedeutet die Nähe nicht zwingend Zugehörigkeit, denn es handelt sich um eine abstrakte Nähe, die wir mit beliebig vielen Anderen teilen. Doch wohnt gerade in der Objektivität Reflexionspotenzial, denn der Fremde ist ja zum Teil von den sozialen Regeln und Normen der Gruppe entbunden und kann sich deshalb distanziert mit ihnen auseinandersetzen. Wenn Flusser (1994) „Von der Freiheit des Migranten“ schreibt, spielt er genau auf jene Nicht-Heimatverbundenheit an, die sich dem Fremden chancenhaft einschreibt. Zugleich impliziert aber die Klassifikation als Fremder die Gefahr der Ausgrenzung, wenn der Heimatkultur die Fremdkultur, einer „Kultur des Deutschen“ eine „Kultur des Ausländischen“ (Hamburger 2002: 80) polar gegenübergestellt wird. Die Ebene der gesellschaftlichen Institutionen: Institutionen verbürgen gesellschaftliche Regeln und Ordnungsvorstellungen, die von den in ihnen handelnden AkteurInnen in einem symbolischen Kampf immer wieder hergestellt werden (vgl. Bourdieu 1995). Aufgrund der Orientierung an EinSimmel verwendet ausschließlich die männliche Form.
Die Fremdheit bildungserfolgreicher Migrantinnen
3.
4.
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heitlichkeit wird versucht, Ambivalenzen zu vermeiden, wie sie mit dem/der Fremden auftreten. Baumann (1998) bringt dies auf den Punkt, wenn er schreibt: „Er (der Fremde, M.H.) ist weder Freund noch Feind und verweist damit auf die Irreführung solcher Unterschiede tilgenden Gegensätze. Dadurch gefährdet er die Vergesellschaftung selbst“ (ebd.: 35). Die Ablehnung von Fremdheit geht mit der Herstellung einer „Ordnung der Dinge“ (vgl. Foucault 1984) einher, die Wissenschaften und Institutionen an moderne Rationalitätsdiskurse bindet. Im Fall von Migration finden sich solche Tendenzen in den Mechanismen institutioneller Diskriminierung (vgl. Gomolla/Radtke 2001), die eigene Machtstrukturen zur Anspruchskultur erheben und damit unhinterfragbar machen. Fremdheit in Interaktionsbeziehungen: Fremdheit in Interaktionsbeziehungen setzt sich mit der Ambivalenz der Anerkennung des/der Anderen und Selbstbehauptung (vgl. Benjamin 1993) auseinander. Die Bearbeitung der Ambivalenz des Fremden spannt sich zwischen der Ablehnung des Fremden als Wahrung des Eigenen, der Entfremdung vormals vertrauter Beziehungen und der Aneignung des Fremden als Versuch, sich das Fremde vertraut zu machen (vgl. Waldenfels 1997), auf. Entfremdung spielt in den Beziehungen zwischen Einheimischen und Migranten schließlich eine besondere Rolle, wenn es um Diskriminierungs- und Diskreditierungserfahrungen geht: So lässt sich die Teilhabe von MigrantInnen am Schulsystem als aktive Aneignungsstrategie interpretieren. Diese wird jedoch sowohl durch institutionelle Ausgrenzungsmechanismen (vgl. Gomolla/Radtke 2001) als auch in manifesten Ausgrenzungshandlungen auf der Interaktionsebene abgewehrt (vgl. Hummrich 2002), sodass Ent-Fremdungsprozesse in Gang kommen (vgl. Badawia/Hamburger/Hummrich 2005: 333ff.). Fremdheit im Selbstverhältnis: Die eigene Angst der Einheimischen, im Rationalitätsdiskurs der Moderne nicht zu bestehen, und daraus resultierende Angst-Abwehr-Reaktionen spielen auf einer vierten Ebene eine Rolle. Kristeva drückt es so aus: „Wenn wir den Fremden fliehen oder sie bekämpfen, kämpfen wir gegen unser eigenes Unterbewusstes“ (Kristeva 1992: 208). Das, was im Selbst idealisiert wird, repräsentiert dabei das Imaginäre einer spezifischen Kultur und rivalisiert mit dem Real-Selbst (Helsper 2003), das immer auch Anteile des Fremden, des Anderen, des Nicht-Identischen enthält. Wird das eigene Einheitsstreben unterlaufen, so kommt es zu Abwehrreaktionen: Jemand, der nicht das Eigene repräsentiert, wird also deshalb abgewehrt, weil er die eigene Gefahr, sich selbst fremd zu werden und damit die Gewissheit über sich selbst zu verlieren, damit repräsentiert.
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Der hier nur skizzenhaft umrissene Begriff der Fremdheit ist vielschichtig und in seiner Doppelwertigkeit, also in Auseinandersetzung mit den Komplementärbegriffen des Eigenen, der Involviertheit und der Teilhabe, zu verstehen. Wenn Fremdheit aber Ambivalenz symbolisiert, die in keinem sozialen Zusammenhang (auch nicht im Umgang mit sich selbst) aufhebbar ist, dann ist es kein Begriff, der sich ausschließlich auf Migration und MigrantInnen beziehen lässt. Vielmehr stellt sie einen allgemeinen Beziehungsmodus zu Gesellschaft, Institutionen, anderen Menschen und schließlich zu sich selbst dar. Im Fall von Migration wird unter Bezugnahme auf Fremdheit eine Polarität hergestellt, die Integration und Ausgrenzung impliziert. Gleichzeitig können unter Bezugnahme auf Fremdheit die Diskurse zur Migrationsforschung als Ausdruck der Befremdung gegenüber ‘den’ MigrantInnen interpretiert werden, die durch Ent-Fremdung beständig marginalisiert werden. Dies verweist darauf, dass der Prozess der EntFremdung auch in Zusammenhang mit dem symbolischen Kampf um den Erhalt gesellschaftlicher Machtstrukturen gesehen werden muss.
2
Kontrastierende Fallstudien
Die unterschiedlichen Dimensionen der Fremdheit werden in den Handlungsräumen Familie und Schule biografisch erfahrbar. Entlang zweier Fallstudien3 sollen die Selbstproblematik und die Erfahrungen in Familie und Schule bildungserfolgreicher Migrantinnen verknüpft werden. Dabei sollen die Fälle zunächst mehr für sich sprechen und erst in einer kontrastierenden Theoretisierung aufeinander bezogen werden.
2.1 Der Fall Selcan Selcan wurde 1975 in Deutschland als drittes Kind türkischer ArbeitsmigrantInnen geboren. Ihre ersten vier Lebensjahre verbrachte sie bei ihrer Großmutter in 3
Es handelt sich um zwei Fallstudien aus meinem Dissertationsprojekt „Bildungserfolg und Migration“ (Hummrich 2002). Das methodische Vorgehen der Analyse der biographischen Interviews war hermeneutisch-rekonstruktiv (objektive Hermeneutik und Biografieanalyse nach Schütze). Da die hier angefertigten Protokolle sehr lang sind, sieht sich dieser Beitrag (wie andere mit diesen Verfahren bearbeitete Texte auch) mit einem Darstellungsproblem konfrontiert, das die Einhaltung der Rekonstruktionslogik, Lesbarkeit und Umfang des Beitrags ausbalanciert. Für diesen Beitrag habe ich mich für eine Form entschieden, die sich so weit wie möglich am Material orientiert, wobei größere Zusammenhänge zum Teil eher übergreifend dargestellt werden.
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der Türkei. Für die Eltern war die Migration nach Deutschland mit der Tatsache verbunden, als ungelernte ArbeiterInnen beschäftigt zu werden, was zumindest für die Mutter formal mit sozialem Abstieg verbunden war, da sie in der Türkei eine Banklehre absolviert hatte. Dies wird jedoch von beiden Eltern in Kauf genommen, um ihren drei Töchtern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Selcan beginnt ihre biografische Darstellung argumentativ, indem sie sich auf den am biografischen Verlauf und der Einmündung in das Studium orientierten Erzählstimulus bezieht. S: ja das hat eigentlich mehrere gründe einma ähm meine eltern sind arbeiter und die ham mir das so mitgegeben – also die wollten also die ham sehr viel schwierichkeiten gehabt in ihrem leben ham schicht gearbeitet, viel früher aufgestanden als nötig um uns drei kinder so großzuziehen dass es uns wirklich an nichts fehlt und die ham auch ihre ganze energie dareingesteckt dass wir später mal studiern und es ma einfacher habn im leben (3) ja ich denk mir, ich hab zwei ältere schwestern, die ham mir das so bisschen, ja das unileben so bisschen gezeigt . ich hab des viel von denen mitbekommen und ich denk mir . naja, unizeit is noch so ne schonzeit
Die hier vorliegende Sequenz verdeutlicht, dass Selcan einen Begründungszusammenhang für ihre Studienmotivation konstruiert. Als ersten ‘Grund’ für die Entscheidung zum Studium benennt sie ihre Eltern und deren sozialen Status, die ihr „das so mitgegeben haben“. Damit tritt Selcan zunächst von einem Anspruch auf lebenspraktische Autonomie zurück und verortet sich als Erfüllerin des elterlichen Wunschs. Der explizite Hinweis auf den Status der Eltern verrät an dieser Stelle bereits eine Differenzierung zwischen sich und den Eltern und kann damit als erster Hinweis auf eine reflexive Distanzierung gegenüber den Eltern interpretiert werden. Zur Bekräftigung des Elternwunsches stellt Selcan deren entbehrungsreiches Leben dar, wobei sie jedoch mit dem Satz: „viel früher aufgestanden als nötig“ Distanz zu den Eltern artikuliert. Hier deutet sich eine vorsichtige Kritik an den Eltern an, die auch als Abwehr im Sinne von „Ihr hättet das nicht alles tun müssen“ gelesen werden kann. Im Interviewverlauf bestätigt sich diese Abwehr, wenn Selcan Abstand von einer Verpflichtung nimmt, die ihr aus der Aufopferung der Eltern für den Bildungserfolg erwachsen könnte. Das Verhältnis zu den Eltern ist somit gekennzeichnet von einer insgesamt würdigenden Bezugnahme, die die hohe Bedeutsamkeit der Eltern für das eigene Selbst und der Statustransformation für die Eltern anerkennt. Die latente Distanzierung verweist dabei auf eine Reflexion der Beziehung, bei der der Respekt vor den Eltern und die Aufrechterhaltung der positiven Bezugnahme jedoch im Vordergrund stehen. Als zweiten Grund führt Selcan ihre Schwestern an, die für sie eine Vorbildfunktion hatten. Der Habitus des Studentinnenlebens konnte durch sie erlernt werden und damit eine Lebensform, die der der Eltern kontradiktorisch entgegensteht. Gleichzeitig wird hier ein dritter Grund deutlich, in dem eine
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eigene Motivation Selcans anklingt: „unizeit is noch so ne schonzeit“. Hier wird deutlich, dass es sich bei der Zeit des Studierens um ein Moratorium handelt, das von anderweitigen Verpflichtungen entbindet. Dies ist zum einen auf das Arbeiterleben der Eltern bezogen (an anderer Stelle sagt Selcan hierzu: „Ich glaub, also das könnte ich nich . da jeden tag in ne fabrik gehn, dann dieselbe arbeit, also dieselbe handbewegung dann die ganze zeit so machen, ich glaub da wär mein gehirn nicht so beansprucht“). Selcan grenzt sich davon ab, indem sie sich in der sozialen Welt der Studierenden verortet. Zum anderen geht es dabei um Erwartungshaltungen in Bezug auf das Leben nach dem Studium. Während ihre Schwestern nach dem Studium entsprechend der elterlichen Vorstellungen türkische Männer geheiratet und Familien gegründet haben, verschaffen sie Selcan durch ihre Unterstützung die Möglichkeit auszuziehen und ein Studienjahr in Amerika zu verbringen. Selcan kommt dabei zugute, dass ihre Schwestern die Erwartungen ihrer Eltern bereits erfüllt haben4 und sie dadurch handlungsentlastet ist. Interessant ist die Eingangssequenz auch deshalb, weil hier Selbstthematisierung und Bezugnahme auf die Familie zusammenfallen. Dass damit einer Abhängigkeit von der Familie Ausdruck verliehen werden könnte, scheint nur auf den ersten Blick so. Vielmehr verbirgt sich hier ein authentischer Ausdruck von Respekt und Verbundenheit, der jedoch begrenzt wird. Strukturell wird damit der Aneignung des Bildungserfolges und der Statustransformation durch die Eltern vorgebeugt. Dies zeigt sich auch daran, dass Selcan zwischen sich und ihren Eltern Differenz setzt, indem sie die Eltern als ArbeiterIn positioniert und sich selbst im studentischen Milieu verortet, wobei sie betont, dass sie selbst sich nicht vorstellen kann, Arbeiterin zu werden. Die Autonomiespielräume, die ihr aus dem Balanceakt zwischen respektvoller Würdigung und begrenzender Distanzierung erwachsen, schöpft sie aus, indem sie von zu Hause auszieht, ein Studienjahr in Amerika verbringt und einen deutschen Freund hat, von dem jedoch ihre Eltern offiziell nichts wissen („meine eltern wissen zum beispiel nicht dass ich n deutschen freund hab . oder sagen wir so, sie fragen mich nicht danach“). Auch dies kann wiederum als Ausdruck wechselseitigen Respekts interpretiert werden: Selcan weiß, dass darin eine Verletzungsdisposition liegt, die sie ihren Eltern und sich noch nicht zumuten möchte („da ich mich noch nich verloben will oder so, und sie erst davon erfahren wollen, wenns 4
Selbstverständlich könnte man hier auch annehmen, dass sich der Erfolgsdruck für Selcan dadurch auch erhöht. Doch dies dokumentiert sich im Interview nicht. Vielmehr erzählt Selcan: „meine schwestern sind so dazwischen . zwischen mir und meinen eltern . da is n sehr gr . also meine mutter is vierzich jahre älter als ich . und mein schwestern sind immer so daneben und ham mich schon irgndwie, die ham mich auch überredet, also dazu gebracht, dass ich von zuhause auszieh, also die ham mir viel geholfen . . .“ Hier wird deutlich, dass Selcans Schwestern für sie eine Entlastungsfunktion übernehmen.
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soweit is . berührn wir das thema eigentlich gar nich“). Die Entthematisierung ermöglicht dabei den Familienfrieden aufrecht zu erhalten und die Gefühle des jeweils anderen anzuerkennen. Gleichzeitig gibt es bei den Eltern ein Bewusstsein darüber, dass ein deutscher Freund im Bereich der Möglichkeiten liegt, bei Selcan ein Bewusstsein über die Begrenztheit der Entthematisierung. Das von ihr im Laufe der Biografie entwickelte Aktivitätspotenzial kann Selcan auch in Bezug auf die schulischen Erfahrungen nutzen, als sie erlebt, dass dort die Tendenz besteht, türkische Kinder und Jugendliche zu benachteiligen: S: zum beispiel eben meine schwester (2) die älteste, die is zur realschule gegangen, weil meine, weil die lehrer das so für sie entschieden haben und meine eltern dachten, okee wenn sie das machen . und ähm (lacht) ja die hat eigentlich immer perfekte noten gehabt, ich kanns eigentlich heut noch nich verstehen, das die das überhaut vorgeschlagen haben, weil die hat dann auch bwl studiert und einen super abschluss gemacht und ich bin froh, dass die das gemacht hat, aber positiv beeinflusst wurden wir eigentlich alle nich von lehrern . also grad in der grundschule, und förderstufe , sieht man schon die tendenz das alle türkischen kinder eigentlich so haupt, real aufgeteilt werden, ich weiß nicht . vielleicht is das das wo man dann auch sagt, okee ich zeigs und ich packs auch . also meine grundschullehrerin die kam zur abschlussfeier, als wir abi gemacht habn . und die stand vor mir und meinte sie könnts nich glauben, weil ich stand noch auf der bühne und hab noch einige spiele moderiert und so und sie stand vor mir und meinte, sie wär total stolz auf mich, aus dem kleinen schüchternen medel, wär ne selbstbewusste frau geworden . und des hat einen schon irgendwie stolz gemacht
Am Beispiel ihrer Schwester führt Selcan aus, wie es vielen türkischen Kindern und Jugendlichen geht: trotz guter schulischer Leistungen wurde sie von ihren Lehrern auf die Realschule geschickt. Dieser Erfahrung trotzt Selcan mit ihrer eigenen Bildungsaspiration. Dass kein türkisches Kind „positiv beeinflusst“ wurde, lässt darauf schließen, dass LehrerInnen weder als signifikante Andere, noch in Form von alltäglichen Unterstützungsleistungen in Erscheinung getreten sind, um Bildungsprozesse bei den Migrantenkindern und -jugendlichen anzuregen. Im Wechsel von der Beschreibung der Erfahrungen anderer Personen über die theoretisierende Form des ‘man’, gelangt Selcan zu ihrer eigenen Erfahrung. Damit werden die abstrakten Erfahrungen gleichsam zum Einbettungszusammenhang für ihre Erzählung von der Lehrerin, die sie in ihrer Leistungsfähigkeit verkannt hat, und zwar nicht etwa, weil sie sie für weniger leistungsfähig hielt, sondern weil sie der Lehrerin klein und schüchtern erschien. Der Stolz, den Selcan hieraus entwickelt hat, zeigt, dass sie der kollektiven und der eigenen (wenn auch erst nachträglich bewussten) Diskriminierung erfolgreich getrotzt hat. Auch wenn die Lehrerin selbst diese Abwertung nicht intendiert hat, sondern durch ihr Erscheinen auf der Abiturfeier vielmehr eine gewisse Anteilnahme an Selcans Bildungserfolg dokumentiert, resümiert Selcan dieses Ereignis als Diskriminierung, eingebettet in Erfahrungen, wie sie auch andere Migran-
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tenkinder und -jugendliche gemacht haben, und der sie Stolz und Engagement entgegensetzt. Selcans Biografie ist insgesamt Ausdruck einer umfassenden Transformationserfahrung und sie artikuliert – gerade angesichts der zum Teil widersprüchlichen Handlungsanforderungen – ein hohes Aktivitätspotenzial, das sich biografieanalytisch auch als ‘aktives Handlungsschema’ (vgl. Schütze 1983) fassen lässt. Sie nutzt Autonomie in dem Maße, in dem sie ihr zugestanden wird und sie wird ihr jeweils in dem Maße zugestanden, wie dies für die Verwirklichung der Bildungsaspirationen und den Aufstieg in das AkademikerInnenmilieu notwendig ist. Zugleich ist der Transformationsprozess von Beziehungstransformationen gekennzeichnet. Selcan distanziert sich von ihren Eltern und grenzt deren Zugriff auf ihre Biografie zunehmend ein. Dabei profitiert sie von ihrer Position in der Geschwisterfolge: als jüngste Tochter, mit zwei Schwestern, die die Reproduktionserwartungen der Eltern und die elterlichen Bildungsaspirationen gleichermaßen erfüllt haben, kann sie sich Freiräume erschließen, die für ihre Schwestern nicht denkbar gewesen wären. Selcan entwickelt somit ein aktives Handlungsschema, das es ihr ermöglicht, die elterlichen Bildungsaspirationen nicht nur als Delegation zu erleben, sondern sich diese aktiv anzueignen und auch zu wandeln. Dies zeigt sich unter anderem in ihrem Privatleben, aber auch in der Absicht, das Studienfach zu wechseln und schließlich, nach Abschluss des Studiums nach Amerika zu gehen und dort zu arbeiten. Sie nutzt damit, das kann für diesen Fall gefolgert werden, die Differenzerfahrungen aktiv und setzt sie reflektierend in eigenkreative Handlungsentwürfe um. Dass dies nicht immer in diesem Umfang gelingt, wird im nachfolgenden Fall von Ayse deutlich.
2.2 Der Fall Ayse Ayses Eltern kamen 1975 nach Deutschland und leben seitdem in der deutschen Großstadt, in der auch Ayse 1978 geboren wurde. Ihr Vater war Bergarbeiter, zum Zeitpunkt des Interviews ist er Rentner, ihre Mutter ist Hausfrau. Ayse wuchs mit drei älteren Geschwistern auf, einem Bruder und zwei Schwestern. Sie lebt zum Zeitpunkt des Interviews noch bei ihren Eltern und studiert Englisch und Spanisch mit dem Ziel, Dolmetscherin zu werden. Ayse antwortet auf die Frage, was biografisch dazu geführt hat, dass sie sich für ein Studium entschieden hat wie folgt: A: ja da muss ich erstmal natürlich graben . äh also ich denk mal die entscheidung zu studieren das war eigentlich das kam und ging dann mal wieder . also in der grundschule wars halt so mehr, ja was will ich ma wern, ja ich will halt polizistin werden oder dieses oder jenes und da war halt der gedanke nich so an später mal studium das, das hat bei mir gar nich so exis-
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tiert, war halt viel zu fern für mich, aber das hat sich dann halt konkretisiert schon so langsam als ich aufm gymnasium gewesen bin und ich mein klar dieser schulabschluss läuft dann schon darauf hinaus dass man ja eventuell n stu=n studium halt ja beginnt .
Ayse beginnt ihre Erzählung zunächst mit einer Metapher: sie muss „graben“. Damit artikuliert sie, dass sich der Anfang kompliziert gestaltet. Die Entscheidung zu studieren ist – wie auch der weitere Verlauf zeigt – nicht etwa in einer familialen Traditionslinie angelegt, sondern war „fern für mich“. Damit verortet sie sich in einem Milieu, in dem die Aufnahme eines Studiums nicht zu den wahrscheinlichen Wahlmöglichkeiten zählt5. Erst auf dem Gymnasium und durch die damit verbundenen institutionell vermittelten Möglichkeiten, eröffnet sich ihr die Option auf ein Studium. Auch wenn sich eine Zusammenfassung von Ayses hier beschriebenem Werdegang als relativ stringenter institutioneller Lebenslauf liest – sie absolviert die Grundschule, auf dem Gymnasium beginnt sie sich mit dem Gedanken an ein Studium auseinanderzusetzen – so widersprechen dieser Eindeutigkeit doch die zahlreichen Brüche und Diffundierungen. Dies macht sich bereits zu Beginn der Erzählung bemerkbar: Ayse sagt, sie müsse erst einmal „natürlich graben“. Hier schlägt sich bereits ein Widerspruch nieder: etwas ‘natürlich’ machen zu müssen, verweist auf Eindeutigkeit, in der Metapher des Grabens deutet sich eine Vielschichtigkeit an, hinter der die Unwägbarkeit dessen steht, was man findet. Diese etwas widersprüchliche und diffundierende Rahmung des Interviews findet ihre Bestätigung in den sich anschließenden minimalen Abbrüchen und Neuanfängen dieser Sequenz. So spricht Ayse von einer Entscheidung, die „kam und ging mal wieder“. Während mit einer Entscheidung im eigentlichen Sinne (eigene) Relevanzsetzungen angesprochen sind, artikuliert Ayse Beliebigkeit: mal kam die Entscheidung, dann ging sie wieder weg – gerade so, als besäße eine Entscheidung, die sie eigentlich hochgradig subjektiv betrifft, in ihrer Konsequenz keine Relevanz und als stünde sie dem Kommen und Gehen passiv gegenüber. Dies wird durch die Entthematisierung der eigenen Person verstärkt. Hier liegt eine Figur vor, die wir auch im gesamten Interview vorgefunden haben: Stellen, die zunächst den Anschein 5
An dieser Stelle wurden in der Interpretation unterschiedliche Lesarten in Bezug auf die Sequenz „viel zu fern für mich“ entwickelt. So wurde argumentiert, dass hier auch auf das Alter angespielt worden sein könnte, da im Grundschulalter das Studium ja tatsächlich noch in weiter Ferne scheint. Das Argument, das die Milieuzugehörigkeit allerdings als die wahrscheinlichere Variante erscheinen ließ, war, dass die Thematisierung eines Studiums als Akademikertochter eine größere Selbstverständlichkeit besessen hätte, dass also die Ferne hier nicht in dieser gesteigerten Form vorgelegen hätte, es sei denn, es hätten zu dieser Zeit andere Krisen und Entwicklungshemmnisse vorgelegen. Man konnte an dieser Stelle schließen, dass je weiter die Distanz zum Studium auch vom Milieu her ist, um so wahrscheinlicher würde dann auch eine Ferne in Bezug auf eine hohe Bildungsaspiration artikuliert. Daher wurde die Lesart ‘Altersdifferenz’ aus Sparsamkeitsgründen (vgl. Wernet 2000) zurückgestellt.
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einer aktiven Subjektkonstruktion oder einer stringenten Erzählung haben, werden von ihr selbst wieder dekonstruiert. So auch in Bezug auf die Manifestation ihres Studienwunschs: In der mehrfachen Zurücknahme in Bezug auf die Aussagen zur Studienwahrscheinlichkeit nach der Gymnasialzeit, wird der hier nahegelegte und auf den ersten Blick logisch erscheinende Automatismus (das Gymnasium legt ein Studium nahe) reduziert. Der Passus „ich mein klar dieser schulabschluss läuft dann schon darauf hinaus dass man ja eventuell n stu=n studium halt ja beginnt“ erscheint nur noch als ‘eventuelle’ Möglichkeit, die auch erst nach einigen Abbrüchen eingefügt werden kann. Hier liegt die Miniaturfigur einer Diffundierung vor, die nicht nur authentischer Ausdruck der Tatsache ist, dass man nach dem Abitur nicht zwingend studieren muss (dies hätte Ayse als kompetente Sprecherin formulieren können), sondern dass die Einmündung in ein Studium sich nicht so ungebrochen dargestellt hat, wie dies hier behauptet wird. Dies bestätigt sich an mehreren Stellen des Interviews zum Beispiel darin, dass Ayse im Interview erzählt, sie habe in der Oberstufe „ein ziemlich großes problem“ gehabt, weil sie nun ihre Zukunftspläne konkretisieren musste und nicht wusste, was sie machen sollte. Insgesamt zeigt sich in Ayses Eingangserzählung eine Widersprüchlichkeit, die keinen ‘roten Faden’ erkennen lässt. Jedoch wäre es nun falsch diese Widersprüchlichkeit defizitär auszulegen. Vielmehr muss angenommen werden, dass gerade die (unbewusste) Inszenierung von Widersprüchlichkeit und Diffusion auch Handlungsspielräume eröffnet, zum Beispiel, indem es Ayse ermöglicht wird, sich nicht auf ein bestimmtes Handlungsmuster festzulegen, sondern sich möglichst viele Optionen offen zu lassen. Gleichzeitig sind die Brüche Ausdruck eines Widerstreits, nicht nur zwischen Ayse und ihren Eltern, sondern auch der Eltern untereinander. Der Bildungsdistanz des Elternhauses steht eine hohe abstrakte Bildungsaspiration gegenüber, weil Erfolg im Bildungssystem „n sehr hohes statussymbol“ ist. Zugleich haben die Eltern den Bildungserfolg nicht aktiv unterstützt. A: meiner mutter vor allem hat=war halt, ihr war es schon wichtig vor allem, dass wir mädels halt vor allem, also dass was aus uns wird, sei es jetz studium oder oder halt ne lehre, sie wollt halt schon immer auf jeden fall halt dass wir schule weitermachen und irgendwas dann halt erreichen . aber ich denk mir weniger dass sie halt jetz an studium gedacht hat, sondern halt dann vorstellung dann kommt ausbildung heiraten kinderkriegen das is ja so dieses standardbild was die für sich haben, aber äh wobei trotz also is schon paradox, trotz dass se halt ähm das wollen und dann schon auch so bisschen damit prahlen, dass ihre beiden töchter dann auch studiern und so is halt andererseits so dass ich sehe, dass man sich sehr wenig halt darum gekümmert hat . wie das in der schule halt so läuft, also jetz zum beispiel hausaufgabn also werde hausaufgabn gemacht oder wie siehts in der schule aus,
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Ayse artikuliert hier, dass die Eltern inzwischen zwar stolz auf den Bildungserfolg sind, sie spricht ihnen aber zugleich eine Beteiligung ab, weil die Eltern sich kaum für die Schule interessiert haben. Dies steht in Widerspruch zu ihrer Aussage, ihrer Mutter sei der Bildungserfolg und Berufsabschluss besonders wichtig, weil sie dann nicht in der gleichen Abhängigkeitsfalle wie sie selbst säße. Dies kommt auch noch einmal deutlich zum Ausdruck, wenn Ayse sagt: „für meine mutter wars halt schon sehr wichtich dass wenn wir halt später sozusagn heiraten oder so dass wir halt nich so abhängich vom mann sind“. Hier deutet sich an, dass für die Mutter mehr als nur Statustransformation und der Wunsch nach sozialem Aufstieg mit dem erfolgreichen Bildungsabschluss ihrer Töchter verbunden ist. Dennoch erlebt Ayse, dass ihr Bruder zunächst bevorzugt wurde. A: ja die familie, es war halt so dass der junge mehr durfte aber so rein von der schulischen laufbahn her war da nichts . wobei mein bruder hat halt ein studium angefangen, hat das dann halt abgebrochen ...(3) war natürlich auch ziemlich hart für meine eltern, aber ähm ja so läuft das halt, ne . im endeffekt machen wirs jetz halt
Das Scheitern des Bruders impliziert damit für Ayse und ihre Schwestern die Option zu studieren. Dabei kommt in dem Passus „machen wirs jetzt halt“ eine funktionale Haltung zum Ausdruck. Was der Bruder nicht realisiert hat, vollziehen jetzt die Schwestern. Damit können die Beziehungen in der Familie als latent rollenförmig und funktional differenziert interpretiert werden: Es geht nicht um Anerkennung der Person in ihrer Eigenart, sondern um die gemeinsame Arbeit am Aufstiegsprojekt. Überspitzt gesagt: Fällt eine Person aus, wird sie durch eine andere ersetzt. Gerade das ermöglicht Ayse jedoch auch Handlungsspielräume. Denn, wenn nur ein Bruder da ist, der jedoch gescheitert ist, müssen die Mädchen an seine Stelle treten, soll das Aufstiegsprojekt nicht normativen Vorstellungen über Geschlechterrollen geopfert werden. Obwohl Ayse die Widersprüchlichkeit der elterlichen Handlungsweisen realisiert, bleibt sie in einer double-bind-Situation: Die Eltern erteilen den Auftrag zur Realisierung ihrer Aufstiegsinteressen, können aber nur von dem Aufstieg ihrer Kinder profitieren und den Aufstieg quasi mitvollziehen, wenn Ayse an das Elternhaus gebunden bleibt. Das Scheitern des Bruders kann somit gleichermaßen als Ermöglichung einer Bildungskarriere und als Verstärkung der Bindung verstanden werden: Einerseits impliziert der Studienabbruch die gesteigerte Möglichkeit, die eigenen Autonomiebestrebungen durch die Partizipation am Bildungssystem zu verwirklichen. Andererseits geht damit ein doppelter Zwang einher: das Versagen des Bruders zu kompensieren und den Eltern ihren Wunsch zu verwirklichen. Anerkennung der Person und die Entfaltung von Autonomie werden Ayse dabei nur unter Zwang zugestanden. Um mehr Unab-
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hängigkeit durchzusetzen, greift Ayse auf die Unterstützung ihrer Schwester und das im Eingangssegment herausgearbeitete Handlungsmuster ‘Diffusion – Autonomiegewinn’ zurück, mit dem sie sich sukzessive mehr Freiheiten erarbeitet. Dies lässt sich am Beispiel des Ausgehens verdeutlichen: A: das gute war ich sage jetz einfach drei mädels sind zuhause, da war dat schon so bisschen schon ne gewaltsame front gegen die beiden ((lachen)) . weil da is man meistens dann doch als (2 unverst.) ausgegangen . wenn alle kinder dat machen is halt auch schwierig was dagegen auszusetzen als wenns jetz nur eins machen würde . weil et machen halt alle und da is et dann halt schon schwierig da halt klarzukommn zumal wir auch oft miteinander weggehn, weil ich mich mit mein’n schwestern halt auch sehr gut verstehe, und naja dann gehen wir halt . und dann als es irgendwann mal so kam, dass wir getrennt weggegangen sind
Zusammen mit ihren Schwestern konnte Ayse bei ihren Eltern nach und nach die Erlaubnis zum Ausgehen erwirken, auch wenn sie in diesem Zusammenhang von einer „gewaltsamen front“ spricht. Im Zusammenhang mit ihren Schwestern erlebt Ayse einen Zuwachs an Aktivitätspotenzial. Auch wenn sie nach wir vor gegen die Macht der Eltern kämpfen muss, erfährt sie hier unter enormem Aufwand einen Zuwachs an Handlungsautonomie. So eröffnet nicht nur das Scheitern des Bruders Handlungsoptionen in Bezug auf die Realisierung des Studiums, die Schwestern verhelfen einander auch gegenseitig zur Erweiterung ihrer Handlungsspielräume. Welche Erfahrungen werden nun in Bezug auf die Schule signifikant? A: in der grundschule vielleicht als ich halt zu ner weiterführenden schule gehen wollte, da wollt ich schon unbedingt aufs gymnasium . da war es aber schon so, naja auch grad von dn eltern her, das is auch grad (kein/gern) ja gesellschaftlich gesehn ja schon sehr angesehn wurde und äh mein lehrer war damals halt der meinung dass ich viel lieber auf die realschule gehen sollte und das is ja auch, da hat man ja auch ne empfehlung gebraucht um auf die schule zu gehn und ((holt tief luft)) tja dann hat der mir die halt meine empfehlung trotz allem geschriebn aber dann bin ich auch aufs gymnasium gegangen
Es zeigt sich, dass Ayses Grundschullehrer sie in ihrem Wunsch, das Gymnasium zu besuchen, nicht unterstützt hat, sondern dass sie seiner ursprünglichen Empfehlung zum Trotz handelte. Hier liegt eine Strukturhomologie zum Anfangssegment vor, denn auch hier diffundiert die Erzählung, mündet jedoch in eine Realisierung der eigenen Interessen. Es ist zu folgern, dass Ayse versucht eine Erfolgsgeschichte zu konstruieren, ohne zu wissen, ob es wirklich eine ist. Dass es von Lehrerseite keine weitere besondere Unterstützung gegeben hat, darauf deutet auch die weitgehende Entthematisierung von Schule im gesamten Interview hin. Schule wird von Ayse eher als Mittel zum Zweck gesehen: einmal um ihre Bildungsinteressen wahrzunehmen, zum anderen – wie im Übrigen das Studium auch – um die Ablösung vom Elternhaus legitimieren zu können.
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In Bezug auf Anerkennung muss in Familie und Schule von einer Strukturhomologie ausgegangen werden, denn in beiden dominiert ein Anerkennungsdefizit. Während in der Familie die personale Anerkennung hart umkämpft ist und an ihre Stelle zum Teil eine rollenförmige Beziehung tritt, wird in der Schule die Anerkennung für die erbrachte Leistung verweigert. Ayses Lehrer sagt ja nicht, dass sie eine mangelnde Leistungsfähigkeit oder zu schlechte Noten habe, sondern sie solle „viel lieber auf die realschule gehen“. Ayse wird es unmöglich, ihren Bildungsweg als Erfolg verbuchen zu können, denn sie muss sich ihre Anerkennung beständig erkämpfen. Das eigentliche Ziel, das sie mit ihrer Bildungsaspiration erfolgt ist Autonomie („meistens wars halt für mich wichtig äh einen beruf zu erlangen jetz was mich persönlich ähm irgendwo wo ich schon e bisschen unabhängiger sein kann“) und diese wird in ihrem Fall zur besonderen Anstrengungsleistung. Die Eingebundenheit in die Familie grenzt ihre Möglichkeitsräume ein und die Anerkennungsverweigerung in der Schule impliziert, dass ihr nicht das zugestanden wird, was ihr nach ihrem Empfinden zusteht. Dabei kann Ayse die diffuse Einschätzung des Lehrers nicht nachvollziehen. Letztlich bleibt für sie unklar, ob die Einschätzung auf ihre Leistungen zurückzuführen ist oder daraus resultiert, dass der Lehrer eine Schwierigkeit im geringen MigrantInnenanteil am Gymnasium sieht oder ob er ihr ein Autonomiedefizit zuschreibt, weil sie Migrantin ist. Die Verweigerung der familialen Anerkennung erfolgt demgegenüber vor dem Hintergrund der Befürchtung der Eltern, dass Ayse zu viel Autonomie entwickeln könnte. Dies wird unter anderem in ihren umfassenden Erzählungen von Kämpfen um das Weggehen, das Verreisen und Auslandsaufenthalte deutlich. Ayse entwickelt dabei unterschiedliche Strategien der Bewältigung der Autonomieverweigerung durch die Familie, etwa indem sie sich mit ihren Schwestern verbündet (siehe oben), entsprechend dem eingangs beschriebenen Schema Diffusion-Autonomiegewinn ‘mauschelt’ oder die schulischen gegen die familialen Anforderungen ausspielt bzw. sie als Vorwand für ihre Freizeitgestaltung nutzt: das fing erst mit tagsüber an, dass man da halt weggegangen is . und natürlich hat man dann auch oft als vorwand genommen, okee ich muss lern’n oder so ((lachen)) . is klar weil dann mit der schule dann halt schon doch so immer, ja also wir ham unsre kinder müssen was für die bildung tun oder so.
Diese Paradoxien machen ihre Biografie jedoch krisenanfällig, sie kann kein aktives Handlungsschema entwickeln. Dennoch lässt sich ihre Biografie auch nicht als vollständige Verlaufskurve bezeichnen, in der sie den äußeren Bedingungen unterliegt. Gerade die Wahl eines Studiengangs, in dem Auslandsaufenthalte obligatorisch sind, verweist auf kreatives Handlungspotenzial, das situativ eingesetzt wird, sodass es zur Transformation kommt, die aber nicht als
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persönlicher Erfolg verbucht wird. Dies liegt darin begründet, dass familial und schulisch ein Anerkennungsdefizit vorherrscht, das mit einer tendenziellen Autonomieverweigerung einhergeht. Autonomie muss im Fall Ayse hart erarbeitet und konfrontativ erzwungen werden und ist kein Entwicklungsschritt der im Laufe der Sozialisation durch den Eintritt in das Erwachsenenalter erreicht wird.
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Vom Umgang mit Fremdheit in bildungserfolgreichen Biografien
Die beiden dargestellten Fälle kontrastieren trotz ähnlicher Ausgangslagen hinsichtlich des familiären Milieus, der Aufstiegsaspiration und der Stellung in der Geschwisterposition maximal. Dies soll nun entlang der anfangs eingeführten analytischen Kategorie der Fremdheit ausdifferenziert werden. Fremdheit wurde eingangs als Kategorie bestimmt, die ambivalent gedacht werden muss. Diese Ambivalenzen implizieren auf unterschiedlichen Handlungsebenen differente Erscheinungsformen, die im Folgenden noch einmal systematisierend in den Blick genommen werden sollen. Der Fokus ist dabei auf die Frage gerichtet, wie Fremdheit in Familie und Schule zum Tragen kommt und welche unterschiedlichen Umgangsformen hierfür gefunden werden. 1.
Auf der gesellschaftlichen Ebene wird Fremdheit – so die Eingangsthese – wirksam, wenn von kulturalistischen Argumentationen die Rede ist bzw. Kulturen einander polar gegenübergestellt werden. Dieser Tendenz begegnen Ayse und Selcan in unterschiedlicher Weise. Selcans Umgangsweise offenbart sich dabei als Aneignung zweier vermeintlich unterschiedlicher Kulturen („also ich glaub ich hab sowohl die deutsche wie auch die türkische kultur in mir . (3) und hab eigentlich überhaupt keine probleme damit so ((leise)), also auch mit der gesellschaft nich“). Dabei deutet sich in der Polarisierung der Kulturen zwar tendenziell Fremdheit an, die Selcan jedoch produktiv wendet: Indem sie sich als ‘beiden Kulturen’ zugehörig erlebt, muss sie sich nicht mit dem Gefühl der Fremdheit auseinandersetzen. Ayse hingegen kann sich diese Ressourcenhaftigkeit nicht in dieser Form aneignen. Vielmehr erlebt sie die familiale Kultur als Gegensatz zur Kultur „draußen“ („weil zu hause und halt draußen sach ich jetz ma, das sin so die verschiedenen welten in denen man halt lebt, und du musst dich so versuchen in der mitte zu finden . und das is sehr schwer .weil diese kulturn halt natürlich gar net gleichen“). Eine Ausbalancierung oder positive Bezugnahme auf beide scheint ihr nur unter größter Anstrengung möglich. Ihre Haltung ist damit weniger die einer ‘objektiven Fremden’ oder einer in
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zwei Kulturen Beheimateten (wie Selcan), als vielmehr die der beständig von Ausgrenzung Bedrohten. Auf der Ebene der Ordnungsvorstellungen in Familie und Schule und dem damit verbundenen symbolischen Kampf um einen common sense (vgl. Bourdieu 1995: 10 f.) kontrastieren die Erfahrungen von Selcan und Ayse maximal. Während Ayse hart dafür kämpfen muss, nicht von den Mechanismen „institutioneller Diskriminierung“ (vgl. Gomolla/Radtke 2001) betroffen zu werden, erlebt Selcan dieses Problem eher aus zweiter Hand, vermittelt über ihre Schwester. Beide machen also Fremdheitserfahrungen – Ayse in Form einer Entfremdung, die sich ihr als Integrationshindernis in den Weg stellt, Selcan indem sie der drohenden Entfremdung mit Aneignung trotzt. In Bezug auf die Familie balanciert Selcan das, was die Eltern für allgemeingültig erachten – etwa ihre Tradition oder die Verpflichtung keine Beziehung zu einem Deutschen einzugehen – sensibel mit den eigenen Werthaltungen aus. Der symbolische Kampf um das, was allgemein verbürgt ist, findet im Latenten statt und ist an der Integration aller Familienmitglieder orientiert. Im Fall Ayse geht mit dem symbolischen Kampf um die familiale Ordnung ein Zwang zur Bindung an eben diese Ordnung einher. Insofern kann sie nicht, wie Selcan, die Ordnung der Familie respektvoll würdigen, sondern ist beständig damit befasst, sich dagegen aufzulehnen. Dies hängt eng damit zusammen, dass im Kampf um die symbolische Ordnung in der Familie die personale Autonomie von Ayse ständig auf dem Spiel steht. Ayse muss, um überhaupt als Person anerkannt zu werden, die schulischen Verpflichtungen kalkulierend gegen die Familie ausspielen und ihre Autonomie erkämpfen, indem sie die Bildungsaspiration als Argument ins Feld führt. Gleichzeitig unterliegt sie der Paradoxie der Double-bindSituation, die beständig Unabhängigkeitsversprechungen macht, obwohl diese nicht eingelöst werden. Sich von der Familie zu entfremden, um mehr Autonomie zu erlangen, ist für sie nicht als Ausbalancierung mit den Bindungsmöglichkeiten der Familie denkbar. Gleichzeitig verhindert die Funktionalität der Beziehungen in der Familie Ayses die personale Anerkennung des/der Anderen. Dies ist hingegen bei Selcan der Fall: Hier zeigt sich gerade die sensible Ausbalancierung der Antinomie von Bindung und Entfremdung, indem sie etwa die Wünsche der Eltern respektiert, gleichzeitig aber als Person anerkannt und geachtet wird, wie sie reziprok auch ihre Eltern anerkennt und achtet. Diese Gegenseitigkeit ermöglicht eine Verständigung, die Selcan sukzessive Autonomie zugesteht, ohne die Bindungen aufgeben zu müssen. Schulisch erfährt Selcan ebenfalls Anerkennung, denn sie kann mit dem Gefühl des Stolzes aus der Schule heraustre-
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ten. Für Ayse ist hingegen unklar, ob sie ihren Erfolg im Bildungssystem auch als solchen verbuchen kann, da sie in der Beziehung zu ihrem Lehrer keinen signifikanten Anderen findet, der die familialen Anerkennungsdefizite ausgleichen könnte. Im Gegenteil: Auch hier wird ihr mit einem latenten Anerkennungsdefizit begegnet, gegen das sie ankämpfen muss. Auf der Ebene der Auseinandersetzung mit dem eigenen Fremden muss nun gefragt werden, was die handelnden Personen hier als fremd thematisieren, um ihre subjektiven Orientierungen nicht zu gefährden. Selcans Familie geht tendenziell reflexiv mit der Angst vor anderen Orientierungen um und es herrscht ein Bewusstsein über die Verletzungsdisposition des Anderen. Dies wird in dem Bericht von Selcan über ihren Vater und dessen Kommentar zur Partnerschaft von Moslem und Nicht-Moslem deutlich: „er hat es angenommen als was falsches . diese heirat zwischen moslem und nichtmoslem (2) aber (gesagt, M. H.) dass er meine generation sehr gut versteht“. Diese Sensibilität dokumentiert sich in der Erzählung über die Lehrerin nicht. Vielmehr bringt die Gegenüberstellung des ‘kleinen schüchternen Mädels’ und der ‘selbstbewussten Frau’ zum Ausdruck, dass die Lehrerin an ein Ideal von Selbstbewusstsein gebunden ist, das sie jedoch nicht reflektiert. Selcan selbst wehrt die mögliche Brüchigkeit der familialen Beziehungen ab, indem sie die diese Beziehung bedrohenden Anteile ausblendet. In Ayses Familie bleiben die eigenen Gebundenheiten unhinterfragt bestehen. Die Ideale der Eltern, die zum Teil in Widerspruch zu ihren eigenen Bildungsaspirationen stehen, werden versucht, mit Zwang durchzusetzen. Und auch der Lehrer Ayses handelt nicht an ihrer Person orientiert, sondern entlang stereotyper Wahrnehmungsmuster, mit denen er sich selbst von einer professionellen Begründungsverpflichtung für die Schulempfehlung suspendiert. Ayse thematisiert die Paradoxie der beiden Handlungsfelder und die damit verbundenen Selbstproblematik (ihrer Eltern und des Lehrers) zum Teil. Jedoch bleibt sie selbst gerade aufgrund der Widersprüchlichkeit ihres Bildungsprozesses – objektiv Erfolg zu haben, jedoch subjektiv keine Anerkennung zu bekommen – ihrem eigenen Erfolg gegenüber fremd und kann ihren Bildungserfolg nicht als persönliche Leistung verbuchen.
