Es muß Ärger geben. Das weiß Philip Hasard Killigrew spätestens in dem Moment, als er mit einem Spezialauftrag von Fran...
20 downloads
433 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Es muß Ärger geben. Das weiß Philip Hasard Killigrew spätestens in dem Moment, als er mit einem Spezialauftrag von Francis Drake nach Irland fährt und die Typen mustert, auf die er sich bei diesem Unternehmen verlassen soll. Ein Mann fällt Hasard besonders auf - er heißt Isaac Burton, und von dieser Sippe hat Hasard vorläufig die Nase voll. Das wäre alles noch nicht so schlimm. Viel schlimmer ist die Tatsache, daß sie mit zwei Pockenkranken vor Falmouth festliegen und daß niemand von Bord darf. Ausgerechnet jetzt macht Burton Stunk, und Hasard muß ihm zeigen, wer der liebe Gott auf der ›Isabella‹ ist.
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde ›Seewolf‹ genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der ›Marygold‹ - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.
John Roscoe Craig
An Irlands Küsten
Seewölfe Band 19
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE, KAPERFAHRTEN UND SEESCHLACHTEN DES PHILIP HASARD KILLIGREW
1. Philip Hasard Killigrew hörte das dumpfe Wummern und das plötzlich lauter werdende Heulen nur im Unterbewußtsein. Erst das Bersten von Holz riß ihn aus dem Schlaf. Und als sich eine Stenge wie ein riesiger Speer durch die niedrige Decke der Kapitänskammer bohrte und den Kartentisch wie ein Spielzeug beiseite fegte, schwang er sich aus der Koje und lief auf bloßen Füßen in den Gang hinaus, der aufs Quarterdeck der ›Isabella von Kastilien‹ führte. Er duckte sich unwillkürlich, als wieder dieses helle Heulen in der Luft war, das einen neuen tödlichen Gruß aus heißem Eisen ankündigte. Er sah, wie auf der ›Marygold‹ der Besanmast barst und krachend aufs Achterdeck schlug. Brüllende Stimmen auf dem Hauptdeck der ›Isabella‹ erinnerten Hasard daran, daß die drei Schiffe, die in der Mill Bay an der Pier, lagen, um Proviant zu übernehmen, einem gnadenlosen Gegner hilflos ausgeliefert waren. Von dem Feind war nichts weiter zu sehen als graue Pulverdampfwolken, die über den mächtigen Steinwällen von Fort Eastern King in den langsam aufhellenden Morgenhimmel stiegen. Hasard brüllte seine ersten Befehle zu Ferris Tucker hinunter, der zum Fort hinüberstarrte und nicht zu begreifen schien, wie es dem Feind hatte gelingen können, unbemerkt so dicht unter Land zu segeln, ohne von den Soldaten auf den Forts und der Zitadelle gesehen zu werden. Hasards Stimme riß den Schiffszimmermann aus seiner Erstarrung. Er begann die Männer, die verschlafen über Deck taumelten, in die Wanten zu jagen. Der Seewolf preßte die Lippen zusammen. Er haßte es, von einem Feind überrascht zu werden. Er verfluchte die Besatzung der Forts und der Batterien auf der St.-Nicholas-Insel und auf Mount Edgcumbe. Die Kerle hatten gepennt! Nicht ein einziger
Warnschuß war abgefeuert worden. Hasard beobachtete den Flug einer Kugel, die hoch über der ›Isabella‹ hinwegtorkelte und irgendwo in der Stadt einschlug. »Verdammt noch mal, Ferris!« brüllte er. »Geht das nicht schneller?« Er zitterte vor Wut. Die Ohnmacht, einem Feind wehrlos ausgeliefert zu sein, brachte sein Blut in Wallung. Die Adern an seinen Schläfen schwollen an. Seine stahlblauen Augen verfolgten die Männer, die auf den Rahen herumturnten und die Segel loswarfen, und er sah, daß sie alles gaben, was in ihnen steckte. Es waren viel zu wenig Leute an Bord. Ben Brighton und die Hälfte der Mannschaft hatten Freiwache und waren seit dem gestrigen Abend in der Stadt. »Deck!« Hasard riß den Kopf hoch und blickte zu Stenmark hinauf, der in den Großmars geklettert war. »Drei Kriegsgaleonen!« schrie der Schwede. »Und da - zwei Karavellen in der Batten-Bucht!« Der Schwede hatte nichts weiter gesagt, aber Hasard war klar, daß der Angreifer nur eine Flagge am Mast fahren konnte - die spanische. Es war in den letzten Jahren häufiger geschehen, daß spanische Kriegsgaleonen englische Häfen angegriffen hatten, aber noch niemals hatte es ein so kleiner Verband gewagt, in den Plymouth Sound einzulaufen, dessen Küsten von Kanalschlünden flankiert waren. Endlich hörte Hasard die Detonationen der Vierundzwanzigpfünder von den Stonehouse Forts. Hoffentlich zielten die verschlafenen Kerle gut genug, um die Dons so lange aufzuhalten, bis Hasard seine Galeone aus der Mill Bay steuern konnte und gefechtsbereit war. Hasard blickte zur ›Marygold‹ hinüber. Kapitän Drake war nicht an Bord, aber der Profos Carberry scheuchte seine Männer über die Decks. Hasard sah, daß sie an den Kanonen hantierten. Carberry hatte mit dem erfahrenen Blick des alten
Seefuchses erkannt, daß es mit dem zerschossenen Besan sinnlos war, die ›Marygold‹ seeklar machen zu wollen. Alles, was er tun konnte, war, dem Feind die Zähne zu zeigen und zurückzuschießen. Auf der ›Santa Cruz‹ schrie sich Kapitän Thomas die Kehle heiser. Er trieb seine Männer an, die in die Wanten kletterten, um die Segel zu setzen. Hasard hielt den Atem an, als er die Kugel sah, die über Fort Eastern King heranfauchte. Ihre Bahn führte direkt auf die ›Santa Cruz‹ zu. Er wollte einen Warnschrei ausstoßen, doch es war bereits zu spät. Zwei Männer, die auf der Großrah standen, rissen die Arme hoch, um das Gleichgewicht zu halten. Einer von ihnen konnte seinen Körper ausbalancieren. Er lief ein paar Schritte zur Nock hinaus und hechtete mit einem gewaltigen Satz ins Wasser, als sich der Großmast langsam zu neigen begann. Der andere Mann, der sich auf der Steuerbordseite befand, hatte weniger Glück. Er konnte nicht springen, denn unter ihm befand sich das Kopfsteinpflaster des Kais. Verzweifelt versuchte er, sich am Oberliek des Großsegels festzuklammern. Er schrie, und Hasard vermeinte seine schreckgeweiteten Augen zu sehen. Der Großmast der ›Santa Cruz‹ splitterte, als er auf das Schanzkleid der Galeone krachte. Die Großmarsstenge fegte wie eine überdimensionale Peitsche zwischen die am Kai gestapelten Kisten und Tonnen. Der Schrei des Mannes auf der abknickenden Großrah verstummte abrupt. Ein armlanger Holzsplitter ragte aus seiner Brust. Seine Beine hatte der Großmast unter sich begraben. Seine Hände schlossen sich um den großen Splitter, sie färbten sich rot vom Blut, das aus der großen Wunde quoll. Ein Zittern ging durch seinen Körper. Hasard sah, wie der Kopf des Mannes zur Seite rollte. Verbitterung stieg in Hasard auf. Der Zorn schwemmte alle
Gedanken an den Mann, der eben gestorben war, hinweg. Sein Zorn galt nicht den Angreifern, die ihre Kanonen auf die Stadt und den Hafen von Plymouth abfeuerten. Er galt den schläfrigen Posten auf den Forts, die die in der Dunkelheit herangesegelten Spanier nicht rechtzeitig entdeckt hatten. Der Seewolf wußte, daß es jetzt ganz allein an ihm hing, ob die Niederlage vernichtend werden würde oder noch in einen Sieg umgewandelt werden konnte. Die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ waren manövrierunfähig. Den Mannschaften der beiden Galeonen blieb nichts weiter übrig, als ihre Kanonen auf einen unsichtbaren Feind zu richten. Ferris Tucker brauchte die Mannschaft der ›Isabella‹ nicht mehr anzufeuern. Inzwischen wußten alle, daß es auf Leben und Tod ging. Sie mußten schnell seeklar sein, sonst war es nur noch eine Frage der Zeit, wann auch sie von einer Kugel der Spanier getroffen wurden. Matt Davies, der Mann, der statt der fehlenden Hand am rechten Arm eine Ledermanschette mit einem spitzgeschliffenen Haken trug, war auf die Pier gesprungen und warf die Vorleinen los. Der Seewolf schrie ein paar Befehle zu den Männern hinunter, die die Segel trimmten. Sein Blick glitt hinüber zur ›Marygold‹. Carberry, der Profos, war an den Steuerbordwanten des Großmastes hinaufgeklettert. »Was hast du vor, Hasard?« schrie er. »Wir kommen hier nicht weg!« »Aber ich!« rief der Seewolf zurück. »Ich werde die Dons mit meinen Kugeln in Stücke sägen!« »Verdammt, Junge!« brüllte Carberry. »Und wir sitzen hier wie die Mäuse in der Falle! Kannst du nicht noch ein paar Kerle gebrauchen, die gern ein paar Dons zum Frühstück verspeisen?« »Wenn ihr keine Angst vor ein bißchen Kanonendonner habt, dann seid ihr willkommen!« rief Hasard grinsend. »Aber beeilt
euch, sonst müßt ihr hinter uns herschwimmen!« Philip Hasard Killigrew hatte keine Zeit mehr sich um Carberry und seine Männer zu kümmern. Aus den Augenwinkeln sah er nur noch, wie sich der Profos über das Schanzkleid auf die Pier schwang, ein paar Befehle brüllte und dann auf die ›Isabella‹ zurannte. Matt Davies war dabei, die Achterleinen loszuwerfen. Die beiden Focksegel und die beiden Großsegel standen bereits. Al Conroy und seine Crew zogen die Stückpforten hoch, und dann grollte Ferris Tuckers Baß über das Deck. »An die Geschütze, Männer! Ich will verdammt sein, wenn ich euch nicht alle an die Bordwand nagele, wenn die Geschütze nicht innerhalb der nächsten Wende feuerbereit sind!« Die Galeone neigte sich nach Backbord, als der ablandige Wind die Segel füllte. Carberry brüllte. Er hing an einem Bergholz an Steuerbord, und nur die zupackenden Hände von Al Conroy und Matt Davies bewahrten ihn davor, ein Bad zu nehmen. Die anderen Männer der ›Marygold‹ schafften es ohne Zwischenfall, die ›Isabella‹ zu entern. Der Seewolf steuerte seine Galeone an den beiden ha varierten Schiffen vorbei auf die Öffnung der Mill Bay zu, die hinaus in den Plymouth Sound führte. Im Osten über der Zitadelle und dem Cattewatter ging blutrot die Sonne auf. In der Stadt zuckten Flammen hoch. Irgendwo in der Mill Bay Road brannte es. Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dachte Hasard, dann ist es die »Bloody Mary« des dicken Plymson, die dort in Flammen aufgeht. Die Geschütze der Küstenforts donnerten jetzt unaufhörlich, doch sie konnten die Angreifer nicht entscheidend zurückschlagen. Immer noch heulten Kugeln über das Fort Eastern King hinweg und landeten berstend zwischen den dicht bebauten Straßen der Hafenstadt.
Der Seewolf biß die Zähne zusammen. Er war entschlossen, die Angreifer das Fürchten zu lehren. Sie sollten spüren, was es hieß, in die Höhle des Löwen zu segeln. Der Rachen würde zuschnappen, und die scharfen Zähne der ›Isabella‹ würden den Feind zermalmen.
Im Hafenviertel von Plymouth war die Hölle los. Schreiende Männer schleppten Wassereimer die Straße entlang, um die Flammen in einem Wohnhaus zu ersticken. Frauen kreischten und brachten ihre Kinder in Sicherheit. Eine Kugel der Spanier hatte das Dach eines Hauses zum Einsturz gebracht. Zerfetzte Balken lagen mitten auf der Straße. Der eiserne Wetterhahn eines Schornsteins hatte das Fensterkreuz der »Bloody Mary« glatt durchschlagen und war mit den gebogenen Schwanzfedern im Holz der Theke steckengeblieben. Das war vor einigen Minuten gewesen, und seitdem lag der dicke Nathaniel Plymson hinter seiner Theke auf dem schmutzigen Bretterboden und zitterte, daß seine rosigen Hamsterbacken und sein dreifaches Hängekinn in einem atemberaubenden Tempo wackelten. Seine flinken hellen Augen, die sonst die kleinste Kleinigkeit erfaßten, hatte er vorsichtshalber geschlossen. Wenn er den Weltuntergang schon miterleben mußte, so wollte er das grauenhafte Geschehen wenigstens nicht mit ansehen. Nach den ersten berstenden Einschlägen der spanischen Eisenkugeln hatte sich die »Bloody Mary« in Sekundenschnelle geleert. Nur zwei Gäste waren an ihrem Tisch sitzen geblieben, als hätten sie von dem Höllenspektakel nichts bemerkt. »Einse lausige Kneipe in einer lausigen Gegend ist das hier«, sagte der eine von ihnen mit schwerer Zunge. »Erst der
Höllenlärm da draußen auf der Straße, und jetzt ist auch noch der fette Plymson verschwunden.« Er rülpste laut, hob den Zinnkrug hoch und schleuderte ihn hinter die Theke. »He, Plymson, du fette Bisamratte!« brüllte er. »Hast du nicht gehört? Unser Wein ist alle!« Er drehte sich zu seinem Kumpan um, der mit glasigen Augen auf die mit Weinlachen übersäte Tischplatte starrte. »Du trinkst doch noch einen mit mir, Blacky, oder?« Der bärenstarke schwarzhaarige Kerl öffnete den Mund, um zu antworten. Er brachte keinen Ton hervor. »Du siehst aus wie ein Hering, den man an Land geworfen hat«, sagte Ben Brighton kichernd. »Und du bist auch einer, wenn du nicht einmal ein bißchen gepanschten Wein vertragen kannst. Ich hab gedacht, in könnte mit dir einen schönen Zug durch die Gemeinde …« Ben stockte. Sein Kopf hob sich schwerfällig. Er kniff die Augen ein paarmal zusammen, um den Nebel zu verscheuchen, der sich im Raum ausgebreitet hatte. Er hörte die helle Stimme eines Mädchens. Verdammt, wo kam bloß der Nebel her? Ben wischte sich über die Augen. Und dann sah er verschwommen, wie sich die mollige Rose an einen jungen Burschen klammerte. »Du kannst mich jetzt nicht allein lassen, Dan!« rief sie. »Ich habe Angst. Die nächste Kugel kann unser Haus treffen!« »Verkriech dich bei Plymson hinter der Theke«, sagte Donegal Daniel O’Flynn wütend. Fast fünf Minuten waren bereits vergangen, seit die ersten Kugeln der Spanier in die Stadt geflogen waren. Er war sofort aus dem warmen Bett der weichen und liebebedürftigen Rose gesprungen, aber das verrückte Weib hatte sich an ihn gehängt und wollte ihn nicht gehen lassen. Dan O’Flynn hatte sofort erfaßt, was der Angriff auf Plymouth zu bedeuten hatte. Er wußte, daß sein Platz jetzt auf der ›Isabella‹ war. Er riß sich endgültig von Rose los, deren
Stimme in ein keifendes Gezeter überging. »Ben! Blacky!« schrie Dan. »Wir müssen zur Mill Bay! Hasard wartet bestimmt schon auf uns!« Blacky saß plötzlich stocksteif auf seinem Stuhl. »Bi - bist du verrückt?« lallte er. »Wir haben Freiwache, und der Klabautermann soll mich mit seiner Gro - großmutter verkuppeln, wenn ich jetzt zu - zurück an Bord gehe!« Ben Brighton grinste Dan an. »Besorg uns noch eine Kanne Wein, Junge«, sagte er mit schwerer Zunge. »Und dann trink einen mit mir. Dieser besoffene Hering hier neben mir kann nichts mehr vertragen.« Dan O’Flynn sah, daß die beiden im Augenblick nicht ansprechbar waren. Er mußte zu härteren Mitteln greifen, um ihnen klarzumachen, wie ernst die Situation war. Er sah den verbeulten Ledereimer neben der Theke stehen, nahm ihn und tauchte ihn in die Zinkwanne, in der Plymson seine Weinkannen ausspülte. Ben Brighton und Blacky ahnten nicht, was ihnen blühte. Sie grinsten das Bürschchen an, das da vor ihnen stand und sein grimmigstes Gesicht aufgesetzt hatte. Dann platschte das Wasser in ihre Gesichter. Fast zehn Sekunden sagte keiner von ihnen ein Wort. Sie hatten die Münder offenstehen und schnappten nach Luft. Blacky fing sich als erster, obwohl es ausgesehen hatte, als sei er schon hinüber. Aber seine fast schon krankhafte Abneigung gegen Wasser ließ ihn auf einen Schlag wieder nüchtern werden. Ein Brüllen drang aus seiner Kehle. Mit einem Ruck erhob er sich und stieß den Holztisch um. »Du kleiner Dreckskerl!« schrie er wutentbrannt. »Das wirst du mir bü …« Dan hatte den Ledereimer bereits zum zweitenmal mit der rötlichen Jauche gefüllt, die nach abgestandenem Wein stank.
Blacky hob die Hände und wollte dem Wasserstrahl ausweichen, aber seine Reaktion war viel zu langsam. Die volle Ladung klatschte in sein Gesicht. Er prustete wie ein Walroß. Seine mächtigen Pranken sclossen nach vorn, doch Dan hatte sich bereits außer Reichweite gebracht. Mit ein paar Schritten war das Bürschchen bei Ben Brighton, der immer noch wie ein begossener Hund auf seinem Stuhl hockte, und rüttelte ihn an der Schulter. »Verdammt, Be n!« rief er. »Die Spanier greifen Plymouth an! Begreifst du denn nicht? Sie werden unsere schöne ›Isabella‹ in Klump schießen!« Dan spürte eine Faust in seinem Nacken. Er wollte sich aus dem Griff winden, es gelang ihm nicht mehr. Was Blacky gepackt hatte, hielt er auch fest. Dan sah die andere Faust Blackys auf sich zusausen und schloß die Augen. Er hätte vor Wut zerplatzen können. Warum mußten sich diese verfluchten Kerle immer besinnungslos besaufen, wenn man sie mal an Land ließ ?« Er wartete auf den Schlag, doch der kam nicht. Erstaunt öffnete er die Augen. Er sah die mächtige Faust Blackys dicht vor seiner Nase. Blacky hatte die Stirn in Falten gezogen. Er schien angestrengt nachzudenken. »Was hast du gesagt?« fragte er schließlich. »Die Dons greifen unsere ›Isabella‹ an!« rief Dan hastig. »Der Seewolf braucht uns! Er kann doch nicht allein gegen die Tintenfischfresser kämpfen!« Der harte Griff in Dans Nacken löste sich, und das Bürschchen fiel auf den harten Bretterboden. Blacky kümmerte sich nicht me hr um den fluchenden Jungen. Er packte Ben Brighton, um dessen Lippen bereits wieder ein seliges Grinsen spielte, am Kragen und riß ihn vom Stuhl hoch. Als Ben sich wehren wollte, mußte er eine saftige Ohrfeige von Blacky einstecken, die ihn wütend und ein bißchen nüchterner werden ließ.
Blacky zerrte ihn aus der »Bloody Mary«. Er achtete nicht auf das Gezeter von Nathaniel Plymson, dessen Glatzkopf hinter der Theke aufgetaucht war und der lauthals nach der ausstehenden Bezahlung schrie. Fluchend rappelte sich Dan O’Flynn auf und folgte den beiden. Alle Einwohner von Plymouth schienen sich zu dieser frühen Morgenstunde auf den Straßen um die Mill Bay aufzuhalten. Sie hatten das Feuer unter Kontrolle gebracht. Zwei blutende Männer wurden am Straßenrand von Frauen behandelt. Das Donnern der Kanonen hatte sich verstärkt. Die Menschen blickten ängstlich zum Sound hinunter, um die Kugeln rechtzeitig erkennen zu können, die von den Spaniern in die Stadt geschossen wurden. Ben Brighton war die feuchtkalte Morgenluft wie ein nasser Lappen ins Gesicht geschlagen. In seinem Kopf begann es sich zu drehen, doch er begriff auf einmal, was der Höllenlärm zu bedeuten hatte. Sein nächster Gedanke galt dem Schiff, auf dem jetzt sein Platz war. Fast verwundert betrachtete er Blacky, der ihn immer noch stützte. Unwillig schüttelte er die Arme des bärenstarken Mannes ab. »Los zur ›Isabella‹! Wir müssen an Bord!« sagte er keuchend. »Meinst du, ich bin auf dem Wege nach London, um mich bei Lissy über den Krach zu beschweren?« fragte Blacky knurrend. Ben gab keine Antwort. Er rannte los. Er erkannte neben sich Dan O’Flynn. Das erinnerte ihn an die kalte Dusche, die er in der »Bloody Mary« hatte hinnehmen müssen, und er sagte sich, daß es bald mal an der Zeit war, dem Bürschchen beizubringen, wie sich ein junger Schnösel einem Bootsmann gegenüber zu benehmen hatte. Sie wollten in die Hoe Road einbiegen, als Dan das Heulen der Kugel vernahm. Er riß Ben Brighton zurück und schrie
Blacky etwas zu. Im selben Moment krachte es auch schon. Eine glühendheiße Kugel fraß sich durch die Mauer eines Hauses und brachte die ganze Wand zum Einsturz. Steine und Holzsplitter flogen durch die Luft. Männer schrien sich die Kehlen heiser. Dichter Qualm quoll aus den Trümmern, und Sekunden später schlugen die ersten Flammen aus dem Haus. Blacky hatte den Einschlag der Kugel nicht bemerkt. Er war weitergelaufen und stand jetzt an der Ecke der Hoe Road. Ben Brighton wischte sich das Blut aus den Augen, das aus einer Schramme auf der Stirn sickerte. Er fluchte unterdrückt. Er drehte sich nach Dan um, der sich gerade erhob und den Steinstaub aus den Haaren schüttelte. Sie liefen weiter. Als sie Blacky mit hängenden Schultern an der Ecke der Hoe Road stehen sahen, wußten sie, daß sie zu spät gekommen waren. Die ›Isabella‹ stand unter vollen Segeln und lief auf die schmale Einfahrt der Mill Bay zu. Ben Brighton preßte die Zähne aufeinander. Er hatte Carberry erkannt, den Profos der ›Marygold‹. Der Mann nahm jetzt seinen Posten ein! Dan O’Flynn starrte mit brennenden Augen der Galeone nach. Die Enttäuschung stand ihm im Gesicht geschrieben. Er verfluchte Plymson mit seiner »Bloody Mary« und mit seiner molligen Kellnerin Rose, die es so gut verstand, einen Jungen wie Dan in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen. Dan hätte heulen können vor Wut. Er holte mit dem rechten Fuß aus und trat Blacky mit voller Wucht in den Hintern. Der große Mann wirbelte herum. »He!« schrie er. »Bist du übergeschnappt?« »Warum besäufst du dich, du krummer Hund?« rief Dan, und die Tränen stiegen ihm in die Augen. »Wenn du deinen Verstand beieinander gehabt hättest, wären wir jetzt auf der ›Isabella‹!« »Das mußt du gerade sagen, du kleiner Hurenbock!« gab
Blacky grollend zurück. »Wenn du nicht dein ungewaschenes Maul hältst, hau ich dich zusammen, daß du nie in deinem Leben wieder an ein Mädchen denken wirst!« »Versuch’s doch, Walroß!« schrie Dan. Ben Brighton schob sich zwischen die beiden Kampfhähne. »Hört auf!« sagte er scharf. »Wir laufen zum Hoe Pier hinüber. Vielleicht erwischen wir dort ein Boot. Irgendwie müssen wir es schaffen, an Bord der ›Isabella‹ zu gelangen.« Der Streit war vergessen. Sie stürmten los. Immer wieder schwenkte ihr Blick hinüber zur Mill Bay, deren Wasser von der Morgensonne blutrot gefärbt war. Sie sahen, wie ihre Kameraden wie die Teufel arbeiteten, um die ›Isabella‹ gefechtsklar zu machen. Ben Brighton stockte der Atem, als er zur Cattewater-Bucht hinüberblickte. Eine schnittige Karavelle schoß auf die Einfahrt der Mill Bay zu. Die Mündungen ihrer Kanonen ragten wie scharfe Zähne aus ihrer Bordwand. Die drei Lateinersegel blähten sich im Wind. Nur wenige Augenblicke noch, dann befanden sich das schnelle spanische Schiff und die ›Isabella‹ auf gleicher Höhe, und dann kam es darauf an, welcher Schiffsführer am schnellsten reagierte. Ben Brighton konnte nur hoffen, daß es der Seewolf war.
2. Hasards Befehle gellten über das Deck. Er war auf das Auftauchen der Karavelle vorbereitet gewesen und hatte bis zum letzten Augenblick gewartet, ob der Spanier beidrehte. Er wußte, daß derjenige als Sieger aus dem Gefecht hervorging, der die Nerven behielt. Hasard begann zu grinsen, als er sah, daß der spanische Kapitän seinen Fehler wieder wettmachen wollte, indem er den
Bug der Karavelle herumschwenkte. »Feuer!« brüllte Hasard. Ferris Tucker und AI Conroy hatten auf dieses Wort gewartet. Ihre Lunten setzten die kurzen Zündschnüre der Geschütze in Brand, und dann entluden sich donnernd die Steuerbordkanonen. Die Decksplanken der ›Isabella‹ eraitterten, als die schweren Lafetten zurückrumpelten und von den armdicken Brooktauen aufgefangen wurden. Pulverdampf hüllte die Männer ein. Stenmark, der immer noch oben im Mars hockte, schrie vor Begeisterung, und als sich der Qualm ein wenig vorzogen hatte, sah auch Hasard, daß die kleine Karavelle von der Breitseite der ›Isabella‹ förmlich zerhackt worden war. Das, was dort noch auf dem Wasser trieb, war nichts weiter als ein riesiger Sarg. Die beiden großen Masten waren wie Zahnstocher umgeknickt, nur noch der hintere Besan stand. Die Spanier, die die Kanonen an Steuerbord der Karavelle bedient hatten, waren tot. Hasard sah ihre zertrümmerten Leichen an Deck liegen, doch er riß sich von diesem Anblick los. Sie hatten gewußt, was sie erwartete, als sie in den Plymouth Sound eingelaufen waren. Von der Karavelle drohte keine Gefahr mehr. Die überlebenden Spanier würden sich an Land in Sicherheit bringen, aber es war eine Frage, ob die Gefangenschaft, in die sie geraten würden, besser war als der Tod. Hasard versuchte sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Im Pulverdampf der Küstenbatterien der beiden Stonehouse Forts sah er, wie zwei Kriegsgaleonen versuchten, in die Hamoaze einzudringen. Wahrscheinlich wollten sie die neben Fort Western King liegenden Arsenale und Docks mit ihren Kugeln beharken. Der Seewolf fluchte unterdrückt. Die Burschen in den Forts feuerten zwar unablässig, aber die Trefferquote war äußerst gering, obwohl die Entfernung zu den Schiffen knapp
vierhundert Yards betrug. Die Batterien auf Mount Edgcumbe, die Devil’s Point genau gegenüberlagen, waren noch nicht in Aktion getreten. Hasard hätte es nicht gewundert, wenn die Schlafmützen noch nichts von dem Überfall der Spanier bemerkt hatten. Die dritte Kriegsgaleone beschoß die Zitadelle und hatte dort schon beträchtliche Schäden angerichtet, denn nur selten wurde von dort zurückgefeuert. Neben der Galeone, die mindestens sechsunddreißig Kanonen führte, segelte die zweite Karavelle, die ihre Kanonen in die Einfahrt des Cattewater gerichtet hatte und auf die Handelsschiffe schoß, die dort vor Anker lagen. Hasard brauchte nicht lange zu überlegen. Er gab Befehl, auf Cattewater zuzuhalten. Die Steuerbordgeschütze waren bereits wieder feuerbereit. Einen Moment fragte sich Hasard, wie die ›Isabella‹ wohl aussehen würde, wenn sie von einer Breitseite des mächtigen spanischen Kriegsschiffes getroffen wurde. Er schüttelte den Kopf. Er durfte nicht daran denken. Er mußte die mangelnde Feuerkraft eben durch geschicktes Manövrieren ausgleichen. Die ›Isabella‹ war ein wendiges, gut zu segelndes Schiff. Das hatte sich so richtig erst herausgestellt, als sie entladen worden war. Die dreißig Tonnen Silber, die Capitan Romero Valdez im Bauch der ›Isabella‹ aus der Neuen Welt nach Spanien hatte bringen wollen, hatten das Schiff schwerfällig wie eine Seekuh gemacht. Hasards Blick fiel hinüber zur Küste. Unter den Leuten, die an der Hoe Pier standen, glaubte er für einen Augenblick Ben Brighton und Blacky zu erkennen, aber er hatte keine Zeit, genauer hinzuschauen. »Verdammt, holt die Schoten dicht!« schrie er, als die Fock zu flattern begann. Bei Ben Brighton wäre das nicht passiert, dachte Hasard grimmig, doch dann nahm die Kriegsgaleone, die den neuen Feind erkannt hatte, seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch.
