Gisbert Greshake Gerhard Lohfink Naherwartung Auferstehung Unsterblichkeit
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Gisbert Greshake Gerhard Lohfink Naherwartung Auferstehung Unsterblichkeit
"Was kommt nach dem Tod?" - Diese Frage bewegt zunehmend die Menschen von heute, Christen wie Nichtchristen. Theologie und Verkündigung sind dadurch neu herausgefordert, das christliche Verständnis von den "Letzten D ingen" für alle Suchenden glaubhaft darzustellen. Gisbert Greshake, Professor für Dogmatik in Wien, und Gerhard Lohfink, Professor für neutestamentliche Exegese in Tübingen, legen in diesem Band eine neue, vertiefte Sicht der Eschatologie vor, die die neutestamentliche Botschaft vom Ende der Welt im Rahmen unseres modernen Weltbildes verständlich macht. Nach einem einleitenden überblick von Greshake über die Bedeutung der Eschatologie in der neueren Theologie entwickelt Lohfink eine sorgfältig durchdachte, ausgewogene Exegese der Naherwartung im Neuen Testament, die die biblische Lehre von zeitbedingten Faktoren befreit und so auch den modernen, kritisch denkenden Menschen überzeugt. Anschließend prüft Greshake einige neue re einschlägige Theorien auf ihre theologische Haltbarkeit und stützt dadurch indirekt die in diesem Band vertretene Auffassung. Seit der dritten Auflage legen die Verfasser einen wesentlich erweiterten Text vor, der unter dem Stichwort "Vollendung der Welt" das Gespräch mit anderen theologischen Auffassungen weiterführt und die Frage nach der Zeit sowie der Beziehung zwischen Leib und Seele einer Klärung näherbringt. Der Band schließt mit zwei meditativen Ansprachen, die die aus den theologischen Abhandlungen gewonnenen Einsichten in die konkrete Sprache der Verkündigung hineinübersetzen. Dieses Werk bietet eine Auslegung des Glaubensartikels " ... und das Leben der kommenden Welt" von überraschender Plausibilität.
G. GRESHAKE - G. LOHFINK NAHERWARTUNG - AUFERSTEHUNGUNSTERBLICHKEIT
QUAESTIONES DISPUTATAE Herausgegeben von KARL RAHNER UND HEINRICH SCHLIER Theologische Redaktion HERBERT VORGRIMLER
Internationale Verlagsschriftleitung ROBERT SCHERER
71 NAHERWARTUNG-AUFERSTEHUNGUNSTERBLICHKEIT
Internationaler Marken- und Titelschutz: Editiones Herder. Basel
GISBERT GRESHAKE GERHARD LOHFINK
NAHERWARTUNG AUFERSTEHUNG UNSTERBLICHKEIT UNTERSUCHUNGEN ZUR CHRISTLICHEN ESCHATOLOGIE
HERDER FREIBURG . BASEL· WIEN
4., erneut erweiterte Auflage Alle Rechte vorbehalten - Printed in Germany © Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1982 Herstellung: Freiburger Graphische Betriebe 1982 ISBN 3-451-02071-4
VORWORT ZUR ERSTEN UND ZWEITEN AUFLAGE
Die hier vorgelegten Aufsätze versuchen damit ernst zu machen, daß die Eschata des einzelnen und der Weh im Tod und in der auf den Tod zuführenden Geschichte anzusetzen sind. Der erste Aufsatz "Endzeit und Geschichte" steckt zunächst den Horizont ab, innerhalb dessen zur Zeit das Gespräch über Eschatologie geführt wird. Die beiden folgenden Aufsätze wenden sich dann von zwei verschiedenen Ansatzpunkten aus der Sache selbst zu: der eine setzt bei dem biblischen Problem der Naherwartung an, der andere bei dem dogmatischen Problem Unsterblichkeit oder Auferstehung. Eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtig beliebten Endentscheidungshypothese schließt sich an. Wir sind uns bewußt, daß diese vier Aufsätze keine nach allen Seiten abgerundete Eschatologie bieten. Aber vielleicht können sie weiterhelfen in Richtung auf eine künftige Eschatologie, zu der sich bereits viele Ansätze in der gegenwärtigen Diskussion abzeichnen. Es müßte eine Eschatologie sein, die man mit ehrlichem Gewissen predigen kann. Wie sehr es uns um die Realisation eschatologischer Aussagen in der Praxis der Verkündigung geht, soll der 3. Teil dieses Buches verdeutlichen, in welchem Modelle für die Vermittlung unserer theoretischen überlegungen ausgeführt sind. Unsere Zusammenarbeit hat uns viel Freude gemacht. Sie ergab sich ganz von selbst, als wir merkten, wie ähnlich wir beide seit langem in vielen Fragen der Eschatologie denken. Wien - Tübingen, Advent 1974
G. Greshake
G. Lohfink
VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE Nichts kann Autoren einer Quaestio disputata willkommener sein, als daß die Herausforderung zum Disput auch wirklich aufgegriffen wird. Ebendies ist in weitem Umfang geschehen: Nicht nur in zahlreichen 5
Gesprächen und Diskussionen, sondern auch in vielen Rezensionen und Beiträgen haben wir Stellungnahmen zu den hier vorgelegten Thesen erhalten. Dafür möchten wir aufrichtig danken: nicht nur den vielen (sogar überwiegend) positiven Stimmen, die uns ermutigt haben, sondern besonders auch den Kritikern, deren Fragen und Einwände uns zur überprüfung unserer Beiträge veranlaßt haben. Da sich ein Disput nicht in Rede und Gegen-Rede erschöpfen darf, nehmen wir die 3. Auflage dieser Quaestio zum Anlaß, uns in einem umfangreichen neuen Teil eingehend mit den kritischen Gegenstimmen auseinanderzusetzen, Mißverständnisse abzubauen und einige Punkte zu vertiefen - nicht um damit den Disput abzuschließen, sondern um das zu tun, was die französische Sprache, kaum übersetzbar, das "mettre au point" nennt. Möge also die Quaestio weiter nicht nur disputata, sondern auch disputanda sein und damit zugleich ein Zeichen dafür, daß das Mysterium der christlichen Hoffnung sich allen Versuchen, es in Reflexion und Spekulation dingfest zu machen, entzieht und so stets größer und herrlicher ist, als unsere theologischen Annäherungsversuche zu erkennen geben. Wien - Tübingen, Juni 1978
G. Greshake
G. Lohfink
VORWORT ZUR VIERTEN AUFlAGE Mit Datum vom 17. Mai 1979 veröffentlichte die römische Glaubenskongregation ein Lehrschreiben »Zu einigen Fragen der Eschatologie", das auch Positionen berührt, die in diesem Band vertreten werden. Außerdem ging die innertheologische Diskussion über die von uns vorgelegten Entwürfe weiter. Beides legte es nahe, die Quaestio, die nun schon in 4. Auflage vorgelegt werden kann, noch einmal zu erweitern. Der Leser findet die neu eingebrachten Texte - abgesehen von einigen erweiterten Anmerkungen - auf den Seiten 185-207. Obwohl damit der Disput nicht beendet ist, glauben wir doch, daß diese Quaestio nach insgesamt sechs Jahren nun ihre letzte Gestalt gefunden hat. Wien - Tübingen, Allerheiligen 1981 6
G. Greshake
G. Lohfink
INHALT
Vorwort zur ersten und zweiten Auflage Vorwort zur dritten Auflage . . . . . . . Vorwort zur vierten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
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ERSTER TEIL: UNTERSUCHUNGEN I Endzeit und Geschichte Zur eschatologischen Dimension in der heutigen Theologie (G. Greshake) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. "Das eschatologische Bureau ist meist geschlossen" 2. Das eschatologische Bureau "macht überstunden" 3. Hermeneutik eschatologischer Aussagen. . . . . . . 4. Säkulare Geschichtsphilosophie und christliche Hoffnung. 5. "Gott und die Geschichte zusammendenken" . . . . . . 6. Die befreiende Funktion des "eschatologischen Vorbehalts" . 7. Eschatologie im Horizont der Theologie der Revolution und der Befreiung. . . . . . . . . . . . . 8. Wieder ein neuer Pendelschlag? . . . . . . . . . . . . . . . ..
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II Zur Möglichkeit christlicher Naherwartung (G. Lohfink) .
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Vorbemerkungen I. Die Naherwartung Jesu . 1. Die Gegenwartsaussagen . 2. Die Seligpreisungen. . . . 3. Die Proklamation der Gottesherrschaft .
41 41 43 45
7
4. Das Motiv der Plötzlichkeit . . . 5. Worte über "dieses Geschlecht" . 6. Der eschatologische Ausblick. . 11. Die Interpretation der NaherwartungJesu. 1. Gedehnte Naherwartung . . . 2. Reduktion auf reine Ethik .. 3. Relativierung des Zeidaktors . 4. Ansatz der Eschata im Tod .. a) Befreiung vom Weltbild der Apokalyptik b) Neuansatz durch die protestantische Eschatologie. c) Der Begriff des aevum als Denkanstoß. . . . . . d) Verklärte Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die universale Geschichte und ihre Vollendung. f), Naherwartung als christliche Möglichkeit
III Das Verhältnis "Unsterblichkeit der Seele" und "Auferstehung des Leibes" in problemgeschichtlicher Sicht (G. Greshake) . 1. Der Ursprung der doppelpoligen Eschatologie . . . . . . .
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2. Die philosophische und theologische Reflexion zur Zeit der
Scholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Wende in der evangelischen Theologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Neue Denkversuche in der katholischen Theologie der Gegen-
wart
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113
IV Bemerkungen zur Endentscheidungshypothese (G. Greshake). 121
ZWEITER TEIL: DISPUT
V Das Zeitproblem und die Vollendung der Welt (G. Lohfink) 1. Noch einmal: die Naherwartung Jesu . . . . . . . . . . . 2. Die Auferweckung Jesu als eschatologisches Realmodell 3. Zur Anwendung des aevum-Begriffs . . . . . . . . . . .
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4. Auferstehung im Tod und weitergehende Geschichte 5. Zwei Grundmodelle der Eschatologie . . . . . . . . .
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VI Die Leib-Seele-Problematik und die Vollendung der Welt (G. Greshake) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Zur Frage des "Dualismus" von Leib und Seele in der traditionellen Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Zur Frage einer "Auferstehung im Tod" . . . . . . . . L Mißverständnisse und Fehlbeurteilungen Ratzingers . . . . .. a) Zur Wiedergabe meiner Position durch Ratzinger . . . . . b) Zur Frage des Materie-Verständnisses bei Thomas v. Aquin 2. Vollendung der Materie. Repetierende Klarstellungen 3. Vollendung am Jüngsten Tag? . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur theologischen Sprachregelung . . . . . . . . . . . . III. Kirchliche Lehräußerungen zur Leib-Seele-Anthropologie IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII Zum römischen Lehrschreiben über die Eschatologie (17.5.1979) (G. Greshake) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
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1. Zum Problem der "Seele" . . . . . . 2. Zur Frage der "vollen Leiblichkeit"
VIII Geschichte und Vollendung Zu Herbert Vorgrimlers Vorwurf der Geschichtsentwertung (G. Lohfink) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Geschichtsentwertung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur richtigen Anwendung des Zeitbegriffs . . . . . . . . . Die Korrelation von Geschichte und Geschichtsvollendung Zur Möglichkeit einer innergeschichtlichen Teleologie Selbsttranszendenz der Geschichte? Die Geschichtsmächte und ihr Eschaton Noch einmal: verklärte Zeit. . . . . . .
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193 193 195 197 198 202 203 206
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DRITTER TEIL: KONKRETIONEN IX Was kommt nach dem Tod? (Go Lohfink)
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Jesus und die Zukunft (Go Greshake) Namenregister Stellenregister
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ERSTER TEIL: UNTERSUCHUNGEN
I
Endzeit und Geschichte Zur eschatologischen Dimension in der heutigen Theologie Von Gisbert Greshake
Wie auf kaum einem anderen theologischen Gebiet herrscht heute in der Eschatologie eine beispiellose Sprachverwirrung 2 • Sinn, Bedeutung und Aussageintention der eschatologischen Aussagen von Schrift und Tradition sind umstritten - umstritten ist auch das Zueinander der Zukunft, die der Glaube erwartet, und der Zukunft, die durch menschlichen Einsatz in der Geschichte geplant und verwirklicht wird. Wie bei kaum einem anderen Thema muß darum der Theologe, Prediger und Katechet, wo es um eschatologische Fragen geht, Farbe bekennen. Kein Wunder, daß man deshalb von einer "primitiven ,Kindergarten' -Theologie" mit ihrer "kitschigen Verniedlichung der Eschata" 3 und dem Versuch, wie in einem Puzzlespiel die verschiedenartigsten eschatologischen Bilder der Schrift zu einem reportage artigen Bericht über das "Ende der Welt" zusammenzusetzen, angefangen bis hin zu einer aufgeklärten Entmythologisierung, welche die eschatologischen Aussagen nur als Chiffren für das existentiale Hoffnungspotential oder als Imperative weltverändernden Handeins begreift, so ziemlich allen nur möglichen Varianten begegnet. Im folgenden soll versucht werden, in dem nur mit Mühe übersehbaren Geflecht der neueren vielgestaltigen theologischen Bemühungen um die Eschatologie eine erste Orientierung zu geben und die heute verhandelten Probleme und Tendenzen kurz zu skizzieren. 1 überarbeitete und erweiterte Fassung eines ursprünglich als "Problembericht" in der Herder-Korrespondenz 27 (1973) 625--634 veröffentlichten Beitrags. Eine Kurzfassung erschien auch in den Selecciones de teologia 14 (1974). 2 Siehe dazu G. Wanke, "Eschatologie". Ein Beispiel theologischer Sprachverwirrung, in: KuD 16 (1970) 300-312. 3 So A. Kolping, Verkündigung über das ewige Leben, in: Christus vor uns (BergenEnkheim 1966) 30.
11
1. "Das eschatologische Bureau ist meist geschlossen" (E. Troeltsch) Die neueren Umschichtungen in der Eschatologie sind kaum richtig einzuschätzen, ohne vorher einen Blick auf die Eschatologie der theologischen Tradition zu werfen. Will man aber die theologische Denkform einer jahrhundertelangen Epoche in wenigen Zügen charakterisieren, so läuft man notwendig Gefahr, ihre inneren vitalen Differenzen und Varianten zu übersehen und so aus einem höchst lebendigen Gebilde einen petrifizierten Popanz zu machen. Und doch gibt es epochale theologische Typen, die man nicht anders als durch eine pauschalierende Darstellung von Grundtendenzen unter Vernachlässigung der bestehenden, für den Typus jedoch nicht relevanten Differenzen und Varianten umreißen kann 4. Mit dieser Einschränkung läßt sich die Eschatologie, vom Spätmittelalter angefangen bis hin zum 19. Jahrhundert, sowohl in der katholischen Theologie als auch in der protestantischen Orthodoxie mit wenigen Ausnahmen als eine "Lehre von den letzten Dingen" kennzeichnen 5 • Es ist eine Lehre, d.h. eine auf Schrift und Tradition fußende doktrinale Beschreibung künftiger, zumindesttendentiell dinghaftvorgestellter Ereignisse, die zuletzt, am Ende der Geschichte, eintreffen werden. Dieser Formalhorizont der Eschatologie war bereits in der mittelalterlichen Theologie vorbereitet, da sich der theologische Traktat "De novissimis" im Horizont einer vom aristotelischen Wissenschaftsideal geprägten kosmologischen Ontologie konstituierte und sich von der Basis einer vielfach vitalen eschatologisch-apokalyptischen Volksfrömmigkeit mehr und mehr Vgl. zum folgenden J. B. Metz, Zur Theologie der Welt (Mainz - München 1968); P. Müller-Goldkuhle, Die nachbiblischen Akzentverschiebungen im historischen Entwicklungsgang des eschatologischen Denkens, in: Conc. 5 (1969) 10-17; siehe dazu aber auch die kritischen Bemerkungen von H. J. Weber, Die Lehre von der Auferstehung der Toten in den Haupttraktaten der scholastischen Theologie (Freiburg - Basel- Wien 1973) 45, 66 u.ö. 5 Für die Hochscholastik gilt diese Aussage nicht, es sei denn nur mit erheblichen Einschränkungen. Weber zeigt in seiner in Anmerkung 4 genannten bemerkenswerten Arbeit, wie die Hochscholastik die geschichtliche Dimension der Eschatologie in allen Traktaten zur Geltung bringen will (vgl. z.B. SM). - Es sei auch auf die Arbeiten von M. Seckler, Das Heil in der Geschichte (München 1964); E. Gössmann, Metaphysik und Heilsgeschichte (München 1964); J. Ratzinger, Die Geschichtstheologie des hl. Bonaventura (München 1959) verwiesen. 4
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isolierte. Spät- und Neuscholastik versuchten spekulativ das Wesen der letzten Vorgänge und Befindlichkeiten genauer zu ergründen, so daß hier die Eschatologie vollends in eine "Physik der letzten Dinge"6 ausartete. In der klassischen Moraltheologie spielte die Eschatologie vor allem unter den Kategorien von Lohn und Strafe eine beträchtliche Rolle für die Motivation menschlichen Handelns. Dieser ganz auf das "Letzte" gewandten Konzeption der Eschatologie entsprach die Struktur der christlichen Hoffnung. Indem diese sich - sieht man von den nie ganz erlöschenden chiliastischen Tendenzen ab - auf eine absolute Vollendung des menschlichen Lebens und der Geschichte bei Gott richtete und auf alles andere nur, insofern es auf dieses "Letzte" hinge ordnet war, indem sie dazu noch eher das Seelenheil des einzelnen als das Heil der Welt im Auge hatte 7 , tendierte sie in letzter Konsequenz aus der Geschichte heraus. Welt und Geschichte konnten im Licht solcher Hoffnung nur die Funktion haben, "occasio moralitatis et pietatis" zu sein - wie die Scholastiker sagen -, d. h. die V orausset~ zungen und Gelegenheiten für Frömmigkeit und Sittlichkeit zu bieten, durch die der Mensch sich für das jenseitig-himmlische Ziel zu bereiten und zu bewähren hat. In sich selbst waren Geschichte und Welt ohne innere Dynamik auf das "Letzte", auch wenn im Bekenntnis der Auferstehung des Leibes immer auch - verschiedengewichtig zwar - die überzeugung aufgehoben blieb, daß zum endgültigen Heil Leiblichkeit und Welthaftigkeit gehört s. Darüber hinaus wußte man darum, daß in der inneren Begnadung der Seele und in der Einwohnung Gottes im Menschen die letzte Zukunft, Gottes ewiges Leben, bereits geheimnisvoll und verhüllt anweste; und man verstand nach mittelalterlicher Geschichtstheologie die Kirche als abschließende Geschichtsepoche vor der Ewigkeit, als das sichtbare Reich Gottes, das sich "nur noch" am Ende zu enthüllen brauchte. Mit alldem war deutlich ein Zusammenhang zwischen "Diesseits" und "Jenseits" gegeben. Auch die überzeugung vom Gericht nach den Werken und von der Verschiedenheit des himmlischen Lohns nach Maßgabe der irdischen Bewährung setzte ein positives Verhältnis zwischen irdischer Geschichte und Y. Congar, Bulletin de Theologie dogmatique, in: RScPhTh 33 (1949) 463. Diese Individualisierung und Spiritualisierung der Hoffnung war gegeben mit der überzeugung, daß die Seele im Tod die beatitudo perfecta erreicht. Siehe dazu S. 82ff. 8 Vgl. S. 84f.
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himmlischer Vollendung. Aber trotz dieser ausgleichenden Momente vollzog sich im wesentlichen die christliche Hoffnung in der Spannung zwischen vergehendem "Diesseits" und kommendem "Jenseits" . . Und eben als Beschreibung des Einbruchs des Jenseits in das untergehende Diesseits wurden die eschatologischen Vorstellungen von Schrift und Tradition interpretiert (Wiederkunft Christi, Weltenbrand und -untergang, Auferstehung der Toten, Himmel, Hölle usw.). Indem sich aber die christliche Hoffnung auf das "Letzte" richtete und die eschatologischen Aussagen auf eine absolute Vollendung am Ende der individuellen oder universalen Geschichte bezog, war zumindest die Gefahr gegeben, daß die Eschatologie immer weltferner wurde und die christliche Hoffnung am Jetzt des täglichen Lebens und an der Forderung der Geschichte vorbeiging. Der Auftrag zur Weltgestaltung wurde von der Schöpfungs theologie und vom Liebesgebot, nicht aber von der eschatologischen Verheißung des Reiches Gottes her begründet. Sich erschöpfend in Spekulation und Morallehre, wurde aus der Eschatologie schließlich - wie K. Barth treffend bemerkt - "ein harmloses Kapitelchen am Ende der Dogmatik"9.
2. Das eschatologische Bureau "macht Uberstunden" (H. U. v. Balthasar) Der Aufbruch zu einer "neuen" Eschatologie kam schneller und stürmischer, als erwartet. Um die Jahrhundertwende stellten Johannes Weiß und Albert Schweitzer exegetisch heraus, daß Gestalt, Wort und Wirken Jesu nur von einer radikal eschatologischen Mitte her zu verstehen sind (Hereinbrechen des Reiches Gottes, Naherwartung des Endes). Mit dieser These war die Aufmerksamkeit der Theologie ganz neu auf die Eschatologie gerichtet, und zwar nicht im Sinne eines regionalen Endkapitels der Theologie, sondern als deren prägende Perspektive: nicht "letzte Dinge" werden hier verhandelt, sondern es geht um das Letzte und Endgültige, um das Zentrum des Glaubens. Die exegetische Neuentdeckung der Eschatologie führte notwendig zur Frage einer sachgemäßen Interpretation der eschatologischen Aussa9
Der Römerbrief (München 21922) 486.
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gen der Heiligen Schrift. Als ein erster bedeutender Versuch dieses .Jahrhunderts ist hier die Dialektische Theologie (vor allem der frühe K. Barth) zu nennen 10. Gegen die Synthese des sogenannten Kulturprotestantismus, welcher Reich Gottes und menschliches Kulturreich, den Glauben an den transzendenten Gott und fromme Gläubigkeit allzuschnell identifiziert hatte, werden für die "Dialektiker" gerade die eschatologischen Aussagen der Schrift zum Argument und kategorialen Mittel, um Gott und Mensch antithetisch auseinanderzureißen und die "unendliche qualitative Differenz" zwischen Gott und Menschenwelt, Ewigkeit und Zeit zu erweisen: Alle "End"-Aussagen sind Chiffren für Gottes souveräne Transzendenz gegenüber der Kontingenz, Ohnmacht und Nichtigkeit des Geschöpfes, das je nur "tangential", im Begegnungsaugenblick, von Gottes Heilshandeln berührt wird. In diesem dem Menschen stets unverfügbar-jenseitig bleibenden Begegnungsaugenblick, in dem das Ewige die Zeit tangiert, ist je das Eschaton als der transzendentale Sinn aller Augenblicke gegenwärtig 11. Also: "Kein zeitliches Ereignis, kein fabelhafter, Weltuntergang', ganz und gar ohne Beziehung zu etwaigen geschichtlichen, tellurischen oder kosmischen Katastrophen ist das im Neuen Testament verkündigte Ende" 12; das "Ende" ist vielmehr qualitativ zu verstehen als die Jenseitigkeit und Ewigkeit Gottes, welche stets neu die Krise alles Zeitlichen ist. Eine ähnliche Interpretation (freilich ohne die zugespitzte Dialektik Barths) findet sich beim frühen P. Althaus, der diese Eschatologie als "axiologisch" bezeichnet im Gegensatz zu einer "teleologischen" Eschatologie, die auf eine zeitlich ausstehende Zukunft blickt. Barth hat sich (ebenso wie Althaus) von dieser Art, Eschatologie zu treiben, gelöst. In einem späteren Rückblick auf die "dialektische Zeit" bekennt Barth: "Es zeigte sich ... , daß ich nun wohl mit der Jenseitigkeit des kommenden Reiches Gottes, aber gerade nicht mit seinem Kommen als solchem ganz Ernst zu machen mich getrau te ... Man sieht ... wie ich dabei gerade an dem Besonderen dieser Stelle [gemeint istRöm 13,11 f], nämlich an der Teleologie, die sie der Zeit zuschreibt, 10 Das Folgende ist genauer ausgeführt bei G. Greshake, Auferstehung der Toten (Essen 1969) 52-61. Siehe auch S. 99ff dieses Bandes. 11 Vgl. K. Barth, Römerbrief 484. 12 Ebd. 484.
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an ihrem Ablauf zu einem wirklichen Ende, mit viel Kunst und Beredsamkeit vorbeigegangen bin."13 Und in der Tat: die Dialektische Theologie blieb einer - gegenüber dem traditionellen Verständnis noch verschärften - vertikalen Geschichtsauffassung verhaftet. "Wir unten" - "Gott oben"; wir, die Nichtigen - Gott, die Krise des Menschen: in dieser Zeit-Ewigkeit-Dialektik hat die konkrete Geschichte und Zukunft keine Bedeutung. Die Zeit der spezifisch dialektischen Theologie ist vorüber. In der Folgezeit gab die von Ewigkeit her beschlossene trinitarische Selbstoffenbarung Gottes den Rahmen für die Barthsche Eschatologie ab 14, die allerdings in der "Kirchlichen Dogmatik" systematisch zu entfalten Barth keine Gelegenheit mehr hatte. Aber mancherlei Hinweise lassen vermuten, daß der Bezug der Eschatologie zur Weltgeschichte und "profanen" Zukunft des Menschen zugunsten einer strikt gnadentheologisch verstandenen Vollendung des göttlichen Heils- und Offenbarungshandelns gering geblieben wäre. Für die neuere Eschatologie behält die Dialektische Theologie insofern ihre Bedeutung, als hier erstmals konsequent die Bilderwelt der biblischen und theologiegeschichtlichen eschatologischen Aussagen durchbrochen und deren pointiert theologischer und personaler Sinn herausgestellt wurde. In eine andere Richtung ging die Eschatologie R. Bultmanns 15 , der, zunächst mit den "Dialektikern" verbunden, später zum eigentlichen Antagonisten der Barthschen Richtung wurde. Im Anschluß an die Existential-Analytik des frühen M. H eidegger bestimmt Bultmann den Menschen als "Seinkönnen im Offensein für die Zukunft". Das heißt: der Mensch hat nie sein eigentliches Sein schon erreicht; seine wahre Wirklichkeit liegt immer vor ihm; sie steht in den stets neuen Begegnungen des menschlichen Lebens, die in Offenheit und Freiheit zu bestehen sind, auf dem Spiel. Jedoch, als Sünder hat der Mensch seine Freiheit und damit seine Zukunft verloren. Eben das charakterisiert den Sünder, daß er verfallen ist an das, was er hat und was er ist. Damit ist er der Zukunft gegenüber verschlossen und hat, der Vergangenheit verhaftet, sein wahres Leben verwirkt. Von diesem anthropologischen 13
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K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik II, 1, 716. Vgl. Greshake (s.o. Anm. 10) 61-95. Dazu Greshake (s. o. Anm. 10) 96-133. Dort auch weitere Literaturangaben.
Ansatz aus versteht Buhmann das Heilshandeln Gottes. Das Christusgeschehen und das hier begründete Wort der Verkündigung ist "eschatologisches Geschehen", d.h., es beendet die Verfallenheit der sündigen Existenz und ermöglicht die neue Offenheit und Freiheit auf Zukunft hin. Konkret: der glaubende, sich auf das Wort der Verkündigung einlassende Mensch wird wieder fähig, je neu den Anruf zur Liebe zu hören, ihm zu entsprechen und dabei sein wahres Leben zu gewinnen. Diese Freiheit, die der Glaube schenkt, ist selber das "Eschaton". Nicht mehr auf eine zeitlich ausstehende Zukunft wartet der Glaubende, sondern im je Jetzt des Anrufs und des Hörens wird die Zukunft Gegenwart. Darum gilt: "Schau nicht um dich in die Universalgeschichte; vielmehr mußt du in deine persönliche Geschichte blicken. Je in deiner Gegenwart liegt der Sinn der Geschichte ... In jedem Augenblick schlummert die Möglichkeit, der eschatologische Augenblick zu sein. Du mußt ihn erwecken." 16 In diesem Verstehenshorizont sind die eschatologischen Aussagen der Heiligen Schrift Bilder, in denen die Unverfügbarkeit des Heilshandelns Gottes und/oder die grenzenlose Offenheit menschlicher Existenz auf einer kosmologischen Folie objektivierend vorgestellt wird. In der Form des Mythos sprechen sie alle vom Menschen, der unter dem Ruf der Zukunft Gottes steht. Deshalb ist zur sachgemäßen Auslegung ihre Entmythologisierung gefordert, d.h. (negativ) ihre Ent-objektivierung und Ent-kosmologisierung und (positiv) ihre Interpretation als Ausdruck der "Zukünftigkeit" und U nabgeschlossenheit menschlicher Existenz. Die existentiale Offenheit findet für Bultmann auch im Tod kein Ende: "Der christliche Glaube an die Auferstehung glaubt, daß der Tod nicht das Versinken in das Nichts ist, sondern daß Gott, der ständig der auf uns Zukommende ist, dies auch in unserem Tode ist."17 Aber dieser Blick auf den Tod ist nicht das Entscheidende, und noch weniger ist der Blick auf die Endszenerie eines "Jüngsten Tages" von Bedeutung 18 . Entscheidend ist, daß der Mensch im Glauben hier und heute R. Bultmann, Geschichte und Eschatologie (Tübingen 1958) 181. R. Bultmann, Spiegel-Gespräch mit W. Harenberg "Ist Jesus auferstanden wie Goethe?", in: Der Spiegel 20 (1966) Nr. 31. 42ff, abgedruckt in: W. Harenberg, Jesus und die Kirchen (Sruttgart 1966) 210. Die Zitation folgt diesem Buch. 18 Vgl. R. Bultmann, Zu J. Schniewinds Thesen, in: Kerygma und Mythos I (Hamburg 1948) 131: Die Rede vom Jüngsten Tag "muß m.E. ersetzt werden durch die Rede vom thanatos". 16
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offen wird für Gott und sein Kommen. Dann ist das Eigentliche, "Eschatologische" geschehen. "Mag nun noch kommen, was da will, an kosmischen Katastrophen, - das kann nie etwas anderes sein, als was alle Tage in der Welt passiert. Mag nun noch etwas kommen wie eine Auferstehung aus den Gräbern ... , - das kann nichts anderes mehr sein, als wie man jeden Morgen vom Schlaf erwacht. Das Entscheidende ist geschehen." 19 Die Theologie Bultmanns hatte in den fünfziger und sechziger Jahren auch im katholischen Bereich einen bedeutenden Einfluß. Sie bot hinsichtlich der eschatologischen Aussagen die Möglichkeit, über ein physizistisch-kosmologisches Mißverständnis und eine "vertikale", d. h. an einem Diesseits-Jenseits-Schema orientierte Geschichtsauffassung hinauszukommen. Die Eschatologie ist weder auf das hereinbrechende Geschichtsende und auf die kommende, sich offenbarende, jetzt schon in der Gnadenwirklichkeit verhüllt anwesende Heilsvollendung hin zu interpretieren (traditionelle Auffassung), noch ist sie eine Verschlüsselung für die Krise des Menschen angesichts der absoluten Transzendenz Gottes (Dialektische Theologie), sondern sie bezieht sich auf den aktuellen Glaubensvollzug des Menschen, der stets im Hier und Heute vor dem je neuen Anruf Gottes steht. Trotz der wohl unbestritten positiven Bedeutung Bultmanns erhoben sich eine Reihe von teils heftigen Einwänden gegen ihn. Die Anhänger der traditionellen Eschatologie und - mit nur geringer Varianz - auch die sogenannten "Heilsgeschichtler" (0. Cullmann, W. Künneth u. a.) machten gegen ihn geltend, daß durch die U minterpretation von zeitlicher Zukunft in existentiale Zukünftigkeit die Dimension der konkreten ausständigen Zukunft von Welt und Geschichte ausgeklammert, ja eliminiert wird. Ist nicht die Eschatologie Bultmanns wie auch sein Verständnis vom Glaubensvollzug der Existenz völlig welt- und zeitlos? Versinken nicht notwendig Welt und Geschichte für den Glaubenden zur völligen Bedeutungslosigkeit, wenn die Eschatologie nur auf den existentiellen Entscheidungsaugenblick konzentriert und dieser von der konkreten Verlaufsgeschichte isoliert wird? Was aber ist dann mit dem "Heil der Welt"? "Bultmanns Zukunft ist zwar ,offen' für Gewinn oder Verlust des eigentlichen 19
18
R. Bultmann, Glaube und Verstehen, Bd. I (Tübingen 1933) 144f.
,Seins' des einzelnen, nicht aber offen für den Schalom, der allen gilt", bemerkt zu Recht D. Sölle 20 • Nicht zuletzt als Reaktion gegen diese Konsequenzen begann um die Mitte der sechziger Jahre eine nochmalige Neuorientierung der Eschatologie. Doch bevor diese neuere Entwicklung skizziert werden soll, sei ein Blick auf zwei eschatologische Versuche in der katholischen Theologie gerichtet.
3. Hermeneutik eschatologischer Aussagen Während in den beiden führenden Richtungen der protestantischen Theologie, der von K. Barth und R. Bultmann, die Eschatologie je auf verschiedene Weise für einen theologischen Gesamtentwurf konstitutiv wurde, bemühte sich die katholische Theologie um die Mitte dieses Jahrhunderts eher um die Eschatologie als dogmatischen Regionaltraktat, genauer: man ging daran, mittels einer spezifisch eschatologischen Hermeneutik die traditionellen Aussagen und Vorstellungen zu verflüssigen und für das Verstehen zugänglich zu machen. Zu nennen sind hier vor allem H. U. v. Balthasar und K. Rahner, deren Entwürfe eine weite Beachtung fanden 21 . Beiden gemeinsam ist die Kritik an einer kosmologisch-physizistisch verstandenen Auffassung von den "Letzten Dingen" als einer Art Bericht über das "Ende der Zeit". v. Balthasar setzt mit seinem Entwurf entschieden theologisch-christologisch ein: "Gott ist das ,Letzte Ding' des Geschöpfs. Er ist als Gewonnener Himmel, als Verlorener Hölle, als Prüfender Gericht, als Reinigender Fegfeuer. Er ist der, woran das Endliche stirbt und wodurch es zu Ihm, in Ihm aufersteht. Er ist es aber so, wie er der Welt zugewandt ist, nämlich in seinem Sohn Jesus Christus, der die Offenbarkeit Gottes und damit der Inbegriff der ,Letzten Dinge' ist."22 In Kreuz und Auferweckung J esu geschieht die Wende aus der VerlorenPolitische Theologie (Stuttgart - Berlin 1971) 68. H. U. v. Balthasar, Eschatologie, in: Fragen der Theologie heute, hrsg. v. FeinerTrütsch - Bäckle (Einsiedeln - Zürich - Köln 31960) 403-422; ebenfalls abgedruckt in: Verbum Caro (Einsiedeln 1960) 276-300; K. Rahner, Theologische Prinzipien der Hermeneutik eschatologischer Aussagen, in: Schriften zur Theologie, Bd. IV (Einsiedeln Zürich - Köln 1960) 401-428. 22 Balthasar (s.o. Anm. 21) 407f. 20
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heit der alten Weltzeit zum neuen Heilsäon. So ist die Rückkehr Jesu zum Vater "das Erschaffen jener Dimension, in die hinein sich durch Gottes freie Gnade Mensch und Kosmos zu wandeln anheben: ,des Himmels eigenes Werden ce, 23. Mithin ist all das, was in der traditionellen Eschatologie über die "Letzten Dinge" gesagt wird, nur ein je verschiedener Aspekt des einen "Eschatons", Jesus Christus, durch den Mensch und Welt zu ihrer Endgültigkeit bei Gott bestimmt werden. So positiv auch in einer solchen Sicht an die Stelle verdinglichter End -Vorstellungen personale Begegnungskategorien treten und so eindrücklich alle Zukunftsaussagen auf das Christusereignis konzentriert werden, so gibt doch diese Hermeneutik manche Fragen auf. Ihr sehr direkter, unmittelbar-theologischer Ansatz vermag sich kaum der Frage zu stellen, wie sich denn die Zukunft dieser unserer konkreten Welt, die fortschreitende Dynamik der konkreten Geschichte und das Handeln des Menschen auf Zukunft hin zu der Zukunft verhält, die der Glaubende in Jesus Christus erfüllt sieht und die er für sich selbst erwartet. Klammert nicht die rein christologische Vermittlung von Zeit und Ewigkeit (die Rückkehr Jesu zum Vater), die im Zentrum der Balthasarschen Eschatologie steht, die (profane) Weltgeschichte aus? Methodisch anders verfährt Rahner. In einer transzendentalen Besinnung auf das Wesen menschlicher Existenz und christlicher Offenbarung kommt er zu dem Ergebnis: Das "Wissen um die Eschata ist nicht eine zusätzliche Mitteilung zu der dogmatischen Anthropologie und Christologie, sondern nichts anderes als eben deren Transposition in den Modus der Vollendung"24. Oder anders: "Die eigentlich ursprüngliche Quelle der eschatologischen Aussagen ist die Erfahrung von dem Heilshandeln Gottes an uns selbst in J esus Christus." 25 Die Eschatologie ist also Prolongatur, Extrapolation dessen, was der Glaube jetzt schon erfährt und worauf er sich stützt. Deshalb müssen die traditionellen eschatologischen Aussagen gelesen werden als Aussagen von der im Lichte der Gnade und Offenbarung erfahrenen Gegenwart her auf die Zukunft hin, nicht aber als Aussage von einer (durch spezielle Offenbarung) antizipierten Zukunft her in die Gegenwart hinein. Es gibt mithin keine eschatologischen Aussagen, "die nicht auf die über die christliche Existenz, so wie sie jetzt ist, zurückge23
20
Ebd. 409.
24
Rahner (s.o. Anm. 21) 415.
25
Ebd. 417.
führt werden können"26. Das erinnert zunächst an Bultmann. Aber Rahner versteht gegen Bultmann ganz ausdrücklich die menschliche Existenz als eine welthafte, soziale und in eine zeitliche Ausständigkeit hineingestellte Größe. Somit gibt der hermeneutische Ansatz Rahner Kriterien ab, die traditionellen eschatologischen Aussagen als Bilder einer Hoffnung zu lesen, die sich auf die zeitlich noch ausständige Enthüllung und Entfaltung des jetzt bereits im Glauben Gegebenen ausrichtet. Die Zukunft, die der Glaubende erwartet, ist das theologische Zu-sich-selbst-Kommen der jetzt erfahrenen Heilspräsenz. Der hermeneutische Versuch Rahners (wie auch der v. Balthasars) bedeutete innerhalb der katholischen Theologie eine ungemeine Befreiung der bisherigen neu scholastischen Eschatologie von ihrer Fixierung auf eine kosmologische Endszenerie. Jedoch stellt sich auch an Rahner die Frage, ob die eschatologische Zukunft wirklich nur die Epiphanie des schon anwesenden Heilsgrundes ist und - wichtiger! wie sich denn die Zukunft der (profanen) Weltgeschichte zur Zukunft, die der Glaube erhofft, verhält. Im Blick auf dieses Problem versucht Rahner in neueren Aufsätzen 27 die Zukunft des Christentums und die der Welt in ein dialektisches Verhältnis zueinander zu bringen: Die Zukunft des Christentums ist Gott selbst als der sich dem Menschen radikal Mitteilende; er ist des Menschen "absolute Zukunft". Als Religion dieser absoluten Zukunft kennt der christliche Glaube zwar keine innergeschichtlichen Zukunftsutopien, wohl aber gibt er zur sachgerechten Zukunftsplanung frei, da er jede totalitäre Zukunftsplanung verwirft, welche die absolute Zukunft innergeschichtlich entstehen lassen will. Das erinnert an Ideen von J. B. Metz 28 . Während für Metz aber die absolute Zukunft zugleich Impulse für eine eschatologischpolitische Praxis auslöst, bezeichnet Rahner den geschichtlichen Einsatz des Menschen nur als eine "mit dem gottgewollten Wesen des Menschen gegebene Aufgabe, zu der der Mensch verpflichtet ist und an der er seine eigentliche religiöse Aufgabe vollzieht, die glaubendhoffende Offenheit der Freiheit für die absolute Zukunft" 29. Absolute Ebd. 418. Vgl. z.B. Marxistische Utopie und christliche Zukunft des Menschen, in: Schriften zur Theologie, Bd. VI, 77-88, und: Die Frage nach der Zukunft, in: Schriften IX, 519-540. 28 Siehe S. 27ff. 29 Marxistische Utopie, in: Schriften VI, 83. 26
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21
und innergeschichtliche Zukunft werden also nur über den Glaubensvollzug der christlichen Existenz vermittelt und bleiben in sich geschieden. Die Frage: Wie verhält sich die Zukunft Gottes zur konkreten geschichtlichen Zukunft dieser Welt, richtet sich aber an alle bisher skizzierten eschatologischen Modelle und Versuche dieses Jahrhunderts, so unterschiedlich sie sonst auch sind. Es wird nicht deutlich, auf welche Weise beide Zukunftsdimensionen in ein Verhältnis zueinander treten können. Welt und Geschichte erscheinen eher als ein für die Zukunft des Glaubens letztlich gleich-gültiger Rahmen, innerhalb dessen sich die individuelle und/oder ekklesiale oder dialektisch-kritische oder existentiale (oder wie immer) Glaubensgeschichte auf die Zukunft Gottes hin vollzieht. Dieses Vermittlungsproblem wird neben dem Einspruch gegen die existentiale Engführung Bultmanns um die Mitte der sechziger Jahre zum Anlaß einer neuen Wende der Eschatologie. Die seitherigen Versuche gehen zwar, da sie von ähnlichen Motiven her veranlaßt sind, tendenziell in die gleiche Richtung, weisen aber bei den einzelnen Autoren erhebliche Unterschiede auf, die nicht ohne weiteres harmonisierbar sind.
4. Säkulare Geschichtsphilosophie und christliche Hoffnung
Das ausdrückliche theologische Programm, die eschatologische Zukunft des Glaubens zur Zukunft der säkularen Geschichte in ein Verhältnis zu setzen, muß als Antwort auf die neuzeitliche Herausforderung der christlichen Hoffnung gesehen werden. Erst dieses Programm macht ausdrücklich ernst damit, christliche Enderwartung im Horizont neuzeitlichen Weltverständnisses zu verantworten 30. Was heißt in diesem Zusammenhang "neuzeitliches Weltverständnis"? Wurde im vor-neuzeitlichen Denken die Welt primär als ein von Gott dem Menschen vorgegebener "heiliger Raum" (Kosmos) begriffen, innerhalb dessen sich menschliche Geschichte vollzieht, so beginnt 30
Vgl. dazu und zum folgenden]. B. Metz, Zur Theologie der Welt (Mainz - München
1968).
22
mit der Neuzeit in einem allmählichen Prozeß der Umschichtung die Geschichte selbst, der umgreifende Horizont des Wirklichkeitsverständnisses zu werden. Nicht mehr unveränderliche heilige Ordnung ist die Welt, und ihre Zukunft ist ihr nicht immer schon von Gott vorgegeben, sondern sie ist ein ungeheures Potential und Materialfeld, das dem Menschen übergeben ist, damit er es nach seinen Zielen und Vorstellungen gestaltet und es seinem Glücksverlangen untertan mache. Die Zukunft ist somit nicht mehr eine Art "zweites Stockwerk", in das der Mensch nach seiner irdischen Bewährung gelangt, sondern sie ist das in und aus der Welt durch menschlichen Einsatz Entstehbare, Machbare, Erreichbare. Das (diesseitige) Reich der Freiheit wird zum Endzweck der Geschichte. Das "Letzte" wird in der vom Menschen verwalteten Geschichte lokalisiert. Die großen neuzeitlichen Geschichtsphilosophien haben somit "den Charakter eines philosophischen, aufklärerischen Chiliasmus: die ,Beendigung der Geschichte in der Geschichte' ist, wie im alten religiösen Chiliasmus, ihr Ziel" 31. Wo diese säkularisierten Eschatologien der Neuzeit nicht - wie im Deutschen Idealismus - zu einer spekulativen Kontemplation der Geschichte werden, sondern wo sie - wie in der marxistischen Tradition - unter dem Primat der Praxis stehen, erhält die Zukunft ein ganz neues Gewicht. So wie sie nicht mehr "jenseitig" gedacht wird und nicht der transzendentale Sinn des Augenblicks ist, so ist sie auch nicht einfach das teleologische Zu-sich-selbst-Kommen oder die Enthüllung (Epiphanie) des Grundes, denn dann wäre sie bereits im "Gesetz des Anfangs" gegeben - Eschatologie wäre extrapolierte Protologie-: Zukunft ist vielmehr das, was allererst erstehen muß, das absolut Neue, das noch nicht ist. Gerade aber als u-topos, als das, was noch ortlos ist, wird sie zum Stimulans menschlicher Aktivität. So ist das Eschaton die eigentlich bewegende Kraft der Geschichte, die durch menschliches Tun prozeßhaft auf ihre Vollendung hin vorwärtsgetrieben wird. Es kann kein Zweifel sein, daß neuzeitlich-säkulares Zukunfts denken das Erbe der christlichen Eschatologie antreten und diese ablösen will. Und in der Tat: wie kann eine Vermittlung beider Zukunftskonzeptionen möglich sein? Die traditionelle christliche Eschatologie setzt
J. Moltmann, Theologie der Hoffnung (München 1964) 242. - Siehe dazu auch K. Läwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen (Stuttgart u.a. 1953).
31
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auf die Vollendung bei Gott im Jenseits, "terrena despiciens", wie es in alten Orationen heißt, aus der Geschichte heraus; säkular-utopisches Zukunfts denken tendiert auf die Veränderung und Aufhebung aller negativen Faktoren dieser Geschichte, auf daß der Mensch in dieser Welt "Heimat" finde. Dort ist Gott, hier der Mensch der Handelnde, dort ist das Ziel geschichtstranszendent, hier innerweltlich. Die bisher skizzierten eschatologischen Versuche dieses Jahrhunderts haben diese, mit der Unvereinbarkeit beider Zukunftskonzepte gegebene Problemstellung insofern aufgegriffen, als sie die christliche Eschatologie entweder entzeitlichten oder/und entweltlichten (im Sinne der zeitlichen Verlaufsgeschichte und des konkreten Welt geschehens). So wurde die Zukunft, die der Glaube erhofft, in einem von der neuzeitlichen Infragestellung nicht erreichbaren "sturmfreien" Raum angesiedelt. Aber das Vermittlungsproblem wurde im Grunde umgangen. Hier setzen die neueren eschatologischen Versuche ein, die es alle auf verschiedene Weise unternehmen, neuzeitlich-säkulares Zukunftsverständnis und christlich-eschatologische Zukunftshoffnung in ein positives Verhältnis zueinander zu bringen.
5. "Gott und die Geschichte zusammendenken" (J. Moltmann)
An erster Stelle wäre hier der Entwurf Teilhard de Chardins zu nennen, der die gesamte Wirklichkeit, von der unbelebten Natur angefangen bis hin zum Menschen und seiner Zivilisation, als einen in sich folgerichtigen, kontinuierlichen evolutiven Prozeß auf eine absolute Zukunft hin versteht, die er den "Punkt Omega" nennt, nämlich die Vereinigung des Alls mit Gott, welcher "Triebkraft, Sammelpunkt und Garant - das Haupt der Evolution" ist 32 • Dieser evolutive Prozeß umgreift also Natur-, Menschheits- und Heilsgeschichte, er umgreift die Hoffnungen der Erde und die des Christentums, er umgreift Gottes Dynamik und des Menschen Mitarbeit an der Heraufführung des Eschatons. Wenn es mit den Hinweisen hier sein Bewenden haben 32
24
P. Teilhard de Chardin, Die Entstehung des Menschen, dt. (München 1961) 129.
und die Konzeption Teilhards nicht weiter verfolgt werden soll, so deshalb, weil Teilhard zwar anregend auf viele Theologen eingewirkt hat, aber doch in einer eigentümlichen Sonder-, wenn nicht gar Außenseiterstellung im Rahmen der neueren theologischen Bemühungen verblieb, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sein Entwurf nicht wenige ·naturwissenschaftliche Fragen und Interpretationsprobleme aufwirft. Ausführlicher soll von der Theologie der Hoffnung, wie sie J. Moltmann in seinem gleichnamigen Werk vorgelegt hat 33 , die Rede sein. Für Moltmann hatte das bisherige christliche Offenbarungsverständnis, beeinflußt vom griechischen Denken, den Charakter "logosmäßiger Erhellung vorhandener Wirklichkeit"34. Das hatte für das Verständnis der eschatologischen Zukunft zur Folge, daß deren verborgene Präsenz immer schon vorausgesetzt wurde, so daß die letzte Zukunft nur die teleologische Explikation oder endgültige Epiphanie des Gegenwärtigen ist. Gegen dieses Offenbarungsverständnis greift Moltmann vor allem auf Strukturen alttestamentlichen Geschichtsdenkens zurück. Das Besondere des alttestamentlichen Glaubens liegt nach Moltmann darin, daß Gott eine Wirklichkeit verheißt, die "noch nicht" ist und dem Menschen als das "absolute Novum" vorgestellt wird. Dadurch bewirkt Gott, "daß die Hörer der Verheißung deckungsungleich werden mit der sie umgebenden Wirklichkeit, indem sie sich in Hoffnung und Aufbruch ausstrecken nach der verheißenen Zukunft" 35. Diese Zukunft ist also weder jenseitig schon vorhanden, noch wird sie dekretorisch von Gott verfügt. Vielmehr wird durch ihre Verheißung in der konkreten Geschichte ein Prozeß stimuliert, in dem nicht nur die Welt, sondern auch Gott selbst noch erst zur eigenen Identität gelangen muß. "Erst eine freie Welt entspricht dem Gott der Freiheit wirklich. Solange sie noch nicht da ist, solange ist auch dieser Gott noch nicht zu seiner Ruhe gekommen, ist er in der Welt noch nicht 33 München 1964. - Vgl. dazu Diskussion über die "Theologie der Hoffnung" von Jürgen Moltmann, hrsg. v. W.-D. Marsch (München 1967). In die gleiche Richtung wie Moltmann gehen (mit einigen Differenzen) auch P. Schütz, Parusia (Heidelberg, 0.].); H. Cox, Stadt ohne Gott, dt. (Stuttgart 1967); deTS., Stirb nicht im Warteraum der Zukunft, dt. (Stuttgart 1968); sowie W.-D. Marsch, Zukunft (Stuttgart - Berlin 1969) und E. Schillebeeckx, Gott- die Zukunft des Menschen (Mainz 1969) 142ff. 34 Theologie der Hoffnung 75. 35 Ebd. 89.
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zu seinem Recht und zu seiner Identität gelangt, also ist er mit der Welt noch auf dem Wege." 36 Gott und Welt, Gottes Zukunft und die Zukunft der Geschichte müssen also in einem "praktischen" Wahrheitsverständnis "zusammengedacht" werden. Nicht als ob beide Zukunftsbewegungen identisch wären. Aber die Differenz Gottes und seiner Zukunft zur Welt und ihrer Zukunft wird nicht mehr mittels der Kategorien "oben" - "unten", "jenseitig" - "diesseitig" verstanden, sondern mit Hilfe von Zeit- und Aktionskategorien: die Transzendenz Gottes ist die Kraft der Zukunft "vor uns". Gott ist nicht der Ganz-Andere über der Geschichte, sondern der Ganz-Ändernde in der Geschichte. Darum heißen die Grundverheißungen des Alten Testaments auch Heil, Versöhnung, Freiheit, Frieden in dieser Welt und für diese Welt. Freilich, im Verlauf der alttestamentlichen Geschichte werden in einem nichtendenden Prozeß alle kategorialen Verwirklichungen dieser Verheißungen immer wieder auf eine größere Zukunft hin aufgebrochen; die Verheißungen werden universaler und intensiver, vor allem in der Apokalyptik. Denn die eschatologischen Bilder der Apokalyptik beziehen sich nach Moltmann nicht auf den Abbruch der Geschichte, auf ein "Ende der Weh" (wie sie traditionell verstanden werden), sondern sie sagen, daß Gottes Zukunft das Ganze des Kosmos meint und erreicht. Insofern sind auch die apokalyptischen Endaussagen provozierende Hoffnungsbilder für das Handeln in dieser Geschichte. In der Auferstehung Jesu Christi wird schließlich ein schlechthin universaler Horizont der Verheißung aufgerichtet, der auch dem menschlich gesehen Hoffnungslosen, dem Leid und Tod noch Zukunft zuspricht. Weil somit die Zukunft Gottes alles umgreift, darum provoziert die universale Verheißung der Auferstehung den Menschen zur universalen Sendung: zum vorbehaltlosen, nichts auslassenden tätigen Aufbruch in die verheißene Zukunft. Derjenige, der von der Kraft der Zukunft Gottes ergriffen ist, trachtet danach, das "Vorletzte" in Richtung auf das "Letzte" zu ändern, er greift der letzten Erfüllung in vielfachen" Vorstellungen und Realu topien" voraus 37, so daß sich die verheißenen Zukunfts güter "in der Erwartung und in der Hoffnungskraft schon hier verändernd zeigen und ihren Vorschein 36 37
26
J.
Moltmann, (Beitrag in:) Marienbader Protokolle, in: Forum 14 (1967) 473. Vgl. Theologie der Hoffnung 108.
auf das beschädigte Leben werfen" 38. Dieser "Vorgriff" bedeutet aber nicht, daß der Mensch selbst die letzte Zukunft machen kann. Die Geschichte des Menschen ist nur veränderlich "für den Gott seiner Hoffnung und insofern auch für den Gehorsam, zu dem ihn diese Hoffnung bewegt. Das Subjekt der Weltveränderung ist für ihn darum der Geist der göttlichen Hoffnung"39. Dieser vermag auch das RealUnmögliche, nämlich alles Vergängliche vor dem Versinken ins Nichts zu bewahren und die nova creatio herbeizuführen. 6. Die befreiende Funktion des "eschatologischen Vorbehalts"
Während für Moltmann (wie auch etwa für H. Coxund W.-D. Marsch) die eschatologische Hoffnung als Stimulans progressiver Weltgestaltung in Richtung auf das Eschaton im Vordergrund steht, legt J. B. Metz bei allem grundsätzlichen Einverständnis mit Moltmann in seiner "Politischen Theologie"40 -eine, wie er selbst zugibt, außerordentlich mißverständliche Bezeichnung - den Akzent auf die öffentlich-kritische Funktion der christlichen Hoffnung. "Politische Theologie" versteht sich von zwei Zielen her: einmal als "kritisches Korrektiv gegenüber einer extremen Privatisierungstendenz gegenwärtiger [= existentialer] Theologie" und zugleich als "Versuch, die eschatologische Botschaft unter den Bedingungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu formulieren" 41, d. h., "das Verhältnis ... zwischen eschatologischem Glauben und gesellschaftlicher Praxis neu zu bestimmen" 42. Für das erste Ziel weist Metz wie schon Moltmann auf die biblischen Verheißungen: Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit hin, die nicht das individuelle Seelenheil betreffen, sondern sich urpsrünglich auf die konkreten, sozialen und politischen Dimensionen des Menschen beziehen. Was das zweite Ziel angeht, so kann es nicht darum gehen, die Verheißungen des Glaubens durch eine undialektische, einsinnig-progressive 38 J. Moltmann, Die Kategorie Novum in der christlichen Theologie, in: E. Bloch zu Ehren, hrsg. v. S. Unseid (Frankfurt a.M. 1965) 258. 39 Theologie der Hoffnung 267; siehe auch ebd. 266. 40 VgL dazu Zur Theologie der Weh 99 ff sowie den Sammelband: Diskussion zur "Politischen Theologie", hrsg. v. H. Peukert (Mainz - München 1969). 41 Zur Theologie der Welt 99. 42 J. B. Metz, Das Problem einer "Politischen Theologie" und die Bestimmung der Kirche als Institution gesellschaftskritischer Freiheit, in: Conc. 4 (1968) 105.
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Politisierung in die gesellschaftliche Praxis hinein zu übersetzen. Dies würde einmal einen Rückfall in eine vor-neuzeitlich-"integralistische" Theologie des Politischen bedeuten; die neuzeitliche Emanzipation des Politischen von der religiösen Ordnung würde nicht zur Kenntnis genommen. Zum andern aber würde der Glaube den "eschatologischen Vorbehalt" preisgeben, durch den jeder geschichtlich erreichte Status angesichts der verheißenen Zukunft Gottes in seiner Vorläufigkeit und Nichtdeckungsgleichheit erscheint. Der "eschatologische Vorbehalt" behält die letzte Zukunft Gott vor. Eben dadurch schützt er den einzelnen davor, nur als Material und Mittel für eine innergeschichtliche Zukunft verzweckt zu werden. Er bewahrt vor der Ideologie eines platten Fortschrittsdenkens, welches notwendig alles eliminieren muß, was keinen Stellenwert im Fortschritt hat (Leid, Tod ... ). Er schützt vor dem totalitären Anspruch eines innergeschichtlichen Subjekts, wie immer es heißen mag, das Ganze (totum) selbst machen zu wollen. Somit hat gerade der "eschatologische Vorbehalt" eine befreiende und kritische Funktion für menschliches Zukunftshandeln. Durch das Offenhalten der größeren Zukunft Gottes bricht er die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse auf und stimuliert zu ständiger Erneuerung. Somit legt sich die eschatologische Zukunft nicht als direktes Handlungsziel in die Geschichte aus, sondern durch kritische Negativität. Diese hat die Form der "bestimmten Negation" (Hegel), d. h. gründend in der "gefährlichen Erinnerung" der Geschichte Jesu Christi und der in ihr aufbewahrten Verheißung entzündet sie sich "kritisch an ganz bestimmten Verhältnissen", an denen sie den Widerspruch der christlichen Verheißung zur gegenwärtigen Unfreiheitsund Unheilssituation erfährt, so daß aus diesem Kontrast der bestimmte kritische tätige Widerspruch entspringt. So steckt in der "bestimmten Negation" eine "große Kraft des Positiven. Neue Möglichkeiten werden in und durch sie hindurch eröffnet und freigelegt." 43 Allerdings versteht sich die Politische Theologie von Metz nur als Hermeneutik einer politischen gesellschaftsreformerischen Ethik, welche ihrerseits erst durch konkrete Analysen und Strategien das Programm solcher politischen Hermeneutik praktikabel machen kann. Diese neueren eschatologischen Versuche gerieten schnell in das 43
J.
28
B. Metz, Politische Theologie, in: Sacramentum Mundi III, 1238.
Schußfeld teils heftiger Kritik. Ist nicht- so lauten die wichtigsten Einwände 43. - der hermeneutische Pendelschlagvom Primat des Individuums zum Primat des Gesellschaftlich-Politischen erkauft mit der Unterbewertung des Individuums und seiner Sinn- und Zukunftsfrage ? Wird nicht die christliche Botschaft von der Präsenz des Heils in Jesus Christus zu gering veranschlagt, oder anders: Wird nicht die spezifisch neutestamentliche überzeugung von der Erfüllung der Heilserwartungen in Jesus Christus durch das angelegte hermeneutische Raster der alttestamentlichen Verheißungsgeschichte erdrückt? Operiert man nicht ständig mit Zweideutigkeiten, indem moderne politische Grundbegriffe, wie Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit, mit den gleichlautenden eschatologischen Begriffen und Bildern in eine so enge Beziehung gesetzt werden, daß jede kritische Infragestellung und überschreitung der bestehenden politischen Verhältnisse in Richtung auf größere Freiheit und Gerechtigkeit hin (nach welchem Maß gemessen?) immer auch schon eine Wirkung, Bezeugung und Verwirklichung der verheißenen Zukunft Gottes und somit die geschichtliche Vermittlung des Reiches Gottes in die konkrete Geschichte darstellt? Aber müssen denn Gottes Zukunft und des Menschen als wünschbar vorgestellte Zukunft notwendig identisch sein oder in die gleiche Richtung gehen? 44 "Kann", so fragt K. Lehmann 45, "das etwas schwebende Die Einwände des nun folgenden kurzen Re/erats( I) der theologischen Diskussion um die Politische Theologie wurden von H Vorgrimler, Hoffnung auf Vollendung (Freiburg i. Br. 1980) mir persönlich unterstellt und überdies noch total verzerrt. So heißt es etwa: "Greshake behauptet [!], die alttestamentlichen Verheißungen seien im Neuen Testament erfüllt; Friede, Freiheit und Gerechtigkeit sind für ihn[!] ohnehin nur eschatologische Bilder ... "(121). Dieser verfälschenden Wiedergabe fügt Vorgrimler noch das zynische Urteil hinzu: "Mitleidloser akademischer Idealismus steht nicht selten gegen die geoffenbarte Menschlichkeit Gottes" (ebd.). Ähnlich referiert der gleiche Autor in: Der Tod im Denken und Leben des Christen (Düsseldorf 1978) 156, daß die Impulse der politischen Theologie von mir "ablehnend beurteilt" werden. Man vgl. dagegen den Text auf S. 35, wonach ich die "theologischen Versuche, durch eine politische Hermeneutik ... die Zukunft Gottes und die Zukunft der Welt, eschatologische Theorie und Praxis unter den Bedingungen neuzeitlicher Problemstellung miteinander zu vermitteln, als ein unumgängliches, längst überfälliges und höchst bedenkenswertes Unternehmen" beurteile. G. Lohfink wird auf S.193ff gegenüber solchen Verzeichnungen ausführlicher Stellung beziehen. 44 Vgl. Greshake (s. o. Anm. 10) 16lf. 45 Die "Politische Theologie": Theologische Legitimation und gegenwärtige Aporie, in: Diskussion zur "Politischen Theologie" 194. 43'
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Vokabular von der ,Zukunft', das ohne ausdrückliche Reflexion Strukturen der Transzendenz bezeichnet ... und ungeschieden unsere geschichtliche Zukunft und die Macht der ,Transzendenz' Gottes bezeugt, gerade in der Form reiner Verzeitlichungvor der kritischen Vernunft bestehen?" Denn wie ist es möglich, Zukunft "als in sich selbst gegründete, sich selbst gehörende Wirklichkeit" zu begreifen, ohne doch wieder zu Kategorien wie "übergeschichtlich", "transzendent", "jenseitig" zu greifen, die man doch gerade überwinden will? Es ist überdies nicht zu verkennen, daß nicht nur für Moltmann gilt, . was einige Kritiker ihm vorwarfen, daß in dieser Art von Eschatologie doch gelegentlich recht unkritisch "Kleine-Bloch-Musik" gespielt wird 46, daß "durch schwebende Formulierungen"47, "anziehend formulierte Assoziationen"48 und nicht zuletzt durch das Pathos modisch-marxistischer Plausibilitäten Probleme umgangen oder nicht hinreichend reflektiert werden, wobei gleichzeitig zuzugeben ist, daß gerade Metz in der weiteren Diskussion zur Klärung erheblich beigetragen hat. Der hohe Grad von formalisierter Abstraktheit des Politischen sowie die hermeneutisch-dialektische Form der Vermittlung von eschatologischer und innergeschichtlicher Zukunft dürfte der Anlaß gewesen sein, daß andere Formen eschatologischer Theologie entstanden, welche versuchen, direkter, unmittelbarer und konkreter die eschatologische Reich-Gottes-Verheißung in gesellschaftliche Praxis zu übertragen. Diese Intention steht nicht nur - oft unreflektiert - im Hintergrund zahlreicher progressistischer Gruppierungen von jungen Christen, sie bildet auch das theologische Programm der sogenannten "Theologie der Revolution", der "Black Theology", und der südamerikanischen Befreiungstheologie (in ihren verschiedenen Formen).
W.-D. Marsch, Einleitung zu: Diskussion über die "Theologie der Hoffnung" 14. H. G. Geyer, Ansichten zu Jürgen Moltmanns "Theologie der Hoffnung", in: Diskussion 70. 48 G. Sauter, Angewandte Eschatologie, in: Diskussion 115. - "Mehrdeutigkeit" gibt auch Metz selbst zu, in: Diskussion zur "Politischen Theologie" 295.
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7. Eschatologie im Horizont der Theologie der Revolution und der Befreiung
Während für die Politische Theologie Metzscher Provenienz Revolution ein sozialethisches Problem ist, d. h. unter bestimmten Bedingungen eine mögliche Form sein kann, den eschatologischen Glauben in die Praxis hinein zu übersetzen, wird in der Theologie der Revolution der Umsturz geradezu zur Erscheinungsform Gottes. "Der Gott, der alte Strukturen niederreißt, um die Bedingungen für eine menschlichere Existenz zu schaffen, ist selbst mitten im Kampf. Seine Gegenwart in der Welt und sein Druck auf die Strukturen, die ihm im Wege stehen, begründen die Dynamik des Prozesses. Gott hat menschliche Gestalt in der Konkretheit geschichtlichen Lebens angenommen und hat uns gerufen, ihm auf diesem Weg zu folgen ... In diesem Kontext ist der Christ aufgerufen, sich in der Revolution, wie sie sich entwickelt, einzusetzen. Nur in ihrem Zentrum können wir beobachten, was Gott tut."49 Revolution ist also Forum und inneres Moment der Theologie. Es kann wohl kein Zweifel sein, daß sich durch die direkte undialektische Ineinssetzung von Revolution und Handeln Gottes, von geschichtlicher Veränderung und eschatologischer Zukunft - eine neue Form des Chiliasmus! - die "Theologie der Revolution" im Grunde als "die dynamische Variante der statisch-konservativen politischen Theologie" der Vor-Neuzeit erweist 50. E. Feil 51 bemerkt zu Recht: "Die Revolution als Ort der Manifestation Gottes anzusehen, scheint uns der Versuch zu sein, den Geschichtsverlauf so durchsichtig zu machen, als stünde er unter der unverhüllten und unmittelbaren Direktive Gottes; er läßt außer acht, daß Gott auch in der Geschichte immer der Deus absconditus ist." Auf den ersten Blick haben die neuesten südamerikanischen Befreiungstheologien eine äußere Nähe zur Politischen Theologie und zur Theologie der Revolution. Kein Wunder, denn R. Shaull, einer der 49 R. Shaull, Revolution in theologischer Perspektive, in: T. RendtorJf - H. E. Tödt, Theologie der Revolution (Frankfurt a.M. 1968) 128. - Zur Theologie der Revolution vgl. alle Beiträge dieses Bandes sowie den Sammelband: Diskussion zur "Theologie der Revolution", hrsg. v. E. Feil und R. Weth (München- Mainz 1969). 50 E. Feil, Von der "Politischen Theologie" zur "Theologie der Revolution", in: Diskussion zur "Theologie der Revolution" 129 mit Hinweis auf H. Albert. 51 Ebd. 131.
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großen Promotoren der Revolutionstheologie, lebte lange Jahre in Südamerika. Die Befreiungstheologien, so verschieden sie im einzelnen sind 52, sind geboren aus der Erfahrung beispiellosen Elends und der Unterdrückung des Menschen, aus der Einsicht in die durch und durch ungerechten gesellschaftlichen Strukturen des südamerikanischen Kontinents. Der Christ hat - so die Befreiungstheologien - in den bestehenden ungerechten Strukturen die Kristallisation des Bösen und der Sünde zu sehen. Deshalb beinhaltet die Erlösung durch Christus auch die unter den gegebenen Umständen notwendig revolutionäre Befreiung aus diesen Zuständen. Denn es gibt nur eine einzige, auch das Profane, Welthafte, Politische umgreifende Berufung des Menschen zum Heil und zur eschatologischen Zukunft Gottes. Darum hat (auch) die politisch-revolutionäre Aktion Heilscharakter. "Die Annahme des Reiches Gottes [ist] nur auf dem Weg der Errichtung einer gerechten Gesellschaft möglich."53 Das Spezifikum der südamerikanischen Befreiungstheologie gegenüber den europäischen Formen der neueren gesellschaftskritischen Eschatologien ist die strikte Einheit von theologischer Theorie und politisch-sozialethischer Praxis. Gegen die europäische Theologie wird "die äußerst unbestimmte Natur des gesellschaftsanalytischen Inhalts und dazu die Unmöglichkeit, beispielsweise die europäische Theologie der Hoffnung (J. Moltmann) und die politische Theologie (J. B. Metz) auf eine reale Praxis auszurichten"54 als bestimmender Einwand erhoben. Gerade die Differenz, die etwa für Metz unumgänglich wichtig ist, um den "eschatologischen Vorbehalt" zum Ausdruck zu bringen, nämlich die Differenz von politischer Hermeneutik und sozialethischer konkreter Operationalisierung, wird als "ideologisch" erklärt 55, als Entpolitisierung der politischen Theologie. Während also die europäischen Theologien (selbst da, wo sie sich als "Theologie der Revolution" vorstellen) eher hermeneutischen Charakter haben, steht die Befreiungstheologie unmittelbar in Kontakt mit der Praxis, mit GesellS2 Vgl. dazu die überblicke von A. Garcia Rubio und von R. Vekemans, Die lateinamerikanische Theologie der Befreiung, in: Communio 2 (1973) 40~23, 434-448; ferner G. Gutierrez, Theologie der Befreiung, dt. (München - Mainz 1973). Dort auch weiterführende Literatur. S3 Gutierrez (s.o. Anm. 52) 110, ebenso 124. S4 H. Assmann, Opresi6n - Liberaci6n (Montevideo 1971) 46--57. S5 Ebd. 117f.
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schafts analyse und konkreter Strategie und Taktik. Wenn der Christ, getroffen von der eschatologischen Botschaft der Befreiung, sich für die Unterdrückten engagiert, optiert er gleichzeitig für ein bestimmtes Befreiungsziel, für eine bestimmte Strategie und Taktik. Und in dieser konkreten Option werden "Nuancen des Gotteswortes" hörbar, "die in anderen Lebenslagen nicht wahrnehmbar sind und ohne die im Augenblick echte und fruchtbringende Treue zum Herrn unmöglich ist" 56. So hat auf der einen Seite die Theologie der Befreiung eine ungeheure Konkretheit, auf der anderen Seite aber bleibt das Methodenproblem, wie sich denn Glaube und politische Aktion, Theologie und Sozialwissenschaften zueinander verhalten, völlig ungelöst, bzw. es wird in die Option des einzelnen oder der Gruppe gestellt. Kann aber dann noch der Glaube die Frage beantworten, was er eigentlich in den Befreiungsprozeß einbringt? Kommt er nicht in die Nähe eines im Grunde entbehrlichen überba'.ls über eine bestimmte optierte sozialpoli tische Praxis? Freilich können solche kritische Fragen als Beckmesserei, ja geradezu als Zynismus erscheinen, wenn man bedenkt, daß sich die Befreiungstheologien angesichts der tatsächlichen drängenden Notlage gar nicht - um es salopp zu formulieren - den "Luxus" einer differenzierten, durchreflektierten Theorie leisten können. Es ist verständlich, daß da, wo es um das nackte überleben des Humanum und um die überwindung himmelschreiender Zustände geht, die konkrete Praxis den Primat hat. Und so ist durchaus G. Gutierrez zuzustimmen: Im Engagement der Befreiungstheologie steckt (oder kann stecken!) "mehr Glauben und mehr Treue dem Herrn gegenüber als in der sog. ,orthodoxen' Lehre bestimmter Kreise von christlichen Denkern" 57. Dabei ist am wenigsten noch G. Gutierrez der Vorwurf einer totalen Identifizierung von Befreiungsprozeß und Reich-Gottes-Verheißung zu machen. Immerhin aber betont auch er: "Das Wachsen des Reiches ist ein Prozeß, der sich geschichtlich in der Befreiung vollzieht ... Das Reich Gottes nimmt Gestalt an in geschichtlichen Befreiungsversuchen, weist auf ihre Grenzen und Doppeldeutigkeiten hin, kündigt ihre letztgültige Vollendung an und treibt sie wirksam bis zur Schaffung der vollen Gemeinschaft. Wir identifizieren nichts. Dennoch wird 56
Gutierrez
(5.
o. Anm. 52) 49.
57
Ebd. 191.
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ohne geschichtliche Befreiungsinitiativen das Gottesreich nicht wachsen können." 58 Die extremste Form einer Theologie der Revolution findet sich wohl in der sogenannten "Black Theology", die ihren Ort in der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung hat. Hier wird eindeutig und ohne modifizierende Einschränkungen der politische Befreiungskampf mit dem Handeln Gottes identifiziert. "Entweder glauben wir, daß Gottes Wille im Status quo der USA offenbar ist oder im Handeln derer, die ihn verändern wollen ... F alls diese [= die biblische] Botschaft für unsere Zeit etwas zu sagen hat, dann heißt das, daß Gottes Offenbarung in schwarzer Befreiung zu finden ist. In Amerika hat Gott, was schwarz ist, erwählt, damit er das Weiße zu Schanden mache. In einer Gesellschaft, wo Weiß mit dem Guten gleichgesetzt wird und Schwarz mit dem Bösen, verlangt wirkliches Menschsein und wirkliches Gottsein uneingeschränkte Identifizierung mit Schwarzsein. Gottes Erwählung der Unterdrückten bedeutet, daß Schwarze die Macht des Richtens über die gewaltigen Weißen erhalten." 59 "Im Kontext von weißem Rassismus ist Schwarzsein ein unentbehrliches Element für Gottes Konkretheit, ohne das Gottes Sein mit dem Status quo identisch wird."60 Mit dieser unkritischen Identifizierung von politischem Befreiungskampf und Gottes Freiheitsgabe, von menschlich machbarer und von durch Gott verheißener Zukunft wird die Theologie wohl eindeutig zum entbehrlichen ideologischen überbau über politische Praxis. Ebd. 171. - Ein äußerst bedenklicher, hier aber nur anmerkungsweise angedeuteter Punkt jeder Theologie der Revolution ist das Problem der revolutionären Gewalt und der Einheit der Gemeinde im Klassenkampf. Vgl. Gutierrez (s.o. Anm. 52) 262f: "Wer das Faktum des Klassenkampfes leugnet, schlägt sich in Wirklichkeit auf die Seite der herrschenden Kreise ... Wir lieben die Unterdrücker, indem wir sie von sich selbst, d.h. aus ihrer unmenschlichen Lage befreien. Dazu bedarf es aber eines entschiedenen Eintretens für die Unterdrückten und somit des Kampfes gegen die unterdrückende Klasse." Zustimmend zu L. Althusser: Es "muß der Mythos von der ,christlichen Gemeinde' verschwinden; denn er verhindert, daß die Teilung der Gesellschaft in Klassen und der daraus resultierende Klassenkampf als bestehende Tatsachen anerkannt werden": ebd. 265. 59 J. H. Cone, Schwarze Theologie im Blick auf Revolution, Gewaltanwendung und Versöhnung, in: EvTheol 34 (1974) 14. - Zur "Schwarzen Theologie" vgl. das ganze Heft 1 der EvTheol34 (1974) sowie J. H. Cone, Schwarze Theologie, dt. (Mainz - München 1970). 60 J. H. Cone, Schwarze Theologie und Ideologie, in: EvTheol 34 (1974) 89. 58
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8. Wieder ein neuer Pendelschlag?
