Alles nur gespielt? Jessica Hart Romana 1314 9 1/2000
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Alles nur gespielt? Jessica Hart Romana 1314 9 1/2000
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1. KAPITEL "Mummy, da kommt jemand." Juliet trocknete sich die Hände an der Schürze und kam aus der Küche. Schützend schirmte sie die Augen vor der grellen Sonne ab, als sie draußen die rote Staubwolke betrachtete, die ein Fahrzeug auf dem Feldweg ankündigte. "Wer ist das?", fragte Kit. Er war drei Jahre alt und glaubte, seine Mutter wisse alles. Matthew sah auf. "Es ist ein Auto", sagte er verächtlich, bevor er sich wieder seinem Spielzeugbagger widmete, mit dem er am Fuß der Verandatreppe spielte. Er war ein genauso kräftiger kleiner Junge wie sein Zwillingsbruder und hatte Hughs hellblondes Haar und Juliets dunkelblaue Augen geerbt. Doch so ähnlich die beiden Jungen sich auch sahen, charakterlich hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Matthew war zielstrebig, beharrlich und konnte sich stundenlang auf sein Spiel konzentrieren, während Kit sich leicht ablenken ließ, ständig Fragen stellte und seinen Zwilling auch schon mal in Schwierigkeiten brachte. "Stimmt", bestätigte Juliet und kam damit Kits Protest zuvor. "Aber es sitzt jemand drin. Also hat auch Kit Recht." Als die Staubwolke immer näher kam, zog Juliet die Augenbrauen zusammen. "Vielleicht ist es der neue Manager", fügte sie langsam hinzu. "Was ist ein Manager?", fragte Kit, der Mühe hatte, das unbekannte Wort auszusprechen. "Jemand, der uns dabei hilft, die Farm zu bewirtschaften."
Hilfe konnten sie dringend gebrauchen, trotzdem fragte Juliet sich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie hatte sich natürlich nach Cal Jamieson erkundigt und von ihrem Nachbarn nur Gutes über ihn gehört. "Sie könnten keinen besseren Mann für Ihre Farm finden", hatte er gesagt. Das mochte ja stimmen, doch das Telefongespräch mit Cal hatte sie leicht beunruhigt. Wenn sie nur gewusst hätte, warum! Er habe gehört, sie suche einen Manager, hatte er gesagt. Und er suche gerade einen Job. Er war ziemlich kurz angebunden gewesen, wie viele Männer im australischen Buschland. Das hatte sie allerdings nicht gestört, denn mit Hugh hatte sie die Erfahrung gemacht, dass man bei Männern mit oberflächlichem Charisma sehr vorsichtig sein musste. Doch es hatte ihr nicht gepasst, dass er das Gespräch an sich gerissen hatte. Natürlich hatte sie sich von seinen Fähigkeiten überzeugen wollen, aber eigentlich hätte doch sie eine Probezeit vorschlagen müssen, nicht er! Außerdem hatte in der tiefen Stimme noch etwas mitgeschwungen - fast so etwas wie Feindseligkeit. Wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet, dachte sie. Was soll der Mann gegen mich haben? Wir sind uns doch noch nie begegnet. Sie wandte sich ab und betrachtete liebevoll ihre hübschen kleinen Söhne, die vor ihr im Staub spielten. Die beiden waren es wert, dass sie sich für sie abrackerte und manchmal so erschöpft war, dass sie nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte. An die langen, schlaflosen Nächte, in denen sie grübelte, wie es mit ihnen allen weitergehen sollte, mochte sie gar nicht denken. Wilparilla war ihr Erbe, und sie würde darum kämpfen, es ihnen zu erhalten. Sollte Cal Jamieson ruhig feindselig sein, die Hauptsache war, er half ihr beim Kampf ums Erbe ihrer Zwillinge. Trotzdem sollte er sich nicht einbilden, er könnte schalten und walten, wie es ihm passte. Juliet hatte seinem Vorgänger zu
viele Freiheiten gelassen, was sie bald bitter hatte bereuen müssen. Diesen Fehler würde sie nicht noch einmal machen. Cal Jamieson sollte von Anfang an merken, wer auf der Farm zu bestimmen hatte. Auf dem Weg ins Haus nahm Juliet ihre Schürze ab. Im Badezimmer befeuchtete sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser und ließ eine Hand durchs dunkle Haar gleiten. Dabei schnitt sie ihrem Spiegelbild ein Gesicht. Stress und knochenharte Arbeit während des zurückliegenden Jahres hatten sich bemerkbar gemacht. Sie sah viel älter aus als fünfundzwanzig, und sie war erschöpft. Wie sollte sie da einen Mann herumkommandieren, noch dazu einen Mann wie Cal Jamieson, der am Telefon so energisch und selbstbewusst geklungen hatte? Sie gönnte sich einen seltenen Moment der Schwäche und erinnerte sich, wie hübsch und lebhaft sie noch in London gewesen war. Sie war sich so sicher gewesen, das alles gut werden würde. Aber dann hatte sie Hugh geheiratet, und nun lebte sie auf einer einsamen Viehfarm am anderen Ende der Welt und wusste nur, dass sie alles dafür tun wollte, Wilparilla für ihre beiden Söhne zu erhalten. Selbst wenn sie sich dafür mit dem unbekannten Cal Jamieson abgeben musste. "Mummy, Mummy, der Manager ist da", rief Kit aufgeregt und kam ins Badezimmer gestürmt. Er war sehr stolz auf den neuen Begriff in seinem Wortschatz. "Dann sollten wir ihm jetzt besser guten Tag sagen", antwortete Juliet, die plötzlich schrecklich nervös geworden war. Wilparillas Zukunft hing von dem Mann ab, der draußen wartete, doch das sollte er auf keinen Fall gleich merken. Kit lief vorweg auf die Veranda, um seinen Zwillingsbruder zu suchen. Ein Mann hatte sich neben Matthew gehockt und schien in ein Gespräch mit dem Kleinen vertieft zu sein Juliet konnte nur sehen, dass er eine dunkle Arbeitshose und ein dunkelblaues Hemd trug. Sein Gesicht war fast vollständig von einem breitkrempigen Hut verdeckt. Doch als er sich umdrehte,
um Kit lächelnd zu begrüßen, erhaschte sie einen Blick auf seine strahlend weißen Zähne. Es war ein sehr nettes Lächeln, und Juliet hoffte, vielleicht doch ganz gut mit dem neuen Manager auszukommen. Aber dann fing er ihren Blick auf, und das Lächeln verschwand so plötzlich, dass Juliet zusammenzuckte. Der Mann richtete sich auf und nahm den Hut ab. "Mrs. Laing?" Er wirkte ruhig, hatte ein schmales Gesicht und musterte sie kühl, wobei "kühl" stark untertrieben war. Sein Blick war eisig. Am liebsten wäre sie sofort ins Haus gelaufen und hätte die Tür hinter sich zugeschlagen. Doch sie nahm sich zusammen, rang sich sogar ein Lächeln ab und kam auf ihn zu. Er war noch größer, als sie gedacht hatte, denn sie musste zu ihm aufsehen. "Bitte sagen Sie Juliet zu mir", bat sie und reichte ihm die Hand. "Sie müssen Cal Jamieson sein." Cal sah sie an. Sie klang genauso beherrscht, selbstsicher und überlegen mit ihrem britischen Akzent wie am Telefon. Und doch hatte er sie sich ganz anders vorgestellt. Die Stimme passte nicht zu dem Mädchen, das vor ihm stand. Er hätte nicht gedacht, dass sie noch so jung sein würde. Höchstens fünfundzwanzig. Viel zu jung, so ein Anwesen zu besitzen. Wie sollte so ein junges, zurückhaltendes Mädchen eine Viehfarm leiten? Sie ist hübscher, als ich gedacht habe, musste Cal sich widerwillig eingestehen. Sehr schlank, fast mager, mit dunklem Haar, einem fein geschnittenen Gesicht und veilchenblauen Augen. Eine Schönheit, wenn sie nicht so mitgenommen ausgesehen hätte. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, und sie wirkte sehr angespannt. "Ja, ich bin Cal", sagte er schließlich mit tiefer, melodischer Stimme und nahm zögernd ihre Hand. Auf der langen Fahrt von Brisbane hierher hatte er sich immer wieder gefragt, ob es nicht ein schrecklicher Fehler wäre, nach Wilparilla zurückzukehren.
Doch bei Juliets Anblick war er sich plötzlich sicher, doch den richtigen Entschluss gefasst zu haben. Diese zerbrechlich wirkende Frau würde es sicher nicht lange hier aushalten. Sie würde bei den geringsten Schwierigkeiten nach England flüchten, und er wäre wieder dort, wo er hingehörte. Allerdings hatte sie einen erstaunlich festen Händedruck. Cal sah ihr in die Augen, was er sofort bereute. Diese außergewöhnlichen Augen konnten einen Mann um den Verstand bringen. Der Blick war nicht nervös, sondern erstaunlich stet und entschlossen. Sie musterten einander ausgiebig, und Juliet hatte den Eindruck, dass sie sich unausgesprochen herausforderten. Worin diese Herausforderung bestehen sollte, hätte sie nicht zu sagen gewusst, doch eins wurde ihr sofort klar: Cal Jamieson dachte, sie gehörte nicht hierher. Wenn er sich einbildete, sie würde alles stehen und liegen lassen, hatte er sich geirrt! "Wollen wir uns auf der Veranda unterhalten?", fragte sie kühl. Cal zog die Augenbrauen hoch. "Unterhalten?" Er klang so pikiert, als hätte sie ihm einen unsittlichen Antrag gemacht. "Ein telefonisches Vorstellungsgespräch ist immer etwas schwierig", erklärte Juliet. "Ist es nicht ein wenig spät für ein Vorstellungsgespräch? Wir hatten doch eine Probezeit für mich als Manager vereinbart." Gar nichts haben wir vereinbart, dachte Juliet ärgerlich. Ich habe zugesagt, ihn auf Probe zu beschäftigen. "Ich bin seit vier Tagen unterwegs, um hier meinen Job anzutreten. Was passiert, wenn ich im Vorstellungsgespräch patze? Erwarten Sie, dass ich mich auf den Rückweg nach Brisbane mache?" "Natürlich nicht." Du liebe Zeit, das war ja noch schwieriger, als sie befürchtet hatte. Sie hatte sich den feindseligen Unterton
nicht eingebildet. Cal Jamieson war dabei nicht aggressiv, er sah sie ganz ruhig und entschlossen an. "Hören Sie, Pete Robbins hat zwar für Sie gebürgt, aber ich weiß nur, dass sie aus Brisbane kommen und einen Job brauchen. Und Sie wissen von mir nur, dass ich einen Manager brauche. Da wir sehr eng zusammenarbeiten müssen, finde ich es durchaus angemessen, dass wir etwas mehr übereinander herausfinden sollten." Ich weiß eine ganze Menge über dich, Herzchen, dachte Cal mürrisch. Er wusste, dass sie mit ihrem Mann aus England eingewandert war und spontan diese Farm gekauft hatte. Er wusste, dass sie sich mit ihren Nachbarn überworfen, die erfahrenen Viehhirte entlassen und das Anwesen vernachlässigt hatten, das er unter so vielen Entbehrungen aufgebaut hatte. Jetzt war ihr Mann tot, und sie hatte keinen Grund mehr, hier zu bleiben, doch sie hatte stur alle Kaufangebote abgewiesen. Wahrscheinlich will sie noch mehr Geld herausholen, dachte er angewidert. Dabei hat sie doch davon wirklich mehr als genug. Sie war eine verwöhnte Frau, und sie stand ihm im Weg. Cal brauchte nicht mehr über Juliet zu wissen, und die eigentlichen Beweggründe seines Interesses an dieser Farm gingen sie nichts an. Also gut, werde ich ihr also den Gefallen tun, dachte Cal widerwillig und folgte ihr auf die Veranda. Sollte sie doch denken, dass er dringend einen Job brauchte. Er setzte sich in einen der Korbsessel und legte den Hut auf den Fußboden. Jedenfalls war er froh, dass Pete Robbins ihn auf die Umbauten vorbereitet hatte, die Familie Laing am Haus vorgenommen hatte. Die ganze Region hatte sich darüber die Mäuler zerrissen. Statt das Geld in die Farm zu stecken, hatte Hugh Laing Tausende dafür ausgegeben, das Haus mit jedem erdenklichen Luxus auszustatten, um Touristen anzulocken. Allerdings hatte sich kein Gast je hierher verlaufen, das wusste Cal.
Der deutliche Kontrast zwischen dem Luxushaus und dem Zustand der Farm, die lange vernachlässigt worden war, machte Cal wütend. Andererseits war er froh, denn es wäre viel schwerer für ihn gewesen, jemand in dem gleichen Haus wohnen zu sehen, in dem er und Sara so glücklich gewesen waren. Jedenfalls würde er so nicht mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert werden, wenn er das Haus betreten musste, was hoffentlich nicht allzu oft passieren würde. Cal sah Juliet an, die sich ihm gegenüber an den Korbtisch gesetzt hatte. Selbst in Jeans und sandfarbenem T-Shirt wirkte sie sehr elegant. "Was möchten Sie denn gern wissen?", fragte er. Muss er unbedingt so gelangweilt tun?, dachte sie nervös. Kann er nicht wenigstens versuchen, freundlich zu sein? Ihr hatte ein ungezwungenes Gespräch vorgeschwebt, aber Cal tat, als würde er ihr zum Verhör gegenübersitzen. Und nun wusste sie nicht einmal, wie sie anfangen sollte. Sie war so schrecklich müde. "Wie lange Sie in Brisbane waren, zum Beispiel", sagte sie schließlich und wusste selbst, wie dumm diese Frage klang. Cal fand das auch, das war nur zu deutlich. "Fast vier Jahre." Ungefähr so lange, wie sie auf Wilparilla waren. Eine Ewigkeit. "Und was haben Sie da gemacht?", fragte sie und versuchte, sich so höflich und entspannt wie möglich zu geben, obwohl es sie störte, dass Cal sich offensichtlich bereits ganz wie zu Hause fühlte. Ich bin hier zu Hause, dachte sie irritiert, nicht er! Cal zögerte. "Ich hatte meinen eigenen Betrieb", erklärte er schließlich und hoffte, sie würde keine weiteren Fragen stellen. Wenn sie herausfand, wie erfolgreich sein Unternehmen gewesen war, würde sie nur misstrauisch fragen, warum er dann bei ihr als Manager anfangen wolle. Juliet missdeutete sein Zögern. Seine Firma war wohl ein Flop gewesen, warum sonst sollte er gezwungen sein, hierher zu
kommen und für sie zu arbeiten? Offensichtlich wollte er auch nicht darüber reden. "Peter Robbins hat mir erzählt, Sie kommen ursprünglich aus dieser Gegend. Warum sind Sie eigentlich nach Brisbane gegangen?" "Ich hatte persönliche Gründe." "Und ... wie gefällt es Ihnen, wieder hier zu sein?" Er musterte sie starr. "Wie meinen Sie das?" "Ich meine, wie es Ihnen gefällt. Sind Sie froh, zurück zu sein? Ist es Ihnen schwer gefallen, Freunde in der Stadt zurückzulassen? Ist es Ihnen unangenehm, für eine Frau arbeiten zu müssen?" Sie seufzte ungeduldig. "Sie sind wirklich nicht sehr gesprächig." Was erwartete sie denn? Waren sie hier auf einer Cocktailparty? "Das spielt doch alles keine Rolle", antwortete Cal, der nun auch die Geduld verlor. "Wenn ich einen Farmverwalter einstellen würde, würde ich bestimmt nicht fragen, wie es ihm auf meiner Farm gefällt, sondern ich würde wissen wollen, ob er seine Arbeit versteht. Könnten Sie mich nicht etwas Bedeutungsvolleres fragen?" "Ich habe nur versucht, mir ein Bild von Ihren Erfahrungen zu machen", antwortete Juliet wütend. "Was für Erfahrungen? Ein Farmmanager hat mehr zu tun, als im Büro zu sitzen." "Also gut." Juliet presste die Lippen zusammen. "Was würden Sie den Bewerber an meiner Stelle fragen?" "Ob er einen Flugschein hat, LKW fahren kann, einen Damm bauen und einen Generator reparieren kann und so weiter. Versteht er etwas von Buchführung? Was ist mit der Arbeit mit dem Vieh? Ist er mit allen Tätigkeiten vertraut? Kann er Zäune setzen..." "Schon gut!" Juliet unterbrach ihn. "Ich habe schon verstanden. Und? Können Sie das alles?"
Er hielt ihrem Blick stand. "Das werden Sie in den nächsten drei Monaten schon erfahren, oder?" Juliet funkelte ihn wütend an. "Ich weiß gar nicht, warum ich Sie auch nur zur Probe einstellen soll, wenn Ihre Art mir nicht gefällt. Sie machen keine Anstalten, mir auch nur etwas entgegenzukommen, Sie sind nicht einmal höflich. Stattdessen unterstellen Sie mir, ich würde nicht das Geringste davon verstehen, wie man eine Viehfarm leitet." Bevor Cal etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: "Das mag sein, aber eins weiß ich ganz sicher: Ich denke nicht daran, einen Manager zu beschäftigen, der mich für dumm hält. Ich bin ziemlich intelligent, und ich versuche, das Beste aus dieser schwierigen Lage zu machen. Ich brauche einen Manager, der diese Farm wieder auf Vordermann bringt und sich Zeit nimmt, mir seine Arbeit zu erklären, damit ich die Farm eines Tages selbst leiten kann. Der Mann, der zuletzt hier gearbeitet hat, hat mich nicht ernst genommen. Deshalb habe ich ihn entlassen." Sie funkelte Cal so wütend an, dass ihm fast der Atem stockte. Wie schön sie war in ihrer Wut! "Und ich werde auch Sie entlassen", fuhr sie fort. "Wenn Sie auch nur eine Minute lang vergessen, dass ich hier der Boss bin. Dies ist mein Eigentum, und ich bin bereit, Sie für Ihre Arbeit zu bezahlen, aber ganz bestimmt nicht, wenn Sie mich bevormunden." Sein Blick war undurchdringlich. Juliet konnte also nicht feststellen, ob Cal verlegen war oder nicht. Einen eingeschüchterten Eindruck machte er jedenfalls nicht- Juliet seufzte unterdrückt. "Eins wird mir langsam klar", sagte er schließlich. "Sie wollen nicht nur einen Manager, sondern auch einen Mann, der zaubern kann, einen Sklaven und einen Lehrer. Auf der Fahrt zum Haus ist mir aufgefallen, was hier alles getan werden muss.
Wenn ich vernünftige Arbeit leisten will, werde ich kaum Zeit haben, Ihnen alles zu erklären." "Ich verlange ja keinen detaillierten Bericht", antwortete Juliet. "Dafür hätte ich selbst keine Zeit. Schließlich muss ich zwei kleine Kinder großziehen. Aber ich will wissen, was vorgeht, und ich möchte dazulernen." "Und dann?" "Wenn ich alles weiß, sind Sie Ihren Job los", erklärte sie. "Doch keine Angst, bis dahin wird noch viel Zeit vergehen." Cal machte sich keine Sorgen darüber, dass er den Job bald wieder verlieren würde, sondern darüber, Juliet offenbar unterschätzt zu haben. Er hatte eine verwöhnte, hilflose Witwe erwartet, die sich nur zu gern davon überzeugen lassen würde, es wäre am besten, die Farm zu verkaufen und nach England zurückzukehren, wohin sie gehörte. Doch so leicht würde Sie es ihm nicht machen. Sie schien ernsthaft entschlossen zu sein, auf Wilparilla zu bleiben. Ich bin es ja gewohnt, mit schwierigen Situationen fertig zu werden, dachte Cal. Wenigstens war er jetzt hier, und mit der Zeit würde er sie schon dazu bringen, aufzugeben, ihm das Anwesen zu verkaufen und Australien zu verlassen. Allerdings müsste er sehr behutsam vorgehen, sonst würde sie ihn am Ende doch noch entlassen, bevor er sein Ziel erreicht hatte. Und sein Nachfolger würde sich vielleicht ins gemachte Nest setzen. Es gab nicht viele attraktive Frauen mit einem so riesigen Anwesen. Warum sollte der nächste Manager Juliet nicht heiraten? Juliet und die Viehfarm ... Cal presste die Lippen zusammen bei der Vorstellung. Dann würde er Wilparilla niemals zurückbekommen. Also müsste er die Zähne zusammenbeißen und Juliets Anweisungen folgen. Dabei wollte er sie jedoch ständig daran erinnern, wie hoffnungslos ihre Lage war, und mit etwas Glück wäre er sie bald los.
"Also gut", sagte er schließlich. "Solange Sie nicht jeden Tag einen ausführlichen Bericht in dreifacher Ausfertigung verlangen, werde ich Sie auf dem Laufenden halten." Der tut ja gerade so, als würde er mir einen Gefallen tun, dachte Juliet ärgerlich, ließ sich jedoch nichts anmerken. "In Ordnung." "Habe ich das Vorstellungsgespräch denn nun erfolgreich hinter mich gebracht?", fragte er ironisch. Am liebsten hätte sie ihn umgehend nach Brisbane zurückgeschickt, doch das konnte sie sich nicht leisten. Die Farm brauchte dringend einen kompetenten Manager, und das wusste Cal ganz genau. Sie hatte keine Zeit, wiederum Wochen damit zu verschwenden, einen neuen Bewerber zu suchen. Außerdem sah Cal so aus, als würde er etwas von seinem Handwerk verstehen. Jetzt müsste er ihr das nur noch beweisen. "Ja, das Gespräch war erfolgreich", antwortete sie kühl. "Wir werden sehen, was die kommenden drei Monate bringen. Die Probezeit gilt natürlich für uns beide. Wenn Sie nicht für mich arbeiten möchten, können Sie jederzeit kündigen." Das könnte dir so passen, dachte Cal, nahm seinen Hut, der auf dem Fußboden lag, und stand auf. Juliet Laing mochte zäher sein, als sie wirkte, doch es würde sich zeigen, wer Wilparilla zuerst den Rücken kehrte. "In Ordnung", sagte er langsam. Und dann fügte er nach kurzer Überlegung hinzu: "Boss." Da Cal das Gespräch offensichtlich für beendet hielt, stand auch Juliet widerstrebend auf und rang sich ein Lächeln ab. "Jetzt, da wir das hinter uns gebracht haben, darf ich Ihnen doch sicher ein Bier anbieten, oder?" Er setzte den Hut auf. "Ich glaube, wir sollten uns besser erst einmal einrichten." "Wir?", fragte Juliet, die schon dachte, er hätte vielleicht einen Hund dabei.
Cal zeigte auf den staubigen Geländewagen, der im Schatten eines riesigen Eukalyptusbaums stand. "Ich habe meine Tochter mitgebracht." Im ersten Moment glaubte Juliet, sich verhört zu haben. "Ihre Tochter?", fragte sie ungläubig. "Davon haben Sie mir am Telefon aber nichts gesagt." "Warum hätte ich das tun sollen? Für Sie macht es doch keinen Unterschied. Platz ist hier ja wirklich genug." "Aber ... wie alt ist sie denn?" "Neun." Juliet sah ihn starr an. "Sie können doch kein neunjähriges Mädchen auf diese Farm mitbringen. Was ist mit der Mutter?" "Meine Frau ist vor sechs Jahren gestorben." "Das tut mir sehr Leid." Juliet sah verlegen zu Boden. "Aber trotzdem halte ich nichts davon, ein kleines Mädchen herzubringen. Wäre sie in Brisbane nicht besser aufgehoben?" "Nein. Natalie bleibt bei mir." "Und was soll sie den ganzen Tag lang anfangen, während Sie arbeiten?" "Sie haben ja selbst gesagt, dass dies erst einmal nur eine Probezeit ist. Natalie kann mich begleiten, und wenn alles zur Zufriedenheit läuft, hole ich meine Haushälterin nach. Sie wird sich um Natalie kümmern und ihre Schularbeiten beaufsichtigen. Meine Tochter ist für ihr Alter sehr vernünftig, und sie ist vertraut mit dem Leben auf einer Farm." "Aha. Und Sie erwarten von mir, dass ich alle diese Menschen unterbringe?", fragte Juliet wütend. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte, bot das Haus für mindestens drei Mal so viele Leute Platz doch Cal hatte gar nicht die Absicht, mit Juliet unter einem Dach zu wohnen. "Hier gibt es doch ein Haus für einen Verwalter", sagte Cal. "Jedenfalls hat Pete Robbins mir das erzählt", fügte er schnell hinzu, bevor Juliet misstrauisch werden konnte.
"Es gab ein Haus, das vom jeweiligen Verwalter bewohnt wurde", gab Juliet zu. "Aber ein Kind kann da nicht wohnen und eine Haushälterin erst recht nicht." Cal runzelte die Stirn. "Was wollen Sie damit sagen? Am Telefon haben Sie aber nichts von Problemen mit diesem Haus erwähnt." "Ich dachte ja auch, Sie würden allein kommen. Tut mir Leid, der letzte Manager hat das Haus in einem fürchterlichen Zustand hinterlassen, und ich hatte noch keine Gelegenheit, mich darum zu kümmern. Ich wollte Sie bei den Viehhirten im Wohnheim unterbringen, aber für ein kleines Mädchen ist das natürlich keine Bleibe. Sie können sich gern selbst überzeugen, wenn Sie mir nicht glauben", fügte sie hinzu, als sie Cals zweifelnden Blick auffing. "Das werde ich tun", antwortete er mürrisch. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es Probleme mit der Unterbringung im Verwalterhaus geben könnte. Es hatte nur zwei Schlafzimmer und war wesentlich kleiner, als Natalie es gewohnt war, aber das war ja auch nur als vorübergehende Lösung gedacht gewesen, bis Juliet ihm die Farm verkaufen würde. Dann würden sie sowieso ins große Haus ziehen. Und nun? "Dann bringen Sie Natalie mal lieber her", sagte Juliet, die seine Frage erraten zu haben schien. "Sie kann bei mir bleiben, bis Sie sich das Verwalterhaus angesehen haben." Cal zögerte, nickte dann jedoch kurz und sagte: "In Ordnung." Natalie hatte kurze braune Locken, braune Augen und wirkte sehr ernst und schüchtern. Juliet lächelte ihr aufmunternd zu. "Hallo, Natalie. Willkommen auf Wilparilla." Natalie erwiderte schüchtern den Gruß, und Juliet nahm sie mit zu den Zwillingen. "Der kleine Schmutzfink da ist Kit", stellte sie vor. "Und der noch schmutzigere Junge ist Matthew. Sie sind fast drei Jahre alt."
"Wie halten Sie die beiden auseinander?", fragte Natalie leise und blickte von einem zum anderen. Juliet lächelte. "Ich weiß immer, wen ich vor mir habe, aber für Außenstehende ist es natürlich schwierig. Ein kleiner Trick hilft mir bei der Unterscheidung: Ich ziehe die beiden verschieden an. Kits Top ist blau, Matthews gelb." Sie ließ den Blick zu Natalie gleiten. "Du musst durstig sein nach der langen Fahrt. Möchtest du etwas trinken, während dein Dad sich das Haus ansieht?" Als Kit das hörte, stand er schwankend auf. "Mummy, ich auch trinken." "Darf ich bitte etwas zu trinken haben", berichtigte Juliet automatisch. "Bitte ich auch trinken", sagte Kit gehorsam, und Natalie kicherte unterdrückt, als Juliet stöhnte, sich aber mit Kits Versuch zufrieden gab. "Komm, Matthew, es gibt für alle etwas zu trinken", sagte sie und wandte sich Cal zu, um ihm den Weg zum Verwalterhaus zu erklären. Doch der strich Natalie übers Haar und ging davon. Merkwürdig, dachte Juliet. Woher kennt er den Weg? Doch dann zuckte sie nur die Schultern und vergaß ihre Verwunderung, denn sie musste sich jetzt um die Kinder kümmern. Als Cal schließlich zurückkehrte, hatte Natalie ihre Schüchternheit völlig abgelegt. Sie saß mit den Zwillingen am Küchentisch und zeigte ihnen, wie man mit den Getränken blubberte. Juliet lehnte am Ausguss und beobachtete die Kinder nachsichtig. Als sie Cal bemerkte, straffte sie sich sofort, und ihr Herz schlug plötzlich schneller. Cal war außer sich vor Wut. "Das Haus ist in einem verheerenden Zustand", stieß er ohne jede Einleitung hervor. "Ich würde es nicht einmal als Hundehütte akzeptieren. Wie konnte es nur so weit kommen?"
"Ich habe es auch erst vergangene Woche bemerkt. Hugh, mein Mann, hat immer mit den Männern gesprochen." Was selten genug geschah, fügte sie im Stillen hinzu. Und wenn er mit den Männern gesprochen hatte, war es ihm meistens gelungen, sie gegen ihn aufzubringen. Schließlich hatten alle guten Leute Wilparilla verlassen, und nur die gleichgültigen waren geblieben. "Tut mir Leid", sagte sie beschämt. Sie hatte es satt, sich für Hughs Fehler zu entschuldigen. Cal sah sich in der Küche um. "Natalie kann unmöglich in dem Haus wohnen. Und das Verwaltungshaus ist auch eine Zumutung. Ich habe es mir eben angesehen." "Das habe ich Ihnen ja gleich gesagt." Sie dachte verzweifelt über eine andere Lösung nach, doch ihr fiel nur eine Einzige ein. "Am besten bleiben Sie zunächst hier im Haus", bot sie an. "Es gibt genug Gästezimmer." Cal zögerte und fuhr sich frustriert durchs braune Haar. Genau das hatte er auf alle Fälle vermeiden wollen. Er hatte keine Lust, Juliet Laing in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein. Wäre es nur um ihn gegangen, hätte er unter freiem Himmel geschlafen, doch Natalie konnte er das natürlich nicht zumuten. Ich habe keine Wahl, dachte er missmutig. "Danke", sagte er widerwillig. "Aber nur so lange, bis das Verwalterhaus in Ordnung gebracht ist."
2. KAPITEL "Im Kühlschrank ist Bier, falls Sie welches mögen", sagte Juliet zögernd, als Cal den Wagen ausgeladen hatte und die Küche betrat. Cal überhörte ihren halbherzigen Tonfall, falls er sich dessen überhaupt bewusst war, nahm eine Flasche aus dem Kühlschrank und öffnete sie. Juliet, die gerade Gemüse putzte fürs Abendessen der Kinder, hielt den Blick abgewandt, doch dann beobachtete sie doch verstohlen, wie Cal den Kopf zurücklegte und durstig aus der Flasche trank. Nach seinem Alter hatte sie bisher nicht gefragt, sie nahm aber an, dass er Mitte dreißig sein musste. Im Gegensatz zu Hugh, der sehr launisch gewesen war, schien Cal kühl und ausgeglichen zu sein. Zu Temperamentsausbrüchen neigte er bestimmt nicht. Selbst die Art und Weise, wie er sein Bier trank, war seltsam beruhigend, fast ein wenig Furcht einflößend. Sie war sich seiner Anwesenheit plötzlich nur zu bewusst, beobachtete verstohlen, wie er das Bier trank, ließ den Blick über seine schlanke, muskulöse Figur gleiten und konnte einfach nicht wegsehen. Fast war es, als hätte sie noch nie zuvor einen Mann gesehen und wäre sich nie zuvor der Ausstrahlung eines Mannes bewusst gewesen. Cal merkte von dem allen zunächst nichts. Das Bier war sehr kalt. Und nach diesem heißen, frustrierenden, ermüdenden Tag schmeckte es ihm so gut wie noch kein Bier zuvor. Er setzte die Flasche ab, um sich bei Juliet zu bedanken, und fing ihren
rätselhaften, aufwühlenden Blick auf. Ihm war, als bliebe die Zeit stehen, und er spürte ein unerwartetes Prickeln im Rücken. Auch Juliet spürte es. Ein Ausdruck der Verwunderung spiegelte sich in ihrer Miene wider, und sie errötete verlegen. Schnell wandte sie sich den Kartoffeln zu, die geschält werden mussten. Der Vorfall hatte Cal aufgewühlt. Er runzelte nachdenklich die Stirn und setzte sich zu den Kindern an den Küchentisch. Natalie unterhielt die Zwillinge. Eigentlich war sie eher schüchtern und zurückhaltend und fühlte sich in der Gegenwart von Tieren wohler als in der von Menschen, doch sie hatte die Zwillinge ganz offensichtlich sofort ins Herz geschlossen. Ihre Augen leuchteten vor Freude. So hatte er seine Tochter seit Jahren nicht mehr gesehen. Jedenfalls nicht, seitdem sie Wilparilla verlassen hatten. Cal versuchte, die Erinnerung an Juliets aufwühlenden Blick zu verdrängen. Er saß jetzt neben seiner Tochter und dachte daran, wie sie ihn weinend gebeten hatte, sie nach Hause zu bringen. Er hatte recht daran getan, mit ihr nach Wilparilla zurückzukehren, selbst wenn sich die Lage anders darstellte als erwartet. "Dad?" Natalie zupfte ihn am Ärmel. "Zeigst du Kit und Matthew deinen Trick?" Juliet, die noch immer an der Spüle Kartoffeln schälte, hörte den Lärm hinter sich und drehte sich um. Die Zwillinge schüttelten sich vor Lachen. Natalie kicherte, nur Cal verzog keine Miene und sah um sich, als suchte er etwas. "Noch mal", rief Kit begeistert und setzte sich auf Cals Schoß, als würde er Cal schon ewig kennen. Juliet lächelte wehmütig. Den Zwillingen fehlte der Vater. Das wurde ihr in diesem Moment allzu bewusst. Ob es Cal ebenso erging, wenn er seine Tochter ohne die Mutter aufwachsen sehen musste? Natalie schien ein nettes Mädchen zu sein, das seinen Vater offensichtlich vergötterte. Und den Zwillingen schien es mit Cal
nicht anders zu gehen. Offensichtlich war sie, Juliet, die Einzige, der er feindselig begegnete. Die Kinder kreischten noch immer vor Lachen über seine Tricks. Und auch Cal konnte nicht länger ernst bleiben. Er lächelte vergnügt, weil die Zwillinge so viel Spaß hatten. Juliet hätte fast die Kartoffel fallen lassen, die sie gerade schälte. Wer hätte geahnt, wie unglaublich charmant er lächeln konnte? Er wirkte plötzlich warmherzig und humorvoll, gar nicht mehr kühl und abweisend. Es verwirrte Juliet, wie attraktiv Cal war, wenn er lächelte. Sie wollte nicht, dass er attraktiv war. Es war viel leichter, ihn für kühl und feindselig zu halten, als beobachten zu müssen, wie nett er zu Kindern war, und sich zu fragen, warum er für sie, Juliet, kein Lächeln übrig hatte. Wie zur Bestätigung sah Cal in diesem Moment auf, und sein Lächeln verschwand, als er Juliets merkwürdigen Gesichtsausdruck bemerkte. Wahrscheinlich gibt sie mir gleich zu verstehen, dass sie mich als Manager, nicht als Clown für die Kinder eingestellt hat, dachte er leicht verbittert. Er trank sein Bier aus und schob den Stuhl zurück. "Wann machen die Männer normalerweise Feierabend?", fragte er geschäftsmäßig, ohne die Enttäuschung der Kinder zu beachten. Wenn Juliet einen tüchtigen Manager wollte, dann sollte sie ihn auch haben. "Ungefähr um diese Zeit." Juliet hatte gerade gemerkt, dass sie noch immer eine Kartoffel in der einen und einen Schäler in der anderen Hand hielt, und wandte sich schnell wieder der Spüle zu. Ist mir auch egal, wenn er für mich kein Lächeln übrig hat, dachte sie, obwohl sie natürlich gekränkt war. "Ich glaube, ich habe vor einigen Minuten das Signal gehört", fügte sie hinzu. "Inzwischen müssten sie alle im Wohnheim sein." "Wie viele Männer wohnen dort?"
