Wulf Tessin Ästhetik des Angenehmen
Wulf Tessin
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Wulf Tessin Ästhetik des Angenehmen
Wulf Tessin
Ästhetik des Angenehmen Städtische Freiräume zwischen professioneller Ästhetik und Laiengeschmack
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16082-5
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
6
1.
Einführung in die Rezeptionsästhetik
12
1.1 1.2 1.3 1.4
Bedingungen ästhetischer Wahrnehmung Ästhetisches Erleben als gelungene Operationalisierung Ästhetisches Erleben und Ideologisierung Zur Individualität und Konventionalität ästhetischen Erlebens
12 17 21 26
2.
Die Ästhetik des Angenehmen
34
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Das Angenehme als rezeptionsästhetische Schlüsselkategorie Freiraumtypspezifische Aspekte des Angenehmen Das Interesse an ‚Gestaltung’ Der Freiraumbesuch ein ästhetisches Erlebnis? Hochkultur im Grünen Null Bock auf’s Angenehme?
37 45 53 60 67 77
3.
Kritik der professionellen Ästhetik
86
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Zwischen Werk- und Rezeptionsästhetik Gestalt oder Geschehen? Der begrenzte ästhetische Reiz der ‚Stadtnatur’ ‚Moderne’, formale Gestaltung und Laiengeschmack Die Zwischenstadt als ästhetischer ‚Unort’? Das ‚Vermittlungsproblem’ der professionellen Ästhetik
88 96 106 115 127 136
4.
Das Ästhetik des Angenehmen als Entwurfshaltung
147
4.1 4.2
Zur Entwurfsrelevanz der Rezeptionsästhetik ‚Geschmacksbildung’ qua professioneller Ästhetik?
147 155
5.
Literaturverzeichnis
165
5
Einleitung
In einer Untersuchung baten Brown, Gifford (2001) Architekten anhand von verschiedenen Architekturphotos abzuschätzen, wie die darin abgebildeten Gebäude wohl Laien gefallen würden, deren Urteil ebenfalls anhand der Photos vorher abgefragt worden war. Es zeigte sich, dass die Architekten mit ihren Vermutungen über das Laienurteil mehr oder weniger falsch lagen. Die beiden Autoren fassen ihre Studie wie folgt zusammen: „The results suggest that architects are unable to exchange their own criteria for conceptual properties for those of laypersons when they predict public evaluations, which leads to self-anchored, inaccurate predictions. This was supported by showing that the best-predicting architects related their evaluations to buildings’ conceptual properties in a manner similar to that of the laypersons.” (ebenda: 93) Das heißt: nicht nur haben Architekten andere ästhetische Vorstellungen als Laien (vgl. in Bezug auf Landschaftsarchitekten z.B. Buhyoff 1979), sondern sie täuschen sich auch über den Laiengeschmack und dies umso mehr, je weiter ihre professionellen ästhetischen Vorstellungen vom Laiengeschmack abweichen. Diese Diskrepanz zwischen professioneller Ästhetik und dem Laiengeschmack (vgl. hierzu in Bezug auf die Architektur z.B. die Untersuchungen von Bromme, Rambow 1998) ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Es soll also einerseits herausgearbeitet werden, welche ästhetischen Ansprüche die Bevölkerung an städtische Freiräume hat, andererseits inwieweit und worin sich diese von der professionellen Ästhetik der Landschaftsarchitekten unterscheiden. Die These ist, dass diese Unterschiede gerade in den letzten Jahrzehnten eher größer geworden sind. Die Anfänge einer wissenschaftlich-empirischen Rezeptionsforschung in der städtischen Freiraumplanung, also die Beschäftigung mit der Frage, wie die Bevölkerung städtische Freiräume wahrnimmt und bewertet, reichen in die 1960er und 70er Jahre zurück, als auf allen Ebenen versucht wurde, die Disziplin zu verwissenschaftlichen (vgl. hierzu Körner 2001). In Bezug auf die psychologisch orientierte Rezeptionsforschung waren insbesondere die Arbeiten von Nohl bahnbrechend und wegweisend. In einer ganzen Reihe von empirischen Untersuchungen (vgl. Nohl 1970, 1973a, 1974,1977) ging er einer Vielzahl von rezeptionsästhetischen Fragen in Bezug auf städtische Freiräume nach: x
6
Unterscheidet sich die Wahrnehmung zwischen Ortsfremden und Ortskundigen?
x
Was zeichnet Freiräume aus, die ‚gefallen’, gegenüber jenen, die man ‚interessant’ findet?
x
Was wird überhaupt ästhetisch erlebt, welche Dimensionen sind relevant?
x
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Stimulation und dem Bedürfnis nach Abwechslung?
Nohl ist mit diesen Untersuchungen in der deutschsprachigen Landschaftsarchitektur ziemlich allein und ohne Nachfolge geblieben und selbst später in den Bereich der Landschaftsplanung und Landschaftsästhetik übergewechselt. Mag sein, dass er an der damals mangelnden Resonanz in der Landschaftsarchitektur ‚gescheitert’ ist, wohl auch ein bisschen an der wissenschaftlich-methodischen Akribie, mit der er seine Untersuchungen betrieb und publizierte. Vermutlich waren es aber wohl auch die objektiven Schwierigkeiten einer methodisch sauberen empirischen Untersuchung des ästhetischen Erlebens. Angesichts x
der Komplexität und Unterschiedlichkeit dieses ästhetischen Erlebens von Person zu Person,
x
der Unzahl der Erlebnisnuancen (schön, niedlich, heiter, interessant, rührend, langweilig etc.),
x
der Unzahl intervenierender Variablen und der Situationsabhängigkeit des Erlebens (z.B. Wetter, Anlass des Freiraumbesuchs),
x
des vom Besucher jeweils selektiv Wahrgenommenen und des dabei von ihm gewählten ästhetischen Bezugs- und Bewertungsrahmens,
x
der schieren Unendlichkeit der Objekte und Gestaltungen, deren ästhetische Rezeption durch die Besucher von planerisch-gestalterischem Interesse wäre,
x
und angesichts der letztendlich situationsgebundenen Singularität eines jeden Freiraums und Objektes, das ästhetisch erlebt wird, und Verallgemeinerungen (geschweige denn Gestaltungsrezepte) kaum zulässt,
scheint man einerseits zu einer solchen Akribie beim methodischen Design der Untersuchung gezwungen zu sein mit der Folge andererseits, dass die gewonnenen Ergebnisse nur unter diesen spezifischen, oft sehr artifiziellen Bedingungen Zuverlässigkeit und Gültigkeit beanspruchen können und nicht schlankweg auf andere Situationen übertragen werden können; d.h. die angestrebte wissenschaftliche Exaktheit geht auf Kosten der Aussagekraft und Verallgemeinerungsfähigkeit der Erkenntnisse, was dann die entwerferische ‚Verwertungsrelevanz’ dieser Art von Ergebnissen natürlich massiv schmälert. So berichten z.B. Summit, Sommer (1999: 554) im Rahmen ihrer Untersuchung über die ästhetische Präferenz bestimmter Baumtypen davon, dass eigene Untersuchungen konkret ‚vor Ort’ sich als unbrauchbar herausgestellt hätten, weil die Befragungspersonen nicht (wie gewünscht) allein die ‚typische’ Gestalt,
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die ‚typische’ Figur der jeweiligen Baumart ästhetisch bewerteten, sondern gleichsam ‚alles’, was sie in Bezug auf den konkreten Baum ‚vor Ort’ sahen: wo er stand, wie er stand, auf was für einem Grund und Boden, die Laubverfärbung, etwaige Pflanzenkrankheiten usf.: all das (u. A. m.) beeinflusste ihre ästhetische Präferenz für den einen oder anderen Baumtyp: „Context played an important role in preference among tree forms.“ (ebenda: 559) Summit, Sommer sahen sich daher genötigt, ins Labor zu gehen. Und um intervenierende Variablen möglichst auszuschließen, benutzten sie auch keine Fotografien von entsprechenden Bäumen (Problem der Auswahl der Bilder!), sondern abstrahierende, die Figur des jeweiligen Baumtyps jedoch prägnant zum Ausdruck bringende Zeichnungen. Mag sein, dass es dadurch gelang, den Einfluss der Kontextbedingungen im ästhetischen Erleben auszuschalten und zu kontrollieren, aber natürlich fragt es sich, ob diese abstrahierenden Zeichnungen jedem Baumtyp in gleicher Weise ‚gerecht’ wurden, also nicht - ungewollt - eine zeichnerische Manipulation vorlag. Vor allem aber stellt sich die Frage, welche Aussagekraft diese Ergebnisse für die Wirklichkeit außerhalb des Labors haben, wo eben Bäume Bäume sind und keine bloßen Zeichnungen auf einem Blatt Papier und immer in einem ganz konkreten Zusammenhang (auch mit anderen Bäumen) ‚vor Ort’ wahrgenommen werden. Stamps (2004) führte vor Jahren eine Sekundäranalyse von umweltpsychologischen Studien durch, die sich mit den Themen von ‚mystery, complexity, legibility and coherence’ beschäftigten, jenen Begriffe, die immer wieder genannt werden (vgl. hierzu weiter unten), wenn es um rezeptionsästhetische Schlüsselbegriffe in Bezug auf Außenräume geht. Er fand 28 Untersuchungen, an denen 6288 Personen teilgenommen hatten und in denen 1820 Situationen geprüft worden waren. Und er fasst die Ergebnisse seiner Sekundäranalyse so zusammen: „There was a considerable degree of heterogeneity in the data for all environments, for natural environments, and for built environments, indicating that results have not been reproducible.” (Stamps 2004: 1) Stamps selbst kam mal zu dem Ergebnis, dass die Bevölkerung Populäre Architektur der Avantgarde-Architektur vorziehen würde (Stamps, Nasar 1997), in einer zuvor durchgeführten Untersuchung war das nicht durchgängig der Fall gewesen (Stamps 1993). Mit anderen Worten: Durchaus ähnliche Untersuchungen brachten unterschiedliche Ergebnisse, wenn man andere Personen nahm oder andere Situationen untersuchte. Offenbar ist das ästhetische Erleben so subjekt-, objekt- und situationsabhängig, so ‚einzigartig’, dass es schwer ist, alle intervenierenden Faktoren zu kontrollieren und zu verallgemeinerungsfähigen Aussagen zu gelangen. Angesichts des ohnehin geringen Interesses auf Seiten der Landschaftsarchitektur einerseits und dieser methodologischen Schwierigkeiten andererseits findet eine empirisch fundierte ästhetische Rezeptionsforschung innerhalb der städtischen Freiraumplanung im deutschsprachigen Raum denn auch heute so gut wie nicht mehr statt. Natürlich gibt es vereinzelt noch Studien, wo man konkret
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‚vor Ort’ danach fragt, wie denn ein bestimmter Freiraum dem Besucher gefalle und welche Freiraumaspekte dabei besonders gefallen bzw. missfallen, aber das Erkenntnisinteresse zielt in diesen Fällen allein auf die ästhetische Bewertung des konkreten Freiraums ‚vor Ort’ ab, nicht auf Verallgemeinerung und Theorie. Allerdings scheint es auf diesem Weg zumindest bei entsprechend systematisch angelegten Forschungsreihen langfristig möglich, die jeweils wesentlichen ästhetischen Beurteilungskriterien und Wertmaßstäbe der Bevölkerung in Bezug auf den jeweiligen Freiraumtyp (Friedhof, Park, Stadtplatz etc.) herauszuarbeiten. Anders als in Deutschland wird der Versuch herauszufinden, unter welchen Bedingungen Umwelt ‚gefällt’, in den USA durchaus fortgeführt: Berlyne (1971) hatte bekanntlich das so genannte Anregungspotential (arousal potential) als wichtig für die Attraktivität eines Ortes herausgearbeitet und damit Aspekte gemeint wie Neuigkeit, Ungewissheit, Konflikt, Komplexität und Überraschung. Ein Ort ‚gefällt’, wenn er gerade das situationsspezifisch ‚richtige’ Maß an Anregung böte: weder ‚zu wenig’, dann sei er langweilig, noch ‚zu viel’, dann sei er stressig oder ungemütlich. Appelton (1975) hat dann später in Bezug auf Landschaften seine ‚projectrefuge’-Theorie entwickelt: Dort, wo man sicher sei, würde die ästhetische Wahrnehmung sozusagen ‚Spaß’ machen, man müsse nichts befürchten und entspanntes Betrachten und Genießen sei möglich, eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass es einem ‚gefällt’. Auf diesen Arbeiten aufbauend haben dann Rachel und Stephen Kaplan ihre Theorien entwickelt: zum einen ihre psychological bzw. attention restoration theory (1989), die davon ausgeht, dass sich Menschen dort am wohlsten fühlen und die Orte präferieren, an denen sie sich erholen und entspannen können, zum anderen ihre ‚kognitive’ Wohlfühlthese, die besagt, dass Menschen Orte gefallen, die für sie ‚Sinn’ machen und sie ‚ansprechen’ im Sinne von anregen, neugierig machen, sie ‚involvieren’. Kaplan, Kaplan (1982) kommen dann (daraus abgleitet) auf ihre vier schon kurz genannten zentralen Kriterien der ‚landscape preference’ und zwar coherence, legibility, complexity and mystery. Eine (landschaftliche) Umwelt gefalle dann, wenn sie ‚kohärent’ (stimmig, einheitlich, strukturiert), ‚verständlich’ (vertraut, bekannt, gut lesbar), wenn sie ‚komplex’ ist (abwechslungsreich, vielfältig) und ‚neugierig’ macht: es muss noch etwas zu entdecken geben (mystery)! Später (Kaplan 1995) wurden weitere bzw. andere Gefallenskriterien diskutiert: ‚beingaway’ (das Gefühl haben, ‚woanders’ zu sein), ‚compatibility’ (Bedürfnis entsprechend) und ‚fascination’ (anregend für beiläufige Wahrnehmungen). Auch wenn im weiteren Fortgang der Untersuchung auf die Kaplan’sche Theorie immer wieder eingegangen wird, so bildet sie doch nicht die theoretische Grundlage der Arbeit, weil der Kaplan’sche Ansatz sich in erster Linie auf Landschaften bezieht und nicht auf städtische Freiräume. Zwar hat Kaplan seinen An-
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satz später auch auf innerstädtische Freiräume erweitert, aber dabei vor allem quasi ‚natural environments’ (Kaplan 1995: 174) gemeint wie Parks und Gärten, nicht aber Spiel- oder Stadtplätze. Zwar spielt auch dort „attention restoration“ eine gewisse Rolle, also Entspannung, Erholung, Erfrischung, aber wohl nicht in demselben Maße wie bei innerstädtischen Parks, geschweige denn außerstädtischen Landschaften. Der Untersuchung hier liegen vielmehr zwei mehr theoretisch angelegte Veröffentlichungen des Verfassers zugrunde. x
In dem Beitrag „Gestalt oder Geschehen?“ (Tessin 2004a) wurde argumentiert, dass der Bevölkerung beim alltäglichen Aufenthalt in einem städtischen Freiraum das dortige ‚Geschehen’ (vom Fallen der Blätter im Herbst über das Hüpfen eines Rotkehlchens bis hin zu Veranstaltungen, Zwischenfällen, Begegnungen) wichtiger sei als die ‚Gestalt’ des betreffenden Freiraumes, die man nach einigen Besuchen ja hinreichend ‚kennen’ würde.
x
Im zweiten Beitrag, „Ästhetik des Angenehmen“ (Tessin 2005b), wurde die These aufgestellt, dass das ‚Angenehme’ die zentrale Kategorie für das rezeptionsästhetische Verhalten der Bevölkerung in städtischen Freiräumen sei: der Freiraum werde in der Regel nicht wie ein Kunstwerk rezipiert bzw. nicht so, wie man ein Kunstwerk rezipieren sollte, sondern wie ein (hübsches, angenehmes) Gebrauchsgut. Es löse damit eine Gefühlsreaktion aus, von der Lukács (1972), befangen in einem noch sehr traditionellen Verständnis von ‚Kunst’ und ‚Ästhetik’, sagt, es handele sich um Erlebnisweisen, „die in ihrer unmittelbaren Erscheinungsweise den ästhetischen vielfach außerordentlich nahe kommen, obwohl sie ihrem Wesen nach nichts mit den entscheidenden Bestimmungen der Kunst zu tun haben.“ (ebenda: 143). Aber gerade diese Art des (nicht kunstinteressierten) ästhetischen Erlebens sei, so die hier zugrunde liegende These, typisch für die ästhetische Rezeption städtischer Freiräume.
Die vorliegende Untersuchung versucht, diese These empirisch zu belegen und natürlich in diesem Rahmen auch (wenn notwendig) zu modifizieren, auszudifferenzieren, vielleicht auch einzuschränken auf bestimmte Freiraumtypen, Personengruppen oder Aufenthaltsanlässe in städtischen Freiräumen. Basis dieser empirischen Überprüfung ist eine Vielzahl von teils quantitativen, teils qualitativen Untersuchungen, die teils im Rahmen eines entsprechenden DFGForschungsprojektes, teils im Rahmen anderer Forschungsaufträge und Gutachten, teils im Rahmen studentischer Übungsaufgaben in empirischer Sozialforschung für Landschaftsarchitekten an der Leibniz Universität Hannover in den letzten Jahren durchgeführt wurden. Insgesamt summieren sich diese Befragungen und Beobachtungen auf einige tausend Personen, wobei der räumliche Schwerpunkt all dieser Analysen im Raum Hannover lag. Teils wurden die Personen in den unterschiedlichen Freiräumen beobachtet bzw. befragt, teils aber
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auch (und ganz bewusst) zu Hause oder an anderen Orten aufgesucht und dort interviewt. Die Buchveröffentlichung gliedert sich in vier große Bereiche: x
In einem ersten Teil wird eine kurze Einführung in die Rezeptionsästhetik bzw. in ihre wahrnehmungspsychologischen Grundlagen gegeben.
x
In einem zweiten Teil wird dann die ‚Ästhetik des Angenehmen’ vorgestellt und in einigen Facetten empirisch überprüft.
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Im dritten Teil geht es darum, an exemplarischen Beispielen (und auch hier wieder empirisch) die typischen Unterschiede zwischen der neueren professionellen Ästhetik und dem Laiengeschmack herauszuarbeiten.
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In einem Schlusskapitel wird schließlich die Frage untersucht, ob und inwieweit eine rezeptionsästhetisch ausgerichtete Entwurfspraxis in der Landschaftsarchitektur (wieder) vorstellbar ist. Dabei geht es nicht so sehr um Empfehlungen, die man aus der Rezeptionsästhetik u.U. ableiten könnte, sondern um ein Plädoyer für eine entsprechende Entwurfshaltung, die das ‚Angenehme’ überhaupt erst einmal als legitimes Ziel von Landschaftsarchitektur und professioneller Ästhetik anerkennt.
Die hier vorgelegte Publikation basiert auf einigen Veröffentlichungen, die der Autor in den letzten Jahren zur Thematik vorgelegt hat; dabei wird auch auf das vom Verfasser im Jahr 2004 veröffentlichte Buch „Freiraum und Verhalten“ zurückgegriffen. Es ist der Versuch, alle relevanten Aspekte in den hier entwickelten Gesamtkontext der Rezeptionsästhetik zu stellen, sie - besser als bisher empirisch zu unterlegen und sie einzubinden in den Stand der angloamerikanischen rezeptionsästhetischen Forschung, die im deutschsprachigen Raum bislang ja kaum rezipiert wurde.
Hannover, im Sommer 2008
Wulf Tessin
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1.
Einführung in die Rezeptionsästhetik
1.1 Bedingungen ästhetischer Wahrnehmung Die Umwelt wird bekanntlich weniger in ihrer physischen Tatsächlichkeit verhaltenswirksam als vielmehr in ihrer subjektiv wahrgenommenen Qualität (vgl. hierzu schon Tessin 2004b: 94ff). Mit diesem Aspekt der subjektiven Wahrnehmung setzt sich die Wahrnehmungs- und Umweltpsychologie auseinander. Hier können nur einige ihrer Befunde genannt werden, aber die Kernaussage lautet: Räume werden unterschiedlich wahrgenommen sowohl in Richtung auf das, was man sieht, als auch in Richtung, wie das Wahrgenommene auf einen wirkt und wie man es bewertet. In jedem Augenblick reagiert die wahrnehmende Person nur auf einen kleinen Bruchteil der Umgebung, was ja die Polizei bei Aussagen von sog. Augenzeugen bekanntlich schier zur Verzweiflung bringt. Gewohntes, häufig Gesehenes weckt weniger Aufmerksamkeit als Unbekanntes. Bewegungen im Raum fallen mehr auf als Dinge, die sich nicht bewegen. In einer konkreten Situation wird Wesentliches vom Unwesentlichen fast instinkthaft wahrgenommen und unterschieden. Dass man nur einen kleinen Bruchteil dessen wahrnimmt, was ‚objektiv’ vorhanden ist, stellt für den Menschen eine Überlebensnotwendigkeit dar. Anders als Tiere, die nur ganz bestimmte, überlebenswichtige Aspekte ihrer Umwelt wahrnehmen, ist der Mensch ein ‚weltoffenes’ Wesen, er nimmt gleichsam ‚viel zu viel’ wahr. Er muss also lernen und Erfahrungen machen, mit dieser Umweltkomplexität umzugehen. Am Ende dieses (freilich niemals abgeschlossenen) Prozesses steht die Tatsache, dass wir unsere jeweilige (uns schon irgendwie vertraut vorkommende) Umgebung optisch fast völlig übersehen in der doppelten Bedeutung dieses Wortes. Uns gelingt einerseits eine Übersicht, wir sind - blitzschnell - in der Lage, die wahrgenommene Umwelt einzuordnen, andererseits übersehen wir vieles bzw. nehmen es nur ganz oberflächlich oder beiläufig zur Kenntnis, eine Überlebensstrategie für ein Wesen, das, wie der Sozialphilosoph Gehlen einmal schrieb, „der offenen Weltfülle ausgesetzt und einer zweckmäßigen Auslese des Wahrnehmbaren, wie sie dem Tiere zukommt, entbehrend, sich doch in der Welt orientieren muß, (...).“ (Gehlen 1965: 50) Ergebnis dieses lebenslangen Prozesses ist einerseits eine eigenartige oberflächliche Vertrautheit mit der Umwelt wie andererseits zugleich auch eine eigenartige Distanz ihr gegenüber. Man weiß sie fast auf Anhieb, sozusagen ‚at
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first sight’ einzuordnen, man erkennt sie als ‚Park’, als ‚Straße’, als ‚Wohnzimmer’, und das reicht meist zur Handlungsorientierung; auf darüber hinaus gehende Details, auf die Individualität, Hintergründe dieser Umwelt lässt man sich meist gar nicht mehr ein und hält sie sich damit zugleich ‚auf Distanz’, um der Weltfülle und der daraus resultierenden Reizüberflutung nicht ausgeliefert zu sein. Nur in ganz bestimmten Situationen lässt man sich auf die Umwelt mehr und näher ein, wenn irgendein persönliches Interesse dieses nahe legt, vor allem auch wenn sie uns nicht auf Anhieb vertraut vorkommt und wir sie noch nicht richtig einordnen können. Diese Art oberflächlicher, distanzierter Wahrnehmung einer in groben Zügen vertrauten Umwelt ist eine anthropologische Überlebensnotwendigkeit und zugleich alltägliche Verhaltensroutine. Sie entlastet uns, macht uns frei und zugleich handlungsfähig. Nun hat sich aber die Weltfülle im menschlichen Zivilisationsprozess, vor allem im Industrialisierungs- und Verstädterungsprozess um ein Vielfaches noch potenziert. Damit ist der Zwang, der Reizüberflutung wahrnehmungs- und verarbeitungsmäßig Herr zu werden, dramatisch gestiegen. Schon um 1900 hat Simmel in Bezug auf die besondere Informations- und Reizüberflutung in der Großstadt auf die damit verbundene enorme Steigerung des Nervenlebens hingewiesen, „die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht.“ (Simmel in Schmals 1983: 237). Daraus resultiere eine über das menschenübliche Maß hinaus gehende Distanz zur Umwelt, die Simmel als großstadtspezifische Blasiertheit bezeichnet, „in der die Nerven ihre letzte Möglichkeit, sich mit den Inhalten und der Form des Großstadtlebens abzufinden, darin entdecken, daß sie sich der Reaktion auf sie versagen - die Selbsterhaltung gewisser Naturen um den Preis, die ganze objektive Welt zu entwerten...“ (ebenda: 240f) Und der Autor fährt fort: „Das Wesen der Blasiertheit ist die Abstumpfung gegen die Unterschiede der Dinge, nicht in dem Sinne, daß sie nicht wahr-genommen würden, wie von dem Stumpfsinnigen, sondern so, daß die Bedeutung und der Wert der Unterschiede der Dinge und damit der Dinge selbst als nichtig empfunden wird. Sie erscheinen dem Blasierten in einer gleichmäßig matten und grauen Tönung, keines wert, dem anderen vorgezogen zu werden.“ (ebenda: 240) Und dies wurde bereits 1903 geschrieben: Und wie unermesslich hat sich die Umweltkomplexität in den letzten 100 Jahren erhöht, so dass nur zu verständlich wird, dass sich die reizüberfluteten und informationsübersättigten Menschen durch Blasiertheit bzw. Abstumpfung entlasten und von ‚unnötigen’ Umwelteindrücken befreien müssen. Der Stadtplaner Sieverts (1999) spricht in diesem Zusammenhang z.B. von der Stadt bzw. der Stadtregion (vgl. hierzu noch Kap. 3.5) als dem „Reich der Anästhetik“, in dem man sich wie betäubt bewege. „‚Anästhetik’ meint jenen Zustand, wo die Elementarbedingung des Ästhetischen - die Empfindungsfähigkeit - aufgehoben ist (...) und auch dies auf allen Niveaus: von der physischen Stumpfheit bis zur geistigen Blindheit.“ (Welsch 1995: 10)
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Das, was man wahrnimmt, ist also immer höchst selektiv, bestimmt u.a. durch die jeweilige Bedürfnislage, durch Erfahrungen und Kenntnisse, die Position oder Rolle, die man in der jeweiligen Situation einnimmt. x
Wenn ein Bauer seine Äcker und Wiesen anschaut, sieht er sie anders als ein Tourist.
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Jemand, der auf Wohnungs- oder Hotelsuche ist, schaut sich in einer Straße anders um als die Frau, die zum Einkaufen geht.
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Ein Naturschützer sieht eine innerstädtische Brachfläche mit anderen Augen als ein Kind oder der Eigentümer dieser Fläche.
Im Rahmen einer Untersuchung zu Nutzungsschäden in historischen Gärten (Tessin, Widmer, Wolschke-Bulmahn 2001) gab es geradezu regelmäßig den Fall, dass der Parkverantwortliche davon sprach, dass - aus seiner Sicht - solche Nutzungsschäden (Trampelpfade, ausgetretene Wegränder, Müll usf.) schon ein recht großes Problem seien, während mancherorts nur 5% der jeweiligen Besucher auf die Frage, ob ihnen im Park irgend etwas negativ aufgefallen sei, von sich aus auf Nutzungsschäden hinwiesen. Auch in der Forschergruppe hatte man den Eindruck, dass die Parkverantwortlichen irgendwie ‚übertreiben’ würden. Nutzungsschäden gab es, aber sie sprangen einem nicht ins Auge. In einem solchen Fall (keine augenfällige Schadenssituation) achten unbefangene Besucher auf etwas Anderes. Besucher kommen in aller Regel ja nicht mit einem (gartenhistorisch oder sonst wie bedingten) Interesse oder gar Vorsatz in den Park, um dort nach Nutzungsschäden Ausschau zu halten, anders als Gartendenkmalpfleger, Parkverantwortliche oder einschlägige Forschergruppen, die nicht (wie Besucher) gleichsam zufällig über Nutzungsschäden stolpern, sondern den Park mehr oder weniger systematisch nach diesen „Spuren der Missachtung“ (Hennig, Keim, Schulz zur Wiesch 1984) absuchen. Diese Fachleute aktivieren dabei von sich aus die gartenhistorischen und gartendenkmalpflegerischen Wahrnehmungsund Bewertungsdispositionen - völlig unabhängig davon, ob die ‚objektive’ Schadenssituation im Park es nahe legt oder nicht. Sie setzen ihr (vorgefasstes) ‚Such- und Erkenntnisinteresse’ gegenüber der Umwelt durch. Die normalen Besucher dagegen überlassen es der Situation im Park selbst, u.U. dem Zufall, welche latent in ihnen vorhandenen Wahrnehmungsinteressen und Werthaltungen aktiviert werden, was in der Regel darauf hinausläuft, Nutzungsschäden (bis zu einer bestimmten Unauffälligkeitsschwelle) nicht bewusst oder nur sehr beiläufig zur Kenntnis zu nehmen, vor allem aber sie nicht isoliert, sozusagen schadensfixiert, sondern sie - eingebunden in das Gesamterlebnis des Parks - wahrzunehmen. Das Ausmaß an Nutzungsschäden wird deshalb - wenn überhaupt wahrgenommen - von ihnen auch in diesen Gesamtkontext des Parkerlebnisses relativierend eingeordnet und nicht allein auf das eigene gartenhistorische Interesse und Wertsystem bezogen, was den Unterschied zur Sicht etwa der Gartendenkmalpflege oder des Parkverantwortlichen ausmacht, deren ‚interessiertere’ (schadensfixiertere) Wahrnehmung verständlicherweise zu anderen Einschätzungen führt.
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Der Parkbesucher nimmt aufgrund seiner anderen Interessenslage die vorhandenen Nutzungsschäden, wenn sie nicht zu auffällig sind und sich nicht gleichsam aufdrängen, gar nicht oder nur am Rande wahr. Tatsächlich, daraufhin direkt angesprochen, konnten die Parkbesucher jedoch durchaus Nutzungsschäden im Park benennen, aber sie hatten sie nur eben am Rande wahrgenommen, beiläufig. Die interessensbedingte Selektivität der Wahrnehmung geht also nicht so weit, dass man das, was einen im Augenblick nicht interessiert und nichts angeht, gänzlich ignorieren würde. Eine Person „nimmt stets vielerlei in irgendeiner Weise auf, was im Moment ‚überflüssig’ zu sein scheint.“ (Bahrdt 1996: 62) An was sie sich aber später vielleicht einmal erinnern, was sie wieder erkennen wird, wenn sie einmal an den Ort zurückkehren sollte. Nutzungsschäden waren also offenbar von den Besuchern schon irgendwie wahrgenommen worden, aber wohl mehr unbewusst, beiläufig, an sich nicht der Erinnerung wert. Aber daraufhin angesprochen, ‚kramten’ sie in ihrem Unterbewusstsein doch den einen oder anderen Schaden hervor. Der Anteil ‚unbewusster Wahrnehmung’ einer solchen Art ist offensichtlich sehr hoch, denn: „Bewusstsein ist für das Komplizierte, das nicht Eingeübte, das Neue, das Anspruchsvolle da. Diesen Zustand versucht das Gehirn aber zu vermeiden, weil er - (...) - stoffwechselphysiologisch teuer ist. Er ist überdies fehleranfällig, anspruchsvoll und kompliziert. Folgerichtig sprechen wie von ‚geistiger Anstrengung’. Das Gehirn versucht deshalb Bewusstsein zu vermeiden, wo immer es geht, versucht immer alles ‚ohne großes Bewusstein’ in Routinen zu gießen. Neunundneunzig Prozent dessen, was wir tun, sind Routinen, über die wir nicht nachdenken müssen.“ (Roth 2003: 65) Die oben aufgeführten Beispiele bewusster, subjektiver Wahrnehmung gehen davon aus, dass man die Umwelt unter einem bestimmten Interesse betrachtet als Bauer, als Naturschützer oder als Gartendenkmalschützer, als Tourist o.Ä.; es gibt nun aber daneben - gerade auch im Bereich des Freiraumverhaltens etwa bei einem Spaziergang - eine Selektivität bewusster Wahrnehmung, die nicht durch situationsspezifische Interessen gesteuert ist, sondern gleichsam interesselos wie zufällig erfolgt. Seel spricht von ‚kontemplativer Wahrnehmung’ und umschreibt diese Wahrnehmungsweise wie folgt: „Die kontemplative Wahrnehmung verweilt bei den Erscheinungen, die ihr Gegenstand aufweist, sie ergeht sich in den Unterscheidungen, die sie ihrem Gegenstand abgewinnt, ohne darüber hinaus auf eine Deutung zu zielen. (...) Es ist die sinnfremde phänomenale Individualität eines Gegenstands, auf die es der kontemplativen Wahrnehmung ankommt. Diese Individualität wird sichtbar, sobald von jeder Wichtigkeit und Wertigkeit der Dinge für das Erkennen oder Handeln abgesehen wird; die Dinge erscheinen als sinnfremd, weil ihnen keinerlei Lebensbedeutung beigemessen oder zugemutet wird. (...) Kontemplation ist relevanzlose, in diesem Sinn rücksichtslose Betrachtung; nur deswegen kann sie auf alles ihr Erscheinende Rücksicht nehmen. Rücksichtslos wiederum kann sie nur sein, wenn sie sich in das, was sich ihr bietet, von einer zufälligen Position aus vertieft. (...) Diese Betrachtung ist uninte-
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ressiert auch darin, daß sie sich für ihren Gegenstand nur im Moment ihrer Aufmerksamkeit interessiert.“ (Seel 1996: 39f) Eine solche Betrachtungsweise ist gewissermaßen müßiggängerisch, sie verweilt zufällig an Gegenständen, verliert sich, vergisst sie, schweift ab. Dieses kontemplative Wahrnehmungsmuster ist im Bereich des alltäglichen Freiraumverhaltens besonders verbreitet, wie noch weiter unten ausführlich darzustellen sein wird, weil es eben mit Freizeit und Müßiggang eng verknüpft ist, d.h. die Interessen und Intentionen unspezifisch und diffus sind. Unsere Wahrnehmung ist gleichsam offen (für neue, aber auch abseitige Eindrücke). In der sog. ‚Attention Restoration Theory’, wie sie von Kaplan (1995) entwickelt wurde, spielt diese Art von Aufmerksamkeit eine zentrale Rolle. Dort wird unterschieden zwischen einer „directed attention“ (ebenda:169f), also einer zielgerichteten Aufmerksamkeit, die tendenziell anstrengend ist und unsere Alltagsbeschäftigungen beherrscht, und einer „involuntary attention“ (ebenda: 172), die nicht zielgerichtet ist, beiläufig erfolgt und insgesamt als erholsam erlebt wird: sie strengt nicht an. Natur, Landschaften, aber auch innerstädtische Freiräume zeichnen sich dadurch aus, so Kaplans Theorie, dass in ihnen eine erholsame, nicht zielgerichtete Aufmerksamkeit möglich ist. Der ästhetische Reiz derartiger Räume liegt - jenseits von ‚schön’ und ‚hässlich’ - zunächst also erst einmal darin, dass sie Entspannung, Erholung und beiläufige Anregung bieten (vgl. hierzu noch Kap. 2.4). Das ästhetische Wahrnehmungsmuster i.e.S. von ‚schön-hässlich’ wird im Alltagsleben nur relativ selten aktiviert. Zwar kann prinzipiell jeder beliebige Gegenstand unter dem Aspekt von ‚schön-hässlich’ wahrgenommen werden, aber ob dies erfolgt, ist situationsabhängig und auch stark persönlichkeitsbedingt. Wir alle kennen in unserer Umgebung Menschen, für die alles eine ästhetische Funktion annimmt, und umgekehrt auch solche, die für die ästhetische Funktion relativ unempfänglich sind (Mukarovský 1974: 14). Im Alltag (anders als im Urlaub) spielt, wie gesagt, der ästhetische Bezugsrahmen i.e.S. nur eine nachgeordnete Rolle, man hat anderes zu tun, als sich stets zu fragen, ob das nun schön oder hässlich sei. Im Rahmen einer Untersuchung (Leist u.a. 1982) wurden Bewohner danach befragt, worauf es ihnen im Stadtviertel ankomme? Von zwölf vorgegebenen Eigenschaften (z.B. Einkaufsmöglichkeiten, ruhige Wohnlage, nachbarschaftliches Milieu, Aufenthaltsmöglichkeiten im Freien usf.) wurde das bauliche Erscheinungsbild des Viertels, also die ästhetische Dimension an Unwichtigkeit nur von der Versorgung des Stadtviertels mit Sportanlagen und Schwimmbädern übertroffen (ebenda: 126ff). Nicht zufällig beginnt Burckhardt (1972: 69) seinen Aufsatz, „Was erwartet der Bürger von der Stadtgestalt?“, lakonisch mit einem „schnöden ‚gar nichts!’“. Ästhetikfragen, so wichtig sie für den Architekten sein mögen, haben nicht annähernd denselben Stellenwert im Alltagsleben der Bevölkerung.
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Damit wir etwas überhaupt als schön oder hässlich, als primär ästhetisches Objekt erleben (von ‚müssen’ ist keine Rede!), bedarf es offenbar u.a. entweder x
einer gestalterischen, unmittelbar erkennbaren (offensichtlichen) Absicht des Produzenten, am besten eines Künstlers oder Landschaftsarchitekten, etwas (auch) ‚schön’ zu gestalten (Beispiel Park),
x
einer gesellschaftlichen Konvention, die uns sagt, dass es sich hierbei eo ipso um ein ‚ästhetisches Objekt’ handelt, selbst dann, wenn keine künstlerische Gestaltungsabsicht erkennbar ist (Beispiel ‚Landschaft’ oder ein ‚Geschenk’, das man bekommt),
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einer Abweichung des Gegenstandes von seinem üblichen, normalen, alltäglichen Aussehen. Das Besondere, das Außergewöhnliche, das Neuartige, das die normale Erscheinung Über- oder Unterbietenden kann Impuls sein, den Gegenstand primär unter ästhetischen Gesichtspunkten wahrzunehmen: das Schöne/Hässliche ist das Seltene, Unwahrscheinliche, Abweichende, nicht Alltägliche.
Neben bestimmten Eigenschaften des Objektes und der jeweiligen individuellen Interessens- und Stimmungslage entscheidet also auch die gesellschaftliche Konvention darüber, ob wir ein Objekt als primär ästhetisches Objekt erleben. Ästhetisches Erleben kommt zustande, wenn wir es wollen, oder aber irgendein Umweltaspekt unsere ästhetische Aufmerksamkeit erweckt meist, weil er in seinem Äußeren in irgendeiner Art und Weise abweicht vom Üblichen, Gewohnten. Wir nehmen diese Abweichung vom Normalmaß fast reflexartig ästhetisch wahr und stellen also fest, dass der Baum besonders groß ist, der Berg besonders hoch, die Nase unseres Gegenübers in der Straßenbahn besonders gerade ist. Bis hierhin handelt es sich um bloße ästhetische Wahrnehmungen, beiläufig gemacht, schnell vergessen, um - in Abwandlung der Kant’schen Formulierung - interesseloses Wohlge- bzw. Missfallen. Ästhetisches Interesse (und eine entsprechende Befriedigung) erwächst erst dann, wenn uns der wahrgenommene Umweltaspekt auf irgendeine Art und Weise interessiert, uns persönlich ‚anspricht’, mit irgendwas in uns korrespondiert (Ingarden 1997: 214ff; Seel 1996: 89ff). Ästhetisches Erleben verleiht also der bloß ästhetischen Wahrnehmung (subjektiv) emotionale Bedeutung, bisweilen auch im Sinne einer ästhetischen Wahrheit.
1.2 Ästhetisches Erleben als gelungene Operationalisierung Wir leben ja mit einer Unzahl von Ideen im Kopf, Vorstellungen, Gefühlen, Bedürfnissen, Werthaltungen, die wir auch ungefähr begrifflich fassen und beschreiben können. Ungefähr wissen wir (vgl. hierzu schon Tessin 2006b), was ein ‚schöner Morgen’ ist, ein ‚ehrenhafter Mensch’, eine ‚großartige Bergkulisse’, was ‚Geborgenheit’, was eine ‚blühende Orchidee’ ist, was ein ‚Stau auf der Au-
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tobahn’ oder ein ‚schöner Park’. Wir haben von all dem eine ungefähre Vorstellung oder Ahnung, teils aufgrund eigener einschlägiger persönlicher Erfahrungen, teils aufgrund von bloßem Hörensagen, also gesellschaftlicher bzw. medialer Vermittlung, teils aufgrund rein subjektiver Einbildungskraft. Aber wenn uns jemand von einem ‚interessanten Konzert’ berichtet, was wissen wir dann eigentlich genau von diesem Konzert? Wenn wir nachfragen, kommen wir der Sache ein bisschen näher, aber letztlich spüren wir, dass man es gleichsam selbst ‚erlebt’ haben müsste, um es ‚wirklich zu wissen’! Dieses eigene Erleben von etwas macht uns eigentlich erst ‚gewiss’. Und ‚im Leben’, in der ‚Kunst’, in der ‚Natur’ oder in irgendeiner Art von ‚Situation’ erleben wir bisweilen (leider zu selten!) etwas so bewusst oder intensiv, dass wir gleichsam instinktiv wissen: das ist es! Ja, das ist ein ‚schöner Morgen’, das ist ein ‚interessantes Konzert’, das ist ein ‚schöner Park’. In diesem Augenblick werden Begriffe, Ideale, Bedürfnisse, Gefühlslagen auf einmal anschaulich erlebt und damit auch eigentlich erst für uns ‚wahr’, d.h. Wirklichkeit. Ein Begriff, ein bloßes Wort wird ‚erlebt’ und mit Leben gefüllt. Obwohl eine solche begriffliche Klarheit nicht immer sofort da sein muss, spüren wir etwas als ‚gelungen’, als ‚genau richtig’, als ‚schön’, und müssen bisweilen erst ein bisschen überlegen, ‚was’ es eigentlich genau ist: ein ‚schöner Morgen’? Nur ein ‚gutes Frühstück’? Ein ‚strahlend, blauer Himmel’? Ästhetische Erlebnisse sind ja potenziell vieldeutig und bisweilen scheint der Zufall zu entscheiden, unter welcher ‚Rubrik’ wir das Erlebnis einordnen und deuten. Im Rahmen einer Untersuchung zur Akzeptanz eines neu geschaffenen Landschaftsraumes am Kronsberg in Hannover (vgl. Tessin 2005c) wurden Besucher gefragt, welche drei Eigenschaftswörter ihnen spontan zur Charakterisierung der Landschaft einfielen. Rund 60 Eigenschaftswörter wurden genannt, kein Eigenschaftswort wurde von mehr als 25% der Befragten genannt. Das meistgenannte Eigenschaftswort war ‚grün’, an zweiter Stelle lag das Wort ‚schön’. Eigenschaftswörter, die etwas spezifischer auf den Charakter der Landschaft eingingen, waren x ‚windig’ (19% der Befragten), x ‚weit(läufig)’ (14% der Befragten), x ‚friedlich-ruhig’ (12% der Befragten) und x ‚kahl-karg-ausgeräumt’ (12% der Befragten). Die assoziierten Eigenschaftswörter bezogen sich auf ganz unterschiedliche Aspekte der Landschaft und des Landschaftserlebens: auf das Klima, die Bodenverhältnisse, die Vegetation, den Pflegezustand, den Grad der Natürlichkeit, die Topographie, die verkehrliche Erschließung, die eigene Mühsal beim Gang durch die Landschaft usf.; offenbar wird eine Landschaft (aber natürlich alles Andere auch) unter ganz unterschiedlichen Aspekten ästhetisch rezipiert und in ganz vielfältiger, fast unkalkulierbarer Weise in Beziehung gesetzt zu Begrifflichkeiten, Befindlichkeiten, Werthaltungen und Bedürfnislagen.
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Auch deshalb ist es riskant, sich im Augenblick einer solchen ‚Empfindung’ mit jemandem zu unterhalten. Was uns gerade vielleicht als Inkarnation eines ‚schönen Morgen’ vorkommt, erlebt unser Nachbar u.U. gerade als Inkarnation eines ‚miserablen Frühstücks’ oder - einer Möwe nachsinnend - als ‚Fernweh’. Oder (wahrscheinlicher) er erlebt ‚gar nichts’, d.h. nichts an der Situation verknüpft sich für (in) ihm mit einem Begriff, Wert, Bedürfnis oder Gefühl. Dieser Augenblick, in dem sich uns etwas ‚offenbart’, ist - etwas hochtrabend ausgedrückt - ein Augenblick ästhetischer Wahrheit bzw. ästhetischer Erkenntnis, weil sich hier etwas im subjektiven Erleben zeigt, was bislang nur in groben Zügen gekannt bzw. sich vorgestellt wurde: Wir erleben nun, um beim erwähnten Beispiel des Landschaftsraumes am Kronsberg zu bleiben, was eine ‚weiträumige, fast kahle Landschaft’ ist (oder sein kann), was es heißt, über einen ‚regennassen Lehmboden’ zu gehen, oder einen 29 m hohen Aussichtshügel zu ‚besteigen’, was für die in der norddeutschen Tiefebene dahin lebenden Hannoveraner offenbar so eindrucksvoll gewesen sein muss, dass sie eine Zeit lang auf dem Hügel ein ‚Gipfelkreuz’ aufgestellt hatten mit einem angehängten Notizbüchlein, in das jeder seine frisch erlebten Bergsteigererlebnisse eintragen konnte. Jenseits des bloßen Gefallens bzw. Missfallens bietet sich im ästhetischen Erleben also bisweilen auch eine Art von sinnlicher Erkenntnis. Wir empfinden in diesem Augenblick etwas als eine gelungene, gleichsam (für uns) gültige Operationalisierung einer bislang nur abstrakten Vorstellung. Wir haben vielleicht nicht nach diesem Beispiel gesucht, vielleicht gefällt es uns auch ganz und gar nicht (auch das Wort ‚Unglück’ operationalisiert sich ja für uns hin und wieder), aber wo es nun mal da ist und zwar in einer, wie es uns scheint, besonders gelungenen bzw. gültigen Gestalt, fällt es uns überhaupt auf. Wir erkennen es als ‚ein solches’, wir wissen nun ein bisschen mehr, was ‚Lehm’, ein ‚Anstieg’ oder ein ‚Unglück’ bedeuten kann. Ja, es kann uns passieren, dass wir etwas ‚als etwas’ erleben, von dem wir nie geglaubt hätten, dass das auch so möglich sei, dass etwa ein ‚geselliger Abend’ mit Berufskollegen (was wir bisher für ausgeschlossen hielten) auch ‚lustig’ sein kann. Wir machen eine neue ästhetische (sinnliche) Erfahrung. Insofern erscheint auch die an sich zutreffende Aussage, den Leuten gefalle das, was ihren Vorstellungen entspräche, in einem etwas anderen Licht. Bisweilen wird diese Aussage ja als Beleg für die ästhetische Innovationsfeindlichkeit der Bevölkerung gewertet: sie wolle das sehen, was sie immer schon gesehen habe, sie könne sich nichts Anderes und nichts Neues vorstellen. Latent unterstellt wird dabei, die Leute hätten klar umrissene ästhetische Vorstellungen, die sie wieder erkennen wollen. Tatsächlich haben sie zwar Vorstellungen von dem, was ihnen gefallen könnte, und das Vertraute spielt dabei schon eine große Rolle, aber diese Vorstellungen sind doch nur ungefährer Art und existieren oft nur in groben Zügen. Und bisweilen stellen sie sich geradezu als ‚falsch’ heraus, etwa wenn für den einen oder anderen zu einem ‚idealen Stadtplatz’ ein Brunnen ge-
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hört, dann aber ihm, wie er nun leibhaftig erlebt, auch Stadtplätze sehr gefallen können, auf denen es keinen Brunnen gibt. Freilich: das, was wir im ästhetischen Erleben als ‚das ist es’ und damit als ‚wahr’ oder ‚gültig’ erkennen, ist eine subjektive Wahrheit und bleibt es, auch wenn unser Begleiter uns zustimmt und genauso empfinden sollte wie wir. Und zugleich ist es eine wissenschaftlich-analytisch trübe Wahrheit, denn wir wären wohl nicht in der Lage (geschweige denn, dass wir Lust dazu hätten), jenen ‚idealen Stadtplatz’ oder ‚schönen Morgen’, den wir gerade zu erleben glauben, analytisch zu beschreiben, gleichsam nun wissenschaftlich zu sezieren und zu operationalisieren. Auf die Frage, was denn an diesem Morgen so schön sei, oder was denn das Besondere an diesem ‚schönen Morgen’ sei, kämen wir auf alles Mögliche: das Wetter, das Meer, die Sonne, die Boote, das Frühstück, die verbrachte Nacht, die Dusche, die Aussicht auf einen freien Tag… „Einfach alles eben“, würden wir vielleicht abschließend sagen und wüssten doch, dass durchaus nicht alles unbedingt dazu gehört: nicht der Parkplatz dort, nicht genau dieser Sitzplatz auf der Terrasse, möglicherweise nicht einmal zwingend genau die Person, die neben uns sitzt, vielleicht nicht einmal die Segelboote dort. Aber wir wissen doch, dass dieses Alles (für uns) ein gültiges Beispiel, eine irgendwie gelungene Operationalisierung des Begriffes ‚schöner Morgen’, also ein ‚schöner Morgen’ (für uns) wahr geworden ist. Und diese - jenseits des bloßen Gefallens bzw. Missfallens - (subjektiv) erlebte Wahrheit macht für manche Ästhetik-Theoretiker zumal mit Blick auf die Kunst den eigentlichen Kern des ästhetischen Erlebens (Koppe 1983: 147) aus: es geht darum, etwas ge-‚wahr’ zu werden, Erfahrungen zu machen, eventuell Neues zu erleben, auch Bestätigungen zu erfahren, wobei das, was der Rezipient etwa von Kunst als ‚ästhetische Wahrheit’ für sich entdeckt natürlich durchaus nicht mit dem identisch sein muss, was der Künstler vermitteln wollte oder was andere Rezipienten für sich als ästhetische Wahrheit erleben. Es war Hegel, der dem ästhetischen Erleben - speziell im Bereich der Kunst prinzipiell ‚Wahrheit’ zuerkannt hat, indem er das Schöne, die noch im 18. Jahrhundert zentrale ästhetische Kategorie, geradewegs als den Ausdruck eines Wahren, Ideellen bestimmte, nämlich als dessen ‚sinnliches Scheinen’, wie die bekannte Formulierung lautet. Hamburger (1979), die dem Zusammenhang von wissenschaftlicher und ästhetischer Wahrheit in einer größeren, freilich schon länger zurück liegenden Forschungsarbeit nachgegangen ist, spricht in Bezug auf Hegel von einer „etwas gewaltsame(n) Gleichsetzung von wahr und schön“ (ebenda: 51) und insgesamt kommt sie denn auch zum Schluss, dass von Wahrheit (im wissenschaftlichen Sinne) im ästhetischen Erleben nicht die Rede sein könne. Das freilich hat auch wohl so niemand behauptet. Es ist eine andere Art von Wahrheit, die - obwohl ‚unwissenschaftlich’ - von manchen (‚subjektivistischen’) Philosophen wie z.B. Schopenhauer, Heidegger oder Adorno umso höher eingestuft wird, weil die sog. ‚wissenschaftliche Wahrheit’ ja nur eine instrumentell
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(forschungsmethodisch zu Recht gestutzte) Wahrheit beinhalte und sich auf das Berechenbare, empirische Überprüfbare und begrifflich Fassbare begrenze, also weder Anspruch auf die ‚ganze Wahrheit’ erhebe, noch erheben könnte. Im ästhetischen Erleben, im Augenblick, wo sich uns etwas offenbart, habe man jedoch den ‚sicheren’ Eindruck, ja, die Gewissheit, der (einer?) ‚Wahrheit’ (jenseits von Berechenbarkeit, Erklärbarkeit, Begriff- und Sprachlichkeit), dem ‚Wesen’ der Dinge und Erscheinungen sehr viel näher, ja, ganz nah zu sein, was den ganzen Reiz eines solchen Erlebnisses ausmacht. Wenn Adorno (1977: 164) der Kunst bzw. der Ästhetik die Aufgabe der Rettung des ‚Scheins des Wahren’ zuerkennt, so argumentiert er zwar etwas anders als hier geschehen, aber der Wortlaut ließe sich für die hier skizzierte Argumentation übernehmen: wir haben den Eindruck, nun zu wissen, was ein ‚schöner Morgen’, ein ‚herrlicher Park’, eine ‚Orchidee’ wirklich ist: wir haben es ja selbst erlebt. Nur: diese, unsere ureigenste Wahrheit ist intersubjektiv kaum kommunizierbar und daher schon gar nicht intersubjektiv überprüfbar, geschweige denn intersubjektiv ‚gültig’. Und sie ist auch für uns selbst flüchtig, nicht wiederholbar und als Folge dieser Einmaligkeit auch nicht ‚zuverlässig’. Nie erleben wir etwas in identischer Weise mehrmals (bestenfalls ähnlich), so dass nicht einmal wir selbst ‚unsere Wahrheit’ überprüfen könnten, umso größer das Glück, die Wahrheitserfahrung zumindest einmal genau so gemacht zu haben.
1.3 Ästhetisches Erleben und Ideologisierung Im ästhetischen Erleben verwandelt sich das Objekt in spezifischer Weise. Die Wahrnehmung ist nicht nur selektiv in dem Sinne, dass man nicht die ganze Wirklichkeit eines Gegenstandes erfasst, als man bestimmte Aspekte außer Acht lässt, sondern auch in dem Sinne, dass man sich den Gegenstand ‚anverwandelt’, d.h. man sieht in ihm auch z.T. etwas, was im Grunde gar nicht da und zu sehen ist. Solche ideologisch geprägten Wahrnehmungen können so weit gehen, dass man die Umwelt regelrecht verzerrt und gar falsch sieht, aber in erster Linie machen sie unsere Wahrnehmung viel reicher. Wir sehen einfach viel mehr in einem Gegenstand, als an ihm ‚dran’ ist. Der Franzose Latour (2002) entwickelte in diesem Kontext die Vorstellung von den Dingen als ‚Hybriden’ in dem Sinn, dass Dinge nie nur Materie, sondern beides zugleich seien: Natur und Kultur; Materie und Geist. Und in diesem Kontext entwickelt er auch die Vorstellung von den Dingen als einer Art von Knoten in Netzwerken. Ein x-beliebiger Gegenstand, etwa eine Platane, ist (als Knoten in einem Netz gedacht) verknüpft mit einer Viel-, wenn nicht Unzahl von anderen Dingen, wissenschaftlichen Erkenntnissen, historischen Ereignissen, Urlaubserinnerungen usf.; in jedem Ding ist gleichsam ‚die Welt’ enthalten, es eröffnet Be-
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züge jedweder Art in alle möglichen Richtungen. Manche Assoziationen mögen nahe liegen, manche resultieren aus scheinbar aberwitzigen Gedankensprüngen. Wenn hier von Ideologie die Rede ist (vgl. hierzu schon Tessin 2004: 138ff), so ist damit also nicht ein eingeschränkter Ideologiebegriff gemeint (etwa im Sinne einer politischen Überzeugung), sondern ein sehr viel allgemeinerer, gleichsam ‚totaler’ Ideologiebegriff im Sinne Karl Mannheims (1969). Der hatte die Fachwelt mit der These konfrontiert, dass alle Erkenntnis über die Welt (auch die vermeintlich streng naturwissenschaftliche) letzten Endes ideologisch sei. Das Denken, so Mannheim, habe es niemals mit der nackten Realität, dem ‚Ding an sich’ oder der ‚wirklichen Wirklichkeit’ zu tun, sondern bewege sich in einer immer schon interpretierten, verstandenen und sprachlich vermittelten Wirklichkeit. Wir erkennen die Welt nur auf der Grundlage unserer eigenen Erfahrungen und Denkstile. Die externe Welt, so wie wir sie wahrnehmen, ist eine Funktion des Erkenntnisprozesses, ein ideologisches Konstrukt. Als ideologisches Konstrukt kann also alles das verstanden werden, was wir über ein Objekt wissen, meinen, zu wissen glauben, was wir vom Objekt verstehen und was wir davon halten. Auch das (natur-) wissenschaftlich erwiesene Wissen, das wir über einen Gegenstand haben (er ist 50 cm groß, er ist kugelrund etc.), wird hier in diesem Sinne als ideologisch bezeichnet - nicht in dem Sinne, dass die Angaben falsch wären, sondern nur insoweit es sich um gesellschaftsspezifische Sichtweisen, individuell zufällige Kenntnisse handelt. Ideologie als gesellschafts-, gruppen- oder subjektspezifische ‚Auslegung des Seins’. Wer an einem Gegenstand in erster Linie sieht, dass er 50 cm groß ist, irrt nicht, aber zeigt eine individuell verzerrte oder einseitige Wahrnehmung und Kenntnis des Gegenstandes. Im Grunde wird also alles das als ‚ideologisch’ gefasst, was ein Gegenstand, eine Person, ein Raum an Wissen, Gefühlen, Meinungen, Assoziationen und symbolhaften Bedeutungen in einer Person auslöst und was diese in einen Gegenüber, einen Gegenstand oder Raum ‚hineinprojiziert’, ihm sozusagen andichtet. Es ist ideologisch, weil es nicht ‚objektiv’, nicht ‚vollständig’, nicht ‚wertfrei’ und in jedem Fall maßgeblich beeinflusst ist durch die konkreten Lebensumstände in dieser oder jener Gesellschaft, in dieser oder jener Kultur oder Subkultur, dieser oder jener Person, hier und heute. „Der Mensch verleiht den wahrgenommenen Wirklichkeiten da draußen etwas aus ‚sich selbst’, etwas, was die Dinge an sich nicht besitzen“ (Mühlmann 1966: 32) Ein Besen ist zwar in erster Linie ein Besen (also zum Fegen geeignet), aber für uns als in der europäischen Kulturgeschichte Aufgewachsene, ist er natürlich auch ein Fluggerät für Hexen oder etwa ein literarisches Zitat aus Goethes ‚Zauberlehrling’ („Besen, Besen, sei’s gewesen“). Angesichts eines realen vor unseren Augen sich befindlichen Besens könnten einem darüber hinaus persönliche Besen-Erlebnisse einfallen: Putzärgernisse, Erinnerungen an Tante Frieda, die ein
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arger ‚Feger’ war usf.; alles dies, also was in den einzelnen Gegenständen und Personen um uns herum latent, unsichtbar ‚drinsteckt’ und von uns ggfs. aktiviert werden und in die Wahrnehmung einfließen könnte, seien es Vorurteile, Einstellungen, Aversionen, Wertvorstellungen, Erinnerungen, Erkenntnisse usf., soll hier als Ideologie bezeichnet werden. Und insoweit wir im Anblick eines Gartens, Parks oder Spielplatzes diese Vorstellungswelt aktivieren, die wir mit dem Objekt verbinden, sprechen wir vom Objekt als einem ideologischen Konstrukt. Ideologisierung in dem hier verwendeten Sinne ist nichts Anrüchiges oder Verwerfliches, sondern unvermeidliche Folge unserer ‚Auslegung des Seins’. Dieser - weit gefasste und hier keineswegs negativ, sondern eher positiv besetzte - Ideologiebegriff bezieht sich also auf bestimmte Regelmäßigkeiten des Menschen, in Bezug auf die Umwelt zu reagieren (vgl. hierzu auch noch mal Kap. 4.1). Dabei lassen sich drei Komponenten unterscheiden, nämlich eine affektive, eine kognitive und eine Handlungs- oder Aktionskomponente (Süllwold 1975: 475f). Sieht jemand eine x-beliebige Gegend etwa als seine ‚Heimat’ an, dann bedeutet das auf der affektiven Ebene, dass diese Gegend ein Gefühl der Vertrautheit, des Wohlfühlens, der Sicherheit und Geborgenheit auslöst. Auf der kognitiven Ebene bedeutet Heimat, dass man sich hier auskennt, die Menschen kennt, jeden Steg und Weg. Zugleich wird die als Heimat erlebte Gegend wertgeschätzt, bisweilen als etwas Unverzichtbares und zugleich Unwiederbringliches. Auf der dritten, der Handlungsebene, bedeutet Heimat, dass man zumindest latent bereit ist, sich für sie einzusetzen, sie zu schützen und zu pflegen. Man verlässt sie ungern, freut sich auf die Heimkehr usf. Städtische Freiräume haben also (vgl. hierzu ausführlicher Tessin 1981) neben bzw. über den realen rekreativen, kleinklimatischen und anderen Gebrauchswert hinaus auch einen ideologisch-symbolischen Wert etwa im Sinne jener Zigarettenmarke, die nicht nur ‘herzhaften Tabakgeschmack’ verspricht, sondern zugleich einen ‘Hauch von Freiheit’ suggeriert. Es ist also neben einer praktischfunktionalen eine zweite, ästhetisch-symbolische (ideologische) Gebrauchswertebene zu unterscheiden, die ebenso ‘real’ (weil erlebniswirksam) ist, auch wenn sie dem Gebrauchsgegenstand nicht unmittelbar anzuhaften scheint, sondern vom Benutzer/Betrachter an den Gegenstand herangetragen, ihm sozusagen angedichtet wird, so wie das Auto eben nicht nur ein bequemes Transportmittel ist (praktisch-funktionale Gebrauchswertebene), sondern zugleich z. B. Statussymbol (ästhetisch-symbolische Gebrauchswertebene). Und es liegt nun die These nahe, dass sich die individuelle Wertschätzung städtischen Grüns wesentlich auch aus dem Komplex von Erwartungen, Eindrücken, Einstellungen und so fort ergibt, die sich - teils bewusst, teils unbewusst - damit verbinden. Vor diesem Argumentationshintergrund wäre etwa eine wesentliche ideologische Funktion städtischen Grüns in seinem Naturversprechen zu sehen. Im Grün der Stadt wird die Natur, die im Verstädterungsprozess ‘überwunden’ wurde, in symbolischer Weise konzediert, in dem es dem Städter einerseits (in den Parks
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und öffentlichen Grünanlagen) Naturerlebnis und andererseits (in den Haus- und Kleingärten) Naturgestaltung in symbolischer Weise gestattet. Der Widerspruch zwischen Stadt und Natur wird gleichsam aufgelöst, in dem die Natur als städtisches Grün ‘aufgehoben’ wird, und zwar in der dreifachen Bedeutung dieses Wortes: beseitigt, hinaufgehoben und bewahrt. Während parallel dazu die Denaturierung des menschlichen Lebensraumes im Verstädterungsprozess ungebrochen voranschreitet. Städtisches Grün als Alibi, als Naturvortäuschung, ist, bezogen auf das Naturverlangen des verstädterten Menschen, also fraglos eine Art Ersatzbefriedigung, so wie es die Groschenromane sind oder Hollywoodfilme: es fungiert als ‘Freiraum’, wo zumindest in symbolischer Weise das anklingt, was das moderne Alltagsleben der Großstadt zu liquidieren sich anschickt. Aber so wie die Groschenromane den Traum von einem Leben voll Liebe, Erfüllung und Abenteuer ersatzbefriedigen (müssen), so städtisches Grün den Traum von einem vergangenen, in der Natur aufgehobenen Leben. Aber, so wie jeder Betrug noch den Wert indirekt bestätigt, um den er betrügt, die Groschenromane den Traum von Liebe, Abenteuer und Erfüllung immerhin noch wach halten, so bestätigt in der Stadt vorgetäuschte, symbolisch aufgehobene Natur immerhin noch ein Bild von Natur, das die verstädterte Gesellschaft real nicht mehr einzulösen vermag. Mit städtischem Grün als in der Stadt symbolisch aufgehobener Natur, als Naturversprechen (bzw. Naturreminiszenz) verbinden sich, dem facettenreichen und widersprüchlichen Verhältnis des verstädterten Menschen zur Natur entsprechend, eine Unzahl von Assoziationen, Gefühlen und Einstellungen, die zwar in der Regel auf der Ebene eines ‘Grün-ist-schön-Klischees’, also weitgehend unbewusst bleiben, und dennoch: x
Sicherlich steht in einem ganz allgemeinen Sinne das Grün für das Leben schlechthin, für die fundamentalen Lebensprozesse wie Entstehen, Wachsen, Reife und Blüte, Welken, Absterben, Tod und Fäulnis, für die Abfolge des Lebens.
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Zugleich versinnbildlicht es damit den Ablauf von (Jahres-)Zeit und dies im Gegensatz zu Uhr und Kalender nicht abstrakt, sondern anschaulich-konkret. Die tägliche und jahreszeitliche Veränderung der Natur in der Stadt, in dem sie das Vergehen von Zeit sichtbar macht, rhythmisiert den immer gleichen Alltagstrott des Städters, bildet somit eine sich zyklisch wandelnde Kulisse eines grauen, endlosen, linearen Alltagslebens.
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Städtisches Grün steht auch für die "Vollendung des Sieges über die rohe Natur" (Berndt 1968: 79). Grünanlagen bringen also in augenfälliger Form die Fähigkeit des Menschen zur Naturbeherrschung zum Ausdruck. Am deutlichsten in der barocken Landschaftsarchitektur, eine, wie Benz (1949: 84) sich ausdrückte, "Schöpfung der Allmacht, die nicht nur die Materie des Steins zu ihrer Verherrlichung zwang, sondern auch die Natur durch Kunst verwandelt und in Dienst genommen zeigte.“
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Eng damit verbunden bzw. mit der ansonsten praktizierten ausbeuterischen Form der Naturbeherrschung ist ein ‘schlechtes Gewissen’ gegenüber der Natur; städtisches Grün wird damit zum Wiedergutmachungssymbol gegenüber der ‘geschändeten 'Natur’: "man glaubt, sich an der heilen Natur vergangen zu haben: sie ist nicht mehr heil und bedarf der Pflege" (Bahrdt 1974: 159). Hier, in den städtischen Grünanlagen, wird Natur nicht wie überall sonst gebraucht, entstellt und verwertet, sondern anschauend geehrt.
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Städtisches Grün birgt aber - trotz aller Gestaltung durch den Menschen immer auch noch einen ‘Naturrest’ und verweist damit, wie Lefèbvre (1972: 142) schreibt, auf "absolute, unzugängliche Natur, (...)". Mit diesem ‘Naturrest’ hängt ein Weiteres, ja, das Wesentliche städtischen Grüns überhaupt zusammen: Obwohl in vielfältiger Weise gesellschaftlich überformt und in Dienst genommen, entzieht sich die Vegetation des städtischen Grüns in eigentümlicher Weise einer letzten gesellschaftlichen Vereinnahmung. Ihr bloßes, bewusstseinslose Da-Sein, das keine Vergangenheit und Zukunft, keine Schuld und Sühne, kein Freud und Leid kennt, keine Ziele, Werte, Zwecke und Gründe, versinnbildlicht eine zur menschlich-gesellschaftlichen Existenz prinzipiell andere Daseinsform, eine Art Gegenwelt, eine "Dimension des Anderen" (Marcuse 1974: 84) und wird damit zum Gegenstand menschlicher Sehnsucht, zum Fluchtpunkt: der ‘Naturrest’ im Menschen, der sich totaler Vergesellschaftung entziehen will, findet im ‘Naturrest’ des städtischen Grüns (vermeintlich) seine Entsprechung: dieses wird zum Synonym für soziale Entlastung (Gleichmann 1963: 54 f) und zur Metapher all dessen, was die Gesellschaft vorenthält: Natur ist dann, die Werbefachleute wissen es längst, schön, still, friedlich, abenteuerlich, gut, sauber, einfach, gesund und so fort, schlichtweg alles, was die verstädterte Gesellschaft nicht ist und in die Natur nur irgendwie hinein interpretiert werden kann.
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Städtisches Grün, indem es auf Natur verweist, symbolisiert also die ‘Dimension des Anderen’ zur verstädterten Gesellschaft. Dadurch gewinnt es eine weitere symbolische Funktion: in ihm vermittelt sich als kollektives Gedächtnis gleichsam Rückwärtiges in die Gegenwart. Der ‘Naturrest’ im städtischen Grün erinnert - bruchstückhaft - an die ‘verlorene Utopie’ (Wedewer 1978) des Aufgehobenseins des Menschen in der Natur.
Mit Sicherheit sind diese Andeutungen über die einzelnen Facetten des Naturversprechens städtischen Grüns unvollständig, zumal sie bei jeder einzelnen Person noch einmal individuell gefärbt sind und sich verknüpfen z. B. mit Kindheits-, Jugend- und Urlaubserinnerungen und so fort, Lebensphasen, und das ist bezeichnend, die zumindest teilweise aus dem Verwertungs- und Entfremdungszusammenhang der Stadt ausgekoppelt sind. Und das ist der Punkt: der verstädterte Mensch sieht (was immer ihm sonst noch einfallen mag) in der Natur bzw. im Naturversprechen des städtischen Grüns immer auch diese ‘Dimension
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des Anderen’, das, was sich zumindest teilweise dem städtischen Alltag entzieht, ja, diesem - ansatzweise - widerspricht, und sei es nur in der Einbildung: x
die frische Luft der Natur (im Gegensatz zu den vollklimatisierten Büros, dem Stadtgestank),
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die Ruhe der Natur (im Gegensatz zum Lärm und der Hektik der Stadt),
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das Leben (in) der Natur (im Gegensatz zur toten Materie von Stein, Beton, Metall, Papier und Plastik, die ihn in der Stadt umgibt),
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die Vielfalt der Natur (im Gegensatz zur Uniformität, Monotonie und Großmaßstäblichkeit der gebauten Umwelt),
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die Gleich-Gültigkeit (in) der Natur (im Gegensatz zur immer auch repressiven Wertskala und ‘Relevanzordnung’ der verstädterten Gesellschaft) und so fort.