Der Kapitän der Kriegsgaleone schien die ›Isabella‹ nicht für voll zu nehmen, denn er feuerte weiter auf die Zitadelle. Die kleine Karavelle allerdings stellte die Bombardierung der Handelsschiffe im Cattewater ein und wandte sich dem Gegner zu. Fast tausend Yards lagen zwischen den beiden Schiffen - eine zu große Entfernung, um sichere Treffer anbringen zu können. Dennoch begannen die Geschütze der Karavelle zu feuern. Die erste Breitseite lag gar nicht einmal so schlecht. Zwei Kugeln zischten kurz vor dem Rumpf der ›Isabella‹ ins Wasser. Hasard sah Ferris Tuckers fragenden Blick. Er reagierte nicht darauf. Wenn er Erfolg haben wollte, mußte er das Risiko eingehen, näher an den Feind heranzusegeln. Die Karavelle hatte noch die feuerspeiende Kriegsgaleone als Rückendeckung. Hasard war auf sich allein gestellt. Die Batterien auf der Zitadelle hatten inzwischen ganz zu feuern aufgehört. Um nicht von der Backbordbreitseite der Kriegsgaleone bedroht zu werden, hielt Hasard auf das Heck der Galeone zu. Dadurch gab er sich gegenüber der Karavelle eine Blöße, aber das gehörte zu dem Risiko, das er einging. Er merkte, wie seine Männer unruhig wurden, obwohl keiner ein Wort sprach. Er blickte über die Schulter zurück zu den beiden anderen spanischen Kriegsschiffen. Sie hatten es nicht geschafft, in den Hamoaze einzudringen. Die Kanonen von Fort Western King hatten sie zum Rückzug gezwungen. Hasard wollte sich gerade wieder umdrehen, als eine gewaltige Explosion eine der beiden Kriegsgaleonen vor Devil’s Point förmlich in Stücke riß. Eine Stichflamme raste in den Himmel. Spieren und Planken flogen durch die Luft. Die Masten zersplitterten, und dann sackte das Heck der Galeone innerhalb von Sekunden ab. Die Explosion hatte auch die Spanier auf der Kriegsgaleone vor der Zitadelle in Atem gehalten. Sie ha tten das Feuer
eingestellt. Hasard wußte, daß der Augenblick der Entscheidung nahte, denn jetzt würde sich die Galeone der ›Isabella‹ zuwenden, um sie mit ihren Feuerschlünden auf den Grund des Plymouth Sound zu schicken. Alles mußte jetzt blitzschnell gehen. Die ›Isabella‹ mußte ihre erste Breitseite abgefeuert haben, bevor die spanische Kriegsgaleone ihr Segelmanöver beendet hatte. An Deck der Karavelle stiegen wieder graue Rauchwolken auf. Der Kanonendonner wehte herüber. Die ›Isabella‹ erzitterte. Eine Kugel war an Steuerbord in den Bug geschlagen. Ein Zischen ließ Hasards Kopf hochrucken. Er sah das Loch im Großbramsegel. Hasard richtete den Blick stur auf die große Galeone. Er konnte und durfte sich jetzt nicht um die Karavelle kümmern. Die sechsunddreißig Geschütze der Kriegsgaleone waren der Feind, den sie ausschalten mußten, wenn sie überleben wollten. »Hart Backbord!« brüllte er, als die Kriegsgaleone langsam herumschwang. Die ›Isabella‹ beendete ihr Manöver schneller. »Feuer!« Ein einstimmiger Schrei stieg aus den Kehlen der Männer. Die Spannung machte sich Luft. Das Warten war zu Ende. Jetzt galt es zu kämpfen und zu siegen. Die Kanonen brüllten auf und jagten ihre tödlichen Ladungen dem Feind entgegen. Ferris Tucker und Al Conroy trieben die Männer an, die hinter den Kanonen standen und durch den beißenden Qualm nicht erkennen konnten, ob ihre Kugeln ins Ziel gestoßen waren. Der Seewolf ließ kein Auge von der Kriegsgaleone. Er hatte die aufsteigenden Pulverwolken am Heck der Galeone gesehen und wartete jeden Moment auf den Einschlag der Kugeln. Doch nichts geschah. Nicht einmal das Eintauchen der Kugeln ins Wasser hatte er gesehen. Die Kriegsgaleone schien ihr Manöver unterbrochen zu haben. Hasard kniff die Augen zusammen, um mehr erkennen
zu können. Und dann sah er, daß Conroy und Tucker ganze Arbeit geleistet hatten. Die Kugeln der ›Isabella‹ waren ins Zwischendeck eingeschlagen und hatten unter den spanischen Geschützmannschaften gewütet. Die Zähne an der Backbordseite des Kriegsschiffes waren stumpf geworden. Die Männer auf der ›Isabella‹ arbeiteten wie die Verrückten. Hasard schrie ein paar Befehle zu Carberry hinüber, und wenig später schwenkte die ›Isabella‹ von der Kriegsgaleone fort. Die Männer, die gedacht hatten, sie würden jetzt der Kriegsgaleone den Rest geben, blickten erstaunt zum Quarterdeck hoch. Doch als sie Hasards unbewegliches Gesicht sahen, wußten sie, daß der Seewolf wieder einmal seinem Namen gerecht werden wollte. Er setzte alles auf eine Karte. Er wollte die lästige Wespe, die unablässig ihre Kanonen auf die ›Isabella‹ abfeuerte, ausschalten. Dabei mußte er der Kriegsgaleone seine Backbordseite zeigen, aber Hasard hoffte, daß bei den Dons Zustand herrschte und sie nicht in der Lage waren, ihre Backbordkanonen in Aktion zu bringen. Die Karavelle reagierte zu spät. Wahrscheinlich hatte der Capitan nicht damit gerechnet, daß sich der Engländer einfach vom stärkeren Feind abwenden und auf den schwächeren stürzen würde. Die Karavelle wollte abdrehen, doch da schlug die ›Isabella‹ bereits zu. Die Kartuschen schleuderten Stangenkugeln und Langgeschosse zum Spanier hinüber, die die Spieren und die Takelage der Karavelle einfach hinwegfegten. Es sah aus, als sei jemand mit einer riesigen Sense über das Schiff gefahren. Nur Sekunden, nachdem die Breitseite abgefeuert war, fuhr die ›Isabella‹ eine enge Halse. In dieser Zeit schafften es Conroy und Tucker, die Geschütze erneut zu laden. Die Männer schrien vor Begeisterung. Jetzt hatten sie den übermächtig erscheinenden Gegner in der Klemme. Und der Seewolf hatte nicht die Absicht, den angeschlagenen Feind zu schonen.
»Die erste Breitseite in die Spieren, Ferris!« schrie er. »Aye, aye!« brüllte der Schiffszimmermann zurück, der sich mit Al Conroy, dem Geschützführer von der ›Isabella‹, so gut verstand, als seien sie ein jahrelang eingespieltes Gespann. Die ›Isabella‹ schob sich langsam an die Kriegsgaleone heran, die jetzt ihr Heil in der Flucht suchte und zwischen der St.-Nicholas-Insel und Bottlenose Point das freie Meer erreichen wollte. Hasard beobachtete, wie an Bord des spanischen Schiffes hektisch gearbeitet wurde. Der Spanier war vom Jäger zum Gejagten geworden. Er war angeschlagen, und das ließ ihn gefährlich werden. Die Heckkanonen der Kriegsgaleone wurden abgefeuert, und im ersten Moment glaubte Hasard, die Schüsse gelten der ›Isabella‹. Doch dann sah er das hochaufspritzende Wasser. Die Spanier hatten auf zwei Boote gezielt, die auf die Galeone zugepullt wurden. Hasard erkannte John Thomas und Ben Brighton. Der Seewolf hätte gern noch ein paar Minuten gewartet, bis er auch gleicher Höhe mit der Kriegsgaleone gewesen wäre. Doch er mußte schon jetzt handeln. Die Gefahr, daß die nächsten Kugeln eines der beiden Boote treffen könnten, war zu groß. Er gab Ferris Tucker ein Zeichen, und dann sprachen die Geschütze der ›Isabella‹ ein weiteres Mal. Wirbelnde Eisenkugeln fuhren aus den Feuerschlünden und rissen die Takelage des Spaniers in Fetzen. Hasard sah, wie Splitter durch die Luft flogen und Spieren und Stengen auf das Deck des Kriegsschiffes krachten. Der Großmast knickte in der Mitte ab und senkte sich nach Steuerbord. Noch wurde er von den Wanten gehalten, aber das nutzte dem spanischen Capitan nichts mehr. Sein Schiff war manövrierunfähig geworden. Er war dem Feind hilflos ausgeliefert. Wenn Hasard geglaubt hatte, dieser Treffer würde die Spanier
zur Aufgabe zwingen, so hatte er sich getäuscht. Fast unmittelbar auf die fürchterliche Breitseite der ›Isabella‹ antworteten ein paar Kanonen, die die Spanier wieder klar zum Schuß hatten. Der Jubelschrei der Engländer erstickte in ihren Kehlen. Entsetzt starrten sie auf die Stelle im Schanzkleid, wo die Kugel der Spanier eingeschlagen war. Zwei Männer lagen bewegungslos in ihrem Blut, das den ausgestreuten Sand dunkel färbte. Einer von ihnen hatte keinen Kopf mehr, und Hasard fragte sich, ob es einen von seinen Männern erwischt hatte. Er versuchte seine Männer zu zählen, doch dann gab er es auf. Er mußte etwas tun, um das Entsetzen der Leute in andere Bahnen zu lenken. »Männer!« schrie er. »Gebt es den Tintenfischfressern!« Ein einziger Wutschrei stieg in den heller werdenden Morgenhimmel. Ferris Tucker gab knappe Befehle, die beiden Toten wegzuschaffen, und dann jagte er wieder eine Breitseite zur Kriegsgaleone hinüber. Diesmal hatte er tiefer gehalten, und die Eisenkugeln wüteten auf dem Deck des spanischen Schiffes. Jetzt erst sah Hasard Batuti, der die ganze Zeit an der ersten Kanone gestanden hatte, mit seinen Brandpfeilen auftauchen. Mit einem Langbogen schickte er die ersten auf die Reise. Er setzte das Focksegel in Brand. Pfeil auf Pfeil zischte jetzt zu den Spaniern hinüber, die alle Mühe hatten, die Flammen zu löschen. Die ›Isabella‹ war nur noch hundert Yards von der Kriegsgaleone entfernt. Hasard sah, wie sich die beiden Boote dem spanischen Schiff näherten. Sie würden noch vor der ›Isabella‹ bei der Galeone sein. »Fertigmachen zum Entern!« rief er. »Wir werden den Dons zeigen, was es heißt, sich mit einem Engländer anzulegen!« Er warf noch einen Blick zur letzten kampfbereiten Kriegsgaleone der Spanier hinüber, aber sie schien nicht darauf
erpicht zu sein, in den Kampf einzugreifen. Es ärgerte Hasard, daß er ein Schiff entkommen lassen mußte, aber vielleicht war es ganz gut so, wenn es jemanden gab, der berichtete, was geschah, wenn spanische Schiffe es wagten, einen englischen Hafen anzugreifen. Er packte sein Entermesser fester. In der linken Hand hielt er die sächsische Pistole mit den zwei Ladungen, die er einem bretonischen Piraten abgenommen hatte. Er blickte hinunter zu den Männern, die gleich an seiner Seite kämpfen würden. Da waren Ferris Tucker und Smoky, dessen Gesicht vom Pulverdampf geschwärzt war. Batuti ließ seine weißen Zähne blitzen und schwang ein Krummschwert über dem Kopf. Matt Davies mit seinem Eisenhaken war da, und von der Crew der ›Marygold‹ sah er Carberry, den Profos, Patrick Evarts, den Segelmacher, und Mac Pellew, den Koch, der jetzt noch grimmiger dreinschaute als sonst. Hasard vermißte Dan O’Flynn mit seiner gekürzten Pike. Zu gern hätte er ihn und Ben Brighton an seiner Seite gesehen. Aber vielleicht waren die beiden schon vor ihm an Bord des Spaniers.
3. Beim Hoe Pier waren Ben Brighton, Blacky und Dan O’Flynn auf Kapitän Thomas und die Manner der ›Santa Cruz‹ gestoßen. Die Männer hatten schon in zwei Booten gesessen und stießen gerade von der Pier ab, als die drei von der ›Isabella‹ auftauchten. Sie hatten nicht lange gezögert, waren in das zweite Boot gesprungen und pullten jetzt mit den anderen auf die Kriegsgaleone zu, die nach der ersten Breitseite der ›Isabella‹ von der Zitadelle abgedreht hatte und nun auf die St.-Nicholas-Insel zulief. Am Heck der Galeone krachten zwei Kanonen. Ben Brighton
zuckte nicht einmal mit der Wimper, als eine Kugel gefährlich nahe neben dem Boot ins Wasser klatschte und eine große Fontäne hochstieß. Er ärgerte sich immer noch, daß er nicht auf der ›Isabella‹ war. Er hatte sein Schiff genau beobachtet, und ein paarmal hatte er grimmig festgestellt, daß die Segel nicht so getrimmt waren, wie es hätte sein können. Wieder brüllten die Kanonen auf. Ben Brighton grinste erleichtert, als er sah, wie die Stangenkugeln der ›Isabella‹ die Takelage des Spaniers zerfetzten. Verdammt, der Seewolf war ein Teufelskerl. So leicht machte ihm dieses Kunststück keiner nach. Die Kriegsgaleone war jetzt bewegungsunfähig. Der Capitan und seine Offiziere schrien sich die Kehlen heiser, aber das nutzte jetzt auch nichts mehr. Das Spiel war gelaufen. Sie konnten sich ergeben oder kämpfend sterben. Ben fluchte, als Musketen über das Schanzkleid der Kriegsgaleone geschoben wurden und die ersten Schüsse aufpeitschten. Die verdammten Dons dachten nicht daran, sich zu ergeben. Wahrscheinlich hatte man ihnen Greuelmärchen über die englische Gefangenschaft erzählt, so daß sie den Tod vorzogen. Vielleicht taten sie sogar recht daran, denn seit die Spanier vor Jahren einmal über fünfzig Engländer auf der Plaza von Valladolid verbrannt hatten, nahmen die Greueltaten auf beiden Seiten kein Ende mehr. Wenn man sich nur entschließen könnte, Gefangene anständig zu behandeln, dachte Ben Brighton. Er zuckte zusammen, als der Mann neben ihm zusammenbrach. Eine Kugel hatte ihn unter dem linken Schlüsselbein getroffen. Der Mann bewegte sich nicht mehr. Ben hatte keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Die Boote schossen jetzt schnell auf die Kriegsgaleone zu. Das Musketenfeuer verstärkte sich, doch dann krachte die nächste
Breitseite der ›Isabella‹ in den Rumpf des havarierten Schiffes. An Deck der Kriegsgaleone brach die Hölle los. Viele Männer sprangen über Bord. Das Feuer, das die Fock aufgezehrt hatte, breitete sich jetzt schnell über die Back aus. Dumpf schlug das Boot gegen den Rumpf der spanischen Galeone. Taue mit Enterhaken flogen hoch, und katzengewandt kletterten die Engländer daran hoch. Dan O’Flynn war einer der ersten. Seine Enterpike bohrte sich einem Spanier in die Brust, der gerade seine Muskete abdrücken wollte. Schreiend stürzte der Mann zurück und preßte beide Hände auf die Wunde, aus der Blut quoll. Blacky hieb einem anderen Spanier mit dem breiten Entermesser, das er einem seiner Kameraden einfach aus der Hand gerissen hatte, den Helm vom Kopf. Doch bevor er zum zweitenmal zustechen konnte, war der Mann über Bord gesprungen. Innerhalb weniger Minuten hatten die Engländer sich einen kleinen Brückenkopf auf dem Achterdeck geschaffen. Spanische Soldaten drangen auf sie ein, aber die wirbelnden Messer und Piken schlugen sie zurück. Blacky und Dan O’Flynn kämpften wie besessen. In ihrem Eifer sahen sie die ›Isabella‹ erst, als sie Rahnock an Rahnock neben der Kriegs galeone lag. Ein Schrei aus vielen Kehlen brandete über das spanische Schiff, Enterhaken flogen von der ›Isabella‹ herüber, und an der Spitze der Männer schwang sich der Seewolf an einer Brasse herüber auf die spanische Galeone. Er sah furchterregend aus mit dem breiten, hocherhobenen Entermesser und dem Dolch, den er zwischen den Zähnen hielt. Fast ein Dutzend Spanier erwarteten ihn mit blitzenden Degen. Wie ein Berserker war der Seewolf zwischen ihnen. Er riß seine Pistole hervor und feuerte sie zweimal ab. Die ersten beiden Spanier sanken auf die Decksplanken. Ihre Uniformen färbten sich rot von ihrem Blut.
Hasard hieb sich förmlich eine Gasse in die Spanier. Er hatte Ben Brighton und Dan O’Flynn auf dem Achterdeck gesehen, und er wollte sich zu ihnen durchschlagen. Die Gasse hinter Hasard wurde blitzschnell von den folgenden Engländern ausgefüllt. Matt Davies wütete mit seinem Eisenhaken, Batuti wirbelte sein Entermesser über dem Kopf und brüllte jedesmal wild, wenn er es auf einen Spanier niedersausen ließ. Smoky kämpfte Seite an Seite mit Carberry und dem Segelmacher Patrick Evarts, während Ferris Tucker mit den anderen Leuten eine zweite Bresche in die Leiber der Spanier schlug, die sich mit dem Mut der Verzweiflung wehrten. Ein ohrenbetäubendes Krachen übertönte den Kampflärm auf der spanischen Kriegsgaleone, und Sekunden später war das Bersten von Holz und die furchtbaren Todesschreie von Menschen zu hören. Al Conroy, der an Bord der ›Isabella‹ zurückgeblieben war, hatte aus der Drehbasse auf der Back eine Kartätsche mitten zwischen die Spanier in der Kuhl gefeuert. Der Kampf stockte ein paar Herzschläge lang. Alle Männer, Spanier wie Engländer, starrten entsetzt auf das blutige Massaker, das die Kartätsche angerichtet hatte. Mindestens fünf Spanier lagen tot auf den Decksplanken. Zwei Dutzend waren mehr oder weniger schwer verwundet. Ein Soldat starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seinen blutigen Armstumpf. Eine laute Stimme hallte über das Achterdeck. Ben Brighton forderte die Männer der Kriegsgaleone auf Spanisch auf, die Flagge zu streichen. Alles starrte nach oben zum Achterdeck, wo sich der Capitan mit seinen Offizieren verschanzt hatte. Hasard schob sich unbemerkt weiter an den Niedergang heran, der hinauf zum Achterdeck führte. Er glaubte nicht daran, daß der Spanier aufgeben würde. Wahrscheinlich war der Capitan einer von den blaublütigen Holzköpfen, die meinten, nicht mehr leben zu
können, wenn sie einmal eine Niederlage erlitten hatten. An ihre Leute dachten diese Kerle zuletzt. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit, daß sie ihr Leben für die Ehre ihres Capitans opferten. Die Spanier hatten nicht den Hauch einer Chance mehr. Ihr Schiff brannte. Die Back war in lodernde Flammen gehüllt. Fast hundert schwerbewaffnete Engländer befanden sic h jetzt an Bord ihres Schiffes, und von Land legten jetzt mehr als ein Dutzend Boote ab, jedes mit einem Pulk Soldaten, die mit Musketen bewaffnet waren. Die Stimme des Capitans gellte über die Decks. Hasard verstand die Worte nicht, die er rief, aber er erkannte ihren Sinn. Er sah, wie ein paar Spanier ihre Waffen fester packten. Mit ein paar Sätzen hatte Hasard den Niedergang geentert. Eine Pistolenkugel zischte haarscharf an seinem rechten Ohr vorbei. Mit einem kurzen Hieb traf Hasard den Schützen quer über die Brust. Gurgelnd stürzte der Mann auf die Planken. Hasard warf einen Blick hinüber zu Ben Brighton, der sich an der Reling in Igelstellung verschanzt hatte. »Wir holen uns den Capitan!« schrie Hasard. Die zusammengedrängten Engländer schienen zu explodieren. Hasard hatte kaum ausgesprochen, da stürmten sie mit wildem Geschrei auf die Spanier zu. Die Soldaten wurden überrumpelt. Ehe sie ihre Lanzen und Piken anheben konnten, waren die Engländer über ihnen. Der Capitan brüllte wie ein Wahnsinniger. Er fuchtelte mit seinem Toledodegen in der Luft herum. Ans Kämpfen dachte er nicht. Dazu hatte er schließlich seine Leute. Er schrie seine Offiziere an, und zögernd gingen diese in Abwehrstellung. Hasard hatte sich in die Wanten des Besanmastes geschwungen, nachdem er drei weitere Soldaten aus dem Weg geräumt hatte. Einer der Offiziere hatte ihn entdeckt und die Pistole auf ihn angelegt. Doch bevor er abdrücken konnte,
sirrte Hasards Messer durch die Luft und blieb mit zitterndem Griff in der Brust des Mannes stecken. Der Offizier drehte sich um seine Achse. Seine Hände griffen haltsuchend um sich und packten den Ärmel des Capitans. Kreischend versuchte sich der Don von dem tödlich Verwundeten zu lösen. Schließlich wußte er sich nicht anders zu helfen, als ihn mit dem Knauf seines Degens von sich zu stoßen. Die anderen Offiziere hatten alles beobachtet. Hasard sah den Haß in ihren Augen blitzen - Haß auf ihren Capitan, der ihnen auf diesem Schiff die Hölle bereitet hatte. Niemand von ihnen erhob noch einen Arm. Ungehindert konnten Ben Brighton, Kapitän Thomas und Dan O’Flynn bis zum Capitan vordringen. Hasard schwang sich aus den Wanten hinunter und federte in den Knien ab, als er auf den Decksplanken landete. Die Offiziere ließen sich widerspruchslos von Blacky und Dan O’Flynn entwaffnen. Plötzlich war es still auf dem Schiff. Nur noch das Prasseln des Feuers auf der Back und das Knattern des zerfetzten Lateinersegels am Besan waren zu hören. Die spanischen Soldaten hatten den Kampf aufgegeben, nachdem sie sahen, daß die Offiziere die Waffen gestreckt hatten. Jetzt waren alle Augen auf den Capitan gerichtet, der mit bleichem Gesicht an der Reling lehnte und den goldenen Toledodegen dem schlanken, schwarzhaarigen Engländer entgegenstreckte. Alles wartete auf den Be fehl des Capitans, die Flagge zu streichen, doch der Spanier schwieg verbissen. Sein Gesicht färbte sich langsam rot, denn einer seiner Offiziere hatte ein Wort ausgespuckt, das ihn zu beleidigen schien. Hasard war auf der Hut. Es genügte ein kleiner Schritt zur Seite, um der vorstoßenden Klinge des Toledodegens auszuweichen. Der Capitan keuchte. Schweiß stand ihm in dicken Perlen auf
der Stirn. Er griff sofort wieder an, doch auch diesmal war der Seewolf schneller. Er ließ sein Entermesser fallen und fing den Degen, den ihm Dan O’Flynn zuwarf. Die Klinge schwang hoch und wehrte in letzter Sekunde einen Hieb des Spaniers ab. Hasard sah, daß der Capitan seine Angst verloren hatte. Er mochte ein Feigling sein, aber jetzt hatte er sich entschlossen, zu kämpfen. Er wußte, daß es nur zwei Möglichkeiten für ihn gab: zu siegen oder zu sterben. Niemals würde er dem jungen Engländer den Triumph gönnen, ihn gefangenzunehmen. Hasard unterschätzte den Capitan nicht. Der Mann war ein guter Fechter. Wenn ihm vielleicht auc h die Kondition fehlte, er beherrschte jedenfalls alle Tricks, die einen guten Fechter ausmachten. Es war nicht Hasards Natur, abzuwarten, bis der andere Angriff. Er wollte die Entscheidung. Er wollte der Angreifer sein und den anderen in die Enge treiben, bis es keinen Ausweg mehr für ihn gab. Der Spanier zerrte mit der Linken einen Parierdolch aus der verzierten Scheide an der Hüfte. Er ließ sich von Hasards Scheinangriffen nicht täuschen, sondern wartete mit zusammengepreßten Lippen auf seine Chance. Hasard verzichtete auf jede Tändelei. Er griff an. Die Klinge seines Degens fauchte durch die Luft und klirrte gegen den Toledodegen des Gegners. Immer schneller folgten seine Ausfälle aufeinander. Der Spanier hatte Mühe, die Angriffe abzuwehren. Er fand keine Zeit, selbst einen entscheidenden Stoß anzubringen. Er stieß einen spitzen Schrei aus, als Hasard seine Klinge gefaßt hatte, sie blitzschnell rotieren ließ und dann kräftig hochriß. Der Capitan konnte die Waffe nicht mehr halten. Der Toledodegen wurde aus seiner Faust gerissen, flog durch die Luft und fuhr mit der Spitze in den Besanmast. Dort blieb er stecken. Der schwere Korb pendelte hin und her. Mit zwei Schritten war Hasard neben dem Besanmast und schnitt dem Capitan den Weg zu seinem Degen ab. Es wurde
Zeit, daß dem Kampf ein Ende bereitet wurde. Das Feuer hatte bereits aufs Hauptdeck übergegriffen, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann es die Pulverkammern der Kriegsgaleone erreichte und sie samt aller Männer an Bord in die Luft flog. Der Capitan hatten seinen Parierdolch mit beiden Händen gepackt. Hasard schüttelte den Kopf. »Geben Sie auf, Capitan«, sagte er. Der Spanier spuckte aus, und bevor Ben Brighton und Kapitän Thomas eingreifen konnten, hatte er sich den Dolch bis zum Heft in die Brust gestoßen. Einen Moment stand er schwankend da, die Augen weit aufgerissen. »Viva Espana!« rief er, dann quoll Blut aus seinem Mund, und er stürzte nach vorn auf die Decksplanken. Hasard war einen Augenblick benommen. Damit hatte er nicht gerechnet. Er zollte seinem Gegner Anerkennung, indem er sich leicht vor dem Toten verbeugte. Doch dann gab er Ben Brighton den Befehl, das Schiff räumen zu lassen. Inzwischen waren die Boote mit den Soldaten heran. Sie nahmen die gefangenen Spanier in Empfang. Hasard ging mit seinen Leuten und den Männern von Kapitän Thomas auf die ›Isabella‹ zurück, die sich sofort von der Kriegsgaleone entfernte. Hasard beobachtete die geblähten Segel der letzten spanischen Galeone, der die Flucht aus dem Plymouth Sound zu gelingen schien. Ihre Takelage war zwar mächtig zerrupft, aber sie lief noch genügend Fahrt, um ihren Verfolgern entrinnen zu können. Hasard überlegte, ob es Sinn hatte, den Spanier zu verfolgen, doch dann schüttelte er den Kopf. Die Galeone hatte einen zu großen Vorsprung. Außerdem war der Besanmast der ›Isabella‹ zur Hälfte zerstört, und am Hafen wartete sicher Francis Drake, der bereits angedeutet hatte, daß eine neue
Aufgabe auf die Schiffe seines Geschwaders wartete. Als die ›Isabella‹ in die Mill Bay glitt, hatte das Feuer auf der spanischen Kriegsgaleone die Pulverkammern erreicht. Hasard blickte zurück und sah, wie das große Schiff auseinanderbarst. Die Boote mit den Gefangenen hatten das Ufer erreicht, so daß niemand mehr zu Schaden kam. »Zum Teufel, Killigrew«, sagte John Thomas neben Hasard. »Der Herr möge mich davor bewahren, daß wir uns mal als Feinde gegenüberstehen!«
Hasard hatte richtig vermutet. Kapitän Drake hatte die Schlacht im Plymouth Sound von der Zitadelle aus verfolgt. Immer wieder hatte er den Kopf geschüttelt über soviel Leichtsinn, und dennoch konnte er dem jungen Killigrew seine Achtung nicht versagen. Er tat in den entscheidenden Augenblicken immer genau das Richtige. »Ein bissiger Seewolf«, murmelte er. »Einer mit Mut, Verstand und Glück, die Mischung, die einen großen Mann auszeichnet.« Francis Drake wartete nicht ab, bis die Galeone der Spanier in die Luft flog. Er wollte an den Piers der Mill Bay sein, wenn die ›Isabella‹ anlegte. Er hatte schon gesehen, daß die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ beschädigt worden waren, aber er würde schon dafür sorgen, daß schnell neue Masten herbeigeschafft wurden. In zwei Tagen sollten die drei Schiffe auslaufen und Soldaten nach Irland bringen, die eine geheime Mission zu erfüllen hatten.
