Федеральное агентство по образованию Российской Федерации Государственное образовательное учреждение высшего профессионального образования «РОСТОВСКИЙ ГОСУДАРСТВЕННЫЙ УНИВЕРСИТЕТ» Факультет филологии и журналистики Кафедра романо-германской филологии
Методические указания по лексикографии немецкого языка для студентов 3 курса отделения немецкого языка факультета филологии и журналистики (специальность – романо-германская филология)
Ростов-на-Дону 2006
Методические указания обсуждены и утверждены на заседании кафедры романогерманской филологии факультета филологии и журналистики Ростовского государственного университета
Протокол № 7 от 27 апреля 2006 г. Составители: доц. Шапошникова Н.М., магистрант Глушко О.Б. Компьютерный набор и вёрстка авторов Ответственный редактор: проф. Норанович А.И.
Настоящие методические указания предназначены для студентов 3 курса романо-германского отделения и составлены в соответствии с программой по лексикологии для высшей школы. Данные методические указания содержат теоретический материал по теме «Лексикография» и представлены в двух частях. Первая часть включает дефиницию данного понятия, основные понятия практической лексикографии, некоторые лексикографические закономерности, специфику работы со словарями, историю лексикографии Германии и современные тенденции в лексикографии. Во второй части описываются словари немецкого языка, дается обзор словарей, имеющихся в библиотеке кафедры романо-германской филологии, в некоторых параграфах
приводится
иллюстративный
материал,
позволяющий
сориентироваться в работе со словарями. В заключении даются вопросы и задания для самостоятельной проработке, список рекомендованных словарей и литературы. Методические указания могут быть использованы как для аудиторной, так и самостоятельной работы студентов, а также для написания рефератов и курсовых работ.
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1. Einführung in die Probleme der Lexikographie der deutschen Sprache 1.1. Definition der Lexikographie Der Wortbestand der deutschen Gegenwartssprache ist auf über eine Million Wörter geschätzt worden. Eine vollständige, vielseitige Beschreibung des Wortschatzes ist deswegen eine schwere, fast unmögliche Sache. Die verhältnismäßig vollständige systematische Analyse des Wortschatzes kann nur im Rahmen von Wörterbüchern stattfinden. So wird der ganze Wortschatz der deutschen Sprache in verschiedenen Wörterbüchern fixiert. Doch auch hier ist es nicht leicht, alle existierenden Wörter mit allen Bedeutungen anzugeben, da der Wortschatz jeder Sprache ungemein reich ist. Außerdem ist auch Folgendes nicht zu vergessen: die mündliche Sprache entwickelt sich so schnell, dass kein Verfasser vermag, neu entstandene Wörter sofort in die Wörterbücher einzutragen. Um im Wörterbuch registriert zu werden, muss das Wort in der Sprache schon längere Zeit existieren; um das Aufsuchen der Wörter im Wörterbuch zu erleichtern, ordnet man sie nach bestimmten Regeln. Diese Regeln werden von einem besonderen Zweig der Lexikologie, nämlich von der Lexikographie, ausgearbeitet. Die Wissenschaft, die sich mit dem Zusammenstellen von Wörterbüchern beschäftigt, heißt Lexikographie (von grch. lexikon – „Wörterbuch“, grapho – „ich schreibe“, eigentlich „Wortbeschreibung“). Die Lexikologie arbeitet die Theorie der Zusammenstellung von Wörterbüchern heraus und begründet wissenschaftlich die Wörterbuchtypen. Gegenwärtig wird das Fachwort „Lexikographie“ in vier Bedeutungen gebraucht: 1.Theorie des Wörterbuchwesens 2. praktische Fertigstellung von Wörterbüchern 3. Gesamtheit der Wörterbücher einer Sprache 4. Gesamtheit der Wörterbücher, die im betreffenden Land zusammengestellt sind. Als interdisziplinäre oder Querschnittswissenschaft hat die Lexikographie zahlreiche Berührungspunkte mit anderen linguistischen Disziplinen und angrenzenden Bereichen. Dazu gehören Grammatik und Phonologie, Stilistik und Sprachgeschichte, Sozio- und Psycholinguistik, Kommunikationstheorie und Informatik, Allgemeine Sprachwissenschaft und Methodik des Sprachunterrichts. Es ist sinnvoll, wenn man zwischen dem Forschungsobjekt der Lexikographie (dazu gehört das Sprachsystem in seiner Vielschichtigkeit: das lexikalisch-semantische, morphologische, phonologische, phraseologische, Wortbildungsteilsystem) und ihrem Untersuchungsgegenstand (der Theorie und der Praxis der Wörterbucherarbeitung) unterscheidet. Das Wörterbuch ist ein Verzeichnis von Wörtern einer oder mehrerer Sprachen bzw. bestimmter Teilgebiete einer Sprache. Es ist Wortschatzinventar, dessen Wörter unter bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt, geordnet und erklärt sind. Demgemäß 4
unterscheidet man in der Lexikographie drei Verfahrensweisen: Auswahl, Anordnung und Darstellung bzw. Erklärung des Sprachmaterials. 1.2. Die Grundsatzbegriffe der praktischen Lexikographie Zu den wichtigsten Begriffen der Wörterbuchschreibung gehören folgende: 1) Wortgut, Stichwortverzeichnis, Vokabular (словник); 2) Stichwort, Lemma, Vokabel (заголовочное, «чёрное» слово); 3) (Stich-)Wortartikel, Wörterbuchartikel (словарная статья); 4) Wortdefinition, Stichworterklärung (словарная дефиниция, толкование, определение заголовочного слова); 5) Anwendungsbeispiele, Gebrauchsbeispiele, Belege (иллюстративные, оправдательные примеры) ; 6) Abbildungen (иллюстрации) ; 7) stilistische Vermerke (Kennzeichnungen, Hinweise) (стилистические пометы); 8) grammatische, etymologische und andere Angaben. Mit Wortgut eines Wörterbuchs wird die Gesamtheit seiner Stichwörter, ein Verzeichnis von Wörtern, die lexikographisch bearbeitet werden, bezeichnet. Der Umfang und der Bestand des Vokabulars sind von der Bestimmung des Wörterbuchs abhängig. Je nach der Zielsetzung enthält ein Wörterbuch entweder nur allgemeingebräuchliche Wörter der Literatursprache oder es beschränkt sich auf Synonyme, Termini, feste Wortkomplexe usw. Man schließt bei der Auswahl bestimmte Schichten der Lexik aus (Mundartwörter, Jargonismen, Vulgarismen), man beschränkt die Aufnahme weniger gebräuchlicher Wörter (Archaismen, Neologismen, Fremdwörter). Deshalb ist die zielgerichtete Auswahl der Stichwörter ein erstes grundlegendes Problem der Wörterbucharbeit. Die Auswahl des Wortguts richtet sich nach bestimmten Prinzipien und Kriterien. Hier seien nur die wesentlichen erwähnt: a) Vorkommenshäufigkeit des Stichwortes; b) sein kommunikativer und inhaltlicher Wert; c) Vielfalt seiner lexikalisch-syntaktischen Verbindungen mit anderen Wörtern, d. h. seine Fügungspotenz; d) wortbildende Aktivität und Produktivität des Stichwortes; e) methodisch-didaktische Notwendigkeit des Sprachmaterials. Ein durch spezielle Schriftgebung hervorgehobenes, gewöhnlich fettgedrucktes Wort, das im entsprechenden Wortartikel erläutert wird, heißt Stichwort. Das Stichwort gilt als Bauelement des Vokabulars. In den meisten Wörterbüchern ist die Stichwörterzahl auf der Titelseite oder im Vorwort angegeben. Alle Erklärungen und Beispiele, die dem Stichwort beigegeben werden, bilden einen (Stich-)Wortartikel oder Wörterbuchartikel. Der Umfang eines Wörterbuchs hängt nicht nur von der Stichwörterzahl, sondern auch vom Umfang der Wortartikel ab. Die Stichwörter können alphabetisch oder nach thematischen, sachbezogenen Prinzipien angeordnet werden. Demnach unterscheidet man alphabetische und ideographische (thematische) Wörterbücher. Eine praktikable Verbindung alphabetischer und thematischer Anordnung finden wir in sogenannten analogischen Wörterbüchern (Analogiewörterbüchern), die für die französische Lexikographie kennzeichnend sind. In einigen alphabetischen Wörterbüchern sind die Wörter in Wortfamilien nach dem wortbildenden Prinzip aufgeführt, was bestimmte 5
