NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
1. O K T O 8 E R 1959
AUS
HEFTE
Heft
1 3. J A H R G A N G
303
DEM
INHALT
Gedenktag...
46 downloads
2118 Views
560KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
1. O K T O 8 E R 1959
AUS
HEFTE
Heft
1 3. J A H R G A N G
303
DEM
INHALT
Gedenktage im Oktober
II
Die „Vasa" gehoben
III
Die Erde ist rund
IV
Ausgrabungen im Land der Bibel
V
Künstliche Diamanten
V
Geigen aus
VI
Mittenwald
Kleine Mitteilungen Albert Einstein Blick in die Werkstatt seiner Gedanken
VII
1-32
B E Z U G S P R E I S V I E R T E L J Ä H R L I C H D M 1.50
Gedenktage im Oktober Pierre Corneille Dichter geb. am 6. Juni 1606 in Rouen, gest. am 1. Oktober 1684 in Paris Die sogenannte „klassische Epoche des französischen Theaters hat das Unausstehlichste, Langweiligste und Platteste hervorgebracht, was je auf der Bühne eines Kulturvolkes sich anspruchsvoll darstellte." So urteilte einer der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit. Trotzdem ist — bei all seinen Schwächen — Corneilles Beiname „der Große" bis heute unangetastet geblieben. * Mit 23 Jahren begann er zu schreiben. Was seine Stücke auszeichnete, waren Sprache, Haltung und Handlung, die besser, anständiger und natürlicher waren als sonst üblich. Das trug ihm wohl auch die Gönnerschaft des Kardinals Richelieu ein und eine Pension dazu. Mit 30 Jahren schrieb er den „Cid", eine Tragikomödie nach spanischer Vorlage. Sie brachte ihn auf die Höhe seines Ruhms. Doch der beispiellose Erfolg weckte den Neid bei seinen Feinden und gewissen Freunden. Man erwirkte einen Entscheid der „Academie": ein romantischer Stoff wie der des „Cid" sei ungeeignet für die strenge Regelmäßigkeit der klassischen Tragödie, und zwar auf Grund jener, hier zum erstenmal als Gesetz ausgesprochenen Theorie von den drei Einheiten: des Ortes, der Zeit und der Handlung. Der Dichter beugte sich dem Spruch. Die Franzosen aber datieren trotzdem vom „Cid" an den Beginn des goldenen Zeitalters ihrer Literatur. * So strahlend und erfolgreich seine ersten Mannesjahre waren, so tief beschattet war sein Alter, nicht nur durch gehässige literarische Streitereien, sondern noch mehr durch ernste Geldsorgen. Was man auch alles gegen seine Werke gesagt haben mag — er war es, der als erster wieder von Ehre, Ruhm und Pflichtgefühl sprach, der bestrebt war, die Bühne von allen fremden Einflüssen zu reinigen. Diese Nationalisierung, trotz aller antikischen Verbrämung, eingeleitet zu haben, sicherte ihm die Liebe und Bewunderung seines Volkes. Hans Thoma Maler geb. am 2. Oktober 1839 in Bernau, gest. am 7. November 1924 in Karlsruhe Er war bäuerlicher Eltern Sohn aus Bernau im Schwarzwald und erlernte das Malen in Karlsruhe, Düsseldorf und Paris. Mehrmals II
hielt er sich in Italien und München auf, wo er zum Kreise Wilhelm Leibls zählte, und wanderte mit Skizzenbuch und Staffelei durch süddeutsche Landschaften, die er in seinen Gemälden einfach und klar wiederzugeben verstand. Über zwei Jahrzehnte lebte er in Frankfurt, ehe er die Leitung der Kunsthalle und ein Meisteratelier in Karlsruhe übernahm. Hier wirkte er mehr als zwanzig Jahre bis zu seinem Tode. Immer machtvoller brachen bei diesem weitgereisten Künstler die heimischen Kindheitseindrücke durch, eine Naturverbundenheit voll Stille und großer Freude an der zärtlich genauen Wiedergabe der kleinsten Einzelheiten. Im Alter malte er Bilder, die wie Gestalt gewordene Erzählungen eines Schwarzwälder Bauerndichters anmuten, traulich, treuherzig und kindlich ausgesponnene, gemütund stimmungsvolle Werke, oft nach Themen der biblischen Geschichte und der Sagenwelt. Dieser Entwicklungsspanne geht eine kräftigere, in den Farben frischere Epoche voraus, die uns die hellen, weiten oberrheinischen Landschaften bescherte. Die „Singenden Kinder" dieser schaffensfreudigen Jahre (heute in Hannover) verdienen besondere Erwähnung. Thoma schuf auch ausgezeichnete Porträts, besonders von nahestehenden Angehörigen, wie seiner Frau, seiner Mutter und seines Onkels, Wandbilder für die Heidelberger Peterskirche, Kostümentwürfe zu Wagneropern, Buchgraphik, Radierungen und farbige Lithographien. Aus allen Arbeiten spricht uns sein liebenswürdiges Menschentum an, das sich so häufig der Darstellung von sinn- und reizvollen Stimmungsbildern zuwandte. Von wenig beachteter, aber hoher Kunst ist sein zeichnerisches Schaffen. Auch als Schriftsteller hat sich Thoma mit ungewöhnlichem Erfolg betätigt.
Die „Vasa" wurde gehoben Nach 331 Jahren auf dem Grunde des Stockholmer Hafens ist nun das königliche Kriegsschiff „Vasa" wieder flott gemacht worden. Es konnte nicht sofort an die Wasseroberfläche gehoben werden, sondern nur ein Stück aus dem Lehmgrab bis zu einer Höhe, die es ermöglicht, es allmählich an einen sicheren Liegeplatz in nur 15 Meter Tiefe an dem Ufer der Insel Kastelholmen abzuschleppen. Später soll die „Vasa" bis zum Galärvarvet-Dock weitergeschleppt werden, das zu einem Museum für das Schiff und seine Hunderte von künstlerischen Verzierungen ausgebaut werden soll. Die historische Bergungsaktion begann am 20. August. Dem ersten Hebungsversuch gingen außerordentlich dramatische Stunden voraus. Eine Senkung der Hebetrossen bewirkte, daß einer der beiden PonIII
tons, die für die Hebung bestimmt sind, sich senkte. Die Fachleute hatten das vorausgesehen, da festgestellt worden war, daß sich der Steinballast des Schiffes beim Scheitern nach der Backbord-Seite verschoben hatte. Zwölf Trossen aus Spezialstahl waren durch Tunnels unter den Schiffsrumpf gezogen worden. In 10-Minuten-Intervallen wurde aus den Pontons langsam das Wasser herausgepumpt. Man konnte beobachten, daß sich das Heck des Schiffes um einige Zoll hob. So wurde die „Vasa" allmählich aus ihrem Schlammbett gelöst, in dem sie 32 Meter unter dem Wasserspiegel geruht hatte, seit sie bei ihrer Jungfernreise im Jahre 1628 gekentert war. Sobald das Schiff flott war, wurde es langsam in die Abschlepprichtung gedreht. Dann begann das Abschleppen. Die volle Bergung wird wohl noch Jahre dauern, da das Schiff allmählich den geänderten Verhältnissen, wie Wasserdruck, Temperatur u. a., angepaßt werden muß. Mehrere hundert Funde, meist Holzskulpturen, sind bereits geborgen und konserviert. Sie bilden eine Spezialausstellung im Stockholmer Museum für Schiffahrtsgeschichte.
Die Erde ist rund Schon vor Jahren ist es gelungen, aus einer Raketenspitze fotografische Aufnahmen von der Erde aus etwa 160 Kilometer Höhe zu bergen. Schon diese Fotobilder, die einen großen Teil der Westküste Nordamerikas überschaubar gemacht hatten, zeigten auf einem ausgedehnten Sektor bereits die Krümmung der Erdkugel. Am 24. August 1959 gelang es, die Erde aus einer Höhe von 1100 Kilometern zu fotografieren. Die Kamera war in die Spitze einer Atlasrakete eingebaut, die an diesem Tage vom Kap Canaveral abgeschossen wurde; es handelte sich nicht um einen Erdsatelliten, sondern um eine transkontinentale Rakete, wie sie seit längerer Zeit in den Vereinigten Staaten in Erprobung ist. Nach einem Flug von über 8000 Kilometern ging die Rakete bei der Ascensioninsel im Südatlantik nieder,. Die Kapsel mit den Fotobildern wurde zwei Stunden nach dem Abschuß von Suchschiffen aus dem Meer geborgen. Auf ihrer Bahn stieg die Rakete erst weit über 1000 Kilometer Höhe auf, bevor sie sich niedersenkte. Das deutsche Fernsehen konnte schon wenige Tage später Filmaufnahmen zeigen. Die Kugelgestalt der Erde, die immer noch von einigen Außenseitern bezweifelt wird, war aufs deutlichste zu erkennen. Zwischen Wolkenfeldern, die ganze Länderstriche bedeckten, wurden wie auf einer Landkarte Städte, Wüsten und Waldgebiete und gegen den Horizont hin und im Vordergrund die Ozeane sichtar. IV
KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTUR RUNDLICHE
HEFTE
HANS HARTMANN
ALBERT EINSTEIN BLICK IN DIE WERKSTATT SEINER GEDANKEN
VERLAG
S E B A S T I A N LUX
MURNAU•MÜNCHEN•INNSBRUCK-BASEL
Eine Traumwelt? Man hat von Albert Einstein gesagt, daß er wie ein Mythos in unserer Zeit sei, daß von ihm etwas ausstrahle, was das menschliche Maß übersteigt, etwas, vor dem wir fassungslos, ratlos stehen, weil wir keinen Zugang dazu finden können. Wer von uns begreift denn die Gedanken und insbesondere die Formeln, in denen Einstein die Verborgenheiten und Geheimnisse des Kosmos, des Weltganzen, enthüllte oder zu enthüllen glaubte? Hat er nicht selbst im Gespräch lächelnd sagen können: „Im Grunde verstehen das vielleicht zehn Menschen auf der Welt." Aber schon unsere Ahnung, daß da ein Mann den Sternen näher war als wir, daß er Raum und Zeit besser verstand als alle anderen, zeigt uns, warum er zum Mythos werden konnte. Unsere Zeit strebt- nun einmal nach den Sternen. Nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz wirklich. In der Weltraumfahrt will der Mensch seine Erdgebundenheit endgültig abschütteln. Dabei aber sagt man uns, daß es in dem Raum des Kosmos ganz anders zugehe, als wir es mit unseren fünf Sinnen wahrhaben wollen. Der Raum sei gar nicht so, daß er sich ins Unendliche nach allen Seiten und nach drei Richtungen, nach Höhe, Breite und Tiefe, ausdehne. Er sei vielmehr endlich, und man könne gleichsam um den Kosmos herumfahren, selbst wenn man mit Hilfe der Instrumente in einem Raumschiff feststellt, daß man geradeaus fliegt. Die Endlichkeit des Raumes habe, so behaupten die Physiker und Mathematiker, Einstein als erster, und unwiderruflich gelehrt. Und auch mit der Zeit stimme es nicht so, wie es unser an die Uhren gebundenes Zeitbewußtsein uns vormache. Sie sei vielmehr in ihrem Verlauf abhängig von der Geschwindigkeit, mit der wir uns durch d'esen merkwürdigen „Einsteinsdicn Raum" bewegten. Sie sdirumpfe zusammen, je schneller wir dahineilten; und so meinen manche Vertreter der physikalischen Wissenschaft, der Raumschiffer könne in einer Zeit, die man auf der Erde vielleicht mit vier 2