Es ist daher nicht erstaunlich, dass Kaplan, Kaplan (1989) in ihrer Theorie der ‚restorative environments’ (vgl. hierzu noch Kap. 2) dem Aufenthalt in der Natur das Gefühl des ‚being away’ sozusagen andichten, einfach weil es in der Bevölkerung so erlebt wird. Manche dieser Andeutungen über den ästhetisch-symbolischen Charakter städtischen Grüns als Naturversprechen, als Antithese zur Stadt, mögen abstrakt sein und manchem weit hergeholt erscheinen. Und ist das noch Erlebniswirklichkeit, wenn es das überhaupt einmal war? In der Tat scheint es in Anbetracht des Abstandgrüns, des Containergrüns der Fußgängerzonen, des Straßenbegleitgrüns und des sonstigen Gebrauchsgrüns recht abwegig, davon zu sprechen, hier werde Natur symbolisch aufgehoben, auf eine ‘verlorene Utopie’ verwiesen und so fort. Ist nicht die Landschafts- und Gartenkunst längst zur ‘Grünversorgung’ geronnen und damit ihrer ‘Dimension des Anderen’ verlustig gegangen? In der Tat ist es wohl so, dass im Vergleich zur feudalen bzw. groß bürgerlichen Landschafts- und Gartenkunst, die im ‘repräsentativen Schmuckgrün’ sehr dezidiert ästhetischsymbolische Aspekte berücksichtigte, in der heutigen Grünversorgung die ästhetisch-symbolische Bedeutung, das Naturversprechen städtischen Grüns immer weniger zum Tragen kommt auch deshalb, weil immer weniger Menschen willens und/oder in der Lage sind, diesen ganzen ‚ideologischen Überbau’ zu aktivieren, wenn sie einen städtischen Park aufsuchen oder einer innerstädtischen Brachfläche begegnen (vgl. hierzu Kap. 3.3).
1.4 Zur Individualität und Konventionalität ästhetischen Erlebens Wird ein Gegenstand oder ein Raum überhaupt ästhetisch wahrgenommen, dann kann sich, wie man weiß, diese ästhetische Wahrnehmung und Bewertung von Person zu Person nicht unbeträchtlich unterscheiden.
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Kluth (1993) hat in diesem Zusammenhang z.B. die folgende Untersuchung durchgeführt: Er wählte 5 Parkmotive aus und legte sie als Photos 17 Parkbesuchern vor. Zugleich legte er ihnen 5 kurze Beschreibungen vor etwa in der Art: x
"Das Motiv ist gekennzeichnet durch Ruhe, Stabilität, Ernst, Melancholie, Harmonie, aber auch Unentschiedenheit."
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"Das Motiv strahlt Lieblichkeit, Feierlichkeit, Abwechslungsreichtum zusammen mit einer gewissen Strenge aus und zeigt deutliche Schwerpunktsetzung."
Nun sollten die Befragten den 5 Photos die Beschreibungen zuordnen: welche Beschreibung passt zu welchem Bild am besten? Kluth hatte in Gartenkunstbüchern nach Textstellen gesucht, in denen berühmte Landschaftsarchitekten die Anmutungsqualität bestimmter landschaftsgestalterischer Motive, etwa einer Allee, einer Trauerweide am Teich, zu beschreiben versucht hatten. Kluth wollte also prüfen, ob diese Motivbeschreibungen von sozusagen normalen Besuchern eines Parks geteilt würden. Es zeigte sich, dass jeweils maximal nur knapp die Hälfte der Befragten dieselben Zuordnungen vornahm. Nur in einem Fall waren sich 16 der 17 Befragten einig: die Beschreibung, "Das Motiv betont die Raumtiefe, ist geprägt von Strenge, Regelmäßigkeit und Ordnung und zeigt im Verhältnis zur Umgebung Steifheit und Härte", wurde von fast allen einem, dem einzigen Allee-Photomotiv zugeordnet. Aber sonst war, wie gesagt, die Übereinstimmung nicht so groß, wenn sie auch jeweils über der Zufallswahrscheinlichkeit lag. Bei der Zuordnung der Beschreibungen auf die einzelnen Photos ließ man sich in erster Linie von quasiobjektiven Eigenschaftswörtern leiten wie (ordentlich, ruhig, weit etc.), über die vermeintlich mit den Parkmotiven verbundenen Stimmungs- und ästhetischen Erlebniswerte wie melancholisch, ernst, feierlich etc. war man sich überhaupt nicht einig. Was die subjektiv-selektive Seite des Rezeptionsvorganges anbetrifft, so können Besucher beispielsweise einen Park also ganz unterschiedlich wahrnehmen und bewerten: x x x x x
er kann ihnen sehr oder weniger gefallen, er kann ihnen aus ganz unterschiedlichen Gründen sehr oder weniger gefallen, seine einzelne Merkmalsausprägungen können ganz unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt werden er kann ganz unterschiedliche Gefühle auslösen und selbstverständlich ganz unterschiedlich (persönliche) Erfahrungen und Vorstellungen aktivieren.
Um herauszufinden, wie der neu gestaltete Landschaftsraum am Kronsberg in Hannover gefiele, wurde den Besuchern die etwas provokante Äußerung vorgelegt (vgl. hierzu noch Kap. 3.4): „Manche Leute sagen, die Landschaft am
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Kronsberg ist einfach noch zu karg, ausgeräumt und wenig abwechslungsreich, als dass man sich hier richtig wohl fühlen würde. Was ist Ihre Meinung?“ Es stellte sich heraus, dass etwa die Hälfte der Besucher dieser Meinung mehr oder weniger zustimmte, die andere Hälfte sie aber genauso ablehnte. Ein Faktor, der dieses gespaltene Meinungsbild unter den Besuchern besonders beeinflusste, war der folgende: Leute, die die Landschaft am Kronsberg aus der Zeit vor der Umgestaltungsmaßnahme kannten, als es hier nur eine Art von Agrarsteppe für den Rübenanbau gab, lehnten die oben zitierte Meinung zu 66% ab. Jene, die die Landschaft zum ersten Mal sahen, nur zu 37%. Offenbar aktivieren die Betrachter oder Besucher ganz unterschiedliche Bezugsrahmen für ihre ästhetische Wahrnehmung und Bewertung. Die einen vergleichen das Landschaftsbild möglicherweise mit einem Idealbild, die anderen mit dem Bild der Landschaft, wie sie früher aussah. Besucher von woanders her äußerten sich z.B. deutlich ‚negativer‘ als die Besucher aus den angrenzenden Stadtteilen. Offenbar hat jemand, der von weither anreist, andere (höhere) ästhetische Ansprüche an eine Landschaft als ein Anwohner, für den sie quasi alltäglich ist, was sich auch an der unterschiedlichen Bewertung des umgestalteten Alexanderplatzes in Berlin zeigte, der hier nun von den Touristen besser benotet wurde (‚interessant’) als von den Einheimischen („ungemütlich“). Trotz dieser, was das Gefallen anbetrifft, Unterschiede, liegt die Mehrheit in ihrer Beurteilung des jeweiligen Freiraums doch eher recht dicht beieinander. Bittet man etwa die Besucher um eine Art Schulnote für den jeweiligen Freiraum, so gibt es zwar meist die ganze Bandbreite der Notengebung von 1 bis 4 oder gar 5 (eher selten!), aber die große Mehrheit liegt doch eher dicht bei einander, also etwa zwischen ‚1’ und ‚2’ oder ‚2’ und ‚3’. Nun kann man sich freilich z.B. ziemlich einig darin sein, dass der jeweilige Freiraum ein ‚angenehmer Ort’ ist oder er einem ‚gefällt’, aber fragt man die Leute dann, was ihnen denn im Einzelnen so gefalle und welche Bedeutung dieser oder jener Aspekt für ihr ästhetisches Urteil habe, kommen ganz unterschiedliche Antworten und damit Beurteilungskriterien zum Vorschein z.B. in Bezug auf einen Park in Hannover (Georgengarten): den einen (den meisten) gefiel er, weil er so ‚grün’, ein Stück ‚Natur’, anderen, weil er ‚gut erreichbar’ sei oder wegen seiner ‚guten Nutzbarkeit’ (vgl. hierzu noch ausführlich Kap.2.2). Andere wiederum meinten, das läge an der ‚lockeren Atmosphäre’, dem ‚guten Pflegezustand’ bzw. der ‚Ruhe im Park’. Und würde man andere Personengruppen befragen (hier waren es Studenten gewesen), kämen vielleicht noch ganz andere Aspekte zum Vorschein. Wohlgemerkt: ihnen allen gefiel der Park, sie gaben ihm mehr oder weniger dieselbe Note, aber die Begründungen dafür wichen doch durchaus voneinander ab. Auch in anderen Aspekten der ästhetischen Wahrnehmung und Bewertung zeigt sich die Subjektivität des Urteils. In der Rezeptionsästhetik sind so genannte Polaritätsprofile sehr verbreitet, mit deren Hilfe man versucht, die Anmutungs-
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qualität eines Objektes empirisch zu erfassen. Die Befragten werden dabei gebeten, das Objekt auf einer Skala zwischen gegensätzlichen Eigenschaften einzustufen, also etwa zwischen ‚still’ und ‚laut’, ‚hell’ und ‚dunkel’ usf. Auch hier ergeben sich in der Regel beachtliche individuelle Unterschiede einerseits in Abhängigkeit vom Objekt, andererseits in Abhängigkeit vom gewählten Gegensatzpaar. Dies bezieht sich selbst auf stark deskriptive Merkmale. So meinten 56% der Besucher eines Parks in Hannover, er sei eher ‚übersichtlich’, immerhin 26% er sei eher ‚unübersichtlich’. 60% bezeichneten ihn eher als ‚abwechslungsreich’, wieder 26% als eher ‚abwechslungsarm’, d.h. es gibt zwar eine Mehrheitsmeinung, aber doch eine beachtlich große abweichende Minderheit. Es gibt allerdings auch Beispiele, wo sich keine rechte Mehrheitsmeinung einstellt: 30% fanden den Park eher ‚beschaulich’, 37% eher ‚interessant’. Ähnlich gespalten die Meinung, ob der Park mehr in Richtung von ‚Kunst’ ginge oder in Richtung von ‚Natur’. In anderen Aspekten wiederum war der Konsens dagegen deutlich größer: 63% meinten, der Park sei eher ‚idyllisch-romantisch’ als ‚sachlich-nüchtern’, eine Bewertung, die nur 15% der befragten Besucher nicht teilten. Auch wenn man die Freiraumbesucher nicht zwingt, sich an vorgegebenen Gegensatzpaaren gleichsam abzuarbeiten, sondern sie bittet, ihren Eindruck in ein paar selbst gewählten Stichworten zu umreißen, ergibt sich (s.o.) eine Vielzahl von Aspekten, wobei nur einige ‚Allerweltsausdrücke’ wie ‚grün’, ‚schön’ oder ‚ruhig’ häufiger genannt werden. Ansonsten gibt es eine Vielzahl von Ausdrücken, die sich freilich nicht unbedingt widersprechen müssen, sondern nur unterschiedliche Aufmerksamkeitsakzente der Besucher signalisieren: so erscheint dem Einen der Park vielleicht als ‚gepflegt’, einem anderen als ‚langweilig’, einem Dritten als ‚ruhig’ usf., und jeder würde dem Anderen vielleicht zustimmen, dass der Park auch ‚gepflegt’, auch ‚langweilig’, auch ‚ruhig’ sei. Nur, im jeweiligen Befragungsmoment war einem genau jener eine Aspekt eingefallen, was andere Kennzeichnungen des Parks nicht ausschließt. Ja, an einem anderen Tag würde man vielleicht selbst einen anderen Ausdruck gewählt haben. Der sog. ‚kognitive’ Ansatz im Rahmen der psychologischen Ästhetik (Allesch 1987), also der Hinweis, dass die Umwelt weniger auf ein Subjekt ‚wirkt’ als vielmehr von ihm ‚rezipiert’ wird, erklärt das hohe Maß an Individualität in der ästhetischen Rezeption: jeder reagiert ein bisschen anders auf Umweltstimuli. Dieser ‚kognitive’ Ansatz eröffnet aber zugleich auch eine soziologische Perspektive. So zeigten etwa die Untersuchungen von Nohl (1974) in Bezug auf Parks und Landschaften eine relativ hohe Übereinstimmung im ästhetischen Erleben ganz unterschiedlicher Gruppen. So konnte er feststellen, dass Ortskundige wie Ortsfremde, Studierende der Landschaftsplanung wie ‚Normalbürger’ im Durchschnitt bestimmte Parks oder Merkmale von Parks ganz oder zumindest der Tendenz nach ähnlich erlebten und bewerteten. Und auch die eben gemachten Ausführungen zur Individualität der ästhetischen Wahrnehmung und Bewertung ließen ja auch immer (bei aller Streuung der individuellen Meinungen) eine Mehrheitsmeinung erkennen. Offenbar bewegt sich das ästhetische Gefallen und
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Beurteilen im Bereich der Landschaftsarchitektur doch in einer Art von ‚Korridor’, der einerseits durch die Realität selbst (also das Objekt), andererseits auch durch bestimmte gesellschaftliche Konventionen abgesteckt wird. Meinungen, Vorstellungen, Geschmacksurteile, ästhetische Einstellungen (vgl. hierzu Meyer 1990: 249ff), die jemand äußert, haben ja eine wichtige Funktion für seine Position in der Gesellschaft, sie fungieren gewissermaßen als Visitenkarten. An ihnen erkennt man nicht nur, wes Geistes Kind man ist, sondern auch zu welcher gesellschaftlichen Gruppe, zu welchem sozialen Milieu man gehört. Gerade im ästhetischen Bereich lassen wir uns sehr gern von den Meinungen und Geschmacksvorstellungen unserer Umgebung leiten, sei es (vgl. hierzu natürlich die wegweisende Arbeit von Bourdieu 1987), dass wir sie übernehmen (zwecks sozialer Integration), sei es, dass wir sie ablehnen (Zwecks sozialer Abgrenzung). Diese Anpassung der eigenen Meinungen, Einstellungen und Geschmacksvorstellungen an die der sozialen Umwelt ist umfänglich untersucht worden. Berühmt geworden sind die Untersuchungen von Sherif schon aus den 1930er und von Asch aus den 1950er Jahren: Wurden einzelne Probanden mit einem einheitlich von der eigenen Wahrnehmungserfahrung abweichenden Gruppenurteil konfrontiert, schlossen sich viele der Gruppenmeinung an. Und bei diesen Versuchen handelte es sich um eine relativ einfache Wahrnehmungsleistung: die Abschätzung der Länge einer Linie, wo man sich eigentlich - die fehlerlosen Ergebnisse der Kontrollgruppe hatten es gezeigt - kaum täuschen konnte. Aber wie groß muss dann erst die Bereitschaft der Leute sein, sich den Meinungen ihrer Umgebung anzupassen, wenn man sich auf sozusagen ‚unsicherem’ Terrain von Geschmacksvorstellungen bewegt, wo es ja - anders als bei der zu schätzenden Länge der Linien im obigen Experiment - keine ‚objektiv richtige’ Meinung gibt? Als ein Stück weit empirisch belegtes Beispiel für eine solche Verschiebung und Anpassung individueller Geschmacksvorstellungen an eine Gruppenmeinung, den Zeitgeist bzw. an eine Mode kann der Meinungswandel angeführt werden in Bezug auf einen „wilden, wuchernden, sich selbst überlassenen Garten“. Hätte man die westdeutschen Gartenbesitzer in den 1950er oder 60er Jahren hierzu befragt, wäre sicherlich eine einhellige Ablehnung herausgekommen. In den 1970er und 80er Jahren setzte aber bekanntlich die sog. Naturgartenbewegung ein (vgl. Kap. 3.3), die eine solche Art von Gartengestaltung jedoch geradezu als Ideal propagierte. In den Jahren 1986 und 1991 (vgl. hierzu Tessin 1994: 151) wurden vor diesem Hintergrund westdeutsche Gartenbesitzer gefragt, was sie von „einem wilden, wuchernden, sich selbst überlassenen Garten“ halten würden. Es zeigte sich nun, dass die Quote der extremen Ablehnung einer solchen Gartengestaltung innerhalb von nur 5 Jahren von 43% auf 36% zurückgegangen und die Quote der ‚Befürworter’ von 23% auf 28% gestiegen war. Offenbar war im Zuge der damaligen Ökologiebewegung ein gewisser Wandel der Geschmacksvorstellungen eingetreten; einige hatten sich dem neu propagierten Geschmackstrend bereits angepasst.
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Gerade im ästhetischen Bereich lassen wir uns sehr gern von den Meinungen und Geschmacksvorstellungen unserer Umgebung leiten, sei es, dass wir sie übernehmen, sei es, dass wir sie ablehnen. Diese sich über gesellschaftliche Übereinkünfte herauskristallisierenden Vorstellungen leiten unser eigenes ästhetisches Urteil - auch wenn jeder einzelne Mensch in diesem Kontext eventuell seine ‚eigene‘ Geschmacksvorliebe entwickelt. Aber bei dieser individuellen Geschmacksfindung spielen die gesellschaftlich bzw. gruppenspezifisch vorfindbaren Wertmaßstäbe eine beachtliche Rolle (vgl. hierzu z.B. Bourassa 1990, 1991). Diese stecken zumindest einen ungefähren Rahmen unseres Urteils ab. Diese gesellschaftliche Verständigung über das, was und wann etwas schön, erhaben, niedlich ist, geht sicherlich unterschiedlich weit, aber in der Landschaftswahrnehmung beispielsweise geht oder ging sie doch einigermaßen weit. In der sog. Savannentheorie (vgl. Appleton 1975; Wilson 1986) geht man sogar davon aus, dass die Vorliebe für savannenähnliche Landschaften allen Menschen zu Eigen sei. Erklärt wird dies mit der Tatsache, dass die ersten Menschen in der Savanne gelebt hätten und dieses ‚Urbild‘ einer ‚menschengerechten‘ Umwelt sich tief ins Unterbewusstsein aller Menschen eingegraben hätte. Eine Savanne, eine offene, mit Aussichtspunkten, aber auch mit Versteckmöglichkeiten ausgestattete Landschaft, hätte den Menschen das Überleben ermöglicht, insofern sie Schutz und Überblick zugleich gewährleistet hätte (im Gegensatz etwa zu einer Waldlandschaft). In seinem Buch 'Auf der Suche nach Arkadien' beschreibt Wolschke-Bulmahn (1990) in Bezug auf die Jugend- und Wanderbewegung diese Idealvorstellung einer 'schönen' Landschaft: Nicht so sehr die 'möglichst wilde Landschaft', sondern vielmehr die vorindustrielle, kleinbäuerliche Kulturlandschaft mit einem als harmonisch empfundenen Wechsel von Feld, Wald, Wiese, Wasser, eingestreut ein paar Dörfer, eine Burgruine o.ä. Diese Ideallandschaft hat - wie erkennbar - nicht zufällig viel Ähnlichkeit (mit der Savanne, mehr aber noch) mit dem Englischen Landschaftsgarten, wo sich Bäume zu Gruppen mit malerischer Silhouette schließen und Lichtungen sich scheinbar zufällig öffnen. Bäche rieseln auf verschlungenen Wegen durch das Unterholz. Kleine Seen mit zerklüfteten Ufern und unregelmäßig geformten Inseln lassen sich am Ende von überwachsenen Pfaden entdecken. Ursprünglich gehörte zu dieser englischen Ideallandschaft auch noch eine Mühle, eine Grotte, eine Schafherde, ein Heuschober oder eine bäuerliche Kate, im Ganzen also eine noch einmal durch Gärtnerhand idealisierte vorindustrielle kleinteilige Agrarlandschaft. Das war (und ist) die Vorstellung einer 'schönen Landschaft'. Entsprechende Untersuchungen haben die kulturelle bzw. soziale Überformung des individuellen Urteils immer wieder bestätigt: Sind kulturelle bzw. subkulturelle Zugehörigkeit ähnlich, dann ergeben sich meist auch ähnliche ästhetische Urteile. Sind sie unähnlich, dann ergeben sich auch signifikante Bewertungsunterschiede. Untersuchungen z.B. von Zube und Mills (1976), von Shafer
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und Tooby (1973) oder Ulrich (1983) zeigten weitgehend übereinstimmende Bewertungsmuster zwischen australischen und amerikanischen Landschaftsarchitekturstudenten, zwischen schottischen bzw. schwedischen und amerikanischen Befragungspersonen in Bezug auf die ausgewählten Landschaftsphotos. Andererseits zeigten sich in anderen Studien z.B. Wahrnehmungsunterschiede zwischen Städtern und Dörflern innerhalb ein- und derselben Kultur, auch zwischen jüngeren und älteren Bevölkerungsgruppen (vgl. als Übersicht: Kaplan, Herbert 1987) und - natürlich - zwischen Laien und Professionellen, und seien es Forstwirte, Landschaftsarchitekten, Naturschützer oder Landwirte. Mit anderen Worten: wir bewegen uns in unserem ästhetischen Urteil innerhalb unserer jeweiligen Bezugsgruppe, die aber höchst variabel ist: mal rezipieren wir etwas ästhetisch als Europäer, mal als Landschaftsarchitekt, als Einheimischer oder als Angehöriger der Hochkultur, und es ist nicht immer ganz absehbar, welche ästhetische Bezugsgruppe dabei in uns aktiviert wird. Nicht immer reagiert der Naturschützer auf Gärten, Parks und Landschaften ‚naturschützerisch’, ebenso wenig wie Angehörige der Hochkultur in städtischen Freiräumen sozusagen immer ‚hochkulturell’ reagieren (vgl. hierzu Kap. 2.5). Wir bewegen uns also in einem komplexen ästhetischen Bezugssystem, das sich natürlich stetig, wenn auch eher langsam verändert. Windparkanlagen in irgendwelchen Landschaften sind nicht eigentlich hässlich, im Gegenteil: sie sind für sich gesehen geradezu schön, aber sie passen bislang nicht in diese weiter oben skizzierte gesellschaftlich tradierte Idealvorstellung einer vorindustriellen, kleinbäuerlichen Landschaft, nach der „in einer Landschaft zwar Fachwerkhäuser, Pferdekoppeln, Mühlwerke oder sogar mittelalterliche Militäranlagen vorkommen dürfen, nicht aber Überlandleitungen, Autobahnen oder cash-and-carry-Märkte.“ (Sieferle 1986: 260) Vielleicht werden sie einmal in unsere Idealvorstellung eines bestimmten Landschaftstyps eingearbeitet werden, wie es traditionelle Windmühlen oder Leuchttürme am Meer längst sind. Aber offenbar sperrt sich derzeit in uns noch etwas dagegen, alte, gesellschaftlich konventionalisierte Sehgewohnheiten abzulegen. Müssen wir also erst „kollektiv auf die Industrielandschaft umkonditioniert werden (...)?“ (ebenda: 260) Es gibt in der Landschaftswahrnehmung genügend Beispiele für eine solche ästhetische Umwertung (vgl. hierzu noch Kap. 3.5). Die Worpsweder Moorlandschaft z.B. war lange Zeit niemandem eine Reise wert. Erst dadurch, dass sich dort Ende des 19. Jahrhunderts eine Künstlerkolonie ansiedelte, die eine dort vorhandene, aber als ärmlich und kaputt betrachtete Landschaft, ein Torfmoor, als Sujet ihrer Landschaftsmalerei entdeckte, gewann dieselbe Landschaft nun auch für die Bevölkerung ästhetisch an Reiz. Und ähnliche Prozesse lassen sich nachweisen in Bezug auf die Heide- (vgl. hierzu Eichberg 1983), Gletscher(Großklaus 1983; Wagner 1983) oder Küstenlandschaften (Paul 1998). Diese Landschaftstypen wurden durchaus nicht immer als ästhetisch reizvoll angesehen, sondern mussten erst gesellschaftlich-kulturell erschlossen werden, wobei stets
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Künstler, Landschaftsmaler, aber auch Dichter, eine besondere Rolle spielten, was Oscar Wilde vor über 100 Jahren in Bezug auf die Naturwahrnehmung zu der These verleitete: „Die einzigen Eindrücke, die sie uns bieten kann, sind die Eindrücke, die wir bereits durch die Poesie oder die Malerei kennen. Dies ist das Geheimnis für den Zauber der Natur und zugleich die Erklärung ihrer Schwäche.“ (Wilde 1982: 44) Es versteht sich, dass Landschaftsarchitekten ebenfalls an diesem kontinuierlichen gesellschaftlich-kulturellen Interpretationsprozess von Landschaft beteiligt sind. Sie erschließen der Gesellschaft neue Blicke auf die Natur, ja, entwickeln neue Landschaftsbilder. Aber schaut man sich die in den letzten 100 Jahren propagierten Gestaltungsleitbilder der Landschaftsarchitekten an, so wird doch deutlich (vgl. hierzu ausführlich Kap. 3, aber auch 4.2), wie sehr und fest der ‚landschaftliche Stil’ im ästhetischen Bewusstsein der Bevölkerung verankert ist, und wie schwer es der Landschaftsarchitektur fällt, andere, abweichende Gestaltungsstile in der Bevölkerung zu verankern. Sobald man sich in der professionellen Ästhetik zu weit von ihm entfernt, sei es in Richtung Wildnis (vgl. Kap. 3.3), sei es in die Richtung Geometrie (vgl. Kap. 3.4), folgt die Bevölkerung nur sehr zögerlich, nur zeitweise oder gar nicht nach. Die weiter oben zitierten Umfrageergebnisse aus den späten 1980er und frühen 90er Jahren zur Einstellung westdeutscher Gartenbesitzer zu einem „wilden, wuchernden, sich selbst überlassenen Garten“ zeigten damals zwar eine gewisse wachsende Aufgeschlossenheit gegenüber diesem damals propagierten Gestaltungsleitbild, aber fast drei Viertel der Befragten lehnten das Leitbild des ‚Naturgartens’ auch damals für sich ab. Und heute - nach Abflauen der Ökologiebewegung - dürfte die Ablehnung eher wieder stärker und noch verbreiteter sein. Die ästhetischen Vorstellungen innerhalb der Disziplin der Landschaftsarchitektur, die sozusagen professionelle Ästhetik, unterscheidet sich gerade in den letzten Jahrzehnten beträchtlich vom Laiengeschmack, der sich, scheint es (anders als vielleicht in anderen Bereichen), nur sehr langsam verändert. Im Folgenden soll nun versucht werden, zunächst das rezeptionsästhetische Verhalten der Bevölkerung in Bezug auf städtische Freiräume in seinen Grundzügen zu umreißen, um dann in einem zweiten Schritt der angedeuteten Diskrepanz zwischen der professionellen Ästhetik in der Landschaftsarchitektur und dem entsprechenden Publikumsgeschmack nachzugehen.
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2.
Ästhetik des Angenehmen
Die dieser Arbeit zugrunde liegende ‚Ästhetik des Angenehmen’ (vgl. hierzu Tessin 2005b) basiert auf zwei wesentlichen Annahmen. Landschaftsarchitektur, sofern sie sich ‚künstlerisch-gestalterisch’ versteht, erliegt systematisch und allzu gern der Versuchung, ästhetische Fragen mit Gestaltungsfragen mehr oder weniger gleich zu setzen. Dieser Sichtweise liegt (wenn auch oft unausgesprochen) die Vorstellung, aber zugleich auch der Trugschluss zugrunde, der anspruchsvoll gestaltete Platz, Garten oder Park werde ‚besichtigt’, gewissermaßen wie ein Kunstobjekt, als ‚Werk’ ästhetisch rezipiert. Dem ist natürlich nicht so. Die Ästhetik des Angenehmen geht demgegenüber davon aus, dass der Besucher städtischer Freiräume weniger die Gestalt als vielmehr das Geschehen im jeweiligen Freiraum ästhetisch erlebt und er zugleich primär an einem ‚angenehmen Aufenthalt’ interessiert ist als an einem gestalterisch besonders reizvollen Ort. Dieser Ansatz hat gewisse Ähnlichkeiten mit der sog. ‚psychological restoration theory’ (Calvin, Dearinger, Curtin 1972; Dearinger 1979; Kaplan, Kaplan 1989; Hartig, Mang, Evans 1991; Ulrich et al. 1991; Kaplan 1995; Korpela, Hartig 1996; Korpela, Hartig, Kaiser, Führer 2001; Purcell, Peron, Berto 2001). In deren Rahmen wurden einerseits Probanden unzählige Abbildungen von räumlichen Umweltsituationen auf dem Stadt-Natur-Kontinuum vorgelegt mit der Bitte um Auskunft, welche dieser räumlichen Situationen ihnen am besten bzw. am wenigsten gefallen würde. Natur- bzw. kulturlandschaftlich geprägte Situationen wurden, so das einhellige Ergebnis dieser Untersuchungen, den baulich bzw. städtisch geprägten Situationen ganz eindeutig vorgezogen. Andererseits wurden Probanden aufgefordert, Orte zu beschreiben, an denen sie sich besonders wohl bzw. gerade nicht wohl fühlen würden. Hier waren es wiederum natur- bzw. kulturlandschaftlich geprägte Orte, die unverhältnismäßig häufig genannt wurden, wenn auch das ‚eigene Heim’, die ‚eigene Wohnung’ am allermeisten als der Ort genannt wurde, wo man sich am wohlsten fühlen würde. Die Befragten sollten dann ausführlich beschreiben bzw. begründen, warum sie sich an diesem oder jenen Ort so besonders wohl bzw. unwohl fühlen würden. Diese Aussagen wurden inhaltsanalytisch ausgewertet. Schnell stellte sich heraus, dass es überwiegend Orte bzw. Situationen waren, in denen Formen der psychischen Regeneration gesucht bzw. gefunden wurden. Wohlfühl-Orte sind Orte der psychischen Regeneration bzw. der ‚psychological restoration’. Und es waren fast ausnahmslos Orte, wo keine bestimmte (interessierte) Aufmerksamkeit erfor-
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derlich war wie etwa in Straßen, an Arbeitsplätzen, in Restaurants oder Bars. Selbst Vergnügungsparks, Sportstadien, Kinos, Zoos wurden nur ganz selten mal als Orte genannt, an denen man sich selbst besonders wohl fühlen würde. Eine genauere Inhaltsanalyse der Beschreibungen und Begründungen der Probanden ergab, dass sich der Wohlfühleffekt überwiegend in Situationen einstellte, x
„that involve psychological distance from aspects of one’s usual routines (…),
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effortless attention as drawn by objects in the environment or engaged in the process of making sense of the environment (…),
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immersion in a coherent physical or conceptual environment that is of sufficient scope to sustain exploration (…),
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and a good match between personal inclinations and purposes, environmental supports for intended activities, and environmental demands for action (…).” (Korpela, Hartig, Kaiser, Führer 2001: 576)
Man könnte einen Wohlfühl-Ort also als eine räumliche Situation umschreiben, wo man von seinem Alltag ein Stück weit befreit ist (soziale Entlastung, Natur, ‚Freiheit’). Kaplan bezeichnet diesen Aspekt mit „being away“ (Kaplan 1995: 174). Darüber hinaus verlangt ein Wohlfühl-Ort keine konzentrierte, sondern eine eher beiläufige Aufmerksamkeit (Übersicht, Ordnung, Vertrautheit, Sicherheit, Dauerhaftigkeit, Stimmigkeit, ‚schöne Kulisse’). In der einschlägigen Literatur wird dies mit „extent“ oder „scope“, aber auch mit „coherence“ bezeichnet (ebenda: 173), wobei scope und extent eine bestimmte Ausdehnung, aber auch Abgrenzung, coherence eine bestimmte Identität des Ortes meint. Ein Wohlfühl-Ort ist aber zugleich auch anregend genug, um sich dort nicht zu langweilen (Vielfalt, Abwechslung, Geschehen). Kaplan bezeichnet diesen Aspekt mit „fascination“, meint aber damit auch ganz ‚harmlose’ Sachen wie eine Wolke oder einen Schmetterling. Schließlich stellt sich ein „restorative environment“, ein Wohlfühl-Ort dann ein, wenn er hinreichend die rekreativen Aktivitäten zulässt bzw. unterstützt, die man dort gern ausüben möchte (Nützlichkeit, Selbstbestimmung, Ruhe, Erholung). Kaplan bezeichnet diesen Aspekt mit „compatibility“ (ebenda: 173). Sozusagen im Dunstkreis dieser Theorie taucht auch sehr häufig der weitere Begriff „familiarity“ auf. Der Wohlfühl-Ort ist häufig ein vertrauter Ort, weil ein neuer, fremder, noch unbekannter Ort natürlich oft eine mehr gezielte Aufmerksamkeit („directed attention“) verlangt, also u.U. gerade nicht entlastend ist. Kaplan, Kaplan haben diese Theorie zunächst vor allem auf die Erholung in der Natur bzw. in der Landschaft bezogen, haben dann aber das Konzept eines „restorative environment“ auf alle Orte erweitert, die den genannten Ansprüchen
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und Kriterien gerecht werden, vor allem auch auf städtische Freiräume, öffentliche wie private (vgl. z.B. Kaplan 1973). Ursprünglich hatten die Kaplans noch einen etwas anderen Ansatz. In dem Versuch zu erklären, warum welche Landschaftstypen mehr gefallen als andere, hatten Kaplan, Kaplan Ende der 1970er Jahre die ästhetischen Ansprüche an eine Landschaft, die gefällt, dadurch zu kennzeichnen versucht, dass sie einerseits ‚Sinn’ (making sense) machen, andererseits ‚Aneignung’ (involvement) ermöglichen müsse. Und sie meinten, eine Landschaft, die gefällt, zeichne sich aus einerseits durch „coherence and legibility“, um dem Anspruch auf ‚Sinn’ einzulösen, andererseits durch „complexity and mystery“, um dem Anspruch auf „involvement“ gerecht zu werden (Kaplan, Kaplan 1982). Es dürfte nicht schwer fallen, diese ‚alten’ Kriterien in den zuvor genannten, ‚neueren’ aufzuspüren. Lediglich das „being away“ ist als neues Wohlfühl-Kriterium hinzugekommen. Die folgenden Untersuchungen versuchen herauszufinden, ob die ästhetischen Erwartungen der Bevölkerung an städtische Freiräume in etwa den Kriterien entsprechen, die im Rahmen dieser ‚restoration-theory’ bzw. der propagierten Ästhetik des Angenehmen’ als Merkmale eines Wohlfühl-, eines angenehmen Ortes ermittelt wurden. Dienen städtische Freiräume der Bevölkerung überhaupt in erster Linie als Orte zum Wohlfühlen? 1980 hat Nohl in seinem Buch ‚Freiraumarchitektur und Emanzipation’ versucht, das ‚Wesen’ städtischer Freiräume anspruchsvoller zu bestimmen: „Parks und Grünanlagen als Übungsfelder selbstbestimmten Handelns in einer sich emanzipierenden Gesellschaft. Demzufolge kann auch der Zweck einer emanzipatorisch orientierten Freiraumästhetik nicht einfach darin liegen, schöne, brauchbare Freiräume einzurichten, sondern mit Hilfe der Verschönerung und Verbesserung von Freiräumen an einer humanen und demokratischen Gesellschaft sich selbstbestimmender Individuen mitzuarbeiten.“ (Nohl 1980: 350) Und er fährt an anderer Stelle fort: „Demnach ist es die Aufgabe einer solchen Freiraumarchitektur, die Eudämonie einer gelungenen gesellschaftlichen Praxis durchscheinen zu lassen.“ (ebenda: 370) Das, was Nohl als emanzipatorischen Freiraum beschreibt, hat durchaus sehr viel Ähnlichkeit mit dem, was hier als ‚angenehmer’ Ort bezeichnet wird. Aber Nohl geht es eben nicht einfach um schöne, brauchbare (= angenehme) Freiräume, sondern er befrachtet diesen ohnehin schon schwer einlösbaren Anspruch mit dem zusätzlichen Emanzipationsauftrag und überfrachtet damit die Freiraumarchitektur mit ihren begrenzten Möglichkeiten. Der Nohl’sche Ansatz ist im Kontext der damaligen Debatten, der Studentenbewegung usf., nur allzu verständlich, und wer fände es nicht auch heute noch schön, wenn städtische Freiräume, die „Eudämonie einer gelungenen gesellschaftlichen Praxis“ durchscheinen ließen? Aber die Zeiten und gesellschaftspolitischen Einschätzungen haben sich gewandelt. Heute muss und sollte es reichen, einfach nur Freiräume zu fordern, in denen sich die Besucher (besonders) wohl fühlen.
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2.1 Das Angenehme als rezeptionsästhetische Schlüsselkategorie Nicht erst seit den Untersuchungen Nohls (z.B. 1977:11) haben wir ja eine ziemlich klare Vorstellung darüber, warum Menschen städtische Freiräume, etwa Parkanlagen, aufsuchen. Sie wollen (vgl. hierzu schon Tessin 2005b) in der Sonne sitzen, spazieren gehen, sich an der Natur erfreuen, auf dem Rasen rumturnen, schlicht an die ‚frische Luft’. Nohl versuchte seinerzeit, diese unterschiedlichen Besuchsmotive zu bündeln und bestimmten Bedürfniskategorien zuzuordnen. Interessant für den weiteren Argumentationszusammenhang ist nun, dass Nohl in seiner damaligen Untersuchung (er hat seine Kategorienbildung später modifiziert) den Begriff ‚Ästhetik’ noch ausschließlich auf Motive wie ‚mich an der Schönheit der Natur erfreuen’ und ‚den malerischen Charakter einer Grünanlage genießen’ bezog, nicht aber auf Motive wie ‚vielfältige Pflanzenwelt beobachten’, ‚in der Sonne sitzen’, ‚mir körperliche Bewegung verschaffen’ oder ‚jahreszeitliche Veränderungen im Park beobachten’. Bei Nohl lag damals ganz offensichtlich ein eher traditionelles (und in der Landschaftsarchitektur auch heute noch weit verbreitetes) Verständnis von Ästhetik zugrunde als einer Wissenschaft vom Schönen und von der Kunst. Das ‚Ästhetische’ geht aber nach heutigem Verständnis weit darüber hinaus, es ist sozusagen allgegenwärtig. Das Wort ‚aisthesis’ bedeutet im Griechischen ja schlicht „sinnliche Wahrnehmung“, d. h. jene Form der Erfahrung, die durch die Sinne (sehen, fühlen, riechen, hören, schmecken) vermittelt wird, im Unterschied zu jener, die durch die abstrakte geistige Reflexion (‚noesis’) unabhängig von den Sinnen zuteil wird. Tatsächlich hat sich in der Kunst selbst wie in der darauf bezogenen Ästhetik in den letzten Jahren ein Verständnis durchgesetzt (etwa bei Welsch 1995: 9f), das den Begriff ‚Ästhetik’ bzw. ‚ästhetische Erfahrung’ über die Schönheit und die Künste hinaus auch für andere Bereiche von Wissen, Alltag, Politik und Natur öffnet (Barck 2000: 309) bis hin zur „Warenästhetik“ (Haug 1973). Unter Ästhetik wird heute (und auch hier) mehr oder weniger das verstanden, was um seines sinnlichen Eindrucks willen gemacht und/oder wahrgenommen wird. Ein Autofahrer, der die Ampel betrachtet, nimmt sie nicht ästhetisch wahr, weil er es nicht um des sinnlichen Eindrucks Willen tut. Jemand, der nachts aus dem Hotelfenster schaut (also am Straßenverkehr nicht teilnimmt), kann die Ampel dagegen durchaus ‚ästhetisch’ erleben (und dabei vielleicht an Edward Hopper denken): er lässt sich sinnlich berühren vom regelmäßigen Farbenspiel der Ampel ‚um seiner selbst willen’. Ästhetisches Erleben hat also nach diesem Verständnis weder allein etwas mit der Gestalt des Objektes, noch allein etwas mit der subjektiven Befindlichkeit und Sensibilität zu tun als vielmehr auch was mit der Funktion des Objektes im jeweiligen ‚Erlebnisfall’: Selbst der ‚schönste’ Gegenstand, ein herrliches Gemälde, wird u.U. nicht ästhetisch wahrgenommen, wenn es etwa von einer Putzfrau gerade abgestaubt wird. Und selbst der profanste Gegenstand kann ästhetisch erlebt werden (etwa Marcel Duchamps Pinkelbecken, vgl. hierzu noch Kap.3.5),
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wenn die jeweilige Situation (Ausstellung in einem Kunstmuseum) dies nahe legt. Das ästhetische Erleben erstreckt sich also weit über den Bereich des künstlerisch Gestalteten hinaus: es kann sozusagen ‚alles’ ästhetisch erlebt werden. In erster Linie entscheidet die Situation, die jeweilige Stimmung des Subjektes und nicht so sehr irgendein einer Sache anhaftender ‚ästhetischer Wert’. Städtische Freiräume, also Garten, Park, Platz und Promenaden sind nun so etwas wie ästhetisch ‚aufgeladene’ Orte, und ihre Funktion als Ort der Muße macht die Besucher ganz generell empfänglich für ästhetische Reize bzw. eine Ästhetisierung alles Möglichen, dem sie im sonstigen Alltag vielleicht nicht die geringste (ästhetische) Beachtung schenken würden: eine Wolke, ein Vogel, ein Blatt, ein Spaziergänger (vgl. hierzu Tessin 2004a). Man ‚entdeckt’ etwas ganz für sich allein, was dem ästhetischen Erleben einen ganz spezifischen Charakter des ‚glücklichen Zufalls’, ja, bisweilen einer Art von ‚Offenbarung’ verleiht bis hin zu so genannten auratischen Momenten (Benjamin, 1977: 15). Dass die Neigung und Fähigkeit zu einer solchen ästhetischen Stilisierung x-beliebiger Dinge schichtspezifisch etwas unterschiedlich ausgeprägt ist, dürfte klar sein (vgl. hierzu Bourdieu 1987: 80). Mit dieser Funktionsbeschreibung städtischer Freiräume als nicht nur ästhetisch aufgeladene Orte, sondern als alles ‚ästhetisierende Orte’ gerät man schnell in die Nähe des gleichsam antiken Begriffs des ‚locus amoenus’. Im Deutschen wird der Ausdruck üblicherweise mit idyllischer, lieblicher Ort übersetzt. Doch ein solches Verständnis greift zu kurz. Der ‚locus amoenus’ ist ein Ort, der sich von seiner Umgebung dadurch positiv auszeichnet, dass er zum Verweilen einlädt. Eingeschlossen, möglicherweise etymologisch abgeleitet aus ‚a-munus’, ist dabei die Vorstellung, dass zu einem ‚locus amoenus’ das Vergnügen gehört, von Arbeit und Pflichten befreit zu sein. Darüber hinaus zeichnete sich der ‚locus amoenus’ durch Sitzgelegenheiten aus und, wir sind südlich der Alpen, vor allem durch Schatten und Wasser (vgl. hierzu in der antiken Literatur z. B. Curtius 1993; Schönbeck 1962; Haß 1998). Von ihm geht eine heilsame (erholsame?) Wirkung aus. Er ist oft ein abgeschiedener, aber auch ein überschaubarer Ort Begegnungen mit Nymphen oder gar Göttern nicht ausgeschlossen. Was an diesem Verständnis von einem ‚locus amoenus’ auffällt, ist das Fehlen jedweder Art von Natur- oder Schönheitsschwärmerei. Bisweilen wird eine Art Blumenwiese als Gestaltungselement genannt, aber ansonsten resultiert der Reiz des ‚locus amoenus’ in erster Linie aus seiner Nutzung/Funktion (Freizeit, Verweilen, Muße), Ausstattung (Sitzgelegenheiten, Schatten und Wasser) und Lage (abseits vom Alltagsbetrieb, Abgeschiedenheit), weniger aus einer besonders lieblichen oder gar künstlerischen Gestaltung. Und schon gar nicht handelt es sich um ‚bloße’ oder ‚reine’ Natur. ‚Locus amoenus’ könnte man vielleicht mit ‚angenehmer Ort’, als ‚Ort zum Wohlfühlen’ übersetzen, der einem gewisse Annehmlichkeiten bietet, und wo man sich von der Arbeit ausruhen und erholen kann. Die verschiedenen Hinweise auf die mögliche Begegnung mit Nymphen
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und Göttern werden vielfältig gedeutet: Sicherlich spielen da tatsächlich erotische wie religiöse Momente hinein (Kledt 2000: 1007ff), aber damit wohl auch ganz allgemein ästhetische. Der ‚locus amoenus’ ist ein Ort der Muße, der empfänglich macht für ästhetische Reize, Fantasien und Stilisierungen aller Art, ein ästhetisch aufgeladener Ort. Damit ist, so die Ausgangsthese dieser Untersuchung, die auch heute noch dominierende Idealvorstellung ausgedrückt, mit der man etwa einen Park aufsucht, auch wenn einen die Realität meist eines Besseren belehrt und von einem ‚locus amoenus’ nur noch ein Hauch zu verspüren ist. Immerhin: Man wünscht sich einen angenehmen Aufenthalt, einen Ort, wo man sich wohlfühlt. Man will sich ein bisschen erholen, zur Ruhe kommen, ohne sich zu langweilen, aber auch ohne sich zu ärgern. Entspanntes Wohlbehagen als Motto, und auf dieses Ziel hin - anders als im Bereich der Kunst - ist das gesamte ästhetische Erleben der Besucher ausgerichtet, das, wie gesagt, weit über die ästhetische Wahrnehmung der Parkgestaltung hinausgeht, und das man mit dem Begriff der ‚Ästhetik des Angenehmen’ (vgl. Lukàcs 1972) fassen könnte. Mit dem Begriff ‚angenehm’ assoziiert man gemeinhin Adjektive wie leicht, mild, sanft, ruhig, sauber, locker, behaglich, wohlgestaltet, temperiert, bequem, grün, überschaubar, komfortabel, harmonisch, anregend, freundlich, friedlich, erholsam, sicher, solide, anmutig, vertraut, gefällig, natürlich, abwechslungsreich. Andere Adjektive wie etwa kompliziert, wahr, fremd, erhaben, innovativ, streng, schwer, kühn, hart, wild, mühselig, dreckig, hektisch, provokant, unverständlich, spröde, steif, glanzvoll, repräsentativ, kompromisslos, stringent dagegen eher nicht. Angenehm ist etwas, was mit Ruhe, Gelöstheit, Entspannung zu tun hat, bequem ist. Angenehm und einfach, angenehm und nützlich, angenehm und bequem sind geradezu Synonyme. Sicherlich gibt es darüber, was ‚angenehm’ sei, gewisse Bedeutungsunterschiede zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen (vgl. hierzu vor allem Kap. 2.6) und in Bezug auf die unterschiedlichsten Gegenstände, aber einen gewissen Bedeutungskern hat das Wort ‚angenehm’ schon. Tatsächlich befördert die Frage an Besucher, die sich in städtischen Freiräumen aufhalten, nach ihren Eindrücken oder danach, wie sie den Ort empfinden, eine enorme Brandbreite der Antworten zutage. Aber zwei Wörter werden eindeutig am häufigsten genannt: ‚schön’ und ‚grün’. Das Wort ‚angenehm’ kommt dagegen eher selten vor. Wenn also ‚schön’ und ‚grün’ die am meisten verwendeten Worte sind, um die eigenen Eindrücke in einem Freiraum zu umschreiben, dann fragt es sich natürlich, ob nicht doch ‚Schönheit’ der rezeptionsästhetische Schlüsselbegriff für das Freiraumerlebnis ist und nicht - wie hier vorgeschlagen der Begriff des ‚Angenehmen’, der von den Betroffenen selbst ja offensichtlich relativ selten gewählt wird. Aber das ‚Schöne’ hat ja in der deutschen Sprache eine doppelte Bedeutung: einmal im Sinne von ‚Schönheit’ i.e.S., aber zum anderen auch im Sinne von
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‚etwas Schönem’, das einem widerfährt: wenn wir sagen, der Geburtstag war ‚schön’ oder eine Reise war ‚schön’, dann meinen wir damit ja nicht (oder nur zum Teil) damit eine besondere ästhetische Schönheit i.e.S., sondern, dass der Geburtstag oder die Reise ‚gelungen’ war, uns gefallen, vielleicht Spaß gemacht hat oder die Reise besonders erholsam war. Und in dieser doppelten Bedeutung von ‚schön’ kommt auch das Wort in der Beschreibung des Freiraumerlebnisses vor: einerseits kann der städtische Freiraum tatsächlich (visuell) als ‚schön’ (gestaltet), andererseits aber auch der Aufenthalt im Park als ‚schön’ empfunden werden: ‚alles war schön (und gut)’, ein ‚schöner’ Tag oder Ausflug. Und in diesem Sinne wird hier auch das Wort ‚angenehm’ benutzt, gleichsam als Synonym für dieses ‚schön’ i.w.S., das einerseits das ‚Schöne’ i.e.S., also das Visuelle, ‚schön’ Gestaltete zu einem großen Teil mit einschließt, aber doch auch insofern deutlich darüber hinausgeht, als das ‚Schöne’ (i.e.S.) ja nicht zwangsweise immer ganz angenehm sein muss etwa im Sinne der Ausdrücke wie ‚kalte Pracht’, ‚strenge Schönheit’. Andererseits muss ein angenehmer Ort auch nicht zwangsläufig überhaupt ein im engeren, visuellen Sinne ‚schöner’ Ort sein. Das wird auch aus einer Vielzahl von Untersuchungsergebnissen deutlich: die Leute stufen die jeweiligen Freiräume (nun direkt darauf angesprochen) im Regelfall eher als ‚angenehme’ denn als ‚schöne’ Orte ein. Nun gibt es aber auf der anderen Seite des Spektrums auch städtische Freiräume, wo der Besucher zunächst einmal ein bisschen ‚mehr’ (als nur ‚bloß angenehm’) zu meinen scheint, wenn er etwa davon spricht, der Park sei „schön, inspirierend und interessant“ oder „einmalig schön“, „eindrucksvoll“. Hier werden Ausdrücke gewählt, die zwar unstrittig etwas ‚Angenehmes’ beinhalten, aber doch deutlich darüber hinausgehen. Würde die Mehrzahl der Freiraumbesucher derartig ‚überschwänglich’ den jeweiligen Freiraum bzw. Freiraumaufenthalt umschreiben, dann wäre das Wort ‚angenehm’ (als viel zu ‚schwach’) sicherlich nicht als Schlüsselbegriff für das angemessen, was Städter in Freiräumen erleben (wollen). Aber dieses überschwängliche, über ein bloß angenehmes weit hinausgehende Freiraumerlebnis stellt sich tatsächlich nur in besonderen, bekannten, meist auch touristisch genutzten Parkanlagen ein, in den alltäglich genutzten bzw. üblichen städtischen Freiräumen dagegen nicht - und es wird dort auch nicht erwartet. Aber auch dort, wo gleichsam im Freiraumerlebnis ‚geschwelgt’ wird, verbleibt es im Kontext des Angenehmen, denn auf die nun direkt gestellte Frage, wie wichtig es ihnen eigentlich ‚an einem Ort wie diesem’ sei, sich in besonderer Weise wohl zu fühlen, gibt nicht nur - über alle untersuchten Freiraumtypen hinweg - die weit überwiegend Mehrheit der Besucher an, dass sei ihnen ‚wichtig’ bzw. ‚sehr wichtig’, sondern diese Quote ist in jenen Anlagen besonders groß, die sich den Besuchern nach eigenem Bekunden als geradezu „wundervoll“, „phantastisch“ oder „beeindruckend“ zeigen. Deutlich wird daran, dass sich dieses quasi überwältigende ästhetische Erlebnis also durchaus im Kontext des ‚Angenehmen’ oder des besonders ‚Angenehmen’ bewegt, was nicht ganz selbst-
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verständlich ist. Denn es geht bei solchen Anlagen nicht (wie bisweilen in Kunstausstellungen oder Theateraufführungen) bloß um etwas besonders ‚Interessantes’ oder ‚Beeindruckendes’, das ja im modernen Kunsterlebnis auch außerhalb des ‚Angenehmen’ angesiedelt sein kann, sondern um ein unstrittig ‚angenehmes’ Erlebnis, das nur bis hin zur ‚Beglückung’ gesteigert ist. Aber wie gesagt: das überwältigende, über das bloß Angenehme weit hinausgehende (aber doch in seinem Kontext verbleibende) ästhetische Erlebnis ist in städtischen Freiräumen die Ausnahme und häufig genug beschränkt auf Ausflüge und die Besichtigung von besonders schönen Anlagen (vgl. Kap. 2.4). Andererseits ist die Erwartung, im städtischen Freiraum etwas Angenehmes erleben zu wollen, auch wiederum nicht ganz durchgängig. Auf die Frage, ob für sie so ein Freiraumaufenthalt eine „im Prinzip angenehme Abwechslung im Alltag sei, die sie auch bewusst so erleben würden, oder mehr einfach ein Stück weit alltägliche Gewohnheit“, antworteten über 50% der Befragten, dass sei für sie immer eine ‚angenehme Abwechslung’ im Alltag, etwas über 30%, dass sei mal so oder so, und lediglich 14% meinten, dass sei in aller Regel bei ihnen mehr bloße Alltagsgewohnheit, die nicht bewusst als angenehme Abwechslung erlebt werde, womit aber mit Sicherheit nun auch keine ‚unangenehme’ Alltagsgewohnheit gemeint sein dürfte. Immerhin deutlich wird und festzuhalten ist: es gibt eine Minderheit von Freiraumnutzern (von 10 bis 20%?), die fast grundsätzlich nicht mit der bewussten Erwartungshaltung oder gar Vorfreude des Angenehmen einen Freiraum aufsuchen. Für sie ist der Freiraumbesuch weitgehend habitualisiert, Alltagsroutine, absolut nicht unangenehm, aber nicht einmal der Hauch einer ‚freudigen Erwartung’ aktualisiert sich bei ihnen. Wenn Besucher ihren Eindruck vom Freiraum oder ihrem Freiraumaufenthalt stichwortartig umschreiben sollen, dann wählen sie, wie schon gesagt, selten von sich aus den Ausdruck ‚angenehm’, vielmehr Ausdrücke wie ‚grün’, ‚schön’, ‚ruhig’, ‚friedlich’, ‚schattig’, ‚gepflegt’, ‚freundlich’, alles Ausdrücke, die man relativ problemlos der Sphäre des Angenehmen zuordnen kann. Immerhin rutscht einigen Personen das Wort ‚angenehm’ hin und wieder heraus und zwar oft in Verbindung mit einem der vorgenannten oder anderer Eigenschaftswörter: Der Aufenthalt im jeweiligen Freiraum bzw. dieser selbst sei ‚angenehm ruhig’, ‚angenehm belebt’. Man fügt hier das Wort ‚angenehm’ hinzu, weil beim Zuhörer die Wörter ‚ruhig’ (im Sinne von Langeweile) oder ‚belebt’ (im Sinne von ‚laut’ oder ‚hektisch’) vielleicht zu Assoziationen oder Empfindungen führen könnten, die nicht gemeint sind: man stellt also klar, man präzisiert und stellt den Kontext zum Angenehmen direkt her. Viele Landschaftsarchitekten empfinden das Wort ‚angenehm’ als eine Art von Worthülse und für ihre Arbeit als wenig hilfreich. So ziemlich alles könne schließlich als ‚angenehm’ empfunden werden. Tatsächlich ist genau das auch der Fall, wenn man sich die Vielzahl völlig unterschiedlicher Freiräume vergegenwärtigt, in denen sich die Leute (wenn auch nicht alle) durchaus gerne aufhal-
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ten. Aber damit das auch der Fall ist, bedarf es eben dieser Qualifizierung durch das Wort ‚angenehm’. Und gemeint ist damit immer das ‚genau richtige’ Maß an Pracht, Unordnung, Sauberkeit, Hektik, Spannung, Langeweile oder Gemütlichkeit, an ‚wilder’ Natur oder was auch immer. Das Angenehme ist also stets eine Frage der ‚richtigen Dosierung’ im Prinzip von allem und jedem. Ein Jugendlicher sprach sogar von einer „angenehmen Kaputtheit“ einer Gegend, in der er sich gern aufhielt. Tatsächlich kann so gut wie alles - in der ‚richtigen Dosierung’ - als angenehm empfunden werden. Nicht zufällig spricht daher bereits Herder vom ‚Angenehmen’ als dem, was „unser Sinn gern annimmt, was ihm genehm, d.i. angemessen ist“ (Herder 1800: 6) und nach Groos ist angenehm das der Sinnestätigkeit Angemessene (Groos 1892: 206; 283 ff). Beide sprechen im Angenehmen also das individuell ‚richtige Maß’ an. Etwas ist so bemessen, so dosiert, dass es (an-) ‚genehm’ ist, im Empfangen ‚genehmigt’ wird, wie Herder es ausdrückt. In einer Stadtplatz-Umfrage (vgl. Tessin 2005b: 21) war z.B. die Wichtigkeit dieses ‚richtigen Maßes’ deutlich zu erkennen: x
Grünbestimmte Stadtteilplätze wurden (und in der Regel) hochgeschätzt, aber zugleich auch dann wieder kritisiert, wenn das Grün ungepflegt oder unübersichtlich wirkte.
x
Plätze mit einem differenzierten Nutzungsangebot wurden einerseits (und in der Regel) hochgeschätzt, aber dann auch kritisiert, wenn das Nutzungsangebot ‚zu sehr’ genutzt wurde und mit Lärm oder bestimmten Gruppen (z.B. Jugendlichen) verbunden war,
x
zentral im Stadtteil gelegene Plätze wurden einerseits (und in der Regel) hochgeschätzt, aber auch wiederum kritisiert, wenn die Verkehrsbelastung als störend empfunden wurde,
x
belebtere Plätze wurden in der Regel den eher unbelebten Plätzen vorgezogen, aber auch dann wieder kritisiert, wenn sie ‚zu’ belebt waren.
Die Ästhetik des Angenehmen scheint also wesentlich eine Frage des ‚richtigen’ Maßes zu sein. Alles Extreme, Prinzipielle‚ Absolute, Übertriebene, Einseitige, die ‚reine Natur’ oder die ‚reine Geometrie’ mögen eindrucksvoll sein, aber nicht angenehm (vgl. hierzu noch Kap. 3.3 und 3.4). Das Gefühl des Angenehmen ist also wesentlich eine Frage des rechten Maßes, der richtigen Dosierung, auch wohl der räumlichen Dimensionierung: Vaux le Vicomte wirkt u. a. vielleicht deshalb angenehmer als der (u. U. eindrucksvollere) Park von Versaille. Insofern zielt die Ästhetik des Angenehmen auch nicht auf eine konkrete Art von Freiraumgestaltung, einen Stil, sondern mehr auf eine Entwurfshaltung (vgl. Kap. 4): es gilt, in Bezug auf die unendlich vielen Gestaltungs- und Erlebnisdimensionen eines Freiraumes eine Sensibilität für das jeweils ‚richtige Maß’, die ‚richtige Dosierung’ zu finden.
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Inwieweit werden städtische Freiräume nun dieser Erwartung, sie als ‚angenehm’ erleben zu wollen, tatsächlich gerecht? Zur Beantwortung u.a. auch dieser Frage wurden (in Hannover) in 7 unterschiedlichen Freiraumtypen je 60 Personen befragt, als wie angenehm bzw. unangenehm sie den jeweiligen Freiraum beurteilen würden. Befragt wurde auf Stadtplätzen, Spielplätzen, in zwei Landschaftsparks, im Großen Garten der Herrenhäuser Gärten und in der südlichen Leineaue, einem ins Zentrum der Stadt hineinreichenden (‚naturnahen’) Naherholungsgebiet. Es wurden auch im Stadtpark von Hannover befragt, wobei es sich um einen im landläufigen Sinn besonders ‚schön’ gestalteten Park handelt mit vielen Staudenrabatten, Rosenbeeten, malerischen Baumgruppen usf. Schließlich wurden auch Leute befragt, die sich an so genannten ‚Unorten’ aufhielten, also an Orten, die nicht der Klischeevorstellung des ‚Angenehmen’ entsprachen, also an Straßenecken, Haltestellen, auf Trümmergrundstücken, Parkplätzen usf. Auf einer Skala von 1 bis 6 sollten sie alle einstufen, als wie ‚angenehm’ bzw. ‚unangenehm’ sie den ‚Ort hier’ empfinden würden. Es ergaben sich die folgenden Skalenmittelwerte, wobei höhere Werte als 3.5 bedeuten, dass es ab hier für die Mehrheit der Besucher eindeutig in Richtung ‚angenehm’ geht. Freiraumtyp Stadtpark (Stadthallengarten) Maschpark, Georgengarten Großer Garten Spielplätze Südliche Leineaue Stadtplätze ‚Unorte’
angenehm 5.4 5.1 4.9 4.4 4.3 4.3 3.9
Deutlich wird, dass von den jeweiligen Besuchern zunächst einmal alle hier untersuchten städtischen Freiräume bzw. Freiraumtypen mehrheitlich als eher angenehme Orte eingestuft werden. Selbst noch die so genannten Unorte erzielten (zumindest) bei ihren Besuchern mit 3.9 mehrheitlich noch einen Wert, der ‚ins Angenehme’ tendiert (vgl. hierzu noch Kap. 2.6), was aber natürlich nicht weiter erstaunlich ist. Denn wenn es denn stimmt, dass die Leute mehrheitlich im Freiraum einen angenehmen Aufenthalt erwarten, dann ist es auch nur zu verständlich, dass man dann dort auch nur Leute antrifft, die ihn als leidlich angenehm empfinden, denn sonst würden sie sich ja dort vermutlich nicht aufhalten - es sei denn sozusagen gezwungener Maßen. Tatsächlich schwankt die Quote unter Freiraumbesuchern, die den jeweiligen Freiraum als ‚eher nicht angenehm’ einstufen, zwischen 2% (sic!) in ‚landschaftlichen’ Parkanlagen, über 13% (im Großen Garten der Herrenhäuser Gärten) bis hin zu 20 und mehr Prozent auf Stadtteil- und Spielplätzen. In der angloamerikanischen Literatur zu ‚restorative environments’ wird generell davon aus-
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gegangen, das natur- bzw. landschaftlich geprägte den gebauten, urban geprägten Freiräumen als ‚Wohlfühl-Orte’ vorgezogen werden. Die obige Tabelle könnte in eine ähnliche Richtung interpretiert werden. Gerade deshalb sei hier vermerkt, dass es auch unter den weniger ‚natürlichen’ Spiel-, den Stadtplätzen und den ‚Unorten’ bisweilen Orte gab, die von den jeweiligen Besuchern als sehr angenehm empfunden wurden und sehr ‚naturgeprägte’ Orte (Brachflächen etwa), die als nicht so angenehm erlebt wurden (vgl. hierzu noch Kap. 2.2 und 3.3). Die gesamte Untersuchung wird zeigen, dass der Aspekt ‚Natur’ (‚Grün’) zwar ein sehr begünstigender, aber weder ein ganz und gar notwendiger noch ein hinreichender Faktor ist, einen Ort ‚angenehm’ erscheinen zu lassen, wenn er auch völlig unstrittiger Weise ein sehr wichtiger, ja, zentraler Faktor ist. Die Beurteilung städtischer Freiräume sieht aus Sicht der Gesamtbevölkerung natürlich anders aus als aus Sicht der jeweiligen Besucher. Es wurden deshalb exemplarisch Personen außerhalb von Spiel- und Stadtplätzen befragt, inwieweit für sie diese Freiraumtypen ‚angenehme’ Orte seien. Nur für 32% von ihnen waren diese Plätze ohne jede Art von Einschränkung angenehme Orte, also Orte, wo man bzw. auch sie sich recht wohlfühlen würden. 48% meinten, das käme sehr darauf an, und für 20% der Befragten kamen Stadt- und Spielplätze ganz kategorisch nicht als potenziell ‚angenehme Orte’ in Frage. In einer Stadtplätze-Untersuchung (Tessin 2005a) hatten 36% der in der Nähe eines Stadtplatzes befragten Passanten stadtplatzspezifische Gründe angegeben, warum sie sich nicht auf ihm aufhalten würden: er schien ihnen kein hinreichend angenehmer Aufenthaltsort zu sein. Und in Bezug auf die sog. Unorte würden die Vorbehalte in der Gesamtbevölkerung vermutlich noch viel verbreiteter sein. Offenbar verbinden sich mit den verschiedenen Freiraumtypen in der Bevölkerung ganz unterschiedliche ästhetisch-ideologische Affinitäten, Erfahrungen bzw. Vorurteile darüber, was an Angenehmem dort zu erwarten ist (vgl. zu diesen ästhetisch-ideologischen Vorurteilen in Bezug auf Spielplätze z.B. die Untersuchung von Grundmann 1985). Diese ideologischen Einstellungen und ästhetischen Erwartungshaltungen entscheiden, ob man einen bestimmten Freiraumtyp aufsucht oder nicht. Städtische Freiräume sind also (mit Ausnahme der Parkanlagen) für die Mehrheit der Bevölkerung nicht grundsätzlich (und immer) angenehme Orte, aber für die jeweilige (wie auch immer kleine oder große) Besuchergruppe sind sie es schon. Aber emotionaler Überschwang ist selten. Schaut man sich die obigen Umfrageergebnisse etwas genauer an, so bewegt sich die Quote der ‚höchst Zufriedenen’, also jener, die den Freiraum bzw. ihren Aufenthalt dort mit der bestmöglichen Note versehen, zwischen buchstäblich 0% und fast 50%, wie etwa im Stadtpark von Hannover. Auf Stadt- und Spielplätzen, auch in einem Naherholungsgebiet wie der südlichen Leineaue in Hannover sind nur um die 10% der Besucher sozusagen im höchsten Maße angetan von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort. Höchstmögliche Zufriedenheit sieht in jedem Fall anders aus und insofern verbirgt sich auch dahinter eine weit reichende Kritik an der städtischen Freiraumversorgung: nur für die begrenzte Schar der tatsächlichen Besucher des je-
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weiligen Freiraumes sind es eher angenehme Orte, aber selbst sie jubeln eher selten. Auch gerade dieser Mangel an Jubel und Begeisterung, der typisch ist für die ästhetische Rezeption insbesondere alltäglich genutzter städtischer Freiräume, lässt ja den Begriff des ‚Angenehmen’ als rezeptionsästhetischen Schlüsselbegriff als so sinnvoll erscheinen: städtische Freiräume sind überwiegend angenehm, nicht ‚begeisternd’.
