Otfried Preussler
13 Geschichten von Hexen und Zaubermeistern
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Otfried Preussler
13 Geschichten von Hexen und Zaubermeistern
scanned 05-2005 corrected by vt Der Wunsch, sich geheime Macht über Mensch und Tier zu verschaffen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Und wenn das mit Gottes Hilfe nicht zu erreichen ist, versucht man es eben mit seinem höllischen Widersacher. Der scheint gern bereit zu sein, solche Hilfe zu leisten. Nicht ohne Gegenleistung natürlich. ISBN: 3-570-26135-2 Verlag: Thienemann Erscheinungsjahr: 2001 Umschlaggestaltung: Klaus Renner
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Autor
Otfried Preußler, Jahrgang 1923, stammt aus Reichenberg in Böhmen. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Rosenheim, war bis 1970 Volksschullehrer und widmet sich seither ausschließlich seiner literarischen Arbeit. Sich selbst mit Vorliebe als Geschichtenerzähler bezeichnend, ist er heute einer der namhaftesten und erfolgreichsten Autoren Deutschlands. Preußlers viel geliebte Kinder- und Jugendbücher haben inzwischen weltweit eine Gesamtauflage von über 43 Millionen Exemplaren erreicht und liegen in rund 250 fremdsprachigen Übersetzungen vor.
Inhalt Ein Wort zuvor.........................................................................................5 Bloß eine Unterschrift..............................................................................8 Eine Kerbe zu viel ..................................................................................15 Gelächter zur Unzeit..............................................................................19 Geheimer Kriegsrat ...............................................................................25 Seiner Durchlaucht Elchgeweih ............................................................30 Doktor Kittels Höllenzwang...................................................................36 Ein Dieb, ein Dieb! ................................................................................42 Beim Wort genommen............................................................................47 Das hochheiligste Monogramm .............................................................52 Eine schwarz, eine rot............................................................................56 Hui aus – und immerwo an!...................................................................61 Mehr Glück als Verstand .......................................................................64 Ein lästiger Bursche ..............................................................................70
Dem Andenken meines Vaters
Ein Wort zuvor Die Welt ist voller Geheimnisse, voller Rätsel und Überraschungen. Immer wieder geschah und geschieht es, dass sich im Leben des Menschen Dinge ereignen, die über seinen Verstand, über sein Verständnis hinausgehen. Denkwürdige Vorkommnisse solcher Art bilden Grundstoff und Nährboden der Volkssage. Von unerhörten Begebenheiten ist da die Rede, von staunenswerten Geschehnissen, von verblüffenden Wendungen, Glücksfällen, Schicksalsschlägen. Was mag wohl dahinter stecken? Der blinde Zufall, das Walten höherer Mächte? Himmlische Gnade oder die Tücke des Satans? Fragen über Fragen, auf die auch die Volkssage keine letzte Antwort gibt. Die Volkssage deutet Antworten höchstens an. Doch vielleicht macht gerade der Umstand, dass sie so vieles in geheimnisvoller Schwebe belässt, einen ihrer besonderen Reize aus. Es gibt zahlreiche Sammlungen deutscher Volkssagen. Stellte man sie alle nebeneinander, so würden sie ganze Wände füllen. Wer sich näher mit ihnen beschäftigt, wird zu der Feststellung kommen, dass sich in der Welt der Sage bestimmte Themen, bestimmte Vorwürfe und Motive auffallend häufen. Sie treten an den verschiedensten Orten zu Tage, nicht selten in weit voneinander entfernten Landstrichen. Keine Geschichte unter den vielen, die einer der anderen völlig gliche, es gibt zwischen ihnen allen kleine und größere Unterschiede; manchmal beginnen zwei Varianten ein und derselben Sage verdächtig ähnlich, um bald schon in entscheidenden Zügen weit voneinander abzuweichen; manchmal führt eine überzeugend beginnende Fassung zu einem durchaus unbefriedigenden Abschluss, anderswo ist das gerade Gegenteil der Fall. Seit langem trug ich mich mit der Absicht, die schönsten und 5
interessantesten Volkssagen der deutschen Überlieferung und ihres Umfeldes auszuwählen und neu zu erzählen. Dabei war und ist es mein Plan, die unterschiedlichen Fassungen einzelner Geschichten miteinander zu verbinden, um mich auf diese Weise sozusagen dem Idealtyp der betreffenden Sage so weit wie möglich anzunähern. In der Praxis bedeutet das, etwa den überzeugenden Anfang einer Geschichte, die aus dem Sächsischen stammt, mit dem befriedigenderen Schluss zu versehen, wie er aus dem Thüringer Wald überliefert wird; und zwischendurch werden dann ein paar ergänzende Einzelheiten aus der Lausitz hinzugefügt, ein paar Farbtupfer aus dem Eichsfeld. Ich bin ein Geschichtenerzähler, kein wissenschaftlicher Sagensammler. In diesem Buch will ich nichts weiter tun, als Geschichten erzählen – Geschichten, die ich aus dem einen oder anderen Grund für besonders erzählenswert halte. Dabei nehme ich mir ganz bewusst die Freiheit, mit den vorgefundenen Stoffen zu spielen, Überliefertes auf meine persönliche Art erzählerisch abzuwandeln, stets in der Absicht, das zu Erzählende rund und schlüssig zu machen. Nach den Schatzgeschichten (OMNIBUS 26124) folgen nun dreizehn Geschichten von Hexen und Zaubermeistern. Der Wunsch, sich geheime Macht zu verschaffen, Macht über Mensch und Tier, über das Reich der Natur und das Reich der Geister: Vermutlich ist er so alt wie die Menschheit selbst. Dahinter steckt die Verlockung der Schlange im Paradies, das Streben des Menschen, wie Gott zu sein, sich zum uneingeschränkten Herrscher über die Schöpfung aufzuschwingen. Und wenn das mit Gottes Hilfe nicht zu erreichen ist, versucht man es eben mit Gottes höllischem Widersacher, dem Satan. Der Böse scheint gern bereit zu sein, solche Hilfe zu leisten. Nicht ohne Gegenleistung natürlich. Der Pakt mit dem Teufel steht denn auch meistens am Anbeginn aller Geschichten, die uns von großen und kleinen Zauberern überliefert sind, von Hexen und 6
Hexerichen. Und nur in seltenen Ausnahmefällen gelingt es dem einen, gelingt es der andern von ihnen, dennoch Erlösung zu finden …
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Bloß eine Unterschrift Doktor Johannes Faustus, der weltweit berühmteste aller Zauberer Deutschlands, war ein Zeitgenosse Martin Luthers, stammte aus dem Schwäbischen und hat sich an mehreren hohen Schulen aufgehalten, wo er Theologie, Medizin und Astrologie, vermutlich auch Alchemie studiert hat. Später zog er als Wahrsager und Kurpfuscher durch die Lande und kam noch zu Lebzeiten in den Geruch, ein Meister der schwarzen Magie zu sein. An seinen Namen knüpfen sich zahlreiche Geschichten, die bereits 1587 unter dem Titel »Historia von D. Johann Fausten« erstmals im Druck erschienen sind, eine bunter und abenteuerlicher als die andere. Auch als Puppenspiel ist der »Doktor Faustus« landauf, landab in den verschiedensten Varianten auf Jahrmärkten und in Wirtshäusern gespielt worden. Johann Wolfgang von Goethe war es dann, der den »weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler« des Volksbuchs zum leidenschaftlichen Wahrheitssucher gemacht und ihm zu literarischem Weltruhm verholfen hat. Während Goethe jedoch seinen Helden in letzter Stunde Gnade und Vergebung finden lässt, ist dem Faust des Puppenspiels und der Sage ein schreckliches Ende beschieden: Pünktlich nach Ablauf der Frist wird er, wie vertraglich besiegelt, vom Teufel geholt. Und dabei hatte doch alles so überaus viel versprechend begonnen, damals in Wittenberg … Über das Studium der Theologie und der Astrologie war er an die geheimen Wissenschaften geraten. Wer ihm dann in Wittenberg das siebente Buch Mosis zugespielt haben könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander, vielleicht ist es schon der Teufel selber gewesen. Die schwarze Bibel! Lange Zeit hatte Faustus vergebens danach getrachtet, an sie heranzukommen. Jetzt hatte sein Wunsch sich endlich erfüllt. 8
Das verrufene Buch lag aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch. Sieben Nächte lang hatte der Doktor eifrig darin studiert, beim Schein einer schwarzen Kerze. Zuweilen hatte ihm bei der Lektüre vor Schauder und Staunen der Atem gestockt. Die Seiten des Folianten waren mit magischen Zahlen, mit Zeichen und Formeln bedeckt. Was für ein Buch! Es schien wirklich zu halten, was Faust sich davon erhofft hatte. Es verschaffte ihm Zugang zu den geheimen Kräften, von denen die Dinge der Welt bewegt wurden. Und es verhieß ihm Macht über alle Geister. Sieben Nächte lang hatte Faust sich darauf beschränkt, das Buch zu studieren. Heute war er dazu entschlossen, die Probe darauf zu machen. Mit Zirkel und Kreide hatte er auf dem Fußboden der Studierstube einen Kreis geschlagen – und innerhalb dieses äußeren Kreises zwei weitere: alle drei mit dem gleichen Mittelpunkt. Die Zwischenräume waren mit magischen Zeichen bedeckt, genau wie die schwarze Bibel es vorschrieb. »Zwölfe hat’s geschlagen!« Der Nachtwächter rief in den Straßen die Mitternachtsstunde aus. Jetzt war es so weit! Der Doktor Faustus stellte sich in die Mitte der Zauberkreise, von denen er wusste, dass sie ihn vor dem Zugriff der Geister beschützen würden; dann sprach er die erste Beschwörungsformel. Da war es, als schlüge der Wind in den Schornstein des Hauses. Zum Ofenloch fuhr eine kleine, schwarze Gestalt heraus, mit feurigen Augen und langem Schwanz, einem Affen gleich. Das äffische Wesen machte am Rand des äußersten Kreises Halt und ließ sich mit quäkender Stimme vernehmen: »Zu Diensten, Meister. Du hast mich gerufen, ich bin zur Stelle. Mein Name ist Vitzliputzli, schnell bin ich wie der Pfeil, wenn er von der Sehne schwirrt. Wenn du mich brauchen kannst, will ich dir dienstbar sein.« »Hinweg!«, gebot ihm der Doktor Faustus. »Was soll ich mit 9
einem Diener, der einem Affen gleicht? Apage, apage!« Das Affenwesen verschwand im Ofenloch. Doktor Johannes Faustus versuchte es mit der zweiten Beschwörungsformel. Wieder ein Windstoß, dreimal so stark wie der vorige. Aus dem Feuerloch stob eine schwarze Gestalt hervor, zottelig, oben Mensch, unten Ziegenbock, mit gehörnter Stirn, mit geschwänztem Hinterteil. Der Bocksmensch scherte sich nicht um den äußeren Kreis, erst an der zweiten, der mittleren Linie machte er Halt. In Faustens Studierstube verbreitete sich ein übler Gestank: Man weiß ja, wie Böcke stinken.
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»Du hast mich gerufen, Meister, ich bin zur Stelle. Mein Name ist Auerhahn. Schnell bin ich wie der Wind, wenn er über die Dächer fegt. Wenn du mich brauchen kannst, will ich dir dienstbar sein.« »Hinweg!«, gebot ihm der Doktor Faustus. »Was soll ich mit einem Diener, der wie ein Bock stinkt? Apage, apage!« Der Bocksmensch verschwand, der Gestank verzog sich so plötzlich wieder, wie er gekommen war. Doktor Johannes Faustus versuchte es mit der dritten, der stärksten Formel. Kein Windstoß schlug in den Schornstein, kein Sturm erhob sich, kein Donner grollte. Hatte der dritte Spruch seine Wirkung verfehlt? Schon wollte der Doktor ihn wiederholen, da klopfte es an die Tür der Studierstube. Herein kam ein hagerer Mensch, gekleidet wie ein Student, von geschmeidiger Höflichkeit. Er verneigte sich vor dem Doktor und machte ihm seine Aufwartung. Dass er beim Gehen ein wenig hinkte, fiel nicht besonders auf. Der Hagere achtete weder des äußeren noch des mittleren Kreises; erst an der dritten, der inneren Linie hielt er an. »Hier bin ich, Meister. Mein Name ist Mephistopheles, das bedeutet der Listige und Gewandte. Schnell bin ich, schnell und leicht wie des Menschen Geist: gedankenschnell, um genau zu sein. Wenn du mich brauchen kannst, will ich dir dienstbar sein. Ich werde dich an die entlegensten Orte führen, in ferne Zeiten, in ferne Länder, wie immer es dir gefällt. Du wirst reich sein, wirst schöne Frauen haben. Ich werde dich alle Geheimnisse dieser Welt lehren, werde dir ihre Rätsel enthüllen bis auf den letzten, den tiefsten Grund.« »Wohlan!«, sprach der Doktor Johannes Faustus. »Das hört sich nicht übel an, Mephistopheles. Was verlangst du für deine Dienstbarkeit?« Der Teufel, denn Mephistopheles war ein Teufel, wenngleich in Menschengestalt: Der Teufel war auf die Frage vorbereitet. »Bloß eine Unterschrift«, sagte er leichthin, wobei er dem 12
Doktor Faustus ein Pergament vor die Nase hielt; weiß der Kuckuck, woher er es plötzlich hatte. »Wir werden einen Kontrakt schließen, wie sich das gehört. Ich leiste dir meine Dienste, o Herr und Meister – und du verschreibst mir dafür deine Seele. Übrigens steht das alles auf diesem Blatt …« Der Doktor las den Kontrakt. Mephistopheles werde ihm, stand da zu lesen, in allen Dingen Gehorsam leisten, mit einer Ausnahme lediglich: Den Ablauf der Zeit zu ändern, dazu sei er weder befugt noch im Stande. Der Pakt solle zweimal ein Dutzend Jahre währen. Nach Ablauf der Frist verfalle die Seele des Doktor Faustus auf ewig der Hölle. »Kein geringer Preis, den du da verlangst.« Noch zögerte Faustus, noch war er unschlüssig. Reisen in ferne Zeiten, in fremde Länder, Reichtum und schöne Frauen: Ob sie das Heil seiner Seele aufwogen? »Und die Geheimnisse dieser Welt?«, fragte Mephistopheles lauernd. »Und dass ich dir ihre Rätsel enthüllen werde bis auf den letzten Grund – ist das etwa nichts?« Was für ein Angebot! Welche Verlockung für einen forschenden Geist, einen Mann der Wissenschaft! »Wahrhaftig!« Der Doktor pflichtete dem Versucher bei. »Das ist viel, das ist sehr viel. Feder und Tinte her, Mephistopheles!« »Wozu Tinte, Meister? Man unterschreibt einen solchen Kontrakt nicht mit Tinte, ein solcher Kontrakt wird mit Blut unterschrieben.« Mephistopheles reichte Faustus den Gänsekiel und ein Messerchen. »Ein kleiner Schnitt in den Arm wird reichen, Meister.« Der Doktor streifte den linken Ärmel zurück, er brachte sich mit dem Messerchen einen Schnitt bei. Doch seltsam, es trat kein Blut aus der Wunde hervor. War das die letzte Warnung, ein letztes Zeichen zur Umkehr? »Dein Blut scheint zu stocken, Meister. Wir werden es gleich 13
in Fluss bringen.« Mephistopheles spitzte die Lippen, er hauchte auf Faustens Arm – an der Schnittstelle zeigten sich ein paar Blutstropfen. »Das reicht aus. Und nun rasch unterschrieben, Meister!« Faustus gehorchte dem Teufel. Er netzte die Feder mit seinem Blut, dann setzte er seinen Namenszug auf das Pergament. Der Vertrag war besiegelt, der Pakt mit der Hölle in Kraft gesetzt. »Topp!« Mephistopheles rieb sich die Hände. »Von Stund an, o Herr und Meister, werde ich jedem deiner Befehle Gehorsam leisten – zweimal ein Dutzend Jahre lang.« Zweimal ein Dutzend Jahre: für den, der an ihrem Anfang steht, eine lange, eine beruhigend lange Zeit. Hätte es nur in Faustens Studierstube nicht die Uhr gegeben! Plötzlich, so schien es dem Doktor, tickte sie lauter als sonst gewohnt. Lauter und sehr viel schneller. Draußen ertönte der Ruf des Nachtwächters. »Eins hat’s geschlagen.« Die erste Stunde der Frist war verstrichen, die zweite war angebrochen. Stunden würden zu Tagen, Tage zu Wochen werden, Wochen zu Jahren. Die Zeit lief dahin, sie ließ sich nicht anhalten. Mephistopheles lächelte spöttisch, den Doktor Faustus begann es, in tiefster Seele zu frösteln.
