ERLE BARTON
Anders als wir Menschen
(THE PLANET SEEKERS)
ERICH PABEL VERLAG • RASTATT (BADEN)
PERSONEN: Chaytor...
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ERLE BARTON
Anders als wir Menschen
(THE PLANET SEEKERS)
ERICH PABEL VERLAG • RASTATT (BADEN)
PERSONEN: Chaytor Hudson
Captain der „Magnetique“
Simon Chase Philip Hatchworth Dover Cross Janet Russel Angela Munro Sabine Church Marion Ginsberg
Passagiere
Lewis Varley
Chef des Sicherheitsdienstes
John Starbuck Longman Sharp
SD-Agenten
Tommy Rawlings
Pilot
Azak, Cuclos, Dyxi Ergat, Berog, Harak Igor, Jork, Fergus, Gluk
Mods
1. Kapitel Angela Munro hob den Brief auf, der soeben durch den Briefkastenschlitz in der Tür gesteckt worden war. Sie konnte ihre Erregung nicht verbergen, denn wie ihr der Ab sender verriet, war es der Brief, auf den sie so lange gewar tet hatte. Trotzdem riß sie den Umschlag nicht gleich auf, sondern betrachtete erst die Briefmarke. Das machte sie immer so, denn es erhöhte die Spannung. Angela Munro, schwarzhaarig, hübsch und intelligent, war oft etwas vor schnell und übte sich zuweilen darin, gelassener zu reagie ren. Endlich schlitzte sie das Kuvert auf und las die wenigen Zeilen, die auf dem Briefbogen standen. Die Buchstaben begannen vor ihren Augen zu tanzen, und sie brauchte eine Weile, um sich einigermaßen zu beruhigen Aber dann be griff sie den Inhalt des Briefes. Sie hatte den ersten Preis in einem Preisausschreiben gewonnen. In jäher Freude langte sie nach ihrem sich selbst öffnen den, farbenfrohen Regenschirm und tanzte jubelnd durch ihre Wohnung. Zufällig gelangte sie vor den Kommunika tor, blieb heftig atmend stehen und wählte eine Nummer Gleich darauf wurde der Bildschirm hell, und ein Gesicht tauchte auf. „Consolidated Detergent“, meldete .sich der junge Mann. „Verbinden Sie mich bitte mit der Werbeabteilung!“ sagte Angela hastig. Sie mußte ihre Bitte wiederholen, denn der Mann hatte sie nicht richtig verstanden. Um sich 4
noch verständlicher zu machen, hob sie den gerade emp fangenen Brief hoch. „Ich kann es noch nicht glauben“, sagte sie aufgeregt. „Es stimmt aber, Miß Munro“, antwortete der junge Mann lächelnd. „Woher wissen Sie denn, daß ich Angela Munro bin?“ „Das war nicht schwer zu erraten.“ Der junge Mann lachte verständnisvoll. „An Ihrer Erregung erkenne ich, daß Sie die Gewinnerin des Preisausschreibens sind. Wann wollen Sie reisen, Miß Munro?“ „Sobald wie möglich. Ich muß mich aber erst mit meiner Abteilungsleiterin in Verbindung setzen. Es sind auch noch andere Dinge zu regeln. Trotzdem möchte ich schon mit dem nächsten planmäßigen Schiff reisen.“ „Am Sonnabend also“, sagte der freundliche junge Mann. „Das läßt sich einrichten, Miß Munro.“ „Vielen Dank! Ich werde erst um Urlaub bitten und dann noch einmal anrufen.“ Angela schaltete das Gerät ab und wählte mit zitternden Händen eine andere Nummer. Lachend und aufgeregt be richtete sie der Leiterin des Schreibbüros, daß sie den er sten Preis des Preisausschreibens gewonnen habe. Die Ab teilungsleiterin war sehr entgegenkommend und bewilligte Angela einen Sonderurlaub. „Vielen Dank, Miß Gibbons!“ sagte Angela. Ihre Abtei lungsleiterin war oft eine Tyrannin, aber jetzt erwies sie sich als sehr großzügig. Angela konnte sich auch die Aufregung der Kolleginnen vorstellen. Nach ihrer Rückkehr würde sie sehr viel zu berichten haben, denn für die Schreiberinnen war eine Reise zur Venus ein unerfüllbarer Traum. 5
„Ich habe tatsächlich gewonnen!“ jubelte Angela laut. Sie dachte an den Urlaub auf der Venus, an den berühmten Vergnügungsdom, den Tummelplatz der Playboys. Die reichsten Leute des Systems gaben sich dort ein Stelldich ein, weil sie unter sich waren. Und jetzt sollte sie, Angela Munro, für kurze Zeit diesen unvorstellbaren Luxus genie ßen. Sie konnte noch immer nicht begreifen, daß ausge rechnet sie die glückliche Gewinnerin war. Es dauerte lange, ehe sie sich wieder einigermaßen be ruhigt und die vielen notwendigen Anrufe erledigt hatte. Jeder sollte wissen, daß sie die Reise zur Venus gewonnen hatte. Die Zeit verging rasend schnell Angela packte ihre Sa chen und wartete auf den Wagen der Gesellschaft. Dann kam er endlich an. Es war ein schwarzes Luftkis senfahrzeug, nach dem sich alle Leute umdrehten. Angela stieg ein und ließ sich durch die Straßen von London zum Flugplatz bringen. Angela Munro betrachtete die giganti schen Fassaden der Häuser und dachte daran, daß sie diese Häuser bald von oben sehen würde. Das Luftkissenfahrzeug hielt am Rande des Flughafens. Eine Woche voller Aufregungen lag hinter Angela. Und doch war ihr, als sei der Brief mit der guten Nachricht erst gestern angekommen. Die Periode des Wartens war nun vorüber. Insgeheim hatte sie immer gefürchtet, daß viel leicht doch noch etwas dazwischenkommen würde. Jetzt sah sie sich am Ziel ihrer Träume, jetzt konnte nichts mehr widerrufen werden. Angela blickte durch ein großes Fenster auf den großen Flughafen. Überall standen turmhohe und doch schlanke, 6
nadelförmige Raumschiffe auf den Heckflossen, die glän zenden Spitzen hoch in den Himmel gereckt. Der Ange stellte der Gesellschaft half Angela bei der Erledigung der notwendigen Formalitäten. Sie mußte sich auch impfen lassen, ehe sie sich endlich auf das laufende Band stellen konnte, das sie zu dem wartenden Raumschiff beförderte. Angela drückte ihre Haare zurecht, denn der Wind blies heftig über die alten Rollbahnen. Die langen Betonstreifen waren früher einmal für den Start altmodischer Flugma schinen gebaut worden und dienten nun lediglich als Zu fahrtswege. Das Raumschiff ragte wie ein gigantischer Silberfinger in den Himmel. Erst kurz davor konnte Angela die riesigen Dimensionen des so elegant aussehenden Schiffes erken nen. Eine mit einem glänzenden Metallanzug bekleidete Ste wardeß stand am Einstieg und hakte die Namen der Passa giere ab. Angela Munro lauschte interessiert, denn sie woll te gern wissen, mit wem sie die Reise unternehmen sollte. An der Spitze der Schlange standen einige Mods, die ge lassen ihre Namen sagten. Ihre Stimmen klangen unbe wegt, fast unmenschlich. „Azak.“ „Cuclos.“ „Dyxi.“ „Berog.“ „Ergat.“ Die Stewardeß blieb ungerührt und hakte die Namen der Mods ab. Angela schauderte etwas zusammen, denn sie mochte die Mods nicht. Sie fürchtete sich nicht, denn sie 7
stand mit beiden Beinen fest auf der Erde, aber beim An blick der Mods empfand sie doch immer wieder ein eigen artiges Gefühl. Ergat, der letzte der Mods, drehte sich um und musterte die übrigen Passagiere. Angela wußte, daß die Mods alle Menschen als Normen bezeichneten. Sie empfand das aber nicht als ein Schimpf wort, denn sie war glücklich, nicht zu den Mods zu gehö ren. Die Mods fühlten sich allen anderen in jeder Bezie hung überlegen und machten daraus auch nie ein Hehl. Da bei sahen sie mit ihren rechteckigen, kantigen Körpern und den Drähten hinter den Ohren schrecklich aus. Angela las den Namen des Raumschiffes. Der stolze Raumer trug den Namen „Magnetique“ und war hochmo dern. Die Mods waren schon im Schiff verschwunden, und nun kamen die anderen Passagiere an die Reihe. Angela betrachtete sie alle sehr aufmerksam. Da war Simon Chase, ein Playboy in ausgesucht elegan ter Kleidung und mit Dauerwellen. Der Captain des Raum schiffes hieß Chaytor Hudson. Er war hochgewachsen, breitschultrig und sah verwegen aus. Angela bemerkte den Blick, mit dem die Stewardeß dem Captain nachsah. Chay tor Hudson war sicherlich ein erfolgreicher Herzensbre cher. Der nächste Passagier in der Reihe war Philip Hatch worth. Er wirkte nicht besonders anziehend aber interes sant. Er war klein, fett und glatzköpfig, doch sein enorm großer Schädel deutete auf außergewöhnliche geistige Fä higkeiten hin. Dann kam Dover Cross, nach seiner Kleidung und sei nem Aussehen zu urteilen ein Prospektor. 8
Angela rückte mit der Reihe vor, zeigte der lächelnden Stewardeß ihre Flugkarte und nannte ihren Namen. Das Mädchen gab ihr die Sitznummer und wünschte ihr eine gute Reise. Angela Munro hörte noch die Namen der beiden nach folgenden Mädchen und drehte sich um. Janet Russel war groß und sah etwas versnobt aus. Ihre blaugefärbten Haare wirkten selbst in dieser Umgebung auffällig. Das andere Mädchen war bedeutend kleiner, dafür aber dicker und muskulöser. Es sah wie eine Intellektuelle aus und schien sich nicht allzu sehr um seine äußere Erschei nung zu kümmern. Angela verglich das Mädchen unwillkür lich mit Hatchworth. Sie blieb noch einen Augenblick ste hen, weil sie den Namen hören wollte. Das Mädchen hieß Sabine Church. Es hatte eine kräftige, tiefe Stimme. Die grünen Haare waren allerdings auch recht auffällig und paß ten nicht zu der anspruchslosen Kleidung des Mädchens. Angela wollte schon weitergeben, als sie noch ein Mäd chen heraufkommen sah. Dieses Mädchen sah so normal aus, daß es schon dadurch auffiel. Die Haare waren nicht gefärbt, die Kleidung billig und schlicht. Das Mädchen war auch nicht besonders hübsch. Es hieß Marion Ginsberg. Angela eilte nun endlich weiter und suchte ihren Sitz. Dabei mußte sie feststellen, daß sie zwischen Dover Cross und der gelangweilt wirkenden Janet Russel saß. Janet Russel beantwortete Angelas höflichen Gruß mit einem kritischen Blick und einem kühlen Nicken. Dover Cross war bedeutend freundlicher. Er wirkte wie ein an ein freies Leben gewöhnter, aufgeschlossener Mann. Seine Augen schienen immer in unermeßliche Fernen zu blicken. 9
Aus den Lautsprechern klang die ruhige Stimme der Stewardeß: „Neben jedem Sitz befindet sich ein roter He bel. Wenn Sie den Hebel nach außen schieben, neigt sich Ihr Sitz nach hinten. Ziehen Sie den Hebel zu sich heran, kippt der Sitz langsam nach vorn. Sie können ihn also in die von Ihnen gewünschte Lage bringen. Versuchen Sie es bitte!“ Angela und die anderen Passagiere hantierten an dem Hebel und machten sich damit vertraut. „Wir werden in wenigen Minuten starten“, gab die Ste wardeß durch. „Neigen Sie die Sitze so weit wie möglich nach hinten.“ Angela gehorchte und lag bald auf dem Rücken. „Die Sicherheitsklammern werden mit dem kleinen grü nen Knopf am Ende des Hebels bedient“, erklärte die Ste wardeß. „Machen Sie bitte einen Versuch.“ Angela drückte auf den Knopf und blickte etwas ängst lich auf die schlangenartigen Metallschläuche, die aus den Armlehnen kamen und sich den Körperformen anpaßten. Sie verspürte starke Platzangst, denn die Klammern hielten sie unverrückbar fest. Es war ein eigenartiges Gefühl abso luter Hilflosigkeit. Allerdings wußte Angela, daß diese Si cherheitsmaßnahme notwendig war. Die Stewardeß verließ die Kabine, und gleich darauf klang eine andere Stimme in den Raum. „Hier spricht Captain Chaytor Hudson. Sie können jetzt die an der Decke angebrachte Uhr sehen. Das Zifferblatt wird zum Beginn des Count down aufleuchten. Wenn Sie den Zeiger beachten, können Sie den genauen Zeitpunkt des Starts erkennen.“ 10
Angela blickte nach oben, wo jetzt ein Zifferblatt auf leuchtete. Sie erkannte sofort, daß der Start in genau sieben Minuten erfolgen würde. Der große Zeiger schien um das Zifferblatt zu rasen. In weniger als sieben Minuten würde sie, Angela Munro, die kleine Schreiberin, die Erde verlas sen und mit einem Raumschiff zur Venus rasen, um dort ihre Traumferien zu verbringen. Während der folgenden sieben Minuten wurden die ge waltigen Raketenmotoren der „Magnetique“ vorgewärmt. Angela wurde immer aufgeregter. Sie hatte einmal gehört, daß ein Ertrinkender sein Leben noch einmal rasend schnell an sich vorüberziehen sieht. Sie fühlte sich fast wie eine Ertrinkende. Sie wollte gern zur Venus. Sie hatte sich diese Reise sehr gewünscht Aber jetzt hatte sie Angst. Sie wollte in den Weltraum hinaus, spürte aber gleichzeitig eine immer stärker werdende Furcht. Würde das Raumschiff explodieren und zu einer bren nenden Holle werden? Unwillkürlich dachte sie an die Mods. Sie blickte zur Seite und wunderte sich über die Ru he ihres Nachbarn. Dover sah sie an und verzog sein Ge sicht zu einem beruhigenden Grinsen. Angela lächelte ebenfalls und wurde rot. „Zero minus neun!“ Die Stimme klang kalt und unpersönlich. Wahrschein lich wurde nur ein Tonband abgespielt. „Ihre erste Reise?“ Die volle Stimme ihres Nachbarn beruhigte Angela ein wenig. Wer war dieser Mann? Die Startvorbereitungen schienen ihm nichts auszumachen Wahrscheinlich war er daran gewöhnt. Er wirkte wie ein rauher, aber gutmütiger 11
Naturbursche. Angela begeisterte sich gewöhnlich nicht sehr schnell für einen Mann, aber ihr Nachbar war ihr sehr sympathisch. Vielleicht lag es auch daran, daß er ebenfalls in seinem Sitz lag und das gleiche Schicksal erwartete. „Zero minus acht!“ „Ja, es ist meine erste Reise“, sagte Angela bedrückt. „Keine Angst“, antwortete Cross lachend. „Es geht allen so.“ „Sie scheinen aber keine Angst zu haben“, murmelte Angela. „Es sieht nur so aus. Mir ist auch flau im Magen.“ Angela Munro hörte die Worte wie aus weiter Ferne. Sie spannte alle Muskeln an und verkrampfte sich. Sie konnte nichts dagegen machen; mit jeder Sekunde wurde es schlimmer. „Zero minus eins!“ „Zero!“ Totenstille. Die Passagiere hielten den Atem an und war teten auf den heftigen Stoß. Erst ging ein leichtes Vibrieren durch das gewaltige Schiff, wurde stärker und stärker. Dann begann ein Dröhnen. Es wurde immer lauter, bis es alles übertönte, alles erfüllte. Die „Magnetique“ war ein großes Raumschiff, so daß die Raketen viele hundert Ton nen senkrecht in die Luft heben mußten. Das waren die kri tischen Sekunden, denn während das Schiff unmerklich an Fahrt gewann, wirkte sich jeder Windstoß auf den Kurs aus und gefährdete die Stabilität des stählernen Monsters. Aber dann schien das Schiff plötzlich in den Himmel zu springen. Es hatte den kritischen Punkt überwunden und wurde von Sekunde zu Sekunde schneller. Die Passagiere 12
wurden unbarmherzig in die Sitze gepreßt, ihre Gesichter zu schrecklichen Grimassen verzerrt. Der Druck ließ jedoch bald nach. Angela konnte den Kopf zur Seite wenden und Dover Cross betrachten. Ihm schien der Start nichts ausgemacht zu haben, denn er grin ste schon wieder. Er wirkte nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern wie ein Block aus Granit. Seine Augen blinzelten aber warm und mitfühlend. „Das wäre geschafft“, sagte er fröhlich. „Sie können sich jetzt entspannen.“ Gleich darauf kam die Stewardeß in die Kabine und for derte die Passagiere auf, die Sitze wieder in die Normal stellung zu bringen. Angela drückte auf den Knopf und bewegte den Hebel Die biegsamen Sicherheitsklammern verschwanden, und der Sitz schwang wieder in seine Nor malstellung zurück. Angela langte aufatmend nach ihrer Handtasche und warf einen Blick m den kleinen Taschenspiegel. „Jetzt fühl ich mich bedeutend wohler“, sagte sie fröhlich und kämmte sich die Haare. Dover Cross lächelte. Ihre Reaktionen waren typisch weiblich. Die Gefahr war kaum überstanden, und schon dachte sie nur noch an ihr Aussehen. „Warum lächeln Sie?“ fragte Angela. „Über Ihre schnelle Umstellung. Ich glaube, wenn das Schiff beim Start explodiert wäre und Sie die Katastrophe überlebt hätten, wäre Ihre erste Reaktion nicht anders ge wesen.“ Angela Munro kicherte ein wenig, wurde rot und steckte Kamm und Spiegel ein. „Vielleicht haben Sie recht“, gab 13
sie zu. Gleichzeitig ärgerte sie sich über Janet Russel, die sich nach vorn beugte und Dover Cross ungeniert anstarrte. „Solch ein Start ist doch immer wieder furchtbar lang weilig“, sagte sie versnobt. Dover Cross antwortete nicht. Er schien Angelas Ärger zu spüren. Sie war wütend, denn für sie war das alles neu und aufregend. Sie wollte sich dieses Abenteuer nicht von einer eingebildeten, blasierten Nichtstuerin verderben las sen. „Ich finde das alles sehr aufregend“, sagte sie mit be sonderer Betonung. Das brachte ihr einen verächtlichen Blick ein, mehr aber nicht. Janet Russel konzentrierte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Dover Cross, der den mit Fleiß eingeübten Au genaufschlag geflissentlich übersah. Angela blickte sich um und betrachtete die anderen Pas sagiere. Sabine Curch las in einem dicken Buch. Bestimmt war es kein seichter Unterhaltungsroman. Philip Hatch worth hielt ebenfalls ein Buch in den Händen und kümmerte sich nicht um seine Umgebung. Angela blickte wieder zur Seite und betrachtete das männliche Profil ihres Nachbarn. Unwillkürlich verglich sie ihn mit den Mods, den kantigen, abstoßenden Wesen, die sich für überlegen hielten. Erst jetzt fiel ihr auf, daß die Mods nicht in der Kabine waren. „Mr. Cross“, wandte sie sich an ihren Nachbarn. „Nennen Sie mich ruhig Dover“, erwiderte er freundlich. „Vielen Dank! Ich heiße Angela.“ „Das weiß ich schon. Ich habe Ihren Namen auf der Li ste gesehen.“ „Sie sind sicher schon weit herumgekommen“, sagte Angela bewundernd. 14
„Es geht. Ich war schon hier und da.“ „Sie sehen aus, als wären Sie schon überall gewesen, Mr. Cross – oh – Dover.“ „Wirke ich denn schon so alt?“ fragte er lachend. „Das nicht. Aber sehen Sie, dies ist meine erste große Reise. Bei Ihnen ist das anders. Das merkt man sofort. Ich war noch nie auf einem anderen Himmelskörper, nicht einmal auf dem Mond. Dabei sind die Wochenendreisen zum Mond etwas Alltägliches.“ „Selbst diese kurzen Reisen sind interessant“, antwortete Dover. „Als Kind war ich einmal auf dem Mond und brachte kleine Steinchen und eine Flasche Mondstaub mit nach Hause. Ich habe das Zeug noch immer. Es war die aufregendste Reise, die ich je erlebt habe. Keine andere Reise hat mich so erregt.“ Angela verstand sofort, daß diese Äußerung auf Janet Russel gemünzt war, die sich wer weiß was auf ihre Reisen einbildete. Angela wurde warm ums Herz. Dover Cross gefiel ihr immer besser. „Ich möchte mehr über die Mods wissen“, sagte sie. „Ich habe mich bisher nie um sie gekümmert.“ Dover hob die Augenbrauen und machte ein etwas ver wundertes Gesicht. Angela glaubte sogar, einen Schatten von Mißtrauen zu erkennen. „Was wollen Sie denn wissen, Angela?“ fragte er schließlich. „Alles. Ich habe selten einen Mod gesehen. Ich weiß, es gibt viele davon.“ Sie lächelte etwas hilflos. „Ich habe bis her ein ruhiges, normales Leben geführt“, fügte sie, sich selbst entschuldigend, hinzu. „Für mich ist das alles neu.“ Die „Magnetique“ beschleunigte noch immer, doch der 15
Druck machte sich nicht mehr störend bemerkbar. Das große Schiff schoß mit ungeheurer Geschwindigkeit in den freien Raum hinaus. „Was sind die Mods eigentlich für Wesen?“ fragte Angela. „Sie waren anfänglich völlig normale Menschen“, er klärte Dover. „Obwohl die Anfänge dieser Entwicklung schon sehr lange zurückliegen, tauchten die ersten Mods vor etwa hundertfünfzig Jahren auf. Es fing damit an, daß die Chirurgen verletzten oder kranken Menschen Glieder oder Organe anderer Menschen einsetzten. Die gesunden Organe gerade verstorbener Menschen wurden kunstge recht verpflanzt. Damals gab es auch schon elektronische Hilfsmittel, die nach und nach verkleinert und verfeinert wurden. Im 22. Jahrhundert war es dann möglich, verletzte Gehirnteile durch elektronische Geräte zu ersetzen. Hörge räte und falsche Zähne hatte man schon früher gekannt und als bloßen Ersatz betrachtet. Die neuen Hörgeräte waren aber besser als das natürliche Hörorgan und wurden bald von vielen Leuten getragen, die all die Töne und Geräusche hören wollten, die dem normaler Hörbereich des Menschen verschlossen sind. Es gab auch bald Zähne aus einem halt baren Material. Diese Zähne konnten fest in den Kiefer verpflanzt werden und hielten ein Leben lang. Die Ent wicklung ging natürlich rapide weiter. Es gab viele Leute, die alle neuen Errungenschaften ausnutzen wollten. Das Resultat waren dann die Mods, die modifizierten Men schen. Ihre Körper waren verbessert worden, aber …“ „Aber was?“ fragte Angela aufgeregt. „Die Mods waren kaum noch als Menschen zu bezeich nen.“ 16
„Sie sind demnach Supermänner“, sagte Angela lachend. Dover blieb ernst. „Mehr als das, Angela! Sie sind au ßerdem so gut wie unsterblich.“ „Das ist doch nicht möglich!“ Angela war verblüfft. „Und jeder kann ein Mod werden?“ Dover lächelte. „Sie haben ja gesehen, wie ein Mod aus sieht, Angela. Möchten Sie so aussehen?“ Er beugte sich zu ihr hinüber. „Sie sind ein hübsches, attraktives Mäd chen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie wie ein recht eckiges reizloses Monster aussehen möchten. Lohnt es sich, zweitausend Jahre oder länger zu leben, wenn einem Drähte aus den Ohren baumeln?“ Angela schüttelte den Kopf. „Nein, es lohnt sich nicht“, sagte sie entsetzt. „Das meine ich auch.“ Dover lehnte sich wieder zurück und fuhr fort: „Wenn ich diese Kerle sehe, beschleicht mich immer ein starkes Unbehagen. Kennen Sie die Ge schichte vom Frankenstein-Monster? Sie wurde von einer Frau geschrieben. Ich frage mich immer wieder, warum die Wissenschaftler diese Warnung mißachten. Jenes Monster war ungefähr das, was wir jetzt Mod nennen.“ „Ich finde es auch nicht richtig, der Natur ins Handwerk zu pfuschen“, murmelte Angela. „Ganz so streng möchte ich nicht urteilen“, antwortete Dover. „Es gibt aber Grenzen, die nicht überschritten wer den sollten. Es ist durchaus vernünftig, einem Menschen zu helfen, der ohne ein neues Organ verloren wäre. Es ist aber unsinnig, einen Menschen so zu verändern, daß er kein Mensch mehr ist, sondern eine Art Superwesen.“ „Welchen Sinn haben sie denn?“ fragte Angela. „Die 17
Wissenschaftler müssen doch einen bestimmten Zweck mit ihnen verfolgen.“ „Wenn ich das wüßte!“ seufzte Dover. „Es scheint sich um eine zwangsläufige Entwicklung zu handeln. Wenn früher ein Mann eine Golfmeisterschaft gewinnen wollte, ließ er seine Muskeln und Nerven darauf einstellen; wer ein Meisterschütze werden wollte, ließ seine Augen ver bessern; Musiker vervollkommneten ihr Gehör. Aber dann mischte sich die Regierung ein, denn die Militärs hatten den Wert dieser Entwicklung erkannt.“ „Was hat das Militär damit zu tun?“ fragte Angela er staunt. „Das ist einfach zu erklären“, antwortete Dover lä chelnd. „Läßt sich eine Armee besiegen, wenn die Soldaten vollständig auf ihre Aufgabe eingestellt sind und schneller reagieren als die Soldaten des Gegners?“ „Natürlich nicht; aber es ist schrecklich!“ rief Angela unwillkürlich aus. „Das kann man wohl sagen!“ knurrte Dover. „Alle be deutenden Staaten stellten solche Armeen auf. Sie waren so bedrohlich wie die Atombomben Zum Glück wurde immer ein gewisses Gleichgewicht gehalten. Später wurden die Menschen vernünftiger und sahen die Unsinnigkeit des Krieges ein. Die Regierungen erkannten, daß die Menschen miteinander und nicht gegeneinander arbeiten müssen, wenn sie es zu etwas bringen wollen. Die Armeen wurden also überflüssig. Es stellten sich aber neue Aufgaben. Mit dem Zeitalter des Raumfluges wuchs der Bedarf an beson ders geeigneten Pionieren. Die Mods stellten die Astronau ten, die Forscher und Späher.“ 18
Angela nickte. „Das ist verständlich“, sagte sie erregt. „Die Mods sind sicher in der Lage, sich dort zu behaupten, wo Menschen mit normalen Körpern umkommen müßten.“ „Gewiß! Aus diesem Grunde sind sie auch ständig unter wegs. Sie werden auf ihre jeweilige Aufgabe eingerichtet und losgeschickt.“ „Daß ich das nicht alles schon früher erfahren habe …“, sagte Angela. Janet Russel hatte das Gespräch mitgehört. Jetzt zog sie die Augenbrauen in die Höhe und musterte Angela von der Seite. Sie wunderte sich über die Naivität des jungen Mäd chens und ärgerte sich gleichzeitig über den attraktiven Mann, der sich so geduldig mit dem dummen kleinen Ding unterhielt. Sie wurde aber durch ein Geräusch abgelenkt und drehte sich um. Auch Angela Munro und Dover Cross hörten das Geräusch und wandten den Kopf Dover runzelte die Stirn und richtete sich halb auf. Die Geräusche kamen nämlich von einem zugeschraub ten Schott. Dieses Schott trennte den Aufenthaltsraum der Mods von dem der übrigen Passagiere. Angela wollte etwas fragen, brachte aber kein Wort über die Lippen. Sie starrte gebannt auf die beiden Verschlußrä der, die sich langsam drehten. Auch die anderen Passagiere sahen nun zu dem Schott hinüber. Der Playboy Simon Chase blickte nicht mehr durch das Fenster nach draußen, Philip Hatchworth legte sein Buch beiseite und starrte wie eine aufgeschreckte Eule über die Ränder seiner Brille hinweg. Dover Cross richtete sich nun völlig auf. Angela be merkte die Ausbuchtung an seiner Hüfte und dachte sofort 19
an eine Waffe. Sie hatte viele Abenteuerfilme gesehen und Bücher dieses Genres gelesen. Sie zweifelte keinen Au genblick daran, daß Dover Cross eine Waffe bei sich trug. Er war der Typ eines warmherzigen, aber unerschrockenen Abenteurers. Janet Russel sah plötzlich gar nicht mehr versnobt und blasiert, sondern sehr ängstlich aus. Sabine Church blickte ebenfalls von ihrem Buch auf und starrte auf das Schott. Dover Cross knöpfte mit einer kurzen Bewegung seine Jacke auf und hielt plötzlich eine schwere Waffe in der Hand. Die Stewardeß kam in die Kabine, warf einen Blick auf das Schott und verschwand wieder. Einen Augenblick später dröhnte es durch das Raumschiff: „Hier spricht Cap tain Chaytor Hudson! Ich rufe die Mods, die das Schott öffnen wollen. Bitte melden Sie sich!“ Angela lauschte angestrengt Die Mods schienen sich nicht zu melden. Sie arbeiteten weiter an dem Schott. Plötzlich schoß ein nur verschwommen sichtbarer Ge genstand durch das Metall, und gleich darauf flutete Me tallstaub in die Kabine, der eine silbrig glänzende Wolke bildete. Angela wurde unruhig. Was hatte das zu bedeuten? Warum wollten die Mods mit Gewalt in die Kabine der anderen Passagiere vordringen? Die Stewardeß kam wieder herein und klopfte an das Schott. Die Mods reagierten aber nicht darauf. Philip Hatchworth erhob sich und ging zu der kleinen Tür, die die Kabine mit dem für die Besatzung be stimmten Gang verband. Jenseits des Ganges lagen nur noch die drei Metallhäute, dahinter das Nichts. Angela fuhr herum und beobachtete Hatchworth. Die 20