4. Philip Hasard Killigrew war wütend. Er hatte sich die Besprechung bei Kapitän Drake anders vorgestellt. Gewiß, er hatte kein überschwengliches Lob erwartet, aber die Vorwürfe, die Drake ihm gemacht hatte, waren seiner Ansicht nach völlig ungerechtfertigt. Unbedacht und leichtsinnig hatte der Kapitän sein Eingreifen genannt! Hätte er etwa an der Pier liegenbleiben und sein Schiff in Klump schießen lassen sollen? Kapitän John Thomas hatte Hasard in Schutz nehmen wollen, war aber mit einem scharfen Blick zurechtgewiesen worden. Zur Hölle mit Kapitän Drake! Hasard fühlte sich im Recht. Nicht nur, daß er drei spanische Schiffe zerstört hatte, er war der Mann gewesen, der Plymouth vor großem Schaden bewahrt hatte. Seiner Meinung nach hätte Kapitän Drake nicht einmal einen Grund zur Kritik gehabt, wenn die ›Isabella‹ bei dem Kampf zusammengeschossen worden wäre! Hasard schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mehr daran denken. Etwas anderes war im Augenblick wichtiger. Noch hatte er nicht klären können, wer hinter der Mordanklage gesteckt hatte, die ihn, den Seewolf, hinter Gitter oder sogar an den Galgen bringen sollte. Er hatte seinen Verdacht, daß der ehrenwerte Sir Thomas Doughty seine allzu geschmeidigen Finger in der Geschichte hatte, Kapitän Drake mitgeteilt, doch der hielt es für ausgeschlossen, daß Doughty sich zu einer solchen Gemeinheit herablassen wurde. Francis Drake hatte im selben Atemzug berichtet, daß Doughty als Miteigentümer der ›Marygold‹ seinen Anteil an der Gesamtbeute der letzten Kaperfahrt erhalten hätte. Hasards Wut war immer noch nicht verraucht, als er von Bord der ›Marygold‹ ging. Nein, Sir Thomas Doughty, dachte er grimmig. Auch wenn du Kapitän Drake in die Tasche steckst,
ich werde dir nicht auf den Leim gehen! An Bord der ›Isabella‹ waren die Zimmerleute dabei, den zersplitterten Besanmast wegzuschaffen. Ferris Tucker beaufsichtigte die Arbeit. Ben Brighton scheuchte die anderen Männer herum, die die Decks der Galeone wieder auf Hochglanz bringen sollten. Der Sand wurde von den Decks gespült. An einer Stelle waren noch dunkle Flecken zu sehen, wo die beiden Männer von der Kanonenkugel getötet worden waren. Sie hatten beide zu Carberrys Mannschaft gehört. Hasard winkte Ben Brighton zu sich. »Wo sind denn die Blumen?« fragte Ben und grinste. »Blumen?« sagte Hasard wütend. »Zusammengeschissen hat er mich, weil ich ausgelaufen bin und sein schönes Schiff in Gefahr gebracht habe.« Ben Brighton starrte Hasard mit offenem Mund an. Er war sprachlos. Das konnte doch nicht wahr sein! Sie setzten ihr Leben aufs Spiel, um die tödliche Gefahr von der Stadt abzuwehren, und der Kapitän hatte Angst um sein schönes Schiff! »Denk nicht mehr daran, Ben«, sagte Hasard. »Vielleicht hat er Gründe für sein Verhalten. Sieh zu, daß du in ein paar Stunden fertig bist. Wir sollen noch morgen auslaufen, wenn die Soldaten rechtzeitig eintreffen. Ich gehe in die Stadt. Ich habe noch was zu erledigen.« »Burton?« fragte Ben Brighton und zog die Augenbrauen hoch. Hasard nickte. »Das fette Schwein wird mir verraten, wer mich aus dem Weg haben wollte und die beiden Millers abserviert hat.« »Laß die Finger davon, Hasard«, sagte Ben warnend. »Gegen die hohen Herrschaften kannst du nichts ausrichten. Sie lassen ihre Beziehungen spielen oder ihren Geldbeutel klingeln, und schon stellt sich alle Welt gegen dich. Ich weiß nicht, ob du mit deinem Verdacht gegen Sir Doughty recht hast, wenn ja, dann
wird er alle Hebel in Bewegung setzen, dich auszuschalten, wenn du hinter ihm herschnüffelst.« »Niemand greift mich ungestraft an, Ben«, sagte Hasard verbissen. »Auch ein Doughty nicht. Keine Angst, ich gehe ihn nicht mit einem Belegnagel an. Ich hab von meinem Alten genug Gemeinheiten gelernt. Ich werde Doughty mit seinen eigenen Waffen schlagen.« »Du mußt es wissen«, sagte Ben Brighton und spuckte über Bord. »Schließlich ist es dein Kopf, um den es geht.« Hasard grinste. »Und der ist verdammt hart.« Er blickte sich um. »Wo ist Dan?« fragte er. »In der »Bloody Mary« bei Plymson«, sagte Ben Brighton grinsend. »Er hat dort heute morgen seinen Geldbeutel im Bett von Rose liegengelassen, und der Einfaltspinsel glaubt, daß er ihn dort wiederfindet.« »Ich werde dort vorbeisehen«, sagte Hasard. »Ich nehme ihn mit mir. Gegen Abend sind wir zurück.« »Aye, aye«, antwortete Ben. »Bis dahin ist die ›Isabella‹ seeklar.« Hasard ging von Bord und schlug die Richtung zur Mill Bay Road ein. Er hoffte, daß er Dan begegnete. Er wollte nicht gern allein bei dem fetten Friedensrichter auftauchen, denn bei dem Kerl brauchte man Rückendeckung. In der Mill Bay Road waren die Leute noch mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Eine Gruppe von Handwerkern riß das zerstörte Haus gegenüber der »Bloody Mary« ab. Möbel standen auf der schmutzigen Straße herum. Dazwischen saß eine abgehärmte Frau und hielt einen Säugling in den Armen. Hasard hoffte für sie, daß die Stadtväter großzügig waren und ihr eine neue Bleibe verschafften. Die »Bloody Mary« hatte unter der Bombardierung der
Spanier kaum gelitten. Ein Fenster war zerstört, aber das hatte Plymson bereits vernageln lassen. Als Hasard die Tür öffnete, quoll ihm eine Dunstwolke von verschiedenen Gerüchen und ein ungeheurer Lärm entgegen. Die Bude war mal wieder brechend voll. Nach dem Schrecken in der Morgenstunde hatten die Männer begonnen, den Sieg über die Spanier zu feiern. Obwohl es noch heller Tag war, lagen die Betrunkenen bereits zu Dutzenden unter den Tischen. Hasard drängte sich durch die Männer und hielt Ausschau nach Dan oder Rose. Er sah den dicken Plymson hinter seinem Tresen. Er hatte eine ganze Reihe von Weinkannen vor sich stehen und füllte eine nach der anderen aus dem riesigen Faß, das aufgebockt am Ende des Raumes stand. Plymson lief der Schweiß in Strömen von der Stirn. Sein Gesicht war rot wie ein gekochter Krebs, aber seine kleinen Augen glitzerten gierig. Man sah ihm an, wie er in Gedanken dabei war, den Verdienst des heutigen Tages zu überschlagen. Ab und zu riß er sich die schmuddelige Perücke vom Kopf und wedelte sich damit Luft zu. Das gierige Glitzern in seinen Augen war wie weggewischt, als er den großen Mann entdeckte, der sich suchend in dem Raum umblickte. Plymson zuckte zusammen. Seine Hand zog den Krug unter dem Weinfaß hervor, und platschend ergoß sich der Rotwein auf die Holzdielen. Leise fluchend drehte Plymson den Hahn zu. Hasard konnte weder von Dan noch etwas von Rose entdecken. Er entschloß sich, den direkteren Weg zu wählen. Er würde den fetten Wirt fragen. Er mußte wissen, wo Rose steckte. Hasard wunderte sich, das Mädchen bei diesem Betrieb nicht in der Schenke vorzufinden. Es mußte einen besonderen Grund geben, daß Plymson ihr freigegeben hatte. Plymson zog den schwammigen Kopf zwischen die Schultern, als Hasard sich einen Weg zur Theke bahnte. Ein paar angetrunkene Seeleute, die Hasard angestoßen hatte,
begannen zu pöbeln, aber ein Blick in die eisblauen Augen Hasards ließ sie verstummen. Hasard legte die Ellbogen auf den Tresen. »Grüß den Teufel von mir, Dicker«, sagte er und zeigte seine Zähne. Voller Genugtuung sah er die Angst in den Schweinsaugen des Wirtes. »Was - was soll das heißen, Mr. Killigrew ?« fragte Plymson heiser. »Du mußt schon mit dem Gehörnten befreundet sein«, sagte Hasard, »wenn die Kugeln der Spanier ausgerechnet deine Lasterhöhle verschont und dafür das Haus eines ehrbaren Bürgers in Schutt und Asche gelegt haben.« »Immer ein Scherz auf den Lippen, Mr. Killigrew. Das gefällt mir so an Ihnen.« Plymson versuchte ein Lächeln, doch das ging völlig daneben. Er sah aus wie eine Kuh, die ihre eigene Galle käute. Er schob einen Krug Wein auf Hasard zu, doch der schüttelte den Kopf. »Den Wein aus deinen verdreckten Kannen können die anderen saufen«, sagte er. »Gib mir eine Flasche.« Der fette Plymson öffnete den Mund, um zu protestieren, denn die Flaschen, die er unter der Theke liegen hatte, waren nur für besondere Gäste gedacht, und dazu zählte der Dicke den Seewolf nun einmal nicht. Der Wirt bückte sich, um eine Flasche hervorzuholen. In diesem Moment spürte Hasard eine Hand auf seiner Schulter. Er drehte den Kopf und wollte die Hand abschütteln, doch das Gesicht des Mannes, der sich neben ihn gedrängt hatte, strahlte so viel Freude aus, daß Hasard ihn gewähren ließ. »Leute!« brüllte der Mann. »Der Seewolf ist hier! Der Mann, der die verdammten Dons im Plymouth Sound zu den Fischen geschickt hat!« Seine Hand hob sich und krachte wieder auf Hasards Schulter. Der Lärm in der »Bloody Mary« nahm die Stärke eines
Orkans an. Hasard fühlte sich nicht recht wohl in seiner Haut, als die Männer auf ihn eindrangen und ihm die Hände entgegenstreckten. Burschen, mit denen er sich vor ein paar Wochen noch bis zur Bewußtlosigkeit geprügelt hatte, schienen alle Streitigkeiten vergessen zu haben. »Eine Runde Wein auf meine Kosten!« schrie Hasard. Er hatte geglaubt, daß es unmöglich wäre, den ohrenbetäubenden Lärm noch zu steigern, doch die Männer scha fften es. Der fette Plymson hob erschrocken beide Arme, als die Männer über die Theke langten und die Weinkannen an sich rissen. »Halt!« keifte er entsetzt. »Ich gebe die Kannen aus! Ich muß sie doch zählen!« Niemand hörte auf ihn. Zwei Kerle mit einem Kreuz wie die Ecktürme von Fort Western King drängten ihn einfach beiseite und begannen die leeren Kannen aus dem Faß zu füllen. Plymson war jetzt alles andere als fröhlich. Im Geiste sah er seinen schönen Verdienst schon durch die Kehlen der besoffenen Kerle laufen. Er drängte sich zwischen die beiden Seebären und wollte ihnen die Kannen aus den Händen reißen. Mit schriller Stimme rief er nach seinen Kellnerinnen, doch die hüteten sich, einzugreifen, denn sie kannten ihre Kunden gut genug, um zu wissen, daß es unklug war, sich in dieser Stimmung gegen sie zu wenden. Einer der beiden riesigen Seeleute riß dem fetten Plymson die schmuddelige Perücke vom Kopf, tauchte sie in die Zinkwanne mit der abgestandenen Rotweinjauche und klatschte sie dem Fettwanst wieder auf die Glatze. Er lachte dröhnend. »Das Kuhlt ab, Nat!« brüllte er. »Komm, sauf mit. Der Seewolf bezahlt alles!« Plymson wich ihm aus. Er riß sich die klatschnasse Perücke vom Kopf und schleuderte sie wutentbrannt auf den Bretterboden, der mit feuchtem Sägemehl bestreut war. Er sah aus, als wolle er jeden Moment zu heulen anfangen. Er
konnte einfach nicht daran glauben, daß Hasard Killigrew seine Zeche bezahlen würde, denn sicher hatte er einen bestimmten Grund, weshalb er in der »Bloody Mary« aufgetaucht war. Plymson warf einen kurzen Blick die Treppe hinauf und zuckte zusammen, als sich die Tür öffnete und ein junger Bursche seine Kellnerin Rose aus der Tür zerrte. Sie hatte den Mund weit geöffnet. Wahrscheinlich schrie sie etwas, aber das konnte in dem Lärm, den die Männer verursachten, niemand verstehen. Hasard war dem Blick des Wirtes gefolgt und erkannte Dan O’Flynn, der mit seinem Betthasen einige Schwierigkeiten zu haben schien. Hasard schob sich durch die Männer, die den Tresen belagerten, und war mit ein paar Schritten bei Dan. »Gehst du immer so mit deinen Ladys um?« fragte er. Das Bürschchen kochte vor Wut. »Sie hat mir meinen Geldbeutel geklaut!« schrie er grimmig. »Sie behauptet, Plymson hätte ihn ihr abgenommen, aber sie ist zu feige, es ihm ins Gesicht zu sagen.« »Laß Rose los, Dan«, sagte Hasard. »Sie kann nichts dafür, daß der Dicke ein ausgekochter Spitzbube ist. Wir kriegen die Sache schon in Ordnung. Warum sollen wir die kleine Rose unbedingt da hineinziehen?« »Ha?« machte das Bürschchen und gab die mollige Rose überrascht frei. Solche Worte hatte er von Hasard nicht erwartet. Was spielte der denn den Gentleman? Rose schenkte Hasard ihr verführerischstes Lächeln. Sie glättete ihren weiten Rock und zog die helle Bluse mit dem tiefen Ausschnitt so weit herunter, daß Hasard der Blick auf die rosigen Knospen ihrer wohlgerundeten Brüste nicht erspart blieb. Sie wich geschmeidig aus der Reichweite des jungen Burschen, der die Hände vor Zorn und Enttäuschung geballt hatte, und als sie sich an Hasard vorbeischob, spürte der ihre vollen Brüste an seinem Arm, und ihre Hüften drängten sich für einen kurzen Moment gegen seinen Oberschenkel.
Hasard zwinkerte ihr zu. Ein strahlendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Sie war schon ein appetitlicher Happen, aber Hasard hatte nicht vor, dem kleinen Dan die Freundin auszuspannen. Außerdem fehlte die Zeit dazu, denn Hasard hatte noch ein Hühnchen mit Samuel Taylor Burton zu rupfen. »Und nun?« fragte Dan O’Flynn wütend. »Wie soll ich jetzt mein Geld zurückkriegen?« Hasard drängte ihn zurück und stellte sich auf die oberste Stufe der Treppe. Er versuchte zweimal, sich Gehör zu verschaffen, aber er schaffte es nicht, den orkanartigen Lärm zu übertönen. Kurz entschlossen zog er seine sächsische Pistole aus dem Gürtel und feuerte einen Schuß in den glotzäugigen Stör, der über der Theke hing. Es war, als hätte eine Kanonenkugel in der »Bloody Mary« eingeschlagen. Das Schreien der Männer verstummte abrupt, alle Augen richteten sich auf Hasard und starrten ihn fragend an. »Männer!« rief Hasard. »Ihr brüllt wie die Stiere, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen kann. Ich will euch jemanden vorstellen!« Er griff nach Dans Arm und zerrte ihn nach vorn. »Dies ist Mr. Donegal Daniel O’Flynn aus Falmouth. Er war der erste, der das Dickschiff der Spanier enterte. Wenn ich richtig mitgezählt habe, hat er mindestens zwei Dutzend Dons in die Hölle geschickt!« Die Männer brachen in Hochrufe aus, obwohl einige der alten Seebären das magere Bürschchen skeptisch musterten, als ob sie zweifelten, daß ein kleines Kerlchen wie er überhaupt in der Lage war, ein Enterbeil in der Hand zu halten. Hasard breitete die Arme aus, und die Männer verstummten wieder. »Mr. Donegal Daniel O’Flynn hat ein Problem, Männer!« rief Hasard. »Er möchte gern für alle seine Freunde eine Runde spendieren, aber unser verehrter Wirt, Mr. Nathaniel Plymson, diese dreckige Hafenratte, will seinen Geldbeutel nicht
herausrücken, den Mr. O’Flynn ihm zur Aufbewahrung anvertraut hat.« Hasard hatte die letzten Worte hastig gesprochen, denn er erkannte, daß sich die Spannung in einer Explosion der Empörung auflösen würde. Nathaniel Plymson war bleich geworden. Seine Hände krallten sich am Thekenrand fest. Er riß den Mund auf, doch er brachte keinen Ton hervor. Wahrscheinlich hatte er erkannt, daß es für ihn nur noch eine Möglichkeit gab, der gefährlichen Situation auszuweichen. Er duckte sich blitzschnell, als die erste schwielige Faust nach ihm griff, und tauchte mit einem Lederbeutel in der Hand wieder auf. Er schwenkte ihn über der Glatze, so daß ihn jeder sehen konnte. Ein Aufatmen ging durch die Männer, nur einige schienen sich zu ärgern, daß aus der Schlägerei nichts werden sollte. Sie gingen sich gegenseitig an den Kragen. Die Kampfhähne wurden rasch getrennt. Dan O’Flynn hüpfte strahlend die Treppe hinunter und riß dem fetten Wirt den Geldbeutel aus der Hand. Hastig knotete er das Band auf und zählte die Münzen. Sie waren noch vollständig vorhanden. »Eine Runde auf meine Kosten!« brüllte er. Er sonnte sich in seinem Ruhm, als er von den begeisterten Männern umringt wurde, und er lächelte Rose zu, die jetzt mit anpackte und ihren Kolleginnen half. Als sie seinen Blick spürte, warf sie den Kopf in den Nacken und zog ein beleidigtes Gesicht. »Nimm dir ein Beispiel an Mr. Killigrew«, sagte sie schnippisch. »Das ist ein Gentleman! So weit wirst du es nie bringen!« Dan wollte ihr eine wütende Antwort geben, doch Hasard zog ihn am Arm fort. »Wir haben noch etwas vor«, sagte er. »Laß uns verschwinden.«
Sie schoben sich unbemerkt zur Tür. Der grimmige Blick Nathaniel Plymsons, der mit der halben Bezahlung Hasards gar nicht zufrieden war, störte sie nicht. Auf irgendeine Weise mußte er ja dafür bestraft werden, daß er versucht hatte, sich Dans Geld unter den Nagel zu reißen. Außerdem war Hasard davon überzeugt, daß bei halben Preisen immer noch genug Gewinn für Plymson heraussprang.
5. Hasard hörte das Kichern hinter der angelehnten Tür, die aus dem Salon der Suite im Queen’s Hotel in den Schlaf räum führte. Er beglückwünschte sich zu seiner Nase. Er hatte von Anfang an nicht geglaubt, daß die hübsche Lady, die ihm die beiden Millers auf den Hals gehetzt hatte, nach London abgereist war, wie der Konstabler es ihm berichtet hatte. Die beiden Millers hingegen hatten die große Reise ins Nichts angetreten. Man hatte ihnen die Hälse durchgeschnitten, und irgend jemand hatte versucht, ihm, Hasard Killigrew, die Morde anzuhängen. Wer das war, das wollte Hasard von dem Friedensrichter erfahren, der ihn des Mordes an den beiden Millers angeklagt hatte. Hasard gab Dan ein Zeichen. Sie stellten sich beiderseits der Tür auf. Hasard versuchte sie weiter aufzudrücken, aber ein Riegel war von innen vorgeschoben. Sie ließ sich nicht weiter öffnen. Daß die hübsche Lady nicht allein war, war offens ichtlich. Sie hätte sonst keinen Grund gehabt, so albern zu kichern. Und Hasard wußte genau, wer sich bei ihr befand. Er hatte in der Guildhall, dem Rathaus von Plymouth, in dem der Friedensrichter seine Amtsräume hatte, nach Samuel Taylor Burton gefragt, und der Sekretär war einfältig genug gewesen, Hasard die gewünschte Auskunft zu geben. Der Friedensrichter
hätte sich zum Queen’s Hotel begeben. Hasard hatte von Anfang an nicht an einen Zufall geglaubt, und hier fand er die Bestätigung. Der Mann, der dort drin mit der hübschen Lady seine Spielchen trieb, konnte niemand anders als der ehrenwerte Mr. Burton sein. Hasard flüsterte Dan etwas zu. Das Bürschchen nickte und zog sich zur Tür der Suite zurück. Er wartete einen Moment, dann klopfte er vernehmlich. Eine Weile blieb es still im Schlafraum. Dann klang die helle Stimme der Lady. »Wer ist da?« rief sie. »Ich komme von Sir Thomas Doughty, Mylady!« rief Dan O’Flynn. »Ich habe eine wichtige Nachricht für Sie!« Hasard, der sich neben der Schlafraumtür an die Wand preßte, hörte die beiden tuscheln. Das Bett quietschte, nackte Füße tappten über den Boden, dann wurde der Riegel zurückgeschoben. Die Tür schwang auf. Eine Wolke von duftigem, durchsichtbaren Stoff schwebte an Hasard vorbei. Er zögerte nicht lange. Seine gebräunten starken Arme schossen vor und legten sich um die Taille der Lady, die vor Schreck den Atem anhielt. Hasard wirbelte sie herum und stieß sie in den Schlafraum zurück. Mit zwei Schritten war er an der Tür. Sein wettergegerbtes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Es war ein Anblick für die Götter. Der fette Samuel Taylor Burton hatte sich ruckartig im Bett aufgesetzt. Sein Gesicht, das mit den fettigen braunen Haarsträhnen noch schwammiger aussah als unter der gepuderten Perücke, die er sonst trug, war knallrot angelaufen. Vergebens versuchte er, die dünne Decke, die sich um sein linkes Bein gewickelt hatte, über den aufgeschwemmten Körper und jenes Teilchen zu ziehen, mit dem er meinte, eine Frau beglücken zu können. Er schaffte es schließlich, indem er sich auf den Bauch legte und Hasard für
einen Moment seinen Hintern zeigte, den man gut und gern mit dem Gesicht des ehrenwerten Friedensrichters verwechseln konnte. Der lüsterne Ausdruck in diesem Gesicht war jetzt völlig verschwunden. Der Überraschung folgte der Schreck und schließlich die Wut. Seine fettgepolsterten Schultern wackelten, als er zu schreien begann. »Was fällt Ihnen ein, Sie …« Er stockte. Wahrscheinlich hielt er es für unklug, das unausweichliche Gespräch mit einer Be leidigung zu beginnen. »Wer hat Ihnen erlaubt, hier einzudringen?« »Die Lady hat mir die Tür geöffnet«, sagte Hasard, grinste und warf einen Blick auf die junge Frau, die sich noch nicht von ihrem Schreck erholt hatte. Sie dachte nicht daran, ihre Blößen, die durch das dünne Gewand kaum verhüllt wurden, zu bedecken. Hasard hörte neben sich einen leisen Pfiff. Das Bürschchen war neben ihm aufgetaucht und starrte die Lady mit runden Augen an. War das ein Rasseweib! Das war etwas anderes als die kleine Rose in der »Bloody Mary«! Hasard erriet die Gedanken des Jungen. Allzu schwierig war das auch nicht. Dan O’Flynns Gesichtsausdruck war eindeutig genug. »Laß dich nicht von Äußerlichkeiten täuschen, Dan«, sagte er. »Diese Lady ist zehnmal weniger eine Lady als Rose.« Sie spielte die Gekränkte. »Richter!« rief sie mit gezierter Stimme. »Verbieten Sie diesem Strolch solche Reden, und werfen Sie ihn aus dem Zimmer!« »Halt die Klappe«, sagte Hasard und trat einen raschen Schritt auf sie zu. Sie kreischte auf, warf sic h ins Bett und verkroch sich neben dem Friedensrichter unter der Bettdecke. Samuel Taylor Burton war diese Situation sehr unangenehm, und als er sah, wie Hasard ein breitschneidiges Messer aus dem Gürtel zog
und es an dem Lederriemen, der von dem linken Be ttpfosten hing, zu wetzen begann, weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Hasard blicke die beiden Gestalten unter der Bettdecke grimmig an. Die hübsche Lady hatte beim Doughty-Fest versucht, ihn aufs Kreuz zu legen und ihn in die Hände der Millers zu spielen. Und der ehrenwerte Friedensrichter hatte behaup tet, er, Hasard, hätte den beiden Millers die Kehle durchgeschnitten. Nun wollte er Mr. Burton mal zeigen, wie scharf die Klinge eines Messers sein mußte, um einen glatten Schnitt anzubringen. Burton begann unter der Bettdecke zu bibbern. Seine Augen ließen das Messer in Hasards Händen nicht los. Ein durchdringender Geruch breitete sich im Schlafraum aus. Dan O’Flynn rümpfte die Nase. »Ich glaube, das fette Schwein hat ins Bett geschissen«» sagte er verächtlich. Die Lady kreischte auf und war mit einem Satz aus dem Bett. Sie wollte die Gelegenheit nutzen und an Hasard vorbei zur Tür huschen, aber Dan war schneller. Das Bürschchen nutzte die Gelegenheit, als er die Lady ins Zimmer zurückschob, die interessantesten Partien von Burtons Bettgespielin zu begutachten. Als er ihr einen Klaps auf den allerwertesten Achtersteven gab, wirbelte sie herum und fauchte ihn an. »Halt deine dreckigen Pfoten zurück, sonst polier ich dir die Fresse!« Dan O’Flynn wich erschrocken ein paar Schritte zurück. Mit offenem Mund starrte er die Lady in dem eleganten Nachtgewand an. »Na, was hab ich dir gesagt?« sagte Hasard. Er wandte sich an die Lady. »Hör auf, den Jungen zu erschrecken, und setz dich wieder aufs Bett.« »Du bist wo hl bescheuert, wie? Meinst du, ich schmeiß mich in seinen Dreck?« Sie hatte alle ihre Hemmungen abgelegt. Sie
würde immer das bleiben, was sie war: ein Mädchen, das aus der Gosse kam und sich dort wohl fühlte. »Dann bleib dort stehen«, sagte Hasard kalt. »Aber rühr dich nicht vom Fleck.« Er wandte sich wieder dem Richter zu. Schweiß lief dem fetten, widerlichen Kerl aus den klatschnassen Haaren und tropfte auf die Bettdecke, die sich über seiner Wampe spannte. Samuel Taylor Burton war nur noch ein bibbernder Fleischkloß, der sein Ende gekommen glaubte. Er erwog, um Hilfe zu brüllen, aber er befürchtete, daß das sein Ende nur noch beschleunigen würde. »Also, Euer Ehren«, sagte Hasard mit kalter Stimme. »Ich hätte gerne von Ihnen gewußt, wem ich die saubere Mordanklage zu verdanken habe.« »Sir Thomas Doughty!« stieß Burton mit zitternder Stimme hervor. Hasard nickte zufrieden. Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet, aber das scharfe Messer schien eine ungeheure Wirkung auf den Dicken auszuüben. »Und wer hat den beiden Millers den Hals aufgeschnitten?« Die Antwort folgte so schnell, daß Hasard nicht glaubte, Burton hätte sich das ausgedacht. »Ich weiß es nicht. Sir Doughty hat mich zum Friedhof rufen lassen. Seine Diener hatten inzwischen die Leichen der beiden Millers dorthin geschafft. Er hat mir die Leichen vorgeführt und dann gegen Sie Anklage erhoben. Das ist die reine Wahrheit. Ich schwöre es beim heiligen Andenken meiner Mutter!« Hasard glaubte es ihm. Er kannte Samuel Taylor Burtons Mutter. Wenn Lady Anne Killigrew eine der härtesten Frauen war, die sogar Schiffe geentert haben sollte, wie man in Cornwall munkelte, so war Lady Victoria Burton das hinterhältigste und gemeinste Frauenzimmer gewesen, das je eine Familie in Cornwall tyrannisiert hatte. Soweit Hasard sich
erinnern konnte, hatte es beim Tod Lady Victorias ein rauschendes Fest auf dem Familienbesitz der Burtons gegeben. Außerdem waren die Gerüchte nie verstummt, daß die Familie mit einem Giftbecher nachgeholfen hätte, Lady Victoria unter die Erde zu bringen, da sie sich einer blühenden Gesundheit erfreut hatte. »Und wieviel hat Sir Doughty springen lassen, damit Sie gegen mich Mordanklage erheben?« fauchte Hasard. »Aber, Sir!« protestierte Burton empört. »Ich muß doch …« »Wieviel?« unterbrach Hasard kalt Burton wand sich wie ein fetter Themseaal. Die blitzende Schneide des Messers, das sich seiner Kehle näherte, überredete ihn schließlich, mit der Wahrheit herauszurücken. »Hun - hundert Sovereigns.« »Der Mistkerl lügt! Er will nur alle Schuld auf Sir Doughty abwälzen, der mit der ganzen Sache nichts zu tun hat. Oh, ich blöde Gans hätte ihm in den fetten Hintern treten sollen, als er mich mit seinem verdammten Geld überredet hat, ihn ein bißchen auf Touren zu bringen. Dabei kann er mit seinem Ding noch nicht mal ‘ne zehnjährige Jungfrau erschrecken …« Bevor sie richtig loslegen konnte, war Hasard bei ihr und scheuerte ihr eine, daß sie rückwärts gegen die Wand flog. Mit haßverzerrtem Gesicht rappelte sie sich wieder auf und fuhr mit gespreizten Fingern auf ihn los. »Du fieser Bock!« keifte sie. »Ich reiß dir …« Hasard schlug ihre krallenbewehrten Hände beiseite, drehte ihr die Arm auf den Rücken und fesselte sie mit der Kordel des Baldachins. Sie kreischte wie eine Verrückte, so daß Hasard ein Stück vom Bettlaken abriß und ihr ins Schandmaul stopfte. Sie keuchte und würgte. Ihre Augen quollen hervor, aber Hasard hatte wenigstens Ruhe. Hasard schüttelte mißbilligend den Kopf. »Ich muß mich schon sehr wundern, Euer Ehren«, sagte er vorwurfsvoll. »Wie können Sie sich mit einer solch vulgären
Person abgeben?« »Ich - nun, sie ist die Mätresse von Sir Thomas Doughty und da …« Er schwieg, als er erkannte, daß er sich mit diesen Worten nur noch mehr Unannehmlichkeiten auf den Hals lud. »Soso«, sagte Hasard. »Die Mätresse von Sir Thomas. Was meinen Sie, was Sir Thomas sagen wird, daß er in seiner Abwesenheit einen Stellvertreter hat?« Samuel Taylor Burton preßte die Lippen zusammen. Sein Gesicht war käsig, und Hasard hätte wetten mögen, daß der Schweiß auf seiner Stirn kalt war. »Ziehen Sie sich an, Euer Ehren«, sagte Hasard. »Und dann fordere ich Sie auf, die Lady hier unter Arrest zu nehmen. Sie hat mich unter Vorspielung eines trauten Beisammenseins in diese Suite gelockt, wo ich von zwei Männern auf Leben und Tod angegriffen worden bin. Es war offensichtlich, daß sie mich umbringen wollten. Wer sie dazu beauftragt hat - die Lady selbst oder jemand anders -, weiß ich nicht. Jedenfalls verlange ich, daß dieser Mordanschlag gesühnt wird.« Der Friedensrichter zog sich hastig an. Er versuchte seine Blößen schamhaft zu verbergen, obwohl keiner der drei Anwesenden ein Interesse daran hatte, genauer hinzuschauen. Innerhalb von Sekunden war sein Kragen durchgeschwitzt. Als er sich die gepuderte Perücke auf die nassen Haare gestülpt hatte, richtete er sich auf. Seine Augen huschten hin und her. Er schien fieberhaft nach einem Ausweg zu suchen, aber es gab keinen. Wenn er mit heiler Haut dieses Zimmer verlassen wollte, mußte er der Forderung Hasards stattgeben. Die hübsche Lady mit dem Schandmaul erkannte, wie sich die Lage zu ihren Ungunsten änderte. Sie wurde sichtlich unruhig. Sie versuchte den Knebel aus ihrem Mund zu stoßen und starrte Hasard mit flehenden Augen an. Na endlich! dachte Hasard. Jetzt ist auch sie soweit. Er trat zu ihr und löste den Knebel. »Ich bin unschuldig!« sagte sie keuchend zu Burton. »Euer
Ehren, alles was der Kerl da behauptet hat, ist erstunken und erlogen! Sie können mich doch nicht einfach mitnehmen und einsperren!« Samuel Taylor Burton schwitzte Blut und Wasser. Der Blick, mit dem er die Lady bedachte, war alles andere als freundlich. Wahrscheinlich hatte er die respektlose Bemerkung über seine Männlichkeit übelgenommen. Wenn ihn etwas zögern ließ, Hasards Ansinnen zu entsprechen, so war das siche r die Angst vor Sir Thomas Doughty. »Ich hätte gern den Namen der Lady erfahren«, sagte Hasard. »Das geht dich einen Scheißdreck an, du Hurenbock!« keifte sie. Hasard griff zum Knebel, und sie wich erschrocken zurück. Neben dem Bett blieb sie stehen und preßte die sonst so hübschen Lippen zu einem häßlichen Strich zusammen. Hasard gab Dan einen Wink. »Stell dich neben sie«, sagte er zu dem Bürschchen, »und wenn sie ihr Schandmaul wieder aufreißt, klebst du ihr eine.« Dan O’Flynn war mit drei Schritten bei ihr, reichte ihr galant den Arm und sagte mit einem strahlenden Lächeln: »Das ist nicht die Art, eine feine Lady zu behandeln, Sir. Ich muß sagen, ich bin entsetzt über Ihr skandalöses Verhalten! Wenn Sie wirklich überfallen worden sind, so hat ganz bestimmt nicht diese Lady schuld daran. Wahrscheinlich ist auch sie nur ein Opfer der Ereignisse.« Die hübsche Lady schmolz unter Dans Blick wie Butter unter der Sonne. Der häßliche Zug verschwand aus ihrem Gesicht. Sie beugte sich zu Dan hinüber, dem die Augen fast aus dem Kopf fielen, als er Einblick in das weite Dekollete erhielt, und küßte ihn. »Mister …?« Dan vollführte eine gekonnte Verbeugung. »Donegal Daniel O’Flynn, Mylady«, sagte er mit gezierter Stimme.
