Atlanta Utopischer Zukunftsroman von Axel Nord „Was ist los, Zaki?“ Der Mann im Ausguckschacht II ist ein Bursche, den ...
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Atlanta Utopischer Zukunftsroman von Axel Nord „Was ist los, Zaki?“ Der Mann im Ausguckschacht II ist ein Bursche, den in Arra alle netten Mädchen kennen. Zaki hat noch gestern abend angegeben, daß er beinah zur „Bar der drei Sonnen“ hinausgeflogen wäre. Jetzt ist er still, und Nol kann erkennen, daß er zittert. Nol steigt vorsichtig über die Leiter nach unten. „Hast du Angst, Zaki?“ „Angst nicht, Kapitän.“ Der Ostafrikaner indischer Abstammung schüttelt den Kopf; er krampft die Rechte um den Feineinsteller, daß es ihn schmerzt. Der Schmerz tut gut. Zaki wird ruhiger und atmet tief durch. „Unheimlich ist es hier, Kapitän.“ „Du wirst dich daran gewöhnen, Zaki“, sagt Nol ruhig und sieht aufmerksam auf den kreisrunden Schirm, auf dem wie in einem überstarken Fernglas alles erscheint, was das Meer ihnen zu bieten hat. „Wenn du dich nicht daran gewöhnst, ist dies deine erste und deine letzte Tiefseefahrt, Zaki. Zittern kannst du einmal, doch mußt du das Grauen überwinden.“ „Ich werde mich zusammenreißen, Kapitän.“ „Dann ist es gut – 4300 Meter!“ „4300 Meter“, antwortet Zaki wie mechanisch. Ein Klingelzeichen ertönt durch die große, kugelförmige Drei-StockKabine der „Afrika“. Viermal. Das ist Valdasa, dessen Vorfahren aus dem untergegangenen Spanien stammen sollen. Valdasa ist die personifizierte Gelassenheit. Wenn er den Kapitän herbeiruft, ist schon allerhand los. Nol klopft dem blutjungen Neu3
ling kameradschaftlich auf die Schulter, steigt die Leiter hoch, geht durch den Mittschiffsraum, in dem zehn Mann gemeinschaftlich wohnen und schlafen, und steigt in den Ausguckschacht IV. Am Kreisschirm ein weißes, gutgeschnittenes Gesicht. Das einzige weiße Gesicht im modernsten afrikanischen Tiefseetaucher. „Bei 6300 ist was los, Kapitän“, meldet er gelassen. Nol ist schon neben ihm. Auf dem Schirm erkennt man einen Schwarm kleiner leuchtender Fische, die wie verrückt auf und nieder tanzen. Nol hebt ärgerlich die Augenbrauen und tituliert Valdasa im stillen nicht sehr schmeichelhaft. Er kommt aber schnell davon ab, als sich der Schwarm plötzlich teilt und vor zwei starren, grelleuchtenden Punkten auseinanderstiebt, die sich aus unergründlicher Tiefe heraufbewegen. „Tiefe, Valdasa?“ „Genau 6301, Kapitän.“ „Ein liebreizendes Ungeheuer.“ „Ein Tier, Kapitän? Wirklich nur ein Tier?“ „Beim Himmel, Valdasa, das ist doch nicht möglich!“ Dann sehen sie es beide, sehen unheimlich deutlich, was sich 2000 Meter tief unter ihnen, im Schoß des weiten Atlantiks, an Grauenvollem abspielt. Ein bisher nie gesehenes Ungeheuer ist das, ein Polyp von überdimensionalen Ausmaßen, mit großen, klugen Augen und gewaltigen Fangarmen, die geschmeidig ein blitzendes Ding umfingern, das vor Verzweiflung wie wild hin und her schießt und doch dem spielenden Riesen nicht entkommen kann. Das Ding sieht aus wie ein großer Torpedorumpf und kann nichts anderes sein als ein Schwimmkörper, in dem sich Menschen befinden. „Die armen Teufel!“ „Aber tiefer als 5500 ist doch noch niemand getaucht, Kapitän.“ „Einerlei, wir müssen hinunter!“ Nol drückt den Alarmknopf 4
und stellt gleichzeitig auf „Tauchstufe 0305“ ein. „Wir müssen sie ’raushauen!“ Valdasa sieht nicht einmal auf, als Nol den Ausguckschacht verläßt. Selbstverständlich werden sie die dort unten heraushauen. Immer noch schrillt der Alarm durch die Tauchkugel. Nol rast auf die Funkbox zu. „Sofort Meldung an Arra!“ * „Nol meldet sich!“ Generaldirektor Kassul von der „Universal-Industrie“ sieht aus, als sei er der wichtigste Mann dieses gigantischen Konzerns. Es gibt aber noch einen, der mächtiger ist als er. Wamnana heißt er und lebt als vielfacher Millionär am Strande des Atlantiks. Wamnana hält sich allerdings im Hintergrund und läßt Kassul sehr viel freien Spielraum. Kassul ist ein feiner Mensch. Ohne ihn wäre das großzügige Programm zur Erforschung der atlantischen Tiefsee nie verwirklicht worden. Ohne ihn wäre es dem jungen Sudanesen Nol niemals möglich gewesen, seine tollkühnen Tauchfahrten zu unternehmen. Gewiß dienen diese Forschungen auch materiellen Zwecken, doch zunächst einmal profitiert die afrikanische Wissenschaft von ihnen. Die „Universal-Industrie“ ist das einzige Unternehmen, das so etwas finanzieren kann, aber ohne Kassuls Zureden hätte der dicke Wamnana, dieser Emporkömmling aus dem tiefsten Kongourwald mit seinem hinterhältigen Blick, die Riesensummen niemals bewilligt. Kassul ist ein feiner Mensch. Doch in einer entscheidungsvollen Stunde wird er versagen. Und das noch in diesem fast unerträglich heißen August des Jahres 2503. 5
* „Nol meldet sich!“ Kassul steht neben dem Funker, der nur eine Aufgabe hat: die Verbindung zu Not aufrechtzuerhalten. Kassul nickt nur. Die Drehfilter an den Wänden surren eifrig Kühle in den Raum. Der Funker nimmt auf, und Kassul greift nach dem Streifen. „… in 6301 Meter Tiefe unbekanntes Fahrzeug im Kampf mit Riesenpolypen. Versuchen zu helfen …“ „6300 Meter? Das ist doch unmöglich. Nol muß sich irren.“ „Es wäre das erstemal, Herr Generaldirektor“, erlaubt sich der Funker zu bemerken; und Kassul ist weit davon entfernt, es ihm übelzunehmen. Er wartet mit angehaltenem Atem auf die nächste Meldung aus der Tiefsee. Sie bleibt aus. Kassul zählt die Minuten. Bei „sechs“ hält er es nicht mehr aus. Er fährt im Lift in den achten Stock hinauf, tritt an ein Fenster und sieht auf den weiten Atlantik – über den Hafen von Arra hinweg. Arra hat über sechs Millionen Einwohner und liegt dort, wo vor einigen Hundert Jahren noch einsame Palmen am Strand rauschten. Palmen gibt es hier auch heute noch, nur daß sie in den riesigen Parks stehen, die den gewaltigen Stadtkomplex auflockern. Arra ist schön. Arra ist die Perle der Afrikanischen Union und ihre Hauptstadt zugleich. Kassul wendet sich schroff ab und geht in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Unruhe treibt ihn. Nol will einen fremden Taucher heraushauen. Das sieht ihm ähnlich. Das ist Nol, wie ihn alle kennen und alle lieben: mutig, unerschrocken und immer bereit, einem anderen beizuspringen, wenn er in der Klemme sitzt. Nol ist kein Theaterheld wie einige andere, die damit prahlen, daß sie zum Atlantikkorps der „Universal“ gehören. Nol ist ein ganzer Kerl. 6
Kassul zuckt es durch und durch, als sich der Haussprecher auf dem Schreibtisch meldet. Als er aber die weiße Taste drückt, tönt ihm nur eine unangenehme, kehlige Stimme entgegen. „Hallo, Kassul! Ich muß Sie bitten, noch heute abend herzukommen.“ Kassul nimmt eine Zigarettenpackung vom Schreibtisch und reißt gedankenlos die Glaspapierhülle auf. „Ich warte auf eine wichtige Meldung von Nol“, erwidert er vorsichtig. „Ich bliebe gern hier.“ „Dr. Omar ist aus Westeuropa zurück. Er hat dort das Gebiet besucht, in dem früher Paris stand. Er bezweifelt, daß es uns möglich sein wird, am 1. Oktober Westeuropa für die ‚Universal’ zu übernehmen.“ Der Generaldirektor schiebt sich langsam eine Zigarette zwischen die wulstigen Lippen. „Das verstehe ich nicht. Ich bin im vergangenen Jahr durch Westeuropa gereist. Ich habe nur wilde Tiere und afrikanische Verwaltungsbehörden angetroffen. Westeuropa ist entvölkert.“ „Es soll noch Nachkommen der Westeuropäer geben.“ Das Feuerzeug klickt auf. „So. Nachkommen also, die berechtigt wären, das Gebiet des ehemaligen Westeuropäischen Bundes zu beanspruchen?“ „Dr. Omar behauptet es.“ Immer noch keine Nachricht, denkt Kassul besorgt, immer noch keine Nachricht. „Ich komme!“ * „5780 Meter!“ „Fallen stetig! Fallstufe A!“ „Fallstufe A! Einpeilen!“ 7