Stewardeß stand noch am Schott und bemerkte nichts Do ver Cross ging langsam nach vorn und stellte sich mit der Waffe in der Hand neben das Schott. Mit einer unmißver ständlichen Handbewegung schickte er die zitternde Ste wardeß zurück. Die anderen Passagiere starrten wie ge bannt auf die Metallsäge, die sich weiter durch das harte Material fraß und die Schlösser sauber herausschnitt. Captain Chaytor Hudson meldete sich noch einmal. „Ich warne euch!“ rief er. „Was soll der Unsinn? Wenn ihr euch nicht sofort meldet und eine Erklärung abgebt, werde ich auf meine Art reagieren. Die Säge fraß sich weiter durch das Metall. Einen Au genblick später war der Kreis vollendet, und das Schloß polterte zu Boden. Durch die schimmernde Wolke konnte Angela einen kantigen Körper erkennen. Dann wurde das Schott aufgestoßen, und die Mods kamen nacheinander in die Kabine. Der Captain trat durch die Tür an der anderen Seite und schüttelte den Kopf. Die Passagiere starrten wie gelähmt auf die klotzigen Gestalten. Azak schien der Führer der Mods zu sein, denn er stand an der Spitze und dirigierte die anderen. „Was soll das, Azak?“ fragte der Captain scharf. Da der Mod nicht antwortete, wandte sich Hudson an Berog, der noch immer, eine Metallsäge in den Händen hielt. „Warum hast du das Schloß herausgeschnitten, Berog? Ihr wißt doch, daß ihr hier nichts zu suchen habt! Diese Kabine ist für die Normen bestimmt.“ Auch Berog schwieg. „Ich verlange eine Antwort!“ sagte Chaytor Hudson auf gebracht. „Wenn ihr mir nicht sofort sagt, was ihr hier 21
wollt, mach ich von meinem Recht als Captain Gebrauch! Cuclos, Dyxi, Ergat! Warum sagt denn keiner etwas?“ „Die Zeit des Redens ist vorüber!“ erwiderte Azak. Sei ne Stimme klang klarer und präziser als die der Normen. Sie hatte einen erschreckend sterilen Charakter und tönte wie ein besonders gutes Lautsprechersystem. „Ich verlange eine Erklärung!“ sagte der Captain noch einmal. Dover Cross brachte sich in eine Position, aus der er alle fünf Mods beschießen konnte, ohne die anderen Passagiere zu gefährden. „Wir übernehmen das Schiff“, sagte Azak kalt. „Das werdet ihr nicht tun!“ sagte Dover Cross ent schlossen. Auch seine Stimme verriet verhaltene Energie aber sie klang menschlich und trotz aller Schärfe sympa thisch. Ergat blickte auf die Waffe und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht sehr intelligent“, sagte er unbewegt. „Ihr laßt mir keine andere Wahl.“ „Was wollen Sie denn tun?“ Ergat ließ seine Verachtung für die Normen sehr deutlich werden. Er stand Dover Cross am nächsten, zeigte aber keine Angst vor der furchtbaren Waffe. „Wenn ihr nicht Vernunft annehmt, bringe ich euch um!“ drohte Dover Cross. Angela wunderte sich über seine Aussprache. Er sprach nämlich nicht die rauhe Tonart der Prospektoren und Pioniere, sondern die Sprache eines kul tivierten Mannes. Wer mochte er sein? Nur wenige Männer durften die seltenen Strahler tragen. „Wollen Sie auf uns schießen?“ fragte Ergat. 22
„Ich bluffe nicht!“ entgegnete Dover Cross entschlossen. „Geht sofort in eure Kabine zurück!“ Ergat drehte sich um und schien dem Befehl gehorchen zu wollen. Er geriet aber ins Stolpern und lenkte so die Aufmerksamkeit von seinen Gefährten ab. Diesen Augen blick nutzte Dyxi aus. Überraschend und mit unheimlicher Schnelligkeit packte er die Hand mit der Waffe. Seine Fin ger wirkten wie gewaltige Stahlklammern und drückten Hand und Waffe nach unten. Dover hatte aber noch eine Hand frei und schlug zu. Der Schlag hätte jeden normalen Menschen außer Gefecht gesetzt, doch Dyxi schwankte nur leicht, und die zu den Ohren führenden Drähte wackelten ein wenig. Angela hörte Töne, die wie das Anwärmen einer Elektronengitarre klangen. Es blieb ihr aber keine Zeit, sich über die merkwürdigen Töne zu wundern, denn im näch sten Augenblick brach die Hölle los. Chaytor Hudson war nicht bewaffnet. Er stürmte trotz dem auf Azak los. Der Captain war zwei Zentner schwer und ein geübter Faustkämpfer. Doch Azak trat nur einen Schritt zurück und nahm dem Angriff damit die Wucht. Gleichzeitig hob er die rechte Hand und ließ sie auf den Nacken des Captains niedersausen. Hudson brach in die Knie. Ein zweiter Schlag warf ihn zur Seite. Chaytor Hud son taumelte mit glasigen Augen wieder hoch. Er konnte einiges einstecken und kämpfte weiter. Ungestüm griff er erneut an. Diesmal warf er seinen Gegner beinahe um. Er wurde aber plötzlich von hinten gepackt und festgehalten. Berog preßte die Arme des Captains unbarmherzig an den Körper, so daß Azak noch einmal gezielt zuschlagen konn te. Besinnungslos sank der Captain zu Boden. 23
Simon Chase suchte verzweifelt nach einem Fluchtweg. Er konnte aber keinen entdecken und stürmte deshalb auf Azak los. Azak rechnete nicht mit diesem blindwütigen Angriff und reagierte nicht schnell genug. Chase packte die aus dem Ohr des Mods kommenden Drähte und riß daran. Azaks Augen glühten vor Wut auf. Er packte hart zu und brach dem Playboy fast den Arm. Dann schleuderte er ihn verächtlich von sich. Berog gab Chase noch einen Tritt und machte ihn damit vollends kampfunfähig. Dover Cross rang noch immer mit Dyxi und Ergat. Cu clos näherte sich ihm von hinten und holte zu einem wuch tigen Schlag aus. Angela schrie auf, als der große Mann in die Knie ging. Sie löste sich endlich aus ihrer Erstarrung und flüchtete in die äußerste Ecke der Kabine. Janet Rus sell schrie hysterisch auf und suchte ebenfalls Schutz. Ma rion Ginsberg gesellte sich zu Angela, während Sabine Church verhältnismäßig ruhig blieb und die Lage analy sierte. Azak, Berog und Cuclos näherten sich nun den Mädchen. Marion Ginsberg erwies sich als außerordentlich kaltblütig. Sie zog einen hochhackigen Schuh aus und hob ihn drohend in die Höhe. Sabine Church sorgte für eine noch größere Überra schung Angelas. Sie war erstaunlich flink und schnellte wie eine Feder aus der Sitzreihe. Azak wollte Sabine packen, doch sie wich ihm geschickt aus. Gleichzeitig setzte sie einen Griff an und schleuderte den Mod von sich. Azak hatte es lediglich der geringen Schwer kraft zu verdanken, daß er sich nicht schwer verletzte. Berog sprang auf das Mädchen zu und bekam das Handgelenk zu fassen. Er konnte seine enorme Kraft aber nicht ausspielen, 24
denn Sabine brachte ihn geschickt aus dem Gleichgewicht und riß ihm die Beine unterm Körper weg. Azak, Cuclos und Dyxi warfen sich nun gemeinsam auf das Mädchen. Angela zog nun auch einen Schuh aus und wollte Sabine Church helfen. Sie schlug hart auf den Schädel eines An greifers, erzielte aber keine Wirkung. Cuclos drehte sich überrascht um, riß ihr den Schuh aus der Hand und schleu derte sie mit einem Hieb durch die halbe Kabine. Den an deren Mädchen erging es nicht besser. Wenig später war der Kampf entschieden. Azak hielt Dover Cross’ Waffe in der Hand und richtete sie drohend auf die Normen. „Setzt euch!“ befahl er kalt. Angela taumelte hoch. Sie hatte mehrere Prellungen er litten, spürte aber noch keine Schmerzen, denn die Angst überdeckte alle anderen Empfindungen. Dover Cross kam zu sich und zog sich mühsam auf sei nen Sitz. Janet Russel begann laut zu schluchzen und machte alle anderen noch nervöser. Chaytor Hudson wurde von den Mods in eine Ecke gesetzt. Er kam langsam wie der zu sich, schien aber noch nicht zu begreifen, was sich ereignet hatte. Azak bückte sich und hob Simon Chase auf. Er schleppte ihn ein paar Schritte mit und warf ihn dann in einen Sitz. Marion und Sabine setzten sich zögernd. Sie wußten, daß das Spiel verloren war. „Wir übernehmen das Schiff im Namen der neuen Ge sellschaft“, erklärte Azak. „Das ist Meuterei, Piraterie!“ keuchte der Captain. „Ihre Meinung interessiert uns nicht“, antwortete Azak kühl. 25
„Ich befehlige dieses Raumschiff!“ rief Hudson. Azak antwortete nicht darauf. „Was haben Sie mit uns vor?“ fragte Dover Cross. „Das hängt von der Untersuchung ab“, entgegnete Azak. „Wer gesund und arbeitsfähig ist, darf am Leben bleiben.“ „Das ist doch Wahnsinn!“ wimmerte Simon Chase. „Was ist denn bloß los?“ „Das sehen Sie doch!“ knurrte Hudson. „Die Mods ha ben das Schiff gewaltsam an sich gebracht.“ „Aber warum denn nur?“ fragte der Playboy verstört. „Wir sind doch alle Menschen!“ „Eben nicht!“ rief Azak schneidend. „Ihr Normen seid Menschen, wir sind Mods.“ Berog wiederholte den Text einer Bestimmung. Die bei ßende Ironie seiner Worte war nicht zu überhören. „Aus ästhetischen Gründen müssen alle Mods in einer eigens für sie bestimmten Kabine reisen.“ „Wir gefallen euch wohl nicht?“ fragte Cuclos und beug te sich über Simon, der sich entsetzt in die Polster drückte. Chase war den Tränen nahe. Angela stellte fest, daß sich fast alle Passagiere sehr verändert hatten, insbesondere Ja net Russel. Alle hatten eine Rolle gespielt. Nur wenige ak zeptierte Angela als Persönlichkeiten: Chaytor Hudson, Sabine Church, Marion Ginsberg und Dover Cross. Die anderen waren Angeber, die bei Gefahr versagten. Angela staunte über Sabines Fähigkeiten. Das so ernst aussehende Mädchen war offensichtlich eine ausgezeichnete Judo kämpferin. Die Gedanken an das Mädchen mit der dunklen Brille lenkten Angela in eine andere Richtung: Wo war Philip Hatchworth geblieben? Der kleine Intellektuelle war 26
nicht mehr in der Kabine. Angela erinnerte sich aber, ihn kurz vor dem Kampf mit den Mods noch gesehen zu ha ben. 2. Kapitel Philip Hatchworth war nicht zufällig auch ein international bekannter Schachspieler. Er konnte nicht nur bis zu zehn Züge vorausberechnen, sondern dieses Prinzip auch im täg lichen Leben anwenden. Hatchworth besaß die Fähigkeit, sein Leben nach einem streng logischen Plan einzurichten. Er beobachtete alles und nahm alles in sich auf, obwohl er oft den Eindruck eines unbeteiligten Zuschauers machte. Schon vor dem Start hatte er gespürt, daß etwas nicht in Ordnung war. Das Verhalten der Mods war ungewöhnlich gewesen. Er hatte sich nichts anmerken lassen, denn seine Beobachtungen waren keine handfesten Beweise. Immer hin hatte er die Kleinigkeiten registriert und sich nach dem Start nicht nur mit seinem Buch, sondern auch mit seinen Mitreisenden beschäftigt. Natürlich hatte er die Beule in Dover Cross’ Jacke bemerkt und sich darüber amüsiert. Cross war nach seiner Meinung entweder ein Agent der Regierung oder ein im großen Stil arbeitender Krimineller. Hatchworth entschied sich aber bald für die erste Version, denn Dover machte nicht den Eindruck eines abgefeimten Verbrechers. Simon Chase tat Hatchworth nach einem kurzen Blick als Playboy ab. Es lohnte sich nicht, einen Gedanken an diesen Mann zu verschwenden. Der Captain des Schiffes hatte wie Dover Cross einen starken Eindruck auf Hatch 27
worth gemacht. Angela Munro war für ihn ein Aschenbrö del, das seinen ersten Ball besuchen wollte. Er konnte nur hoffen, daß nichts den Spaß verderben würde. Für Janet Russel empfand Hatchworth keine Sympathie. Sie gehörte zur gleichen Kaste wie Simon Chase; sie war oberflächlich, eingebildet und wahrscheinlich auch dumm. Sabine Church war ein völlig anderer Typ. Hatchworth kümmerte sich wenig um die äußere Erscheinung eines Menschen, er sah tiefer. Mit einem Blick in die dunklen Augen des Mäd chens hatte er dessen wache Intelligenz erkannt. Marion Ginsberg schien ein Durchschnittstyp zu sein. Hatchworth dachte an alles. Er schätzte seine Mitreisen den ein und stellte sich ihr Verhalten in bestimmten Situa tionen vor. Was würde geschehen, wenn die Mods etwas vorhatten? Sie waren nur zu fünft und anscheinend unbe waffnet. Dafür waren sie aber schneller und zäher als nor male Menschen. Simon Chase war sicher ein energieloser Feigling. Hatchworth schätzte sich selbst nicht viel höher ein. Er war nicht gerade feige, aber gewiß auch kein kühner Draufgänger. Hatchworth kannte die Fähigkeiten der Mods und machte sich nichts vor. Selbst die besten Kämpfer mußten den Mods schnell erliegen. Philip Hatchworth dachte an den Captain und lächelte vor sich hin. Hudson war der Urtyp des kraftvollen Kämpfers: jung, breitschultrig und verwegen. Ohne diese Eigenschaf ten wäre er kaum Captain eines Raumschiffes geworden, denn das Raumcorps nahm nur die Besten der Besten. Aber auch Chaytor Hudson mußte einem konzentrierten Angriff von fünf Mods unterliegen, daran bestand kein Zweifel. Aber da war noch Dover Cross. Hatchworth blickte über 28
den Rand eines Buches hinweg auf den kräftig aussehen den Mann mit dem vorgeschobenen Kinn. Dover Cross war sicher ein hervorragender Kämpfer, aber er stand nicht mehr in der Blüte seiner Jugend. Immerhin schien er ein erfahrener Mann zu sein und sich in jeder Lebenslage zu rechtzufinden. Hatchworth stufte ihn gleich hinter Chaytor Hudson ein. Bei einer Auseinandersetzung mit den Mods würden sich wahrscheinlich nur der Captain, Dover Cross, Sabine Church und Angela Munro verteidigen. Natürlich dachte Hatchworth auch an die Stewardeß, die eine ausgebildete Fachkraft war. Die Waage neigte sich jedoch zugunsten der Mods. Hatchworth ging in Gedanken alle Möglichkeiten durch und kam sehr bald zu dem Schluß, daß die Mods bei einem Angriff sehr schnell siegen würden. Als sich dann die Motorsäge durch das Metall fraß, war Hatchworth am wenigsten überrascht. Sein Verdacht war also berechtigt gewesen. Er stellte sich sofort die Frage nach der klügsten Verhaltensweise. Was sollte er tun? Sollte er sich mit dem Captain in Ver bindung setzen oder sich mit Dover Cross verbinden? Das würde wenig nützen. Da er ein weitgereister Mann war, kannte er die Bauweise der großen Raumschiffe und wußte sofort, daß die Mods nicht aufzuhalten waren. Es blieb nur ein Weg: die Flucht. Das Raumschiff war ungefähr neun Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Es mußte mög lich sein, diese Entfernung mit einer der Rettungskapseln zu überbrücken. Hatchworth dachte auch an einen Funkspruch zur Erde, 29
schloß diese Möglichkeit aber sofort aus. Die Mods hatten die Funkanlage bestimmt außer Betrieb gesetzt, wenn nicht völlig zerstört. Alle starrten auf das Schott und kümmerten sich nicht um ihn. Hatchworth konnte unbemerkt aufstehen und zur Tür gehen. Auf dem Gang bewegte er sich mit erstaunli cher Schnelligkeit. Er öffnete eine Schleuse, stieg hinein und schloß das Schott hinter sich. Das war keine einfache Aufgabe, doch Hatchworth bewältigte sie. Er war fett und klein, doch unter dem Fettpolster lagen Muskeln, die ihn zu erstaunlichen Leistungen befähigten. Philip Hatchworth kletterte in die bereitstehende Ret tungskapsel Er kannte diese Geräte, denn auf seinen vielen Reisen hatte er sie oft benutzt, wenn die Landung des gro ßen Schiffes mit Gefahren verbunden war. Alles war in bester Ordnung. Hatchworth schnallte sich an und drückte auf den Auslöseknopf. Das Außenschott öffnete sich, und der Auswurfmechanismus schleuderte die Berrylliumkugel in den leeren Raum hinaus. Gleichzeitig traten die Stabili sierungsraketen in Tätigkeit. Die Kapsel enthielt einige Instrumente, die Hatchworth nicht vertraut waren. Er war aber intelligent genug, ihre Funktion schnell zu erfassen. Nach einigen mißglückten Versuchen beherrschte er den Steuermechanismus und brachte die Kapsel in einem weiten Bogen auf den Rück weg zur Erde. Er wußte nur zu gut, daß das Eintauchen in die Lufthülle der Erde das Ende bedeuten konnte. Jeder kleine Fehler würde sich verhängnisvoll auswirken. Hatchworth vertraute jedoch auf die Wachsamkeit der Be obachtungsstationen. Er war überzeugt, daß die Stationen 30
die Kapsel orten und noch über der Erde von einem Hilfs schiff aufnehmen lassen würden. Diese Hilfsschiffe verfüg ten über besondere Einrichtungen zur Übernahme von Ret tungskapseln. Hatchworth war alles andere als ein Narr. Er hatte sich bewußt in Gefahr begeben, nachdem er die Chancen ge geneinander abgewogen hatte. Für ihn stand fest, daß seine Chancen größer waren als die der Zurückgebliebenen. Der Durchbruch der Mods in die Kabine der Normen war eine gewaltsame Revolte, die nur die Übernahme der „Magneti que“ zur Folge haben konnte. * Azak, Berog und Cuclos untersuchten die Normen. Azak beschäftigte sich mit Simon Chase, wie sich kein Arzt mit einem Kranken beschäftigt hätte. „Der ist brauchbar“, sagte er wörtlich. „Die Muskeln sind zwar unterentwickelt, die Lungen verkümmert, der Kreislauf ist schlecht, der Allgemeinzustand erschreckend, aber das ist nur die Folge eines allzu bequemen Lebens. Er läßt sich verwenden.“ Simon Chase brach in Tränen aus. „Sie reden, als ob ich ein Arbeitstier wäre“, klagte er. „Wir bewerten lediglich Ihre Arbeitskapazität“, antwor tete Azak kalt und stieß den Playboy auf den Sitz zurück. Dann beschäftigte er sich mit Chaytor Hudson. „Mit Ihnen brauche ich mich wohl nicht näher zu befassen“, sagte er humorlos. „Sie werden gute Arbeit leisten, denke ich.“ „Ich bin völlig gesund“, knurrte der Captain böse. „Ihr 31
werdet das bald am eigenen Leibe erfahren. Ich warte nur auf eine Chance.“ „Wir werden dafür sorgen, daß Sie keine Chance fin den“, antwortete Azak mit unmenschlich kalter Stimme Hudson wurde noch wütender, aber er nahm sich zusam men und fluchte nur leise vor sich hin. Cuclos untersuchte Dover Cross „Dieser hier ist auch noch brauchbar“, erklärte er. „Der Altersabbau ist noch nicht weit fortgeschritten.“ . „Altersabbau?“ Dover Cross lachte bitter auf. Dyxi und Ergat untersuchten die Frauen. Sie taten es mit der Leidenschaftslosigkeit von Robotern. Angela fühlte sich behandelt wie eine Kleiderpuppe in einem Schaufen ster. Ergat öffnete ihr den Mund und sah sich die Zähne an. Dann legte er ein Ohr an ihren Rücken und hörte Herz und Lunge ab. „Diese hier hat wenig körperliche Arbeit geleistet“, sagte er schließlich. „Sie ist aber jung und gesund und kann et was leisten. Wir werden sie einige Zeit ausnutzen können.“ Azak nickte zufrieden und wandte sich an Cuclos, der sich mit Jane Russel beschäftigte und ein bedenkliches Ge sicht machte. „Diese hier ist nicht viel wert“, erklärte er. „Sie hat zuviel geraucht und sich nie körperlich betätigt. Ihre Muskeln sind schlaff und unterentwickelt.“ „Unerhört!“ protestierte Janet Russel. Sie verstummte aber sofort wieder, denn Azaks kalter Blick verhieß nichts Gutes. „Wahrscheinlich lohnt es sich nicht, sie durchzufüttern“, sagte er kritisch. „Was meinst du, Dyxi?“ Dyxi schüttelte den Kopf. „Wir werfen sie am besten gleich hinaus“, schlug Ergat 32
vor. „Sie wird die Strapazen der Reise ohnehin nicht über stehen.“ Azak nickte. „Wir erledigen es gleich“, sagte er brutal. Janet Russel sank wimmernd zu Boden und klammerte sich flehend an Azaks Beine. „Bringt mich nicht um!“ flehte sie. „Ich will für euch arbeiten und mich nie beklagen.“ Azak starrte sie ohne Interesse an. „Machen wir einen Versuch“, sagte er knapp. „Wenn sie ihr Eigengewicht zie hen kann, werden wir ihr eine Chance geben.“ Berog und Cuclos waren damit einverstanden. Auf diese Weise konnte vielleicht noch eine gewisse Arbeitsleistung aus Janet Russel herausgepreßt werden. Ergat untersuchte Marion Ginsberg und hielt sich nicht lange damit auf. „In Ordnung“, sagte er nur. Dyxi und Azak sahen Sabine Church an. „Sie ist gefähr lich, aber recht kräftig“, erklärte Azak. „Wenn wir auf sie aufpassen, wird sie gute Arbeit leisten.“ Nach der Untersuchung wurden die Normen in eine Ecke der Kabine getrieben. Azak stellte sich so hin, daß er von allen gesehen werden konnte. „Ihr wundert euch sicher über unser Verhalten“, sagte er laut. „Ihr habt inzwischen erkannt, was los ist. Wir haben uns des Schiffes bemächtigt und werden euch als Sklaven mitführen. Jetzt könnt ihr ruhig wissen, daß wir Mods überall die Macht an uns reißen. Die Übernahme des Raumschiffes ist nur der Anfang.“ Angelas Traum von einem glücklichen Urlaub zerplatzte wie eine schillernde Seifenblase. Sie konnte sich die Zu kunft ausmalen und machte sich keine Illusionen. „Zunächst werden wir eine Kolonie gründen, in der die 33
Normen den überlegenen Mods zu dienen haben. Die Normen werden uns alle manuellen und unangenehmen Arbeiten abnehmen. Die Kolonie soll der Kernpunkt der Revolution sein“, fuhr Azak fort. „Die Venus ist dafür nicht weit genug entfernt“, warf Chaytor Hudson ein. „Habt ihr etwa vor, den Kurs zu än dern?“ Azak nickte gelassen. „Sie sind zwar nur ein Norm, aber erstaunlich intelligent, Hudson. Es ist ein Jammer, daß Sie nicht zu uns gehören. Aber das läßt sich ja leicht ändern.“ „Vielen Dank! Ich bin nicht darauf versessen“, brummte Chaytor Hudson. „Wie Sie wollen.“ Azak wandte sich wieder an alle. „Der Captain hat eben schon angedeutet, daß die Venus nicht weit genug entfernt ist. Wir können uns vorerst keine Auseinandersetzung mit den terrestrischen Streitkräften erlauben und müssen uns einen sicheren Schlupfwinkel aussuchen. Deshalb werden wir den Planeten Xarax anflie gen.“ „Wo, zum Teufel, ist das?“ fragte Dover Cross grollend. „Xarax ist der einzige bewohnbare Planet des Systems Proxima Centauri“, erklärte Azak bereitwillig. Simon Chase wurde bleich. „Proxima Centauri ist vier Lichtjahre von der Erde entfernt!“ rief er. „Das ist eine sehr grobe Schätzung“, erwiderte Azak. „Ich gebe zu, die Entfernung ist beachtlich. Wir verfügen jedoch über ein gutes Raumschiff und werden unser Ziel erreichen.“ „Unmöglich!“ rief Chaytor Hudson. „Ihr Normen seid eben noch primitiv“, sagte Azak mit 34
einem Anflug von Stolz. „Wir haben eine neue Technik entwickelt und herausgefunden, wie ein Schiff die vierte Dimension nehmen kann. Wir sind erst am Anfang dieser Entwicklung und müssen uns weitgehend auf unser Glück verlassen. Ihr Normen werdet dieses Unterfangen bestimmt als sehr gefährlich ansehen.“ Chaytor Hudson stöhnte auf. „Vor einigen Monaten ver schwand eins unserer Raumschiffe. Jetzt weiß ich, was aus dem Schiff geworden ist!“ rief er aus. „Die Untersu chungskommission stand vor einem Rätsel.“ „Jetzt ist es kein Rätsel mehr“, sagte Azak überlegen. „Sind Sie jetzt zufrieden, Cross? Sie sind doch an Bord dieses Raumschiffes gekommen, um nach Hinweisen zu suchen, nicht wahr?“ Dover Cross zuckte die Achseln. „Da ihr es ohnehin wißt, kann ich es zugeben. Ich bin ein Beauftragter der Re gierung, das stimmt. Es ist meine Aufgabe, das Ver schwinden der ,Hypnotique’ zu klären.“ Chaytor Hudson pfiff anerkennend durch die Zähne. „Sie sind mir gleich aufgefallen, Cross.“ „Meine Anwesenheit hat leider keinem geholfen“, knurr te Cross ärgerlich. „Ruhe!“ befahl Cuclos. „Azak spricht.“ Sabine Church ließ sich nicht beirren und fragte kühn: „Wie lange soll die Reise denn dauern?“ Azak wandte sich direkt an sie und antwortete: „Darüber wollte ich gerade sprechen. Ich nehme an, daß Sie mit Ein steins Theorien vertraut sind. Seine Theorien sind bekannt, werden aber nur von wenigen Leuten verstanden. Erst wir, die Mods, haben die Nutzanwendung dieser Theorien mög 35
lich gemacht. Das sogenannte .Zeitparadoxon ist für Reisen im Hyperraum von außerordentlicher Wichtigkeit.“ „Also wie lange wird die Reise dauern?“ wiederholte Sabine Church ungeduldig ihre Frage. „Nicht länger als zwei oder drei Erdtage.“ Dover Cross schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich!“ murmelte er. Sabine Church aber schien Azak zu glauben. „Erzählen Sie uns etwas über den Planeten Xarax, der unsere zukünf tige Heimat sein soll“, verlangte sie. Azak nickte. „Xarax ist der dritte Planet des Systems Proxima Centauri. Der Planet hat zwei Monde und ist im übrigen der Erde ähnlich.“ „Die Zusammensetzung der Atmosphäre ist also so, daß wir ohne Schutzanzüge leben können?“ fragte Dover Cross. „Nicht ganz. Ihr werdet euch umstellen müssen. Deshalb werden nur die Stärksten am Leben bleiben.“ Azak blickte Chaytor Hudson an und fuhr fort: „Dieser da wird sich schnell umstellen und bestimmt ein paar Jahre durchhalten. Die beiden“, er deutete auf Janet Russel und Simon Chase, „werden es nicht lange machen.“ Chase begann leise zu wimmern. Chaytor Hudson interessierte sich stark für die techni sche Seite des Unternehmens. „Welche Veränderungen müssen an dem Schiff vorgenommen werden?“ fragte er interessiert. „Die ,Magnetique’ ist ein gewöhnliches Raum schiff und nur für den Kurzstreckenverkehr innerhalb des Sonnensystems gebaut. Kann dieses Schiff eine Reise durch die vierte Dimension überstehen?“ Azak lächelte verächtlich. „Sie haben keine Ahnung 36
vom Wesen der vierten Dimension, Captain. Jedes Ding kann auf den Weg durch den Hyperraum gebracht werden, wenn es zu bestimmten Manövern tauglich ist.“ Chaytor Hudson zuckte die Achseln. „Das ist mir unbe greiflich“, sagte er leise. „Natürlich! Sie sind ein Norm, Captain. Wie können Sie erwarten, die mathematischen Erkenntnisse der Mods zu verstehen?“ „Dann sagen Sie mir wenigstens, wie Sie das Schiff in die andere Dimension bringen wollen, die für unser Be griffsvermögen gar nicht existiert?“ Azak schien nicht gewillt, dieser Aufforderung Folge zu leisten. „Wir werden das Manöver einleiten und die lange Reise antreten. Legt euch nach hinten und kreuzt die Arme über der Brust!“ befahl er. Die Passagiere gehorchten und setzten sich. Azak be merkte einen freien Platz und wandte sich an die Stewar deß: „War dieser Sitz nicht besetzt?“ Die Stewardeß schüttelte den Kopf. Azak war nicht überzeugt. „Ihre Aussage läßt sich leicht prüfen. Wir haben einen Mann an Bord, auf den wir ohne weiteres verzichten können. Wir werden uns sofort seiner entledigen, wenn er nicht antwortet.“ Simon Chase wußte, daß er gemeint war. Er begann zu zittern. „Hat die Stewardeß die Wahrheit gesagt, mein Freund?“ fragte Azak. Der Playboy duckte sich unter den Blicken der anderen. Die Angst vor dem Mod war aber noch größer. „Nein“, antwortete Chase. „Da war ein kleiner dicker Mann mit 37
einem Buch. Ich glaube, er hieß Hatchworth oder so ähn lich. Es ist die Wahrheit!“ „Ich weiß!“ sagte Azak kalt. „Jetzt erinnere ich mich an ihn. Ich verstehe nicht, wie ich ihn vergessen konnte.“ Er wandte sich an die Stewardeß und sagte anklagend: „Sie wollten uns also überlisten! Wo ist dieser Mann jetzt?“ Die Stewardeß schüttelte ängstlich den Kopf und ant wortete: „Ich weiß es nicht, wirklich nicht.“ „Sie sagt die Wahrheit!“ Dover Cross wollte dem Mäd chen helfen und schaltete sich vermittelnd ein. „Hatch worth verließ die Kabine, als Sie mit dem Schneiden anfin gen.“ „Und das soll ich glauben?“ fragte Azak. „Welchen Grund hatte er denn, die Kabine so schnell zu verlassen? Vielleicht wollen Sie mir noch erzählen, er sei in den Raum hinausgesprungen.“ Azak schickte Ergat hinaus, um die Rettungskapseln zu kontrollieren. Ergat kam schon nach kurzer Zeit zurück und erstattete Bericht. Azak warf einen bösen Blick auf die Stewardeß und überlegte. „Es ist zu spät. Wir können ihn nicht mehr zu rückholen“, sagte er wütend. „Wir haben jedoch nichts zu befürchten. Wenn wir erst einmal im Hyperraum sind, kann uns keiner mehr einholen,“ „Was kann er uns denn schon tun?“ fragte Ergat. Er er hielt keine Antwort. Azak schickte die anderen vier Mods hinaus und beo bachtete seine Gefangenen. Mit dem Strahler konnte er sie alle leicht beherrschen. Chaytor Hudson nahm an, daß die anderen Mods die Vorbereitungen für die Reise durch den 38