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Eine Kerbe zu viel Das Zeitalter der Reformation hat in Deutschland eine staunenswerte Anzahl großer Gelehrter und Künstler hervorgebracht, unter ihnen den bedeutenden Arzt und Philosophen Theophrastus Bombastus von Hohenheim, der sich Paracelsus nannte. Zu Einsiedeln in der Schweiz geboren, hat er an der Universität von Ferrara den Doktorhut erworben. Danach ist er jahrelang durch die Lande gezogen, forschend, lehrend und heilend, wo Heilung möglich war. Als Arzt und Naturforscher hat er in seinen Schriften zahlreiche Gedanken und Einsichten entwickelt, die bahnbrechend für die moderne Heilkunst geworden sind. Bei vielen seiner Zeit- und Berufsgenossen ist er damit auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen. Immer wieder gab es Versuche, ihn der Ketzerei zu bezichtigen, ihn als Scharlatan in Verruf zu bringen. Selbstverständlich ist Paracelsus von seinen Gegnern auch verdächtigt worden, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, ein Hexenmeister zu sein. Seine Freunde jedoch und die einfachen Leute waren davon überzeugt, Bombastus von Hohenheim habe sich nicht der bösen schwarzen, sondern der guten, der weißen Magie verschrieben. – Anno 1541 ist Paracelsus zu Salzburg verstorben. Sein Grab ist erhalten geblieben, es befindet sich auf dem Sebastiansfriedhof der Stadt, am rechten Ufer der Salzach. Die Volkssage weiß es anders. In Salzburg hatte Paracelsus einen getreuen Diener, dessen Name uns nicht überliefert ist. Eines Tages war er mit ihm hinausgegangen, ein Stück vor die Tore der Stadt, bis zu einer alten Linde. In ihrem Schatten eröffnete Paracelsus seinem Begleiter, dass er sich krank wisse, sterbenskrank. »In wenigen Tagen wird es mit mir zu Ende sein«, fuhr er fort. »Es gibt aber keinen Grund, den Mut zu verlieren. Denn wisse, mein treuer 15
Diener: Ich werde mit Gottes und deiner Hilfe ins Leben zurückkehren, jung und stark.« »Mit Gottes und – meiner Hilfe?« Der Diener staunte, der Diener bat ihn: »Lehre mich, was ich zu tun habe, Meister, um dir zu helfen.« »Zerschneide, sobald ich gestorben bin, meinen Leib in siebenmal sieben Stücke«, gebot Paracelsus dem treuen Diener. »Dann schraube den Knauf meines Schwertes auf. Du wirst in der Kapsel ein Pulver von weißlicher Farbe vorfinden: die Arznei der Arzneien. Streue von diesem Arcanum drei Prisen auf meinen zerstückelten Leib und bete darüber drei Vaterunser und dreimal den großen Wundsegen. Im Morgengrauen des nächsten Tages begrabe mich dann hier draußen, im Schatten der alten Linde.« Der Diener nickte, der Diener gelobte zu tun, was der Meister von ihm verlangte. »Noch eins!«, fügte der Doktor hinzu. »Wenn ich begraben bin, musst du Tag für Tag zu der Linde kommen und für mich beten. Und in den Stamm des Baumes schneide dann jedes Mal eine Kerbe ein.« Auch dies gelobte der Diener zu tun. »Nun das Letzte und Wichtigste noch!« Beschwörend hob Paracelsus die Stimme. »Zähle die Kerben im Stamm der Linde – und zähle sie wohl! Und wenn siebenmal sieben Tage verstrichen sind, öffne das Grab, das du mir gegraben hast, und wiederum bete drei Vaterunser darüber und dreimal den großen Wundsegen. Dann bestreue, was du im offenen Grab findest, mit der Arznei der Arzneien. Drei Prisen auch diesmal. Doch merke! Das Grab muss genau am siebenmal siebenten Tage geöffnet werden. Keinen Tag früher und keinen später! Dies, mein getreuer Diener, beherzige – dies vor allem!« Sie kehrten nach Salzburg zurück. Paracelsus erkrankte noch diesen Abend am kalten Fieber, drei Tage danach war er tot. Der 16
getreue Diener tat alles, was ihn sein Herr und Meister geheißen hatte, er tat es sorgfältig, tat es gewissenhaft. Und er tat es im festen Glauben, es werde mit Gottes und seiner, des Dieners Hilfe gelingen, den Tod zu besiegen und Paracelsus wieder ins Leben zurückzuholen. Was für Wetter auch sein mochte, ob es regnete, ob die Sonne schien, ob es stürmte, hagelte oder gewittrig war: Tag für Tag ging der treue Diener von jetzt an hinaus zu der alten Linde, um über dem Grab des Meisters zu beten. Und wenn er das Amen gesprochen hatte, versäumte er niemals, eine Kerbe in die Rinde des Baumes zu schneiden. Nun begab es sich einmal, dass unweit der alten Linde ein Hirtenjunge die Kühe hütet und ihn bei seinem Tun beobachtet. Kaum ist der treue Diener davongegangen, da sticht den Jungen der Hafer. Er zieht sein Messer hervor, und sei es aus Übermut, sei es aus Unverstand: Jedenfalls fügt er den vielen Kerben im Stamm der Linde eine hinzu. So kommt es, dass der getreue Diener den siebenmal siebenten Tag verfehlt. Nicht aus eigener Schuld, denn wie hätte er wissen können, dass jener Hirtenjunge ihm in die Rechnung gepfuscht hat? Er kommt zu der Linde, er zählt die Kerben, er sieht, dass die Zahl erfüllt ist. Da öffnet der treue Diener das Grab des Meisters, nicht ohne drei Vaterunser darüber zu beten und dreimal den großen Wundsegen. In der Tiefe des Grabes liegt Paracelsus: ein schlafender Jüngling im Alter von zwanzig Jahren etwa. Schön ist er, schön und von stattlichem Wuchs, mit vollem Haupthaar und glatter Haut, ohne jede Falte. Der getreue Diener traut seinen Augen nicht, er bricht in die Knie, er jubelt: »O Herr, o Meister! Der Tod ist besiegt! Du hast ihn mit deiner Kunst überwunden! Der Herr unser Gott sei gelobt und gepriesen in Ewigkeit!« Nun streut er über den Leib des schlafenden Jünglings drei 17
Prisen von der bewussten Arznei aus dem Schwertknauf, wie Paracelsus es ihm geboten hatte. Und siehe! – das große Arcanum verfehlt seine Wirkung nicht, der Jüngling, der da im Grabe liegt, unter der alten Linde: Der Schlafende mit des Meisters verjüngten Zügen öffnet die Augen und blickt aus der Tiefe empor. Noch ist er nicht ganz dem Leben zurückgegeben. Ein Tag noch fehlt ihm, ein Einziger. Eine Kerbe zu viel in der Rinde des Baumes – ein Tag zu wenig für Paracelsus. Traurig, unsagbar traurig lächelt der Doktor seinem getreuen Diener zu. Dann schließt er die Augen wieder, um in Sekundenschnelle zu Staub zu zerfallen. Und Staub wird er bleiben, bis die Posaune des Jüngsten Tages erschallt. Der Tod lässt sich nicht bezwingen, von keinem Sterblichen lässt sich der Tod überwinden: Das hat selbst der große Arzt, der berühmte und kunstreiche Magier Theophrastus Bombastus von Hohenheim nicht geschafft, der sich Paracelsus nannte.
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Gelächter zur Unzeit Prag an der Moldau, zeitweilig Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dessen Kaiser vorübergehend dort Hof hielten, war jahrhundertelang auch Sitz einer jüdischen Gemeinde, die in der gesamten abendländischen Judenheit höchstes Ansehen genoss. Wohl die bekannteste Gestalt aus der Geschichte der Juden Prags ist der weise und zaubermächtige Rabbi Loew ben Bezalel. Große Wundertaten werden ihm zugeschrieben, so die Erschaffung des Golem, eines künstlichen Menschen aus Lehm, den er dann eigenhändig wieder zertrümmert habe, weil er sich der Macht und Aufsicht seines Schöpfers zu entziehen drohte. Damals residierte auf der Prager Burg, dem Hradschin, Kaiser Rudolf II. aus dem Hause Habsburg, ein Bilder-, Bücher- und Raritätensammler von hohen Graden, Liebhaber aller Künste, Gönner von Edelsteinschleifern, Sterndeutern, Alchemisten. Er habe sich, wie es heißt, in höchsteigener Person mit dem Studium der schwarzen und weißen Magie befasst, und sicherlich kommt es nicht ganz von ungefähr, dass Sage und Legende davon zu berichten wissen, es habe sich zwischen ihm und dem hohen Rabbi Loew aus der Prager Judenstadt mit der Zeit eine enge, nahezu freundschaftliche Beziehung angesponnen. Die Zusammenkünfte des römischen Kaisers mit dem hohen Rabbi Loew fanden ausnahmslos auf dem Hradschin statt, meist im Geheimen. Einmal jedoch bat der Kaiser den Rabbi darum, dem versammelten Hofstaat eine Probe seiner magischen Kunst zu geben. Man befand sich gerade in einem kleineren, etwas abgelegenen Saal der Burg, der sonst kaum benützt wurde. Worin denn, so fragte der hohe Rabbi den Kaiser, die Probe bestehen sollte. »Wie uns bekannt ist, bist du dazu im Stande, die Geister der 19
Abgeschiedenen zu beschwören«, sagte der Kaiser. »Wie wäre es, wenn du vor unseren Augen die Erzväter deines Volkes erscheinen ließest?« »Die Erzväter meines Volkes?« Der Rabbi versuchte, den Wunsch des Kaisers abzuwenden. Diese Beschwörung, so warnte er, sei mit Gefahr verbunden. Während der Zeit, da die Geister der abgeschiedenen Erzväter anwesend seien im Saal, müsste strengstes Stillschweigen herrschen. Dies, so erwiderte ihm der Kaiser, sollte nicht schwer zu erreichen sein. Er werde dem Hofstaat einfach befehlen, das Maul zu halten. Den möchte er sehen, der sich getrauen sollte, seinen, des römischen Kaisers Befehl in den Wind zu schlagen. Nun konnte der hohe Rabbi nicht anders, er musste die feierliche Beschwörung der biblischen Erzväter vornehmen. Halblaut gemurmelte Worte, weit ausgebreitete Arme, nach oben gekehrte Handflächen. Der Kaiser, der Hofstaat, alles verharrt in gespannter Erwartung. Dann wallt es zur Tür herein, wallt wie graues Gewölk herein und verdichtet sich zu Gestalten. Ehrwürdig sind sie anzusehen, wie sie nun langsam den Saal durchschreiten, die biblischen Erzväter: Abraham an der Spitze, weißbärtig, tief gebeugt von der Last der Jahre; dann Isaak, Ehrfurcht gebietend auch er, ein schöner, von göttlicher Weisheit verklärter Greis voller Hoheit und Würde. Und schließlich ein wenig hinkend: Jakob, der mit dem Engel gerungen hat – Jakob, von seinen Söhnen gefolgt. Ruben, Simeon, Levi – man kennt sie ja alle zwölfe. Alle, die er im Lauf eines langen und fruchtbaren Lebens gezeugt hat. Auch Isachar folgt ihm, auch der ägyptische Joseph, auch Benjamin. Acht vollgebürtige Söhne ziehen vorüber, drei halbgebürtige von des Erzvaters Jakob Nebenfrauen. Wo aber bleibt der Zwölfte und Letzte? Naphtali fehlt noch aufs volle Dutzend, Naphtali muss sich verspätet haben. 20
Doch siehe! – vom hohen Rabbi herbeigezwungen, kommt endlich auch er zur Tür hereingestolpert, rothaarig, atemlos und verschwitzt. Mag sein, dass er draußen gewesen ist auf der Weide bei Jakobs Herde. Es mag eine Kuh gekälbelt, ein Schaf mag gelampelt haben: Das hat ihn beschäftigt, das hat ihn aufgehalten. Sei’s drum! – der hohe Rabbi zu Prag hat schließlich auch ihn herbeigezwungen, kraft seiner Zaubermacht. Verspätet zwar, kommt auch Naphtali nun hereingestolpert über die Schwelle des Saals – und gewillt, sich dem Zug der Brüder, der Väter, der Vorväter anzuschließen, geschieht ihm ein Missgeschick. Naphtali strauchelt, Naphtali fällt vor versammeltem Publikum auf die Nase!