Insgesamt zeigt sich in diesen theoretisierenden Folgerungen, dass es eine große Spannbreite hinsichtlich des Umgangs mit Fremdheit in bildungserfolgreichen Biografien gibt. Dabei ist Fremdheit nicht nur als eine auf die Erfahrung der Migration festgeschriebene Kategorie zu betrachten. Gerade in Bezug auf die Antinomie von Bindung und Entfremdung zeigt sich, dass die Realisierung von Autonomiepotenzialen immer durch einen Entfremdungsprozess bestimmt ist,
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der nicht ethnisch bestimmt ist, sondern mit jugendlichen Ablösebestrebungen und personalen Anerkennungsbeziehungen in Zusammenhang steht. Erst wenn Migration zum Differenzkriterium wird, mittels dessen spezifische Gebundenheiten festgelegt werden, sind damit auch Mechanismen der Ent-Fremdung verbunden. Es handelt sich dann nicht um die Einbeziehung individueller biografischer Erfahrungen, die anderen biografischen Erfahrungen gleich gesetzt werden, sondern um die Instrumentalisierung von Migration zur Aufrechterhaltung eigener, gemeinschaftlicher, institutioneller oder gesellschaftlicher Ordnungsschemata. Dass solche Mechanismen in Familie und Schule wirksam werden, haben die Fallbeispiele gezeigt. Resümierend kann also gefolgert werden, dass, wenn die Biografie einen Handlungsspielraum ermöglicht, der es gestattet ressourcenorientiert auf Fremdheit zurückzugreifen (wie im Fall Selcan), sich hier Reflexionspotenziale eröffnen können und Fremdheit als Gewinn verbucht werden kann. Fehlt dieser Handlungsspielraum und dominieren Ausgrenzungsbedrohung (in Form von Ent-Fremdung) und Zwang zur (Ein-) Bindung wie im Fall Ayse, so wird Fremdheit nicht als Ressource, sondern als Barriere der Integration erlebt. Für professionell pädagogische Handlungsfelder – wie beispielsweise der Schule – zeigt sich, dass Fremdheit hier vor allem als Ausgrenzungspraxis wirksam wird. Dies läuft der Auffassung moderner Professionalität zuwider, die ja geradezu dazu auffordert, sich mit Ungewissheit, wie sie etwa durch Fremdheit zum Ausdruck kommt, auseinanderzusetzen und dennoch das eigene Handeln begründen zu können (vgl. Helsper 2003). Die Stereotypisierung von Fremdem als rückständig und vormodern stellt insofern selbst einen Rückgriff auf vormoderne Handlungsmuster dar, als sie Begründungen im Umgang mit MigrantInnen vermeidet, indem sie sie auf ihr Anderssein und ihre Nicht-Identität festschreibt und damit die Modernität von Migration (vgl. Apitzsch 1999; Hamburger 1994) verkennt und das Eigene nicht mehr reflexiv zugänglich macht.
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Die Fremdheit bildungserfolgreicher Migrantinnen
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Interaktionen, Fremd- und Selbstrepräsentationen von Jugendlichen im Kontext von Migration Susanne Lang
Am Ende eines gewerkschaftlichen Jugendbildungsprojekts gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Ausbildungsbetrieb kommt bei der Abschlussdiskussion in der großen Gruppe von ProjektteilnehmerInnen die Sprache auf einen Konflikt, der während des Projektverlaufs nicht thematisiert wurde. Es ist offensichtlich: Bei dem angesprochenen Konflikt liegt ein Fall ethnischer Diskriminierung vor. Die Abschlussdiskussion nimmt eine neue Wendung. Nun werden der Konflikt, die Umstände wie er zustande gekommen ist, erklärt und kommentiert. Es werden unterschiedliche Positionen deutlich und der Konflikt wird von den autochthonen DiskussionsteilnehmerInnen mit ethnisierenden Zuschreibungen bagatellisiert. Die vom Konflikt Betroffenen verfallen in eine Verteidigungshaltung, auch sie bemühen ethnisch-kulturelle Argumente, um ihre spezifische Situation zu erklären. Das Antirassismus-Projekt ist im Wesentlichen gescheitert, da es nicht gelungen war, jenen tabuisierten Konflikt ans Tageslicht zu bringen. Die Konzeption des Projekts war auf die Aufklärung über Vorurteile ausgerichtet. An Ausgrenzungs- und Unterdrückungserfahrungen, die zentral alle in der Ausbildung betreffen, sollte angeknüpft und zu möglichen spezifischen Diskriminierungserfahrungen vorgedrungen werden. Dies konnte nicht gelingen, da eine zu große Gleichgültigkeit gegenüber Gruppenprozessen und der konkreten Kommunikation zwischen den SeminarteilnehmerInnen herrschte. Zudem war das Seminar zu sehr auf vernehmbare vermeintlich rassistische oder rechtsextremistische Äußerungen orientiert. Die allochthonen Jugendlichen berichteten in der Gruppendiskussion zum Abschluss des Projekts von bis dahin tabuisierten Diskriminierungserfahrungen und wiesen dabei darauf hin, dass sie sich im Zusammenhang mit ihren Ausgrenzungserfahrungen mit einem Phänomen konfrontiert sehen, dass insbesondere bei konkreten Handlungen Einzelner im Ausbildungsbetrieb aufscheint. Bei den autochthonen Jugendlichen wurde eine starke Tendenz zur Leugnung von Rassismus sichtbar.
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Susanne Lang
Rassismus, wenn er sich äußerte, war nicht als klassen- oder schichtspezifische Artikulation zu erkennen. Erklärungen, die Rassismus als von abhängig beschäftigten Jugendlichen auffassen, scheinen nicht die Positionierungen der Jugendlichen erklären zu können. Die vielleicht sehr verallgemeinernde Kritik Léon Poliakovs und anderer an soziologischen Theorien über Rassismus, die meist mehr oder weniger auf eine Verschleierungstheorie – das Klassenverhältnis wird geleugnet – oder aber in der freudo-marxistischen Variante auf eine Verschiebungstheorie – Abspaltung und Projektion der eigenen Unterdrückungserfahrung – hinauslaufen (vgl. Poliakov/Delacampagne/Girard 1984: 153ff.), erlangt durch die Nicht-Bewährung des Konzepts der Selbstfeindschaft (Leiprecht 1992; Kalpaka/ Räthzel 1994) in der untersuchten Praxis ihre Berechtigung. Polikaov und andere deuten das genannte Konzept wie folgt: „Sie [die Soziologen, Anm. d. Verf.] schreiben den Ursprung der rassistischen Aggressivität den Frustrationen zu, die das Leben in der Gesellschaft mit sich bringt: kurz, die Rassisten sind ausgebeutete oder »frustrierte« Menschen. Aber sie wissen nicht recht durch wen, und sie finden es bequemer, das heißt weniger gefährlich, die Juden oder die Schwarzen dafür verantwortlich zu machen – auf jeden Fall eine mehr oder weniger ohnmächtige Minderheit und nicht ihre eigenen Führer oder Vorgesetzten“ (Poliakov/Delacampagne/Girard 1984: 155). Am Ende der Projektevaluation stand die Erkenntnis, dass einerseits erneut über eine tragfähige Konzeptualisierung von Rassismus nachgedacht werden müsste, mit der rassistische Artikulationen nicht als von vornherein an eine spezifische Subjektposition (zum Beispiel abhängig beschäftigte Jugendliche) gekoppelt vorgestellt werden und andererseits die Bedeutung von »Ethnizität« für Jugendliche in rassismus-kritischen Bildungskonzeptionen stärkere Beachtung finden sollen. Es bestand also die Aufgabe, entsprechende Positionierungen in den konkreten Entstehungszusammenhängen relevanter Diskurse und Interaktionen zu beleuchten, um der Gefahr einer teleologischen Deutung zu entgehen. Im Folgenden werden exemplarisch Selbst- und Fremdrepräsentationen der am Antirassismus-Projekt Teilnehmenden vorgestellt, wie sie sich in der an die Projektevaluation anschließenden mikroanalytischen Untersuchung (Lang 2005) zu den Interaktionsprozessen im Ausbildungsbetrieb herausarbeiten ließen. Zuvor werden kurz das theoretische Forschungsdesign vorgestellt und die methodologischen Fragen der Untersuchung geklärt. Es soll schließlich gezeigt werden, wie problematische Positionierungen im Rahmen spezifischer Interaktionssituationen entstehen und dass diese nicht als überzeitliche Subjektpositionen bei den Jugendlichen aufscheinen. Für die politische Bildung ergeben sich hieraus Konsequenzen: Es bedarf einer stärker auf Sprache, Kommunikation
Interaktionen, Fremd- und Selbstrepräsentationen
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und lebensweltliche Repräsentationsvorlieben von Jugendlichen orientierte Bildungskonzeption im Feld der rassismus-kritischen Jugendbildungsarbeit.
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Der theoretische und methodische Forschungszugang
Um die für die Jugendlichen gruppenspezifischen und individuellen Konstitutionen von Bedeutung, wie sie in unterschiedlichen Interaktionssettings produziert wurden, erheben zu können, wurde die jeweilige Perspektive von Gruppenpositionen aus der Sicht repräsentativer Subjekte eingenommen. Gewährleistet wurde diese Form der Multiperspektivität durch die Wahl unterschiedlichster Forschungsstandpunkte, das heißt, durch die Anwendung verschiedenster Methoden. Es kamen folgende Methoden qualitativer Forschung zum Einsatz: die teilnehmende Beobachtung, themenfokussierte Gruppendiskussionen sowie themenfokussierte und diskursive Einzelinterviews. Bei letzteren wurden die Auszubildenden aufgefordert, Netzwerkzeichnungen zu den Interaktionsbeziehungen in der Ausbildung anzufertigen. Die verschiedenen methodischen Zugänge ergänzten sich im Sinne der Triangulation (Denzin 1978). Die Triangulation der Daten aus den unterschiedlichen Erhebungsbereichen geschah nicht im Sinne der Validierung; durch die Verknüpfung verschiedener empirischer Datenfelder entstand ein differenziertes Bild vom Untersuchungsgegenstand. Insgesamt wurden fünfzig SeminarteilnehmerInnen für die an das Projekt anschließende Untersuchung ausgewählt. Das Sample umfasste dabei 23 junge Männer der Ausbildungsfachrichtungen Energieanlagenelektroniker und Industriemechaniker, 8 Auszubildende aus dem Bereich Kraftmaschinenmechanik, 9 Auszubildende aus dem Berufszweig Verkehrskauffrau sowie 10 junge Arbeitnehmer ohne Fachausbildung. Am Ende wurden 8 der an den Gruppendiskussionen Beteiligten im Rahmen themenfokussierter und diskursiver Einzelinterviews befragt. Das theoretische Forschungsdesign baute auf der Ergänzung der Theorie sozialer Repräsentation (Moscovici 1995) durch die Diskursanalyse auf. Mit der Theorie sozialer Repräsentation werden die soziokulturellen Repräsentationen verschiedener Gruppen fokussiert. Damit wird der Gefahr ausgewichen, das ‘Soziale’, die ‘Kultur’ etc. als ontologische Größen zu fassen. Der Blick richtet sich darauf, „wie die Welt mit Hilfe von Bildern und gemeinsamen mentalen Repräsentationen in einer bestimmten Kultur, in einer bestimmten geschichtlichen Zeit (...) innerhalb einer bestimmten Gruppe ausgedeutet wird“ (Potter/Wetherell 1995: 179). Der Prozess der sozialen Repräsentation wird eng an die Kommunikation gebunden. Damit wird die soziale Repräsentation nicht auf
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einen rein kognitiven Vorgang beschränkt, wie dies traditionell in der klassischen Sozialpsychologie geschieht: Soziale Repräsentation wird damit erweitert von einer subjektiven Selbstvergewisserung – als Funktion individueller Wissensbestände und Weltbilder – zu einer Form der sozialen Selbstvergewisserung von sozialen Gruppen und Beziehungen sowie die darin hergestellte und implizit bestätigte soziale Realität. (Flick 1995c: 74)
Es wird also nicht nach soziokulturellen Inhalten gefragt, die dann als mentale Bilder gehandelt werden; die Kommunikation, insbesondere das Sprechen, werden zum Untersuchungsgegenstand, denn soziale Repräsentationen sind „das Ergebnis eines unendlichen Redens und eines nicht enden wollenden Dialogs zwischen Individuen“ (Potter/Wetherell 1995: 181). Da die Diskursanalyse als Theorie sozialer bzw. diskursiver Konstruktionen sich im Wesentlichen damit befasst, „wie Menschen gemeinsam Weltauffassungen im Verlauf ihrer sozialen Tätigkeiten konstruieren, sowie mit der Frage, wie diese Weltauffassungen verfestigt, als wirklichkeitsgetreu gesetzt und als von den Sprechenden unabhängig geltend etabliert werden“ (Potter/Wetherell 1995: 184), kann sie die Theorie sozialer Repräsentationen insofern ergänzen, „daß sie die Repräsentationen begrifflich als Eigenschaften des Diskurses, d.h. als Lesarten, Formulierungen, Kennzeichnungen, Beschreibungen, bestimmt“ (Potter/Wetherell 1995: 183). Für Foucault stehen Diskurse stets für die sprachliche Seite einer diskursiven Praxis. Unter ‘diskursiver Praxis’ wird dabei das gesamte Ensemble einer speziellen Wissensproduktion verstanden, bestehend aus Institutionen, Verfahren der Wissenssammlung und -verarbeitung, autoritativen SprecherInnen bzw. AutorInnen, Regelungen und Versprachlichung, Verschriftlichung, Medialisierung. Soziale Repräsentationen werden diskursiv erzeugt.
Interaktionen, Fremd- und Selbstrepräsentationen
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Wie in obiger Abbildung dargestellt, nehme ich bei der Verknüpfung von Diskursanalyse und Theorie sozialer Repräsentation an, dass erstens die Diskurse und sozialen Repräsentationen hinsichtlich der eigenen Gruppe (die Ingroup) und im Bezug auf die Anderen über die Institutionen der Wissensproduktionen sowie über die Medien vermittelt werden. In konkreten Kommunikationssitutionen werden die sozialen Repräsentationen und Diskurse aktualisiert, das heißt (re-)produziert. Es kommt zu Neuschöpfungen. Zweitens: Die sich in konkreten Kommunikationssituationen konstituierenden Gruppen rekurrieren auf sozialstrukturelle und sozialräumliche Differenzlinien, um sich als abgrenzbare Einheit zu konstituieren. Drittens: In der konkreten Interaktion, im unmittelbaren oder vermittelten Verhältnis zu den Anderen, offenbart sich auch, wie sich die Einzelnen im Hinblick auf virulente Diskurse im Rahmen relativer Selbstbestimmung positionieren.
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Fremd- und Selbstrepräsentationen der allochthonen Jugendlichen
Im Folgenden werden die Selbst- und Fremdrepräsentationen von zwei allochthonen Jugendlichen vorgestellt, die zwar nicht von spezifischen innerbetrieblichen Konflikten direkt betroffen waren, jedoch bei der Rekonstruktion der Interaktionsprozesse im Ausbildungsbetrieb sich teilweise ‘ethnisch’ repräsentierten, um entweder Solidarität mit den von Konflikten betroffenen Jugendlichen zu zeigen oder aber, um sich hinsichtlich der Bedeutung von Konflikten im Gruppengeschehen zu positionieren.
2.1 Selbstethnisierung als Selbstbehauptungsstrategie – Alexander Alexander ist zur Zeit des Interviews 20 Jahre alt und befindet sich im zweiten Lehrjahr der Ausbildung zum Industriemechaniker. Er hat die Gesamtschule nach der zehnten Klasse mit einem qualifizierten Realschulabschluss verlassen. Alexander ist in Polen geboren und mit seinen Eltern im Alter von elf Jahren nach Hessen gekommen. Da der Großvater von Alexander um die Jahrhundertwende von Deutschland nach Polen aussiedelte und eine Existenz als Landwirt gründete, ist die Familie aufgrund ihres Status als Aus- und Übersiedler durch die deutschen Behörden anerkannt worden. Alexander gehörte zu den engagiertesten TeilnehmerInnen der Seminare, die im Ausbildungsbetrieb durchgeführt wurden. Er hat die Möglichkeit zum Verfassen eines Textes für ein Rap-Video kreativ genutzt. Dabei war er emotional sehr engagiert und hat seine Migrationserfahrungen zum Inhalt gemacht. Am Text entbrannte eine Diskussion mit seinem Landsmann Thomas, den er dazu aufforderte sich zu seiner ‘Herkunft’ zu bekennen. Im Einzelinterview reflektiert Alexander seine Migrationserfahrung. Als er in die BRD kam, stellte Alexander ‘Mentalitäts’-Unterschiede fest. Er identifiziert andere Denkmuster, die es sich anzueignen galt. Es sei ihm nicht schwergefallen, die vorherrschenden Denkmuster anzunehmen, zumal er zur Zeit der Einreise in der Pubertät war und nach neuen Orientierungen suchte, sagt Alexander. Er schildert die Orientierung am neuen Umfeld als positiven Bildungsprozess in der Zeit der Pubertät, den er ohne Einschränkungen bejaht. Gleichzeitig berichtet er, dass er in der Schule Ängste entwickelt habe. Ihm habe es an Selbstvertrauen gefehlt, da ihm sowohl die autochthonen als auch die allochthonen MitschülerInnen die Integration verweigerten. Er musste aufgrund der Sprachschwierigkeiten die zehnte Klasse der Gesamtschule wiederholen. Als er zur Ausbildung in den Betrieb kam, war sein Selbstbewusstsein gewachsen, da
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Interaktionen, Fremd- und Selbstrepräsentationen
er gelernt hatte, sich durchzusetzen und sich den jeweiligen Verhaltensmustern der verschiedenen Gruppen in der Schule anzupassen. Alexander betont, dass seiner Meinung nach die „Polen“ kein Verlangen danach hätten, als ethnische Gruppe zusammenzuhalten. Das spiegele sich auch an seinem Kontakt zu seinem Landsmann Thomas wider, der sich mit ihm gemeinsam für den Ausbildungsplatz beworben hatte. Die Möglichkeit, während der letzten Seminarphase mit Thomas zusammen zu rappen, war für Alexander deshalb bedeutsam, da er mit dem selbst gedichteten Rap seinen Kollegen zeigen konnte, dass sie als Polen „auch mal so zusammenhalten können“. Das war aber mehr – so zu zeigen – gegenüber den anderen – dass wir als Polen – also – als Schlesier auch mal so zusammenhalten können – und auch was zustande bringen können. Weil’s normal nicht der Fall ist – wir gehen so mehr in die Richtung – dass wir uns unterordnen – bei den Deutschen und so. Dass wir uns da so unterordnen. Das war mehr dazu – zu zeigen – dass wir aus Polen sind. So zu zeigen. (Alexander: 5/12)
Während Alexander über die Bedeutung des Rappens laut nachdenkt, stellt er fest, dass sie beide – er und Thomas – als Minderheit gezwungen seien, sich anderen Gruppen anzuschließen, die sich seiner Meinung nach aufgrund ethnischer Zugehörigkeiten bildeten. Diese Eingliederung in Gruppen, die er national-kulturell identifiziert (die türkischen und die russischen Cliquen), behagt ihm im Hinblick auf die eigene Eingliederung in eine der Gruppen nicht, da er seine Zuordnung – er würde gerne zu der Gruppe der einheimischen deutschen Jugendlichen zählen – bei der Anpassung an die jeweiligen Gruppennormen der allochthonen Jugendlichen ausblenden müsste. Mit dem Rap war es für ihn möglich, sich einmal als eine, wenn auch allochthone, aber doch eigene Einheit vor den anderen zu präsentieren. Im Inhalt des Rap-Textes rekurrieren Alexander und Thomas jedoch nicht auf Ethnizität. Im Mittelpunkt ihres Rap-Songs steht die eigene Migrationserfahrung beziehungsweise die Erfahrung des Ausgegrenztwerdens. Zostae: Spakowany, przatargany na ten nowy kraj!
Man hat dich: Eingepackt, hierher gebracht in das neue Land
Nie wiedziae nie mylae, e to taki Raj!
Hast nicht gewusst und nicht gedacht, dass es so ein Land ist!
Prubowae, i Bagae i stratae si!
Wir versuchten, baten und bemühten uns!
eby zosta pokochany, a nie zosta mie!
Dass man anerkannt und nicht wie Müll betrachtet wird!
Wpierdolili, i zgnoili, opluli ci!
Man hat uns gefickt und angespuckt!
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Alle ty zostae eby wczyc si!
Aber Du bist geblieben und hast versucht Dich anzupassen!
Zobaczye, Przekonae i stwierdzie!
Wir bemerkten und erkannten!
e ten wiat dla ciebie strasznym yciem jest!
Dass wir das Leben hier mies beenden!
Rap von Alexander und Thomas Ähnlich wie die deutsch-türkische Rap-Band Cartel erzählen Alexander und Thomas in ihrem Text von Migration, Marginalisierung und dem Wunsch nach Anerkennung. Abweichend von den Botschaften der Gruppe Cartel beschwören Alexander und Thomas jedoch nicht den Zusammenhalt und die Vision eines solidarischen Miteinanders1; ihr Rap-Text behandelt die vergeblichen Inklusionsbemühungen und endet mit der Feststellung, dass für sie eine Integration nicht möglich sei. Dethematisierung von Ethnizität Alexanders Freundin ist autochthon. Bezug nehmend auf die Frage, welche Bedeutung der Migrationshintergrund für die Beziehung hat, thematisiert Alexander nicht mehr das ‘Pole’-Sein. Die Herkunft hat in diesem Bereich für ihn offensichtlich keine Bedeutung. Was aus Alexanders Sicht in Zukunft sehr wahrscheinlich eine Rolle spielen wird, ist die Diskriminierung in der Arbeitswelt. Seine Lebenspartnerin müsse sich darauf einstellen, dass er nicht die gleichen beruflichen Chancen wie autochthone junge Männer haben werde, eine gut bezahlte Arbeit zu finden. I.: A.: I.: A.:
I.: A.:
1
Spielt Dein Migrationshintergrund eine Rolle in der Beziehung? Nee – das spielt keine Rolle – also wie ich das seh` – spielt das keine Rolle. Wird vielleicht mal später ne Rolle – mal spielen. Wieso später – bei was? a – bei der Jobsuche oder bei der Familie – mal gründen – dann wird das schon – für die vielleicht mal – weiß ich ja net. Wenn`s fest ist – länger mal dauert – dann muss sie sich mal auch abfinden – dass ich en bisschen schwieriger in meinem Daleben – mal haben werde – dass ich en bisschen mehr tun werden muss – um was zu haben. Und wann ist dir das klargeworden – dass du das musst? Ja – ich seh` das. Also – ich hab` das schon in der Schule gesehn. In der Gesamtschule – war`s auch schwer – sich durchzusetzen. Man hat ja gesehn – wie die Deutschen da
Zum Verständnis deutsch-türkischer jugendkultureller Orientierungen im Bereich Musik, insbesondere des Genres Rap siehe Jörg Becker 1996.
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bloß mal was gesagt ham – und dann war`s gut. Aber an uns – die Schwarzen – also nicht die Schwarzen – aber grad` die Nicht-Deutschen – die nicht richtig deutsch sind – da wurde schon so rumgehackt – und man hatte nicht so viel Respekt. Das war ja nicht schlimm – aber ich wusste schon immer – dass ich viel mehr machen muss als der Deutsche – als ein Deutscher – um was zu erreichen. (Alexander: 633/663)
Vor dem Hintergrund des Realismus und der Realitätsnähe in den Reflexionen von Alexander hinsichtlich seiner sozialen Position in der Schule und im Ausbildungsbetrieb wird deutlich, dass für ihn der Rückgriff auf Ethnizität im Sinne einer Selbststilisierung als ‘Pole’ vorrangig dazu dient, dem Wunsch nach Zugehörigkeit nachzukommen. Sein staatsbürgerlicher Status legt ihm nahe, dass er sich eigentlich der autochthonen Bevölkerung zugehörig fühlen sollte. Aufgrund seiner Sprachfärbung und mehr oder weniger auffallenden Sprachschwierigkeiten wird er allerdings als ein ‘Fremder’ identifiziert und erfährt über diese Etikettierung Ausgrenzung. Kommen die schulischen und betrieblichen Ausgrenzungserfahrungen ins Spiel, dethematisiert Alexander seinen Ethnizitätsdiskurs und ordnet sich hinsichtlich der gemeinsam erlebten Erfahrungen der Gruppe der identifizierten Anderen zu und benutzt dabei, wie seine deutsch-türkischen Kollegen, die Bezeichnung ‘schwarz’. Der Mangel an Respekt, der ihnen als Gruppe von Seiten der Autochthonen widerfährt, lässt ihn nicht davon sprechen, dass der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft im Kontext seiner Diskriminierungserfahrungen keine Bedeutung erlangt. Seine Zuordnung zur Gruppe der ‘Schwarzen’ aufgrund dieser eindeutigen Erfahrung sozialräumlicher Trennungen beinhaltet weniger widersprüchliche Elemente im Vergleich zu jenen, die bei seinen ethnischen Vergewisserungsversuchen zutage treten. Zusammenfassend lässt sich bei Alexander feststellen, dass für ihn aufgrund der verweigerten Integration „Selbstvalorisationstrategien“ (Fanon 1985: 99) eine große Bedeutung haben. Alexander möchte mittels seines Rap-Songs zeigen, dass er gemeinsam mit Thomas auch über kulturelles Kapital verfügt, das er in die Waagschale werfen kann. Er offenbart mit der Präsentation des Rap-Textes seinen Wunsch nach Anerkennung durch die Gleichaltrigen im Betrieb und thematisiert damit gleichermaßen sowohl den erfahrenen Mangel an Zugehörigkeit als auch die Unmöglichkeit, sich in eine der Gruppen eingliedern zu können. Alexander scheitert jedoch mit seiner Ethnisierungsstrategie, da Thomas sich zu dieser Form der Inklusionsbemühung nicht entschließen kann und Alexander keine weiteren Ansprechpartner findet, weder im nahen Lebensumfeld noch im Ausbildungsbetrieb. Aufgrund des „Integrationsparadox“ (Krafeld 2001: 32), das bei Alexander zum Tragen kommt – er besitzt zwar eine deutsche Staatsangehörigkeit und erlebt dennoch aufgrund seiner Sprachschwierigkeiten Ausgrenzung – misslingt der Versuch einer ethnischen Zuordnung.
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Susanne Lang Nur für mich – also – ich steh’ dazu – dass ich aus Polen bin – das sag’ ich ja auch. Als Pole fühl’ ich mich ja nicht mehr so ganz – nicht ganz – aber ein bisschen schon – weil – der Akzent und so – das merkt man – mmh. (Alexander: 469/473)
Die ethnische Positionierung funktioniert auch deswegen nicht, da Alexander die ethnische Selbstverortung nicht inhaltlich füllen kann und er sich selbst als Mitglied der Aufnahmegesellschaft identifiziert sowie eine Herkunftsorientierung im Grunde ablehnt.
2.2 Cliquenorientierung und Gangsta-Image – Thomas Thomas ist zur Zeit des Interviews neunzehn Jahre alt und befindet sich im zweiten Lehrjahr in der Ausbildung zum Industriemechaniker. Er ging wie Alexander auf die Gesamtschule und hat einen qualifizierten Realschulabschluss. Thomas ist wie Alexander in Polen geboren. Die Emigrationsgeschichte des Großvaters beschreibt Thomas als Auswanderung in die USA, auf die während des ersten Weltkriegs eine Remigration nach Polen folgte. Thomas kommt wie Alexander aus einem Dorf in der Nähe des Ausbildungsorts. Die Eltern sind nach ihrer Übersiedlung in dieses Dorf gezogen, dort haben sich die beiden Jungen kennengelernt. Da sie im gleichen Alter waren, sind sie auch gemeinsam in die Schule gegangen. Nach Beendigung der Hauptschule entschieden sie sich für den gleichen Ausbildungsberuf. Zum Inhalt des Rap-Textes, den Thomas zusammen mit Alexander gedichtet hat, sagt er, dass es darin um die eigene Migrationsgeschichte gegangen sei, darum, wie die Aufnahmegesellschaft auf sie als Aussiedler „reagiert“ habe. Sie hätten sich „hocharbeiten“ müssen, um Anschluss zu finden und die deutsche Sprache zu lernen. Irgendwie – wie wir hier hingekommen sind – und – hier nach Deutschland – also – wie das so angefangen hat. – Wie die Leute so – nicht alle – es gab schon einzelne Leute – die – wie die so reagiert ham. Wie die gemerkt ham – Ausländer oder so was. – Man konnte net so richtig Deutsch. – Die Reaktion. – Und – wie wir uns halt so hochgearbeitet ham – so mit’m Deutsch – und so halt. – Und die Leut’ halt in die Gesellschaft eingeschlossen ham – reingearbeitet. (Thomas: 41/49)
Thomas schildert die Integration in die einheimische Bevölkerung emotional neutral. Er beklagt sich nicht über die geforderte Anpassungsleistung und schildert den erlebten Bildungsprozess weder als Gewinn – wie beispielsweise Alexander – noch als Überforderung. Ausgrenzungserfahrungen in Gleichaltrigengruppen thematisiert Thomas nicht.
Interaktionen, Fremd- und Selbstrepräsentationen
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Thomas lehnt es ab, jemanden aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit zu privilegieren, wie Alexander das von ihm fordert. Für Thomas geht die Freundschaft zu einem Gleichaltrigen über die Zugehörigkeit zu einer ethnisch definierten Gemeinschaft. Aus seiner Sicht ist es falsch, Menschen, nur weil sie die Zugehörigkeit zu einer Nation oder zu einer Volksgruppe mit anderen teilen, als Einheit zu definieren. Niemand könne allein aufgrund seiner Nationenzugehörigkeit eine besondere Rücksichtsnahme oder Bevorzugung fordern. I.: T.:
Der Alexander meinte – dass jemand – der aus einer – wie er sagt: „Volksgruppe“ kommt – muss mit den anderen dieser Gruppe solidarisch sein. Was meinst Du dazu? Ich steh’ da nicht zu – ich mein’ – wenn ich denke – dass das richtig ist – dann steh’ ich auch dazu – dass er ein Pole ist – auch wenn er kein Pole ist. Ich denke – es ist richtig – dass ich die Sache für richtig seh’ – dann steh’ ich auch dazu – auch wenn er kein Pole ist. – Wenn wir jetzt zum Beispiel in unserer Clique – kommt irgendeiner – und der ist Pole – der macht irgendwie – was weiß ich – macht uns an – oder so was – dann geh’ ich net und und sag’: „Nee – das ist en Pole – den lasst ihr in Ruh!“ – Ich mein’ – das ist mir egal. – Wir sind Kumpels unter uns irgendwie – dass ich jetzt so radikal dazu stehn würde – dass ich Pole bin – und egal was en Pole sagt – ob’s richtig ist oder falsch – ich steh’ zu dem. Ich mein’ – ich steh’ zu dem – zu dem ich meine – dass es richtig ist. (Thomas: 322/340)
Thomas ist in seiner Freizeit meistens mit einer Clique in seinem Dorf unterwegs. Nach Feierabend trifft er sich mit mehreren Freunden aus seiner Clique oder geht mit einzelnen von ihnen ins Schwimmbad oder zum Fitnesstraining. Ich weiß net, wie ich da reingekommen bin – irgendwie so – kommt ma’ irgendwie rein – automatisch irgendwie – ich weiß net. – Kommt ma’ kommt in so Cliquen rein – ich weiß net. – Halt so wie in em Ghetto auch. – Ich mein’ – wir ham net so – die Leute sind da net so einem Platz – dass se da so stehn – so en Viertel ham – oder so was – sondern: mit Autos rumfahrn – da mal stehn bleiben – und da mal gucken – und Discos und so. (Thomas: 105/113)
Thomas vergleicht die Clique mit den Gangsta-Ghettobanden der afroamerikanischen Hip-Hop-Szene, wobei die eigene Realität sehr viel weniger spektakulär als die Vorlagen (Musikvideos) ist. Die Jugendlichen nutzen die Möglichkeit, mit den Autos aus der dörflichen Enge auszubrechen und das kulturelle Angebot in der Nähe der nächstgelegenen Mittelstadt aufzusuchen. Ihre Treffpunkte sind Tankstellen in der näheren Umgebung, sie machen nächtliche Erkundungsfahrten um den naheliegenden See und besuchen dabei ab und an eine Diskothek. Die Clique ist ein lockerer Verband von über 20 Jugendlichen, eine dörfliche Gruppe Gleichaltriger (Peers) und keine Gruppe mit Gang-Charakter, die sich einen Namen gibt und spezifische Zugangskriterien festlegt sowie Hierar-
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chien festschreibt. Dennoch rekurriert Thomas auf das Gangsta-Image und beschreibt sich und seine Freunde damit als ‘marginal men’2. Für Thomas existiert die Gruppe schon seit seiner Schulzeit, er ist über die schulischen Kontakte zur Clique gestoßen. Die Clique ist multikulturell zusammengesetzt. Thomas sagt, er höre HipHop, Gangsta-Rap von Gruppen wie Bone Thug’n Harmony und Body Count. Bei dieser Musikrichtung ginge es um Geldprobleme, um die Last des Arbeitsalltags und um Drogen. Auch in seiner Clique habe man ab und zu mit Drogen und Waffen zu tun. Das ist so Rap – so Gangsta-Rap – die singen halt über – über alles Mögliche – singen die – was denen in’ Kopf kommt – die singen einmal – grad’ über Probleme – so – was weiß ich: „Es ist der erste Monat“ – in ein Lied – „Ich hab’ kein Geld“ und so – „wieder arbeiten gehen“. – Und nehmen Drogen – und so was – und alles Mögliche. (Thomas: 79/113)
Die Interpreten des Gangsta-Rap spiegeln die Auseinandersetzungen von amerikanischen Straßengangs in ihren Texten. Die Straßengangs werden in den 1980er und in den frühen 1990er Jahren zum zentralen Lebenszusammenhang für amerikanische Jugendliche in den marginalisierten Stadtteilen. Bei den Auseinandersetzungen der Jugendgangs geht es meist um die Vorherrschaft in einem bestimmten Viertel, um Drogengeschäfte oder um die Erfahrung der Marginalisierung zum Ausdruck zu bringen. Die Ursachen, die zur Randstellung der Jugendlichen führen, werden aber meist nicht verhandelt3. Wenn Thomas sich vor dem Hintergrund seiner Cliquenzugehörigkeit als Gangsta-Rapper präsentiert, heißt das nicht, dass die Cliquemitglieder sich ähnlich wie die Vorbilder in den Videos verhalten. Die Stilisierung als ‘marginal man’, wie sie in den Texten und Videodarstellungen der Gangsta-Rapper transportiert wird, kann zum einen dazu dienen, die eigene, als etwas langweilig empfundene Jugend auf dem Land ‘exotisch’ aufzuladen, zum anderen befördern die machistischen und gewaltbejahenden Männlichkeitsbilder Ermächtigungsfantasien für männliche Jugendliche, die noch um einen Platz in der Gesellschaft ringen. 2
3
Anders als Robert E. Park (1950) sehe ich in der Selbstrepräsentation von Thomas als marginal man nicht ein inkonsistentes und ambivalentes Selbstkonzept, sondern schlicht eine jugendkulturelle Selbststilisierung, die Themen der Ausgrenzung und Diskriminierung beinhaltet. Meines Erachtens ist die Frage der kulturellen Einbindung von Menschen in verschiedene Gruppen bei Park überbewertet. Die Gangst-Rapper verstehen sich als das Organ, das die Ereignisse in den afroamerikanischen Stadtteilen beschreibend darstellt, ohne sie zu bewerten. Oftmals kommt es zu einer unkritischen Affirmation der gewaltförmigen Interaktionen der Straßengangs. Selten wird die Situation in den Stadtteilen hinterfragt oder in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt. Meistens werden Aggressionen angereizt und auf eingängige Feindbilder projiziert, kritische Positionen beinhalten eine hasserfüllte Ablehnung der Polizei (vgl. Sternbeck 1998: 224ff.).
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Thematisierung von Rassismuserfahrungen Auf die Frage, wie er sich selbst sehe, antwortet Thomas, er habe einen deutschen Pass, also sei er Deutscher. Er werde aber im Alltag nicht als Deutscher identifiziert. Die Exklusion dokumentiert er mit seinen Erfahrungen hinsichtlich alltäglicher Provokationen. Die Frage, wie er sich selbst definiere, beantwortet er mit einer Geschichte über einen Autounfall und die Streitigkeiten, die er daraufhin erlebt. Dabei wird deutlich, dass auch er im Alltag mit dem „Integrationsparadox“ (Krafeld 2001: 32) konfrontiert wird, einerseits formalrechtlich als deutscher Staatsbürger anerkannt zu sein, andererseits aber von Einheimischen immer wieder als der ‘Ausländer’ oder wie in seinem Falle als „Asylant“ beschimpft zu werden. Ich bin – ich hab’ en deutschen Pass – ich bin hier in Deutschland – ich leb’ hier seit zehn Jahren. – Und ich bleib’ hier auch – also denk’ ich – – ich weiß nicht – ich hab’ en deutschen Pass – also bin ich en Deutscher – hier. Aber irgendwie /hier drin ((zeigt auf sein Herz)) – aber hier werde ich nicht als Deutscher angesehn – weil – ich weiß net so – zum Beispiel ich hab’ en Unfall gehabt – Autounfall. – Ich mein’ ich hatt’ schon mehrere Unfälle. – So was wie – kommt der dann raus aus dem Auto – merkt der, dass ich so’n bißchen gebrochen sprech’ – oder so was – dass ich Akzent hab – oder so was – (…) Der so „Hau ab!“ – Und das Kind steht daneben – und – dann wundert man sich – dass da irgendwie so Nazis aufwachsen – wenn der Vater schon so. – Dann meint er: „Setz’ dich in dein Auto und hau ab – du ScheißAsylant!“ – Oder – was weiß ich – was der gesagt hat: „Lern’ erst mal richtig Deutsch!“ – Und die Frau dann auch – und der Junge – guckt da zu und hört zu und irgendwie – ich weiß net. – Also – solche Leut’ – das ist der Hammer! (Thomas: 379/427)
Durch sein jugendlich ungestümes Verhalten – Thomas hatte schon vorher zwei Autounfälle verschuldet – kommt es im Alltag zu Zusammenstößen mit der älteren autochthonen Generation. Der Generationenkonflikt wird für Thomas in doppeltem Sinne zur schwierigen und fast unlösbaren Aufgabe, da durch die zugewiesene Illegitimität seiner Person eine Lösung auf kommunikativer Ebene unterbleibt. Für Thomas waren die Erfahrungen in der Schule nicht so einschneidend wie für Alexander. Thomas hat sich in der Schule gefordert, aber nicht überfordert, gefühlt. Alexander musste eine Klasse wiederholen und wurde so ein Klassenmitglied von Thomas. Thomas hat schulische Schwierigkeiten nicht im Zusammenhang mit der Ablehnung von altersgleichen SchulkameradInnen erlebt. In den Aussagen von Thomas wird deutlich, wie ihn die Erfahrungen in der ‘multikulturellen’ Peer-Group immun machen gegen ethnische Verführungen seitens Alexanders. Für Thomas ist die Kategorie der Freundschaft entscheidend für die Einschätzung des ‘richtigen’ Verhaltens der Gleichaltrigen. Die Stimmigkeit auf dieser Ebene bestimmt sein Freundschaftsverständnis, nicht ein ethnischer Klientelismus.
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Auch Thomas erfährt das ‘Integrationsparadox’ aufgrund formaler Zugehörigkeit und der Ablehnung vor dem Hintergrund von Sprachschwierigkeiten. Er erzählt seine Erfahrungen mit Beleidigungen und Abwertungen, die er in diesem Zusammenhang gemacht hat. Die Erfahrungen, die er schildert, wurden nicht im Ausbildungskontext gemacht. Thomas vermeidet aufgrund dieser Erfahrungen Verallgemeinerungen vorzunehmen. Es stellt sich bei ihm die Frage, ob die Selbstbeschreibung als Mitglied einer „Ghettoclique“, die sich der Vorlage von Gangsta-Rappern bedient, nicht teilweise dazu dient, die Erfahrung der Ablehnung zu rationalisieren, da Ausgrenzungserfahrungen integraler Bestandteil des ‘marginal man’-Konzepts von Thomas sind.