Abweichungen von der Buchstabenfolge verursacht. Die Angabe der Wörter mit gemeinsamer Wurzel in einem Stichwortartikel ist eine objektivere Darstellung, da sie auf natürlichen Assoziationen und Gedankenverknüpfungen beruht. Neben der Auswahl des Wortschatzes ist die Anordnung sprachlichen Materials ein zweites grundsätzliches Problem der Lexikographie. Besonders kompliziert ist die Anlage des Wortartikels im Bedeutungswörterbuch (Reihenfolge der lexischsemantischen Varianten mehrdeutiger Wörter, Anordnung von Belegen, Kontextbeispielen, phraseologischen Fügungen usw.). Unter Wortdefinition versteht man die Erschließung der Bedeutung des Stichwortes, oft in Form einer Umschreibung. Als Mittel zur Stichworterklärung werden verwendet: a) Erläuterung in der Mutter- oder Fremdsprache; b) Synonyme und Antonyme; c) Gebrauchsbeispiele, Belege; d) Übersetzung (durch Äquivalente einer Fremdsprache); e) Abbildungen. Die Worterklärung ist integrierender Bestandteil der einsprachigen Bedeutungswörterbücher. Sie ist gewöhnlich in Form einer kurzen oder längeren Wortverbindung bzw. eines Satzes gehalten und weist auf die Wesensmerkmale des Begriffs hin, der durch das Stichwort festgehalten ist. Durch eine Erklärung wird das Stichwort oft einem Oberbegriff zugeordnet, z. B. Kopf — ein Körperteil; grün — Farbe, Farbbezeichnung. Die Anwendungsbeispiele veranschaulichen den Gebrauch des Stichwortes, sie klären über Bedeutungsschattierungen auf, die erst im Kontext aufkommen und in der Definition nicht erfaßt werden können. Die Belege werden der schöngei, stigen und populärwissenschaftlichen Literatur, der Presse und Publizistik entnommen. Die Anwendungsbeispiele sind von großem praktischem Wert, denn ein Wörterbuch ohne Beispiele ist nach der Äußerung von Voltaire einem Skelett ähnlich. Die Übersetzung wird als Mittel der Worterklärung in zweisprachigen Wörterbüchern verwendet. Neben der Wortdefinition sind die Abbildungen ein wirksames Mittel zur Begriffserläuterung. Sie beziehen sich auf die durch Zeichnungen darstellbaren Begriffe (Substantive, Verben, Adjektive mit konkreter Bedeutung: Hand, Tisch, schwimmen, kurz, lang, rund), sowie Begriffe, die durch Worte schwer zu beschreiben sind (Spirale). Die Abbildungen sind unentbehrlich, wenn man einen Gegenstand mit seinen Bestandteilen (ein Haus, ein Auto usw.). beschreiben will. Die Konversationslexika und Fachwörterbücher bringen zahlreiche Karten, Fotos, Zeichnungen und andere graphische Darstellungen in Schwarzweiß und Farbe. Der Bildanteil in modernen Nachschlagewerken nimmt als visuelles Informationsmittel ständig zu und beträgt, etwa 35—45%. Stilistische Vermerke zeigen die Zugehörigkeit der Wörter und Wendungen zu bestimmten Stilschichten, Stilebenen, kennzeichnen ihre Stilfärbung und Nuancierung. Die meisten deutschen Wörterbücher unterscheiden stilmäßig vier bis fünf Hauptschichten: 1) normalsprachliche oder neutral lirerarische— unbezeichnet; 2) umgangssprachliche bis saloppumgangssprachliche — umg. oder ugs., salopp, fam.; 3) 6
derbe oder vulgäre — derb, vulg.; 4) gehobene — geh.; 5) dichterische oder poetische — dicht., poet. Die Stilfärbungen drücken verschiedene Verhaltensweisen zum Gesagten und Gemeinten aus: abwertend, gespreizt, ironisch, scherzhaft, spöttisch, übertrieben, verhüllend, vertraulich usw. Entsprechende Vermerke charakterisieren das Wort grammatisch (bei Substantiven — Genitivflexion, Pluralform; bei Verben — Klassifikationstyp: transitiv, intransitiv, reflexiv; Grundformen, Hilfsverb, Rektion usw.), geben seine Herkunft an (tat., griech., franz., engl.), verweisen auf seine territoriale, zeitliche, soziale, fachsprachliche Gebundenheit (landschaftlich, norddeutsch, österreichisch, veraltet, Historismus, Neuwort, Studentensprache, Medizin usw.). 1.3. Einige lexikographische Gesetzmäßigkeiten Aus der Analyse verschiedener Wörterbuchtypen ergeben sich folgende lexikographische Gesetzmäßigkeiten: 1. Die semantische Kontinuität (семантическая непрерывность) des Wörterbuchs besagt, dass es in der Sprache keine semantisch voneinander isolierten Wörter gibt. Jedes Wort hat weit verzweigte semantische, synonymische, antonymische, paronymische, wortbildende, paradigmatische und syntagmatische Beziehungen zu anderen Wörtern. Die Wortfelder, lexisch-semantische Gruppen (Abschnitte, Bereiche) sind nur durch bedingte Grenzen voneinander getrennt. Um Bedeutungsbeziehungen zwischen zwei willkürlich ausgewählten Wörtern festzustellen, soll man ihre Definitionen und. Erklärungen der in diesen Definitionen enthaltenen Wörter so lange miteinander vergleichen, bis man auf ein gemeinsames Wort in ihren Erläuterungen gestoßen ist. Spezielle Untersuchungen haben ergeben, dass die Anzahl solcher Vergleichsproben — der „Schritte", die die semantische Entfernung zwischen zwei beliebigen Wörtern angeben — nicht über sechs hinausgeht. Das Vokabular besitzt seine Kontinuität nicht nur im Wörterbuch, sondern auch im Bewusstsein, im Gehirn des Menschen als Gesamtheit von Abbildern der realen Wirklichkeit und der neuropsychologischen Beziehungen zwischen ihnen. Die Psychologie hat nämlich nachgewiesen, dass das Wort eine psychologische Realität als Element des zweiten Signalsystems darstellt (die Theorie von BechterevSecenov-Pavlov). 2. Die zweite Gesetzmäßigkeit besteht darin, dass in einem Bedeutungswörterbuch beim Vergleich von Ein- und Ausgabe (вход и выход, d. h. Stichwort und seine Erklärung) stets ein Zuwachs an Sinn, die Entstehung des Mehrsinns (прибавочный смысл, приращение смысла) zu beobachten ist. Der Zuwachs an Sinn kennzeichnet auch einen Text, den Stil eines Autors. Im Wörterbuch kommt der Mehrsinn dadurch zum Ausdruck, dass die Definitionen solche Wörter enthalten, die im Vokabular nicht vertreten sind. Im WDG fehlen unter Stichwörtern solche Vokabeln wie „bittermandelähnlich" (bei der Definition von „Blausäure" verwendet), „endständig" („endständige Blüten am 7
Liliengewächs"), „Hahnenfußgewächs" (bei „Akelei"), „kiemenatmend" (bei „Krebs") u. a. Einige von ihnen sind Einmalbildungen. Aus dem Gesagten resultiert, dass eine Anzahl von Wörtern sich nur durch eine größere Anzahl beschreiben lässt. Das liegt an der widersprüchlichen Natur des Wörterbuchs: sein Vokabular ist eine endliche und geschlossene Menge von Elementen, aber der von ihm repräsentierte Wortschatz ist ein offenes System. 3. Die lexikographische Axiomatik läuft darauf hinaus, dass die semantische Grundlage des Bedeutungswörterbuchs von den sogenannten axiomatischen Wörtern und Begriffen gebildet wird, die vorgegeben und nicht definierbar sind. Ein mathematisches Axiom ist eine durch Verallgemeinerung oder Abstraktion gewonnene Aussage, aus der man mittels der Regeln der Logik weitere Aussagen ableiten kann. Als unmittelbar einleuchtend bedarf ein Axiom keines Beweises, z. B. „Das Ganze ist größer als sein Teil" (Euklid). Auf Grund der axiomatischen Begriffe werden alle Stichwörter eines Wörterbuchs unter Anwendung der logischen Ableitungsregeln semantisch erläutert. Die Axiomatik des Wörterbuchs umfasst die wichtigsten elementaren Bedeutungseinheiten (Seme) der Sprache. Nach Auffassung der Vertreter verschiedener linguistischer Schulen beträgt die Axiomatik einige bzw. mehrere Hunderte Wörter (etwa 300 bis 1500 Inhalte). Man muss die Axiomatik in bestimmten Grenzen halten, denn ihre übermäßige Zunahme gefährdet das philologische Gepräge des Bedeutungswörterbuchs, macht es zu einem Konversationslexikon mit geographischen, historischen, kulturkundlichen u. ä. Angaben. Um dieser Gefahr zu entgehen, werden dem Wörterbuch verschiedene Erläuterungslisten beigefügt (z. B. geographische und Eigennamen). In Wörterbüchern für Lehrzwecke ist die semantische Axiomatik meist durch Zeichnungen dargestellt. 4. Die vierte Gesetzmäßigkeit liegt in der semantischen Übereinstimmung von Einund Ausgabe, d. h. zwischen dem Stichwort und seiner Definition. Ähnlich dem sprachlichen Zeichen hat ein Bedeutungswörterbuch zwei Seiten: das Vokabular als Gesamtheit von Stichwörtern (=das Bezeichnende) und entsprechende Definitionen (=das Bezeichnete). Zwischen dem Stichwort und seiner Definition besteht eine formale Asymmetrie, denn eine Definition ist in der Regel umfangreicher als das zu erklärende Stichwort. Aber im Gegensatz zum Zeichen sind die beiden Teile des Wörterbuchs semantisch identisch. Im Wörterbuch wird die Asymmetrie auf der Inhaltsebene aufgehoben und auf der Ausdrucksebene beibehalten. Die semantische Übereinstimmung von Ein- und Ausgabe gestattet es, die beiden Teile des Wörterbuchs frei umzusetzen— die Stichwörter durch ihre Erklärungen zu ersetzen. Eine Abweichung von der idealen Übereinstimmung zwischen Ein- und Ausgabe zeigt sich darin, dass bestimmte Stichwörter bei der Erklärung keine Verwendung finden (diese machen den sogenannten Passivteil des Wörterbuchs aus) und umgekehrt, im erklärenden Teil findet man die Wörter, die über das Vokabular hinausgehen. Die ermittelten Gesetzmäßigkeiten haben keinesfalls endgültigen Charakter. Sie sollen an Hand eines umfangreicheren Materials und der neuesten linguistischen Erkenntnisse überprüft und präzisiert werden. Aber ein solches Herangehen an die 8