"Vier." Juliet ließ die letzte geschälte Kartoffel in einen Kochtopf fallen und füllte ihn mit Wasser. "Ich habe kaum etwas mit ihnen zu tun gehabt. Der letzte Manager hat sie eingestellt, nachdem es ihm gelungen war, alle erfahrenen Viehhirten zu vergraulen, die bei seiner Ankunft hier gearbeitet haben. Seine Frau hat für die Männer gekocht. Als sie gekündigt hat, habe ich ihnen angeboten, hier mit mir zu essen. Aber die Vorstellung, jeden Abend mit mir am Tisch sitzen zu müssen, hat ihnen wohl nicht gefallen. Jedenfalls versorgen sie sich jetzt selbst." Verzweifelt bemühte sie sich, sich nicht anmerken zu lassen, wie einsam und zurückgewiesen sie sich fühlte. Sie war nun schon so lange allein mit den Kindern, dass sie sich selbst über die Gesellschaft der verdrießlichen Männer gefreut hätte, die sie so offensichtlich nicht leiden konnten. "Ich sehe sie nur, wenn sie mich um Mehl oder Zucker oder so etwas bitten. Frisches Gemüse scheinen sie kaum zu essen." Cal runzelte die Stirn, als er die leere Bierflasche auf die Arbeitsfläche stellte. "Und wer sagt ihnen dann, was sie jeden Tag zu tun haben?" "Niemand", antwortete Juliet missvergnügt. "Ich konnte sie nur bitten, bis zum Eintreffen des neuen Managers so weiterzumachen wie bisher. Natürlich halten sie mich für dumm, weil ich den letzten Manager an die Luft gesetzt habe. Wahrscheinlich haben sie sich während der vergangenen zwei Wochen nicht gerade überarbeitet." Sie stellte den Topf auf den Kochring und schaltete den Herd an, bevor sie sich die Hände an der Schürze trocknete. "Ich muss ja den ganzen Tag auf die Zwillinge aufpassen", erklärte sie. "Ich kann sie nicht allein im Haus zurücklassen, und ich kann sie auch nicht mitnehmen, um nach den Männern zu sehen. Es ist zu weit. Außerdem wüsste ich ja gar nicht, wo sie gerade arbeiten und was sie zu tun haben."
"Sie sind jetzt seit drei Jahren hier", gab Cal zu bedenken. Er hatte Wilparilla in bestem Zustand hinterlassen, und nun musste er seine geliebte Farm so wieder sehen, verlottert und verkommen! "Sie müssen doch wissen, was zu tun ist", fügte er vorwurfsvoll hinzu. "Mein Mann hat nie etwas mit mir besprochen, was die Farm anging." Hugh hat eigentlich überhaupt nie etwas mit mir besprochen, fügte Juliet betrübt in Gedanken hinzu. Sie senkte den Blick. "Bei unserer Ankunft auf Wilparilla war er ganz begeistert von seiner Idee, Wilparilla für Touristen gehobener Klasse attraktiv zu machen. Vorher stand hier ein kleines, gemütliches Haus, aber Hugh hat es abreißen lassen, weil er es für zu klein und für nicht komfortabel genug hielt. Stattdessen hat er dann dieses große Haus gebaut." Sie sah sich in ihrer supermodernen Küche um, die mit allen Schikanen eingerichtet war. Man blickte von hier aus auf die breite Veranda, die um das gesamte Haus herumging, das im Designerstil gebaut worden war. Selbst jetzt noch regte sie sich darüber auf, wie viel Geld Hugh in den Bau gesteckt hatte, während die Viehfarm langsam verfiel. Immer wieder hatte sie versucht, ihren Mann zur Vernunft zu bringen, doch er hatte einfach nicht auf .sie hören wollen. Schließlich sei es sein Geld, damit könne er tun und lassen, was er wolle, hatte er immer gesagt. "Ich habe die Zwillinge in Darwin zur Welt gebracht. Nach der Geburt musste ich fast ein Jahr dort bleiben, weil Hugh das Haus umbaute und behauptete, mit den Babys könnte ich da nicht wohnen, bevor es fertig wäre." Juliet schwieg, als ihr bewusst wurde, wie viel ihr bitterer Tonfall Cal über die Ehe verraten musste, die sie mit Hugh geführt hatte. "Das ist mit ein Grund, warum ich nicht drei Jahre Zeit hatte, mich damit zu beschäftigen, was auf Wilparilla zu tun ist. Als ich schließlich aus Darwin zurückkehrte, hatte ich mit den Zwillingen alle Hände voll zu tun. Sie waren im
vergangenen Jahr gerade zwei geworden, da kam Hugh ums Leben. Wenn man sich um zwei Kleinkinder kümmern muss, bleibt einem wenig Zeit, zu lernen, wie eine Viehfarm geleitet wird." Sie seufzte. "Und die Entfernungen hier sind einfach enorm", fuhr sie fort. "Bis in die nächste Stadt ist es eine Ewigkeit. Der nächste Kindergarten ist zwei Autostunden entfernt, und woher soll ich einen Babysitter bekommen, wenn meine Nachbarn fast hundertdreißig Kilometer weit weg wohnen? Ich finde ja nicht einmal die Zeit, meine Nachbarn kennen zu lernen." Sie sah Cal abweisend an. "Also musste ich mich auf den Manager verlassen, den Hugh eingestellt hatte." Cal verzog verächtlich den Mund. "Ein schöner Manager, nach allem, was man hier sieht." "Ich weiß", gab Juliet angriffslustig zurück. "Ich habe selbst Augen im Kopf. Ich sehe ja nur einen kleinen Teil der Farm, und selbst der ist völlig vernachlässigt. Aber was hätte ich denn tun sollen, solange Hugh noch lebte? Und als er tot war ..." Sie verstummte, weil sie Cal nicht erzählen wollte, was für ein finanzielles Chaos Hugh hinterlassen hatte. "Es war ein schlechtes Jahr", fügte sie schließlich hinzu. "Ich bin froh, dass wir überhaupt noch hier sind." Zum ersten Mal führte Cal sich vor Augen, was Juliet nach dem Tod ihres Mannes durchgemacht haben musste. Fast schämte er sich jetzt, weil er die Situation bisher nie aus ihrem Blickwinkel betrachtet hatte. Es war sicher sehr schwer für sie gewesen, hier so einsam zu leben, noch dazu mit zwei Kleinkindern und am Ende der Welt. Aber sie hätte ja verkaufen können. Schließlich hatte er ihr ein sehr gutes Angebot gemacht. Sie hätte als reiche Frau nach England zurückkehren und ein sorgloses Leben führen können. Doch sie hatte sich für den schwierigen Weg entschieden.
"Ich werde mir die Männer jetzt mal vorknöpfen", sagte er. Es ärgerte ihn, dass er ihr plötzlich so viel Mitgefühl entgegenbrachte. "Morgen geht es richtig an die Arbeit, und das werde ich ihnen zu verstehen geben." "Soll ich mitkommen, um Sie vorzustellen?", fragte Juliet halbherzig. "Nein, das ist nicht nötig." Cal sah mürrisch vor sich hin. Diese Männer hatten sein Eigentum verwahrlosen lassen. Denen würde er es schon zeigen. "Ich stelle mich selbst vor." Da er Natalie nicht erwähnte, lud Juliet das kleine Mädchen zum Abendessen mit den Zwillingen ein. Anschließend half die Kleine ihr beim Abwasch und trocknete jeden Teller sorgfältig ab. "Das kannst du aber gut, Natalie", lobte Juliet. "Dad muss ich immer bei der Hausarbeit helfen", gab Natalie seufzend zu. "Ich muss abtrocknen, fegen und jeden Tag mein Zimmer aufräumen." "Ja? Ist er sehr streng?" "Manchmal. Aber manchmal ist er auch lustig. Wir unternehmen schöne Dinge zusammen." Hugh hatte nie etwas mit seinen Söhnen unternommen. "Kümmert er sich ganz allein um dich?", fragte Juliet, der es fast ein wenig unangenehm war, das Kind auszufragen. Doch aus Cal war ja nichts herauszubekommen. "Meistens", erzählte Natalie bereitwillig. "Wir hatten auch Haushälterinnen, aber die haben sich alle in Dad verliebt, und er hat sie entlassen. Dad mag es nicht, wenn sie das tun." "Das kann ich mir vorstellen", antwortete Juliet trocken. Es musste von den Haushälterinnen recht mutig gewesen sein, sich in Cal Jamieson zu verlieben, denn ermuntert hatte er sie sicher nicht. Aber vielleicht hatte er ihnen ja zugelächelt... Juliet nahm sich zusammen. Ob Cal so abweisend und feindselig ist, damit ich mich nicht in ihn verliebe?, überlegte sie. So weit käme es noch! Erstens mochte er sie nicht, zweitens
war er ihr Angestellter. Außerdem hatte sie schlechte Erfahrungen mit der Liebe gemacht. Sie würde es nicht zulassen, dass man ihr das Herz noch einmal brach. Natalie half ihr dabei, die Zwillinge zu baden und sie ins Bett zu bringen. Als Cal immer noch nicht zurück war, erlaubte Juliet ihr, sich ein Zimmer zum Schlafen auszusuchen. Verwundert beobachtete sie, wie Natalie in jedes Zimmer sah, als suchte sie etwas. "Warum nimmst du nicht das Zimmer neben dem der Zwillinge?", fragte sie, als sie Natalies enttäuschte Miene bemerkte. "Und dein Dad kann hier gegenüber schlafen." "Okay." Juliet machte das Bett und half Natalie dabei, den Koffer auszupacken. Natalie hielt ein gerahmtes Foto in der Hand, das Cal mit einer hübschen Blondine zeigte, die ein Kleinkind auf dem Schoß hatte. "Das ist Dad, und das bin ich als Baby, und das ist Mum", erklärte sie, als sie Juliet das Bild zeigte. "Sie war sehr hübsch", sagte Juliet. Als Natalie nickte, fügte sie behutsam hinzu: "Fehlt sie dir sehr?" Natalie überlegte eine Weile. "Ich kann mich kaum an sie erinnern. Aber Dad sagt, sie war sehr nett, und deshalb fehlt sie mir, glaube ich." Älter als drei konnte sie beim Tod ihrer Mutter nicht gewesen sein. Die arme Natalie, dachte Juliet. Und armer Cal. Als sie kurz darauf auch für ihn das Bett machte, fragte sie sich, was sie von ihm halten sollte. Er war so wortkarg und abweisend gewesen. Erst beim Spiel mit den Kindern war er aufgetaut. Und Natalie hatte auch nur Positives über ihn zu berichten. Seltsam, dachte Juliet, wie deutlich ich ihn vor mir sehe - diesen kühlen Blick, den ernsten Gesichtsausdruck. Es kam ihr vor, als hätte sie Cal schon immer gekannt. Sie strich noch einmal glättend übers Laken und stellte sich vor, wie Cal im Bett lag. Ihre Hand prickelte, als würde sie ihn streicheln. Juliet schluckte. Als Natalie kurz darauf "Dad!" rief,
fuhr sie erschrocken zusammen, als hätte man sie tatsächlich ertappt. "Wir machen dein Bett, Dad." "Das sehe ich." Cal betrachtete interessiert Juliets rosige Wangen und bemerkte ihre schuldbewusste Miene. Juliet war sicher, dass er sie durchschaut hatte. "Wir ... ich dachte nur ... da Sie nicht da waren ..." Juliet schwieg, als ihr bewusst wurde, wie unsicher sie sich gab, und straffte sich. Dies war ihr Haus, und sie bestimmte, wer wo schlief. Sie war niemandem eine Erklärung schuldig, schon gar nicht Cal. "Das ist wirklich sehr nett von Ihnen", sagte Cal. "Aber das war doch nicht nötig. Ich mache hier weiter." Juliet fühlte sich zurückgewiesen. "Ich ... ich wusste nicht, was Sie vorhaben, aber ich habe Abendessen zubereitet, falls Sie später etwas essen möchten." "Danke." Er sagte nicht: "Sie können jetzt gehen", doch seine Miene sprach für sich. Juliet drehte sich schnell um und verschwand in der Küche. Von weitem hörte sie, wie Natalie ihrem Vater aufgeregt berichtete, welche Gutenachtgeschichte Juliet Kit vorgelesen und wie Matthew in der Badewanne geplanscht hatte. Juliet fühlte sich plötzlich sehr einsam. Sie hatte niemanden, dem sie von ihrem Tag berichten konnte. Wann hatte sie sich zuletzt abends mit jemandem unterhalten? Vor sehr, sehr langer Zeit. Natürlich hatte sie gehofft, sich nach Hughs Tod mit ihren Nachbarn anzufreunden, doch die wohnten alle weit entfernt, außerdem hatte Hugh es sich mit allen verdorben, und nun musste sie darunter leiden. Wenn sie doch einmal die beschwerliche Fahrt in die Stadt unternahm, begegnete man ihr zwar höflich, aber kühl. Schließlich hatte sie sich verletzt zurückgezogen und nur noch den Kontakt zu Freunden in England aufrechterhalten. Sie hatte sich eingeredet, nicht einsam
zu sein, solange sie die Zwillinge hatte, doch das war natürlich Selbstbetrug. Juliet versuchte, ihre Melancholie zu verscheuchen, indem sie duschte und sich ein luftiges Baumwollkleid anzog, das sie vor Jahren in London gekauft hatte. Der Stoff war türkisfarben, und als sie das Kleid trug, fühlte sie sich schon viel besser. Kit und Matthew sind gesund und fröhlich, dachte sie. Das war die Hauptsache. Und nun würde Cal Wilparilla wieder auf Vordermann bringen. Vielleicht wendet sich nun doch noch alles zum Guten, hoffte sie. Als ihr inneres Gleichgewicht wieder hergestellt war, kehrte sie in die Küche zurück, wo Cal aus dem Fenster sah. Er drehte sich um, als er hinter sich Schritte hörte, und blickte Juliet verwundert an. Ihr kam es vor, als hätte er sie völlig vergessen. Cal hatte sich gerade daran erinnert, wie viele schöne Stunden er mit Sara in der kleinen, gemütlichen Küche verbracht hatte, die es hier einmal gab. Und nach Saras Tod hatte er hier so manchen Abend einsam und allein verbracht, nachdem er Natalie ins Bett gebracht hatte. Damals war er hin und her gerissen worden von seinen Gefühlen. Einerseits wäre er gern auf Wilparilla geblieben, andererseits wollte er auch das Versprechen halten, das er Sara gegeben hatte. Und nun war er nicht mehr allein, Juliet war da, lebendig und strahlend in einem türkisfarbenen Kleid und mit wachsamer Miene. Wie sie wohl aussehen würde, wenn sie einfach mal entspannte und lächelte?, überlegte er. Er zeigte auf die Flasche in seiner Hand. "Ich habe mir noch ein Bier genommen. Sie haben hoffentlich nichts dagegen." Seine Stimme klang auf einmal so merkwürdig, doch Juliet schien das nicht zu bemerken. "Nein, nein, Sie können sich gern bedienen", sagte sie höflich. Nach kurzem Schweigen fragte sie: "Ist Natalie im Bett?"
Cal nickte. "Sie ist müde. Es war eine lange, anstrengende Fahrt für sie." Er zögerte. "Vielen Dank, dass Sie sich um sie gekümmert haben. Sie scheint sich gut amüsiert zu haben." "Sie hat mir sehr geholfen. Natalie ist ein nettes kleines Mädchen." Am liebsten hätte sie gefragt, wie er es mit Natalies Schulunterricht hielt. Wahrscheinlich bekam sie Fernunterricht über Funk. Doch sie traute sich nicht zu fragen, aus Angst, Cal könnte sich kritisiert fühlen, und sie wollte die angenehme Atmosphäre nicht zerstören. Daher ging sie stattdessen zum Herd und holte das Abendessen für Cal aus dem Ofen. "Wie sind Sie mit den Männern zurechtgekommen?", fragte sie, als sie es auf den Tisch stellte. Cal setzte sich an den Tisch. "Ich glaube, sie wissen jetzt, wer der Boss ist", antwortete er und dachte verärgert an die Szene zurück, die sich im Wohnheim der Viehhirten abgespielt hatte. Er hatte sich zuvor einen Überblick über die nötigen Arbeiten auf der Farm verschafft und war wütend gewesen, weil alles so vernachlässigt worden war. "Und wer ist der Boss?", fragte Juliet kühl, als sie ihm gegenüber Platz nahm. "Was die Männer betrifft, bin ich der Boss. Was mich angeht, sind Sie es." Cal begegnete ihrem Blick. "Bereitet Ihnen das Probleme?" "Warum wollen die Männer nicht begreifen, dass dies mein Eigentum ist?", fragte sie. "Liegt es daran, weil ich eine Frau bin? Oder weil ich aus England komme?" "Nein, weil Sie nichts davon verstehen, wie so eine Farm geführt wird", erklärte Cal ausdruckslos. "Das haben Sie selbst zugegeben. Okay, Sie haben ein Dokument, das Sie als Eigentümerin von Wilparilla ausweist, aber das interessiert diese Männer nicht. Sie werden nur arbeiten, wenn sie klare Aufträge bekommen. Und die bekommen sie von mir. Sie müssen mich als Boss akzeptieren, sonst bleibt alles beim Alten. Wenn Ihnen das nicht passt, sagen Sie es lieber gleich."
"Ich habe keine Wahl, oder?", fragte Juliet verstimmt. Cal schüttelte den Kopf und widmete sich dem Abendessen. Fast war er froh, dass sie so uneinsichtig war, dass sie seinem Ziel im Weg stand, Wilparilla zurückzubekommen. Dann konnte er darüber hinwegsehen, wie verführerisch ihr Körper wirkte, wie seidig ihr dunkles Haar im Licht schimmerte Und welches Feuer, welche Leidenschaft sich hinter der kühlen Fassade zu verbergen schien. Warum wollte sie nur unbedingt der Boss sein? Warum lag ihr so viel daran? Sie hatte keine Ahnung, wie man Wilparilla führte, sie kannte ja nicht einmal das Land, das zu der Farm gehörte. Sie war nie Tag und Nacht, bei Hitze und Staub über das Land geritten, hatte nie unter freiem Himmel geschlafen, während das Vieh sich rastlos in der Dunkelheit hin und her bewegte. Niemals würde sie Herrin über Wilparilla sein, dafür wollte er schon sorgen. Sie gehörte einfach nicht auf eine Viehfarm. Wahrscheinlich konnte sie nicht einmal eine Kuh von einem Bullen unterscheiden. Man brauchte sie nur anzusehen - ein Paradiesvogel, der sich in die Wüste verirrt hatte. Und dann dieses Kleid! Es schmiegte sich an ihre Brüste, gewährte Einblick in ihr Dekolleté, und es raschelte aufreizend, wenn sie sich bewegte. "Sie mögen mich nicht besonders, oder?", fragte sie, als sie seinem missbilligenden Blick begegnete. Cal trank einen Schluck Bier und betrachtete sie. Nein, er mochte sie wirklich nicht, aber er würde sich hüten, das zuzugeben. Denn dann würde sie nur die Gründe wissen Wollen, und wer wusste schon, wohin das führen würde. Also beschränkte er sich diplomatisch darauf, zu sagen: "Ich finde einfach, dass Sie nicht hierher gehören." "Wieso nicht?" Er hatte es ja geahnt! "Das liegt doch auf der Hand", behauptete er und ärgerte sich, wieder einmal in die Falle
getappt zu sein. Warum wollten Frauen nur immer alles ganz genau wissen? "Für mich nicht", sagte Juliet, die gehofft hatte, Cal aus der Reserve zu locken, und nun enttäuscht war. Er schien nicht einmal verlegen zu sein, weil sie ihn auf seine Feindseligkeit ihr gegenüber angesprochen hatte. Cal seufzte. Also schön, wenn sie so erpicht darauf war, zu erfahren, was er dachte, würde er es ihr verraten. "Wilparilla ist eine Viehfarm. Das Leben hier ist anstrengend und hart. Jedenfalls ist es nicht der richtige Ort für hübsche Kleider. Man kann nicht darüber hinwegsehen, dass man sich hier die Hände schmutzig macht." "Sie haben geduscht und sich umgezogen", gab sie zuckersüß zu bedenken. "Ja, aber ich trage keine Sachen, die ich zu einem Besuch in einem eleganten Restaurant anziehen würde." "Ich darf also nur verschlissene Jeans und Karohemden tragen. Wollen Sie das damit sagen?" Cal wurde ungeduldig. "Sie dürfen anziehen, was Sie wollen. Ich sage nur, was Sie nicht anziehen sollten, wenn Sie hierher gehören wollen." "Aber ich gehöre hierher." Juliet schob ihren Teller beiseite. "Dies ist mein Haus, und ich kann anziehen, was ich will. Ich rate Ihnen, das nicht zu vergessen." Bei ihrem hochmütigen Tonfall presste Cal die Lippen zusammen. Er hatte den Eindruck, sie wüsste, wie sehr ihm die Vorstellung gegen den Strich ging, dass Wilparilla ihr gehörte und nicht ihm, und sie wollte ihn quälen. Natürlich hatte ihn niemand gezwungen, Wilparilla zu verkaufen, er hatte es freiwillig getan. Aber zu sehen, was die Laings aus seiner geliebten Farm gemacht hatten, war einfach schrecklich. Cal betrachtete das Land noch immer als sein eigenes. Cal begegnete Juliets Blick. "Ich werde es ganz sicher nicht vergessen", sagte er kühl.
Schweigend beendeten sie das Abendessen. Sie hatte eigentlich erwartet, er würde sich sofort in sein Zimmer zurückziehen, doch als sie begann abzuwaschen, griff er nach einem Geschirrtuch und trocknete ab. Für Juliet war es ungewohnt, dass ihr jemand half. Es kamen selten Besucher auf die Farm, und wenn, dann hatten sie beim Manager oder bei den Viehhirten im Wohnheim gegessen. Natürlich ging die Arbeit schneller, wenn sie zu zweit erledigt wurde, trotzdem wäre es Juliet lieber gewesen, Cal hätte sie allein gelassen. Sie war sich seiner Nähe nur zu bewusst. Schweigend sah er aus dem Fenster und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Offenbar hatte er sie, Juliet, ganz vergessen. Aus dem Augenwinkel konnte sie seine Hände sehen, die mit sicherem Griff das Geschirr hielten, das er gerade abtrocknete. Er hatte sonnengebräunte, zupackende Hände mit goldenen Härchen an den Gelenken. Er war nicht im eigentlichen Sinne schön* wie Hugh es gewesen war, sondern ein ganz durchschnittlicher Mann mit braunem Haar und grauen Augen. ^ Und doch hatte er etwas Unerbittliches an sich, wirkte hart, stark und unnachgiebig. Seine kühle, abweisende Haltung faszinierte Juliet. Verstohlen betrachtete sie seinen Mund. Das war nicht der Mund eines kaltherzigen, beherrschten Mannes. Und dann fiel ihr ein, wie herzlich er den Zwillingen zugelächelt hatte. Bei der Erinnerung überlief sie ein Prickeln, und ein süßes Gefühl stellte sich unvermittelt ein. Schnell wandte Juliet den Blick ab und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, dass er sie doch ganz offensichtlich nicht leiden konnte. Aber es half alles nichts. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn nackt im Bett liegen, das sie für ihn gemacht hatte. Das Bild war so plastisch, dass sie erschrocken den Atem anhielt. Cal hatte das leise Geräusch gehört und wandte sich zu ihr um. In ihrem Blick las er Bestürzung, als hätte sie gerade an etwas Schockierendes gedacht.
"Was ist los?", fragte er. "Nichts." Mit bebenden Händen zog sie den Stöpsel aus dem Spülbecken und konzentrierte sich ganz auf das ablaufende Wasser. Ich muss mich zusammenreißen, dachte sie. "Obwohl..." Sie verstummte schnell. Nein, das war keine gute Idee! "Was?" "Ach, unwichtig." Cal runzelte ärgerlich die Stirn. Warum sagte sie nicht, was los war? "Was ist unwichtig?" Juliet saß in der Falle. Nachdenklich trocknete sie sich die Hände ab. Hätte sie doch nur nichts gesagt! Doch Cal schien entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, und vielleicht war es ja auch besser, von Vornherein klare Verhältnisse zu schaffen. "Ich dachte nur gerade, das es ganz gut wäre, wenn wir uns auf gewisse Regeln einigten." Sie strich sich nervös das Haar aus dem Gesicht. Er musterte sie mit undurchdringlicher Miene. "Was denn für Regeln?" "Na ja, also, wenn wir unter einem Dach leben müssen, bis das Verwalterhaus bewohnbar ist, sollten wir vielleicht einige Punkte absprechen." "Zum Beispiel?" "Zum Beispiel, dass ich für Sie mitkoche, dazu müssten wir uns auf Essenszeiten einigen, und wir sollten dafür sorgen, dass wir uns nicht in die Quere kommen und ..." Sie schwieg, weil Cals steter, sachlicher Blick sie verunsicherte. "Es liegt Ihnen sehr viel an Regeln, oder?", fragte er, und sie errötete. "Manchmal lassen sich dadurch peinliche Situationen vermeiden." "Was ist denn peinlich daran, gemeinsam zu essen?" "Nichts, aber ich meine ja auch die Lage im Allgemeinen."
"Was denn für eine Lage?" Cal wurde langsam ungehalten. "Sie wissen genau, wovon ich spreche!", behauptete Juliet. Er stellte sich absichtlich dumm. "Davon, dass wir beide allein in diesem Haus sein werden." "Aha!" Plötzlich hatte er verstanden, was sie meinte. "Sie wollen ein paar Regeln aufstellen, damit ich Sie nicht ausnutze. Ist es das?" "Ja ... nein!" Sie verbesserte sich schnell, als Cal die Augenbrauen hochzog. "Natürlich nicht", fügte sie ruhiger hinzu. "Ich will doch nur sagen, dass wir beide erwachsene, allein stehende Menschen sind. Wenn wir uns darüber nicht im Klaren sind, könnte uns die Situation ... also, ich meine, wir könnten uns vielleicht fragen ..." "Wir könnten uns fragen, wie es wäre, wenn ich Sie küssen würde?", schlug Cal so bemerkenswert ruhig vor, dass sie sich unter anderen Umständen darüber geärgert hätte. Doch nun empfand sie nur Erleichterung, weil er ihre Gedanken ausgesprochen hatte. "Genau." Sie stand in ihrem türkisfarbenen Kleid am Herd und wirkte plötzlich sehr jung und verloren. Cal musterte sie einen Moment lang nachdenklich, dann legte er das Geschirrtuch über eine Stuhllehne. "Ich schlage vor, wir finden es gleich heraus", sagte er und kam auf Juliet zu. Sie sah ihn verständnislos an. "Was denn?" "Wie es ist, wenn ich Sie küsse." Mit völlig unpersönlicher Geste legte er den Arm um ihre Taille und zog Juliet an sich, bevor sie überhaupt begriff, was passierte. "Dann hätten wir das schon mal geklärt, und wir brauchen keine weiteren Regeln. " Er beugte sich vor und küsste sie. ^ Juliet umfasste instinktiv seine Arme, um Halt zu finden, denn sie hatte das Gefühl, der Boden würde unter ihr nachgeben.
Es war ein harter, strafender Kuss, der dazu gedacht war, ihr eine Lehre zu erteilen. Juliet war sich dessen durchaus bewusst, war jedoch nicht auf die Welle heißen Verlangens vorbereitet gewesen, die sie durchflutete, als sie Cals Lippen und Hände spürte. Sie schien plötzlich mit neuem Leben erfüllt, aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht zu sein. Es knisterte zwischen ihnen. Es war schockierend und gefährlich aufregend zugleich. Cal, der sie nur ganz kurz hatte küssen wollen, zog Juliet enger an sich, als sie den Mund öffnete. Dann ließ er eine Hand zu ihrem Nacken gleiten und liebkoste das seidige Haar. Er hatte völlig vergessen, wie sehr er sich über sie geärgert hatte, hatte auch ihre dummen Regeln vergessen. Er spürte nur noch ihren warmen, lebendigen Körper und genoss, wie wunderbar sie sich in seinen Armen anfühlte. Ihre süße Nachgiebigkeit hatte ihn völlig überwältigt, und er wollte sie noch tiefer, noch leidenschaftlicher küssen, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass sie beide völlig die Kontrolle verlieren würden, wenn er nicht sofort aufhörte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Unvermittelt ließ er Juliet los und wich zurück. Juliet taumelte und suchte Halt am Herd. Sie war benommen und bebte. Lange sahen sie und Cal einander an. "Jetzt wissen wir Bescheid", sagte Cal, als er sich wieder etwas gefangen hatte. "Nun brauchen wir keine Zeit mehr mit der Frage zu verschwenden, was wäre, wenn." Er sah, wie ihre Lippen bebten, und am liebsten hätte er Juliet wieder an sich gezogen. Wie er die Kraft aufbrachte, dieser Versuchung zu widerstehen, wusste er selbst nicht. Er wandte sich ab. Juliet stand noch immer am Herd, als er die Küchentür erreicht hatte. "Vielen Dank fürs Abendessen", sagte er und war im nächsten Moment verschwunden.
3. KAPITEL "Dad frühstückt mit den Viehhirten", erklärte Natalie, als Juliet sie am nächsten Morgen in der Küche vorfand. "Ich soll Ihnen ausrichten, er kommt erst heute Abend zurück." "Wann hat er dir denn das erzählt?", fragte Juliet, die sich insgeheim schon darauf eingestellt hatte, Cal kühl und unnahbar zu begegnen. Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, bevor sie sich überhaupt in die Küche getraut hatte, und nun musste sie erfahren, dass er einfach so verschwunden war, ohne ihr wenigstens einen guten Morgen zu wünschen. Wahrscheinlich erwartete er, dass sie das Abendessen fertig hatte, wenn er sich dazu herabließ, wieder aufzutauchen. "Gerade eben", antwortete Natalie. "Er ist vor einer Minute gegangen. Soll ich ihn zurückrufen?", fragte sie hilfsbereit und war schon aufgesprungen. "Nein, nein." Juliet war froh, Cal jetzt nicht gegenübertreten zu müssen. Sie fuhr sich müde durchs Haar und setzte Teewasser auf. Die Zwillinge schliefen noch. Typisch, ausgerechnet, wenn sie hätte ausschlafen können, musste sie früh aufwachen. Sie hatte eine sehr unruhige Nacht gehabt, und das war natürlich Cals Schuld. Warum hatte er sie nur so küssen müssen? Und wieso hatte sie es sich gefallen lassen? Sie hatte stundenlang wach gelegen, weil sie so aufgewühlt gewesen war. Auch Stunden später
glaubte sie, Cals Arme noch um sich zu spüren, seinen sinnlichen Mund auf ihrem ... Sie war wütend auf ihn, obwohl sie einsah, dass auch sie Schuld hatte. Sie hatte ja nicht einmal versucht, ihn wegzustoßen. Es war doch nur ein Kuss, versuchte sie sich einzureden. Cal hatte Tatsachen schaffen wollen, sonst nichts. Wer hätte denn ahnen können, dass ihre Reaktion darauf so überwältigend sein würde? Wahrscheinlich war sie einfach zu lange allein gewesen. Jedenfalls war sie in den frühen Morgenstunden zu diesem Schluss gekommen. Nur so ließ sich ihre seltsame Reaktion auf Cals Kuss erklären. Hätte Hugh sie nicht all die langen Monate zurückgewiesen, hätte sie Cals Kuss niemals so leidenschaftlich erwidert, und sie hätte sich nicht gewünscht, der Kuss würde niemals aufhören. Sie hätte sich auch nicht so einsam und verloren gefühlt, als Cal sie schließlich doch losgelassen hatte. Und sie hätte nicht stundenlang wach gelegen und sich gefragt, was passiert wäre, wenn Cal den Kuss nicht beendet hätte. Er hätte bei ihr gelegen und ... Juliet wurde es heiß. Sie durfte nicht darüber nachdenken, wie es gewesen wäre, ihn zu berühren, ihn zu spüren, zu erschauern, wenn er sie liebkost hätte, seinen muskulösen Körper zu spüren, wenn er sich auf sie geschoben hätte ... Sie musste sofort damit aufhören! Wenn Cal sich einbildete, sie würde eine große Affäre aus einem einzigen Kuss machen, dann täuschte er sich sehr. Juliet war zu lange mit dem launischen Hugh zusammen gewesen. Sie kannte sich aus. Ich bin hier der Boss, sagte sie sich, und ich denke gar nicht daran, einfach dahinzuschmelzen, wenn mich mal ein Mann küsst! Cal war hier, um ihr die Farm zu führen. Er musste akzeptieren, dass sie seine Arbeitgeberin war und keine willkommene Abwechslung für einsame Abende im Outback.
"Wie bitte?" Juliet wurde sich plötzlich bewusst, dass Natalie mit ihr sprach. Sie hatte kein Wort wahrgenommen. "Was hast du gesagt?" "Ich habe gesagt, das Wasser kocht." Natalie sah sie verwundert an. Als sie ihren Tee trank, überlegte Juliet, ob Natalie traurig war, weil ihr Vater sie sich selbst überlassen hatte. Offensichtlich nicht. Es mache ihr Spaß, den Tag mit Juliet und den Zwillingen zu verbringen, behauptete sie. "Wenn es Sie nicht stört", fügte sie besorgt hinzu. Natürlich störte es Juliet nicht. Was sie dagegen störte, war, dass Cal offensichtlich von ihr erwartete, sich um seine Tochter zu kümmern. Doch das konnte sie Natalie natürlich nicht verraten. Außerdem erwies das Mädchen sich als sehr nützlich. Die Arbeit ging Juliet viel leichter von der Hand, seit sie wusste, dass Natalie die Zwillinge im Auge behalten würde. Und man musste auf die beiden Acht geben, weil sie sonst ständig neue Streiche ausheckten. Es machte Juliet auch Spaß, jemanden zu haben, mit dem sie sich unterhalten konnte. Schade, dass Cal nicht so unkompliziert war wie seine Tochter. Am Spätnachmittag nahm Juliet Natalie und die Zwillinge mit zur Pferdekoppel, wo sie zusahen, wie die Tiere in einen Pferch getrieben wurden und später durch den Busch und durch Termitenhügel geritten wurden, die selbst mit einem Geländewagen nicht befahren werden konnten. Natalie war auf den Zaun geklettert und strahlte. "Dad hat mir ein eigenes Pferd versprochen, damit ich mit ihm ausreiten kann", erzählte sie Juliet stolz. Juliet klopfte einem Rotschimmel den Hals, der herangekommen war, um zu sehen, ob er sich nicht etwas zu naschen abholen könnte. "Ich hätte gern zwei kleine Ponys für die Zwillinge", sagte sie.