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Selbst- und Fremdrepräsentationen der autochthonen Jugendlichen
Sowohl bei den narrativen Einzelinterviews als auch während der Gruppendiskussionen mit den autochthonen Auszubildenden wehrten diese eine Auseinandersetzung mit den Ausgrenzungserfahrungen ihrer allochthonen Kollegen ab. Bei der Konfrontation mit konkreten Schilderungen der Ausgrenzung wurden von den autochthonen Kollegen Gegendiskurse angestimmt. So begann Hans beispielsweise eine Erzählung, die mit Einsprengseln einer zweiten Erzählung von Stefan ergänzt wurde, als er von den Diskriminierungserfahrungen seiner Kollegen erfuhr. Hans und Stefan kommentieren die Diskriminierung mit einer Geschichte über die Bedrohung der eigenen Gruppe durch identifizierte Außenseiter, die politisch korrekt vorgestellt werden: Asylbewerber und Sinti. Hans: Bei uns ham se en ganzes Heim voll Sintis eingelagert – in em Dorf mit dreihundert Einwohnern – oder – dreihundertfufzig. (...) Die zwanzig Mann – die da drin sind – weiß keiner so genau. Aber – zu denen hat auch keiner Kontakt – und Tom: Ist au’ besser so Hans: Und die au’ net – außer – das Gefrierhaus ham se uns schon mal ausgeraubt. I.: Was wurde ausgeraubt? Hans: Das Gefrierhaus. Wir ham da so en Gebäude – da sind Gefrierschränke drin – für jedes – für jeden Haushalt einer – mit nem Vorhängeschloss – und alles. Den ham se mal Stefan: Geplündert ((Allgemeine Belustigung)) Stefan: Bei uns war’s a’ mal genauso. – – Der eine hatte Zuchtenten gehabt Hans: Die kamen nachher an – mit den Tüten – wo die Namen druffstanden – „Ist das ihr Fleisch?“ – „Ja.“ – „Wollen se’s wieder haben?“ – „Nee“ ((Gelächter))
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Stefan: – die sind em geklaut worden. Des erste – was er gemacht hat – war – ins Nachbardorf gefahrn – beim Asylbewerberheim – hat in den Mülltonnen /nach den Federn gesucht – also ((lachend)). Rudi: Und hatte se was? Stefan: Nee – se hatten nix. Ham se wahrscheinlich mit Haut und Haaren g’fressen. ((Gelächter)) I.: Und das war eine Story aus der Lokalpresse? Oder wurde das über Mund-zuMund-Propaganda verbreitet? Stefan: Ne – das weiß gar net jeder. Das stand halt mal in der Zeitung – und die hatten das zwar in der Zeitung – aber das war so direkt die Ansprache an – – die Asylbewerber – war jetzt so net. So von wegen Anzeige – machen – und so. Da – die glauben da nimmer – dass sich da enner meldet. – – – Die hätten au’ mal bei mir gucken können! (GIV: 144/176)
Die identifizierten Fremden nehmen der Ingroup die Nahrung weg, fantasieren Hans und Stefan. Hier wird ein Bild entworfen von bedrohlichen Anderen, die der Ingroup eine existenzielle Grundlage entziehen wollen. Dieser Mythos verweist auf die malthusianische Annahme von einem vermeintlichen Zuviel an Menschen und dem Zuwenig an Nahrung und stellt damit gleichsam eine Fährte zum Überbevölkerungsdiskurs dar4. Die Anderen werden als die Unersättlichen angesehen, sie „fressen“ etwas „mit Haut und Haaren“. Letztere Vorstellungen rekurrieren auf das Bild vom animalisch-kannibalischen Schwarzen und entbehren jeglicher Form der realen historischen Erfahrung. Sie dienen lediglich dazu, Andere als weniger zivilisiert und damit als nicht gleichwertig betrachten zu können. Es handelt sich um einen Betrugsmythos, der auf einem Bedrohungszenario aufbaut, einem fantasierten Raub von Nahrungsmitteln. Der Mythos wird von Hans und Stefan eigenständig rekonstruiert. Da weder Hans noch Stefan und auch die anderen Auszubildenden sich vor Nahrungsmittelknappheit fürchten müssen und dieses Thema keines ist, was in der BRD aktuell Sozialneid produziert, da Nahrungsmittel für alle in gleichem Maße zugänglich sind, zeigt sich insbesondere an diesem Beispiel, dass trotz relativ stabiler sozialer Integration und aufgeklärter Selbstvergewisserung, Bedrohungsszenarien über Fremde imaginiert werden. Da die von Hans und Stefan gemeinsam vorgetragene Erzählung eine Antwort auf die Frage zur Einschätzung von Ausgrenzungserfahrungen ihrer allochthonen Kollegen darstellt, dient die Geschichte einerseits der Abwehr gegenüber der Aufforderung, sich mit konkreten negativen Erfahrungen von Allochthonen
4
Die Rede von der ‘überbevölkerten’ Dritten Welt weist darauf hin, dass aus der Sicht der ersten Welt, „die Bevölkerung der Dritten Welt heute – im Unterschied zur Situation bis vor etwa 100 Jahren – als überflüssig“ (Arntz/Hinkelhammert 1994) gilt.
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auseinander zu setzen und beinhaltet gleichsam in einer unterhaltsamen Form eine Schuldumkehr.
Rassismus der Exklusion Rassismus scheint in den Repräsentationen der autochthonen Jugendlichen in dem Moment auf, in dem sie ihr Verhältnis zu ihren allochthonen KollegInnen reflektieren. Die Erzählung des Bedrohungsszenarios macht deutlich, wie die autochthonen Jugendlichen im Betrieb ihr Verhältnis zu den Allochthonen sehen. Ungeachtet des realen Interaktionsgeschehens entwerfen sie einen Mythos über die Anderen, die Fremden, welche den Eingesessenen die Nahrungsgrundlage rauben. Der Mythos wird just in dem Moment erzählt, in dem die Jugendlichen Stellung zum Ausgrenzungsvorwurf der Allochthonen beziehen sollen. Dem Rassismus kann hier nicht die Funktion der Verleugnung gemeinsam geteilter Unterdrückung als Lohnarbeiter zugewiesen werden. Der rassistische Mythos klärt hingegen über reale Gruppenverhältnisse auf, das heißt er entleert das Verhältnis zwischen den „Etablierten und den Außenseitern“ (Elias/Scotson 1990) durch Entpolitisierung und Enthistorisierung. Interessengegensätze zwischen den Allochthonen und Autochthonen – die sich auf der einen Seite als Privilegierungen zeigen und auf der anderen Seite mit Diskriminierungen einhergehen – juridische Unterschiede sowie das historisch gewachsene Verhältnis werden gereinigt und damit unschuldig gemacht. Statt eines Versuchs der Aufklärung von Asymmetrien im Verhältnis zueinander, wird festgestellt, dass es sich bei dem Verhältnis schon immer um die Eingesessenen und die Eindringlinge handelt, die etwas wegnehmen wollen. Somit wird die Ungleichheit als natürliche Ordnung dargestellt. Der Rassismus, wie er sich bei den autochthonen Jugendlichen zeigt, kann als Rassismus der Exklusion bezeichnet werden. Angesprochen auf ihr Selbstbild gegenüber den allochthonen KollegInnen antworten die Autochthonen mit binären Schemata, in denen sich, gleichsam spiegelbildlich, eigene positive Eigenschaften negativ gegenüberstehen. Es handelt sich hier um heterotope Selbst- und Fremdplatzierungen. Auf die Konfrontation mit durch die Eigengruppe zu verantwortender Ausgrenzungshandlung reagieren die autochthonen Jugendlichen mit einer Abwehrbewegung5 in der sprachlichen Form des Mythos über die illegitimen Anderen, die (ge)kommen (sind) um etwas wegzunehmen. 5
Der psychoanalytische Begriff der Abwehr meint die „Gesamtheit von Operationen, deren Finalität darin liegt, jede Modifikation einzuschränken oder zu unterdrücken, die geeignet ist, die Integrität und die Konstanz“ (Laplanche/Pontalis 1989: 24) eines Individuums oder kollektiver Subjekte anzugreifen.
Interaktionen, Fremd- und Selbstrepräsentationen
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Es ist kein Zufall, dass die rassistische Artikulation ihre Form im Mythos6 findet. Nach Roland Barthes fungiert der Mythos als eine Feststellung (vgl. Barthes 1998: 143). So stellen die autochthonen Jugendlichen mit ihren mythischen Erzählungen über die anderen fest, wie das Verhältnis zwischen ihnen als Einheimischen und Zugewanderten ist. Mit der tautologischen Wendung „es ist so, weil es so ist“, wird jedwede geschichtliche Einordnung oder mögliche politische Spezifik gelöscht (vgl. Becker/Schmidt 1967: 138). Dabei dient der rassistische Mythos nicht der Verkennung realer Gegebenheiten. Im Gegenteil, durch seine Tendenz, Komplexität zu reduzieren, stellt der rassistische Mythos das Verhältnis zwischen den Eingesessenen und den Zugewanderten in aller Klarheit heraus: Der Mythos leugnet nicht die Dinge, seine Funktion besteht im Gegenteil darin, von ihnen zu sprechen. Er reinigt sie nicht nur einfach, er macht sie unschuldig, er gründet sie als Natur und Ewigkeit, er gibt ihnen Klarheit, die nicht die der Erklärung ist, sondern die der Feststellung. (Barthes 1998: 131)
Dass die Fremdbilder gerade nicht anhand konkreter Vorlagen konstruiert werden, sondern in der Abwehrhaltung gegenüber einer Aufforderung zur Reflexion der Ingroup-Handlungen assoziiert werden, verweist auf das Vorhandensein eines Fundus an latentem Rassismus, welcher gespeist ist durch die Ideologie der Volksgemeinschaft „die in Notzeiten zusammenhalten muß“ (Becker/Schmidt 1967: 131), das heißt, in Zeiten des Umbaus des Sozialstaates die Form der Exklusion symbolisch repräsentiert.
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Jugendkulturelle Repräsentationen
Sowohl die autochthonen wie die allochthonen Jugendlichen identifizieren sich mit der „dissidenten Kultur des HipHop“ (Bronfen/Marius/Steffen 1997: 15). Unter den Rezipienten, ob allochthon oder autochthon, wird die Existenz von Marginalisierung bei den Interpreten anerkannt. Das Medium Rap wird in der interkulturellen und nicht-rassistischen Bildungsarbeit gerne zur Thematisierung von Marginalisierungserfahrungen eingesetzt. Entsprechend gab es auch im 6
Der Mythos benutzt eine Metasprache, in der zwei semiologische Systeme enthalten sind, „von denen eines im Verhältnis zum anderen verschoben ist: ein linguistisches System, die Sprache (oder die ihr gleichgestellten Darstellungsweisen)“ (Barthes 1998: 93), die Barthes eine Objektsprache nennt. Die Objektsprache des Mythos errichtet sich ein eigenes, ein sekundäres semiologisches System. Nach Barthes kann man die Logik der Objektsprache des Mythos dann erfassen, wenn man sich verdeutlicht, wie Objekte von mythischen Aussagen in Sprache, Fotographien, Gemälden und Plakaten etc. auf eine reine Funktion des Bedeutens reduziert werden (vgl. Barthes 1998: 92f.)
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evaluierten Antirassismus-Projekt eine Sequenz, in der jugendkulturelle Interessen aufgegriffen wurden. Da es jedoch zu keiner Form der Reflexion der behandelten Inhalte kam, soll hier auf einige Fallstricke hingewiesen werden, die sich ergeben, wenn kulturelle Angebote, beispielsweise im Rahmen von Hip-HopProjekten, ausschließlich reproduktiven Charakter haben: Indem einheimische Jugendliche sich mit den Inhalten schwarzer Hip-Hop-Musik auseinandersetzen, zeigen sie einerseits die Bereitschaft, Marginalisierungen wahrzunehmen. Sie können damit ihre eigene Position als Majorisierte transzendieren. Es kann dabei aber auch zu einer Selbststilisierung als Außenseiter oder als Exot kommen. Diese Selbststilisierung tut nicht weh und idealisiert die realen Bedingungen der ‘Vorbilder’. Die Idealisierung kann zur Verdrängung wirklicher Erfahrung führen. Die Inhalte der Vorlagen (Bilder, Texte und Videos) können als verdinglichte ‘kulturelle Ikonen’ einverleibt werden. Aber auch die Inhalte der Vorlagen von HipHop-Musik sind nicht unschuldig. Einige Rap-Bands haben mit antisemitischen Äußerungen in den USA für Aufregung gesorgt. Hier wäre wichtig zu thematisieren, dass Minorisierte nicht nur Opfer sind. Auch die machomäßige Stilisierung des ‘marignal man’ wäre zu demaskieren. Viele allochthone Jugendliche sehen gerade in der Stilisierung als ‘marginal man’ eine adäquate Repräsentation ihrer eigenen Ausgrenzungserfahrung. Die Falle besteht hier darin, dass sie bei der Aneignung dieser Produktionen den Stereotypen der Vorlagen aufsitzen. Das Wilde, das Ursprüngliche, die Freiheit, die der schwarze Körper im Hip-Hop präsentiert, suggeriert Befreiung, ist aber lediglich eine Fetischisierung, die mit nostalgischen Bildern über Schwarze spielt. Diese Fetischisierung spiegelt alte Vorstellungen von schwarzen Männern. Die Fixierung auf die unendliche große Stärke des vermeintlich widerstandsfähigen schwarzen Körpers führt eher zur Verleugnung der eigenen Verwundbarkeit und erfahrener Erniedrigung (vgl. Hooks 1994: 50f.) und befördert unrealistische Allmachtsphantasien. Das körperbezogene Machotum dient der Abwehr demütigender Erfahrung und führt nicht zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den Wirkungen der Marginalisierung.
5
Ausblick
Auf der Ebene der Erscheinung, bei den Selbst- und Fremdbeschreibungen der verschiedenen Gruppen im Ausbildungsbetrieb, hätte man den Eindruck gewinnen können, es gebe ‘ethnische’ bzw. national-kulturelle Zugehörigkeiten. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass die allochthonen Jugendlichen ‘Ethnizität’ im Zusammenhang mit Marginalisierungerfahrungen thematisieren. Jenseits des individuellen Herkunftskontextes bezeichnen sich die allochthonen Jugend-
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lichen als ‘schwarz’, womit sie auf ihre Marginalisierungserfahrungen verweisen. Da auch Alexander als De-Jure-Deutscher sich als ‘schwarz’ bezeichnet, zeigt sich gerade bei ihm welche Auswirkungen die Diskriminierungserfahrungen haben können. Aufgrund der verweigerten Zugehörigkeit durch die autochthonen Jugendlichen beschwört Alexander das ‘Pole’-Sein und fordert seinen Landsmann Thomas dazu auf, sich mit ihm ethnisch zu repräsentieren. Thomas kann diesen Strategien Alexanders nichts abgewinnen, er reagiert seinerseits auf die erfahrene Zurückweisung und Abwertung mit der stilisierten Darstellung des ‘marginal man’. Seine Vorbilder findet er in den Gangsta-Rappern. Und diese sind auch ‘schwarz’. Die Selbstethnisierungstendenzen von Alexander sind als Reaktionen auf Zurückweisung und Abwertung zu verstehen. Es handelt sich dabei nicht um ein ‘ethnic revival’, sondern um eine spezifische Antwort auf heterotope Platzierungen in der Konstellation Eingesessene – Zugewanderte. Obwohl Alexander als Spätaussiedlerabkömmling qua Gesetz deutscher Staatsbürger ist, hat auch er zu kämpfen mit der Identifikation und Zuschreibung als Anderer und der damit einhergehenden Abwertung. Die identifizierenden Strategien: die Selbstethnisierung und die Orientierung am ‘marginal man’-Image können den Jugendlichen nicht dazu dienen, ihre Erfahrungen mit Marginalisierung so zu repräsentieren, dass es zur Veränderung ihrer Situation kommt. Wenn Alexander die Migration letztlich als Bildungsgewinn beschreibt und Thomas über den Alltag in der internationalen Jugendclique erzählt, so handelt es sich um Selbstrepräsentationen, die keine eindeutige national-kulturelle Zuschreibung bei den allochthonen Jugendlichen zulassen. Ihre Erfahrungen mit Zugehörigkeiten sind mehrdeutig (hybrid) und spiegeln ihre Auseinandersetzung mit erlittener Demütigung und Marginalisierung. Ethnizität stellt im untersuchten Kontext für die allochthonen Jugendlichen keine Ressource dar. Wenn Alexander im Hinblick auf Diskriminierungserfahrungen im Ausbildungsbetrieb sich als ‘schwarz’ bezeichnet, so zeigt er damit an, dass es hinsichtlich der verweigerten Zugehörigkeit gemeinsame Erfahrungen der Allochthonen gibt, die im Sinne einer möglichen Gegenstrategie (empowerment) in die Waagschale zu werfen wären. Die rassistischen Positionierungen der autochthonen Jugendlichen machen deutlich, dass sie nicht auf der Basis von Deprivationserfahrungen oder Verunsicherung entstanden sind. Im Gegenteil, es sind gerade die Jugendlichen, die über hohes soziales Kapital verfügen, welche problematische Bilder über illegitime Andere entwerfen. Sie stimmen gerade dann in Erzählungen über die Anderen ein, wenn sie zu deren Unrechtserfahrungen befragt werden. Es mangelt folglich an einem Unrechtsbewusstsein, das Unrechtserfahrungen von Anderen anerkennt, die einen selbst nicht betreffen. Rassismus-kritische Ansätze müssen
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genau die Differenzierung in Richtung auf die Vielfältigkeit der Möglichkeiten, diskriminierenden Erfahrungen ausgesetzt zu sein, implizieren. Oft wird in der Diskussion um pädagogische Interventionen betont, wie wichtig es sei nach gemeinsamen Erfahrungen zu suchen, von denen aus solidarisches Handeln auszugehen habe. Meines Erachtens verhindert ein derartiger Zugang jedoch geradezu die unterschiedlichen Erfahrungen mit Diskriminierungen überhaupt zur Sprache zu bringen. Gerechtigkeitsorientierung in der pädagogischen Arbeit bedarf der Konfrontation verschiedener Erfahrungswelten in einem dialogischen Prozess (vgl. Freire 1987: 71ff.). Dabei dürfen nicht abstrakt moralische Handlungsempfehlungen gegeben werden. Es sollte situativ mit den betroffenen Parteien nach Verfahren zur schnellstmöglichen Beendigung diskriminierenden Verhaltens gesucht und symbolische wie praktische Wiedergutmachung realisiert werden. Wenn Subjektpositionen nicht als Standbild, als Einstellung, Charakter oder Mentalität einzufangen sind, sondern im kommunikativen Prozess entstehen und sich auch verändern, dann macht es wenig Sinn, nach Widersprüchlichkeiten (vgl. Leiprecht 2001: 441) in den Denk- und Handlungsweisen der Jugendlichen zu suchen, um die vermeintliche Verkennung anzugreifen. Artikuliert sich der Rassismus in der Form des Mythos, dann haben wir es gerade nicht mit Widersprüchen zu tun, im Gegenteil7: Schauen wir auf den Sinngehalt der mythischen Erzählungen, so wird uns das ‘wahre’ Verhältnis gespiegelt, das auf der Metaebene von Interaktionsgeschehen – auf der Beziehungsseite – anzusiedeln ist und dort verhandelbar wird. Das heißt, dass in einem viel größeren Ausmaß als bisher geschehen ein sehr vernachlässigter Aspekt von politischer Bildung und Aufklärungsarbeit, die Frage nach kooperativem oder ausgrenzendem Verhalten, gestellt werden muss. Der Beziehungsaspekt, die metakommunikative Ebene (Watzlawick 1990: 53ff.) treten ins Zentrum der Betrachtung, insbesondere deshalb, weil hier Dominanzverhältnisse in Erscheinung treten. Ihre interaktionsrelevanten Effekte sollten zum Gegenstand der Reflexion und Interaktion werden.
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Beim Mythos haben wir es mit einer semiologischen Verschiebung zu tun, eben mit einer anderen Sprache die sich der Technik des Bedeutens bedient: einer Objektsprache, die sich logischer Argumentationen verschließt, da sie in der Bedeutungszuweisung unhinterfragbare Fakten schafft.
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Teil III Bildung und Mobilität
Jugend in transnationalen Räumen Bildungslaufbahnen von Migrantenjugendlichen mit unterschiedlichem Rechtsstatus Sara Fürstenau und Heike Niedrig
In dem vorliegenden Beitrag geht es um die Bildungslaufbahnen und Zukunftsorientierungen von Jugendlichen im Kontext transnationaler Migration. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive ist es eine offene Frage, welche Auswirkungen die zunehmende Globalisierung, insbesondere die Internationalisierung des Bildungsmarkts und die individuelle Mobilität, auf die Bildungslaufbahnen von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher sozialer Herkunft haben. Wie Agnès van Zanten darlegt, scheinen die Angehörigen der ohnehin unterprivilegierten Schichten Verlierer auch dieser Entwicklung zu sein, da sie sich eher lokal orientierten und schwerer Anschluss an internationale Bildungsanforderungen wie Fremdsprachenerwerb fänden. Allerdings sieht van Zanten hier wichtige Unterschiede zwischen traditionell ansässigen Familien und mehrsprachigen Einwandererfamilien, die über Erfahrungen mit internationaler Mobilität verfügen. Letztere könnten in diesem Kontext auch neue Chancen sehen. Dies müsse ein Fokus für künftige Forschung sein (vgl. van Zanten 2005: 157). Inwiefern Transnationalisierungsprozesse Migrantenjugendlichen tatsächlich soziale Chancen eröffnen, hängt unseres Erachtens weitgehend von den politisch-legalen Rahmenbedingungen der Migration ab. Durch einen Vergleich der Ergebnisse aus zwei Forschungsprojekten zu Jugendlichen mit unterschiedlichem Rechtsstatus wollen wir diesen Zusammenhang genauer untersuchen. In der ersten Studie mit Jugendlichen portugiesischer Herkunft ging es um die Frage, unter welchen Umständen die aus familialer Praxis mitgebrachten, also nicht in erster Linie schulisch erzeugten und durch schulische Zertifikate ‘legitimierten’ sprachlich-kulturellen Kompetenzen Zugewanderter an Marktwert gewinnen und in Bourdieus Sinne als ‘Kapital’ fungieren (vgl. Bourdieu 1997). Um Auskünfte über erfolgversprechende Strategien und Potenziale zu erhalten, wurde die Stichprobe auf relativ bildungserfolgreiche Jugendliche eingegrenzt. Insgesamt wurden mit 27 Jugendlichen im Alter von 14 bis 23 Jahren, die bereits einen Schulabschluss erreicht hatten oder kurz davor standen,
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in einem Zeitraum von drei Jahren je ein bis zwei Leitfaden-Interviews durchgeführt. Der Leitfaden für die Interviews umfasste Fragen zum Spracherwerb und zum Sprachgebrauch, zu Migrationserfahrungen, zu Bildungsgeschichte und Schulerfahrungen, zur Bedeutung von portugiesischem muttersprachlichen Unterricht und zur Berufs- und Zukunftsorientierung (zur Anlage der Studie vgl. Fürstenau 2004a: 17ff.). In der zweiten Studie ging es um die Bildungslaufbahnen von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen aus Afrika. Die theoretische Rahmung und die grundlegende Fragestellung ist mit derjenigen der oben beschriebenen Studie vergleichbar, auch hier ging es um den Marktwert von mitgebrachtem und unter Migrationsbedingungen erworbenem kulturellen Kapital der befragten Jugendlichen. Von besonderem Interesse war bei dieser Zielgruppe allerdings die Frage danach, wie sich Migrations- und Bildungslaufbahnen unter den Bedingungen von Flucht und Asyl entwickeln. In einer ersten Forschungsphase wurden mit 76 Flüchtlingsjugendlichen teilstandardisierte kurze Befragungen zu in Afrika erworbenen Schulzertifikaten und Kompetenzen, schulischen Anschlüssen in Deutschland und weiteren Bildungszielen durchgeführt. Ergänzt wurde diese Erhebung durch eine Verbleibsstudie drei Jahre nach der ersten Befragung, bei der es unter anderem um die inzwischen erworbenen deutschen Bildungsabschlüsse ging. Mit zwölf Jugendlichen wurde zusätzlich ein ausführliches, qualitatives Interview geführt (zur Anlage der Studie vgl. Niedrig/Schroeder 2003: 30ff.). In beiden Studien wurden die Interviews transkribiert, theoretisch kodiert und in einem induktiv-deduktiven Verfahren ausgewertet.
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Transnationale Migrationsforschung
Die „transnationale Perspektive“ in der soziologischen Migrationsforschung hat sich in kritischer Absetzung von einer Perspektive auf Migration ausgebildet, die implizit und unhinterfragt davon ausgeht, dass der „soziale Raum“ einer Gesellschaft mit einem flächenräumlichen Territorium in eins zu setzen sei (vgl. Pries 1997: 27). Dieser „methodologische Nationalismus“ in der sozialwissenschaftlichen Forschung sei nicht in der Lage, durch Migration bedingte, nationalstaatliche Grenzen überschreitende Phänomene der Vergemeinschaftung angemessen wahrzunehmen und zu analysieren (vgl. Wimmer/ Schiller 2002). So liege der „klassischen Migrationsforschung“ ein Container-Raumkonzept zugrunde, und Migrationsbewegungen würden als unidirektionale Wanderungen von einem Container-Raum in den anderen wahrgenommen. Dies führe zu einer einseitigen Fokussierung von Migrationsmotiven einerseits, von Integrationsund Assimilationsprozessen in der Aufnahmegesellschaft andererseits (vgl.
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Pries 1997: 30f.). Die Transnationalismus-Forschung hingegen versteht sich als eine neue, ergänzende und korrigierende Forschungsperspektive, die das Phänomen mehrfacher und mehrdirektionaler Wanderungen in den Blick nimmt: Durch damit einhergehende „komplexe soziale Verflechtungsbeziehungen“ bildeten sich ‚transnationale soziale Räume’ heraus, welche als „ein neuer Bereich sozialer Lebenswelt quer zu der Ankunfts- und Herkunftsgesellschaft“ beschrieben werden (vgl. Goebel/Pries 2003: 37). Vertreter der traditionellen Migrationssoziologie verteidigen demgegenüber den Anspruch, mit einer (erweiterten) Assimilations- und Integrationstheorie alle Formen von Migrationsprozessen angemessen beschreiben zu können (vgl. Alba/Nee 1999; Esser 2001). Sie machen mit ihrer Kritik am Konzept transnationaler Migration auf folgende Fragen aufmerksam, die wir in unserem Beitrag anhand empirischer Untersuchungsergebnisse weiter verfolgen: 1.
2.
Die erste Frage betrifft die übergenerationale Stabilität von transnationalen sozialen Räumen. Kritiker werfen den „Transnationalisten“ vor, nichts weiter als altbekannte Übergangsphänomene zu beobachten: Starke soziale Bindungen an die Herkunftsgesellschaft seien typisch für die so genannte erste Generation von ImmigrantInnen; die endgültige soziale Abkopplung vom Herkunftsland und zugleich Integration in die Aufnahmegesellschaft werde dann in der zweiten oder spätestens dritten Generation vollzogen. Die fortgesetzte soziale Integration in die ethnische Herkunftsgruppe impliziere im Hinblick auf die Sozialintegration in die Aufnahmegesellschaft eine nicht wünschenswerte „ethnische Segmentierung“ und sei meistens ein Zeichen für Migrationsmisserfolg (vgl. Esser 2001: 103). Für uns stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Möglichkeit und den Formen übergenerationaler Stabilität transnationaler sozialer Räume, weil wir das Konzept auf die Lebenswelten Jugendlicher beziehen. Unsere Untersuchungen geben unter anderem Aufschluss darüber, welchen Stellenwert transnationale Orientierungen für Sozialisations- und Bildungsverläufe haben können. Der zweite Kritikpunkt richtet sich auf die Vernachlässigung sozialer Ungleichheit in der Transnationalismus-Forschung, das heißt, der Frage, inwiefern den ImmigrantInnen eine gleichberechtigte Teilhabe an den Ressourcen der Aufnahmegesellschaft gelingt (vgl. Bommes 2002: 95). Die Teilhabe wäre im positiven Ergebnis als erfolgreiche strukturelle Assimilation zu bezeichnen und schließe eine fortbestehende Integration in die ethnische Herkunftsgesellschaft nahezu aus, da solch eine Mehrfachintegration zwar theoretisch denkbar, aber praktisch völlig unwahrscheinlich sei (vgl. Esser 2001: 99). Unser Beitrag fokussiert daher auf Fragen der sozia-
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3.
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Sara Fürstenau und Heike Niedrig
len Positionierung von Migrantenjugendlichen und ist somit ein Beitrag zur sozialen Ungleichheitsforschung. Wir fragen, wie sich die sozialen Positionierungen innerhalb der Stichproben im Spannungsfeld gesellschaftlicher Ein- und Ausgrenzung und im Kontext transnationaler Mobilität erfassen lassen, was die Frage nach der Bedeutung sogenannter Mehrfachintegration impliziert. Ein wichtiger Zusammenhang für unsere Betrachtung sind (Aus)-Bildungsverläufe und -orientierungen. Aufgrund der Konzentration auf erwachsene MigrantInnen stehen in der einschlägigen Literatur bisher die erwerbsbiografischen Projekte und der Transfer von ökonomischem Kapital im Mittelpunkt. Wir richten den Blick demgegenüber auf bildungsbiografische Projekte, das in diesem Zusammenhang akkumulierte kulturelle Kapital und seine Transferierbarkeit. Schließlich wird Kritik an einem unzureichend reflektierten Konzept des „Raums“ im Begriff des „transnationalen sozialen Raums“ geübt (vgl. Bommes 2002: 93ff.). Diese Kritik wurde von Vertretern des Transnationalismus-Ansatzes aufgegriffen und eine genauere Auseinandersetzung mit dem Raumbegriff als Desiderat formuliert. Die Frage des angemessenen Konzepts von „Raum“ eröffnet ein weites Feld, das wir hier nicht erörtern können.1 Im Kontext unseres Interesses an sozialen Positionierungen wollen wir den Begriff „transnationaler sozialer Raum“ im Sinne einer Erweiterung des (metaphorischen) Begriffs „sozialer Raum“ von Pierre Bourdieu fassen (vgl. Bourdieu 1985). Bei Bourdieus Begriff des „sozialen Raums“ handelt es sich um ein Modell zur Erfassung sozialer Ungleichheitsverhältnisse, wobei Bourdieu die in Sozialschichten-Modellen übliche rein vertikale Abstufung um eine horizontale Dimension sozial relevanter Differenzierung erweitert. Ausgehend von einer umfassenden Erhebung von Sozialdaten im Frankreich der 1970er Jahre zeigt Bourdieu, wie sich soziale (Berufs-)Gruppen gemäß des von ihnen akkumulierten ökonomischen und kulturellen Kapitals in Relation zu allen anderen Gruppen in Frankreich in diesem „sozialen Raum“ positionieren, und zwar sowohl in einer vertikalen Verteilung anhand des absoluten Kapitalvolumens als auch in einer horizontalen Ausdifferenzierung mit Blick auf das jeweilige Verhältnis von ökonomischem zu kulturellem Kapital (vgl. Bourdieu [1979] 1996). Insofern Bourdieu seine Analyse auf die französische Gesellschaft begrenzt, impliziert seine Fassung des „sozialen Raums“ als Topologie sozialer Machtstrukturen in gewisser Weise auch eine – national begrenzte – Container-Raum-Perspektive. Es besteht aus unserer Sicht daher die Heraus-
Überblicke über soziologische Raumkonzepte geben Löw 2001 sowie Schröer 2006.
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forderung, diese nationalstaatlich begrenzte Perspektive auf soziale Positionierungen aus einer transnationalen Perspektive zu erweitern. Dabei bietet sich ein Anknüpfungspunkt in den Definitionsversuchen von Pries, in denen er (unter Bezug auf Bourdieu) ausführt, dass die über den Sozialzusammenhang von Nationalgesellschaften hinausweisenden transnationalen sozialen Räume sich dadurch auszeichneten, dass sie „ein eigenständiges System der sozialen Positionierung herausbilden“ (Pries 1998: 78, H. i. O.): Transnationale Migranten verorten sich selbst gleichzeitig im System sozialer Ungleichheit ihrer Herkunftsgemeinde und in der Sozialstruktur ihrer Ankunftsgemeinde. […] In dem Maße, wie sich die Migranten selbst ‘zwischen den Welten’ bewegen, verschmelzen diese unterschiedlichen Referenzstrukturen zu einem qualitativ neuen, eigenständigen und in der Regel sehr widersprüchlichen System sozialer Differenzierung. (ebd., H. i. O.)
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Empirische Untersuchungen: Jugend in transnationalen Räumen
2.1 Arbeitsmigration und Fluchtmigration – vier Fallbeispiele Wir stellen im Folgenden vier Jugendliche vor, zwei portugiesischer und zwei afrikanischer Herkunft. Alle vier sind in transnationale soziale Räume eingebunden, aber ihre Bildungslaufbahnen und Zukunftschancen werden durch unterschiedliche politisch-legale und soziale Bedingungen der Migration beeinflusst. In der Stichprobe der Jugendlichen portugiesischer Herkunft sind in den meisten Fällen die Eltern (oder sogar Großeltern) der Befragten während der Arbeitskräfteanwerbung in den 1960er- und 1970er-Jahren als so genannte GastarbeiterInnen nach Deutschland gekommen. Obwohl die große Mehrheit der Jugendlichen somit zu der Gruppe gehört, die oft als die ‘zweite’ oder ‘dritte’ Generation der Zugewanderten bezeichnet wird, verfügen 12 der 27 Befragten über eigene Migrationserfahrungen. Sie wurden entweder in Portugal geboren und kamen von dort nach Deutschland, oder sie wurden in Hamburg geboren und waren von Pendelmigrationen zwischen Hamburg und Portugal betroffen. Auch diejenigen, die ihren Lebensmittelpunkt immer in Hamburg hatten, verbrachten regelmäßige Urlaube in Portugal. Für die Lebensentwürfe und Zukunftschancen der Jugendlichen ist es eine grundlegende Bedingung, dass sie den Status von EU-BürgerInnen innehaben. Dieser Status impliziert die Möglichkeit uneingeschränkter transnationaler Mobilität zwischen Herkunfts- und Ankunftsregionen der familialen Migration. Beim Vergleich mit den Jugendlichen afrikanischer Herkunft stellt sich die Frage: Was unterscheidet Flüchtlingsjugendliche von Arbeitsmigrantenkindern
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in Deutschland? Die Abgrenzung ist keineswegs einfach, denn politische, wirtschaftliche und persönliche Hintergründe und Motive waren bei vielen der von uns befragten Flüchtlingsjugendlichen bei der Migrationsentscheidung untrennbar miteinander verflochten. Gemeinsam allerdings ist ‘Flüchtlingen’ zum einen, dass sie per Definition nicht aus einem EU-Land stammen, in der Regel kommen sie aus der Peripherie der globalisierten Welt. Zum anderen werden sie durch ihren Rechtsstatus in Deutschland zum ‘Flüchtling’ gemacht. Der weitaus größte Teil der von uns befragten Jugendlichen (61 von 76, also 80%) hatte einen sehr unsicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland, das heißt, entweder eine Aufenthaltsgestattung (während eines laufenden Asylverfahrens) oder eine Duldung, das heißt die Bescheinigung über eine befristete Aussetzung der Abschiebung – meist nach einer gerichtlichen Ablehnung des Asylgesuchs. Zehn Jugendliche hatten eine Aufenthaltsbefugnis, die ebenfalls als unsicherer Aufenthaltsstatus gilt, jedoch im Unterschied zur Duldung auf lange Sicht eine Zukunftsperspektive in Deutschland eröffnet. Lediglich fünf besaßen einen sicheren Aufenthaltsstatus. Dieser politisch-legale Rahmen prägt alle Lebensbereiche der Flüchtlingsjugendlichen. Im Unterschied zu den portugiesischstämmigen Jugendlichen sind die von uns befragten Flüchtlingsjugendlichen ausnahmslos selbst im Jugendalter nach Hamburg migriert. Die meisten befinden sich hier in der belastenden Situation, dass sie ihren Lebensmittelpunkt gern auf Dauer in Deutschland etablieren möchten, es aber aus rechtlichen Gründen auf unabsehbare Zeit nicht dürfen. Transnationale Orientierungen, Bildungsambitionen und soziale Positionierungen werden von diesen Lebensbedingungen massiv beeinflusst und eingeschränkt, was, wie die folgenden Fallbeispiele zeigen, im Vergleich mit der Situation von Migrantenjugendlichen aus einem EU-Land besonders deutlich wird.
Fallbeispiele (1) Zwei Kinder portugiesischer ArbeitsmigrantInnen Sandra und Luís wurden in Hamburg geboren. Ihre Eltern waren portugiesische ArbeitsmigrantInnen mit sehr geringer formaler Bildung. Während Sandra in Hamburg aufwuchs, wurde Luís im Alter von einem Jahr zu den Großeltern nach Portugal gebracht. Dort besuchte er die Schule bis zur vierten Grundschulklasse. Die Eltern sah er während der Ferien in Portugal oder auch in Hamburg, und als Luís 11 Jahre alt war, beschloss er, zu ihnen nach Hamburg zu ziehen. Er lernte in einer speziellen Vorbereitungsklasse Deutsch, kam an eine Hauptschule, dann an eine Realschule, dann an eine Höhere Handelsschule und er-
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reichte so die Fachhochschulreife. Solche Karrieren über Umwege sind nicht untypisch für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die im deutschen Bildungssystem hohe Bildungsaspirationen verfolgen. Auch Sandra war zunächst an einer Realschule und erreichte im Anschluss daran die Hochschulreife an einem Aufbaugymnasium. Beide, Sandra und Luís, besuchten am Nachmittag nach der Schule kontinuierlich über viele Jahre Portugiesischunterricht, der in Hamburg von der katholischen portugiesischen Mission für die portugiesische Community organisiert wird. Luís erhielt nach der Schule einen Ausbildungsplatz als Groß- und Außenhandelskaufmann im dualen Berufsbildungssystem. Anders als erwartet, wurde er später im Ausbildungsbetrieb nicht übernommen und war arbeitslos. Während der Ausbildung hatte er ein Berufspraktikum in Portugal absolviert, und als sich die Arbeitssuche in Hamburg schwierig gestaltete, beschloss er, sich auch bei Betrieben in Portugal zu bewerben. Als EUBürger wurde er während einer dreimonatigen Arbeitssuche in Portugal vom Arbeitsamt unterstützt. Seine Bewerbung bei einem deutschen Betrieb in Portugal war erfolgreich. Luís lebt nun in Portugal im eigenen Haus der Eltern in der Nähe seiner Verwandten und seiner Freunde aus der Grundschulzeit. Er ist regelmäßig bei seinen Eltern und Freunden in Hamburg zu Besuch. Sandra wollte nach dem Abitur Sprachen studieren und Lehrerin werden. Auf ihre Bewerbung erhielt sie gleichzeitig Studienplätze in Hamburg und in Portugal, in der Herkunftsgegend ihrer Familie. Sie entschied sich für ein Studium in Portugal, weil sie meinte, sie könnte sich mit der Kombination von deutschem Abitur und Studienabschluss in Portugal Lebens- und Arbeitsoptionen in beiden Ländern eröffnen. Für ihre Entscheidung war außerdem wichtig, dass die Aufnahme eines Studiums in Portugal in ihrem sozialen Netzwerk in Hamburg verbreitet war. Sie hatte zum Beispiel einige Cousinen und Cousins, die bereits zum Studium in ihren Herkunftsort nach Portugal gegangen waren und die ihr die Ankunft dort erleichterten. Während des Studiums bewohnte Sandra das Haus ihrer Eltern in Portugal. Inzwischen arbeitet sie dort als Lehrerin. Auch Sandra ist nach wie vor regelmäßig in Hamburg, wo ihre Eltern und ihr Bruder weiterhin leben. Sandra und Luís ist ein sozialer Aufstieg aus dem GastarbeiterInnenmilieu gelungen. Am Beispiel von Sandras Laufbahn sei kurz skizziert, wie sich die Mobilität zwischen Deutschland und Portugal auf soziale Positionen auswirken kann: Als Studentin hatte Sandra in Portugal einen distinguierten sozialen Status, denn aufgrund ihrer Deutschkenntnisse war sie im Lehramtsstudium eine der Besten (Deutsch ist in Portugal Schulfremdsprache), sie gehörte einem sozialen Netzwerk erfolgreicher (Re-)MigrantInnen an, von denen viele an der Universität studierten, und sie bewohnte das großzügige Haus der Familie. Zwar hatte Sandra auch in Hamburg einen Studienplatz erhalten. Hier wäre sie an der
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Universität aufgrund ihres Migrationshintergrundes jedoch Angehörige einer insgesamt bildungsbenachteiligten Minderheit geblieben und sie hätte weiterhin bei ihren Eltern in einer kleinen Mietwohnung gelebt. Sandra und Luís bewegen sich, wie viele Jugendliche portugiesischer Herkunft, in transnationalen sozialen Netzwerken: Sie sind in die Herkunfts- und Ankunftsgesellschaften der Migration integriert und außerdem orientieren sie sich in den Communities der (Re-)MigrantInnen in Deutschland und Portugal. In ihren Lebensentwürfen unterliegt transnationale Mobilität keinen rechtlichen Einschränkungen. Das war für ihre Eltern – für die sogenannten GastarbeiterInnen – noch anders. Die Jugendlichen haben also einen sozialen Aufstieg von ArbeitsmigrantInnen zu EU-BürgerInnen erlebt (für portugiesische StaatsbürgerInnen 1992). Die Fälle von Sandra und Luís zeigen, dass dieser Aufstieg Ausbildungsmöglichkeiten und Optionen für soziale Karrieren erweitern kann. Den Jugendlichen ist es insbesondere möglich, sich Zukunftsoptionen in der Herkunfts- und Ankunftsregion der Migration offen zu halten, wovon Sandra und Luís profitieren. Luís geht zum Beispiel davon aus, dass er als Transmigrant besondere Aufstiegschancen in seiner international agierenden Firma hat. Er möchte im Bereich Im- und Export Karriere machen, wobei er seine Sprachkenntnisse und seine Bereitschaft zur Mobilität als förderlich ansieht.
