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Seewölfe 146 1
Roy Palmer 1.
Die Frau mit dem schulterlangen, dunkelbraunen Haar stand auf einem kleinen Balkon des Hauptgebäudes im Kastell, als das Schiff mit den vier Masten unter Vollzeug vor dem Westwind an der Hafenfeste vorbeisegelte. Die Nacht hing schwer wie düsteres Blei über der Siedlung, die denselben Namen wie die Insel trug, auf der sie gegründet worden war : Sao Tome Aber das Licht des blassen Mondes reichte aus, um die Frau von ihrem erhöhten Standort aus erkennen zu lassen, wie die Galeone nun den Kurs änderte und in den Wind drehte. Ja, es war sogar zu sehen, wie die Segelfläche schrumpfte, wie die Besatzung Zeug wegnahm und schließlich das Schiff auf der Reede verharrte. Es lag jetzt nicht mehr sehr weit von den Hafenanlagen entfernt. Die Segel hingen im Gei, und die Frau auf dem Balkon glaubte das Ausrauschen der Anker zu vernehmen. Die Anwesenheit der anderen Segelschiffe an den Piers und auf der Reede verblaßte neben der Erscheinung dieses imposanten Viermasters. Es mutete wie ein Wunder an, daß dieses Schiff den Weg hierher, in die parasitenverseuchte Hölle der Äquatorinsel, gefunden hatte. „Endlich“, murmelte die Frau. „Endlich sind sie da. Allmächtiger Gott im Himmel, wie lange haben wir auf euch gewartet, Männer aus Cadiz ...“ Lichtsignale wurden jetzt von Bord der Viermast-Galeone aus gegeben. Sie galten den Männern, die vor den Häusern an der Kaimauer zusammengelaufen waren, und sollten die Obrigkeit von Sao Tom jeglichen Zweifels über den Namen, die Herkunft und die Bestimmung des großen Seglers entheben. Aber auch die Frau wußte die Zeichen zu deuten. Sie atmete auf. „Wirklich, es ist die ,Santa Catalina'„, sagte sie erleichtert. „Capitan Algaba, du bist unser Retter in der Not, aber du weißt ja nicht, was wir in den letzten Wochen durchgestanden haben.“ Ihre Züge verhärteten sich ein wenig. „Nun, das ist letztlich auch gut so.
Angriff bei Nacht
Vielleicht hättest du Sao Tome unter irgendeinem Vorwand nicht angesteuert, wenn du auch nur geahnt hättest, was hier vorgefallen ist.“ Sie wandte sich um und trat durch die halboffene Tür in den dahinterliegenden Raum. Hier war die Luft noch einen Deut stickiger als im Freien, hier gab es nichts, was die drückende Schwüle aufrühren konnte. Selbst das Atmen fiel schwer. Der Mensch schien diesem grausamen Klima nicht gewachsen zu sein, und doch, er trotzte ihm auf unerklärliche Weise. Aber dafür muß er Opfer bringen, dachte die Frau bitter, große Opfer. Afrika fordert seinen Tribut, und die Insel ist ein Gefängnis inmitten der Hölle. Träge waren ihre Bewegungen. Die Hitze, die auch in der Nacht nie wich, ließ keine schnellen, entschlossenen Regungen zu. Die Frau trug nur ein leichtes, bodenlanges Hausgewand aus blaßroter Seide, das einzige, das sie in den letzten furchtbaren Tagen erduldete. Durch das Gewand konnte man gut ihre ausgeprägten Formen erkennen, es stellte mehr zur Schau, als es verbarg. Und doch, dieser Fetzen Stoff schien an ihren Schultern zu zerren. Sie verspürte plötzlich einen unbändigen Drang, das Gewand abzustreifen, das Kastell zu verlassen und nackt durch die Gassen der Stadt zu laufen zum Schiff, nur fort von hier, zum Schiff, schwimmend durch das halbwegs kühle Wasser zur „Santa Catalina“ und dann auf und davon durch die Nacht, menschenwürdigeren Gefilden entgegen. Sie blieb stehen und dachte: Beherrsche dich. Du bist doch kein billiges Flittchen, kein Luder aus der Hafenkaschemme, das schreien und gestikulieren und sich Luft verschaffen darf, wo und wann es will. Oder willst du das wirklich? Nein — ihr Stolz und ihre Erziehung verboten es ihr. Sie hielt ihren Kopf aufrecht und blickte durch das Dunkel des großen Zimmers zu den Bleiglasfenstern — matten hohen Rechtecken, die in die Schwärze der Nacht gestochen waren.
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Warum jetzt in Panik verfallen, dachte sie, jetzt, da doch alles vorbei zu sein scheint? Sie rang sich ein Lächeln ab. Ja —trotz allem Erlebten waren ihr Lebenswille und ihr Mut ungebrochen. Sie war jung und hatte noch Forderungen an das Dasein, Erwartungen, die durch die bittersten Erkenntnisse und die größten Entbehrungen nicht zerstört werden konnten. Sechsundzwanzig Jahre alt war sie, eine Frau in den blühendsten Jahren, wie man in Spanien sagte. Und die Natur hatte sie alles andere als benachteiligt, als es um die Verteilung der Schönheit und der ausgewogenen Proportionen gegangen war. Ihre Haare flossen an den Schläfen und Wangen ihres schlanken Gesichtsovals vorbei und lagen weich auf ihren Schultern. Dunkle Augen blickten wach unter einer glatten Stirn und exakt gezeichneten Brauen hervor. Ihr Mund war von sinnlichem, beinahe zu empfindsamem Schwung, und hohe Jochbeine verliehen ihrer Physiognomie den Hauch des Exotischen. Sie hob ihre Hände bis zur Taille und ließ sie langsam wieder über die Hüften abwärts gleiten. Ihr Körper -das Begehren der gesamten Hafengarnison war auf diese vollendeten Formen ausgerichtet. Traum und Wirklichkeit war sie für die Männer dort unten in der Stadt. Als Frau des Kommandanten von Sao Tome war sie für das gemeine Fußvolk etwas Unerreichbares, und doch hatten sie sie ständig vor Augen, sahen sie hinter den Zinnen der Festung stehen und im Pferdewagen durch die Straßen fahren. Jemand klopfte behutsam an die Tür des Zimmers. „Bist du es, Sandra?“ fragte die Frau. „Ja“, ertönte es vom Flur. „Schlafen Sie denn nicht, Dona Adriana „Nein“, erwiderte Adriana Valiente etwas ungehalten. „Wie hätte ich dir sonst wohl antworten können? Nun komm schon herein und sag mir, was du auf dem Herzen hast.“
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Sandra, die Zofe, öffnete die Tür und schlüpfte in den Raum. Sie hatte Mühe, ihre Aufregung zu verbergen. Sie war ein ausgesprochen schlankes, ja, fast hageres Wesen, von Natur aus ein bißchen schlaksig, gelegentlich sogar tollpatschig. Leicht verlegen blieb sie vor Adriana Valiente stehen, faltete umständlich die Hände und verdrehte sie. „Senora - haben Sie das Schiff auch gesehen?“ „Natürlich habe ich es gesehen. Und ich kann dich jeden Zweifels entheben. Es ist die ‚Santa Catalina`. Ich habe die Signale gelesen, die die Besatzung zum Hafen hin gegeben hat.“ „O Himmel, das ist also die Rettung, ehe wir alle zum Sterben verdammt werden ...“ „Falls das Schiff die nötigen -Arzneien und auch einen Mann an Bord hat, der unsere Kränken behandeln kann, ja.“ Sandra befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze und legte den Kopf ein wenig schief. „Falls? Aber Dona Adriana, Ihr Gatte und der Hafenkapitän Alvaro Broviras - der Herr sei seiner armen Seele gnädig - haben doch vor zwei Monaten einem portugiesischen Handelssegler, der hier Station einlegte, die geheime Nachricht an Cadiz mit auf den Weg gegeben, daß ...“ „... daß auf Sao Tome dringend Hilfe benötigt wird“, vervollständigte Adriana den gehaspelten Satz ihrer Zofe. „Daß nur Cadiz uns mit Heilmitteln, mit einem kundigen Arzt, mit unverseuchtem Trinkwasser versorgen kann. Und daß Alvaro Broviras und Joaquin Barba Valiente vorschlügen, die ‚Santa Catalina' solchermaßen auszurüsten, von der wir wußten, daß sie seinerzeit zum Auslaufen bereit im Hafen von Cadiz lag. Der Kapitän des Schiffes, Enrique Jose Algaba, ist ein Freund von Broviras gewesen, und gerade dieser Umstand verpflichtet ihn letztlich auch moralisch, etwas für uns zu tun. Nun, der portugiesische Handelssegler, dessen Kurs weiter nach Irland führte, scheint Cadiz tatsächlich erreicht und sein Kapitän die streng vertrauliche Botschaft an die Autoritäten
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überbracht zu haben. Doch wer garantiert uns, daß Algaba auch wirklich alles Erforderliche hat mitnehmen können?“ „Aber Senora“, hauchte Sandra entsetzt. Adriana Valiente lächelte. „Schon gut, schon gut, laß dich von meiner Skepsis nur nicht anstecken. Hast du auch nach Don Joaquin gesehen?“ „Selbstverständlich.” „Wie geht es ihm?“ „Er schläft nach wie vor.“ „Ohne Unterbrechung?“ „Ohne auch nur einmal aufzuwachen...“ „Und das Fieber dauert an“, sagte Adriana. „Der Schlaf trägt nicht zu seiner Genesung bei - im Gegenteil. Was ist das für eine tückische Krankheit, Sandra, die meinen Mann in einen so tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf geworfen hat, aus dem er seit Wochen nicht mehr aufwacht?“ „Ich weiß es nicht.“ „Er schläft und zuckt manchmal wie unter Peitschenhieben, ohne jedoch die Augen aufzuschlagen. Das Fieber treibt ihm den Schweiß aus den Poren, läßt ihn zittern, schwächt ihn. Er kann keine Nahrung zu sich nehmen.“ „Es ist schrecklich, Dona Adriana.“ „Wenn Capitan Algaba und die anderen Männer der ,Santa Catalina` die Festung betreten, führst du sie sofort in das Zimmer meines Mannes, Sandra.“ „Si, Senora. Kennen Sie Capitan Algaba persönlich?“ „Nein. Und was soll die Frage?“ „Gar nichts ....“ „Dann behalte die nächste Frage dieser Art, die dir auf der Zunge liegt, gefälligst für dich. Und lege mir eines meiner Kleider bereit, damit ich die Männer der Galeone in angemessener Form begrüßen kann. So, wie ich jetzt angezogen bin, kann ich ihnen unmöglich gegenübertreten.“ „Ja, Senora.“ Adriana blickte der Zofe nach, als diese den Raum verließ und die Tür hinter, sich schloß, Sandra hatte sich nur erkundigt, ob ihre Herrin den Kapitän der „Santa Catalina“ kannte, aber damit hatte. sie schon an eine Wunde gerührt - sie war nun
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schon lange genug .auf Sao Tome und wußte natürlich, daß die Ehe der Valientes nicht die beste war und die schöne Adriana gegen eine interessante Bekanntschaft außer Haus nichts einzuwenden gehabt hätte. Don Joaquin, dachte Adriana, ich wünsche dir nichts Böses, aber ich kann dich auch nicht bedauern, denn du hast mich zu schlecht behandelt. Vielleicht wirst du ewig schlafen und ins Jenseits hinüberdämmern, ohne mich noch einmal an dein Lager rufen zu können. Ich finde, das wäre so am besten für uns beide, und ich verspreche dir, daß ich nachholen werde, was ich versäumt habe, falls du das Zeitliche segnen solltest. * „Santa Catalina“ - der Name der schweren Viermast-Galeone grüßte in geschwungenen Lettern von ihrem Steuerbordbug zu den Besuchern herüber und schien in der Dunkelheit fast übergangslos in den Verzierungen der Bordwand und dann nach achtern zur Galerie auszulaufen. Die Galerie umspannte massiv und gewichtig die gesamte Heckpartie des Schiffes. Sie wurde von schnörkeligen Löwenfiguren gestützt, die aus Holz geschnitzt und mit einem goldenen Anstrich versehen waren. Über der Balustrade ragten die erleuchteten Fenster des Achterkastells auf, und noch weiter darüber erhoben sich die Aufbauten bis zum stolz nach achtern aufstrebenden Oberdeck der Hütte. Der Segundo Noberto Llamas, ein zweiter Offizier ohne Furcht und Tadel, ließ seinen Blick über den Rumpf des mächtigen Schiffes wandern, bevor er ganz nach vorn in den Bug der einmastigen Schaluppe stieg und sich anschickte, an der Jakobsleiter des Seglers aufzuentern. Längst war die Jakobsleiter, an Steuerbord der „Santa Catalina“ ausgebracht worden. Oben vom Schanzkleid winkten die Soldaten und Seeleute dem Begrüßungskomitee freundlich zu.
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Die Schaluppe, deren Großsegel und Fock nun ins Gei gehängt wurden, gehörte dem Hafenkapitän von Sao Tome. Llamas trat als sein Stellvertreter auf — aus zwingenden Gründen sozusagen. Llamas spürte, wie sein Herz schneller klopfte. Da war sie, die langersehnte „Santa Catalina“, noch erschien ihm ihre Ankunft wie ein Traum. Wichtiges mußte sie an Bord haben, Proviant und Trinkwasser, die die zweifellos infizierte Nahrung der Inselbewohner ersetzen sollten. Einen Arzt hoffte Llamas zu sehen, einen auf Tropenkrankheiten spezialisierten und mit modernsten Arzneien ausgerüsteten studierten Mann, der die Garnison heilen sollte. „Warum“, so würde der Capitan Algaba zweifellos fragen, „warum haben Sie die Insel nicht evakuieren lassen, Segundo?“ Nun, darauf gab es eine sehr plausible Antwort. Ein Teil der Zivilbevölkerung war zu den Kolonien des schwarzen Kontinents hinübertransportiert worden, aber wer Besitz auf Sao Tome hatte, war geblieben. Und die Offiziere und Soldaten konnten diesen verfluchten Flecken Erde nicht verlassen, denn sie hatten den ausdrücklichen Befehl, hier, auf diesem vorgeschobenen und strategisch so wichtigen Posten mitten im Atlantik, die Stellung um jeden Preis zu halten. Aber ohne Hilfe konnte Sao Tome nicht mehr lange existieren. Ein erbarmungslos heißer Sommer und Myriaden von Dschungel-Ungeziefer, die über die Siedlung und den Hafen hergefallen waren, hatten die spanischen Besatzer in die Knie gezwungen. Die Kapitäne der Schiffe, die an den Piers oder auf der Reede lagen, waren samt dem Großteil ihrer Offiziere und Mannschaften nicht mehr imstande, einen Segler vorschriftsmäßig zu manövrieren. Sie waren also zum Hierbleiben verdammt. Aber auch das war streng geheim gehalten worden. Sao Tome galt als eine uneinnehmbare Bastion. Ihr Hafen konnte durch eine riesige. Eisenkette zur offenen See hin abgeriegelt werden, und die Festung mit
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ihren Kanonen hatte bisher noch jedem Angriff getrotzt. Aber nur ein elender Pirat brauchte von dem Mißgeschick zu erfahren, das Sao Tome getroffen hatte, dann war es um diese Kolonie geschehen. Mit einer Handvoll von wild entschlossenen Kerlen konnte ein Freibeuter-Kapitän hier sehr schnell aufräumen und das Kommando an sich reißen. Damit hatte er dann eine Insel unter der Fuchtel, von der aus er so manchen spanischen Schiffsverband aufbringen und kapern konnte. Falls er nicht an den Krankheiten zugrunde geht, dachte der Segundo Noberto Llamas, als er aufenterte. Die Schaluppe war längsseits der Galeone gegangen. Llamas war als erster Mann der fünfköpfigen Schaluppenbesatzung in die Querhölzer der Leiter gestiegen. Llamas legte sich schon sämtliche Worte zurecht, mit denen er die Landsleute begrüßen und den Kapitän Jose Algaba über die prekäre Situation unterrichten würde. Broviras, der Hafenkapitän, hatte diesen Mann persönlich gekannt und ihn aus diesem Grund ja auch von Cadiz bis hier herüber gelotst. Llamas jedoch, der nicht aus Cadiz stammte wie Broviras und Algaba, sondern aus Valencia, mußte dieser Schiffsführer erst noch vorgestellt werden. So kletterte Llamas auf die Berghölzer der „Santa Catalina“, richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf, schob sich mit dem Leib über die Oberkante des Schanzkleides und zog zuletzt die Beine nach. Die Soldaten der Galeone griffen ihm hilfreich unter die Arme und stellten ihn auf die Planken der Kuhl. Llamas atmete tief durch und sagte: „Danke. Ich will sofort zu eurem Kapitän geführt werden.“ „Si, Senor“, antwortete der eine Soldat. „Sofort, Senor.“ Irgendwie kam es dem Segundo so vor, als schwänge ein ironischer Unterton in dieser Stimme mit, aber er dachte nicht weiter darüber nach, weil die Soldaten ihn ausgesprochen
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ehrerbietig zum Steuerbordniedergang des Achterkastells geleiteten. Llamas hatte den Niedergang halb bewältigt, da trat ihm oben der Mann entgegen, den er aufgrund der Kleidung als den Kapitän identifizierte. Die Perücke schien ihm etwas zu groß geraten zu sein, sie hing ihm lockig in die Stirn und reichte ihm fast bis auf die Schultern. Auch der Rest seiner Montur saß schlecht und wirkte zu weit - doch Noberto Llamas stieß sich auch daran nicht, denn er räumte ein, da ß ein Kapitän während einer einmonatigen Überfahrt erheblich an Körpergewicht verlieren konnte. „Buenas tardes“, sagte Noberto Llamas. Er war bemüht, den erforderlichen Schneid in seine Stimme zu legen. „Guten Abend, Capitan, und herzlich willkommen auf der Insel Sao Tome. Sicher wundern Sie sich, daß nicht Capitan Alvaro Broviras persönlich hier an Bord Ihres Schiffes erscheint Capitan Algaba.“ „Ich bin auch mit seinem Stellvertreter zufrieden.“' „Llamas ist mein Name - Noberto Llamas.`' „Hocherfreut, Senor Llamas. Ich muß sagen, ich bin froh, Sao Tome endlich erreicht zu haben.“ „Lassen Sie mich erklären, was mit dem Capitan de Puerto, Alvaro Broviras „Später“, unterbrach der Kapitän. „Halten wir uns nicht mit Förmlichkeiten und Floskeln auf, Senor Llamas. Ich sagte doch, auch der Stellvertreter des Hafenkapitäns ist mir ein angenehmer Gast auf meinem Schiff. Rufen Sie jetzt Ihre vier Bootsgasten herauf, Senor.“ „Alle vier?“ fragte der Segundo verwundert. „Ich habe ihnen etwas zu übergeben.“ „Etwas Schweres?“ „Das kann man sagen“, erwiderte Enrique Jose Algaba mit sparsamem Lächeln. Llamas glaubte zu verstehen, denn er rechnete damit, daß der Kapitän der Galeone den Männern der Schaluppe eine Last aushändigen würde, die man nicht einfach in den Einmaster abfieren konnte beispielsweise Arzneimittel in
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zerbrechlicher Verpackung, die behutsam in die Schaluppe hinuntergermannt werden mußten. Die vier Männer hatten kaum die Kuhl der Galeone betreten, da begriff Noberto Llamas seinen furchtbaren Irrtum. Das Lächeln in den Gesichtern der AlgabaLeute verwandelte sich in ein höhnisches Grinsen, sie traten plötzlich von allen Seiten auf den Segundo und seine Begleiter zu. Ehe die fünf es sich versahen, hatten die Soldaten und Seeleute der „Santa Catalina“ zugepackt. Sie hielten die Männer der Schaluppe fest, rangen sie nieder und wollten sie fesseln. Llamas stöhnte auf. Er versuchte, seinen Degen oder seine Pistole zu zücken, wollte schreien und Alarm zum Ufer hin geben. Aber der Kapitän des Viermasters trat dicht vor ihn hin und hob einen Belegnagel. Zwei Kerle klammerten sich an Noberto Llamas fest, ein dritter stürzte hinzu, schlang ihm einen Arm um den Hals und preßte ihm mit der Hand den Mund zu. Llamas brachte nur noch einen erstickten Würgelaut zustande. Der Kapitän, der nie und nimmer der echte Enrique Jose Algaba sein konnte, sagte: „Ja, Senor Llamas, wir haben Ihnen wirklich etwas Schweres zu übergeben. Etwas Gewichtiges, meine ich.“ Mit diesen Worten hieb er zu. Noberto Llamas glaubte das Kastell von Sao Tome bersten zusehen. Rotwabernde Glut zuckte aus den auseinanderklaffenden Trümmern hervor, und monströse Wesenheiten des Dschungels sprangen ihn aus dem Feuer an. Gesprungene Bronzeglocken läuteten mit dissonantem Klang zu seinem Untergang. Dann, endlich, versank alles in erlösender Finsternis. 2. Unbeobachtet und völlig unbehelligt glitt zur selben Zeit ein Schiff aus Richtung Südwesten an die große Südbucht der Insel Sao Tome heran, das zwar einen Mast weniger als die „Santa Catalina“ führte,
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sich sonst jedoch in jeder Weise mit der spanischen Galeone messen konnte. Von der Konstruktionsweise her war auch dieser Segler eine Galeone, aber seine Kastelle waren flacher, als man es normalerweise bei Schiffen dieser Klasse sah. Auffallend waren weiterhin die drei überhohen Masten mit der großen Segelfläche sowie das Ruderhaus, das der Hersteller auf dem Quarterdeck errichtet hatte. In diesem Ruderhaus gab es ein richtiges Ruderrad, der Kolderstock gehörte hier schon längst der Vergangenheit an. Auch die Kanonen des Dreimasters waren nicht von der herkömmlichen Art. Dem Kaliber nach 17-PfünderCulverinen, waren diese Geschütze mit übermäßig langen Rohren versehen, die ein genaues Zielen auf die Distanz von über einer Seemeile ermöglichten. Acht solcher Kanonen waren auf jeder Seite der Kuhl mit Brooktauen festgezurrt, und auf der Back und auf dem Achterdeck verfügte das Schiff zusätzlich über je zwei Drehbassen, also Hinterlader. Auch mit dem Namen dieses Seglers hatte es etwas ganz Besonderes auf sich. „Isabella VIII.“, das klang spanisch, und spanisch war das Wort seiner Herkunft nach auch. Aber eben nur das Wort. Die Galeone selbst unterstand dem Kommando eines Mannes, dessen Name dem Englischen entstammte - Philip Hasard Killigrew. Ein reinblütiger Engländer war aber auch er nicht, vielmehr der Sohn eines Malteserritters deutscher Herkunft und einer spanischen Adligen. Und so war auch Englands Sache zur See nicht uneingeschränkt seine Angelegenheit, wenn auch der Großteil der Crew aus „echten“ Engländern bestand. Als Freibeuter empfanden sie sich in erster Linie, als Gegner der Weltmacht SpanienPortugal - und als Rebellen. Was war das für eine seltsame Mannschaft, die sich einbildete, Spanien und der Armada mit zwanzig Kanonen trotzen zu können? Ein Haufen Verrückter? Eine Handvoll verzweifelter Galgenstricke, die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatten?