2.2 Freiraumtypspezifische Aspekte des Angenehmen Es stellt sich nun die Frage, welche Aspekte in den verschiedenen städtischen Freiraumtypen als für das Angenehme besonders wichtig angesehen werden. In dem Beitrag zur ‚Ästhetik des Angenehmen’ (Tessin 2005b) wurde ja mit Rückgriff auf den antiken Begriff des ‚locus amoenus’ die zentrale These aufgestellt, dass weniger die (besondere) Gestaltung des Freiraumes, seine Schönheit bzw. Lieblichkeit, hierfür ausschlaggebend sei als vielmehr Aspekte wie Erreichbarkeit, Ausstattung, Nutzbarkeit, Ruhe. Im Folgenden sollen zunächst einige dieser Freiraumsaspekte vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse auf ihre jeweilige Bedeutung für das ‚Angenehme’ überprüft werden, wobei von Anfang klar war, dass diese freiraumtypspezifisch differieren würde. Auf die Bedeutung der Gestaltung des Freiraumes, seines Erscheinungsbildes für das Gefühl des Angenehmen wird in Kap. 2.3 gesondert eingegangen. Erreichbarkeit Ein durchgängig wichtiger Aspekt eines angenehmen Aufenthaltes ist die Lage bzw. Erreichbarkeit des Freiraums. Es ist ja bekannt, dass die Bevölkerung nur unter ganz spezifischen Bedingungen jene Freiräume aufsucht, die für den jeweiligen Aufenthaltszweck am besten geeignet oder ‚am schönsten’ sind. Die Regel ist, dass man jeweils den nächstgelegenen, für den jeweiligen Zweck geeigneten Freiraum aufsucht. Der Freiraum wird dadurch attraktiv, dass er günstig zu erreichen ist. Denn zum Angenehmen gehört ja typischerweise auch ein bisschen Bequemlichkeit: auf alle Fälle sollte der Freiraumbesuch keine Umstände machen, keine Mühsal bereiten. Nähe und gute Erreichbarkeit des Freiraumes werden damit wichtig. Auf die offen gestellte Frage, was ihnen an einem Ort wie diesem wichtig sei, damit es ihnen dort gefalle bzw. was es sei, weshalb es ihnen hier gefalle bzw. gerade nicht so gefalle, gaben beispielsweise auf dem Spielplatz 60% der dort Befragten an, der Spielplatz sei gut zu erreichen, ganz nahe gelegen und das sei eben sehr angenehm. Gerade wenn man an den Aktionsradius von Kindern denkt, wird klar, warum dieser Aspekt auch für die (befragten) elterlichen Begleitpersonen so wichtig ist (vgl. Spitthöver 1996). Die gute Erreichbarkeit ist jedoch dort
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weniger von Bedeutung wie etwa beim Großen Garten in den Herrenhäuser Gärten in Hannover, wo eine besondere Attraktivität des Freiraumes vorliegt. Hier geht es um eine Parkbesichtigung, sozusagen um einen ‚höheren Zweck’ und entsprechend werden größere Anfahrtswege in Kauf genommen (vgl. hierzu bereits Tessin 2004: 76ff). Aber in allen anderen, mehr oder weniger alltäglich bzw. öfter genutzten Freiräumen spielt der Faktor günstiger Erreichbarkeit eine ganz wesentliche Rolle, wenn zwischen 40 und 60% der befragten Besucher ihn als einen Aspekt erwähnen, warum es ihnen im jeweiligen Freiraum so gut gefalle. Fragt man die Leute ganz allgemein nach der Bedeutung des Faktors ‚günstige Lage und Erreichbarkeit’ so kristallisiert er sich als einer drei wichtigsten Faktoren heraus. Er wird in jedem Fall für deutlich wichtiger angesehen als z.B. das Aussehen, die Gestalt des Freiraumes. Schon Garbrecht und Matthes (1978) hatten die besondere Bedeutung des Faktors Erreichbarkeit heraus- und festgestellt, dass von der Bevölkerung in aller Regel der jeweils nächstgelegene städtische Freiraum aufgesucht werde, nicht der schönste oder attraktivste. Sicherheit, Ordnung und Pflege Mit der Sicherheit und Ordnung eines Freiraumes ist ebenfalls ein sehr wichtiger Aspekt des Angenehmen angesprochen. Auf die offen gestellte Frage, was im jeweiligen Freiraum wichtig sei, dass es einem dort gefalle, wird (über alle Freiraumtypen hinweg) von knapp einem Drittel der Besucher der Sicherheitsund Ordnungsaspekt genannt, wobei die Spielplatzbesucher weit überdurchschnittlich oft diesen Aspekt nannten, die Besucher des Großen Gartens weit unterdurchschnittlich. Schaut man sich die Zahlen genauer an, so bestätigen sich nicht nur die bekannten Gender-Unterschiede (für Frauen deutlich wichtiger), sondern es kristallisiert sich als These heraus, dass dieser Faktor als umso wichtiger angesehen wird, je weniger der Aspekt im jeweiligen Freiraum(typ) als ‚garantiert’ anzusehen ist. Denn auf den Stadtplätzen und den ‚normalen’ Parks ist die Quote jener Besucher überdurchschnittlich groß, die den Aspekt von Sicherheit und Ordnung für sehr wichtig halten, und in beiden Freiraumtypen ist gerade dieser Aspekt (ähnlich wie auf einem Spielplatz) eine etwas ‚knappere Ressource’. Man könnte so sagen: das Gefühl der Sicherheit ist natürlich geradezu zentral für das Gefühl des ‚Angenehmen’, es ist sogar Grundvoraussetzung dafür, damit sich das Angenehme als etwas ‚höheres’ Bedürfnis überhaupt stellt und befriedigt wird. Das Gefühl der Sicherheit ist aber ganz offensichtlich in den meisten der hier untersuchten innerstädtischen Freiräume weitgehend gegeben und wird deshalb nicht so vehement eingefordert und als wichtig eingestuft. Als deutlich wichtiger wird deshalb der Aspekt des Pflegezustandes angesehen, der aber ja sehr eng mit dem Aspekt der Sicherheit zusammenhängt. Ungepflegte städtische Freiräume, geprägt durch Müll und Vandalismus, werden schnell als ‚unsicher’ eingestuft, weshalb in der Forderung nach gut gepflegten städtischen Freiräumen nicht nur ein etwa übertriebenes Sauberkeits-, sondern
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indirekt auch ein Sicherheitsbedürfnis zum Ausdruck kommt. Von sich aus erwähnten 43% der Besucher den guten bzw. schlechten Pflegezustand als Grund dafür, warum es ihnen am jeweiligen Ort besonders bzw. nicht so gefiele. Geradezu stereotyp die Antworten auf Fragen, was ihnen in städtischen Freiräumen besonders missfiele bzw. ärgern würde: „Müll ärgert mich. Dann gehe ich auch nicht in den Park.“ „Vermüllung stört mich. Wenn ich solche Anlagen aufsuche, dann möchte ich, dass die ordentlich aussehen und nicht Müll rumliegt.“ „Mich stört nur Hundekot und Müll.“ „Müll ärgert mich. Und dass zu wenig Mülleimer vorhanden sein. Sonst ärgert mich eigentlich nichts.“ Dass dem Pflegzustand generell eine sehr große Bedeutung hinsichtlich des Angenehmen zukommt, ist bekannt (vgl. z.B. Tessin 2005b). Es gibt praktisch keine Untersuchung über die Beurteilung von Parks und Plätzen, in denen nicht dieser Aspekt von den Besuchern als besonders wichtig thematisiert wird - auch wohl deshalb, weil der Pflegezustand vieler städtischer Freiräume ‚ein Problem’ ist. Insofern bestätigt sich hier ein hinlänglich bekannte Tatsache. Dabei werden die unterschiedlichen Aspekte, die einen guten bzw. schlechten Pflegezustand indizieren, von den Besuchern städtischer Freiräume natürlich sehr unterschiedlich bewertet (vgl. hierzu Tessin, Widmer, Wolschke-Bulmahn 2001): Graffiti an einem Denkmal, herumliegender Müll, Graffiti auf einer Parkbank, demolierte Abfalleimer werden mehrheitlich als ‚ärgerlich’ bzw. als ‚fast schon kriminell’ bezeichnet, ausgetretene Wegränder oder kahle Stellen im Rasen mehrheitlich als ‚harmlos‘ bzw. ‚noch akzeptabel'. Herumliegender Müll wurde mehrheitlich als ‚verwerflicher‘ angesehen als selbst demolierte Abfalleimer oder Graffiti auf einer Parkbank. Ausstattung Mit der Ausstattung ist das gesamte Sortiment an Sitzgelegenheiten, Spielgeräten, Kiosken, Laternen, Minigolfanlagen, Toiletten, Mülleimern, Ruderbootverleih usf. gemeint, das einem Freiraum zu einem höheren Gebrauchswert verhelfen soll. Auch dieser Aspekt ist für das Gefühl des Angenehmen durchaus von Bedeutung, wird aber - freiraumtypübergreifend - als nicht ganz so wichtig angesehen wie etwa die Lage bzw. Erreichbarkeit. In Bezug auf den Spielplatz avanciert die Ausstattung verständlicherweise jedoch zu einem ganz wichtigen Faktor. 70% der dort befragten Erwachsenen sprachen von sich aus Ausstattungsfragen an. Auf dem Stadtplatz war es immerhin noch jeder zweite Besucher, wohingegen in Parkanlagen und einem naturnahen innerstädtischen Erholungsgebiet nur jeweils jeder zehnte befragte Besucher der jeweiligen Freiraumausstattung sehr große Bedeutung für das eigene Wohlfühlen attestierte (vgl. hierzu schon Schöppner 1984: 150). Die Bedeutung von Ausstattungselementen in Freiräumen variiert überdies altersabhängig: insbesondere für Kinder und Jugendliche (gege-
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benenfalls für ihre Begleitpersonen) einerseits und ältere Menschen andererseits sind sie von größerer Bedeutung. Das ist die Meinung der Besucher der jeweiligen Freiräume. Fragt man Leute außerhalb von konkreten Freiräumen ganz pauschal nach der Bedeutung solcher Ausstattungselemente wie Spielgeräte oder Bänke für die Akzeptanz von Freiräumen, dann wird jedoch insgesamt die etwas geringere Bedeutung dieses Faktors deutlich. Wahrscheinlich haben die Leute, wenn man sie so pauschal nach der Bedeutung der Ausstattung von Freiräumen fragt, nicht so sehr Spiel- oder Stadtplätze vor Augen, sondern Parkanlagen, in denen dieser Aspekt eben keine so große Rolle spielt. Aber auch bei ihnen zeigt sich die schon angesprochene Altersabhängigkeit der Bedeutung von Ausstattungselementen in Freiräumen: jedem zweiten Befragten im Alter von über 60 Jahren waren sie ‚sehr wichtig’, in der Gruppe der 30-60-Jährigen nur jedem vierten. Dass Ausstattungselemente für Freiraumbesucher, wenn auch alters- und freiraumtypabhängig, im Kontext einer ‚Ästhetik des Angenehmen’ durchaus relevant sind, leuchtet unmittelbar ein. Die Ästhetik des Angenehmen zielt ja letztlich und ausschließlich auf das eigene Wohlbehagen. Alles das, was dem eigenen Wohlbefinden in einem ganz umfassenden Sinne förderlich ist, wird wohlgefällig wahrgenommen (betrachtet und/oder benutzt), alles Andere nicht. Das Angenehme ist wesentlich auch das für das eigene Wohlbehagen Nützliche. In jedem Fall spielt dieses Nützliche und ‚Bequeme’ stets in die Ästhetik des Angenehmen mit hinein, ja, das Angenehme ist dem Nützlichen und Bequemen oft näher als dem Schönen, weshalb im Topos des ‚locus amoenus’ die Funktion (Ort der Muße) und Ausstattungselemente (Sitzgelegenheiten, Schatten, Wasserquelle u.ä.) eine so herausragende Rolle spielen weit mehr als die ‚Schönheit’ des Ortes. Funktion und Nutzen (Gebrauchswert) Es gehört zum (behaupteten) Kerninhalt der ‚Ästhetik des Angenehmen’, dass die Nutzbarkeit bzw. der individuelle Nutzen des jeweiligen Freiraumes für die eigenen Belange von ausschlaggebender Bedeutung sei. Ein angenehmer Ort ist der, an dem man möglichst all das tun kann, was man dort gern tun möchte und sei es gerade, dort nichts zu tun. In der amerikanischen ‚restoration theory’ (Kaplan 1995) wird dieser Aspekt unter „compatibility“ abgehandelt. Ein Freiraum gefällt, wenn man was mit ihm oder in ihm anfangen kann, er einem ‚passt’. Im Freiraum erlebt der Besucher sich und die Mitbesucher als ein Stück weit vom Alltag, von Pflichten und Problemen, und vor allem von Arbeit Befreite. Der Aufenthalt im Park ist als Müßiggang ‚Genuss pur’. Der Park (in seiner gleichsam alles ästhetisierenden Funktion) macht das, was wir dort tun und lassen, zum Vergnügen, das im Spaziergang, im Spiel, im Sonnenbad, beim Joggen gerade auch ein körperlich-sinnliches Vergnügen ist, weshalb das ästhetische Erleben im Park auch eine stark physiologische Komponente aufweist und damit nicht nur zufällig etwas mit dem „alltagsästhetischen Spannungsschema“ zu tun hat, das
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Schulze (1992) in seinem Buch ‚Die Erlebnisgesellschaft’ skizziert, auch wenn es im städtischen Park weniger um ‚Spannung’ als um ‚Ent-Spannung’ geht. Aber: „Im schönen Erlebnis des Spannungsschemas spielt der Körper eine zentrale Rolle.“ (ebenda: 154). Das ästhetische Erleben beinhaltet in Bezug auf städtische Freiräume wesentlich körperliches Wohlbehagen. Das sind auf der rezeptiven Seite die für die Parkbesucher in der Tat zentralen somästhetischen Genüsse der Sonne, des Wetters und der frischen Luft (vgl. schon Nohl 1980: 278); auf der expressiven Seite geht es um die eigene (körperliche) Ruhe und Bewegung und die Freude, die es (unter den spezifischen Bedingungen eines Garten- und Parkaufenthaltes) meist macht, zu gehen, zu laufen, zu spielen, sich im Gras auszustrecken, zu rudern, zu skaten, Drachen steigen zulassen, Tai Chi Bewegungen auszuüben. Und das ‚Ästhetische’ an diesem freizeitlichen Tun und Lassen liegt eben darin, dass es in der Regel um keinen anderen Zweck geht als um das Tun und Lassen um seiner selbst willen, also sozusagen aus ‚Spaß an der Freud’, weshalb es auch im Rahmen des Angenehmen verbleiben und nie in Richtung Arbeit, Anstrengung oder Leistungssport ‚ausarten’ sollte. Auf die offen gestellte Frage, was ihnen wichtig sein, damit es ihnen im jeweiligen Freiraum gefalle, wurde die bedürfnisgemäße Nutzbarkeit auch durchaus häufiger genannt, aber es war absolut nicht (anders als erwartet) der am häufigsten genannte Aspekt. Vor allem differierte die Häufigkeit der Nennungen stark freiraumtypspezifisch. Aber es scheint, als ob die Frage nach der ‚Nutzbarkeit’ nicht genau das trifft, was mit der Kaplan’schen Kategorie ‚compatibility’ eigentlich gemeint ist. Der Begriff ‚Nutzbarkeit’ impliziert offenbar stark den ‚Aktivitätsaspekt’ im Freien, also den Aspekt des eigenen Tuns, der insbesondere von Männern bzw. jüngeren Personen für wichtig angesehen wird. Aber ‚compatibility’ meint ja mehr ‚individuell angemessen’ oder ‚passend’, also das zu bekommen, was man erwartet und sich wünscht. Und das ist für die Mehrheit der Freiraumbesucher nicht (sportliche) Beschäftigung, sondern eher Ruhe und Erholung. Schon bei der Frage nach den drei Begriffen, die den Besuchern zum jeweiligen Freiraum spontan einfielen, sagten sehr viele von sich aus ‚Ruhe’, weshalb man den ‚idealen’ städtischen Freiraum fast in die Formel fassen könnte: schön, grün und ruhig = angenehm. Auf die Frage, was ihnen an einem Ort wie diesem wichtig sei, damit es ihnen dort gefiele, was sie besonders stören würde, thematisierten denn auch von sich aus über alle Freiraumtypen hinweg zwischen 30 und 60% der jeweiligen Besucher die Ruhe bzw. den Lärm, wobei die Besucher von Spiel- und Stadtplätzen den Ruheaspekt verständlicherweise etwas seltener als ‚wichtig’ ansahen, wohingegen im Schnitt über 50% der Parkbesucher in ganz entschiedener Weise auf ‚Ruhe’ geeicht waren. Fasst man nun also jene, die im Freiraum gern ‚was machen’ möchten (etwa Spiel und Sport) und die gern gerade sozusagen ‚nichts’ oder nichts ‚Konkretes’ oder ‚Spezifisches’ machen wollen (Spaziergang, Sonnen), unter der Rubrik ‚individuell entsprechend’ bzw. ‚compatibility’ zusammen,
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dann ergibt sich also tatsächlich eine sehr große Bedeutung gerade dieses Merkmals. Ein Freiraum ist dann angenehm, wenn er seine Funktion als Ort der Aktivität und/oder der Ruhe, in jedem Fall der Entspannung und Erholung (wie immer man diese für sich selbst wünscht) optimal erfüllt. ‚Natur’ In ihrer kleinen Studie zur Beurteilung des Erscheinungsbildes innerstädtischer Parkanlagen stellt Schöppner fest: „Die natürlichen Landschaftsfaktoren sind als wesentliche Bestimmungsgrößen für die Beurteilung der ästhetischen Qualität hinsichtlich der Dimensionen - Vielfältigkeit, Übersichtlichkeit, Natürlichkeit, Attraktivität, Neuartigkeit - anzusehen. Diese sind Basis und Voraussetzung für die Erholungseignung einer Parkanlage.“ (Schöppner 1984: 150). Entsprechend steht die ‚Natur’ auch im Zentrum der sog. ‚restoration-theory’ (Kaplan, Kaplan 1989). Natur und Landschaft werden geradezu als die klassischen Orte angesehen, wo man wieder ‚auftanken’ kann. Es sind die perfekten ‚restorative environments’. Es ist denn auch nicht weiter verwunderlich, dass mehr oder weniger über alle Freiraumtypen hinweg der Vegetation, den Bäumen, Stauden, den Rasenflächen eine herausragende Stellung in Bezug auf das Wohlfühlen zuerkannt wird. Zwischen 30% (Spielplatz) und 60% (Park) der in den einzelnen Freiraumtypen Befragten erwähnen von sich aus diesen Faktor. Direkt daraufhin angesprochen, wie wichtig ihnen denn ‚möglichst viel Natur, Grün, große, alte Bäume und Blumen’ seien, gaben ebenfalls 30-60% an, dies sei ihnen ‚absolut wichtig’. Auch jene, die auf Spiel- oder Stadtplätzen befragt wurden, also dort, wo man annehmen könnte, diese Freiräume seien weniger ‚natur- bzw. vegetationsbestimmt’, auch dort war man dieser Ansicht, wobei auffällig ist, dass dort zwar ‚Natur und Grün’ als wichtig angesehen wurde, aber dieser Faktor seltener genannt wurde, wenn es darum ging zu sagen, warum es einem am jeweiligen Standort besonders gefiele. Da klingt deutlich eine latente Kritik an: Stadt- und Spielplätze könnten (nach Auffassung der Bevölkerung) deutlich natur- und vegetationsbestimmter sein, als sie es meistens sind (vgl. hierzu schon in Bezug auf Stadtteilplätze Tessin 2005a). Die große Rolle, die ‚Natur’ im weitesten Sinne, also auch jenseits von Flora und Fauna und unter Einschluss von (gutem) Wetter und (frischer) Luft, für das freiräumliche Wohlbefinden hat, lässt sich aus dem Prozess der Verstädterung leicht erklären (vgl. hierzu schon Tessin 1981). Der Prozess der Verstädterung und Verhäuslichung des menschlichen Daseins hat den Menschen der ‚natürlichen‘ Umgebung entfremdet. Über Jahrtausende hat er wesentlich auch 'draußen' gelebt, nicht in Häusern, sondern in der Natur, beim Fischen, Jagen, auf den Äckern und Wiesen, in der Landwirtschaft. Und es ist kaum übertrieben festzustellen, dass der Wechsel des Menschen quasi ‚aus der Natur’ (Jäger- und Sammlergesellschaft) über das Landleben der Agrargesellschaft in die Stadt der Industriegesellschaft in seiner Tragweite durchaus vergleichbar ist dem mancher Reptilienarten vom Wasser auf das Land. Dieser - menschheitsgeschichtlich gesehen
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- abrupte Wandel des menschlichen Lebensraumes, insbesondere in der letzten Phase der Verstädterung seit der Industrialisierung, hat dazu geführt, dass zwischen dem realen Grad menschlicher Verstädterung und Verhäuslichung (Gleichmann 1976) und seinem Bewusstsein, das noch in Form von Erinnerungen und Sehnsüchten unüberwundene Reste eines vergangenen Lebens 'im Freien' in sich birgt, eine tiefe Kluft, eine Art Ungleichzeitigkeit besteht. Der verstädterte Mensch hat die objektiv erfolgte Verhäuslichung seines Lebens subjektiv (noch) nicht (ganz) nachvollzogen, sondern folgt ihr vielmehr gefühls-, bewusstseins- und auch bedürfnismäßig, vielleicht sogar physiologisch mit einem gehörigen time lag nach. Auch wenn er sich immer mehr an das Leben 'drinnen' in Stadt und Haus hat gewöhnen müssen, so treibt es ihn immer wieder 'hinaus' zum Spaziergang, zum Ausflug, auf die Straße, in den Garten. Der Mensch braucht gewissermaßen als quasi kreatürliches Bedürfnis 'Auslauf' und 'Auslüftung' etwa so, wie wir unsere Katze oder unseren Hund täglich ‚rauslassen‘ und unsere Zimmerpflanzen zumindest ab und zu ‚rausstellen‘. Der Freiraumbesucher genießt also zunächst einmal das damit verbundene ‚Draußen-ander-frischen-Luft-Sein‘, das ‚Im-Freien-Sein‘, wozu auch ganz wesentlich gehört, dass sich ‚im Freien’ das Blickfeld weitet. Erst auf der Basis dieses Grunderlebnisses von Bewegungsfreiheit, frischer Luft und freiem Blick greift dann der konkrete ‚Freiraum‘, wie ihn die Landschafts- und Freiraumplanung hergerichtet hat. Damit soll gesagt werden, dass ein Großteil des Sich-Wohlfühens in einem städtischen Freiraum, die Befriedigung zu Grunde liegt, sich draußen, im Freien, im Grünen, in der Sonne aufzuhalten, eine Befriedigung, die sich sozusagen bei jeglichem Freiraumaufenthalt einstellt. Diese Grundzufriedenheit kann sich dann noch je nach Art des Freiraumes bzw. seiner Gestaltung steigern, aber schon die Tatsache, sich im Freien, im Grünen, an frischer Luft, vielleicht gar in der Sonne aufhalten zu können ist angenehm und sichert dem Aufenthalt ein hohes Maß an Bedürfnisbefriedigung - ganz im Sinne jener ‚restoration theory’: „Functioning in a natural setting seems for many people to be less effortful than functioning in more ‚civilized’ settings“ (Kaplan, Kaplan 1989: 193). ‚being away’ Die Ästhetik des Angenehmen hat daher auch etwas Eskapistisches an sich (vgl. Tessin 2005b: 17). Und auch die ‚restoration theory’ misst diesem Aspekt unter dem Begriff „being away“ große Bedeutung bei (Kaplan 1995: 174), was in einer Untersuchung von Purcell u.a. (2001) voll bestätigt wurde. Städtisch wie ländlich geprägte Landschaften gefielen ganz in dem Maße, wie sie das Gefühl vermittelten, ‚being away’ zu sein (vgl. hierzu noch ausführlicher Kap.3.5, aber auch bereits Kap. 1.3). Man will entfliehen: den Problemen und Konflikten der Gesellschaft, der Stadt, den Unbilden der Natur, den Zumutungen (moderner) Kunst, auch übrigens gern der heutigen Zeit bzw. dem raschen Wandel der Zeit, weshalb alte Parkanlagen, alte Stadtplätze wie alte Gebäude tendenziell als angenehmer empfunden werden als ihre zeitgemäßen Entsprechungen. Sie kenn-
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zeichnet ein bestimmtes Maß ‚angenehmer Ungleichzeitigkeit’. Angesichts des rasanten gesellschaftlichen Wandels in Wissenschaft, Technik und Kunst tut es (entlastend) gut, wenn irgendwo etwas so bleibt, wie es schon immer war. In dem wir einen Park aus dem 19. Jahrhundert betreten, einen historischen Altstadtplatz, die Heidelandschaft durchwandern, auf dem Friedhof die Grabsteininschriften lesen: immer eröffnet sich uns der ästhetisch-ideologische Reiz der Ungleichzeitigkeit (vgl. Tessin 2004b: 142ff) und eine wohlige Ambivalenz der Gefühle: einerseits der wehmütige Blick auf die (ideologisch retouchierte) ‚gute, alte Zeit’, andererseits die klammheimliche Freude, ihr doch nicht mehr so ausgeliefert zu sein und jederzeit in die freiere und komfortablere Gegenwart zurückkehren zu können. In vielen der bisher behandelten Aspekten klang bereits an, dass Freiräume vor allem auch deshalb als ‚angenehm’ empfunden werden, weil sie bzw. der Aufenthalt dort so etwas wie eine Art von Kontrast zu den Pflichten, dem Stress, dem Lärm des Alltags darstellen. Schon behandelte Aspekte wie Ruhe oder Natur drücken diesen Wunsch nach Kontrast, nach Erholung, nach Ausspannen bereits aus. Freiräume eröffnen idealiter eine ‚kleine Flucht’ heraus aus dem Alltag, aus der Hetze, hinein in eine andere, gern auch ‚heilere’ Welt. Es wurde deshalb in den verschiedenen Freiräumen auch nach der Wichtigkeit dieses Aspektes gefragt. Über 60% der Besucher (über alle Freiraumtypen hinweg) sagten, dass dieser Aspekt des ‚aus dem Alltag Herauskommens’, des ‚Eintauchens in so etwas wie eine heile Welt’ für sie sehr (sehr) wichtig sei: Die Bedeutung dieses Aspektes wird besonders in den Freiräumen herausgestrichen, die auch tatsächlich so etwas wie eine ‚andere Welt’, einen Kontrast zum Alltag darstellen, also (um in Hannover zu bleiben) im Großen Garten, im Stadtpark und in der südlichen Leineaue. Anders dagegen die Spielplätze: hier gehen die Besucher offenbar nicht so sehr von der Erwartung oder Hoffnung aus, in eine ‚andere Welt’ eintauchen zu können oder zu wollen (vgl. hierzu schon Korpela, Hartig 1996 oder Hammitt 2000): der aufgesuchte Ort muss schon als Kontrast zum Alltag erlebbar sein. Freiraumbesucher möchten also den Aufenthalt dort als angenehmen, erholsamen Kontrast zum Alltag erleben, worauf schon Garbrecht, Matthes (1978: 310) hingewiesen haben: „Wenn man einen Freiraum betritt, so erwartet man eine Änderung gegenüber der gewohnten städtischen Umwelt. Die plötzliche Stille wird ebenso wie die Abwesenheit von Abgasen besonders geschätzt. Wenn Gebüsche und Bäume den Freiraum von der gebauten Umwelt abschirmen, so wird die Situation als Oase erfahren. Es überrascht deshalb nicht, dass man den Wechsel vom ‚Grau’ der Fassaden zum Grün der Pflanzen als besonders angenehm hervorhebt.“ Der ‚locus amoenus’ der Antike war immer auch ein vom Alltag getrennter, abgeschiedener Ort.
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2.3 Das Interesse an ‚Gestaltung’ Alle bisher diskutierten Aspekte werden, das sei vorausgeschickt, von den Besuchern der jeweiligen Freiräume als wichtiger für das Gefühl eines angenehmen Freiraumes angesehen als der nun zu behandelnde Aspekt der konkreten Gestaltung und des Aussehens des Freiraumes, ohne dass dieser freilich unwichtig wäre. Die ‚Ästhetik der Angenehmen’ geht denn auch ganz wesentlich davon aus, dass die konkrete Gestaltung des jeweiligen Freiraumes für das Gefühl des Angenehmen zwar durchaus wichtig ist, sie aber nicht die zentrale Bedeutung hat, wie das unter Landschaftsarchitekten aus gleichsam berufsständischen Gründen grundsätzlich angenommen wird. Vielmehr wurde mit Blick auf den antiken Begriff des ‚locus amoenus’ argumentiert, dass ein Freiraum in erster Linie deshalb als angenehmer Ort empfunden wird, weil man hier weitgehend von lästigen Pflichten entbunden, man relativ frei und selbstbestimmt ist und ein bisschen zur Ruhe kommt. Dass eine ‚angenehme (gefällige) Gestaltung’ des Freiraumes diesem locus-amoenus-Gefühl dienlich ist, dürfte klar sein. Aber: auch weniger schön gestaltete Freiräume können als angenehme Orte funktionieren, wenn eben andere Aspekte (Natur, Ruhe, Ausstattung) gewährleistet sind. Es wurde deshalb in den verschiedenen Untersuchungen in Hannover eine ganze Reihe von Fragen zur Bedeutung der konkreten Freiraumgestaltung für das Gefühl des Angenehmen gestellt, die im Folgenden zunächst einmal unkommentiert in ihren Ergebnissen dargestellt werden sollen: x
Über alle Freiräume hinweg gaben recht wenige an, sie wären wegen der besonderen Attraktivität des jeweiligen Freiraumes gekommen, wobei sich die Quote in Bezug auf Stadtplätze, ‚normale’ Parks, Spielplätze oder ein innerstädtisches Naherholungsgebiet (die südliche Leineaue in Hannover) eher zwischen 10 und 20% bewegt. Lediglich die Besucher des Großen Gartens und des Stadtparks gaben zu fast 50% an, sie seien wegen der besonderen Attraktivität des Freiraumes gekommen.
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Auf die Frage, was ihnen an einem Ort wie diesen (sehr) wichtig sei, damit er ihnen gefalle und sie sich dort wohl fühlen, gaben über alle Freiraumtypen hinweg 23% der befragten Besucher ‚Gestaltungs- und Aussehensaspekte’ an, in Parkanlagen waren es deutlich über 30%, auf den Spiel- und Stadtplätzen deutlich unter 20%, in einem (etwas x-beliebigen) Naherholungsgebiet unter 10%. Die Aspekte, dass der jeweilige Ort für sie gut erreichbar sei, er ‚Natur’ biete, das ‚Wetter schön’ sei, er ruhig sei und gepflegt, wurden deutlich häufiger als (sehr) wichtig bezeichnet; wobei jedoch der Faktor Gestaltung und Aussehen in Bezug auf Parkanlagen schon auch zu den (sehr) ‚wichtigen’ gezählt wird.
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Direkt auf die einzelnen Aspekte angesprochen, sagte (über alle Freiraumtypen hinweg) immerhin jedoch jeder 2. Besucher, dass ihm die konkrete Freiraumgestaltung (sehr) wichtig sei. Auch hierbei wurden andere Aspekte je-
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doch noch deutlich häufiger als (sehr) wichtig angesehen: ‚heile Welt’, Nutzbarkeit, schönes Wetter, Gepflegtheit des Ortes, ‚Natur’. Nur zwei der abgefragten Aspekte wurden weniger häufig als (sehr) wichtig angesehen: die Ausstattung und das Freiraumgeschehen. Die konkrete Freiraumgestaltung hat (nach Aussagen der befragten Besucher) für das Sich-dort-Wohlfühlen also eine zwar relevante, aber keine ausschlaggebende Bedeutung. Schönes Wetter, gute Erreichbarkeit, das bloße Vorhandensein von einem ‚Stück Natur’, alles das kann einen gestalterisch nicht sonderlich gelungenen oder anspruchsvollen Freiraum durchaus zu einem angenehmen Ort machen. Von jenen, die den jeweiligen Freiraum nicht als ausgesprochen ‚schön’ empfanden, bezeichnete ihn doch immerhin fast die Hälfte als einen sogar ‚sehr angenehmen’ Ort. Frauen legen im übrigen im Vergleich zu Männern sehr viel mehr Wert auf den Aspekt Gestaltung, erfreuen sich deutlich mehr, so ihre Aussagen, allein schon am Anblick einer Grünanlage, wohingegen insbesondere jüngere Männer unter 30 Jahren diesem Aspekt eine deutlich geringere Bedeutung beimessen. In den Worten einer befragten, etwa 30-jährigen Person: „Ich kann mich daran schon erfreuen: Die Farben, die Dichte des Blattwerkes. Hätte ich früher vielleicht nicht so gesehen. Da muss man wahrscheinlich erst älter werden.“ Dass die Gestaltung, das Aussehen, die Schönheit eines Freiraumes dann aber doch insgesamt wichtiger ist als bisher angeklungen, merkt man in jenen Fällen, wo die konkrete Freiraumgestaltung den relativ breiten Geschmackskonsens der ‚üblichen’ Freiraumgestaltung verlässt. Ist sie - im Sinne der Besucher - außergewöhnlich (gut gelungen), so schnellt die Quote jener Besucher (vgl. Kap. 2.1), die ‚begeistert’ sind, deutlich nach oben. Man fühlt sich geradezu an die Maslow’sche Bedürfnispyramide erinnert (Maslow 1954), wo ja auch die Unterscheidung gemacht wird zwischen Wichtigkeit und Befriedigungswert eines Bedürfnisses. Beim alltäglichen Freiraumbesuch stehen insgesamt mehr die so genannten ‚niederen‘, physiologischen Bedürfnisse im Vordergrund, was ja auch durch entsprechende Umfragen immer wieder bestätigt wird. ‚Frische Luft‘, ‚ein bisschen Bewegung‘, ein ‚Stück Natur’. Aber (so Maslow) so wichtig die Befriedigung solcher physiologischen Bedürfnisse auch sei, ihr subjektiv erlebter Befriedigungswert ist relativ gering nach dem Motto: ‚Frische Luft’, ‚ein bisschen Bewegung’ ist wichtig, auch angenehm, aber löst nicht gerade Begeisterung aus. Für das Gefühl des sich in einem Freiraum Wohlfühlens sind gute Erreichbarkeit, gute Nutzbarkeit, viel Grün, Ruhe, guter Pflegezustand etc. wichtig, nahezu unverzichtbar. Ist das gegeben und bewegt sich die Gestaltung im sozusagen üblichen Rahmen, empfindet man den Aufenthalt als angenehm. Etwas ‚Begeisterung’ stellt sich meist erst dann ein, wenn zu all dem eine im Sinne der Besucher außergewöhnlich ‚schöne’ Gestaltung hinzukommt. Tatsächlich zeigten
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sich ja nicht wenige Besucher etwa im Großen Garten in Hannover-Herrenhausen bzw. im Stadtpark fast ‚begeistert’. Ihren Aufenthalt bezeichneten sie als ‚wunderbar’, ‚wunderschön’, als ‚herrlich’, also weit mehr als nur ‚bloß angenehm’. Ihre Begeisterung begründeten sie ganz wesentlich mit der besonderen ‚Schönheit’ der Parkanlage (vgl. hierzu auch Thum 1980: 145). Aber auch im gegenteiligen Fall, wenn die Freiraumgestaltung den breiten Geschmackskorridor des Üblichen dieses Mal sozusagen nach ‚unten’ verlässt, zeigt sich die Bedeutung des Faktors. Dann kann es z.B. sein, dass dieser Freiraum gemieden wird und zwar wegen seiner ‚abweisenden’ (allzu ‚modernen’) Gestaltung (vgl. Kap. 3.4) oder wegen seiner ‚Ungestaltetheit’ etwa im Falle einer Brachfläche oder von Stadtnatur (vgl. Kap. 3.3). Man kann die etwas nachrangige Bedeutung der Gestaltung für das Wohlfühlgefühl in einem Freiraum daher auch so interpretieren: Der Großteil der hier untersuchten städtischen Freiräume war im Sinne der befragten Besucher gestalterisch-ästhetisch im gesellschaftlich akzeptierten Geschmackskorridor angesiedelt: es gab (außer im Großen Garten bzw. dem Stadtpark) nichts zu jubeln, aber auch nichts Nennenswertes auszusetzen. Für das Gefühl des Angenehmen reicht offenbar eine gefällige, konventionelle Freiraumgestaltung. In den Worten der Befragten: „Der Park sollte rationell gestaltet sein. Denn das alles kostet ja ‚ne Menge Geld. Pflegeleichte Grünflächen reichen.“ „Nein, da reichen mir Bäume und etwas Grün. Da müssen keine besonderen Beete mit schönen Blumen oder Dergleichen sein.“ „Das muss nicht übertrieben ‚schön’ sein. Es ist eigentlich nur wichtig, dass da Pflanzen und Bäume sind und Rasen. Ich sehe im Frühjahr gern Narzissen oder so was. Muss nichts Exotisches sein oder Designer-Pflanzen.“ „Ich mag das Gekünstelte nicht. Der Große Garten ist für mich nicht ideal.“ „Das kann ruhig bleiben, wie es wächst. Es muss nicht besonders gestaltet sein. Das ist mir ziemlich unwichtig.“ „Die Natur spielt für mich die Hauptrolle.“ Ästhetische Anspruchslosigkeit? Die Plausibilität der ‚Ästhetik des Angenehmen’ zur Umschreibung der rezeptionsästhetischen Grundhaltung der Bevölkerung gegenüber den unterschiedlichen städtischen Freiräumen wird nicht zuletzt auch begründet durch ein mehr oder weniger geringes ästhetisches Anspruchsniveau der Bevölkerung. Es wurde ja schon ausgeführt (Tessin 2005b), dass das Gefühl des Angenehmen aus künstlerisch-ästhetischer Sicht nicht gerade hoch im Kurs steht, es vielmehr in Bezug gesetzt wird zu Oberflächlichkeit, Seichtheit, ja, zum Kitsch (insofern es Natur, Kunst, Zeit und Gesellschaft nur in gleichsam geschönter Form duldet), es stark
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von ‚niederen’ physiologischen Bedürfnissen geprägt und ausschließlich am eigenen Wohlbehagen, an körperlicher, geistiger und seelischer Entspannung interessiert ist, und der Ästhetik des Angenehmen ein (geschultes) Qualitätsbewusstsein abzusprechen ist (es kommt nur auf den ‚angenehmen Eindruck’ an). Aber es sei genau dieses Bedeutungsumfeld des Angenehmen, so die These, das den Begriff so hervorragend qualifiziert zur Beschreibung der Laienästhetik in Bezug auf Freiräume. Ein Freiraum darf darüber hinaus schön, originell, interessant, auch künstlerisch oder gerade ökologisch wertvoll sein, aber er ‚darf’ dies nur solange er als (noch) ‚angenehm’ oder gar als ‚angenehme Überraschung’ erlebt wird. Gibt es dafür empirische Belege? Es wurden die Besucher unterschiedlichster Freiraumtypen auch danach gefragt, ob es ihnen bei der Frage der Gestaltung und des Aussehens eines Freiraumes geschmacklich mehr in Richtung ‚hübsch, gefällig und vertraut’ ginge oder mehr in eine andere oder anspruchsvollere Richtung. Letztere wurde in fast allen Freiräumen nur von etwa 10-20% der Besucher als für sie zutreffend bezeichnet. Die Mehrheit von knapp über 50% bewegte sich jeweils im Rahmen des Hübschen, Gefälligen und Vertrauten. Immerhin meinten doch immerhin 20-30% der Freiraumbesucher, das hinge davon ab bzw. käme darauf an. Tatsächlich machen die Leute eine ziemlich klare Trennung zwischen einer Alltags- und einer Ausflugs- bzw. Besichtigungsästhetik (vgl. hierzu weiter unten). Dies wird z.B. deutlich daran, dass die Besucher des Großen Gartens in den Herrenhäuser Gärten in Hannover, sehr viele davon Touristen, zu rund 40% meinten, ihr ästhetischer Anspruch ginge (in diesem Falle) deutlich über das Hübsche, Gefällige und Vertraute hinaus; d.h. wenn man einen Ausflug macht, etwas besichtigen will, dann muss einem schon etwas Besonderes geboten werden. Im Alltag muss der Freiraum dagegen einfach nur hübsch und gefällig sein. Diese ‚Zweiteilung’ der ästhetischen Ansprüche gilt übrigens für alle Alters- und Geschlechtsgruppen und ästhetischen Milieus. Auch Angehörige des eher hochkulturellen Milieus stellen, wie noch darzustellen sein wird (vgl. Kap. 2.5), im Alltag nicht grundsätzlich andere bzw. höhere ästhetische Ansprüche an städtische Freiräume der x-beliebigen Art. Es wurde auch danach gefragt, wie wichtig es den Besuchern sei, dass der Freiraum einerseits „Anregung, Abwechslung, neue Eindrücke, Interessantes“ biete bzw. er andererseits „was ganz Eigenes habe und was Besonderes ausstrahle“. Es wurde unterstellt, dass diese beiden ästhetischen Interessen ein klein wenig über das Niveau des Hübschen, Gefälligen und Vertrauten hinausgingen. Tatsächlich ergab sich wiederum (freiraumtypübergreifend) eine Quote von nur 10-20% der Besucher, denen diese beiden ästhetischen Aspekte ‚sehr wichtig’ sind. Und wieder waren es die besichtigenden Besucher des Großen Gartens in den Herrenhäuser Gärten in Hannover, die sich deutlich anspruchsvoller äußerten. Die weit überwiegende Mehrheit der Besucher städtischer Freiräume ist im Alltagsverhalten ästhetisch relativ anspruchslos (und das wiederum weitgehend
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unabhängig von Alter, Geschlecht und kulturellem Milieu). Aber zu gegebenen bzw. gewählten Anlässen (Ausflug, Besichtigung) werden durchaus auch andere und höhere Ansprüche zumindest von einer großen Minderheit gestellt werden. Dies schließt mit ein, dass die Besucher städtischer Freiräume mehrheitlich auch kein ausgeprägtes (werk-) ästhetisches Qualitätsbewusstsein haben. Für sie sei, so die These, allein die Frage wichtig, ob ihnen etwas gefalle oder nicht. Ob das nun künstlerisch wertvoll, echt, authentisch, innovativ oder was auch immer sei, wäre ihnen ziemlich egal. Es gibt starke empirische Indizien dafür, dass es tatsächlich so ist. So war es Besuchern in den Herrenhäuser Gärten in Hannover für ihr ästhetisches Urteil über den Leibniz-Tempel im Georgengarten und über bestimmte Gestaltungen im Großen Garten völlig egal, dass diese Dinge nicht zur ‚Originalausstattung’ des jeweiligen Gartens gehörten. ‚Werktreue’ ist für sie mehrheitlich kein hoher ästhetischer Wert. Wenn der Tempel gefällt und ‚passt’, macht es nichts aus, dass er erst in den 1930er Jahren in Georgengarten hineinversetzt wurde. Wenn das Baumlabyrinth im Großen Garten der Herrenhäuser Gärten in Hannover gefällt, dann macht es nichts aus, dass es ein solches Labyrinth dort früher nie gegeben hat, und genauso ist es mit den Themengärten im Garten, die erst im letzten Jahrhundert hinzugekommen sind. Sie gefallen trotzdem. Auf die (bewusst provokativ formulierte) Frage, ob es für sie wichtig sei, „aus was für einem Material die verlegten Platten sind, ob eine Statue echt oder eine Kopie ist, ob irgendwas vielleicht stilmäßig nicht so richtig passt, vielleicht sogar ‚kitschig’ ist“, gaben genau 50% der Befragten sozusagen trotzdem an, dass sei ihnen egal: Hauptsache es gefällt. Aber doch immerhin jeder 4. Befragte sagte, die Qualität, die Echtheit und Stimmigkeit sei ihm schon wichtig. Unter jenen, die sich selbst als ‚kunstinteressiert’ bezeichneten, war die Qualität der Freiraumgestaltung immerhin, aber letztlich auch nur jedem 3. Befragten wichtig, mehrheitlich also nicht. Es ist, als ob städtische Freiräume (zumal in ihrer alltäglichen Nutzung) mehrheitlich kaum sozusagen werkästhetische oder hochkulturelle Qualitätserwartungen auslösen würden (vgl. hierzu noch Kap. 2.5). Aber der Ausdruck ‚mehrheitlich’ bedeutet zugleich, dass eine Minderheit von bis zu 30% (je nach Freiraumtyp) durchaus als ästhetisch etwas anspruchsvoller und qualitätsbewusster einzuordnen ist. Ohnehin ist der städtischen Bevölkerung ein differenziertes ästhetisches Urteilsvermögen natürlich nicht abzusprechen; es ist nur nicht besonders ‚qualitätsbewusst’. Stadtplätze beispielsweise werden durchaus unterschiedlich bewertet (Tessin 2005a). Vielen Interviewern schien es zunächst so, als seien die Benotungen durch die Befragten etwas beliebig (‚nur so hingesagt’), und sie vermissten ein „differenzierteres Urteilsvermögen“. Tatsächlich machten die Befragten jedoch durchaus beachtliche Unterschiede. Die Bandbreite der Durchschnittsnoten für die einzelnen Stadtteilplätze reichte z.B. von 1,95 (also ‚gut’) bis 4,0 (also ‚ausreichend’). Die Note ‚sehr gut’ wurde in Bezug auf manche Stadtteilplätze
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überhaupt nicht vergeben, bei dem einen oder anderen Platz waren es bis zu 35% der Befragten. Und umgekehrt: es gab Stadtteilplätze, die wurden von niemandem mit ‚mangelhaft’ oder ‚ungenügend’ benotet, bei anderen waren es bis zu 30% der Befragten, die eine solche Kritik äußerten. Diesem durchaus differenzierten ästhetischen Urteilen mögen also keine werkästhetischen Qualitätskriterien zugrunde liegen, aber ein Gespür für unterschiedliche Anmutungs- und Aufenthaltsqualitäten, für unterschiedliche Grade des Angenehmen, ist in jedem Fall vorhanden - kein Wunder, wenn es doch ihr zentrales ästhetisches Anliegen ist. Die Besichtigung als spezifisch gestaltungsinteressierte Ausnahme? Auch dort, wo städtische Freiräume, also vor allem historische Garten- und Parkanlagen, besichtigt werden und man sich ein wenig anspruchsvoller zeigt, hält sich das ästhetische Interesse der Besucher an der spezifischen Gestaltung in Grenzen. Im Rahmen einer Untersuchung in Hannover wurde nämlich auch der Frage nachgegangen, welche Motive die Leute veranlassen, die Herrenhäuser Gärten zu besuchen. Bekanntlich handelt es sich dabei um drei historische Gärten: den Großen Garten (ein Barockgarten), der Berggarten (ein Botanischer Garten) und den Georgengarten (ein Landschaftsgarten). Die Antworten auf die zunächst offen gestellte Frage können als Indikator für die unterschiedlichen Motive beim Parkbesuch gelten, vor allem aber dafür, dass (auch beim Besuch historischer, denkmalgeschützter Gärten!) über allem die Allerweltsmotive ‚Ruhe und Erholung‘, ‚Unterhaltung und Abwechslung‘ und ‚Sonne und frische Luft‘ stehen. Diese Ergebnisse werden der Tendenz nach bestätigt durch Connell (2004), die in England umfängliche Befragungen in Bezug auf den Gartentourismus durchgeführt hat. Auf die ‚offen’ gestellte Frage nach den Motiven, den Garten zu besuchen, kristallisierten sich auch in diesen ‚Besichtigungsgärten’ Hauptmotive heraus wie ‚to have a day out’, ‚visiting a nice environment’, ‚visiting for tranquility’ (ebenda: 241). Neben diesem für jegliches Freiraumverhalten grundlegenden Bedürfnis kommt eine sozusagen ‚anspruchsvollere‘ ästhetische Bedürfnislage jedoch bei Teilgruppen der Besucher durchaus zum Tragen. Besucher des Großen Gartens in Hannover Herrenhäuser zeigten sich z.B. signifikant ‚gestaltungsinteressierter’ als Besucher anderer Garten- und Parkanlagen: immerhin jeder zweite Besucher war wegen der besonderen Attraktivität des Gartens gekommen, drei von vier sagten, sie würden sich den Großen Garten gezielt-interessiert anschauen und immerhin 38%, ihnen sei an einem Ort wie diesem die Gestaltung der Anlage sehr wichtig (ein Grund, sie zu besuchen). Aber alles dies ist eingebunden in das Hauptmotiv, auch im Großen Garten in erster Linie einen ‚netten Nachmittag’ verbringen und oder einfach mal ‚was unternehmen’ zu wollen. Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass ein Großteil, oft die Mehrheit der Besucher selbst historische Gärten nicht in erster Linie als gartenkünstlerische oder
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gartengeschichtliche Denkmale, sondern sie als bloße, wenn auch durchaus als sehenswerte Grünflächen wahrnimmt und entsprechend nutzt. Dem entspricht, dass das Interesse an und der Kenntnisstand über die Geschichte der Gartenkunst auch bei Besuchern gartenkünstlerisch wertvoller Anlagen in aller Regel begrenzt ist. So ergab sich bei der Befragung von touristischen Erstbesuchern in den Herrenhäuser Gärten, dass nur 11% von ihnen meinten, sie seien insgesamt ‚recht gut’ informiert. Auf die Zusatzfrage, ob sie denn ‚hier vor Ort’ gern mehr über den Park erfahren möchten, also über Schautafeln, Hinweisschilder, Flyer usf., war nicht einmal jeder zweite der ‚nicht gut’ Informierten sonderlich interessiert. Ja, diejenigen, die sich schon jetzt über den Park gut informiert fühlten, waren nahezu in demselben Unfang an weiteren Vor-Ort-Informationen interessiert wie jene, die sich bisher ‚nicht gut’ informiert fühlten. Offenbar sind die ohnehin Interessierteren und Informierteren mindestens genauso neugierig auf neue Informationen wie diejenigen, die ohne Vor-Kenntnisse den Park besichtigen. Diese Befragungsergebnisse erinnern sehr stark an das, was in den 1970er Jahren Jordan (1972) in seiner Umfrage in Schleißheim, Herrenhausen, Nymphenburg, Englischer Garten und im Linderhof herausgefunden hatte. Auch damals hatte die Mehrheit der Besucher die jeweilige Parkanlage nicht wegen ihres historischen Charakters aufgesucht, wenn auch die Quote ‘gartenhistorisch’ motivierter Besucher in den Barockanlagen etwas höher lag. Meindl (1992: 83ff) stellte in einer anderen Untersuchung den Besuchern des historischen Schlossparks Nymphenburg seinerzeit drei Wissensfragen über den Park bzw. generell über ‚Gartenkunst’: 22% der Besucher wussten den Fürsten bzw. die Fürstin zu nennen, die den Park in Auftrag gab, keiner kannte den damaligen Garten- und Landschaftsarchitekten, 5% wussten immerhin den Namen des Architekten, der die Umgestaltung im Sinne des Landschaftsgartens vornahm, und 3% der Besucher wussten, was ein ‚Aha’ ist. Entsprechend die folgenden Aussagen aus den eigenen Gesprächen: „Ich bin schon (an Gartenkunst und Landschaftsarchitektur) interessiert, aber ich weiß nicht wirklich viel darüber.“ „Wenn ich durch Zufall etwas darüber sehe, dann interessiert es mich schon. Aber ansonsten nicht.“ „Ja, ich interessiere mich für den englischen Landschaftsgartenstil. Den finde ich ganz toll.“ „Ich habe schon davon gehört, interessiere mich aber nicht dafür.“ „Nein, eher weniger. Aber schöne Parkanlagen finde ich toll.“ Insgesamt lässt sich also bestätigen, dass die Besucher städtischer Freiräume nicht sonderlich an der konkreten Gestaltung des jeweiligen Ortes interessiert sind. Nur dort, wo sie sich aufgemacht haben, einen Park oder Garten touristisch aufzusuchen, ist das z.T. anders. Ihre gartenkünstlerischen und gartenhistorischen Interessen und Kenntnisse sind aber auch dort (sehr) begrenzt.
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2.4 Der Freiraumbesuch ein ‚ästhetisches Erlebnis’? Wenn es denn stimmt, dass die Freiraumbesucher in erster Linie dort einen angenehmen Aufenthalt suchen, dann ist klar, dass diese ästhetische Erwartungshaltung auch die tatsächliche Wahrnehmung prägt: man will etwas Angenehmes erleben. Das schließt einen gewissen Mangel an Begeisterungsfähigkeit ein, ja überhaupt ein Interesse, sich begeistern zu wollen. Man will sich erholen, ausspannen, eine nette Abwechslung haben, aber ‚mehr’ will man eigentlich nicht. Diese Anspruchslosigkeit der ästhetischen Rezeption in städtischen Freiräumen, was die Tiefe und Gefühlsaufladung des Erlebens betrifft, durchzieht auch andere Aspekte der ästhetischen Wahrnehmung, die - so die ursprüngliche These (Tessin 2004a, Tessin 2005b) - durch ein hohes Maß an Oberflächlichkeit und Beiläufigkeit gekennzeichnet zu sein scheint. Kaplan (1995: 172) spricht dagegen von einer zufälligen, „involuntary attention“, einer Aufmerksamkeit, die nicht zielgerichtet, aber dafür doch offen für alles Mögliche sei. Die Untersuchungsergebnisse deuten tatsächlich in die Richtung, dass zwar Beiläufigkeit und Oberflächlichkeit typisch ist für die ästhetische Wahrnehmung in städtischen Freiräumen, aber der Ausdruck ‚entspanntes Interesse’ doch besser passt, denn die Leute ‚interessieren’ sich schon für den Freiraum bzw. für das, was in ihm geschieht - nur halt nicht zielgerichtet. Entspanntes Interesse Fragt man die Leute, was ihnen in einem konkreten Freiraum besonders gefällt oder missfällt, dann ist es tatsächlich schon so, dass ein Teil der Besucher relativ pauschal Antwort gibt, aber meist kommen dann doch irgendwelche Aspekte, durchaus auch einzelne Gestaltungsmerkmale, die benannt werden (können), wobei es ganz unterschiedliche Gründe dafür gibt, warum es gerade dieses oder jenes Detail ist. Es sind in aller Regel keine besonders subtilen, unscheinbaren Sachen, sondern ins Auge springende, Aufmerksamkeit erheischende Aspekte: schöne, große Bäume, weite Rasenflächen, ein Teich etc. Spricht man die Besucher aber auf bestimmte Gestaltungsdetails direkt an, so wird jedoch deutlich, dass sie doch noch viel mehr sehen oder gesehen haben. Um das an einigen Beispielen zu verdeutlichen: Im Georgengarten in den Herrenhäuser Gärten in Hannover wurden im sog. Luststück aus gartendenkmalpflegerischen Gründen zwei Blumenbeete wieder angelegt, die es früher einmal an dieser Stelle gegeben hatte. Es handelt sich dabei einerseits um keine besonders auffällige Maßnahme und andererseits ist der Park so groß, dass man sich nicht unbedingt an diesem Ort aufhält bzw. dort vorbeikommt. Dennoch war der Mehrheit der im Georgengarten befragten Besucher dieses (relative neuere) Gestaltungsdetail aufgefallen und durchaus geläufig. Es war nur nicht erwähnt worden, weil es den meisten Besuchern weder besonders gefiel noch missfiel. Es schien ihnen einfach nicht der Rede wert zu sein.
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In einem neu gestalteten Landschaftsraum am Rande von Hannover, am sog. Kronsberg, wurden einige blau angemalte Pfähle als Orientierungsmarken für den sog. Grünen Ring eingebracht, einem markierten Fahrradweg, der ganz um die Stadt Hannover herumführt. Zwei bzw. drei Jahre nach Fertigstellung wurden die Besucher am Kronsberg gefragt, ob sie die bzw. irgendwelche ‚blauen’ Pfähle im Gelände bemerkt hätten. Tatsächlich hatten die allermeisten diese Pfähle bemerkt (ohne freilich mehrheitlich deren tatsächliche Bedeutung zu kennen). Im Rahmen derselben landschaftlichen Umgestaltungsmaßnahme wurde (zur Abgrenzung gegenüber der neuen Wohnsiedlung) auch eine sog. Randallee geschaffen, wobei die eine Baumreihe aus Linden, die andere aus Kirschbäumen bestand. Über 90% der Besucher war diese Randallee geläufig. Die Unterschiedlichkeit der beiden Baumreihen war zwar der Mehrheit der Befragten entgangen, aber einem Teil von ihnen war die Sache jedoch aufgefallen, und fast 15% wussten sogar, dass es sich einerseits um Kirsch-, andererseits um Lindenbäume handelte. Im Invalidenpark in Berlin (vgl. noch Kap. 3.4), der in der 2. Hälfte der 1990er Jahre entstanden ist, hat der Landschaftsarchitekt verschiedene Gestaltungsmaßnahmen eingesetzt. So schert das große Wasserbecken aus der Mittelachse des Parks aus und orientiert sich (anders als der Park selbst) in NordSüd-Richtung, was auf dem Plan vermutlich jedem sofort auffallen würde. In der Realität war diese ‚Achsendrehung’ jedoch, direkt darauf hin angesprochen, nur einer Minderheit von 20% der Besucher aufgefallen. Zudem waren im mehr platzartigen Bereich des Invalidenparks mehrere Plattenreihen verlegt und durch Rasenstreifen voneinander getrennt worden. Diese Rasenstreifen sind zunächst relativ schmal und werden dann immer breiter, um quasi den Übergang zum parkartigen Teil zu verdeutlichen. Jedem dritten Besucher bzw. Kenner des Invalidenparks war das aufgefallen; der Mehrheit jedoch nicht. Schließlich hatte der Landschaftsarchitekt im Plattenbereich Ginkgobäume pflanzen lassen, in deren (zukünftigem) Schatten Sitzbänke stehen. Jeder vierte Besucher bzw. Kenner des Invalidenparks kannte die Baumart. Es ist schwer, diese etwas willkürlich herausgegriffenen Beispiele gerecht zu interpretieren. Fragt man die Besucher danach, was ihnen im jeweiligen Freiraum an gestalterischen Dingen aufgefallen sei, kommt, wie gesagt, meist relativ wenig außer den Hauptmerkmalen der Gestaltung, also etwa ‚große Bäume’, ‚viel Wasser’, ‚weite Rasenflächen’, ‚Blumenbeete’, ‚tolle Aussicht’, ‚viel Asphalt’ etc. Spricht man die Leute jedoch direkt auf bestimmte Einzelheiten an, dann wird deutlich, dass zumindest größeren Teilen der Besucher deutlich mehr auffällt. Das geschieht vielleicht beiläufig, scheint ihnen auch nicht recht der Rede wert zu sein, in jedem Fall ist es ihnen nicht in jedem Augenblick geistig präsent (vgl. Kap. 1.1), aber es ist doch im Gedächtnis da und abrufbar. Das in der ‚Ästhetik des Angenehmen’ anklingende Moment der Beiläufigkeit und Oberflächlichkeit der ästhetischen Wahrnehmung darf also nicht überzogen werden. Vielmehr geht es um eine große Offenheit der ästhetischen Wahr-
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nehmung. Wenn auch freiraumtypspezifisch unterschiedlich, so sagte doch die Mehrheit der Freiraumbesucher, sie würden den ‚Ort hier’ schon recht aufmerksam und interessiert wahrnehmen. Auf die Frage, ob sie so der Besuchertyp seien, der in städtischen Freiräumen ganz gut unterscheiden und auch darauf achten würde, was da so ‚kreucht und fleucht’, blüht und an Baumarten gepflanzt wurde, gab doch etwa jeder dritte Befragte an, dass er/sie das könne und tue. Wohl nicht die Mehrheit der Besucher städtischer Freiräume, aber doch eine beachtliche Minderheit (insbesondere der älteren Besucher) hat also (nach eigenen Aussagen) einen durchaus ‚interessierten’ Blick. Man könnte von einem entspannten, nicht gezielten Interesse sprechen. In den Worten der Befragten:
„Ich nehme das schon sehr intensiv wahr. Wie es gepflegt ist, wie sich die Menschen benehmen. Die Stimmung in einem Park. Welche Bäume gerade Blätter tragen, ob der See zugefroren ist, die Schwäne. All das registriere ich schon sehr genau. Ich kann allerdings nicht unterscheiden, was für Vögel das sind oder was für Blumen. Ich genieße das einfach: die Farben, die Stimmung aufzunehmen. Das Wetter. Ich achte auch auf Geräusche.“ „Ich suche nicht gezielt nach Tieren, zumal es ja nicht viele gibt. Aber wenn mal so ein Eichhörnchen über den Weg läuft: das finde ich dann schon schön und fällt mir natürlich auf.“ „Ich nehme das stark wahr. Ich suche mir auch immer wieder neue Plätze, wo ich was Neues oder Anderes sehe. Aber auch die alten Orte, wie die sich verändern.“ Wenn also Freiraumbesucher durchaus auch einen Blick für Details aller Art haben, so hat das mehrheitlich jedoch so gut wie nichts mit einer werkästhetischen Betrachtung zu tun. Es interessiert nicht (vgl. Kap. 2.3), wie dieses Detail gartenkünstlerisch zu bewerten ist, es geht nicht um Material- oder Stilkunde, es geht dabei meist auch nicht um eine Würdigung der Leistung des Landschaftsarchitekten. Man erfreut bzw. ärgert sich über ein Detail, eine Staude, einen Belag aus Natursteinen, Morgentau auf der Rasenfläche, eine Baumgruppe, ein Rotkelchen. Bis hin zu auratischen Momenten Insofern deutet sich bereits an, dass auch im Kontext einer Ästhetik des Angenehmen ästhetische ‚Erlebnisse’ möglich sind. Die ‚Ästhetik des Angenehmen’ suggeriert ja ein wenig, dass den Leuten ein Freiraumbesuch zwar eine angenehme Abwechslung im Alltag ist, aber dass es sich dabei doch um ein sozusagen ‚kleines, beiläufiges Vergnügen’ handele, dass er nicht recht der Rede wert, kein ‚Erlebnis’ sei. Denn was sollte bei einem Spielplatz- oder alltäglichen Parkbesuch schon Erlebnischarakter haben? „Erlebnisse“, so Schulze (1992: 44), „werden nicht vom Subjekt empfangen, sondern von ihm gemacht. Was von außen kommt, wird erst durch Verarbeitung
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zum Erlebnis.“ Das ist ja auch der Grund, warum im Rahmen dieser Untersuchung nicht von ästhetischer Wirkungsanalyse gesprochen wird, sondern von Rezeptionsästhetik. Es kommt darauf an, wie der handelnde Mensch Gegenstände und Situationen wahrnimmt und verarbeitet, sie rezipiert. Eine begünstigende und wesentliche Voraussetzung, dass etwas zum ‚Erlebnis’ wird, ist die „Unwillkürlichkeit“ (ebenda: 46), die „Plötzlichkeit“ (Bohrer 1981) oder das „Ereignishafte“ (Mersch 2002) dieser Situation. Schulze schreibt dazu: „Durch Planung der äußeren Umstände können wir versuchen, die Unwillkürlichkeit von Ursprungserlebnissen zu unterlaufen. Wir haben unsere Erfahrungen mit uns selbst; wir glauben zu wissen, was uns gefällt und was uns abstößt. Trotzdem laufen Erlebnisse oft anders ab als geplant. Etwas Unerwartetes ergreift uns, während das erwartete Ergriffensein ausbleibt. Dies hängt zum einen mit der begrenzten Kontrollierbarkeit der Situation zusammen, zum anderen mit der Unvorhersehbarkeit des Subjektes selbst. Auch wenn man die Situation perfekt planen könnte, wüßte man doch nicht genau, in welcher Verfassung man auf sie treffen würde.“ (Schulze 1992: 46) Dem alltäglichen Park- oder Spielplatzbesuch fehlt in der Regel dieses ‚Unwillkürliche’, das ‚Ereignishafte’ und zugleich wohl auch die entsprechende Gestimmtheit auf Seiten des Besuchers. Es ist da zuviel Routine und Hintergrundserfüllung (Tenbruck 1972: 88; Gehlen 1975: 50) mit im Spiel. Es ist denn auch kein Wunder, dass Parkbesucher, nach ihren ‚Wunschaktivitäten’ befragt, das Statement ‚etwas erleben wollen’ relativ selten ankreuzen (Krause u.a. 1995: 311) und zwar umso weniger, je älter sie sind. Und dennoch ‚passiert’ es: „Da ist ein Platz in der Altstadt von Stockholm: der ist so was von gelebt. In der Mitte ein Brunnen, ein bisschen versetzt, unterschiedliche Gebäude drum herum, viele Bänke. Und die Leute genießen die Sonne. Die Stimmung ist einmalig. Jeden Abend habe ich mich da aufgehalten und den Tag ausklingen lassen. Habe die Leute beobachtet auf dem Weg nach Hause. So einen Platz habe ich noch nicht erlebt. Und die Farben: blaue bis braun-orangene Töne.“ „Im Frühjahr, da blüht die Scilla, dann ist das ein Meer von blaublühenden Pflanzen. Dann finde ich das wunderschön mit den Bäumen, den alten Grabsteinen, dem Licht. Es ist wunderschön. Das suche ich dann auch gezielt zu dieser Zeit auf.“ Mögen das Ausnahmeerlebnisse sein, so erstaunen zunächst doch die Antworten auf die folgende Frage: „Der Aufenthalt hier: würden Sie ihn heute Abend erwähnen, wenn jemand Sie fragen würde: was hast Du heute Schönes gemacht oder erlebt?“. Diese Frage wurde je nach Freiraumtyp von 30-80% mit einem klaren ‚ja’ beantwortet. Vermutet worden war, dass die Besucher mehrheitlich ihren Besuch eher unter die Rubrik ‚schön, aber nicht der Rede wert’ abhaken würden. Das scheint für den Besuch von Stadtplätzen und Spielplätzen auch mehrheitlich
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zu gelten, aber für den Besuch von Parkanlagen und Naherholungsgebieten offensichtlich ganz und gar nicht. Und auch jene, die diese Freiräume relativ häufig oder gar quasi alltäglich aufsuchen, halten ihren Aufenthalt dort immer noch für erwähnenswert als etwas Schönes, das sie heute erlebt hätten. Selbst der ganz ‚normale’ Parkaufenthalt mit allem, was man da sieht und tut, ist also ganz offensichtlich mehrheitlich bereits ein bewusst wahrgenommenes und wertgeschätztes und darum auch erwähnenswertes ‚ästhetisches Ereignis’. Das sagt vermutlich mehr über den sonstigen Alltag der Befragten aus, als über die ‚Erlebnistiefe’ des Parkbesuches. Aber im Alltag der meisten Städter scheint es nicht allzu viel zu geben, was man erzählen könnte, wenn man abends danach gefragt wird, was man heute ‚Schönes’ erlebt habe. Diese Erklärung bietet sich an, wenn man sich vor Augen führt, dass insbesondere ältere, aus dem Arbeitsleben bereits ausgeschiedene Menschen zu fast 80% den Parkbesuch ‚auf jeden Fall’ erwähnen würden, wohingegen bei den unter 30-Jährigen ‚nur’ jeder Dritte es tun würde. Es dürfte jedoch klar sein, dass es hier nicht um tiefer gehende Erlebnisse, um plötzliche Erkenntnisse oder ästhetische Offenbarungen geht, wie sie dem Kunsterleben noch immer zugeschrieben werden, und doch offenbart sich auch dem Freiraumbesucher bisweilen so etwas wie ‚Ruhe’, ‚Frieden’, ‚Schönheit’, ‚Natur’ oder das Ineins-Sein mit einem Augenblick, der bitte verweilen möge (vgl. hierzu Kap.1.2). In seinem berühmten Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ beschreibt Benjamin (1977; erstmals 1936) den Begriff Aura wie folgt: „An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft, das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen.“ Das ist in etwa das, was auch in einem Park - in glücklichsten Momenten - an ästhetischen Erlebnissen möglich ist, wobei es u.E. allerdings richtiger wäre, von der ‚Aura des Augenblicks’ zu sprechen. In einem solchen Augenblick spüren wir im Angesicht etwa eines Kindes, das im Sandkasten sitzend, ganz selbstvergessen sein Sandeimerchen füllt, ein ganz eigenartiges Gefühl, das sich so nicht wiederholen wird: Dasselbe Kind, in demselben Sandkasten, genauso beschäftigt, wird uns in einem anderen Moment nicht des geringsten Blickes würdig sein, auf gar keinen Fall in uns dasselbe auratische Gefühl auslösen. Und die Einmaligkeit des Augenblicks ist uns schon im Erleben gefühlsmäßig präsent und prägend für den Hauch von Wehmut, von Ferne und Nähe zugleich (Benjamin), der jedes auratische Erlebnis kennzeichnet. Das Auratische ist ‚unverfügbar’: nicht qua Gestaltung oder Kunst herstellbar, nicht gezielt abrufbar, nicht wiederholbar; schlichtweg unvorhersehbar: es ereignet sich, ein Geschenk des Augenblicks. Es bedarf freilich einer entsprechenden Bereitschaft, einer Gestimmtheit, ‚es’ geschehen zu lassen, eines Sich-Öffnens für die Erfahrung intensiver Präsenz, der puren Existenz eines Blattes oder einer Wolke gegenüber, ihres Da-Seins und Für-sich-Seins in diesem Augenblick (vgl. hierzu Hauskeller 1999). Man denke nur an die berühmte Stelle in Sartres ‚La Nausée’, wo der Ich-Erzähler Roquentin im Park im Anblick der Wurzeln eines
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Kastanienbaums eine Art ‚Offenbarung’ oder ‚Erleuchtung’ erlebt und sich ihm die Existenz (in seinem Falle) als das ‚Absurde’ offenbart (Sartre 1970: 135ff). Warum sollte ein solches oder ähnliches Erlebnis nicht abends erwähnenswert sein? Entsprechend belegen die verschiedenen Befragungen in bzw. in Bezug auf städtische Freiräume, dass Aufenthalte in Freiräume individuell durchaus von Belang sind und mehrheitlich als ‚angenehme Abwechslung im Alltag’ bewusst erlebt wird: „Das ist eine angenehme Abwechslung für mich, ein Erlebnis.“ „Im Gegensatz zur Arbeit ist das sehr angenehm für mich. Eine Abwechslung.“ „Nein, das ist schon ein Erlebnis für mich.“ Und auf die Frage, wie wichtig ihnen eigentlich im Rahmen ihres Alltags und ihrer Freizeit die städtischen Freiräume insgesamt seien, gaben nur 11% an, sie seien ihnen nicht so wichtig, aber ein Drittel von ihnen sagten, sie seien ihnen sehr wichtig und fast 60%, dass sie ihnen wichtig seien. Der Maslow-Effekt Vor diesem Hintergrund, dass auch der ‚normale’ Freiraumbesuch bereits im hohem Maße wertgeschätzt wird und man ihn meist erwähnen würde, wenn man abends danach gefragt werden würde, was man am jeweiligen Tag ‚Schönes’ erlebt hätte, stellt sich im Sinne Maslows (1954) die Frage, ob jene, die beim Parkbesuch ‚höherwertige’ Bedürfnisse, also etwa gar Besichtigungsinteressen verfolgen, sich über ihren Besuch auch tatsächlich noch ‚beglückter’ äußern als jene, die ‚nur’ zum Zeitvertreib, zur Abwechslung, zur Erholung in den Park kommen. Im Rahmen einer Befragung in den drei Herrenhäuser Gärten in Hannover wurden die Befragten deshalb entsprechend ihren Besuchsmotiven grob in zwei Gruppen eingeteilt: Einer ersten Gruppe wurden alle jene zugeordnet, die sich (zusätzlich zum allgemein verbreiteten Wunsch nach Entspannung und Erholung) speziell und dezidiert beim Parkbesuch für Sehenswürdigkeiten, für Gartenkunst und Gartengeschichte, für Botanik und Pflanzenverwendung interessierten und damit sozusagen höherwertige ästhetische Interessen verfolgten. Als Vergleichsgruppe bot sich jene Mehrheit der Parkbesucher an, für die diese Motive nur eine nachrangige oder gar keine Rolle spielten. Die ‚Normalbesucher’ also. Egal, mit welchem Interesse man den Park aufgesucht hatte, so richtig unzufrieden äußerte sich niemand. Aber in der statistischen Auswertung wird schnell der vermutete Zusammenhang zwischen ‚Wertigkeit’ des Motivs und Befriedigungswert erkennbar: Jene, die sich für den jeweiligen Park dezidiert interessierten, für seine Geschichte, seine Gestaltung und die Pflanzenverwendung, die ihn quasi besichtigten, äußerten sich zu 35% als ‚absolut zufrieden’ mit ihrem Aufenthalt, jene, die dem Park im Rahmen ihres Aufenthaltes nur beiläufige, ungezielte Beachtung schenkten, nur zu 12%. Nun könnte man argumentieren, dieses Ergebnis sei keine Frage der Wertigkeit des Besuchsmotivs (mit/ohne Besichti-
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gungsinteresse), sondern schlicht einfach eine Frage der Häufigkeit des Besuchs und eines damit zusammenhängenden Gewöhnungseffektes. Und in der Tat ist es so, dass die spezifisch am Park Interessierten ihn tendenziell seltener besuchen, ein beachtlicher Teil von ihnen am Befragungstag sogar zum ersten Mal. Klar, so könnte man argumentieren, dass sie ‚begeisterter’ sind, sehen sie doch was ‚Neues’, die anderen nur ‚Gewohntes’ bzw. ‚Vertrautes’. Tatsächlich zeigen die Daten, dass die Zufriedenheit mit dem Parkbesuch in den untersuchten Fällen zwar schon ein bisschen, aber nicht gravierend davon abhängt, ob man ihn sehr regelmäßig aufsucht, eher selten oder gar das erste Mal: Ein gewisser Zusammenhang ist erkennbar, aber mehr auch nicht. In keinem Fall erklärt er die genannten Unterschiede in punkto ‚absoluter Zufriedenheit’. Ein weiterer möglicher Einwand könnte sein, dass sich darin nicht so sehr der jeweilige Befriedigungswert unterschiedlicher Besuchsmotive wiederspiegelt, sondern der unterschiedliche Befriedigungswert der drei Parks. Die Besucherquote mit dezidierten Besichtigungsinteressen schwankt nämlich zwischen den drei Parks ganz erheblich, zwischen 16% (Georgengarten) und 42% (Großer Garten) und 36% im Berggarten. Könnte nicht der größere Befriedigungswert der Besichtigung gegenüber dem bloßen Aufenthalt darauf zurückzuführen sein, dass die Parks, in denen mehr besichtigt wird (Berggarten, Großer Garten), einfach schöner sind als der Georgengarten, der tendenziell nur zum Aufenthalt genutzt wird? In der entsprechenden Auswertung zeigen sich zwar gewisse parktypspezifische Einflüsse, aber entscheidend ist, dass in allen drei Parks dasselbe gilt: wer besichtigt, hat mehr davon! Auch sind die Unterschiede der Befriedigungswerte zwischen Besichtigung und bloßem Aufenthalt in allen drei Parks ähnlich drastisch. Es ist also einfach so: wer ein dezidiertes Interesse am Park hat, an Gartenkunst, Gartengeschichte, Botanik, Pflanzenverwendung, an Sehenswürdigkeiten, wer ihn besichtigt, der hat einfach ‚mehr’ von einem Parkbesuch. Umso mehr mag es erstaunen, dass doch auch immerhin 43% jener, die mit einem vermeintlich ‚minderwertigen’ Interesse (im Sinne Maslows) in den Park gegangen waren, nach eigenen Angaben, auch ‚sehr’ bzw. ‚absolut’ zufrieden waren, wenn auch bei jenen, die in den Park mit einem Besichtigungsinteresse gekommen waren, sich über 70% in dieser Weise äußerten. Wie kann aber ein so beliebiger, quasi alltäglicher Aufenthalt in einem Park, wo es ‚nur’ um frische Luft und ein bisschen Bewegung zu gehen scheint, noch fast jeden 2. Besucher so ‚beglücken’? Hier ist über das bereits Gesagte hinausgehend folgendes zu bedenken: diese Besucher mögen kein allzu dezidiertes und großes ästhetisches Interesse (mehr) am Park haben, aber das muss ja nicht zwangsläufig heißen, dass ihre Motive ausschließlich auf der ‚niederen’ Ebene physiologischer Bedürfnisse angesiedelt sind. Muss man denn das ‚Abschalten’ und ‚Abhängen’ in einem Park tatsächlich primär physiologisch interpretieren, oder könnte es nicht sein, dass der Wunsch,
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einmal zu entspannen, für sich zu sein, den Pflichten und Reaktionszwängen der Alltags- und Berufswelt zu entfliehen, ein Stück weit auch eine Art von Selbstverwirklichung ist? Könnte nicht Selbstverwirklichung auch einfach heißen, das zu tun, was man möchte, und sei es, einfach mal ‚nichts’ und die Muße zu genießen? Ist das, was seinerzeit Nohl (1980) in seiner emanzipatorischen Freiraumästhetik über den (potenziell) mimetischen Charakter von Freiräumen postulierte, Erklärung dafür, dass auch das besichtigungsfreie, verpflichtungslose quasi Nichtstun im Park, also der bloße Aufenthalt im Park, bereits Freude und Glück bedeuten, also höchst zufrieden stellend sein kann? Die Ergebnisse dieses Kapitels deuten darauf hin, dass es für viele Freiraumbesucher tatsächlich so ist. Die ‚Ästhetik des Angenehmen’, die ja immer ein bisschen ästhetische Anspruchslosigkeit und Beiläufigkeit signalisiert, nimmt dem Freiraum und dem Freiraumaufenthalt also absolut nichts an Wichtigkeit und seinem ästhetischen Befriedigungswert, wenn auch zuzugeben ist, dass Besucher mit höherer ästhetischer Kompetenz und Sensibilität noch mehr in der Lage sind, den Freiraumaufenthalt für sich zu einem ‚ästhetischen Erlebnis’ zu machen. Ein Frage des jeweiligen kulturellen Milieus des Besuchers?