Wie ein aufblitzendes Phantom schießt die „Afrika“ hinab. Gelenkt von Nol, der am Steuerbrett sitzt und seinen „Kasten“ auf das Ungeheuer zurasen läßt, dessen Umrisse sich immer schauerlicher aus der Schwärze der Tiefsee herausschälen. Das armselige Ding von Schwimmkörper, das hilflos im Gewirr seiner Fangarme hin und her schießt, ist mindestens 80 Meter lang; und es ist nur ein winziges Spielzeug vor dem, was es in seinem Bann hält. „Eine bildschöne Teufelskreatur.“ „Ist das wirklich ein Polyp?“ „Wie ausgespuckt von der Hölle, Valdasa“, preßt Nol zwischen den Zähnen hervor. „Ob das ein Polyp ist? Wer weiß das, Valdasa! Wir wissen nicht viel von der Tiefsee. Die Hölle beginnt erst weiter unter uns.“ „Ob die noch leben?“ „Sie wehren sich noch. Aber das Untier spielt mit ihnen. Es spielt! Sieh nur – sieh!“ Valdasa flucht laut und wird blaß. Die Bestie von Polyp hebt mit ihren widerwärtigen Fangarmen den Schwimmkörper an, wirft ihn hoch, fängt ihn ab, bevor er abtreibt, und wirft ihn wieder hoch. „Nol – wie weit sind wir?“ „5920.“ „Noch über 300 Meter! Wir kommen nicht rechtzeitig. Wie sollen wir herankommen?“ Note Jungengesicht ist so hart, daß Valdasa erschrickt. „Wir wissen nicht, um welch ein Lebewesen es sich handelt. Die Bestie hat mindestens zwanzig Fangarme. Wir haben nur eine Möglichkeit.“ „Welche?“ „Wir müssen sie blenden und dadurch unsicher machen, das Ding in wenigen Minuten greifen und herausziehen. Was dann sein wird, weiß ich allerdings auch nicht.“ 8
„1:99“, sagt Valdasa trocken. „Wenn es schiefgeht, sprengen wir uns am besten gleich auseinander.“ „Es darf nicht schiefgehen. 6100!“ „6100!“ sagen sie in den Ausguckschächten und im Maschinenraum, und ihre Gesichter sind so ernst wie das ihres jungen Kapitäns. „Nol bezwingt den Teufel.“ „Dieser Teufel kann stärker sein als wir.“ Leise vibriert der Taucher unter den voll laufenden Atommotoren. Sie sehen von der Kugel aus nicht den gischenden Trichter, den sie immer tiefer in das aufdonnernde Wasser bohren. Sie sehen nur das grandiose Schauspiel der belustigt spielenden Bestie mit den Höllenaugen – und auf die Tiefenanzeiger. „6180!“ Da kommen von Nol kurze Anweisungen. Sie sollen sich festhalten, wenn sie auf 6250 sein werden. Sie sollen die Rotstrahler und ihre Strahlenwaffen bereithalten. Und während Nol das durchgibt, wittert unter ihnen das Untier den neuen Feind. Die Schlangenarme lassen den Schwimmkörper nicht los, spielen aber gereizt in der Richtung vor, von der aus heranpreschende Unruhe spürbar wird. Gnadenlos leuchten die furchtbaren Augen. * Nol schreckt nicht zurück. Kaltblütig richtet er seine beiden großen Rotstrahler, in denen kosmische Energien aufgespeichert sind. Deutlich kann er die Höllenaugen wahrnehmen. Noch zwölf Minuten, noch acht, noch – Kassul weiß nicht, warum er in diesem Augenblick sein Glas zurückstellt und wie gebannt auf das Meer hinausschaut, das vor dem herrlichen Garten des Privatpalastes weißschäumend den feinen, weichen Sand überspült. Wamnana lächelt ironisch. 9
„Wir werden Vollmond haben, Kassul. Wenn Sie Romantiker sind, werden Sie in den nächsten Stunden auf Ihre Kosten kommen.“ „Ich kann mir nicht helfen – ich muß an Nol denken.“ Der schwarze Millionär mit dem aufgedunsenen Urwaldgesicht winkt ab. „Lassen Sie ihn doch seine Versuche machen. Dr. Omar, fahren Sie bitte fort!“ Dr. Kaid Omar verneigt sich höflich. Vor millionenschweren Männern verneigt er sich besonders gern und tief. „In Paris besuchte ich die immer noch unaufgeräumte Staatsbibliothek.“ „Wie sieht es dort aus?“ „In Paris? In Westeuropa? Oh, einen Augenblick!“ Das dürre Männlein trippelt um den Tisch, daß sein weißes Gewand raschelt. Ein paar Handgriffe. Dann wirft ein Projektor ein erschütterndes Bild der Trostlosigkeit an die Wand. Das ist Europa? Das ist das Antlitz eines Kontinents, der sich vor hundert Jahren in einem dreiwöchigen Atomkrieg zerfleischte. Drei grausige Wochen löschten 543 Millionen Menschen aus. Weitere 40 Millionen starben in den nächsten drei Jahren an den Folgen dieser apokalyptischen Wochen. Panamerika und die Afrikanische Union konnten nicht eingreifen. Sie mußten untätig zusehen, wie ein Kontinent starb. Europa 2503. Das sind die Ruinen toter Städte. Das sind Felder und Wälder, die unter den radioaktiven Einwirkungen verwüstet sind. Das sind verlassene Dörfer, durch die wilde Tiere streifen. Das sind einsame Verwaltungsstellen der Afrikaner, die als Treuhänder über Europa eingesetzt wurden. Paris. Verloren der schimmernde Glanz einstiger Größe. Vom Pantheon bis zum Montmartre ein Ruinenfeld. Seit hundert Jahren! Achtzig Menschen zwischen den Ruinen: achtzig Afrikaner! 10
London. Der Tower ist stehengeblieben. Weiß der Himmel, aus welchem Grunde! Aber der Tower ist das Grabmal einer großen Stadt. Brüssel. „Danke, Doktor, das genügt“, sagt der Generaldirektor hastig und mit rauher Stimme. Der Projektor erlischt. Wieder lächelt Wamnana ironisch. „Sie sind heute sehr gefühlvoll, Kassul.“ „Es ergreift mich jedesmal, wenn ich es sehe.“ Der Generaldirektor schüttelt sich. „Ich kann mich nicht am Untergang eines altehrwürdigen Kontinents erfreuen.“ Wamnana greift zur Flasche. Leise gluckert der Wein in die Gläser. Dr. Omar nimmt wieder Platz. „Am 1. Oktober des Jahres 2403 stellte die Weltregierung offiziell fest, daß jede staatliche Ordnung in Europa zu bestehen aufgehört hatte.“ „Vor fast hundert Jahren.“ „Der Weltrat beschloß damals, die Afrikanische Union zum Treuhänder über Europa einzusetzen, mit der Maßgabe, daß Europa nach hundert Jahren an Afrika fallen sollte.“ „Die hundert Jahre sind um, meine Herren.“ „Noch nicht ganz“, schränkt der Gelehrte sachlich ein. „Wenn jetzt noch, sozusagen in letzter Stunde, eine größere, geschlossene Gruppe oder Organisation von Nachkommen der Europäer Ansprüche vor dem Weltgerichtshof in New York erheben würde, so müßte man ihr eventuell – nach dem geltenden Völkerrecht – geben, was – was –“ „– was wir gern hätten“, vollendet Wamnana trocken. „Und das ist der Fall?“ fragt Kassul aufmerksam. „In Paris fand ich Tagebuchaufzeichnungen eines Marineoffiziers des Westeuropäischen Bundes. In ihnen ist davon die Rede, daß sich fast zweitausend Angehörige dieses Staatenbun11
des an Bord eines großen Tauchschiffes in den Atlantik retten konnten.“ „Klingt nicht sehr wahrscheinlich.“ „Man muß die Situation berücksichtigen, in der sich Europa damals befand, als völlig überraschend der Krieg ausbrach“, doziert Dr. Omar und betrachtet nachdenklich den am Horizont aufsteigenden Mond. Der große Friede des Abends breitet sich über eine glückliche Stadt. Von fern geben automatisch gesteuerte Flugtürme ihre Signale auf den heranrollenden Ozean hinaus. „Europa dachte nicht daran, daß die Wahnsinnstat eines wildgewordenen osteuropäischen Diktators in drei Wochen das grausige Ende herbeiführen werde. Im Seebad Ostende fand im Spätsommer 2405 ein Kongreß statt, an dem die Elite des Bundes mit ihren Familien teilnahm. Wissenschaftler aller Fachgebiete, Schriftsteller, Wirtschaftler, Landwirte – alles war vertreten. Als Höhepunkt dieses großen Kongresses fand eine Atlantikdurchquerung im damals modernsten westeuropäischen Tauchschiff statt.“ Im Mondlicht schimmert silbern das Wasser. Irgendwo ruft ein Vogel. „Weiter, Doktor.“ „Wählend dieser Vergnügungsfahrt brach das Unheil des kurzen Atomkrieges über die drei europäischen Staatenblocks herein. Keiner blieb verschont, auch nicht der Westeuropäische Bund, dessen Hauptstädte Berlin und Paris waren. Als Bundespräsident Steigner – ein Österreicher – erkannte, daß es keine Rettung mehr gab, schickte er mit zwei Hubschraubern die wichtigsten Staatsdokumente und angeblich auch drei Safes mit Unterlagen über einen neuartigen Energiestoff, mit dem milliardenschweren Staatsschatz des Bundes und anderen Kostbarkeiten dem Schiff nach und gab dem Schiffsführer den Auftrag, diese Sachen zu bergen.“ 12