Wörterbücher unter Zuhilfenahme der Zeichentheorie erweist sich als wirksam und anregend für weitere Forschungen. 1.4. Zur Spezifik der Wörterbucharbeit Die Spezifik der lexikographischen Arbeit wird durch äußere und innere Faktoren bedingt. Zu den äußeren Faktoren gehören der objektive Charakter der Sprache und die Beschaffenheit des Wortschatzes als offenes System, lexikographische Traditionen und objektive Möglichkeiten, die von den sozial-ökonomischen Verhältnissen abhängen. Es ist zu beachten, dass der Wörterbuchverfasser mit den Spracheinheiten zu tun hat, die weder quantitativ noch qualitativ eindeutig festgelegt sind. Zu den inneren Faktoren, die in den eigentlichen Kompetenzbereich der Lexikographie fallen, zählen: Typ, Umfang, Funktion, Benutzerkreis des Wörterbuchs. Aus einer Verflechtung der äußeren und inneren Faktoren ergeben sich bestimmte Besonderheiten der lexikographischen Tätigkeit und die Ansprüche an den Lexikographen als Sprachforscher und -beschreiber. Bemerkenswert sind folgende Besonderheiten: 1. Der erzwungene Universalismus der lexikographischen Theorie setzt allseitige und tiefgreifende Kenntnisse auf verschiedenen Gebieten der Sprachwissenschaft und angrenzender Disziplinen voraus. Im Idealfall muss der Lexikograph das Allgemeine, Besondere und Einzelne in der Sprache gleich gut kennen. 2. Die Notwendigkeit eindeutiger Entscheidungen trotz strittigen Charakters theoretischer Fragestellungen zeigt den dialektischen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis. Diese Eindeutigkeit gibt oft Anlass zur gerechten und ungerechten Kritik an Wörterbüchern. Dass die Wörterbücher herkömmlicherweise anfechtbar und unvollkommen sind, verursacht bei den Lexikographen ständige Unzufriedenheit mit ihrem Werk. 3. Die Zweigleisigkeit der Lexikographie (Theorie + Praxis) erfordert nicht nur eine Annäherung der beiden Aspekte, sondern auch die Erhebung dieser traditionell induktiven Disziplin in den Rang einer modernen Wissenschaft. 4. Eine strikte und bewusste Einhaltung der angenommenen Prinzipien soll das ganze Wörterbuch — von A bis Z — bestimmen. Bei Verletzung dieser Prinzipien verliert das Wörterbuch an Informationswert und Einheitlichkeit der lexikographischen Darstellung. 5. Die meisten Wörterbücher und Lexika entstehen heute als Gemeinschaftsarbeit. Das hat oft (besonders im Rahmen der westlichen Lexikon-Monopole) die Anonymität und Entpersönlichung des Autors zur Folge. Welche Ansprüche werden an den Lexikographen gestellt? Es ist eine entsagungsreiche und aufreibende Arbeit, ein den ganzen Menschen fordernder Beruf, oft auch Berufung. Man muss von Natur aus eine nicht zu kleine Liebe zum Detail haben, die gepaart sein sollte mit einem angeborenen, fast detektivischen siebenten Sinn für Druckfehler und falsche Angaben. Man muss ein Universalgenie sein, aber man darf auch die 9
Kleinarbeit des Alltags nicht scheuen. Die Wörterbuchautoren sollen einen knappen, sachlich einwandfreien und dennoch allgemeinverständlichen Stil schreiben können. 1.5. Zur Geschichte der deutschen Lexikographie Die Lexikographie hat in Deutschland eine lange und komplizierte Geschichte. Nachstehend wird ihre Entwicklung am Beispiel der Bedeutungswörterbücher und Konversationslexika gezeigt. Die früheren gedruckten deutschen Wörterbücher erschienen Ende des 15. Jh. Es sind deutsch-lateinische Übersetzungswörterbücher. Sie wurden aus den vorher bestehenden lateinisch-deutschen Vokabularien durch das „Umsetzverfahren" hergestellt. Man machte das zur Erklärung der lateinischen Vokabel verwendete deutsche Wort zum Stichwort und ordnete alle Stichwörter alphabetisch. Die Wörterbücher der Humanisten des 15. und 16. Jh. erwuchsen aus den praktischen Bedürfnissen des Fremdsprachenunterrichts. Ihr Wortschatz war mehr oder weniger zufällig durch das Umsetzverfahren bedingt und wies zudem viele mundartliche Elemente auf. Im 17. Jh. wurden im Geiste der „Fruchtbringenden Gesellschaft" die ersten Versuche zu einer wissenschaftlichen Darstellung des im gesamten deutschen Sprachgebiet gültigen Wortschatzes gemacht. J.G. Schottel regte den Plan eines grammatisch orientierten Wörterbuchs an, das — um die etymologischen Zusammenhänge deutlich zu machen — von Stammwörtern ausgeht, ihre Ableitungen und Zusammensetzungen zeigt und normativ ist. Diese Idee wurde von K. Stieler in seinem Werk „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs" (Nürnberg, 1691) verwirklicht. Stielers Zeitgenosse M. Kramer erfasste den Wortschatz dieser Periode in seinem „Teutsch-Italiänischen Dictionarium" (2 Bde., 1700—1702) lexikographisch viel besser, denn im Gegensatz zu Stieler bringt sein Wörterbuch viele Beispiele für den Wortgebrauch. Im Zeitalter der Aufklärung wurden an die Lexikographie erhöhte Ansprüche gestellt. Mit seinem „Teutsch-Lateinischen Wörterbuch" (1741) schuf J. L. Frisch das erste mit Quellenangaben versehene historische deutsche Wörterbuch. Die Wortbedeutungen sind hier meist lateinisch erklärt. In diese Zeit fällt auch ein „Vollständiges Deutsches Wörterbuch" von Chr. Steinbach (Breslau, 1734). J. Chr. Adelungs „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart" (5 Bde. Leipzig, 1774—1786; 2. Aufl. in 4 Bdn., 1793—1801) fand als eine synchronische Darstellung des Wortschatzes großen Widerhall. Adelung legte seinem Wörterbuch die meißnische oder obersächsische Mundart, d. h. ostmitteldeutsche Form der hochdeutschen Schriftsprache zugrunde, berücksichtigte aber auch andere Dialekte. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern entnahm er den Wortschatz nicht den vorhandenen Wörterbüchern, sondern schöpfte ihn aus zeitgenössischen Quellen. Das „Wörterbuch der deutschen Sprache" von J.H.Campe (5Bde. Braunschweig, 1807—1811) war eine Neubearbeitung von Adelungs 10
Wörterbuch. Es wurden viele Komposita und fachsprachliche Wörter hinzugefügt, allerdings ohne kritische Auswahl. Mit der Entwicklung der historisch-vergleichenden Methode rückte im 19. Jh. die Sprachgeschichte in den Vordergrund. Im Sinne der Romantik wurde die Hoffnung gehegt, die Erschließung der sprachlichen Vergangenheit des Volkes und der Mundarten werde nicht nur die Sprache, sondern auch das Nationalbewusstsein erneuern und fördern. Von dieser Idee getragen, nahmen die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm das „Deutsche Wörterbuch" in Angriff. An diesem Werk, dessen erste Lieferung 1852 erschien, arbeiteten fünf Generationen von Germanisten über ein Jahrhundert. Dieses aus 16 Bänden bestehende „Mammutunternehmen" wurde von den Sprachforschern der Akademie der Wissenschaften der DDR in Zusammenarbeit mit einer Göttinger Arbeitsstelle beendet. Auf einem Belegmaterial von mehreren Millionen Zetteln beruhend, verkörpert es den Typ des historischen Wörterbuchs in seiner umfassendsten Form. Der große Umfang des Werkes wirkte sich auf seine Verbreitung und Benutzung ungünstig aus. Daneben entstanden diachronische Wörterbücher geringeren Umfangs. D. Sanders gab das historische „Wörterbuch der deutschen Sprache" (3 Bde., 1860—1865; Ergänzungsband 1885) heraus, in dem zum Unterschied vom Grimmschen Wörterbuch die Komposita hinter dem Grundwort angeordnet wurden. Ein übersicht1iches Werk bearbeitete M. Heyne (Deutsches Wörterbuch, 3 Bde., 1890—1895), der als einer der Fortsetzer des Grimmschen Wörterbuchs große Erfahrungen gesammelt hatte. H. Paul legte in seinem einbändigen Werk das Schwergewicht auf grammatisch interessante Wörter, z. B. die Präpositionen (Deutsches Wörterbuch, Neubearbeitung, Leipzig, 1956 — durch A. Schirmer; Tübingen, 1966 — durch W. Betz). Trübners deutsches Wörterbuch (hrsg. von A. Götze, 8. Bde., 1939—1957) behandelt den Zusammenhang von Wort- und Kulturgeschichte. Die historischen Wörterbücher bereicherten das Wissen um die Geschichte der Wörter, aber sie waren nicht imstande, Fragen nach dem modernen Sprachgebrauch und nach der Sprachrichtigkeit zu beantworten. Die Idee, die seinerzeit in Adelungs Wörterbuch versuchsweise ausgeführt worden war, setzte sich im 20. Jh. allmählich durch. Von den gegenwartssprachlichen Wörterbüchern jüngeren Datums wären folgende zu erwähnen: das Wörterbuch von P. F. L. Hoffmann (11. Aufl., bearbeitet durch M. Block, 1942), das sich durch gute Bedeutungsangaben auszeichnet; das „Deutsche Wörterbuch" von L. Mackensen, das eine Fülle von Wortmaterial (150 000 Stichwörter) — allerdings ohne jede kritische Sichtung — enthält; das „Deutsche Wörterbuch" von G. Wahrig (mit rund 220 000 Stich Wörtern), dessen Vorzüge durch einen allzu formalen Aufbau der Wortartikel und durch Verabsolutierung des Kontextes stark gemindert werden. Am Zentralinstitut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR wurde 1976 die Arbeit am „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" erfolgreich abgeschlossen. Ein Überblick über die wichtigsten Bedeutungswörterbücher lässt erkennen, dass die lexikographische Darstellung des deutschen Wortschatzes in einigen Richtungen 11