Trotz der totalen Fragwürdigkeit einiger neuerer Entwürfe und trotz mancher kritischer Fragen und noch ungelöster Probleme im einzelnen wird man die skizzierten theologischen Versuche, durch eine politische Hermeneutik der Eschatologie die Zukunft Gottes und die Zukunft der Welt, eschatologische Theorie und Praxis unter den Bedingungen neuzeitlicher Problemstellung miteinander zu vermitteln, als ein unumgängliches, längst überfälliges und höchst bedenkenswertes U nternehmen zu beurteilen haben. Um so überraschender aber ist es, daß sich nach dem Aufblühen dieser Versuche - wenn nicht alles täuscht in Europa und Nordamerika bereits wieder ein anderer Pendelschlag ankündigt. Dieser mag motiviert sein von der zur Resignation und Frustration Anlaß gebenden Erfahrung der letzten Jahre, in denen manch einem deutlich wurde, daß gesellschaftspolitische Strukturveränderungen allein weder das Reich Gottes selbst noch auch seinen Vorschein herzustellen vermögen. Die optimistische Erwartung einer fortschreitenden Hominisierung der Welt weicht der Einsicht in die Grenzen des menschlich Machbaren und Möglichen. Mehr noch: man entdeckt die lebensgefährliche Grenze eines auch durch die Theologie mitverschuldeten Fortschrittsglaubens 61, dessen verheerender Wirkung man allmählich unter dem noch sehr betulichen Stichwort "Umweltschutz" (besser: Wachstums tod) ansichtig wird 62. Die Hoffnung auf eine Humanisierung der Welt durch größtmögliche Revolutionierung aller Verhältnisse wird bei nicht wenigen abgelöst durch die Erfahrung des "Schreckens" (Hegel) der zerstörerischen Kraft einer einsinnig revolutionären Freiheit. So artikuliert sich neu die noch vor Jahren bei vielen tabuisierte "Sehnsucht nach dem ganz Anderen"63, "Jenseitigen", als Ermöglichung wahren menschlichen Seins. 61 C. Amery, Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums (Reinbek 1972) zeigt, wie die theologische Erwartung eines vollkommenen Endreiches und die Vorstellung einer absoluten Zukunft, zumal in der Interpretation der neueren Theologie, mit als Motor der tödlichen Akzeleration gewirkt haben, deren Scherben wir nun allmählich gewahr werden. 62 Vgl. dazu die sehr bemerkenswerte Studie von M. Schloemann, Wachstumstod und Eschatologie (Stuttgart 1973) (Lit.). 63 So der Titel eines erstmals im "Spiegel" veröffentlichten Interviews von M. Horkheimer, T. B. (Hamburg 1970).
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Das Individuum und seine Probleme treten wieder stark in den Vordergrund. Der einzelne stellt die Sinnfrage. Die diesseitige Verwirklichung des "Reiches Gottes" durch menschlichen Einsatz, die Schaffung des Sinns der Geschichte in der Geschichte, die Hintanstellung oder gar Eliminierung der Sinnfrage des einzelnen und seines "zukunftslosen" Todes scheinen in das Gegenteil umzuschlagen. Bezeichnend dafür ist, daß die im letzten Jahrzehnt weithin denunzierte Beschäftigung mit Sterben und Tod nicht nur in der Theologie, sondern auch in den Humanwissenschaften einen Höhepunkt erlebt wie selten zuvor. Auch bei Metz, Moltmann und Sölle wird seit einiger Zeit die Frage nach Leid und Tod in neuer Dringlichkt';it gestellt 64 . "Nun aber tritt plötzlich wieder Sisyphus neben Prometheus, Nietzsche neben Marx, Camus neben Teilhard, Monod neben Whitehead."65 Während manche christlich motivierten politisch-aktionistischen Gruppen in eine tiefgreifende Krise geraten sind, entstehen derzeit neue Gruppen, deren Konstitutiv- theologisch gesprochen - nicht die öffentliche Praxis einer primär zukunftsorientierten Eschatologie ist, sondern die pneumatische Präsenz des Eschaton in ihrer Mitte (deutlich bei den Pfingstbewegungen, Jesus-people usw.; aber auch in vielen neueren "spirituellen" Gruppen). Geht also die Bemühung um ein sachgemäßes Verständnis der eschatologischen Dimension des Christlichen im Kreis? Oder sind die stets neuen Pendelschläge nicht auch ein nicht zu überhörendes Signal an die Theologie, sich nicht zu vorschnell auf modische Trends einzulassen, sondern die Vielschichtigkeit der christlichen Eschatologie und Geschichtstheologie auch dann durchzuhalten, wenn bestimmte Dimensionen und Momente in einer bestimmten Zeit nur schwer vermittelbar sind? Wenn darum dieser Problemüberblick ein Ergebnis hat, dann dies: Es gibt offenbar für die christliche Eschatologie keinen "letzten Pfiff", keinen hermeneutischen "Passepartout". Die Eschatologie ist ein höchst differenziertes Gebilde, aus dem man nicht ohne Folgen, je nach Aktualität, Momente herausbrechen darf. Sie kündet von der Vgl. z.B. J. B. Metz, Erinnerung des Leides als Kritik eines teleologisch-technologischen Zukunfts begriffes, in: EvTheol. 32 (1972) 338-352; J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott (München 1972); D. Sölle, Leiden (Stuttgart - Berlin 1973). 65 Metz, Erinnerung (s. o. Anm. 64) 338. 64
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Nähe und Ferne Gottes, von der Gegenwart und Ausständigkeit seiner Zukunft - einer Zukunft, die sowohl tröstliche Verheißung als auch Provokation zum Handeln ist -, welche die Strukturen der Geschichte sprengt und sich doch in der Geschichte vorweg entwirft, die den einzelnen meint und das Heil aller, die vom Versinken aller Dinge ins Nichts weiß und von der nichts auslassenden "nova creatio". Denn weil die letzte verheißende Zukunft Gott selbst ist, steht das christliche Zukunfts denken vor der gleichen Dialektik und Komplexität wie das Bemühen um das Gottesverständnis. Freilich reicht es nicht aus, falsche Alternativen und Einseitigkeiten abzuwehren. Es ist leichter - wie R. Aubert 66 bemerkt -, "Verbindungspartikel zu ändern und ein Fragezeichen zu entfernen, als ein System zu erstellen, in dem alle Elemente an dem ihnen entsprechenden Ort stehen. Die Theologen bemühen sich heute darum, ein solches System aufzubauen. Aber es ist offensichtlich, daß die Baustellen noch nicht abgeräumt sind." 66
La theologie catholique au milieu du XX· siede (Tournai - Paris 1954) 70.
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11 Zur Möglichkeit christlicher Naherwartung Von Gerhard Lohfink
Vorbemerkungen Wer die synoptischen Evangelien unbefangen und ohne Vorurteile liest, kommt an dem folgenden Tatbestand nicht vorbei: Jesus hat die unmi ttelbare zeitliche Nähe der Gottesherrschaft verkündet, und zwar in dem Sinn, daß sich die Gottesherrschaft schon jetzt kundtut und noch in der gegenwärtigen Generation endgültig anbricht. Mit anderen Worten: Jesus erwartete das Kommen Gottes, das Gericht und das Ende der Welt noch zu Lebzeiten seiner Zuhörer. Jeder, der sich in der konkreten Situation unserer Gemeinden auch nur ein wenig auskennt, weiß, daß der normale Gläubige von diesem Tatbestand der N aherwartungJ esu keine Ahnung hat. Die betreffenden Texte der synoptischen Evangelien werden in ihrer ursprünglichen Sinnspitze 1 einfach überhört. Millionen von Christen beten täglich das Vaterunser - und nur die wenigsten von ihnen wissen, daß das Kommen des Reiches, um das sie in diesem Gebet bitten, einst im Munde Jesu Naherwartungund die Bitte um ein baldiges Ende der Welt voraussetzte. Vielleicht würde mancher Christ nachdenklich werden, wenn im Gottesdienst noch heute wie einst in der gottesdienstlichen überlieferung der Zwölfapostellehre gebetet würde: "Es komme die Gnade, und es vergehe diese Welt. "2 Aber jener alte Gebetsruf hat 1 Mit der Wendung "ursprüngliche Sinnspitze" soll angedeutet werden, daß die N aherwartungsaussagen Jesu teilweise schon von den Evangelisten selbst redaktionell entschärft und umgedeutet wurden (vgl. E. Gräßer, Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte [Beihefte ZNW 22] [Berlin 21960] 76-215). Das verkompliziert natürlich den Tatbestand für den einfachen Bibellesero 2 Didache 10,6.
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in unserer Liturgie keinen Platz mehr, sowenig wie das urchristliche marana tha - "unser Herr, komm"3. Obwohl die Naherwartung Jesu bereits im 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde 4 und obwohl seitdem in der Theologie nach einem Wort von H. U. v. Balthasar das eschatologische Büro ständig überstunden machtS, fällt bis heute die Komponente "Naherwartung" praktisch aus, wo es in Verkündigung und Glaubensvollzug um Eschatologie geht. Auch die vielgestaltigen neueren theologischen Versuche, biblische Eschatologie zu aktualisieren und auf heutige Fragestellungen hin auszulegen (vgl. den vorangegangenen Aufsatz von G. Greshake), gehen am Thema "N aherwartung" vorbei, ja lassen sich mit diesem zum größten Teil überhaupt nicht in Einklang bringen. So zeigt sich, daß die Naherwartung Jesu bis heute theologisch nicht bewältigt wurde. Als Exeget des Neuen Testaments gerät man damit aber in große Verlegenheit. Auf der einen Seite kann man die synoptischen Evangelien gar nicht auslegen, ohne ständig auf Texte zu stoßen, die eschatologische Naherwartung voraussetzen. Nicht nur, daß man als Dozent seine Hörer darauf hinweisen muß. Man verfehlt auch als Prediger die Sinnspitze vieler J esusworte, wenn man die in ihnen vorausgesetzte Naherwartung nicht zur Sprache bringt. Tut man das aber, so steht man vor ratlosen Gesichtern. Ausgesprochen oder unausgesprochen lautet dann die Frage: "Was besagt das für uns? Was sollen wir mit einer Naherwartung, die sich nicht erfüllt hat? Und was sollen wir mit Texten, die eine nicht erfüllte Naherwartung voraussetzen?" Eine rein historisch orientierte Exegese stöß t hier hart und schmerzhaft an ihre Grenzen. Man kann die eschatologischen Worte J esu gar nicht auslegen, ohne erstens nach ihrer Sinnmitte zu fragen und ohne diese Sinnmitte dann zweitens in unser heutiges Welt- und Geschichtsverständnis zu übersetzen. Nun ist das zwar bei jeder wirklichen Exegese so, selbst wenn es oft nicht zugegeben wird. Aber spätestens bei der Naherwartung Jesu wird diese historisch-systematische Span3 1 Kor 16,22; Offb 22,20; Didache 10,6. 4 Vor allem durch J. Weiß, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, 1892 (Göttingen 31964). Vgl. W. G. Kümmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme (München 1958) 286--309. 5 H. U. v. Balthasar, Eschatologie, in: J. Feiner - J. Trütsch - F. Böckle, Fragen der Theologie heute (Einsiedeln 1957) 403 - unter Umkehrung eines Wortes von E. Troeltsch.
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nung jeder Exegese eklatant. Von daher ist es verständlich, daß gerade im Falle der Naherwartung von seiten vieler Exegeten immer wieder versucht wurde, die Spannung zwischen dem historischen Befund und seiner theologischen Relevanz zu unterlaufen, und zwar mit der Behauptung, schon J esus selbst habe seine Naherwartung ja im Grunde gar nicht zeitlich gemeint, sondern sie verstapden im Sinne einer ständigen "Stetsbereitschaft" des M enschen 6 oder einer zeitlosen" Unmittelbarkeit" Gottes zum Menschen 7 oder wie immer die Auskünfte heißen mögen. Mir scheint nicht nur, daß J esus solche Rettungsversuche nicht nötig hat, sondern daß hier die beiden obeng~nannten Ebenen nicht sauber unterschieden werden: die Ebene des historischen Befunds und die Ebene einer sachgerechten theologischen Auslegung dieses Befunds. Das Ergebnis ist dann ein seltsam moderner J esus, der mit Apokalyptik nicht das geringste zu tun hatte, dafür aber kongenial in existentialoder transzendentaltheologischen Kategorien zu denken pflegte. Die Gefahr solcher Anachronismen soll im folgenden unbedingt vermieden werden. Unser Versuch geh t dahin: die Naherwartung des historischen J esus so zu belassen, wie sie in Wahrheit ausgesehen hat - mit all ihrer Verflochtenheit in das damalige Welt- und Geschichtsbild, zugleich aber nach einer heute verantwortbaren theologisch-systematischen "übersetzung" dieser Naherwartung zu suchen 8. Beidesist nicht möglich ohne einen Blick auf die Naherwartung Jesu selbst und ohne einen Blick auf bisherige übersetzungsversuche. 6 So W. Thüsingin: K. Rahner- W. Thüsing, Christologie - systematisch und exegetisch (Frei burg i. Br. 1972) 200. 7 So E. Käsemann, Die Anfänge christlicher Theologie in: ders., Exegetische Versuche I und Besinnungen II (Göttingen 21965) 99. 8 Vgl. R. Schnackenburg, Gottes Herrschaft und Reich (Frei burg i. Br. 41965) 254: "Mir scheint, man dürfe die historische Frage nach der Verkündigung Jesu unter seinen Zeitgenossen nicht überspringen, indem man von vornherein nur die Bedeutsamkeit des Kerygmas für den heutigen Hörer der Botschaft gelten läßt, sondern erst nach Feststellung des historischen Sinnes seiner überlieferten Worte die weiterreichende Frage nach der gültigbleibenden Offenbarungsaussage, nach der eigentlichen Intention der in ein zeitbedingtes Gewand gekleideten Worte Jesu stellen."
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1. DIE NAHERWARTUNG JESU Es dürfte einleuchten, daß an dieser Stelle nun nicht das gesamte synoptische Material ausgebreitet und diskutiert werden kann. Das ist schon deshalb nicht notwendig, weil zur Eschatologie und zur Naherwartung J esu gründliche Monographien vorliegen 9. Andererseits kann jedoch hinsichtlich der genaueren Struktur der Eschatologie Jesu von einer communis opinio der neutestamentlichen Exegese keine Rede sein 10. Es geht also nicht an, unter Hinweis auf die bereits vorliegende Literatur die zei tliche Naherwartung J esu einfach vorauszusetzen. Die zu Beginn dieses Aufsatzes stehende These ist zu beweisen. Im folgenden Abschnitt soll deshalb ein Mittelweg versucht werden: es kommen die wichtigsten Argumente zur Sprache, die für eine zeitliche Naherwartung Jesu angeführt werden können. Ansatzpunkt der Argumentation sind dabei nach Möglichkeit allerdings nicht isolierte Einzellogien, sondern eine jeweils breitgestreute Schicht von Jesusworten, die auch dann tragfähig wäre, wenn es sich bei einem einzelnen Wort der betreffenden Schicht um eine sekundäre Bildung oder um ein zumindest nicht als ursprünglich verifizierbares J esuswort 11 handeln sollte. 1. Die Gegenwartsaussagen
Eine erste Schicht von Jesusworten, die einen möglichen Ansatz bietet, sind die sogenannten "Gegenwartsaussagen". Jesus hat nicht nur vom zukünftigen Kommen der Gottesherrschaft gesprochen, sondern auch von ihrer Gegenwart 12. Er preist seine Jünger selig für das, was sie 9 Vgl. vor allem W. G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung. Untersuchungen zur eschatologischen Verkündigung Jesu (AThANT 6) (Zürich 31956); E. Gräßer, Die Naherwartung Jesu (SBS 61) (Stuttgart 1973) (dort weitere Literatur!). 10 Das zeigt gerade die jüngste Monographie von E. Gräßer (s.o. Anm. 9). 11 Beides wird leider immer noch viel zu wenig unterschieden. Oft wird, nach einer treffenden Formulierung von F. Neugebauer, Echtheits-Ungewißheit unter der Hand in Unechtheits:Gewißheit verwandelt. 12 Zu der durchzuhaltenden Spannung zwischen futurischer. und präsentischer Eschatologie bei Jesus vgl. W. G. Kümmel (s.o. Anm. 9); ders., Die Naherwartung in der Verkündigung Jesu, in: ders., Heilsgeschehen und Geschichte (Marburger ThSt 3) (Marburg 1965) 457-470, dort 458f; R. Schnackenburg (s. o. Anm. 8) 49-109; A. Vögtle, Zeit und Zeitüberlegenheit in biblischer Sicht, in: J. B. Metz, Weltverständnis im Glauben (Mainz 21966) 224-253, dort 237f.
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sehen und hören (Mt 13, 16f par Lk 10,23f). Gemeint sind die Machttaten, die er vollbringt, und die Worte, die er spricht. In diesen Worten und Taten ist die Gottesherrschaft bereits gegenwärtig, erfüllen sich bereits die biblischen Verheißungen. Deshalb kann Jesus unter Aufnahme zentraler Heilsverheißungen des Buches J esaja 13 formulieren: "Blinde sehen nun, Lahme gehen und Aussätzige werden rein. Taube hören, Tote werden auferweckt und Armen wird frohe Botschaft verkündet" (Lk 7,22 par Mt 11,5). Daß in diesen Geschehnissen nach der Auffassung Jesu die verheißene Gottesherrschaft bereits Gegenwart geworden ist, zeigt Lk 11,20: "Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja die Gottesherrschaft schon zu euch gekommen." Da aber andererseits gilt, daß die Gottesherrschaft erst noch kommt 14, kann nur von einer dynamischen Gegenwart gesprochen werden, die in die Zukunft weist. Das heißt: Die Gottesherrschaft bricht bereits an, aber sie ist noch nicht vollendet. Sie ist in den Zeichen, die Jesus setzt, bereits erkennbar, aber sie ist noch nicht offenbar 15 • Vorstellungsmäßig verträgt nun aber ein dynamisches Geschehen dieser Art keine langen Zeiträume. Es muß noch in der gegenwärtigen, von J esus angesprochenen Generation seinen Gipfelpunkt erreichen. Daß eine Generation die Zeichen erfährt und eine andere das in den Zeichen Angesagte, wäre widersinnig, denn dann wären die Zeichen eben keine Zeichen mehr. Jesus hat diese enge zeitliche Verknüpfung zwischen den Zeichen der Gottesherrschaft und ihrem endgültigen Kommen im Gleichnis vom Feigenbaum (Mk 13,28f) sehr deutlich zu Wort gebracht: "Lernt aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter hervorbringen, dann wißt ihr: Nahe ist der Sommer. Genauso sollt ihr, wenn ihr all das seht, erkennen: Nahe ist es vor der Tür." Der jetzige Kontext des Gleichnisses ist deutlich sekundär. Ursprünglich war nicht von der Nähe des Menschensohns, sondern von der Nähe der Gottesherrschaft die Rede 16. Entsprechend Vgl. Jes 29,18f; 61, H. Zum futurischen Aspekt der Eschatologie Jesu vgl. besonders W. G. Kümmel, Die Naherwartung in der Verkündigung Jesu (s.o. Anm. 12). 15 Vgl. die sorgfältigen Abgrenzungen bei R. Schnackenburg (s.o. Anm. 8) 86-88. 16 Interessanterweise begegnet in Lk 21, 31 (diff Mk 13,29) der Begriff der Gottesherr13
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meinten die vorausgehenden Zeichen ursprünglich nicht die kosmischen Katastrophen von Mk 13,24f, sondern die Machttaten Jesu, wie sie Lk 7,22 aufgezählt werden, das heißt, die Zeichen, von denen Jesus im Gleichnis spricht, sind keine apokalyptischen Signale, die erst in der Zukunft aufscheinen, sondern sie geschehen bereits jetzt, in der Gegenwart der Zuhörer; diese können die Zeichen der Heilszeit schon jetzt sehen und hören. Und sie können sicher sein: so wie in Israel auf das Saftigwerden der Feigenbäume sofort und ohne übergang der Sommer kommt 17, so kommt jetzt sofort und ohne Zwischenzeit die Gottesherrschaft 18 . Das Gleichnis vom Feigenbaum bestätigt also das oben Gesagte: die innere Nähe zwischen den Zeichen und dem in den Zeichen Angesagten verträgt keine langen Zwischenräume. Weil das Gottesreich schon so nahe ist, bricht es sich in Zeichen Bahn. Und umgekehrt: seine zeichenhafte Gegenwart verbürgt, daß es bald selbst kommt.
2. Die Seligpreisungen Genauso deutlich wie aus den "Gegenwartsaussagen " geht die zeitliche Nähe der Gottesherrschaft auch aus den "Seligpreisungen" der Bergpredigt hervor 19. Wie die lukanische Fassung in Lk 6,20-23 noch deutlich erkennen läßt, sind mit den Armen, Weinenden und Hungernden wirklich Arme, Weinende und Hungernde gemeint. Die sinnverschiebenden, stark spiritualisierenden Erweiterungen bei Mattäus 20 sind sekundär. Allerdings haben auch Lukas und der Redaktor der Logienquelle bereits eine Umdeutungvorgenommen: bei ihnen ist offensichtlich nur an die Jesusjünger beziehungsweise an die spätere Jüngergeschaft. Obwohl Lukas ihn sekundär eingeführt hat, dürfte er damit den ursprünglichen. Wortlaut getroffen haben. 17 Vgl. A. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu II (Darmstadt 1963) 10. lB H. Conzelmann, Gegenwart und Zukunft in der synoptischen Tradition, in: ZThK 54 (1957) 277-296, dort 287: "Im Gleichnis vom Feigenbaum (Mc 13,28f parr.) ist die Pointe die untrügliche Sicherheit, mit der man aus den Zeichen nicht nur allgemein auf das Kommen des Reiches, sondern auf dessen Nähe schließen kann." 19 So mit Recht A. Vögtle, "Theo-logie" und "Eschato-logie" in der Verkündigung Jesu?, in: Neues Testament und Kirche. Festschrift für Rudolf Schnackenburg (Freiburg i.Br. 1974) 371-398, dort 397. 20 Mt 5,3.6.10.
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meinde gedacht 21 . Nimmt man nun freilich die drei ersten Seligpreisungen der lukanischen Fassung (Lk 6,20f) für sich und liest sie vor dem Hintergrund von Jes 61,1-3, so ist klar, daß Jesus nicht (oder nicht mur) seine Jünger, sondern prinzipiell die Armen, Hungernden und Weinenden, denen er täglich konfrontiert war, seliggepriesen hat. Es geht in den drei ersten Seligpreisungen um alle Heillosen, Niedergedrückten und Verzweifelten, um alle Hilflosen und Schwachen, denen die Gesellschaft die Hilfe versagt 22 . Jesus preist sie selig - nicht weil ihr Weinen, Hungern und Armsein in sich irgendeinen Wert hätte 23 , sondern weil die "Intervention Gottes"24 ganz nahe ist und weil gerade die Heillosen dann in unsagbarem Maß das Heil Gottes erfahren werden. Wohlgemerkt: Jesus verspricht den Elenden und Armen kein besseres Leben nach ihrem Tode, was nach jüdischer Eschatologie durchaus möglich gewesen wäre 25, sondern er richtet ihre Augen auf die eschatologische Wende, die alle betreffen und die alles verändern wird: er spricht ihnen die Teilnahme am Gottesreich zu. Vor allem aber: Jesus spricht in seinen Seligpreisungen nicht zu einem abstrakten, zeitlosen Publikum, zu Armen und Hilflosen in genere, sondern zu denen, die ihm damals in Palästina begegneten, die ihn ansahen, anflehten, anbettelten. Damit dürfte klar sein: die Seligpreisungen setzen voraus, daß schon bald, auf jeden Fall noch zu Lebzeiten der bedrückten und verzweifelten Zuhörer Jesu, die Gottesherrschaft als Heil anbrechen und alle Not wenden wird. Falls J esus bei seinen Seligpreisungen gar keine zeitliche Nähe der Gottesherrschaft vor Augen gehabt, sondern die Zeit ignoriert und eine ständige "Unniittelbarkeit" Gottes im Sinn gehabt hätte, verlören diese Seligpreisungen nicht nur ihre Verflochtenheit in die konkrete Situation, sondern sie wären angesichts des Hungers und des Elends seiner Zuhörer auch blanker Zynismus gewesen. 21 Für Lukas vgl. Lk 6,20 a, für die Logienquelle Lk 6,22f. Siehe auch H. Schürmann, Das Lukasevangelium I (HThK III 1) (Freiburg i. Br. 1969) 340. 22 Vgl. J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I. Die Verkündigung Jesu (Gütersloh 1971) 114f. 23 H. Schürmann (s.o. Anm. 21) 328f verweist in diesem Zusammenhang mit Recht auf die zweigliedrige Gestalt der Makarismen. 24 J. Jeremias (s.o. Anm. 22) 115. 25 Vgl. etwa die Eschatologie, die hinter Lk 16,19-31 steht.
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3. Die Proklamation der Gottesherrschaft
Die Predigt Jesu hat immer dann, wenn sie eschatologisch ist, proklamativen Charakter. Was damit gemeint ist, zeigt am besten der für Jesus gutbezeugte Satz: "Die Gottesherrschaft ist nahe herbeigekommen."26 Dieser Satz wird nirgendwo begründet; er begründet höchstens selbst andere Sätze. Er belehrt auch nicht im Sinne einer "Lehre" über das, was geschieht und noch geschehen- wird. Er drückt auch keine Hoffnung aus - nämlich die Hoffnung, daß die Gottesherrschaft doch bald kommen möge. Jesus erhofft nicht die Nähe der Gottesherrschaft, sondern er ist sich ihrer Nähe so absolut gewiß, daß er sie proklamiert. Das heißt: die Gottesherrschaft ist für Jesus bereits so nahe, daß sie angesagt werden kann - denn angesagt werden nur Dinge, die unmittelbar bevorstehen. Andererseits ist sie für ihn so nahe, daß sie angesagt werden muß - es bleibt überhaupt keine Zeit, von ihr anders als in der Form der Proklamation zu spre~hen 27. Vor allem die Aussendung der Jünger 28 zeigt diesen Sachverhalt in aller Deutlichkeit: Jesus gibt ihnen den Auftrag, von Ort zu Ort zu ziehen und die Nähe der Gottesherrschaft auszurufen 29 . Sie sollen dabei unterwegs niemanden grüßen (Lk 10,4) - wohl deshalb, damit sie keine Zeit verlieren 30. Es wäre allerdings einmal zu untersuchen, ob bei dem Verbot des in orientalischer Sitte tiefverwurzelten und un.bedingt notwendigen Grußes nicht eine bewußt provozierende prophetische Zeichenhandlung intendiert gewesen sein könnte, wobei selbstverständlich an die Stelle des Grußes der Ruf getreten wäre: "Die Gottesherrschaft ist nahe herbeigekommen!" Sinn dieses Zeichens könnte dann freilich auch nur gewesen sein: Es bleibt keine Zeit mehr! Gerade die Jüngeraussendung, die ganz unter der Motivation der 26 Selbst wenn Mk 1,15 im ganzen eine Formel des Markus oder der vormarkinischen Tradition ist, dürfte doch der Satz "die Gottesherrschaft ist nahe herbeigekommen", wie Lk 10,9.11 par Mt 10,7 zeigen, auf Jesus selbst zurückgehen. 27 Vgl. H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments (München 1967) 129. ' 28 Mk 6,6-13; Mt 9,35 - 11,1; Lk 9,1-6; 10,1-20. 29 Lk 10,9.11 par Mt 10,7. 30 So die meisten Ausleger. Vgl. etwa W. Grundmann, Das Evangelium nach Lukas (ThHKNT 3) (Berlin 41966) 209.
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Dringlichkeit steht 31 und die alles andere als ein simples Spiegelbild der späteren Palästinamission ist 32, zeigt, daß Jesus den Anbruch der Gottesherrschaft für die allernächste Zukunft erwartet.
4. Das Motiv der Plätzlichkeit In dieselbe Richtung weist das Motiv der Plötzlichkeit, das in der Gerichtspredigt Jesu einen entscheidenden Platz einnimmt. Das Gericht kommt so plötzlich wie ein Blitz (Lk 17,24)33, wie die große Flut (Lk 17,27), wie das Feuer über Sodom (Lk 17,29), wie ein Dieb in der Nacht (Lk 12,39), wie eine Schlinge, in die man tritt (Lk 21,35). Dem Motiv der Plötzlichkeit des Gerichts entspricht bei Jesus die Aufforderung zu Bereitschaft und nicht nachlassender Wachsamkeit. Beide Motive, das der Plötzlichkeitwie das der Wachsamkeit, setzen die Erwartung der Endereignisse für die allernächste Zukunft voraus. Denn beide Motive besagen ja gerade: es gibt keine Zwischenzeit mehr, in der man sicher sein kann, daß die Gottesherrschaft noch nicht kommt 34 • Sie ist vielmehr so nahe, daß sie nun jeden Tag anbrechen kann! Allerdings muß zugestanden werden, daß dann später in der frühkirchlichen Paränese das Motiv der Plötzlichkeit einen anderen Stellenwert erhält: es bekommt nun angesichts sich dehnender Zeiträume und einer immer mehr schwindenden Naherwartung die Aufgabe, der Kirche die eschatologische Spannung zu erhalten. Deutlichster Beleg ist 2 Petr 3,10, wo in einem der jüngsten Kapitel des Neuen Testaments noch einmal das Bild vom Dieb in der Nacht aufgegriffen wird 35. Wir haben also beim Motiv der Plötzlichkeit zwischen seiner E. Gräßer (s.o. Anm. 9) 79. Es ist natürlich nicht zu übersehen, daß sich in den Texten der Jüngeraussendung auch die judenchristliche Palästinamission der ersten Jahre spiegelt. Aber damit sind diese Texte keineswegs adäquat erklärt. VgL H. Schürmann (s.o. Anm. 21) 505. 33 Im Text ist vom Kommen des Menschensohnes die Rede. Aber dieser bringt ja das Gericht. 34 VgL A. Vögtle (s.o. Anm. 12) 240. 35 Zum Motiv der Plötzlichkeit in der frühkirchlichen Paränese vgl. auch 1 Klem 23,5; zur Eschatologie des 1. KIemensbriefs vgl. O. Knoch, Eigenart und Bedeutung der Eschatologie im theologischen Aufriß des ersten Clemensbriefes (Theophaneia 17) (Bonn 1964). 31 32
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ursprünglichen Funktion in der Gerichtspredigt Jesu und seiner . Ersatzfunktion in der späteren kirchlichen Paränese aufs genaueste zu unterscheiden. Daß mit dem Motiv der Plötzlichkeit und der Aufforderung zur Wachsamkeit in diesem zweiten Sinn auf die Dauer keine eschatologische Spannung erzeugt werden konnte, liegt auf der Hand. Angespannte eschatologische Wachsamkeit über mehrere Generationen hin zu fordern, ist in sich widersinnig. Damit zeigt sich freilich von neuem, daß bei Jesus, wo das Motiv der Plötzlichkeit seinen ursprünglichen Sitz hatte, eine Naherwartung im Hintergrund stand, die das Ende noch innerhalb der jetzt lebenden Generation erwartete.
5. Worte über "dieses Geschlecht" Bisher ist immer wieder deu tlich geworden: Für J esus kommt die Gottesherrschaft und mit ihr das Gericht noch zu Lebzeiten seiner Zuhörer. Er richtet seine eschatologische Predigt nicht an irgendwelche anonymen Adressaten, sondern konkret und determiniert an seine Zeitgenossen. Dieser Tatbestand spiegelt sich wider in einer umfangreichen Schicht von J esusworten, die durch die Wendung "dieses Geschlecht" miteinander verbunden sind 36. "Geschlecht" meint dabei nicht die jüdische Rasse insgesamt, sondern, wie der jeweilige Kontext zeigt, das gegenwärtige Israel, insofern es im Begriff ist, Jesu Botschaft abzulehnen 37 • "Dieses Geschlecht", zu dem Jesus spricht, ist in einem besonderen Maß qualifiziert: dadurch, daß es Jesus als den eschatologischen Boten Gottes hören kann, ist es die letzte Generation, steht es in einer letzten Entscheidung, in der sich die bisherigen Entscheidungen Israels aufgipfeln und verendgültigen. Besonders deutlich wird das in dem aus der Logienquelle stammenden Drohwort Lk 11,49-51 (par Mt 18,34-36): Von "diesem Geschlecht" wird alles Blut der bisher in Israel verfolgten und ermordeten Propheten eingefordert werden, vom Blut Abels bis zum Blut des Secharja. J. Jeremias interpretiert zu Recht: Die Zeitgenossen Jesu 36 Mk 8,12 parr; 8,38; 9,19 parr; 13,30 parr; Mt 11,16 par; 12,41 par; 12,45; 23,36 par; Lk 11,30; 17,25.
37
Vgl.
J.
Jeremias (s.o. Anm. 22) 135f.
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stehen im Begriff, das Maß vollzumachen. Sie werden als letzte Generation die Gesamtschuld zu tragen haben, die sich angesammelt hat 38 • Geht man von der Echtheit des Logions Lk 11,49-51 aus, so wird man auch Mk 13,30 als Wort des historischen Jesus stehen lassen: "Amen, ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis das alles geschieht." Da die von "diesem Geschlecht" handelnden Jesusworte "durchweg Worte schärfsten Tadels" sind 39, muß mit der summarischen Wendung "das alles" ursprünglich das Gericht über das ungläubige Israel gemeint gewesen sein, falls die Wendung nicht überhaupt markinische Redaktion ist und ein ursprüngliches Substantiv ersetzt 40. Jedenfalls sollte man Mk 13,30 nicht dadurch aus dem Spiel bringen, daß man sagt, es handle sich ja hier um ein Logion mit Terminangabe und Jesus habe schließlich in Mk 13,32 jede Terminangabe für das Ende abgelehnt. Denn in Wirklichkeit wird mit der Drohung Noch über diese Generation wird das Gericht hereinbrechen ja überhaupt kein echter Termin gegeben. Die Terminverweigerung durch Jesus in Mk 13,32 schließt das "noch in dieser Generation" so wenig aus, wie die Vorzeichen der Gottesherrschaft die Plötzlichkeit ihres Anbruchs ausschließen 41.
6. Der eschatologische Ausblick
Hat J esus an dieser Erwartung der Gottesherrschaft noch für die gegenwärtig lebende Generation bis zu seinem Tod festgehalten? Es gibt eine exegetische Position, die davon ausgeht, daß er in der letzten Phase seines Wirkens nicht mehr mit dem nun bald bevorstehenden Anbruch der Gottesherrschaft gerechnet habe 42 • Er habe in dieser letzten Phase 38 Ebd. 119. Die von S. Schulz, Q. Die Spruchquelle der Evangelisten (Zürich 1972) 336-345, gegen die Echtheit geltend gemachten Gründe vermögen mich nicht zu überzeugen. tk 13,34.35a zeigt, daß Lk 11,49-51 nicht allein steht. 39 J. Jeremias (s. o. Anm. 22) 135. 40 Ahnlich A. Vögtle, Exegetische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewußtsein Jesu, in: Gott in Welt 1. Festgabe für K. Rahner (Freiburg i.Br. 1964) 608-667, dort 642-644: Mk 13,30 sprach ursprünglich vom Gericht über Jerusalern. 41 Vgl. J. Jeremias (s. o. Anm. 22) 132. 42 Diese Position findet sich bei A. Schweitzer, J. Weiß und (in ganz anderer Form) bei W. G. Kümmel. Nähere Angaben bei E. Gräßer (s.o. Anm. 9) 91, 92, 102.
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vor seinem Tod bereits einen längeren Zwischenzustand ins Auge gefaßt "und damit ein retardierendes, die Zeit dehnendes Moment in seine eschatologische Predigt eingebracht" 43. Vor allem W. G. Kümmel hat eine solche Zwischenzeit in der Erwartung Jesu exegetisch zu begründen versucht 44. Mir scheint, ohne Erfolg. Nicht nur, daß die hierfür angebbaren Texte samt und sonders aus einer viel späteren, nachösterlichen Perspektive heraus gebildet oder doch zumindest überarbei tet sind 45, viel wichtiger ist noch, daß gerade das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern im Horizont der Naherwartung steht. Jesus verkündet und deutet in diesem letzten Mahl nicht nur seinen bevorstehenden Tod, er spricht erneut und noch einmal von der Nähe der Gottesherrschaft: "Amen, ich sage euch, ich werde nun nicht mehr trinken von der Frucht des Weinstocks bis zu dem Tage, da ich neu davon trinken werde im Reiche Gottes" (Mk 14,25). Das heiß t: "Die nächste Wiederholung des Mahls findet berei ts in der Basileia statt, wo Jesus mit seinen Jüngern wieder vereint sein wird"46, und zwar bei dem großen Mahl der Vollendung, das seit Jes 25,6-8 zur jüdischen Eschatologie gehört. Jesus kündigt also seinen Tod an, er kündigt aber zugleich die unmittelbare Nähe der Gottesherrschaft an. Der eschatologische Ausblick Mk 14,25 ist Prophetie des eigenen Todes, er ist aber zugleich "ein Trostwort an die zurückbleibenden Jünger" 47, das den Sinn hat: Das Mahl der Vollendung im Reiche Gottes steht vor der Tür! In diesem Bewußtsein und in dieser Erwartung geht Jesus in den Tod. Es bleibt also dabei: Jesus verkündet die unmittelbare Nähe der Gottesherrschaft. Und er hat sich diese Nähe massiv zeitlich vorgestellt. Er geht dabei zwar nicht von einem fixen Punkt der Zukunft aus, den er kennt und um dessentwillen er überhaupt seine Botschaft als Naherwartung ausspricht, sondern er geht aus von einem unsagbar tiefen Wissen um das Handeln Gottes 48 . Er weiß: Gott handelt jetzt. Dieser Ansatzpunkt der N aherw artung J esu ist sehr wohl zu beachten. Er ändert aber nichts daran, daß die Predigt Jesu durch zeitliche E. Gräßer (s. o. Anm. 9) 102, der diese Position ablehnt. Vgl. W. G. Kümmel (s.o. Anm. 9) 58-76. 45 Der Nachweis kann hier nicht erbracht werden. Vgl. aber E. Gräßer (s. o. Anm. 9) 102-124. 46 Ebd. 114. 47 Ebd. 116. 48 Vgl. A. Vögtle, (s.o. Anm. 12) 241. 43 44
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Naherwartung bestimmt ist. Denn Jesus kann sein Wissen, daß Gott jetzt handelt, nicht nur vor seinen Zuhörern, sondern auch vor sich selbst gar nicht anders zu Wort bringen als im Horizont zeitlicher Naherwartung. Die Ansicht, Jesus habe eine Art nicht-zeitlicher Nähe der Gottesherrschaft im Auge gehabt, erscheint mir absurd. Sie postuliertnichtnur einen anachronistischen Tatbestand, sondern nimmt der Predigt Jesu auch ihren Ernst und ihre klare Kontur. Mit all dem haben wir es uns nun freilich nicht gerade leicht gemacht. Denn jetzt erhebt sich noch brennender die Frage: Wie haben wir heute die Naherwartung J esu zu interpretieren, nachdem das Weltende nach fast 2000 Jahren noch immer nicht gekommen ist.
H. DIE INTERPRETATION DER NAHERWARTUNG JESU Es wäre sehr interessant und aufschlußreich, einmal der langen Interpretationsgeschichte der Naherwartung Jesu vom 1. bis zum 20. Jahrhundert nachzugehen 49 • Dazu müßten freilich erst noch viele Vorarbeiten geleistet werden. Es ist im folgenden nicht einmal möglich, die Verästelungen dieser Interpretationsgeschichte innerhalb der letzten fünfzig Jahre zu untersuchen 50. Statt dessen sollen hier drei Grundmodelle vorgestellt werden, auf die sich alle bisher vorgeschlagenen Lösungen für das mit der Naherwartung Jesu gestellte theologische Problem reduzieren lassen. An vierter Stelle steht dann unser eigener Lösungsversuch, der selbstverständlich auch seine Vorbilder und Vorläufer hat. Bis heute fehlt eine entsprechende Arbeit. Sie ist ein dringendes Desiderat. Vgl. dazu den voranstehenden Aufsatz von G. Greshake, Endzeit und Geschichte. Zur eschatologischen Dimension in der heutigen Theologie. Ferner F. Bun, Die Bedeutung der neutestamentlichen Eschatologie für die neuere protestantische Theologie (Zürich 1935); G. Sauter, Zukunft und Verheißung. Das Problem der Zukunft in der gegenwärtigen theologischen und philosophischen Diskussion (Zürich 1965); H. R. Baltz, Methodische Probleme der neutestamentlichen Christologie (WMANT 25) (Neukirchen-Vluyn 1967) 204-271; W.-D. Marsch, Zukunft (Themen der Theologie 2) (Stuttgart 1969); G. Greshake, Auferstehung der Toten. Ein Beitrag zur gegenwärtigen theologischen Diskussion über die Zukunft der Geschichte (Koinonia 10) (Essen 1969); E. Gräßer (s.o. Anm. 9). 49
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1. Gedehnte Naherwartung
Die Naherwartung der Gottesherrschaft durch Jesus wurde von der Urkirche zur Naherwartung der Wiederkunft J esu transformiert. Besonders Paulus bietet klare Belege für die durch die Osterereignisse neu aktualisierte eschatologische Spannung 51 . Die Probleme beginnen erst mit dem Ausbleiben der Wiederkunft Jesu. Innerhalb des Neuen Testaments lassen sich die verschiedensten Versuche beobachten, mit diesem Ausbleiben fertig zu werden 52. Der am häufigsten anzutreffende Lösungsversuch besteht darin, an der Naherwartung prinzipiell festzuhalten, aber gleichzeitig doch damit zu rechnen, daß sich das Eintreffen der Wiederkunft Jesu noch verzögern könne. Man rechnet also einerseits klar mit einer Zwischenzeit, hält aber andererseits daran fest, daß die Wiederkunft J esu nahe ist und eines Tages plötzlich hereinbrechen wird. Besonders deutlich erscheint dieses Modell im 2. Petrusbrief: "Dies eine aber, liebe Brüder, dürft ihr nicht übersehen: daß beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind. Der Herr zögert nicht mit der Verheißung, wie einige meinen, die von Verzögerung reden; er ist nur geduldig mit euch, denn er will nicht, daß jemand zugrunde geht, sondern daß alle sich bekehren. Der Tag des Herrn wird aber kommen wie ein Dieb. Dann wird der Himmel prasselnd vergehen, die Elemente werden verbrannt und aufgelöst ... Wenn sich das alles so auflöst: wie heilig und gottesfürchtig müßt ihr dann leben, den Tag Gottes erwarten und seine Ankunft beschleunigen" (2 Petr 3,8-12). Der Text macht deutlich: die Zeit bis zur Wiederkunft Jesu wird als Zwischenzeit empfunden. Und die immer größere Dehnung dieser Zwischenzeit wird heilsgeschichtlich begründet: Gott will noch Zeit zur Umkehr einräumen. Andererseits ist das Ende der Zeit nahe, denn daß nun mitten in der Gemeinde Zweifler und Spötter auftreten, ist ein Zeichen für das nahe Ende 53: "Vor allem sollt ihr eines erkennen: Am Ende der Tage werden Spötter auftreten, die sich nur von ihren Begierden leiten lassen und höhnisch sagen: Wo bleibt denn seine ver51
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Vgl. 1 Thess 4,15-17; 1 Kor 7,29-31; 10,11; Röm 13,llf; Phil4,5 u.a. Vgl. H. Conzelmann (s.o. Anm. 18) 278f; E. Gräßer (s.o. Anm. 1). So mit Recht E. Gräßer (s.o. Anm. 9) 15.
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heißene Ankunft? Seit die Väter entschlafen sind, ist alles geblieben, wie es seit Anfang der Schöpfung war" (2 Petr 3,3-4). Dieses seltsame Nebeneinander von Naherwartung einerseits und Rechnen mit einer Zwischenzeit andererseits findet sich in ähnlicher Form auch im lukanischen Doppelwerk. Daß Lukas die Zeit der Kirche als eigene heilsgeschichtliche Epoche zwischen der Auferweckung und der Wiederkunft Jesu herausarbeitet, ist klar und ist oft gezeigt worden 54. Was jedoch oft übersehen wird, ist die Tatsache, daß er deshalb keineswegs die Naherwartung prinzipiell verabschiedet hat 55 • Lukas möchte die überlieferte Eschatologie, die jederzeit mit der plötzlichen und überraschenden Wiederkunft J esu rechnet, keineswegs aufgeben 56. Höchstwahrscheinlich repräsentieren Lukas und der 2. Petrusbrief mi t diesem Nebeneinander von Naherwartung und theologischer Begründung einer von Gott gesetzten Zwischenzeit eine breite Strömung frühkirchlicher Eschatologie. Natürlich konnte diese Art von Eschatologie auf die Dauer keine Lösung sein. Je länger sich die Zwischenzeit dehnte, desto weniger war eine echte endzeitliche Spannung durchzuhalten. Es gab für die skizzierte Eschatologie auf die Dauer nur zwei Möglichkeiten: entweder die sich dehnende Zeit trat immer deutlicher in den Vordergrund. Dann muß te die Naherwartung immer mehr verblassen und die Eschatologie zu einer "Lehre" von den letzten Dingen werden. Oder aber das Element der Naherwartung wurde in immer neuen periodisch wiederkehrenden Schüben reintensiviert 57. Den ersten Weg ging die Großkirche. Den zweiten Weg gingen kleinere kirchliche Gruppenvon den Montanisten bis zu den Adventisten. Eine theologische Lösung bot natürlich weder der von der Großkirche noch der von den Sekten eingeschlagene Weg. Denn im ersten Fall blieb von der drängenden eschatologischen Spannung J esu und der 54 Vor allem von H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (BHTh 17) (Tübingen 51964). 55 VgL nur Lk 3,9.17; 10,9.11; 18,7f; Apg 2,17a. 56 VgL G. Lohfink,Die Himmelfahrt Jesu. Untersuchungen zu den Himmelfahrts- und Erhöhungstexten bei Lukas (StANT 16) (München 1971) 260f; W. G. Kümmel, Lukas in der Anklage der heutigen Theologie, in: ZNW 63 (1972) 149-165, dort 156f. 57 Schubweise Reintensivierungen sind charakteristisch für alle christlichen Gruppen, die Naherwartung beibehalten. Denn Naherwartung im traditionellen Sinn ist als Dauereinstellung unmöglich.
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Urkirche einfach nichts mehr übrig. Im zweiten Fall hingegen führt sich Naherwartung immer wieder selbst ad absurdum und ist für den Außenstehenden zutiefst unglaubwürdig.
2. Reduktion auf reine Ethik
Wie das Modell einer "gedehnten" und andauernd neu zu belebenden Naherwartung am Anfang, so steht das folgende Modell einer Reduktion der Naherwartung J esu auf reine Ethik am Ende aller Lösungsversuche. Nicht so sehr chronologisch, sondern von der Sache her. Denn in ihm wird mit Naherwartung am radikalsten aufgeräumt. Das Modell wurde von H. Braun in seinem 1969 erschienenen Jesusbuch präsentiert 58, ist aber als säkularisierter Ableger einer ursprünglich doch wohl anders gemeinten existentialen Interpretation des Neuen Testaments weit verbreitet. H. Braun sagt folgendes: Es hat keinen Sinn zu verschleiern, daß die "in die jüdische Apokalyptik hineingehörende Naherwartung Jesu einen Irrtum darstellt"59. Schon das Neue Testament selbst gestehtzwar "nicht ausdrücklich, aber für den Urteilsfähigen durchaus deutlich, die Predigt der Endnähe als Fehlrechnung ein ... Wir sollten dies Eingeständnis nicht verbinden mit einer Korrektur der Berechnung, mit einem weiteren Hinausschieben des innerhalb des Zeitverlaufs erwarteten Endes. Ebenso sollten wir mit einem Verzicht auf das Rechnen nicht die Vorstellung verbinden, das Ende komme eben doch zeitH. Braun, Jesus. Der Mann aus Nazareth und seine Zeit (Themen der Theologie 1) (Stuttgart 1969). Freilich hat auch H. Braun seine Vorläufer. Einer der bedeutendsten ist A. Schweitzer, der in der Schlußbetrachtung seiner "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" wie H. Braun unbedingte Sittlichkeit als die eigentliche Grundintention Jesu herausarbeitet, die auch heute noch von uns nachzuvollziehen ist: "Seine gewaltige Individualethik lehrt uns, daß, wer am Reich Gottes mit Hand anlegen will, nur etwas ausrichten kann, wenn er sich fort und fort innerlich läutert und von der Welt frei macht. Unser Verhältnis zum historischen Jesus muß zugleich ein wahrhaftiges und ein freies sein. Wir geben der Geschichte ihr Recht und machen uns von seinem Vorstellungsmaterial frei. Aber unter den dahinter stehenden gewaltigen Willen beugen wir uns und suchen ihm in unserer Zeit zu dienen, daß er in dem unsrigen zu neuem Leben und Wirken geboren werde und an unserer und der Welt Vollendung arbeite. Darin finden wir das Eins-Sein mit dem unendlichen sittlichen Weltwillen und werden Kinder des Reiches Gottes" (Geschichte der Leben-Jesu-Forschung [Tübingen 61951] 640). 59 Ebd. 59. 58
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lich irgendwann einmal" 60. Das alles ist Rückfall in überholte Apokalyptik und letzten Endes inkonsequent. Im übrigen wird man damit auch gar nicht der eigentlichen Intention Jesu gerecht. Die eigentliche Intention der Endverkündigung Jesu ist "eine unerhörte Schärfung der Verantwortlichkeit"61. "Die Predigt von der Nähe der Königsherrschaft Gottes will den Menschen warnen, sich selber zu verfehlen." 62 Das ist, wie das gesamte Buch H. Brauns, sehr klar und unmißverständlich formuliert und deshalb auch in seiner ganzen Zielrichtung eindeutig: die eschatologische Predigt Jesu wird auf reine Ethik reduziert. Aus der lebendigen Hoffnung des Neuen Testaments wird Verantwortlichkeit. Vom zukünftigen Heil ist nicht mehr die Rede. H. Braun betont zwar, "daß die Jesustradition den Menschen lehren will, sich als einen total Beschenkten zu verstehen"63, daß also unser ganzes Leben Geschenk und Gnade sei. Aber man weiß bei ihm nicht, woher diese Gnade eigentlich kommt und wohin sie am Ende führen soll. Man wird diesem zweiten Modell zumindest eines nicht absprechen können: es ist konsequent. Und es hat auch richtig erkannt, daß Jesus mit seiner Predigt von der nahen Gottesherrschaft den Menschen treffen und verändern will. Das alles ist richtig. Aber Jesus hat auch vom Kommen des Heils als Zukunft gesprochen. Wenn er ausblickt auf die große, alles verändernde Zukunft, in der sich Gott endgültig offenbaren wird, so ist das nicht apokalyptische Form, die man guten Gewissens zerschlagen kann, um endlich zur Sache zu kommen, sondern bereits die Sache selbst. Das futurum läßt sich aus der Botschaft Jesu nicht eliminieren 64. Genau hier liegt das Defizit aller rein ethischen Lösungsversuche. Sie sind nicht einfachhin falsch. Aber sie sagen nur die Hälfte.
3. Relativierung des Zeitfaktors Die Eigenart alttestamentlicher Prophetie ist in der letzten Zeit oft untersucht worden, vor allem um Prophetie und Apokalyptik voneinander abzuheben 65. Als Charakteristikum prophetischer Zukunftsrede 60 62 63 65
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Ebd. 60. 61 Ebd. 59. Ebd. 61. Ebd. 171; vgl. 69-71. 64 Vgl. A. Vögtle (s.o. Anm. 12) 253. Literatur bei G. Greshake (s. o. Anm. 50) 201-208.
wird heute gern folgendes genannt: "Das durch die Propheten vermittelte und jetzt schon wirksame Wort Gottes ist nicht abbildhafte Vorwegnahme der Zukunft, sondern provozierendes Hinlenken auf das Kommende." 66 Anders formuliert: Ziel der Prophetie ist nicht Erkenntnis der Zukunft, sondern Verwandlung der Gegenwart im Blick auf die Zukunft. In der prophetischen Naherwartung gehe es deshalb nicht um passivische Erwartung, die sich der baldigen Erfüllung gewiß ist, sondern es gehe um ein "Sofort" des Handelns angesichts des Angebotes Gottes 67 • Es ist natürlich sehr verlockend, solche Strukturen prophetischer Zukunftsrede auch in der eschatologischen Verkündigung J esu zu suchen. Tatsächlich geschieht das in der neutestamentlichen Exegese der letzten Jahrzehnte sehr häufig. Statt langer Ausführungen mögen zwei Zitate genügen. R. Schnackenburg schreibt im Lexikon für Theologie und Kirche 68 : Die Verkündigung Jesu "hat prophetischen Charakter und teilt mit der alttestamentlichen Prophetie das Anliegen, die Menschen aktuell anzusprechen und unmittelbar in die Entscheidung zu stellen. Dabei wird das Kommende in zeitliche Nähe gerückt, es entsteht eine ,verkürzte Perspektive'. Die Verheißung gewinnt in Jesu Predigt aber ein anderes Ansehen als bei den alten Propheten, da sie auf die schon eingetretene Heilserfüllung gestellt ist. Letzthin offenbart Jesus nur den Gott des Heils, der das (in Jesu Wirken begonnene) Werk auch zu Ende führen wird - ob früher oder später (nach menschlicher Zeitrechnung), ist dabei unwesentlich, da die Gewißheit der Vollendung bleibt. .. Daraus ergibt sich die theologische Berechtigung einer ,Naherwartung', die das Kommende als stets auf uns zukommend, uns anfordernd, aufrichtend oder richtend begreift. Solche wahre eschatologische Naherwartung, die Gott stets am Handeln weiß, ihm aber keine Termine vorschreibt oder ablauschen will, ist von der Botschaft Jesu unablösbar." Es ist interessant, daß sich R. Schnackenburg in den bei den letzten Sätzen des von uns zitierten Textes schon sehr stark einer existentialen Ebd. 206. 67 Vgl. ebd. 207. LThK 7 (Freiburg i.Br. 21962) 778. Vgl. deTS., Gottes Herrschaft (s.o. Anm. 8) 138f; deTS., Kirche und Parusie, in: Gott in Welt 1. Festgabe für K. Rahner (Freiburg i.Br. 1964) 551-578, dort 568f.
66 68
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Interpretation der Naherwartung J esu annähert 69 • Offensichtlich gerät man sehr leicht in existentiale Interpretation hinein, wenn man das Kommen des Heils ernst nehmen will, dabei jedoch gleichzeitig die Zeitdimension zu relativieren sucht. Relativiert man die Dimension der Zeit noch entschiedener, so kommt man zu Formulierungen wie denen von H. Conzelmann: "Jesus ist nicht an der Frage nach dem Zeitraum als solchem interessiert. Wird die Erwartung des Reiches radikal verstanden, dann bedeutet das Nahegekommensein 70 nicht eine zunächst neutrale Feststellung über Länge oder Kürze eines Zeitraums, sondern eine Bestimmung des Menschen: Diesem bleibt keine Zeit mehr für sich selbst. Er muß sich im jetzigen Augenblick auf das Reich einstellen. Noch ist es nicht da, sonst wäre die Gelegenheit zu dieser Einstellung, zur Buße, vorbei. Das Reich würde nicht mehr gepredigt. Aber es ist so nahe, daß der Mensch nicht mehr fragen kann: Wie lange habe ich noch eigene Zeit, in der ich die Buße aufschieben kann? Keine mehr! Für den Angeredeten ist jetzt der letzte Augenblick. Man kann die Zeitfrage deshalb gar nicht neutral stellen." 71 "Solange ich überhaupt noch nach dem Zeitpunkt frage, habe ich den Anruf noch gar nicht begriffen."72 I Die beiden Zitate zeigen, wie verführerisch es für die neu testamentliche Exegese ist, das Problem der Naherwartung J esu durch Relativierung des Zeitfaktors zu lösen. Natürlich geschieht dies gegenwärtig in einer viel breiteren Fächerung, als es die angeführten Texte dokumentieren können. Man kann den Zeitfaktor relativieren, indem man die prophetische Perspektive der Predigt Jesu unterstreicht1 3 • Man kann den Zeitfaktor noch wirkungsvoller relativieren, indem man die Predigt Jesu existential interpretiert und in jedem Jetzt der Entscheidung das Eschaton ansetzt 74. Man kann aber auch ganz generell vom Vgl. etwa die Formulierungen von R. Bultmann, Jesus (Tübingen 1964) 47. Das entsprechende griechische Wort bei H. Conzelmann wurde ins Deutsche übersetzt. 71 H. Conzelmann (s.o. Anm. 27) 129f. 72 Ebd. 287. 73 So z.B. G. Glöge, Reich Gottes und Kirche im neuen Testament (1929) 191; R. Schnacken burg (s.o. Anm. 8) 138f; A. Vögde (s.o. Anm. 12) 243; H. U. v. Balthasar, Zuerst Gottes Reich. Zwei Skizzen zur biblischen Naherwartung (Theologische Meditationen 13) (Einsiedeln 1966) 13 f. 74 So vor allem R. Bultmann. Vgl. den voranstehenden Aufsatz von G. Greshake, Endzeit und Geschichte. Zur eschatologischen Dimension in der heutigen Theologie. 69
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biblischen Zeitbegriff ausgehen und behaupten, das biblische Denken sei gar nicht in erster Linie am Zeitschema, sondern am Inhalt der Zeit interessiert 75. Man kann auch einfach die These aufstellen, das N ahegekommensein der Gottesherrschaft habe primär keinen zeitlichen Sinn, sondern besage, daß die Gottesherrschaft in den Horizont der menschlichen Geschichte und Erfahrung gerückt sei 76 • Man kann schließlich Jesus von jedem apokalyptischen Denken weit abrücken und erklären, er habe überhaupt nur die "Unmittelbarkeit des nahen Gottes" verkündet1 7 oder gar nur seine Erfahrung der "existentiellen Wesensnähe Gottes" in die Kategorie der Zeit übersetzt1 8 . All diesen Ansätzen ist eines gemeinsam: Sie versuchen, für die eschatologische Predigt Jesu die Bedeutung der linearen Zeit zu relativieren und als eigentlichen Predigtinhalt die Unmittelbarkeit Gottes zum Menschen aufgrund der durch die Verkündigung qualifizierten Zeit herauszuarbeiten. Allerdings muß dieser Sachverhalt der "Unmittelbarkeit" dann in einer seltsamen Weise umschrieben werden: Gott ist nahe, aber doch nicht zeitlich nahe. Er ist ständig auf uns zukommend, uns anfordernd, aufrichtend oder richtend. Der Mensch muß deshalb in Stetsbereitschaft leben. Er existiert ständig in der letzten Stunde. So vieles das dritte Modell auch richtig sieht - in diesen Umschreibungen der Nähe des Heils wird seine Schwäche sichtbar; denn auf solchen Umschreibungen kann ich keine Predigt aufbauen. Ich hätte Angst, daß mich nachher ein kritischer Zuhörer fragen würde: Was meinen Sie eigentlich mit einem Heil, das ständig auf uns zukommt? 75 So z.B. R. Schnackenburg (s. o. Anm. 8) 147f; A. Vögtle (s. o. Anm. 12) 231f; vgl. allerdings auch die Selbstkorrektur A. Vögtles in seinem späteren Aufsatz "Theo-Iogie und Eschato-Iogie" (s.o. Anm. 19) 397. 76 So H. Schlier, Das Ende der Zeit. Exegetische Aufsätze und Vorträge III (Freiburg i.Br. 1971) 39. 77 So E. Käsemann (s.o. Anm. 7) 99. Ähnlich H. U. v. Balthasar (s.o. Anm. 73) 38; ferner K. H. Schelkle, Königsherrschaft Gottes, in: Bibel und Leben 15 (1974) 120-135, dort 128: "Jesus verkündet die immerwährende Nähe des auf den Menschen in Gericht und Gnade zukommenden Gottes. Die Naherwartung ist nicht temporal, sondern personal zu verstehen." 78 So H. Schürmann, Das hermeneutische Hauptproblem der Verkündigung Jesu, in: Gott in Welt I. Festgabe für K. Rahner (Freiburg i.Br. 1964) 579-607, dort 600, in Anlehnung an K. Rahner. Zur Kritik an dieser Position vgl. A. Vögtle (s.o. Anm. 19) 394-398.
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Und was meinen Sie mit einem Kommen Gottes, das nahe, aber doch nicht zeitlich nahe ist? - Man verstehe solche überlegungen nicht als oberflächlichen Pragmatismus. Wenn ich nicht in der Lage bin, Theologie in Predigt umzusetzen, so ist das in diesem Fall vielmehr ein Kriterium, daß die Umwandlung der Predigt Jesu in Theologie noch nicht ganz gelungen ist. In den verschiedenen Ansätzen des dritten Modells wird zwar mit Recht das Prophetische in der Predigt Jesu herausgestellt, und es wird mit Recht größter Nachdruck auf die Entscheidungssituation des Menschen gelegt. Es ist auch richtig, daß Gott ständig kommt und daß bereits in jedem Augenblick unserer Existenz das Eschaton anwesend ist 79 • Es ist sogar irgendwie richtig, daß biblisches Denken nicht so sehr an einem starren Zeitschema, sondern eher am Inhalt der Zeit interessiert ist. Es ist schließlich ein lohnender Versuch, die Gotteserfahrung und das eschatologische Bewußtsein Jesu in eine innere Einheit zu bringen. Aber das alles ändert nichts daran, daß in den genannten Denkansätzen das Zukunftselement der Verkündigung Jesu unklar und verschwommen bleibt. An der Zukünftigkeit des Heils wird zwar, im Gegensatz zum zweiten Modell, festgehalten. Aber diese Zukünftigkeit ist nichts anderes als ein offener Horizont, dessen Wellen ständig an den Strand der Gegenwart schlagen. Was es - abgesehen von der eschatologischen Qualifizierung meines Jetzt - beinhaltet, daß mir das Heil nahe ist, wird einfach nicht gesagt. Gerade darin aber liegt ein entscheidender Mangel. Denn sowenig der Gedanke an eine Parusie, die vielleicht in 10000 Jahren stattfindet, den Menschen erschüttern oder erfreuen kann, so wenig vermag ihn die Rede von einem ständig auf ihn zukommenden Gott zu bewegen oder zu verändern. Ich wage deshalb die Prophezeiung, daß auch das dritte Modell in dieser Form an dem Fiasko unserer eschatologischen Predigt nichts ändern wird. Notwendig wäre also ein viertes Modell. Es müßte das Positive des zweiten und dritten Modells (und das ist sehr viel!) beibehalten, müßte aber gleichzeitig besser herausarbeiten, was mit dem Satz, daß Gott ständig auf uns zukommt, konkret gemeint sein könnte. Um die Erarbeitung eines solchen Modells geht es im folgenden. 79
58
Vgl. unten S. 78.
4. Ansatz der Eschata im Tod
a) Befreiung vom Wehbild der Apokalyptik Fragen wir zunächst einmal ganz einfach: Welche Elemente an der Reich-Gattes-Predigt Jesu sind substantiell und unaufgebbar?80 Man muß wohl auf jeden Fall drei Punkte nennen: 1. Das Kommen der Gottesherrschaft steht jenseits menschlicher Verfügbarkeit und Machbarkeit. Es ist Geschehen von Gott her in der Gott eigenen Dimension. 2. Es greift aber zugleich hinein in die menschliche Geschichte und bringt alle Geschichte an ihr Ende. 3. Dieses Ende ist so nahe, daß jeder Mensch in einer letzten Entscheidung steht. Die genannten Aussagen werden nun aber von Jesus nicht in dieser abstrakten Form gemacht, sondern sie werden ausgesprochen im Wehund Geschichtsbild der Apokalyptik. Natürlich war Jesus nicht einfachhin ein Apokalyptiker Si. Wohl aber denkt und spricht er im Gesamthorizont des ihm vorgegebenen apokalyptischen Welt- und Geschichtsbilds, das er keineswegs übersteigen konnte. Wie sah nun dieses Weltbild aus? Mit etwa~ vergröbernden Strichen läßt es sich folgendermaßen skizzieren: Die Weh Gottes und die Weh der Menschen stehen in räumlichem Zusammenhang. Der Himmel ist über der Welt. Wenn Gott oder ein himmlisches Wesen erscheinen, kommen sie vom Himmel her. Die Himmel brauchen sich nur zu öffnen. Genauso einfach und geradlinig ist die Zeit. Die Weh hatte einen Anfang, und sie wird einmal ein Ende haben. Ihr zeitlicher Anfang war identisch mit der Schöpfung. Ihr zeit80 In einem gewissen Sinn ist diese Frage natürlich naiv. Es gibt keine Hermeneutik, mit deren Hilfe die Substanz biblischer Aussagen in einer apriorischen Analyse ermittelt werden könnte. Die folgende Antwort setzt bereits unsere vorangegangene Exegese, vor allem aber auch die lange Interpretationsgeschichte der in Frage stehenden Texte voraus. 81 Der wichtigste Unterschied zwischen Jesus und der Apokalyptik besteht darin, daß er die Geschichte nicht periodisiert und in ein System bringt; vor allem aber, daß er nicht von einem fixen Punkt der Zukunft ausgeht, den er kennt und um dessentwillen er seine Botschaft als Naherwartung ausspricht. Ausgangspunkt seiner Naherwartung ist vielmehr das unmittelbare und nicht rückführbare Wissen "Gott handelt jetzt", das es nicht nötig hat, ein System des Geschichtsablaufs zu konstruieren.
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liches Ende ist identisch mit dem Kommen Gottes zum Gericht. Der Zeitraum zwischen Schöpfung und Weltende ist überschaubar - im allgemeinen rechnet man mit 5000 oder 7000 Jahren 82. Man weiß zwar, daß Gott keinen Anfang und kein Ende hat, aber er wird als parallel zur irdischen Zeitlinie existierend gedacht. Irdische und himmlische Zeit sind einander kommensurabel, genauso wie der Himmel räumlich über der Erde liegt. Bei einem solchen Weltbild ist das Kommen Gottes nicht anders vorstellbar, als daß er im Raum und in der Zeit erscheint. Und das Ende der Geschichte ist nicht anders vorstellbar, als daß die Geschichte auf der linearen, irdischen Zeitlinie zu Ende geht. Und das Ende der Welt ist nicht anders vorstellbar, als daß der Weltbestand mit einem Schlag zerstört beziehungsweise verwandelt wird. So wie die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde, wird sie in einem analogen Geschehen ihr Ende finden 83. Dieses hier nur grob skizzierte Weltbild der Apokalyptik floß - von einigen Modifikationen abgesehen 84 - in die christliche Eschatologie ein und bildete dann später jahrhundertelang den undiskutierten Hintergrund der Lehre von den letzten Dingen. Erst in diesem Jahrhundert begann auf breiter Front 85 die Scheidung zwischen apokalyptischem Weltbild und christlicher Eschatologie. Seitdem gleicht die Eschatologie einer Großbaustelle. Und wie es meist bei Großbaustellen zu sein pflegt, gab es auch hier offensichtlich verschiedene Bauabschnitte. So wurden die Raumvorstellungen der Apokalyptik schon relativ früh aufgegeben, während man an ihrem Geschichtsbild noch lange festhielt. Konkret: die Theologie hatte im 19. Jahrhundert längst begriffen, daß sich die Welt Gottes nicht in dreidimensionalen Räumen über unserer Welt aufschichtet, sie nahm aber gleichzeitig noch immer 82 Vgl. P. Volz, Die Eschatologie der jüdischen Gemeinde im neutestamentlichen Zeitalter (Hildesheim 1966) 143f. 83 Charakteristisch ist 4 Esra 7,30 f: "Dann wird sich die Welt zum Schweigen der Urzeit wandeln, sieben Tage lang, wie im Uranfang, so daß niemand überbleibt. Nach sieben Tagen aber wird der Äon, der jetzt schläft, erwachen und die Vergänglichkeit selber vergehen" (übersetzung H. Gunkel). 84 Eine der entscheidenden christlichen Modifikationen der Apokalyptik: In der Auferstehung Jesu hat die neue Schöpfung bereits begonnen. 85 Vgl. dazu den voranstehenden Aufsatz von G. Greshake, Endzeit und Geschichte. Zur eschatologischen Dimension in der heutigen Theologie.
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an, daß das Ende der Welt und der Geschichte auf der irdischen Zeitlinie stattfände, daß es also am Ende in unserer Welt ein göttliches spectaculum, nämlich Weltuntergang mit Parusie, geben werde. Das war jedoch äußerst inkonsequent. Denn all diese Vorstellungen hängen ja, wie wir sahen, aufs engste zusammen. Man kann nicht die Raumvorstellungen der Apokalyptik verabschieden und gleichzeitig an ihrer Zeitvorstellung und an ihrem Geschichtsbild festhalten. Mir scheint deshalb, daß die so dringend notwendige Neuinterpretation der Eschatologie nur dann gelingen kann, wenn dabei nicht mehr von dem Zeit- und Geschichtsschema der Apokalyptik ausgegangen wird. Das hieße aber': Es geht nicht an, das Kommen Gottes lediglich an einern postulierten Endpunkt unseres Geschichtsverlaufs anzusetzen. Gott ist jedem Punkt irdischer Geschichte gleich fern oder besser: gleich nah. Und wenn Gott kommt, dann kommt er gleichzeitig an jeden Punkt menschlicher Geschichte. Sein Kommen geschieht nicht nur dort, wo "letzte Tage" angebrochen sind. Genauso ereignet sich die Vollendung der Geschichte, an der festgehalten werden muß, weil sie eine grundlegende biblische Aussage ist, nicht an einern hypothetischen Endpunkt der irdischen Zeitlinie, sondern an jedem Punkt dieser Zeitlinie, das heißt an jedem Punkt menschlicher Geschichte. Weiterhin: wenn Gott selbst kommt und seine Herrschaft aufrichtet, dann erscheint er nicht in unserem Raum und in unserer Zeit. Eine solche Aussage ist und bleibt Mythologie. Unverhüllte Begegnung mit Gott setzt immer den Tod voraus. Parusie kann es also nicht in dem Sinne geben, daß Gott (beziehungsweise Christus) einer am Ende noch lebenden, letzten Generation erscheinen wird, wie dies in 1 Thess 4, 15 vorausgesetzt ist 86 • Parusie gibt es nur in dem Sinn, daß derjenige, der durch den Tod hindurchgegangen ist, vor Gott erscheint, beziehungsweise daß Gott vor ihm erscheint. Wenn sich das aber so verhält, dann ist nicht einzusehen, warum man das Kommen Gottes nur beim Tod der "letzten Menschen" ansetzen soll. Das Kommen Gottes ist dann 86 Der Thomas-Kompilator stellt sich in der S. th. III supp!. q. 78 a. 1 ausdrücklich die Frage, ob vor der Auferstehung alle Menschen sterben müssen. Antwort: Ja, denn non erit reditus ad immortalitatem nisi mediante morte. Im Grunde impliziert diese These vom Tod aller Menschen, die der Dogmatik durchaus geläufig ist, bereits den Ansatz der Eschata im Tod.