Die beiden Jungen waren ganz vernarrt in Pferde. Sie standen neben Natalie auf dem Zaun und schienen überhaupt keine Angst vor der rotbraunen Stute zu haben. "Das Problem dabei ist, dass ich jeweils nur einem Jungen das Reiten beibringen kann. Und was mache ich in der Zwischenzeit mit dem anderen? Ich kann ihn doch nicht allein lassen." "Dad könnte helfen", schlug Natalie vor. Juliet rang sich ein Lächeln ab. "Ich glaube, Dad hat Wichtigeres zu tun." "Das stimmt allerdings." Cal war hinter ihnen aufgetaucht, und Juliet fuhr heftig zusammen. Was fiel ihm ein, sich wie ein wilder Panther anzuschleichen? "Wo kommen Sie denn plötzlich her?", fragte sie. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Das ist nur der Schreck, versuchte sie sich einzureden. Mit seinem Anblick hat das überhaupt nichts zu tun. Er sah sie kühl und unpersönlich an, und den Mund - der Mund, an den sie sich so gut erinnerte - hatte er zusammengepresst. "Vom Viehhof", antwortete er ungeduldig. Es war doch völlig unwichtig, woher er kam. War es seine Schuld, dass sie offensichtlich nichts Besseres zu tun hatte, als hier in einer eleganten Khakihose und einer cremefarbenen Bluse bei den Pferden herumzulungern? Er wandte sich Natalie zu. "Geh doch mit den Zwillingen schon mal ins Haus, Nat. Ich habe etwas mit Mrs. Laing zu besprechen." "Ich sage Juliet zu ihr", erklärte Natalie, kletterte jedoch gehorsam vom Zaun. Es passte Juliet nicht, wie er ihre Söhne herumkommandierte, aber sie wollte im Beisein der Kinder keinen Streit mit Cal anfangen. "Würdest du ihnen bitte etwas zu trinken geben, Natalie? Ich möchte mit deinem Vater sprechen." Sie wartete, bis Natalie mit den Zwillingen außer Hörweite war, dann fuhr sie wütend zu Cal herum. "Ich wäre Ihnen
dankbar, wenn Sie mir die Entscheidung überlassen würden, wo und wann wir uns unterhalten", sagte sie aufgebracht. "Sie sind hier, um die Farm zu managen, zu sonst nichts. Die Kinder überlassen Sie bitte mir." "Wie soll ich mit der Arbeit vorankommen, wenn ich mir jedes Mal vorher einen Termin bei Ihnen geben lassen muss?" Cal musterte sie kühl und verächtlich. "Das verlange ich ja gar nicht. Ich verwehre mich nur gegen die Art und Weise, wie Sie alle Leute hier herumkommandieren." Cal seufzte ungeduldig. "Ich habe lediglich vorgeschlagen, dass Natalie sich um die Jungen kümmert, damit wir uns in Ruhe unterhalten können. Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen und möchte, dass Sie mir zuhören. Das geht nicht, wenn Sie durch die Kinder abgelenkt sind." "Hätte das nicht Zeit gehabt bis nachher, wenn die Kinder im Bett sind?" "Nein. Sie haben ein großes Problem, Juliet. Viel größer, als Sie ahnen. Und ich denke nicht daran, es erst dann anzusprechen, wenn Sie sich für den Abend schick gemacht und parfümiert haben, nur um die Chefin herauszukehren." Cal war so wütend, dass er das gefährliche Glitzern in den dunkelblauen Augen übersah, "Worum geht es?", fragte sie mit schneidender Stimme. "Um alles", antwortete er unverblümt. Er war außer sich vor Wut darüber, wie sehr Juliet und ihr Mann Wilparilla hatten verkommen lassen. "Ich brauche ein Flugzeug, um mir einen Überblick darüber zu verschaffen, was an den äußersten Rändern der Farm vor sich geht, aber was ich heute in der unmittelbaren Umgebung gesehen habe, ist schon schlimm genug. Die Zäune müssen dringend repariert werden, die Wasserstellen sind eine einzige Katastrophe, Leitungen sind defekt, das Vieh tut und lässt, was es will, viele Rinder haben
nicht einmal ein Brandzeichen, mit anderen Worten: Die ganze Farm geht den Bach runter!" All die Jahre harter Arbeit, Wilparilla aufzubauen, eine erstklassige Herde zu züchten und eine erfolgreiche Farm zu haben, es war alles umsonst gewesen. Cal war schon wütend gewesen, bevor er sich das Chaos auf der Farm angesehen hatte, weil er Schuldgefühle hatte, Juliet geküsst z» haben. Außerdem hatte er den ganzen Tag daran denken müssen, wie weich und anschmiegsam sie in seinen Armen gelegen hatte. Natürlich hatte er versucht, jeden Gedanken an sie zu verdrängen, doch immer wieder wurde er in den unpassendsten Momenten an ihren Duft erinnert, an ihr seidiges Haar, an ihre hübsche Figur ... Die Erinnerungen hatten ihn völlig aus der Bahn geworfen, und er war immer wütender geworden - auf sich, vor allem aber auf Juliet. Als ihm schließlich das ganze Ausmaß der Vernachlässigung bewusst wurde, das die Laings seinem geliebten Wilparilla zugefügt hatten, war er fast überzeugt gewesen, Juliet zu hassen. Und nun stand sie vor ihm und sah ihn so entsetzt an, als hätte sie nicht gewusst, wie es um die Farm bestellt war. Cal hätte sie am liebsten geschüttelt, damit ihr klar wurde, was sie und ihr Mann auf Wilparilla angerichtet hatten. Er zählte alle Probleme auf, die ihm aufgefallen waren, alle Reparaturen, die dringend vor Beginn der Regenzeit durchgeführt werden mussten, während Juliet der Mut immer mehr schwand. Ihr entsetztes Gesicht machte Cal nur noch wütender, und er fuhr mit seiner Aufzählung fort, bis Juliet es nicht mehr ertragen konnte und sich die Ohren zuhielt. Cal zog ihre Hände fort. "Das hilft auch nichts!", rief er zornig. "Die Probleme verschwinden nicht, nur weil Sie nichts von ihnen hören wollen. Sie wollen doch unbedingt hier den Boss spielen. Dann übernehmen Sie gefälligst auch die Verantwortung für dieses Chaos. Irgend jemand muss hier schließlich die Verantwortung übernehmen. Sie sollten sich
schämen, die Farm so zu ruinieren. Wilparilla könnte Gewinne einbringen, wenn Sie das Land nicht so vernachlässigt hätten. Es ist eine Schande!" "So schlimm ist es nun auch wieder nicht", flüsterte Juliet, obwohl sie wusste, wie Recht Cal hatte. Aber sie wollte einfach nicht wahrhaben, wie nahe sie daran gewesen war, Wilparilla zu verlieren. "Und ob es so schlimm ist!", schrie Cal frustriert. "Natürlich wollen Sie das nicht zugeben, denn dann müssten Sie sich ja mit der Wahrheit befassen, statt den ganzen Tag im Haus zu sitzen und zu überlegen, was sie zum Abendessen anziehen. Aber Ihnen ist ja nur wichtig, von jedem mit Boss angeredet zu werden." "Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen?" Juliet war den Tränen nahe gewesen, als Cal die schier endlose Liste dringender Reparaturen aufgezählt hatte, doch jetzt wurde sie wütend, weil seine Vorwürfe einfach unfair waren. "Haben Sie schon mal versucht, sich um zwei Jungen zu kümmern, die noch keine drei Jahre alt sind?", schrie sie zornig. "Nein, haben Sie nicht! Dann wüssten Sie nämlich, dass es sich dabei um eine Vollzeitbeschäftigung handelt. Von wegen, den ganzen Tag herumsitzen! Ich wette, Sie haben mehr Gelegenheit, sich tagsüber auszuruhen, als ich. Und wenn ich mich doch einmal hinsetzen kann, dann nur, um den Papierkram zu führen oder mich um den Gemüsegarten zu kümmern oder Lebensmittel zu bestellen oder die Männer zu bezahlen, die ihre Arbeit schleifen lassen. Vom Kochen und Saubermachen ganz zu schweigen. Und offensichtlich ist Ihnen entgangen, dass ich mich heute nicht nur um meine eigenen Kindern kümmern musste, sondern auch noch um Ihre Tochter. Sie sind einfach verschwunden und haben sie zurückgelassen." "Sie kann sich selbst ..." Weiter kam Cal nicht, denn Juliet unterbrach ihn sofort wütend.
"Natalie ist neun", sagte sie verächtlich. "Sie muss mit Essen und Trinken versorgt werden und braucht ebenso viel Aufmerksamkeit wie jedes andere Kind. Die hat sie von mir bekommen. Oder sollte ich sie vielleicht links liegen lassen und mich stattdessen um Sie kümmern, nur damit Sie mir vorwerfen können, ich würde Ihre Tochter vernachlässigen?" Cal ballte wütend die Hände zu Fäusten. "Nein, aber ..." "Kein Aber! Offensichtlich haben Sie andere Prioritäten, bei mir stehen jedenfalls die Kinder an erster Stelle. Ich weiß, dass auf der Farm nicht alles so ist, wie es sein sollte, aber deshalb habe ich ja Sie eingestellt, damit Sie die Sache in die Hand nehmen. Dafür bezahle ich Sie, und nicht dafür, dass Sie mich kritisieren. Unterstehen Sie sich, mich je wieder so anzugreifen. Wenn Sie der Arbeit nicht gewachsen sind, dann sagen Sie es bitte jetzt, dann kann ich einen neuen Manager einstellen. Vielleicht arbeitet der, ohne mich ständig zu beleidigen." Sie wirbelte herum und machte sich wütend auf den Weg zum Haus, während Cal frustriert auf den Zaun einhieb und laut fluchte. Dieses verflixte Frauenzimmer! Geschähe ihr ganz recht, wenn er wirklich auf der Stelle verschwinden würde. Dann wäre sie binnen weniger Wochen am Ende. Doch das konnte er nicht verantworten. Sie war imstande, tatsächlich einen neuen Manager einzustellen, und wo blieb er, Cal, dann? Er wünschte, er wusste, wie viel Geld Juliet zur Verfügung stand. Viel konnte es nicht sein. Aber vielleicht waren sie und ihr Mann auch einfach nicht bereit gewesen, Geld in die Farm zu stecken. Er hatte erfahren, dass die Laings überall auf der Welt Grundbesitz hatten. Juliet brauchte also nur ihre Schwiegereltern anzurufen und um finanzielle Unterstützung zu bitten. Sollte das nicht möglich sein und sie gezwungenermaßen Konkurs anmelden, dann würden sich die Banken einschalten, und es würde Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern, bevor er Wilparilla zurückkaufen könnte.
Ihm blieb also nur übrig durchzuhalten. Er würde die Farm aber nicht für sie retten, sondern nur die dringendsten Arbeiten erledigen, bis sie zu der Einsicht käme, dass sie Wilparilla nicht mehr halten konnte. Und darauf werde ich nicht lange warten müssen, schwor er sich. Juliet war noch immer außer sich vor Zorn. Trotzdem ließ sie sich den Kindern gegenüber nichts anmerken, so schwer es ihr auch fiel, ihnen lächelnd das Abendessen zu servieren und die Zwillinge anschließend ins Bett zu bringen. Es war gemein von Cal gewesen, ihr die Lage in so drastischen Worten zu schildern. Die Aussicht, Wilparilla unter Umständen zu verlieren, bedrückte Juliet sehr. Das durfte einfach nicht passieren. Die Farm war das Einzige, was Hugh seinen Söhnen hinterlassen hatte. Was sollte sie nur tun? Als die Kinder im Bett lagen, musste Juliet sich wenigstens nicht mehr verstellen. Beim Abendessen herrschte eisiges Schweigen zwischen Cal und ihr. Er zog sich gleich nach dem Essen zurück, und Juliet musste den Abwasch ohne ihn erledigen. Nun war sie ganz allein mit ihren Gedanken. Das war fast noch schlimmer als der Kuss am Abend zuvor. Geistesabwesend trocknete Juliet das Geschirr ab. Wie sollte sie nur das Geld für die Reparaturen aufbringen? Im nächsten Moment glitt ihr der Teller aus der Hand, den sie gerade abtrocknete, und zerbrach scheppernd auf dem Küchenboden. Auch das noch! Sie war den Tränen nahe, als sie mit bebenden Händen erschöpft die Scherben zusammenfegte. Die anderen Teller ließ sie zum Trocknen stehen. Müde schleppte sie sich ins Bett und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Mitten in der Nacht wurde sie von Weinen geweckt. Das ist einer der Zwillinge, dachte sie schlaftrunken. Aufstehen, befahl ihr Gehirn. Doch ihr Körper gehorchte nicht. Juliet blieb einfach liegen. Schließlich öffnete sie aber doch die Augen und stand schwankend auf.
Als sie endlich im Kinderzimmer angekommen war, brüllten beide Jungen aus vollem Hals. Juliet blieb an der Tür stehen und wusste nicht, um wen sie sich zuerst kümmern sollte. Schließlich hob sie Kit aus seinem Bettchen und legte ihn zu seinem Bruder. So konnte sie wenigstens beide Jungen gleichzeitig im Arm halten. Vergeblich versuchte sie, die Kleinen zu beruhigen. Sie spürten, dass sie selbst den Tränen nahe war, und weinten nur noch herzzerreißender. Auch Cal war inzwischen wach geworden. Soll Juliet doch damit fertig werden, dachte er. Sie würde sich seine Hilfe ja sowieso verbitten. Also drehte er sich auf die Seite und versuchte wieder einzuschlafen, doch das Weinen hörte einfach nicht auf. Schließlich konnte er es nicht mehr ertragen. Wenn das so weiterginge, würde Natalie auch noch wach. Mürrisch zog Cal sich Shorts an und machte sich auf den Weg zu den Zwillingen. Von der Tür aus sah er Juliet in einem weißen Baumwollnachthemd auf dem einen Bett sitzen. Sie hielt beide Jungen im Arm, die sich heiser geschrien hatten und offensichtlich einfach nicht zu beruhigen waren. Sie sah verzweifelt auf, als er ins Zimmer kam. Wortlos nahm er ihr Matthew ab und ging mit dem Kind im Zimmer auf und ab. Der Kleine fühlte sich so geborgen, dass aus dem verzweifelten Weinen bald nur noch ein leises Schluchzen wurde. Und auch Kit, dem Juliet nun ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmen konnte, beruhigte sich langsam. Bald war nur noch ein leiser Schluckauf zu hören, und dann war wieder himmlische Ruhe eingekehrt. "Was war denn eigentlich los?", fragte Cal leise. "Keine Ahnung", antwortete sie erschöpft. ^Wahrscheinlich ein Albtraum. Ein Zwilling ist weinend aufgewacht und hat seinen Bruder geweckt, als ich nicht schnell genug hier war. Und da hat der andere auch angefangen zu weinen."
Cal beugte sich vor, um Matthew näher zu betrachten. Der Kleine schien wieder eingeschlafen zu sein. "Ich glaube, sie werden jetzt durchschlafen", sagte Cal leise. "Hoffentlich." Juliet legte Kit in sein Bett zurück, dann nahm sie Cal Matthew ab und ließ auch ihn behutsam wieder in sein Bett gleiten, bevor sie ihn zärtlich küsste. "Sie können die beiden jetzt allein lassen", flüsterte Cal, und ihr wurde bewusst, dass sie noch immer am Bett ihres kleinen Sohnes stand. Juliet folgte Cal automatisch aus dem Zimmer und blinzelte im hellen Licht der Flurlampe. "Es tut mir Leid", sagte sie, ohne Cal anzusehen. "Sie wollten einfach nicht aufhören zu weinen. Ich konnte sie nicht beruhigen, ich konnte nicht... ich konnte nicht..." Entsetzt nahm sie wahr, dass ihre Stimme fast hysterisch klang. Juliet versuchte, in ihr Zimmer zurückzukehren, doch Cal, der die Situation sofort erfasst hatte, hielt sie fest. "Kommen Sie", sagte er und zog sie mit auf die Veranda, wo er dafür sorgte, dass sie sich in einen Sessel setzte. "Sie bleiben jetzt da sitzen, bis ich Ihnen einen Becher Tee gebracht habe." Sein unerwartetes Mitgefühl machte alles nur noch schlimmer. Juliet barg das Gesicht in den Händen und brach in Tränen aus. Noch nie im Leben hatte sie so verzweifelt geweint. Cal zögerte. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und versucht, sie zu beruhigen, wie er Matthew beruhigt hatte. Doch sie war kein Kind, und er wusste nicht, wohin es führen würde, wenn er sie tröstend im Arm hielt. Und Juliet hätte es wohl auch gar nicht zugelassen. Sie war sein Boss, und Angestellte nahmen ihre Vorgesetzten nicht auf den Schoß, um sie zu trösten. Also wandte er sich ab, um Tee zu machen. "Hier, trinken Sie", sagte er wenig später und hielt ihr einen Becher hin. "Dann wird es Ihnen gleich besser gehen."
Juliet umfasste den heißen Becher mit einer Hand, mit der anderen versuchte sie, sich die Tränen zu trocknen. "Entschuldigung", sagte sie leise. "Ich weiß gar nicht, warum ich weine." "Nein?" Sie trank einen Schluck. Der Tee war heiß, süß und sehr tröstend. "Ich bin nur so schrecklich müde", fügte sie seufzend hinzu. "Alles ist schief gegangen, dabei habe ich mir so große Mühe gegeben. Und heute Nacht ist es mir nicht einmal mehr gelungen, die Kinder zu beruhigen." Verzweifelt hielt sie den Teebecher umklammert. "Wenn Sie nicht gekommen wären, würden wir wahrscheinlich immer noch im Kinderzimmer sitzen", sagte sie und sah Cal an. Cal saß im Sessel neben ihr, hielt seinen eigenen Becher in der Hand und blickte in die sternklare Nacht hinaus. Es war so hell, dass man die Umrisse der Bäume deutlich sehen konnte. "Vielen Dank für Ihre Hilfe", fügte Juliet leise hinzu. "Ich wusste gar nicht, dass Sie so gut mit kleinen Kindern umgehen können." Cal sah sie kurz an, dann wandte er den Blick wieder ab. "Natalie war drei, als Sara starb", erklärte er. "Ich weiß, wie es ist, wenn man auf sich gestellt ist." Juliet sah ihn an. "Ja, das wissen Sie wohl." Wieder seufzte sie. Einträchtig tranken sie den Tee. Juliet fühlte sich bereits viel besser. "Es tut mir übrigens sehr Leid, dass wir uns heute Nachmittag gestritten haben", sagte sie schließlich. "Mir auch. Ich habe mich im Ton vergriffen." "Sie hatten ja Recht. Ich weiß, dass ich etwas tun muss, wenn ich Wilparilla retten will, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll." Sie schluckte. "Hugh hat aufgehört, sich für die Farm zu interessieren, als das Haus noch nicht einmal fertig war. Er verbrachte immer mehr Zeit in Sydney. Als ich nach der Geburt
der Zwillinge auf die Farm zurückkehrte, lag hier schon alles im Argen. Die Männer, die Hugh eingestellt hatte, waren verschwunden, und der Manager, den er .besorgt hatte, kümmerte sich ebenso wenig um die Farm wie Hugh selbst. Nach Hughs Tod dachte ich, ich würde es schon schaffen, alles in Ordnung zu bringen, aber der Manager hat mich überhaupt nicht unterstützt, sondern mir nur geraten, das Anwesen zu verkaufen." Cal verzog das Gesicht. "Und warum haben Sie seinen Ratschlag nicht befolgt?" Er sah sie forschend an. "Es ist schon anstrengend genug, zwei kleine Kinder aufzuziehen, ohne sich auch noch den Kopf über eine Farm wie Wilparilla zerbrechen zu müssen." "Weil die Farm alles ist, was Kit und Matthew haben. Hugh hat sich nicht für seine Jungen interessiert. Er war nicht einmal bei ihrer Geburt dabei. Aber ohne ihn hätten sie auch nie die Gelegenheit gehabt, auf so einem Anwesen aufzuwachsen. Wilparilla ist das Einzige, was er seinen Söhnen hinterlassen hat. Deshalb muss ich die Farm behalten." "Ist das der einzige Grund, warum Sie nicht verkaufen wollen?", fragte Cal behutsam. "Nein." Juliet sah ihn an, und er konnte die Reflexion der Sterne in ihren großen dunklen Augen sehen. "Ich möchte Wilparilla nicht verkaufen, weil ich die Farm liebe." Sie wandte den Blick ab. "Es ist wirklich seltsam. Als Hugh erzählte, er habe eine Viehfarm gekauft, dachte ich zuerst, er würde Witze machen. Ich war damals noch in London, und kurz darauf kam ich hier an. Am Anfang war es für mich eine furchtbare Umstellung. Alles war so fremd. Und dann diese Fliegen! Und die Hitze und die Einsamkeit." "Und wieso haben Sie Ihre Meinung geändert?" "Wegen Kit und Matthew", sagte sie schließlich. "Hugh wollte keine Kinder. Er scheute die Verantwortung, und er fand
meine Schwangerschaft entsetzlich. Wir waren noch nicht lange verheiratet, und ich hoffte, ich könnte ihn ändern. Aber Hugh dachte gar nicht daran, sich zu ändern. Er verbrachte immer mehr Zeit in Sydney, angeblich, um die Einrichtung für das neue Haus auszusuchen. Aber das habe ich schon damals nicht geglaubt. Trotzdem hoffte ich, es würde alles wieder gut werden, wenn er erst mal seine Söhne sehen würde. Ich bin oft am Fluss spazieren gegangen. Und als ich eines Tages spürte, wie sich eins der Babys bewegte ..." Juliet suchte nach Worten, um Cal zu erklären, was sie damals empfunden hatte. "Es ist unbeschreiblich, was ich damals fühlte. Jedenfalls wurde mir in diesem Moment bewusst, dass Wilparilla das Zuhause für meine Kinder sein würde. Und ich begann, dem Gesang der Vögel zuzuhören, die Düfte und Gerüche im Busch wahrzunehmen und das Licht, die Weite und die Stille des Landes zu lieben. Jetzt könnte ich es nicht mehr ertragen, je von hier fortzumüssen." Cal schwieg. Er wollte das alles nicht wissen, sondern sie weiterhin als Außenseiterin betrachten, die nicht nach Wilparilla gehörte, und nicht als jemanden, der genauso empfand wie er selbst. Schweigend hingen sie ihren Gedanken nach. "Ich glaube, wir sollten jetzt wieder schlafen gehen", schlug Cal schließlich vor und stand auf. Er wünschte, Juliet hätte ihm nicht erzählt, wie sehr sie an Wilparilla hing. Und es wäre auch besser gewesen, er hätte nicht gesehen, wie ihre vollen Brüste sich unter dem dünnen Nachthemd abzeichneten. Juliet nickte und wollte auch aufstehen. Als es ihr nicht gleich gelang, beugte Cal sich vor und zog sie hoch. Seine Hand war wunderbar warm und stark. Am liebsten hätte Juliet sie nie wieder losgelassen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Cal nur Shorts trug und dass ihr Nachthemd ziemlich durchsichtig war. Er war ihr sehr nahe und hielt noch immer ihre Hand umfasst. "Alles in Ordnung?", fragte er leise.
Sie nickte und war froh, dass er im Dunkeln nicht sehen konnte, wie ihre Wangen sich gerötet hatten. "Danke", flüsterte sie. Nach kaum merklichem Zögern ließ Cal ihre Hand los und trat zurück. "Versuchen Sie jetzt zu schlafen. Wir überlegen morgen, was zu tun ist", sagte er rau.
4. KAPITEL Wieder hatte Cal am nächsten Morgen bereits das Haus verlassen, als Juliet in die Küche kam. Wahrscheinlich geht er mir aus dem Weg, dachte sie. Es war ja auch zu peinlich gewesen, wie sie mitten in der Nacht vor seinen Augen zusammengebrochen war! Wahrscheinlich hielt er sie jetzt für eine Heulsuse. Doch als Cal einige Stunden später die Küche betrat, war ihm nichts anzumerken. Juliet hatte gebacken, und auf ihrer Wange war ein Mehlfleck. Bei Cals Anblick klopfte ihr Herz sofort schneller. "Ich wollte mich noch für letzte Nacht bei Ihnen bedanken", sagte sie scheu. "Tut mir Leid, dass ich Sie mit meinen Problemen belastet habe." "Ich bin froh, dass Sie mir alles gesagt haben. Eigentlich bin ich derjenige, der sich entschuldigen sollte. Ich hatte ja keine Ahnung, was Sie durchgemacht haben, und habe Sie offensichtlich unfair behandelt." Juliet rieb sich langsam das Mehl von den Händen. "Schon gut. Ich wünschte nur, die Probleme würden sich alle so einfach lösen lassen." "Einfach wird es sicher nicht", antwortete Cal ehrlich. "Aber es wird Zeit, sie in Angriff zu nehmen. Ich habe zwei Männer nach Okey Bore geschickt, um die Leitung reparieren zu lassen. Die anderen kümmern sich um die Reparatur der Zäune. Über die schwerwiegenderen Probleme sollten wir uns unterhalten."
"Jetzt gleich?" "Das wäre am besten. Sie müssen einige wichtige Entscheidungen treffen, die sich nicht länger aufschieben lassen." "Also gut." Juliet band sich die Schürze ab und setzte sich zu Cal an den Küchentisch. Natalie passte auf die Zwillinge auf, sie konnte Cal also in Ruhe zuhören. "Ich habe eine Aufstellung der dringendsten Arbeiten gemacht", sagte er und zeigte auf einen Bogen. "Hier stehen die Arbeiten, die nicht ganz so eilig sind, und hier Projekte, die langfristig in Angriff genommen werden sollten, um Wilparilla wieder auf Vordermann zu bringen." Juliet betrachtete entsetzt die eng beschriebenen Seiten. "Das schaffen wir nie", sagte sie verzweifelt. "Wir können es wenigstens versuchen. Es hängt natürlich davon ab, wie viel Geld Sie in Wilparillas Erhalt investieren wollen." "Ich habe kein Geld", bekannte sie. "Das gibt es doch gar nicht. Man kauft doch nicht so ein Anwesen, wenn man kein Kapital als Rückhalt hat." "Ich weiß. Als wir nach Australien gegangen sind, hatten wir ja auch genug Geld. Aber das ist alles aufgebraucht." "Wofür?" Cal musterte sie ungläubig. "Keine Ahnung. Hugh hatte kostspielige Hobbys, und jede Woche ein neues. Er hat das Geld nur so zum Fenster hinausgeworfen. Er konnte sehr großzügig sein, aber auch grausam und unverantwortlich und so charmant, dass niemand ihm widerstehen konnte. Hugh hat sich auch nie festgelegt. Er hatte immer mindestens drei schöne Mädchen im Schlepptau. Eins, mit dem er gerade Schluss machte, eins, mit dem er gerade eine Affäre anfing, und eins für später." "Aber warum, um alles in der Welt, haben Sie so einen Mann geheiratet?" Cal musterte sie ungläubig.
"Weil auch ich völlig hingerissen von ihm war", erklärte sie und rang sich ein Lächeln ab. "Und ich war stolz, dass er mich, ausgerechnet mich, heiraten wollte. Er hätte jede Frau haben können. Wir haben uns bei einem Polospiel kennen gelernt. Er war damals einundzwanzig und hat mich sofort verzaubert. Sein Ruf war mir egal, ich dachte, ich könnte Hugh ändern." Juliet seufzte. "Als er mich dann bat, ihn zu heiraten, sah ich mich bestätigt. Ich schlug alle Warnungen in den Wind, ihn nicht zu heiraten. Alle sagten, ich würde den größten Fehler meines Lebens machen, doch ich wollte nicht auf sie hören. Wir haben im ganz großen Stil geheiratet, und ich war mir so sicher, ihn zähmen zu können." Sie schüttelte den Kopf über ihre Naivität und stand auf, um Kaffee zu machen, damit sie etwas abgelenkt war. Die Geschichte mit Hugh schmerzte sie noch immer. Sie war sich auch nicht sicher, ob sie Cal wirklich alles erzählen sollte. Würde er sie verstehen, oder würde er sie insgeheim auslachen? "War es denn wirklich ein so großer Fehler?", fragte Cal widerstrebend. Er gab sich die Antwort selbst. Aus der strahlend schönen, jungen Braut war eine müde, verzweifelte Frau geworden. Was musste dieser Hugh für ein Mann gewesen sein, einer Frau wie ihr so etwas anzutun? "Aber er hätte Sie doch sicher nicht geheiratet, wenn er Ihre Liebe nicht erwidert hätte, oder?", fragte Cal, obwohl er die Vorstellung schrecklich fand, dieser Hugh könnte Juliet geliebt haben. "Das habe ich natürlich auch gedacht." Juliet füllte Instantkaffee in zwei Becher. "Aber dann fand ich heraus, dass seine Eltern ihn zur Ehe gezwungen hatten. Hugh hatte mich auserwählt, weil ich jung und unerfahren war und ihm vermutlich keine Schwierigkeiten machen würde. Er hatte ständig Schulden, und seine Eltern mussten sie immer begleichen. Sie hatten genug von seinem Lebenswandel.
Jedenfalls hofften sie, Hugh würde vernünftig werden, wenn er erst einmal verheiratet wäre und Verantwortung tragen musste. Aber Hugh dachte gar nicht daran, vernünftig zu werden. Er lebte weiter wie bisher, hatte Affären, setzte sein Leben bei Powerbootrennen und beim Skifahren aufs Spiel und warf weiterhin das Geld zum Fenster hinaus. Er wurde einer Sache schnell überdrüssig, und dann musste ein neues, noch teureres Hobby her." Juliet goss heißes Wasser auf das Kaffeepulver. "Warum haben Sie ihn nicht einfach verlassen?", fragte Cal, der bedauerte, diesen Hugh nicht persönlich kennen gelernt zu haben. Es hätte ihm großen Spaß gemacht, den Kerl persönlich von seinem Besitz zu befördern. Juliet stellte die Kaffeebecher auf den Tisch. "Weil ich mir immer noch eingebildet hatte, ich könnte ihn ändern. Außerdem wollte ich mir nicht anhören müssen, dass ich es von Anfang an besser hätte wissen müssen." Sie sah nachdenklich vor sich hin, bevor sie weitersprach. "Und dann geriet Hugh in ernste Schwierigkeiten mit seiner Familie. Die Laings sind steinreich, und eigentlich hätte er nicht zu arbeiten brauchen. Doch es war ihnen sehr wichtig, dass er wenigstens zum Schein in einem ihrer Unternehmen als Geschäftsführer tätig war. Leider hatten sie ausgerechnet ihre Geschäftsbank für ihn ausgesucht. Er verbrachte zwar nur wenig Zeit dort, aber wenn er da war, spekulierte er mit den Reserven." Sie schenkte sich Milch ein. "Möchten Sie auch welche?" Als er den Kopf schüttelte, stellte sie die Milch zurück in den Kühlschrank. "Ich weiß bis heute nicht genau, was damals eigentlich passiert ist, jedenfalls hielten seine Eltern es für besser, dass er für einige Zeit im Ausland verschwand. Da sie große Unternehmen in Sydney hatten, wurden wir beide nach Australien geschickt. Mir warfen sie vor, mich nicht genug um ihn gekümmert zu haben, denn sonst hätte er sich ja ändern müssen, wie sie meinten."