Millionen oder vier Milliarden Jahren mißt, nach einer Reise zu einem weit entfernten Fixstern oder — man erschrecke nicht! — um das ganze Weltall herum wieder zur Erde zurückkehren, und der gleiche Mensch sei doch inzwischen nur um vierzig Jahre älter geworden. Freilich müsse ein solcher Weltfahrer damit rechnen, daß er die Erde gar nicht mehr antrifft, da sie sich während seiner Abwesenheit vielleicht längst in Staub aufgelöst hat. So scheint es, als sei diese Einsteinsche Welt eine Traumwelt, die uns mit ihren Ideen und Formeln etwas aufzwingen will, was mit unserem normalen und gewöhnlichen Empfinden in vollkommenem Widerspruch steht. Ja und nein! Beste Köpfe unter den Mathematikern und Physikern sagen, daß das alles theoretisch stimme. Allerdings seien wir noch lange nicht so weit, diese Grundvorstellungen Einsteins von Raum und Zeit durch die Weltraumfahrt nachprüfen zu können. Und vielleicht kämen die Menschen überhaupt nie dahin, diese Fragen zu lösen. So müssen wir es bei der Ahnung bewenden lassen, daß Einstein etwas Großes, Überwältigendes, Staunenerregendes erkannt hat, das wir aber weder mit unserem Denken noch mit unserem Handeln erfassen können. Ist nicht auch schon die Ahnung und die mit ihr verbundene Ehrfurcht vor dem schöpferischen Geiste etwas Erhebendes? Zu Besuch bei Einstein Durch Vermittlung von Max Planck, der mit Einstein zusammen die Grundlagen des heutigen Weltbildes geschaffen hat; war es dem Verfasser vergönnt, einmal einen Nachmittag ganz allein mit Einstein in dessen Wohnung in der Haberlandstraße Berlins, im sogenannten „Bayerischen Viertel", zu verbringen. Das Gespräch mit Einstein führte sofort in die Höhenregionen der Wissenschaft und der Philosophie. Aber Einstein versuchte erst gar nicht, seinen Gast in schwere Probleme zu verwickeln. Er wußte, daß dieser seine kleine Schrift kannte, in der Einstein einmal seine Relativitätstheorie „gemeinverständlich" dargestellt hatte, und daß er auch mit einigen größeren Werken zu diesem Thema beschäftigt war. So umspielten die Gedanken Einsteins und die Fragen und Bemerkungen des Besuchers in zwangloser Weise die Probleme von Zeit und Raum, die 3
verschiedenartigen Eindrücke und Erkenntnisse, die ein ruhender und ein in Bewegung befindlicher Beobachter von physikalischen Vorgängen und Gegebenheiten gewinnen, den verschieden schnellen Gang der Uhren im Tal und auf hohen Bergen und manches andere, was merkwürdig genug ist. Einstein wirkte „gemütlich", er zeigte nicht die Spur von Eitelkeit oder gar überlegener Würde. Er fand rasch den persönlichen Kontakt, lachte, schmunzelte gelegentlich listig, erzählte gern und lebhaft. Freilich spürte man sofort, und dieses Gefühl wich auch in Stunden der Aussprache nicht, daß sich sein Denken ständig auf erstaunlich hohen Ebenen bewegte, und man konnte sogar gelegentlich den Verdacht haben, daß er während der Entwicklung eines Gedankens innerlich schon die Grenzen dieses Gedankens überschritt, daß er weiter bohrte, vielleicht sogar im Geiste eine neue, mögliche Formel „notierte". Dann sann er einen Augenblick nach, als ob er das Arbeitszimmer mit seiner Unmasse von Büchern, Zeitschriften und Sonderdrucken, die überall auf Tischen und Stühlen herumlagen, verließe und in anderen Welten schwebte. Im Laufe des Gesprächs stießen wir immer wieder auf den Begriff der Relativität. Was ist überhaupt relativ? Gibt es eine unwandelbare Wahrheit oder kann man immer nur sagen: Vielleicht ist hier ein Weg zur Wahrheit und zur richtigen Erkenntnis der Gesetze des Alls eingeschlagen. Ja, meinte Einstein, so haben die Menschen die Idee der Relativität mißverstanden und oft geradezu in ihr Gegenteil verfälscht. Die Relativitätstheorie der Physik, bemerkte er sehr ernst und doch mit einem ironischen Blick in seinen Augen, ist eine rein mathematische und physikalische, dem allgemeinen Bewußtsein unzugängliche Wahrheit. Man kann sie nicht jedem begreiflich machen. Nur in der Einsamkeit wachsen einem solche Gedanken zu. Aber was haben die Leute in ihrer unverbesserlichen Sensationslust daraus gemacht? Kaum war die Allgemeine Relativitätstheorie im Jahre 1919 bekannt geworden, da stürzten sich die Menschen, die den furchtbaren Krieg erlebt hatten und nicht mehr an verpflichtende Werte glauben wollten oder konnten, auf den Begriff der Relativität. Alles ist relativ, unverbindlich, nur unter bestimmten Bedingungen gültig, erklärten sie. Es gibt gar keine wirkliche Wahrheit. „Und sie meinten", so sagte Einstein, schmerzlich bewegt, „mit meiner Relativitätstheorie jede Wahrheit überhaupt als unmöglich be4
zeichnen zu können, seien es ethische oder künstlerische oder religiösc Wahrheiten. Nein, glauben Sie mir, an diesem Relativitätsrummel bin ich nicht schuld." Einstein spann den Faden des Gespräches fort und wandte sich der Wirklichkeit des alltäglichen und des politischen Lebens zu. Er begann die Menschen zu charakterisieren, die so oft in die Irre gehen, und griff jene Machthaber an, die den Völkern ihr Recht und ihre Würde nicht geben wollen, so wie es sein müßte; er ereiferte sich, wenn er auf den Unsegen der Gewalt zu sprechen kam, gegen die er immer wieder Stellung nahm und gegen die er sich auch kurze Zeit zuvor mit seiner Unterschrift gewandt hatte. Damals hatte er im Verein mit weltbekannten Größen, mit Gandhi, Romain Rolland, H. G. Wells und vielen anderen einen Aufruf unterzeichnet, der den Krieg verurteilte. Wenn er von solchen Dingen sprach, wurde er in seiner Sprechweise um vieles lebendiger. Er war ein Idealist und wirkte wie ein Idealist. Der nach seinem berühmten amerikanischen Schöpfer benannte Kellogg-Pakt von 1927 hatte den Krieg geächtet. Aber die Politiker taten weiterhin so, als ob sie die von ihnen gegebene Unterschrift gar nicht ernst nähmen, und gingen längst wieder in ihren alten und eingefahrenen Geleisen. Das brachte Einstein auf. Es war da in seinen Worten etwas Prophetisches. Etwas Alttestamentliches war in diesem Manne, der in der Ehrfurcht vor der Majestät des Alls und damit der göttlichen Majestät lebte, der in allen großen Religionen diese Ehrfurcht wiedererkannte, zumal sie überall mit der Idee der Wahrheit eng verbunden ist. In der Nähe dieses Denkers, der den Kosmos neu formte, der ihm die Unbegrenztheit ließ, die Unendlichkeit aber nahm, fühlte der Besucher sich manchmal wie auf einem fernen Stern, manchmal auch wieder ganz auf der Erde mit ihren drängenden, brennenden Problemen. Niemand sonst hörte zu. Es war aber, als ob das Weltall selber zuhörte, wie hier zwei Menschen, der schöpferische und kritische Geist, kritisch vor allem auch gegen sich selbst, und der aufnehmende, nachdenkende, der dem hohen Flug des genialen Denkers bei weitem nicht in allem folgen konnte, ihre Gedanken um das letzte Geheimnis der Dinge kreisen ließen, ohne es erfassen zu können. 5
Albert Einstein als Knabe mit seiner Schwester Noch ein Gedanke kam zur Sprache; er knüpfte an die Frage an: Läßt -sich nicht -wenigstens der Mikrokosmos begreifen, die Welt des Allerkleinsten, die doch so winzige Ausmaße hat, gemessen am Makrokosmos, dem Weltall mit seinen unermeßlichen Entfernungen, wo der Lichtstrahl wer weiß wie viele Milliarden Jahre braucht, bis er einmal das All umrundet hat. Aber dann ergab sich als Antwort, wo denn der Unterschied zwischen dem unvorstellbar großen und dem unvorstellbar kleinen Raum liege, wenn die allgemeine Vorstellung vom Raum ebenso.wie von der Zeit Täuschung sei. Trotz6
dem sei es gelungen, in die Zusammenhänge hineinzuleuchten; Einstein sagte: „Das Unbegreiflichste an der Welt ist, daß sie begreiflich ist". Das ist gradezu ein geflügeltes Wort für ihn geworden, und er hat es immer wieder im Gespräch und auch schriftlich ausgesprochen. Wie Einstein arbeitete Was gäbe es Reizvolleres, als einem genialen Menschen bei der Arbeit über die Schulter zu sehen, das heißt, in seine Gedankenwelt und sein mitbeteiligtes Herz zu blicken und zu erfahren, wie er es eigentlich macht, um zu seinen bahnbrechenden und oft umstürzenden Erkenntnissen zu kommen. Eine Frage, die sich uns bei der Persönlichkeit Einsteins aufdrängt und über die auch die Fachleute nachgedacht haben, ohne ganz zur Klarheit zu kommen, ist die: War Einstein mehr Physiker oder mehr Mathematiker? Die Frage klingt zunächst etwas merkwürdig, denn er war gewiß beides. Er war theoretischer oder, wie man ebenso gut sagen kann, mathematischer Physiker. Das heißt, er hat zum Verständnis der Grundtatsachen der Physik mathematische Formeln gesucht und vielfach auch gefunden. Unter Grundtatsachen verstehen wir Naturbereiche oder Naturbegriffe wie Raum, Zeit, Stoff, Energie, Schwerkraft. Man darf unsere Frage wohl am besten so beantworten: Die eigentliche Liebe Einsteins gehörte der Mathematik. Aber er wollte die Mathematik in den Dienst der Erkenntnis des Weltalls stellen, und in der Welt finden physikalische Vorgänge statt. So hat er immer notwendigerweise eine Brücke geschlagen von der Mathematik zur Physik. Er hat es ausdrücklich abgelehnt, Mathematik um ihrer selbst willen zu treiben, ohne Anwendung auf die Wirklichkeit, die sich ja durch die Erschließung der Atomwelt zu seiner Zeit so unermeßlich geweitet hatte; ohne diese Verbindung erschien ihm Mathematik nichts anderes zu sein als eine schöne und interessante Spielerei. Zu Albert Einsteins Arbeitsweise gehörte es, keinen der überkommenen wissenschaftlichen Begriffe und keines der physikalischen Gesetze unbesehen zu übernehmen. Selbst die ganz fest gefügten B l ö i e des Wissens wendete er immer erst einmal hin und her und um 7