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vielmehr beim Tod aller Menschen anzusetzen, gleichgültig, an welchem Punkt der Geschichte sie gelebt haben oder noch leben werden. b) Neuansatz durch die protestantische Eschatologie Es ist das Verdienst der protestantischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg, vor allem der Dialektischen Theologie, Eschatologie von diesem vertikalen Denkmuster her neu entworfen zu haben. Für das im folgenden noch genauer zu skizzierende vierte Modell gibt es entscheidende Ansätze bei R. Bultmann, K. Barth, P. Althaus und E. Brunner. Sie können hier nicht vorgeführt werden, da sie in sich stark differieren 87 • Als Ersatz sei wenigstens ein Text von E. Brunner 88 zitiert, anhand dessen der eschatologische Neuansatz, um den es hier geht, besonders deutlich wird: "Auf Erden gibt es ein Vorher und ein Nachher und einen Zeitabstand, der Jahrhunderte oder gar Jahrtausende umfaßt. Aber ,auf der anderen Seite', in der Welt der Auferstehung, in der Ewigkeit gibt es diese auseinandergezogene Zeit, diese Zeit der Vergänglichkeit nicht. Das Todesdatum ist für jeden ein verschiedenes; denn der Todestag gehört zu dieser Welt. Unser Auferstehungstag ist für alle derselbe und ist doch vom Todestag durch kein Intervall von Jahrhunderten getrennt - denn es gibt diese Zeitintervalle nur hier, nicht aber dort, in der Gegenwart Gottes, wo ,tausend Jahre sind wie ein Tag'." Das Zitat macht deutlich: die Auferstehung von den Toten und damit das Eschaton schlechthin wird hier nicht mehr am Ende einer langen horizontalen Zeitlinie angesetzt, sondern vertikal im Tod der vielen einzelnen. Dieser gegenüber der traditionellen Denkweise überraschende Neuansatz ist überhaupt nur dadurch mö glich, daß aufs schärfste zwischen der irdischen Zeit und der "Welt der Auferstehung" geschieden wird. Die Welt der Auferstehung wird geradezu mit der Ewigkeit gleichgesetzt, und die Ewigkeit steht quer zu aller Zeit, oder wie G. Hoffmann 89 formuliert: Sie "steht nicht erst am Ende der ZeitVgl. aber den voranstehenden Aufsatz von G. Greshake. E. Brunner, Das Ewige als Zukunft und Gegenwart (Siebenstern-Taschenbücher 32) (München 1967) 167. 89 G. Hoffmann, Das Problem der letzten Dinge in der neueren evangelischen Theologie (1929) 27f. 87
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linie, sondern begrenzt sie in ihrer ganzen Länge; sie ist das Jenseits aller Zeit, die über aller Zeit liegende und sie tragende letzte Wirklichkeit". Die Todesdaten der einzelnen Menschen können Jahrtausende weit auseinanderliegen. Ihre Auferstehung von den Toten geschieht dennoch "gleichzeitig", denn in der Ewigkeit gibt es keine zeitlichen Intervalle mehr. Diese scharfe Polarität zwischen der Welt des Menschen und der Welt Gottes, zwischen Zeit und Ewigkeit, ist für die eschatologische Neubesinnung der protestantischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg charakteristisch 90. Mit Hilfe dieser Polarität gelingt es, das Ende der Geschichte im Tod des je einzelnen anzusetzen und so den Tod an die Stelle des Jüngsten Tages treten zu lassen 91. Allerdings ergibt sich aus eben dieser vertikalen Polarität von Zeit und Ewigkeit nun auch ein schweres theologisches Problem. Es ist eines der Grundprobleme der Dialektischen Theologie und das alles entscheidende Grundproblem des hier zu skizzierenden vierten Modells. Man könnte es folgendermaßen formulieren: Werden bei diesem Denkansatz nicht Geschichte und Geschichtlichkeit völlig entwertet? Bedeutet hier menschliche Vollendung nicht Auszug aus der Geschichte? Ist hier noch Platz für ein echtes futurum der Geschichte? Ist hier noch Platz für Evolution oder (falls man von Evolution nicht viel hält) doch wenigstens für Arbeit an der Geschichte, für Humanisierung der Welt und des Menschen? Wird hier nicht die Welt entgeschichtlicht und Eschatologie vorschnell in einer rein vertikalen Spannung zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Zeit und Ewigkeit aufgehoben? - Genau diese Vorwürfe hat man der Eschatologie des frühen Kar! Barth und der Eschatologie Rudolf Bultmanns gemacht 92 • K. Barth hat in der Folgezeit seine Eschatologie Vgl. G. Greshake (s. o. Anm. 50) 52-61. Besonders prägnant formuliert bei R. Bultmann, Zu J. Schniewinds Thesen, in: Kerygma und Mythos I (Hamburg 41960) 131: "Dagegen halte ich die Rede vom ,jüngsten Tag' für mythologische Rede. Sie muß m.E. ersetzt werden durch die Rede vom thanatos. " 92 Vgl. etwa F. Buri (s.o. Anm. 50) 48-50: J. Moltmann, Theologie der Hoffnung (BtrevTh 38) (München 81969) 33 f; G. Greshake (s.o. Anm. 50) 125--133; G. Scherer, Eschatologie und geschichtliche Zukunft (Essen 1972) 165; M. Schloemann, Wachstumstod und Eschatologie. Die Herausforderung christlicher Theologie durch die Umweltkrise (Stuttgart 1973) 29f. 90 91
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wieder stärker in traditioneller Richtung modifiziert, und die existentiale Eschatologie R. Bultmanns scheint inzwischen gegenüber Versuchen, säkulare Geschichtshoffnung theologisch zu bewältigen 93, stark in den Hintergrund zu treten. Ich bin nun allerdings der Meinung, daß all die aufgezählten Vorwürfe irrelevant sind, falls es gelingt, in das vierte Modell einen besser und sorgfältiger reflektierten Zeitbegriff einzubringen. Falls man nur die beiden Möglichkeiten Zeit oder Ewigkeit zur Verfügung hat (man lese unter dieser Rücksicht noch einmal den zitierten Text von E. Brunner), ist es tatsächlich unmöglich, Geschichte der Welt und Weltvollendung sinnvoll zu verbinden. Aber haben wir wirklich nur diese Alternative? Vielleicht könnte genau an diesem Punkt die mittelalterliche Theologie ein ganzes Stück weiterhelfen. c) Der Begriff des aevum als Denkanstoß Die mittelalterliche Theologie kennt nämlich nicht nur die Begriffe Zeit und Ewigkeit, sondern noch ein Mittleres zwischen Zeit und Ewigkeit - das aevum 94. über tempus, aevum und aeternitas hat man damals außerordentlich viel nachgedacht. Selbstverständlich sind die drei Begriffe nicht erst im Mittelalter als theologische beziehungsweise philosophische Begriffe in Gebrauch gekommen. Sie reichen weit zurück in die griechische Philosophie; Platon, Aristoteles, später der Neuplatonismus waren wichtige Stationen ihrer Begriffsgeschichte. Diese Begriffsgeschichte braucht hier nicht entwickelt zu werden. Sie ist äußerst kompliziert, weil sich aeternitas und aevum zunächst dekken. Setzen wir sofort ein bei Thomas von Aquin. Denn dieser hat innerhalb der mittelalterlichen Theologie die drei Begriffe am klarsten und sorgfältigsten reflektiert, und zwar besonders im Sentenzenkommentar 95 und in der Summa theologiae, dort vor allem in der pars 1, quaestio 10, also dort, wo er die Ewigkeit Gottes behandelt. Ich denke vor allem an J. Moltmann, Theologie der Hoffnung (s.o. Anm. 92). Vgl. zum folgenden F. Beemelmans, Zeit und Ewigkeit nach Thomas von Aquino, in: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen 17,1; 1-61; W. Wieland, Kontinuum und Engelzeit bei Thomas von Aquino, in: Einheit und Vielheit. Festschrift für C. F. v. Weizsäcker (Göttingen 1973) 77-90. Leider gehen beide Aufsätze nur am Rande auf den Begriff des aevum ein. 95 Thomas, Sent. I d. 37 q. 4 a. 3; II d. 2 q. 1 a. H. 93 94
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Thomas wendet sich im 5. Artikel der 10. quaestio mit Nachdruck gegen eine oberflächliche Sicht, die lediglich sagt, die Ewigkeit habe weder Anfang noch Ende; das aevum habe wohl einen Anfang, aber kein Ende; die Zei t schließlich habe beides : Anfang und Ende. Thomas kann sich dieser Sicht schon deshalb nicht anschließen, weil er Ewigkeit in Abhängigkeit vom Neuplatonismus als Wesensaussage bestimmt. Er übernimmt die bekannte Definition des Boethius (De consolatione philosophiae V 6): aeternitas est interminabilis vitae tota simul et perfecta possessi0 96 • Und er weiß, daß man zu dieser Definition von . Ewigkeit nur über die via negativa, über die Negation von Zeitlichkeit, kommen kann 97 : Ist die Zeit das ständige Fließen des Jetzt 98 , so daß die zeitliche Existenz auseinandergerissen ist in einer Abfolge immer neuer Jetztpunkte, besitzt die zeitliche Existenz ihre Vergangenheit nicht mehr und ihre Zukunft noch nicht, sondern nur immer das winzige Jetzt der je aktualen Gegenwart, so besitzt demgegenüber Gott, der einzige, dem wahre Ewigkeit zukommt, sein gesamtes Sein in dem tota simul ungeteilten Besitzes. Aus dem fließenden Jetzt der Zeitlichkeit wird das stehende Jetzt der Ewigkeit erschlossen 99. Hat der Mensch sein Dasein zerrissen in Zeit, so lebt Gott sein Dasein als Ewigkeit, das heißt als totale Identität. Von dieser Polarität Zeit - Ewigkeit aus versucht nun Thomas das aevum zu bestimmen. Es steht für ihn in der Mitte zwischen Zeit und Ewigkeit und unterscheidet sich infolgedessen vom einen wie vom anderen 100. Von der Zeit unterscheidet es sich dadurch, daß es kein Früher und kein Später kennt - es gibt also im aevum nicht mehr das fließende Jetzt der Zeitlichkeit. Hier setzt sich Thomas bewußt von Albert dem Großen und von Bonaventura ab 101. Damit war es für ihn aber auch viel schwieriger geworden, das aevum nun andererseits von der Ewigkeit abzugrenzen. Es gelingt ihm nur, indem er den Begriff der Thomas, S. th. I q. 10 a. 1. Thomas, S. th. I q. 10 a. 1: in eognitionem aeternitatis oportet nos venire per tempus. 98 Thomas, S. th. I q. 10 a.4: fluxus ipsius nune est tempus. 99 Thomas, S. th. I q. 10 a. 2: sicutenim causatur in nobis apprehensio temporis, eo quod apprehendimus fluxum ipsius nune, ita eausatur in nobis apprehensio aeternitatis, inquantum apprehendimus nune stans. 100 Thomas, S. th. I q. 10 a.5. 101 Vgl. F. Beemelmans (s.o. Anm. 94) 52-56. 96
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Veränderlichkeit, der mutabilitas, zu Hilfe nimmt. Zeitliche Existenz, sagt Thomas im 5. Artikel der 10. quaestio, steht ganz unter dem Gesetz der Veränderlichkeit. Ewiges Dasein kennt überhaupt keine Veränderlichkeit. Dasein im aevum hingegen ist zumindest der Möglichkeit nach veränderlich; außerdem kann ihm Veränderung akzidentell zukommen 102. Die letzte Auskunft vermag freilich wenig zu befriedigen. So überzeugend Thomas in seiner Phänomenologie der Zeit, in seiner Bestimmung der Ewigkeit und in seiner Betonung der Nichtzeitlichkeit des aevum verfährt - in seiner Abgrenzung des aevum von der Ewigkeit bleibt er blaß und formalistisch. Denn hier argumentiert er auf einer völlig abstrakten Ebene: er operiert mit dem Akt-Potenz- und dem Substanz-Akzidenz-Schema und verläßt dabei ganz die Erkenntnisbasis, von der er phänomenologisch ausgehen müßte - die Zeitlichkeit. Nur hier, an dieser Stelle, zeigt sich in seiner Bestimmung des aevum ein übermaß an Abstraktion, das den Boden unter den Füßen verliert. Wir werden dafür Verständnis haben, denn hier kann Thomas die Grenzen des mittelalterlichen Denkens nicht überschreiten. Für die mittelalterliche Theologie ist nämlich der eigentliche Grund, daß sie überhaupt über das Wesen des aevum nachdenkt, der Glaube an die Existenz der Engel. Die aevernitas wird zwar auch den Seligen zugeschrieben 103, aber sobald man über das Wesen des aevum nachdenkt, tut man das anhand des Wesens der Engel. über Engel aber läßt sich nur schwer argumentieren. Hätte Thomas für die Bestimmung des aevum allein die Zeitlichkeit des Menschen zum Ausgangspunkt genommen, wäre ihm höchstwahrscheinlich die Abgrenzung zur Ewigkeit weniger abstrakt geraten. Fazit: Der mittelalterliche Begriff des aevum ist ein höchst notwendiger und äußerst hilfreicher Begriff, denn er führt die Eschatologie aus der einseitigen Alternative Zeit- Ewigkeit heraus. Es täte deshalb der Theologie gut, ihn nicht nur als mittelalterliches Fossil zu behandeln, sondern ihn weiterzuentwikkeln, und die Sache, die er meinte, neu zu formulieren. Allerdings müßte man den Begriff des aevum dabei von den alten Engelspekula102 Thomas, S. th. I q. 10 a. 5: sie ergo tempus habet prius et posterius; aevum autem non habet in se prius et posterius, sed ei eonjungi possunt; aeternitas autem non habet prius neque posterius, neque ea eompatitur. 103 Vgl. Thomas, S. th. I q.l0 a.3.
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tionen ablösen und ihn dort anwenden, wo er allein sinnvoll ist: beim Nachdenken über die Bestimmung des Menschen, beim Nachdenken über das Wesen verklärter und verwandelter Zeit.
d) Verklärte Zeit Nehmen wir also unseren Ausgangspunkt beim Menschen, der im Tode die Zerrissenheit zeitlicher Existenz bis in ihre letzte Tiefe erfährt, sie eben damit aber auch hinter sich läßt und dann als neue Schöpfung vor Gott lebt 104. Für ihn gilt genau das, was Thomas vom aevum sagt: Es gibt bei ihm kein Früher und kein Später mehr; es gibt bei ihm keine Vergangenheit, die nicht mehr ist, und keine Zukunft, die noch nicht ist; es gibt bei ihm nicht mehr jenes fließende Jetzt, das die Existenz in viele einzelne, je aktuale und je wieder versinkende Gegenwartsmomente auseinanderreißt. Wäre es anders, lebte der Mensch auch dann noch in irdischer Zeit. Wäre es anders, müßte sich der Mensch auch bei Gott im Sinne irdischen Existierens immer wieder von neuem entscheiden, denn Existenz in der Entscheidung und zeitliches Sein im Früher und Später sind untrennbar verbunden. Verklärte Zeit oder verklärte Zeitlichkeit, wie ich das aevum von jetzt an nennen möchte, ist also tatsächlich ein tota simul, ein Zusammengefaßtsein der gesamten Existenz in einem einzigen, "ewigen" Jetzt. Nur so gelangt der Mensch zu einer wirklichen Identifikation mit sich selbst, nur so kommt er zur letzten, alles umgreifenden Selbstverwirklichung, nur so findet er zu jener Freiheit, die an ihrem Ziel angekommen ist und die sich selbst ganz besitzt. Trotzdem ist aber nun diese perfecta possessio keine Ewigkeit; denn diese neue, von Gott ermöglichte Existenzweise des Menschen hat etwas mit der Zeit zu tun: sie ist durch die Zeit konstituiert. In ihr ist all das, was je in der Zerrissenhei t irdischer Zei tals aktuale Gegenwart gelebt wurde, eingebracht und gesammelt. Die verklärte Zeit eines Menschen ist die Gesamtsumme seiner zeitlich-irdischen Existenz. Sie ist die Ernte der Mit dieser weiten Formulierung soll die Frage Unsterblichkeit der Seele oder nicht bewußt offengehalten werden. Wie hier im einzelnen weiterzudenken ist, zeigt der folgende Aufsatz von G. Greshake: "Das Verhältnis ,Unsterblichkeit der Seele' und ,Auferstehung des Leibes' in problemgeschichtlicher Sicht." 104
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Zeit, sie ist gesammelte Zeit. Die ganze Geschichte eines Menschen von der Zeugung bis zum Tod ist hineingezeitigt in das tota simul der neuen, von Gott geschenkten, verklärten Zeitlichkeit. Mit all dem ist nun freilich die via negationis, die allein zur Bestimmung verklärter Zeit führen kann, noch nicht bis zum Ende durchlaufen. Denn wir haben ja bisher stets so formuliert, als sei verklärte Zeit nur die statische Summe irdisch gelebter Zeit, ein "stehendes" Jetzt, in das die irdische Geschichte eines Menschen endgültig und für immer hineingezeitigt ist. In solchen Formulierungen wird offensichtlich unterschieden zwischen einem dynamischen Geschehen und dem zuständlichen Ergebnis dieses Geschehens, zwischen fieri und factum esse. Tatsächlich machen wir diesen Unterschied bei der Formulierung eschatologischer Sachverhalte andauernd. Wir sagen zum Beispiel ganz selbstverständlich: Christus ist auferstanden oder Christus ist erhöht, als handle es sich um ein abgeschlossenes Geschehen (Perfekt!), das nun einen sich gleichbleibenden Zustand, nämlich den des Auferweckt- und Erhöhtseins, eröffnet. In Wirklichkeit ist natürlich diese Differenz zwischen fieri und factum esse für das Eschaton in Frage zu stellen, denn sie resultiert aus einem Apperzeptionsschema, mit dessen Hilfe wir die uns begegnende Welt zu ordnen suchen. Geschehen und Ergebnis von Geschehen, Bewegung und Ruhe, Prozeß und Zustand sind notwendige Ordnungsstrukturen für das Erfassen zeitlicher Wirklichkeit. Gerade deshalb aber darf dieses Schema nicht einfach naiv auf irdische und verklärte Zeit aufgeteilt werden, dergestalt, daß die irdische Zeit mit der Bewegungsphase gleichgesetzt wird und verklärte Zeit mit der Zustandsphase, in die nun alle Bewegung eingebracht und gesammelt ist. Ist verklärte Zeit eine transempirische Wirklichkeit, über die uns nur noch analoge Aussagen möglich sind, dann ist in ihr auch das irdisch-zeitliche Ordnungsschema von Geschehensablauf (fieri) und Geschehensergebnis (factum esse) in einer höheren Einheit aufgehoben, die dann allerdings nicht mehr positiv vorstellbar ist. Konkret: verklärte Zeit ist dann sprachlich nicht nur zu beschreiben als Auferwecktsein, sondern mit demselben Recht als Auferwecktwerden, nicht nur als die ewige Sabbatruhe, sondern auch als das ewige Eintreten in die Sabbatruhe, nicht nur als das endgültige Sein bei Gott, sondern auch als das endgültige Zu-Gott-Gelangen, nicht nur als Frucht irdi-
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scher Zeit, sondern auch als der Prozeß des Hineingezeitigtwerdens in die verklärte Zeit. Nun hat die christliche Theologie natürlich immer schon gewußt, daß wir nicht nur von ewiger Ruhe, sondern auch von ewigem Leben zu sprechen haben. Besonders die neuere Eschatologie tritt mit Nachdruck dafür ein, daß das Leben bei Gott ein Geschehen von nicht endender Dynamik sei 105. Die Gefahr solcher Feststellungen liegt darin, daß sie meist ganz unreflektiert von einem durch die eschatologische Vollendung erreichten Zustand des Menschen ausgehen und diesen Zustand dann sekundär in dynamischen Kategorien beschreiben. So sagt zum Beispiel L. Boros 106: "Unsere Ewigkeit wird ... ein immerwährendes Hineinschreiten in Gott sein. Alles Statische geht im Himmel in eine grenzenlose, sich in die Unendlichkeit fortzeugende Dynamik über. Im Himmel ist nichts starr. Vollendung ist ewige Wandlung. Zustand endloser, ungebrochener Lebendigkeit." So richtig solche Formulierungen an sich sein können: sie stehen zumindest in der Gefahr, daß sie die Vollendung des Menschen doch wieder als geschichtlichen und damit zeitlichen Prozeß beschreiben, der ein Früher und Später impliziert. Dieser Gefahr ist nur dann zu begegnen, wenn ein differenzierter Begriff verklärter Zeitlichkeit verwendet wird, der deutlich macht, daß verklärte Zeit nichts anderes als der Prozeß des ständigen Hineingezeitigtwerdens der gesamten irdischen Existenz in ihre jenseitige Vollendung ist - aber so, daß dieser Prozeß immer schon sein Ergebnis selber ist, weil eben zwischen fieri und factum esse nicht mehr unterschieden werden kann. Sagen wir es noch einmal umgekehrt: Verklärte Zeit ist wirklich das tota simul und die perfecta possessio der gesamten in der Zeit gelebten und entschiedenen Geschichte eines Menschen - sie ist aber zugleich in einer unaufhebbaren Einheit der Prozeß selbst, in dem die gesamte Geschichte dieses Menschen vor Gott hingebracht wird 107. Die mit Recht geforderte Dynamik himmlischer Vollendung, der Weg "von Herrlichkeit zu Herrlichkeit", darf also nicht so beschrieben werden, als resulVgl. G.Greshake (s.o. Anm. 50) 405; G.5cherer (s.o. Anm. 92) 62. L. BorDs, Der neue Himmel und die neue 'Erde, in: V. SchUTT - B. Häring, Christus vor uns (Theologische Brennpunkte 8/9) (Bergen-Enkheim 1966) 19-27, dort 21. 107 So erhält der je aktuale Augenblick, der nicht in die Vergangenheit genichtet, sondern in die verklärte Zeit hineingezeitigt wird, unmittelbare eschatologische Qualität. 105
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tiere er aus einem Zustand, der zunächst einmal zu erreichen ist, sondern es muß deutlich gemacht werden, daß er nichts anderes ist als das "ständige" Eintreten in die Vollendung selbst, die dann freilich in diesem Eintreten auch immer schon erreicht ist. e) Die universale Geschichte und ihre Vollendung Mit all dem müßte nun eigentlich zweierlei deutlich geworden sein: Zunächst, daß es sehr viel leichter ist, das aevum von der Ewigkeit Gottes abzugrenzen, wenn man nicht von Engelspekulationen, sondern von der Seinsweise des vollendeten Menschen vor Gott ausgeht. Ist das aevum nichts anderes als verklärte Zeit, so ist klar, daß sein tota simul keine totale Identität besagen kann. Denn es ist jahervorgegangen und es wird herausgezeitigt aus der Disparatheit irdischer Zeit, die dann virtuell in dem von Gott geschenkten tota simul noch immer enthalten ist. Zweitens sollte aber auch klar geworden sein, daß unser Modell es ermöglicht, die Geschichte und die Geschichtlichkeit des Menschen ganz ernst zu nehmen. Denn wir arbeiten nun eben nicht mehr wie noch die Dialektische Theologie mit der ausschließlichen Alternative Zeit - Ewigkeit, sondern setzen zwischen der Wirklichkeit der Zeit und der ewigen Wirklichkeit Gottes ein Drittes voraus: verklärte Zeitlichkeit, die zwar keine Zeit mehr ist, in die aber doch im Tode alle Zeit und alle Geschichte einmündet. Zunächst mündet in diese verklärte Zeitlichkeit alle Zeit und alle Geschichte des einzelnen. Darüber haben wir gesprochen. Sodann ist nun aber auch zu sagen, daß mit der Geschichte der vielen einzelnen die Geschichte als ganze vor Gott hingetragen und verklärt wird. Wie ist das möglich? Wir werden diese Möglichkeit dann begreifen, wenn wir damit ernst machen, daß der Mensch, der im Tode vor Gott erscheint, kein weltund geschichtsloses Abstraktum ist, sondern konkrete, individuell geprägte Person, die ihre Freiheitsgeschichte gelebt hat. Das heißt aber: in jedem Menschen ist ein Stück der Geschichte der Welt Fleisch geworden. Der Mensch, der sein Leben vor Gott hinträgt, ist von der Welt und der Geschichte geprägt, und er hat selbst die Welt und die Geschichte geprägt, ja, er ist ein Stück Welt und ein Stück Geschichte
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geworden. Es ist das Verdienst der neueren katholischen Eschatologie, unter dem Thema "Auferstehung des Fleisches" auf diesen Zusammenhanghingewiesen zu haben. Neben O. Karrer, H. U. v. Balthasar, K. Rahner, L. Boros und J. B. Metz hat vor allem G. Greshake in seiner 1969 unter dem Titel "Auferstehung der Toten" erschienenen Dissertation 108 die Verflochtenheit zwischen personalem Subjekt und Weltfür die Eschatologie fruchtbar gemacht. Die entscheidende These G. Greshakes 109: "Was im Menschen geworden ist und nun im Tod Endgültigkeit findet, ist nicht eine weltlose geistige Subjektivität, sondern eine Freiheit, die so geworden ist, wie sie ist, durch ihre Ekstase in Leiblichkeit und Welt. Jede geschichtliche Begegnung und Tat hat sie bleibend geprägt; in ihrer endgültigen Freiheitsverfaßtheit ist als inneres Moment ,Welt' versammelt. Diese war nicht nur Bedingung und Instrument für den Selbstvollzug des Subjekts, um dann ,einfach als später überflüssiges Mittel und transitorisches Durchgangsstadium' (K. Rahner) abgestoßen zu werden, sondern sie ist ,verinnerlicht' in der nicht wegzudenkenden konkreten Prägung des Subjekts unaufgebbar aufgehoben." Ist dies richtig, so trägt jeder Mensch ein Stück der Welt und ein Stück der Geschichte vor Gott hin, und mit jedem Menschen, der stirbt, versammelt sich immer mehr Welt und immer mehr Geschichte vor Gott, und wird vor ihm verwandelt und verklärt. Noch einmal G. Greshake 110: "W enn man bedenkt, daß es kein mit F reihei t begabtes Universal-Subjekt der Welt-Geschichte gibt, sondern nur eine raum-zeit-zerspannte interkommunikative Einheit einer Vielzahl freier Subjekte, ist - schon rein spekulativ - zu erwarten, daß auch die Vollendung der universalen Wirklichkeit nur als raum-zeit-zerspannte interkommunikative Vollendung vor sich geht, so nämlich, daß im zeitlichen Nacheinander und räumlichen Nebeneinander sich die Welt-Geschichte in den einzelnen Subjekten vollendet. Daraus folgt keineswegs, daß die Vollendung mithin punktuell, je individuell, lOB G. Greshake, Auferstehung der Toten (s. o. Anm. 50). Dort 379-393 die Belege für die obengenannten Autoren. 109 Ebd. 385. Vgl. auch den folgenden Aufsatz von G. Greshake: "Das Verhältnis ,Unsterblichkeit der Seele' und ,Auferstehung des Leibes' in problemgeschichtlicher Sicht." 110 Ebd. 393 f.
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gleichsam ,gequantelt' sei. Denn was in der Konkretheit der einzelnen Freiheit in Gott geborgen wird, ist ja ein Welt bezug; jede Individualgeschichte ist getragen und durchdrungen von einer unübersehbaren Vielzahl von qualifizierenden, in der materiellen Vorgegebenheit oder (und) der intersubjektiven Freiheitsgeschichte gründenden Impulsen. Diese läßt der einzelne im Tod nicht hinter sich, sondern bringt sie ein in jenen endgültigen Dialog mit Gott, in welchem dieser gänzlich neue, vollendete Dimensionen des Lebens erschließt. Um es in einem Bild zu sagen: Es ist wie bei einer Tischdecke; man greift sie an einer Stelle und hebt sie doch ganz empor, weil jeder Punkt verwoben ist mit vielen anderen." Die Argumentation G. Greshakes, die von der Verknüpfung und Verwurzelung aller Geschichte in der Vielzahl der geschichtskonstituierenden Subjekte ausgeht, läßt sich mit Hilfe eines reflektierten Zeitbegriffs noch vertiefen. Wenn das Eingebrachtwerden der Geschichte des einzelnen jenseits irdischer Zeit in jener Dimension geschieht, die wir verklärte Zeitlichkeit genannt haben, dann gilt natürlich für das Eingebrachtwerden der Gesamtgeschichte genau das gleiche. Das heißt: auch das ständige Hineingezeitigtwerden des unendlichen Geflechts der Gesamtgeschichte in die Vollendung geschieht nicht mehr in unserem Früher und Später, nicht mehr verteilt über Jahrtausende, sondern in einem analogen, für uns nicht mehr vorstellbaren "Gleichzeitig". Für den einzelnen Menschen bedeutet das, daß er im Tod nicht nur sein eigenes Eschaton erfährt, sondern zugleich das Eschaton der Welt und der gesamten Geschichte. Er erfährt im Durchschreiten des Todes nicht nur, daß sich nun seine ganze individuelle Geschichte vor Gott versammelt, sondern zugleich - durch tausend Fäden mit der eigenen Geschichte verknüpft - die ,Geschichte der Welt und aller Menschen. Man kann es auch so formulieren: Indem ein Mensch stirbt und eben dadurch die Zeit hinter sich läßt, gelangt er an einen "Punkt", an dem die gesamte übrige Geschichte "gleichzeitig" mit ihm an ihr Ende kommt, mag sie auch "inzwischen" in der Dimension irdischer Zeit noch unendlich weite Wegstrecken zurückgelegt haben 111. Solche überlegungen sind keine neue Gnosis, sind 111 Dieser Satz gilt auch dann, wenn es überhaupt kein Ende der zeitlichen Welt geben sollte. Auch dann wird alle Geschichte "gleichzeitig" in ihre Vollendung hineingezeitigt.
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nicht der stets fatale Anspruch eines höheren Wissens, sondern im Grunde sehr einfache Konsequenzen aus der alten Wahrheit, daß die Theologie über jenseitige Wirklichkeit immer nur analoge Aussagen machen kann, daß also unser Begriff von irdischer Zeit nicht einfach auf die Welt der Vollendung übertragen werden darf. Unsere überlegungen waren nun schon sehr lange von der Frage nach dem Verhältnis von Geschichte und Geschichtsvollendung bestimmt. Wir hatten eine entscheidende Einsicht aus dem eschatologischen Modell der Dialektischen Theologie aufgegriffen - nämlich die Einsicht, daß sich das Eschaton nicht am Ende der horizontalen Linie der Menschheitsgeschichte ereignet, sondern über aller Geschichte oder besser in aller Geschichte schon immer anwesend ist. Wir hatten diese Einsicht der Dialektischen Theologie dann aber sofort in einem entscheidenden Punkt modifiziert. Nämlich durch die These, daß es zwischen der Ewigkeit Gottes und der Zeit des Menschen ein Drittes geben muß: die Dimension verklärter Zeit, in die alle Geschichte des einzelnen und der Menschheit gesammelt und eingebracht wird. Erst so ergibt sich die Möglichkeit, Geschichte ganz ernst zu nehmen. Denn es ist ja klar: wenn die verklärte Zeit die ewige Ernte aller auf Erden gelebten und entschiedenen Zeit ist, und zwar jedes einzelnen Augenblicks, dann erhält die Geschichte des einzelnen und die der Menschheit insgesamt einen letzten Ernst - denn dann ist sie das "Baumaterial" der Vollendung 112 . "Was ungetan blieb in der Zeit, die Chancen und die Möglichkeiten, die ausgeschlagen, verpaßt und verfehlt wurden, bleiben auch verpaßt und fehlend in der neuen Welt. Was gebaut ist in der Zeit, ist gebaut für immer; was unterlassen ist, bleibt unterlassen." 113 Unser Modell hat also den großen Vorteil, die Frage, ob es in der linearen Zeit ein Ende der Welt gibt, und entsprechend die Frage, ob es einen zeitlichen Anfang der Welt gab, völlig offenlassen zu können. Beides ist überhaupt keine echte theologische Frage. Theologisch legitim ist nur die Frage nach der Schöpfung und nach der Vollendung der Welt, nicht aber die Frage nach einem zeitlichen Anfang und einem zeitlichen Ende derselben. Vgl. zu dem ganzen Problem ausführlicher G. Greshake (s.o. Anm. 50) 402-410. 112 Das Bild setzt voraus, daß Gott der "Bauherr" bzw. der Vollender bleibt. Was in der Vollendung geworden ist, entstammt völlig der Spontaneität des Menschen, aber im selben Umfang der Spontaneität Gottes, der alles Tun des Menschen schon immer trägt. Das unauflösbare Ineinander göttlichen und menschlichen Wirkens wird in unserem Modell als selbstverständlich vorausgesetzt. 113 G. Greshake (s.o. Anm. 50) 394f.
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Aber mehr noch: ist die verklärte Zeit die ewige Ernte aller auf Erden gelebten und entschiedenen Zeit, dann erhält die Geschichte auch in ihrer horizontalen Erstreckung einen tiefen Sinn, denn jeder, der die Geschichte der Welt an irgendeiner Stelle verändert hat, bringt aufgrund dieser Veränderung nicht nur in sich selbst ein Stück gewandelte Welt in die verklärte Zeit ein, er hat damit auch Menschen, die neben ihm leben oder nach ihm kommen, zumindest die Möglichkeit eingebracht, gewandelte Welt in ihre verklärte Zeit einbringen zu können. Muß das noch im einzelnen erläutert werden? Jedes menschliche Tun, komme es nun aus dem technischen, dem wissenschaftlichen, dem ästhetischen oder dem politischen Bereich, eröffnet in der Welt neue Räume, in die andere eintreten können 114. Jede Tat der Selbstlosigkeit schafft irgendwo ein Mehr an Freiheit für andere. Jeder Gewaltverzicht unterbricht an irgend einer Stelle das nicht abreißende Hin und Her der Gewalt. Jede Tat der Liebe kann neue Liebe wecken. So ergibt sich zumindest die Möglichkeit einer auch innergeschichtlichen T eleologie auf eine bessere und menschlichere Welt hin, die freilich nur dadurch ihren letzten Sinn findet, daß die besser und humaner werdende Welt an jedem Punkt dieser Entwicklung immer schon eingebracht wird in die verklärte Zeit. Ich habe im vorhergehenden sehr bewußt nur von der Möglichkeit der Entwicklung zu einer besseren und menschlicheren Welt gesprochen. Diese Zurückhaltung war notwendig, denn es gibt genau umgekehrt natürlich auch die Möglichkeit der Entwicklung zu einer immer schlechteren und immer entmenschlichteren Welt - das ist die Konsequenz wirklicher Freiheitsgeschichte. Oder es gibt drittens die Möglichkeit, daß die Geschichte ein ewiges Auf und Ab, ein für uns unentwirrbares Nebeneinander von Gutem und Bösem, Menschlichem und Unmenschlichem sein wird. All das kann unser Modell völlig offenlassen. Wir sind keineswegs auf ein evolutives Geschichtsbild (gleich welVgl. G. Scherer (s.o. Anm. 92) 28f: "Der einzelne ist in seiner Situation er selbst, aber er ist es, im Guten wie im Schlimmen, als ein von allen anderen, den vielen Unbekannten, Mitbedingter. Auch er selbst wird Bedingungen setzen, welche die Situation anderer Menschen mitbestimmen, die ihrerseits durch ihre Entscheidungen in das Ganze der Geschichte hineinwirken." - G. Greshake (s.o. Anm. 50) 398: "Unsere Freiheitstaten, die sich in der Welt objektivierten, qualifizierten ihren weitergehenden Verlauf. In diesen Taten leben wir, auch wenn wir vollendet bei Gott sind, endgültig und unwiderruflich wirksam in der Geschichte fort." 114
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cher Provenienz) festgelegt, brauchen ein solches andererseits aber auch nicht auszuschließen. Entscheidend ist, daß es in unserem Modell die Möglichkeit einer auch innergeschichtlichen, horizontalen Teleologie gibt und daß somit Geschichte auch in dieser Hinsicht ganz ernst genommen werden kann. f) Naherwartung als christliche Möglichkeit Erst nachdem so die Frage der Geschichtlichkeit geklärt ist, dürfen wir uns dem hier vorgestellten vierten Modell anvertrauen. Und erst jetzt, nach dieser Klärung, können wir zurückkehren zu der Frage, die uns von Anfang an bewegt hat. Wir waren ja ausgegangen von einer Grundfrage des Neuen Testaments - nämlich von der Frage nach dem genauen Sinn der Proklamation Jesu, daß die Gottesherrschaft nahe herbeigekommen sei. Eine Auslegung, die den Sinn dieser Proklamation nicht trifft, verfehlt überhaupt die Sinnmitte der Predigt Jesu. Andererseits ist aber gerade diese Sinnmitte seiner Predigt nur unter großen Schwierigkeiten in unser heutiges Welt- und Geschichtsverständnis zu übersetzen. Das hier skizzierte Modell steht und fällt damit, ob es diese indispensable Ubersetzungsarbeit in der bestmöglichen Weise leisten kann. Kann es das? Machen wir die Probe an zwei besonders kritischen Stellen der Verkündigung Jesu: an ihrem eschatologischen Charakter und an der Nahverkündigung der Gottesherrschaft. 1. Die Gottesherrschaft hat in der Predigt J esu einen streng eschatologischen Charakter. Jesus spricht ja nicht nur von der ewigen Herrschaft Gottes über Israel und die Völker, sondern davon, daß diese Herrschaft jetzt kommt, das heißt, daß sie nun in einem endgültigen, nicht mehr überholbaren, universalen und alles verändernden Geschehen in der Welt offenbar wird. Wie dieses absolute Offenbarwerden Gottes konkret geschehen wird, hat Jesus anscheinend wenig beschäftigt. Er konnte, um es sich vorzustellen, jederzeit auf alte Traditionselemente (zum Beispiel auf die wunderbare Sammlung der Völker durch Gott selbst 115) zurückgreifen, aber er hat diese Elemente nicht in den Vordergrund gestellt. Sie tauchen bei ihm eher am Rande auf. Das änVgl. Mt 8, 11 par Lk 13,29; dazu J. Jeremias, Jesu Verheißung für die Völker (Stuttgart 21956) 47-62.
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dert allerdings nichts daran, daß das Handeln Gottes, von dem er spricht, einen absolut endgültigen und universalen, eben eschatologischen Charakter hat. Es ist völlig ausgeschlossen, daß J esus bei seiner Ansage vom Kommen der Gottesherrschaft ein nur partikuläres Geschehen, das gar nicht die ganze Welt betrifft, oder ein nur vorläufiges Geschehen, das von einem neuen Handeln Gottes überholt werden könnte, im Sinn gehabt hätte. Da das so ist, darf seine Rede vom endzeitlichen Handeln Gottes für uns heute folgendermaßen expliziert werden: Das Handeln Gottes ist nur dann universal, wenn es die gesamte Geschichte der Welt erfaßt, wenn es also nicht nur die gerade lebende Generation erreicht, sondern alle Menschen und Völker, die je gelebt haben. Und das Handeln Gottes ist nur dann endgültig, wenn alle Geschichte der Welt vor dem dabei offenbar werdenden Gott an ihr Ende kommt. Die offene Begegnung mit Gott schließt ein Weiterlaufen der Geschichte radikal aus. Beide Aspekte eschatologischen Geschehens hat Jesus selbstverständlich nicht in dieser Form ausgesprochen. Für semitisches Denken genügt es zum Beispiel, wenn gesagt wird, daß Gott endgültig an der letzten Generation handelt, weil diese alle vorangegangenen Generationen repräsentiert 116. Wir können heute ein derartiges Vorstellungs schema freilich nicht mehr nachvollziehen und machen deshalb die eigentliche Intention Jesu nur dann verständlich, wenn wir sagen: Das Kommen der Gottesherrschaft ist ein absolut universales Geschehen, das alle Geschichte erfaßt, und es ist ein absolut endgültiges Geschehen, das alle Geschichte an ihr Ende bringt. Es braucht jetzt wohl nicht mehr gezeigt zu werden, wie sehr dieser Doppelaspekt der eschatologischen Predigt Jesu in unserem Modell realisiert ist. Vielleichtliegt gerade darin seine Evidenz, daß es deutlich macht, wie im Tode der unzähligen Menschen, die je starben und je sterben werden, alle Geschichte der Einzelnen, der Völker und der Welt vor Gott hingetragen wird - in einem einzigen, alles umfassenden und unendlich weiten Geschehen. In dem "Gleichzeitig" verklärter Zeitlichkeit wird alle Geschichte in ihre Endgültigkeit hineingezeitigt - weil sie vor Gott selbst erscheint und weil Gott vor ihr erscheint. Gott macht in diesem "Augenblick" seine ewige Herrschaft der ganzen 116
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Vgl. Lk 11,49-51, wo dieses Vorstellungsschema sehr deutlich zugrunde liegt.
Welt offenbar, und er richtet in diesem "Augenblick" seine Herrschaft endgültig auf. Der universale und endgültige Charakter des Kommens der Gottesherrschaft ist also in unserem Modell wirklich festgehalten. 2. Wie die Universalität und die Endgültigkeit, so gehört nun aber auch die Nähe der Gottesherrschaft integral zur eschatologischen Botschaft Jesu. Jesus sagt eben nicht, die Gottesherrschaft werde irgendwann bestimmt kommen, sondern er sagt, daß sie so nahe ist, daß man sie bereits in ihren Zeichen erkennen kann. Er sagt, daß Gott jetzt handelt. Jede christliche Eschatologie muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie diese unmittelbare Nähe der Gottesherrschaft festhält. Mir scheint, daß unser Modell auch diesen zentralen und entscheidenden Aspekt der Botschaft Jesu so zu übersetzen vermag, daß nichts verlorengeht. Denn wir haben ja gesehen, daß ein reflektierter Zeitbegriff (der nicht einfach naiv davon ausgeht, daß jenseitige Zeit irdischer Zeit kommensurabel sei) notwendig dazu führen muß, die Eschata, nicht nur des einzelnen, sondern auch der Welt, im Tode selbst anzusetzen. Damit aber sind uns die Eschata unendlich nahe gekommen. Jeder Mensch lebt dann in der "letzten Zeit", denn er wird schon in seinem Tode am Ende aller Zeit und damit am Ende aller Geschichte ankommen. Jeder von uns wird schon sehr bald in seinem Tod nicht nur sein eigenes Gericht und seine eigene Auferstehung, sondern das Gericht über die Welt und die Auferstehung aller Toten und damit das endgültige Kommen der Gottesherrschaft erfahren. Unter solchen Aspekten ist christliche Naherwartung wirklich möglich, und zwar ist dies nun nicht mehr eine Naherwartung, die immer nur für eine Generation nachvollziehbar ist und die dann wieder stirbt, weil sie sich nicht erfüllt hat, sondern eine Naherwartung, die in jeder Generation realisiert werden kann. Es ist auch nicht eine vage Stetserwartung, wie sie manche Exegeten als charakteristisch für die Verkündigung J esu ausgegeben haben - eine Stetserwartung, die zwar ständig in Bereitschaft ist, aber doch nie das eigentliche Kommen Gottes erwarten darf -, sondern es handelt sich um wirkliche Naherwartung, die ihre Augen auf das endgültige Offenbarwerden Gottes richten und mit Paulus (Röm 13,11 f) sagen kann: "Jetzt ist das Heil näher als damals, da wir zum Glauben kamen. Die Nacht ist vorgerückt. Der Tag bricht an." übrigens behält in dieser stets lebendigen N aherwar77
tung das uralte Motiv der Plötzlichkeit und der Wachsamkeit seinen tiefen Sinn: nur ganz wenige Menschen kennen die Stunde ihres Todes. Schließlich erhält hier nun auch das moderne Interpretament, die Nahverkündigung Jesu besage nichts anderes, als daß Gott ständig auf uns zukomme, einen annehmbaren, weil konkreten Sinn: nicht nur, daß Gott "ständig" im Sterben der unzählig vielen Menschen richtend und verwandelnd auf die Geschichte als ganze zukommt und sie dabei zu sich selbst einholt; er kommt mit derselben Unmittelbarkeit auch "ständig" auf jeden Augenblick unserer individuellen Geschichte zu. Denn wir hatten ja gesehen, daß verklärte Zeit nichts anderes ist als Ernte unserer irdischen Zeit, als die Summe der in jedem Augenblick von uns gelebten und entschiedenen Gegenwart. Zwar enthält diese je und je gelebte Gegenwart erst im Tod ihre letzte Endgültigkeit, aber gerade der Tod wird dann auch enthüllen, wie sehr jeder Augenblick unserer Gegenwart schon immer in das Ende hineinstand. Hier erhält die biblische Aussage, daß wir täglich sterben 117, und hier erhält auch jede existentiale Eschatologie (etwa die R. Bultmanns) ihren letzten realontologischen Sinn. Eines muß nun freilich am Ende noch gesagt werden: Der hier vorgelegte eschatologische Entwurf, dessen Hauptintention es war, die Naherwartung Jesu in unser Welt- und Geschichtsbild zu übersetzen, ist ein Model!. Ein Modell sagt nie alles 118, und es ist vor allem stets
Vgl. 1 Kor 15,31; 2 Kor 4,11.16; 6,9. In unserem Modell wurde z. B. die Christologie bewußt ausgeklammert, weil es uns zunächst einmal darauf ankam, das Problem der Naherwartung bzw. Nahverkündigung Jesu von einem reflektierten Zeit- und Geschichtsverständnis her zu lösen. Man wende also nicht ein, daß die spezifische und singuläre Funktion der Auferweckung Jesu hier völlig ausfalle. Sie ließe sich in unser Modell ohne große Schwierigkeiten integrieren. Vgl. dazu den vorletzten Beitrag dieses Buches: "Was kommt nach dem Tod?" - Man wende auch nicht ein, bei unserer Konzeption werde die eschatologische Botschaft Jesu gerade ihrer Besonderheit und Einmaligkeit beraubt. Wenn unser Modell eine adäquate übersetzung der Botschaft Jesu sei, dann hätte Jesus schließlich nur erwas verkündet, was jeder Apokalyptiker sagen wollte und was man aus jeder jüdischen Apokalypse, wenn man sie nur richtig übersetze, herausholen könne. Auch dieser Einwand übersieht, daß wir nur eine bestimmte Schicht der Botschaft Jesu durchreflektiert haben: seine Botschaft von der zeitlichen Nähe Gottes. Jesus verkündet aber nicht nur die zeitliche Nähe Gottes, sondern die Nähe eines ganz bestimmten Gottes: eines Gottes, der die Sünder liebt, der die Verlorenen sucht, der endgültig und bedingungslos das Heil anbietet. Auf all das konnte verständlicherweise nicht eingegangen werden. 117
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auf Modifikationen und Verbesserungen angewiesen. Aber man sollte auch eines nicht vergessen: es gibt überhaupt keine Eschatologie, die nicht Modellcharakter hätte. Alle Entwürfe christlicher Eschatologie - vom 1. Thessalonicherbrief bis zu T eilhard de Chardin - sind Versuche' das Unsagbare sagbar zu machen und eine Wirklichkeit zu begreifen, die noch nicht offenbar geworden ist. Das ist die eine Seite. Andererseits bewegen sich all diese Versuche nicht im Feld bloßer Beliebigkeit. Sie haben sich zu orientieren an den zwei Grunddaten des Christentums: an der Verkündigung Jesu und am Glauben der neutestamentlichen Gemeinden. Wir haben versucht, das Grunddatum der Verkündigung Jesu ganz ernst zu nehmen. Aber wie steht es mit dem Glauben der frühen Kirche? Vermag auch er unser Modell zu bestätigen? Es gibt ein Phänomen, das schon seit langem die Aufmerksamkeit der historischen Exegese erregt: obwohl die neutestamentlichen Gemeinden in einer teilweise sehr hochgespannten eschatologischen Erwartung lebten, hat das Ausbleiben der Parusie offensichtlich nie eine radikale Grundlagenkrise ihres Glaubens ausgelöst 119• Jesus und seine Jünger hatten erwartet, daß Gott noch in dieser Generation handeln würde; sie hatten proklamiert, daß die Gottesherrschaft in kürzester Zeit anbrechen würde. Aber Jesus wurde hingerichtet, und die Gottesherrschaft blieb aus. Wieso ist eigentlich der urchristliche Glaube an alldem nicht zerbrochen? Die Antwort kann nur lauten: Aufgrund der Auferweckung Jesu und aufgrund der Art, wie die Auferweckung J esu in der urchristlichen Verkündigung interpretiert wurde. Auferweckung Jesu hieß nämlich im Sinne urchristlichen Verständnisses nichts anderes als: Gott hat bereits gehandelt. Er hat seine Herrschaft bereits aufgerichtet. Er hat zumindest in dem einen Menschen J esus - die allgemeine T otenauferweckung bereits begonnen. In dem auferweckten Jesus hat der neue Äon, hat die neue Schöpfung bereits ihren Anfang genommen 120. Vgl. E. Gräßer (s.o. Anm. 9) 28A34; E. Brunner (s.o. Anm. 88) 141f. Daß die Urkirche so denkt, zeigt sich allein schon in dem sehr wohl zu beachtenden Phänomen der Adaption des universal-eschatologischen terminus "Auferstehung von den Toten" auf Jesus. Eine narrative Ausfaltung des beschriebenen urkirchlichen Verständnisses findet sich inMt27, 51-53. Im übrigen ist vor allem auf die paulinische Theologie zu verweisen. 119
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Nur aufgrund dieses Glaubens blieb der urchristlichen Eschatologie eine radikale Grundlagenkrise erspart, und erst aufgrund dieses Glaubens hat die urchristliche Eschatologie ihre entscheidende Struktur erhalten. Das Eschaton liegt nun nicht mehr wie noch im Alten Testament oder in der Apokalyptik in der reinen Zukunft. Schon bei Jesus war diese reine Zukunftsstruktur der Eschatologie abgelöst worden von einer spannungsreichen Dialektik zwischen Gegenwart und Zukunft: die Gottesherrschaft steht noch aus, aber sie wirkt schon in die Gegenwart hinein. Die Urkirche schließlich mußte aufgrund der Auferwekkung Jesu noch einmal modifizieren. Sie war überzeugt: das endzeitliche Handeln Gottes ist schon geschehen; es ist jetzt absolute Realität und bleibende Gegenwart. Die Zukunft kann nur noch enthüllen, was Gott schon getan hat und was er schon ständig tut. Es ist klar, daß man bei einem solchen Sachverhalt christliche Eschatologie nicht mehr einfach ungeschützt und unmodifiziert als Modell künftiger noch absolut ausständiger Wirklichkeit bezeichnen kann. Das entscheidende Handeln Gottes hat ja in der Auferweckung Jesu bereits stattgefunden. Man wird also besser von einem RealModell sprechen; von einem Modell, das bereits geschehene, erfahrene und bezeugte Realität mit der noch ausständigen Zukunft zu einem einheitlichen Entwurf verbindet. Maßgebend für dieses Realmodell christlicher Eschatologie ist so neben der Botschaft Jesu auf jeden Fall auch das, was an ihm selber in Tod und Auferstehung geschehen ist und von den urchristlichen Zeugen erfahren wurde. Und da ist nun festzustellen: In dem Realmodell christlicher Eschatologie, das J esus selber ist, folgt nach urchristlichem Verständnis auf den Tod unmittelbar die Auferweckung von den Toten, also das, was im Judentum zur allgemeinen Eschatologie gehörte. Im Tode J esu also wird der neue Äon, die neue Schöpfung und das eschatologische Handeln Gottes angesetzt. Haben wir hier nicht eine überraschend präzise Bestätigung für die Richtigkeit unseres Entwurfs? Der kirchliche Glaube hat zwar bei Jesus haltgemacht und die eschatologische Grundstruktur, die er an Jesu Geschick abgelesen hatte, dann - von Ausnahmen abgesehen 121_ 121 Eine solche dogmatisch herausgehobene Ausnahme ist nach katholischer Lehre Maria. Aber - ist hier nicht wiederum exemplarisch herausgehoben, was für alle Gläubigen gilt? Vgl. auch G. Greshake (s.o. Anm. 50) 401.
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nicht auf alle Christen übertragen. Vielleicht hing das damit zusammen, daß Jesus viel zu sehr als die absolute Ausnahme gesehen wurde. Aber müßten wir, für die Jesus viel stärker auch der exemplarische Mensch, der Mensch schlechthin, geworden ist, diesen Schritt nun nicht endlich tun, nämlich begreifen, daß das, was an J esus geschah, an uns allen geschehen wird: daß Gott uns aus dem Tode unmittelbar in die Vollendung aller Geschichte befreien wird und daß wir deshalb zusammen mit dem irdischen Jesus das unmittelbar bevorstehende Eingreifen Gottes erwarten dürfen!
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III Das Verhältnis "Unsterblichkeit der Seele" und "Auferstehung des Leibes" in problemgeschichtlicher Sicht! Von Gisbert Greshake
1. Der Ursprung der doppelpoligen Eschatologie
Von ihrem Ursprung her sind "Unsterblichkeit der Seele" und "Auferstehung des Leibes" - beides Formulierungen und Vorstellungsbilder menschlicher Hoffnung, die über den Abbruch des Todes hinausgreift - einander nicht zugeordnet, sondern es sind zwei grundsätzlich verschiedene Totalantworten auf die Frage nach einer möglichen überwindung der Todesgrenze. Unsterblichkeit der Seele: das ist ursprünglich die griechische, näherhin platonische Antwort auf die Frage . nach einer Zukunft über den Tod hinaus 2; und Auferstehung: das ist die ursprünglich hebräisch-biblische Antwort auf die gleiche Frage 3 . 1 Den dritten Teil dieses Beitrags bildet im wesentlichen meine Antrittsvorlesung an der Katholisch-Theologischen Fakultät, Wien: "Die Alternative ,Unsterblichkeit der Seele' oder ,Auferstehung der Toten' als ökumenisches Problem". Die übrigen Teile sind Kapitel aus meiner Vorlesungsreihe "Geschichtstheologie und Eschatologie", die ich im SS 1974 in Wien gehalten habe; einige Passagen daraus wurden bereits in meiner Arbeit "Auferstehung der Toten" (Essen 1969) vorgelegt. 2 Wenn hier griechische und platonische Anthropologie praktisch identifiziert werden, so ist der Einspruch von]. Pieper, Tod und Unsterblichkeit, in: Pro Veritate, hrsg. v. E. Schlink und H. Volk (Münster - Kassel 1963) 166ff, der Leib-Seele-Dualismus entstamme weniger der Anthropologie Platons als der des Platonismus, wohl zu hören. Zudem darf, wenn von griechischer Anthropologie im Zusammenhang mit der Eschatologie die Rede ist, nicht vergessen werden, daß die platonische Unsterblichkeitsüberzeugung keineswegs die allgemeine Auffassung des Hellenismus war. Vgl. dazu H. Echternach, Auferstehung und Unsterblichkeit, in: UnS 18 (1963) 228. Sowohl von der aristotelischen als auch skeptischen und epikuräischen Philosophie her drang in den ersten christlichen Jaluhunderten eine nihilistische Todesauffassung ins Volk "und fand dort ihre Entsprechung in den überresten primitiver Anschauungen vom Tod als der totalen Vernichtung des menschlichen Seins":]. A. Fischer, Studien zum Todesgedanken in der Alten Kirche, Bd. I (München 1954) 17; siehe auch 38. 3 Vgl. dazu G. Greshake, Auferstehung der Toten (Essen 1969) 213ff.
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Zwei verschiedene anthropologische und kosmologische Denk- und Vorstellungsmodelle werden zur Veranschaulichung und begrifflichen Artikulation der gleichen Hoffnung benutzt 4 • Aus dieser ursprünglichen Beziehungslosigkeit beider Hoffnungskonzepte wird jedoch bereits im Spätjudentum und vollends in der Entwicklung der frühchristlichen Theologie eine bewegte, sich zu einem Einheitlich-Ganzen komplementierende Korrelation. Ja, man kann sagen, daß die Anthropologie, die das Werden der kirchlichen Lehrtradition und die Vorstellungen des Glaubens hinsichtlich der Zukunft über den Tod hinaus geprägt hat, seit den Anfängen des Christentums durch ein spannungsvolles Zueinander von griechischer und hebräischer Anthropologie gekennzeichnet ist. Die griechische Anthropologie ist unter dem Einfluß platonischer Gedanken durch einen deutlichen Leib-Geist-Dualismus charakterisiert. Der Mensch ist hiernach zusammengesetzt aus Leib und Seele, aus Materie und Geist. Dabei ist der Leib das gegenüber der Seele Niedrigere, ja, das die Seele und ihre Tätigkeit Hemmende, Fesselnde und Versklavende. Er kommt damit in die Nähe des Bösen, denn er ist das, was den Menschen unfrei macht und nicht zu sich selbst, zur eigenen (geistigen) Identität und zur vollen Teilhabe an der ewig-göttlichen Welt des Geistes kommen läßt (soma-sema). Sich dem Leiblich-Materiellen und seinen Bedürfnissen und Begierden zu entziehen und die Freiheit des Geistes in der größtmöglichen Loslösung von den materiellen und zeitlichen Bedingungen anzustreben stellt sich als die eigentliche menschliche Lebensaufgabe. Diese findet ihre Erfüllung erst im Tod, da sich die Seele als das eigentliche Selbst des Menschen vom Leib trennt. Dieser vergeht, die Seele aber kann nun auf vollendete Weise, wie es ihrer unsterblichen Natur entspricht, teilhaben an der Welt des Geistigen, Ewigen und Göttlichen 5. Gegenüber dem dualistischen Menschenbild des Griechentums ist das hebräische ganzheitlich und schöpfungstheologisch bestimmt 6. 4 Daß beide Denkmodelle nicht monolithische Blöcke sind, sondern mannigfache geschichtliche Varianten aufzeigen, welche Anknüpfungspunkte zueinander eröffnen, sei dabei ausdrücklich betont. 5 Vgl. H. Karpp, Probleme altchristlicher Anthropologie (Gütersloh 1950) 32ff. 6 Für die hebräische Anthropologie vgl. außer den Theologien des AT und den entsprechenden Artikeln des ThWNT O. Schilling, Der Jenseitsgedanke im Alten Testament
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Die verschiedenen anthropologischen Bezeichnungen der Bibel (wie z. B. nefesch, ruach und basar) beziehen sich nicht auf verschiedene, im Menschen zu unterscheidende Substanzen, die erst zusammengesetzt den einen Menschen ausmachen, sondern sie bezeichnen nur Aspekte am einen und ganzen Menschen, der als Einer und Ganzer lebt und als Einer und Ganzer stirbt. Darum richtet sich die Hoffnung nicht auf eine sich im Tode vom Leib trennende unsterbliche Seele, sondern auf die Auferstehung des Leibes, d. h. auf die Auferstehung des einen und ganzen Menschen, der kraft dessen, daß er "Leib" ist, an Welt, Geschichte und Gemeinschaft gebunden ist. Schon im vorchristlichen Spätjudentum dringt im Zuge des griechischen Kultursieges hellenistische Anthropologie in den hebräisch-biblischen Bereich vor. Die Idee einer unsterblichen Geistseele wird mancherorts, aber nicht allgemein übernommen, vor allem um den Gleichklang zwischen jüdischer und außerjüdischer Hoffnung, was die überwindung der Todesgrenze angeht, hervorzuheben, um sich die Situation des Menschen zwischen Tod und endzeitlicher Auferstehung des Leibes vorzustellen und um die Identität des Menschen zwischen Tod und Auferstehung zu sichern und denkbar zu machen. Das NT schließt sich in seinen anthropologischen Vorstellungen weitgehend (nicht ausschließlich) an das ursprünglich hebräisch-biblische Verständnis an 7. Dabei steht es aber schon - vor allem im paulinischen und spätkanonischen Schrifttum - in polemischer Auseinandersetzung mit häretischen Tendenzen, die, vom griechischen Denken herkommend, die Leiblichkeit und Geschichtlichkeit des Menschen überspielten und mißachteten. Diese Tendenzen finden wir wenig später in geschlossenen gnostischen Systemen artikuliert. Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß der Gnostiker die christliche Erlösung deutet als die Befreiung des pneumatischen Selbst vom Leib, dessen Bedingungen und der als "Fremde" empfundenen Welt. Verliert die Seele im Tod den letzten Kontakt zur knechtenden Materie, so kann sie die (Mainz 1951) 19ff; ders., Geist und Materie in biblischer Sicht (Stuttgart 1967); J. Scharbert, Fleisch, Geist und Seele im Pentateuch (Stuttgart 1966). 7 Vgl. die Artikel von E. Schweizer in: ThWNT; ferner die Monographien von A. Sand, Der Begriff "Fleisch" in den paulinischen Hauptbriefen (Regensburg 1967); G. Dautzenberg, Sein Leben bewahren (München 1966); B. Reicke, Body and Soul in the New Testament, in: StTh 19 (1965) 200-212; Schilling, Geist (s.o. Anm. 6) 15ff.
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"Himmelsreise" beginnen, zurück in das Reich des Geistes, aus dem sie präexistierend gefallen war. Typisch für die gnostische Eschatologie war mithin das Fehlen, ja die Ablehnung einer Auferstehung des Leibes. Um aber dem biblischen Text gerecht zu werden und überhaupt einen Platz in der christlichen Gemeinde zu behalten, deuten die Gnostiker weithin die Auferstehung der Toten spiritualistisch um. Dieser Sachverhalt dürfte bereits in der korinthischen These erscheinen: "Es gibt keine Auferstehung der Toten" (1 Kor 15,12). Hinter dieser Auffassung steht wahrscheinlich die Begründung: "Sie ist ja schon geschehen in der sakramentalen Weihe und ereignet sich an mir und für mich jeweils im pneumatischen Erleben, das ja der Ausweis der Erfüllung ist." 8 Ähnlich finden wir in 2 Tim 2, 18 die gnostische These: "Die Auferstehung hat bereits stattgefunden." Von dieser Problemlage her wurde die frühchristliche "orthodoxe" Eschatologie (und damit die Theologie überhaupt), zumal in ihrer begrifflichen Ausarbeitung, durch die Auseinandersetzung mit gnostischen Vorstellungen und Zukunftserwartungen innerhalb der eigenen (christlichen) Reihen nachhaltig geprägt. In dieser Auseinandersetzung geschah - wie bei vielen anderen geistesgeschichtlichen Auseinandersetzungen - zweierlei: Man stellt sich auf den Boden der gegnerischen These und übernimmt damit deren Begriffs- und Vorstellungsweh und korrigiert, negiert und modifiziert die gegnerischen Thesen kritisch. Konkret für unsere Fragestellung bedeutet dies: Man übernahm vor allem das damals verbreitete und von den Gnostikern in ihren Dienst gestellte Leib-Seele-Modell und stellte, um den Glaubensaussagen vom Schöpfergott der sichtbaren Welt, von der Inkarnation, von der Erlösung im Fleisch und von der Bedeutung des welthaft-Ieiblichen Handelns gerecht zu werden, poLemisch-korrigierend die Bedeutung des Leiblichen und Geschichtlichen heraus. Mit sicherem Blick sah man, daß dies methodisch am besten von der Eschatologie her gelingt. Denn so wie sich von der Vollendung her am deutlichsten die dualistischweltfeindliche Bestimmtheit des gnostischen Denkens erweist, so läßt sich in der kirchlichen Theologie durch die Herausstellung der "Auferstehung des Leibes" am klarsten die Werthaftigkeit der ganzen Schöpfung und zumal die Bedeutung von Leib, Weh und Geschichte 8
H. Schlier, Die Zeit der Kirche (Freiburg i.Br. 21958) 149.
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aufweisen. Deshalb wird der Kampf gegen die Gnosis gerade von der Eschatologie, und zwar im besonderen von der "Auferstehung des Leibes" als dem großen "Praeconium carnis" (Tertullian) aus geführt. Kein Wunder, daß die leibliche Auferstehung der Toten "das häufigste monographische Thema der vorkonstantinischen Theologie [ist]; es gibt kaum ein Werk der frühkirchlichen Literatur, das nicht von der Auferstehung spricht"9. Dabei wird, um jede gnostische Verflüchtigung und interpretierende Verwischung (etwa durch eine spiritualistische Umdeutung der Leibesauferstehung auf eine "geistige" Auferstehung hin) auszuschließen, die Auferstehung der Toten in eine Auferstehung des Fleisches, ja sogar "dieses Fleisches", das wir nun tragen, polemisch umgedeutet 10. Die Genese und Sinnspitze dieser Herausstellung des "Leiblichen" ist wohl zu beachten. Es geht primär nicht eigentlich um isolierte Aussagen über den Modus der Vollendung, sondern durch die Akzentuierung der Vollendung der Leiblichkeit als Leiblichkeit und der welthaft geschichtlichen Verfaßtheit des Menschen als solcher wird die materiell-leibliche Schöpfung auch als herkün/tig und gegenwärtig gut A. Stuiber, Refrigerium interim (Bonn 1957) 10l. Vgl. A.Adam, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. I (Gütersloh 1965) 161: "Deutlich ist die antignostische Betonung, die den Begriff ,Auferstehung des Fleisches' geprägt hat." - Zur Problemgeschichte der Formulierung "Auferstehung des Fleisches" vgl. G. Kretschmar, Auferstehung des Fleisches, in: Leben angesichts des Todes, H. Thielicke zum 60. Geburtstag (Tübingen 1968) 101-137; J. Moingt, Immortalite de l'ärne et/ou resurrection, in: Lumiere et Vie 107, XXI (1972) 65-78; vgl. auch Greshake (s. o. Anrn. 3) 312 ff. - Die kirchlichen Lehräußerungen dieser und späterer Zeit, die diesen Terminus benutzen, sind zusammengestellt in DS, S. 925, Index syst. L 7b. - Diese antidualistische und deshalb ultraphysizistische Tendenz, die sich in der Alten Kirche näherhin als antignostisch und antimanichäisch artikuliert, setzt sich im Mittelalter fort in der Abwehr leibfeindlicher Sekten, wie z.B. der Katharer. Vgl. zum Ganzen auch E. Gutwenger, Auferstehung und Auferstehungsleib Jesu, in: ZKTh 91 (1969) 44ff: "Die Kirche bezog Stellung gegen die vorn manichäischen Dualismus vorgebrachten Ansichten. Sie verwarf die Annahme, daß die Auferstehung im früheren, irdischen Leib deshalb nicht stattfinden könne, weil dieser Leib vorn bösen Urprinzip herstamme und deshalb keinen Anteil an der Vollendung und Verherrlichung haben könne ... Es handelt sich also bei der pointierten Hervorhebung der Identität des irdischen Leibes mit dem Auferstehungsleib um eine vorn ontologischen Dualismus provozierte Lehre." - Es gibt freilich außer der antignostischen Intention noch eine andere Quelle der Formulierung "Auferstehung des Fleisches", nämlich die unpolemisch-alttestamentliche. Sarx ist dann die übersetzung des hebräischen basar, das den Menschen in seiner Hinfälligkeit meint. Vgl. Kretschmar (s.o. Anm. 10) 106ff. 9
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und gottgewollt erwiesen. Nur so auch kann die Wahrheit der Menschwerdung und Erlösung sowie die Sinnhaftigkeit und höchste Bedeutsamkeit des geschichtlich-konkreten Handelns gewahrt bleiben. Nichts, aber auch gar nichts geht in der Vollendung verloren: das ist der Sinn dieser oft befremdlich physizistischen Aussagen über die Identität zwischen Erden- und Auferstehungsleib. Denn mag man schon weithin im Judentum die Auferstehung der Toten in massiver Realistik als öffnung der Gräber und Belebung der Gebeine verstanden haben 11, so muß erst recht die antignostische Polemik gegen alle Weisen sublimer Verflüchtigung den Akzent auf die Vollendung dieser Materie als Materie legen und so die Auferstehung notwendig zu einem massiv-materiellen, physizistisch-sichtbaren Geschehen machen, das erst am "Jüngsten Tag" zu erwarten ist 12 • Der Gedanke einer Auferstehung unmittelbar im bzw. nach dem Tode mußte im Kontext der damaligen Auseinandersetzung notwendig gnostisch und häretisch erscheinen, da eine solche "Auferstehung" zwangsläufig als verbale Scheinaussage ("delirium": DS 540) der Gnostiker verstanden werden mußte, da sie praktisch der gnostischen "Unsterblichkeit der Seele" gleichkam - einer Seele nämlich, die unmittelbar im oder nach dem 11 Spuren dieser massiv-physizistischen Auffassung von der Auferstehung, wie sie vermutlich dem Volksglauben entsprach (vgl. M. Brändle, Mußte das Grab Jesu leer sein?, in: Or. 31 [1967] 111), findet man im ganzen NT (vgl. Mt 22,30; 1 Kor 15,50), jedoch immer so, daß ein derartiger Physizismus abgewiesen wird. Zu 1 Kor 15,50 sagt H. Lietzmann-W. G. Kümmel, An die KorintherI-II (Tübingen 41949) 86, zu Recht: "V. 50 stellt als Ergebnis fest, daß der jüdische Gedanke an eine Auferstehung dieses fleischlichen Leibes abzuweisen ist." Dazu auch Greshake (s.o. Anm. 3) 285. 12 Beispiele gnostischer Interpretation der Fleischesauferstehung (bzw. Auferstehung im Fleisch) bei Kretschmar (s. o. Anm. 10) 121 ff. - Für die massiv physizistische Sicht der Auferstehung bei Irenäus siehe J. Piiitron, Die Auferstehung des Fleisches und das Gericht über die Toten bei Irenaeus von Lyon (unveröffl. Diss.) (Münster 1969) 63ff. Nach Irenäus steht der Mensch mit "Knochen, Nerven und Sehnen" auf, mit Organen, die so wirklich selbig sind, wie die Organe, die J esus bei seinen Wunderheilungen wiederherstellte. Selbst die Anfälligkeit für Krankheiten bleibt! Dabei mußte den in antignostischer Polemik befangenen Vätern 1 Kor 15,50 unendliche Schwierigkeiten bereiten, denn hier sprach die Schrift gegen sie. So sagt Irenäus, daß alle Gnostiker diesen Vers benutzen, "um darzutun, daß das Geschöpf Gottes nicht gerettet werden könne": V, 9, 1 (= Harvey II, 342ff). Deswegen muß gerade diese Stelle in gewaltsamen Verdrehungen interpretiert werden. - Ebenso ist auch die ultraphysizistische Sicht des Auferstehungsleibes bei Augustin (vgl. De civ. D. XXII 14 [= ce 48,835f]) von seiner Polemik gegen dualistische Häretiker her zu erklären. Vgl. K. E. Börresen, Augustin, interprete du dogme de la n!surrection, in: StTh 23 (1969) 153ff.
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Tod die Himmelsreise begann, Leib, Welt und Geschichte verachtend hinter sich lassend. Dennoch führte die antignostische Betonung der Auferstehung des Leibes nicht zur völligen Ablehnung der Seelenunsterblichkeit, im Gegenteil. Der schon alttestamentliche Gedanke, daß der Mensch "nach Gottes Bild und Gleichnis" ge;chaffen und ihm ähnlich ist, deshalb auch Anteil an seiner Unsterblichkeit erlangt hat und "für immer" von Gott gerufen und erwählt ist, ließ sich vortrefflich im Begriff und in der Vorstellung der "Seelenunsterblichkeit" fassen. Hinzu kam, daß die neutestamentliche Uberzeugung, daß derChrist bereits im Tod zur Christusgemeinschaft gelangt (wenngleich die Heilsvollendung erst am "Jüngsten Tag" erwartet wird 13), geradezu einen "Zwischenzustand" des Menschen erfordert, der noch nicht volles und endgültiges, wohl aber ein vorläufiges, das Sehnen des Menschen erfüllendes Heil bedeutet. Zur begrifflichen Auslegung und Vorstellung dieses "Zwischenzustandes" bedient sich die frühchristliche Theologie ebenfalls des hellenistischen Leib-Seele-Modells. Seit Justin wird in der christlichen Theologie der Tod bestimmt als Trennung der Seele vom Leib 14. Die Seele überdauert dabei das Ende des Menschen und erwartet in einem unterirdischen, je nach Maßgabe der sittlich-religiösen Bewährung verschieden qualifizierten Zwischenzustand das endgültige Gericht und die Auferstehung des Fleisches als die Vollendung der Seligkeit, während der Leib bis dahin der Vergänglichkeit anheimgegeben ist. Hinter der Unsterblichkeits- und Zwischenzustandsidee der Alten Kirche stehen also drei Grundüberzeugungen: 1. daß der Mensch für immer vor Gott steht und deshalb auch unentrinnbar vor das (individuelle und universale) Gericht Gottes zu treten hat; 2. daß der Mensch im Tod bereits zur Heilsgemeinschaft mit Christus gelangen kann, wenngleich die Fülle des Heils an die universale Vollendung geknüpft ist; 3. daß die menschliche Identität zwischen Tod und endgültiger Heilsvollendung keinen Bruch erfährt. Die Aussagen über den Zwischenzustand der Seele sind am Anfang der Vätertheologie sehr zurückhaltend und unsicher 15. Einmal weil sich das Interesse auf die baldige Parusie und die Auferstehung am 13 14 15
Vgl. zu diesem Problemkreis Greshake (s.o. Anm. 3) 296ff, 310ff, 315ft. Nachweise bei Fischer (s.o. Anm. 2) 26f, 37. Vgl. dazu und zum folgenden Fischer (s.o. Anm. 2) 226f, 234.
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WeItende konzentrierte, und zum andern weil das NT, die Hauptquelle der Väter, über diesen Zustand kaum etwas aussagte. So griff die Spekulation der Väter anfangs auf die in sich uneinheitlichen jüdischen und hellenistisch-heidnischen Vorstellungen zurück oder brachte eigene Auffassungen hervor. Das Hauptanliegen aber blieb, gegenüber gnostischen (und manchen heidnischen) Jenseitsvorstellungen immer wieder zu betonen, daß das Los des Menschen nach dem Tod "nicht den Eingang in die vollendete Seligkeit oder Bestrafung ... bedeute" 16. Deswegen wird die Zeit des "Zwischen" der Seelenunsterblichkeit oft gerade in ihrer Defizienz gegenüber der künftigen Auferstehung negativ qualifiziert. So gesehen, ist der Zwischenzustand ein unterscheidendes Spezifikum zwischen kirchlicher und gnostischer Lehre. "Leibliche Auferstehung nach dem Zwischenzustand im Hades gegenüber der himmlischen Unsterblichkeit durch den Seelenaufstieg: das ist das entscheidende Gegensatzpaar, das christliche Theologie von den gnostischen Systemen ohne mögliche übergänge scheidet." 17 Die "Zwischenzeit" der unsterblichen Seele als vorläufig und defizient zu char
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Während der Hadesaufenthalt der Seele bis zur Auferstehung des Leibes die orthodoxe Antwort auf die unmittelbar nach dem Tod stattfindende gnostische Himmelsreise der Seele war, wurde von Anfang an für den Märtyrer ein besonderes Los angenommen. Das gleiche gilt auch für die Patriarchen, Propheten und sonstige qualifizierte Personen: sie alle sind die "appendices dominicae resurrectionis" und schon jetzt bei Christus im himmlischen Reich, also nicht im Hades, in der Vorläufigkeit 19 . Sie sind schon ganz vollendet. Zwar wird dieser vollendete himmlische Aufenthalt von manchen Theologen heute als "leiblos" interpretiert, so daß auch diesem besonderen Personenkreis die Auferstehung des Leibes noch bevorstünde. Doch sind an dieser Interpretation erhebliche Zweifel möglich. Die ältere Auffassung dürfte entweder die sofortige, vollendete Gottes- und Christusgemeinschaft im Tod als Teilgabe an der Auferstehung Christi und somit als Auferweckung verstanden 20 oder überhaupt über die anthropologische Situation nicht reflektiert haben; erst später, da man unter dem Einfluß der Gnosis gedrängt war, die Differenz zwischen vorläufiger Vollendung im Tod und endgültiger Vollendung bei der Auferwekkung des Leibes hervorzuheben, wurde die Gottes- und Christusgemeinschaft der "appendices dominicae resurrectionis" vermutlich als Vollendung der Seele verstanden. So tut es gewiß Cyprian, bei dem ein wichtiger Wendepunkt der eschatologischen Vorstellungen des Westens festzustellen ist. Nach Cyprian gelangen nicht nur die Märtyrer sofort zu Christus, sondern auch die gottgeweihten Jungfrauen und die Asketen (die "unblutigen Märtyrer") und schließlich auch alle Lehre, nach welcher auch die Seele im Tod stirbt. Vgl. dazu Fischer (s.o. Anm. 2) soff, 153ff, 181ff; Refoule (s.o. Anm.16) 27ff; M. Schmaus, Unsterblichkeit der Geistseele oder Auferstehung von den Toten?, in: Pro Veritate, hrsg. v. E. Schlink u. H. Volk (Münster - Kassel 1963 ) 311 f; P. Bissels, Die frühchristliche Lehre von der Sterblichkeit der Seele, in: TThZ 76 (1967) 322-329; ders., Die Unsterblichkeits lehre im altchristlichen Verständnis, in: TThZ 78 (1969) 296-304. 19 Vgl. dazu Fischer (s.o. Anm. 2) 256; Stuiber (s.o. Anm. 9) 76; vor allem aber die Arbeit von H. Zeller, Corpora Sanctorum, in: ZKTh 71 (1949) 385-465 und ihre Kritik von A. Winklhofer, Corpora Sanctorum, in: ThQ 133 (1953) 30-67,210-217. 20 Für Mt 27,52f vgl. die Arbeit von Zeller. Bzgl. der paulinischen Auffassung vom Erreichen des christlichen Hoffnungsgutes vgl. außer Greshake (s. o. Anm. 3) 296ff (Lit.) c.-H. Hunzinger, Die Hoffnung angesichts des Todes (Tübingen 1968) 69-88; P. Benoit, Auferstehung am Ende der Zeiten oder gleich nach dem Tod?, in: Conc. 6 (1970) 719-724; für Ignatius von Antiochien siehe Greshake (s.o. Anm. 3) 364 2
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Christen, die ein rechtes, gewissenhaftes Leben geführt haben. "In der Verfolgung wird der Kriegsdienst gekrönt, im Frieden das Gewissen", sagt Cyprian 21 • Damit gibt es keinen Zwischenzustand im Hades mehr, sondern unmittelbar nach dem Tod kommen die Seelen der Gerechten in die himmlische Herrlichkeit zu Christus. Sie sind in Frieden, frei von allen Anfechtungen, vollendet. Nur die Auferstehung, die ihnen gewiß ist, steht noch aus. Damit hat sich nach anfänglichem, deutlich antignostischem übergewicht der Auferstehung des Leibes doch die hellenistische Vorstellung von der Vollendung des Menschen in der Seligkeit seiner Seele unmittelbar nach dem Tod durchgesetzt. Zwar wird die Auferstehung des Leibes nicht geleugnet, im Gegenteil, ihre Erwartung bleibt das entscheidende Korrektiv gegen die gnostisch-dualistische Leugnung oder Verflüchtigung der Wahrheit des "caro cardo salutis" (Tertullian). Und doch tritt die Hoffnung auf die endzeitliche Auferstehung der Toten "existentiell" zurück gegenüber der Sehnsucht nach der himmlischen Heimat der Seele, die man im Tod zu erreichen hofft. Vor allem über die vom Neuplatonismus beeinflußte Theologie Augustins gingen diese Vorstellungen in die Frühscholastik und Scholastik über 22 . 2. Die philosophische und theologische Reflexion
zur Zeit der Scholastik Die frühchristliche Lehrentwicklung stellte die scholastische philosophische und theologische Reflexion 23 vor zwei äußerst schwierige Probleme, welche die weitere Formung und Erarbeitung der systematischen Eschatologie wesentlich bestimmten: die Diastase zwischen der Hoffnung auf die Seligkeit der Seele unmittelbar nach dem Tod einerseits und der Erwartung auf die Auferstehung des Leibes am Ende der Geschichte andererseits führte zur Frage nach der genaueren VerhältAd Fortunaturn 13 (= ce 3,216). Vgl. F. P. Fiorenza - J. B. Metz, Der Mensch als Einheit von Leib und Seele, in: MyS II, 609ff. 23 Vgl. besonders R. Heinzmann, Die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung des Leibes (Münster 1965) und H. J. Weber, Die Lehre von der Auferstehung der Toten in den Haupttraktaten der scholastischen Theologie (Freiburg i. Br. 1973). - In bei den Werken ausführliche weitere Literaturangaben. 21
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nisbestimmung der Seligkeit der Seele und der endgültigen Vollendung des Menschen bei der Auferstehung; und zweitens forderte die behauptete Identität zwischen Erden- und Auferstehungsleib eine eingehendere Erklärung und begriffliche Vertiefung. Was den ersten Problemkreis angeht, so weist H. J. Weber 24 , gestützt auf eine Reihe fundierter Untersuchungen, darauf hin, daß trotz des stark neu platonischen Einflusses auf die Frühscholastik auch hier der Mensch als Einheit aus Leib und Seele betrachtet wird. Die Seele ist pars hominis, nicht der Mensch selbst (auch wenn in der Frühscholastik die Seele des Menschen gelegentlich "Person" genannt werden kann). Das bedeutet, daß auch in der Frühscholastik die Tatsache, daß die Seele unsterblich ist und somit nicht vom Tod erfaßt werden kann, keine Verharmlosung des Todes besagt - es stirbt wirklich der Mensch - und daß das Weiterleben der Seele bei Gott noch nicht die vollendete Seligkeit des Menschen bedeutet. Allerdings konnte diese fundamentale überzeugung erst in der thomanischen Anthropologie, welche das aristotelische materia-forma-Schema modifiziert übernimmt, indem sie es seines bei Aristoteles noch anhaftenden Dualismus entkleidet, voll zur Geltung kommen. Die Grundbestimmung der thomanischen Anthropologie ist die These: anima - forma corporis. Das bedeutet, daß Seele und Leib nicht zwei Wirklichkeiten im Menschen sind, sondern daß Menschsein nur in der lebendigen Leib-Seele-Einheit besteht, worin der Existenzakt der Seele (ihr "esse") der Existenzakt des Leibes und des ganzen Menschen ist. Bei Thomas besteht also der Mensch nicht aus Leib und Seele, er ist nicht zusammengesetzt, sondern "wirklich ist vielmehr immer nur der eine und ganze Mensch, ganz Seele und ganz Leib zumal, so daß sowohl die Aussagen über die Seele wie über den Leib suppositiv für den ganzen Menschen stehen können" 25. Die Wirklichkeit des Leibes des Menschen ist "nichts anderes als seine wirkliche Seele, insofern diese nur dadurch wirklich sein kann, daß sie sich selbst ausdrückt und darstellt in einer vorgegebenen Raumzeitlichkeit ... Von der einen und ständig ganzen Wirklichkeit des Menschen her gesehen, ist deshalb der Leib nicht einfach etwas anderes als die Seele, sondern diese selbst in ihrer ,Außenerfahrung', 24
Weber (s. o. Anm. 23) 127ff. B. Metz, Seele, in: LThK IX, 570f.