(2) Zwei Flüchtlingsjugendliche Marta aus Äthiopien und Kanyamougire aus Burundi kamen beide im Alter von etwa 14 Jahren als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Hamburg: Martas Vater war nach einem Regierungswechsel verhaftet und ihre Familie immer wieder von der Polizei drangsaliert worden; Kanyamougires Familie war bei einem ethnisch motivierten Massaker ums Leben gekommen. Beide stellten einen Asylantrag und in beiden Fällen wurde dieser abgelehnt, das heißt, die jungen Flüchtlinge waren von da an ausreisepflichtig. Da man die Minderjährigen aber nicht ohne Weiteres abschieben konnte, erhielten sie wie viele andere Jugendliche in ihrer Lage eine sogenannte Duldung. Die Bildungshintergründe der beiden Jugendlichen sind denkbar unterschiedlich: Martas Mutter ist Analphabetin, der Vater hatte die Schule ohne Abschluss verlassen, um zur Armee zu gehen. Marta besuchte acht Jahre lang die Schule in einer Klasse mit über 80 Kindern, ohne allzu viel zu lernen. Dennoch schafft sie dann in Hamburg mit viel persönlicher Unterstützung durch ihre private Vormünderin und mit Nachhilfe den Realschulabschluss in einer speziellen Flüchtlingsklasse. Kanyamougire hingegen kommt aus einer sehr bildungsorientierten Familie. Sein Vater war Geschichtsprofessor, auch seine Mutter und
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andere Verwandte bezeichnet er als „Intellektuelle“. Er erhielt eine exzellente Schulausbildung und erwarb sowohl in der Familie als auch in der Schule hervorragende Französisch- und Englischkenntnisse. Sein Wunsch war es ursprünglich, Medizin oder Informatik zu studieren. Ohne jegliche Unterstützung schafft er den Realschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 2,0 und zwar in einer Berufsfachschulklasse, in der er der einzige Schüler ist, der nicht in Deutschland geboren wurde. – Aber weder er noch Marta können im Anschluss eine Ausbildung beginnen, da sie aufgrund ihrer Duldung keine Arbeitserlaubnis erhalten. Im Folgenden entwickeln sich ihre Aufenthalts- und Bildungskarrieren sehr unterschiedlich: Marta hatte Glück und wurde nach mehreren Jahren der Angst und Unsicherheit kurz vor ihrem 18. Geburtstag von ihrer Vormünderin adoptiert. Mit der Adoption wurde sie zur Deutschen und ihre Bildungsperspektiven änderten sich grundsätzlich: Sie begann sofort mit einer Ausbildung zur „sozialpädagogische Assistentin“ (Erzieherin). Inzwischen hat sie eine Stelle in einem Kindergarten und ist finanziell unabhängig. Kanyamougires Aufenthaltsstatus hingegen verbesserte sich zwar zwischenzeitlich für einige Monate, weil rechtliche Abschiebehindernisse für Burundi anerkannt wurden und er eine Aufenthaltsbefugnis erhielt, die den Zugang zu einer Arbeitserlaubnis prinzipiell ermöglicht. In dieser Zeit fand er über eine Zeitarbeitsfirma eine Stelle als Abteilungsleiter in einem Kaufhaus und er plante mit Hilfe dieses Verdienstes seine weitere Schulbildung (Abendschule: Fachabitur und Fachhochschulstudium) zu finanzieren. Weil aber die burundische Botschaft sich weigerte, ihm Identitätspapiere auszustellen, zog die Ausländerbehörde den Schluss, dass er seine Identität verschleiere. Sie entzog ihm die Aufenthaltsbefugnis und belegte ihn sogar mit einem ausdrücklichen Arbeitsverbot, sodass er keinerlei weitere Bildungsperspektiven in Deutschland hatte. Beide Flüchtlingsjugendliche wurden als Minderjährige – zumindest zeitweilig – in das deutsche Bildungssystem integriert und konnten in Form eines Realschulabschlusses ‘legitimes kulturelles Kapital’ des Aufnahmelandes erwerben. Aufgrund ihres unterschiedlichen rechtlichen Status in Deutschland unterscheiden sich jedoch ihre Möglichkeiten, aus diesem und aus dem mitgebrachten kulturellen Kapital Nutzen für ihre soziale Laufbahn zu ziehen: Marta kann als deutsche Staatsangehörige eine Ausbildung machen, ist BAföGberechtigt, verdient zudem neben der Ausbildung durch Schülerjobs Geld und findet schließlich eine Arbeitsstelle. Für Kanyamougire hingegen bedeutet die Flucht nach Deutschland einen klaren sozialen Abstieg vom Professorensohn zum geduldeten Flüchtling ohne jegliche Bildungs- und Berufsperspektive. Beide Jugendliche haben grenzüberschreitende Kontakte, doch hat der legale Status große Auswirkung auch auf die Bedeutung des transnationalen ‘so-
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zialen Kapitals’. Mit dem deutschen Pass kann Marta – fünf Jahre nach ihrer Ankunft in Hamburg – das erste Mal Deutschland verlassen und sie macht sich während der Schulferien auf die Suche nach ihren Familienangehörigen in Äthiopien, die als verschollen gelten. Dort findet sie ihre Mutter und die beiden jüngeren Geschwister, die bei einer Tante in einem kleinen Dorf am Rande der Sahelzone Unterschlupf gefunden hatten. Mit Hilfe ihrer Ersparnisse kann sie der Mutter dabei helfen, das Familienhaus in Addis Abeba, das zwischenzeitlich von einer anderen Großfamilie bewohnt wurde, wieder ‘auszulösen’, und sie hilft ihr beim Aufbau einer kleinen wirtschaftlichen Existenz im informellen Handel. Seither hält Marta telefonisch und durch Reisen intensiven Kontakt mit ihrer Familie und Freundinnen in Äthiopien und transferiert zuverlässig Geld. Ihre gelungene Sozialintegration in Deutschland erweist sich somit als Basis für ihr transnationales Engagement und für die Unterstützung ihrer Familie in Äthiopien. Kanyamougire hingegen kann seine transnationalen Kontakte nur ‘im Untergrund’ knüpfen. Im informellen Gespräch erfahren wir, dass es ihm trotz der strengen Mobilitätsbegrenzung von AsylbewerberInnen und geduldeten Flüchtlingen gelungen ist, Kontakte zu Landsleuten in Paris und in Spanien aufzubauen und durch Besuche zu pflegen. Eine der Familien in Paris, so berichtet er, stamme aus demselben Dorf wie seine Familie; er spricht von ihr als von einer Art ‘Wahlfamilie’. In einer interessanten Mischung aus familiärem ‘Arrangement’ und Liebesbeziehung wird seine Hochzeit mit einer der Töchter geplant, die die französische Staatsangehörigkeit besitzt. Sollte Kanyamougire auf diesem Wege einen legalen Aufenthaltsstatus in Frankreich erwerben können, so will er seine weitere Bildungslaufbahn dadurch finanzieren, dass er in Kooperation mit dem Vater eines Hamburger Freundes ein ‘Call-Center’ in Paris aufbauen wird. Kurz nachdem er uns von diesen Plänen berichtet hat, ist Kanyamougire ‘untergetaucht’ und der Kontakt brach ab.
2.2 Zentrale Ergebnisse und Vergleich Im Folgenden fassen wir zentrale Ergebnisse aus den Studien unter Jugendlichen portugiesischer und afrikanischer Herkunft zusammen, wobei wir uns auf transnationale Orientierungen und soziale Positionierungen konzentrieren und eine vergleichende Perspektive einnehmen.
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(1) Transnationale Orientierungen Im Falle der Jugendlichen portugiesischer Herkunft wurde die Identifikation der Befragten mit Portugal dadurch verstärkt, dass viele von ihnen mit der Ankündigung einer ‘späteren Rückkehr’ der Familie ins Land der ‘Heimat’ aufwuchsen. Die Komplexität der familialen Migrationsprojekte wird jedoch reduziert, wenn von ‘Rückkehrprojekten’ die Rede ist. Die Qualität der (geplanten) Remigrationen ist vielmehr im Kontext der Unabgeschlossenheit der Wanderungsbewegungen zu verstehen. ‘Rückkehr’ ist für die Jugendlichen eine Option, die den einzelnen Familienangehörigen innerhalb enger transnationaler verwandtschaftlicher Netzwerke über Generationen hinweg erhalten bleibt, was für den Weg (zurück) von Portugal nach Deutschland meistens ebenso gilt. ‘Rückkehr’ nach Portugal muss also nicht endgültig sein, stellt aber gleichzeitig eine realistische Möglichkeit dar, die in einigen Fällen durch die Option, in andere Zielländer der familiären Migration zu gehen, ergänzt wird (vgl. auch Klimt 2003: 212). Die Jugendlichen empfinden die familialen (Re-)Migrationsabsichten dabei selten als Einengung der Zukunftsperspektiven. Vielmehr beschreiben sie transnationale Familienkonstellationen zumeist als offene Spielräume, innerhalb derer sie mobil sein und ihren Erfahrungshorizont erweitern können. Mögliche (Aus-)Bildungswege in Deutschland und in Portugal und (potenzielle) Mobilität zwischen Herkunfts- und Ankunftsregionen haben in den Interviews nicht nur eine individuelle, sondern auch eine soziale Dimension. Die Befragten thematisierten transnationale Laufbahnen unabhängig davon, ob sie selbst einen Wechsel nach Portugal anstrebten oder nicht. Oft wurde von Freunden oder Bekannten berichtet, die sich nach Portugal orientierten oder dort lebten. Innerhalb ihrer Netzwerke lernten die Jugendlichen also sozial institutionalisierte transnationale Laufbahnen kennen (vgl. Fürstenau 2004b). Ihnen standen darüber hinaus die Angebote verschiedener Institutionen zur Verfügung, um eventuelle transnationale (Aus-)Bildungswege und Berufsübergänge zu ebnen. Dabei handelte es sich zumeist um Angebote innerhalb der portugiesischen Community. So wie Sandra und Luís nutzten die meisten Befragten den nachmittäglichen Portugiesischunterricht, in dessen Rahmen zum Beispiel spezielle Kurse angeboten werden, die Schülerinnen und Schüler auf ein Studium in Portugal vorbereiten. Auffällig ist, dass solche Angebote innerhalb der MigrantInnen-Community bestehen, während eine Vorbereitung transnationaler Laufbahnen für die Kinder von ArbeitsmigrantInnen im staatlichen Bildungssystem nicht vorgesehen ist und die Förderung migrationsbedingter Ressourcen (zum Beispiel Minderheitensprachen) hier eine Ausnahme darstellt. Für afrikanische Flüchtlingsjugendliche ist transnationale Vernetzung, wie bei Kanyamougire, häufig nur klandestin möglich. Ihre Strategien verdeutlichen
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die Paradoxie der Flüchtlingssituation: Durch die Verweigerung eines dauerhaften Aufenthalts in Deutschland werden Integrationsperspektiven blockiert, was dem erklärten Ziel der deutschen Asylpolitik, die Rückkehrwilligkeit der Flüchtlinge zu fördern, entspricht. Die Rückkehrorientierung wird also gezielt forciert. Gleichzeitig werden aber durch die strenge Residenzpflicht und Reiseverbote reale transnationale Kontakte und Beziehungspflege stark beschnitten bzw. in den ‘Untergrund’ gedrängt. Insofern werden die Flüchtlinge zwar theoretisch auf eine Rückkehr verpflichtet, in ihrem praktischen Bewegungs- und Kommunikationsspielraum aber auf einen eng umgrenzten Bezirk innerhalb der Ankunftsgesellschaft festgelegt. Im offiziellen Interview negierten die Jugendlichen in aller Regel jeglichen Kontakt ins Herkunftsland. Gelegentlich räumten dieselben Jugendlichen in informellen Vor- und Nachgesprächen jedoch Kontakte zu Verwandten und Bekannten im Herkunftsland ein. Manche berichteten zudem gar – wie Kanyamougire – von grenzüberschreitenden Reisen, obgleich bei einer Grenzkontrolle ein Wiedereinreiseverbot nach Deutschland drohte. Unsere Studie hat insgesamt ergeben, dass die Jugendlichen afrikanischer Herkunft ihre Zukunft, anders als die Jugendlichen portugiesischer Herkunft, eher selten im Herkunftsland planen. Ursachen hierfür sind das große ökonomische Gefälle, mangelnde berufliche Perspektiven, selbst für gut ausgebildete junge Leute, sowie politisch-soziale Instabilität in vielen afrikanischen Ländern. Sofern familiale Kontakte in afrikanischen Ländern bestehen, werden diese aber als sehr wichtig eingeschätzt und im Rahmen der Möglichkeiten gepflegt. Wenn die Jugendlichen die Möglichkeit dazu haben, kann die finanzielle Unterstützung der Herkunftsfamilie, wie im Fall von Marta, zu einem wichtigen Teil ihrer Lebensplanung werden.
(2) Soziale Positionierungen Einige der befragten Jugendlichen portugiesischer Herkunft gehen davon aus, dass sie als Kinder oder Enkelkinder von ArbeitsmigrantInnen ihre Berufs- und Zukunftschancen durch den Einsatz von Mobilität erhöhen können. Viele von ihnen vergleichen Optionen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt der Einwanderungs- und der Herkunftsgesellschaft in dem Bewusstsein, dass die soziale Position als Migrantin oder Migrant prekär ist. Die Möglichkeit, den Weg von der Schule in den Arbeitsmarkt in Portugal fortzusetzen, wird von den Jugendlichen zunächst als zusätzliche Absicherung beschrieben – nach dem Motto: ‘Wenn es hier nicht klappt, dann vielleicht dort’. Die absichernde Funktion transnationaler Laufbahnen kann vor dem Hintergrund der schwierigen Situation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verstanden werden. Als Jugendli-
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che, die über verwandtschaftliche oder andere soziale Beziehungen in einem transnationalen sozialen Raum verfügen, betrachten die Befragten Ausbildungsund berufliche Optionen außerhalb von Deutschland als Alternativen, auf die sie – wie Luís, als er arbeitslos wurde – bei Bedarf oder im Notfall zurückgreifen können. Die Jugendlichen thematisieren transnationale Laufbahnen außerdem im Zusammenhang mit sozialem Aufstieg. Tendenziell gehen sie davon aus, als ‘RemigrantInnen’ im Herkunftsland eine höhere soziale Position einzunehmen als in der Rolle als ‘Ausländerinnen und Ausländer’, in der sie sich – trotz struktureller Assimilation – in Deutschland sehen und aus der sie nur schwer herauszukommen meinen. Die transnationalen Laufbahnen können vor diesem Hintergrund als Strategien gesehen werden, (Aus-)Bildungserfolg unter möglichst günstigen sozialen Bedingungen anzustreben. In der Einwanderungsgesellschaft nehmen die Jugendlichen eine Blickrichtung ein, die sich von der Peripherie auf die Metropole bzw. aus der Position einer Minderheit auf die Mehrheitsgesellschaft mit ihren dominanten Normen richtet. Aus dieser Perspektive sind migrationsbedingte sprachlich-kulturelle Kompetenzen unter Umständen zwar verwertbar, stellen aber neben den als ‘legitim’ geltenden kulturellen Praktiken im Einwanderungsland selten ein ‘Kapital’ dar. Wenn, wie in den Beispielen von Sandra und Luís, der erfolgreiche Einstieg in den (Aus-)Bildungs- oder Arbeitsmarkt der Einwanderungsgesellschaft gelungen ist, sehen sich die Jugendlichen aber gleichzeitig als InhaberInnen von ‘Metropolenkapital’ (Luís: Berufsausbildung im deutschen dualen System, Sandra: deutsches Abitur und deutsche Sprachkenntnisse). Bei einer transnationalen Orientierung wägen sie ab, ob sich ihnen aufgrund der internationalen Verflechtungen auf dem Arbeitsmarkt Perspektiven auftun und ob in diesem Zusammenhang eine Nachfrage nach ihren migrationsbedingten Kompetenzen besteht. Die Bildungslaufbahnen von Jugendlichen mit einem Flüchtlingsstatus sind von weitaus ungünstigeren sozialen Bedingungen der Migration geprägt. Nur wenigen gelingt die rechtliche Integration durch Anerkennung asylrelevanter Fluchtgründe oder auch durch Adoption, wie im Falle Martas. Martas soziale Positionierung ist dabei als durchaus widersprüchlich zu charakterisieren. Innerhalb der deutschen Berufshierarchie ist die Position der „sozialpädagogischen Assistentin“ in einem Kindergarten nicht mit allzu hohem Prestige besetzt, aber immerhin handelt es sich um eine anerkannte Ausbildung. In Äthiopien hingegen gibt es das Berufsbild ‘Erzieherin’ gar nicht, auf dem dortigen Arbeitsmarkt wäre ihre Qualifikation vollkommen nutzlos. Dennoch führte die Flucht nach Deutschland im Ergebnis zu einem sozialen Aufstieg gegenüber der Herkunftsfamilie. Dieser Aufstieg lässt sich nicht allein an Martas sozialer Positionierung innerhalb des deutschen Bezugsrahmens festmachen. Berücksichtigt werden müssen darüber hinaus das ökonomische Gefälle zwischen Herkunfts- und Auf-
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nahmeland sowie die symbolische Aufwertung, die ein kulturelles Kapital durch den Ort des Erwerbs (‘Metropolenkapital’, siehe oben) erfahren kann. Eine so günstige individuelle Konstellation wie Martas ist allerdings die Ausnahme. Wie wir in der Verbleibsstudie2 feststellen mussten, lebte ein Drittel der Jugendlichen nach wie vor im Status der Duldung. Diese jungen Leute haben, auch wenn sie einen Haupt- oder Realschulabschluss erreichen konnten, darüber hinaus nahezu keine beruflich qualifizierende Anschlussperspektive. Aber auch diejenigen jungen Flüchtlinge, die ihren Aufenthaltsstatus in der Zwischenzeit verbessern konnten (knapp 30%), waren zuvor aus rechtlichen Gründen oft jahrelang vom Zugang zu Ausbildungswegen ausgeschlossen. Aufgrund dieser langen ‘Bildungsleerlaufzeiten’ hatten viele von ihnen keine adäquaten Bildungs- und Arbeitsmarktchancen mehr. Ein weiteres Drittel der Jugendlichen, zu deren Lebensweg wir Informationen erhielten, waren mittlerweile aus Angst vor Abschiebung ‘untergetaucht’, das heißt, sie leben seither ohne Papiere in Deutschland oder sind wie Kanyamougiere undokumentiert in ein anderes EULand weitermigriert (vgl. Niedrig 2003). Kanyamougires Beispiel führt vor Augen, welches Potenzial dabei für den Ausbildungsmarkt verloren geht. Seine transnational überaus kompatiblen kulturellen Ressourcen (Sprachkompetenzen, Bildungsstrategien) erfahren durch seinen Aufenthaltsstatus in Deutschland praktisch eine vollständige Entwertung, da er vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ausgeschlossen wird. Im Falle erwachsener MigrantInnen aus Afrika in Europa konnte gezeigt werden, inwiefern ein migrationsbedingter sozialer Abstieg (zum Beispiel vom Hochschulabsolventen zum Gebäudereiniger) aufgrund ökonomischer Transferbedingungen die Voraussetzung für einen sozialen Aufstieg im Bezugssystem der Herkunftsgesellschaft bilden kann. Somit mag die widersprüchliche soziale Verortung zum Migrationskalkül vieler afrikanischer MigrantInnen gehören. Nieswand bezeichnet diese Konstellation als das „Paradox der Migration“ (Nieswand 2005: 53). Kanyamougire hingegen kann das legitime kulturelle Kapital, das er im deutschen Bildungssystem erwirbt, aufgrund der politisch-legalen Rahmenbedingungen in keiner Weise für einen sozialen Aufstieg nutzen. Und sein transnationales soziales Kapital, das unter anderen Rahmenbedingungen, zum Beispiel für EU-Angehörige, einen echten Multiplikatoreffekt auf das akkumulierte kulturelle Kapital haben könnte (vgl. Bourdieu 1997: 64), wird auf die Funktion einer bloßen Überlebensressource reduziert.
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In der Verbleibsstudie drei Jahre nach der ersten Befragungswelle konnten wir Informationen über den weiteren Lebensweg von 53 der ursprünglich 76 befragten Jugendlichen erhalten. Auf diese 53 Jugendlichen beziehen sich unsere Aussagen hier.
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Zusammenfassung und Ausblick – Theoretische Perspektiven
3.1 Zur (übergenerationalen) Stabilität transnationaler sozialer Räume Bei den Jugendlichen portugiesischer Herkunft lässt sich eine transnationale Bildungs-, Berufs- und Zukunftsorientierung deutlich beobachten, obwohl sie in den Kategorien der Migrationsforschung als Angehörige der ‘zweiten’ oder ‘dritten’ Einwanderungsgeneration gelten. Die Normalität grenzüberschreitender Lebensplanung erfahren diese Jugendlichen von klein an im Rahmen ihrer transnationalen verwandtschaftlichen Netzwerke, die in dieser Hinsicht eine wichtige Sozialisationsfunktion erfüllen. Die Annahme, die Kinder und Kindeskinder der MigrantInnen würden ausschließlich innerhalb der Einwanderungsgesellschaft sozialisiert, trifft auf diese Gruppe also nicht zu. Bei einigen Befragten zeichnete sich in den Gesprächen über Zukunftsperspektiven ab, dass internationale Mobilität eine Option für sie bleiben würde. Diese Jugendlichen, zu denen Sandra und Luís gehören, können als (potenzielle) TransmigrantInnen im engen Sinne bezeichnet werden. Anders als noch im Falle ihrer Eltern unterliegen ihre transnationalen Lebensentwürfe aufgrund des sozialen Aufstiegs von ‘ArbeitsmigrantInnen’ zu ‘EU-BürgerInnen’ kaum rechtlichen Einschränkungen. Die afrikanischen Flüchtlingsjugendlichen in unserer Studie sind selbst ‘PioniermigrantInnen’, allerdings in einer Lebensphase, in der Heranwachsende durch Sozialisationseinflüsse noch stark formbar sind. Bei ihnen lässt sich unter anderem erkennen, inwiefern politisch-legale Rahmenbedingungen, die eigentlich auf eine strikte Separierung nationaler Räume abzielen, zu einer Stabilisierung transnationaler Orientierung beitragen können: So zwingt beispielsweise die Abschiebeandrohung die Jugendlichen zu einer Bildungs- und Berufsplanung, die auch außerhalb Deutschlands Chancen eröffnet, sowie zu einer fortgesetzten Bereitschaft zu Mobilität. Bislang wenig erforscht und in der Praxis nur schwer erforschbar ist das Ausmaß an undokumentierten transnationalen Lebensbezügen, in die wir nur in Einzelfällen exemplarische Einblicke erhalten haben (siehe hierzu auch die Forschung von Alt 1999; Müller-Mahn 2005 sowie die Produktionen des Projekts „Transit Migration“). Der Umstand, dass für die jungen Flüchtlinge, auch wenn sie ihren Aufenthalt in Deutschland absichern können, in Deutschland keinerlei Aussicht auf eine Familienzusammenführung mit Verwandten aus den Herkunftsländern besteht, festigt die transnationalen Beziehungen. Bei den Jugendlichen, die Kontakt zur Familie im Herkunftsland halten, lässt sich zumindest über die eigene Lebenszeit hinweg ein stabiles transnationales familiäres Engagement vorhersagen. Wie sich dieser Kontext auf
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die nachfolgende Kindergeneration auswirken mag, ist eine interessante Frage für künftige Forschung. Den Jugendlichen afrikanischer und portugiesischer Herkunft ist gemeinsam, dass so gut wie alle Befragten die Absicht bekundeten, ihre Herkunftssprachen an die eigenen Kinder weitergeben zu wollen, auch wenn diese in Deutschland aufwachsen würden. Denn die Herkunftssprache ist in aller Regel die transnationale Netzwerksprache (über nationale Sprachgrenzen hinweg) und auch die eigenen Kinder sollten später den Kontakt zu Familienmitgliedern in Portugal, Afrika, anderen europäischen Ländern oder in den USA aufrechterhalten.
3.2 Mehrfachintegration und soziale Positionierung Die Ergebnisse unserer Untersuchungen belegen für die untersuchten Fälle ein komplexes Wechselverhältnis zwischen sozialen Positionen und Aufstiegsmöglichkeiten und der (Mehrfach-)Integration in Ankunfts- und Herkunftsgesellschaft sowie, in einigen Fällen, in eine transnationale MigrantInnen-Community. Die Untersuchung unter Jugendlichen portugiesischer Herkunft gibt Auskunft über die Bedeutung transnationaler Orientierungen für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die vergleichsweise bildungserfolgreich sind. Im Zentrum des Interesses standen Strategien von Jugendlichen, die in den Kategorien des Assimilationskonzepts aufgrund ihrer Inklusion in das Bildungssystem des Aufnahmelandes als weitgehend kulturell und strukturell assimiliert gelten (vgl. Esser 2001: 97). Durch die Relevanz transnationaler Orientierungen für bildungserfolgreiche Jugendliche wird die Annahme, dass eine fortgesetzte Sozialintegration in die ethnische Gemeinde oder in die Herkunftsgesellschaft auf eine misslungene Sozialintegration im Aufnahmeland schließen lasse, in Frage gestellt. Der Fall der portugiesischen Minderheit in Deutschland zeigt vielmehr, dass soziale Integration in die Aufnahmegesellschaft nicht im Widerspruch zu einem hohen Maß an Selbstorganisation innerhalb einer ethnischen Community stehen muss (vgl. auch Pelotte 1995: 401). Unsere Jugendlichen-Studie weist darauf hin, dass in Deutschland akkumuliertes kulturelles Kapital unter den Bedingungen der Mehrfachintegration gewinnbringend auf den portugiesischen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt transferiert werden kann. Vor dem Hintergrund der europäischen Wirtschaftsintegration steigt dort der Marktwert sprachlichkultureller Ressourcen aus wirtschaftlich dominanten EU-Ländern und in Deutschland ausgebildete Jugendliche können unter Umständen aufgrund des Seltenheitswerts ihrer kulturellen Ressourcen einen Distinktionsprofit abschöpfen.
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Ein Vergleich mit der Situation afrikanischer Flüchtlingsjugendlicher zeigt, dass dieser Befund prinzipiell auf jene übertragbar ist, dass aber die Profitmöglichkeiten durch die politisch-legalen Rahmenbedingungen stark eingeschränkt sind. Die kulturellen Ressourcen von Flüchtlingsjugendlichen erfahren durch deren prekären Aufenthaltsstatus in Deutschland eine massive Abwertung, da die Mehrzahl dieser Jugendlichen spätestens nach dem Haupt- oder Realschulabschluss vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ausgeschlossen wird. Der hiermit begründete soziale Abstieg vieler bildungsmotivierter junger Flüchtlinge steht in einem Spannungsverhältnis zu der verbreiteten Wahrnehmung, die Migration von Afrika nach Europa führe pauschal zu einer sozioökonomischen Besserstellung. Die Flucht nach Deutschland kann unter günstigen aufenthaltsrechtlichen Bedingungen aber auch zu einem sozialen Aufstieg gegenüber der Herkunftsfamilie führen. Sowohl ‘Aufstieg’ wie auch ‘Abstieg’ im Rahmen transnationaler Bildungslaufbahnen lassen sich in ihrer genauen Bedeutung offenkundig nicht allein anhand der sozialen Positionierung des jeweiligen Jugendlichen innerhalb des deutschen Bezugsrahmens beschreiben. Unsere beiden Studien erhärten die Vermutung, dass transnationale Handlungsspielräume durch strukturelle Integration in die Aufnahmegesellschaft eröffnet, unterstützt und erweitert werden: Ein gesicherter Aufenthaltsstatus (deutsche Staatsbürgerschaft oder EU-Bürgerschaft) ermöglicht oder erleichtert transnationale Mobilität. Mit einer erfolgreichen Bildungskarriere steigt die Wahrscheinlichkeit, transnational transferierbares kulturelles Kapital zu erwerben und Karrieren im Herkunftsland zu verfolgen. Und schließlich kann die strukturelle Integration in den Arbeitmarkt zu ökonomischen Gewinnen führen, die Investitionen in den Herkunftsländern erlauben. Eine Funktion transnationaler Lebensplanung und Zukunftsorientierung ist ohne Zweifel die Risikominderung bzw. soziale Absicherung angesichts von Erfahrungen der strukturellen und/oder sozialen Benachteiligung und Ausgrenzung in Deutschland. Für erwachsene MigrantInnen wurde diese Funktion bereits eingehend beschrieben, analysiert, historisch situiert und theoretisch gedeutet (vgl. Glick Schiller et al. 1997; Nieswand 2005). Unzulässig vereinfachend ist es jedoch, aus dieser Beobachtung den Schluss zu ziehen, dass fortbestehende soziale Bindungen an die Herkunftsgesellschaft bzw. ethnische Community ein Zeichen für eine misslungene Sozialintegration im Aufnahmeland sei. Im Gegenteil bestätigen unsere empirischen Studien Nieswands Befund, dass eine weitgehend recht gelungene Sozialintegration in die Ankunftsgesellschaft eine wichtige Voraussetzung für die Pflege transnationaler sozialer Beziehungen darstellt.
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Sara Fürstenau und Heike Niedrig
3.3 Transmigration und das Konzept des „sozialen Raums“ nach Bourdieu Die bisherigen Überlegungen werfen im Hinblick auf ein angemessenes Konzept des „sozialen Raums“ zur Erfassung von transnationalen sozialen Positionierungen einige Fragen auf. Denkbar sind aus unserer Sicht drei unterschiedliche Konzeptionalisierungen: a.
b.
c.
Der „soziale Raum“ wird als ein nationalstaatliches Bezugssystem definiert. Die sozialen Positionierungen von (Trans-)MigrantInnen müssten dann in zwei (oder mehr) getrennt von einander und unverbunden gedachten „sozialen Räumen“ jeweils in Bezug auf die national verstandene Gesellschaft erfasst werden. Dies ist bislang die kaum reflektierte Praxis. In der Regel gilt vorzugsweise das nationale Bezugssystem der Aufnahmegesellschaft als relevant für den sozialen Status von MigrantInnen. Wir halten diese Perspektive für verkürzt. Eine andere Perspektive betrachtet den „sozialen Raum“ von Herkunftsund Ankunftsgesellschaft zwar als jeweils nationalstaatlich gerahmt, aber durch vielfältige grenzüberschreitende Beziehungen miteinander verbunden. Verbindungen entstehen gleichermaßen durch die globalisierte Ökonomie wie durch Migrationsnetzwerke. Somit handelte es sich um Referenzsysteme, die miteinander in ‘Kommunikation’ stehen. Kollektive soziale Laufbahnen transnationaler MigrantInnen hätten dann potenziell Effekte auf das relationale Gefüge in beiden Sozialräumen und auf das Verhältnis der beiden zueinander. In den Sozialwissenschaften hinreichend beschriebene Phänomene wie soziale Unterschichtung durch EinwanderInnen und ‘Fahrstuhl-Effekte’ für die ansässige Bevölkerung wären dann im Zusammenhang mit sozialen Prozessen, die sich analog dazu in den Herkunftsgesellschaften ereignen, zu betrachten: RemigrantInnen-Prestige und damit verbundene Reorganisation sozialer Hierarchien in der Herkunftsgesellschaft. Unsere Studien unter Jugendlichen enthalten Hinweise darauf, dass derart interagierende nationale Kontexte Bildungslaufbahnen und Bildungsorientierungen beeinflussen können. Eine besondere Herausforderung für das konzeptionelle Denken bedeutet Pries’ Postulat, dass im Rahmen transnationaler Migrationsprojekte durch „Verschmelzung“ unterschiedlicher Referenzstrukturen ein qualitativ neues System sozialer Differenzierung hervorgebracht werden könnte, „welches über die jeweiligen Bezugsrahmen der Herkunfts- und der Ankunftsgesellschaft bzw. -gemeinde und auch der ethnischen Minderheiten ‘hinausreicht’“ (Pries 1998: 78). In einem dritten konzeptionellen Ansatz ginge es also darum, die Relevanz eines nationalen Referenzrahmens für soziale Po-
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sitionierungen ganz infrage zu stellen. Auf der Basis unserer Studien, die Bildungslaufbahnen von Jugendlichen untersuchen, erweist sich diese Perspektive allerdings als nicht tauglich, da die nationalstaatlich organisierten Bildungssysteme nach wie vor die Allokation von institutionalisiertem Kulturkapital (= staatlich anerkannte Bildungszertifikate) kontrollieren. Dies betrifft auch die Anerkennung (und somit Legitimierung) von außerhalb der nationalstaatlichen Grenzen erworbenem kulturellen Kapital. Maßgeblich für die Gestaltung der Bildungs- und Ausbildungslaufbahnen der Jugendlichen und für ihre Zukunftspläne sind daher weder lokalregionale noch transnational-globale Bezugssysteme, sondern die jeweiligen nationalen Referenzrahmen.
3.4 Zusammenfassende Schlussfolgerungen Zur eingangs aufgeworfenen Frage, inwiefern Transnationalisierungsprozesse neue soziale Laufbahnchancen für Migrantenjugendliche eröffnen, lässt sich abschließend folgender Befund formulieren: 1.
2.
3.
Bei den jugendlichen Migranten in unseren beiden Stichproben lassen sich transnationale Perspektiven und Zukunftsorientierungen feststellen, die eine Bandbreite unterschiedlicher Funktionen für die Jugendlichen erfüllen. Hierzu zählt auch die Nutzung transnationaler Mobilität als Strategie des sozialen Aufstiegs. Die Flexibilität der Jugendlichen und das Engagement, mit dem sie Gebrauch von den jeweiligen Chancen machen, sind beachtlich. Ob das transnationale soziale und kulturelle Kapital tatsächlich als Ressource für die individuelle Laufbahn nutzbar ist, hängt entscheidend von den politisch-legalen Rahmenbedingungen der Migration ab: Großzügige und positive Regelungen wie die europäische Freizügigkeit für EU-Bürger ermöglichen eine produktive Nutzung kultureller und sozialer Ressourcen für transnationale Laufbahnen; restriktive Regelungen des deutschen Ausländer- und Asylrechts reduzieren eine transnationale Orientierung quasi auf die Funktion der Überlebensstrategie. Das (national-)staatliche Bildungssystem in Deutschland wird den neuen Herausforderungen, die sich durch „Transnationalisierungsprozesse“ stellen, bislang nicht gerecht. Dies zeigt sich selbst im Hinblick auf bildungserfolgreiche Migrantenjugendliche, die als EU-BürgerInnen vergleichsweise privilegiert sind. Den Ausbau ihrer spezifischen kulturellen Ressourcen als transnational nutzbare Qualifikation verdanken sie nicht dem deutschen
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Bildungssystem, sondern den Einrichtungen der ‘ethnischen Community’ und ihren eigenen (transnationalen) sozialen Netzwerken.
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Jugend in transnationalen Räumen
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Education, Work and Identity Young Turkish Migrants in Germany and Young Pakistani Migrants in England Bruce MZ Cohen
Two of the chief goals for the European Union in the 21st century are to increase the skills level of the European workforce and ensure further integration of migrant groups within European society. These goals are far from separate; without further integration of migrant populations – especially through the education systems – increasing the general skills level of the European workforce will be severely hindered. In this chapter, the issues surrounding the educational and occupational attainment of minorities in two key economic powers of the European Union are investigated. Steinbach and Nauck (2003: 3) state that “educational level plays a large role in determining one’s life chances in modern societies. It is the central resource for placement in the labor market, and this is directly related to income and status” (emphasis added; see also Roberts et al 2002). To illustrate this, I draw on examples from original fieldwork carried out among young Turkish migrants in Berlin and young Pakistani migrants in Bradford. It is shown that identification with the host society is of considerable importance to young migrant populations in achieving labour market success and that this process can be helped or hindered by national immigration and citizenship policies.
1
Background
Why Bradford and Berlin? What makes the connection valid? Both these cities are home to sizable populations of diaspora from Pakistan and Turkey, respectively. The cities have become shorthand for the migrant history of people from the country of origin as well as the continuation of its culture in another country. This is, for example, manifested in the Turkish identification of the area of Kreuzberg in Berlin as kleines Istanbul (little Istanbul) or in Pakistani people talking of Bradford as Bradistan (Cohen 2001). Writing about the district of
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Bruce MZ Cohen
Kreuzberg in Berlin, Kaya (2001: 87) notes that the Turkish have “constructed a space of their own – a Diasporic space where they have developed a web of social institutions, norms and values”. Likewise, Lewis (2002: 66) writes that a walk around Muslim areas of Bradford “indicates many outlets of Pakistani and South Asian goods: Pakistan International Airlines, Habib Bank, two large book shops selling books and magazines in Urdu and English, imported from Pakistan”. Further to the significance of Bradford to Pakistani history and Berlin to Turkish history, more obvious comparisons can be made between the two diasporic populations. Firstly, the factors leading to immigration are of vital importance. These were primarily economic in scope – both England and Germany required unskilled labour to facilitate economic growth in the second half of the 20th century. Such migrant populations have continued to grow steadily since this period due to chain migration (i.e. incoming spouses, children and family members), and later due to natural population growth in such communities. As a result, the population of those of Turkish origin in Berlin is currently estimated at 118,700 or 3.5 per cent of the total population (Statistisches Landesamt Berlin 2005: 12), whilst those of Pakistani origin in Bradford are estimated at 67,800 or 14.5 per cent of the total population (BradfordInfo 2006b). Both are by far the largest minorities in their respective city; in the case of the Turkish, they are also the biggest minority in the whole of Germany, whereas the Pakistani minority is the second largest, next to the Indian population in the UK (Office for National Statistics 2006a; Statistisches Bundesamt Deutschland 2006). Secondly, both the Pakistani and Turkish first-generation migrants originate mainly from rural areas. In the Turkish case, it is from deprived villages in Anatolia (Pope and Pope 1997: 190); the Pakistanis came from villages in Mirpur, Jhelum, Gujar Khan, Rawalpindi, Chhachh, Bannu, Hazara, Kohat, Mardan and Peshawar (Lewis 2002: 56). Commentators have noted that a “cultural conservatism” developed amongst these first-generation migrants who came from these largely rural and uneducated areas of the homeland (Kaya 2001); indeed Modood (1990: 145) describes South Asian Muslims in Britain as “a semiindustrialised, newly urbanised working class community that is only one generation away from rural peasantry”. Thirdly, both countries of origin are predominantly Muslim. Islamic identities of both migrant populations have been reinforced by their experiences in their adopted countries. Pope and Pope (1997: 190) note that older members of the Turkish community in Germany, who felt rejected by the dominant society, “turned in on themselves and reformulated their traditional, rural Islam into something tougher”. Due to the influx of Pakistani migrants as well as other Muslim groups, the significance of Islam in Bradford has been even more pro-
Education, Work and Identity
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found and the city has become known throughout the Muslim world as Britain’s Islamabad (“City of God”). Fourthly, the current social and economic circumstances of both populations differ sharply from those of the majority German and White British populations. For example, the current average unemployment rate in Bradford stands at 6.9 per cent, for the Pakistani population it is 20.2 per cent (BradfordInfo 2006a). In Berlin, the unemployment rate amongst all ‘foreign’ groups is 41 per cent, compared to an average of 17.2 per cent (Statistisches Landesamt Berlin 2006). Other indicators have highlighted that both the populations under investigation live in what can be considered ‘multi-disadvantaged’ areas of their respective cities. Statistics for Bradford show a traditional picture of ethnic minority location (see Fisher 1984), with the inner-city wards (districts) of Bradford Moor, Little Horton, Toller and University containing the majority of the city’s Pakistani population (see Bradford Community Statistics Project 2006). As noted by Bayley (2003: 90), these four wards are the most deprived in the Bradford District and rank within the most deprived two per cent of wards for the whole of England and Wales. Likewise, the majority of the Turkish population inhabits some of the most disadvantaged districts of Berlin, e.g. Kreuzberg, Wedding and Neukölln (Kaya 2001: 95). This situation was recently highlighted in the Sozialstruturatlas Berlin 2003, which analysed districts by levels of unemployment, education and social security payments; the resulting social index placed Wedding and Kreuzberg in the poorest category, with Neukölln one category higher (Miller 2004; Senatsverwaltung fur Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2004; also see OECD 2003, for a more general overview on migrant circumstances in Berlin). This section has briefly outlined a number of commonalities between our populations: namely, coming from rural parts of Islamic countries as economic migrants and continuing to experience social and economic disadvantages compared to the majority populations. The methodologies used to investigate the education and occupational patterns of the migrant youth in both cities are briefly outlined in the following section. 2
Research Design and Data Sources
A study of young people’s aspirations and expectations for education, training and work, called The Bradford & District Youth Cohort Study II, was carried out in the Bradford district between February and March 1998. Based on the national Youth Cohort Study, this research surveyed 3,563 Year 11s (15 and 16 year-olds) through local schools using a (mainly) closed questionnaire. All
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schools in the Bradford District were contacted and asked to participate in the study. Visits were undertaken to each school that agreed to participate and research staff spent between one and two hours with pupils while they completed the questionnaire. The study was financed through the Bradford & District Training & Enterprise Council (TEC) – now amalgamated into the Learning & Skills Council West Yorkshire – and carried out by the Policy Research Institute (PRI) at Leeds Metropolitan University. The results from this first sweep of The Bradford & District Youth Cohort Study II form the quantitative data presented in this chapter for the Bradford area. Further, between 1998 and 2000, Professor Charles Husband and the author worked together at the University of Bradford on an Economic and Social Research Council (ESRC) funded project titled Young People’s Entry into the Labour Market in a Multi-Ethnic City. This project allowed us to do more in-depth analysis of the Bradford & District Youth Cohort Study II findings and to carry out more qualitative work with young people, aged 17–25, in Bradford who were in training, further education or employment, as well as those who were currently unemployed or had dropped out of the labour market altogether. Over 120 individual semi-structured interviews were conducted with different ethnic groups of youngsters, including 40 with Asian (i.e. Pakistani and Bangladeshi) youngsters. This additional research forms the qualitative analysis for Bradford noted in this paper. Between 2000 and 2002, the author worked on a research project at Humboldt University that sought to research thoroughly the economic and social activities and aspirations of different groups of young people in Berlin. The research involved the implementation of a schools questionnaire that included questions from the above-mentioned first sweep of the Bradford & District Youth Cohort Study II so that direct comparisons would be possible. Between January and April 2001, 703 questionnaires were completed by 10th Klasse pupils (15 and 16 year-olds) in schools in four different districts of Berlin. These districts were Marzahn (eastern, working class, mainly White German but with some eastern European groups), Prenzlauer Berg (eastern, more affluent than Marzahn, with a mix of social classes and more foreign nationals), Kreuzberg (western, working class but with some affluent, alternative middle class people, and a large Turkish population), and Charlottenburg (western, more affluent than Kreuzberg, but with a mix of nationalities in some parts). A total of 32 school classes in 31 schools were surveyed – eight classes in each district. In each area, roughly equal numbers of different school type (i.e. Gymnasium, Realschule, Hauptschule and/or Gesamtschule) were surveyed, and schools in different parts of each district were chosen. Schools were contacted and surveyed by the author, completion took approximately one hour. Given that this project was much smaller than the Bradford & District Youth Cohort Study II
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Education, Work and Identity
and the selection of young people was not fully randomised, it cannot be claimed that the Berlin results are representative of all the young people in Berlin. Consequently, these results should be seen as an indication rather than an accurate reflection of what young people in Berlin think and feel. The project was funded by the European Commission’s Improving Human Potential funding stream in Framework V (Marie Curie Research Fellowship). The Berlin schools data forms the quantitative statistics for Berlin given in this chapter. Gender and ethnic breakdowns for the schools surveys in both Bradford and Berlin are given in Table 1 below. Table 1:
The Bradford and Berlin Survey Samples (unweighted)1
Male Female White Black Indian Pakistani Bangladeshi Chinese / Other German Turkish Eastern European Western European Other
Bradford 1779 1648
% 52 48
2301 118 150 730 33 84
67 3 4 21 1 2
Berlin 346 353
% 49 51
517 79 42 21 39
74 11 6 3 6
Additionally, 10 semi-structured interviews were conducted with an older group, aged between 20 and 28 in Berlin. It was considered important to obtain the views of this group on similar aspects of education, the local labour market and life in Berlin. The sample was obtained by opportunity sampling, via contacts of the author and the other researchers involved. With the person’s permission, interviews were taped and usually lasted an hour. Half of this sample had Turkish backgrounds, and this group forms the qualitative part for Berlin presented in this chapter.
1
As a result of missing cases, the number of respondents by gender and ethnicity does not total 3,563 for Bradford or 703 for Berlin.
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Findings
3.1 Educational aspirations and attainment In this section, a number of statistical sources are drawn on as well as the primary research data described in section 2 above. Given the stark differences between the English and German education systems (see discussion below) and the time periods for the data obtained, direct comparisons have proved difficult. Therefore, clarifications of the results have been attempted through triangulating the data with results from additional data sources. Looking firstly at the level of qualifications achieved by the end of school, it was found in Berlin that 69 per cent of young German people expect to achieve an average Note (mark) of 2.9 or higher (1.0 being the highest Note possible), compared to only 47 per cent of young Turkish people – the worst result of all the ethnic groups covered (see Cohen 2002: 19). A Note of below 2.9 would be considered a poor mark, yet the majority of the Turkish young people believed that this was what they were likely to achieve by the end of their school studies. The common benchmark of achievement for end-of-school qualifications in the UK is five or more GCSEs (General Certificate of Secondary Education) graded A-C. In the Bradford study, it was found that 65 per cent of the White British population expected to achieve this level, compared to 49 per cent of young Pakistanis. However, the figures for Bradford Year 11s in the following year (1999) showed that only 34 per cent of the White population and just 22 per cent of the Pakistani population actually achieved this level (Economic Information Service 2000: 29). The significant differences in these two sets of figures illustrate that many young people over-estimate their performance. The statistics also demonstrate the big divide between performance rates of the majority and minority populations. In both school surveys, young people were asked what they expected to be their highest qualification before gaining their first permanent job. The results showed that the educational aspirations of the Turkish were comparatively low (again, the lowest of all ethnic groups, see Cohen 2002: 26), with the majority expecting to achieve a Mittlere Reife (equivalent to an ordinary BTEC or City & Guilds level qualification in the UK) or below. To achieve a Diplom (Degree)level qualification, it is necessary for the young people in Germany to take the Abitur (equivalent to ‘A’ Levels in the UK). The Berlin survey showed that 60 per cent of the German sample and 48 per cent of the Turkish sample were expecting an Abitur by the end of school. In fact, the national figures for the school year 2002/03 showed that only 25 per cent of Germans and 10 per cent of all ‘foreign’ populations achieved this end-of-school qualification. Further, the national figures show the majority of these ‘foreign’ school pupils leaving with
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Education, Work and Identity
nothing better than a Hauptschulabschluss (roughly equivalent to a lower number of GCSE passes in the UK). A high drop-out rate amongst the latter is also suggested, with one-in-five leaving school without any formal qualifications (see Cohen 2002, Statistisches Bundesamt Deutschland 2005: 68). Some interesting contrasts with the picture of education in Germany are found when the aspirations given in the Bradford schools survey are compared to the actual figures for ethnic educational attainment from the Office for National Statistics (2006b: 43). The educational aspirations of young people of Pakistani background in Bradford were found to be higher than for the majority population: 45 per cent of the former expected to attain a degree-level qualification or higher before their first permanent job compared to only 30 per cent of the latter (it should be noted that both rates are higher than for the German and Turkish populations in Berlin). When these figures are compared to the current skills levels for the UK, less difference is found in the levels of attainment than between the German and ‘foreign’ school leavers. Indeed, though much lower than the expected levels of attainment, the gap between the White British and Pakistani groups with a Degree-level qualification is relatively small (18 per cent and 15 per cent respectively for males; 16 per cent and 10 per cent respectively for females). Table 2:
Comparison of School Pupils’ Maths, Reading and Science Scores for Germany, UK, Finland and Brazil by Father’s Country of Origin2
Average score = 500 Father born in: Germany UK Finland Brazil
Maths This Country 511 535 537 336
Another Country 433 508 522 313
Reading This Country 509 529 548 398
Another Country 434 507 512 359
Science This Country 509 538 539 376
Another Country 429 516 505 ---
Source: Deutsches PISA-Konsortium 2002 Results from the school surveys suggest that there are differences in the levels of educational aspiration and attainment between those of Turkish background in Berlin and those of Pakistani background in Bradford. These statistics can be somewhat enhanced with reference to the OECD’s PISA 2000 study (see Deut2
Finland averaged highest on these tests, Brazil registered lowest.