und unter verschiedenen Gesichtspunkten vorgenommen wurde. Die jeweils vorherrschenden Anschauungen über die linguistische Theorie beeinflusssten maßgeblich die Entwicklung der Lexikographie, die ihrerseits auf die Sprachkunde günstig zurückwirkte. So erwiesen sich die Wörterbuchverfasser als spontane, zunächst unbewusste Träger der Idee vom Systemcharakter des Wortschatzes. Darauf verwies als einer der ersten in der deutschen Lexikographie B. Liebich. Im nachfolgenden Abschnitt wird die Geschichte der deutschen Konversationslexika vor dem Hintergrund der europäischen Tradition kurz skizziert. Die neuzeitliche europäische Lexikographie ist rund 300 Jahre alt. (Hier bedeutet die Lexikographie im engeren Sinne „Fertigstellung von Konversationslexika und Enzyklopädien"). 1674 erschien in Lyon als erstes großes Lexikon Europas in einer lebenden Sprache das von dem katholischen Geistlichen Moreri verfasste Werk „Le Grand Dictionnaire Historique". Die drei Jahrhunderte Lexikographie widerspiegeln den gewaltigen Wandel der Nachschlagewerke von der nur wenigen Privilegierten zugänglichen Enzyklopädie des Mittelalters zum Lexikon unserer Zeit, das zum alltäglichen Gebrauchsbuch für jedermann geworden ist. Zu Beginn des 18. Jh. macht J. Hübner den Buchtyp des Lexikons populär. 1704 kam in Leipzig erstmalig sein „Reales Staats- und Zeitungs-Lexikon" heraus. 1728 leitet der Schriftsteller E. Chambers den Beginn der bedeutenden englischen Lexikographie ein. 1732 startet der Leipziger Verleger J. H. Zedler sein Mammutunternehmen — das 64 schwere Foliobände umfassende Universallexikon aller Wissenschaften und Künste, ein großartiges Denkmal deutschen Gelehrtenfleißes. 1751 betreten die französischen Enzyklopädisten die Bühne des geistigen Lebens. 1751—1772 erschien die berühmte Enzyklopädie von Diderot und d'Alembert, deren Geist bis in unsere Tage nachwirkt. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. (1768—1771) kommt erstmals die „Enzyclopaedia Britannica" heraus. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts (1809) betritt Brockhaus die Bühne lexikographischen Schaffens in Deutschland und gibt zugleich Impulse für die Entstehung nationaler Lexika in vielen Ländern Europas und in Amerika (1829— 1833 erschien die erste Auflage der „Encyclopedia Americana"). In rascher Folge treten weitere Verleger auf den Plan, die heute ebenso wie Brockhaus längst zu Institutionen geworden sind: 1839 Meyer, 1853 Herder, 1854 Larousse u. a. 1890—1904 kam in St. Petersburg der „russische Brockhaus" heraus. Das 20. Jahrhundert ist durch ein fast explosionsartiges Anwachsen der Zahl lexikalischer Werke gekennzeichnet. Von den großen enzyklopädischen Werken der jüngsten Zeit sind folgende zu erwähnen. 1966 wurde in Wiesbaden die Herausgabe der 20bändigen „BrockhausEnzyklopädie" (17. Aufl. des Großen Brockhaus) gestartet. Im Zweitältesten deutschen Lexikonverlag begann 1971 in der Bundesrepublik Deutschland „Meyers Enzyklopädisches Lexikon" zu erscheinen, das sich mit rund 250 000 Stichwörtern in 25 Bänden als „das größte Lexikon des 20. Jahrhunderts in deutscher Sprache" bezeichnen kann. Seit 1971 erscheint in der DDR die auf 18 Bände berechnete 2. 12
Auflage von „Meyers Neues Lexikon". Das Werk soll 120 000 Stichwörter und 24 000 Abbildungen enthalten. 1972 startete der Bertelsmann Lexikon-Verlag als Ergebnis seiner bisher 20jährigen Arbeit die „Lexikothek" — ein 25 Bände umfassendes Informations- und Nachschlagewerk. 1.6. Entwicklungstendenzen in der modernen Lexikographie Im Zeitalter der wissenschaftlich-technischen Revolution ist das Bedürfnis nach vielfältiger Information über verschiedene Wissensgebiete besonders groß. Die Wörterbücher und Lexika sind neben anderen Quellen das geeignetste Mittel, diesen „Informationshunger" zu befriedigen. Welche Wege geht die moderne Lexikographie? Es erscheint sinnvoll, folgende Haupttendenzen in ihrer Entwicklung hervorzuheben: 1. Tendenz zur Erweiterung und Differenzierung der Typologie von Wörterbüchern. Sie ist durch die Wechselwirkung und Annäherung zwischen moderner Linguistik und Lexikographie, die gegenseitige Beeinflussung dieser Bereiche bedingt. Die Auffassung vom Wortschatz als System hat in den 30—50er Jahren des 20. Jahrhunderts solche Werke ins Leben gerufen wie den „Dornseiff" und das „Begriffssystem als Grundlage für die Lexikographie" von R. Hallig und W. von Wartburg. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts haben sich völlig neue Wörterbuchtypen herausgebildet und bewährt, das ist auf die fortschreitende Differenzierung der Linguistik zurückzuführen. So führte die relative Verselbständigung der Phraseologie und der Wortbildung zur Entstehung von phraseologischen und Wortbildungswörterbüchern. Es wurde das Fachwort „Phraseographie" geprägt. Darunter versteht man einen Zweig der Lexikographie, der sich die lexikographische Erfassung und Beschreibung der Phraseologie in speziellen Wörterbüchern zum Ziele setzt. Aus der Gegenüberstellung von Sprache — Rede und Paradigmatik — Syntagmatik erwuchsen syntagmatische Wörterbücher („Wörterbücher der Rede", „Kombinationswörterbücher"). Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Valenztheorie entstand ein neuer Typ des Valenz- und Distributionswörterbuchs. Im 20. Jh. erschienen die statistischen Wörterbücher, welche die Vorkommenshäufigkeit, die Frequenz verschiedener Spracheinheiten festhalten. Die Automatisierung lexikographischer Arbeiten brachte rückläufige Wörterbücher hervor. In der zweisprachigen Lexikographie bewährte sich als Sondertyp das Wörterbuch der zwischensgrachlichen Analogismen oder der falschen Freunde des Übersetzers. Ein anderer Weg führt zur Entstehung neuer Wörterbucharten über die Kombination bekannter Typen infolge der Integrationsprozesse in der modernen Wissenschaft. So ist z.B. der Sprach-Brockhaus eine Kombination von Bedeutungs- und Bildwörterbuch. Eine bewährte Verbindung von sprachlichem und enzyklopädischem Nachschlagewerk ist für die amerikanische und französische Lexikographie 13
kennzeichnend (z. B. Webster, Petit Larousse). Diesem kombinierten Typ steht das Ullstein-Lexikon der deutschen Sprache nahe. K. Baidinger setzt sich für ein historisches Wörterbuch mit thematisch-ideographischer Anordnung des Sprachmaterials ein. In der sowjetischen Linguistik und Lexikographie werden auf Grund verschiedener Sprachen neue kombinierte Wörterbücher erarbeitet (z.B. das erklärende Kombinationswörterbuch der russischen Sprache, das statistische Kombinationswörterbuch der englischen Sprache, das russisch-deutsche Kombinationswörterbuch. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass die Zukunft den kombinierten Wörterbüchern verschiedener Typen gehört. 2. Tendenz zur Vergrößerung des Umfangs von Wörterbüchern. Sie zeigt sich darin, dass die Wörterbücher der Nationalsprache eine maximale Erfassung des realen Wortschatzes anstreben. Im Idealfall sollen die Bemühungen der Lexikographen in einem Thesaurus der deutschen Sprache gipfeln. (Unter Thesaurus — eigtl. Schatzkammer, Schatzhaus — versteht man ein umfassendes Wörterbuch, das möglichst alle Wörter einer Sprache enthält, die vor allem im gesamten Schrifttum der Sprache fixiert sind, z. B. Thesaurus linguae latinae — wissenschaftliches Wörterbuch der lateinischen Sprache, begründet 1899 vom Altphilologen E. v. Wölfflin, erscheint in München.) Die zweite Tendenz bestimmt die Entwicklung von ein- und zweisprachigen Großwörterbüchern und Konversationslexika. Zu den umfangreichsten deutschen Sprachwörterbüchern gehören zur Zeit die Werke von G. Wahrig und G. Drosdowski. Meyers Enzyklopädisches Lexikon enthält rund 250 000 Stichwörter. Der deutsche Wortschatz wird auf über eine Million Wörter geschätzt. Dieser Grenze hat sich noch keines der bestehenden Nachschlagewerke genähert. Im Hinblick auf die Produktivität der deutschen Wortbildung wird sogar behauptet, dass der deutsche Wortschatz unerschöpflich und praktisch grenzenlos ist. 3. Tendenz zur Vertiefung und Vervollkommnung der lexikographischen Bearbeitung des Wortmaterials. Dazu gehören folgende Faktoren: Begründung und Durchsetzung der lexikographischen Prinzipien zur Auswahl, Anordnung und Erläuterung sprachlicher Einheiten; Herausarbeitung einer speziellen Metasprache der Beschreibung; Zunahme an Informationen, die in einem Wörterbuch bzw. einem Wortartikel enthalten sind; zunehmende „Grammatikalisierung" erklärender Wörterbücher; Hinwendung von der formalen zur inhaltlichen Seite der Sprache und semantische Durchdringung der Lexikographie. Um qualitative Veränderungen in lexikographischen Werken festzustellen, genügt ein flüchtiger Vergleich der Wörterbücher des 19. Jh. mit denen des 20. Jh. So wurden im Grimmschen Wörterbuch bei der Bedeutungsangabe lateinische und französische Wörter (neben deutschen) verwendet, stilistische Vermerke begleiten nur wenige Stichwörter. Im Wörterbuch von D. Sanders vermissen wir eine einheitliche Gliederung der Wortartikel, das Wortmaterial ist meist chaotisch zusammengetragen. Seitdem ist die Lexikographie weiter vorangeschritten. Die allgemeine Orientierung der deutschen Lexikographie hat sich geändert. Während im 19. Jh. vorwiegend historische und 14
etymologische Wörterbücher herauskamen, stehen im 20. Jh. schon drei Wörterbuchtypen im Vordergrund: Bedeutungs- und Bezeichnungswörterbücher sowie Konversationslexika. 4. Tendenz zur Erweiterung der theoretischen und technisch-methodischen Basis der Lexikographie. Als besonderer Wissensbereich tritt die Lexikographie mit anderen Disziplinen immer mehr in Verbindung und erweist sich als eine Art Querschnittswissenschaft (hier drängt sich eine Analogie zu Textlinguistik bzw. Texttheorie, Soziolinguistik, Semiotik auf). In methodischer Hinsicht wird die lexikographische Praxis rasch modernisiert. Zu traditionellen Methoden kommen neue hinzu, z. B. sozio- und psycholinguistische Tests, Befragungen der Muttersprachler mit Hilfe von Fragebogen, durch Rundfunk und Fernsehen. In zunehmendem Maße werden auch moderne technische Mittel eingesetzt, die die Mechanisierung und Automatisierung lexikographischer Arbeiten ermöglichen. Zusammenfassend sei zu diesem Abschnitt folgendes bemerkt: die Tendenzen 1 und 2 betreffen vornehmlich quantitative Veränderungen in der modernen Lexikographie, die Tendenzen 3 und 4 kennzeichnen ihr qualitatives Wachstum.