2.5 Hochkultur im Grünen? Die These von der ‚Ästhetik des Angenehmen’ zur Umschreibung dessen, was die Bevölkerung von städtischen Freiräumen typischerweise ästhetisch erwarten würde, mag plausibel klingen, scheint aber recht pauschal. Und natürlich ist sofort zuzugeben, dass das, was bisher über das rezeptionsästhetische Verhalten in städtischen Freiräumen ausgeführt wurde, allenfalls als grober Rahmen angesehen werden darf, und natürlich stellt sich (gerade nach den Ergebnissen des vorherigen Kapitels) die Frage, ob es nicht auch viele Leute gibt, die städtische Freiräume ästhetisch deutlich anspruchsvoller erleben (wollen). Vielleicht sogar ‚hochkulturell’? Im Folgenden soll vor dem Hintergrund der Schulze’schen Milieutheorie (Schulze 1992) den Frage nachgegangen werden, inwieweit bzw. unter welchen Bedingungen der Freiraumaufenthalt auch ein hochkulturelles Vergnügen sein kann (vgl. Tessin 2006 b). Ästhetische Milieus In seiner empirisch angelegten Untersuchung zur Verbreitung von Freizeitstilen, Geschmacksvorstellungen, Musik- und Literaturvorlieben meint Schulze (1992) drei große ästhetische Orientierungen in der Bevölkerung ausmachen zu können, die er als „alltagsästhetische Schemata“ bezeichnet. Dabei unterscheidet er das Hochkulturschema, das Trivialschema und das Spannungsschema.
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Das Hochkulturschema (ebenda: 142ff) ist geprägt durch Vorlieben für klassische Musik, Museen und ‚gute’ Literatur. Der Erlebnismodus geht in Richtung Kontemplation, in Richtung Verinnerlichung und Vergeistigung. Für den Genuss ist nicht nur das ‚was’, der Inhalt, wichtig, sondern auch wesentlich das ‚wie’, also die Form. Hochkulturelles ästhetisches Erleben setzt Kenntnis und geistige Auseinandersetzung mit dem Erlebnisgegenstand voraus, es geht wesentlich auch um geistige Anregung und Erfahrung. Der Genuss stellt sich dabei bisweilen auch als eine Art Belohnung und Stolz ein, etwas verstanden, etwas genießen zu können, was nicht jedem Anderen gelingt. Insofern beinhaltet das Hochkulturschema auch ein starkes Abgrenzungsbedürfnis nach ‚unten’. Es herrscht, so Schulze, in den höheren, gebildeteren Schichten der Bevölkerung vor, wenn man so will: im (ehemaligen) Bildungsbürgertum. Das Trivialschema (ebenda: 150ff) ist das ästhetische Erlebnismuster der Bevölkerungsmehrheit. Schulze spricht von „vergnügungsorientierter Anspruchslosigkeit“: Die Trivialkultur ist etwas für’s Herz und Gemüt und hat deshalb bisweilen was mit Kitsch, Schnulze und Rührseligkeit, aber vor allem was mit Harmonie zu tun. Man träumt sich ein bisschen aus dem grauen Alltag heraus und will sich in diesem Genuss nicht groß anstrengen (weder körperlich noch geistig), sondern ausspannen, genießen, sich zerstreuen. Man sucht wohl Abwechslung, auch bisweilen das Sensationelle, aber alles Anspruchs- und Niveauvolle, schon gar alles Exzentrische oder Gekünstelte liegt diesem Erlebnismuster fern. Man will sich nicht gegenüber anderen Gruppen abgrenzen und unterscheiden, sondern findet seine ästhetische Selbstbestätigung in der Übereinstimmung mit der Mehrheitsmeinung. Das Spannungsschema ist, so Schulze (ebenda: 153ff), das Erlebnismuster insbesondere der jüngeren Leute; es dreht sich im Kern um Pop-Kultur in all ihren Spielarten, den verschiedenen Jugendszenen und Musikrichtungen. Es geht um möglichst viel Abwechslung und neue Reize, dabei auch um gezielte Abweichungen von den Normen und Standards der Trivial- und Hochkultur. Das Nichtoder gar Anti-Konventionelle reizt; Langeweile wird als ‚ätzend’ empfunden. Das Spannungsschema kultiviert die individuelle Selbstbestimmung. Man fügt sich nicht kulturellen Vorgaben und Erwartungen wie etwa im Hochkulturschema, das ja stark ‚klassisch’ kanonisiert ist. Das ästhetische Erlebnismuster zielt zugleich auf Unterhaltung wie auch auf Selbstverwirklichung. Auch wenn Schulze selbst davon spricht, dass die drei Grundorientierungen bei jedem Einzelnen „in allen möglichen Ausprägungskombinationen durcheinander gemischt sind“ (ebenda: 157), meint er dann doch, die Bevölkerung den drei ästhetischen Grundorientierungen zuordnen zu können wohl wissend, dass auch jeder ‚Hochkulturelle’ eine Stück ‚Trivialkultur’ in sich trägt und der Trivialkulturelle ein Stück ‚Hoch- oder auch Spannungskultur’. Schulze hat seine drei alltagsästhetischen Milieus sehr stark am Medienkonsum der Bevölkerung festgemacht: was für Fernsehprogramme schaut man sich
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an, was für Bücher und Illustrierte liest, welche Art von Musik hört man gern. Er hat aber auch noch viele weitere Aspekte des Freizeitverhaltens, u.a. auch freiraumbezogene Aktivitäten (ebenda: 598), berücksichtigt. Es zeigte sich jedoch, dass alle diese Freiraumaktivitäten mit wenigen Ausnahmen sozio-kulturell kaum distinktiv waren. Das Wandern, die Gartenarbeit, der Besuch von Stadtteilfesten waren Aktivitäten, die entweder in allen drei Gruppen ähnlich verbreitet waren oder in den einzelnen Milieus nur von so wenig Personen praktiziert wurden, dass sie nicht als ‚typisch’ und kennzeichnend für eine der drei ästhetischen Milieus angesehen werden konnten. Aber für das ästhetische Erleben von Freiräumen müsste es doch, so die Ausgangsthese, eigentlich anders sein. Denn dass die ästhetisch-kulturelle ‚Grundorientierung’ etwa eines Parkbesuchers keinerlei Bedeutung haben sollte für sein dortiges ästhetisches Erleben, wäre ja kaum einzusehen. Andererseits schien aber von vornherein auch klar zu sein, dass das ästhetische Erleben zugleich abhängig sein würde vom Erlebnisgegenstand, dem jeweiligen Freiraum und seiner ästhetischen Konventionalisierung in der Gesellschaft. Denn dass ein Angehöriger der Hochkultur einen Kinderspielplatz oder einen Hinterhof nicht oder nur sehr bedingt in einem ‚hochkulturellen Bezugsrahmen’ ästhetisch erleben würde, schien ebenso klar. Schulze hatte die Angehörigen des ‚Hochkulturschemas’ in erster Linie nicht durch Merkmale wie Einkommen, Bildung oder Alter von den anderen Bevölkerungsgruppen unterschieden (obwohl die natürlich schon eine wichtige Rolle spielen), sondern durch ihre Musikinteressen: ‚Hochkulturelle’, so Schulze (ebenda: 163), lieben bzw. hören in erster Linie ‚ernste Musik’ (Oper, Klassik) und grenzen sich stark ab gegenüber deutscher Volksmusik und deutschen Schlagern (Trivialkultur) und der Pop- und Rockmusik (Spannungskultur). Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit sich die ‚hochkulturell’ orientierten Besucher in ihrem ästhetischen Erleben vom ‚Rest’ der Besucher unterscheiden. Entsprechend wurden im Rahmen der Besucherbefragung in unterschiedlichen Freiraumtypen in Hannover (vgl. Kap. 2.1) auch nach den Musikvorlieben gefragt. Jene Befragten, die eine Vorliebe für klassische Musik bzw. für ‚gehobene Unterhaltungsmusik’ wie z.B. Jazz, Chansons, Fado, spirituelle Musik, Klezmer u.Ä. äußerten, wurden - mit einigen ‚methodischen Bauchschmerzen’ (aber doch weitgehend im Sinne von Schulze) - als eher ‚hochkulturell’ orientiert bezeichnet, wobei das Wort ‚eher’ sehr wichtig und im Weiteren stets im Auge zu behalten ist. freiraumtyp- oder milieuspezifische ästhetische Beurteilung? Die Besucher wurden zunächst danach gefragt, als wie ‚angenehm’ bzw. als wie ‚schön’ sie den jeweiligen Freiraum auf einer 6-stufigen Skala bewerten und benoten würden. Es wurden sowohl für die eher hochkulturellen als auch für die anderen Besucher die jeweiligen freiraumtypspezifischen Durchschnittsnoten errechnet, die insgesamt von ‚2+’ bis ‚3-’ reichten. Für beide Besuchergruppen ist der hübsche, staudenreiche Stadtpark mit der Durchschnittsnote 2+ das non plus
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ultra an Schönheit und Wohlgefühl. Das Naherholungsgebiet der Leineaue, die Spielplätze und Stadtplätze rangieren, deutlich abgeschlagen, in beiden Gruppen auf den Plätzen 4-6 (wenn auch in leicht unterschiedlicher Reihenfolge). Andererseits ergab sich für den Großen Garten bei den eher ‚hochkulturell’ orientierten Besuchern der Rangplatz zwei, in der anderen Gruppe der Platz drei. In beiden ästhetischen Milieus rangieren die ‚grünen’ Freiräume in punkto Schönheit klar vor den ‚gebauten’ urbanen Räumen (Stadt- und Spielplatz), wobei die Stadtplätze als ‚Tabellenletzte’ durchschnittlich mit der Note ‚3’ beurteilt wurden. Die jeweiligen Durchschnittsnoten in den beiden Besuchergruppen unterscheiden sich insgesamt nicht allzu sehr, in jedem Fall sind die Unterschiede nicht grundsätzlicher Natur. Es gibt keinen (hier untersuchten) Freiraum, wo die eine Besuchergruppe sozusagen jubelt und die andere enttäuscht ist. Generell scheint das freiraumtypspezifische ästhetische Differenzierungsvermögen speziell in punkto Schönheit bei den hochkulturellen Besuchern etwas stärker ausgeprägt zu sein, was recht gut zu ihrer ‚hochkulturellen’ ästhetischen Orientierung passen würde. Interessant ist jedoch, dass sie alle untersuchten Freiräume (mit Ausnahme der Stadtplätze) in punkto Schönheit durchschnittlich besser bewerteten als die übrigen Besucher (vgl. hierzu schon Schöppner 1984: 150). Sind die hochkulturellen Besucher durchwegs unkritischer oder gar anspruchsloser? Eher hätte man doch das Gegenteil erwartet. Wahrscheinlich greift hier jedoch ein anderer Aspekt. Schon vor Jahrzehnten hat Spitthöver (1980: 186ff) auf den Tatbestand hingewiesen, dass städtische Freiräume in der Mittel- und Oberschicht eine größere (ideelle) Wertschätzung genießen. Aufgrund dessen ist man vermutlich eher geneigt, einen Freiraum als angenehmer bzw. schöner zu bezeichnen als jemand, dem an Freiräumen nicht ganz so viel liegt. Man ist einfach eine Spur begeisterungsfähiger. Wie ja ohnehin die Bereitschaft und Fähigkeit, sich vor allem in Sachen Schönheit ästhetisch in besonderer Weise ‚beglücken’ zu lassen, ein Kennzeichen des hochkulturellen Milieus ist. Die Kehrseite ist aber dann auch eine größere Enttäuschung, wenn ein konkreter Freiraum dieser ideellen Wertschätzung nicht (ganz) gerecht wird, was den Sonderfall der Stadtplatzbenotung erklären würde, die bei den hochkulturellen Besuchern (entgegen dem sonstigen Trend) schlechter ausfällt als bei den anderen Besuchern: einerseits dürften Stadtplätze im bürgerlichen Milieu vielleicht doch noch etwas anspruchsvoller konnotiert sein (vielleicht gar noch als ‚Orte bürgerlicher Repräsentation’?), andererseits gehört zum hochkulturellen Schema ja auch ein starkes Distinktionsbedürfnis ‚nach unten’, und kein anderer Freiraumtyp ist heutzutage ja sozialkulturell so ‚heruntergekommen’ wie gerade solche x-beliebigen Stadtplätze, wie sie hier untersucht wurden, mit ihrer viel zitierten KioskKlientel. In Bezug auf den Großen Garten als Barockgarten war angenommen worden, dass sich hier zwischen den beiden Besuchergruppen relativ große Benotungsunterschiede ergeben würden. Tatsächlich wird der Große Garten denn auch von
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den Besuchern mit hochkulturellem Hintergrund als angenehmer und schöner eingestuft als von den sonstigen Besuchern, aber die Unterschiede sind doch nicht nennenswert auffälliger als etwa bei den Landschaftsparks, dem Stadtpark oder der Leineaue. Interessant ist jedoch die Tatsache (vgl. hierzu noch weiter unten), dass der Große Garten ganz überwiegend von eher ‚hochkulturell’ orientierten Personen besucht wird. Der Große Garten genießt zwar auch bei den sonstigen Besuchern sehr hohes ästhetisches Ansehen, nur folgt für sie daraus offenbar nicht wie bei den hochkulturell orientierten Besuchern (die es ihrer Milieuzugehörigkeit gewissermaßen ‚schuldig’ sind) ein gesteigerter, quasi internalisierter Besichtigungswunsch: Für sie tun es andere Parks und Gärten auch, die noch dazu besser erreichbar sind und keinen Eintritt kosten. hochkulturelle ästhetische Ansprüche: Fehlanzeige? Von einer freiraumübergreifend besonders hohen ästhetischen Anspruchshaltung der Besucher mit hochkulturellem Hintergrund kann in Bezug auf die hier untersuchten Freiräume nicht die Rede sein. Sie betonten lediglich (über alle Freiraumtypen hinweg) etwas mehr die Wichtigkeit von Gestaltung, Pflege und Sicherheit, während der Rest der jeweiligen Besucher über alle untersuchten Freiräume hinweg den Wohlfühlaspekt (gegenüber dem Schönheitsaspekt) etwas mehr herausstrich, was ja, so Schulze (1992: 150), recht gut zur „vergnügungsorientierten Anspruchslosigkeit“ dieser Gruppe passen würde. Aber diese und andere Unterschiede sind höchst gradueller Art. Auch die große Mehrheit der eher hochkulturell orientierten Besucher meinte etwa, dass ihr in Bezug auf den jeweiligen Freiraum das ‚Sich-Wohlfühlen’ wichtiger sei als eine besondere ‚Schönheit oder Eigenart’ des Freiraums. Lediglich im Großen Garten votierten sie mehrheitlich (60%) im Zweifelsfall für ‚Schönheit und Eigenart’, aber auch die anderen Besucher waren hier (wie nirgendwo sonst) zu immerhin 46% bereit, um des besonderen ästhetischen Erlebnisses Willen gegebenenfalls auf ein Stück Wohlbehagen zu verzichten. Die Besucher wurden auch danach gefragt, wie wichtig es ihnen im jeweiligen Freiraum sei, dass er zum einen ‚Anregung, Abwechslung, neue Eindrücke, Interessantes biete’, zum anderen ‚was ganz Eigenes, etwas Besonderes’ ausstrahle. Vermutet worden war, dass die hochkulturellen Besucher diesen beiden sozusagen ‚höheren’ ästhetischen Ansprüchen stets größte, in jedem Fall aber größere Wichtigkeit zuschreiben würden. Tatsächlich sieht es insofern nicht ganz danach aus, als die beiden hier ausgewählten ‚höheren’ ästhetischen Ansprüche in Bezug auf die untersuchten Freiräume zunächst einmal ganz generell keine allzu zentrale Rolle spielen - auch nicht in der Hochkultur-Gruppe. Die gruppen- und freiraumtypspezifischen Durchschnittswerte oszillieren insgesamt (mit Ausnahme wieder des Großen Gartens) also nicht zwischen ‚wichtig’ und ‚sehr wichtig’, sondern zwischen ‚eher wichtig’ und ‚eher unwichtig’, also in einem mittleren Bereich. Zudem spielen die beiden angesprochenen ‚gehobenen’ ästhetischen Ansprüche in beiden Besuchergruppen freiraumtypspezifisch eine recht unter-
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schiedliche Rolle. Dass man hier ‚neue Eindrücke gewinnt und Interessantes erlebt’, war etwa im Großen Garten 55%, in der Leineaue nur 20% der hochkulturellen Besucher ‚sehr wichtig’, und dass der Ort ‚etwas ganz Eigenes hat, was Besonderes ausstrahlt’, war im Großen Garten 80%, auf Spielplätzen nur 10% von ihnen ‚sehr wichtig’. Hochkulturelle Besucher differenzieren ihre ästhetischen Ansprüche dabei wiederum etwas freiraumtypspezifischer als die übrigen Besucher, aber nicht grundsätzlich anders. Es ist der Große Garten, der die Besucher jedweder Art zu ‚rezeptionsästhetischen Höchstleistungen’ animiert. Derartige gesellschaftlich als hochkulturell eingestufte Freiräume aktivieren also auch beim sonstigen Besucher gewisse Bestände an ästhetischer Aufmerksamkeit und hochkulturellem Respekt und eine (für ihn) relativ größere Bereitschaft (im Falle eines Falles), ein Stück weit auf das ‚Sich-Wohlfühlen’ zu verzichten. Andererseits erwecken nicht eindeutig als hochkulturell definierte Freiräume auch bei hochkulturell orientierten Besuchern keine ‚höheren’ Erwartungen. Sie reagieren auch nur dort stärker ‚hochkulturell’, wo es qua gesellschaftlicher Konventionalisierung sozusagen ‚passt’, was die Schlussfolgerung nahe legt, dass die Freiraumbesucher offenbar die ästhetischen Standards ihres jeweiligen kulturellen Milieus stark der jeweiligen Freiraumsituation anpassen, wenn nicht gar unterordnen. Vor Jahrzehnten hat bekanntlich R.G. Barker (1968) sein Konzept des Behavior Settings entwickelt. Ausgangspunkt seiner Theorie war die Beobachtung, dass mit der Veränderung von Orten oder Schauplätzen kindlicher Aktivitäten substanzielle Änderungen der Handlungsmuster verbunden sind: zwei Kinder an einem Schauplatz verhalten sich ähnlicher als ein und dasselbe Kind an zwei verschiedenen Standorten. Daraus leitete Barker seine These von der verhaltensregulierenden Wirkung sozialräumlicher Kontexte ab: ein Ort, an dem man sich befindet, erwartet qua gesellschaftlicher Übereinkunft ein bestimmtes, ihm ‚angemessenes’ Verhalten. Es liegt also die Schlussfolgerung nahe, dass das Barker’sche Konzept auch ein ganzes Stück weit für das ästhetische Freiraumerleben gilt, es also weniger milieuspezifisch, als vielmehr orts-, typ- und settinggemäß geprägt ist (vgl. hierzu ähnlich: Kerr, Tacon 1999). Freiräume nicht hochkulturell codiert? Die Ergebnisse der Untersuchung lassen insgesamt den Schluss zu, dass städtische Freiräume nur in Ausnahmefällen (Großer Garten) ansatzweise hochkulturell rezipiert werden (wollen). Die ästhetischen Bewertungen und Ansprüche sind zumindest in den hier untersuchten Aspekten zwischen Besuchern mit bzw. ohne hochkulturellem Hintergrund nicht grundsätzlich anders, und es werden im Regelfall kaum höhere oder gar höchste ästhetische, über das ‚Angenehme’ nennenswert hinausgehende, sozusagen hochkulturelle Ansprüche artikuliert. Es stellt sich also die Frage, wieso einerseits das ästhetische Behavior Setting städtischer Freiräume nicht ‚hochkultureller’ kodiert ist, andererseits hochkulturelle Besucher ihre milieuspezifischen ‚höheren’ (hochkulturellen) ästhetischen An-
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sprüche nicht mehr aktivieren und sei es, dass sie frustriert die ‚Ödheit’, ‚Langeweile’ oder ‚Banalität’ städtischer Freiräume der untersuchten Art kritisieren. Aber die Untersuchung brachte ja gerade im Gegenteil das Ergebnis, dass sie dieselben städtischen Freiräume oft eher positiver bewerten als die sonstigen Besucher. ‚Hochkultur im Grünen’ also Fehlanzeige? Das mag zum einen damit zusammenhängen, dass städtische Freiräume tatsächlich mehr mit ‚Natur’ als mit ‚Kunst’ assoziiert werden (kein Aspekt wurde milieu- und freiraumtypübergreifend als wichtiger angesehen als ‚Natur’ und ‚Grün’) und dass man sie zum anderen primär mit ‚Freizeit, Erholung und Entspannung’ in Verbindung bringt, was beides zunächst einmal nicht gerade für eine hochkulturelle Rezeption sprechen würde, in deren Mittelpunkt ja die geistige Anregung und gerade nicht Entspannung steht. Andererseits böte doch gerade diese Verbindung auch Chancen hochkultureller Beschäftigung. Denn anders als im Bereich städtischer Architektur, die „beiläufig“, sozusagen „in der Zerstreuung“ (Benjamin 1977: 41; vgl. auch Certeau 1988) erlebt wird, was hochkulturelle Rezeptionsweisen wie Kontemplation, Konzentration und Reflektion quasi ausschließt, könnten doch Freiräume, als ein Stück weit dem alltäglichen Getriebe entzogene Räume, sehr wohl anspruchsvoller rezipiert werden und wurden es doch auch einmal (etwa im 19. Jahrhundert). Aber wahrscheinlich erschwert heute die pure Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit zumindest der hier untersuchten Parks und Plätze eine hochkulturelle Rezeption, die sich heute fast nur noch in touristischer Perspektive einzustellen scheint (siehe weiter unten), also etwa beim (erstmaligen) Besuch eines besonderen, als ‚hochkulturell’ eingestuften Gartens, Parks oder Gartenfestes, oder (vielleicht) in der Konfrontation mit einer vom Gewohnten abweichenden Freiraumgestaltung. Beides wäre geistig anregend. Wenn also in der hier vorgestellten Untersuchung die rezeptionsästhetischen Unterschiede zwischen hochkulturell orientierten und sonstigen Besuchern nicht gar so gravierend sind, dann liegt es wohl auch daran, dass alle untersuchten Freiräume sich gestalterisch in einem mehr oder weniger gewohnten und hochgradig konventionalisierten breiten Geschmackskorridor bewegen: fast nichts ist für irgendwen ‚ganz schrecklich’, fast nichts provoziert eingefahrene Sehgewohnheiten. So bieten sich auch für an sich hochkulturell orientierte Besucher kaum Ansatzpunkte für eine anspruchsvollere, geistig anregende ästhetische Auseinandersetzung. Es kommt ein anderer Aspekt hinzu, der schon anklang: Zumindest Parks und Gärten waren in feudalen Zeiten ja einmal Statussymbole und Orte der Hochkultur, und wahrscheinlich ist es auch genau dieser Punkt, der heute die hochkulturelle Rezeption städtischer Freiräume erschwert bzw. auf bestimmte Orte (z.B. Großer Garten) beschränkt: Parks und Plätze sind heute (anders als z.T. noch Kunstausstellungen, Opernhäuser oder Konzertsäle) auch deshalb nicht (mehr) hochkulturell kodiert und werden auch deshalb nicht mehr hochkulturell rezipiert, weil diese Orte nicht mehr (anders als bis ins 19. Jahrhundert hinein) von den ‚oberen’ (oder bildungsbürgerlichen) Schichten zahlenmäßig dominiert und damit
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hochkulturell geprägt werden. Lediglich in gartentouristisch geprägten Anlagen wie dem Großen Garten haben sich letzte Spuren eines hochkulturelleren rezeptionsästhetischen ‚behavior settings’ erhalten, das durch den dort sehr hohen Anteil hochkultureller Besucher (siehe noch weiter unten) auch weiterhin gestützt und damit eingefordert wird. Aber in allen anderen städtischen Freiräumen würde allzu ostentatives hochkulturelles Verhalten (unter all den Besuchern, die joggen, grillen, Hunde ausführen, sich sonnen usf.) eher seltsam wirken, und auch für Hochkulturelle gilt ja meist als Handlungsmaxime: man ist vor allem unter Seinesgleichen ‚milieugetreu’: nur dort ist es erforderlich und nur dort zahlt es sich aus in gesellschaftlicher Anerkennung. Hochkultur nicht freiraumorientiert? Es muss auch das hochkulturelle Milieu selbst betrachtet werden. Ein ästhetisches Milieu besteht aus einem komplizierten System von Muss-, Soll- und Kann-Normen mit dazu gehörigen Sanktionsmaßnahmen für abweichende ästhetische Vorstellungen. Und es drängt sich ein bisschen der Verdacht auf, dass man sich als Angehöriger des hochkulturellen Milieus vielleicht in punkto Literatur oder Malerei, Medienkonsum, Musik anspruchsvoll zeigt und zeigen muss (nicht zufällig definiert Schulze ja seine Milieus über diese Aspekte), nicht aber so sehr in punkto Freiraum(ästhetik). Reichlich Kulturbildungsgut, niveauvolle Konversation, gepflegte Erscheinung, stilvolle Umgangsformen, kulinarische Sensibilität, überlegenes Auftreten, auch all das ist hochkulturelle Pflicht, Interesse an Gartenkunst dagegen nicht. Es wäre ja fast zu schön, um wahr zu sein, wenn sich das hochkulturelle Milieu wirklich über die „Ruinenästhetik altindustrieller Objekte“ gegenüber der Restbevölkerung kulturell zu profilieren und abzugrenzen versuchen würde, wie es - wenn auch in kritisch gemeinter Absicht - Kühne (2006: 43) anzudeuten scheint, oder über irgendeine andere Art von Freiraumästhetik. Aber Landschaftsarchitektur und Freiraumkultur liegen doch eher am Rande, im Kann-Bereich des Norm- und Wertsystems der Hochkultur, vor allem am Rande des hochkulturellen Distinktionsgeschehens. Dort kommen ja vor allem jene Aspekte zum Zuge, die sich zwecks Profilierung und Abgrenzung besonders eignen. Sie müssen also unmittelbar erkennbar (transparent), distinktiv genug und vor allem als solche konventionalisiert sein. Der Aufenthalt in städtischen Freiräumen ist in diesem Sinne nicht milieuspezifisch distinktiv genug (auch andere Gruppen halten sich dort auf), er ist daher auch in der Öffentlichkeit nicht (mehr) konventionalisiert als typisch-hochkulturelles Markenzeichen, und das eventuell durchaus hochkulturelle ästhetische Verhalten des Einzelnen im Freiraum ist zunächst einmal als nach innen gerichtetes Verhalten dem sozialen Umfeld nicht transparent, um als solches dann im Distinktionsgeschehen eine Rolle spielen zu können. Es müsste also gezeigt oder mitgeteilt werden. Und da reicht beim Besuch eines Theaters oder einer Kunstausstellung schon die Mitteilung, man sei da gewesen, um einen Anfangsverdacht auf Hochkultur zu begründen. Hochkulturelles ästhetisches Verhalten wird da gleichsam automatisch unterstellt, beim Parkbesuch leider nicht. Hier müsste im Gespräch der Anspruch
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auf hochkulturelle Würdigung erst umständlich erbracht werden. Kein Wunder, dass man im Distinktionsgeschehen mehr auf Indikatoren setzt, die ‚für sich’ sprechen und nicht erst in ihrer distinktiven Bedeutung erläutert oder gar nachgewiesen werden müssen. Es wäre auch nicht ganz klar, wie dieser Nachweis von Hochkultur im ästhetischen Erleben von Freiräumen zu erbringen wäre. Klar: es gelten auch hier dieselben hochkulturellen Grundprinzipien wie z.B. das Qualitäts- oder Materialbewusstsein oder das Kitschverbot. Aber aufgrund der hierüber nur ansatzweise geführten Gespräche und der hierüber nur ansatzweise vorhandenen Kenntnisse im hochkulturellen Milieu (das Feuilleton als ‚ästhetische Erziehungsanstalt’ der Hochkultur fällt ja in Sachen Freiraumästhetik weitgehend aus), ist nicht immer ganz klar, ab wann genau etwas hochkulturell peinlich oder aller Ehren wert ist. Und natürlich: es gilt auch im Freiraum das Distinktionsgebot, also ja nicht Dinge zu tun (etwa Minigolf) oder ästhetisch wertzuschätzen (etwa Jägerzäune) oder Orte aufzusuchen (etwa ‚Un-Orte’ oder Kleingärten), die eindeutig einem anderen kulturellen Milieu zugerechnet werden. Es gibt also auch in der Freiraumästhetik eine Vielzahl kleinerer und größerer kultureller ‚Erkennungszeichen’, aber es wäre einer gesonderten Untersuchung wert, ob und inwieweit diese Unterschiede auch in der Bevölkerung bekannt sind und distinktiv decodiert werden, die dem professionell damit befassten Landschaftsarchitekten ja nur deshalb so geläufig sind und relevant erscheinen, weil er es im Wesentlichen ist, der sie sucht und erkennt, ‚produziert’ und propagiert. Selbst wenn die Befragung bei Kühne (ebenda: 43) ergab, dass Angehörige des hochkulturellen Milieus mit jener „Ruinenästhetik altindustrieller Objekte“ mehr anfangen können als der Rest der Bevölkerung (was mit Sicherheit stimmt), würde dieser Tatbestand für sich genommen erst einmal noch nicht zu einem sozial wirksamen hochkulturellen Distinktionsmerkmal avancieren. Erst wenn ein Großteil der Bevölkerung, vor allem auch im hochkulturellen Milieu, von diesem Unterschied wüsste, sich des Unterschiedes bewusst wäre, und alle ihn auch als ‚typisch hochkulturell’ deuten und verstehen und ihn für signifikant und distinktiv genug halten würden, wäre das anders; d.h. hier müsste also erst noch (sei es milieuintern oder milieuübergreifend) ein gesellschaftlicher Konventionalisierungsprozess stattfinden. Wenig wahrscheinlich, dass dabei die „Ruinenästhetik altindustrieller Objekte“ (bei aller hochkulturellen Aufgeschlossenheit ihr gegenüber) mal zum ästhetischen Erkennungszeichen und Distinktionsmerkmal der Hochkultur oder irgendeines anderen Milieus werden könnte, wahrscheinlicher dagegen, dass sie ins Belieben des Einzelnen gestellt bleibt, d.h. als eine beliebige Geschmacksvorliebe konventionalisiert wird ohne jede Art von kulturell distinktiver Funktion und Konsequenz. Städtische Freiräume der untersuchten Art sind also (von Ausnahmen wie etwa dem Großen Garten in Hannover abgesehen) insgesamt nicht hochkulturell konnotiert, und das hochkulturelle Milieu selbst ist auch nicht allzu streng auf die
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Einhaltung hochkultureller Rezeptionspraktiken in Bezug auf Freiräume bedacht, weil es sich primär über andere kulturelle Praktiken definiert. Wahrscheinlich könnte man es sich sogar leisten, vom ‚ganzen Grüngedöns’ nicht allzu viel zu halten, ohne aus dem hochkulturellen Milieu exkommuniziert zu werden. Insoweit scheint man sich in städtischen Freiräumen tatsächlich auch ein Stück weit und wohl auch ganz gern von seinen hochkulturellen Pflichten zu entlasten. So ist es keine ‚Schande’, kein Verstoß gegen die Milieuehre, städtische Freiräume der untersuchten Art in erster Linie als bloß ‚angenehme Orte’, also ‚trivial’ erleben zu wollen. Jedenfalls sagten 60-75% der Befragten in den beiden Besuchergruppen, es sei ihnen ‚wichtig’ bzw. ‚sehr wichtig’, sich im jeweiligen Freiraum nicht einfach nur so, sondern in besonderer Weise wohl zu fühlen. Kein Wunder, dass der besonders hübsche, gefällige und vertraute Stadtpark selbst für die hochkulturellen Besucher (für die anderen sowieso) ein Höchstmaß an Gefallen und Beglückung auslöst, wenn auch die hochkulturellen Besucher den Park - sozusagen ‚standesgemäß’ - mehrheitlich lediglich unter ‚hübsch, gefällig und vertraut’ abhaken, während für die anderen Besucher der Park (gemessen an ihren milieuüblichen ästhetischen Wertmaßstäben) mehrheitlich schon etwas ‚Besonderes’ darstellt. Man erholt und entspannt sich, wie es scheint, allseits wunderbar, aber die einen ein bisschen oberhalb, die anderen ein bisschen unterhalb ihres ‚eigentlichen’ kulturellen Milieus. Besichtigungsverhalten als hochkulturelle Domäne? Es klang schon an, dass Angehörige des hochkulturellen Milieus unverhältnismäßig oft im Großen Garten der Herrenhäuser Gärten in Hannover sozusagen in besichtigender Weise angetroffen wurden: die weit überwiegende Mehrheit der Besucher des Barockgartens sind hochkulturell orientierte Leute. Lässt sich dieser Befund verallgemeinern, sind Angehörige des hochkulturellen Milieus typischerweise ‚Garten- und Parkbesichtiger’? Im Rahmen einer Bewohnerbefragung in Hannover zeigten sich tatsächlich recht signifikante Unterschiede: hochkulturell Orientierte besuchen im Vergleich zum ‚Rest der Bevölkerung’ deutlich häufiger Veranstaltungen in Parkanlagen, sie besichtigen im Urlaub oder am Wochenende signifikant häufiger gezielt Parks und Plätze in einer anderen Stadt und sie würden sich (nach eigenen Angaben) auch häufiger (um die 60% von ihnen) einen neuen, ganz modern gestalteten Stadtplatz in der eigenen Stadt anschauen, wenn sie davon erführen, während das in der ‚Restbevölkerung’ nur um die 20% tun würden. Hochkulturell Orientierte haben, wie es scheint, nicht nur in Bezug auf den Ausstellungs- und Konzertbesuch, sondern auch in Bezug auf Freiräume eine Art von (touristischem) Besichtigungsverhalten internalisiert. Zwar macht die Mehrheit der Befragten aus dem hochkulturellem Milieu all das eben Genannte ebenfalls nicht, aber der relative Anteil der Besichtigungsinteressierten liegt im hochkulturellem Milieu doch deutlich höher als beim Rest der Bevölkerung. Und im
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Kontext dieses umfänglicheren Besichtigungsverhaltens bezeichnen sich die Angehörigen des hochkulturellen Milieus auch ganz generell als an der Freiraumgestaltung interessierter, ästhetisch qualitätsbewusster, interessierter an Fauna und Flora, historisch sensibler usf.; d.h. wenn man die Leute (außerhalb von Freiräumen) nach ihrem Freiraumverhalten und Freiraumerleben fragt, dann beantworten Angehörige des hochkulturellen Milieus die entsprechenden Fragen wesentlich auch mit Blick auf ihr relativ ausgeprägteres Besichtigungsverhalten, das selbstverständlich ästhetisch sensibler ist als ihr alltägliches Freiraumverhalten (vgl. Kap. 2.3). Der Rest der Bevölkerung, der deutlich weniger besichtigungsinteressiert ist, beantwortet die Fragen im Kontext ihres mehr alltäglichen Freiraumverhaltens (das selbstverständlich nicht ganz so ästhetisch sensibel ist wie das Besichtigungsverhalten). So lassen sich dann die rezeptionsästhetischen Unterschiede zwischen dem hoch- und dem trivialkulturellem Milieu recht gut fassen: wenn die Angehörigen der beiden Milieus ‚besichtigen’ bzw. sich ‚alltäglich’ in einem Freiraum aufhalten, verhalten sie sich rezeptionsästhetisch, wie oben gezeigt, nur graduell unterschiedlich. Der zentrale Unterschied zwischen ihnen besteht jedoch in der Tatsache, dass das garten- und parkbezogene Besichtigungsverhalten, auch der Gartentourismus, im hochkulturellen Milieu eine sehr viel größere Verbreitung hat als im trivialkulturellen. Und nur dort, scheint es, aktivieren sie ihr hochkulturell geprägtes, sensibleres rezeptionsästhetisches Verhaltensrepertoire, das aber, wie beschrieben (vgl. Kap. 2.3), auch dort nicht allzu sehr interessiert ist an ‚Werkästhetik’ oder ‚Gartenkunst’.
2.6 Null Bock auf’s Angenehme? Die Schulze’sche Theorie der ästhetischen Milieus (Schulze 1992) hat implizit auch eine Altersdimension, insofern das von ihm unterschiedene ‚Spannungsschema’ vor allem in der jüngeren Bevölkerung verbreitet ist, während die beiden anderen ästhetischen Milieus mehr in der Erwachsenenwelt angesiedelt sind. Jugendliche erleben Freiräume anders Dass die Altersfrage gerade auch im Bereich des ästhetischen Freiraumerlebens relevant sein könnte, zeigen z.B. eigene Auswertungen einer Umfrage, die Krause u.a. (1995: 310f) in Hamburg unter Besuchern von Parkanlagen durchgeführt haben. Die Besucher wurden gefragt, welche Aktivitäten sie im jeweiligen Park gerne ausüben würden. Zwar gibt es so gut wie keine Aktivität im Park, die nicht in allen Altersgruppen irgendwie von irgendwem gewünscht und somit wohl auch ausgeübt werden würde, zwar gibt es auch Aspekte, die von allen Altersgruppen relativ gleichartig erwünscht sind (z.B. Leute kennen lernen, in Ruhe gelassen zu werden), aber die Altersgruppenanteile derjenigen, die die Natur ge-
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nießen, einen Spaziergang machen oder im Park etwas erleben bzw. Sport treiben wollen, differieren doch altersgruppenspezifisch recht erheblich, und es wäre vor diesem Hintergrund dann nahe liegend, dass daraus auch ein altersgruppenspezifisches rezeptionsästhetisches Verhalten resultiert. Dass diese Altersunterschiedlichkeit der erwünschten Freiraumverhaltensweisen in einem Park auch für die Ästhetik des Angenehmen von Bedeutung sein könnte, wird schnell an der altersgruppenspezifischen Auswertung zweier Fragen deutlich, die Besuchern in unterschiedlichen Freiraumtypen in Hannover gestellt wurden. Gefragt wurde einerseits, wie wichtig es ihnen im jeweiligen Freiraum sei, sich in besonderer Weise dort wohl zu fühlen, andererseits, ob sie abends von ihrem Freiraumaufenthalt berichteten würden, wenn sie gefragt werden würden, was sie denn heute ‚Schönes’ erlebt hätten. Es ergibt sich eine ziemlich klare Tendenz: je älter, desto wichtiger ist einem das ‚besondere Wohlgefühl’ im Freiraum und umso mehr (nicht zuletzt durch die Wahl eines entsprechenden Freiraumes) stellt sich auch dieses Erlebnis ein, das man dann auch abends für erwähnenswert hält. Es ist stets die Gruppe der Rentner, die sich im aufgesuchten Freiraum besonders wohl fühlen und Schönes erleben will. Es ist wahrscheinlich die Altersgruppe, die die Ästhetik des Angenehmen am meisten und intensivsten (vielleicht auch nur am konventionellsten) verinnerlicht hat. Dagegen scheint der Wunsch, sich im aufgesuchten Freiraum in besonderer Weise wohl fühlen zu wollen, bei den unter 20-jährigen deutlich weniger ausgeprägt und desgleichen die Neigung, ihren Freiraumaufenthalt als ‚etwas Schönes’ für unbedingt berichtenswert zu halten. Bei ihnen steht - ganz im Sinne des Schulze’schen Spannungsschemas - Spiel und Sport, etwas erleben wollen, im Vordergrund des Interesses. Tatsächlich scheint es zunächst einmal so, dass keine Bevölkerungsgruppe im Freiraumverhalten von der Ästhetik des Angenehmen weiter entfernt ist als gerade Jugendliche: man sieht sie ja auch an Orten, die zunächst alles Andere als angenehm wirken: an Straßenecken, Bushaltestellen, Bolzplätzen, Brachflächen. Sie skaten, spielen Fußball, ‚hängen rum’ und ‚machen Quatsch’: kein Vergleich zu dem, was ältere Menschen in städtischen Freiräumen so tun und lassen und was man gemeinhin mit dem Wort ‚angenehm’ assoziieren würde. In der Schulze’schen Typologie des alltagsästhetischen Verhaltens werden, wie schon erwähnt, Jugendliche oder junge Leute tendenziell dem ‚Spannungsschema’ zugeordnet. Sie lieben die Pop-Musik, die Pop-Kultur, vor allem aber sind sie, so Schulze, auf Spannung aus, auf ‚action’. Langeweile ist für sie ‚ätzend’, sie wollen etwas erleben. Spiel und Sport und damit die eigene Körperlichkeit stehen im Vordergrund ihrer Verhaltenspräferenzen, wohingegen kontemplative oder innerlich genießende Aktivitäten im Freiraum wie z.B. ‚Naturerleben’ (s.o.) noch keine so große Rolle spielen. Auch ein Spaziergang, klassische Bewegungsform älterer Freiraumbesucher, hat für sie nicht allzu viel Verlocken-
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des an sich, zu sehr ist es als Eltern- oder Rentneraktivität gebrandmarkt und von einem ‚körperlichen Ausleben’ kann dabei ja auch tatsächlich keine Rede sein. Es gibt verschiedenste Untersuchungen über Jugendliche in öffentlichen städtischen Freiräumen. Die freie Zeit, so heißt es da in einer Studie, „die Jugendliche im öffentlichen Raum verbringen, bezieht sich überwiegend auf Aktivitäten in den Bereichen von Geselligkeit, Konsum und Sport.“ (Wüstenrot Stiftung, Hg. 2003: 26) Und Bezug nehmend auf Untersuchungen von Opaschowski (2001: 311) heißt es da weiter, dass Jugendliche eindeutig die eher erlebnisorientierten Räume präferieren. „Unterdurchschnittliches Interesse haben die Jugendlichen an auf Erholung ausgerichteten Orten wie Stadtparks und Grünanlagen. Ausgebaute Fahrradweg- und Wanderwege sowie die gute Erreichbarkeit von Ausflugs- und Naherholungsgebieten sind den jungen Menschen ebenfalls weniger wichtig.“ (ebenda: 27) Wohnungsnahe Freiräume werden von ihnen dagegen eindeutig vorgezogen und damit Stadtplätze, Straßenräume, Spiel- und Bolzplätze. Von den Jugendlichen, die sich unten den in Hannover befragten Freiraumbesuchern befanden, wurden 42% denn auch auf Stadtplätzen angetroffen, 21% auf Kinderspielplätzen (häufig in Verbindung mit Bolzplätzen), auch 21% in Landschaftsparks, die sehr stark nutzungsgeprägt sind, aber in Schmuckanlagen wie dem Stadtpark oder gar im Großen Garten in Hannover-Herrenhausen wurden so gut wie keine Jugendlichen angetroffen. Die Freiraumpräferenzen von Jugendlichen gehen also tatsächlich mehr in Richtung ‚urbane’, nutzungszentrierte Freiräume. In jener Befragung stellten sich die Jugendlichen denn auch als jene Altersgruppe heraus, die im jeweiligen Freiraum am häufigsten ‚was Konkretes’ vorhatte: Freunde treffen, Fußball spielen, Lernen etc. Für sie kaum von Interesse: Erholung, Entspannung, Ausruhen, Ruhe. Für sie, die Jugendlichen, spielt etwa das Geschehen im Freiraum daher nicht nur eine größere Rolle als für die älteren Besucher, sondern auch in geradezu entgegen gesetzter Richtung. Bei ihnen geht die Kritik eher in Richtung ‚nichts los hier’, während bei den Älteren eher beklagt wird, dass ‚zuviel’ los, es zu ‚unruhig’ sei. Ein anderes Beispiel für das besondere rezeptionsästhetische Verhalten von Jugendlichen: auf die Frage, ob sie den Freiraum recht aufmerksam oder eher beiläufig wahrnehmen würden, bekundeten die älteren Besucher (in den jeweiligen Freiräumen) deutlich mehr ‚aufmerksames Interesse’ für den Freiraum als die jugendlichen Besucher. Ältere Freiraumbesucher haben im Freiraum gleichsam nichts Anderes zu tun, als sich ihrer Umgebung relativ aufmerksam bzw. ‚gelassen interessiert’ (vgl. Kap. 2.4) zu widmen, wohingegen die jugendlichen Besucher im Freiraum ja was vorhaben und sich mehr dem Sport, dem Spiel, der kommunikativen Interaktion mit anderen Jugendlichen widmen.
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Entsprechend suchen Jugendliche die jeweiligen Freiräume noch weniger als die Erwachsenen wegen deren besonderer Attraktivität auf, sondern wegen anderer Gründe z.B. günstiger Erreichbarkeit oder purer Gewohnheit. Entsprechend ist ihnen die Gestaltung, das konkrete Aussehen des jeweiligen Freiraumes deutlich weniger wichtig als den Älteren. Es bestätigt sich hier ein früherer Befund: „Die geringere Wertschätzung der wahrgenommenen Reize und Eindrücke von Seiten der jüngeren Parkbesucher liegt darin begründet, dass ihr Interesse am physisch-räumlichen Potential der Anlage recht gering ist (…).“ (Schöppner 1984: 149) Ganz eindeutig dominiert bei den Jugendlichen also das Interesse am eigenen Tun und Lassen, und entsprechend spielen bei ihnen (wenn überhaupt) dann auch weniger ästhetische als vielmehr funktionale Aspekte des Freiraumes eine relativ größere Rolle. Er muss geeignet sein für das, was sie vorhaben. Das kann sich auf bestimmte Ausstattungselemente beziehen (vgl. Schöppner 1984: 149f). Das kann aber auch ein Freiraum sein, der quasi nichts Besonderes bietet außer dem, dass er gut erreichbar oder nahe gelegen ist. Denn für das, was man da vorhat (z.B. ‚rumhängen’), bedarf es oft nicht allzu subtiler Gestaltungsmaßnahmen oder besonderer Ausstattungselemente. Eine Treppe oder ein Geländer ersetzt eine Sitzgelegenheit, herumliegende Flaschen, Steine werden zu Spiel- und Wurfgeräten. Häufig sind es auch andere Faktoren, die aus jugendlicher Sicht einen Freiraum attraktiv machen: ein Ort, wo man unbeobachtet und ungestört ist, wo man Andere ‚nerven’ kann, ein Ort, wo ‚was los’ ist oder wo ‚man eigentlich nicht hingeht’. Aspekten wie ‚Gepflegtheit’ und ‚Sicherheit’ messen Jugendliche deutlich weniger Bedeutung bei, während bekanntlich ältere Besucher hierauf gerade sehr großen Wert legen. Eine Ästhetik des Anti-Angenehmen? Die normalen, von den Jugendlichen aber offensichtlich besonders präferierten Stadt- und Spielplätze sind in der Regel nicht das, was man als Idealtypus eines ‚angenehmen Ortes’ bezeichnen könnte. Und die entsprechenden Untersuchungen (vgl. Kap. 2.1) wiesen diese beiden Freiraumtypen ja auch (zumal aus Sicht der Erwachsenen) als deutlich weniger angenehme Orte aus. Bedeutet nun die Präferenz Jugendlicher gerade für diese Art von Freiraumtypen, dass ihnen nichts an sog. angenehmen Orten liegt? Oder definieren sie sie nur anders als die Erwachsenen? Tatsächlich gab es etwas überraschender Weise keine allzu großen Verständigungsprobleme bei der Frage, inwieweit sie den jeweiligen Freiraum als einen ‚angenehmen Ort’ empfinden würden: 60% der unter 20-Jährigen, die auf ganz normalen Stadtteil- und Spielplätzen diesbezüglich befragt wurden, stuften den jeweiligen Ort als für sie ‚angenehm’ ein, wenn auch einige Zusatzbemerkungen von ihnen wie ‚echt super’ oder ‚ist okay hier’ ein bisschen zweifeln lassen, ob allen das Wesen des Angenehmen (im herkömmlichen Sinne) wirklich geläufig war. Unstrittig jedoch, dass ihnen der Aufenthalt am jeweiligen Ort gefiel und
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das kaum weniger als den älteren Besuchern. Und warum sollten nicht Jugendliche die Orte, an denen sie sich von allen ‚offiziellen’ Freiraumtypen am liebsten und häufigsten aufhalten, nicht als ‚angenehme Orte’ einstufen? Es gäbe Gründe genug: Es wurde schon dargelegt, dass Jugendlichen tendenziell weniger an ‚Gestaltung’ oder ‚Natur’ liegt. Sie sind auch offensichtlich nicht so erpicht darauf, sich in einem Freiraum nun in besonderer Weise wohl fühlen zu wollen. Es reicht ihnen ‚Nutzungstauglichkeit’, eine bestimmte Art des Geschehens. ‚Neue Eindrücke’ oder eine ‚besondere Eigenart’ des Ortes sind ihnen vergleichsweise egal. Insgesamt muss man sie - gemessen an den klassischen Kriterien der professionellen Ästhetik - also als ausgesprochen anspruchslos einstufen, was ja auch recht gut zum Klischee des ‚Banausentums’ von Jugendlichen passen würde: sie finden (aus welchen Motiven auch immer) oft das ‚toll’, ‚geil’ oder ‚cool’, was sich normalen Geschmacksvorstellungen der Erwachsenenwelt entzieht. Das Abweichende, auch das etwas Unordentliche (Offene und Freie) übt auf sie eine gewisse Faszination aus, in keinem Fall stößt es aber bei ihnen auf ähnlich große Vorbehalte wie bei den Erwachsenen. Und vielleicht ist das mit ein Grund dafür, warum sie ihre Hauptaufenthaltsorte (Stadt- und Spielplatz) auch durchaus als ‚okay’, ‚dufte’ oder ‚cool’ bezeichnen können. Aber der Begriff des ‚Angenehmen’ hat doch einen etwas anderen Bedeutungsgehalt und geht stark in Richtung ‚Wohlbehagen’ bzw. ‚Wohlfühlen’, eine Gefühlslage, die dieser Altersgruppe ja eher fremd ist. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass die jugendlichen bzw. jüngeren Befragten mit dem Anspruch, sich im Freiraum in besonderer Weise wohl fühlen zu wollen, relativ gesehen etwas weniger anfangen konnten als die älteren Besucher. Das ästhetisch-kulturelle Milieu von Jugendlichen, im weiteren Sinn des ‚Spannungsschemas’, ist ja ganz wesentlich durch eine Abgrenzung gegenüber dem hoch- und dem trivialkulturellen Schema der Erwachsenen gekennzeichnet, mit dem man (noch) nichts zu tun haben möchte. Und so liegt es nahe, Freiräume als ‚genau passend’ zu erleben, die nicht hoch- oder trivialkulturell konnotiert sind. Parks, Friedhöfe, Kleingärten, all das entspricht nicht dem Lebensgefühl von Jugendlichen. Stadtplätze (insbesondere der untersuchten Art), Straßenräume, Spielplätze sind dagegen weder hoch- noch trivialkulturell geprägt. Hier geht es weder um Kontemplation und geistige Anregung, noch um Gemütlichkeit und Geborgenheit, sondern um etwas Anderes. Hier tritt den Jugendlichen keine (weder hoch- noch trivialkulturell) geschlossene Erwachsenenwelt gegenüber, sondern eine schon eher ‚multikulturell’, wenn nicht gar schon ansatzweise ‚spannungskulturell’, durch Spiel und Bewegung geprägte Atmosphäre gegenüber, in der man sich als Jugendlicher durchaus gern aufhalten mag. Es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu: Der Ästhetik des Angenehmen liegt ja der Begriff des ‚locus amoenus’ zugrunde, der auch ganz wesentlich frei von Arbeit und Pflichten bedeutet. Dieses Moment der ‚Freiheit’, des ‚Verpflichtungslosen’ spielt bei Jugendlichen eine zentrale Rolle: sie wollen ‚ins Freie’,
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weg aus dem Elternhaus, weg aus der Schule, heraus aus der Bevormundung durch die Erwachsenen. Aber anders als die Erwachsenen, die sich im Freiraumaufenthalt ja auch von ihren Alltagslasten und -pflichten ein Stück weit entlasten und befreien (wollen), suchen Jugendliche nicht unbedingt Freiräume, in denen der ‚Alltag’ ästhetisch verdrängt wird, sondern gerade eher umgekehrt Orte, wo sie den Alltag - und sei es sozusagen ‚am Rande’ - (mit-) erleben (können). Es ist für sie offensichtlich reizvoll, gerade an Orten, wo die Erwachsenen ihrem Alltag und ihren Geschäften nachgehen, ihren ‚beschäftigungslosen’ Status, ihr (noch) Anders-Sein wie ein Privileg zu demonstrieren und zur Schau zu stellen, was im Park, wo auch die Erwachsenen quasi ‚frei’ sind, keinen Sinn machen würde. Auch deshalb die Präferenz Jugendlicher für städtische Freiräume im oder am Rande des Alltagsgeschehens der Erwachsenen. Anders als die Erwachsenen, die die schöne, grüne, heile Welt der gepflegten Parks und Gärten vorziehen, in denen sie das Alltägliche ein Stück weit zu verdrängen und zu vergessen suchen, ziehen Jugendliche gerade die nicht ganz so schöne, grüne oder heile Welt der Stadt- und Spielplätze, des Straßenraums, der Brachflächen vor, in der man mit dem Alltäglichen (und der Erwachsenenwelt) spielt und experimentiert. Es ist der Reiz der symbolischen Abgrenzung. Dieses Abgrenzungsmotiv manifestiert sich auch als eine Ästhetik des AntiAngenehmen, als Protest gegen die Ästhetik der Erwachsenenwelt insbesondere in ihrer ‚gemütlichen’ und ‚angenehmen’ Art. Das, was Erwachsene als ‚schön’, ‚angenehm’, ‚gepflegt’ usf. empfinden, bezeichnen (nicht unbedingt: empfinden) Jugendliche ja bisweilen als ‚spießig’, ‚ätzend’ oder ‚langweilig’. Und es ist sicherlich kein Wunder, dass Jugendliche einerseits mit eher naturnah gestalteten Freiräumen (Typ: Mauerpark Berlin) oder mit modernen, sehr cool und minimalistisch gestalteten Freiräumen (Typ: Tilla Durieux Park oder Invalidenpark in Berlin) sehr viel weniger ästhetische Probleme haben bzw. sie schneller akzeptieren als ein Großteil der Erwachsenen. Die beiden genannten Gestaltungs- und Stilrichtungen in der Landschaftsarchitektur konfligieren ja (wie noch zu zeigen sein wird, vgl. hierzu noch Kap. 3.3. und 3.4 ) ein bisschen mit der ‚Ästhetik des Angenehmen’ (der Erwachsenen), was für Jugendliche Anreiz genug ist, sich dieser Freiräume umso eher anzunehmen: sie können hier ihr ästhetisch-kulturelles (noch) Anderssein demonstrieren. Die Ästhetik der Jugendlichen (wie die des hochkulturell gestimmten Bildungsbürgertums, vgl. Kap. 2.5) ist in erster Linie eine ‚Abgrenzungsästhetik’, vielleicht auch eine Ästhetik der Ausgrenzung. Sie definiert sich im Gegensatz zur Unterhaltungs- und Zerstreuungskultur der breiten Masse der Bevölkerung, die es sich kulturell ‚angenehm’ und ‚gemütlich’ machen will. Sie ist antikonventionell und damit bezogen auf Freiräume nicht so unbedingt auf’s Angenehme aus, ja, bisweilen regelrecht auf’s Anti-Angenehme. Auch über diese ästhetisch-kulturelle Devianz erlangen Jugendliche ein Stück weit Distinktion, Identität und Status. Aber diese ‚ästhetische Devianz’ ist nicht durchgängig.
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Per definitionem: transitorisch Nichts kennzeichnet diese spezielle Ästhetik der Jugendlichen treffender als ihre höchst vergängliche Natur. Sobald sie, ein bisschen älter geworden, den ‚Ernst des Lebens’ kennen lernen in Beruf und Familie, wenn sie im Alltag selbständig und selbstverantwortlich geworden sind, verliert sich dieser angenehme Reiz des spielerischen Umgangs mit dem Erwachsenenalltag und des ‚antikonventionellen’ ästhetischen Spiels und man wechselt allmählich über ins Lager der Erwachsenen. Schon im jugendlichen Alter sind sie aber überhaupt nicht frei von den ästhetischen, auf das Angenehme fixierten Vorstellungen der Erwachsenen. Denn neben Adjektiven wie offen, abwechslungsreich, unruhig, cool, spannend, frei, langweilig, die man als typisch jugendlich werten könnte, tauchen doch auch viele einschlägige Adjektive auf wie schön, lauschig, gemütlich, idyllisch oder grün, wenn man Jugendliche bittet, den jeweiligen Freiraum mit eigenen Worten zu beschreiben. Und es hängt sehr stark von den konkreten Umständen, vor allem auch der Geschlechtszugehörigkeit des/r Jugendlichen, der augenblicklichen Stimmung, des jeweiligen Gruppenzusammenhanges ab, welches Stimmungs- und Begriffsrepertoire aktiviert wird. Man könnte sagen, dass die sozusagen klassische Art und Weise, wie man (später) als Erwachsener Freiräume ästhetisch erlebt, der landschaftlich-eskapistische Blick sozusagen, bereits da ist. Durch das Elternhaus, das Herkunftsmilieu, durch die schulische und berufliche Ausbildung wird der Jugendliche sozusagen vorbereitet für eines der beiden ästhetisch-kulturellen Erwachsenenmilieus, die zwar zunächst vielleicht noch mehr oder weniger abgelehnt werden, aber es ist klar, dass man als Jugendlicher einfach zu viel an Erwachsenenkultur mitbekommt, als dass man sich davon gänzlich frei machen könnte. Ja, die kulturelle Abgrenzung setzt die Kenntnis des Anderen voraus. Ein Beispiel: Die Besucher verschiedenster Freiräume in Hannover wurden auch danach gefragt, wie sie denn den Großen Garten in den Herrenhäuser Anlagen sehen würden. Vermutet worden war, dass Jugendliche, die man, wie gesagt, vor allem auf Stadt- und Spielplätzen antraf, diesen Parktyp sozusagen ‚in Grund und Boden’ verdammen würden, scheint er doch das ganze Gegenteil dessen zu verkörpern, was Jugendliche an Freiräumen an sich schätzen: Lebendigkeit, Alltäglichkeit, Freiheit usf.; tatsächlich schätzten die Jugendlichen den Großen Garten jedoch durchaus positiv ein, vor allem aber kaum anders als die älteren Befragten. Und jene Jugendlichen, die am Großen Garten was auszusetzen hatten, kritisierten ihn wiederum ganz ähnlich wie die älteren: die strenge, formale Gestaltung und auch die eingeschränkte Nutzbarkeit (nur Besichtigungsmöglichkeit) waren (wenn überhaupt) das, was Jugendliche wie Erwachsene in ganz ähnlicher Weise am Garten auszusetzen hatten. Nur in einem Punkt wich die Kritik der Jugendlichen von der der älteren Befragten deutlich ab: das ‚Publikum’. Es seien dort ‚zu viele alte Leute’, ‚zu viele Touristen’, alle seien ‚rausgeputzt’, und es gäbe dort ‚keine Jugendlichen’. Diese
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spezielle Kritik der Jugendlichen und die Tatsache, dass diese im Großen Garten tatsächlich auch kaum anzutreffen sind, lässt wohl den Schluss zu, dass Jugendliche den Großen Garten zwar im Prinzip durchaus wertschätzen (wenigstens kaum anders als die Erwachsenen), er ihnen aber sozusagen im derzeitigen Alter nicht aufsuchenswert erscheint, weil er kein ‚typischer’ oder ‚passender’ Ort für Jugendliche sei. Es fehlt, um die Kaplan’sche Begrifflichkeit aufzunehmen (Kaplan 1989: 193), noch an ‚compatibility’. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie, wenn sie selbst erwachsen geworden sind, den Großen Garten durchaus so frequentieren werden wie die jetzt schon Erwachsenen, denn dann hat sich ein zentraler Ablehnungsgrund sozusagen biografisch von selbst erledigt. Älter und erwachsen geworden, wird es sie dann nicht mehr stören (ähnlich wie die heutigen Erwachsenen nicht), dass dort kaum Jugendliche anzutreffen sind. Zur Attraktivität sog. ‚Unorte’ Nicht nur Jugendliche halten sich bekanntlich bisweilen an Orten auf, die man schwerlich als ‚angenehme’ bezeichnen würde und zwar nicht nur quasi zufällig oder notgedrungen, sondern ganz gezielt und bewusst. Es sind auch nicht nur zeitlich ganz kurze Aufenthalte, sozusagen ‚kleine Pausen’, sondern man hält sich da durchaus auch länger auf. Fragt man die jeweiligen Personen, warum sie sich gerade dieses Plätzchen ausgesucht haben, hört man natürlich die unterschiedlichsten Antworten. In erster Linie kommt aber der Hinweis auf die günstige Erreichbarkeit. Man wohnt ganz überwiegend in unmittelbarer Nähe. Der Ort selbst wirkt für Außenstehende eher ‚unangenehm’, z.B. zu laut, zu dreckig, zu unruhig oder zu abgelegen, und schon gar nicht wirkt er irgendwie ‚schön’. Die Nutzer dieser Freiräume sehen diese Aspekte verständlicherweise etwas anders. Für die Mehrheit von ihnen sind es durchaus eher angenehme Orte (vgl. Kap. 2.1), wenn sie sie auch nicht als ‚sehr’ angenehm bezeichnen. In punkto ‚Schönheit’ sind auch sie kritischer: mehrheitlich halten sie den jeweiligen (Un-) Ort für eher nicht schön. Aber das scheint für sie nicht von allzu großer Bedeutung zu sein. Denn sie rubrizieren ihn keinesfalls unter ‚hässlich’, sondern - je nachdem mehr unter ‚x-beliebig’ bzw. unter ‚ein bisschen anders’. Fragt man, was denn diesen Ort für sie reizvoll mache, dann kristallisieren sich neben der günstigen Erreichbarkeit vor allem soziale und Nutzungsaspekte heraus: hier sei man relativ ungestört, hier könne man das tun, was man vorhabe, hier treffe man Freunde und Bekannte, hier sei immer ein bisschen was los, hier gehe es ‚locker’ zu. Die in den ‚offiziellen’ Freiräumen so häufig genannten Aspekte wie ‚Natur’, ‚Pflege und Sauberkeit’, ‚Sicherheit’ spielen kaum eine Rolle und natürlich schon gar nicht der Aspekt ‚Gestaltung, Schönheit, Stil’. Auch die Ausstattung des Freiraumes scheint weniger bedeutsam, wenn auch bisweilen (verständlicherweise) auf das Fehlen bzw. Vorhandensein eines Kioskes hingewiesen wird. Viele der an diesen Orten Befragten waren in einer Gruppe oder Clique gekommen, relativ viele (etwa 20%) auch mit einem Hund unterwegs. Welchen Ort man auch immer aufgesucht hatte, einen großen Stellenwert hatte
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dabei der Wunsch, ‚ungestört’ zu bleiben, auch nicht ‚angemacht’ bzw. nicht ‚vertrieben’ werden zu wollen bzw. sich nicht ‚unerwünscht’ fühlen zu müssen. Nur die wenigsten von ihnen besuchen sog. ‚schöne’ Parkanlagen, Gärten oder Plätze häufiger; d.h. zum großen Teil sind es ‚Spezialisten’ für diese Art von ‚Unorten’ oder ‚Nischen’, die sie teils als ‚Notlösung’ ansehen, aber mehrheitlich doch als ‚ureigenste Wahl’. Der Ort scheint ihnen irgendwie angemessen. Viele sagen, er passe irgendwie zu ihnen, er hätte (sozusagen als ihr ‚Stammplatz’) was Persönliches und habe etwas mit ihnen zu tun (noch einmal der Hinweis auf das Kaplan’schen Kriterium der ‚compatibility’), was man in den offiziellen, gesellschaftlich konventionalisierten Aufenthaltsorten im Freien vielleicht weniger sagen würde, wo eben ‚alle’ hingehen. Tatsächlich verstehen sich viele Nutzer dieser Unorte als ‚Individualisten’, als ‚unkonventionell’, auch natürlich als ‚ausgegrenzt’ und deshalb der Wunsch oder die geringe Scheu, derartige (‚abweichende’) Orte aufzusuchen. In der Untersuchung wurden Besucher unterschiedlichster Freiräume ja auch danach gefragt, wie wichtig es ihnen sei, sich am jeweiligen Ort wohl zu fühlen (vgl. Kap. 2.1). Zunächst einmal gab nur knapp die Hälfte der ‚Unort-Besucher’ an, dass ihnen das (sehr) wichtig sei, eine Quote, die deutlich unter jener läge, die in den sozusagen offiziellen Freiräumen ermittelt wurde. Analysiert man aber die Klientel dieser Unorte genauer, stellt man fest, dass es zwei Gruppen gibt: die einen nutzen die Freiräume nur sehr kurz, gewissermaßen als ‚kleine Pause’, sie führen ihren Hund aus, warten auf Andere, rauchen eine Zigarette. Dieser (kleineren) Gruppe ist das (besondere) Wohlfühlgefühl tatsächlich nicht besonders wichtig. Die zweite Gruppe hält sich dagegen sehr viel länger am jeweiligen (Un-) Ort auf, ja, verbringt dort Stunden bzw. ganze Vor- oder Nachmittage. Bei ihr ist der Wohlfühl-Anspruch sehr viel ausgeprägter - fast, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, wie es für die Besucher ‚offizieller’ städtischer Freiräume typisch ist. Für einen nur kurzen Aufenthalt in einem Freiraum ist man also bereit, seinen Wohlfühlanspruch zu senken, will man sich länger aufhalten, nicht. Die ‚Ästhetik des Angenehmen’, die ja den Anspruch auf das Sich-Wohlfühlen ins Zentrum des Freiraumverhaltens und -erlebens stellt, erweist sich also selbst noch für diese sog. Unorte unter der Bedingung als zutreffend, dass man sich dort länger aufhalten möchte. Nur dass das Verständnis vom ‚Angenehmen’ unterschiedlich ausfällt.