und um; erst nach gründlicher Prüfung fügte er sie in sein Denkgebäude ein, sofern sie vor seinem kritischen Auge überhaupt festen Bestand behalten hatten. Einstein hat auf Grund dieses seines methodischen Mißtrauens vieles scheinbar unerschütterlich Feststehende aus den Angeln gehoben. So erkannte er, daß die Natur uns keine Grundbegriffe an die Hand gibt, wie man bis dahin angenommen hatte. Solche Grundbegriffe, mit denen der Wissenschaftler denkerisch arbeitete, waren neben Raum und Zeit, von deren „Relativität" wir schon gesprochen haben, zum Beispiel Energie und Schwerkraft. Gab es überhaupt etwas, was man tatsächlich als Energie greifen konnte oder als Schwerkraft. War es etwas Strahlendes, etwas wie ein kraftvoller Hauch, etwas Wirkliches? Was war das, was von e^nem Hammer auf den Nagelkopf übersprang, wenn der Tischler zuschlug? Wir sagen: Energie geht über. Einstein, der darüber nachdachte, kam zu der Überzeugung, daß dieser Begriff Energie ebenso wie der Begriff der Schwerkraft von unserer Phantasie geschaffen 'ist und daß wir sie in die Natur hineinlegen. Wir finden sie nicht, wie man vor Einstein meist gemeint hat, einfach in der Natur als tatsächliche Gegebenheiten vor. Sie stammen aus der Selbstbeobachtung des Menschen. Wir wissen, daß wir Kraft brauchen, um etwas hochzuheben, und Energie, um ein angefangenes Werk, eine „Leistung" zu Ende zu führen. Was das aber ist: Kraft und Energie, diese Frage berühren wir, wenn wir den Satz niederschreiben, gar nicht. Trotzdem übertragen wir diese vom Menschen aus seiner Selbstbeobachtung gewonnenen Begriffe einfach als Tatsächlichkeiten auf die Natur und lassen sie von Gesetzen, Maß und Zahl beherrscht sein, die wir dann mathematisch erfassen können. Es gibt im Leben Einsteins Augenblicke, in denen er sich selbst und seinen schöpferischen Denkprozeß gleichsam von oben her betrachtete und uns Einblicke gewährte, wie wir sie in dieser Form selten von führenden Köpfen erhalten. Gerade da Einsteins Schaffensprozeß immer als ein besonderes, fast undurchdringliches Geheimnis empfunden wurde, sind wir ihm dankbar dafür, daß er sich anläßlich seines 50. Geburtstages am 14. März 1929 auf neun Fragen über die Art seines Schaffens geäußert hat. -Die erste Frage war, ob er bei seiner Ar v ?it mehr auf die Einzelergebnisse oder ?'-? ihre Einbettung in das Ganze der Wissen8
Einsteins Arbeitszimmer, Werkstatt des Geistes
schaft abziele. Er antwortete: Er erstrebe die Klärung der grundlegenden theoretischen Fragen, das mathematische Durchdenken und Formulieren sei ihm das Wesentliche, die „Welt" dagegen und der Ablauf der physikalischen Vorgänge seien ihm nur der Stoff für seine mathematischen Überlegungen. Die zweite Frage: Welche Anlässe spielen bei Ihnen, wenn Sie eine Arbeit in Angriff nehmen, eine Rolle? Die Antwort: Neugier und Besessenheit, sonst keine äußeren Anlässe. — Unter solchen äußeren Anlässen verstand Einstein irgendwelchen Zwang, und Zwang war für ihn das Schlimmste; etwa der Zwang, in irgendeinem Auftrag ein bestimmtes Problem zu lösen oder an einem Sammelwerk mitzuarbeiten oder auch zu bestimmter Stunde zu einem tiefgründigen Vortrag verpflichtet zu sein. So empfand er es auch als ein großes Glück, daß er nur wenige Semester vor Studenten Vorlesungen halten mußte und daß er fast seine gesamte Lebenszeit frei an seinen Gedanken arbeiten durfte. Die dritte Frage: Erwachsen Ihre Ideen mehr aus dem Wunsche, eine Lücke in der Wissenschaft auszufüllen, oder aus dem Wunsche, eine falsche Auffassung richtigzustellen? Antwort kurz und bündig: Aus dem Wunsch nach Vertiefung. — Fast nie hat Einstein sich wie so viele Wissenschaftler mit Gegnern herumgeschlagen, die Zeit war ihm viel zu schade dafür. Er ist, ohne viel auf seine Gegner zu achten, einsam und konsequent den Fragen nachgegangen, sobald er sie als wesentlich erkannt und sie vielleicht ganz neu gestellt hatte. Die vierte Frage: Sind Sie in höherem Grade an einem interessanten Denkverfahren, also an der Methode, oder am inhaltlichen Ergebnis der Arbeit interessiert? Antwort: Das Ergebnis schwebt mir als das Wesentliche vor, nicht die Form oder Methode. Aber es liegt auch ein gewisses geistig-sportliches Vergnügen bei meinen Arbeiten vor. — Der tiefschürfende oder hochgreifende Gelehrte Einstein erweist sich hier durchaus als Mensch, der wie ein Sportler gespannt ist auf den Ausgang des geistigen Kampfes, den er gewagt hat, und der über Erfolge beglückt ist wie ein sportlicher Sieger. Einstein wollte eine Lösung für das bis dahin Unbekannte und Dunkle im Verhalten der Natur finden. Die experimentierenden 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.14 10:04:29 +01'00'
Wissenschaftler waren zumeist mit dem praktischen Ergebnis ihrer Experimente zufrieden, und sie konnten es auch sein; Einstein aber wollte bis zum Wurzelgrund graben. Die fünfte Frage: Geht der erstmalige Gedanke an eine neue Arbeit auf einen eigenen Antrieb zurück, oder drängen dabei von verschiedenen Seiten Anregungen auf Sie ein? Antwort: Meist ist es eine einzige, plötzliche, mir fruchtbar erscheinende Idee, an der die ganze Arbeit hängt. — In ähnlicher Richtung bewegt sich die sechste Frage: In welchem Verhältnis stehen bei Ihrem Schaffen die beabsichtigte und bewußte Denkarbeit: die unbeabsichtigte, aber dennoch bewußte; die unbewußte? Antwort: Ich suche und beurteile zu allererst gefühlsmäßig. Aber dann werde ich mir der Gründe klar bewußt. Das ist ja auch für die Formulierung der neuen Erkenntnis unbedingt notwendig. — Einstein hat hier offener, als es die meisten Wissenschaftler tun, das Gefühlsmäßige bei der schöpferischen Arbeit hervorgehoben. Er hat sich auf seinen Instinkt, gleichsam auf seinen sechsten Sinn verlassen, der ihm das Wesentliche der Probleme in seiner Seele offenbarte und den ersten Schritt zu ihrer Lösung wies. Aber dann hat er bei der Ausführung streng logisch gedacht und alles mathematisch abgeleitet. Die siebte Frage: Gibt es Augenblicke, die besonders oder ausschließlich für das Aufblitzen neuer Gedanken geeignet sind? Einsteins Antwort lautete kategorisch: Nein. — Er war sich bewußt, daß er für seine Arbeit günstige Situationen nie künstlich herbeiführen konnte. Er konnte und mußte sich auf das Spielen seiner Gedanken, seines Genies verlassen. Das hat ihm eine solche Unabhängigkeit gegenüber äußeren Umständen gegeben, daß er immer wieder sagte: „Ich kann überall arbeiten, wo ich bin". Es gibt dafür Beispiele. Als er eine Verabredung zu einem Treffen selbst pünktlich einhielt, der Partner aber aufgehalten worden war und sehr verspätet kam, wehrte er dessen. Entschuldigung freundlich ab mit den Worten: „Was ich zu tun habe, kann ich überall tun". Er hatte einfach, auf und ab gehend, seinen Problemen da weiter nachgespürt, wo er sie am Schreibtisch verlassen hatte. Die achte Frage: Glauben Sie, daß es Zusammenhänge gibt zwischen der Entstehung schöpferischer Einfälle beim Künstler und der bei einem Wissenschaftler? Antwort: Der seelisch-geistige Grundtrieb 11
dürfte in beiden Fällen der nämliche sein, wenigstens bei der eigentlichen erfinderischen Tätigkeit. — Es ist bei dieser Antwort aufschlußreich zu erfahren, daß sich etwa zur gleichen Zeit Einstein auch ausführlich auf Fragen über das Wesen des Erfindens geäußert hat. Erfinden und Erforschen war für ihn etwas ebenso nahe Verwandtes, wie künstlerisches und wissenschaftliches Schaffen. Die neunte Frage: Beeindruckt Ihre musikalische Betätigung Ihr so ganz anders gestaltetes eigentliches Arbeitsfeld? Antwort: Die Musik wirkt nicht auf die Forschungsarbeit, sondern beide werden aus derselben Sehnsuchtsquelle gespeist. — Einstein war sein Leben lang ein begeisterter Violinspieler. Er nahm seine Geige möglichst überallhin mit, und in manchen Häusern hat er Menschen mit seinem Spiel erfreut. Wenn er in Brüssel war, hat er immer wieder gern mit der Königin Elisabeth von Belgien musiziert, aus dem musikalischen Einvernehmen ergab sich auch manchmal ein Gedankenaustausch über hochgeistige Probleme. Unter der gemeinsamen „Sehnsuchtsquelle" beim Forscher und beim Musiker verstand Einstein das Folgende: Beide werden von einer geradezu leidenschaftlichen Sehnsucht erfaßt, aus der Natur und aus der Kunst Offenbarungen zu empfangen und aus der geheimnisvollen Welt des Erhabenen und der Wahrheit etwas zu erfahren über die große Harmonie und Ordnung. Der Forscher legt das, was er erforscht, in seinen mathematischen Formeln und in den von ihm gefundenen Naturgesetzen nieder, der Musiker gibt ihm in der Sprache und in den Rhythmen der Töne Ausdruck, die so leicht nicht mißverstanden und mißdeutet werden können. Einem japanischen Gelehrten gab Einstein einmal Antwort auf die Fragen, ob man wirklich in der Wissenschaft bis zur letzten Wahrheit über das Dasein vordringe, ob die Welt dann tatsächlich begreiflich werde und ob man schließlich zu einem allgemeingültigen Bilde von der Welt oder gar zum göttlichen Urgrund alles Seins gelangen könne. Bei der Beantwortung ging Einstein davon aus, daß der Begriff „Wahrheit" auf verschiedenartige Gebiete bezogen werde. Eine Erlebnistatsache, ein mathematischer Satz, eine naturwissenschaftliche Theorie seien „verschieden wahr"; aber das beruhe auf der Unge12