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sches PISA-Konsortium 2002). Amongst other things, this study assessed the reading, mathematic and science abilities of school pupils across 32 countries. UK pupils performed very well on all the tests whereas German pupils did rather poorly. What is of particular interest is the difference between those pupils whose fathers were born in Germany and those whose fathers were born elsewhere (this population obviously includes many second-generation Turkish students) as shown in Table 2 above. It can be seen that the young people in the UK still performed above average (i.e. 500) on each test, whereas in Germany they fell well below the average test result in each discipline. In each country, the second-generation pupils perform more poorly. In Germany, however, we can begin to detect something drastic taking place which separates ‘German’ and ‘foreign’ populations from one another, with the second-generation pupils at least 75 points behind the German population on each of the three tests.
3.2 Occupational aspirations and attainment The labour market aspirations of the two populations will now be examined. Table 3 shows the aspired-to occupational groups from the Berlin study compared to findings for the whole of Germany, from the German Socio-Economic Panel in 1994 (see Seifert 1998). The employment aspirations of the young Turks are actually slightly higher than for the young Germans, with the majority of the former expecting to be in some form of white-collar work. Aspirations to self-employment may be a factor in this finding, as it was found in the Berlin study that 70 per cent of the Turkish population had considered self-employment, compared to only 54 per cent of other Germans3. The result from the Berlin school survey is particularly surprising given that the actual figures for 1994 show a large disparity between German and Turkish populations, with 59 per cent of the latter working in semi- or unskilled occupations.
3
In this respect, Kontos (2005: 217) has noted that self-employment amongst migrant groups is higher and rising at a faster rate than for Germans as a whole.
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Education, Work and Identity
Table 3:
Aspired-to Occupational Group of the Berlin Sample Compared to the Actual Occupational Groupings in Germany (%)
Berlin (aspired-to) 2001
White Collar midAnd high levels4 White Collar low-level Skilled Semi-Skilled Unskilled Self Employed5
Germany (actual) 1994
German
Turkish
German
Turkish
40
41
39
5
5 54 1 1 ---
13 46 0 0 ---
12 17 9 3 10
7 21 40 19 8
Sources: Berlin Schools Survey 2001; German Socio-Economic Panel Longitudinal Sample 1994 Given the time difference between the German Socio-Economic Panel’s results (1994) and the Berlin study (2001), we might expect that the aspirations of the next generation of young Turkish people are higher. For example, Seifert (1998: 91) notes in his analysis of the longitudinal sample from 1984 to 1994 that upward mobility has generally been taking place amongst immigrant groups. This includes second-generation immigrants performing better than first-generation immigrants, with 16 per cent of all second-generation groups represented in middle and high-level white-collar occupations in 1994. However, the researcher also notes that this figure remains very low compared to the 39 per cent of non-immigrant Germans in such positions. More recent research confirms that such gaps between migrant and non-migrant populations in education and the workforce remain (for example, see Riphahn 2001; Kalter and Granato 2002). Table 4 gives the occupational aspirations of young people in Bradford in 1998 compared to the actual occupational levels for Great Britain 1996-98. Aspirations amongst the youngsters of Pakistani background tend to be higher than for the White population, with the majority aspiring to managerial, professional or technical occupations. However, the actual figures for the British workforce show that Pakistanis remain under-represented in the higher level occupations compared to the White population. In fact, Calderdale and Kirklees 4
5
White-collar mid- and high-level includes the ‘Managerial’, ‘Professional’ and ‘Associate Professional’ categories; White-collar low-level includes ‘Secretarial and Clerical’; Skilled level includes ‘Skilled Manual’, ‘Personal and Protective Services’, and ‘Sales’. Self-employment was not used in the same question on the Berlin School Survey.
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TEC (2001) note that, of all the ethnic groups in the Labour Force Survey, only Bangladeshis have a lower proportion of workers (17 per cent) in the upperlevel occupational grouping than the Pakistanis. The latter are also overrepresented in lower level semi- and unskilled occupations. Table 4:
Aspired-to Occupational Group of the Bradford Sample Compared to the Actual Occupational Groupings in Great Britain (%) Bradford (aspired-to) 1998 White Pakistani
Professional/Managerial/ Technical6 Skilled Semi- and Unskilled
Great Britain (actual) 1996-1998 White Pakistani
49
58
37
27
22 29
24 18
43 20
47 26
Sources: Bradford Youth Cohort Study II, 1998; Labour Force Survey, 1996-1998 Despite some methodological differences in the figures of actual attainment, it can be concluded from the results that young Turkish people have fewer chances of obtaining a higher-level occupation in the labour market than their Pakistani counterparts. Ultimately, the differences in levels of occupational attainment between the Pakistani and the White populations are not as great as those between the Turkish and the German populations.
4
Discussion
The differences in the level of educational qualifications achieved and the final positions attained in the labour market between the Pakistanis in Bradford and the Turkish in Berlin are significant. Performing such data comparisons has allowed for the cancelling-out of some independent variables which would normally intervene in our discussion – factors which tend to affect minorities in any given society, such as downward mobility of the first generation, language problems, cultural and religious differences, prejudice and racism. What other fac6
Professional/Managerial/Technical includes ‘Managerial’, ‘Professional’ and ‘Associate Professional’ groups; Skilled level includes ‘Secretarial’, ‘Clerical‘ and ‘Skilled Manual’ occupations, Semi-and Unskilled level includes ‘Personal and Protective Services’ and ‘Sales’ as well as ‘Unskilled’ occupations. Differences in this coding from Table 3 are due to local variations in recording and presentation.
Education, Work and Identity
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tors, then, can be highlighted as possibly responsible for the Turkish performing so badly in Berlin (and indeed in Germany as a whole)? Through focusing on educational and wider immigration policies it is argued here that Germany has sought to exclude minorities from wider participation whilst the UK has established pluralist policies that have had a positive effect on the educational and employment levels of ethnic minorities there.
4.1 The Education System Riphahn (2001: 1) has remarked that, “[i]n a society where formal educational degrees are entry requirements at all levels of the vocational and academic training system, as in Germany, key factors for lifetime labor market success are determined early in life”. Whereas the UK has a universal one-track educational system of elementary and secondary – Comprehensive – schooling at the end of which the young people are separated into tertiary education or training (or, indeed, can go straight into employment), in Germany this process of separation happens earlier, at the beginning of secondary school. In Germany there are three types of school at the secondary stage, which offer different kinds of schooling oriented towards different secondary school qualifications. Steinbach and Nauck (2003: 14) have commented on the three types of school as follows: It is easiest to gain entry into the Hauptschule, which offers a general education in preparation for a vocational career in Germany’s dual-track education system [i.e. post-16 ‘further education’ in either an academic or training track]. It lasts from five to six years (...) Lesson plans in the Realschule are more difficult than in the Hauptschule, but a Realschule-diploma qualifies graduates also only for vocational training. These diplomas, however, do grant access to career tracks in a wider range of professions, e.g. in technical and medical fields. A Realschule lasts six years (...)The Gymnasium offers an exclusively college preparatory curriculum, which also takes the longest to complete (either eight or nine years) (...) A diploma from a Gymnasium (...) grants automatic access to all higher level educational tracks.
There have been many critics of the secondary school system in Germany (for example, see Kardam and Pfaff, 1993; Pries, 2005; Steinbach and Nauck, 2003), and the Berlin school survey found results similar to other studies, i.e. that students in secondary schools are streamed by ethnic group and social class. For example, it was found that young people with Turkish backgrounds are twice as likely to attend Hauptschule as other groups of young people, and are correspondingly under-represented in Gymnasium schools: only one-fifth of them – compared to the average of one-third of all young people – attend this type of school. Pries (2005: 93) confirms that the German education system “cements and accentuates language and other relevant skills deficits of children with mi-
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grant backgrounds – most of whom are in the lower level of Hauptschule”7. However, it was also found that social class is an even more important factor in streaming than ethnic group, with over two-thirds of young people from a managerial or professional background attending Gymnasium schools, compared to only 15 per cent of young people from a semi- or unskilled background (Cohen 2002: 21-22)8. This tri-apartheid system in Germany may go some way to explaining Germany’s generally poor educational performance in international comparison, but how far does it explain the difference in the performance of the Turkish population? Steinbach and Nauck (2003: 19) agree that “the German school system clearly harbours ethnically based inequality with the result that members of some (ethnic) groups remain in a structurally underprivileged position”. They note that groups in Germany such as the Italians and Turkish have relatively little chance of attending Gymnasium schools, even compared to children with Spanish or Greek backgrounds. As discriminatory as the German education system may be, however, these factors only partly explain why the Turkish in Berlin perform poorly compared to the Pakistanis in Bradford. Such differences can also be explained with reference to the quite different immigration and integration policies of the host countries, which then affect feelings of identity and belonging in the host society.
4.2 Immigration and Integration “In their approaches to integration”, comments Green (2002a: 12), “Germany and the UK come from very different starting points”. The UK’s stand has traditionally been one of laissez faire multi-culturalism and general acceptance of dual citizenship, backed up by strong anti-discrimination laws. In contrast, Germany’s integration and citizenship policies – based on ethno-cultural definitions of ‘German’ and ‘non-German’ – have been highly exclusive and restrictive (Green 2002b). In practice this has meant that Turkish immigrants, including the younger generations – along with many other non-EU residents in Germany – have been denied the rights that German citizens have, including the rights to peaceful assembly, freedom of movement, freedom of association and freedom of occupation. Recent amendments to citizenship laws have allowed long-term migrants to become German citizens for the first time, although in 7
8
For more on the under-representation of foreign groups in Gymnasiums see, for example, Statistisches Bundesamt Deutschland (2005: 66-68). Such findings have most recently been supported by Schleicher (2006), who particularly criticises the French, Italian and German school systems for being class-biased.
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turn, they must relinquish their other citizenships. Boyes and Huneke (2004: 14) concede that very few Turkish immigrants have taken up the offer. Germany’s citizenship laws have thus sought to deny migrants full political rights in the host society and consequently have undermined the development of multiculturalism and integrationist policies in the country (see Kaya 2001: 59-60). The very term used in Germany for the migrant labour force in the 1960s – Gastarbeiter (guest worker) – denotes that the country did not expect any of the Turkish or other workers from abroad to stay long-term in the country. The lack of preparedness for the permanent settlement of Gastarbeiter families can be seen in how they were treated by the German authorities, e.g. the construction of special low-cost housing and Gastarbeiter children being taught in separate schools9. In juxtaposition, children of foreign workers in the UK have invariably been accommodated in the local schools system. The effect of such laissez faire integration in the UK is that authorities have been quicker to understand the different needs of children from different cultural traditions. Likewise, concepts such as ‘multiculturalism’, ‘ethnic minorities’, ‘integration’ and ‘equal opportunities’ – though often opposed by those on the right – developed much earlier in the UK (Green 2002a). These concepts are still in the process of painful birth in Germany in the 21st century. Whilst it may be claimed that such different integration polices in the UK and Germany can account for some of the differences in education and occupational attainment between the populations under investigation, it is notoriously difficult to prove. As a proxy for levels of integration in the host society, factors of identity and belonging can be useful and will now be investigated.
4.3 Identity and Belonging In the Berlin research, the self-definitions of young people of Turkish background were analysed. Just over half (52 per cent) continue to define themselves as ‘Turkish’, whilst a third (32 per cent) define themselves as ‘German’. A further 16 per cent define themselves in other ways, mostly as either ‘Islamic’ or ‘Muslim’ (Cohen 2002: 49). These statistics are not as alarming as they might at first appear, for Seifert (1998: 96) found in 1994 that only 26 per cent of second generation Turkish in Germany identified themselves as ‘German’. Nevertheless, it can be seen that citizenship and identity remain problematic for the Turkish sample in Berlin. 9
In the case of the Turkish, the curriculum was straight out of the homeland, in preparation for the young people's reintegration back into the Turkish education system
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From the qualitative work carried out in both cities, young peoples’ feelings of belonging can be further explored. Through interviews with some of the Turkish youngsters it was found that there was often some indecision as to whether they wished to stay in Berlin or to move to Turkey. “If I had the money”, commented one young woman, “I would not wait five minutes to go back to my own country, to Turkey”. Such a comment is maybe less surprising when one considers further data from Seifert (1998: 96) who found that only 56 per cent of secondgeneration Turkish in 1994 intended to settle permanently in Germany. The difficulties these young people have in answering the identity question is further illustrated by a young Turkish man, who stated with amusement: I recently visited Turkey for the first time in twenty years. I felt like a foreigner there, in my own country. I missed Berlin, but I still want to be buried in Turkey; in that country where I feel myself to be foreign. A tragic novel, ha, ha, ha!
The issue of identity is generally perceived by the Turkish sample to be one of being seen as ‘foreign’ in Germany as well as in Turkey, as another young woman put it: If we travel to Turkey we do not like the Turks, and here [in Germany] we do not like [the Germans] because they dislike us.10
Pries (2005: 96) argues that such ambivalence by migrants towards Germany is due to the general perception that one must “feel German” to be a full member of that society. He argues that, Migrants in Germany are more or less satisfied with their way of living, but they neither feel part of an overall integrating national project (as, for instance, in the case of France) nor do they perceive themselves as being integrated in a[n] ethnic community as a recognised part of a multicultural society project (as, for instance, in the case of Great Britain).
These feelings can be contrasted with findings from older groups of Pakistani young people in Bradford. One Pakistani woman commented of Bradford: I genuinely like the people, I’ve got my roots here and I hope to maintain that link. And I wouldn’t really move further afield.
In this different context, the idea of Pakistan being the ‘home’ or the ‘roots’ of a young British Asian does not make much sense; as Connolly and White (2006: 4) note, 8 out of 10 Pakistanis identify themselves as British. “Bradford, I feel, is my home”, replied another: 10
For more on this issue, see Cohen (2002: 61-70).
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You know, since I was born in Bradford, and always lived my life in Bradford and if I go away from Bradford, I do miss Bradford, and come back. And I appreciate Bradford and I think Bradford is a very nice city, and it’s a very homely city and people are very nice and I just hope I do find a partner in Bradford to settle with. I wouldn't like to move out of Bradford.”
As mentioned at the start of this chapter, both Bradford and Berlin hold special significance for each of the populations studied. The research found that a similar proportion of Pakistani young people in Bradford and Turkish young people in Berlin expect to be living in that city in ten years time (49 per cent and 51 per cent, respectively). It was also discovered that 92 per cent of the Turkish like living in Berlin and the majority of them “felt like a Berliner”11, whilst correspondingly high levels of pride and loyalty towards Bradford are felt by the Pakistani population (see Cohen 2001: 15). However, the difference in attachment to the country can be seen from further data which shows that 41 per cent of young people of Turkish background expect to be living abroad in ten years time, compared to only 21 per cent of the Pakistani sample (Cohen 2001: 14). Given the low level of educational and occupational attainment of the Turkish population in Berlin, it is less likely that this is an expectation to migrate further west than to ‘return’ to the south. The implication is that many of them continue to consider a move ‘back home’. Boyes and Huneke (2004: 29) argue that “the question of whether one feels ‘Turkish’ or ‘German’ is out”; instead such feelings are replaced by globalised identities based on lifestyle choices12. However, the current research indicates that the denial of dual citizenship and equal rights for migrants in Germany creates feelings of antagonism towards the host society and brings about a certain detachment, as Hakan Durmus – a second-generation Turkish artist in Kreuzberg – comments in Boyes and Huneke’s study (emphasis added, 2004: 29), “I spent more and more time on the streets thinking ‘we are in a foreign country, we have to stick together’.” The academic debate about identity and belonging amongst diaspora has been intense over the last decade. It could be argued that the qualitative research cited above leads to a victimisation discourse of second- and third-generation Turkish as young people who are unable to build fruitful emotional and social lives in Germany. Soysal (1999), for example, has argued for the recognition of the cultural and social fluency of Turkish youth in Berlin. However, as Petzen (2004: 28-29) has acknowledged, the lack of entitlement to citizenship and other
11 12
For more on the concept of ‘Berliner’, see for example Petzen (2004: 22-23). For more on the ‘hybrid identities’ debate, see for example Bhabha (1994); for a further critique of essentialist definitions of ethnicity as well as discussion of the ´new identities’ thesis, see Hall and Cohen (1999).
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political rights have made it possible to talk about ‘exile’ and ‘home’ with ambivalence, as demonstrated in the current research13.
5
Conclusion
This exploratory paper has compared the educational and occupational aspirations and attainment of two migrant groups in Europe. Though they come from similar backgrounds and face similar social and economic disadvantages in their ‘host’ societies, the chances for labour market progression amongst the Turkish population in Berlin appears worse than for the Pakistani population in Bradford. The reasons highlighted for this include the persistence of exclusionist immigration policies in Germany, which affects feelings of identity with and belonging to the society in which they live. Whereas second- and thirdgeneration Pakistanis are defining their ‘roots’ firmly within local and national society in the UK, the younger generations of Turkish remain distant from German society. Steinbach and Nauck (2003: 37) come to a similar conclusion in their research, stating: The main strategy of integration in Germany has been, from the beginning of immigration in the 1950s onwards, the inclusion of migrants in the systems of the welfare state. Special efforts to integrate immigrants played in comparison to this strategy only a secondary role. The effects of welfare inclusion however were rather low because of a lack of integration. The denial of a (fast and easy) access to German citizenship and therewith a[n] absence of a long term chance of staying in Germany – especially for the second generation – led to a (more or less) stable distance vis-à-vis the receiving society and ambivalent feelings of belonging.
Further, it has been found that the secondary education system – as a significant element of the German ‘dual track’ system – also negatively affects the Turkish population, streaming many young people into lower forms of secondary schooling and restricting their access to further and higher education. Korac (2003: 63) has said that, “integration, as it is perceived and desired by the refugees themselves, is about both its functional aspects, such as education, retraining and employment, as well as other aspects of social participation in the wider society”. As has been shown, the facilitation of such integration is important to the achievement of both social and economic goals. The research results indicate a need for more policy formulation and implementation of best practice measures for ethnic and migrant groups at the European level. This chapter has shown that the European Union must face up to the differentials in nation-state policies in areas such as citizenship and edu13
For more on this theme of Turkish identities in Germany, see for example Çelik (2005).
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cation. Craig et al (2005: 158) state that “national governments and the EU cannot simply sit back and wait for time to take its course”; in tackling these issues, there is a need for a new political settlement with migrant populations which cares for human values and rights, respects difference and diversity, challenges racism, and gives equal rights to migrants in education and the workplace14. Due to the need for EU competitiveness in the global marketplace, it will be necessary to put these mechanisms in place in the near future in order to deal with minority under-performance in education and the workforce.
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Der Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt im Bildungswesen – historisch gestaltete Institutionen als Rahmen für Ausgrenzungsprozesse Priska Sieber
Seit rund zwanzig Jahren stellt die Bildungsforschung immer wieder fest: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund werden überproportional häufig Bildungsgängen mit niedrigen Anforderungen und begrenzten Anschlussmöglichkeiten zugewiesen. In den 26 schweizerischen Bildungssystemen1, in denen im Schuljahr 2004/2005 durchschnittlich 24 % Kinder und Jugendliche mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der Volksschule eingeschult sind, beträgt der Anteil ausländischer SchülerInnen in Klassen mit besonderem Lehrplan (Sonderklassen und Sonderschulen) 45 %. Werden nur die Jugendlichen betrachtet, die auf der Sekundarschulstufe I unterrichtet werden (in der Schweiz in der Regel vom 7. bis zum 9. Schuljahr), zeigt sich, dass bei einem durchschnittlichen Anteil Jugendlicher von 21 % mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Abteilungen mit Grundansprüchen 33 % aus dieser Gruppe stammen, wogegen in Leistungszügen mit erweiterten Ansprüchen nur gerade 14 % ausländische Jugendliche anzutreffen sind (vgl. Abbildung 1). Problematisch sind dabei nicht nur die damit eng verknüpften sozialen Ausgrenzungsprozesse der Jugendlichen, sondern auch, dass der Anteil von SchülerInnen, die in Abteilungen mit besonderem Lehrplan geschult werden, von insgesamt durchschnittlich 4,3 % im Jahr 1980 auf 6,2 % im Jahr 2003 angestiegen ist und dabei der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Sonderklassen überproportional zugenommen hat (vgl. Abbildung 2). 1
In der Schweiz sind die einzelnen Kantone weitgehend autonom in der Gestaltung der Volksschulbildung. Entsprechend unterscheiden sich die Regelungen der einzelnen kantonalen Bildungssysteme teilweise beträchtlich, weshalb von verschiedenen Bildungssystemen gesprochen werden kann. Die Grundstruktur der 26 Bildungssysteme ist tendenziell so gestaltet, dass nach einer vier- bis sechsjährigen Grundschule die SchülerInnen auf unterschiedliche Leistungszüge in der Sekundarschule aufgeteilt werden, wobei sich die Leistungszüge in der Zahl und Durchlässigkeit je nach Kanton stark unterscheiden.
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Priska Sieber
besonderer Lehrplan (alle Stufen) ohne Selektion
erweiterte Ansprüche
Grundansprüche
alle Sekundarstufe 0%
20%
40%
60% Schweiz
Abbildung 1:
80%
100%
Ausland
Anteil der SchülerInnen in verschiedenen Leistungszügen der Sekundarschulstufe I nach Staatszugehörigkeit in Schuljahr 2004/2005 (vgl. Bundesamt für Statistik 2006)
Der markante Rückgang der Zahl der Schweizer SchülerInnen in Sonderklassen wird demnach von den ausländischen Kindern überkompensiert (vgl. Kronig/Haeberlin/Eckhart 2000), trotz Bemühungen für eine stärkere Integration aller Kinder in die Regelklasse seit den 1990er-Jahren. Dies legt zwei Interpretationen nahe: Erstens wird durch die generelle Zunahme der Aussonderungsquote allgemein und die zunehmende Ausgrenzung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Besonderen die Integrationsfähigkeit des Bildungssystems geschwächt. Dies führt dazu, dass sich ein heute bedeutender Qualitätsindikator von Bildungssystemen negativ entwickelt. Zweitens kann gefolgert werden, dass die ausländischen SchülerInnen die Bildungspyramide „unterschichten“ (vgl. Bommes/Radtke 1993: 485), wodurch deren Ausgrenzung zunimmt.
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Der Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt
Ausländerkinder Sonderklassen 302
300
260
Ausländerkinder Regelklassen 126,3
Indizes
220
180
Schweizer Kinder Regelklassen 97,7
140
100
Schweizer Kinder Sonderklassen 78,9 1997
1995
1990
1985
1980
60
Schuljahr
Abbildung 2:
1
Indexierte Bestände von SchülerInnen in Regel- und Sonderklassen 1980-1997, Index 1980 = 100 (Kronig/Haeberlin/ Eckhart 2000: 13)
Erklärungsansätze für die Ausgrenzung im Bildungssystem
Bisherige Erklärungsansätze für dieses Phänomen haben verschiedene Einzelfaktoren eruiert, die zur Klärung von zunehmender Ausgrenzung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem beitragen. Individuumsorientierte oder soziokulturelle Ansätze identifizieren die wesentlichen Determinanten für Ausgrenzung in Störungen oder Schwächen der Person der Schülerin oder des Schülers bzw. bei den Sozialisationsbedingungen innerhalb der Familie oder bei gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Zu den wichtigsten Erklärungen gehören die These des kulturellen Kapitals und die These der ökonomischen Ressourcen. Die These des kulturellen Kapitals (vgl. Bourdieu/Passeron 1964/1977; Bourdieu 1966) besagt, dass Kinder aus Familien, in denen die Eltern nur ein geringes Bildungsniveau besitzen bzw. sich im Schweizer Bildungssystem nicht genügend auskennen, zu Hause diejenigen kulturellen Fertigkeiten nicht erwerben, die von der Schule in besonderem Maße honoriert werden. Dazu gehören etwa der Besitz bestimmter kultureller Werte und Einstellungen, die Verfügung über bestimmte Sprachfertigkeiten oder über
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Priska Sieber
in der Schule dominierende Interaktions- und Kommunikationsstile. Die grundlegende Denkfigur dahinter ist jene der familiären Defizite bzw. der mangelnden Passung zwischen Familien- und Schulkultur, so dass Kinder aus bildungsfernen Schichten und/oder mit Migrationshintergrund gegenüber den Schweizer Mittelund Oberschichtkindern in der Schule systematisch benachteiligt sind. Dagegen betont die These von den ökonomischen Ressourcen (vgl. Boudon 1974) vor allem die materiellen Unterschiede zwischen den Herkunftsfamilien. Bildung und die Gestaltung eines lernförderlichen familiären Umfelds kosten Geld. Zudem ist der Besuch von weiterführenden Schulen mit indirekten Kosten verbunden. Beides führt zu einer Benachteiligung von Kindern insbesondere aus sozioökonomisch schwachen Schichten, denen Familien mit Migrationshintergrund in der Schweiz überproportional häufig angehören. Eine Zunahme der Aussonderung von Kindern mit Migrationshintergrund aus individuumsorienterter oder soziokultureller Perspektive wäre somit durch eine Zunahme von Schwächen und Störungen der SchülerInnen mit Migrationshintergrund, mit einer Abnahme des kulturellen Kapitals der SchülerInnen resp. der ökonomischen Ressourcen ausländischer Bevölkerungsgruppen zu erklären. Interaktionistische Ansätze führen Ausgrenzung auf Erwartungen der Lehrkräfte und Interaktionen in der Schule zurück. Sie basieren auf dem in den 1960er-Jahren in der US-amerikanischen Kriminologie entstandenen „LabelingApproach“ (vgl. Tannenbaum 1938; Becker 1963; für den deutschen Sprachraum: vgl. Sack 1968). Dessen Kerngedanke bedeutet übertragen auf die Schule (vgl. insbesondere Brusten/Hurrelmann, 1973; Tornow 1978; Wittig 1978), dass abweichendes (Lern-)Verhalten nicht ein Charakteristikum der SchülerInnen ist oder deren häuslichem Hintergrund entspringt, sondern ein Etikett darstellt, das dem Kind im institutionellen Rahmen der Schule in einem interaktiven Prozess ‘verpasst’ wird. Konkret heißt das beispielsweise, dass eine Lehrkraft in ihrer Rolle als Unterrichtende und Beurteilende unterrichtsfremde Aktivitäten oder erwartungswidrige Antworten eines Kindes oder Jugendlichen als ‘störendes’ Verhalten interpretiert und dies in der Regel mit der Zuschreibung von Attributen wie ‘unfreundlich’ oder ‘dumm’ einhergeht. Die Interpretation wird zudem oft untrennbar mit der Person verknüpft, sodass das Kind in der Folge generell als ein ‘Störenfried’ oder als lernbehindert typisiert wird. Aus interaktionistischer Perspektive sind Schulversagen, Lernbehinderung bzw. Ausgrenzung somit eine Abweichung von den Normalitätsvorstellungen der Lehrkräfte über das Verhalten der SchülerInnen sowie die Folgerung aus Annahmen der Lehrkräfte über zugrunde liegende Ursachen der Abweichung und Annahmen über die zukünftige Entwicklung der AbweichlerInnen. Die interaktionistische Perspektive führte im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass Kinder mit Migrationshintergrund in Sonderklassen übervertreten sind, anfangs der 1990er-Jahre
Der Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt
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erneut zu einer Vielzahl von entsprechenden Untersuchungen. Diese konnten aufzeigen, dass Lehrkräfte SchülerInnen je nach deren kulturellen Herkunft unterschiedlich einschätzen und Kinder mit Migrationshintergrund in der Regel unterschätzt werden (vgl. unter anderem Alexander/Entwisle/Thompson 1987; Grant/Tate 1995; Jungbluth 1994; Moser/Rhyn 1999/2000). Allemann-Ghionda (1998: 18) spricht in diesem Zusammenhang von einem „kollektiven Pygmalioneffekt“ durch den die Schulversagerkarrieren dieser Kinder und Jugendlichen in der Schule konstruiert werden. Eine Zunahme der Aussonderung aus interaktionistischer Perspektive wäre somit durch höhere Erwartungen oder engere Normalitätsvorstellungen der Lehrkräfte zu begründen. Systemtheoretische Ansätze betrachten als Ursache von Ausgrenzung primär die strukturellen Vorgaben, die im Bildungssystem institutionalisiert sind, um seine funktionalen Erfordernisse gegenüber anderen sozialen Teilsystemen zu erfüllen. So hat etwa das Bildungssystem die formale Aufgabe der Zertifizierung und muss den SchülerInnen aufgrund universal gültiger Leistungskriterien in definierten Leistungsbereichen und Anspruchsniveaus graduierte Leistungszertifikate vermitteln (vgl. Fend 2001: 14). Das Problem der Leistungsschwäche ist somit eng verbunden mit dem Leistungsprinzip der Schule und wird dadurch zugespitzt, dass das Bildungssystem die SchülerInnen in altershomogenen Gruppen unterrichtet, Altershomogenität aber nicht Leistungshomogenität bedeutet und somit ein Teil der Jahrgangsklasse die im System vordefinierten Leistungskriterien nicht erfüllen kann. Einige Bildungssysteme haben dieses Problem mit einer Systemdifferenzierung gelöst und teilen SchülerInnen nach Leistungsniveau getrennten Gruppen zu und richten für die den Leistungsnormen am wenigsten entsprechenden Kinder und Jugendlichen Sonderklassen ein. Ursachen für Ausgrenzung aus systemtheoretischer Perspektive liegen somit in den vom System getroffenen Unterscheidungen (vgl. zum Beispiel SpencerBrown 1969; Bateson 1981/1987; Maturana/Varela 1987; Luhmann 1990a/ 1990b/2000), nämlich der Unterscheidung in leistungsstarke und leistungsschwache, lernbehinderte und normale SchülerInnen oder der Unterscheidung in SonderklässlerInnen und RegelschülerInnen, was beispielsweise Gomolla und Radtke (2002) als „institutionelle Diskriminierung“ beschreiben. Eine Zunahme der Aussonderung aus systemtheoretischer Perspektive wäre somit durch eine Zunahme der Systemdifferenzierung oder eine Veränderung der Leistungsstrukturen zu erklären. Je nach wissenschaftlicher Perspektive lassen sich somit unterschiedliche Ursachen für die Ausgrenzung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund in Sonderklassen finden, die potenziell je einen Teil des Problems der Zunahme der Ausgrenzung zu erklären vermögen.
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Priska Sieber
Systemunterschiede als Grund für die Zunahme des Anteils der SchülerInnen mit Migrationshintergrund
Allerdings können die so identifizierten Einzelfaktoren nur ungenügend erklären, warum der Anteil der SchülerInnen mit Migrationshintergrund in Sonderklassen überproportional zunimmt (vgl. Abbildung 2) und warum es beträchtliche Unterschiede von Ausgrenzungsprozessen zwischen Bildungssystemen gibt. Betrachtet man beispielsweise die Aussonderungsquoten von Ausländerkindern in verschiedenen Schweizer Bildungssystemen, zeigt sich ein sehr vielfältiges Bild (vgl. Abbildung 3). Während in allen Kantonen ausländische Kinder und Jugendliche häufiger in Sonderklassen ausgegrenzt werden (bis 14,9 % der ausländischen SchülerInnen werden in Sonderklassen geschult), beträgt die entsprechende Aussonderungsquote in den französischsprachigen Kantonen 2,66,2 % und im italienischensprachigen Kanton Tessin werden gar keine Kinder und Jugendlichen in Sonderklassen geschult. Um tatsächlich verstehen zu können, welche Faktoren zu den scheinbar sehr unterschiedlich gestalteten Ausgrenzungsprozessen von SchülerInnen mit Migrationshintergrund im Bildungswesen führen, braucht es mehr als die Betrachtung von Einzelperspektiven und die Identifizierung von Einzelfaktoren, die in den einen Bildungssystemen eine großer Relevanz zu haben scheinen, in anderen jedoch keine entsprechende Wirkung zeigen. Es bedarf einer Klärung der effektiven Wirkungszusammenhänge, weil bei der Betrachtung sozialer Systeme wie dem des Bildungssystems immer von einer Multikausalität und Multidirektionalität der einzelnen Faktoren ausgegangen werden muss, die sich zudem ja nach System und lokalem Kontext unterschiedlich auswirken und zu den genannten Unterschieden zwischen, aber auch innerhalb, der Bildungssysteme führen.
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Der Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt
16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2%
Abbildung 3:
3
C H
FR VS G E TI *
BL N E AR
AI VD
JU
BS G L O W
W
ZH
SZ
Schweiz
N
BE G R
LU ZG
U R
SH SG TG
AG SO
0% Ausland
Anteil der SchülerInnen in Sonderklassen nach Nationalität und Kanton (schraffiert die Kantone der französischen Schweiz), Schuljahr 2003/2004, ohne Sonderklassen für Fremdsprachenunterricht (vgl. Bundesamt für Statistik 2006)
Neue Perspektive: Das Bildungswesen als institutioneller Akteur
Die Variationen von Aussonderungsquoten zwischen aber auch innerhalb von Bildungssystemen verweisen darauf, dass sowohl die Gestaltung von Bildungssystemen als auch das Handeln innerhalb von Bildungssystemen einen erheblichen Definitionsspielraum aufweisen. Entsprechend ist ein Blick auf das System angebracht, der die Definitionsprozesse bezüglich des oben aufgezeigten sehr dehnbaren ‘Bedarfs’ an Sonderbeschulung von Kindern mit Migrationshintergrund erhellt und damit die Wirkungszusammenhänge bzw. Ursachenkonstellationen für Ausgrenzung bezüglich eines spezifischen gesellschaftlichen Kontextes sichtbar machen kann. Dabei gilt es insbesondere, die weit verbreitete Perspektive zu verlassen, die Ursachen für Ausgrenzung bei SchülerInnen mit Migrationshintergrund oder bei ihrem ‘gefährdenden’ familiären Umfeld und den entsprechenden Sozialisationsbedingungen zu suchen. Denn hier kann das Bildungswesen nicht gestaltend eingreifen. Vielmehr gilt es, den Blick auf das Bildungssystem selbst zu richten und zu fragen, inwieweit dieses selbst mit
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Priska Sieber
seinen je spezifischen Strukturen (systemtheoretische Perspektive) und den in diesem Rahmen stattfindenden Interaktionen (interaktionistische Perspektive) zu Ausgrenzungsprozessen beiträgt. Theoretisch geht die Zusammenführung der beiden genannten Perspektiven zurück auf das, was Giddens (1984: 25) einmal als „duality of structure“ bezeichnet hat: „the structural properties of social systems are both medium and outcome of the practices they recursively organize.” In anderen Worten und bezogen auf das Bildungssystem: die aktuell bestehenden Strukturen eines Bildungssystems wurden und werden durch handelnde AkteurInnen gestaltet und reproduziert. Gleichzeitig findet das Handeln von AkteurInnen im Bildungswesen nicht in einer undefinierten Situation statt, sondern vor seinem spezifischen Kontext mit seinen besonderen, historisch gewachsenen institutionellen Strukturen. Die Definitionsprozesse bezüglich separierter, ausgrenzender Beschulung, für die in jüngster Zeit immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund identifiziert werden, können entsprechend erhellt werden, indem untersucht wird, wie ‘Schulversagen’ und die damit einhergehende Aussonderung im Bildungssystem auf verschiedenen Ebenen abgehandelt bzw. gestaltet wird. Forschungspraktisch kann dies dahingehend interpretiert werden, dass einerseits die spezifischen institutionellen Strukturen des Bildungssystems zu bestimmen sind, die in einem langen, historischen Aushandlungsprozess entstanden sind und die heute stattfindenden Zuweisungsprozesse zu Sonderbeschulungen rahmen. Und anderseits müssen die institutionell formierten AkteurInnen auf der Schulebene untersucht werden, die die institutionellen Vorgaben aufgreifen, umsetzen, nutzen und anpassen, um zu klären, wie diese Vorgaben bzw. Strukturen in ihrer konkreten lokalen Realität bei der Bestimmung von ‘schulversagenden’ Kindern mit Migrationshintergrund wirken. Der so eingenommene systemische Blick ist in Abbildung 4 dargestellt.
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Spezifischer gesellschaftlicher Kontext: gesetzliche Verfasstheit, kulturelle Bestände, ökonomische Rahmenbedingungen, Machtverhältnisse Institutionalisierung von Strukturen in realen Prozessen: AkteurInnen in Interaktionen in (politischen) Situationen
Strukturen eines Bildungssystems: institutionelle Vorgaben
(A) AkteurInnen gestalten Strukturen
Abbildung 4:
Bestimmung der Sondeklassenbedürftigkeit von SchülerInnen in realen Prozessen: AkteurInnen in Interaktionen in (lokalen) Situationen
(B) Strukturen prägen Handlungen
Das Bildungswesen als institutioneller Akteur in Aussonderungsprozessen
Fend (2006) nennt dies den Blick auf das Bildungswesen als „institutioneller Akteur“, weil (A) institutionell formierte AkteurInnen bzw. Akteurgruppen in der Vergangenheit in historischen Prozessen das Bildungssystem mit seinen Institutionen bzw. Strukturen gestaltet haben und (B) institutionell formierte AkteurInnen gegenwärtig im Bildungssystem in institutionalisierten Situationen Entscheidungen unter anderem für die ‘richtige’ Behandlung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund fällen und schließlich auch künftige Gestaltungsmaßnahmen von institutionell formierten AkteurInnen in institutionell restringierten Situationen umgesetzt werden müssen. Sieber (2006) hat diese Perspektive auf das Phänomen der Aussonderung angewendet und am Beispiel des Schweizer Kantons Aargau (AG) – der eine der höchsten Aussonderungsquoten in der Schweiz aufweist und den größten Anteil an ausländischen SchülerInnen ausgrenzt (vgl. Abbildung 3) – untersucht, welche Ursachenkonstellation zum ungebrochenen Wachstum der Aussonderung und zur Zunahme der Ausgrenzung von Kindern mit Migrationshintergrund führt. Bevor allerdings die wichtigsten Prozesse dargestellt werden, die für die deutschschweizerischen Bildungssysteme generell prägend sind2, soll zunächst 2
Diese dürften auch in Deutschland einzelne Entsprechungen finden.
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Priska Sieber
auf die zentralen Strukturelemente von Bildungssystemen in modernen Gesellschaften eingegangen werden.
4
Zentrale Strukturelemente von Bildungssystemen
Welche theoretische Perspektive auch immer eingenommen wird: Es darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass das Bildungswesen mit dessen je spezifischen Strukturen die Erfüllung gewisser gesellschaftlicher Funktionen garantieren muss. Allen Bildungssystemen in modernen Gesellschaften ist gemein, dass sie als gesellschaftliche Teilsysteme gegenüber der jeweiligen Gesellschaft als Ganzes die Funktion der immateriellen Reproduktion der Gesamtgesellschaft zu übernehmen haben. Das Bildungssystem muss die nachwachsende Generation qualifizieren, integrieren und allozieren (vgl. Fend 1980/2006) respektive es muss sie erziehen und selektionieren (vgl. Luhmann 2002) – und zwar nach sachlichen Gesichtspunkten, ohne Ansehen der Person, entlang universal gültiger Regeln. Der gesamte innere Aufbau aller modernen Bildungssysteme ist von der Erfüllung dieser Funktionen bestimmt und die entsprechende Institutionalisierung – so verschieden sie in ihren Konkretisierungen auch sein mag – lässt sich vereinfachend in drei miteinander zusammenhängenden Bereichen darstellen: die Institutionalisierung von (1) Anforderungen und Beurteilung; (2) äußerer Differenzierung; (3) Bürokratie. Ihre spezifische Gestaltung bestimmt den ausgrenzenden Umgang eines Bildungswesens mit den jeweiligen SchülerInnen (vgl. Sieber 2006). (1) Anforderungen und deren Beurteilung werden im Bildungssystem institutionalisiert durch die Strukturierung von Lernwegen im Sinne unterschiedlicher Qualifikationsvermittlung, das Arrangement eines curricularen Kerns der Kulturvermittlung und das Prüfungswesen, das die SchülerInnen beurteilt und nach unterschiedlichen Leistungen gradiert (Allokationsfunktion bzw. Selektionsfunktion). Um die Gradierung gerecht zu gestalten, werden allen SchülerInnen die gleichen Angebote gemacht und die gleichen Anforderungen an sie gestellt. Diese werden nach ausschließlich sachlichen Gesichtspunkten und objektiven Verfahren sowie definierten Regeln der Leistungserbringung geprüft und schließlich rechtskräftig und rekursfähig attestiert. Der so formalisierte schulische Verteilprozess strukturiert die Lernwege auf der Basis unterschiedlicher Schulleistungen und nicht wie zur Zeit des Feudalismus aufgrund der familiären Herkunft. SchülerInnen, die in einem modernen Bildungssystem im Rahmen des Prüfungssystems mit dem Code ‘schlecht’ belegt werden, werden auf den institutionalisierten Abstieg im System verwiesen (Klassenwiederholung,
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die Zuweisung zu einem leistungsniedrigerem Klassenzug, geringere Anschlussmöglichkeiten). Sie werden so zu SchulversagerInnen. (2) Die äußere Differenzierung ist notwendig, um die Lerninhalte an die Lernvoraussetzungen der heterogenen Schülerschaft anschlussfähig zu machen und zugleich die Leistungsprüfung effektiver gestalten zu können. Dazu werden im Bildungssystem die SchülerInnen in Jahrgangsklassen eingeteilt, von denen angenommen wird, dass ihre Mitglieder eine ähnliche Leistungsfähigkeit besitzen. Allerdings stimmt die Gleichheitsprämisse des Alters in einer Jahrgangsklasse nur schlecht mit deren angenommenen Leistungshomogenität überein. Zudem haben die Leistungserwartungen im Laufe des vergangenen Jahrhunderts zugenommen. Gleichzeitig wurden die Klassenbestände verkleinert, was eine Verdichtung der Interaktionen im Unterricht bewirkte. Eine Folge hiervon war auch, dass Abweichungen deutlicher sichtbar wurden. So entstand eine sekundäre Differenzierung, die zu einer Vielzahl von institutionellen Strukturen geführt hat, die oft um den ‘normalen’ Klassenzug herum angesiedelt sind, also externalisiert wurden. Prinzipiell wäre eine Lösung für diese Problemkonstellation aber auch durch eine Binnendifferenzierung möglich gewesen. Zur sekundären Differenzierung gehören spezifische Maßnahmen respektive (Bildungs-)Angebote für Leistungsabweichende, wie beispielsweise ambulante Stütz- und Fördermaßnahmen oder das Sonderklassensystem. Dazu gehören aber auch die mit der Aufrechterhaltung dieser Angebote betrauten oder zusätzlich notwendigen Rollen wie beispielsweise diejenigen von Sonderklassenlehrkräften, TherapeutInnen, PsychologInnen und BeraterInnen. Sie bilden den Rahmen, in dem die von der Klassennorm abweichenden SchülerInnen ‘behandelt’ werden. (3) Bürokratie ist in einem modernen Rechtsstaat und dem damit strukturell gekoppelten Bildungssystem notwendig, damit solche und ähnliche ‘Behandlungen’ gerecht sind. Entsprechend bedürfen die Zuweisungs- bzw. Aussonderungsverfahren von SchülerInnen zu Sonderklassen sowie alle anderen Verfahren im Bildungssystem einer Normierung, um Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit für alle am Bildungsprozess Beteiligten zu gewährleisten. In einer bürokratischen Organisation werden entsprechend Verfahrensweisen definiert, Rechte und Pflichten der Organisationsmitglieder festgelegt, die Arbeitsteilung geregelt sowie Kommunikationswege und Autoritätshierarchien angeordnet. Allerdings sind einer solchen Formalisierung durch die Komplexität der im System zu lösenden Probleme Grenzen gesetzt, da die einzelnen Schulen und deren Mitglieder nicht nur mit unterschiedlich dynamischen und komplexen Umwelten konfrontiert sind, sondern sich die Technologie des Unterrichtens an der Selbstreferenzialität der SchülerInnen bricht (vgl. Luhmann 2002). Die institutionelle Regulierung kann entsprechend nur begrenzt durch normierte Entscheidungsprogramme gelingen, sodass sich das System in weiten Bereichen
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des schulischen Geschehens auf die Professionalität seiner Mitglieder verlassen respektive auf die Kontrolle der Aufgabenerfüllung beschränken muss. Die so in einem Bildungssystem gegenwärtig institutionalisierten Vorgaben stellen als Gesamtkonfiguration die gesellschaftliche Problemlösung der sozialen und kulturellen Reproduktion der Gesellschaft dar. Sie definieren Rollen und Verfahren und geben so einen normativen Rahmen für das Handeln ihrer Mitglieder vor.