»Mr. O’Flynn hat völlig recht, Euer Ehren«, erklärte die Lady. »Sir Thomas Doughty hat mich um den Gefallen gebeten, diesen Herrn ein wenig abzulenken. Es wäre mir ansonsten weiß Gott nicht in den Sinn gekommen, einen solchen Flegel mit in meine Suite zu nehmen.« »Mr. Killigrew behauptet, er sei hier überfallen worden, Miß Raby«, sagte Burton. »Man habe ihn hier ermorden wollen.« »Euer Ehren!« rief sie empört. »Das ist eine maßlose Unterstellung. Von Ermordung kann überhaupt keine Rede sein! Soweit mir Sir Thomas gesagt hat, sollte er nur für ein paar Stunden ausgeschaltet werden. Die Millers sollten ihn betäuben, aber doch nicht töten!« »Und warum sollte Mr. Killigrew ausgeschaltet werden?« fragte der fette Friedensrichter, der sich noch immer nicht richtig wohl in seiner Haut fühlte. »Das weiß ich nicht, Euer Ehren!« rief sie. »Auf Ehre und Gewissen! Ich habe nur Sir Thomas den Gefallen tun wollen, das bin ich ihm schuldig nach allen Wohltaten, die er mir hat angedeihen lassen.« Sie schaffte es tatsächlich, ein paar Tränen aus den Augen zu quetschen. Schutzbedürftig lehnte sie sich an Dan, der einen roten Kopf kriegte, als er merkte, daß seine tastenden Finger diesmal nicht auf Widerstand stießen. Hasard unterdrückte ein Grinsen. Das Bürschchen hatte die Gelegenheit genutzt, sich für Hasards Benehmen gegenüber Rose in der »Bloody Mary« zu rächen. Hasard hatte nichts dagegen, daß er sich die Hörner abstieß, und wenn Rose auch sicher talentiert war, von dieser Miß Raby, wie der Richter sie genannt hatte, konnte Dan in einer Nacht mehr lernen als von Rose in einem Jahr. Hasard war zufrieden mit dem, war er gehört hatte. Er glaubte der Lady, daß sie nur den Lockvogel gespielt und nichts von den wahren Absichten Sir Doughtys gewußt hatte. »Damit wäre dann ja alles geklärt«, sagte Samuel Taylor Burton hastig und wo llte sich zur Tür begeben.
»Nicht so eilig, Euer Ehren«, sagte Hasard. »Sie werden doch sicher so freundlich sein und für mich eine Aussageprotokoll von dieser Unterredung anfertigen, nicht wahr? Außerdem hätte ich gern von Ihnen die schriftliche Bestätigung, daß Sie von Sir Thomas hundert Sovereigns erhalten haben, um meine Festnahme zu veranlassen.« Der Hoffnungsfunke in Burtons Augen, noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, erlosch. Hasard sah den Haß in seinen Augen, den er nur schlecht unter seiner Biedermannsmaske verbergen konnte. Hasard spielte wie unbeabsichtigt mit seinem Messer, und Burton verstand die Warnung. Ächzend ließ er sich an dem kleinen Schreibtisch neben dem Fenster nieder und schrieb mit kratzender Feder die Aussage vo n Miß Deborah Raby und das Geständnis der passiven Bestechung. Hasard lächelte zufrieden. Er hatte jetzt bereits zwei Dokumente in der Hand, aus denen die Korruptheit des ehrenwerten Samuel Taylor Burton hervorging. Und er hatte die Aussage der Mätresse vo n Sir Thomas Doughty, daß dieser Dreck am Stecken hatte. Hasard achtete darauf, daß die beiden Dokumente auch die Unterschrift Burtons trugen, und verstaute sie dann in seinem Hemd. »Ich überlasse es Ihnen, Euer Ehren, ob Sie diese saubere Lady inhaftieren oder laufenlassen«, sagte er. Er wandte sich an Dan. »Kommst du mit?« Das Bürschchen war ziemlich intensiv mit Miß Raby beschäftigt. Mit irgend etwas schien Dan ihr Interesse an sich geweckt zu haben. Sie sah nicht so aus, als ob sie bereit wäre, ihn jetzt gehen zu lassen. »Die Lady steht noch unter meinem Schutz«, sagte er mit heiserer Stimme. Hasard sagte nichts. Er deutete eine Verbeugung an, wandte
sich Burton zu und sagte: »Nach Ihnen, Euer Ehren.« Samuel Taylor Burton stampfte aus der Suite, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Er hatte eine schwere Niederlage erlitten, und Hasard ahnte, was in seinem Kopf vor sich ging. Er wird versuchen, die belastenden Dokumente in seine Finger zu kriegen, dachte Hasard. Ich werde in nächster Zeit auf meinen Rücken achten müssen. Er hörte das leise Keuchen von Deborah Raby, und er wußte, daß es Zeit war, die Suite zu verlassen, wenn er Dan O’Flynn nicht den Tag vermiesen wollte.
6. Philip Hasard Killigrew betrachtete skeptisch die hundertfünfzig Soldaten, die sich an der Pier aufgestellt hatten. Es waren abenteuerliche Gestalten darunter. Die meisten von ihnen waren Söldner, die gegen alles und jeden kämpften, wenn man sie nur ordentlich dafür bezahlte. Hasard bezweifelte, ob das die richtigen Männer waren, eine solche Aktion durchzuführen, wie sie ihnen bevorstand. Einige von ihnen trugen zerlumpte Uniformen, deren Stoff ausgeblichen war. Ihr Captain mußte ein ziemlicher Geizkragen sein, wenn er seine Leute so herumlaufen ließ. Die ›Marygold‹ hatte bereits einen neuen Besanmast, und der Zimmermann war mit einigen Leuten dabei, die Lateinerrah anzubringen. Der Profos Carberry griff Hasard unter die Achseln, als er über das Fallreep zum Schanzkleid hinaufgeklettert war und sich darüberschwang. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit grinste Carberry nicht. »Was ist los, Carberry?« fragte Hasard. »Ist euch der Rum ausgegangen?« Der Prof os spuckte in hohem Bogen über Bord.
»Das gefällt mir nicht, Sir«, murmelte er. »Das gefällt mir so wenig wie eine tote Ratte in der Brotsuppe.« Er wies mit seiner schwieligen Hand hinüber zu den Soldaten auf der Pier. »Wenn wir diese verlausten Affenärsche von Landratten an Bord nehmen, kriegen wir alle die Krätze. Der Kapitän hätte sich nicht darauf einlassen sollen.« »Du siehst zu schwarz, Carberry«, sagte Hasard. »Du mußt sie ja nicht für immer behalten. Sie gehen in Irland wieder von Bord.« Carberry schüttelte den Kopf. »Das gefällt mir nicht«, sagte er knurrend. Hasard ließ ihn stehen und ging auf den Niedergang zu, der zum Quarterdeck hinaufführte. Kapitän Francis Drake hatte ihn in die Kapitänskammer der ›Marygold‹ befohlen. Dort sollte mit den Offizieren der Soldaten besprochen werden, wie das Unternehmen in Irland am besten ausgeführt wurde. Hasard hatte von Kapitän Thomas in groben Zügen von dem Unternehmen erfahren. Die drei Schiffe unter dem Kommando von Kapitän Drake sollten die Soldaten nach Irland bringen, wo sich ein neuer Aufstand anbahnte. Genaueres wußte Hasard nicht. Wahrscheinlich würde er es jetzt in der Kapitänskammer der ›Marygold‹ erfahren. Seit seiner letzten Unterredung nach dem Gefecht im Plymouth Sound hatte Hasard Kapitän Drake nicht mehr gesehen. Er überlegte, ob er Drake von seinem Besuch bei Samuel Taylor Burton berichten solle, aber er entschloß sich, nichts davon zu erwähnen. Vielleicht würden die Dokumente, die er den korrupten Friedensrichter hatte schreiben lassen, den Kapitän nachdenklich stimmen, aber er würde der Aussage einer Hure sicher nicht mehr Glauben schenken als den Beteuerungen seines Freundes Sir Thomas Doughty. Hasard zuckte mit den Schultern. Eines Tages würde Kapitän Drake einsehen müssen, daß er einen Fehler begangen hatte, einem Intriganten blindlings zu glauben.
Der Posten vor der Kapitänskammer ließ Hasard passieren, nachdem er angeklopft und den Kommandanten der ›Isabella‹ gemeldet hatte. Fünf Mähner standen in der Kammer und drehten sich zu Hasard um, als dieser den niedrigen Raum betrat. Hasard mußte sich bücken, denn wie bei fast allen Schiffen, auf denen er bisher gefahren war, lag die Decke um einige Zoll zu niedrig für ihn. Von den Anwesenden brauchte nur einer den Kopf etwas zu senken, damit er nicht gegen die getäfelte Decke stieß. Es war ein drahtiger schlanker Mann, dessen schmales Gesicht von schwarzem Kraushaar eingerahmt wurde. Augen wie Kohlestücke schienen sich durch Hasard hindurchzubrennen. Kapitän Drake stand hinter seinen Schreibtisch, auf dem eine Seekarte ausgebreitet war, und lächelte Hasard zu. Wer Francis Drake nicht kannte, hielt ihn für einen biederen Kaufmann. Die gedrungene Körperform, das runde, freundliche Gesicht mit den großen klaren Augen und dem niedrigen Haaransatz, die wohlgeformten Hände und die kurzen Beine paßten einfach nicht zu einem Seehelden, der die Spanier das Fürchten gelehrt hatte. Seitlich vom Schreibtisch stand Kapitän Thomas von der ›Santa Cruz‹. Hasard beneidete ihn um dieses Kommando, war doch die ›Santa Cruz‹ das weitaus größte Schiff ihres kleinen Geschwaders. Sie hatte mit ihren mehr als sechzig Kanonen eine ungeheure Feuerkraft. Hasard hatte sich gewundert, daß Kapitän Drake nicht selbst das Kommando über die ›Santa Cruz‹ übernommen hatte, aber wahrscheinlich hatte sich Francis Drake zu sehr an die ›Marygold‹ gewöhnt, die er inzwischen in- und auswendig kannte und genau wußte, wie sie bei einem Segelmanöver reagierte. John Thomas war ein biederer, waschechter Seebär, blond, blauäugig, vollbärtig und vierschrötig. Ein Kämpfer wie er im Buche stand - wenn ihn jemand anleitete und ihm sagte, was er
zu tun hatte. Thomas war ein Mann, der sich gern unterordnete, weil er eingesehen hatte, daß ihm die Fähigkeit fehlte, sich in ernsten Situationen blitzschnell für das Richtige zu entscheiden. Er war ein gutmütiger Mann, der jedem offen gegenübertrat und fast hilflos der Tücke hinterhältiger Menschen ausgeliefert war. Selbst bittere Erfahrungen hatten ihn nicht ändern können. Er war jedesmal aufs Neue fassungslos, wenn er erkennen mußte, daß jemand ihn hereingelegt hatte. Hasard mochte ihn - nicht zuletzt aus diesem Grunde. Er liebte den grenzenlosen Optimismus dieses Mannes. Neben dem großen Mann mit dem Kraushaar stand ein untersetzter, fadblonder Typ mit blaßblauen Augen, fleischigen Wangen und einem massiven gespaltenen Kinn. Seine feisten Gesichtszüge erinnerten Hasard an irgend jemanden, aber er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Der fünfte Mann blickte Hasard aus klaren blauen Augen an. Er war nicht größer als Kapitän Drake, aber schlank und geschmeidig. Er trug sein langes blondes Haar offen, so daß es ihm in Wellen auf die Schultern fiel. Kapitän Drake sah lächelnd, wie unangenehm Hasard die gebückte Haltung war, in der er dastand und sich von den anderen mustern lassen mußte. »Setzen wir uns, meine Herren«, sagte er. »Sonst verrenkt sich Mr. Killigrew noch den Hals.« Er nahm hinter seinem Schreibtisch in dem geschwungenen Holzstuhl Platz und lehnte sich zurück. Hasard setzte sich auf den freibleibenden Stuhl neben John Thomas. Hasard wußte, daß er unter diesen Männern der unbedeutendste für das geplante Unternehmen war und fühlte sich deshalb nicht wohl in seiner Haut. Warum hatte ihn Drake überhaupt gerufen? Hätte er ihm seine Entschlüsse nicht mitteilen können? Kapitän Drake strich mit seiner schlanken Hand durch den
Vollbart, der fast seine ganze untere Gesichtshälfte bedeckte. Er wies mit der anderen Hand auf den Schwarzhaarigen und sagte: »Das ist Captain ›Black‹ John Norris, Mr. Killigrew, ein alter Spanierfresser. Vielleicht haben Sie schon von ihm gehört.« Hasard war der Name ein Begriff. Ein paar Holländer, die auf den Schiffen seines Vaters gefahren waren, hatten ihm von dem schwarzen Krauskopf berichtet, der in den Niederlanden mit Leicester unter den Spaniern gewütet hatte. Hasard nickte ›Black‹ John Norris zu. Er hatte Achtung vor Männern, die sich einen Kriegsnamen verdient hatten. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Killigrew«, sagte Norris. Sein Gesicht verzog sich zu einem leichten Lächeln. »Ich habe von Ihrem gestrigen Gefecht gehört. Ich wäre gern dabeigewesen.« Hasard warf einen kurzen Blick auf Kapitän Drake, der ihn noch am vorigen Tag wegen dieses Gefechts zurechtgewiesen hatte, aber Drake verzog keine Miene. Er war in die Seekarte vertieft, die vor ihm lag, und überließ es ›Black‹ Norris, die beiden anderen Männer mit Hasard bekannt zu machen. Norris deutete mit einer Handbewegung auf den schlanken, blonden Mann zu seiner Rechten. »Captain James Courcy«, sagte Norris. »Fünfundzwanzig Jahre alt, kriegt die Schnauze nicht auf, aber ein harter Kämpfer.« Hasard grinste, Genau die Mischung, die ich mag, dachte er. Courcy verzog bei der Bemerkung seines dienstälteren Vorgesetzten keine Miene. »Das ist Captain Isaac Henry Burton«, fuhr Norris fort. Das Grinsen in Hasards Gesicht war wie weggewischt. Der Name war ihm wie ein nasser Lappen ins Gesicht geklatscht. Er versuchte seine Abneigung gegen alles, was Burton hieß, nicht zu zeigen, aber es gelang ihm nicht. Er preßte die Lippen aufeinander, als er das überhebliche Grinsen und den blasierten
Gesichtsausdruck des königlichen Offiziers sah. Hasard war es nicht aufgefallen, daß Norris bei Burton auf jede weitere Vorstellung verzichtet hatte. Sonst wäre ihm wahrscheinlich nicht entgangen, daß Norris selbst nicht viel von seinem Unterführer hielt. Hasard wollte fragen, ob Burton mit dem Friedensrichter verwandt sei, aber dann sah er, daß diese Frage völlig überflüssig war. Er wunderte sich, daß er bei der Ähnlichkeit nicht gleich erkannte hatte, um wen es sich hier handelte. Er hatte Isaac Henry Burton nur als kleiner Junge gesehen. Damals war Burton ein einziger Fettkloß gewesen. Heute war er für einen Burton verdammt schlank, aber die fleischigen Wangen verrieten seine Herkunft. Kapitän Drake unterbrach Hasards Gedanken. »So, nachdem die Herren sich kennen, können wir ja beginnen. Captain Norris, bitte erklären Sie den Herren, um was es geht.« ›Black‹ John Norris rückte seinen Stuhl näher an den Schreibtisch heran. »Kapitän Drake wird Ihnen in groben Zügen bereits über unsere Mission berichtet haben«, begann er. »Agenten haben in Erfahrung gebracht, daß James Fitzmaurice Fitzgerald, der Earl of Munster, mit allen Mitteln versucht, eine katholische Allianz zustande zu bringen. Wie Sie wissen, ist Fitzgerald aufs Festland geflohen. Er paktiert mit der spanischen Krone, die ihm finanzielle Unterstützung versprochen hat. Auch der Papst ist mit von der Partie. Ziel ist nicht nur die Befreiung Irlands von der englischen Herrschaft, sondern die Zurückeroberung des ganzen Inselreiches für den katholischen Glauben. Wir haben zuverlässige Informationen, daß die Spanier bereits damit begonnen haben, Waffen, Munition, Werkzeuge und vieles andere in der Nähe von Dungarvan zu landen. Die irischen Aufständischen bringen die Waffen in die Drum Hills, wo sie riesige Lager eingerichtet haben sollen. Unsere Aufgabe
ist es vor allem, diese Lager aufzustöbern und auszuheben. Ohne die spanischen Waffen wird der Aufstand gar nicht erst aufflackern.« Norris blickte Hasard an, als erwarte er eine Frage, aber Hasard dachte nicht daran, etwas zu sagen. Norris würde schon von selbst berichten, worin die Aufgabe der drei Schiffe und ihrer Besatzungen bestand »Mit den drei Galeonen von Kapitän Drake«, fuhr Norris schließlich fort, »werden erstens meine Soldaten in der Dungarvan Bai gelandet, und zweitens sollen die Galeonen die Bucht abriegeln, nachdem die spanischen Schiffe in die Falle gegangen sind.« Wieder traf ein Blick des Captains Hasard. Diesmal sprach Norris ihn an. »Kapitän Drake hat mir berichtet, Sie seien ein Sohn von Vizeadmiral John Killigrew.« Er blickte ziemlich skeptisch auf Hasards schwarze Haare und seine eisblauen Augen. »Dann müßten Sie die Küste um Dungarvan kennen.« Hasard nickte. O ja, er kannte die Dungarvan Bai und die benachbarten Buchten wie seine eigene Hosentasche. Vor Jahren, als der alte John noch einem anderen Geschäft nachging und der Schrecken der Irischen See war, hatten sie oft in der Dungarvan Bai gelauert, um heimkehrende Schiffe zu kapern. Der gerissene Alte hatte mit den Iren ebenso gekunkelt wie mit den Walisern und Schotten, doch der einzige, der davon einen Vorteil gehabt hatte, war Old John gewesen, denn er hatte sie alle skrupellos gegeneinander ausgespielt und dabei nebenher ein beträchtliches Vermögen zusammengerafft. »Ich kenne jeden Stein, der in der Dungarvan-Bucht liegt«, sagte er. Norris nickte zufrieden. »Gibt es in der Bucht einen versteckten Ankerplatz?« fragte er. »Die aufständischen Iren dürfen auf keinen Fall merken, daß wir unsere Truppen landen. Sie dürfen uns noch nicht
einmal sehen, denn dann warnen sie die spanischen Schiffe, und damit wäre unser Unternehmen gescheitert. Wenn es unmöglich ist, in der Dungarvan-Bucht die Männer zu landen, dann müssen wir uns in der Nähe einen Platz suchen.« Hasard schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig, Captain«, sagte er. »Die Bucht ist ziemlich weitläufig. Im Nordosten ist sie unbewohnt und bietet eine Menge versteckter Plätze, wo wir vor Anker gehen können, ohne daß uns irgend jemand entdeckt. Unter der Voraussetzung natürlich, daß wir die Bucht in der Nacht anlaufen.« Kapitän Drake, der der Unterhaltung mit ge schlossenen Augen gefolgt war, hob plötzlich den Kopf. Seine grauen Augen musterten Hasard scharf. »Jeden Stein, Mr. Killigrew?« fragte er leise. »Auch in der Nacht?« »Auch in der Nacht, Sir«, sagte Hasard mit fester Stimme. Für Drake war das Thema damit erledigt, ebenfalls für Norris, der sich bei der Landung ganz auf den Kommandanten der Galeonen verlassen mußte. »Ich möchte mich nicht in Ihre Angelegenheiten mischen, Captain«, sagte die quäkende Stimme von Isaac Henry Burton in die Stille, »aber ich halte es bei einer solch wichtigen Mission für sehr leichtfertig, auf das Wort eines jungen Mannes zu vertrauen, dessen Herkunft zweifelhaft ist und der sich offensichtlich maßlos überschätzt.« Kapitän Drakes Kopf ruckte hoch. Der freundliche Ausdruck war von seinem Gesicht verschwunden. In seinen grauen Augen blitzte es. Er schien eine scharfe Erwiderung auf den Lippen zu haben, doch dann glitt sein Blick zu Philip Hasard Killigrew hinüber, dem die Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Hasard fühlte einen Schauer der Wut den Rücken hinunterrinnen. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl er
dem feisten Burton am liebsten ins Gesicht gesprungen wäre. Die Gedanken jagten in seinem Hirn. Was hatte Burton mit der »zweifelhaften Herkunft« gemeint? Gewiß, viele hatten schon angezweifelt, daß der schlanke, blauäugige und schwarzhaarige Hasard ein Sohn des rothaarigen Bullen John Killigrew sei, aber in Burtons Worten hatte ein gemeiner Unterton mitgeschwungen. Hasards Wangenmuskeln zuckten, als er die Zähne fest aufeinanderpreßte, um sich nicht zu einer unbedachten Antwort hinreißen zu lassen. Er dachte an den ehrenwerten Samuel Taylor Burton, seines Zeichens Friedensrichter und korrupter Beamter. Warum sollte dessen Bruder einen anderen Charakter haben? Lohnte es sich, deswegen in Wut zu geraten? Was kümmerte es den Mond, wenn ihn ein Hund anbellte? Hasards Wut verrauchte, und er war froh darüber. Er sah das blasierte Grinsen, das um Burtons Lippen spielte, und dachte, daß sich eines Tages sicher die Gelegenheit ergab, zu beweisen, wer sich hier maßlos überschätzte. Captain Norris hatte absichtlich die Reaktion Hasards abgewartet. Seinem Gesicht war die Zufriedenheit darüber abzulesen, daß Hasard sich nicht hatte provozieren lassen. »Ich wäre tatsächlich dankbar, wenn Sie sich nicht in meine Kompetenzen mischen würden, Captain Burton«, sagte er mit schneidender Stimme. »Und ich hoffe, daß es das letzte Mal gewesen ist, verstanden?« Isaac Henry Burton schob das massive, gespaltene Kinn vor und nickte kaum merklich. »Verstanden?« wiederholte ›Black‹ Norris leise. »Jawohl, Captain«, sagte Burton. Seine fleischigen Wangen hatten sich gerötet und zitterten leicht. ›Black‹ Norris kümmerte sich nicht mehr um ihn. Er wandte sich wieder Kapitän Drake, John Thomas und Hasard zu. »Wir verteilen unsere Leute auf drei Galeonen«, sagte er. »Ich werde mit Kapitän Drake fahren, Courcy mit Kapitän
Thomas und Burton mit Mr. Killigrew.« Die letzten Worte sagte er ziemlich scharf, um jeden Widerspruch im Keim zu ersticken. »Ich wünsche uns allen, daß unsere Aktion ein voller Erfolg wird.« Er blickte Kapitän Drake an, der langsam aufstand. »Das wär’s, meine Herren«, sagte er. »Den Worten von Captain Norris habe ich nichts mehr hinzuzufügen. »Morgen früh laufen wir aus.« Sie erhoben sich alle und verließen die Kapitänskammer. Nur ›Black‹ John Norris blieb zurück. Wahrscheinlich hatten sich die beiden Haudegen eine ganze Menge zu erzählen. Hasard warf einen Seitenblick auf Captain James Courcy. Der Mann hatte während der ganzen Unterredung nicht eine Miene verzogen. Auf welcher Seite stand er? Hielt er etwa mit Burton zusammen? Hasard schüttelte den Kopf. Nein, Courcy war ein Typ, der nur eine einzige Seite kannte: seine eigene. Er hielt sich aus allem heraus. Hasard war gespannt, wie dieser schlanke, geschmeidige Mann reagierte, wenn es ihm selbst an den Kragen ging. An der Pier trennten sie sich. Kapitän John Thomas und James Courcy gingen zur ›Santa Cruz‹ hinüber, die einen neuen Großmast erhalten hatte. Hasard schwenkte zur ›Isabella‹ ab. Er hörte trippelnde Schritte hinter sich. Er spürte wieder die Wut auf Burton in sich hochsteigen, und absichtlich beschleunigte er seine Schritte. Isaac Henry Burton begann zu keuchen, und als Hasard das Fallreep der ›Isabella‹ erreicht hatte und sich nach dem Captain umdrehte, sah er, daß Burtons Gesicht gerötet war. Das blasierte Grinsen war verschwunden. Hasard spürte den Haß, den Burton ihm entgegenbrachte, fast körperlich. »Warum rennen Sie hinter mir her, Captain?« fragte Hasard kalt. »Wollen Sie sich nicht um Ihre Männer kümmern? Lassen Sie zuerst das Gepäck und die Waffen an Bord bringen. Die
Nacht verbringen Sie am besten noch an Land, dort ist die Luft besser als auf unserem Zwischendeck.« Wortlos wandte sich Burton ab und stiefelte auf die Soldaten zu, die bereits ihre Befehle von Captain James Courcy entgegennahmen. Hasard ging an Bord der ›Isabella‹. Ben Brighton, Ferris Tucker und Batuti standen in der Kuhl hinter dem Schanzkleid und blickten Hasard fragend an. »Was ist denn das für ein Lackaffe?« fragte Ferris Tucker schließlich. Hasard spuckte ins Wasser. »Captain Isaac Henry Burton, Offizier Ihrer Majestät Elisabeth I., Bruder des korrupten Friedensrichters und ein ebenso widerliches Schwein wie alle aus der Burton-Sippe. Zum Teufel, ich hätte lieber Skorbut an Bord als diesen bornierten Bastard!« Batuti rollte mit den Augen. »Nix ärgern, Sir«, sagte er. »Unterwegs wir schmeißen ihn ins Meer für Fische zu fressen.« Hasard grinste. »Dafür würde man mich hängen, Batuti«, sagte er. »Oh, nix mit Absicht machen«, erwiderte der Schwarze. »Tau liegen in Weg, er stolpern, kleinen Tritt in fetten Arsch, und weg sein er.« Hasard wurde wieder ernst. »Nichts da«, sagte er scharf, damit Batuti begriff, daß er ein solches Vorgehen ablehnte. »Niemand faßt den Captain an, verstanden? Wer es dennoch wagt, den lasse ich auspeitschen!« Der riesige Neger schüttelte den Kopf. Er verstand die Welt der Weißen nicht so recht. Warum durfte man einem Mann, den man nicht mochte, nicht zeigen, was man von ihm hielt? Hasard bat Ben Brighton und Ferris Tucker aufs Quarterdeck und berichtete ihnen von der Unterredung auf der ›Marygold‹. Ben Brighton wollte sich darum kümmern, daß sie genügend
Frischwasser für die Fahrt zur irischen Südostküste an Bord hatten. Ferris Tucker sollte den Soldaten ihren Platz im Frachtraum zuweisen, wo sie ihre Waffen und ihr Gepäck unterbringen konnten. Hasard zog sich in die Kapitänskammer zurück. Ferris Tucker hatte die Schäden in der Decke ausgebessert, der Schreibtisch hatte ein neues Bein. Hasard ließ sich in den Stuhl fallen und lehnte sich zurück. Ihm gingen die Worte Isaac Henry Burtons nicht aus dem Sinn. »Zweifelhafte Herkunft« hatte er gesagt. War das nur eine Beleidigung gewesen? Oder hatte Burton damit etwas Bestimmtes gemeint? Der gehässige Unterton hatte Hasard überhaupt nicht gefallen. Er zuckte mit den Schultern, holte aus seinem Stapel Karten die von der Südküste Irlands hervor und rollte sie auf dem Schreibtisch aus. Er hatte jetzt wirklich an wichtigere Dinge zu denken als an ein paar dreckige Bemerkungen eines bornierten Affen.