Hyperraum trafen. Es schien unfaßbar, daß ein paar kleine Änderungen die Reise zu einem fernen System möglich machen sollten. Chaytor Hudson wollte sich aber nicht oh ne weiteres einem schrecklichen Schicksal fügen und such te verzweifelt nach einem Ausweg. „Ich habe Durst“, sagte er. „Kann ich einen Drink be kommen?“ „Nein!“ Azak richtete die Waffe auf den Captain. „Ich warne Sie!“ sagte er drohend. „Sie sind einer unserer wert vollsten Sklaven, aber ich werde Sie umbringen, wenn Sie Schwierigkeiten machen.“ Nach einigen Minuten kam Ergat zurück. „Wir sind fer tig“, meldete er. Angela Munro verglich ihn unwillkürlich mit einer ko mischen Schießbudenfigur. Sie wußte aber, daß er alles andere als komisch war. Sie mußte sich wie die anderen hinsetzen und die Arme über der Brust kreuzen. Während Azak die Gefangenen mit der Waffe bedrohte, ging Ergat von Sitz zu Sitz und betätigte die Bedienungs vorrichtungen. Die Klammern schoben sich unbarmherzig über die Körper und drückten die gekreuzten Arme fest an. Die Klammern wurden auf diese Weise zu unlösbaren Fes seln. Keiner der Normen konnte sich ohne fremde Hilfe befreien. Die Mods verließen den Raum und gingen in die Pilo tenkabine. Angela Munro konnte den Kopf etwas zur Seite legen. Sie empfand furchtbare Angst und sah flehend in Dovers Augen. „Soll ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen?“ fragte er 39
grinsend „Ich höre ein lautes Klopfen. Ich weiß nur nicht, ob es mein Herz ist oder ob es schlotternde Glieder sind.“ „Wahrscheinlich ist es mein Herz“, mischte sich Chaytor Hudson ein. „Wie – wie können Sie nur in dieser Situation noch Wit ze machen!“ klagte Chase. „Jammerlappen!“ knurrte Dover Cross verächtlich. „Lassen Sie ihn in Ruhe!“ rief der Captain scharf. „Sie haben mir nichts zu befehlen!“ antwortete Dover wütend. „Mit christlicher Nächstenliebe kommen wir jetzt nicht mehr weiter.“ „Ich denke nur an unsere Rettung“, antwortete Chaytor. „Wenn wir überleben wollen, müssen wir zusammenhal ten.“ Janet Russel begann laut zu schluchzen. Angela fühlte sich nicht mehr abgestoßen, ja, sie empfand sogar Ver ständnis und Mitleid. Wir sind Normen, richtige Menschen, dachte sie. Wir haben Vorzüge und Schwächen, aber wir gehören zusammen und ergänzen uns gegenseitig. Sie wurde schnell abgelenkt, denn das Schiff begann heftig zu vibrieren. Es war ein eigenartiges Vibrieren, das sich nicht beschreiben ließ Keiner hatte je etwas Derartiges erlebt. Und dann wurde alles grau und verschwommen. Die Umgebung war nur schwer zu erkennen, alles schien in dichtem Nebel zu verschwinden, sich aufzulösen. Ange la sah Gegenstände, die im nächsten Augenblick wie flüch tige Illusionen verschwammen. Die Kabine wirkte wie ein Traumbild, denn die Dinge waren plötzlich nicht mehr greifbar und klar erkennbar. Es schien, als hätte sich ein 40
Schleier über die Wirklichkeit gelegt und war unverständ lich, fremdartig und erschreckend. Angela empfand entsetzliche. Angst, aber sie konnte nicht schreien. Auch sie war ein Teil dieser unwirklichen Welt geworden, ein fließendes Gebilde, gestaltlos, ziellos wie ein Staubkörnchen im Sturmwind. Eine bleierne Schwere senkte sich herab, verwischte alle Farben und Konturen. Allmählich tauchte die Umgebung wieder aus dem flie ßenden Nebel auf, wurde silbrig hell und klarer erkennbar. Angela sah bleiche Gesichter und angstvoll starrende Au gen. Plötzlich war alles wieder wie vorher, nur jenseits der Fenster blieb das All grau und undurchsichtig. „Was war das?“ hauchte Angela Munro ängstlich. „Wir befinden uns im Hyperraum“, erklärte Chaytor Hudson benommen. „In der vierten Dimension?“ Dover Cross neigte den Kopf zur Seite und nickte ernst. „Mir gefällt das auch nicht, Angela“, sagte er tröstend. „Es ist aber eine Tatsache. Azak und die anderen Mods haben es tatsächlich geschafft.“ Janet Russel hatte alles mitgehört. Jetzt begann sie heftig zu schluchzen. „Wir werden nie zurückkehren!“ jammerte sie. „Wir sind verloren.“ Die Blasiertheit war nun völlig von ihr abgefallen. Sie war jetzt nur noch ein verängstigtes Mädchen, das den angestammten Platz in der Gesellschaft verloren hatte. „Wir müssen die Sache anders betrachten“, mischte sich Sabine Church ein. „Das Experiment ist gelungen, wir sind 41
in Sicherheit. Der kleinste Irrtum hätte uns und den Mods das Leben gekostet.“ „Das wäre vielleicht die beste Lösung gewesen“, mur melte der Captain. „Wenn wir den Flug überleben, werden wir auf einem wilden Planeten als Sklaven enden.“ Sabine Church nickte. „Ich fürchte, das wird unser aller Schicksal sein“, sagte sie seufzend. „Ich wünschte, wir wären alle zum Teufel gegangen“, ließ sich Dover Cross vernehmen. „Jetzt werden andere Mods den Spaß wiederholen. Es ist ein Jammer, daß wir das Unternehmen nicht sabotieren konnten.“ „Was reden Sie denn da?“ rief Simon Chase entsetzt. „Lieber Sklave sein als tot! Ich möchte leben, wenn auch nur als Arbeitstier.“ „Das glaube ich Ihnen aufs Wort!“ brummte Chaytor Hudson abfällig. „Denken Sie denn anders?“ verteidigte sich der Playboy. „Solange wir leben, dürfen wir auf Rettung hoffen.“ „Er hat recht!“ rief Dover Cross. „Solange wir leben, haben wir unsere Chance und können sie nutzen.“ „Sie verkennen die Situation“, erwiderte der Captain nüchtern. „Wir hatten die Majorität und konnten uns nicht wehren. Wenn wir erst einmal auf dem fremden Planeten sind, werden wir keine Chance mehr finden. Keiner von uns kann sich vorstellen, wie die Mods das Raumschiff durch den Hyperraum bringen.“ „Diese sinnlose Diskussion bringt uns keinen Schritt weiter!“ rief Sabine Church ärgerlich. „Wir brauchen Ideen. Was schlagen Sie vor, Captain?“ „Im Augenblick nichts.“ 42
„Das dachte ich mir“, sagte Sabine Church. „Solange wir hier sitzen müssen und die Hände nicht frei haben, können wir nichts tun.“ „Wir können uns nicht selbst befreien“, erklärte Dover Cross. „Ich habe alles versucht.“ „Ich auch“, brummte Hudson ärgerlich. „Es ist hoff nungslos.“ Angela strengte sich an, um den Kopf möglichst weit zur Seite zu neigen. „Wenn ich nur wüßte, ob diese Klammern irgendwie begrenzt sind“, murmelte sie. „Würden sie sich fest an den Sitz pressen, wenn kein Passagier da wäre? Wahrscheinlich gibt es eine Grenze. Die Klammern sind gewiß für normale Körperformen berechnet.“ Der Captain nickte heftig. „Ich kenne die Konstruktion der Sitze!“ rief er. „Eine schlanke Person hat tatsachlich die Möglichkeit, sich zu befreien Versuchen Sie es, Miß Munro!“ Angela strengte sich an. Sie konnte sich tatsächlich et was bewegen. „Weiter, Angela!“ Dover Cross sah erregt zu. Sie hatte die Möglichkeit, ihre Arme aus den Klammern zu befreien. Wenn sie es schaffte … Angela schonte sich nicht. Sie scheuerte sich die Haut von den Handgelenken, gab aber nicht nach. Schließlich atmete sie erleichtert auf. „Ich habe es geschafft!“ sagte sie triumphierend. „Großartig!“ rief Dover ihr zu „Und jetzt befreien Sie sich schnell von den Klammern!“ Angela drückte auf den Knopf, und die Klammern glit ten zurück. Das Mädchen sprang sofort auf und befreite 43
Dover Cross und Janet Russel, die rechts und links neben ihm saßen. Die beiden machten sich sofort daran, auch die anderen zu befreien. Sie waren noch damit beschäftigt, als Azak die Kabine betrat. „Haben Sie etwas Bestimmtes vor?“ fragte er gelassen. Die Gefangenen erstarrten wie bei einem dummen Streich ertappte Kinder. Alle sahen die Waffe in der Hand des Mods. Azak befahl ihnen, sich wieder hinzusetzen. „Vielleicht sind die Klammern nicht fest genug“, mur melte er. Dann fiel sein Blick auf Angelas blutende Hand gelenke. „Sie haben sich verletzt?“ fragte er spöttisch. „Es ist eine alte Verletzung“ antwortete sie verwirrt. „Ich fürchte, Sie lügen, Miß Munro“, sagte Azak kalt. „Es handelt sich offensichtlich um frische Wunden Ich will nicht annehmen, daß Sie an der Bluterkrankheit leiden. Sie sind verhältnismäßig klein und schlank. Es ist Ihnen gelun gen, sich zu befreien, nicht wahr?“ Azak lächelte. Da ihm Gefühle fremd waren, blieb die ses Lächeln nur eine Grimasse. „Wir werden besondere Maßnahmen ergreifen, um eine Wiederholung dieses Zwi schenfalles zu vermeiden“, erklärte Azak. „Legen Sie sich hin! Mit dem Gesicht nach unter»!“ Angela kniete sich auf den Sitz. „Strecken Sie die Beine aus!“ befahl Azak und drückte Angela Munro fest auf den Sitz. „Verschränken Sie die Arme unter dem Körper!“ Angela mußte gehorchen. Azak fesselte Angela fest an den Sitz. „Das ist nicht sehr bequem“, sagte er höhnisch. „In die ser Stellung werden Sie nicht mehr an eine Flucht denken.“ „Dreckiges Schwein!“ knurrte Dover Cross. 44
„Wir werden Ihnen etwas Anstand beibringen müssen“; sagte Azak ohne die geringste Gefühlsregung. „Es ist zwar nur eine Formsache, aber wir legen Wert darauf. Es handelt sich um eine menschliche Eigenschaft, die uns geblieben ist. Wir werden sofort mit der Erziehung beginnen. Legen Sie sich ebenfalls auf den Bauch!“ Dover Cross wurde rot vor Wut. Er hätte am liebsten in das kalte Gesicht Azaks geschlagen, doch er respektierte die Waffe und gehorchte. Die Klammern schlossen sich und preßten ihn in die Polster. „Unbequem, aber sehr lehrreich“, kommentierte der Mod. „Es ist meine Schuld“, sagte Angela. „Verzeihen Sie mir, Dover.“ „Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen, Angela“, brummte Dover Cross. „Es hätte ja beinahe geklappt. Der Kerl ist nur ein paar Sekunden zu früh gekommen.“ „Wenn Sie es noch einmal versuchen, werden Sie nicht so glimpflich davonkommen“, drohte Azak. „Ich nehme an, wir befinden uns im Hyperraum“, sagte Chaytor Hudson. Azak nickte und ging zur Tür „Vielleicht sehen Sie jetzt ein, daß alle Fluchtabsichten sinnlos sind.“ Angela Munro und Dover Cross stöhnten ab und zu leise. Ihre Körper verkrampften sich allmählich. Sie konnten nur schwer atmen, denn die Klammern preßten auch die Ge sichter in die Polster. An Schlaf war nicht zu denken. Die anderen nickten ab und zu ein, doch Angela und Dover fanden keine Ruhe.
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Mehrere Stunden später kam Berog mit einem Plastikbe hälter in die Kabine. „Das ist Suppe für euch“, sagte er höhnisch. „Davon sollen wir satt werden?“ Die Stewardeß schüt telte den Kopf. „Wir haben genug Lebensmittel an Bord.“ „Azak hat bestimmt, daß dies hier eure Nahrung sein soll“, sagte Berog. Er ging von einem zum anderen und gab jedem einen Schluck von der faden Suppe. Dover Cross und Angela Munro kamen zuletzt an die Reihe. „Ihr dürft sie nicht so brutal behandeln!“ protestierte Dover. „Sie wird es nicht überleben.“ „Die Lektion wird hoffentlich genügen“, sagte Berog und löste Angelas Klammern. Sie wollte sich umdrehen, vermochte aber ihre verkrampften Glieder nicht mehr zu beherrschen. Sie fiel vom Sitz und rollte über den gepol sterten Boden. Berog blieb kalt und starrte mitleidslos auf das stöhnende Mädchen nieder. „Darf ich helfen?“ fragte Janet Russel plötzlich. Berog zögerte kurz, dann nickte er. „Aber kommen Sie nur nicht auf dumme Gedanken!“ warnte er sie. Er befreite Janet Russel, die sich sofort über Angela beugte und ihr den steifgewordenen Rücken massierte. „Danke!“ flüsterte Angela. „Es geht schon besser.“ Nach einigen Minuten konnte sie mit Janets Hilfe auf stehen. Der Kreislauf funktionierte, Glieder und Muskeln gehorchten wieder. Sie durfte wieder die normale Stellung einnehmen. Allerdings prüfte Berog die Klammern an ih rem Sitz mit besonderer Sorgfalt. Als er gehen wollte, fleh 46
te ihn Marion Ginsberg an: „Sie müssen auch Mr. Cross aus seiner unglücklichen Lage befreien! Er ist zu stolz, um selbst darum zu bitten.“ Berog zögerte. „Ihr Normen seid eigenartige Wesen“, sagte er schließlich. „Wie kommt es nur, daß viele von euch an die anderen denken?“ Marion Ginsbergs Intervention hatte Erfolg. Berog ging zu Dover Cross zurück. „Versprechen Sie, sich in Zukunft vernünftig zu verhalten?“ fragte er. „Das kann ich nicht versprechen“, knurrte Dover wü tend. „Sie sind wenigstens ehrlich“, murmelte Berog. „Ich wer de Sie aus Ihrer Lage befreien. Ich tue es aber nicht aus Sym pathie für Sie. Wir brauchen Ihre Arbeitskraft, das ist alles.“ Berog löste die Klammern und ließ Dover Cross aus dem Sitz rutschen. Cross stöhnte. „Eine Stunde im Würgegriff eines Schwergewichtsringers kann nicht schlimmer sein.“ Er mußte allein aufstehen und zu seinem Sitz zurücktaumeln, denn Berog hatte Janet Russel wieder gefesselt. „Wie lange wird die Reise dauern?“ fragte der Captain. „Wir haben bereits die Hälfte der Strecke hinter uns“, erklärte Berog stolz. „Wir sind leider nur Menschen“, ließ sich Sabine Church vernehmen „Habt ihr denn nicht daran gedacht, daß wir ab und zu einen gewissen Raum aufsuchen müssen?“ „Das haben wir tatsächlich vergessen.“ „Seid ihr denn so verändert, daß ihr es nicht mehr nötig habt?“ fragte Chaytor Hudson verblüfft. „Wir können unsere Körper kontrollieren“, antwortete Berog. „Eure sind chemische Fabriken, aber sie arbeiten 47
unzuverlässig und unregelmäßig. Wir lassen uns nicht von unseren Organen tyrannisieren. Ich kann nicht entscheiden, was geschehen soll. Azak wird bestimmen, wie dieses Pro blem gelöst werden kann.“ Als Berog fort war, sagte Dover ironisch: „Unsere Re volte soll also von der Latrine ausgehen.“ „So hatte ich das nicht gemeint“, rief Sabine Church. „Wenn wir etwas unternehmen, werden sich die Mods uns gegenüber noch rücksichtsloser verhalten. Die Zeit zum Losschlagen ist noch nicht gekommen.“ „Warum denn nicht?“ fragte der Captain. „Das sollten Sie eigentlich wissen“, antwortete Sabine. „Wir befinden uns im Hyperraum und haben keine Ah nung, wie das Schiff in unsere normale Welt zurückge bracht werden kann. Die Mods werden sich bestimmt nicht zwingen lassen, ihr Geheimnis preiszugeben.“ „Ich würde es aber gern versuchen“, meldete sich zur Überraschung der andern Simon Chase. Angela Munro zeigte mit dem Kopf zur Tür und schnitt eine Grimasse. „Sie kommen zurück!“ flüsterte sie ein dringlich. Einen Augenblick später traten Azak, Berog und Cuclos in die Kabine. „Ihr dürft einer nach dem anderen zur Toilette gehen“, sagte Azak. „Ich werde hier in der Kabine bleiben, Berog wird den Gang bewachen und Cuclos die Toilette.“ Einer nach dem andern ging hinaus, kam wieder zurück und wurde von Azak an seinen Sitz gefesselt. Nachdem die Mods gegangen waren, wurden die Gefan genen schläfrig. Sie ergaben sich in ihr Schicksal, denn sie wußten, daß sie nichts machen konnten. 48
Lange Zeit später öffnete Marion Ginsberg die Augen und lauschte „Da ist wieder das eigenartige Vibrieren!“ rief sie den andern zu. Dover Cross nickte. Er spürte es ebenso wie die andern. Alle wurden hellwach. Simon Chase begann leise zu wim mern. „Keine Angst“, murmelte Dover Cross. „Es wird schon nicht so schlimm werden.“ Chase wimmerte weiter. Die Vibrationen wurden stärker und stärker. „Das macht mich krank“, klagte Janet Russel. „Hoffent lich hört es bald auf.“ Eine Sekunde später ließ das Vibrieren nach. Wieder empfanden alle das merkwürdige Gefühl, in unwirklichen Regionen zu schweben, wieder verschwammen alle Kontu ren und wurden erst nach längerer Zeit wieder erkennbar. Und dann leuchteten die Sterne durch die großen Fen ster, und die Menschen starrten gebannt auf die riesige glü hende Scheibe einer fremden Sonne und dann auf die schnell anwachsende Kugel, die das Ziel der Mods zu sein schien. Azak kam in die Kabine. Seine Augen leuchteten dämo nisch. Er fühlte sich als Sieger und schien wunderbare Vi sionen zu sehen. Die aus seinen Ohren kommenden Drähte vibrierten schwach und machten seine innere Erregung be sonders deutlich. „Wir haben es geschafft!“ sagte er triumphierend. „Wir sind die zweite Mannschaft, die der Sklaverei der Erde ent ronnen ist. Nach der ,Hypnotique’ haben wir jetzt auch die ,Magnetique’ in unseren Besitz gebracht. Unsere Kolonie 49
wird rasch wachsen, denn mit jedem erbeuteten Raum schiff werden wir weitere Sklaven in unsere Gewalt brin gen. Ihr werdet für uns arbeiten, uns reich und mächtig ma chen. Wenn wir stark genug sind, werden wir ein neues Imperium gründen. Die Macht der Menschen über uns wird dann ein Ende haben. Wir werden eines Tages die Herren des Kosmos sein.“ Die Passagiere hatten Azak noch nie so erregt gesehen. „Wir wurden von den Menschen geschaffen, um der Menschheit zu dienen“, fuhr er fort. „Aber jetzt sind wir den Normen schon überlegen und werden sie zu unseren Dienern machen oder ausrotten. Ihr Normen seid bereits überlebt. Der Tag wird kommen, an dem wir auf eure Ar beit verzichten können. Auf diesen Tag freuen wir uns schon heute, denn es wird der Tag der Abrechnung sein. Danach wird es keinen Menschen mehr geben, nur noch Mods.“ 3. Kapitel Longman Sharp warf einen Blick auf seine Armbanduhr und verglich sie mit der Gefängnisuhr. „Irgend jemand hat die Uhr für mich aufgezogen und gestellt“, sagte er er staunt. Der Gefängnisdirektor nickte grinsend. „Das gehört zum Kundendienst, Sharp. Hoffentlich muß ich das nicht noch einmal für Sie tun.“ „Hoffentlich nicht.“ Die Gefängnisuhr zeigte auf eine Minute nach zwölf. „Sie sind frei, Sharp“, sagte der Gefängnisdirektor. Er saß 50
auf einem harten Stuhl. Sein Büro war spartanisch einge richtet und offenbarte den Charakter des Direktors. „Was haben Sie vor, Sharp?“ fragte er interessiert. Seine Stimme klang hart und entschlossen. „Das weiß ich noch nicht“, antwortete Sharp. „Haben Sie Verwandte oder Freunde?“ Der Direktor blätterte in der Akte und sah auf. „Jenny sitzt noch und wird noch zwei Jahre im Gefäng nis bleiben“, brummte Sharp. „Und Ihre Tochter?“ „Sie weiß nicht, wer ich bin, und soll es auch nicht er fahren.“ Der Gefängnisdirektor nickte verständnisvoll. „Andererseits muß ich mich um sie kümmern“, erklärte Sharp. „Allerdings kann ich das nur, wenn ich zufällig mal draußen bin.“ „Die Leitung des Waisenhauses weiß doch Bescheid, nicht wahr?“ Der Direktor war froh, daß Longman Sharp bereitwillig sprechen wollte. Er wußte aus Erfahrung, daß auch die härtesten Burschen weiche Stellen hatten und sen timental sein konnten. Er hoffte, daß Longman Sharp durch seine Tochter noch ein vernünftiges Mitglied der Gesell schaft werden würde. „Ich verschwende wohl Ihre Zeit. Sir“, sagte Sharp seuf zend. „Absolut nicht. Schütten Sie mir Ihr Herz aus, Sharp. Das hilft mitunter.“ „Sie wissen, daß ich Jenny nie geheiratet habe, Sir“, sagte Sharp zögernd. „Wir waren nur selten zusammen draußen.“ „Lassen wir das“, sagte der Gefängnisdirektor. 51
„Angela war erst drei Monate alt, als Jenny und ich we gen eines Banküberfalls verhaftet wurden.“ „Das kostete euch sieben Jahre“, sagte der Direktor nach einem Bück in die Akte. „Als wir wieder frei waren, ließen wir Angela im Wai senhaus. Die Behörden machten uns Schwierigkeiten. Wir begnügten uns damit, ihr Geld und Geschenke zu schicken. Manchmal beobachteten wir sie aus der Ferne, wenn sie mit anderen Kindern spielte. Sie ist hübsch. Sie hat Jennys schwarze Locken und meine Augen.“ Longman Sharp stand plötzlich auf. Er blickte wieder auf seine Uhr und fragte: „Wann soll das Schiff zur Erde starten?“ „In fünf oder sechs Stunden.“ „Dann haben wir ja noch Zeit.“ „Mehr als genug, Sharp. Erzählen Sie weiter! Was ist aus Ihrer Tochter geworden?“ „Sie ist jetzt schon über zwanzig und erwachsen“, antwor tete Longman Sharp. „Sie arbeitet für ein großes Schreibbüro in London. Die Leiterin des Waisenhauses kümmerte sich noch um sie. Sie ist eine großartige Frau und behandelt die Zöglinge wie ihre eigenen Kinder. Nach ihren Angaben führt Angela ein vernünftiges und glückliches Leben.“ „Das freut mich“, sagte der Gefängnisdirektor. „Haben Sie noch nicht daran gedacht, sich irgendwo niederzulas sen, Sharp? Wenn Jenny wieder frei ist, könntet ihr doch endlich eine Familie gründen.“ „Wäre das fair, Sir? Ich glaube nicht, daß wir Angela das antun dürfen.“ „Warum denn nicht? Es ist doch besser, einen Vater zu 52
haben, der im Gefängnis war, als gar keinen. Wir leben nicht mehr in der finsteren Vergangenheit, Sharp. Für uns sind Kriminelle nicht Verbrecher, sondern Kranke, die wir heilen wollen.“ „Das weiß ich, Sir. Sie haben mir hier sehr geholfen. Ich bin kein Hasser der Gesellschaft und spüre keineswegs das Verlangen, mich an ihr zu rächen.“ „Meinen Sie das ehrlich?“ „Selbstverständlich, Sir.“ „Das klingt gut, Sharp“, sagte der Direktor. Longman Sharp grinste. „Sie sind ein Mann nach mei nem Geschmack, Sir. Der Pater ist auch nicht schlecht, aber er ist mir ein wenig zu fromm. Es ist Ihnen beiden aber gelungen, mich zu bekehren.“ „Hoffentlich!“ sagte der Direktor. „Denken Sie an Ihre Tochter, Sharp! Wenn Sie vernünftig sind, läßt sich Jennys Strafe vielleicht verkürzen.“ „Bestimmt?“ „Ich habe mich schon erkundigt.“ „Hoffentlich halten Sie mich nicht für einen alten Esel, den man vorwärts treiben kann, indem man ihm eine Rübe vor die Nase hängt“, murmelte Sharp. „Absolut nicht. Sie sind noch nicht alt und können noch ein achtbares Mitglied der Gesellschaft werden. Sie sind gesund, können hundert Jahre alt werden. Nutzen Sie die Zeit, Sharp!“ „Ich bin gerade vierzig geworden“, murmelte Longman Sharp hoffnungsvoll. „Sie sind ein gefährlicher Bursche, Sir“, fügte er lachend hinzu. „Sie und der Pater werden die Unterwelt noch in einen Wohlfahrtsverein verwandeln.“ 53
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Die Zeit verging schleppend langsam. Longman Sharp wartete auf den Start der Rakete, die ihn vom Gefängnis auf dem Mond zur Erde zurückbringen sollte. Inzwischen mußte sich vieles verändert haben. Er würde einige Zeit brauchen, um sich wieder zurechtzufinden. Schließlich kam der Augenblick der Verabschiedung. Der Direktor gab dem entlassenen Gefangenen feierlich die Hand und sagte ernst: „Wenn wir uns noch einmal wieder sehen, dann hoffentlich nicht hier, Sharp!“ „Darauf werde ich noch heute abend einen trinken“, antwortete Sharp schmunzelnd. „Denken Sie an Ihre Tochter,“ sagte der Direktor noch einmal mahnend. Sharp ging zum Startplatz und stieg mit anderen freige lassenen Gefangenen in die Rakete. Er war ein typischer Einzelgänger, stark und intelligent, aber nie mit sich selbst im reinen. Er fühlte sich einsam wie nie zuvor. Jenny saß noch im Gefängnis, und seine Tochter Angela wußte nichts von seiner Existenz. Longman Sharp hatte keinen Men schen, der sich nach seiner Rückkehr um ihn kümmern würde. Die Rückreise verlief ohne Zwischenfälle. Als die Rake te in eine Kreisbahn um die Erde ging, blickte Sharp durch ein Fenster auf die farbige Welt unter sich. Nach den Jah ren auf dem Mond kam ihm die Erde wie ein Paradies vor. Dort unten gab es mildes Sonnenlicht und laue Nächte. Auf dem Mond hatte es nur gleißende Helligkeit, höllische Hitze 54
und qualvolle Kälte gegeben. Die Hoffnungslosigkeit hatte die Strafe noch verschärft, denn es hatte keine Möglichkeit gegeben, den Dom zu verlassen. Ein Fluchtversuch bedeu tete auf dem Mond den sicheren Tod. Wer den Dom ver ließ, erstickte, gefror zu einem Eisblock oder verbrannte in der glühenden Sonnenhitze. Aber Longman Sharp hatte seine Erfahrungen. Die Sehnsucht nach der Erde hatte seine Vorstellungen verklärt und ihn fast vergessen lassen, daß der Existenzkampf wie der beginnen würde. * Diesmal ging Longman Sharp nicht direkt in eine Bar. Es kam ihm selbst merkwürdig vor, denn er hatte lange Zeit keinen Alkohol getrunken, fast zu lange für einen Mann wie ihn. Früher hatte er bei jeder Gelegenheit gezecht und schließlich nicht mehr ohne Alkohol leben können. Jetzt hatte er Geld in der Tasche und die Freiheit, ging aber nicht in eine Bar, sondern zum nächsten Halteplatz der Buslinie, die zum Waisenhaus führte. Sharp mußte fortwährend an den Gefängnisdirektor den ken. Er hatte in seinem Leben viele Männer kennengelernt, darunter hartgesottene Burschen, und nie hatte er verstan den, wie es möglich war, daß einer mitunter plötzlich an ständig wurde. Früher hatte er nie begriffen, daß diese Männer eine neue Einsteilung zum Leben gefunden hatten. Jetzt dämmerte es ihm aber, denn seine früheren Anschau ungen galten ihm plötzlich nichts mehr und wurden von neuen, gesünderen Gedanken verdrängt. Es war ein Prozeß, 55
der im Gefängnis begonnen hatte, eine vollständige Um wandlung der Persönlichkeit. Longman Sharp war ein Mann der Tat und weniger ein Denker. Jetzt hatte er aber das Gefühl, eine neue Seite seiner Persönlichkeit entdeckt zu haben. Schleusen schienen sich zu öffnen, neue Gedan ken hemmten ihn und beeinflußten sein Tun. Ein Teil sei nes Wesens, das bis dahin verkümmert und verdrängt ge wesen war, übernahm nun die Lenkung seines Geschicks. Longman Sharp spürte zum erstenmal so etwas wie ein Gewissen. Er fuhr zum Waisenhaus, stieg aus dem Schnellbus und schlenderte langsam zum Tor. Es war schon sehr spät am Abend. Die Kinder und Pflegerinnen schliefen sicher schon. Trotzdem drückte Sharp auf den Klingelknopf. Im nächsten Augenblick erschrak er aber über seinen Ent schluß und fragte sich, ob er wirklich richtig handelte. Die alten Instinkte wurden wieder wach, und er war versucht, sich heimlich aus dem Staub zu machen. Aber dann war es schon zu spät, denn eine Nonne kam zum Tor. Longman hörte das Rauschen ihres langen Ge wandes und sah das ruhige Gesicht. Er begriff, daß diese Frauen zu jeder Tages- und Nachtzeit für andere da waren. Wahrscheinlich hatten sie ihre Erfahrungen und wunderten sich nicht über die zwielichtigen Gestalten, die immer nur im Schutze der Dunkelheit ans Tor kamen. Die Nonne öffnete das Tor und lächelte freundlich. Sharp erkannte sie sofort, stellte aber betroffen fest, daß sie sehr alt geworden war. Als er Angela ins Waisenhaus gebracht hatte, war die Nonne noch ein junges Mädchen gewesen. 56
„Ah, Sie sind es, Mr Sharp“, sagte die Nonne zur Begrü ßung. „Sie haben aber ein gutes Gedächtnis, Schwester“, mur melte Sharp. „Wir können auch vergessen“, antwortete die Nonne und bat den Besucher herein. Die Gittertüren schlossen sich hinter den beiden. Longman Sharp war verlegen. Er wußte nicht, was er sagen sollte „Ich möchte meine Tochter wiedersehen“, äu ßerte er schließlich. „Sie haben sich gewiß auch nach ihrer Entlassung aus dem Waisenhaus um sie gekümmert, Schwester.“ „Selbstverständlich, Mr. Sharp“, antwortete die Frau. „Wir haben Ihnen doch laufend Briefe geschrieben. Haben Sie diese Briefe etwa nicht bekommen?“ „Doch, ich habe sie bekommen“, murmelte Sharp. „Aber es waren eben nur Briefe. Was macht Angela jetzt? Geht es ihr gut?“ „Selbstverständlich, Mr. Sharp. Ich kann Ihnen sogar ei ne gute Nachricht geben. Angela gewann eine Urlaubsreise zur Venus. Ist das nicht großartig?“ Sharp kratzte sich am Kopf „Dort oben ist alles mächtig teuer.“ Er hatte selbst einmal den Vergnügungsdom auf der Venus besucht und sich sehr kostspielig amüsiert. „Die Gesellschaft bezahlt alles“, erklärte die Nonne. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Mr. Sharp.“ Longman nickte „Ich freue mich für Angela. In ihrem Al ter macht so etwas noch großen Spaß. Leider kann ich sie nun aber nicht sprechen. Geben Sie mir bitte Angelas Adres se, damit ich mich mit ihr in Verbindung setzen kann.“ 57