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Gelächter erschallt in der Runde, vielstimmig. Selbst der Kaiser vermag sich des Lachens nicht zu enthalten. Was für ein Spaß! Kein französischer Jokuleur könnte drolliger, könnte vergnüglicher auf die Nase gefallen sein! Das Gelächter hat kaum begonnen, kaum eingesetzt, da lösen die jüdischen Erzväter sich in Rauch auf. Die Decke des Saales umwölkt sich, Donnerschläge erdröhnen, Blitze zucken hernieder. Der Hofstaat erstarrt vor Entsetzen, auch Rudolf, der römische Kaiser sieht es: Die Decke des Saales beginnt, sich herabzusenken, auf ihn und auf seinen Hofstaat. Tiefer und immer tiefer senkt sich die Decke des Saales auf sie hernieder, dem Bodenbrett einer riesigen Kelter gleich, einer Kelter, an deren Spindel ohne Erbarmen gedreht wird. Fest gebannt sitzen alle auf ihren Plätzen. Der römische Kaiser, die Damen, die Herren seines Gefolges: Niemand vermag sich zu rühren. Sie sehen das Unheil auf sich herniederkommen. Die Decke des Saales wird sie zerquetschen, sie wird sie zu Brei zermalmen, das wissen sie. Und sie wissen auch, dass es unabwendbar ist. Noch aber gibt es den hohen Rabbi der Prager Judengemeinde, den Rabbi Loew. Im letzten Augenblick tritt er dazwischen, im letzten Augenblick wendet der hohe Rabbi das Unheil von ihnen ab. Er tritt in die Mitte des Saales. Beschwörend, beschwichtigend hebt er die greisen Hände empor und stemmt sie der Decke entgegen, die unaufhaltsam weiter auf sie und auf ihn herabsinkt. Nicht unaufhaltsam, wie sich erweist. Dem Rabbi gelingt es, sie aufzuhalten. Mit bloßen Händen gelingt es ihm. Die stärksten Beschwörungen murmelt er – nein, er schreit sie aus voller Lunge hinaus, der Decke entgegen. Was niemand für möglich gehalten hätte, der Rabbi vollbringt 23
das Wunder, die Decke anzuhalten. Noch einmal sind sie davongekommen, der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und sein Hofstaat. Dem hohen Rabbi zu Prag sei dafür gedankt, auch wenn er es nicht geschafft hat, die Decke wieder zurückzustemmen, zur alten Höhe empor. Was soll’s! Den Saal, jenen kleineren, abgelegenen, hat der Kaiser am gleichen Tag noch auf ewige Zeiten zumauern lassen: so gründlich, dass man, trotz eifrigen Suchens, ihn nicht mehr auffinden können hat auf der Prager Burg, bis zum heutigen Tage nicht.
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Geheimer Kriegsrat In der Lausitz gibt es noch heute einen kleinen westslawischen Volksstamm mit eigener Sprache, eigenen Bräuchen und eigener Tracht: die Sorben oder, wie sie früher genannt wurden, die Lausitzer Wenden. Stoffe, Motive und Gestalten der sorbischen Volkssage sind auch den deutschsprachigen Nachbarn der Wenden geläufig, etwa die schwankhaften Histörchen von Pumphutt, dem zauberkundigen Müllerburschen, etwa die Geschichten von Krabat, um dessen Name sich im Lauf der Zeiten ein Kranz von Sagen gebildet hat. Sie, die Krabatsage, scheint sich ursprünglich auf die uralte, wohl aus Indien stammende Mythe vom Zauberlehrling und dessen Meister beschränkt zu haben, zwischen denen es nach beendeter Lehrzeit zum magischen Zweikampf auf Leben und Tod kommt. Zu diesem Kern sind später viele weitere, zum Teil sehr komische Stücke hinzufabuliert worden, in denen auch historische Persönlichkeiten und Ereignisse eine Rolle spielen, etwa Kurfürst August der Starke von Sachsen, der spätere König von Polen, und die Türkenkriege des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Selbst der Name Krabat scheint erst aus jener Zeit zu stammen. Da gab es nämlich auf dem Vorwerk Groß-Särchen einen Herrn von Schadewitz, der sich in den Feldzügen des sächsischen Kurfürsten als Obrist auf solch spektakuläre Weise verdient gemacht haben soll, dass man ihm nachsagte, er könne mehr als Brot essen. Und dieser Obrist von Schadewitz war seiner Herkunft nach – ein kroatischer Edelmann. Ein Kroat, ein »Krabatt« also. Krabat hatte seine Lehrzeit auf der Mühle beendet, er hatte den bösen Zaubermeister im magischen Zweikampf getötet. Nun waren die Mühlknappen frei und verstreuten sich in alle Winde, 25
um mithilfe der Zauberkünste, die sie in der schwarzen Schule erworben hatten, ihr Glück zu machen. Krabat hatte sich dem Heer des Kurfürsten von Sachsen angeschlossen und war mit seinem Regiment nach Ungarn marschiert, in den Türkenkrieg. Es stand damals nicht gut für die kaiserliche Armee, deren Oberbefehlshaber August der Starke war. Und als der nun hörte, dass sich unter seinen Fahnen ein zauberkundiger Musketier aus der Lausitz mit Namen Krabat befände – was lag da näher, als dass er den Mann auf der Stelle herbeirufen ließ? Spione hatten dem Kurfürsten zugetragen, im muselmanischen Lager habe sein Gegner, der türkische Sultan, auf den heutigen Tag den großen Kriegsrat einberufen, um mit seinen Heerführern die nächste, vielleicht entscheidende Schlacht zu planen. Ob er im Stande sei, wollte der Kurfürst von Krabat wissen, mithilfe seiner Zauberkünste herauszubringen, was man im großen Kriegsrat des Feindes beschließen werde? Nichts leichter als dies, meinte Krabat. Er könnte sich einfach in eine Fliege verwandeln. Dann werde niemand ihn daran hindern, ins Zelt des Sultans zu fliegen und alles mit anzuhören, was da besprochen werde … »Als Fliege?« Der Kurfürst von Sachsen fand den Gedanken prächtig. »Und wenn Er mich mitnähme, Musketier? Ob eine Fliege im türkischen Kriegsrat, ob zwei – das macht keinen großen Unterschied!« Darauf Krabat: »Das nicht, Herr Feldmarschall. Aber die Sache hat einen Haken. Sobald nämlich der Herr Feldmarschall eine Fliege geworden sind, müssen sich der Herr Feldmarschall davor hüten, mit irgendwas Silbernem in Berührung zu kommen, und sei es versehentlich. Falls dies geschähe, würde der Zauber sofort zunichte, und wir beide, Herr Feldmarschall, würden dann augenblicklich wieder in Menschen zurückverwandelt.« »Na, wenn’s weiter nichts ist!« August der Starke nahm eine 26
Prise Schnupftabak, nieste gewaltig und meinte dann: »Hauptsache, Er vergisst nicht, dafür zu sorgen, dass wir die türkische Sprache verstehen!« »Wie Durchlaucht befehlen!« Krabat murmelte einen Zauberspruch, und alsbald krabbelten an der Stelle, wo soeben noch der dicke Kurfürst von Sachsen mit einem seiner Musketiere gestanden hatte, zwei Fliegen herum: zwei Fliegen, die Türkisch konnten. Im Prunkzelt des Sultans hatten sich mittlerweile dessen Wesire und Paschas zur Beratung eingefunden; und da es im großen Kriegsrat um überaus wichtige und geheime Dinge ging, hatte des Sultans Großwesir eine Reihe besonderer Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Die gesamte Leibwache des Herrschers, einhundertfünfundzwanzig ausgesucht treue und tapfere Janitscharen, war Schulter an Schulter rings um das Zelt postiert worden, mit dem Befehl, jeden Unbefugten, der sich der Postenkette nähern sollte, ohne Erbarmen niederzumachen. Durch Ausrufer war dies im ganzen Türkenlager verkündet worden, und da man wusste, dass die Leibwächter des Sultans bei der Ausführung solcher Befehle nicht lang zu fackeln pflegten, zogen es die türkischen Soldaten und Offiziere vor, während der Zeit des geheimen Kriegsrats in ihren Zelten zu bleiben. Damit aber von den Dingen, die zur Beratung anstanden, auch gewiss nichts über den Kreis der Wesire und Paschas hinausdrang, hatte man den Leibwächtern die Ohren voll Werg gestopft und mit Wachs versiegelt. Nun hörten sie nicht, was im Kriegsrat besprochen wurde, und dennoch konnten sie, mit dem Rücken zum Zelt des Sultans stehend, jedermann davon fern halten, der sich ihm ohne Erlaubnis nähern sollte – nur nicht die Fliegen August und Krabat. Auch der Sultan und seine Würdenträger schenkten den beiden Fliegen keine Beachtung. Sie hockten nach Türkenart auf seidenen Kissen um eine niedrige Tafel von Ebenholz, jeder hatte eine Schale Kaffee vor sich stehen, dazu gab es erlesene 27
Süßigkeiten, von zwei taubstummen Sklaven auf goldenen Präsentiertellern dargeboten. Die Fliegen waren im richtigen Augenblick gekommen, da der Sultan gerade damit begonnen hatte, den versammelten Häuptern des Türkenheeres seine Befehle zu erteilen; und während er ihnen darlegte, was er gegen die Armee des Kurfürsten von Sachsen zu unternehmen gedenke, krabbelte ebendieser sächsische Kurfürst seelenruhig in Gestalt einer Fliege am Rand seiner Kaffeetasse entlang! Nun hat aber jede Fliege bekanntlich sechs Beine, und es ist durchaus möglich, dass August der Starke für einen winzigen Augenblick die Übersicht verlor. Jedenfalls stieß er mit einem seiner sechs Fliegenbeine versehentlich an eine Zuckerzange – und leider, dreimal leider, war ausgerechnet diese Zuckerzange aus Silber … Es geschah, was nicht ausbleiben konnte. Mit einem Mal war aus der Fliege wieder der Kurfürst von Sachsen geworden! Und es ist schwer zu sagen, wer sich darüber mehr entsetzte: August der Starke selbst, der nun plötzlich in voller Größe und Leibesfülle auf des Sultans Tafel stand, den rechten Fuß in der Schüssel mit Schlagsahne, den linken auf einem Kuchenteller – oder der Sultan mit seinen Wesiren und Paschas. Entgeistert starrte der Kurfürst die Türken an, nicht minder entgeistert glotzten die Türken zurück. Nur Krabat, nun in Gestalt eines sächsischen Musketiers auf der Tafel stehend: nur Krabat wusste sofort, was zu tun war. »Ab!«, rief er. »Nichts wie ab jetzt, Herr Feldmarschall!« Da kam Leben in Seine Durchlaucht! Mit einem gewaltigen Satz, wie kein Mensch ihn dem dicken Kurfürsten zugetraut hätte, sprang er über den verdutzten Sultan hinweg und stürmte wie ein angeschossener Eber an den taubstummen Sklaven vorbei ins Freie! Krabat, ihm nachfolgend, riss im Davoneilen rasch noch die Zeltstange um, sodass hinter ihnen das schwere Prunkzelt in sich zusammenstürzte und alle, die sich darin 28
aufhielten, unter sich begrub: den Sultan, den Großwesir, die Wesire und Paschas. Und auch die beiden Kaffeesklaven selbstverständlich. Da zippelten sie nun und zappelten unter dem Zelttuch wie Karpfen im Netz, die Häupter des Türkenheeres – und alle, mit Ausnahme der beiden Sklaven, erhoben ein mörderisches Geheul und Zetergeschrei. Die Leibwächter hörten und sahen von alledem nichts, denn erstens hatte ihnen der Großwesir ja die Ohren versiegeln lassen, und zweitens wandten sie, wie schon berichtet, dem Zelt des Sultans den Rücken zu. »Platz da!« Der Kurfürst von Sachsen packte die nächsten beiden Janitscharen beim Kragen, stieß sie mit den Köpfen zusammen, dass es nur so krachte, und schleuderte sie beiseite, den einen dahin, den anderen dorthin. Das ging alles sehr schnell. Noch ehe die andern Leibwächter begriffen hatten, was los war – da sahen sie schon von August dem Starken und Krabat nur mehr die Rockschöße! Krabat und Seine Durchlaucht rannten zum Türkenlager hinaus und dann querfeldein, so schnell sie nur konnten. Schon pfiffen ihnen die ersten türkischen Kugeln um die Ohren, schon schwirrten die ersten Pfeile haarscharf an ihnen vorbei. Doch plötzlich schob sich, dicht wie Zuckerwatte, ein Nebelstreifen zwischen die Flüchtenden und das türkische Heerlager – wie man annehmen darf: nicht von ungefähr. Fortan blieben der zauberkundige Musketier und sein Feldmarschall unbehelligt. Dennoch rannten sie weiter, was Beine und Lungen hergaben. Endlich bei den kaiserlichen Vorposten angelangt, warf sich der Kurfürst von Sachsen platt auf den Rücken und schnappte nach Luft. Während er um sein Leben gerannt war, hatte er nicht nur drei Pfund an Gewicht verloren: Ihm war auch die Lust zu weiteren solchen Abenteuern vergangen, ja an dem ganzen Türkenkrieg überhaupt.