7. Die lauten Befehle Ben Brightons durchbrachen die Stille des jungen Morgens. Eilige Schritte trommelten auf den Planken des Decks. Mit lautem Rauschen fiel das Großsegel, und die Wanten und Blöcke begannen zu knarren, als sich der Wind in der Leinwand fing. Plymouth schlief noch. Die Bewohner der Stadt hatten den furchtbaren Morgen von vor zwei Tagen bereits vergessen. Der Alltag, die ewige Sorge um die Existenz, nahm ihre Gedanken wieder voll in Anspruch. Hasard stand an der Brüstung des Quarterdecks und blickte zu den anderen beiden Galeonen hinüber, die sich langsam von der Pier lösten. Die ›Marygold‹ gewann schnell Abstand von
Land und nahm die Spitze. Die ›Santa Cruz‹ bewegte sich schwerfällig, so daß Hasard mit dem Setzen der Segel warten mußte, da die ›Isabella‹ die Order hatte, am Schluß des kleinen Geschwaders zu segeln. Flüche schollen aus dem Laderaum der ›Isabella‹ herauf. Die Soldaten hatten sich die Reise auf den Galeonen sicher bequemer vorgestellt, doch Kapitän Drake hatte ausdrücklich befohlen, daß sie sich unter Deck aufzuhalten hätten, um keinerlei Verdacht zu erregen. Die Nachricht eines harmlos scheinenden Fischers konnte genügen, um die Iren zu warnen und das ganze Unternehmen von vornherein zum Scheitern zu verurteilen. Für Captain Isaac Henry Burton hatte Hasard eine Kammer auf dem Achterschiff räumen lassen, und Burton hatte sie wortlos mit Beschlag belegt. Seit den kurzen Worten, die Hasard am gestrigen Abend an der Pier vor der ›Isabella‹ zu Burton gesprochen hatte, war kein weiteres Wort mehr zwischen ihnen gefallen. Die Stimmung zwischen ihnen war so herzlich wie zwischen dem englischen Gouverneur in Irland und der einheimischen Bevölkerung. Hasard dachte nicht daran, sie aufzubessern. Er kannte Typen wie Isaac Burton zur Genüge. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er die nächste Gemeinheit vom Stapel ließ. Burton hatte sich zu seinen Leuten unter Deck begeben. Hasard konnte nur hoffen, daß der Mann klug genug war, seine Soldaten nicht gegen die Männer der ›Isabella‹ aufzuhetzen, die wahrhaftig nichts dafür konnten, daß Drake ihnen den Platz im Frachtraum zugewiesen hatte. Hasard nahm sich vor, den Soldaten die Überfahrt zu erleichtern, indem er sie häufiger in kleinen Gruppen an Deck gehen ließ, damit sie frische Luft schnappen konnten. Die drei Galeonen verließen die Mill Bay und segelten unter den Kanonen von Fort Eastern King vorbei auf St. Nicholas Island zu, Schloß Edgcumbe wurde von den ersten Strahlen der
aufgehenden Sonne in ein blutiges Rot getaucht, und im Süden waren die scharfen Konturen von Penlee Point zu sehen. Kleine Fischerboote mit großen Laternen am Bug zogen an ihnen vorbei. Die Fischer winkten. Eine große Ruhe erfüllte Hasard. So war es immer, wenn er mit einem Schiff den Hafen verließ. Er liebte das Meer, seine unendliche Weite, die andere in den Wahnsinn trieb. Er spürte keine Angst vor der mächtigen Natur, die sich nirgends so gewaltig austobte wie auf dem nassen Element. Er fühlte sich dem Meer verwandt, auch wenn sie einander immer wieder bekämpften. Langsam schoben sich die Galeonen auf Penlee Point zu, das die Einfahrt in den Plymouth Sound markierte. Jetzt hatte auch die ›Isabella‹ das Focksegel und das Großmarssegel gesetzt. Der Wind blies aus Ostnordost. Wenn er seine Stärke und seine Richtung beibehielt, würden sie Dungarvan bereits am nächsten Tag erreichen. Hasard warf einen Blick zur Kuhl hinunter, wo Batuti neben dem Niedergang zum Frachtraum stand und mit den Fingern seiner linken Hand die schwarzen Kraushaare kraulte. Die Rechte lag auf dem Griff eines Belegnagels, der in seinem Hosengürtel steckte. Der riesige Neger sah aus, als ob er etwas im Schilde führe, doch Hasard konnte sich nicht denken, daß Batuti seinen Befehl vom gestrigen Abend ignorieren und Burton anfassen würde. Er wollte etwas zu dem Schwarzen hinunterrufen, doch dann schüttelte er den Kopf. Verdammt, dieser feiste Burton spukte viel zuviel durch seine Gedanken. Es wurde Zeit, daß er lernte, einer Provokation gelassen zu begegnen. Er drehte sich um und steuerte auf die Tür zu, die zu den Kammern unter dem Achterdeck führte. Das Schiff war bei Ben Brighton in guten Händen. Es war besser, wenn er sich noch einmal mit der Untiefe östlich der Buchtöffnung bei Dungarvan beschäftigte, die im Laufe der Jahre ihre Lage stetig
verändert hatte. Hasard war vor zwei Jahren zuletzt an der südlichen irischen Küste gewesen, und jetzt fragte er sich wieder, ob er gestern bei der Besprechung in Kapitän Brakes Kammer nicht wirklich zu großspurig gewesen war, als er behauptet hatte, die Bucht auch bei Nacht anlaufen zu können. Er schüttelte den Kopf. Bis auf die Untiefe konnte sich schließlich nichts verändert haben. Er sah die schmale Einfahrt der Seitenbucht vor sich, die er sich für ihr Unternehmen ausgesucht hatte. Die ›Marygold‹ und die ›Isabella‹ würden keine Probleme haben. Einzig die ›Santa Cruz‹ mit ihrem großen Tiefgang mußte haargenau in der Fahrrinne bleiben, sonst würden die scharfen Klippen ihren Rumpf aufreißen. Hasard nahm sich vor, noch einmal mit Kapitän Thomas zu sprechen und notfalls als Lotse auf die ›Santa Cruz‹ zu gehen. Hasard hatte sich gerade auf seinen Stuhl fallen lassen, als er laute Stimmen hörte. Im ersten Moment glaubte er, daß Ben Brighton einen der Männer zusammenstauchte, doch dann klang das quäkende Organ Isaac Henry Burtons an sein Ohr. Hasard lehnte sich zurück. Wenn es sich vermeiden ließ, wollte er einer Auseinandersetzung mit Burton aus dem Wege gehen. Er hoffte, daß Ben mit dem Theater allein fertig wurde. Er hatte sich getäuscht. Es dauerte keine Minute, da donnerte eine Faust gegen die Tür der Kapitänskammer. Bevor Hasard den Mund auftun konnte, wurde die Tür aufgestoßen, und der Kopf des Kutschers erschien in dem Spalt. »Sir!« sagte er hastig. »Dieser blöde Captain hat Batuti eine mit der Peitsche übergebraten, und jetzt sind alle Soldaten an Deck und …« Hasard war mit einem Satz auf den Beinen. »Alle Soldaten an Deck?« fragte er überrascht. Der Kutscher nickte. »Wer zum Teufel …« Hasard sprach nicht weiter. Die Frage, die er auf den Lippen gehabt hatte, war leicht zu beantworten.
Auf der ›Isabella‹ befand sich zur Zeit nur ein Mann, der es wagte, einen Befehl von ihm zu mißachten. Hasard nahm seine sächsische Pistole, mit der er zwei Kugeln abfeuern konnte, vom Schreibtisch und steckte sie in den Hosenbund. Er spürte wieder die Wut in sich aufsteigen. Er haßte Leute wie diese Burtons, die überall, wo sie auftauchten, nur Ärger verursachten. Der Kutscher war vorausgelaufen und stand am Niedergang zur Kuhl, als Hasard das Quarterdeck betrat und zur Brüstung hinüberging. Auf der Kuhl hatten sich zwei Fronten gebildet. Auf der einen Seite standen dichtgedrängt die Soldaten. Einige hielten die Griffe ihrer Degen und Rapiere umklammert. Ihnen gegenüber hatten sich Hasards Männer zusammengeschart. An ihren Gesichtern sah Hasard, wie wütend sie waren. Sie starrten auf Isaac Henry Burton, der sich vor Batuti aufgebaut hatte und die kurzstielige Peitsche gegen seinen Stiefel klatschen ließ. Batuti stand unbewegt wie ein Fels. Über seine linke Schulter lief ein schmaler Streifen, der dunkel glänzte. Hasard erkannte, daß es Blut war. In der linken Hand hielt Batuti einen Belegnagel, mit der rechten hatte er Dan O’Flynn im Griff, der drauf und dran war, sich auf den Captain zu stürzen. »Wird’s bald, du schwarze Mißgeburt!« schrie Burton. »Oder soll ich dir die Peitsche erst durch dein Affengesicht ziehen?« Mit ein paar Sätzen war Hasard am Niedergang. Er stieß den Kutscher beiseite, der sich nur mit Mühe an den Wanten des Großmastes festhalten konnte. Hasard nahm sich nicht erst die Zeit, die Stufen des Niedergangs zu benutzen, er schwang sich vom Quarterdeck hinunter und landete federnd auf den Planken der Kuhl. Captain Burton hatte die Hand mit der Peitsche erhoben. Die Männer der ›Isabella‹ brüllten ihren Zorn hinaus und drängten vor, nur Batuti schien der ganze Aufruhr nicht zu berühren. Er
hatte Hasard gesehen und wußte, daß dieser Captain bald keine großen Töne mehr spucken würde. Hasard umrundete das Gangspill und stellte sich vor Batuti. Mit einer kurzen Handbewegung scheuchte er Dan O’Flynn zurück, dessen Gesicht vor Zorn glühte. »Was hat das zu bedeuten, Captain?« fragte Hasard und bemühte sich, ruhig zu bleiben, aber er konnte ein Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. Burtons Gesicht war von roten Flecken übersät. Seine fleischigen Wangen wackelten vor Erregung. Zuerst glaubte Hasard einen Ausdruck von Wut in dessen blaßblauen Augen zu erkennen, doch dann sah er, daß es etwas anderes war. Isaac Henry Burton war ein Schinder, der gern andere Menschen quälte. Ein andersfarbiger Mann wie Batuti schien ihm gerade recht, seine Veranlagung auszutoben. »Dieser dreckige schwarze Hund hat es gewagt, mich anzugrinsen!« quäkte Burton. »Mich, einen Offizier der königlichen Armee!« Hasard drehte sich kurz zu dem riesigen Neger um. »Zeig deine Hände her, Batuti«, sagte er. Die Männer der ›Isabella‹ und die Soldaten waren plötzlich leise. Außer den Geräuschen des Windes und dem Knarren der Takelage war nur noch der stoßweise gehende Atem des Captains zu hören. Batuti steckte den Belegnagel in den Hosenbund und hielt Hasard grinsend die Hände entgegen. Hasard drehte sie um und schaute sie an. Er nickte und wandte sich wieder Captain Burton zu. »Darf ich jetzt Ihre Hände sehen, Captain?« fragte er ruhig. Burton blickte den Seewolf blöde an. Wahrscheinlich war er viel zu überrascht von dem seltsamen Ansinnen, sonst hätte er sich bestimmt geweigert, der Aufforderung Folge zu leisten. Hasard sah auf den ersten Blick die schwarzen Ränder unter den Finge rnägeln des Captains, und ein kaum sichtbares
Lächeln huschte für einen Sekundenbruchteil über sein Gesicht. »Schauen Sie sich Batutis Fingernägel an und dann Ihre, Captain«, sagte Hasard. »Damit wäre wohl geklärt, wer hier dreckig ist. Zu Batutis Grinsen kann ich Ihnen sagen, daß er immer grinst. Das ist eben so, er kann nicht anders. Und als letztes möchte ich gern wissen, was Sie von ihm verlangen, damit er nicht Ihre Peitsche zu spüren kriegt.« Hasard beobachtete das Gesicht Burtons, in dem sich ein ganzes Drama abzuspielen schien. Die Farbe wechselte von blaß zu rot und dann zu gelb. Keuchend holte Burton Atem. Das massive, gespaltene Kinn zitterte. Hasard wunderte sich über sich selbst. Er war froh darüber, daß er so ruhig geblieben war. Er dachte an den alten Shane, den Schmied von Arwenack, der trotz seiner enormen Kräfte selten dazu genötigt gewesen war, sich mit roher Kraft durchzusetzen. Du hast recht, Shane, dachte Hasard. Der Mann, der seinen kühlen Verstand behält, wird immer im Vorteil sein. Burton fing sich nur langsam. Die Knöchel seiner rechten Hand, mit der er den kurzen Stiel der Peitsche hielt, traten weiß hervor. In seinem linken Auge war ein winziges Äderchen geplatzt und färbte den hervorstehenden Augapfel rot. »Halten Sie sich da raus, Killigrew!« Er sprach abgehackt, immer wieder von stoßartigen Atemzügen unterbrochen. »Ich hab dem Nigger einen Befehl gegeben, und er wird meine Peitsche zum zweitenmal spüren, wenn er ihn nicht ausführt!« »Mister Killigrew, wenn ich bitten darf, Captain«, sagte Hasard, »und Sie haben mir immer noch nicht verraten, welchen Befehl Sie Batuti gegeben haben.« »Der Nigger wird mir, einem königlichen Offizier, die Stiefel ablecken«, erwiderte Burton und bemühte sich, den blasierten Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern, den er für ein Merkmal des wahren Gentlemans hielt.
Hasard spürte, wie ihn allmählich die Wut packte. Er mußte sich zusammenreißen, um dem aufgeblasenen und tückischen Affen nicht die Faust ins feiste Gesicht zu schlagen. Seine Stimme klang jetzt scharf, als er sagte: »Auf diesem Schiff gibt es nur einen, der irgendeinem Menschen etwas befehlen kann. Und das bin ich, Mr. Burton. Schreiben Sie sich das hinter ihre wahrscheinlich ebenfalls dreckigen Ohren!« Burton überging die letzte Bemerkung. »Sie wollen doch dieses schwarze Schwein nicht als Menschen bezeichnen«, sagte er mit schriller Stimme. Hasards Beherrschung zerplatzte wie eine Seifenblase. Als er sah, daß Burton die Peitsche hob, um sie auf Batuti niederfahren zu lassen, griff er blitzschne ll zu. Mit einem Ruck entriß er Burton die Peitsche und zog sie ihm quer über das feiste, fleckige Gesicht. Dann flog die Peitsche im hohen Bogen außenbords und versank in den gischtenden Wogen. Isaac Henry Burton brüllte vor Wut und stürzte sich auf den Seewolf. Hasard hatte das verräterische Blitzen in den blutunterlaufenen Augen gesehen und war auf den Angriff vorbereitet. Ein kurzer Schritt zur Seite genügte, um den bulligen Burton leerlaufen zu lassen. Hasard drosch ihm die Faust in den Nacken. Er dachte nicht daran, Burton zu schonen. Was jetzt geschah, hatte sich Burton selbst zuzuschreiben. Hasard warf einen kurzen Blick zu den Soldaten hinüber, die mit grimmigen Gesichtern vorrücken wollten. »Ferris, Blacky, Batuti!« rief Hasard. »Haltet mir den Rücken frei! Wenn es jemand wagt, mich anzugreifen, dann knallt ihn über den Haufen!« »Gilt das auch für den Captain?« fragte Smoky erwartungsvoll und richtete seine Pistole, die er irgendwo hergezaubert hatte, auf Burton. Ben Brighton riß Smoky den Arm zurück. Die Mündungen der Pistolen zeigten auf die Bäuche der Soldaten, die
stehengeblieben waren. Burtons Männer schnitten grimmige Gesichter, etwas anderes blieb ihnen nicht übrig, denn sie hatten ihre Feuerwaffen unter Deck gelassen. Der Captain hatte sich fluchend aufgerappelt. Sein Gesicht war eine Fratze. Tödlicher Haß glitzerte in seinen Augen, und wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, Hasard in diesem Moment zu töten, er hätte es ohne zu zögern getan. Vielleicht hätte Isaac Henry Burton zähneknirschend den Rückzug angetreten, aber dann sah er das grinsende Gesicht Batutis und hörte das schadenfrohe Lachen des jungen sommersprossigen Burschen, der ihm vorhin an die Kehle hatte fahren wollen. Burton sah rot. Nur verschwommen erkannte er die Umrisse des großen schlanken Mannes, der ihn vor den Augen seiner Leute gedemütigt und der Lächerlichkeit preisgegeben hatte. Er holte aus und drosch seine Faust nach vorn. Hasard wischte die Faust wie ein lästiges Insekt zur Seite und hieb Burton die flache Hand ins Gesicht, daß es nur so klatschte und bis zur ›Marygold‹ und ›Santa Cruz‹ hinüber zu hören war. Hasard hatte längst gesehen, daß man auf den beiden anderen Schiffen aufmerksam geworden war. Auf dem Achterdeck der ›Marygold‹ erkannte er Kapitän Drake und ›Black‹ John Norris, die mit Kiekern zur ›Isabella‹ herüberstarrten und wie die Irren winkten. Hasard dachte nicht daran, einzulenken. Im Augenblick war es ihm völlig gleichgültig, was Francis Drake zu seinem Vorgehen sagte. Er wollte Burton eine Lektion erteilen, und wenn er damit fertig war, würde der Captain ein für allemal wissen, wer auf der ›Isabella‹ die Befehle gab. Hasard hatte einen Moment nicht auf Burton geachtet, der mit dem Rücken gegen das Gangspill geprallt war und sich auf den Hosenboden gesetzt hatte. Als Burton sich aufrappelte, hielt er eine Spillspake in beiden Händen, die er aus der Halterung
gerissen hatte. Gebückt wich er einen Schritt zurück, das schwere, harte Holz in den vorgestreckten fleischigen Fäusten. Die Männer der ›Isabella‹ hielten den Atem an. Ein Raunen ging durch die Reihen der Soldaten, die eine neue Chance für ihren Captain sahen. Hasard wich aus der Reichweite der Spillspake. Er wußte plötzlich, daß er zu leichtsinnig gewesen war. Er hatte Burton unterschätzt. Der bullige Mann war ein anderes Kaliber als sein fetter Bruder in Plymouth, den das Stadtleben verweichlicht hatte. Burton zögerte nicht lange. Er wollte seinen Vorteil nutzen. Er griff an. Das kantige Ende der Spillspake stieß auf den Seewolf zu, der sich mit einer ge schmeidigen Bewegung in Sicherheit brachte. Burton setzte nach. Hasard sah die Mordlust in den Augen des Captains, und er hoffte, daß Burton mit der schweren Spake nicht allzu gut umgehen konnte. Wenn es ihm gelang, dem Holz auszuweichen und an Burton heranzukommen, sah die Sache wieder anders aus. Hasard versuchte es, aber Burton drehte sich blitzschnell. Die Spillspake krachte in Hasards Seite und schleuderte ihn gegen die Lafette einer Steuerbordkanone. Der Schmerz raste in Wellen durch seinen Körper. Sterne tanzten vor seinen Augen, und einen Moment dachte er, Burton hätte ihn in zwei Teile geschlagen. Der Triumphschrei Burtons brachte ihn wieder zur Besinnung. Er wälzte sich herum und hörte dicht neben sich das Splittern von Holz. Burton hatte die Spillspake auf den Schildzapfen der Kanone gedonnert. Sie war gesplittert, und der wutschnaubende Captain versuchte, das herabhängende Stück abzureißen, indem er seinen Fuß darauf stellte und am anderen Ende zerrte. Hasard zog sich an der Traube des Geschützes in die Höhe. Seine linke Seite war taub, aber er konnte den Arm noch
bewegen. Bevor Burton die beiden Teile der zerschmetterten Spillspake voneinander trennen konnte, war Hasard bei ihm. Diesmal schlug er nicht mit der flachen Hand zu. Seine Faust traf den bulligen Captain seitlich am massiven Kinn. Burton brüllte wie ein Stier. Er kippte um wie ein nasser Sack, da er die Spillspake nicht loslassen wollte. Hasard trat ihm das Holz aus der Hand. Seine beiden Fäuste schossen vor und packten Burton an der Uniformjacke. Das Brüllen des Captains ging in ein Jaulen über. Hasard trieb ihm die rechte Faust in die kurzen Rippen, wich einem gemeinen Tritt Burtons aus und schleuderte ihn zurück. Burton stolperte und krachte mit dem Rücken auf die Gräting. Im nächsten Augenblick hatte der Seewolf ihn wieder hochgerissen und verpaßte ihm die nächsten Schläge. In Hasards Seite wütete der Schmerz. Er achtete nicht darauf. Er stellte sich den bulligen Burton, der jetzt nur noch ein wimmernder Feigling war, zurecht und schlug erbarmungslos zu. Links, rechts prasselten die Schläge auf den Captain nieder, und Burton wußte nicht mehr, welche Körperteile er zuerst schützen sollte. Burton sank wimmernd in die Knie. Er preßte die Hände vor das geschwollene Gesicht. Ein Zittern durchlief seinen Körper. Hasard hielt inne und richtete sich auf. Sein Atem hatte sich kaum beschleunigt. Er faßte sich an die schmerzende linke Seite und ärgerte sich, daß er dem Schlag mit der Spillspake nicht hatte ausweichen können. Hasard drehte sich zu Be n Brighton um. »Hol seine Klamotten aus der Kammer«, sagte er heiser. »Ich will den Kerl nicht mehr auf dem Achterdeck sehen.« Ben Brighton gab den Befehl an den Kutscher weiter, der wie ein Wiesel den Niedergang zum Quarterdeck hinaufhuschte. Hasard packte den wimmernden Burton am Kragen und schleifte ihn über Deck. Mitleidlos ließ er den Captain die
Stufen zum Lagerraum hinunterrutschen. Dem Kutscher, der inzwischen mit den Sachen Burtons aufgetaucht war, befahl er, alles hinter dem Captain herzuwerfen. Dann drehte sich der Seewolf um und musterte grimmig die Soldaten. »Der Befehl Kapitän Drakes lautete, daß ihr unter Deck zu bleiben habt«, sagte er scharf. »Wer nicht in ein paar Minuten nach unten verschwunden ist, den lasse ich an eine Gräting binden und auspeitschen, klar?« Er drehte sich um und sah auf halbem Wege aus den Augenwinkeln die Bewegung eines der Soldaten. Hasard wirbelte herum. Die Hand des großen Mannes, die nach ihm greifen wollte, zuckte zurück. »Hast du Dreck in den Ohren?« Hasards Stimme war nicht laut, aber sie traf den Soldaten, der genauso groß wie der Seewolf war, wie ein Peitschenschlag. Er trat vorsichtshalber einen Schritt zurück und schüttelte unwillig den Kopf. »So geht das ja nun auch nicht, Mister«, sagte er. »Sie können nicht einfach einen Offizier der Königin verkloppen. Wer sind Sie eigentlich …« Mit drei Schritten war Hasard bei dem Riesen und zog ihn am Halstuch zu sich heran. »Ich will dir genau sagen, wer ich bin, du Hosenscheißer«, sagte er laut, daß die anderen ihn deutlich verstehen konnten. »Hier auf dem Schiff bin ich der liebe Gott. Hier zählt nur ein Wort, und das ist meins. Wenn noch einmal einer von euch das Maul aufreißt, dann schmeiße ich ihn persönlich über Bord und verfüttere ihn an die Fische. Hast du mich verstanden, du Hornochse?« Der Riese glaubte Hasard vom Schlag mit der Spillspake geschwächt. Er rechnete sich eine Chance aus und hob die rechte Faust, um sie Hasard an den Kopf zu feuern. Der Seewolf explodierte. Der Riese hatte seine Ausholbewegung noch nicht vollendet, da krachte Hasards Faust schon in seine Magengrube. Ächzend knickte der Riese
in der Mitte zusammen. Zwei blitzschnelle Haken richteten ihn wieder auf, eine gestochene Gerade landete wie ein Geschoß an seiner Kinnspitze, und schleuderte ihn gegen das Gangspill, an dem er mit glasigen Augen hinunterrutschte. Hasard baute sich breitbeinig über ihm auf. »Verstanden, du Hornochse?« Der Riese schüttelte benommen den Kopf. Sein linkes Auge war zum Himmel gerichtet, als suche es den Orkan, der eben über ihn hinweggebraust war. »Jawohl, Mister«, sagte er undeutlich. »Das heißt hier nicht: jawohl, Mister, sondern: aye, aye, Sir! Geht das in das Ding, was du da als Kopf auf dem Hals trägst, hinein, du Elefantenbaby?« Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Riesen aus. »Aye, aye, Sir«, sagte er nuschelnd. Dann kippte er zur Seite, und sein Kopf schlug mit einem hohlen Laut auf die Decksplanken. Hasard wandte sich den übrigen Soldaten zu. »Nehmt ihn mit und verschwindet unter Deck«, sagte er. »Oder weiß noch jemand nicht, wer hier die Befehle gibt?« Es herrschte Stille. Vier Soldaten hoben ihren Profos hoch und schleppten ihn zum Niedergang, der zum Frachtraum führte. Sie mußten durch ein Spalier von grinsenden Seeleuten, die sich bei dem Spektakel köstlich amüsiert hatten. Einer nach dem anderen verschwanden die Soldaten im Frachtraum. Hasard wollte zum Quarterdeck hinaufgehen, als Ben Brighton ihn anstieß. Er drehte sich um und erschrak fast, als er den riesigen Schatten entdeckte, den die Segel der ›Marygold‹ warfen. Kapitän Drake hatte sein Schiff an die ›Isabella‹ heranmanövriert und segelte jetzt auf Parallelkurs etwa zwanzig Yards querab. In Drakes Gesicht war nichts von seiner sonstigen Heiterkeit zu sehen. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und blickte mit zusammengezogenen Brauen zur ›Isabella‹ herüber.
»Würden Sie mir bitte erklären, was bei Ihnen an Bord los ist, Mr. Killigrew?« rief er herüber. Seine Stimme klang ziemlich ungehalten. Hasard trat an das Schanzkleid. Bei jedem Schritt schmerzte seine linke Seite. Das taube Gefühl war verflogen und einem harten Pochen gewichen, das noch schlimmer war als die Schmerzwellen, die durch seinen Körper jagten. »Ich mußte Mr. Burton einhämmern, daß nur der Kommandant hier auf der ›Isabella‹ Befehle gibt, Sir!« rief Hasard und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Die Art, wie Sie das taten, gefiel mir überhaupt nicht, Mr. Killigrew!« Francis Drakes Stimme war deutlich anzuhören, daß er das Vorgehen des Seewolfs mißbilligte. »Sir!« rief Hasard. »Sie würden es auch niemandem an Bord Ihres Schiffes gestatten, einen Mann Ihrer Crew als dreckiges Schwein zu bezeichnen und von ihm zu verlangen, seine Stiefel abzulecken, nur weil dieser Mann eine dunkle Hautfarbe hat!« Hasard sah, wie Kapitän Drake zusammenzuckte und ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg. Hasard wußte, daß er die richtigen Worte gewählt hatte. Drake haßte Männer, die ordinär fluchten und auf andere Menschen hinabschauten, nur weil diese eine andere Hautfarbe hatten. Hasard sah, wie Drake auf Captain Norris einredete. ›Black‹ John Norris zuckte nur mit den Schultern. Wahrscheinlich kannte er Isaac Henry Burton gut genug, um zu wissen, daß Hasards Bericht der Wahrheit entsprach. Als Kapitän Drake sich umdrehte und seinem Bootsmann befahl, von der ›Isabella‹ abzuscheren, winkte ›Black‹ Norris kurz zu Hasard hinüber. Hasard bemerkte das Lächeln auf dem Gesicht des Captains mit Erstaunen. »Der sieht aus, als freue er sich, daß du Burton eine Abreibung verpaßt hast«, sagte Ben Brighton neben ihm.
Hasard nickte. Ben hatte wohl recht. Isaac Henry Burton war ein Mann, der unter aufrechten und ehrlichen Menschen kaum Freunde fand. Hasard stöhnte leise, als er sich umdrehte. »Ist es schlimm?« fragte Ben besorgt. Hasard zuckte mit den Schultern. »Wird schon wieder weggehen«, sagte er gequält. »Schick mir den Kutscher in meine Kammer. Er soll nachsehen, ob eine Rippe gebrochen ist.« Er wankte auf die Stufen zum Quarterdeck zu und zog sich mühsam hinauf. Er biß die Zähne zusammen. Er wollte sich vor der Mannschaft nicht gehenlassen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Batuti Dan O’Flynn zurückhielt, der seinem Kapitän zu Hilfe eilen wollte. Hasard grinste. Batuti war aus dem gleichen Holz geschnitzt wie er, Hasard. Er wußte, daß ein Mann in dieser Situation keine Hilfe haben wollte. Er schleppte sich in seine Kammer und ließ sich in die Koje fallen. Stöhnend wälzte er sich auf den Bauch. Er hörte die Tür klappen und sah den Kutscher die Kammer betreten. Dann tasteten die Hände über seine Seite, und er schrie leise auf. »Bist du verrückt!« sagte er keuchend. »Willst du mir die anderen Rippen auch noch brechen?« »Alles okay, Sir«, sagte der Kutscher und grinste. »Das ist eine prächtige Prellung, aber Ihnen eine Rippe zu brechen, dazu war dieses Schweinegesicht von einem Burton nicht kräftig genug. Ich werde Ihnen die Seite mit Branntwein massieren, dann springen Sie morgen wieder auf dem Deck herum wie ein liebeskranker Affe.« Er blickte Hasard erwartungsvoll an. »Sie haben doch eine Flasche Branntwein in Ihrer Kammer?« »Dein Respekt vor deinem Kapitän läßt stark zu wünschen übrig, Kutscher«, sagte Hasard. »Versprichst du mir, daß du die Flasche nicht aussäufst, statt mich damit zu massieren?« Der Kutscher nickte eifrig und sagte: »Aye, aye, Sir!« Aber
seine Augen und seine feuchten Lippen sprachen eine andere Sprache. »Unterstes Bord im Schrank neben der Tür«, sagte Hasard. Er hatte sich vorgenommen, genau aufzupassen, wieviel von dem Branntwein bei der Massage draufging, aber er vergaß es, als der Kutscher mit seiner Arbeit begann. Sein Körper schien in einem Flammenbett zu liegen. Schmerzen rasten in Wellen durch seinen Körper, und wenn er nicht ein Stück Holz zwischen den Zähnen gehabt hätte, wäre es ihm kaum gelungen, die Tortur stumm zu überstehen. Als der Kutscher mit der Massage fertig war, war die Flasche Branntwein alle. Er hatte ein seltsames Glitzern in den Augen, und Hasard sah, daß er leicht schwankte, was sicher nicht an den Bewegungen der ›Isabella‹ lag. Hasard schickte den Kutscher hinaus und schloß die Augen. Er dachte an die Burtons, und er wußte, daß durch die heutige Auseinandersetzung neuer Zündstoff gespeichert worden war, der die Burton-Killigrew-Fehde von neuem aufflackern lassen konnte.
8. Philip Hasard Killigrew hörte das Klatschen des Ankers, der aufs Wasser schlug und schnell in der Tiefe versank. Die schwere Ankertrosse rumpelte über die Beting unter der Back. Die Männer hatten die Segel festgezurrt, denn es sah nicht so aus, als könnten sie noch am heutigen Tag ihre Reise fortsetzen. Hasard fluchte unterdrückt. Er hatte gehofft, daß Drake das Unternehmen Irland in ein paar Tagen abgewickelt haben würde, und nun warfen sie hier vor Falmouth Anker, weil zwei von Drakes Männers auf der ›Marygold‹ vom Fieber geschüttelt wurden.