Sharp folgte der Nonne durch den Garten zur Registra tur. Bleiches Mondlicht fiel auf die Sträucher und Bäume. Longman dachte an die Männer, die dort oben lebten und sich nach der Rückkehr zur Erde sehnten. Einige dieser Männer würden tatsächlich als geheilt zurückkehren und sich den Gesetzen der Allgemeinheit fügen. Die Verurtei lung zu einer Gefängnisstrafe war längst nicht mehr nur eine Strafe, sondern mehr eine Kur. Longman Sharp hatte den Eindruck, daß er wirklich geheilt war und nicht mehr in die alten Gewohnheiten zurückfallen würde. Hinter der Nonne lief er durch einen Kreuzgang, wo eine andere Schwester ein Kind beruhigte. „Es sind die Zähne“, erklärte sie und schaukelte das Kind auf ihren Armen. In Sharp rührte sich wieder das Gewissen. Auch seine Tochter hatte kein richtiges Heim gehabt, auch sie war von den Schwestern aufgezogen worden, weil er und Jenny versagt hatten. Die Nonne holte eine kleine Karte mit Angelas Adresse. „Sie trägt den Namen Angela Munro“, erklärte sie. „Wie Sie wissen, mußten wir ihr damals einen anderen Namen geben.“ Sharp nickte schuldbewußt. Er ging wieder fort. Über sich sah er den Mond, und er erschien Longman wie ein ständiger Mahner. Sharp lief durch einen Park zur Bushaltestelle. Er nannte die Haltestelle so, obwohl längst keine Fahrzeuge mit ge wöhnlichen Verbrennungsmotoren mehr verkehrten. Wie grundlegend hatte sich doch alles geändert! Seine Gedanken wurden durch die Ankunft des Luftkis senfahrzeugs unterbrochen. Das große Gefährt war fast leer, so daß Sharp sich einen Platz aussuchen konnte. Er 58
setzte sich vor den Videoschirm, um die Nachrichten zu hören: Das war etwas, das er lange Zeit nicht hatte tun können, denn die Gefangenen auf dem Mond waren von allen Informationen abgeschnitten. Das Musikprogramm wurde gerade mit einem chromati schen Farbmuster beendet. Danach tauchte das Gesicht des Nachrichtensprechers auf. Longman Sharp horchte schon bei den ersten Worten auf. Zum erstenmal in seinem Leben spürte er eine entsetzliche Furcht. „… keine Nachricht von der ‚Magnetique’. Das Schiff war auf einer Reise zur Venus.“ Der Sprecher redete nun von anderen Geschehnissen, doch Longman Sharp hörte nicht mehr zu. Er dachte an die Worte der Nonne. Angela hatte ein Preisausschreiben gewonnen, eine Fahrt zur Ve nus. War das Raumschiff verunglückt? Sharp sprang an der nächsten Haltestelle auf die Straße und rannte in eine Videozentrale. Er wählte die Nummer des Waisenhauses und wartete ungeduldig. Wenig später sah er das lächelnde Gesicht der Nonne, die sich anschei nend durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. „Haben Sie etwas vergessen. Mr. Sharp?“ fragte sie zu vorkommend. „Nein. Ich habe eben gehört, daß ein Raumschiff ver mißt wird. Es befand sich auf dem Flug zur Venus. Hat Angela Ihnen den Namen des Raumschiffes gesagt, das sie benutzen wollte?“ „Nein, Mr. Sharp. Sie sagte nur, daß sie bald reisen werde.“ „Vielen Dank!“ „Hoffentlich handelt es sich nicht um Angelas Schiff“, sagte die Schwester mitfühlend. 59
„Das hoffe ich auch. Wissen Sie, welche Gesellschaft das Preisausschreiben veranstaltet hat?“ „Nicht genau“, antwortete die Nonne zögernd. „Ich glaube, es war die Consolidated Detergent.“ „Das werden wir bald genau wissen.“ Longman Sharp rief mehrere Nummern an. Er bekam aber nur einen Nachtwächter zu sehen, der ihm keine Nachricht geben konnte. Sharp dachte nach. Wo waren die Raketen zur Venus ge startet? Wenn inzwischen keine neue Anlage gebaut wor den war, kam nur der alte Flugplatz in Reading in Frage. Longman zählte seine Münzen und entschloß sich zu einem Anruf. Der Mann am anderen Ende der Leitung war außeror dentlich entgegenkommend. Er hatte Listen mit den Namen der Passagiere aller Flüge und war bereit, sofort nachzuse hen. Longman Sharp wartete ungeduldig auf die Auskunft. Als der Mann zurückkehre, war seinem Gesicht anzumer ken, daß etwas nicht stimmte. „Sind Sie ein Verwandter, Sir?“ „Ja.“ „Es tut mir leid, Sir“, sagte der Mann ernst. „Miß Munro war an Bord der ‚Magnetique’. Wir haben keinen Funk kontakt mehr. Seit gestern wird das in Frage kommende Gebiet mit einem Radioteleskop abgesucht.“ „Und?“ „Bisher leider ohne Erfolg, Sir. Es ist unverständlich. Es sind auch schon Hilfsschiffe ausgeschickt worden. Wenn es sich nur um einen Ausfall der Funkanlage handelt, wer den wir das vermißte Schiff sicher bald finden, Sir.“ 60
„Danke!“ „Ich versichere Ihnen, daß wir alles tun, um die Passa giere zu retten“, sagte der Mann am anderen Ende. Sharp ging in die nächste Bar, griff in die Tasche und legte sämtliche Münzen auf den Plastiktisch, die er noch besaß. „Geben Sie mir den billigsten Fusel, den Sie ha ben!“ sagte er zum Barmixer. „Hören Sie erst auf, wenn das Geld alle ist.“ „Dafür bekommen Sie nicht viel“, sagte der Mann ge ringschätzig und stellte eine kleine Flasche und ein Glas auf den Tresen. Longman Sharp ließ das brennende Ge tränk durch die Kehle rinnen. Die Bar war durchgehend geöffnet. Sharp wankte in eine Ecke; hier wollte er die Nacht verbringen, um nicht im Freien übernachten zu müssen. Am nächsten Morgen woll te er sich dann einen Job suchen. Sharps Flasche war noch nicht leer, als zwei Männer in die Bar kamen. Sie hielten jeder eine Hand in der Tasche und hatten ihre Hüte tief ins Gesicht gezogen. Longman Sharp sah auf und runzelte die Stirn. Die beiden Männer steuerten direkt auf ihn zu und setz ten sich rechts und links neben ihn. „Sind Sie Longman Sharp?“ fragte der eine. „Nein, ich bin Donald Duck“, knurrte Sharp. „Kommen Sie mit!“ Longman musterte die harten Gesichter der zwei Männer. Sie gefielen ihm nicht. Die beiden ließen bestimmt nicht mit sich spaßen. In diesem Augenblick hielt er es für sein Glück, daß er nicht mehr Alkohol getrunken und deshalb wenig stens noch einen einigermaßen klaren Kopf hatte. 61
Sharp stand gemächlich auf Aber plötzlich riß er den Tisch hoch und schleuderte die Kante gegen die Beine des links neben ihm sitzenden Mannes. Dem anderen stieß er den rechten Ellbogen ins Gesicht und verpaßte ihm in der nächsten Sekunde einen Schlag in die Magengrube. Der Mann sank langsam in sich zusammen. Er war aber nicht kampfunfähig und taumelte wieder hoch. Sharp staunte über das Stehvermögen seines Gegners, der geschickt ei nem Fußtritt auswich. Plötzlich schlang sich von hinten ein Arm um Sharps Hals. Der andere Gegner war wieder auf den Beinen und drückte mit großer Kraft zu. Sharp ließ sich fallen, riß die Beine hoch und preßte den Kopf des Angreifers zwischen seine knochi gen Knie. Er konnte sich aus dem Würgegriff befreien und kurz Luft holen. Normalerweise nahm er es mühelos mit zwei Männern auf, doch diese Gegner schienen ihr Hand werk gut zu verstehen und bildeten eine ernste Gefahr. Sharp wußte sofort, daß er es nicht mit Gelegenheitskämpfern zu tun hatte, denn sie kannten alle Tricks und waren durchtrai niert. Obwohl Longman Sharp aufpaßte, wurde er doch in einen harten Griff genommen. Die beiden Männer drehten ihm die Arme auf den Rücken und zerrten ihn zur Tür. „Das war nicht notwendig“, knurrte der eine. „Wofür halten Sie uns eigentlich?“ „Ich bin lediglich ein vorsichtiger Mann“, stöhnte Sharp. Er wurde von den beiden Männern auf die Straße ge zerrt, wo ein schwarzes Luftkissenfahrzeug wartete. „Was wollt ihr von mir?“ fragte Sharp. „Soll das ein Ra cheakt sein? Hab ich vielleicht einem der großen Bosse einen Streich gespielt und soll jetzt dafür büßen?“ 62
Die beiden Männer schwiegen. „Sind Sie vielleicht Big Max?“ fragte Sharp mißtrauisch. Der größere der beiden Männer gab Longman frei Er grinste und trat einen Schritt zurück. „Laß ihn los, Jack!“ sagte er zu dem anderen. Sharp blickte in beide Richtungen. Die Straße war leer. „Jetzt wundert mich Ihre Reaktion nicht mehr“, sagte der Große. „Sie hielten uns für Gangster einer Kunkurrenzban de.“ „Sind Sie es denn nicht?“ Sharp bemerkte die Beulen in den Regenmänteln der beiden Männer. Sie trugen offenbar schwere Waffen. „Sie sind sehr mißtrauisch, Sharp“, sagte Jack grinsend. „Wollen wir ihn aufklären, Henry?“ fragte er den anderen. Longman Sharp wartete ungeduldig auf eine Erklärung. Die zwei Männer verhielten sich eigenartig. Andererseits hätten sie ihn längst ermorden oder in den Wagen zerren können, wenn sie es gewollt hätten. „Haben Sie schon einmal von der Abteilung fünf ge hört?“ fragte Henry. „Natürlich! Wer hätte nicht davon gehört? Halten Sie mich für ein Kind?“ brummte Sharp. „Wir geben uns nicht mit grünen Jungen ab“, antwortete Henry. „Und wie geht’s weiter?“ Im grellen Licht der grünen Neonlampen sahen die Gesichter der zwei Männer noch härter und entschlossener aus. Sharp wußte noch immer nicht, ob er den beiden trauen sollte. „Wir sind von der Abteilung fünf“, erklärte Henry. „Sie werden gesucht, Sharp.“ 63
„Von der Abteilung fünf? Das versteh’ ich nicht!“ sagte Sharp verblüfft. „Macht nichts. Wir haben jedenfalls den Auftrag, Sie mitzunehmen. Kommen Sie freiwillig, oder müssen wir Gewalt anwenden?“ Longman Sharp zögerte. „Es ist verdämmt gefährlich“, murmelte er „Hoffentlich wollt ihr mich nicht aufs Kreuz legen.“ „Keine Angst, Sharp! Kommen Sie jetzt!“ Nach kurzem Zögern nickte Longman. Die beiden Agen ten stiegen zuerst ein. Sharp folgte ihnen in das Fahrzeug, daß von Henry gesteuert wurde. „Ist Ihnen der Name Lewis Varley ein Begriff?“ fragte Jack, während das Fahrzeug über eine Hochstraße sauste. „Das ist ein legendärer Name“, antwortete Sharp. „So viel ich weiß, ist er der Chef der Abteilung fünf. Oder irre ich mich?“ „Nein.“ „Und?“ „Er will Sie sprechen.“ „Warum?“ „Er wird seine Gründe haben, denke ich.“ Henry drehte sich grinsend um. „Er hat immer Gründe“, erklärte er „Der Bursche weiß immer sehr genau, was er tut.“ Henry lenkte das Luftkissenfahrzeug wieder auf eine Abfahrt. „Haben Sie ein Taschentuch bei sich, Sharp?“ „Wozu?“ „Wir müssen Ihnen die Augen zubinden“, erklärte Jack. „Dramatisieren Sie nicht ein wenig?“ fragte Longman spöttisch. 64
„Soll ich Ihnen sagen, warum Lewis Varley noch am Leben ist?“ Longman Sharp schüttelte den Kopf. „Ich kann es mir denken. Der Mann riskiert wahrscheinlich nichts. Hier ist mein Taschentuch. Keiner soll sagen, daß ich nicht mit spiele“, schloß er grimmig. Nachdem ihm die Binde wieder abgenommen worden war, mußte sich Sharp erst einmal an das Licht gewöhnen. Er befand sich in einem fensterlosen Büro, dessen Wände mit einem glänzenden Metall verkleidet waren. Longman konnte nicht viel erkennen, denn die Lampen waren alle auf ihn gerichtet, so daß er die anderen Männer nur als Schemen wahrnahm. Ein hinter dem Schreibtisch sitzender Mann erhob sich. „Sie sind also Longman Sharp“, sagte er nachdenklich. „Und wer sind Sie?“ fragte Sharp bissig. „Ich bin Lewis Varley.“ Longman wußte nicht, ob er enttäuscht oder über rascht sein sollte. Lew Varley, der Chef des Sicherheits dienstes, war eine legendäre Gestalt, überall wurden Ge schichten über ihn erzählt. Seine oft ungewöhnlichen, aber immer effektvollen Methoden hatten ihn berühmt gemacht. „Was wollen Sie von mir?“ fragte Longman Sharp. „Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.“ „Ich bin nicht daran interessiert“ Die Gestalt hinter dem Schreibtisch bewegte sich er staunlich schnell in den Lichtkreis der Schreibtischlampe. Longman Sharp wich, erschrocken zurück und starrte ver blüfft auf sein Gegenüber. Lew Varley hatte einen starken 65
Buckel. Er war furchtbar verkrüppelt und machte einen er schreckenden Eindruck. Varley blickte aus seiner halb gebeugten Stellung hoch. Er konnte nur mit einem Auge sehen, denn das andere war mit einer schwarzen Klappe bedeckt. Sharp erblickte eine furcht bare Narbe. Die Wunde mußte mit einem schartigen Säbel oder einer zerbrochenen Flasche verursacht worden sein. „Überrascht, Mr. Sharp?“ „Allerdings!“ knurrte nun Longman Sharp. Die scheußliche Gestalt verschwand wieder hinter dem Schreibtisch. Sharp sah schnelle Bewegungen, die er kaum erfassen konnte. Plötzlich trat eine andere Gestalt ins Licht. Es war zweifellos derselbe Mann, diesmal aber hochge wachsen, glattrasiert und ohne die geringste Spur einer Narbe. Die grauen Augen suchten Sharps Blick, der Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. Longman staunte. Sein Gegenüber war eine imposante, breitschultrige Erscheinung. Sharp fürchtete sich vor kei nem Gegner, aber er spürte, daß dieser Mann allen anderen überlegen war. Die Verwandlungskünste seines Ge sprächspartners aber frappierten Sharp, und er trat noch einen Schritt zurück. „Unbegreiflich!“ murmelte er. Varley lächelte. „Ich mache mir einen Spaß daraus“, er klärte er. „Ich bin auch jetzt nicht der echte Lewis Varley. aber etwas natürlicher. Ich liebe es, mich zu verkleiden. In der letzten Maske habe ich Ihnen einen Schock versetzt, nicht wahr?“ „Das war nur eine Maske?“ fragte Sharp ungläubig. „Es sah erstaunlich echt aus.“ 66
„In meiner Stellung ist es nicht leicht, lange am Leben zu bleiben“, erklärte Varley. „Ohne meine Verwandlungs künste wäre ich es vermutlich längst nicht mehr. Aber wir wollen jetzt über andere Dinge reden. Ich habe schon ge sagt, daß ich Ihnen einen Vorschlag zu machen habe. Die kleine Demonstration sollte nur beweisen, daß Sie es nicht mit Amateuren zu tun haben.“ „Davon bin ich überzeugt“, murmelte Sharp. Er wartete ab. Insgeheim war er aber gespannt, welchen Vorschlag ihm der Chef der Abteilung fünf zu machen hatte. „Unter den Mods ist eine gefährliche Bewegung ent standen“, fuhr Varley fort. „Ich kann jetzt nicht alles er klären und will Ihnen nur sagen, daß die Mods unzufrie den sind. Die Schuld daran liegt zum Teil bei uns. Die Mods wurden geschaffen, um den Fortschritt weiter vo ranzutreiben. Sie sollen uns dienen und nicht bedrohen. Sie haben aber die Macht, die Menschheit auszurotten. Wir haben die Mods immer als Menschen zweiter Klasse behandelt, sie als Sklaven betrachtet und ihnen die schmutzige Arbeit überlassen.“ „Was hat das alles mit mir zu tun?“ fragte Sharp. „Wol len Sie mich etwa zu einem Ihrer Agenten machen?“ Varley nickte. „Sogar zu einem Spezialagenten.“ Er schickte Jack und Henry hinaus. Die beiden salutierten und schlossen die Tür hinter sich. „Sie hätten mir auch eine schriftliche Einladung schicken können“, brummte Sharp. „Warum haben Sie mir diese harten Burschen auf den Hals gehetzt?“ „Sie haben die beiden für Gangster einer anderen Bande gehalten?“ Varley lachte auf. 67
„Sie verhielten sich so. Allerdings habe ich nie einem an deren so großen Schaden zugefügt, daß er mir gleich nach meiner Entlassung seine Schläger auf den Hals hetzen müßte.“ „Das weiß ich“, erwiderte Varley ernst. „Ich schätze Sie richtig ein, Sharp. Wir können uns keine Fehler leisten. Wenn Sie nicht wirklich der Mann wären, für den ich Sie halte, stünden Sie jetzt nicht vor mir.“ „Ich nehme an, Sie kennen meinen Lebenslauf“, sagte Sharp schuldbewußt. „Natürlich! Sie sind ein Individualist, Sharp. Sie schaf fen sich Ihre eigenen Grundsätze und kommen dadurch mit den Gesetzen in Konflikt. In mancher Beziehung haben Sie sogar recht. Mit Ihren Ansichten können Sie zwar kein Erzbischof werden, bestimmt aber ein guter Agent. Sie ha ben eine Tochter, nicht wahr?“ Sharp zuckte zusammen. „Ich weiß nicht, ob sie noch lebt“, sagte er bekümmert. „Sie haben sich also schon informiert?“ „Ich wollte sie besuchen und erfuhr dabei, was passiert ist.“ „Demnach haben Sie von dem spurlosen Verschwinden der ,Magnetique’ gehört?“ „Ja. Übrigens möchte ich gern wissen, wie Ihre Leute mich so schnell finden konnten.“ „Sie waren Ihnen seit Ihrer Landung auf der Spur.“ „Und warum haben sie nicht gleich zugegriffen?“ „Wir hatten unsere Gründe dafür“, erklärte Varley. „Es waren noch einige Dinge zu klären.“ Longman Sharp wollte weitere Fragen stellen, doch der 68
Blick der grauen Augen seines Gegenübers hielt ihn davon ab. „Ich habe Ihren Charakter analysiert und nehme an, daß Ihnen das Schicksal Ihrer Tochter nicht gleichgültig ist. Hab’ ich recht?“ Varley blickte Sharp fest in die Augen. Longman Sharp zögerte keinen Augenblick mit der Antwort. „Sie haben recht, Sir. Als Ihre Leute mich holten, wollte ich mich gerade betrinken. Es ist mir nur deshalb nicht gelungen, weil ich nicht genug Geld hatte Das Schicksal meiner Tochter bedrückt mich sehr.“ Varley nickte; er nahm einen silbernen Brieföffner vom Schreibtisch und spielte damit. „Ich suche einen unge wöhnlichen Mann, Sharp“, sagte er. „Dieser Mann muß hart und zäh sein, außerdem intelligent und reaktions schnell, notfalls sogar brutal und rücksichtslos. Glauben Sie, daß Sie diese Anforderungen erfüllen können?“ „Vielleicht.“ „Bestimmt!“ sagte Varley. „Weil es in diesem Fall näm lich auch um Ihre Tochter geht. Sie haben einen Grund, sich mit Leib und Seele dieser Aufgabe zu verschreiben. Ich glaube, bei dem Gedanken an Ihre Tochter werden Sie keine Gefahr scheuen.“ „Es gibt nur zwei Menschen, die mir etwas bedeuten, Sir“, murmelte Longman Sharp, „meine Tochter Angela und Jenny. Sie wissen vielleicht, daß Jenny noch zwei Jah re abzusitzen hat.“ „Sie meinen Miß Driver.“ Varley lächelte verständnis voll. „Wir können sie ebenfalls einspannen und den Rest ihrer Strafe aufheben.“ Longman Sharp kratzte sich am Kopf. „Worum geht es 69
eigentlich?“ fragte er mißtrauisch. „Soll ich einen neuen Planeten erobern und die Fahne der Vereinten Nationen auf einem fremden Regierungspalast hissen?“ „Ich kann Ihren Zynismus verstehen“, sagte Varley ver ständnisvoll. „Nach den Erfahrungen, die Sie mit Behörden machen mußten, können Sie wohl nicht anders denken. Üb rigens habe ich mich sehr eingehend mit dem Gouverneur der Mondkolonie unterhalten. Er ist auch der Meinung, daß Sie der richtige Mann für diese Aufgabe sind. Sie brauchen eine Chance, Sharp. Ich will sie Ihnen geben. Dieser Auf trag entspricht genau Ihrer Art. Sie sind zu gut, um einfach vor die Hunde zu gehen. Sie fügen sich nicht in die Gesell schaft ein, aber Sie sind keineswegs asozial, nur etwas an ders als die meisten Menschen. Sie brauchen weiter nichts als den Ihnen angemessenen Platz.“ „Reden Sie weiter, Sir“, sagte Sharp grinsend. „So etwas hört man gern.“ „Sie lieben die Gefahr und die Aufregung“, fuhr Varley fort. „Sie brauchen einen Job, der Ihnen das alles bietet. Wenn Sie für uns arbeiten, werden Sie es haben, ohne ge gen die Gesetze verstoßen zu müssen. Ich will noch deutli cher werden und Ihnen offen sagen, daß wir Sie brauchen, Mr. Sharp.“ „Und was habe ich davon?“ fragte Sharp nüchtern. Er ging zur Wand und betastete die schußsicheren Metallplat ten. „Eine Menge. Sie werden einen gutbezahlten Job haben, Jenny aus dem Gefängnis befreien und vielleicht Ihre Tochter retten.“ „Wie ist die Bezahlung?“ 70
„Zehntausend Kreditscheine im Jahr und später eine gute Pension.“ „Klingt nicht schlecht“, murmelte Sharp. „Meine letzten beiden Jobs haben weniger eingebracht.“ „Sie machen also mit?“ Sharp hob abwehrend die Hände. „So einfach ist das nicht!“ entgegnete er. „Ich muß genau wissen, was von mir verlangt wird.“ „Sie sollen gemeinsam mit einem anderen Agenten ein gesetzt werden, um das Verschwinden der beiden Raum schiffe zu klären.“ Longman Sharp pfiff leise durch die Zähne. „Jetzt weiß ich, warum Sie ausgerechnet auf mich gekommen sind“, sagte er grinsend. „Sie sprachen vorhin von einer Unruhe unter den Mods. Haben die etwa etwas mit dem Ver schwinden der beiden Raumschiffe zu tun?“ Varley antwortete nicht gleich Dann entschloß er sich aber zu größter Freimütigkeit. „Wir hegen den Verdacht, daß die Mods dafür verantwortlich sind. Es waren fünf Mods an Bord der ,Hypnotique’. Das kann Zufall sein, aber an Bord der ,Magnetique’ befanden sieh ebenfalls fünf Mods.“ „Gibt es eine vernünftige Erklärung für das Verschwin den der Raumschiffe?“ fragte Sharp. „Eben nicht Wir haben nicht den geringsten Anhalts punkt. Einer unserer besten Agenten war an Bord der ,Magnetique’. Dieser Mann ist mein bester Freund. Sehen Sie, in unserem Geschäft hat man nur wenige Freunde, weil man sich auf keinen verlassen kann. Dover Cross und ich fingen zusammen an. Ich bin jetzt der Boß, während Dover die freie Wildbahn bevorzugt. Er wollte keinen 71
Schreibtischjob. Er ist ungefähr so wie Sie, Sharp – drauf gängerisch und durch und durch Individualist. Wahrschein lich hat er es richtig gemacht.“ Varley warf den Brieföffner auf den Schreibtisch. „Das Leben in diesem Käfig hier ist nämlich alles andere als an genehm“, fügte er hinzu. „Dover bedeutet mir viel. Ich ha be also auch ein persönliches Interesse an der Aufklärung des Falles. Wir waren immer wie Brüder. Sie wissen si cher, worauf Sie sich einlassen, wenn Sie mein Angebot annehmen, Sharp“, schloß Varley warnend. „Nur wenige Agenten kommen in den Genuß ihrer Alterspension.“ „Ich mache mit!“ sagte Longman Sharp entschlossen. Die beiden Männer reichten sich die Hände. Lewis Var ley hatte eine Pranke wie ein Grislybär, doch Sharp drückte ebenfalls fest zu. Der SD-Chef nickte befriedigt und drückte auf einen Knopf am Schreibtisch. Im nächsten Augenblick trat ein breitschultriger Mann ein. Er trug einen unauffälligen Trenchcoat und einen Schlapphut. „Das ist John Starbuck“, stellte Varley den Mann vor. Sharp begrüßte den Agenten und maß ihn mit prüfendem Blick. John Starbuck schien ein rauher, aber humorvoller Bursche zu sein. Sicher war er einer der besten Agenten der Abteilung, denn sonst wäre er nicht von Varley ausge wählt worden. Sharp schätzte seinen zukünftigen Partner auf etwa dreißig Jahre. Varley verlor keine Zeit und ging gleich auf sein Ziel los. „Ihr müßt die Flugbahnen der beiden verschwundenen Raumschiffe verfolgen und nach eventuell vorhandenen Trümmern suchen“, erklärte er. Ihr könnt ein gepanzertes 72
Erkundungsschiff nehmen und den Piloten selbst aussu chen.“ „Zu Befehl, Sir!“ rief Starbuck und salutierte. „Kommen Sie. Longman“, sagte er dann freundlich. „Wir müssen uns beeilen.“ Sharp hatte den Eindruck, daß die Abteilung fünf sehr schnell arbeitete. „Bin ich denn schon auf der Gehaltsliste?“ fragte er verwirrt. „Sie waren es schon vor zehn Minuten“, antwortete Var ley verschmitzt. „Ich wünsche euch viel Glück!“ Longman Sharp grüßte ebenfalls militärisch und folgte Starbuck auf einen Gang. Sie marschierten lange Zeit durch ein Gewirr von Korridoren. Ab und zu bemerkte Sharp ge fährlich aussehende Männer, offenbar Agenten der Abtei lung fünf. An den vielen Türen standen keine Namen. An scheinend sollten sich nur die Eingeweihten zurechtfinden. John Starbuck öffnete eine Tür und ließ Sharp vorgehen. „Vorläufig werden wir uns das Büro teilen“, sagte er. „Sie werden aber bald ein eigenes zugewiesen bekommen.“ Sharp sagte nichts. Er hatte sich immer gewünscht, mal an einem Schreibtisch zu sitzen. Jetzt sollte er sogar ein eigenes Büro zugeteilt bekommen. Der Wandel hatte sich überraschend schnell vollzogen. Einen Tag vorher hatte er noch einem Gefängnisdirektor Rede und Antwort stehen müssen. Longman Sharp war entschlossen, dieses Glück festzuhalten. Starbuck war freundlich und sympathisch. Sharp faßte sogleich Vertrauen zu seinem Kollegen und taute sichtlich auf. „Es ist wohl Zufall, hier hereinzukommen?“ fragte er. 73
„Mehr oder weniger“, antwortete Starbuck. „Die meisten bleiben auch nicht lange.“ „Man wird also ebenso schnell hinausgeworfen wie an geheuert.“ Starbuck schüttelte den Kopf „Bisher ist noch keiner entlassen worden. Es hat auch noch keiner um seine Ent lassung gebeten.“ „Dann ist es also das Berufsrisiko?“ „So kann man es nennen“, grunzte Starbuck. „Sie glau ben nicht, wie viele Leute etwas gegen uns haben. Da sind die großen Gangsterbosse und die intergalaktischen Finan ziers, die überall Interessen haben und sich nicht gern in die Karten sehen lassen. Varley ist immer in Gefahr, denn die Leute, mit denen wir uns beschäftigen müssen, sind nicht zimperlich. Natürlich spielt auch die Politik mit. Un ter Varleys Leitung ist die Abteilung unabhängig geworden und nicht mehr von den politischen Interessengruppen be einflußbar. Vielleicht ist das der Grund für unseren Ruf.“ „Wahrscheinlich. Jedenfalls scheinen alle Leute die Ab teilung fünf zu respektieren“, antwortete Sharp „Ich hätte mir nie träumen lassen, einmal Agent dieser Organisation zu werden. Die Jahre auf dem Mond haben mich zwar zum Nachdenken gezwungen, aber …“ „Sie kommen direkt aus der Strafkolonie?“ „Ja.“ „Das dachte ich mir beinahe.“ „Warum?“ fragte Sharp erstaunt „Rekrutiert Varley alle seine Leute aus Verbrecherkreisen?“ „Nicht alle“, antwortete Starbuck lachend. „Ich habe al lerdings auch einmal gesessen.“ 74
Longman Sharp fühlte sich sogleich wie zu Hause. John Starbuck gefiel ihm von Minute zu Minute besser Der Agent plauderte über seinen Aufenthalt in der Strafkolonie wie über die Zeit in einer renommierten Schule. Wählend er sprach, öffnete er einen Schrank und holte zwei Gürtel mit je einem schweren Strahler heraus. „Versuchen Sie ei nen davon“, rief er und warf Sharp die Gürtel zu. „Ich füh le mich ohne so ein Ding nicht mehr wohl.“ Sharp schnallte sich einen Gürtel um. „Haben Sie schon einmal damit geschossen, John?“ fragte er interessiert. „Mehrmals.“ Starbuck grinste „Soviel ich weiß, sind Sie auch kein Anfänger. Brauchen Sie sonst noch etwas, Long man?“ „Im Augenblick fällt mir nichts ein“, antwortete Sharp. „Wie geht es jetzt weiter?“ „Ich werde einen Piloten beschaffen, und dann kann es losgehen.“ Starbuck schaltete den Kommunikator an und wandte sich dem Bildschirm zu. „Verbinden Sie mich mit dem Pilotenraum“, sagte er zu dem Vermittler. Eine Sekunde später tauchte ein anderes Gesicht auf. Der Mann trug einen Pilotenhelm und war zweifellos ein Raumfahrer. „Wann kann ich ein Erkundungsschiff haben?“ fragte Starbuck. „In fünfzehn Minuten“, erwiderte der Pilot. „Wer fliegt mit?“ „Der Pilot und zwei Passagiere“ „In Ordnung. Wenn Sie hier sind, wird alles klar sein.“ „Danke!“ Starbuck schaltete das Gerät ab. „Na, dann los!“ sagte er zu Sharp und ging zur Tür. 75