"Ich wusste gar nicht, dass die Briten ihre schwarzen Schafe noch immer nach Australien abschieben", sagte Cal ironisch. "Den Laings ist wahrscheinlich noch nicht aufgegangen, dass das britische Empire nicht mehr existiert. Ach, Cal, Sie haben ja keine Ahnung, wie arrogant diese Leute sind. Es ist schon fast zum Lachen." Cal trank nachdenklich seinen Kaffee. "Die Entfernung zwischen Sydney und Wilparilla ist ziemlich groß", sagte er. "Haben die Laings etwa auch hier im Outback geschäftliche Interessen?" "Nein, das war mal wieder typisch Hugh. Vorübergehend gefiel es ihm in Sydney, doch dann begann er, sich zu langweilen. Eines Tages ging er mit einem Bekannten segeln. Dieser Mann verkaufte Grundstücke im Outback. Als Hugh wieder nach Hause kam, hatte er ein Gebot auf Wilparilla abgegeben." Cal war entsetzt, dass seine geliebte Farm mal eben so nebenbei den Besitzer gewechselt hatte. Er wusste genau, mit wem Hugh auf den Segeltörn gegangen war. "Und so bin ich also hier gelandet", fuhr Juliet fort. "Erst bei unserem Eintreffen auf der Farm wurde Hugh sich der Vorteile bewusst, in aller Abgeschiedenheit zu leben. Er war wütend, als er von meiner Schwangerschaft erfuhr. Andererseits passte es ihm sehr gut, dass er mich hier zurücklassen konnte, als er wieder einmal anfing, sich zu langweilen. Er vergnügte sich in Sydney oder Perth oder in Südostasien." "Aber warum haben Sie sich das bieten lassen? fragte Cal fast wütend. Juliet strich sich das Haar aus dem Gesicht. Sie wusste es selbst fast nicht mehr. "Ich dachte doch, wir könnten hier noch einmal ganz von vorn anfangen. Hugh war ja eigentlich kein schlechter Kerl. Er konnte sehr charmant und witzig und aufregend sein, und ich habe ihn geliebt. Man gibt seine Liebe zu einem Menschen wie Hugh nicht so einfach auf. Es ist wie
eine Sucht. Man hofft und hofft, dass er sich doch noch ändert, auch wenn man längst erkannt hat, dass man sich etwas vormacht." Sie seufzte leise. "Ich hatte gehofft, die Zwillinge würden ihn zur Vernunft bringen. Ich dachte, er würde sie lieben, und etwas von dieser Liebe würde sich auch auf mich übertragen. Aber auch daraus wurde leider nichts." "Es tut mir so schrecklich Leid", sagte Cal. "Es war wirklich eine schreckliche Zeit", gab Juliet zu. "Ich war so unglücklich. Aber das ist inzwischen vorbei. Jetzt bin ich nur noch wütend. Wütend, weil Hugh es nicht einmal für nötig erachtet hat, seinen Söhnen in guter Erinnerung zu bleiben. Ich bin wütend, weil er Wilparilla vernachlässigt hat. Besonders wütend bin ich jedoch, weil er für die Jungen keinerlei finanzielle Vorsorge getroffen hat. Mit dem Geld aus seiner Lebensversicherung musste ich seine Schulden bezahlen, viel ist nicht übrig geblieben. Das Geld, das ich noch habe, muss für unseren Unterhalt reichen, bis Wilparilla wieder Gewinne einfährt." "Das kann aber noch lange dauern", gab Cal zu bedenken. Juliet biss sich auf die Lippe. "Wie lange?" Jetzt war seine Chance gekommen. Wenn er behauptete, es würden bis dahin mindestens zehn, fünfzehn Jahre vergehen, dann würde sie bestimmt ihre Sachen packen und die Farm verlassen, und Wilparilla würde wieder ihm gehören. "Was ist mit Ihren Schwiegereltern?", fragte er stattdessen. "Könnten die Sie nicht finanziell unterstützen? Immerhin sind Kit und Matthew ihre Enkelkinder." "Nein." Juliet schüttelte energisch den Kopf. "Von denen will ich nichts annehmen. Ich traue ihnen nicht. Sie würden nur hier auftauchen, alles besser wissen und die Zwillinge mit nach England nehmen. Kommt nicht in Frage!" "Und was ist mit einem Bankkredit?" Was ist eigentlich in mich gefahren?, fragte Cal sich. Er wollte doch, dass Juliet Wilparilla verkaufte. Und nun versuchte
er, Mittel und Wege zu finden, damit sie das Anwesen behalten konnte. "Von der Bank bekomme ich nichts mehr. Mein Konto ist sowieso schon hoffnungslos überzogen." "Okay, dann müssen wir eben sehen, wie weit wir ohne finanzielle Mittel kommen." Cal griff nach der Liste, auf der er die dringendsten Arbeiten aufgeführt hatte, und betrachtete sie nachdenklich. "Wir haben vier Viehhirten, und es würde ihnen nichts schaden, zur Abwechslung mal zu arbeiten. Hubschrauberunterstützung zum Viehtreiben können wir uns nicht leisten, ebenso wenig wie andere zusätzliche Hilfskräfte. Wir sind auf uns allem gestellt." Er rieb sich sorgenvoll das Kinn. Juliet bemerkte die goldenen Härchen auf seinem Arm. Ihr Blick glitt tiefer zu seinen kräftigen Schenkeln. Er trug Shorts, und am liebsten hätte sie ihn gestreichelt. Verlegen wandte sie schnell den Blick ab. "Zuerst müssen die Fahrzeuge repariert werden", fuhr Cal fort. Er hatte Juliets verlangenden Blick nicht bemerkt. "Dazu brauchen wir einen Mechaniker, der sein Handwerk versteht. Ich kenne da einen guten Mann. Wir müssen ihn natürlich bezahlen, aber er ist es sein Geld wert." Cal legte die Liste auf den Tisch zurück und stand auf. "Ich werde ihn gleich anrufen", sagte er und wollte zum Telefon gehen. Im letzten Moment fiel ihm ein, dass er Juliet fragen musste, denn schließlich würde sie den Mann ja bezahlen. "Einverstanden?", fragte er daher schnell. Juliet rang sich ein Lächeln ab. "Natürlich." Sie war froh, als Cal die Küche verließ. In seiner Nähe empfand sie Gefühle, die sie lange verschüttet geglaubt hatte. Cal war zwar ihr Berater und Manager, aber er war auch ein Mann mit einem aufregenden Körper und einem Mund zum Träumen. Sie empfand ein süßes Verlangen, als sie an den Kuss zurückdachte. Ich muss mich zusammenreißen, dachte Juliet,
und den Kuss vergessen. Cal ist hier, um die Farm in Ordnung zu bringen, zu sonst gar nichts, ermahnte sie sich. "Wir haben Glück." Cal war aus dem Büro zurückgekehrt. "Ich habe mit Sam telefoniert, und er hat genug vom Ruhestand. Er kann nächste Woche hier sein." "Gut", antwortete Juliet heiser und räusperte sich. "Wunderbar", fügte sie hinzu. "Ich habe auch eine Haushälterin besorgt", sagte Cal wie nebenbei. "Wie bitte?" Juliet musterte ihn ungläubig. "Eine Haushälterin, die sich um Küche und Kinder kümmert. Sie könnten nämlich weitaus besser eingesetzt werden." "Tatsächlich?", fragte Juliet unsicher. "Aber ich habe doch überhaupt keine Erfahrung mit Farmarbeit." "Das werden Sie lernen. Zunächst können Sie sich um den Papierkram kümmern, und Sie könnten nachsehen, ob die Zäune und Wassertröge in Ordnung sind. Sie haben doch einen Führerschein, oder?" Sie nickte. "Na also. Und reiten werden Sie auch bald können. Wenn wir uns keinen Hubschrauber leisten können, brauchen wir zum Viehtreiben alle verfügbaren Reiter. Sie stehen aber nicht zur Verfügung, solange Sie sich um Kinder und Haushalt kümmern müssen." Juliet wollte ihm gerade erzählen, dass sie bereits reiten konnte, wurde jedoch durch seine letzte Bemerkung abgelenkt. "Sie haben Recht", gab sie zu. "Aber ich kann mir keine Haushälterin leisten. Schon gar nicht, wenn ich schon einen Mechaniker bezahlen muss." "Das lassen Sie mal meine Sorge sein", sagte Cal. "Wieso?" Sie sah ihn erstaunt an. "Ich wollte für Natalie und mich doch sowieso eine Haushälterin einstellen", erklärte Cal und mied ihren Blick. "Jemand muss schließlich Natalies Schularbeiten
beaufsichtigen." Er verstand selbst nicht, wieso er Juliet half, in Wilparilla zu bleiben, und ihr auch noch eine Haushälterin finanzierte. Er musste verrückt geworden sein. Aber vielleicht war es auch der einzige Weg, Juliets Vertrauen zu erlangen. Und wenn er ihr später weismachen würde, dass ihr nur noch die Möglichkeit blieb, Wilparilla zu verkaufen, dann hätte sich seine Investition ausgezahlt. Das jedenfalls redete er sich ein. "Ich habe mit meiner Tante gesprochen", fuhr er fort, bevor er seine Beweggründe in Zweifel ziehen konnte. "Maggie ist im Outback aufgewachsen, nach ihrer Heirat aber mit ihrem Mann nach Melbourne gegangen. Jetzt ist sie verwitwet und möchte zurück. Als sie erfuhr, dass ich ins Outback wollte, hat sie vorgeschlagen, als meine Haushälterin mitzukommen." "Aber ich kann doch nicht verlangen, dass sie sich auch noch um meine beiden Rabauken kümmert", wandte Juliet ein. "Maggie schafft das schon. Sie behauptet immer, am liebsten seien ihr Menschen unter sechs und über sechzig. Die beiden Jungen sind also genau richtig für sie. Alle Kinder lieben Maggie, und sie sind gut bei ihr aufgehoben." "Das klingt zu schön, um wahr zu sein." Juliet konnte kaum glauben, dass sie bald nicht mehr kochen und die Jungen ständig beaufsichtigen musste. "Maggie knüpft allerdings eine Bedingung an den Job", gab Cal zu bedenken. "Sie behauptet, zu alt und eingefahren zu sein, um mit anderen Menschen unter einem Dach zu leben. Sie will sich gern tagsüber um alles kümmern, aber abends möchte sie sich lieber in ihre eigenen vier Wände zurückziehen. Ich habe ihr vorgeschlagen, im Verwalterhaus zu wohnen." "Das hieße aber, dass Sie und Natalie hier im Haus bleiben." "Ja." "Würde Ihnen das denn nichts ausmachen?", fragte Juliet unsicher. "Nicht wenn es Ihnen recht ist."
Juliet begegnete seinem Blick und war gefangen. Seine grauen Augen schienen auf einmal gar nicht mehr kühl zu blicken. Juliets Herz begann schneller zu klopfen. Nervös befeuchtete sie sich die Lippen. "Mir ist es recht", sagte sie heiser. "Das wäre also geklärt." Cal hatte die Luft angehalten und atmete nun wieder normal weiter. Juliet hatte wirklich ganz außergewöhnliche Augen. In ihren blauen Tiefen hätte er sich verlieren mögen. Und dann noch ihre weichen, nachgiebigen Lippen, der Duft... Schweigend sahen sie einander tief in die Augen. Es knisterte zwischen Cal und Juliet, und es gelang ihnen nicht, die Blicke voneinander zu lösen. "Dad! Juliet! Seht doch mal!" Natalies Lachen von der Veranda brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Cal war sehr dankbar für die Unterbrechung und ging mit Juliet hinaus, um zu sehen, was denn so lustig war. Kit und Matthew hatten Plastikeimer gefunden, die sie sich auf den Kopf gesetzt hatten; Nun stolzierten sie damit umher. Cal und Juliet kamen gerade in dem Moment, als die beiden Kleinen heftig zusammenprallten und auf dem Po landeten. Der Anblick war so komisch, dass Cal und Juliet herzlich lachen mussten. Im nächsten Moment nahmen die Zwillinge gleichzeitig die Plastikeimer hoch und lugten frech unter ihnen hervor. Nachdem Cal sich beruhigt hatte, ließ er den Blick zu Juliet schweifen, die sich noch immer ausschütten wollte vor Lachen, Er konnte sich nicht an ihr satt sehen. So fröhlich war sie seit seiner Ankunft noch nie gewesen. Es veränderte sie völlig. Ihre veilchenblauen Augen blitzten liebevoll, und ihr warmherziger Ausdruck rührte ihn. Juliet spürte seinen Blick und wandte sich Cal zu. Wieder sahen sie einander tief in die Augen. Was Juliet in seinem Blick
las, war so überwältigend, dass ihr der Atem stockte. "Was ... was ist denn?", fragte sie schließlich unsicher. "Nichts." Cal wandte den Blick ab. "Ich werde jetzt mal sehen, wie die Männer vorankommen", sagte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte. "Heute Abend überlegen wir, wie wir vorgehen wollen", fügte er hinzu und drehte sich um. "In Ordnung. Ach, Cal?" Er wandte sich um und zog fragend eine Augenbraue hoch. "Danke", sagte sie und hoffte, er würde verstehen, was sie mit diesem einfachen Wort ausdrücken wollte. Cal antwortete indirekt. Er kam zu ihr. "Sie haben Mehl an der Wange", sagte er und entfernte es sanft mit dem Daumen, und dann ging er wirklich. Juliet sah ihm reglos nach, bis er verschwunden war. Abends vereinbarten sie, sich zuerst um das Verwalterhaus zu kümmern, damit Maggie dort einziehen und Juliets Haushalt führen konnte. Es fiel Juliet schwer, sich auf die Pläne zu konzentrieren, die sie mit Cal machte, denn unterschwellig knisterte es die ganze Zeit zwischen ihnen. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, war sich seiner Nähe jedoch nur zu bewusst. Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte sie ihre Sorgen wieder mit jemandem teilen. Sie spürte, dass sie sich voll und ganz auf Cal verlassen konnte. "Wenn Sie jemanden finden, der die Reparaturen durchführt, könnte ich das Verwalterhaus aufräumen, sauber machen und anstreichen. Das schaffe ich, auch wenn ich gleichzeitig auf die Kinder aufpassen muss", schlug sie geschäftsmäßig vor. Cal war froh über ihren sachlichen Tonfall. Denn er war ziemlich verwirrt. Er konnte sich nicht länger einreden, Juliet nicht leiden zu können. Dazu war seit der vergangenen Nacht zu viel passiert. Und nun wusste er nicht mehr, Was er denken und empfinden sollte. Doch immer wieder erinnerte er sich an den Kuss vom ersten Abend.
Die ganze Woche war Juliet mit dem Verwalterhaus beschäftigt. Jeden Morgen fuhren die Zwillinge auf ihren Dreirädern im Hof umher, während Natalie Fernunterricht erhielt. Juliet füllte einen Karton nach dem anderen mit Müll, bevor sie endlich mit der Reinigung des Hauses beginnen konnte. Es tat ihr gut, so hart zu arbeiten. Sie wollte nicht zuletzt Cal beweisen, was in ihr steckte. Eines Nachmittags kam er in eines der Schlafzimmer, wo sie auf den Knien den Boden schrubbte. Sie trug ein angeschmutztes T-Shirt und Shorts. Ihr Gesicht war von der ungewohnten Anstrengung gerötet. Als er ihren Namen rief, richtete sie sich auf und strich sich mit dem Handrücken das Haar aus dem Gesicht, wobei sie Schmutzstreifen hinterließ. Cal blieb an der Tür stehen. Diese Juliet hatte keine Ähnlichkeit mit der kühlen, eleganten Schönheit, die er am ersten Abend kennen gelernt hatte. Und diese Juliet, die er jetzt vor sich sah, gefiel ihm viel besser, sie wirkte lebendig und zupackend. Juliet hatte zwar jeden Abend Rückenschmerzen von der harten, ungewohnten Arbeit, aber wenigstens schlief sie die Nächte durch, und die Schatten unter ihren Augen waren verschwunden. Es hatte sich ergeben, dass sie nach dem Abendessen noch ein Bier auf der Veranda tranken, wenn die Kinder im Bett lagen, und den Arbeitsplan für den nächsten Tag besprachen. Inzwischen war der Mechaniker eingetroffen, der sich sofort an die Arbeit gemacht hatte. Sam war sehr schüchtern und zurückhaltend, und sie hatte ihn seit seiner Ankunft nicht mehr gesehen. Cal hielt das für ganz normal. Er erklärte, was Sam alles instand setzte, und er machte Juliet mit den Arbeiten auf der Farm vertraut. Außerdem brachte er ihr die Grundlagen der Buchführung bei. Nach diesen abendlichen Gesprächen wünschten sie einander höflich eine gute Nacht und zogen sich in ihre Zimmer zurück.
Insgeheim sehnte Juliet sich danach, Cal besser kennen zu lernen, doch andererseits fürchtete sie sich, ihm persönliche Fragen zu stellen. Sie hatten ein so gutes Verhältnis zueinander, das wollte sie nicht aufs Spiel setzen, wenn es ihr auch von Tag zu Tag schwerer fiel, ihm gegenüber unbeteiligt zu bleiben.
5. KAPITEL So arbeiteten sie tagein, tagaus, bis Juliet am folgenden Wochenende schuldbewusst feststellte, dass Cal noch nicht einen einzigen freien Tag gehabt hatte. "Morgen ist Sonntag", sagte sie beim Abendessen. "Ich finde, wir haben uns alle einen Urlaubstag verdient." "Eigentlich wollte ich die streunenden Bullen einfangen", wandte Cal ein, doch Juliet ließ sich nicht beirren. "Die alten Bullen können warten", sagte sie. "Und das ist ein Befehl. Natalie hat schließlich auch einen Anspruch auf ihren Vater. Wann waren Sie zuletzt nur für sie da?" "Sie haben natürlich Recht", gab Cal schließlich zu. "Danke, Boss." Er hatte wirklich ein schlechtes Gewissen Natalie gegenüber. An manchen Tagen hatte er so viel zu tun gehabt, dass es nur zu einem Gutenachtkuss gereicht hatte. Allerdings schien es Natalie nichts auszumachen. Sie war ein zufriedenes Kind, das sich gern mit Kit und Matthew die Zeit vertrieb oder Juliet im Haushalt half. Seit sie nach Wilparilla zurückgekehrt waren, war sie förmlich aufgeblüht. Cal versuchte vergeblich, sich einzureden, dass dies nur an der frischen Luft liegen würde. Insgeheim war er sich bewusst, welch hohen Anteil Juliet und die Zwillinge daran hatten, dass seine Tochter so fröhlich und ausgeglichen war. Als er Natalie am nächsten Morgen vorschlug auszureiten, war sie sofort Feuer und Flamme. "Auf der Koppel ist ein Pferd,
das genau richtig ist für dich", sagte er, und sie umarmte ihn begeistert. Als sie schnell in ihr Zimmer lief, um ihre ältesten Jeans anzuziehen, sah Cal Juliet an. "Sie werden sich den Tag hoffentlich auch frei nehmen", sagte er, denn die Vorstellung, sie könnte über der Abrechnung brüten, während er sich amüsierte, gefiel ihm gar nicht. "Keine Sorge", antwortete sie betont fröhlich. "Ich werde mich mit einem Buch auf die Veranda setzen und versuchen, ein wenig zu lesen, falls Kit und Matthew mich lesen lassen." Irgendwie konnte sie sich nicht so recht über ihren freien Tag freuen, denn ohne Cal und Natalie kam sie sich fast verloren vor. Sehnsüchtig sah sie ihnen nach, als sie zur Pferdekoppel gingen. Natalie hatte vertrauensvoll die Hand ihres Vaters genommen, und Cal lächelte dem Mädchen zärtlich zu. Bei diesem rührenden Bild kamen Juliet fast die Tränen. Kit war wütend, als die beiden verschwanden. Er hatte mitgewollt. Und Matthew war schlecht gelaunt, wenn sein Bruder missmutig war. Plötzlich rief er jedoch begeistert: "Pferde." Cal und Natalie kamen aufs Haus zugeritten und führten eine rotbraune Stute hinter sich her. Vor der Veranda parierten sie die Pferde. "Natalie hat mir erzählt, die Jungen hätten noch nie auf einem Pferd gesessen", rief Cal. Juliet nahm Kit und Andrew bei den Händen und ging zur Verandatreppe. Ihr war schwindlig vor Glück. Cal und Natalie hatten sie nicht vergessen! "Das stimmt", sagte sie, nachdem sie sich etwas gefasst hatte. "Ich war doch immer allein. Wie hätte ich sie da beide zu mir aufs Pferd setzen können?" Würde sie doch nur nicht so lächeln, dachte Cal, dem schon wieder der Atem stockte. "Jetzt sind wir ja da. Sie sitzen auf und nehmen den einen Jungen, und ich nehme den anderen. Dann können die Zwillinge ihren ersten Ausritt genießen. Würde euch das Spaß machen?"
"Ja! Ja! Reiten!", riefen die Kleinen begeistert, als er absaß. Juliet ließ die Zwillinge los, die sofort auf Cal zurannten. Jeder wollte der Erste sein. Cal amüsierte sich über die beiden. Juliet hatte die Szene beobachtet und wünschte sich sehnlichst einen Vater wie Cal für ihre Zwillinge. Verlegen wandte sie sich ab. "Ich hole schnell ihre Hüte", rief sie und verschwand im Haus, bevor Cal die Tränen bemerkte, die in ihren Augen schimmerten. "Sind Sie schon mal geritten?", fragte er, als sie zurückkam und den Jungen die Hüte aufsetzte. "Ein oder zwei Mal", sagte sie. Dabei hatte sie einmal ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, Springreiterin zu werden. Der ironische Unterton entging Cal. Er griff nach dem Zaumzeug der Stute und führte das Pferd vorwärts. "Wir fangen ganz langsam an", versicherte er. "Sie ist ein faules, altes Mädchen, es wird nichts passieren." "Schön." Juliet hielt es auch für besser, die Jungen erst einmal auf ein ruhiges Pferd zu setzen. Später würde sie Cal schon zeigen, wie gut sie reiten konnte. Bevor Cal ihr hinaufhelfen konnte, saß sie schon im Sattel. "Wer will mit Mum reiten?", fragte er und hob Matthew hoch, der begeistert kreischte. "Ich auch!", rief Kit energisch, als Juliet Matthew in Empfang nahm. "Dann komm her, Kleiner", sagte Cal, setzte Kit aufs Pferd und saß selbst im nächsten Moment im Sattel. Natalie, die schon eine geübte kleine Reiterin war, ritt voraus. Die anderen folgten ihr langsam zum Fluss. Die Vögel zwitscherten und kreischten in den Bäumen, und die Pferde schnaubten leise und schüttelten die Mähnen, um lästige Fliegen zu verscheuchen. Kit und Matthew waren völlig verzückt. Mit großen Augen sahen sie um sich. "Sieht Matthew genauso glücklich aus wie Kit?", fragte sie Cal.
Er nickte lächelnd. "Wie ein Mops im Paletot", sagte er, und Juliet lachte fröhlich bei dem Bild. Dann wandten sie beide den Blick schnell wieder ab. Cal zählte sich alle Gründe auf, die es ihm verboten, Juliet wieder zu küssen, und Juliet konzentrierte sich darauf, die Vögel zu beobachten, um nicht an Cal zu denken. Doch das war leichter gesagt als getan. Kit hats gut, dachte sie. Der Kleine hatte sich zärtlich und vertrauensvoll an Cal geschmiegt. Im Schatten eines alten Eukalyptusbaums am Fluss legten sie eine kleine Rast ein. Die Pferde warteten geduldig, während Natalie und die Jungen die Jeans auszogen und fröhlich im Wasser planschten. Juliet und Cal sahen von einem Felsen aus zu. "Ist das schön hier", sagte Juliet schließlich hingerissen und ließ den Blick über das stille Wasser und die majestätischen Bäume gleiten. "Sind Sie noch nie hier gewesen?", fragte Cal erstaunt. Traurig schüttelte sie den Kopf. "Sie sind erst seit zwei Wochen in Wilparilla und kennen sich hier schon viel besser aus als ich." Cal schwieg verlegen. Es belastete ihn sehr, Juliet so zu hintergehen, doch er hatte sein Vorhaben noch nicht aufgegeben, ihr Wilparilla abzukaufen. Immerhin ging es um Natalies Glück, wie um sein eigenes. Nach anfänglicher Enttäuschung, weil sie das Haus nicht wiedererkannte, hatte sie sich schnell eingelebt und liebte jeden Flecken Erde. "Ich möchte Ihnen gern danken, weil Sie so viel für Natalie getan haben", sagte er schließlich und wechselte das verfängliche Thema. Juliet sah ihn überrascht an. Wieder trafen sich ihre Blicke, und sie konzentrierte sich schnell auf die Kinder. "Ich habe gar nichts für Natalie getan", sagte sie. "Es ist umgekehrt. Sie ist ein so fröhliches, hilfsbereites Mädchen."
"Ja, jetzt." Cal beobachtete seine Tochter, die ausgelassen im Wasser tobte. "Noch vor kurzem hatte ich größte Schwierigkeiten, sie überhaupt jeden Morgen zur Schule zu bekommen. Sie hat mit niemandem gesprochen, und von Mitarbeit im Unterricht konnte schon gar keine Rede sein." "Wirklich?" Juliet betrachtete die Kleine nachdenklich. Was Cal ihr da gerade erzählt hatte, war kaum zu glauben. "Was war denn mit ihr los?" "Sie war unglücklich. Aber sie hat mir nie erzählt, worüber. Als ich sie dann eines Tages tränenüberströmt im Kinderzimmer fand, kam alles heraus." Er schwieg. Noch immer plagten ihn Schuldgefühle, weil er nicht eher bemerkt hatte, wie unglücklich seine Tochter gewesen war. "Es war alles meine Schuld", fuhr er schließlich langsam fort. "Ich hätte merken müssen, wie unwohl sie sich in der Schule fühlte. Sie passte einfach nicht dahin, und Kinder behandeln Außenseiter meist sehr grausam." "Hat man sie geärgert?", fragte Juliet besorgt. "Ach, so schlimm war es wohl nicht. Sie fühlte sich nur nicht zugehörig. Ich glaube, sie hatte einfach Heimweh. Sie war erst fünf, als wir nach Brisbane zogen. Vorher hatte sie nie etwas anderes als das Outback kennen gelernt, und sie konnte sich einfach nicht an das Großstadtleben gewöhnen. Ich hatte damit übrigens auch meine Schwierigkeiten", gab er zu. "Mir fehlten die Weite, die Stille, der Busch, alles. Trotzdem ließ ich mir nichts anmerken, um Natalie das Leben nicht noch schwerer zu machen. Ich weiß nicht, wie oft ich sie gefragt habe, was mit ihr los sei. Aber sie hat stets behauptet, es sei alles in Ordnung." Juliet sah ihn verstohlen an. "Wenn Natalie sich im Outback so wohl gefühlt hat, warum sind Sie dann weggezogen?" "Weil Sara es so gewollt hätte", sagte er nach kurzem Zögern. "Ich war auf einer Farm aufgewachsen, Sara stammte aus Brisbane. Sie war die Schwester eines meiner Schulfreunde. Als wir uns kennen lernten, war sie sechzehn, fünf Jahre später
haben wir geheiratet. Sie hatte mich vorher oft auf der Farm besucht und sich wohl gefühlt. Aber wenn man ständig dort leben muss, ist es wohl etwas anderes. Sie war den ganzen Tag allein, es gab kein einziges Geschäft im Umkreis von einigen hundert Kilometern, daran hat sie sich als Großstadtmensch nie gewöhnen können." Cal ließ den Blick zu Juliet gleiten. "Sie werden sicher verstehen, wie sie sich gefühlt haben muss. Sie war sehr einsam." "Ja, das kann ich gut verstehen." Trotzdem ließ sich ihre Situation nicht mit der Saras vergleichen. Hugh war so oft fort gewesen, dass sie eigentlich ständig allein gewesen war. Aber Cal war jeden Abend zu Sara zurückgekehrt. Er hatte seine Frau geliebt, sie in den Arm genommen und sie über die Einsamkeit des Tages hinweggetröstet. Wäre ich mit Cal verheiratet gewesen, hätte ich mich bestimmt an das Leben im Outback gewöhnt, dachte Juliet. "Sie hat wirklich versucht, sich anzupassen", fuhr Cal fort. "Aber es ist ihr nie gelungen. Nach Natalies Geburt wurde es noch schlimmer. Sie fand, es würde dem Kind nicht gut tun, in der Einsamkeit aufzuwachsen. Dabei war Natalie sehr glücklich auf der Farm. Sie hatte es gar nicht vermisst, mit anderen Kindern zu spielen. Deshalb fiel es ihr wohl auch besonders schwer, auf einmal in der Stadt leben zu müssen. Sie war einfach nicht an andere Kinder gewöhnt. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn sie Geschwister gehabt hätte, aber die waren ihr nicht vergönnt." "Warum nicht?", fragte Juliet behutsam. "Sara ist bei der Geburt unseres Jungen gestorben." Cals Stimme war völlig ausdruckslos. "Sie hatte immer Angst, so weit von der nächsten Klinik entfernt zu sein, aber als es darauf ankam, hätte ihr kein Arzt der Welt helfen können. Sie starb an Sdhwangerschaftseklampsie." Juliet hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund. "O nein!"
Cal ließ den Blick über den Fluss gleiten. "Bei den ersten Anzeichen haben sie Sara natürlich sofort ins Krankenhaus gebracht, aber die Anfälle hatten schon angefangen, und sie konnten nichts mehr für sie tun. Sie starb an Herzstillstand." "Und das Baby?" Cal schüttelte traurig den Kopf. "Sie haben noch einen Kaiserschnitt gemacht, aber es war zu spät. Der Junge starb wenige Stunden nach der Geburt. Er hieß Ben. Sara hätte es so gewollt." Juliet konnte es kaum ertragen, ihn so traurig zu sehen. Impulsiv umfasste sie tröstend seine Hand. "Das tut mir ganz schrecklich Leid", sagte sie leise. Als Cal sie ansah, bemerkte er, dass Tränen in ihren wunderschönen Augen schimmerten. Er drückte ihre Hand. "Ist schon gut", sagte er, als ob Juliet getröstet werden müsste. "Das ist jetzt sechs Jahre her. Man gewöhnt sich langsam daran. Und ich hatte ja Natalie. Ich musste einfach stark sein." "Es muss sehr schwer gewesen sein. Natalie kann ja damals höchstens so alt gewesen sein, wie die Zwillinge jetzt sind." "Sie war drei." Cal schien vergessen zu haben, dass er noch immer Juliets Hand hielt. "Meine Mutter und meine Schwester haben mich unterstützt, aber schließlich musste ich doch eine Haushälterin einstellen. Leider findet man nur selten eine gute Kraft. Und wenn, dann bleibt sie nicht lange." "Natalie hat mir erzählt, dass alle Haushälterinnen sich in Sie verliebt hätten", sagte Juliet trocken. "Tatsächlich?" Er lachte humorlos. "Na ja, manchmal war es schon recht peinlich. Ich habe die Damen wirklich nicht ermutigt, aber wahrscheinlich langweilten sie sich, und sich zu verlieben erschien ihnen aufregender, als nur das Haus sauber zu halten und sich um Natalie zu kümmern." "Aufregend ist es sicher nicht, sich in jemanden zu verlieben, der nichts von einem wissen will", gab Juliet zu bedenken. Sie
nahm sich vor, klüger zu sein als die Mädchen. Allerdings wäre es sehr, sehr leicht, sich in Cal zu verlieben. Besonders wenn er lächelte ... "Ich fand das jedenfalls gar nicht komisch", sagte Cal. "Sowie die Damen merkten, dass ich ihre Gefühle nicht erwiderte, kündigten sie, und ich musste mich nach einer neuen Haushälterin umsehen. Für Natalie war das natürlich nicht ganz leicht, sich ständig an ein neues Gesicht zu gewöhnen." Cal hielt noch immer ihre Hand fest, und Juliet wurde es fast schwindlig, weil er ihr so nah war. "Das kann ich mir vorstellen", sagte sie leise. Hoffentlich merkt Cal nicht, wie ich mich fühle, dachte sie. Er schien gar nichts zu bemerken. Geistesabwesend betrachtete er seine Tochter im Wasser. "Schließlich habe ich es aufgegeben, eine Neue einzustellen, und nahm Natalie überall mit hin. Eine gewisse Zeit ging das ganz gut, doch dann musste sie die Schule besuchen. Sara hätte gewollt, dass Natalie in Brisbane aufwächst, in der Nähe von Saras Familie." Als Cal sich bewusst wurde, dass er noch immer Juliets Hand hielt, ließ er sie schnell los und entschuldigte sich verlegen. Ihre Hand prickelte, und Juliet wusste nicht, wo sie sie lassen sollte. Am liebsten hätte sie wieder nach Cals Hand gegriffen, doch das ging natürlich nicht. Nach kurzem, unbehaglichem Schweigen fragte Juliet: "Sie haben die Farm also verkauft, damit Sie mit Natalie nach Brisbane gehen konnten." Er seufzte. "Ja. Jetzt weiß ich, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Doch damals habe ich einfach keine andere Möglichkeit gesehen. Der Entschluss ist mir sehr, sehr schwer gefallen, aber ich glaubte, Saras Wunsch erfüllen zu müssen, Natalie ein Leben in der Stadt zu bieten. Es war ein neuer Anfang für uns beide. Ich habe mir einen Computer gekauft, damit ich zu Hause arbeiten konnte und da war, wenn Natalie aus der Schule kam. Und wir haben alles Mögliche
unternommen, was wir im Outback nicht hatten tun können. Wir sind Pizza essen gegangen, haben uns im Kino die neuesten Filme angesehen und uns immer wieder gegenseitig versichert, wie wunderbar das alles sei." Er schwieg einen Moment, bevor er traurig fortfuhr: "Und dann fand ich sie eines Tages in Tränen aufgelöst. Sie ist so ein tapferes Mädchen. Eigentlich weint sie nie. Aber sie hatte mir die ganze Zeit nur vorgespielt, in Brisbane glücklich zu sein. Genau wie ich ihr vorgemacht hatte, mich in der Großstadt wohl zu fühlen. Nach etwas gutem Zureden gestand sie mir dann, dass sie am liebsten wieder nach Hause wollte." "Ins Outback?" "Ja." Ich muss aufpassen, dachte Cal, Juliet kann gut zuhören. Er sprach sonst nie über Saras Tod oder über seinen kleinen Sohn, der nur einige Stunden gelebt hatte, aber es hatte ihm richtig gut getan, sich Juliet anzuvertrauen. Es wäre ganz einfach, ihr die ganze Geschichte zu erzählen, doch er wollte lieber nicht wissen, was passieren würde, wenn sie erfuhr, wer Wilparillas Vorbesitzer gewesen war und dass er dieses ganze Theater nur Natalies wegen veranstaltete. Wie Juliet sich dabei fühlen musste, hatte er dabei nicht bedacht. Freunde in der Gegend hatten ihm von den Zuständen auf Wilparilla erzählt und Cal den Eindruck einer verwöhnten Engländerin vermittelt, die seinen ehemaligen Besitz in den Ruin trieb. "Zufällig erfuhr ich, dass Sie einen Manager suchten", fuhr er vorsichtig fort. "Es macht mir nichts aus, als Manager zu arbeiten, solange Natalie glücklich ist. Und das ist sie ja jetzt. Natürlich muss sie eines Tages zur Schule gehen, aber im Moment reicht noch der Fernunterricht über Funk. Fürs Erste genügt es, dass wir hier sind." Zum ersten Mal hatte er Juliet etwas von sich erzählt, und Juliet fragte sich, wieso sie den Eindruck hatte, ihn schon ein ganzes Leben lang zu kennen. "Ich wusste gar nicht, dass Sie
selbst eine Farm hatten", sagte sie. "Ich dachte, Sie wären woanders Manager gewesen." Sie verstummte, als sie merkte, dass Cal nicht darüber sprechen wollte. Doch dann siegte ihre Neugier. "War die Farm hier in der Nähe?" "Ja", antwortete Cal kurz angebunden, weil er keine weiteren Fragen hören wollte. "Macht es Ihnen sehr viel aus, dass die Farm nun jemand anderem gehört?" "Ja." Und dann schüttelte er verwundert den Kopf. "Manchmal." Nachdenklich betrachtete er Juliet. Wieso stand es für ihn plötzlich nicht mehr an oberster Stelle, Wilparilla zurückzubekommen? "Nicht immer", fügte er hinzu. "Es muss hart sein, als Manager zu arbeiten, wenn man selbst Besitzer einer Farm gewesen ist", sagte Juliet nachdenklich. "Warum haben Sie sich nichts Neues gekauft?" Jetzt wurde es langsam zu gefährlich. Cal zuckte mit den Schultern. "Viehfarmen werden nur selten zum Verkauf angeboten", behauptete er wie nebenbei. "Aber Sie sehen sich um?" "Ja, bis ich das Passende finde." "Und dann gehen Sie von hier fort?" Ohne Cal würde sie wieder einsam und verlassen auf Wilparilla sein. Ich darf mich nicht zu sehr an ihn gewöhnen, dachte sie traurig. "Ja." Cal wusste natürlich, dass nicht er Wilparilla verlassen würde, sondern Juliet. Irgendwie behagte ihm diese Vorstellung nicht. "Aber das wird noch eine ganze Zeit dauern", fügte er beruhigend hinzu. "Ich weiß, was ich will, aber es gibt keine Anzeichen, dass ich mein Ziel so schnell erreichen werde. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen. Vor Ablauf der Probezeit werde ich sicher nicht verschwinden." Die Probezeit hatte Juliet schon ganz vergessen. Außerdem betrachtete sie Cal nicht mehr als Angestellten, sondern als Partner. Seine Worte hatten sie sehr getroffen und an die
Realität erinnert. Er hatte offensichtlich nichts vergessen, und sie sollte es genauso halten. "Das freut mich", sagte sie und zog sich unmerklich zurück. "Natürlich hoffe ich um Ihretwillen, dass Sie etwas Passendes finden", fügte sie hinzu, als ginge es ihr nur darum, einen neuen Manager einstellen zu müssen. "Einfach wird es sicher nicht sein. Alk Hughs Tod bekannt wurde, fingen sofort die Geier an, über Wilparilla zu kreisen, um ihre Gebote abzugeben." Bei der Erinnerung empfand sie noch immer Wut. "Er starb bei einem Autounfall in Sydney, und kaum war ich von der Beerdigung zurück, rief mich auch schon mein Anwalt an, um mir mitzuteilen, jemand habe ein Angebot für Wilparilla gemacht. Später gingen dann noch weitere ein." Cal zuckte insgeheim zusammen. "Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, ein Angebot anzunehmen?" "Nein, ganz bestimmt nicht", erwiderte Juliet wütend und funkelte ihn an. "Ich weiß genau, was diese Leute von mir hielten. Sie dachten, ich wäre ein dummes Frauchen, das es hier niemals allein aushalten könnte, und erwarteten, ich würde ihr Geld nehmen und mich auf und davon machen. Als ich nicht so reagierte, wie sie es erhofft hatten, glaubten sie, ich würde nur auf ein höheres Angebot warten." Das stimmt, musste Cal insgeheim zugeben. Er war jedes Mal aus der Haut gefahren, wenn sein Anwalt ihm mitteilte, auch dieses Mal habe die Besitzerin sein großzügiges Angebot abgelehnt. "Ich dachte gar nicht daran, mich von hier vertreiben zu lassen" , fuhr Juliet wütend fort. "Wer auch immer die Angebote abgegeben hat, kannte Sie eben nicht, sonst hätte er sich gar nicht erst bemüht", sagte Cal trocken. "Mag sein. Jedenfalls können Sie jedem Interessenten gern von mir ausrichten, ich würde überhaupt nicht daran denken, von hier wegzugehen."