Carberry hatte etwas von Pocken zur ›Isabella‹ hinübergerufen, und wenn sich der Verdacht bestätigte, würden sie mindestens noch drei Tage vor Anker liegenbleiben, um abzuwarten, ob noch weitere Krankheitsfälle auftraten. Hasard dachte mit Grauen daran, wie die Soldaten und Burton reagieren würden, wenn sie von dem Aufenthalt erfuhren. Schließlich hatte Drake untersagt, daß die Leute der einzelnen Galeonen untereinander Kontakt aufnahmen oder gar an Land gingen. Der Gedanke an Burton bereitete Hasard Übelkeit. Er faßte sich unbewußt an seine linke Seite, die dank der Massage des Kutschers kaum mehr schmerzte, aber aussah, als hätte ein Maler sie als Palette benutzt. Zum Glück waren die drei Karacken, mit denen der alte Sir John Killigrew und Sir Thomas Doughty auf Jagd nach der ›Isabella‹ gegangen waren, noch nicht nach Falmouth zurückgekehrt. Entweder befand sich der alte Killigrew mal wieder auf einer Raubfahrt, nachdem er die ›Isabella‹ mit seinem mißratenen Sproß nicht gefunden hatte, oder aber er suchte rund um die irische Insel sämtliche Schlupfwinkel nach dem spanischen Silberschiff ab, das er sich unter den Nagel reißen wollte. Wie Hasard seinen Alten kannte, wurde er dabei von Tag zu Tag unausstehlicher und giftiger. Hasard blickte zur ›Marygold‹ hinüber, wo ein Boot zu Wasser gelassen wurde. Die beiden Kranken wurden auf Tragen hinuntergehievt und an Land gepullt. Am Pier wartete schon der Hafenmeister, der die Kranken unverzüglich zu einem Arzt bringen sollte. Unter Deck begann es zu rumoren. Die Soldaten hatten den Anker fallen hören. Hasard wandte sich an Ben Brighton, der neben ihm stand. »Unterrichte den Captain«, sagte er. »Und schärf ihm vor allem den Befehl von Kapitän Drake ein, daß niemand das Schiff verläßt. Weder um eine andere Galeone zu besuchen,
noch um an Land zu gehen. Sag ihm, daß jedermann, der gegen diesen Befehl verstößt, an der Großrah baumeln wird.« Ben Brighton schüttelte bedenklich den Kopf. »Die Kerle drehen uns im Frachtraum durch«, sagte er. »Wir können sie unmöglich die ganze Zeit unter Deck gefangenhalten.« »Okay, Ben«, erwiderte Hasard, »wenn sie ihre Uniformröcke ausziehen, können sie an Deck Luft schnappen, aber höchstens zehn Mann auf einmal, nicht mehr.« Ben Brighton nickte. »Das wird sie beruhigen«, sagte er. »Es sind arme Schweine, die ihren Kopf für andere hinhalten müssen. Und warum sollen sie leiden, nur weil sie einen fiesen Knochen als Captain haben.« Ben Brighton ging hinunter zur Kuhl und ließ das schwere Tau, mit dem die Luke des Laderaums gesichert war, von zwei Männern lösen. Als die Luke aufschwang, wehte ihm ein miefiger Gestank entgegen. Zornige Stimmen wurden laut, aber das quäkende Organ von Captain Isaac Henry Burton brachte sie wieder zum Schweigen. »Wenn Sie sich bitte an Deck bemühen möchten, Captain!« rief Ben hinunter. »Es ist etwas geschehen, das uns zu einem Aufenthalt in Falmouth zwingt.« Es dauerte eine Weile, bis der Kopf des Captains in der Luke erschien. Ben Brighton mußte sich zusammenreißen, um nicht zu grinsen, denn das Gesicht Burtons war geschwollen, sein rechtes Auge schillerte ringsum in allen Farben. Burtons Überheblichkeit und Arroganz hatten durch die Prügel, die der Seewolf ihm verabreicht hatte, nicht gelitten, nur paßte sein blasierter Gesichtsausdruck nicht so recht zu dem Veilchen. »Es wird Sie teuer zu stehen kommen, Mister«, sagte er und fummelte an seinem Degen herum, den er jetzt umhängen hatte. »So können Sie einen Offizier Ihrer Majestät nicht
behandeln. Das wird nicht nur Folgen für den KilligrewBastard haben, sondern ebenfalls für alle anderen verantwortlichen Männer hier an Bord.« Ben Brighton hatte in seinem Leben schon ganz andere Typen kennengelernt. Er ließ sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. »Wenn Sie sich wie ein Offizier Ihrer Majestät benommen hätten, Sir, hätte es keinen Ärger gegeben«, sagte er ruhig, und bevor Burton aufbrausen konnte, fügte er hinzu: »Der Kapitän gestattet Ihren Männern, in Zehnergruppen an Deck zu steigen, wenn sie sich ihrer Uniformjacken entledigen.« Ben hatte laut gesprochen, so daß die Soldaten die Worte hatten hören können. Gemurmel wurde laut, und nach wenigen Sekunden tauchten die ersten Soldaten in der Ladeluke auf. Burtons Gesicht lief rot an. »Hinunter mit euch, verdammt noch mal!« schrie er. »Noch habe ich euch verlausten Kerlen nicht den Befehl gegeben, an Deck zu steigen!« Murrend verschwanden die Männer. Ben hörte ein Wort, das wie elender Schinder klang, aber Burton tat, als hätte er nichts mitgekriegt. Er stiefelte nach Steuerbord hinüber und starrte auf die ›Marygold‹. Dann wandte er sich ruckartig wieder Ben Brighton zu. »Lassen Sie ein Boot für mich zu Wasser«, sagte er in seiner arroganten Art. »Ich werde zur ›Marygold‹ hinüberfahren, um mir Instruktionen von Captain Norris zu holen.« Er drehte sich um und kümmerte sich nicht weiter um Ben. Ben blieb seelenruhig stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Es dauerte eine Weile, bis Burton merkte, daß sich hinter seinem Rücken nichts tat. Seine blaßblauen Augen funkelten vor Wut, als er die lässige Haltung des Bootsmannes sah, der sich einen Dreck um seinen Befehl kümmerte. »Ich habe Ihnen einen Befehl gegeben, Mister!« Diesmal hielt Ben Brighton sein Grinsen nicht zurück.
»Ich dachte, Sie hätten nach der Diskussion mit dem Kapitän begriffen, daß hier an Bord nur einer Befehle gibt, Sir«, sagte er anzüglich. Der Degen des Captains glitt ein Stück aus der Scheide, aber dann wurde er wieder hineingestoßen. Burton hielt es wohl hier unter seiner Würde, seinen Degen an einem einfachen Bootsmann zu erproben. Der Captain ging zur Luke des Frachtraums und rief etwas hinunter. Sofort krochen die ersten Soldaten an Deck. Ben gab Blacky, Stenmark, Smoky, Matt Davies und Ferris Tucker einen kurzen Wink. Sie stellten sich neben der Luke auf und achteten darauf, daß nicht mehr als zehn von ihnen das Deck betraten. Die Soldaten schienen Hasards Lektion besser begriffen zu haben als ihr Captain. Sie hatten sich abgesprochen, und nicht mehr als zehn krochen aus der Luke. Sie atmeten tief durch und waren froh, dem stickigen Loch für eine Weile entronnen zu sein. Burton baute sich vor seinen Leuten auf. »Alle Mann an das Boot«, befahl er. »Wir lassen es zu Wasser!« Die Soldaten starrten ihren Captain verblüfft an, und auch Ben Brighton verschlug es im ersten Augenblick die Sprache. Bevor er etwas sagen konnte, hörte er die heisere Stimme des Riesen, den Hasard am Morgen ins Land der Träume geschickt hatte. »Aber, Sir!« sagte er erschrocken. »Wir wissen doch gar nicht, wie man so was macht!« »Stellen Sie sich nicht noch blöder an, als Sie schon sind, Profos !« schrie Burton wütend. »Packen Sie an und schmeißen Sie das Ding über Bord! Es wird schon irgendwie schwimmen.« Der Riese bewegte sich nicht von der Stelle. Das Knacken der Pistolenhähne, die die Männer der ›Isabella‹ gespannt hatten, beeindruckten ihn mehr als die Befehle seines Captains.
Ben Brighton blieb ruhig, obwohl er dem bulligen Captain am liebsten einen Tritt in den feisten Hintern versetzt hätte. Er verfluchte im stillen den Seewolf, der ihm die höllische Aufgabe übertragen hatte, einem bornierten Esel etwas einzutrichtern, das der absolut nicht fressen wollte. »Sir«, sagte er geduldig, »ich möchte Ihnen unsere Lage erklären.« Zum Glück fehlten dem Captain im Augenblick die Worte, und Ben nutzte die Chance. »Auf der ›Marygold‹ sind zwei Seeleute schwer erkrankt. Sie sind inzwischen zu einem Arzt gebracht worden. Kapitän Drake befürchtet, daß es sich um Pocken handelt. Es besteht die Möglichkeit, daß die beiden Kranken andere angesteckt haben, und für diesen Fall hat Kapitän Drake ein strenges Verbot erlassen, daß wir oder die Leute von der ›Santa Cruz‹ während der Hafenzeit mit den Männern der ›Marygold‹ in Kontakt kommen. Da nicht auszuschließen ist, daß sich Männer der ›Isabella‹ oder der ›Santa Cruz‹ bereits in Plymouth angesteckt haben, hat Kapitän Drake jedes Verlassen der Schiffe untersagt. Die Kapitäne haben Befehl, strengstens durchzugreifen, falls gegen dieses Verbot verstoßen wird. Falls Sie nicht wissen sollten, was das bedeutet: Wenn einer dieses Verbot mißachtet, wird er an der Rahnock aufgeknüpft.« Ben Brighton holte tief Atem. Er war froh, seine Meldung an den Mann gebracht zu haben, ohne unterbrochen worden zu sein. Er glaubte schon, daß seine Worte ihre Wirkung auf Isaac Henry Burton nicht verfehlt hätten, als der bullige Captain den geschwollenen Mund öffnete und quäkend sagte: »Das ist alles schön und gut, Mister. Aber diese Verbote gelten doch wohl nicht für Offiziere Ihrer Majestät, der Königin.« Ben Bringhton stöhnte innerlich auf. Begriff dieser Hornochse denn überhaupt nichts? »Ich kann Ihnen versichern, Sir«, sagte er seufzend, »Sie wären nicht der erste Offizier Ihrer Majestät, der Königin, der an einer Rah aufgeknüpft wird.«
Ben drehte sich um und ging auf seine Männer zu, um sich eine weitere Diskussion mit dem arroganten Dummkopf zu ersparen. Mit leisen Worten befahl er Batuti und Smoky, den Captain daran zu hindern, wenn er es dennoch wagen sollte, von Bord zu gehen. Ohne sich noch einmal nach Burton umzudrehen, steuerte Ben auf den Niedergang zum Quarterdeck zu und stieg die Stufen hinauf, um Hasard Bericht zu erstatten und ihn zu bitten, sich das nächste Mal wieder selbst um den Captain zu kümmern. Isaac Henry Burton stand mit starrem Gesichtsausdruck da und schien einen Berg von Gedanken hin und her zu wälzen. Es war ihm anzusehen, daß er nicht bereit war, diese Niederlage wort- und tatenlos hinzunehmen. Als er sah, daß Ben Brighton auf dem Quarterdeck verschwunden war, fauchte er den Riesen an, der im Hemd vor ihm stand. »Los, Mann, auf was warten Sie noch? Schaffen Sie endlich das Boot ins Wasser!« Der Riese zog die Schultern ein. Sein Gesicht hatte plötzlich eine käsige Farbe. Seine Augen hoben sich und blickten zur Großrah, als suchten sie schon die Stelle, an der er baumeln würde. »Aber, Captain! Die - die hä-hängen mich gla-glatt auf!« »Wenn Sie meinem Befehl nicht Folge leisten, werde ich Sie aufhängen, Sie Querulant!« schrie Burton. Der Riese zuckte zusammen. Sein Blick glitt zu den Seeleuten hinüber, aber die hatten ihre Pistolen in die Gürtel geschoben und die Arme über der Brust verschränkt. Vorsichtig tasteten seine Hände zum Dollbord des Beiboots, und als er sah, daß die Männer von der ›Isabella‹ keine Anstalten trafen, ihn daran zu hindern, faßte er mehr Mut. Vielleicht glaubte er auch, daß die Besatzung nur geblufft hatte, um ihnen allen einen Schrecken einzujagen. Mit einer raschen Handbewegung befahl er den anderen
Soldaten, sich um das Boot zu verteilen. Sie schoben sich ängstlich an den grinsenden Seeleuten vorbei und bauten sich um das Boot herum auf. »Alle Mann! Faßt an!« sagte der Riese nicht allzu laut. Wahrscheinlich wollte er vermeiden, daß auf dem Achterdeck etwas von ihrem Vorhaben bemerkt wurde. »Hebt hoch!« flüsterte der Riese. Das Keuchen der Soldaten waren die einzigen Laute in der Stille, dann prustete plötzlich Dan O’Flynn los, und Pete Ballie, der Rudergänger, hielt sich den Mund zu, um nicht laut loszubrüllen. Die Soldaten zerrten und schoben an dem Bootsrumpf, doch das schwere Boot bewegte sich nicht einen Zoll von der Stelle. Blacky trat grinsend vor und tippte dem Profos der Soldaten auf die Schulter. »Löst lieber die Zurrings vorn und achtern«, sagte er, »sonst reißt ihr noch die Decksplanken heraus.« Der Profos blickte ihn ziemlich blöd an, aber als er das wutverzerrte Gesicht des Captains sah, beeilte er sich, den Vorschlag des Seemanns in die Tat umzusetzen. Da er am Heck stand, löste er das achtere Tau, mit dem das Beiboot an Deck festgezurrt war. Ein anderer Soldat entdeckte das Tau am Bug des Bootes und löste es ebenfalls. Dann wandte er sich an den Captain und wies zur Großrah hinauf. »Ich hab das mal gesehen, Sir«, sagte er. »Sie hängen das Boot an den Balken da oben und lassen es dann am Seil hinunter ins Wasser gleiten.« »Quatsch!« fauchte Burton. »Hebt das Ding hoch und laßt es an den beiden Leinen an der Bordwand hinunter. Ich habe keine Lust, bis heute abend zu warten.« Die Männer der ›Isabella‹, die sich schon durch den Soldaten um ihr Vergnügen betrogen sahen, grinsten sich eins. Sie hatten nicht vor, die Soldaten bei ihrer Arbeit zu stören. Sie
hatten Befehl, niemanden von Bord zu lassen. Von einem Boot war nicht die Rede gewesen. Ab und zu huschte ein Blick zum Quarterdeck hinauf, ob der Seewolf auftauchte und dem Spaß ein Ende bereitete, doch auf dem Achterdeck blieb alles ruhig. Den Soldaten lief der Schweiß in Strömen vom Körper. Sie ächzten und keuchten. Es war nicht einfach, mit zehn Mann ein schweres Beiboot anzuheben und wegzuschleppen. Schließlich hatten sie es beim Schanzkleid, und Burton befahl ihnen, das Boot auf den Steuerbordkanonen abzusetzen. Die Männer, die an Steuerbord des Bootes gewesen waren, krochen unter dem Rumpf hindurch und packten Vor- und Achterleine des Bootes. »Rüber mit dem Ding!« kommandierte Burton. Sein Gesicht strahlte wieder Zuversicht aus. Auch wenn die Kerle an Bord grinsten. Er und seine Männer würden es ihnen schon zeigen, daß ein Soldat Ihrer Majestät immer noch ein halbes Dutzend von diesen ungebildeten Seerutschern aufwog. Zwei Soldaten hielten die Leine am Bug, zwei weitere am Heck. Die sechs anderen schoben das Boot über das Schanzkleid, bis es zu wanken begann und überzukippen drohte. »Achtung!« kreischte der Captain. Die sechs Männer sprangen nach vorn, als der Bug des Bootes über Bord verschwinden wollte. Sie packten die Vorleine und zerrten mit aller Gewalt daran. Sie schafften es, das Boot zu halten, aber dafür sackte jetzt das Heck weg. Dem einen Mann rutschte die Leine durch die Finger. Eine Leine, die einmal ausrauscht, ist nicht mehr zu halten. Sie rast über die Handflächen und verbrennt die Haut. Aufheulend ließ der Mann los. Der zweite Mann hielt fest und wurde von dem achtern wegsackenden Boot über Bord katapultiert. Mit Händen und Füßen strampelnd flog er durch die Luft und landete mit einem Bauchk latscher im Wasser. Das Heck des Bootes knallte ins Wasser. Eine große Welle
schwappte ins Innere. Keuchend hängten sich die acht Soldaten an die Vorleine. Sie merkten nicht, daß es besser gewesen wäre, jetzt ebenfalls loszulassen. Die Männer der ›Isabella‹ hielten sich die Bäuche vor Lachen. Sie schafften es nicht mehr, sich still zu amüsieren, ihr Gelächter rollte über das Deck und ließ die Planken zittern. Ferris Tucker rief lachend einen Befehl. Blacky, Matt Davies, Lewis Pattern und der Schwede Stenmark sprangen hinzu und rissen den Soldaten die Leine aus den Händen. Sie wollten den Spaß nicht so weit treiben, daß sie ihr Boot dabei verloren. Drei Seeleute schwangen sich über Bord, kletterten über die Berghölzer zum Boot hinunter und begannen es auszuschöpfen und längsseits zu vertäuen. Ferris Tucker hatte gesehen, wie der Seewolf und Ben Brighton auf dem Quarterdeck erschienen. Wahrscheinlich hatte das Gelächter sie aus der Kapitänskammer gelockt. Hasard blieb weiter achtern stehen, damit ihn der Captain in der Kuhl nicht sah. Er hatte mit einem Blick erkannt, was sich dort abspielte, und ahnte, was jetzt folgen würde. Da klang auch schon die quäkende Stimme des Captains über Deck. »Mann, gehen Sie mir doch aus dem Weg! Und sagen Sie dem schwarzen Affen, daß ich ihn mit dem Degen aufspieße, wenn er sich nicht endlich in seinen Verschlag zurückzieht!« »Warum sagen Sie es ihm nicht selber, Sir?« fragte Smoky. »Er ist in dieser Hinsicht ziemlich empfindlich.« Batuti grinste Burton herausfordernd an. »Ich mächtig gute Ohren«, sagte er. »Und ganz sauber - nicht so wie deine schmutzigen Löffel, Sir.« Isaac Henry Burton wußte, daß es mit ihm bald ganz aus war, wenn er sich vor den Augen seiner Leute von diesen beiden primitiven Kerlen davon abhalten ließ, das zu tun, was er sich vorgenommen hatte. Er griff nach Smokys Segeltuchjacke und versuchte ihn beiseite zu schieben.
Smoky stand wie ein Fels. »Sir, wir haben den Befehl, niemanden von Bord zu lassen«, sagte er ruhig, obwohl es ihm in den Fäusten kribbelte. »Ich bin Offizier der Königin!« schrie Burton. »Ich lasse mir von einer stinkenden Teerjacke nichts vorschreiben, verstanden?« »Aye, aye, Sir! Nix stinken!« brüllte Batuti. Sie standen beide da - Smoky und Batuti. Das Grinsen des einen war breiter als das des anderen. Sie amüsierten sich köstlich, und sie bemühten sich nicht im geringsten, diese Tatsache zu verbergen. Als Burton sah, daß die beiden Kerle ihn überhaupt nicht ernst nahmen, trat er zwei Schritte zur Seite und versuchte, über die Räder einer Geschützlafette auf das Schanzkleid zu klettern. Er war noch nicht ganz oben, da spürte er eine riesige Faust im Nacken. Er wurde in die Luft gehoben und zurück auf die Decksplanken gestellt. »Du nix auf Bordwand klettern«, sagte der grinsende Batuti. »Sonst du fallen in Meer und machen Wasser ganz schmutzig.« Isaac Henry Burtons Geduld war erschöpft. Daß der schwarze Affe es gewagt hatte, ihn, einen Offizier der Königin, anzufassen, brachte das Faß zum Überlaufen. Mit einem Wutschrei riß er seinen Degen aus der Scheide. Er hatte nur auf den riesigen Neger geachtet. Als er den rechten Arm hob, um Batuti die Klinge durch die Brust zu stoßen, schloß sich eine schwielige Hand wie eine Stahlklammer um sein rechtes Handgelenk. Sosehr Burton auch zerrte, es gelang ihm nicht, diese Hand abzuschütteln. Smoky griff mit der anderen Hand zu und entwand Burton den Degen. Er trat zurück, zerbrach die Klinge wie ein Stück Holz über dem Knie und warf die beiden Teile dem Captain ins Gesicht. »Da hast du deinen Zahnstocher, Mister«, sagte er wütend. »Batuti, hol einen Strick. Der Kerl wollte von Bord gehen.
Kapitän Drake hat befohlen, jeden Halunken aufzuhängen, der seinen Befehl …« »Schon gut, Smoky!« Die scharfe Stimme Hasards ließ den Decksältesten verstummen. Hasard nickte kur z nach Steuerbord, und Smoky sah ebenfalls, wie sich ein Boot der ›Isabella‹ näherte. Kapitän Drake saß darin, und sein Gesicht drückte alles andere als Heiterkeit aus. Zwei Bootslängen von der ›Isabella‹ entfernt hoben die Rudergasten die Riemen aus dem Wasser. Francis Drake war aufgestanden. »Mr. Killigrew!« rief er. »Sind Sie nicht in der Lage, auf Ihrem Schiff für Ordnung zu sorgen? Warum haben Sie das Boot zu Wasser gelassen? Was hat der Lärm an Deck zu bedeuten?« »Sir«, antwortete Hasard, »es tut mir leid, wenn ich abermals Ihren Unwillen erregt habe, aber wenn Sie mir erlauben, Captain Burton an der Rahnock aufzuhängen, kann ich Ihnen garantieren, daß dies der letzte Zwischenfall war.« »Was soll das heißen?« fragte Kapitän Drake scharf. »Captain Burton ließ sich durch nichts davon abhalten, von Bord zu gehen, obwohl er von Ihrem ausdrücklichen Befehl Kenntnis hatte. Er beschimpfte meine Männer in unflätigster Weise und beruft sich ständig auf seine Stellung als königlicher Offizier.« Francis Drake schien die Luft wegzubleiben. Er atmete schwer, und sein Gesicht hatte sich vor Zorn gerötet. Hasard hatte ihn in diesem Zustand noch nie gesehen. »Wo ist dieser Burton?« rief Drake. Batuti gab dem Captain einen Tritt in den Hintern, der Burton bis ans Schanzk leid beförderte. Er krachte mit der Brust gegen das Holz und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Sind Sie denn wahnsinnig geworden?« schrie der Kapitän.
»Am liebsten würde ich Mr. Killigrews Vorschlag befolgen und Sie aufhängen lassen! Merken Sie sich ein für allemal, daß Sie meinen und Mr. Killigrews Befehlen bedingungslos zu gehorchen haben, solange Sie sich an Bord eines meiner Schiffe befinden, haben Sie das verstanden?« Burton zerplatzte fast vor Wut, aber er brachte die Worte: »Jawohl, Mr. Drake!« gerade noch über die Lippen. Das trug ihm einen weiteren Fußtritt von Batuti ein. »Nix jawohl«, flüsterte der schwarze Riese, »das heißen: aye, aye, Sir!« »Aye, aye, Sir!« sagte Burton laut. Francis Drake, der im Begriff war, sich umzudrehen und zu setzen, stockte einen Moment. Hasard sah, wie ein leichtes Lächeln über seine Züge huschte. Dann wandte er sich ab und befahl seinen Männern, zur ›Marygold‹ zurückzupullen. »Bringt Mr. Burton unter Deck«, sagte Hasard mit scharfer Stimme. »Er erhält erst wieder die Erlaubnis, an Deck zu kommen, wenn er sich bei Batuti für seine Beleidigungen entschuldigt hat.« Der riesige Neger drehte sich um und grinste zum Quarterdeck hoch. »Ist nix nötig, Sir!« brüllte er. »Kleines dickes Captain nix dafür können. Ist krank in Kopf.« Niemand brauchte Isaac Henry Burton zur Luke zu begleiten. Er beeilte sich sogar, sie zu erreichen, denn das Gelächter der Männer brachte ihn beinahe wirklich um den Verstand. Über das Schanzkleid an der Steuerbordseite stieg ein klitschnasser Soldat. Sehr fröhlich sah er nicht aus. »Scheißseefahrt«, sagte er grimmig. Worauf das Gelächter der Männer Hasards nur noch lauter aufbrandete.
9. Über der Bucht von Falmouth stand der bleiche Mond am wolkenlosen Himmel und tauchte alles in sein silbriges Licht. Das leicht gekräuselte Wasser auf der Reede glitzerte, als sei es mit Millionen von Silberfäden durchzogen. Die drei Galeonen des Geschwaders Drakes schwoiten an ihren Ankertrossen. Die Deckswachen schauten sehnsüchtig zu den Lichtern der Stadt hinüber, wo vielleicht ein warmes Bett mit einem weichen warmen Körper auf sie wartete. Weitab von den Häusern der Hafenstadt Falmouth wurde ein Boot von sechs Männern vom Strand ins Wasser geschoben. Die Männer keuchten vor Anstrengung, aber keiner von ihnen sagte ein Wort. Der riesige bullige Mann am Heck des Bootes hatte sein rotes, schwitzendes Gesicht zu einer Grimasse verzogen, die ihm das Aussehen eines Riesenferkels gab. Er sprang als letzter ins Boot, nahm einen Riemen auf und stieß ihn in den Sand, um das Boot vom Strand abzudrücken. Dann setzte er sich auf die achtere Ducht neben einen anderen Mann, legte den Riemen binnenbords und gab den leisen Befehl, loszupullen. Leise tauchten die Ruderblätter ins Wasser, und das Boot glitt in die Bucht hinaus auf den Schatten der kleinen Galeone zu, die querab von dem Dickschiff vor Anker lag. Auf den letzten dreißig Yards ließen sie das Boot treiben. Vier der Männer hatten ihre Riemen eingeholt, waren von den Duchten gerutscht und kauerten sich jetzt nieder. Der bullige rothaarige Mann hielt die Ruderpinne in der klobigen Faust und steuerte das Boot auf das Heck der kleinen Galeone zu. Sein schweißglänzendes Gesicht verzerrte sich zu einem gehässigen Grinsen, als er die Buchstaben am Heck der Galeone entzifferte. Die Zeit der Rache war da. Er würde diesem Bastard von mißratenem Bruder alles heimzahlen, was er ihm vor Tagen angetan hatte. Er würde ihm auf der
›Isabella‹ einen Besuch abstatten, den er in seinem Leben nicht mehr vergaß. Daß er sich gleichzeitig die wertvolle Ladung aus dem Bauch der ›Isabella‹ unter den Nagel reißen würde, war für John Malcolm Killigrew nur eine Nebensache. Der Haß auf den jüngeren Bruder, der ihn wie eine Ratte in den Turmkerker von Arwenack gesperrt hatte, mußte befriedigt werden. Er wollte Hasard wimmern hören, und wenn es sich nicht vermeiden ließ, würde er dem Bastard den Schädel einschlagen. Sie erreichten die Galeone, ohne daß ein Warnruf laut geworden wäre. John Malcolm stützte sich mit den Händen am Rumpf der ›Isabella‹ ab, um zu verhindern, daß das Boot gegen die Bordwand schlug und die Deckswache alarmierte. Die anderen Männer verstauten ihre Riemen im Boot, und einer belegte die Vorleine am Ruderschaft. Gewandt wie ein Affe turnte er seitlich der Heckgalerie hoch, beugte sich dann über die Brüstung und half John Malcolm hinauf. Die Männer bewegten sich schnell und lautlos. Innerhalb einer Minute hangelten sie sich an den Besanrüsten zum Achterdeck hinauf und kauerten sich in den Schatten der Reling. An Bord war es totenstill. Nur das leise Klatschen, mit dem die Wellen gegen den Rumpf des Schiffes schlugen, und das Knarren der Takelage war zu hören. John Malcolm Killigrew hatte seine fünf Begleiter schon an Land instruiert, wie sie vorgehen sollten. Er hatte sich die kräftigsten Männer ausgesucht, die es in Falmouth und Arwenack gab und die bereit waren, für den ältesten KilligrewSohn jede Gemeinheit zu begehen. Sie schlichen sich weiter. John jr. peilte über das Quarterdeck, doch nirgends war jemand zu sehen. Wahrscheinlich befand sich die Deckswache unter der Back und hielt ein Nickerchen. Er schwang sich in die Wanten des Besänmastes und ließ sich
auf das Schanzkleid des Quarterdecks gleiten. Von dort sprang er federnd auf die Decksplanken, umrundete die Steuerbordkanone und zog sich aus der Nagelbank einen Belegnagel. Dann gab er seinen Männern einen Wink. Lautlos huschten sie heran und kauerten sich an der Brüstung, die sie gegen Sicht aus der Kuhl schützte, nieder. Sie kannten ihre Aufgabe. John jr. würde sich seinen Bruder vorknöpfen. Falls es dabei wider Erwarten Lärm geben sollte, war es ihre Aufgabe, die Deckswachen und die anderen Schläfer unter der Back auszuschalten. John jr. stand jetzt neben der Tür, die zur Kapitänskammer führte. Der Mond beleuchtete sein schweißglänzendes Gesicht, in dem die Freude über den bevorstehenden Triumph stand. Er grinste zu den fünf Männern an der Quarterdeckbrüstung hinüber und hob den fleischigen Daumen seiner rechten Hand in die Luft. Dann wandte er sich um. Langsam zog er die Tür auf. Er hatte richtig vermutet. Der Riegel lag nicht von innen vor. Warum auch? Brüderchen Hasard brauchte auf der Reede von Falmouth ja nichts zu befürchten. Außerdem hatte er eine Deckswache, die aufpaßte, daß sich niemand an Bord schlich. John jr. feixte. Wenn er Kommandant dieses Schiffes wäre, dann hätte er die Schlafmützen da unten in der Kuhl mit einem Fußtritt zu den Haien befördert oder ihnen so lange etwas mit der neunschwänzigen Katze übergezogen, bis sie nicht mehr wußten, ob sie Männchen oder Weibchen waren. Die Tür schwang jetzt ganz auf. John jr. strengte seine Augen an, um etwas in dem schmalen Gang zu erkennen, aber der war dunkel wie ein Höllenloch. »Bruderherz, ich komme«, flüsterte er und trat in den dunklen Gang. Der schwarze Ball schoß wie eine Kanonenkugel aus dem Nichts hervor.
John jr. war kein Mann, der in Bruchteilen von Sekunden reagierte. Dazu arbeitete sein schwerfälliger Verstand viel zu langsam. Er erkannte gerade noch, daß der schwarze Ball eine Faust war, da explodierte auch schon etwas in seinem Gesicht. Er spürte, wie seine aufgeworfenen Lippen platzten. Glocken begannen in seinem Schädel zu dröhnen, und bevor er wie ein gefällter Baum auf den Rücken krachte, stieß er einen röhrenden Schrei aus, der auf das Schiff wie ein Kanonenschuß wirkte. Im Unterbewußtsein hörte John jr. die überraschten Ausrufe der Männer auf der Kuhl, doch er hatte keine Zeit, genauer hinzuhören. Er konnte sich auch nicht umdrehen, um zu sehen, ob seine Männer wie verabredet in Aktion traten. Wie ein Tornado war ein riesiger schwarzer Mann auf dem Quarterdeck aufgetaucht, in dessen Gesicht zwei weiße Zahnreihen blitzten. John jr. wollte sich beiseite wälzen, als der Schwarze sich zu ihm niederbeugte, aber da hatte ihn die schwarze Faust scho n am Hemd gepackt und zerrte ihn in die Höhe. Ein flacher Handrücken klatschte John jr. links und rechts ins Gesicht, daß sein Kopf hin und her geschleudert wurde. Diese heftige Bewegung schien John jrs. Verstand endlich in Tätigkeit zu versetzen. Er brüllte wütend auf und stieß seine mächtigen Fäuste nach vorn. Er schlug nur Löcher in die Luft. Der Schwarze schien die Augen einer Katze zu haben. Ein kleiner Schritt zur Seite hatte genügt, den hammerartigen Schlägen auszuweichen. Aber der Schwarze hatte dabei Johns Hemd loslassen müssen. Die rotbehaarten Arme des ältesten Killigrew-Sprößlings schossen vor. John spürte nackte Haut an den Fingern und wollte zupacken. Er meinte, ein Stück Eisen angefaßt zu haben. Der schwarze Riese stand still. Er unternahm nichts, um Johns Griff abzuwehren. Jetzt habe ich den Nigger! dachte John jr. Mit der Rechten
holte er zu einem gewaltigen Schlag aus. Doch er konnte ihn nicht ausführen. Sosehr er sich auch bemühte, die Faust in den Neger zu rammen, er schaffte es nicht. Eine Stahlklammer hatte sich um sein Hand gelenk gelegt. »Willkommen an Bord der ›Isabella‹, John Malcolm«, sagte die spöttische Stimme von Hasard hinter ihm. »Du hättest dich anmelden sollen, dann wäre der Empfang etwas freundlicher gewesen.« John jr. schnaufte vor Zorn und Enttäuschung. Hasard hatte seinen Arm losgelassen und war einen Schritt zurückgetreten. Der schwarze Riese stand immer noch unbeweglich da. Von der Kuhl her war Kampfgetümmel zu hören. John konnte nur hoffen, daß seine Männer die Lage im Griff hatten. Er drehte sich um und starrte seinen jüngeren Bruder an, der so ganz anders war als alle Killigrews. Verdammt, warum hatte Lady Anne nur einen Narren an dem Bastard gefressen? John jr. dachte an das böse Erwachen im Turmkerker von Arwenack, in den Hasard ihn eingesperrt hatte. Wie er das geschafft hatte, war John jr. heute noch ein Rätsel, aber eines Tages würde er es noch erfahren und die Schuldigen bestrafen. Er hatte sich an nichts mehr erinnern können, als er aufgewacht war. Eine Ratte hatte ihn geweckt. Sie war über sein Gesicht gehuscht. Vielleicht hatte sie seine Knollennase benagen wollen, und er hatte losgebrüllt. Vielleicht hatte dieser Schock sein Erinnerungsvermögen ausgelöscht. Er hatte nur noch gewußt, daß er in Gesellschaft Gwen O’Flynns mehr als einen Becher Wein getrunken hatte. Er hatte die hübsche Gwen zur Rede gestellt, aber sie hatte ihn beleidigt angefahren. Er sei bei ihr unten durch, hatte sie gesagt. Erst in einem Mädchen Hoffnung auf einen netten Abend zu erwecken und sich dann so sinnlos besaufen, daß er zu nichts mehr nütze sei. Das habe ihr noch kein Mann angetan, und er müsse sich schon als Gentleman erweisen, wenn sie es ihm eines Tages vergeben solle.