John Starbuck führte Longman durch das Labyrinth zu einem Lift, mit dem sie in die Tiefe sausten. Sharp betrach tete interessiert die für Großraketen bestimmten Führungs schienen. Die Raketen wurden unten im Bunker gestartet und sausten auf den Führungsschienen zum Dach hinauf und weiter in den Himmel. Auf diese Weise konnten die Schiffe immer startklar gehalten werden und überraschend schnell hintereinander aufsteigen. Schon nach wenigen Minuten brauste das relativ kleine Raumschiff mit den drei Männern immer schneller werdend durch einen Tunnel und dann steil nach oben. Die schweren Metalltüren wurden durch eine Fotozelle gesteuert und öffne ten sich genau im richtigen Augenblick. Nur aufmerksame Beobachter konnten den Start der Raumraketen beobachten, die erst in großer Höhe die Triebwerke voll arbeiten ließen. Alles war vorbereitet. Starbuck hatte den Kurs der bei den vermißten Schiffe und verglich die Angaben mit den Bordinstrumenten. Die Rakete schoß durch die Atmosphä re, erreichte den freien Raum und wurde noch schneller. Der Pilot verstand es meisterhaft, das Schiff auf den Kurs zu bringen, den die beiden vermißt gemeldeten Raumschif fe genommen hatten. „Alles in Ordnung?“ fragte Longman Sharp aufgeregt. „Stimmt der Kurs?“ „Bis jetzt ja“, antwortete Starbuck, löste seine Sicher heitsklammern und stand auf. Die künstliche Schwerkraft des Schiffes ermöglichte einigermaßen freie Bewegungen. Starbuck öffnete das fest zugeschraubte Schott und kletter te in die andere Hälfte der Kabine. Der Pilot saß aus Si cherheitsgründen im anderen Teil. Sharp folgte seinem 76
Kollegen und blickte durch ein dickes Fenster auf die im mer kleiner werdende Kugel. „Als ich gestern landete, konnte ich nicht ahnen, daß ich die Erde so schnell wieder verlassen würde“, sagte er seuf zend. „Bereuen Sie es schon?“ fragte Starbuck. „Nein.“ Longman Sharp schüttelte den Kopf. „Ich hätte mich aber nicht auf dieses Abenteuer eingelassen, wenn …“ „Wenn es nicht um Ihre Tochter ginge“, vollendete Star buck den Satz. „Wundert Sie das?“ Sharp blickte zur immer kleiner werdenden Erde zurück. „Das kommt mir alles so unwirk lich vor“, murmelte er leise. „Ich bin plötzlich wohlbestall ter Agent einer wichtigen Behörde. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Mir wird erst jetzt bewußt, was das für mich bedeutet. Aber ich sollte nicht soviel reden.“ „Doch!“ sagte Starbuck verständnisvoll. „Mitunter hilft das.“ „Ich habe nie viel geredet und meine Gefühle immer für mich behalten“, fuhr Sharp fort. „Das war vielleicht falsch, Longman“, erwiderte Star buck. „Gefühle sind wie eine reifende Frucht. Wenn sie voll sind, platzt die Hülle und fällt ab. In diesem Falle sind es wohl die Hemmungen.“ Der Pilot erhob sich von seinem Sitz. Vorerst konnte er sich auf die automatische Steuerung verlassen. „Das ist Tommy Rawlings“ stellte Starbuck den Piloten vor „Unser neuer Kollege heißt Longman Sharp“, erklärte er dem Piloten. „Ihr hattet vorhin leider keine Zeit, euch zu begrüßen.“ 77
„Holen wir das nach“, sagte Sharp herzlich. „Obwohl die Umgebung nicht recht zu Formalitäten paßt.“ „Man gewöhnt sich an alles“ sagte der Pilot fröhlich. Er war bedeutend jünger als Starbuck und benahm sich noch ausgesprochen jungenhaft. Shira sah die Lebenslust aus den Augen des jungen Mannes leuchten. Rawlings wußte, warum er lebte und schien das Leben auch zu lieben. Sharp setzte sich wieder in seinen Sitz und betrachtete die Instrumente. Er war kein Techniker und kein ausgebil deter Pilot. Sein Kollege Starbuck schien sich aber auszu kennen, denn er gab dem Piloten sogar Ratschläge. Rawlings setzte sich zu den beiden Agenten und zog ein Kartenspiel aus der Tasche. „Wie wäre es mit einem Po kerspiel?“ fragte er listig. John und Longman waren damit einverstanden. Die drei Männer machten es sich bequem und begannen das Spiel. Die Geräte arbeiteten automatisch. Falls sich ein Schiff in der Nähe befand oder falls Trümmer im Raum schwebten, würden die Suchinstrumente das sofort anzeigen. Longman Sharp spielte zum erstenmal in seinem Leben lustlos und ohne Interesse. Das Spiel erinnerte ihn zu sehr an die Jahre auf dem Mond, wo die Eintönigkeit und die ewige Langeweile auf diese Weise überbrückt wurden. Verlorene Jahre, dachte er. Ich habe viele Jahre meines Le bens sinnlos vertan und verschwendet. Ein leiser Summton schreckte die Männer auf. Tom Rawlings erhob sich sofort und warf seine Karten von sich. Die Blätter flatterten noch eine Weile in der Kabine herum, ehe sie langsam zu Boden schwebten. Rawlings setzte sich an ein Instrument und begann an den Knöpfen zu drehen. 78
Der Summton wurde lauter und schärfer. Rawlings konnte die Richtung des Reflektors genau anpeilen und mit einem anderen Gerät die Umrisse des geheimnisvollen Körpers auf einen Bildschirm projizieren. Sharp und Starbuck blickten gebannt über seine Schulter. „Eine Rettungskapsel!“ rief Starbuck erregt. „Sieht ganz danach aus“, murmelte Rawlings. „Ich wer de sie anrufen.“ Nach dem Ruf kam die Antwort. Es war die Identifikati on der Kapsel. Sie wurde automatisch abgerufen, so daß der Insasse der Kapsel sich nicht darum zu kümmern brauchte. „Die Kapsel stammt von der ,Magnetique’!“ sagte der junge Pilot atemlos, „Wir haben eine Spur gefunden!“ Tommy Rawlings paßte die Geschwindigkeit des Raum schiffes der Fahrt der Rettungskapsel an und verringerte den Abstand. Die drei Männer blickten gebannt auf die In strumente, die eine langsame und ungefährliche Annähe rung ermöglichten. Magnetische Greifer wurden ausgefah ren, legten sich um die im All treibende Rettungskapsel und zogen sie fest an das Erkundungsschiff. Obwohl das Manöver nicht lange dauerte, fieberte Starbuck vor Unge duld. Er zog sich schnell einen Druckanzug an und ließ sich kaum Zeit für die notwendigen Sicherheitsvorkehrun gen. „Soll ich mit?“ fragte Longman. Starbuck schüttelte den Kopf. „Besser nicht. Es kann auch eine Falle sein. Geben Sie mir Feuerschutz!“ Der Insasse der Kapsel meldete sich nicht. Rawlings versuchte immer wieder, Kontakt aufzunehmen. Endlich 79
winkte er aufgeregt. Er hatte zwar keinen Funkkontakt be kommen, aber eine Bewegung wahrgenommen. Hinter dem dicken Fenster der Kapsel schien sich ein Mensch bewegt zu haben. „Wer mag das wohl sein?“ fragte Sharp. Er hoffte, daß es seine Tochter sei. Aber das war wohl eine zu kühne Hoffnung. Starbuck kletterte zur Kapsel hinüber und blickte durch die Scheibe. Dann öffnete er die Schleuse, stieg hinein, schloß das Schott hinter sich und öffnete das Innenschott. Die Kapsel befand sich auf der Schattenseite des Raum schiffes. Da die Beleuchtung ausgefallen war, mußte Star buck sich vortasten, bis er an einen Körper stieß. Er öffnete seinen Helm und merkte, daß die Luft völlig verbraucht war. Er war offensichtlich im letzten Augenblick gekom men. Der besinnungslose Mann war schwer und fett. Star buck schleppte ihn zur Schleuse und überlegte kurz. Der Mann hatte keinen Druckanzug und konnte nicht einfach durch den leeren Raum befördert werden. Mit Hilfe des im Helm eingebauten Sprechfunkgeräts konnte sich der Agent mit den Kameraden verständigen „Ich brauche ein Verbindungsstück!“ rief er ihnen zu. „Be eilt euch! Der Mann lebt noch.“ Der Pilot und Longman Sharp beförderten das elastische Verbindungsstück nach draußen. Das eine Ende paßten sie der Luftschleuse des Raumschiffes an, das andere Ende der Schleuse der Rettungskapsel. Nachdem der Druckausgleich hergestellt war, konnte der Mann aus der Kapsel herüber geholt werden. Starbuck schloß seinen Helm und atmete aus seiner Sau 80
erstoffflasche. Dann schraubte er den Schlauch von der Re serveflasche und blies frische Luft über das Gesicht des Bewußtlosen. Der verzweifelt nach Atem ringende Mann wurde zusehends ruhiger und atmete tiefer. Endlich schlug er die Augen auf und nickte dankbar. Er konnte aber noch nicht aufstehen. John Starbuck vermochte den Geretteten aber leicht zu transportieren. Im Raumschiff wurde der Gerettete sofort mit Sauerstoff behandelt. Die Injektion einer kräftigen Nährlösung half ihm ebenfalls, so daß er bald wieder Herr seines Körpers war. Er richtete sich auf und betastete sich. „Ich danke Ihnen mein Leben, Gentlemen“, sagte er. „Darf ich fragen, wie meine Retter heißen?“ „Ich bin John Starbuck“, antwortete der Agent. „Sie be finden sich im Erkundungsschiff einer Behörde. Wir haben den Auftrag, das Verschwinden der ,Magnetique’ aufzuklä ren.“ „Dabei kann ich Ihnen behilflich sein“, sagte der Dicke bereitwillig. „Ich bin Philip Hatchworth, war Passagier an Bord der ,Magnetique’ und spürte von Anfang an, daß et was nicht stimmte.“ „Wieso?“ fragte Starbuck schnell. „Die Mods gefielen mir nicht. Sie verhielten sich anders als sonst.“ Starbuck und Sharp sahen sich an. Rawlings drehte das Schiff. Er wollte zur Erde zurück kehren und die Rettungskapsel abliefern. Die Kapseln wa ren wertvolle Geräte und mußten nach Möglichkeit heil geborgen werden. Außerdem mußte der Gerettete in ärztliche Behandlung. 81
Hatchworth blieb liegen und berichtete den beiden Agen ten, was er erlebt hatte. „Ich wußte natürlich, daß unsere Chancen nicht gut wa ren“, erklärte er. „Ich bin eben kein Draufgänger“, fügte er grinsend hinzu und klopfte auf seinen mächtigen Bauch. „Sie entschlossen sich also, heimlich auszusteigen, nicht wahr?“ fragte Starbuck kühl. „Sie sehen das falsch“, begehrte jetzt Hatchworth auf. „Mein Verbleiben im Raumschiff hätte nichts geändert Und außerdem hegte ich ja nur einen Verdacht. Es ist sehr fraglich, ob die anderen mir geglaubt hätten. Ich dachte ganz einfach logisch.“ „Können Sie sich an die Passagiere erinnern? Ich inter essiere mich hauptsächlich für ein Mädchen namens Ange la Munro“, sagte Sharp. „Warum gerade für dieses Mädchen?“ „Sie ist meine Tochter.“ „Dann kann ich Ihre Erregung verstehen, Sir. Sie hofften sicher, Ihre Tochter in der Kapsel zu finden. Es tut mir auf richtig leid, Sir, das müssen Sie mir glauben.“ „Ich will’s versuchen“, brummte Sharp. „Erzählen Sie weiter!“ „Die Mods schnitten das Schloß aus dem Schott und drangen in die uns vorbehaltene Kabine ein.“ „Mehr können Sie nicht sagen?“ fragte Sharp enttäuscht. „Selbst das ist nur eine Vermutung“, antwortete Hatch worth. „Als ich das Schiff verließ, war noch nichts ent schieden. Ich kann mir aber denken, was geschehen ist. Sie können sich auf meine Vermutungen verlassen, denn nor malerweise sind meine Voraussagen absolut richtig.“ 82
„Sie heißen Hatchworth?“ fragte Starbuck plötzlich. „Sind Sie etwa der weltberühmte Schachmeister?“ „Der bin ich“, antwortete Philip Hatchworth schmun zelnd. „Dann glaube ich Ihnen alles“, sagte Starbuck respekt voll. „Sie sind ja fast ein richtiger Prophet. Ihre Logik hat schon immer verblüfft.“ „Ich kann nur Voraussagen machen, wenn ich bestimmte Einzelheiten kenne“, wehrte Hatchworth bescheiden ab. Die beiden Agenten wurden sachlicher und betrachteten Hatchworth nicht mehr als Feigling. Sie sahen ein, daß die scheinbare Feigheit vielleicht doch nur gesunder Men schenverstand war. Ein Mann wie Hatchworth war uner setzlich. Er hatte sich gerettet und sich dadurch zu einer Schlüsselfigur gemacht. Lewis Varley würde sicher größ ten Wert auf seine Mitarbeit legen. Ein lebender und ver fügbarer Philip Hatchworth war jedenfalls mehr wert als ein im Weltraum verschollener Schachmeister. Hatch worth hatte gleich zu Anfang erkannt, daß er den Mods körperlich unterlegen war, und die Konsequenzen gezo gen. Rawlings steuerte das Schiff auf direkten Kurs zurück und setzte sich mit der Bodenstelle in Verbindung. 4. Kapitel Der Verbindungsoffizier unterrichtete Varley, und noch vor der Landung des Raumschiffes gab der Chef des Si cherheitsdienstes den Befehl, Hatchworth nicht gleich ins Krankenhaus, sondern erst in sein Büro zu bringen. 83
Starbuck führte Hatchworth kreuz und quer durch die unterirdischen Korridore. Zuvor hatte er ihm die Augen verbunden. Endlich standen sie vor einer Tür, und Starbuck drückte auf einen Klingelknopf. Sharp, der hinter Hatch worth gegangen war, folgte den beiden Männern in das Bü ro und schloß für einen Augenblick die Augen. Die Lampen waren wieder so eingestellt, daß man die Gestalt hinter dem Schreibtisch nur als Schemen wahrnehmen konnte, da die Besucher geblendet wurden. Hatchworth blinzelte, nachdem ihm die Binde von den Augen genommen worden war. „Sie sind Philip Hatchworth?“ „Ja.“ „Ich bin Lewis Varley, der Chef der Abteilung fünf.“ „Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen“, sagte Hatchworth. „Ich kenne die Art Ihrer Arbeit.“ „Sie sind der berühmte Schachspieler?“ „Ja.“ „Und Sie befanden sich an Bord der ,Magnetique’?“ „Bis die Mods das Schiff übernahmen.“ Hatchworth er zählte seine Geschichte und bedankte sich noch einmal für seine Rettung. Varley kam in den Lichtkreis – wieder in der Maske ei nes einäugigen Buckligen. „Überrascht, Mr. Hatchworth?“ fragte er. Hatchworth schüttelte den Kopf „Das ist offensichtlich eine Maske, Sir“, sagte er gelassen. „Allerdings eine gute“, fügte er anerkennend hinzu. „Sie sind ein humorvoller Mann, Mr. Varley.“ Der SD-Chef verschwand wieder in der Dämmerzone hinter dem Schreibtisch. „Halten Sie die Übernahme des 84
Raumschiffes durch die Mods für einen isolierten Zwi schenfall, Mr. Hatchworth?“ klang es aus der Dunkelheit. „Nein, die Aktion ist Teil eines größeren Aufstandes. Sind Sie nicht auch dieser Meinung?“ „Ich äußere keine Meinungen, Mr. Hatchworth“, sagte Varley. „Ich stelle nur Fragen.“ „Fragen Sie!“ „Kennen Sie die Namen der beteiligten Mods?“ „Sie brauchen doch nur die Passagierliste anzufordern, Sir.“ „Ich frage Sie, Hatchworth!“ „Na, schön!“ antwortete der Dicke seufzend. „Die betei ligten Mods heißen Azak, Berog, Cuclos, Dyxi und Ergat.“ Varley nickte. „Sie können gehen, Hatchworth. – Brin gen Sie ihn hinaus, Starbuck!“ Longman Sharp wollte den beiden folgen, wurde aber von Varley zurückgerufen. „Sie bleiben hier, Sharp!“ Longman sah den Schatten und wunderte sich über die Unruhe seines Vorgesetzten. „Ich habe eine Idee, Sharp“, sagte Varley endlich. „Sie sind einer der wenigen, die diese Idee in die Tat umsetzen können.“ „Weil ich persönlich ah dem Fall interessiert bin, Sir?“ „Ich gebe zu, daß ich das ausnutzen will“, entgegnete Varley ehrlich. „Ich nehme es Ihnen nicht übel, Sir“, sagte Longman Sharp. Varley seufzte laut. „Glauben Sie mir, Sharp, es fällt mir nicht leicht, meine Agenten in gefährliche Situationen zu hetzen. Ich werde von manchen Leuten als Unmensch an gesehen, weil ich keine Rücksichten zu kennen scheine. 85
Die Arbeit hängt mir manchmal zum Halse heraus. Eines Tages werde ich mich pensionieren lassen, Rosen züchten und eisgekühlten Whisky schlürfen. Sie haben keine Ah nung, wie es in mir aussieht.“ „Ich kenne die Menschen, Sir“, sagte Sharp nachdenk lich. „Sie sind mir allerdings ein Rätsel.“ „Der Chef einer Sicherheitsabteilung darf nicht durch schaubar sein“, erklärte Varley. „Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie von mir er warten“, sagte Sharp ungeduldig. „Nervös?“ „Schwer zu sagen. Aber ich bin nicht aus Eisen.“ „Ich brauche einen sehr mutigen Mann“, erklärte Varley „Dieser Mann muß bereit sein, wesentliche Operationen an sich vornehmen zu lassen.“ Sharp sah überrascht auf. „Ich soll als Mod auftreten?“ fragte er bestürzt. „Sie und noch ein Freiwilliger.“ „Sie wollen Drähte in meinen Schädel operieren lassen und meinen Körper verunstalten, bis ich wie ein abscheuli ches Monster aussehe?“ „Jenny hat noch zwei Jahre vor sich“, sagte Varley kalt. „Ihre Tochter erlebt jetzt vielleicht Qualen, die Sie sich überhaupt nicht vorstellen können, Sharp! Ihre Zuchthaus strafen sind im Vergleich dazu Erholungsaufenthalte gewe sen. Wenn unser Plan gelingt, bedeutet das die Freiheit für Jenny und Ihre Tochter“ „Machen Sie mir nichts vor, Sir“, brummte Sharp. „Die Belohnung ist hoch, der Preis aber nicht minder. Ich bin kein Held, Sir. Helden leben heutzutage nicht lange. Mein 86
Name ist nicht Samson, sondern Longman Sharp. Samson brauchte nur die Säulen eines Tempels einzureißen, um dreitausend Menschen zu begraben. Ich bin nur ein ge wöhnlicher Mensch, Sir. Hoffentlich haben Sie das nicht vergessen!“ „Sie irren sich, Sharp“, antwortete Varley. „Sie sind kein gewöhnlicher Mensch. Wenn Sie es wären, könnte ich Sie nicht verwenden. Ich habe Ihre Akten studiert. Kein ande rer Gefangener ist so oft aus Gefängnissen ausgebrochen wie Sie. Sie mußten zum Mond geschickt werden, weil Sie hier unten aus jedem Gefängnis ausgebrochen sind. Doch das ist nicht alles. Sie haben zwei Männer umgebracht, aber nicht mit Waffen, sondern mit den bloßen Fäusten. Wer einen Mod bekämpfen will, muß stark sein, stark und rücksichtslos. Ihre Tochter befindet sich in den Händen der Mods, Sharp. Es lohnt sich also, den höchsten Einsatz zu riskieren.“ „Sie verstehen Ihr Geschäft, Varley“, knurrte Longman Sharp. „Natürlich! Sonst säße ich nicht hier. Ich bevorzuge die direkte Methode. Ich brauche Sie und muß Sie mit allen Mitteln für die Sache gewinnen.“ „Wer soll der andere Mann sein?“ fragte Sharp. „Wenn Sie mitmachen, werde ich einen geeigneten Part ner für Sie finden, verlassen Sie sich darauf“, antwortete Varley grinsend. „Wer wird es sein?“ „Lassen Sie das meine Sorge sein, Sharp! Glauben Sie mir, es mißfällt mir sehr, einen meiner Leute darum bitten zu müssen.“ 87
Varley drückte auf einen Knopf und ließ sich mit Star buck verbinden Zwei Minuten später stand Starbuck neben Sharp im Büro des allgewaltigen Chefs. „Gibt’s was Besonderes, Sir?“ fragte Starbuck. „Allerdings! Unser neuer Freund hat sich freiwillig für eine wichtige Aufgabe zur Verfügung gestellt. Wollen Sie mitmachen?“ „Kann ich Einzelheiten erfahren, Sir?“ fragte Starbuck vorsichtig. Sharp blickte zur Decke hinauf. Freiwillig ist gut! dachte er. Ich stehe unter Druck, das weiß der Bursche genau. Ich will meine Tochter retten und Jenny befreien. Trotz seiner edlen Motive hatte er Hemmungen. Alles in ihm bäumte sich gegen den Plan auf. Er sollte sich äußer lich in einen Mod verwandeln lassen, in ein abscheuliches Monster, in ein roboterähnliches Wesen. Der Selbsterhal tungstrieb revoltierte dagegen, doch Sharp hatte frühzeitig gelernt, die rasch aufkommenden Impulse zu bezwingen. „Sie kennen Dover Cross, John“, sagte Varley zu Star buck. „Ja, Sir.“ „Sie wissen auch, daß er an Bord der ,Magnetique’ war.“ „Ja, Sir.“ „Wir wissen jetzt mit Sicherheit, daß die ,Magnetique’ von den Mods entführt worden ist, John.“ Varley machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Wir können nur dann etwas herausfinden, wenn wir als Mods verkleidete Agen ten in die Reihen der Gegner schmuggeln. Dover Cross ist möglicherweise schon tot. Vielleicht bleibt es bei einer bloßen Racheaktion. Andererseits besteht durchaus die 88
Möglichkeit, ihn und die anderen Passagiere der ,Magnetique’ zu retten. Es ist keine leichte Aufgabe, John. Ich habe an Sie gedacht, weil Sie einer meiner besten Leute sind.“ „Mit Schmeicheleien kommt man immer weit“, brumm te John Starbuck grinsend. „Die Operationen werden sicher sehr schmerzhaft sein“, sagte Varley warnend. „Wir werden natürlich alles versu chen, Sie nach dem Abenteuer wieder in den alten Zustand zu versetzen, aber garantieren können wir das nicht. Es werden gewisse Spuren zurückbleiben.“ „Ich mache mit, wenn Longman dazu bereit ist“, erklärte Starbuck. „Großartig!“ Varley atmete auf „Ich werde sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Sie erhalten rechtzeitig Be scheid.“ Starbuck und Sharp verließen das Büro. Die Metalltür schloß sich automatisch. John Starbuck schüttelte grinsend den Kopf. „Manchmal komme ich mir wie eine Marionette vor“, sagte er. „Der gute alte Varley braucht immer nur an der richtigen Schnur zu ziehen, und ich funktioniere.“ „Mir geht es nicht anders“, murmelte Sharp. „Merkwür digerweise hat man aber das Gefühl, genau das zu tun, was man ohnehin tun würde. Varley ist eben ein guter Psycho loge. Ich habe Gründe für mein Tun. Aber wie ist es bei Ihnen, John?“ „Die Aussichtslosigkeit der Sache reizt mich. Es klingt vielleicht blöd, aber es ist so. Ich möchte gern wissen, wie weit wir dabei kommen, Die echten Mods werden den Bra ten sofort riechen. Mods sind keine Narren. Wenn sie eine 89
großangelegte Revolution planen, werden sie sicher sehr vorsichtig sein. Sie sind anders als wir, kälter und unge hemmter. Wir kämpfen gegen Feinde, die uns in vielen Be ziehungen weit überlegen sind.“ „Sehr ermutigend“, knurrte Sharp. „Wir dürfen uns nichts vormachen, Longman!“ Starbuck zog Longman Sharp mit sich. „Jetzt brauch ich einen Whisky!“ „Ich auch!“ Longman Sharp folgte Starbuck durch die Korridore „Ich habe keinen Whisky getrunken, seit ich aus dem Gefängnis entlassen worden bin.“ „Das war ja nicht allzu lange, mein Freund“, antwortete Starbuck lachend. „Sehr komisch!“ brummte Longman Sharp. Er war aber nicht beleidigt, denn er kannte seinen neuen Freund und wußte, daß er sich in jeder Lage auf ihn verlassen konnte. In Starbucks Büro tranken sie eine ganze Flasche leer. „Auf die Mods!“ sagte Longman Sharp beim ersten Glas. „Auf die Mods!“ erwiderte Starbuck nachdenklich. Das Grinsen war ihm inzwischen vergangen. * Longman Sharp öffnete die Augen und erblickte eine wei ße Zimmerdecke. Er betastete sein Gesicht und fand es mit dicken Banda gen bedeckt. Gleich darauf sah er das Gesicht einer jungen Schwester. „Guten Morgen, Mr. Sharp!“ begrüßte ihn die Schwe ster. „Wie fühlen Sie sich?“ 90
„Wo bin ich? Was ist passiert?“ „Bleiben Sie nur liegen. Sie werden sich bald an alles er innern“, sagte die Schwester beruhigend. Sharp erinnerte sich tatsächlich bald an alles. Er lag in der kleinen Klinik der Abteilung fünf. Neben sich sah er einen ebenfalls bandagierten Mann. Nur die Augen des an deren waren zu erkennen. „Alles überstanden, Longman?“ klang es dumpf durch die Binden. „John!“ rief Sharp erleichtert aus. „Ist alles vorbei?“ „Es sieht so aus“, antwortete Starbuck. „Wann werden wir das Resultat sehen?“ „Nur nicht so eilig, Longman“, sagte Starbuck besänfti gend. „Lassen wir uns lieber Zeit. Das Resultat der Be handlung wird uns früh genug schockieren.“ „Mich kann nichts mehr erschüttern“, brummte Long man Sharp. „Dazu habe ich schon zuviel gesehen und er lebt.“ * Die Tage vergingen qualvoll langsam. An einem Nachmit tag kam Varley. Er trug einen Trenchcoat, einen Schlapp hut und einen dicken Schal, der fast sein Gesicht verdeckte. Sein Körperumfang zeigte deutlich, daß er einen kugelsi cheren Panzeranzug trug „Ich will euch nur zur Seite ste hen, Boys“, sagte er fröhlich. „Sonst geht ihr mir noch an einem Schock zu Grunde. Die Operationen haben viel Geld gekostet. Wir wollen das schöne Geld doch nicht zum Fen ster hinausgeworfen haben.“ 91
„Ich hatte Aussicht, Mr. Universum zu werden“, brummte Longman durch den Verband. „Wenn Sie mich um diese Chance gebracht haben, werde ich Sie verklagen, Varley.“ Die Schwestern und Ärzte schnitten die Verbände ab. Longman Sharp ließ sich einen Spiegel geben und erblickte ein fremdes Gesicht. Er war ein Mod geworden, ein Scheu sal mit einem kantigen Gesicht, und Drähten in den Ohren. Lewis Varley ging um Sharp herum und musterte ihn von allen Seiten. „Nicht schlecht“, sagte er anerkennend. „Meinen Sie?“ brummte Sharp. „Ich sehe das nicht als eine Verbesserung meines Aussehens an.“ Varley schnalzte mit den Fingern. „Das ist es!“ rief er aus und schlug sich an die Stirn. „Ihre Stimme wird Sie verraten; sie ist zu warm, zu menschlich. Mods reden im mer klar und nüchtern. Gefühlsregungen kennen sie nicht.“ Sharp war enttäuscht. „War jetzt alles vergeblich?“ frag te er betrübt. Varley schüttelte den Kopf „Bestimmt nicht. Was sich nicht durch Operationen erreichen läßt, schaffen wir durch Hypnose.“ „Kommt nicht in Frage!“ begehrte Sharp auf. „Ich lasse mir nichts aufzwingen. Eine Gehirnwäsche ist nichts für mich.“ „Davon ist keine Rede. Sie sollen nur wie ein Mod spre chen“, sagte Varley beschwörend. „Läßt sich das später wieder aufheben?“ wollte Sharp wissen. „Natürlich! Es kann so eingerichtet werden, daß Sie von 92
einem bestimmten Zeitpunkt an wieder völlig normal spre chen.“ „Na schön“, knurrte Sharp. „Wenn es unbedingt sein muß.“ „Es muß sein, Sharp“, entgegnete Varley unerbittlich. „Ihr könnt jetzt nicht mehr zurück.“ Longman wandte sich Starbuck zu, der nun ebenfalls ohne Bandagen auf seinem Stuhl hockte. John war nicht mehr der attraktive junge Mann mit den schwarzen Loc ken, sondern ein kantiges Wesen mit einem dünnen Mund und Drähten in den Ohren. „Wir werden beide zum Teufel gehen“, sagte er mit sei ner normalen Stimme, die unter diesen Umständen fast ge spenstisch wirkte. Beide Männer sahen sich kritisch an. „Schönheiten sind wir nicht“, murmelte Starbuck. Er woll te grinsen, doch seine Gesichtsmuskeln funktionierten nicht mehr richtig, so daß seine Züge maskenhaft starr blieben. Danach wurden die beiden Agenten zwölf Stunden lang unter Hypnose gehalten. Die Wirkung war verblüffend. Sie sprachen nicht mehr wie Menschen, sondern wie kalte und gefühllose Roboter. „Du gefällst mir gar nicht mehr, Longman“, sagte Star buck beklommen. „Du mir auch nicht, John.“ Longman war überrascht. Er hatte eigentlich einen Witz machen wollen. Statt dessen brachte er aber nur eine kurze Bemerkung zustande. Er war immer noch er selber, aber seine Stimme gab nicht mehr seine Gedanken wieder. Aus irgendeinem Grund sprach er anders als er dachte. Jedenfalls konnte er das alles erken 93
nen und darüber nachdenken. Es beruhigte ihn, daß er es für Angela und Jenny tat. Jetzt wollte er die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen und sich bald wieder in einen richtigen Menschen verwandeln. Nach der Behandlung wurden die beiden zu Varley ge bracht, der wie üblich hinter den starken Lampen saß. „Sie sind fast fertig, Gentlemen“, sagte Varley nach ei ner kurzen Prüfung. „Wieso fast? Was fehlt denn noch?“ fragte Sharp. „Eure Identität!“ Es ärgerte Starbuck, daß er so gefühllos dastehen mußte, obwohl er am liebsten durch die Zähne gepfiffen hätte. „Sie wollen zwei echte Mods ins Loch stecken und uns ihre Namen geben, Sir?“ „Genau!“ Varley ahmte unbewußt die kalte Ausdrucks weise der Pseudo-Mods nach. „Ich nehme an, unsere Plätze für das nächste Schiff zur Venus sind schon reserviert“, sagte Longman lakonisch. .Erraten, mein Freund. Die ,Sympathetique’ wird in ge nau sechs Stunden mit euch an Bord starten. Zwei der für diesen Flug gemeldeten Mods werden kurz vor dem Start von anderen Agenten festgenommen werden. Sie heißen Fergus und Gluk. Wir werden sie festnehmen und anschei nend wieder laufen lassen. Auf diese Weise läßt sich der Austausch am besten bewerkstelligen. Die Reise zum Flughafen wird leider etwas unbequem werden“, fügte er grinsend hinzu. „Wir werden euch in große Kisten stecken und erst auf dem Flugplatz auspacken. Dort werdet ihr euch in Fergus und Gluk verwandeln.“