"Mach ich." Cal war froh, dass Juliet sich abgewandt hatte, sonst hätte sie seinen ironischen Gesichtsausdruck bemerkt. "Dad! Sieh dir mal diesen Stein an!" Natalie kam angehüpft, um ihm den Schatz zu zeigen, den sie im flachen Wasser gefunden hatte. Kit und Matthew kamen auch langelaufen und drängten sich um Cal. Juliet beobachtete, wie vertrauensvoll der kleine Matthew sich an Cal lehnte und wie Kit auf und ab hüpfte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als sie dann aufsah und bemerkte, wie bewundernd Cal den Fund anblickte und lächelte, wurde sie unvermittelt von heftigem Verlangen durchflutet. Sie sehnte sich danach, Cal die Hand auf den Schenkel zu legen, und war fast eifersüchtig auf ihren kleinen Sohn, der genau dies ganz natürlich getan hatte. Sie wollte sich vorbeugen und seinen Hals küssen, und Cal sollte sich ihr lächelnd zuwenden und ihre Liebkosungen erwidern. Und später, wenn die Kinder im Bett lagen, würde er zu ihr kommen, sie ausziehen und sie im Mondschein lieben. Juliet sprang auf, bevor die Phantasie völlig mit ihr durchging. "Wir sollten jetzt lieber zurückreiten", schlug sie mit unnatürlich hoher Stimme vor., Auf dem Rückweg schwieg sie. Sie befand sich in einem heillosen Gefühlschaos und wusste nur, dass sie es nicht ertragen könnte, noch einmal so verletzt zu werden wie durch Hugh. Deshalb hatte sie Angst, jemals wieder einen Menschen ganz nah an sich heranzulassen. Cal könnte ihr gefährlich werden. Gut, dass er sie an ihre Stellung als seine Chefin erinnert hatte. Außerdem würde er sich bald eine eigene Farm kaufen, dann wäre sie sowieso wieder allein. Nein, sie durfte ihn nicht begehren! Er war ihr Angestellter und sonst gar nichts! Instinktiv spürte Cal, wie Juliet sich in sich zurückzog, und redete sich ein, froh darüber zu sein. Er bedauerte, ihr so viel über sich erzählt zu haben. Sie hatte keinen Zweifel daran
gelassen, dass sie Wilparilla nicht verkaufen würde. Warum blieb er dann überhaupt noch hier? Wenn er vernünftig wäre, würde er seinen Job als Manager sofort aufgeben. Je länger er bliebe, desto schwerer würde es sein, im Auge zu behalten, dass Juliet gehen müsste, wenn er Wilparilla zurückhaben wollte. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Natalie war so glücklich hier, es würde ihr das Herz brechen, Wilparilla verlassen zu müssen. Und wenn Juliet nicht verkaufen wollte, wäre er vielleicht bis an sein Lebensende Manager auf Wilparilla. Cal verzog unwillig das Gesicht. Es wäre besser gewesen, das Angebot so lange zu erhöhen, bis Juliet es schließlich doch angenommen hätte, statt herzukommen, sie kennen zu lernen, sie lächeln zu sehen und immer mehr für sie zu empfinden, bis schließlich kein Weg mehr daran vorbeiführte, etwas mit ihr anzufangen. Und das war nun wirklich das Letzte, worauf er es abgesehen hatte! Verstohlen ließ er den Blick zu ihr gleiten. Welch elegante Figur sie im Sattel machte! Es fiel ihm immer schwerer, in ihr das Feindbild zu sehen, das er sich aufgebaut hatte. Juliet spürte, dass er sich innerlich von ihr entfernte, und war verletzt. Eigentlich hätte sie ihm dankbar sein müssen. Und sie hätten sich auf unpersönliche Gesprächsthemen beschränken sollen. Es wäre besser gewesen, sie hätte nichts über seine Frau und seinen Sohn oder über seine Sorgen wegen Natalie erfahren. Dann könnte sie noch immer den tüchtigen Manager in ihm sehen und nicht einen Mann aus Fleisch und Blut, der ähnliche Ängste und Sorgen hatte wie sie selbst und zu dem sie sich hingezogen fühlte.
6. KAPITEL Sich vorzunehmen, nur noch Unpersönliches mit Cal zu besprechen, war eine Sache, sich daran zu halten, eine andere. Das wurde Juliet bereits am gleichen Abend bewusst. Sie saßen alle gemeinsam beim Essen in der Küche, und die Zwillinge waren völlig überdreht und alberten herum. Sie hatten gemerkt, dass sie Natalie mit Grimassen zum Lachen bringen konnten, und übertrafen sich gegenseitig dabei. "Das reicht jetzt", sagte Juliet schließlich energisch. "Seid nicht so albern, und esst euer Abendessen, sonst gibt es keine Geburtstagsgeschenke." Natalie horchte sofort auf. "Wann haben sie denn Geburtstag?" "Heute in drei Wochen", antwortete Juliet, nachdem sie kurz nachgerechnet hatte. "Gibt es eine Party mit Geburtstagstorte und Kerzen?" "Wenn die beiden artig sind", sagte Juliet und sah die Zwillinge mit vermeintlich strengem Blick an. Doch die Kleinen waren noch zu jung, die Bedeutung des Geburtstags zu erfassen, und sie ließen sich auch nicht bestechen, sondern alberten weiter herum. "Nun ermutigt die beiden Kasper doch nicht auch noch." Juliet protestierte, als Cal und Natalie weiter über die Grimassen der Zwillinge lachten, aber lange konnte sie selbst auch nicht ernst bleiben. Lachend schüttelte sie den Kopf.
Wir wirken wie eine Familie, dachte sie plötzlich. Wie eine glückliche Familie. Aber das waren sie natürlich nicht, denn dann wäre sie Cals Frau, und nicht sein Boss, und sie müsste sich nicht ständig ermahnen, ihn auf Distanz zu halten. Es war unfair von Cal, so fröhlich und ausgelassen zu lachen. Wie sollte sie in ihm den Angestellten sehen, wenn er an ihrem Tisch saß und mit den lachenden Kindern Spaße machte und dabei so sexy lächelte? Juliet hoffte, es würde leichter sein, wenn die Kinder erst einmal ins Bett gebracht waren, doch es wurde sogar noch schwieriger. Nun saß sie mit Cal allein auf der Veranda. Er hielt eine Bierflasche in der Hand und sah nachdenklich vor sich hin. Sie betrachtete seine schönen, sonnengebräunten Hände und erinnerte sich daran, was sie empfunden hatte, als er am Fluss ihre Hand gehalten hatte und wie es gewesen war, als er sie am Abend ihres Kennenlernens geküsst hatte. Was würde passieren, wenn sie sich wieder küssten? Würde er sie wieder unvermittelt von sich schieben? Oder würde er seine Hände über ihren Körper gleiten lassen? Würde er die Hand unter ihr Top schieben und sie um ihre Brust legen? Bei der Vorstellung erschauerte Juliet vor unterdrücktem Verlangen. Sie trank schnell einen Schluck Wein, um sich abzulenken. Die Stille zwischen ihnen wurde immer gespannter. Cal empfand es auch so. Er war froh, dass Juliet sich nicht direkt neben ihn gesetzt, sondern einen Stuhl zwischen ihnen frei gelassen hatte. Ihr Haar war noch feucht vom Duschen, und er konnte das Shampoo riechen, das sie benutzt hatte. Sie trug einen Rock und ein Top aus anschmiegsamem Stoff. Er hatte versucht, sie zu ignorieren und sich ganz auf die Bierflasche in seiner Hand zu konzentrieren. Doch Juliets Nähe war aufregend und verführerisch. Cal wusste nicht, wieso sie ihn derart aufwühlte. Aber die Vorstellung des seidigen Stoffes auf ihrer nackten Haut erregte ihn.
Wenn er weiter darüber nachdachte, würde er sich noch zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lassen. Die Sehnsucht, Juliet an sich zu ziehen, sie zu liebkosen, die Hände über ihren verlockenden Körper gleiten zu lassen, ließ sich kaum noch unterdrücken. Cal trank schnell sein Bier aus und stand entschlossen auf. "Ich werde einen kleinen Spaziergang machen", sagte er so kurz angebunden, dass Juliet ihn verwirrt ansah. Doch bevor sie fragen konnte, was plötzlich los sei, war er schon verschwunden, und sie war mit ihren Gedanken wieder allein. Ende der Woche traf Maggie ein. Sie war groß, schlank und etwa Mitte sechzig und hatte eine sehr sachliche, energische Art, von der Juliet anfangs etwas eingeschüchtert wurde. Cal hatte Maggie mit dem Flugzeug abgeholt und sie direkt zum Verwalterhaus gebracht, das Juliet eifrig geputzt und angestrichen hatte. "Hoffentlich gefällt es ihnen", sagte Juliet etwas unsicher, als Maggie sich forschend im Haus umsah. "Ich denke schon", antwortete Maggie. War das alles? Nach all der Arbeit, die Juliet in dieses Haus gesteckt hatte? Hilfe suchend sah sie Cal an. "Das heißt, es gefällt ihr sehr gut", flüsterte er ihr zu, als Maggie die Küche inspizierte. Überschwänglich schien Maggie nicht gerade zu sein, doch Juliet vergab ihr alles, als sie sah, wie sie mit den Zwillingen umging. Sie hatte befürchtet, Kit und Matthew würden zunächst eingeschüchtert sein, doch das Gegenteil war der Fall. Bei den Kleinen war es Liebe auf den ersten Blick. "Ich weiß", sagte Cal, der Juliets Verwunderung bemerkt hatte. Er lächelte, und sie erwiderte sein Lächeln, ohne weiter darüber nachzudenken. "Ich begreife das auch nicht. Sie versteht es einfach wunderbar, mit Kindern umzugehen."
Als ihnen bewusst wurde, dass sie einander anlächelten, wurden sie beide gleichzeitig wieder ernst. Cal ging zu seiner Tante, und Juliet ließ sich viel Zeit dabei, Tee zu machen. Einerseits war sie erleichtert, die Zwillinge in so kompetenten Händen zu wissen und jemanden zu haben, der sie bei der Hausarbeit und beim Kochen unterstützte, andererseits wurde sie nervös und unruhig, weil es nun keinen Grund mehr gab, nicht ständig mit Cal zusammen zu sein. In den vergangenen Tagen war es leicht gewesen, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie hatte sich darauf konzentriert, das Haus bis zu Maggies Ankunft in einen Topzustand zu versetzen, und Cal hatte draußen auf der Farm alle Hände voll zu tun gehabt. Bei jeder Begegnung behandelten sie einander mit kühler Höflichkeit und beschränkten sich auf unpersönliche Gesprächsthemen. Juliet glaubte schon, sich nur eingebildet zu haben, dass Cal am Fluss ihre Hand gehalten hatte. Und auch der Kuss war in weite Ferne gerückt. Würde er sie je wieder küssen? Wahrscheinlich nicht. Er hatte einen unsichtbaren Zaun um sich her errichtet und verhielt sich kühl und unzugänglich. Juliet war drauf und dran, ihn als das zu sehen, was er war: ihren Manager. Und dann zerstörte er alles mit einem einzigen Lächeln. Es war natürlich albern, nervös zu werden bei der Vorstellung, die Tage mit ihm zu verbringen. Doch was sollte sie tun, wenn sie jedes Mal, wenn er sie auch nur ansah, Schmetterlinge im Bauch spürte? Cal ging es nicht anders. Er war entsetzt gewesen, wie heftig er sie neulich Abend begehrt hatte. Dieses tiefe Gefühl hätte ihn fast aus der Bahn geworfen. Er war stundenlang spazieren gegangen, um sich zu beruhigen. Was er getan hätte, wenn Juliet bei seiner Rückkehr noch immer in ihren Seidenklamotten auf der Veranda gesessen hätte, wollte er sich lieber nicht ausmalen.
Er redete sich ein, es hätte nur am Outfit gelegen, doch als er sie am nächsten Morgen mit Jeans und einer Bluse bekleidet sah, musste er zugeben, dass es nicht so gewesen war. Deshalb hatte er sich jeden Abend gleich nach dem Essen unter dem Vorwand entschuldigt, sich um den Papierkram kümmern zu müssen. Nun war Maggie hier, und er hatte gehofft, alles würde leichter werden. Doch das Gegenteil war der Fall. Am Morgen nach Maggies Ankunft beschloss er, mit Juliet einen Erkundungsflug zu unternehmen. "Wenn Sie keine Ahnung haben, was alles zu Wilparilla gehört, wie wollen Sie die Farm dann verwalten?", hatte er kurz angebunden gefragt, als sie zum Flugfeld gefahren waren. Er gab sich so schroff, um seine wahren Gefühle zu verbergen. Bei Juliets Anblick, die Jeans und eine veilchenblaue Bluse trug, hatte sein Herz nämlich gleich schneller geklopft. Sie flogen in Hughs einmotoriger Maschine los. Wenn sie mit Hugh kurze Ausflüge in die nächstgelegene Stadt gemacht hatte, war sie immer ängstlich und unruhig gewesen. Aber mit Cal am Steuerknüppel fühlte sie sich völlig sicher. Das Wilparilla, das er ihr zeigte, sah sie zum ersten Mal. Sie flogen über riesige braune Felder, die nur kärglich bewachsen waren, über Termitenhügel, an Flussläufen vorbei und über tief eingeschnittene, abgelegene Wasserläufe hinweg und bis zu einer Felsformation, wo der Horizont wie ein violetter Nebel wirkte. Juliet war sich Cals Nähe nur zu bewusst und ließ immer wieder verstohlen den Blick über den attraktiven Mann am Steuerknüppel gleiten. Von Zeit zu Zeit wies Cal sie auf versprengte Viehherden hin. Alles war so unendlich weit, wild und wunderschön viel überwältigender, als Juliet es sich je hätte vorstellen können.
"Sie scheinen schon Ihr Herz an Wilparilla verloren zu haben, obwohl Sie doch erst seit kurzer Zeit hier sind", sagte sie schließlich impulsiv. "Wieso kennen Sie sich schon so gut aus?" Ihre harmlose Frage brachte Cal sekundenlang aus dem Konzept. "Ich bin doch hier in der Nähe aufgewachsen und schon unzählige Male über Wilparilla geflogen", antwortete er schließlich. Das stimmte zwar, war aber nur die halbe Wahrheit. Er war wütend, weil er über Juliets überwältigende Freude bei ihrem ersten Blick auf Wilparilla alles andere vergessen hatte. Dabei war er doch nur hier, um Wilparilla zurückzubekommen von der schönen Frau, die neben ihm saß. Wie hatte er das nur vergessen können? Er wollte nicht, dass sie so begeistert von diesem Land war wie er selbst. Er musste seine Lügengeschichte so lange weiterspinnen, bis Juliet fort war. "Wir müssen jetzt umkehren", sagte er wenig später kurz angebunden. Juliet wäre gern noch länger mit ihm in der Luft geblieben. Sie fühlte sich wie im siebten Himmel. Hier oben gab es keine Ängste, keine Sorgen. Als sie Cal erzählen wollte, wie unendlich glücklich sie hier oben war, bemerkte sie, wie mürrisch er plötzlich wirkte, und schwieg verstört. Auch auf dem Rückflug wies Cal sie auf Flüsse und Wiesen hin, doch sein Tonfall war nun kühl und abweisend. Cal zwang sich, daran zu denken, warum er Juliet zur Aufgabe der Farm überreden musste. Natürlich hatte sie schwierige Zeiten hinter sich, natürlich war sie eine liebevolle Mutter und sehr gut zu Natalie, natürlich hatte sie härter als erwartet an Maggies Haus gearbeitet. Vielleicht war sie gar nicht so selbstsüchtig, wie er anfangs gedacht hatte. Aber die Tatsache blieb, dass sie nicht nach Wilparilla gehörte. An diesem Gedanken hielt Cal sich fest, als sie kurz darauf auf dem holprigen Flugfeld von Wilparilla landeten. Juliet wäre viel besser in London aufgehoben. Er hatte ihr ja bereits ein völlig überhöhtes Angebot gemacht. Natürlich ahnte sie nicht,
dass er dahinter steckte, aber wenn sie es annahm, wäre wenigstens die Zukunft ihrer Söhne abgesichert. Er tat ihr sogar einen Gefallen, wenn er sie zum Weggehen überredete. Juliet würde niemals hierher gehören. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sie sich im Flugzeug gut gehalten halte. Aber dazu gehörte nicht viel. Cal nahm sich vor, sie am eigenen Körper spüren zu lassen, wie hart das Leben auf der Farm in Wirklichkeit war. Eine Woche Arbeit mit den Männern würde sie schon überzeugen, wie fehl am Platze sie auf Wilparilla war. Eine Woche später musste er einsehen, dass Juliet gar nicht daran dachte aufzugeben. Sie hatte bei der Arbeit mit dem Vieh geholfen, ein gewisser Bill hatte ihr gezeigt, wie man Stiere einfängt, sie hatte gelernt, wie man einen Traktor fährt und ihn zurücksetzt, wenn ein Anhänger befestigt ist, und sie hatte sich mit der Reparatur von Zäunen abgemüht. Cal hatte sie die Drahtzaunrolle tragen lassen, und sie hatte sich die Hände blutig gerissen, obwohl sie Handschuhe getragen hatte. Doch Juliet hatte kein einziges Mal geklagt. Hin und wieder hatte sie wütend und rebellisch ausgesehen, da sie jedoch wusste, dass Cal sie nicht aus den Augen ließ, hatte sie die Zähne zusammengebissen und weitergearbeitet. Cal war hin und hergerissen zwischen Bewunderung und Verzweiflung. Für ihn wurde immer deutlicher, dass Wilparilla in unerreichbare Ferne rückte. Am Sonntag ritten Cal und Natalie aus. Juliet und die Jungen blieben dieses Mal zu Hause, weil Cal Natalie gern einmal für sich haben wollte. Als sie so nebeneinanderher ritten, bemerkte er, wie sehr sie sich seit ihrer Ankunft auf Wilparilla verändert hatte. In Brisbane war sie immer sehr ruhig und reserviert gewesen besonders gegenüber den Haushälterinnen. Cal hatte sich schon Sorgen gemacht, dass sie vielleicht vor dem Umzug nach Brisbane zu sehr unter männlichem Einfluss gestanden hatte.
Und nun stellte er erstaunt fest, dass seine Tochter Juliet bewunderte und fest ins Herz geschlossen hatte. "Sie unterhält sich ganz normal mit mir", erklärte Natalie. "Und wenn sie lächelt, lächeln ihre Augen mit." Cal wusste genau, was sie meinte. "Und sie riecht gut." Auch das wusste Cal. "Sie ist lustig." Natalie sah ihn verstohlen von der Seite an, bevor sie zugab: "Und ich durfte ihren Lippenstift ausprobieren." "Wirklich?" Cal zog die Augenbrauen hoch. Er hätte nie gedacht, dass seine Tochter sich für Lippenstift interessierte. Natalie nickte. "Sie schmust mit Kit und Matthew", fügte sie kurz darauf hinzu. Ihr sehnsüchtiger Tonfall brach Cal fast das Herz. Er hatte wirklich alles getan, immer für seine Kleine da zu sein, doch ihr fehlte eben doch die Mutter. "Mum hat mit dir geschmust, als du klein warst", sagte er behutsam. Ihre Miene hellte sich sofort wieder auf. "Und du auch", gab sie fair zu. "Ja, stimmt." "Dad?", fragte sie nach kurzem Schweigen. "Ja?" "Wirst du je wieder heiraten?" Cal war verblüfft. "Warum fragst du?" Natalie mied seinen Blick. "Ich dachte nur so. Falls ja, ob sie so sein würde wie Juliet." Cal zuckte zusammen, als hätte ihn jemand in den Magen geboxt. "Ich glaube eigentlich nicht, dass Juliet heiraten will", sagte er schließlich. Natalie wirkte enttäuscht. "Ich glaube, sie ist manchmal traurig." Cal sah seine Tochter forschend an und fragte sich, wie viel sie ahnte.
"Ich weiß, Natalie." Er hätte seiner Tochter gern erklärt, was er für Juliet empfand und was Wilparilla ihm bedeutete. Aber er war sich über seine Gefühle ja selbst nicht ganz im Klaren. "Ich werde Juliet erzählen, dass wir früher auf Wilparilla gewohnt haben", sagte er schließlich. "Aber ich muss den richtigen Zeitpunkt abwarten. Wenn ich ihr das einfach so beiläufig an den Kopf werfe, ist sie sicher verletzt." Natalie dachte darüber nach. "Möchtest du immer noch, dass Wilparilla wieder uns gehört?" "Ja", antwortete er ehrlich. Er duckte sich, um einem Ast auszuweichen, und erinnerte sich, wie großes Heimweh Natalie in Brisbane nach Wilparilla gehabt hatte. "Du nicht?" "Doch, doch. Aber wenn Wilparilla wieder uns gehören würde, würden Juliet und die Zwillinge nicht mehr hier sein, oder?" So weit hatte Cal noch gar nicht gedacht. Aber Natalie hatte natürlich Recht. Wie würde es ohne Juliets Lächeln, ohne ihren Duft und ihre Warmherzigkeit hier sein? "Nein, wahrscheinlich nicht", antwortete er langsam. Für Natalie wäre es sehr schlimm, wenn Juliet mit den Zwillingen nach London zurückkehren würde. Aber gab es denn eine Alternative? Er konnte doch nicht bis ans Ende seiner Tage Manager auf der Farm bleiben, die ihm einmal selbst gehört hatte. Wenn Juliet bliebe, dann musste er eben auf Wilparilla verzichten und sich nach Ablauf der dreimonatigen Probezeit etwas anderes in der Nähe suchen, bevor Natalie zu sehr an Juliet und den Zwillingen hängen würde. Er durfte sie doch nicht in dem Glauben lassen, sie könnten alle glücklich und zufrieden auf Wilparilla zusammenleben. Selbst wenn er in Juliet verliebt wäre - und er war es nicht - hieß das noch lange nicht, dass sie seine Liebe erwiderte. Nach ihrer unglücklichen
Erfahrung mit Hugh würde sie sicher nicht so schnell wieder heiraten wollen. Er beschloss, Juliet noch einmal drastisch vor Augen zu führen, wie hart das Farmleben war. Dann würde sie schon von selbst einsehen, dass sie in London besser aufgehoben wäre. Juliet sollte mit zum Viehtrieb kommen. Im Busch gab es weder Duschen noch erotisch knisternde Seidenkleidung. Juliet würde es sehr heiß sein, sie würde staubig werden, und vom stundenlangen Reiten würde ihr der Po wehtun. Nach zwei Tagen im Sattel wäre sie wohl reif für die Entscheidung. "Könnten Sie die Zwillinge zwei Nächte Maggie überlassen?", fragte Cal sie nach dem Abendessen. Sie waren auf der Veranda, und Juliet trug ein ärmelloses rotes, vorn durchgeknöpftes Kleid. Das schlichte Kleid hatte durchaus nichts Verführerisches an sich, und doch überlegte Cal, wie einfach es wäre, es aufzuknöpfen und von Juliets Schultern gleiten zu lassen. Cal wandte sich ab und lehnte sich über die Brüstung. "Ich musste Maggie fragen", sagte Juliet, die versuchte, ihre Freude zu verbergen, weil Cal sich seit vielen Tagen endlich einmal wieder auf der Veranda blicken ließ. "Warum? Was ist denn los?" "Wir gehen morgen auf Viehtrieb", erklärte er. "Es wäre sehr nützlich, wenn Sie auch dabei wären." Was hatte sie denn erwartet? Eine Einladung zu einem romantischen Abendessen im Mondschein? "Ich dachte, ich wäre zu nichts nütze." "Jeder, der zwei Tage im Sattel sitzen kann, ist nützlich", erklärte Cal ausdruckslos. "Schaffen Sie das?" Bisher hatte er sie nur auf dem zahmen Gaul gesehen, den er für den Ausritt mit den Zwillingen geholt hatte. Juliet freute sich schon auf sein Gesicht, wenn er merken würde, wie gut sie reiten konnte. Sie hob herausfordernd das Kinn und antwortete: "Ich denke schon."
"Gut." Cal sah sie an. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. "Ich habe vorhin schon mit Maggie gesprochen. Es macht ihr nichts aus, hier zu bleiben, bis wir zurück sind." "Na, dann ist ja alles klar. Ich komme gern mit." Sehr früh am nächsten Morgen ritten sie los. Sie hatten zwei Lastpferde bei sich und andere zum Wechseln. Als Cal die zahme Stute hatte satteln wollen, hatte Juliet nur den Kopf geschüttelt und auf einen temperamentvollen Rotbraunen gezeigt, der versuchte, sich aus dem Staub zu machen, als er die Sättel sah. "Das halte ich für keine sehr gute Idee", hatte Cal gesagt, doch Juliet hatte das Pferd schon am Zaumzeug gefasst und blitzschnell gesattelt. Im nächsten Moment hatte sie bereits aufgesessen. Sie hatte das Pferd gezügelt, es leicht an den Flanken berührt, Und schon war sie hinter den Viehhirten vom Hof geritten. "Warum haben Sie mir verschwiegen, dass Sie richtig reiten können?", fragte Cal, als er sie schließlich eingeholt hatte. Juliet ließ den Rotbraunen in einen leichten Trab fallen und sah Cal frech lächelnd von der Seite an. "Sie haben mich ja nicht gefragt." Cal konnte den Blick nicht abwenden. Sie waren einander jetzt so nah, dass sich ihre Beine berührten. Juliet war, als würde die Zeit stillstehen. Gebannt sahen sie und Cal einander tief in die Augen. Erst als Juliets Pferd schnaubte und den Kopf schüttelte, um eine lästige Fliege zu verscheuchen, war der Bann gebrochen. Juliet schluckte und wandte den Blick ab. "Ich konnte schon mit drei Jahren reiten", erzählte sie, als wäre nichts geschehen, als würde sie nicht am ganzen Körper beben, weil Cal bei ihr war. "Mein Vater trainierte Springreiter und setzte mich auf ein Pferd, bevor ich laufen konnte. Als ich anfing, in London zu arbeiten, kehrte ich fast jedes Wochenende
nach Hause zurück, bis ich dann Hugh kennen lernte und ... na ja, den Rest kennen Sie ja schon." "Sie hätten hier doch auch reiten können", gab Cal zu bedenken. "Die Schwangerschaft kam dazwischen. Und später hatte ich mit den Zwillingen alle Hände voll zu tun. Ans Reiten war nicht zu denken." "Hugh hätte sich doch um die Babys kümmern können, während Sie ausritten", sage Cal wütend und fluchte unterdrückt, als er den Schatten über Juliets Gesicht huschen sah. "Er war ja kaum da. Und sonst war auch niemand hier." Zum ersten Mal wurde Cal bewusst, wie einsam Juliet gewesen sein musste. "Entschuldigung", sagte er leise. "Schon gut", wehrte Juliet ab. "Jetzt kann ich ja reiten." Sie sah sich um. Im Busch war kaum ein Laut zu hören. Die Umrisse der Bäume bildeten einen scharfen Kontrast zum strahlend blauen Himmel. "Hiervon habe ich immer geträumt." Sie seufzte glücklich. Sara hatte sich vor Pferden gefürchtet. Das Leben auf der Farm hatte ihr nicht zugesagt. Doch darüber wollte er jetzt nicht nachdenken, sondern lieber darüber, wie hübsch sie gewesen war, wie freundlich und unkompliziert und wie sehr er sie geliebt hatte. Es war gemein, dass sie als Australierin nicht annähernd so gut nach Wilparilla gepasst hatte wie Juliet. Cal beobachtete sie verstohlen. Wie elegant und entspannt sie im Sattel saß! Wie hatte er sich nur einbilden können, sie würde Wilparilla je verlassen? Der Viehtrieb war genauso anstrengend, wie er vorausgesagt hatte. Doch Juliet schien es nichts auszumachen. Sie strahlte jedes Mal, wenn er sie ansah. Sie stand den Männern in nichts nach, ritt genauso hart wie sie und tat genau, was ihr gesagt wurde. Wenn er das weitere Vorgehen mit den Viehhirten besprach, hielt sie sich im
Hintergrund. Doch manchmal unterhielt sie sich auch mit ihnen. Später erzählte sie Cal, dass sie vorher nicht einmal ihre Namen gewusst habe. Abends, wenn sie alle am Lagerfeuer saßen, hörte sie sich ihre Geschichten an und rollte sich dann zum Schlafen in ihren Schlafsack. Kein einziges Mal beschwerte sie sich über den harten Boden. Cal schämte sich, froh zu sein, dass die Männer ihn nicht als Besitzer von Wilparilla kennen gelernt hatten und Juliet keinen reinen Wein einschenken konnten. Irgendwann würde er ihr die Wahrheit allerdings selbst sagen müssen, doch er fürchtete sich vor Juliets Reaktion. Er war froh, die anderen Männer dabeizuhaben. Irgendetwas war passiert, als Juliet und er einander angesehen hatten. Er hatte es genau gespürt, es in ihren veilchenblauen Augen gelesen. Mit Worten ließ sich das Gefühl nicht beschreiben, aber Cal hatte den Eindruck, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Es war ihm unheimlich. Sorgfältig achtete er darauf, nicht neben Juliet zu sitzen, wenn sie abends am Lagerfeuer aßen und Tee tranken. Trotzdem ließ es sich nicht vermeiden, dass sich ihre Blicke immer wieder trafen. Jedes Mal sahen sie beide schnell weg, als hätten sie sich verbrannt. Es war fast eine Erleichterung, als sie schließlich alle Tiere eingefangen und im Pferch hatten. Juliet spritzte ihr Pferd ab und führte es auf die Koppel zurück. Als sie das Gatter hinter sich schloss und sich umdrehte, stand Cal vor ihr. Sie sahen einander an, und es knisterte so stark zwischen ihnen, dass man es hätte hören müssen. Cal machte einen Schritt auf sie zu. "Juliet", sagte er mit ihm völlig fremder Stimme. Weiter kam er nicht, denn hinter ihnen ertönte eine Stimme. Cal und Juliet fuhren erschrocken auseinander. "He, Boss, können wir jetzt gehen?"
Juliet schluckte ihre Enttäuschung hinunter und wartete auf Cals Antwort, doch der hatte bemerkt, dass der Viehhirte Juliet angesprochen hatte. "Er meint Sie", sagte er daher ausdruckslos. Verwundert sah Juliet den Viehhirten an, der geduldig auf eine Antwort wartete, Sie hätte sich geehrt fühlen müssen. Er hatte halb im Scherz gefragt, um ihr zu sagen, dass er sie akzeptierte. Doch sein Timing war alles andere als perfekt. "Selbstverständlich können Sie dann gehen. Vielen Dank", rief sie schließlich zurück. Er winkte ihr zu und machte sich davon. Nun wandte sie sich wieder Cal zu. "Was wollten Sie gerade sagen?", fragte sie in leicht verzweifeltem Tonfall. Aber Cal hatte sich wieder gefasst. Er hatte sich darüber geärgert, dass der Viehhirte Juliet mit Boss angeredet hatte. Andererseits war das gerade im richtigen Moment geschehen, denn wenigstens war er unmissverständlich daran erinnert worden, wer der Boss auf Wilparilla war. "Ach, nichts", behauptete er daher. "Gar nichts", fügte er hinzu und wandte sich ab.
7. KAPITEL Cal machte eine Geste in Richtung Haus. "Sie können ruhig schon vorgehen. Ich habe hier noch etwas zu erledigen." Wortlos wandte Juliet sich ab und ging davon. Cal sah ihr nach und fluchte unterdrückt. Beinahe hätte er ihr gestanden, wie sehr er sie begehrte. Und was wäre dann passiert? Sie war der Boss und sonst nichts! "Mummy! Mummy!" Kit und Matthew liefen auf sie zu, als sie erschöpft um die Hausecke bog. Ihre Augen strahlten, als sie die Kleinen sah, sie ging in die Hocke, um sie in den Armen aufzufangen. Plötzlich war es ihr gleichgültig, was Cal ihr hatte sagen wollen. Für sie zählten nur Kit und Matthew. Sie küsste die beiden zärtlich. Hand in Hand gingen sie alle ins Haus. Wenn ihre Jungen glücklich und in Sicherheit waren, dann war sie zufrieden. Natalie freute sich auch sehr, sie wieder zu sehen. Sie warf sich in Juliets Arme, und Juliet hob sie gerührt hoch und drückte sie zärtlich an sich. "Ist Dad auch wieder da?", fragte Natalie. "Er hat noch auf der Koppel zu tun", erklärte Juliet. "Warum gehst du ihm nicht entgegen?" Das ließ die Kleine sich nicht zwei Mal sagen. Juliet ging mit den Zwillingen in die Küche, um Maggie zu begrüßen. Als Cal und Natalie kurz darauf dazukamen, tranken sie alle Tee. Cal sah müde aus und schien seiner Tochter kaum zuzuhören. Auch Maggie begrüßte er nur beiläufig.