2. Wörterbücher der deutschen Sprache 2.1. Typologie der Wörterbücher Wie gesagt, beschäftigt sich die Lexikographie mit dem Sammeln, Einordnen, Charakterisieren und Beschreiben des Wortschatzes von verschiedenen Standpunkten aus (vom Standpunkt der Herkunft, der Bedeutung, der Schreibweise usw. aus). Dementsprechend gibt es viele Wörterbücher, die den Wortschatz fixieren, systematisieren und charakterisieren. Alle Wörterbücher der deutschen Sprache lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen: einsprachige und zweisprachige Wörterbücher. Jede dieser Arten zerfällt ihrerseits in Abarten. Die einsprachigen, den Wortschatz dieser oder jener Sprache einschließenden Wörterbücher werden in drei Gruppen eingeteilt: in erläuternde, enzyklopädische und orthographisch-orthoepische. I. Unter erläuternden Wörterbüchern versteht man verschiedene etymologische, synonymische, phraseologische Wörterbücher und Fremdwörterbücher. Erläuternde Wörterbücher umfassen alle Wörterbücher der deutschen Sprache, die die Wörter von verschiedenen Sprachaspekten erläutern, kommentieren, daher heißen sie auch kommentierende Wörterbücher. 1) Etymologische Wörterbücher. Ihre Aufgabe besteht darin, die zu erläuternden Wörter vom Standpunkt ihrer Etymologie (Herkunft, Entwicklung) aus zu charakterisieren. Das beste und gebräuchlichste Wörterbuch dieser Art ist das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache von F. Kluge. Dieses Wörterbuch umfasst deutsche Wörter, manche Entlehnungen, Argotismen, Dialektismen, manche 15
Archaismen. Die Wörter sind alphabetisch geordnet und folgenderweise beschrieben: zuerst steht das betreffende Wort in der modernen Gestalt mit Angabe des grammatischen Geschlechts, dann seine mittelhochdeutsche und althochdeutsche Form; es werden da seine Bedeutungen, die jetzigen und früheren, seine Entsprechungen in germanischen und in anderen indoeuropäischen Sprachen angegeben: das Wörterbuch zeigt auch, inwiefern das Wort mit anderen Wörtern der deutschen Sprache sinnverwandt und vergleichbar ist. Eines der umfangreichsten historischen erläuternden Wörterbücher ist das deutsche Wörterbuch von J. und W. Grimm. Sie haben die Herausgabe ihres Wörterbuches 1854 angefangen und nur 4 Bände zu Ende geführt. Die Arbeit daran wurde von vielen deutschen Gelehrten erst 1961 beendet. Als ein echt erläuterndes Wörterbuch gilt das „Deutsche Wörterbuch“ von Hermann Paul. Man findet hier eine allseitige Analyse der Wörter mit Berücksichtigung ihres jetzigen Zustandes. Der Autor gibt auch einige historische und etymologische Erläuterungen der Wörter. Dieses Wörterbuch steht in der Mitte zwischen dem Wörterbuch von F.Kluge und J. und W. Grimm. Außer diesen drei wichtigsten Wörterbüchern gibt es auch andere, die aber nicht so gebräuchlich sind (M.Heyne, K.Weigand – H.Hirt, A.Pinloche). 2) Zu den einsprachigen Wörterbüchern gehören auch Fremdwörterbücher, z.B. „Deutsches Fremdwörterbuch“ von H.Schulz, „Fremdwörterbuch“ von P.F.L.Hoffmann u.a. 3) Synonymische Wörterbücher systematisieren und erläutern synonymische Wortreihen. Eines dieser Wörterbücher ist das „Synonymische Handwörterbuch der deutsche Sprache“ von J.A. Eberhard. Die Synonyme sind hier in alphabetischer Ordnung nach einem beliebigen Glied der synonymischen Reihe geordnet; die Bedeutung der Synonyme und ihr Gebrauch werden im Kontext erklärt. 1964 erschien ein Synonymwörterbuch, dessen Verfasser der Meinung waren, „dass es gleichbedeutende Wörter im strengen Sinne nicht gibt“. Darum ist dem Buch der Untertitel „Sinnverwandte Wörter und Wendungen“ gegeben. 4) Eine besondere Art der erklärenden Wörterbücher bilden diejenigen, die sich mit stehenden Wortverbindungen (mit Phraseologismen) befassen. Solche phraseologischen Wörterbücher sind von großen Nutzen, denn die deutsche Sprache besitzt eine Menge von stehenden Redewendungen, deren passende Anwendung die Sprache bereichert und vervollkommnet. Als Muster eines Wörterbuches dieser Art kann das von W.Borchardt hingestellt werden. Hier findet man Erklärungen über die Herkunft verschiedener Redewendungen und über ihren Gebrauch in der deutschen Sprache. Das Material ist alphabetisch geordnet, als Stichwort ist dabei im Allgemeinen das wichtigste Wort der Redensart gewählt. Es gibt auch deutsche Wörterbücher, in denen verschiedene Abzweigungen von der allgemeinen deutschen Lexik fixiert werden (wie Dialektismen, Proffessionalismen, wissenschaftliche Termini, Argotismen u.a.). So findet man Wörterbücher, die spezielle 16
wissenschaftliche oder technische Fachausdrücke einschließen; dort werden Termini der entsprechenden Wissenschaften kommentiert, z.B. medizinische, für Militärwesen, für Buchwesen u. v. a. II. Enzyklopädische Wörterbücher. Zu diesen gehören Meyers Konversations-Lexikon in 21 Bänden und „Lexikon von A-Z“. Es sind keine Wörterbücher im allgemeinüblichen Sinne, da sie nicht die Wörter mit ihren Bedeutungen, Etymologie usw. in ihrem Gebrauch fixieren, sondern Personen, Gegenstände, Erscheinungen charakterisieren. Solche enzyklopädischen Wörterbücher bemühen sich, Kenntnisse auf allen Gebieten des Lebens zusammenzufassen und zu verbreiten. Da das Leben, die Gesellschaft sich entwickeln, verändern sich auch die Kenntnisse. Dementsprechend veraltet das Material dieser Wörterbücher ziemlich schnell. Man muss sich sehr vorsichtig dieser Nachschlagewerke bedienen. III. Orthographisch-orthoepische Wörterbücher. Hier werden orthographische und orthoepische Normen der modernen deutschen Sprache fixiert. Orthographische Wörterbücher geben die den angenommen orthoepischen Normen entsprechende Aussprache der Wörter an. Das phonetische Wörterbuch von Th. Siebs ist ein Teil seines Werkes „Deutsche Bühnensprache“. Das ist eines der gebräuchlichsten Wörterbücher dieser Art. Es enthält Wörter der deutschen und der fremden Herkunft, behandelt auch eine große Anzahl von Eigennamen. Aussprachewörterbücher tragen viel zur Verbreitung der phonetischen Normen der deutschen Nationalsprache bei, besonders wenn der enge Verkehr mit dem Volk fehlt, wird das Erlernen der richtigen Aussprache erschwert. Mit den Rechtschreibungsnormen der modernen deutschen Schriftsprache befassen sich die bekannten Wörterbücher von Duden. Hier wird die Rechtschreibung der deutschen Wörter und der häufigsten Fremdwörter angegeben. Man findet auch Angeben über die grammatischen Besonderheiten der behandelten Wörter. Zweisprachige Wörterbücher dienen ganz anderen Zwecken, nämlich beim Erlernen einer fremden Sprache und bei der Übersetzung aus einer Sprache in die andere behilflich zu sein. Uns interessieren die deutsch-russischen und russischdeutschen Wörterbücher. Zu solchen Wörterbüchern gehören die a) von I.Pawlowski; b) von J.W.Rachmanow, W.W.Rudasch; c) von A.A.Leping und N.P.Strachowa (1964). In diesem Wörterbuch findet man Hinweise auf die stilistische Färbung, auf das Gebrauchsgebiet und auf manche Verknüpfungsmöglichkeiten des Wortes. d) von O.I.Moskalskaja (165000 Wörter); e) von H.H.Bielfeldt usw. Außerdem gibt es viele zweisprachige deutsch-russische und russisch-deutsche technisch-wissenschaftliche Wörterbücher terminologische Wörterbücher, z.B. elektro-technisches, chemisch-technologisches u.a. Eines der interessantesten zweisprachigen Wörterbücher ist das „Bildwörterbuch“ von Duden. Die russischen Gegenwerte werden hier zusammen mit dem entsprechenden 17
deutschen Text behandelt. Das Wörterbuch zerfällt in fast 200 Themen. Ihre Behandlung vollzieht sich anhand von Bildtafeln und zweisprachigem Text. Zu den zweisprachigen Wörterbüchern gehören auch viele deutsch-russische phraseologische Wörterbücher (z.B. von L.Binowitsch) und Kurzwörterbücher. 2.2. Übersicht über einige Wörterbücher der deutschen Sprache 2.2.1. „Deutsches Wörterbuch“ von G. Wahrig (Wahrig G. Deutsches Wörterbuch. Mit einem „Lexikon der deutschen Sprachlehre". Sonderausgabe. Ungekürzte völlig überarbeitete Neuauflage, Gütersloh, 1975) Unter dem Titel „Deutsches Wörterbuch" von G. Wahrig (DWW) ist ein handliches und dabei umfassendes Nachschlagewerk über alle Aspekte der deutschen Sprache erschienen. Das DWW enthält rund 220 000 Stichwörter und setzt sich zum Ziel, die Bedeutung der Wörter und ihre Verwendungsmöglichkeit im lebendigen Sprachzusammenhang, Rechtschreibung, Silbentrennung und Aussprache eindeutig und für jeden verständlich darzustellen. Es bringt auch Angaben über die Herkunft der Wörter und ihre Verwandtschaft untereinander. Dem eigentlichen Wörterbuch ist ein „Lexikon der deutschen Sprachlehre" vorangestellt, das die wichtigsten Regeln zur Grammatik, Rechtschreibung, Silbentrennung und Zeichensetzung in rund 270 Einzelartikeln abhandelt. Den Traditionen der deutschen Lexikographie folgend, verwirklichten G. Wahrig und seine Mitarbeiter zugleich ihre eigenen lexikographischen Prinzipien. Bei der Auswahl des Wortschatzes wurde viel Wert auf die Aufnahme österreichischer, schweizerischer sowie landschaftlicher Besonderheiten gelegt. Fremdwörter sind ebenso zahlreich vertreten wie der Fachwortschatz aus Wissenschaft, Technik, Handel, Gewerbe. Seltene Fremd-, Fach- und Mundartwörter sowie geographische und Eigennamen wurden nicht aufgenommen. Die Anordnung der Stichwörter geschieht nach dem ABC. Bei jedem Wort ist die Silbentrennung durch spezielle Zeichen angegeben. Bei der grammatischen Kennzeichnung wird jedes Stichwort mit dem Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Wortart versehen. Der Aufbau eines Wörterbuchartikels im DWW weist bestimmte Besonderheiten auf. Bei der Anordnung der Bedeutungen unterscheidet der Autor zwei grundlegende Möglichkeiten: 1) die historische Anordnung, bei der man von einer — oft fiktiven — „ursprünglichen" Bedeutung ausgeht; 2) die Anordnung nach „weiterer" und „engerer" Bedeutung, wobei die Grundbedeutung und speziellere Nebenbedeutungen einander gegenübergestellt werden. Der Autor findet die beiden Verfahren nicht befriedigend, weil sie nie wissenschaftlich exakt und „rein" darstellbar waren. Deshalb verzichtete man im DWW auf traditionelle (nach Ansicht des Verfassers— subjektive) Ordnungsprinzipien von „zentraler" zu „peripherer" Bedeutung, von „allgemeiner" zu „besonderer" oder von „ursprünglicher" zu neuerer und „übertragener" Bedeutung. Die berechtigte Kritik an vorhandenen Wörterbüchern bewirkt, dass G. Wahrig die Rolle 18