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3. Kritik der professionellen Ästhetik
Die Untersuchungen in Kap.2 haben deutlich gemacht, dass die Bevölkerung mit den vorhandenen innerstädtischen Freiflächen weitgehend zufrieden ist. Sie, insbesondere die jeweiligen Besucher, empfinden die städtischen Freiräume mehrheitlich als ‚eher’, vor allem die städtischen Parkanlagen sogar als ‚sehr’ angenehme Orte, was vereinzelte Kritik an Müll und Hundekot, an Lärm usf. nicht ausschließt. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass das, was die kommunale Freiraumplanung bzw. die städtische Landschaftsarchitektur an Freiräumen produziert, dem Publikum ganz gut und teilweise sogar sehr gut gefällt. Dem ist auch weitgehend so. Aber dieser Eindruck täuscht insofern, als die bisher vorgestellten Untersuchungen sich auf traditionelle, z.T. auch sehr konventionell gestaltete städtische Freiräume bezogen, also auf ‚typische’ Stadtplätze oder geradezu ‚klassische’ Parks, die so oder so ähnlich z.T. schon seit gut hundert und mehr Jahren existieren und somit jedermann vertraut sind. Bisher nicht untersucht wurden dagegen städtische Freiräume, die erst relativ jüngeren Datums sind und gestalterisch auch ein bisschen bzw. sehr vom bisher jeweils Üblichen abweichen. Und es steht zu vermuten, dass diese Produkte ‚moderner Landschaftsarchitektur’ vielleicht nicht ganz so gut gefallen, die derzeitige professionelle Ästhetik in Teilen der Landschaftsarchitektur bzw. in deren Avantgarde doch erheblich abweicht vom Publikumsgeschmack bzw. der Laienästhetik, die hier ja mit dem Begriff der ‚Ästhetik des Angenehmen’ umschrieben wurde. Erste Hinweise auf eine solche mögliche Diskrepanz zwischen professioneller Ästhetik und Laiengeschmack lieferte beispielsweise schon die bereits kurz referierte Stadtplatz-Untersuchung (Tessin 2005a): da zeigte sich z.B., dass eine ‚grünbestimmte’ Platzgestaltung in der Bevölkerung im Prinzip ästhetisch als das ‚non plus ultra’ angesehen wird. Jeder zweite Befragte strich diesen Aspekt lobend heraus bei jenen Plätzen, die besonders gut ankamen, und jeder zweite Befragte forderte ‚mehr Grün’, wenn es zu einer Umgestaltung jener Plätze kommen würde, die am wenigsten gefallen hatten. Die in Architektenkreisen immer gern diskutierte Frage, wie ‚grün’ darf ein Stadtplatz sein (vgl. dazu schon Paetel 1970), lässt sich - zumindest in Bezug auf Quartiersplätze - ganz eindeutig beantworten: er kann für die weit überwiegende Mehrheit der Stadtbevölkerung gar nicht ‚grün’ genug sein, solange er ordentlich gepflegt, sicher und übersichtlich bleibt. und nie gingen die Wünsche in Richtung auf einen quasi ‚leeren’, gepflas-
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terten, ‚urbanen’ Stadtplatz, wie er oft in der professionellen Ästhetik propagiert wird. Neben der Grünbestimmtheit eines Platzes wurde von der befragten Bevölkerung am zweithäufigsten ein vielfältiges Nutzungsangebot (Spielgeräte, Sitzbänke etc.) für einen Platz gefordert gepaart mit dem Wunsch - zumindest auf den meisten der 29 untersuchten Stadtteilplätzen in Hannover - nach einer starken räumlichen Trennung der verschiedenen Nutzungsbereiche, weshalb solchermaßen funktionsgetrennte Stadtplätze in der Benotung auch gut ankamen. Auch hier muss man feststellen, dass die Präferenzen der Bevölkerung offenbar andere sind als die der ‚urbanistischen’ Planer, die ja häufig (mit Blick auf mediterrane Plätze und die Stadtplatzprogramme in Barcelona und Lyon) häufig genug ‚leere’ Plätze favorisieren, die weitgehend funktionsoffen und schon gar nicht funktionsgetrennt sind. Natürlich liegen (vor allem im Architekturbereich) zahlreiche Untersuchungen zur Differenz zwischen dem professionellen und dem Laiengeschmack vor. So fand etwa Groat (1982) heraus, dass Laien die Gebäude mehr nach dem Gefallen und dem Gebäudetyp beurteilten, wohingegen die Architekten mehr auf die Gestaltqualität, die Form und den Stil achteten. Nach einer Untersuchung von Devlin (1990) reagieren Laien auf Gebäude mehr emotional und verwenden mehr deskriptive Merkmale wie groß, hoch, grau etc., wohingegen die Fachleute mehr abstrakt und konzeptuell argumentieren. Gifford u.a. fassen ihre Untersuchungsergebnisse wie folgt zusammen: „Both groups strongly based their global assessments on elicited pleasure (and not on elicited arousal), but the two groups based their emotional assessments on almost entirely different sets of objective building features, which may help to explain why the aesthetic evaluations of architects and laypersons are virtually unrelated.” (Gifford u.a. 2000: 163) So gab es Gebäude, die von beiden Gruppen recht ähnlich beurteilt, aber auch welche, die ganz und gar unterschiedlich bewertet wurden kulminierend in der Meinung bezüglich des Gebäudes der Disney Headquarters, das von den Laien auf Platz 3 gesetzt wurde, von den Architekten auf den letzten, den 42.Platz. Die Architekten waren sich in ihrem jeweiligen Urteil überdies viel einiger als die Laien. Bei ihnen ließen sich deshalb auch signifikante Zusammenhänge zwischen bestimmten Gebäudemerkmalen und ihrem Urteil erkennen, wohingegen das bei den Laien nicht der Fall war: „The laypersons derived their pleasure from none of the 25 building cues that were examined in this study.“ (ebenda: 181) Angesichts dieser zahlreichen Hinweise liegt es also nahe (nun allerdings im Bereich der städtischen Landschaftsarchitektur), nach weiteren solchen und ähnlichen Diskrepanzen zwischen professioneller Ästhetik und dem Laiengeschmack Ausschau zu halten. Das soll im Folgenden geschehen, wobei zunächst auf einer mehr theoretischen Ebene versucht werden soll, diese Diskrepanz mit Hinweis auf die mehr ‚werkästhetische’ Orientierung von (Landschafts-) Architekten zu erklären.
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3.1 Zwischen Werk- und Rezeptionsästhetik Die Ästhetik-Disziplin durchzieht bekanntlich die grundlegende Kontroverse (vgl. hierzu Allesch 1987), ob man die Ästhetik als eine vom Subjekt oder vom Objekt her zu entwickelnde Disziplin verstehen soll. Ist das Ästhetische eine Eigenschaft des Objektes, oder, wovon hier ausgegangen wird, entsteht es erst in der Vorstellungswelt der Person, die das Objekt wahrnimmt? Entsprechend diesen Grundpositionen (vgl. hierzu schon: Tessin 2006a) haben sich in der Ästhetik drei Arbeitsrichtungen entwickelt: Die Produktions-, die Werk- und die Rezeptionsästhetik, wobei die Werkästhetik jene Richtung ist, die den ‚objektivistischen Ansatz’ am weitesten treibt. Sie lässt (idealtypisch betrachtet) nur das Objekt, in der Regel das Kunstwerk, gelten und beschäftigt sich mit seinen Eigenschaften, seinen Strukturmerkmalen und Gestaltungsprinzipien, der Materialverwendung usf. auch im Vergleich zu anderen (z.B. früheren) Kunstwerken, weshalb die Einordnung des jeweiligen Werkes in eine bestimmte ‚Richtung’ oder ‚Epoche’ ganz wesentlich zu diesem werkästhetischen Ansatz gehört. Die Frage, was der Künstler sich dabei wohl gedacht haben mag, wie sich das Werk aus dessen Biografie und jeweiligen Lebensumständen ableiten und erklären lässt, interessiert die Werkästhetik eher nicht. Dieser Aspekt ist dagegen zentrales Anliegen des sog. produktionsästhetischen Ansatzes. Hier sucht man die Entstehung des Kunstwerkes zu analysieren und bestimmte Merkmale biografisch oder zeitgeschichtlich, soziologisch oder psychologisch zu erklären in der Hoffnung, damit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Werks zu erbringen, wohingegen die Vertreter des ‚objektivistischen Ansatzes’ der Werkästhetik dies eher in Abrede stellen: es sei für das Verständnis der Werke Kafkas, insbesondere aber für deren Bewertung schlichtweg unerheblich, ja, irreführend, es auf bestimmte Vater-Sohn-Komplexe oder die Lebensbedingungen von Juden in Prag zurückzuführen. Das Kunstwerk, so es eines sei, löse sich von der Person des Künstlers und seinen Absichten und Lebensumständen und müsse daher ‚aus sich heraus’ (und immer wieder neu) verstanden und in seinem Wert bestimmt werden. Der dritte, rezeptionsästhetische Ansatz seinerseits zielt, wie inzwischen deutlich geworden sein dürfte, in eine andere Richtung. Hier interessiert in erster Linie, wie das Kunstwerk vom Publikum wahrgenommen wird, wie es ‚gefällt’, welche Wirkung es im Publikum hat. Zur Rezeptions- oder Wirkungsästhetik gehört dabei natürlich u.a. auch die Frage, was und welche (‚objektiven’) Merkmale am Kunstwerk dem Publikum (‚subjektiv’) auf- und gegebenenfalls auch gefallen. Will man die Unterschiede zwischen den drei Richtungen auf den Punkt bringen, so könnte man also sagen: die Produktionsästhetik untersucht das Kunstwerk aus Sicht des ‚produzierenden’ Künstlers, die Werkästhetik aus Sicht der Kunst,
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die Rezeptionsästhetik ‚aus Sicht des Publikums’. Es dürfte klar sein, dass sich diese drei Ansätze nicht ausschließen, sondern wunderbar ergänzen. Diese Komplementarität schließt freilich ganz grundsätzliche Debatten zwischen den drei Ästhetik-Ansätzen nicht aus. So beklagt die ‚objektivistische’ Werkästhetik regelmäßig den ‚Relativismus’ und ‚Subjektivismus’ der Rezeptionsästhetik, insofern dort das Kunstwerk sich aufzulösen drohe in ein breites Spektrum subjektiver, fast beliebiger Wahrnehmungen des Publikums. Es gäbe hier, so der Vorwurf, keinen ‚objektiven Wert’ des Kunstwerkes, sondern nur jeweils ganz unterschiedliche, in gleicher Weise gültige Wertschätzungen von noch dazu kunstwissenschaftlich meist ungebildeten Personen. In jedem Fall wäre der rezeptionsästhetische Ansatz nicht in der Lage, den ‚wahren’ Wert eines Kunstwerkes zu bestimmen - und darum ginge es ja schließlich in der Ästhetik. Die Vertreter des rezeptionsästhetischen Ansatzes bestreiten das mit dem ‚wahren Wert’ des Kunstwerks auch gar nicht, denn ihnen geht es tatsächlich allein darum herauszufinden, wie dem Publikum das Werk gefällt, welche ästhetische Wirkung es auf das Publikum ausübt und nicht um seine kunstwissenschaftliche Einordnung und Bewertung. So könnte man sich also eigentlich recht friedlich arrangieren. Latent enthält aber diese an sich plausible Arbeitsteilung doch einen gewissen Sprengsatz insbesondere zwischen dem werk- und dem rezeptionsästhetischen Ansatz insofern als das, was die Werkästhetik aus Sicht der Kunst als wertvoll deklariert, dem Publikum durchaus nicht auch gefallen muss. Und andererseits kann es sein bzw. ist es eher die Regel, dass etwas dem Publikum gefällt, was (aus Sicht der Werkästhetik) ohne jeglichen Wert ist, womit gerade auch ‚anspruchsvolle’ Architekten ihre Probleme haben: „Engagierte Architekten sind ebenso wie engagierte Kritiker in der Regel nicht zur desillusionierenden Position des Analytikers bereit, nämlich dazu, die Divergenz zwischen den (..) Postulaten einerseits und der Auslösbarkeit der ästhetischen Begeisterung durch Objekte ‚minderer’ ästhetischer Qualität andererseits als Dilemma anzuerkennen und damit weiter hinzunehmen, dass bestimmte ästhetische Qualitäten beziehungsweise bestimmte ästhetische Werte - ebenso wie bestimmte ethische Werte - nicht allgemein verbindlich demonstrierbar, das heißt beweisbar, sind.“ (Meyer 2003) Und latent ist damit die Frage aufgeworfen, was denn letztlich eigentlich wichtiger sei: die Qualität eines Werkes als Kunstwerk oder seine Resonanz im Publikum. Und während die Werkästhetiker befürchten, dass der rezeptionsästhetische Ansatz latent die Qualitätsmaßstäbe von Kunst auf ‚Hollywoodniveau’ absenke und das ‚Diktat der Einschaltquoten und des Banausentums’ und die Herrschaft des ‚schlechten Geschmacks’ (vgl. Illing 2006) fürchtet (in Bezug auf die Landschaftsarchitektur z.B. Weilacher 2005a), machen sich die Rezeptionsästhetiker ein bisschen lustig über die ‚hehren’ Qualitätsmerkmale der Werkästhetiker, die Werke künstlerisch-ästhetisch wertschätzen, die aber am Geschmack des Publikums gänzlich vorbei gehen und die dabei Qualitätsmerkmale verwen-
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den, die für die ästhetische Wirkung (auf das Publikum), da u.U. nicht einmal wahrgenommen, keinerlei Bedeutung haben. Wenn ein Kunstexperte an einem Kunstwerk einen bisher nie gekannten Farbton oder Akkord erkennt, in einem Musikstück eine ganz bestimmte Abfolge von Variationen eines Themas nachweist und er an Franz Schubert die NichtEinhaltung der klassischen Sonatenform einerseits rügt, andererseits ihn aber auch als ‚innovativ’ und ‚vor-modern’ rühmt, dann hat er sicherlich - empirisch überprüfbar - ‚recht’. Aber was genau ist damit über den Wert des Kunstwerks ausgesagt? Im Rahmen des kunstwissenschaftlichen (werkästhetischen) Diskurses dürften das durchaus relevante Erkenntnisse und Indikatoren für die künstlerische Qualität des Werkes sein. Aber gelten dieselben Erkenntnis- und Relevanzregeln auch außerhalb dieser (relativ kleinen) ‚werkästhetischen Szene’? Und was macht diese Erkenntnisse gar ‚höherwertig’ gegenüber jenen Empfindungen und Wertschätzungen der Laien? Sicherlich: sie sind kenntnisreicher und nicht ‚bloß subjektiv’, sondern ein ganzes Stück weit intersubjektiv überprüfbar, entsprechen also quasi wissenschaftlichen Standards. Aber messen sie wirklich das, was sie vorgeben zu tun: die künstlerische Qualität und Substanz? Oder handelt es sich dabei nur um eine Art von pseudowissenschaftlicher ‚Verlegenheitslösung’, auf die man sich innerhalb der Kunst- und Geisteswissenschaften ‚geeinigt’ hat, um jenem Subjektivitätsvorwurf zu entkommen, den man selbst gegenüber dem rezeptionsästhetischen Ansatz und der Laienästhetik erhebt? Normativ oder empirisch? Wenn eingangs gesagt wurde, die Ästhetik sei gekennzeichnet durch den Konflikt zwischen einem objektivistischen und einem subjektivistischen Ansatz, so ist darin auch der Grundkonflikt eingeschlossen, die Ästhetik entweder als normative oder als empirische Wissenschaft zu konstituieren. Der objektivistische Ansatz der Werkästhetik ist normativ angelegt, der subjektivistische Ansatz der Rezeptionsästhetik empirisch. Die Werkästhetik misst das Werk an bestimmten Wertmaßstäben, wie sie innerhalb der Kunstwissenschaft und der Kunstkritik entwickelt wurden, wie etwa an der Neuheit, der Authenzität, Materialwahl, Komplexität, Wahrhaftigkeit, am Umgang mit Regeln, am Zeitbezug etc. Sie fällt also vor allem Qualitätsurteile. Auch in diesem (normativen) Kontext kommt es natürlich noch zu unterschiedlichen Beurteilungen: ob etwas als ‚neu’ bzw. als ‚wirklich neu’ zu bewerten ist, kann ja durchaus eine Ermessensentscheidung sein, aber die streitenden Kritiker sind sich doch immerhin darin einig, dass die Frage des ‚Neuen’ ein relevantes Qualitäts-Kriterium von Kunst ist und auch darin, dass man ein ganzes Stück weit die Frage der ‚Originalität’ oder ähnlicher Kriterien argumentativ klären kann, wohingegen das reine, subjektive Geschmacksurteil sich einer solchen Argumentation weitgehend entzieht und sei es mit dem Hinweis, dass einem das Werk trotzdem oder gerade deshalb gefiele oder das Argument für das eigene Geschmacksurteil einfach irrelevant sei.
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Die Rezeptionsästhetik geht, wie gezeigt, nicht normativ vor, überprüft also bei einem Kunstwerk nicht das Erreichen eines normativ festgelegten Kunst- und Qualitätsanspruches, sondern untersucht schlicht empirisch die Beurteilungen und die ihnen zugrunde liegenden Beurteilungsmaßstäbe beim Publikum und dies nicht zuletzt auch mit Blick auf die Tatsache, dass die Werkästhetik und die ihr zugrundeliegenden Kunst- oder Schönheitswertmaßstäbe mit dem Aufkommen der Moderne immer fragwürdiger geworden sind. Groys (2001) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Figur der Kunstkritik (in etwa gleichzusetzen mit dem hier verwendeten Begriff der ‚Werkästhetik’) bzw. des Kunstkritikers im Grunde überholt sei. Der war, so Groys, in der europäischen Tradition die lebendige Verkörperung des ‚richtigen’, eines humanistischen, allgemeingültigen, gleichsam verbindlichen Geschmacks, der Gralshüter der Kunst und ihrer Maßstäbe. Der Kritiker konnte im Namen dieses Geschmacks bzw. ‚der Kunst’ reden und das Werk beurteilen, ob es diesem Geschmack, dem ‚state of the art’, entsprach oder nicht. Tatsächlich jedoch könne man heute, so Groys, unter den Bedingungen des Multikulturalismus nicht mehr an so etwas wie einen einheitlichen Geschmack oder ein einheitliches Verständnis von Kunst glauben. Auch funktioniere die moderne Kunst selbst längst jenseits des ‚guten’ bzw. ‚richtigen’ Geschmacks. Alle klassischen Ansprüche und Wertmaßstäbe an das, was Kunst sei, seien von der Kunst selbst unterlaufen und nach dem Motto ‚anything goes’ annulliert worden. Es handele sich dabei um eine grundsätzliche Um- und Entwertungslogik, die die Kunst gleichsam jedem Geschmack, jeder Regel entziehe, ja, bisweilen will sie selbst gar nicht mehr ‚Kunst’ sein. Angesichts einer solchen Entwicklung wird klar, wie prekär die Werkästhetik und das sie einstmals auszeichnende künstlerische Qualitätsurteil geworden ist. Heute sei ‚Kunst’ nur noch einfach das, so ein hilflos-tautologischer Definitionsversuch, was ‚Künstler’ machen. Deshalb laufe heute, so Groys, die ‚alte’ Kunstkritik auf eine bloß noch mehr oder weniger gekonnte Kunstkommentierung hinaus. Der Kunstkritiker kann nicht mehr beanspruchen, ‚im Namen der Kunst’ zu urteilen. So verlegt er sich auf die Verständlichmachung des Kunstwerkes (vgl. zum Beispiel im Bereich der Landschaftsarchitektur: Krebs 2002) und (da allgemein akzeptierter Kunstkriterien weitgehend beraubt) gerät ihm das in der Regel zu einer Art von Stil- und Künstlerpromotion (vgl. wieder mit Blick auf die Landschaftsarchitektur z.B. Weilacher 1999 und 2005b). Würde der Werkästhetiker nun doch kritisieren wollen, ginge es auch bei ihm nur um höchst subjektive Qualitäts- und Geschmacksurteile, die er mit Rückgriff auf das künstlerisch früher mal zwar einschlägige, aber heute bestenfalls nur noch für ihn relevante Vokabular (‚fortschrittlich’, ‚innovativ’, ‚kritisch’, ‚ehrlich’ etc.) notdürftig bemänteln könnte, aber jeder würde erkennen, dass er nur für sich selbst spricht bzw. für ein ganz bestimmtes ästhetisches Milieu.
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In Demand’s Buch, „Die Beschämung der Philister - Wie die Kunst sich der Kritik entledigte“ (2003), wird dieses Dilemma der Werkästhetik bis zur Peinlichkeit vorgeführt und gezeigt, wie sich die Kunstkritik bzw. der einzelne Kunstkritiker zunehmend als Diener(in) bzw. Propagandist(in) der von ihr bzw. ihm gerade angesagten Avantgardisten versteht. Und in einer bisweilen nebulösen Sprache werden die neuesten Botschaften aus den Weihestätten der Kunst verkündet, die gerade in ihrer Unverständlichkeit den Sinn haben, nicht nur die Ungläubigen als Philister und Ungläubige zu entlarven und zu beschämen (das wäre als ‚bloß arrogant’ leicht zu verschmerzen), sondern den objektiv gegebenen Verlust einsichtiger und gültiger Wertmaßstäbe der Kunst zu kaschieren. Außer vielleicht dem ‚Neuen’ (Groys 1999) ist heute fast kein Qualitätsmerkmal von Kunst mehr unbestritten, und selbst das ‚Neue’ ist eigentlich weniger ein Merkmal von Kunst, als vielmehr ein Kennzeichen der Funktionsweise der heutigen Kunst- und Kulturökonomie. Von der Hoch- zur Pop- oder Massenkultur und zurück? Dieser Entnormativierungsprozess in der ‚hehren’ Kunst ist natürlich auf das Engste verknüpft mit dem Prozess der Entstehung und Ausbreitung der Popkultur, d.h. der populären Kunst: „Für viele ist Pop die neue Hochkultur unserer Epoche; alle Phänomene, alle Ereignisse folgen ihrem Muster.“ (Assheuer 2005) Die Popkultur versteht sich als das große Finale, das die schweren Sinnzeichen der Kultur in leichte und ungefährliche verwandelt. Humanistische Bildungsideale sind passé. Pop ist Massenkultur (vgl. hierzu Maase 2001), eine Kultur des Marktes. Popkultur, das ist eine Entscheidung gegen das Tragische und Erhabene, gegen die pathetische Tiefe und den tödlichen Ernst der ‚alten’ Kunst. Ihr Grundansatz ist, die Unterscheidung zwischen Subkultur und Hochkultur, Massen- und Elitekultur, U- und E-Kultur aufzuheben, und zwar nicht, indem man die hochkulturellen Errungenschaften popularisiert und damit auf die Ebene der Massenkultur absenkt, sondern die Massenkultur zum Gegenstand einer ‚künstlerischen’ Aufwertung macht, sie also gewissermaßen ‚anhebt’, indem man sie professionalisiert und perfektioniert. Das war auch möglich und notwendig insofern, als die Bevölkerung, also die sog. ‚Massen’, in den letzten Jahrzehnten bildungsmäßig enorm zugelegt haben: vor 35 Jahren hatten die damals 30-Jährigen zu über 60% lediglich einen Volksschulabschluss, die heute 30-Jährigen zu fast 75% einen weiterführenden Schulabschluss! Im selben Zeitraum steigerte sich die Quote derjenigen eines Jahrganges, die es zu einem Hochschul- bzw. Fachhochschulabschluss gebracht haben von 5 auf knapp 20%. Nicht, dass sich dadurch die Bevölkerung an die Spitze der künstlerischen Entwicklung gesetzt hätte, aber in Verbindung mit Wohlstand und massenmedialem und touristischem Kontakt mit unterschiedlichster Kunst und Kultur hat sich der Massengeschmack doch deutlich über das Niveau der Gartenzwerge, der röhrenden Hirsche und der Recycling-Ästhetik im Kleingartenwesen angehoben. Auch wenn es das alles auch heute noch gibt, so ist das doch nicht
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mehr ‚mainstream’, sondern der verbliebene Rest an traditioneller ‚Volkskultur’, mit der die heutige Massenkultur nicht mehr viel gemein hat. Die künstlerische Professionalität und Perfektion eines heutigen Popsongs ist deshalb oft nicht mehr zu vergleichen mit der Schlichtheit eines traditionellen Volksliedes, manche subkulturellen Kleidungsmoden sind mindestens ebenso ‚kreativ’ wie die der Haute Couture, und viele moderne Unterhaltungsromane, Werbespots, Kinofilme sind künstlerisch-handwerklich so ‚gut gemacht’, dass sie den Vergleich mit ‚wirklicher’ Kunst auf dieser Ebene der handwerklichen Professionalität nicht zu scheuen bräuchten (eher umgekehrt). Längst haben Elemente der Popkultur auch Eingang gefunden in die ‚hohe Kunst’, und die Grenzen verschwinden immer mehr. Ja, die Pop-Kultur verleibt sich längst auch die Archiv-Bestände der Hochkultur ein, indem sie sie spezifisch verwandelt: kürzt, aktualisiert, verfremdet, persifliert, ad absurdum führt. Und längst haben sich in der Rezeption von Hochkultur die Mechanismen der Massenkultur durchgesetzt: Der Starkult hat den Geniekult ersetzt, die ‚Aufmachung’ und ‚Verpackung’ den Inhalt, die angestrengte Konzentration ist einer zerstreuten Beiläufigkeit in der Kunstrezeption gewichen: Emotionen statt Erkenntnis. Behnke, Wuggenig (1994) sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Heteronomisierung des ästhetischen Feldes“. Die Popkultur glaubt nicht mehr an einen aufklärerischen Auftrag, den ‚Ernst’ von Kunst, glaubt nicht an die eine Wahrheit oder den einen Fortschritt. Dass Menschen sich mit Hilfe von Kunst über ihre Situation klarer werden müssten bzw. würden, wird nicht gerade ausgeschlossen, aber nicht mehr als zentraler Anspruch an Kunst formuliert. Verschleierung, Vertröstung, Verdrängung ist in der Popkultur erlaubt, ja, Unterhaltung i.w.S. ist zentrales Geschäft auch unter Hinweis darauf, dass selbst im Kitsch, in Fantasy und Folklore noch der Kern einer Gesellschaftskritik enthalten ist. Denn zu disparat und zu augenfällig ist das Auseinanderklaffen von Sein und Schein, als dass nicht jeder angesichts seiner Lebenslage die ‚schöne Lüge’ erkennen würde. Angesichts einer solchen Situation der Selbstauflösung der (bildungsbürgerlich-elitären) Kunst und ihrer allmählichen Integration in die Pop- und Massenkultur fragt es sich, warum in manchen ästhetischen Milieus der Architektur und Landschaftsarchitektur das Populäre so unpopulär ist und dies ausgerechnet in einer so angewandten, längst massenkulturell wirksamen ‚Kunst’ wie der Landschaftsarchitektur bzw. Architektur. Doch, so Denise Scott-Brown in einem Interview mit „Die Zeit“ (2002): „...was den Massen gefällt, gilt weiterhin als vulgär. Die Architekten haben sich ins Ghetto der gehobenen Ästhetik zurückgezogen. Und sie wehren alles ab, was ihren Geschmacksvorstellungen, so heterogen sie auch sein mögen, widerspricht. Und dann beklagen sie sich auch noch darüber, dass sie keine große Rolle mehr spielen.“ In Bezug auf die Landschaftsarchitektur ist allerdings festzuhalten, dass sich eine größere Diskrepanz zwischen professioneller Ästhetik und dem Laienge-
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schmack erst dadurch ergeben hat, dass in den letzten 30 Jahren zwei Gestaltungsrichtungen an Bedeutung gewannen, die den ‚traditionell-landschaftlichen’, nicht nur schichtübergreifenden, sondern auch weitgehenden werk- und rezeptionsästhetischen Geschmackskonsens in Frage gestellt haben, vereinfacht: hier ‚reine’ Natur bzw. Naturgartenbewegung, dort ‚reine’ und/oder ‚schräge’ Geometrie, Minimalismus, Dekonstruktivismus (vgl. hierzu noch Kap. 3.3. und 3.4). So gibt es also nun jene neuen oder ‚innovativen’, oft ‚künstlerisch’ oder ‚ökologisch’ anspruchsvollen (rein quantitativ gesehen freilich nicht ins Gewicht fallenden) Objekte am Rande oder gar außerhalb des gängigen Geschmackskorridors, wo weder bereits ein gesellschaftlich anerkanntes werkästhetisches Urteil ‚steht’, noch erst recht keine Integration in den gesellschaftlich konventionalisierten ‚landschaftlichen’ Geschmackskorridor erfolgt ist. Und hier liegt nun eben die rezeptionsästhetische These auf der Hand, dass die beiden angesprochenen neueren Stilrichtungen zwar neue, interessante ästhetische Reize entfalten, aber sie doch mitunter das primär auf Entspannung und Erholung angelegte massenkulturelle ästhetische Bedürfnis der Bevölkerung, die ‚Ästhetik des Angenehmen’ verfehlen. Die Besucher spüren, dass es hier nicht primär um sie geht (gleichsam ihnen zu Liebe und zur Freude), sondern um ‚etwas Höheres’, gleichsam um E-Kultur. Und schaut man sich ein bisschen im ideologischen Überbau der beiden angesprochenen Gestaltungsrichtungen um, so liest man denn auch, dass es um nichts weniger geht als um die ‚Krise von Aufklärung und Moderne’ (vgl. Krebs 2002) mit ihren Phänomenen wie Umwelt- und Naturzerstörung, soziokulturellen Brüchen, Spaltungen und Verwerfungen und den Zweifeln am Rationalitätsbegriff und Fortschrittsglauben der bisherigen Moderne. Doch während den Meinungsführern in der avantgardistischen Landschaftsarchitektur angesichts dessen wie selbstverständlich zu sein scheint, dass damit auch der ‚landschaftliche Gartenstil’ seine ideologisch-philosophischen Grundlagen aus dem 18. und 19. Jahrhundert verloren hat, er gleichsam zur ‚Lüge’ geworden und damit ‚erledigt’ und nur noch von denkmalpflegerischem Wert ist, dürfte sich die Bevölkerung umso mehr gerade in diese ‚heile Welt’ der inzwischen tatsächlich vielfach denkmalgeschützten Parks und Gärten flüchten. Es wäre der Bevölkerung auch wohl nicht recht plausibel zu machen, warum Parks und Stadtplätze zwangsläufig anders zu gestalten sein sollten, ‚nur’ weil es eine Naturzerstörung, Chaostheorie oder eine dekonstruktivistische Philosophie gibt und der eindimensionale Fortschrittsglaube erschüttert ist. Und warum lautet einmal der Expertenausweg: ‚Wildnis’ und kaum 10 Jahre später: ‚reine’ bzw. ‚schräge’ Geometrie oder ‚Minimalismus’? All das wirkt aus Sicht der Bevölkerung dubios und willkürlich. Vor geraumer Zeit titelte denn auch Kienast (damals noch ganz auf Linie der sog. ‚Kasseler Schule’; vgl. dazu Böse 1981) in bezug auf solche ‚doktrinären’ Aspekte der neueren Landschaftsarchitektur am Beispiel der Naturgartenbewegung: „Vom
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Gestaltungsdiktat zum Naturdiktat oder Gärten gegen Menschen?“ (Kienast 1981) Heute müsste man den Titel freilich ein bisschen ändern und ergänzen: „Vom Gestaltungsdiktat zum Naturdiktat und zurück“. Denn es ist schon erstaunlich, wie jemand, der nicht unwesentlich dazu beitrug, das ‚Diktat’ der Naturgartenbewegung zu überwinden, im selben Augenblick kräftig mithalf, das ‚Gestaltungsdiktat’ zu reinthronisieren, wobei das Diktathafte ja noch nicht darin liegt, Neues auszuprobieren, sondern in der Tatsache, dass es gleich zum ‚Stil’, zur ‚Mode’ einer ganzen Generation von Landschaftsarchitekten wird und man damit gleichsam in die Massenproduktion geht, bevor etwas über die gesellschaftliche Akzeptanz bekannt ist, was insofern von Bedeutung ist, als Architektur und auch Landschaftsarchitektur Geld- und Flächenressourcen auf lange Zeit binden, die anders verwendbar wären. Unpassende Architektur kann man ja nicht wie missglückte oder schal gewordene Kunst einfach wegstellen. Es ist da stets eine relativ große Zahl von Nutzern und Passanten, die gezwungen sind, Jahre und Jahrzehnte mit dem ‚Diktat’ zu leben. Andererseits ahnt man natürlich in der Landschaftsarchitektur nur zu gut, dass sich das (radikal) Neue (wenn überhaupt) nicht als verstreute Einzelmaßnahme irgendwo, sondern allenfalls nur als Stil, als Mode, als Kampagne durchsetzen lässt, das Publikum gleichsam auf breiterer Front ein bisschen ästhetisch ‚genötigt’ werden muss (vgl. hierzu noch Kap. 3.6), was ja auch bei der Naturgartenbewegung immerhin ansatz- und zeitweise gelang. Deshalb formieren sich die vielen einzelnen, eigentlich miteinander in Konkurrenz stehenden Landschaftsarchitekturbüros schnell und gerne (wie auf ein geheimes Kommando hin) zu einem zeitlich befristeten Geschmackskartell. Es nützt jedem von ihnen und sogar noch der nachfolgenden Generation, die sich dann in Abgrenzung zur vorherigen, zu einem neuen Geschmackskartell formieren kann. Das ‚Neue’ hat neben den natürlich daran geknüpften psychologischen und ökonomischen Interessen beruflicher Profilierung und Positionierung speziell im hier anstehenden ästhetischen Kontext gleich eine doppelte Funktion: im Kontext der Produktionsästhetik befriedigt es den ‚Schöpferdrang’, das Kreativitäts- und Selbstverwirklichungsbedürfnis des Architekten, im Kontext der Werkästhetik erfüllt das ‚Neue’ als ästhetischer Reiz und Wert an sich das letzte im Grunde noch verbliebene Qualitätsmerkmal von Kunst. Nur im hier propagierten rezeptionsästhetischen Kontext hat das ‚Neue’ keinen so hohen Stellenwert. Neues im Sinne von Abwechslung im Vertrauten ist dem Publikum jederzeit willkommen, das ‚grundsätzlich’, das ‚radikal Neue’ dagegen uberhaupt nicht. In jedem Fall müsste es sich vor dem Publikum dadurch legitimieren, dass es (schon nach relativ kurzer Gewöhnungszeit) besser oder zumindest genauso gut gefällt als bzw. wie das Alte. Die Unterschiedlichkeit von werk- und rezeptionsästhetischer Betrachtung, zwischen einer professionellen Beurteilung und einer Laienwahrnehmung wird vielleicht noch deutlicher, wenn man sich in den Fachzeitschriften anschaut, wie
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dort die neu entstandenen städtischen Freiräume gelobt bzw. kritisiert werden. Da spielt z.B. das ‚Neue’ eine durchaus zentrale Rolle, lobend im Sinne von ‚ungewöhnlich’, ‚unkonventionell’, ‚eigenwillig’, ‚zeitgenössisch’, ‚radikales urbanes Experiment’, ‚avantgardistisch’, ‚am Puls der Zeit’, ‚eigenständig’ oder ‚einmalig’, kritisch im Sinne von ‚konventionell’, ‚platt’, ‚banal’, ‚bieder’ oder ‚traditionell’, ‚sinnlose Kopie’, quasi Schimpfworte im werkästhetischen Jargon, der sich auch in anderen Ausdrücken festmachen lässt: da ist etwas (lobend) ‚maßstabssetzend’, ‚lehrreich’, ‚genial gelöst’, ‚vorbildlich’, ‚ein Höhepunkt in der Landschaftsarchitektur’ etc. oder (negativ) ‚halbherzig’, ‚unbedarft’, alles völlig legitime Beurteilungen, die aber einem Laien vermutlich kaum in den Sinn kommen würden. Werkästhetische Urteile (oder schlägt hier der noch gleichsam hochkulturelle Milieuhintergrund der Landschaftsarchitekten durch?) sind häufig auch überschwänglicher (‚spannend’, ‚faszinierend’, ‚magisch’, ‚elektrisierend’, ‚spektakulär’ etc.) und deutlich feinfühliger (‚subtil’, ‚grazil’, ‚schlicht’, ‚dezent’, ‚introvertiert’) als Laienmeinungen. Auffällig derzeit auch lobende Hinweise auf die ‚Stringenz’, ‚Logik’, ‚Klarheit’, ‚Strenge’ oder die ‚geometrische Ordnung’ einer Freiraumgestaltung. Das alles sind keine Begriffe aus der Laienästhetik bzw. einer ‚Ästhetik des Angenehmen’. Vor diesem Hintergrund soll in den folgenden Kapiteln an einigen ausgewählten Beispielen gezeigt werden, wie sich die professionelle Ästhetik, die - wie gezeigt - stark werkästhetisch und zugleich wohl auch hochkulturell orientiert ist, vom Laiengeschmack bisweilen ganz beachtlich unterscheidet. Das beginnt bereits mit einem sozusagen grundlegenden Missverständnis: Die professionelle Ästhetik ist primär gestaltorientiert, die Laienästhetik wesentlich auch geschehensorientiert.
3.2 Gestalt oder Geschehen? „Man kann nicht jeden Tag in den Florentiner Dom gehen und immer noch im gleichen Maße die Architektur bewundern. Ich habe den Florentiner Dom, das Baptisterium davor und den Giotto-Glockenturm schon an die hundert Mal gesehen. Ich muss mir immer wieder sagen: Bleib jetzt stehen und guck Dir an, wie schön das ist.“ (Roth 2003: 77) Nahe liegender Weise unterstellt die Landschafts- und Freiraumplanung den Besuchern städtischer Grünflächen (vgl. hierzu schon Tessin 2004a), insbesondere aber von Parkanlagen, ein dezidiertes ästhetisches Interesse am Park, an der Gestaltung, an Natur. Natürlich ist das, wie in Kap. 2.3 beschrieben, auch tatsächlich der Fall. Aber es ist immer ein enormer Unterschied, ob man die Besucher direkt darauf anspricht, indem man ihnen entsprechende Statements vorlegt, die sie dann ankreuzen können, oder ob man sie einfach so (ohne Antwortvorgaben) danach fragt. Im ersten Fall kreuzen bis zu 70% ästhetisch geprägte State-
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ments, von sich aus sprechen selten mehr als 30% dezidiert ästhetische Aspekte an. Dies muss wohl so interpretiert werden, dass das ästhetische Erleben des Parks den meisten Besuchern gar nicht so sehr präsent ist, sie vielmehr erst durch entsprechend anzukreuzende Statements daran erinnert werden müssen. Dies ist besonders in jenen Fällen gegeben, wo die Besucher sich nahezu täglich oder sehr häufig im Park aufhalten. Der Freiraum als Ort eines Geschehens In einem Freiraum, den man nicht besichtigt, sondern in dem man sich quasi täglich aufhält, verliert das an der Gestalt des Parks interessierte Wahrnehmungsbedürfnis in der Regel recht bald etwas an Bedeutung. Zu erklären ist diese quasi Sättigung mit Verweis auf das Theorem der sog. Hintergrundserfüllung (Tenbruck 1972: 88; Gehlen 1975: 50). Es besagt, dass Bedürfnisse, die dauerhaft befriedigt werden, deren Befriedigung gesichert ist, gar nicht mehr als Bedürfnisse, d.h. als empfundene Mangelsituationen, ins Bewusstsein dringen und das Verhalten gegenüber der Umwelt dann auch nicht steuern mit der Folge, dass andere (weniger befriedigte) Bedürfnisse verhaltensrelevanter werden. Wir nehmen die Schönheit des Parks sozusagen als ‚gegeben’ hin und wenden uns anderen Aspekten zu. Beim Betreten des Parks (auch beim x-ten Mal) wird das ästhetische Erlebnis des Parks (als Kontrasterlebnis zur zuvor erlebten Umgebung) noch virulent, es klingt dann aber in dem Maße ab, je länger man sich im Park aufhält. Auch der für den Parkbesuch so typische Spaziergang, also die ununterbrochene Veränderung des Blickwinkels auf den Park, hilft dann bald nicht mehr weiter, der Parkgestalt (im Sinne einer am Gegenstand interessierten Wahrnehmung) neue ästhetische Eindrücke abzugewinnen, was nicht ausschließt, dass man immer mal wieder (etwa im Wandel der Tages- und Jahreszeiten), der Parkgestalt, dem Parkaussehen ästhetisch volle Aufmerksamkeit widmet (vgl. hierzu Kap. 2.3 und 2.4). Nur füllt dieser Aspekt im Laufe der Zeit nur noch einen Teil unseres ästhetischen Erlebens im Park aus. Die Parkgestalt wird dann zwar noch ästhetisch (wohlgefällig) wahrgenommen, aber nicht mehr ästhetisch (interessiert) erlebt; sie wird zur Kulisse (vgl. hierzu die Untersuchung von Nohl: 1973a zum Einfluss der Ortskenntnis auf das ästhetische Verhalten). Zugleich verschiebt sich das Augenmerk mehr hin zum Geschehen im Park. Unsere Augen fungieren ja wie ‚Bewegungsmelder’ und wenden sich fast automatisch jeder Art von Bewegung oder Veränderung im Raum zu, während das Konstante, das Statische, schon Bekannte, hier die Ausstattung und Gestaltung des Parks, zur Kulisse des Ereignisses wird. Ja, unser Blick sucht die Umgebung (und insofern bleibt die Parkgestalt auch immer ‚im Blick’) geradezu nach Veränderungen, Abweichungen, Bewegungen, Neuem ab. Kaplan hat das wie folgt ausgedrückt: „Many of the fascinations afforded by the natural setting qualify as ‘soft’ fascinations: clouds, sunsets, snow patterns, the motion of the leaves in the breeze...these readily hold the attention, but in an undramatic fashion. Attending
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to these patterns is effortless, and they leave ample opportunity for thinking about other things.” (Kaplan 1995: 174) Dabei kann buchstäblich alles, was es im Park zu sehen gibt, zum Objekt einer solchen Wahrnehmung werden: ein Baum, eine Ameise, eine Wolke, ein Hund, eine Frau, Einritzungen am Baumstamm. Der Park ist dann nicht mehr eine besondere Art von ‚Landschaftsbild’, das als ‚Werk’ des Landschaftsarchitekten zu besichtigen und ästhetisch zu rezipieren wäre. Vielmehr löst sich das ‚Werk’, der Park, auf in eine Vielzahl einzelner Eindrücke, die lose durch unsere jeweilige Stimmung und den Ort, den Park, zusammengehalten werden wie auf einer Art von Bühne. Aufgeführt - und da liegt gerade der ästhetische Reiz für die Mehrheit der Besucher - wird nun im Park keine ‚Kunst’, sondern das pure DaSein. Wir schauen ganz einfach dem Leben und dem Treiben im Park zu, wobei das, was die Landschaftsarchitektur ‚gestaltet’ hat und als ihr ‚Werk’ ansieht, mal mehr, mal weniger, atmosphärisch aber immer in das Erlebnis mit einfließt. Und genauso geht die Stimmung ein, diese - je nachdem - Mischung aus Leere, Gelassenheit, Langeweile, Interesselosigkeit, Ruhe, Wohlbehagen, Heiterkeit, Muße, die uns einen völlig anderen Blick auf so läppische Dinge vergönnt, denen wir unter anderen Umständen nicht das geringste Augenmerk schenken würden: einer Wolke, einem Vogel, einem Zweig, einem alten Mann auf der Parkbank. Und es ist genau diese Atmosphäre des Parks, an der seine Gestalt wie seine Funktion als eine Art von ‚locus amoenus’, genauso wie das Wetter und das Parkgeschehen einen bleibenden Anteil haben, die die ästhetische Stilisierung dieser beliebigen und auch profanen Dinge nicht nur ermöglicht (vgl. hierzu Bourdieu 1987: 80), sondern geradezu als reizvoll erscheinen lässt. Im Park sind die Besucher so ruhig und entspannt, dass sie sich am Rande der Langeweile und der Leere bewegen. Dieses Grundgefühl der Ereignislosigkeit lässt sie dann über kurz oder lang sich ‚inneren Geschehnissen’ zuwenden: dem Ärger zuhause, der Vorfreude auf einen Urlaub, beruflichen Perspektiven. Und dieses innere Geschehen dürfte den Großteil unseres Erlebens in einem Park ausmachen. Tatsächlich bezeichneten viele der Befragten ihr Wahrnehmungsverhalten als sehr stimmungs- bzw. situationsabhängig: „Das ist je nach Stimmungslage. Wenn ich meinen Gedanken freien Lauf lassen will, nehme ich nichts Anderes wahr.“ „Das ist ganz unterschiedlich: mal bin ich Beobachter, mal mehr in mich gekehrt.“ „Ich setzte mich bestimmt nicht auf eine Bank, um Vögeln zu lauschen. Aber ich marschiere da auch nicht einfach so durch. Ich schaue schon so rings um mich herum.“ Und insofern behält man den Freiraum auch ununterbrochen im Blick, und sobald uns etwas (egal was) auffällt, es aus der Kulisse heraustritt, wenden wir uns dem zu. Dabei reduziert die tatsächliche Ereignislosigkeit im Park unser Erwartungs- und Anspruchsniveau in dieser Hinsicht so weit, so dass hier Belanglo-
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sigkeiten ‚Ereignisqualität’ haben und damit ästhetische Aufmerksamkeit erreichen. In der Stadt, in den Straßen passiert natürlich viel mehr, aber aufgrund unserer eigenen Geschäftigkeit und der raschen Abfolge von ‚Ereignissen’ haben wir kaum Zeit, ihnen (ästhetische) Aufmerksamkeit zu widmen. Im Park haben wir diese Zeit und nichts anderes zu tun, als einer Wolke, einem Vogel, einem Blatt, einem Spaziergänger eine wenn auch interesselose und beiläufige, so doch bisweilen minutenlange ästhetische Aufmerksamkeit zu schenken. Die Dinge und Geschehnisse im Park werden erst durch uns zum ästhetischen Ereignis gleichsam (hoch-) stilisiert oder auch von uns tatsächlich erst herbeigeführt, indem wir Enten füttern, uns ins Gras legen, die Hand in die Wasserfontäne halten, auf den Inlineskatern den ‚Rausch der Geschwindigkeit’ erleben. Unser ästhetisches Erleben im Freiraum hat ‚do-it-yourself-Charakter’, es ist sozusagen performativ: wir verschaffen es uns größtenteils selbst - durch unser eigenes Handeln, durch alles, was wir dort tun. Wir entgehen so der Gefahr der ästhetischen Langeweile in einem Freiraum, dessen Gestaltung - da x-mal gesehen und damit in die Hintergrundserfüllung abgesunken - uns ästhetisch immer weniger bzw. immer seltener noch was gibt. In den Worten der Befragten: „Ich setze mich ganz gern mal so hin und schaue mir die Leute an. Ich will auch Menschen sehen.“ „Ich suche auch die Natur. Aber auch Leute beobachten. Die Vögel. Den Wandel der Jahreszeiten: wie sich die Blätter verfärben. Daran kann ich mich total erfreuen. Ich unterscheide z.B., ob etwas im letzten Jahr früher oder später war.“ „Das Gefühl der Gewöhnung oder der Langeweile habe ich eigentlich nicht, auch wenn ich den Park 2-3 Mal die Woche besuche. Ich wechsle auch z.B. die Wege oder den Aufenthaltsort. Eher im Gegenteil. Ich habe mir schon manchmal gesagt: Nimm doch denselben Weg zur besseren Entspannung, einfach um nicht mehr die Umgebung wahrzunehmen und mehr bei mir zu sein.“ Die Ereignisse und Geschehnisse sind für den Besucher selbst nahezu bedeutungslos, mehr oder weniger zufällig und austauschbar. Sie werden auch nur beiläufig, allenfalls gelassen interessiert wahrgenommen und meist schnell wieder vergessen (vgl. hierzu noch einmal den Kaplan’schen Begriff der „undirected“ bzw. „involuntary attention“). Das ist wohl auch der Grund, weshalb die Freiraumbesucher auf die Frage, wie wichtig ihnen da das ‚Geschehen’ sei, eher zurückhaltend antworten. ‚Wichtig’ oder gar ‚sehr wichtig’ sei ihnen das eher nicht. Auf Stadt- und Spielplätzen habe es, so die Befragten, eine etwas größere Bedeutung, in Grün- und Parkanlagen eher nicht. Offenbar erfolgt ein Großteil dieser geschehensorientierten Wahrnehmungen fast unbewusst. Sie füllen zwar den Großteil unseres Wahrnehmungsverhaltens im städtischen Freiraum aus, aber (wirklich) ‚wichtig’ sind sie uns natürlich nicht.
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Aus Sicht der professionellen Ästhetik ist die im quasi alltäglich genutzten Freiraum vorherrschende geschehensorientierte Ästhetik, latent misslich. Sie signalisiert, dass über kurz oder lang der ästhetische Erlebniswert der ‚Gestaltung’ nachlässt. Das, was die Landschaftsarchitektur als ihr ‚Werk’ ansieht, steht nun nicht mehr im Mittelpunkt des ästhetischen Interesses der Besucher - stattdessen ein Vogel, ein Geschehen am Wasserbecken oder das, was sie selbst tun (sich sonnen, joggen, eine Ruderbootspartie). Aber aus Sicht der professionellen Ästhetik ist dieser geschehensorientierte Aspekt der Laienästhetik noch nicht ganz so enttäuschend, gerade weil diese Art von Wahrnehmung eher nicht konzentriert, sondern beiläufig, z.T. unbewusst erfolgt. Die Beobachtung des Geschehens ist sozusagen Nebensache. Anders ist die Situation, wenn die Beobachtung bzw. Wahrnehmung des Geschehens im Freiraum zur Hauptsache wird und sozusagen auf Kosten der ästhetischen Wahrnehmung des Parks bzw. der Parkgestaltung geht, was bei Veranstaltungen sehr schnell der Fall sein kann. Veranstaltungen als Affront gegen die professionelle Ästhetik? Die Haltung in der professionellen Ästhetik gegenüber Veranstaltungen in Parks ist eher ambivalent und im Ganzen wohl noch immer eher ablehnend (vgl. hierzu Gehrcke 2001). Veranstaltungen hat es zwar immer schon in Gärten und Parks gegeben, aber heute spielen sie eine zunehmend größere Rolle. In Hannover, wo solche Veranstaltungen (vor allem in den Herrenhäuser Gärten) eine wichtige Rolle spielen, gaben z.B. 23% der befragten Bewohner an, dass sie solche Veranstaltungen ‚öfter’ besuchen würden und weitere 39% hin und wieder bzw. selten. Solche Veranstaltungen sind ja zunächst einmal aus Sicht der Bevölkerung als solche schon eine Abwechslung zum üblichen Parkalltag. Sie definieren den Ort, an dem sie stattfinden, sozial neu (eben veranstaltungsgemäß), setzen die bestehenden sozialen Erwartungen z.T. außer Kraft und eröffnen neue, spezifische Verhaltensoptionen, die nur durch die Tatsache gegeben sind, dass genügend viele Menschen zur gleichen Zeit am gleichen Ort dasselbe wollen. Dadurch verschiebt sich die Position des jeweiligen Parks auf der Maslow’schen Hierarchie der Grundbedürfnisse nach ‚oben’. Der Park bedient am Veranstaltungstag nicht mehr in erster Linie die Bedürfnisse nach Sonne, frischer Luft und Bewegung, sondern vermehrt - je nach Art der Veranstaltung - Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung. Dies hat gemäß der Maslow’schen Theorie zur Folge, dass der subjektiv erlebte Befriedigungswert ansteigt. Eine Veranstaltung im Park ist wahrlich nicht wichtiger als ein normaler Parkbesuch, aber sie verschafft potenziell ungleich mehr Befriedigung. Der zentrale Reiz liegt in der Kollektivität des Erlebens, im veranstaltungseigenen ‚Interaktivitätspotential’, das im Parkalltag der um sich greifenden rudimentären Integration der Besucher sehr begrenzt ist. Anders als im Parkalltag schafft die Veranstaltung - und sei es nur für Stunden - eine Art ‚Norm-, Wertund Erlebnisgemeinschaft’, also soziale Integration auf Zeit und überwindet für
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die Veranstaltungsdauer die sonst übliche ‚Erlebnisvereinzelung’ im Park. Im Alltag erlebt jeder Besucher den Park ein bisschen anders, was unbedingt auch sehr reizvoll ist, aber die Veranstaltung führt die ‚Erlebnismonaden’ zusammen zu einem gemeinsamen, ja, einem Gemeinschaftserlebnis. Angesichts der Individualisierung in der Gesellschaft will sicherlich niemand wieder eintauchen in eine Art dauerhaft erzwungener Volksgemeinschaft, aber es besteht ein enorm breites Interesse, freiwillig, sporadisch und stundenweise sein ‚Für-sich-Sein’, seine sonst bloß rudimentäre soziale Integration aufzugeben und in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter, in einem ‚Bad in der Menge’ aufzugehen. Eine Veranstaltung ermöglicht das auf eine völlig einfache und zugleich längerfristig vollkommen verpflichtungslose Art und Weise. Veranstaltungen, seien sie nun privat oder öffentlich, haben ohne Frage ‚Erlebnischarakter’ (vgl. hierzu Kap. 2.4)‚ sind aber wohl gerade deshalb unter Landschaftsarchitekten nicht allzu hoch geachtet. Zu sehr stehen sie in einem gewissen Gegensatz zu Vorstellungen innerhalb der Landschaftsarchitektur von der ‚richtigen Nutzung’ eines Parks. Diese Vorstellungen zielen mehr in Richtung auf Einsamkeit und Kontemplation, Beschaulichkeit, auf ‚stille Freude‘. Veranstaltungen (mehr als das dort übliche Freiraumgeschehen) würden nur noch mehr ablenken vom ‚Eigentlichen‘ eines Parks. Das Ideal-Bild der Landschaftsarchitekten vom richtigen und angemessenen Verhalten läuft auf ein primär ästhetischkontemplatives Besuchsverhalten hinaus (vgl. hierzu Poblotzki 1992): man schaut sich in erster Linie den Park an, ehrfurchtsvoll, nachdenklich, neugierig, wissensdurstig, innerlich Anteil nehmend, unabgelenkt, noch fast ganz im Sinne der Vorstellung des 19. Jahrhunderts, dass ein Park den Besuchenden „bilden, belehren und veredeln, ihn sittlich und ästhetisch erziehen (soll)“ (Wiegand o.J.: 16). Der Parkbesuch wäre danach eine Art Bildungs- und Kulturveranstaltung, einem Museumsbesuch nicht unähnlich. Veranstaltungen in Parks, ja, schon massentouristische Parkbesichtigungen werden deshalb innerhalb der Fachdisziplin höchst argwöhnisch betrachtet, in jedem Fall gleichsam sehr ‚von oben herab’: die Vergnügungen des einfachen Volkes, der Masse, die weder willens noch in der Lage wäre, die Quintessenz der Gartenbotschaft zu erfahren. Nichts als seichtes Wohlbehagen: der Park als hübsche, beiläufig wahrgenommene Kulisse. Veranstaltungen wären in dieser Argumentation nur noch ein weiterer Schritt weg vom ‚eigentlichen’ Wesen des Parks und dem ‚eigentlichen’ Parkerlebnis (vgl. zum ‚Jargon der Eigentlichkeit’ Adorno 1964). ‚In sich’ ist die Argumentation schlüssig, nur geht sie von der oben beschriebenen berufsbedingt verzerrten Annahme über die Funktion eines Parkbesuches aus. Allenfalls bei der (Erst-) Besichtigung eines Parks steht die (bewusste) ästhetische Wahrnehmung der Gestalt des Parks im Vordergrund des Besuchsinteresses, ansonsten (etwa beim ‚Stammpublikum’) ist sie eher beiläufiger Natur. Fast immer mit eingeschlossen, aber selten vordergründig und kaum bewusst.
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Kein Architekt, der ein Wohnhaus, einen Stadtplatz oder ein Theater baut, kein Innenarchitekt, der ein Restaurant einrichtet, käme auf den Gedanken, dass er etwas Anderes macht, als ein bestimmtes Ambiente, eine stimulierende Kulisse für eine bestimmte gesellschaftliche Aktivität zu schaffen. Nie käme er darauf, sich zu beklagen, dass er ‚nur’ eine Kulisse für ein Essen, eine Theateraufführung, ein Familienleben entwirft. Unverständlich also, wieso Landschaftsarchitekten (latent) enttäuscht darüber sein könnten, dass Leute im Park ‚bloß’ ihren Hund ausführen, ‚bloß’ joggen, ‚bloß’ in der Sonne vor sich hin träumen, oder grillen oder Boule spielen - oder gern ein Popkonzert hören oder ein Feuerwerk sehen wollen. Eine Veranstaltung im Park müsste nicht einmal unbedingt den Park (die Parkgestalt) zum Erlebnisgegenstand machen (vgl. hierzu Gehrcke 2001). Natürlich wären und sind solche Veranstaltungen (Führungen, Illuminationen, Feuerwerke usf.) etwas Wunderbares (und finden ja auch statt), nur ist nicht recht einzusehen, warum nicht auch Veranstaltungen gestattet sein sollten, wo der Park ‚nur’ als Kulisse genutzt wird. Man käme doch auch nicht auf die Idee, das ‚Gassiführen’, ‚Zeitungslesen’ oder das ‚Fußballspiel’ im Park abzulehnen, nur weil dabei der Park (die Parkgestaltung) nicht im Mittelpunkt des ästhetischen Erlebens steht. Eine performative Freiraumästhetik? Die professionelle Ästhetik innerhalb der Landschaftsarchitektur ist also noch sehr werkästhetisch und nicht geschehensorientiert bzw. performativ ausgerichtet. Das ist in die bildenden Künsten längst nicht mehr der Fall, wo sich in den letzten 50 Jahren die verschiedensten ‚performativen Kunstpraktiken’ entwickelt haben (vgl. Mersch 2002; Fischer-Lichte 2003). Die in diesem Kontext entstandenen avantgardistische Strömungen (Installation und Environment, Happening und Fluxus, Land-Art, Concept-Art, AktionsKunst, Body-Art und Performance) revoltierten bekanntlich u.a. gegen den ästhetischen Verschleiß ‚ein für alle Mal fertiger Werke’ (zumal im Benjamin’schen „Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“) wie auch gegen die damit verbundene (‚bürgerfeindliche’) Wegsperrung der Originale in Museen bzw. ihre spekulative Hortung in den Archiven und Tresoren der Kunstsammler. Ihre brillante Lösung: wenn wir kein ein für alle Mal fertiges (aufbewahrbares, immer wieder anschaubares, hortbares) Objekt oder ‚Werk’ schaffen, sondern (einmalige) Ereignisse, dann entfällt nicht nur das Problem der ästhetischen Abnutzung bzw. Hintergrundserfüllung, der kommerziellen Verwertung (auf Kosten der Künstler), sondern auch die Notwendigkeit, es vom Alltagsleben der Menschen trennen zu müssen. Es würden sich weitere (künstlerisch-ästhetisch) reizvolle Aspekte eröffnen: nicht nur ließe sich so der Gegensatz von Kunst und Leben (Alltag) aufheben, sondern auch die (raumzeitliche) Trennung von Produktion und Konsum von Kunst. Im Happening verschmelzen Herstellung und Genuss von Kunst zu einem Ereignis. Zugleich wird die Trennung der Sinne, wie sie in
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den nicht darstellenden Kunstsparten gegeben ist, aufgehoben: Performative Ästhetik als Ereignis spricht alle Sinne zugleich an, das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, ist somästhetisch. Kunst als Action, als Happening, wird zu einem Geschehen (nicht selten in alltäglichen Zusammenhängen unter Einbeziehung alltäglicher Dinge, Ereignisse und Geräusche usf.), an dem sich die ‚Zuschauer’ beteiligen und selbst zu Akteuren werden. Performative Kunst, indem sie ‚vor Ort’ stattfindet, geschieht ‚leibhaftig’ auch in der Weise einer gleichzeitigen physischen Präsenz der Akteure, was der ästhetischen Wirkung einen ganz spezifischen Charakter der ‚Authenzität’ und ‚Präsenz’ verleiht: alles ist ‚live’. Unter dem Begriff „Ästhetik des Performativen“ (Mersch) lassen sich also Kunstpraktiken zusammenfassen, in denen sich so etwas wie ein künstlerischer Paradigmenwechsel vollzieht: vom Primat des Werkes zum Geschehen, von der Herrschaft des Symbolischen zur nicht intentionalen Erfahrung, von der Dauerhaftigkeit zur Augenblickshaftigkeit. Performative Kunst, so Mersch, kann vor allem als „Ereignisästhetik“ verstanden werden. In den performativen Kunstpraktiken wird nicht ein Werk hergestellt, sondern ein Geschehen initiiert und inszeniert. Schon bei den Mobiles von Calder, diesen frei hängenden, ausbalancierten, leichten Gebilden, die schon von einem schwachen Luftzug bewegt werden, wird der Übergang vom Werk zu einem Geschehen sichtbar. In den späteren Happenings wird dann die Auflösung des Werks in ein Geschehen zum Programm. In ungleich höherem Ausmaß als die anderen bildenden Künste, die ihre Bilder und Plastiken überwiegend in Museen ausstellen und damit immerhin ein wenig vor dem Verschleiß ihres ästhetischen Erlebniswertes schützen, sieht sich die Landschaftsarchitektur und Gartenkunst mit dem Problem der ästhetischen Hintergrundserfüllung konfrontiert, und tatsächlich gibt es auch gewisse Ansätze einer ‚Ästhetik des Performativen’ (wenn auch nicht unter diesem Namen), die der Landschaftsarchitektur eine etwas dauerhaftere oder zyklisch wiederkehrende ästhetische Aufmerksamkeit sichern: die Wachstums- und Sukzessionsprozesse in der Natur (so man sie lässt) und die jahreszeitlichen Vegetationszyklen. Und tatsächlich: im sensiblen Gärtnerblick (freilich nicht im nicht ganz so sensiblen Normalbesucherblick) erscheint der Park jeden Tag anders und löst sich auf ganz im Sinne einer performativen Freiraumästhetik - in ein vegetatives Geschehen, und es fragt sich, ob die Landschaftsarchitektur wirklich schon alles aus dieser, nur ihr zur Verfügung stehenden ‚performativen Gestaltungsressource’ herausgeholt hat - jenseits von Frühjahrsblühern, Sommerflor und der Brachflächenund Naturgartenästhetik. Es finden sich weitere Ansätze einer performativen Ästhetik auch dort, wo die Grünflächenherstellung nicht als ein einmaliger Akt, sondern als dauerhafter Prozess, als ‚work in progress’, als Gestaltungsgeschehen gesehen wird wie etwa bei Le Roy (1978), nicht zufälligerweise einem Kunsterzieher, der in den 70er Jahren in Gröningen eine Grünanlage schuf, „die sich kontinuierlich aus den aktuellen
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Bedürfnissen der Anwohner erneuert. Es soll keinen Endzustand, keinen vorgefertigten Kulissenraum geben, sondern Prozeßhaftigkeit, spontane Benutzbarkeit und Variabilität.“ (Lux 1972: 444) Alles das, was die Ästhetik des Performativen propagiert, ist bei Le Roy zu erkennen: Die Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben, von Künstler und Publikum, die Überwindung der raumzeitlichen Trennung von Produktion und Konsum von Kunst, die Auflösung eines gartenkünstlerischen ‚Werks’ in ein (Planungs- und Gestaltungs-) Geschehen, das Le Roy generationsübergreifend verstand. Le Roys Arbeit und Wirken wurde damals allein im Kontext der ökologischen bzw. der partizipatorischen Planung gewürdigt. Ganz zu verstehen ist der Ansatz (wie etwa auch das Projekt ‚Stadtverwaldung’ von Beuys in Kassel in den 1980er Jahren) aber nur in dem hier skizzierten Kontext einer Ästhetik des Performativen, die sich auch noch im Konzept etwa eines Abenteuer- und Bauspielplatzes erkennen lässt. Neuere Ansätze einer performativen Ästhetik finden sich in der Landschaftsarchitektur - und nun auch durchaus in mehr oder weniger bewusster Bezugnahme auf die performativen Kunstpraktiken in den bildenden Künsten - vor allem in den temporären oder mobilen Gärten, den Kunstinstallationen im Freiraum, der Land-Art, in ‚experimentellen Raumveränderungen’. Hier wird nicht ein ‚ein für alle Mal fertiges’ Werk geschaffen, sondern ein intentional befristetes ästhetisches Ereignis bzw. einem vorhandenen Werk immer neue, zusätzliche ästhetische Reize hinzugefügt. Veranstaltungen fügen sich in diesen Kontext ein. Eine performative Landschafts- und Freiraumästhetik würde demnach also die Abkehr von der Vorstellung eines Freiraums als einem Produkt, als einem Bild, einem (ein für alle mal fertigen) Werk bedeuten und den Versuch beinhalten, den Freiraum als Ereignisfeld und Geschehen, als ein an einen bestimmten Ort gebundenes Vegetations-, Wetter-, Gestaltungs-, Pflege- und Besuchergeschehen zu interpretieren. Dabei hätte sich die Landschaftsarchitektur freilich zu der vielleicht etwas bitteren Einsicht durchzuringen, in dem, was im Freiraum geschieht, nicht eine von der Form und Gestalt des Parks ‚ablenkende’ ästhetische Nebensache, sondern den Wesenskern des ästhetischen Erlebens in einem alltäglich genutzten Freiraum zu sehen. Die Freude über eine Sichtachse wäre - wenn es denn dem Erleben des jeweiligen Besuchers so entspräche - nicht höher zu veranschlagen als die über ein Kleinkind, das im Sand spielt, über den Sonnenschein oder über einen Schwarm von Amseln, die von einem Feld auffliegen, „(...) making sound delicious beyond compare”, wie es John Cage (1971: 113), ein bekannter Protagonist der performativen Kunst, einmal ausgedrückt hat. Deshalb bedeutet performative Freiraumästhetik auch durchaus nicht, nun in städtischen Freiräumen unbedingt Ereignisse und ‚events’ zu planen oder zu inszenieren, sie zu „bespielen“. Das mag hier und da gerechtfertigt sein, aber die Erlebnislogik eines Freiraumbesuches geht ja mehr in die Richtung unbeabsichtigter, beiläufiger, fast zufälliger Wahrnehmungen, die keine bewusste, gezielte
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Aufmerksamkeit beanspruchen, was bei geplanten Veranstaltungen und Inszenierungen ja schnell der Fall wäre. Freiraumplanerische Zielsetzung wäre daher eher ein Freiraum, in dem gleichsam ‚wie von selbst’ etwas passieren, sich ereignen kann, wo sich die Besucher ihre ästhetischen Erlebnisse selbst schaffen können, weil der Freiraum selbst abwechslungsreich genug ist oder in ihm etwas Beiläufiges geschieht bzw. man selbst etwas mit ihm anfangen kann (sonnen, joggen, dösen, kommunizieren, grillen etc.). Diese eher unscheinbare Art von Bewegung und Geschehen, von Belebtheit, ‚reicht’ eigentlich schon. Performative Freiraumästhetik in diesem Sinne wendet sich deshalb sowohl gegen allzu viel Event-Inszenierung, mehr aber noch gegen eine bestimmte Art ‚moderner’ Landschaftsarchitektur. Tatsächlich ist ja - neben den skizzierten performativen Ansätzen in der Landschaftsarchitektur - in den letzten Jahrzehnten eher eine enorme Aufwertung der (künstlerisch orientierten) Gestaltungs- und Werkästhetik zu beobachten gewesen. In den dekonstruktivistischen oder minimalistischen Entwürfen (vgl. hierzu noch Kap. 3.4) wird explizit Gestaltungs-, ja, mehr noch: Kunst-Anspruch erhoben, und am Werk-Gedanken wird uneingeschränkt festgehalten. Zwar fehlt es im ideologischem Überbau (vgl. hierzu Krebs 2003) nicht an Hinweisen auf den ‚Zufall’, auf ‚Offenheit’ und ‚Prozessualität’, auch von ‚Bewegung’ ist die Rede, aber der oft (auf dem Plan) ‚abstrakt’ erscheinenden und mit spitzen und rechten Winkeln, Spiralen und Halbkreisen und ‚schrägen’ Geraden arbeitenden Formensprache und den dann oft asketischcool-steril wirkenden Entwürfen haftet doch etwas - mit Blick auf die These von Wilhelm Worringer (1908) über ‚Abstraktion und Einfühlung’ - der Geruch des Lebensfremden, ja, des Lebensfeindlichen an. Hier erstarrt alles zur Form und dies umso eindringlicher, je ‚schräger’, ‚fliegender’, ‚dynamischer’ die Gestaltungselemente sind, die im Entwurf ‚gebändigt’ und ein und für alle Mal zum Stillstand gebracht wurden. Dies hätte nun gar nichts (bzw. nur in einer sehr verqueren Art und Weise etwas) mit einer performativen Ästhetik zu tun. Vielmehr scheint es - gewissermaßen als unausgesprochene Gegenthese zur Ästhetik des Performativen - hierbei mehr darum zu gehen, der Gestalt wieder mehr (und auch dauerhaft) den ästhetischen Vorrang gegenüber dem Geschehen zu sichern. Dort, wo diese Art von Gestaltung im Rahmen einer reinen Repräsentationsund Besichtigungsarchitektur eingesetzt wird, der Freiraum nicht alltäglich genutzt wird bzw. nicht genutzt werden soll, kann der Versuch der Priorisierung der Gestalt- gegenüber der Geschehensästhetik gelingen. Dort, wo es sich bei den solchermaßen gestalteten Plätzen und Parks um alltäglich nutzbare Freiräume und Aufenthaltsorte handelt, zwangsläufig nicht. In diesen Fällen wird sich - nach einigen Besuchen - die geschehensorientierte Laienästhetik gegenüber der gestaltorientierten professionellen Ästhetik durchsetzen: das Leben, das Geschehen dürfte recht schnell auch hier die (strenge, coole, asketische) Gestalt und Form ‚überspielen’ und sie in die ästhetische Hintergrundsbefriedigung verabschieden. Und die Besucher dürften sich dann - nach einer kurzen ästhetischen Irritation bald wieder den dauerhafteren und ergiebigeren ästhetischen Ereignissen im Frei-
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raum zuwenden: dem Sonnenschein, der Herbstfärbung, den Leuten, den Tauben - dem Performativen, dem Geschehen.