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Seiner Durchlaucht Elchgeweih Gerade Soldaten sind immer wieder in den Verruf gekommen, sich zauberischer Praktiken zu bedienen, etwa beim Guss von Freikugeln. Auch aufs Festmachen soll sich mancher Soldat verstanden haben: Mithilfe eines bestimmten Zaubers oder dank eines schwarzen Segens wurde er kugelfest, was zur Folge hatte, dass er von keinem gegnerischen Geschoss verletzt werden konnte. Es soll Fälle gegeben haben, wo solche »gefrorenen« Kriegsleute nach einem Gefecht ganze dutzende feindlicher Kugeln aus der Montur geschüttelt hätten wie Hagelkörner. Übrigens wurde nicht nur gemeinen Soldaten nachgesagt, dass sie zaubern könnten: Auch Obristen und Generäle standen bisweilen in diesem Verdacht. Wie der polnische General Sibilski soll auch Fürst Leopold von Anhalt-Dessau in der für einen Heerführer glücklichen Lage gewesen sein, jederzeit über beliebig viele Soldaten verfügen zu können. Der alte Dessauer, wie der in königlich preußischen Diensten stehende Fürst genannt wurde, brauchte nur wahlweise Hafer- oder Hirsekörner in einen Kessel zu schütten, nicht ohne dabei eine gewisse Beschwörungsformel zu murmeln, versteht sich: Dann sprengten im Handumdrehen ganze Schwadronen von Reiterei aus dem Kessel hervor oder es marschierten regimenterweise Fußsoldaten heraus. Zudem besaß der alte Dessauer einen Hut, den brauchte er lediglich in die gewünschte Richtung zu drehen – und rumpeldiepumpel schoss es in diese Richtung aus hundert Kanonen, die gar nicht vorhanden waren. Der König von Preußen beschenkte den Fürsten zum Dank für erwiesene Kriegsdienste mit der Herrschaft Norkitten im nördlichen Ostpreußen, unweit der litauischen Grenze. Dort ließ sich der alte Dessauer einen Herrensitz errichten, schon eher ein 30
kleines Schloss, und wie es seine Art war, versah er das Schlösschen mit allerlei magischem Schutz gegen Neid- und Schadenszauber von außerhalb. In Hinkunft verbrachte der alte Fürst jedes Jahr ein paar ruhige Sommerwochen auf seinem Herrensitz in Norkitten; und da in der nahen Ortschaft Bubainen dringend eine neue Mühle benötigt wurde, brachte er eines Sommers aus dem heimatlichen Dessau einen Mühlenbaumeister mit und befahl ihm, die Mühle zu bauen. Der Mühlenbaumeister zog ein paar Zimmerleute samt ihren Gehilfen zum Bau heran, und wie bei einem Dessauer Mühlenbaumeister nicht anders zu erwarten, ging der Mühlenbau unter seiner fachkundigen Anleitung rasch und zufrieden stellend vonstatten. Da stellte sich eines Tages ein fremder Zimmergesell aus Litauen auf der Baustelle ein, hoch aufgeschossen und weizenblond. Ob man ihn brauchen könne, beim Bau der Bubainer Mühle? Der Baumeister winkte ab: kein Bedarf mehr, schon gar nicht an Fremden. »Na gut«, meint der Weizenblonde mit einem Achselzucken. »Na schön.« Doch von jetzt an, seit diesem Achselzucken, geht alles schief, was nur schief gehen kann beim Bau der Bubainer Mühle: Die Balken lösen sich aus den Zapfen, das Mühlrad dreht auf der Welle durch, die Schleusen am Mühlenteich lassen sich weder öffnen noch schließen. Und jeden Tag kommt der Weizenblonde vorbei, besieht sich den Schaden und grinst sich eins. Bis der Baumeister ihn zur Rede stellt. Ob etwa er es sei, dem sie den ewigen Ärger da zu verdanken hätten? »Kann schon sein«, meint der Weizenblonde. »Versuch’s mal mit drei Dukaten, Baumeister. Kann schon sein, dass dann alles in Butter wäre.« Der Baumeister ging zum alten Dessauer nach Norkitten und rapportierte ihm alles. »Schon gut.« Der Alte strich sich den Schnauzbart. »Versprech Er ihm, Baumeister: Wenn die Mühle erst mal für alle Zeiten in Gang ist, soll mir’s auf drei Dukaten nicht ankommen.« 31
Na gut, na schön. Der Baumeister übermittelt dem Weizenblonden das Angebot und der Weizenblonde ist einverstanden. Auch diesmal ein Achselzucken, auch diesmal ein Augenzwinkern – und Donnerwetter, die Mühle ist fix und fertig, die Mühle mahlt! Und die drei Dukaten? »Bekommt Er«, sagte der alte Dessauer, als ihn der Weizenblonde nach dem vereinbarten Lohn fragte. »Aber erst dann, wenn es mir behagt. Und darauf kann Er lange warten, Er Lausekerl!« Der Weizenblonde ist wütend. Aber er kann ja zaubern! Er wird Seiner fürstlichen Durchlaucht alles nur denkbare Zeug an den Hals wünschen! – denkt er, der Weizenblonde. Wie konnte er wissen, dass das Norkittener Schlösschen mit allem erdenklichen Schutz gegen Neid- und Schadenszauber versehen war? Zähneknirschend stellt er dies fest, der Weizenblonde. Und zähneknirschend muss er sich fügen. Solang sich der alte Dessauer auf Norkitten aufhält, ist ihm nicht beizukommen, selbst mit dem stärksten Zauber der Welt nicht. Na gut, na schön. Der Weizenblonde hat Zeit, der Weizenblonde kann warten. Im Herbst wird der Fürst zum König von Preußen beordert, nach Königsberg: Man will seine Meinung hören, man braucht seinen Rat. Für die Zeit seines Aufenthalts darf der Alte in einem der besten, der schönsten, der allerbequemsten Gemächer logieren, die es im Schloss zu Königsberg gibt. Aber eben in einem Schloss, dessen Mauern den Fürsten von Anhalt-Dessau weder vor Neid- noch vor Schadenszauber bewahren können. In Königsberg lehnt sich der alte Herr eines Morgens ahnungslos aus dem Fenster und blickt auf den Schlossplatz hinab, guter Dinge sein Pfeifchen schmauchend. Und wer blickt vom Schlossplatz zu ihm empor? Nun wer wohl! Zum alten Dessauer blickt der Weizenblonde empor: »Na?«, fragt er augenzwinkernd. »Krieg ich nun die Dukaten?« 32
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»Die drei?«, fragt der alte Dessauer spöttisch zurück. »Mit Verlaub«, erwidert der Weizenblonde. »Es sind mittlerweile schon vier. Und bald werden es fünfe sein.« Er schnalzt mit den Fingern. Im Schloss zu Königsberg ist der Alte ihm ausgeliefert, anders als auf Norkitten. »Es könnten auch sechse werden, Fürstliche Durchlaucht …« Der alte Dessauer zieht an der Meerschaumpfeife, der alte Dessauer weiß nicht, dass ihm der Weizenblonde ein Elchgeweih an die Stirn gehext hat. Ein Elchgeweih, mächtig nach beiden Seiten ausladend! Noch merkt Seine Fürstliche Durchlaucht nichts davon. Die Leute indessen, die auf dem Schlossplatz vorbeikommen, sehen das Elchgeweih auf der fürstlichen Stirn. Und sie sehen auch, dass es sich auswächst, nach rechts und nach links. Die Elchschaufeln wachsen sich mächtig aus, in die Breite und in die Länge. Schließlich erreichen sie solch gewaltige Ausmaße, dass sie das fürstliche Haupt hinabziehen, weit nach vorn und hinab auf das Fensterbrett. Der alte Dessauer will sich aufrichten, will den Kopf aus dem Fenster zurückziehen: viel zu spät schon! Die Elchschaufeln hindern den Fürsten daran, der Fensterstock ist zu schmal für sie! Vom Schlossplatz herauf: ein Schmunzeln, ein Augenzwinkern. Der Weizenblonde! Der dreimal vermaledeite Zimmergeselle aus Litauen. »Nun, Euer Durchlaucht – wie viel jetzt?« »Fünfe, in Teufelsnamen!« »Sechse – und keinen drunter!« Der alte Dessauer, königlich preußischer General und Heerführer: Leopold Fürst von Anhalt-Dessau – was bleibt ihm übrig in dieser vertrackten Lage, was kann er tun? »Von mir aus!« Er fingert aus seiner Börse die sechs Dukaten hervor und wirft sie dem Weizenblonden aus Litauen in die 34
Mütze. »Nun aber, Lausekerl, mach Er mich wieder los da!« »Den Lausekerl stelle ich Euer Durchlaucht extra in Rechnung.« Der Weizenblonde verneigt sich spöttisch. »Durchlaucht sollten die Güte haben, noch einen draufzulegen …« »Na gut, na schön!« Dem alten Dessauer blieb keine andere Wahl. Mochte der Weizenblonde auch noch das siebente Goldstück haben – Hauptsache, dass Seine Fürstliche Durchlaucht das Elchgeweih wieder loswurde! Und das geschah denn auch.
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Doktor Kittels Höllenzwang Johann Josef Anton Eleazar Kittel: Heute würde man ihn als Heilpraktiker und Inhaber einer Privatklinik bezeichnen. Er hatte weder Medizin studiert noch den Doktortitel erworben; dennoch wurde er von den Leuten zu seiner Zeit und an seinem Ort nur der Doktor Kittel genannt. Seine Zeit war das im Zustand der Aufklärung begriffene 18. Jahrhundert, und sein Ort, das war die Gemeinde Schumburg im Vorland des böhmischen Isergebirges. Dort hat er tatsächlich gelebt und gewirkt, als Wunderheiler und Menschenfreund. In seinem stattlichen Schumburger Wohnhaus gab es mehrere Krankenstuben. Und wer immer im näheren oder weiteren Umkreis ärztlicher Hilfe bedurfte, konnte darauf vertrauen, dass Doktor Kittel ihn so rasch wie möglich aufsuchen käme, notfalls mithilfe seines Zaubermantels, der ihn pfeilgeschwind durch die Lüfte trug. Für die Menschen seiner Zeit und seiner Umgebung grenzten Kittels Praktiken und Erfolge ans Wunderbare, sodass man ihm bald einen Pakt mit dem Teufel nachsagte. Als »Faust des Isergebirges« hat er zahlreiche Motive der Sage vom Doktor Faustus auf sich gezogen – mit einem entscheidenden Unterschied: Während der Doktor Faustus am Ende seiner Erdentage verdientermaßen vom Teufel geholt wurde, hat sein später deutsch-böhmischer Nachfahr, ebenso verdientermaßen, die göttliche Gnade gefunden. Das brave, einfache Volk hat die Höllenfahrt seines Helfers und Wohltäters einfach nicht zugelassen. Seit er den Pakt mit dem Teufel hatte, besaß der Doktor Kittel in Schumburg mehrere Zauberbücher, darunter das ebenso berühmte wie berüchtigte siebente Buch Mosis, den »Dreyfachen Höllenzwang«, der seinem Besitzer Gewalt über alle Mächte der Finsternis verlieh. Ein höchst begehrtes, 36
zugleich aber auch ein höchst gefährliches Buch. Wehe, wenn es in falsche Hände geriet! Nun war ja der Doktor Kittel ein rechtschaffener und vernünftiger Mann, der um die Tücken des Buches wusste und niemand damit gefährden wollte. Deshalb hielt er den Höllenzwang wie auch die anderen Zauberbücher stets unter strengem Verschluss. Sie alle standen in seiner Studierstube wohl verwahrt hinter der Tür eines Schrankes von Eichenholz, den er mit drei schweren, eisernen Schlössern abzuschließen pflegte, sobald er den Raum oder gar das Haus verließ. Eines Winterabends hatte sich der Doktor Kittel wieder einmal in den Dreyfachen Höllenzwang vertieft, da er für einen seiner Patienten ein Mittel gegen die schwarzen Blattern benötigte. Wie er nun so am Tisch sitzt und beim Schein der Kerze im Höllenzwang nachschlägt, wird draußen plötzlich nach ihm gerufen: »Herr Doktor! Herr Doktor Kittel! Aufmachen, aufmachen!« Wie Kittel öffnet, steht draußen der Botenjunge aus Morchenstern, ganz aufgeregt ist er und außer Atem. Der Zenkner-Seff, was der Zenkner-Frieda ihr Mann ist: Der Zenkner-Seff sei beim Holzrücken unter den Schlitten gekommen. Mit beiden Beinen. Nun könne ihm bloß noch der Doktor Kittel helfen … »Schon gut«, sagt der Doktor Kittel zum Botenjungen aus Morchenstern. »Mach dir ock um den Seff keine Sorgen, Junge. Ich tu für ihn, was ich kann.« Er eilt ins Freie, er setzt sich auf seinen Mantel, pfeilgeschwind reitet er durch die Lüfte nach Morchenstern. Man hatte den Zenkner-Seff unter dem Schlitten hervorgezogen und auf ein Brett gelegt. Beide Oberschenkel des Holzmachers waren gebrochen. Der Doktor besah sich den Schaden. Er flößte dem Verunglückten einen Trank gegen die ärgsten Schmerzen ein und schiente ihm die gebrochenen Glieder. »Wird schon gut 37
werden, Seff, wird schon gut werden. Musst dich halt ein paar Wochen ruhig halten. Morgen komm ich dann wieder und schau nach dir …« Nun wollte der Doktor eigentlich noch der Zenkner-Frieda ein paar Anweisungen geben: Da wurde er plötzlich, aus heiterem Himmel, von starker Angst und Beklommenheit angefallen. Zu Hause in Schumburg, das spürte er, musste in seiner Abwesenheit etwas Schlimmes geschehen sein. Etwas Bedrohliches hatte sich dort zusammengebraut über seinem Haus. »Der Höllenzwang!«, fiel es ihm siedend ein. In der Eile des Aufbruchs hatte er ganz vergessen, das Satansbuch wegzuschließen!