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*
Starbuck und Sharp wurden in Plastikkisten gesteckt und als Fracht zum Flugplatz gefahren. Es war keine angeneh me Fahrt, aber sie überstanden sie mit heiler Haut. Sie befanden sich noch in den Kisten, als sie die laut protestierenden Mods hörten. „Wir haben nichts verbrochen!“ rief einer. „Was soll das? Es muß sich um einen Irrtum handeln.“ „Den Irrtum habt ihr begangen!“ knurrte eine tiefe Stimme. Gleich darauf hörten die beiden Männer in den Kisten mehrere Schläge. Sie wurden aus ihren Kisten be freit und reckten sich stöhnend. Zwei Agenten schleppten die niedergeschlagenen Mods an die Kisten heran und zo gen sie schnell aus. „Ihr müßte die Kleidung tauschen!“ rief einer der Agen ten. Starbuck und Sharp zogen sich die Kleidung der Mods an, studierten die Ausweise und die in den Taschen befind lichen Habseligkeiten. Sharp war nun Fergus, während Starbuck von nun an Gluk hieß. „Wir müssen uns an diese verdammten Namen gewöh nen“, flüsterte Longman. Beide strengten sich gewaltig an, um die Namen fest im Gedächtnis zu verankern. Sie wuß ten beide, daß ein Versehen den Tod bedeuten konnte. Beide wurden wenige Minuten später zum Schiff ge führt. Die anderen Mods sowie die Passagiere waren schon an Bord gegangen. „Viel Glück!“ flüsterte der Kontrollbeamte an der Rampe. Er war ebenfalls ein Agent der Abteilung fünf. Und dann 95
sagte er laut: „Es war nur ein Irrtum. Die Papiere sind in Ordnung. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise!“ Starbuck und Sharp stiegen durch das Schott, nickten der Stewardeß zu und gingen in die für die Mods bestimmte Kabine. Longman war noch nie in einer Mod-Kabine gewesen und wunderte sich über die Einfachheit der Einrichtung. Die Sitze waren kaum gepolstert, und es gab nur ein einzi ges winziges Fenster. Er begriff plötzlich, warum die Mods die Normen haßten. Er wunderte sich, daß sich der Haß nicht schon früher Luft gemacht hatte. Die Mods, den Normen in mancher Beziehung überlegen, wurden von den Normen als Wesen zweiter Klasse behandelt. Die beiden Agenten betraten die Kabine und betrachte ten die Mods. Sie sahen alle gleich aus und waren nicht voneinander zu unterscheiden. „Was wollten sie, Fergus?“ fragte ein Mod plötzlich. Longman Sharp wäre beinahe zusammengezuckt. Er be herrschte sich aber und sagte gleichgültig: „Es war nur ei ner ihrer vielen Fehler. Sie wollten die Reisepapiere noch einmal überprüfen.“ Insgeheim war Longman Sharp aber entsetzt. Varley hat te doch einen Fehler gemacht. Weder er noch Starbuck wußte, welcher der anwesenden Mods welchen Namen trug. Beide sprachen nicht und verhielten sich abwartend. Zum Glück mußten sie sich auf den Start vorbereiten und die Sitze einstellen. Die nur schwach gepolsterten Sitze boten nur wenig Schutz, so daß den beiden gewiß nicht furchtlosen Männern vor dem Start grauste. Es waren auch 96
keine Klemmen vorhanden, um die Passagiere zu schützen. Den echten Mods schien das nichts auszumachen, denn ihre Körper konnten die starke Belastung ertragen. Die beiden Agenten starrten auf die Uhr und hörten die Anweisungen des Captains. Sie wußten, was ihnen bevor stand. Sie mußten nicht nur die Strapazen der Beschleuni gung ertragen, sondern durften sich nichts anmerken las sen. Jetzt begriff Sharp, warum Varley die zähesten Män ner gewählt hatte. Longman konzentrierte seine Gedanken auf Angela und Jenny, denn nur so konnte er die Qualen ertragen. Die Beschleunigung preßte ihn in den harten Sitz. Er konnte kaum noch atmen, das Blut floß nicht mehr durch die Adern. Er glaubte, das Schlimmste überstanden zu haben, doch die Belastung wurde immer stärker. Nur nicht die Besinnung verlieren! dachte er. Wenn das ge schieht, ist es aus mit uns. Er konnte kein Glied rühren, sein Körper schien an den Sitz geschweißt zu sein. John Starbuck erging es nicht anders. Die Anstrengun gen waren fast zuviel für ihn. Zum erstenmal in seinem Leben wünschte er sich den Tod. Endlich ließ der Druck nach. Beide Männer atmeten tief durch. Aber auch dabei mußten sie vorsichtig sein, um sich nicht zu verraten. Longman Sharp stand auf und blickte durch die Sichtscheibe auf die zurückfallende Erde. „Wir werden sie lange Zeit nicht wiedersehen“, sagte ei ner der Mods. Longman Sharp antwortete nicht. Er durfte keine Emo tionen verraten. Die Zeit verging schnell. Starbuck und Sharp hielten sich zurück und belauschten die Gespräche der Mods. Bald 97
kannten sie die Namen und vor allem die kleinen Unter scheidungsmerkmale der Mods. Die Mods hießen Harak, Igor und Jork. Die Unterschiede waren nur geringfügig: Haraks Jacke hatte einen kleinen Fleck, Igor hatte eine kleine Narbe im Gesicht, und einer der aus Jorks rechtem Ohr kommenden Drähte hatte eine andere Farbe. „Es wird bald soweit sein“, sagte. Harak endlich. „Alles klar?“ Er sah Starbuck an. „Alles klar“, erwiderte Starbuck. „Dann los, Fergus!“ Harak linkte Sharp zu sich heran und zog ein kleines Schneidegerät unter seiner Jacke her vor. „Wir werden denen da drüben zeigen, was wir von der Trennung durch verschlossene Stahltüren halten“ sagte Ha rak kalt. Diesmal verriet seine Stimme eine starke Erre gung. Er setzte das Schneidegerät an und schaltete den starken Motor ein. Das Sägeblatt fraß sich in das harte Me tall. * Die Passagiere wurden auf die ungewöhnlichen Vorgänge aufmerksam und redeten aufgeregt durcheinander. Der Captain schaltete die Gegensprechanlage ein und wandte sich mit strenger Stimme an die Mods. „Was soll das?“ fragte er. „Laßt das sofort sein!“ Die Gesichter der Mods blieben unbewegt. Das Schnei degerät drang plötzlich durch das Metall. „Wir sind durch!“ rief Harak. „Wir sind durch!“ Seine Erregung war ungewöhnlich, denn die Mods pflegten ihre Worte nie zu wiederholen. Haraks ungewöhn 98
liches Verhalten ließ etwas von seiner starken Erregung deutlich werden. „In fünf Minuten wird alles vorbei sein“, sagte Igor. „Hoffentlich haben sie keine Waffen!“ Haraks Gesicht blieb auch bei diesen Worten kalt und unbewegt. „Wenn schon!“ ließ sich Igor vernehmen. „Sie sind nicht kaltblütig genug, uns einfach niederzuschießen.“ Das Schneidegerät vollendete den Kreis und wurde zu rückgezogen. Igor und Harak drückten das Schloß heraus und das Schott auf. Die Mods kletterten nacheinander in die den Normen vorbehaltene luxuriöse Kabine. Sharp und Starbuck blieben hinten. Die Passagiere waren entsetzt und wehrten sich nicht. Der Captain wollte Harak zurückschieben, wurde aber mit einem Ruck gegen die Wand geschleudert und sank zu sammen. Der Stewardeß erging es nicht besser. Die Passa giere blieben starr vor Angst auf ihren Sitzen. Keiner schien eine Waffe bei sich zu tragen. Nur ein Mann mit einem hochgezwirbelten Schnurrbart faßte sich bald und begann zu schimpfen. „Das ist unerhört!“ rief er. „Was hat das zu bedeuten?“ „Halten Sie den Mund!“ herrschte Harak den Mann an. Seine Stimme war so kalt und drohend, daß der Mann sich ängstlich zurücklehnte. „Wir übernehmen das Schiff“, erklärte Harak. „Warum? Wir haben euch doch nichts getan!“ rief der Captain. „Eine Diskussion erübrigt sich“, antwortete Harak. „Ihr könnt das Schiff nicht fliegen!“ wandte der Captain ein. „Wollt ihr uns umbringen?“ 99
„Wir können das Raumschiff fliegen“, entgegnete Harak. „Wir können es sogar durch den Hyperraum manövrieren.“ „Unmöglich!“ rief der Captain „Das kann keiner!“ „Wir können es. Wir haben bereits zwei Schiffe ent führt.“ Jork kam nach vorn und musterte die Passagiere. „Wir sind lange genug als Menschen zweiter Klasse angesehen worden“, sagte er. „Seht euch den Luxus eurer Kabine an und vergleicht ihn mit der Einrichtung der unseren. Dabei sind wir intelligenter als ihr. Wir machen die gefährliche und schwierige Arbeit, die ihr nicht schaffen könnt. Das soll anders werden. Wir haben ein Arbeitslager für Normen eingerichtet. Wir werden eine neue Welt aufbauen und euch als Sklaven schuften lassen. Ihr seid gerade gut ge nug, um für uns zu arbeiten.“ Der Mann mit dem Schnurrbart begehrte auf. „Einige von uns sind zu alt“, murmelte er. „Wer nicht arbeiten kann, muß sterben“, antwortete Jork. „Das ist die beste Lösung“, schaltete sich Harak ein. „Wir werden euch untersuchen. Wer zu alt oder zu schwach ist, muß sterben.“ Eine Frau schrie hysterisch auf. Der Mann mit dem Schnurrbart wurde bleich. Er schluckte schwer und mur melte: „Ich werde arbeiten, schwer arbeiten. Aber laßt mich leben!“ „Es ist doch merkwürdig, wie arbeitsam Normen werden können, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sehen“, sagte Igor verächtlich. Jork wandte sich an Sharp „Du fängst sofort an!“ Star buck bekam die gleiche Aufgabe zugewiesen. 100
Sharp fühlte ein starkes Unbehagen, als die Passagiere ängstlich vor ihm zurückwichen. Ihre entsetzten Gesichter sagten ihm deutlich, wie er auf sie wirkte. Die Untersuchung dauerte nicht lange. Harak deutete auf den alten Mann mit dem Schnurrbart und entschied; „Der da ist nicht zu gebrauchen.“ Starbuck und Sharp standen vor einer schwierigen Ent scheidung. Sollten sie tatenlos zusehen oder sogar helfen, den Mann umzubringen? Wenn sie sich jetzt zu erkennen gaben, bestand aber keine Möglichkeit mehr, das Geheim nis zu lüften. Sharp dachte wieder an Angela. Er stellte sich vor, wie es ihr erging. Welche Arbeit war ihr zugewiesen worden? Sie war unschuldig. War es ihre Schuld, daß Wissen schaftler modifizierte Menschen entwickelt hatten? Sharp dachte an das Für und Wider. Die Körper der Mods waren in vieler Hinsicht besser als die der Normen. Trotzdem war die Veränderung des Körpers ein Eingriff in die Natur und mußte schreckliche Folgen haben. Starbuck war nicht mit dem geplanten Mord einverstan den und entschloß sich zu einem gewagten Vorgehen. „Der Mann ist noch brauchbar“, sagte er entschieden. „Wir kön nen uns keine Verschwendung von Arbeitskraft leisten.“ Er blickte Harak in die Augen, der sich schon nach kurzer Zeit abwandte. „Ich werde die Sache regeln“, erklärte Sharp. „Ich bin besonders gut darauf vorbereitet.“ Er untersuchte den zit ternden alten Mann sehr gründlich und nickte. „Er ist nicht stark, aber er wird eine Weile arbeiten können. Wir sind auf jeden Mann angewiesen.“ 101
Harak wandte sich an Igor. „Vielleicht hat er recht“, sag te er. Nach einem nochmaligen prüfenden Blick auf den alten Mann entschied er: „Na gut! Wir werden ihn vorläu fig behalten.“ Jork war anscheinend mißtrauisch geworden. Auch Igor spürte wohl, daß etwas nicht in Ordnung war. Die Span nung legte sich aber schnell, denn Jork mußte sich wieder um seine Aufgabe kümmern. „Wir werden euch Disziplin beibringen!“ sagte er kalt. „Ihr werdet arbeiten und eines Tages umfallen. Von jetzt an befehlen wir. Ihr bleibt in eu rer Kabine und rührt euch nicht. Wer sich nicht fügt, wird sterben!“ Harak führte die Mods in die Steuerzentrale. Igor und Jork beschäftigten sich mit dem Computer. Harak wartete eine Weile und wandte sich dann an die beiden Agenten. „Worauf wartet ihr denn noch?“ fragte er. Starbuck entschloß sich zu einem Bluff. „Das könnt ihr doch allein erledigen. Wir sollten uns um die Bewachung der Passagiere kümmern.“ „Ihr wollt meine Maßnahmen kritisieren?“ Haraks Stimme klang überrascht. „Ich halte es für klüger, die Normen zu bewachen“, ent gegnete Starbuck. „Das ist nicht notwendig. Wir brauchen diese dekaden ten und unfähigen Kerle nicht extra zu bewachen. Sie sind eingeschüchtert, das genügt.“ Longman Sharp schüttelte den Kopf. „Ich kenne die Psyche dieser Normen“, sagte er selbstbewußt. „Sie fühlen sich in die Enge getrieben und werden bestimmt einen Akt der Verzweiflung begehen.“ 102
Harak überlegte eine Weile. „Vielleicht habt ihr recht“, sagte er dann. Starbuck und Sharp waren gerettet. Die Mods beschäftig ten sich mit den Maschinen und Steuergeräten, während die beiden Agenten in die Kabine der Normen gehen konnten. Sharp sah die Angst in den Gesichtern der Passagiere. Er hätte sich gern offenbart, aber damit hätte er seine Mission gefährdet. Starbuck stellte sich neben Sharp. „Was wird wohl ge schehen, wenn wir in den Hyperraum eintauchen?“ fragte er besorgt. „Keine Ahnung.“ Sharp wunderte sich immer wieder über die unpersönliche Kälte seiner Stimme. „Ob wir es aushalten?“ „Wir müssen“, entgegnete Sharp flüsternd. Gleich darauf ging ein Zittern durch das Schiff. Die Pas sagiere lehnten sich zurück. Der Pilot und die Stewardeß legten sich vorsichtshalber auf den Boden. Die Umrisse verschwanden in einem grauen Nebel, der rasch undurch dringlich wurde und alles aufzusaugen schien. * Das Eintauchen in den Hyperraum war eine unangenehme Erfahrung. Ewigkeiten wurden auf Bruchteile von Sekun den zusammengedrängt Die menschlichen Sinne konnten die Vorgänge nicht mehr erfassen und verwirrten sich. Aber dann schien die Riesensonne durch die Fenster, und die Passagiere drängten sich, um einen Blick auf den fremden Planeten zu werfen, der ihr Ziel sein sollte. 103
Harak kam in die Kabine und winkte die beiden Agenten zu sich. „Kommt!“ rief er. „Wir brauchen euch für die Landung.“ Starbuck und Sharp folgten Harak in den Kon trollraum. „Wie reagieren die Normen?“ fragte Harak. „Sie fürchten sich“, entgegnete Starbuck. „Werden sie Schwierigkeiten machen?“ „Jetzt wohl nicht mehr.“ „Sie sind völlig deprimiert“, erklärte Sharp. „Sie haben keinen Mut mehr und werden treffliche Sklaven sein.“ Sharp fühlte eine furchtbare Wut in sich aufsteigen. Die Mods hatten offensichtlich keine menschlichen Gefühle mehr und betrachteten ihre Gefangenen als Arbeitstiere. Die Folgen der Veränderungen waren furchtbar. Waren die Mods überhaupt noch als Menschen zu bezeichnen? Waren sie nicht gefühllose, eiskalte Roboter geworden? Die beiden Agenten paßten sich an. Es fiel ihnen nicht schwer, die richtigen Handgriffe zu machen. Die Mods schienen nichts zu bemerken. Die „Sympathetique“ landete sanft, ganz so, wie Sharp es erwartet hatte Harak und Igor leisteten dabei die Hauptarbeit. Sharp und Starbuck machten sich Gedanken über ihre Zukunft. Wie würden sie die völlig neuen Umweltbedin gungen ertragen? Da die Mods Sklaven brauchten, war an zunehmen, daß die Atmosphäre atembar war. Jetzt mußte es sich zeigen, ob simple Operationen genügten. Wenn die Umweltbedingungen auf dem Planeten Xarax so lebens feindlich waren, daß hier nur Mods existieren konnten, war das Unternehmen gescheitert. „Holt die Gefangenen!“ befahl Harak gleich nach der Landung. Sharp und Starbuck gingen in die Kabine, wo die 104
Passagiere lethargisch auf ihr Schicksal warteten. Durch die Fenster konnten sie die beiden wie riesige Türme aus sehenden Raumschiffe sehen. Alle hatten vom Verschwin den der zwei anderen Raumschiffe gehört. Jetzt war ihnen klar, daß die anderen Passagiere das gleiche Schicksal erlit ten hatten. Angesichts der kalt und grausam aussehenden Mods war das jedoch nur ein schwacher Trost. Wenig später traten Harak, Jork und Starbuck auf die Rampe. Gleich darauf kamen die Gefangenen. Die beiden Agenten sahen sich von kantigen Mods umringt und hatten Mühe, die Beherrschung zu bewahren. Sie konnten atmen; das war erst einmal die Hauptsache. Die Landschaft wirkte niederdrückend und bedrohlich. Sharp und Starbuck wußten nicht, wie lange sie unter diesen Umständen durchhalten konnten. Sie mußten sich zurückhalten und ihr Spiel weiter spielen. Das fiel besonders Longman Sharp schwer. Er wäre am liebsten losgestürmt, um seine Tochter zu suchen. „Bringt die Gefangenen ins Lager!“ befahl Azak. Sharp und Starbuck wurden der Bewachungsmannschaft zugeteilt und schlossen sich der merkwürdigen Prozession an. Sie hatten aber auf diese Chance gewartet, denn nun hatten sie die Möglichkeit, das Lager zu inspizieren und die Zahl der Gefangenen festzustellen. Das Lager machte einen niederschmetternden Eindruck. Es war groß, viel zu groß für die wenigen Gefangenen. Die Mods schienen schon für die Zukunft zu planen. Mehrere Stacheldrahtzäune mit elektrisch geladenen Drähten mach ten ein Entkommen unmöglich. Es waren erst dreißig Ge fangene vorhanden; das Lager war jedoch für mindestens dreitausend Sklaven gebaut. 105
Sharp hielt nach seiner Tochter Ausschau. Er hatte ein Bild von ihr gesehen und suchte ein lebensfrohes junges Mädchen mit schwarzen Haaren und glänzenden Augen. Angela war aber nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie war müde, schlaff und unterernährt. Sharp kochte vor Wut. Fast hätte er sich vergessen und den vor ihm gehenden Mod erschlagen. Er riß sich aber im letzten Augenblick zusammen. Er war kein Narr und dachte nicht daran, die Rettung der Gefangenen durch eine unüberlegte Aktion zu gefährden. Starbuck ließ sich ebenfalls nichts anmerken. Er betrach tete die Gefangenen, besonders Angela. Das Mädchen war schwach und elend, doch in seinen Augen glomm noch ei ne schwache Hoffnung. Es war noch nicht völlig abge stumpft und würde sicher alles tun, was die Rettung be schleunigen konnte.
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5. Kapitel Die grausame Tagesarbeit war beendet. Simon Chase, er schreckend abgemagert und erschöpft, taumelte wie eine Puppe zu seinem primitiven Lager und ließ sich einfach fallen. Chaytor Hudson hatte ebenfalls abgenommen, doch seine Muskeln waren noch härter, sein Blick noch ent schlossener geworden. Dover Cross, dem durchtrainierten Agenten der Abteilung fünf, schien das harte Leben über haupt nichts auszumachen. Er gehörte zu den zähen Men schen, die viel hinnehmen und dann doch noch zurück schlagen können. Janet Russel wartete sehnsüchtig auf den erlösenden Tod. Nur noch die Spitzen ihrer Haare waren blau, was ihr ein noch merkwürdigeres Aussehen gab. Da sie sich nicht mehr schminken konnte, wirkte das Gesicht schlaff und alt. Sabine Church, Marion Ginsberg und An gela Munro hielten sich weitaus besser. Sie waren natürlich auch erschöpft, aber sie ließen sich nicht gehen. Chaytor Hudson ging zu der kleinen Hütte, an die sich Dover Cross lehnte. „Wie wäre es mit einem Spielchen?“ fragte er. Seine Stimme klang noch immer tief und männ lich, obwohl sich die Qualen der Arbeit bemerkbar mach ten. Die Mods rächten sich für die langen Jahre der Unter drückung und Demütigung und zahlten jetzt mit noch här terer Münze zurück. Dover Cross war zu einem Spiel bereit und blickte zum Himmel empor. Ein grünlich leuchtender Mond war über dem Horizont aufgestiegen. Beim schwachen Licht des Mondes konnten die beiden Männer die in die Hüttenwand 107
geritzten Felder gerade noch erkennen. Es kam nicht oft vor, daß sie spielten, denn nach der Arbeit sanken sie ge wöhnlich sofort auf ihre Matten. Cross starrte zu dem kalt und unfreundlich leuchtenden Mond hinauf. „Der kann uns nicht leiden“, knurrte er müde. Der Himmel schien seine Beschwerde gehört zu haben, denn einen Augenblick später kam ein zweiter Mond über den Horizont. Dieser Mond war größer als der erste und leuchtete rötlich. Sein Licht gab der Landschaft eine ange nehmere, weichere Färbung. „Ich möchte wissen, warum die beiden Monde verschie denfarbig sind“, sagte Chaytor nachdenklich. „Sie haben wahrscheinlich jeder eine andere Atmosphäre und reflek tieren verschiedene Lichtfrequenzen.“ Simon Chase konnte nicht schlafen. Die rauhe, harte Un terlage kratzte und drückte seine Haut. Er fand es un gerecht, daß ein kultivierter Mann wie er wie ein Tier leben mußte. Cross und Hudson machte es nichts aus, jeden Tag einen schweren Hammer zu schwingen und Steine zu zer klopfen. Chase mußte Gräben ausheben und einen Pflug führen, der von den Mädchen über einen steinigen Acker gezogen wurde. Es war ungerecht, daß er und Janet Russel körperlich arbeiten mußten. Chase taumelte hoch und fluchte leise über die Mods. Seine Hände waren mit großen Blasen bedeckt und schmerzten bei jeder Bewegung. Er sehnte sich nach dem Ende, das nicht kommen wollte. Mü de taumelte er zum Eingang der Hütte und bemerkte Cross und Hudson, die ein Spielfeld in den Sand zeichneten. Er torkelte weiter und trampelte auf den Linien herum. Dann fiel er wimmernd zu Boden und blieb liegen. 108
„Ihr spielt hier, während wir alle zu Tode gequält wer den“, jammerte er. „Warum tut ihr denn nichts dagegen?“ „Reißen Sie sich zusammen, Chase!“ herrschte Dover Cross ihn an „Wir können nicht fliehen. Können Sie eins dieser Raumschiffe da durch die vierte Dimension nach Hause fliegen?“ „Aber einer muß doch kommen und uns retten!“ rief Chase verzweifelt. „Sie können uns doch nicht verkommen lassen. Ich habe einflußreiche Freunde, die sich bestimmt für mich einsetzen.“ „Sie sind ein Idiot, Chase!“ sagte Hudson barsch. „Wir können nichts unternehmen.“ Chase richtete sich auf. Der Haß verlieh ihm neue Kraft. „Ihr seid Feiglinge!“ fauchte er. „Ihr werdet schuften und eines Tages tot umfallen.“ „Sie sollten nicht von Feigheit reden, Simon“, sagte Cross beherrscht. „Denken Sie an Ihr Verhalten im Schiff. Es hilft keinem, wenn wir uns gegen den elektrisch gelade nen Zaun werfen.“ „Ich werde den Zaun mit bloßen Händen niederreißen!“ brüllte Chase. Dover Cross zuckte die Achseln. „Er ist verrückt“, sagte er lakonisch. Simon Chase sprang plötzlich auf. Seine Verzweiflung trieb ihn vorwärts. Er rannte auf den Zaun zu und riß an einem Draht. Zum Glück hatte der Draht nicht die volle Spannung, so daß sich Chase nur die Hände verbrannte und laut schreiend zu Boden sank. Ein Mod kam an den Zaun und blickte auf Chase. „Das soll euch eine Warnung sein!“ rief er. 109
Chase taumelte wieder hoch. Er war tatsächlich wahnsinnig geworden und stieg trotz der furchtbaren Schmerzen über den Zaun. Es war Selbstmord, denn der zweite Zaun hatte volle Spannung. Ergat kam näher, um das Schauspiel besser beobachten zu können. Der Gefangene warf sich gegen den Zaun und blieb zap pelnd hängen. Die anderen Gefangenen starrten fassungslos auf seinen Todeskampf. Ergat trat noch näher. Chase streckte eine Hand durch den Zaun, packte den Posten und zog ihn heran. Ergat war stark, doch die Knochenhände des wahnsin nig gewordenen Gefangenen rissen ihn an den Draht. Ergats Gesicht verriet plötzlich große Furcht. Er riß sich mit einem Ruck los, verbrannte sich aber noch die Schulter. Ein Funkenhagel prasselte in alle Richtungen. Ergat riß seine Waffe heraus und schoß auf das noch immer im Zaun hän gende Opfer. Simon Chase löste sich plötzlich in nichts auf. „Merkt euch das!“ rief Ergat wütend und steckte die Waffe in die Halfter zurück. Nach einem prüfenden Blick auf die wie erstarrt dastehenden Gefangenen drehte er sich um und ging zu der für die Mods bestimmten Hütte, an der noch gearbeitet wurde. Azak, Bezog und Cuclos drehten sich überrascht um. Dyxi kam hinzu und ging Ergat entge gen. „Was ist los?“ fragte er gespannt. „Chase wollte ausrücken“, berichtete Ergat. „Er wurde wild und ließ sich selbst durch den elektrisch geladenen Zaun nicht aufhalten. Er griff durch den Zaun und wollte mich mit ins Verderben reißen.“ „Ein Norm hat das getan? Und ausgerechnet der dürre, schwache?“ Azak schüttelte verwundert den Kopf. Cuclos nickte ernst. „Möglich ist alles. Im Zustand der 110
Hysterie bringen die Normen erstaunliche Kraftleistungen zustande.“ Azak kümmerte sich um Ergats kleine Wunden und schüttelte immer wieder den Kopf. „Was hast du mit dem Burschen gemacht?“ wollte Berog wissen. „Er ist tot. Ich habe ihn mit dem Strahler aufgelöst“, antwortete Ergat. „Das wird den anderen eine Lehre sein“, kommentierte Dyxi kalt. „Nur gut, daß wir die Waffe haben.“ Jork wandte sich an Longman Sharp. „Warum sagst du nichts?“ fragte er mißtrauisch. „Und du bist auch sehr ru hig, Gluk“, sagte er zu Starbuck. „Ich denke nach“, entgegnete John. Es war eine der für die Mods typischen Redewendungen. Starbuck wollte Zeit gewinnen und sich vorerst nicht zu den Vorgängen äußern. „Jetzt werden sie hoffentlich ruhig sein“, murmelte Cu clos hoffnungsvoll. Ergat nickte. „Ich habe sie gewarnt. Die Demonstration unserer Stärke wird eine Weile nachwirken. Heute nacht werden wir jedenfalls Ruhe haben.“ * Die Gefangenen hockten traurig beisammen Das Ende ih res Mitgefangenen Chase war für alle ein Schock gewesen. Tiefe Hoffnungslosigkeit befiel sie. An Schlaf war unter diesen Umständen nicht zu denken. Dover Cross und Chaytor Hudson hatten einige ent schlossene Männer um sich versammelt. „Simon sprach 111
von Flucht“, sagte Dover grimmig „Wir nahmen ihn nicht ernst, weil eine Flucht sinnlos scheint. Wohin sollten wir uns wenden? Aber sein Tod hat allen gezeigt, was uns er wartet. Wir sind alle noch nicht lange hier und kennen nur die nähere Umgebung des Lagers. Die Frage ist, ob wir nicht doch eine Flucht wagen sollten. Der Planet ist groß und bietet gewiß günstige Lebensmöglichkeiten. Die schwere Arbeit für die Mods macht uns alle fertig. Simon hat uns gezeigt, daß Entschlossenheit zum Erfolg führen kann. Fragen wir Hudson, was er von diesem Planeten hält. Er ist schließlich Fachmann.“ Hudson ergriff das Wort. „Der Planet ist wahrscheinlich größer als die Erde“, erklärte er. „Es gibt hier viele unbe kannte Dinge und ernste Gefahren. Trotzdem möchte ich lieber gegen die Wildnis ankämpfen, als hier auf das uns bestimmte Ende warten.“ Einige Männer pflichteten ihm sofort bei. „Simon hat einen entscheidenden Fehler begangen“, fuhr Hudson fort. „Wir müssen die Mods ablenken, sie irgendwie beschäf tigen und ihre Verwirrung ausnutzen.“ „Wie denn?“ fragte Dover zweifelnd. „Darüber müssen wir nachdenken“, antwortete der Cap tain. „Vielleicht können wir die natürlichen Gegebenheiten dieses Planeten ausnutzen.“ Fast wie zur Antwort auf diesen Gedanken erklang am Rande eines mühevoll kultivierten Feldes ein heiserer Schrei. „Was, zum Teufel, war das?“ fragte Hudson erstaunt. Die anderen Männer gingen dicht an den Zaun heran und spähten durch das Dämmerlicht zum Feld hinüber. Ein 112