25 ].
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in ihrer welthaften, raumzeitlichen Selbstgegebenheit."26 Wegen dieser "Leibhaftigkeit" der Seele ist Materialität, Sinnlichkeit, Zeitlichkeit, Verflochtenheit mit allem anderen raumzeitlich Gegebenen, kurz: Geschichtlichkeit nicht etwas dem Menschen Hinzugefügtes, sondern ursprüngliche, ontologisch notwendige Weise des menschlichen Selbst. Darum bedeutet der Tod, auch wenn er weiterhin als Trennung von Seele und Leib beschrieben wird, das Ende des ganzen, wirklichen Menschen, nicht eines Teils des Menschen. Denn obzwar das Sein der Seele nicht vernichtet wird, wenn das Wesen Mensch stirbt (eine überzeugung, die Thomas durch die Realdistinktion von esse und essentia einsichtig macht 27 ), so gilt doch für das hochscholastische Denken, wie H. J. Weber zu Recht bemerkt: "Das größte übel für jegliches Seiende liegt in seiner Vernichtung. Im Tod aber hört der Mensch auf zu sein, als Mensch verfällt er dem Nichts, so daß die Hochscholastik unter diesem Gesichtspunkt nur den Ganztod lehrt, da allein die lebendige Einheit aus Leib und Seele Person und Mensch ist ... Ganz und gar tritt der Tod die Herrschaft an; der Zustand des Leibes und der Seele ist ein tödlicher, insofern nach der Lehre von der Einheit der Form der Leib gänzlich aufhört zu sein und die Seele zu einem Krüppelwesen verstümmelt wird." Das Angelegtsein der Seele auf den Leib "bleibt erhalten und ruft einen appetitus naturalis hervor, der sogar die Seligkeit beeinträchtigt, solange er nicht durch die Auferstehung gestillt ist ... Die Fortdauer des Geistes wird keineswegs als Ersatz für die Auferstehung angesehen, vielmehr ist jene Bedingung für diese. Nur so konnte man sich einen Zwischenzustand vorstellen, das BeimHerrn-Sein auch vor dem Tag des Herrn begreiflich machen."28 Somit steht auch hier hinter der Lehre von der Seelenunsterblichkeit und vom Zwischenzustand sowohl die neutestamentliche überzeugung von der Christusgemeinschaft unmittelbar nach dem Tod als auch die Denknotwendigkeit, einen Identitätsträger zwischen Tod und Auferstehung angeben zu können 29 . Was das zweite aus der frühchristlich-antignostischen Theologie der Scholastik aufgegebene Problem: den Aufweis der Identität des Erden26
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Ders., Caro cardo salutis, in: Hochland 55 (1962) 103f. Vgl. dazu Weber (s. o. Anm. 23) 145f. Ders. (s.o. Anm. 23) 164ff; 172. Vgl. dazu auch J. Pieper, Tod und Unsterblichkeit, in: Cath. 13 (1959) 99f.
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und Auferstehungsleibes, angeht, so wird dies das "Auferstehungsproblem schlechthin" 30, in das ein großer Aufwand von spekulativer Kraft und naturwissenschaftlicher Analytik investiert wird. Zu einer zufriedenstelIenden Lösung weist auch hier erst die "neue" thomanische Anthropologie den Weg: Da allein die Seele die materia (prima) des Leibes formiert, d. h. die materia überhaupt erst zum menschlichen Leib gestaltet, bedeutet die Auferstehung des Leibes nicht die "Hinzufügung" von etwas "in sich" Existierendem (Materie) zur "in sich" existierenden Seele, sondern die neue informatio von Materie durch die Seele zum neuen Strukturganzen einer menschlichen Person. Die Selbigkeit des Auferstehungsleibes ist also garantiert durch die Selbigkeit der Seele. Anders gesagt: Die Identität von irdischem und auferstandenem Leib ist bei Thomas nicht "numerische", sondern "formale" Identität, oder besser: "numerische" durch "formale" Identität 31 • Damit entfällt an sich die Möglichkeit (und Notwendigkeit) über die Selbigkeit der Leibesmaterie als Materie zu spekulieren. Doch hat Thomas diese Konsequenzen selbst noch nicht radikal ausgezogen, da er noch annimmt, daß bei der Auferstehung des Leibes die Seele im allgemeinen wieder die gleiche Materie informieren wird, die sie schon in ihren Erdentagen informiert hat. Sosehr Thomas in seinen Grundansätzen auch genuin biblische Anliegen wieder aufnimmt, so sehr zeigt sich aber auch gerade in der Bewältigung der Eschatologie die Grenze des griechischen Materiaforma-Schemas. Der griechische Dualismus ist bei ihm zugunsten des biblischen Monismus korrigiert, aber nicht überwunden. Es bleibt der Dualismus eines per se vergehenden Leibes und einer per se unsterblichen Seele. Dieser verbleibende Dualismus aber führt zu erheblichen Denkschwierigkeiten 32. Weber (s.o. Anm. 23) 219. Diese thomanische Grundauffassung, die Thomas selbst nicht bis ins Letzte durchhält (vgl. ScG IV, 81), wonach die Identität der Materie nicht in der Selbigkeit des Stoffes besteht, sondern durch die Identität der Form vermittelt ist, führt Durandus von Porciano weiter. Durch ihn wurde diese urtümlich thomanische Anschauung theologiegeschichtlich wirksam. Vgl. zu diesem Fragenkreis auch Weber (s.o. Anm. 23) 232-243. 32 Selbst]. Pieper, Tod und Unsterblichkeit, in: Pro Veritate, 290, gibt zu: "Es ist zweifellos nicht leicht, die Unzerstörbarkeit der Seele zusammenzudenken mit dem, was Thomas über den Tod als das Ende des wirklichen Menschen sagt." Und auch Pieper findet keine eigentliche Lösung dieses Problems. 30
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1. Obwohl- thomanisch - die Seele die unica forma corporis ist, muß dem nach der Trennung der Seele im Tod verbleibenden Leichnam noch eine Form (oder viele) zugesprochen werden, die jene im Augenblick ihres Scheidens aus sich entläßt 33. 2. Die Seele überdauert die Trennung. Sie ist in ihrem überdauern nicht menschliche Person, sondern etwas vom Menschen (pars naturae) und deswegen in ihrer Subsistenz fern vom Körper geradezu in einem naturwidrigen Zustand 34. Um in dieser Naturwidrigkeit existieren zu können (um z.B. irgendwelche Erkenntnisakte ohne Leiblichkeit setzen zu können), müssen die Funktionen der Leiblichkeit durch Gott mirakulös ersetzt werden 35. 3. Die Unsterblichkeit der subsistierenden Seele, die für Thomas per se, naturaliter gilt, stößt sich hart mit der Gratuität der Auferstehung des Leibes. Dies zeigt sich deutlich an folgendem Syllogismus: "Est igitur contra naturam animae absque corpore esse. Nihil autem quod est contra naturam, potest esse perpetuum. Non igitur perpetuo erit anima absque corpore. eum igitur perpetuo maneat, oportet eam corpori iterato coniungi: quod est resurgere. Immortalitas igitur animarum exigere videtur [!] resurrectionem corporum futurarn." Diese letzte einschränkende Schlußfolgerung ist un-logisch, d. h. durch nichts aus der Logik des Syllogismus begründet. Sie dürfte aus theologischen Gründen, um der Gratuität der Auferstehung willen gesetzt sein 36• 33 Näheres siehe z.B. bei P.Siwek, Psychologia metaphysica (Rom 51956) 536. 34 Vgl. STh I, 29,1 ad 5; Pot. 9,2 ad 14 und öfter; ScG IV, 79. 35 Vgl. Siwek (s.o. Anm. 33) 489f; G. Siewerth, Der Mensch und sein Leib (Einsiedeln 21963) 78. 36 ScG IV, 79. - Weber (s.o. Anm. 23) 200 gibt diese Ausführung, die ich schon in meiner Arbeit "Auferstehung der Toten" 367 machte, völlig unzutreffend wieder, wenn er bemerkt, ich "kritisiere" damit Thomas und interpretiere in Unkenntnis der scholastischen Voraussetzungen das "videtur" falsch. Dagegen erwecken seine diesbezüglichen Ausführungen erhebliche Zweifel, ob er die betreffenden thomanischen Stellen richtig zur Kenntnis genommen hat. In ScG IV, 81 ad 6 bemerkt Thomas: "Resurrectio naturalis est quantum ad finem, inquantum naturale est animae esse corpori unitarn: non autem quantum ad principium activum ... Dicitur resurrectio supernaturalis esse ex parte agentis". Daraus folgt: Die Auferstehung ist insofern für Thomas nicht schlüssig zu beweisen, als sie nicht "natural" ist, d. h., insofern sie von der virtus divina supernaturalis abhängt. Dagegen ist der Aufweis der Exigenz natural und somit an sich schlüssig beweisbar, und eben darum ist das "videtur" un-Iogisch. Wenn es dennoch eingefügt ist, so bleibt allein übrig, daß Thomas die Diastase zwischen einer demonstrierten naturalen Exigenz
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Alle drei Denkschwierigkeiten resultieren im Grunde aus einer bei Thomas noch verbleibenden dualistischen Konzeption des LeibSeele-Verhältnisses . Es kommt hinzu, daß trotz aller "Widernatürlichkeit", in der sich nach Thomas die leibfreie Seele befindet, diese doch in "vollkommener Seligkeit" gedacht wird. Thomas von Aquin bemerkt dazu: "Was die vollkommene Seligkeit angeht, die in der Anschauung Gottes besteht, so haben einige behauptet, daß sie der Seele nicht zukommen kann ohne ihren Leib ... Das aber ist offenbar falsch ... Es ist klar, daß die von den Leibern getrennten Seelen der Heiligen im Lichte wandeln und Gottes Wesenheit schauen, worin die wahre Seligkeit besteht ... Weil darum die vollkommene Seligkeit des Menschen in der Schau der göttlichen Wesenheit besteht, hängt die vollkommene Seligkeit des Menschen nicht vom Leib ab. Daher kann die Seele ohne Leib selig sein. Aber man muß wissen, daß zur Vollkommenheit einer Sache etwas auf zweifache Weise gehören kann. Erstens kann es gehören zur Wesenskonstitution einer Sache, so wie die Seele zum vollkommenen Menschsein erforderlich ist ... Zweitens gehört zur Vollkommenheit einer Sache, was sich auf die bessere Qualität seiner Wirklichkeit bezieht; so gehören z. B. die Schönheit des Leibes und die Schnelligkeit des Geistes zur Vollkommenheit des Menschen. Obgleich also der Leib nicht auf die erste Weise zur Vollkommenheit der menschlichen Seligkeit gehört, so gehört er doch zu ihr auf die zweite Weise."37 Nach Thomas wird also zwar die Seligkeit der Seele durch den Leib gesteigert, aber das hindert ihn nicht daran, von der vollkommenen Seligkeit der Seele zu sprechen. Darum ist es fraglich, ob die Vorläufigkeit der Seligkeit der Seele in den hochscholastischen Traktaten so pointiert herausgestellt werden kann, wie Weber dies tut 38 . Von der Auffassung, daß die leibfreie Seele des Menschen vollkommen selig ist, gibt auch die Bulle "Benedictus Deus" von Benedikt XII. Zeugnis und legt jene als verbindliche Glaubenslehre vor, indem sie (von der Thomas sogar sagt: "absolute loquendo, nata est [anima] etiam ab agente naturali uniri corpori": ebd.) und der göttlichen Gratuität schließen will. 37 5Th I/II, 4,5. 38 Weber (s. o. Anm. 23) 202ff. - Mit welchem Recht kann, wo Thomas von Aquin von der beatitudo perfecta spricht, diese interpretierend ausgelegt werden als "Durchgangsstufe niederen Ranges" (217)?
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gegen die anderslautenden Predigten Johannes' XXII., der für die Verstorbenen einen nur vorläufigen, auf die Vollendung am Jüngsten Tag ausgerichteten Heilszustand annahm, definierte: "Die Seelen aller Heiligen ... sind und werden sein im Himmel und im Paradies sofort nach ihrem Tod oder nach der Reinigung ... Und nach dem Leiden und dem Tod unseres Herrn Jesus Christus schauten und schauen sie die göttliche Wesenheit in unmittelbarer Schau und auch von Angesicht zu Angesicht, ohne Vermittlung eines Geschöpfes, das dabei irgendwie Gegenstand der Schau wäre. Ohne Vermittlung zeigt sich ihnen vielmehr die göttliche Wesenheit unverhüllt, klar und offen. In dieser Schau sind sie erfüllt von dem Genuß der göttlichen Wesenheit. Und durch diese Schau und durch diesen Genuß sind die Seelen der schon Verstorbenen wahrhaft glücklich im Besitze des Lebens und der ewigen Ruhe." 39 Wenn auch Benedikt XII., wie aus seinem Traktat "De statu animarum sanctarum ante generale iudicium" hervorgeht 40, die extensive und intensive Steigerung des Heils bei der Auferstehung des Leibes nicht ausschließt, so hat doch dieses Lehrdokument in der weiteren Entwicklung der Spätscholastik und beginnenden Neuzeit wesentlich dazu beigetragen, die christliche Hoffnung auf das Heil der individuellen Seele unmittelbar nach dem Tod und nicht auf die Auferstehung des Leibes am Ende der Geschichte zu richten und die Auferstehung des Leibes eher als integralen "Anhang" der bereits erreichten Seligkeit der Seele zu betrachten. Diese überzeugung, wie auch die anderen Grundstrukturen der traditionellen Eschatologie halten sich in der Folgezeit, ohne eine nennenswerte Entwicklung aufzuzeigen, durch 4oa • DS 1000; NR 901ff. Vgl. F. Wetter, Die Lehre Benedicts XII. vom intensiven Wachstum der Gottesschau (Rom 1958). Siehe zu diesem Problemkreis auch F. Lakner, Zur Eschatologie bei Johannes XXII., in: ZKTh 72 (1950) 326ff. 40a Zu dieser Aussage ist allerdings zu bemerken, daß sie ein Stück weit hypothetisch ist, da Spezialuntersuchungen über die katholische Eschatologie in der Zeit zwischen der Spätscholastik und der beginnenden Neuzeit m. W. nicht vorliegen. Erst die Eschatologie des 19. Jh. ist von P. Müller-Goldkuhle, Die Eschatologie in der Dogmatik des 19. Jahrhunderts (Essen 1966), genauer untersucht. 39
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3. Die Wende in der evangelischen Theologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Erst zu Anfang dieses Jahrhunderts bahnt sich eine entscheidende Wende an. Statt der traditionellen Zuordnung von Seelenunsterblichkeit und Leibesauferstehung wird die These" ,Auferstehung des Leibes' und nicht ,Unsterblichkeit der Seele'!" zum entscheidenden Schibboleth neuerer evangelischer Theologie. "Auferstehung gegen Unsterblichkeit" heißt der Schlachtruf biblisch-evangelischer Rechtgläubigkeit gegen alle Formen einer "natürlichen" Eschatologie 41. Der problemgeschichtliche Ort dieser Alternative ist der Protest der Dialektischen Theologie gegen die Philosophie der Aufklärung und ihre Folgen im 19. Jahrhundert. Die Aufklärungsphilosophie und -theologie hatte die Unsterblichkeit der Seele als unzerstörbare Eigenschaft des menschlichen Wesens proklamiert. Nach Kant erfordert die Vollkommenheit des sittlichen Wesens einen, wie er sagt, "unendlichen Progressus", ein unendliches Weitergehen, das nur - so Kant"unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt) möglich" ist. überdies erfordert die sittliche Weltordnung die überwindung der Diskrepanz zwischen Tugend und Lebensgeschick 42 • Somit postuliert die sittliche Natur des Menschen, also das Wesen des Menschen selbst, Unsterblichkeit. Der Mensch ist unsterblich. Diese überzeugung von der dem Menschen zu eigenen Unsterblichkeit ist, wie C. Stange dies einmal formuliert hat, "das eigentliche Zentraldogma der Aufklärung" 43. Ja mehr noch: der Gedanke der menschlichen Unsterblichkeit wird zur Mitte der aufgeklärten Religiosität des 19. Jahrhunderts. D. F. Strauß bemerkt dazu bissig: "Den ganzen reichen Hausrath der kirchlichen Eschatologie überläßt das moderne Ich ohne sonderliche Gemüthsbewegung dem kritischen Brande, zufrieden, aus demselben seine nackte Fortdauer 41
Siehe zum folgenden besonders
J.
Pieper, Tod und Unsterblichkeit, in: Cath. 13
(1959) 81-100; ders., Tod und Unsterblichkeit, in: Pro Veritate, 274-293; ders., Tod und Unsterblichkeit (München 1968); A. Ahlbrecht, Tod und Unsterblichkeit (Paderborn 1963). Hier auch weitere Literatur. 42 Kritik der praktischen Vernunft, WW VI, hrsg. v. W. WeischedeI (Darmstadt 1968) 252ff. 43 Die Unsterblichkeit der Seele (Gütersloh 1925) 105.
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nach dem Tode zu retten. Mit Continuität des Bewußtseins, versteht sich; sonst würde es ja nicht als Ich fortbestehen. Dieser Unsterblichkeitsglaube ist die Seele der jetzigen Gefühls- und Verstandesreligiosität: der gebildete Fromme läßt sich eher noch seinen Gott und Christus, als die Hoffnung auf Fortdauer nach dem Tode nehmen ... "44 Diese Unsterblichkeitsüberzeugung der Neuzeit konnte sich bis zu einer geradezu pathetischen Selbstsicherheit steigern; das zeigt etwa folgender Text Fichtes: "Das, was man Tod nennt, kann mein Werk nicht abbrechen; denn mein Werk soll vollendet werden, und es kann in keiner Zeit vollendet werden, mithin ist meinem Daseyn keine Zeit bestimmt, - und ich bin ewig. Ich habe zugleich mit der Uebernehmung jener großen Aufgabe die Ewigkeit an mich gerissen. Ich hebe mein Haupt kühn empor zu dem drohenden Felsengebirge, und zu dem tobenden Wassersturz, und zu den krachenden in einem Feuermeere schwimmenden Wolken, und sage: ich bin ewig, und ich trotze eurer Macht! ... Zerreibet im wilden Kampfe das letzte Sonnenstäubchen des Körpers, den ich mein nenne; - mein Wille allein mit seinem festen Plane soll kühn und kalt über den Trümmern des Weltalls schweben; denn ich habe meine Bestimmung ergriffen, und die ist daurender, als ihr; sie ist ewig, und ich bin ewig, wie sie."45 Das Pathos und die titanische Sicherheit, die hinter solchen Worten stehen, zeigen klar: der Tod ist für solches Denken eine Episode; er kann dem Menschen nichts anhaben, das Eigentliche im Menschen ist unzerstörbar, es trotzt dem Tode. Der Mensch hat Selbstrnacht über den Tod hinaus. Nur vor diesem Hintergrund ist der Protest der sogenannten Dialektischen Theologie zu verstehen. Die Dialektische Theologie, jene Erneuerungsbewegung der evangelischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg, setzt gegen allen angemaßten Selbstand und alle Selbstsicherhei t des Menschen und zumal auch gegen den Anspruch eines Ich, das sich als selbstrnächtigen, kontinuierlichen Processus in die Ewigkeit hinein versteht, ihr bedingungsloses Nein. Zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen sterblichem Geschöpf und unsterblichem Gott· klafftunaufhebbar der "unendliche qualitative Abstand", wie die DiaChristliche Glaubenslehre, Bd. Il (Tübingen 1841) 697. Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 3. Vor!., Gesamtausgabe der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Bd. III (Stuttgart - Bad Cannstatt 1966) 50. 44 45
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lektische Theologie oftmals in Anschluß an Kierkegaard sagt. Von sich aus ist der Mensch im Tod. Seine Prädikate sind Nichtigkeit und Sinnlosigkeit. Der Sünder hat sein Leben, seinen Sinn und sein Sein verwirkt. Aber gerade da, wo und wenn der Mensch am Ende ist, da kann sich der reine Neuanfang ereignen. Einem Blitzstrahl gleich kommt Gott auf den Menschen zu und berührt offenbarend und erlösend die Todeslinie des menschlichen Daseins, gleich wie die Tangente den Kreis berührt, aber nie in ihn eintritt: Alles Bilder aus dem Werk des frühen K. Barth 46. Nur wenn der Mensch am Ende ist, dann kann das geschehen, was Auferstehung bedeutet 47, daß nämlich - so Barth"das, was wir nicht sind, identisch gesetzt wird mit dem, was wir sind: die Toten lebendig, die Zeit Ewigkeit, das Seiende Wahrheit, die Dinge real"48. Was heißt das? Gemeint ist hier mit Auferstehung nicht ein Endgeschehen auf der horizontalen Zeitstrecke, also ein Geschehen am "Jüngsten Tag", sondern gemeint ist mit Auferstehung die nur von Gott her mögliche, aber zu jeder Zeit mögliche dialektische Aufhebung des unendlichen qualitativen Abstandes zwischen Gott und Mensch. Wenn der wahre Ausgangspunkt unserer Situation vor Gott der ist, daß der Mensch im Tod steht, Gott aber das Leben ist, so kann nur von Gott und von ihm allein her diese Antithese zwischen ihm und dem Menschen aufgehoben werden. Und eben das ist Auferstehung. Auferstehung bedeutet also Erlösung des nichtigen Menschen, Aufnahme des Gottfernen in die Beziehung zu Gott, "Aufdeckung des Sinns der Welt"49. Der Augenblick, da die Toten auferstehen, ist mithin für K. Barth nicht der Zeit letzter Augenblick, sondern "ihr telos, ihr unzeitliches Ziel und Ende" 50. Damit ist klar: die biblische Aussage von der Auferstehung der Toten ist in der Dialektischen Theologie zur Chiffre geworden, zur Chiffre für die absolute Todesverfallenheit und Ohnmacht des sündigen Menschen einerseits und für die absolute Jenseitigkeitund Unverfügbarkeit der Erlösung andererseits. Was also Der Römerbrief (München 1922) 8 u. ö. Vgl. K. Barth, Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke (1920), in: Anfänge der dialektischen Theologie I, hrsg. v. J. Moltmann (München 1962) 71. 48 Die Auferstehung der Toten (Zollikon-Zürich 41953) 62. 49 Barth, Biblische Fragen (5. o. Anm. 47) 73. - Näheres dazu bei Greshake (5. o. Anm. 3) 55ff. 50 Barth, Biblische Fragen (s.o. Anm. 47) 72f. 46
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vom biblischen Begriff Auferstehung der Toten aufgenommen wird, ist nicht die inhaltliche Vorstellung eines endzeitlichen Spectaculums, da die Toten mit ihren Leibern auferstehen 5 1, sondern es ist allein das (apokalyptische) Vorstellungsbild der absoluten Jenseitigkeit, Vertikalität und Transzendenz göttlichen Handelns. Da wir die Toten sind und Gott allein der ist, der in uns neues Leben wecken kann, ist Auferstehung die allein zutreffende Bezeichnung für das, was zwischen Gott und Mensch geschieht. "Auferstehung der Toten" ist "eine Umschreibung des Wortes ,Gott' "52. Von der U nsterblichkei t des Menschen sprechen, das würde dagegen heißen: vom Menschen reden, von seinem vermessenen, titanischen Können und Vermögen, bruchlos die Todeslinie seines Daseins selbst zu überspringen. Unsterblichkeit, das würde heißen: Kontinuität, Selbstrnacht, Analogie des Menschen gegenüber Gott 53 • Solches Reden von Unsterblichkeit nimmt nicht wahr, daß der Mensch vor Gott im Nichts steht. Diesem Sachverhalt trägt allein das Wort von der Auferstehung Rechnung, welches bedeutet: creatio ex nihilo, Neuschaffung des Menschen, Affirmation des unendlichen Abstandes zwischen menschlicher Ohnmacht und göttlicher Macht. Auferstehung heißt "von Gnaden allein". Es ist also von großer Wichtigkeit zu sehen, daß die emphatische Alternative Unsterblichkeit oder Auferstehung 5 4, wie sie in der Theologie der Gegenwart aufbrach, ihren Ursprung nicht primär in religionswissenschaftlichen oder exegetischen Einsichten hatte, auch nicht in philosophischen oder anthropologischen Schwierigkeiten mit der traditionellen Lehre. Ja, diese Alternative hat nicht einmal in der Eschatologie im engeren Sinn ihren theologischen Ort. Der eigentlich wirksam gewordene Ursprung der Alternative ist vielmehr, wie gezeigt Sl S2
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Ders., Römerbrief 486; ders., Auferstehung 58f. Ders., Auferstehung 112. Vgl. ders., Auferstehung 66f.
Der Ton liegt auf "emphatisch". Denn bereits vor der Zeit der Dialektischen Theologie wurde gelegentlich im protestantischen Raum die These von der "Vernichtung" des Menschen im Tod laut, so z.B. bei K. Heim, C. Stange, A. Schlatter. Vgl. dazu Ahlbrecht (s.o. Anm. 41) 13. Daß diese These gerade in der evangelischen Theologie entstand, ist nicht von ungefähr. Bereits bei Luther findet sich eine skeptische Haltung gegenüber der Philosophie mit ihren Unsterblichkeitsbeweisen und statt dessen eine biblisch-christologische Konzentration der gesamten Eschatologie. Siehe Ahlbrecht (s. o. Anm. 41) 26ff. 54
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wurde, die Soteriologie der Dialektischen Theologie, d. h. genauer der radikalisierte reformatorische Protest der "sola gratia" und des "solus Deus" gegen alle angern aß te Selbstmächtigkeit des Menschen. Dieser Protest bedient sich eschatologischer Kategorien, die damit zu Chiffren werden zur Bezeichnung des Wesensverhältnisses von Gott und Mensch. Dennoch wurde bereits in den zwanziger Jahren diese ursprünglich soteriologische Alternative von einigen protestantischen Theologen, wie z.B. von P. Althaus 55 und E. Brunner, angewendet auf die spezifische Krise des Menschen in seinem leibhaftigen Tod. Was vom Verhältnis Gott-Mensch überhaupt ausgesagt werden muß, daß absolute menschliche Ohnmacht vor absoluter göttlicher Macht steht, das kommt im Sterben des Menschen zeichenhaft heraus. Der Tod bedeutet totales Ende des Menschen; nichts vermag über diesen Abgrund zu retten, wenn nicht die absolut unverfügbare erweckende Macht Gottes. Darum hat sich die christliche Hoffnung auf die Auferstehung zu richten; auf die Unsterblichkeit der Seele bauen würde gerade eine Möglichkeit des Menschen gegenüber Gott und damit eine unmögliche Möglichkeit bedeuten. Diese Anwendung und Extrapolation der ursprünglich soteriologischen Grundformel: Auferstehung gegen Unsterblichkeit auf die Eschatologie im engeren Sinn 56, ist seither auch nach dem Ende der Dialektischen Theologie für einen Großteil, wenn nichtfür den größten Teil der protestantischen Theologie bestimmend geblieben. Der Mensch wird danach in seinem Sterben ganz und gar vom Tod erfaßt; der Tod ist annihilatio, es gibt nichts am oder im Menschen, was den Tod überdauert, keine unsterbliche Seele, nichts. Was bleibt, ist allein Gottes Treue, d.h. das Verhalten Gottes zum Men55 P. Althaus, Eschatologisches, in: ZSTh 12 (1935) 612, wehrt sich allerdings dagegen, von Barth beeinflußt gewesen zu sein: "Nicht Barth war es, der diese Welle in unsere nordischenGewässer trieb; er wurde selber von einer Welle getragen, die früher und breiter war, als seine Arbeit und seine Wirkung." Das mag richtig sein; siehe dazu auch unsere Anmerkung 53. Doch wurden Arbeit und Wirkung von Althaus ihrerseits getragen vom Strom Barthscher Theologie. 56 Ein deutliches Beispiel für diese Applikation des ursprünglicheren soteriologischen Gedankens ist bei H. Thielicke, Tod und Leben (Tübingen 1946) 220, zu finden: "Wie Luther das ... Fortschreiten im Glauben oft als annihilatio bezeichnet, so wird man auch die Existenz nach dem Tode in bezug auf das Wie oder Was der Existenzform als eine annihilatio verstehen dürfen, die von der Größe des Herrn lebt, der im Tode nicht läßt."
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schen ohne Beziehungsträger auf menschlicher Seite. Die Formulierung, die Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik gebraucht: Was vom Menschen bleibt ist "weder ein göttliches noch ein geschöpfliches Etwas, sondern ein Tun und Verhalten des Schöpfers seinem Geschöpf gegenüber" 57, darf beispielhaft stehen für den größten Teil gegenwärtiger protestantischer Theologie 58 . Wenn aber der Mensch im Tod ganz und gar vom Nichts erfaßt und allein durch Gottes erweckende Macht wieder neu ins Dasein gestellt wird, was ist dann zwischen Tod und Auferweckung? Es stellt sich also das Problem des Zwischenzustandes in aller Schärfe neu. Die Antworten der evangelischen Theologie sind unterschiedlich. Einige Theologen, z. B. Stange, Althaus, Brunner, vertraten eine Auffassung, die auch von einigen katholischen Theologen übernommen wurde, daß nämlich jeder Sterbende aus der Zeit in die Zeitlosigkeit Gottes hineinstirbtund somit im Tod auch sofort den Jüngsten Tag und die Totenerweckung erreicht. Andere evangelische Theologen nehmen eine zeitliche Erstreckung zwischen Tod und Auferstehung an. Aber was ist dann in dieser Zeit mit den Toten? Für eine Reihe protestantischer Theologen muß dieser Zwischenzustand als eine Art Seelenschlaf ausgelegt werden; das ist z. B. die ausdrückliche Meinung von P. Althaus 59 und O. Cullmann 60 • Für viele andere dagegen ist und bleibt der Mensch im Tod vernichtet, und Gott in dieser Zwischenzeit bis zur Auferweckung der - so H. Ott 61 - "einzig in Frage kommende Sinn-Träger" des durch den Tod vernichteten menschlichen Daseins. Gott - der einzige Sinnträger des durch den Tod vernichteten menschlichen Daseins: in dieser Formulierung wird wohl handgreiflich deutlich, daß damit die Konsequenzen spezifisch protestantischer Soteriologie ausgezogen sind: Gott verhält sich zum Geschöpf, ohne daß das Geschöpf selbst Mitträger, Partner, Gegenüber einer solchen Beziehung sein kann. Diese primär soteriologisch begründete Ablehnung der Seelenun57 58
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Kirchliche Dogmatik III, 2,428. VgL dazu die (oben Arun. 41) angeführte Arbeit von Ahlbrecht. Auferstehung, in: RGG 1,698. Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? (Stuttgart - Berlin 31964). Eschatologie (Zollikon 1958) 53.
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sterblichkeit zugunsten der Auferstehung des Leibes fand ihre stärkste Unterstützung in den Ergebnissen der neueren Exegese. Diese stellte den Unterschied zwischen hebräischer und griechischer Anthropologie heraus und entzog damit dem bisherigen Todesverständnis als Trennung von Seele und Leib und damit auch der Unsterblichkeitsidee den exegetischen Boden. Ferner wies die Exegese auf die exklusive Bindung der christlichen Hoffnung an die Auferstehung J esu hin, weshalb der Christ auf die Totenauferweckung und nicht auf die Seelenunsterblichkeit hofft. Hinzukam, daß die Voraussetzungen der abendländischen Metaphysik, innerhalb weIcher die Idee der Seelenunsterblichkeit ihre Plausibilität hatte, zerbrachen und vom naturwissenschaftlichen Denken her die Vorstellung einer leibfreien Seele sich immer mehr als Ungedanke erwies. So kam es, daß sich die schroffe Entgegensetzung von Unsterblichkeit und Auferstehung - wie der evangelische Theologe W. Trillhaas behauptet - "in der letzten Generation bis zu einer selbstverständlichen These verstärkt, weIche jeder Theologe [= protestantische Theologe] zu vertreten hat" 62. Wir müssen zum tieferen Verständnis der Alternative Unsterblichkeit oder Auferstehung noch eirien Schritt weitergehen. Die Alternative hat nicht nur, wie bisher gezeigt wurde, ihren letzten und entscheidenden Grund in einer bestimmten, nämlich in der protestantischen Soteriologie. Die Soteriologie ihrerseits ist aufs engste· verbunden mit einer bestimmten Christologie, deren Ansatz zumindest bei den Theologen der Lutherischen Tradition pointiert kreuzestheologisch ist, d. h. allein in der Dialektik von Kreuz und Auferstehung gründet. Kurz skizziert, stellt sich die hier gemeinte theologische Denkform so dar: Der Erlöser nimmt im Kreuzestod das auf sich, was das menschliche Leben in Wahrheit und ohne Schein und Einbildung ist: Ohnmacht, Scheitern, Nichtigkeit. Indem er diese entlarvende Wahrheit des Menschen in Gehorsam, Hingabe und Vertrauen auf Gottes Treue und Macht auf sich nimmt und sich selbst bereitwillig "nichten" läßt, antwortet Gott durch das Geschehen der Auferweckung. Muß also der Tod Jesu als totale annihilatio verstanden werden, so ist die Auferstehung die creatio absolute nova, die absolute Neuschöpfung. Es gibt keine Kontinuität. Der Sohn wird im Tode ganz vernichtet, ja er kann 62
Einige Bemerkungen zur Idee der Unsterblichkeit, in: NZSTh 7 (1965) 146.
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· den Tod nur deshalb besiegen, wenn er ganz stirbt und nicht einfach - wie Cullmann bemerkt - "als unsterbliche Seele weiterlebt, also im Grunde nicht stirbt" 63. Der Identitätspunkt zwischen Kreuz und Auferstehung liegt, wie auch J. Moltmann herausstellt, "nicht in der Person Jesu, sondern extra se, in dem Gott, der aus dem Nichts [!] Leben undneues Sein schafft" 64. Das Nichts des Sohnes im Tod, die Verhältnislosigkeit, die durch seinen Tod entsteht, ist gerade die Bedingung der Möglichkeitfür die Offenbarung der radikalen Liebe Gottes: "Wo alles verhältnislos geworden ist, schafft nur die Liebe neue Verhältnisse, wo alle Beziehungen abgebrochen sind, schafft nur die Liebe neue Beziehungen", formuliert E. Jüngel 65 in diesem Zusammenhang. Die radikale Negation des Todes gewährleistet sozusagen, mit Hegel gesprochen, die radikale Negation der Negation, d. h. die absolut neuschaffende Liebe Gottes. Weil Jesus den Ganztod stirbt und damit die griechische Idee der Unsterblichkeit als Projektion selbstischer menschlicher Wünsche entlarvt 66 , läßt sich die Alternative Auferstehung oder Unsterblichkeit sozusagen bildhaft anschauen im Kontrast der Sterbeszene von Sokrates und Jesus. Dies hat Cullmann 67 sehr eindrucksvoll gezeigt, und viele andere, z.B. auch Jüngel 68 , sind ihm darin gefolgt. Hie, bei Sokrates, der "schöne Tod", "der Tod als Freund der Seele", der in wunderbarer Harmonie, in der Sicherheit, über den Tod weiterzuleben, gestorben wird, dort, bei Jesus, der Tod als eine Katastrophe, vor der geweint, gezittert und geschrien wird. Hie harmonischer übergang, dort Vernichtung und Neuschöpfung. Aber eben nur so Neuschöpfung, weil vorher Vernichtung. Nur in dieser Dialektik von Kreuz und Auferstehung, die alle geschöpfliche Vermittlung und Kontinuität ausschließt, werden Soteriologie, Eschatologie und Christologie sachgemäß ausgelegt. Diese Grundüberzeugung geht auch ein in eine Reihe neuester geschichtstheologischer Entwürfe protestantischer Theologie. Für J. Moltmann z.B. eröffnet die Auferstehung Jesu nur als unableitbarvertikale, die horizontal-scheiternde Geschichte treffende Tat Gottes
Cullmann, Unsterblichkeit (5. o. Anm. 60) 29. Theologie der Hoffnung (München 51965) 182. 65 Tod (Stuttgart - Berlin 1971) 139. 66 Vgl. Cullmann (s.o. Anm. 60) 13f. 67 Ebd. 23ff. 68 Jünge! (s.o. Anm. 65) 57ff. 63 64
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wirkliche Zukunft. Nicht der vom Menschen her entworfene U nsterblichkeitsgedanke, der ja im An -Wesenden gründet, sondern nur Auferstehung als Negation der Negation und absolutes Novum stiftet Geschichte. "Die Offenbarung Gottes in Kreuz und Auferstehung", so Moltmann 69, "wird damit zum Spielraum der Geschichte, in welchem das Versinken aller Dinge ins Nichts [!] und die neue Schöpfung als möglich erscheinen." Versinken aller Dinge ins Nichts und Eröffnung einer radikalen neuen Zukunft, dafür steht Auferstehung gegen Unsterblichkeit. P. Schütz, dessen Entwurf in wichtigen Zügen dem Moltmannschen sehr nahe kommt, betont ausdrücklich, daß "Negation der Negation" nicht hegelianisch verstanden werden dürfe 70. Zwischen der Negation des Todes und der Negation der Negation (Auferstehung) waltet kein dialektischer übergang, keine Aufhebung im Sinne des conservare, vielmehr - so Schütz -: "Das Leben läuft leer aus. "71 Somit wird in der protestantischen Theologie durch die Alternative Auferstehung oder Unsterblichkeit das Heilshandeln Gottes als das unableitbar und unvermittelbar allein von Gott her kommende Ereignis gegen alle Weisen einer irgendwie gearteten geschöpfIichen Vermittlung, Kontinuität oder eines geschöpfIichen Selbstandes herausgestellt. Auferstehung gegen Unsterblichkeit, das ist somit die Proklamation der Unvermittelbarkeit und Unverfügbarkeit des Heils gegen alle kreatürlich angemaßte Vermittlung. U nvermittelbarkeit ist aber nicht nur ontisch gemeint, sondern auch noetisch, erkenntnistheoretisch. Die Neuschöpfung durch Auferstehung ist nicht nur ohne Anknüpfungspunkt im menschlichen Sein, sie ist auch ohne Anknüpfungspunkt im Erkennen. Die christliche Hoffnung, die sich als Auferstehung artikuliert, kann nicht philosophisch, Theologie der Hoffnung 206. - In seiner "Antwort auf die Kritik der Theologie der Hoffnung", in: Diskussion über die "Theologie der Hoffnung" von Jürgen Moltmann, hrsg. v. W.-D. Marsch (München 1967) 221, bringt Moltmann eine gewisse Korrektur: "Das Eschaton ist nova creatio, jedoch nicht [I] ex nihilo, sondern - genauer gesagteine Schöpfung aus dem Nicht-mehr-Sein, und darum Auferweckung der Toten und anakephalaiosis aller ins Vergängliche gestürzten Dinge. " Jedoch ist von neuen Dualismen anderer Art sein neuestes Werk "Der gekreuzigte Gott" (München 1972) voll. Vgl. dazu auch die Diskussion zwischen J. Moltmann und W. Kasper in: ThQ 153 (1973). 70 P. Schütz, Was heißt - "Wiederkunft Christi"? (Freiburg i.Br. 1972) 28. 71 Ebd. 29. 69
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intellektuell verantwortet werden, sondern begegnet nur als skandalöser Anspruch der Glaubensverkündigung, als spes contra spem. Ein Leben jenseits der Todesschwelle ist allein Gegenstand von Glaube und Hoffnung. Darum auch kann man sich getrost allen Einsprüchen von seiten der Philosophie oder der Naturwissenschaften gegen eine mögliche überwindung des Todes aussetzen, ja ihnen sogar recht geben. In der Ungreifbarkeit unableitbarer christlicher Hoffnung ist das Hoffnungsgut unangreifbar geworden. Mit diesem gedrängten und auch notwendig vergröbernd-generalisierenden überblick sind Bedeutung und Sinnspitze der neuzeitlichen Alternative Unsterblichkeit oder Auferstehung im protestantischen Bereich kurz zusammengefaßt. Auferstehung gegen Unsterblichkeit ist die letzte Explikation des urprotestantischen Anliegens vom solus Deus, von der sola gratia und der sola fides. In der katholischen Theologie wurde darum verständlicherweise die These "Auferstehung der Toten gegen Unsterblichkeit der Seele" nicht - jedenfalls nicht in dieser Form - übernommen, wenngleich eine Reihe katholischer Theologen angesichts der regen eschatologischen Diskussion in der protestantischen Theologie in vielen Punkten in der Rolle der Lernenden waren. Dieses "Lernen" bezog sich vor allem auf drei Momente. . 1. Schon lange vor der Entmythologisierungsdebatte war in der protestantischen Theologie die Rede von der Auferstehung eine Chiffre für das unableitbar personale Gnadenhandeln Gottes. Von daher erhielt die neuere protestantische Eschatologie zumindest bei ihren Hauptvertretern einen pointiert personalen Akzent, während die katholische Eschatologie bis in die fünfziger Jahre hinein fast ausschließlich - wie Y. Congar noch 1949 bedauert - eine "Physik der letzten Dinge" betrieb 72, eine Art futurologischer Kosmologie. 2. Protestantische Eschatologie ist ferner, da hier die Seelenunsterblichkeit als Hoffnungsfigur entfiel und die Auferstehungshoffnung strikt mit der Auferstehung J esu verknüpft wurde, durch eine pointiert christologische Konzentration ausgezeichnet, auf die in der neueren katholischen Theologie wohl erstmals v. Balthasar hingewiesen hat 73, Bulletin de Theologie dogmatique, in: RScPhTh 33 (1949) 463. Eschatologie, in: Fragen der Theologie heute, hrsg. v. Feiner - Trütsch - Bäckle (Einsiedeln 31960) 413-421. 72
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vermutlich nicht ohne von der Theologie "drüben" gelernt zu haben. 3. Angesichts der übergewichtigkeit des Unsterblichkeitsgedankens im katholischen Bewußtsein bis heute hat sich die katholische Theologie sehr aufmerksam den Vorwurf O. Cullmanns anzuhören, ob hier nicht das 15. Kapitel des Ersten Korintherbriefes dem Phaidon geopfert wurde 74, d. h. die Hoffnung auf Gottes Handeln dem Vertrauen auf die natürliche Seelenkraft. Freilich hat angesichts der spezifisch protestantischen Alternative: Auferstehung oder Unsterblichkeit, die katholische Theologie aus der Rolle dessen, der zu hören und zu lernen hat, auch überzugehen in die Rolle dessen, der kritische Fragen stellt. P. Althaus spricht einmal davon, daß in der Eschatologie die Fäden der ganzen Dogmatik zusammenlaufen 75. Ähnlich bezeichnet auch H. U. v. Balthasar die Eschatologie als den "Prüfstein der Einheitlichkeit jeder Weltanschauung"76. So ist es im Grunde gar nicht anders zu erwarten, als daß sich hinter differierenden eschatologischen Grundbegriffen viel fundamentalere differierende theologische Positionen verbergen, die es im folgenden herauszustellen gilt. Ist es wirklich richtig - so läßt sich fragen -, Auferstehung und Unsterblichkeit so einander gegenüberzustellen, daß die Auferstehung auf die Macht des liebenden Gottes hinweist und den Menschen also in den Dialog mit Gott verweist, die Seelenunsterblichkeit dagegen als Ausdruck monologisch-eigenständiger Unsterblichkeitsmacht zu betrachten ist? Hat denn der Dialog zwischen Gott und Mensch seinen Ort nur in der Dialektik des entmächtigten Menschen und des übermächtigen Gottes - eine Dialektik, die in der Tat in Tod und Auferstehung den deutlichsten zeichenhaften Ausdruck findet? Ist nicht die gesamte Geschichte und deren normativer Anfang, den wir Schöpfung nennen, der umfassende, auch nach der Sünde des Menschen nicht zurückgerufene Dialograhmen zwischen Gott und Mensch? Schöpfung aber heißt, daß von Gott das Geschöpf unwiderruflich ins Eigene, in die Selbständigkeit gerufen wurde und damit auf immer in die Verwiesenheit und unabwälzbare Verantwortung an den ihn in Anspruch 74 75 76
Cullmann, Unsterblichkeit (s. o. Anm. 60) 12. Die letzten Dinge (Gütersloh 31926) X. Apokalypse der deutschen Seele I (Salz burg - Leipzig 1937) 21.
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nehmenden Gott gestellt ist. Wenn das aber von Schöpfung her so ist, dann liegt es im Wesen des Menschen - wenn wirklich der Wille Gottes das Wesen jedes Geschöpfes ist, wie Augustin bemerkt -, daß der Mensch in seinem Sein und Tun unausweichlich vor dem lebendigen Gott steht. Diese Unausweichlichkeit des Vor-Gott-gestellt-Seins kann dann auch durch den Tod nicht aufgehoben werden, sondern wird gerade im Tod, als dem Augenblick der Verendgültigung menschlicher Freiheitsgeschichte endgültig bestätigt. Die Bedingung der Möglichkeit aber dafür, daß der Mensch von Gott unwiderruflich ins Sein gerufen, ihm gegenübergestellt, auf ihn verwiesen und von ihm in Anspruch genommen ist, ist die Unwiderruflichkeit menschlichen Seins als menschlichen Seins 77 • Das aber ist - sieht man einmal davon ab, daß die Kategorie der Seelenunsterblichkeit auch dazu benützt wurde, sich die sofortige Vollendung des Menschen im Tod denkbar zu machen und das Identitätsproblem zu lösen - genau die Sinnspitze dessen, was Unsterblichkeit der Seele in der katholischen Tradition meint: menschliches Sein ist von Gott, von Schöpfung her darauf angelegt, zum Heil oder zum Gericht vor dem lebendigen Gott zu stehen und deshalb auch die Todesgrenze zu überwinden. Die Tradition hat sich zur begrifflichen Auslegung und philosophischen Vermittlung dieser Unwiderruflichkeit des Menschen vor Gott einer bestimmten Anthropologie und Metaphysik bedient und dabei die Kategorie der Seelenunsterblichkeit übernommen. Aber nicht diese Kategorie und ihr ontologischer Kontext und erst recht nicht das damit verbundene Vorstellungseidos, sondern das darin zum Audruck Gebrachte ist das Entscheidende. Wenn also traditionellerweise die Unsterblichkeit der Seele als "natürlich" bezeichnet wird, so darf dies Wort "natürlich" nicht von einer abstrakten Wesensmetaphysik her verstanden werden. "Natura - naturaliter" meint in der scholastischen Philosophie immer "von Schöpfung her", wie J. Pieper 78 dies näher gezeigt hat. Und deshalb ist mit der Bezeichnung "natürliche Unsterblichkeit" jener unwiderrufliche,
Daß diese "wesenhafte" Unsterblichkeit gleichwohl Geschenk Gottes ist, wurde sowohl in der Altkirchlichen Theologie (vgl. S. 89) als auch in der Hochscholastik (vgl. Weber [s.o. Anrn. 23] 159f) immer gewußt und betont. 78 Tod und Unsterblichkeit (München 1968) 169ff. 77
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von Schöpfung her begonnene Dialog Gottes mit den Menschen und nicht ein geschichtslos-monologischer Eigen- und Wesensstand des Menschen thematisiert. Dieser Schöpfungs gedanke, so wie der schon in der platonischen, erst recht aber in der christlichen Tradition mit der Unsterblichkeitsidee engstens verbundene Gerichtsgedanke unterscheidet die Unsterblichkeitskonzeption der Aufklärung, gegen die sich zu Recht die Dialektische Theologie wandte, ganz wesentlich von der Unsterblichkeitsauffassung der großen philosophischen und theologischen katholischen Tradition. Angesichts des Gerichtsgedankens bedeutet Unsterblichkeit der Seele keine Sicherung vor dem Tod, keine Selbstrnacht, sondern sie macht gerade den bedrohlichsten Aspekt des Todes im ganzen Ausmaß deutlich 79, viel schärfer als dies die protestantische Lehre vom Ganztod vermag. Wenn nämlich die Identität des Menschen und die Kontinuität des Geschöpflichen im Tod ohne Beziehungsträger auf menschlicher Seite allein durch Gott selbst und sein Verhalten vermittelt wird, entsteht die Aporie, was denn mit denen ist, die schuldhaft ihr Sein pervertiert haben - traditioneller gefragt: Was ist mit den Verdammten? Entweder sie bleiben im Tod, im Nichts, das ist die konsequenteste Lösung der protestantischen Theologie, die so aber gerade die U nausweichlichkeit der Verantwortung zerstört und die Ernsthaftigkeit des Todes und damit des Lebens banalisiert. Die andere Lösung ist: Auch die Identität des pervertierten geschöpflichen Seins wird in Gott bis zur Auferweckung aufgehoben. Ein doch wohl deutlicher Widerspruch 80. Die unausweichliche Verantwortung des Menschen kann nur durch eine eschatologische Konzeption verdeutlicht werden, welche dem menschlichen Sein eine von Gott her gewollte Unwiderruflichkeit zuschreibt. Versteht man diese sogenannte 79
Vgl. W. Breuning, Tod und Auferstehung in der Verkündigung, in: Conc. 4 (1968)
79. 80 Vgl. H. Volk, Tod, in: HThG IV, 239: "Die Identität des Auferstehenden mit dem Menschen, der gestorben ist, erfordert ... ein durchgehendes Kontinuum im kreatürlichen Bestand. Denn es ist nicht möglich, die Identität des Auferweckten mit dem Menschen im Pilgerstand allein im Wissen und Willen Gottes ohne jedes kreatürliche Kontinuum gewährleistet zu sehen. Das stellt die Wirklichkeit der Kreatur überhaupt in Frage. Denn diese ist nicht der unendliche Gedanke Gottes. sondern das Endliche. das Gott denkt. Neuerschaffung dessen, von dem Gott weiß, daß er war und den Gott will, würde wohl auch nur den gleichen, aber nicht denselben erstehen lassen, weil die Unvertauschbarkeit der Person, wie diese überhaupt an ihre Existenz geknüpft bleibt und also nicht allein in dem Wissen Gottes gewährleistet ist."
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natürliche Unsterblichkeit auf dem Hintergrund von Schöpfung und Heilsgeschichte, so zeigt sich auch deren christologischer Bezug. Denn von Schöpfung her steht der Mensch schon immer in einem Dialog mit Gott, der auf jenen verdichtetsten und zugespitztesten Dialog hinzielt, den Christus für uns alle in seinem Kreuzestod geführt hat. Die Auferstehung Jesu steht also nicht im Gegensatz zur U nsterblichkeitsauffassung, sondern ist deren kritische Zuspitzung. Kritisch, weil sich in Jesu Tod letztgültig entscheidet, ob Gott unwiderruflich zum Geschöpf steht; Zuspitzung, weil hier im höchsten Maß das zum Ausdruck kommt, was die Schöpfung und Heilsgeschichte von Anfang an bewegt, daß Gott nämlich in Liebe zum Geschöpf steht und dieses auch im Tod nicht läßt. Mit anderen Worten: Das Verhältnis von Unsterblichkeit und Auferstehung entspricht perfekt dem außerordentlich vielschichtigen, nichtsdestoweniger aber nicht allein durch Kontrast, sondern auch durch Bezogenheit und Korrelation sachgemäß zu beschreibenden Verhältnis von Schöpfungs- und Erlösungsordnung. Eine Theologie, die nur in der extremen Kreuzesdialektik gründet und daran vorbeisieht oder unterschätzt, daß auch die Schöpfung schon christologischen Charakter hat, von Christus herkommt und auf ihn zugeht, vermag nicht einsichtig zu machen, daß Erlösung auch sich überbietende Wiederherstellung der Schöpfung ist. Die Konsequenz ist dann, daß die Schöpfung der Neuschöpfung geopfert wird. Zwischen geschöpflicher Wirklichkeit und Vollendung durch Gott, zwischen Tun des Menschen und Tun Gottes steht dann ein unvermittelbarer Kontrast, der nur mühsam durch die Betonung der Treue Gottes seine Schärfe verliert. Diese Konzeption, wie sie zwar verschiedengewichtig, aber doch recht häufig in protestantischen Entwürfen bis zur jüngsten Gegenwart vorherrscht, ist aber in äußerster Gefahr, nolens volens in die Nähe einer gnostischen Eschatologie zu kommen. Diese Implikationen hat noch jüngst wieder H. U. v. Balthasar im Gespräch mit P. Schütz herausgestellt 81. Das theologische Denken unter dem Vorstellungsbild einer radikalen apokalyptischen Vertikalität und Diskontinuität, d.h. eines radikalen Bruchs zwischen menschlicher Geschichte und göttlicher Vollendung, zerstört gnostisch die Einheit 81 Aktualität der Gnosis, in: Was heißt - "Wiederkunft Christi"? (Freiburg - Basel - Wien 1972) 42-47.
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von Schöpfungs- und Erlösungswirklichkeit. Damit ist ein entscheidendes Anliegen bereits der alten christlichen Eschatologie getroffen. Es ist geradezu eine Ironie der Theologiegeschichte, daß die Spannung zwischen Unsterblichkeit oder Auferstehung bereits in der Alten Kirche bestand, dort auch vordergründig, wenn man so will; "protestantisch", d.h. im Sinne von "Auferstehung gegen Unsterblichkeit" entschieden wurde, daß aber - und dies stellt nun alles auf den Kopfdas Verständnis der beiden alternativen Glieder und die Motive, die zur These "Auferstehung gegen Unsterblichkeit" führten, genau - wie S. 85ff gezeigt wurde - spiegelbildlich anders waren als in der neuzeitlichen Diskussion. Denn weil in der Annahme einer Seelenunsterblichkeit eine Reihe von frühchristlichen Apologeten eine gnostische Formel sah (im Tode trennt sich das pneumatische Selbst des Menschen von der als Fremde empfundenen Welt und beginnt, Welt und Geschichte verachtungsvoll hinter sich lassend, die Himmelsreise zurück in das pneumatische Reich reinen Ursprungs), bekannte die Alte Kirche gegenüber dieser Fehleinschätzung der guten Schöpfungswirklichkeit und gegenüber der totalen Diskontinuität von Geschichte und Vollendung - wie sie ausgedrückt ist in der Figur der "Himmelsreise" - die Auferstehung der Toten gerade als Vermittlungsfigur von Geschichte und Vollendung. Gegen alle gnostische Uminterpretation der Totenauferstehung verdeutlichte man diesen Begriff noch durch die Formulierung Auferstehung des "Leibes". Man wollte damit zum Ausdruck bringen, die Zukunft, die Gott schenkt, steht in Kontinuität zu diesem jetzt in Leiblichkeit, Welt und Geschichte lebenden Menschen. So wurde in der frühchristlichen Formel, Auferstehung gegen Unsterblichkeit, gerade nicht wie in der protestantischen Theologie die Diskontinuität und der Kontrast, sondern die Kontinuität und die Vermittlung betont. Wenn im anfangs skizzierten theologiegeschichtlichen Prozeß schließlich aus Auferstehung und Unsterblichkeit Komplementäraussagen zur Auslegung des Endgeschehens wurden - im Tode Unsterblichkeit, am Ende der Geschichte Auferstehung -, so geschah dies nicht als Zugeständnis an gnostische Vorstellungen, sondern es ging darum in zwei komplementären, anthropologischen Modellen sowohl die Vollendung des einzelnen als auch die der gesamten Geschichte zum Ausdruck zu bringen, und zwar so - und das ist entscheidend -, daß 112
beide Male auch die Kontinuität von endlicher Wirklichkeit und Vollendung bei Gott gewahrt werden sollte. Diese Betonung der Vermittlung von Geschichte und Vollendung hat nicht nur ontischen, sondern zugleich auch erkenntnistheoretischen Charakter. Für das katholische Verständnis ist Hoffnung über den Tod hinaus nicht ausschließlich im Paradox der Offenbarung begründet, sondern Hoffnung über den Tod hinaus wird ansatzweise, im Vorschein, in Frage, Ahnung, Tendenz auch in der Unwiderruflichkeit, in der sich menschliches Sein als menschliches Sein erfährt, entdeckt. Das heißt: christliche Hoffnung ist nicht nur paradoxe, anthropologisch unvermittelbare Verheißung, und die Hoffnungen, die sich überall aussprechen, wo Menschen sind, in den Weltreligionen und Weltanschauungen, sind nicht nur, wie K. Barth und die Barthianer meinen, ein angemaßter Anspruch des Menschen. Christliche Hoffnung, die auf die Auferstehung der Toten setzt, hat, wie die ganze Erlösungsordnung, einen Bezugspunkt im menschlichen Sein und Erkennen. Auch hierfür steht die katholische Affirmation dessen, was mit "natürlicher" Unsterblichkeit der Seele gemeint ist. Gegenüber der neuzeitlichen Alternative Unsterblichkeit oder Auferstehung, wie sie in der evangelischen Theologie entstand und sich dort ursprünglich als Chiffre, dann als Extrapolation der Grundthese von der alle geschöpfliche Vermittlung ausschließenden Diskontinuität zwischen Mensch und Gott, Mensch und Gnade, Schöpfung und Erlösung versteht, ist mithin in der Zuordnung von Unsterblichkeit und Auferstehung, wie sie die katholische Tradition kennt, der Gedanke der ontischen und noetischen Vermittlung von Mensch und Gnade, Schöpfung und Erlösung, Geschichte und Vollendung aufgehoben.
4. Neue Denkversuche in der katholischen Theologie der Gegenwart Diese Grundidee der Vermittlung führte aber bei einer Reihe von katholischen Theologen der Gegenwart zu neuen Denkversuchen, die christliche Hoffnung, ihren Inhalt und ihre Vorstellungsformen so zu formulieren, daß sich die Annahme einer anthropologischen Diastase von Leib und Seele und entsprechend die überzeugung einer eschatologischen Diastase von Unsterblichkeit der Seele (im Tod) und Aufer113
stehung des Leibes (am Ende der Geschichte) erübrigt und nur von der Auferstehung des einen und ganzen Menschen im Tod als allein angemessener Artikulation der christlichen Hoffnung die Rede ist. Vordergründig scheint sich mithin, ähnlich wie in der evangelischen Theologie, auch bei neueren katholischen Theologen die Formulierung zu finden "Auferstehung und nicht Unsterblichkeit". Diese Aussage hat jedoch in der katholischen Theologie einen völlig anderen Stellenwert. Hinter ihr steckt kein soteriologisches, sondern ein hermeneutisches "Vermittlungs"-Problem: Kann menschliche und christliche Hoffnung über den Tod hinaus im gegenwärtigen Welt- und Menschenbild denkbar und vorstellbar gemacht werden, ohne auf eine leibfreie Seele und auf ein materiell-physizistisches und darum mythologisch erscheinendes Geschehen der Leibesauferstehung und Welterneuerung rekurrieren zu müsen? Denn es ist ja nicht zu verkennen, daß die traditionelle Formel vom Tod als der "Trennung" von Leib und Seele und die Idee der Unsterblichkeit der leibfreien Seele ein bestimmtes philosophisches, anthropologisches und kosmologisches Vorverständnis voraussetzen, das in vielem nicht mehr das unsrige ist. So stellt sich die Frage nach der angemessenen Vermittlung der christlichen Hoffnung in den heutigen Verstehenshorizont hinein. Ist es möglich, Hoffnung über den Tod hinaus in Kategorien zu formulieren, die ohne die traditionellen Vorstellungen einer seligen leibfreien Seele unmittelbar nach dem Tod und eines am Ende auferweckten Leibes auskommen und statt dessen eher dem heutigen Denken entsprechen? Von dieser Problemstellung her wird von einer Reihe neuerer Theologen die Frage nach einer Vollendung des Leibes und der materiellen Weltwirklichkeit neu angegangen. K. Rahner weist darauf hin, daß "Vollendung" ein Begriff ist, "der sinnvoll nur im Bereich personaler Freiheitsgeschichte einen Platz hat, damit freilich eine besondere Eigentümlichkeit erlangt, weil diese personale Freiheitsgeschichte das materielle Geschehen als inneres oder äußeres Moment einbegreift ... Die materielle Welt als solche, in ihr selbst bleibend, hat keine Vollendung, so wie ein Präludium als solches kein Finale sein kann. " 82 Wenn nun der Gedanke der Vollendung der 82 K. Rahner, Immanente und transzendente Vollendung der Welt, in: Schriften zur Theologie, Bd. VIII (Einsiedeln - Zürich - Köln 1967) 596, 608.
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Materialität nur in bezug auf die Freiheitsgeschichte sinnvoll ist, wie ist dann die Vollendung der Leib- und Welthaftigkeit des Menschen als inneres Moment dieser seiner Freiheitsgeschichte genauer zu denken? Am eingehendsten ist der Rahner-Schüler L. Boros dieser Frage nachgegangen 83. In Kategorien, die stark von Teilhard de Chardin geprägt sind, versucht er, die Dynamik der evolutiven Welt in zwei gegenläufigen Bewegungen zu erfassen. Unsere evolu tive Welt ist charakterisiert erstens durch die Bewegung des Aufstiegs und der Selbstüberbietung (aus einem "Weniger" wird ständig ein "Mehr"); zweitens durch die Bewegung der Entropie, des Energieverschleißes, der Verengung, des Verbrauchs. Kurz: die beiden gegenläufigen, unlösbar miteinander verbundenen Bewegungen der Evolution lassen sich kennzeichnen als ansteigende Verinnerlichung von Energie und - korrespondierend dazu - als entropischer Verbrauch an äußerer Energie. Diese beiden Bewegungen finden sich auch im menschlichen Leben. So wie sich die evolutive Welt verengt und verbraucht und dabei zum Menschen aufsteigt, so verbraucht sich der Mensch und steigt auf zur reifen Person. Nur dadurch nämlich, daß der Mensch "außer sich geht", in die Welt hineingeht, findet er sein "Bei sich". Indem der Mensch seinen Erkenntnishorizont erweitert, zur Freundschaft erwacht, zur Liebeshingabe, zur Weltbeherrschung, erobert er sich die Welt mit ihren verschiedenen Bezügen. So wächst der Mensch in die Weit hinein. Man kann aber auch umgekehrt sagen: Dabei wächst die Weit in den Menschen hinein- die Welt verinnerlicht sich im Menschen. Ja dadurch, daß der Mensch sich in die Welt hinein auslegt, erwirkt er sich selbst jene Natur, in der er "bleibend, unwiderruflich und endgültig innesteht", wie J. B. Metz 84 formuliert. Der Mensch wird reif an der Welt, an ihrer aktiven Gestaltung und im passiven Leiden an ihr. Diesem Vorgang der Verinnerlichung von Welt in den Menschen hinein steht aber dialektisch gegenüber die Bewegung der Entropie, des Verbrauchs an äußerer Energie: der Mensch wird alt, er stirbt. Da aber beide Bewe83
Vgl. Grundsätzliche überlegungen zur Feuerbestattung, in: Orientierung 28 (1964)
233-235; deTS., Leib, Seele und Tod, in: Orientierung 29 (1965) 92-96; ders., Hat das
Leben einen Sinn?, in: Conc. 6 (1970) 674-678 u.ö. - Im folgenden wird der Gedankengang des letzten Artikels kurz skizziert. 84 Christliche Anthropozentrik (München 1962) 65f.
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gungen, die des Aufstiegs und die des Verbrauchs, strikt miteinander verknüpft sind, kann gleichsam die Hoffnung extrapoliert werden: wenn im Tod der Mensch den totalen Verlust an äußerer Energie erleidet, ist zugleich Welt, "seine" Welt, in ihm total verinnerlicht. Das bedeutet, daß im Tod des Menschen nicht eine rein geistige Subjektivität Endgültigkeit findet, sondern eine Person, d. h. eine Freiheit, die so geworden ist, wie sie ist, durch ihre Ekstase in Leiblichkeit, Welt und Geschichte hinein 85. Jede geschichtliche Begegnung und Tat hat sie bleibend innerlich geprägt. In der endgültigen Verfaßtheit des Menschen ist also als inneres Moment Leib und Welt auf immer versammelt. Ein "Stück Welt" ist, verinnerlicht in der nicht wegzudenkenden konkreten Prägung des Subjekts, bleibend aufgehoben. Wenn nun der Glaubende hofft, daß Gott ihn auch im Tod nicht läßt, sondern ihm da, wo alle Zukunft zu Ende zu sein scheint, noch neue Zukunft schenkt, so betrifft diese Zukunft nicht eine rein geistige welt- und geschichtslose Seele, sondern die konkrete Subjektivität, in deren Konkretheit die Welt für immer eingeschrieben, geborgen, aufgehoben ist 86 • So bringt der Mensch in seinen Tod hinein die Ernte der Zeit 87 , die "eigene, gereifte Frucht" der Geschichte 88 • Wenn somit die Leiblichkeit des Menschen nicht einfach als physizistische "Körperlichkeit" zu verstehen ist, sondern als dasjenige, was konstitutiv ermöglicht, daß ein Subjekt in und durch Zeit- und Raumgebundenheit sich selbst auszeitigt und dies in wesenhafter Relation zu anderen Subjekten tut (in den vielfältigen Relationsweisen, die einem leibgebundenen Subjekt zukommen: Relation durch Generation, durch personale Kommunikation, durch Solidarisation usw.), so bedeutet dies: Leib und damit Geschichte und Welt werden im Tod nicht einfach abgestreift, sondern kommen hier gerade in ihrem eigentlichen ontologischen Sinn im Subjekt zur Vollendung 89 : der Mensch ist gerade als leibhaftiges, geschichts- und weltgebundenes Wesen so geworden, wie er im Tod ist. Die Leiblichkeit ist somit für immer im Subjekt eingeVgl. zum folgenden Greshake (s.o. Anm. 3) 384ff. K. Rahner, Das Leben der Toten, in: Schriften zur Theologie, Bd. IV (Einsiedeln - Zürich - Köln 1960) 430. 87 Vgl. H. U. v. Balthasar, Das Ganze im Fragment (Einsiedeln 1963) 58. 88 Rahner (s.o. Anm. 86) 430. 89 Als "Ingredienz menschlicher ,Unsterblichkeit"', wie J. B. Metz, Seele, in: LThK IX, 571, sagt. 85 86
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schrieben, auch wenn die als "Körperhaftigkeit" sich realisierende Raum-Zeit-Gebundenheit im Tod ein Ende findet. Auch der Kommunikationsbezug, der wesentlich zur Leiblichkeit gehört, geht nicht im Tod verloren. Er bleibt auf zweifache Weise gewahrt: erstens bedeutet jedes geschichtliche "Opus", in das sich der Freiheitsvollzug des Subjekts im Leben objektiviert, nicht nur etwas Bleibendes für den handelnden Menschen ("ansteigende Verinnerlichung", mit den W orten von Boros) , sondern es ist zugleich eine Vorgegebenheit, mit der der Mensch unwiderruflich in die Geschichte der intersubjektiv verfaßten menschlichen Gemeinschaft eintritt, zum Guten oder zum Bösen, d. h. so, daß in der Menschheit dadurch die Erfahrung von Freude, Glück, Gerechtigkeit, Liebe und Friede zunimmt und damit sich in ihr eine "umrißhafte Vorstellung von der künftigen Welt"89a mehr und mehr verwirklicht oder daß dadurch die Erfahrung des Tödlichen, Dunklen, Gemeinen und Friedlosen in der Menschheit wächst. Somit bleibt auch der Mensch in der Vollendung durch eben diese Objektivationen seiner Freiheit in Kommunikation mit der Geschichte. Darüber hinaus ist aber zweitens die zur Leiblichkeit gehörende Kommunikation des Menschen mit anderen Subjekten auch aktueller Art: so wie der Mensch als leiblich verfaßtes Wesen in seinem Leben nur Mensch unter Menschen und mit Menschen ist, so bedeutet auch seine Vollendung ein tieferes Hineingehen in die "Mitmenschlichkeit", nämlich in den "Leib Christi", in die "communio sanctorum". Das Sterben führt nicht zur Vollendung eines intimen "Dieu et mon ame" -Verhältnisses, sondern zur engsten Teilnahme am Reich Christi lind damit zur intensivsten Partizipation an der von Christus gestifteten Liebe, die die Menschen untereinander (und mit Gott) verbindet. Deshalb sind ja auch die Heiligen nach dem Selbstverständnis des kirchlichen Lebens nicht den Lebenden ferner, sondern näher. Nicht zuletzt darum wird auch die himmlische Vollendung in der Botschaft Jesu und dann weiter in der Verkündigung der Kirche am treffendsten durch Kommunikationsvorstellungen anschaulich gemacht (himmlisches Hochzeitsmahl, himmlische Liturgie usw.). Weil somit die Leiblichkeit (als ontologisches Konstituens des
89a
Vgl. Vat. II, Past.-Konst. Nr. 39.
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Wesens Mensch) und damit Welt und Geschichte im Tod nicht einfach vom Menschen hinter sich gelassen werden, sondern im Tod zur Vollendung kommen, insofern sie in der Konkretheit des Subjekts ausgezeitigt, für immer aufbewahrt sind und insofern die mit der Leiblichkeit gegebene Relationalität nicht aufgehoben, sondern bestätigt, ja geradezu in ihre letzte erfüllte Möglichkeit eingesetzt ist, kann die Hoffnung auf das überschreiten der Todesgrenze als "Auferstehung des Leibes" (d. h. des einen und ganzen leiblich verfaßten Menschen) und nicht als "Seligkeit der unsterblichen Seele" bezeichnet werden. Im Tod geschieht also die Auferstehung der Toten. Demnach bedeutet Auferstehung des Leibes also nicht ein mirakulöses Endereignis an Knochen, Haut und Sehnen, vielmehr meint sie "die Einbeziehung jener Dimension, die als das Materielle unzertrennbar zur Konkretheit des menschlichen Geistes gehört und doch nicht mehr als physikalische Körperlichkeit gedacht werden muß" 90, wie U. Ranke-Heinemann zu Recht bemerkt. Für die gleiche Auffassung kann auch W. Breuning zitiert werden: Auferstehung des Leibes heißt: "Gott liebt mehr als die Moleküle, die sich im Augenblick des Todes im Leib befinden. Er liebt einen Leib, der gezeichnet ist von der ganzen Mühsal, aber auch der rastosen Sehnsucht einer Pilgerschaft, der im Lauf dieser Pilgerschaft viele Spuren in einer Welt hinterlassen hat, die durch diese Spuren menschlich geworden ist ... Auferweckung des Leibes heißt, daß von all dem Gott nichts verlorengegangen ist, weil er den Menschen liebt. Alle Tränen hat er gesammelt, und kein Lächeln ist ihm weggehuscht. Auferweckung des Leibes heißt, daß der Mensch bei Gott nicht nur seinen letzten Augenblick wiederfindet, sondern seine Geschichte." 91 Und schließlich kann als Vertreter dieser Auffassung K. Rahner angeführt werden: Wenn wir die Auferstehung des Leibes bekennen, sagen wir: "Der konkrete Mensch, er, nicht eine Idee, nicht ein Postulat, nicht ein Teil von ihm, er, der konkrete Partner Gottes zu seinem Heil oder Unheil, hat eine absolute Bedeutung." 92 Diese These, daß im Tod Auferstehung des Leibes geschieht, wird
90 91
92
U. Ranke-Heinemann, Antwort auf aktuelle Glaubensfragen (Essen 1965) 35. W. Breuning, Tod und Auferstehung in der Verkündigung, in: Conc. 4 (1968) 81. K. Rahner, Auferstehung des Fleisches (Kevelaer 1965) 19.
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mithin heute von einer größeren Zahl katholischer Theologen vertreten 93 . Eine gewisse Offiziösität hat diese These erlangt durch den Holländischen Katechismus. Dort heißt es: "Das Leben nach dem Tode ist also schon so etwas wie die Auferweckung des neuen Leibes. Dieser Auferstehungsleib ist nicht dasselbe wie die Moleküle und Atome, die in die Erde eingegangen sind. Als neuer Mensch wacht man auf, wird man erweckt."94 Auch im "Neuen Glaubensbuch"95 heißt es: "Die individuelle Auferstehung von den Toten erfolgt mit und im Tode." Mit dieser Lösung ist nun der Graben überbrückt zwischen der Vollendung der Seele im Tod und der Vollendung des Leibes am Ende der Geschichte. Ja, mit dieser Lösung kann auch die Vollendung der "Welt" als je im Tod des Menschen geschehend gedacht werden: "Die geschaffene Gesamtwirklichkeit, die Welt, wächst in und durch die leibgeistigen Personen, deren ,Leib' sie gewissermaßen ist, durch deren Tod langsam in ihre eigene Endgültigkeit hinein."96 Die Wirklichkeit des "Jüngsten Tages" könnte dann aufgefaßt werden "als Abschluß und Zusammenschau eines Geschehens ... , das seit Christi AufersteAußer den bereits genannten Theologen vgl. O. Karrer, über unsterbliche Seele und Auferstehung, in: Anima 11 (1956) 32ff; D. Flanagan, Eschatologie und Aufnahme Marias in den Himmel, in: Conc. 5 (1969) 60-66. - Beide Theologen versuchen von hier aus auch das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel zu verstehen. Nimmt man an, daß Auferstehung des Leibes grundsätzlich bereits im Tod geschieht, so ist mit diesem Dogma nicht ein besonderes Privileg Marias dogmatisiert, sondern eine universale soteriologische Aussage neu eingeprägt, nämlich, daß die Auferstehung Jesu kein isoliertes Ereignis ist, sondern daß er der "Ersterstandene" ist, dem die Gemeinde folgt. Im Dogma von der Assumptio Mariae bekennt also die Kirche, deren Urbild Maria ist, daß sie Anteil haben darf an der Auferstehung des Herrn. Näheres siehe vor allem im angeführten Artikel von Flanagan. -- Für die exegetische Diskussion vgl. besonders P. Benoit, Auferstehung am Ende der Zeiten oder gleich nach dem Tod?, in: Conc. 6 (1970) 719-724;]. Gnilka, Die Auferstehung des Leibes in der modernen exegetischen Diskussion, ebd., 732-738; J. Kremer, ... denn sie werden leben (Stuttgart 1972) 101-114. 94 Glaubensverkündigung für Erwachsene, dt. (Nijmegen - Utrecht 1966) 525. - Für den deutschen Raum ist bemerkenswert, daß das von den deutschen Bischöfen herausgegebene Arbeitsbuch zur Glaubensunterweisung, "glauben-leben-handeln" (Freiburg i. Br. 1969), ebenfalls das Wort "Seele" vermeidet. Der frühere "Allerseelentag" heißt heute im offiziellen Kalender "Gedächtnis aller verstorbenen Gläubigen". 95 Hrsg. v.]. Feineru. L. Vischer (Freiburg - Zürich 21973) 542. - Der Verfasser des betreffenden Kapitels ist Chr. Schütz, der Gutachter E. Valyi-Nagy. 96 K. Rahner, Zur Theologie des Todes (Freiburg i.Br. 31961) 28; Greshake (s.o. Anm. 3) 393ff (Lit.). 93
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hung in die neue Dimension begonnen hat und sich seither mit dem Eintritt der Einzelnen kontinuierlich von einem Geschlecht zum anderen verwirklicht"97. Diese hier nur kurz, ja verkürzt skizzierte "neue Lösung" des uralten Problems Unsterblichkeit der Seele und/oder Auferstehung des Leibes kann darauf verweisen, daß sie in modifizierter, nunmehr alle Dichotomie ausschließender Form die alte, urtümlich thomanische und dann von Durandus explizierte These aufgreift, wonach die Identität von Erden- und Auferstehungsleib nicht durch die Selbigkeit der Materie, sondern allein durch die geistige Subjektivität des Menschen (Seele) vermittelt ist. Damit ist die anthropologische Diastase von Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung des Leibes sowie die Annahme eines leiblosen Zwischenzustandes grundsätzlich überwunden und statt dessen die individuelle und universale Vollendung in ein dynamisch-progressives Verhältnis zueinander gesetzt 98. Es bleibt freilich das unter III angeführte Problem bestehen, daß Hoffnung über den Tod hinaus, wenn sie auch für den Christen ihren letzten Grund und ihre letzte Sicherheit in der Auferstehung Christi hat, doch zugleich eine anthropologische (= schöpfungs theologische ) Verwurzelung besitzt, die sich zur Erfahrung bringt in der Grenzenlosigkeit, Unwiderruflichkeit und unabwälz baren Verantwortlichkeit, in der sich menschliches Leben als solches vollzieht. 97 O. Karrer in: Neue Zürcher Zeitung vom 26.11.1950, zit. nach O. Betz, Die Eschatologie in der Glaubensunterweisung (Würzburg 1965) 58. Von dieser Möglichkeit, den "Jüngsten Tag" zu denken, bleibt mein Diskussionsbeitrag "überlegungen zur ,Auferstehung am Jüngsten Tag' und zum ,Ende der Welt''', in: Auferstehung der Toten 399-410, unberührt, in dem ich die Hypothese vortrage, daß vom Glauben her ein "Ende der Welt" nicht postuliert zu werden brauche. Die bisher gegen diese Hypothese vorge- . tragenen Argumente haben mich nicht zu überzeugen vermocht. Vgl. J. Al/aro, "La resurrecci6n de los muertos" en la discusi6n teo16gica sobre el porvenir de la historia, in: Gregorianum 52 (1971) 537-554; G. Schereru.a., Eschatologie und geschichtliche Zukunft (Essen 1972) 163ff; H. J. Weber, Die Lehre von der Auferstehung der Toten in den Haupttraktaten der scholastischen Theologie (Freiburg - Basel- Wien 1973) 345 f. 98 Daß dies nicht der dogmatischen Tradition der Kirche widerspricht, wenngleich diese verschiedentlich das Leib-Seele-Modell bei ihren verbindlichen Aussagen voraussetzt (aber deswegen nicht mit definiert), wird in ,,Auferstehung der Toten" 367ff gezeigt.