Kassul spürt, wie eine große Erregung m ihm aufsteigt. „Das soll ich glauben?“ „Ich nehme nicht an, daß ein Marineoffizier seine Nachwelt zum besten halten wollte.“ „Weiter, Doktor.“ „Das Tauchschiff ist so spurlos verschollen und verschwunden wie das Leben auf dem Kontinent. Der Marineoffizier, der die Katastrophe um zwei Jahre überlebte, nimmt an, daß der Schiffsführer – Albertsen soll er geheißen haben – sein Schiff im Atlantistief versenkt hat. Und von diesem Atlantistief erzählt man sich die tollsten Dinge.“ „Es liegt 300 Meilen westlich der Kapverdischen Inseln.“ „Richtig, Wamnana.“ Dr. Omar nickt, genießt den erlesenen Wein in vorsichtigen Schlucken und sieht über sein Glas hinweg zu Kassul hin, der regungslos dasitzt und ihn anstarrt. „Sie ahnen, was ich meine, Herr Generaldirektor?“ „Das fällt nicht schwer. Die Sage, daß das Atlantistief in 13 000 Meter in eine phantastische Wunderwelt führt, ist uralt. Europäer unternahmen bereits um die Jahrtausendwende eifrig Tauchversuche im Tief. Sie scheiterten. Sie mußten scheitern. Wir sind erst jetzt so weit, daß wir einen Abstieg auf 13 000 Meter wagen könnten. – Dort also soll das Tauchschiff versenkt worden sein?“ „Ja, mit voller Absicht des Kapitäns.“ „Das klingt – verzeihen Sie! – sehr theatralisch.“ „Warten Sie lieber die Schlußfolgerung ab.“ Dr. Omar zwinkert spottlustig. „Sie besagt nämlich, daß die Männer und Frauen auf dem Tauchschiff eine auf den ersten Blick phantastische Möglichkeit erkannten und nutzten.“ Kassul schüttelt den Kopf. „Verzeihen Sie, Doktor, aber ich komme da nicht mit! – Sie glauben diesen ominösen Tagebuchaufzeichnungen, die wohl besagen, daß die zweitausend Europäer auf dem Grunde des 13
Atlantistiefs, also im Schoß der Erde, eine neue Staatsgemeinschaft gründeten?“ Wamnana springt auf. Er vergißt seine ganze Überheblichkeit. Er schnauft wie ein unheilwitternder Urwaldneger. „Das – das wäre ungeheuerlich!“ „Ich glaube nicht daran, Wamnana. Die westeuropäische Elite hätte sich ohne weiteres nach Afrika oder Amerika retten können.“ „Vielleicht – wollte sie es nicht.“ Wamnana geht jetzt auf den bunten Fliesen hin und her. Er fuchtelt sinnlos mit den Armen. Das fahle Mondlicht läßt ihn wie einen lächerlichen, aufgeregten Negerhäuptling erscheinen, der sich vor bösen Geistern fürchtet. Dieser lächerliche Bursche ist aber gefährlich, ungemein gefährlich! „Dann gibt es rechtmäßige Erben des Westeuropäischen Bundes?“ „Wir müssen damit rechnen.“ „Erben auf dem Meeresgrund?“ „Im Schoß der Erde – 13 000 Meter tief.“ „Das darf nicht sein!“ sagt Wamnana leise, aber so bestimmt, als treffe er eine Entscheidung. „Die ‚Universal’ wird am 1. Oktober der Regierung Westeuropa abkaufen. Dort gibt es ungeahnte Möglichkeiten für uns.“ Er bleibt vor Kassul stehen. „Ich schicke Mako.“ Kassul hebt die Augenbrauen. „Mako? Mako ist in Urlaub.“ „Dann rufen Sie ihn zurück!“ fährt Wamnana den Generaldirektor an. „Mako ist nach Nol der beste Tiefseemann, den die ‚Universal’ hat. Nol ist zu weich. Wenn er das sagenhafte Atlantis sieht, vergießt er Tränen des Mitgefühls. Nein, das muß Mako machen.“ „Was?“ fragt Kassul mit bedeutungsvoller Betonung. „Diese Menschen dürfen uns Westeuropa nicht nehmen!“ „Also Massenmord?“ 14
Das böse Wort steht sekundenlang scharf zwischen ihnen. Sie schweigen. Wamnana setzt seine lächerlichen Armbewegungen fort und blickt aufs Meer hinaus, als wolle er den weiten Atlantik beschwören. Man könnte darüber lachen. Aber man lacht nicht über Wamnana. „Sie dürfen uns Westeuropa nicht nehmen.“ * „Noch fünf Minuten.“ Die Polypenaugen haben längst den Feind erkannt. „Sie lassen uns nicht los“, keucht Valdasa in der Anspannung der letzter Minuten. „Tiefe?“ „6200!“ „Dann ’raus mit dem Rotfeuer, Nol!“ Nols Blick saugt sich am eisigen Schimmer der gespenstischen Teufelsaugen fest, die hundert Meter unter ihnen lauern und das armselige Ding von Schwimmkörper nicht weiter beachten, mit dem die scheußlichen Fangarme wie gedankenlos spielen. „Achtung, Jungen!“ In den Ausguckschächten legen sie die Sperre ihrer Rotstrahler um – für alle Fälle. Nols Jungen brauchen nicht kampflos dem Teufel zu unterliegen, wenn es sein muß. Der Taucher rast geradenwegs auf die Bestie zu. 6240 – 6290 – Zwei rote Lichtbalken flammen auf. Sie treffen gut. Sie treffen die glosenden Teufelsaugen. Sie sind ohne Erbarmen und blenden und schmerzen. Aber so leicht weicht der Teufel nicht. Sie stoßen in höllenhafte Finsternis vor. „Durch!“ schreit Valdasa. 6360 – 6400 – 15
„Nol, reiß den Kasten herum!“ Vor der Sichtscheibe geistert plötzlich aus der Schwärze des aufgewühlten Wassers eine riesige Schlange heran. Eine Schlange? Einer der Fangarme ist es. Deutlich können Nol und Valdasa die schuppenähnliche Musterung erkennen. Irgendwo singt einer ein uraltes Zauberlied, das ihnen jetzt helfen soll. Zaki singt. Zaki ist der Schwächste von ihnen. Nol wartet nicht, bis sich die tatzenhafte Saugplatte unter die „Afrika“ geschoben hat. Nol wartet nicht auf den Tod. Er ist schneller. Zwei entschlossene Handgriffe. Der Kasten geht steil nach oben, daß dem zitternden Zaki das Singen vergeht. „Bist du verrückt?“ Nol lacht und schaltet weiter. „Noch nicht.“ Wieder schießen die roten Strahlen dem Kasten voran, nach oben. Nol hat Glück. Wieder treffen sie die Teufelsaugen, die über ihnen warten. Wieder blenden und schmerzen sie. Jetzt weicht der Teufel. Nol hat gut getroffen. Das Untier zergeht oder löst sich auf oder verwandelt sich. Sie wissen es nicht. Sie sehen nur, daß der ekelhafte Fangarm vor der Sichtscheibe ihnen nicht mehr folgt, daß er auf einmal nicht mehr da ist und das tiefe Meer seine alte, von leuchtenden Fabelwesen gemilderte Schwärze zurückgewinnt. „Entweder träume ich“, Valdasa schüttelt den Kopf und ist ziemlich blaß. „oder Zaki hat tatsächlich die bösen Geister beschworen.“ „Zaki ist unschuldig. Wo ist denn nun …?“ „Achtung!“ schreit es vom Ausguck III dazwischen. „Schwimmkörper! 100 bis 150 Meter Abstand, backbord, Tiefe 31“ Die „Afrika“ stoppt, weicht nach backbord aus und geht wieder tiefer, vorsichtig, langsam. Nol und Valdasa beobachten genau das angegebene Planquadrat. Dann steht Nol auf, haut 16