3.3 Der begrenzte ästhetische Reiz der ‚Stadtnatur’ Vor einigen Jahren hat der ehemalige Berliner Professor der Landschaftsarchitektur Wenzel auf die wachsende Bedeutung des von ihm so bezeichneten ‚Basic-Green’ hingewiesen. Neben Freiräumen mit hohem Image, touristischer Attraktivität, mit großer identitätsstiftender Bedeutung, neben Freiräumen mit hochwertiger Ausstattung und großem Pflegebedarf, auch großer Nutzungsintensität gäbe es das sog. Basic-Green, von dem es heißt: „Alle übrigen Freiräume, und das ist die überwiegende Zahl, können zurückgebaut und programmgesteuert renaturiert werden, (...). Sie erhalten keine oder nur eine minimale Grundausstattung (zum Beispiel Kinderspielplätze). Bei geringer Regelungsdichte sind sie offen für jede denkbare öffentliche Nutzung: Lagern, Spielen, Joggen, Grillen und vieles andere mehr(...). Wie in den Forsten beschränkt sich die Pflege auf die Erhaltung der großräumigen Strukturen (zum Beispiel der Wiesen), die Verkehrssicherheit und die Reinigung. Es ist die ‚Natur der vierten Art‘ des Naturschutzes.“ (Wenzel 2003: 12) Es stellt sich rezeptionsästhetisch die Frage, wie derartige naturnahe, extensiv gepflegte Freiräume, teilweise auch Brachflächen wohl von der Bevölkerung wahrgenommen und bewertet werden. Würde man die Kriterien der Ästhetik des Angenehmen auf diesen Freiflächentyp anwenden, so wird man nicht zu euphorisch gestimmt sein. Im Kontext einer ‚Ästhetik des Angenehmen’ heißt es ja in Bezug auf die Natur, dass wir sie als ‚angenehm’ erleben wollen (vgl. hierzu Tessin 1991). Entsprechend präferieren wir daher in aller Regel den Park gegenüber der Brachfläche, meiden ihn bei Kälte, Regen, Sturm und Dunkelheit, haben gern ein Cafe in der Nähe, meiden unwegsame Natur, haben sie lieber, wenn sie grün und bunt statt kahl und welk ist, sitzen lieber auf einer Parkbank als auf einem Stein oder gefällten Baumstamm, weichen jeder Pfütze auf einem Weg aus. Rehe, Schmetterlinge und Schwäne sehen wir gerne - Fliegen, Mücken und Maulwurfs(hügel) eher nicht. Erinnert sei nur an Goethe’s „Triumph der Empfindsamkeit“, wo er sich im 1. Aufzug des 1.Aktes in Gestalt des Merkulo lustig macht über die Naturschwärmerei seiner Zeit: „Freilich unter freiem Himmel kann man’s nicht immer so temperiert haben, wie man wünscht. Die Feuchtigkeit des Morgen- und Abendtaues halten die Leibärzte für höchst schädlich, den Duft des Mooses und der Quellen bei heißen Sommertagen für nicht minder gefährlich. Die Ausdünstungen der Täler, wie leicht geben die einen Schnupfen! Und in den schönsten, wärmsten Mondnächten sind die Mücken just am unerträglichsten. Hat man sich auf dem Rasen seinen Gedanken überlassen, gleich sind die Kleider voll Ameisen, und die
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zärtlichste Empfindung in einer Laube wird oft durch eine herab fahrende Spinne gestört.“ Der dichte Wald galt lange Zeit geradezu als ‚locus terribilis’, als abschreckender, dunkler und gefährlicher Ort; Lichtungen dagegen genossen und genießen auch heute noch sozusagen Kultstatus. Noch heute gehören zu einem Park, der gefällt, weite Wiesen- und Rasenflächen (KGSt, Hg., 2004: 22; vgl. auch bereits Schöppner 1984: 149). Unsere Natursehnsucht hält sich also durchaus in Grenzen, bleibt auf ihren angenehmen Teil beschränkt bzw. auf ein wohl dosiertes Maß an ‚realer Natur’. Das in der ästhetischen Naturvorstellung an sich angelegte und von der ökologisch orientierten professionellen Landschaftsästhetik gern propagierte Ideal der Unberührtheit wird also im praktischen Erleben der Bevölkerung höchst halbherzig gesucht, wenn es mit dem Anspruch, in der Natur etwas Schönes und Angenehmes erleben zu wollen, kollidiert. Andererseits gehört eine gewisse ‚Naturnähe’, was immer der Einzelne darunter verstehen mag, zu den wichtigsten Gestaltungswünschen für einen Park (KGSt, Hg. 2004: 22), der freilich auch „gut gepflegt und sauber“ sein, und ein „gut durchdachtes Wegenetz“ haben sollte (ebenda: 22); also: ‚naturnah’ ja, aber ‚Natur pur’ eher weniger. Zu sehr sind die Städter auf angenehme, gepflegte, gut ausgestattete Freiräume konditioniert. Anderseits wird ‚Natur’ in dem Maße, wie sich die verstädterte Gesellschaft von der Natur emanzipiert hat, in dem Maße, wie die Städter aus dem Prozess der unmittelbaren (landwirtschaftlichen) Naturbearbeitung freigesetzt wurden, ja relativ hoch bewertet, ja, idealisiert. Diese Gespaltenheit wird deutlich, wenn man einige Untersuchungen zur Akzeptanz von „Stadtwildnis“ Revue passieren lässt. Hannig (2006), die diese Querauswertung entsprechender Untersuchungen unternommen hat, weist darauf hin, dass eine ‚naturnahe Gestaltung’ inzwischen durchaus gewünscht wird, aber sie weist zu Recht daraufhin, dass dieser Begriff „ohne Fotomaterial und ohne zusätzliche Erklärungen nicht nur für Laien unpräzise ist“ (ebenda: 39f). Nicht auszuschließen, dass von vielen Befragten selbst Landschaftsgärten noch als ‚naturnah’ bezeichnet werden. Zusammenfassend stellt sie fest: „Die Studien über Stadtnatur, Pflege- und Wildgrün, die sich sowohl mit Brachflächen als auch mit Grünanlagen auseinandersetzen, kommen zu dem Ergebnis, dass naturbelassene Flächen nur gering genutzt werden und Stadtnatur als gepflegtes und gestaltetes Grün gilt, während wildes Grün als verwahrlost angesehen wird (Rink 2003, Breuste, Breuste 2001).“ (Hannig 2006: 41) Die Verfasserin weist aber daraufhin, dass diese Assoziation vielleicht ostdeutschspezifisch sein könnte, weil dort die Brachflächenästhetik schnell mit ‚Rückbau’ und ‚Industriesterben’ in Verbindung gebracht wird, und, so wäre hinzufügen, die dortige Bevölkerung zu DDR-Zeiten auch weniger von der bundesrepublikanischen Ökologie- und Naturgartenbewegung mitbekommen haben dürfte.
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Im Folgenden soll am Beispiel der Brachfläche dieser rezeptionsästhetischen Ambivalenz solcher Flächen des ‚Basic-Green’ nachgespürt werden, die auch aus einer zusammenfassenden Studie aus England (Özgüner, Kendle 2006) deutlich wird: „While some studies of landscape preference demonstrate that natural areas are highly valued and preferred, there is also evidence that people recognise that natural areas are scary, disgusting and uncomfortable (…), often associated with fears of physical danger (…) and sometimes frightening places to visit (...). Research also showed that disorderliness in a scene was the most frequently mentioned point of concern (...). On the other hand, despite the potential benefits that come from contact with nature, problems still exist between people’s aesthetic preference and naturalistic landscapes in cities. For instance, while people see wildflower areas as particularly beautiful in season, they may find them untidy and unmanaged for much of the year (...).” (ebenda: 142) Hier sind bereits die meisten jener Aspekte angedeutet, die im Folgenden eine Rolle spielen werden. Zur Propagierung der ‚Stadtnatur’ in der professionellen Ästhetik Bis in die 1960er Jahre wurden die innerstädtischen Brachflächen (vgl. hierzu schon Tessin 2004b:134ff) mehr oder weniger als reine ‚Übergangsflächen‘ angesehen. Ihre Wiederbebauung war - im Zeichen eines noch großen Wachstums der Städte - nur eine Frage der Zeit. Kein Grund also, sich mit ihnen unter landschaftsplanerischen Aspekten zu beschäftigen: das war Bauland, zumindest Bauerwartungsland. Nach der Nachkriegszeit (mit vielen Trümmergrundstücken) war die Anzahl der Brachflächen bis in die 1960er/70er Jahre ständig zurückgegangen. Brachflächen waren also für die Grünversorgung auch rein quantitativ gesehen absolut irrelevant, ‚Restflächen‘, mit denen man buchstäblich nichts anzufangen wusste. Sie waren ‚ungestaltet‘ und deshalb kein Thema der Landschaftsund Gartenarchitektur, fast eine Infragestellung der Disziplin. Der Naturschutz sah damals Naturschutzpotenziale nur außerhalb der Stadt (Naturschutzgebietsorientierung). Im Falle der Brachfläche war durch die vorherige Nutzung (Bahn, Industriebetrieb o.ä.) der Boden verdichtet, teilweise kontaminiert, Leute hatten dort Gartenabfälle entsorgt, so dass eine Vegetation entstanden war, die so gut wie nichts mit der potenziell natürlichen Vegetation zu tun hatte. Aus Sicht der Bevölkerung waren Brachflächen eher ‚Verlegenheitsflächen‘, d.h. allenfalls geeignet (aber zugleich auch beargwöhnt) als Flächen für spielende Kinder, streunende Jugendliche oder Hunde oder für die Hausmüllbeseitigung. Die damals (in den 1950er, 60er Jahren) noch viel stärker ausgeprägte Orientierung der Bevölkerung an Sauberkeit und Ordnung machte Brachflächen zudem zu so etwas wie ‚Schmuddelecken‘ in der Stadt. Diese gesellschaftlich konventionalisierte Sicht der Brachfläche änderte sich im damaligen Westdeutschland erst im Laufe der 1970er Jahre. Der damals verstärkt einsetzende und sich bis heute fortsetzende De-Industrialisierungsprozess ließ wieder mehr Brachflächen entstehen, und dabei handelte es sich nicht um
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kleine Restflächen mehr, um Baulücken oder dergleichen, sondern mancherorts fielen riesige Areale brach, die schon allein flächenmäßig nicht einfach mehr zu ignorieren waren. Zugleich stellte sich heraus, dass diese brachgefallenen Flächen auch nicht einfach wieder schnell zu bebauen sein würden. Es traf sich zudem, dass die Naturschutzbewegung ‚die Stadt‘ entdeckte. Brachflächen, die man zunächst in der Landwirtschaft als Naturpotenzial entdeckt hatte, wurden nun auch in Bezug auf die Stadt interessant. Auf den städtischen Brachflächen durchgeführte Biotopkartierungen wiesen eine Vielfalt der Vegetation nach, die die der Stadtparks bei weitem übertraf. Städtische Brachflächen (insbesondere am Beginn ihrer Entwicklung, gleichsam im Pionierstadium), das waren auf einmal potenzielle Naturschutzgebiete in der Stadt! Der in den 80er Jahren allmählich um sich greifende Gedanke, den in den Ballungsräumen lebenden Menschen quasi ‚echte‘ Natur nahe bringen zu wollen, verstärkte die potenzielle Bedeutung der innerstädtischen Brachflächen noch. Die damals aufkommende Naturgartenbewegung (vgl. hierzu z.B. Milchert 1986) lehnte die steril und uniform gestalteten öffentlichen wie privaten Grünflächen in der Stadt ab und entwickelte einen neuen Gestaltungsstil: Sie wollte die Grünanlage so weit wie möglich dem Vegetationsmuster annähern, das für dieses Stück Boden gelten würde, wenn die Natur ihren Lauf nehmen würde. Propagiertes Leitbild war nicht mehr die idealisierte Kulturlandschaft, sondern die Naturlandschaft, ja Wildnis. Brachflächen konnten in diesem neuen Licht quasi als Fortsetzung und Zuspitzung der Landschaftsgartenidee angesehen werden, als Prototyp des Naturgartenstils. Auch die nicht so sehr ökologisch oder gestalterisch orientierte Freiraumplanung entdeckte Brachflächen neu; die früher als ‚unschicklich‘ empfundenen Nutzungen wurden ‚hoffähig‘ nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass im Zuge der studentischen ‚Kulturrevolution‘ Werte wie Sauberkeit und Ordnung relativiert und stattdessen Werte wie Freiheit, Spontaneität, Chaos betont wurden. Brachflächen schienen dieser neuen Wertorientierung zu entsprechen: ein Stück Anarchie, ein Stück weit Abkehr von der bürgerlichen Wohlanständigkeit, die noch typisch war für die Nutzung von Gärten und Parks in den 1950er und 60er Jahren. Und allmählich kristallisierte sich innerhalb der professionellen Ästhetik eine Art Brachflächen-Ideologie heraus, die sich um die folgenden Aspekte (vgl. hierzu Ungeheuer 1996: 857f) zentriert: Artenvielfalt, Ausgleichsfunktion, unreglementiertes Handeln, Möglichkeit des unbeobachteten Handelns, direkte Auseinandersetzung mit Natur, Kinderspiel, Sinnesschulung, emotionale Betroffenheit, Ort für wichtige Erfahrungen und mit persönlicher Bedeutung, Brachflächen als ein Ort mit Geschichte, als Ort für bedrohte Natur, wilde Natur als Ausdruck von Zivilisationskritik, als Gegenwelt, Brachen als frei interpretierbarer Ort, Sehnsucht nach Wildnis, Versöhnung mit der Natur und damit Sinnbild für eine bessere Zukunft, Spiritualität: ein Ort zum Wohlfühlen und Träumen.
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Wie man sieht, ist in Westdeutschland in den 80er Jahren im Zuge der Ökologiebewegung, also professionellerseits der Stadtnatur oder der Brachfläche ein gewaltiger ideologischer Überbau aufgestülpt worden, um die Bevölkerung von diesem neuen Freiraumtyp zu überzeugen und zugleich ein gutes Beispiel für die Diskrepanz von professioneller Ästhetik und dem Laiengeschmack, wie im Folgenden gezeigt werden soll. ‚Stadtnatur’: mehr akzeptiert denn wertgeschätzt? Damit wir etwas unter ästhetischen Aspekten erleben, bedarf es, wie im theoretischen Teil ausgeführt (vgl. Kap. 1.1 ), gewisser ‚begünstigender’ Bedingungen, z.B. x
einer gestalterischen, unmittelbar erkennbaren (offensichtlichen) Absicht des Produzenten - etwa bei einem Auto - etwas (auch) ‚schön‘ zu gestalten,
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einer gesellschaftlichen Konvention, die uns sagt, dass es sich hierbei eo ipso um ein ‚ästhetisches Objekt‘ handelt (Beispiel ‚Landschaft‘, ‚Kunst‘ etc.),
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einer Abweichung des Objektes von seinem üblichen, vertrauten Aussehen oder
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eines entsprechenden Interesses unsererseits bzw. einer gewissen Phantasie, uns über die ästhetische Konvention hinweg zu setzen, und ein an sich profanes als ein ästhetisches Ding wahrzunehmen (z.B. der Künstler, der in einer Obstschale irgendwas erblickt, nicht um ihr einen Apfel zu entnehmen, sondern um sie zu malen).
Naturnah gestaltete bzw. belassene Grünflächen in der Stadt erfüllen diese vier Kriterien nur sehr bedingt: In ihnen ist zum einen eine gestalterische Absicht entweder nicht vorhanden oder nicht immer unmittelbar erkennbar. Sie könnten wie von selbst entstanden sein. Sie sind auch noch nicht - anders als Parkanlagen und Gärten - gesellschaftlich eindeutig als primär ästhetische Objekte konventionalisiert, auch hat sich die ästhetische Neuartigkeit (in Abweichung vom üblichen städtischen Grün) inzwischen etwas verflüchtigt. Naturnah gestaltete Grünflächen könnten natürlich trotzdem jederzeit von uns ästhetisch rezipiert werden (und werden es ja auch), aber nur wenn wir von uns aus bereit, willens und in der Lage sind, gleichsam eine ‚ästhetische Brille‘ aufzusetzen, wenn wir sozusagen unsere ästhetische Absicht dem an sich profanen Gegenstand aufdrängen würden. Dann würden wir schnell den ästhetischen Reiz dieser Art Grünflächen erkennen, und jedes Detail von der Brennnessel über die Kröte bis hin zum Gestrüpp könnte ästhetisch wahrgenommen werden. Aber diese Art Flächen werden nicht in erster Linie mit primär ästhetischen Absichten aufgesucht, wir ‚besichtigen‘ sie nicht wie einen Barockgarten, sondern nutzen sie als Basic Green sehr pragmatisch: zum Hundausführen, zum Joggen, zum Durchqueren, zum Herumstromern. Und in der Regel sind naturnah gestaltete Grünflächen - von bestimmten Blühphasen abgesehen - ja nicht so spektakulär, in
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Form und Gestalt nicht so prägnant, als dass sie eine rein ästhetische Wahrnehmung und Bewertung von uns gleichsam erzwingen würden. Naturnah gestaltete Grünflächen laufen also stets Gefahr, unter ästhetischen Gesichtspunkten unbeachtet zu bleiben. Artenvielfalt, Möglichkeit des unbeobachteten Handelns, direkte Auseinandersetzung mit Natur, Sinnesschulung, Ort für wichtige Erfahrungen und mit persönlicher Bedeutung, ein Ort mit Geschichte, Brachfläche als Ort für bedrohte Natur, Natur als Gegenwelt, als Wildnis, als Ort zum Wohlfühlen und Träumen: als uns seitens der damaligen professionellen Ästhetik beigebracht wurde, die Brachfläche so zu sehen und zu empfinden (und nicht mehr als bloße Schmuddelecke und Verlegenheitsgrün), da waren die Zeiten anders als heute: da wurde die natürliche Umwelt als ‚Mitwelt‘ propagiert, die Aussöhnung mit der Natur schien bevorzustehen, der Kapitalismus am Ende. Heute, 20-30 Jahre später, hat sich dieser ideologische Kontext drastisch verändert, und es ist nicht davon auszugehen, dass eine naturnahe Ästhetik heute noch dieselben geradezu euphorischen Assoziationen und Konnotationen auslöst wie in den 1980er Jahren. Vielmehr signalisiert eine naturnahe Ästhetik heute eher: Industriesterben, schrumpfende Städte, Einsparsoll, Kostensenkung im Bereich der kommunalen Grünflächenpflege, Niedergang, Armut und Verelendung. Aber es stellt sich generell die Frage, ob das, was in Kunst und Philosophie in den letzten 500 Jahren an Erlebnispotential von Natur erschlossen bzw. das, was Ende des 20. Jahrhundert den Brachflächen an ästhetisch-ideologischem Überbau übergestülpt wurde (vgl. hierzu schon Kap. 1.3), ob alles das noch tatsächlich aktiviert und erlebt wird. Unser Naturerleben (vgl. hierzu schon: Tessin 1991) zielt in der Regel ja nicht auf Erkenntnis, Erforschung, Erschütterung, nicht auf das tiefe, intensive Erlebnis, sondern auf ein eher wohliges Gefallen. Bezeichnend ist ja, dass 'Natur erleben' scheinbar keine eigenständige Freizeitbeschäftigung ist: wir sehen fern, hören Musik, treiben Sport, feiern Feste, gehen spazieren, aber keiner sagt, er hätte am Wochenende ‘Natur erlebt’! Naturerleben ist in aller Regel kein Selbstzweck, keine sich selbst genügende oder uns ausfüllende Tätigkeit. Wir erleben Natur beim Spaziergang, beim Angeln, beim Jogging oder Golfen, beim Wandern, beim Gärtnern, gleichsam als Nebeneffekt. Es geht um das eigene Tun (in schöner, gesunder oder auch nur 'anderer' Umgebung), so wie man sich beim Essen im Restaurant gern einer schönen Atmosphäre erfreut. Naturerleben geschieht eher beiläufig, im Hintergrund, nicht so, wie man ein Buch liest, einen Kinofilm sieht oder sich ein Konzert anhört. Adorno (1977: 108) spricht sogar davon, dass die gespannte Konzentration zwar der Kunst gegenüber gemäß sei, aber nicht der Natur gegenüber. Diese Beiläufigkeit, gleichsam Hintergründigkeit des Naturerlebens, erklärt wenigstens zum Teil, warum es auch so enttäuschend ist, Menschen oder auch sich selbst danach zu fragen, was man am Meer, in den Bergen, im Park, an ei-
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nem Bach usf. eigentlich erlebt, an was man denkt, worauf man achtet, was man fühlt. Die Auskünfte, die man auf entsprechende Fragen erhält, sind in der Regel höchst ärmlich. Mag sein, dass man nicht immer imstande ist, das zu artikulieren, was man empfindet; wahrscheinlicher, dass man auch gar nicht so viel mehr empfindet als einen Hauch von Wohlbehagen, Ruhe, Gelöstheit, Schönheit, vielleicht Wehmut, also das, was man mit Hilfe von Polaritätsprofilen vielfach auch ermittelt hat (vgl. hierzu Nohl 1974, Hard 1983). Schon bei Goethe heißt es: "Zu den Werken der Natur muss der Beschauer erst Bedeutsamkeit, Gefühl, Gedanken, Effekt, Wirkung auf das Gemüt selbst hinbringen, (...)." In der Kunst sei das schon angelegt, sie ziele auf entsprechende ästhetische Wirkungen, Natur nicht; deren Wirkung liege nicht so sehr in ihr selbst, sondern im erlebenden Menschen bzw. im kulturell abgesteckten Erlebnispotential einer Gesellschaft; in dieser Personenabhängigkeit der ästhetischen Wirkung von Natur liegt zugleich ein ungemeiner Reiz wie auch ein ungeheueres Risiko. Das Naturerlebnis ist umso reizvoller und ergiebiger, je mehr Phantasie, Wissen und Gefühl ins Erleben 'investiert' wird. Wie für die Natur allgemein so auch für die Brachfläche gilt jedoch, dass einerseits beim Einzelnen nicht genügend 'Projektionsmasse' an Fantasie, Wissen und Gefühl vorhanden ist, das kulturell aufgeladene Erlebnispotential von Natur oder Brachfläche voll auszuschöpfen, und dass andererseits die Beiläufigkeit des Naturerlebens dies verhindert: man will sich unterhalten, vor sich hin dösen, spielen, ausspannen usf., also keine Veranlassung, groß Fantasie, Wissen und Gefühl ins Naturerleben zu investieren. Es reicht, des Angenehmen der Natur als Kulisse habhaft zu werden. Es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu: Bisweilen werden naturbelassene Flächen in der Stadt als quasi einzige Möglichkeit dargestellt, dort noch ‚Natur’ erleben zu können. Die Richtigkeit dieser Aussage ist natürlich davon abhängig, was man unter ‚Natur’ versteht. Und das ist nicht immer so ganz klar. Erlebt man nicht auch ‚Natur’, wenn Schimmel sich am Käse breit macht, eine Tasse herunterfällt und - den Naturgesetzen folgend - zu Boden fällt und dabei zu Bruch geht, Zucker sich - irgendwelchen chemischen Gesetzen folgend - im Tee auflöst? Fragt man die Leute nach ihrem Naturverständnis, so kommt jedoch meist ‚Landschaftliches’: Feld, Wald und Wiese, die Pflanzen- und Tierwelt, wobei sie die subtilen Unterscheidungen von 1., 2., 3. oder 4. Natur der professionellen Landschaftsästhetik (vgl. Kowarik 1991) nur ansatzweise mitmachen. So haben die Leute auch überhaupt keine Scheu in Rahmen von Befragungen auf die Frage, warum sie Parks und städtische Grünflächen aufsuchen würden, zu antworten, „um mich an der Schönheit der Natur zu erfreuen“. Und selbst Kleingärtner sprechen davon, sich ihre Parzelle ‚aus Liebe zur Natur’ angepachtet zu haben (vgl. zu den ganz unterschiedlichen Naturvorstellungen von Städtern und Dörflern z.B. Lutz, Simpson-Housley, de Man 1999). Naturnah belassene Freiflächen haben also kein Monopol auf ‚Naturerleben’ in der Stadt. Für Städter sind auch Gärten und Parks ein Stück ‚Natur’.
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Es gab in der Landschafts- und Freiraumplanung in Gestalt der damals sog. Kasseler Schule (vgl. hierzu Böse 1981) mal die Position, der Rückzug der Gartengestalter und Pflegekolonnen aus den öffentlichen Grünflächen würde dort einer ‚Befreiung‘ der Nutzung gleichkommen. Man sah in den Grünflächenämtern so etwas wie eine Besatzungsmacht, die gleichsam vorschreiben würde, wo man zu liegen, zu grillen, zu sitzen oder Boule zu spielen habe und zwar nicht auf den Wegen sondern auf der extra dafür vorgesehenen Boulebahn. Und ansonsten sollte man nichts tun, was nicht irgendwie und irgendwo im Park planerisch vorgesehen sei. Und auch noch im eingangs erwähnten Zitat von Wenzel klingt dieses Versprechen „geringerer Regelungsdichte“ an. Ausstattungselemente wie Bänke, Wege, Spielgeräte, Hütten usf. beinhalten natürlich eine gewisse Verhaltensregulierung, sie geben für entsprechende Verhaltensweisen entsprechende Orte oder Geräte vor, aber es sind auch Hinweise, Angebote, Aufforderungen, die den einen oder anderen Besucher ermuntern sollen, dies oder jenes zu tun. Und natürlich zwingen sie zu gar nichts. Untersuchungen etwa in Parkanlagen zeigen ja immer wieder, wie wenig verhaltenserzwingend solche infrastrukturellen Vorgaben bzw. Angebote sind: Tischtennisplatten, Ballkörbe, Skateranlagen, Boulebahnen, all das wird - wenn überhaupt stets nur von kleinsten Minderheiten benutzt; für die meisten Besucher sind sie verhaltensirrelevant. Für die jeweiligen Nutzungsinteressierten sind die Ausstattungselemente jedoch oft unverzichtbare Voraussetzung für die Verwirklichung ihres Verhaltenswunsches. Die Propagierung offener oder unklar definierter Behavior Settings (vgl. hierzu Tessin 2004b: 36ff) setzt darauf, dass die Besucher die Chancen zur eigenen Raumdefinition ergreifen. Es bedarf aber dazu einer gewissen Definitionsmacht und einer entsprechenden Courage (vgl. hierzu auch schon Obermaier 1980). Einen nutzungsoffenen Raum wie etwa eine Brachfläche in seinem Sinne zu definieren, möglicherweise im Gegensatz zu Definitionsversuchen anderer, kostet Überwindung und führt bisweilen gar zu Konflikten und Aushandlungsprozessen, in denen - aus Mangel an Vorgaben, auf die man sich berufen könnte - die Macht des Stärkeren oder das Windhundverfahren obsiegt: wer zuerst kommt, definiert zuerst! Eine Vielzahl von Beobachtungen und Befragungen hat immer wieder deutlich gemacht, dass die Verweildauer und Nutzungsdichte auf innerstädtischen Brachflächen bei den meisten eher gering ist und sie oft lediglich zur Durchquerung und Wegabkürzung genutzt werden, weil x
viele Leute ohne entsprechende Verhaltensangebote nicht recht wissen, was sie dort machen sollten,
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die rechte ‚Traute’ fehlt, sich ‚festzusetzen’ oder länger aufzuhalten oder
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die Fläche bereits durch andere Nutzungsansprüche ‚besetzt’ zu sein scheint.
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Die Kenntnis, hier wird sonst Fußball gespielt, hier hält sich sonst eine Gruppe von Aussiedlern oder eine Schafherde auf, kann bereits dazu führen, auch den im Augenblick ‚nicht besetzten’ Ort zu meiden. Mit anderen Worten: Skepsis ist anzumelden gegenüber Hoffnungen, die davon ausgehen, offen oder unklar definierte Flächen ohne planerische Verhaltensvorgaben würden zu einer ‚Befreiung’ des Freiraumverhaltens führen. Wahrscheinlicher ist, dass entweder ein Freiraumverhalten überhaupt nicht stattfindet als Ausdruck einer Art von ‚horror vacui’ oder in relativ kurzer Zeit sich ein informelles Behavior Setting entwickelt, das u.U. weit ‚exklusiver’ als ein planerisch vorgegebenes sein kann. Die Begegnung mit einem etwas zerlumpt aussehenden Mann, das Stolpern über eine Baumwurzel, eine herumliegende Wodka-Flasche, irgendeine abschätzige Meinung zum ‚Gestrüpp’ kann ausreichen, sich zur Verhaltensregel zu machen, die Grünfläche kein weiteres Mal mehr aufzusuchen oder sie nur als Wegabkürzung zu nutzen. Neben einigen brachflächenspezifischen Aktivitäten wie Blumen pflücken, Beeren sammeln, Feuer machen, sich durchs Gebüsch schlagen, unterscheidet sich das Verhaltenspektrum in naturnah belassenen Freiflächen nicht gar so sehr von dem anderer Grünflächen: Es geht - wie überall im Freiraum - in erster Linie um ‚frische Luft’, ‚ein bisschen Bewegung’, um ‚den Hund ausführen’ u.ä. - alles in allem kein Grund, in dieser Art von Flächen das ‚Heil’ zu sehen, wohl aber sie zu akzeptieren, noch dazu wenn zugleich der Naturschutz begeistert ist, das Grünflächenamt seine Pflegekosten reduziert und die Stadt insgesamt ‚grüner’ wirkt (vgl. zur dieser offensichtlich in England sehr ähnlichen Einstellung der Behörden und Ämter zu dieser Art von Freiflächen: Özgüner, Kendle, Bisgrove 2007). Denn dass die städtische Bevölkerung (am richtigen Ort) ein gewisses Maß an Pflegeextensivierung, an ‚Verwilderung’, an ‚Natur’ akzeptiert, die nicht durch ein Landschaftsarchitekturbüro ‚gestaltet’ wurde, wird an einer Vielzahl von Untersuchungsergebnissen deutlich. So fand es rund die Hälfte der in Hannover Befragten gut bzw. sehr gut, „wenn Grünflächen heute u.a. aus Kostengründen naturnah gestaltet bzw. belassen werden, der Rasen oder die Wiese also nicht ständig gemäht wird, auch wenn diese Flächen dadurch u.U. weniger gepflegt und ordentlich aussehen“. Und noch einmal ein weiteres Drittel ‚könnte damit leben’. Lediglich 20% der Befragten sagten, das gefiele ihnen nicht so, wobei insbesondere ältere Menschen sich deutlich weniger aufgeschlossen zeigten. Die Diskussion hat erbracht, dass das im Kontext der professionellen Ästhetik entwickelte und propagierte Konzept der Stadtnatur, der Stadtwildnis, der ‚Hang zur Verwilderung’ (Loidl-Reisch 1986), die Brachflächenästhetik inzwischen ein ganzes Stück weit gesellschaftlich akzeptiert worden ist. Derartige Flächen sind in den allgemeinen Geschmackskorridor integriert worden: man regt sich nicht mehr auf, findet sie sogar (am richtigen Ort, im richtigen Maße) bisweilen ganz reizvoll (vgl. zu diesen ‚ästhetischen Sickereffekten’ der professionellen Ästhetik
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noch Kap. 4.2). Rezeptionsästhetisch aber bleibt das Erleben dieser naturnah gestalteten bzw. belassenen Flächen weit hinter den seinerzeit im Kontext der professionellen Ästhetik gehandelten Erwartungen zurück. Aber auch in der professionellen Ästhetik scheint inzwischen Ernüchterung eingetreten zu sein: das Konzept ist (wenn auch in das planerische Repertoire durchaus mit aufgenommen) nicht mehr ‚up to date’ (vgl. hierzu die frühe Kritik von Kienast 1981 oder noch jüngst z.B. Weilacher 2005a: 12f). Zumal man auf der Suche nach ‚etwas Neuem’ inzwischen fündig geworden ist und zwar im konzeptionellen Gegenteil: der formal (‚naturfern’) gestaltete Freiraum.
3.4 ‚Moderne’, formale Gestaltung und Laiengeschmack Zur ‚Ästhetik des Angenehmen’ (vgl. Tessin 2005b) gehört, so die These, das ästhetisch Neue und Fremde eher nicht. Nicht die ästhetische Überraschung (im Sinne von Verunsicherung und Irritation) gefällt (die mag interessant sein), sondern die Bestätigung tradierter ästhetischer Vorlieben, weshalb die ästhetische Vertrautheit ein ganz wesentliches Moment des Angenehmen und des Gefallens ganz generell ist (Leder 2003). Bei Rambow (1998) heißt es in Bezug auf Gebäude ganz ähnlich: „Laien bewerten Gebäude, die stark vom gewohnten Prototyp oder Schema eines Gebäudes abweichen, zwar oft als interessant, aber sie gefallen ihnen nicht sehr.“ Neues, Abweichendes, Fremdes, Unübersichtliches, Überraschendes bedeutet ‚Bewusstsein’ (vgl. Roth 2003) und damit geistige Anstrengung. Tatsächlich streben Menschen in Gärten und Parks aber ja eher nach geistiger Entlastung und Entspannung. Das schließt ein Bedürfnis nach Vielfalt und Abwechslung nicht aus, aber alles das sollte sich im Rahmen des Erwarteten und Vertrauten bewegen und - natürlich - im Rahmen des Angenehmen. Dem Freiraum, der gefällt, sind „ungewöhnliche, nicht alltägliche und neue Elemente und Gestaltstrukturen (...), pointiert ausgedrückt, fremd (...).“ (Nohl 1973: 519) Weshalb auch alle Spuren von Unverständlichkeit, Kompliziertheit, Gekünsteltem, und Gesuchtem als eher unangenehm empfunden werden (Bourdieu 1987: 66). Der Bevölkerung ist jede Art von vermeintlich gewollter und unnötiger formaler Gesuchtheit suspekt; sie gilt schlicht als autoritär oder elitär, manchem gar als ‚unnatürlich’. Tatsächlich steht der Begriff ‚Natürlichkeit’ ziemlich im Zentrum einer Ästhetik des Angenehmen und des Laiengeschmacks. Vielfach belegt sind ja nicht nur, wie in Kap. 3.3 gezeigt, die ästhetischen Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber Begriffen wie ‚Verwilderung’ oder gar ‚Wildnis’, sondern ebenso jene gegenüber einer allzu abstrakten, streng formalen, ‚coolen’ Gestaltung, die als ‚streng’, fast als ‚lebensfeindlich’ (im Sinne der These Worringers 1996/1908) und damit als nicht (angenehm) ‚natürlich’ empfunden wird (vgl. in Bezug auf die landschaftliche Wahrnehmung unter diesem Aspekt Wöbse 2002: 248).
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„Viel Grün, weite Rasenflächen, große Bäume, geschwungene Wege, vielleicht ein kleiner Bach oder See: ist das für Sie so das Ideal eines ‚schönen Parks’, oder haben Sie sich ein bisschen daran satt gesehen?“ Die Antworten auf diese Frage, die 300 Hannoveranern gestellt wurde, waren wie erwartet: für zwei von drei von ihnen ist der Landschaftsgarten nach wie vor das Gestaltungsideal und weitere 20% sagen, dass sie sich keinesfalls an diesem Stil ‚satt’ gesehen hätten. Bleiben also rund 10%, bei denen ein Hauch an ästhetischem Überdruss zu spüren ist. (Sind allein sie neuen Gestaltungsstilen gegenüber aufgeschlossen?) Dieses Ergebnis wird bestätigt durch eine andere Untersuchung in Hannover, in der die Besucher des ‚Parks der Sinne’ gebeten wurden, den Park zu benoten. Dieser Park wurde in den 1990er Jahren im Zuge der damaligen EXPO mit beträchtlichem Aufwand angelegt, aber doch ganz im traditionellen Landschaftsgartenstil, wenn auch - in diesem Kontext - mit sehr viel Liebe zum Detail und sehr abwechslungsreich. Ein konventionell ‚hübscher’ Park, der vermutlich in den Augen der innovativen professionellen Ästhetik kaum Gnade finden dürfte. Umso mehr jedoch bei seinen Besuchern. Die entsprechende Befragung (Appel 2008: 62) ergab, dass 25% der Besucher ihn mit ‚sehr gut’ und fast 70% ihn mit ‚gut’ benoteten, eine Benotung, wie sie auch ‚alte’, denkmalgeschützte Parkanlagen kaum erreichen (vgl. Kap. 2.1). Die ‚Ästhetik des Angenehmen’ steht deshalb ja nicht ganz zu Unrecht unter dem Verdacht (vgl. z.B. Weilacher 2005a: 13), innerhalb der professionellen Ästhetik propagierte modernere Gestaltungsstile als mehr oder weniger inkompatibel zu den Geschmacksvorstellungen der Bevölkerungsmehrheit anzusehen, weil die ‚moderne’ Landschaftsarchitektur eben nicht ‚angenehm’ genug daherkommen würde. Natürlich ist das, was in den letzten 10, 20 Jahren an Landschaftsarchitektur produziert wurde, viel zu heterogen, als dass man hierüber pauschalisierend irgendetwas sagen oder untersuchen könnte. Im Folgenden soll es daher nur um eine bestimmte Richtung innerhalb der aktuellen Landschaftsarchitektur gehen, die man notdürftig umschreiben könnte mit Minimalismus, formale Gestaltung, ‚schräge’ Geometrie, ‚cooles’ Design. Es ist ein Gestaltungsstil, der durch verschiedene Park- und Stadtplatzgestaltungen in Barcelona, später in Lyon, durch den Schouwburgplein in Rotterdam von ‚West 8’ (vgl. Slichtenhorst 1993) oder Tschumis Parc de la Villette in Paris (vgl. Baljon 1997) in den 1990er Jahren zumindest einem etwas größeren Fachpublikum bekannt wurde. Kennzeichnend für diese Gestaltungsrichtung war bzw. ist (als Gegenbewegung zur Naturgartenbewegung davor) die radikale Abkehr vom ‚Natürlichen’ und Ornamentalen, schon gar des Ungeordneten und die ‚Wiederentdeckung’ der Geometrie als Formensprache. Es ist eine analoge Entwicklung zur Architektur, wo sich etwa im selben Zeitraum die Abkehr von der sog. Postmodernen hin zur sog. „zweiten Modernen“ (Klotz 1994) vollzog, in der man stilistisch beim Analytischen Kubismus, dem Futurismus und den russischen Konstruktivisten wieder anknüpfte. Kennzeichnend für den ‚dekonstruktivistischen Stil’ waren etwa schräg gestellte Wände, sich durchdringende Baukuben, unregelmäßig geneigte
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und gebündelte Stützen, ‚dynamisierte’ Räume bis hin zu ‚zertrümmerten’ Volumina, ‚verzerrten’ geometrischen Formen. In der Landschaftsarchitektur zeigte sich die ‚zweite Moderne’ nicht ganz so kühn ‚dekonstruktivistisch’, wohl aber stark interessiert an einer formalen, geometrischen, strengen, bisweilen asketischen Ordnung. In dem Topos-Heft über die Park- und Stadtplatzgestaltungen in Barcelona, die dieser Stilrichtung mit zum Durchbruch verhalfen, betitelten die Autoren ihre Beiträge u.a. wie folgt: „Ein Netz aus Dreiecken“ (Fugueras 1999: 24), „Drei lineare Freiräume“ (Tarrasó, Henrich 1999: 39), „Linien im Raster“ (Battle, Roig 1999: 46) und „Stahl im doppelten Zick-Zick“ (Torres, Martinez, Usandizaga 1999: 61), und tatsächlich ist diese formale, geometrische Formensprache kennzeichnend für die jeweils beschriebenen Freiräume. Kennzeichnend ebenso die Verwendung ‚harter’ Materialien wie Beton. Natursteinplatten werden verwendet, aber nicht in polygonaler Form. Bäume werden in ‚Rastern’ gepflanzt, die Baumkronen zu ‚Kästen’ geschnitten. “Schräge Ebenen wurden ins Gelände geschnitten“ (Krebs 2002: 9). Viele dieser ‚modern’ gestalteten Freiräume zeigen ‚Rasenwellen’ bis hin zu ‚Rasenpyramiden’. Insgesamt lässt sich die Gestaltungsrichtung - und so liest man es auch in den jeweiligen Erläuterungsberichten - umschreiben mit Adjektiven wie streng, abstrakt, kühl, formal, asketisch, glatt, rational, karg, leer, stringent. In einer Beschreibung des Schouwburgplein in Rotterdam heißt es, er sei „viel eher ein Ort der Leere, der schönen Leere“ (Rousseau 2000: 21), und Tischer (1999: 72) weist darauf hin, was seiner Ansicht nach „die letzte Konsequenz des statischen Minimalismus (sei): das Nichts.“ Es wurde im Rahmen eines Versuches, den Bedeutungsgehalt des Wortes ‚angenehm’ zu bestimmen, einer Personengruppe eine Liste mit über 120 Eigenschaftswörtern vorgelegt mit der Bitte, jeweils anzugeben, ob sie die Wörter eher dem Angenehmen oder dem Unangenehmen zurechnen würden und zwar mit Blick auf städtische Freiräume bzw. dem Aufenthalt dort. Unter den Worten, die (im Kontext eines städtischen Freiraumes) mehrheitlich dem ‚Unangenehmen’ zugeordnet wurden, tauchten u.a. die folgenden auf: abweisend, spröde, streng, karg, leer, glatt, nüchtern, stringent, sachlich, cool, geometrisch, linear. Also mehr oder weniger das gesamte oben zitierte Wortarsenal dieser speziellen Art von ‚moderner’ Landschaftsarchitektur. Das lässt hinsichtlich der rezeptionsästhetischen Akzeptanz derartiger Gestaltungen nicht viel erhoffen. Aber natürlich ist das immer (wie alles in der Ästhetik des Angenehmen) auch eine Frage der ‚Dosierung’, d.h. eine Frage, wie (dosiert) ‚modern’ bzw. ‚nicht-natürlich’ ein neu gestalteter Park oder Platz ist. Die Untersuchungen von Tisma, Jókövi (2007) über die Akzeptanz von neuen Parks der 1990er Jahre in den Niederlanden haben denn durchaus auch ambivalente Ergebnisse erbracht, wenn auch der Grundtenor ihrer Untersuchungsergebnisse skeptisch ist: es scheint schwierig, so die Verfasser, neue Parks und Plätze zu schaffen „so that various facilities will function as a unity and create a real
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public space where people can mix, meet and socialise rather than remain isolated and aloof.“ (ebenda: 56) Im Folgenden soll am Beispiel des neu gestalteten Landschaftsraumes am Kronsberg in Hannover und des Invalidenparks in Berlin, in denen die skizzierte moderne, geometrische Formensprache eher gemäßigt eingesetzt wurde und dem Besucher jeweils durchaus auch vertraute, landschaftlich gestaltete Partien angeboten werden, gezeigt werden, auf wie viel Akzeptanz diese Art von ‚moderner’ Landschaftsarchitektur stößt. Es muss wohl nicht erst groß betont werden, dass mit den beiden Beispielen kein wie auch immer gearteter Beweis für oder gegen die ‚moderne’ Landschaftsarchitektur erbracht werden kann oder soll; dazu ist diese in ihren Erscheinungsformen viel zu vielfältig, und zu sehr entscheidet der Einzelfall, die spezifische Konstellation, die Dosierung ‚vor Ort’ über Gelingen bzw. Misslingen eines Entwurfes. Landschaftsraum am Kronsberg Im Rahmen der EXPO 2000 wurde in den 1990er Jahren in Hannover am Kronsberg, in Nähe des Expo-Geländes, nicht nur ein neuer Stadtteil realisiert, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft ein vorhandener Landschaftsraum umgestaltet und mit der Perspektive entwickelt, ihn durch eine solche Umgestaltungs- und Aufwertungsmaßnahme auch längerfristig gegenüber dem Suburbanisierungsprozess zu schützen. Das Kronsberg-Gelände war bis dahin eine rein landwirtschaftlich und großflächig genutzte Ackerfläche („Rübenacker“) gewesen. 1995 wurde vom Rat der Stadt Hannover ein Landschaftsplan beschlossen, der eine weitgehende Umgestaltung des Geländes am Kronsberg vorsah. Ziel war es, die rein landwirtschaftlich genutzte Fläche auch für Zwecke des Naturschutzes und der Naherholung zu öffnen. Entsprechend wurde die Kammlinie des Kronsbergs aufgeforstet, neue Wege- und Grünverbindungen wurden geschaffen, Ackerflächen wurden in Grünland umgewandelt, Hecken und Feldgehölze neu gepflanzt, zwei Aussichtshügel aufgeschüttet, Ackerwildkrautflächen und zwei Streuobstwiesen angelegt. Zwischen der neu geschaffenen Wohnsiedlung und dem Landschaftsraum entstand eine Baumallee mit dem Ziel, eine Art Grenzund Trennlinie zwischen Stadt und Landschaft zu schaffen. Eine sog. AllmendeFläche wurde konzipiert, die von einer Schafherde beweidet wird, die aber auch zugleich dem Aufenthalt der Besucher (Spielen, Grillen u.ä.) dienen sollte. In diesem Beispiel ist die moderne Formensprache nur sehr partiell eingesetzt worden: allein die kilometerlange Randallee mit den sog. Aussichtsterrassen, die beiden ‚künstlichen’ Aussichthügel, die wie Kegel aus der Landschaft herausragen oder das gradlinige Wegesystem (also keine geschwungenen Wege) können als ein bisschen ‚modern’ bezeichnet werden. Auch die Aufforstung des Kronsberg-Kammes erfolgte auf einer recht- bzw. spitzeckig eingezäunten Fläche. Insgesamt wirkt der Landschaftsraum etwas ausgeräumt und leer und entspricht damit nicht so recht dem traditionellen landschaftlichen Parkideal oder auch nur dem Ideal einer kleinteiligen Agrarlandschaft.
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Insgesamt werden die landschaftsgestalterischen Maßnahmen am Kronsberg (vgl. hierzu schon: Tessin 2005c) von den Besuchern und Anwohnern jedoch positiv und im Laufe der Zeit eher etwas besser bewertet. Dass die Landschaft am Kronsberg zwar mehrheitlich gut, aber nicht unbedingt sehr gut gefällt, wird noch dadurch deutlicher, dass die Bewohner der umliegenden Stadtteile deutlich weniger angetan waren als die im Gelände befragten Besucher. Während jene im Schnitt die Note ‚zwei’ zur Beurteilung der Landschaft am Kronsberg wählten, griffen die Bewohner der umliegenden Stadtteile nur zur Note ‚zwei-drei’. Aber: die Umgestaltungsmaßnahme wird insgesamt wohlwollend akzeptiert. Fragt man die Anwohner bzw. Besucher ganz pauschal danach, was ihnen denn an der Landschaft am Kronsberg besonders gefallen würde, so werden die unterschiedlichsten Aspekte genannt, am häufigsten (von 40-50% der Befragten) der Landschaftstyp. Wobei einem Teil die Weite und Weiträumigkeit der Landschaft gefällt (sie wird also nicht als ‚leer’ interpretiert), einem anderen Teil die ja durchaus neuartige Landschaftskonzeption, also die Mischung aus Landwirtschaft, Naturschutz und Naherholungsgebiet. Aussagen wie ‚ungewöhnliche Gestaltung’, ‚gewisse Eigenart’, ‚kein typischer Park’, ‚gute Mischung’, ‚mal was Anderes’ oder ‚unterschiedliche Elemente’ signalisieren, dass ein Großteil der befragten Besucher/Bewohner die besondere Eigenart der Landschaft zunächst einmal durchaus erkennt und dann auch anerkennt. Als drittes landschaftstypisches Moment kommt das der ‚Naturnähe’ hinzu, das ebenfalls von vielen Befragten lobend herausgestrichen wird. Hierbei wird in einem weiteren Verständnis von Naturnähe - neben den Ackerrandstreifen und der Allmende - auch auf die Obstwiesen und die Kammbewaldung verwiesen, ja, einfach auch nur darauf, dass alles viel ‚grüner’ sei (als vorher). Am zweithäufigsten wird die Ruhe, Menschenleere und Abgeschiedenheit der Landschaft als etwas Besonderes herausgestrichen. Und natürlich gefällt einem Teil der befragten Besucher bzw. Bewohner der umliegenden Stadtteile auch schlicht und ergreifend die ‚Nähe’ und ‚optimale Erreichbarkeit’ der Landschaft. Ähnlich viele sprechen ganz bestimmte Gestaltungsmaßnahmen an. Spitzenreiter der ‚Beliebtheit’ sind die beiden Aussichtshügel und die Obstwiesen. Die ‚modernen’ Gestaltungselemente, also insbesondere die Aussichtshügel, die mehr Aussichtskegeln ähneln, und die kilometerlange Randallee mit ihren rechteckigen und mit Betonbänken eingefassten Aussichtplätzen werden mehrheitlich akzeptiert, mehr allerdings aufgrund ihrer Funktion (Aussichtshügel), weniger ihrer Gestaltung wegen. Natürlich wurden die Besucher auch danach gefragt, was ihnen an der Landschaft nicht so gut gefallen würde bzw. sie regelrecht ärgern würde. Gut 20% der Befragten hatten überhaupt nichts auszusetzen. Bemängelt wird (wenn auch jeweils von Minderheiten): x
Die ‚Neuheit’ und ‚Künstlichkeit’ der Landschaft (‚sieht noch unfertig aus’, ‚etwas künstliches Erscheinungsbild’, ‚muss alles noch einwachsen’, ‚sieht
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noch so angelegt aus’), ein Eindruck, der insbesondere auch durch die beiden Aussichtshügel hervorgerufen wird (wurde), x
gewisse Gestaltungsmängel (fehlende Großbäume, Kammbewaldung noch ‚zu kümmerlich’, das Fehlen von Wasserelementen, die Künstlichkeit der Aussichtshügel etc.),
x
bestimmte Ausstattungs- und Erschließungsmängel (z.B. zu wenig Mülleimer, zu wenig Sitzmöglichkeiten, fehlende Unterstände bei Regen, bessere Spielmöglichkeiten für Kinder, Wege schlecht für Skater oder Rollstuhlfahrer) und
x
das Fehlverhalten von einzelnen Gruppen (Hundehalter, Ausländer, Motorradfahrer, Müll etc.)
Wenn auch einem beachtlich großen Teil der Anwohner wie der Besucher die neu gestaltete Landschaft bereits vertraut und ans Herz gewachsen ist, sie durchaus gefällt, so spürt man doch eine gewisse innere Reserve. Man findet toll, was die Stadt da auf die Beine gestellt hat, kein Vergleich zu früher, und doch... Eine Akzeptanz ohne Begeisterung? In verschiedenen Befragungen wurde das bewusst provokative Statement: ‚Die Landschaft am Kronsberg ist noch zu kahl und ausgeräumt, als dass man sich da richtig wohl fühlen kann’ benutzt, in der Erwartung, in diesem Aspekt lägen die zentralen Vorbehalte bei einem Teil der Besucher bzw. Bewohner der umliegenden Stadtteile gegenüber der Landschaft. Und tatsächlich: Fast jeder 5. Besucher fühlte sich in der Landschaft nicht ganz wohl, weil sie ihm ein bisschen zu ‚weitläufig’ und ‚leer’ erschien. Ja, selbst noch jeder 10. Besucher, der den Landschaftsraum mehr oder weniger täglich aufsucht, widersprach dem Statement nicht, dass die Landschaft noch zu kahl und ausgeräumt sei, als dass man sich da richtig wohl fühlen könne. Aber natürlich gibt es auch eine Gruppe von Bewohnern bzw. Besuchern, die in dieser Weiträumigkeit keinen Nachteil der Landschaft erkennen. 49% der Besucher und 28% der Bewohner der umliegenden Stadtteile sehen das so, worunter auch viele sind, die gerade in dieser Weiträumigkeit einen zentralen Vorteil sehen, ja, den eigentlichen Reiz der Landschaft, zumal sich das Merkmal verbindet mit dem der Aussicht, die man dort hat. Sie ist für nahezu jeden Besucher ein ‚highlight’. Weitere ‚Wohlfühl-Defizite’ sind wohl auch darin zu sehen, dass die Landschaft (noch) zu wenig Abwechslung bietet, ihre Übersichtlichkeit dem einen oder anderen ein kleines bisschen zu langweilig ist. An schönen Sommertagen ist in der Landschaft zwar mitunter ‚was los’, aber an den meisten Tagen eher ‚nichts’, was den Eindruck von Einsamkeit und Verlorenheit in der etwas weiträumigen, zugigen Landschaft noch verstärkt. Auch das kann ästhetisch reizvoll sein, aber gefällt selbstverständlich nicht jedem. Insgesamt ist die Umgestaltung der Landschaft am Kronsberg ein Beispiel dafür, ‚Neues’, auch ‚modern’ zu planen, ohne den vertrauten Geschmackskorridor
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allzu sehr zu verlassen und dadurch die breite Akzeptanz durch die Bevölkerung zu riskieren. Hier wurden die beiden ‚moderneren’ Stilrichtungen der Landschaftsarchitektur (hier ökologische, dort formale Ästhetik) recht geschickt dosiert und zwar, wie es scheint, im rezeptionsästhetisch gerade (noch) ‚richtigen Maß’. Invalidenpark Berlin In seinem Buch „In Gärten - Profile aktueller Landschaftsarchitektur“ erwähnt Weilacher (2005b) zwei relativ neue Beispiele ‚moderner Landschaftsarchitektur’: den Invalidenpark in Berlin und zwei Quartierparks in HannoverKronsberg. Es handelt sich dabei um Objekte, die man vielleicht mehr als den umgestalteten Landschaftsraum am Kronsberg als ‚modern’ bezeichnen könnte, immerhin als ‚modern’ genug, um an ihnen beispielhaft überprüfen zu können, ob und inwieweit anspruchsvolle, innovativ-moderne, tendenziell in die oben beschriebene Richtung gehende Landschaftsarchitektur in der Bevölkerung tatsächlich akzeptiert bzw. abgelehnt wird. Der Invalidenpark wurde von einem Landschaftsarchitekturbüro aus der Schweiz Ende der 1990er Jahre in Berlin geschaffen. Er zeigt sich - Weilacher (2005b: 64) spricht vom „dialektisch gestalteten Invalidenpark“ - auf der einen Seite (zur Invalidenstraße) mehr platzartig, auf der anderen Seite mehr parkartig mit altem Baumbestand, Rhododendren und Liegewiese, wo er eher traditionelle Sehgewohnheiten bedient. ‚Modern’ ist der Invalidenpark also eher im platzartigen Bereich, der geprägt ist durch ein großes Wasserbecken, Streifen von Granitplatten und Rasenflächen, regelmäßig gepflanzten Ginkgo-Bäumen, alles in strenger, geometrischer Ordnung, wobei das Wasserbecken in seiner geometrischen Form freilich ‚schräg’ aus der sonst streng eingehaltenen Gesamtausrichtung der Parks ausbricht. Dieses ‚Schräge’ ist ja ein typisches Kennzeichnen jener ‚modernen Landschaftsarchitektur’ (gewesen). Wie reagieren nun Anwohner und Besucher des Parks auf diese Art von ‚dosiert moderner’ Gestaltung? Zunächst einmal sagt über die Hälfte der Befragten, dass sei ein eher angenehmer Ort. Zwar sagt niemand, er sei ‚sehr’ angenehm, und es gibt auch niemand, der ihn als ‚sehr’ schön bezeichnet, aber knapp mehrheitlich wird er doch der ‚eher schönen’ bzw. ‚eher angenehmen’ Seite zugerechnet. Der Park macht auch keinen verlassenen Eindruck, sondern wirkt - bei entsprechendem Wetter - durchaus belebt. Am Wasserbecken spielen ein paar Kinder, ein Besucher verbessert am Wasserbecken seine Wurftechnik im Angeln, eine Gruppe von Jugendlichen albert mit ihren BMX-Rädern herum, eine BerlinTouristin fotografiert die im Wasserbecken ‚versinkende’ Mauer, ein paar Leute sitzen auf den Bänken oder liegen auf der Rasenfläche, um sich zu sonnen. Aber eine gewisse Nutzung und Belebtheit eines Freiraumes sagt nicht all zu viel aus über die Akzeptanz in der Bevölkerung.
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Immerhin doch 30-40% der Befragten bezeichneten den Invalidenpark als eher ‚nicht angenehm’ bzw. ‚nicht schön’. In den vielen Umfragen, die im Kontext dieser Untersuchung auf allerdings eher konventionell gestalteten Plätzen, Parkanlagen und anderen Grünflächen durchgeführt wurden, ist niemals eine so relativ große Ablehnungsquote unter den Besuchern zutage getreten und nie ist es in einem sozusagen ‚normalen’ Freiraum vorgekommen, dass nicht mindestens 10% ihn als ‚sehr angenehm’ bzw. als ‚sehr schön’ bezeichnet hätten. (Man erinnere sich: im weiter oben kurz erwähnten, auch neu, aber eher konventionell angelegten ‚Park der Sinne’ in Hannover waren es immerhin 25%!) Selbst in den sog. ‚Unorten’ gab es immer ein paar Leute, die den jeweiligen ‚Zufallsort’ (Haltestelle, Straßenecke, Parkplatz, Brachfläche) als ‚sehr angenehm’ bezeichneten. Im bzw. in Bezug auf den Invalidenpark wählte dagegen niemand diese Bezeichnung. Die unverhältnismäßig große Reserviertheit gegenüber dem Park gewinnt noch dadurch an Bedeutung, als die Leute - befragt, ob ihnen mehr der park- oder der platzartige Teil des Parks gefiele - ganz eindeutig den traditionell gestalteten Parkbereich vorzogen. Man könnte fast verleitet sein zu sagen, der Invalidenpark werde rezeptionsästhetisch sozusagen ‚gerettet’ durch diese Konzession an den traditionellen Geschmack. Es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: es wurden hier nur Leute befragt, die den Invalidenpark zumindest hin und wieder nutzen, also Leute, die ihn unter welchen Aspekten auch immer irgendwie akzeptieren. Diese Leute wurden deshalb auch gefragt, ob die Gestaltung des Parks von der Mehrheit der Anwohner ‚klar positiv’, ‚klar negativ’ gesehen werde bzw. ob sie ‚umstritten’ sei. Rund 60% der befragten Invalidenpark-Nutzer schätzten, die Meinung der Leute in der Gegend wäre ‚klar negativ’ und weitere 18% meinten, die Gestaltung des Invalidenparks sei nach wie vor ‚umstritten’. Auch viele der Befragten, die den Invalidenpark immerhin nun sporadisch nutzen, hatten sich erst an die Gestaltung gewöhnen müssen und ihre ursprünglich ablehnende Haltung erst allmählich in Richtung Akzeptanz verändert. Vor diesem Hintergrund wurden die Besucher des Invalidenparks schließlich nach ihrer Meinung zu der folgenden (fiktiven) Aussage befragt: „Manchem ist der Invalidenpark vielleicht ein bisschen zu sachlich-nüchtern, kühl oder modern und hätten ihn gern etwas beschaulicher, idyllischer, natürlicher, um sich dort ganz wohl zu fühlen.“ 75% der befragten Invalidenpark-Nutzer teilten diese Meinung ‚voll und ganz’ bzw. meinten, da ‚wäre was dran’; nur 25% widersprachen und davon nur 10% sozusagen aus ‚innerster Überzeugung’. Selbst unter jenen, die den Invalidenpark im Prinzip als eher angenehm bezeichnen, findet noch jeder Zweite den Park als ein bisschen zu sachlich-nüchtern, kühl oder modern, um sich dort ‚ganz’ wohl zu fühlen. Der Invalidenpark, als Beispiel einer modernen, anspruchsvollen Parkgestaltung zeigt, dass die Menschen mehrheitlich eher reserviert auf neue sachlichnüchterne, coole, moderne Gestaltungsstile reagieren. Sie lehnen sie vielleicht
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nicht mehrheitlich grundsätzlich ab, aber selbst jene (Minorität der Stadtbevölkerung), die den jeweiligen ‚modernen’ Platz oder Park überhaupt nutzt, zeigt sich nur mäßig begeistert - und das auch noch nach mehr als 10 Jahren Gewöhnung. Auch an einem anderen Beispiel des von einem renommierten Hamburger Landschaftsarchitekturbüro neu gestalteten Gustav-Adolph-Platzes in Düsseldorf zeigte sich, dass selbst von jenen, die den Platz aufsuchen bzw. überqueren (viele davon jüngere, ‚coole’ Angestellte in der City, die ihre Mittagspause dort verbringen), nicht einmal ganz die Hälfte die Platzumgestaltung als eher ‚schön’ bezeichnete. Würde man die Nicht-Nutzer des Platzes in die Befragung mit einbeziehen, käme man - ähnlich wie in Bezug auf den Invalidenpark in Berlin - sicherlich zu noch viel kritischeren Urteilen. Auch in einer zurückliegenden Stadtplatzbefragung in Hannover (vgl. Tessin 2005a) bestätigte sich, dass dezidiert ‚modern’ gestaltete Plätze nicht sonderlich gut gefallen. Auch da zeigte sich, dass sich die Bevölkerung mit ‚modern’ gestalteten Stadtteilplätzen schwer tut: Hier polarisierte sich nicht nur insgesamt die Gesamtbenotung der beiden Plätze (man fand sie entweder ‚toll’ oder ‚furchtbar’), sondern diese Einschätzung trennte vor allem Nutzer und Nicht-Nutzer. 80% der (wenigen) Nutzer fanden die jeweiligen Plätze ‚gut bis sehr gut’, dagegen fast 75% der (vielen) Nicht-Nutzer nicht einmal ‚befriedigend’. Und an diesen beiden Plätzen (Stadtteilpark Kronsberg, Andreas-Hermes-Platz) wurde von den Nicht-Nutzern in erster Linie nicht der Pflegezustand oder das Nutzungsangebot, sondern ausgerechnet das ‚Aussehen’, die ‚Gestaltung’ kritisiert. Während im Schnitt aller anderen, konventionell gestalteten Plätze nur 11% der Nicht-Nutzer das Aussehen des jeweiligen Platzes explizit bemängelten, waren es in Bezug auf die beiden ‚modern’ gestalteten Plätze 43%, also fast vier Mal so viele. Und es ist vor allem das (fehlende oder ‚falsch’ oder ‚sparsam’ eingesetzte) ‚Grün’, das bemängelt wurde (vgl. zur mangelnden Akzeptanz der modern gestalteten Quartierparks in der Siedlung am Kronsberg in Hannover auch Schwartzenberg 2003: 34f). So heißt es denn auch in Gesprächen in Bezug auf ‚modern’ gestaltete Freiräume und Plätze etwa in der Hafencity in Hamburg, in Berlin oder Hannover: „Das finde ich nicht gut. Da ist zu viel Beton. Das sind Betonplatten. Zwar Treppenstufen, und es gibt auch Sitzmöglichkeiten, aber ansonsten war das doch sehr sparsam. Das langweilte mich. Ich mag ein ganz klares, sparsames Design eigentlich nicht. Das ist mir zu wenig. Damit kann ich nichts anfangen.“ „Mit modernen Plätzen ist das so ein bisschen schwierig: z.B. der Potsdamer Platz in Berlin. Das ist mir zu zugig. Da kommt gar keine Wärme auf.“ „Der Opern-Platz in Hannover, den finde ich ‚moderner’. Der spricht mich aber überhaupt nicht an. Der hat nichts, was die Seele anspricht.“
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„Der Andreas-Hermes-Platz: ist einfach für mich ein toter Platz. Und es wäre möglich gewesen, ihn etwas kuscheliger, etwas heimeliger zu machen. Er ist einfach so frei, ich fühle mich dort immer ungeschützt und beobachtet. Er hat einfach keine Aufenthaltsqualität, zu wenig Bäume.“ Und zum Tuchollaplatz, einem eher moderat-modern umgestalteten Stadtplatz in Berlin-Lichtenberg: „Die Leute nutzen ihn nicht so richtig. Er ist so durchgangsmäßig. Es fehlt etwas die Abgeschlossenheit, dass man sich eher auch mal aufhält. Es könnten noch mehr Bäume da sein“ „Die Bänke sind schön, und die Pumpe und das Pflaster sind schön. Und auch die altertümliche Laterne. Aber es ist zu wenig Grün hier.“ „Nein, wohl fühlen tue ich mich nicht, aber richtig schön sind die Häuserfassaden.“ „Negativ ist, dass die Leute den Platz eigentlich nicht nutzen, er müsste belebter sein.“ Wo auch immer befragt wurde: Die Einstellung der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber solcher Art ‚moderner’ Landschaftsarchitektur ist meist reserviert und geprägt einerseits durch erboste Ablehnung, aber andererseits auch durch eine Art von eher gleichgültiger Hinnahme (‚nicht mein Geschmack’). Ein Mangel an ‚visual richness and enclosure“? Es liegt nun nahe, die Reserviertheit in breiten Kreisen der Bevölkerung gegenüber bestimmten Aspekten ‚moderner’ Freiraumgestaltung in dem Sinne, wie sie oben beschrieben wurden (geometrisch, cool, nüchtern etc.), mit Blick auf rezeptionsästhetische Untersuchungsergebnisse zu erklären, wie sie im Kontext der modernen Architektur recht zahlreich vorliegen. Man kann ja die innovative Landschaftsarchitektur der 1990er Jahre auch als einen Versuch verstehen, die Formensprache in der Weise radikal zu verändern, wie das in der Architektur des ‚Neuen Bauens’ bzw. des ‚Funktionalismus’ bereits in den 1920er Jahren erfolgte: der Verzicht auf das Ornament, auf Zierleisten, Sprossenfenster etc. und die Rückführung der Gebäudekubatur auf einfache, klare Formen (Schachteln und Kästen). Und es ist sicherlich kein Zufall, dass sich die Bevölkerung auch mit dieser Architektur noch nicht so recht angefreundet hat, obwohl doch die Gebäudekulisse einer Stadt, in der sich die Bevölkerung bewegt, inzwischen längst mehrheitlich ‚modern’ gestaltet ist. Hier müsste sich die Bevölkerung doch eigentlich längst an diesen ‚neuen’ Stil gewöhnt haben. Tatsächlich hat sich die Bevölkerung natürlich auch inzwischen recht gut mit diesen Gebäuden der klassischen bzw. ersten Moderne arrangiert. Dennoch fassen z.B. Herzog, Gale (1996) und Herzog, Shier (2000) die diesbezüglichen Untersuchungen so zusammen, dass auch noch heute alte Gebäudefassaden ‚modernen’ ästhetisch mehrheitlich vorgezogen werden insbesondere dann, wenn bestimmte Randbedingungen wie z.B. (Pflege-)Zustand, Funktion des Gebäudes
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kontrolliert wurden. Und mit Blick auf die Untersuchungen von Kaplan, Kaplan (1989) führen sie die Präferenz für ältere Gebäudefassaden darauf zurück, dass sie (gegenüber modernen) nach Publikums-Meinung besser abschneiden in Bezug auf Wahrnehmungs- und Gefallenskriterien wie „visual richness (decoration, natural materials, curves, articulated walls), legibility (distinctiveness), and mystery (opportunity for exploration, promise for further information),(...).“ (Herzog, Shier 2000: 558). Alte Gebäude sind also ästhetisch ‚reicher’, ‚individueller’, auch ‚geheimnisvoller’. Auch Berlyne (1960) hatte bereits ähnlich argumentiert bzw. war dem Zusammenhang nachgegangen, wie eine ästhetisch ‚reichere’ Umwelt, ihr sog. Anregungspotenzial (‚arousal potential’), dem Menschen reizvoll erscheint und ihn ‚neugierig’ macht. Voraussetzung für diese als angenehm empfundene ‚Anregung’ sei allerdings, dass die Komplexität nicht ein bestimmtes Maß an Verunsicherung, Verwirrung und Konflikt auslöst. Imamoglu (2000: 5) bestätigte noch einmal diesen Zusammenhang anhand von Hausfassaden. Es liegt also die Argumentation nahe, dass es der ‚modernen’, formalen Landschaftsarchitektur - ähnlich wie der klassischen Moderne in der Architektur - eben auch ein bisschen an ‚visual richness, legibility und mystery’ mangelt. Manche dieser neu geschaffenen Freiräume insbesondere im Kontext des Minimalismus wirken eben sehr karg, leer und sind nicht besonders vielfältig oder abwechslungsreich gestaltet und laden daher auch nicht recht zum Verweilen ein: sie sind - freilich zu ihrem rezeptionsästhetischen Nachteil - nicht „geschwätzig“ (Kienast) genug, weshalb Seifert (2005: 44)) zwar keine ‚geschwätzige’, wohl aber wieder eine „subtil narrative“ Architektur fordert. Und erinnert sei nur an Klotz (1977: 96f), der in seiner Kritik an der Postmodernen darauf verwies, es sei in ihrem Kontext eine „ganze Ikonografie von Ersatzarchitektur (…) entstanden, deren Formel-, Metaphern- und Zitatenreichtum als Racheakt am Dogma der modernen Architekturhygiene sich rechtfertigt.“ Tatsächlich ist eine ‚abwechslungsreiche’ Situation (in der richtigen Dosierung) das, was als besonders angenehm empfunden wird insbesondere dann natürlich, wenn man sich in dieser Situation etwas länger aufhalten möchte. Deshalb wirkt die moderne, formale Landschaftsarchitektur auf den ersten Blick zwar durchaus ästhetisch eindrucksvoll, aber auf die Dauer eines Aufenthaltes hin gesehen oft wenig anregend. Ein solchermaßen gestalteter Stadtplatz kann dann sozusagen trotzdem ‚anregend’ wirken, aber dann meist eben über eine vielleicht abwechslungsreiche Randbebauung oder durch ein geschäftiges Treiben auf dem Platz, einen abwechslungsreichen Blick auf einen Fluss oder Hafen, nicht jedoch durch seine ‚strenge’, fast asketische Gestaltung, die im Sinne Berlyne’s auf die Dauer ästhetisch nicht anregend genug wirkt. Es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu, den Tsima, Jókövi (2007) mit Blick auf das traditionelle Parkverständnis wie folgt erläutern: “...the park has been considered as an enclosure and as such has had a special place in the urban
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green system: as a place of peace and rest, where nature meets culture, and as a social focal point where people come to meet each other in a particular ‘safe’ setting, different and seperated from other urban functions. (...) Older parks often have fences and gates, (…). This traditional concept of enclosure places them in the category of what Foucault (1986) describes as urban heterotopias: places which interrupt the apparent continuity and normality of ordinary everyday spaces, places which are selfsufficient and introverted.” (ebenda: 48f) Und die Theorie der Kaplans über “restorative environments”, über Orte, wo sich Menschen wohl fühlen, beruht ja ganz wesentlich auf dem ‘being-away-Gefühl’ (Kaplan 1995: 174). Tatsächlich sind modern gestaltete Parks und Plätze sehr ‚offen’ und durchlässig. Sie igeln sich nicht gegenüber der städtischen Umwelt ein, sondern öffnen sich ihr ganz bewusst. Zugleich bieten sie Besuchern kaum Schutz-, Separierungs- und Rückzugsmöglichkeiten, keine ‚hide-aways’, keine ‚protected or defensible spaces’ im Sinne Newmans (1972); man ist - wie auf einem Präsentierteller - jederzeit den Blicken anderer ausgeliefert, was manchmal gewünscht sein kann, manchmal aber auch nicht und insbesondere dann nicht, wenn eher wenige Menschen da sind: dann fühlt man sich ein bisschen verloren in der Weite, Leere und Offenheit des Ortes. Es war deshalb nicht im geringsten verwunderlich, dass in der Befragung im und am Invalidenpark die Befragten eine ziemlich einhellige Meinung hatten zur nicht erfolgten Abpflanzung des Parks zur Invalidenstraße hin: sie fanden sie falsch und forderten nichts sehnlicher als eine Abschirmung zur Straße hin (vgl. noch Kap. 4.1). Die Reserviertheit in der Bevölkerungsmehrheit gegenüber allzu ‚modern’, puristisch, cool, minimalistisch, offen und ‚übersichtlich’ gestalteten Freiräumen schließt, wie gesagt, nicht aus, dass einzelne Gruppen sie durchaus mögen, vor allem aber nicht, dass diese Freiräume durchaus genutzt werden (vgl. hierzu auch Tisma, Jókovi 2007). Die ‚Ästhetik des Angenehmen’ geht ja gerade davon aus, dass sich der Wohlfühlaspekt eines Freiraumes aus ganz unterschiedlichen Quellen speist und dass die jeweilige Gestaltung, das jeweilige Aussehen eines Freiraumes nicht einmal besonders wichtig sein muss. Günstige Erreichbarkeit, eine irgendwie besondere Lage (z.B. am Wasser), ein guter Pflegezustand, ein bisschen Grün und Natur, ein irgendwie interessantes Geschehen oder Image oder wie beim Invalidenpark ein Wasserbecken können ausreichen, damit ein Freiraum genutzt wird - weitgehend unabhängig davon, ob er ‚überhaupt’ (wie bei Brachflächen) oder eben ‚modern’ gestaltet wurde. Es kommt auch - wie alles im Kontext der Ästhetik des Angenehmen - stets auf die ‚richtige Dosierung’ des Modernen an. Wenn die Leute genügend Vertrautes erkennen, dann akzeptieren sie durchaus einzelne ‚moderne’ Gestaltungselemente bzw. schauen über sie sozusagen hinweg. Wie überhaupt einzelne ‚moderne’ Gestaltungselemente ja nicht zwangsläufig mehrheitlich auf Ablehnung stoßen müssen, ja, sofern sie einen Hauch von ‚Natürlichkeit’ suggerieren (Gabionen, Cor-Ten-Stahl etc.) geradezu ‚beliebt’ sind.