nauigkeit des sprachlichen Ausdrucks. Das Erlebnis sei einfach durch die Tatsache, daß man es erlebt habe, „wahr", der mathematische Satz sei wahr, weil er logisch und in sich geschlossen abgeleitet sei, so daß es kein Deuteln mehr gebe, eine naturwissenschaftliche Theorie sei wahr, wenn sie sich an der Wirklichkeit der Naturtatsachen und Experimente immer wieder bestätigen lasse. Tue sie das eines Tages nicht mehr, weil neue Experimente der alten Theorie widersprächen, dann müsse diese Theorie eben aufgegeben oder ergänzt werden. Wieder etwas anderes sei die religiöse Wahrheit. Ausdrücklich bekannte sich der große Denker in diesem Zusammenhang zum hohen Wert der Religion und zum Gottesbegriff, im Gegensatz zum Aberglauben, den gerade die Wissenschaft durch Förderung klaren und folgerichtigen Denkens bekämpfen könne. Einstein hatte jedoch nach seinem eigenen Bekenntnis zu den konfessionellen Traditionen kein inneres Verhältnis. Professor Frank, der ihm nahestand, gibt ein Wort wieder, das Einstein zu ihm sprach: „Wenn ich mich einer christlichen Kirche anschließen sollte, so würden das die Quäker sein". Er stammte ja aus einer jüdischen Familie, die jahrhundertelang in Württemberg ansässig gewesen war. Einstein war kein Glaubensjude im strengen Sinne. Vielmehr war er offen für jedes Zeichen hoher und weiter Geistigkeit in den Kirchen und bei den Priestern und sagte einmal, er habe „gefunden, daß die Theologen und Geistlichen überhaupt sich oft mehr für die Relativitätstheorie interessieren als die Physiker". Gerade die Quäker haben ihm für sein geistiges Werk und ebenso für seine hohe Auffassung vom Menschen und von Menschenwürde hohe Anerkennung gezollt und gespürt, daß hier ein wahrhaft schöpferisches Genie einen einsamen Weg ging. In dem Haupthause der Quäker, dem „House of Friends" in London, hängt neben den Porträts von Gandhi und Albert Schweitzer das Bild Einsteins. Auch die Baptisten ehrten ihn; an der Fassade der baptistischen Riverside Church in New York ist eine Büste Einsteins angebracht. Viele religiös Denkende waren zu seinen Lebzeiten und sind auch noch heute der Auffassung, daß Einsteins wissenschaftliche Lehre die Religion nicht angetastet habe; die Art, wie Einstein Religion und Wissenschaft als vereinbar erkläre, entspreche durchaus dem Geist unserer Zeit. 13
Der vielgestaltige Tempel der Wissenschaft In besonders schöner Weise hat sich Einstein in der Festrede zum sechzigsten Geburtstag Max Plancks über die Arbeitsweise des Forschers geäußert. Mit Humor und mit feinen Anspielungen, in denen er zeit seines Lebens Meister war, stellte er den Schaffensprozeß bei genialen Menschen, insbesondere natürlich bei den Physikern, jedem verständlich dar. In dieser Rede im Kreise der Fachleute hat sich Einstein, ohne es zu wollen und frei von jeder Eitelkeit, selber porträtiert. Wir können jedes Wort, das er auf den Jubilar Max Planck münzte, fast wörtlich auf ihn selbst anwenden. „Ein vielgestaltiger Bau ist er, der Tempel der Wissenschaft", erklärte Albert Einstein in dieser Glückwunschansprache. „Gar verschieden sind die darin wandelnden Menschen und die seelischen Kräfte, welche sie dem Tempel zugeführt haben. Gar mancher befaßt sich mit Wissenschaft im freudigen Gefühl seiner überlegenen Geisteskraft; ihm ist die Wissenschaft der ihm gemäße Sport, der kraftvolles Erleben und Befriedigung des Ehrgeizes bringen soll; gar viele sind auch im Tempel zu finden, die nur um utilitaristischer Ziele (nur um des Nutzens) willen hier ihr Opfer an Gehirnschmalz darbringen. Käme nun ein Engel Gottes und vertriebe alle diese Menschen aus dem T e m p e l . . . , so würde er bedenklich geleert, aber es blieben doch noch Männer aus der Jetzt- und Vorzeit im Tempel drinnen. Zu diesen gehört unser Planck, und darum lieben wir ihn. Ich weiß wohl, daß wir da soeben viele wertvolle Männer leichten Herzens im Geiste vertrieben haben, die den Tempel der Wissenschaft zum großen, vielleicht zum größten Teile gebaut haben; bei vielen auch würde unserem Engel die Entscheidung ziemlich sauer werden. Aber eines scheint mir sicher: Gäbe es nur Menschen von der soeben vertriebenen Sorte, so hätte der Tempel nicht entstehen können, so wenig als ein Wald wachsen kann, der nur aus Schlingpflanzen besteht. Diesen Menschen genügt eigentlich jeder Tummelplatz menschlicher Tätigkeit; ob sie Ingenieure, Offiziere, Kaufleute oder Wissenschaftler werden, hängt von äußeren Umständen ab. Wenden wir aber unsere Blicke denen zu, die vor dem Engel Gnade gefunden haben! Etwas sonderbare, verschlossene, einsame Kerle sind es zumeist, die einander trotz dieser Gemeinsamkeiten 14
eigentlich weniger ähnlich sind als die aus der Schar der Vertriebenen. Was hat sie in den Tempel geführt? Die Antwort ist nicht leicht zu geben und kann gewiß auch nicht einheitlich ausfallen. Zunächst glaube ich mit Schopenhauer, daß eines der stärksten Motive, die zu Kunst und Wissenschaft hinführen, eine Flucht ist aus dem Alltagsleben mit seiner schmerzlichen Rauheit und trostlosen Öde, aus den Fesseln der ewig wechselnden eigenen Wünsche. Es treibt den feiner Besaiteten aus dem persönlichen Dasein heraus in die Welt des objektiven Schauens und Verstehens; es ist dies Motiv mit der Sehnsucht vergleichbar, die den Städter aus seiner geräuschvollen, unübersichtlichen Umgebung nach der stillen Hochgebir^slandschaft unwiderstehlich hinzieht, wo der weite Blick durch die stille, reine Luft gleitet und sich ruhigen Linien anschmiegt, die für die Ewigkeit geschaffen scheinen. Zu diesem negativen Motiv aber gesellt sich ein positives. Der Mensch sucht sich in ihm irgendwie ein vereinfachtes und übersichtliches Bild der Welt zu gestalten und so die Welt des Erlebens zu überwinden, indem er sie bis zu einem gewissen Grade durch dies Bild zu ersetzen strebt. Dies tut der Maler, der Dichter, der Philosoph und der Naturforscher, jeder in seiner Weise. In dieses Bild und seine Gestaltung verlegt er den Schwerpunkt seines Gefühlslebens, um so Ruhe und Festigkeit zu suchen, die er im allzu engen Kreise des wirbelnden persönlichen Erlebens nicht finden kann." Im weiteren Verlaufe seiner Planck-Rede wies Einstein darauf hin, daß sich unter den vielen Möglichkeiten, ein physikalisches Weltbild aufzubauen, jeweils in einem Zeitalter eine bestimmte Möglichkeit allen anderen unbedingt überlegen zeige. Der Forscher versuche, die ungeheure Mannigfaltigkeit der physikalischen Tatsachen und Experimente unter möglichst einfache Gesetze zu bringen. Mit Staunen sehe er, wie das scheinbare Chaos tatsächlich eine großartige Ordnung sei, die nicht der Geist des Forschers in die Dinge hineinlege, sondern die er in der Welt vorfinde. Diese Ordnung in den Dingen selbst hätten Philosophen wie Leibnitz als eine vorherbestimmte Harmonie bezeichnet, die das ganze Weltall erfülle.
15
Dieses Stück Selbstcharakterisierung in der Jubiläumsrede auf Max Planck zeigt uns, wie hoch Albert Einstein die Aufgaben des Forschers eingeschätzt hat. Aber kann ein Mensch dauernd in diesen, fast unzugänglichen Höhen des Geistes leben und wandeln? Genügen die Beglückungen, die er dort durch seine Erkenntnisse gewinnt, ihm das Leben wertvoll erscheinen zu lassen? Einstein hat diese Frage wenigstens zeitweilig mit nein beantwortet. Er pflegte zu sagen: „Jeder Gelehrte müßte ein Schusterhandwerk haben". Damit meinte er den Ausgleich in irgend einer Alltagsarbeit, bei der es mehr auf technisches Können, vielleicht sogar nur auf einfache Fertigkeit ankomme. Anschließend werde er dann, den Gegensatz spürend und begrüßend, sich erfrischt wieder aufschwingen in die Höhenwelt seiner geistigen schöpferischen Arbeit, in die ihm nur wenige zu folgen vermögen. Einstein selbst befand sich einmal in einer solchen Lage, als er mitten im Nachdenken über die größten Probleme der Physik froh war, eine solche mehr mechanische Arbeit zu finden. Es war die Zeit, als er die Relativitätstheorie entwickelte und gleichzeitig nach einer festen Stelle suchte, um eine wirtschaftliche Basis zu finden und heiraten zu können. Ein Studienkamerad führte ihn beim Direktor des schweizerischen Patentamtes in Bern ein, als dieser einen Mitarbeiter suchte. Der Direktor fragte Einstein: „Was wissen Sie über Patente?" Einstein antwortete in seiner für ihn selbstverständlichen Ehrlichkeif. „Nichts!" Das offene Eingeständnis veranlaßte den Leiter des Amtes, sich ein genaueres Bild von den Kenntnissen dieses merkwürdigen jungen Mannes zu verschaffen, und er erkannte bald zu seiner Beruhigung, daß Einstein genügend wußte, um den Wert von Erfindungen, die beim Patentamt angemeldet wurden, zu beurteilen. Er stellte ihn ein und ließ ihm genügend freie Zeit zu eigener Arbeit, so daß Einstein, in seinen Berner Jahren zu seinen ersten großen Leistungen gelangte. Gewiß ist die Beurteilung neuer, wirklicher oder angeblicher Erfindungen, vom Durchschnittsmenschen her gesehen, durchaus eine hochwertige Tätigkeit. Aber Einstein, dessen Geist eben viel höher fliegen wollte und auch konnte, empfand sie als das hochwillkommene „Schusterhandwerk", das ihm zum Ausgleich diente. 16
Philosoph und Forscher Die beiden Nobelpreisträger Albert Einstein und der indische Dichter, Pädagoge und Religionsphilosoph Rabindranath Tagore auf Einsteins Besitzung in Caputh, USA 17
Der Lebensweg Das Leben Albert Einsteins tritt im Bewußtsein der Öffentlichkeit fast ganz hinter der Bewunderung für sein Werk zurück. Wie hat sich dieses Leben eigentlich abgespielt? Stand es unter einem günstigen Stern, so daß Einstein gleichsam mit nachtwandlerischer Sicherheit auf sein Lebensziel, die Schaffung seiner großen Theorien, zusteuerte? Oder hat ihm das Schicksal wie so manchem anderen Großen immer wieder Steine in den Weg gelegt? Albert Einstein brachte die besten charakterlichen und seelischen Eigenschaften mit in seine Lebensarbeit: leidenschaftliche Begeisterung für die Grundfragen der Physik und Mathematik, den bohrenden, auch bei größten Schwierigkeiten nicht nachgebenden Willen, jede Theorie bis auf das letzte I-Tüpfelchen auszuarbeiten, das Vertrauen auf das Gefühl und einen geradezu magnetischen Richtungssinn, der ihm gleich einem Kompaß den Weg zum geistigen Erfolg verriet. Auch wenn wir aus Einsteins Leben die schöpferischen Leistungen wegdächten, die ihn in die Reihe der Unsterblichen auf dieser Erde gestellt haben, wäre er eine Persönlichkeit von eigener Art und Bedeutung gewesen. Denn er hat von Kind auf in zunehmendem Maße das Schlechte und Böse durchschauen gelernt und Kräfte in sich entfaltet, die er in den Dienst des Guten, des Rechtes und der Gerechtigkeit, der sozialen Erneuerung und des Friedens unter den Menschen und Völkern stellte. Albert Einstein ist am 14. März 1879 in Ulm geboren, im Schatten des Ulmer Münsters. Schon im folgenden Jahre zog sein Vater mit der Familie nach München und gründete dort eine kleine Fabrik für elektrische Apparate und Instrumente. Albert Einstein zeigte in seiner Kindheit keinerlei außergewöhnliche Eigenschaften, er lernte spät sprechen, tat in Ernst und Spiel alles mit bedächtiger Langsamkeit und war durchaus kein Wunderkind, das über Gleichaltrige hinausragte. Seine Lehrer erinnerten sich überhaupt nicht an den jungen Einstein in der Schule, als er später ein berühmter Mann geworden war und man sie nach ihm fragte. Er selbst schrieb einmal: „Die äußeren Lebensumstände haben in meinen Gedanken und Empfindungen immer nur eine untergeordnete Rolle gespielt". Er ging in München auf das Gymnasium, aber er konnte sich nur schwer in 18