"Cal!" Die Zwillinge rutschten von ihren Stühlen, liefen auf ihn zu und umklammerten seine Beine. Juliet sah zu, wie Cal sich über diesen ausgelassenen Willkommensgruß freute und sich die beiden unter die Arme klemmte. Die Zwillinge kreischten vergnügt. Nur unter größter Anstrengung widerstand Juliet dem Impuls, sich an Cal zu schmiegen. Wie sehr sehnte sie sich danach, in seinen Armen zu liegen und ihn zu küssen! Hastig stand sie auf. "Ich werde jetzt erst einmal eine Dusche nehmen", sagte sie und rannte förmlich aus der Küche. Kurz darauf stand sie unter dem Wasserstrahl und wusch sich den Staub vom Körper. Sie ahnte, dass Cal sie begehrte, und es hatte keinen Zweck, sich weiter etwas vorzumachen: Sie begehrte ihn. Doch das bedeutete nicht, dass sie diesem Verlangen nachgeben würde. Sie war eben einfach zu lange allein gewesen, und Cal war der erste Mann, der nach Hughs Tod auf die Farm gekommen war. Es kam nicht infrage, dass sie nur mit ihm schlief, weil er zufällig gerade zur Verfügung stand. Sie musste an die Jungen denken. Was sollte sie mit einem Mann, der sie zwar begehrte, aber bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die Farm verlassen würde, um sich etwas Eigenes zu kaufen? Auch dieser Mann würde sie allein lassen, genau wie Hugh es getan hatte. Nie wieder wollte sie sich von einem Menschen abhängig machen, das schwor sie sich. Cal war ihr Manager, und dabei würde es bleiben. Glücklicherweise machte Cal ihr den gefassten Entschluss leicht, denn er ging ihr während der kommenden beiden Tage aus dem Weg. Und Juliet blieb unter dem Vorwand im Haus, dass sie die Geburtstagsparty der Zwillinge vorbereiten wolle, die am Sonntag stattfinden würde. Dabei musste sie nur einen Kuchen backen und die Geschenke einwickeln. Natalie war schon ganz aufgeregt. Sie freute sich mehr auf die Party für die Zwillinge als Kit und Matthew selbst, die noch zu jung waren, um die Bedeutung ihres Geburtstags zu erfassen.
Sie hatte für jeden Jungen ein Geschenk gebastelt und entwarf nun noch eine Karte für sie. Juliet war gerührt, wie sehr das Mädchen sich darüber freute, die Geschenke einpacken zu dürfen, die Juliet in Darwin besorgt hatte. "Können wir mit den Jungen an ihrem Geburtstag in der Wasserstelle schwimmen gehen, Dad?", fragte Natalie unvermittelt, als sie Samstagabend auf dem Weg zur Küche waren. Cal zögerte. "Warum eigentlich nicht", sagte er schließlich und sah Juliet fragend an. Juliet hatte kurz aufgeblickt, als er die Küche betreten hatte, betrachtete jetzt jedoch - scheinbar fasziniert - den Teekessel. Wenn sie bei der Sache gewesen wäre, hätte sie sich darüber gewundert, woher Natalie von der Wasserstelle wusste, doch abgelenkt, wie sie war, dachte sie überhaupt nicht darüber nach. Wenn Cal in der Nähe war, knisterte es jedes Mal zwischen ihnen. Sie konnte nichts dagegen tun. "Kit und Matthew würden sicher gern schwimmen gehen, oder, Juliet?", fragte Natalie, die nicht so leicht lockerließ. Juliet drehte sich langsam um. "Ich weiß nicht." Sie wusste genau, dass Cal sicher gern darauf verzichten würde, mit ihr, Juliet, gemeinsam etwas zu unternehmen. "Ihnen kann dort doch nichts passieren, oder, Dad?" "Nein, bestimmt nicht. Dort gibt es keine Krokodile. Kinder sind dort ganz sicher." "Die Zwillinge würden so einen Spaß haben, wirklich", beharrte Natalie, die spürte, dass Juliet noch immer nicht überzeugt war. Juliet brachte es nicht übers Herz, die Kleine zu enttäuschen. "Du hast Recht. Das ist eine großartige Idee, Natalie. Aber dein Vater braucht nicht mitzukommen. Es ist doch sein freier Tag." "Aber nur Dad kennt den Weg", sagte Natalie verzweifelt. "Du kommst doch mit, Dad?" Sie sah ihren Vater bittend an.
Cals und Juliets Blicke trafen sich über Natalies Kopf hinweg. Ohne Worte gaben sie einander zu verstehen, dass sie sich für die Kinder opfern würden. "Natürlich komme ich mit, Natalie. Versuch mal, mich davon abzuhalten." Juliet rang sich ein Lächeln ab. "Wollen wir ein Picknick machen? Ist es weit von hier?" "Zu weit zum Reiten mit den Zwillingen. Wir nehmen den Wagen." Natalie war hellauf begeistert von ihrer Idee, und ihre gute Laune wirkte ansteckend, als sie sich alle am nächsten Morgen auf den Weg machten. Auch Cal und Juliet misslang es, die kühle Distanz zu wahren, auf der sie während der vergangenen Tage instinktiv bestanden hatten. Schließlich haben Kit und Matthew heute Geburtstag, dachte Juliet. Da darf ich mich wohl auch ein wenig amüsieren. Morgen würde sie dann wieder vorsichtig sein. Die Kinder auf dem Rücksitz alberten herum, und Cal lachte vergnügt über ihre Spaße. Offensichtlich hatte auch er beschlossen, seine kühle Haltung für einen Tag aufzugeben. Es wurde ein magischer Tag am Wasserloch. Juliets Mutter hatte den Kleinen Schwimmflügel geschickt, und die Zwillinge brannten darauf, sie auszuprobieren. Juliet hatte vorsichtshalber einen Badeanzug untergezogen. Er war gelb und ganz dezent, und trotzdem fühlte sie sich in Cals Gegenwart nackt, als sie Jeans und Bluse auszog. Sie mied seinen Blick, nahm die Zwillinge an den Händen und lief mit ihnen zum Wasser. Cal, der gerade den letzten Schwimmflügel aufblies, beobachtete, wie sich der Badeanzug wie eine zweite Haut an ihren schönen Körper schmiegte und wie sie Matthew lächelnd etwas ins Ohr flüsterte. Aus dem Schwimmflügel entwich die Luft, weil Cal völlig vergessen hatte, ihn weiter aufzublasen. "Nun mach schon, Dad", rief Natalie ungeduldig. Er schluckte und widmete sich wieder seiner Aufgabe.
Da er keine Badehose mitgebracht hatte, zog er einfach das Hemd aus und watete in Shorts ins Wasser, das ziemlich kalt war. Das ist auch besser so, dachte er, als er verstohlen den Blick über Juliet gleiten ließ. Sie gaben den Jungen Schwimmunterricht, während Natalie um sie herum planschte. Juliet versuchte, sich auf Kit zu konzentrieren, wurde jedoch immer wieder von Cals Anblick abgelenkt. Er wirkte unglaublich sexy. Wassertropfen perlten von seinen breiten Schultern und fingen sich im dunklen Brusthaar. Und Cal fiel es auch schwer, sich ausschließlich um Matthew zu kümmern. Immer wieder ließ er den Blick zu der strahlenden Juliet gleiten. Bald brannte die Sonne so stark vom Himmel, dass sie das Wasser verlassen und sich in den Schatten eines Baumes zurückziehen mussten. Dort genossen sie ihr Picknick. Cal streckte sich auf der mitgebrachten Decke aus und ließ sich ein Bier schmecken, während Juliet sich zurücklehnte und die Kinder im Auge behielt. Später planschte Natalie mit den Kleinen im flachen Wasser, beobachtet von Cal und Juliet. Die Atmosphäre zwischen ihnen schien zu knistern. Cal dachte an Juliet. Wie nah sie ihm war. Wenn er den Arm ausstreckte, könnte er ihr Knie berühren. Er könnte die Hand hochgleiten lassen, über ihre Schenkel und ... Juliet dachte an Cal. Er war ihr so verführerisch nah. Wie es wohl wäre, wenn sie ihre Hand über seinen flachen Bauch gleiten ließe ... Sie riss sich schnell zusammen und beschloss, den Kindern im Wasser Gesellschaft zu leisten. Als sie ins kalte Wasser tauchte, vergingen ihr die Wunschträume. Cal beobachtete, wie sie wieder auftauchte, nach Luft schnappte und sich das Haar aus dem Gesicht strich. Selbst aus der Entfernung konnte er Wassertropfen in ihren Wimpern glitzern sehen. Er beschloss, den Zwillingen wieder
Schwimmunterricht zu geben, denn er brauchte dringend Ablenkung. Als Juliet sah, dass er sich um Kit kümmerte, schwamm sie heran und half Natalie mit Matthew. Eine Weile schien es tatsächlich so, als konzentrierten sie sich völlig darauf, den Jungen das Schwimmen beizubringen. Doch als sie kurz zurückwich, um Matthew auf sich zupaddeln zu lassen, stieß sie mit Cal zusammen, der im selben Moment einen Schritt zurück gemacht hatte. Sie zuckten zusammen, als hätten sie einen elektrischen Schlag bekommen. Fast meinte Juliet, Funken zu sehen. "Entschuldigung." "Tut mir Leid." In diesem Augenblick wurde ihnen beiden bewusst, dass ihnen das Versteckspiel überhaupt nichts genutzt hatte. Es ließ sich nicht mehr verheimlichen, wie sehr sie sich zueinander hingezogen fühlten. Ihre Mienen spiegelten nur zu deutlich wider, was Cal und Juliet füreinander empfanden. Juliet fasste sich zuerst. "Ich glaube, wir sollten jetzt langsam an die Rückfahrt denken", sagte sie mit bebender Stimme. Oberflächlich gesehen, war alles wie bisher. Die Kinder wurden mit der Aussicht auf Geburtstagstorte aus dem Wasser gelockt, und die Rückfahrt verlief genauso fröhlich wie die Hinfahrt. Maggie und die Viehhirten waren zur Geburtstagsparty eingeladen und versammelten sich um den Küchentisch. Juliet war froh, abgelenkt zu sein. Sie machte Tee, entzündete die Kerzen auf den beiden Geburtstagstorten, beaufsichtigte, wie Kit und Matthew sie auspusteten, und hatte viel Spaß. Als sie die Zwillinge später allerdings ins Bett brachte, wurde es schwieriger, sich abzulenken. Sie badete die beiden, kämmte sie und las ihnen ihre Lieblingsgeschichte vor. Doch die ganze Zeit dachte sie nur an Cal. Er begehrte sie, genauso, wie sie ihn
begehrte. Sie hatte es in seinem Blick gelesen. Es fragte sich nur, ob sie ihren Gefühlen nachgeben würden. Sie hielt Kit und Matthew im Arm, denen schon die Augen zufielen, die jedoch partout noch die Geschichte zu Ende hören wollten. Juliet atmete den Duft ihrer kleinen Söhne ein und fühlte sich schuldbewusst, weil sie sich nicht auf sie konzentrieren konnte. Sie blieb im Kinderzimmer, bis die Jungen eingeschlafen waren. Der Gedanke, Cal zu begegnen, machte sie schrecklich nervös. Wie sollte sie ihm nur erklären, dass es keine intime Beziehung zwischen ihnen geben durfte? Sie hatte sich eine kleine Rede ausgedacht, in der sie ihn bitten wollte, doch einzusehen, dass sie um der Kinder willen vernünftig sein mussten. Doch sie hätte sich die Mühe sparen können. Als Juliet schließlich genug Mut gefasst hatte, das Kinderzimmer zu verlassen, traf sie Cal und Maggie in der Küche an. Cal hatte seine Tante eingeladen, zum Abendessen zu bleiben, und versprochen, zur Abwechslung einmal selbst zu kochen. Juliet war erleichtert und enttäuscht zugleich, weil Cal eine Anstandsdame engagiert hatte. Und Maggie spürte genau, was los war, sagte jedoch nichts. Wenigstens kann ich mir meine Ansprache sparen, dachte Juliet, als sie das Omelett auf dem Teller hin und her schob, das Cal für sie gemacht hatte. Nun weiß ich ja, dass er auch nicht weitergehen will. "War es so schlecht?", fragte er und warf einen Blick auf ihr halb gegessenes Omelett. "Im Gegenteil." Juliet errötete verlegen. "Es schmeckt sehr gut, aber ich habe gar keinen Hunger." Cal schob seinen halb vollen Teller von sich. "Ich auch nicht."
Maggie blickte von einem zum anderen und schüttelte den Kopf. Sowie sie sich verabschiedet hatte, verzog Cal sich ins Büro, und Juliet widmete sich dem Abwasch. Es ist wirklich besser so, redete sie sich ein. Mit Cal zu schlafen wäre ein großer Fehler gewesen und hätte alles kompliziert. Es war viel besser, ihre Beziehung rein geschäftlich zu lassen. Nach der Küchenarbeit saß sie noch eine Weile auf der Veranda, konnte sich jedoch nicht auf das Buch konzentrieren, das sie sich mitgebracht hatte. Daher beschloss sie, ins Bett zu gehen, und zwar allein. Seufzend stellte sie das Buch zurück ins Regal und ging ins Badezimmer. Nach einer erfrischenden Dusche würde sie sich bestimmt besser fühlen. Doch auch das half nichts, aber wenigstens war sie jetzt sauber. Juliet schlüpfte in einen Bademantel und ging auf den Flur, wobei sie sich den Gürtel zuband. Sie wollte noch einmal nach den Zwillingen sehen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass beide Jungen fest schliefen, verließ sie auf Zehenspitzen lächelnd das Zimmer und wandte sich um, um in ihr eigenes Zimmer zu gehen. In diesem Moment öffnete Cal seine Tür. Er hatte wirklich versucht, sich auf die Buchführung zu konzentrieren, doch immer wieder musste er an Juliet denken. Als er sie sicher im Bett vermutete, war er schließlich in sein Zimmer gegangen und hatte sich hingelegt. An Schlaf war allerdings nicht zu denken gewesen. Schließlich war er wieder aufgestanden und hatte sich Shorts und Hemd übergezogen. Vielleicht würde ein Spaziergang helfen, ihm alle Gründe in Erinnerung zu rufen, die dagegen sprachen, dass er mit Juliet schlief. Er machte also die Tür auf, und da war Juliet. Sie blieb stehen, als sie ihn bemerkte. Ihr Lächeln verschwand. Sie hatte nicht damit gerechnet, Cal jetzt zu
begegnen. Sein Anblick machte ihr plötzlich Angst. Sie konnte ihn nur ansehen - schutzlos und voller Verlangen. Cal erwiderte ihren Blick. Sie hatten alles versucht, dies zu verhindern - vergeblich. Hier standen sie nun voreinander und begehrten einander, und nichts würde sie aufhalten. Seit seiner Ankunft auf Wilparilla hatte Cal geahnt, dass es darauf hinauslaufen würde. Und er hatte keine Kraft mehr, es zu verhindern. Wortlos, ohne den Blick von Juliet abzuwenden, wich er in sein Zimmer zurück und öffnete die Tür einladend. Juliet hatte die Wahl: Sie konnte vorbeigehen oder hineingehen. Juliet war sich dessen bewusst. Sie fragte sich in diesem Augenblick nur, warum sie eigentlich so lange gewartet hatten, wenn das Unvermeidliche doch geschehen würde. Es war sinnlos, sich weiter etwas vorzumachen. Juliet überquerte den Flur und betrat Cals Zimmer. Bebend wartete sie auf Cals Reaktion. Keiner sagte ein Wort. Sekundenlang fragte sie sich, ob sie einen Fehler gemacht, ob sie Cals Geste missverstanden hatte. Überlegte er etwa, wie er sie am besten wieder hinauskomplimentieren könnte? Doch dann ließ er langsam die Tür zufallen und schloss ab. Das Geräusch hörte sich in der gespannten Stille unnatürlich laut an. Juliet schluckte, sie bebte so sehr, dass sie sich an die Wand lehnen musste. Cal hatte das Licht offensichtlich gelöscht, bevor er die Tür geöffnet hatte, denn das Zimmer lag im Dunkeln. Nur blasser Mondschein fiel durchs Fliegengitter des geöffneten Fensters. Juliet sah sich Cal gegenüber, der sie nicht berührte, nur anblickte. Und dann streckte er ganz langsam den Arm aus und zog am Gürtel ihres Bademantels. Juliets Herz klopfte aufgeregt, sie war angespannt bis in die Fingerspitzen und bebte vor Nervosität. Cal schob ihr behutsam den Bademantel von den Schultern, der lautlos zu Boden glitt.
Juliets Körper wurde vom Mondschein umschmeichelt, ihre Augen wirkten im blassen Gesicht noch dunkler als sonst. Cal sah sie an. Sie hatte schlanke Beine, sanft geschwungene Hüften und volle Brüste, und sie war noch schöner, als er es sich je hätte erträumen können. Er fragte sich sogar, ob alles nur ein Traum sei. War dies wirklich Juliet? War sie wirklich bei ihm? Juliet konnte kaum atmen. Sie war von tiefem Verlangen erfüllt und so angespannt, dass sie fürchtete, in tausend Teile zu zerspringen, wenn Cal sie berührte. Als er dann schließlich sanft über ihre Schulter strich - die Berührung war federleicht stockte ihr der Atem, und die Spannung blieb. Cal ließ die Hände forschend über ihren Körper gleiten, er umfasste ihre Brüste, strich aufreizend über ihren flachen Bauch, über ihre Hüften, ihren Po und wieder zurück, bis Juliet es kaum noch aushielt. Sie schluchzte kurz auf und schloss die Augen. Nun endlich kam Cal näher und küsste sie auf den Hals. Die Liebkosung ließ Juliet vor Sehnsucht erbeben. Sie legte die Arme um ihn und zog ihn an sich. Cal flüsterte zärtlich ihren Namen und küsste sie wieder und wieder auf den Hals, ganz leicht, ganz sanft, und brachte sie damit halb um den Verstand. Sie hielt das Warten kaum noch aus. Als sie verzweifelt stöhnte, hob er den Kopf und sah ihr tief in die Augen. Und dann hatte das Warten ein Ende. Endlich, endlich küsste er sie auf den Mund. Der Kuss war so voller Verzweiflung, als hätte auch Cal sich zuvor ständig zurückhalten müssen. Wochenlang hatte er davon geträumt, Juliet in seinen Armen zu halten wie jetzt. Nun ging der Traum in Erfüllung. Besitzergreifend streichelte Cal ihren Körper, und Juliet schmiegte sich verlangend an ihn und ließ hingerissen die Hände durch sein dunkles Haar gleiten. Cal hatte sie an die Wand gedrängt und küsste Juliets Mund, ihre Wangen, ihre Augen und dann wieder ihren Mund.
Und Juliet erwiderte atemlos seine Liebkosungen und bebte, als sie seine Lippen spürte, als er die Hände über ihre Schenkel gleiten ließ und Juliet leicht zu sich hochhob. Mit bebenden Händen versuchte sie, sein Hemd aufzuknöpfen. Doch es dauerte viel zu lange. Ungeduldig streifte Cal es sich über den Kopf, bevor er Juliet wieder an sich zog. Bei dieser Berührung durchflutete Juliet so heißes Verlangen, dass sie aufstöhnte. Ungeduldig zerrte sie an Cals Shorts, doch auch Cal hatte es nun eilig. Er hob Juliet hoch und ließ sie behutsam aufs Bett gleiten. Doch er legte sich erst zu ihr, nachdem er sich die Shorts ausgezogen hatte. Das geht alles viel zu schnell, dachte Cal. Ich muss das Tempo zurücknehmen, dies soll etwas ganz Besonderes für uns beide sein. Doch was sollte er machen, wenn Juliet ihn so verlangend ansah? Und eigentlich hatten sie auch schon lange genug auf diesen Moment gewartet. Lächelnd streckte Juliet die Arme nach ihm aus, und Cal beugte sich hinunter, küsste sie und ließ sich in ihre Umarmung ziehen. Juliet erschauerte, als sie zum ersten Mal seinen unbekleideten Körper spürte. Wogen verzehrender Leidenschaft durchfluteten sie, als sie einander begehrlich streichelten. Cal küsste sie wieder, ihren Hals, die Schultern, ihre Brüste, ihren flachen Bauch, bis sie glaubte, den Verstand zu verlieren. Sie stöhnte und rief leise seinen Namen, und Cal gab den letzten Rest seiner Zurückhaltung auf. Sie war bereit für ihn, stöhnte erleichtert auf, als sie spürte, wie er in sie eindrang, und bog sich ihm entgegen, um ihn noch tiefer in sich zu spüren. Sie fanden einen gemeinsamen Rhythmus, zuerst langsam, dann immer schneller, leidenschaftlicher und intensiver. Es war so überwältigend, dass sie sich aneinander festhielten und immer weiter fortgetrieben wurden, bis schließlich die Erlösung kam - wild, turbulent und Schwindel erregend.
Nachdem die Wogen der Leidenschaft etwas verebbt waren, seufzte Juliet zufrieden. So wunderbar entspannt hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie wollte an nichts denken, nur daliegen und die Stille genießen. Allmählich kehrte Juliet in die Wirklichkeit zurück, auch wenn sie sich dagegen wehrte. Cal und sie lagen nebeneinander, ohne sich zu berühren. Sein Körper schimmerte im blassen Schein des Mondes. Du liebe Zeit, was hatten sie getan? Offensichtlich stellte Cal sich diese Frage auch gerade, denn er fluchte unterdrückt und setzte sich auf. Er hatte Juliet den Rücken zugewandt und sich vorgebeugt. Ungehalten strich er sich das Haar aus der Stirn. Juliet befeuchtete sich die Lippen. "Das war wohl sehr dumm von uns", sagte sie behutsam. Cal betrachtete die Wand. Dumm angefühlt hatte es sich jedenfalls nicht - im Gegenteil. "Das war es wohl", stimmte er trotzdem zu. Sie sehnte sich danach, sich hinzuknien, die Arme um ihn zu legen und ihn wieder an sich zu ziehen. Sie wollte Cal spüren und an nichts denken müssen. Doch das ging nicht. Deshalb stand Juliet zögernd auf und griff nach ihrem Bademantel. Cal beobachtete, wie sie ihn sich anzog und mit bebenden Händen den Gürtel zuband. "Es tut mir Leid", sagte Cal. "Du musst dich nicht entschuldigen", sagte Juliet leise. "Du hast die Tür geöffnet, und ich bin hereingekommen." Sie versuchte, ehrlich zu sein, dennoch sollte er nicht glauben, sie würde eine große Affäre aus der Sache machen. "Ich muss mich bei dir bedanken." Sie rang sich ein Lächeln ab. "Für mich war es schon eine ganze Weile her. Das hast du sicher gemerkt." Wofür hält sie mich eigentlich? Für einen Gigolo? "Freut mich, dass ich helfen konnte", antwortete er ein wenig beleidigt.
"So habe ich es nicht gemeint." Juliet setzte sich neben ihn. "Machen wir uns nichts vor, wir wollten es doch beide. Aber vielleicht sollten wir es bei diesem einen Mal belassen." Cal wandte sich ihr zu. Er begehrte sie noch immer. "Bedauerst du es?", fragte er leise. "Nein, aber ich möchte, dass alles beim Alten bleibt." "Das wird es auch. Ich bleibe dein Manager, du bleibst mein Boss. Oder befürchtest du, ich könnte das vergessen?" Juliet faltete die Hände, die noch immer bebten. "Nein, sicher nicht. Aber ich brauche dich als Manager, Cal. Das ist mir wichtiger, als ... als ... du weißt schon." "Als mit mir zu schlafen?" "Ja", gab sie mit abgewandtem Blick zu. "Keine Sorge, ich verstehe. Es war nur körperliches Begehren, oder?" "Ja, nur das war es anscheinend", behauptete sie wider besseres Wissen. "Dann tun wir eben so, als wäre es nie geschehen", schlug er vor. "Das wäre wohl am besten." Cal strich sich übers Gesicht. Eigentlich konnte er doch froh sein, dass Juliet keine Staatsaffäre daraus machte. Doch am liebsten hätte er sie wieder an sich gezogen und ihr die Vernunft aus ihrem hübschen Kopf geküsst. "Komm", sagte er stattdessen, stand auf und half ihr hoch, bevor er der Versuchung erliegen würde. "Du solltest jetzt lieber gehen." Er brachte sie zur Tür, die er aufsperrte. Das Geräusch des sich im Schloss drehenden Schlüssels wirkte wie eine kalte Dusche. Ich würde viel lieber bleiben, dachte Juliet. "Nun mach nicht so ein Gesicht", sagte Cal, der ihre Miene missdeutete. Zärtlich schob er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. "So schlimm war es doch nicht, oder?"
"Nein." Er wusste doch selbst, wie wunderbar es gewesen war. Cal öffnete die Tür. "Gute Nacht, Boss." Er rang sich ein Lächeln ab. "Gute Nacht." Juliet wandte sich ab, überlegte es sich jedoch anders und küsste ihn spontan auf die Wange. Es ist ein letzter Kuss, schwor sie sich. "Danke", sagte sie leise und verschwand in ihrem Zimmer.
8. KAPITEL Nur körperliches Begehren, dachte Juliet, als sie in ihrem eigenen Bett lag. Sie erinnerte sich, wie Cal sie liebkost hatte, wie er die Hände über ihren Körper hatte gleiten lassen und immer wieder ihren Namen geflüstert hatte. Sie dachte an die heiße Leidenschaft, die sie durchflutet hatte, an das verzehrende Feuer, das Cal in ihr entfacht hatte und daran, wie wunderbar es gewesen war, in seinen Armen zu liegen und ihn zu küssen. Aber es war ja nur körperlich gewesen. Nichts Weltbewegendes. Es musste ja so enden, dachte Juliet. Okay, wir haben unserem Verlangen nachgegeben. Na und? Trotzdem kann doch alles so bleiben, wie es ist. Sie würden weitermachen, als wäre nie etwas geschehen. Einfach war das jedoch nicht. Das musste Juliet gleich am nächsten Morgen erfahren. Sie war sich Cals Nähe beim Frühstück nur zu bewusst. Trotzdem versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen. Cal saß einfach nur da und frühstückte. Völlig ungerührt. Als Maggie schließlich in die Küche kam, stand er seelenruhig auf, stellte seinen leeren Teller in die Spüle und sagte zu Juliet: "Wir verladen heute Vieh. Kommst du mit, oder willst du heute lieber hier bleiben?" "Natürlich komme ich mit", antwortete sie heftig, obwohl sie wirklich am liebsten einen Tag im Haus geblieben wäre. Doch
Cal sollte sich nur nicht einbilden, die gemeinsam verbrachte Nacht hätte irgendetwas geändert. Sie erhielt die Aufgabe, das Vieh auf die Rampe der Trucks zu treiben. Allerdings konzentrierte sie sich nicht darauf, sondern dachte immer wieder an die Nacht mit Cal, bis er sie anschrie. Erst da bemerkte sie, dass eine Kuh sich störrisch weigerte, die Rampe hochzugehen. Juliet berührte sie kurz mit dem Elektroschocker, und schon bewegte sich das Tier in den Truck. Angespannt arbeitete sie den ganzen Tag und fürchtete den Abend, an dem sie mit Cal allein sein würde. Ob er sie wieder an sich ziehen würde? Sie wusste, dass sie ihm nicht widerstehen könnte. Doch Cal dachte gar nicht daran. Nach dem Abendessen sagte er: "Ich habe mir die Bilanzen angesehen. Wir sollten Getreide für nächstes Jahr säen." So musste sie sich also seinen Vortrag über die Vorteile von Hirse anhören, obwohl sie doch viel lieber wieder in seinen Armen gelegen hätte. Geistesabwesend hatte sie zu allem Ja und Amen gesagt, bis Cal die Papiere weggeräumt und ihr kühl eine gute Nacht gewünscht hatte. Mit jedem weiteren Tag wurde Juliet ungehaltener. Okay, sie hatte Cal darum gebeten, die gemeinsame Nacht zu vergessen, aber dass er keine einzige Andeutung machte oder ihr wenigstens irgendwie vermittelte, dass er sich nach ihr sehnte, empfand sie dann doch als kränkend. Ihre Laune wurde jeden Tag schlechter, weil sie sich insgeheim schrecklich nach Cals Umarmung sehnte. In Anwesenheit der Kinder ließ sie sich nichts anmerken, aber wenn sie mit Cal allein war, ließ sie ihre Frustration an ihm aus. Cal machte einige Tage lang gute Miene zum bösen Spiel. Er wusste genau, was mit ihr los war, aber schließlich hatte sie verlangt, so zu tun, als hätten sie keine gemeinsame Nacht voller Leidenschaft verbracht.
Schließlich war die Atmosphäre so angespannt, dass sie sich einfach entladen musste. Juliet hatte Cal in Gegenwart der Viehhirten widersprochen. Es ging um den Arbeitsplan für die kommende Woche, und sie wollte auch ein Wörtchen mitzureden haben. Schließlich war sie hier der Boss, und Cals Bevormundung - jedenfalls empfand sie sein Verhalten so - ging ihr sowieso schon lange auf die Nerven. Deshalb reizte sie ihn durch ihren Einspruch vor versammelter Mannschaft. Er sollte spüren, wer auf Wilparilla das Sagen hatte. Kaum waren die Worte ausgesprochen, taten sie ihr auch schon Leid. Doch sie war zu stolz, sich zu entschuldigen. Cal presste die Lippen zusammen, gab den Männern zu verstehen, sie könnten Feierabend machen, und zog Juliet am Arm mit sich, bis sie außer Hörweite waren. "Wer leitet die Farm?", fragte er verächtlich. Juliet rieb sich den schmerzenden Arm. "Ich", antwortete sie und hob herausfordernd das Kinn. "Von wegen! Ich leite Wilparilla. Du hast doch keine Ahnung davon." "Mir gehört die Farm aber. Vielleicht hast du das vergessen." Wütend funkelte sie ihn an. "Wie denn? Wenn du mir ständig über die Schulter siehst." "Aber das hatten wir doch vereinbart..." "Wir haben vereinbart, dass ich dir zeigen würde, wie so eine Farm geleitet wird", erklärte er ärgerlich. "Daran habe ich mich gehalten, obwohl es wirklich einfacher wäre, meine Arbeit zu tun, für die du mich bezahlst, ohne dich ständig im Weg zuhaben." Juliet wurde bleich vor Zorn. "Das ist doch die Höhe! Soll ich mich vielleicht auf Knien bei dir bedanken? Du erledigst die Arbeit, für die ich dich bezahle. Und wenn dir das nicht passt, dann schlage ich vor, die Probezeit hiermit vorzeitig zu beenden."
"Ach, so hast du dir das gedacht? Du kommandierst mich herum, und wenn ich mir das nicht gefallen lassen will, dann drohst du, mich zu entlassen." "Mach dich nicht lächerlich!" Juliet wandte sich wütend ab, doch er hielt sie am Arm fest und zwang sie, ihn anzusehen. "In Wirklichkeit geht es hier um etwas anderes, oder? Um unsere gemeinsame Nacht. Du schämst dich, weil du dich mit mir eingelassen hast, und willst mich loswerden, damit du mit einem anderen Mann das gleiche Spielchen treiben kannst." "Wie kannst du es wagen ...?" "Du brauchst mich bedeutend mehr, als ich dich. Wäre ich nicht gewesen, hättest du Wilparilla schon lange verloren, und das weißt du ganz genau." "Jetzt hör mir mal gut zu ..." Weiter kam Juliet nicht, denn Cal klopfte ihr mit dem Finger auf die Brust. "Nein, du hörst mir zu. Ich habe mir einiges von dir bieten lassen, Juliet, aber jetzt ist es genug. Wenn Natalie und Maggie nicht wären, würde ich mich jetzt aus dem Staub machen, aber die beiden sind sehr glücklich und zufrieden hier, und ich denke nicht daran, ihnen wehzutun. Im Klartext heißt das, ich werde bis zum Ende meiner dreimonatigen Probezeit hier bleiben, und dann werde ich mich nach einer eigenen Farm umsehen. Du kannst dir ja einen anderen Dummen suchen." Damit wandte er sich ab und ging davon. Die Atmosphäre beim Abendessen war explosiv. Cal und Juliet waren so wütend aufeinander, dass sie sich nicht einmal vor Maggie zusammenrissen. Als Maggie ihre finsteren Mienen sah, konzentrierte sie sich schweigend auf ihr Abendessen und verabschiedete sich anschließend. Juliet stand auf der Veranda und kämpfte mit den Tränen. Was sollte sie nur tun, wenn Cal wirklich ginge? Er behauptete, sie brauche ihn, aber es gab auch noch andere Manager, die ihr Leben nicht auf den Kopf stellen würden und dann die
Unverschämtheit besaßen, sie, Juliet, zu beschuldigen, sie auszunützen. Wie hatte Cal nur so etwas von ihr denken können? Juliet schluchzte unterdrückt. Ich denke nicht daran, seinetwegen zu weinen, dachte sie verzweifelt. Cal kehrte von einem Spaziergang zurück. Er hatte gehofft, sich danach besser zu fühlen. Nun sah er Juliet einsam und verzweifelt auf der Veranda stehen. Na und? Geschieht ihr recht, dachte er und wollte ins Haus gehen. Genau in diesem Augenblick hob sie den Kopf und sah Cal an. Seine Wut war wie weggeblasen, er empfand nur noch tiefes Verlangen nach ihr. Diese Erkenntnis traf ihn so unerwartet, dass er abrupt stehen blieb. "Juliet", sagte er schließlich leise und ging langsam auf sie zu. "Juliet, warum quälen wir einander?" Als er ihre Hände umfasste, spürte Juliet, wie sich die unerträgliche Anspannung loste. Im nächsten Moment lag sie an seiner Brust. "Du hast mir schrecklich gefehlt", sagte er rau. "Und ich dir auch, oder?" Sie nickte stumm. "Wir tun ja niemandem weh", fuhr Cal fort. "Warum machen wir nicht einfach das Beste daraus?" Juliet atmete seinen Duft ein, spürte Cals Atem, und sie sehnte sich danach, Cal wieder zu küssen. Wenn sie sich nur ein wenig vorbeugte, könnte sie seinen Hals küssen. "Ich möchte nur nicht, dass du denkst..." Sie verstummte. "Ich soll mir nicht einbilden, es würde etwas bedeuten?", fragte er leise. "Keine Angst." Er zog sie enger an sich und küsste ihren Hals. Cal lächelte, als er spürte, wie sie erschauerte. "Das wollen wir beide nicht." "Nein." Juliet atmete tief durch und lehnte sich zurück. "Das hier geht nur uns beide etwas an", flüsterte er und küsste sie zärtlich. "Wir schulden niemandem eine Erklärung."