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So schnell wie an diesem Winterabend war Kittel auf seinem Zaubermantel noch nie durch die Luft gebraust. In Schumburg gelandet, stürzt er ins Haus, stürmt die Treppe empor, reißt die Tür auf – und sieht, was geschehen ist. Seine Enkelkinder, zwei Jungen, drei Mädchen, hocken am Tisch und beugen sich über das Zauberbuch. Der Älteste fährt mit dem Finger die Zeilen entlang, und gerade des Buchstabierens mächtig, liest er den anderen daraus vor. Unverständliche Silben und Wörter, merkwürdig und geheimnisvoll. Und während er vorliest, da haben sich, von den Kindern unbemerkt, ein Dutzend Raben in Doktor Kittels Studierstube eingefunden. Keine gewöhnlichen Raben. Raben mit feurigen Augen, mit glühenden Schnäbeln und Krallen. Satansvögel, mit einem Wort. Die hocken nun auf den Regalen und Schränken in der Studierstube. Und mit jedem Wort, das der Junge vorliest, gesellt sich ein weiterer Teufelsrabe hinzu. Die Kinder sind ahnungslos, Kittel aber erkennt die Gefahr sofort. Jeden Augenblick kann es geschehen, dass die Raben sich auf die Kinder herabstürzen, dass sie ihnen mit Krallen und Schnäbeln den Garaus machen! Der Doktor besinnt sich nicht lange, das kann er sich jetzt nicht leisten. Schon ist er am Tisch, schon entreißt er den Kindern das Buch. Mit lauter Stimme befiehlt er den Raben, hinwegzufliegen, auf einen nahe gelegenen Acker hinter dem Haus. »Tragt alle Steine zusammen, die dort im Boden liegen, ihr Höllenvögel, und häuft sie am Feldrain auf! Das gebiete ich euch im Namen der sieben Fürsten der Tiefe beim dreifachen Höllenzwang!« Die Raben müssen gehorchen, sie schwirren zum Fenster hinaus und machen sich an die Arbeit, wie Kittel es ihnen befohlen hat. Der Doktor hat Zeit gewonnen. Gerade so viel, wie er braucht, um die Raben dorthin verschwinden zu lassen, woher sie gekommen sind. Dies tut er, indem er die von dem Jungen 40
vorgelesene Zauberformel »zurückliest«, also von hinten nach vorne: »Ärschlings«, hätte man in Schumburg gesagt. Mit jedem zurückgelesenen Wort bewirkte der Doktor Kittel, dass einer der Satansvögel vom Acker verschwand und krächzend zur Hölle fuhr. Dann der Nächste, der Übernächste – und weiter so, bis auch der Letzte, der Allerletzte von allen glücklich verschwunden war. Dem Herrgott sei Dank, die Enkelkinder waren gerettet! Der Doktor Kittel, in Schweiß gebadet, stellte den Dreyfachen Höllenzwang in den Schrank zurück – und dann schloss er ihn weg. Seither, so heißt es, habe er nie mehr versäumt, das Zauberbuch sorgfältig zu verwahren, bevor er das Haus verließ. Den von den höllischen Raben am Feldrain zusammengetragenen Steinhaufen habe ich selbst noch gesehen. Als ich ein Junge von sechs oder sieben Jahren war, hat mein Vater ihn mir gezeigt: hinter dem stattlichen Haus, das der Wunderdoktor und Zauberer Johann Josef Anton Eleazar Kittel dereinst in Schumburg für sich und für seine Patienten errichtet hatte.
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Ein Dieb, ein Dieb! Verwunderlich oder auch nicht: Unter den großen und kleinen Zauberern gibt es auffallend viele Ärzte und Theologen. Dem sei, wie es sei. Auch das Erzgebirge hatte selbstverständlich seinen Zaubermeister, und zwar den Herrn Zauberer Pater Hahn, der vor etwa zweihundert Jahren Pfarrer in der Bergstadt Platten gewesen ist. Die Bezeichnung Pater bedeutet nicht, er sei Angehöriger eines Ordens gewesen: Jeder katholische Priester ist in den böhmischen Randgebieten als Pater bezeichnet worden, so auch der Pater Hahn. Wie der Lausitzer Mühlknappe Pumphutt gehörte er zu den Spaßvögeln seiner geheimen Zunft. Und im Übrigen scheint er nicht nur ein Zauberkünstler gewesen zu sein, der Herr Pater Hahn. Er war auch ein guter Menschenkenner, wie aus der Geschichte vom Messer, vom Bierschlägel und vom Sauerkrautfass hervorgeht. Damals lebte in Platten der Herr Anton Posselt, ein Fleischerund Selchermeister, und überdies Gast- und Schankwirt im Schwarzen Ross, einem der größten Gasthöfe weit und breit. Da kann man sich vorstellen, wie viel Leute bei ihm beschäftigt waren: die Fleischergesellen, der Wurstmacher und die Lehrjungen, Köchin und Küchenmägde, zwei Aufwartefrauen, der Hausknecht, das Waschweib, zwei Stubenmädchen und, nicht zu vergessen, der Schankbursch. Sie alle haben ihr gutes Auskommen dort gehabt, beim Herrn Anton Posselt und seiner Frau, der Posselt Hermine – bis der Herr Anton dann eines Tages dahinter gekommen ist, dass ihm jemand Geld aus der Lade gestohlen hat, keinen großen Betrag, zehn, zwölf Kreuzer bloß, aber immerhin. Den Herrn Posselt verdrießt das. Und was ihn erst recht verdrießt: Ein paar Tage danach fehlt wiederum Geld aus der Lade. Wer mag es gestohlen haben? Dem Herrn Posselt ist 42
völlig klar: Als Dieb kommt nur jemand in Frage, der unter seinem Dach lebt, jemand von seinen Hausleuten. Aber wer? Ein Glück nur, dass es in Platten den Pater Hahn gibt! Der Herr Posselt bittet also den geistlichen Herrn darum, in der Sache Rat zu schaffen. Und der geistliche Herr ist auch gern bereit dazu. Sicherlich, das bemerkt er wie nebenbei, wird dem Herrn Wirt ja bekannt sein, wie dringend man Spenden benötige für das Dach der Stadtkirche. Nächsten Sonntag, wenn man bei Posselts zu Tisch sitze, möge der Herr Wirt dafür Sorge tragen, dass von den Hausleuten niemand fehle. Und noch was! Ein Fass voll Sauerkraut müsse bereitstehen in dem Raum, wo gegessen wird. Und das Fass müsse noch verschlossen sein. Am Donnerstag haben wiederum ein paar Kreuzer gefehlt in der Lade, no ja. Und am Sonntag dann, wie man bei Posselts zu Tische sitzt, alle Hausleute sind versammelt, das Fass mit dem Sauerkraut steht in der Stubenecke bereit: Am Sonntag, gleich nach dem Tischgebet, fliegt die Tür auf – und ein tritt der Pater Hahn, umwölkten Gesichtes, mit halb geschlossenen Augen, die Arme weit vor sich hingestreckt. »Unter diesem Dache …« Die Stimme des Paters klingt schaurig hohl, als ob sie von jenseits der Welt käme, selbst dem Herrn Posselt wird es ganz zweierlei. »Unter diesem Dache, an diesem Tische … Ein Dieb, ein Dieb! Ein Dieb, der nicht einmal, nicht zweimal – ein Dieb, der den eigenen Herrn, den Herrn Anton Posselt, schon mindestens dreimal bestohlen hat. Wehe ihm! Dreimal wehe!« Am Tisch des Herrn Anton Posselt, Fleischer- und Selchermeister, auch Gast- und Schankwirt zu Platten im Erzgebirge, herrscht tiefes, beklommenes Schweigen. Die Hausleute ducken sich auf die Suppenteller hinab: der Hausknecht, die Köchin, die Küchenmägde, die Stubenmädeln, der Schankbursch, die Fleischergesellen zusamt den Lehrjungen und dem Wurstmacher – alle ducken sich tief hinab, der Herr Posselt und seine Frau Hermine nicht ausgenommen. 43
»O Herrgott in deiner Güte!« Der Pater richtet den Blick zur Decke. »Gib, dass der Dieb sich melde, dass er aus freien Stücken sich zu dem Diebstahl bekenne – sonst bin ich gezwungen, die Kunst zu gebrauchen! Du weißt ja, o Herr, was damit gemeint ist.« Schweigen am Tisch des Herrn Anton Posselt, furchtsames und gespanntes Schweigen. Wer wüsste zu Platten nicht, dass der Herr Pater mehr kann als Brot essen? »Nun wohl!« Dem Herrn Zauberer Pater Hahn bereitet es wenig Freude, zu einem seiner besonderen Mittel zu greifen: Das merkt man ihm an. Was er ergreift, ist ein langes Messer, das auf dem Posselt’schen Tisch liegt. »Seht es euch an!« Der Herr Pater Hahn hält das Messer in der erhobenen Rechten. »Seht es euch an – und dann richtet den Blick hinüber auf jenes Fass!« Was er wohl mit dem Sauerkrautfass im Sinn hat? Die finstere Miene des Paters verheißt nichts Gutes. »No schön. Da der Dieb sich nicht freiwillig meldet, muss ich mich meiner magischen Kunst bedienen, indem ich …« Ein Blinder sieht, dass es den Pater gewaltige Überwindung kostet, den Zauber ins Werk zu setzen. »Ich werde also«, fährt er mit düsterer Miene fort, »das Messer in dieses Fass stoßen – und so wahr, wie die Messerklinge ins Fass fährt, wird sie dem Dieb in den Leib fahren, mitten hinein ins Gedärme!« Der Herr Pater tritt an das Sauerkrautfass heran. Mit der Linken setzt er die Messerspitze genau auf die Mitte des Fassdeckels, mit der Rechten ergreift er den hölzernen Bierschlägel, mit dessen Hilfe der Schankbursch die Bierfässer anzapft. »Noch ist Zeit«, mahnt der Pater. »Noch könnte der Dieb sich zu seinem Diebstahl bekennen …« Er blickt in die Runde, stechenden Blickes. »Ich zähle bis drei, dann wird zugeschlagen. 44
Und dass ihr’s nur wisst, Geliebte im Herrn: Ich werde das Messer dreimal im Fass – was sag ich! – im Bauch des Diebes herumdrehn, damit’s auch dafürsteht.« Der Wurstmacher duckt sich, eins von den Stubenmädeln beginnt zu zittern, der Schankbursch wird grün im Gesicht, der Schweiß tritt ihm auf die Stirn. Das Messer ist angesetzt, Pater Hahn hebt den Bierschlägel, weit holt er damit aus, jeden Augenblick wird er zuschlagen … »Nein, nein, nein!« Die Posselt Hermine, weiß wie die Wand, ist emporgeschnellt. »Erbarmen, Herr Pater! Nicht zuschlagen! Habt Erbarmen mit mir!« »Du?« Der Herr Anton Posselt, Fleischer- und Selchermeister zu Platten im Erzgebirge, auch Gast- und Schankwirt alldorten, traut seinen Ohren nicht. »Du bist’s gewesen, Alte?« »Ja – ich.« Die Posselt’sche schlägt die Augen nieder. »Verzeih mir, Alter! Verzeiht mir alle! Ich hab mir doch bloß einen Ring wollen kaufen, im Sächsischen drüben. Und eine Halskette. Dazu hab ich das Geld aus der Lade genommen. Ich hab ja kein eigenes, um mir dann und wann was davon zu kaufen.« »Schon gut, meine Tochter, schon gut.« Der Herr Zauberer Pater Hahn ließ den Bierschlägel sinken, atmete hörbar auf und legte das Messer an seinen Platz zurück. Dann wandte er sich der schluchzenden Frau zu. »Bereut und gebeichtet ist halb vergeben. Bevor ich dich endgültig losspreche, auferlege ich dir eine Buße von zwanzig Talern, bestimmt für das neue Dach der Pfarrkirche …« An dieser Stelle unterbrach er sich stirnrunzelnd, ehe er fortfuhr: »Ach, meine Tochter, fast hätte ich ja vergessen, dass du kein Geld hast, von dem du die Buße leisten könntest, kein eigenes jedenfalls … No, was können wir denn da tun?« Der Herr Pater legte den rechten Zeigefinger an die Nase und dachte nach. Bald erhellte sich seine Miene wieder, ein guter 45
Einfall schien ihm gekommen zu sein. Mit sanfter Miene tat er ihn kund und belehrte die Posselt’sche: »Auferlegt, meine Tochter, ist auferlegt: Daran lässt sich nicht rütteln … Am besten, du sprichst über alles Weitere mit dem Herrn Anton, ja? Über das Bußgeld – und über den Ring und die Halskette. Er soll froh sein, dass dir das Messer nicht ins Gedärme gefahren ist. Auch rate ich ihm, in Hinkunft dafür zu sorgen, dass du ein bissl eigenes Geld zur Verfügung hast. Amen, amen.«
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Beim Wort genommen Zaubern aus Übermut, Zaubern aus Freude am Schabernack. Zu den Spaßvögeln unter den Zauberern gehörte auch Pumphutt, wie Krabat ein Mühlknappe aus der Lausitz. Während der Sommermonate zog er wandernd im Land umher, von Mühle zu Mühle. Wo man ihn brauchen konnte, blieb er für eine Weile in Kost und Lohn; und hatte man keine Arbeit für ihn, so musste der Müller ihm dennoch Obdach für eine Nacht und Zehrung für einen Tag geben, so verlangte es guter Mühlenbrauch. An seinem großen Hut mit der breiten Krempe, von dem er den Namen hatte, und an dem schmalen, goldenen Ring, getragen im rechten Ohrläppchen, hätte er eigentlich leicht zu erkennen sein müssen. Dennoch merkten die Leute, die es mit ihm zu tun bekamen, immer erst hinterher, dass es Pumphutt gewesen war, der sie mit seinen Zauberkünsten veralbert hatte. Und nicht nur veralbert! Fast immer wusste es Pumphutt so einzurichten, dass seine Streiche für die Betroffenen eine Lehre enthielten. Und meistens fiel diese Lehre recht handfest aus. Eines Tages kam Pumphutt auf die Gemauerte Mühle am Kittlitzer Bach, als dort gerade Hochzeit gefeiert wurde, die Hochzeit der Müllerstochter. Getafelt wurde im Freien, an langen Tischen unter den Apfelbäumen im Obstgarten. An die hundert Gäste waren geladen, Verwandte und Freunde von beiden Seiten, die benachbarten Müller mit ihren Frauen. Und auch der Herr Pastor mit seiner Frau war selbstverständlich dabei. Es gab reichlich zu essen und reichlich zu trinken. Der Mauermüller war ein begüterter Mann, er wusste, was er den Gästen schuldig war. »Tut euch bloß keinen Zwang an!«, rief er. »Wenn Mauermüllers Rosina heiratet, lässt sich der 47