die Schuldisziplin einordnen, in das tägliche Gleichmaß des Unterrichts, in die eiserne Regelung des Tagesablaufs. Die Einhaltung bestimmter äußerlicher Formen, alles, was man „Konvention" nennt, deren Befolgung seine Eltern und Lehrer von ihm verlangten, lehnte er ab. Immer wieder konnte er fragen, warum man sich denn so und so kleiden, oder gesellschaftlich auf herkömmliche Art verhalten müsse, auch wenn dieses Verhalten ohne Sinn sei. Das wollte und konnte er nicht einsehen, und noch im Alter spricht er von dieser „Einstellung, die mich nie wieder verlassen hat, wenn sie auch später durch Einsicht in die kausalen (ursächlichen) Zusammenhänge ihre ursprüngliche Schärfe verlor". Wir gewahren hier sein starkes Bedürfnis nach sinnvoller, von der Vernunft bestimmter Lebenshaltung, die von allem nur Äußerlichen und Zufälligen weg zum Wesentlichen und zu der immer klarer sich abzeichnenden Aufgabe, hinter die Dinge zu schauen, hinführte. Er hat das später in seinen Erinnerungen ausgesprochen: „Bei einem Menschen meiner Art liegt der Wendepunkt der Entwicklung darin, daß das Hauptinteresse sich allmählich weitgehend loslöst vom Momentanen und Nur-Persönlichen und sich dem Streben nach gedanklicher Erfassung der Dinge zuwendet". Aber wie oft bei bedeutenden Menschen gibt es auch in Einsteins früher Jugend Momente, in denen ein Hinweis auf seine späteren _ Neigungen erkennbar wird. Im Alter von fünf Jahren erhielt er von seinem Vater einen kleinen Kompaß zum Geschenk. Das Kind, das sonst wenig Interesse an den Vorgängen des Alltags zeigte und eher einen zerstreuten Eindruck machte, war alsbald wie verwandelt. Immer wieder besah er sich die zitternde Nadel, die von einer geheimnisvollen Kraft bewegt wurde. Hier zeigte sich ihm etwas, das wie ein Wunder über seinen Verstand hinaus ging und das er dennoch zu ergrübein suchte. Schon das Kind wollte nicht einfach etwas hinnehmen, ohne die Frage nach dem Warum zu stellen. Mit diesem Warum der Nadelbewegung im Kompaßgehäuse, mit dem Problem und dem Wesen des magnetischen Feldes, hat Einstein sich dann später tiefgründig und mit ganz neuen Ergebnissen beschäftigt. Da der Vater mit der Entwicklung seiner Fabrik nicht zufrieden war, siedelte er nach Mailand über. Den Sohn Albert ließ er zunächst nodi in München, da ihm ein Schul Wechsel, besonders auf eine Aus19
landsschule, nicht günstig schien. Der fünfzehnjährige Einstein blieb nur sechs Monate in München, ging dann zu seinen Eltern, ohne seine Schulbildung abzuschließen. Da die Eltern keine Mittel für sein weiteres Studium aufbringen konnten, taten sich reichere Verwandte zusammen und verpflichteten sich, monatlich hundert Schweizer Franken beizusteuern, damit er in der Schweiz irgend etwas Rechtes lernen könne. Die Schweiz erschien dem jungen Einstein als das freieste Land, das am wenigsten Zwang auf sein äußeres Leben ausüben würde, er wollte in kein anderes Land gehen. Ein erster Plan scheiterte. Er hatte gehofft, an dem berühmten Polytechnikum in Zürich, das heute den Namen „Eidgenössische Technische Hochschule" trägt, mit Hilfe seiner mathematischen Kenntnisse das Zulassungsexamen als Student zu bestehen. Aber in anderen Fächern genügten seine Kenntnisse so wenig, daß sich die Prüfenden nicht zur Aufnahme entschließen konnten. So mußte er sich wohl oder übel wieder auf die Schulbank setzen. Durch einen Zufall kam er in die schweizerische Kleinstadt Aarau, wo sich ein Lehrer der Kantonschule seiner annahm. Obwohl Einstein mehr Zeit bei Beobachtungen in der freien Natur als am Schreibtisch verbrachte, bestand er sein Abitur und wurde endlich zum Polytechnikum in Zürich zugelassen. Der Bann war gebrochen. Mit Leichtigkeit absolvierte er die Hochschule und fand schon bald die Anstellung am Patentamt in Bern, wo er von 1902 bis 1909 tätig war. Im Jahre 1905 erschienen in der Fachpresse vier bedeutende Arbeiten aus verschiedenen Gebieten der Physik, darunter auch seine „Spezielle Relativitätstheorie". Diese Veröffentlichungen machten ihn in kurzer Zeit in weitesten Kreisen der Fachwelt bekannt, ja berühmt. Er war damals sechsundzwanzig Jahre alt. Im Jahre 1909 erhielt Einstein einen Lehrauftrag an der Universität Zürich, zunächst als Privatdozent, dann als außerordentlicher Professor. Von'1911 bis 1912 wirkte er als ordentlicher Professor für theoretische Physik an der Deutschen Universität in Prag, ging dann wieder nach Zürich, folgte aber schon im Jahre darauf dem sehr ehrenvollen Ruf der Preußischen Akademie der Wissenschaften, die ihn ohne jede Lehrverpflichtung mit Forschungsaufgaben betrauen wollte. Max Planck war eigens mit einem Kollegen nach Zürich gefahren, um dem vierunddreißigjährigen Einstein diese außergewöhn20
liehe Ehrung anzutragen. In Berlin konnte Einstein in voller Ruhe, wenn auch nicht ohne wachsende Anfeindung, seine Gedankenwelt ausbauen, er wirkte in dieser Zeit auch mehrmals an amerikanischen Forschungsinstituten. Da der immer bedrohlicher werdende Ungeist des Nationalsozialismus seine Wissenschaft mehr und mehr als undeutsch bezeichnete, siedelte er ganz nach Amerika über und blieb dort bis zu seinem Tode am 18. April 1955. Er bekleidete, wiederum ohne Lehrverpflichtung, eine Forschungsprofessur an der Universität Princeton und widmete sich neben seiner rein wissenschaftlichen Tätigkeit auch dem Tagesschrifttum, indem er zu den großen sozialen und internationalen Zeitfragen häufig auch in der Presse Stellung nahm. Kämpfer für Wahrheit und Recht Daß Einstein mit seiner großen Unbefangenheit manche Schwierigkeiten und Hindernisse übersah, die sich allzu idealen und radikalen Forderungen entgegenstellen, nimmt nicht wunder. Er stürmte zuweilen im Politischen drauf los, wog die Worte nicht gerade übergenau, verwickelte sich vielleicht auch in Widersprüche. Aber welcher Mensch wäre nicht ohne Widerspruch? Einstein hätte gut mit Ulrich von Hütten die Worte sprechen können, die diesem der schweizerische Dichter Conrad Ferdinand Meyer in den Mund legte: „Ich bin kein ausgeklügelt Buch, ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch". Aber seine reine Seele, die „anima Candida" des leidenschaftlichen Forschers, ließ die Kritiker und Spötter schon bald wieder verstummen. Denn auch sie spürten, daß es Einstein auf das einzig Notwendige in dieser Zeit ankam: die Menschen vor unnötigen, aus der Gier, dem Profit und einem falschen Kampfinstinkt stammenden Leid zu bewahren, die Verantwortung für die Beherrschung der neuen Atomkräfte zu schärfen und sie im Sinne des Friedens einzusetzen. Einstein hat, entgegen einer weit verbreiteten Meinung, nicht unmittelbar an der Atomspaltung und ihrer Folge, der Gewinnung der Atomkraft und der Schaffung der Atombombe, teilgenommen. Nachdem die ersten Atombomben über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki gefallen waren, hat er in aller Öffentlichkeit erklärt, daß er diese Grausamkeit mißbillige. Er war der Auffassung, daß man die Bombe nicht wirklich hätte einsetzen dürfen, 21
Um Raum und Zeit. .. Der Gelehrte diskutiert mit Angehörigen eines amerikanischen Forschungsinstituts einen Kernsätz der Relativitätstheorie 22
sondern daß man ihre Wirkung in einer abgelegenen Gegend, aber in aller Öffentlichkeit hätte demonstrieren sollen, so daß auch die Japaner ihre furchtbare Gewalt beobachten konnten. Japan würde, so meinte Einstein, angesichts dieser Waffe den mörderisch gewordenen Krieg sicher sofort beendet haben. Er war sich bewußt, daß alle Menschen den Atomkrieg fürchten mußten. Aber er selbst fürchtete vor allem, daß die Politiker versuchen würden, mit unzulänglichen Methoden diese furchtbare, die ganze Menschheit bedrohende Gefahr abzuwenden. Seine Befürchtung kleidete er in die Worte: „Was bedeuten angesichts der wirklichen Sehnsüchte und der Gefährdung des Menschen die veralteten ,Realitäten' des Protokolls und des militärischen Schutzes?" Er meinte mit den ,Realitäten' des Protokolls die herkömmlichen Methoden der Politik und Diplomatie. Mit ihnen und auch mit Verteidigungsmaßnahmen allein lasse sich der tödlichen Bedrohung der Menschheit nicht Einhalt gebieten. Statt dessen forderte er „das Gespräch zwischen den Menschen", das heißt Verhandlungen, Aussprachen unter den Staatsmännern und Begegnungen zwischen den Menschen der einzelnen Völker. Albert Einstein hat viel über die Befriedung der Welt nachgedacht. Er hatte dazu ganz feste Vorstellungen, die wir aber nur richtig verstehen können, wenn wir an einen Grundzug in seiner Überzeugung denken, nämlich daß ihm die Liebe als die erhabenste aller Tugenden galt. In der New-Yorker Times vom 20. Juni 1932 schrieb er, daß nur das Leben im Dienste anderer ein lebenswertes Leben sei. Den geistig Schaffenden, den Wissenschaftlern und Künstlern, wies er ganz bestimmte Aufgaben im Dienst an der Mensdiheit zu. So sagte er in dem gleichen Blatt am 18. November 1946: „Die geistig Schaffenden können für die Verbreitung klarer Vorstellungen über unsere Situation und die Möglichkeit wirksamer Aktionen sorgen. Sie können durch Aufklärung fähige Staatsmänner daran hindern, sich in ihrer Arbeit durch veraltete Meinungen und Vorurteile hemmen zu lassen". „Areopag der Weisheit" Mit der Frage, was der geistige Mensch für den friedlichen Fortschritt im Völkerleben tun könne, hat Einstein sich immer wieder befaßt. Er war eines der ersten Mitglieder der Kommission für intel23