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Keineswegs. Sie hingen an ihrem Leben wie jeder Mensch, sie sehnten sich nach ihrem England, das sie nun schon einige Jahre nicht mehr gesehen hatten, und sie hatten ein verdammtes Verlangen, nach einem vernünftigen Landgang in der „Bloody Mary“ des Nathaniel Plymson in Plymouth mal wieder eine Runde auszuraufen. Und außer ihrem Leben und ihren Sehnsüchten hatten sie noch einiges zu verlieren — die „Isabella“ beispielsweise, die sie gemeinsam mit Hasard von ihren Beutegeldern gekauft hatten. Oder die immensen Schätze, die in den drei Frachträumen des Schiffes ruhten und an denen jeder der zweiundzwanzig Männer seinen Anteil hatte. Also waren sie nicht blindlings darauf aus, sich mit jedem Spanier anzulegen, der ihren Kurs kreuzte. Sie wußten sorgsam abzuwägen und hatten die nötige Umsicht. die eine Crew zu einer guten Crew stempelte und sie davon abhielt, unbedachte Handlungen zu begehen. So hatte der Seewolf sich in der Nähe der Walfisch-Bucht zwar von Lucio do Velho, seinem Gefangenen, hereinlegen lassen, aber die Crew war beherrscht genug gewesen, keinen hitzigen Ausfall gegen den bornierten portugiesischen Kommandanten zu unternehmen. Dies hatte letztlich zu einem Sieg der Seewölfe auf der ganzen Linie geführt. Sie konnten do Velho und dessen Bootsmann Ignazio jetzt vergessen. Eigentlich hätten sie zu dieser Stunde schon wieder von England träumen können, denn der Seewolf setzte alles daran, die „Isabella VIII.“ so rasch wie möglich nach Hause zu steuern. Westafrika war fast erreicht — und doch, da waren ein paar Kleinigkeiten, die zu einer erneuten Verzögerung führten. „Eine Zwangspause“, sagte Ben Brighton. Er trat an die Schmuckbalustrade und ließ die Hände auf die obere Querleiste sinken. „Himmel, und das ausgerechnet jetzt, da wir den Äquator noch nicht richtig überquert haben. Der Teufel soll diese elenden Tropen holen.“ Er wischte sich mit
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einer Hand durchs Gesicht. Seine Finger wurden naß. Obwohl er wie die anderen Männer der Crew mit nacktem Oberkörper auf Deck stand und obwohl es Abend geworden war, drang ihm der Schweiß aus allen Poren. Hasard trat neben seinen Bootsmann und ersten Offizier. „Wir sind über den Äquator weg, Ben. Und gerade seinetwegen sind wir ja dazu verdonnert, in diese Bucht hier zu verholen.“ „Und wegen des Windes“, gab Ben zu bedenken. „Schön, der beständige Westwind hat uns daran gehindert, weiter nach Nordwesten abzulaufen und den Golf von Guinea nur zu streifen“, entgegnete der Seewolf. „Wir segeln zu nahe an der Küste entlang und beschreiben einen Umweg statt einer Abkürzung. Aber das Salz wäre trotzdem zerlaufen, und auch die übrigen Vorräte wären uns verschimmelt. Das letzte Trinkwasser mußte in den Fässern faulen, es war unabwendbar und praktisch vorauszusehen. Erinnerst du dich nicht mehr an den Amazonas, Ben?“ „Und ob.“ „Na also. In der Äquatorzone herrscht gerade um diese Jahreszeit eine unerträgliche Hitze auch weiter im Westen.“ „Und der Kutscher hat nicht übertrieben?“ Hasard schüttelte den Kopf: „Ich habe die Vorräte selbst kontrolliert, um hundertprozentig sicherzugehen. Wir können es dem Kutscher nicht anlasten, daß Proviant und Wasser verdorben sind.“ „Das hatte ich auch gar nicht vor, Sir!“ „Andererseits War seine Warnung, wir würden vor dem Erreichen des afrikanischen Festlandes entweder verdursten oder verhungern, auch keine bloße Unkerei“, sagte der Seewolf ernst. „Es braucht nur eine Widrigkeit einzutreten, ein Sturm oder eine unliebsame Begegnung mit den Dons zum Beispiel, und wir sind verraten und verkauft.“ Ben blickte nach vorn. Al Conroy hatte sich auf der Galionsplattform niedergelassen. Er arbeitete mit dem Lot
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und sang fortwährend die Wassertiefe in der Bucht aus. Carberry gab seine barschen Kommandos. Es wurde immer mehr Segelfläche weggenommen, bis die „Isabella“ in einem Abstand von weniger als einer Kabellänge vor dem Ufer im Wind lag und der Bug- und der Heckanker fünf Faden tief ausrauschten, bevor sie auf Grund trafen. „Aber ausgerechnet die Insel“, sagte Ben Brighton. „Ich kann das Mangrovendickicht mit bloßem Auge erkennen, es wuchert ja weit genug ins Wasser. Das eigentliche Land hingegen kann man nicht sehen. Mann, es dauert eine halbe Ewigkeit, bis wir in diesen Urwald einen Pfad getrieben haben. Und ...“ „Wir haben gerade keine andere Insel greifbar, Mister Brighton“, unterbrach ihn Hasard jetzt ziemlich rauh. „Da müssen wir also in den sauren Apfel beißen, ausgerechnet hier nach einer Trinkwasserquelle Ausschau zu halten und so viel Wild zu jagen, daß uns eine problemlose Überfahrt bis zur westafrikanischen Küste gesichert ist. Ben, mir stinkt das genauso wie dir und den anderen, aber wir haben keine andere Wahl.“ „Natürlich nicht. Ich will mich ja auch nicht bei dir beschweren.“ „Sondern?“ „Mir bloß ein wenig Luft verschaffen.“ „Dann geh gefälligst auf die Galionsplattform und blase dort deinen Unmut ab“, entgegnete Hasard, wobei er auf das stille Örtchen der Seeleute anspielte. Ben schluckte die Bemerkung, ohne mit der Wimper zu zucken. Wieder wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Soll ich dir verraten, nach was mir zumute ist?“ „Wetten, daß ich es weiß? Klirrender Frost und eisiger Wind, wie er im Dezember durch Cornwall fegt —und Schnee, so hoch, daß man bis zu den Schultern darin eintauchen kann.“ „Donnerwetter“, sagte der wackere Ben mit echtem Erstaunen. „Kannst du neuerdings Gedanken lesen?“
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Hasard grinste schief. „Mann, dazu gehört doch nun wirklich kein Scharfsinn.“ Sie gingen zur Back, stiegen den Niedergang hinauf und trafen, sich mit Smoky, Al Conroy, Ferris Tucker, Shane, den beiden O'Flynns und den anderen, die von hier aus zu dem überwucherten Ufer hinüberblickten. „Verdammt“, murmelte der alte O'Flynn. „Wenn ich da an Kalimantan denke ...“ „Du sollst aber nicht an Kalimantan denken“, erwiderte Hasard sehr ruhig und in fast gedämpftem Tonfall. „Wir grübeln am besten über gar nichts nach und fieren ein Boot ab, mit dem wir uns auf die erste Inspektionsreise begeben. Wird schon in's Auge gehen, die Sache, was, Donegal? Also, wer von euch Helden hat die Hosen noch nicht so voll, daß er sich freiwillig melden kann? Oder wollt ihr, daß ich allein lospulle?“ Das saß. Außer Arwenack, dem Schimpansen, und Sir John, dem karmesinroten Aracanga, rissen alle die Arme hoch. Carberry blickte sich zu dem Kutscher um, der erst vor kurzem die Kombüsenfeuer gelöscht und sich zu den Männern auf Oberdeck gesellt hatte. Im Narbengesicht des Profos' arbeitete es, er hatte was vor, und das wirkte ungefähr so, als wolle er den bedauernswerten Kutscher mitsamt dessen Mütze und dessen ausgefransten Segeltuchhosen verschlingen. „Nun mal 'raus mit der Sprache, du Knochenflicker und Leichengeier“, sagte Carberry. „Was erwartet uns noch alles auf dieser Scheißinsel -außer wilden Tieren, menschenfressenden Pflanzen, Schlinglianen; Fallen, Kannibalen und Kopfjägern?“ „Da habe ich .nicht die geringste Ahnung.“ „Du weißt doch sonst immer alles, du Kombüsenfurz. Beispielsweise, wie dieses Stück Dschungel .mitten im Atlantik heißt.“ „Sao Tome“, erklärte der Kutscher. „So wurde die Insel von ihren Entdeckern, den Portugiesen, getauft. An der Ostseite befindet sich in der Tat ein Hafen mit
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demselben Namen. Dort soll auch eine Festung der Spanier sein.“ „Aber die laufen wir nicht an, weil es dort zu heiß für uns werden könnte“, sagte der Profos. „Wir wissen nicht, wie stark die Dons dort sind, wie viele Schiffe sie im Hafen liegen haben, wie viele Kanonen das Kastell hat. Das leuchtet mir ein. Aber hier -was passiert uns hier?“ „Ich frage mich, ob es für uns überhaupt noch heißer werden kann“, warf Matt Davies ein. „Ich komme mir vor wie einer, der im türkischen Dampfbad sitzt und nicht mehr 'raus kann.“ „Lieber ein Pfund abschwitzen, als von den Dons nach Strich und Faden zusammengeschossen zu. werden”, sagte Bob Grey. „Davies und Grey“, fuhr der Profos sie an. „Wer hat euch nach eurer unmaßgeblichen Meinung gefragt?“ „Keiner“, murrte Matt Davies. „Aber du weckst mit deinem Gebrüll. noch den ganzen Dschungel auf', trommelst die nackten Wilden zusammen, machst die Raubtiere mobil und lockst uns ein Heer von Dons auf den Pelz. Profos.“ Wider Erwarten ging Ed Carberry nicht in die Luft. Er legte dem Kutscher nur seine rechte Pranke auf die Schulter und lächelte so freundlich wie ein hungriger Hai. „Aber, aber, wer wird denn gleich den Teufel an die Wand malen, Leute! Es brauchen ja nicht überall dort, wo ein paar lächerliche Mangroven wachsen, auch gleich mordende Heckenschützen und gierige Bestien zu lauern. Es könnte zur Abwechslung ja auch mal friedlich zugehen. Was meinst du, Kutscher? O, ich glaube einfach nicht, daß sie uns mit Giftpfeilen spicken und uns die Köpfe abhacken, daß wir in Fallgruben versinken oder von Ungeheuern gefressen werden.“ „Um festzustellen, was auf uns wartet, müssen wir die Insel erst einmal erkunden“, entgegnete der Kutscher. Er grinste plötzlich verwegen. „Sir, ich melde mich nicht nur freiwillig - ich bitte auch darum, mitgenommen zu werden. Ich als Koch und Feldscher der ,Isabella' will nur das Beste für die Crew und habe es satt,
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dauernd mißverstanden zu werden. Ich halte gern für jeden meinen Kopf hin, wenn es darauf ankommt, Sir.“ „Ich finde, es hat keiner einen Grund, sich über dich zu beklagen“, antwortete der Seewolf. „Aber deswegen lehne ich dein Anerbieten nicht ab. Es ist mir sogar recht, daß du mich begleitest.“ Carberry musterte den Kutscher verblüfft von der Seite. „Hoppla, jetzt fühlt sich unser Kombüsenhengst und Quacksalber doch wohl nicht aufs Hemd getreten? He, Kutscher, sag bloß, du bist richtig sauer ...“ „Unsinn, Ed.“ „Ach, und ich dachte schon ...“ „Ed“, sagte der Kutscher mit sparsamem Grinsen. „Wir haben nun so ziemlich alles herbeizitiert, was an Gefahren auf uns lauern kann. Nur die Krankheiten haben wir vergessen - dabei brüten gerade um diese Zeit die schlimmsten Erreger im Regenwald und warten nur darauf, sich auf uns zu stürzen. Wir können uns das Sumpffieber wegholen, die Schlafkrankheit. das Gelbfieber, die Amöbenruhr, Frambösie, Mykosen oder die gefürchtete Lepra. Es gibt Hakenwürmer und Guineawürmer, von Giftschlangen und anderen lieben Tierchen ganz zu schweigen.“ „Und die Piranhas? Die hast du vergessen.“ „Die gibt's nur in der Neuen Welt.“ „Aha, da fällt mir ja ein Stein vom Herzen“, erwiderte der Profos. „Kutscher, mir hat deine Rede so imponiert, ich möchte an deiner Seite sein, wenn die Ungeheuer über uns herfallen.“ Er wandte sich an den Seewolf. „Sir, ich stelle den feierlichen Antrag, auch mitpullen zu dürfen.“ „Genehmigt“, sagte Hasard. * Der Segundo Noberto Llamas schlug die Augen auf und hatte sofort einen sehr konkreten Begriff davon, was vorgefallen war, wo er sich befand und was ihm aller Wahrscheinlichkeit nach nun bevorstand. Da waren keine Sekunden geistiger
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Abwesenheit, keine verständnislosen Blicke, die er um sich warf - er war sofort voll bei Sinnen und konnte sich an alles erinnern. Vielleicht lag das an den sehr wirklichkeitsnahen Schmerzen, die seinen Schädel durchtobten. Der Kapitän der „Santa Catalina“ hockte neben ihm oder genauer, über ihm, denn Llamas lag quer zwischen den Duchten der einmastigen Schaluppe, und Kerl, der ihn niedergeschlagen hatte, hatte sich auf einer dieser Duchten niedergelassen. Er lächelte dünn, aber seine Augen lächelten nicht mit. Llamas rief sich noch einmal ins Gedächtnis zurück, daß dieser Kerl unmöglich der Kapitän Enrique Jose Algaba sein konnte. „Wer bist du?“ stieß der Segundo hervor. „Schrei nicht“, entgegnete der Kerl mit der Perücke und der Montur eines spanischen Schiffsführers. „Wir sind den Piers nahe und man könnte dich hören.“ Er zog bedächtig sein Messer und legte die Klinge auf die Fingerkuppen der linken Hand, während er das Heft mit der rechten hielt. „Wer bist du?“ flüsterte Llamas. „Beantworte zuerst du meine Fragen.“ „Der Teufel soll dich holen, wenn du mich nicht sofort freiläßt“, ächzte Llamas. „Meine Hände sind gefesselt. Was ist mit meinen vier Männern geschehen?“ Das Messer war seiner Kehle plötzlich bedenklich nahe. Unwillkürlich hielt der Segundo den Atem an. „Halte dich an die Spielregeln“, zischte der vermeintliche Algaba. „Sonst erreichst du das Ufer nicht mehr, sondern nur noch den Grund der Hafenbucht, und zwar als Leichnam.“ „Ich - werde antworten.“ „Wo steckt der Hafenkapitän?“ „Er ist tot.“ „Broviras? Ha, das geschieht ihm recht. Er war ein elender Bastard, dessen Aufenthalt auf der Welt eine totale Fehlplanung gewesen sein muß. Ein unnützer Fresser und Luftverpester.“ Der Kerl mit dem Messer lachte leise auf. „Woran ist der Hund denn krepiert?“ „An der Gelbsucht“, sagte der Segundo wahrheitsgemäß. „Ganz Sao Tome ist von
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dieser und anderen Krankheiten befallen. Die halbe Stadt siecht dahin. Es ist die Hölle.“ „Das lügst du.“ „Nein. Ich habe keinen Grund dazu.“ „Du willst mich einschüchtern!“ stieß der Kerl auf der Ducht aus. „Aber mit einem so billigen Trick verscheuchst du mich nicht von hier. Ich schätze, die Bewohner dieses idyllischen Fleckchens Erde erfreuen sich blühender Gesundheit, und genauso müßte es um die Finanzen der Stadt bestellt sein, wenn ich mich nicht irre.“ „Was hast du vor?“ „Ahnst du das nicht?“ Noberto Llamas' Augen weiteten sich, und er spürte seine Schmerzen plötzlich nicht mehr. „Doch, ich ahne es. Was habt ihr mit — mit dem wirklichen Algaba gemacht, nachdem ihr die ,Santa Catalina` geentert und an euch gerissen hattet?“ Der falsche Kapitän lächelte grausam. „Ich muß sagen, der nicht ganz offizielle Stellvertreter des Hafenkapitäns von Sao Tome ist kein Dummkopf. Er hat genug Phantasie, um sich ausmalen zu können, was geschehen ist. Nun, wir haben Algaba und einen Teil seiner Drecksmannschaft aus dem Weg geräumt, aber den Rest des Haufens haben wir mit einem Boot davonziehen lassen.“ „Das ist eine Lüge ...“ „Sag das nicht noch mal“, zischte der Mann auf der Ducht, der nicht besonders groß von Gestalt war und doch ausladende Schultern und eine wuchtige Statur hatte. Sein Messer senkte sich wieder bedrohlich auf Llamas' Gurgel. „Was habt ihr mit den armen Teufel getan?“ würgte der Segundo hervor. „Denk, was du willst“, erwiderte der Pirat ungerührt. „Jedenfalls haben wir unser eigenes Schiff, das während des Gefechts stark angeschlagen worden war, kurzerhand versenkt. Die ‚Santa Catalina' ist nun unser Segler, und sie genügt uns, um ganz Sao Tome das Fürchten beizubringen - das schwört dir Manuelito, Segundo.“
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Llamas schloß in ohnmächtiger Wut die Augen. Manuelito -einer der gefürchtetsten Freibeuter des Golfes von Guinea! Ein gebürtiger Spanier, ein Verräter und Abtrünniger, der einst in der Armada gedient hatte und jetzt als gnadenloser Seeräuber all das ausnutzte, was er seinerzeit gelernt hatte. „Ich sehe, Mein Name verfehlt seine Wirkung nicht“; sagte Manuelito. „Das erfüllt mich mit Stolz, Segundo. Und wie brav ihr auf unsere Lichtsignale hereingefallen seid! Ich brauchte nur ein wenig .in den Büchern von Algaba herumzustöbern, um die richtigen Zeichen zusammenzustellen und euch bei meiner Ankunft im Hafen hereinzulegen.“ „Ich habe schimpflich versagt“, flüsterte Llamas. „Töte mich, Manuelito!“ „Ich denke nicht daran. Willst du Selbstmord begehen? Versuche es. Ich glaube nicht, daß du es tust.“ Für einen Moment war der Segundo versucht, sich in das Messer des Piratenführers zu stürzen, aber dann siegte doch der Selbsterhaltungstrieb, ein geradezu übermächtiger Instinkt. Noberto Llamas preßte die Lippen zusammen, um nicht zu schreien. Die Niederlage war vollkommen und hätte schmählicher nicht sein können. „Broviras kannte den richtigen Algaba persönlich“, sagte Manuelito leise. „Aber Broviras ist tot, und es gibt keinen Menschen in der Stadt, der den Schwindel aufdecken könnte. Außer dem Stadtkommandanten Barba Valiente vielleicht. Aber der hockt oben in seiner Burg und läßt sich von seiner schönen Frau streicheln. Von diesem Rasseweib! Ist es so, Segundo?“ „Du kennst dich anscheinend hervorragend aus.“ „Ich träume schon lange davon, Sao Tome in meinen Besitz zu bringen. Ich weiß fast alles über die Insel, über das Kastell, über die Schätze, die in seinen Kellern liegen. Segundo, es war eine Fügung des Schicksals, daß ich die ,Santa Catalina` aufbrachte, daß ich in der Kapitänskammer den geheimen Auftrag fand, aus dem nicht
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mehr hervorgeht, als die Tatsache, daß die Viermast-Galeone von Cadiz nach Sao Tome unterwegs war ...“ „Wegen der Urwaldseuchen, Manuelito“, unterbrach ihn Llamas. „Du lügst.“ „Also gut, ich lüge.“ Manuelito grinste breit und häßlich. „Hör mir gut zu, Hombre. Caranza, meine rechte Hand, und sechs weitere Männer meiner Meute befinden sich als Offiziere und Soldaten verkleidet in dieser Schaluppe. Außerdem wären da deine vier Getreuen. Die Piers sind nahe, und mit ihnen die vielen Neugierigen, die sich wundern würden, wenn sie eure Handfesseln sähen.“ „Sie würden sich gehörig wundern, Manuelito.“ „Ich schneide euch die Fesseln auf“, sagte der Pirat. „Und du setzt deinen vier Compadres auseinander, daß es besser sei, nach unseren Anweisungen zu handeln. Wenn nicht, dann jagen wir jedem von euch ein Messer zwischen die Rippen und veranstalten auf den Piers ein Massaker.“ „Davor würdet ihr nicht zurückschrecken“, sagte Llamas mit einer Stimme, die ihm selbst fremd und unnatürlich erschien. „Also kann -ich dich jetzt von dem Tauende befreien?“ „Ja.“ „Du wirst keinen Fluchtversuch unternehmen und keinen Alarm schlagen?“ „Ich verspreche dir, daß ich mich nicht wie ein Narr benehmen werde“, sagte der Segundo. Er atmete flach und, unregelmäßig, und ihm war elend zumute, hundeelend. 3. Unverändert lastete die brütende Hitze auf der Insel Sao Tome. Sie ließ sich weder durch die Nacht noch durch den aus Westen heranfächelnden Windhauch verdrängen, nistete in der kleinen Hafensiedlung, im Kastell, im Regenwald und war von unglaublicher Hartnäckigkeit. Die drückende Schwüle und die spürbare Feuchtigkeit der Selvas, des Urwaldes, waren die Bestandteile einer gleichsam erbärmlichen Existenz im tropischen
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Spätsommer, eines Dahindämmerns in menschenfeindlicher Umgebung -das Leben in der Kolonie. Die Hitze preßte wie ein Eisengewicht auf den Helm des Wachtpostens Javier. Sie rammte ihm den Helm derart auf dem Kopf fest, daß er meinte, ihn nie wieder absetzen zu können. Dieses alptraumhafte Trugbild schwebte Javier vor, während er mit Eliseo, einem anderen Soldado, Wache vor dem Haupttor des Kastells ging. Die Glut unter dem Helm war eine Brutstätte für winzige Insekten, für Schmutz und Infektion. Die Krankheitserreger, so hatte Javier von dem Feldscher Sao Tomes vernommen, der inzwischen auch von einem dieser gräßlichen Leiden befallen war und sich unten in der Stadt auf seinem Lager wälzte, während seine Patienten jede ärztliche Hilfe entbehren mußten — die Krankheitserreger gruben sich in das vom Schweiß verfilzte Haar und nisteten dort. Auf diese Weise riefen sie schließlich das Gelbfieber hervor, an dem der Hafenkapitän Alvaro Broviras gestorben war - oder jene mysteriöse Krankheit, an der der Stadtkommandant Barba Valiente litt. Oder das Wechselfieber. Javier glaubte zu spüren, wie tausend winzige Würmer durch seine Kopfhaut in das Gehirn schlüpften und sich von dort aus durch den gesamten Körper fraßen. Er schüttelte sich. „He“, sagte Eliseo aus der. Dunkelheit. Er bewachte den rechten Flügel des auf die Stadt blickenden Tores, während Javier den linken Flügel übernommen hatte. „He, ist dir nicht gut?“ Javier räusperte sich verlegen. „Noch fühle ich mich prächtig. Weißt du was? Im neuen Jahr werde ich vielleicht nach Tanger versetzt. Dann steige ich an Bord eines Schiffes wie der ,Santa Catalina' und kehre dieser scheußlichen Insel für alle Zeiten den Rücken. Mann, wie ich mich darauf freue. In Tanger ist das Klima trockener und gesünder, habe ich mir! sagen lassen, und dort soll auch ein angenehmeres Leben herrschen.“
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Eliseo sog die Luft langsam durch die Nase und stieß sie dann heftig wieder aus. „Entweder hast du heute einen Hitzschlag gekriegt oder eine giftige Schlange hat dich gebissen. Sag mal, bist du noch ganz echt? Tanger - wer hat dir denn den Floh ins Ohr gesetzt?“ „Noberto Llamas, wenn du's genau wissen willst.“ „Der Segundo? Der hat das doch gar nicht zu bestimmen.“ „Seit Capitan de Puerto gestorben ist, ist Llamas eine sehr kompetente Person“, behauptete Javier. „Hör zu“, sagte Eliseo mit einem unüberhörbaren Unterton der Verachtung in der Stimme. „Der Posten des Hafenkapitäns ist vakant. Das heißt, Llamas darf nur vorübergehend die Aufgaben von Broviras wahrnehmen, bis ein neuer Capitan de Puerto eintrifft, um sich in dieser Hölle niederzulassen. Klar, Javier?“ „Ja, aber ...“ „Außerdem : Selbst wenn Noberto Llamas der rechtmäßige Nachfolger von Broviras wäre, hätte er noch lange keinen Einfluß auf die Belange der Garnison, sondern nur auf die des Hafens.“ Eliseo musterte den Kameraden ärgerlich. „Über Versetzungen innerhalb der Truppe hätte er überhaupt nicht zu entscheiden, merk dir das. Das könnte nur unser Stadtkommandant.“ Javier antwortete so leise wie möglich: „Aber der ist sterbenskrank, Amigo. Lange hält er nicht mehr durch.“ „Sei still.“ „Falls Llamas nicht auch bald das Bett hüten muß, wird er wahrscheinlich der einzige Offizier sein, der hier noch kommandieren kann“, wisperte Javier. „Verstehst du jetzt, was ich meine? Man muß sich gut mit ihm stellen, dann wird er die Versetzung der Dienstältesten bewilligen.“ „Wenn du nach Tanger fährst, steht mir das schon lange zu.“ „Eben ...“ Eliseo schüttelte unwillig den Kopf. „Unsinn. Die ,Santa Catalina' ist da, und deren Besatzung wird da- für sorgen, daß die Kranken genesen, die hoffnungslosen
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Fälle fortgeschafft werden und die Gesunden bleiben, um über die Insel und den Hafen zu wachen. Wir haben auf jeden Fall das Nachsehen, Javier. Schlag dir deine Hoffnungen aus dem Kopf.“ Javier verspürte den. Drang, sich den Helm vom Kopf zu reißen und sich mit den Fingern durch die Haare zu fahren, weil es ihn so elend juckte. Aber er bezwang sich. „Eliseo, vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit“, sagte er verhalten. „Sei still.“ Eliseo hatte den Kopf gewandt. „Siehst du nicht das Licht, das sich vorn Hafen aus nähert? Wir kriegen Besuch.“ „Das ist die Delegation der ,Santa Catalina`.“ „Gut möglich.“ „Kennst du Capitan Enrique Jose Algaba, Eliseo?“ „Nein.“ „Wir haben den Befehl, jeden Unbekannten nach der Parole zu fragen, Eliseo.“ „Verdammt, das werden wir auch tun“, zischte Eliseo. „Und jetzt halt endlich das Maul.“ Eliseo sollte recht behalten. Ein kleiner Trupp Männer kam zu Fuß vom Ort aus zur Festung herauf. Zwei von ihnen trugen Pechfackeln, aber die Posten konnten im Schein des zuckenden Lichts nur sehen, daß es sich um gut ein Dutzend Männer handelte. Die Gesichter vermochten sie nicht zu erkennen. Eliseo und Javier traten daher mit abgespreizten Beinen vor das Tor, hoben ihre Musketen an und nahmen eine abweisende Haltung ein. „Halt, wer da?“ sagte Eliseo. „Die Parole“, forderte Javier. „Im spanischen Reich geht die Sonne nicht unter“, ertönte eine ihnen wohlbekannte Stimme. Aus der Gruppe der Männer, die stehengeblieben war, schälte sich die Gestalt des Segundos Noberto Llamas. „Por Dios, habt ihr Schwachköpfe mich denn nicht erkannt?“ „Nein, Senor“, erwiderte Eliseo wahrheitsgemäß. „Und wir haben die strikte Anweisung...“
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„Schon gut.“ Llamas winkte ab. „Ich weiß, ihr tut nur eure Pflicht. Laßt uns jetzt passieren. Capitan Algaba hat es eilig, den Stadtkommandanten zu sehen. Er hat den Arzt der ,Santa Catalina' gleich mitgebracht.“ Mit einer raschen Geste wies er auf den gedrungenen Mann, der die Kleidung eines spanischen Schiffskapitäns trug, und auf den Hünen rechts von ihm. Dieser große Mann war zivil. gekleidet und trug eine Segeltuchtasche, in der sich allem Anschein nach die Utensilien eines Feldsehers befanden. Javier und Eliseo beeilten sich, das Tor freizugeben. Sie klopften gegen die Bohlen und riefen nach der Wache des Innenhofes. Daraufhin wurden die Torflügel von innen geöffnet. Sie knarrten in ihren eisernen Angeln, als sie halb aufschwangen. Noberto Llamas schritt als erster in den Hof des Kastells, ihm folgten der Kapitän der „Santa Catalina“ und der Hüne mit der Segeltuchtasche. Vier Männer, die Eliseo und Javier ihren Gesichtern nach der Capitania del Porto zuordneten, schlossen. sich an, dann folgten sechs Uniformträger, die zur Besatzung der Viermast-Galeone gehören mußten. Das Tor schloß sich wieder. Die Schritte der dreizehn Männer knirschten über den Kies des Hofes davon. Eliseo blickte seinen Kameraden Javier eine Weile von der Seite an, dann, in einem jähen Entschluß, trat er auf ihn zu. „Hast du dir die Gesichter von Algaba, von dem Arzt und den anderen sechs Männern der Galeone genau angesehen?“ fragte er leise. „Das schon. Wieso fragst du?“ „Ich will wissen, ob dir etwas aufgefallen ist.“ „Dieser Arzt scheint ein grobschlächtiger Typ zu sein.“ „Und der Capitan? Dem ist die Perücke zu groß. Dem paßt auch die Uniform nicht richtig. Und seine Visage ...“ „Visage? He, Eliseo ...“ „Den Kerl habe ich irgendwo schon mal gesehen“, raunte Eliseo seinem Kameraden zu. „Es will mir bloß nicht einfallen, wo. Javier, ich warte jetzt noch ein paar
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Minuten, aber dann schleiche ich den Burschen nach. Glotz mich nicht so dämlich an. Du mußt solange allein hier draußen Wache stehen. Ich sage dir, da ist was faul.“ „Das bildest du dir nur ein.“ „Nein. Und ich fühle mich nicht krank, falls du das meinst.“ Himmel, du hast heute nachmittag einen Hitzschlag erlitten, dachte Javier. Aber er behielt es lieber für sich. * Manuelito hatte sich neben Noberto Llamas gebracht und grinste ihn geradezu diabolisch an. Sie hatten die große, durch Kerzen erleuchtete Eingangshalle des Hauptgebäudes betreten. Zwei schwarze Yoruba-Diener waren davongeeilt, um dem Stadtkommandanten ihre Ankunft zu melden. „Fein“, sagte Manuelito. „Ganz ausgezeichnet, Segundo. Du hast deine Sache gut gemacht. Ich habe von Anfang an gewußt, daß du ein kluger Kerl bist. Übrigens halte ich mein Messer immer noch bereit. Ich habe es in der Tasche meines Umhangs versenkt, kann es jedoch jederzeit blitzschnell zücken und dir zwischen die Rippen jagen - falls du Dummheiten anstellst.“ „Wieso habt ihr die zwei Posten vor dem Tor und die vier Hofwachen am Leben gelassen?“ wollte Llamas wissen. „Wenn auch nur einer von ihnen einen Schuß abgegeben hätte - was gut möglich gewesen wäre -, wäre die Stadt gewarnt worden, daß hier etwas im Busch ist“, antwortete der Piratenführer gedämpft. „Ich will aber erst das Kastell in meinen Besitz bringen. Danach überwältige ich auch den Rest der Siedlung, indem ich Barba Valiente als Geisel nehme und das Volk unter Druck setze. Na, ist das nicht eine gute Idee? Bin ich nicht ein Menschenfreund, der jedes Blutvergießen verhindern will?“ „Ich bewundere deine Barmherzigkeit“, zischte Llamas.