großer schwarzer Schatten bewegte sich durch das dichte Unterholz. Es war, als bewege sich eine wildgewordene Scheibe von etwa drei Meter Durchmesser über das Feld auf den Zaun zu. „Ob das etwas mit den Mods zu tun hat?“ fragte Cross besorgt. Chaytor Hudson schüttelte den Kopf. „Es sieht wie ein Lebewesen aus“, murmelte er betroffen. Angela strengte sich an, um das Dämmerlicht zu durch dringen. „Es scheint sich rollend zu bewegen!“ rief sie er-’ regt. „Aber ein rollender Gegenstand kann doch nicht be lebt sein.“ „Warum denn nicht?“ Chaytor starrte gebannt auf den sich nähernden Körper. „Ich habe noch nie von einem rollenden Tier gehört“, ließ sich Sabine Church vernehmen. „Das spielt keine Rolle. Wir befinden uns auf einem fremden Planeten und haben keine Ahnung, welche Wesen hier existieren“, antwortete Hudson. „Das Ding sieht jeden falls lebendig und verdammt gefährlich aus.“ Dover Cross fühlte sich ohne seine Waffe nicht wohl. Er starrte gebannt auf das sich heranwälzende Gebilde. „Wenn das Ding gefährlich ist, müssen wir um Hilfe ru fen“, schlug Marion Ginsberg vor. Angela war dagegen. Sie wollte nicht wie ein Schaf nach dem Schäfer rufen. Dieser Gedanke kam ihr so demütigend vor, daß sie lieber sterben wollte. Sabine Church dachte praktischer. Ihr gefiel es auch nicht, die Mods um Hilfe zu rufen, aber sie sah das als das kleinere Übel an. 113
Das merkwürdige Wesen rollte dichter an den Zaun her an. Es schien neugierig zu sein und den Zaun beäugen zu wollen. Die Gefangenen wichen einige Meter zurück. Sie hatten keine allzu große Angst; denn das kugelige Wesen verhielt sich wie ein neugierig schnüffelnder Hund und nicht wie ein blutgieriges Monster. Der Körper berührte den Zaun und zuckte zurück. „Das Biest kann allerhand vertragen“, murmelte Dover Cross. „Die Spannung ist hoch genug, um einen Menschen zu töten.“ Das eigenartige Lebewesen rollte ein paar Meter vom Zaun fort und stieß wieder einen hellen Schrei aus. Sabine Church rannte zurück. „Es will den Zaun angrei fen!“ rief sie warnend. „Bringt euch in Sicherheit!“ Die Warnung war nicht notwendig, denn die Gefangenen erkannten die Gefahr und liefen auseinander. Gleichzeitig brüllten sie laut um Hilfe und machten die Mods auf die Gefahr aufmerksam. Azak und Berog kamen herbeigeeilt. Azak hielt den Strahler in der Hand, während Berog einen Speer trug. Das unbekannte Lebewesen veränderte schnell seine Form. Aus der Kugelgestalt wurde schnell ein radähnliches Gebilde. An der Außenkante bildeten sich scharfe Zacken, so daß das Wesen wie ein gigantisches Sägeblatt aussah. Ein spitzer Schrei kündigte den Angriff an. Das Monster begann sich schnell zu drehen und raste auf den Zaun zu. Die Drähte wurden von den Zacken in Stücke gerissen, Funken sprühten, und das Ungeheuer brüllte laut. Es bahn te sich aber einen Weg durch alle Zäune. Azak schoß, traf aber nicht. Die anderen Mods kamen 114
aus dem Haus und starrten fassungslos auf die Szene. Sharp und Starbuck traten als letzte ins Freie. Noch einmal schoß Azak, und diesmal traf er. Das We sen schrie schrill auf und wurde noch wilder. Augen waren nicht zu erkennen, doch das Ungeheuer mußte sich ir gendwie orientieren können, denn es raste genau auf den Schützen zu. Berog hob seinen improvisierten Speer. Das Wesen schien die Intelligenz eines Tigers oder Löwen zu haben und die Gefahr zu erkennen. Berog konnte den Speer in den Körper des Angreifers stoßen und sich mit einem Satz in Sicherheit bringen. Azak war weniger glücklich. Er verließ sich auf seine Waffe und zielte noch einmal. Das wild schreiende Monster raste plötzlich auf ihn zu und be grub ihn unter sich. Die Waffe flog im hohen Bogen davon. Berog wollte sie aufheben, wurde nun aber angegriffen und mußte um sein Leben rennen. „Das ist unsere Chance!“ rief Dover Cross seinen Schicksalsgefährten zu. Einige zögerten, doch als Hudson und Dover durch die Zaunlücke ins Freie stürmten, folgten sie ihnen. Hudson bückte sich schnell nach der Waffe und stieß einen trium phierenden Schrei aus. „Jetzt können wir uns verteidigen!“ jubelte er und schwenkte die Waffe. Angela stand am weitesten entfernt und mußte erst zu dem Loch im Zaun rennen. Cuclos, Ergat und Dyxi wollten ihre Flucht verhindern und schnitten ihr den Weg ab. Sharp wandte sich unschlüssig an Starbuck. „Was ma chen wir jetzt?“ fragte er. „Die Gefangenen haben sich entschieden“, antwortete Starbuck. „Wir müssen ihnen helfen.“ 115
„Einverstanden!“ Ergat bekam Angela zu fassen und hielt sie mit eisenhar ten Händen fest. Sharp eilte auf die beiden zu und versetzte Ergat einen heftigen Schlag auf den rechten Unterarm. Er hatte das Überraschungsmoment auf seiner Seite, denn da mit hatte Ergat nicht gerechnet. Er stöhnte auf und fuhr herum. Im nächsten Augenblick traf Sharps Faust ihn am Kinn. Ergat sank zu Boden und gab Angela frei. „Keine Angst!“ flüsterte Sharp. Er ärgerte sich über den ungewollt harten Klang seiner Stimme. „Wir sehen wie Mods aus, sind aber eure Freunde. Sagen Sie den anderen Bescheid. Wir werden versuchen, zu euch zu stoßen.“ Angela hatte keine Zeit, sich über das merkwürdige Verhalte des Mod zu wundern. Sie stürmte augenblicklich durch das Loch im Zaun den anderen nach, die in wilder Flucht über das Feld hetzten. Harak hatte Sharps Angriff auf Ergat beobachtet. „Was soll der Unsinn, Fergus?“ brüllte er verständnislos. „Die Gefangenen rücken aus!“ Igor wandte sich an Gluk. Er wußte ja nicht, daß der echte Gluk auf der Erde geblieben war. „Mit Fergus stimmt etwas nicht!“ rief er erregt. „Wir müssen ihn zurückhal ten.“ In diesem Augenblick schlug Starbuck zu. Eine Faust prallte wie ein Hammer gegen Igors Schläfe, die andere in die Magengrube. Starbuck war ein durchtrainierter Mann mit großen Erfahrungen. Seine Schläge machten Igor au genblicklich kampfunfähig. Jork und Harak stürmten gerade auf Sharp ein. Sharp riß das rechte Bein hoch und stieß es Harak in den Bauch. Jork 116
wollte Sharps Kehle zudrücken, wurde aber plötzlich von Starbuck zurückgerissen. Sharp hatte nun Gelegenheit, auch diesen Gegner unschädlich zu machen. „Glück gehabt!“ knurrte Starbuck. „Jetzt aber schnell weg!“ Die beiden Agenten sprangen ebenfalls durch die Bre sche und eilten den fliehenden Gefangenen nach. Das fremdartige Ungeheuer rührte sich nicht mehr, aber es stieß noch immer schrille Töne aus. Der letzte Schuß mußte es schwer verletzt haben. Die noch kampffähigen Mods waren aber so überrascht, daß sie nicht rechtzeitig eingriffen und den beiden Agenten einen Vorsprung ließen. Sharp und Starbuck waren noch im Vollbesitz ihrer Kräfte und konn ten die geschwächten Gefangenen schnell einholen. Chaytor Hudson bemerkte die Verfolger und blieb ste hen. Er hob die Waffe, um seine Schicksalsgefährten zu verteidigen. Er wollte schon schießen, als er von Angela aufgehalten wurde, die seine Hand nach unten drückte. „Nicht schießen, Chaytor!“ rief sie. „Die beiden haben mir geholfen.“ „Waren es wirklich diese beiden?“ „Ja. Ohne ihre Hilfe wäre ich verloren gewesen.“ Hudson ließ die vermeintlichen Mods etwas näher kommen, bedrohte sie aber weiterhin mit der gefährlichen Waffe. „Was habt ihr vor?“ fragte er unwillig. „Das ist doch sicher nur ein Trick.“ „Wir sind keine Mods!“ rief Starbuck. „Ach nein! Seid ihr vielleicht Mickymäuse?“ „Wir sind keine Mods“, sagte Sharp beharrlich.“ „Ihr seht aber so aus.“ 117
„Sie haben mir geholfen!“ rief Angela abermals. „Vielleicht wollten sie uns nur täuschen, Angela“, gab Hudson zu bedenken. „Diese Kerle sind verdammt raffi niert. Wir sollten sie einfach erschießen.“ „Sie müssen uns glauben!“ rief Starbuck beschwörend. „Warum denn?“ Hudson war nervös. Die Wut auf die Mods wallte in ihm auf. Er war im Lager nicht gut behan delt worden und wollte sich jetzt dafür rächen. „Was seid ihr denn, wenn nicht Mods?“ fragte Hudson beißend. „Ist Dover Cross noch am Leben?“ fragte Starbuck zu rück. Cross drängte sich nach vorn und betrachtete die kanti gen Gesichter der beiden vermeintlichen Mods. „Wir kennen uns sehr gut“, erklärte Starbuck. Dover Cross lachte verächtlich auf. „Ich habe nie einen Mod gekannt.“ „Ich bin kein Mod, sondern ein Agent der Abteilung fünf“, antwortete Starbuck. „Ich kenne den Chef der Abtei lung und alle sonstigen Einzelheiten. Sie und Varley sind Freunde. Sie haben zusammen mit Varley angefangen, nicht wahr?“ „Das beweist nichts“, knurrte Dover Cross. „Ich kann meine Identität beweisen“, fuhr Starbuck fort. „Ich kann Ihnen bestimmte Schlüsselworte sagen, die kein anderer kennt.“ Cross zögerte kurz, ehe er sich mit den Mods von der Gruppe entfernte. „Vorsicht!“ rief Hudson warnend. „Wenn die beiden ei nen Trick vorhaben, werde ich schießen!“ 118
Noch während Cross leise mit Starbuck sprach, änderte sich sein Gesichtsausdruck. Er kam strahlend zurück und erklärte begeistert: „Die beiden sind tatsächlich keine Mods. Sie haben sich operieren lassen. Ihre Sprechzentren sind durch Hypnose beeinflußt worden, so daß sie jetzt wie echte Mods reden können.“ Longman Sharp stellte sich neben seine Tochter. Er hätte sich ihr gern offenbart, aber er wollte ihr den Schock erspa ren. In seiner augenblicklichen Gestalt konnte er ihr un möglich sagen, daß er ihr Vater war. „Ich habe wichtige Nachrichten für Sie, Miß Munro“, sagte er so sanft wie möglich. „Und ich habe mich noch nicht einmal bei Ihnen be dankt“, antwortete Angela. „Sie haben mir die Flucht er möglicht. Aber welche Nachrichten bringen Sie mir?“ „Wissen Sie, daß Sie keine Waise sind?“ Angela errötete. „Die Schwestern haben es mir erzählt“, sagte sie leise. „Aber woher wissen Sie …?“ „Ein Sicherheitsagent muß alles wissen.“ Sharp wollte lächeln, doch seine Gesichtsmuskeln blieben starr. „Ihr Va ter sucht Sie, Angela. Wissen Sie, daß er im Gefängnis war?“ Angela nickte. „Was würden. Sie sagen, wenn er plötzlich auftauchen würde?“ „Ich würde mich sehr freuen.“ Longman Sharp fiel ein Stein vom Herzen. „Wissen Sie auch, daß Ihr Vater und Ihre Mutter niemals verheiratet wären?“ „Ja. Aber das ist nicht wichtig“ antwortete Angela. Sie 119
blickte forschend in die Augen des vor ihr stehenden Man nes. „Kennen Sie meinen Vater?“ fragte sie plötzlich. „Ja.“ „Wie sieht er aus?“ fragte sie erregt. „Er ist groß und schlank, nicht gerade schön, aber … Das Leben hat ihm manchmal übel mitgespielt.“ „Wenn schon!“ Angela war offensichtlich sehr glück lich. „Ich bin froh, daß alles so gekommen ist“, sagte sie zufrieden. „Vielleicht kann ich dadurch meine Eltern fin den. Aber warum haben Sie sich die Mühe gemacht, uns zu suchen?“ „Ich habe Gründe“, antwortete Sharp. „Welche Gründe? Es müssen sehr wichtige Gründe sein.“ „Sie werden bald alles erfahren, Angela“, sagte Sharp ausweichend. „Ich muß jetzt zu den anderen.“ Er wollte gehen, wollte dem forschenden Blick seiner Tochter aus weichen. Sie schien zu ahnen, daß seine Gründe sehr per sönlicher Natur waren. Hudson und Cross waren automatisch zu Führern der Flüchtlinge geworden. Als Sharp sich zu ihnen gesellte, sagte Hudson gerade: „Wir müssen vor allem irgendeinen Schutz finden. Die Nächte sind kalt, und einige von uns schon sehr geschwächt.“ Cross warf einen Seitenblick auf Janet Russel. „Wenn ihr nicht bald geholfen wird, sieht sie die Erde nicht wie der“, sagte er gedämpft. Chaytor Hudson nickte grimmig „Wir müssen jetzt sehr sorgfältig planen“, sagte er entschlossen und winkte alle seine Schicksalsgefährten zu sich heran. Das merkwürdige 120
farbige Mondlicht machte die Versammlung zu einem ge spenstischen Ereignis. Auf allen Gesichtern spiegelte sich aber die neugewonnene Hoffnung. „Wir sind kaum dreißig Personen“, begann Hudson seine Rede, „und haben es nur mit zwölf Mods zu tun. Aber wir wissen aus Erfahrung, wie unangenehm sie sein können. Sie sind aber nicht die schlimmste Gefahr.“ Er wühlte mit der Fußspitze den Boden auf und sagte ernst: „Dieser unerforsch te Planet bedeutet eine viel schlimmere Bedrohung. Selbst die Mods wissen hier noch nicht Bescheid. Sie träumen da von, diesen Planeten zu kolonisieren, um ihn zu einem Stütz punkt zu machen. Sie wollen die Erde angreifen und arbei ten zielbewußt darauf hin. Bis jetzt ist ihr Ziel aber nur ein kaum erfüllbarer Traum. Drei Schiffe sind entführt worden. Eine Gruppe entschlossener Menschen kann dem Spuk ein Ende bereiten. Wir sind eine solche Gruppe. Wir müssen logisch vorgehen, denn nur dann werden wir Erfolg haben. Zuerst gut es, ein Unterkommen zu finden.“ Hudson hob die Waffe hoch. „Das hier ist unsere Stärke. Die Mods werden keinen Angriff wagen. Mit dieser Waffe können wir uns außerdem gegen die Angriffe unbekannter Monster zur Wehr setzen. Wir müssen uns vor allem einig sein und gemeinsam handeln.“ Alle stimmten bei und erkannten Chaytor Hudson als ih ren Führer an. Die Gruppe machte sich auf die Suche nach einer Unterkunft und marschierte durch die unbekannte Wildnis, bis der heller werdende Himmel das Nahen eines neuen Tages ankündigte. Dover Cross ging an der Spitze. Plötzlich machte er ein paar Schritte zur Seite und kniete nieder. Alle hörten seinen 121
überraschten Ausruf und blieben stehen. Chaytor Hudson eilte sofort zu ihm. „Was ist los?“ fragte er gespannt. „Ich habe etwas gefunden!“ rief Dover aufgeregt. Starbuck und Sharp scharrten den Sand beiseite, um den Gegenstand freizulegen, über den Dover Cross beinahe ge stolpert wäre. Schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, daß es sich um ein künstliches Gebilde handelte. „Es scheint eine Schnitzarbeit zu sein“, murmelte Dover Cross erregt und wühlte weiter. „Vielleicht ist noch mehr in der Nähe.“ Hudson sah sich um und wandte sich dann an die anderen Flüchtlinge: „Wer hat Lust, ein wenig zu graben?“ Die meisten waren nicht dazu bereit, doch ein paar jün gere Leute machten sich bereitwillig an die Arbeit. Nach kurzer Zeit war ein Loch freigelegt. Allmählich wurden die Umrisse einer achteckigen Tür sichtbar. An einer Seite befand sich ein Metallring. Hudson kniete nieder und betastete die Tür. „Es scheint ein Eingang zu sein“, sagte er. „Das muß die Arbeit intelli genter Wesen sein, die hier leben oder einmal gelebt ha ben.“ „Vielleicht finden wir Hilfe gegen die Mods!“ rief Ange la hoffnungsvoll. „Bitte keine Luftschlösser!“ sagte Hudson grimmig. „Wenn wir uns zu große Hoffnungen machen, wird die Enttäuschung um so schlimmer sein.“ Chaytor, Dover und die beiden als Mods maskierten Agenten packten den Ring und zerrten daran. Sie konnten die schwere Tür aber nur wenig bewegen. „Bei allen Göttern der Galaxis, das Ding ist schwer!“ 122
stöhnte Hudson. Sie versuchten es noch einmal, konnten den Deckel aber nur wenige Zentimeter anheben. „Wir brauchen einen Hebel!“ sagte Sharp. Wenig später brachte Sabine Church einen dicken Ast und schob ihn durch den Ring. Mit vereinten Kräften und viel Geschick konnten die Männer den Stein von der Öff nung heben und absetzen. Das Mondlicht erhellte zwar die Umgebung, doch das nun freigelegte Loch blieb dunkel. Dover Cross legte sich auf den Bauch und spähte in die Tiefe. „Ich erkenne Stufen!“ rief er nach einer Weile. „Es sind kleine in die Wand gehauene Stufen, die wie eine Wendeltreppe nach unten führen.“ „Was mag das bedeuten?“ fragte Hudson unschlüssig. Dover Cross sah grinsend auf. „Ich schlage vor, wir stei gen hinab und finden es heraus. Das Loch ist bestimmt ein gutes Versteck für uns. Ich gehe freiwillig.“ „Niemand hält Sie auf“, brummte Hudson. Cross kroch über den Rand und tastete nach den schma len Stufen „Halten Sie die Waffe bereit, Hudson!“ klang es dumpf herauf. „Wenn ich laut rufe und mit Lichtgeschwin digkeit heraufkomme, dann wissen Sie, daß ich etwas Un angenehmes entdeckt habe.“ * Dover Cross kletterte furchtlos in den dunklen Schacht hinein. Über sich sah er das achteckige Loch, das nun schon fast rund aussah. Die dumpfe Stille bedrückte ihn, hielt ihn aber nicht von seinem Vorhaben ab. Seine Beden ken wuchsen von Meter zu Meter. Janet Russel und die äl 123
teren Mitglieder der Gruppe konnten den schwierigen Ab stieg unmöglich bewältigen, das war ihm längst klar. Die Dunkelheit erschwerte die Kletterei ungemein. Cross wußte auch nicht, wie tief der Schacht in die Kruste des Planeten reichte. Ein Fehltritt konnte sehr leicht den Tod bedeuten. Plötzlich bemerkte Dover, daß er seine Hände erkennen konnte. Es mußte also heller geworden sein. Er blickte nach oben und sah die Öffnung nur noch als einen kleinen Kreis. „Alles in Ordnung?“ hallte Hudsons Stimme dumpf herab. „Ja!“ rief Cross laut hinauf. „Noch nichts gefunden?“ „Es wird heller!“ gab Cross zurück und stieg immer tie fer hinab. Er war nun schon mindestens hundert Meter ab wärts gestiegen. Mit jedem Schritt wurde es heller, so daß Cross sich mühelos und sicher bewegen konnte. Er wun derte sich über die eigenartige Lichtquelle. Die Wand des Schachts strahlte eine milde Helligkeit aus. Dover fragte nicht danach, ob es sich um eine natürliche oder künstliche Lichtquelle handelte, er war nur froh darüber, daß sie exi stierte. Endlich erreichte er festen Boden und sah sich um. Kor ridore führten wie die Speichen eines Rades in alle Rich tungen. Dover Cross erkannte sofort, daß er sich in dem Gewirr der Gänge verirren mußte. Er legte deshalb seinen Pullover ab und zog ihn auf. Danach fror er zwar, aber er fühlte sich sicherer. Er befestigte den Faden an einem Stein und ging langsam in einen der Gänge hinein. Schon nach kurzer Zeit stieß er auf eine achteckige Tür ohne Griff. Er betastete die Tür, bis er eine kleine Erhöhung fühlte. Da er 124
nicht viel zu verlieren hatte, drückte er auf die Erhöhung und sprang sofort zurück. Ein leises Surren tönte durch den Gang, und die Tür schwang nach innen auf. Dover Cross ging vorsichtig weiter. Er mußte sich bücken, denn die angrenzende Kammer war niedriger als der Gang. Ein bläuliches Gas wallte an ihm vorbei in den Gang und reizte seinen Hals, so daß er einen Hustenanfall erlitt. Cross mußte sich gegen die Wand lehnen, denn er verlor beinahe die Besinnung. Das Gas verflüchtigte sich aber schnell, und die betäubende Wirkung ließ nach. Cross sah sich verwirrt um. An den Wänden der Kammer befanden sich eingelassene Kojen. Dover war selten zu er schüttern, aber beim Anblick dieser Kojen wich ihm das Blut aus dem Gesicht, seine Knie begannen heftig zu zittern. „Es ist eine alte Grabkammer“, sagte er halblaut und starrte auf die dreieckigen Körper mit den vielen Beinen und dem einen Auge. Sie lagen vollständig erhalten auf den Unterlagen. Dicht unter den Augen befanden sich mehrere in ihrer ganzen Länge bewegliche Arme. Cross wunderte sich über diese merkwürdigen Gestalten. Lebend hätten sie ihn bestimmt geängstigt. Wie mochten sie gewesen sein – feindselig oder freundlich? Cross staunte über die Kunst, Körper so lange frisch zu erhalten. Wahrscheinlich war das nun entwichene Gas ein Konservierungsmittel gewesen. Dover Cross ging langsam auf eine der Kojen zu, sah sich das ruhende, pyramidenartige Wesen genauer an und befühlte den gelenklosen Arm. Im nächsten Augenblick stieß er einen Entsetzensschrei aus und sprang zurück. Der Arm hatte sich schlangenartig bewegt. Cross erstarrte vor Schreck, sein Herz pochte wild 125
gegen die Rippen. Da stand er nun in einer uralten Grab kammer und starrte auf ein unheimliches Wesen, das sich langsam aufrichtete. „Mein Gott, das kann nicht sein!“ stöhnte Cross. Das pyramidenförmige Wesen öffnete das Zyklopenauge. Es verriet eine unheimliche Intelligenz. Während das Wesen das Auge auf Cross gerichtet hielt, bewegte es vorsichtig die schlängelnden Arme und Beine. Dover konnte sich nicht von der Stelle rühren. An Flucht dachte er nicht. „Wer – wer sind Sie?“ fragte er stockend. Nun bemerkte er auch den unter dem Auge sitzenden Mund des unheimlich aussehenden Wesens. Der Mund öffnete sich zu einem Schlitz und schloß sich wieder. Das Wesen schöpfte erst Atem. Es war offensichtlich nicht we niger überrascht als Cross. Dover kam sich wie ein Narr vor. Wie sollte dieses We sen ihn verstehen? Wahrscheinlich fürchtete es sich vor dem fremdartigen Eindringling. Das Wesen kletterte nun aus der Koje und kam näher. Und dann – Cross schloß ent setzt die Augen – öffnete sich die Spitze des pyramiden förmigen Körpers wie das Augenlid eines Menschen. Ein antennenartiges Gebilde kam zum Vorschein, zitterte ein wenig und senkte sich dann auf Dover Cross’ Schädel. Cross war wie gelähmt. Plötzlich spürte er fremde Gedanken durch sein Bewußt sein fluten. Er beruhigte sich schnell. Er war jahrelang auf alle möglichen Situationen vorbereitet worden und paßte sich nun erstaunlich schnell der neuen Lage an. Das Wesen veränderte seine Form und wurde konisch. In wenigen Minuten nahm Cross einen vollständigen Be 126
richt auf. Die Vergangenheit des Planeten Xarax und seiner Bewohner wurde ihm vermittelt. Die Xaraxianer hatten einst einen hohen Stand der Zivi lisation erreicht. Sie hatten das technische Zeitalter über wunden und Möglichkeiten gefunden, sich auf das rein gei stige Leben zu beschränken. Raumschiffe waren unmodern geworden, denn Telekinesis und Teletransportation hatten derartige Hilfsmittel überflüssig gemacht. Die Fähigkeit, Materie über große Entfernungen zu übertragen, war aber begrenzt gewesen. Dover Cross erlebte alles nach. Er erlebte das Heranna hen einer gigantischen Wolke, deren radioaktive Ausstrah lung die Xaraxianer gefährdete. Das Fehlen technischer Hilfsmittel wurde nun zu einem großen Unglück, denn die lange vernachlässigte Technik ließ sich nicht schnell genug neu aufbauen. Erst im letzten Augenblick wurde das konservierende Gas entdeckt. Die meisten Xaraxianer hatten aber den Tod vorgezogen und sich nicht die geringste Mühe gemacht, dem Ende auszuweichen. Nur wenige waren als Freiwillige in die Kammer gestiegen, um sich für die Ewigkeit konser vieren zu lassen. Dover Cross spürte, daß sein merkwürdiger stummer Gesprächspartner nun selber Informationen haben wollte. Cross dachte an die Erde, an seine Aufgabe, seine Erfah rungen. Er spürte, daß seine Bemühungen hoffnungslos primitiv waren und nur die Weitergabe von winzigen Fragmenten ermöglichte Bald fühlte er jedoch, daß der Xa raxianer auch die Dinge aufnehmen konnte, die ihm, dem Mann von der Erde, selbst nicht richtig bewußt waren. 127
Cross spürte, wie sein Gehirn systematisch ausgelaugt wurde. Er wehrte sich nicht dagegen, denn er wußte, daß der Xaraxianer keine bösen Absichten verfolgte. Er wußte genau, daß dieses fremde Wesen helfen und nicht unter drücken wollte. Die Verwandtschaft zwischen den Xara xianern und den Menschen war sicher enger als die zwi schen Menschen und Mods. Jetzt bewegten sich auch die anderen Schläfer. Sie schienen sofort zu begreifen, was geschehen war, und folg ten Cross durch den Gang zum Schacht. Dover stieg nach oben. Hinter sich hörte er die Xaraxia ner. Zehn Meter unter dem Schachteingang hielt er inne und blickte nach oben. Chaytor Hudson war offensichtlich sehr erleichtert. „Wo haben Sie so lange gesteckt?“ fragte er aufatmend. „Haben Sie eine Goldader gefunden und gleich ausgebeu tet?“ „Ich glaube, ich habe etwas weitaus Wertvolleres gefun den!“ rief Cross zurück. „Was denn?“ Starbucks Stimme hatte noch immer den unheimlich präzisen und unmenschlichen Klang. „Nun re den Sie schon!“ „Ich habe eine Gruppe der Urbewohner dieses Planeten gefunden“, erklärte Dover Cross stolz. „Lebend?“ Sharp stellte diese Frage, doch seine Stimme klang ge nau wie die seines Gefährten Starbuck. „Lebend. Sie kommen hinter mir herauf. Erschreckt nicht, wenn ihr sie seht!“ „Wie sehen sie denn aus?“ fragte Hudson neugierig. 128
„Das ist schwer zu beschreiben“, antwortete Cross. „Sie sind ungefähr einssiebzig groß, von konischer Gestalt und – Sie sehen aus wie Eiskremtüten“, fügte er rasch hinzu. „Stellt euch eine solche Tüte vor. Die Spitze ist nach oben gekehrt, unten sitzen mehrere flexible Beine daran, oben befinden sich schlangenartige Arme. Dicht unter der Spitze liegt das Auge.“ „Nach Ihrer Beschreibung scheint es sich um wahre Schönheiten zu handeln“, brummte Hudson. „Nicht die Gestalt ist wichtig, sondern das Gehirn!“ rief Cross herauf. „Sie sind jedenfalls bessere Gesellschafter als die verdammten Mods.“ „Na, dann los!“ rief Hudson erwartungsvoll. „Wir sind auf eine Überraschung vorbereitet.“ Dover Cross kletterte nun zum Ausstieg und ließ sich von den anderen Männern über den Rand helfen. Danach folgte die merkwürdige Prozession der Xaraxianer. Nach einigen Minuten war der Kontakt hergestellt. Die Xaraxianer stülp ten einfach ihre Antennen über die Köpfe ihrer Gesprächs partner. Schon bald stellte sich heraus, daß die Xaraxianer den Menschen zur Rückkehr zur Erde verhelfen wollten. Aber erst jetzt, nach der Begegnung mit den Mods, er kannten die Menschen die Möglichkeiten, die ihnen ihre neuen Freunde eröffneten. Die Xaraxianer waren noch im mer in der Lage, Materie in Energie umzuwandeln. Sie konnten sich alle in die Nähe der Mods befördern und diese schnell zur Vernunft bringen. Mit ihren Antennen konnten die Xaraxianer auch das Geheimnis des Fluges durch den Hyperraum von den Mods erfahren. Chaytor Hudson und die anderen Kapitäne begriffen die neue Technik sehr 129
schnell und machten sofort einige Versuche. Bald darauf traten die Schiffe die Rückreise zur Erde an. Diesmal wur den die Mods strenger bewacht. Sie hatten einen Planeten gesucht, um eine neue Macht aufzubauen. Sie waren an den Xaraxianern gescheitert und mußten sich nun geschlagen geben. Ihr Aufstand hatte den verantwortlichen Menschen aber zu denken gegeben. Viele erkannten, daß die Mods falsch behandelt worden waren. Schon nach kurzer Zeit wurden Reformen beschlossen und verwirklicht. Die scharfe Trennlinie zwischen Normen und Mods verwischte mehr und mehr. Es dauerte lange, aber die bessere Einsicht der fortschrittlichen Kräfte bewirkte einen durchgreifenden Wechsel in den Beziehungen zwischen den beiden Gruppen. * Longman Sharp und John Starbuck mußten noch einmal auf den Operationstisch. Sie erhielten wieder ihr früheres Aussehen zurück. Nur wenige kaum erkennbare Narben zeugten noch von ihrem gefährlichsten und erregendsten Abenteuer. Lewis Varley hielt sein Wort und sorgte für Jennys Frei lassung. Longman Sharp konnte sich endlich seiner Toch ter offenbaren und sie in die Arme schließen. Mit dem ge planten ruhigen und beschaulichen Familienleben wurde es aber nichts. Wenn Longman jedoch einmal lange Zeit ab wesend war, wußten Jenny und Angela, daß er nicht in ei nem Dom auf dem Mond gefangengehalten würde. Varley konnte es sich einfach nicht leisten, einen seiner besten Leute ohne Aufgabe zu lassen. 130