Mauermüller nicht lumpen!« Auch für Tafelmusik war gesorgt. Es sangen die Geigen, es juchzte die Klarinette, ein Dudelsack quäkte, der Schusterbass machte schrummschrumm dazu. Auf einen Hochzeitsgast mehr oder weniger kam es dem Mauermüller am Kittlitzer Bach nicht an. Pumphutt war ihm willkommen, er musste sich an den Tisch mit den jungen Leuten setzen. Die Gäste ließen sich schmecken, was ihnen die Mauermüller’schen Mägde auftrugen: Suppe und dreierlei Braten, Hefeknödel in brauner Tunke, gedünsteten Rotkohl mit Speck und Apfelkraut, Streuselkuchen und Gugelhupf, Kaffee und süße Sahne. Alle waren bei bester Laune, alle sprachen dem Hochzeitsmahl wacker zu. Der Herr Pastor wollte gerade ein Wohl auf das edle Brautpaar ausbringen, da betraten vier Bettelkinder den Obstgarten, rotznasig, barfuß, in abgerissenen Kitteln und fadenscheinigen Hosen. Sie stellten sich vor dem Tisch der Brautleute auf und begannen zu singen, mit dünnen Stimmchen, aber aus voller Kehle: »Wir wünschen der Braut einen goldenen Fisch, Dem Bräutigam einen goldenen Tisch, Dem Brautvater ein Paar goldene Schuh, Der Brautmutter goldene Strümpfe dazu, Den Hochzeitsgästen ein goldenes Kleid, Glück und Gesundheit zu aller Zeit.« Hierauf streckten sie ihre mageren, braunen Hände dem Mauermüller entgegen und riefen ihm zu: »Brautvater, du sollst leben, Uns zu essen geben. Gibst du uns zu essen nicht, Kriegst du goldne Schuhe nicht. 48
Glück ist launisch, Glück ist blind, Gib zu essen uns geschwind!« Die Gäste lachten und klatschten Beifall, der Mauermüller indessen bekam einen roten Kopf und knurrte: »Ich werde euch mal was sagen, Rotznasen! Erst gebettelt und dann gestohlen – das kennt man ja. Schert euch weg da, Gesindel, bevor ich euch Beine mache!« Pumphutt taten die Kinder Leid. Er versuchte, beim Mauermüller ein gutes Wort für sie einzulegen. »Ach, Meister, warum denn gleich böse werden. Siehst du nicht, dass sie Hunger haben? Sie werden dich schon nicht arm essen.« »Papperlapapp!« widersprach ihm der Müller. »Ich mag keine Bettelkinder auf der Gemauerten Mühle. Hier haben die nichts verloren, hier kriegen die nichts – und wenn mir das Rad von der Welle springt!« Er meinte das Mühlrad, das fest auf der Mühlenwelle verkeilt war. Es war eine Redensart, die unter Müllern und Müllerburschen gebräuchlich war. Pumphutt erwiderte nichts darauf. Er fasste sich bloß, wie zufällig, an den Hut. Da erschraken die Hochzeitsgäste nicht schlecht! Denn plötzlich ließ sich ein dumpfes Poltern vernehmen, das kam von der Mühle her. Und als sie hinüberblickten – was sahen sie da? Sie sahen, dass sich das große, hölzerne Wasserrad von der Mühlenwelle gelöst hatte und heruntergesprungen war. »He!«, rief der Mauermüller verdattert. »Wie gibt’s denn so was?« Pumphutt winkte den Bettelkindern, gemeinsam mit ihnen verließ er die Hochzeitstafel. Und war es zu fassen? – das Mühlrad begann zu rollen! Es rollte klabusterklabaster quer durch den Obstgarten, immer den Bettelkindern und Pumphutt nach. Das ging nicht mit rechten Dingen zu! Der Herr Pastor musste zur Seite springen, sonst hätte das Mühlrad ihn glatt und platt gewalzt. 49
Pumphutt führte die Kinder auf einen Hügel jenseits des Baches. Brav wie ein Hündchen folgte ihnen das Mühlrad nach. Als sie anhielten, hielt es auch an. Es schwankte ein bisschen nach links, es schwankte ein bisschen nach rechts, als hätte es einen Rausch. Dann kippte es auf die Seite – und bums! lag es da. Nicht lange, so kamen der Mauermüller und der Herr Pastor, die Brautleute und die Hochzeitsgäste herbeigelaufen. »Was soll das!«, riefen sie, aufgeregt mit den Armen fuchtelnd. »Was soll das, zum Kuckuck!« »Na – was wohl!«, erwiderte Pumphutt. »Der Meister hat es doch selbst gesagt. Das Rad soll ihm von der Welle springen, bevor er den Bettelkindern was abgibt vom Hochzeitsschmaus.« Der Mauermüller begann zu ahnen, mit wem er es da zu tun hatte. Der schmale, goldene Ohrring, der große Hut mit der breiten Krempe … Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. »Ich glaube fast, du bist Pumphutt! Konntest du das nicht gleich sagen?« »Nein«, sagte Pumphutt. »Aber nun weißt du ja hoffentlich, was du zu tun hast, Meister. Bevor die vier Kinder nicht satt sind, hast du kein Rad an der Mühle.« Da überwand sich der Mauermüller und sagte zu Pumphutt: »Na gut, wie du willst. Die Kinder sollen mir an der Hochzeitstafel willkommen sein.« Doch Pumphutt war anderer Meinung, er sagte: »Du wolltest sie an der Hochzeitstafel nicht haben, Meister – jetzt magst du sie hier bewirten, auf diesem Hügel.« Eigenhändig musste der Mauermüller den Kindern die Suppe herbeitragen, dazu dreierlei Braten, Hefeknödel in brauner Tunke, gedünsteten Rotkohl mit Speck und Apfelkraut. Und Streuselkuchen und Gugelhupf, gezuckerte Preiselbeeren und Backpflaumen, Kaffee und süße Sahne. Die Kinder aßen davon, bis sie nicht mehr konnten. Den Rest packte Pumphutt ihnen 50
zum Mitnehmen in ein Tuch. »Und jetzt«, schlug er vor, »jetzt singt ihr dem Mauermüller das Lied noch einmal!« Das kleinste Mädchen begann zu singen, die anderen stimmten ein. Noch einmal sangen sie also das Lied vom goldenen Fisch und vom goldenen Tisch, vom goldenen Kleid und den goldenen Schuhen. Als sie zu Ende waren, erhob sich das Mühlrad vom Boden und rollte klabusterklabaster zur Mühle zurück. Dort angekommen, hüpfte es ganz von selbst auf die Mühlenwelle, und alles war wieder in guter Ordnung auf der Gemauerten Mühle am Kittlitzer Bach. Der Mauermüller, die Brautleute und die Hochzeitsgäste kehrten zurück in den Obstgarten und die Hochzeitsfeier ging weiter. Es sangen die Geigen, es juchzte die Klarinette, der Dudelsack quäkte, der Schusterbass machte schrummschrumm dazu. Und Pumphutt? Pumphutt wanderte seines Weges und pfiff sich eins.
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Das hochheiligste Monogramm Der liebe Gott ist mit Sicherheit kein Jurist. Und der Teufel? Der Teufel der Volkssage legt auf juristische Formen und Formeln auffallend großen Wert. Keine Leistung seinerseits ohne verbriefte Leistung der Gegenseite: Das alles muss seine Ordnung haben, muss zwischen den Partnern vertraglich festgehalten und tunlichst mit Blut besiegelt werden. Zum Meister der schwarzen Magie wird man in aller Regel nicht ohne Teufelspakt. Bei Hexern und Hexen scheint das vom Satan nicht anders gehandhabt zu werden, nur ausnahmsweise vermag sich eine von ihm ins Visier genommene Seele der Verlockung eines solchen Paktes zu entziehen. In einem Schwarzwalddorf, dessen Namen wir hier nicht nennen wollen, stand eine Bauersfrau, deren Name gleichfalls ungenannt bleiben möge, in dem Verruf, eine Hexe zu sein. Nun begab es sich, dass eine junge Frau aus der Nachbarschaft eines Tages die Stube der Hexe betrat, als jene gerade am Butterfass stand und dabei war, Butter zu stampfen. Was denn die Junge wolle, fragte die Hexe ungehalten. Ach, nichts Besonderes, sagte die Junge. Ein Quäntchen Hefe bloß für den Brotteig, die ihrige sei ihr ausgegangen. »Na gut«, meint die Hexe und eilt in die Vorratskammer hinaus, die Hefe zu holen. Die Junge wirft einen Blick in das Butterfass. Donnerwetter! – wenn das keine Butter ist … Gelb und glänzend wie schieres Gold! Sie erinnert sich, was man der Alten nachsagt. Neugierig kippt sie das Butterfass über die Kante hoch – und was sieht sie? Sie sieht, dass ein roter Lappen darunter liegt: ein Lappen von blutroter Farbe. Aha!, denkt die Junge, sie weiß Bescheid. Heimlich reißt sie 52
ein Stück von dem blutroten Lappen ab. Ein kleines Stück nur. Und ehe die Nachbarin mit der Hefe zurückkommt, lässt sie es unbemerkt in der Schürzentasche verschwinden. »Schönen Dank auch, Frau Nachbarin!« Damit eilt sie nach Hause. Und eilends schiebt sie das Stückchen des blutroten Lappens unter ihr eigenes Butterfass. Viel Rahm hat sie nicht zur Hand, eine Viertelkelle vielleicht, mehr gewiss nicht. Dann setzt sie den Butterstampfer ins Fass und beginnt zu buttern. Im Butterfass bildet sich unter ihren Stößen ein Klumpen Butter. Gelb und glänzend wie schieres Gold. Und um ein Vielfaches größer, als man’s von einer Viertelkelle hätte erwarten können! Die Junge ist es zufrieden. Wenn sie die Butter zu Markt bringt – vier Kreuzer wird sie erlösen fürs halbe Pfunde, wenn nicht fünfe … Da klopft es mit einem Mal an die Tür, ein Fremder betritt die Stube. Grasgrün ist der Herr gekleidet, mit grüner Hose und grünem Wams, einen grasgrünen Hut auf dem Kopf, auf dem grasgrünen Hut eine rote Hahnenfeder. »Nun, meine Liebe?«, fragt er die junge Frau. »Behagt dir das Butterstampfen auf meine Weise?« Bei diesen Worten zieht er ein Buch hervor, ein in Schweinsleder eingebundenes Buch, und hält es ihr unter die Nase. »Dann unterschreib das da, meine Liebe …« »Womit denn?« Die Junge versucht, sich dumm zu stellen, dümmer als sie’s in Wahrheit ist. »Nun, womit wohl?« Der Grasgrüne hält ein Messer und eine Feder hin. »Ritz dir den Arm mit dem Messerchen – und mit dem Federchen setz deinen Namen hin. Unter die vielen Namenszüge, die ich schon drin hab in meinem Buch …« Die Junge bittet sich einen Tag Bedenkzeit aus, einen Tag nur. Den kann ihr der Grasgrüne mit der roten Hahnenfeder nicht abschlagen. »Na schön«, sagt er. »Morgen um diese Zeit bin ich wieder da – und dann unterschreibst du!« 53
Kaum ist der Grasgrüne fort, eilt die Junge hinüber nach Kippenheim – und dort stracks ins Pfarrhaus. Der Pfarrer von Kippenheim ist ein geistlicher Herr von Erfahrung. Auch von Erfahrung in solcherlei schwierigen Dingen. »Nur ruhig«, rät er der jungen Frau. »Wenn du tust, was ich sage, wird dir kein Leid geschehen.« Anderntags stellt sich der Grasgrüne mit der Hahnenfeder am Hut wieder ein bei der jungen Frau. Er hält ihr das Messerchen und die Schreibfeder hin. Und das Buch mit den vielen Namen. »Jetzt aber rasch!«, bedrängt er sie. »Setz auch du deinen Namen drunter!« Die Junge ritzt sich den Arm – und dann schreibt sie mit ihrem Blut … Nein, es ist nicht ihr Name, den sie dem Grasgrünen mit der Hahnenfeder ins Buch schreibt! Wie es der Pfarrer von Kippenheim ihr geraten hat, setzt sie dort, wo der Grasgrüne ihren Namen erwartet, drei große lateinische Buchstaben hin:
+ IHS Man weiß ja, was sie bedeuten: das Monogramm Jesu Christi, des Heilands der Welt. Kaum eingetragen ins Buch des Satans, tun die drei heiligen Buchstaben ihre Wirkung. Blitz und Donner, Gestank und Qualm! Aufjaulend wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten ist, fährt der Grüne zum Fenster hinaus, Glassplitter und Gestank hinter sich lassend. Außerdem hinterlässt er das Buch, das in Schweinsleder eingebundene Buch mit den vielen Unterschriften, den blutroten Namenszügen der Hexen und Hexenmeister. Die junge Frau hat das Buch zum Pfarrer gebracht, zum Pfarrer von Kippenheim. Und der Pfarrer von Kippenheim hätte 54
das Buch mit den vielen Namen dem Hexenrichter von Freudenstadt überantworten können, der hätte gewiss nicht ungern die Nase hineingesteckt. Dies aber tut er gerade nicht, der Pfarrer von Kippenheim. Der brave Gottesmann wirft das Buch mit den vielen blutroten Unterschriften ins Feuer! Und damit befreit er sie alle, die Hexen und Hexeriche, die sich darin dem Teufel verschrieben hatten, für ewige Zeiten von ihrem Satansbund.