5
Gestaltung von Institutionen
Aus der Perspektive des Bildungswesens als institutionellem Akteur sind die in einem Bildungssystem institutionalisierten Strukturen allerdings keine Naturereignisse (vgl. Fend 2006), wie dies die systemtheoretische Perspektive suggeriert, sondern von benennbaren AkteurInnen in einem langen und teilweise konflikthaften historischen Prozess ausgehandelte Regelungen auf dem Hintergrund eines spezifischen gesellschaftlichen Kontexts (vgl. Abschnitt 2 oben). Die wichtigsten Prozesse, die zur heutigen Ausgrenzungsorientierung der Großzahl deutschschweizerischer Bildungssysteme beigetragen haben, betreffen die Gestaltung von Anforderungs- und Beurteilungsstrukturen, die akzentuierende Bedingungen für Erfolg und Misserfolg im Regelschulsystem beschreiben (vgl. Abschnitt 5.1) und die Konstituierung einer starken sonderpädagogischen Domäne mit einem umfangreichen (separierenden) Bildungsangebot für ‘Anforderungsversagende’ sowie einem entsprechenden selbstreferenziellen und durchsetzungsfähigen Behandlungsanspruch (Abschnitt 5.2).
5.1 Akzentuierende Bedingungen für Erfolg und Misserfolg Die Anforderungen bezüglich des Besuchs einer Regelklasse sind in den meisten Deutschschweizer Bildungssystemen stark geprägt von einem äußerst selektiven Arrangement der Lernwege. Bereits nach fünf oder sechs Jahren Primarschule werden die künftigen Lebenschancen der SchülerInnen verteilt, indem die Schülerschaft verschiedenen Leistungsgruppen mit vordefinierten Anschlussmöglichkeiten zugewiesen wird. Zu diesem Zeitpunkt findet somit ein umfassender Selektionsprozess statt. Gegen eine neunjährige Einheitsschule und damit einen späteren Selektionszeitpunkt, wie dies in den meisten europäischen Bildungssystemen sowie im italienischsprachigen Schweizer Kanton Tessin zur Zeit der Bildungsexpansion in den 1950er- und 1960er-Jahren eingeführt wurde, wehrten sich in den meisten deutschsprachigen Bildungssystemen die Lehrkräf-
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te und Angehörigen der höheren Schulen (vgl. Jenzer 1998). Auch die Erhöhung der Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Leistungsgruppen nach dem sechsten Schuljahr, wie sie in verschiedenen Deutschschweizer Kantonen in den vergangenen Jahren eingeführt wurde, war an den meisten Orten nur gegen große Widerstände möglich. Diese frühe Verteilung der Lebenschancen muss allerdings in modernen Gesellschaften möglichst gerecht geschehen. So werden an alle SchülerInnen die gleichen, vom System vordefinierten Anforderungen gestellt (in Mathematik, Deutsch und Heimatkunde) und die SchülerInnen entsprechend ihrer so festgestellten Leistungen auf die vordefinierten Leistungsgruppen verteilt. Das Messen und Vergleichen und damit verbunden auch das Selektionieren und Demotivieren der SchülerInnen beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Übertritt in die nächste Schulstufe. Es hat sich, unter anderem durch die Bestrebungen der Volksschullehrkräfte nach wirkungsmächtigen Sanktionsinstrumenten und dem damit verbundenen erhöhten Ansehen (vgl. Kraul 1995), bis zur Schuleintrittsphase ausgedehnt. Bereits die Kindergartenlehrkräfte müssen ein Urteil darüber abgeben, wer den Anforderungen des Regelklassenunterrichts voraussichtlich zu genügen vermag und wer nicht. Insgesamt kann von sehr akzentuierenden institutionellen Bedingungen für Erfolg und Misserfolg gesprochen werden, die nach Fend (1980) dadurch zum Ausdruck kommen, dass
wenige und nur sprachlich fundierte Leistungskriterien relevant sind (Mathematik, Deutsch und Heimatkunde, ab dem 7. Schuljahr zudem Französisch), die Beurteilung der SchülerInnen auf einem Globalkriterium wie begabt – unbegabt (oder gar begabt – behindert) stattfindet, keine Wahlmöglichkeit von Fächern besteht, sodass Lernen in Bereichen notwendig wird, in denen eine geringe Aussicht auf Erfolg besteht und die SchülerInnen ausschließlich einer Lerngruppe angehören, in der die Noten ‘normalverteilt’ vergeben werden.
Unter solchen Bedingungen erfährt immer ein gewisser Teil der Schülerschaft negative Bewertungen und insbesondere Kinder und Jugendliche mit einer sich von der Unterrichtssprache unterscheidenden Muttersprache sind hier in der Regel benachteiligt. Wenn das Messen und Vergleichen mit der immer gleichen Lerngruppe in ausnahmslos sprachbasierten Fächern mit entsprechend permanenter Rückmeldung ‘unbegabt’ oder ‘schlecht’ den Alltag bestimmter SchülerInnen prägen, ist es nicht erstaunlich, wenn Kinder und Jugendliche hierauf reagieren und Anpassungen vornehmen. Diese bewirken in der Regel, dass sie
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den zentralen Normen der Schule die Unterstützung entziehen und dadurch eine Entfremdung erfahren. Als Ergebnis zeigen die SchülerInnen einen chronifizierten Umgang mit der Schule in Form verminderter Leistungsbereitschaft, schwachem Selbstbewusstsein oder geringer Schulfreude (vgl. zum Beispiel Fend et al. 1976; Fend/Specht 1977). Dies führt in der Folge auch zu beträchtlich Störungen des Unterrichts und/oder der Lehrkräfte. Daraus entsteht ein doppeltes Problem. Einerseits wird die Erziehung erschwert, da die Lernvoraussetzungen der betroffenen SchülerInnen beeinträchtigt sind. Anderseits wird die schulische Normierung in Frage gestellt, was nach Sanktionen verlangt, um die Unverletzlichkeit der geltenden Normierung zu demonstrieren (vgl. Durkheim 1975). Als Folge davon ist eine weitere Differenzierung im Bildungssystem angesagt.
5.2 Starke sonderpädagogische Domäne Die Gestaltung solch akzentuierter Anforderungen mit entsprechend ausgeprägten Misserfolgsproduktionen wäre jedoch nicht möglich gewesen, wenn nicht schon früh passende Bildungsangebote für ‘Anforderungsversagende’ im System institutionalisiert worden wären. Bereits im vorletzten Jahrhundert begann sich in der Schweiz eine sonder- bzw. heilpädagogische Domäne zu formieren, deren Durchschlagkraft einmalig war. Zum Erfolg beigetragen hat die Allianz der schweizerischen humanitären Tradition mit der in der Schweiz weitverbreiteten Bedächtigkeit und Beharrlichkeit, ein gestecktes Ziel zu verfolgen. Unterstützt wurden die Bestrebungen zudem von einem großen Bürgerengagement (vgl. Bach 1990). Bereits im Jahr 1810 wurde die „Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft“ gegründet, die sich ab 1835 der Armenlehrerausbildung annahm und sich gleichzeitig für die Unterstützung bestehender und für die Errichtung neuer Anstalten und Landschulen für verwahrloste Kinder verwenden sollte (vgl. Schindler 1979). In der Folge kam es zu zahlreichen Anstaltsgründungen für benachteiligte und behinderte Kinder. Mit der Einrichtung dieser Anstalten ‘zur Linderung der Not’ wurde Personal rekrutiert, das sich für die Anliegen der Benachteiligten interessierte und – qua institutionellem Auftrag – auch zu interessieren hatte. So kam es, dass VertreterInnen fast aller Anstalten der Schweiz, aber auch Deutschlands, Belgiens und Dänemarks, im Jahr 1865 an der ersten Tagung der damals neu gegründeten „Gesellschaft zur Förderung der Schwach- und Blödsinnigenbildung“ in Hannover teilnahmen (vgl. Alther 1923). An dieser Tagung stellten die drei Gründer der Gesellschaft, Karl Ferdinand Kern, Heinrich Ernst Stötzner und Jean Daniel Georgens ihre neue Idee einer Hilfsschule vor. Diese deutschen Akteure hatten nämlich das Problem identifiziert, dass auch nach Ausscheidung der Anstalts-
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kinder aus der Volksschule immer noch eine Zahl von Kindern darin verbleibe, „die infolge geistiger Schwäche dem Volksschulunterricht nicht zu folgen vermöchten, durch ihn daher nicht ausreichende Förderung erführen, dagegen bei den immer mehr sich steigernden Ansprüchen an die Volksschule in ihr nur als störender und hemmender Ballast sich bemerkbar machen würden.“ (Henze 1928: 146) Entsprechend forderten sie Hilfsschulen als neue Differenzierung des Bildungswesens und sie brachten die Teilnehmenden dazu, folgendes Postulat zu verabschieden: „In allen größeren Städten gründe man für zurückgebliebene Kinder, soweit sie nicht Idiotenanstalten zuzuweisen sind, besondere Schulen, (…)“ (zitiert in Alther 1923: 145). In der Folge entstanden in ganz Europa Hilfsklassen und Hilfsschulen in je länderspezifischen Ausprägungen. Nach Henze (1928) sollen die ersten Hilfsschulen in Deutschland entstanden sein, in Dresden (1867), Gera (1874), Apolda (1975), Elberfeld (1879), Leipzig und Braunschweig (1881). Ab 1882 wurden in der Schweiz erste Hilfsklassen (heute Sonder- bzw. Kleinklassen genannt) gegründet (vgl. Bless 1995), deren Ausbreitung erklärtes Ziel der ersten „Schweizerischen Konferenz für das Idiotenwesen“3 im Jahr 1889 war (vgl. Schindler 1990). Ab 1920 ging es den Akteuren des ‘Idioten’- bzw. des ‘Geistesschwachenwesens’ ausdrücklich um die Verwissenschaftlichung der Heilpädagogik, denn durch mehr professionelle Kompetenz erhofften sie sich die Sicherung der Zuständigkeit für die ‘geistesschwachen’ Kinder: nicht Medizin oder Psychiatrie und auch nicht das Regelschulwesen sollen sich dieser Domäne annehmen, sondern die Heilpädagogik. Damit beanspruchten die VertreterInnen der Heilpädagogik die Definitionsmacht darüber, wer als ‘geistesschwach’ anzusehen ist und wie ‘Geistesschwache’ zu behandeln sind (vgl. Wolfisberg 2002). Als Folge wurde 1924 die erste ständige Lehrerbildungsanstalt für Heilerzieher in Zürich gegründet und im Jahr 1931 richtete man die erste Professur für Heilpädagogik an der Universität Zürich ein, die erste in Europa überhaupt (vgl. Heese 1983). Mit der Zunahme des professionellen Personals entstanden weitere Kapazitäten für Innovationen und deren Verbreitung und dadurch eine Ausweitung der Angebote für ‘Anforderungsversagende’, sowohl quantitativer als auch qualitativer Art4. So entstand ein differenziertes separierendes Angebot von Sonderklassen, Sonderschulen und therapeutischen Maßnahmen, das einerseits eine besondere Förderung von ‘behinderten’ Kindern und Jugendlichen versprach, diese gleich3
4
Die „Schweizerische Konferenz für das Idiotenwesen“ wurde im Jahr 1889 gegründet, wurde 1911 in „Schweizerische Konferenz für Erziehung und Pflege Geistesschwacher“, 1931 in „Schweizerische Hilfsgesellschaft für Geistesschwache“ und 1976 in „Schweizerische Heilpädagogische Gesellschaft“ umbenannt. Wie beispielsweise „die Legasthenie gekommen ist“, zeigt auf eindrückliche Weise BühlerNiederberger (1991).
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Priska Sieber
zeitig mit dem entsprechenden Stigma versah und so deren Ausgrenzung förderte. Im Kanton Zürich beispielsweise wurden in den 1960er-Jahren zehn verschiedene Typen von Sonderklassen unterschieden, eine davon für Linkshänder (vgl. Rosenberg 1989: 37). Um diese Angebote in ihrem Bestand sicher zu stellen, benötigte man im System eine Vielzahl zugehöriger Rollen wie etwa Sonderklassenlehrpersonen, Sonderschullehrpersonen für verschiedenste Behinderungsarten, PsychologInnen, TherapeutInnen oder BeraterInnen, die sich mit nicht normgerechten SchülerInnen befassen. Auch war die Professionalisierung mit dem Einrichten einer beachtlichen Zahl von besonderen Organisationen verbunden, darunter etwa die Schweizerische Invalidenversicherung, Erziehungsberatungsstellen (die sich später zu schulpsychologischen Diensten weiterentwickelten), die Schweizerische Zentralstelle für Heilpädagogik, Lehrmittelverlage, Verbände für das heilpädagogische Personal, weitere Hochschulprofessuren und Ausbildungsstätten für das vielfältige Personal.5 Während all dieser Jahre kam es in den Deutschschweizer Bildungssystemen kaum zu Weiterentwicklungen im Regelsystem bezüglich eines binnendifferenzierten Umgangs mit Heterogenität.6 Als Folge dieser Entwicklungen sind aufgrund der bestehenden institutionellen Vorgaben die Regelklassenlehrpersonen nicht mehr zuständig 5
6
Infolge der starken Institutionalisierung und Vernetzung sieht – mit Ausnahme des italienischsprachigen Kantons Tessin – das aktuelle schulische Angebot für ‘anforderungsversagende’ SchülerInnen in der Schweiz ziemlich ähnlich aus: Sie werden mehrheitlich in Sonderklassen unterrichtet, die sich größtenteils in den Regelschulhäusern befinden. Demgegenüber haben die Ideen der AkteurInnen der italienischen Integrationsbewegung in den 1970er-Jahren auf das Tessin übergegriffen, wo sich eine Elternbewegung formierte, welche die Schließung der damals noch geringen Zahl an Sonderklassen erreichte. An deren Stelle wurde der „Sostegno pedagogico“ aufgebaut, ein Stützangebot im Rahmen der Regelklassen, und im Tessiner Schulgesetz wurden integrative Schulungsformen für behinderte Kinder bereits im Jahre 1975 verankert (vgl. Sturny 1985). Diese Bewegung prägte anschließend auch das Ausmaß der Nutzung der Sonderklassen in der französischsprachigen Schweiz, wo heute die Aussonderung viel weniger verbreitet ist und schulische Probleme eher von der Regelschule aufgefangen werden, unter anderem mit einer erhöhten Quote von SchulklassenwiederholerInnen (vgl. Bless/Schüpbach/ Bonvin 2004). Demgegenüber wurden die Grundlagen der Sonderklassenschulung und die in der deutschsprachigen Fachliteratur zum Begriff der Lernbehindertenpädagogik entwickelten Konzepte in der lateinischen Schweiz nie rezipiert. Im Gegenteil: Das Messen der SchülerInnen an einer durch die Aussonderungsmöglichkeiten immer strenger werdenden Norm wurde vorangetrieben und von AkteurInnen der sonderpädagogischen Domäne unterstützt. Reihenuntersuchungen, mit denen alle SchülerInnen auf eine Abweichung hin untersucht werden, für die es im System eine Behandlungsmöglichkeit gibt, sind Ausdruck davon. Auch die fremdsprachigen SchülerInnen, die ab den 1960er-Jahren vor allem in städtischen Gebieten im schweizerischen Bildungssystem eingeschult wurden, erhielten eine besondere Förderungen in separierenden institutionellen Arrangements, damit die Normen der Regelklassen nicht ‘gestört’, das heißt infrage gestellt wurden. Der Großteil an Ressourcen für den Umgang mit der zunehmenden kulturellen Heterogenität der Schülerschaft wurde und wird daher nach wie vor für den Erhalt und den Ausbau der diagnostizierenden und separierenden Strukturen verwendet.
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für die Behandlung von Abweichungen. Ihre Aufgabe ist es, halbjährlich in einem Zeugnis aufgrund ‘gerechter’ Kriterien die Normeinhaltung der SchülerInnen zu attestieren und wenn die Norm nicht eingehalten wird, die vom System vorgesehene Maßnahmen anzuordnen: Klassenwiederholung, Therapien oder Sonderklassenzuweisung. Wenn in einem solchen System dann gleichzeitig gesetzlich verankert ist, dass kein Kind aufgrund seiner Fremdsprachigkeit einer Sonderklasse zugewiesen werden darf (EDK 1995), dann ist dies doch eher zynisch, weil nur umsetzbar, wenn Lehrpersonen gegen andere Regeln verstoßen.
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Prägung von Handlungen
Die verschiedenen oben beschriebenen Strukturen eines Bildungssystems mit den entsprechenden institutionellen Vorgaben stellen ein komplexes Regelwerk zur Anleitung von Handlungen innerhalb des Bildungssystems dar. Sie prägen das Wissen und Handeln von institutionellen Akteuren in Interaktionen in lokalen Situationen, determinieren es aber nicht, denn nicht alle in schulischen Handlungen zu bearbeitenden Probleme können durch institutionalisierte Anweisungen gelöst werden. So entstehen in den konkreten Handlungen, in denen beispielsweise eine Sonderklassenbedürftigkeit definiert wird, zahlreiche situationsspezifische Transformationen, einerseits aufgrund von spezifischen lokalen Kontexten und anderseits wegen der subjektiven Verfasstheit von Handelnden. Das handlungsleitende Wissen in schulischen Definitionsprozessen stammt also nicht nur aus reglementarischen Vorgaben, sondern beispielsweise auch aus der Berufspraxis, aus Alltagserfahrungen oder aus (schul-)kulturellen Leitvorstellungen. Solche lokalen Interpretationen des Wissens über die Situation üben einen stark prägenden Einfluss aus und führen zu spezifischen Handlungslogiken, die in einem bürokratischen System wie demjenigen des Bildungssystems allerdings stark von den jeweiligen institutionellen Vorgaben geprägt sind.7 Eine dieser Logiken gründet etwa auf der Tatsache, dass die Lehrpersonen in Regelklassen gerechte Selektionsentscheide fällen müssen. Sie sind daher gezwungen, die SchülerInnen an der gleichen, engen Leistungsnorm zu messen und das Erreichen oder Nicht-Erreichen der Norm halbjährlich in einem Zeugnis zu attestieren. Dadurch wird der Blick der Lehrpersonen für das Erkennen von Abweichungen von der monokulturellen und monolingualen Kultur (Gogolin, 1994) des aktuellen Bildungswesens geschärft. Für normabweichende Schüler7
vgl. ausführlich dazu Sieber (2006). In dieser Untersuchung wurden in umfangreichen Fallstudien in sieben Deutschschweizer Gemeinden die handlungsprägenden Wissensbestände herausgearbeitet.
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Innen, die beispielsweise die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen oder den schulischen Normen ihre Unterstützung entziehen, müssen im System vorgesehene Maßnahmen angeordnet werden und diese liegen – außer die Klassenwiederholung – nicht im Zuständigkeitsbereich der LehrerInnen von Regelklassen, denn dafür sind institutionalisierte sonderpädagogische Angebote, Rollen und Organisationen im System zuständig. In der Regel erhalten fremdsprachige Kinder und Jugendliche bei ihrer Einschulung zunächst separiert angebotenen Stützunterricht in Deutsch. Wenn sie dadurch die deutsche Sprache schnell zu beherrschen lernen und sich gleichzeitig den engen schulischen Leistungsnormen anpassen, können sie in der Regelschule verbleiben. Wer dies allerdings nicht schafft, weil beispielsweise die vielen Misserfolgserlebnisse in der Anfangszeit zu belastend sind, und dadurch die Lehrperson oder das reibungslose Fortschreiten im Unterrichtsstoff stört, wird den vorhandenen sonderpädagogischen Strukturen zugewiesen und damit zu einem sehr frühen Zeitpunkt innerhalb der Schullaufbahn ausgegrenzt – insbesondere von der Möglichkeit, von ‘normalen’ SchülerInnen und den im Regelsystem geltenden Leistungsnormen zu lernen. Ob allerdings die Kindergarten- und Regelklassenlehrkräfte eine Schülerin oder einen Schüler weiterhin in der Regelklasse fördern wollen und können oder ob sie eine Aussonderung oder andere sonderpädagogische Maßnahmen in Betracht ziehen, hängt einerseits von der Belastung der Klasse, aber auch von der Belastbarkeit der Lehrkraft ab und ist anderseits maßgeblich vom lokal vorhandenen Angebot an Unterstützungsmöglichkeiten abhängig. Wird das Unterrichten beschwerlich, gibt es in den meisten Deutschschweizer Bildungssystemen derzeit noch keinen schulischen Service für Lehrkräfte oder Klassen, sondern das System stellt nur Maßnahmen zur Verfügung, die sich auf die Unterstützung von einzelnen Kindern und Jugendlichen beziehen. Unterstützungsanspruch kann daher nur geltend gemacht werden, wenn ein einzelnes Kind mit der ‘Diagnose’ einer im System vorgesehenen Lernschwierigkeit oder Verhaltensabweichung und dem entsprechenden Stigma versehen wird. Bei hoher subjektiver Belastungswahrnehmung der Lehrperson besteht daher eine Tendenz jegliche Entlastungsmöglichkeit, die im System selbst angelegt ist, zu nutzen. Eine Aussonderung wird viel eher in Betracht gezogen, wenn das sonderpädagogische, entlastende Angebot lokal überhaupt vorhanden ist. Da die im System vorgesehenen Sondermaßnahmen jedoch keinem Gesamtkonzept folgen, sondern die einzelnen Angebote ein additives Nebeneinander von historisch entstandenen Strukturen fristen, sind sie in sehr unterschiedlichem Maß verfügbar. Je nach lokaler Situation und Interpretation werden sie daher in unterschiedlicher Weise und in beliebiger Zusammensetzung genutzt. So kommt es durchaus vor, dass – wenn lokal ein ausreichendes Angebot bereit steht –
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SchülerInnen neben einer Behandlung in der Sonderklasse auch noch Legasthenietherapie und Zusatzunterricht in Deutsch erhalten. Auch hier gilt: Wenn ein Angebot für die Behandlung von ‘Sprachdefiziten’ verfügbar ist (Legasthenietherapie oder Zusatzunterricht in Deutsch), sind die Sonderklassenlehrpersonen nicht mehr zuständig für die Behandlung dieser Abweichung. Die lokalen Anbieter der sonderpädagogischen Angebote unterstützen die Zuweisungsprozesse zu ihren Behandlungen teilweise tatkräftig, ist doch ihre Existenz eng mit den im Regelklassensystem diagnostizierten Normabweichungen verbunden. Anderseits können SchülerInnen eher in Regelklassen verbleiben, wenn lokal kein separierendes Angebot vorhanden ist, auch wenn diese die enge Leistungsnorm bei weitem nicht zu erfüllen vermögen. Ausgrenzen aus der Schulgemeinschaft wird viel seltener als Entlastungsmöglichkeit genutzt als das Ausgrenzen aus der Regelklasse in eine Struktur innerhalb der angestammten Schule. Bezogen beispielsweise auf die aktuellen Dynamiken im Bildungssystem kann beobachtet werden, dass die Akteure der sonderpädagogischen Domäne neue Behandlungsansprüche suchen. Als Ursachen davon gelten der zunehmende Legitimationsverlusts separierender Sonderbehandlungen und die steigende Bedeutung von Bildung und Ausbildung für den Erfolg in unserer Wissensgesellschaft, sodass sich (bildungsnahe) Eltern vermehrt gegen eine Aussonderung wehren. Als Folge davon werden vermehrt (bildungsferne) Kinder mit Migrationshintergrund für die bestehenden separierende Maßnahmen rekrutiert und es werden gleichzeitig integrative Formen der Sonderbehandlung vorangetrieben und damit – in den Worten von Reiser (1997: 273) – „die sonderpädagogische Verseuchung des allgemeinen Schulsystems“ vorangetrieben. Im Rahmen der bestehenden Strukturen können solche Neudefinitionen trotz Integrationsdebatte (noch) nicht verhindert werden, weil einerseits das Regelklassensystem mit seinen akzentuierten Anforderungen auf Maßnahmen für Anforderungsversagende angewiesen ist und anderseits keine ausreichend starke ‘Integrationsdomäne’ sowie keine Domäne für ‘Interkulturelle Pädagogik’8 existiert, welche integrative Schulungskonzepte für Kinder mit Migrationshintergrund gegen die starke sonderpädagogische Domäne und die lange eingeübte enge schulische Selektionsnorm durchzusetzen vermag.
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In der Schweiz gibt es lediglich an der Universität Genf zwei Professuren für Interkulturelle Pädagogik sowie im Umkreis des Zürcher Bildungsdepartements einige prägende IKPAkteurInnen.
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Fazit
Aus der neuen Perspektive des Bildungswesens als institutioneller Akteur können die bisher bekannten Einzelerklärungen für die sehr unterschiedlich ausgeprägte zunehmende Ausgrenzung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund als Folge der spezifischen, historisch gestalteten Konfiguration eines Bildungswesens verstanden werden. Die zunehmende Ausgrenzung in den meisten Deutschschweizer Bildungssystemen basiert auf dem Zusammenwirken der Zunahme selbstreferenzieller Systemdifferenzierung durch eine starke sonderpädagogische Domäne, gekoppelt mit einer Veränderung der Leistungsstrukturen der Regelklassen, welche zu höheren Erwartungen oder engeren Normalitätsvorstellungen der Lehrkräfte und weiterer Beteiligter führen, was wiederum den Druck auf eine Systemdifferenzierung erhöht. Der Ansatz des institutionellen Akteurs erhellt die engen Zusammenhänge und Prozesse dieser Bildungssystemkonfiguration. Wandelt sich in einem solchen System der Kontext und nimmt beispielsweise die migrationsbedingte Vielfalt zu, so reagieren die bürokratisch organisierten Bildungssysteme und deren Akteure auf dem Hintergrund ihrer spezifischen historisch gewachsenen Strukturen: die neuen Unterscheidungen werden in bekannte Unterscheidungen eineingeordnet, denn auch Kinder mit Migrationshintergrund müssen im Rahmen der Anleitungen der geltenden institutionalisierten Regelungen ‘behandelt’ werden. Dies bedeutet – etwas pointiert formulier –, dass SchülerInnen mit Migrationshintergrund nach einer relativ kurzen Einführungsphase in die Unterrichtssprache entweder die historisch gestalteten selektionsrelevanten Leistungserwartungen der Deutschschweizer Bildungssysteme (in Deutsch, Mathematik oder Heimatkunde) erfüllen können oder in die vom System definierten Strukturen für ‘Anforderungsversagende’ verwiesen und damit ausgegrenzt werden. Da eine grundlegende Veränderung von bürokratischen Organisationen nur sehr begrenzt möglich ist, sind periodisch Reformen anzugehen, mit welchen das Bildungssystem auf den sich wandelnden Kontext abgestimmt wird. Denn „Reformen sind eine Art Ersatz für die Evolution“ (Luhmann 2002). Auch diesbezüglich liefert der Ansatz des institutionellen Akteurs einen hilfreichen Zugang. Durch die Analyse des handlungsleitenden Wissens der Akteure im System können Probleme bei der aktuellen Aufgabenerfüllung des Bildungssystems eruiert, die Handlungsorientierungen der Akteure aufgedeckt und damit Grundlagen für allfällige Programmneuformulierungen entworfen werden. Für die Deutschschweizer Bildungssysteme müssten Reformbemühungen bei zwei zentralen Problemen ansetzen. Erstens müssten die separierenden Strukturen abgebaut und damit die selbstreferenziellen Interessen im System
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nach separierenden und ausgrenzenden Sonderbehandlungen reduziert werden. Damit verbunden ist allerdings eine Neuausrichtung der vielen Akteure der Sonderpädagogik, was zu massiven Widerständen führen dürfte und entsprechend als langfristige und langwierige Aufgabe anzugehen ist. Zweitens sollten insbesondere die akzentuierenden Bedingungen für Erfolg und Misserfolg in den Blick genommen werden. Nur wenn das Regelklassensystem einen verstärkten Blick aufs Lernen statt aufs Messen und Selektionieren legen kann, wird es integrationsfähiger werden können. Und nur wenn die Selektionskriterien weniger an einseitig unterrichtssprachlich fundierten Leistungskriterien und mit mehr Wahlmöglichkeiten von Fächern in unterschiedlichen Lerngruppen angewendet werden, nehmen die Misserfolgserlebnisse eines beachtlichen Teils von SchülerInnen mit Migrationshintergrund ab. Doch auch diesbezüglich dürfte ein langer Atem notwendig sein, werden damit insbesondere die Privilegien von Lehrpersonen und Angehörigen höherer Schulen zur Diskussion gestellt. Ein erster Schritt auf dem Weg zu mehr Integrationsfähigkeit und weniger Ausgrenzung könnte etwa durch einer Veränderung der Ressourcenzuteilung angestoßen werden: nicht die Identifikation von ‘sonderbehandlungsbedürftigen’ SchülerInnen sollte die Grundlage für die Zuteilung von Unterstützungsmassnahmen an einzelne Schulen darstellen, sondern die Belastung einer Schule mit sozialer und sprachlicher Vielfalt. Eine Entlastung der Regelklassen würde so nicht mehr nur durch die Stigmatisierung und Ausgrenzung von einzelnen SchülerInnen ermöglicht werden, sondern auf dem Hintergrund des jeweiligen schulischen Kontextes. Zudem würde das Interesse an der Schulung von Kindern mit Migrationshintergrund erhöht. Ein Schulleiter aus einer sozial stark belasteten Gemeinde im Kanton Zürich (die wegen des hohen MigrantInnenanteil mehr Ressourcen erhält) meint etwa: „Wir haben eben einen guten Sozialindex.“ Immer aber ist der Blick auf das System als Ganzes – nicht nur auf das Kind oder Jugendlichen mit Migrationshintergrund oder dessen Familie – fruchtbar: er zeigt aktuelle Grenzen aber auch Möglichkeiten der Gestaltbarkeit von Bildungssystemen auf und ermöglicht es, das Bildungssystem auf dem Hintergrund seines spezifischen, sich wandelnden Kontexts zu stärken.
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Der Übergang in die berufliche Ausbildung Migrationsbezogene Bildungskonzepte in der Schweiz Sylvia Bürkler
Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt werden nicht nur durch unterschiedliche Qualifikationen bestimmt, auch Diskriminierung und Vorurteile beeinflussen die Chancengleichheit. Geschlecht, soziale Herkunft und Migrationshintergrund sind neben den erworbenen schulischen Qualifikationen entscheidende Faktoren beim Einstieg ins Berufsleben. Zum Ausgleich bestehender Benachteiligungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind in der Schweiz unterschiedliche Bildungskonzepte entstanden, deren Entwicklung in entscheidender Weise von den migrationspolitischen Leitlinien beeinflusst wurde. Im vorliegenden Beitrag soll mittels einer Analyse bestehender Übergangsangebote aufgezeigt werden, welche Auswirkungen unterschiedliche Lösungsansätze haben.1
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Migration und Integrationspolitik in der Schweiz
Die Herkunft der MigrantInnen in der Schweiz hat sich in den letzten fünfzig Jahren stark verändert. In dieser Zeit kamen sowohl MigrantInnen aus politischen Gründen (Flüchtlinge) als auch ArbeitsmigrantInnen in die Schweiz. Die Flüchtlinge stammten größtenteils aus Tibet, Ungarn, der Tschechoslowakei, Kambodscha, Vietnam, Chile, Sri Lanka, Ex-Jugoslawien2 sowie Afghanistan und unterlagen als AsylbewerberInnen speziellen gesetzlichen Bestimmungen. Die Grundlage der Arbeitsmigration bildete der wirtschaftliche Aufschwung nach dem zweiten Weltkrieg. Der Bedarf an Arbeitskräften konnte nicht mehr
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Im Bewusstsein einer Unterlassung wird im Rahmen dieses Beitrags auf Definitionen von Begriffen wie Kultur, Ethnizität, Multikulturalität, Integration und semantische Verschiebungen im Bereich der Migration nicht eingegangen, da dies den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen würde. Menschen aus Ex-Jugoslawien kamen aber auch bereits viele Jahre vor den kriegerischen Auseinandersetzungen als Arbeitskräfte in die Schweiz.
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Sylvia Bürkler
allein über den inländischen Arbeitsmarkt gedeckt werden.3 Menschen aus Südeuropa, aber auch aus sogenannten Drittwelt-, Schwellen- oder Entwicklungsländern wanderten in die Schweiz ein, um ihre Lebens- und Arbeitssituation zu verbessern. Nicht zuletzt dank der ArbeitsmigrantInnen, die meist in Arbeitssektoren mit sehr niedrigem Status beschäftigt wurden, kam es seit den 1950er Jahren zu einem starken Anstieg des Wohlstands in der Schweiz. Als Folge kam es zu einer gesellschaftlichen Unterschichtung, die als eine der Ursachen für bestehende gesellschaftliche Segregationen betrachtet werden kann (vgl. Hoffmann-Nowotny 1992: 24). Ende der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre herrschte in der Schweiz eine relativ hohe Arbeitslosigkeit4 und gleichzeitig kamen viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz. Zu dieser Zeit wurde heftig darüber diskutiert, wie viele Flüchtlinge und Arbeitslose sozial zu verkraften seien. Das gleiche Phänomen hat sich in letzter Zeit, in einer Phase mit geringem Wirtschaftswachstum, wiederholt.5 In wirtschaftlich schlechten Zeiten werden die zuletzt eingewanderten MigrantInnen vielfach als das Problem gesehen. Dabei geraten die früheren Migrationsgruppen in Vergessenheit und werden nicht mehr als Problemfälle adressiert.6 Im Zusammenhang mit den verschiedenen migrationspolitischen Herausforderungen sind auch unterschiedliche Konzepte zur sozialen Integration der MigrantInnen entstanden. Von 1950 bis 1970 bestimmte die Forderung nach Assimilation die Haltung gegenüber den ArbeitsmigrantInnen. Die folgenden Jahre, bis etwa Mitte der 1990er, waren von der Idee des Multikulturalismus geprägt, seither ist das Konzept der Integration bestimmend. Aktuell kann jedoch wieder eine Tendenz zu einer verstärkten Segregation beobachtet werden. Verantwortlich hierfür sind neben der Kürzung öffentlicher Ausgaben auch der in den letzten Jahren gewachsene Einfluss rechter Parteien, der durch diese Sogwirkung verbundene Rechtsrutsch bürgerlicher Parteien und die Meinung der Bevölkerung.7 3
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Der ‘demand pull’-Faktor gilt als wesentlicher Anreiz der Arbeitsmigration (vgl. Heckmann 1995). Zwischen 1994 und 1997 schwankte die Arbeitslosenzahl gemäß Bundesamt für Statistik in der Schweiz zwischen 4.0 und 4.7%. Der Anteil von Ausländerinnen an der Wohnbevölkerung in der Schweiz stieg ab Ende der Neunziger Jahre nochmals leicht an (2000: 20.9%; 2004: 21.8% und 2005 wieder abnehmend auf 20.7%). Die Arbeitslosenquote bewegte sich zwischen 1.8% (2000) und 3.9% (2004). Wie die SüditalienerInnen, die in den 1960er Jahren in der Schweiz Arbeit fanden. Noch 1998 stellten die Italienerinnen mit 24.8% weitaus die grösste Gruppe der ausländischen Wohnbevölkerung der Schweiz dar (vgl. Schweizerische Ausländerkommission 1999). Im September 2004 wurde auf Bundesebene eine Verfassungsänderung betreffend Erleichterungen des Bürgerrechtserwerbs für ausländische Jugendliche der zweiten und der dritten Generation abgelehnt. Bereits im Vorfeld dieser Abstimmung und auch nachher gab es auf Bundes-
Der Übergang in die berufliche Ausbildung
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Die theoretische Grundlage des Assimilationskonzepts geht auf Robert E. Park8 zurück. Er führte die Ursache der Aus- und Einwanderungsbewegungen auf das Modernitätsgefälle zwischen Herkunfts- und Einwanderungsländern zurück. Für Park stellte die Assimilation einen Ausweg aus der schwierigen Interaktion zwischen den Einwandernden und der Gastgesellschaft dar. Sie war für ihn die letzte Phase eines lang anhaltenden Zyklus, der mit dem Erstkontakt beginnt, in die Phase von Kompetition und Konflikt übergeht und nach einer linearen Akkommodation in die Phase Assimilation einmündet, zu einem vollständigen Verschwinden ethnischer Differenzen und ethnischer Gruppierungen (vgl. D’Amato 2001: 11). Elemente dieser theoretischen Grundlage von Park zur Minimierung struktureller Spannungen sind auch von der deutschsprachigen Migrationssoziologie übernommen worden. So versprach auch in der Schweiz die Forderung nach Assimilation die Probleme zu lösen, die in den 50er und 60er Jahren durch die Einwanderung entstanden. Die Forderung zu einer vollständigen Assimilation wurde gegenüber denjenigen MigrantInnen erhoben, die in der Schweiz bleiben wollten. Zugleich holte man saisonale Arbeitskräfte in die Schweiz, bei denen sich die Forderung nach einer Assimilation nicht stellte, da ihnen nur ein temporärer Aufenthalt gestattet war. Die Wirtschaftskrise der 70er Jahre zeigte jedoch auf, dass das Rotationsprinzip10 nicht in vollem Umfang funktionierte respektive dass Arbeitskräfte, die man in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs anwarb, nicht einfach wieder zurückgeschickt werden konnten.11 Anders als in den USA12, die sich von Anfang an als Einwanderungsland verstanden, wurde Assimilation im europäischen Kontext in der Regel als eine
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und kantonaler Ebene verschiedene politische Vorstösse zu diesem Thema oder anderen Bereichen der Migrationspolitik wie die Volksinitiative für eine Regelung der Zuwanderung, die Umsetzung des revidierten Asylgesetzes und der Entwurf eines neuen Ausländergesetzes. Robert E. Parks (1864-1944) Bedeutung liegt vor allem in der Einrichtung des Sociology Department an der University of Chicago, das später zum Zentrum der Chicagoer Schule für Anthropologie und Soziologie wurde. Diese Schule, unter anderem von Weber und Simmel inspiriert, vollbrachte Pionierarbeit in der Mikrosoziologie, bei ‘urban studies’ sowie Minderheiten- und Armutsstudien. Parks eigener Beitrag bestand vor allem in Studien städtischer Subkulturen und ethnischer Minderheiten. Er befasste sich auch mit methodologischen Fragestellungen, die für diese Themen relevant waren. Park formulierte die sogenannte ‘melting pot’Theorie multiethnischer Integration, die auf seinen Erfahrungen des ethnischen Mosaiks in Chicago basierte. Das Rotationsprinzip geht davon aus, dass MigrantInnen ein paar Jahre bleiben und dann remigrieren. Die ArbeitsmigrantInnen stammten vorwiegend aus ländlichen Gebieten Süditaliens, Siziliens und Spaniens, 1960 waren es: 59,2% ItalienerInnen und 2,3% SpanierInnen (vgl. Schweizerische Ausländerkommission 1999) Auch hier gibt es Kritik an der assimilatorischen Vorstellung, die im Bild des ‘melting pot’ propagiert wurde. KritikerInnen halten demgegenüber vielmehr das Bild einer bunt gemischten
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einseitig zu erbringende Anpassungsleistung an Gesellschaften im Einwanderungsland angesehen. Die geforderte Assimilation beruht hier nicht auf gegenseitigen Beeinflussungen und Entwicklungen, vielmehr stellt sie ein Zeichen kultureller Arroganz und eine Einweg-Integration dar, bei der vor allem von den Zugewanderten Anpassungsleistung verlangt werden. Dass durch eine solche Orientierung in der Migrationspolitik die im Zusammenhang mit der Arbeitsmigration entstandenen sozialen und politischen Herausforderungen nicht bzw. nur sehr bedingt gelöst werden konnten, zeigten unter anderem die ‘Überfremdungsinitiativen’13. Hier wurde Angst vor Veränderungen und Überfremdung geschürt. Diese Angst hatte zwar in der Regel sehr wenig mit Migration zu tun, ihre Wurzeln liegen meist in andern gesellschaftlichen Problembereichen, etwa drohende Arbeitslosigkeit oder ungesicherte Altersvorsorge. Allerdings wurden die MigrantInnen vielfach als Ursache für die gesellschaftlichen Problemlagen angesehen. Aus der Kritik an der assimilatorischen Zielsetzung entwickelte sich eine multikulturalistische Perspektive, die auf dem Eingeständnis von Differenz beruhte. Das Recht auf kulturelle und ethnische Differenz sowie die Bedeutung von Toleranz gegenüber Differenzen wurden unterstrichen. Durch diese Essentialisierung und Kulturalisierung entstand einerseits ein Bereicherungsdiskurs – jede Ethnie oder Kultur kann zur kulturellen Vielfalt beitragen – andererseits wurden die Differenzen dadurch jedoch auch als unüberbrückbar gewertet und dienten somit der Ausgrenzung. Weil in der Schweiz nicht von einer homogenen, homoethnischen Staatsidee ausgegangen wird, könnte man davon ausgehen, dass der Multikulturalismus weniger Spannungen erzeugen sollte. Dass dem nicht so war, hat D’Amato folgendermaßen begründet: „Ein territoriales Übergreifen kultureller Erscheinungen wird in dem Maße eingeschränkt, als man darin eine Gefährdung des labilen Gleichgewichts der plurikulturellen Schweiz sieht“ (2001: 26). Pluralismus galt also nur für die SchweizerInnen. Die Anerkennung der Einwanderung wurde mit dem Argument, die Schweiz sei kein Einwanderungsland, abgewehrt; das Recht auf Gleichberechtigung und Teilhabe am Staat wurde den MigrantInnen aberkannt. Dass dies zu Desintegration führte, wurde mit der Zeit deutlich. Der Soziologe Hans Joachim Hoff-
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‘salad bowl’ für angemessener. Statt zu einer Verschmelzung kommt es hier vielmehr zu einer Beibehaltung und Vermischung der verschiedenen migrantischen Traditionen. Die Schwarzenbach-Initiative wollte die Schweiz vor der ‘Überfremdung’ schützen, indem ein Limit für ‘Ausländerinnen’ gesetzt werden sollte. James Schwarzenbach (1911-1994) war Parteivorsitzender der damaligen Republikanischen Partei der Schweiz, Schriftsteller und Verleger. Der Abstimmungskampf verlief sehr emotional und spaltete das Land. Die Initiative wurde am 7. Juni 1970 mit 54 Prozent Nein- zu 46 Prozent Ja-Stimmen durch das Schweizer Stimmvolk abgelehnt. In sieben Kantonen erreichte die Initiative eine Ja-Mehrheit. Wäre die Initiative angenommen worden, hätten ca. 300 000 Menschen ausgewiesen werden müssen.