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IV Bemerkungen zur Endentscheidungshypothese 1 Von Gisbert Greshake
In den letzten Jahren ist von einer Reihe katholischer Philosophen und Theologen - L. Boros 2, R.W. Gleason 3 , P. Glorieux 4, H. E. Hengstenberg S , J. Pieper 6 , K. Rahner 7 , P. Schoonenberg 8 , R. Troisfontaine 9 - die (Hypo-)These vorgelegt worden, daß der Mensch im Augenblick seines Todes eine letzte, endgültige und vollpersonale Entscheidung über sein Leben für oder gegen Gott treffen werde. Im einzelnen wird diese (Hypo-)These verschieden akzentuiert, aber nahezu alle ihre Vertreter kommen in diesen drei Punkten überein: 1. Das Todesgeschehen ist zwar der beobachtenden Erfahrung schlechthin entzogen, aber was dort im Grenzakt des Lebens geschieht, kann durch Extrapolation aus dem Lebensvollzug ermittelt werden. Die Lebenskurve ist gleichsam auf ihre äußerste Asymptote hin zu verlängern. Verfährt man so, dann zeigt sich: da der Mensch als leib1 Einige der folgenden Bemerkungen wurden bereits im ersten Teil meines Artikels "Bemühungen um eine Theologie des Sterbens" in: Conc. 10 (1974) 270--278 vorgelegt. Sie mußten dort wegen der gebotenen Kürze fragmentarisch bleiben und werden in diesem Beitrag ergänzt und vertieft. 2 Mysterium Mortis (Olten - Freiburg 1962) und eine Reihe von Artikeln. 3 Toward a Theology of Death, in: Thought 23 (1957) 39-68. 4 In hora mortis, in: MelScRel 6 (1949) 185-216. 5 Einsamkeit und Tod (Regensburg 1938). 6 Tod und Unsterblichkeit (München 1968). 7 Zur Theologie des Todes (Freiburg i.Br. 1958). - Neuestens wendet sich Rahner in seinen Schriften zur Theologie XII, 41 2 gegen die Endentscheidungshypothese im Sinne L. Boros': "Der Vf. hat diese Hypothese nie vertreten, seine Auffassung ist weiter." Vgl. auch a.a.O. 444 6 • Und als Grund gibt er an: "Jener Akt, in dem ein Mensch über sich selbst auf Endgültigkeit verfügt, ... kann aus inneren oder äußeren Gründen auch geraume Zeit vor dem medizinischen Sterben der letzte solche Akt sein" (447). - Damit hat Rahner aber seine früheren Ansichten, wie sie im folgenden mit Zitaten belegt werden, offensichtlich revoziert. Sein Urteil, er habe die Endentscheidungshypothese nie vertreten, erscheint mir darum fragwürdig. . 8 Und das Leben der zukünftigen Welt, in: H. H. BergeT u.a., Leben nach dem Tode? (Köln 1972) 64-104. 9 Ich sterbe nicht ... , dt. (Frei burg i.Br. 1964).
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geistiges Wesen sein Leben immer in einer Dialektik von N otwendigkeit und Freiheit, Naturhaftigkeit und Personalität vollzieht, "muß" auch - dieser Grundsachverhalt auf den Tod extrapoliert - das Sterben selbst diese reale Dialektik an sich tragen. Das heißt: der Tod kann nicht nur ein notwendiges, naturhaftes, zerstörerisches Geschehen von außen sein, ein unberechenbarer Abbruch, den der Mensch ausschließlich machtlos-passiv hinzunehmen hätte, sondern der Tod muß auch - gleichwesentlich - eine Tat menschlicher Freiheit sein, "tätige Vollendung von innen, ein aktives Sich-zur-Vollendung-Bringen, aufwachsende, das Ergebnis des Lebens bewährende Auszeugung und totales Sich-in-Besitz-Nehmen der Person", wie Rahner bemerkt 10. Was also das ganze menschliche Leben ausmacht: das Ineinander von freier Tat und ohnmächtigem Erleiden, von Selbst- und Fremdverfügung, das kommt im Tod zum Höhepunkt. Wo der Mensch im Tod die totale Verfügung über sich erleidet, da ist gleichzeitig auch die letzte und höchste Tat seiner Freiheit gefordert, kraft welcher er den Tod als Vollendung in Gott hinein annimmt oder in einem letzten Protest gegen seine Ohnmacht sich an sich selbst festhält. So ist der Tod "der höchste Akt des Menschen, in dem er in Freiheit sein Dasein total vollzieht" 11. Deshalb ist er der eigentliche Ort der Menschwerdung des Menschen: "Im Tod eröffnet sich die Möglichkeit zum ersten vollpersonalen Akt des Menschen; somit ist er der seinsmäßig bevorzugte Ort des Bewußtwerdens, der Freiheit, der Gottbegegnung und der Entscheidung über das ewige Schicksal." 12 2. Vollpersonal und absolut frei ist die Todesentscheidung deshalb, weil sie im Augenblick der Trennung von Leib und Seele geschieht und so der Geist befreit ist von den Fesseln der Materialität und Zeitlichkeit und damit innerlich ganz er selbst ist, "in einer ganzheitlichen Seinspräsenz" 13. 3. Gegen den Einwand, diese Theorie entspräche gar nicht der konkreten Erfahrung des Sterbens, da der Mensch doch oft ohnmächtig und bewußtlos und in einem Zustand körperlicher Agonie dahinscheide, so daß die Möglichkeit einer freien Entscheidung gar nicht Rahner (s. o. Anm. 7) 30. 11 Ebd. 85. 12 Boros (s. o. Anm. 2) 9. Ders. (s. o. Anm. 2) 19. - Ebenso Troisfontaine (s. o. Anm. 9) 120, 133; Schoonenberg (s. o. Anm. 8) 98 H. - Schoonenberg geht allerdings nicht von einer Trennung von Seele und Leib'aus. 10 13
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gegeben sei, bringen die Vertreter der Hypothese vor: Die freitl Entscheidung findet statt im Augenblick des Todes, im ausdehnungslosen, nicht beobachtbaren und verifizierbaren Augenblick der Trennung von Seele und Leib; dieses innerste Wesen des Todes ist nicht identisch mit den medizinischen Phänomenen des Sterbens und mit den beobachtbaren Phänomenen der Agonie. 4. Von L. Boros und R. Troisfontaine werden zugunsten der Endentscheidungshypothese noch folgende Argumente angefügt: a. Nur wenn man eine solche Entscheidung annähme, komme menschliches Leben zur wahren Vollendung seiner selbst. Denn in der Zeit, im geschichtlichen Leben, bleibt jede Entscheidung vorläufig und revidierbar. Keine Entscheidung ist total frei; in jede Entscheidung gehen ein Momente der Verfügtheit und Manipuliertheit. In der Zeit ist der Mensch nie mit sich ganz identisch. Darum kann er auch in seinem Leben nie eine vollpersonale Entscheidung treffen. Diese ist allein möglich im Augenblick des übergangs, im Tod. (So auch P. Schoonenberg.) b. Nur diese Hypothese könne theologisch verständlich machen, daß sich im Tod der Mensch endgültig vollendet, und zwar in dem Sinne, daß die Grundrichtung der menschlichen Freiheit, wie sie im Tod ist, unwiderruflich bleibt und das ewige Schicksal des Menschen bei Gott bestimmt. Ohne die Hypothese werde nicht plausibel, daß die Grundrichtung der menschlichen Freiheit, wie sie im Tod ist, auf ewig nicht revidiert werden kann (man denke an die "Verdammten" !); ohne die Hypothese erhielte die Verendgültigungder im Tod angetroffenen Ausrichtung der menschlichen Existenz den Charakter des Zufälligen (man denke an solche, die "zufällig" im "Stand der Todsünde" sterben!). c. Auch für die Kleinkinder, Geistesgestörten und Nichtevangelisierten eröffne sich von dieser Hypothese her im Tod die Möglichkeit einer personalen Glaubensentscheidung, da im Augenblick des Todes der Geist jedes Menschen, befreit von den materiellen Bedingungen, die Transzendenz seines Wesens auf Gott hin erfährt und sich zur Entscheidung für oder gegen ihn herausgerufen sieht 13 •• 13'
Meinem Assistenten Doz. Dr. J. Weismayer verdanke ich den Hinweis, daß bereits
H. Klee, Katholische Dogmatik (Mainz 41861) 645, bzgl. der HeiIsmäglichkeit der ungetauft sterbenden Kinder eine ganz ähnlich klingende These in deutlich idealistisch for-
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Diese theologische Theorie ist gewiß auf den ersten Blick sehr eindrucksvoll. Auch kann sie fruchtbar dazu verwendet werden, eine Reihe von schwierigen theologischen Problemen zu lösen. Doch stehen ihr gewichtige Einwände entgegen, welche - alle zusammengenommen - diese entscheidend in Frage stellen. Bevor jedoch die Bedenken vorgebracht werden sollen, sei ein Blick auf den geistesgeschichtlichen Hintergrund dieser Hypothese getan. Es läßt sich kaum verkennen, daß die Endentscheidungshypothese in Abhängigkeit von und in äußerster Nähe zur Todesanalyse Martin Heideggers steht. Für Heidegger hat der Tod eine eminent existentialhermeneutische Funktion 14. "Im Wesen der Grundverfassung des Daseins liegt ... eine ständige Unabgeschlossenheit ... Solange das Dasein als Seiendes ist, hat es seine ,Gänze' nie erreicht." 15 Damit stellt sich aber die Frage: Wie wird der Mensch seiner Ganzheit überhaupt ansichtig, jener Ganzheit, welche die Bedingung dafür ist, daß der Mensch "Dasein", spezifisch menschliches und nicht dinghaftes Sein ist? Dies ist nur möglich, indem der Mensch seinen Tod (und damit sein Ganz-sein-Können) - nicht als ein nur ausständiges, einmal am Ende eintreffendes, sondern - als ein sein Leben wesenhaft durchdringendes Moment, als "eigens te Möglichkeit des Daseins" 16 annimmt, ja diese Möglichkeit des Todes "vorlaufend" übernimmt und gerade darin frei und "ganz er selbst" wird. "Das Vorlaufen in die unbezügliche Möglichkeit zwingt das vorlaufende Seiende in die Möglichkeit, sein eigenstes Sein von ihm selbst her, aus ihm selbst zu übernehmen."17 Somit ist der Tod (als inneres Moment des Daseins), genauer: das Leben angesichts und in der freien übernahme des Todes, für Heidegger die Bedingung existentialen Ganz-sein-Könnens. mulierten Sätzen geäußert hat: "Nichts [ist] begreiflicher, als daß die Seele, wie sie, in Folge ihrer Verbindung mit dem Leibe unter die Gesetze seiner Entwicklung gestellt, allmälig zur Bewußtheit und Freiheit sich entwickelt, eben so, aus den Banden und Bedingungen des Körpers entlassen, nach der Natur des reinen Geistes sich sofort unmittelbar zur vollen Intellectualität und Freiheit erhebt, also nichts verständiger und verständlicher, als daß der Seele bei dem weiter gediehenen Processe ihrer Ablösung vom Körper und seinen Gesetzen ihre Erlösungsbedürftigkeit aufgeht, und die göttliche Gnadenordnung präsent wird, und sie also glaubend und liebend in letztere, wenn sie nämlich von der Gnade unterstützt - will, eingeht." 14 Vgl. dazu G. Sauter, Die Zeit des Todes, in: EvTheol 25 (1965) 623-643. 15 M. Heidegger, Sein und Zeit (Tübingen 101963) 236. 16 Ebd. 263. 17 Ebd. 263f.
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Es ist nicht zu verkennen, daß die theologische Endentscheidungshypothese auf der gleichen Figur der Todesanalyse basiert, diese aber in zweifacher Hinsicht korrigiert: 1. Während für Heidegger der Mensch, damit er sich selbst ganz gewinnen kann, in seiner Freiheit angesichts des Todes herausgefordert ist, weisen die Vertreter der Endentscheidungshypothese auch und vor . allem auf die freie Entscheidung im Augenblick des Todes hin. 2. Während bei Heidegger der Mensch authentisches "zeitliches" Leben in der freien Annahme seines Daseins als "Sein zum Tode" gewinnt, eröffnet für die Vertreter der Endentscheidungshypothese der Tod gerade die Möglichkeit, überzeitliches, "ewiges" Leben endgültig zu gewmnen. Wenn auch durch diese beiden Korrekturen die Todesanalyse Heideggers wesentlich umgeformt ist, bleiben doch die entscheidenden Bestimmungen erhalten: der Tod ist wesentlich Herausforderung der menschlichen Freiheit, ja er ist privilegierter Ort dieser Freiheit; und: der in Freiheit bestandene Tod ist die Bedingung vollpersonalen Lebens. Sind aber, so kann nach diesen Beobachtungen der erste Einwand gegen die Endentscheidungshypothese formuliert werden, die genannten Grundbestimmungen des Todes vom christlichen Glauben her erfordert, bzw. sind sie wenigstens hilfreich, das christliche T odesverständnis deutlicher auszulegen? Oder haben sie ihre Plausibilität nur in der a-theistischen Todesanalyse Heideggers? Im Gesamtkontext von Heideggers "Sein und Zeit" hat die vorgetragene Phänomenologie des Todes zweifellos ihren stimmigen Ort. Das Grundproblem von "Sein und Zeit" ist - darauf hat Walter Schulz aufmerksam gemacht 18 - die "Selbstvermittlung der Subjektivität". Obwohl Heidegger gewiß nicht mehr dem Idealismus zuzurechnen ist, bleibt doch in "Sein und Zeit" sowohl die genannte Problemstellung als auch die Methode der Denkbewegung noch im idealistischen Denkhorizont gefangen 19. Denn ganz im Zuge idealistisch-dialekti18 Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings (Stuttgart - Köln 1955). 19 Vgl. dazu E. Coreth, Das fundamentalontologische Problem bei Heidegger und Hege!, in: Schol 29 (1954) 1-23; G. Greshake, Auferstehung der Toten (Essen 1969) 40ff (Lit.).
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scher Denkform setzt auch bei Heidegger der Selbstvermittlungsprozeß der Subjektivität, durch welchen der von der Nichtung bedrohte Mensch zu seinem authentischen Sein gelangt, ein vermittelndes "Anderes" voraus, das jedoch (weil es um die Selbstvermittlung der Subjektivität geht) nur ein dialektisches, relatives Anderes sein kann, "das von dem Ausgangsobjekt insofern unterschieden ist, als es nicht von der Nichtung betroffen werden kann, denn nur so kann es die Negation selbst negieren" 20. Dies relativ "Andere" ist für Heidegger jenes Ins-Nichts-gehalten-Sein der Existenz, das in Freiheit übernommen und damit negiert werden kann. So ist der Tod der "dialektische Wendepunkt" , an dem aus der T odes- und Nichtserfahrung der Subjektivität das wahre menschliche Sein entspringt. Damit ist die Todesanalyse Heideggers ein notwendiges Mittel, damit die Existenz - in der Erfahrung und übernahme seiner selbst als "Sein zum Tode" "sich selbst als sein Anderes zum Grunde (legt), auf dem es stehen kann, und durch diese Selbstbegründung in seinem Andern hat es dieses nun selbst in den Kreis seiner Vermittlung einbezogen. Dies Andere hat nur in diesem Kreis seinen Ort." 21 Anders gesagt: der Tod wird einzig und allein im geschlossenen Kreis der Existenzdialektik gesehen. Wenn aber der Ort der Heideggerschen Todesanalyse der Zirkel der sich selbst bestimmenden und vermittelnden Subjektivität ist, so verschärft sich die Frage, ob die Grundbestimmungen einer solchen Analyse für das christliche Todesverständnis hilfreich sein können. Gerade weil der christliche Glaube den Zirkel der subjektiven Selbstbestimmung durchbricht und auf Gott als den Ort seiner Freiheit und Identität setzt, wird die Theorie einer vollpersonalen Freiheitsentscheidung im Tod und das Identischwerden des Menschen mit sich selbst im Augenblick seines Dahinscheidens (noch vor der Gottesbegegnung) zu einem fragwürdigen Postulat. Der Hochstilisierung des Todes, wie sie bei Heidegger für den dialektischen Zirkel der sich selbst zu gewinnen suchenden Existenz plausibel ist, ist theologisch vor allem entgegenzuhalten, daß gerade zur conditio humana gehört, daß der Mensch seine Identität nicht in sich selbst findet, weder im Akt einer im Tod situierten, noch einer angesichts des Todes zu treffenden vollpersonalen Freiheit, den er, der Mensch, ausübt, sondern, daß er seine Identi20
Schulz (s. o. Anm. 18) 292.
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21
Ebd.
tät, seine totale Freiheit und Vollpersonalität nur bei Gott erreicht. Der Mensch wird, um es einmal so zu formulieren, nie zum Engel, der sich selbst zur Identität bestimmt, negativ oder positiv, sondern der Mensch bleibt das fragmentarische Wesen, das nie ganz zu sich selbst findet, es sei denn in Gott und durch Gott. Und ist nicht der Tod eher das Zeichen menschlicher F ragmentarität als der Ort menschlichen "Ganzwerdens"? Den Tod aber als Ort des Ganzwerdens des Menschen, ja als Ort der totalen Sinngebung menschlicher Existenz zu bestimmen muß gegenüber der sinnwidrigen Todeserfahrung notwendig unter Ideologieverdacht kommen. Wie kann dieser Verdacht angesichts folgender Behauptungen von Josef Pieper ausgeräumt werden?: Der Tod ist immer "ein das Dasein von innen her abschließender Akt ... ein wirkliches Zu-Ende-bringen, Vollzug des Lebensganzen ... Vor allem ist mit alledem das sowohl Tröstliche wie auch wiederum unmittelbar Einleuchtende behauptet, daß es einen unzeitigen oder vorzeitigen Tod, genaugenommen, gar nicht gibt. Immer stirbt vielmehr der Mensch, in einem weit exakteren Sinn, als man es meistens realisiert, ,am Ende seines Lebens' "22. Vor allem ist zu fragen, ob diese Auffassung vom Tod nicht jenen biblischen Aussagen widerspricht, nach welchen der Tod wesentlich "zu früh" kommt, wesentlich unzeitig und damit "widernatürlich" ist und sich darum jeder eindeutigen Sinnhaftigkei t entzieh t2 3 • Damit ist der wohl wichtigste Einwand gegen die Endentscheidungshypothese vorgebracht, aber nicht der einzige. Die ganze Durchschlagskraft der Endentscheidungshypothese beruht auf der Deutung eines der Erfahrung und Verifikation grundsätzlich entzogenen, transempirischen Geschehens. Durch Extrapolation des Lebensvollzugs versucht man, an das Geheimnis des letzten Augenblicks heranzukommen. Das ist methodisch in sich legitim. Zu fragen ist aber, ob die Extrapolation, wie sie hier durchgeführt wird, zutreffend ist. Man will das Ineinander von Aktivität und Passivität, von Freiheit und Notwendigkeit, das im Leben gegeben ist, auch auf den Tod ausziehen. Kann man das aber tun? E. Jüngel bemerkt dazu: "Es gibt eine Passivität, ohne die der Mensch nicht menschlich wäre. Dazu gehört, daß Pieper (s.o. Anm. 6) 128. Vgl. G. Greshake, Bemühungen um eine Theologie des Sterbens, in: Conc. 10 (1974) 273ff. 22 23
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man geboren wird ... , dazu gehört, daß man stirbt." 24 Ist das Sterben nicht eher analog der Geburt als analog dem Lebensvollzug zu fassen? In der Geburt sind wir uns ganz entzogen, sind wir ganz passiv. Dürfte das nicht auch für den letzten Augenblick gelten, da doch Anfang und Ende in ihrer Struktur korrelativ und damit ähnlich sind? Entspricht das nicht auch mehr der menschlichen Erfahrung, die nicht einfach durch Spekulation unterlaufen werden darf? Hinzu kommt, daß die Endentscheidungshypothese bei einer Reihe ihrer Vertreter einen stark platonischen Dualismus in der anthropologischen Bestimmung des Menschen voraussetzt. Im übergang, d. h. in der Trennung von Seele und Leib, wird deshalb die vollpersonale und freieste Entscheidung des Menschen gefällt, weil der Geist von den einengenden Bedingungen der Materialität befreit ist. Damit ist aber die Endentscheidungshypothese auf eine Anthropologie gegründet, die jedenfalls nicht die der Heiligen Schrift ist. Diese kennt nicht die Definition des Todes als Trennung von Seele und Leib und weiß nur vom Tode des einen und ganzen Menschen. Aber nicht dies ist das wichtigste: äußerst fragwürdig ist die Endentscheidungshypothese, wo sie für die Vollpersonalität der Entscheidung auf die Loslösung des menschlichen Geistes von den materiellen Bedingungen rekurriert. Denn das bedeutet, daß der Mensch seine eigentliche entscheidende Lebenswahl gar nicht mehr in der spezifischen conditio humana, d. h. als leib-geistiges Wesen, trifft, sondern in einer merkwürdigen ontologischen Situation, nämlich "im übergang", wie die Vertreter der Endentscheidungshypothese sagen. Was heißt das aber? Steht der Mensch in dieser Situation noch unter Leib-Geist-Bedingungen: ja oder nein? Wenn ja, so kann die Entscheidung unter den Voraussetzungen der meisten Vertreter der Hypothese auch nicht ein "totales Sich-inBesitz-Nehmen der Person" sein. Wenn nein, so kann sie zwar als "vollpersonal" gedacht werden - aber wie will man dann vermeiden, daß die Hypothese in Konflikt kommt mit der dogmatischen These vom Tod als dem Ende des menschlichen Pilgerstandes ? Denn dann wird ja die für den Menschen entscheidende Lebenswahl jenseits der Bedingungen des "Pilgerstandes" gefällt. Die Vertreter der Endentscheidungshypothese wehren sich gegen die hier aufgestellte Alterna24
Tod (Stuttgart 1971) 116.
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tive. Nach ihnen wird die Entscheidung im abergang, der noch der spezifisch menschlichen Geschichte angehören soll, gefällt. Aber wie kann jener übergang der Trennung von Seele und Leib noch zur Situation des Pilgerstandes gehören, wenn der menschliche Geist bereits von den materiellen Bedingungen befreit ist bzw. im Augenblick der Befreiung steht? Gerade an der ontologischen Beschreibung der übergangssituation erweist sich die Hypothese als Konstrukt. Ein Letztes ist noch zu bemerken. Der Augenblick des Todes als der einzigen vollpersonalen und freien Entscheidung des Lebens wird in dieser Theorie überfrachtet. Der Tod wird zum privilegierten Ort menschlichen Daseins. Damit wird aber die Bedeutung des konkreten Lebens, der konkreten menschlichen Geschichte entwertet. Zwar wird bei allen Autoren die Endentscheidung in Zusammenhang mit den Lebensentscheidungen gesehen, doch bringt die Todesentscheidung für sie etwas qualitativ Neues, so daß grundsätzlich auch mit einer Korrektur der vorangehenden Lebensentscheidungen gerechnet werden muß. Andernfalls wäre ja auch die Todesentscheidung nur noch die nochmalige Zusammenfassung der Lebenentscheidungen und könnte sich somit erübrigen. Wenn aber die Todesentscheidung etwas grundsätzlich Neues gegenüber den Lebensentscheidungen bringen kann, führt dies notwendig zu einer Entwertung der Geschichte, ihrer Einmaligkeit, Irreversibilität und der unbedingten Verantwortlichkeit, mit der der Mensch sie zu führen hat. So gesehen, bedarf es bei Ablehnung der Endentscheidungshypothese keiner anderen verläßlicheren Theorie. Denn wozu sollte man einer Alternative zur Endentscheidungshypothese bedürfen? Gewiß nicht, um die Heilsmäglichkeit der ungetauften Kleinkinder, der Geistesgestörten und Nichtevangelisierten einsichtig zu machen, gewiß nicht, um auch dem noch "Chance" bei Gott zu geben, der im offenen Unglauben oder in schwerer Sünde gestorben ist (Selbstmörder), gewiß nicht, um uns selbst, deren christliche Existenz sich zumeist in grauem Mittelmaß vollzieht, die Aussicht auf einen letzten "radikalen" Glaubensakt zu geben - obwohl gerade diese "befreienden Ausblicke", die aus der Endentscheidungshypothese folgen, manch einen zur Annahme der Hypothese veranlaßt haben. Diese "befreienden Ausblicke" hängen aber nicht an dieser (oder einer anderen) Hypothese, sondern an der eindeutigen Zusage des 129
Evangeliums, daß das Heil Gottes freie Gnade ist und selbst die "Arbeiter der letzten Stunde" ihren "Lohn" empfangen. Und zudem: gilt nicht auch hier das Wort: "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet" ? Welchen Maßstab haben wir denn zur Beurteilung der anderen (und unserer selbst); was wissen wir darüber, wie die "offenen Ungläubigen" und die "eindeutigen Sünder" (und wir selbst) wirklich vor Gott stehen, unter welchen Chiffren und Symbolen sie für ihn ("anonym") offen sind und somit bereit, sein Heil zu empfangen? Löst man aber die Heilsfrage von der Endentscheidungshypothese, so bleibt ihr Spezifikum allein die Behauptung eines vollpersonalen Freiheitsvollzugs und damit eines letzten integrierenden sinnstiftenden Identitätsaktes des Menschen im Tod. Gerade darin ist diese These aber - wie gezeigt - weder stichhaltig noch auch nur konvenient, sondern sie beansprucht für den Menschen etwas, was jenseits seiner spezifischen Lebensform liegt: die Möglichkeit einer Freiheitsentscheidung, die den Bedingungen geschichtlicher Existenz entnommen ist. Denn zu dieser gehört, daß menschliche Freiheit sich nur im bruchstückhaften Nacheinander der Zeit und in nie voll durchsichtiger materieller Bedingtheit verwirklicht, so daß die dispersa fragmenta des Freiheitsvollzugs weder voll eins eh bar noch integrierbar sind und Sinn- und Identitätsstiftung und somit endgültige Freiheit nicht Werk des Menschen, sondern allein Tat Gottes sein können. So verweist die Ablehnung der Endentscheidungshypothese den Menschen strikt auf seine Geschichte und die damit gegebenen Bedingungen seiner Existenz: in eben dieser Geschichte, unter den stets fragmentarischen, begrenzten, zweideutigen, dunklen Bedingungen der materiellen, raum-zeitlichen Wirklichkeit vollzieht sich irreversibel menschliche Freiheitsgeschichte, macht der Mensch sich (und die Welt durch sich) zu dem, was er am Ende ist, so aber, daß er endgültige Sinngestalt und die Integration seines Lebens und seiner Welt allein von Gott her erhoffen kann. Kurz: die Zurückweisung der Hypothese macht unüberbietbar deutlich, daß für den Christen auf der Lebensgeschichte und nicht auf dem Augenblick des Todes das eigentliche Gewicht und die ganze Aufmerksamkeit zu liegen hat 25 . 25 Dabei kann durchaus offenbleiben, ob für den einen oder anderen die Situation des Sterbens (also die letzte Lebenszeit vor dem Tod) noch eine besondere Bedeutung für die endgültige Ausrichtung der Freiheit annehmen kann.
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ZWEITER TEIL: DISPUT
V Das Zeitproblem und die Vollendung der Weh Von Gerhard Lohfink
Das in dieser Quaestio vorgelegte Plädoyer "Zur Möglichkeit christlicher Naherwartung" hat sehr viel Aufmerksamkeit gefunden une dabei neben Zustimmung auch Kritik hervorgerufen. Da diese Kritik in der 1977 von J. Ratzinger veröffentlichten Eschatologie 1 besonders deutlich zum Ausdruck kommt, sollen die Einwände Ratzingers den Rahmen der folgenden Erörterung bilden. Weitere Anfragen und Einwände lassen sich leicht innerhalb des so gewonnenen Rahmens diskutieren.
1. Noch einmal: die Naherwartung Jesu
J. Ratzinger behauptet, ich würde die Naherwartung "als Kernthema der Botschaft Jesu" ansehen 2 . Zu einem ähnlichen Urteil kommt W. Trilling. Er tadelt bei mir eine zu einseitige Betonung des zeitlichen Aspekts der Basileia-Botschaft Jesu. Ihr zeitlicher Aspekt trete bei mir so sehr in den Vordergrund, "daß der Eindruck entsteht, damit sei das Ganze dieser Botschaft oder auch nur ihr dominierendes Charakteristikum getroffen" 3. Hier liegt ein Mißverständnis vor. Ich habe zwar ausführlich über die zeitliche Naherwartung Jesu gesprochen und die Nähe der Basileia als substantielles und unaufgebbares Element der Reich-Gottes-Predigt J esu bezeichnet 4, aber nirgendwo den Anspruch 1 J. Ratzinger, Eschatologie- Tod und ewiges Leben (Kleine Katholische Dogmatik IX) (Regensburg 1977). Vgl. dort bes. 39.94--99.150-157. 2 Vgl. ebd. 97. 3 W. Trilling, Die Botschaft Jesu. Exegetische Orientierungen (Freiburg i. Br. 1978) 55. 4 Vgl. oben 59.
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erhoben, daß so schon das Zentrum oder das Ganze der Botschaft Jesu getroffen sei. Im Gegenteil. Man konnte bei mir gerade lesen, daß auf diese Weise nur eine ganz bestimmte "Schicht der Botschaft Jesu" reflektiert werde: nämlich Jesu Proklamation der zeitlichen Nähe Gottes. Und dann hieß es ausdrücklich: "Jesus verkündet aber nicht nur die zeitliche Nähe Gottes, sondern die Nähe eines ganz bestimmten Gottes: eines Gottes, der die Sünder liebt, der die Verlorenen sucht, der endgültig und bedingungslos das Heil anbietet. Auf all das konnte verständlicherweise nicht eingegangen werden." 5 Um weitere Mißverständnisse zu vermeiden, sei hier in aller Deutlichkeit gesagt: Ich halte die Naherwartung weder für das "Kernthema der Botschaft J esu" noch für "das Ganze dieser Botschaft". Wie die Logienquelle belegt 6, setzt ja auch die Predigt des Täufers Naherwartung voraus, und doch ist ihr zentrales Thema ganz anders gelagert als bei J esus: Im Zentrum der Täuferpredigt steht das drohende Feuer- und Zorngericht Gottes 7. Nahverkündigung an sich bleibt also noch ambivalent; es ist zusätzlich herauszuarbeiten, was als nah verkündet wird, und insofern muß die Botschaft Jesu, will man sie als ganze beschreiben, selbstverständlich primär inhaltlich bestimmt werden. Man kann sie zum Beispiel als Botschaft von der definitiven Heilsentschlossenheit Gottes charakterisieren, wie es jüngst H. Merklein getan hat 8. Aber gerade wenn das geschieht, wird auch klar, daß diese oder ähnliche rein inhaltliche Bestimmungen nicht genügen. Denn die Heilsbotschaft Jesu ergeht nun einmal in Gestalt einer zeitlichen Ansage, und zwar einer Ansage, die in dem Spannungsfeld zwischen Gegenwart und naher Zukunft steht. Dieses Spannungsfeld Gegenwart - nahe Zukunft vermag zwar die inhaltliche Seite der Botschaft Jesu noch keineswegs adäquat anzugeben, ist jedoch für die Eigenart seiner BotVgl. oben 78 Anm. 118. Mißverständlich sind meine Formulierungen auf den Seiten 75.77. Wahrscheinlich haben sie die oben zitierten Urteile hervorgerufen. 6 Vgl. Mt 3,7 par Lk 3,7; Mt 3,10 par Lk 3,9; Mt 3,12 par Lk 3,17. 7 Ausführlicher:J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth (Biblische Studien 63) (Neukirchen-Vluyn 1972) 16--37. 8 H. Merklein, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip. Untersuchung zur Ethik Jesu (FzB 34) (Würzburg 1978) 142-172. Ich halte Merkleins Formulierung von der "Heils-Entschlossenheit Gottes" (142) oder den Satz "die eschatologische Entscheidung ist gefallen" (157) noch nicht für adäquate Umschreibungen der Nahverkündigung J esu. Allerdings ergänzt Merklein selbst gelegentlich die genannten Aussagen durch weiterreichende Formulierungen (vgl. etwa 158,166). 5
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schaft wesentlichund unaufgebbar. J esus verkündet eben nicht nur die radikale Heilsentschlossenheit Gottes, sondern er sagt das Handeln Gottes in der Kategorie der Zeit an 9 • Nicht vom zeitlosen Wesen Gottes redet Jesus 10 , auch nicht nur von einem Beschluß und der daraus resultierenden Entschlossenheit Gottes, sondern von einem Gott, der jetzt definitiv handelt, dessen Heil im Wort und im Tun Jesu bereits anwesend ist und in nächster Zukunft offenbar werden wird 11. Weder die verborgene Gegenwart noch das Offenbarwerden dieses Heils in der nahen Zukunft dürfen unterbewertet werden, will man an der inneren Struktur der Botschaft Jesu festhalten. Dort, wo in der Auslegung der Basileia-Botschaft Jesu von der "immerwährenden Nähe", von der "existentiellen Wesensnähe" oder von der "Unmittelbarkeit" Gottes gesprochen wird 12, ist noch keineswegs hinreichend deutlich gemacht, daß Jesus ein definitives Handeln Gottes proklamiert hat, das unmittelbar bevorsteht, ja sogar schon begonnen hat. Ein entscheidender Aspekt der Botschaft Jesu ist dann sanft, aber doch auch zielstrebig zurechtgebogen - und zwar offensichtlich deshalb, weil man mit dieser Art von Nahverkündigung theologisch nichts anfangen kann. Ich muß, von hier aus gesehen, dem Vorwurf Trillings widersprechen, bei mir sei einseitig ein bestimmter Aspekt der Verkündigung J esu aus einem größeren Zusammenhang isoliert worVon hier aus gesehen hat J. B. Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft (Mainz 1977), recht, wenn er sich gegen die enttemporalisierende Uminterpretation der urchristlichen Naherwartung in das "zeitlose Existential" einer "Stetsbereitschaft" wendet und betont, daß so gerade die "temporale Grundverfassung des Christentums" verlorengehe (71.152). Allerdings wird dann auch bei ihm keineswegs geklärt, wie heute Naherwartung möglich sein könne. Genau betrachtet, ist bei ihm Naherwartung nichts anderes als ein Reizwort, das aufmerken lassen soll, eine provozierende Chiffre, die verdeutlichen soll, daß die Nachfolge Jesu unter Zeitdruck steht (156f) und daß Gott jederzeit überraschend und alles abbrechend in die Geschichte eingreifen kann (154f). Also doch Stetsbereitschaft! 10 Auch dort, wo Jesus "weisheitlich" spricht, bleibt die Eschatologie der umgreifende Horizont seiner Rede. Vgl. H. Merklein (s. o. Anm. 8) 212-215. 11 Vgl. D. Zelter, Prophetisches Wissen um die Zukunft in synoptischen Jesusworten: ThPh 52 (1977) 258-271: "Seine ganze Verkündigung (geht) unbezweifelbar von der Grundgewißheit aus, daß Gott die Herrschaft der Welt machtvoll antritt und daß dies die unmittelbare Zukunft Israels ist. Diese große Umwälzung ist so nahe, daß sie sich schon im Wirken Jesu Bahn bricht" (269). Ich zitiere Zeller deshalb, weil er zu diesem Ergebnis gerade aufgrund eines sorgfältigen form- und gattungskritischen Vergleichs zwischen Jesuslogien und alttestamentlichen Prophetenworten gekommen ist. 12 Vgl. oben 57. 9
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den und ebendies dürfe man nicht 13. Es ging mir ja gerade darum, . übersetzungsmöglichkeiten für den naheschatologischen Aspekt der Verkündigung Jesu zu schaffen, damit ihn sensible Exegeten in Zukunft nicht zu unterschlagen brauchen. Die übrigen Aspekte der Verkündigung J esu werden von mir nicht geleugnet; sie behalten ihre Wichtigkeit oder sogar ihr Schwergewicht. J. Ratzinger betont in jenem Abschnitt seiner Eschatologie, der von der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu handelt, sehr stark das Moment der Gegenwart des Heils in Jesus. Er sagt: "Die Linien seiner Verkündigung weisen auf ihn selber als das eschatologische Gotteszeichen, auf sein Geschick als das Jetzt Gottes. Die Person Jesu selbst steht im Fluchtpunkt dessen, was er über das Reich sagt." 14 Diese Herausstellung der Präsenz der Basileia und ihre christologische Deutung ist von den neutestamentlichen Texten her legitim und sogar notwendig. Genauso müßte dann allerdings auch der futurische Aspekt der Verkündigung Jesu, nämlich seine Naherwartung, aufgenommen und im Dialog mit den Texten für uns heute gedeutet werden 15. Gerade dies unterbleibt jedoch. Ratzinger betont zwar, daß J esus das Reich Gottes als eine zugleich gegenwärtige und kommende Wirklichkeit verkündet habe 16 . Aber gerade die Naherwartung und Nahverkündigung Jesu wird nicht ernst genommen, geschweige denn ausgelegt. Mehr noch: Es wird behauptet, die Paradoxie von Ohnmacht und Fest, von Unansehnlichkeit und Vollendung, wie sie in den Gleichnissen Jesu aufscheine, signalisiere den Sieg Gottes in der Passion und schließe so "jede naheschatologische Auslegung aus" 17. Nun gestehe ich gern zu, daß man aus den von Ratzinger in diesem Zusammenhang angeführten Gleichnissen vom Senfkorn, vom Sauerteig, vom Netz mit guten und schlechten Fischen und vom Unkraut 13 Vgl. W. Trilling (s.o. Anm. 3) 55f. An Trillings Darstellung der Botschaft Jesu erscheint mir einseitig, daß sich hier die Nähe der Basileia fast völlig mit der "Nähe Gottes in Jesu Gegenwart" (25) deckt. Der futurisch-eschatologische Aspekt wird zwar nicht geleugnet (53), aber in keiner Weise entfaltet. Warum nicht? 14 Vgl. J. Ratzinger (s. o. Anm. 1) 40. 1S Auf derartige Deutung, die mit systematischer Methode zu leisten ist und die in Auseinandersetzung mit der Interpretationsgeschichte neutestamentlicher Texte zu geschehen hätte, legt Ratzinger doch auch sonst den allergrößten Wert. Vgl. 100.112. 16 J. Ratzinger (s. o. Anm. 1) 48f. 17 Ebd. 39.
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unter dem Weizen noch keine Naherwartung J esu beweisen kann. Andererseits wird dutch die genannten Gleichnisse eine (aus anderen Texten zwingend sich ergebende) Naherwartung aber auch nicht ausgeschlossen. Der Kontrast unscheinbarer Anfang - machtvolle Vollendung, wie er etwa im Gleichnis vom Senfkorn gegeben ist, schließt Naherwartung ganz gewiß nicht aus 18. Und das Passionsthema, das Ratzinger in den oben genannten Gleichnissen erkennen möchte 19, ist für die Frage, ob Jesus Naherwartung vertrat, völlig irrelevant. Relevant aber sind die Gleichnisse, die wirklich Naherwartung voraussetzen - und hier muß ich nun noch einmal auf das Gleichnis vom Feigenbaum (Mk 13,28 f) hinweisen. Wenn Ratzinger gerade dieses Gleichnis, das ursprünglich die von Jesus selbst gewirkten Zeichen mit der unmittelbar bevorstehenden Vollendung verknüpft 20 , in seiner Aufzählung nicht nennt, dann hat er einen der entscheidenden Texte nicht genannt und so von vornherein eine äußerst einseitige Textauswahl vorgenommen. Auch daß die Bedeutung der Seligpreisungen (Mt 5,3-12 par Lk 6,20-26) für die Frage der Eschatologie Jesu nicht einmal diskutiert wird, ist bedauerlich. Die Charakterisierung der 'Seligpreisungen, die Ratzinger gibt 21, trifft zwar gut ihre redaktionelle Färbung bei Mattäus ("Ethos als die Torheit des Armwerdens"), hingegen nur höchst unscharf ihren genuin jesuanischen Sinn. Ursprünglich geht es nicht um das Armwerden geistlicher Menschen, sondern um das Armsein der Elenden; nicht um Ethos, sondern um Heilszuspruch. Solcher Heilszuspruch setzt aber gerade das Eingreifen Gottes, die eschatologische Wende, voraus, und zwar schon in der nächsten Zukunft. Dieser eschatologische Horizont der Seligpreisungen kommt bei Ratzinger gar nicht in den Blick; er bleibt verstellt durch die mattäische RedakVgl. D. Zeller, Exegese als Anstoß für systematische Eschatologie, in: P. Fiedler D. Zelter (Hrsg.), Gegenwart und kommendes Reich (SBB) (Stuttgart 1975) 153-164: "Wenn auch die Kontrastgleichnisse ihre Pointe im gewissen Bezug von Anfang und Ende haben und dabei der zeitliche Abstand überhaupt nicht in den Blick kommt, dann ist in der Perspektive Jesu dafür doch eine unmittelbare zeitliche Nähe des Reiches vorausgesetzt" (153). 19 J. Ratzinger (s.o. Anm.1) 39. 20 Vgl. R.Pesch, Das Markusevangelium 2. Teil (HThKII2) (Freiburg i.Br. 1977) 307.311. 21 J. Ratzinger (s.o. Anm.1) 39.
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tion. Das ist kein Zufall. Hier erliegt Ratzinger offenbar seinem tiefen Widerwillen gegen die Rekonstruktion einer ipsissima vox Jesu und ihrer Benutzung als kritischer Instanz im Dialog mit der neutestamentlichen und überhaupt der kirchlichen überlieferung. Die Sichtung der Rezeption, des geschichtlichen Echos, das die Botschaft Jesu in der Kirche gefunden hat, ist ihm für die Bestimmung der inneren Wirklichkeit dieser Botschaft wichtiger als alle historische Rekonstruktion 22 . Nun ist gegen ein solches Ernstnehmen der kirchlichen Rezeption wahrlich nichts einzuwenden. Es darf jedoch niemals dazu führen, die historisch-kritische Rekonstruktion zu vernachlässigen. Wenn ich Ratzinger richtig verstanden habe, versucht er, aufgrund der neutestamentlichen Gesamtrezeption der Botschaft J esu eine eschatologische Naherwartung für den historischen Jesus selbst auszuschließen. Denn innerhalb der urkirchlichen Rezeptionsgeschichte seien "Naherwartungen" nicht das Zentrale. Sie hätten sich, je nach den Umständen, verschärft oder auch wieder abgeschwächt. Zentral sei vielmehr die Fortführung der jesuanischen Reich-Gottes-Botschaft durch die urkirchliche Christologie, die im Auferstandenen die "Jetztgestalt des Reiches" sieht 23. Noch einmal sei gesagt: Ich denke nicht daran, die entscheidende Bedeutung der kirchlichen Rezeptions- und Interpretationsgeschichte für die Theologie in Frage zu stellen. Ich kann prinzipiell zustimmen, wenn Ratzinger schreibt: "Die Botschaft Jesu (wird) ;J.uch und gerade für uns erkennbar (... ) durch das geschichtliche Echo, das sie gefunden hat. In diesem Echo kuchten ihre eigenen Möglichkeiten, ihre Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit auf."24 Was mich stört, ist nicht, daß hier die theologische und kirchliche Auslegungsgeschichte J esu ernst genommen, sondern daß sie nicht ganz und radikal genug ernst genommen wird. Zunächst: Gehören denn die Reintensivierungen von Naherwartung, die es in der Christenheit immer wieder gegeben hat, nicht zu der komplexen Rezeptionsgeschichte der Botschaft Jesu hinzu? Warum hat es diese Reintensivierungen immer wieder von neuem gegeben? Hat dazu nicht doch die Botschaft J esu selbst beigetragen? Weiterhin: Ich habe den Eindruck, daß Ratzinger gerade die älteste 22
Vgl. ebd. 46.
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23
Vgl. ebd. 42-49.
24
Vgl. ebd. 46.
Auslegungsgeschichte der Eschatologie Jesu nicht ernst genug nimmt. Woher kommt die Naherwartung der Parusie, und woher kommt der nachösterliche Enthusiasmus, der das Leben der ältesten Gemeinden so sehr geprägt hat? Handelt es sich da ausschließlich um Anstöße durch die Ostererfahrungen? Oder gar nur um Reapokalyptisierung unter jüdischem Einfluß? 25 Viel wahrscheinlicher ist doch, daß auch hier wie in vielen anderen Punkten die Haltung Jesu beibehalten und weitergeführt wurde. Durch Ostern wurde die Naherwartung der Basileia christologisch transformiert und damit zugleich neu belebt, aber nicht erst neu eingeführt 26 . Schließlich: Ratzinger betont mehrfach, daß die Reich-Gottes-Botschaft J esu nach Ostern völlig legitim in Christologie umgesetzt wurde 27. Auch hier muß, wie mir scheint, die Auslegungsgeschichte noch radikaler ernstgenommen werden. Wenn es wahr ist, daß der auferstandene Christus die "Jetztgestalt des Reiches" geworden ist (ich habe keine exegetischen Schwierigkeiten, diese Formulierungen zu übernehmen), dann ist mit Ostern - zwar noch nicht in der Öffentlichkeit der irdischen Geschichte, jedoch bereits real im Auferstandenen selbst - das Gottesreich in seiner Herrlichkeitsgestalt angebrochen. Dann aber besteht zwischen der Ansage des Reiches durch den irdischen J esus und dem Anbruch des Reiches im auferstandenen J esus das Verhältnis radikaler Nähe. Ich frage mich, wieso ein Autor, der auf die Auslegungsgeschichte (mit Recht!) solchen Wert legt und der "im Blick auf den Auferstandenen von einer schon geschehenen Ankunft" der Basileia spricht 28, überhaupt Schwierigkeiten hat, eine konsequente Naheschatologie für Jesus anzunehmen. - Mit dem Thema "Ostergeschehen" sind wir nun freilich bei einem Punkt angelangt, über den ausführlicher gesprochen werden muß:
Das wäre die bekannte These E. Käsemanns. Ratzinger selbst formuliert hier sehr vorsichtig: "Zugespitzte zeitliche Erwartung kann unter Umständen gerade auch das Produkt von Rejudaisierung sein, denn das Judentum der Zeit Jesu kennt massive N aherwartungen, die insofern auch rein als solche gar nicht das Besondere J esu sein können" (43f). 26 50 mit Recht E. Gräßer, Die Naherwartung Jesu (SBS61) (5tuttgart 1973) 80. 27 Vgl. J. Ratzinger (s. o. Anm. 1) 34.42.49. 28 Vgl. ebd. 49.
, 25
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2. Die Auferweckung Jesu als eschatologisches Realmodell Jesus hat keine überzeitlichen Ideen vertreten 29 (etwa die Idee eines gütigen Gottes), sondern er hat die Gottesherrschaft angesagt. Genauer: Er hat angesagt, daß Gott jetzt handelt. Wenn jemand in diesem Sinn ein Geschehen ansagt - und zwar ein definitives Geschehen, das nicht wieder von neuem Geschehen überholt werden wird -, so hängt alles davon ab, ob dieses Geschehen auch tatsächlich eintrifft. Andernfalls ist das Ganze erledigt. Eine zeitlose Idee kann auch noch nach tausend Jahren vertreten werden. Es kommt nur darauf an, daß sie wahr ist. Ein angesagtes Geschehen hingegen muß eintreten 30. Hält man sich diese Grundstruktur der Botschaft Jesu vor Augen, so ist evident, welch entscheidende Bedeutung nun ihrerseits der Botschaft von der Auferweckung Jesu zukommt. Denn in der Auferwekkung J esu hat seine Basileia -Verkündigung ihre Antwort und ihre Bestätigung gefunden. Die gegenwärtige Exegese wird wieder stärker auf den theologischen Konnex zwischen der Reich-Gottes-Botschaft Jesu und dem Ostergeschehen aufmerksam 31. Das Reich Gottes kommt definitiv in der Auferweckung Jesu. Allerdings nicht in dem Sinne, daß es im Auferstandenen allein schon vollendet und erfüllt wäre. Vollendet wird das Reich erst dann sein, wenn es die ganze Erstreckung der übrigen Geschichte mitsamt dem Kosmos, in dem die Geschichte spielt, ergriffen hat. Andererseits ist die Basileia im Auferstandenen aber doch schon in ihrer Herrlichkeitsgestalt real und bis in die letzte kosmische Tiefe hinein verwirklicht. Die Theologie der neutestamentlichen Schriften macht es unmöglich, in der Auferweckung Jesu nur ein isoliertes, ihn allein betreffendes Ereignis zu sehen. Im Auferstandenen ist die Basileia als bereits angebrochene kosmische Wirklichkeit für alle eröffnet. über diese universale Bedeutung der Auferweckung Jesu und ihren Konnex mit der Basileia-Botschaft dürfte wohl Einigkeit zwischen alVgl. oben Amn. 10. Vgl. H. Zahrnt, Es begann mit Jesus von Nazareth. Die Frage nach dem historischen Jesus (Stuttgart 1960) 108f. 31 Vgl. etwa K. Müller, Jesu Naherwartung und die Anfänge der Kirche, in: ders., Die Aktion Jesu und die Re-Aktion der Kirche (Würzburg 1972) 9-29; D.Zeller (s.o. Amn. 11) 270; abgeschwächt: H. Merklein (s. o. Amn. 8) 171 f. 29
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len Gesprächspartnern bestehen. Aber dann sollte man auch vor den Konsequenzen nicht zurückschrecken: Ist die Auferweckung Jesu entscheidend mehr als nur ein isoliertes Geschehen an J esus allein und ist in diesem Geschehen die Basileia schon gekommen - und zwar dergestalt, daß dieses Kommen die Ansage Jesu zumindest prinzipiell erfüllt hat, so muß an der Auferweckung J esu auch Entscheidendes über das Kommen der Basileia für die übrigen Menschen ablesbar sein. Wie kommt die BasiIeia für uns übrige? Zunächst einmal kommt sie selbstverständlich noch immer so, wie sie schon in der Stunde des irdischen Jesus kam. Sie kommt verborgen in den vielfältigen Zeichen der Gottesherrschaft: in dem in der Vollmacht J esu gesprochenen Wort, in den Zeichenhandlungen, die das Wort begleiten, in den Taten der Liebe, die in Jesu Namen geschehen. Bei diesen hier nicht weiter zu beschreibenden Zeichen, die die Zeichenhandlungen Jesu fortführen und so die verborgene BasiIeia vergegenwärtigen, hätte eine sachgerechte Transformation der Eschatologie Jesu zu beginnen. Ich gestehe gegenüber mancherlei Einwänden, die mir vor allem in Gesprächen gemacht wurden, gerne ein, daß dieser Aspekt in meinem Beitrag nicht deutlich genug herausgearbeitet wurde 32. Die BasiIeia erreicht uns aber - und darauf kommt es in diesem Zusammenhang primär an - nicht nur verborgen in ihren Zeichen, sondern sie erreicht uns definitiv in Tod und Auferweckung, so wie sie Jesus definitiv in Tod und Auferweckung erreicht hat. Ich hatte deshalb gegen Ende meines Beitrags formuliert: "In dem Realmodell christlicher Eschatologie, das J esus selber ist, folgt nach urchristlichem Verständnis auf den Tod unmittelbar die Auferweckung von den Toten, also das, was im Judentum zur allgemeinen Eschatologie gehörte. Im Tode Jesu also wird der neue Äon, die neue Schöpfung und das eschatologische Handeln Gottes angesetzt." 33 Genau hier nimmt Ratzinger Anstoß: Zunächst einmal müsse es bei einem Exegeten verwunderlich wirken, wenn er sich für seine "Speku-
32 V gl. allerdings oben 74: "Ist die verklärte Zeit die ewige Ernte aller auf Erden gelebten und entschiedenen Zeit, dann erhält die Geschichte auch in ihrer horizontalen Erstrekkung einen tiefen Sinn ... " usw. 33 Siehe oben 80.
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lation" darauf berufe, daß ja bei Jesus die Auferstehung der Toten unmittelbar auf den Tod folge. Man solle doch nicht ganz beiseite lassen, "daß die Botschaft von der Auferstehung ,am dritten Tag' sehr deutlich zwischen Tod und Auferstehung eine Zäsur setzt; vor allem aber sollte klar bleiben, daß nie in der urchristlichen Verkündigung das Geschick der vor der Parusie Sterbenden mit dem besonderen Vorgang der Auferweckung Jesu gleichgesetzt wurde" 34. Mir ist dunkel geblieben, weshalb Ratzinger in diesem Zusammenhang auf den dritten Tag hinweist. Wenn er damit sagen will, daß zwischen Tod und Auferstehung Jesu ja schließlich noch ein Zwischengeschehen, nämlich der Abstieg in das Reich der Toten, anzusetzen sei, so weiß er doch wohl als Dogmatiker, daß der Hadesabstieg nichts anderes als die Elongatur und Tiefendimension des Todes Jesu selber ist 35 . Solange der Tod Jesu in seinem vollen theologischen Sinn verstanden wird, habe ich keinerlei Anlaß, die Behauptung einer unmittelbaren Folge von Tod und Auferweckung Jesu zurückzunehmen. Will Ratzinger jedoch mit seiner Bemerkung auf dem dritten Tag als einem chronologischen Datum für die Auferweckung Jesu insistieren, so müßte ich meinerseits Verwunderung ausdrücken. Denn das Kerygma vom dritten Tag kann doch, wenn man die biblischen Aussagen weiterdenkt, nicht das transzendente Geschehen der Auferwekkung selbst chronologisch fixieren wollen. Damit würde man die Auferweckung Jesu ja gerade als historisches, rein innerweltliches Ereignis definieren. Möglicherweise ist der dritte Tag, wie K. Lehmann 36 zu zeigen suchte, symbolische Redeweise, die nach alttestamentlichen und jüdischen Sprachrnustern die aktive Treue Gottes bezeichnen will, welche inmitten menschlicher Not nicht lange auf sich warten läßt, sondern schon bald eingreift und die Wende herbeiführt. Daß bei dieser Lösung die Rede von den drei Tagen nicht chronologisch auswertbar ist, liegt auf der Hand. Es ist jedoch wahrscheinlicher, daß die drei
J. Ratzinger (s.o. Anm.
1) 98. Vgl. H. Urs von Balthasar, Der Gang zu den Toten, in: MySal III 2,227-255. - Allerdings wird der Hadesabstieg in der altkirchlichen Tradition sehr oft als Sieges zug dargestellt. Von da aus gesehen, gehärt er phänotypisch schon in die Ausmalung des Auferstehungsgeschehens hinein, und es besteht erst recht kein Problem. 36 K. Lehmann, Auferweckt am dritten Tag nach der Schrift. Früheste Christologie, Bekenntnisbildungund Schriftauslegung im Lichte von 1 Kor 15,3-5 (QD 38) (Freiburg i. Br. 1968). . 34
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Tage ihren primären Anhalt an konkreten historischen Geschehnissen haben, die am ersten Wochentag stattfanden: nämlich an den Ereignissen um das leere Grab 37. In diesem Fall müßte man präzisieren: Am dritten Tag wurde die Auferweckung J esu offenbar bzw. manifest. Das ist aber etwas völlig anderes als eine Datierung der Auferweckung selbst am dritten Tage 38 . Im übrigen zeigt die johanneische Theologie, daß man die Auferweckung (johanneisch: die Erhöhung) auch im Tode J esu selbst ansetzen kann. Wenn der vierte Evangelist dann außerdem in 20, 11-23 die Auffahrt Jesu für den Verlauf des Ostertages andeutet, verrät dies nur allzu deutlich, daß das Neue Testament in derartigen Texten eben die Auferstehung J esu selbst nicht datiert, sondern von ihr als einer Offenbarungswirklichkeit spricht 39 • Aber all das weiß Ratzinger ja doch wohl genauso wie ich, und gerade deshalb ist mir sein Insistieren auf den drei Tagen unverständlich. Natürlich ist es richtig, daß im Neuen Testament aus der Verknüpfung von Tod und Auferweckung bei Jesus niemals auf eine ähnlich unmittelbare Verknüpfung bei den übrigen Gläubigen geschlossen wird. Wenn dieser Analogieschluß nicht vollzogen wurde, heißt dies jedoch noch lange nicht, daß er unvollziehbar und gegen die Intentionen des N euen Testamentes wäre. Daß er damals de facto nicht vollzogen wurde, obwohl er theologisch nahelag, hatte konkrete Gründe, die sich genau angeben lassen: In der frühesten Zeit der Urgemeinde ist die Auferweckung Jesu als Einleitung der Endereignisse gesehen worden (und zwar nicht in dem abstrakten Sinn, in dem wir auch heute sagen: Wir leben seit dem Kommen Christi in der Endzeit, sondern in einem ganz konkret-apokalyptischen Sinn): Ostererscheinungen und Parusie werden noch nicht an völlig verschiedenen Punkten der Zeitlinie angesetzt, sondern gehen 37 Zur Diskussion der drei Tage als wirklicher Datumsangabe vgl. vor allem J. Blank, Paulus und Jesus (StANT18) (München 1968) 153-156. 38 Ausführlicher zur Unmöglichkeit einer "Datierung" der Auferstehung Jesu, insofern sie transzendentes Geschehen ist: G. Lohfink, Die Himmelfahrt Jesu. Untersuchungen zu den Himmelfahrts- und Erhöhungstexten bei Lukas (StANT26) (München 1971) 278-281. 39 V gl. zur johanneischen Darstellung G. Lohfink, Der historische Ansatz der Himmelfahrt Christi: Cath(M) 17 (1963) 44-84, dort 52-54.71-74; dann vor allem W. Thüsing, Die Erhöhung und Verherrlichung Jesu im Johannesevangelium (NTA21) (Münster 1960).
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vorstellungsmäßig ineinander über. Das Erscheinen des Auferstandenen kann jederzeit umschlagen in sein Erscheinen vor aller Welt. Aber nicht nur die Ostererscheinungen, sondern auch die plötzlich und massiv einsetzenden Geisterfahrungen müssen ursprünglich als eschatologisches Phänomen erlebt worden sein 40. Dasselbe gilt für die urchristliche Taufe, die in der ältesten Phase ihrer Geschichte als eschatologisches Sakrament, das heißt als Versiegelung angesichts des unmittelbar bevorstehenden Endes, gespendet wurde 41 . Wenn von der Atmosphäre dieser ersten Zeit textlich kaum noch etwas greifbar ist, so offensichtlich deshalb, weil uns Material für diesen Geschichtsabschnitt fast nur in der Apostelgeschichte überliefert wird und weil gerade dort die anders ausgerichtete Theologie des Lukas vieles verdeckt hat. Immerhin haben wir in Mt 27,51b-53 einen Text, in dem eine ältere überlieferung verarbeitet sein muß 42, die das Erleben der ersten Zeit noch gut widerspiegelt: Beim Tode Jesuhabe die Erde gebebt, die Gräber hätten sich geöffnet, viele entschlafene Heilige seien auferweckt worden, aus ihren Gräbern herausgekommen und in J erusalem erschienen. Daß dieser Text, so wie er sich uns heute darbietet, mit Theophaniemotiven des Alten Testaments die eschatologische und soteriologische Bedeutung des Todes Jesu narrativ herausarbeiten will, ist deutlich zu sehen 43. Damit ist er jedoch keineswegs adäquat erklärt. Das Erscheinen von Heiligen der Vergangenheit, die als Auferstandene interpretiert werden, muß auf tatsächliche Visionserlebnisse der Jerusalemer Urgemeinde zurückgehen 44 . Offensichtlich sind die Oster-
40 Selbst in der Darstellung des Lukas wird der ursprünglich eschatologische Bezug der Geisterfahrung noch deutlich: vgl. Apg 2,16-21. 41 Ausführlicher: G. Lohfink, Der Ursprung der christlichen Taufe: ThQ 156 (1976) 35-54, bes. 46-48. 42 Die Annahme einer älteren vormattäischen überlieferung in Mt 27,51-53 wird seit H. Zeller, Corpora Sanctorum (Mt 27,52-53): ZKTh 71 (1949) 385-465, häufig vertreten. 43 Vgl. die soeben erschienene, methodisch breit angelegte und materialreiche Monographie von M. Riebl, Auferstehung Jesu in der Stunde seines Todes? Zur Botschaft von Mt 27, 51b-53 (SBB 8) (Stuttgart 1978) 75-82. Ich danke der Verfasserin für die Einsicht in die Korrekturfahnen. 44 Der von M. Riebl (s. o. Anm. 43) 30.38.43-45.47.61.78.80-82 sehr überzeugend herangezogene Text Ez 37,12-14 beleuchtet zwar gut die Öffnung der Gräber und das Hin-
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erfahrungen ursprünglich viel komplexer gewesen und auch viel apokalyptischer erlebt worden, als wir wahrhaben möchten 45. Die Osterereignisse wurden als übergang der Welt in den neuen Äon erfahren und gedeutet. Gerade dann aber war eine theologische Reflexion über das Problem der individuellen Eschata zunächst noch gar nicht notwendig. Die Teilnahme an den bevorstehenden und bereits in Gang gekommenen Endereignissen war ja ohnehin feste Glaubensgewißheit. Das Problem einer individuellen Eschatologie wurde erst akut, als in der Folgezeit Christen starben, ohne daß das wirkliche Ende gekommen war. Erst jetzt trat die Diastase zwischen der Auferstehung Christi und der Auferstehung der Christen mehr und mehr ins Bewußtsein. Daß sich nun gerade in dieser entscheidenden Entwicklungsphase der individuellen Eschatologie, in der sich die Sprachregelung von Jahrhunderten anbahnte, die Rede einer Auferweckung des einzelnen Christen aus dem Tode (nach der Analogie der Auferwekkung Jesu) nicht entwickeln konnte, hatte wohl vor allem zwei Gründe: 1. Die besondere Rolle Christi war inzwischen theologisch entfaltet und vertieft worden. Daß zunächst Christus allein auferstanden war, wurde nun als positives Phänomen begriffen, mit dessen Hilfe seine singuläre heilsgeschichtliche Bedeutung herausgestellt werden konnte. Christus ist der JtQwt6LOXO~ (ex) twv VEXQWV heißt es später in Kol 1,18 undApk 1,5. InMt27,53 zeigt sich dieses entfaltete Bewußtsein an der Zufügung [tEta t~v eYEQOLV mJtou in das ältere Traditionsstück 46 : Die Heiligen sind zwar schon in der Stunde des Todes Jesu eingehen in die Stadt, vermag aber gerade das Motiv der Erscheinungen vor den Vielen nicht zu erklären. Hier hatMt27,51-53 einen überschuß, der nicht aus dem Alten Testament stammen kann und deshalb deutlich auf historische Visionsphänomene im Zusammenhang mit Ostern verweist. Leider geht Riebl in ihrer Monographie nicht auf den Sitz im Leben und den historischen Hintergrund der von Mattäus verarbeiteten Tradition em. 45 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I (Gütersloh 21973) 294, sagt im Blick auf Mt 27,51-53 zu Recht: "Hier ist noch etwas aufbehalten von der Stimmung der ersten Tage: die Erde bebt( ... ), die Toten stehen auf, die Weltenwende ist da. Die Jünger waren gewiß, Zeugen des Anbruchs des neuen Äons zu sein." 46 Vgl. J. Jeremias (s. o. Anm. 45) 293. M. Riebl (s. o. Anm. 43) 55 hält die Wendung für eine Interpolation, die der nachmattäischen Textgeschichte angehört. Das erscheint mir unbeweisbar. Ich rechne sie eher Mattäus selbst zu.
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von Gott auferweckt worden (so die alte Tradition, die Mt 27,51-53 zugrunde liegtl), dürfen aber erst nach der Auferweckung Jesu ihre Gräber verlassen (so der Redaktor!). Die heilsgeschichtliche Priorität Christi wird also mit Hilfe des Zeitschemas gewahrt. Bei dieser Konstellation war es der frühen Kirche kaum möglich, die Vorstellung einer Auferweckung der Gläubigen unmittelbar aus dem Tod zu entwickeln. Die einzigartige Stellung Christi wäre damit eingeebnet worden. 2. Noch wichtiger aber war folgendes: Der damals herrschende Vorstellungshintergrund der jüdischen Apokalyptik ließ es gar nicht zu, von einer Auferweckung einzelner unmittelbar aus dem Tod zu sprechen. Denn für das jüdische Denken ist die Auferweckung der Toten ein universales Geschehen am Ende, und sie ist nur möglich, wenn die Gräber geöffnet werden. Auch dieser Aspekt ist an Mt 27 deutlich abzulesen: Die auferweckten Heiligen kommen aus ihren Gräbern heraus. Da solches nun aber in unserer Wirklichkeit gerade nicht geschieht, war es schlechthin unmöglich, im Horizont jüdischen Denkens von einer Auferweckung des einzelnen Gläubigen aus dem Tode vor Ablauf der Geschichte zu sprechen 47 • Vielleicht hätte sich die Möglichkeit hierzu in dem Augenblick ergeben, da sich der urchristlichen Theologie durch das Ernstnehmen griechischen Denkens neue Sprachmöglichkeiten eröffneten. Aber mit dem Eintritt in den griechischen Denkhorizont drohte nun auch sofort die Gefahr der Gnosis und des Doketismus. In dieser Situation von einer Auferstehung des einzelnen im Tod zu sprechen, hätte gerade bedeutet, den Glauben an die Auferstehung des Fleisches aufzugeben. "Wenn ihr zusammenkommen solltet mit solchen, welche sich Christen nennen und ... behaupten, es gäbe keine Auferstehung der Toten, sondern ihre Seelen würden schon beim Tode in den Himmel aufgenommen werden, dann haltet sie nicht für Christen", sagt Justin (Dia!. 80,4). Dieser Text ist für unseren Zusammenhang unmittelbar relevant, wenn man bedenkt, daß die Rede von einer "Auferstehung schon im Tod" damals fast zwangsläufig mit der gnostischen Himmelfahrt der Seele, von der sich Justin distanziert, gleichgesetzt worden wäre 48 •
47 Ich klammere hier den Fall, daß ein Mensch für die Rückkehr in das irdische Leben auferweckt wird, selbstverständlich aus. 48 Vgl. G. Greshake in dieser Quaestio 84-88; ders., Auferstehung der Toten (Essen 1969) 361-363.
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Von einer Auferstehung des Christen im Tod kann ohne dogmatische Verluste erst dann gesprochen werden, wenn (a) die unaufgebbare Priorität des auferstandenen Christus auch jenseits eines reinen Zeitschemas gedacht werden kann 49 und wenn (b) mit Hilfe eines differenzierteren Zeitbegriffs, als ihn die jüdische Apokalyptik verwenden mußte, denkbar gemacht werden kann, daß eine Auferstehung des einzelnen im Tod mit der allgemeinen Totenauferstehung der Weltvollendung zusammenfällt. Diese Denk- und Sprachmöglichkeiten sind uns erst heute - noch immer unterentwickelt - gegeben. Der alten Kirche standen sie einfach nicht zur Verfügung. Insofern darf hier noch weniger als anderswo biblizistisch mit dem Neuen Testament argumentiert werden, wie es Ratzinger an der oben zitierten Stelle tut. Es ist wohl deutlich geworden: Daß die alte Kirche das apokalyptische Denkmodell im ganzen 50 beibehielt, war damals nicht nur sinnvoll, sondern höchstwahrscheinlich sogar notwendig. Nur so konnte einer doketisch-gnostischen Aushöhlung des Auferstehungsglaubens begegnet werden. Heute hingegen kann es ein zeit- und sachgerechtes Durchdenken der Eschatologie geradezu notwendig machen, das mit der christlichen Eschatologie noch immer fest verbundene Geschichtsbild der Apokalyptik aufzusprengen. Dies wiederum schließt nicht aus, daß die Apokalyptik für alle Zeit den Wert eines kritischen Korrektivs behält, das die Eschatologie ständig warnt, nicht die Bedeutung von Weltzeit und Menschheitsgeschichte, nicht den universalen Charakter der Auferstehung für die Gesamtgeschichte und erst recht nicht die radikale Leiblichkeit der Auferstehung zu vergessen.
3. Zur Anwendung des aevum-Begriffs Der Gedanke der Auferstehung des Christen schon im Tod - so wurde gerade behauptet - wird erst mit einem differenzierteren Zeitbegriff, als er der alten Kirche zur Verfügung stand, denkbar. Ich hatte in meiBereits der Begriff der Wirk- und Exemplarursächlichkeit des auferstandenen Christus für die Auferstehung der Gläubigen transzendiert das reine Zeitschema. 50 Die Modifikationen dürfen natürlich nicht übersehen werden. Sie lassen sich im wesentlichen auf die Einsicht reduzieren: Das Eschaton ist, inmitten des Weiterlaufens des alten Äons, in Christus schon angebrochen.
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nem Beitrag versucht, mit Hilfe des thomanischen aevum-Begriffs in dieser Frage ein Stück weiterzukommen. J. Ratzinger zufolge führt jedoch der mittelalterliche Begriff des aevum trotz mancher Klärungen nicht zu einem wirklichen Ergebnis. Denn er sei nun einmal für die Beschreibung der Seins art der Engel und nicht für den Menschen erdacht worden. Um vorwärts zu kommen, müsse "man die Anthropologie vertiefen und sich nicht aus ihr in andere Seinsmodelle flüchten" 51. Solche Sätze muten seltsam an, wenn man selbst den aevum-Begriff lediglich als "Denkanstoß" bezeichnet hatte, der die Eschatologie aus der einseitigen Alternative Zeit - Ewigkeit herausführen könne, wenn man zweitens mit allem Nachdruck auf die Grenzen dieses Begriffs hingewiesen und drittens ausdrücklich erklärt hatte, daß für die Bestimmung "verklärter Zeit" der "Ausgangspunkt beim Menschen" zu nehmen sei 52. Ich hatte schließlich den aevum -Begriff nicht einfach als fertige Größe von Thomas übernommen, sondern statt dessen von "verklärter Zeit" gesprochen und sehr genau gesagt, was ich hierunter verstehe. Ausgangspunkt war dabei (übrigens mit Thomas) eine Phänomenologie irdischer Zeit. Das Ergebnis braucht hier nicht wiederholt zu werden. Sachdienlich im Sinne echter Kritik wäre es gewesen, wenn sich Ratzinger mit diesem Ergebnis auseinandergesetzt hätte. Statt dessen stempelt er den aevum-Begriff generell als ungeeignet ab 53 und tut dann in etwas anderer Weise präzise das, was auch ich getan hatte: Er versucht von der Zeiterfahrung des Menschen her zu einem gegenüber der physikalischen Zeit analogen Zeitbegriff zu kommen - und zwar mit Hilfe von Augustinus, Confessiones X. Die übereinstimmungen mit meinem eigenen Ergebnis sind erstaunlich groß. Die MemoriaZeit, wie Ratzinger sie ausgehend von der Phänomenologie des Gedächtnisses bei Augustinus nennt, sei keine physikalische Zeit mehr, aber auch keine Ewigkeit 54 • Memoria-Zeit bedeute Bindung an die Zeit 51 J. Ratzinger (s.o. Anm. 1) 150. - übrigens widerspricht sich Ratzinger selbst, wenn er demgegenüber auf S. 98 sagt: "Das Aevum sagt etwas über die Verfaßtheit der einzelnen in die Vollendung hineintretenden und dabei doch nicht zeitlos werdenden Person aus; hier hat dieser Begriff seinen genauen Sinn." Also ist der Begriff doch auf den Menschen anwendbar! 52 Siehe oben 64-67. 53 J. Ratzinger (s.o. Anm. 1) 150. 54 Ebd. 152.
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und doch zugleich Zeitüberlegenheit 55 . Vor allem aber: in ihr seien Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft "versammelt" 56. Ich selbst hatte formuliert: Verklärte Zeit ist "ein tota simul, ein Zusammengefaßtsein der gesamten Existenz in einem einzigen, ,ewigen' Jetzt (... ). In ihr ist all das, was je in der Zerrissenheit irdischer Zeit als aktuale Gegenwart gelebt wurde, eingebracht und gesammelt" 57. Ich finde unsere übereinstimmung in diesem Punkt so deutlich, daß ich mich nur freuen kann. Offensichtlich führt in der Frage des Zeitmodus der bei Gott Lebenden die zu denkende Sache, ob man will oder nicht, notwendig in dieselbe Richtung. Allerdings muß nun auch hier wieder auf die Konsequenzen hingewiesen werden: Sobald man davon ausgeht, daß ein Mensch "vom Augenblick des Todes an" nicht mehr der physikalischen Zeit unterworfen ist, sondern in einer analogen Form von Zeit lebt, die nicht mehr univok zu irdischer Zeit gedacht werden kann, verliert man jede Möglichkeit, diese analoge Zeit physikalischer Zeit kommensurabel neben der irdischen Geschichte herlaufen zu lassen. H. U. von Balthasar hat das offensichtlich gesehen, wenn er in Anlehnung an E. Troeltsch schreibt: "Die senkrecht aus der horizontalen Geschichte sich erhebende Auferstehung J esu, die nach Paulus und J ohannes die reale Verheißung und das Angeld der Auferstehung und Verwandlung der Welt im ganzen ist (1 Kor 15,17-23), läßt uns den Anbruch der neuen Welt nicht mehr in der chronologischen Fortsetzung einer zu Ende gelaufenen Geschichtszeit erwarten, sondern in einer dieser gegenüber inkommensurablen Dimension"58. Ratzinger bleibt genau in diesem Punkt inkonsequent. Denn sein Haupteinwand gegen meinen Beitrag, der nun im folgenden Abschnitt behandelt werden soll, ist nur möglich, wenn eben doch irdische und jenseitige Zeit als kommensurabel angesehen werden.
55
Ebd. 150f.
J. Ratzinger (s.o.
Anm. 1) 150. Vgl. deTS., Jenseits des Todes: Im. kath. Zeitschr. Communio 1 (1972) 231-244 (235-237). 57 Siehe oben 67. 58 H. Urs von Balthasar, Eschatologie im Umriß, in: Pneuma und Institution. Skizzen zur Theologie IV (Einsiedeln 1974) 410-455, 445.