des Kontextes bei der Bedeutungsaufteilung überschätzt. Dabei wird das Vorhandensein der eigenen Bedeutung eines Einzelwortes in Frage gestellt. Der Anordnung der Bedeutungen liegt im DWW das Distributionsprinzip zugrunde. Beschrieben werden nicht die Einzelbedeutungen eines polysemen Wortes (diese Frage bleibt offen), sondern morphologische, syntaktische, semantische Umgebungen des Stichwortes. Die Wortartikel werden vom Satzzusammenhang ausgehend nach rein formalen Gesichtspunkten aufgebaut. Als „Form" versteht man hier dreierlei: 1) die morphologische Form des Wortes; 2) die syntaktische Form (ein transitives, intransitives, reflexives, persönliches oder unpersönliches Verb; ein unzählbares oder zählbares Substantiv, z. B. „Glas" als Stoff und „Glas" als Gefäß); 3) die Form des Kontextes, bei der man unterscheidet: a) die Nullstelle, wenn das Wort für sich allein betrachtet wird, d.h. die Bedeutung eines Wortes ist unabhängig vom Kontext (übrigens ein Zugeständnis der Verfasser des DWW an die Idee der „Grundbedeutung"); b) Redewendungen mit Substantiven; c) Redewendungen mit Verben; d) Redewendungen mit Adjektiven und Begleitern und Stellvertretern des Substantivs; e) Redewendungen mit Partikeln (Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen). Ein Beispiel für die Gliederung eines längeren Wortartikels: Auge (n) 1. Sehorgan des Menschen und der Tiere; (Bot.) Knospe, Knospenansatz...; 2. das ~ des Gesetzes...; das ~ des Herrn...; 3. die ~n anstrengen; aufgehen: jetzt gehen mir die ~n auf; 4. blaue, braune, graue ~n...; blitzende ~n; feuchte... ~n; 5. jmdm. etwas an den ~n ablesen; das passt wie die Faust aufs ~; aus den ~n, aus dem Sinn; etwas fürs~… Die Worterklärungen sind als Andeutungen gedacht, die es dem Benutzer ermöglichen sollen, durch ihm bereits bekannte Wörter andere, ihm unbekannte zu erschließen. Bei der Bedeutungsangabe werden weitgehend Synonyme verwendet. leisten (vt u. vi) vollbringen, schaffen, bewirken; ausführen, erfüllen; gewähren, darbringen, bieten. Hinter dem Wortartikel stehen etymologische Angaben. Sie zeigen die Entwicklung deutscher Wörter, ihre gegenseitige Verwandtschaft sowie Parallelen aus germanischen und indoeuropäischen Sprachen, z. B.: Himmel (m) [
Zur Vulgärsprache (vulg.) rechnet man im DWW diejenigen Wörter und Wendungen, die sich meist auf bestimmte physiologische Prozesse beziehen und einem Tabu unterliegen. Über der Hochsprache steht die Dichtersprache (poet.). Der übertragene Gebrauch wird durch (fig.) — figürlich angezeigt. Wie man sieht, kommt im DWW die stilistische Kennzeichnung des Wortschatzes durch Stilschichten und -färbungen zu kurz. Nachstehend ein Wortartikel: Brief (m) schriftl., bes. durch die Post zugestellte Mitteilung; Urkunde (Gesellen~); kleines Päckchen od. Heftchen mit einer Ware, bes. Nadeln; (Börse) Wertpapier, Wechsel; (Börsenwesen; Abk.: B) Kurswert von angebotenen Aktien; ein Brief Nähnadeln, Streichhölzer; ~ und Siegel auf etwas geben (fig.) etwas fest zusichern; einen ~ frankieren, freimachen; einen blauen ~ bekommen — Kündigungsschreiben; Beschwerdeschreiben der Schule an die Eltern; ein einfacher, doppelter, eingeschriebener ~; offener ~ — in der Presse veröffentlichte Mitteilung an einen einzelnen od. an eine Behörde [
Die deutsche Sprache ist nicht so prächtig wie die italienische, nicht so klar wie die französische und nicht so handlich wie die englische. Aber das Raunende und Dämmernde, der Traum und die Ahnung — sie gewinnen im Deutschen Gestalt. In der Einleitung werden sechs Regeln zu einem guten Stil festgelegt. 1) Bilde keine übermäßig langen Sätze! Ein Satz soll nicht länger sein als 10 bis 20 Wörter. 2) Drücke Handlungen in Verben aus! Der Missbrauch von analytischen Konstruktionen und Substantiven auf -ung ist zu verurteilen. 3) Vermeide das Papier- oder Kanzleideutsch! Beim Schreiben müssen wir die guten Eigenschaften der gesprochenen Rede behalten: kurze Sätze, Verben statt Substantive, klare Ausdrücke, solche Stilmittel wie Frage, Ausruf, Bitte u. a. 4) Schreibe klar, aber knapp! Dazu müssen wir unsere Gedanken ordnen. Zunächst schreibt man die „Stichwörter" zum gegebenen Thema auf. Dann sorgt man für eine übersichtliche Gliederung des Stoffes. 5) Wähle die richtige Tonart! Wählt man ein Wort, das inhaltlich zutrifft, aber aus einer falschen Stilschicht kommt, verfehlt man jede Wirkung. Mit den Adjektiven soll man sparsam umgehen. Man soll das genaue Zeitwort wählen: z. B. „flüstern" statt „leise sprechen" oder „schleichen" statt „leise gehen". Schließlich sind alle gesuchten, geschraubten Ausdrücke zu vermeiden. Ein Philosoph hat einmal erklärt, die großen Schriftsteller sagten die schwierigsten Dinge mit den einfachsten Worten, die Stilgaukler machten es umgekehrt. 6) Suche immer das treffende Wort! Dazu muss man einen reichen Wortschatz haben und die Unterschiede zwischen den sinnverwandten Wörtern empfinden und berücksichtigen. Der Stilduden (5. Aufl.) enthält etwa 9000 Stichwörter. Sie sind alphabetisch angeordnet. Der Wortartikel ist in herkömmlicher Weise aufgebaut: das grammatische Charakteristikum des Stichwortes; Aufgliederung in Wortbedeutun-gen; illustrierende Beispiele; stilistische Bewertung des Stichwortes, einer Wortbedeutung bzw. einer Redewendung. Man unterscheidet (neben der neutralen Lexik) vier Hauptschichten der stilistischen Kennzeichnung: poet,, geh., ugs., vulg. Im Mittelpunkt der lexikographischen Darstellung steht nicht die Bedeutungserschließung (sie erfolgt nur gelegentlich), sondern die Kombinierbarkeit des Stichwortes, vgl.: Autorität f: 1) die A. wahren; A. genießen, verkörpern; an A. gewinnen, verlieren, einbüßen; ich konnte mir A. verschaffen; das verlieh ihm A.; 2) er ist eine A. (ein maßgeblicher Fachmann) auf dem Gebiet. Die 5. Auflage des SD bietet eine reiche Auswahl an Sprichwörtern, Aphorismen, Zitaten, die „autoreigene" Kontextbeispiele ergänzen. Der Stilduden 6.-er Auflage zeigt die Verwendung von rund 10 000 Stichwörtern im Satz und die Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache. Als syntagmatisches Wörterbuch mit Valenzangaben bildet es gleichzeitig eine sichere Grundlage für den Sprachunterricht und dient der sprachlichen Schulung. 21
In theoretischer Hinsicht beruht die Bearbeitung des SD auf einer engen Verbindung von Syntax und Semantik. Demgemäß stehen die inhaltlich sinnvollen und grammatisch richtigen Verknüpfungen (Syntagmen) im Mittelpunkt der Beschreibung. Alle Wortartikel sind neu gegliedert worden, und zwar nach der Bedeutung des Wortes und seiner Verwendung im Satz. Ein Stilwörterbuch, wie es sich in der deutschen Lexikographie herausgebildet hat, ist ein Universal-Werk, das durch Zusammenwirken von Lexikologie, Grammatik und Stilistik zustande kommt. Allgemeine Charakteristik der 6. Stildudenauflage: I. Artikelaufbau. Die Wortartikel sind systematisch und für die einzelnen Wortarten einheitlich aufgebaut. Nach dem Stichwort sind stilistische, grammatische, semantische Angaben angeführt. Die Phraseologismen, die den Wortartikel abschließen, sind mit einem Sternchen (*) versehen. Zu einer Einzelbedeutung gehören bildliche und übertragene Verwendungsweisen des Stichwortes sowie Redensarten und Sprichwörter, die nicht als Phraseologie gelten und daher mitten im Artikel stehen. II. Bedeutungsangaben. Der SD 1970 kann zu Recht als ein Bedeutungswörterbuch angesehen werden. Mit Bedeutungserklärungen sind nicht nur alle Stichwörter und Einzelbedeutungen polysemer Wörter versehen, sondern auch alle festen Wendungen, Sprichwörter und Redensarten, die meisten von den bildlichen und übertragenen Verwendungsweisen. Im SD kann man drei Grade der semantischen Verbindung zwischen den Bedeutungen eines Stichwortes feststellen: eine lockere (mit römischen Ziffern gekennzeichnet), eine „mittlere" (mit arabischen Ziffern) und eine engere (durch Kleinbuchstaben gegliedert). III. Anordnung der Beispiele. Im Gegensatz zu den früheren Auflagen verzichtet der neue SD völlig auf literarische und biblische Zitate. An ihre Stelle treten zahlreiche normierte Beispiele (in Form von Wortgruppen) und Beispielsätze. Sie verankern den modernen Sprachgebrauch und verleihen dem Wörterbuch normgerechten Charakter. Besonderer Wert wird auf die einheitliche Reihenfolge der Beispiele gelegt. Beim Adjektiv und beim Substantiv richtet sie sich nach grammatischen Gesichtspunkten. IV. Anordnung der festen Verbindungen und Wendungen. Freie Fügungen werden im SD den festen Verbindungen und Wendungen (d. h. den Phraseologismen) gegenübergestellt. An die freien (üblichen und typischen) Verknüpfungen reihen sich ferner die Redensarten (wenn die Wände reden könnten!) und Sprichwörter (man soll den Tag nicht vor dem Abend loben), die reproduzierbar und praktisch unveränderlich sind. Zu den festen Verbindungen und Wendungen gehören folgende Arten: 1. feste Attribuierungen: blinder Passagier; 2. feste verblasste Vergleiche: dumm wie Bohnenstroh sein; 3. feste Verbindungen: einen zwitschern; die Naserümpfen; 4. Funktionsverbgefüge: in Erwägung ziehen; 5. Paarformeln: bei Nacht und Nebel; 6. Wendungen (stehende Redewendungen): etwas auf die lange Bank schieben; nicht alle Tassen im Schrank haben. 22