seinem Kameraden auf die Schulter und steigt nach oben. „Komm, ich habe sie …“ „Laß mich hinaus, Kapitän!“ „Das verstieße gegen die Schiffsordnung.“ Nol grinst und rennt durch den Mittschiffsraum auf den Einstieg zu. – Hoffentlich machen die Jungen es richtig, denkt er und atmet auf, als ein Schrammen durch den Taucher geht, ein Schrammen der langen Greifer, die das armselige Ding packen und heranziehen. Am Einstieg stehen drei Mann und bedienen die Schleuse. Nol ist. schon durch. Das Luk gleitet weg. Nol stemmt sich gegen das einschießende Wasser. Vor ihm eine Rundwand. Von gischendem Wasser überflutet, das von den harten Bewegungen der Greifer aufgewühlt wird. Nol schnallt sich an und läßt sich in das Wasser hinausschnellen. Nach Sekunden hat er es geschafft. Die Rundwand ist aus einem Kunststoff, den er auf Anhieb nicht identifizieren kann. Der Sog drängt ihn so stark dagegen, daß er alle Knochen spürt. Sein Herz hämmert dumpf. Das ist nicht die körperliche Anstrengung. Das ist eine untergründige Furcht vor dem, was kommt. Viel zu langsam schneiden die Rotstrahlen. Dann kann er einsteigen. Ein Mannloch klappt auf, armhoch über ihm. Nol zieht sich hinauf und schwingt sich in den torpedoartigen Körper. Nichts als Stille und Dunkelheit! Was ist das für ein Ding? denkt er verzweifelt, während er mit einer jähen Bewegung den Handscheinwerfer einschaltet. Ein langgestreckter Raum tut sich auf. Wie ein finsterer Tunnel mit blitzendem Gestänge, mit langen Reihen flacher Kojen auf beiden Seiten, auf denen regungslose Gestalten liegen. Nols Schläfen dröhnen. 17
Tot? Sein Scheinwerferlicht geht über bleiche Gesichter – junge, hellfarbige Gesichter. Nol muß schlucken. Er ist zu spät gekommen. Ein feines Singen kommt von Lufterzeugern. Nol weiß, was das bedeutet. Aus! Sechs junge Kerle sind das. Niedergeschlagen geht Nol die Reihen entlang. Diese verdammte Bestie! Wenn wir nur eine halbe Stunde früher gekommen wären! Nol sieht, daß der Mannschaftsraum vorn von einer schmalen Schottür abgeschlossen wird. Diese Schottür hat einen Schließmechanismus, der Nol so umständlich vorkommt, daß er den Kopf schüttelt. Er brennt ihn einfach durch, und dann taumelt ihm auch schon eine Gestalt entgegen: ein junges Mädchen. Nol fängt es auf und steht wie gelähmt. Er weiß nicht, wie lange. Er sieht nur eines: Das Mädchen ist schön. * „Ihr könnt euch mal an mir ein Beispiel nehmen.“ Zaki prahlt wieder. Die Gefahr ist vorbei. Das Untier ist überwunden. Warum sollte Zaki nicht prahlen? Er wird aber sehr still, als sein Nebenmann nach oben zeigt und Nol mit dem bewußtlosen Mädchen im Arm am Ausguckschacht II vorbeiklettert. „Eine Weiße, Simbei. Hast du gesehen?“ Der andere verrenkt sich fast den Hals. „Wie sie aussieht! Wie eine Göttin. Die ist schön, Zaki. Sind das Amerikaner?“ „Wer weiß, wer uns da zuvorgekommen ist!“ meint Zaki altklug. Nol trägt sie an der Funkbox vorbei. Er ist eben vorbei, als die „Afrika“ angerufen wird. „Arra an Nol. Kassul. Kennreihe 4. Nehmt Tauchfahrt wieder auf und geht im Atlantistief auf Grund.“ 18
Der Funker bewegt lautlos seine aufgeworfenen Lippen. Aber das ferne Arra hält gleich darauf noch eine Überraschung für sie bereit. „Arra an Nol. Wamnana. Kennreihe 6. Mako kommt an Bord.“ Mako? Sie kennen ihn. Sie lieben ihn nicht. Die „Afrika“ geht wieder tiefer. * Die Fremde bewegt sich. Nol steht neben ihrem Lager und sieht mit weitaufgerissenen Augen auf den Schiffsarzt, der sich gerade wieder aufrichtet und ihm kurzsichtig, wie immer, zublinzelt. „Glück gehabt, Nol – verdammt viel Glück gehabt, wenigstens die …“ Nol atmet tief, ganz tief durch. „Ja, wenigstens die. Es war nicht ganz vergeblich.“ „So sollte man nie sprechen, Nol. Lassen Sie mich mit ihr allein.“ Nol nickt, wirft noch einen Blick auf das Gesicht, das sich unter der Qual des Erlebten in die Kissen wühlt. Armes Mädel, denkt Nol, armes Mädel! Sie ist vielleicht zwanzig, älter nicht. Nol sieht sie noch vor sich, wie sie in seinen Armen zusammenbrach. Mit einer Hilflosigkeit, die ihn unsagbar ergriff. Ihre Augen waren groß und fragend auf ihn gerichtet, aber Nol glaubt nicht, daß sie ihn überhaupt wahrgenommen hat. Im Leitraum wartet Valdasa auf ihn. „Ich konnte die Toten nicht übernehmen, Nol“, berichtet er. „Als du mit dem Mädel zurückkehrtest, bin ich noch mal drüben gewesen. Ihr Lufterzeuger ist schadhaft geworden und hat sie so sehr vergiftet, daß sie auch uns noch gefährden könnten.“ „Das dachte ich mir. Du hast das Ding ausgehakt?“ 19
Valdasa sieht sehr mitgenommen aus. Er geht in seiner triefenden Kombination über den blauen Plattenboden und schenkt sich und Nol einen ein. Er antwortet nicht, aber Nol weiß, daß Valdasa alles fotografisch aufgenommen hat und daß die armen Kerle nun in ihrem großen Sarg durch die Tiefsee treiben und keiner an sie heran kann. Diese verdammte Bestie! „Hier, Nol – echter Amerikaner!“ Nol gießt das Zeug hinunter. „Hast du dir alles genau angesehen, Valdasa – den Mannschaftsraum und die komische Steuerung, die sie vorn hatten? Ich möchte …“ Valdasa fängt seinen Blick ab und zeigt auf die eingegangenen Funkstreifen. Valdasa hat eine eigene Art, mit knappen Gesten auf Nols Gedankengänge einzugehen. Nol stutzt, nimmt die Streifen und liest. In dem fernen Summen der Atommotoren rascheln die Streifen leise auf, wenn Nol sie durch die Finger gleiten läßt. „Wir sollen im Atlantistief auf Grund gehen, Nol. Schön gesagt! Kleiner, netter Spaziergang, wie?“ „Und Mako schicken sie uns“, murrt der junge Kapitän. „Hoffentlich erstickt der Bursche unterwegs.“ „Wir stehen im Augenblick nur 20 Kilometer östlich vom Tief“, meint Valdasa bedächtig und schenkt wieder ein. „Und das fremde Ding kam von unten.“ Nol fährt auf. „Valdasa, du willst doch nicht sagen, daß die aus dem Tief gekommen sind?“ „Ich habe mir ihre Anzeiger genau angesehen. Fotografiert habe ich sie auch. Die sind nicht getaucht, Kapitän – die sind nur aufgestiegen.“ Nol sieht Valdasa wie einen Verrückten an. Dann geht er schweigend an ihm vorbei und tritt vor die große Karte, die das Tief zeigt, soweit es den Menschen überhaupt bekannt ist. 13 000 20
Meter geht es abwärts; aber bei der 5000-Meter-Marke beginnt die Schraffierung des Unerforschten. „6800 haben wir jetzt.“ „Hast du noch nie gehört, daß dort unten ein sagenhaftes Land liegen soll?“ „Atlantis?“ * „Hallo, Mako!“ Nol reicht dem Hünen, der eben durch die Schleuse eingestiegen ist, die Rechte. Draußen schnellt der Taucher, der ihn in die Tiefe brachte, aufwärts. Mit leisem Pfeifen schließt sich die Schleuse. „Hallo, Nol – freut mich, dich zu sehen!“ Nol macht keine große Anstrengung, seine Abneigung zu verbergen. Valdasa lächelt nur spöttisch. „Die ‚Afrika’ ist doch kein Schultaucher, Kapitän. Sie sollten Ihre Erfahrungen woanders suchen.“ Der Hüne grinst. Er sieht gut aus, der Mako, doch er blendet. Er ist maßlos ehrgeizig und kann auch allerhand, bringt aber nicht die Selbstdisziplin auf, die einen Tiefseekapitän auszeichnen sollte. Das Wissen um die eigenen Schwächen macht ihn skrupellos. Wamnana weiß, warum er gerade ihn geschickt hat. Mako haßt Nol, aber er spielt den guten Kameraden. „7000 Meter! Verdammt gute Leistung, Nol!“ „Wir tun nur, was wir können“, erwidert Nol ruhig; und als sie sich im Leitraum gegenübersitzen, sieht er den anderen offen und prüfend an. „Was sollst du hier, Mako?“ „Du siehst mich wohl nicht gern, Nol?“ „Ich fragte dich, was du hier sollst.“ 21