"Nein." Juliet hörte kaum zu. Cals zärtliche Küsse waren wundervoll. Heiße Wogen des Verlangens durchfluteten sie. Juliet legte ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich enger an Cal. "Alles bleibt, wie es ist", flüsterte er an ihrem Mund. "Tagsüber bin ich dein Manager, und du bist mein Boss, aber nachts sind wir Mann und Frau." Und dann fanden sich ihre Lippen endlich wieder zu einem Schwindel erregenden Kuss. Juliet schmiegte sich an Cals warmen Körper und vergaß alles um sich her. "Komm", bat Cal schließlich rau, umfasste ihre Hand und zog sie in sein Zimmer. Halb lachend, halb verzweifelt ließen sie sich gegen die Tür fallen und küssten sich, wobei Cal mit bebender Hand den Schlüssel im Schloss umdrehte. Geraume Zeit später seufzte Juliet zufrieden und streckte sich neben Cal aus. Ihr Liebesspiel war von unendlicher Zärtlichkeit gewesen, aber auch so feurig und leidenschaftlich, dass es ihr den Atem genommen hatte. Es war wunderschön gewesen. Juliet war sehr froh, dass sie ihre Gefühle vor Cal nun nicht mehr verbergen musste. Die vergangenen Tage waren schrecklich gewesen, weil sie sich so sehr nach ihm gesehnt hatte. Glücklich wandte sie den Kopf und sah Cal an. "Entschuldige bitte, dass ich mich heute Nachmittag so dumm benommen habe", sagte sie. "Wieso? Was war der Grund dafür gewesen?", fragte er lässig. Für ihn zählte nur, dass sie nun wieder bei ihm war. Am liebster! hätte er sie nie mehr fort gelassen. "Wir haben uns schrecklich gestritten", erinnerte sie ihn. "Es war meine Schuld. Ich habe mich so kratzbürstig aufgeführt, weil ich unsere Nacht nicht vergessen konnte, im Gegensatz zu dir." Cal lachte, stützte sich auf den Ellbogen und schob ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Hast du wirklich geglaubt, ich hätte unsere erste gemeinsame Nacht vergessen?"
"Jedenfalls hast du so getan. Man hätte meinen können, du hättest mich noch nie zuvor im Leben gesehen." Cal sah ihr tief in die Augen. Sie war so wunderschön. "Ich habe es wirklich versucht. Aber nur, weil du es wolltest. Allerdings ist es mir nicht gelungen. Ich musste fast ständig daran denken, wie es war, als du in meinen Armen gelegen hast." Juliet zog ihn an sich und küsste ihn ausgiebig. Sie liebte seinen muskulösen, kraftvollen Körper. Es war wunderbar, ihn zu spüren, zu schmecken, ihn zu liebkosen. "Wie könnte ich diese Nacht je vergessen, Juliet?", flüsterte er zwischen Küssen, als sie sich gemeinsam herumdrehten. Er umfasste ihr Gesicht, und sie sah zu ihm hinunter. "Kein Mann könnte je vergessen, wie es in dieser Nacht mit dir gewesen ist, Juliet. Warum war ich wohl die ganze Woche über so schlechter Laune?" "Weil ich so gemein zu dir war, dachte ich." Sie seufzte. "Würdest du den Männern gleich morgen früh bitte ausrichten, dass sie vergessen sollen, was ich vorhin gesagt habe? Sie sollen tun, was du ihnen angeordnet hast." Nach kurzem Schweigen gab er zu: "Das habe ich bereits getan." Juliet richtete sich etwas auf. "Wie bitte?" "Ich habe sie gerade noch erwischt Und ihnen mitgeteilt, sie hätten zu tun, was ich von ihnen verlange. Sonst hätte ihnen niemand etwas zu sagen. Morgen nehme ich alles zurück", fügte er hinzu und erstickte Juliets Protest mit einem Kuss. Sie erwiderte seinen Kuss. "Tut mir übrigens Leid, dass ich dich angegriffen habe. Ich war so verletzt, weil ich glaubte, du wolltest mich loswerden, Juliet", sagte er schließlich. "Du darfst nicht gehen, Cal. Ich brauche dich so sehr. In jeder Beziehung, und ich könnte die Farm nicht ohne deine Hilfe verwalten."
"Dann ist es ja gut", sagte er und strich ihr lächelnd über den Rücken. "Dann darf ich also zunächst als dein Liebhaber bleiben?" Juliet lachte über seine Wortwahl und schmiegte sich an ihn. "Wenn du möchtest..." Entspannt lagen sie eine Weile schweigend da. "Cal?", fragte Juliet schließlich und streichelte eine Brust. "Ja?" "Eins würde ich gern noch wissen. Als wir uns vorhin gestritten haben, hast du behauptet, ich sei dir im Weg. War das dein Ernst?" Cal sah sie an, dann drehte er sich mit ihr um, so dass er auf ihr lag. "Nein. Du hast dich in Wirklichkeit sehr nützlich gemacht", sagte er lächelnd. "Allerdings hast du mich ständig abgelenkt, so wie jetzt." Juliet streckte sich aufreizend und strich ihm über die Lenden. "Darf ich dann so weitermachen?" "Du bist der Boss", antwortete Cal amüsiert. "Du kannst tun und lassen, was du willst." Ihre Augen blitzten frech, als sie die Hände weiter nach unten gleiten ließ. "Stimmt", sagte sie. "Wenn es dir nichts ausmacht." "Wenn du so weitermachst, bringst du mich noch um den Verstand, Juliet." Er stöhnte. Und dann begannen sie wieder, einander zu erforschen. Später lag Juliet erschöpft, aber überglücklich in seinen Armen. "Ich sollte jetzt in mein Zimmer gehen", sagte sie schließlich halbherzig. "Meinst du wirklich?" "Ja, sonst schlafe ich hier ein. Und ich möchte nicht, dass Natalie oder die Zwillinge mich morgens aus deinem Zimmer schleichen sehen." "Du hast Recht." Widerwillig ließ er sie los und half ihr bei der Suche nach ihren Sachen, dann öffnete er ihr die Tür, gab Juliet einen langen Abschiedskuss und flüsterte: "Bis morgen."
Sie nickte und schlich auf Zehenspitzen in ihr Zimmer. Am nächsten Morgen erwachte sie mit einem Lächeln. Das verging ihr allerdings, als sie auf den Wecker blickte. Es war schon nach halb zehn! Wie war das möglich? Rasch zog sie sich etwas über und eilte in die Küche, wo Maggie mit den Kindern war. "Tut mir Leid, dass ich so spät dran bin", sagte sie und schloss den Gürtel ihrer Jeans. "Cal hat gesagt, wir sollen Sie schlafen lassen", erklärte Maggie, die gerade dabei war, einen Kuchen zu backen. "Er meinte, Sie wären sehr müde." "Ja." Verlegen senkte Juliet den Blick. Hoffentlich hatte er Maggie nicht erzählt, warum sie so wenig Schlaf gehabt hatte! "Sie reparieren heute die Leitung am Five Mile Bore", erzählte Maggie. "Falls Sie hinterher wollen." "Ich könnte ihnen Kaffee und belegte Brote bringen", sagte Juliet. Cal richtete sich auf, als er den Wagen sich nähern sah. Er hatte gehofft, dass Juliet nachkommen würde. "Morgen, Boss", begrüßte er sie lächelnd, als sie ausstieg. "Tut mir Leid, dass ich so spät komme. Ich habe verschlafen." Sie erwiderte sein Lächeln. "Wenn du Kaffee mitgebracht hast, ist das schon vergessen." Er rief den Männern zu, dass es Zeit für eine Pause sei. "Was ist denn mit der Leitung?", fragte Juliet interessiert, als sie die Thermoskanne aufschraubte. Aufmerksam hörte sie sich Cals Erklärungen an. Sie war sehr froh, dass sie jetzt endlich ganz zwanglos miteinander umgehen konnten. Und sein Lächeln hatte ihr verraten, wie wunderbar die vergangene Nacht auch für ihn gewesen war. Doch tagsüber waren sie Boss und Manager - wie besprochen. So hielten sie es viele Wochen lang. Am Tag benahmen sie sich wie Boss und Manager, doch die Nächte waren voller Leidenschaft.
Juliet kehrte nach den aufregenden Umarmungen stets in ihr Zimmer zurück, bevor die Kinder aufwachten, blieb jedoch jede Nacht etwas länger bei Cal, weil es ihr immer schwerer fiel, sich von ihm zu trennen. Sie waren einander jetzt so vertraut, unterhielten sich leise im dunklen Zimmer, und die Grenze, die sie sich zwischen Tag und Nacht gesetzt hatten, verschwamm immer mehr. Eines Nachts überlegte Cal, ob es nicht besser wäre, eine neue Straße zu bauen. "Wir würden natürlich eine Planierwalze brauchen", sagte er nachdenklich. "Dann könnten wir auch den Schmutz ..." Er verstummte, als er Juliets Gesichtsausdruck bemerkte. "Was ist los?", fragte er überrascht. "Nichts." Sie lächelte anzüglich. "Ich finde schmutzige Gespräche herrlich." Lachend drehte Cal sich um und hielt sie unter sich gefangen. "Warum verrätst du mir das erst jetzt, Juliet?", fragte er neckend. "Ich dachte, wir wollten uns nachts nicht über die Arbeit unterhalten", sagte sie und wurde erneut von Verlangen durchflutet, als sie seinen sexy Körper auf sich spürte. "Und wer hat damit angefangen?", fragte er amüsiert, als ihm einfiel, dass sie in der vergangenen Nacht vorgeschlagen hatte, das Wohnheim der Viehhirten zu renovieren. Juliet tat, als schmollte sie. "Gibt es kein interessanteres Thema als Planierwalzen?" Cal gab vor, ernsthaft darüber nachzudenken. "Doch, Hirse", antwortete er. "Darüber könnten wir ruhig noch einmal sprechen. Neulich hast du mir ja nicht richtig zugehört." Er streichelte sie zwischen den Schenkeln. "Der Zeitpunkt ist jetzt gerade richtig." "Ja, o ja!" Juliet zog ihn zu sich herunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. "Erzähl mir mehr davon."
"Na ja", murmelte er und setzte seine Liebkosungen fort. "Wir müssen zuerst eine Koppel umpflügen und ..." Weiter kam er nicht, denn Juliet hatte plötzlich etwas anderes im Sinn. So vergingen die Wochen, und nur ein Thema war tabu: die Zukunft. Keiner brachte je die Sprache darauf, wie es weitergehen sollte. Sie wagten beide nicht, dieses Thema anzuschneiden, sondern widmeten sich ganz dem Augenblick. Sie lebten wie eine richtige Familie zusammen. Manchmal badete Cal die Zwillinge, während Juliet sich von Natalie vorlesen ließ. Oder sie badeten die Jungen gemeinsam, während Natalie erzählte, was sie an diesem Tag alles erlebt hatte. Die Zeit verging wie im Flug. Eines Sonntags räumten Juliet und Natalie nach dem Mittagessen die Küche auf, während Cal auf die Zwillinge aufpassen sollte. Sie tobten im Kinderzimmer herum und lachten und kreischten. Juliet lächelte. "Was mögen sie jetzt wieder ausgeheckt haben?", fragte sie Natalie. "Man sollte annehmen, dass sie müde sind." Als sie nach dem Abwasch das Geschirr weggeräumt hatten, sah Juliet plötzlich beunruhigt auf. Im ganzen Haus war kein Laut zu hören. "Sieh doch mal nach, was da los ist", bat sie Natalie. "Es ist beängstigend ruhig." Folgsam machte Natalie sich auf den Weg, kehrte jedoch gleich wieder zurück. "Komm mit, Juliet. Das musst du sehen." Ungeduldig zog sie Juliet mit sich. Vor dem Kinderzimmer legte sie sich einen Finger an die Lippen und zeigte auf Matthews Bett. Dort lag Cal ausgestreckt, in jedem Arm einen Zwilling, und alle drei schliefen fest. Juliets Herz schien stillzustehen. Dann klopfte es umso heftiger weiter. Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie den Arm um Natalie legte. Zum ersten Mal war ihr bewusst
geworden, dass sie alle diese Menschen liebte: Matthew, Kit und Natalie. Und Cal.
9. KAPITEL Wieso begreife ich erst jetzt, dass ich ihn liebe?, überlegte Juliet und ließ zärtlich den Blick über den schlafenden Cal mit den Zwillingen im Arm gleiten. Sie hatte sich in den vergangenen Wochen etwas vorgemacht. Natürlich war sie schon lange in ihn verliebt, sie hatte es nur nicht wahrhaben wollen. "Komm, Natalie, wir lassen sie schlafen", flüsterte sie und wandte sich ab. Sie wollte Cal nicht lieben. Ihre Liebe zu Hugh war zu einem Albtraum geworden, von dem sie sich nur langsam erholt hatte. So etwas würde sie nicht noch einmal überleben. Aber hatte sie denn überhaupt eine Wahl? Kaum, denn sie hatte sich ja schon in Cal verliebt. Die Tatsache ließ sich nicht ändern. Außerdem konnte man Cal und Hugh überhaupt nicht miteinander vergleichen. Hugh hatte ihr eingeredet, wertlos zu sein, während Cal ihr stets das Gefühl verlieh, alles zu können. Bei ihm fühlte sie sich sicher, schön und sexy. Und Cal hatte sie nie belogen. Immer war er ehrlich zu ihr gewesen. "Ich will dich ... und du willst mich ..." hatte er gesagt. "Etwas Ernstes wollen wir beide nicht." Tiefere Gefühle hatte er ihr nie vorgespiegelt. Er begehrte sie, er hatte sie gern, aber er liebte sie nicht. Das hatte er von Anfang an gesagt. Warum sollte er seine Meinung inzwischen geändert haben? Ach, wäre ihr doch nie bewusst geworden, dass sie ihn liebte! Wenn sie ihm ihre Liebe gestehen würde, wäre vielleicht alles
aus. Vielleicht würde er sich unter Druck gesetzt fühlen, würde glauben, sie wollte mehr als leidenschaftliche Nächte und harte Arbeit am Tag. Dann würde er ihr und Wilparilla wohl den Rücken kehren. Und ohne ihn würde sie es hier nicht aushalten! Nein, es war besser, ihm ihre Liebe nicht zu gestehen. Dann würde alles beim Alten bleiben. Hoffentlich! Als Cal schließlich von seinem Mittagsschlaf aufwachte, war Juliet nirgends zu sehen. Nach kurzem Suchen fand er sie am Fluss. "Ach, hier bist du!", rief er von weitem, als er sie in ihrem rosa Hemd entdeckt hatte. Juliet fuhr zusammen, fing sich aber schnell wieder. Sie wollte sich nichts anmerken lassen. "Hallo." Sie rang sich ein Lächeln ab. "Alles in Ordnung mit den Jungen?" "Ja, Natalie passt auf sie auf." Cal betrachtete sie forschend. "Was ist denn los?" "Ach, gar nichts", antwortete sie betont fröhlich. "Ich hatte nur Lust, nach dem Mittagessen einen kleinen Spaziergang zu machen. Hierher bin ich immer gegangen, wenn ich in Ruhe nachdenken wollte. Ich war schon lange nicht mehr hier. Offensichtlich habe ich in letzter Zeit an nichts gedacht", witzelte sie. Cal befürchtete plötzlich, sie könnte ihre heimliche Liaison beenden wollen. Langweilte sie sich? Hatte er zu viel vorausgesetzt? "Manchmal ist es besser, nicht so viel nachzudenken", sagte er. "Kann sein. Ich hielt es nur für an der Zeit, andere Menschen kennen zu lernen. Von meinen Nachbarn kenne ich bisher nur Pete Robbins. Bisher habe ich auf eine Einladung von ihnen gewartet, aber ich denke, ich sollte den ersten Schritt tun. Findest du nicht? Sie sollen wissen, dass ich nicht wie Hugh bin." Die Geschichte klang doch ganz plausibel, oder? "Wir könnten nächsten Sonntag alle zum Pferderennen fliegen. Was hältst du davon?" Erwartungsvoll sah sie Cal an. Als sie seinen wenig begeisterten Gesichtsausdruck bemerkte,
fügte sie schnell hinzu: "Wenn du keine Lust hast, kann ich auch den Wagen nehmen." "Nein, nein, wenn du zum Pferderennen willst, fliege ich dich hin", antwortete Cal langsam. "Versprich dir aber nicht " zu viel. Meistens ist es dort schrecklich langweilig." Er versuchte, ihr die Idee auszureden. Nicht weil er nichts davon hielt, sondern weil er Juliet mit niemandem teilen wollte. Außerdem würde ihn jeder kennen, und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis Juliet erfahren würde, wer der frühere Besitzer von Wilparilla war und wer ihr Kaufangebote gemacht hatte, bevor ihr verstorbener Mann noch richtig unter der Erde gewesen war. Jetzt bedauerte er, ihr nicht schon längst feinen Wein eingeschenkt zu haben. Aber irgendwie hatte sich nie die Gelegenheit dazu ergeben. Und er hatte ein wenig Angst davor, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie würde sicher sehr verletzt sein, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Für ihn spielte es keine Rolle mehr, wem Wilparilla gehörte, solange er nur Juliet jede Nacht im Arm halten konnte. Andererseits hatte Juliet ein Recht darauf, zu erfahren, wer sie im Arm hielt. Ich werde es ihr heute Abend sagen, nahm er sich vor. Er spürte, dass sie eine unsichtbare Mauer um sich herum errichtet hatte. War das der Anfang vom Ende? Fast befürchtete er, sie würde ihn heute Abend abweisen. Umso überraschter war er, als sie zu ihm auf die Veranda kam, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatte. Wortlos schmiegte sie sich an ihn. "Komm, wir gehen ins Bett", bat sie schließlich. Ihr Liebesspiel hatte etwas Verzweifeltes, und hinterher weinte sie. Cal hielt sie im Arm und strich ihr tröstend übers Haar. "Ich muss dir etwas sagen, Juliet", begann er. Sie legte ihm die Hand auf den Mund. "Bitte nicht. Es ist nicht nötig."
Er spürt, dass ich ihn liebe, dachte Juliet. Und nun wollte er versuchen, sie daran zu erinnern, dass sie keine feste Bindung wollten. Juliet zog die Hand zurück und setzte sich auf. "Es gibt nichts zu sagen", wiederholte sie mit gesenktem Blick. "Ich weiß, dass es nichts Ernstes ist zwischen uns." "Aber, Juliet..." "Wir sind einander keine Erklärungen schuldig. Das hast du selbst von Anfang an gesagt, Cal", fügte sie schnell hinzu, bevor er Einwände machen konnte. "Du hast gesagt, es sei nur körperlich, und du hast Recht. Wir wollen keine feste Beziehung, in der wir einander alles anvertrauen müssen, oder?" "Nein." Cal schwieg nachdenklich. Er hatte vergessen, dass Juliet niemanden ernsthaft an sich heranlassen wollte. Dabei hatte er den Eindruck gewonnen, sie wären einander sehr nahe. Offensichtlich hatte er sich getäuscht. Für Juliet war es wohl wirklich nur Sex, sonst nichts. "Ich möchte also gar nichts wissen", sagte Juliet schließlich. Wenn sie sich auf eine Diskussion über Gefühle einließ, würde sie sich schnell verraten, und das durfte nicht geschehen. Juliet beugte sich über Cal. Sie sehnte sich danach, ihn wieder richtig zu spüren. "Wir haben jetzt genug geredet", flüsterte sie an seinem Mund. Sie mache sich nichts aus Pferderennen, behauptete Maggie. Daher nahm Cal nur Juliet und die drei Kinder im Flugzeug mit. Die Viehhirten waren in der Nacht zuvor im Wagen losgefahren und hatten vor, einen Zug durch die Gemeinde zu machen, statt sich die Pferderennen anzusehen. Vor der staubigen kleinen Rennbahn schienen mehr Flugzeuge als Autos geparkt zu sein. Juliet bedauerte bereits, einen Ausflug zum Rennen vorgeschlagen zu haben. Doch ihr war keine plausible Erklärung eingefallen, es sich im letzten Moment noch anders zu überlegen. Und irgendwann musste sie ihre Nachbarn ja mal kennen lernen. Hugh war es gelungen, alle gegen sich aufzubringen, bevor sie je auch nur Gelegenheit
erhalten hatte, ihnen guten Tag zu sagen. Vielleicht würde sie irgendwann einmal auf die Leute angewiesen sein, wenn Cal sich erst etwas Eigenes gesucht hatte. Juliet zwang sich, darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn Cal nicht mehr auf Wilparilla sein würde. Ob er sie neulich Nacht vorsichtig darauf hatte vorbereiten wollen? Sie befürchtete es fast. Allerdings hatte er das Thema seitdem nicht mehr angesprochen. Ihre Beziehung war in den vergangenen Tagen etwas angespannt gewesen, nur wenn sie sich liebten, vergaßen sie alles um sich her. Irgendwann werden wir uns wohl doch aussprechen müssen, dachte Juliet traurig. Die dreimonatige Probezeit war fast um. Cal würde sich nach einer eigenen Farm umsehen, und sie, Juliet, würde vorgeben müssen, dass sie ihn nicht brauche und dass es ihr gleichgültig sei. Die Rennbahn bestand aus einem staubigen Feld, das durch ein Seil vom umliegenden Land abgetrennt war. Man hatte auch ein Bierzelt aufgebaut und ein provisorisches Wettbüro eingerichtet. Die Ergebnisse wurden auf eine Schiefertafel geschrieben. Royal Ascot war dies nicht gerade! Dort war sie mal mit Hugh gewesen, hatte einen albernen Hut und hochhackige Pumps getragen und Champagner getrunken. Merkwürdig, das alles erschien ihr inzwischen wie ein Film, an dem sie als Statistin teilgenommen hatte. Die Kinder waren natürlich begeistert, einmal etwas anderes zu sehen. Nur Cal schien unruhig zu sein. Das wiederum beunruhigte Juliet, die sich völlig fehl am Platz fühlte, obwohl sie mit Jeans und Leinenbluse bekleidet war - wie die meisten anderen hier. "Ich hole uns etwas zu trinken", sagte Cal kurz angebunden und verschwand in Richtung Bierzelt. Er fehlte Juliet sofort. Um ihre Gefühle zu überspielen, lächelte sie den Kindern zu und ging mit ihnen zu den Rennpferden, die auf einer Koppel standen.
"Hast du schon gehört, dass Cal wieder da ist?", hörte Juliet jemanden hinter sich sagen. "Ja, ich weiß", antwortete eine andere Stimme. Wieder da?, überlegte Juliet verblüfft. Dann fiel ihr jedoch ein, dass Cal ihr ja erzählt hatte, er sei in der Nähe aufgewachsen. Und "in der Nähe" bedeutete hier wohl ein Umkreis von achthundert Kilometern. "Weißt du auch, dass er auf Wilparilla arbeitet?", fragte der erste Mann, und Juliet hörte, wie der andere überrascht pfiff. "Auf Wilparilla? Warum sollte er das tun? Hat er nicht in Brisbane richtig gut Geld verdient? Er hat es gar nicht nötig, für jemand anderen zu arbeiten, schon gar nicht..." Er verstummte, als ein Paar sich zu ihnen gesellte, und sie gingen alle gemeinsam weiter. Juliet überlegte, wieso der Mann so verblüfft gewesen war, als er hörte, wo Cal jetzt arbeitete. Als Cal aus dem Bierzelt kam, sah er Juliet nachdenklich an der Absperrung stehen. Dafür, dass sie ihre Nachbarn kennen lernen wollte, wirkte sie ziemlich einsam und verloren. Warum wollte sie die Leute überhaupt treffen? Ärgerlich kam er mit den Getränken auf Sie zu. War ihr seine Gesellschaft nicht mehr gut genug? "Wenn du willst, mache ich dich mit einigen Leuten hier bekannt", schlug er vor, als sie den Kindern die Becher reichte. Er merkte selbst, dass sein Tonfall nicht allzu freundlich klang, aber Cal wünschte, er hätte Juliet ausreden können, zu den Pferderennen zu fahren. Viel lieber wäre er mit ihr auf Wilparilla geblieben, wo er sie ganz für sich hatte. Und nun musste er mit ansehen, wie andere Männer sie bewundernd betrachteten. Die sehen ja doch nicht, was ich sehe, dachte er verstimmt. Auch für ihn war Juliet anfangs nur eine schlanke, abweisende junge Frau mit arrogantem Gesichtsausdruck gewesen. Inzwischen wusste er jedoch, wie warmherzig, strahlend und temperamentvoll sie in Wirklichkeit war. In den vergangenen
Wochen war sie richtig aufgeblüht. Seit einigen Tagen hatte sie sich allerdings wieder in ihr Schneckenhaus verkrochen. Cal hätte zu gern gewusst, warum. Alle scheinen sich ehrlich zu freuen, Cal wieder zu sehen, dachte Juliet, als eine Gruppe ihn schon von weitem begrüßte. "Cal, wie schön, dass du wieder da bist. Wir wussten ja, dass du es woanders nicht lange aushalten würdest. Was habe ich da gehört? Du bist jetzt Manager auf Wilparilla? Joe hat es mir gerade erzählt. Ich kann es kaum glauben." "Es stimmt aber." Cal rang sich ein Lächeln ab. "Und das ist mein neuer Boss, Juliet Laing." Die Leute wandten sich verblüfft Juliet zu. Warum sind die nur so überrascht?, überlegte sie wieder und erwiderte ihr Lächeln. War es denn so ungewöhnlich, als Frau einen Manager einzustellen? Auch die anderen Leute, die Cal ihr vorstellte, reagierten mit Verblüffung, als Cal Juliet als seinen neuen Boss vorstellte, und sahen ihr nach, als sie mit Cal weiterging. Sie fand das alles sehr, sehr merkwürdig. Und sie wurde von Minute zu Minute ungehaltener, kühler und abweisender. Glücklicherweise begann gerade das erste Pferderennen. Nun hatten die Leute wenigstens ein anderes Gesprächsthema. Ein Mann stand auf einem Anhänger und kommentierte das Rennen durch ein Megafon. Juliet fragte sich, wie er die Pferde auseinander halten konnte, die im Staub, den sie mit ihren Hufen aufwirbelten, alle gleich aussahen. Offensichtlich ging es den Zuschauern gar nicht so sehr um die Pferderennen, sondern darum, Bier zu trinken und die neuesten Klatschgeschichten auszutauschen. Nach zwei Rennen gab es eine Pause. Juliet sah Cal verstohlen von der Seite an. Er schien sich auch nicht gerade besonders zu amüsieren. Vielleicht wäre es besser gewesen, er wäre allein zum Pferderennen geflogen.
Ich bin ihm wohl eine Last, dachte Juliet verletzt. Es war nur zu offensichtlich, dass sie hier völlig fehl am Platz war. Sie war zu abweisend, zu britisch, zu sehr Hughs Witwe. Die Leute bedauerten Cal wohl, weil er ständig seinen Boss im Schlepptau hatte. Juliet zuckte unmerklich zusammen. "Kommt, Kinder", sagte sie und nahm Kit und Matthew an die Hand. Natalie hatte kurz nach ihrer Ankunft gleichaltrige Kinder getroffen und spielte mit ihnen hinter dem Bierzelt. "Wir holen uns noch etwas zu trinken." "Ich komme mit." Doch Cal wurde von einer attraktiven Frau in einem blauen Blümchenkleid aufgehalten, die ihm strahlend zulächelte. "Cal! Wie schön, dich wieder zu sehen. Bist du wirklich Manager auf Wilparilla?" Juliet verschwand unauffällig, bevor Cal sie vorstellen konnte. Die Verblüffung der Leute über Cals neuen Job ging ihr wirklich langsam auf die Nerven! Kit und Matthew waren nicht an Menschenmengen gewöhnt und wurden unruhig. Juliet kaufte ihnen noch etwas zu trinken und verließ das stickige Zelt so schnell wie möglich mit den Zwillingen. Sie blickte sich kurz um und entdeckte ein schattiges Plätzchen, wo sie sich mit den Kindern hinsetzte. Wenigstens war es hier ruhiger. Hoffentlich würde sie hier eine Zeit lang unentdeckt sitzen können und von erstaunten Kommentaren verschont bleiben! Sie konnte nicht nachvollziehen, warum man in einem lauten, vollen, stickigen Zelt stehen musste, wenn man draußen in frischer Luft sitzen konnte. Zwei Männer, die sich hinter ihr im Zelt unterhielten, mussten schreien, um sich verständlich zu machen. "Hast du Cal gesehen?", schrie der eine. Juliet stöhnte. Jetzt ging das schon wieder los. Hatte man denn hier nirgends seine Ruhe? Alle wunderten sich, weil Cal Manager auf Wilparilla
war. Wieso nur? Sie hatte sich doch auch daran gewöhnt. Natürlich war es nur vorübergehend, bis er etwas Eigenes gefunden hatte, aber irgendwo musste doch jeder anfangen, oder? An der Absperrung stand Cal noch immer mit der Frau im blauen Kleid. Offensichtlich waren die beiden alte Freunde. Ob die Frau wohl verheiratet ist?, überlegte Juliet. Sie hätte eigentlich gut zu Cal gepasst. Viel besser als sie, Juliet. Sie ballte die Hände zu Fäusten und wandte den Blick ab. Zur Ablenkung versuchte sie, das Gespräch der beiden Männer jenseits der Zeltplane zu verfolgen. "Was hältst du davon, dass er jetzt Manager auf Wilparilla ist?", fragte der eine. "Das muss ihm doch entsetzlich schwer fallen." "Du kennst Cal ja", antwortete der andere. "Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er es auch durch. Er wird sicher nicht lange Manager bleiben. Die Witwe lässt sich offenbar nicht so schnell vertreiben, wie er gedacht hat, aber irgendwann wird sie doch verkaufen, und dann ist er wieder Herr auf Wilparilla." "Hast du sie gesehen?", fragte der erste Mann. "Sie ist eigentlich ganz hübsch. Er sollte sie heiraten. Dann kann er viel Geld sparen. An die Möglichkeit hat er bestimmt auch schon gedacht." "Vielleicht will sie ihn nicht." Sein Freund schnaufte verächtlich. "Er ist ein guter Fang. Wie ich höre, hat er in Brisbane richtig Geld gemacht." "Ich glaube, Cal stellt höhere Ansprüche", gab der andere Mann zu bedenken. "Ich habe die Frau gesehen, mit Sara ist die nicht zu vergleichen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mrs. Laing sein Typ ist." Was der erste Mann dann sagte, konnte sie nicht verstehen. Sein Freund lachte jedenfalls und antwortete: "Vielleicht hast du Recht. Aber ich glaube, Cal ist nur daran interessiert, seine
geliebte Farm zurückzubekommen. Wilparilla bedeutet ihm mehr als jede Frau. Magst du noch ein Bier?" So war das also. Juliet fühlte sich plötzlich sehr elend. Als sie aufsah, fiel ihr Blick auf Cal, der sich noch immer mit seiner Freundin in Blau unterhielt. Juliet fragte sich, wieso sie nicht schon selbst darauf gekommen war, dass Cal der frühere Eigentümer von Wilparilla war. Sie musste ja völlig blind gewesen sein! Hatte sie sich nicht gewundert, wie schnell er sich auf der Farm zurechtgefunden hatte? Hatte sie ihn nicht gefragt, ob er sich etwas Eigenes kaufen wolle? Ja, hatte er gesagt, jedoch verschwiegen, dass er auf ihre Farm aus war. Cal konnte sich kaum noch auf das Gespräch mit der Bekannten von früher konzentrieren. Immer wieder ließ er den Blick zu Juliet und den Zwillingen gleiten, die im Schatten des Bierzelts saßen. Er sehnte sich danach, zu ihnen zu gehen, spürte jedoch, dass er nicht willkommen war. Als er jetzt wieder hinübersah, begegnete er Juliets Blick. Sie wirkte so verletzt, dass er erschrocken zusammenzuckte. Er wusste sofort, was sie gerade erfahren hatte. Den ganzen Tag hatte er sich vor diesem Augenblick gefürchtet. Ohne sich von seiner Bekannten zu verabschieden, ging Cal schnell zu Juliet hinüber. Er hatte Angst, sie könnte einfach davonlaufen. Doch Juliet blieb müde und tief enttäuscht sitzen und wartete auf ihn. Wohin hätte sie auch flüchten sollen? Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, als sie Cal entgegensah. Matthew rappelte sich hoch Und griff nach Cals Hand. "Gehen wir jetzt Pferde ansehen?", fragte er hoffnungsvoll. Cal hörte ihn nicht einmal. Er hatte nur Augen und Ohren für Juliet. "Ich habe versucht, es dir zu erklären", sagte er leise. "Große Mühe hast du dir aber nicht gerade gegeben", antwortete sie enttäuscht. "Es ist nicht so, wie du denkst, Juliet", fuhr er fort. Sie stand auf und schob seine Hand weg, als er ihr beim Aufstehen helfen wollte.
"Wir sprechen später darüber. Nicht in Gegenwart der Kinder", antwortete sie abweisend. "Ich möchte jetzt nach Hause. Wenn du willst, kannst du Natalie sagen, mir sei nicht gut. Aber bitte hole sie jetzt. Sie spielt hinter dem Zelt. Ich gehe mit Kit und Matthew zum Flugzeug." Kit, der wie sein Bruder noch die Pferde ansehen wollte, begann zu protestieren, als er hörte, dass sie schon nach Hause sollten. Doch Juliet beachtete ihn überhaupt nicht, sondern ging mit ihren Jungen direkt zum Parkplatz, wo Cal die kleine Sportmaschine abgestellt hatte. Juliet sah weder nach links noch nach rechts und hielt sich sehr gerade. Es kostete sie fast übermenschliche Anstrengung, sich zusammenzureißen. Cal, der sich über seine eigene Dummheit ärgerte, sah ihr nach. Am liebsten wäre er hinter ihr hergelaufen und hätte ihr auf der Stelle alles erklärt. Doch sie hatte natürlich Recht, vor all diesen Leuten wäre das nicht gut gewesen. Er musste sich gedulden, bis sie wieder zu Hause waren und unter vier Augen miteinander sprechen konnten. Auf dem Rückflug nach Wilparilla schwiegen sie beharrlich. Cal saß mit mürrischem Gesicht am Steuerknüppel, Natalie war eingeschnappt, weil ihr Vater sie von ihren neuen Spielkameraden weggeholt hatte, und die Zwillinge waren müde. Juliet sagte kein einziges Wort, sie dachte nicht einmal nach, blickte nur stumm vor sich hin. Wenn sie erst einmal anfangen würde, über alles nachzudenken, würde sie hemmungslos in Tränen ausbrechen. Und das konnte sie Kit und Matthew nicht antun. Irgendwie brachte sie den Rest des Tages auch noch hinter sich. Sie gab den Kindern etwas zu essen, badete die Zwillinge, las ihnen noch eine Geschichte vor und gab ihnen einen Gutenachtkuss, als sie eingeschlafen waren. Sie hatte Tränen in den Augen. Was sollte nur werden? Kit und Matthew hingen doch auch so an Cal. Sie hatten großes Zutrauen zu ihm. Er war eine Vaterfigur für sie. Wie sollten sie ohne ihn auskommen?