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Eine schwarz, eine rot Wenn es den Kühen plötzlich die Milch verschlug; wenn Pferde vom Rotz, wenn Schweine vom Rotlauf befallen wurden; wenn schwere Wetter ein Dorf heimsuchten, mit Blitz- und Hagelschlag; wenn blühende Menschen von einem Tag auf den andern dahinzusiechen begannen: In früheren Zeiten war man geneigt, Verhängnisse solcher Art mit Hexerei zu erklären. Es gab dann ein einziges Mittel, das wirksame Abhilfe versprach. Wer sich von einem Schadenszauber bedroht oder schon betroffen fühlte, der musste versuchen, den Hexer oder die Hexe herauszufinden, von denen das Unheil ausging, um ihnen das finstere Handwerk zu legen. Hierzu war es erforderlich, dass man auch seinerseits einen Hexerich, eine Hexe zurate zog. Dass es dabei immer wieder zu Überraschungen kommen konnte, darf einen nicht verwundern. In einem Dorf in Mainfranken lebten vormals zwei böse Weiber, beide so um die Mitte dreißig, eine so zänkisch und voller Gift wie die andere. Die eine war schwarz, die andere rothaarig, aber das war auch der einzige Unterschied zwischen den beiden: An Boshaftigkeit und Streitsucht stand eine der anderen um nichts nach. Einmal hatte es in jenem Dorf an zwei aufeinander folgenden Tagen gehagelt, mitten hinein in die Obstblüte. Allen Leuten war klar: Da konnte bloß eine Wetterhexe die Hand im Spiel gehabt haben. Und wer mochte das sein? Die Schwarze hatte zwar einen bestimmten Verdacht, der in eine bestimmte Richtung zielte – aber sie wollte es ganz genau wissen. Im Nachbardorf lebte eine weise Frau, die verstand sich aufs Kartenlegen, die heilte Wunden, die las aus der Hand. Und die wusste auch dort Rat, wo andere keinen Rat wussten. Am Tag nach dem zweiten Hagelwetter begab sich die Schwarze zu ihr, 56
und ohne lang um den Brei herumzureden, eröffnete sie der weisen Frau, weshalb sie gekommen sei. »Darüber ließe sich reden …« Die Alte, ein krummes, zahnloses, lederhäutiges Weiblein, machte ihr einen Vorschlag. »Wenn dir die Sache – nun, sagen wir: Wenn sie dir einen Taler wert ist, will ich dir gern behilflich sein.« Die Schwarze begann zu handeln, bis sie den Preis auf die Hälfte heruntergefeilscht hatte. »Auch gut.« Die Alte befragte die Karten und schließlich sagte sie: »Warte den nächsten Freitag ab, dann ist Vollmond. Versieh dich mit einem Besen und einem Strohhut und gegen elf geh zum Kreuzweg hinter dem Dorf hinaus. Siebenundsiebzig Schritte hinter dem Kreuzweg ziehst du dich aus bis aufs Hemd. Dann setzt du den Strohhut auf, klemmst dir den Besenstiel zwischen die Beine und wartest den Schlag der Mitternachtsglocke ab. Dann reitest du auf dem Besen los und im Hui auf den Kreuzweg zu!« »Und dann?« »Dann wird dir die Hexe entgegenkommen – die Hexe, nach deren Anblick es dich verlangt. Auch sie auf dem Besen reitend, auch sie im Hemd, auf dem Kopf einen Strohhut.« »Und dann?« »Na, was wohl? Dann musst du der Hexe die Lust am Hexen vertreiben. Wie – das ist deine Sache …« Am Freitag begab sich die Schwarze hinaus an den Kreuzweg hinter dem Dorf. Nach siebenundsiebzig Schritten zog sie sich aus bis aufs Hemd und setzte den Strohhut auf. Schlag Mitternacht schwang sie sich auf den Besen und ritt im Hui auf den Kreuzweg zu, wie die Alte es ihr geraten hatte. Wie sie schon fast am Ziel ist, nur wenige Schritte trennen sie noch davon: Wer kommt ihr da auf der andern Seite entgegengesprengt? Auch sie kommt auf einem Besen daher, im flatternden weißen Hemd, auf dem Kopf einen Strohhut. Dies alles lässt sich im vollen Mondlicht genau erkennen. 57
Die Hexe also, wie von der Alten angekündigt – die Wetterhexe! »Warte, du Rabenaas!« Die Schwarze fackelt nicht lang herum: nichts wie drauf, auf das Hexenweib! Mit dem Besen will sie ihr ein paar überziehen! Die andere, auch nicht faul, schwingt gleichfalls den Besen. »Dir werd ich das Hexen austreiben, Miststück, elendes!« Was soll ich noch viel erzählen? Die beiden, ob Hexe, ob nicht: Sie verprügeln sich auf dem Kreuzweg gegenseitig mit Besen und Fäusten; sie kratzen, sie beißen, sie spucken sich an; und sie reißen sich büschelweise das Haar aus, schwarzes Haar, rotes Haar. Schwamm drüber!
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Anderntags bleibt die Schwarze im Bett und gibt vor, sie sei über Nacht erkrankt. In Wahrheit kann sie sich nicht hinaustrauen, unter die Augen der Leute. Ihr Gesicht ist zerkratzt, als sei sie in einen Dornenbusch gefallen. Das linke Auge ist blutunterlaufen, am ganzen Leib hat sie Striemen und blaue Flecke. Nicht besser fühlt sich an diesem Morgen das andere böse Weib im Dorf. Auch die Rote ist über Nacht erkrankt, auch sie muss das Bett hüten, bei verhängten Fenstern. Niemand darf sehen, wie die verdammte Hexe am Kreuzweg sie zugerichtet hat, gestern Nacht. Es ist eben nicht ungefährlich, bei Vollmond mit einer Hexe zusammenzutreffen, noch dazu, wenn es an einem Kreuzweg geschieht, in der Nacht von Freitag auf Samstag. Und was noch hinzukommt, aber das gilt nur für diese eine Geschichte: Die Schwarze hat ja nicht ahnen können, dass auch die Rote sich bei der weisen Alten im Nachbardorf Rat geholt hatte, ebenso wenig wie auch die Rote dies von der Schwarzen gewusst haben konnte. Und überdies hatten die beiden, was nicht verschwiegen sei, jeweils den von der Alten geforderten Preis auf die Hälfte heruntergefeilscht. Das hatten sie nun davon, die beiden! Na wenigstens steht zu hoffen, dass sie in Hinkunft von Gift und Galle kuriert waren: wenn nicht zur Gänze, so immerhin in beträchtlichem Ausmaß; und wenn nicht für immer, so wenigstens für die nächste Zeit.
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Hui aus – und immerwo an! Der Brocken, die höchste Erhebung im Harz, ist der Sage als Blocksberg bekannt. Einmal im Jahr, und zwar immer in der Walpurgisnacht, versammeln sich dort die Hexen zum großen Hexentanz. Die Walpurgisnacht ist die letzte Nacht im Monat April. Wenn sie anbricht, strömen die Hexen von nah und fern auf dem Blocksberg zusammen, alte und junge, ranke, schlanke und bucklige, schöne Hexen, die es ja auch gibt, und hässliche. Samt und sonders kommen sie durch die Lüfte herangebraust, sei es auf einem Besen reitend, sei es in einer Backmulde, sei es auf einem Bügelbrett, auf der Ofengabel oder auf einem zusammengeklappten Regenschirm. Welches Beförderungsmittel sie wählen, bleibt ihnen freigestellt, nur teilnehmen müssen sie. Keine von ihnen darf in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg fehlen, keine darf dem großen Hexentanz ungestraft fern bleiben. Im bayrischen Pfaffenwinkel, da ist eines Abends zu später Stunde ein Bauernknecht unterwegs gewesen zu seinem Mädchen: weiß der Himmel, in welcher Absicht – er selber, der Hias, wird es schon gewusst haben. Was er nicht gewusst hat, war etwas anderes. Und zwar hat er nicht gewusst oder nicht bedacht, dass er in der Walpurgisnacht unterwegs war. Im Dorf ist es still gewesen, auch auf den Bauernhöfen ringsum. Alles finster und still, wie sich das zu nachtschlafender Zeit gehört. Bloß beim Summerer auf der Leiten, da hat noch ein Licht gebrannt. Und der Hias, wie er dort vorbeikommt auf seinem nächtlichen Weg, und wie er ein bisserl näher hinschaut – was sieht er, in der erleuchteten Stube drin? In der Stube sieht er die Summerin stehn, und zwar splitternackt. Sakra, sakra! Zuerst hat der Hias sich fortmachen wollen. Aber er ist halt ein sündiger Mensch gewesen, nicht 61
wahr, und was kann man von einem sündigen Menschen erwarten? Zumindest Neugier. Er bleibt also vor dem erleuchteten Fenster stehen wie angewurzelt und starrt in die Stube hinein. Die Summerin holt vom Küchenbrett einen Tiegel herunter, da ist, wie sich alsbald erweist, eine Salbe drin. Und eben mit dieser Salbe schmiert sich die Summerin ein: von oben bis unten, am ganzen Leib. Dann stellt sie den Tiegel aufs Wandbrett zurück und besteigt einen Besen, den hatte sie schon bereitgelegt. Und spätestens jetzt hat der Hias sich denken können, was da im Gange war. Die Summerin spricht einen Zauberspruch. »Hui aus – und nimmerwo an!«, hört der Hias sie rufen – und hüraxdax, huraxdax! saust der Besen mit ihr davon, zum Schornstein hinaus und mit Windeseile dahin, dahin! Den Hias hat das Fell gejuckt. Die Hexensalbe, der Zauberspruch. Ein Besen wird sich schon finden lassen, denkt er sich. Notfalls tut’s auch die Ofengabel. Gedacht, getan. Die Haustür war nicht verschlossen, verschlossen waren im Pfaffenwinkel die Haustüren damals alle nicht. Der Hias also schlieft in die Stube, der Hias entledigt sich des Gewands, der Hias holt den Tiegel vom Wandbrett. Dann beschmiert er sich mit der Hexensalbe, von oben bis unten, am ganzen Leib. Die Salbe duftet nach allerlei Kräutern, nach mancherlei Spezereien. Dem Hias wird’s ganz leicht und wohl davon. Er klemmt sich den Stiel der Ofengabel zwischen die Beine, dann ruft er den Zauberspruch: »Hui aus – und immerwo an!« Sogleich tut der Spruch seine Wirkung, die Ofengabel saust mit dem Hias davon. Hüraxdax, huraxdax!, fährt sie mit ihm zum Schornstein hinaus. Aber der Hias, wir haben es schon bemerkt: Der Hias hat sich mit dem Hexenspruch leider vertan, er hat einen Buchstaben weggelassen, bloß einen einzigen, aber 62
das reicht schon hin – und nun kriegt er die Quittung dafür! Die Ofengabel tut, was der Hias ihr befohlen hat. Sie sorgt dafür, dass er immerwo anstößt! Im Schornstein haut es ihn gegen die Mauersteine, und draußen im Freien erst recht! Da gibt’s keinen Baum, keinen Holzstoß und keinen Stadel, den sich die Ofengabel entgehen ließe: Sie haut ihn mit aller Gewalt dagegen, den armen Hias. Hüraxdax, huraxdax! Bloß gut, dass er nicht den vollen Weg bis zum Blocksberg hat reiten müssen! Die Ofengabel, das rabiate Biest, schmeißt ihn einfach ab, schon gleich hinter Weilheim muss das gewesen sein. Zum Glück ist er wenigstens weich gefallen, der Hias – na ja, selbst Misthaufen haben bisweilen ihr Gutes. Wenngleich man von einem Misthaufen nicht erwarten darf, dass er nach Kräutern und Spezereien duftet. Ebenso wenig wie man vom Hias aus dem Pfaffenwinkel erwarten darf, dass er sich jemals wieder mit Hexensalbe einschmieren wird, und dufte sie noch so wohl!