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Es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu. ‚Modern’ gestaltete Parks und Plätze sehen auf den jeweiligen Entwurfsplänen oft viel ‚moderner’ aus als in der späteren Realität, einfach weil vieles, was in der Vogelperspektive des Entwurfs besonders klar, schräg oder kühn hervorsticht, sich im Freiraum selbst dann überhaupt nicht mehr vermittelt, sei es, dass andere Elemente den Eindruck dominieren und überlagern (Bäume, Wasser- oder Rasenflächen etc.), sei es, dass bestimmte Gestaltungsmerkmale aus der Augenhöhe eines Fußgängers gar nicht erkennbar sind, weil die ‚Übersicht’ fehlt. Die ‚Schrägstellung’ des Wasserbeckens zur Hauptausrichtung des Berliner Invalidenparks, die im Entwurfsplan sofort auffällt und ihn ‚modern’ und ‚interessant’ erscheinen lässt, ist im Park selbst nur ansatzweise erlebbar (vgl. Kap.2.3). So wirkt der Invalidenpark dann viel weniger ‚kühn’ oder ‚schräg’, weniger ‚modern’ als im Entwurfsplan, wenn auch für die Mehrheit der Anwohner immer noch ein bisschen zu sachlich-nüchtern, kühl und ‚modern’. Man vergleiche aber nur einmal den Entwurfsplan vom Bureau B+B für den Kromhout Park in Tilburg aus dem Jahre 1991 (Kiefer 2008: 12) mit einem Foto des dann realisierten Parks (Tisma, Jókovi 2007: 58).
3.5 Die Zwischenstadt als ästhetischer ‚Unort’? Sieverts (1999) konstatiert in seinem Buch zur sog. ‚Zwischenstadt‘ - zu Recht - die Auflösung der kompakten historischen europäischen Stadt in eine neue Stadtform: die verstädterte Landschaft oder die verlandschaftete Stadt. Und er sieht sich durchaus in der langen ideengeschichtlichen Tradition, die einstmals mit dem Gartenstadtmodell ihren Ausgangspunkt nahm und im Modell der gegliederten und aufgelockerten Stadt ihren vorläufigen Abschluss fand. Das planerische Konzept der Stadtlandschaft gilt gemeinhin in Gestalt des sich real ausbreitenden ‚urban sprawls’ und der Zersiedlung als gescheitert (vgl. zum Folgenden schon: Tessin 2002b), aber Sieverts sieht in den oft zufällig entstandenen ‚landschaftlichen‘ Zwischenräumen zwischen Siedlungen, Vororten, Gewerbegebieten, Autobahnkreuzen, Flughäfen, Müllkippen usf. eine Chance, wenn es gelänge diese Zwischenräume entsprechend zu erhalten und aufzuwerten: „Die Zwischenstadt kann eine beliebige Vielfalt von Siedlungs- und Bebauungsformen entwickeln, solange sie insgesamt in ihrem Erschließungsnetz lesbar und vor allem wie ein ‚Archipel‘ in das ‚Meer‘ einer zusammenhängend erlebbaren Landschaft eingebettet bleibt: Die Landschaft muß zu dem eigentlichen Bindeelement der Zwischenstadt werden.“ (ebenda: 20) Sieverts macht nun (leider) kaum konkrete Planungsvorstellungen, wie denn diese Stadtlandschaft umzugestalten sei, ist wohl auch selber recht skeptisch: „Denn Architektur und architektonisch geprägter städtischer Raum bilden nur noch einzelne, wichtige Komponenten in diesem Feld, sie können aber die Gestalt der Zwischenstadt nicht mehr als Ganzes bestimmen“ (ebenda: 106). Er redet die
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‚real existierende Stadtlandschaft‘ auch nicht einfach ‚schön‘, er sieht ihre Ungestaltetheit, ihren Quasi-Wildwuchs: „Die Zwischenstadt wird konstituiert aus mehr oder weniger dichten Feldern von Aktivitäten, Eigenschaften, Appellen, Zeichen, Botschaften und Erinnerungen, aus stabilen und flüchtigen Elementen, z.B. zwischen den Extremen eines alten Dorfes einerseits und einer MobileHome-Siedlung neuer Stadtmonaden andererseits. Und zwischen diesen Extremen die Alltagselemente der Zwischenstadt: Einfamilienhaus-‚Kolonien‘; Gewerbegebiete in der erstaunlichsten Mischung aus tatsächlichen Werkstätten, aber auch Villen, aufgegebenen Hallen und Schuppen; wilden Kleingärten und Brachflächen, Diskotheken und Billigmärkten. Dazu Krankenhäuser, Reiterhöfe, Reste von Landwirtschaft, Gehölze und Gewässer; Fernleitungen, alte Gleise und Dämme.“ (ebenda: 106) Vielmehr wirbt er für eine ‚andere Ästhetik‘, einen anderen Blick auf diese Siedlungsstruktur. Im Kern geht es Sieverts darum, den Siedlungsbrei der Ballungsräume als ‚Stadtlandschaft‘ anders wahrzunehmen, vielleicht nicht unbedingt als schön und geordnet, aber zumindest als ‚interessant‘, als ‚komisch‘, als ‚flüchtig‘, als ‚chaotisch‘, als ‚unübersichtlich‘, ja, als Gegenteil von ‚schön‘, in jedem Fall aber als zeitgemäßen (ästhetischen) Ausdruck unserer Gesellschaft und verweist auf Entwicklungen in der Kunst, wo es ja längst nicht mehr um das ‚Schöne‘ geht. Es wird also hier im Kontext der professionellen Ästhetik eine ‚neue Sichtweise’ vorgeschlagen (vgl. ähnlich dazu die Beiträge von Prominski 2004), und natürlich stellt sich auch hier die Frage, ob diese neu propagierte professionelle Sicht Chancen auf gesellschaftliche Akzeptanz hat. Sieverts sieht selbst die Schwierigkeiten einer solchen ästhetischen Umwertung oder ästhetisch-ideologischen Inwertsetzung, werde doch die ‚Zwischenstadt’ in der Regel als eher bloß hässlich empfunden: „Eine solche Sensibilisierung bedeutet aber ein großes Stück Arbeit an den eingefahrenen Wahrnehmungsmustern, in denen die Zwischenstadt ganz überwiegend in das Reich der Anästhetik gehört, und damit zu jenem Teil der Welt, der - wenn überhaupt - ohne bewußte Empfindung gesehen wird: Der Zustand der Anästhetisierung bedeutet ja genau dies: mindestens Schmerzlosigkeit, meist aber Betäubung und Bewußtlosigkeit.“ (ebenda: 111) Und erinnert sei an das Buch ‚Learning from Las Vegas‘ von R. Venturi u.a. (neu aufgelegt: 2001), die schon einmal, in den 1960er, 70er Jahren, ganz ähnlich wie nun Sieverts wieder, versucht hatten, der alltäglichen und gemeinhin als hässlich empfundenen Architektur und Stadtgestalt von Las Vegas einen (positiven) ästhetischen Reiz abzutrotzen - und sich damit bekanntlich nicht haben durchsetzen können, obwohl ihre Überlegungen ansonsten für die Entwicklung der Architekturtheorie und die Architektur der Postmodernen höchst bedeutsam wurden. Aber warum lässt sich so schwer vorstellen, dass die stadtregionale Siedlungsstruktur, also der ‚urban sprawl’, demnächst einmal anders gesehen werden könnte, vielleicht nicht gerade als ‚schön‘, aber doch vielleicht als ‚interessant‘.
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Es gibt doch Bildbände und Filme, Maler und Lyriker, die diesen Strukturen durchaus ästhetische Reize abgewinnen können? Und gibt es nicht in der Menschheitsgeschichte Beispiele, wie einmal als unansehnlich betrachtete Landschaften wie Moor-, Heide- oder Gletscherlandschaften valorisiert und der Blick für den ästhetischen Reiz dieser Art von Landschaften kulturell erschlossen wurde wie z.B. Großklaus (1983) in Bezug auf die Alpen, Eichberg (1983) in Bezug auf die Heide, Wagner (1983) in Bezug auf die Gletscherlandschaft oder Paul (1998) in Bezug auf die Meeresküste nachgewiesen haben? All das wurde vorher durchaus nicht als schön oder auch nur reizvoll bezeichnet. Die Worpsweder Moorlandschaft z.B. war lange Zeit niemandem eine Reise wert. Erst dadurch, dass sich dort eine Künstlerkolonie Ende des 19. Jahrhunderts ansiedelte, die eine dort vorhandene, aber bisher als ärmlich und ‚kaputt‘ betrachtete Landschaft, ein Torfmoor, als Sujet ihrer Landschaftsmalerei entdeckte, gewann dieselbe Landschaft nun auch für die Bevölkerung an Reiz. Heute ist sie eine wahre Touristenattraktion. Ja, gilt nicht dieser Prozess der ästhetisch-ideologischen Valorisierung für die Agrarlandschaft ganz allgemein? Die Agrarlandschaft wird ‚schön’ Die Stadt tritt in der Menschheitsgeschichte ja erst ab einem bestimmten Maß der Naturbeherrschung in Erscheinung (vgl. hierzu Tessin 2002b), als es nämlich aufgrund von Klimaveränderungen, günstigen Standortbedingungen und des Einsatzes von Getreide, Pflug, Wasserregulierung und Tonkrügen in der Landwirtschaft möglich wurde, einen gewissen Nahrungsmittelüberschuss zu erwirtschaften, der es seinerseits erlaubte, einen kleinen, dann immer größer werdenden Teil der Bevölkerung zunächst aus der primären, landwirtschaftlichen, dann auch aus der sekundären, handwerklich-industriellen Naturbearbeitung freizusetzen und für tertiäre Tätigkeiten zu reservieren, die kaum noch in Zusammenhang mit einer unmittelbaren Naturbearbeitung stehen: Handel, Dienstleistung und Verwaltung. Auch wenn das Leben des Städters abhängig und gebunden bleibt ans Ausmaß der wissenschaftlichen Erforschung, technischen Beherrschung und ökonomischen Ausbeutung von Natur, so haben doch immer weniger Städter noch etwas mit diesen Formen direkter Naturbearbeitung zu tun. Diese besondere Stellung des Städters im und zum gesellschaftlichen Naturbearbeitungsprozess haben ihn nun aber erst befähigt - erstmals in der Menschheitsgeschichte -, Natur rein ästhetisch erleben zu können, d.h. los- und abgelöst von den Zwecksetzungen der alltäglich-mühseligen Naturbearbeitung. Joachim Ritter (1978:13), der diesen Aspekt in seinem Beitrag „Landschaft - Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft“ besonders prägnant herausgearbeitet hat, schreibt: „Natur ist für den ländlich Wohnenden immer die heimatliche, je in das werkende Dasein einbezogene Natur: der Wald als Holz, die Erde der Acker, die Wasser der Fischgrund. Was jenseits des so umgrenzten Bereiches liegt, bleibt das Fremde; es gibt keinen Grund hinauszugehen, um die ‘freie’ Natur als sie selbst aufzusuchen und sich ihr betrachtend hinzugeben.“
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Gerade auch im Rahmen der, sagen wir, landwirtschaftlichen Naturbearbeitung wird ‘Natur’ selbstverständlich erlebt, sogar in einem sehr tiefen und umfassenden Sinne, „bis in die Mitte des Lebensbewußtseins“ hinein, wie Gehlen (1964: 13) dies einmal ausgedrückt hat, aber eben doch weitgehend eingebunden in den Prozess der Naturbearbeitung, ins „werkende Dasein“, wie es Ritter nennt, und eben primär nicht als ‚ästhetisches Objekt‘. Der Städter, soweit er in seiner überwiegenden Mehrheit von der unmittelbaren Naturbearbeitung fast ganz suspendiert ist, kann es sich leisten, Natur nun als Landschaft in Muße, gleichsam zweckfrei zu betrachten und zu erleben, freilich auch nur so lange, wie von ihr keine Gefahr oder Unannehmlichkeit ausgeht. Lukacs (1972: 73) schreibt: „Wie subjektiv angesehen die Muße die Voraussetzung des Erlebnisses der Natur ist (wir würden einschränkend sagen: des rein ästhetischen Erlebnisses der Natur!), so objektiv gesellschaftlich die Sicherheit, die Bequemlichkeit ihres Erreichens, ihres Inbesitznehmens“; oder noch einmal Joachim Ritter (1978: 30): „Der Naturgenuß und die ästhetische Zuwendung zur Natur setzen also die Freiheit und die gesellschaftliche Herrschaft über die Natur voraus.“ Keine Ästhetik ohne Freisetzung und Distanz? Vor diesem Argumentationshintergrund wird möglicherweise verständlich, warum wir die real existierende Stadtlandschaft (noch) nicht ‚rein ästhetisch‘ wahrnehmen können. Das hat vermutlich weniger etwas mit der vermeintlichen oder tatsächlichen Hässlichkeit der (Zer-) Siedlungsstruktur zu tun; buchstäblich alles lässt sich mit Blick auf das ‚Kunst-Experiment’ von Marcel Duchamps ästhetisch-ideologisch valorisieren. Als Marcel Duchamps vor Anfang des 20. Jahrhunderts ein ordinäres Pinkelbecken als ‚Fontäne’ bzw. ‚Brunnen‘ ausstellen ließ, wollte er bekanntlich nicht nur den bürgerlichen Kulturbetrieb und das damalige Kunstverständnis provozieren, sondern deutlich machen, dass ein so profaner Gegenstand seinen (ästhetischen) Wert total verändert, wenn man ihn aus seinem bisherigen Sinn- und Funktionszusammenhang einer öffentlichen Bedürfnisanstalt in ein Kunstmuseum verlagert. Die Pop-Art hat dann später mit diesem Phänomen gespielt, indem sie Blechbüchsen, Filzhüte, Coca-Cola-Flaschen aus dem gewohnten Alltags- und Funktionszusammenhang herausnahm und zu Kunstobjekten machte allein dadurch, dass man sie in den Sinn- und Funktionszusammenhang eines Kunstmuseums (aus)stellte. Bis dahin verstand man unter Kunst nur jene Versuche, bei denen der Künstler x-beliebiges profanes Material wie z.B. eine Obstschale, eine sitzende Person oder eine Ehetragödie in ein ‚Gemälde‘, eine ‚Plastik‘ oder ein ‚Drama‘ verwandelt, also das profane Material durch eine gestalterische Leistung ‚valorisiert‘ (Groys 1999). Nun schien auf einmal der Nachweis erbracht, dass eine bislang unbeachtet herumliegende zerbeulte Coca Cola Dose sozusagen Kunststatus erlangen könnte, wenn sie nur eben als Kunstobjekt wahrgenommen werden würde, was offensichtlich am besten dadurch zu erreichen war, dass man diese Dose in einem Museum (aus)stellte und zwar ohne,
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dass man sie vorher groß ‚künstlerisch‘ zu bearbeiten hatte. Mag man vielleicht auch heute noch darüber streiten, ob dieser quasi bloße ‚Tapetenwechsel‘ für die zerbeulte Coca Cola Dose schon als ‚Kunst‘ zu bezeichnen sei, unstrittig dürfte sein, dass die Dose im neuen Funktions- und Sinnzusammenhang des Museums vom Betrachter ganz anders als üblicherweise (im Alltag) wahrgenommen wird und zwar nun als primär ästhetisches Objekt, möglicherweise als Sinnbild für die ‚Wegwerfgesellschaft‘ oder als Symbol der ‚US-Kulturhegemonie‘. Dieser Vorgang der ästhetisch-ideologischen Inwertsetzung, die Valorisierung des Profanen ohne einen genuin künstlerisch-gestalterischen Eingriff, spielt auch in der professionellen Ästhetik der Landschafts- und Freiraumplanung eine beträchtliche Rolle. Denkmalpflege und Naturschutz arbeiten sozusagen definitionsgemäß auf dieser rein semantischen Ebene der Valorisierung. Sie definieren ein altes, abrissverdächtiges Gebäude um in ein ‚Denkmal‘ und aus einer bestimmten Art von Landschaft machen sie qua Verwaltungsakt ein ‚Naturschutzgebiet‘ und ändern damit - sozusagen durch einen Federstrich - Nutzung bzw. Wertschätzung. Sicherlich ließen sich aus Baustellen oder Schrottplätzen durch eine ähnliche - rein sprachliche - Operation herrliche ‚Kinderspielplätze‘ machen. Was etwas (wert) ist, bestimmt allein die gesellschaftliche Übereinkunft, wie etwa am Beispiel der Brachfläche und ihrer ästhetisch-ideologischen Valorisierung in den 1970er und 80er Jahren in Kap. 3.3. gezeigt wurde. Und auch die Bevölkerung ist in der Lage, etwa einen Kohlkopf ästhetisch wahrzunehmen, wenn auch in einem sehr unterschiedlichen Maße. Denn nichts unterscheide die Bildungsgruppen strenger voneinander, so Bourdieu (1987: 80), als „das Vermögen, beliebige oder gar ‚vulgäre‘ (...) Gegenstände zu ästhetischen zu stilisieren (...).“ Wenn die Bevölkerung die Stadtlandschaft nicht primär ästhetisch wahrnimmt, dann liegt es also nicht daran, dass diese prinzipiell nicht ästhetisch rezipierbar wäre, sondern möglicherweise vielmehr darin, dass sie - wie seinerzeit die Bauern der Agrarlandschaft - ihrerseits der Stadtlandschaft in einem durchaus vergleichbaren Sinne des ‚bäuerlichen Kampfes ums Überleben‘ ausgeliefert ist. Wir haben (noch) keine Herrschaft über oder Unabhängigkeit von der Stadtlandschaft erreicht, keine innere Distanz, um sie in einen ‚anderen Licht‘ als vorrangig ästhetisches Objekt wahrnehmen zu können (so wie uns das mit der gesellschaftlich längst überholten mittelalterlichen Stadt längst gelungen ist und die inzwischen regelrecht ‚Kunst- und Kultstatus‘ erlangt hat und von uns fast nur noch ästhetisch wahrgenommen wird). In Anbetracht der heutigen Stadtagglomeration beherrscht jedoch ihr profaner Gebrauchswert unsere Wahrnehmung. Noch scheint es der Abbildung, der künstlerisch-gestalterischen Valorisierung im Film, Foto oder Gedicht zu bedürfen, um sie ästhetisch genießen zu können. Wenn die real existierende Stadtlandschaft für uns einmal so bedeutungslos werden würde wie die mittelalterliche Stadt, die Agrarlandschaft im Zuge des Industrialisierungs- und Verstädterungsprozess oder die Brachfläche im Zuge des De-Industrialisierungsprozesses, dann könnte man sich durchaus vorstellen, die
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Stadtlandschaft einmal so genießen zu können, wie wir heute schon die Brachfläche oder eine Moor- oder Gletscherlandschaft ästhetisch erleben. Die ästhetischideologische Valorisierung von Dingen der profanen Welt setzt ja oft erst ein (siehe Brachfläche, siehe mittelalterliche Stadt, siehe Agrarlandschaft), wenn sie gesellschaftlich ‚überholt‘ oder nutzlos geworden sind, wir sie dort (in der profanen Welt) nicht mehr brauchen. Dann erst werden sie sozusagen frei für einen anderen (nun primär ästhetisch-ideologischen) Sinn- und Bedeutungszusammenhang - nicht selten (siehe Denkmal- und Naturschutz) auf dem Weg ihrer Musealisierung. No being away! Die Plausibilität dieser Argumentation lässt sich auch empirisch belegen. Wie man sich denken kann, hat es eine ganze Reihe von vergleichenden Untersuchungen darüber gegeben, wie Menschen auf unterschiedliche ‚landscapes’ reagieren und vor allem auch auf der Skala von urban-ländlich bzw. gebaut-natürlich. Den Befragten wurden die unterschiedlichsten Dias gezeigt von Industriegebieten, Wohnvierteln, Straßen, von suburbanen Räumen, Agrarlandschaften bis hin zu Berglandschaften oder einer Situation an einem See. Auf einer Skala von 1 bis 10 sollten sie nun angeben, wie ihnen die jeweils gezeigten Situationen gefallen würden. Die Ergebnisse waren wie erwartet: Dias aus dem Stadt- bzw. Zwischenstadt-Kontext wurden längst nicht so hoch und positiv bewertet wie Fotografien aus dem (unbebauten) Landschaftskontext (Purcell u.a. 1994:202; Purcell u.a. 2001: 101). Es wurden nun die unterschiedlichsten Auswertungsschritte unternommen, um herauszufinden, was für diese Beurteilungsunterschiede ausschlaggebend sein könnte: die Vertrautheit mit den jeweiligen Situationen, der Grad an ‚naturalness’ der abgebildeten (Stadt-) Landschaften usf.; es stellte sich heraus, dass für das ästhetische Gefallen von ausschlaggebender Bedeutung war, wie die befragten Personen den jeweils abgebildeten Ort auf einer sog. ‚restorative scale’ einordneten (vgl. Kap. 2.1), also inwieweit der jeweilige Ort den Ansprüchen nach being away, coherence, compatibility, familiarity und fascination entsprach (Purcell u.a. 2001: 99). Die Befragten hatten also neben der Frage, wie ihnen der abgebildete Ort gefiel, auch verschiedene Fragen zu beantworten, inwieweit sie in den jeweiligen Situationen das Gefühl hätten, mal rauszukommen aus dem Alltag (being away), dass da alles ästhetisch harmonisch und in sich stimmig sei (coherence), die abgebildete Situation ihren (Aufenthalts-) Interessen entspräche (compatibility), ästhetisch anregend (fascination) und sie ihnen vertraut sei (familiarity). Die ‚restorative scale’ gibt also Auskunft darüber, als wie ‚angenehm’, ‚erholsam’, für einen Aufenthalt geeignet, ein abgebildeter Ort angesehen wurde. Und es war nun genau dieser Bezugsrahmen, den die Befragten wählten, um die Frage zu beantworten, ob ihnen der jeweils abgebildete Ort gefiel oder nicht. Freilich hatten nicht alle genannten Kriterien dieselbe Bedeutung.
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Zum Beispiel erwies sich der Faktor ‚coherence’ als ziemlich unbedeutend. Orte konnten auf einer entsprechenden Skala ähnlich als ‚in sich stimmig’ beurteilt werden oder als ähnlich ‚vertraut’, gefielen aber insgesamt ganz unterschiedlich. Die Faktoren der ‚restorative scale’, die am besten die Unterschiede in der Gesamtbeurteilung erklärten, waren die Faktoren ‚being away’ und ‚fascination’. Die typischen Zwischenstadt-Orte lösten bei den Befragten keinerlei Gefühle der Befreiung vom Alltag und keinerlei ästhetisches Interesse aus und gefielen in erster Linie gerade deshalb nicht. Aber gerade dieser Befund bestätigt die obigen Argumentation: die Zwischenstadt wird zu sehr als ‚Alltag’ wahrgenommen, und es fehlt daher die nötige Distanz, um sie als ästhetisch anregend bzw. interessant zu rezipieren, obwohl sie doch ‚eigentlich’ (im Sinne der Sievert’schen Argumentation) hochgradig ästhetisch interessant ist bzw. sein könnte, wenn man sie nur als ästhetischen Ort zur Kenntnis und als solchen rezipieren würde. Hier spielen zusätzlich auch ganz stark ästhetisch-ideologische Vorurteile eine Rolle (vgl. hierzu auch Kap.4.1). Im Rahmen der eigenen Untersuchungen kam es immer mal wieder vor, dass ein Ort im Spontan- bzw. Gesamturteil sehr gefiel bzw. missfiel, obwohl aufgrund der nachfolgenden Bewertung der Einzelkriterien im Sinne der ‚restorative scale’ ein etwas anderes Gesamturteil zu erwarten gewesen wäre. So wurden einer Studentengruppe z.B. Dias von einem ‚idyllischen’ Stadtplatz in Barcelona gezeigt. Wie erwartet gefiel dieser Platz sehr. Erstaunlich war jedoch, dass der Platz in allen Kaplan’schen Gefallenskriterien zwar recht gut abschnitt, er also als stimmig, abwechslungsreich, übersichtlich und zugleich als einprägsam, interessant, einladend, friedlich usf. eingestuft wurde, aber das abschließende Gesamturteil in punkto Gefallen lag deutlich und signifikant über allen jeweiligen Einzelbewertungen. Weshalb gefiel der Platz, der allen Gefallenskriterien zwar recht gut entsprach, insgesamt jedoch sehr gut? Weil sozusagen alles stimmte und nichts störte? Wahrscheinlich ist zusätzlich, dass beim Spontan- bzw. Gesamturteil nicht nur die tatsächlichen Eigenschaften des Freiraumes bzw. einer Freiraumszene eine Rolle spielen, sondern auch allgemeine Klischees, Wertschätzungen oder Idealvorstellungen. In dem hier referierten Zusammenhang waren der Studentengruppe Dias von 11 Freiräumen vorgestellt worden. In einigen Fällen lag die Gesamtbenotung ziemlich genau im Bereich der Durchschnittsbenotung aller 13 Gefallenskriterien, in manchen war die Gesamtbenotung jedoch deutlich schlechter bzw. besser. Es zeigte sich, dass alle jene Dias, die in der Studentengruppe die Ahnung eines allgemein wertgeschätzten Ideals erwecken konnten (Bilder aus Muskau, Hestercombe, Bilder eines alten, idyllischen Stadtplatzes), in der spontanen Gesamtbeurteilung deutlich besser wegkamen als im Durchschnitt der Einzelkriterienbenotung. Anders jene Dias, deren abgebildeten räumlichen Situationen mit einem negativen Klischee behaftet sind, also typischer Weise Szenen aus dem Zwischenstadtbereich. In der durchschnittlichen Benotung der Einzelkrite-
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rien schnitten diese Abbildungen gar nicht mal so ganz schlecht ab; aber es half ihnen sozusagen nichts: die Klischeevorstellung bzw. die allgemein geringe ästhetische Wertschätzung solcher Orte prägte das Spontanurteil: solche Orte sind eben einfach ‚hässlicher’, auch wenn sie durchaus ihre ästhetischen Reize haben (können). Es scheint also so etwas wie eine gesellschaftlich konventionalisierte Rangliste der ästhetischen Wertschätzung zu geben (vgl. hierzu auch Brown, Keane, Kaplan 1986), angeführt von Natur- und Landschaftsszenen, über Gärten und Parks, ‚lauschigen’ Stadtplätzen, die allesamt gleichsam hoch vorgewettet sind, bis hin zu jenen Zwischenstadtszenen, die kaum Chancen haben, sich gegenüber dem negativen Vorab-Urteil zu behaupten; d.h. bevor man überhaupt in die Einzelprüfung der jeweiligen Gefallenskriterien geht, hat man den Freiraum als Park, Garten, Stadtplatz oder Brache wahrgenommen und damit eine grobe Einsortierung in verschiedene Gefallensklassen vorgenommen (vgl. hierzu auch in Kap. 2.1 die ‚Gefallens-Rangskala’ der verschiedenen Freiraumtypen, die in Hannover untersucht wurden). Man kennt dieses Problem ja auch aus der ästhetischen Bewertung und Wertschätzung von Tieren, wo ‚Ungeziefer’ so gut wie keine Chance hat, ‚rein’ ästhetisch gerecht gewürdigt zu werden. Will man den Blick auf Dinge und deren ästhetische Bewertung verändern, so gilt es, auch an diesen Vorurteilen oder Vorverurteilungen anzusetzen, also das jeweilige Objekt in eine andere Gefallensklasse, ästhetische Güteklasse zu verfrachten. Das Projekt IBA-Emscherpark, Sieverts hat als einer der Direktoren nicht zufälligerweise daran mitgewirkt, ist hierfür ein beredtes Beispiel, wie durch geeignete Maßnahmen ein ästhetischer Unort umkodiert werden kann. Der durch den Bergbau geprägte Teil der Siedlungsstruktur des Ruhrgebiets hat seinen gesellschaftlichen Gebrauchswert weitgehend verloren und ist damit frei geworden für einen anderen, nun ästhetisch-ideologischen Sinn- und Bedeutungszusammenhang. Die Initiatoren haben diese Chance erkannt und mit Hilfe einiger landschaftsgestalterischer Maßnahmen im Gebiet und einer entsprechenden Namensgebung der Bevölkerung deutlich zu machen versucht, dass dies nun eine Mischung aus ‚Park‘ und industriekulturellem ‚Museum‘ sei (Hauser 2001) und haben es damit der rein ästhetischen Wahrnehmung sozusagen freigegeben und zugleich in eine andere ‚ästhetische Güteklasse’ (Museum, Park) verfrachtet. Freilich: die bergbaugeprägte Landschaft des Ruhrgebietes mag, da gesellschaftlich obsolet, schon ästhetisch valorisier- und musealisierbar sein (ähnlich wie seinerzeit die Agrarlandschaft). Die Stadtlandschaft (unser aller Alltag) ist es noch nicht. Selbst in der temporären Rolle eines Stadttouristen, also dann, wenn wir uns aus dem Alltagszusammenhang der Stadt bewusst herausziehen und uns (in einer fremden Stadt) eine ‚ästhetische Brille‘ aufsetzen, gelingt uns diese ästhetisch-ideologische Valorisierung der Stadtlandschaft als ganzer nur sehr bedingt. Der ästhetische Blick fängt lediglich die sog. Sehenswürdigkeiten, also jene Aspekte der Stadtlandschaft ein, die schon als ‚ästhetische Objekte‘ gesell-
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schaftlich institutionalisiert worden sind. Der Rest der profanen Stadtlandschaft bleibt keines (allzu wertschätzenden) Blickes würdig. Aber es ist auch nicht so, dass man an dieser Zwischenstadt-Malaise groß leiden würde. Man hat sich schlicht an sie gewöhnt. Der Mensch strebt ja nach Lustgewinn und Vermeidung von Frustration. Fast instinktartig reagieren wir deshalb auf Schönes oder Angenehmes, es ist Lustgewinn pur. Hässliches, Unangenehmes dagegen suchen wir zu vermeiden. Es bedeutet (in der Regel) Frustration, auch wenn es natürlich einen ästhetischen Reiz des Hässlichen geben kann. Hässliches wird dann erträglich, wenn wir es schaffen, es zu ignorieren oder unsere ästhetischen Ansprüche gegenüber dem Gegenstand aufzugeben: wenn unsererseits keine Schönheitserwartung besteht, kann sie auch nicht frustriert werden. Also lernt man, das ‚Hässliche’ großstädtischer Siedlungsstrukturen entweder zu übersehen oder in Bezug auf sie gar nichts ‚Schönes’ mehr zu erwarten: „Das ist normal. Ich habe da noch nie darüber nachgedacht.“ „Das finde ich weder schön noch hässlich. Das ist doch überall so.“ „Das sind doch Gewerbegebiete: dafür finde ich das okay.“ „Ich bemerke das, aber es stört mich nicht. Mir ist das egal.“ „Man kann ja die Stadt nicht zu einem großen Park machen.“ Und vielleicht ist ja wirklich was dran an der These, dass es in erster Linie die Architekten und Planer selbst sind, die an den Einfamilienhauswüsten und den hingewürfelten Gewerbegebieten so sehr leiden. Und tatsächlich: gemessen an den planerisch-ästhetischen Konzepten der Gartenstadt, der organischen Stadtbaukunst, der gegliederten und aufgelockerten Stadt, der Urbanität durch Dichte, der Stadt der kurzen Wege, der kompakten Stadt, einer arkadischen Landschaft, des Naturschutzes, gemessen also an der professionellen Ästhetik, kann man die reale Siedlungsentwicklung in der Zwischenstadt nur bejammern. Aber niemand außer den Architekten und Planern kennt, geschweige denn hat diese planerischästhetischen Ideale, niemand weltweit hat je eine wohlgeordnete Stadtlandschaft gesehen, weshalb auch niemand außerhalb der ‚planning community’ die reale großstädtische Siedlungsentwicklung an diesen Vorstellungen - schon gar nicht an der einer arkadischen Landschaft - misst. Für die meisten Stadtbewohner ist die Stadtlandschaft einfach ‚typical’ und damit ‚abgehakt’. Insofern ist die Argumentation Prominskis (2004) rezeptionsästhetisch auch nur schwer nachzuvollziehen: seiner Meinung nach würden die Leute die Zwischenstadt ja angeblich deshalb nicht als ‚Landschaft’ ansehen und wertschätzen, weil sie das Idealbild einer arkadischen Landschaft im Kopf hätten. Und er fordert deshalb einen neuen, der Geographie entliehenen, wertneutralen Landschaftsbegriff, der auch verstädterte Landschaften einschließen müsse. Tatsächlich ist der Landschaftsbegriff (nun gerade auch rezeptionsästhetisch gesehen) zunächst einmal nicht unbedingt an etwas ‚Schönes’ oder gar ‚Arkadisches’ gekoppelt, sondern an eine Situation, in der man einen gewissen Überblick über eine Gegend der Erdoberfläche hat (gern auch bis zum Horizont), einen Überblick,
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den man dann auch entsprechend ästhetisch ‚nutzt’. Sobald wir diesen Überblick über eine Gegend haben oder ihn uns zumindest vorstellen (können), bereitet uns die Verwendung des Begriffes ‚Landschaft’ für das, was wir da sehen (könnten), überhaupt keine Schwierigkeit. Keineswegs metaphorisch gemeinte Bezeichnungen wie ‚ausgeräumte’ oder ‚verbaute Landschaft’, ‚Trümmerlandschaft’, ‚Mondoder Vulkanlandschaft’ oder auch ‚Hafenlandschaft’ zeigen überdies, dass diese sich uns darbietende Gegend keineswegs schön, grün oder gar ‚arkadisch’ sein muss, um von uns als ‚Landschaft’ wahrgenommen zu werden. Auch zerklüftete Hochgebirgslandschaften, Salzwüsten oder irgendwelche Steppen- oder Sumpfgebiete in Sibirien sind im landläufigen Sinne weder schön noch ‚arkadisch’ mit allem, was ästhetisch-ideologisch dazu gehören würde. Und doch erleben wir diese Gegenden (des Überblicks wegen) ‚landschaftlich’. Es ist denn auch tatsächlich nicht die kulturgeschichtlich sicherlich tief verwurzelte Idealvorstellung von einer schönen, arkadischen Landschaft, die es uns schwer macht, die Zwischenstadt als Landschaft zu sehen, sondern der meist fehlende ‚landschaftlichen Überblick’, wenn wir uns irgendwo im Häusermeer befinden bzw. das fehlende Interesse, sie uns unbedingt als ‚Landschaft’ vorstellen zu wollen. Aber schon am Stadtrand, erst recht im Stadtumland oder aber auch, wenn wir die Zwischenstadt etwa per Bahn durchreisen, kann sich eine Art von landschaftlichem Überblick einstellen und damit durchaus auch das Gefühl, sich in einer ‚Gegend’ und Landschaft zu befinden. Der ästhetische Genuss ist natürlich ambivalent, zu disparat das ästhetische Erscheinungsbild, aber keineswegs so negativ, wie es der Fall sein müsste, wenn die Leute die Stadtlandschaft wirklich am Ideal einer arkadischen Landschaft messen würden. Aber tatsächlich erwartet niemand im Ballungsraum Arkadien - so wenig wie in der sibirischen Tundra oder in einem wild zerklüfteten Gebirge. Es scheint wirklich so, als hadere die professionelle Landschaftsästhetik sehr viel mehr mit dem Nicht-Arkadischen der verstädterten Landschaft als die Laien. In der professionellen Landschaftsästhetik wie z.B. bei Wöbse (2002) wird der Verstädterungsprozess eher als ‚Verschandelung der Landschaft’ oder gar als ‚Landschaftsfraß’ wahrgenommen. Die Laien urteilen da ausgewogener, weil ihr ästhetisches Urteil eingebunden ist in die Einsicht, dass Verstädterung der Landschaft auch was mit einem ‚angenehmeren Leben’ zu tun hat. Kommen dann noch Heimat- und Vertrautheitsgefühle hinzu, wirkt die umgebende Stadtlandschaft gar nicht mal so übel, ‚typisch’ halt und keineswegs ‚furchtbar’.
3.6 Das ‚Vermittlungsproblem’ der professionellen Ästhetik Wie in den vorstehenden Kapiteln deutlich geworden ist, unterscheiden sich professionelle Ästhetik und Laiengeschmack auf den verschiedensten Feldern. Landschaftsarchitekten sind z.B. - wie eben angedeutet - erheblich anspruchsvol-
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ler und puristischer in ihrem ästhetischen Urteil als Laien, deren Urteil sehr viel lebenspraktisch ‚gemischter’, nie ‚rein’ ästhetisch i.e.S. und daher auch oft pragmatischer ist; die Architekten messen dagegen die Wirklichkeit an Idealen, etwa an der einer ‚arkadischen Landschaft’, etwas, was den Laien eher fremd ist. Die theoretisch-ideologische, auch ästhetische Arbeit der Architekten (nicht so sehr ihre praktische Berufsausübung!) ist tatsächlich ganz grundsätzlich geprägt durch solche hehren Ziele, Prinzipien und Ideale (vgl. hierzu schon: Tessin 2004b: 167ff). Man kämpft gegen die ‚Zersiedlung’ der Landschaft, man versucht ‚Urbanität’ herzustellen, das Interesse für Naturschutz und/oder moderne Landschaftsarchitektur im einfachen Volk zu fördern. Die zentrale Logik der Freiraum- wie jeglicher Planung lautet: Gemessen an irgendeinem Optimum, einem Ideal, ist in der Realität nichts so gut, dass es nicht noch verbessert werden könnte. Und wer wollte da widersprechen. Diese Logik der Planung als Daueroptimierung steht allerdings in der Regel in einem gewissen Widerspruch zu einer Logik, die sich an Bedürfnissen bzw. konkreten Wünschen der Bevölkerung orientieren würde. Der einzelne Mensch verfolgt ja eine Unzahl von Zwecken und Bedürfnissen, und seine Logik geht meist mehr dahin, sie lediglich ‚zufriedenstellend’ zu lösen: „Solange Bedürfnisse halbwegs angemessen befriedigt sind, besteht für ihn kein Anlaß, durch Aufwand eine Optimierung zu erstreben. (...) Erst wenn irgendwo die Lücke zwischen Gratifikation und Anspruch zu groß wird, entsteht deshalb ein Antrieb, die Gewohnheitshandlung durch erhöhte Rationalität in ihrem Ertrag zu verbessern.“ (Tenbruck 1972: 115) Der individuelle Mensch neigt deshalb meist dazu, sich eher zufrieden zu geben als sich permanent darum zu bemühen, seine Befriedigungswerte zu verbessern. Die hier skizzierte Ästhetik des Angenehmen kann nur allzu gut in diesen Kontext des Bedürfnismanagements von Laien eingeordnet werden. Würde sich Planung und Architektur nun aber ausschließlich an dieser individuellen Bedürfnislogik orientieren, käme sie gewissermaßen nun dann zum Zuge, wenn irgendwo die Lücke zwischen Gratifikation und Anspruch wirklich zu groß werden würde, wenn also die Bevölkerung die klassischen Entwurfslösungen für Gärten, Parks und Plätze wirklich einmal satt hätte, was tatsächlich jedoch nicht einmal in Ansätzen der Fall ist. Nicht zuletzt aus berufsständischen Überlegungen heraus ist es für sie daher nahe liegend, sich nicht auf diese (eher anspruchslose) individuelle Befriedigungslogik ästhetischer Bedürfnisse einzulassen, denn sie würde den Berufsstand nur schwerlich mit Aufträgen versorgen und schon gar nicht die ‚Kreativität’ des Berufstandes auslasten. Also liegt es für Architektur und Planung nahe, nicht so sehr von der individuellen Bedürfnisseite her argumentativ Handlungsbedarf zu reklamieren als vielmehr von der Idealseite her, der Seite dessen, was alles (sonst noch) möglich bzw. erstrebenswert wäre. Architektur und Planung sind also nicht so sehr auf die Bedürfnislage der Bevölkerung fixiert, sondern reklamieren für sich, das Allgemeinwohl nicht nur zu kennen, sondern
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auch im Auge zu behalten, die ‚bessere Lösung’ zu kennen oder - im Zweifelsfall - auch den ‚besseren Geschmack’ und die ‚höhere Einsicht’ zu haben. In den vorstehenden Kapiteln wurde deutlich gemacht, wie hier neue Vorstellungen zunächst innerhalb der professionellen Ästhetik entwickelt wurden, ohne dass aus Sicht der Bevölkerung dazu der geringste Anlass bestanden hätte. Und Rambow (2005: 139) schreibt in Bezug auf die Wohnungsbauarchitektur: „Tatsächlich liegt eines der wesentlichen Konfliktpotentiale zwischen Architekten und Bauherren bzw. Nutzern seit je in der Tatsache, dass erstere den Zustand des Wohnens als qualitativ defizitär und reformbedürftig empfinden, während letztere in der großen Mehrheit weit gehend zufrieden mit ihrem Wohnen sind und lediglich quantitative oder auf einzelne, konkrete Aspekte bezogene Verbesserungen anstreben“, die (z.B. Lage, Miete) häufig nicht einmal durch ‚Architektur’ zu verändern wären. So müssen also die ‚neuen Ideen’ der Bevölkerung gewissermaßen erst nahe gebracht, um nicht zu sagen aufgenötigt werden. Und in derartigen Fällen, wo sich eine solche Diskrepanz ergibt, entsteht grundsätzlich ein ‚Vermittlungsproblem’ (vgl. hierzu die vielfältigen Veröffentlichungen von Bromme und Rambow): es geht darum, nach Begründungen zu suchen, die ein zunächst etwas ratloses Publikum überzeugen könnten. Ein solcher Begründungsaufwand ist natürlich beträchtlich (vgl. hierzu schon: Tessin 1999), wenn man sich z.B. klar macht, dass jede vom Architekten gegebene Erklärung und Begründung ihrerseits wieder als nicht überzeugend ‘hinterfragt’ werden könnte. Die Begründungsnot des Architekten besteht ja eben nicht einfach darin, irgendwelche (ihn selbst vielleicht überzeugende) Gründe für seinen Entwurf angeben zu können, sondern Argumente zu finden, die ein Höchstmass an intersubjektiver Gültigkeit und Konsensfähigkeit besitzen, also gleichsam zwingende Gründe, was umso schwerer fällt, als ein Großteil des Entwurfs objektiv beliebig ist, d.h. auch - weitgehend folgenlos - anders aussehen könnte (vgl. zur grundsätzlichen Begründungsproblematik ästhetischer Werturteile z.B. Meyer 1990; Piecha 2002). Die Vorstellung, ein Entwurf oder eine Entwurfsrichtung ließe sich allein mit sog. guten (fachlichen) Gründen, dem besseren Argument, überzeugend begründen, ist offensichtlich illusionär und umso illusionärer, je mehr sich das gesellschaftliche Wertsystem pluralisiert, ja, individualisiert, also die Geschäftsgrundlage eines vernünftigen, auf Übereinkunft angelegten Gespräches immer mehr erodiert. Der Entwurf, den der eine als „klug durchdacht“ lobt, kann dem anderen gerade deshalb nicht gefallen („zu rationalistisch, ein zu glatter, ja langweiliger Entwurf!“). Nicht nur ist - wie eh und je - strittig, ob ein Entwurf ‘interessant’, ‘durchdacht’, ‘originell’ usf. ist, sondern immer unklarer wird, ob, wenn es denn so wäre, das positiv oder negativ zu werten ist, ja, als Bewertungskategorie überhaupt in Frage kommt (vgl. hierzu z.B. Lampugnani 1996: 49 zur Bewertungskategorie ‘originell’ oder Rambow 2000 in Bezug auf die Kategorien ‚neuartig’
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oder ‚zeitgemäß’; vgl. auch schon Kap. 3.1). In breiten Kreisen der Bevölkerung herrschen, wie inzwischen mehr als deutlich geworden sein sollte, ganz andere ästhetische Wertmaßstäbe als in der Berufsgruppe der Landschaftsarchitekten: nicht nur über den Wert von Ästhetik überhaupt, sondern vor allem auch darüber, was als ästhetisch gelungen angesehen wird. Es ist die Zeit des Relativismus, der Zerstörung des Wert- und Wahrheitsbegriffes, der Auflösung der Realität in unzählige beliebige Perspektiven, des Nebeneinanders verschiedener unvereinbarer Kulturen, Ideologien und geistiger Bezugssysteme. Dieses sich allseits ausbreitende Bewusstsein von der ‘Krise der Aufklärung’ (vgl. u.a. Sloterdijk 1983) ist für die Begründbarkeit des Entwurfes natürlich folgenschwer: einerseits lässt sich - einfacher denn je - alles irgendwie begründen, zugleich sind Andersdenkende jedoch - schwerer denn je - argumentativ zu überzeugen, denn alle Argumente können sich im Bezugssystem des Adressaten gleichsam ins Gegenteil verkehren nach dem Motto: „Wir glauben nichts und niemandem. Weil alle recht haben, aber nichts, wirklich nichts, richtig ist. Alle haben recht, aber nichts ist richtig.“ (COOP Himmelblau 1990: 105f) Dieses Begründungsdilemma würde sich natürlich sehr viel moderater stellen, wenn der Entwurf sich im Kontext rezeptionsästhetischer Befunde oder des breiten gesellschaftlich konventionalisierten Geschmackskorridors bewegen würde (vgl. hierzu Kap. 4) und beharrlich an ‚gelungenen Entwurfslösungen’ weiter gearbeitet werden würde. Aber genau zu diesem Ansatz steht die professionelle Ästhetik ja durchaus in einem Spannungsverhältnis: all das will sie gerade nicht bzw. nur dann, wenn sie durch sozusagen widrige Umstände dazu genötigt wird, weil der Bauherr, die Stadtbevölkerung oder wer auch immer nicht ‚mitzieht’. Kein Wunder also, dass die professionelle Ästhetik z.T. recht subtile Strategien entwickelt hat, sich gegenüber der widerstrebenden bzw. sich reserviert zeigenden Bevölkerung oder Volksvertretung in den Stadt- und Gemeinderäten durchzusetzen: So entlastet z.B. das Sachzwang-Argument von der Notwendigkeit, sich Begründungen ausdenken zu müssen. Der Hinweis auf eine entsprechende Verordnung, ein Gesetz, auf naturschützerische oder denkmalpflegerische Auflagen, DIN-Normen, auf Grundstücksgrenzen, knappe Finanzmittel, auf entsprechende Auftragsvorgaben usf., all das erspart viel Argumentationsarbeit. Zwar erweisen sich viele Sachzwänge beim näheren Hinsehen dann doch nicht als so zwingend, dennoch handelt es sich um relativ harte Argumente, zumal man sie in der (fach-) öffentlichen Debatte bei argumentativer Notlage auch noch ein bisschen dehnen, auch überstrapazieren kann. Aber ein kleines bisschen widerstrebt es dem Architekten doch, dieses oft fachfremde Argument, das nichts mit ‘guter Architektur’ zu tun zu haben scheint, hervorzukehren: es handelt sich eher um ein defensives Argument, einen Rechtfertigungsgrund. Mit ihm lassen sich Notwendigkeiten, Unvollkommenheiten des Entwurfes begründen, aber mehr meist nicht, wenn auch z.B. in Bezug auf die ästhetischen Konzepte der ‚Stadtnatur’ (vgl. Kap.3.3.) bzw. der formalen, ‚naturfernen’ Freiraumgestaltung (vgl. Kap. 3.4) durchaus
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gern auch mit dem Sachzwang argumentiert wird/wurde, eine zu intensive Pflege der städtischen Grünflächen sei heute nicht mehr zu bezahlen. Die Verlockung qua Sachzwang zu überzeugen, ist dennoch verständlicherweise groß; nahe liegend also, architekturgenuine ‘innere Notwendigkeiten’ der Entwurfslösung zu behaupten. Das Paradebeispiel dieses Versuchs ist die Hypostasierung eines sog. ‚genius loci’ (vgl. hierzu Norberg-Schulz 1982), aus dem die Entwurfslösung sich qua ‘Wesensschau’ ableiten ließe. Wer diese ‘innere Notwendigkeit’ des Entwurfes dann nicht er- und anerkenne, dem habe sich der ‚genius loci’ eben nicht offenbart (könne also gar nicht mitreden). Dabei stört es wenig bzw. ist es geradezu hilfreich, dass niemand je erklären könnte, was denn unter ‚genius loci’ zu verstehen sei, geschweige denn was den jeweiligen konkret ausmache. Nicht zufällig ist denn auch der ‚genius loci’ mehr als ‚Phantom’ (Führ) denn als ‚Phänomen’ bezeichnet worden. Kaum anders jene Ansätze, die sich typologisch, morphologisch, topographisch mit den räumlichen Strukturen eines Ortes auseinandersetzen in der Erwartung, dass „eine ihnen zugrundeliegende Gesetzlichkeit erkennbar wird“ (Rossi 1975: 33). In den eine Zeit lang in Mode gekommenen, ja fast zur Pflicht gemachten Schwarzplänen wird der Stadt(teil)grundriss zur Richtschnur der Einordnung eines irgendwo im Stadtgebiet zu planenden Baukörpers erhoben, was auf den Plänen hübsch aussieht, aber weder zu sehr eindeutigen Ergebnissen führt (auch wenn der gegenteilige Eindruck erzeugt werden soll), noch überhaupt erlebniswirksam wird (es sei denn im Flugzeug über der Stadt). In der Landschaftsarchitektur spielte das Konzept der ‚potentiell natürlichen Vegetation’ eine ähnliche Rolle und die Diskussion um die Verwendung sog. einheimischer Pflanzen. Diese ortsbezogenen Ansätze lassen sich natürlich nicht als Sach- oder Standorts- oder Ortszwänge i.e.S. ‘verkaufen’, aber sie machen doch Eindruck, weil das Prinzip der Ortsgerechtigkeit einleuchtend ist und dem Interesse der Menschen nach Lebenskontinuität und Vertrautheit ein Stück weit entgegenkommt wenn auch oft nur symbolisch, manchmal gar als Betrug: etwa wenn sich der Kult des ‚genius loci’ auf den bloß souvenirmäßigen Erhalt einzelner, vor Ort vorgefundener baulich-räumlicher Elemente im neuen Entwurf reduziert. Eine Zeit lang wurde Hoffnung in eine wissenschaftliche Begründbarkeit des Entwurfes gesetzt. Soweit die Naturwissenschaften betroffen sind, lassen sich hier auch durchaus Entwurfsbegründungen ableiten. Aber diese setzen prinzipiell erst auf einer technisch-instrumentellen Ebene an, wo die eigentliche Entscheidung für oder gegen etwas schon gefallen ist. Die Überzeugungskraft des naturwissenschaftlich richtigen Arguments, dass die Buddleia davidii Schmetterlinge anlockt, wird ja nur dann zu einem ‘schlagenden’ Argument, wenn ich das Ziel habe (und der Adressatenkreis mit mir) Schmetterlinge anzulocken, ein sicherlich sympathisches Ziel, aber eines von tausend - den Eichhörnchen zuliebe müsste man wohl besser einen Haselnussstrauch pflanzen - und keines, das sich aus der (im Prinzip wertfreien) Naturwissenschaft oder der Ökologie ableiten ließe (vgl.
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hierzu Trepl 1983). Immerhin: der Naturgartenbewegung (vgl. Kap. 3.3) gelang es noch ein Stück weit, ihrer speziellen Ästhetik eine gewisse wissenschaftliche (ökologische) Plausibilität zu verleihen, aber es war doch mehr nur bloße Ideologie. Ideologien könnte man definieren als Aussagen, in denen Werturteile und Handlungsanweisungen in der Verkleidung von Tatsachenbehauptungen auftreten. Gerade diese ‘unheilige’ Verknüpfung macht aber den großen Reiz von Ideologien zur Legitimation von Entwürfen im Kontext der professionellen Ästhetik aus. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind ja idealiter wertfrei, und aus ihnen lassen sich keine Handlungsanweisungen unmittelbar ableiten. Das macht sie nur beschränkt brauchbar für die Entwurfsbegründung. Indem Ideologien aber genau das zu leisten vorgeben, sind sie für die Begründung eines Entwurfes, der nicht jedem gleich gefällt, nahezu unverzichtbar. Sie sind auch - was die Tatsachenbehauptungen anbetrifft - nicht grundsätzlich falsch, aber meist einseitig, interessensverzerrt, nur halbwahr. Sie sind affektiv aufgeladen und rückgekoppelt auf sog. Grundwerte. Die Begrifflichkeit ist meist unkritisch und vage, aber das stärkt nur ihre Breitenwirkung; ein Beispiel: Der Mensch sollte im ‘Einklang mit der Natur leben’ (Grundwert); er lebt in der Stadt weitgehend ‘der Natur entfremdet’ (Tatsachenbehauptung). Die Grünflächen in der Stadt müssen ‘naturnäher’ gestaltet werden (Handlungsanweisung). Wenn es dem Architekten gelingt, seinen Entwurf auf so quasi stringente Weise zurück zu führen auf emotional hochgradig besetzte Grundwerte, dann ist ihm ein gutes Stück Überzeugungsarbeit gelungen. Und Architekten sind deshalb erfahrungsgemäß nicht bange, ihren Entwurf ideologisch gehörig aufzuladen (vgl. als Beispiel die Arbeit von Krebs 2002 zur ‚Lesbarkeit zeitgenössischer Landschaftsarchitektur’ in deren angeblicher Verbindung zur ‚Philosophie der Dekonstruktion’, vgl. auch schon Kap. 3.1). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Attraktivität der verschiedenen gesellschaftlichen Grundwerte nicht nur sehr unterschiedlich, sondern auch den Aktienkursen an der Börse nicht unähnlich - erheblichen Konjunkturen unterworfen ist. In Zeiten der Ökologiebewegung der 1970er und 80er Jahre half es argumentativ noch, den Entwurf als ‘im Einklang mit der Natur’ darzustellen, heute wohl kaum, ja, es wäre eher peinlich. Ideologien erreichen ihre Stringenz, Faszination und Überzeugungskraft nur auf der Basis von Einseitig- und Zeitgeistigkeit, ihr Scheitern bzw. ‘aus-der-Mode-Kommen’ ist also vorprogrammiert. Bis dahin aber lässt sich ganz gut und erfolgreich mit ihnen argumentieren. Die Situation des innovativen Architekten ist ja eigenartig. Er soll von etwas überzeugen, das es (noch) nicht gibt und so noch nicht gab. Zu reden und zu entscheiden ist über ein ‘Luftschloss’, ein Blatt Papier. Grundlage der Überzeugungsarbeit sind Pläne, Modelle, Ansichten, Abbildungen u.ä., die also weder an einer schon bestehenden Realität überprüft werden könnten, noch einen realitätsnahen Eindruck vom ‘Gedachten’ vermitteln u.a. wegen der im Entwurf dominierenden Vogelperspektive (in der niemand jemals das Geplante sehen wird), der
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Zweidimensionalität, der symbolischen, hochgradig abstrakten Darstellung, der ‘unechten’ Farbgestaltung, des ‘unwirklichen’ Maßstabs, der Ausblendung vieler Details, der eigenartigen Zeitlosigkeit der Darstellung. Je nach räumlicher Vorstellungskraft wird sich der Betrachter die ‘Wirklichkeit’ des Entwurfs anders (oder auch gar nicht) ausmalen (können). Die Überzeugungskraft des Entwurfs liegt deshalb oft mehr in seiner unmittelbar von ihm ausgehenden Wirkung als Bild. Bevor es zu einer inhaltlichen Prüfung seines möglichen ‘Gebrauchswertes’ kommen kann, hat sich schon ein erster gleichsam warenästhetischer Eindruck beim Betrachter festgesetzt (vgl. zum Konzept der Warenästhetik Haug 1973). Also gilt es, den Entwurf qua Plangraphik ästhetisch so ‘aufzumöbeln’, dass ein positiver erster Eindruck entsteht, Interesse geweckt wird und man schon auf den ersten Blick das erkennt, was den Entwurf auszeichnet: Originalität, Stil, Klasse, Witz, Perfektion. Zündet dieser warenästhetische ‘Erstschlag’, dann erübrigt sich ein Gutteil an argumentativer Überzeugungsarbeit. Der Entwurf dient also zugleich auch als Werbeplakat (in eigener Sache), kein Wunder, dass die spätere Realität dann meist hinter dem Entwurfsversprechen zurückbleibt, ja, kaum etwas damit zu tun zu haben scheint, wenn man etwa an das zeitweise modische Übereinanderzeichnen von Ansichten und Schnitten, an Entwurfscollagen denkt, die den Entwurf interessanter erscheinen lassen, als es die gebaute Realität je sein wird. Es wurde in Kap. 3.4 bereits auf diesen Aspekt hingewiesen: auf den Plänen sehen ‚modern’ gestaltete Freiräume sehr viel ‚moderner’ aus als in Wirklichkeit, weil vieles einfach gar nicht wahrgenommen werden kann (oder auch gar nicht so gebaut wird). Natürlich gibt es auch eine verbale Warenästhetik, den Versuch, einen Entwurf gleichsam schönzureden. Die hier angesprochene, allseits bekannte Entwurfslyrik hat viele Facetten: Straßen und Plätze werden zur ‘Piazza’, Rasenflächen zur ‘Allmende’ oder einem ‘Anger’, das Hochhaus zur ‘städtebaulichen Dominante’, Dinge, die nicht zusammenpassen, werden ‘dialektisch in Beziehung gesetzt’ oder der Entwurf wird insgesamt unter ein verheißungsvolles Motto gestellt: ‘Park des 21.Jahrhunderts’, ‘grün und kompakt’, die ‘stotternde Allee’. Leerformeln und Tautologien helfen oft weiter: ‘Gute Architektur ist das Ergebnis richtiger Entscheidungen’. Erfolgreich auch das Herstellen ‘geistiger Bezüge’ über Referenzarchitektur, Zitate, Theoriebezüge, gesellschaftspolitische Einordnungen, zeitkritische Anmerkungen o.ä.: Durch diese meist bloß assoziative Inbezugsetzung des Entwurfes (und um mehr geht es nicht) zur Piazza del Campo in Siena, zur ‘klassischen’ Blockrandbebauung, zur ‘Moderne’, zur Chaos- oder Relativitätstheorie, zum Strukturalismus oder Dekonstruktivismus, zur ‘Spaltung’ der Gesellschaft, zum ‘Ende der Geschichte’ und/oder ‘der Stadt’, mit den aktuell-richtigen Zitaten ausstaffiert, gewinnt der Entwurf an gesellschaftlicher Brisanz, philosophischem Tiefgang, an Weltläufigkeit und bildungsbürgerlichem Ansehen. Unbegrenzt auch die (verbalen) Glücksversprechen, die sich einem Entwurf anhängen lassen: ‘Urbanität’, ‘Heimat’ oder ‘Freiheit’. Selbst verstiegene, unverständliche, provokante Erläuterungen zum Entwurf wie, dass einen
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beim Entwerfen eigentlich die Leere viel mehr als die Architektur interessiere, dass man ‚eigentlich’ von einem Park ohne Bäume träume, machen den Entwurf nur noch tiefgründiger und unantastbarer gegenüber allzu banalen Einwänden. Auch die Erscheinung des Architekten, der seinen Entwurf im Sinne der professionellen Ästhetik (also abweichend vom Laiengeschmack) ‚verkaufen’ möchte, ist wichtig. „‘Charisma’ soll eine als außeralltäglich geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie (...) als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‘Führer’ gewertet wird.“ (Weber 1972:140) Man folgt der charismatischen Persönlichkeit aus Motiven der Hingabe, der Faszination, der Heldenverehrung, des blinden Vertrauens. Das Charisma eines Architekten resultiert wesentlich aus seiner Reputation, dem Ruhm, dem Namen, den er sich in Fachkreisen erworben hat; es ist also weniger gottgesandt als vielmehr kollegengemacht und beschränkt sich auf diesen engen Kreis. Dem breiten Publikum sind Architekt und Werk eher unbekannt (vgl. Bromme, Rambow 1998). Wenn überhaupt dann erschließt sich dem Adressatenkreis dessen Charisma oft nur gleichsam aus ‘zweiter Hand’, vom Hörensagen, über den (angeblichen) Ruf und die Selbstdarstellung ‘vor Ort’: wie der Architekt die Szene betritt (gern auch etwas später), wie er aussieht (gut natürlich, zumindest interessant), sich kleidet (heute vermutlich schwarz, früher ‚mit Fliege’), wie er redet (ein interessanter Akzent ist nicht schlecht), welche Philosophennamen er beiläufig verstreut (vor einigen Jahren noch am besten: Foucault oder Derrida, davor: Adorno, ganz früher mal: Bollnow), wie viel Zeit er mitbringt (wenig Zeit ist meist charismatisch), wohin er im Anschluss leider noch muss (ein Flieger nach ..., ein Termin bei....). Kommen Reputation und entsprechende Selbstdarstellung zusammen und eine willige Gefolgschaft, dann wird es keiner großen Argumentationsanstrengung bedürfen, um zu überzeugen. Charisma ist also eine hervorragende, argumentationsentlastende Legitimationsstrategie - freilich allzu beschränkt auf den (als Entscheidungselite aber nicht unwichtigen) Kreis der Fachleute und Bildungsbürger; das breite Publikum frönt dem Starkult ja mehr in anderen Lebensbereichen, ist also von einem Stararchitekten nicht gar so beeindruckt. Und schmerzlich klar ist natürlich: nicht jeder Architekt hat Charisma (auch wenn man durch Selbstdarstellung ein bisschen nachhelfen kann und es für einen Auftrag in der kulturellen Provinz allemal reichen könnte). Sei es aus taktischen Gründen (angesichts einer als lästig erachteten Begründungsnot), sei es aus innerer Überzeugung, liegt es nahe, sich dem Begründungszwang dadurch entziehen zu wollen, dass man die Entwurfstätigkeit ganz oder in großen Teilen zur ‘Kunst’ erklärt, also vom gesellschaftlichen Geltungsanspruch von Kunst zu profitieren trachtet, der ja nicht auf intersubjektiver Begründbarkeit basiert. Kunst muss sich nicht rechtfertigen vor der ‘Realität’, der Wissenschaft, dem gesunden Menschenverstand, der Moral und schon gar nicht vor ‘Kunstbanausen’. Sie muss nicht einmal ‘gefallen’.