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mann-Nowotny verfasste im Auftrag des Schweizerischen Wissenschaftsrats in den 1990er Jahren einen Bericht über „Chancen und Risiken multikultureller Einwanderungsgesellschaften“.14 Darin stellte er fest, dass die Multikulturalismusphase die Entwicklung vom Defizit- zum Regulationsansatz in die Wege geleitet hat. Man wurde sich bewusst, dass transnationale Mobilität aus wirtschaftlicher und staatspolitischer Sicht notwendig ist, dass aber gleichzeitig die transnationale Mobilität zu kontrollieren ist. Dies führte zu einer Entflechtung der beiden Bereiche Integrations- und Zuwanderungspolitik (vgl. Wicker et al. 2003: 48). Da der Multikulturalismus jedoch nicht zur Lösung der bestehenden Probleme führte und sich der Druck der politisch rechts stehenden Parteien vergrößerte, wurde nach einem neuen Ansatz gesucht. Mit gezielten Maßnahmen15 wurde eine Integrationsförderung in Gang gesetzt. Der Bericht der Schweizerischen Ausländerkommission (EKA) von 1999 kann als Ergebnis des Richtungswandels interpretiert werden. Dem Bericht zufolge ist keine vollständige Angleichung an die Einwanderungsgesellschaft notwendig. Neben der Akzeptanz von Grundwerten, die in der eingewanderten Gesellschaft Geltung haben sollen, gibt es eine gegenseitig aushandelbare Gestaltung des Zusammenlebens. Integration soll die Inklusion in ein System ermöglichen, also in Staat, Wirtschaft oder Recht.16 Sancar-Flückiger stellt dazu fest, dass in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften Individuen nicht als Gesamtheit einbezogen würden. Die Inklusion erfolge unter jeweils teilsystemspezifischen Gesichtspunkten (1996: 10). Sichtbar wird dies auch in den Integrationsleitbildern17, deren Problemwahrnehmung und Maßnahmen sich beinahe ausschließlich auf MigrantInnen der Unterschicht beziehen. Die Akzeptanz politischer Integration ist immer noch umstritten und wird auch in den meisten Integrationsleitbildern ausgeklammert.
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Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (1992): Chancen und Risiken multikultureller Einwanderungsgesellschaften. Forschungspolitische Früherkennung Nr. 119, Bern: Schweizerischer Wissenschaftsrat (FER). Maßnahmen waren im Bereich des Spracherwerbs von MigrantInnen, in der Stadtentwicklung usw. angesiedelt. Diese sollten in Integrationsleitbildern rechtlich festgehalten werden. „Die soziale Dimension der Staatsbürgerschaft spielt in modernern Wohlfahrtsstaaten für die Eingliederung von Immigrierten und ethnischen Minderheiten eine wichtige Rolle“ (D’Amato 2001: 40). In verschiedenen Kantonen und Städten wie in den Städten Bern (1999), Winterthur (2000), Zürich (1999) sowie in den Kantonen Basel-Stadt (1999), Luzern (2000) und St. Gallen (1999) wurden Leitbilder zur Integrationspolitik erarbeitet.
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Bildungskonzepte
In der Phase des Assimilationsmodells galten die ArbeitsmigrantInnen mit einer temporären Aufenthaltserlaubnis als Nicht-zu-Integrierende. Unter der Voraussetzung der Nicht-Integrierbarkeit waren Bildungskonzepte daher nicht erforderlich. Probleme im Bildungsbereich entstanden, als nicht wie vorgesehen alle Arbeitsmigrierten zurückkehrten, sondern zudem ihre Familien in die Schweiz holten. Die Bildungsinstitutionen reagierten auf diese Entwicklung mit der Gründung paralleler Einrichtungen, die zusätzlich zu den regulären geführt wurden, um Defizite aufzufangen und eine Eingliederung zu ermöglichen. Gleichzeitig wurden Kurse in der heimatlichen Sprache und Kultur für Kinder mit Migrationshintergrund verpflichtend. Damit wurde dafür gesorgt, dass den Kindern bei einer Rückkehr in ihre Heimat Sprache und Kultur vertraut blieben. Auch in den Bildungskonzepten ging man immer noch von einem temporären Aufenthalt aus. Die Zeit des Multikulturalismus war die Blütezeit der interkulturellen Pädagogik, die sich nach Annedore Prengel (1995: 83f.) im Kontext theoretisch hoch ambitionierter Auseinandersetzungen bewegte und auch didaktische Neuerungen wie Binnendifferenzierung brachte. Zentrales Element im Konzept der interkulturellen Bildung war die Identitätsentwicklung durch die Förderung der Herkunftssprache und -kultur des Kindes. Interkulturelle Erziehung wurde auch als gesellschaftspolitisches Engagement verstanden, als Anerkennung kultureller Vielfalt, die zur „Multikulturalisierung des Wissenskanons und zur Minderheitenförderung in Bildungsinstitutionen“ (Prengel 1995: 93) führte. Der Multikulturalismus setzte auf eine erfolgreiche frühe Unterstützung der Herkunftssprache und -kultur, die eine positive Entwicklung der Identität zum Ziel hatte. Diese sollte zu einer Integration in die Gesellschaft führen und damit auch erfolgreich Zugänge zum Übergang von der Schule in die Arbeitswelt eröffnen. Der Schwerpunkt der Förderung lag dabei in der Kindheit und in einer gemeinwesenorientierten Schule.18 Hier sollte auch eine Kompensation geleistet werden für Aufgaben, für die eigentlich andere Institutionen die Verantwortung tragen sollten, die diese aber nicht wahrgenommen hatten, etwa die Familie. Die interkulturelle Pädagogik ist bis heute jedoch vor allem eine Idee geblieben. Sie wurde kaum umgesetzt und endete mit der obligatorischen Schulzeit. Die Übergangsphase in die Berufsausbildung wurde vernachlässigt.
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Das Konzept der ‘community education’ führt Auernheimer (1990: 231) auf John Dewey zurück.
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Der Bericht der Schweizerischen Ausländerkommission von 199919 befasste sich im Rahmen der Integrationsbestrebungen auch mit Fragen der Schul-, Ausund Weiterbildung. Dabei wurden zwei Aspekte besonders deutlich: Erstens hätten sowohl Praxis als auch wissenschaftliche Analyse gezeigt, dass kompensatorische Angebote bisher kaum die erhofften Wirkungen gezeigt hätten und dass eine Neuorientierung von der additiven zur integrativen Förderung erforderlich sei. Zudem würden die separierenden Angebote die Gefahr einer Marginalisierung20 erhöhen. Zweitens wird im Kontext von Schul- und Berufsbildung auch auf die Schwierigkeiten der Nachzügler verwiesen. Beispielsweise kam während der Krise in Kosovo im Rahmen des Familiennachzugs eine große Zahl von Jugendlichen in die Schweiz, die der Schulpflicht entwachsen, aber ohne berufliche Qualifikationen und ohne Kenntnisse der deutschen Sprache waren. Probleme dieser Art wurden mit Sondermaßnahmen wie Brückenangeboten in Form von Integrationskursen, Vorlehren und Werkklassen angegangen. Diese Einrichtungen stehen immer wieder in Diskussion, weil der Erfolg dieser Maßnahmen umstritten ist. Unter einer Integrationsperspektive wurden pädagogische Einrichtungen geschaffen, die Defizite sowohl für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund als auch für Kinder und Jugendliche mit schulischen Defiziten oder Behinderungen ausgleichen sollten. Der integrative Ansatz wurde einerseits als Einführung differenzierter Zusatzangebote außerhalb der ‘normalen’ Schulung verstanden, andererseits aber auch als eine ‘Vollintegration’ mit der Einfügung der Zusatzangebote in den ‘normalen’ Schulunterricht. Wie aktuelle Lösungsansätze von Einrichtung zwischen obligatorischer Schule und Berufsbildung konzipiert sind und welche Auswirkungen unterschiedliche Lösungsansätze haben, soll im Folgenden aufgezeigt werden.
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Die Integration der Migrantinnen und Migranten in der Schweiz: Fakten, Handlungsbereiche, Postulate. Marginalisierung meint die Tendenz, dass MigranInnenkinder und -jugendliche überdurchschnittlich häufig in Sonderschulen überwiesen werden, die dann auch keinen ausreichenden Schulabschluss ermöglichen, der einen Einstieg in eine ‘normale’ Berufsausbildung gewährt.
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Der Übergang ins Arbeits- und Berufsleben21
Jugendliche mit Migrationshintergrund und/oder mit schulischen Defiziten haben größere Schwierigkeiten eine Lehrstelle zu finden und machen überdurchschnittlich häufig eine Anlehre22 oder wählen eine Zwischenlösung23. Nur selten wählen Jugendliche mit Migrationshintergrund nach der obligatorischen Schulzeit eine allgemeinbildende Ausbildung der Sekundarstufe II24. Begabte Jugendliche mit Migrationshintergrund werden oft deshalb nicht erkannt, weil Schwierigkeiten im sprachlichen Ausdruck Begabungen und Ressourcen überdecken. Damit ein Übertritt in eine Ausbildung der Sekundarstufe II, die ihren Begabungen entspricht, möglich wird, müssen sie unterstützt und gefördert werden. Brückenangebote25 sind eine Einrichtung dazu und richten sich an Jugendliche, die noch keinen angemessenen Einstieg in die Berufsbildung oder in weiterführende Ausbildungen gefunden haben. Das neue Berufsbildungsgesetz, das 2004 in Kraft getreten ist, verankert auf Bundesebene eine Neuorientierung der Berufsbildung, die bessere Chancen für Jugendliche mit Migrationshintergrund bieten soll.
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Beim Übergang von der obligatorischen Schule, die in der Schweiz neun Jahre dauert, in die staatlich und/oder privatwirtschaftlich organisierte Berufsbildung wechseln die Jugendlichen das Bildungssystem. Für schweizerische und ausländische Jugendliche mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus gibt es für den Übergang in Arbeit und Beruf ein breites Feld von Ausbildungsangeboten. Jugendlichen Flüchtlingen ohne einen gesicherten Aufenthaltsstatus bleiben nahezu alle Möglichkeiten verwehrt. Denn das für Flüchtlinge bestehende Arbeitsverbot bedeutet weitgehend auch ein Ausbildungsverbot. Auf diese Problematik – eine beinahe unüberwindbare Barriere – wird im Weiteren nicht eingegangen. Die ein- oder zweijährige Anlehre wurde 1978 für lernbehinderte Jugendliche eingeführt. Sie wird neu durch die Grundausbildung mit Berufsattest ersetzt. Zwischenlösungen umfassen ein 10. freiwilliges Schuljahr (Brückenangebot), Sprachschule, schulischer Auslandaufenthalt, Praktikum, Stage, Sozialjahr, Au Pair, Vorlehre, Motivationssemester. Nach der obligatorischen Schule, also nach neun Schuljahren, treten Jugendliche in die Sekundarstufe II über. Unterteilen lässt sich die Sekundarstufe II in allgemeinbildende und in berufsbildende Ausbildungsgänge. Allgemeinbildende Schulen sind Maturitätsschulen (Gymnasien) und Fachmittelschulen. Die Berufsbildung kann in Lehrbetrieben mit ergänzendem Unterricht in den Berufsfachschulen oder in einem schulischen Vollzeitangebot wie Lehrwerkstätten oder berufliche Vollzeitschulen absolviert werden. Brückenangebote werden auch synonym mit Zwischenlösungen verwendet. Gemäß der Definition der Arbeitsgruppe Brückenangebote an die Bildungsdirektorenkonferenz Zentralschweiz (2003) sind Brückenangebote an der Nahtstelle zwischen der obligatorischen Schulzeit und der beruflichen Grundbildung oder weiterführenden Schulen angesiedelt. Sie werden in der Regel von Jugendlichen besucht, die das 9. Schuljahr abgeschlossen haben. Durch das Absolvieren eines der Brückenangebote sollen die Jugendlichen zum Besuch einer beruflichen Bildung, einer weiterführenden Schule oder zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit befähigt werden.
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3.1 Problemfelder in der beruflichen Bildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund Im Rahmen der Nationalen Forschungsprogramme der Schweiz Migration und interkulturelle Beziehungen (NFP 39), Bildung und Beschäftigung (NFP 43) und Integration und Ausschluss (NFP 51) wurde unter anderem auch der Übergang von der obligatorischen Schulbildung ins Berufsleben und die Berufssituation untersucht. Mit dem Übergang von der obligatorischen Schulzeit ins Erwerbsleben befasst sich das Projekt TREE (Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben).26 Die erste schweizerische Längsschnittstudie befragt rund 6.000 Jugendliche, die im Jahre 2000 aus der Schulpflicht entlassen wurden. Beobachtet wird die gesamte Phase dieses Übergangs mit allen Wechseln und Veränderungen, die die Jugendlichen auf ihrem Ausbildungsweg durchmachen. Der Längsschnitt soll bis Ende 2007 weitergeführt werden. Die Analyse soziodemografischer Merkmale wie Geschlecht, soziale Herkunft und Fremdsprachigkeit ist Basis für die Auswertung. Jugendliche mit einem irregulären oder kritischen Ausbildungsverlauf werden zusätzlich befragt, damit Erklärungsmodelle für erfolgreiche bzw. problematische Transitionsmuster erarbeitet werden können. Die Zwischenergebnisse zeigen (vgl. Meyer 2004), dass ein bzw. zwei Jahre nach Schulaustritt 92 Prozent der Schulentlassenen in irgendeiner Form einer weiterführenden Bildungsaktivität nachgehen. Der Anteil der Jugendlichen ohne Ausbildung lag nur bei rund einem Prozent. Rund 60 Prozent der Jugendlichen weisen geradlinige, bruchlose Bildungsverläufe nach der obligatorischen Schulzeit auf. Für die übrigen 40 Prozent beinhaltet der Übergang Sprünge, Wartezeiten, Wechsel und Umwege oder er findet innerhalb von zwei Jahren gar nicht statt. Innerhalb dieser Gruppe sind die diskontinuierlichen Verläufe besonders hoch bei MigrantInnen (58%), Schulentlassenen mit niedrigen Lesekompetenzen (55%) sowie Jugendlichen, die auf der Sekundarstufe I einen Schultyp mit Grundanforderungen besucht haben (52%).27 Die Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund kann gedrittelt werden: Jugendliche der zweiten und dritten Generation früherer MigrantInnen, die vorwiegend aus Italien und Spa26
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Das TREE ist eines der Projekte, die im Rahmen des NFP 43 Bildung und Beschäftigung durchgeführt werden. Ziel des Programms war, die Zusammenhänge zwischen Bildung und Beschäftigung zu erforschen. In interdisziplinärer Forschung wurden Grundlagen erarbeitet, die es den Verantwortlichen im Bildungswesen, in Politik, Wirtschaft, Unternehmen und Berufsorganisationen gestatten, mit zeitlich und sachlich angemessenen Maßnahmen die Beschäftigungssituation in der Schweiz nachhaltig zu verbessern. Gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund und einem geringen sozioökonomischen Status führt aufgrund spezifischer Zuweisungsprozesse die Selektion in diesen Schultyp (vgl. Wagner 2005).
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nien stammten (Secondas), bilden das erste Drittel; das zweite Drittel sind MigrantInnen aus Ländern wie Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien, Spanien und Italien, die nicht in der Schweiz geboren wurden, und das restliche Drittel besteht aus Jugendlichen aus den Balkanländern, aus der Türkei, aus Portugal sowie aus geografisch weiter entfernten Herkunftsländern. Bei Secondas und Jugendlichen aus den Ländern der zweiten Gruppe (Deutschland, Frankreich usw.), die in der Regel sozioökonomisch überdurchschnittlich hoch positioniert sind, unterscheidet sich der Ausbildungsverlauf nicht von dem einheimischer Jugendlicher. Junge MigrantInnen, die aus Ländern des Balkans, der Türkei und anderen weiter entfernten Ländern stammen, schaffen es deutlich weniger (24%), in eine zertifizierende Ausbildung einzusteigen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die soziale Herkunft entscheidend für die nachobligatorische Ausbildungskarriere ist. Mehr als die Hälfte des sozioökonomisch am besten gestellten Viertels der Untersuchungsgruppe besucht eine Maturitäts- oder Diplommittelschule. Bei den Jugendlichen des ökonomisch schwächsten Viertels sind es gerade 8%. Dazu haben 15% dieses Viertels noch keine zertifizierende Ausbildung begonnen. Bei den erstgenannten sind es lediglich 7%. Auch das Geschlecht beeinflusst das erfolgreiche Gelingen. Weiblichen Jugendlichen gelingt der Übergang ins Berufsleben weniger gut. Im thematischen Bericht zu PISA 2000 Bildungswunsch und Wirklichkeit (Bundesamt für Statistik, Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren 2003) wurden die Ausbildungsabsichten untersucht und die Zugangschancen zu bestimmten nach-obligatorischen Ausbildungen unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse zeigen, dass große Chancenungleichheiten im Hinblick auf die Zugänge zu den verschiedenen Ausbildungen auf der Sekundarstufe II herrschen. Einheimische haben gegenüber Immigrierten eine rund zweimal so hohe Chance, ihre Wunschausbildung realisieren zu können. Dieses Ergebnis bestätigt auch die Studie Chancenungleichheit bei der Lehrstellensuche (vgl. Haeberlin et al. 2004). Diese untersucht den Einfluss von Schule, Herkunft und Geschlecht. Sie belegt eine Benachteiligung Jugendlicher mit Migrationshintergrund sowie weiblicher Jugendlicher. Das Risiko, den Übergang in die Berufsausbildung nicht zu schaffen, besteht somit für Jugendliche mit Migrationshintergrund weiblichen Geschlechts in zweifacher Hinsicht. Sie genießen auch weniger Vertrauensvorschuss und weichen deshalb vielfach in frauenspezifisch geltende Berufe aus. Die Chance, eine Lehrstelle zu erhalten hängt vor allem vom Sekundarschultyp ab, der besucht worden ist. Jugendliche, welche vor Schulaustritt einen Schultyp mit erweiterten Anforderungen28 besucht ha28
Auf der Sekundarstufe I werden in der Schweiz je nach Kanton zwischen drei bis vier Schultypen unterschieden. Der Schultyp mit erweiterten Anforderungen, auch Niveau A genannt, soll die SchülerInnen auf weiterführende Schulen vorbereiten.
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ben, haben unabhängig von allen anderen untersuchten Merkmalen eine fast zwanzigmal größere Chance als solche aus Schulen mit Grundanforderungen, ein Gymnasium oder eine Diplommittelschule zu besuchen. Fasst man die Ergebnisse der verschiedenen Studien zusammen, so ergibt sich überall ein ähnliches Bild. Formale Bildungsqualifikationen (wie besuchter Schultyp oder Abgangszeugnis) bilden die schulische Leistungsfähigkeit wenig zuverlässig ab. Vor allem scheint die formale Bildungsqualifikation Jugendlicher mit Migrationshintergrund im Durchschnitt niedriger zu liegen als ihre effektive Leistungsfähigkeit bzw. ihre inhaltliche Qualifikation. Die oben dargestellten Ergebnisse des Projekts TREE im Rahmen des NFP 43 weisen darauf hin, dass sich die Bedeutung der sozialen Selektivität eines Bildungssystems nach der obligatorischen Schulzeit fortsetzt. Entscheidend für einen erfolgreichen Übertritt in die Sekundarstufe II oder eine Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit nach der obligatorischen Schulzeit ist vor allem die besuchte Schulstufe und nicht die effektive Schulleistung. Haben Jugendliche die erste Hürde, den Übertritt in die Sekundarstufe I, nur in einen Schultyp mit Grundanforderungen geschafft, ist auch der Übertritt in die Sekundarstufe II wenig erfolgreich – sie sind wegen der ersten Selektion doppelt benachteiligt. Dass dies kein neues Phänomen ist, zeigen Bourdieu und Passeron in ihrer Untersuchung französischer Hochschulen.29 Das Bildungswesen postuliere Klassenneutralität durch formale Gleichheit aller SchülerInnen und überdecke damit das Klassenerbe respektive das kulturelle Kapital.30 Ursachen für diese Tatsache sind einerseits die Sozialisation der Schule durch Wert- und Leistungsmaßstäbe, die eher Familien der Mittel- und Oberschicht entsprechen, und andererseits die finanziellen Möglichkeiten der Eltern und deren Vorbildfunktion bei der Berufswahl (vgl. Bourdieu/Passeron 1971; Rolff 1974).31 Der soziökonomische Effekt wird durch Geschlecht und Ethnizität verstärkt.
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Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (Hg.) (1971): Die Illusion der Chancengleichheit. Stuttgart: Klett. Aus seinen empirischen Arbeiten über das französische Bildungswesen entwickelte Bourdieu den Begriff des kulturellen Kapitals. Das kulturelle Kapital schließt diejenige Bildung ein, die einen Nutzen im sozialen Beziehungsgeflecht mit sich bringt. Es wird innerhalb der Familie an die Kinder weitergegeben. Dabei verfügen die einzelnen Familien über unterschiedlich viel kulturelles Material (vgl. Bourdieu 1992). „Da die Sozialisation durch die Schule auf die Ausprägungen des Sozialcharakters der Mittelund Oberschicht besser eingestellt ist, haben es Kinder aus der Unterschicht besonders schwer, einen guten Schulerfolg zu erreichen. Sie erlangen häufig nur Qualifikationen für die gleichen niederen Berufspositionen, die ihre Eltern ausübten“ (Rolff 1974: 19).
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3.2 Lösungsansätze Die Programme und Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund eingerichtet wurden, konzentrieren sich vor allem auf die Jugendlichen selbst und werden an staatliche Institutionen delegiert. Die Arbeitgeberseite, also die Ausbildungsbetriebe in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen, werden hingegen kaum in solchen Maßnahmen eingebunden, obwohl, wie im vorangehenden Abschnitt deutlich wurde, weniger die Leistungsfähigkeit der Jugendlichen ein Problem bei der Berufswahl und der Ausbildungsplatzsuche darstellt. Zur Verbesserung der Situation empfehlen Haeberlin et al. (2004) herkunfts- und geschlechtsunabhängige Leistungsbeurteilungen, Unterstützung von Berufsfindungsprozessen in der Schule sowie strukturelle Maßnahmen. Dazu gehören die Schaffung von Ausbildungsplätzen im privaten und öffentlichen Sektor, die rechtliche und politische Gleichstellung von In- und AusländerInnen, die Netzwerkbildung beim Übergang Schule/Berufsbildung, Sensibilisierungskampagnen für Betriebe und Verwaltungen, Anpassung der Arbeit der Berufsberatungen sowie eine Veränderung der geschlechterspezifischen Selektion. Die Eidgenössische Ausländerkommission hat 2003 Empfehlungen zur Verbesserungen der Integration von MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt erarbeitet. Jugendlichen soll der Einstieg in die Berufsbildung durch Mentoring und Coaching sowie durch die Möglichkeit, Bildung nachzuholen, erleichtert werden. Gefordert werden die Unterstützung der berufsorientierten Sprachförderung und die Anerkennung der Mehrsprachigkeit. Bei der Besetzung der Lehrstellen soll ungeachtet der Herkunft und der Nationalität Chancengleichheit realisiert werden. Sowohl von der Wirtschaft wie auch von der Bildung wäre eine Flexibilisierung der bestehenden Ausbildung- und Qualifizierungsangebote gefragt. So sollten beispielsweise Bildungsgänge vom Nachweis der Qualifizierung entkoppelt werden oder weniger strukturierte Aus- und Weiterbildungen nach dem Baukastensystem angeboten werden. Diese Flexibilisierung kommt vor allem jenen zugute, die aus irgendeinem Grund Bildungsmöglichkeiten verpasst haben. Wenn diese Angebote ausschließlich vom Staat geleistet werden und die Wirtschaft sich ihrer Verantwortung entzieht, werden deren NutzerInnen aber segregiert statt integriert. Im Rahmen des „Lehrstellenbeschlusses 2“ bewilligte das Bundesparlament für fünf Jahre (2000-2004) 100 Mio. Franken. Daraus wurden Projekte finanziert, in denen zentrale Bereiche der Berufsbildung in vielfältige Richtungen entwickelt wurden, wie der Übergang von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II. Die Projekte waren meist auf Angebote ausgerichtet, in denen
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auf Defizite der SchulabgängerInnen verwiesen wird, eher selten aber auf die spezifischen Kompetenzen dieser Jugendlichen oder auf die abnehmende Bereitschaft von Betrieben, Jugendliche mit einem Abschluss der Sekundarstufe I mit Grundanforderungen auszubilden. Seit Anfang der 1990er Jahre wählen immer mehr Jugendliche eine Zwischenlösung. Gemäß den Zwischenergebnissen der Studie TREE sind es heute ein Viertel der Jugendlichen, bei denen sich bestimmte Faktoren kumulieren (niedriger sozioökonomischer Status, Migrationshintergrund, Besuch der Sekundarstufe mit Grundanforderungen, weiblich). Die Zwischenlösungen scheinen für die Benachteiligten erfolgreiche Programme zu sein, gelingt doch beinahe drei Vierteln der Jugendlichen in Zwischenlösungen der Übertritt in eine zertifizierende Ausbildung der Sekundarstufe II (vgl. Meyer 2004). Dabei gibt es eher praktisch und eher schulisch angelegte Angebote, Angebote des öffentlichen Bildungssystems und Angebote im Rahmen der Arbeitslosenversicherung. Das Angebot ist vielfältig und unübersichtlich. Es sind Bestrebungen im Gang, die Angebote zu koordinieren und interkantonal zu organisieren. Als eine spezifische Form von Zwischenlösung werden im Folgenden die Brückenangebote vorgestellt, ein Angebot, das eine hohe Erfolgsquote aufweisen kann.
3.3 Brückenangebote Je nach Kanton wird unter dem Begriff ‘Brückenangebot’ in Bezug auf Inhalt, Zielgruppe, Positionierung innerhalb der Sekundarstufe II etwas Anderes verstanden. Wegen der Vielfalt der Brückenangebote ist kaum feststellbar, inwieweit das Wachstum des Angebots und dessen Inanspruchnahme auf eine Verknappung von Ausbildungsplätzen, auf ein verändertes Berufswahlverfahren oder auf weitere Faktoren zurückgeführt werden kann. Deshalb wurde die Wirksamkeit von Brückenangeboten in einer umfangreichen Studie der Koordinationsstelle für Weiterbildung der Universität Bern erfasst. Dabei wurde untersucht, welche Anschluss- bzw. Erfolgsquoten unterschiedliche Brückenangebote aufweisen. Weitere Studien, darunter auch Projekte innerhalb des NFP 43, setzten sich mit Berufslaufbahnen im Anschluss an Brückenangebote oder mit den Angeboten selbst auseinander. Die Wirksamkeit der Brückenangebote ist hoch. Je nach Art des Brückenangebots hatten zwischen 73 und 93% der AbsolventInnen des Brückenangebots eine Anschlusslösung für eine Berufsausbildung (vgl. Bildungsplanung Zentralschweiz 2003). Es hat sich gezeigt, dass nicht der Angebotstyp für Erfolg oder Misserfolg entscheidend ist, sondern ob das Angebot auf die jeweils individuellen Voraussetzungen der Jugendlichen zugeschnitten ist. Eine sorgfältige Evaluation der Ausgangslage der Jugendlichen ist deshalb
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eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Das gute Gelingen ist zudem auch auf die Förderung einer realistischen Selbstwahrnehmung und die Konfrontation mit den Realitäten der Arbeitsgesellschaft zurückzuführen sowie auf die individualisierte Form der Begleitung der Jugendlichen. Bis jetzt konnte nicht nachgewiesen werden, dass es erfolgreichere und weniger erfolgreichere Formen von Brückenangeboten gibt (vgl. Deutschschweizerische BerufsbildungsämterKonferenz 2000). Merkmale, die grundsätzlich erschwerend für den Berufseinstieg sind, wie Geschlecht, Herkunft und Schultyp beim Bildungsabschluss der obligatorischen Schulbildung, beeinflussen das Ergebnis stärker. Wegen des Spardrucks werden die Kostenfrage und der Umfang des Angebots immer wieder diskutiert. Beispielsweise wird befürchtet, dass mit einem zu ‘großzügig’ ausgebauten Angebot verhindert werden könnte, dass auch auf der Ebene der obligatorischen Bildung Innovationen zur Lösung eines erfolgreichen Übergangs in Angriff genommen werden. Um einen differenzierteren Einblick in eine Übergangsform zu erhalten, wird im Folgenden eine Institution vorgestellt. Die Analyse basiert auf einer Dokumentenanalyse sowie auf Interviews mit Lehrenden und Jugendlichen.
3.4 Das schulische Brückenangebot im Kanton Zug Das schulische Brückenangebot (S-B-A) wurde als eines der öffentlichen Brückenangebote im Kanton Zug geschaffen und begann 2000 als BerufsVorbereitungs-Schule (B-V-S) mit der Absicht, all jenen Jugendlichen Unterstützung zu bieten, die entweder den Berufswahlprozess noch nicht abgeschlossen haben oder Defizite aufweisen, durch die sie nicht in der Lage sind, eine Lehrstelle im gewünschten Berufsfeld anzutreten oder die einfach keine Lehrstelle gefunden haben. An fünf Tagen wird der Unterricht am S-B-A besucht. Voraussetzungen für die Aufnahme sind Motivation für ein weiteres Schuljahr, Abschluss der Sekundarstufe I auf dem Niveau A oder B und eine ausreichende Sprachkompetenz, die eine Teilnahme am Unterricht ermöglicht. Neuzugezogene fremdsprachige Jugendliche besuchen daher in der Regel zuerst ein oder zwei Jahre das Integrations-Brückenangebot. Den unterschiedlichen Kompetenzen in den Fächern Französisch, Englisch und Mathematik wird durch drei Leistungsniveaus entsprochen. Der Unterricht wird ergänzt durch die Möglichkeit von Schnuppertagen, Bewerbungspraktika, Sozialeinsätzen, Prüfungswochen und anderes. Dies macht rund 40% des Brückenangebots aus. Um den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden, wurde ein Beratungs- und Coachingangebot eingerichtet. Das Spezifische für das Angebot in Zug ist, dass Jugendliche unabhängig von Geschlecht, Herkunft und besuchtem Typ der Sekundarstufe I
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eine Lerngruppe bilden und nicht, wie an den meisten ähnlichen Angeboten, in Leistungsklassen oder Merkmalsklassen aufgeteilt werden. Ein weiterer Vorteil dieses schulischen Brückenangebots ist, dass die Berufsberatung vor Ort stattfindet. So können Berufsberatung und Lernberatung eng zusammenarbeiten. Beispielsweise wünschen sich Jugendliche mit Migrationshintergrund einen Beruf, der ‘saubere’ Arbeit bietet. Sie werden dabei auch von ihren Eltern unterstützt, die ihren Kindern ein besseres Erwerbsleben ermöglichen möchten. Das Brückenangebot kann Jugendlichen Unterstützung bieten, wenn ihnen beispielsweise die Gepflogenheiten der SchweizerInnen noch zu wenig bekannt sind – die Einhaltung von Normen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit – oder wenn die Sprachkompetenz dieser Jugendlichen als gut beurteilt wird, sie aber noch Unterstützung im Bereich Wortschatzbildung brauchen. Berufs- und Lernberatung können zusammen mit den Jugendlichen einen Weg suchen, der zu einem realistischen Berufswunsch führt. Damit die Jugendlichen ihre Kompetenzen erkennen und ihre persönlichen Ressourcen verbessern können, haben sie die Möglichkeit, sich alle 14 Tage mit ihrem Lernberater zu treffen. Zudem führen die Jugendlichen ein Lernjournal, in dem sie ihre Zeitnutzung, ihr Lernverhalten und ihre Probleme reflektieren. Die Zusammenarbeit des S-B-A mit den Eltern wird bewusst auf ein Minimum beschränkt. Die einzelnen SchülerInnen werden hierdurch gezielt darauf hingeführt, selber Verantwortung für ihre Entscheidungen und ihr Lernen zu übernehmen. Hierzu gehört auch, dass sie ihre Lehrstelle selber finden müssen. Die Jugendlichen sollen dadurch in ihrer Autonomie gegenüber den Eltern gestärkt und im Ablöseprozess unterstützt werden, der bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund zugleich einen gesellschaftlichen Integrationsprozess bedeutet. Seit 2001 werden die AbgängerInnen jährlich am Schuljahresende sowie ein Jahr nach Abschluss mittels eines standardisierten Fragebogens von einer Evaluationsstelle befragt. Ziel dieser Evaluation ist es, eine Grundlage zu schaffen, um die Brückenangebote zu optimieren und weiterzuentwickeln. Die Zufriedenheit der rund 100 Jugendlichen des Schuljahres 2003/04 mit der gesamten Ausbildung ist sehr hoch. Von den Jugendlichen besonders geschätzt werden die Möglichkeiten zum eigenständigen Lernen, die räumlichen und infrastrukturellen Ausstattungen und die Organisation der Ausbildung. Drei Viertel dieser Jugendlichen stiegen im Sommer 2004 in eine Berufslehre ein, 14 Jugendliche besuchten eine weiterführende Schule, 10 absolvierten eine weitere Zwischenlösung und eine Person stieg direkt ins Erwerbsleben ein.32 Die Jugendlichen 32
Die Befragung der Jugendlichen des Schuljahres 2002/03 ein Jahr nach Abschluss ergab das selbe Bild.
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fanden vor allem die Gespräche mit den LernberaterInnen als sehr hilfreich.33 Die hohe Zufriedenheit zeigt sich auch darin, dass drei Viertel der Befragten den Weg über ein schulisches Brückenangebot wieder gehen würden (vgl. Jahresbericht 2003/04). Faktoren für den Erfolg des S-B-A sind sicher die hohe fachliche Kompetenz, Kontinuität, Verlässlichkeit und Reflexionsfähigkeit des Personals, die auch die Fähigkeit einschließen, Anpassungen am Programm vorzunehmen. Dies führt zu einer guten Qualität des S-B-A. Denn auch ein guter Ruf der Schule kann entscheidend sein, ob ein Betrieb Praktikumsstellen zur Verfügung stellt oder Jugendliche in eine Berufslehre aufnimmt. Obwohl das S-B-A erfolgreich ist und einen guten Ruf genießt, muss das Angebot respektive dessen Umsetzung im Unterricht kritisch reflektiert werden. Eine zentrale Zielsetzung im S-B-A ist, der heterogenen Zusammensetzung der Schülerschaft gerecht zu werden. Dabei wurde eine Vielzahl von Instrumenten und Strukturen entwickelt: „Die starre Handhabung von Instrumenten – der Lehrplaner als ausgeklügeltes System, der Förderplan als übernommenes Formular, das Lernjournal abgekoppelt vom Arbeitsnachweis, das Portfolio ohne dialogischen Arbeitsansatz – erschwert den sinnvollen Einsatz und verhindert die notwendige individuelle Anpassung, die Funktion garantiert“ (Voser 2006). Autonomes Lernen und Selbstverantwortung, beides Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufslaufbahn, kamen vor lauter Individualisierung zu kurz. Diese Ergebnisse veranlassten die Beteiligten, ihren Umgang mit Heterogenität im SB-A zu überdenken und Prioritäten zu setzten, die einen guten Einstieg ins Erwerbsleben ermöglichen.
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Ausblick
„Integration ist ein individuelles Problem, das individuell gelöst werden muss. … Am meisten hälfen Schulen mit mehr Offenheit und mehr Bereitschaft, auf die Bedürfnisse der Ankömmlinge einzugehen, mehr Flexibilität und Sensibilität für das Verschiedene …“, schreibt Roger Friedrich in dem Artikel „Kultur der Vielfalt“ statt „Bildungsraum Schweiz“ (NZZ 7.3.2006). Er spricht eine Forderung an, die richtig, aber einseitig ist. Es genügt nicht, allein in der Institution Schule und in der Bildung Entwicklungen auszulösen, es braucht auch politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen. Verschiedene For33
Hier ein Statement dazu aus den Jahresberichten 2001 und 2002: „Wir hatten einen Lernberater, mit dem wir einzeln Gespräche führten über Schule, Leistungen, Berufswahl und unsere persönlichen Ziele. In der Berufswahl hatten wir gute Unterstützung durch Frau Claudia Fugazza, die Berufsberaterin“ (B-V-S 2003: 13).
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schungen haben gezeigt, dass die obligatorische Schulbildung wegweisend für den Einsteig in die Berufsbildung ist und dass bereits dort Probleme entstehen. Die Forschungsergebnisse haben aber auch gezeigt, dass nicht nur bei der obligatorischen Schulbildung und beim Übergang Schule/Beruf angesetzt werden darf. Es braucht das Zusammenspiel von Bildung, Wirtschaft und Politik. Wie das Beispiel im Kanton Zug gezeigt hat, können auf der institutionellen Ebene durchaus Rahmenbedingungen und Maßnahmen geschaffen werden, die eine erfolgreiche Berufslaufbahn begünstigen. Nach Meyer (2004) bringen Jugendliche in Zwischenlösungen mehr oder weniger die gleichen Lesekompetenzen mit wie die meisten, denen der Übertritt in eine zertifizierende Ausbildung direkt nach der obligatorischen Schule gelingt. Deshalb wird die Begründung, dass Zwischenlösungen in erster Linie der Behebung individueller Defizite dienen, obsolet, außer die Defizite werden nicht in der Sprachkompetenz geortet. Es stellt sich daher die Frage, ob es nicht effizienter wäre, anstelle von Investitionen in Zwischenlösungen den Ausbau des zertifizierenden Angebots auf der Sekundarstufe II mit der Beteiligung der Wirtschaft zu fördern. Gerade in Bezug auf zertifizierende Ausbildungen auf der Sekundarstufe II mit niedrigem bis mittleren Anforderungsniveau haben Jugendliche mit Migrationshintergrund Nachteile gegenüber Schweizer Jugendlichen. Solange Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt für zusätzliche Barrieren sorgen, sind die erwähnten staatlichen Verbesserungsmaßnahmen jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der teilweise existierende Mangel an Lehrstellen, die Verlagerung von unqualifizierter Arbeit in Niedriglohnländer, hohe Ansprüche an Qualifikation und Flexibilität der Arbeitnehmenden sowie eine relativ hohe Arbeitslosenquote34 erschweren Jugendlichen mit Migrationshintergrund und/oder mit schulischen Defiziten einen erfolgreichen Berufseinstieg. In der Zusammenfassung der Vertiefungsstudie Niederschwellige Angebote zum Lehrstellenbeschluss 2 (2004) fordern die Autoren gezielte Anstrengungen in einer Verbundaufgabe von Wirtschaft, Bund und Kantonen, um qualifizierte Ausbildungsabschlüsse zu ermöglichen und entsprechende Arbeitsplätze anzubieten. Für eine erfolgreiche Gestaltung von Maßnahmen ist immer auch der politische Kontext entscheidend. Solange es einer Partei gelingt, in ihrem Wahlkampf mit Fragen von Asyl und Migration Ängste zu schüren und diese für ihr Politmarketing zu benutzen und dabei eine Politik zu verhindern, die auf Reformen im Bereich der Integration und auf eine Öffnung der Schweiz abzielt, wird die Schweiz ein Inseldasein führen im internationalen Politdiskurs um Migrationsfragen. Dieselbe parteipolitische Konstellation hat auch Diskussionen 34
zwischen 6 bis 8% bei den Jugendlichen
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Sylvia Bürkler
um einen separierenden Unterricht ausgelöst. Seit 1998 laufen an verschiedenen Orten politische Vorstöße zur Einführung getrennter Klassen. Dabei soll es getrennte Klassen für ausländische und schweizerische SchülerInnen geben. Gemischte Klassen werden hier zum Stellvertreterproblem gemacht. Die politischen Vorstöße zeigen bereits Wirkung bei der Bildung. In zwei Städten laufen Schulversuche mit getrennten Klassen. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus fordert alle Menschen auf, Segregations- und Apartheidtendenzen in unserer Gesellschaft entgegenzutreten. Das sollte der Ansatzpunkt auch für Lösungen beim Übergang von der obligatorischen Schule in die Berufsausbildung sein.
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Youth on the Move? Exploring Youth Migrations in Eastern Germany and Northern Ireland David Cairns and Simone Menz
Within the tradition of studying youth transitions in Europe, considerable depth has been added in recent years to our understanding of how young people move from “education-to-work” and enter the adult world. Despite this advance, consideration of youth migration – movement from one region or country to another – has been relatively neglected. While existing studies of youth have not completely ignored migration, specific consideration of the issues facing mobile young people has only recently entered the mainstream of youth studies (see Thomson/Taylor 2005). At European policy level, consideration of youth and migration is somewhat more prominent. Indeed, encouraging transnational movement is a something of a priority for the European Union, as set out in the “New Impetus for European Youth” (2001) White Paper and Action Plan (2002) on mobility. The Commission addresses migration in its White Paper through emphasising the need for mobility in respect to education and training, e.g. promoting trans-European recognition of qualifications and skills, maintaining education and mobility programmes such as Socrates and encouraging the free movement of young people throughout Europe, typically in the form of bilateral or multilateral exchanges; such “mobility,” according to the Commission “the Main Asset of European Integration,” is to be recognised as valuable and obstacles to it should be overcome (2001: 55). The Action Plan (2002) on mobility is more oriented towards employment, promoting openness in and access to European labour markets through measures such as equalising tax and benefit systems and expanding language learning, with the implication that low levels of occupational mobility are an impediment to the establishment of a knowledgebased, service-oriented economy in the EU. So far, the impact of such initiatives is unclear. While immigration to the EU from outside the community has grown in size and importance during the last decade, migration between European member states, e.g. from the east to the west of the Union, is at a more “moderate” level (European Commission 2004).
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From existing work on migration in Europe, we know that transnational and inter-regional movements are extremely diverse and complex in form, can be undertaken for a variety of reasons, and that both personal and structural (e.g. labour market conditions) factors interactively shape migration decision-making and define mobility trajectories. It is also important to consider cultural factors, including community attachments and existing mobility patterns (see Hickey 2002, Geisen 2004). Tensions relating to migration also exist in young people’s biographies, arising from having to balance the comforts, and perhaps limitations, of home and the attractions of elsewhere when planning their futures (see Hoerder 2004); this tension is particularly evident in societies with traditions of strong family relationships (see Cairns 2006). Recent research in Germany brings together discussions of modern migration processes and globalisation (see Han 2000, Schröer/Sting 2003, Cyrus 2003, Butterwegge 2005). “Die soziale Spaltung der Weltgesellschaft löst neue Wanderungsprozesse aus und führt zu einer Spaltung sowohl der Migration wie der MigrantInnen” (Butterwegge 2005: 174). It is evident today that forms of migration vary and do not necessarily follow the “classical migration” models of more or less permanent moves to another country or region, as work-based migrations, migration of ethnic minorities, refugees and asylum seekers and other new forms of temporary mobility (“transmigration”) now proliferate (see Peixoto 2001, Pries 2003). Quantitatively, work-based migrations, whether movements inside or outside national borders, are perhaps the most significant of these movements at present (Butterwegge 2005: 175) and of greatest relevance to young people seeking to enter the labour market. This development could potentially lead to a broadening of youth life horizons and change in youth lifestyles, as, in order to establish a working life, young people may not only have to undertake physical travel but also find new ways of living at an everyday level, particularly with respect to family and other personal relationships (see Schröer/Sting 2003, Schröer 2004). This chapter seeks to explore mobility intentions amongst European young people currently making education-to-work transitions, i.e. those still planning or in the early stages of plotting their future life courses, with particular emphasis on young people in the position of being potential migrants. In what follows, a number of quantitative indicators of migration and mobility intentions are presented, as well as extracts from qualitative interviews with young people in two particular European contexts wherein the “migration decision” – “an extremely complex social event, which occurs within given socio-economic, cultural and political conditions” (Geisen 2004: 62) – is a fundamental part of the process of growing-up and imagining a future.