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Manuelito lachte leise. Caranza, der Hüne, der von seinem Anführer als der Arzt der „Santa Catalina“ bezeichnet worden war, ließ einen unterdrückten Warnlaut vernehmen. „Man könnte euch hören“, raunte er. Manuelito schüttelte nur den Kopf. „Ach was, uns belauscht keiner.“ Noberto Llamas hoffte nicht nur, da ß ihr Dialog Ohren erreicht hatte, für die er nicht bestimmt war -er betete in diesem Moment darum. Aber seine Hoffnungen wurden zerstört. Einer der Yoruba-Diener kehrte unbekümmert zu ihnen zurück. Der Segundo kannte von früheren Besuchen im Kastell her sogar seinen Namen: Rasome. Llamas trachtete, Rasome ein Zeichen zu geben, aber er unterließ es. Manuelito behielt ihn ständig im Auge. Llamas hatte keine Chance, die Bewohner des Kastells vor der Bedrohung zu warnen. Sie waren den Piraten ausgeliefert - alle. Rasome deutete eine Verbeugung zu ihnen hin an, dann wandte er sich um und geleitete sie in einen Raum, der durch große Öllampen erhellt wurde. Der Diener öffnete eine Verbindungstür, drehte sich zu den Besuchern um und bedeutete ihnen durch eine Gebärde, daß sie passieren konnten. Die acht Piraten betraten mit ihren Gefangenen ein Zimmer, das nur schwach erleuchtet war. Rasome blieb im Vorzimmer zurück und schloß die Tür. Holzgetäfelte Wände hatte der Raum, in den Manuelito und seine Kerle vorgedrungen waren. Schmalbrüstige Fenster blickten von der einen Wand auf den Hof hinaus. Im Zentrum des Raumes stand ein baldachingeschmücktes Bett, an dessen Flanke ein junger Yoruba-Mann einen riesigen Fächer bewegte. Ein hageres Mädchen hatte sich besorgt über das Bett gebeugt. Sie richtete sich jetzt auf, und sagte etwas zu den beiden Soldaten, die unweit des Kopfendes des Lagers standen. Weder Llamas noch Manuelito konnten verstehen, was sie gesagt hatte. „Ist das etwa die Frau des Commandantes?“ flüsterte Manuelito.
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„Segundo, das kann doch nicht die Möglichkeit sein.“ „Das ist die Zofe von Dona Adriana.“ „Aha. Und wo steckt das Rasseweib?“ „Das werden wir wohl gleich erfahren.“ Sandra, die Zofe, wandte sich den Besuchern zu und sagte: „Senores, so gern Don Joaquin Sie sicherlich begrüßen würde - er kann es nicht. Er hat wieder einen Anfall gehabt, und aus seinem ohnmachtähnlichen Zustand wacht er nicht auf.“ „Anfall?“ fragte Manuelito. Er senkte die Stimme wieder etwas. „Hölle, es ist also doch wahr, was du gesagt hast, Segundo.“ „Ja. Und es besteht die Aussicht, daß wir alle uns anstecken.“ In Manuelitos Mundwinkeln zuckte es. „Unsinn, du kannst mich nicht verunsichern. Ich lebe jetzt lange genug in den Tropen, bin abgebrüht und kenne mich aus. Ich habe einen Anflug von Wechselfieber gehabt, bin aber heil davongekommen. Folglich bin ich jetzt gegen diese Art von Krankheit gefeit.“ „Das ist kein Wechselfieber“, murmelte der Segundo. „Das ist etwas anderes Capitan Algaba.“ Manuelito gab seinem treuesten Verbündeten einen Wink. „Doctor, kümmern Sie sich jetzt bitte um den Comandante. Er ist der erste Mann auf Sao Tome, der kuriert werden muß. Tun Sie, was in Ihren Kräften steht.“ „Si, Senor.“ „Senorita“, sagte Manuelito zu der Kammerzofe. „Wann haben wir die Ehre, auch die Senora zu begrüßen?“ „In wenigen Minuten“, entgegnete die hochaufgeschossene und etwas schlaksige Sandra. „Dona Adriana kleidet sich gerade um, hat mir aber versichert, daß es nicht mehr lange dauert.“ „Danke, Senorita.“ Noberto Llamas hatte sich gefragt, wie lange Manuelito und seine Meute dieses Spiel noch weiterführen wollten. Jetzt wußte er es. Manuelito wußte ganz genau, daß er mit seiner kleinen Bande unmöglich ganz Sao Tome niedermetzeln konnte wenn nahezu die Hälfte der Bevölkerung
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auch tatsächlich krank war, was er inzwischen begriffen zu haben -schien. Aber um in einem Blitzangriff den Hafen und die Insel in die Hand zu bekommen nein, dazu waren die Piraten nicht stark genug. Es gab immer noch genug Soldaten und andere Männer, die vom Kastell und von den Schiffen aus eine einzige Freibeuter-Galeone zusammenschießen konnten. Daher ging Manuelito mit List und Tücke vor. Hatte er erst einmal Don Joaquin Barba Valiente und dessen Frau in der Gewalt, war es ihm ein leichtes, auch alle anderen zu überrumpeln. Denn wer würde Don Joaquin und Dona Adriana opfern, um die brutalen Schnapphähne zu überwältigen? Keiner. Auch Noberto Llamas nicht -so groß sein Haß auf Manuelito, Caranza und die anderen Kerle war. Gewiß, den Stadtkommandanten hätte er nötigenfalls der Gefahr ausgesetzt, von den Piraten massakriert zu werden. Der Mann war ohnehin halb tot, und außerdem empfand der Segundo keine übermäßige Sympathie für ihn. Aber Dona Adriana: Ihr durfte nichts geschehen! Llamas fühlte mehr als Verehrung und Achtung, wenn er an diese berückend schöne Frau dachte. Sein Herz schlug schon lange für sie, aber natürlich hatte er dies nie offen gezeigt, und seine Zuneigung war rein platonischer Art. Nur eins wußte er in diesem Augenblick. Was auch geschah, er würde sie um jeden Preis zu schützen versuchen. So oder so. Caranza hatte den Stadtkommandanten umständlich untersucht. Seine Bestrebungen, die ja nur Schauspielerei waren, nahmen sich lächerlich aus, aber Sandra, der schwarze Diener und die beiden Soldaten an Don Joaquins Bett schöpften keinen Verdacht. Caranza hielt ihnen seinen breiten Rücken zugewandt. Sie konnten nicht sehen, was er tat. Don Joaquin Barba Valiente war ein nicht mehr ganz schlanker Mann mit markanten Zügen, einer etwas zu groß geratenen Nase und einem schwarzen Vollbart. Er badete
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in -Schweiß, warf seinen Kopf hin und wieder unruhig hin und her, schlug aber nie die Lider auf. Llamas registrierte zu seinem Entsetzen, daß der Kommandant Ausschläge auf der Gesichtshaut, auf den Armen, dem Hals, der Brust und demzufolge wohl am ganzen Körper hatte. Caranza hob den Kopf, ließ seinen Blick über die Umstehenden wandern und dann auf Sandras Gesicht verharren. „Zofe“, sagte er. „Ruf deine Herrin.“ „Ist es - so schlimm? Santa Madre, armer Don Joaquin“, begann Sandra zu jammern. Manuelito wurde unwirsch. „Hast du nicht gehört? Du sollst deine Herrin rufen sofort. Unser Arzt hat dringend mit ihr zu reden.“ Sandra lief aufschluchzend zur Tür, öffnete sie, drückte sich an Rasome, dem Yoruba, vorbei und eilte zu Dona Adrianas Schlafgemächern. Noberto Llamas spielte mit dem Gedanken, einen Ausfall gegen Manuelito zu unternehmen, aber der blickte ihn unverwandt an. Llamas wußte: Ehe er Manuelito packen konnte, hatte er das Messer im Leib stecken. Es war aus. Dona Adriana würde auf der Bildfläche erscheinen. Die Piraten warteten nur darauf, sie packen und die Maske endgültig fallen lassen zu können. 4. Eliseo hatte in der Vorhalle des Hauptgebäudes mit Rasomes Stammesbruder gesprochen, der bei der Ankunft der Santa-Catalina-Delegation mit zugegen gewesen war. Jetzt wußte der Soldat, wohin sich die dreizehn Männer gewandt hatten - und er folgte ihnen. Als Sandra das Schlafzimmer des Stadtkommandanten bereits verlassen hatte und durch die Flure zu den Gemächern ihrer Herrin lief, trat Eliseo so leise wie möglich durch den erhellten Vorraum auf Rasome zu. „Sind sie dort drin?“ fragte er leise. Mit der Hand wies er auf die schwere Edelholztür, hinter der Stimmengemurmel war. Rasome nickte. „Aber du kannst nicht hinein. Was willst du?“
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„Rasome“, sagte der Soldat in verschwörerischem Tonfall. „Hat Don Joaquin den Capitan Algabe wiedererkannt?“ „Das kann er nicht. Er ist noch nicht wieder aufgewacht, und es scheint ernster zu sein, als wir alle dachten, denn der Capitan und der Arzt haben nach Dona Adriana rufen lassen.“ Eliseo lauschte den Stimmen. Deutlich hörte er heraus, was der Kapitän der Galeone gerade sagte. Es war etwas Belangloses, aber der Klang der Stimme war ein Impuls, der in Eliseo undeutliche Erinnerungen wachrief und ihn stutzen ließ. Mit dieser Stimme hatte er auch wieder das recht derbe Gesicht vor Augen, das ihm eben vor dem Tor des Kastells so unangenehm aufgefallen war. Sein Geist irrte in die Vergangenheit ab, in eine Gegend, die nicht Sao Tome war. Einige Sekunden stand er mit entrückter Miene dem Yoruba gegenüber. Rasomes Augen wurden schmal. „Sag mal, fühlst du dich nicht gut?“ fragte er den Soldaten in seinem akzenthaltigen, aber sonst korrekten Spanisch. Eliseo schwieg, grübelte - und dann, unvermittelt, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Mein Gott“, hauchte er entsetzt. „Rasome, das darf doch nicht wahr sein!“ „Willst du mir endlich sagen, was los ist?“ Rasome“, flüsterte Eliseo, indem er sich vorbeugte. „Der Kerl dort drinnen, dieser Capitan - das ist nicht Enrique Jose Algaba. Nie und nimmer. Und seine Begleiter - mit denen stimmt auch was nicht.“ „Mann, ist dir bewußt, was du da sagst?“ „Ja. Hör zu. Vor zwei Jahren wurde vor Lagos ein starker Verband spanischer und portugiesischer Kriegsschiffe zusammengezogen, und ich war auf einer Galeone als Mitglied der Mannschaft mit dabei, als die Jagd auf einen der berüchtigtsten Piraten dieser Ecke Welt begann - auf Manuelito, wie der Kerl genannt wird“, raunte Eliseo dem Schwarzen zu. „Wir stellten ihn und seinen Verband, aber er schlug sich wie ein
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Teufel und enterte beinahe unsere Galeone. Ich stand ihm fast Auge in Auge gegenüber, es war einer der scheußlichsten Augenblicke in meinem Leben, das kannst du mir glauben. Wenig später kamen uns zwei andere Schiffe zu Hilfe. Manuelito mußte sich zurückziehen, wurde um ein Haar getötet, entwischte aber mit seinem Führungsschiff. Seitdem habe ich ihn nicht wiedergesehen - bis heute abend.“ „Soldado, du meinst allen Ernstes ...“ „Ja.“ Eliseo wies noch einmal auf die Tür, hinter der das Schlafzimmer des Stadtkommandanten lag. „Er ist es. Ich bin völlig sicher.“ „Das ist ungeheuerlich.“ „Von der alten Garde, die damals mit dabei war, sind nicht mehr viele übrig, und auf Sao Tome bin ich wohl der einzige, der Manuelito wiedererkennen konnte.“ Rasomes Blick begann zu flackern. Eliseo legte ihm die Hand auf den Unterarm. „Rühr dich nicht von hier fort. Ich alarmiere den Teniente, der die Festungswache befehligt, dann rücken wir an.“ „Aber Dona Adriana ...“ „Was ist mit ihr?“ „Sie muß jeden Augenblick erscheinen. Sandra, die Zofe, ist zu ihr gegangen, um sie zu rufen - das habe ich dir doch eben schon gesagt“, stieß der Yoruba verzweifelt aus. „Allmächtiger, bist du denn ganz sicher, daß du dich nicht täuschst?“ „Ganz sicher. Rasome, lauf also los und halte Dona Adriana und die Zofe zurück. Sie sollen sich in Dona Adrianas Gemächern einschließen. Nun beeil dich schon, wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir die Piraten da drinnen gefangen nehmen wollen.“ Rasome stolperte davon. Eliseo fuhr herum, lief zur Eingangshalle zurück und stürmte ins Freie, um die Kameraden zu unterrichten, vor allem aber, um den Teniente in einem der Nebengebäude der Festungsanlage aus den Federn zu werfen. Eliseo war voll und ganz davon überzeugt, daß Manuelito die Galeone „Santa Catalina“ in seinen Besitz gebracht hatte
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und nun vorgab, der echte Kapitän Algaba zu sein. Aber das, was jetzt unweigerlich folgen mußte, wollte Eliseo nicht allein auf seine Kappe nehmen. * Die Luft in dem Schlafraum des Stadtkommandanten schien zum Schneiden dick genug zu sein, daran änderte auch der große Fächer nichts, den der junge Yoruba unablässig bewegte. Noberto Llamas fühlte den Schweiß über sein Gesicht perlen und in den Hemdkragen hinabrinnen. Er fühlte sich elend und matt, dieser Zustand nahm immer mehr zu, und er wußte, daß ihm irgendwann in absehbarer Zeit richtig schlecht werden würde, falls sich an dieser Situation nichts änderte. Manuelito stand am Fußende des Bettes und sprach jetzt nicht mehr. Er wartete. Die rechte Hand hielt er in jener Tasche des Umhangs verborgen, in der der Segundo das Messer wußte. Caranza hatte sich allmählich in die Nähe der beiden Wachtposten des Zimmers gebracht, ganz unauffällig. Ein anderer Pirat in der Uniform eines spanischen Soldaten pirschte sich von der anderen Seite an die zwei heran, ohne sein leutseliges Grinsen abzulegen. Die Zeit verstrich, aber weder Sandra noch Dona Adriana erschienen. „Warum dauert denn das nur so lange?“ sagte Manuelito. „Ich verstehe das nicht.“ „Senor Capitan“, meldete sich einer der beiden Posten zu Wort. „Das Ankleiden nimmt bei der Senora gewöhnlich ein bis zwei Stunden in Anspruch. Sie wissen doch, wie die Frauen sind.“ Manuelitos Blick huschte im Raum hin und her. „Ja“, sagte er rauh. „Aber in diesem Fall ist das Benehmen der Senora eine Zumutung.“ Er wies auf den kranken Kommandanten, der nur ab und an ein schwaches Stöhnen von sich gab. „Der Mann hier stirbt uns unter den Fingern weg, und die Dame maßt sich an, ihre verdammte Toilette bis in die Ewigkeit hinauszuzögern.“
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„Es steht uns nicht zu, das zu kritisieren, Senor“, entgegnete der Soldat hinter dem Kopfende des Bettes steif. „Giorgio“, sagte Manuelito zu einem seiner Begleiter, einem mittelgroßen, schlanken Mann aus Italien. „Sieh nach, was da los ist. Geh meinetwegen einfach bis in die Schlafkammer der hochwohlgeborenen Senora und hole sie — du wirst das Zimmer schon finden.“ „Darauf können Sie Gift nehmen, Senor“, erwiderte Giorgio, der sich sein Grinsen kaum verkneifen konnte. „Mit dem allergrößten Vergnügen, Senor.“ „Einen Augenblick“, sagte jetzt der zweite Posten Joaquin Barba Valientes. „Das können wir nicht zulassen. Wir haben die ausdrückliche Anweisung, keinen fremden Mann in die Gemächer der Dona Adriana zu lassen —und die hat auch für Sie Gültigkeit, Capitan Algaba!“ „Hört, hört“, versetzte der Piratenführer. „Wer, zum Teufel, hat denn diese Wahnsinnsorder erteilt, Soldado?“ „Don Joaquin persönlich.” Manuelito lachte grell auf. „Eifersüchtig ist er also, unser lieber Comandante. Aber er wird schon seine guten Gründe dafür haben, solche Richtlinien zu erlassen.“ „Was sagen Sie denn da?“ rief der zweite Posten erbost. Manuelito umrundete den Bettpfosten, näherte sich Don Joaquin -und plötzlich hatte er das Messer aus der Tasche des Umhangs hervorgezaubert -und hielt es dem kranken Mann an die Kehle. Mit der anderen Hand riß er seine Pistole aus dem Gurt und spannte den Hahn des aufwendigen Radschlosses. Caranza reagierte sofort. Manuelitos Verhalten war das Zeichen für ihn, nun auch aktiv zu werden. Caranza zückte die Pistole und zielt damit auf den Posten, der ihm am nächsten stand. Ein anderer Pirat legte blitzschnell auf den anderen Soldaten an. Auch die übrigen Freibeuter brachten nun ihre Schußwaffen zum Vorschein und hielten damit den jungen Yoruba, Llamas sowie die vier Männer der Capitania de Porto in Schach.
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„Schluß mit dem Theater“, fauchte Manuelito seine Gegner an. „Wer sich rührt oder auch nur einen Mucks von sich gibt, wird niedergestreckt. Giorgio, hol den Neger herein, der vor der Tür steht. Anschließend erledigst du, was ich dir eben gesagt habe.“ „In Ordnung.“ Giorgio 'schob sich auf die Edelholztür zu und hob seine Schnapphahnschloß-Pistole. Er legte die Hand auf die Klinke und riß die Tür auf, bereit, Rasome die Waffenmündung direkt unter die Nase zu halten. Aber der Yoruba war fort. Giorgio wirbelte zu seinem Anführer herum. „Da stimmt was nicht“, stieß er aus. „Die haben Lunte gerochen, die Hunde.“ „Der Teufel soll den Schwarzen und die Weiber holen“, zischte Manuelito. „Los, alle Mann ausschwärmen, nur Caranza bleibt hier bei mir. Wir haben genug Schußwaffen zur Verfügung, um die Bastarde in diesem Zimmer auch zu zweit zu bewachen. Ihr anderen besetzt das Kastell und legt jeden um; der euch ...“ Weiter gelangte er nicht. Ein Schuß peitschte auf, und ungefähr zwei Handspannen über Giorgios Kopf bohrte sich eine Kugel in den Türpfosten. Der Italiener stieß einen Fluch aus und duckte sich. Eine Stimme hallte durch den Vorraum des Schlafzimmers. Sie gehörte dem Teniente, der von Eliseo aus dem Schlummer gerissen worden war. „Die Hände hoch und keine Bewegung! Fort mit den Waffen, oder ihr seid des Todes!“ Manuelito beugte sich tiefer über den Stadtkommandanten, er lag jetzt fast auf der Bettkante. Er wollte brüllen, daß der Comandante in seiner Gewalt sei und daß er ihn eines langsamen Todes sterben lassen würde, falls man ihm das Kastell nicht kampflos übergeben würde. Aber auch dazu fand er keine Gelegenheit mehr. Noberto Llamas sah seinen Augenblick gekommen, sank urplötzlich in sich zusammen, ließ sich nach rechts kippen, packte den Piraten, der ihm am nächsten stand, an den Beinen und riß ihn mit sich um.