Es sei bemerkt, dass die Grenze zwischen festen Verbindungen und Wendungen verschwommen ist, beide Typen gehören nämlich zu phraseologischen Einheiten (Ganzheiten). Redensarten und Sprichwörter sind nicht konsequent abgegrenzt. Im SD ist der Begriff „Redensart" zu weit gefasst. Der SD (1970) trifft eine wichtige Unterscheidung zwischen bildlichem und übertragenem Gebrauch. Der bildliche Gebrauch ist konkret und unmittelbar, das dabei entstehende Bild kann von unseren Sinnesorganen direkt und als Ganzes wahrgenommen werden. Der übertragene Gebrauch dagegen wirkt abstrakter und liegt von der direkten Wortbedeutung weiter entfernt. Bei bildlichem Gebrauch ist das Wort viel mehr kontextgebunden, bei übertragener Verwendung ist es kontextunabhängiger, vgl.: bildl.: ein weißer Fleck (ein unerforschtes Gebiet) auf der Landkarte; übertr.: das ist ein Fleck (ein Makel) auf seiner Ehre; bildl.: das Bild, die Statue lebt förmlich, gleichsam (ist sehr ausdrucksvoll); übertr.: lebendig sein, fortbestehen — die Hoffnung lebt in ihr. V. Stilistische Angaben. Der SD (1970) unterscheidet acht Stilschichten und Stilvarianten (A) und fünf Nuancierungen (B). A. l.dichterisch (Antlitz, Gefilde, Lenz, hold); 2.gehoben (Anbeginn, bekunden, Gemahl, harren); 3.bildungssprachlich — bedeutet keine positive Wertung, sondern nur Zuordnung (analog, Diskrepanz, dominieren); 4.Amtsdeutsch — behördliche, steif-offizielle Ausdrucksweise (abschlägig, anbei, anberaumen, ausfertigen, behufs); 5.Papierdeutsch — aufgeblähte oder umständliche Ausdrucksweise (alsbaldig, bewerkstelligen, unter Bezugnahme auf, in Verlust gehen); 6.familiär —vertrauliche Ausdrucksweise(schmollen, wie ein Spatz essen); 7.umgangssprachlich—ungezwungene, anschauliche und gefühlsbetonte Ausdrucksweise (gucken, kriegen, Knüller); 8.derb (sich besaufen, die Schnauze halten). B. 1.scherzhaft — Kadi (Richter); im Hafen der Ehe landen; 2.ironisch — bessere Hälfte: a) Ehefrau; b) Ehemann; 3.abwertend — kindisch, Pöbel, schäbig; 4.nachdrücklich — bezieht sich auf die Fügungen (die analytischen Konstruktionen), die eine Aussage verstärken oder stärker abstufen (in Kenntnis setzen, zum Ausdruck bringen); 5.verhüllend — einschlafen (für: sterben); stark (für: dick). In die gehobene Stilschicht sind nach Angaben des neuen SD zahlreiche Spracheinheiten hinübergewechselt. Diese Umorientierung erfolgt im Zuge der relativen stilistischen Aufwertung der deutschen Gegenwartssprache. Eine Auswahl an Stichwörtern aus der 6. Auflage, bei denen in der 4. Auflage (1956) der Hinweis geh. fehlt, bestätigt diese Entwicklungstendenz: abtrünnig
beiwohnen
erblicken 23
karg
Wange
Angedenken antragen bedürfen beehren beflügeln begehen begleichen
beschreiten beseelen besiegeln bezeigen Bürde empören erwachen
flehen geloben Gemach Haupt hegen Heil irdisch
mäßigen preisen säubern säumig schnöde Speise walten
Weh weilen weise Weisung Woge wogen zagen
Die drei letzten Auflagen des SD beurteilen auch die analytischen Konstruktionen unterschiedlich, z. B. zum Ausdruck bringen: Papierdeutsch (4. Aufl.), schlichter: ausdrücken (5. Aufl.), nachdrücklich (6, Aufl.). Ein zielgerichteter Vergleich verschiedener Auflagen eines Wörterbuches bringt uns auf den Gedanken, dass sich neben dem Bedeutungswandel auch ein langsamer „Wandel" im Stilwert der Wörter vollzieht, der einer eingehenden Untersuchung bedarf. VI. Grammatische Angaben. Erstmalig bringt der SD (1970) Angaben zur Valenz (Zahl der Ergänzungen) und Distribution (Art der Ergänzungen) der Verben. Das wird mit einfachen Mitteln erreicht, z.B. belebt — unbelebt (Angaben: jmd.— etw./eine Sache); schlagen (jmdn. sch.):: Schläge versetzen, prügeln: ein Kind, ein Tier schlagen; (etw. sch.) fällen: Bäumeschlagen. Beispiele für weitere Angaben — Dativobjekt: schmeicheln (jmdm., einer Sache sch.); Genitivobjekt: gedenken (jmds,, einer Sache g.); Präpositionalobjekt: achten (auf jmdn., auf etw. a.); Umstandsergänzung: geraten (mit Raumangabe), dauern (mit Zeitangabe). Der Stilduden (1970) ist eine wertvolle Kombination von Bedeutungs-, Stil-, Valenz- und Distributionswörterbuch für die Hand des in- und ausländischen Benutzers. Zwar ist er mit seinen 100 000 praktischen Beispielen in erster Linie auf die schriftliche Sprachgestaltung ausgerichtet, doch gibt er Auskunft über verschiedene Bereiche der deutschen Gegenwartssprache, wie sie vor allem in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen wird. 2.2.3. „Vergleichendes Synonymwörterbuch“ von Duden (Der Große Duden. Vergleichendes Synonymwörterbuch. Sinnverwandte Wörter und Wendungen. Bd. 8. Bearb. von P. Grebe, W. Müller. Mannheim, 1964.) Grundsätzlich gibt es zwei Typen von Synonymwörterbüchern: der eine enthält eine bloße Aufzählung sinnverwandter Ausdrücke, was beim Benutzer einen hohen Grad der Sprachbeherrschung voraussetzt; der andere dagegen zeigt Bedeutungsunterschiede zwischen Synonymen durch Definitionen und/oder Kontextbeispiele und gibt weitere Hilfen für den Gebrauch. Das Vergleichende Synonymwörterbuch (1964) (DSW) gehört zu dem zweiten Typ, denn es erläutert die Bedeutungsunterschiede sinnverwandter Wörter durch ihren semantisch-stilistischen Vergleich. Die Stichwörter sind alphabetisch angeordnet. Man unterscheidet zwei Arten von ihnen: Leitstichwörter (Dominanten einer Synonymgruppe) und Verweisstichwörter, bei 24
denen jeweils auf das entsprechende Leitwort verwiesen wird (z. B. erhalten: →1 bekommen; →2 ernähren). Der Stichwortartikel als Leitwort behandelt eine Synonymgruppe im engsten Sinn. Als Maßstab für eine Sinnverwandtschaft der Wörter gilt ihre Austauschbarkeit (warten — erwarten — harren). In begrenzter Zahl wurden auch Sachgruppen aufgenommen, deren Wörter nicht oder nur bedingt austauschbar sind (Meer, See, Ozean). Der Inhalt jedes Stichwortes wird kurz erläutert und mit dem Inhalt der anderen Wörter der gleichen Gruppe in Beziehung gebracht. Weiter wird der Inhalt durch die Anwendungsbeispiele mit Quellenangabe verdeutlicht. Bei der stilistischen Kennzeichnung der Wörter und Ausdrücke unterscheidet man folgende Stilschichten und Stilvarianten: dichter. (Lenz), bildungsspr. (interpretieren), geh. (sich mühen), Amtsdeutsch (erstellen), Papierdeutsch (verauslagen), normalsprachlich, umg. (pinselig), fam. (einnicken), salopp (verkloppen), derb (Visage), vulgär (Fose). Nachstehend drei Wortartikel aus dem DSW (in verkürzter Form): fühlen, etw.: einer Person, Sache oder Situation gegenüber sich einer bestimmten Gemütsbewegung oder -verfassung bewusst sein oder werden; betont gegenüber „empfinden", dass man von einer Empfindung nicht nur oberflächlich berührt wird, sondern (längere Zeit) ganz von ihr durchdrungen ist; zugleich stellt „fühlen" den schlichteren, gedanklich weniger reflektierten Vorgang oder Zustand dar und offenbart das Innere rückhaltloser: er fühlte wirkliche Freundschaft und Achtung für ihn; alle fühlten etwas Seltsames: Trauer, Mitleid, Angst und eine geheime Wut; empfinden, etw. (geh.): gegenüber Personen oder Dingen, in einer Situation, von einer Seelenregung angewandelt, heimgesucht werden, über deren Gründe oder Wesen man sich sogleich im klaren ist; das Wort betont, wo es auf elementare Gemütszustände bezogen wird, die gedankliche Bewusstheit, mit der sie erlebt werden; sonst deutet es Unbestimmtheit oder Flüchtigkeit an: er empfindet das tiefste Mitleid mit ihr. Flüchtig empfand er etwas wie Eifersucht; spüren, etw.: einen Gemütszustand, eine Empfindung in beginnenden Anzeichen, aber deutlich und bewusst in sich wahrnehmen; bezieht sich im allgemeinen auf etwas Unerwartetes oder plötzlich Empfundenes: Manchmal spürte sie jetzt auch Heimweh nach dem Rhein.(K. Edschmid, Liebesengel). Da empfand er eine andere Angst, eine stechende, minder drückende, eine Angst, die er nicht zum ersten Male spürte (H. Hofmannsthal, Erzählungen). Es sei bemerkt, dass der Begriff der Synonymität im DSW weit und nicht genau gefasst ist. Eine Reihe von Synonymgruppen sind eher als thematische Gruppen mit Ober- und Unterbegriffen anzusehen, z. B. Schusswaffe, Waffe, Gewehr, Karabiner, Muskete, Flinte, Büchse, Stutzen, Pistole, Revolver, Browning, Colt. Solche „Synonyme" sind kaum gegenseitig austauschbar. Wie wir sehen, ist die Synonymität auf die Substantive mit konkreter gegenständlicher Bedeutung nur unter bestimmten Einschränkungen anzuwenden. 25