lektuelle Zusammenarbeit im Völkerbund, die bald nach dem ersten Weltkrieg ihre Tätigkeit aufnahm. Schon damals stand er an einem sichtbaren Posten im internationalen politischen Leben. Später fragte man ihn, ob es ratsam sei, einen „Areopag der Weisheit" einzurichten, der als ein beratendes moralisches Kollegium den führenden Staatsmännern der Welt zur Seite stehen, ihre Pläne lenken und sie auf den internationalen Frieden abstimmen solle. Die Bezeichnung „Areopag" knüpfte an den überwachenden „Rat der Alten" im antiken Athen an, von dem man größere Weisheit und einen besseren Weitblick erwartete als von den Tagespolitikern. Im Jahre 1939 wurde unter Mitwirkung von Einstein diese Frage in der amerikanischen Öffentlichkeit stark erörtert, nachdem ein solches Kollegium auf der Versammlung zur 300-Jahr-Feier der berühmten Harvard-Universität vorgeschlagen worden war. Der Gedanke war, ein geistiger „Areopag" könne eine ähnliche Aufgabe erfüllen wie der Lehrkörper der Universität Paris im Mittelalter, dessen Urteilsspruch im ganzen Abendland beachtet wurde, wenn wichtige moralische Entscheidungen zu fällen und das Weltbewußtsein im Guten zu beeinflussen war. Einstein antwortete auf die an ihn gerichtete Frage, er halte den Gedanken für sehr zukunftsreich; ein solcher Gerichtshof würde das „Gewissen der Menschheit" darstellen, er könne im Laufe der Zeit einen „höchst segensreichen und sogar maßgebenden Einfluß auf die Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Dinge in der Welt ausüben". Er versicherte, daß ein solches Kollegium die besten Geister mobilisieren würde. Einstein hat nicht nur seinen guten Willen bewiesen, sondern er begann auch tätig zu werden, indem er Richtlinien entwarf, wie die Mitglieder jenes „Areopags" gewählt und frei werdende Stellen wieder besetzt werden sollten. Er hat dann, nach dem zweiten Weltkrieg erneut viel geistige Kraft auf die Pläne für eine derartige Organisation verwandt. Immer wieder bis in seine letzte Lebenszeit verlangte er von den Intellektuellen, auch wenn er sie nicht direkt mit politischen Aufgaben belasten wollte, daß sie zum mindesten auf sozialem Gebiet tätig seien. Das sei nicht nur eine Forderung der Vernunft, sondern vor allem des Herzens. „Das wirkliche Problem ruht in den Herzen der Menschen", sagte er. 24
Am Mikrophon: Mahnung zum Weltfrieden Große Sorgen bereitete ihm die zu seiner Zeit ständig in Frage gestellte Unabhängigkeit der Wissenschaft. Er erklärte: „Verkümmert die wissenschaftliche Forschung, so versandet das geistige Leben der Nation". Er kannte die Gefahren, die der Freiheit des Denkens von gewissen Staatssystemen drohten, welche die Unabhängigkeit im Geiste entweder überhaupt verachteten oder die Forschung ausschließlich auf ihre oft gewalttätigen Ziele auszurichten suchten. Darum hat Einstein in der Öffentlichkeit immer wieder betont, die Wissenschaftler dürften sich nicht nur als reine Forscher in der Stille ihrer Laboratorien und Studierzimmer fühlen, sondern auch als Staatsbürger. Als die Jahrhundertfeier zu Ehren des großen amerikanischen Präsidenten Lincoln begangen wurde, griff Einstein in einer brieflichen Botschaft an das Festkomitee ein und forderte eine gemeinsame Aktion der Wissenschaftler in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger. Es gelte für die Freiheit der Forschung und der Lehre einzustehen und jede Beeinträchtigung der wissenschaftlichen For25
schungs- und Lehrfreiheit abzuwehren. Die Regierenden aller Länder beschwor er, die Lehrenden vor Beeinflussung zu schützen und sie jedem wirtschaftlichen oder politischen Druck zu entziehen, und zwar nicht nur in den Diktaturstaaten. Eines seiner wichtigsten, von ihm oft wiederholten Worte ist: „Tue nichts gegen das Gewissen, selbst wenn es der Staat verlangt". Das „gequantelte" Licht Zum Schluß will der Verfasser versuchen, wenigstens eine Andeutung von den wissenschaftlichen Leistungen Einsteins zu geben. Manches ist schon auf den vorangegangenen Seiten angeklungen. Die Schwierigkeiten der Theorien Einsteins machen es unmöglich, dasjenige wirklich verständlich zu machen, was in unzähligen Fachzeitschriften und in umfangreichen, heute schon kaum mehr aufzählbaren Büchern und Schriften zur Grundlegung, Weiterführung und auch zur Kritik der Einsteinschen Lehren niedergelegt ist. Zu deren Bewältigung reicht ein einziges Forscherleben längst nicht mehr aus. Einstein hat mit einer nie nachlassenden Genialität alle wesentlichen Grundfragen der Physik seit ihrer Neubegründung um das Jahr 1900 verfolgt. Wenn man die Grundlagen dieser neuen Physik, der Atomphysik sowohl wie der Weltraumphysik, betrachtet, so ergibt sich, daß er auf beiden Gebieten verschlossene Tore geöffnet hat. Einstein knüpfte an die Quantenphysik an, die Max Planck*) im Dezember 1900, als Einstein einundzwanzig Jahre alt war, begründet hatte. Planck hatte den kühnen Gedanken gefaßt, daß die Natur im atomaren Bereich „Sprünge macht", er hatte angenommen, daß zum Beispiel Wärmestrahlen nicht wie der Wasserstrom unaufhörlich und ununterbrochen aus der Wärmequelle herausfließen, sondern unstetig, stoßweise, in kleinsten meßbaren Einzelbeträgen, schnell hintereinander folgenden Geschossen vergleichbar. Planck sagte, die Wärmeenergie, wie überhaupt alle Energie ist „gequantelt". Die Energiequanten sind sozusagen räumlich gebundene Zusammenballungen von Energie oder „Energiekörnchen". Er nannte die kleinste in einem bestimmten Zeitintervall ausgesandte Energieportion Wirkungsquantum, dessen Formel er zu Anfang des Jahrhun*) vgl. Hans Hartmann, Lux-Leiebogen 281, »Max Planck*
26
derts in Verbindung mit der Schwingungshäufigkeit (Frequenz) der betreffenden Strahlung errechnete. Seine „Größe" ist immer und überall gleich, konstant; man nennt das Wirkungsquantum deshalb eine Naturkonstante. Gemessen an der physikalischen Arbeitseinheit ist es nur 6,6234 : 1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 groß. Eine solche Auffassung von der Energie bot viele physikalische und gedankliche Schwierigkeiten. Die wenigen Wissenden, die sich damals, 1900 und in den folgenden Jahren, überhaupt um diese seltsame, den meisten verrückt erscheinende Theorie kümmerten, warteten mit Spannung, wann man denn solche „Energiekörnchen" zum ersten Mal in der Wirklichkeit entdecken würde. Der Mann, der hier eingriff, war Albert Einstein. In dem für ihn so entscheidungsvollen Jahr 1905 überzeugte er auch Max Planck davon, daß man eine schon von Heinrich Hertz 1887 entdeckte bisher nicht gedeutete Erscheinung nur mit der Quantenauffassung der Energie erklären könne. Wie Einstein diese Tatsache bewies, zeigt seine bemerkenswerte Gabe, selbst aus bereits bekannten Naturerscheinungen neue, wegweisende Schlüsse zu ziehen. Auf eine Metalloberfläche wird eine bestimmte Lichtstrahlung gerichtet. Sie fällt auf die Platte auf; unter dem Aufprall werden aus den Metallatomen Elektronen herausgeschleudert, deren Reichweite und Energie man messen kann. Das ist der berühmte lichtelektrische oder photoelektrische Effekt. Die Physiker dachten zunächst, daß die Energie und damit auch die Reichweite dieser Elektronen selbstverständlich abnehmen müsse, wenn man die Lichtquelle schwächer machte, wenn man also zum Beispiel bei einer Petroleumlampe den Docht herunterschraubte. Gerade das aber war zum größten Erstaunen der Naturforscher nicht der Fall. Es zeigte sich zwar, daß bei diesem „Herunterschrauben" immer weniger Elektronen aus der Metallplatte herausfliegen, aber jedes wegschnellende Elektron flog mit der gleichen Energie, das heißt mit der gleichen Geschwindigkeit davon, die auch alle vorher von der gleichen Lichtstrahlung ausgeschleuderten Elektronen gehabt hatten. Das Maß dieser Energie oder Geschwindigkeit hing nur von der Frequenz, der Schwingungshäufigkeit, der auftreffenden Strahlung ab, also davon, ob das Licht ultrarot, rot, gelb, weiß, violett oder ultraviolett war. Die Art der Lichtquelle war entscheidend, keineswegs aber 27
ob sie schwach oder stark war. Bei kurzwelligem Licht, also violettem oder ultraviolettem, war die Energie entsprechend größer als bei langwelligem, dem roten oder ultraroten. Und das mußte wohl für das ganze damals bekannte elektromagnetische Wellenband gelten, das ja von den langen Radiowellen über die Wärmestrahlen, den winzig kleinen Bereich der sichtbaren Lichtstrahlen mit den Regenbogenfarben, die Röntgenstrahlen bis zu den energiereichen Gammastrahlen reicht, die aus den radioaktiven Stoffen herauskommen. Diese Tatsachen waren unbestreitbar, aber niemand wußte die Erklärung. Einstein fand sie durch konzentriertes Nachdenken. Er sagte: Hier ist der Beweis geliefert, daß die Lichtenergiestrahlung wirklich in kleinsten Quanten aus der Strahlungsquelle herauskommt; schwächt man die Strahlungsquelle ab, so kommen zwar weniger Quanten, Strahlungsquanten oder Lichtqüanten, die Einstein Photonen nannte, heraus, aber sie haben die unverändert gleiche Energie wie die, die aus der Lichtquelle herausflogen, als sie noch stark war. Und jedes von ihnen teilt jeweils nur einem einzigen Elektron aus der Metalloberfläche sein Energiequant mit. Diese Idee Einsteins wurde allgemein als exakter Beweis für die Quantelung der Energie, für die Quantentheorie empfunden, und Max Planck war der erste, der sich nach anfänglichen Bedenken von Einstein überzeugen ließ. Und nun folgten auf Grund immer feinerer experimenteller Methoden neue Beweise in immer dichterer Folge, so daß die Quantentheorie nach wenigen Jahren von allen Physikern als gesicherte wissenschaftliche Theorie betrachtet wurde. Wir dürfen freilich nicht vergessen, daß die großartigen Forschungen des Ehepaares Marie und Pierre Curie, des Engländers Rutherford und einiger ihrer Mitarbeiter die Voraussetzung für die Schaffung dieser Theorien bildeten. Ohne sie wären weder Planck noch Einstein zu diesen Erkenntnissen über die Zustände in der atomaren Welt gekommen. Es hätte kein Anlaß dafür vorgelegen. Das Rätsel von Raum und Zeit Die Relativitätstheorie Albert Einsteins hatte zunächst keine sachliche Verbindung mit der Quantentheorie. Einstein vermochte es je28