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„Auf sie!“ schrie er. „Entwaffnet sie, es sind Manuelito und seine Piraten!“ Der Ruf drang bis zu dem Teniente, Eliseo und den anderen Soldaten. Sie faßten ihn als Anfeuerung auf. Rasch überquerten sie den hell erleuchteten Vorraum und hielten ihre Musketen im Anschlag. Auf ein Zeichen des Teniente hin gaben sie noch zwei Warnschüsse ab, die schwer durch das Hauptgebäude des Kastells rollten und ins Freie entwichen. Grund genug für Javier und die anderen Festungswachen auf dem Hof, nun ebenfalls in den Hauptbau einzudringen. Sie bildeten sozusagen die Nachhut, und sie nahmen denselben Weg wie der Teniente und sein Trupp, denn es gab keine andere Möglichkeit, an die Schlafkammer des Stadtkommandanten zu gelangen. Llamas hatte seinem Gegner an die Schläfe geschlagen und entriß ihm die Pistole. Die vier Männer des Hafenkapitäns, die ihn auf der Schaluppe zur „Santa Catalina“ begleitet hatten, und die beiden Posten trachteten ebenfalls, einen Ausfall gegen die Seeräuber zu unternehmen. Nur der junge Yoruba ließ seinen Wedel fallen und warf sich auf den Boden, um sich zu schützen. Er hätte vielleicht einem der Piraten mit dem Fächer zusetzen können, möglicherweise sogar Manuelito, aber was brachte ihm das ein? Er sah keinen Grund, sich für die zu schlagen, die ihrerseits für einen Leibeigenen keinen Finger gerührt hätten. Llamas zielte mit der Beutepistole auf Manuelito. „Ich töte Valiente!“ schrie Manuelito. „Töte ihn!“ brüllte Noberto Llamas zurück. Manuelito drückte ab, jedoch nicht auf den Stadtkommandanten, sondern auf den Segundo. Llamas schoß im selben Augenblick, doch während der Pirat sich gedankenschnell auf den Rücken fallen ließ, fand Llamas keine Zeit, eine Bewegung zu vollführen. Siedendheiß fuhr es in seinen Körper, und dann blitzte auch vor der Mündung von Caranzas Waffe Feuer auf. Ein neuer Gluthauch raste auf den Segundo zu, er
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schrie auf, krümmte sich und nahm nur noch wie durch bauschigen Stoff wahr, wie die Piraten nun auch auf die Soldaten und die Männer des Hafenkapitäns schossen, wie sie mit Messern und kurzen Schiffshauern stachen. und schlugen. Llamas kroch zur offenen Tür, um den Teniente und die anderen Helfer zu erreichen. Auf der Schwelle brach er zusammen. Draußen verharrten wie vom Donner gerührt die Soldaten. Auch Javier und die anderen Männer vom Hof des Kastells waren jetzt heran. Noberto Llamas atmete schwer, hustete und vernahm, wie das Feuer im Schlafraum des Stadtkommandanten verstummte. Dann ertönte Manuelitos schleppende Stimme: „Wir haben sie überwältigt, diese Hunde. Nur zwei leben noch. Mein Messer kitzelt die Kehle des Senor Comandante, und ihr da draußen könnt euch jetzt überlegen, was ihr tut.“ „Gebt den Comandante frei!“ schrie der Teniente. „Niemals!“ „Wir lassen euch aus dem Zimmer nicht mehr entkommen. Wir belagern euch Tag und Nacht, und irgendwann werdet ihr vor Erschöpfung aufgeben!“ stieß der Teniente mit sich überschlagender Stimme aus. „Versucht es!“ brüllte Manuelito. „Ich verspreche euch aber, daß ich den Senor Comandante aus seinem Tiefschlaf aufscheuche. Wollt ihr den Beweis? Wollt ihr ihn wirklich schreien hören?“ Der Teniente blickte gehetzt zu Eliseo, Javier und den anderen. Er zögerte, aber er wußte nur zu genau, daß ihn dieses Verhalten auch nicht weiterbrachte. Im Gegenteil, es verkürzte Don Joaquins Leben von Sekunde zu Sekunde. „Manuelito!“ rief der Teniente. „Laß Don Joaquin in Ruhe.“ „Dafür mußt du einen Preis zahlen!“ gellte Manuelitos Stimme triumphierend. „Nenne ihn mir!“ „Befiehl deinen Männern, die Waffen wegzuwerfen. Schicke einen Boten zum Hafen hinunter, der den anderen Narren meine Nachricht überbringt. Sie sollen es nicht wagen, einen Angriff gegen uns zu
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führen, da wir sonst in der Festung ein Blutbad anrichten und anschließend mit den Kanonen des Kastells die Stadt und den Hafen bepflastern.“ Es war deutlich zu vernehmen, wie Manuelito atmete. „Sao Tome hat zu kapitulieren“, fuhr er fort. „Bedingungslos - oder wir wüten wie die Teufel. Also los, Teniente, du kennst jetzt meine Befehle.“ „Die Waffen fort“, sagte der Teniente. Musketen und Pistolen, Degen, Blunderbüchsen und Arkebusen landeten klappend auf dem Fußboden des hellerleuchteten Raumes. Erschüttert sahen die Soldaten ihren Teniente an, aber der wich ihren Blicken aus. „Mein Gott“, murmelte Javier immer wieder. „O mein Gott.“ „Eliseo“, sagte der Teniente. „Lauf in die Stadt und suche den Alkalden auf. Richte ihm aus, was eben gesagt worden ist. Es soll sich kein Mensch zu Heldentaten verleiten lassen. Wir können nicht anders, wir müssen uns diesen Leuten fügen. Das Leben des Stadtkommandanten steht auf dem Spiel.“ „Und wenn der Alkalde anderer Ansicht ist?“ fragte Eliseo. „Dann wird er es büßen!“ schrie Manuelito vom Bett Don Joaquin Barba Valientes. „Sag ihm, er soll sämtliche Waffen einsammeln und auf dem Marktplatz häufen lassen. Später werden wir damit ein Freudenfeuer veranstalten. Hörst du das, Soldado?“ „Antworte“, zischte der Teniente Eliseo zu. „Si“, sagte Eliseo. „Si, Senor, heißt das!“ brüllte der Piratenführer. „Si, Senor!“ rief Eliseo. Der Soldat Javier war zu Noberto Llamas gegangen. Er bückte sich jetzt und drehte den schwerverletzten Segundo langsam auf den Rücken. Mit steinerner Miene kniete er sich neben ihn. „Soldado“, drang es schwach über Llamas Lippen. „Ich - ich erkenne dich wieder. Gern hätte - hätte ich mich für dich eingesetzt. Aber daraus - aus deiner Versetzung - wird jetzt wohl nichts mehr.“
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„Nur Mut“, sagte Javier. „Tanger wartet auf uns, Segundo.“ „Das wird ein Fest - zum Teufel mit Sao Tome ...“ „Ja, al diablo, Segundo - mit dieser Insel und allem.“ „Keine Mücken mehr — keine stechenden Fliegen — keine Hitze aus dem Dschungel - kein Schweiß ...“ „Ein gesünderes Klima, das ist es, was wir brauchen“, murmelte Javier. „Wie kann man an einem Platz wie diesem leben? Unmöglich.“ Llamas antwortete nicht. Javier stellte fest, daß er still lag und die Augen geschlossen hatte: Beunruhigt sah der Soldat zu den Piraten, die sich inzwischen um das Bett des Stadtkommandanten versammelt hatten. Javier blickte über die Toten weg und fing Manuelitos derbes Gesicht mit den Augen ein. „Ihr habt Arzneimittel“, sagte er. „Geht mir wenigstens ein bißchen davon, damit ich dem armen Teufel helfen kann.“ Caranza nickte, als Manuelito ihm einen Wink gab. In jeder Faust eine Pistole, so schritt der Hüne auf Javier und den Segundo zu, blieb stehen und berührte Noberto Llamas' Körper mit der Stiefelspitze. „Was willst du für den noch tun?“ sagte er abfällig. „Der ist tot, siehst du das nicht?“ 5. Rasome war gerade noch rechtzeitig im ersten Obergeschoß des Hauptgebäudes eingetroffen und hatte Dona Adriana und die Zofe Sandra veranlassen können, sich in den Gemächern einzuschließen. Im Dunkel des Flures vor den Räumen hatte er Posten bezogen. Eine Schußwaffe hatte er nicht, wohl aber hatte er sich einen Knüppel besorgt, mit dem er jeden ungebetenen Gast zu empfangen gedachte. Als der Schußlärm verklungen war, trat Dona Adriana auf den Flur. Sie hob die Hand und wies so jeden Einwand des schwarzen Mannes zurück. „Rasome“, sagte sie. „Geh nachsehen, ob unsere Leute die Piraten überwältigt und
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die Situation im Griff haben. Beeil dich, ich will so schnell wie möglich zu meinem Mann.“ Der Yoruba hatte sich lautlos entfernt. Jetzt kehrte er auf den Zehenspitzen zu seiner Herrin zurück. Sandra hatte unterdessen auch die Gemächer verlassen und stand neben der schönen dunkelhaarigen Frau, als der schwarze Mann leise seine Meldung erstattete. „Die Piraten haben gesiegt - es ist alles verloren. Sie werden kommen, um auch uns zu holen.“ „Ich muß mich um meinen Mann kümmern“, sagte Adriana Valiente kurzentschlossen - und das entsprach ihrem ehrlichen Begehren, denn obwohl sie keine glückliche Ehe mit Don Joaquin führte, fühlte sie doch die Pflicht und die Verantwortung dem hilflosen Mann gegenüber, sich für ihn einzusetzen. Rasome und Sandra hielten Dona Adriana zurück. „Senora“, flehte das Mädchen. „So seien Sie doch vernünftig. Bleiben Sie. Wir müssen uns verstecken und vor diesen diesen Bestien dort unten in Sicherheit bringen!“ „Laßt mich los!“ zischte die Frau. „Seid ihr nicht bei Trost? Ich verbiete euch, mich anzufassen!“ Sie wollte sich losreißen, erstarrte jedoch, als sie hörte, wie Manuelito unten herumbrüllte. Rasome schob sich vor seine Herrin und blickte ihr unendlich traurig in die Augen. „Verstehen Sie denn nicht? Diese Männer werden über Sie herfallen, Dona Adriana. Sie warten nur darauf. Sie werden wie von Sinnen sein ...“ „... und für Don Joaquin können Sie auch nicht mehr tun als die Soldaten“, flüsterte Sandra. „Nein, nein, Senora, glauben Sie nur nicht, Sie könnten diese Piraten um den kleinen Finger wickeln. Die lassen sich nicht darauf ein. Die nehmen sich nur, was sie haben wollen - ohne jedes Risiko. Dona Adriana, Sie machen doch alles nur noch schlimmer, wenn Sie jetzt zu diesen Hunden gehen.“
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Manuelito brüllte immer noch, und die schöne Frau senkte den Kopf. „Ich glaube euch“, flüsterte sie. „Was sollen wir tun?“ „Fliehen wir“, raunte Rasome. „Ehe es zu spät ist.“ „lind mein Mann?“ „Die Piraten können ihm nichts anhaben“, sagte Sandra eindringlich. „Er ist doch ein kranker Mann und —und ...“ „… und er wird ohnehin nicht mehr lange leben. Das wolltest du doch sagen, nicht wahr?“ „Verzeihen Sie mir, bitte.“ „Natürlich, Sandra. Himmel — und ich war so froh, als die ,Santa Catalina' in unseren Hafen einlief.“ „Aber Sie waren auch skeptisch, Senora.“ Das Mädchen begann zu schluchzen. „Sie haben wohl etwas geahnt. Ein Fluch liegt auf der Insel, und wir sind alle verdammt. Oh, lieber Gott, was habe ich dir getan, daß du uns so bestrafst?“ „Hör auf“, erklärte Adriana Valiente. „So etwas darfst du nicht sagen.“ Rasome, immer noch mit dem Knüppel bewaffnet, war ein Stück auf dem düsteren Flur entlanggeschlichen. Jetzt drehte er sich zu ihnen um. Sie konnten seine Gestalt. kaum noch erkennen. „Senora“, wisperte er. „Kommen Sie! Sandra — hör auf zu wimmern und paß auf, daß die Herrin nicht stolpert.“ Sie pirschten sich zu ihm. Dona Adriana raffte die Schöße ihrer bodenlangen, ganz aus Seide gearbeiteten Abendrobe, in der sie sich jetzt völlig fehl am Platz fühlte. , „Was hast du vor, Rasome?“ fragte sie gedämpft. „Wir nehmen die zweite Treppe, die zum Seitenausgang des Hauptgebäudes hinunterführt. Auf der vorderen Treppe würden sie uns entdecken, nie würden wir es schaffen, den Hof zu überqueren und das Haupttor zu passieren.“ „Du willst die Festung verlassen?“ „Ja, Senora.“ „Genügt es nicht, wenn wir uns im Keller verstecken?“ „Die Piraten werden alles durchsuchen und gerade im Kellergewölbe herumstöbern.“
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„Sicher.“ Adriana schluckte heftig und dachte noch einen Augenblick an Don Joaquin. Dann gab sie sich einen inneren Ruck und raunte: „Also los, auf was warten wir noch? Rasome, du kennst dich am besten aus, du führst uns.“ Sie schlichen die Treppenstufen hinüber, der Yoruba mit erhobenem Knüppel voran. Niemand verstellte ihnen den Weg, und so erreichten sie aufatmend einen quadratischen Innenhof, eine Art säulengezierten Claustrillo, auf dem sich außer ihnen kein Mensch aufzuhalten schien. Aus dem Hauptgebäude drangen das Kommandieren und die Siegesrufe der Piraten an ihre Ohren. Rasomes Finger spannten sich so fest um den Knüppel, daß seine Knöchel weiß hervortraten. Seine Zähne mahlten aufeinander. Er verspürte den Drang, jetzt in die Schlafkammer des Stadtkommandanten zu stürmen, bis zu Manuelito vorzudringen und diesem die primitive Waffe über den Schädel zu schlagen. Aber der Yoruba konnte sich beherrschen. Die Aufgabe, die beiden Frauen in Sicherheit zu bringen, war vordringlich. Rasome fand sich trotz der Dunkelheit ausgezeichnet zurecht. Sicher geleitete er Dona Adriana und Sandra bis an jenes Nebentor, von dem sie alle drei wußten, daß es auf die offene See hinauswies und auf den steinernen Anleger führte, an dem gelegentlich Boote oder auch kleine Schiffe vertäut wurden. Man konnte das Meerwasser an die Steine 'schwappen und glucksen hören. Die schöne Frau und das Dienstmädchen blieben erschrocken stehen. „Rasome“, flüsterte Adriana. „Hier endet also unsere Flucht. Was hat das zu bedeuten? Was in aller Welt soll das heißen?“ „Dies ist der einzige sichere Weg.“ „Das Wasser ist eine Barriere, das weißt du.“ „Es ist warm“, beeilte sich der Schwarze zu versichern. „Und Sie können schwimmen, Dona Adriana.“ „Das ist Wahnsinn!“
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„Nein. Wahnsinn wäre es, sich den Piraten auszuliefern, die sich jede Frau rücksichtslos vornehmen“, antwortete der Yoruba erbittert. „Verzeihen Sie mir, daß ich so spreche, Senora, aber ich weiß nicht, wie ich Ihnen sonst helfen .soll.“ Er legte die freie Hand auf die Verriegelung des kleinen Tores. „Noch haben die Piraten keine Wachtposten aufgestellt, noch können wir ungesehen fliehen. Nicht mehr zögern, Senora, bitte nicht mehr zögern.“ „Also gut“, sagte die Frau. „Gehen wir.“ Als sie das Tor hinter sich gebracht und wieder geschlossen hatten und draußen auf der steinernen Plattform des kleinen Kais standen, begann Sandra zu jammern: „Ich kann aber nicht schwimmen. Ich habe Angst.“ „Wir schwimmen nicht weit“, sagte `der Neger beschwichtigend. „Nur ein kleines Stück, bis wir die Feste hinter uns gebracht haben und wieder an Land gehen können. Der Dschungel wird uns in dieser Nacht beherbergen. Keine Angst, ich weiß, wie wir dort überleben.“ „Ich gehe unter“, schluchzte die Zofe. „Ich schleppe dich“, fuhr der Yoruba sie an. „Und nun nimm dich zusammen, oder ich gebe dir eine Ohrfeige.“ „Rasome“, sagte Adriana Valiente mit erstaunlicher Gefaßtheit. „Mein Kleid ist zu lang und im Wasser zu schwer. Es würde mich behindern und sich wie ein Stück Schwamm mit Flüssigkeit vollsaugen. Ich muß es ablegen und in der See versenken. Dreh dich um!“ „Si, Senora“, murmelte der Yoruba. Ar senkte den Blick, wandte sich der See zu, kletterte auf nassen, glitschigen Stufen in das Wasser und winkte der Zofe zu, ohne sich auch nur ansatzweise zu der schönen Frau umzudrehen, die jetzt mit schnellen Bewegungen ihre vornehme Abendtoilette abstreifte. Sandra trug nur ein einfaches, kurzes Kleid, dessen sie sich nicht zu entledigen brauchte. Mit zusammengepreßten Lippen folgte sie dem entschlossenen Yoruba, tauchte ein und fror plötzlich trotz der Hitze. Sie klammerte sich auf ein Zeichen
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von ihm an seinen Schultern fest - und dann schwammen sie. Adriana Valiente schloß sich ihnen wortlos an. Sie steckte ihren Kopf unter Wasser, hob ihn nur kurz wieder an, um aus- und einzuatmen, und tauchte dann wieder unter. Sie war tatsächlich eine ausgezeichnete Schwimmerin. Ihr langes Haar lag naß und glatt an ihrem Kopf an und glänzte matt im Mondlicht. Sie wünschte sich, über die weite See ganz von Sao Tome wegschwimmen zu können - heim nach Spanien. * Acht Männer hieben sich einen Weg durch den Busch: Hasard, Ben Brighton, Ad Carberry, der Kutscher, Smoky, Gary Andrews, Al Conroy und der junge O'Flynn. Das Beiboot der „Isabella VIII.“ lag ungefähr eine halbe Meile hinter ihnen im Mangrovendickicht. Ferris Tucker hatte auf Anweisung des Seewolfes hin vorübergehend das Kommando über die Galeone übernommen. Mit ihm waren die übrigen dreizehn Mitglieder der Crew an Bord des Schiffes zurückgeblieben. Sie standen alle am Schanzkleid, blickten zur Insel und warteten auf die Rückkehr der Kameraden - oder auf ein Zeichen. Die acht blieben abrupt stehen und hoben die Köpfe, als die Schußgeräusche zu ihnen herüberklangen. „He!“ sagte Ben Brighton hinter Hasard. „Kommt das von der ,Isabella'?` „Nein, aus der entgegengesetzten Richtung“, erwiderte der Profos. „Das hört doch ein Tauber.“ „Der Wind spielt uns einen Streich“, sagte der Seewolf. „Die Laute scheinen von Norden zu kommen, aber ich bin sicher, daß sie im Westen. entstehen - gar nicht so weit. von uns entfernt.“ „Also doch“, stieß der Kutscher aus. „Wilde! Und woher kriegen wir jetzt Trinkwasser und Frischproviant!“ „Kutscher, seit wann haben Wilde Schußwaffen?“ fragte Smoky. „Sie könnten sie erbeutet haben.“
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„Wie auf den Diebesinseln“, murmelte Dan und packte den SchnapphahnRevolverstutzen, den Hasard ihm überlassen hatte und der von den Ladrones, den Diebesinseln, stammte, fester. Hasard hob wieder seinen Cutlass und ließ ihn erneut in das Dickicht niedersausen. Zweige und ledrige Blätter gaben nach und fielen unter dem sensenartigen Hieb der scharfen Klinge. „Vielleicht schlagen sich auch die Dons mit irgendjemanden herum. Uns soll das nicht beunruhigen, solange uns keiner angreift. Also los, weiter!“ Ar drehte sich zu ihnen um. „Zugegeben, es ist keine besonders glorreiche Idee, bei Dunkelheit auf einer unbekannten Insel zu landen. Aber ich nehme an, ihr könnt euch denken, warum ich nicht den Morgen abwarte.“ „Weil du keine Zeit verlieren willst“, entgegnete Ben Brighton. „Wenigstens eine Quelle sollten wir heute nacht noch entdecken, dann können wir die Fässer von der ,Isabella' herüberschaffen, sie füllen und wieder an Bord zurückmannen.“ „Außerdem ist in der Nacht die Gefahr geringer, von einer Patrouille aus dem Hafen Sao Tomes entdeckt zu werden“, fügte Carberry hinzu. „Wenn wir gut vorangelangen und auch mit dem Wasser Glück haben, können wir am frühen Morgen vielleicht schon wieder ankerauf gehen.“ Der Kutscher nickte. „Und letztlich sind die Tücken und Fallen, die sich uns im Urwald bieten, bei Tag die gleichen wie im Dunkeln. Und noch etwas. Die Luft kühlt jetzt doch ein bißchen ab, und wir werden, je mehr es auf Mitternacht zugeht, immer weniger schwer zu schuften haben.“ „Teufel auch“, sagte Al Conroy. „Dann müssen wir uns wohl glatt noch wieder unsere Hemden überziehen, was?“ „Witzbold“, sagte der Kutscher. Hasard hatte wieder begonnen, mit dem Cutlass in die grüne, verflizte Barrikade des Regenwaldes zu dreschen. Ben und Ad gaben den anderen fünf Seewölfen einen Wink, und dann folgten alle dem Beispiel ihres Kapitäns.