„Ihr habt aus Arra den Befehl erhalten, im Atlantistief auf Grund zu gehen.“ „Das sind nur 13 000 Meter“ – Nol grinst –, „aber wir werden es versuchen.“ „Kannst du dir denken, was Wamnana damit bezweckt?“ „Vielleicht“, entgegnet Nol, mißtrauisch ausweichend, und sieht zu Valdasa hin, der seinen Schnaps trinkt, als säße er in einer Hotelbar und nicht in einem abwärts gleitenden Tiefseetaucher. „Der Chef nimmt an, daß das Tief in das sagenhafte Atlantis führt und daß dort unten Menschen leben. Tausende. Nachkommen von Westeuropäern, die vor hundert Jahren vor ihrem großen Atomkrieg dorthin geflüchtet waren. Das ist kein Hirngespinst, meine Herren; das ist eine Vermutung, für die die Wissenschaftler allerhand anführen können.“ Nol starrt Mako atemlos an. „Warum hat man uns das nicht durchgegeben?“ „Ich sollte es dir persönlich übermitteln.“ Mako lächelt selbstgefällig. „Ich komme als Beauftragter Wamnanas. Ihr werdet verstehen, daß die ‚Universal’ an der Erforschung des Landes Atlantis besonders interessiert ist. Und da ich einen Sonderlehrgang auf der Marineschule absolviert habe … Bitte, hier ist mein Ausweis.“ Nol nimmt das amtliche Papier entgegen. „Sonderlehrgang See für Treuhandaufgaben in Europa“. Unterschrift: „Tunya, Vizeadmiral“ Dienstsiegel. Nol staunt. „Das hätte ich dir nicht zugetraut“, sagt er offen. Mako lacht laut auf. „Einmal muß man mit dem Ernst des Lebens beginnen. Auf gute Zusammenarbeit also! Hoffentlich finden wir Atlantis.“ Nol steht auf. „In Ordnung, Mako! Entschuldige mich jetzt.“ 22
* Dann geht Mako durch die Räume der Tauchkugel. An den Rundwänden sind überall Tiefenskalen angebracht. Sie stehen jetzt bei 7200 Meter. Niemand weiß, was auf sie wartet. Mako schlendert mit der Miene eines Fernsehhelden durch den Mittschiffsraum, die Hände in den Taschen, um den breiten Mund ein arrogantes Lächeln. Beim Fernsehen könnte er vielleicht Erfolg herausschinden, hier imponiert den Männern nur sein Rangabzeichen. 7300. Mako sieht sich aufmerksam um, sehr aufmerksam. Es ist gut, sich jetzt alle Einzelheiten dieses Tauchers einzuprägen; denn wenn es aufwärts geht, wird Nol nicht mehr dabeisein. Wamnana sieht Nol nicht mehr gern, und Mako dankt allen Göttern für diese Chance. „Hallo, Koch!“ Der Bordkoch, der lang und dünn und halbverhungert aussieht, balanciert vorsichtig sein Tablett, als er versucht, vor dem fremden Kapitän Haltung anzunehmen. Mako lacht. „Anständiges Essen, was du da hast; aber ziemlich kleine Portionen. Habt ihr Kranke an Bord?“ „Jawohl, Kapitän – die Gerettete aus dem Ding.“ „Dem Ding?“ fragt Mako neugierig und schließt sich dem Weißgekleideten an, der auf eine schmale Stahltür zugeht. „Was ist denn das?“ „Wir konnten es vor einigen Stunden vor dem großen Polypen retten“, berichtet der Mann wichtig und versucht, mit dem Ellbogen zu öffnen. Mit betonter Kameradschaftlichkeit hilft ihm der Kapitän. Die Tür gleitet weg. „Leider lebte nur noch die schöne junge Dame.“ 23
Sie stehen in dem kleinen Untersuchungsraum, dem sich ein noch kleinerer Raum mit einer Koje anschließt. Alles ist eng und fast etwas oberflächlich angelegt, was jedoch auf den Tiefseetauchern üblich ist. In Makos Kopf jagen sich die Gedanken. Hat man ihm das absichtlich verschwiegen? Was ist das für eine „schöne junge Dame“? Mako ist gerissen. Er sieht sich um und sagt dann ruhig und bestimmt, als sei es ganz selbstverständlich: „Geben Sie das Essen her – ich bringe es hinein.“ Der Koch zögert, wagt aber keinen Widerspruch und reicht Mako das Tablett. Der Kapitän betritt damit ohne weiteres den Nebenraum. Was kann ihm schon passieren! Höchstens einen Zusammenstoß mit Nol riskiert er. Mako ist ein kaltschnäuziger Bursche; er fühlt sich aber doch recht unsicher, als ihm zwei klare, blaue Augen entgegensehen. Er stellt das Tablett neben die Koje und steht dann in einer seltsamen Befangenheit vor diesem fremden jungen Mädchen, das die Tiefsee für immer behalten wollte. „Haben Sie mich aus dem Boot geholt?“ fragt sie leise und in einem Englisch, wie er es bisher noch nie gehört hat. Mako weiß nicht, was er antworten soll. Sie richtet sich etwas auf. „Sie sind kein Europäer, nicht wahr?“ „Ich bin Afrikaner.“ „Ich habe noch nie einen Afrikaner gesehen“, erwidert sie und blickt ihn unverwandt an. „Auch die Sonne kenne ich nicht, und die Sterne, von denen soviel in unseren alten Büchern steht.“ Um Mako dreht sich alles; er nimmt sich aber zusammen und setzt sich an ihrem Lager nieder. Also doch ein Atlantis, hämmern die Gedanken, also doch …! „Ich freue mich, daß ich Ihnen helfen konnte“, sagt er warm und stellt für sich fest, daß er nie zuvor ein so schönes Mädchenantlitz gesehen hat. Ihr Haar liegt hell und weich und ganz 24
unmodern frisiert um eine reine, weiße Stirn. „Wir haben in Afrika oft vermutet, daß es unter dem Atlantistief menschliches Leben gibt.“ „Ich bin eine Atlantinerin.“ „Sie wollten an die Oberfläche des Ozeans?“ „Wir waren endlich soweit.“ Sie nickt traurig, und ihre Blicke gehen in einer kindlichen Neugierde über ihn, seine Uniform, seine Rangabzeichen. Mako stellt mit Genugtuung fest, daß er einen starken Eindruck auf sie macht. „Dr. Tellmann hatte Jahre gebraucht, um das Boot zu konstruieren, mit dem wir an die Oberfläche gelangen sollten. Wir hatten keine andere Möglichkeit, Verbindung zu unseren Mitmenschen aufzunehmen.“ „Sie scheinen dort unten wie auf einem anderen Stern zu leben“, sagt er beeindruckt. „Es ist alles so unwirklich, wenn wir uns die Kontinente, die Länder und die großen Städte vorstellen sollen, wenn wir uns …“ Sie unterbricht sich; ihre schmalen, festen Hände sind plötzlich an seinen Armen, und dann richtet sie sich ganz auf. „Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Sie haben mich gerettet. Bitte, helfen Sie auch den anderen Menschen von Atlanta!“ Mako zieht sie vorsichtig an sich. Sie folgt willig seinen Händen. Sie hm Vertrauen zu mir, denkt er belustigt, und sie ist schön. „Ich werde euch helfen!“ * „Du hast das Mädel gesprochen?“ „So etwas Schönes findest du in allen Kontinenten nicht“, lacht Mako frech und schenkt sich einen Schnaps ein. „Schade, daß dein alter Knacker von Zaubermann so früh zurückkam.“ Nol muß an sich halten, um nicht zuzuschlagen. „Du bist 25
reichlich unverschämt, mein Lieber! Ich wünsche aber nicht, daß unser Gast, außer von Dr. Usandi, von jemand gestört wird.“ „Gestört habe ich sie nicht. Sie freute sich sogar. Wir sollen ihnen helfen.“ Nol wendet sich ab und geht an die Kontrolltafel. Sie fallen stetig und befinden sich jetzt mitten im Atlantistief über der Wunderwelt im Erdinnern. Nol ruft seinen Ersten Ingenieur an. „Kontrollreihe B, bitte!“ „Tiefe 7900 Meter. Auspeilung wie vorgesehen. Vollstufe mit Beschleunigung C.“ „Danke!“ Nol wendet sich widerwillig Mako zu, der ihm gefolgt ist und, mit Flasche und Glas in den Händen, so tut, als sei er auf dem Taucher zu Hause. „Höre mal, Nol – du bist hier der Verantwortliche, und ich habe mich dir zu fügen.“ „Gut, daß du es einsiehst!“ „Ich werde selbstverständlich nicht wieder zu Fräulein Isa gehen“, fährt Mako einlenkend fort. „Es tut mir leid, daß ich mich über die Schiffsordnung hinwegsetzte; aber du hattest mir immerhin verschwiegen, was sich hier abgespielt hatte.“ „Ich hielt es nicht für wesentlich.“ „Ich konnte aber viel Interessantes erfahren.“ „Was denn?“ „Das ‚Boot’ – so nennt die reizende Atlantinerin den Schwimmkörper – sollte den Atlantik von unten nach oben durchbrechen und eine Delegation zur Weltregierung bringen.“ „Weiter.“ „Die Bevölkerung Atlantas – so nennt Isa ihr Land – erhebt in aller Form Anspruch auf Westeuropa.“ „Es sind Nachkommen von Westeuropäern?“ „Ja.“ „Wir werden dafür sorgen, daß die Atlantiner Gelegenheit 26