2.2.4. „Lexikon der Sprichwörtlichen Redensarten“ von L. Röhrich (Röhrich L. Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten (in zwei Bänden). 3. Aufl. Freiburg, 1974.) Das Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten (LSR) ist ein phraseologisches Wörterbuch, das sich mit der Herkunft, der Bedeutung und Anwendung sprichwörtlicher Redensarten (SR) befasst. Es enthält etwa 35 000 Stichwörter. Die Wortartikel enthalten eine Redensart oder auch mehrere, sie bringen die Bedeutung, Hinweise auf die Anwendungssituation, historische Belege, Bildquellen zur Erklärung, eine Zusammenfassung der Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen, weiterführende Literaturangaben. Die Abbildungen veranschaulichen die ursprüngliche Bedeutung der Redensarten, meist in scherzhafter Weise (das Kind mit dem Bade ausschütten, ins Gras beißen, den Teufel an die Wand malen u, a.). Die von L. Röhrich abgefasste ausführliche Einleitung geht auf das Wesen, die Unterscheidungsmerkmale, Quellen und Tendenzen der Entwicklung, Verbreitung und Erforschung sprichwörtlicher Redensarten ein. Eine SR unterscheidet sich von einem Sprichwort durch Form, Struktur und Funktion. Unter einem Sprichwort versteht man einen festgeprägten Satz, der eine Einsicht oder eine Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten ausspricht. Eine SR dagegen ist ein meist verbaler bildhafter Ausdruck, veränderlich nach Zeit und Person: für jmdn. die Kastanien aus dem Feuer holen, einen ins Bockhorn jagen. Erst in einen Satz eingefügt, ergibt die SR eine Aussage. Die SR haben keine feste Prägung, keinen festen Inhalt, keine lehrhafte oder ethische Tendenz. Sie können zwar in Satzform auftreten (Das geht auf keine Kuhhaut! Es ist höchste Eisenbahn!), doch müssen sie sich auf das Vorhergesagte beziehen, sie sind situationsgebunden. Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten haben auch gemeinsame Züge, dazu gehört vor allem das sprechende, kräftige und einprägsame Bild, das in seinem Wortlaut traditionell festgefügt ist. Bei relativ konstanter Form zeigen die SR die Tendenz zur Variantenbildung (Es geht mir ein Licht /eine Kerzenfabrik/ eine Petroleumlampe auf) und zur Verkürzung (jmdm. Ein Auge auswischen → jmdm. eins auswischen). Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten können eine modellierte Struktur aufweisen. Zu den SR gehören Paarformeln und redensartliche Vergleiche, die nach bestimmten Modellen aufgebaut sind: in Bausch und Bogen, klipp und klar; arm wie eine Kirchenmaus, zittern wie Espenlaub. Zu weiteren Merkmalen der SR gehören die Häufigkeit und Anonymität ihres Auftretens. Ihre Urheber sind vergessen, im Gegensatz zu den Zitaten, deren Autoren bekannt sind und die deshalb nicht als sprichwörtliche Redensarten angesehen werden können. Die Bedeutungsgeschichte der SR zeigt deutlich den Übergang der Redensarten von der konkreten zur übertragenen Auffassung. Die Stilregister der SR reichen von der literarisch gehobenen Verwendung bis hin zum Derben und Vulgären. Die SR zeichnen sich durch ihre Expressivität aus und gehören vor allem zum mündlichen Sprechstil. Ihr Anwendungs- und Wirkungsbereich 26
umfasst auch die Presse und andere Massenmedien, die Werbung, die politische Propaganda. Nachstehend ein Wortartikel (verkürzt): Knoten. Die Sache hat einen Knoten: ist schwer zu lösen, hat eine Schwierigkeit (sinnverwandt mit der Redensart „Die Sache hat einen Haken"). Den (gordischen) Knoten durchhauen (oder lösen): eine Schwierigkeit, ein Hindernis durch eine energische Handlung beseitigen, ein Problem „mit einem Schlag" auf gewaltsame Weise lösen; die SR geht auf einen Bericht von den Taten Alexanders des Großen zurück. Der Knoten reißt (ist gerissen): die Schwierigkeit löst sich, der Verstand bricht durch, die Hemmung im Wachstum, in der geistigen Entwicklung ist überwunden. Sich einen Knoten ins Taschentuch machen (Schnupftuch binden): sich ein Erinnerungszeichen machen, indem man eine Ecke des Tuches verknotet, um beim Gebrauch sofort an etwas erinnert zu werden, was man nicht vergessen darf (zumeist in imperativischer Form: Mach dir einen Knoten ins Taschentuch! oder als Beruhigung: Ich werde mir einen Knoten ins Taschentuch machen!) Sich einen Knoten in die Beine machen: die Beine einziehen, oft als scherzhafte Bemerkung von einem gebraucht, dessen lange Beine andere stören, und dann meist in der Negation und in gespielter Verzweiflung; Ich kann mir doch keinen Knoten in die Beine machen! Das Lexikon von L. Röhrich ist eine beinahe enzyklopädische Zusammenfassung der Ergebnisse der deutschen Wortforschung auf dem Gebiet der sprichwörtlichen Redensarten. Leider fehlen hier stilistische Angaben, Hinweise auf die Valenz und Distribution fester Wortkomplexe, die für die Sprachpraxis unentbehrlich sind.
3. Zusammenfassende Fragen und Aufgaben zum Selbststudium 1. Womit befasst sich die Lexikographie? In welchen Bedeutungen kann dieses Fachwort verwendet werden? Welche Aspekte hat die Lexikographie? 2. Was ist ein Wörterbuch? 3. Charakterisieren Sie die wichtigsten Begriffe der praktischen Lexikographie (Wortgut, Stichwort, Wortartikel, Wortdefinition, illustrierende Beispiele, stilistische Vermerke). 4. Wie kann man die Stichwörter anordnen? Vergleichen Sie Vorzüge und Nachteile der beiden Anordnungsmöglichkeiten. 5. Welche Bergriffe und Kategorien sind für die moderne Lexikologie maßgebend? 6. Erläutern Sie an Beispielen die vier lexikographischen Gesetzmäßigkeiten. 27
7. Welche Tendenzen bestimmen die Entwicklung der Lexikographie von heute? 8. Welche Funktion erfüllen die Wörterbücher? 9. Wie können die Wörterbücher im Fremdsprachenunterricht verwendet werden? 10. Warum kommt der Lexikographie in unserer Zeit erhöhte Bedeutung zu? 11. Nennen Sie die wichtigsten russisch-deutschen und deutsch-russischen Wörterbücher. 12. Wie ordnet man die Wörter in Wörterbüchern? 13. Nennen Sie die Bildwörterbücher. Charakterisieren Sie sie. 14. Nennen Sie die wichtigsten Fremdwörterbücher. 15. Nennen Sie die wichtigsten deutschen Synonym- und Homonymwörterbücher. 16. Welches der heute vorhandenen Bedeutungswörterbücher der modernen deutschen Sprache ist das vollste. 17. Nennen Sie die phraseologischen Wörterbücher und Sprichwortwörterbücher. 18. Nennen Sie die Wörterbücher der Sprache einzelner Schriftsteller. 19. Charakterisieren Sie ein deutsches Wörterbuch nach folgendem Schema: a) Typ, Zielsetzung, Benutzerkreis, Umfang; b) Verfasser, Entstehungszeit und Geschichte des Wörterbuchs; c) Anlage des Wörterbuchs, Aufbau des Wortartikels; d) Wie wird die Bedeutung der Stichwörter erschlossen? e) Wie werden Einzelbedeutungen des Stichwortes, Polysemie und Homonyme abgegrenzt? f) Werden auch abgeleitete und phraseologisch gebundene Bedeutungsvarianten ausgesondert? g) Wie werden verschiedene Typen fester Wortkomplexe dargestellt? h) Durch welche Belege und Beispiele wird der Wortgebrauch verdeutlicht? i) Sind Abbildungen vorhanden? j) Welche stilistischen und grammatischen Hilfen gibt das Wörterbuch? k) Enthält es etymologische Angaben? l) Gibt es Angaben zur Aussprache, Rechtschreibung, Silbentrennung, Sprachrichtigkeit? m) Worüber informiert das Vorwort bzw. die Beilage zum Wörterbuch? n) Welche Vorzüge und Nachteile hat das betreffende Wörterbuch? 20. Charakterisieren Sie lexikographisch ein deutsches Wort mit Hilfe von allen möglichen Wörterbüchern.
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Verzeichnis empfohlener Wörterbücher 1. Bulitta Erich und Hildegard. Wörterbuch der Synonyme und Antonyme. Sinn- und sachverwandte Wörter und Begriffe sowie deren Gegenteil und Bedeutungsvarianten. Fischer Taschenbuch Verlag, 2003. 2. Bußman Hadumod. Lexikon der Sprachwissenschaft (3500 Stichwörter). 3.,aktualisierte und erweiterte Auflage. Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 2002. 3. Duden. Das Stilwörterbuch. 8., völlig neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. Band 2. Mannheim-Leipzig-Wien-Zürich: Dudenverlag, 2001. 4. Duden. Das Fremdwörterbuch. 6., auf der Grundlage der amtlichen Neuregelung der deutschen Rechtschreibung überarbeitete und erweiterte Auflage. Band 5. Mannheim-Leipzig-Wien-Zürich: Dudenverlag, 1997. 5. Duden. Das Aussprachewörterbuch. Band 6. Mannheim-Leipzig-WienZürich: Dudenverlag, 1990. 29
6. Duden. Bedeutungswörterbuch. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben und bearbeitet von W.Müller unter Mitwirkung folgender Mitarbeiter der Dudenredaktion: W.Eckey, J.Folz, H.Hartmann, R.Köster, D.Mang, Ch.Schrupp, M.Trunk-Nußbanner. Band 10. MannheimLeipzig-Wien-Zürich: Dudenverlag, 1985. 7. Glück Helmut. Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart-Weimar: Verlag J.B.Metzler, 1993. 8. Görner Herbert, Kempcke Günter. Wörterbuch Synonyme (30 000 Stichwörter). Deutscher Taschenbuch Verlag, 1999. 9. Hennig Beate. Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenarbeit mit Ch.Hepter und unter redaktioneller Mitwirkung von W.Bachofer. 3., ergänzend bearbeitete Auflage. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1998. 10. Köbler Gerhard. Taschenwörterbuch des althochdeutschen Sprachschatzes. Paderborn-München-Wien-Zürich: Ferdinand Schöningn, 1994. 11. Lewandowski Th. Linguistisches Wörterbuch 3. 6.Auflage. HeidelbergWiesbaden: Quelle&Meyer, 1994. 12. Lötzsch Ronald. Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch-Russisch (in 2 Bänden). Auflage 5. Berlin-München-Wien-Zürich-Neu York, 2001. 13. Meyers Grosses Taschenlexikon, in 25 Bänden. 7., neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben und bearbeitet von Meyers Lexikonredaktion. Mannheim-Leipzig-Wien-Zürich: B.I.-Taschenbuchverlag, 1999. 14. Meyers Grosses Handlexikon. 2000. 20., überarbeitete Auflage. Meyers Lexikonverlag, 2000. 15. Meyers Taschenlexikon in einem Band (von A bis Z). 4., aktualisierte Auflage. Herausgegeben und bearbeitet von Meyers Lexikonredaktion. B.I.Taschenbuchverlag, 2000. 16. Wahrig G. Deutsches Wörterbuch. Neu herausgegeben von Dr. Renate Wahrig-Burfeind. Mit einem „Lexikon der deutschen Sprachlehre“. Bertelsmann Lexikon Verlag, 2001.
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Literatur 1. Искоз А.М., Ленкова А.Ф. Лексикология немецкого языка (на немецком языке). 3-е издание.-Л.: «Просвещение», 1970.- 296с. 2. Ольшанский И.Г. Лексикология: Современный немецкий язык = Lexikologie: Die deutsche Gegenwartssprache: Учебник для студентов лингвистических факультетов высших учебных заведений/ И.Г. Ольшанский, А.Е. Гусева.- М.: Издательский центр «Академия», 2005.416с. 3. Olšanski I.G. Moderne deutsche Lexikographie. Ein Hilfsbuch zur deutschen Lexik. M.: Vysšaja Škola, 1979. 4. Handbuch der Lexikologie / Christopp Schwarze, Dieter Wunderlich 31
(Hrsg.). – Königstein/ Ts. Athenäum, 1985. – 484 S.
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