Und wie sollte sie damit fertig werden, zusätzlich zu ihrem eigenen auch noch den Schmerz der kleinen Jungen zu ertragen? Sie hörte Cals und Natalies Stimmen. Die beiden mussten irgendwo im Haus sein. Erschöpft ging Juliet nach draußen und setzte sich auf die Verandastufen. Jetzt war sie allein, jetzt hätte sie ihren Tränen freien Lauf lassen können, doch sie hatte keine Tränen. Sie fühlte sich wie erstarrt vor Enttäuschung. Cal hatte sie belogen. Daran musste Juliet die ganze Zeit denken. Sie hatte befürchtet, dass er sie nicht liebte, aber niemals hätte sie gedacht, dass er sie belügen würde. Sie war so sicher gewesen, dass er offen und ehrlich war. Zu ehrlich. Sie hatte ihm viel zu sehr vertraut. Sie hatte Hugh geliebt, und er hatte sie belogen. Sie hatte sich in Cal verliebt, und nun belog auch er sie. Sie liebte ihn doch so sehr, war so glücklich mit ihm gewesen, hatte ihm vertraut, und die ganze Zeit war er nur daran interessiert gewesen, ihr Wilparilla abzukaufen. Juliet hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so hintergangen gefühlt, so einsam und verlassen, so ohne jedes Vertrauen in ihre Mitmenschen. Dabei hatte sie doch gedacht, so etwas würde ihr nie wieder passieren. Und nun? Sie hätte wissen müssen, dass sie nur sich selbst vertrauen konnte. Als Cal schließlich herauskam, saß sie noch immer auf den Verandastufen, vornübergebeugt, den Kopf in den Händen geborgen. Es brach Cal fast das Herz, sie so verzweifelt zu sehen. Ausgerechnet jetzt musste ihm bewusst werden, wie sehr er sie liebte. Auch Cal war verzweifelt. Wie hatte er nur so dumm sein können, ihr nicht von Anfang an die Wahrheit zu sagen? Er hätte ihr gleich erzählen müssen, was er wirklich auf Wilparilla wollte, aber er hatte den Kopf in den Sand gesteckt, weil er seine wunderbare Liebesbeziehung zu Juliet nicht hatte gefährden wollen. Er hatte nicht einmal wahrhaben wollen, dass
er sich in sie verliebt hatte. Wie hatte er nur so blind sein können? Wann war das eigentlich alles passiert? Wann hatte er aufgehört, Wilparilla an erste Stelle zu setzen? Seit wann war Juliet ihm wichtiger als die Farm? Cal sah sie verzweifelt an. Warum hatte er sich in sie verlieben müssen? Jetzt konnte er ihr seine Liebe nicht mehr gestehen, es war zu spät, Juliet würde ihm nicht glauben. Er setzte sich neben Juliet, ohne sie zu berühren. Sie sah nicht auf, spürte nur, dass er neben ihr saß. "Stimmt es?", fragte sie undeutlich. "Dass Wilparilla einmal mir gehört hat? Ja, das ist wahr." Er hatte Juliets letzte Hoffnung zunichte gemacht, sich vielleicht verhört zu haben, etwas falsch verstanden zu haben. Sie nahm die Hände vom Gesicht und sah Cal traurig an. "Warum hast du mich belogen?" "Ich habe dich nicht belogen", behauptete Cal ernst. "Leider habe ich dir auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Aber was ich dir erzählt habe, stimmt. Dass ich die Farm verkauft habe, dass Natalie zurück wollte, alles. Ich habe nur verschwiegen, dass Natalie unbedingt nach Wilparilla zurück wollte. Und ich auch. Ich habe Jahre harter Arbeit in Wilparilla gesteckt. Als ich die Farm verkauft habe, habe ich den Kontakt zu den Leuten hier weiterhin aufrechterhalten. Daher wusste ich, dass Hugh alles verkommen ließ. Was meinst du, wie furchtbar das für mich war?" Er schüttelte verzweifelt den Kopf. "Und dann rief Pete Robbins mich an und erzählte, Hugh sei bei einem Unfall ums Leben gekommen." "Und da dachtest du, du könntest die trauernde Witwe unter Druck setzen und sie zum Verkauf zwingen, bevor sie sich überhaupt einen Überblick verschaffen konnte." "Ja, ich habe Angebote abgegeben", gab Cal zu. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass du ohne deinen Mann auf der Farm
bleiben wolltest. Ich habe dir einen fairen Preis angeboten, mehr als das Land eigentlich wert ist. Aber du hast alle meine Angebote abgelehnt." "Trotzdem hast du es immer wieder probiert", antwortete Juliet ausdruckslos. "Ja. Ich konnte einfach nicht so schnell aufgeben. Ich dachte, du würdest es dir anders überlegen, wenn dir erst einmal bewusst geworden wäre, wie schwierig es ist, die Farm allein zu führen. Ich wusste ja, dass du keine Erfahrung hattest. Deshalb habe ich meinen Anwalt beauftragt, regelmäßig bei dir anzufragen, ob du nicht doch verkaufen wolltest. Ich wartete gerade auf deine Reaktion, als Pete mich anrief und mir mitteilte, du würdest einen Manager suchen. Es sah also nicht so aus, als würdest du verkaufen. Daher beschloss ich, mich bei dir als Manager zu bewerben. Immerhin wäre ich dann wieder auf Wilparilla, dachte ich. Und ich könnte dafür sorgen, dass die Farm nicht noch weiter verkommt." Juliet sah ihn misstrauisch an. "Außerdem dachtest du, du könntest mich so besser zum Verkauf überreden, oder? Hast du dich deswegen an mich herangemacht? Wolltest du mir im richtigen Moment mitteilen, dass mir gar nichts anderes übrig bliebe, als Wilparilla zu verkaufen?" "Du weißt genau, dass es nicht so war", sagte Cal und seufzte. "Ach ja?" Sie funkelte ihn wütend und verzweifelt zugleich an. "Ich weiß überhaupt nichts mehr." Er strich sich beunruhigt übers Gesicht. "Es war wirklich nicht so, Juliet. Spätestens beim Viehtrieb ist mir klar geworden, dass du niemals verkaufen würdest, gleichgültig, wie sehr ich auch versuchen würde, dich dazu zu überreden. Dabei hatte ich alles versucht, dir zu beweisen, wie schwer die Farmarbeit ist. Doch du hast sämtliche Prüfungen bravourös bestanden." "Du hast es dir also inzwischen anders überlegt, weil du mich hier erlebt hast?", fragte sie ungläubig.
"Ja. Ich hatte mir vorgenommen, nach der Probezeit zu verschwinden, aber dann ... du weißt ja selbst, was dann passiert ist, Juliet. Ich wollte einfach nur noch hier bleiben." "Oder hattest du dir inzwischen etwas Besseres ausgedacht?" Er runzelte die Stirn. "Wie meinst du das?" "Du bist wirklich ein großartiger Verführer", sagte Juliet ausdruckslos. "Du musst dir doch überlegt haben, dass es eine viel einfachere Möglichkeit gibt, an Wilparilla heranzukommen." Cal blickte sie verständnislos an. "Wovon sprichst du eigentlich?" "Wir wollen uns nichts vormachen, Cal. Mit einer Heirat wären alle Probleme auf einen Schlag gelöst. Es war ein guter Plan, oder? Du heiratest mich und bekommst deine Farm zurück, ohne auch nur einen einzigen Pfennig dafür bezahlen zu müssen. Als Dreingabe bekommst du noch eine Frau, die sich um Natalie kümmert und mit der du Sex haben kannst, wann immer du willst." Cal war außer sich vor Wut. Wie konnte Juliet ihm so etwas zutrauen? Wütend sprang er auf. "Um diesen Preis verzichte ich auf Wilparilla", stieß er hervor. "Der Sex war gut." Er wählte absichtlich so drastische Worte. "Aber so gut auch wieder nicht. Ich fange lieber ein neues Leben auf einer neuen Farm an, als mich für den Rest meines Lebens an eine Frau wie dich zu binden." Er musterte sie verächtlich. "Ich brauche dich nicht, Juliet. Ich kann mich allein um Natalie kümmern. Aber du brauchst mich." "Von wegen!" Juliet schrie ihn an. "Ich brauche niemanden, dich schon gar nicht." Verzweifelt versuchte sie, die Tränen zurückzuhalten. "Ich suche mir einen neuen Manager. Wenn Natalie nicht wäre, würde ich dich morgen vor die Tür setzen. Aber um ihretwillen kannst du bleiben, bis dein Nachfolger hier eintrifft. Dann will ich dich hier nicht mehr sehen."
"Du brauchst Natalie keinen Gefallen zu tun", sagte er zornig. "Wir verlassen morgen die Farm." Damit drehte er sich um, ging die Stufen hinunter und verschwand in der dunklen Nacht. Juliet sah ihm nach. Und dann schien etwas in ihr zu zerbrechen, und sie barg das Gesicht in den Händen und weinte hemmungslos. "Wir haben Ihnen die Post mitgebracht, Mrs. Laing." Die Viehhirten reichten ihr schuldbewusst einen Stapel Briefe. Sie hatten erst lange nach dem letzten Pferderennen die Rückfahrt angetreten, weil keiner von ihnen nüchtern genug gewesen war, das Auto zu steuern. Nun hatten sie ein schlechtes Gewissen, weil sie so spät auf die Farm zurückgekehrt waren. Eigentlich war die Idee gar nicht schlecht gewesen, auf der Rückfahrt die Post abzuholen. Doch jetzt wurde ihnen klar, dass sie sich die Mühe hätten sparen können. Juliet hatte ihre lange Abwesenheit nicht einmal bemerkt. Und wenn, wäre es ihr offenbar völlig egal gewesen. Juliet nahm ihnen die Briefe ab. Irgendwann am Abend zuvor hatte sie aufgehört zu weinen und sich ins Bett geschleppt. An Schlaf war natürlich nicht zu denken gewesen. Die ganze Zeit waren ihr immer nur Cals vernichtende Worte durch den Kopf gegangen. Sie war verletzt wie noch nie. Ihre Augen waren geschwollen, und ihr war elend, weil sie so unglücklich war und nicht geschlafen hatte. Maggie hatte sie nur angesehen und sich dann wortlos um die Kinder gekümmert. Juliet konnte ihre Stimmen hören. Maggie und Natalie mussten Bescheid gewusst haben, aber sie hatten ihr, Juliet, nichts gesagt. Das tat sehr weh und machte alles noch viel schlimmer. Juliet hatte sich noch nie so einsam und verzweifelt gefühlt. Sie saß auf der Veranda und sah die Post durch. Ihre Mutter hatte geschrieben, zwei Briefe waren von Freunden gekommen, aber sie hatte keine Lust, sie zu lesen. Dann waren da noch Rechnungen. Auch die konnten warten. Und ganz unten im Stapel lag ein Brief, der in Sydney abgestempelt worden war.
Da sie nicht wusste, von wem er stammte, riss sie ihn lustlos auf. In Gedanken war sie bei Cal. Wo mochte er sein? Was mochte er gerade tun? Würde er wirklich gehen? Und was sollte sie ohne ihn anfangen? Irgendwie werde ich es überleben, dachte Juliet müde. Ich habe schon ganz andere Sachen überstanden. Was blieb ihr denn übrig? Sie hatte die Zwillinge und Wilparilla. Sie würde es schon schaffen. Gedankenverloren betrachtete sie den Brief in ihrer Hand. Sie wusste gar nicht, was sie da eigentlich las, und fing noch einmal von vorn an. Diesmal etwas konzentrierter. Ach, du liebe Zeit! Das Schreiben war von Hughs Eltern. Ausgerechnet! Mit denen wollte sie nun wirklich nichts zu tun haben. Wieso mussten die ausgerechnet jetzt schreiben? Schließlich hatten sie jahrelang nichts von sich hören lassen. Juliet las den Brief sorgfältig durch. Dann ließ sie ihn zu Boden gleiten und blickte vor sich hin. Schließlich rappelte sie sich mühsam hoch, holte ihren Hut und machte sich auf die Suche nach Cal.
10. KAPITEL Cal war unten am Pferch und reparierte ein Gatter. Man sah ihm an, wie wütend er war. Er blickte nur kurz auf, als Juliet naher kam, dann widmete er sich wieder dem Riegel, der sich einfach nicht befestigen lassen wollte. Cal war wütend auf sich selbst, weil sein Herz bei Juliets Anblick sofort schneller schlug. Sie sah genauso schlecht aus, wie er sich fühlte, und wirkte unendlich traurig. Und doch trug sie den Kopf hoch wie immer, als wäre überhaupt nichts geschehen. Gerade diese Haltung liebte er so an ihr. Er sehnte sich danach, sie an sich zu ziehen und sie zu trösten. Doch er hatte wohl alles verspielt. Juliet beobachtete ihn mit gemischten Gefühlen. Sie liebte ihn, nein, sie hasste ihn, ach, sie wusste überhaupt nicht mehr, woran sie war. Nur dass er sie belogen hatte, das wusste sie. Sie schluckte und ließ den Blick über den verlassenen Pferch schweifen. "Hast du schon mit Natalie gesprochen?", fragte sie schließlich und räusperte sich. Ihre Stimme hatte so merkwürdig geklungen. "Nein, noch nicht." Cal arbeitete verbissen weiter. Gewaltsam zerrte er mit einer Zange am Metall und wusste selbst nicht, warum er sich eigentlich so abmühte. Auch er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, und er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er war nicht imstande gewesen, Natalie am Morgen anzusehen und ihr zu erklären, dass sie Wilparilla, Juliet und die Zwillinge verlassen mussten. Also hatte er sich in die
Arbeit gestürzt, um sich abzulenken. "Keine Sorge, ich habe es nicht vergessen. Ich spreche mit ihr, sobald ich hier fertig bin", sagte er. "Ich ... ich habe heute Morgen einen Brief bekommen." Juliet war nicht in der Lage weiterzusprechen. Sie stand einfach nur da und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Cal hatte gehört, wie ihre Stimme gebebt hatte, und sah auf. "Was denn für einen Brief?" Juliet riss sich zusammen. "Von Hughs Eltern", erklärte sie, kaum vernehmbar. "Sie sind in Sydney und wollen uns besuchen, um Kit und Matthew kennen zu lernen." Cal legte die Zange auf den Zaunpfosten, nahm seinen Hut ab, wischte sich über die Stirn und setzte den Hut wieder auf. "Immerhin sind sie die Großeltern der Zwillinge." "Ich weiß." Juliet senkte den Blick. "Aber du kennst sie nicht. Es wird ihnen hier bestimmt nicht gefallen, und sie werden mich ganz sicher zwingen, mit den Zwillingen nach England zurückzukehren." "Sie können dich zu überhaupt nichts zwingen", gab Cal zu bedenken. "Und ob sie das können! Die tun und lasse», was sie wollen. Ich habe dir doch erzählt, wie sie Hugh und mich einfach nach Australien abgeschoben haben", antwortete sie mit unnatürlich hoher Stimme. Sie atmete einige Male tief durch, um sich etwas zu beruhigen. "Ich habe Angst vor ihnen", gestand sie beschämt. "Ich fürchte, sie werden versuchen, den Zwillingen ihren Willen aufzudrängen, wie sie es mit Hugh getan haben." Cal ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Es war das erste Mal, dass Juliet behauptete, vor etwas Angst zu haben. "Kannst du ihnen nicht mitteilen, wie ungünstig ihr Besuch momentan wäre?" "Darüber würden sie sich einfach hinwegsetzen." Juliet atmete wieder tief durch. "Du weißt ja, dass ich ... dich gestern gebeten habe zu gehen, Cal."
Gebeten war wohl kaum der richtige Ausdruck, Aber er wollte jetzt keine Wortklauberei betreiben. "Ja. Und?" "Ich bleibe dabei", sagte sie schnell. "Aber es wäre mir lieber, wenn du Wilparilla erst nach dem Besuch von Hughs Eltern verlassen würdest. Wäre das möglich? Wenn sie hier keinen Manager antreffen, werden sie mich gleich drängen zu verkaufen und nach England zurückzukehren." Plötzlich kam es Juliet selbst merkwürdig vor, Cal um Hilfe zu bitten. Er wollte doch gerade, dass sie Wilparilla verließ. "Ach, vergiss einfach, was ich gesagt habe", fügte sie niedergeschlagen hinzu. "Es ist sowieso egal." Sie wollte gehen, doch Cal hielt sie zurück. "Warte, Juliet." Wusste sie denn nicht, dass er alles für sie tun würde? "Ich bleibe, solange du willst." Sie schluckte. "Danke", sagte sie rau. "Darf ich dir einen Rat geben?" "Aber nur, wenn du mir nicht zum Verkauf rätst", sagte sie, fast wieder die Alte. "Natürlich nicht. Ich wollte nur vorschlagen, dich mit Hughs Eltern woanders zu treffen. Sie brauchen doch gar nicht herzukommen. Sag doch, du würdest mit den Zwillingen gern nach Barrier Reef kommen. Das wäre ein neutraler Ort, wo sie ihre Enkel sehen können. Und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass sie dir in die Erziehung deiner Kinder hineinreden." "Mir wäre es lieber, mich überhaupt nicht mit ihnen zu treffen", antwortete sie. "Was wollen die hier? Bisher haben sie sich doch auch nicht um Kit und Matthew gekümmert. Wieso bilden sie sich plötzlich ein, ein Mitspracherecht bei der Erziehung der Jungen zu haben?" "Das weißt du doch noch gar nicht", gab Cal zu bedenken. Er wunderte sich selbst, wie zivilisiert sie sich unterhielten. Noch gestern Abend hatten sie einander wütend beschimpft. "Triff dich mit ihnen, sonst wirst du dich später immer fragen, was sie
gewollt haben könnten. Und irgendwann wirst du mit ihnen reden müssen. Schließlich sind sie Kits und Matthews Großeltern." Juliet hatte schweigend zugehört. "Nimm die Jungen mit. Und du bist nicht mehr die Juliet, die sie in Erinnerung haben. Du hast dich verändert. Vielleicht haben sie sich auch verändert. Außerdem weiß ich aus Erfahrung, dass du dich nicht zu Dingen überreden lässt, die du nicht willst. Du brauchst also keine Angst vor Hughs Eltern zu haben." Er rang sich ein Lächeln ab. "Eine Luftveränderung würde dir gut tun, Juliet", fügte er behutsam hinzu. "Du wirst mich natürlich für voreingenommen halten, aber es wäre wirklich gut für dich, mal Abstand von Wilparilla zu haben. Denk darüber in Ruhe nach. Ich kümmere mich hier um alles, bis du wieder da bist. Und wenn du dann immer noch willst, dass ich gehe, werde ich gehen." Juliet erhaschte den ersten Blick auf Wilparilla aus der Luft. Sie sah das Hausdach, den Fluss, das weite braune Land, auf dem vereinzelt Bäume wuchsen, und sie war so unendlich froh, wieder zu Hause zu sein, dass sie vor Glück hätte weinen mögen. Sie wusste selbst nicht, warum sie so sehr an diesem rauen, aber reizvollen Land hing. Allein bei dem Gedanken, dies alles aufgeben zu müssen, wurde ihr elend zu Mute. Und die Vorstellung, ohne Cal hier zu leben, war unerträglich. Sie hatte während der vergangenen zehn Tage sehr viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Cal hatte Recht gehabt: Die Reise hatte ihr gut getan. Beim Abflug war sie noch zu verletzt gewesen, eine Lösung ihrer Probleme zu finden, doch die einsamen Stunden am Riff hatten sich positiv auf ihren Seelenzustand ausgewirkt. Und nun wusste sie genau, was sie wollte. Sie liebte Cal sehr und wollte ihn nicht verlieren. Und sie wollte mit ihm auf Wilparilla bleiben.
Juliet hatte ihre Entscheidung bei einem nächtlichen Strandspaziergang gefällt. "Wenn du immer noch willst, dass ich gehe, dann werde ich gehen", hatte Cal gesagt. Sie hatte es sich überlegt: Er sollte bleiben. Sie wollte ihn fragen, ob Wilparilla ihm so viel bedeutete, dass er sie heiraten würde, um die Farm zu bekommen. Zwar hatte er diese Lösung bei ihrem heftigen Streit abgelehnt, doch vielleicht konnte sie ihn ja jetzt umstimmen. Alles würde wunderbar werden. Cal und sie würden wieder Freunde sein - und Liebende. Natalie bekam eine Mutter, Kit und Matthew bekamen einen Vater. Juliet hatte sich genau zurechtgelegt, was sie sagen wollte. Doch plötzlich kamen ihr Bedenken. Sie sah Cal verstohlen von der Seite an. Er hatte sie in Mount Isa mit dem Sportflugzeug abgeholt. Die Atmosphäre war so angespannt, dass Juliet nervös wurde. Cal hatte Kit und Matthew zugelächelt, die sich gleich begeistert auf ihn gestürzt hatten, aber Juliet hatte er kaum eines Blickes gewürdigt. Es war unmöglich, seine Gedanken zu lesend Es ist sein Stolz, redete sie sich ein. Und was soll ich tun, wenn er meinen Antrag ablehnt?, überlegte sie verzweifelt. Wenn er nun wirklich gemeint hatte, was er ihr an jenem schrecklichen Abend an den Kopf geworfen hatte? Juliet wollte diesen Gedanken nicht weiterverfolgen. Es half ja doch nichts, endlos darüber nachzudenken. Sie würde ihn einfach fragen, mehr als Nein sagen konnte er schließlich nicht. Inständig hoffte sie, er würde Ja sagen. Cal musste sich aufs Fliegen konzentrieren. Die vergangenen zehn Tage ohne Juliet waren die Hölle gewesen. Inzwischen war ihm bewusst geworden, wie dumm er sich benommen hatte. Wie hatte er sie nur so sehr verletzen können? Hoffentlich würde sie ihm eines Tages vergeben können! Und Natalie hatte er auch wehgetan. Sie konnte nicht verstehen, was plötzlich los war und warum Juliet mit den
Jungen verreiste, und sie, Natalie, zurückließ. Cal fühlte sich schrecklich. Was hatte er nur angerichtet? Dabei war es ihm doch so wichtig, seine kleine Tochter glücklich zu sehen. Hoffentlich hatte er nicht alles verdorben! Cal wusste nicht, wie er die vergangenen zehn Tage überstanden hatte. Jeden Morgen war er mit den Viehhirten der Arbeit nachgegangen, die erledigt werden musste. Dabei war ihm klar geworden, dass Wilparilla ohne Juliet ihm nichts mehr bedeutete. Nachts sehnte er sich nach ihr, tagsüber war er rastlos und schlecht gelaunt. Wie oft hatte er aufgehorcht, wenn die Haustür geöffnet wurde. Jedes Mal hatte er gehofft, Juliet wäre zurückgekehrt. Doch jedes Mal war er enttäuscht worden. Dabei konnte er es kaum erwarten, sie endlich wieder in die Arme zu schließen. Bei Tageslicht. Jeder sollte wissen, dass sie zu ihm gehörte. Er wollte sie heiraten. Cal wollte seinen Stolz vergessen. Wenn Juliet wollte, dass er Wilparilla verließ, dann würde er es nur mit ihr tun. Und wenn sie ihn nicht heiraten wollte, würde er als Manager bei ihr bleiben, bis sie es sich anders überlegt hatte. Bei einem verstohlenen Seitenblick stellte Cal fest, wie müde und angespannt Juliet wirkte. Die Reise hatte ihr wohl doch nicht besonders gut getan. Hoffentlich hatten Hughs Eltern sie nicht unter Druck gesetzt. Na ja, er würde einige Tage warten, bevor er sie fragte, ob sie ihn heiraten wollte. Dann hatte sie wenigstens Gelegenheit, sich zunächst wieder einzuleben. Wie es ihm gelingen würde, solange die Finger von ihr zu lassen, war ihm allerdings ein Rätsel. Am liebsten hätte er sie schon am Flugplatz an sich gezogen. Natalie wartete mit Maggie am Flugfeld auf sie. Ungeduldig sprang sie auf und ab, als Cal das Sportflugzeug aufsetzte und ausrollen ließ. Sowie die Tür aufging, lief Natalie los und warf sich Juliet in die Arme. "Du hast mir so gefehlt", rief sie strahlend, weil sie Juliet nun endlich wieder hatte.
"Du mir auch, Liebling." Juliet drückte das Mädchen zärtlich an sich. Sie war den Tränen nahe. Und Cal beobachtete die beiden missgelaunt und hob Kit und Matthew aus dem Flugzeug. Du liebe Zeit, jetzt bin ich schon auf meine eigene Tochter eifersüchtig, dachte er bekümmert. Sogar Maggie schien sich über das Wiedersehen zu freuen. "Ohne euch war es hier viel zu ruhig", sagte sie, als die Zwillinge sich auf sie stürzten. Kurz darauf trafen sie im Haus ein. Die Kinder tobten umher, während die drei Erwachsenen etwas ratlos in der Küche standen. "Soll ich Tee machen?", fragte Maggie schließlich. Juliet atmete tief durch. Sie musste mit Cal sprechen, bevor der Mut sie verließ. "Später vielleicht, Maggie. Vielen Dank", sagte sie daher. "Ich würde gern zunächst etwas mit Cal besprechen. Wären Sie so lieb, sich um die Kinder zu kümmern?" "Gern. Dann mache ich den Tee, wenn Sie zurück sind." Juliet sah Cal an. "Es ist dir doch recht?", fragte sie unsicher. "Natürlich." Würde sie ihm jetzt mitteilen, dass sie einen Nachfolger für ihn gefunden hatte? Alles, nur das nicht! "Wollen wir zum Fluss hinuntergehen?", schlug er vor, als Juliet sich nicht rührte. Auf dem Korridor tobten die Kinder. "Dort sind wir ungestört", fügte er daher hinzu. "Gute Idee." Schweigend machten sie sich auf den Weg. Juliet überlegte verzweifelt, wie sie beginnen sollte. Sie konnte Cal doch nicht unvermittelt fragen, ob er sie heiraten wolle. Sollte sie ihm gestehen, wie sehr sie ihn liebte? Juliet hob eine Hand voll welker Blätter auf und zerkrümelte sie. Cal beobachtete Juliet und wünschte, er könnte sie einfach an sich ziehen und küssen, bis sie wieder fröhlich wäre. Würde sie ihm glauben, dass Wilparilla ihm nichts bedeutete, wenn sie nicht mehr da wäre?
Jeder hatte Angst, als Erster zu sprechen. Keiner wollte etwas Falsches sagen. Und sie wussten nicht, wie sie anfangen sollten. Schließlich machte Cal den ersten Schritt. "Wie bist du denn mit Hughs Eltern zurechtgekommen?", fragte er. "Gut." Juliet war froh, erst einmal über ein unverfängliches Thema reden zu können. "Du hattest Recht, sie haben sich tatsächlich verändert. Am Anfang war es etwas schwierig, aber die Zwillinge haben den Bann gebrochen. Sie haben sich wunderbar amüsiert, und Hughs Eltern haben sie sofort ins Herz geschlossen. Ich bin froh, dass ich mich mit ihnen getroffen habe. Eines Tages kam ich dazu, wie Hughs Mutter am Strand saß, wo sie auf die Kinder aufpasste und weinte. Sie hat mir erzählt, Hugh habe in dem Alter genauso ausgesehen wie seine Söhne." Juliet ließ die zerkrümelten Blätter zu Boden fallen. "Es klingt schrecklich, aber in dem Moment wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass sie ihren Sohn verloren hat." Sie schüttelte traurig den Kopf. "Anne, so heißt sie, hat mir viel von Hugh erzählt. Ihr Mann und sie machen sich noch immer Vorwürfe, weil alles so gekommen ist, obwohl sie ja eigentlich gar nichts dafür können." "Schade, dass ihr euch nicht schon längst ausgesprochen habt", sagte Cal. "Es war gut, auf neutralem Boden zu sein." Juliet sah ihn an. "Das war dein Vorschlag." "Haben sie versucht, dich zur Rückkehr nach England zu bewegen?" "Ja, es wären ihnen sehr recht. Aber sie überlassen die Entscheidung mir. Außerdem haben sie angeboten, die Schulbildung der Jungen zu finanzieren und sie darüber hinaus finanziell abzusichern." "Und was hast du gesagt?", fragte Cal behutsam.
Juliet hob eine weitere Hand voll welker Blätter auf. "Ich habe gesagt, ich würde es mir überlegen." Das wollte sie auch tun. Falls Cal sie nicht heiratete, würde ihr vielleicht gar nichts anderes übrig bleiben, als nach England zurückzukehren. Juliet atmete tief durch und wollte ihn gerade fragen. Doch Cal kam ihr zuvor. "Würdest du Wilparilla dann verkaufen?", fragte er. Juliet sah ihn an, dann wandte sie sich enttäuscht ab. Noch immer ging es ihm nur um Wilparilla! Warum sollte sie ihn bitten, sie zu heiraten, wenn er Wilparilla nicht mit ihr teilen wollte? Es wäre wohl wirklich besser, sich geschlagen zu geben und mit den Zwillingen nach England zu gehen. Wenigstens erinnerte sie dort nicht alles an Cal. "Wahrscheinlich", antwortete sie schließlich und ließ die Blätterkrümel durch die Finger rieseln. Cal kam einen Schritt auf sie zu. "Ich möchte dir Wilparilla abkaufen, Juliet." In diesem Moment gab sie auf. Alle ihre Hoffnungen waren zerstört. "Einverstanden." "Du verkaufst mir die Farm?" Sein Eifer verletzte sie sehr. "Ja", schrie sie und wich zurück, als hätte er sie geschlagen. "Wenn du unbedingt willst, verkaufe ich sie dir." Juliet drehte sich um und wollte gehen. Sie war den Tränen nahe. Als sie hörte, dass Cal ihr folgte, sagte sie: "Lass mich in Ruhe!" "Ich bin noch nicht fertig, Juliet." "Ich habe doch gesagt, ich verkaufe. Was willst du denn noch?" "Ich will dich." Juliet glaubte sich verhört zu haben. Fassungslos wandte sie sich um. "Wie?", flüsterte sie. "Ich liebe dich, Juliet", sagte Cal. "Ich brauche dich. Ich will Wilparilla nur, wenn ich dich auch haben kann. Ich will die
Farm nur kaufen, damit du endlich einsiehst, dass ich dich nicht ihretwegen heirate." "Du willst mich heiraten?" Juliet sah ihn verwirrt an. Sie hatte Angst, alles könnte nur ein Traum sein. "Wilparilla .bedeutet mir nichts ohne dich und die Zwillinge." Cal umfasste ihre Hände und sah Juliet flehend an. "Bitte geh nicht nach England, Juliet. Du gehörst hierher - zu mir." Juliet spürte seine warmen Hände und sah auf. In ihren Augen schimmerten Tränen. Sie versuchte zu sprechen, brachte jedoch keinen Laut über die Lippen. Und Cal verlor die Nerven. "Bitte sieh mich nicht so an, Juliet", rief er gequält. "Ich wollte dir nicht wehtun. Natürlich hätte ich dir von Anfang an erzählen müssen, dass ich Wilparilla zurückkaufen wollte, aber ich hatte Angst, dich zu verlieren. Du musst hier bleiben. Bitte!" Er sah sie inständig bittend an. "Wenn du nicht willst, brauchst du mich auch nicht zu heiraten. Ich bleibe hier so lange Manager, solange du hier bleibst. Und wenn du möchtest, dass ich gehe, dann gehe ich eben." Er war völlig verzweifelt. Juliet konnte kaum atmen. "Ich will dich nicht als Manager", sagte sie schließlich leise. "Also soll ich gehen?" "Nein." Sie schüttelte den Kopf und rang sich ein Lächeln ab. "Ich hatte dich doch um ein Gespräch gebeten, Cal. Erinnerst du dich?" Er nickte. "Ich wollte dich bitten, mich zu heiraten", gestand sie ihm unter Tränen. "Ohne dich könnte ich es hier nicht ertragen. Aber dann dachte ich, dir ginge es nur um die Farm." Die Tränen kullerten ihr über die Wangen, und Cal seufzte erleichtert auf, als er die Bedeutung ihrer Worte erfasste. "Juliet!" Er zog sie an sich und strich ihr tröstend übers Haar. "Mein Liebling! Es tut mir so Leid! Ich wusste nicht, wie ich dich sonst von meiner Liebe zu dir hätte überzeugen sollen. Ich
liebe dich so sehr. Wenn ich Wilparilla kaufe, weißt du wenigstens, dass ich dich nur aus Liebe heirate." Juliet schmiegte sich an ihn. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, endlich wieder in seinen Armen zu liegen. Nur dort fühlte sie sich sicher und geborgen. Sie war so glücklich. Warum konnte sie nicht aufhören zu weinen? Cal küsste sie aufs Haar. "Es war schrecklich ohne dich. Du hast uns so gefehlt. Natalie war verzweifelt, Maggie hat mit mir geschimpft, und selbst die Männer haben ständig gefragt, wann du zurückkommst. Aber keiner hat dich so vermisst wie ich, mein Liebling. Es war die Hölle. Ich kann ohne dich nicht mehr leben, Juliet. Ich habe mich so sehr danach gesehnt, dich wieder in meinen Armen zu halten, dich lächeln zu sehen ..." Juliet lehnte sich zurück und lächelte ihn unter Tränen an. Und endlich, endlich durfte er sie wieder küssen. "Ich liebe dich so sehr, Cal", flüsterte sie schließlich atemlos. "Ich wage es gar nicht zu glauben, dass du mich auch liebst." Sie verteilte kleine, zärtliche Küsse auf seinem Gesicht. "Als mir bewusst wurde, dass ich dich liebe, war ich schrecklich unglücklich. Zu dumm, dass ich es dir damals nicht gleich gesagt habe. Aber ich hatte Angst. Es war ja gegen unsere Abmachung." "Wir haben uns beide etwas vorgemacht. Aber damit ist nun Schluss. Dabei fällt mir ein, dass die Probezeit mittlerweile zu Ende sein müsste." "Stimmt." Juliet lächelte strahlend. "Du bist jetzt fest angestellt." Cal lachte und küsste sie auf die Nasenspitze. "Klingt gut, Boss." "Boss?" Sie lehnte sich wieder zurück und sah ihm tief in die Augen. "Ich dachte, du wolltest mir die Farm abkaufen?" "Nicht ganz", erklärte er. "Nur die Hälfte. Dann sind wir gleichberechtigte Partner." Er lächelte. "Trotzdem bleibst du mein Boss."
"Ach? Dann wirst du von jetzt an alles tun, was ich von dir verlange?" "Habe ich das nicht schon die ganze Zeit getan?" Juliet lachte über seinen gespielt gekränkten Gesichtsausdruck. "Das habe ich aber anders in Erinnerung." Sie drohte ihm frech. "Beweis mal, wie gehorsam du bist", verlangte sie. "Zuerst musst du mich küssen." Das ließ Cal sich nicht zwei Mal sagen. Er küsste sie und küsste sie, bis die Sonne unterging. Dann ging er mit seiner Braut zum Haus, um Maggie und den Kindern die frohe Botschaft mitzuteilen.
-ENDE