haben, ihre Ansprüche der Weltregierung vorzutragen“, sagt Nol entschlossen und sieht Mako scharf an. „Das ist doch wohl auch deine Auffassung?“ „Selbstverständlich, Nol!“ Nol nickt befriedigt und schaltet wieder an der Kontrolltafel. Die Sprechanlage summt auf. Nol sagt seinen Jungen, worum es geht und was er jetzt von ihnen erwartet. Sie werden auf Grund gehen. Sie werden Atlanta helfen. Und immer tiefer sinkt die „Afrika“. 8100 Meter. Mako ist verschwunden. Valdasa hat ihn zuletzt im Mittschiffsraum gesehen. In diesen Stunden, da alle Jungen auf den Stationen sind, ist hier nichts los. Mako blätterte in den Atlanten, was man ihm schließlich nicht verbieten könnte. Valdasa verließ den Raum. Als er ihn nach einer Stunde wieder betrat, war Mako nicht mehr da. Valdasa denkt sich erst etwas dabei, als sich der Kapitän beim Abendappell nicht meldet. Nol läßt die Tauchkugel durchsuchen. Aber erst oben im Träger finden sie ihn, und das ausgerechnet im Tankraum II. Mako liegt bewußtlos am Boden, erholt sich aber rasch und gibt an, sich verlaufen zu haben und gestürzt zu sein. Nol schnippt gereizt mit den Fingern. Er traut Mako nicht. * 9600 Meter. Da schießt ein Phantom hinab. Fünfzehn dunkelhäutige Jungen birgt es, fünfzehn Afrikaner, die Tod und Teufel nicht fürchten. Atlanta! Gibt es wirklich dieses Atlanta? Mächtige Scheinwerferstrahlen durchbrechen die Finsternis 27
des tiefen Meeres, erfassen Wunderwelten, lassen ganze Fischkolonien in grenzenlosem Erschrecken aufstieben und auseinanderjagen, enthüllen schwirrende, leuchtende Lebewesen in allen Farben. Sie werfen ihre gleißende Kraft aber auch auf Bestien, die in rasender Wut heranschießen, um den fremden Teufel zu verjagen. Nol tut ihnen nicht den Gefallen. 10 500 Meter. „Noch keine Spur von Atlanta.“ Isa kommt in den Leitraum. Mako stützt sie. Nol gegenüber ist sie sehr höflich, aber in Mako sieht sie ihren Lebensretter. 11 800 Meter. „Atlanta noch nicht in Sicht.“ Die Jungen in den Ausguckschächten haben ihre Optik so raffiniert eingestellt wie nur irgend möglich. Sie glühen vor Begeisterung. Sie wollen den Atlantinern helfen. Und Zaki, der weiche Zaki, ist der Glückliche, der bei 11 860 Metern den Vogel abschießt. „Unter uns Lichtsignale!“ brüllt er durch die Tauchkugel. „Ich kann sie deutlich ausmachen. Als wenn ein Leuchtfeuer kreist.“ Isas Augen werden feucht. „Das ist die Station Berlin.“ * Station Berlin! Hafen im Meer! Hafen des großen Heimwehs und der tausendfältigen Sehnsucht! Wenn dein Leuchtfeuer die Tauchboote hinausgeleitet oder zurückruft, die im Meer über Atlanta den Kampf mit den Riesen aufnehmen, die aus der schwarzen Unendlichkeit heranschießen, um zu morden und zu vernichten, oder die hinausfahren, um algenartige Pflanzen zu ernten, aus denen in Atlanta 28
Heilstoffe gewonnen werden, dann muß jeden der Anblick deiner still und unermüdlich kreisenden Lichtbalken ergreifen. Rufe sind sie. Rufe an eine ferne, lichtüberflutete Welt, die jenseits dieses Kosmos aus Meer und Nacht und Grauen liegt. Station Berlin! Auf der Tausende Quadratmeilen großen Felsenplatte, die sich schirmend über dem Land der Korallenfelder und der lebenspendenden Erdfeuer breitet, haben sie die Station gebaut. Ein flaches Rundgebäude ist das. Hermetisch abgeschlossen und durch ein Drucksystem dem Meer gewachsen. Vierzig Tauchboote liegen hier an einem Kai, der um das halbe Gebäude geht. In dem Gebäude befindet sich ein wissenschaftliches Institut, die „Sternwarte der Atlantiner“, wie vor vielen Jahren ein alter, ehrwürdiger Gelehrter traurig sagte, der Westeuropa noch gesehen hatte. Neben dem Rundgebäude ein Leuchtturm, in dem sich auch eine Funkstation befindet, mit der sie den Verkehr mit der „Flotte“ der Atlantiner aufrechterhalten. Einen nennenswerten Aktionsradius hat die Funkstation allerdings nicht. Ein Dreißigjähriger leitet sie. Diethelm heißt er; und wie alle Atlantiner, redet man ihn nur mit seinem Vornamen an. Diethelm ist der Sohn eines jener Männer, die nur ein Lebensziel kennen: die Rückkehr nach Europa. Sein Vater leitet das Erziehungswesen der 5000 Atlantiner, und seine Schwester gehört zur Besatzung des größten Tauchbootes Atlantas, mit dem der Durchbruch an die Oberfläche versucht werden soll. Sie müssen nun abwarten, was kommen wird; denn eine Verständigung zwischen Station Berlin und dem aufwärts schießenden Tauchboot gibt es nicht. Es wird deshalb die größte Sensation, die Atlanta je erlebt, als es in den frühen Morgenstunden des 28. August in Diethelms Empfänger heftig knackt und rauscht. 29
„Eine Störung?“ Diethelm ist ein Mann, der nicht an Wunder glaubt. Störungen sind nicht selten; aber hier will einer auf eine für atlantinische Verhältnisse weite Distanz mit ihnen verkehren. „Das kann nur das Boot sein.“ Lähmendes Entsetzen packt die sechs, die in dem großen Betriebsraum um ihn herumstehen. Ist der große Durchbruch mißglückt? Fieberhaft gibt Diethelm das Gegenzeichen, bis endlich der Text durchkommt: „Hier afrikanischer Tiefseetaucher ‚Afrika’. Steuern Atlanta an. Bereitet unsere Landung vor. Kapitän Nol.“ Die Männer glauben es nicht. Seit Jahrzehnten hofft Atlanta auf eine solche Stunde. Nun soll sie gekommen sein? „Kommt ihr als Freunde oder als Feinde?“ „Wir wollen euch helfen.“ * Mako lächelt. Wie gefühlvoll Nol doch werden kann, den die afrikanische Öffentlichkeit als einen ihrer jungen Helden feiert! Es wird Zeit, daß sie um dich trauern, Nol! Isa sieht sein Lächeln und deutet es falsch. „Ja, sie werden in Atlanta sehr glücklich sein, wenn ihr kommt!“ Valdasa schiebt sich an ihnen vorbei zu Nol, der neben dem Funker steht und auf die Antwort der Station Berlin wartet. Im Leitraum herrschen in diesem Augenblick Zustände, die sonst an Bord unmöglich wären. Jeder der Jungen guckt schnell mal herein, wenn er für eine Minute abkömmlich ist. Ihre Augen sind groß und glänzend vor Erregung. Nol läßt es stillschwelgend zu, daß immer fünf, sechs um ihn stehen. Die Tiefenanzeiger kommen nicht zur Ruhe – 12 300 – 12 350 – 30
„Sollen wir mit Vollstufung ’ran?“ „Nimm lieber zwanzig weg, Valdasa. Geschafft haben wir es ja schon. – Mako?“ „Wann sind wir ’ran?“ Mako legt Nol die Hand auf die Schulter, aber mit einer Arroganz, die nicht mehr zu übersehen ist. Diese schneidige Geste ist eine Herausforderung an Nol und seine Jungen. Nol sieht ihn gelassen an. „Das richtet sich nach den Landungsmöglichkeiten. Wir kennen Atlanta nicht.“ „In zwei Stunden werdet ihr Diethelm begrüßen können“, sagt die junge Atlantinerin zu Mako. „Sie müssen dann gleich zu meinem Vater, um mit ihm alles zu besprechen.“ „Das dürfte Angelegenheit des Schiffsführers sein“, bemerkt Valdasa laut und will den Herausforderer anfahren, erhält aber von Nol einen Rippenstoß, der ihn schweigen läßt. Überheblich sehen Makos Augen über ihn hinweg. „Ich werde als erster von Bord gehen, Nol. Du weißt, daß ich in Wamnanas Sonderauftrag handele.“ Das ist schon ein Befehl. Mitten in den schwierigsten Manövern. Valdasa und die Jungen halten den Atem an. 500 Meter vor Atlanta diese Unverschämtheit. Nol schüttelt den Kopf. „Der Schiffsführer heißt noch Nol.“ „Station Berlin ist kein gewöhnlicher Hafen.“ „Als erster gehe ich von Bord!“ Bravo, Nol! denken die Jungen und freuen sich. 12 730 leuchtet es auf den Tiefenanzeigern. Mako kennt Nol. Er riskiert noch keine Auseinandersetzung. Er winkt nur ab, als wollte er sagen: Alles halb so schlimm. Als er mit Isa den Leitraum verlassen will, hält Nol das Mädchen zurück. „Lassen Sie uns bitte jetzt nicht im Stich“, sagt er freundlich. „Sie wissen hier besser Bescheid als wir.“ „Wenn es Herr Mako gestattet“, erwidert sie zögernd. Die 31