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4. Auferstehung im Tod und weitergehende Geschichte
Der zentrale Einwand Ratzingers sieht folgendermaßen aus: In meinem Entwurf warte auf jeden jeweils Sterbenden bereits das Ende der Geschichte. "Gerade das aber verträgt sich mit dem Weitergehen der Geschichte nicht, die nun gleichzeitig als schon vollendet und als weitergehend angesehen wird. Der Bezug zwischen den je neuen Anfängen menschlichen Lebens in der Geschichte, zwischen ihrem Präsens und Futur einerseits und dem angeblich jenseits des Todes schon herrschenden nicht bloß individuellen, sondern geschichtlichen Perfekt bleibt schlechthin ungeklärt." 59 Dieser Haupteinwand Ratzingers - er findet sich in ähnlicher Form auch bei A. Ziegenaus 60 - konstruiert eine Position, die ich niemals vertreten habe. Nirgendwo wurde von mir ein im univoken Sinn gleichzeitiges Nebeneinander von vollendeter und noch weitergehender Geschichte behauptet. Denn Geschichte gelangt ja nur durch den Tod hindurch, also durch den Eintritt in eine neue Zeitform, in ihre Vollendung. Deshalb existiert diese vollendete Geschichte nicht mehr in einem univoken "gleichzeitig" neben der irdischen, noch weiterlaufenden Geschichte, sondern in einer inkommensurablen Relation 6\ die man höchstens als analoges "gleichzeitig" bestimmen kann. Das heißt aber: Dieses "gleichzeitig" ist nicht mehr positiv vorstellbar und es ist nicht anders zu haben als durch den Tod. Ich hatte es in meinem Beitrag folgendermaßen formuliert: "Indem ein Mensch stirbt und eben dadurch die Zeit hinter sich läßt, gelangt er an einen ,Punkt', an J. Ratzinger (s. o. Anm. 1) 98. A. Ziegenaus (Auferstehung im Tod: Das geeignetere Denkmodell?: MThZ 28 [1977] 109-132) sieht als notwendige Konsequenz meines Modells, daß diejenigen, die schon im Jenseits sind, noch auf Erden leben, und die auf Erden Lebenden bereits im Jenseits sind (131). Ähnlich äußerte sich bereits früher J. Ratzinger (s.o. Anm. 56) 237. - Derart absurde Sätze sind gerade nicht die "unausweichliche Folgerung" aus meiner Konzeption. Wer sie formuliert, verwechselt den höchst analogen Begriff der "verklärten Zeit" mit dem irdischen Zeitkontinuum und übersieht zudem, daß "verklärte Zeit" den Tod voraussetzt. 61 "Inkommensurabel" meint also, daß die "verklärte Zeit" nicht als ein der irdischen Zeit parallellaufendes Zeitkontinuum gedacht werden darf. Mit der Inkommensurabilität ist selbstverständlich der reale Bezug zwischen "verklärter Zeit" und irdischer Geschichte nicht ausgeschlossen. Dieser reale Bezug ist schon allein dadurch gegeben, daß es sich bei der verklärten Zeit um gesammelte und verwandelte irdische Zeit handelt. 59
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dem die gesamte übrige Geschichte ,gleichzeitig' mit ihm an ihr Ende kommt, mag sie auch ,inzwischen' in der Dimension irdischer Zeit noch unendlich weite Wegstrecken zurückgelegt haben."62 "Gleichzeitig" und "inzwischen" waren in diesem Satz in Anführungszeichen gesetzt, damit deutlich wurde, daß es sich um analoge Begriffe handelt 63 . Mir ist unbegreiflich, wie man so einfache Konsequenzennicht nachvollziehen kann; sie ergeben sich zwangsläufig, sobald man damit ernst macht, daß die Zeitform, in der die Verstorbenen leben, zwar nicht die Ewigkeit Gottes, aber doch eine radikale überzeitlichkeit ist. Und diesen Schritt hat ja auch Ratzinger vollzogen. übrigens wird an dem oben zitierten Satz deutlich, daß ich es völlig offenlassen kann, ob die irdische Geschichte eines Tages apokalyptisch zu Ende geht, wie es jetzt wieder J. B. Metz zu fordern scheint 64 , oder ob sie endlos weiterläuft; in beiden Fällen ist im Tod der "Jüngste Tag" erreicht, an dem der Mensch zusammen mit allen anderen Toten der Geschichte auferweckt wird und so das Gesamt der Geschichte in ihre Vollendung gelangt. Denn die Vollendung im Jenseits der Zeit muß - bildlich gesprochen - einer sich endlos dehnenden irdischen Zeit
62
Siehe oben 72.
63
A. Schmied (Ein Lösungsversuch zum Problem der Naherwartung: TGA 19 [1976J
173-181), der im übrigen ausgezeichnet über meinen Beitrag referiert, bemängelt, daß ich nicht immer den analogen Charakter von Zeitpartikeln wie "schon" oder "bereits" herausgestellt hätte und gibt dafür Beispiele (179 f). Das sei gern zugestanden. Ich hätte dann allerdings noch an vielen anderen Stellen Anführungszeichen setzen müssen. - Auf S. 180 Anm. 9 liegt bei Schmied ein Mißverständnis vor: Selbstverständlich ist von mir niemals behauptet worden, der Prozeß des geschichtlichen Werdens habe in seiner irdischen Erstreckung immer schon sein Ziel erreicht. Es ging an der betreffenden Stelle um die Dialektik von fieri und factum esse innerhalb der schon vollendeten Geschichte. 64 J. B. Metz (s. o. Anm. 9) 154: "Wurde die Erwartung eines Endes der Zeit nicht längst zum Ausdruck mythischer Eschatologie, weil uns die Zeit selbst inzwischen zu einem homogenen, überraschungsfreien Kontinuum, zur schlechten Unendlichkeit geworden ist, in der alles und jedes passieren kann, nur dies eine nicht: daß nämlich eine Sekunde ,zu der Pforte wird, durch die der Messias in die Geschichte tritt' (Benjamin über die jüdische Messianität) und in der es deshalb Zeit wird für die Zeit?" - Wie gesagt: ich entscheide diese Frage nach dem Ende der Zeit nicht, sondern lasse sie offen, da die Parusie Christi und die Vollendung der Zeit unabhängig von einem zeitlichen Ende der Geschichte gedacht werden können. Wenn mir A. Ziegenaus (s. o. Anm. 60) vorwirft, ich würde nicht mehr am zweiten Kommen Christi festhalten (130), so ist das ein Mißverständnis. Vgl. das oben 61 fzum Kommen Gottes Gesagte. Ich hätte das dort Gesagte selbstverständlich auch christologisch formulieren können.
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nicht nachlaufen, um sie erst noch einzuholen. Sie ist schon immer bei ihr, weil ihr eine andere Dimension eignet. Angesichts dieses Sachverhalts kann ich guten Gewissens an der vollen leiblichen Auferstehung festhalten, und ich muß die Insinuation zurückweisen, in meinem Modell würde "der Leib definitiv aus der Hoffnung des Heils gestrichen"65. Daß dies niemals meine Intention war, weiß Ratzinger ganz genau, und insofern hätte er sein Urteil ruhig mit etwas mehr Anstand formulieren dürfen. Die Frage kann doch nur sein, ob sich ein Ausschluß der Leiblichkeit nicht vielleicht als die (ungewollte) Konsequenz meines Modells erweist. Aber auch das ist nicht der Fall. Der eigene Tod wird uns an den "Punkt" führen, wo der Tod sämtlicher nach uns lebender Menschen "bereits" eingetreten ist - und insofern führt er auch an den "Punkt", wo die Auferstehung des Fleiches im vollen biblischen Sinn stattfinden kann. Die Feststellung Ratzingers: "Daß der Mensch im Augenblick seines Todes nicht körperlich aufersteht, liegt auf der Hand" 66, verwechselt zwei ganz verschiedene Zeitebenen und kann nur als eine Banalität zurückgewiesen werden, die dem Ansatz des Modells in keiner Weise gerecht wird. Andererseits kann ich der These Ratzingers, daß der einzelne nur dann die Vollendung der Auferstehung finden kann, wenn die Gesamtgeschichte an ihr Ende gekommen ist 67 , nur voll und ganz zustimmen. Er begründet diese These mit der tiefen Verflochtenheit auch des schon beendeten Lebens mit der weitergehenden Geschichte: Jede Tat, die auf Erden getan wird, ist eingepflanzt in die Geschichte, wirkt weiter und verändert so auch das, was der Verstorbene letztlich "ist". "Kann ein Mensch ganz fertig und am Ende sein, solange seinetwegen noch gelitten wird, solange Schuld, die von ihm ausgeht, auf Erden weiter glimmt und Menschen leiden macht?"68 Ich finde- diesen Gedanken schön und überzeugend. Er steht, das müßte nach allem bisher Gesagten klar sein, zu einer "Auferstehung im Tod" nicht in Widerspruch. Er ist in ein solches Modell vielmehr voll integrierbar,
J. Ratzinger (s.o. Anm.
1) 98. Ebd. 137. 67 Ich muß von meiner Position her allerdings präzisieren: Nicht wenn die irdische Geschichte in der irdischen Zeitdimension abgelaufen ist, sondern wenn sie in der Auferstehung ihr Ende, ihre Vollendung, gefunden hat. 68 J. Ratzinger (s.o. Anm. 1) 155. 65
66
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genauso wie das purgatorium voll integrierbar ist. Denn die Verflochtenheit des Verstorbenen mit der in der Zeit "ablaufenden" Geschichte und das Geschehen der Läuterung setzten ja keinen zeitlichen Zwischenzustand voraus, sie sind vielmehr im "übergang" zwischen Tod und Auferstehung anzusetzen. Für das Geschehen der Läuterung wird dies von Ratzinger auch mit aller Deutlichkeit formuliert: "Der verwandelnde ,Augenblick' dieser Begegnung entzieht sich irdischen Zeitmaßen - er ist nicht ewig, sondern übergang, aber ihn als ganz kurz oder als lang nach den aus der Physik übernommenen Zeitmaßen qualifizieren zu wollen, wäre gleich naiv und in der Sache durchaus dasselbe. Sein ,Zeitmaß' liegt in der Tiefe der Abgründe dieser Existenz, die ausgeschritten, um gebrannt werden; solche ,Existenzzeit' auf Weltzeit zu verrechnen, verkennt das Besondere des menschlichen Geistes in seiner Bezogenheit auf Welt und in seiner Abgehobenheit von ihr. "69 All dem kann ich nur zustimmen, muß aber an Ratzinger die Frage richten, ob er sich denn nicht darüber im klaren ist, daß das, was er hier meisterlich für das Fegefeuer als "übergang" formuliert hat, genauso für den von ihm vertretenen "Zwischenzustand" zwischen dem persönlichen Tod und der Auferstehung aller Toten gilt? Auch dieses "Zwischen" ist nichts anderes als ein übergang, der sich allen irdischen Zeitmaßen entzieht1°. "Während" sich dieser "übergang" ereignet, läuft die übrige irdische Geschichte ab.
5. Zwei Grundmodelle der Eschatologie
Ich hatte in meinem ersten Beitrag zu dieser Quaestio den "Ansatz der Eschata im Tod" als ein Denkmodell vorgeschlagen, das den gegebenen Fixpunkten der Eschatologie (unter anderem auch dem Tod und der Auferweckung Jesu) am besten gerecht wird und wieder eine echte Parusieerwartung ermöglichen könnte. Meine Ausführungen über das Geschichtsbild der Apokalyptik 71 wollten durchaus sagen, das klassi-
Ebd. 188. Vgl. hierzu auch die Bemerkungen bei J. Pieper, Tod und Unsterblichkeit (München 1968) 185f. 71 Siehe oben 59-62.
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sche Modell, nach welchem Christus erst am Ende der irdischen Geschichte erscheint, sei für die heutige Verkündigung wenig geeignet. In diesem letzten Punkt habe ich inzwischen meine Meinung geändert. Mir ist deutlich geworden, daß gerade deshalb, weil es sich in der Eschatologie immer nur um Denkmodelle handeln kann, das Nebeneinander verschiedener Modelle nicht unbedingt ein Nachteil sein muß. Jedes Modell vermag jeweils bestimmte Aspekte der Eschatologie schärfer zu formulieren, muß dabei aber in Kauf nehmen, daß andere Aspekte entsprechend unscharf werden. Das Phänomen ist aus der modernen Physik hinreichend bekannt und gilt wohl generell für jede wissenschaftliche Annäherung an eine komplexe Wirklichkeit 72 • Setzt man die Eschata vorstellungsmäßig im Tode an, so hat dies gegenüber dem klassischen Eschatologiemodell eine ganze Reihe von Vorteilen: 1. Der eschatologische Grundansatz entspricht dann genauestens dem christlichen Realmodell der Eschatologie, das in J esu Tod und Auferweckung vorgegeben ist. 2. Naherwartung und eschatologisches Bewußtsein werden in Zeiten, die mit einer ins Unabsehbare weiterlaufenden Menschheitsgeschichte rechnen, überhaupt erst wieder ermöglicht. 3. Es kann völlig offengelassen werden, ob es auf der horizontalen Zeitlinie ein Ende der Welt gibt und wie es eventuell aussehen würde. 4. Die Eschatologie ist nicht mehr gezwungen, einen Zwischenzustand anzunehmen, in welchem die leibfreie Seele in einern Zeitkontinuum auf das Ende der irdischen Geschichte wartet 73 • 5. Vor allem aber: das Modell macht sichtbar, daß "verklärte Zeit" quer zur irdischen Zeit steht und ihr stets inkommensurabel ist. Die Nachteile des Modells sollen nicht verschwiegen werden: Wie ich zu zeigen suchte, vermag das Modell zwar ohne Widersprüche an
72 So ergibt sich etwa in der Gnadenlehre eine Dialektik zwischen Gnade und Freiheit, der mit einern einzigen Vorstellungsmodell nicht beizukommen ist. Wir müssen so leben, als werde uns alles geschenkt, und wir müssen gleichzeitig so leben, als hätten wir alles selbst zu erkämpfen. Zu dieser Dialektik in der sittlichen Botschaft Jesu vgl. G. Lohfink, Gott in der Verkündigung Jesu, in: M. Hengel- R. Reinhardt, Heute von Gott reden (München - Mainz 1977) 50-65 (56--59). 73 K. Bernath, Anima forma corporis. Eine Untersuchung über die ontologischen Grundlagen der Anthropologie des Thomas von Aquin (Bonn 1969) wendet sich mit guten Gründen gegen einen derartigen "einstweiligen Wartestand der Seele" (vgl. 219-222).
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der Auferstehung des Leibes festzuhalten, aber der "Ort" der Auferstehung bleibt unanschaulich und ist nur über einen differenzierten Zeitbegriff verständlich zu machen, der ein beträchtliches Abstraktionsvermögen voraussetzt. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß der Ernst der Verantwortung für die irdische Geschichte in unserem Modell weniger leicht zu verdeutlichen ist, da in ihm der vertikale Bezug des Einzelnen zu seinem Eschaton mehr im Vordergrund steht. Das heißt allerdings keineswegs, daß die universale Eschatologie durch Individualeschatologie ersetzt und so die theologische Bedeutung der Gesamtgeschichte eingeschränkt würde 74. Die Verantwortung für die Gesamtgeschichte ist in unserem Modell nur weniger leicht zu veranschaulichen. Die genannten Nachteile und Randunschärfen sind zugleich die Vorteile des klassischen Modells: 1. Dieses entspricht in seinem Grundansatz dem eschatologischen Vorstellungshorizont Jesu und auch der Urkirche: Das Ende der Welt und das Kommen des Menschensohnes ereignen sich am Ende einer horizontalen Zeitlinie. Sie geschehen vor der "letzten Generation". Dieses "horizontale" Denkmodell muß schon allein deshalb weiter tradiert und aktualisiert werden, weil sonst viele Bilder des Neuen Testaments kaum mehr verständlich würden. 2. Das klassische Modell entspricht stärker unserer Vorstellungsstruktur: Wir können gar nicht anders, als alles Geschehen in einem linearen Zeitkontinuum anzuordnen. Insofern ist es das "naivere" und damit das wirkungsvollere Modell. 3. Es kommt Geschichtsentwürfen, die evolutiv mit einer ständigen H umanisierung der Welt bis zum Punkt Omega hin rechnen, eindeutig entgegen. Zugleich aber hat es auch Affinität zu denjenigen Geschichtsentwürfen, die mit zunehmender Pervertierung der Welt
74 Verwandlung der universalen Eschatologie in Individualeschatologie und Privatisierung der Naherwartung "auf die Todessituation des einzelnen hin" wirft J. B. Metz (s. o. Anrn. 9) den heute vorherrschenden Spielarten der Eschatologie vor (60.153). Ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, daß erstens das Modell "Auferstehung im Tod" gerade das Ernstnehmen der Geschichte der Welt fordert (siehe oben 73-75) und daß zweitens das Zugehen auf den eigenen Tod zugleich das Zugehen auf das Eschaton der gesamten Geschichte ist (siehe oben 72).
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und ständig wachsender eschatologischer Not rechnen. Solche Entwicklungen lassen sich in ein Modell, das allein auf der horizontalen Zeitlinie denkt, vorstellungsmäßig besser integrieren. Ich halte es deshalb für möglich, daß in künftigen schweren Welt- und Bewußtseinskrisen die horizontal-apokalyptische Eschatologie (zeitweise) wieder von der gesamten Theologie rezipiert wird. Vielleicht breitet sich dann sogar von neuem die alte urkirchliche Naherwartung aus - und zwar nicht nur in Randgruppen. 4. Der kosmische Aspekt der Eschatologie (Auferstehung des Fleisches, Neuer Himmel und Neue Erde) wird, am Ende der Zeitlinie angesetzt, einsichtiger. über die schweren Nachteile und Randunschärfen des klassischen Modells braucht hier nichts mehr gesagt zu werden. Sie sind von G. Greshake und mir an vielen Stellen dieser Quaestio formuliert worden. Nur auf einen Punkt möchte ich noch einmal in aller Deutlichkeit hinwelsen: Das klassische Modell schlägt in dem Augenblick, da man es genauer durchdenkt, sozusagen von selbst in das von uns vorgeschlagene Modell um: Denn es kann ja keine letzte Generation geben, die als noch lebende Generation den Christus der Parusie und die Herrlichkeit der Basileia sehen wird. Was dies betrifft, hat die Passion Jesu ein für allemal gezeigt: Die Basileia kommt in ihrer Herrlichkeitsgestalt nur durch Ohnmacht und Entäußerung 75. Alle Menschen, auch eine letzte Generation (wenn es sie gibt), werden ohne Ausnahme in die Dunkelheit und in die Leere hineinsterben. Das heißt aber: Es gibt gar kein in irdischer Geschichte erlebbares Ende der Welt. Erlebbar ist immer nur der Tod. Er ist schon immer das eigentliche Ende gewesen und wird es stets bleiben. Hat man dies begriffen, so wird endgültig klar, daß die Eschata nicht am Ende der Zeitlinie, sondern quer zu aller Zeit stehen. Sie können deshalb, genaugenommen, nur im Tod angesetzt werden - dann aber nicht nur im Tod der "letzten" Menschen, sondern im Tod aller Menschen. Damit soll nun nicht wieder zurückgenommen werden, was gerade 75 J. Ratzinger sagt in seiner Eschatologie (s.o. Anm. 1) treffend: "Nur durch den Tod hindurch kann solches geschehen. Insofern hat ,Reich Gottes', hat ,Heil' in seiner Vollgestalt notwendig mit Tod zu tun" (62). Diese Einsicht hat Konsequenzen.
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erst über das Recht beider eschatologischer Grundmodelle gesagt worden war. Beide sind vorstellungsmäßig wohl notwendig. Beide haben ihre Vorteile und ihre Aporien. Nebeneinandergestellt könnten sie die Relativität und Begrenztheit all unserer Sprechversuche über das Eschaton deutlich machen. Nur eines darf man nicht: beide Modelle mit Hilfskonstruktion wie "Zwischenzustand" in ein einziges zusammenbauen wollen. Genau dann nämlich würde ihr Modellcharakter zerstört und die adäquate Darstellung einer Wirklichkeit vorgespiegelt, zu deren Wesen es gehört, daß sie in diesem Äon eben nicht adäquat dargestellt werden kann.
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VI Die Leib-Seele-Problematik und die Vollendung der Welt Von Gisbert Greshake
Ebenso wie schon im vorhergehenden Beitrag von G. Lohfink werden auch für die folgende Erörterung die kritischen Anfragen und (teils äußerst polemischen) Urteile von J. Ratzinger 1 den Rahmen bilden, innerhalb welchem auch andere theologische Gegenpositionen und kritische Stimmen angeführt und diskutiert werden sollen 2 . In seiner "Eschatologie - Tod und Ewiges Leben" = KD IX (Regensburg 1977). Dabei ist es natürlich nicht möglich (und nötig), sich mit allen kritischen Einwänden und Anfragen zu beschäftigen. So z. B. vermag ich nicht einzusehen, wieso die Nichterwähnung des Namens "W. Pannenberg" in der Quaestio schon ein "schwerwiegender Mangel" ist (H. G. Koch, Rezension, in: Welt der Bücher 5 [1976] 201) oder: wieso durch die Konzeption einer Auferstehung im Tode das Privileg Mariens, "schon jetzt" auferstanden zu sein, grundsätzlich entwertet sei. So: L. ScheJfczyk, Mariä Aufnahme in den Himmel. Dogmatische Grundlagen, in: Maria heute ehren, hrsg. V. W. Beinert (Freiburg i.Br. 1977) 138-142,296; ähnlich: F. Holbäck, Seele, Unsterblichkeit, Auferstehung, in: Unwandelbares im Wandel der Zeit, hrsg. V. H. Pfeil, Bd. II (Aschaffenburg 1977) 31 f. - Es läßt sich m. E. durchaus ein - wenn man so will- "Privileg" Marias hinsichtlich der Auferweckung vertreten, selbst wenn man von einer zeitlichen Priorität absieht und statt dessen auf die "ontologische" Priorität ihrer Auferweckung blickt. Ähnlich jetzt auch A. Schmied, Römisches Lehrschreiben zur Eschatologie, in: ThGw 23 (1980) 53; G. Bachl, Über den Tod und das Leben danach (Graz - Wien - Köln 1980) 157. Ebenso verstehe ich nicht die Bemerkung von P. Müller-Goldkuhle, Rezension, in: Theologischer Literaturdienst 4 (1975) 50, die theologiegeschichtliche Verwurzelung der vorgetragenen Thesen werde übergangen, so daß unnötigerweise der Eindruck von "Neologismus" oder "Modernismus" entstehe. Denn immerhin wird auf 36 Seiten (82-118) von Irenäus über Thomas und Durandus von Porciano bis hin zu Barth und Rahner eine eingehende Problemgeschichte gegeben! Es soll auch nicht nochmals ausführlich eingegangen werden auf die Frage, ob K. Rahner ein Vertreter der Endentscheidungshypothese war (da er sie jetzt offenbar ablehnt). Siehe bereits die diesbezüglichen Bemerkungen ab der 2. Auflage (5. 121'). Niemals wurde im übrigen gesagt - was H Vorgrimler, Der Kampf des Christen mit der Sünde, in: MySal. V, 457 behauptet -, Rahner sei meiner Darstellung zufolge der "Urheber" dieser Hypothese. Die Frage, ob und inwieweit Rahner sie vertreten hat und sie - m. E. - konsequenterweise von seinem bisher nicht revozierten Ansatz her auch weiterhin vertreten müßte, hängt wesentlich mit der bei Rahner im ganzen ungeklärten Verhältnisbestimmung des "Transzendentalen" und 1
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1. ZUR FRAGE DES "DUALISMUS" VON LEIB UND SEELE IN DER TRADITIONELLEN ESCHATOLOGIE
Schon im Vorwort seiner "Eschatologie" setzt Ratzinger klar und deutlich den Grundakkord seiner Ausführungen: "Es [ist] mir mit dem Stoff merkwürdig ergangen: Ich hatte kühn mit jenen Thesen begonnen, die - damals noch ungewohnt - sich heute auch im katholischen Raum fast allgemein durchgesetzt haben, d. h., ich hatte versucht, eine ,entplatonisierte' Eschatologie zu konstruieren. Je länger ich aber mit den Fragen umging, je mehr ich mich in die Quellen vertiefte, desto mehr zerfielen mir die aufgebauten Antithesen unter der Hand und desto mehr enthüllte sich die innere Logik der kirchlichen überlieferung. So steht das hier vorliegende Ergebnis zweier Jahrzehnte nun in umgekehrter Weise quer zur herrschenden Meinung, als meine ersten Versuche es damals taten - nicht aus Lust am Widerspruch, sondern vom Zwang der Sache her ... " (14f). Kurz: Ratzinger, ursprünglich einer der Initiatoren einer "entplatonisierten Eschatologie", wendet sich heute gegen theologische Positionen, die zur Neuinterpretation der traditionellen Eschatologie motiviert sind auf Grund einer historischen und kritischen Analyse ihrer vom Leib-Seele-Dualismus beeinflußten Grundstruktur und die die herkömmliche Lehre von den "Letzten Dingen" als Ergebnis eines Zusammenwachsens zweier verschiedenartiger Konzeptionen, Vollendung zu denken, verstehen: hier (biblisch) Auferstehung des Leibes, dort (griechisch-platonisch) "Kategorialen" zusammen. Denn wenn auch der Tod als transzendentale Wirklichkeit mit seiner dialektischen Verschränkung von Notwendigkeit und Freiheit das ganze Leben durchzieht, so hat er doch seinen bevorzugten kategorialen Ort (so ausdrücklich Rahner) in der "letzten möglichen Lebenshöhe", "wenn das Ganze des Menschen irgendwie zu einem Abschluß jener Zeitlichkeit kommt, die für das Leben des Menschen charakteristisch ist und eben im Tod beendet wird. Dann eben ist der Tod der höchste Akt des Menschen, in dem er in Freiheit sein Dasein total vollzieht" (Zur Theologie des Todes [Freiburg i. Br. 1958J 85). - Leider geht K. P. Fischer, Der Tod - "Trennung von Seele und Leib"?, in: Wagnis Theologie, hrsg. v. H. Vorgrimler (Freiburg i. Br. 1979) 320, der mir in diesem Punkt "Eisegese" vorwirft, auf diesen und ähnliche Texte wie auch auf die genannte Grundproblematik nicht ein. - Zur Kritik der Endentscheidungshypothese vgl. jetzt auch W Pannenberg, Grundfragen systematischer Theologie. Ges. Aufs. Bd. 2 (Göttingen 1980) 155 f.
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Unsterblichkeit der Seele 3 . Er spricht vom Unhaltbaren der "geläufigen Platonismus-Schemarik ... , auf der so viele theologische Klischeevorstellungen beruhen. Die wahre Zielrichtung von Platons Denken wird völlig verkannt, wo er als individualistischer und dualistischer Denker eingestuft wird, der das Irdische verneint und die Menschen zur Flucht ins Jenseits anleitet. Sein eigentlicher Konstruktionspunkt ist in Wirklichkeit gerade die Wiederermöglichung der Polis, die Neugründung der Politik" (73). Daranist gewiß richtig, daß die Intention des platonischen Denkens nicht auf das (Einzel-)Subjekt und eine (isolierte) anthropologische Problematik gerichtet ist. Nur darf deswegen der Blick nicht dafür verstellt werden, daß a) die Vollendungsvorstellung im biblischen und platonischen Bereich (auf Grund der andersgearteten Anthropologie und "Mythologie") eine andere ist, b) sich als Ziel des platonischen Denkens die in allen Wirklichkeitsbereichen (auch im politischen) durchzuführende Bewegung von der materiellen Entfremdung weg zur Welt des Geistes hin darstellt. Dieser Prozeß kommt im Tod als der endgültigen Lösung, ja Erlösung von
Wenn Ratzinger behauptet: "Zunächst wird man gewahr werden, daß die statische Gegenüberstellung von Kulturen und Denkformen (hier griechisch-biblisch), historisch betrachtet, unsinnig ist. Die großen Kulturen und das auf ihrem Boden gewachsene Denken sind keine ruhenden, fest gegeneinander abgegrenzten Gebilde" (71), so ist zu fragen, wer denn solche Auffassungen vertritt. In der Quaestio jedenfalls heißt es ausdrücklich: "Daß beide Denkmodelle nicht monolithische Blöcke sind, sondern mannigfache geschichtliche Varianten aufzeigen, welche Anknüpfungspunkte zueinander eröffnen, sei dabei ausdrücklich betont" (83 4). Dennoch: bevor Kulturen sich gegenseitig durchdringen und zu integrieren suchen, haben sie einen bestimmten Ausgangspunkt. Dieser Ausgangspunkt aber dürfte doch wohl auszumachen sein. Wieso ist dann eine Gegenüberstellung, historisch betrachtet, unsinnig? 4 Als Textbelege vgl. z. B. Phaidon, 65 a: "In erster Linie also zeigt es sich, daß der Philosoph die Seele möglichst radikal von der Gemeinschaft mit dem Leibe löst, weit mehr als sonst ein Mensch." 67c: "Wird nicht das eben die Reinigung sein, wovon schon bisher die Rede war, daß man die Seele möglichst weit vom Leibe trennt und sie daran gewöhnt, daß sie, ganz auf sich bezogen, von allen Seiten her sich aus dem Körper sammelt und zusammenschließt und dann so weit wie möglich im Dasein jetzt und hernach einsam für sich lebt, vom Leibe wie aus Fesseln frei geworden? .. Wird nun nicht eben dies: Lösung und Trennung der Seele vom Leib als, Tod' bezeichnet? ... Und sie zu lösen mühen sich, wie wir behaupten, stets in besonderer Weise und ganz allein die wahrhaft Philosophierenden; und eben dies und kein anderes ist das Lebenswerk der Philosophen: 3
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den materiellen Bedingungen an sein Ende 4 - eine Konzeption, die kaum anders denn als dualistisch bezeichnet werden kann 5 , c) infolgedessen Platon den Tod (z. B. im Phaidon) als "schönen Tod" und nicht als dramatisch-tragischen Tod versteht, wie ihn aufs Ganze das Alte Testament kennt und wie er uns im Neuen Testament im Tod Jesu vorgestellt wird. Das alles ist natürlich auch Ratzinger bekannt. Darum gibt er auch ausdrücklich zu, wie sehr in die platonischen Anschauungen "der christliche Glaube korrigierend und reinigend eingreifen mußte - es gibt tatsächlich eine tiefgehende Differenz zwischen Platon und dem Christentum" (74). Aber was soll dann die ganze unnütze Polemik Lösung und Trennung der Seele vom Leibe, oder nicht?" (übersetzung nach F. Dirlmeier, Platon, Phaidon [München 1949]). 5 Vgl. dazu S. Petrement, Le dualisme chez Platon, les Gnostiques et les Manicheenes = BibI. de Phil. conternp. 26 (Paris 1947) bes. 116ff; J. Pieper, Tod und Unsterblichkeit (München 1968) 61: "Wer den Tod die Befreiung der Seele aus dem Kerker des Leibes nennt, der hat tatsächlich zugleich und zuvor gedacht, daß ihre Einsperrung in den Leib ein Unglück sei. Und wie man weiß, hat Platon wirklich, wiewohl er damit nicht schon alles sagt, was er für Wahrheit hält, die Entstehung des leibhaftigen Menschen in einer kosmischen Allegorie als den Absturz eines reinen Geistwesens in den materiellen Körper beschrieben." Vgl. auch a. a. O. 45 ff. - Zwar ist es richtig, daß es Platon positiv um die Wiederherstellung und Ermöglichung der "polis" geht, aber damit ist noch keineswegs die Behauptung von Ratzinger gerechtfertigt, die dualistischen überlieferungsstücke Platons verlören so ihre dualistische Pointe (122). Eine solche These scheint mir einigermaßen abenteuerlich zu sein, studiert man die Texte, wie sie vorliegen (siehe etwa die wenigen Beispiele in der vorigen Anmerkung). Und die Bemerkung, "daß die durch alle neueren theologischen Traktate geisternde Lehre von dem griechisch-platonischen Dualismus zwischen Leib und Seele samt der dazugehörigen Lehre von der Unsterblichkeit der letzteren eine Phantasie von Theologen ohne Entsprechung in der Wirklichkeit ist" (123), kann ich nur als unsachlich bezeichnen. Denn nicht zuletzt übersieht Ratzinger , daß die dualistische Interpretation Platons nicht erst in den "neueren " theologischen Traktaten herumgeistert, sondern daß sie (bei aller Verschiedenheit im Detail) bereits eine durchgehende Interpretation der Antike ist. Vgl. dazu S. Petrement, a.a.O. 11 H. -Wenn man gelegentlich auch einige nicht-dualistische Texte bei Platon findet (vgl. z. B. Pieper, a.a.O. 167 f), so ist die Erklärung von Petrement, a.a.O. 34, zu bedenken: "S'il y a un momentou chez lui, le dualis me s'attenue, c'est au commencement de sa vieillesse, et s'il yrevient dans les Lois, c' est comme un retour i sa premiere pensee." Die Platon-Interpretation durch Ratzinger wird auch - soweit ich sehe - von Theologen verschiedenster Couleur abgelehnt. Vgl. z. B. NA. Luyten, Der Mensch als wesentlich sterbliches Wesen in philosophischer Sicht, in: Tod - Preis des Lebens?, hrsg. v. N. A. Luyten (Freiburg - München 1980) 115; G. Bachl (s. o. Anm.2) 123,33631 ; H Vorgrimler, Tod (s. o. Anm. 43 a) 155; ders., Hoffnung (s. o. Anm.43a) 144.
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gegen die Theologen, welche diese "tiefgreifende Differenz" herausstellen und die traditionelle christliche Eschatologie - wo es nötig ist - von platonischer überfremdung befreien wollen? 6 Wenn Ratzinger mit seinem Einspruch nur eine radikale Antithetik von biblischem und platonischem Denken treffen und lediglich sagen will, daß im platonis.chen Denken "Möglichkeiten für die philosophische Aufschließung des christlichen Glaubens vorlagen, die in einer tiefen Verwandtschaft der bestimmenden Intentionen begründet sind" (74), ist ihm unbedingt recht zu geben. Aber wer hat das in der katholischen Theologie geleugnet? Als Ergebnis istfestzuhalten: Ratzingervermag weder die ursprüngliche Geschiedenheit der Vollendungsbilder : Auferstehung des Leibes und Unsterblichkeit der Seele, noch den ursprünglich dualistischen Kontext, in dem die Konzeption einer unsterblichen Seele steht, zu bestreiten. Damit ist aber wieder die Voraussetzung gegeben und die Aufgabe gestellt, die auch in der christlichen Korrektur und Modifikation platonischer Vorstellungen noch bestehenden dualistischen Momente (wie ich sie im einzelnen noch bis Thomas aufgezeigt habe 7) zu beseitigen und neu zu interpretieren - wie das die Quaestio mit der Konzeption einer "Auferstehung im Tod" versucht.
6 Diskutabler dürfte dagegen die Anmerkung Ratzingers sein: "Bei den großen theologischen Lehrern habe ich nirgends eine rein ,substantialistische' Unsterblichkeitsbegründung gefunden, die übrigens auch Platon nicht gibt" (127). Platon gibt bekanntlich eine Reihe von Gründen für die Unsterblichkeit der Seele. Darunter treten diejenigen Gründe zurück, die noch am ehesten auf eine Art "substantialistischer" Unsterblichkeitsbegründung hin zu interpretieren sind. Und Ratzinger hat gewiß recht, wenn er darauf hinweist, daß Platon nicht so "substantialistisch" denkt, wie es etwa die Aufklärungsinterpretation Platons (Moses Mendelssohn) tut. Dennoch gibt es bei Platon Argumentationsansätze, die durchaus in Richtung auf eine substantialistische Unsterblichkeit hingehen. Vgl. Phaidon 78 c: "Nicht wahr, dem, was man zusammengesetzt hat und was seiner Natur nach zusammengesetzt ist, kommt wohl zu, auf dieselbe Weise aufgelöst zu werden, wie es zusammengesetzt worden ist; wenn es aber etwas Unzusammengesetztes gibt, diesem, wenn sonst irgendeinem, kommt wohl zu, daß ihm dieses nicht begegne?" (übers. nach F. Schleiermacher, Platon, Werke, Bd. III [Darmstadt 1974]). 7 Auferstehung der Toten (Essen 1969) 36M; Naherwartung-Auferstehung-Unsterblichkeit (im folgenden kurz "Quaestio" genannt) 94ff. - Bezeichnenderweise geht Ratzinger auf die sich hieraus ergebenden Aporien und Schwierigkeiten nicht ein.
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11. ZUR FRAGE EINER "AUFERSTEHUNG IM TOD" Nicht nur von Ratzinger, auch von anderen Autoren, wie z. B. von L. Scheffczyk 8 , J. Finkenzeller 9 , A. Ziegenaus 10, F. Holböck ll u. a., wird die Konzeption einer Auferstehung im Tod bestritten. Dem Vernehmen nach ist zur Zeit auch die Römische Glaubenskongregation mit dieser Materie befaßt. Darum lohnt es sich, ausführlicher auf diesen Punkt einzugehen.
1. Mißverständnisse und Fehlbeurteilungen Ratzingers a) Zur Wiedergabe meiner Position durch Ratzinger Gerade weil die mittlerweile weit verbreitete Konzeption einer Auferstehung im Tod noch eingehender theologischer Prüfung bedarf, ist es um so bedauerlicher, daß die von Ratzinger kritisierten Meinungen unexakt und unvollständig dargestellt und Einzelsätze aus dem Zu-' sammenhang gerissen zitiert werden. Zum Beleg für dieses - wie mir bewußt ist - harte Urteil nur drei Beispiele: 1) Auf S. 95 legt Ratzinger zusammenfassend dar, daß bei einer Reihe von Autoren der Tod als Heraustreten aus der Zeit in die unzeitliche Ewigkeit verstanden wird, so daß sich, von hier aus gesehen, das Problem eines Zwischenzustandes zwischen Tod und Auferstehung als Scheinproblem zeigt. Unmittelbar danach, ohne übergang, und damit scheinbar als Konsequenz, zitiert Ratzinger einen Satz aus meiner "Auferstehung": "Damit kann dann auch die Auferstehung im Tod und nicht erst am ,Jüngsten Tag' angesetzt werden." So wird der Eindruck erweckt: 1. die Eliminierung des Zwischenzustandes sei der Grund für die Annahme einer Auferstehung im Tode ("damit kann dann auch ... "), 2. ich gehörte zu den Autoren, für welche der Tod das Hineintreten in die unzeitliche Ewigkeit ist. Beides ist eine völlig unzutreffende Wiedergabe meiner Äußerungen. A.a.O. (s. o. Anm. 2) 296. Die Auferstehung Christi und unsere Hoffnung, in: A. Paus (Hrsg.), Die Frage nach Jesus (Graz- Wien- Köln 1973) 256. 10 Rezension, in: MThZ 27 (1976) 422-424; ders., Auferstehung im Tod: Das geeignetere Denkmodell?, in: MThZ 28 (1977) 109-132. 11 A.a.O. (s. o. Anm. 2) 31. 8
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ad 1. Das von Ratzinger angeführte Zitat schließt in Wirklichkeit seitenlang vorgebrachte Argumente über das Wie der Vollendung der Materie ab und hat überhaupt nichts mit dem Problem der Zeitlichkeit bzw. Unzeitlichkeit der Vollendung, also mit dem Problem des Zwischenzustandes, zu tun. ad 2. Ausdrücklich werden bei mir individuelle und universale Eschatologie prozeßhaft, und das heißt in der Differenz der Zeit, miteinander vermittelt, anders gesagt: der Tod bedeutet das Hineintreten in einen noch unabgeschlossenen Prozeß der Vollendung 12 . 2) Auf S. 96 zitiert Ratzinger richtig: "Die Materie ,an sich' (als Atom, Molekül, Organ ... ) ist unvollendbar ... " Und der kritische Kommentar von Ratzinger: "Solche Gedanken mögen sinnvoll sein; es fragt sich nur, mit welchem Recht man dann noch von ,Leiblichkeit' sprechen kann, wenn ausdrücklich jede Beziehung zur Materie bestritten ist [!] und ihr Anteil an der Endgültigkeit nur bleibt, insofern sie ,ekstatisches Moment des menschlichen Freiheitsaktes' war" (96). Dieser Kommentar setzt sich über ausdrückliche, unübersehbare Ausführungen von mir hinweg 13 und unterstellt mir das Gegenteil des dort Vertretenen. Ausdrücklich wird erörtert, wie denn - wenn Materie "in sich" unvollendbar ist (übrigens eine These von K. Rahner 14, die ich mir zu eigen gemacht habe) - Materie gerade als Moment des menschlichen Geistes (der menschlichen Personalität) vollendet wird. Ausdrücklich wird also eine unaufgebbare Beziehung des Geistes zur Materie und der Materie zum Geist behauptet und nicht bestritten. Materie war nicht (wie Ratzinger fälschlichkommentiert) nur "ekstatisches Moment des menschlichen Freiheitsaktes", sondern sie ist bleibende Ingredienz der in der Geschichte herangereiften Personalität 15. Damit aber wird der Kommentar von Ratzinger hinfällig: Die These: Die 12 Vgl. dazu Auferstehung 393ff; Quaestio 119f. -Auch Ziegenaus, Auferstehung 111, wirft mich fälschlicherweise in einen Topf mit jenen Autoren, die individuelle und universale Eschatologie "aufgrund des Wegfalls des Zeitfaktors koinzidieren" lassen. 13 Auferstehung 384ff; Quaestio 116ff. 14 Schriften zur Theologie VIII, 594, 608: "Der Begriff der Vollendung ist auf die so [= materiell] gemeinte Welt ... als solcher sinnvoll gar nicht anwendbar; die physische Welt als solche ist in sich grundsätzlich ,unvollendbar' ... Die materielle Welt als solche, in ihr selbst bleibend, hat keine Vollendung, so wie ein Präludium als solches kein Finale sein kann." 1S Vgl. Quaestio 116f: "In der endgültigen Verfaßtheit des Menschen ist also als inneres Moment Leib und Welt auf immer versammelt. Ein ,Stück Welt' ist, verinnerlicht in der nicht wegzudenkenden konkreten Prägung des Subjekts, bleibend aufgehoben ... , die Leiblichkeit ist somit für immer im Subjekt eingeschrieben, auch wenn die als ,Körperhaftigkeit' sich realisierende Raum-Zeit-Gebundenheit im Tod ein Ende findet." Vgl. auch das folgende.
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Materie "an sich" ist unvollendbar, würde "den gegenteiligen Versicherungen zum Trotz, eine Teilung der Schöpfung und insofern einen letzten Dualismus bedeuten, bei dem der ganze Bereich der Materie aus dem Schöpfungsziel herausgenommen und zu einer Wirklichkeit zweiter Ordnung gemacht wird" (159). Ist es wirklich so schwierig zwischen der Vollendung der Materie "an sich" oder "in sich" und "im andern" zu unterscheiden? Gerade weil letzteres von mir mit Nachdruck betont und entfaltet wurde, geht auch der Einwand Ratzingers, ob durch die Konzeption einer "Auferstehung im Tod" nicht eine "kaschierte Wiederherstellung der Unsterblichkeitslehre, die philosophisch auf etwas abenteuerlichen Voraussetzungen beruht", gegeben ist, schlechthin ins Leere. Unverständlich wird damit auch der Vorwurf: Es "wird auch in diesem Modell der Leib dem Tod überlassen und gleichzeitig ein Fortleben des Menschen behauptet. Die Schelte auf den Begriff der Seele verliert damit ihre Verständlichkeit, denn im stillen muß man ja nun doch wieder eine vom Leib abgetrennte Eigenwirklichkeit der Person behaupten - nichts anderes aber hatte der Seelenbegriff sagen wollen" (96). Damit "wird endgültig sichtbar, daß die modernen Theorien, denen wir begegnet sind, trotz ihres gegenteiligen Ausgangspunktes weniger der Unsterblichkeit der Seele als der Auferstehung ausweichen, die der wahre Skandal des Denkens geblieben ist" (134). All diese Einwände und Fragen gehen am Kern meiner Konzeption vorbei. Freilich gibt es eine Eigenwirklichkeit der Person, die nicht an die als Körperlichkeit gedachte Materialität gebunden ist 16 (und insofern gibt es in der Tat Beziehungen zur christlich verstandenen "Seelenlehre"). Aber die Frage ist, wie diese "Seele" oder, besser: jene den Tod überwindende Subjektivität des Menschen gedacht wird: als leibfreie Seele, die noch erst auf das Erwecktwerden ihres Leibes am Jüngsten Tag wartet, oder als menschliche Person, in der sich bereits - in "nichtkörperlicher" Weise (auf verklärte Weise, wenn man so will) - die Materie mitvollendet. Materie wird "ganz neu und definitiv dem Geist zu eigen und dieser ganz eins mit der Materie" (158), bemerkt Ratzinger vom Jüngsten Tag. Eben dies behaupte ich bereits für den Augenblick des Todes und versuche, diese Ein-
16 Was ja auch Ratzingernicht fremd ist: "Es wird eine Unterscheidung zwischen ,Körper' und ,Leiblichkeit' möglich" (148). - Die begriffliche Unterscheidung von "Leib" und "Körper", die m. W. auf Hege! zurückgeht, ist im übrigen in der neueren philosophischen Anthropologie (Scheler!) üblich. Sie hat insofern bereits einen Anknüpfungspunkt in der thomanischen Anthropologie, als für Thomas der von der Seele getrennte Leib nur "äquivok" noch Leib ist (vgl. z. B. In II De an. 2,239; An. 9c).
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heit von Geist und Materie neu zu denken, so daß sich der Rekurs auf einen leibfreien Zwischenzustand erübrigt 17 . 3) Ratzinger bemerkt: "Die Vorstellung Greshakes, daß die Seele die Materie als ,ekstatisches Moment' ihres Freiheitsvollzugs in sich aufnimmt und sie als Materie im ewig Unvollendbaren dann definitiv hinter sich läßt, ist von Thomas her unvollziehbar" (148). Auch diese Zusammenfassung Ratzingers verfehlt in drei Punkten meine Meinung und trifft in einem vierten Punkt (hinsichtlich der thomanischen Denkmöglichkeit) nicht zu. Denn: 1. Nirgends ist bei mir davon die Rede, daß die Seele die Materie in sich aufnimmt. 2. Es ist nach meinen Darlegungen eine Verkürzung, die Vollendung der Materie nur als ekstatisches Moment des menschlichen Freiheitsvollzugs zu denken 18. 3. Es ist eine Karikatur zu behaupten, die Seele werde die Materie im ewig Unvollendbaren definitiv hinter sich lassen 19. 4. Der Gedanke einer inneren Prägung der Subjektivität des Menschen oder der menschlichen Person (diese Ausdrücke und nicht der Begriff Seele wurden mit Bedacht gewählt) durch die Materie ist durchaus auch im Rahmen einer thomanischen Anthropologie möglich, richtet 17 An dieser Stelle kann auch die etwas mißverständlich formulierte Frage von Ziegenaus, Auferstehung 123, behandelt werden: "Ob nicht wenigstens für den ,Wechsel' des irdischen Leibes mit dem Auferstehungsleib eine zwar momentane, aber prinzipiell doch gegebene Zwischenzeit anzunehmen sei". Darauf ist zu antworten: Der Auferstehungsleib, d. h. die bleibende Vollendung der Materialität im "Personkern" des Menschen, ist nicht etwas, das erst "nach dem Tod" einsetzt, so daß sich die Frage nach einer wenigstens "momentanen Zwischenzeit" stellen läßt, sondern: "Während der ganzen Dauer seiner irdischen Tage" (P. Teilhard de Chardin, Der göttliche Bereich [Olten - Freiburg '1965J 32) macht sich der Mensch die vorgegebene materielle Welt zu eigen, so daß sie also als inneres Moment, als "Ernte der Zeit", in ihm versammelt ist. Materialität ist - wie ich ausgeführt habe - "nicht nur Bedingung und Instrument für den Selbstvollzug des Subjekts, um dann einfach als später überflüssiges Mittel und transitorisches Durchgangsstadium abgeschlossen zu werden, sondern sie ist verinnerlicht in der nicht wegzudenkenden konkreten Prägung des Subjekts unaufgebbar aufgehoben" (Auferstehung 385). 18 Vgl. Quaestio 115ff. 19 Vgl. aus vielen anderen Texten nur diesen: "Bei aller Verschiedenheit sind ... Subjektivität und Materialität unlösbar miteinander verbunden. Deswegen kann auch die vollendete Zukunft des Menschen und der Geschichte nicht im Hinter-sieh-Lassen des Materiellen bestehen, sondern in dessen vollendeter Transzendenz. Deswegen muß vollendete Materialität ein Moment an der Vollendung des Geistes selbst sein und nicht etwas, was es neben der Vollendung des Geistes ,auch' noch gibt": Auferstehung (s. o. Anm. 7) 378.
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man nur seine Aufmerksamkeit auf die innere Gespanntheit des thomanischen Materie-Verständnisses. Da dieser Sachverhalt offenbar nicht nur Ratzinger entgangen ist, einige Kritiker (z. B. Ziegenaus 20) eine systematische Aufarbeitung der Fragen als Desiderat angemeldet haben und nicht zuletzt weil eine historische Skizze uns in die folgenden überlegungen einführt, sei dieser letzte Punkt 4 wenigstens näher umrissen. b) Zur Frage des Materie-Verständnisses bei Thomas v. Aquin Der Materie-Begriff bleibt in der ganzen scholastischen Tradition in einer eigentümlichen Vieldeutigkeit 21 . Dies liegt nicht zuletzt daran, daß schon Aristoteles zwei Definitionen der Materie gibt, die keineswegs ohne weiteres auf einen Nenner zu bringen sind und die von Aristoteles aus viele Ambivalenzen und Unklarheiten der scholastischen Philosophie bestimmt haben. In der Physik (1,9; 192 a 31s) definiert Aristoteles: "Ich nenne Materie das erste Substrat eines jeden, aus dem als in ihm Bleibenden etwas in nicht bloß akzidenteller Weise erzeugt wird." Diese Definition ist gewonnen aus der empirischen Beobachtung, wonach elementare KörIn: Rezension (s. o. Anm. 10) 423. "Für die einen ist die Materie ,reine Potenz', die anderen schreiben ihr einen eigenen aktualen Seins bestand zu. Für die einen ist die Materie Individuationsprinzip, die anderen lehnen diese Auffassung ab. Nach den einen gibt es Materie nur in den Körpern, die anderen sprechen von einer ,geistigen Materie', so daß auch die geistigen Substanzen aus Materie und Form zusammengesetzt gedacht werden. Die einen halten streng daran fest, daß sich in einem einheitlichen Seienden nur eine einzige substantiale Form unmittelbar mit Urmaterie verbinden kann, während andere eine Mehrheit von substantialen Formen in einem einzigen Seienden nicht für unmöglich halten, so, daß z. B. die ,Materie', die von der Seele unmittelbar informiert wird, nicht die völlig unbestimmte Urmaterie, sondern der ,Leib' ist, der aus einer Vielzahl von Elementarteilen sich aufbaut, von denen jeder wiederum aus Materie und Form zusammengesetzt ist ... Wie bei anderen ähnlichen Streitfragen, so kann man sich auch hier des Eindrucks nicht erwehren, daß die alten Probleme keineswegs wirklich bewältigt sind": ! de Vries, Zur aristotelisch-scholastischen Problematik von Materie und Form, in: Scholastik 32 (1957) 161f. Auch W. Kluxen, Anima separata und Personsein bei Thomas von Aquin, in: Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption, hrsg. v. W. P. Eckert (Mainz 1974) 96-116, spricht vom "Schwanken" des Thomas hinsichtlich des Materieverständnisses (103). - Die folgenden Darlegungen geben im wesentlichen die Gedankengänge und Materialien des Artikels von J. de Vries (161-185) wieder. Vgl. aber auch P. Bissels, Die sachliche Begründung und philosophiegeschichtliche Stellung der Lehre von der materia spiritualis in der Scholastik, in: Franziskan. Stud. 38 (1956) 241-295; ders., Die Seele als Form und Einzelwesen bei Thomas von Aquin, in: ebd. 61 (1979) 1-7. 20 21
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per ineinander umwandelbar sind. Folglich muß es ein letztes, in allem Werden sich identisch durchhaltendes Substrat geben. In einem anderen Zusammenhang steht die Definition in der Metaphysik (7,3; 1028b 36s): "Ich nenne aber Materie, was an sich weder als ein Etwas noch als etwas Quantitatives noch als sonst etwas von dem bezeichnet wird, wodurch das Seiende bestimmt wird." Diese Materie-Definition erscheint im Rahmen einer Besinnung auf die verschiedene Bedeutung des Wortes ousia in der (die Struktur der Wirklichkeit selbst widerspiegelnden) Struktur des Urteils: Hier zeigt sich nämlich, daß es "in jedem Einzelwesen außer dem substantiellen Wesen und den Eigenschaften, die alle an sich mehreren zukommen können, noch ein letztes, von all diesen Prädikaten Verschiedenes gibt, das alle durch die verschiedenen Prädikate bezeichneten realen Bestimmungen ,hat'" 22. Es gibt mithin ein letztes "Diesda", das nichts von all dem ist, was von ihm ausgesagt wird, das aber mögliches Subjekt aller Bestimmungen ist. Anders gesagt: es ist reine Potenz- materia prima. "Diese ,Materie' scheint Aristoteles nie ausdrücklich zu der ,Materie' der Physik, dem Substrat des substantiellen Werdens, in Beziehung gesetzt zu haben. Die Gleichheit der Bezeichnung legt es nahe, daß auch die gemeinte Sache ein- und dieselbe ist. In beiden Fällen handelt es sich ja auch um ein irgendwie ,letztes' Subjekt, das durch hinzutretende ,Formen' bestimmt wird. Und doch führt der Versuch, die beiden Materiebegriffe ... gleichzusetzen, zu immer neuen Schwierigkeiten. Diese Problematik hat Aristoteles ungelöst seinen Ausdeutem hinterlassen ... Die [scholastischen] Meinungsverschiedenheiten über Materie und Form [sind] zumindest zum Teil darin begründet ... , daß schon bei Aristoteles zwei verschiedene Begriffe von Materie und Form vorliegen und daß sich die Scholastiker teils mehr von dem einen, teils mehr von dem anderen Begriff leiten ließen ... "23 Auf der einen Seite knüpft die scholastische Tradition an das Materie-Verständnis der Physik an, indem sie Materie als einen konkreten Wesensteil des Seienden mit eigenem Wesen und eigenem Dasein versteht; auf der anderen Seite wird - vor allem in der streng thomistischen Tradition - die Materie eher von der aristotelischen Metaphysik her als Individuationsprinzip und reine Potentialität verstanden: damit hat sie kein eigenes Sein 22
de Vries 166.
166
23
de Vries 167,185.
und kann niemals ohne Form (für den Menschen: ohne Seele: unica forma corporis) existieren. Und doch bleibt auch bei Thomas und den Thomisten das MaterieVerständnis mehrdeutig und findet keine letzte Einheit. Denn es können auch in der thomistischen Tradition die Materie und die ihr zugeordnete Form nicht als Wesensteile (in hylemorphistischem Sinn) verstanden werden. Dies zeigt sich auch darin, daß sich bei Thomas wenigstens ein zweifacher Form-Begriff findet. In seinem Metaphysikkommentar (In 7 Metaph., lect. 9 n. 1469) (und ansatzweise schon in De ente et essentia) spricht Thomas von der "forma totius", d. h. von der Form, die das Wesen des Ganzen begründet (im Fall des Menschen: "das Menschsein"), und von der "forma partis", d. h. von der Form als Wesensteil (beim Menschen: die Seele). Eben das impliziert auch eine Doppelung der Materie. Denn einmal besteht die Form als "forma totius" aus der Form als Teil und der Materie als Teil, zum andern ist die Form als ein Wesensteil der Materie als dem andern entgegengesetzt. Die Materie, die zur Konstitution der "forma totius", also des Menschen als des Menschen gehört, nennt Thomas materia communis (im Gegensatz zur materia signata). Zwar sind für Thomas beide Weisen der Materie nichts Verschiedenes, sondern das gleiche nur unter verschiedenen Gesichtspunkten. Dennoch ergibt sich die Schwierigkeit, daß Materie einmal Potenz des Aktes (= der Seele) ist und zum andern mitkonstituierendes Prinzip des Aktes (= des Menschseins) selbst ist. Diese (nicht nur) hier sich zeigende Spannung im Materie-Verständnis wurde weder von Thomas noch in der folgenden scholastischen Tradition wirklich gelöst. Es gibt nicht wenige Scholastiker, die beide Weisen der Materie für unvereinbar miteinander halten. Vielleicht führt folgender interpretatorischer Hinweis weiter: Die Zusammensetzung des Menschen aus Materie und Geist (worin Materie und Geist "entgegengesetzte Prinzipien" sind) zielt auf die ontologische Struktur (sozusagen auf die transzendentalen Möglichkeitsbedingungen) von Menschsein, nicht aber auf dessen phänomenale Verwirklichung ab. Im phänomenalen Bereich 24 gehört Materie 25 zum 24
Es ist eben kein Zufall, daß AristoteIes den hier gemeinten Materie-Begriff in der
Physik gefunden, den anderen aber in der Metaphysik postuliert hat! 25
"materia naturalis", wie Roger Bacon sie nennt, oder "materia secunda", wie sie seit
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Akt, zum Selbstvollzug des Menschen und geht mithin innerlich prägend in die "forma totius" ein 26. Der Vollzug des Menschseins besteht gerade darin, daß Materie und Geist - je verschieden - aufeinander wirken und sich in einem dynamischen Prozeß miteinander vermitteln 27. Ich sehe nicht, wieso angesichts der Vieldeutigkeit des thomanischen Materie-Verständnisses die von mir vorgelegte Position" von Thomas her unvollziehbar" ist (148). Das von mir gegebene Verständnis, Vollendung des ganzen Menschen (also auch seiner materiellen Dimensionen) zu denken, knüpft vielmehr im Fundamentalen an die große abendländische Tradition des Hylemorphismus und deren christlicher Modifikation vor allem bei Thomas an und sucht sie weiterzuführen.
2. Vollendung der Materie. Repetierende Klarstellungen
Drei Momente sind es vor allem, in denen ich versuche, die traditionellen Vorstellungen weiterzuführen: Im Hinblick auf a) eine größere Einheit des Menschen bzw. eine größere Einheit von Materie und Geist, b) die Dynamisierung des Verhältnisses von Materie und Geist, c) die Eliminierung eines in sich widersprüchlichen Zustandes einer leiblosen Seele. Diese drei Momente seien noch einmal eigens herausgestellt, um die gegebene Interpretation gegen Mißverständnisse und Verkürzungen zu verdeutlichen. Suarez häufig genannt wird: sie wird konstituiert durch die materia prima und ihre Formung durch die entsprechende Form. 26 Vgl. auch zur Bedeutung dieses für die Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften unumgänglich wichtigen Begriffs der materia secunda: J. Haas, Materie und Leben, in: Arzt und Christ 13 (1967) 73 u.ö. 27 Im übrigen zeigt Thomas auf vielfache Weise, daß es sich bei der Konstitution des Menschen aus Leib und Seele "um ein mehrfach kompliziertes Verhältnis korrelativer Bedingtheit und wechselseitiger Abhängigkeit" handelt. Vgl. dazu K. Bernath, Anima forma corporis (Bonn 1969) 42ff; F. Hammer, Personale Leiblichkeit, in: Salzb. Jb. f. Philos. 19 (1974) 216ff. Es gibt nach Thomas eine Wirkkraft der Materie (des Leibes) auf die Form (Seele) hin. Der Aquinate spricht von einer "infectio" der Seele durch den Leib (5Th IIII, 81,4 ad 2) oder von der Tatsache, daß derformgebende Akt der jeweiligen Potenz "entspricht" (ScG II, 83). Es ist die Rede von einer "proportio " (oder "habilitas" oder "ordo") der Materie auf die Form hin (z.B. 5Th 1,87, 1c; I/II,50, 1c; 112,3 ad 3: II/II,27,3.3c). Wichtig ist auch, sich zu vergegenwärtigen, daß das geistige Erkennen
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ad a) K. Rahner weist besonders in seinem Aufsatz "Die Einheit von Geist und Materie im christlichen Glaubensverständnis" 28 darauf hin, wie es für das biblisch-christliche Glaubensverständnis eine letzte und innerste Einheit und Verwandtschaft von Geist und Materie gibt, weil beide sich dem gleichen Urgrund, nämlich Gott, verdanken und auf das gleiche Ziel bezogen sind. Zumal das Neue Testament zeigt, daß "der Höhepunkt der Heilsgeschichte nicht die Entweldichung des Menschen als Geist [ist], um so zu Gott zu kommen, sondern die absteigende und irreversible Weltlichkeit Gottes, das Kommen des göttlichen Logos in das Fleisch, die Annahme des Materiellen, so daß sie selber bleibende Wirklichkeit Gottes wird, in der Gott in seinem Logos sich wirklich und wahrhaft uns für immer aussagt" 29. Damit ist aber gegeben: So sehr die Materie jene Wirklichkeit ist, die in Raum und Zeit ausgegossen, sich selbst nicht durchlichtet, und darum auch nicht bei sich selbst, sondern das in sich und gegen andere verschlossene "Viele" ist, so muß diese Aussage zugleich ergänzt werden durch jene andere, daß durch den Geist die Begrenztheit der Materie entschränkt wird, und zwar so, daß der Geist als das schlechthin unbegrenzte Vermögen sich von der Materie unterscheidet, sie aber zugleich als Moment seines eigenen Selbstvollzugs und Zu-sich-Kommens bei sich behält und untrennbar damit verbunden bleibt 30. Materie zeigt sich von daher als positiv auf den Geist hingeordnet, ja als etwas, dessen Positivität sich gerade erst vom Geist her und in der Einheit mit dem Geist verwirklicht. Umgekehrt zeigt sich der Wesensvollzug des Geistes als auf Materialität unrücknehmbar verwiesen. "Darum ist die Leiblichkeit des Menschen notwendig ein Moment der Geistwerdung des Menschen, also nicht das Geist-Fremde, sondern ein begrenztes Moment am Vollzug (nach Thomas: ein Akt der Seele) des leiblichen Vermögens bedarf, daß mithin im (für Thomas höchsten) Akt des Menschen eine dynamische Vermittlung zwischen Materialität und (rezeptiver) Geistigkeit stattfindet, so daß die Seele "per corpus perfectionem acquirit et in scientia et in virtute" (ScG IIl, 144). Nicht zuletzt bleibt für Thomas die durch die Materie begründete Individuation auch nach der Trennung der Seele vom Körper erhalten (vgl. InIl sent. 17,1,1 ad 1). Nimmt man Individuation nicht nur -wie Thomas - als eine einmalige statische ontologische Konstitution, sondern als ein permanentes Lebens-Geschehen, so läßt sich in der Tat sagen, daß nach Thomas Materie in den Lebensvollzug des geistigen Subjekts prägend eingeht und erhalten bleibt. 28 In: Schriften zur Theologie VI, 185-214. 29 Ebd. 194. 30 Vgl. ebd. 204.
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des Geistes selbst." Materie ist so "gewissermaßen gefrorener Geist ... , deren einziger Sinn die Ermöglichung wirklichen Geistes ist"31. Das gilt nicht nur für den Leib des Menschen, sondern auch für die materielle Welt, insofern diese gleichsam der "Großleib" des Menschen ist 32 .
ad b) Insofern Materie mithin auf den Vollzug des menschlichen Geistes hinge ordnet, ja in diesen Vollzug hineingenommen ist 33 , ist das Verhältnis der Materie zum Geist ein durch und durch dynamisches. Im Prozeß des Selbstwerdens verwandelt der Mensch kraft seiner Geistnatur die Dimension des Materiellen (seines Leibes, der Welt ... ) in sein persönliches Leben hinein. Für P. Teilhard de Chardin, der seine eigene Position selbst als Dynamisierung des aristotelischen Hylemorphismus versteht 34, ist Person "dadurch gekennzeichnet, daß sie in zunehmendem Maß ,Welt' auf sich hin (kon-)zentriert und sich dabei immer mehr in sich selbst zentriert ... In diesem Prozeß der Gestaltung nun ereignet sich auch Gestaltung des Menschen selbst. Durch und in dieser Aneignung und ,Vermenschlichung' der Welt ereignet sich Bereicherung, Vertiefung, ,Vermenschlichung' des Menschen." 35 So wie sich in der Evolution der Gesamtwirklichkeit das Grundgesetz allen geschöpflichen Seins zeigt - "Etre = s'unir soi-meme ou unir les autres (forme active), etre = etre uni et unifie par un autre (forme passive); oder die lateinische Formel: "Plus esse = plus plura unire. Plus esse = plus a pluribus uniri ... " 36 - so heißt es auf den Menschen angewandt: Das menschliche Ich gewinnt nur Konsistenz, "indem es immer mehr es selbst wird, in dem Maße, als es alles übrige in sich aufEbd. 204, 213. Im wesentlichen finden sich diese überlegungen bei mir in: Auferstehung (s. o. Anm.7) 373ff. 33 V gl. die thomanische These von der Materie als Mitkonsrituens des Aktes "Mensch". Vgl. S. 167. 34 Vgl. dazu Th. Broch, Das Problem der Freiheirim Werk von Pierre Teilhard de Chardin = TTS 10 (Mainz 1977) 28. 35 Th. Broch, a. a. O. 141. - Vgl. zum folgenden auch M. Barthelemy-Madaule, Bergson und Teilhard de Chardin (dt. Olten - Freiburg 1970) 130-147. 36 P. Teilhard de Chardin, Les directions de l'Avenir (Paris 1973) 208 = Mein Weltbild (Olten - Freiburg o. J.) 54f. 31
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nimmt"37. Der Mensch macht sich mithin die Wirklichkeit zu eigen, indem er Materie in sich verinnerlicht, ohne daß diese aufhört, Materie zu sein (freilich Materie in und durch den Menschen vermittelt!). Nur, daß wir Materie nicht verstehen dürfen als jenes der unmittelbaren Sinneswahrnehmung unterliegende untermenschliche Materie-Stück (etwa Stein, Pflanze, Tier ... ); Materie ist vielmehr letztlich - wie das ja auch die moderne Naturwissenschaft zeigen- Energie, die sich in verschiedene Zustände, auch in die höchster Komplexität zu wandeln vermag 38 . Die Verinnerlichung von Materie in den Selbstvollzug, in das Reifwerden des menschlichen Geistes hinein, bringt eine andere Gestalt von Materie hervor als die, welche uns aus der sinnenhaften Objektwelt oder aus der eigenen Körperlichkeit bekannt ist. Wenn somit Leiblichkeit und Welt des Menschen nicht einfach als physizistisch-sinnenhafte Materie oder Körperlichkeit zu verstehen sind, sondern als das, was konstitutiv ermöglicht, daß ein endliches Subjekt sich in Raum und Zeit selbst auszeitigt, so bedeutet dies: Leib, und damit Welt und Geschichte, werden im Tod nicht einfach abgestreift; Tod bedeutet nicht auswandern einer unbetroffenen Seele in ein Jenseits, sondern im Tod kommen Leib, Welt und Geschichte gerade in ihrem eigentlichen ontologischen Sinn im Subjekt zur Vollendung: Materie ist dann für immer im Subjekt (nicht in der Seele!) eingeschrieben, auch wenn die als sinnenhafte Wirklichkeit oder als Körperhaftigkeit sich realisierende Raum-Zeit-Gebundenheit der Materie im Tod ein Ende findet. "Die Kontinuität liegt" -wie Th. Broch, Teilhard interpretierend bemerkt 39 - "in der Unsterblichkeit des Geistigen, des Personalen, dessen Reifung alle Gestalten der kosmischen und der menschlichen Geschichte dienen und in dem sie vergeistigt eingebracht werden in die absolute Vollendung, in das ,Pleroma', in die Heimholung und Vereinigung der Welt in und mit Gott."40 37 P. Teilhard de Chardin, Der Mensch im Kosmos (dt. München 1959) 159. 38 Vgl. z.B. W.Heisenberg, Schritte über die Grenzen (München 31976) 235: Materie ist, rein naturwissenschaftlich betrachtet, "Energie": "Die Grundsubstanz ,Energie' wird zur ,Materie', indem sie sich in die Form eines Elementarteilchens begibt". Oder: S. Müller, Physikalischer Materiebegriff und dialektischer Materialismus, in: OstEuropa/Naturwissenschaft 1 (1957158) 12lf: "Der Begriff der Materie ~Is des Ausgedehnten, Raumerfüllenden schlechthin ... [wird] für die Physik als eine brauchbare 39 A.a.O. 261. Kategorie zur Erfassung der Wirklichkeit aufgehoben." 40 Der Begriff der "Vergeistigung" kann hier in die Irre führen. Er muß verstanden wer-
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Deshalb ist Vollendung des Menschen im Tod nicht zu denken als Auswanderung einer leiblosen Seele, welche Leiblichkeit und Welt hinter sich läßt, sondern als das endgültige Zu-sich-selbst-gekommen-Sein des menschlichen Geistsubjekts in und an der Welt und in und an der Leiblichkeit, wodurch Materie verinnerlicht zum bleibenden Moment an der Vollendung des Geistes geworden ist 4 \ auch wenn wir uns dies nicht mehr vorstellen können, weil uns Materialität nur in der Form sinnenfälliger Anschaulichkeit bekannt ist. Aber schon die Naturwissenschaften heute sollten uns eines Besseren belehren, insofern auch sie mit einem sehr unanschaulichen Materiebegriff umgehen. Ich kann mir hier nur die Ausführungen von 1. Scheffczyk 42 zu eigen machen: "An diesem Punkt ... gibt es eine Berührung zwischen der Glaubensaussage und einem naturphilosophischen Denken, welches davon ausgeht, daß die Materie nicht nur für die massenhaft-körperliche Bindungsform bestimmt ist, sondern daß sie als Ausdrucksmedium dem Geist geöffnet ist und von ihm zur höheren Gestaltung geführt werden kann, die die empirische Erscheinungsform der Massenhaftigkeit, der Körperlichkeit, der zwanghaften Ausdehnung im Raum und in der bloß quantitativsummativen ,Und-Verbindung' der Teile weit überschreitet. Schon die konstitutive Bindung der Materie in einem physischen oder lebendigen Ganzen bedeutet eine Befreiung ihres rein körperhaften Ausgeliefertseins an Raum und Zeit, insofern in einem solchen Ganzen räumliche und zeitliche Veränderungen kompensiert werden können und eine gewisse überhobenheit über Raum und Zeit eintritt. Sie zeigt sich besonders in der Einbeziehung der Materie in die Konstitution des menschlichen Leibes, in dem Materie nicht mehr nur körperhaft als Gewicht, Masse und Ausdehnung fungiert, sondern als Medium und Spiegel des Geistes, der die feinen Schwingungen des Geistes in Bewegung, im Gestus und im Rhythmus wiedergeben kann. Hier zeigt sich an der Materie die Fähigkeit zur den auf dem Hintergrund der Grundauffassung von Teilhard, wie sie sich z. B. in folgendem Zitat kundtut: "Matiere et Esprit: non point deux choses, - mais deux etats, deux faces d'un meme Etoffe cosmique": Le cceur de la Matiere. (15. 8. 1950) Unveröffentlichtes Manuskript, zitiert nach Th. Brach, a. a. O. 38. - Vgl. auch den Rahnerschen Begriff von der Materie als "gefrorener Geist". 41 Wenn es dem menschlichen Geist ~esent!ich ist, die Materie zu aktuieren, so könnte ein solcher Akt "schlechthin nur aufhören mit dem Aufhören der Seele selbst": K. Rahner, Zur Theologie des Todes (Freiburg i. Br. 21958) 21. - Auch daran zeigt sich bereits wieder, daß der Begriff einer leibfreien Seele in sich selbst widersprüchlich ist. 42 Auferstehung (Einsiedeln 1976) 290f mit Verweis auf viele Autoren.
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Aufgabe ihrer Resistenz gegenüber dem Geist. So vermag sie sein Instrument zu werden, aus dem er in einern Wechselspiel gleichsam, übermaterielle' Wirkungen hervorholt. Diese anfanghafte ,Vergeistigung' der Materie, die sie schon im Leibe des Menschen erfährt, erlaubt nun den Schluß, daß die Materie in dieser Schöpfung auf einern Vollendungsweg begriffen ist, der sie immer mehr der Verhaftung an Körperlichkeit, Massigkeit und Starre entzieht. Dem entspricht die rein physikalische Feststellung, daß ,die kleinsten Einheiten der Materie... tatsächlich nicht physikalische Objekte im gewöhnlichen Sinne des Wortes sind; sie sind Formen, Strukturen oder - im Sinne Platos - Ideen'."
ad c) Es ist bedauerlich, daß Ratzinger und auch andere Kritiker überhaupt nicht eingegangen sind auf die Widersprüchlichkeit, die das Konzept einer leiblosen und doch "seligen Seele" schon in der Scholastik bildet. Auf der einen Seite ist die Seele in einern naturwidrigen Zustand, auf der andern ist sie zuhöchst "selig" ; auf der einen Seite ist die Seele wesentlich auf den Leib - diesen aktuierend - bezogen, so daß dieser Akt nur aufhören kann mit dem Aufhören der Seele selbst 43 , auf der anderen Seite aber hört nicht die Seele, wohl aber der Leib auf zu existieren. Diese Widersprüche, die sich aus der Konzeption eines leibfreien Zwischenzustandes der Seele ergeben, bedürfen unbedingt der Lösung. Es kommt noch folgendes hinzu: Der Leib des Menschen ist die notwendige Voraussetzung für seine Kommunikation mit anderen Menschen und mit der ihn umgebenden Welt. Materialität ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß sich menschliche Freiheit als gesellschaftlich-interpersonale Freiheit vollziehen kann 44. Nun wird aber gerade die Kommunikation mit den anderen und dem Ganzen der Wirklichkeit durch die Leiblichkeit sowohl ermöglicht als auch zugleich behindert 45 • Für das Selbstverständnis des christlichen Lebens aber, wonach (mindestens) die Heiligen und bereits Seligen den Lebenden nichtferner, sondern näher sind, wird die Interkommunikation der Menschen durch den Tod nicht geringer, sondern es wird ihr gerade die Behinderung, die in der Zeit noch gilt, genommen. Will man nun nicht postu-
43
44 45
Vgl. Anm.41. Greshake, Auferstehung 342f; Quaestio 117. Vgl. dazu B. Weite, Auf der Spur des Ewigen (Freiburg i. Br. 1965) 83ff.
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lieren, daß die Kommunikation der Vollendeten auf völlig andere Weise geschieht als so, wie sie im Leben konstituiert war (nämlich durch Materialität), s~ folgt daraus, daß der Mensch im Tod die kommunikationsermöglichende Materialität nicht hinter sich läßt, sondern zu ihr in ein neues Verhältnis tritt, worin gerade die hindernden Faktoren "aufgehoben" sind. Eben dies war auch der Grund, warum K. Rahner die bleibende Materiebezogenheit der Seele auch nach dem Tod so konzipierte, daß er sie als intensivere Beziehung "zu jener Ganzheit, die die Einheit der materiellen Weh ist" verstand, nämlich als "allkosmischen Wehbezug des Geistes"46, als ein tieferes und umfassenderes Sich-Offnen und Sich-Durchsetzen unseres Wehbezugs und damit ein freieres und ungehinderteres "In-Beziehung-Bleiben und -Treten mit allem"47, gerade weil der Materiebezug in der Form körperlicher Einzelgestalt im Tod "aufgehoben" wird. Diese Meinung, der Ratzinger -wenn ich ihn recht verstehe- günstig gegenübersteht (157f), hat Rahner in letzter Zeit in Richtung auf die von mir vorgelegte Lösung hin revidiert: Früher postulierte ich (= Rahner) "einen kosmischen Bezug des endlichen Menschengeistes auf die Materie ... Doch wird man zugeben, daß sich das ganze Problem wesentlich vereinfacht, wenn man diese bleibende Bezogenheit der Geistseele auf die Materie scholastisch ausgedrückt als bleibende Informiertheit des verklärten Leibes durch die vollendete Geistseele denkt ... Darum kann auch die empirische Erfahrung des Leichnams im Grab gar kein Argument mehr abgeben, daß die ,Auferstehung' noch nicht stattgefunden habe. Warum sollten wir sie dann nicht in dem Augenblick ansetzen, wo sich die Freiheitsgeschichte des Menschen vollendet, in seinem Tod nämlich?" 48 Ich verstehe beim besten Willen nicht, wieso Ratzinger mir vorwirft, in meinen Interpretationen könne keine Vollendung der Materie gedacht werden 49, es sei denn, man blicke gebannt - wie das Kaninchen Rahner, Zur Theologie (s. o. Anm. 41) 19,23. A. a. O. 2Sf. - Vgl. auch L. Boros, Mysterium Mortis (Olten- Freiburg 1962) 87f. Boros verweist a. a.O. 18735 f auch auf die philosophische Nähe zu H. Conrad-Martius. 48 Schriften zur Theologie XII, 461f. 49 "Deswegen muß, ohne die Verdienste von Greshakes Buch irgend wie zu schmälern, dem Satz widersprochen werden: ,Die Materie' ,an sich' ... ,ist unvollendbar' (386). Das würde, den gegenteingen Versicherungen zum Trotz, eine Teilung der Schöpfung und 46
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auf die Schlange- auf eine "Materie-an-sich", die gleich einer ausgebrannten Raketenstufe selbst dann zurückbleibt, wenn die Materie im Geist "verinnerlicht" ist. Aber gerade diese Sicht führt in die Irre. Wird nämlich Materie ontologisch strikt gedacht in bezug auf den Menschen und seine Freiheitsgeschichte (und nur so hat Materie Sinn und Sein, vgl. 114f, 169f), dann bleibt - in dieser ontologischen Sicht - keine "Materie-an-sich" zurück, wenn sich alle Materie im Geist "verinnerlicht" hat und damit zur Vollendung gekommen ist.