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Mehr Glück als Verstand Ein Bursche will sich die Gunst eines Mädchens, ein Mädchen die Gunst eines Burschen erringen, und wenn das nicht anders klappt, so versucht man es eben mit Hexerei. Liebestränke sind ein bewährtes Mittel, sofern man die richtigen Zutaten kennt. Zuweilen leistet ein Kartenspiel gute Dienste: Man muss sich den Herzbuben oder die Herzdame unters Kopfkissen legen, nicht ohne entsprechende Zauberformel, wohl bemerkt. Große Wirkung kann auch von einem kleinen Zettel ausgehen, der mit dem Namen jener Person versehen ist, deren Liebe man zu gewinnen trachtet; diesen Zettel muss man nur lang genug auf der blanken Haut überm Herzen tragen – und je nachdem, welchen Liebeszauber man anwendet (es gibt deren noch ein paar Dutzend weitere), stellt sich nach Ablauf einer bestimmten Frist die erhoffte Wirkung ein, wobei man jedoch vor Überraschungen niemals sicher ist. Weit hinten im hintersten Hinterpommern, da haben einmal Soldaten in einem Dorf in der Nähe von Bütow für einige Zeit im Quartier gelegen, ob im Krieg, ob im Frieden, ist nicht bekannt. Nur dass es Husaren gewesen sind, weiß man noch: flinke Burschen mit hohen Pelzmützen, roten Hosen und kurzen, silberverschnürten Leibröcken, schnurrbärtig alle, und alle mit grasgrünen Mäntelchen ausgestattet, die über der linken Schulter getragen wurden. Da kann man sich vorstellen, was für Eindruck sie auf die Mädchen gemacht haben! Überall dort, wo sie im Quartier lagen, gab es bald schon die heftigsten Liebschaften, so auch in jenem hinterpommerschen Dorf in der Nähe von Bütow. Nun war da ein Wachtmeister bei der zweiten Schwadron, ein stattlicher Mensch mit funkelnden, schwarzen Augen, der hätte sich gern mit der Tochter seines Quartierwirts was angefangen; 64
aber die schöne Trine hat nicht dergleichen getan, für die schien er Luft zu sein. Und wenn der Herr Wachtmeister noch so viel mit den Augen geplinkert und sich den Schnurrbart gezwirbelt hat – die Trine hat einfach nichts von ihm wissen wollen, und basta! Da hat sich der Wachtmeister schließlich nicht anders zu helfen gewusst und hat es mit einem Liebeszauber probiert. Was er getan hat und wie er’s getan hat, kann ich nicht sagen. Jedenfalls hat der Zauber am Morgen des dritten Tages zu wirken begonnen – aber gerade an diesem Morgen, in aller Frühe, da war ein Befehl gekommen, aus heiterm Himmel. Da haben nun die Trompeter Signal geblasen, Signal zum Satteln und Aufsitzen, und es hat keine halbe Stunde gedauert, da sind sie zum Dorf hinausgesprengt, die Herren Husaren, in Reih und Glied, und mit ihnen der Wachtmeister von der zweiten Schwadron. Die Dorfleute haben ihnen nachgewinkt, ein paar Mädchen mussten sich mit den Schürzenzipfeln die Augen wischen, sie hatten wohl Grund dazu. Und die Trine? Bei ihr, wie gesagt, hat gerade an diesem Morgen der Zauber zu wirken begonnen, der Liebeszauber. Sie hat das natürlich nicht wissen können, aber es war schon seltsam. Irgendwas zerrte und zog da plötzlich an ihr herum, stärker und immer stärker, und als die Husaren längst in der Ferne verschwunden waren, nur eine hohe Staubwolke war noch am Himmel zu sehen: Da konnte die Trine nicht anders, sie musste loslaufen. Schneller und immer schneller lief sie zum Dorf hinaus, den Husaren nach. Arme Trine! Sie konnte natürlich nicht ahnen, was da mit ihr geschehen war, dass sie der Wachtmeister von der zweiten Schwadron behext hatte. Und so lief sie und lief den Husaren nach, bis ihr jemand den Weg vertrat und sie fest hielt. Und dieser Jemand, das war der Schweinehirt, der mit seiner grunzenden Herde neben der Straße dahinzog. Was denn los sei, wollte er wissen, warum es die Trine denn gar so eilig habe? »Weiß selber nicht«, keuchte das Mädchen, schon ganz außer 65
Atem. »Weiß selber nicht!« Aber der Schweinehirt ahnte es. Hirten verstehen ja häufig was von dergleichen Dingen. »Nur ruhig, Trine, das legt sich wieder!« Während er mit der Linken das Mädchen fest hielt, band er ihr mit der Rechten die Schürze ab. Und was tat er mit Trines Schürze? Er hängte sie einer von seinen Säuen um. »Gib mal Acht, was mit der passiert!«
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Nun sind ausgewachsene Säue ja meistens von eher träger Natur. Die Sau mit der Schürze aber: Mit einem Mal quiekt sie lauthals auf, und dann fängt sie zu rennen an, als habe ihr jemand eins mit dem glühenden Schürhaken über die Schwarte gezogen! Sie rennt also los, mit Trines Schürze behängt, und sie rennt und rennt auf der Straße dahin! »Sie rennt den Husaren nach«, sagte der Schweinehirt. »Einer von ihnen muss dir was angehext haben – aber nun bist du es wieder los.« Ja wirklich! Der Zauber, der Liebeszauber hatte sich von dem Mädchen jetzt auf die Sau übertragen. Und sicherlich wäre es für den Wachtmeister kein Vergnügen gewesen, wenn statt der schönen Trine plötzlich die wilde Sau auf ihn losgestürmt wäre, vor den Augen der ganzen Schwadron, und man kann sich ja ausmalen, was der Herr Rittmeister zu dem Schauspiel gesagt hätte! Doch es zeigte sich, dass der Wachtmeister mit den funkelnden, schwarzen Augen mehr Glück als Verstand hatte. Weil die Straße nämlich nach einiger Zeit einen weiten Bogen beschrieb, um ein Wäldchen herum; und weil die verhexte Sau es so eilig hatte, dass sie den Bogen abschneiden wollte und quer durch das Wäldchen rannte! Deshalb, nur deshalb, blieb Trines Schürze im Dickicht hängen, an einem dornichten Ast. Und kaum, dass die Schürze am Ast hing, kaum also dass die Sau ihrer los und ledig war – was geschieht da? Die Schürze flattert am Ast wie von heftigem Sturm gezaust; die Sau indessen hält inne im Lauf: Von einem Augenblick auf den andern kommt sie zur Ruhe, verschnauft ein wenig und kehrt dann langsam, schwer atmend und schleppenden Schrittes zur Herde zurück und zu ihrem Hirten. »Na, siehst du, Trine!« Der Schweinehirt stopft sich schmunzelnd ein Pfeifchen. »Da habt ihr ja noch mal Glück gehabt, du und die arme Sau.« Tja, und mit dieser Bemerkung, so will’s mir scheinen, sollten 68
wir die Geschichte beschließen: Trines Geschichte – und die des Herrn Wachtmeisters von der zweiten Schwadron.
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Ein lästiger Bursche Hexerei für den täglichen Bedarf in Haus und Hof, bei der Ausübung des Berufes: Hierher gehört auch das Gießen von Freikugeln. Wer seine Büchse mit einer Freikugel lädt, lädt sie mit einem tödlichen Geschoss, das sein Ziel nicht verfehlt, selbst über weite Entfernungen nicht. Freischützen, wie die Hersteller und Besitzer solcher Kugeln genannt werden, trifft man gelegentlich unter Soldaten an, vorwiegend unter Jägern und Wildschützen. Das Gießen von Freikugeln ist mit Hexerei verbunden, das äußere Drum und Dran unterliegt den verschiedenartigsten Vorschriften, bis hin zum Hostienfrevel. In Carl Maria von Webers romantischer Oper »Der Freischütz« werden Freikugeln auf offener Bühne gegossen, in der berühmten Wolfsschluchtszene, wenn die Jägerburschen Kaspar und Max zu mitternächtlicher Stunde den höllischen Samiel beschwören. Doch nicht von ihnen möchte ich hier erzählen; erzählen möchte ich von den beiden Tappern, deren Geschichte ich kenne, seit ich ein kleiner Junge war. Und der sie uns damals erzählt hat, im Gasthof »Zur Pyramide«, beim Schein der Petroleumlampe, das ist der Schneider-Gottl gewesen, ein uralter Häuselmann von der Hohen Iser. Weit draußen im Isergebirge, unweit der böhmischschlesischen Grenze, da haben vor Zeiten die beiden Tappern gehaust: Vater und Sohn vermutlich, es können auch Brüder gewesen sein, Genaueres weiß man nicht. Sie haben gelebt, wovon man so lebt an der Hohen Iser, vom Holzmachen und vom Paschen, vom Schmuggeln also, Tabak hinüber, Bohnenkaffee herüber. Und selbstverständlich haben sie auch gewildert von Zeit zu Zeit. Ihr Häusel hat ziemlich weit abseits gestanden, am Rand des Moores. In mondhellen Nächten sind Hirsche und Rehe an ihren Fenstern vorübergezogen, in ganzen Rudeln. Da 70
haben sie manchmal nicht anders können, die Tappern, und haben nach ihnen geschossen. Einfach zum Stubenfenster hinaus. Es scheint aber, dass sie mit ihrer Schießerei wenig Glück hatten. Wären sie sonst wohl auf den Gedanken gekommen, sich auf den Guss von Freikugeln einzulassen? Wer sie dabei beraten hat, weiß man nicht. Irgendjemand muss ihnen wohl gesagt haben, was alles zur Herstellung solcher Kugeln benötigt wurde und wie man dabei zu verfahren hatte. Möglicherweise ist es der alte Tammann gewesen, von dem man sich an der Iser zuraunte, dass er in derlei Dingen beschlagen sei. Kurzum, was zum Guss der Kugeln benötigt wurde, waren bestimmte Kräuter, neun an der Zahl; das war Blei aus den Fenstern eines Gotteshauses; das war, nicht zuletzt, der Schädel eines Gehenkten. No gut. Die neunerlei Kräuter ließen sich unschwer beschaffen; das nötige Blei gewannen die Tappern, indem sie das Sakristeifenster an der Tannwalder Kirche einschlugen, dessen einzelne kleine Scheiben durch Stege aus Blei miteinander verbunden waren, wie damals üblich. Blieb noch der Totenschädel. Den suchten und fanden sie in der nächsten Neumondnacht unterm Hirschberger Galgen. Sie ließen den Schädel in einem der leeren Kaffeesäcke verschwinden, die sie beim Paschen benutzten, und trugen ihn darin heim. Am Freitag danach begaben sie sich ans Werk. Alles war vorbereitet. Die Tür war verriegelt, die Stubenfenster hatten sie zugehängt. Die neunerlei Kräuter lagen zur Hand, das Blei und die Schmelzkelle. Auf dem Tisch stand ein Becken voll glühender Kohlen bereit, der Totenschädel lag links daneben, die Augenhöhlen nach oben gekehrt. Schlag Mitternacht schmolzen die Tappern das Blei aus dem Tannwalder Sakristeifenster über dem Kohlenbecken, nachdem sie die Kräuter ins Feuer gestreut hatten, sprachen die vorgeschriebenen Formeln dazu und gossen das flüssig gewordene Blei durch die Augenhöhlen des Schädels, 71
abwechselnd durch die linke und durch die rechte. Dann machte es in der Hirnschale des Gehenkten jedes Mal klick, bis sieben Kugeln gegossen waren. Kein Blitz, kein Donner während der Prozedur. Kein Gespenst hat sich sehen lassen, kein Teufelsspuk hat den Tappern zugesetzt. Alles in Butter. Alles ist glatt vonstatten gegangen, verdächtig glatt. Sie verstauen die Kugeln in einer Nische hinter dem Türstock, wo niemand sie suchen wird. Rasch sind das Kohlenbecken, die Schmelzkelle weggeräumt. Doch wohin mit dem Totenschädel? Wohin wohl! Sie stecken ihn in den Sack – und dann nichts wie zurück nach Hirschberg mit ihm, nach Hirschberg unter den Galgen, wohin er gehört. Nach Hirschberg unter den Galgen und wieder zurück, dazu brauchten sie ein paar Stunden. Als sie im Morgengrauen zurückkamen an die Iser, waren sie hundemüde. Jetzt aber nichts wie schlafen, das haben sie sich verdient nach dem weiten Weg! – Schon legen die Tappern die Joppen, schon legen sie ihre Hosen ab, da bemerken sie, beide gleichzeitig, dass auf dem Wandbrett ein Schädel steht und sie angrinst. Der Totenschädel, den sie vermeintlich nach Hirschberg zurückgebracht hatten, unter den Galgen. Kein Zweifel – er ist es! Sie merken es an den Augenhöhlen, die schwärzliche Ränder bekommen haben, vom heißen Blei, das hindurchgeflossen ist. »Ja verflucht!«, ruft der ältere Tapper aus. »Gibt’s denn das wirklich?« Zornig ergreift er den Totenschädel, zornig schmeißt er ihn aus dem Fenster. Der Schädel jedoch – der Schädel kommt wieder zurück. Von selbst kehrt der Schädel zurück auf das Wandbrett und grinst sich eins. »Ja verflucht noch mal!« Diesmal ist es der jüngere Tapper, der sich vernehmen lässt. »Haben wir denn, zum Teufel, was falsch gemacht, dass der Kerl uns foppt?« 72
Das muss wohl der Grund sein, sie müssen beim Guss der Freikugeln etwas falsch gemacht haben. Aber was? Und wohin mit dem Kerl auf dem Wandbrett? Dort kann er, dort darf er nicht bleiben, so viel steht für die Tappern fest. Nach Hirschberg ist es entschieden zu weit für sie. Also hinaus mit ihm in den Rumpeltump, einen Tümpel im Isermoor! Klatschend fällt er ins schwarze Wasser, der Totenschädel, gurgelnd versinkt er darin. Wie sie heimkommen, grinst er ihnen schon wieder entgegen, vom Wandbrett herab. Beim nächsten Mal packen sie ihn in den Tabaksack, zusammen mit etlichen Wackersteinen. Sie schmeißen den Sack in den Steinbachfall, er versinkt in der Tiefe. Wie sie nach Hause kommen, was müssen sie sehen? Auch diesmal grinst ihnen der Schädel entgegen, vom Wandbrett herab. Noch siebenmal haben die Tappern versucht, sich des bleichen Kerls zu entledigen. Siebenmal ist er dennoch zurückgekehrt auf das Wandbrett in ihrer Stube: Schneller ist er dorthin zurückgekehrt als sie selbst. Und jedes Mal hat der vermaledeite Schädel sie angegrinst von dort oben, höhnischer als zuvor. Da haben die Tappern sich keinen anderen Rat gewusst: Nach Hirschberg sind sie gelaufen, zum Scharfrichter. Dies und das sei geschehen. Ob der Herr Meister ihnen nicht helfen könne in ihrer Bedrängnis? Es werde zu seinem Schaden nicht sein, versteht sich … No gut, der Hirschberger Scharfrichter überlegt nicht lang. Man müsse ihn vorher dafür entlohnen, meint er, dann werde er Abhilfe schaffen. Die Tappern berappen, was er von ihnen verlangt. Der Herr Meister versieht sich mit einem Galgenstrick, jüngst gebraucht. Dann folgt er den Tappern hinauf an die Hohe Iser. Bei seinem, des Meisters Anblick vergeht dem Totenschädel das Grinsen, dem Hirschberger Scharfrichter ist er nicht gewachsen. Der Meister spricht eine Zauberformel, wie eine Gottesgeißel 73
schwingt er den Strick – und er geißelt ihn ohne Erbarmen hinweg, den Totenschädel. Unter Geschrei, unter lautem Schnalzen jagt er ihn vor sich her, in das neblige Moor hinaus. Von dorther sei dann der Totenschädel nicht mehr zurückgekehrt, wie berichtet wird. Und die Tappern? Seit jenem nebligen Morgen hat man sie nie mehr gesehen, die beiden; nicht an der Hohen Iser, auch sonst wo nicht. Mag sein, dass der Hirschberger Scharfrichter sie versehentlich mit ins Moor gejagt hat für alle Zeiten. Mag auch sein, wie der Schneider-Gottl damals gesagt hat, im Gasthof »Zur Pyramide«, beim Schein der Petroleumlampe, dass es in Wahrheit ganz anders gewesen ist. Aber ich fürchte, das werden wir nie erfahren.
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