Die sechste Jahreszeit (THE SIXTH SEASON) von Avram Davidson Es war sicher, daß Carvilles Flaggschiff im letzten System vor dem Kohlensack klargeworden sein mußte, sonst wäre das kleine Rettungsboot nicht so weit gekommen. „Die ,Maria Celeste“, murmelten die Altertumsforscher andächtig. Aber niemand hörte ihnen zu, denn das Ver schwinden von Raumschiffen war zu alltäglich geworden, als daß sich die breite Masse darüber noch Gedanken machte. Sie fragten nach dem Verbleib der großen Schiffe, aber auf dem Rettungsboot fanden sich keine lebenden oder to ten Personen, die über das Schicksal der „16-G“, der „18 G“ oder der „32-L“ hätten Auskunft geben können Abge sehen von den Schiffsvorräten und drei kleinen Gegenstän den war das Boot leer. Die drei Gegenstände – die Originale befanden sich auf der Erde in einer verschlossenen Kiste – standen auf dem Tisch in der Hauptquartier-Baracke. Hyatt blickte sie nicht sonderlich begeistert an. „Wenn Carville verschwinden mußte, warum konnte er nicht einen klaren, sauberen Fall schaffen?“ fragte er. Die Kalenderuhr gab ein Geräusch von sich. Die „1“ in der rechten Hälfte des Apparates begann zu zucken, ver schwand und wurde durch eine „2“ ersetzt. „Der zwölfte Tag“, sagte Leiser heiter. Die Stundenskala 131
blieb leer, Ziffern krochen über die Spindel, zeigten die Sekunden an. Leiser machte immer dieselbe Bemerkung, wenn die Fotozellen die Röhre drehten: „Laß es Licht wer den!“ Danach wandte der Biochemiker seine Aufmerksamkeit der sherryfarbenen Flüssigkeit zu, die langsam durch ein Filter tropfte. Er murmelte etwas über Zähflüssigkeit und nahm eine Neueinstellung der Anlage vor. Wieder blickte Hyatt auf die drei Dinge, die beinahe wie jene aussahen, die man im Rettungsboot gefunden hatte: die gabelförmige Wurzel, der Klumpen gummiartigen braunen Marks, die Flasche mit Carvilles Flüssigkeit. Leiser versuchte eine Flüssigkeit zu erzeugen, die nicht so stark verunreinigt war wie die Originalflüssigkeit. Wor in diese Verunreinigung bestehen und wofür sie gut sein könnte, war eine Frage, die ihn lange Zeit beschäftigte. Es gab kaum Zweifel daran, woher die Gegenstände stammten. Carville sollte auf keinem unbekannten Planeten landen. Die Wurzeln hatten die charakteristische Ausbuch tung, die man bei allen Blumenarten fand, die die erste Ex pedition – zehn Jahre früher – von ihrem Flug mitgebracht hatte. „Carville muß mitsamt dem Rettungsboot und allen an deren Schiffen untergegangen sein, sonst hätte er die Flotte unbeschädigt zurückgebracht“, sagte Hyatt, „und wäre höchstwahrscheinlich auf einer dritten Fahrt mit den Män nern.“ Leiser hielt in seiner Arbeit inne, ohne aber die Pipette aus der Hand zu legen. „Mit welchen Männern, George?“ fragte er. 132
Hyatt blickte ihn mürrisch an. „Mit den Männern des Panchen Lama“, sagte er. Leiser nickte und legte die Stirn in Falten, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Oh, die Männer des Panchen Lama!“ rief er aus. „Ich glaubte, du hättest Dalai Lama gesagt, George …“ Er ließ einen Tropfen aus der Pipette in eine kleine Schüssel fallen. Hyatt ging in den angrenzenden Raum, der das Zentrum des Hauptquartiers bildete. Koley schnitt Wurzeln in drei Teile und legte jeden Teil auf einen anderen Haufen. Die Wurzelkörper kamen auf den einen, die kurzen Wurzelhaa re auf einen zweiten und die langen Haare auf einen dritten Stoß. Später preßte er jeden Haufen für sich durch den Zerhacker und Zerschneider. Danach kamen sie in den De stillierapparat. Diesem Vorgang folgten unzählige Tests, die die Unterschiede zwischen den einzelnen Stößen sicht bar machen sollten. Die Unterschiede waren, falls über haupt vorhanden, nur an der Zeit zu messen, die Koley da für aufwandte – er hatte viele Tests durchzuführen und eine Menge Zeit. Alle hatten eine Menge Zeit. Zweihundertmal vierund zwanzig Stunden weniger zwölf mal vierundzwanzig Stun den. „Seid gegrüßt, ihr Abenteurer!“ rief Hyatt den Anwe senden zu. Der Botaniker blickte kurz auf, lächelte und vertiefte sich wieder in seine Arbeit Macklin winkte träge mit einer Hand. Das Buch, das auf seinem Bauch lag, hob und senkte sich im Rhythmus seiner Atemzüge. „Studierst du die unregelmäßigen Verben der Eingebo renensprache?“ fragte Hyatt. 133
Mack grunzte. „Gibt es vielleicht andere außer den unre gelmäßigen? Existieren überhaupt Verben? Es würde mich nicht wundern, wenn sich die Eingeborenen durch Ohrenwackeln verständigten und die Geräusche, die sie von sich geben, nicht mehr zu bedeuten hätten als die Laute, die Taubstumme ausstoßen. Wie wär’s mit dir, George? Du bist doch Fachmann für Linguistik. Warum machst du nicht ei nen Versuch mit der Volapük-Sprache? Kein Verlangen?“ Hyatt stolperte über eine der unzähligen Kisten, die über den Boden verstreut lagen. „Kein Verlangen!“ murmelte er. „Im übrigen ist Veganisch ziemlich ausdrucksvoll, wenn auch kurz und bündig.“ Die Tür am Ende der Baracke begann plötzlich unter den Schlägen zu dröhnen, die von draußen dagegen geführt wur den. Hyatt stieß einen veganischen Fluch aus, dann rief er: „Jaja, ich komme ja schon. Hör auf zu klopfen!“ Seine Stimme senkte sich, aber die Schläge gegen die Türfüllung wurden wie üblich so lange fortgesetzt, bis er die Tür öffnete. Als er sie aufstieß, war das übliche Fußstampfen zu hö ren. Ein letztes dump-dump, und der Besucher trat ein. Er breitete seinen Umhang, den er draußen vom Schnee ge säubert hatte, auf dem Boden aus und setzte sich darauf. Er war groß, dunkel und seine Haut mit Warzen übersät, und er verströmte einen üblen Geruch. In der Hand hielt er ein Bündel von Carvilles Wurzeln. „Ich weiß, er ist keine Rose; beschnuppere ihn nicht, sondern handle mit ihm!“ befahl Macklin, als er den ihm schon vertrauten ablehnenden Ausdruck in Hyatts Gesicht erkannte. Der örtliche Brauch verlangte, daß der Käufer das eine, der Verkäufer das andere Ende des Bündels hielt. 134
„Schuld daran ist dieser verdammte Carville!“ stöhnte Hyatt und öffnete mit seiner freien Hand eine Kiste mit Messern. „Du solltest nicht den Toten beschimpfen“, murmelte Koley und begann die noch nicht zerschnittenen Wurzeln auf seinem Tisch zu wiegen. „Wie dem auch sei, er kam gerade zur rechten Zeit, denn die frischen Wurzeln sind mir ausgegangen.“ Hyatt begann, den Umhang mit Messern zu bedecken. Macklin sagte: „Außerdem scheint mir, du vergißt sehr oft, daß wir durch unsere Arbeit das Leben anderer Leute verlängern helfen, nicht zuletzt auch deins.“ Er erkannte am Gesichtsausdruck Hyatts, daß dieser es tatsächlich ver gessen hatte. Was immer sonst der zweite Planet von Fischers Dop pelstern produzieren konnte – die Erde und ihre Kolonien waren nur an Carvilles Flüssigkeit interessiert, und zwar nur deshalb, weil es den Anschein hatte, als sei diese Flüs sigkeit ein perfektes Mittel zur Handhabung und Erhaltung von Gerontium. Ratten, Mäuse, Meerschweinchen und seltsame Geschöpfe vom Cornwall-System – die britische Forscher „Golliwogs“ nannten –, sie alle, ohne Ausnahme, hatten ihr Leben durch Gerontium verlängert. Größeren Lebewesen, Menschen zum Beispiel, konnte mit Geronti um nicht geholfen werden. Der menschliche Körper war außerstande, Gerontium so lange zu behalten, bis es seine Wirkung tat. Bis Carvilles Flüssigkeit auftauchte. Ein kleines, verlassenes Rettungsboot, das im Zentrum des Kohlensacks trieb. Es strahlte noch ein Notsignal aus 135
und war leer, völlig leer, bis auf den vorschriftsmäßigen Schiffsvorrat und drei kleine Gegenstände: eine gabelför mige Wurzel mit einer einzigen gelben Ausbuchtung, einen gummiartigen Klumpen von unbekannter Substanz und ein Fläschchen mit einer braunen Flüssigkeit. „Du hast recht, Mack – natürlich hast du recht“, ent schuldigte sich Hyatt. „Abenteurer, ich bitte um Verzei hung.“ Er begann die Wurzeln zu zählen „Die sind aber klein“, sagte er zu dem Eingeborenen. Dieser gestikulierte mit seiner Hand in Richtung der Messer und gluckste et was. „Klein.“ Hyatt zeigte mit seinen Fingern, wie klein sie waren. Er schätzte den Unterschied zu den andern ab, run zelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „He, Koley, wirf mir eine herüber! – Danke!“ Der Eingeborene spitzte die Lippen und begann zu spre chen, nachdem ihm wiederholt gezeigt wurde, daß seine Lieferung minderwertiger war als die früheren. Er hob ein Messer auf, fuchtelte damit herum und stieß dabei unver ständliche Laute aus. „Ich vermute“, meinte Macklin, „er sagt: Kleine Wur zeln? Dann gib mir kleine Messer!“ „Wir haben aber keine kleinen Messer“, erklärte Hyatt. „Im Fischer Expeditionsbericht heißt es nur: Sie mögen Messer. Wie, zum Teufel …“ Sanft, ganz sanft unterbrach ihn Macklin: „Nimm es leicht, George, und du wirst länger leben!“ Der Tauschkurs wurde schließlich mit zwei kleinen Wurzeln für ein Messer festgelegt. Der Eingeborene blickte sich im Raum um und biß dann ein großes Stück aus einer 136
von Macklins Decken heraus. Er kaute eine Weile darauf herum, dann spuckte er aus. Der Sprachforscher seufzte erleichtert. „Gott sei Dank! Er mag meine Decken nicht!“ Der Eingeborene hielt ein feuchtes Stück Decke empor und stieß einen klar verständlichen Laut aus. „Ich nehme an, es heißt: ,Was?’„ sagte Macklin. „Ich werde es aufschreiben. – Nun, da wir schon beim Sprach unterricht sind …“ Er grunzte, sprang vom Bett und holte einen Registrierapparat hervor; anschließend wiederholte er das Wort, das der Eingeborene gebraucht hatte. „Decke“, sagte er ihm vor. „Drrwahng-airw …“ Koley begann das neue Bündel Wurzeln zu wiegen. „Ich frage mich, wie lange noch der Schnee liegenbleiben wird. Der Boden war nur dünn bedeckt, als wir landeten. Fi schers Notizen sagen nichts über Schnee. Er erwähnte leichten Regen. Allerdings war er nicht lange hier.“ „Verdammter Fischer!“ sagte Hyatt. „Und verdammter Carville!“ * Ungefähr zwei Wochen später hörten die Blizzards auf. Schnee fiel – wie damals, als das Flaggschiff sie mit Vorrä ten und Ausrüstung für 200 Tage abgesetzt hatte. 200 Ta ge, das waren auf dem zweiten Planeten von Fischers Dop pelstern ein Jahr, und solange mußten die vier Männer bleiben. „… Wenn die Expeditionsleitung glaubt, daß es wichtig 137
und notwendig ist, darf die Gruppe den Stützpunkt zeitwei lig verlassen“, lautete die Schlußdirektive. In den Hauptinstruktionen war festgelegt, daß sich die Expedition bemühen sollte, die Pflanzen aller Jahreszeiten zu studieren, um jede Entwicklungsstufe zu erforschen und festzustellen, zu welchem Zeitpunkt der Entwicklung sie sich am besten für den medizinischen Gerbrauch eigneten. Die Männer hatten Standardtests und in ihrer kärglichen Freizeit die üblichen meteorologischen und geologischen Forschungen und Beobachtungen durchzuführen. Die Blizzards hatten sie von vielem abgehalten, aber nachdem selbst der leichte Schneefall aufhörte, wurden Zweimann-Teams ausgeschickt, um das Land zu erkunden. Fischer hatte festgestellt, daß die größte Landmasse, von der er annahm, daß es der einzige bewohnbare Kontinent sei, auf der südlichen Halbkugel des zweiten Planeten lag. Der Schnee schmolz, und die zwei Sonnen am Himmel leuchteten schwach durch den Nebel. Es war der sieben unddreißigste Tag, den Leiser wie üblich angekündigt hat te. „Ich sehe noch immer kein Zeichen einer Ansiedlung“, sagte Hyatt. „Ich glaube, sie können die Nähe eines Artge nossen nicht lange aushalten. Nicht daß ich jemanden …“ „Ich dachte an meine ,Ladinos’“, sagte Leiser, erklärte aber nicht, was Ladinos waren. „Sie werden mich wahr scheinlich nicht mehr erkennen, wenn ich zurückkomme.“ „Sieh mal, ist das dort vorn nicht ein Waldbrand?“ fragte Hyatt. „Und dort auch!“ Schmutzigbraune Rauchsäulen stiegen an verschiedenen Punkten empor. 138
„Es sieht nicht wie ein Waldbrand aus, George. Auch nicht wie ein Unterholzbrand.“ Sie fuhren mit dem gepanzerten Fahrzeug weiter, hielten einen Sicherheitsabstand, vollführten dann eine Drehung nach rechts und begannen parallel zum Rauch dahinzuglei ten. „Die ,Ladinos’, mußt du wissen, sind sehr schwierig zu behandeln … George! George, was …?“ Später machte sich George Hyatt darüber lustig. Aber als es geschah, war er zu allem andern, nur nicht zum Scher zen aufgelegt. Sein Gesicht war blau angelaufen, und er griff nach einer Sauerstoffmaske. Sie entglitt seinen ver krampften Fingern. Leiser griff rasch zu, befestigte Hyatts Maske und schloß den Sauerstoffapparat an. Dann erst streifte er sich selbst eine Maske über. Später, beim Betreten der Baracke, sagte Leiser: „Uns ist etwas sehr Spaßiges passiert. Plötzlich hatten wir draußen Mühe zu atmen; stimmt’s, George?“ Macklin und Koley nahmen daraufhin das Aufklärungs fahrzeug, um sich selbst von dem Phänomen zu überzeugen. „Es scheint aus dem Boden zu kommen“, meinte Macklin nach ihrer Rückkehr. „Es dringt aus Ritzen. Zuerst dachte ich, es sei ein unterirdisches Feuer. George, du hast es mit einem Bergwerksbrand verglichen. Ich nehme an, es handelt sich um irgendein natürliches Gas.“ Koley, der aus dem Fenster schaute, bemerkte: „Rauch gas treibt von Nordwesten herüber, und Nebel schwebt aus Südosten heran. Ich frage mich, was geschehen wird, wenn sie zusammentreffen.“ 139
„Schau einmal auf das Barometer!“ Das Barometer fiel rapide. Und als sich der Nebel und das rauchartige Gas verbanden, entstand der dickste Smog, den die Männer je gesehen hatten. Die Hauptquartierba racke war zwar isoliert, aber sie hatte keinen Druckaus gleich. Der Dunst kroch unaufhaltsam herein. Ein dichter ingwerfarbener Nebel hing in der Luft. Die Männer starrten einander mit brennenden, tränenden Augen an. „Also“, begann Macklin. „Mein Kopf schmerzt so stark, daß er beinahe zerspringt, und ich habe einen Geschmack im Mund, der so scheußlich ist.“ Leiser wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich habe keinen Appetit“, klagte er. „Ich bin hungrig, kann aber nichts essen. Ist das nicht sonderbar?“ An der Tür erklang das vertraute Klopfen. „Oh, verdammt noch mal!“ krächzte Hyatt. Er nahm ein Sauerstoffgerät mit sich. Als er mit dem Eingeborenen zu rückkehrte, wogten Smogschwaden um dessen Gestalt. „Hherrhwo“, gurgelte er hervor. „Hallo, Joseph!“ sagte Macklin. Sie hatten noch immer keine Ahnung, wie sein wirklicher Name lautete, und wa ren schon lange über jenes Stadium hinaus, in dem man Fremde mit seltsamen, schalkhaften, phantastischen oder unsinnigen Namen belegte. Sie hatten beschlossen, ihn Jo seph zu nennen. „Dz’hosegh“, sagte der Fremde. Er hatte wie immer ein Bündel feiner Wurzeln mitgebracht; diesmal waren es gro ße Wurzeln, und er wollte zwei Messer pro Stück. Wofür er all die Messer benötigte, wußte der Himmel. „Ahoi, Joseph!“ rief Macklin. Er stellte das Aufnahme 140
gerät an. „Hör mir mal zu! Wie lange wird dieser Smog noch anhalten?“ Er versuchte, die Frage in der Sprache von Joseph zu wiederholen. Joseph dachte darüber nach, blies seine Wangen auf und rieb an seinen Warzen herum. Dann murmelte er etwas vor sich hin, das bedeuten konnte: Viel leicht bald, vielleicht morgen, vielleicht sofort. Der Smog hielt tatsächlich dreiunddreißig Tage an. Am vierunddreißigsten Tag erwachten die Männer aus ihrem Schlaf; ihre Augen sahen wieder klar, ihre Köpfe schmerz ten nicht mehr, und sie spürten keinen ekelhaften Ge schmack mehr auf der Zunge. Sie hatten alle wieder Appe tit. Aber das Wasser reichte ihnen bis zu den Knien. * Das Wasser stieg nur langsam. Es war ihnen daher mög lich, den Großteil ihrer Vorräte und Ausrüstungsgegen stände zum nächstliegenden Hügel zu transportieren. „Ich glaube, Fischer ist entweder am Anfang oder am Ende der Regenzeit gekommen“, mutmaßte Macklin, nachdem sie in mühevoller Arbeit den überladenen Trans porter mit mehr als der Hälfte ihrer Ausrüstung vom Tal zum höchsten Punkt der Umgebung gebracht hatten. „Leichter Regen, daß ich nicht lache!“ Hyatt stieß grausige Flüche gegen Fischer aus, und er tat dies in sämtlichen Sprachen, die er beherrschte. Dann wie derholte er die Flüche, nur war es diesmal Carville, den er verwünschte. Koley kam von seiner Arbeit zurück. Er hatte einen Graben um den Hügel gepflügt, um die kleinen Le bewesen vom Lager fernzuhalten. 141
„Nun, wie lange wird der Regen wohl andauern?“ „Vierzig Tage und vierzig Nächte“, sagte Hyatt. Er kau erte sich vor der Heizung im Notschutzraum zusammen und beobachtete den fallenden Regen. Der Botaniker schüt telte den Kopf. „Es schneite leicht, als wir ankamen“, sagte er. „Die Blizzards hielten sechsundzwanzig Tage und der Smog dreißig Tage an. Ich stelle mir vor, es hat drei Tage vor un serer Landung zu schneien begonnen. Weitere drei Tage lagen zwischen dem Ende der Stürme und dem Beginn des Smogs. Eigentlich sollte es jetzt dreißig Tage lang regnen.“ Nach einer Woche stieg das Wasser nicht mehr. Joseph kam seltener, aber ab und zu doch. Er paddelte auf einem Baumstamm daher, der leichter war als Balsaholz. Seit die Männer bei ihrer ersten Begegnung mit ihm gemerkt hat ten, daß er nur vier Finger an jeder Hand hatte, war es für sie keine Überraschung gewesen, als sie feststellten, daß er nur bis acht zählen konnte. Sie hatten eigentlich von An fang an erwartet, daß er unfähig sei, zu sagen, wann der Regen aufhören werde. Er beantwortete Macklins Frage mit einer Redewendung, die bedeuten konnte: noch lange nicht, niemals, oder nach einiger Zeit. „Wenn ich es mir überlege, finde ich es sonderbar, daß wir nie einen anderen Eingeborenen aus der Nähe sehen. Ist Joseph vielleicht ihr Anführer?“ äußerte Leiser. „Vielleicht wurde er beauftragt, uns mit Wurzeln zu be liefern, weil er ein guter Händler ist“, meinte Hyatt. „Was kommt nach dem Regen, Joseph?“ fragte Macklin. „Was kommt nach dem vielen Wasser – was, he?“ „Khey? – Nach dem vielen Wasser – kein Wasser.“ 142
„Was kommt denn dann?“ Joseph bündelte die neuerworbenen Messer zusammen und gab keine Antwort. Am dreißigsten Tag sank das Was ser rasch, und es fiel nur noch wenig Regen. Am dreiund dreißigsten Tag hörte er ganz auf. Dann begann die Trockenheit. Alle Teiche verschwan den, alle Bäche Von einem Himmel, der plötzlich ohne Dunstschleier war, brannte die Doppelsonne herunter. Einige Tage lang war es den Männern noch möglich, ei ne kleine Menge Wasser aus den Flußbetten zu bohren Später mußten sie gezwungenermaßen die Arbeit an Car villes Flüssigkeit einstellen. Sie begannen, Meerwasser zu destillieren, das sie mit dem Transporter holten. Sie konn ten nicht mehr Süßwasser erzeugen, als sie täglich zum Kochen und Trinken benötigten. „So kann es nicht weitergehen“, sagte Hyatt am zwan zigsten Tag. „Nur noch fünfundachtzig Tage bis zur Ablösung“, meinte Koley mit seiner sanften Stimme. „Wenn wir ein hundertfünfzig Jahre alt sind, gerade im besten Mannesal ter, dann werden wir an diese Zeit zurückdenken und dar über lächeln.“ Nach zwanzig Tagen lächelte Hyatt wieder. Es war der Zeitpunkt, als das Wasser in die Quellen, Bäche und Tei che zurückkehrte. „Komm herein!“ schrie er Macklin zu. „Das Wasser ist herrlich! Warum stehst du da und grübelst?“ Macklin zuckte mit den Achseln. Er legte seine Kleider ab. „Ich dachte darüber nach, was wohl als nächstes kom men wird.“ 143
Er fand es am nächsten Tag heraus. Leiser war als erster aufgestanden. „Mein Gott!“ rief er. „Schaut euch die Blu men an!“ Er begann zu niesen Hyatt gähnte, streckte sich und trottete zum Fenster Leiser winkte ihm zu. So weit wie sie sehen konnten, war der Boden wie ein leuchtender buntfarbiger Blumenteppich. „Du meinst, es ist endlich eine nette Jahreszeit auf die sem verdammten Planeten gekommen. Ich kann es nicht glauben. Die Blumen sind wahrscheinlich giftig.“ Er sollte recht behalten. Offensichtlich waren nicht alle gegenüber den gleichen Pflanzen allergisch. Leiser mußte andauernd niesen, bis er aus der Nase zu bluten begann. Das Niesen hielt an, er nieste peinvoll und krampfartig. Hyatts Augen wurden gelb vor Eiter. Der ge ringste Lichtschimmer verursachte ihm Schmerzen. Koley bekam Pusteln, die wie Feuer brannten. Macklin konnte keine feste Nahrung aufnehmen; er litt ständig unter einem unwiderstehlichen Brechreiz. Doch war er es, der zur Tür ging, um Joseph hereinzu lassen. Hyatt lag auf seinem Bett und hatte die Augen ver bunden. Er war ausnahmsweise einmal still. „Die Wurzeln sind kleiner als gewöhnlich“, sagte Mack und schnitt Grimassen. „Ich bin nicht in der Verfassung, mit dir zu feilschen. Ein Messer pro Stück, nimm sie und …“ Nach langem Schweigen fragte Koley: „Was ist los?“ Macklin reichte ihm das Bündel Wurzeln. „Klebrig, nicht wahr?“ sagte Koley. „Das Mark! Es ist das erste Mal, daß wir gesehen haben, wie sich die Wurzeln in Mark verwan deln.“ Er blickte auf. Mack gestikulierte mit Joseph. Leiser 144
begann aufs neue zu niesen. Joseph schleckte seine Finger ab, mit langer, schwarzer Zunge. „Wir benötigen die Wurzeln zur Heilung“, bemerkte der Sprachforscher. „Für jedes Gift hat die Natur ihr Gegen gift.“ Er kratzte ein dunkles Klümpchen von einer Wurzel ab, kostete es, zog die Augenbrauen hoch und begann zu knabbern. Nach acht Stunden hielt er sich für geheilt und aß ein kräftiges Mahl. Die anderen, die sich abwartend verhalten hatten, stürzten sich nun über die frischen Wurzeln, kratz ten, schleckten und kauten. Es war eine vollständige Kur für sie oder, genauer gesagt, eine Erleichterung, die erst nachzulassen begann, kurz bevor Joseph einen neuen Schub brachte. „Die Expeditionsleitung wird es nicht mit Begeisterung hören, daß wir das ganze Mark aufgegessen haben, anstatt es zu sammeln“, meinte Leiser Hyatt, Koley und Macklin kümmerten sich darum aber recht wenig. „Stell dir vor, was frühere Expeditionen alles erdulden mußten“, sagte nun Hyatt. „Manchmal fraßen die Teilneh mer sogar einander auf.“ Koley hob den Blick. „Verdammt noch mal! Glaubst du, Carville und seinen Männern sei es genauso ergangen?“ fragte er. „Erinnere mich nicht an Carville und seine Männer!“ erwiderte Hyatt. „Je näher der Zeitpunkt unserer Ablösung kommt, um so nervöser werde ich. Glaubst du, sie werden uns abholen, ehe es zu schneien beginnt?“ „Wieso vor dem Schneefall?“ Hyatt starrte ihn durchbohrend an „Ich nehme an, ich 145
habe mich deutlich genug ausgedrückt, und ebenso nehme ich an, daß die Jahreszeiten dieses Planeten einem festge legten Kreislauf folgen. Es schneite, als wir ankamen, folg lich müßte es schneien, wenn wir fortgehen – vorausge setzt, wir verlassen den Planeten zum festgesetzten Zeit punkt. Ich bin überzeugt, ich habe mich jetzt klar genug ausgedrückt, Koley.“ Koley drehte sich um und musterte Hyatt mit stechenden Augen. „So klar wie Dreck“, sagte er ziemlich laut. „Deine Annahme basiert auf der Voraussetzung, daß du einfache Rechnungsvorgänge ausführen kannst, die du aber eindeu tig nicht beherrscht. Das Jahr hat hier zweihundert Tage. Davon sind einhundertsiebenundsiebzig verflossen. Nach dem jede Jahreszeit ungefähr dreiunddreißig Tage anhält und seit Beginn der Blumenzeit dreißig Tage vergangen sind, gibt es mehr als genügend Gründe zu der Annahme, daß wir noch eine Jahreszeit zu erwarten haben. Oder ist das für dich zu kompliziert?“ Leiser meinte, er sei froh, wenn Koley den Mund hielte. „Schreien, schreien und wieder schreien ist anscheinend das einzige, was du kannst“, sagte er. Danach war keiner mehr zum Sprechen aufgelegt. * Es war fünf Tage später. Hyatt, der die meiste Zeit in einer Ecke verbrachte, wo er vor sich hinbrütete, sah, wie Koley auf Zehenspitzen den Raum durchquerte und mit einem Hammer Leiser den Schädel einschlug. Macklin lachte darüber. 146
„Sollen wir ihn auffressen?“ fragte er, und Tränen liefen ihm über die Wangen. „Es muß das Gummizeug sein“, sagte Hyatt. „Wir haben zuviel davon genommen. Wir haben zuviel …“ Koley schlug erneut auf Leiser ein. Dann blickte er auf. „Das Unangenehme an dir, George, ist“, begann er, „daß du völlig verrückt bist. Leiser war auch verrückt. Und Macklin ist ebenfalls verrückt. Weißt du, wer die einzigen vernünftigen Leute auf diesem Planeten sind? Joseph und ich – und wahrscheinlich Josephs Freunde.“ Aber Koleys Mutmaßungen waren falsch gewesen, wie sie bald erfuhren. Joseph und seine Freunde brachen die Tür auf und stürzten wild schreiend in den Raum. Jetzt er kannten Koley, Hyatt und Macklin, wozu sie die vielen Messer benötigten. Es war ihre letzte Erkenntnis.
Utopia-Zukunft erscheint wöchentlich im Verlagshaus Erich Pabel GmbH & Co. 7550 Rastatt (Baden), Pabel-Haus. Einzelpreis 0,70 DM. Anzeigenpreise laut Preisliste Nr. 13. Die Gesamtherstellung erfolgt in Druckerei Erich Pabel GmbH. 755C Rastatt (Baden). Verantwortlich für die Herausgabe und den Inhalt in Österreich: Eduard Verbik. Alleinvertrieb und -auslieferung in Osterreich: Zeitschriftenvertrieb Verbik & Pabel KG – alle in Salzburg, Bahnhofstraße 15. Nachdruck, auch auszugsweise sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwider handlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany 1965. – Scan by Brrazo 07/2008 – Titel der englischen Originalaus gabe: THE PLANET SEEKERS von Erle Barton Pseudonym von: R. Lionel Fanthorpe; mit freundli cher Genehmigung von John Spencer & Co. (Publishers), LTD. London, W. 6. – Kurzgeschichte aus OR ALL THE SEAS WITH OYSTERS, published by arrangement with Berkley Publishing Corporation, 15 East 26th Street, New York, N. Y. 100 10, © 1962, by Avram Davidson. Gepr. Rechtsanwalt Horn
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Die steinernen Tränen … und andere Utopia-Kurzgeschichten
von J. G. Ballard, Avram Davidson,
Philip K. Dick, Jack Vance
Auf vielfachen Wunsch unserer Leser bringen wir in Utopia nächste Woche wieder einen Story-Band. DIE STEINERNEN TRÄNEN heißt die Geschichte des be kannten amerikanischen Autors J. G. Ballard, der uns schildert, was aus der Dichtkunst würde, wenn sie den Maschinen an heimfiele. DIE KAMERA DES MONTAVARDE (von Avram David son) ist ein tückisches Gerät. Wer mit diesem Fotoapparat um geht, wird zum Mörder. DIE KOLONIE (von Philip K. Dick) liegt auf einem noch unerforschten Planeten. Einige mutige Pioniere, hauptsächlich Wissenschaftler und Soldaten, die sie gegen etwaige feindliche Bewohner verteidigen sollen, sind die Wegbereiter der Koloni sten. Zunächst sieht es aus, als seien sie im Paradies gelandet. Doch dann tut sich die Hölle vor ihnen auf. DODKINS JOB (von Jack Vance) ist ein Posten, auf dem man den Schlüssel zur höchst merkwürdigen Zivilisation der Zukunft in Händen hält. Ein Wunder, das niemand Dodkin um seinen Job beneidet. Doch das hat natürlich schwerwiegende Gründe. Greifen Sie nächste Woche rechtzeitig zu, wenn dieser Utopia Story-Band bei Ihrem Zeitschriftenhändler erscheint. UTOPIA-STORY-BÄNDE SIND EIN LECKERBISSEN
FÜR DIE FREUNDE DER SCIENCE FICTION
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