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Verständlich, dass Architekten sich durch Kunstanspruch die ganze Begründungslast vom Halse schaffen möchten. Und so unstrittig auch ist, dass ein Großteil des Entwurfes tatsächlich rein künstlerisch-intuitiv entsteht und vieles an Erläuterungen und Erklärungen tatsächlich eher ‘nachgeschoben’ wirkt, so löst doch gerade der Kunstanspruch das Dilemma zwischen Begründungsnot und Überzeugungszwang nicht. Zum einen wird der Adressatenkreis nur sehr bedingt bereit sein, diesen Kunstanspruch ohne weiteres zu akzeptieren, weil es sich beim Entwurfsobjekt ja schließlich nicht um ein Objekt „zweckfreien und freiwilligen Genießens“, also nicht etwa um Malerei handelt, sondern um einen - wie auch immer - Gebrauchsgegenstand, um bestenfalls ‚angewandte’ und nicht ‚reine’ Kunst. Zum anderen erweist sich der Kunstanspruch für den Architekten selbst als riskant, weil er sich zwar damit der Begründungsnot entziehen kann, nicht aber dem Überzeugungszwang. Kunst erkauft sich ja ihre Quasi-Narren- und Begründungsfreiheit mit dem (sehr großen und bewusst in Kauf genommenen) Risiko fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz. Ein (Hunger-) Künstler mag (um der Kunst willen) bereit sein, auf seinen Durchbruch, seine Anerkennung jahrzehntelang zu warten, ein freischaffender Architekt (mit Büro) wohl nicht. Deshalb liegt es nahe, den Kunstanspruch gleichsam kunstgewerblich (also opportunistisch) auf das erfolgsträchtige Maß zu dosieren - je nach Bauaufgabe und Adressatenkreis, was freilich wiederum den behaupteten Kunstanspruch desavouiert. Aber unstrittiger Weise gibt es ein kleines, aber feines Architektursegment, wo ‘Kunst’ (und nicht nur ‘am Bau’) gefragt ist und der Architekt vom Begründungszwang doch sehr weitgehend befreit und von ihm auch tatsächlich ‚das Besondere’ erwartet wird, das absolut Neue, er also ‚seiner’ professionellen Ästhetik freien Lauf lassen kann. Architektur ist bekanntlich ein Modegeschäft, und Moden funktionieren ja nach einem komplizierten Wechselspiel von Abgrenzungs- und Zugehörigkeitsbedürfnissen. Sie entstehen aus purer Lust an Abwechselung, Abgrenzung und Neuem, wenn eine alte Mode diesen Bedürfnissen nicht mehr gerecht wird. Architekten sind im Sinne des Produktmarketings auf dieses Wechselspiel von Gestaltungsmoden beruflich offensichtlich angewiesen, ja, sie fungieren selbst als Modemacher. Kreativität, das Neue ist nicht nur ihr Geschäft, sondern zentrales berufsqualifikatorisches Gütesiegel geworden - und wird es immer mehr. Neuheiten werden von den Kollegen schnell als Mode übernommen - man fürchtet die ziemlich rigide fachinterne soziale Kontrolle, das Geschmackskartell des Berufstandes: Wer als Architekt ‘dazugehören’ will, hat kaum die Freiheit, sich Moden und dem Neuesten zu verschließen. Dummerweise zeigt sich nun die Bevölkerung gerade in Architekturfragen nur sehr wenig modebewusst (vgl. hierzu noch Kap. 4.2), ganz anders als etwa im Bereich des persönlichen ‘outfits’, der Kleidung etwa. Neue Gestaltungsmoden der Architekten müssen, da sie keinem anderen Grund als deren Bedürfnis nach Abwechselung, Abgrenzung und Neuem entspringen (und den daran geknüpften psychologischen wie ökonomischen Interessen beruflicher Profilierung und Posi-
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tionierung), der Bevölkerung, die diese Bedürfnisse und Interessen nicht teilt, daher fast immer regelrecht aufgenötigt, ja aufgeherrscht werden. Macht, definiert M.Weber (1972:28), bedeute die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen (hier den eigenen Geschmack) auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Hier liegt sie im Geschmackskartell des Berufsstandes begründet. Architektur als Modegeschäft führt immer nur ein begrenztes Entwurfssortiment, sozusagen die aktuelle Kollektion. Der Park à la Lenné, der Stadtplatz à la Sitte, noch immer höchst populäre Landschaftsarchitekturprodukte sind nicht mehr im heutigen Entwurfsangebot. Nicht zuletzt - ja wahrscheinlich nur - diese restriktive Sortimentsstrategie des Kartells sichert den Absatz der modischen Entwürfe: Es gibt zur Zeit der jeweiligen Mode (scheinbar) nichts Anderes im Angebot. Das Begründungsrepertoire des Architekten, der seinen vom Laiengeschmack abweichenden Entwurf ‚verkaufen’ möchte, ist also vielgestaltig, aber - wie gezeigt - tendenziell problematisch bis fragwürdig, auf gar keinen Fall ist es zwingend. Gott sei dank stellt sich das Begründungsproblem in der Berufsrealität des Architekten ja sehr viel harmloser. Dort, wo es sich um 08/15-Architektur handelt, das Reihenhaus von der Stange, den konventionellen Stadtpark, also in der Mehrzahl der Entwurfsfälle, stellt es sich fast gar nicht. Hier rettet (für jeden leicht nachvollziehbare) Entwurfskonventionalität, ‘Hausmannskost’ sozusagen, den Architekten aus fast jeglicher Begründungsnot. Aber auch dort, wo Architektur (mehr oder weniger) ‘aus dem Rahmen des Laiengeschmacks fällt’, sind ‚Siege’ eher die Regel, weil der Adressatenkreis oft die Fragwürdigkeit der Begründung nicht erkennt und wohl auch realistisch genug ist, keine zwingenden Argumente zu verlangen, sondern bereit ist, sich mit akzeptablen, nachvollziehbaren Gründen zu begnügen (vgl. hierzu Hubbard 1983). Zugleich gewinnt man den Eindruck, als funktioniere die Überzeugungsarbeit des Architekten im öffentlichen Diskurs überhaupt nur auf der Basis eines freundlichen bis resignativen Desinteresses, einer allseitigen Nachsichtigkeit und Gutwilligkeit, eines Vorabverständnisses aller Beteiligten, sozusagen auch ‘Fünfe gerade sein zu lassen’ - ein Stück weit auch Ausdruck einer beträchtlichen Gleichgültigkeit, auch Entfremdung der ‚modernen’ Architektur gegenüber und des verbreiteten resignativen Bewusstseins, dass die Welt sich eben ändere, ohne dass ‘Volkes Meinung’ groß von Belang sei. Nur vor dem Hintergrund dieses - je nach Entwurfsobjekt und Betroffenheit natürlich unterschiedlichen - insgesamt aber eher mäßigen Interesses an (Landschafts-) Architektur und der Einsicht in das eingangs skizzierte objektiv gegebene Begründungsdilemma von Architektur, wird der Erfolg der genannten Überzeugungsstrategien im Kontext der professionellen Ästhetik erklärlich. Schöne Pläne, überzeugendes Auftreten, Charisma, Entwurfslyrik, Kunstanspruch, Geschmackskartell sind aus Architektensicht (und vielleicht sogar auch aus Sicht eines diskussionsmüden Publikums) umso verlockender, als sie eine in jedem Fall
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riskante, u.U. ‘nervige’ argumentative Entwurfserörterung, die zudem das ganze (potentielle) Begründungsdilemma eventuell offen legen könnte, teils abkürzen, teils auf eine ‘höhere’, gleichsam spielerisch-feuilletonistische Ebene verlagern, teils gar nicht erst aufkommen lassen, trotzdem aber den für eine ‘öffentliche Angelegenheit’ legitimatorisch ungemein wichtigen Schein einer Erörterung - als Ritual - wahren. Macht wird - so Bachrach, Baratz (1977) - vorwiegend nicht von denen ausgeübt, die politische Entscheidungen treffen, sondern (auch) von solchen Personen und Gruppen, die ihre Anstrengung darauf verwenden, die vorherrschenden Normen, Entscheidungskriterien, Institutionen und Verfahrensregeln so zu gestalten und vorzustrukturieren, dass im eigentlichen Diskussions- und Entscheidungsprozess sozusagen nichts mehr schief gehen kann. Je mehr an Alternativen und Risiken auf der Stufe institutioneller Vorkehrungen und Spiel- und Sprachregeln bereits ‘weggefiltert’ ist, desto zuversichtlicher und unbesorgter können sich die Machthaber auf relativ offene, im Ausgang unbestimmte Diskussionen einlassen. Der angedeutete Überzeugungsdiskurs im Kontext der professionellen Ästhetik ist ein solcher, hervorragend geeigneter ‘Filter’: er lenkt von der eigentlichen Begründungsproblematik ab und lässt das Interesse und den Anspruch des (vermeintlichen) Adressatenkreises an einer quasi rationalen Begründung und lebensweltlichen Vermittlung von vornherein als unangebracht erscheinen, ja, die Präsenz eines breiteren Publikums überhaupt als überflüssig, es sei denn, in der (unproblematischen) Rolle des bloß andachtsvollen Zuschauers bzw. Zuhörers. Diese Art von Diskurs, der mehr einer Botschaft oder Verkündigung ähnelt, löst das Begründungsdilemma einer Architektur, die vom Laiengeschmack abweicht, nicht wirklich, aber doch zumindest symbolisch: über die Macht der Ästhetik und die Ästhetik der (Experten-) Macht.
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4. Die Ästhetik des Angenehmen als Entwurfshaltung
4.1 Zur Entwurfsrelevanz der Rezeptionsästhetik Die vorstehenden Kapitel haben deutlich gemacht, dass zwischen der professionellen Ästhetik und dem Laiengeschmack in vielerlei Hinsicht Unterschiede bestehen. Zwar gibt es einen breiten Korridor von übereinstimmenden Vorstellungen, die insbesondere auch in der Alltagspraxis der Landschaftsarchitekten zum Tragen kommen, wenn es um die Schaffung eines ‚gewöhnlichen’ Spielplatzes, Stadtplatzes oder Nachbarschaftsparks geht. Aber dabei handelt es sich im Selbstverständnis vieler Landschaftsarchitekten eher um Lohn- und Brotarbeit, um sozusagen Pflichtaufgaben. ‚Eigentlich’ würde man gern anders planen und entwerfen, aber mit Blick auf die Bevölkerung, die Stadtverwaltung, das Auftragsvolumen etc. sei eben ‚nicht mehr’ möglich gewesen. Weit über 90% der Aufträge aller Landschaftsarchitekturbüros bewegen sich vermutlich in diesem Rahmen, in dem es dann eventuell zu recht hübschen, vor allem aber recht konventionellen, aber gerade darum auch weitgehend unstrittigen Entwurfslösungen kommt. Ob diese Art von Entwerfen bereits zu angenehmen städtischen Freiräumen führt, darf freilich bezweifelt werden. Zu sehr dominiert in dieser Entwurfspraxis die Ausrichtung an Werten, die nicht unbedingt im Umfeld des Angenehmen angesiedelt sind: vandalismussicher, pflegeleicht, kostengünstig, normgerecht, typenstandardisiert. Wenn im Kap. 3.3 und 3.4 also vor allem die innovative professionelle Ästhetik der letzten Jahrzehnte als nicht unbedingt ‚angenehm’ kritisiert wurde, so hätte man auch diese Art von professioneller Gestaltungsroutine kritisieren können. Viele (ganz normale) städtische Freiräume, in denen bzw. in Bezug auf die befragt wurde (vgl. Kap. 2.1), erreichten das Klassenziel des ‚Angenehmen’ ja nur recht knapp. Lediglich alte Garten- und Parkanlagen (vielleicht auch Friedhöfe) werden heute mehrheitlich als wirklich angenehme Orte bezeichnet; Stadt- und Spielplätze dagegen kaum bzw. gerade so eben, von Bezirkssportanlagen z.B. ganz zu schweigen. Aber zu unterstellen ist, dass hier die Landschaftsarchitekten vielleicht aufgrund widriger Umstände daran gehindert wurden, ‚wirklich’ angenehme Orte zu schaffen. Sie würden vermutlich sagen, dass sie es in ihrem Sinne und unter den gegebenen Umständen versucht hätten und sie würden sich vermutlich nicht gegen das Ziel der Schaffung angenehmer Freiräume aussprechen.
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Das ist bei den Vertretern der innovativen professionellen Ästhetik nicht ganz so sicher. Die Diskrepanz zwischen der professionellen Ästhetik und dem Laiengeschmack kommt demzufolge vor allem in jenen Fällen zum Tragen, wo die Laienästhetik des Angenehmen als Richtschnur für das eigene entwerferische Handeln rundweg abgelehnt wird und man andere Kriterien heranzieht. In der Stadtwirklichkeit ist diese Art von Entwurfsprojekten eher selten. Dennoch finden sie eine unverhältnismäßig große fachöffentliche Resonanz, so dass man fast sagen kann, die Diskrepanz zwischen professioneller Ästhetik und dem Laiengeschmack wird eigentlich nicht im städtischen Alltag, sondern nur dort (in der Fachliteratur) wirklich sichtbar, also real fast gar nicht, einfach weil, so Rambow (2005: 138) in Bezug auf die Gebäudearchitektur, die in der Fachöffentlichkeit meistdiskutierten Objekte letztlich „Unikate“ oder stadttouristische Highlights sind und bleiben und ihre „Nischen-“ bzw. „Ausnahmeposition“ nie verlassen. Dennoch scheint sich die professionelle Ästhetik gerade in diesen innovativen Projekten zu verwirklichen, weshalb ja auch ausschließlich über sie in den anspruchsvollen Fachjournalen berichtet wird. Wenn im Folgenden von professioneller Ästhetik die Rede ist, dann ist diese Art von ‚innovativer’ Ästhetik gemeint, wie sie besonders in den Fachzeitschriften und in der universitären Ausbildung idealtypisch zum Ausdruck, nicht jene, wie sie den beruflichen Alltag, das Tagesgeschäft prägt. Diese idealtypische Art von (innovativer) professioneller Ästhetik, so ließe sich resümierend feststellen, ist im Vergleich zum Laiengeschmack gekennzeichnet durch Merkmale wie: x
werkästhetische Orientierung; d.h. es geht um (wie auch immer definierte) fachliche Qualität, um ‚gute Architektur’, nicht um bloßes ‚Gefallen’,
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gestaltästhetische Orientierung; d.h. es geht vor allem um Form und Gestalt des Freiraumes, nicht wie in der Laienästhetik, in der das freiräumliche Geschehen, das eigene Handeln, die Brauchbarkeit des Freiraumes eine sehr viel größere, ja, dominante Rolle spielt und ästhetische Urteile daher nie ‚rein’ sind,
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hochkulturelle Orientierung; d.h. es geht um ‚Niveau’ und nicht wie in der eher massenkulturell ausgerichteten Laienästhetik um ein eher ‚anspruchsloses Vergnügen’,
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Orientierung an der Kunst; d.h. erwünscht ist eine Art von kunstähnlicher Rezeption, kein eher beiläufiges ‚Naturerleben’, wie es für die Laienästhetik typisch ist,
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Orientierung am Neuen; d.h. es geht um immer wieder neue, ‚innovative’ Gestaltungslösungen, um das ‚Neue’ oder ‚Innovative’ als ästhetischer Wert an sich, wohingegen in der Laienästhetik dem Vertrauten eine sehr viel größere Bedeutung zukommt.
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Orientierung am Ideal; d.h. es geht (vor allem in der Propagandaphase einer neuen Stilrichtung) sehr schnell um die Verabsolutierung eines neuen Prin-
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zips, weniger um das genau ‚richtige, wohl dosierte Maß’, wie es für den Laiengeschmack typisch ist. Es stellt sich vor dem Hintergrund dieser Diskrepanz nun die Frage, ob die Vertreter der innovativen professionellen Ästhetik einfach zu wenig über den Laiengeschmack wissen und/oder sie über ihn auch gar nichts (mehr) wissen wollen, weil sie ihn zu kennen glauben und er sie (vgl. Kap. 3.6) gerade deshalb als Bezugspunkt nicht (mehr) interessiert. Zunächst ist klar, dass Architekten im Detail tatsächlich einfach wenig über den Laiengeschmack wissen (können), denn an den (Landschafts-) Architekturfakultäten der Universitäten im deutschsprachigen Raum gibt es ja seit langem keine Forschungs- und Ausbildungstradition in Sachen Publikumsgeschmack mehr. Es wurde schon in der Einführung darauf hingewiesen, dass in Bezug auf die Landschaftsarchitektur den Arbeiten von Nohl keine weiteren gefolgt sind. Und die Untersuchungen etwa von Bromme, Rainbow (1998) machen deutlich, dass Architekten tatsächlich in vielen Fällen das Wissen und den Geschmack von Laien gleichsam systematisch unter- bzw. überschätzen. Wenn sie also bisweilen vorgeben, über den Publikumsgeschmack hinreichend Bescheid zu wissen, um sich um eine Rezeptionsästhetik nicht weiter kümmern zu müssen, dann wäre das schlicht und ergreifend eine Fehlein- und Selbstüberschätzung. Wenn in Bezug auf das Entwerfen Eisel (2003) der Landschaftsarchitektur ein strukturelles Theoriedefizit oder gar Theorie-Dilletantismus vorwirft, dann müsste man ihr sicherlich ebenso ein Empirie-Defizit vorhalten, ja, mehr noch: ein Desinteresse an Empirie überhaupt. Man arbeitet gern mit persönlichen Erfahrungen und Mutmaßungen, weniger mit Ergebnissen empirischer Untersuchungen, die ja auch kaum vorliegen (da sie nicht eingefordert werden). Zuzugeben ist allerdings, dass ihnen die Diskrepanz zwischen ‚ihrer’ und der Laienästhetik schon irgendwie klar ist, aber dieses Bewusstsein ist doch stark berufsständisch-ideologisch gefärbt und entsprechend sozusagen ‚von oben herab’. Würde also eine systematische Erforschung und Vermittlung des Laiengeschmacks daran etwas ändern und die professionelle Ästhetik sensibler und verständnisvoller gegenüber dem Wissens- und Geschmacksniveau der Bevölkerung machen? Das ist leider wenig wahrscheinlich, denn anders als in Deutschland gibt es ja etwa im englischsprachigen Raum eine nach wie vor recht intensive rezeptionsästhetische Forschung. Aber auch dort wird beklagt, dass die Ergebnisse dieser Forschung nur in marginaler Weise in der Landschaftsarchitektur Berücksichtigung fänden. Da heißt es z.B. in der Rezension zu den auch hier referierten Forschungen und dem Buch von Kaplan, Kaplan „With People in Mind“ (1998), dass deren Untersuchungsergebnisse über sog. ‚restorative environments’ zwar schlüssig und empirisch belegt seien, „but not used as much as it might by design professionals” (Sommer 2000: 724) und der Rezensent spricht von einem „applications gap“, der „will be familiar to all environment/behavior researchers.” Und verschiedentlich wird in Zeitschriften wie ‚Environment and Behavior’ oder ‚Journal
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of Environmental Psychology’ dieser Mangel an Resonanz in der Fachwelt der Landschaftsarchitekten beklagt, so dass sich die Frage stellt, woran das wohl liegt. Sind die rezeptionsästhetischen Befunde aus irgendwelchen Gründen vielleicht nicht ‚entwurfstauglich’? Oder sind sie einfach nur irrelevant, weil man als innovativer Architekt andere (eben professionelle) ästhetische Vorstellungen und Zielsetzungen hat? Tatsächlich liegt es zum einen auch daran, dass die Forschungsergebnisse der Rezeptionsästhetik tatsächlich nur bedingt unmittelbar, sozusagen rezeptartig ‚entwurfstauglich’ sind und zwar aus den unterschiedlichsten Gründen. So ist die Rezeptionsästhetik keineswegs ganz so „consistent in its findings“, wie es Sommer (2000: 724) vorgibt. Es wurde schon in der Einführung darauf hingewiesen, dass es eine Sekundärauswertung von Untersuchungen gegeben hat (Stamps 2004), die im Kontext der Kaplan’schen ‚Attention Restoration Theory’ durchgeführt worden waren mit dem Ergebnis, dass viele vermeintliche Ergebnisse in leicht veränderten Untersuchungskontexten (andere Situationen, andere Personengruppen etc.) nicht reproduzierbar waren. Eigene Untersuchungen zeigten des Weiteren, dass die Besucher einen Freiraum zwar tatsächlich positiver bewerten, wenn er ihnen etwa ‚stimmig’ oder ‚abwechslungsreich’ erschien, aber sie waren sich nicht immer sonderlich darin einig, ob der jeweilige Freiraum das jeweils war oder nicht bzw. in welchem Maße. Zu Recht weist Sommer (2000: 725) in seiner Besprechung der Kaplan’schen ‚Entwurfslehre’ (Kaplan, Kaplan, Ryan 1998) daher darauf hin, dass die Menschen ästhetisch manchmal ähnlich, aber manchmal wenn auch nicht gänzlich, so doch ziemlich unterschiedlich auf einen und denselben Umweltreiz reagieren können. Ein Garten à la Hestercombe in Südengland schien im Rahmen einer eigenen Untersuchung - u.a. je nach eigenem Garteninteresse - den einen z.B. eher ‚interessant’, den anderen eher ‚langweilig’ und dasselbe traf auf eine typische Situation aus der ‚Zwischenstadt’ zu (vgl. hierzu schon Kap. 1.4). Die Schwierigkeiten einer rezeptionsästhetisch fundierten Entwurfspraxis bestehen also darin, dass die etwa im Kaplan’schen Ansatz diskutierten Kriterien wie ‚coherence’, ‚mystery’ oder ‚compatibility’ zwar schon eine Relevanz für das Gefallen eines Ortes haben, aber die Leute durchaus unterschiedliche Vorstellungen und Ansprüche darüber haben, wann und in welchem Maße im jeweiligen Fall die jeweiligen Kriterien erfüllt sind und wann nicht. Weitgehend unklar sind auch die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Gefallenskriterien: müssen alle in einem hinreichenden Maße erfüllt sein, damit ein Freiraum gefällt, oder können sie sich wechselseitig substituieren und kompensieren? Gibt es unverzichtbare und weniger wichtige Merkmale? Und gilt diese Werteordnung überall und für jeden Freiraum oder nur situationsspezifisch? Das Dia vom Garten in Hestercombe vermittelte fast allen Befragten ein ‚beingaway-Gefühl’ und deshalb gefiel der abgebildete Ort auch allen insgesamt sehr, weitgehend unabhängig davon, ob sie ihn eher ‚interessant’ oder eher ‚langwei-
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lig’ fanden. Offenbar handelt es sich bei den von den Kaplans herausgearbeiteten Kriterien des Gefallens um Aspekte, die je nach individueller wie auch freiräumlicher Situation ganz unterschiedliches Gewicht haben können. So meinten z.B. Korpola, Hartig (1996), dass bei einem Vergleich von unterschiedlichen Stadtplätzen der Faktor ‚being away’ für das Gefallen des jeweiligen Platzes (verständlich genug) keine allzu große Rolle spielen würde. Und in einer eigenen Untersuchung wurde z.B. einem modernen Stadtplatz in Barcelona von einer Studentengruppe, der Dias von diesem Platz gezeigt wurden, durchaus attestiert, dass er ‚in sich stimmig’ (coherence), zugleich ‚einprägsam und übersichtlich’ (legibility) und auch ‚interessant’ (fascination) war. Und doch gefiel der Platz insgesamt nicht sonderlich, weil er weder als besonders ‚vielfältig’ (complexity), noch als zum Verweilen einladend (compatibility) empfunden wurde. Die Bedeutung der einzelnen Kriterien variiert nun nicht nur freiraumtyp-, sondern mit Sicherheit auch gruppenspezifisch. So schreiben etwa Kaplan, Kaplan (1989) in Bezugnahme auf eine Studie aus den USA: „Although Coherence and Complexity were the best predictors of expert preference, Coherence and Mystery best predicted the preferences of students and residents. Spaciousness and Legibility negatively predicted preference, with Spaciousness playing a more significant role than legibility only for black students and professionals.” (ebenda: 218f) Auch dürfte die Gefallensrelevanz der einzelnen Kriterien abhängig sein von der jeweiligen Besuchsmotivation. Will man sich in einem Freiraum länger aufhalten, spielen vermutlich andere Gefallenskriterien eine Rolle als etwa bei einer Besichtigung. Es kommen schließlich noch andere Schwierigkeiten hinzu. Man kann ja Architektur und Landschaftsarchitektur auch als eine Art von Operationalisierungsversuch interpretieren (vgl. Tessin 2006: 48ff), und so stellt sich die Frage, wie sich denn diese (vermeintlichen) Qualitäten eines Freiraums, der gefällt, ästhetische Ansprüche wie ‚coherence’, ‚being-away’, ‚mystery’ oder auch der hier verwendete Begriff des ‚Angenehmen’ baulich-gestalterisch operationalisieren, d.h. umsetzen ließen? Vielleicht hat ein Stadtplatz wirklich wenig ‚Geheimnis’, wenn er sozusagen auf einem Blick zu erfassen ist. Aber wird er geheimnisvoller oder anregender, wenn einige Büsche den Blick versperren? Wann macht es einen neugierig zu erkunden, was sich (vielleicht) im toten Winkel der Büsche verbirgt? Muss ich schon ein Wasserplätschern oder Stimmen hören, um mich neugierig zu machen? Oder ein anderes Beispiel: muss ein Freiraum möglichst ‚viel Natur’ aufweisen und/oder von seinem städtischen Umfeld abgeschottet sein bzw. genügend ‚scope’ und ‚extent’ aufweisen, damit sich das ‚being-away-Gefühl einstellt? Es war in diesem Zusammenhang deshalb ja auch höchst aufschlussreich, dass die in Bezug auf den Invalidenplatz in Berlin Befragten (vgl. Kap. 3.4) mehrheitlich der Meinung waren, dass er zur Invalidenstraße besser hätte abgepflanzt werden sollen, so dass man von der Straße nicht so viel mitbekäme. Sicherlich wird man
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sich aber im Landschaftsarchitekturbüro gerade darüber viele Gedanken gemacht haben, um sich jedoch gerade dagegen zu entscheiden. Wahrscheinlich hat man geglaubt, die Öffnung des Invalidenparks zur Straße hin mache ihn für Straßenpassenten einladender und auch interessanter, was ja nicht unplausibel ist und ein weiteres Problem der Kaplan’schen Entwurfslehre deutlich macht. Die Kaplans haben in ihrem Entwurfslehrbuch „With People in Mind“ (1998) selbst versucht, angeregt durch Alexanders ‚pattern language’ (Alexander 1995), ihre Gefallenskriterien exemplarisch ‚entwerferisch’ umzusetzen, um deutlich zu machen, wie eine Freiraumsituation voll ‚mystery’ aussehen könnte oder ein Freiraum mit ‚being-away-feeling’. Zu Recht kann man ihnen jedoch vorwerfen, sie würden in ihren Skizzen nur jeweils bestimmte Einzelaspekte beispielhaft entwerferisch umsetzen und nicht einen Freiraum, der insgesamt all jenen Kriterien eines Freiraumes entspricht, der gefällt. Die entwerferische Schwierigkeit der Kaplan’schen Entwurfslehre liegt also vermutlich gerade und genau darin, dass die verschiedenen (untereinander durchaus konkurrierenden) Einzelkriterien des Gefallens bzw. des Angenehmen in der genau ‚richtigen’ freiraumtypspezifischen Dosierung zusammengeführt werden müssen, wobei dieses Synthetisierung ja nicht bloße Addition optimal operationalisierter Einzelaspekte bedeuten dürfte, sondern Abwägungen der verschiedensten Art - auch in der Einfügung all dessen in den jeweils bestehenden konkreten sozial-räumlichen Kontext. Das Landschaftsarchitekturbüro, das den Invalidenpark in Berlin entwarf, wird sich definitiv über die Abpflanzung bzw. Abschottung des Parks zur Invalidenstraße Gedanken gemacht haben, wollte aber das damit eventuell verbundene ‚being-away’-Gefühl offensichtlich nicht optimieren, sondern den Besuchern die Möglichkeit eröffnen, vom Park aus das abwechslungsreiche Straßengeschehen beobachten zu können (‚fascination’). Es kommt jedoch noch etwas Anderes, Grundsätzliches hinzu. In Kap. 1.2 wurde darauf hingewiesen, dass es einem meist sehr schwer fällt, exakt zu bestimmen, warum einem etwas gefällt, warum dieses ein ‚schöner Tag’ oder jenes ein ‚interessantes Konzert’ sei. Man nennt zwar Gründe (Kriterien), aber so ganz überzeugend sind sie alle nicht. Man spürt selbst, dass es das nicht genau ‚trifft’, allenfalls als Annäherung. Stimmig, lesbar, abwechslungsreich, vertraut, all das sind Begriffe, die auf Orte passen mögen, die gefallen, aber sie passen leider häufig genug auch auf Orte, die nicht gefallen, d.h. sie funktionieren nur in Verbindung mit dem ‚richtigen’ Ort. Schrottplätze, Gewerbegebiete, die Zwischenstadt (vgl. Kap. 3.5) sind u.U. auch abwechslungsreich, vertraut, in sich stimmig, lesbar usf., aber sie gefallen trotzdem nicht sonderlich. E.R. Curtius (1954: 316) spricht davon, dass es keine ‚reinen’ ästhetischen Urteile gäbe. Ihnen vorgelagert sei grundsätzlich eine spontane (intuitive) Affinität zum Gegenstand oder Ort bzw. in seinem Fall zur Literatur. Die Welt gliedere sich für uns „nach Affinitätssystemen“; d.h. die Welt, die wir kennen, wird von uns in einem relativ fest verankerten Präferenzsystem wahrgenommen, das sich
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nicht allein ‚ästhetisch’ begründet, sondern letztlich ‚ideologisch’ (vgl. Kap. 1.3), d.h. aus einem Wust an Vorurteilen, Interessen, Erfahrungen, Bedürfnissen, Grundstimmungen und Wertungen. Wir stehen in unterschiedlicher (ideologischemotionaler) ‚Nähe’ zur Welt, und gefallen tut uns eigentlich nur das, was uns ‚nah’ ist oder nah genug ist, wo ein gewisses Maß an Affinität (auch Interesse) besteht, was bestimmten Aspekten unseres ‚Wesens’ entspricht, wofür wir eine ‚Antenne’ haben. Wie anders wäre die Beliebtheitsrangskala der Tierwelt erklärbar (vgl. hierzu schon Kap. 3.5), in der ‚Ungeziefer’ keine Chance auf unsere ästhetische Wertschätzung hat, obwohl es dafür ‚rein’ ästhetisch, also ‚rein’ von der Gestalt her betrachtet, keine Rechtfertigung gibt. Und wie anders war zu erklären (vgl. Kap. 2.5), dass hochkulturell orientierten, also an sich doch ästhetisch anspruchsvolleren Besuchern dieselben städtischen Freiräume jeweils eher besser gefielen als den übrigen Besuchern, wenn nicht mit ihrer (tatsächlich auch nachweislichen) größeren Affinität und ideologischen Nähe zum städtischen Grün? Warum gefallen ‚grün’ gestaltete Freiräume den Leuten fast grundsätzlich besser, obwohl sie doch nicht eo ipso ‚besser’ gestaltet sind als ‚nicht-grüne’? Auch hier greift wieder eine grundsätzlich größere Affinität und ideologische Nähe zu Natur und Landschaft, so fern sie uns auch im Verstädterungsprozess gerückt sein mag. Uns gefällt der Park vielleicht auch, weil er stimmig und abwechslungsreich gestaltet ist, aber in erster Linie gefällt er uns, weil er ein ‚Park’ und kein ‚Schrottplatz’ ist. Wer Komödien generell nicht mag, dem wird auch eine ‚perfekt gemachte’ nicht übermäßig gefallen. Es sind also alles in allem Zweifel angebracht, ob mit den von den Kaplans herausgearbeiteten Kriterien eines ‚restorative environments’ für die Entwurfsarbeit so sehr viel gewonnen ist. Rezeptartig lassen sie sich, wie gezeigt, schon mal gar nicht einsetzen. Für Lampugnani (1996: 76) ist das - wie vermutlich für alle Architekten - ohnehin selbstverständlich: „Noch einmal: was tun? Rezepte gibt es keine. Besser, gar nicht erst nach ihnen suchen. Besser, geduldig, aufmerksam, sorgfältig, leidenschaftlich das eigene Metier betreiben. Besser, sich den Luxus gönnen, eine Lösung zu suchen, zu verwerfen, zu korrigieren, zu ändern, bis sie schließlich ganz befriedigt. Erst dann wird der Entwurf, wenn man sehr begabt ist und auch ein bisschen Glück hat, das verkörpern (...), wonach wir suchen (...).“ Die bisher genannten Aspekte und Schwierigkeiten, Forschungsergebnisse der Rezeptionsästhetik entwerferisch ‚umzusetzen’, erklären aber noch nicht so ohne Weiteres die Unkenntnis bzw. die Ablehnung einer rezeptionsästhetisch angeleiteten Entwurfslehre im Sinne der Kaplans oder der ‚pattern language’ (Alexander 1995; vgl. hierzu auch Kuhnert 1984), denn die genannten ‚kniffligen Punkte’ würden ja nur umso mehr die Kreativität des Architekten erforderlich machen und das Besondere seiner Entwurfsleistung herausstreichen. Gerade weil die angesprochenen Fragen von der (empirischen) Rezeptionsästhetik bzw. der Kaplan’schen Entwurfslehre nicht sozusagen ‚allgemeinverbindlich’ und ‚rezeptartig’ geklärt werden können, bliebe dies die genuine Aufgabe des Architekten
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im jeweiligen Einzelfall. Nichts an Arbeit und Verantwortung und damit Bedeutung ginge dem Architekten verloren. Aber vielleicht doch ein bisschen an ‚Freiheit’, ‚Selbstbestimmung’ und professioneller Definitionsmacht? Denn wenn es denn stimmt (und die gesamte bisherige Untersuchung spricht dafür), dass die Bevölkerung in städtischen Freiräumen in erster Linie einen ‚angenehmen Aufenthalt’ oder ein ‚restorative environment’ sucht, dann wäre dies die oberste Zielsetzung jeglicher Entwurfsarbeit und ihr quasi verpflichtend aufgegeben. Zwar könnten in diesem Rahmen stets neue Lösungen gesucht und neue Mischungsverhältnisse und Dosierungen in punkto Abgeschiedenheit, Abwechslungsreichtum, Weite usf. ausprobiert werden, aber das Ziel und damit der Bewertungsrahmen wären vorgegeben: Der Entwurf hätte sich daran messen zu lassen, wie und in welcher Mischung er ‚coherence’, ‚mystery’, ‚compatibility’, ‚fascination’ und ‚being-away’ verwirklicht hat bzw. der entworfene Ort tatsächlich als angenehmer Ort, als ‚locus amoenus’ funktioniert, also man dort von seinem Alltag ein Stück weit befreit ist (soziale Entlastung, Natur, Abschirmung, ‚Freiheit’ etc.), die Situation des Ortes keine konzentrierte, sondern eine eher beiläufige Aufmerksamkeit verlangt (Übersicht, Ordnung, Vertrautheit, Sicherheit, Stimmigkeit, ‚schöne Kulisse’ etc.), sie aber zugleich auch anregend genug ist, um sich nicht zu langweilen (Vielfalt, Abwechslung, Geschehen etc.) und sie die rekreativen Aktivitäten zulässt, die man dort gern ausüben würde (Ruhe, Erholung, Ausstattung etc.). Eine so verstandene Rezeptionsästhetik liefert demzufolge kein Rezept für die konkrete Gestaltung städtischer Freiräume, könnte aber doch so etwas wie eine Art ‚Ethik der gestalterischen Arbeit’, eine Entwurfshaltung begründen, angenehme Orte überhaupt schaffen zu wollen. Und damit ist auch der entscheidende Unterschied zu einer Entwurfslehre bezeichnet, wie sie z.B. von Loidl, Bernard (2003) vorgelegt wurde. Da tauchen „Merkmale guter Gestalt“ (ebenda: 158) auf, die durchaus auch hineinpassen würden in die hier propagierte Ästhetik des Angenehmen bzw. der ‚restorative environments’ à la Kaplan: Anregung/Unsicherheit, Spannung, Gewichtigkeit/ Ausgewogenheit, Harmonie, Deutlichkeit, Einfachheit, eine verbindende Idee. Da heißt es also u.a.: „Ein ‚Geheimnis’ guter, anregender Gestaltung liegt also im Spannungsbogen zwischen der (notwendigen) Erfüllung menschlicher Erwartungen (rasch verstehen) und dem Bestreben, das Interesse der Rezipienten (über längere Zeit) zu erhalten, ihnen eine Spur zu legen, ungewohnte, neue Zusammenhänge zu entdecken.“ (ebenda: 159) Eine solche Aussage ist überhaupt nicht weit weg von dem, was hier vertreten wird. Doch wenn man den Satz genau liest, merkt man den Unterschied: das rezeptionsästhetische Bedürfnis, rasch zu verstehen, wird als „(notwendige) Erfüllung menschlicher Erwartungen“, als quasi entwerferische Pflichtübung abgetan, nur um den Besuchern nun (ganz im Sinne der professionellen Ästhetik) umso mehr nahe legen zu können, „ungewohnte, neue Zusammenhänge zu entdecken“. Es fehlt bei Loidl, Bernard ganz durchgängig dieses eindeutige Bekenntnis, die von ihnen propagierten „Merkmale guter Gestalt“ in den Sinn- und Geschmackszusammenhang der Bevölkerung zu stel-
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len oder gar ‚angenehme Orte’ schaffen zu wollen. So schreiben sie an anderer Stelle: „Das vielleicht wichtigste Merkmal jeder guter Gestalt ist jenes der verbindenden Idee, des Konzeptes, des Oberthemas, des ‚roten Fadens’.“ (ebenda: 166) Auch das stünde durchaus in Einklang mit rezeptionsästhetischen Befunden. Aber dann folgen illustrierend Beispiele für Oberthemen wie ‚Gelber Garten’, ‚Sequenzieller Garten’, ‚Heidegger trifft Foucault’, so dass sich dann schon die Frage stellt, ob es wirklich nur um (irgend-) eine verbindende Idee geht oder um eine, die nicht nur (hoffentlich!) verstanden wird, sondern zusätzlich noch gefällt. Auch die eigenartige Rubrizierung der konkreten Wünsche der künftigen Nutzer unter „Rahmenbedingung“ bzw. Einschränkung der „gestalterische(n) Freiheit landschaftsarchitektonischer Arbeit“ (ebenda: 39) lässt an einer rezeptionsästhetisch sensibilisierten Entwurfshaltung durchaus zweifeln. Man unterstellt den innovativ gestimmten Landschaftsarchitekten tatsächlich denn wohl auch nichts Falsches, wenn es genau das ist, was sie zu vermeiden suchen: diese Bindung an rezeptionsästhetische Maßstäbe. Deshalb das entsprechende Desinteresse an der Rezeptionsästhetik bzw. der Ausschluss entsprechender Kriterien aus dem Diskurs der professionellen Ästhetik (vgl. Kap. 3.6). Sind ihnen doch die eigenen (professionellen), tendenziell werkästhetischen Maßstäbe wichtiger: die eigene gestalterische Freiheit, der eigene Geschmack. Die innovative professionelle Ästhetik definiert sich ja bewusst ein ganzes Stück weit in Abgrenzung zum Laiengeschmack und einer ‚Ästhetik des Angenehmen’, und von daher ist das, was die Leute wollen, dann tatsächlich tendenziell ‚trivial’, ‚Kitsch’, ‚geschmacklos’, ‚unsäglich’. Diesen Laiengeschmack, dieses Wohlbehagen am bloß Angenehmen, zum Ziel und Maßstab der Entwurfsarbeit zu erheben, käme das dann nicht der Selbstaufgabe der professionellen Ästhetik und ihrer Ansprüche und einer Bankrotterklärung des Berufstandes gleich? Ästhetische Bedürfnisse, so die anspruchsvollen, innovativen Landschaftsarchitekten in gut ‚gestalterischer’ Manier, müsse man wecken, nicht abfragen, herrschende Geschmacksvorstellungen ändern, ‚veredeln’, um Gottes Willen nicht noch verfestigen! Muss es nicht auch ‚aufregende’, ‚verstörende’, ‚originelle’ Entwürfe geben, die sich dem Diktat des Angenehmen und des Massengeschmacks entziehen?
4.2 ‚Geschmacksbildung’ qua professioneller Ästhetik? In Kap. 3.6 wurde bereits auf die berufsbedingte Fixierung der Architektur auf Ideale hingewiesen. Es ist da (wie beim Künstler, wie beim Wissenschaftler) ein Ethos, unbedingt etwas Neues schaffen zu müssen, sich ja nicht wiederholen zu dürfen, stets nach neuen Lösungen zu suchen: „Kein Architekturstudent bekommt eine gute Note dafür, dass er eine bewährte Standardlösung solide reproduziert.“ (Rambow 1998: 3) Und es ist, als meinten die Landschaftsarchitekten,
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dass im rezeptionsästhetischen Kontext nicht ‚viel Entwurf’ zu machen sei; man würde sich immer in einem vorgegebenen Rahmen bewegen, der vielleicht durchaus auch Neuerungen zulassen würde, aber keine ‚grundsätzlichen’ Innovationen. Und es ist mit Sicherheit auch diese Furcht, die Vertreter der innovativen professionellen Ästhetik daran hindert, der Rezeptionsästhetik auch nur Beachtung zu schenken. Wahrscheinlich spielen da auch kaum eingestandene oder unbewusste Sehnsüchte nach einer ‚Autonomie der Kunst’ (vgl. hierzu Müller u.a. 1974) eine Rolle, die freilich in der Landschaftsarchitektur als einer allenfalls angewandten und damit nicht ‚freien’ bzw. ‚reinen’ Kunst’ völlig fehl am Platze wären. Auch ein - wenn auch schwacher - Abglanz des ‚Geniekultes’ dürfte sich nachweisen lassen: das Genie erweist sich ja gerade darin (vgl. hierzu Bürger 1983: 119), dass es sich abkoppelt vom Üblichen, Gewohnten und Vertrauten in Ästhetik oder Moral: das Genie bricht die Regeln. Es sind diese Anklänge an eine bürgerlich-idealistische Ästhetik, die einen Großteil des Berufsstandes zögern lässt, sich rezeptionsästhetisch auszurichten. Denn im rezeptionsästhetischen Kontext gäbe es ja einen Rahmen, eine Konvention, die einem sich innovativ verstehenden Landschaftsarchitekten sicherlich zu eng vorkäme. Also wählen sie für ihre Arbeit andere Bezugspunkte als den Laiengeschmack. Beide in Kap. 3.3 und 3.4 behandelten modernen Strömungen in der Landschaftsarchitektur, naturnahe bzw. naturferne, formale Gestaltung, wären im rezeptionsästhetischen Kontext tatsächlich wohl kaum so entstanden - zumindest nicht in ihrer anfänglichen Radikalität. Und den Protagonisten dieser beiden ästhetischen Richtungen war und ist auch durchaus klar (gewesen), dass ihre Vorstellungen dem Publikumsgeschmack widersprachen. Ihnen schien aber der ästhetische Paradigmenwechsel mit Blick auf die ‚Umweltkrise’ oder die ‚Krise der Moderne’ irgendwie notwendig, zumindest plausibel. Und sicherlich hatten sie die Hoffnung, vielleicht sogar die Gewissheit, die Bevölkerung zu der jeweils neuen Art von Ästhetik bekehren zu können. Rechtfertigt sich also die weitgehende Ignorierung des Laiengeschmacks in der innovativen professionellen Ästhetik durch die größere Ein- und Weitsicht, den besseren Geschmack der Architekten? Ja, sind sie im Sinne des guten oder richtigen Geschmacks, als ‚Kulturträger’ nicht geradezu verpflichtet, ‚volksaufklärerisch’ und ‚geschmacksbildend’ tätig zu werden? Tatsächlich sind ja diese beiden ästhetischen Neuerungen auch zumindest in einzelnen Aspekten inzwischen längst auf dem Weg, in den allgemeinen Geschmackskorridor des Angenehmen, des Laiengeschmacks eingepasst zu werden: Spurenelemente der Wildnisästhetik oder der formalen Ästhetik werden inzwischen jedenfalls weithin akzeptiert - freilich um den Preis ihrer anfänglichen, gleichsam zum Prinzip gemachten Radikalität. In den Privatgärten (vgl. hierzu schon Tessin 1994: 150ff) etwa sieht man heutzutage bisweilen (als Folge des ökologisch-ästhetischen Paradigmenwechsels der 1980er Jahre) ein ‚Feuchtbiotop‘, eine ‚Kräuterspirale’, eine Regenwassertonne, Nisthilfen für Vögel usf.; und schaut man sich diese ‚Renner der ökologischen Nachhaltigkeit‘ etwas genauer
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an, so wird klar: man hat aus der damaligen professionellen ökologischen Ästhetik genau das übernommen, was wenig Komforteinbußen mit sich bringt, die Beschäftigung mit dem Garten eher reichhaltiger macht, wenig kostet an Geld, an Arbeit oder sonstigem Aufwand und schließlich unmittelbar erlebnisrelevant ist (Libellen am Teich, Schmetterlinge etc.), also sich in eine ‚Ästhetik des Angenehmen’ wunderbar integrieren lässt. Hätte man also diesen gestalterischen Paradigmenwechsel nicht gleich auf dieses (noch) angenehme Maß beschränken können oder sollen, also eher inkrementalistisch, sozusagen als „behutsame Innovation“ (Lampugnani 1996: 31) vorgehen sollen, entsprechend dem jeweiligen Akzeptanzniveau in der Bevölkerung? Denn letztlich setzt sich dauerhaft ja doch nur das und in dem Maße durch, was und wie es gesellschaftlich akzeptiert wird. Die innovative professionelle Ästhetik glaubt aber offensichtlich, dass nur die provokative Herausforderung des herrschenden Geschmacks in der Bevölkerung die Bereitschaft befördert, sich diesem Neuen überhaupt zu stellen. Bedarf es also zunächst dieser ästhetischen Provokation, um, so Rambow (2000: 4) eine Architektin zitierend, „die Öffentlichkeit und Bevölkerung geschmacklich zu bilden, sie zu erziehen, damit sie nicht weiterhin blind die Verschandelung der gebauten Umwelt ertrüge und dumpf unter menschenunwürdigen ästhetischen Bedingungen dahin vegetiere“? Oder geht es doch nur mehr darum, im Kreis der Berufskollegen als besonders ‚innovativer’, ‚radikaler’ Landschaftsarchitekt wahrgenommen zu werden? Denn es müsste und ist doch auch letztlich jedem Landschaftsarchitekten im Grunde klar, dass das ästhetische Erziehungsprogramm qua ‚guter, innovativer Architektur’ nicht gelingt oder nur allmählich und in dem Maße, wie die ‚neue, gute Architektur’ integrierbar ist in das, was hier als das ‚Angenehme’ bezeichnet wurde. Es bedarf dieser ‚Kleinarbeitung’ bzw. Integration und Akzeptanz, so wie die innovativen Erzeugnisse der ‚Haute Couture’ bzw. der ‚Haute Cuisine’ auch ja nicht unmittelbar in der Breite der Bevölkerung ‚geschmacksbildend’ wirken. Architekten hoffen und setzen in diesem Zusammenhang meist auf einen Gewöhnungseffekt, die Macht des Faktischen: Wenn man die Leute dauerhaft mit ‚neuer, guter Architektur’ konfrontieren würde, dann würden sie sich langsam an die professionelle Ästhetik gewöhnen und übernehmen. Und verwiesen wird gern auf die Moden und Stilrichtungen in der Malerei, die zunächst ja auch regelmäßig eher abgelehnt, dann aber doch meist irgendwie akzeptiert, teilweise sogar bewusst bejaht werden. Und tatsächlich spielt der Gewöhnungseffekt für das Gefallen eine entscheidende Rolle. Purcell (1993) geht in seiner ‚Theorie der Typicality’ (wie die Wahrnehmungspsychologie insgesamt) davon aus, dass jeder Mensch Erfahrungen sammelt über die Dinge, die ihn umgeben, und er aufgrund dieser Erfahrungen Vorstellungen entwickelt über das ‚typische’ (auch das ‚idealtypische’) Aussehen eines jeden Gegenstandes. Er erwartet also vor diesem Hintergrund zunächst einmal das ‚Typische’ etwa eines Parks, eines Stadtplatzes, einer Eigenheimsied-
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lung, das seinen (eventuell auch Ideal-) Vorstellungen Entsprechende. Purcell unterscheidet nun zwei typische Interessenlagen. Zum einen meint er, das Wiedererkennen, die Bestätigung der eigenen Vorstellungen sei psychologisch entlastend und befriedigend insbesondere gegenüber Dingen oder Situationen, die einem in ihrer ‚typischen’ Art gefallen. Purcell spricht vom „warm glow of familiarity“ (ebenda: 236), der sich mit Hinweis auf Festinger’s Dissonanz-Theorie (Festinger 1957) gut erklären ließe, die ja davon ausgeht, dass kognitive Dissonanz, also u.a. auch die Diskrepanz von Erwartung und Wirklichkeit, als unangenehm erlebt wird; in jedem Fall bedeutet sie Bewusstseinsarbeit mit dem Ziel, die aufgetretene Dissonanz ‚aufzuarbeiten’ und damit zu beheben. Es gibt jedoch auch noch eine andere Reaktion: „As difference increases, so does arousal, and, if the individual can successfully relate the differences to existing representations, stronger positive aesthetic experience occur.” (Purcell 1993: 236) Hier wird also die Abweichung vom ästhetisch Üblichen und Vertrauten, auch vom Idealtypischen, positiv als ‚Neuigkeit’, als geistige Anregung und ‚Bereicherung’ erlebt. In seiner Untersuchung über die rezeptionsästhetische Akzeptanz von und Reaktion auf so genannte ‚moderne’ Malerei traten diese beiden Reaktionsweisen offen zutage. Und es zeigte sich (nicht weiter verwunderlich), dass jene, die der modernen Malerei positiver gegenüber standen, sich einerseits ganz generell mehr für Kunst interessierten und (vermutlich aufgrund dessen) bereits mehr Erfahrungswissen im Umgang mit moderner Malerei hatten. Sie hatten schon (erfahrungsbedingt) eine andere Vorstellung von (‚moderner’) Malerei als jene, die sich ihr noch nicht allzu sehr ausgesetzt hatten und sie daher als ungewohnt und damit als noch nicht ihren bisherigen Vorstellungen von Malerei entsprechend ansahen. Ähnliches müsste doch auch hinsichtlich der Reaktion auf das ‚Neue’ in der modernen Landschaftsarchitektur gelten. Natürlich. Aber aufgrund der Tatsache, dass hier jedoch bei den meisten noch keine vielfältigen und jahrzehntelange Erfahrungen im Umgang mit moderner Landschaftsarchitektur vorliegen und die alten, typischen Freiraumgestaltungen durchaus noch gefallen, stößt hier das Neue bestenfalls auf ästhetisches Interesse, nicht jedoch auf ästhetisches Gefallen, eher auf Ablehnung oder allenfalls reservierte Hinnahme (vgl. Kap. 3.4). Es ist also ganz offensichtlich so, dass die Stadtbevölkerung Schwierigkeiten hat im Umgang mit städtischen Freiräumen, wenn sie ästhetisch-gestalterisch mit dem jeweils vertrauten Ideal kollidieren etwa dem Ideal des Landschaftsgartens oder alter Stadtplätze. Aber wie kann es sein, dass Park- und Gartenanlagen, die vor 100, 200 und mehr Jahren, sozusagen zur Postkutschen-Zeit entstanden sind, nach wie vor den ästhetischen Geschmack der Masse der Bevölkerung derart prägen, dass abweichende, neuartige Stilrichtungen abgelehnt oder doch nur gerade so hingenommen werden? Warum wirkt der Landschaftsgarten nicht längst ‚altmodisch’?
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Da ist zum einen der Umstand zu nennen, dass diese Parkanlagen (auch alte Stadtplätze) nach wie vor ‚funktionieren’ (vgl. hierzu schon: Tessin 2002a), weil sich das garten- und parkbezogene Freizeitverhalten in den letzten 100 bis 200 Jahren offenbar gar nicht einmal so sehr verändert hat: Ein Spaziergang durch den Park, sich an der Natur erfreuen, auf einer Parkbank sitzen, ein Picknick, Spiele, all das sind auch heute noch gern ausgeübte Freizeitaktivitäten im Park. Einige neuere Freizeitverhaltensweisen sind überdies ins klassische Behavior Setting des Parks qua gesellschaftlicher Konvention schadens- und problemlos integriert worden: Kleidungsnormen sind gelockert, das Betreten der Rasenflächen ist teilweise erlaubt worden, neue Spiel- und Sportarten wie z.B. das Joggen oder das Frisbee-Spiel wurden relativ problemlos ins Verhaltensrepertoire des historischen Parks aufgenommen und das weitgehend folgenlos für das Erscheinungsbild des Parks. Teilweise wurden natürlich auch die historischen Gärten im Landschaftsgartenstil gestalterisch ‚nachgebessert‘ und den neuen Freizeitpräferenzen angepasst in Gestalt von Fahrradwegen, Spielplätzen, Minigolfanlagen, Bootsverleih u.Ä., aber doch - aus Sicht der Bevölkerung - unter weitgehender Wahrung des Gesamterscheinungsbildes des Parks. Die Barockgärten, die sich für eine solche ‚Nachrüstung‘ weniger eignen, sind denn heute auch weit eingeschränkter ‚freizeittauglich‘ und wirken daher auch viel ‚historischer’, fast ‚altmodisch’. Diese nach wie vor gegebene volle Funktionsfähigkeit von Park- und Gartenanlagen im Landschaftsgartenstil trägt sicherlich dazu bei, dass sie auch heute nicht als ästhetisch ‚überholt’, ‚altmodisch’ oder gar ‚out’ wirken, so wie es Kleidungsstücke, Frisuren, Gartengeräte oder Wohnungsmobiliar aus jener Zeit tun würden. Das wiederum hat damit etwas zu tun, dass es in der Landschaftsarchitektur in den letzten 100 Jahren zwar eine ganze Reihe von neuen Gestaltungsmoden gab und gibt, deren ‚geschmacksbildende’ Wirkung in der Bevölkerung jedoch jeweils sehr begrenzt blieben. Neue Moden setzen sich ja u.a. immer dann gegenüber der jeweils vorher herrschenden, alten Mode sozusagen ‚flächendeckend’ durch, wenn der Bestand an Objekten, auf die sich die neue Mode bezieht, entweder einerseits begrenzt ist, sich rasch ausweitet, oder der vorhandene Bestand relativ ‚schnelllebig’ ist, d.h. wegen kurzer ‚kultureller Laufzeiten’ in relativer kurzer Zeit komplett erneuert werden muss. Autos, Kleider wirken deshalb relativ schnell ‚altmodisch’, weil ihr jeweiliger Bestand in der Gesellschaft alle 5, 10 oder auch 15 Jahren komplett ausgetauscht werden muss (und sei es aufgrund ‚eingebauten Verschleißes’). In einem solchen Fall hat es eine neue Mode relativ leicht: in diesem jeweiligen Zeitraum hat sie zumindest potenziell die Chance, dass der gesamte gesellschaftliche Bestand in ihrem Sinne ‚umgestaltet’ wird und sie so zur herrschenden Mode wird. Garten- und Parkanlagen gehören jedoch nicht zu dieser Art von ‚schnelllebigen’ Gütern. Sie haben keine ‚natürliche’ Verfallszeit und schon gar keine so kurze wie ein Hemd oder ein Auto. Ihre kulturelle Laufzeit ist, wie man am
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Landschaftsgarten oder alten Stadtplätzen sieht, nahezu unbegrenzt. Eine neue Gestaltungsmode in der Landschaftsarchitektur kann sich deshalb zunächst einmal nur in den jeweiligen Neuanlagen, also in dem manifestieren, was dem jeweils vorhandenen Bestand an Parks, Gärten und Plätzen hinzugefügt wird. Und das ist, wie man weiß, nicht allzu viel. Die Chance der ‚Mode’ zum quantitativ vorherrschenden Stil, zum gesellschaftlich dominierenden Geschmack zu avancieren, ist demzufolge denkbar gering, So bleibt der alte Bestand an Parks, Gärten und Plätzen auch ästhetisch gültig und für die Bevölkerung weiterhin geschmacksprägend und die neue Stilrichtung oder Mode sozusagen ihrerseits nur eine ‚moderne Randnotiz’ im traditionell geprägten Bestand. Das gilt selbst noch dort, wo - außergewöhnlich genug - Städte wie Barcelona oder Lyon ein ambitioniertes Stadtplatzprogramm auflegen und innerhalb von einem Jahrzehnt mehrere Plätze ‚modern’ neu bzw. umgestalten. In der Landschaftsarchitektur hat es mit der Durchsetzung eines neuen Stils im Grunde nur einmal funktioniert: Wenn sich der Landschaftsgartenstil gegenüber dem seinerzeit vorherrschenden Stil des Barockgartens so umfassend durchsetzen konnte, dann lag das vor allem auch an einer besonderen historischen Konstellation. Der damalige Bestand an Garten- und Parkanlagen im ‚alten Stil’ war einerseits noch relativ überschaubar, zum anderen waren die Feudalherren zu jener Zeit vielfach bereit, ihre alten Parks im neuen Landschaftsgartenstil umzugestalten. Für sie war der Garten ein Luxus- und Prestigesymbol, eine Art von Hobby und Mode, ein Aushängeschild, was ihre Bereitschaft erklärt, ihren vorhandenen Garten im Sinne der neuen Mode des Landschaftsgartenstils zu ‚überplanen’. Heute befinden sich dagegen die meisten Gärten im öffentlichen Besitz, und niemand würde es verstehen oder jeder es als Geldverschwendung ansehen, einen Park umzugestalten, nur weil es eine neue Gestaltungsmode gibt (zumal die alten Parks, Gärten und Plätzen ja meist nach wie vor voll funktionsfähig sind und sehr gefallen). Es kommt noch ein anderer Fakt hinzu: der Landschaftsgartenstil kam zu einer Zeit in Mode, als es (mit ihm und durch ihn) im Zuge von Verstädterung und Demokratisierung zu einer enormen Ausweitung des damaligen Garten- und Parkbestandes kam. Und dieser konnte nun auch ganz in diesem ‚neuen’ Stil erfolgen. Beide Aspekte (Bereitschaft zur Umgestaltung des alten feudalen Parkbestandes und die Entstehung eines neuen und recht umfänglichen kommunalen Parkbestandes, beides im Landschaftsgartenstil) führte zu diesem historisch einmaligen Ergebnis, dass sich auch in der Landschaftsarchitektur einmal eine neue Mode umfassend durchsetzen und zunehmend den gesamten Garten-Parkbestand prägen und damit auch zum ‚vorherrschenden Geschmack’ in der Bevölkerung werden konnte. Das ist dann nie mehr geschehen. Die zeitlich danach kommenden neuen Moden und Gestaltungsstile blieben für das Publikum allesamt Randerscheinungen (wenn nicht sogar unsichtbar und unbemerkt) im überkommenen Garten-, Park- und Stadtplatzbestand ihrer jewei-
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ligen Stadt. Die im jeweils neuen Stil gestalteten Freiräume waren als sozusagen ‚Einzelfälle’ nicht in der Lage, sich als neuer Geschmack in der Bevölkerung durchzusetzen und zu verankern, nicht zuletzt auch deshalb, weil diese gestalterischen Moden in der Landschaftsarchitektur über Jahrzehnte hinweg vergleichsweise wenig ‚revolutionär’ waren, sich allesamt noch recht gut in den ‚landschaftlichen Stil’ einfügten. Nicht zuletzt dieser Tatbestand erklärt den weitgehenden Konservativismus und Traditionalismus der Bevölkerung in Bezug auf ‚moderne’ Landschaftsarchitektur, der, wie bereits angedeutet (vgl. Kap. 3.4), im Bereich Städtebau und Architektur nicht ganz so stark ausgeprägt ist. Dort ist der Altbaubestand etwa der Gründerzeit (aufgrund von umfänglichen Kriegszerstörungen, Abriss-, Sanierungs- und Neubaumaßnahmen nach dem 2.Weltkrieg) nur noch bedingt geschmacksdominant, ja, er ist fast schon in eine randständige Position geraten und wirkt deshalb oft schon ein bisschen ‚altmodisch’.
Um das an einem kleinen Beispiel zu verdeutlich: (gut erhaltende) alte Gebäude, so wurde in Kap. 3.4. ausgeführt, lösen tendenziell mehr Wohlgefallen aus als moderne, weil sie ästhetisch ‚anregender’ sind. Moderne Häuser mit einer ähnlich großen ‚visual richness’ werden denn auch erwartungsgemäß deutlich besser bewertet als ihre funktionalistisch kargen Zeitgenossen. Aber, so Herzog, Shier (2000: 572), in Bezug auf alte Gebäude spiele der Faktor ‚visual richness’ für das Wohlgefallen eine erheblich größere Rolle als für moderne. Es ist, als erwarte die Bevölkerung - ganz im Sinne des typicality-Ansatzes von Purcell (s.o.) - von einem alten Gebäude gleichsam zwingend ‘visual richness’, von einem modernen dagegen nicht (mehr) ganz so. Im Bereich des Städtebaus und der Architektur hat man sich inzwischen ein ganzes Stück weit an das ‚typische’ Aussehen moderner Gebäude gewöhnt und entsprechend erwartet man in Bezug auf sie eben bereits dieses ‚moderne’ Aussehen. Schön, wenn sie auch noch ein paar Accessoires an ‚visual richness’ aufweisen, aber man erwartet sie nicht mehr so zwingend, ja, man spürt schon einen Hauch von Unzeitgemäßheit wie etwa seinerzeit bei den Bauten von Hundertwasser, die zwar jeweils wohl mehrheitlich ‚gefielen’, aber die allermeisten dürften ein leichtes Unbehagen gespürt haben und die Gewissheit, dass man so heute ‚eigentlich’ nicht mehr bauen dürfe, es sei denn in irgendwelchen Freizeitparks, Urlaubsorten oder als ironischer Kommentar zur Architekturmoderne. Während sich im Bereich von Städtebau und Architektur also eine ästhetische Vorstellung über ein modernes, zeitgemäßes Gebäude inzwischen und allmählich etabliert hat, man sich also mehrheitlich an ‚moderne’ Architektur gewöhnt hat, ist dies im Bereich städtischer Freiräume keineswegs der Fall. Hier hat, wie gesagt, die Moderne nur zögerlich Einzug gehalten, und das Meiste an Neuem blieb lange Zeit doch im historisch überlieferten Rahmen der ‚landschaftlichen’ Gestaltung. Erst in den letzten 10 bis 20 Jahren ist die Landschaftsarchitektur sozusagen wirklich ‚modern’ geworden. Eine noch zu kurze Zeit, ein noch zu kleiner Be-
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stand an moderner Landschaftsarchitektur, um geschmacksbildend wirken zu können. Entsprechend ist die ‚Moderne’ hier noch nicht gesellschaftlich konventionalisiert und entsprechend fehlt in weiten Teilen der städtischen Bevölkerung (abgesehen vom Interesse) fast jeglicher Anlass und damit auch jegliche Erfahrung, sich mit neuerer (moderner) Landschaftsarchitektur auseinandersetzen. Entsprechend die ästhetische Reserviertheit der Befragten zwischen Unkenntnis und Ablehnung: „Modern gestaltete Plätze? Da fällt mir zumindest keiner ein.“ „Was heißt das: modern gestaltet? Da fallen mir nur die Erlebnis- und Märchenparks ein.“ „Wie? Modern? Park und modern, das passt irgendwie nicht zusammen. Ich wüsste gar nicht, wie ein Park ‚auf modern’ aussehen könnte.“ „Die wirken auf mich oft tot und kommen mir oft zu leer vor. Zu wenig Bäume.“ „Eckig, kantig, kalt, aus Beton: das mag ich nicht.“ Die Vorstellung der innovativen professionellen Ästhetik, sie könne mit ‚guter, moderner Landschaftsarchitektur’ die Bevölkerung geschmacklich ‚veredeln’, erweist sich also als berufständisches Wunschdenken oder Alibi. Es wird nicht dazu kommen, dass sich die jeweils propagierte neue professionelle Ästhetik in der Bevölkerung durchsetzen wird. Es fehlt einfach an den rein quantitativen Voraussetzungen: es wird (in der Zeit der herrschenden Mode) einfach zu wenig neu gebaut und zu wenig Altes ‚überbaut’. Wenn sich dann noch die Moden der professionellen Ästhetik wie in den letzten Jahrzehnten mehrfach ändern, gelingt die Durchsetzung und gesellschaftliche Konventionalisierung umso weniger. Dennoch hat die innovative professionelle Ästhetik, die sich zunächst in Abgrenzung zum Laiengeschmack definiert, natürlich ihre Berechtigung und zwar in zweierlei Hinsicht: einmal als Ausnahme bzw. Sehenswürdigkeit, zum anderen als Ausgangspunkt eines ‚Filtering-down’-Prozesses. In der Tat: so lange im Stil der (jeweils innovativen) professionellen Ästhetik gestaltete Freiräume im städtischen Alltag rein quantitativ von marginaler Bedeutung sind, sie eher als Ergänzung des städtischen Freiraumangebotes fungieren, als stadttouristische Sehenswürdigkeit, sei es als ‚Sahnestück’ oder als ‚Provokation’, die professionelle Ästhetik überwiegend dort zum Tragen kommt, wo ein Freiraum nur besichtigt werden soll und überwiegend repräsentativ-symbolische Bedeutung hat, die professionelle Ästhetik gewissermaßen als interessante oder originelle Ausnahme im ‚Reich des mehr oder weniger Angenehmen’ zum Zuge kommt, ist eigentlich alles in bester Ordnung. Zumal eine zweite Funktion hinzukommt: Die innovative professionelle Ästhetik wirkt auf den Laiengeschmack ja eher nicht direkt geschmacksprägend oder gar -veredelnd, wohl aber auf die professionelle Ästhetik der alltäglichen Berufspraxis. Und dabei setzt ein ‚Filtering-down’-Prozess ein: die neue Mode wird
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im und für den Berufsalltag ‚passend’ gemacht und gelangt so auch nach Delmenhorst oder Lüdenscheid. Und erst in dieser ‚passend gemachten’ Version lernt die Mehrheit die Stadtbevölkerung die innovative professionelle Ästhetik meist überhaupt erst kennen. Vertraut wird sie ihr also erst dann, wenn sie (um ihrer radikalen, prinzipiellen Aspekte beraubt) gleichsam ‚mundgerecht’, eingepasst in die Ästhetik des leidlich Angenehmen, serviert und in die professionelle Routine überführt wird. In diesem Prozess wird das zunächst Oppositionelle, Fremdartige, den bisherigen Geschmack Transzendierende, das ‚Außergewöhnliche’, aber damit bisweilen sozusagen das ‚Unangenehme’ der innovativen professionellen Ästhetik sehr weitgehend ‚abgeschliffen’ und dem herrschenden Geschmack eingepasst. Es sind nun diese gesellschaftlich akzeptabel gemachten ‚Reste’ der zunächst viel radikaleren neuen Gestaltungsmoden der professionellen Ästhetik, die dann den konventionalisierten Geschmackskorridor der Gesellschaft ein Stück weit verändern und bereichern. Gerade in den letzten 50 Jahren konnte man mitverfolgen, wie die drei großen Gestaltungstrends - ‚nutzergerecht’ (70er Jahre), ‚ökologisch’ (80er Jahre), ‚künstlerisch’ (90er Jahre) - die städtische Freiraumkultur insgesamt und den ästhetischen Geschmackskorridor verändert, vor allem pluralistischer gemacht haben. Das Ergebnis dieses ‚Sickereffektes’ mag aus Sicht der jeweiligen und seinerzeitigen professionellen Protagonisten und ideologischen Pioniere enttäuschend sein, aber immer blieben ein paar Dinge im Laiengeschmack ‚hängen’ und zwar in einer Dosierung, wie es der Bevölkerung letztlich angenehm und akzeptabel erschien, von ihr im Sinne Herders (vgl. Kap. 2.1) ‚genehmigt’ wurde. Angesichts dieser ästhetischen ‚Sickereffekte’ der drei großen Gestaltungstrends der letzten Jahrzehnte mag es vom Aufwand und Ertrag her gesehen zweifelhaft sein, ob es der seinerzeitigen und jeweiligen Übertreibungen, Vereinseitigungen, Prinzipienreitereien, Überheblichkeiten, auch Borniertheiten, dieser ideologischen Grabenkämpfe bedurfte, um dieses eher harmlose Maß an Veränderung im gesellschaftlich konventionalisierten Geschmackskorridor zu erzielen. Hätte man - rezeptionsästhetisch sensibilisiert - dieses Maß nicht auch direkter, sozusagen inkrementalistisch ansteuern und das Angenehme von vornherein gleich im Blick haben können? Aber so zu fragen, hieße, die Mechanismen der professionellen Ästhetik zu ignorieren, die eben gerade von diesen ‚Trendwenden’, ‚Zäsuren’, ‚neuen Phasen’ und ideologischen Pioniertaten lebt - nicht nur geistig-ideologisch, sondern auch ganz handfest ökonomisch. Die professionelle Ästhetik brauchte offenbar diese jeweilige Verabsolutierung von ‚Nutzung’, ‚Natur’, der ‚Form’ oder von irgendwas Anderem im Entwurf, aber tatsächlich ist, wie deutlich geworden sein sollte, nie einfach ‚Kunst’, ‚Natur’ oder ‚Nutzung’ die alles beherrschende ästhetische Erwartungshaltung der Bevölkerung, sondern allenfalls die angenehme Kunst, die angenehme Natur und/oder die angenehme Nutzung. Und vor diesem Hintergrund hätten dann die
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letzten drei großen Stilrichtungen in der Landschaftsarchitektur trotz aller Grabenkriege viel mehr miteinander zu tun, als die jeweiligen Protagonisten suggerier(t)en: alle drei Perspektiven haben zunächst einmal eine genuin eigene ästhetische Relevanz im Freiraumerleben der Bevölkerung, alle drei unterliegen (aus Sicht der Besucher) derselben ästhetischen Erwartungshaltung des Angenehmen, und oft ist es gerade der sinnlich erlebte Dreiklang von angenehmer Natur (inklusive Sonnenschein), angenehmer Gestaltung und angenehmer Nutzung, der den Freiraum zu einem ‚locus amoenus’ macht. Der hier entfalteten Ästhetik des Angenehmen käme also durchaus eine zentrale, vor allem aber Rahmen setzende Funktion in der Landschaftsarchitektur zu. Denn jede modisch bedingte funktional-gestalterische Vereinseitigung oder Verabsolutierung z.B. in Richtung von Kunst, Natur oder Nutzung, um bei den Schlüsselbegriffen der letzten 50 Jahre zu bleiben, eröffnet zwar spezifische und besondere Erlebnischancen, aber geht - wie es scheint - schnell auf Kosten des Angenehmen, was von Besuchern (bei entsprechender ästhetischer und/oder funktionaler ‚Entschädigung’) zwar bis zu einem gewissen Ausmaß und in der Regel hingenommen wird, aber nie ganz ohne leises Bedauern (vgl. zu diesem ‚Bedauern’ in Bezug auf den ja häufig nicht als besonders angenehm empfundenen Spielplatz z.B. Spitthöver 1996 oder die Ausführungen zum Invalidenplatz in Berlin in Kap. 3.4). Noch schöner wäre es in jedem Fall (und welch eine entwerferische Herausforderung!), wenn der Spielplatz, das Biotop oder der künstlerisch anspruchsvoll gestaltete Stadtplatz zugleich auch als angenehmer Ort, als ‚locus amoenus’ funktionieren würde. Denn tatsächlich dürfte es leichter sein, einen künstlerisch aufregend-neuen, einen ökologisch wertvollen oder von der Nutzung her attraktiven Ort zu gestalten als einen angenehmen. Und noch schwieriger dürfte ein Freiraum zu bewerkstelligen sein, der künstlerisch, ökologisch und/oder von der Nutzung her anspruchsvoll ist, sich aber zugleich im Rahmen des Angenehmen bewegt. Aber läge nicht genau in dieser Gratwanderung die Herausforderung der Landschaftsarchitektur? Die Ästhetik des Angenehmen wäre also sowohl für die professionelle Routine wie für die professionelle Innovation eine Herausforderung, auch wenn klar ist, dass ‚Gestaltung’ nur einen, wenn auch wichtigen Beitrag zu einem letztlich ‚gelungenen, angenehmen Ort’ leisten kann. Andererseits wäre es schade, einen angenehmen Ort nur als sozusagen ‚Zufallstreffer’ der städtischen Freiraumplanung oder ‚historisches Überbleibsel’ erwarten zu dürfen.
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