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Sie stießen Yard um Yard in das schlüpfrige Dickicht vor, ohne auch nur die Spur einer Süßwasserquelle zu finden. Die Selvas hüllten sie ein, kapselten sie von der Südbucht und ihrem Schiff ab und verwirrten ihren Ortssinn. Ben Brighton hatte jedoch einen Kompaß mitgenommen, mit dem sie sich auch tiefer im Inneren der Insel einwandfrei orientieren konnten. Hasard führte seinen Trupp nach Norden und bog später etwas weiter nach Westen ab, um der spanischen Siedlung und dem Hafen so fern wie möglich zu bleiben. „Die Schußgeräusche sind verstummt“, sagte Ben Brighton hinter Hasard. „Das waren Musketen und Tromblons, wenn mich nicht alles täuscht.“ „Und Pistolen“, meinte der Profos. „Ich möchte zu gern wissen, was da vorgefallen ist“, fuhr Ben fort. „Na, vielleicht kriegen wir es ja noch her-. aus.“ „Wenn du glaubst, wir pirschen uns an die Ortschaft heran, hast du dich getäuscht“, erwiderte der Seewolf. „Diesmal halte ich mich aus Dingen heraus, die mich nichts angehen. Du weißt, daß wir nicht mehr Zeit als unbedingt notwendig vergeuden wollen, Ben.“ „Natürlich. Aber eventuell spielt uns ein Zufall Nachrichten darüber zu, was bei den Dons geschehen ist.“ „Das halte ich für sehr, sehr unwahrscheinlich“, sagte Hasard. „Ob Ferris die Schüsse wohl auch gehört hat?“ fragte Dan O'Flynn. „Also, ich hoffe es. Bestimmt war auch Bill, unser Moses, auf der Hut, er hat ja den Befehl, den Großmars heute nacht nicht zu verlassen.“ „Und Bill ist nicht schwerhörig“, meinte Carberry. „Der hört das Gras wachsen und kann mit seinen Lauschern gegen deine scharfen Augen konkurrieren, Dan.“ „Na dann — Ferris hat inzwischen bestimmt klar zum Gefecht rüsten lassen. Wenn ein Don oder sonst irgendein kranker Geist in dieser Nacht heransegelt und die ,Isabella' entdeckt, kriegt er was auf die Jacke.“ Hasard hob plötzlich die rechte Hand. Er war unter den ausladenden Ästen einer Makore stehengeblieben. Seine Männer
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rückten nah an ihn heran. Ihre Mienen waren fragend, sie versuchten zu ergründen, was ihn hatte stutzen lassen. „Wir sind auf einen Pfad gestoßen“, sagte der Seewolf. „Das erleichtert unser Vorhaben.“ „Ich sehe keinen Pfad“, murmelte der Profos. „Ed“, raunte der Kutscher. „Der immergrüne Regenwald deckt innerhalb kurzer Zeit alles wieder zu, das der Mensch geschaffen hat. Was wir vor uns haben, kann höchstens die Andeutung eines früheren Weges sein, aber das erspart uns die lästige Arbeit mit den Säbeln und Entermessern.“ „So ist es“, erwiderte Hasard. „Wir folgen dem Verlauf des Pfades. Mal sehen, ob er uns zu einer Quelle führt.“ „Oder in ein Dorf der Inselwilden“, sagte Carberry. Dan O'Flynn schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle, daß es hier auch nur einen einzigen Negerkral gibt. Wenn die Dons die Insel besiedelt haben, haben sie bestimmt auch nicht versäumt, alle Eingeborenen zu versklaven.“ „Das ist nun auch wieder richtig“, meinte der Narbenmann. „Also keine Kopfgeldjäger, keine Kannibalen, und wir können hier ziemlich unbesorgt durch die Gegend laufen. Kutscher, daran hätten wir aber auch eher denken können, was, wie?“ Der Kutscher antwortete nicht. Er. hatte seinen Blick nach oben gerichtet und starrte einen der Baumäste an. Wie hypnotisiert wirkte er in diesem Moment. Carberry musterte den Koch der „Isabella“ besorgt, folgte dessen Blick - und dann stand auch er mit einemmal stocksteif da. Sein Mund klappte auf und nicht wieder zu. Hasard drehte sich um. Plötzlich zuckte seine Hand hoch, der Cutlass flog ihm aus den Fingern und wirbelte in den Baumriesen hinauf. Zitternd blieb er in einem beindicken Ast stecken - aber nicht nur in dem Ast, wie die anderen Männer jetzt betroffen feststellten. Eine Schlange, gut zwei Yards. lang, wickelte ihren Leib um die Klinge des
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Schiffshauers. Ihre Bewegungen erschlafften, und schließlich baumelte sie reglos von dem Ast. Carberrys Mund stand immer noch offen, und er nahm seinen Blick nicht von dem toten Tier. „Zweifellos eine Giftschlange“, sagte der Kutscher mit belegter Stimme. „Ihr Kopf pendelte schon weit vom Ast herunter, als ich sie entdeckte. Bestimmt hätte sie einen von uns gebissen.“ „Man kann hier ganz sorglos durch die Gegend laufen, was, wie?“ sagte Dan O'Flynn. „He, Ad, was ist los, hast du die Maulsperre?“ Carberry ließ einen eigentümlichen Laut vernehmen, der entfernt an ein Grunzen erinnerte. „Sei still. Ich denke nach.“ „Über was?“ fragte Ben. „Darüber; wie wir uns besser schützen können.“ „Wir könnten Fackeln anzünden“, schlug Gary Andrews vor. Der Seewolf war dagegen. „Dadurch verraten wir uns nur. Die Dons hätten uns bald aufgestöbert, wenn wir mit Licht durch den Dschungel laufen würden.“ „Also“, schlußfolgerte Carberry schnaufend. „Wir traben hier auf dem gottverdammten Pfad weiter und halten die Augen nach allen Seiten offen - auch nach oben, verstanden, ihr triefäugigen Trampeltiere'?“ „Aye, aye“, sagte Dan grinsend. „Ich hole jetzt Hasards Cutlass wieder, und dann sehen wir zu, daß wir vorankommen.“ „Paß auf, wohin du trittst“, warnte der Kutscher. „Brüten Schlangen ihre Eier in Nestern auf dem Boden aus?“. wollte Dan wissen. „Nicht alle Schlangen sind Eierleger, es gibt auch welche, die lebend gebären“, wußte der Kutscher zu berichten. „In Bodennestern?“ „Nein, auf Bäumen.“ „Ich passe trotzdem auf, wohin ich trete. Auf dieser verdammten Insel ist man_ vor Überraschungen nicht sicher.“ „Sao Tome, du kannst mich mal“, sagte der Profos, der dem Dialog des Kutschers und
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des jungen O'Flynns gelauscht hatte. „Ich bin froh, wenn wir hier wieder weg sind.“ * Manuelito hatte sich einen Stuhl bringen lassen und saß jetzt neben dem Bett des Stadtkommandanten. Das Messer hatte er weggesteckt, die frisch nachgeladene Radschloßpistole hielt er unablässig auf den kranken Mann gerichtet. Bei der Schießerei in dem Zimmer mit den holzgetäfelten Wänden hatte es nicht zwei, sondern drei Überlebende gegeben. Außer dem einen Posten Don Joaquin Barba Valientes und einem der Begleiter von Noberto Llamas war auch der junge Yoruba, der dem Commandante Luft zugefächelt hatte, mit dem Schrecken davongekommen. Als die Schüsse gefallen waren, war er unter das Bett gekrochen. Jetzt stand er neben Manuelito und bewegte den Fächer aus Palmwedeln. Bei den Piraten hatte es keine Toten gegeben. Nur Caranza war leicht am linken Arm verletzt worden, hatte sich aber bereits verbinden lassen. Er bewachte mit einem Kumpan zusammen den Teniente und die Soldaten, die gefesselt und in einem Nebenraum zusammengepfercht worden waren. Die Leichen Llamas und der anderen Aufmüpfigen hatte Manuelito fortschaffen und von einem der gedrungenen Vierkanttürme des Kastells aus der See übergeben lassen. Giorgio, der Italiener, hatte sich ins Obergeschoß des Hauptbaus hinaufbegeben, um nach Dona Adriana, der Zofe und dem Yoruba-Diener zu suchen. Die übrigen drei Piraten hatten auf dem Hof zusammengetrieben, wer sich in den anderen Gebäuden hatte verstecken wollen: eine Handvoll verstörter Soldaten, Diener und Dienerinnen. Die Soldaten waren entwaffnet worden. Ein Freibeuter hielt die Gruppe mit einer Muskete und einer Pistole in Schach. Seine wilden Spießgesellen hatten die Wehrgänge erklommen, auf denen die 24-Pfünder- und 17-Pfänder-Kanonen der Festung standen.
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Zufrieden hatten sie festgestellt, daß die Geschütze allesamt vorschriftsmäßig geladen waren. Falls es in der Stadt und im Hafen noch Widerstand gab, brauchten sie die Kanonen nur entsprechend zu richten und abzufeuern. Ein Pirat hatte ein Talglicht entzündet und gab damit Zeichen zur „Santa Catalina“, indem er das Licht mit einem Fetzen Stoff abdeckte und das Tuch wieder lüftete. Er signalisierte, das Kastell befände sich jetzt in der Hand Manuelitos - und vom Schiff erklang johlender Beifall. Manuelito grinste, als er das Triumphgeheul im Zimmer des Stadtkommandanten vernahm. Seine Mundwinkel sanken aber wieder nach unten, denn Giorgio stolperte in den Raum. Er war außer Atem, und seine Miene verhieß nichts Gutes. ,.Nun?“ fuhr Manuelito ihn an. „Die Frauen und der verdammte Neger ...“ „Was ist mit ihnen? Willst du mich veralbern?“ „Nein. Sie sind fort.“ „Getürmt?“ „Ich glaube es, Capo. Aber weit können sie nicht gelangt sein.“ Manuelito sprang von seinem Stuhl auf. „Durchsucht die Festung! Schnappt die Weiber und den Hurensohn von einem Schwarzen, ich will ihnen das Tanzen beibringen. Sie sollen sehen, was es heißt, vor einem Manuelito auszureißen! Ich will vor allen Dingen die Valiente, verstanden? Die Valiente!“ „Ja“, erwiderte der Italiener. Er fuhr herum und lief aus dem Raum. Don Joaquin Barba Valiente wälzte sich hin und her und begann zu phantasieren. Er sprach im Fieber. aber es war nicht zu verstehen, was er sagte. Manuelito blickte auf ihn hinunter, hütete sich aber, ihn zu berühren. Sein Gesicht war verzerrt. Der Anflug eines hämischen Grinsens nahm darin Gestalt an. „He!“ sagte der Pirat. „Bleib du ganz ruhig, Amigo. Ich will nicht, daß du dich aufregst. Es schadet dir nur. Über was bereitest du dir Sorgen? Wir haben dir
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deine Aufgaben abgenommen. Das sollte eine große Erleichterung für dich sein.“ Caranza trat ein. „Der Alkalde ist da. Dieser Soldat hat unsere Botschaft überbracht, und keiner hat es gewagt, sich zu widersetzen.“ Manuelito hob die Augenbrauen. „Der Alkalde persönlich erscheint, um mich zu begrüßen? Ausgezeichnet. Ich gebe ihm die große Ehre, ihn zu empfangen. Laß ihn herein.“ Der Alkalde durfte auf einen Wink Caranzas hin passieren — nicht so Eliseo. Der andere Freibeuter, der die Gefangenen bewachte, fesselte auch diesen Soldaten, während Caranza darauf achtete, daß der Mann keinen Fluchtversuch unternehmen konnte. Der Alkalde war ein Mann um die Fünfzig, groß, kräftig gebaut und von resoluter Haltung. Seine Züge vermittelten Tatkraft und Entschlossenheit. Er trug eine Perücke und ein weißes Rüschenhemd unter einem dunkelgrauen Umhang und einem mattgrünen Schoßwams. Seine weitere Kleidung bestand aus beinengen seidenen Strumpfhosen, einer Kürbishose .und breiten Schuhen. „Mein Name ist Don Juan Antonio Castano Collado“, begann er. „Die Festung und der Hafen fallen eigentlich nicht in meinen Einflußbereich, aber in diesem besonderen Fall sehe ich mich veranlaßt, die Initiative für ganz Sao Tome zu ergreifen.“ „Von welcher Initiative sprechen Sie, werter Don Juan Antonio?“ erkundigte sich der Pirat mit beinah salbungsvollem Gebaren. „Wer sind Sie?“ „Oh, Sie haben die große Ehre, dem Freibeuter und Helden Manuelito gegenüberzustehen.“ „Eine höchst zweifelhafte Ehre ...“ „Werden Sie nicht beleidigend, Alkalde!“ rief Manuelito. „Sie legen Wert darauf, die Form zu wahren, nicht wahr? Dann geben Sie mir aber auch keinen Anlaß, in einem anderen Ton mit Ihnen zu reden.“. „Ich füge mich“, erwiderte Castano Collado mühsam beherrscht. „Lassen Sie
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mich jetzt den Comandante sehen. Was haben Sie ihm angetan?“ „Bislang noch gar nichts.“ „Ich ersuche Sie ...“ „Sie haben hier nichts zu melden, Alkalde, haben Sie das noch nicht begriffen?“ „Doch“, antwortete der Bürgermeister der Siedlung. „Aber ich habe Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, Manuelito.“ „Das hört sich schon anders an. Sprechen Sie.“ „Ich bin einer der wenigen, der hier gesundheitlich noch ganz auf .der Höhe ist - was die wichtigen Persönlichkeiten der Insel betrifft, wollte ich sagen.“ „Schon gut, weiter“, drängte der Piratenführer. „Es muß doch auch für Sie von größerem Wert sein, einen Mann als Geisel zu nehmen, der gesund ist, statt eines todkranken, in tiefer Bewußtlosigkeit liegenden Stadtkommandanten.“ „Mit anderen Worten?“ „Nehmen Sie mich gefangen und lassen Sie Don Joaquin frei. Er kann in die Stadt transportiert und dort von unserem Feldscher, der wahrscheinlich wieder gesund wird, versorgt werden.“ „Es gibt keinen Arzt auf Sao Tome?“ „Das ist ja unser Dilemma. Es gab einen, er lebte hier in der Festung, aber er ist dem Gelbfieber erlegen -wie der Hafenkapitän Alvaro Broviras.“ „Und die ‚Santa Catalina` sollte also die Rettung bringen?“ „Ja.“ „Der Segundo, dieser elende Bastard, hat also die Wahrheit gesprochen. Er hat mich nicht hereinlegen wollen.“ Manuelito rieb sich den Nacken. „Verdammt, ich habe eine verseuchte Insel besetzt. Aber das soll mich nicht daran hindern, hier zu hausen, wie ich es mir vorstelle. Außerdem haben wir die Arzneien, die wir mit der ViermastGaleone erbeutet haben. Der Feldscher wird sich damit beschäftigen und uns davor bewahren, daß wir uns anstecken. Schafft er das nicht, ist er des Todes.“ „Hören Sie“, sagte Don Juan Antonio Castano Collado. „Sie sind also mit meinem Anerbieten einverstanden?“
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Manuelito grinste und richtete die Radschloßpistole auf den erbleichenden Mann. „Was bilden Sie sich bloß ein, Don Juan von der traurigen Gestalt? Sie scheinen ja Mut zu haben, aber deswegen lasse ich mich von Ihnen noch lange nicht übers Ohr hauen. Der Comandante soll hier 'raus, damit ein paar Kerle, mit denen Sie sich in der Stadt schon abgesprochen haben, das Kastell überfallen können, was? Im allgemeinen Durcheinander würden dann auch Sie versuchen, sich zu befreien und in den Kampf gegen uns einzugreifen, wie?“ „Aber nein! Sie irren sich!“ „Alkalde!“ brüllte Manuelito. „Sie sind hiermit verhaftet! Die Insel ist mein Eigentum, und ich wünsche fortan als Herrscher von Sao Tome bezeichnet zu werden.“ „Sie sind ja verrückt!“ Manuelito hob die Pistole noch ein Stück höher und zielte auf die Stirn des schwitzenden, kalkblassen Mannes. „Noch ein Wort, und ich schieße dich nieder wie einen räudigen Hund!“ Der Alkalde schwieg. „Caranza!“ rief der Anführer der Piratenbande. „Komm her und binde diesen eingebildeten Laffen auf einem Stuhl fest. Ich will, daß er Barba Valiente und mir Gesellschaft leistet. Wir werden ein großartiges Trio abgeben.“ Caranza führte den Befehl aus. Während er Don Juan Antonio noch auf einem geschnitzten Kastanienholzgestühl spanischer Herkunft festschnürte, erschien auch der Italiener Giorgio wieder auf der Bildfläche. Er hielt ein nasses Bündel hoch. „Das haben wir auf dem kleinen Kai vor der Festung gefunden“, meldete er. „Ein Kleid! Eins der Weiber muß es sich ausgezogen haben, damit es sie beim Schwimmen nicht behindert.“ „Zeig her“, sagte Manuelito. Giorgio trat vor. Manuelito untersuchte das Bündel. „Ein so kostbares Abendgewand kann nur Dona Adriana angehabt haben“, murmelte der Piratenführer dann. „Sie wollte es
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versenken, aber das auflaufende Wasser hat den Fetzen wieder angespült. Giorgio — sind die drei etwa zum Hafen entkommen?“ „Ich habe zur ,Santa Catalina` signalisieren lassen. Der Ausguck meldet, daß er niemanden entdeckt habe. Zwei Boote sind von unseren Leuten abgefiert worden, aber auch deren Besatzungen haben auf der Reede und im Hafenbecken keine Menschenseele gefunden.“ „Dann gibt es nur eine Möglichkeit. Sie sind nach Norden abgehauen, haben sich in den Busch gerettet und das Kastell umrundet, um sich ins höhergelegene Inselinnere zu retten“, sagte Manuelito. „Ja, nur so kann es sein. Der Schwarze kennt sich bestimmt aus, vielleicht stammt er sogar von der Insel. He, Don Juan Antonio, gibt es unter den Dienern Sklaven, die auf Sao Tome geboren sind?“ „Ja. Männer und Frauen eines YorubaStammes. Ihre Dörfer bestehen nicht mehr, seit die Siedlung gegründet und das Kastell gebaut wurde.“ „Das habe ich mir doch fast gedacht“, sagte der Piratenführer. „Der schwarze Hund — er will die Frauenzimmer in ein sicheres Versteck führen. Aber wir schlagen den dreien ein Schnippchen, das schwöre ich. Giorgio!“ „Capo?“ „Ich kann hier jetzt leider nicht weg, die Geschäfte meines neuen Amtes beanspruchen mich zu sehr. Caranza ist in der Festung auch unentbehrlich. Du wirst dir also fünf Männer von der ,Santa Catalina holen. Ihr dringt in den Urwald vor und sucht die Flüchtigen. Wagt es nicht, ohne sie zurückzukehren.“ Er wandte sich dem jungen Yoruba zu. „Du da. Verstehst du spanisch?“ „Si, Senor.“ Manuelito stand auf und entriß dem Schwarzen den Fächer. Der junge Mann zuckte zusammen. „Luft kann ich mir auch selbst zuwedeln, und außerdem gibt es hier noch mehr Leute, die ich zu meinen Dienern ernennen kann. Du wirst meinen Männern als Führer behilflich sein, damit
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sie ungehindert das Bergland der Insel erreichen.“ Wieder wandte sich der Pirat seinem italienischen Mitstreiter zu. „Giorgio, was mit der Zofe und dem schwarzen Hund geschieht, ist mir gleichgültig. Aber Dona Adriana wird kein Haar gekrümmt, ihr nehmt sie nur gefangen und laßt die Finger von ihr, kapiert?“ „Si, Capo.“ „Geht jetzt.“ Er setzte sich wieder neben das Bett des Stadtkommandanten und sah dem Italiener und dem Yoruba nach. Manuelitos Gedanken schweiften zu Dona Adriana Valiente ab. Er sah sie einen Berghang hinaufstreben, halbnackt, gehetzt, die Haare noch naß von dem Bad im Meer, das sie gezwungenermaßen genommen hatte. Ein Wesen von vollendeter Schönheit! Dich will ich, dachte der Pirat, und keine andere. * Nie hatte sie damit gerechnet, daß sie eines Nachts durch den Inseldschungel fliehen müsse, den sie so sehr fürchtete. Zum erstenmal in ihren Leben kletterte sie in die unwirtliche Felsregion hinauf, die sich im Zentrum Sao Tomes ausdehnte, und sie hatte dabei das Gefühl, auf das schwindelerregend hohe Dach der Welt zu steigen. Dona Adriana atmete auf, als sich der Pflanzenwuchs etwas lichtete. Schneller gelangten sie jetzt voran, und es war nicht mehr so entsetzlich mühsam, sich einen Weg zu bahnen. Dona Adriana klomm hinter Rasome den Hang hinauf. Sandra folgte ihr. Sie hatten im Gegensatz zu dem Yoruba beide Mühe, das Gleichgewicht zu halten und nicht auf dem schlüpfrigen Untergrund auszurutschen. Die Steigung war beachtlich. Als aber die Mahagoni- und Ebenholz-, die Oloume-, Palisander-, Makore- und Kapokbäume hinter ihnen zurückblieben und schließlich auch der Buschbestand spärlicher wurde, nahm die Schräge ab. Sie lief in einem
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sanften Hang aus, der auf eine steinige Hochebene hinaufführte. Hier, zwischen einigen gewaltigen Steinquadern, blieb Adriana Valiente stehen und drehte sich um. Tief unter sich wußte sie den Dschungel, der sich wie ein riesiger Gürtel um die Bergzone der Insel schmiegte. Sie konnte ihn in der Dunkelheit aber nicht sehen. Gut zu erkennen war hingegen die Stadt Lichttupfer glitzerten wie Silber im samtenen Mantel der Nacht. Adriana fühlte sich plötzlich müde und einsam. Sie spürte das Verlangen, nach dort unten zurückzukehren, in die stickige, feuchte Hitze, zu ihrem Mann, zu Manuelito und dessen Kerlen, ins Kastell - ins Verderben. Sie gab einen tiefen Seufzer von sich. Sandra verhielt in stummer Solidarität neben ihr. Rasome stoppte ebenfalls und blickte zu den Frauen zurück. Das Mondlicht erfüllte ihre Körperkonturen mit mattem Schimmer. Rasome konnte in diesem Moment nicht anders, er mußte seine schöne Herrin betrachten. Dieser wie Marmor anmutende Körper in der noch feuchten Unterwäsche, die seine Nacktheit nur hervorhob, statt sie zu verbergen; diese großen und straffen Brüste, diese weichen Hüften und langen Beine, die vollen dunklen Haare - das war ein Bild, von dem man sich kaum losreißen konnte. Der Yoruba räusperte sich. „Senora, wir können hier nicht verweilen.“ „Wohin willst du uns bringen?“ fragte sie, ohne sich umzudrehen. „Als die Spanier und Portugiesen Sao Tome noch nicht besetzt hatten, lebte mein Stamm in diesen Bergen -in Höhlen. Ich weiß, daß es die Höhlen noch gibt.“ „Dort verbringen wir die Nacht?“ „Wenn es sein muß, auch die nächsten Tage“, sagte Rasome. Sie wandte sich jetzt doch um und näherte sich ihm. Sandra schloß sich ihr sofort an. Der schwarze Diener senkte den Blick. „Rasome“, sagte Adriana. „Welchen Sinn hat das alles? Manuelito wird es herauskriegen, daß wir in den Urwald
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geflüchtet sind. Er schickt uns seine Kerle nach.“ „Deswegen müssen wir uns in die Höhlen zurückziehen.“ „Sie werden uns auch dort finden.“ „Nein, Senora. Auch die jüngeren Yorubas in der Stadt und in der Festung können keine Auskunft über die Höhlen geben, falls die Piraten sie danach fragen. Sie wissen nichts von ihrer Existenz.“ „Gut, Rasome“, erwiderte Adriana. „Ich danke dir für deine Hilfe und dein selbstloses Verhalten. Sandra und du, ihr seid wie Freunde zu mir. Aber ich überlege, wie lange wir es hier oben aushalten können. Wir haben nichts zu essen, nichts zu trinken.“ „Ich werde nach einer Quelle suchen und jagen“, versicherte der Yoruba. Sie wies auf seinen Knüppel. „Damit?“ „Ich weiß, wie man die Tiere des Waldes mit einfachen Mitteln zur Strecke bringt. Ich habe es noch nicht verlernt. Verlassen Sie sich auf mich, Senora.“ \ „Ich habe Angst“, wisperte Sandra. „Ich fürchte mich vor den Tieren und vor den Krankheiten, die im Wasser und in der Luft lauern. Aber ich weiß auch, daß es noch etwas Schlimmeres gibt, nämlich, daß wir uns den Piraten ergeben.“ Adriana brachte ein Lachen zustande. „Also gut, ihr habt gewonnen. Ich weiß ja auch, daß wir keine andere Wahl haben. Ich hoffe, daß wir uns nach Sao Tome zurückschleichen können, wenn die Seeräuber die Suche nach uns aufgeben und ,uns abschreiben. Wir werden dann versuchen, eine Schaluppe oder ein Boot zu finden, mit dem wir uns davonstehlen können. Wir brauchen es nur bis zu unserer Nachbarinsel Principe zu schaffen, dort gibt es einen kleinen Hafen, in dem man zwar mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat wie wir hier auf Sao Tome von dem aus man uns aber zum Festland bringt, wo wir die nächste Kommandantur benachrichtigen.“ „Ja“, sagte Rasome. „Das soll unser Plan sein.“ Er hielt dieses Vorhaben für genauso utopisch wie die beiden Frauen, aber sie
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klammerten sich alle drei daran - wie ein Schiffbrüchiger an eine im Meer treibende Planke. 7. Hasard verhielt seinen Schritt auf dem steinigen Hang. Die grüne Hölle lag hinter ihnen, aber ihr Gifthauch war noch spürbar nahe. Die Gebirgsregion der Insel schien ihrerseits so etwas wie ein Eiland inmitten des Wildwuchses der Flora zu sein. Ihr Zentrum war nur deswegen von der Vegetation ausgespart, weil in dieser Höhe ein Gedeihen der vielen hundert Baumund Buscharten, der bizarren Blumen und der Schlingpflanzen nicht mehr möglich war. Hasard blickte zu den sieben Männern, die hinter ihm aufrückten. Ihre nackten Oberkörper waren wieder schweißbedeckt. Ein Spaziergang war die Suche nach der Quelle auch nach der Entdeckung des Pfades immer noch nicht gewesen. Was in den Männern vorging, war ihren Mienen deutlich anzusehen. Sie hatten es satt, durch die unbekannte Wildnis zu laufen - gründlich. Aber natürlich äußerten sie das nicht, denn übertriebenes Meckern und Maulen verstieß gegen die Borddisziplin, die hier wie auf der „Isabella“ ihre Gültigkeit hatte. „Heiliges Kanonenrohr“, sagte der Profos. „Es wäre nicht schlecht, wenn wir eine kleine Rast einlegen könnten.“ „Hörst du irgendwo Wasser plätschern, Ed?“ „Äh - solange ich mich nicht selbst an den nächsten Felsblock stelle, kaum, Sir.“ „Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als noch ein bißchen durch die Gegend zu stiefeln“, sagte der Seewolf. „Es muß eine Quelle geben“, meinte der Kutscher. „Es muß. Himmel, wenn hier oben kein Bach entspringt, woher kriegt die Stadt dann ihr Trinkwasser?“ „Das frag' ich mich auch“, entgegnete Gary Andrews. „Aber vielleicht schaffen die Dons ja immer soviel Süßwasser in Fässern vom Festland herüber, wie sie zum Leben brauchen.“
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„Unmöglich“, sagte Smoky. „Das glaubst du doch selbst nicht.“ „Nein, das glaube ich auch nicht. He, Ed, was ist denn nun, mußt du mal oder nicht?“ Carberry stierte ihn wie einen lästigen Schmarotzer an. „Sag mal“, Carberry stierte 'ihn wie einen lästigen Schmarotzer an. „Sag mal, was gehen dich meine Geschäfte an, Mister Andrews?“ „Gar nichts, aber man ist ja mitfühlend.“ „Ich glaube, dich haben die Prielwürmer gebissen“, knurrte der Profos, vollführte eine Drehung auf dem Stiefelabsatz und marschierte dem Seewolf nach, der sich bereits wieder in Bewegung gesetzt hatte. Carberry strengte sich besonders an, überholte seinen Kapitän und erreichte somit als erster die Randzone der steinübersäten Hochebene. Er bog nach rechts ab, trat in einen düsteren Einschnitt und legte noch ein paar Yards zurück, bestrebt, einen ruhigen und gut geschützten Ort für das zu finden, was er dringend vorhatte. Er blieb stehen, inspizierte seinen Standort, so gut das im Dunkeln Möglich war und wollte sich dann mit einem erleichterten Laut seinen Absichten widmen. Aber daraus wurde nichts. Eine Gestalt wuchs neben seiner linken Schulter hoch. Carberry ahnte es mehr, als daß er es sah. Aus einem Anlaß, den er sich selbst nicht zu erklären wußte, blickte er gerade in dem Moment, in dem der Fremde eine Hiebwaffe hob, nach links. Wer Edwin Carberry wegen seiner wuchtigen Statur und seines narbigen, häßlichen Gesichtes für einen Einfaltspinsel und Spätzünder hielt, der hatte sich gründlich getäuscht. Der Profos reagierte, und zwar gedankenschnell. Er riß seinen Oberkörper zurück, ging ein wenig in die Knie und wich auf diese Weise der niedersausenden Waffe aus. Es war ein Knüppel, wie er jetzt registrierte, ein Ding, so dick wie vier oder fünf Belegnägel zusammen —mehr eine Keule! Bei der Wucht, mit der der Angreifer den Hieb führte; hätte das Holz ihm höchstwahrscheinlich den Schädel zertrümmert. Wenn er getroffen hätte!