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Youth Migrations in Europe: Some Empirical Indicators
Recently, internal migration rates within the EU have appeared to be at a fairly low level. For instance, in 2002, the European Commission estimated the net migration rate for EU-25 to be somewhere in the region of 2.8 persons out of every 1,000, and 3.3 in EU-15 (European Commission 2004). Recent empirical work provides us with a more in-depth insight into specific migration-related contexts. As part of the European Commission funded Families and Transitions in Europe (FATE) project, research was conducted among young people making education-to-work transitions. The outcomes of this study, conducted during 2002–2005, give us a number of key indicators of young people’s mobility across nine European regions: the UK (Northern Ireland), Germany (east and west), Portugal, Spain, Italy, the Netherlands, Denmark and Bulgaria. During the initial phase of the project, a questionnaire survey was administered to a total of 1,929 young people, all of whom were on the verge of exiting full-time education or training at the end of compulsory, upper secondary and tertiary levels. In the second phase, follow-up interviews were conducted with a total of 376 of these young people, approximately one year later, along with interviews with 219 of their parents. A number of indicators of youth mobility were included in the FATE quantitative survey. On the question of who had already left home, it is readily apparent that a high proportion of young people (65 per cent) are still living with their parents, particularly in Portugal (93 per cent), Italy (91 per cent), Spain (82 per cent) and Bulgaria (72 per cent). We can also observe a number of additional nuances, for instance, the ideal living arrangements nominated by respondents. Relatively low numbers view staying at home as their preferred living option: 21 per cent overall, compared to the 65 per cent still living at home. This figure is even higher in the east German context, where 86 per cent of young people would prefer to live outside the parental home but only 43 per cent actually do so; proportions of young people viewing leaving home as ideal are similarly high elsewhere, e.g. in the west Germany (80 per cent per cent) and Denmark (94 per cent) contexts (Biggart et al 2003: 32-33). The physical distance young people wish to put between themselves and their parents after they leave home is a crucial issue in youth migration, considering the potential impact on intergenerational relationships and other areas of everyday life entailed by a move to a new town, city, region or country. While the majority of the young people surveyed still live with their parents, the direction of their mobility aspirations remains interesting: a majority (56 per cent) intend either to stay within the same neighbourhood as their parents or to move only as far as an adjacent district, while a further 37 per cent wish to move to
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another city in their own country. In terms of the distance young people put between themselves and their parents, very few think about the possibility of moving to another country (7 per cent) (Biggart et al 2003: 128). Ultimately, two outstanding trends regarding youth and mobility emerge from these results: firstly, the highest proportions of young people wishing to move abroad are to be found in Bulgaria (16 per cent) and the UK (15 per cent) and secondly, the greatest numbers of young people wanting to move to a different city in the same country are located in the two parts of Germany, with almost half of all these young people wishing to make such a move. While it is apparent from the available literature that in Bulgaria migration decisionmaking has been heavily influenced by adverse economic conditions (see Kovacheva 2001; Kovacheva/Mitev 2004), the situation in the UK is less easy to explain. The strong predisposition towards internal mobility in the German contexts, particularly in the east, also requires elaboration. In the remainder of this article, the migration situations of both the UK and east German young people are examined through the use of qualitative case studies drawn from the FATE research.
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Qualitative Case Studies from Northern Ireland and East Germany
The results of the FATE qualitative research, conducted after the majority of these young people had recently entered, or attempted to enter, the labour market, provide us with a more pragmatic and perhaps realistic appraisal of young people’s thinking about migration-related issues compared to the analysis of quantitative data. Many of them by this time have been confronted with the reality of unemployment, temporary contracts or poor working conditions. Where initial labour market difficulties were encountered, common coping strategies included returning to education, following dual trajectories of work and education or considering migration (see Biggart 2005).
2.1 Youth Migrations in Northern Ireland As was the case with the FATE quantitative survey in the UK, all of the young people interviewed were to be found in Northern Ireland. Studying youth in this region presents particular difficulties for the researcher, particularly in the analysis of findings, owing to the region’s ambiguous political and cultural status, being simultaneously part of the UK and the island of Ireland, although not part of the Irish Republic. Leaving aside the thorny issue of religious, sectar-
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ian, national and political affiliations, as these questions did not form part of the remit of the transnational research project from which the material presented here is drawn, the former attachment to the UK is particularly significant in terms of young people being subject to what are essentially British labour market conditions and welfare provisions, while close cultural, often familial, ties with the Republic of Ireland mean that these young people share many cultural norms and traditions with their southern neighbours. These norms and traditions include an acceptance of the idea of migration, particularly to Britain, the USA, Canada or Australia, as a means to further one’s career and personal development. The ambiguity in the status of Northern Ireland means that these young people grow up in a society where migration is an accepted practice, perhaps more so than for their English, Scottish and Welsh contemporaries in Britain, but they have suffered from the peripheral location of Northern Ireland within the UK. This ambiguity should be taken into account when interpreting the findings presented. Furthermore, the regional context of these young people is also important to bear in mind in respect to mobility, as the physical distance of Northern Ireland from “mainland” Europe generates additional strains as they attempt to make education–to-work transitions, which may lead to increased risk of social exclusion (see McVicar 2001). In planning their future lives, these young people often consider migration as an option, in some cases, to escape difficult labour market conditions, in others, to get away from what is perceived as a stifling local cultural atmosphere. We can also observe that in their migration decision-making, these young people orient their future life trajectories towards locations in close proximity to Northern Ireland, i.e. Great Britain and the rest of Ireland, and of linguistic compatibility, most prominently, the USA. The migration issue is also present in young people’s biographies regardless of their educational attainment level or socio-economic background, although it is amongst the tertiary educated and the older upper-secondary educated interviewees that the tension between the limitations of staying in one’s homeland and the attraction of seeking a new challenge elsewhere is most explicitly expressed. The following case studies tell us much about these young people’s feelings on this matter. Victoria is a 22 year old recent Arts graduate. She lives approximately 50 kilometres east of Belfast in a small seaside town. At present, she works in a local call centre but hopes to enter the teaching profession. Since finishing her university course, Victoria has made little progress in reaching this career goal. She feels highly frustrated as, voluntary work in local schools aside, she has not yet found a suitable job. She attributes this failure to a lack of opportunities in Northern Ireland for people of her age and educational level. Victoria also finds her current stop-gap position as a call centre worker professionally dissatisfying.
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She has concluded that she will be unable to reach her career goals if she remains in Northern Ireland. Her solution is to move to England to study for a teaching qualification, which she hopes will help her to maximise her chances. I’m trying to get out of it as soon as I can. […] I’m going to Liverpool - University of Liverpool - to do my PGCE [Post-Graduate Certificate of Education], so I have plans. […] Part of me is saying, “I can’t think of anything else to do with my degree”, which is not a good reason to teach, but another part of me really, really enjoys it so it’s kind of half and half. […] I think we’ve less opportunities in Northern Ireland for graduates [and] it’s harder for people my age […]. I suppose, England would provide more opportunities because […] well, there’s just no teachers. […] This is my way out, I think. Once I get the PGCE and maybe, hopefully, get a job. I don’t care whether it’s here or in Liverpool. If I was offered a good job here I would certainly come back. It’s a bit stifling. You need experience. Northern Ireland is lovely. It’s friendly. But it’s very cramped.
For young people like Victoria, Britain is the most popular migration destination, while moving “down South” to the Republic of Ireland is also frequently considered. The fact that Northern Ireland is part of the wider European Community barely registers; Britain (England, Scotland and Wales), the rest of Ireland, the USA and even Australia occupy more prominent positions in imagined future career trajectories than the rest of Europe, as the cases cited below illustrate further. While Victoria is well on the way to making a move, another important scenario to observe in the Northern Ireland context is the frustrated migration plan, wherein a young person thinks about moving but does not realise such a plan. The case of William, a 22 year old recent Retail Management graduate from Bangor in County Down, still living with his parents and now working as a sales assistant, is typical. For William, his present career situation is intolerable, as he indicates at the beginning of his interview. […] when I was still studying, I worked for a place called Halfords. It’s a retail outlet – sells car parts, that sort of thing […]. Well, anyway, once I left [university], I started working fulltime there […] because that was what I wanted to do. Since then things have changed a little, where – well, basically I’m still there, apart from looking elsewhere, but unfortunately – I don’t know whether you know yourself, but to be honest there’s not been too many jobs around in Northern Ireland – there is jobs, but not really what I was looking for – so basically what I’m looking for is something in business management. At present I’m starting to look over abroad, to England, Scotland, those sort of places, because there isn’t really anything here I’m interested in at the minute. But if something comes up, you know, I’ll stay. I don’t really want to go away but might have to.
Yet regardless of his dissatisfaction with his current job, uncertainty over his future in Northern Ireland and apparent aspiration to leave, it is clear from William’s interview, and in follow-up interviews conducted with his parents, that he
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will stay. The lack of any definite plan – beyond “starting to look over abroad” – reinforces this impression, as does the certainty of his father, a retired soldier. Well, we know that he’s not going to leave Northern Ireland, and that’s one certitude – he’ll not be leaving here. He’ll be staying here, and hopefully he’ll be staying in Bangor, and getting married.
We can also observe a major difference between the migration intentions of Victoria and William, in the embedding of Victoria’s plans in institutional structures, i.e. the university system, while in William’s case, unspecified opportunities are pursued in an unpredictable (ostensibly foreign) labour market. In considering migration, “the different social institutions, agents and agencies of migratory processes and their relation to each other must be taken into account” (Geisen 2004: 64; emphasis in the original). It is also notable that young people from Northern Ireland such as Victoria and William perceive life to be easier elsewhere, particularly in England. James, a 25-year-old engineer with upper secondary education is another who believes this, though with a broader, more pragmatic than romanticised view of the subject. There is plenty of jobs [in England], although not really in Northern Ireland – there’s only a handful of companies that you’d aim to work for, but if you’re prepared to travel [there are] jobs throughout the world – it’s not a big problem. […] If you want to stay at home, well […] unless you can specialise in a certain niche [...] then you’re pretty much in the hands of whoever wanted you.
From an educational and occupational background similar to James’, Carl is a 33-year-old electrical engineer from a rural village in County Antrim, where he lives with his wife and infant daughter. Carl’s experience of the transition from education-to-work is typical of young people entering heavy industry in this regional context: extremely protracted. Having left school at 18, he later returned to education at the age of 25 and is now considering undertaking a parttime degree in order to become a senior engineer, although the recent birth of his daughter may curtail any involvement in tertiary education for the immediate future. However, he explains that keeping qualifications up-to-date is a necessity in a highly competitive and ever-changing field such as electrical engineering: “[…] you need to keep polishing up.” In Carl’s planning of his educational life and his career, it would seem that the condition of the labour market is the main protagonist, necessitating further studies to keep apace with new developments in his occupational field; he must make continual recourse to part-time education in order to remain competitive in what he perceives as a declining industry with diminishing job opportunities.
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However, despite these efforts, migration “further afield” still looms ominously on the horizon for him as a possible future career option. Probably [further] abroad would suit me more than going to the likes of England or “down South” because I think even ”down South” has slowed. […] So I would be looking further afield.
Aside from revealing that this is a complex issue, the interviews with James, Carl and Victoria show that the decision to leave Northern Ireland is likely to be prompted by negative factors – feelings of economic marginality, perceptions of parochialism, fear of an insecure future – rather than be part of a “natural” progression from one step on the career ladder to the next.
2.2 Youth “Migrations” in Eastern Germany The “Go West” trend is of great significance in the lives of many young people in eastern Germany, but there are internal differences between states. The highest level of migratory movements is found in Saxony. Since the “Wende” – the break-up of the old socialist regime – over one million people have left Saxony. Of these, more than half were less than 30 years old and more of them were young women than young men. Their reasons for going were to take up work, undergo apprenticeships and earn higher salaries (see “Sächsische Wanderungsanalyse;” Rudolph 2005). We cannot ignore this westward turn – or “Westverlagerung” (Werz 2001: 28) – though this theme does not appear to feature as prominently as it might in existing academic discussion on migration in Germany, wherein it is implied that there is no “migration deficit” in the east. In contrast, the evidence presented in this chapter and elsewhere suggests that eastern German youth are very much the “mobile generation” (see Jugend 2000; Jugend 2002). In this process, several political programmes for work and employment (e.g. JUMP; JUMP-PLUS) have important, if ambivalent, effects. The ambivalence is illustrated in the following citation from a local social work journal: Ganze Heerscharen Arbeitsloser wurden in eigens gecharterten Bussen nach Bayern gekarrt und dort auf Sklavenmärkten der Moderne [...] vorgeführt. ‘Mobilitätshilfen für Arbeitssuchende’ nennt man derlei Veranstaltungen und Zahlungen [...]. (Corax 2002: 12)
In our discussion of the east German FATE qualitative sample, we meet some members of the “mobile generation” and learn of their backgrounds and their motives for considering leaving their “Heimat” for work and higher salaries, either temporarily or permanently.
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The eastern Germany FATE sample was drawn from Saxony, specifically Dresden, Meissen, Radebeul, Riesa, Moritzburg and Kreischa. Most of the tertiary respondents were found at the Technical University of Dresden, with a small number taken from the public Educational Academy of Dresden and a Protestant polytechnic college. The majority of upper secondary respondents were found in professional schools (i.e. those studying under the “Dual System”) or private institutions and enterprises offering specially supported vocational training programmes. The majority of these private institutions are run by charitable organisations, such as the German Red Cross (see Menz/Kramolowsky 2004). One of the causes of the internal economic disparities within Germany is that unemployment rates in the east are generally twice as high as those in the west. This fact sits heavily on the shoulders of the young men and women interviewed, and while their responses differ markedly, the nervous state of the eastern German labour market impacts upon the current situation of the majority of the young people interviewed, e.g. less than one third work in the occupation for which they have been trained and the majority have only fixed-term contracts. In the biographies of these young people, accounts of reorientations, career break-offs and various interruptions can be found at every educational level. For instance, the young people with upper secondary educational level vocational training have had to adjust to the idea of making compromises regarding their careers; they are aware of the mobility and flexibility demanded, particularly in eastern Germany. One such reorientation is demonstrated in the life and career plans of Heidrun, a 23-year-old assistant nutritionist who found her first job in a clinic in south-east Bavaria, an eight-hour drive away from her “home” in Saxony. Heidrun appraises her situation realistically. [...] wenn zweihundert Leute Arbeit suchen und die das Jahr vorher aber auch schon gesucht haben und immer noch keine Arbeit haben, war es mir eigentlich schon von Anfang an klar, dass ich mich auch außerhalb bewerben muss, und da muss ich mich natürlich zwangsläufig damit auseinandersetzen, was passiert dann, wenn ich wirklich weg gehen muss.
Despite the upheaval caused by this move in her relationship with her boyfriend – who is joining her in Bavaria – Heidrun gives the impression of having come to terms with the new situation. Many of her fellow employees are also from the former East Germany and have also accepted, for example, that in their new careers, they will be paid according to “East German standards”. Sag dir immer Heidrun: sei froh, dass du die Arbeit hast, woanders hättest du keine Arbeit, sei froh, dass du jeden Monat deinen Lohn kriegst [...] So, und sagen wir mal ab März, April so, fängt bei mir jetzt auch die Arbeit an richtig Spaß zu machen.
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The parents of these young people also display a considerable degree of pragmatism; for instance, Heidrun’s parents are proud that their daughter has made a successful entry into the labour market, albeit in Bavaria, and are also aware of the need to make compromises to avoid deprivation and to meet concerns about the future. This does not mean that it is easy for them to accept that their daughter must make such a move, as there are clearly personal and practical obstacles for Heidrun to surmount in successfully starting a career which generate parental concerns. As Heidrun’s mother explains: [...] wir waren jetzt unten [in Bayern] gewesen am Wochenende, der Klinik geht es nicht sehr gut. [...] Da hat sie praktisch den Umzug in Kauf genommen, hat sich hier von allem getrennt, die Freunde aufgegeben, das Elternhaus aufgegeben, ist mit dem Freund [...] runter gemacht. Und sich, sagen wir mal, in einem ganz anderen Bundesland eingewöhnen, ist schon nicht so einfach. Wenn man noch so jung ist, und dann weiß man nicht wie es weiter geht.
Parents’ anger about a system that sends their children to the former West Germany to invest in what may be an uncertain future is understandable. The parental generation has also had to find its position in relation to the “Go West” trend. While some parents advise their children to take the chance and start their career there, others ask them to stay in their home region. In the former camp, Heidrun’s parents have learned to accept their daughter’s mobility, but in contrast to their optimistic daughter, there is more talk of “façade” and of a “shocking” start in the labour market in the “glossy brochure” hospital. Whereas Heidrun decided against staying in Saxony in order to find a stable job matching her aspirations, her fellow assistant nutritionist Jana (22) decided to remain in her hometown at the price of having an insecure career. Even though Jana knows of the need to be flexible in her career, she explains that she will stay at home and save money to buy a car, which will enable her to work in Saxony, as there are health resorts there but only in rural areas. Jana explains her attachment to her locale in terms of the close relationship she enjoys with her parents and her partner: “I always wanted to stay here.” She will soon start a job as dietary advisor to a medical insurance company, but this job will only last for three months. The accounts of Heidrun and Jana illustrate different subjective responses to similar objective conditions. The migration decision in both these cases has been described elsewhere as a “balancing process” or “trade off” between personal and family considerations and economic ones (see Hoerder 2004; Menz/Kramolowsky 2004). It is also conceivable that for young people such as Jana, the strength of their community attachment is such that mobility is unfeasible; this community attachment itself can be social, economic and psychological (see Hickey 2002).
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Other young people in Saxony adopt more of a “wait and see” attitude to the idea of “Going West”. Aged 23, Lars is one of them. Lars lives with his girlfriend and her three-year-old daughter from a previous relationship, in a flat in his hometown of Meissen. He is about to finish auto mechanic vocational training. Like Jana’s, his job choices are shaped by the conditions of the local labour market. The city of Meissen has few career opportunities for young people. Ja, ich finde nicht, dass man als Jugendlicher [...] viele Perspektiven hat. Also man hat zwar viele Perspektiven, man kann vieles machen, aber ob man das auch machen kann, das ist dann die nächste Frage.
Although he made the choice to become a mechanic, Lars does not plan to “lie underneath cars all my life.” Alternate future projects and goals are still open. More than once, he mentions a possible plan to start studying technology and business at university, which might provide the basis for going into his father’s business. He is also considering becoming a professional soldier or joining the police force, although the latter may involve “Going West” since such opportunities are scarce in Saxony and as Lars explains: “Die Hundertschaften von der Polizei in Bayern, die suchen regelrecht Nachwuchs aus’m Osten.” As with their Northern Irish counterparts, we can observe that these particular young people in Saxony face a hard choice: to remain in the east and face difficult economic circumstances in the present, or move west at the risk of disrupting personal and familial relationships and encountering uncertainty in the future. In contrast to the situation in Northern Ireland, the young eastern Germans move across a more recently established westward pathway; neither they nor other Germans consider them migrants if they stay within Germany. This is why a large number of young eastern Germans are stepping into a new niche within the country, wherein they will be labelled cheap and compliant workers. At a political policy level, for the most part, these young people and their special integration problems are ignored; at the local level, they are called foreigners in their own country (“Fremde im eigenen Land”). The young eastern Germans cited in this chapter illustrate the special challenges these young people face in everyday situations, which are similar to the problems faced by all other young German people in the process of establishing themselves in the labour market, but which also exist alongside the challenges traditionally faced by migrants relating to grounding oneself in a new place. Hence they slip into this niche, a position that they do not consider difficult. Now, because of the lack of engagement with this problem, the eastern German niche runs the risk of being subjectively romanticised by young people like Heidrun or, as is the case at political level, ignored as a mere bagatelle.
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Conclusion
While at the level of European policy, rhetoric has centred upon removing barriers to movement – particularly administrative impediments – and ensuring equality in recognition of skills and qualifications and providing a platform for short-term educational exchanges, the present low levels of trans-European mobility illustrate clearly that the majority of European youth are not on the move. Moreover, the idea of Europe as a cosmopolitan transnational workers’ paradise, with unfettered freedom of movement, remains a fantasy undreamed of by most young Europeans. The policy rhetoric may even obscure the harsh realities and the wide range of challenges facing those who do follow migratory life trajectories. Except where they express a preference for close proximity mobility, e.g. between Northern Ireland and the Republic of Ireland (which, considering the short distance involved can hardly be considered an exemplar of trans-European mobility), the young people cited in this article are more interested in potential moves within their nation of origin, i.e. within the UK and Germany, or beyond, e.g. the USA. The young people cited in this article also demonstrate little awareness of or interest in transnational European mobility, which would seem to imply a failure of EU policy measures such as those found in the 2002 Action Plan, e.g. equalising tax and benefits systems to expanded language learning, to make any impact upon or compete against strong cultural norms and preestablished (internal) migration routes. While for the young people in Northern Ireland, migration is openly discussed and frequently considered, albeit not always taken up, in the eastern German context, we have illustrated that there is an obvious need to open up debate on this situation. In reality this is difficult to accomplish because migration policy in Germany, outside of following broad demographic developments, is mostly concerned with the needs of the local labour market and not the subjective circumstances of young eastern Germans. We have discussed the particular situations of a number of these young people and their willingness to be mobile. It would seem that the political shifts in Central and Eastern Europe since 1989 have induced a new phase of mobility in these regions, one that would not appear necessarily to fit existing models of understanding migration, with Germany now – at least in part – a country of emigration and immigration: this reality defines the trajectories of young people in transition from educationto-work (see Schröer/Sting 2003; Schröer 2004; Butterwegge 2005). Meanwhile, in the Northern Irish context, a geographically peripheral location makes education-to-work transitions fraught with additional risks. The young people we have quoted illustrate how migration decision-making is
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prominent in personal biographies and how this process involves balancing the limitations of “home” with perhaps somewhat romanticised expectations of opportunities elsewhere: some decide that it is better to leave while others prefer to stay; some successfully realise plans, others flounder owing to a lack of practical knowledge or sufficient will to leave. While the young east Germans with intentions of moving are strongly predisposed to move within Germany, the directions of anticipated movements in Northern Ireland are more diffuse, but largely follow pre-existing normalised migration routes or “labor transfer systems” (see Geisen 2004), that is, typically to Britain, a movement which can be interpreted as a de facto “colonial pilgrimage” from the periphery to the imagined core (see Anderson 1991) or to the USA, a long-standing destination of linguistic and cultural compatibility for Irish youth. Taken together, the range of experiences of these two sets of young people – their needs, desires and the obstacles they try to overcome – tell us much about where they want to go in the future. What they require is debate at European Policy level and within member states, particularly in Germany, regarding westward movements; about not only instrumental measures relating to taxation or benefits systems but also how to deal with the real issues implicit in transnational and inter-regional mobility, such as emotional and familial constraints on migration decision-making. Ultimately, these young people tell us that they need practical support, more than token policy gestures, if they are to play a part in the realisation of the European dream of integration.
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Zu den Autorinnen und Autoren
Rainer Becker, M.A. Philosophie, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der TU Darmstadt. Er arbeitet unter anderem im Bereich eLearning und ist Mitherausgeber der philosophischen Internet-Zeitschrift Sic et Non. Er promoviert mit einer Arbeit zur Genealogie von Kybernetik und Computer. Seine Forschungsschwerpunkte sind: politische Philosophie, Machttheorie, Medientheorie, Diskursanalyse, Epistemologie, Poststrukturalismus. Sylvia Bürkler, lic. phil., studierte Pädagogik, Sonderpädagogik und Philosophie an der Universität Zürich. Als Primarlehrerin verfügt sie über eine mehrjährige Erfahrung im Unterricht an verschiedenen Stufen. Sie arbeitete als Schulleiterin an einer Schule mit Integrationsklassen und in der Bildungsverwaltung. Zurzeit ist sie Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Integration von Kindern und Jugendlichen in Schule und Gesellschaft, Übergänge in den und aus dem obligatorischen Bildungsbereich, Wissens- und Diskursdominanz in Wissenschaft und Bildungspolitik. Carolin Butterwegge geb. Reißlandt, Dipl.-Sozialarbeiterin, Jhrg. 1974, studierte an der Fachhochschule Köln. Sie promoviert über „Armut von Kindern mit Migrationshintergrund“ an der Universität Duisburg-Essen. Seit 2001 ist sie unter anderem als freie Mitarbeiterin der Bundeszentrale für politische Bildung zu Migrationsthemen und als Beraterin für betriebliche Gleichbehandlungsförderung tätig. Sie arbeitet in der interkulturellen und migrationspolitischen Bildung vor allem zu den Themen Staatsangehörigkeitsrechtsreform, Antidiskriminierung (Arbeitsrecht), Zuwanderungs- und Integrationspolitik. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Kinderarmut bei Zuwandernden, migrationspolitische Bildung, Straßenkindersozialarbeit. Ausgewählte Veröffentlichungen: Staatsbürgerschaft im Einwanderungsland Deutschland. Handbuch für die interkulturelle Praxis in der Sozialen Arbeit, im Bildungsbereich, im Stadtteil (gemeinsam herausgegeben mit Henning Storz). Opladen: Leske + Budrich. 2002. / Fit für die Globalisierung? Die deutsche Migrations- und Integrationspolitik nach den rot-grünen Reformen. In: Butterwegge, Christoph/Hentges, Gudrun (Hg.): Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrationsund Minderheitenpolitik. Wiesbaden: VS Verlag. 2006. / Kinderarmut im Stadt-
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Zu den Autorinnen und Autoren
teil: Intervention und Prävention (gemeinsam mit Gerd Nollmann) In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 26/2006. David Cairns, Dr. in Sociology, born 1971 is a postdoctoral researcher working in the areas of youth, migration and culture in Ireland and Portugal. At present he is working on the UNESCO Programme on Children, Youth and Civic Engagement at the National University of Ireland, Galway. During 2005-2008, he was a Senior Research Associate in the Institute of Social Sciences at the University of Lisbon, studying European youth and geographical mobility. He has also worked and studied at Queen’s University Belfast and the University of Ulster, where research activities included being part of the co-ordination team of the European Commission funded study, Families and Transitions in Europe (2001-2005), and a doctoral thesis exploring sectarianism in popular culture in Northern Ireland. Recent publications include I don’t know about living abroad: Exploring Student Mobility and Immobility in Northern Ireland (with Jim Symth) in International Migration 47(2), Moving in Transition: An Exploration of Northern Ireland Youth and Geographical Mobility. In Young, 16(3). 2008. / Youth on the Move? European Youth and Geographical Mobility. Wiesbaden: VS Verlag 2009. Bruce MZ Cohen, Dr., born 1968, is a Lecturer in the Department of Sociology at the University of Auckland, New Zealand.. He has previously worked as a Research Fellow in Australia, England and Germany, focusing on the issues of crime, drugs, education, labour markets, migrants, and mental health. Lecturing in crime and deviance, his current research investigates media moral panics and the criminalization of the drug BZP (“party pills”). Recent publications include: Ethnic and Social Differences in Music Behaviour in a Fragmented Berlin. In: Bloustien, Geraldine/Peters, Margaret/Luckman, Susan (eds.): Sonic Synergies: Music, Technology, Community, Identity. Hampshire: Ashgate. 2008. / Mental Health User Narratives: New Perspectives on Illness and Recovery. London: Palgrave. 2008. Pat Cox is Senior Research Fellow, Research-Informed Teaching, and Senior Lecturer in the School of Social Work, University of Central Lancashire UK. Her research, both national and international, focuses on issues for children, young people and their families and on issues of migration and she has published widely. Recent work includes research into the provision of institutional and fostering care in Moldova; research with survivors of child sexual abuse and their safe carers; research into the views of parents and carers caught up in safeguarding procedures; research with refugee parents; a Knowledge Review for
Zu den Autorinnen und Autoren
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the UK Social Care Institute for Excellence (SCIE) on child well-being and parental mental health. She has undertaken community-based research where she recruited young people as co-researchers. She has strong links with colleagues with similar research interests across mainland Europe. Recent publications include: Complexity Theory: Developing New Understandings of Child Protection in Field Settings and in Residential Child Care (with Irene Stevens). In: British Journal of Social Work, doi: 10.1093/bjsw/bcm052. 2007. / Caring about Poverty: Alternatives to Institutional Care for Children in Poverty (with Andy Bilson). In: Journal of Children and Poverty, 13 (1). 2007. / Situational Analysis of Education in England: Report for Save the Children UK (with Andy Bilson). Preston, UK: University of Lancashire. 2007. / Qualitative Research and Social Change: European Contexts (co-edited with Thomas Geisen and Roger Green). Houndmills, Basingstoke: palgrave macmillan. 2008. Sara Fürstenau, Dr. phil., Jhrg. 1967, ist wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg und leitet das Forschungsprojekt „Schulqualität im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität“. Sie absolvierte das Lehramtsstudium in Hamburg und Rio de Janeiro und war als Deutschlehrerin in Brasilien tätig. Sie promovierte 2002 mit einer Studie über Migrantenjugendliche portugiesischer Herkunft im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Interkulturelle Bildung, Mehrsprachigkeit, Jugend in der Migration, Migration und schulischer Wandel, Bildungschancen in der Einwanderungsgesellschaft. Ausgewählte Veröffentlichungen: Migrants’ Resources: multilingualism and transnational mobility. A Study on Learning Paths and School to Job Transition of Young Portuguese Migrants. In: European Educational Research Journal 4 (4). 369381. 2005. / Bildungsstandards im Kontext ethnischer Heterogenität. Erfahrungen aus England und Perspektiven in Deutschland. In: Zeitschrift für Pädagogik 53 (1). 16-33. 2007. Thomas Geisen, Dr. phil., Jhrg. 1968, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz und am Institut für Regional- und Migrationsforschung (IRM) tätig. Seine Arbeits und Forschungsschwerpunkte sind: Migration, Arbeit und Gewalt. Ausgewählte Veröffentlichungen: Qualitative Research and Social Change. European Contexts (co-edited with Pat Cox and Roger Green and author) Houndmills, Basingstoke: palgrave macmillan. 2008. / Arbeitsmigration. WanderarbeiterInnen auf dem Weltmarkt für Arbeitskraft (Herausgeber und Autor) Frankfurt a. M.: IKO Verlag. 2005. / Migration, Mobility and Borders. Issues of Theory and
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Zu den Autorinnen und Autoren
Policy (co-edited with Anthony Andrew Hickey and Allen Karcher and author). Frankfurt a. M.: IKO Verlag. 2004. Andreas Hieronymus, Dr. phil., Jhrg. 1963, ist Geschäftsführer des Instituts für Migrations- und Rassismusforschung (iMiR), Wissenschaftsjournalist und seit 2007 im geschäftsführenden Vorstand des Europäischen Netzwerks gegen Rassismus (ENAR). Er studierte Soziologie, Geschichte und Politik in Freiburg, Hamburg und Istanbul. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Qualitativheuristische Erforschung des Alltagslebens und Ein- und Ausschlussprozessen in der Einwanderungsgesellschaft. Ausgewählte Publikationen: Vielsprachige Lebenswelten von Jugendlichen in den Einwandererstadtteilen St. Pauli und Altona. Orientierungen, Positionierungen und die Kreativität des Alltags. In: Hartung, Wolfdietrich/Shethar, Alissa: Kulturen und ihre Sprachen. Die Wahrnehmung anders Sprechender und ihr Selbstverständnis. Berlin. 2002. / Not at Home and Dangerously Alone? Gefahr und Sicherheit im Alltagsleben von Jugendlichen. Eine Studie in zwei Hamburger und zwei Londoner Stadtteilen. In: Eder, Angelika (Hrsg.): „Wir sind auch da!“ Über das Leben von und mit Migranten in europäischen Großstädten. Forum Zeitgeschichte, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. 2003. / Cultural Orientation and Language use among Multilingual Youth Groups: “For me it is like we all speak one language”. In: Journal of Multilingual & Multicultural Development, Vol. 24: 1&2. Special Issue: Bilingualism and Social Relations: Turkish Speakers in Northwest Europe. 2003. Fashion, Brands, and Money: Cultural Styles and Social Positions. In: Raethzel, Nora (Hrsg.): Finding the Way Home. Young People's Stories of Gender, Ethnicity, Class, and Places in Hamburg and London. Göttingen: V&R unipress. 2008. Merle Hummrich, Dr. phil., Dipl.-Päd., Jhrg. 1970, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg und Research Fellow am Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Soziale Ungleichheit, Heterogenität, Migration, qualitative Schulund Bildungsforschung. Ausgewählte Veröffentlichungen: Bildungserfolg und Migration. Biographien junger Frauen in der Einwanderungsgesellschaft Opladen: Leske + Budrich. 2002. / Wider die Ethnisierung einer Generation. Beiträge zur qualitativen Migrationsforschung (Autorin und Herausgeberin, mit Franz Hamburger und Tarek Badawia). Frankfurt a. M.: IKO Verlag. 2003. / Bildung und Migration. Über das Verhältnis von Anerkennung und Zumutung in der Einwanderungsgesellschaft (Autorin und Herausgeberin, mit Franz Hamburger und Tarek Badawia) Wiesbaden: VS Verlag. 2005. / Migration und Bildungs-
Zu den Autorinnen und Autoren
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prozess. Zum ressourcenorientierten Umgang mit der Biographie. In: King, Vera/Koller, Hans-Christoph (Hrsg): Adoleszenz – Migration – Bildung. Wiesbaden: VS Verlag. / Benachteiligung im Bildungssystem (Autorin und Herausgeberin). Frankfurt a. M.: Peter Lang. 2008. Susanne Lang, Dr. phil., Jhrg. 1965, ist Professorin für Jugendarbeit, Jugendbildung und Medienpädagogik an der Fakultät für Sozialwesen, Hochschule Mannheim. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Allgemeine Erziehungswissenschaft, Jugend, Migration und Raum, Interkulturelle Bildungs- und Biographieforschung, Cultural Studies und Medienpädagogik. Ausgewählte Veröffentlichungen: Biographien deutsch-arabischer Jugendlicher. In: Bukow, WolfDietrich/Ottersbach, Markus/Tuider, Elisabeth/Yildiz, Erol (Hrsg.): Biographische Konstruktionen im multikulturellen Bildungsprozess. Wiesbaden: VS Verlag. 2006. / Zum Verhältnis von Raumkonzepten und Ethnizität. In: Projekt „Netzwerke im Stadtteil“ (Hrsg.): Grenzen des Sozialraums. Wiesbaden: VS Verlag. 2005. / Die „illegitimen Anderen“. Befunde über Selbst- und Fremdwahrnehmungen Jugendlicher. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. 2005. Claus Melter, Dr. phil., Jhrg. 1968, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind: Theorien; Methoden und Praxen migrationssensibler und rassismuskritischer Sozialer Arbeit; Jugend-, Jugendhilfe- und Sozialarbeitsforschung; Antidiskriminierung sowie Diversity- und Subjektorientierung. Ausgewählte Publikationen: Rassismuserfahrungen in der Jugendhilfe. Eine empirische Studie zu Kommunikationspraxen in der Sozialen Arbeit. Münster u. a.: Waxmann. 2006. / Zwischen Aktion und Reaktion. Flüchtlinge und Initiativgruppen im Widerstand gegen Abschiebungen. Karlsruhe: von-Loeper-Verlag. 2005. Simone Menz, Dr in Sociology, born 1971, is a Researcher at the Centre for Social Work and Welfare Studies of the University of Dresden. Her main research interests include youth, the family, biography, comparative European Sociology and migration. She is also currently working on the comparative European Study “UP2YOUTH”, which focuses upon young parenthood, while her doctoral dissertation was on the theme of Families and Transitions in Work. Recent publications include: Leben im familialen Konsens? Familiale Bewältigungs- und Normalisierungsstrategien im Übergang in die Arbeit. In: Stauber, Barbara/Pohl, Axel/Walther, Andreas (eds.): Subjektorientierte Übergangsforschung. Rekonstruktion und Unterstützung biografischer Übergänge junger Erwachsener. Weinheim: Juventa. 2007
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Zu den Autorinnen und Autoren
Heike Niedrig, Dr. phil., Jhrg. 1963, B.A. African Languages (University of South Africa), ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg. Sie absolvierte Lehramtsstudium und Referendariat in Hamburg und war zwei Jahre als Lehrerin in Botswana tätig. Derzeit arbeitet sie an einer Habilitationsschrift zu transnationalen Bildungsbiografien afrikanischer Migrantenjugendlicher. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Interkulturelle Bildung, Mehrsprachigkeit, Bildungslaufbahnen im Kontext von transnationaler Migration, Flucht und Asyl. Ausgewählte Veröffentlichungen: Sprache – Macht – Kultur. Multilinguale Erziehung im Post-Apartheid-Afrika. Münster u. a.: Waxmann. 2000. / Lernen am Rande der Gesellschaft. Bildungsinstitutionen im Spiegel von Flüchtlingsbiographien (Autorin und Herausgeberin, gemeinsam mit Ursula Neumann, Joachim Schroeder und Louis Henri Seukwa). Münster u. a.: Waxmann. 2003. / Transnationale Ressourcen im Bildungssystem. Das Beispiel der sprachlichen Kompetenzen von afrikanischen Flüchtlingsjugendlichen. In: Gerhardt, Ludwig u. a. (Hrsg.): Umbrüche in afrikanischen Gesellschaften und ihre Bewältigung. Beiträge aus dem Sonderforschungsbereich 520 der Universität Hamburg. Berlin: LIT Verlag. 2006. Christine Riegel, Dr. rec. soz., Dipl. Pädagogin, Jhrg. 1969, studierte Erziehungswissenschaft und promovierte an der Universität Tübingen. Sie arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre in der internationalen Forschungskooperation „Internationales Lernen“, u.a. im EU-Projekt „Orientierungen Jugendlicher im Kontext von Integration und Ausgrenzung“. Von 2004 bis 2006 war sie Projektleiterin im NFP40+ Forschungsprojekt „Prävention von Rechtsextremismus und ethnisierter Gewalt an Schulen“ an der Universität Fribourg/CH und anschließend Oberassistentin im Master-Programm „Geschlecht, Gleichheit und Differenz im (inter-)kulturellen und sozialpolitischen Kontext“ an der Universität Fribourg. Seit April 2007 ist sie Akademische Rätin an der Universität Tübingen. Forschungsschwerpunkte: Migration, Gender, Jugend, Intersektionalität, Rassismus. Ausgewählte Veröffentlichungen: Im Kampf um Zugehörigkeit und Anerkennung. Orientierungen und Handlungsformen von jungen Migrantinnen. Eine sozio-biografische Untersuchung. Frankfurt a. M.: IKO. 2004. / International Lernen – Lokal Handeln. Interkulturelle Praxis »vor Ort« und Weiterbildung im internationalen Austausch. Erfahrungen und Erkenntnisse aus Deutschland, Griechenland, Kroatien, Lettland, den Niederlanden und der Schweiz. Frankfurt a. M./London: IKO Verlag (Autorin und Herausgeberin zusammen mit Rudolf Leiprecht, Josef Held, Gabriele Wiemeyer. 2001/2006. 2.Aufl.).
Zu den Autorinnen und Autoren
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Karin Elinor Sauer, Dr. rer. soc. Dipl.-Päd., Jhrg. 1973, ist Professorin im Studienbereich Sozialwesen an der Dualen Hochschule/Berufsakademie VillingenSchwenningen. Studium der Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik an der Universität Tübingen. Tätigkeit in internationalen Einrichtungen im Bereich der sozialen und therapeutischen Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz, Italien und den USA, sowie als Lehrbeauftragte an der Berufsakademie Villingen-Schwenningen und Stuttgart. Promotion über Integrationsprozesse von Migrantenkindern in Baden-Württemberg und Kalifornien (2006). Im Anschluss Forschungsaufenthalt in Brasilien im Rahmen des Postdoc-Projekts „Wege der Integration im Erziehungs- und Bildungsprozess (WIE)“. Forschungsschwerpunkte: Migrations- und Minderheitenforschung, international vergleichende Integrationsforschung, Inklusion-Exklusion, Soziales Kapital, Jugend. Ausgewählte Veröffentlichungen: Integrationsprozesse von Kindern in multikulturellen Gesellschaften. Wiesbaden: VS Verlag. 2007. / “To get somewhere in life” – marginalized young people with successful trajectories of education in Rio Grande do Sul, Brazil (gemeinsam mit Sílvio Correa). In: Revista Electrónica Teoría de la Educación: Educación y Cultura en la Sociedad de la Información 8(2). 2008. / Capital social, diversidade cultural e juventude (gemeinsam mit Sílvio Correa). In: Cremonese, Dejalma/Baquero, Marcello (Hrsg.): Desenvolvimento Regional: democracia local e capital social. Ijuí: Editora da Unijuí. 2008. Katja Schikorra, Dipl.-Soz., Jhrg. 1973, promoviert zurzeit an der TU Darmstadt zum Thema „Raum – Technik – Gender im Kontext der Beschäftigung von Pendelmigrantinnen in privater Alten- und Krankenpflege“ bei Prof. Dr. Martina Löw. Sie ist Stipendiatin des Graduiertenkollegs „Topologie der Technik“. Sie studierte Soziologie und Europäische Migration in Darmstadt und Mainz und arbeitete einige Jahre in der Kinder- und Jugendhilfe mit jungen MigrantInnen und Flüchtlingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Raumtheorien, Jugend, Gender, Migration und Flucht. Ausgewählte Veröffentlichungen: Flüchtlingskinder im Niemandsland. Ihre Situation in Deutschland. Mainz: LogophonVerlag. 2004. Barbara Schramkowski, Dr. phil., Jhrg. 1975, ist Lehrbeauftragte bei verschiedenen Insitutionen. Davor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Soziologie und Soziale Arbeit der Universität Huelva in einem Forschungsprojekt zu Integrationsprozessen jungendlicher ImmigrantInnen tätig. Sie studierte Sozialpädagogik in Freiburg, Basel und Barcelona, war Leiterin des Bundesmodellprojekts „Interkulturelles Netzwerk der Jugendsozialarbeit“ und promovierte am „Institut für Bildung und Kommunikation in Migrations-
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Zu den Autorinnen und Autoren
prozessen (IBKM)“ an der Universität Oldenburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Integrationsprozesse, Interkulturelle Mediation, Interkulturelle Netzwerke in der Sozialen Arbeit, Netzwerkanalyse. Ausgewählte Veröffentlichungen: Integration unter Vorbehalt. Perspektiven junger Erwachsener mit Migrationshintergrund. Frankfurt a. M.: IKO Verlag. 2007. / Interkulturelle Mediation. Konstanz: Hartung Gorre Verlag. 2001. Priska Sieber, Prof. Dr. phil., ist Mitarbeiterin und stellvertretende Leiterin des Instituts für internationale Zusammenarbeit in Bildungsfragen (IZB) der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz/Hochschule Zug. Sie war Sekundarschullehrerin mathematisch-naturwissenschaftlicher Richtung, studierte anschließend Pädagogik, Soziologie und Ethnologie und promovierte mit einer Arbeit über Steuerung und Eigendynamik des Bildungswesens. Nach ihrem Studium arbeitete sie in der Schulforschung, in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie in der pädagogischen Entwicklungszusammenarbeit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Schultheorien, Steuerung von Bildungssystemen, interkulturelle Bildung und Bildungsforschung, globales Lernen, pädagogische Entwicklungszusammenarbeit sowie Nord-Süd-(Forschungs-)Partnerschaften. Ausgewählte Veröffentlichungen: Choosing the Right Project: Designing Selection Processes for North-South Research Partnership Programmes (gemeinsam mit Thomas Braunschweig) Bern: Swiss Commission for Research Partnership with Developing Countries, KFPE. 2005. / Steuerung und Eigendynamik der Aussonderung: Vom Umgang des Bildungswesens mit Heterogenität. Reihe „ISP-Universität Zürich“, Bd. 13. Luzern: Edition SZH/CSPS. 2006. / Der Lehrberuf im Wandel? – Über Grenzen von Leadership (gemeinsam mit Bruno Leutwyler). Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 28(S). 61-80. 2006. / Transnationalität und nationale Schulsysteme: Perspektiven für Forschung und Lehre. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 29(3). 345-362. 2007.