Jungen feixen. Daß sie ausgerechnet in diesem Angeber so etwas wie einen Verantwortlichen sieht, ist wie ein schlechter Witz. Wahrscheinlich hat sie bisher nur ihre braven Atlantiner kennengelernt. Mako nickt ihr zu und geht hinaus. Valdasa wechselt einen Blick mit Nol und folgt ihm. Er grinst vergnügt. „Station Berlin meldet sich!“ „Hier Station Berlin! Wir danken euch! Zwei unserer Boote werden euch einlotsen.“ Unter dem hinabsinkenden Taucher steigt ein in den Wassern zerfließendes Lichtermeer auf. Station Berlin. * Zwei Boote schicken sie. Mako kann durch die Sichtscheiben des Aufgangs erkennen, wie sie mit ihren starken Scheinwerfern heraneilen. Unwillkürlich blickt er auf seine Armbanduhr. Es ist 8 Uhr an diesem 28. August. Mako hat jedoch andere Sorgen. Mako hat den Auftrag, die Atlantiner zu vernichten. Nur er und Wamnana wissen, wie man so etwas macht. Keiner von denen, die jetzt bei ihm sind, darf die Sonne wiedersehen – auch Isa nicht. Nur er wird sich retten. Mako durchquert den Mittschiffsraum. Schön ruhig ist es hier. Leise zittert die Kugel unter den nun in raschen Abständen geschalteten Motoren. Mako langt in die Tasche, fühlt dort eine winzige gläserne Röhre und freut sich, als sein Zeigefinger in einem bestimmten Rhythmus darübergleitet. Er läßt sich auch nicht stören, als plötzlich Valdasa und zwei von den Jungen vor ihm sind und ihm den Weg versperren. „Darf ich fragen, Kapitän, wohin Sie wollen?“ 32
Mako zwinkert belustigt. „Sie dürfen, mein Lieber. Ich werde meine Aufnahmegeräte holen, um keine Minute zu verlieren, wenn wir unseren atlantinischen Brüdern die Hände reichen.“ „Ich bedauere, Kapitän Nol fordert Sie auf, den Taucher nicht zu verlassen.“ „Nicht zu verlassen?“ wiederholt Mako langsam, und seine Augen schließen sich bis auf einen Spalt, durch den es kalt und drohend schimmert. „Ist das eine – Festnahme?“ „Eine solche Beurteilung überlasse ich Ihnen.“ „Ich nehme an, ihr seid verrückt geworden.“ „Bitte, durch die Tür, Kapitän!“ Die beiden Tiefseemänner nehmen den Kapitän in die Mitte. „Nehmen Sie bitte die Hand aus, der Tasche!“ Mako hebt die Schultern und zieht die Hand heraus. Valdasa kann nicht wissen, daß Mako bereits Zeit genug hatte, eine Meldung aus einem winzigen Geheimsender herauszujagen. „Atlanta erreicht. Von Nol festgenommen. Mako.“ „Bitte, Kapitän.“ Die Boote sind heran. Sie umfahren die „Afrika“ in weiten Schleifen. Isa steht an der runden Sichtscheibe und beobachtet erregt ihre Manöver. Nol ist glücklich. In seinem Herzen ist der Triumph des Gelingens. Wenn nur das Mädchen neben ihm nicht so kühl und von gleichbleibender Höflichkeit wäre! Schöne Atlantinerin! Nol ist begeistert von ihr. Er hat sich bisher nie viel aus Frauen gemacht; aber für diese könnte er alles tun. Wie ein Wesen aus einer Wunderwelt hat er sie aus dem verlorenen Schwimmkörper herausgeholt. „Das sind die ‚17’ und die ‚29’, Kapitän.“ „Kennen Sie alle Boote?“ „Atlanta hat nur vierzig“, erwidert sie höflich. „Mein Bruder wird jetzt in der Station sein.“ 33
„Kommen Sie, Isa!“ Sie steigen in den zweiten Stock und gehen den Schleusengang entlang. Nol wendet sich verstohlen um und sieht, wie sie Mako in seine Kammer führen, wo sie ihn keine Sekunde allein lassen werden. Isa sieht es nicht, und es ist gut so. Nol will ihr nicht gleich eine Uneinigkeit zeigen. Als sie die Schleuse erreichen, ertönt dreimal ein helles Klingelzeichen vom Leitraum her, in dem jetzt der Erste Ingenieur die Steuermanöver leitet. Sie passieren den Leuchtturm Atlantas. Nol wendet sich Isa zu und bemerkt, daß sie zittert. Sie hält sich an dem Gestänge fest und senkt den Kopf. „Was werden sie nur sagen, daß die anderen nicht zurückkehren?“ „Vielleicht rechnen sie schon damit.“ „Es ist so furchtbar!“ * „Sie kommen!“ Die Atlantiner wissen es bereits. Von der Station aus bewegen sich sonderbare Körper, die wie Hubschrauber aussehen und mit ihnen auch gemeinsam haben, daß sie senkrecht starten und landen können, über die riesige Felsenplatte, bis sie vor dem großen Spalt stehen, der in das eigentliche Atlanta führt. 80 Kilometer von der Station Berlin entfernt. Ein Kranz kleiner Richtfeuer umgibt den Felsspalt, der 20 Kilometer lang, aber keinen viertel Kilometer breit ist. Die hubschrauberähnlichen Körper steuern vorsichtig hindurch. Als sie den Spalt passiert haben, klappen ihre Drehflügel aus und treten in Tätigkeit. Sie lassen sie über einem weiten, freien Feld niedergehen, über das sich eine unsagbar milde, wohltuende Helligkeit ergießt, die die unzähligen 34
winzigen Blumen aufleuchten läßt, die es rot und blau bedecken. Das weite Feld ist voller Menschen. Sie versammeln sich hier, wenn etwas geschieht, was sie alle angeht, oder wenn sie ihr einziges großes Fest feiern, das der Blumenkönigin, die sie in jedem Jahre wählen. Atlanta! Von den niedergehenden Flugkörpern aus hat man einen guten Blick über das Land im Schoß der Erde. Man sieht nicht nur das zauberhafte Blumenfeld, das wie eine Märchenwiese anmutet, man sieht auch gegen eine Hügelkette, die einige Kilometer südlich aufragt und an der die Wohnsiedlungen der Atlantiner gelegen sind. Einige Hundert Meter lang begrenzt sie das Feld der roten und blauen Blumen, wird dann von diesem durch einen flußähnlichen Wasserlauf und sorgfältig aufgeteilte Getreidefelder getrennt. An dieser Hügelkette pulsiert das Leben Atlantas; denn sie birgt Feuer und Wärme. Vor hundert Jahren tat sich dieses Naturwunder den Westeuropäern auf, die mit ihrem großen Tauchschiff auf den felsigen Meeresgrund aufsetzten und den Weg durch den Spalt in das Land fanden. In einer fast rechteckigen Höhle brennt aus der Tiefe heraus ein großes Feuer. Nicht wildlodernd, aber doch in gleichmäßig ruhigen und sehr hellen Flammen. Wahrscheinlich brennen hier Gase, die aus dem Erdinnern strömen und sich irgendwann einmal entzündet haben. Das eigentliche Wunder aber ist die starke Intensität des Feuers, das die Atmosphäre so sehr beeinflußt, daß sie das Meer am Eindringen hindert. Aus einem tunnelartigen Hohlraum, den die Natur vor Tausenden von Jahren schuf und der den hier hoch aufsteigenden Hügel neben der Höhle durchbricht, fällt strahlendes Licht auf das Land, das sich jenseits der Hügelkette so weit erstreckt wie diesseits: etwas mehr als 60 Kilometer. 35
Durch den „Tunnel“ haben die Atlantiner eine Kunststraße gelegt, die die „Ader“ ist, die durch ihr Land geht, und auf der der bescheidene Verkehr hin und her rollt. Einfache Wagen sind es nur, die in der einzigen technischen Werkstätte der Atlantiner hergestellt werden und die dann durch die konstante und sehr feuchte Wärme dieses innerirdischen Beckens, in dem Atlanta liegt, zwischen „Südland“ und „Nordland“ fahren. Atlanta – verlorenes Land vergessener Menschen. * Heute aber jubeln sie. Jubelnd drängen sie sich an die Start- und Landebahn, wenn wieder einer der Flugkörper landet. „Vierhundert können noch mit zur Station“, verkündet ein Lautsprecher der atlantinischen Verwaltung. Vierhundert – um die zu empfangen, die ihnen die Rettung bringen wollen. „Die Verwaltung fordert alle Atlantiner auf, Vernunft und Ruhe zu bewahren. Wir werden unsere Gäste ins Land führen und mit ihnen im Atlantahaus alles besprechen.“ Wieder werden Menschen zur Station geflogen. Und noch immer strömen sie von den Hügeln herunter und jetzt auch durch den Tunnel vom Südland heran, um diese große Stunde mitzuerleben. Ein bitterer Tropfen fällt in den Freudenbecher. Der Durchbruchsversuch des Dr. Tellmann ist gescheitert, wird eben von der Station gemeldet. Bis auf Isa hat niemand gerettet werden können. Das Leben geht weiter. Um 10 Uhr macht die „Afrika“ am Kai des Rundgebäudes fest. Der große Tiefseetaucher mit seiner leuchtenden Kugel wird in drei Greifer genommen und so lange manövriert, bis 36