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Carberry war fuchsteufelswild. Er riß seih linkes Bein hoch, ehe der Kerl wieder den Knüppel anhob und ein zweites Mal zu drosch. Carberry trat ihm gegen das Knie, hörte ihn stöhnen, trat noch einmal zu, warf sich dann auf den Mann und fällte ihn mit einem Fausthieb. Carberry sagte „Affenarsch“ und „Rübenschwein“ und noch ein paar schlimmere Wörter, dann riß er dem Kerl den dicken Knüppel aus der rechten Hand. Er war für eine Sekunde unaufmerksam — und diese ' Chance nutzte der Gegner, der weitaus weniger hart angeschlagen war, als der Profos glaubte. Geradezu unheimlich flink rappelte der Bursche sich auf. Er raste los,. an dem Profos der „Isabella“ vorbei und hetztezum Ausgang des dunklen Einschnittes. Aber plötzlich hatte er einen breitschultrigen, schwarzhaarigen Mann vor sich, dessen helle Augen er im Mondlicht funkeln sehen konnte. Dieser Mann versperrte den Weg. Carberrys Gegner schlug mit den Fäusten zu. Er gab jedoch ein verblüfftes Ächzen von sich, als sämtliche Schläge ins Leere trafen. Einen Augenblick später war er nicht nur verwirrt, sondern von hellem Entsetzen erfüllt, denn eisenharte Knöchel trafen ihn so erbarmungslos, daß er keine Abwehr mehr zustande brachte. Er fühlte, wie ihn seine Sinne verließen, spürte aber schon nicht mehr, wie er bäuchlings auf dem Fels aufschlug.. Hasard beugte sich über den fremden Mann, mit dem er zusammengeprallt war. Er stellte fest, daß der Mann ohnmächtig war. Dann schaute er auf, denn Carberry baute sich vor ihm auf und zeigte den Holzknüppel vor. „Damit wollte er mich verhauen“, sagte der Profos erbost. „Hat man da noch Töne? Hast du eine Ahnung, was das für ein Satansbraten von Kerl ist, Sir?“ „Nein. Bis jetzt weiß ich nur, daß er ein schwarzer Ureinwohner des afrikanischen Kontinents ist, der sich momentan im Reich der Träume befindet.“ .“Ein Neger?“ zischte Smoky, der den Seewolf jetzt auch erreicht hatte. „Also
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gibt's hier doch Wilde.“ Er drehte sich nach hinten um. „He. aufpassen! Es können noch mehr von diesen Burschen auftauchen.“ Ben Brighton, der Kutscher, Gary Andrews, Al Conroy und Dan O'Flynn hielten ihre Waffen schußbereit. Hasard untersuchte unterdessen den bewußtlosen Schwarzen genauer, richtete sich wieder auf und sagte: „Mir fällt auf. daß er weder einen Lendenschurz noch Felle trägt, sondern nasse spanische Kleidung. Außerdem scheint er allein zu sein, sonst wären seine Stammesbrüder schon längst über uns hergefallen.“ Könnte sein, daß er aus dem Hafen getürmt ist“, meinte Ben Brighton. „Er ist ein Leibeigener der Spanier, und er muß eine höllische Wut im Leib haben. Sonst hätte er es nicht gewagt, nur mit einem Knüppel auf Ed loszugehen.“ „Nur mit einem Knüppel ist gut“, grollte der Profos. „Er hätte mir um ein Haar den Schädel zertrümmert.“ „Vielleicht verwechselt er uns auch mit jemanden“, sagte Hasard. „Wir werden ihn gleich danach fragen -wenn er wieder aufwacht. Ob es in der Stadt wohl einen Aufstand der Sklaven gegeben hat, der von den Dons mit Waffengewalt zerschlagen worden ist?“ „Auch darauf wird er uns eine Antwort geben“, erwiderte Ben. „Hauptsache, er versteht Spanisch oder Englisch.“ „Wenn nicht, nehmen wir ihn mit auf die ,Isabella'„, sagte Dan. „Batuti wird sich mit ihm zu verständigen wissen.“ Hasard hob die Hand. Der Neger zu seinen Füßen regte sich und schlug die Augen auf. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt, aber als er die acht Männer über sich sah, verwandelte sich der Ausdruck der Qual in Angst, offene Angst. „Hör zu“, sagte der Seewolf auf spanisch. „Wer immer du auch bist, wir wollen dir nichts antun. Gegen schwarze Männer haben wir grundsätzlich nichts, falls sie uns nicht töten wollen. Ich bin der Kapitän eines Schiffes, das ,Isabella VIII.' heißt, und in meiner Mannschaft gibt es sogar einen schwarzen Herkules, der aus Gambia
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stammt. Wenn du zu uns sprichst, statt mit deinem Knüppel loszuhämmern, können wir dir vielleicht sogar helfen.“ „Ja, wo drückt denn der Schuh?“ erkundigte sich Ben. Etwas ungläubig und immer noch sehr entsetzt musterte der Neger seine Bezwinger. Schließlich fragte er in reinem Kastilisch, das nur durch einen gutturalen Akzent geprägt war: „Wie - ihr seid nicht Manuelitos Leute?“ „Ich heiße Philip Hasard Killigrew“, erwiderte der Seewolf. „Man nennt mich auch El Lobo del Mar. Von einen Manuelito habe ich noch nichts gehört. Wer ist das?“ „Der Teufel in Menschengestalt.“ Der Yoruba richtete sich halb auf, rutschte auf dem Hosenboden bis zur nächsten Felswand und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „Aber ich, glaube euch nicht. Ihr - ihr wollt mich nur hinters Licht führen, euren grausamen Schabernack mit mir treiben ...“ Hasard schüttelte den Kopf. „Aber nein. Wir sind erst heute abend in der Südbucht eingetroffen und haben nicht die geringste Ahnung, was hier gespielt wird. Das darfst du mir glauben. Wer ist dieser Manuelito? Ein spanischer Pirat etwa?“ „Ja.“ „Und wer bist du?“ „Rasome, der Hausdiener der Valientes.“ „Laß mich weiterraten, da ich schon einmal einen Volltreffer gelandet habe“, sagte Hasard. „Die Valientes sind eine wichtige, einflußreiche Familie in Sao Tome. Manuelito hat sie überfallen. Du konntest. fliehen.“ „Und du dachtest wahrscheinlich, wir gehören zu Manuelitos Bande“, knüpfte Ben Brighton an. „Deswegen hast du dich auf unseren Profos gestürzt? Ist es so?“ „Ja. Wenn ihr mir verzeihen könnt, laßt mich gehen. Ihr habt doch gesagt, daß ihr mir nicht feindlich gesonnen seid“, sagte Rasome fast flehend. „Bitte, laßt mich fort.“ Hasard fuhr sich mit der Hand übers Kinn. „Mein Freund, so einfach ist das nun auch wieder nicht. Du hast mich neugierig
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gestimmt. Wenn Manuelito Jagd auf schwarze Dienstboten macht und vielleicht halb Sao Tome massakrieren will, kann ich nicht tatenlos zusehen. Im übrigen befinden wir uns auf der Suche nach Trinkwasser. Du könntest uns den Weg zu einer Quelle zeigen, denn offenbar kennst du dich ja vorzüglich aus. Stimmt's?“ „Ja. Aber ...“ „Kein Aber. Wir haben die Schüsse gehört, die im Hafen gefallen sind. Was ist in Sao Tome passiert?“ „Senores“, sagte der Yoruba. „Ihr seid keine Spanier, nicht wahr?“ „Sind wir nicht“, erwiderte Carberry grimmig. „Das hört man an unserem Akzent, nicht wahr? Also schön - wir stammen aus England.“ „El Lobo del Mar“, wiederholte Rasome. „Du bist ein Pirat?“ „Nein. Ein Freibeuter.“ „Besteht da ein Unterschied?“ „Ein erheblicher sogar. Rasome, du solltest dein Mißtrauen aufgeben. Du befindest dich in einer verzweifelten Situation, das sehe ich dir an. Wenn dir jemand helfen kann, dann sind wir es“, sagte Hasard. „Nun sei vernünftig.“ Rasome schwieg verbissen. Hasard wurde ungeduldig und wollte den Mann schon gehörig zusammenstauchen, um ihn zum Reden. zu bringen, da ertönte aus dem dunklen Einschnitt im Felsen eine Stimme, die sie alle verdutzt aufhorchen ließ. „Lobo del Mar, ich fordere Sie auf, sich mit mir weiter zu unterhalten. Rasome, du brauchst nicht zu erschrecken, ich weiß, was ich tue. Senor Killigrew, wenn Sie ein solcher Ehrenmann sind, wie Sie von sich behaupten, dann treten Sie jetzt allein näher. Ich befinde mich nämlich nicht gerade in einem - hm, repräsentablen Zustand.“ Diese weiche, wohlklingende Stimme - sie gehörte einer Frau! * Hasard gab den Radschloß-Drehling, den er von Bord seiner Galeone mitgenommen hatte, an Ben Brighton und entledigte sich
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auch der doppelläufigen Reiterpistole, seines Degens und seines Messers. Er ging in das düstere Felsenloch und blieb stehen. als er die Gestalten von zwei Frauen vor sich sah. „Eigentlich habe ich nur mit einer Dame gerechnet“, sagte er. „Haben Sie mich jetzt hereingelegt, Senoritas? Muß ich damit rechnen, daß Sie mir etwas aufs Haupt schlagen?“ „Senora, wenn ich bitten darf“, entgegnete die Sprecherin. „Senora - und weiter?“ Hasard musterte sie aufmerksam. Er hatte festgestellt, daß diese Stimme zu einer berückend geformten Gestalt gehörte, und er nahm auch schwach wahr, daß diese Lady nur sehr dürftig bekleidet zu sein schien. Die andere war von hagerer Statur. Sie drückte sich mit linkischen Gebaren neben der gar nicht schüchternen Senora herum. „Adriana Valiente“, sagte die Frau. „Und Sie? Heißen Sie wirklich Killigrew?“ „Ja. Meine Freunde nennen mich Hasard.“ „Hasard, Sie scheinen ein großer, gutaussehender Mann zu sein, soweit sich das hier feststellen läßt.“ „Danke für die Blumen, Adriana ...“ „Hoffentlich haben Sie auch soviel Charakter wie männliche Würde. Aber lassen wir das. Das Mädchen zu meiner Seite ist Sandra, meine Zofe.“ „Ich begrüße Sie, Sandra“, sagte Hasard. „Ich erzähle Ihnen jetzt unsere Geschichte“, fuhr die schöne Dona Adriana fort. „Ich werde Ihnen auch die Höhlen zeigen, in denen wir untergekrochen sind, Senor Hasard, und dann liegt es bei Ihnen, ob Sie etwas für uns tun wollen — oder ob Sie von unserer Not profitieren. Ich weiß, welches Risiko ich eingehe, indem ich mich einem fremden Mann anvertraue. Aber darin liegt unsere einzige Chance. Und ich appelliere an Ihr Gewissen.“ „Berichten Sie, ich unterbreche Sie nicht“, sagte Hasard. In den nächsten Minuten sprach dann wirklich nur die Frau. Die Gesichter von Ben und den anderen Seewölfen wurden immer länger, besonders, als sie
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vernahmen, woran der Hafenkapitän, der Arzt der Festung und einige andere Leute auf Sao Tome gestorben waren. Als Adriana Valiente geendet hatte, erwiderte Hasard ruhig: „Sie verlangen von mir, daß ich Sie zum afrikanischen Festland oder wenigstens zur Insel Principe bringe, Adriana. Aber da muß ich Sie enttäuschen. Ich habe etwas ganz anderes vor.“ „Dios“, stieß sie erbost aus. „Ich habe es doch geahnt. Sie — Sie elender englischer Bastard, Sie ...“ „Wie gut doch auch eine vornehme Spanierin fluchen kann“, antwortete der Seewolf lachend. „Ich muß schon sagen, Adria na, Sie sind eine der erstaunlichsten, heißblütigsten Frauen, die mir je über den Weg gelaufen sind.“ „Sie hat dich gründlich mißverstanden, Hasard“, meinte Ben Brighton grinsend. „Aber ich weiß schon, wie dein Plan in etwa aussieht.“ „Ich auch“, sagte Carberry. „Oder denkst du, du bist der einzige Schlauberger nach dem Seewolf, Ben, was, wie?“ * Der junge Yoruba blieb vor einem wuchtigen dunklen Felsblock stehen, hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Weiß nicht weiter“, sagte er leise. „Hier beginnen kahles Steinland —Plateau. Wenn Rasome und die zwei Frauen nicht hier, wir müssen zurück in den Wald.“ Giorgio und die fünf anderen Piraten, die zu dem Suchtrupp gehörten, blickten sich an. Das Gesicht des Italieners verfinsterte sich. Der Weg durch den Dschungel, die ständige Furcht vor giftigem und tückischem Getier hatten an seinen Nerven gezehrt. Er zückte sein Entermesser, trat vor den jungen Neger hin und hob die Spitze der Klinge gegen seinen Hals. Der Yoruba taumelte zurück und wurde durch den Felsblock gebremst. Das Weiße in seinen Augen trat unnatürlich hervor. Die Angst saß ihm tief in den Knochen.
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„Du Sohn einer lausigen Hafenhure“, sagte Giorgio auf spanisch. „Glaub ja nicht, daß du uns verscheißern kannst. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, nur mit den beiden Weibsbildern und deinem schwarzen Kumpan in die Festung zurückzukehren. Kapiert? Ich töte dich, wenn du dein bißchen Grips nicht anstrengst. Es macht mir nichts aus, dich hier liegenzulassen.“ „Yoruba tun, was er kann“, würgte der junge Eingeborene hervor. „Das genügt nicht. Warum sind wir hier oben?“ „Weil Manuelito befohlen hat ...“ „Aber du hast vorhin auch selbst gesagt, daß Rasome wahrscheinlich diesen Weg gewählt hat“, zischte Giorgio. „Warum, he? Warum?“ „Rasome einmal gesagt hat — hier oben Felsenlöcher“, stammelte der Gefangene. „Aber Yoruba nicht weiß, wo ...“ „Nicht weiß wo“, äffte der Italiener ihn wütend nach. „Sieh zu, daß es dir einfällt. Ich erwarte einen Geistesblitz von dir, du Hund. Los, führ uns herum, wir suchen nach den Höhlen. Und wir werden sie finden, das versichere ich dir.“ Er steckte das Entermesser wieder weg. Einer der anderen Piraten hielt aber seine Muskete unausgesetzt auf den Schwarzen gerichtet, so daß dieser nicht die geringste Aussicht hatte, seinen Feinden zu entwischen. Selbst wenn er plötzlich ausbrach und Fersengeld gab - eine Kugel war ihm sicher. Mit hängendem Kopf schritt er voran und versuchte, sich in dem seltsamen Steingelände zu orientieren. Das Zirpen der Zykaden und das Konzert der Nachtvögel war unter den Männern zurückgeblieben und drang nur noch schwach herauf. Man hatte das Gefühl, auf einer gigantischen Scheibe über den Selvas zu schweben. Ungefähr wie diese mit Geröll und Quadern übersäte Hochebene, in der ein bleiches, unwirkliches Licht herrschte, stellte man sich die Oberfläche des Mondes vor. Die Bergebene war keine einzige Fläche, sondern mehr ein terrassenförmiges Gebilde mit vielen unregelmäßigen Stufen.
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Mal mußte man absteigen, um die nächste Stufe zu erreichen, mal ging es wieder höher hinaus. Der Yoruba-Mann streifte unruhig durch die Gegend, sein Blick war flackernd. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo sich die Höhlen befanden, aber seine Angst war größer als der Wunsch, einfach aufzugeben. Er zweifelte nicht daran, daß diese skrupellosen Kerle ihn töten würden, falls die Aktion nicht vom Erfolg gekrönt warn. Ein schmaler Hang fiel flach vor ihnen ab, und der Yoruba nahm diesen Weg, ohne genau zu wissen, was. ihn veranlaßte, dort hinunterzustreben. Der Hang war in seinem unteren Bereich von Geröll übersät und tauchte dann in eine Art Hohlweg ein, der von seiner Sohle bis zur oberen Kante der ihn säumenden Felsen sechs oder sieben Fuß hoch sein mochte. Der Yoruba steuerte auf den Hohlweg zu. Giorgio war jedoch dicht hinter ihm und hielt ihn plötzlich an der Schulter fest. „Warte“, raunte er. „Willst du dort hinein?“ „Ja.“ „Was versprichst du dir davon?“ „Vielleicht Höhlen dort.“ „Oder eine Falle“, flüsterte Giorgio. Er wandte sich seinen Kumpanen zu. „Seien wir vorsichtig. Dieser Rasome könnte über uns herfallen, und auch Weiber wehren sich wie die Katzen, wenn sie in die Enge getrieben werden.“ „Glaubst du, wir lassen uns von denen überwältigen?“ fragte einer der fünf spöttisch. „Von zwei Weibern und einem halbzahmen Wilden?“ „Trotzdem“, sagte der Italiener. „Vorsicht ist geboten. Und denkt daran: Die Zofe und den Schwarzen dürfen wir abknallen, nicht aber die Frau des Stadtkommandanten. Manuelito schlägt uns die Köpfe ab, wenn wir das Weib auch nur in lädiertem Zustand bei ihm abliefern.“ „Schade“, sagte ein anderer grinsend. „Dabei hätten wir dieses durchtriebene Stück doch gern ein bißchen durchgenommen, was?“ Die anderen lachten leise. Der junge Yoruba hatte den Blick gehoben und stand jetzt plötzlich wie gelähmt da.