doch, in einer geradezu einzigartigen Weise gleichzeitig auf ganz verschiedenen Gebieten vorzudringen und die beiden Lehrgebäude fest zu verbinden. Wie für die Erhärtung und Erweiterung der Quantentheorie durch Albert Einstein, können wir im Rahmen dieses Lesebogens auch für die Relativitätstheorie nur einige Andeutungen geben. Im allgemeinen gilt, daß alle Messungen im Raum von festen „Bezugskörpern" und bei der Zeit von „festliegenden" Ereignissen und bestimmten Bewegungszuständen in dem anscheinend unendlichen Zeitverlauf abhängen. Machen wir es uns in anschaulicher Weise klar: Wenn ich die Länge und die Breite eines Tisches messe, so sind die Tischränder für mich die festen „Bezugskörper", bei denen ich zu messen anfange; mit meinem Maßstab messe ich einmal nach vorne und einmal nach der Seite. Habe ich einen dreidimensionalen, räumlichen Körper vor mir, so brauche ich noch einen dritten „Rand", von dem aus ich mit meinem Maßstab in die Tiefe dringen kann. Ich tue so, als ob diese zwei bzw. drei Ausgangslinien, die Ränder, fest im Raum verharrten, während sie sich in Wirklichkeit rasend schnell mit der Drehung der Erde um sich selbst, mit der Drehung der Erde um die Sonne, mit der Drehung der Sonne um den Kern der Milchstraße und mit der Bewegung der Milchstraße durch das Weltall bewegen. Es gibt also kein festes, an der Stelle verharrendes Bezugssystem. Vielmehr sind alle Bezugssysteme nur relativ zueinander. Einstein hat in seinem kleinen „gemeinverständlichen" Büchlein versucht, von ganz einfachen Beobachtungen auszugehen, die in ihrer physikalischen Bedeutung auch den Physikern der damaligen Zeit noch nicht zum Bewußtsein gekommen waren. Nimmt man einmal an, jemand steht in einem mit gleichbleibender Geschwindigkeit (also ohne Beschleunigung oder Verlangsamung) fahrenden Eisenbahnzug und läßt einen Stein auf den Boden des Abteils fallen, ohne ihm einen Schwung zu geben. Dann sieht er, wenn man den ganz geringfügigen Einfluß des Luftwiderstandes abrechnet, den Stein senkrecht herabfallen. Ein Fußgänger, der diesen Fall vom Fußweg aus mit ansieht, bemerkt, daß der Stein in einem Parabelbogen, also in einer krummen Linie, herabfällt, denn der Zug bewegt sich ja während des Falls um ein Stück weiter. Was tut der Stein aber „in 29
Wirklichkeit"? Liegen die „Orte", welche der Stein durchläuft, auf einer Senkrechten oder auf einer Kurvenlinie? Einstein läßt zunächst die schwierige Frage beiseite, was das denn wohl für ein merkwürdiger Raum ist, in dem zwei verschiedene Beobachter anläßlich des gleichen Vorgangs zwei ganz verschieden verlaufende Bewegungen gewahren. Zunächst macht er uns klar, daß der gleiche Vorgang verschieden „aussieht", je nachdem von welchem „Bezugskörper" man das Fallen des Steins beobachtet. Der Stein beschreibt in Bezug auf den fahrenden Eisenbahnwagen eine Gerade, in Bezug auf den Erdboden eine Kurve. Man kann diesen Gedanken noch weiterführen; denn der Erdboden ist ja selber kein fester „Bezugskörper", auch er bewegt sich: um sich selbst, um die Sonne, mit der Sonne um die Milchstraße, mit ihr durch das All. Die Stein-Fall-Kurve wird also noch weit komplizierter, wenn man den Fall vom Weltall aus beschreiben wollte. Und Einstein folgert daraus, daß es „eine Bahnkurve an sich", die der Stein beschreibt, nicht gibt, sondern nur eine Bahnkurve in Bezug auf ein bestimmtes Bezugskörpersystem oder einen bestimmten Beobachter. Einstein hat die hier bereits erkennbare „Relativität des Raumes" weiter durchgedacht und kam zur Idee des „gekrümmten Raumes". Hier verlassen uns unsere Alltagsvorstellungen, und wir müssen uns damit begnügen, daß für die Physiker ein solcher „gekrümmter Raum" besteht. Wir wollen nur das Endergebnis dieser schwierigen denkerischen Ableitung festhalten. Während wir rein gedanklich den Raum nach allen Seiten hin für unendlich ausgedehnt halten, ist der „Einsteinsche Raum" in sich geschlossen, er hat zwar keine Grenzen, wie auch eine Kugeloberfläche keine „Grenzen" hat, aber er geht wie diese nicht in die Unendlichkeit hinaus. Je mehr die Materie an gewissen Stellen des Weltalls, etwa bei den Sternen, verdichtet ist, desto mehr ist der Raum in dem betreffenden Bereich gekrümmt. Man hat sogar versucht, den Krümmungsradius des Weltalls zu berechnen, also auch die Zeit, die ein Lichtstrahl brauchen würde, um das ganze Weltall zu „umfahren" und wieder an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Die Rechnung ist noch nicht gelungen, da unsere Fernrohre noch nicht weit genug in das Weltall vorgedrungen sind. Sie können bisher „nur" eine Strecke von zwei bis vier Milliarden Lichtjahren durchmessen. Der Physiker Werner Heisenberg 30
hat kürzlich geäußert, daß man eine Entscheidung, ob dieser gekrümmte Einsteinsche Raum wirklich existiert und nicht nur eine mathematische Idee ist, erst dann treffen könne, wenn die Fernrohre etwa doppelt so weit reichen werden. Auch die Zeit ist nach Einstein nur zu messen, wenn man sich vorher auf ein „Bezugssystem" einigt. Über diese Relativität der Zeit schreibt Einstein ebenfalls in seinem „gemeinverständlichen" Büchlein, und zwar ziemlich am Anfang. Er bringt folgendes Beispiel: Ein Spaziergänger, der irgendwo auf einem Bahndamm steht, beobachtet das gleichzeitige Einschlagen von zwei Blitzen an zwei gleich weit entfernten Punkten (A und B) des Bahndamms. Die Lichtstrahlen, die von den Blitzen ausgehen, begegnen sich dann natürlich genau in der Mitte zwischen den beiden Punkten im Auge des Beobachters. Er schließt daraus, daß die beiden Blitze „gleichzeitig" aufgeleuchtet haben. Nun denkt sich Einstein, daß ein sehr langer Zug mit rasender Geschwindigkeit (die weit unsere jetzigen Geschwindigkeiten übersteigt) auf der Strecke zwischen diesen beiden Punkten fährt. Ein Beobachter, der zur Zeit der Blitzeinschläge genau an jenem mittleren Punkt zwischen A und B im Zuge sitzt, fährt also vor dem Lichtstrahl des einen Blitzes davon und dem Lichtstrahl des anderen entgegen. Er wird also diesen letzteren Einschlag früher sehen als den anderen, und dadurch muß er den Eindruck gewinnen, daß der Blitz B früher aufgeleuchtet ist als der Blitz A. Daraus ergibt sich der Schluß: Ereignisse, welche in Bezug auf irgend eine „feste" Stelle am Bahndamm gleichzeitig sind, sind in Bezug auf einen Beobachter in dem fahrenden Zug nicht gleichzeitig. Einstein folgert weiter daraus: „Jeder Bezugskörper hat seine besondere Zeit; eine Zeitangabe hat nur dann einen Sinn, wenn der Bezugskörper angegeben ist, auf den sich die Zeitangabe bezieht". Das ist ein erster Gedanke zur Relativität, die auch der Zeit anhaftet. Noch einen dritten Begriff hat Einstein aus seiner Starrheit gelöst und ihm nur einen relativen Wert beigemessen: es ist der Begriff der Masse. Sie verändert ihren Wert mit der Geschwindigkeit, das heißt mit der Aufnahme von Bewegungsenergie, sie nimmt zu, wenn sie schneller, sie nimmt ab, wenn sie langsamer wird. Im normalen Leben ist die Massenzunahme nicht festzustellen; je mehr sich aber 31
die Bewegung einer Masse der Lichtgeschwindigkeit nähert, um so riesiger wächst die Masse an. Die Formel, die Einstein für dieses Anwachsen errechnet hat, ergibt mit unwiderlegbarer Gewißheit, daß ein physikalischer Körper nie mit Lichtgeschwindigkeit bewegt werden kann, weil sich seine Masse dann ins Unendliche steigern würde, was unmöglich ist; andererseits ist aus dem gleichen Grunde eine größere Geschwindigkeit als die des Lichtes nicht denkbar; sie beträgt nach neuesten Messungen 299 796 km/sec, also rund 300 000 km/sec. Und noch ein zweites Ergebnis aus Einsteins Überlegungen zur Masse: Wenn Körpermasse, wenn Materie mit der Aufnahme von Energie anwächst und bei Abgabe von Energie abnimmt, so heißt das nichts anderes, als daß Energie zu Materie und Materie zu Energie werden kann, daß Materie bildhaft gesprochen Energie in „fester" Form, und Energie „zerfließende" Materie ist. Man hat sogar ausgerechnet, daß ein Gramm Masse einem Energievorrat im heutigen Herstellungswert von zweieinhalb Millionen Mark gleichkommt. Damit möge es sein Bewenden haben. Schon die wenigen Hinweise geben uns das Gefühl, daß Einstein mit seinen kühnen, aber vielmals nachgeprüften Ideen, Gesetzen und Formeln ein Revolutionär der Naturwissenschaft war. Es mag uns aber beruhigen, daß unsere alltäglichen physikalischen Vorstellungen, der Bereich der klassischen Physik, kaum von diesem Umsturz berührt wird; er richtet sich vor allem auf die Bereiche des Atoms und des Weltalls. Dort aber gilt Albert Einsteins Wort: „Wer da eine Entdeckung macht, dem erscheinen die Erzeugnisse seiner Phantasie so notwendig und naturgegeben, daß er sie nicht für Gebilde seines Denkens, sondern für gegebene Realitäten ansieht und angesehen wissen möchte". Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bildnachweis: Ullstein-Bilderdienst Abb. auf Umschlägseite 2: Einsteinturm in Potsdam, eine der Forschungsstätten Albert Einsteins L u x - L e s e b o g e n 303
(Physik)
H e f t p r e i s 25 Pfg.
Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden. — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München.
Ausgrabungen im Land der Bibel Palästina wird immer mehr zu einem der interessantesten Forschungsgebiete der Archäologie. Unter den großen Fundstätten ragt Jericho hervor, wo im 6. Jahrtausend v. Chr. eine Hochkultur bestand, mit Gartenbau und einer großen Stadtanlage. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ausgrabungen bestand diese Kultur schon, als am. Nil, Indus, Euphrat und Tigris noch vorgeschichtliche Zustände herrschten. Zu einem zweiten bedeutenden Forschungszentrum ist die alte, aus der Bibel bekannte Stadt Hazor geworden, die im 3. Jahrtausend v. Chr., also lange vor der Einwanderung der Israeliten, Hauptstadt eines Fürstenbundes gewesen zu sein scheint. Hier graben Israelis und Engländer gemeinsam und haben in der Ruinenstätte 21 übereinandergeschichtete Stadtanlagen feststellen können. Unter diesen Kulturschichten hebt sich eine bronzezeitliche Siedlung von etwa 2000 v. Chr. hervor, eine Stadt mit starken Wehrmauern, weiträumigen Palästen und einer höhergelegenen Burganlage, die sich mit ihren Außenwerken bis in die Ebene erstreckte. Das Hazor dieser Zeit besaß eine Tonröhren-Kanalisation und Tempel, in denen der Sonnengott Hadad verehrt wurde. Verbindungen scheinen zu Mykene bestanden zu haben. Der Bericht der Bibel über das kanaanitische Hazor ist vollauf bestätigt worden. Die Stadt wurde von den Israeliten zerstört und durch König Salomon wieder aufgebaut. Man fand bronzene Votivfiguren und die Statue des Kriegsgottes Baal, den eine Zeitlang auch die Juden verehrt haben. Als die Assyrer im 8. Jahrhundert Palästina unterwarfen, war das Ende der Stadt gekommen, ihre Ruinen wurden vom Wüstensand verweht.
Künstliche Diamanten durch Druck und Hitze Daß die schwarze Kohle und der strahlende Diamant verwandte Mineralien sind, weiß man seit Lavoisier, dem großen französischen Chemiker, der 1794 auf der Guillotine hingerichtet worden ist. Der Unterschied der beiden Mineralien besteht in den verschiedenartigen Kristallgittern, die beim Graphit, dem reinsten Kohlenstoff, äußerst fest zusammengeschlossen sind. Die Bemühungen, Kohlenstoff in Gestalt von Graphit in Diamanten zu verwandeln, sind so alt wie die Forschungen Lavoisiers, aber erst vor vier Jahren ist in Amerika dieses Erstaunliche gelungen. Auf dem Chemiker-Kongreß in München hat Professor Wentorf, Entdecker des Verfahrens, nähere Angaben über diese Umwandlung gemacht. Er hatte festgestellt, daß die Verschiebung des sehr stabilen V
Kristallgitters des Graphits in die Gitterstruktur des Diamanten nur unter Anwendung von ungeheuren Drücken und Temperaturen möglich ist. Obwohl er die Methode verständlicherweise nicht in den Einzelheiten preisgab, schließt man aus seinen Ausführungen, daß Hitze von 2000 Grad und Drücke von 30 000 bis 40 000 Grad nötig sind, um das Kristallgittergefüge des Graphits aufzubrechen. Inzwischen konnte im Forschungslaboratorium Prof. Wentorfs die Produktion künstlicher Diamanten anlaufen. Wie der Entdecker bekanntgab, ist durch diese Umwandlung von Materie ein neues Gebiet der Forschung erschlossen worden, das auch Rückschlüsse auf die Entwicklung der Erdkruste ermöglicht. Neue Einblicke sollen sich dadurch auch in das Innere der Erde ergeben. Der Welt-Diamantenmarkt, besonders in Südafrika, ist durch diese Nachricht beunruhigt worden. Vorerst ist die Erzeugung von Kunstdiamanten aber noch so gering, daß die Konkurrenz mit dem natürlichen Diamanten noch nicht ins Gewicht fällt. Für Südafrika ist es ein Glücksfall, daß gerade jetzt bei der Suche nach atomwichtigen Mineralien mehrere Lagerstätten von Smaragden zutage getreten sind, jenen hellgrün-durchsichtigen, feurig-leuchtenden Beryll-Kristallen, die als Schmucksteine begehrt sind. Die südafrikanische Regierung hat sich das Bergrecht gesichert. Der Smaragd ist weit seltener als der Diamant und verspricht der südafrikanischen Wirtschaft einen gewissen Ersatz für die Beeinträchtigung ihrer Diamanten-Wirtschaft.
Die Geigenschau von Mittenwald In der berühmten Geigenbauschule in Mittenwald, die vor 100 Jahren von dem Märchenkönig Ludwig II. von Bayern gegründet wurde, sind anläßlich des Jubiläums 400 Instrumente aus einheimischen Werkstätten zusammengestellt worden. Mathias Klotz war der erste, der dieses Gewerbe in den schönen Bergort gebracht hat. Man sieht dort tief gedunkelte bauchige Geigen aus dem Barock, zierliche Nachahmungen der Stradivari- und Guaneri-Geigen, kostbare Instrumente der 115 Geigenbauer- des Landes. Wertvolle Stücke tragen Namen wie „Baryton", der so groß wie ein Cello ist und zu Bachs Zeiten gespielt wurde, „Bassett", „Diskant-Gambe" und „Theorbe". Die Geigen wurden früher durch Verlegerfirmen in aller Welt vertrieben, selbst am Zarenhof schätzte man die Mittenwalder Erzeugnisse. Auch der berühmte Paganini spielte ein Instrument aus den Mittenwalder Werkstätten (vgl. auch Lux-Lesebogen Nr. 111, „Klingender Wald"). VI
Kleine Mitteilungen Erdöl auch in der libyschen Wüste Die Sahara, die innerhalb der französischen Besitzungen bereits zum Erdölgebiet geworden ist, verspricht auch im libyschen Teil reiche ölfelder. 7000 Prospektoren und Erdölspezialisten sind hier voller Optimismus auf der Suche nach dem flüssigen Gold. Südlich von Benghasi ist eine sehr fündige Quelle erschlossen worden. Die Zahl der Bohrtürme wird in diesem Jahr auf 25 steigen und die Zahl der Arbeiter und Angestellten auf zehntausend. Dem armen Land gibt das Erdöl die Hoffnung auf starke wirtschaftliche Förderung. Bergmannstod In acht Jahren, von 1951 bis 1959, sind im westdeutschen Steinkohlenbergbau 4761 Bergleute tödlich verunglückt, über 84 000 Bergleute wurden in der gleichen Zeit schwer verletzt. Die Pipeline nach München Für eine Ölleitung vom Mittelmeer bis nach Süddeutschland liegen zur Zeit zwei Pläne vor. Ein Projekt sieht eine Pipeline von Genua über die Schweiz nach München vor, ein zweites eine Ölleitung von Venedig nach München. Für beide Linienführungen setzen sich starke Finanzkräfte ein, doch ist eine Entscheidung noch nicht gefällt. Aus der Werkstatt Gutenbergs In der Welt gibt es noch 47 Bibeln aus der Werkstatt Gutenbergs; es sind die letzten Exemplare von etwa 100 bis 200 Stück, die nach 1455 mit einem Umfang von je 1282 Großseiten von sechs Setzern Gutenbergs hergestellt wurden, zum Teil auf Pergament. Sie sollen auf Mikrofilme aufgenommen werden, um sie nach etwa eintretenden Katastrophen rekonstruieren zu können. Indianer werden entschädigt Für die im Jahre 1851 enteigneten Landgebiete der Indianer in Kalifornien erhalten die noch lebenden 37 000 Indianer des Landes eine Entschädigung. Die kalifornischen Nachfahren der enteigneten Indianer können mit etwa 80 bis 200 Millionen Mark rechnen. Neues Radio-Teleskop In Kalifornien wird ein Radio-Teleskop mit einer Sendefrequenz zwischen 200 und 2000 Megahertz gebaut. Man hofft, mit dem Teleskop
M
Kill JA vn
die Wolkendecke der Planeten Venus und Mars durchdringen zu können. Der Sender wird mit einer Million Watt gespeist. Die Signale arbeiten mit Lichtgeschwindigkeit. Das Teleskop soll auch auf die Sonne und den Mond gerichtet werden. Es ist zugleich als Beobachtungsinstrument für künstliche Erdtrabanten und Weltraum-Satelliten vorgesehen. Versailler Vertrag verschwunden Verschwunden ist auf bisher unbekannten Wegen das Original des Versailler Vertrages, das im Jahre 1919 nach der Unterzeichnung Frankreich zur Aufbewahrung übergeben wurde. Auch die zweite Ausfertigung, die sich im deutschen Auswärtigen Amt befand, ist nicht mehr aufzufinden. Immer höher hinauf Der höchste Fernsehturm Europas, der den Fernsehsender „Hörby" trägt, ist Anfang August in Schweden mit 320 Metern Höhe in Betrieb genommen worden. Seine Antennenleistung beträgt 100 Kilowatt. Der Turm wiegt 130 Tonnen und wurde von vier Technikern in vier Monaten montiert. Schüler erforschten Lappland Eine wertvolle Forschungsaufgabe haben 65 englische Schüler im letzten Sommer durchgeführt, die in Lappland ein Zeltlager eingerichtet hatten. Von Wissenschaftlern angeleitet, übernahmen einige von ihnen die Vermessung großer Landgebiete, für die bisher nur unzulängliche Karten existierten. Andere machten Wetterbeobachtungen und sammelten Gesteine, die nach der Rückkehr in die Heimat geologischen Instituten zur Verfügung gestellt wurden. „Reichswald" von Kleve unter Naturschutz Neuer Naturschutzpark ist der „Reichswald" bei Kleve sowie das Schwalm- und Nette-Tal im Kreis Kempen. Es ist ein 115.qkm großes Gelände am linken Niederrhein, in der Nähe der holländischen Grenze. Die Oldenburger kochen mit Erdgas Schon bald wird die Stadt Oldenburg als erste deutsche Stadt in ihren gewerblichen Betrieben und in ihren Haushaltungen mit Erdgas versorgt. Das Gas kommt aus den Erdöllagerstätten im Kreise Cloppenburg und wird in,einer 56 ,km l a n g e a ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ P ^ f e b u r g .befördert; i*M!