3. Vollendung am Jüngsten Tag? Für einige Autoren, wie z. B. für Ratzinger und Ziegenaus, genügt offenbar die Interpretation, nach welcher Materie sich, vermittelt durch den Menschen, je in dessen Tod vollendet, nicht. Ratzinger fragt: "Wie steht es denn mit der Auferstehung der Toten? Gibt es so etwas als ein materielles Ereignis [!?]?" (134). Ähnlich behauptet Ziegenaus, daß zwar Welt in die Geistperson für dauernd eingeschrieben ist, "darüber hinaus [I] aber auch noch selber in der neuen Schöpfung in verwandelter Weise bewahrt" wird. Er weist darauf hin, daß ich" von der Verklärung des Kosmos Abstand" nehme S0. Welche Argumente werden dafür vorgelegt? Nach Ratzinger soll 1 Kor 15 dafür den Beweis abgeben, daß Paulus trotz Ablehnung jeder naturalistischen und physizistischen Sicht der Anastasis dennoch eine Auferstehung des Leibes vertritt. Aber das scheint mir eine unzulässige Exegese zu sein! Ratzinger verkennt, daß soma für Paulus nicht Leibhaftigkeit (im Sinne einer irgendwie gearteten Materialität) besagt. Die paulinischen anthropologischen Bestimmungen bezeichnen vielmehr ganz im Zuge der alttestamentlichen Anthropologie immer den einen und ganzen Menschen, freilich unter ver-
insofern einen letzten Dualismus bedeuten, bei dem der ganze Bereich der Materie aus dem Schöpfungsziel herausgenommen und zu einer Wirklichkeit zweiter Ordnung gemacht wird" (159). 50 Auferstehung im Tod (s. o. Anm. 10) 127,111. Letztere Behauptung trifft natürlich nur zu, wenn man eine Verklärung des Kosmos "in sich" postuliert, ohne Vermittlung durch die geistigen Subjekte. Denn von letzterer nehme ich keineswegs Abstand! Es trifft auch nicht zu, daß ich in meinem Büchlein "Stärker als der Tod" (Mainz 21977)wie Ziegenaus behauptet - das Thema Neue Erde nicht mehr aufgreife. Vgl. dazu 71 H.
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schiedenen Rücksichten. So versteht Paulus unter soma den ganzen Menschen, insofern er durch Mächte, Kräfte und Zugehörigkeiten nicht metaphysischer, sondern geschichtlicher Art bestimmt ist. Wenn Paulus mithin ein soma pneumatikon erwartet, so ist damit nicht ein "Geistleib" gemeint, sondern eine Person, an der sich Gottes lebenschaffende Macht, sein Hl. Geist, ganz und gar durchgesetzt hat. Die Fragestellung der dogmatischen Tradition nach dem metaphysischen Wesen des Auferstehungsleibes und dessen Identität mit dem irdischen hat zu den paulinischen Aussagen keinerlei Bezug. Sie trägt einen falschen soma- und pneuma-Begriff in die paulinische Theologie ein. So kann M. Brändle s1 sehr akzentuiert, aber zutreffend formulieren: "Paulus verheißt nicht mehr eine Auferweckung von den Toten, sondern eine nach dem Tode erneuerte Existenz. Gewiß ist diese erneuerte Existenz somatisch (leibhaftig). Aber die Kontinuität liegt nicht im Somatischen, in der Wiederbelebung oder Wiederherstellung oder Verklärung des irdischen Leibes, sondern nur in der Identität des Ichs."s2 Exegetisch läßt sich somit offenbar so etwas wie eine Auferstehung, die erst am Jüngsten Tag als separates materielles Geschehen (was soll das sein?) erfolgt, nicht schlüssig begründen. Gibt es aber dafür andere Gründe? Für Ratzinger würden offenbar Dimensionen der Wirklichkeit unvollendet bleiben, würde sich auch die Materie "an sich" nicht vollenden (vgl. 159). Aber was soll eine solche Vollendung der Materie "an sich" sein? Ist ein solches Postulat nicht widersinnig, wie das bereits Rahner s3 gezeigt hat? Und überdies: Soweit ich sehe, stimmen alle Theologen darin überein, daß vom Sinn der Schöpfung überhaupt nur im Hinblick auf den Menschen gesprochen werden kann, in dessen Freiheit und Geist Schöpfung sich aus-spricht und auf Gott hin finalisiert wird. Das heißt: Schon von einer traditionellen Schöpfungstheologie her hat die Frage nach Sinn und Ziel der Schöpfung nur einen Sinn in bezug auf die menschliche Freiheitsgeschichte und ist also durch sie vermittelt. Ein Sonnensystem X beispielsweise, das niemals vom Men-
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Mußte das Grab Jesu leer sein?, in: Orientierung 31 (1967) 112. Näheres dazu vgl..G. Greshake, Auferstehung der Toten (s. o. Anm. 7) 280f. Schriften zur Theologie VIII, 59.
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schen erspäht wird, dessen Wirkung sich nicht und niemals bemerkbar macht, das sozusagen nur für und vor Gott ist, ist in sich sinnlos (sofern man an dieser Stelle nicht die Engellehre einführt). Von einer Vollendung der Materie in sich ohne Vermittlung des Menschen zu sprechen, scheint mit von daher widersprüchlich zu sein. Wo aber solche Vermittlung geschehen ist (wenn z. B. der leblose Körper [nicht der Leib!] zurückbleibt, der sich gerade als Leib im Prozeß der konkreten Personwerdung des Menschen ausgezeugt und vollendet hat), ist die Frage nach einer (noch weitergehenden) Vollendung m. E. ohne Sinn. Deswegen ist aber lange noch nicht "der ganze Bereich der Materie aus dem Schöpfungsziel herausgenommen" (159), da ja die Materie bei denen, die "mit Christus sind", wirklich vollendet ist und den Status der "neuen Weh" erreicht hat. Noch ein letzter Grund wird von Ratzinger gegen die Vorstellung einer Vollendung der Materie und mithin einer Auferstehung im Tode vorgebracht: "Die Vorstellung von der Auferstehung im Tode nimmt auch der Geschichte ihren Ernst: Im Grunde ist ja dann, von einem anderen Standpunkt her gesehen, die Geschichte eigentlich schon abgeschlossen" (152). Auch dieser Einwand wurde bereits in meinen Arbeiten bedacht, ohne daß Ratzinger sich damit befaßt. Die Zusammenfassung meiner diesbezüglichen längeren Erörterungen in "Auferstehung der Toten" sei kurz skizziert: Geschichte und Vollendung sind unzertrennbar miteinander verknüpft: Erstens vom Seinbei-Gott her: der im Leben sich verwirklichende, im Tod verendgültigte und zu Gott heimgeführte Ertrag der Geschichte besitzt zugleich einen bleibenden Effekt innerhalb der Geschichte; unsere Freiheitstaten, die sich in der Welt objektivierten, qualifizieren ihren weitergehenden Verlauf. In diesen Taten leben wir, auch wenn wir vollendet bei Gott sind, endgültig und uf\widerruflich wirksam in der Geschichte fort. Zweitens von der weitergehenden Geschichte aus: Insofern sich diese in einem zeitlich-zerspannten Prozeß in das vollendete Sein bei Gott hinein birgt, kann auch das "himmlische Jerusalem" nicht als fertige Zukunft, als weltlos-kontemplative Ruhe gedacht werden, sondern als progressiv-dynamischer Aufbau durch den Ertrag, den die je im Tod sich verendgültigende Geschichte je neu in die Vollendung einbringt. So ist die Zukunft der agonalen Geschichte auch noch weiterhin von den geschehenden Taten der "Vollendeten", und die "Zu177
kunft" der Vollendeten vom Ertrag der agonalen Geschichte her bestimmt S4 . Insofern wird auch ein "Zwischenzustand" zwischen Vollendung des Einzelnen und Vollendung der menschlichen Gemeinschaft nicht geleugnet, nur wird -wie Ziegenaus das richtig gesehen hat SS - der Zwischenzustand als "Auferstehungsstand" beschrieben. Aber auch hier gibt es ein "Warten" des schon Vollendeten auf die weitere prozeßhafte Auszeugung der Geschichte in ihre Vollendung hinein s6 . Von dieser These bleiben unberührt jene hypothetischen Oberlegungen von mir s7, mit denen Ratzinger sich auseinandersetzt: Greshakes Versuch scheitert, "eine endlos weitergehende Geschichte für vereinbar zu erklären mit der Hoffnung auf Christi Wiederkunft: Der Sieg Christi brauche nicht am Ende zu sein, er könne sich ,im dynamischen, unbegrenzten Nacheinander' verwirklichen ... So verstanden ist die weitergehende Geschichte einerseits offen, ihre Zukunft liegt nicht fest, nichts ist entschieden; für Gott aber ist sie ein einziger Sieges zug. " Und der Kommentar von Ratzinger dazu: "Ein solcher Siegeszug Gottes hätte etwas Grausames und Menschenverächterisches an sich. [Zum Himmel] gehört doch auch die Offenheit der erfüllten Liebe auf die noch immer reale, real weitergehende und real leidende Geschichte hinzu; wenn auch in der geschauten Liebe das Leid antizipativ schon aufgehoben ist, der Ausgang feststeht, alle SorAuferstehung der Toten 398. Vgl. auch Quaestio 119f. Auferstehung im Tod 127. 56 Nicht nur Ratzinger hat dieses Element meiner theologischen Position übersehen, auch H. Wohlgschaft, Hoffnung angesichts des Todes (München - Paderborn - Wien 1977) 269 133 geht daran vorbei, indem er Schoonenbergs Annahme einer wachsenden Vollendung der Welt meiner Konzeption entgegenhält. Ich vertrete in diesem Punkt genau die Position Schoonenbergs! 57 Ich finde es nicht sehr fair, dem Leser zu verschweigen, daß es sich bei der Problematisierung des Jüngsten Tages um einen "hypothetischen Gesprächsbeitrag" handelt. Geradezu grotesk wird es, wenn Ziegenaus unterstellt, daß "Greshake völlig konsequent auch keine Neue Erde und keinen Jüngsten Tag in seinem System unterbringt" (Auferstehung 125). Denn ausdrücklich heißt es bei mir: "Würde man in der Tat nachweisen können, daß Glaubensregel oder Denknotwendigkeit ein Ende der Geschichte erfordern, würde sich auch ein solches in unsere vorausgehenden Erörterungen einfügen [!], allerdings so, daß dieses Ende kein eschatologisches Spektakulum wäre, sondern der Abschluß der bereits jetzt geschehenden Vollendung" (Auferstehung 410). Und in der Quaestio: "Die Wirklichkeit des ,Jüngsten Tages' könnte dann aufgefaßt werden ,als Abschluß und Zusammenschau eines Geschehens ... , das seit Christi Auferstehung in die neue Dimension begonnen hat und sich seither mit dem Eintritt der Einzelnen kontinuierlich von einem Geschlecht zum andern verwirklicht'." 54
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gen überwunden und alle Fragen beantwortet sind, so ist doch die Ganzheit des Heils nicht eingetreten, solange es nur antizipativ in Gott feststeht und nicht den letzten Leidenden real erreicht hat" (15M). Ich sehe durchaus das Gewicht dieses Arguments ein, frage mich aber, ob es gegen eine Reihe anderer von mir gebrachter Argumente wirklich definitiv durchschlägt. Denn ist etwa die "Verzögerung" des Jüngsten Tages durch eine lange, lange leidende Menschheitsgeschichte und die volle Lebenszeit von Milliarden von gequälten Menschen hindurch weniger "grausam und menschenverächterisch"? Die Frage nach dem Sinn des Leidens als Voraussetzung von Vollendung stellt sich doch ähnlich, ob das Leiden nun ständige Voraussetzung einer prozeßhaften Vollendungsgeschichte ist oder vorläufige, aber doch jeden Menschen erfassende Bedingung eines Vollendungsgeschehens, das mit dem Jüngsten Tag abgeschlossen ist. Mit dieser Feststellung ist das Problem nicht gelöst, aber das Argument gegen den von mir in Frageform angeführten Exkurs, ob die Geschichte ein Ende haben muß, mindestens relativiert. Auch die These, daß das Ganze der Geschichte abgeschlossen sein müsse, damit der einzelne seinen endgültigen Platz im Ganzen erhalten könne, ist ein ernsthaft zu bedenkendes Argument. Aber dagegen ist doch zu halten, daß in der Auferstehung J esu das "Ganze" schon gegeben ist, daß mithin nichts qualitativ Neues mehr zu erwarten und unsere Auferstehung je die Einbeziehung in seinen Auferstehungsleib ist. Somit hat der einzelne auch schon seinen Platz im Ganzen. Kurz: Ich respektiere durchaus das Gewicht der von Ratzinger angeführten Argumente, vermag aber damit das Problem nicht definitiv als gelöst anzusehen. In jedem Fall bedeutet der Tod das Zu-Ende-Kommen des geschichtlichen Prozesses durch den einzelnen. Ein "Jüngster Tag" als "Ende der Welt" wäre dann - darin stimme ich Ratzinger zu - "Chiffre für das Zu-Ende-Kommen dieses Prozesses" (158). 4. Zur theologischen Sprachregelung
Sieht man von den Mißverständnissen und Fehlinterpretationen, die meine und G. Lohfinks Position gefunden hat, ab und stellt man auch manche polemische Äußerungen Ratzingers nicht weiter in Rechnung 58 , so lassen sich bei näherer Betrachtung die Differenzpunkte in zwei Komplexe zusammenfassen: 58 Der durchgehend polemische Ton Ratzingers wurde schon an manchen Beispielen deutlich gemacht. Ein letztes Beispiel: "Mit einem so vertrackten hermeneutischen
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a) Für Ratzinger und andere theologische Kritiker gibt es den Zwischenzustand einer Seele, die noch auf die Vollendung ihres Leibes wartet - für mich ist der Begriff einer leibfreien Seele ein U n -Begriff 59. Deshalb ist im Menschen, der im Tod Gottes Treue erfahren durfte, auch die materielle Dimension (seines Leibes und der Welt) "verinnerlicht" ("verklärt") zur Vollendung gekommen. Mit diesem Differenzpunkt ist eine Sachdifferenz gegeben, bei der ich unbedingt an meiner Position (salvo meliore iudicio in futuro) festhalten möchte, da die gegenteilige Meinung allen Versicherungen zum Trotz dualistisch ist und in nur mühsam überdeckte Widersprüche gerät. b) Dieses Vollendungsgeschehen im Tod kann von Ratzinger und anderen Theologen nicht Auferstehung genannt werden 60 - für mich ist es sinnvoll, von "Auferstehung im Tod" zu sprechen. Von den verschiedenen Argumenten, die ich anderwärts angeführt habe und die hier nicht zu wiederholen sind 6\ ist mir besonders das christologische wichtig: Das Neue Testament kennt nur eine überwindung des Todes, nämlich die Teilnahme an der Auferstehung Jesu. Der Sieg über den Tod heißt von der Christus offenbarung her Auferstehung, und zwar durchgehend: Das Mitsterben mit Christus in der Taufe und das neue Leben in ihm heißt Auferstehung; die Verwirklichung von Glaube, Flickwerk, das voller logischer Risse und Sprünge ist, können Theologie und Verkündigung auf Dauer nicht arbeiten" (98f).lch finde solche und ähnliche Äußerungen empörend, zumal die dafür gegebene Begründung, sieht man näher zu, ins Nichts zerrinnt und die eigenen Aporien, in die - vermutlich notwendig - jede eschatologische Konzeption gerät, entweder nicht reflektiert oder mühsam verkleistert werden. 59 Vgl. S. 173. 60 A. Ziegenaus, Auferstehung im Tod (s. o. Anm. 10) 112, bemerkt, daß die These von der Auferstehung der Toten "bei bedeutenden Theologen auf Widerspruch" stößt. Er nennt allerdings nur Ratzinger, Scheffczyk und Rahner. Dabei wird Rahner zu Unrecht genannt, da dieser schon früher implizit, jetzt aber explizit (vgl. S. 174) eine Auferstehung im Tod annimmt. Blieben also nur Ratzinger und Scheffczyk, wobei ich an den von Ziegenaus angegebenen Stellen Scheffczyks (Auferstehung im Tod 288) keinen Widerspruch gegen eine Auferstehung im Tod finde, sondern nur gegen die Konzeption der Vollendung der Geschichte in einem unendlichen dynamischen Prozeß. - Ungenau ist Ziegenaus auch an anderer Stelle. In seiner Rezension bemerkt er: "Auch setzt die Theorie von der Auferstehung im Tode das Bleiben des Leichnams Jesu im Grab voraus" (423). Wieso? Diese Konsequenz wurde von mir nicht angezogen und ist auch nicht zu ziehen. Wenn das Grab "leer" war (was eine historische Frage ist, die ich geneigt bin, positiv zu beantworten), so ist es Zeichen der Auferstehung, nicht wesenhaftes Konkomitans der Auferstehung! 61 Auferstehung der Toten 388f; Quaestio 117f.
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Hoffnung und Liebe bedeutet nach Johannes Auferstehung; und schließlich scheint auch das individuelle Mit-Christus-Sein nach dem Tod zumindest in 2 Kor 5 als Auferstehung verstanden zu sein 62 • Daß die überwindung des Todes verschiedene "Stadien" (Taufe, Leben des Glaubens ... ) hat, tut dabei zunächst einmal offensichtlich nichts zur Sache. Nimmt man noch hinzu, daß im Tod -wie gezeigt- nicht eine "nackte Seele" sondern die konkrete Person von Gott her neue Zukunft und neues Leben erhält, so ist es außerordentlich sinnvoll von "Auferstehung im Tod" zu sprechen. Freilich hat solches Sprechen immer auch den Charakter der theologischen Sprachregelung. Würde man die Definition dekretieren: Unter Auferstehung soll allein das universale Vollendungsereignis am Ende der Geschichte verstanden werden, so ist per definitionem das individuelle (freilich nicht nur individuelle!) Geschehen im Tod nicht Auferstehung 63. (Freilich könnte dann - strenggenommen - auch nicht von der Auferstehung Jesu gesprochen werden. Ist diese aber gerade Auferstehung als Antizipation der universalen Auferstehung am Ende, warum dann nicht auch unsere?) Insofern ist die Rede von einer Auferstehung im Tod m. E. außerordentlich sinnvoll, sie hat aber nicht den Charakter einer eigentlichen unüberbrückbaren Differenz. (Siehe dazu auch den vorangehenden Beitrag von G. Lohfink, S. 131.)
IH. KIRCHLICHE LEHRÄUSSERUNGEN ZUR LEIB-SEELE-ANTHROPOLOGIE Meines Wissens hat bisher nur ein Theologe in seinen Publikationen beanstandet, die von mir vorgelegte Interpretation stände im Gegensatz zur definierten kirchlichen Lehre. Aber da sich in Vorträgen und Gesprächen öfter ähnliche Fragen ergeben, möchte ich auch kurz auf diesen Punkt eingehen. Vgl. die sich an P.Hoffmann anschließende, ihn aber weiterführende Analyse von 2 Kor 4, 16ff (und Phi! 1,21 ff) in meiner Arbeit "Auferstehung der Toten" 291-301. 63 So argumentiert z. B. J. Finkenzeller, a. a. O. (s. o. Anm. 9) 256, daß "die Ausstattung mit dem Herrlichkeitsleib ein ausgesprochenes Hoffnung,gut der Zukunft" sei, so daß die Vorstellung, "daß der Mensch sofort nach dem Tod mit der himmlischen Leiblichkeit überkleidet wird", "abzuweisen" sei. In solchen und ähnlichen "Dekreten" steckt immer ein gut Stück theologische Sprachregelung! 62
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F. Holböck bemerkt: "Es gehört viel Kühnheit dazu, solches [daß nämlich die überwindung einer anthropologischen Diastase von Unsterblichkeit und Auferstehung sowie die Annahme eines leiblosen Zwischenzustandes nicht der dogmatischen Tradition der Kirche wi~ derspricht] zu behaupten. Denn die Leugnung [?] der Unsterblichkeit der Seele steht - wie die gleich folgenden Dokumente des kirchlichen Lehramtes zeigen - im klaren Widerspruch zu einem definierten Dogma und die Behauptung von der im Tod und mit dem Tod sofort erfolgenden Auferstehung eines jeden verstorbenen Menschen steht im klaren Widerspruch zur traditionellen Lehre und Verkündigung der Kirche, höchstwahrscheinlich auch im Widerspruch zur Heiligen Schrift. "64 Als Beweis gibt Holböck das 5. Laterankonzil und einige päpstliche Verlautbarungen an. Nun beweisen aber Textfragmente eines Konzils, beachtet man nicht dessen Kontext und Aussageabsicht, wenig oder gar nichts. Konkret ist zur Interpretation der Texte des 5. Laterankonzils folgendes zu beachten: Die Vorgeschichte des Konzils ist bestimmt durch die Verbreitung der Lehrmeinungen des sogenannten arabischen Aristotelismus, wonach ausschließlich ein (allgemeiner) Geist subsistiert, an welchem das Individuum nur extrinsezistisch Anteil hat; mithin kann es auch keine persönliche, sondern nur eine Unsterblichkeit des allgemeinen Geistes geben. Diese Lehre kam überdies noch in die Nähe des Pantheismus, wenn dieser eine Geist als Emanation des Göttlichen angesehen wurde. Wenn nun auf dem 5. Laterankonzil gelehrt wird (DS 1440), daß jeder Mensch eine unsterbliche Seele besitzt, so zielte die Aussageabsicht des Konzils nicht primär darauf hin, die Unsterblichkeit einer "separaten" Seele zu lehren, sondern es ging darum, eine unpersönlich-allgemeine Unsterblichkeit gegenüber der Unsterblichkeit des einzelnen abzuwehren. Anders gesagt: Das Konzil lehnte die Meinung ab, daß der einzelne Mensch im Tod vernichtet wird; vielmehr darf er selbst als dieser Eine von Gott her Unsterblichkeit erwarten. Diese Aussage brachte das Konzil in Kategorien der Leib-SeeleAnthropologie zum Ausdruck. Insofern diese nur Hilfsmittel für die eigentliche Sinnspitze sind, sind sie selbst - so jede verantwortliche Dogmenhermeneutik - nicht mitdefiniert. 64
Holbäck, a. a. o. (s. o. Anm. 2) 31.
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Eine zweite kirchliche Lehräußerung ist in Betracht zu ziehen: Das Konzil von Vienne erklärt verbindlich, daß die Seele die Form des Leibes sei- anima forma corporis (DS 902). Aber auch hier ist die Sinnspitze der kirchlichen Lehräußerung nicht die Definition des Hylemorphismus. Kontext und Intention der konziliaren Lehre liegen anders. Die damalige Zeit war ein Stück weit gezeichnet von den sogenannten Spiritualenbewegungen, wie wir sie besonders bei den Albigensern, Waldensern und der franziskanischen "Linken" antreffen. Diese Bewegungen waren stark geprägt von einer dualistischen LeibSeele-Auffassung, die bis in die Christologie hinein wirksam war. Wenn nun das Konzil von Vienne lehrt, daß die Seele Form des Leibes sei, so wollte es durch den Filter der damaligen Begrifflichkeit die Einheit des Menschen vor einer Zerreißung in ein geistiges und ein sinnenhaftes Leben bewahren. So wird gerade mit der Aussage von der anima - forma corporis in Vienne nicht ein Dualismus definiert, nach welchem der Mensch in Leib und Seele zerfällt, sondern es sollte gerade die Einheit des pluralschichtigen Menschen in der Sprache der damaligen Zeit zum Ausdruck gebracht werden. Noch eine letzte kirchliche Entscheidung ist zu bedenken: die Dogmatische Konstitution "Benedictus Deus" (DS 1000). Hierin wird verbindlich gelehrt, daß die Seelen der Verstorbenen sofort nach dem Tod entweder zur ewigen Gottesschau, in das Fegfeuer oder in die Hölle kommen. Die Intention dieser Konstitution ging ebenfalls nicht dahin, eine leibfreie unsterbliche Seele zu lehren, sondern es ging im damaligen Problemkontext um die Frage, ob der Mensch unmittelbar nach seinem Tod zu Gott kommt oder ob er bis zur allgemeinen Totenauferstehung am Jüngsten Tag zu warten habe, kurz: ohes zwischen Tod und Auferstehung sozusagen eine Unterbrechung der Gottesbeziehung, eine Art Todesschlaf der Seele gebe. Gegen diese letztere Meinung, die Papst Johannes XXII. gelehrt hatte, wird mit Recht erklärt: unmittelbar nach dem Tod gelangt der Mensch zur - positiven oder negativen- Vollendung seines Lebens; und eben diese Aussage wird mit Hilfe der Leib-Seele-Anthropologie verdeutlicht. Es zeigt sich somit, daß die kirchliche Lehrverkündigung zwar das Leib-Seele-Schema benutzt, um entscheidende Wahrheiten des Glaubens zur Geltung zu bringen, daß diese Leib-Seele-Anthropologie aber selbst nicht verbindlich vorgelegt wird. Freilich ist es Lehre der Heili183
gen Schrift und der Kirche, daß am Menschen selbst zwei Aspekte zu unterscheiden sind, daß nämlich der Mensch auf der einen Seite das Wesen der Transzendenz auf Gott hin ist und sich auf der anderen Seite in die (materielle) Schöpfung eingebunden vorfindet. Wenn dieser Doppelaspekt auf die Bedingung seiner Möglichkeit hinterfragt wird und wenn man so auf das zweifache ontologische Prinzip von Leib und Seele trifft, so ist dies eine legitime ontologische Auslegung menschlichen und christlichen Selbstverständnisses - eine Auslegung, die man wohl kaum eliminieren kann, ohne den Doppelaspekt des menschlichen Lebens selbst zu eliminieren. Und in diesem Sinn ist mit der Leib-Seele-Anthropologie etwas bleibend Gültiges ausgesagt. Dieses Leib-Seele-Verhältnis stand und steht freilich immer in der Gefahr, dualistisch ausgelegt zu werden (indem man z. B. eine leibfreie Seele konzipierte). Ich sehe aber nicht, wo solche dualismusnahe Auslegung von der verbindlichen Lehre der Kirche gefordert wird.
IV. ZUSAMMENFASSUNG
J. B. Metz
bemerkt einmal: "Christliche Eschatologie ist ... keine Ideologie der Zukunft. Die Armut ihres Wissens um die Zukunft ist gerade teuer. .. Christliche Eschatologie ist vor allem auch theologia negativa der Zukunft."64a Ist man sich über diese innere Grenze der Eschatdlogie im klaren, kann sich der Theologe nicht davon dispensieren, die eschatologische Hoffnung des christlichen Glaubens auch in den Modus der Denkbarkeit zu übersetzen. Denn eine Zukunftsverheißung, die völlig undenkbar und unmöglich erscheint, kann in sich keine Kraft bergen, weder die Kraft verheißender Zusage, noch die des entsprechenden Handelns. Um verschiedene Modi der "Denkbarkeit", nicht um die Sache christlicher Hoffnung selbst ging es in diesem Disput. Dadurch wird er einerseits in seinem Gewicht relativiert und entschärft, auf der anderen Seite aber steht in den verschiedenen Modi der Denkbarkeit die Frage auf dem Spiel, ob und wie und wieweit sich christliche Hoffnung in das heutige Denken vermitteln und über-setzen läßt. 64"
Experientia spei, in: Diakonia 1 (1966) 189.
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VII Zum römischen Lehrschreiben über die Eschatologie (17.5.1979) Von Gisbert Greshake
Im Sommer 1979 erschien ein an alle Bischöfe gerichtetes und mit päpstlicher Approbation erlassenes Schreiben der römischen Glaubenskongregation '"Zu einigen Fragen der Eschatologie", in dem auch Positionen angesprochen sind, die in der vorliegenden Quaestio disputata vertreten werden. Der Anlaß des Dokuments wird eigens genannt: Die Verunsicherung mancher Christen über das, was sie auf Grund ihres Glaubens hoffen dürfen. Für diese Verunsicherung macht die römische Erklärung u. a. den Einfluß namhaft, "den die heute in der Öffentlichkeit ausgetragenen theologischen Kontroversen ungewollt auf die Christen ausüben": es gibt Gläubige, die "verwirrt" werden, "weil sie ihre gewohnte Sprechweise und die ihnen vertrauten Begriffe nicht mehr wiederfinden". Wenn auch keine konkreten Namen genannt werden, vermuteten verschiedene Theologen 65 , daß außer den Thesen von]. M. Pohier66 auch Ansichten des "Neuen Glaubensbuchs" (hrsg. v.]. Feiner und L. Vischer) und die von Greshake - Lohfink vorgetragenen Positionen mitgemeint seien. Obwohl das römische Lehrschreiben als Ganzes eine Reihe von sehr gewichtigen hermeneutischen Fragen aufgibt67 und eine Fülle von eschatologiVgl. z. B. A. Schmied, a.a.O. (s. o. Anm. 2) 52. Quand je dis Dieu (Paris 1977), mittlerweile in deutsch erschienen: Wenn ich Gott sage (Olten - Freiburg 1980). In der deutschen Ausgabe hat Po hier seine m. E. sehr bedenklichen Aussagen zum Thema Auferstehung erheblich modifiziert (34-47). 67 Das Schreiben hat z. B. die ausdrückliche Intention, die "fundamentalen Glaubenswahrheiten" hervorzuheben. Statt dessen werden diese aber dauernd vermischt mit "ziemlich diffizile[r] Feinproblematik der Situation des Menschen zwischen Tod und allgemeiner Auferstehung": D. Wiederkehr, Fragen der Eschatologie - die Antwort der christlichen Hoffnung, in: Schweiz. Kirchenzeitung 147 (1979) 520. Somit werden theologisch umstrittene und wandelbare Aussagen auf eine Ebene 65
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schen Themen behandelt, soll hier nur soviel darauf gesagt werden, wie es zur Klarstellung der von uns vertretenen Auffassungen dienlich ist68 . 1. Zum Problem der "Seele"
Von den sieben eschatologischen "essentials", die im römischen Lehrschreiben angeführt und eingeschärft werden, heißt das dritte: "Die Kirche hält an der Fortdaue; der Subsistenz eines geistigen Elementes nach dem Tod fest, das mit Bewußtsein und Willen ausgestattet ist, so daß das ,Ich des Menschen' weiterbesteht, wobei es freilich in der Zwischenzeit seiner vollen Körperlichkeit entbehrt. Um dieses Element zu bezeichnen, verwendet die Kirche den Ausdruck ,Seele', der durch den Gebrauch in der Heiligen Schrift und in der Tradition sich fest eingebürgert hat. Obwohl sie nicht übersieht, daß dieser Ausdruck in der Heiligen Schrift verschiedene Bedeutungen hat, ist sie doch der Auffassung, daß es keinen stichhaltigen Grund dafür gibt, ihn abzulehnen, zumal ja irgendein sprachlicher Ausdruck zur Stütze des Glaubens der Christen einfach notwendig ist." Das Schreiben hebt also ausdrücklich hervor, daß der Begriff "Seele" verschiedene Bedeutungen haben (und deshalb auch mißerstanden werden) kann. Doch wird zugleich geltend gemacht, "daß es keinen stichhaltigen Grund dafür gibt, ihn abzulehnen, zumal ja irgendein sprachlicher Ausdruck ... einfach notwendig ist". Diese Formulierung zeigt deutlich genug, daß es hier um die Frage der angemessenen Benennung des todüberdauernden "Ich des Menschen" geht, anders gesagt, daß es sich bei der Bezeichnung "Seele" um eine "theologische Sprachregelung"69 handelt'°. Daß es in der Kompetenz des kirchlichen mit bleibend-gültigen Glaubenswahrheiten gestellt. Das machen auch Schmied, a.a.O. 53f; G. Bachl a.a.O. (s. o. Anm. 2) 135-157; K.-H Weger, Was bleibt nach dem Tod?, in: StdZ 104 (1979) 577f kritisch geltend. 6S Vgl. zum Ganzen G. Greshake, Botschaft des ewigen Lebens. Die Stellungnahme der Glaubenskongregation zur Eschatologie, in: KNA - Katholische Korrespondenz Nr. 30 (KNA/KK - 225/79) vom 24. Juli 1979, S. 2-4; veröffentlicht auch in Kathpress und vielen deutschsprachigen Zeitungen. 69 Der Begriff der "theologischen Sprachregelung" findet sich m. W. zum ersten Mal bei K. Rahner, Was ist eine dogmatische Aussage?, in: Schriften zur Theologie V (Einsiedeln - Zürich - Köln 1962) 67-72, dann noch öfter in seinen Schriften. 70 Das bestreitet! Ratzinger, Zwischen Tod und Auferstehung, in: IKaZ 9 (1980)
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Lehramtes liegt, sprachliche Ausdrücke zur Stütze des Glaubens vorzuschreiben, ist unbestreitbar. Die Frage ist nur, wie diese vorgeschriebenen Ausdrücke inhaltlich verstanden und vermittelt werden (zumal dann, wenn schon das Lehramt selbst von ihrer Vieldeutigkeit weiß), ob nicht andere sprachliche Ausdrücke geeigneter wären, ja ob man nicht sogar in einigen Bereichen auf bestimmte Ausdrücke und auf durch sie assoziierte Bilder besser verzichten sollte71 • Während P. Hünermann 72 zu Recht bemerkt, am Ausdruck Seele sei nur wichtig die "Kontinuität des Menschen" über den Tod hinaus, die wiederum "ein Postulat aus dem Glauben an die Auferstehung" bedeute 73 , macht sich]. Ratzinger in seinem schon erwähnten Artikel zum Anwalt einer rigorosen Interpretation des römischen Dokuments: "Weil er [der Text] Wert legt auf die Kommunikabilität des Gedankens in der Sprache, darum muß er auch auf die synchrone und diachrone Kontinuität der Sprache Wert legen, sowie auf den Zusammenhang zwischen der Sprache des Gebets (die in der Kirche wesentlich diachron und so ,katholisch' ist) und der Sprache der Theologie. Weil die ,grundlegenden Glaubenswahrheiten' allen Gläubigen gehören, ja, der konkrete Gehalt der Einheit der Kirche sind, darum kann die Grundsprache des Glaubens keine Fachsprache sein, und daher ist die Sprache als Träger der Einheit nicht beliebig manipulierbar. "74 Eben deshalb ist der Ausdruck Seele unverzichtbar. Er wird "zu der im Gebet der Kirche verankerten Grundsprache des Glaubens gerechnet."75 "In der ruhigen Kontinuität der betenden Kirche" verträgt die Sprache des Glaubens keine "abrupten Abbrüche"76. Diese Auslegung Ratzingers wirft erhebliche Fragen auf. Denn im glei210 ff. Er betont sogar, daß die offizielle deutsche Übersetzung falsch ist, eine "Fehlinterpretation" (225), die den zentralen Inhalt des Gemeinten verfehlt. Der Sinn der lateinischen Formulierung "prorsus necessarium esse verbale instrumenturn ad christianorum fidem sustinendam" sei vielmehr, "daß dieses Wort - nämlich ,Seele' - als worthaftes Instrument für den Glauben unerläßlich ist" (212), "Seele" sei "das schlechthin notwendige worthafte Instrument, um den Glauben der Kirche festzuhalten" (211). - Jeder Kenner des (Kirchen-)Lateins wird selbst prüfen können, daß diese Übersetzung von Ratzinger nicht zutrifft. Sollte nämlich der zugespitzte Sinn von Ratzinger gemeint sein, müßte es heißen: "necessarium esse hoc (oder: istud, oder besser noch: illud) verbale instrumenturn ... ce. 71 Vgl. dazu Bach~ a.a.O. 154. 72 Himmel - Hölle - Fegfeuer, in: GuL 52 (1979) 420-424. 73 A.a.O. 422. 74 A.a.O. 210f. 75 A.a.O. 212. 76 A.a.O. 211.
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chen Artikel betont der Autor, daß "der Seelenbegriff der Überlieferung ... wörtlich und einheitlich im Neuen Testament in der Tat nicht zu finden" ist, daß "nur in einem sehr langsamen Prozeß ... der christliche Begriff des Menschen aus Leib und Seele geformt und nunmehr die ,Seele' als der Träger des ,Zwischenzustandes' beschrieben" wurde und daß diese Entwicklung "erst bei Thomas von Aquin, also im hohen Mittelalter, zu einem gewissen Abschluß kam "77. Wenn aber weder im NT noch in der Väterzeit, noch (durchreflektiert) in der Frühscholastik, noch (unangefochten) in der Neuzeit der Seelenbegriff zur "Grundsprache" des Glaubens zählte, so zeigt sich eben darin, daß die Kontinuität dieses Begriffs gar nicht so groß ist, wie Ratzinger dies voraussetzt. Doch geht es bei Ratzinger wohl nicht nur um eine Frage der Benennung und Kommunikabilität des Glaubens 78 , sondern um eine bleibende Sachdifferenz zu der in dieser Quaestio vorgetragenen Position. Ratzinger akzeptiert zwar in seinem Kommentar zum römischen Dokument die auch von uns vertretene Überzeugung: "Die Seele, die fortbesteht, hält verinnerlicht die Materie ihres Lebens in sich und ist so ausgespannt auf den auferstandenen Christus", fährt aber fort: Dieses Ausgespanntsein geht "auf die neue Einheit von Geist und Materie hin, die in ihm eröffA.a.O. 215 212 213. - Pb. Ariis, Geschichte des Todes (dt. München - Wien 1980) 318f 580 zeigt darüber hinaus, daß für das Bewußtsein des Volkes und für die soziokulturellen Konsequenzen die Entwicklung noch länger gedauert hat. 78 Und zwar nicht nur um Kommunikabilität im kirchlichen Raum! Die Rede von der "Auferstehung im Tod" führt nach ihm "in ein theologisches Sprach- und Denkgetto, in dem niemand mit ihm (dem Theologen) sprachlich und denkerisch kommuniziert" (218). "Mit der Theorie von der Auferstehung im Tode bricht er ... die Brücken der Gemeinsamkeit des Denkens zur Philosophie ab, so wie er sie zur Geschichte des christlichen Denkens abbricht" (220). Dieser Sachverhalt müßte doch wohl differenzierter betrachtet werden. Glaube und Vernunft, Theologie und Philosophie begegnen sich zumeist im Modus von Anknüpfung und Widerspruch z\lgleich. Ein Theologe wie Justin z. B. hatte keine Schwierigkeiten, "die Brücken zur damaligen zeitgenössischen Philosophie abzubrechen" und den W'iderspruch des Glaubens zur Geltung zu bringen: "Wenn ihr zusammenkommt mit solchen, die ... behaupten, es gäbe keine Auferstehung der Toten, sondern ihre Seelen würden sogleich im Tode in den Himmel aufgenommen, so haltet sie nicht für Christen" (vgl. dazu in dieser Quaestio 89). Daß zugleicbzwischen christlicher Auferstehungshoffnung und philosophischer Seelenlehre ein Anknüpfungspunkt besteht, hat nicht nur niemand geleugnet, er wird auch ausdrücklich in der Quaestio betont. Vgl. 108 ff; ebenso G. Gresbake, Tod und Auferstehung, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Bd. 5 (Freiburg i. Br. 1980) 114 ff. - Auch die These von Ratzinger, die Rede von einer Auferstehung im Tode könne sich in der Alltagssprache nicht verständlich machen (man könne dem Gläubigen nicht beibringen, daß "sein toter Freund soeben auferstanden sei", diese Verwendung von "Auferstehung" sei "typische lingua docta, historische Gelehrtensprache, aber kein mögli77
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net ist"79. Denn eine "leibhaftige" Seele (wie sie von mir konzipiert wird) habe "doch mit dem geschichtlichen Leib des Menschen und seiner Materialität offenkundig nichts zu tun"80. Das, was sich im "zeiträumlichen Zersetztwerden des Leibes" von der Seele trennt, müsse gleichfalls Vollendung finden, und eben dies sei erst Auferstehung. Wenn also das menschliche Leben im Tod zur Endgültigkeit vor Gott kommt, ist Materialität nicht schon vollendet, sondern nur auf Vollendung aus. Hier dürfte die bleibende Sachdifferenz zwischen Ratzinger und der hier vertretenen Position liegen: Ratzinger denkt nach wie vor (vgl. S.62ff) eine Vollendung der Materie "in sich" und eine Vollendung der Zeit "in sich", oder anders: Ratzinger denkt das Raum-Zeit-Schema auch für die Vollendung weiter 81 . Wenn man aber davon ausgeht, daß im Tod nicht die Zeit "in sich", sondern die Endgültigkeit der Zeit aufbewahrt und gerettet wird, nicht das Sein in Materie (d. h. in Leib und Welt) "in sich" , sondern die Endgültigkeit dieses Seins 82 , so entfällt das Desiderat Ratzingers, die Seele für eine (nochmals!) neue Einheit von Geist und Materie offenzuhalten, die nicht schon im Tod erreicht ist 83 . Dadurch, daß Zeit und Raum in sich nicht vollendet werden, bleibt nicht etwas von der Vollendung ausgeschlossen, es sei denn die Weise des zeit-räumlichen Lebensvollzugs der Person. Nun gehört aber der menschliche "Körper", von dem schon Thomas sagt, er sei nur "aequivoce", d.h. in einem ganz und gar cher Ausdruck gemeinsamen und gemeinsam verstandenen Glaubens" [218]), kann ich nicht teilen. Erstens spricht dagegen meine vielfach andersartige Erfahrung, und zweitens stellt sich das Grundproblem, ob man denn überhaupt eschatologische Aussagen (vordergründig) einsichtig machen kann - man denke etwa an Joh 11,26. Ist das Einsichtigmachen wirklich (auch für Ratzinger) Kriterium der Glaubenssprache ? 79 A.a.O. 221. 80 A.a.O. 217. 81 Dieses tut - nach der Interpretation von Bach!, a.a.O. 154 f - auf vielfache Weise auch die römische Erklärung; ebenso C. Ruini, Immortalitil e risurrezione nel Magistero e nella Teologia oggi, in: Rassegna di teologia 21 (1980) 102-115. 189-206, der in einer gründlichen und sachlichen Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Diskussion dem eschatologischen Lehrschreiben eine positive Bedeutung beimißt und sich kritisch mit unseren Thesen befaßt. 82 Vgl. dazu K. Rahner, Zu einer Theologie des Todes, in: Schriften zur Theologie X (Einsiedeln - Zürich - Köln 1972) 186f. 8' Als Beleg dafür 2 Tim 2, 18 zu bieten mit der Aussage, die Auferstehung sei eben noch nicht geschehen, verkennt total die Sinnspitze dieser Stelle. Die hier gemeinte und abgelehnte Auferstehung dürfte sich auf eine in einigen christlichen Gemeinden vertretene "prägnostisch"-enthusiastische Einstellung beziehen, jetzt bereits, d. h. vor dem Tod kraft der Fülle des Geistbesitzes vollendet zu sein. Vgl. dazu G. Greshake, Auferstehung der Toten (Essen 1969) 274ff.
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uneigentlichen Sinne menschlicher Leib, zur Struktur zeiträumlichen Le- . bensvollzugs. Die Interpretation des römischen Dokuments, die Ratzinger gibt, ist nicht zwingend, geht man von der hermeneutischen Voraussetzung aus, daß das kirchliche Lehramt nicht in "diffizile Feinproblematik" eingeht, sondern die fundamentalen Wahrheiten des Glaubensbekenntnisses bezeugen will. Im Lehrschreiben wird die Freiheit der Theologie ausdrücklich hervorgehoben. Darüber hinaus geben bestimmte Formulierungen zu erkennen, daß es sich eher um theologische Sprachregelungen handelt. 2. Zur Frage der "vollen Leiblichkeit" Allerdings könnte ein Nebensatz des römischen Schreibens die Interpretation auf andere Wege weisen. Vom "Ich des Menschen", das den Tod überdauert, heißt es, daß es "in der Zwischenzeit seiner vollen Körperlichkeit entbehrt". Liegt es also im Sinn des Dokumentes auszusagen, daß die Materie im Tod noch nicht ihre Vollendung gefunden hat? - Hierzu ist zweierlei zu bemerken: Erstens: Der Nebensatz war in Rom offenbar selbst umstritten. Dies zeigt sich darin, daß er in dem an die Bischöfe in aller Weh gerichteten Schreiben ursprünglich nicht vorkam und erst Monate später (im Osservatore Romano und in den Acta Apostolicae Sedis) hinzugefügt wurde. Solche nachträgliche Eintragungen (über deren offiziellen Charakter man streiten kann, insofern zunächst einmal die Fassung eines Briefes rechtskräftig ist, die jemanden tatsächlich erreicht hat) waren in der Vergangenheit meist ein Zeichen für interne Diskussionen, ja widersprüchliche Meinungen in der Glaubenskongregation selbst. Zweitens: Obwohl die mittlerweile weitverbreitete und auch in der Quaestio vertretene Redeweise von der Auferstehung im Tod im römischen Schreiben nicht ausdrücklich zurückgewiesen wird, zieht sich durch das ganze Dokument die Sorge, dieser Ausdruck könne suggerieren, die Auferstehung des einzelnen Menschen im Tod vermöchte schon die ganze von der Heiligen Schrift verheißene Wirklichkeit der Auferstehung "auszuschöpfen". In der Tat ist die Auferstehung, wie die Schrift sie versteht, nicht etwas nur Individuelles. Sie steht - wie das auch ausdrücklich in der Quaestio vertreten wird 84 - in einem uni119 f, 177 f. - Siehe auch G. Greshake, Auferstehung der Toten (Essen 1969) 398; ders., Stärker als der Tod (Mainz 61981) 71f.
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versalen Prozeß, in dem einzelner und Gemeinschaft, Geschichte und Vollendung miteinander verwoben sind und bleiben, in einem Prozeß, in dem die ganze Wirklichkeit in der Liebe ihre Erfüllung findet. Derjenige also, der im Tod schon seine Vollendung bei Gott gefunden hat, ist deshalb solange nicht ganz vollendet, als nicht alle Menschen, mit denen er verbunden, und damit auch die Welt, deren Teil er war, zu Gott heimgekehrt sind. Erst wenn alle zur Auferstehung gelangt sind und die "himmlische Gottesstadt" fertig "erbaut" ist, kurz: wenn Gott "alles in allem" ist, hat sich das Auferstehungsgeschehen ganz vollendet. Bis dahin ist Christi Reich noch im Werden (vgl. 1 Kor 1S,24f) und sein "Leib" noch im Wachsen begriffen (vgl. Eph 4, 1Sf). Um die Differenz zwischen dem "Schon-im-Tod-Auferstandensein" des einzelnen und der allumfassenden Auferstehung zu benennen 85 , gebraucht die römische Glaubenskongregation die Redeweise, daß das "Ich des Menschen" "in der Zwischenzeit seiner vollen Leiblichkeit entbehrt"86. Diese Redeweise ist außerordentlich vieldeutig, ja sie beschwört geradezu das Mißverständnis eines platonischen Dualismus von Seele und Leib herauf. Aber man kann sie durchaus auch richtig auffassen, wenn man mit dem Ich des Menschen, das der "vollen Leiblichkeit entbehrt", nicht eine "leiblose Seele" bei Gott thematisiert, der dann am "Jüngsten Tag" beim Öffnen der Gräber wieder ein (verklärter) Körper zugesellt wird. Wenn man bedenkt, daß der Mensch Leib ist (nicht einen Leib hat), insofern er in seinem Lebensvollzug die Dimension des Welthaft-Stofflichen in sich hinein verwandelt und sein Leben in einer vielfachen Relationalität mit dem "anderen" (Mitmensch, Gesellschaft, Welt) führt, so ist in der Tat der (Groß-)Leib des Menschen, nämlich sein "In-Relation-Stehen" zur Welt, im Tod nicht schlechthin vollendet. Wenn "Leib" bedeutet, daß der Mensch wesenhaft in Beziehung zur übrigen Wirklichkeit steht und ohne Mitmensch und Welt gar nicht Mensch ist, so entbehrt derjenige, der schon im Tod zu Gott erstanden ist, tatsächlich solange sei85 Es ist eine Differenz, die G. Lohfink nicht mehr in (welt-)zeidichen Kategorien fassen will. Siehe S. 195 f. 86 Hier liegt nun in der Tat in der offiziellen deutschen Übersetzung eine Ungenauigkeit vor: "corpus" kann hier nicht mit Körper bzw. Körperlichkeit übersetzt werden, differenziert man - wie dies in der modernen Anthropologie geläufig ist zwischen Körper und Leib (vgl. dazu Quaestio 163 '6 ).
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ner vollen Leiblichkeit (= seines In-Beziehung-Stehens zu allem andem), als nicht alle übrige Wirklichkeit vollendet ist (vgl. S. 169f, 177 f). So gesehen, kann der umstrittene Zusatz des römischen Schreibens durchaus richtig verstanden werden: Vollendet ist die im Tod des Menschen geschehende Auferstehung erst, wenn die volle Leiblichkeit (= Gesamtheit aller wesenhaften Beziehungen des Menschen) in Gott geborgen und Gott "alles in allem" ist.
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VIII Geschichte und Vollendung Zu Herbert Vorgrimlers Vorwurf der Geschichtsentwertung Von Gerhard Lohfink
1. Geschichtsentwertung? Der folgende Beitrag, der - was diese Quaestio und ihre Auflagen betrifft - mein letztes Wort zu dem hier geführten Disput sein soll, wird sich mit Nachdruck gegen den Vorwurf der "Geschichtsentwertung" wenden. Eigentlich sollte eine solche Verteidigung überflüssig sein. Denn in diesem Band ist deutlich genug gesagt worden, daß auch bei einem Ansatz der Eschata im Tod die Relevanz der Geschichte voll gewahrt bleibt. So hieß es bereits in meinem ersten Beitrag zu unserer Quaestio: "Jedes menschliche Tun, komme es nun aus dem technischen, dem wissenschaftlichen, dem ästhetischen oder dem politischen Bereich, eröffnet in der Welt neue Räume, in die andere eintreten können. Jede Tat der Selbstlosigkeit schafft irgendwo ein Mehr an Freiheit für andere. Jeder Gewaltverzicht unterbricht an irgendeiner Stelle das nicht abreißende Hin und Her der Gewalt. Jede Tat der Liebe kann neue Liebe wecken. So ergibt sich zumindest die Möglichkeit einer auch innergeschichtlichen Teleologie auf eine bessere und menschlichere Welt hin ... "1 Trotz dieser und ähnlicher Aussagen, die keineswegs isoliert stehen 2 , sondern in das Ganze unseres Entwurfs integriert sind\ hat Herbert Vorgrimler in zwei seit der 3. Auflage dieses Bandes erschienenen Büchern 4 den Vorwurf, in meinem eschatologischen Modell würde die Siehe oben 74. Vgl. oben 35. 36f. 63. 70-75. 139(!). 177f. 3 Es ist doch kein Zufall, daß in der 3. Auflage dieser Quaestio dem Problem Geschichte - Geschichtsvollendung bereits zwei volle Abschnitte gewidmet waren (70-75.148-151) und daß der Denkansatz der Dialektischen Theologie gerade zurückgewiesen wurde (62-64.70). 4 H. Vorgrimler, Der Tod im Denken und Leben des Christen (Düsseldorf 1978) (im 1
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Geschichte entwertet, mit einer derartigen Emphase erhoben, daß es fast schon einem ceterum censeo ... gleichkommt: "Jedenfalls bedeutet Lohfinks These vom Eintritt der allgemeinen Vollendung in der individuellen Vollendung eine Verdunkelung der noch laufenden Zeit und eine Entwertung der noch ausstehenden Geschichte. Entwertet werden die Freiheitstaten der Menschen in ihren noch ausstehenden Beschlüssen; entwertet wird auch jede Bemühung um Verbesserung der irdischen Verhältnisse - da ja jede real-irdische Not im Tod des einzelnen Menschen schon aufgehoben wäre. Diese Absage an unsere Gegenwart und Zukunft entgeht kaum dem Vorwurf des Zynismus ... "5 "Wie ist denn ein verantworteter Umgang mit Geschichte noch möglich, wenn ein Mensch weiß, daß im Tod eines Menschen heute (oder in seinem eigenen Tod) alles übrige, das Frühere wie das Spätere, festgeschrieben ist?"6 "Die Sorge, ob morgen Menschen leben und wie sie leben können, wird belanglos, wenn ich heute schon in meinem Tod die ,gesamte übrige Geschichte' zu Gott bringe. Der Fortgang der Weltgeschichte trägt zu der Endgestalt der Welt (die ich mit mir trage) nichts Entscheidendes mehr bei."7 In solchen Auslassungen wird zwar ständig "ein verantworteter Umgang mit Geschichte" beschworen, darüber aber der verantwortete Umgang mit Texten offenbar vergessen. Ich hatte durchaus nicht geschrieben, daß der einzelne Mensch in seinem Tod die gesamte übrige Geschichte "zu Gott bringe". Wie sollte das auch möglich sein? Der Satz, auf den sich H. Vorgrimler bezieht, hatte gelautet: "Im Tod tritt deshalb zusammen mit uns selbst die gesamte übrige Geschichte vor Gott hin. "8 Der semantische Wechsel von "mit ... hintreten" zu "bringen" genügt in diesem Fall, um meine Position nicht nur unverständlich, sondern darüber hinaus geradezu unsinnig zu machen 9 • folgenden zitiert: Tod); ders., Hoffnung auf Vollendung. Aufriß der Eschatologie (QD 90) (Freiburg i. Br. 1980) (im folgenden zitiert: Hoffnung). 5 Tod 125 f; der letzte Satz mit Hinweis auf A. Schmied (zu diesem siehe oben 149 Anm.63). 6 Hoffnung 81. 7 Tod 122. - Vgl. auch Hoffnung 129f: "Der Rückzug auf eine Jenseitshoffnung, die die heillose Welt zugunsten des weltlosen Heils abschreibt, liegt auch einer katholischen Theologie des Todes nahe, die die Vollendung der Welt und den Anbruch des Reiches Gottes im individuellen Tod sieht." • Siehe im folgenden 219. 9 Solch fahrlässig freier Umgang mit Texten findet sich auch sonst. So behauptet
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Ich hatte auch nirgendwo gesagt, daß in der jenseitigen Vollendung des Einzelnen "alles übrige, das Frühere wie das Spätere" - also doch wohl die irdische Geschichte der anderen - "festgeschrieben" sei oder daß die Not der (gesamten) Welt in der Vollendung "des einzelnen Menschen schon aufgehoben wäre". Hier wird ein Phantom aufgebaut, gegen das ich nur protestieren kann, weil es mit meiner Position einfach nichts zu tun hat.
2. Zur richtigen Anwendung des Zeitbegriffi
Eine meiner Grundvoraussetzungen ist, daß der Mensch im Tod bzw. jenseits des Todes nicht mehr der irdischen Zeit mit ihrem Vorher und Nachher unterworfen sein wird 1o . Er braucht deshalb nicht auf den Tod der übrigen Menschen im zeitlich-linearen Sinne zu warten, und seine Auferstehung (insofern sie transzendentes Geschehen ist) darf nicht irdisch-zeitlich von der Auferstehung aller übrigen Menschen abgesetzt werden. Deshalb erlebt der im Tod Auferstehende "zugleich"ll die Auferstehung aller übrigen Menschen - derer, die vor H. Vorgrimler, ich hätte Jesu Gegenwartsaussagen vom Reich Gottes mit der Naherwartungsthematik vermischt bzw. sie "unter den Begriff ,Naherwartung'" gefaßt (Hoffnung 40, mit Bezug auf 41-50 oben). Ein genaueres Lesen hätte ihm jedoch zeigen können (vgl. oben 41-43), daß bei mir die Gegenwartsaussagen zwar als Argumentfür die NaherwartungJesu dienen, aber keineswegs unter den Begriff "Naherwartung" gefaßt werden. 10 Was nicht heißt, daß er keine Beziehung mehr zur irdischen Zeit und Geschichte hätte, vgl. oben 148 Anm. 61. 11 Bei diesem "zugleich" handelt es sich um analog-bildhafte Sprache. Vgl. oben 149. - G. Greshake setzt einen "Zwischenzustand" voraus, in welchem der im Tod bereits auferstandene Mensch - es hand~lt sich also in Wahrheit um einen "Auferstehungsstand" - "auf die weitere prozeßhafte Auszeugung der Geschichte in ihre Vollendung hinein" wartet (siehe oben 178). Hier ergibt sich - bei aller sonstigen Gemeinsamkeit - ein gewisser Unterschied in unseren Konzeptionen. Auch ich nehme selbstverständlich an, daß ganzheitliche Vollendung bei Gott die Auferstehung aller Menschen voraussetzt und daß insofern sämtliche Geschichte prozeßhaft in die Vollendung hineingezeitigt werden muß (siehe oben 71 f. 76. 150). Ich mache jedoch jene "Phase", in welcher sich die Geschichte kontinuierlich zu ihrer Endgültigkeit versammelt bzw. in welcher nach Greshake die Auferstehung der Gesamtheit der Menschen noch aussteht, in dem zeithaft nicht faßbaren "Übergang" zwischen Tod und Auferstehung fest. Dieser "Übergang" ist mit der Läuterung des Menschen identisch (vgl. hierzu oben 150f). Ist in diesem "Übergang" die Aufer-
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ihm gelebt haben und derer, die jemals nach ihm gelebt haben werden. Nur vor diesem Denkhintergrund ist der Satz zu verstehen: "Im Tod tritt deshalb zusammen mit uns selbst die gesamte übrige Geschichte vor Gott hin." Dieser Satz und ähnliche Sätze können dann gar nicht besagen, daß durch die Auferstehung eines einzelnen Menschen im Tod die irdische Geschichte der übrigen Menschen "festgeschrieben" wäre. Deren Geschichte läuft vielmehr in der ihr eigenen Dimension, in den Jahren, Jahrhunderten und Jahrtausenden der irdischen Zeit mit ihren Freiheitsmöglichkeiten ab. Das Mißverständnis, dem H. Vorgrimler erliegt, beruht ganz einfach darauf, daß er immer wieder die Zeit der irdischen Welt und die "Zeit" jenseits des Todes gleichsetzt, bzw. von einer "Zeitebene" in die andere springt12 . Selbstverständlich kann man sich darüber streiten, wie die "Zeit" jenseits der Todesgrenze aussieht und in welcher Relation sie zur irdischen Zeit steht. Aber eines darf man ganz sicher nicht: sie in einer kommensurablen "Koexistenz" neben der irdischen Zeit herlaufen lassenD. Dann täte man nämlich im Prinzip nichts anderes, als wenn man die jenseitige Welt der Verklärung in dreidimensionalen Räumen über oder unter der Erde ansetzen würde 14 . Rechnet man mit zwei verschiedenen, einander inkommensurablen Zeitdimensionen und macht man damit ernst, daß der Tod, der zuerst einmal zu durchleiden ist, die eherne Grenze zwischen beiden Zeitdimensionen bildet, so kann von einer "Entwertung der noch ausstehenden Geschichte"15 überhaupt keine Rede sein. Ein Ansatz der Auferstehung im Tod verstellt deshalb "auch nicht den Blick für die Frage, was die (noch) Lebenden zur Vollendung der Geschichte beizutragen haben "16, und darf erst recht nicht mit "geschichtsloser T ranszendenzorientierung"17 gleichgesetzt werden. Ganz im Gegenteil!
stehung des Einzelnen erreicht, so ist die Auferstehung aller erreicht. Auch ich muß also durchaus ein "Zwischen" annehmen. Es wird aber nicht in der Auferstehungswirklichkeit selbst angesetzt. Es ist sozusagen die "Innenseite" des Todes. 12 V gl. oben 148 f. U Vgl. oben 148. 14 Vgl. oben 6of. 15 Tod 125. ,. Ebd. 116. 17 Hoffnung 96 - freilich nicht direkt gegen G. Greshake und mich formuliert.
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3. Die Korrelation von Geschichte und Geschichtsvollendung
Wenn feststeht, daß Gott in der Auferstehung nur das vollenden kann, was zuvor in der Geschichte entworfen, gelebt und erlitten wurde 18 , so bekommt eben diese Geschichte eine letzte, unüberspringbare Wichtigkeit19 • Dann hängt alles davon ab, daß es schon in der Geschichte selbst (und nicht erst danach) Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Befreiung, Versöhnung, Liebe und solidarische Gemeinschaft gibt20 • Mehr noch: Wenn, wie ich behauptet habe 21 , die universale Auferstehung der Toten das Reich Gottes in seiner End- und Vollendungsgestalt ist22 , dann kann auch das Reich Gottes als Vollendung 23 nicht kommen, wenn es nicht zuvor in einer geschichtlichen Vorwegnahme 24 18 Siehe oben 73. - Allerdings übersteigt das Maß dieser Vollendung durch Gott alles menschliche Begreifen. - Das Schicksal derer, die in der irdischen Geschichte gar keine Chance bekamen, einen menschlichen Lebensentwurf auch nur ansatzweise zu realisieren (etwa der früh verstorbenen Kinder) ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, bereitet aber keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Die Eschatologie hat damit ernst zu machen, daß ewiges Leben in einer radikalen Partizipation geschieht. Das Glück der anderen wird dann gerade zum eigenen Glück. Diese Einsicht darf freilich nicht verhindern, daß wir für alle Menschen um die Chance eines eigenen Lebensentwurfs und eine auch irdisch gelingende Zukunft kämpfen. 19 Sie ist dann etwas ganz anderes als nur Übungsfeld, auf dem jene Tugenden eintrainiert werden, "die den Heilsegoisten schließlich zum Himmel führen" sollen. Gegen eine solche Sichtweise wendet sich H. Vorgrimler (Tod 28) in einem anderen Kontext völlig zu Recht. 20 Was in der Geschichte jeweils an Menschlichkeit und Gemeinschaft nicht geleistet wird, wird den je Späteren als Zukunftsmöglichkeit entzogen - zunächst in ihrer irdischen Geschichte selbst, dann aber auch in der "geretteten Endgültigkeit" (Karl Rahner) ihrer Geschichte. Doch vgl. oben Anm. 18. 21 Siehe oben 76 f. 138 f. 22 Der neutestamentliche Grundtext für diese Position ist 1 Kor 15,20-28: Mit der Auferstehung der Toten, deren Erstling Christus war, wird der Tod endgültig vernichtetwerden; hierauf wird Christus dem Vater die Basileiaübergeben (V. 24) und dann wird die Basileia Gottes, des Vaters, in ihrer Endgültigkeit und Vollendungsgestalt beginnen (vgl. V. 24 mit V. 28). Hier ist - aus nachösterlicher Sicht - der Konnex zwischen Auferstehung der Toten und Reich Gottes definitiv hergestellt. Dieser theologische Konnex war erst nach Ostern möglich. Vgl. R. Schnackenburg, Das Neue und Besondere christlicher Eschatologie, in: ders. (Hrsg.), Zukunft. Zur Eschatologie bei Juden und Christen (Schriften der Katholischen Akademie in Bay- , ern 98) (Düsseldorf 1980) 51-78, hier 71. 2J "Vollendung" setzt ja das Vorläufige, das Anfängliche, das Unfertige und noch zu Vollendende als Vorgabe unbedingt voraus. 24 H. Vorgrimler wendet sich zwar gegen den Begriff der " Vorwegnahme" des Rei-
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gelebt worden ist25 • Diese unabdingbare Korrelation von Geschichte und Vollendung haben G. Greshake und ich als selbstverständlich vorausgesetzt, an entsprechender Stelle haben wir sie aber auch eigens hervorgehoben 26 • Aber offensichtlich hat das keineswegs genügt. Deshalb noch einmal in aller Deutlichkeit: Wir setzen für eine voll ausgebaute Eschatologie (die von uns keineswegs angestrebt war), ein radikales Ernstnehmen der Geschichte des je Einzelnen, der Geschichte gesellschaftlicher Gruppen, der Geschichte der Völker, vor allem aber auch der Geschichte des Gottesvolkes und der Geschichte aller Antizipationen des Reiches Gottes als selbstverständlich voraus. Worum es uns in dieser Quaestio ging, war nun allerdings - bei selbstverständlicher V oraussetzung alles dessen - gerade der Vermittlungsversuch, wie man Geschichte und Vollendung zusammendenken kann.
4. Zur Möglichkeit einer innergeschichtlichen Teleologie
Weil genau in diesem Vermittlungsversuch der springende Punkt des Ansatzes der Eschata im Tod liegt, konnte offenbleiben, wie der zeitlich-lineare Fongang der Geschichte zu denken ist27 • Unser Ansatz verbietet keineswegs evolutive Geschichtsmodelle. Er bleibt offen für Positionen, die mit einer zunehmenden Humanisierung der Welt rechnen. Er bleibt sogar offen für die verschiedensten Spielanen "politiches Gottes (Hoffnung 78-80). Aber man sollte in diesem Fall nicht um Wärter streiten. Selbstverständlich darf ich mit Jesus sagen, das Reich Gottes sei schon da (vgl. Lk 11,20), und insofern auch von einer "Realisierung" des Reiches Gottes sprechen (Hoffnung 79f). Aber dann muß ich sofort dazusagen, fir wen und in welchem Modus das Reich schon da ist, und bin dann eben doch wieder zu einschränkenden Charakterisierungen gezwungen. Die von H. Vorgrimler verwendete Unterscheidung von "punktuell-situativer" Realisation und "Volloffenbarung" des Reiches Gottes (Hoffnung 68 f) ist aufs Ganze gesehen doch nichts anderes als "Vorwegnahme" und "Endgestalt". 25 Der eigentliche Ort dieser Vorwegnahme ist das Volk Gottes- also zunächst das zu sammelnde Israel, dann die Kirche, vgl. Mt 21,43; Lk 12,32; 22,29. 2. Vgl. besonders oben 73f. 177f. 27 M. E. ist es auch eine Sache der wissenschaftlichen Redlichkeit, daß die Frage nach dem faktischen (nicht nach dem wünschenswerten) Fortgang und Ausgang der Geschichte von der Theologie offengelassen wird. Die Theologie darf und muß über die transzendente Vollendung aller Geschichte in der Auferstehung sprechen;
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scher Theologie"28. Er bleibt allerdings auch offen für einen negativen Ausgang der irdisch-linearen Geschichte. Gerade hieran hat H. Vorgrimler schweren Anstoß genommen: "Kann etwa ein christliches Modell tatsächlich völlig offenlassen, ob menschliches Tun in Selbstlosigkeit und Gewaltverzicht die Welt besser und humaner macht, oder ob die Welt immer mehr entmenschlicht wird oder ob sie ein ewiges ( !) Nebeneinander von Gutem und Bösem, Menschlichem und Unmenschlichem sein wird?"29 Auf eine solche Frage kann man nur antworten: Selbstverständlich muß ein Christ mit aller Kraft hoffen, daß auch die irdisch-lineare Geschichte gut verläuft - ja, er muß darauf nicht nur hoffen, sondern er muß mit letztem Einsatz für eine bessere Welt arbeiten 30 . Aber trotz alledem muß er doch offenlassen, wie die irdisch-lineare Geschichte (nur von dieser ist hier die Rede 31 ) - faktisch weitergeht oder gar aus~ geht. Wer von uns kann ausschließen, daß nicht schon morgen ein Atomkrieg alles menschliche Leben zerstört?32 Und wo findet sich im Neuen Testament auch nur die Andeutung einer zunehmenden Huüber den irdischen Ausgang der Geschichte darf sie jedoch genausowenig eine Prognose abgeben wie über die zeitlich-physikalische Zukunft des Kosmos. Daß die transzendente Vollendung der Geschichte notwendig deren irdisches Ende impliziere, ist ein unbeweisbares Postulat, welches den Begriff "verklärte Zeit" nicht zu Ende gedacht, ja nicht einmal wirklich konzipiert hat. Auch ein ins Unendliche weiterlaufendes Zeitkontinuum ist in einer "verklärten Zeit" ganz und vollständig gesammelt. Gegen H Vorgrimler, Tod 116. 28 Daß wir die Impulse der "politischen Theologie" ablehnend beurteilten, ist eine Unterstellung H. Vorgrimlers (Tod 156). 29 Hoffnung 81 Anm. 189 (vgl. oben 74f). 30 Daß dieser Einsatz des Christen für eine bessere Welt seinen eigentlichen Ort im Gottesvolk der Kirche haben müßte, sei hier nur nebenbei erwähnt. Vgl. N Lohfink, Die messianische Alternative (Freiburg i. Br. 1981). 31 Es geht also nicht um die transzendente Vollendung der Geschichte durch Gott. An dieser ist dogmatisch auf jeden Fall festzuhalten. 32 Trotzdem hat es wenig Sinn, eine solche Katastrophe unmittelbar mit dem Kommen Gottes bzw. der Parusie Christi verbinden zu wollen. So H C. Cavallin (ThRv 72 [1976] 381) in einer Besprechung unserer Quaestio. Es käme doch heute auch niemand auf die Idee, eine schleichende Umweltkatastrophe, die sich über Jahrzehnte hinzöge und allmählich alles menschliche Leben zerstörte, zur kosmischen Szenerie für die Wiederkunft Christi zu machen. Weshalb sollten in einem solchen Fall die letzten überlebenden angesichts ihres baldigen Todes Gott näher sein als alle Toten und alle Opfer früherer Menschheitskatastrophen? Zum al doch anzunehmen ist, daß auch nach einer derartigen Menschheitskatastrophe die Geschichte des Kosmos weitergehen würde. Die Naturwissenschaftler prognostizieren zur Zeit
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manisierung der Welt?33 Statt dessen gibt es dort erschreckend viele Texte, die mit eschatologischer Drangsal und Entmenschlichung rechnen 34 . Der Blick in die apokalyptischen Passagen des Neuen Testaments verbietet jeden vorschnellen Optimismus im Blick auf eine sittliche Progression35 der Menschheit im ganzen3 6 • Wir haben - das sei offen zugestanden - eine leise Skepsis, ob man eine fortschreitende Humanisierung der irdisch-linearen Geschichte in einem eschatologischen Modell voraussetzen darf. Offenhalten muß man einen eschatologischen Entwurf für eine Progression des Humanum auf jeden Fall. Aber darf man sie als inneres Moment in den Entwurf einbringen? Nun kann man natürlich einwenden, irdische Utopien müßten wenn irgendwo - dann vor allem in einem eschatologischen Entwurf ihren festen Platz haben, andernfalls verhindere dieser Entwurf gerade die Entwicklung zum Besseren und führe letztlich in die Resignation gegenüber der Geschichte. Sicherlich liegt hier ein höchst schwieriges Problem vor. Man müßte sich an dieser Stelle wohl vor allem darüber verständigen, was überhaupt ein eschatologischer Entwurf ist, welchen "Sitz im Leben" er hat und welche Funktion ihm zukommt. folgendermaßen: Entweder expandiert der Kosmos in alle Zukunft weiter, oder er wird seine Expansionsbewegung irgendwann in eine Kontraktionsbewegung umkehren. Dann endet die heutige Fonn des Universums mit einem "Endknall", der in etwa 40-60 Milliarden Jahren zu erwarten wäre. Die gegenwärtige Astrophysik rechnet allerdings eher mit einem endlos expandierenden Universum. Angesichts solcher Perspektiven sollte man es sich als Theologe versagen, die Parusie Christi überhaupt mit einer bestimmten Stelle des linearen Zeitkontinuums zu verbinden. H Am ehesten vielleicht noch dort, wo das alttestamentliche Motiv der Volkerwallfohrt zum Zion im Neuen Testament zum Zuge kommt: Mt 8,11. Allerdings wird dieses Motiv in der neutestamentlichen Briefliteratur nicht mehr aufgegriffen. ,. Vgl. etwa Mk 13,1-27; Lk 17,22-37; Joh 15,18-21; Apg 14,22; Röm 8,18; 2 Thess 2, 3-12; 1 Tim 4, 1 f; 2 Tim 3, 1-5; Jak 5, 1-11; 1 Petr 4,12-19; Offb 6-20. " Ich vermeide hier den Begriff "Evolution", da wohl niemand mit einer kontinuierlichen sittlichen Evolution der Menschheit rechnet. Der Begriff "Progression" schließt bereits Rückschläge mit ein. 36 Eine andere Frage ist, ob wichtige Teile der Bibel nicht damit rechnen, daß das Volk Gottes als göttliche Gegengesellschaft den Völkern zum immer deutlicheren Zeichen für die Lebensordnung Gottes wird. Vgl. N. Lohfink, Alternative (s. o. Anm. 30). Wenn es in der Bibel überhaupt eine innergeschichtliche Teleologie zum Besseren gibt, dann höchstens diese. Sie wird aber - zumindest im Neuen Testament - nicht wirklich herausgearbeitet. Dort bleibt ungeklärt, wie sich die Völker letztlich verhalten.
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Vielleicht gibt es prophetische Entwürfe der Eschatologie, die an ihrem je eigenen Ort und in ihrer je eigenen Situation ihre "prophetische" Richtigkeit haben und deshalb sogar notwendig sind; diese dürfen dann durchaus anders aussehen als theologisch-systematische Entwürfe, die allen gesamtgeschichtlichen und allen lebensgeschichtlichen Situationen und sdmtlichen Daten der Theologie gerecht werden müssen 37 • Auf jeden Fall aber sollten alle eschatologischen Entwürfe, die über die irdisch-lineare Geschichte Aussage machen, mitberücksichtigen, daß Jesus nicht nur das Reich Gottes verkündet hat, sondern daß er gekreuzigt worden ist. Geschichtskonzeptionen, die das Kreuz Jesu und die in der Nachfolge Jesu immer neu gekreuzigte Liebe nicht genügend in Rechnung stellen, können genauso in die Resignation führen wie Geschichtskonzeptionen, die nicht glauben wollen, daß der Mensch und die Gesellschaft veränderbar sind 38 • Am angemessensten scheint deshalb eine Konzeption zu sein, welche letzten Einsatz für die Antizipationen des Reiches Gottes nicht nur postuliert, sondern geradezu notwendig macht, die aber gleichzeitig auch mit einem immer neuen Scheitern dieser Antizipationen in der Geschichte fertig werden kann. In einer solchen Konzeption muß der Tod einen schlechthin entscheidenden Platz einnehmen. Er scheidet zwischen der Geschichte, in welcher das Reich Gottes schon ständig vorentworfen wird, und der endgültigen Realisation des Reiches Got- . tes, die den Tod als conditio sine qua non voraussetzt39 • Er ist dann sozusagen der ständige Übergang von der Geschichte in die Vollendung. Nur so wird die für die christliche Existenz in der Nachfolge Jesu nicht aufhebbare Dialektik von Tod und Auferstehung gewahrt und doch zugleich die Geschichte in ihrer diachronen Erstreckung und synchronen Verflochtenheit radikal ernst genommen. 37 Die Endzeitrede in Mk 13 enthält traditionsgeschichtlich zusammengehörende' Teile (vgl. vor allem 13,14-20), die man als Beispielfür einen prophetischen Entwurf von Eschatologie anführen könnte. Er hatte in einer bestimmten geschichtlichen Situation seine Richtigkeit. Schon Markus hat ihn allerdings in einen neuen Kontext eingebaut und damit modifiziert. Vgl. im einzelnen: R. Pesch, Das Markusevangelium II (HThK II/2) (Freiburg i.Br. 1977) 264-318. 38 Daß der Mensch veränderbar ist, setztJesus mit seiner Reich-Gottes-Predigt und setzen die Propheten mit ihrer Umkehrpredigt voraus. 39 Vgl. 1 Kor 15,50: "Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben."