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„Da“, sagte er. „Seht doch nur ...“ Giorgio schaute ebenfalls auf, und die anderen Kerle folgten seinem Beispiel. Was sie dann auf dem Felsen links des kleinen Hohlweges entdeckten, ließ ihre Münder aufklaffen, beschleunigte ihren Atem und raubte ihnen fast den Verstand. Eine Frau stand dort oben hochaufgerichtet, die Hände auf die Hüften gestützt, den Kopf stolz erhoben. Ihre langen Haare bewegten sich in dem lauen Westwind, der über das Plateau strich. „Das ist sie“, stieß einer der Piraten aus. „Dona Adriana“, murmelte Giorgio. „Teufel auch ...“ „Hombre, sie hat kaum einen Fetzen auf dem Leib“, sagte ein anderer Mann hinter ihm mit heiserer Stimme. „Sie ist nackt“, keuchte der Italiener. „Allmächtiger, was für ein Prachtweib.“ „Piraten!“ rief die Frau jetzt in die Nacht. „Ihr habt uns gefunden! Ich will es auf eine Auseinandersetzung nicht ankommen lassen. Wir würden dabei nur den kürzeren ziehen. Das heißt, wir kapitulieren und geben kampflos auf, aber ich stelle eine Bedingung.“ „Eine Bedingung?“ Der erste Sprecher hinter Giorgio lachte gehässig auf. „Wer in der Falle sitzt, braucht keine großen Töne mehr zu spucken.“ „Halt den Mund“, sagte Giorgio. Etwas lauter wandte er sich an die -Frau. „Also gut, ich bin bereit, mir deinen Vorschlag anzuhören, Querida. Vielleicht bin ich ja auch so gnädig, dir einen Wunsch zu erfüllen, obwohl ich keinen Anlaß dazu hätte.“ Er war nicht imstande, den Blick von dieser einmalig schönen Frau zu nehmen. Ein unbändiges Verlangen, sie zu besitzen, stieg in ihm auf, und er sagte sich unwillkürlich, daß sie ihm später, im Kastell, heimlich vielleicht willfährig war, wenn er sich ihr gegenüber nett verhielt, „Ihr dürft uns nichts antun“, sagte Dona Adriana Valiente. „Weder mir noch meinen beiden Begleitern. Bringt uns zu eurem Anführer, das ist alles, um was wir euch bitten.“
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Giorgio grinste breit und selbstgefällig. „Sonst nichts? Aber sicher doch, wir rühren euch nicht an und krümmen euch kein Härchen. Kommt jetzt aus euren Löchern heraus, wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Dona Adriana trat einen Schritt zurück. Gut, einverstanden. Ich muß nur in den Hohlweg absteigen und Rasome und Sandra Bescheid sagen. Etwas anderes habt ihr eine Decke für mich?“ Giorgio lachte. „Eine Decke? Bei der Wärme?“ „Ich möchte meine Blößen bedecken - ich schäme mich!“ „Einer meiner Männer wird dir seinen Umhang leihen“, erwiderte der Italiener in einem Anflug von umwerfender Großzügigkeit. Die Frau des Stadtkommandanten zog sich zurück und war jetzt nicht mehr zu sehen. Giorgio atmete tief durch, und er malte sich aus, was geschah, wenn er dieser Frau allein begegnete, irgendwo ganz allein... „Einer meiner Männer“, wiederholte der Pirat, der links neben dem Italiener stand, gedehnt. „Seit wann sind wir deine Untergebenen, Giogio? Manuelito und Caranza sind unsere Führer, aber du bist einer von uns:“ „Ja, du brauchst dich vor dem Frauenzimmer nicht auszuspielen“, meinte nun auch ein anderer. „Glaubst du, wir merken nicht, was los ist? Du zerläufst ja wie Schmalz und würdest ihr am liebsten die Füße küssen.“ „Ihr seid wohl nicht ganz dicht!“ „Wir schon“, erwiderte ein Pirat. „Aber du solltest aufpassen, daß sie dich nicht an der Nase herumführt. He, Giorgio, ich glaube, du brauchst nur einen nackten Weiberhintern zu sehen -und schon ist es um dich geschehen.“ „Jorge, ich warne dich“, sagte der Italiener zu diesem Mann. „Übrigens“, sagte nun wieder der erste Sprecher, „wo bleiben die drei? Sie müßten längst hier sein. Leute, ich sage euch, das ist ein verfluchter Trick ...“
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Giorgio stieß den jungen Yoruba zur Seite und marschierte auf den Eingang des Hohlweges zu. „Querida, wo steckst du?“ stieß er rauh hervor. „Zum Teufel, halte mich nicht zum Narren, du würdest es bereuen.“ Er hob seine Steinschloßpistole. „Willst du, daß ich deine beiden Freunde am Leben lasse? Dann komm heraus!“ „Hier bin ich“, antwortete die Frau. „Ich hole dich“, sagte der Italiener. Er drang in die Finsternis des Hohlweges ein, um seinen Kumpanen zu zeigen, daß es ihm an dem nötigen Schneid nicht mangele - und um zu beweisen, daß er nur wegen des Anblicks der schönen Dona Adriana nicht weich wurde. Er schritt auf den Platz zu, an dem er ihre Stimme vernommen hatte. Fast hatte er die Distanz zurückgelegt, die sie trennte, glaubte schon, ihre Gestalt zu sehen - da schoß etwas auf ihn zu. Von links von rechts - eine Klammer schien sich um seinen Hals und um seinen Mund zu schließen, und jemand hieb ihm etwas über den Hinterkopf. Giorgio glaubte, sein Schädel müsse zerspringen, aber in einer reflexartigen Handlung trachtete er noch den Zeigefinger um den Abzug der Steinschloßpistole zu krümmen. Es mißlang, weil der Seewolf, der mit Ben Brighton zusammen an den Seiten des Hohlweges gelauert hatte, dem Italiener blitzschnell die Waffe aus der Hand riß. Giorgio sank zu Boden. „Giorgio“, sagte vor dem Einlaß des Hohlweges der Pirat Jorge. „Hast du sie?“ Hasard ahmte Giorgios Stimme nach und vergaß nicht die leicht italienische Nuancierung, die er bei dem Piraten vernommen hatte, als dieser zu Dona Adriana gesprochen hatte. „Ja. Und auch die anderen beiden - die Zofe und den Neger. Ihr könnt kommen.“ Und sie kamen. Jorge dirigierte den jungen Yoruba-Mann voran, die vier anderen Kerle folgten dichtauf. Sie schritten entschlossen aus und gewahrten weder Hasard, Ben und den bewußtlosen Italiener noch die sechs Seewölfe, die in niedrigen Höhlen der steinernen Wände kauerten -
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Carberry, Smoky, Gary, Al, Dan und den Kutscher. 8. Der Profos federte mit erstaunlicher Behändigkeit auf die letzten beiden Piraten in dem kleinen Trupp zu, als sich alle Mann in dem Hohlweg befanden. Smoky und Gary nahmen sich die beiden vor, die hinter Jorge und dem jungen Eingeborenen gingen. Al Conroy, Dan O'Flynn und der Kutscher bildeten eine schemenhafte Front, gegen die Jorge nun prallte. Hasard und Ben schafften den bewußtlosen Giorgio zur Seite, dann griffen auch sie in das Handgemenge ein, das sich jetzt entwickelte. Von der Höhle aus, in die sich Adriana und Sandra zurückgezogen hatten, nahte die Gestalt Rasomes - er stieß einen Warnlaut in seiner Stammessprache aus. Der junge Yoruba ließ sich daraufhin fallen, drehte sich auf dem Untergrund und kroch zwischen den Beinen der Kämpfenden hindurch. Die Piraten fluchten und schrien und wollten ihre Waffen auf die Seewölfe abfeuern. Aber gerade darauf kam es Hasard an - die Halunken konnten brüllen, soviel sie wollten, die Laute drangen niemals bis zur Siedlung und zur Festung. Nur wenn es ihnen gelang, die Waffen abzufeuern, wurden Manuelito und dessen übrige Spießgesellen gewarnt, daß etwas nicht in Ordnung war. Smoky und Gary bearbeiteten ihre Gegner mit den Fäusten und konnten ihnen die Musketen und die Pistolen aus den Fäusten fegen.. Anschließend traktierten sie sie mit den geballten Händen und mit den Füßen, wie Hasard es ihnen befohlen hatte. Messer und Säbel durften sie nur benutzen, wenn auch die Freibeuter zu diesen Waffen griffen. Da wurde also geschlagen und getreten, geohrfeigt und erbärmlich geflucht. Carberry verpaßte seinem einen Gegner eine Maulschelle, die diesen glatt gegen die linke Hohlwegwand warf. Der Kerl
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verlor seine Pistole, fand sie in der Finsternis nicht wieder und hatte überdies genug mit seinem ausgerenkten Unterkiefer zu tun. Der zweite Pirat, den der Profos sich als Angriffsobjekt ausgesucht hatte, wollte dem wuchtigen Mann von der „Isabella“ die Pistole gegen den Leib halten und abfeuern, aber in diesem Moment war der junge Yoruba heran. Keiner hatte sich mehr um ihn gekümmert, aber er war zwischen den Beinen der Männer hindurch über den Boden gerobbt und half jetzt dem Profos. Ein schnelles Zupacken, ein Zerren, und der Pirat lag neben dem Eingeborenen auf dem Untergrund. Er versuchte trotzdem noch, die Pistole zu bedienen, aber jetzt hatte auch Carberry geschaltet. Ein Tritt des klobigen Profos-Stiefels beförderte die Pistole aus der Hand des Gegners an die Felswand, und zwar dicht neben die Stelle, an der der erste Gegner inzwischen zu Boden gerutscht war. Dan O'Flynn hatte Jorge die Faust unters Kinn gerammt, ehe dieser zu reagieren vermochte. Der Kutscher packte die Pistole des Mannes, trat einen Schritt zurück und führte den bereits gespannten Hahn in Ruheposition zurück. Die so gesicherte Waffe warf er zu Boden und trat mit dem Absatz darauf. Daß die Pistole, die Carberry gegen die Felswand geschleudert hatte, nicht losgegangen war, lag nur daran, daß es ihrem rechtmäßigen Besitzer nicht gelungen war, den Hahn zu spannen. Der junge Yoruba-Mann war schneller gewesen. Al Conroy hielt Jorge fest, Dan pflasterte dem Piraten noch einmal die Faust unter das Kinn. Jorge brach zusammen. Carberry und der junge Yoruba schickten gerade den auf dem Boden liegenden Kerl ins Reich der Träume. Der Kutscher unterstützte Smoky und Gary Andrews, und wieder legten sich zwei Piraten schlafen. Aber der Kerl, den der Profos auf die Gesteinsmauer zu befördert hatte — er hatte sich aufgerappelt und versuchte zu fliehen. Der ausgerenkte Kiefer bereitete
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ihm erhebliche Schmerzen, und er hatte die Nase voll. Er wollte nur noch türmen und in die Stadt zurücklaufen, um Manuelito, Caranza und die anderen zu verständigen.. Rasome hatte bemerkt, was der Mann vorhatte. Er war ihm auf den Fersen und holte ihn ein, bevor sie beide die Mündung des Hohlweges erreicht hatten. Rasome zog dem Freibeuter einen Hieb mit dem schweren Knüppel über, nicht zu heftig, aber doch hart genug, um den Burschen mit diesem einzigen Streich zu fällen. „Wir haben sie“, sagte Carberry. „Alle:“ Hasard atmete auf. „Gut, fesseln wir sie jetzt. Wir fertigen Knebel aus Stoff an und passen sie diesen sechs Brüdern an. Gary und Al, ihr lauft so schnell wie möglich zur Südbucht und sagt Ferris Tucker und den anderen Bescheid, was geschehen ist. Ihr geht an Bord, und dann verhaltet ihr alle euch so, wie ich es euch bereits auseinandergesetzt habe.“ „Sir“, sagte Gary. „Und du willst wirklich in das Kastell eindringen?“ „Ja. Die Piraten haben uns sogar einen Gefallen getan, daß sie in diese Falle getappt sind. Ihr wißt ja, was ich vorhabe.“ „Ja“, sagte Al Conroy. „Aber ich finde, das ist trotzdem noch zu riskant.“ Der Seewolf blickte auf. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit im Hohlweg gut gewöhnt, er konnte Als und Garys Gesichter erkennen. „Gentlemen“, sagte er verhalten. „Nun hört aber auf. Wir haben doch schon ganz andere Dinger geschaukelt. Und ihr habt ja von Rasome und den beiden Frauen vernommen, daß es nichts wie einen verborgenen unterirdischen Gang oder etwas Ähnliches gibt, um in die Festung zu gelangen.“ „Ja“, fügte Ben hinzu. „Da gibt es nur eins: frech und gottesfürchtig durchs Haupttor marschieren.“ „O Jesus“, stieß Al Conroy aus. „Dann laßt uns wenigstens mit dabeisein.“ „Kommt gar nicht in Frage“, entgegnete der Seewolf hart. „Los, ab mit euch. Oder soll ich euer Verhalten als den Versuch einer Meuterei auffassen?“
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„Nein, Sir“, erwiderte Gary Andrews. „Himmel, das wäre das allerletzte, was wir tun würden.“ Sie drehten sich um und waren kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden. Dona Adriana und Sandra, die Zofe, traten auf die Männer zu, die die besinnungslosen Piraten nun ihrer Kleidung entledigten. Adriana legte dem Seewolf die Hand auf die Schulter. „Tut mir leid, daß ich Sie vorhin falsch verstanden habe, Hasard. Können Sie mir noch mal verzeihen?“ „Längst vergessen. War es Ihnen übrigens peinlich, als Lockvogel für die Piraten aufzutreten?“ „Ein wenig schon ...“ „Aber Ihr Einsatz hat ihr Mißtrauen abgebaut und vor allen Dingen diesen Giorgio ganz hübsch ver-¬ wirrt“, sagte der Seewolf. „Nun ja, eine Frau wie Sie kann den Männern eben reihenweise die Köpfe verdrehen.“ Sie kniete sich neben ihn und nahm die Hand nicht von seiner Schulter. „Ich danke dir, Seewolf, für alles, was du für uns tust.“ Er blickte in ihre dunklen Augen. „Warte damit, bis wir unser Ziel erreicht haben. Es ist ja nicht gesagt, daß wir auch dort siegen. Wir können genauso gut scheitern. Es wäre sowieso besser, wenn wenigstens ihr zwei Frauen hier oben bleiben würdet.“ Sie schüttelte den Kopf. „Niemals. Dort unten liegt mein todkranker Mann, und ich muß um jeden Preis zu ihm. Du kannst es mir nicht verwehren.“ „Liebst du ihn?“ „Nein, aber ich bin für ihn verantwortlich.“ „Na gut. Und Sandra?“ „Wir beide sind unzertrennlich.“ Hasard sah sie immer noch an. „Wir werden es so einrichten, daß eure Begleitung mit zum Gelingen des Planes beiträgt. Es muß klappen - es muß.“ „Wenn wir durchkommen, bedanke ich mich noch ausgiebig bei dir. Später“, flüsterte sie und fuhr ihm mit der Hand durch das volle schwarze Haar.“ *
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Vom südlichen Wehrgang der Festung aus blickte Manuelito zur Stadt. Ein zuckendes Fanal stand weithin sichtbar zwischen den Häusern — seine Männer hatten die Waffen, die auf Anordnung des Alkalden hin auf der Plaza gehäuft worden waren, angesteckt. „Gut“, sagte der Piratenführer grinsend. „Sehr gut. Das Volk hat zu kuschen, und die wenigen Soldaten der Garde, die sich dort noch aufhalten, werden auch keinen Widerstand leisten. Die Schiffe im Hafen werden wir nach und nach leerräumen, bis es nirgendwo mehrschwache Punkte gibt. Schließlich werden wir noch die Hafeneinfahrt mit der Eisenkette verhängen, damit wir auch gegen Angriffe von See her geschützt sind.“ Er fuhr mit der Hand fast liebevoll über eines der 24-Pfünder-Geschütze. „Diese Kleinigkeiten spare ich mir für später auf. Jetzt inspiziere ich erst einmal das Kastell samt seinen Kellern. Das ist eine Sache, die mir besonders am Herzen liegt.“ Er lachte seinen Männern zu, die auf dem Söller Wache hielten, und sie grinsten zurück. Manuelito kehrte zu der Steintreppe zurück, die er vorher benutzt hatte, stieg die Stufen hinunter und begann seinen Rundgang durch die Festung. Die Aufgabe, den kranken Stadtkommandanten und den Alkalde zu bewachen, hatte er vorläufig Caranza überlassen. Zwei Piraten begleiteten den stämmigen Mann mit dem derben Gesicht. Viel Zeit verschwendete Manuelito nicht mit der Durchforschung der Hauptund Nebengebäude. Was er wirklich suchte, fand er - wie. er es vorausgesehen hatte doch erst im Kellergewölbe. Hier öffnete er im Schein von Pechfackeln Truhen und Kisten und zerrte Verpackungen aus Leinwand und Segeltuch zurück, unter denen all das verborgen lag, von dem er geträumt hatte Gold in Barren und in Form von Schmuck, Silber, Diamanten und Elfenbein, viel Elfenbein aus den Weiten der afrikanischen Steppen und Savannen.
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Manuelito stieß ein verzücktes Kichern aus und griff in die Truhen, die randvoll mit Armreifen, Ringen, Diademen, Ketten und Kronen gefüllt waren. Er hob zwei Hände voll der glitzernden, klirrenden Pracht auf, ließ sie wieder in die Truhe zurückprasseln und rief: „Ich wußte es! Sie sind keine armen Schlucker, meine hochgeschätzten Landsleute, unsere lieben Brüder. Sie häufen überall, in allen Kolonien, ihre Kostbarkeiten und wachen streng darüber, daß keiner sie anrührt - außer den Befugten natürlich, die immer rechtzeitig daran denken, etwas für sich beiseite zu schaffen, bevor die Schätze heim nach Spanien, zur Casa de Contratacion, verschifft werden.“ Wieder wühlte er in dem immensen Reichtum und drehte sich dann zu seinen Kumpanen um. „Negerschmuck, Freunde, Gold und Silber der Yorubas, die damit ihre Häuptlinge und Stammesfürsten ehren. Und nicht nur das, das Zeug kommt auch von weiter her, aus dem Kongo, auch aus dem Süden des schwarzen Erdteils vielleicht. Sao Tome war bislang ein gutes Schatzdepot, Leute, eine befestigte Sammelstation mitten im Meer, nach allen Seiten abgeschirmt - aber damit ist es jetzt vorbei.“ „Ja, Manuelito“, erwiderte einer der beiden Begleiter. „Wir haben unseren größten Schlag gelandet, und für Jahre ausgesorgt.“ Manuelito grub ein wenig in dem Inhalt der Truhe herum und zog schließlich zwei Beutel mit Perlen heraus. Er warf sie den Kumpanen zu. Sie fingen sie geschickt auf. „Da“, sagte er. „Das ist ein Vorschuß. Gebt auch den anderen davon ab. Morgen, wenn wir mehr Ruhe haben, teilen wir gerecht.“ Er verließ das Gewölbe und sorgte dafür, daß es wieder sorgsam verriegelt wurde. Er kehrte in das Erdgeschoß des Hauptgebäudes zurück und traf zu seinem Erstaunen in dem Zimmer mit den holzgetäfelten Wänden außer Caranza, dem kranken Stadtkommandanten Barba Valiente und dem Alkalden Castano Collado einen vierten Mann an, der sich auf einem Stuhl nahe des Fensters niedergelassen hatte.
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Ein Pirat, der von Manuelito mit zur Verbrennung der Waffen in die Stadt abkommandiert worden war, hatte sich vor diesem Fremden aufgebaut und hielt ihn mit einem Tromblon in Schach. Eigentlich schien das nicht nötig zu sein, denn der Mann erweckte nicht den Eindruck, als ob er einen Fluchtversuch unternehmen könnte. Er war wachsbleich im Gesicht, krümmte sich auf dem Stuhl und schien jeden Augenblick zusammenzubrechen. „Wer ist das?“ sagte Manuelito barsch. „Der Feldscher“, erwiderte Caranza mit einem verächtlichen Blick auf den Mann auf dem Stuhl. „Er heißt Umberto. Scheint keine große Leuchte in seinem Fach zu sein, wenn er sich nicht mal selbst kurieren kann.“ Der Piratenführer schritt langsam auf den Feldscher zu, blieb in angemessenem Abstand vor ihm stehen und fuhr ihn an: „Was ist mit dir los? Welche Schlange hat dich gebissen, daß du wie ein Narr herumzappelst?“ „Sumpffieber“, keuchte der Mann, der Umberto hieß. „Ich habe die Anfälle in ziemlich regelmäßigen Zeitabständen.“ „Stell dich nicht so an“, sagte Manuelito. „Ich habe auch mal diese Krankheit im Leib gehabt, aber ich bin sie auch wieder losgeworden.“ „Es gibt verschiedene Arten, unterschiedliche Stärkegrade und Stadien“, versuchte der Feldscher dem Freibeuter zu erklären, obwohl er erhebliche Schwierigkeiten beim Sprechen hatte. „Ich habe dies alles von dem - dem Doctor erfahren, der bis vor drei Wochen in der Festung lebte.“ Manuelito verschränkte die Arme vor der Brust. „Hör mir gut zu, du Knochenflicker. Deine Spitzfindigkeiten interessieren mich nicht. Ich lasse jetzt die vielen Arzneien von Bord der ,Santa Catalina` holen, die das Schiff aus Cadiz mitgebracht hat.“ „Nur dort gibt es die Mittel, die uns retten können.“ „Ausgezeichnet. Dann wende sie an. Ich will, daß du dieses Zimmer und diese Feste nicht länger mit deinem Pestatem
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verseuchst. Ich will, daß Don Joaquin wieder auf die Beine kommt, denn ich brauche ihn noch als Faustpfand, falls unverhofft ein spanischer Kriegsschiffsverband auftaucht. Verstanden, Bursche?“ „Ja ...“ „Du wirst dafür sorgen, daß sich keiner von uns anstecken kann. Was mit dem Volk in der Stadt passiert, ist mir gleichgültig, solange uns von dort aus keine echte Gefahr droht.“ „Senor“, sagte der Feldscher Umberto. „Ich weiß nicht, ob ich die Arzneien ohne nähere Gebrauchsanweisungen richtig anwenden kann. Ich fühle mich dieser Aufgabe nicht gewachsen.“ Manuelito zog mit einem grausamen Lächeln seinen Säbel. „Streng dich an, Amigo. Wenn du dich absichtlich dumm stellst, schließt du innige Bekanntschaft mit meiner Klinge.“ Der Feldscher nickte hastig. „Ich tue, was in meinen Kräften steht.“ Manuelito wandte sich seinem engsten Vertrauen zu. „Caranza, laß Wein und Mädchen holen. Die Kellerräume des Kastells sind mit Schätzen bis obenhin gefüllt - das ist ein Grund zum Feiern. Ich habe gesehen, daß sich unter den schwarzen Dienern, die wir eingefangen und eingesperrt haben, auch ein paar junge Weiber befinden. Mit denen vergnügen wir uns jetzt ein bißchen.“ Der Hüne lachte zufrieden auf. „Eine hervorragende Idee, Manuelito. Es geht auf Mitternacht zu, das ist die richtige Stunde, um die Mäuse auf dem Tisch tanzen zu lassen und ein Faß zu leeren. übrigens habe ich zwei Zimmer weiter einen gediegen eingerichteten Salon entdeckt, in dem wir uns wohlfühlen werden.“ „Dona Adrianas und Don Joaquins Wohnstube“, sagte der Anführer schleppend. „Dios, wie rührend. Ich erkläre diesen Salon hiermit zu meinem Hauptquartier. Caranza, wir werden abwechselnd hier bei unseren wertvollen Gefangenen Wache halten, damit sie auch ja keine Torheiten begehen.“
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Er blickte sich um. „Alkalde, wenn du dich brav verhältst, kriegst du auch einen Schluck Rotwein ab.“ Don Juan Antonio Castano Collado schwieg verbissen. „Du Hund“, sagte Manuelito. „Deinen Stolz breche ich auch noch, verlaß dich darauf.“ 9. Sie hatten die Stadt im Westen umrundet und stiegen zum Haupttor der Festung hinauf, als Sandra plötzlich zu taumeln begann. Adriana stützte das hagere Mädchen, legte ihr die Hand an den Kopf und schrak zusammen, als sie den kalten Schweiß auf der Stirn und auf den Wangen ihrer Zofe bemerkte. Sie drehte sich zu Rasome und den sechs Seewölfen um, die hinter ihnen schritten. „Santa Maria, es geht ihr nicht gut. Was hat das nur zu bedeuten? Sandra, willst du dich hinsetzen und erst einmal ausruhen?“ „Nein“, flüsterte das Mädchen. „Es geht schon. Ich schaffe es. Nur weiter, Senora. weiter.“ Hasard trat neben die beiden Frauen und untersuchte die Zofe flüchtig, indem er ihre Stirn berührte und nach ihrem Puls fühlte. Er war in Giorgios Piratenkluft geschlüpft, und Ben, Ed, der Kutscher, Smoky und Dan hatten sich ebenfalls verkleidet. Nicht alle Sachen, die sie den Piraten oben auf der Hochebene abgenommen hatten, paßten genau, aber es mußte gehen. Der junge Yoruba war als Bewacher bei den sechs gefesselten und geknebelten Piraten zurückgeblieben. Er hatte die Schußwaffen, die Säbel und Entermesser der Kerle eingesammelt und neben sich auf den Boden der Höhle gelegt, die als vorläufiges Verlies für die Gefangenen diente. „Kutscher“, sagte der Seewolf. „Schau dir bitte Sandra an.“ Sie verharrten jetzt alle, und der Kutscher befolgte die Order seines Kapitäns. „Das ist halb so wild“, stellte er dann seine Diagnose auf. „Überanstrengung - ein Schwächeanfall. Das Mädchen braucht so
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bald wie möglich Ruhe, viel Ruhe.“ -Er nickte der Zofe aufmunternd zu. „Nur zu, Sandra, bald haben wir es durchgestanden.“ Dona Adria na atmete auf, legte ihren Arm um Sandras Hüfte und stützte das Mädchen auch weiterhin. Sie schritten dem kleinen Trupp voran. Rasome ging gleich neben ihnen, und die Seewölfe hatten ihre Waffen zum Schein auf sie angelegt. Der Kutscher wartete, bis der See-Wolf etwas zurückblieb und sie nebeneinander hermarschierten. „Ich bin ganz sicher“, raunte der Koch und Feldscher der „Isabella“. „Das sind die ersten Anzeichen der Schlafkrankheit. Nach allem, was Dona Adriana uns geschildert hat, scheint auch ihr Mann darunter zu leiden, nur befindet er sich in einem fortgeschrittenen Stadium. Die Zofe muß sich an seinem Lager angesteckt haben.“ „Wodurch wird diese Krankheit hervorgerufen?“ fragte der Seewolf. Er blickte immer wieder zu Adriana und dem Mädchen und vergewisserte sich, daß sie von ihrer Unterredung nichts mithörten. „Durch ein Insekt“, murmelte der Kutscher. „Es wird die Tsetsefliege genannt. Es ist aber noch nicht erwiesen, ob die Erreger durch direkten Kontakt mit ihr aktiv werden, oder ob es die Brut der Fliege ist, die durch das Wasser der Bäche und Teiche in den menschlichen Organismus gelangt.“ „Wie auch immer“, sagte Hasard leise. „Ich bin jetzt heilfroh, daß wir noch kein Trinkwasser an Bord der ‚Isabella' geschafft haben. Die ganze Insel scheint verseucht zu sein.“ Der Kutscher wischte sich mit einem Tuch die Stirn ab. „Das fürchte ich auch. Aber an Bord der ,Santa Catalina' scheint sich zu befinden, was sowohl wir als auch die Spanier brauchen - Arzneimittel, frisches, sauberes Wasser und Proviant.“ „Alles aus Cadiz?“ fragte Ed Carberry hinter ihnen. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Das Wasser und die Eßwaren müssen während der langen Überfahrt doch vergammelt sein.“
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„Ed“, sagte nun Ben Brighton. „Ich könnte mir denken, daß nur die Heilmittel aus Cadiz herübertransportiert worden sind. Den Proviant hat die Viermast-Galeone in Afrika gefaßt, in Guinea, Elfenbeinküste, Ghana oder sonst wo.“ „Nun“, erwiderte der Profos daraufhin. „Wenn ich so richtig darüber nachdenke, muß auch ich sagen: Das könnte stimmen.“ „Männer“, raunte der Seewolf ihnen zu. „Seid jetzt still. Und falls ihr noch was mitzuteilen habt, dann tut es auf spanisch. Wir sind dem Kastell zu nahe, man könnte uns jetzt hören.“ „Ed, du hältst am besten ganz die Klappe“, sagte Dan O'Flynn frisch von der Leber weg - auf spanisch. „Dein Kauderwelsch ist so fürchterlich, daß dich auch Blinde, Taubstumme und Scheintote auf die Distanz von zehn Meilen als einen sturen Cornwall-Bullen erkennen müssen.“ „Sir“, quetschte der Profos zwischen den Zähnen hervor. „Muß ich mir das gefallen lassen?“ „Wer jetzt nicht schweigt, dem sind vierundzwanzig Stunden Vorpiek sicher“, erwiderte Hasard, und er meinte es ernst. Von da an herrschte Ruhe. Als sie sich dem klobigen Haupttor der Festung näherten, konnten sie das Johlen, das grölende Singen von Männern, das Kreischen von Mädchen und das Klimpern irgendwelcher Instrumente vernehmen. Sie sahen sich an und sagten kein Wort. Jeder konnte sich seinen Reim auf diese Geräusche bilden. Zwei Posten blickten ihnen von dem mit Kies bestreuten Vorplatz des Tores entgegen. Dem Seewolf entgingen auch nicht die drei Kerle, die sich neugierig oben vom Söller hinunterbeugten. Des weiteren sah er die Rohre von Kanonen. Es handelte sich um 17- und 24-Pfünder, wie Dona Adriana Valiente ihm berichtet hatte. „Halt!“ rief einer der Piraten-Posten. „Wer da? Bleibt stehen - keinen Schritt weiter!“ „Hölle und Teufel“, sagte Hasard —wobei er die Stimme des Italieners Giorgio wieder täuschend echt nachahmte. „Habt ihr sie nicht mehr alle oder was ist los? Ich bin's, Giorgio, und wir haben die Weiber
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und den Neger geschnappt. Seht ihr das nicht?“ „Tatsächlich“, meinte der zweite Torwächter erleichtert. „Sie sind es wirklich.“ „Mann, und ich dachte schon, jemand wollte hier auf ähnliche Weise eindringen, wie wir es getan haben“, erklärte der erste. Hasard trat vor, packte Adriana und Sandra und bugsierte sie gewollt unsanft auf die beiden Posten zu. Die wichen unwillkürlich ein Stück zurück, unter den Torbogen, wo die Männer auf dem Söller sie nicht mehr sehen konnten. Die zwei Piraten vor dem Tor hatten nur noch Augen für Dona Adriana, diese betörend schöne Frau, die immer noch nicht sehr viel mehr Zeug auf dem Leib trug als vorher im Bergland. Ben Brighton und Edwin Carberry taten so, als scheuchten sie den Yoruba mit den Waffen vor sich her, und auf diese Weise gelangten auch sie in Hasards Nähe. „Öffnet jetzt“, sagte Hasard. „Manuelito wird schon auf uns warten. Da drinnen scheint es hoch herzugehen, und die beiden Weiber hier sind bestimmt eine Bereicherung für das Siegesfest.“ Der eine Pirat lachte, der andere klopfte dreimal mit der Faust gegen das Tor. An der Innenseite hantierte jemand an der Verriegelung, etwas Schweres wurde beiseite geschoben. „He!“ sagte der eine Pirat plötzlich. „Giorgio, bist du das wirklich, oder habe ich einen Knick im Auge?“ Gedankenschnell packten Hasard, Rasome, Ben und Ed zu. Sie rangen die Wächter nieder, ohne daß diese noch einen Laut von sich geben konnten. Rasch nahmen sie ihnen die Waffen ab. Der Kutscher, Smoky und Dan waren nun auch heran. Sie fingen die Zusammensinkenden auf, legten sie fast behutsam auf dem Boden ab. Das Tor schwang leicht knarrend auf. Adriana war die erste Gestalt, die in das Blickfeld der beiden Piraten geriet, die von innen den Riegel geöffnet hatten. Neugierig und mit unverhohlenem Verlangen im Blick schoben sie sich auf sie zu.