John jr. hatte die Erklärung ohne eine Spur von Mißtrauen geschluckt. Er hatte sowieso seine Mutter, Lady Anne, in Verdacht, daß sie Hasard aus dem Loch herausgelassen hatte. Und wahrscheinlich hatte der alte Querkopf Shane seine Finger mit im Spiel. Und jetzt stand dieser Bastard wieder vor ihm und hatte Oberwasser, weil er den riesigen Neger zum Schutz bei sich hatte. Hasard hatte Johns Blick auf Batuti richtig gedeutet. »Tu dir keinen Zwang an, Bruderherz«, sagte er und grinste. »Wenn du eine Tracht Prügel beziehen willst, dann fang nur an. Batuti wird sich heraushalten. Das verspreche ich dir. Und ich halte mein Versprechen, wie du weißt. Im Gegensatz zu dir, du hinterhältiges Ferkelgesicht.« John jr. brüllte auf. Auch der Neger hätte ihn jetzt nicht mehr davon abhalten können, sich auf Hasard zu stürzen. John jr. hatte in all den Jahren, seit er Hasard nicht mehr gewachsen war, nichts dazugelernt. Wie ein sturer Bulle schoß er auf seinen Bruder los und stolperte prompt ins Leere. Hasards leises Lachen brachte ihn zur Weißglut. Wieder zog er den eckigen Kopf ein und stürzte sich auf den geschmeidigen Hasard, dem es keine Mühe bereitete, dem bulligen Mann auszuweichen. »Bleib stehen, du Feigling!« brüllte John jr. »Bleib endlich stehen und kämpfe wie ein Mann!« Hasards Rechte zuckte vor. Sie war ohne Ansatz geschlagen, und John jr. sah sie erst, als sie vor seinem rechten Auge auftauchte. Zu einer Reaktion war es zu spät. Krachend schlug Hasards Faust ins Ziel und warf John jr. einen Schritt zurück. Die Augenbraue war aufgeplatzt, und aus der Wunde lief ein dünner Blutfaden. »Wie kämpft denn ein Mann, Bruderherz?« fragte Hasard fröhlich. »So …« Wieder schoß die Rechte vor und traf diesmal voll das bereits zuvor von Batutis Faust lädierte
Nasenbein. » …oder so?« John jr. wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Tränen der Wut traten ihm in die Augen. Er wußte plötzlich, daß er gegen den geschmeidigen Hasard keine Chance hatte. Immer wieder hatte er in den letzten Jahren bereits den kürzeren gezogen, doch noch nie war es ihm mit solcher Deutlichkeit klar geworden, daß Hasard einfach der bessere Mann war. Er resignierte, und seine Wut auf den jüngeren Bruder wandelte sich in Haß - einen Haß, der stärker war als alle Gefühle, die John Malcolm bisher gehabt hatte. Hasard erkannte, daß von John jr. kein Widerstand mehr zu erwarten war. Er zog ihn am Arm zur Brüstung des Quarterdecks und sagte: »Laß uns mal sehen, wie sich deine Männer schlagen.« Dadurch, daß das Beiboot immer noch außenbords lag, war die Kuhl gut zu überblicken. Neben dem zweiten Steuerbordgeschütz lagen zwei Gestalten. Hasard erkannte Jim Maloney und Tom Smith, die Wache an Deck gegangen waren. Johns Leute hatten sie überrascht und schlafen gelegt, bevor sie überhaupt begriffen hatten, was eigentlich los war. Doch der Lärm hatte die anderen geweckt, die unter der Back geschlafen hatten. Sie waren aus ihren Decken gesprungen und hatten sich auf die fünf Männer gestürzt, die ihre Kameraden mit Belagnägel niedergeknüppelt hatten. Gegen Ferris Tucker, Blacky, Smoky, Matt Davies, Al Conroy, Stenmark und den flinken Dan O’Flynn hatten die Eindringlinge nicht den Hauch einer Chance. Während das geschmeidige Bürschchen und Stenmark die Kerle mit Beschimpfungen reizten, schnappten sich die anderen je einen Mann und holten ihn von den Füßen. Der Kutscher, Gary Andrews, Pete Ballie und der dicke Segelmacher Lewis Pattern fesselten die überwältigten Schläger in einer Affengeschwindigkeit. Innerhalb von wenigen Minuten war der Kampf vorbei.
Hasard und John Malcolm kriegten gerade noch mit, wie der letzte gefesselt und zu den anderen gestoßen wurde, die ausgebreitet auf den Grätings lagen und die Lippen aufeinanderpreßten. Keiner sagte einen Mucks, denn das Bürschchen Dan O’Flynn ging mit seiner verkürzten Enterpike auf und ab und drohte den Gefangenen, sie gnadenlos abzumurksen, wenn er auch nur einen Ton zu hören kriegte. »Du bist ein Pechvogel, John jr.«, sagte Hasard. »Der Alte wird dir die Hammelbeine langziehen, wenn er von deinem Versagen erfährt. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken.« »Und wenn der Alte dich erwischt, dann wird er dir den Hals durchschneiden«, sagte John jr. gehässig. »Das hätte er schon tun sollen, als du ihn damals ins Geweih gehängt hattest.« Hasard lachte leise, als er daran dachte. Damals hatte der alte John zum erstenmal bemerkt, daß Hasard erwachsen ge worden und seinen Händen entglitten war. Die anderen drei Brüder parierten auch heute noch aufs Wort, wenn der Arte pfiff. Für Hasard war die Zeit endgültig vorbei. Die Knute des Alten hatte für Hasard ihren Schrecken verloren. »Was hast du mit uns vor?« fragte John jr. knurrend. »Ich sollte euch kurzerhand über Bord werfen lassen«, sagte Hasard. »Aber leider geht das nicht. Wir stehen unter Quarantäne. An Bord der ›Marygold‹ hat es zwei Fälle von Pocken gegeben. Solange sich nicht herausgestellt hat, daß sich sonst niemand von den Mannschaften angesteckt hat, darf keiner die drei Galeonen verlassen. Es tut mir leid für dich, Bruderherz, aber du mußt uns schon so lange Gesellschaft leisten, bis Kapitän Drake die Quarantäne wieder aufhebt.« John jr. fluchte unterdrückt. »Da ich dir nicht traue«, fuhr Hasard ungerührt fort, »und ich gern meine Ruhe an Bord haben möchte, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dich zu deinen Leuten unten auf die Gräting zu binden.« Johns Kinnlade klappte nach unten.
»Das wagst du nicht«, sagte er keuchend. »Ich bin ein Killigrew! Niemand bindet einen Killigrew an die Gräting - vor den Augen der Leute von Arwenack!« »Du kannst dich ja auf den Bauch legen«, sagte Hasard. »Dann erkennt dich keiner.« John Malcolm stürmte plötzlich los. Er wollte das Schanzkleid erreichen und sich über Bord werfen. Er konnte nicht besonders gut schwimmen, doch es reichte, um die Küste zu erreichen, wenn es ihm nicht gelang, das Boot so schnell loszumachen. Batuti streckte nur einen Fuß aus. John jr. ruderte hilflos mit den Armen durch die Luft. Dabei vergaß er sich abzustützen und klatschte mit dem Gesicht auf die Decksplanken. Heulend vor Wut rappelte er sich wieder auf und betastete seine lädierte Nase, der er nun bald ein wenig Ruhe gönnen mußte, wenn sie nicht hinüber sein sollte. Einer seiner Vorderzähne wackelte verdächtig, und das Blut aus der Augenbrauenverletzung lief ihm ins rechte Auge. Er wischte mit dem Handrücken darüber und verschmierte das Blut über sein ganzes Gesicht. »Du gestolpert?« fragte Batuti mitleidig und half John jr. auf die Beine. »Bring ihn runter zu den anderen«, sagte Hasard, und um John jr. zu zeigen, was ihn erwartete, wenn er noch mehr Rabatz veranstaltete, fügte er hinzu: »Und wenn er frech wird, haust du ihm was übers Maul, Batuti. Das ist die einzige Sprache, die er versteht.« »Aye, aye, Sir!« sagte Batuti und gab John jr. einen Stoß, daß er zum Niedergang hinübersegelte. Hasard wartete, bis auch sein Bruder neben den fünf anderen Männern festgebunden war. Dann befahl er der Wache, jeden Lärm sofort zu unterbinden. Er ging zurück in seine Kammer und schlief bereits nach Minuten wieder so fest wie vor dem Zwischenfall.
10. Sämtliche Marktweiber von Falmouth hatten sich an der Pier versammelt und hielten sich die Bäuche vor Lachen. Ihr Kreischen drang deutlich bis zur ›Isabella‹ herüber, und die Männer, die sich splitternackt in einer Reihe aufgestellt hatten, fluchten wie die Kümmeltürken. Neben der Lenzpumpe schüttete Ferris Tucker gerade einen Eimer Meerwasser über den Rudergänger Pete Ballie und schwemmte den Seifenschaum fort, mit dem er von oben bis unten bedeckt war. Pete Ballie schrie auf, als das eiskalte Wasser gegen seinen Körper klatschte. Es war Anfang Dezember, und das Wasser hatte höchstens zwölf Grad. Philip Hasard Killigrew, der diese Badeorgie angeordnet hatte, stand an der Brüstung des Quarterdecks und verzog keine Miene. Er wußte nicht, ob Sauberkeit gegen Pocken half, aber auf jeden Fall schadete sie nicht. Die Mannschaft der ›Isabella‹ hatte die Prozedur bereits zum größten Teil hinter sich. Nach Pete Ballie war nur noch Dan O’Flynn an der Reihe. Das Bürschchen zitterte in der morgendlichen Dezemberkühle. Etwas verschämt hielt er die Hände vor den Unterleib. Hinter ihm bibberte die Reihe der Soldaten, die sich wohl oder übel dem Befehl gefügt hatten, da Hasard ihnen sonst das Betreten des Decks für den Rest der Reise untersagt hätte. Blacky wartete schon mit einer großen Bürste und einem Stück Seife. Dem Grinsen nach freute er sich ganz besonders, das Bürschchen in die Finger zu kriegen. »Wasser, Ferris«, sagte er. Der Zimmermann goß den Kübel über Dan O’Flynns Kopf. Das Bürschchen kreischte wie ein Schwein, das abgestochen werden soll. Es wollte unter den breiten Armen Blackys hindurchhuschen, doch der war auf der Hut.
»Smoky! Stenmark!« rief er. »Haltet die Memme fest!« Vier schwielige Hände packten Dan O’Flynn an den Armen und rissen ihn zurück. Blacky tauchte die Bürste in den Holzeimer, den Matt Davies neben ihn gestellt hatte. Er schrubbte ein paarmal über das große Stück Seife, und dann setzte er die Bürste am Rücken des Bürschchens an. Blacky schrubbte los, als wolle er dem Jungen die Haut vom Körper raspeln. Dan schrie und fluchte. Er wand sich in den starken Armen von Smoky und Stenmark, aber er konnte sich nicht befreien. Blacky hielt einen Augenblick inne. »Das hat Miß Deborah Raby wohl zärtlicher gemacht, wie?« sagte er schadenfroh. Er verstellte die Stimme und lispelte: »Oh, mein starker Held, wie ich das Spiel deiner Muskeln bewundere! In deinen starken Armen bin ich ein schwaches Weib!« Die Männer an Bord brüllten vor Lachen. Auch Hasard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das Bürschchen hatte also mit seinem Abenteuer mit der Lady im Queen’s Hotel geprahlt und den Neid seiner Kameraden erregt. Dan O’Flynns Kopf war rot wie eine Tomate. Er trat Blacky mit voller Wucht gegen das Schienbein, daß dieser vor Schmerz aufschrie und die Bürste fallen ließ. Ferris Tucker, der sah, daß nun auch Blacky wütend wurde, handelte blitzschnell. Er hob den Eimer, den er in der Hand hielt, und ließ das eiskalte Wasser gegen Dan O’Flynns schaumbedeckten Körper klatschen. Dem Bürschchen blieb die Luft weg. Stenmark und Smoky, die die Hälfte des Wassers abgekriegt hatten, sprangen hastig beiseite. Das Bürschchen nutzte die Gelegenheit und war wie der Blitz unter der Back verschwunden, wo er seine Kleidung abgelegt hatte. Jetzt waren die Soldaten an der Reihe. Sie ließen die Prozedur wesentlich ruhiger über sich ergehen als die Seeleute.
Wahrscheinlich war ihr Horror vor dem Wasser nicht so groß. Hasard wandte den Kopf, als er bemerkte, daß das Lachen an Bord der ›Marygold‹ verstummt war. Ein Grinsen glitt über seine Züge. Die Männer drüben schauten ziemlich belämmert drein. Hasard konnte sich den Grund denken. Kapitän Drake hatte Hasards Idee gutgeheißen und würde sie auch bei seinen eigenen Männern anwenden. Minuten später begann das gleiche Theater auf der ›Santa Cruz‹. Hasard wartete, bis alle Soldaten von Blacky und Ferris Tucker abgeschrubbt waren und sich wieder angezogen hatten. Dann sagte er mit lauter Stimme: »Ich hoffe, daß Captain Burton sich nicht ausschließen wird.« Nur aus diesem Grund war Hasard der erste gewesen, der sich dieser öffentlichen Reinigung unterzogen hatte. Er hatte geahnt, daß es für Isaac Henry Burton eine schlimme Demütigung bedeuten würde, vor seinen Leuten ohne Kleidung dazustehen. Der Captain war vorsichtshalber unter Deck geblieben. Mit einem kurzen Kopfnicken schickte Hasard Matt Davies und Stenmark los, um ihn heraufzuholen. Die beiden verschwanden im Niedergang, und nach einer Minute war die laute quäkende Stimme von Burton zu hören. Dann krachte ein Schuß. Ein wütender Schrei antwortete. Klatschende Schläge hallten auf, und schließlich erschien der ramponierte Kopf von Captain Burton in der Luke des Frachtraumes. Er wurde weitergestoßen und wäre fast auf die Gräting gestürzt, auf der immer noch John Malcolm Killigrew und seine fünf Spießgesellen angebunden waren. Hinter Burton erschien der blonde Schwede Stenmark, dessen linker Arm blutete. Die Kugel, die der Captain aus seiner Pistole abgefeuert hatte, war über Stenmarks Arm gefahren und hatte eine lange Streifwunde hinterlassen. Als letzter tauchte Matt Davies auf, der seinen Eisenhaken in
die Uniformjacke des Captains schlug und ihn zu Blacky und Ferris Tucker hinzerrte. Stenmark ging zum Kutscher unter die Back, um sich seine Schußwunde versorgen zu lassen. Burton wollte anfangen zu brüllen, aber da fiel sein Blick hinüber zur ›Marygold‹, wo sich gerade ›Black‹ John Norris abschrubben ließ, ohne eine Miene zu verziehen. Hasard war ein bißchen enttäuscht, daß sich der Captain, der sonst keine Gelegenheit versäumte, sich aufzuspielen, wortlos entkleidete und von Blacky einseifen und abschrubben ließ. Obwohl Blacky nicht gerade zärtlich mit ihm umging, sagte Burton kein Wort. Nachdem Ferris Tucker ihn mit zwei Eimern Meerwasser übergossen hatte, kleidete Burton sich an und verschwand wieder unter Deck. Hasard war das Benehmen des Captains ein wenig unheimlich. Burton war einfach nicht der Typ, der klein beigab. Bestimmt hatte er sich bereits etwas Neues ausgedacht, um Hasard alles zuzückzuzahlen, was ihm an Bord der ›Isabella‹ widerfahren war. Die Marktweiber an der Pier, zu denen sich immer mehr Leute aus der Stadt gesellten, waren ein Stück weitergelaufen, um jetzt das Schauspiel auf den beiden anderen Galeonen zu verfolgen. Hasard wandte sich an Ben Brighton. »Ich möchte, daß die Männer beschäftigt werden, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen und vielleicht wieder Streit mit den Soldaten anfangen«, sagte er. »Laß Reinschiff machen. Die Soldaten können den Männern helfen - aber nur freiwillig, verstanden? Wenn Burton es ihnen verbietet, jage sie alle unter Deck.« »Aye, aye«, sagte Ben und stiefelte zur Kuhl hinunter. Kurze Zeit später hallte seine Stimme über Deck. Hasard blickte zur Stadt hinüber, über der die Feste Arwenack in der Morgensonne leuchtete. Es war merkwürdig. Er hatte keine Beziehung zu diesem düsteren Bauwerk, obwohl
es doch seine Heimat war. Wenn er an Arwena ck dachte, so tauchte immer das Bild Lady Annes vor ihm auf - dieser harten Frau, die ihm als einzige so etwas wie Zärtlichkeit und Liebe in seiner Jugend entgegengebracht hatte. Von dem alten John, John Malcolm, Simon Llewellyn und Thomas Lionel hatte er nichts anderes gelernt als Brutalität und Hinterhältigkeit. Aber sein angeborener Charakter war gefestigt genug, um diese Eigenschaften nicht anzunehmen. Er hatte sich auf ihre Gemeinheiten eingestellt, ohne selbst anderen Menschen gegenüber gemein zu werden. Hasard hatte schon in frühen Jahren gelernt, zwischen einzelnen Menschen zu unterscheiden. Der Mann, der den größten Anteil daran gehabt hatte, war der alte Shane, der Schmied von Arwenack, der einen Narren an dem kleinen Hasard gefressen und seine Zuneigung immer offen gezeigt hatte. Hasard hatte diese Zuneigung in seiner Jugend als etwas Selbstverständliches hingenommen, da er Shane als eine Art Vaterersatz betrachtet hatte. Doch je älter er wurde, desto häufiger erkannte er, daß ihn mit Shane etwas verband, das stärker war als die sogenannte Stimme des Blutes. Fast schien es Hasard, als hätte Shane an ihm etwas gutzumachen, aber dann verwarf er diese Vermutung wieder, weil er sich nicht denken konnte, daß Shane jemals in seinem Leben etwas getan hatte, das einer Wiedergutmachung bedurfte. Die beiden dunkelgekleideten Männer, die auf die Pier traten, rissen Hasard aus seinen Gedanken. In dem einen erkannte Hasard den Arzt von Falmouth, der andere war der Hafenmeister. Sie bestiegen beide ein Boot, das von vier Männern hinüber zur ›Marygold‹ gepullt wurde. Hasard konnte nur hoffen, daß Kapitän Drake sich geirrt hatte, als er annahm, seine beiden erkrankten Männer hätten die Pocken. Gespannt wartete er ein paar Minuten, dann tauchte Carberry
an der Reling des Quarterdecks auf und brüllte mit Stentorstimme zur ›Isabella‹ hinüber: »Sir! Der Kapitän bittet Sie an Bord!« Hasard fiel ein Stein vom Herzen. Das konnte nur bedeuten, daß die beiden Erkrankten keine Pocken hatten. Wahrscheinlich würden die drei Galeonen noch in der nächsten Stunde auslaufen und ihren Kurs um Kap Lizard fortsetzen. Er ließ sich von Blacky und Smoky, Stenmark und Carter hinüber zur ›Marygold‹ pullen und erfuhr in der Kapitänskammer vom Arzt, daß es sich bei den Männern nur um eine Art Nesselfieber handelte, das völlig ungefährlich war. »In einer Stunde segeln wir weiter, Mr. Thomas und Mr. Killigrew«, sagte Drake. Er schaute dabei nur Hasard an. »Und Sie möchte ich nochmals dringend ersuchen, Mr. Killigrew, Ruhe auf Ihrem Schiff zu halten. Mir ist der Lärm in der Nacht nicht entgangen. Das Baden heute morgen akzeptiere ich, aber auch dabei hätte es etwas disziplinierter zugehen können. Weitere derartige Zwischenfälle würden mich in meiner Vermutung bestärken, daß Sie nicht in der Lage sind, ein Schiff zu führen. Vielleicht sind Sie zu weich, Mr. Killigrew. Die Männer spüren genau, ob sie sich Freiheiten herausnehmen können oder nicht. Nur mit der Peitsche ist ihnen ihre Aufsässigkeit auszutreiben.« »Aye, aye, Sir«, sagte Hasard, obwohl er anderer Meinung war. Die gleiche These hatte der alte John ihm gepredigt. Doch schon in der kurzen Zeit, die Hasard mit Ben Brighton und den anderen von den Azoren über Cadiz und die Biskaya zurück nach Plymouth gesegelt war, hatte er erkannt, daß diese These nur für Kapitäne galt, die auf ihre Leute hinabschauten und sie nicht als Menschen, sondern als Werkzeuge betrachteten, die eben benötigt wurden, um das Schiff zu bedienen. Hasard verstand nicht, weshalb gerade Drake ihm diese Worte gesagt hatte. Soweit er wußte, wurde auf Drakes Schiff
höchst selten ein Mann ausgepeitscht. Die Mannschaft achtete ihn und hielt Disziplin auch ohne Knute. Hasard war froh, daß Kapitän Drake nicht nach Einzelheiten über den nächtlichen Zwischenfall gefragt hatte. Er haßte es, über seine seltsamen Familienangelegenheiten mit Fremden zu sprechen. Er ließ sich schnell zur ›Isabella‹ zurückpullen und das Boot an Bord hieven. Dan O’Flynn erhielt den Befehl, die Leine von John jrs. Boot loszumachen. Auf Hasards Wink hin knoteten Ferris Tucker und Batuti die Männer von der Gräting los. John jr. hielt den Kopf gesenkt. Die kühle Nacht schien allen Widerstand aus ihm herausgesogen zu haben. »Hau ab, Bruderherz«, sagte Hasard. »Wir gehen in See.« John jr. nickte. Er fuhr sich mit der Hand durch sein borstiges karottenrotes Haar. Es schien, als wolle er noch etwas sagen, aber ihm fiel nichts ein. Er ging zum Schanzkleid und blieb wie angewurzelt stehen, als er sah, daß sein Boot bereits mindestens fünfzig Yards querab von der ›Isabella‹ in der Strömung lag und zwischen der ›Isabella‹ und der ›Marygold‹ hindurch aufs Meer trieb. »Du - du elender Bastard !« brüllte er. »Du willst uns …« Ferris Tucker und Batuti packten den heftig um sich schlagenden John jr. und warfen ihn kurzerhand über Bord. Sein Brüllen erstickte, als er mit dem Bauch aufs Meer klatschte. Batuti wollte sich den nächsten Mann greifen, doch der hob abwehrend die Hände. Er schob sich langsam an dem schwarzen Herkules vorbei, kletterte über eine Geschützlafette aufs Schanzk leid und jumpte hinter John jr. her. »Na, wird’s bald?« dröhnte Ferris Tuckers Baß. Die anderen vier zuckten ergeben mit den Schultern. Sie waren froh, dieses Höllenschiff verlassen zu können, auch wenn sie dafür unter dem Gelächter der Marktweiber in ihren
Klamotten an Land schwimmen mußten. Hasard kümmerte sich schon nicht mehr um sie, als sie über dem Schanzkleid verschwunden waren. Mit fester Stimme gab er die Befehle, die Segel zu setzen und den Anker zu lichten. Als die drei Galeonen aus der Bucht von Falmouth ausliefen, sah Hasard, wie John Malcolm aus dem Wasser kroch und mit triefenden Kleidern am Strand stand. Er hob drohend die Faust, aber Hasard lachte nur. Wann würde der Strohkopf endlich begreifen, daß er dem Seewolf Hasard nicht gewachsen war?
11. Sie umrundeten Kap Lizard, steuerten westlich auf die SeillyInseln zu und drehten in Sicht der Inseln auf Nordkurs. Bei halbem Wind aus Ost liefen sie nur wenig Fahrt und erreichten erst gegen Abend Kap St. David an der Südspitze der walisischen Halbinsel. Hier befahl Kapitän Drake Westkurs. Vor dem Wind waren die Galeonen schnell, und Hasard hoffte, daß sie noch in der Dunkelheit Dungarvan erreichten. Doch sie hatten sich verrechnet. Aus der Irischen See ging starker Strom nach Süden und versetzte die Schiffe südwestlich. Dazu ließ der Wind aus Ost plötzlich nach, und als ob das Maß noch nicht voll sei, kam gegen Morgen noch der verdammte irische Nebel auf. Hasard konnte gerade noch Drakes Befehl hören, daß der Treffpunkt der drei Galeonen die nordöstliche Bucht vor Dungarvan sei, die Hasard vorgeschlagen hatte. Dann war in der milchigen Brühe schon nichts mehr von der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ zu sehen. Hasard ließ alle Segel stehen. Er hatte in der Nacht laufend Kurse und Geschwindigkeit mitgekoppelt. Der Wind, der wieder leicht aufgefrischt hatte, wehte jetzt aus Südost.
Nebelfetzen trieben um die ›Isabella‹. Ein leichter Nieselregen bedeckte das Schiff mit einem dünnen feuchten Film. Manchmal glaubte Hasard, die Nebelwand würde endlich aufreißen, aber dann segelten sie wieder durch watteartige dichte Wolken, die kein Ende zu nehmen schienen. Es ging schon auf Mittag zu, da riß die undurchsichtige weiße Wand plötzlich auf. Die Stimme von Dan O’Flynn, der seit einer Stunde im Großmars saß, gellte über das Schiff. »Deck! Land voraus!« Hasard mußte warten, bis auch die letzten Nebelschwaden die Sicht freigaben. Er erkannte auf Anhieb, daß Dan die kleine Halbinsel Kinsale Head gesichtet hatte. Jetzt brauchten sie nur noch auf Nordostkurs zu gehen, entlang der Küste an Cork und Youghal vorbeizusegeln und dann vor Dungarvan auf die anderen beiden Galeonen zu warten, von denen weit und breit nichts zu sehen war. Dan O’Flynn hielt weiterhin Ausschau, doch er konnte keine Mastspitze entdecken. Hasard hatte befohlen, sämtliche Soldaten unter Deck zu schicken. Vor Cork Harbour herrschte oftmals reger Verkehr, und die irischen Fischer brauchten nur einen Uniformzipfel zu sehen, dann wußten sie, was die Glocke geschlagen hatte. Sie hatten Glück. Die ›Isabella‹ segelte an Cork vorbei, ohne ein Schiff gesichtet zu haben. Hasard bereitete sich schon auf die Ankunft bei Dungarvan vor. Er hoffte, daß die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ nicht so weit wie die ›Isabella‹ abgetrieben worden waren und bei Dungarvan auf ihn warteten, damit sie ihr Unternehmen schon in dieser Nacht hinter sich bringen konnten. Die ›Isabella‹ schob sich langsam auf die Landspitze von Ballycottin zu, hinter der Hasard so oft mit den Schiffen des alten John auf Beute gelauert hatte. Dan O’Flynn schrie erst auf, als Hasard die Karacke schon
selbst entdeckt hatte, die hinter der Landzunge hervorschoß. Doch das Bürschchen hatte die schärfsten Augen. »Die ›Black Cloud‹!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Die verfluchten Hunde haben hier auf uns gelauert!« Wenig später erkannte auch Hasard an den dunkel gelohten Segeln und dem pechschwarz gestrichenen Rumpf der Karacke, daß es sich um ein Killigrew-Schiff handelte. Wenn ihn nicht alles täuschte, war Simon Llewellyn, sein Zweitältester Bruder, Kapitän dieser Karacke. Und das konnte bedeuten, daß der Alte Simon als Wachhund an der südirischen Küste zurückgelassen hatte, während er mit den beiden anderen Karacken wahrscheinlich rund um Irland gegangen war - wild auf die Silberladung im Bauch der ›Isabella‹. »Was sollen wir tun, Hasard?« fragte Ben Brighton. »Wir können der ›Black Cloud‹ nicht ausweichen.« »Wenn wir Glück haben, hat mein Alter meinen Bruder Simon mit der ›Black Cloud‹ hier zurückgelassen«, sagte Hasard nachdenklich. »Simon ist zwar ein Draufgänger, aber wenn es darum geht, einen gewitzten Gegner auszumanövrieren, ist er völlig aufgeschmissen. Wir werden ihm ein paar Sachen überbraten und mit ihm Kriegen spielen. Ich habe da schon eine Idee …« Hasard gab Ben Brighton den Befehl, die ›Isabella‹ gefechtsklar zu machen. Dan O’Flynn erhielt den Befehl, die spanische Flagge im Topp des Großmastes hochgehen zu lassen. Hasard hoffte, daß Simon die ›Isabella‹ nicht erkannte. Als die Galeone im Hafen von Falmouth gelegen hatte, waren Hasards Brüder nicht da gewesen. Deutlich waren jetzt die dunklen Segel der ›Black Cloud‹ zu erkennen. Hasard hatte sich eine Perücke aus der Kapitänskammer geholt und aufgesetzt. Er befahl zwei Männern, den Schriftzug am Spiegelheck der ›Isabella‹ mit einem Segeltuch abzudecken.