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5. Selbsttranszendenz der Geschichte?
Ich kann H. Vorgrimler den Vorwurf nicht ganz ersparen, daß er uns gegenüber zwar relativ schnell mit Etikettierungen bei der Hand ist, daß er aber selbst in seinem "Aufriß der Eschatologie"40 die Vermittlung zwischen Geschichte und Geschichtsvollendung in keiner Weise geleistet hat. An welcher Stelle will er den Umschlag, die Transformation der Geschichte in ihre bleibende Endgültigkeit denn ansetzen? Rechnet er mit ständigen Selbsttranszendierungen der Geschichte bzw. der Menschheit, bis diese den Gott der Zukunft und ihre endgültige Vollendung in Gott erreicht hat? H. Vorgrimler legt sich hier zwar nicht fest, aber es hat den Anschein, als sei ihm der Rahnersche Gedanke einer "Selbsttranszendenz der Geschichte" nicht unsympathisch 41 . Solche Selbsttranszendierungen, für die selbstverständlich Gott selbst die letzte Ursache wäre 42 , dürfen geschichtstheologisch nicht ausgeschlossen werden 43 . Lassen wir uns also ruhig einmal auf die Vorstellung einer sich selbst transzendierenden Geschichte oder besser einer sich in der Kraft Gottes selbst transzendierenden Menschheit ein. Dann wäre auch hier der Tod die letzte von der Menschheit zu transzendierende Grenze. Dieser müßte nicht nur biologisch - etwa durch Fortschritte der Medizin oder durch einen Mutationssprung - überwunden werden (das würde nur zu einer "schlechten" und schlechterdings unerträglichen Unsterblichkeit führen), sondern er müßte in all dem überwunden werden, was Tod (im biblischen Sinn) als Unheilssphäre bedeutet44 . Das heißt: Das Transzendieren des Todes müßte hineinführen in das, was die Bibel "Heil" nennt. Aber mehr noch: Da es "Heil" im Vollsinn allein und isoliert für diejenige Generation, die das Glück hat, an der richtigen Stelle der Evolution zu stehen, gar nicht geben kann (Heil ist nur dann voll-gültiges Gemeint ist H. Vorgrimler, Hoffnung auf Vollendung. Vgl. Hoffnung 94f. 111-114. 42 Das wird von H. Vorgrimler in Anschluß an K. Rahner ausdrücklich betont (vgl. Hoffnung 94f). 43 Der Begriff der "Selbsttranszendenz" ist von K. Rahner in schöpfungstheologischem Kontext entwickelt worden; Beispiele sind das Hervorwachsen des Lebendigen und des Geistigen aus je niedrigeren Formen der Schöpfung. 44 Etwa in Röm 5,12-21. 40 41
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Heil, wenn an ihm alle teilnehmen - auch die Gequälten und Zertretenen der Vergangenheit), genügt es nicht, daß irgendeine zukünftige Generation den eigenen Tod und die eigene Unheilssphäre transzendiert. Sie müßte vielmehr ihren Tod dergestalt transzendieren, daß sie auf die treffen würde, die bereits früher gestorben sind, und auch deren Partizipation an dem eigenen Leben ermöglichen. Anders wäre Selbsttranszendenz zum Heil schlechterdings nicht akzeptabel. Versucht man in dieser Weise, den Begriff einer Selbsttranszendenz der Geschichte probehalber ernst zu nehmen, so zeigt sich, daß auch hier der Tod die entscheidende Grenze ist, von der her das Ganze zu durchdenken wäre. Und zwar nicht nur der Tod einer letzten glücklichen Generation vor der endgültigen Selbsttranszendenz, sondern der Tod aller Menschen. Und damit ist man dann wieder exakt bei unserem eigenen eschatologischen Denkansatz angekommen. Allerdings bin ich mir wegen der stark referierenden Anlage der Quaestio von H. Vorgrimler4 5 gar nicht sicher, ob sein eigener Ansatz wirklich primär ein derartiges Modell der "Selbsttranszendenz" ist. Einiges spricht dafür, daß er sich vor allem mit dem Gedanken Kar! Rahners identifiziert, "die eine und ganze Vollendung des Menschen nach ,Leib' und ,Seele' trete mit dem Tod unmittelbar ein, die ,Auferstehung des Fleisches' und das ,allgemeine Gericht' ereigne sich der zeitlichen Geschichte ,entlang"'46. Aber dann frage ich mich erst recht, wo der Unterschied zu unserer eigenen, so heftig gescholtenen Konzeption denn nun überhaupt liegt.
6. Die Geschichtsmiichte und ihr Eschaton
Ereignet sich die Auferstehung des Fleisches "der zeitlichen Geschichte entlang", so vermag ich eine weitere Polemik H. Vorgrimlers einfach nicht zu begreifen. Vorgrimler wirft uns nämlich vor, unser 4' "Hoffnung auf Vollendung" bietet eher ausgewählte Forschungspositionen zur Eschatologie als eine eigene, durchdachte Konzeption. Es ist deshalb nicht immer ganz leicht, die Meinung des Verfassers selbst auszumachen. 46 Hoffnung 153 (vgl. auch 157); für das Zitat siehe K. Rahner, Über den "Zwischenzustand" , in: Schriften zur Theologie XII (Ein siedeln - Zürich - Köln 1975) 455-469, hier 456.
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Ansatz erlaube keine wirkliche Erlösung der Geschichtsmächte, sondern lediglich die himmlische Akkumulation erlöster Individuen und in Wirklichkeit nicht einmal das 47 , denn: Es ist "falsch zu sagen, daß die Geschichtsmächte nur aus einer Summe von Einzelsubjekten bestehen. Völker, Staaten, Klassen, Kirchen lassen sich in ihrer Geschichtsmächtigkeit nicht einfach als Summen von Einzelmenschen (auch nicht als deren ,interkommunikative Einheit') verstehen"48. Wie kann sich Auferstehung aber "der zeitlichen Geschichte entlang" ereignen (was H. Vorgrimler doch anzunehmen scheint), wenn "die Geschichtsmächte" mehr sind als die recht verstandene Summe von Einzelmenschen - und deshalb im Tod der vielen Einzelnen noch gar nicht auferstehen können? H. Vorgrimler müßte dann konsequenterweise annehmen, daß zwar die einzelnen Menschen schon im Tod ("der zeitlichen Geschichte entlang") auferstehen, daß hingegen jene Größe, die er "Geschichtsmächte" nennt, erst am Ende der zeitlich-linearen Geschichte zusammen mit der letzten Generation aufersteht und gerichtet wird. Aber wo bleiben die Geschichtsmächte dann in der Zwischenzeit? Wo bleiben die Reiche der Pharaonen, die Kultur der Inkas, der Aufstand des Spartakus, die Sektenbewegungen des Mittelalters - falls man nicht gerade das "Gedächtnis Gottes"49 bemühen will? Wird von dem objektiven Geist dieser Geschichtsmächte etwa nur das auferstehen, was die letzte Generation der Menschheit in Museen, Büchern und Datenspeichern konserviert hat? Hier sollte doch klar sein: So sehr die Geschichtsmächte der Vergangenheit die Zukunft der Welt beeinflussen und bestimmen - es bleibt von ihnen nicht alles in der künftigen Geschichte dergestalt erhalten, daß es in und mit einer letzten Generation vor Gott hintreten könnte. Vieles versinkt sogar für immer in der Vergangenheit und ist von späteren Generationen weder
Vgl. Hoffnung 168. Tod 121. 49 Wie dies nicht wenige protestantische Theologen tun, um die Kluft zwischen einer von ihnen postulierten totalen annihilatio des Menschen im Tod einerseits und der Auferstehung als einer völligen Neuschöpfung andererseits zu überbrücken. Vgl. oben 102f. 47
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zu er-innern noch zu vergegenwärtigen 50 . Wie sollte es dann auferstehen, falls nicht eben doch jede Generation "unmittelbar zu Gott" ist und falls nicht ständig in den jeweils sterbenden Menschen deren geschichtliche Gegenwart mit all ihren MCichten sukzessiv in das Jenseits der Geschichte hineingezeitigt wird? Das ist durchaus denk-möglich, wenn man damit ernst macht, daß der Einzelne eben keine isolierte Monade ist, sondern in einem unendlichen Netz von Beziehungen existiert, das ihn überhaupt erst zum Menschen und zum Subjekt von Geschichte macht 51 • Selbstverständlich bilden die Geschichtsmächte ein ungeheures Potential an Geist (auch an Ungeist) und an Macht. Aber dieses Machtpotential ist vom konkreten Tun einzelner Menschen ausgegangen und wird ständig durch das konkrete Tun von Menschen ratifiziert und am Leben erhalten 52 • Das gilt selbst für die Institutionen. Auch sie werden von Menschen ermöglicht und getragen, andernfalls brechen sie zusammen. Es sei gern zugestanden, daß es für die Theologie nicht leicht ist, die Vollendung der Geschichte denkerisch zu bewältigen, da das, was wir "Geschichte" nennen, eben ein höchst komplexes Phänomen ist. Eines sollte der vorstehende Abschnitt aber gezeigt haben: Auch wenn man die Einbringung der Gesamtgeschichte (und all ihrer "Mächte") in die Vollendung an einem postulierten Ende der irdischen Zeitlinie ansetzt, entstehen Schwierigkeiten. Man muß dann nämlich deutlich machen, wie die "Gesamtgeschichte" überhaupt an diesen Endpunkt der irdischen Zeit gelangt. Offensichtlich ist das bedeutend schwieriger, als wenn man die Einbringung der Gesamtgeschichte in ihre Endgültigkeit über den synchron und diachron gestreuten Tod der vielen einzelnen Geschichtssubjekte zu bewältigen sucht 53 .Jedenfalls wäre es sachdienlich gewesen, wenn H. Vorgrimler uns nicht nur kritisiert hätte, sondern selbst gezeigt hätte, wie er sich die Vollendung der T 0talität der Geschichte denn nun eigentlich denkt. 50 Im übrigen wäre hier auch noch über die Problematik "Einheit der Geschichte" nachzudenken. " Siehe unten 218 f. 52 Hier gilt durchaus das, was H. Vorgrimler selbst von den dämonischen Mächten sagt: "Hinter den bösen Mächten stehen also stets verantwortliche Personen, die aber im einzelnen kaum mehr identifizierbar sind" (Tod 106). 53 Siehe oben 71.
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7. Noch einmal: verklärte Zeit
Genau das Gleiche gilt für einen letzten Punkt, der hier noch zu behandeln ist: H. Vorgrimler deklariert meinen Begriff "verklärte Zeit" für ungenügend, für verschleiernd, für eine naive Mischung von Bewegungs- und Zustandskategorien. Ein "modifizierter Zeitbegriff" bleibe ein Desiderat54 • Für das wissenschaftliche Gespräch sind diese Zensuren wenig nützlich, da sie nicht begründet werden. Immerhin ist folgendes festzuhalten: In meinem Beitrag "Zur Möglichkeit christlicher Naherwartung" ging es mir unter anderem auch darum, überhaupt erst einmal einen "modifizierten Zeitbegriff" für transempirische Zeit in die eschatologische Debatte einzuführen". Wenn sich daraufhin bei einem Dogmatiker wie H. Vorgrimler die Einsicht durchgesetzt hat, ein "modifizierter Zeitbegriff sei tatsächlich notwendig, so ist ja schon sehr viel erreicht. Im übrigen dürfte doch wohl klar sein, daß der Begriff "verklärte Zeit" (Vorgrimler spricht von "modifizierter Zeit") ähnlich wie der Begriff "Ewigkeit" nicht univok ist, sondern nur in einer theologia negativa gewonnen werden kann. Das heißt, man kann den Ansatzpunkt immer nur bei der irdischen Zeiterfahrung nehmen und dann via negationis voranschreiten. Zum Beispiel: "Verklärte Zeit" ist gerade nicht mehr der sich ständig ereignende Abbruch des jeweiligen ,Jetzt" in die Vergangenheit. "Verklärte Zeit" muß vielmehr die Integration aller in der eigenen Lebensgeschichte gelebten Gegenwart in eine neue, bleibende Gegenwärtigkeit sein. Diese Gegenwärtigkeit darf aber weder nach dem Modus des fieri noch nach dem Modus des factum esse gedacht werden, weil sonst unbesehen - irdische Zeitmodi univok auf die jenseitige Existenz übertragen würden 56 • Ich sehe nicht, wie man anders als in solchen negativen Abgrenzungen überhaupt zu einem Begriff verkliirterbzw. modijizierterZeit kommen kann. Wenn hier irgendwo ein Denkfehler liegt, sollte ihn Hoffnung 168. Damit soll nicht gesagt sein, daß es vorher keinerlei Ansätze zu einem Begriff "verklärter Zeit" gegeben habe. Solche Ansätze sind bei K. Rahner und H. U. von Balthasar zweifelsohne vorhanden. 56 Siehe oben 68. 54 55
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H. Vorgrimler benennen, damit das theologische Gespräch vorankommt. Noch besser freilich wäre es, wenn er selbst einen »modifizierten Zeitbegriff" vorlegen würde. Es wäre alles andere als eine überflüssige Spekulation ins Leere. Denn genau hier entscheidet es sich, ob ein Begriff wie »Vollendung der Geschichte" überhaupt gedacht werden kann, bzw. ob Geschichte und Geschichtsvollendung vermittelt werden können. Eine ausgewogene Eschatologie muß nämlich auf jeden Fall drei Dinge leisten: ein radikales Ernstnehmen der irdischen Geschichte, ein radikales Ernstnehmen der eschatologischen Vollendung (die eben nicht als irdisch-zeitliche W~iterexistenz imJenseits gedacht werden darf) und schließlich eine wirkliche Vermittlung von Geschichte und Geschichtsvollendung.
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DRITTER TEIL: KONKRETIONEN
IX Was kommt nach dem Tod?! Von Gerhard Lohfink
"Was kommt nach dem Tod?" - so lautet das Thema, das Sie mir gestellt haben. Ich möchte sofort mit einem Einwand beginnen. Was kommt nach dem Tod? - dürfen wir überhaupt so fragen? Sind wir berechtigt, über Dinge zu reden, die unser Leben übersteigen? Hilft uns der Ausblick ins Jenseits wirklich? Werden wir bessere Menschen, wenn wir uns über ein ewiges Leben Gedanken machen? Werden wir dadurch ehrlicher, gerechter, weiser und menschlicher? Sollten wir nicht besser alle Kräfte darauf richten, unser Dasein in dieser Welt so gut wie möglich zu verwirklichen? Sollten wir nicht alles tun, das Leben, das uns jetzt aufgegeben ist, so anständig und so menschlich wie möglich zu führen, und sollten wir nicht über alles übrige schweigen? Ist es nicht besser, das Geheimnis des Lebens, seine Dunkelheiten und seine Rätsel, schweigend auf sich zu nehmen, in Geduld, T apferkeit und wortlosem Vertrauen, und alles Jenseitige als Geheimnis stehenzulassen, über das uns kein Wissen zukommt? Vor einiger Zeit sprach ich mit einem älteren Seelsorger, der in seinem Bistum geachtet und angesehen ist, der seine Pfarrei vorbildlich geleitet, der seiner Gemeinde jeden Sonntag das Evangelium in verantwortlicher Weise ausgelegt hat und dem man, weiß Gott, nicht vorwerfen kann, er rede leichtfertig und bedenkenlos daher. Es hat mich sehr nachdenklich gemacht, als mir dieser Mann im Verlauf unseres Gesprächs sagte: "Wissen Sie, wir Theologen reden nach wie vor zu schnell vom 1
Vortrag in Schweinfurt, gehalten im November 1973.
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Leben nach dem Tod, vom Jenseits, von der Auferstehung. Das alles fließt uns noch immer viel zu leicht über die Lippen. Ich habe in meiner Gemeinde sehr viele Menschen kennen gelernt, besonders einfache und kleine Leute, besonders die Alten und die Kranken. Ich muß einfach sagen: Was nach dem Tode kommt, war nicht das Problem dieser Leute. Ihre eigentliche Sorge war: Sind meine Kinder auch glücklich? Habe ich genug für sie getan? Was wird mit meinen Angehörigen? Wie kommt mein Mann oder wie kommt meine Frau zurecht, wenn ich einmal nicht mehr da bin? Oder: Falle ich mit meiner Krankheit den anderen auch nicht zur Last? - Das waren ihre Fragen. Ich habe so viele Menschen kennengelernt", sagte dieser alte Seelsorger zu mir, "die nie vom Jenseits sprachen und die nie nach einem ewigen Leben fragten, die es aber gelernt hatten, ihr Leben still anzunehmen, und die es dann schließlich in Geduld und Tapferkeit zu Ende geführt haben. Und ist nicht genau dies das eigentlich Christliche? Kann man überhaupt mehr erreichen? Sollen wir solchen Menschen dann noch vom Jenseits reden?" Mich haben diese Worte sehr nachdenklich gemacht - gerade weil sie ein Pfarrer sagte, der ein vorbildlicher Seelsorger war und von dem ich weiß, daß er nie ein Stück der christlichen Botschaft unterschlagen hat. Und doch konnte ich dem Gesagten in dieser Form nicht zustimmen. Natürlich stimmt es, daß viele Menschen nicht nur für sich selbst leben, sondern auch für die anderen, daß sie ihr Leben in Geduld und Tapferkeit angenommen haben, daß sie dabei kaum oder überhaupt nicht nachdem Jenseits fragen - und daß sie dabei doch im Grunde ein christliches Leben führen, weil sie ja sagen zu diesem Leben, zu seinem Sinn und zu seinem Geheimnis. Das alles stimmt. Aber ich meine, dieses schweigende und namenlose Christsein kann noch nicht das Letzte sein. So menschlich es ist, das Unerforschliche schweigend anzunehmen - der Mensch ist gleichzeitig auch immer ein Fragender, und zwar einer, der nach dem Ganzen fragt und der nie mit seinem Fragen aufhört. Daß er ein Fragender ist, unterscheidet ihn gerade vom Tier, und wenn er nur schweigt und sich bescheidet und seine Fragen nicht immer wieder neu hinausschreit in der Hoffnung auf Antwort, dann verwirklicht er noch nicht sein ganzes Menschsein. Ich meine deshalb, wir dürfen und müssen fragen: Was geschieht mit uns im Tod? Was geschieht mit unserem Leben, mit unserem Ich,
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mit unserem Bewußtsein, mit unserem Dasein, wenn wir gestorben sind? Ist es dann aus mit uns? Kommt dann die große Nacht, der ewige Schlaf, das Nichts? Sind wir dann für immer ausgelöscht - oder kommt dann erst das eigentliche, das wahre Leben, das, was wir Christen mit einem so abgegriffenen und doch nicht ersetzbaren Wort als die ewige Seligkeit bezeichnen? Was kommt nach dem Tod? Wir haben das Recht und die Pflicht, so zu fragen. Aber selbst wenn es feststeht, daß wir so fragen dürfen, gibt es auf dieses Fragen eine Antwort? Wenn wir über die theologische Seite des Todes reden, über das, was an uns im Tod und jenseits des Todes geschieht, dann reden wir ja über eine Sache, die noch niemand von uns erfahren hat, und über einen Weg, den noch niemand von uns gegangen ist. Kann es auf solches Fragen eine Antwort geben? Mit Sicherheit keine Antwort außerhalb des Glaubens. Was nach dem Tode mit uns geschieht, können wir nur im Glauben wissen, und darüber läßt sich nur vom Glauben her sprechen. Ich möchte das von Anfang an mit aller Deutlichkeit sagen. Ich spreche zu Ihnen nicht als Naturwissenschaftler und nicht als Arzt und nicht als Philosoph, sondern als Theologe, das heißt als einer, der das Wort Gottes auszulegen hat. Und so betone ich noch einmal: über das, was nach dem Tode mit uns geschieht, können wir nur im Glauben wissen. Dieses "nur im Glauben" darf nun allerdings nicht als etwas Negatives verstanden werden, als etwas, das übrigbleibt, wenn man eben nichts Genaues weiß. Denn das meint "glauben" im theologischen Sinn gerade nicht. Glauben meint personale Erkenntnis. Glauben meint, sich einem anderen ganz anvertrauen und gerade dadurch erkennen. In diesem Sinn wissen wir von allen großen Dingen des menschlichen Lebens nur, indem wir glauben und indem wir vertrauen. Nehmen wir gleich das Größte und Wichtigste: die Erfahrung menschlicher Zuneigung und Liebe. Daß ein anderer uns von Herzen liebt, können wir nur glauben, und darauf können wir nur vertrauen. Hier helfen weder Analysen noch Experimente. Je mehr wir einen Menschen psychologisch sezieren, desto mehr entgleitet er uns. Natürlich gibt es Versicherungen und Zeichen und sogar Beweise der Liebe. Aber wie können wir wissen, ob sich hinter allen Liebesversicherungen, die uns ein anderer Mensch gibt, nicht doch eine höchst sublime Eigenliebe verbirgt? Daß ein anderer uns wahrhaft liebt, kön-
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nen wir nur glauben. Erst indem wir an die Liebe des anderen glauben, ihr mit unserer eigenen Liebe entgegenkommen und dabei das Wagnis eingehen, am Ende als die Dummen oder als die Betrogenen dazustehen, erfahren wir wirklich und endgültig, daß wir geliebt werden. So verhält es sich, wie gesagt, mit allen großen Dingen des menschlichen Lebens, und so verhält es sich deshalb auch mit unserem Wissen von dem, was uns im Tod begegnen wird. Auch hier müssen wir glauben und vertrauen. Wir müssen daran glauben, daß in unserem Tod das Ziel und das Geheimnis unseres Lebens verborgen ist, ja, daß sich uns im Tod ein unendlicher Horizont öffnen wird, da wir nicht in das Nichts, sondern in Gott hinein sterben werden: wir werden Gott dann endgültig und für immer begegnen. Aber damit sind wir nun schon mitten in unserem Thema. Dieses Thema hieß: Was kommt nach dem Tod? Eine erste Antwort lautet:
In unserem Tod werden wir Gott endgültig und für immer begegnen. Entscheidend an diesem Satz ist das Wort "endgültig". Denn wir begegnen Gott ja schon in unserem irdischen Leben auf vielerlei Weise. Wir begegnen ihm im Glück und in der Not unseres Betens; wir begegnen ihm in unseren Gottesdiensten, in denen wir versuchen, zu ihm aufzublicken und ihm dankzusagen; wir begegnen ihm in jedem Dienst, den wir anderen erweisen und in jedem guten Gespräch, das wir mit anderen Menschen führen. Aber in all diesen Begegnungen ist uns Gott verborgen. Er scheint zu schweigen; ja, er scheint sich uns ständig zu entziehen. Wir können ihn niemals festhalten, wir können nie sagen: Jetzt habe ich ihn erkannt. Immer wieder sind wir aufs neue unterwegs zu ihm, immer wieder müssen wir neu mit ihm anfangen. Wir begegnen Gott auf vielerlei Weise, aber wir kommen mit ihm an kein Ende. Im Tode aber werden wir Gott endgültig begegnen, dem Gott unserer Gebete, dem Gott unserer Sehnsucht, unserer Hoffnung und unseres Glaubens. Wenn wir vom Himmel sprechen, so sind damit nicht irgendwelche Dinge gemeint, die auf uns warten. Dinge gibt es nur in dieser irdischen Weh. Himmel- das ist nichts anderes als die Begegnung mit Gott selbst. Gott selbst wird dann vor uns aufleuchten, und 211
wie das sein wird, kann kein Mensch beschreiben. Wir können höchstens an Stunden in unserem Leben denken, wo es auf einmal über uns kam, wo es uns wie Schuppen von den Augen fiel, wo wir auf einmal begriffen, wo wir plötzlich voller Erschütterung Zusammenhänge erkannten, von denen wir vorher nichts geahnt hatten. Aber auch solche Vergleiche sind im Grunde nur hilflose Versuche, die vor der Erschütterung der wirklichen Begegnung mit Gott versagen müssen. In unserem Tod werden wir Gott endgültig begegnen. Wir werden dann begreifen, wie unheimlich nahe er uns schon immer gewesen ist - auch in den Stunden, in denen wir dachten, er sei weit von uns weg. Wir werden dann erkennen, wie groß und wie heilig Gott ist, unendlich größer und heiliger, als das Bild, das wir uns von ihm gemacht hatten. Gott wird so groß und heilig vor uns aufstrahlen, daß er von da an unser ganzes Denken und unser ganzes Sein ausfüllen wird - endgültig und für immer. Von hier aus gesehen, scheint mir der Begriff "ewige Ruhe", den wir Christen so gern für das Leben bei Gott verwenden, kein guter und kein glücklicher Begriff zu sein. Die -Begegnung mit Gott ist keine ewige Ruhe, sondern ungeheures und atemberaubendes Leben, ein Sturm von Glück, der uns hinwegreißt, aber nicht irgendwohin, sondern immer tiefer in die Liebe und in die Seligkeit Gottes hinein. In unserem Tod werden wir Gott endgültig und für immer begegnen. Ich komme zu einer zweiten Aussage: Diese Begegnung wird uns zum Gericht. Jeder von uns hat wohl schon Ahnliches erfahren: man begegnet einem Menschen, der ganz gütig und ganz lauter ist - und dann sieht man sich selbst plötzlich mit anderen Augen an. Man erkennt mit einemmal, wie eng und egoistisch man bis in den Grund seines Herzens eingestellt war, welch traurige Wege man gegangen ist und wie sehr man sein Leben ändern müßte. Gerade wenn ein großer, gütiger Mensch Vertrauen zu uns faßt und uns lieb gewinnt, durchfährt uns - bei aller Freude - ein tiefes Erschrecken; ein Erschrecken darüber, wie wenig wir das Vertrauen und die Liebe des anderen verdienen. Erfahrungen dieser Art sind unabdingbar, wenn wir begreifen wollen, warum uns die Begegnung mit Gott zum Gericht wird. Wenn wir 212
ihm in unserem Tod begegnen, werden wir zum erstenmal erkennen, wer wir in Wahrheit sind. Gott braucht gar nicht über uns zu Gericht zu sitzen, er braucht nicht auf uns einzureden, wie menschliche Richter auf den Angeklagten einreden, er braucht uns nicht zu sagen: In den und den Punkten hast du erbärmlich versagt, das und das muß ich dir ankreiden, da und da liegt deine Schuld, ich muß dich verurteilen. Nein, ein Gericht in diesem Sinn wird es bei Gott nicht geben. Es wird alles ganz anders sein: gerade indem wir in der endgültigen Begegnung mit Gott das ganze Ausmaß der Güte und Liebe erfahren, mit der Gott uns zeitlebens geliebt hat, werden uns die Augen über uns selbst aufgehen. Wir werden in einem furchtbaren Erschrecken unsere Selbstgerechtigkeit, unsere Herzenshärte, unsere Herzlosigkeiten und all unseren Egoismus erkennen. Alle Selbsttäuschungen und Illusionen, die wir unser Leben lang in uns aufgebaut haben, werden mit einem Schlag zusammenbrechen. Alle Masken, hinter denen wir uns versteckt haben, werden fallen. Alle Rollen, die wir uns selbst und den anderen vorgespielt haben, müssen wir dann aufgeben. Das wird unendlich schmerzhaft sein und uns durchfahren wie Feuer. Wir werden, wenn Gott vor uns aufleuchtet, mit einemmal begreifen, was wir hätten sein können und was wir in Wirklichkeit waren. Das und nichts anderes ist das Gericht. Und das ist dann auch unser "Fegefeuer". Das Wort "Fegefeuer" ist zwar ein ganz schlechtes und mißverständliches Wort, das ich nur höchst ungern in den Mund nehme. Es ist vorbelastet. Es klärt die Dinge nicht, sondern macht sie eher noch schwieriger. Aber das, was dieses Wort eigentlich sagen will, ist eine Realität, die auch von der modernen Theologie ganz ernst genommen wird: daß uns nämlich in der Begegnung mit dem heiligen Gott die Augen über uns selbst aufgehen, daß die Erkenntnis, was wir in Wahrheit sind, .für uns unendlich schmerzhaft ist, daß uns aber gerade dieser Schmerz läutert und uns überhaupt erst dazu fähig macht, Gott zu begegnen. Das alles aber nicht als ein Vorgang, der uns als zeitliche Strafe oder als Zustand auferlegt wird, sondern als ein Geschehen, das sich unmittelbar in der Begegnung mit Gott ereignet, ja das diese Begegnung überhaupt erst ermöglicht. Am besten sagen wir einfach: Die Begegnung mit Gott in unserem Tod wird uns zum Gericht - zum Gericht, das uns wie Feuer durchfährt. Freilich wäre das alles einseitig, wenn ich nun nicht sofort noch eine dritte Aussage hinzufügen würde: 213
In dieser Begegnung erfahren wir Gott nicht nur als unseren Richter, sondern wir erfahren zugleich und auf immer das Erbarmen und die Liebe Gottes. Lassen Sie mich auch für diesen dritten Punkt ein wenig weiter ausholen. Eine der klarsten und eindringlichsten Forderungen Jesu geht dahin, daß wir allezeit verzeihen müssen. Nicht nur siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal. Das heißt aber: immer! Und wir sollen nicht nur denen verzeihen, die uns lieben und die gut zu uns sind, sondern erst recht denen, die uns hassen. Gott fordert also von uns eine grenzenlose Bereitschaft zum Verzeihen, eine Vergebungsbereitschaft ohne Maß und ohne Vorbedingungen. Das bedeutet aber doch, daß Gott genauso verzeiht. Sonst würde er ja von uns etwas fordern, was er selbst nicht verwirklicht. Das kann nicht sein. Er verzeiht immer und ohne Ausnahme. Er verzeiht ohne Bedingungen. Seine Barmherzigkeit kennt kein Maß. Wie hätte Jesus sonst sagen können, wir sollten barmherzig sein, wie unser Vater im Himmel barmherzig ist. Wir dürfen also darauf vertrauen, daß wir im Tod einem gütigen und barmherzigen Gott begegnen werden. Die Güte und Liebe Gottes begleitet nicht nur unser Leben, sie wird sich erst recht an uns offenbaren, wenn wir Gott endgültig begegnen werden, wenn uns die Augen aufgehen und wir unsere eigene Unbarmherzigkeit und Härte erkennen müssen. Gerade dann wird uns Gott begegnen wie der gütige Vater im Gleichnis, er wird nicht nach Schuld und nicht nach Gerechtigkeit fragen, sondern uns in unendlicher Freude an sich ziehen. Das wird die eigentliche Erfahrung unseres Todes sein: die Liebe, die Güte und die Barmherzigkeit Gottes. Ich hatte vorhin gesagt: Daß in unserem Tod das Ziel und das Geheimnis unseres Lebens verborgen liegt, können wir nur glauben. Ich füge nun noch hinzu: Auch daß Gott uns dann voll Liebe und Barmherzigkeit begegnen wird, können wir nur glaubend erwarten. Beweisen läßt sich da überhaupt nichts. Aber wir hatten ja gesehen: Liebe kann man niemals beweisen. Man kann an sie nur glauben. Man kann sie nur beantworten durch das Wagnis der eigenen Liebe. Wer sich auf das Wagnis einläßt, an die Liebe Gottes zu glauben, der wird am Ende nicht zu den Dummen und zu den Betrogenen gehören. Wer an die Liebe Gottes glaubt, den wird der Tod in das unbegreif214
liche und nicht aussprechbare Geheimnis der Liebe Gottes hineinführen. Ich habe jetzt ziemlich lange von Gott gesprochen - von Gott, wie er dem Menschen im Tod begegnet, von dem vor uns aufstrahlenden, richtenden und verzeihenden Gott. Es ist an der Zeit, nun noch etwas genauer auf den Menschen einzugehen, dem dieser Gott begegnet. Sie werden wohl festgestellt haben, daß ich bisher immer von dem "Menschen", nie aber von seiner Seele gesprochen habe. Ich habe bisher niemals formuliert: Die Seele des Menschen begegnet Gott im Tode, sondern stets: Der Mensch begegnet Gott. Das geschah sehr bewußt und in übereinstimmung mit einer breiten Strömung innerhalb der heutigen Theologie. In den vergangenen Jahrhunderten hat man es ja meist so formuliert: Im Tode trennt sich die Seele des Menschen vom Leib; sie gelangt zu Gott, und sie wird von Gott gerichtet. Schenkt Gott dann der Seele die ewige Seligkeit, so bleibt sie in der Anschauung Gottes, bis ihr am Jüngsten Tag bei der Auferstehung der Toten der verklärte Leib von Gott hinzugefügt wird. Diese Vorstellung hat sich bereits in den ersten Jahrhunderten der christlichen Theologie durchgesetzt, und sie ist auch heute noch bei vielen Christen verbreitet. Man muß sich jedoch darüber im klaren sein, daß es sich hierbei um eine Hilfsvorstellung, um ein zeitgebundenes Vorstellungsmodell handelt. Dieses Vorstellungsmodell suchte damit fertig zu werden, daß das Neue Testament von der Auferweckung des ganzen Menschen am Ende der Zeit spricht, daß aber andererseits der Mensch doch auch schon unmittelbar im Tod Gott begegnen muß. Beides gehört unaufgebbar zum christlichen Glauben: die leibliche Auferweckung am Jüngsten Tag - und die Begegnung des einzelnen schon im Tode mit Gott. An bei dem wollte man festhalten, und man glaubte es nur zu können, indem man sich vorstellte, daß die Seele sofort nach dem Tod zu Gott gelangen werde, daß hingegen der Leib erst später am Ende der Welt von Gott auferweckt würde. Heute wird dieses ganze Vorstellungsmodell von der Theologie mehr und mehr aufgegeben. Denn es macht einige Voraussetzungen, die gar nicht aus der Bibel, sondern aus der griechischen Philosophie stammen - Voraussetzungen, die der modernen Theologie immer fragwürdiger werden: daß nämlich der Mensch schön säuberlich in 215
Leib und Seele zerlegbar sei, daß dabei die Seele der bessere und wichtigere Teil des Menschen sei und daß die Seele auch ohne den Leib Gott begegnen könne. Aber gibt es Seele in diesem Sinn überhaupt? Darf man sich Leib und Seele wie zwei Bausteine vorstellen, die man auseinanderschieben und auch wieder zusammenbauen kann? Doch offensichtlich nicht! Leib und Seele sind nicht zwei Teile des Menschen, sondern zwei verschiedene Weisen einer einzigen, unteilbaren Wirklichkeit: nämlich des Menschen. Der Mensch ist Seele, und der Mensch ist Leib. Aber er ist beides in einer untrennbaren Einhei t. Deshalb trifft auch der Tod den ganzen Menschen. Wer behauptet, daß der Tod nur den Leib betreffe, nimmt die Wirklichkeit des Todes nicht ernst. Es sieht dann so aus, als ob im Tod die Seele aus dem Leib, wie aus einern Gefängnis befreit, Gott entgegeneile. Nein, der Tod trifft den ganzen Menschen, seine gesamte Existenz. Wir müssen sterben, wir und alles, was unser ist. Wer sich die Dinge anders vorstellt, muß sich fragen lassen, ob er dem furchtbaren Ernst des Todes gerecht wird. Ja, er muß sich fragen lassen, ob er nicht den Leib als etwas überflüssiges, vielleicht sogar Negatives betrachtet. Denn wenn die Seele in der Anschauung Gottes ihre volle Seligkeit findet - auch ohne den Leib, so ist die Auferstehung des Fleisches einfach überflüssig. üb in dieses ganze Vorstellungsmodell nicht doch eine geheime Verachtung des Leibes eingeflossen ist? Umgekehrt gilt: gerade wenn man daran festhält, daß der Mensch eine Einheit ist, daß also der ganze Mensch durch den Tod hindurch muß, wird man um so leichter und um so unbeirrbarer dabei bleiben, daß im Tode auch der ganze Mensch mit Leib und Seele zu Gott gelangt. Denn wir sterben nicht in das Nichts hinein, sondern in das ewige Leben bei Gott. Der Tod trifft uns ganz, aber er stellt uns auch ganz in unsere bleibende Endgültigkeit vor Gott. Wir müssen sterben, wir und alles, was unser ist. Das gilt. Genauso gilt aber: wir werden zu Gott gelangen, wir und alles, was unser ist. Würden wir nur sagen: Unsere Seele gelangt im Tode zu Gott, und würden wir dabei Seele als Gegensatz zu unserem Leib begreifen, dann hätten wir gar nicht daran festgehalten, daß wir mit unserem Menschsein zu Gott gelangen. Denn der Mensch ist doch nicht nur eine abstrakte Seele. Der Mensch ist auch Leib, mehr noch, der Mensch ist eine ganze Welt. Zum Men-
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sehen gehören seine Freuden und seine Leiden, sein Glücklichsein und sein Traurigsein, seine guten und seine schlechten Taten, alle Werke, die er in seinem Leben vollbracht hat, alle Dinge, die er geschaffen hat, alle Vorstellungen, in denen er gelebt hat, alle Stunden, die er durchlitten hat, jede Träne, die er geweint hat, jedes Lächeln, das über sein Angesicht gegangen ist, die lange, persönliche Geschichte, die er durchlebt hat - all das ist der Mensch. Und all das ist er doch nicht nur als Seele, das ist er doch auch als Leib. Würde nicht der ganze Mensch mit Seele und Leib zu Gott gelangen, so könnte er auch nicht die ganze Geschichte seines Lebens vor Gott hintragen. Vor einiger Zeit stieß ich auf ein Gedicht des Russen Jewgenij Jewtuschenko, das mich sehr ergriffen hat. Es vermag das, was ich sagen will, zu verdeutlichen. Es lautet: Jeder hat seine eigene, geheime, persönliche Welt. Es gibt in dieser Welt den besten Augenblick, es gibt in dieser Welt die schrecklichste Stunde; aber dies alles ist uns verborgen. Und wenn ein Mensch stirbt, dann stirbt mit ihm sein erster Schnee und sein erster Kuß und sein erster Kampf ... all das nimmt er mit sich. Was wissen wir über die Freunde, die Brüder, was wissen wir schon von unserer Liebsten? Und über unseren eigenen Vater wissen wir, die wir alles wissen, nichts. Die Menschen gehen fort ... Da gibt es keine Rückkehr. Ihre geheimen Welten können nicht wiederentstehen. Und jedesmal möchte ich von neuem diese Unwiederbringlichkeit hinausschreien. Jeder Mensch, sagt Jewtuschenko, ist eine Welt für sich, eine eigene, unverwechselbare Welt. In jedem Menschen leben die Erlebnisse und Erfahrungen seiner Vergangenheit. Tief in unserem Unbewußten ruht die Erfahrung unserer ersten Liebe, die Erfahrung des ersten Schmerzes, das Erlebnis des ersten Schnees. Und weil jeder seine ganz eigenen 217
Erfahrungen hat, die nur er machen konnte und die nur ihm gehören, darum ist jeder Mensch ein unendlich kostbares und unbegreifliches Geheimnis. Gerade deshalb aber ist der Tod etwas Grauenhaftes. Wenn ein Mensch stirbt, dann stirbt mit ihm sein erster Kuß und sein erster Schnee, all sein Lieben und all sein Leiden, seine Freude und sein Schmerz. Wenn ein Mensch stirbt, dann geht jedesmal eine noch nie dagewesene und ganz persönliche Weit unter. Ich finde, daß dieses Betroffensein von der unverwechselbaren und geheimnisvollen Welt, die zu jedem Menschen gehört, eine unbedingt notwendige Voraussetzung ist, um überhaupt begreifen zu können, was gemeint ist, wenn wir in unserem Glauben von der Auferstehung der Toten sprechen. Auferstehung heißt nämlich, daß der ganze Mensch zu Gott gelangt, der ganze Mensch mit all seinen Erfahrungen und mit seiner ganzen Vergangenheit, mit seinem ersten Kuß und mit seinem ersten Schnee, mit all den Worten, die er gesprochen und mit all den Taten, die er getan hat. Dies alles ist doch unendlich mehr als eine abstrakte Seele - und deshalb ist es nicht vorstellbar, daß im Tod nur die Seele des Menschen vor Gott hintritt. Ich möchte deshalb als vierte Aussage formulieren:
Im Tod tritt der ganze Mensch mit "Leib und Seele das heißt mit seinem ganzen Leben, mit seiner persönlichen Welt und mit der ganzen unverwechselbaren Geschichte seines Lebens vor Gott hin. H
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Und nun müssen wir noch einen Schritt weitergehen. Es ist eine der grundlegenden Erkenntnisse der heutigen Anthropologie, daß der Mensch gar nicht zu sich selbst kommen kann ohne die Begegnung mit anderen Menschen. Existenz heißt in Begegnung leben. Existieren heißt andere erfahren. Nur wer als Kind von seinen Eltern Güte erfahren hat, vermag später selbst gütig zu sein. Nur wer viel geliebt worden ist, vermag später selbst zu lieben. Nur wer andere Menschen in ihrer Andersartigkeit erkannt hat, vermag sich selbst zu erkennen. Der Mensch wird nur wirklich Mensch in der Beziehung zu anderen, im Mitsein mit anderen, im gemeinsamen Erleben von Weit. Ich hatte vorhin gesagt: Jeder Mensch hat seine eigene, persönliche 218
Welt, und diese Welt nimmt er mit zu Gott. Ich muß nun hinzufügen: In diese eigene, persönliche Welt gehören auch die anderen Menschen, mit denen man zeit seines Lebens zu tun hatte. In diese Welt gehören die Mutter und der Vater, die Schwester und der Bruder, die Gattin und der Gatte, die Kinder, die Verwandten, die Freunde, diejenigen, für die man Verantwortung trug, und viele andere Menschen. Sie alle haben uns geprägt, sie alle gehören zur Geschichte unseres Lebens, sie alle sind ein Stück unseres Lebens geworden. Unser Menschsein ist gar nicht denkbar ohne die tausend Fäden, die uns mit den Menschen um uns verknüpfen. Wenn es wahr ist, daß wir mit unserer ganzen Welt vor Gott hintreten, dann treten wir auch mit diesen Menschen vor Gott hin. Und wenn Sie nun bedenken, daß die Menschen, die mit uns verbunden sind, wiederum mit vielen anderen Menschen verbunden sind - und so immer weiter, dann werden Sie begreifen, daß man überhaupt nicht nur von der Begegnung des einzelnen Menschen mit Gott sprechen kann, sondern daß man zugleich immer auch von der Begegnung aller Menschen, ja von der Begegnung der ganzen Menschheit und der ganzen Geschichte mit Gott sprechen muß. Ich formuliere deshalb als fünfte Aussage:
Mit unserer eigenen persönlichen Welt ist die übrige Welt und die gesamte Geschichte untrennbar verknüpft. Im Tod tritt deshalb zusammen mit uns selbst die gesamte übrige Geschichte vor Gott hin. Al,lch dies hat die Kirche immer geglaubt, daß die ganze Menschheit vor Gott hintreten wird, daß Gott vor allen Menschen und vor der ganzen Geschichte erscheinen wird, daß er alle Menschen und die gesamte Geschichte richten wird und schließlich, daß wir nicht als einzelne am Leben Gottes Anteil haben, sondern in der Gemeinschaft der Heiligen. Allerdings verlegte die traditionelle Dogmatik diese Begegnung der gesamten Menschheit mit Gott auf einen Punkt am Ende der Welt. In dem Augenblick, wo ich damit ernst mache, daß im Tod der ganze Mensch vor Gott erscheint, und gleichzeitig begriffen habe, daß zu jedem Menschen sein Leib und damit ein ganzes Stück 219
Welt gehört und daß in diese Welt viele andere Menschen hineingehören - in diesem Augenblick muß ich notwendigerweise annehmen, daß ich im Tod mit all den Menschen, die zu mir und meiner Welt gehören, ja daß ich mit der ganzen übrigen Menschheit vor Gott hintreten werde. Aber wie soll das mö glich sein? Ist das alles nicht absurd? Ich lebe, aber viele meiner Freunde sind schon tot. Wie sollen sie gleichzeitig mit mir zu Gott gelangen? Oder: ich sterbe, andere aber leben weiter. Wie sollen sie mit mir zusammen vor Gott hintreten? Oder: ich und die Menschen um mich herum sind gestorben. Die Weltgeschichte aber geht weiter. Jahrtausend um Jahrtausend. Wie soll all diese Geschichte, wie sollen all diese Menschen mit mir zusammen im Tod vor dem Angesicht Gottes erscheinen? Ich denke, an dieser Stelle ist es nun unbedingt erforderlich, ein Wort zum Begriff der Zeit zu sagen. Zeit erscheint uns ja als etwas überaus Reales. Die Zeit, in die unser Leben eingebettet ist, erscheint uns als etwas Ehernes und U nabänderliches. Wir leben in der Zeit, müssen uns ihr fügen und können sie nicht überspringen. Und doch ist Zeit viel unwirklicher und brüchiger, als es im ersten Augenblick scheinen möchte. Denn die Zeit ist ja kein Ding wie die anderen Dinge unserer Welt. Sie ist kein Ding an sich. Sie ist eine Anschauungsform unseres Bewußtseins. Sie ist ein Schema, in welchem wir die Dauer der Dinge erleben. Bereits in der Mikrophysik wird unser Zeitbegriff durchlöchert. Erst recht zeigen parapsychologische Phänomene die Relativität von Zeit. Gibt es jenseits unserer Welt noch Zeit? Wir setzen das oft als selbstverständlich voraus. Wer zwischen dem persönlichen Gericht nach dem Tod und dem letzten Gericht am Ende der Welt unterscheidet, setzt voraus, daß es im Jenseits Zeit gibt. Wer annimmt, daß die Läuterung des Menschen nach dem Tod eine bestimmte Zeit in Anspruch nimmt, setzt voraus, daß es im Jenseits Zeit gibt. Wer annimmt, daß die Seele des Menschen zunächst ohne Leib bei Gott ist und daß der Leib erst später hinzugefügt wird, setzt voraus, daß es im Jenseits Zeit gibt. Wer annimmt, daß die Menschen, die tausend Jahre später als wir auf Erden leben werden, auch erst tausend Jahre später als wir vor Gott erscheinen werden, setzt voraus, daß es im Jenseits Zeit gibt. In Wirklichkeit ist jedoch die Zeit genauso eine Funktion unserer irdischen Welt wie der Raum. Raum und Zeit sind Anschauungsformen, in denen wir irdische Wirklichkeit erleben. Sie stehen und fallen mit der Erfahrung dieser
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unserer Welt. In der Weh Gottes gibt es nicht mehr unseren Raum und genausowenig unsere Zeit. Das heißt aber, daß der Mensch in dem Augenblick, da er stirbt und in die Welt Gottes eintritt, nicht mehr in der Zeit, sondern jenseits aller irdischen Zeit existiert. Mit seiner irdischen Zeit hat er dann nur noch insofern zu tun, als alle Momente der Existenz, die er gelebt hat, in seine Existenz bei Gott hineingezeitigt sind. Seine neue Existenz bei Gott ist die Summe und die Frucht all seiner irdischen Zeit - freilich von Gott verklärt und erhöht, aber sie ist nicht mehr selber in der Zeit. Wenn diese überlegungen richtig sind, dann kann nicht mehr gesagt werden, ein bestimmter Mensch wäre eher bei Gott als ein anderer. Denn das würde ja voraussetzen, daß es im Jenseits irdische Zeit gibt, daß dort Tage, Monate und Jahre vergehen wie in unserer Welt. Wir müssen vielmehr sagen: Wenn es bei Gott keine irdische Zeit mehr gibt, dann begegnen alle Menschen, selbst wenn sie zu ganz verschiedenen Zeiten gestorben sind, Gott zur "gleichen Zeit", nämlich in dem einzigen und doch ewigen "Augenblick" der Ewigkeit. Wenn es bei Gott keine irdische Zeit mehr gibt, dann ist in dem Augenblick, da ich sterbe, die Geschichte schon abgelaufen, dann fällt meine Begegnung mit Gott in eins mit der Begegnung der ganzen Menschheit mit Gott. Wenn es bei Gott keine irdische Zeit mehr gibt, dann ist mein Tod bereits der Jüngste Tag, und dann ist in meinem Tod die Auferstehung des Fleisches bereits gekommen. Man kann es auch so formulieren: Indem ein Mensch stirbt und eben damit die Zeit hinter sich läßt, gelangt er an einen "Punkt", an dem die gesamte übrige Geschichte "gleichzeitig" mit ihm an ihr Ende kommt, mag diese Geschichte auch "inzwischen" in der Dimension irdischer Zeit noch unendlich weite Wegstrecken zurückgelegt haben. Sie werden nun verstehen, warum ich mit einer solchen Zuversicht davon ausgehe, daß nicht nur meine Seele Gott begegnet, sondern meine ganze Existenz und mit dieser zusammen die ganze Menschheit. Sie werden nun aber auch verstehen, daß damit die letzten Dinge der Welt, die in der traditionellen Dogmatik so weit entfernt liegen, daß sie niemanden sonderlich beeindrucken, eine unheimliche Nähe und Aktualität gewinnen. Das Ende der Welt steht für mich nahe vor der Tür. Die Stunde des Gerichtes ist nicht mehr fern. Wir alle leben in der letzten Zeit, im Angesicht des Endes. Sechster Satz: 221
Im Tod versinkt alle Zeit. Deshalb erlebt der Mensch im Durchschreiten des Todes nicht nur seine eigene Vollendung, sondern zugleich die Vollendung der Welt. Ich komme zu einem letzten Punkt - und dieser Punkt ist, genau genommen, der wichtigste. Bisher war ja immer nur von Gott und vom Menschen die Rede, aber noch nie von Christus. Das heißt aber: die eigentlich christliche Dimension von Tod und Ewigkeit ist bisher noch gar nicht zu Wort gebracht. Es ist höchste Zeit, dies nun mit aller Deutlichkeit zu tun. Wenn das Neue Testament vom ewigen Leben spricht, von dem, was an uns im Tod und am Ende der Welt geschieht, spricht es ja niemals nur von Gott, sondern immer auch von Jesus Christus. Und dasselbe tut die gesamte christliche Tradition. All das, was ich bisher von der endgültigen Begegnung des Menschen mit Gott gesagt habe, wird im Neuen Testament in gleicher Weise als Begegnung mit Christus ausgesagt. Unser Tod ist die große, endgültige Begegnung mit Christus, er wird vor uns erscheinen, er wird uns zum Richter und Retter, er wird unseren armseligen Leib verwandeln in die Gestalt seines verklärten Leibes, er wird die Welt richten, er wird ewiges Leben zusprechen - all das sagt das Neue Testament von Jesus Christus. Dieses Nebeneinander von Gott und J esus Christus in den Endereignissen kann nun freilich so nicht stehenbleiben. Wenn wir genau sind, müssen wir sagen: Wir werden Gott in J esus Christus begegnen. In ihm wird Gott vor uns aufleuchten. In seinem Angesicht werden wir das Angesicht Gottes schauen. In der Begegnung mit ihm werden wir das Gericht Gottes erfahren. In ihm wird uns Gott sein Erbarmen zusprechen. In ihm werden wir das ewige Leben Gottes finden. Mit einem Satz:
Unsere endgültige Begegnung mit Gott geschieht in Jesus Christus. Fragt man über die thetischen Aussagen des Neuen Testaments und der Tradition hinaus, warum dies eigentlich so ist, warum wir einst Gott in Jesus Christus begegnen werden, so kann die Antwort nur lau222
ten: Weil es auch schon in der Geschichte so gewesen ist. Gott hat vielmals und in vielerlei Weise zu uns gesprochen; sein letztes, endgültiges und nie mehr überholbares Wort aber sprach er zu uns in Jesus Christus. In ihm ist Gott letzte Offenbarkeit und letzte Gegenwärtigkeit in dieser Welt geworden. In ihm hat sich Gott endgültig an die Welt gebunden. In ihm ist das liebende Ja Gottes zur Welt und zum Menschen endgültig und für immer offenbar geworden. Wer von nun an wissen will, wer Gott ist, muß auf Jesus schauen. Wer ihn sieht, sieht den Vater. Wer ihm begegnet, begegnet Gott. Jesus ist der Ort, wo das befreiende und erlösende Handeln Gottes an der Welt seine letzte Tiefe erreicht hat. Wenn nun aber J esus der Ort ist, wo das Offenbarwerden und das endgültige Handeln Gottes in unserer Geschichte dergestalt eingestiftet ist, und wenn irdische Geschichte im Jenseits nicht einfach weitergeht, sondern dort ihre bleibende Endgültigkeit findet, in der alles eingebracht ist, was je in irdischer Geschichte wesentlich war, dann wird Jesus Christus auch im Jenseits aller Geschichte der eigentliche Ort unserer Gottesbegegnung sein. Er wird dann in alle Ewigkeit sein, was er schon hier auf Erden gewesen ist: derjenige, in dem uns das Leben geschenkt wird; derjenige, in dem Gott das ewige Wort seiner Liebe zu uns spricht. Lassen Sie mich an dieser Stelle abbrechen, weil wir hier auf das tiefste und schönste Geheimnis unseres Glaubens gestoßen sind: so sehr hat Gott uns Menschen angenommen, so sehr liebt er uns, daß wir Gott in alle Ewigkeit nicht anders als in dem Menschen Jesus begegnen werden, daß wir für immer und ewig in dem Herzen eines Menschen Gott selbst finden und dort in die unendliche Liebe Gottes heimgeholt werden.
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Jesus und die Zukunft
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Von Gisbert Greshake
Was ist gemeint mit "Jesus und die Zukunft"? Doch wohl die Frage: Was hat die Zukunft mit Jesus zu tun? Was dürfen wir für die Zukunft von Jesus erwarten? Welche Relevanz hat Jesus für die heute mächtig sprießenden Zukunftsvisionen und -utopien der Menschheit? Mit diesen Fragen sieht es zunächst einmal nicht gut aus. "Jesus und die Zukunft" - diese Verbindung gibt - scheint's - nichts her. Denn wie soll derfür die Zukunft von Belang sein, der selbst keine Zukunft hatte, der selbst hoffnungslos gescheitert ist in einem sinnlosen Ende? Das Reich Gottes, dessen bald hereinbrechende Zukunft er verkündigt hatte, ist eben nicht gekommen; die Sammlung Israels, die in seinem Jüngerkreis begann, ist jämmerlich gescheitert: die Jünger gehen laufen, einer verrät ihn, und dem Felsenmann werden die Knie weich, da er sich zu ihm bekennen soll. So geht mit Jesus offenbar alles zu Ende, hoffnungs- und perspektivenlos. Und er, der sich in der Zukunft Gottes festgemacht und die Menschen für Gottes kommende Herrschaft mobilisiert hatte, er stirbt den banalen Tod am Kreuz wie Tausende vor und Tausende nach ihm. Jesus hat umsonst gelebt. Da ist nichts mit Zukunft. Das Thema "Jesus und die Zukunft" gibt anscheinend nichts her - oder besser: es gibt im Grunde genausoviel her und sowenig her wie ein Thema "Goethe und die Zukunft" oder irgendein "Ticius und die Zukunft". Aber das ist nur die eine Seite. Da ist noch ein anderes: wo alles mit Jesus am Ende ist, wo alle Zukunft sinnlos vertan und verschlungen zu sein scheint, da wird von Gott her ein neuer Anfang gesetzt, da wird von Gott her in und aus der Sinnlosigkeit des Geschicks Jesu 1
Predigt beim Gottesdienst der Hochschulgemeinde Tübingen, gehalten im Mai 1973.
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neuer Sinn, neue Hoffnung, neue Identität gestiftet. Neue Zukunft wird eröffnet. Wir nennen dies gewöhnlich Auferstehung, Osterereignis, Erhöhung oder wie immer. Auferstehung heißt auf diesem Hintergrund, daß J esus, seine Person und sein Werk, sein Leben und Wirken, das im Tode in der Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit endete, von Gott her sozusagen eine "Revision" erhält. Gott läßt Jesus, ihn selbst und sein Werk, nicht im Nichts versinken, sondern schenkt ihm letzte, endgültige Vollendung und eine nie endende Zukunft ewigen Lebens. Diese Zukunft ist vom Menschen her unerreichbar; sie ist nicht planbar, machbar, herstellbar, auch nicht vom Menschen Jesus. Denn diese Zukunft ist neue Identität, die dort begründet wird, wo alle Identität vernichtet und alles grundlos geworden war; sie ist neue Ermächtigung da, wo totale Ohnmacht herrschte; sie ist Stiftung eines neuens Namens, wo der Tod alles namenlos machte. Darum erhält der erstandene Jesus einen neuen Namen: Jesus ist der "Christus", der "Herr", der zur ewigen Gemeinschaft mit Gott "Erhöhte". Von sich aus gesehen, hat Jesus keine Zukunft und kann auch uns, deren Leben und Werk in der gleichen Vergeblichkeit des Todes endet, keine Zukunft eröffnen. Erst der Erstandene, Jesus Christus, der Herr, verheißt von Gott her endgültige Zukunft auch für uns. Lassen Sie uns nach diesen theologischen überlegungen das Ganze einmal von einer anderen Seite her sehen. Das deutsche Wort Zukunft und alle futurischen Aussagen unserer Sprache tragen eine eigentümliche Zweideutigkeit an sich, auf die man gleich stößt, wenn man "Zukunft" ins Lateinische zu übersetzen hat. Zukunft kann nämlich übersetztwerdenmiduturum, d.h. das, was wird, oder mit adventus, d. h. das, was kommt. Das deutsche Wort Zukunft kann beide Aspekte der Zukunft meinen. Zukunft als futurum, das ist die Zukunft, die wird, nämlich durch natürliche Entwicklung oder durch menschlichen Einsatz. über die Zukunft, die wird, bin ich grundsätzlich Herr: ich kann sie voraussehen, planen, manipulieren, machen. Die Zukunft als futurum, das ist ja im Grunde nur die Verlängerung und Entfaltung der Möglichkeiten, die in der Welt immer schon angelegt sind, die es nur zu ergreifen und zu gestalten gilt. Daneben gibt es aber eine andere Art von Zukunft, die nicht vorhersehbar und produzierbar ist, die nicht in der Verlängerung und Entfaltung der angelegten Möglichkeiten besteht: es ist die Zukunft, die als
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unerwartetes Geschenk unverfügbar auf mich zu-kommt, die adventus ist. Daß etwa ein Mensch auf mich zukommt, der mich liebt, daß ich auf jemanden treffe, der mich fasziniert und mir neue Wege und Perspektiven eröffnet, daß da jemand auftritt, der unableitbar neue plausible Möglichkeiten menschlichen Daseins aufzeigt: all das ist nicht planbar und machbar. Auf eine solche Zukunft muß ich warten, sie kommt auf mich zu, sie wird mir geschenkt, sie liegt nicht in meiner Verfügungsgewalt. So gibt es zwei Arten von Zukunft: futurum und adventus. Beide durchdringen sich zwar ständig, aber sie sind grundsätzlich verschieden; und verhängnisvoll ist es, wenn beide miteinander verwechselt werden. Welcher Art ist nun, so wollen wir fragen, die Zukunft, auf die der einzelne und die Gesellschaft im tiefsten aus sind? Was ist der letzte Gegenstand menschlicher Hoffnung? Auf welche Zukunft hin sind wir unterwegs? Ist es die Zukunft, die wir und die künftige Gesellschaft programmieren, produzieren, manipulieren? Ist es eine Zukunft, welche immer mehr die Möglichkeiten, die in der Welt stecken, entfaltet, welche die technologischen Prozesse ins Gigantische steigert, welche das menschliche Leben auf eine bisher unabsehbare Weise absichert und versichert, welche die gesellschaftlichen Strukturen so verändert, daß Gerechtigkeit und Sicherheit und Qualität des Lebens für alle erreicht werden? Eine solche Zukunft wäre futurum: Entfaltung der Möglichkeiten, die uns grundsätzlich in die Hand gegeben sind. Aber ist das alles? Vermag solche Zukunft die unendliche Hoffnungstendenz im Menschen zu erfüllen? Vermag eine gigantische Steigerung menschlichen Vermögens die Zukunft so zu machen, daß sie menschlichem Leben Sinnerfüllung verleihen kann? Sind Auschwitz, Stalinismus, Terror von links und rechts wirklich nur Betriebsunfälle auf dem Marsch der Menschheit in die selige selbstgemachte Zukunft? Gibt es wirklich einen Fortschritt an Humanität, Liebe und menschlichen Werten in der Geschichte? Schlägt nicht eher die vom Menschen selbst gemachte Zukunft immer wieder zurück, so daß jeder Schritt nach vorn zugleich anderswo ein Schritt zurück ist? Hat das Pathos der Machbarkeit der Zukunft den Menschen de facto nicht nur noch mehr zurückgeworfen? Ist wirklich die irrationale Zwangsläufigkeit unserer heutigen Zivilisation mit ihren unzähligen Mechanismen, Planungspostulaten und ihrer eindeutigen Tendenz zur Funktionalisierung menschli226
chen Lebens ein Fortschritt gegenüber der Vergangenheit? - Freilich, wird man hier protestierend sagen: Warte nur, wir werden die Zukunft schon machen; die genannten Negativa sind vorübergehende Abfallprodukte auf dem Weg in die Morgenröte des Kommenden. Und wenn wir die selige Zukunft nicht machen, werden es die kommenden Generationen schaffen! - Aber vermag eine solche Antwort den heimlichen Zynismus zu verdecken, der in ihr steckt? Denn was ist mit uns, mit unseren Vorfahren, was ist mit den entsetzlichen Leiden vergangener Zeiten, was ist mit den Toten? Gibt es für uns und für sie alle keine Zukunft? Ist wenigstens für uns und sie die Sehnsucht nach Sinnerfüllung, nach Liebe und Gerechtigkeit eine "passion inutile" (J.-P. Sartre), ein nutzloses Sich-Ereifern - sinnvoll allenfalls im Verrechnetwerden für die jeweils kommenden Generationen? Man kann auf die aufgezeigten Fragen verschieden antworten, ja manche mögen sogar einige dieser Fragen empört zurückweisen. Und doch scheint mir, daß gerade von den hier in Frageform nur stichwortartig angegebenen Beobachtungen ein Zugang zu dem gegeben ist, was wir die Zukunft Jesu Christi, die Zukunft der Auferstehung nennen können. Auch Jesu Leben, Werk und Geschichte endeten im Umsonst, in der Vergeblichkeit, ja in der Sinnlosigkeit; auch er konnte die Zukunft nicht machen und wollte sie auch nicht machen, weder seine eigene noch die seines Werkes. Jesus legte seine Zukunft ganz in die Hand des zukommenden Gottes. Seine Hoffnung richtete sich allein auf das "Ganz-Andere" der schöpferischen, neuschaffenden Ankunft Gottes. Nur im erweckenden adventus Gottes empfing er seine wahre Identität, nicht nur für sich, sondern auch für uns. Denn in Jesus hat Gott sich auch für uns festgemacht und verbürgt als Gott des adventus, als Gott einer Zukunft, welche die Sinnlosigkeit, Brüchigkeit und ewige Unerfülltheit der Geschichte zur Erfüllung und Vollendung bringt. Darum richtet sich die christliche Hoffnung nicht auf die eigene "futurische" Tüchtigkeit, sondern auf den kommenden Herrn, in dem Gott selbst auf den Menschen zukommt. Christliche Hoffnung richtet sich auf eine Zukunft, die sie selbst nicht herstellen kann, sondern die geschenkt wird, die uns aber als Geschenk in der Auferstehung Jesu zugesagt und garantiert ist. Folgt aus all dem, daß wir angesichts solcher Zukunft die Hände in den Schoß legen können und dürfen? Folgt daraus jener pseudo227
christliche Quietismus, der sich in Sehnsucht nach dem kommenden Himmlischen verzehrt, der aber das Nächste, die Aufgabe der Gegenwart, übersieht? Ganz und gar nicht! In diese zwar oft vorgetragene, nichtsdestoweniger lächerliche Konsequenz sollten wir uns nicht drängen lassen. Als Christen ist uns die Geschichte aufgetragen, um darin Liebe, Gerechtigkeit, Freude und Glück für jeden aufzurichten und weiterzugeben. Gerade so soll der Vorschein des Kommenden aufleuchten und die Hoffnung auf das Größere und Endgültige wachgehalten werden. Freilich im Wissen darum, daß wir dies Endgültige nicht machen können, es sei denn im winzigen Bruchstück, im oft unscheinbaren Zeichen, im stets neu ansetzenden Versuch. Und doch kann nur durch solch leisen "Vorschein" im "Vorletzten" die Hoffnung auf das "Letzte" entstehen und wachsen. Mehr noch: die Geschichte ist uns aufgegeben in der Hoffnung, daß alles Vorläufige und Fragmentarische in ihr auf eine von uns nicht ausdenkbare Weise eingebracht wird in die endgültige Zukunft, die Gott schenkt, - so wie auch Jesu Sein und Werk durch die Gottestat der Auferweckung eine unausdenkbar neue Identität erhielt und für immer aufgehoben ist "zur Rechten Gottes". Nein, christliche Hoffnung weist nicht aus der Geschichte heraus, auch wenn sie uns wissen lehrt, daß wir die endgültige Zukunft nicht machen können. Aber dieses Wissen selbst hat eine ungeheuer wichtige Funktion und Konsequenz. Es bedeutet nicht Degradierung des menschlichen Könnens, nicht Herabsetzung und Entwürdigung des Menschen, sondern eine unendliche Befreiung: der Mensch kann die endgültige Zukunft nicht machen, und er braucht sie auch nicht zu machen. Im Wissen darum ist der Mensch im tiefsten befreit vom versklavenden Leistungsdruck, von allen Fehlformen des Totalitarismus, der meint, das "totum" ,das Ganze, selbst machen zu müssen und dabei nur alles überzeichnet, erdrückt, vergewaltigt. Die Hoffnung auf die "ganz andere" geschenkte Zukunft der Auferstehung befreit von der Hektik des Handelns-um-jeden-Preis, von jenem lächerlichen, sich überstürzenden Aktionismus, der keine Zeit und keine Distanz kennt, da ihm und ihm allein alles zugelastet ist. Die Hoffnung auf die Zukunft Gottes gibt damit erst die Freiheit zu unverkrampftem, sachlichem und gelassenem Handeln in und an dieser Welt. Dem neurotisch und verbissen machenden revolutionären Pathos, das auch dadurch nicht bes-
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serwird, daß man auf die roten Fahnen das Kreuz gezeichnet sich vorstellt, und der Fixierung auf die Machbarkeit der totalen Zukunft kann angesichts der Zukunft des Erstandenen eine letzte Freude und Gelöstheit, ja, wenn Sie das Wort nicht verschmähen, eine tiefste Getröstetheit Platz machen. Seine Zukunft bedeutet Kommen dessen, in dem Gott sich als Gott der Zukunft erwiesen und festgemacht hat. Das ist der Inhalt christlicher Zukunftshoffnung, die mit sich führt Entkrampfung, Vertrauen, Freude, und ihre letzte Waffe ist - um ein Wort von Harvey Cox aufzunehmen - ihre letzte Waffe ist in einer verrückt spielenden und sich wichtig gebärdenden Welt das Lachen.
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NAMENREGISTER Adam, A. 86 Ahlbrecht, A. 98 101 Albert d. Gr 65 Alfaro, J. 120 Althaus, P. 15 62 102f 108 Althusser, L. 34 Amery, C. 35 Aries, Ph. 188 Aristote!es 64 82 92 165 H Assmann, H. 32 Aubert, R. 37 Augustinus 87 91 146 Bachl, G. 156159186f 189 Bacon, R. 167 Balthasar, H. U. v. 14H 19ff 39 56f 71 107f 111 116 140 147206 Baltz, H. R. 50 Barth, K. 15f 19 62f 100H 113 156 [170 Barthelemy-Madaule, M. Becker, J. 132 Beeme!mans, F. 64f Benedikt XII. 96f Benjamin, W. 149 Benoit, P. 90 119 Berger, H. H. 121 Benrath, K. 152 168 Betz, 0.120 BisseIs, P. 90 Blank, J. 141 Boethius 65 Bonaventura 65 Boros, L. 69 71 115 117 121 ff 174 Borresen, K. E. 87 Brändle, M. 87 176 Braun, H. 53f Breuning, W. 110 118 Broch, Th. 170f Brunner, E. 62 64 79 102f
230
Bultmann, R. 16ff 21 56 62ff 78 Buri, F. 50 63
Grundmann, W. 45 Gutierrez, G. 31 ff Gutwenger, E. 86
Cavallin, H. ~. 199 Camus, A. 36 Cone, J. H. 34 Congar, Y. 13 107 Conrad-Martius, H. 174 Conze!mann, H. 43 45 51 56 Coreth, E. 125 Cox, H. 25 27 229 Cullmann, O. 18 103 105 108 Cyprian 90f
Haas, J. 168 Hammer, F. 168 Harenberg, W. 17f Hege!, G. W. F. 28 35 105 125 163 Heidegger, M. 16 124ff Heim, K. 101 Heinzmann, R. 91 Heisenberg, W. 171 Henge!, M. 152 Hengstenberg, H. E. 121 Hoffmann, G. 62 Hoffmann, P. 181 Holböck, F. 156 161 18lf Horkheimer, M. 35 Hünermann, P. 187 Hunzinger, C.-H. 90
Dautzenberg, G. 84 Durandus v. Porciano 94 120 156 Echternach, H. 82 Epikur 82 Feil, E. 31 Fichte, J. G. 99 Finkenzeller, J. 161 181 Fiorenza, F. P. 91 Fischer, J. A. 82 88 90 Fischer, K. P. 157 Flanagan, D. 119 Garcia Rubio, A. 32 Geyer, H. G. 30 Gleason, R.W. 121 Glöge, G. 56 Glorieux, P. 121 Gössmann, E. 12 Gnilka, J. 119 [79 137 Gräßer, E. 38414648-51 Greshake, G. 16 29 39 50 54ff 60 63 67-74 80 82 86ff 116 119 125 127 144 154 158-164 169 173-180 185-190 195f 198
Ignatius v. A. 90 Irenäus 87 156 Jeremias, J. 44 47f 75 143 Jewtuschenko, J. 217 Johannes XXII. 97 183 Jülicher, A. 43 Jünge!, E. 105 127 Justin 89 144 188 Kant, 1. 98 Karpp, H. 83 Karrer, O. 71 119f Käsemann, E. 40 57 137 Kasper, W. 106 Kierkegaard, S. 100 Klee, H. 123 K1uxen, W. 165 Knoch, 0.46 Koch, H. G. 156 Kolping, A. 11 Kremer, J. 119 Kretschmar, G. 86f
Kümmel, W. G. 39 41f 48f 52 87 Künneth, W. 18 Lakner, F. 97 Lehmann, K. 29 140 Lietzmann, H. 87 Lohfink, G. 29 52 141f 152 156 179 181 191 195-198 206 Lohfink, N. 199f Löwith, K. 23 Luther, M. 101 Luyten, N. A. 159
Rahner, K. 19ff 57 71114 116 118f 12tf 15M 162 169171-176180186189 197 202f 206 Ranke-Heinemann, U. 118 Ratzinger, J. 12 131 134ff 139ff 145-164 168 173 bis 180 186ff Refoule, F. 89f Reicke, B. 84 Reinhardt, R. 152 Riebl, M. 142f Ruini, C. 189
Sand, A. 84 Sartre, J. P. 204 Sauter, G. 3050 124 Scharbert, J. 84 [180 Scheffczyk, L. 156 161172 Scheler, M. 163 Schelkle, K. H. 57 Scherer, G. 63 69 74 120 Schillebeeckx, E. 25 Schilling, O. 83f Schlatter, A. 101 Schlier, H. 57 85 Schlink, E. 90 Schloemann, M. 35 63 Schmaus, M. 90 [194 Schmied, A. 149 156 185f Schnackenburg, R. 40ff 55 Neugebauer, F. 41 57 197 Nietzsche, F. 36 Schoonenberg, P. 121ff 178 Schulz, S. 48 Ott, H. 103 Schulz, W. 125f Schürmann, H. 44 46 57 Pannenberg, W. 15M Schütz, Chr. 119 Pesch, R. 135 201 Schütz, P. 25 106 111 Petrement, S. 159 Schweitzer, A. 1448 53 Pieper, J. 82 93f 98 109 Schweizer, E. 84 121 127151 159 Seckler, M. 12 Pietron, J. 87 Shaull, R. 31 Platon 64 82 89 128 157 bis Siewerth, G. 95 160 173 Siwek, P. 95 Pohier, J. M. 185 Sokrates 105 Marsch, W.-D. 25 273050 106 Marx, K. 21 23 30 36 Mendelssohn, M. 159 Merklein, H. 132f 138 Metz, J. B. 12 21f 27f 31 32 35f 71 91f 115f 133 149 153 184 Moingt, J. 86 Moltmann, J. 23-26 30 32 35f 63f 105f Monod,J.36 Müller, K. 138 Müller, S. 171 [97 156 Müller-Goldkuhle, P. 12
Sölle, D. 19 35f Stange, C. 98 101 103 Strauß, D. F. 98 Stuiber, A. 86 Suarez, F. 168 Teilhard de Chardin, P. 24 36 79 115 164 170f Tertullian 86 91 Thielicke, H. 102 Thomas v. A. 64 ff 92-96 146 156 160 163-170 Thüsing, W. 40 141 Trillhaas, W. 104 Trilling, W. 131 133f Troeltsch, E. 1239 147 Troisfontaine, R. 121 ff Valyi-Nagy, E. 119 Vekemans, R. 31 [SM Vögtle, A. 41 43 46 48f 54 Volk, H. 90 110 Volz, P. 60 Vorgrimler, H. 29 156159 193-207 Vries, J. de 165f Wanke, G. 11 Weber, H. J. 12, 91ff 95 109 120 Weismayer, J. 123 Weiß, J. 143948 Weger, K.-H. 186 Weite, B. 173 Whitehead, A. N. 36 Wieland, W. 64 Wiederkehr, D. 185 Winklhofer, A. 90 Wohlgschaft, H. 178 Zahrnt, H. 138 Zeller, D. 133 135 138 Zeller, H. 90 142 Ziegenaus, A. 148f 161-165 175-180
231
STELLENREGISTER Jes 25,6-8 29,18f 61,1f
49 42 42,44
Ez 37,12-14
142
4 Esra 7,30f Mt 3,7.10.12 5,3.6.10 8,11 9,35-11,1 10,7 11,5 11,16 12,41 12,45 13,16f 18,34--36 21,43 22,30 23,36 27,51-53
60
132 43,135 75,202 45 45 42 47 47 47 42 47 198 87 47 79, 90, 142ff
Mk 1.15 6,6-13 8,12 8,38 9,19 10,4 13,1-27 13,24 13,28 13,29 13,30 13,32 14,25
45 45 47 47 47 45 200f 43 42f, 135 42 47 48 49
Lk 3,7 3,9.17
132 52, 132
232
6,20-23 7,22 9,1-6 10,1-10 10,9.11 10,23f 11,20 11,30 11,49-51 12,32 12,39, 13,29 13,34.35a 17,22-37 17,24 17,25 17,27 17,29 18,7f 21,31 21,35 22,29
43f, 135 42f 45 45 45, 52 42 42, 198 47 47f, 76 198 46 75 48 200 46 47 46 46 52 42 46 198
Joh 11,26 15,18-21 20,11-23
189 200 141
Apg 2,17a 14,22
52 200
Röm 5,12-21 8,18 13,I1f
202 200 15, 51, 77
1 Kor 7,29-31 51 51 10,11 15,12 85 15,17-28 147,191,197 15,31 78 15,35f 175 15,50 87
16,22
39
2 Kor 4,1l.16f 5,1ff 6,9
78, 181 181 78
Eph 4,15f
191
Phi! 1,21ff
181
Kol 1,18
143
1 Thess 4,15-17
51
2 Thess 2,3-12
200
1 Tim 4,1f
200
2 Tim 2,18 3,1-5
85 200
1 Jak 5,1-11
200
1 Petr 4,12-19
200
2 Petr 3,3-4 3,8-12 3,10
54 51 46
üffb 1,5 6-20 22,20
143 200 39
Didache 10,6
38f
1 Klem 23,5
46