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„Was ist das doch für ein Prachtstück“, sagte der eine. „O Himmel, wie lange hat man so Was schon nicht mehr in den Fingern gehabt. Laß sie uns doch ein wenig hier, Giorgio ...“ „He!” rief der eine Posten oben auf dem Wehrgang. „Laßt uns auch mal schauen, ihr Bastardos! Glaubt ihr, ihr könnt alles für euch allein haben?“ „Kommt doch 'runter, wenn ihr was sehen wollt“, forderte Hasard sie kaltblütig auf. Schritte trappelten die Steinstufen der Treppe zum Hof hinunter. Dona Adriana spürte, wie ihr unerträglich heiß zumute wurde. Sandra brach der kalte Schweiß aus sämtlichen Poren. Der Yoruba Rasome glaubte, das Herz müsse ihm stehenbleiben. Bevor die beiden Piraten vom Hof die bewußtlosen Wächter der Außenseite sehen konnten, hatte Hasard sie an den Wamsaufschlagen gepackt und hieb ihre Köpfe zusammen. Das gab kein sehr angenehmes Geräusch. Die Frauen zuckten zusammen. „Festhalten“, zischte der Seewolf. „Die beiden Kameraden hier dürfen um keinen Preis umkippen - jetzt noch nicht.“ „Amigo“, sagte der Profos in seinem allerjovialsten Tonfall. Er legte dem einen Hofwächter, der gerade in tiefste Ohnmacht fiel, einen Arm um die Schulter, mit der anderen Pranke hielt er ihn aufrecht. „Amigo, rück den Wein 'raus, ich weiß doch, daß du welchen hast.“ Dan O'Flynn grauste es, so holprig war das Spanisch von Carberry. Ben Brighton, der den anderen Piraten festhielt, schwitzte ebenfalls wie selten zuvor. Aber die drei vom Söller, die nun direkt auf sie zumarschierten, hatten nur noch Augen für die schöne Frau. Sie hörten nicht auf Carberrys Gerede, tasteten nur Adrianas Gesicht und Körper mit gierigen Blicken ab. „Laßt sie näher heran“, flüsterte Hasard den Kameraden zu. „Dreht jetzt bloß nicht durch. Reißt euch zusammen. Wir schlagen zu, wenn ich das Zeichen dazu gebe.“ Fünf Schritte später standen die drei Piraten grinsend vor Dona Adriana und
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schauten ihr unverschämt in den Ausschnitt ihrer hauchdünnen Dessous. Sie trat einen Schritt zurück, auf Hasard zu, die Kerle vollzogen diese Bewegung nach — und rannten in die Fäuste von Hasard, Ben, Ed und Smoky. Dan und der Kutscher pirschten um die Piraten herum und griffen sie von den Seiten an. Es ging wieder ohne Geschrei, ohne Schüsse ab. Getroffen kippten die Piraten zu Boden. Hasard und seine Männer zerrten alle sieben Bewußtlosen zur Mauer. Rasome schloß unterdessen das Tor. Dona Adriana und Sandra sahen sich gehetzt auf dem Innenhof um, aber sie entdeckten keine weiteren Piraten. „Der Rest der Meute scheint im Hauptgebäude zu sein, soweit die Leute nicht an Bord der ,Santa Catalina` weilen“, sagte der Seewolf. „Gut. Dan, du bewachst mit dem Schnapphahn-Stutzen die Kerle hier und schießt auf jeden, der durch das Tor will. Du hältst auf die Beine, verstanden?“ „Aye, Sir.“ „Smoky, 'rauf auf den Söller. Wenn es soweit ist, bedienst du die Geschütze und heizt der viermastigen Galeone ein.“ „In Ordnung.“ Hasard winkte den anderen zu. Sie hasteten quer über den Hof, erreichten das Hauptgebäude und drangen in die Eingangshalle ein. Hier stellte sich ihnen niemand entgegen. Das Grölen und Brüllen der Piraten brandete ihnen entgegen. Hasard spannte den Hahn seines Radschloß-Drehlings. Das metallische Knacken kehrte als Echo von den hohen Wänden wieder. Sechs Schuß barg die Trommel des Drehlings, und der Seewolf war bereit, die ganze Ladung auf Manuelito, den Piraten, abzufeuern, falls sich dieser ihm nicht ergab. * Die „Isabella VIII.“ hatte nach Gary Andrews' und Al Conroys Rückkehr die Südbucht der Insel Sao Tome schleunigst
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verlassen. Sie hatte sich mit Backbordhalsen an den Westwind gelegt und pflügte nun auf Steuerbordbug liegend die See. Ferris Tucker hatte Vollzeug setzen lassen, aber er wußte auch, daß er Fahrt aus dem Schiff nehmen und sehr vorsichtig weiterpirschen mußte, sobald er die Nordküste der Insel gerundet hatte. Denn die sechzehn Seewölfe hatten ja keine Ahnung, wann Hasard und die anderen Männer mit den beiden Frauen und dem Neger, von denen Al und Gary berichtet hatten, die Siedlung und das Kastell erreicht haben konnten. Und: Würde Hasard es wirklich schaffen, bis zu dem Piraten Manuelito vorzudringen? Fragen über Fragen, sie beschäftigten Ferris und marterten sein Hirn. „Ferris“, sagte der alte O'Flynn, der gerade das Achterdeck erklomm. „Wie ist doch noch das Zeichen, das Hasard uns geben will, wenn er die Festung in seine Hand gebracht hat?“ „Ein Kanonenböller, Donegal. Ein einziger Schuß nach Norden.“ „Hoffen wir, daß er es schafft.“ „Mann, hör auf, mir wird ganz anders. Laß uns lieber die Höllenflaschenabschußkanone auf das Quarterdeck tragen, das ist viel wichtiger.“ „Aye, Sir“, sagte der Alte bissig. „Wird schon schiefgehen, das Ganze. Daß wir aber auch immer überall unsere Nase 'reinstecken müssen ...“ „Donegal“, sagte Big Old Shane, der nicht weit entfernt stand und alles mitgehört hatte. „Du sollst nicht unken und meckern, sonst passiert es dir eines Tages wirklich noch, daß du mit einem Gewicht an den Beinen von der Großrah fällst.“ „Nie“, erklärte der Alte. „Ihr wagt es nicht, ihr Kakerlaken, und außerdem braucht ihr mich. Mein Abdanken wäre ein viel zu großer Verlust für euch, jawohl.“ „Das werden wir ja sehen.“ „Shane“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann. „Halte keine Reden — enter lieber in den Großmars auf und
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halte Pfeil und Bogen bereit, das ist mir lieber.“ „Aye, aye!“ „Batuti, ab mit dir in den Vormars!“ „Aye, Sir!“ Bereitwillig fügten sie sich alle dem Kommando von Ferris Tucker. Ferris war jetzt ihr Kapitän, er hatte die uneingeschränkte Befehlsgewalt. Jeder der sechzehn hätte das Kommando auf der Galeone führen können, selbst Bill, der Moses, denn Hasard hatte sie alle entsprechend geschult. Das war das Großartige an dieser Crew — jeder konnte für jeden einspringen. Nachdem die sogenannte Höllenflaschenabschußkanone auf dem Quarterdeck aufgestellt und festgezurrt worden war, enterte Ferris in die Kuhl ab. „Al“, sagte er. „Du stehst mir dafür ein, daß die Culverinen und die Drehbassen einwandfrei geladen sind.“ „Natürlich. Keine Angst, Ferris.“ „Bill!“ rief Ferris zum Großmars hoch. „Keine Neuigkeiten?“ „Sir, das Ufer weicht nach Osten zurück! Ich glaube, wir haben den nördlichsten Zipfel der Insel bald erreicht!“ „Fein“, knurrte Tucker. „Das wird: aber auch Zeit. Hölle, wie es mir im Fell kribbelt. Lange halte ich diese elende Ungewißheit nicht mehr aus.“ Er blickte in die warme Tropennacht, aber nirgends gab es ein Zeichen, daß ihm Gewißheit darüber verschaffte, ob Hasard und sein Trupp mit ihrem Plan nun Erfolg gehabt hatten oder nicht. * Manuelito zog das kreischende schwarze Mädchen zu sich auf den Schoß und versuchte, ihr etwas von dem dunkelroten Wein einzuflößen, den er in Fässern aus den Kellern des Kastells hatte heraufschaffen lassen. Drei Yoruba-Diener bedienten volkstümliche Instrumente Afrikas, ein paar Mädchen tanzten um den Tisch im Salon herum, weil die Piraten es ihnen befohlen hatten. Manuelitos Kerle tranken,
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grölten. sangen Lieder und klatschten im falschen Takt zu den Bewegungen der Mädchen. Caranza hatte sich wieder zu Barba Valiente, Castano Collado und dem Feldscher Umberto hinüberbegeben, nachdem Manuelito selbst eine Zeitlang bei den Geiseln gewacht hatte. Manuelito kippte dem Mädchen den Wein über die Brüste, weil sie sich angewidert zurücklehnte. Seine Miene verfinsterte sich. Er packte sie fester, und sie schrie wieder auf. Er ließ sie nicht los, fluchte, stellte den leeren Kelch weg und beugte sich vor, um sie brutal zu küssen. In diesem Augenblick war unter dem Türrahmen eine Bewegung. Zunächst dachte Manuelito, Caranza wäre wieder da und wollte um seine Ablösung bei den Gefangenen bitten, weil er Lust auf einen Schluck Wein und ein bißchen Spaß mit den Mädchen hatte. Aber das war nicht der Hüne Caranza! Das da - Manuelito war sprachlos, als er die schlanke Gestalt erblickte -, das war eine zauberhaft schön gewachsene Frau mit langen dunklen Haaren. „Dona Adriana“, sagte er. Er sah sie zum erstenmal in seinem Leben, aber nach den Beschreibungen, die er über sie gehört hatte, konnte nur sie es sein. Manuelito stieß das Negermädchen weg und erhob sich. Leicht wankend schritt er auf die weiße Frau zu. „Adriana Valiente“, sagte er. „Welcher Glanz in meiner armseligen Hütte. Was verschafft mir die Ehre?“ „Das weißt du nicht?“ erwiderte sie. „Du hast mir doch deine Häscher nachgeschickt, Manuelito. Sie haben mich und die anderen gefunden. Ich bin hier, um meine Kapitulation anzumelden und meine Niederlage einzugestehen.“ „Schön hast du das gesagt“, stieß er lachend aus. „Wo sind Giorgio und die anderen Teufelskerle?“ „Draußen. Sie legen meiner Zofe und meinem schwarzen Diener gerade Fesseln an.“ Manuelito ging weiter und streckte die Hände nach ihr aus. „Das kann ich dir
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ersparen, Querida, mein Täubchen, wenn du nur hübsch brav und folgsam bist. Komm, feiere mit mir, sei lustig. Ich will dich tanzen sehen. Oh, ich war zornig auf dich, weil du ausgerissen warst, aber das ist jetzt vergessen.“ „Deine Gnade ist groß“, sagte sie. „Ich weiß das zu schätzen. Ich mag starke Männer.“ Er packte ihre Hände, aber in diesem Moment griff auch sie zu und zog ihn zu sich heran, Manuelito, vom schweren Wein ein wenig benebelt, fand keine Zeit zum Reagieren. Und seine Kumpane waren viel zu sehr mit den Yoruba-Mädchen beschäftigt, um die Entwicklung der Dinge verfolgen zu können. . Manuelito wirbelte durch die Tür und fühlte sich an den Aufschlägen seiner Jacke gepackt - diesmal aber nicht von der Frau des Stadtkommandanten. Ein Gesicht, das er auch zum erstenmal in seinem Leben sah, tauchte vor ihm auf - ein hartes Männergesicht mit einer Narbe, eisblauen Augen und schwarzem Haar. Hasard drehte den Piraten um und drückte ihm die Mündung des RadschloßDrehlings gegen den Hals. „Ein Laut, eine falsche Bewegung, und ich drücke ab“, zischte er ihm zu. „Dann zerspringst du, Hundesohn, das schwöre ich dir.“ „Wer - wer bist du?“ „Einer, der Gesindel die dich wie die Pest haßt.“ Hasard schob den Kerl vor sich her in den Salon, blieb stehen, riß den Radschloß-Drehling hoch und feuerte gegen die Decke. Augenblicklich trat Ruhe ein. Die YorubaMädchen drängten sich wimmernd zusammen. Die Musikanten ließen ihre Instrumente fallen. Die Piraten griffen fluchend zu den Waffen. „Ihr seid vier Mann“, sagte Hasard. „Ich habe noch fünf Schuß. Wer sich nicht ergibt, den schieße ich nieder.“ * Cranza fuhr von seinem Stuhl hoch, als der Schuß fiel, und hastete zur Tür des Raumes
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mit den holzgetäfelten Wänden, fort von dem Bett des Kommandanten, von dem gefesselten Alkalden und dem Feldscher, der sich mit den von der „Santa Catalina“ herübergebrachten Arzneimitteln beschäftigte. Er zückte seine beiden Pistolen und raste aus dem Zimmer. Er wollte in den Salon des Kastells hinüberstürmen, denn von dorther war der Schuß gefallen, aber es blieb bei dem simplen Wunsch, denn plötzlich strauchelte er, schoß in horizontaler Haltung ein Stück voran, landete auf dem Bauch und schlidderte über den blankpolierten Steinfußboden des Vorraumes. Der Kutscher zog das Bein zurück, das er dem Kerl gestellt hatte. Sofort drehte er sich um und stob in das Schlafzimmer des Don Joaquin, hob seine Pistole - sah aber nur drei wehrlose Männer, von denen ihn zwei entsetzt anstarrten. Der dritte lag nach wie vor in tiefster Bewußtlosigkeit und bemerkte nichts von dem, was um ihn herum geschah. Ben Brighton und Ed Carberry flankierten draußen den Türrahmen und legten mir ihren Waffen auf Caranza an. Ben, der ein Tromblon mit trichterförmig erweiterter Mündung hielt, schrie: „Widerstand ist zwecklos! Die Waffen fort, Mann!“ Caranza überrollte sich, fuhr wieder hoch und zielte auf die Angreifer. Ben und der Profos ließen sich fallen. Caranza schoß mit der Pistole, die er in der rechten Faust hielt. Der Schußlaut donnerte im Raum, jagte durch die ganze Festung, aber die Kugel traf nicht, sie schlug knapp über Bens rechter Schulter in die Wand. Ben und der Profos feuerten gleichzeitig. Caranza brach zusammen. Er hoffte noch, von außen oder vom Salon aus Verstärkung zu erhalten, wußte aber nicht, daß der Seewolf und seine Männer bereits Vorarbeit geleistet hatten. Im Salon griff einer der Piraten plötzlich doch noch zur Waffe. Hasard schoß über seinen Kopf weg, und der Kerl ließ es bei dem bloßen Versuch bewenden.
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Aber jetzt handelte Manuelito. Er krümmte sich und rammte Hasard beide Ellbogen in die Magengrube. Hasard stöhnte auf, Manuelito riß sich los. Er wollte Dona Adriana überwältigen, aber die prallte zurück und schrie auf. Ben Brighton und Ed Carberry stürmten durch den Nebenraum heran und stießen ein Mordsgebrüll aus. Manuelito hetzte geduckt durch den Salon. Er hörte, wie die fremden Männer etwas riefen, das wie „Ar-we-nack“ klang, wußte es aber nicht zu deuten. Er wollte zu seinen vier Kumpanen und brauchte eine Waffe, weil Hasard ihm Pistole und Säbel abgenommen hatte. Aber Hasard schoß wieder. Ein Schuß bohrte sich in die Raumdecke, der nächste erreichte fast Manuelitos Fußknöchel. Der Piratenführer sprang durch das Zimmer, hechtete auf ein Fenster zu — und landete mitten in den Bleiglasscheiben, die unter der Wucht des Aufpralls nachgaben. Berstende und klirrende Geräusche tönten durch den Raum. Hasard schoß noch einmal, aber Manuelito war im Freien. * Carberry blieb bei Dona Adriana, den Yorubas und den vier gefangenen Piraten. Der Kutscher bezog im Schlafzimmer des Stadtkommandanten Posten. Wenig später war Adriana am Bett ihres Mannes und beugte sich besorgt über ihn. Rasome hatte Sandra in einem kleinen Zimmer eingeschlossen, wo die völlig Erschöpfte, Zitternde zur Ruhe kam. Der Yoruba drang nun bis zu dem Teniente, Eliseo, Javier und den anderen Soldaten vor und befreite sie von ihren Fesseln. Hasard war Manuelito nachgestürmt. Im Freien angelangt, entdeckte er von dem Kerl keine Spur. Hasard klomm auf den nördlichen Wehrgang des Kastells. Er lief darauf entlang — wieder war Manuelito nirgendwo zu entdecken. Hasard verharrte neben einem 17-PfünderGeschütz und bückte sich über das daneben aufgestellte Kupferbecken. Es gelang ihm, die Glut der
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Holzkohle wieder zu entfachen, indem er einen Schürhaken darin bewegte. Rasch hatte er sich die Lunte gegriffen, schob ihr Ende in die Glut und richtete sich wieder auf. Dann zündete er die Kanone. Brüllend raste die Ladung aus dem Bronzerohr, ein Tau stoppte die Rückstoßbewegung der Kanone. Die Festung schien unter dem Donner des Geschützes zu erbeben. Und dann war in Nordosten, nicht weit von Sao Tome entfernt, plötzlich die „Isabella VIII.“ unter schwellenden Segeln zu sehen. Sie rauschte auf die Hafeneinfahrt zu — und die Piraten auf der „Santa Catalina“ hatten keine Gelegenheit mehr, die große Eisenkette vorzulegen, die vor Feinden schützen sollte. Jetzt bereuten sie zutiefst, es nicht schon früher getan zu haben. Als der Ausguck der Piraten die „Isabella“ sichtete, wandte sich ihre ganze Aufmerksamkeit diesem Schiff zu. Sie gingen mit dem Viermaster an den Wind, liefen auf die Einfahrt des Hafens zu und eröffneten das Feuer. „Feuer!“ schrie nun auch Ferris Tucker. Die „Isabella“ entbot den Männern Manuelitos ebenfalls ihren Eisengruß, und dann flogen auch die Höllenflaschen, die Brand- und Explosionspfeile sowie ein paar chinesische Brandsätze. Binnen kurzem hatten die Seewölfe die Oberhand in dem Gefecht gewonnen. Hasard lief auf dem Wehrgang weiter und suchte Manuelito. Plötzlich stoppte er seinen Lauf und duckte sich hinter einen 24-Pfünder. Aus dem nördlichen Vierkantturm des Kastells zuckte eine Flamme auf, und Sekunden später loderte es gelb und rot hinter sämtlichen Fensteröffnungen des Gemäuers. Rasome, der Teniente und einige Soldaten stürmten auf den Wehrgang. „In dem Turm ist das Munitionsdepot untergebracht!“ schrie der Teniente. „Welcher Wahnsinnige hat dort Feuer gelegt? Haltet ihn auf!“ Hasard packte das Geschütz und wuchtete es herum. Er arbeitete schwitzend und fluchend, und die Soldaten beobachteten
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ihn verblüfft. Der Teniente wollte zum Turm laufen, aber Rasome konnte ihn zurückhalten. Hasard justierte das schwere Geschütz. Der Schweiß lief ihm in Strömen vom Körper. Es war eine Meisterleistung, ganz allein eine Kanone dieser Größe herumzuschwenken und neu auszurichten. Hasard zündete die Lunte an und rief zum Munitionsturm hinüber: „Manuelito! Gib auf, oder ich schieße dich aus dem Turm heraus!“ „Fahr zur Hölle“, rief eine gellende Stimme zurück. „Komm heraus, du Narr!“ „Hol mich doch!“ Hasard zögerte nicht länger. Er senkte die Lunte auf das Bodenstück der Kanone und trat aus dem Gefahrenbereich der Lafette. Schwer wummerte das Geschütz auf, rollte zurück und stürzte fast von dem Wehrgang. Die 24-Pfünder-Kugel schlug in jenen Teil des Turmes, in dem der Piratenführer hocken mußte. Ganze Steinquader brachen aus dem Gemäuer heraus und wirbelten ins Wasser, aber Manuelito zeigte sich nicht. Hatte Hasard ihn tödlich getroffen? Das Feuer loderte höher auf, leckte aus den Fenstern des Turmes und stob himmelan. Hasard konnte nicht weiter vorlaufen, es wäre sein sicherer Tod. Als die Pulvervorräte der Festung von dem Flammen ereilt wurden, warf er sich platt hin. Die Explosion fetzte den Turm auseinander und grub eine gewaltige Bresche in die Mauer der Feste. Die Druckwelle fegte Hasards Körper von der Plattform des Wehrganges. Hasard streckte Arme und Beine von sich wie eine Raubkatze. Er landete zwischen den Soldaten. die sich auf dem viereckigen Innenhof ebenfalls in Deckung gebracht hatten. Steintrümmer prasselten, erschlugen aber keinen der Männer. Aufatmend richteten sie sich wieder auf. Der Teniente sah zu dem riesigen Loch, das sich jetzt anstelle des gedrungenen Turmes ausdehnte, dann blickte er Hasard an und stammelte: „Mann, wer zum Teufel, sind Sie?“
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„Man nennt mich El Lobo del Mar, den Seewolf“, erwiderte Hasard mit hartem Grinsen. „Aber ich weiß nicht, ob Sie
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damit etwas anfangen können, Teniente. Meine Freunde sagen Hasard zu mir.“
ENDE