Durch den Kieker konnte er Simon Llewellyn auf dem Achterdeck erkennen. Seine langen Affenarme fuchtelten durch die Luft. Die Karottenhaare leuchteten in der Sonne wie eine Fackel. Die Männer auf der ›Isabella‹ arbeiteten schnell und diszipliniert. Die Stückpforten wurden aufgezogen und die Kanonen in Gefechtsposition gebracht. Angespannte Erwartung lag auf den Gesichtern. Hasard sah, daß die Männer froh waren, daß das ewige Einerlei vorbei war. Al Conroy und Ferris Tucker brauchten sie kaum anzutreiben. Die ›Black Cloud‹ segelte hart am Wind genau auf die ›Isabella‹ zu. Hasard schüttelte den Kopf. Simon war wirklich ein Dummkopf. Sicher hatten seine Männer die spanische Flagge im Großmasttopp schon entdeckt, und er mußte damit rechnen, daß die spanische Galeone sich nicht kampflos ergab. Ein kluger und weitsichtiger Kapitän ging nicht wie ein Stier auf seinen Gegner los, sondern versuchte als erstes, die günstigste Position für ein Gefecht zu erreichen. Durch seinen Kieker sah Hasard, wie der grauhaarige Jock Moffit, der seit Jahrzehnten auf den Schiffen der Killigrews fuhr, auf Simon einredete. Simon schien etwas zu erwidern, jedenfalls zuckte der alte Moffit mit den Schultern und wandte sich ab. Hasard verzog seine Lippen zu einem Grinsen. Wenn er ein Spanier gewesen wäre, hätte er die ›Black Cloud‹ mit der ersten Breitseite in Stücke geblasen. Die ›Isabella‹ hatte die Luvposition und brauchte nur zu warten, bis die ›Black Cloud‹ sich eine Blöße gab. »Ferris!« schrie Hasard zum Mitteldeck hinunter. »Schieß ihnen ein paar Spieren herunter! Für jeden Treffer lasse ich einen springen, wenn wir dieses verdammte Unternehmen endlich hinter uns haben!« »Aye, aye, das ist ein Wort!« brüllte der Schiffszimmermann
zurück und gab gleichzeitig Al Conroy ein Zeichen, der die zweite Steuerbordkanone ausrichtete. »Achtung, Ferris!« brüllte Ben Brighton. »Wir wenden!« Die ›Isabella‹, die nicht mehr durch die schwere Silberladung in ihrer Bewegungsfreiheit eingeengt wurde, legte sich sanft über. Einen Mome nt warteten Ferris Tucker und Al Conroy noch, dann hielten sie die Lunten an die Zündlöcher, und mit donnerndem Krachen entluden sich die beiden Geschütze. Pulverdampf wölkte auf und hüllte die Männer an den Kanonen ein. Die Brooktaue ächzten in den Zurringen, als sie die schweren Geschütze auffingen. Die Geschützmannschaften zerrten an den Tauen, die quietschend durch die Geschütztaljen liefen, und zogen die Kanonen wieder in Schußposition. Noch bevor sich der Pulverdampf verzogen hatte, waren zwei Männer durch die Stückpforten gekrochen, hockten rittlings auf den Kanonen und kratzten das Rohr mit der Handspake aus. Brennende Pulverteile fielen ins Wasser und verlöschten zischend. Der Wischer wurde ihnen hinausgereicht, und das feuchte Ende löschte die letzten glühenden Pulverreste in dem heißen Rohr. Mit der Ladeschaufel wurde neues Pulver in die Kammer geschoben, Dämmmaterial nachgestopft, mit dem Ansetzer festgepreßt und zum Schluß die schwere Eisenkugel ins Rohr gerollt. Der ganze Vorgang hatte nicht ganz eine Minute gedauert. Es war das Ergebnis von Hasards Übungen und den harten Gefechten, die die Mannschaft den bretonischen Freibeutern und den Spaniern im Plymouth Sound hatten liefern müssen. Hasard hatte von der Poop aus den Flug der Kugeln verfolgt. Ferris Tucker hatte ziemlich tief gehalten, und Hasard glaubte schon, daß der Schiffszimmermann, der sich immer mehr zu einem exzellenten Stückmeister entwickelte, die ›Black Cloud‹ verfehlen würde. Doch da schlug sie ein. Die Bugsprietspitze wurde weggerissen. Das Fockstag mit dem Stagstrecker schnellte mit
dem zersplitterten Rest der Bugsprietspitze nach oben und zerschlug die Focktoppstenge in winzige Einzelteile. Al Conroys Kugel richtete weitaus mehr Schaden an. Sie traf die Spitze der Großmarsstange. Das Fall des Marssegels brach, und rauschend fiel die Rah mit dem Segel nach unten. Einen Moment schien es, als hielte sie sich auf der Großrah, doch dann rutschte sie weiter ab und krachte schließlich auf die Kuhl. Hasard sah, wie die Männer auf der ›Black Cloud‹ durcheinanderspritzten. Er glaubte die brüllenden Befehle von Simon zu hören, der sich jetzt wahrscheinlich in eine fürchterliche Wut steigerte. Ben Brighton fuhr eine Halse, um wieder mehr Raum zu gewinnen, denn jetzt hatte Simon begriffen, daß er aus seiner Position keine Chance hatte. Trotzdem gab er den Befehl, zu feuern. Die sechs Kanonen an Backbord brüllten auf und spien Feuer und Rauch. Die Kugeln lagen viel zu kurz. Weit vor der ›Isabella‹ stiegen sechs Wasserfontänen in den strahlenden Mittagshimmel. Hasard warf einen Blick zum Land hinüber. Zum Glück war die Küste in diesem Abschnitt nicht bewohnt. Die ›Black Cloud‹ hatte einen Schlag nach Steuerbord gesegelt und jagte die zweite Breitseite hinaus. Aber bei dem Durcheinander, das durch die herabkrachende Großmarsrahe auf der Kuhl herrschte, hatten Simons Kanoniere nicht richtig zielen können. Drei hatten viel zu früh gefeuert. Ihre Kugeln schlugen in der Nähe des Strandes ein. Die anderen drei lagen wieder zu kurz. Ferris Tucker blickte Hasard fragend an. Hasard nickte. Ein weiterer Treffer konnte nicht schaden. Der Schiffszimmermann visierte sorgfältig, bevor er die Lunte an das Zündloch hielt. Hasard befürchtete schon, daß Ferris Tucker diesmal auf Simon gezielt hatte. Die Kugel raste heulend auf das
Achterdeck der ›Black Cloud‹ zu. Wie der Blitz warfen sich Simon und der alte Moffit der Länge nach zu Boden. Das Splittern von Holz war bis zur ›Isabella‹ herüber zu hören. Hinter der ›Black Cloud‹ stieg eine Wasserfontäne in die Höhe. Die Kugel hatte das äußerste Ende der Poop nur gestreift und dabei die Hecklaterne und die Klampe weggerissen, an der die Besanschot belegt war. Das Lateinersegel flatterte samt Schot haltlos im Wind, und als Simon sich von seinem Schrecken erholt hatte und sich wieder aufrichtete, holte ihn die wie eine Peitsche zuschlagende Schot von den Beinen. Heulend brüllte Simon einen Befehl. Ein paar Männer sprangen herbei und hängten sich an die Besanschot, die sich um Simons Beine gewickelt hatte. Einer versuchte, die Schot zu enttörnen und kriegte das Schothorn, an dem die Schot befestigt war, um die Ohren geschlagen. Es war das reinste Affentheater. Hasard grinste. Auf der ›Black Cloud‹ herrschte Zustand, als ob das Schiff im Sinken begriffen sei. »Jetzt haben wir sie soweit«, sagte Hasard zu Ben Brighton. »Wir streichen die Flagge, Ben.« Ben Brighton starrte Hasard entsetzt an. »Bist du …« Verrückt hatte er sagen wollen, aber dann verschluckte er das Wort. Zu oft hatte Ben Brighton in den letzten Wochen mit Hasard Dinge erleben müssen, die er vorher als verrückt bezeichnet hatte. Und doch hatte hinter allem ein Sinn gesteckt. Dieser gerissene Seewolf wußte genau, was er tat. Immer wieder verblüffte er mit seinen überraschenden Einfallen nicht nur die eigene Mannschaft, sondern vor allem den Gegner, der bisher jedesmal in die Falle gelaufen war. Simon Llewellyn Killigrew wäre der letzte gewesen, der diese Falle gerochen hätte. Er hatte es sofort gesehen, als die
spanische Flagge eingeholt wurde. »Na also«, sagte er laut. »Die Dons haben genau gewußt, was ihnen blüht, wenn wir richtig loslegen. Die feigen Tintenfischfresser zittern schon um ihr Leben.« Jock Moffit wollte etwas einwenden, aber Simon schnitt ihm einfach das Wort ab. »Laß das Boot zu Wasser«, befahl er. »Ich werde mit einem Enterkommando hinüberfahren.« Jock Moffit zuckte mit den Schultern. Er hatte es aufgegeben, diesem aufgeblasenen Dummkopf Ratschläge zu geben. Der Sprößling des alten Killigrew hatte wohl die Figur und die roten Haare von seinem Vater geerbt, aber er war so strohdumm, daß Jock vermutete, der alte John habe ihn im Suff gezeugt. Kopfschüttelnd blickte er dem Boot mit den acht Männern nach. Für ihn war es sonnenklar, daß es sich um eine Finte der Dons handeln mußte. Wer strich schon seine Flagge, nachdem er den Gegner praktisch manövrierunfähig geschossen hatte? Jock hatte sich über die Treffer sowieso schon seine Gedanken gemacht. Das waren keine Zufallstreffer gewesen. Er war fest davon überzeugt, daß der Spanier sie in Stücke geschossen hätte, wenn er nur gewollt hätte. Mißtrauisch hob Jock Moff it den Kieker an die Augen und starrte zur spanischen Galeone hinüber. Er schnappte vor Überraschung nach Luft, als er sah, wie der große schlanke Mann auf der Poop die Perücke vom Kopf nahm. Verdammt und zugenäht! Das war die Lösung des Rätsels! Dieser Teufelsbraten von Philip Hasard Killigrew hatte seinen einfältigen Bruder aufs Kreuz gelegt, daß es eine Freude war. Also war der Spanier die ›Isabella‹, hinter der der alte John her war wie der Satan hinter den frommen Seelen. Jock Moffit verging die Schadenfreude, die er empfand, als er an den jähzornigen Herrn von Arwenack dachte. Sicher würde
der Alte ihm die Schuld an diesem Desaster in die Schuhe schieben. Jock stampfte wütend mit dem rechten Fuß auf. Hoffentlich schickte Hasard seinen verblödeten Bruder zur Hölle!
12. Simons triumphierendes Grinsen war wie weggewischt, als er seinen Kopf über das Schanzkleid schob. Er wollte sich zurückwerfen, aber da hatten die Fäuste von Batuti und Blacky ihn schon gepackt und zerrten ihn an Deck. »Herzlich willkommen auf der ›Isabella‹, Bruderherz«, sagte Hasard lächelnd. »Willst du deine Männer nicht bitten, zu entern?« Simon schnaubte wie ein Stier. Die hellblauen Augen quollen aus ihre’n Höhlen. Die Knollennase hatte die Farbe eines reifen Paradiesapfels angenommen. »Du hast die Flagge gestrichen, verdammt noch mal!« brüllte er außer sich vor Wut. »Du bist mein Gefangener, und die Ladung des Schiffes gehört mir!« Hasards hinterhältiges Grinsen hätte Simon warnen müssen, aber der sah im Augenblick nur rot. »Möchtest du deine eroberte Ladung sehen?« fragte Hasard scheinheilig. Ein gieriges Funkeln trat in Simons Augen. Er drehte sich zu seinen Männern um, die nun hinter ihm an Deck standen und die Männer der ›Isabella‹ mißtrauisch betrachteten. Sie hatten im Gegensatz zu Simon bereits bemerkt, daß sie dieses Schiff nicht unbehelligt verlassen würden. »O’Malley, komm mit«, befahl Simon und ging hinter Hasard her, der um das Beiboot herumging und auf die Ladeluke zusteuerte. »Öffnen«, befahl Hasard.
Matt Davies bückte sich und schob den Haken an seiner rechten Hand in den eisernen Ring auf der Luke. Mit einem Ruck zog er sie hoch. Simon hatte sich vorgebeugt. In seiner Erregung nahm er von seiner Umwelt nichts mehr wahr. Nur ein Gedanke beherrschte ihn. Er, Simon, hatte die ›Isabella‹ mit ihrer Silberladung aufgebracht, während der Alte noch irgendwo um Irland segelte und die ›Isabella‹ suchte. Simon wollte etwas sagen, aber er brachte keinen Ton hervor. Nicht die ihm entgegengestreckten Musketenläufe erschreckten ihn, sondern die leuchtenden Uniformen der Männer, die unter der Luke kauerten und ihn bedrohten. Er taumelte zurück, und als der alte Familienfeind der Killigrews, Captain Isaac Henry Burton mit angeschlagener Pistole aus der Luke kroch, begriff Simon gar nichts mehr. In seinen Ohren rauschte er. Er hörte nicht einmal das brüllende Gelächter von Hasards Mannschaft. »Na, was sagst du zu unserer Ladung, Bruderherz?« fragte Hasard mit sanfter Stimme. »Meinst du, der alte Feuerfresser wird sich darüber freuen?« Simon brüllte vor Wut auf. Seine Affenarme schwangen hoch und wollten nach Hasard greifen. Er kriegte nur Luft zu fassen. Hasard war nur zur Seite gewichen und ließ seine rechte Faust in Simons Nacken klatschen. Simon krachte zu Boden. Benommen schüttelte er den Kopf. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Das hier ging weit über seinen Horizont. Er sah die langschäftigen Stiefel seines Bruders neben sich und rappelte sich auf. Wie Peitschenhiebe prasselten jetzt die Worte Hasards auf ihn nieder. »Was hast du Idiot dir eigentlich dabei gedacht, ein Schiff Ihrer Majestät anzugreifen, wie?« schrie Hasard. »Wir fahren in geheimem Auftrag, verstanden? Ich habe den Befehl, jeden, der sich mir in den Weg stellt, an der Rahnock aufzuhängen!
Was du da versucht hast, ist Hochverrat an unserer verehrten Königin, verstanden?« Simons Männer standen da wie die Ölgötzen und sperrten Mund und Augen auf. Die meisten von ihnen zitterten bereits um ihr Leben, nur in dem Iren Sean O’Malley tobten andere Gefühle. Er hatte beim Anblick der englischen Soldaten sofort begriffen, was dieser geheime Auftrag zu bedeuten hatte. Er hatte von den Gerüchten gehört, daß der Earl of Munster seine Männer um sich sammelte, um sich endlich von der englischen Herrschaft zu befreien. Sean O’Malley war durch und durch ein Ire, und wenn er auch für den alten Killigrew fuhr, so würde er sich doch für die irische Sache in Stücke reißen lassen. Aufmerksam blickte er sich um, während die scharfe Stimme des jungen schwarzhaarigen Killigrew wieder über das Deck hallte. »Du bist zu dämlich, um zur See zu fahren, Simon«, sagte Hasard zu seinem knienden Bruder. »Den Weibern unter die Röcke greifen, das kannst du. Wie dein Bruder John Malcolm. Aber der hat sein Fett auch schon weg. Und falls du unserem Alten begegnest, dann richte ihm aus, daß ich mit ihm nicht spielen werde wie mit der ›Black Cloud‹. Bei ihm sitzt der erste Schuß unter der Wasserlinie, verstanden?« »Hei-heißt das, daß ich gehen kann?« fragte Simon heiser. »Jagt sie von Bord!« befahl Hasard. In diesem Moment handelte Sean O’Malley. Er stieß den neben ihm stehenden Ferris Tucker beiseite, daß er gegen die Lafette einer Kanone krachte und war mit zwei Sätzen auf dem Schanzkleid. Mit einem gewaltigen Sprung hechtete er ins Wasser. Hasard war überrascht. Was hatte den Mann dazu bewogen? Wie ein Verrückter schwamm er in Richtung Küste. »Hasard!« Die Stimme von Dan O’Flynn überschlug sich fast. »Das war Sean O’Malley! Ein Ire! Er will seine Landsleute vor uns warnen!«
Hasard reagierte sofort. Er achtete nicht auf das Schreien von Burton, der seinen Männern befahl, den flüchtenden Iren zu erschießen. Er jagte Blacky, Smoky, Stenmark, Carter und Dan O’Flynn in das Boot, das die Männer von der ›Black Cloud‹ an der Bordwand der ›Isabella‹ festgemacht hatten. Zum Schluß sprang Hasard selbst hinein. In der Hand hielt er seinen Degen, dessen goldfarbene Glocke in der Sonne leuchtete. Die Musketen der Soldaten peitschten auf. Hasard konnte genau sehen, wo die Kugeln einschlugen. Kleine Wasserfontänen spritzten hoch. Der Ire schwamm unbehelligt weiter. Hasard fluchte unterdrückt. Der verdammte Burton hätte seinen Männern das Schießen beibringen sollen, dachte er wütend. Die vier Rudergasten legten sich in die Riemen. Das Bürschchen hatte das Ruder übernommen, Hasard stand vorn im Bug. O’Malley hatte einen großen Vorsprung herausgeholt, und Hasard sah seine Hoffnung schwinden, den Iren noch im Wasser einzuholen. Die Musketenkugeln der Soldaten lagen jetzt weit ab von O’Malley. Die Entfernung war zu groß geworden, um noch einen sicheren Schuß anbringen zu können. »Schneller, Männer!« rief Hasard. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was geschah, wenn der Ire entwischte. Verdammt, dachte Hasard, Drake hat vielleicht doch recht. So etwas wäre einem besonnenen Kapitän niemals passiert. Ich hätte zuerst an die Aufgabe der ›Isabella‹ denken müssen. Warum haben ich die ›Black Cloud‹ nicht einfach umsegelt, als wir sie manövrierunfähig geschossen hatten Hasard zuckte mit den Schultern. Eine Lösung wäre das auch nicht gewesen, denn wie er Simon kannte, hätte der schnurstracks die Verfolgung aufgenommen, wenn er sein Schiff wieder klar gehabt hätte.
Jetzt war es erst einmal wichtig, daß sie diesen O’Malley schnappten und gefangensetzten, damit das Unternehmen Irland nicht in Frage gestellt wurde. Für Hasard war das auch noch ein persönliches Problem. Wenn O’Malley die irischen Aufständischen vor den englischen Soldaten warnen konnte, war er, Hasard, die längste Zeit Kapitän der ›Isabella‹ gewesen. Sean O’Malley war ein ausgezeichneter Schwimmer. Sein Vorsprung schmolz zwar schnell zusammen, aber als er Boden unter den Füßen hatte und durchs Wasser watete, war Hasard mit dem Boot noch etwa hundert Yards vom Ufer entfernt. Mit kräftigen Schlägen peitschten die Rudergasten das Boot vorwärts. Hasard stand sprungbereit im Bug. Er beobachtete O’Malley, der über den schmalen Strand stapfte und auf die vom Wasser unterspülte Düne zuhastete. Der Ire war vom Schwimmen ausgelaugt. Er bracht e die Beine kaum vom Boden hoch. Lange Schleifspuren blieben hinter ihm in Sand zurück. In Hasard stieg die Zuversicht, daß er O’Malley noch erwischen würde. Er war ausgeruht und ein guter ausdauernder Läufer. Er sah, wie O’Malley die steile Düne emporkroch und ein paarmal abrutschte. Schließlich schaffte er es und verschwand über dem Rand. Eine Sekunde später war nichts mehr von ihm zu sehen. Im selben Augenblick schabte der Kiel des Bootes über Sand. Hasard sprang ins Wasser, das ihm noch bis zu den Knien reichte, und stürmte los. Er schaffte die Düne im ersten Anlauf. Oben blieb er stehen, den Degen in der erhobenen rechten Hand, und blickte über das weite, hügelige grüne Land. ‘ O’Malley war nur etwas mehr als fünfzig Yards entfernt. Hasard lief weiter. »Bleib stehen, O’Malley!« schrie er. »Du hast keine Chance!«
Der Ire hörte nicht. Schwerfällig setzte er Fuß vor Fuß, und als Hasard nur noch zehn Yards hinter ihm war, blieb er plötzlich stehen. Sein Atem ging keuchend. Er stand vornübergebeugt da, aber er drehte sich nicht um. »Es hat keinen Zweck, O’Malley«, sagte Hasard. »Ich kann dich nicht laufenlassen. Ich nehme es dir nicht übel, daß du versucht hast, deine Landsleute zu warnen, aber ich muß dich mit zurücknehmen. Ich kann dich beruhigen. Die Soldaten sollen nicht gegen deine Leute kämpfen. Sie sollen nur Waffenlager finden und ausheben, um Blutvergießen zu vermeiden.« Sean O’Malley rührte sich nicht. Nur sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen. Hasard trat einen Schritt auf den Iren zu. »Sei vernünftig, O’Malley«, sagte er. »Ich lasse dich in Falmouth von Bord, wenn wir unseren Auftrag erledigt haben.« Er wollte die linke Hand auf O’Malleys Schulter legen, als der Ire herumwirbelte. In seiner rechten Hand blitzte die Klinge eines zweischneidigen Messers. »Stirb, du englischer Hund!« brüllte er. Seine Hand zuckte vor, und Hasard hatte Mühe, ihr auszuweichen. Der Haken seines rechten Stiefels verhakte sich in einem Büschel Strandhafer. Er wollte den Sturz abfangen, die Spitze seines Degens drang in den Sand, bog sich und brach ab. Hasard stürzte rückwärts zu Boden. Er hörte den triumphierenden Schrei des Iren, sah, wie ein großer Schatten sich auf ihn stürzte und das blitzende Messer auf ihn niederfuhr. Hasards Linke zuckte hoch. Sie schloß sich um das Handgelenk des Iren, der schwer atmend auf ihm lag und mit aller Macht versuchte, das Messer gegen Hasards Kehle zu drücken. Hasard merkte, wie ihm der Schweiß aus den Poren trat. Das
Gewicht des Iren nahm ihm den Atem. Nur noch ein paar Zoll war die Klinge von seinem Hals entfernt. Der Ire war stark, und die Verzweiflung schien seine Kräfte noch zu verdreifachen. Hasards Armmuskeln drohten zu verkrampfen. Wenn er wenigstens mit der rechten Hand zurückschlagen könnte! Aber die wurde vom linken Arm O’Malleys fest in den Sand gepreßt. Hasard spürte, daß er dem Druck nicht mehr lange würde widerstehen können. Er holte tief Atem. Dann ruckte er mit aller Gewalt zur Seite. Seine Hand ließ den rechten Arm des Iren los. Das Messer stieß nieder und bohrte sich kaum einen Zoll neben Hasards Kopf bis zum Heft in den Sand. O’Malley schrie vor Wut auf. Für einen Sekundenbruchteil richtete er sich ein wenig auf. Hasard riß seinen rechten Arm hoch. Die Glocke des abgebrochenen Degens blitzte in der Sonne. Hasard stieß sie mit aller Macht gegen den Schädel des Iren. Ein ächzender Laut brach über O’Malleys Lippen. Er riß die Hand mit dem Messer hoch und wollte abermals zustechen, doch er war zu benommen, um genau zielen zu können. Hasard brauchte sich nur ein wenig zu bewegen, um der tödlichen Klinge zu entgehen. Der Seewolf schlug zum zweitenmal zu. Der Ire begann zu wanken. Hasard brauchte nur ein bißchen nachzuhelfen, da kippte O’Malley zur Seite und schlug in den Sand. Die Augen des rothaarigen Mannes waren glasig. Hasard sprang auf. Er wußte, daß ein angeschlagener Gegner besonders gefährlich war, und hütete sich, O’Malley zu nahe zu kommen. Hasards Atem ging keuchend. Sein linker Arm schmerzte ihn und ließ sich kaum bewegen. »Gib auf, O’Malley«, sagte Hasard eindringlich. »Zwing mich nicht, dich zu töten.« O’Malley kauerte auf den Knien, beide Hände im Sand abgestützt. Es schien, als sei er geschlagen, doch als er den
Kopf hob und Hasard in seine Augen blickte, wußte der Seewolf, daß der Kampf noch nicht vorüber war. Dieser verfluchte irische Dickschädel würde nicht eher aufgeben, bis er besinnungslos im Sand lag. Hasard hob die Hand mit dem abgebrochenen Degen. Er wollte die schwere Glocke ein drittes Mal gegen den Eisenschädel des Iren krachen lassen, damit er endlich Ruhe gab. Er sah die Handbewegung O’Malleys erst im letzten Augenblick. Er versuchte den Kopf zur Seite zu reißen und die Augen zu schließen, doch da traf ihn schon der feine Sand. Der Schmerz trat fast augenblicklich ein. Blindlings stieß Hasard den abgebrochenen Degen nach vorn, um den vielleicht angreifenden Iren abzuwehren. Er spürte keinen Widerstand und taumelte zurück. Wasser trat in seine Augen. Er hob die Hand, um über die schmerzenden Augen zu wischen, doch er ließ es sein. Er wußte, daß der Schmerz dadurch nur noch schlimmer wurde. Verschwommen sah er einen Schatten auf sich zustürzen. Hasard sprang zur Seite und vollführte mit dem Stumpf des Degens eine kreisende Bewegung. Sein Arm wurde hochgerissen. Der Degen war ge gen einen Widerstand gestoßen. Hasard hörte abgehacktes Atmen. O’Malley stieß einen Schrei aus, der in ein Röcheln überging. Hasard kniff die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, konnte er scho n deutlicher seine Umgebung erkennen. Sein Atem stockte. Der Ire torkelte auf ihn zu. Seine Hemdbrust war mit Blut getränkt, das aus einer breiten Wunde am Hals pulste. Seine hellen Augen waren weit aufgerissen. Mit hocherhobenem Dolch stürzte er sich auf Hasard, einen fürchterlichen Schrei auf den Lippen. Hasard streckte instinktiv den abgebrochenen Degen vor. Sein Arm wurde zurückgestoßen, und dann warf ihn der
mächtige Körper des Iren um. Jetzt hat er mich doch noch erwischt, dachte Hasard. Er wartete auf den heißen Schmerz, der durch seinen Körper rasen würde, wenn das Messer in ihn hineinstieß. Er spürte nichts. Reglos lag der Ire auf ihm. Hasard schüttelte sich, als er bemerkte, daß die Feuchtigkeit, die über seine rechte Hand kroch, das Blut des Iren war. O’Malley bewegte sich nicht mehr. Nicht einmal sein Atem war mehr zu hören. Verschwommen sah Hasard die weit aufgerissenen, ins Leere blickende Augen des irischen Riesen dicht vor seinem Gesicht. Hasard wälzte den schweren Körper von sich herunter und richtete sich keuchend auf. Er kniff die Augen ein paarmal zusammen, bis er wieder einigermaßen klar sehen konnte. Sein Hemd war an der rechten Seite vom Blut des Iren rot gefärbt. Er bückte sich und grub seine Hand in den Sand, um sie vom Blut zu säubern. O’Malley lag auf dem Rücken. Der Stumpf des Degens steckte in seiner Brust. Er war durch die Rippen geglitten und hatte sein Herz durchbohrt. Hasard bemerkte Smoky und Dan O’Flynn erst, als ihre Schatten auf den Toten fielen. »Meine Fresse!« sagte das Bürschchen erschüttert. Hasard wandte sich ab. Er hatte den Tod des Iren nicht gewollt. Ihm war speiübel zumute. Warum hatte O’Malley nicht aufgegeben? Hasard schüttelte den Kopf. Iren waren Dickschädel, die ihren Weg stur zu Ende gingen. Wahrscheinlich gab es nichts, das O’Malley zur Vernunft gebracht hätte. »Nehmt ihn mit«, sagte Hasard leise. Er stapfte durch den feinen Sand hinunter zum Strand und wartete beim Boot auf die beiden anderen, die den schweren Körper O’Malleys keuchend ins Boot hievten.
Hasard sprach kein Wort, während die anderen zur ›Isabella‹ zurückpullten. Ferris Tucker und Ben Brighton zogen ihn an Bord. Vor Simon und seinen Männern blieb Hasard stehen. »Sieh ihn dir genau an, Simon«, sagte er hart, »und dann frage dich, wem er das zu verdanken hat. Ich hoffe, du gibst ihm ein ehrenvolles Begräbnis und verschwindest dann aus dieser Gegend. Wenn irgend etwas bei unserer Operation schieflaufen sollte, wird die Königin erfahren, wer uns verraten hat. Und dann können dir auch Onkel Henry in London oder Sir Robert nicht mehr helfen. Dann baumelst du am Galgen, oder ich will die alte Lissy nicht kennen.« Simon Llewellyn Killigrew schluckte ein paarmal hart. Dann nickte er und schlich durch die Gasse, die die Männer der ›Isabella‹ gebildet hatten, bis zum Schanzkleid. Die Rudergasten hatten das Boot bereits verlassen. Dan O’Flynn kletterte gerade über die Berghölzer an Bord. Simon preßte die Lippen zusammen, als er den blutüberströmten Sean O’Malley sah. Wortlos schwang er sich über das Schanzkleid und kletterte ins Boot hinunter. Seine Männer folgten ihm, ergriffen die Riemen und pullten los, nachdem das Bürschchen Simon die Vorleine zugeworfen hatte. Erst als sie ein paar Bootslängen entfernt waren, drehte Simon sich um und hob drohend die Faust. »Wenn der Alte dich zu fassen kriegt, haut er dich zu Mus!« schrie er. »Und ich will verdammt sein, wenn ich ihm nicht dabei helfe!« Hasard zuckte nur mit den Schultern. Er hätte in diesem Augenblick nicht sagen können, welcher seiner beiden Brüder, John jr. oder Simon, der größere Dummkopf war. Er wandte sich an Ben Brighton. »Den alten Kurs, Ben«, sagte er. »Bring alle Leinwand an die Rahen, die wir haben. Wir haben schon genug Zeit verloren.«
Ben Brighton brüllte seine Befehle über Deck. Die Luke zum Frachtraum wurde trotz Burtons Protest wieder verschlossen. Hasard ging zum Quarterdeck hinauf und warf noch einen kurzen Blick hinüber zur ›Black Cloud‹, auf der die gesamte Mannschaft fieberhaft arbeitete, um die Schäden zu beheben, die die Kugeln der ›Isabella‹ verursacht hatten. Dann wandte der Seewolf den Blick nach vorn. Vor der Bucht von Dungarvan wartete vielleicht schon Kapitän Drake mit der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ auf Hasard, um das gefährliche Unternehmen an Irlands Küste zu beginnen.
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Band 20
In den Tod gehetzt von Davis J. Harbord Die Falle in der Dungarvanbai kann zuschnappen. Philip Hasard Killigrew will fünf spanischen Schiffen, die beladen sind mit Waffen für die Iren, den Weg zurück abschneiden. Doch weil Verrat im Spiel ist, läuft nicht alles nach Plan. Der Seewolf weiß, daß in seiner Mannschaft ein Verräter mitfährt und das kann nur Isaac Burton sein, jener Mann, der Hasard schon einige Male das Leben schwergemacht hat. Und dann steht der Seewolf plötzlich zwischen zwei Fronten: Spanier und Iren auf der einen, Burton und seine Komplizen auf der anderen Seite. PHILIP HASARD KILLIGREW wurde Seewolf genannt, denn er war der Härteste in der Seeraubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der Marygold - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.