sich der Ausstieg vor die große Hermetikschleuse schiebt. Dann kann Kapitän Nol die Station betreten. Diethelms Vater begrüßt ihn. Der angesehene Dr. Werner ist so ergriffen, daß er nicht sprechen kann. Tränen fließen über sein durchgeistigtes Gesicht. Nol reicht ihm freundlich und impulsiv die Hände, und seine Blicke treffen sich mit denen eines jungen Mannes, dem er ansieht, daß er Isas Bruder ist. Der Jubel kennt keine Grenzen. „Sie helfen uns! Es gibt nur noch gute Menschen jenseits des Ozeans!“ Die Atlantiner haben noch nie einen Menschen gesehen, der nicht zu ihrs kleinen und immer umdrohten Welt gehört. In ihrem Freudenrausch glauben sie, daß die Menschen in den vergangenen hundert Jahren besser geworden seien. Sie ahnen nicht das Furchtbare. Sie wissen nicht, daß nur 13 000 Meter über ihnen ein kleiner, untersetzter Afrikaner langsam die Worte eines Funkspruchs wiederholt, den man Ihm eben vorgelegt hat. „Atlanta erreicht. Von Nol festgenommen. Mako.“ Wamnana schnaubt. „Das soll er mir büßen!“ begehrt er auf. „Er läßt einfach meinen Mann festnehmen!“ Und dann sagt er ruhig und sachlich, indem er eine gute Zigarette aus einem kostbaren Kästchen nimmt: „Wir haben heute den 28., Herr Admiral.“ Der Mann, der ihm gegenübersitzt, füllt ein kleines Buch mit Notizen. Er sieht flüchtig auf. „Der ganze September liegt noch vor uns.“ Wamnana winkt ab. „In einer Woche darf es kein Atlanta mehr geben – und auch keinen Tiefseetaucher ‚Afrika’, Herr Admiral. Das müssen wir schaffen!“ 37
Der andere hebt die Augenbrauen und geht mit dem Zeigefinger über ein Kalendarium. „Sie haben nur sechs Tiefseetaucher.“ „Aber jeder von ihnen ist bestückt wie ein Kriegsschiff.“ Den Vizeadmiral überkommt sekundenlang ein Ekel vor Wamnana. Aber er hat Angst, jetzt auszusteigen. Er muß das grausige Spiel bis zum Schluß durchstehen. Sein Lächeln ist ironisch. „Mit einem Kriegsschiff dürften Ihre Taucher kaum zu vergleichen sein; aber – es geht ja nur gegen wehrlose Menschen.“ „Sie unterschätzen die Möglichkeiten der ‚Universal’.“ „Sie lassen Rotstrahler einbauen?“ „Überstarke Rotstrahler.“ Wamnana grinst stolz. „Von der modernsten Sorte.“ * Drei Stunden später steht Kassul vor ihm. „Was ist denn los, mein lieber Kassul?“ fragt Wamnana verwundert und geht auf seinen Sessel zu. „Sie kommen hier angejagt wie ein Raketenjäger und machen ein Gesicht wie ein mißvergnügter Geistlicher. Setzen Sie sich doch!“ „Danke“, verzichtet Kassul überraschend steif, „ich habe wenig Zeit. Ich bitte nur um eine Auskunft.“ „Von mir aus, Kassul.“ „Die ‚Universal’ verfügt neben dem eingesetzten über sechs Tiefseetaucher, die auf unserer Werft vor Nasani liegen. Ich war heute nachmittag draußen, um mir die vorgenommenen Verbesserungen anzusehen. Die Taucher sind von der Werft verschwunden.“ „Das regt Sie so auf?“ „Über unsere Tiefseetaucher steht außer mir nur Ihnen eine 38
Verfügungsgewalt zu, Wamnana. Da ich keine Anweisung gegeben habe, sie von der Werft zu entfernen, kann diese nur von Ihnen stammen.“ „Sie stammt von mir.“ Kassul läuft es kalt über den Rücken. Er sieht durch die hohen Fenster auf den Atlantik, der unter der hochsteigenden Morgensonne seine weißköpfigen Wellen gegen den Strand treibt. Er hört sich selber hart und fremd fragen: „Was haben Sie mit den Tauchern vor?“ „Sie sollen morgen abend tauchen“, erwidert Wamnana lächelnd. „Allerdings mit neuen Besatzungen.“ „Und das Ziel heißt – Atlanta?“ „Ich bewundere Ihre Logik.“ „Wamnana, das ist Mord!“ „Sie spielen mit Gefühlen, die der Entwicklung unserer Unternehmen nicht dienlich sind“, lautet die ruhige Antwort. „Die Bevölkerung Europas zerfleischte sich in einem dreiwöchigen Atomkrieg. Übrig blieben ein paar Tausend, die sich auf den Grund des Ozeans retten konnten.“ „Das ist doch Mord!“ ruft Kassul aus und wird immer erregter. „Kommt es nun auf diese paar Tausend noch an?“ fragt Wamnana, als löse er eine Rechenaufgabe. „Ich bedauere das Schicksal eines jeden einzelnen Atlantiners. Leider stehen sie der Entwicklung der ‚Universal’ im Wege. Im übrigen, Kassul – es können wirklich nicht mehr als 5000 sein.“ „Und Nol?“ „Nol war ungehorsam. Nol wird nicht zurückkehren.“ „Weil er das Verbrechen nicht mitmachen will!“ brüllt der Generaldirektor los und tritt vor Wamnana. „Und ich mache es auch nicht mit, verstanden? Ich bin verdammt weitherzig; aber ich habe trotzdem ein Gewissen.“ „Ich bedauere, daß Sie ein Gewissen haben.“ 39
„Wamnana, brechen Sie das Unternehmen ab. Geben Sie das Geheimnis um Atlanta preis. Tausende dort unten sehnen sich vielleicht nach Licht und Sonne, die sie nie sahen. Lassen Sie ihnen das Leben!“ „Ich möchte es gern tun“, bedauert Wamnana, „doch es paßt nicht in unsere Planungen.“ „Ich mache das nicht mit, Wamnana“, wiederholt Kassul etwas ruhiger. „Bis morgen mittag gebe ich Ihnen Zeit, das Unternehmen zu stoppen; sonst muß ich meine Konsequenzen ziehen.“ Wamnana steht auf und legt seinem Generaldirektor beide Hände auf die Schultern. „Es ist dumm, daß Sie sich noch mit einem Gewissen herumplagen. Das menschliche Gewissen hemmt immer wieder den Fortschritt; man hätte es schon längst abschaffen sollen. Aber Scherz beiseite. Was machen wir nun, Kassul?“ „Kehren Sie um, Wamnana!“ „Nur fünf wissen um Atlanta und unseren Plan: Mako, Dr. Omar, Sie, Vizeadmiral Tunya, von dem ich die neuen Treibsätze benötigte, und ich. – Na, bis morgen mittag, Kassul!“ Er reicht dem Generaldirektor die Hand. Dann geht Kassul. Nicht mehr so hoffnungslos, wie er hergekommen ist; sogar etwas befriedigt. Er wird Wamnana an diesem Verbrechen hindern und die Ehre der „Universal“ retten. Kassul ist ein feiner, kluger Mensch; doch er kennt Wamnana noch immer nicht. Wamnana lächelt hinter ihm her. Dann summt auf dem Schreibtisch der kleine, weiße Kasten des örtlichen Fernsprechdienstes. Wamnana drückt eine Taste, und eine aufgeregte Stimme, in der noch viel Entsetzen mitschwingt, meldet sich. „Herr Wamnana, im Auftrage des Marineministeriums habe ich die traurige Pflicht zu erfüllen, der ‚Universal’ das plötzli40
che Ableben unseres Vizeadmirals Tunya mitzuteilen. Der Herr Vizeadmiral wurde heute vormittag auf dem Heimweg von einem Kraftwagen überfahren.“ „Das ist eine furchtbare Nachricht“, sagt Wamnana nach einer Weile. „Ich stehe ihr fassungslos gegenüber, zumal Vizeadmiral Tunya einer meiner persönlichen Freunde war.“ Tieferschüttert verabschiedet er sich. * Am Abend erleidet Kassul einen Herzschlag. Wenigstens melden es das Fernsehen und die großen Zeitungen so. Kassul war immerhin nicht irgendwer, sondern der Repräsentant des größten Konzerns der Union. Auch die Ärzte, die Kassuls Leiche untersuchen, geben ihr Urteil bekannt: Herzschlag. Abermals ist Wamnana tiefbetrübt. Abermals lächelt er vor sich hin. Verkehrsunfall – Herzschlag – es gibt so viele Möglichkeiten! „Ein schwerer Schlag für die ‚Universal’“, sagt er tiefgebeugt in einem Interview vor der Fernsehkamera. „Generaldirektor Kassul war ein Mensch, dessen warmherzige Redlichkeit wie ein Stern in einer immer seelenloser werdenden Zeit leuchtete.“ Die Öffentlichkeit ist ergriffen. „Mit einem solchen Nachruf kann man wohl ruhen“, schreibt eine der angesehensten Zeitungen. Gewiß – Kassul kann ruhen. Aber die geheime Flotte der sechs Tiefseetaucher kann am 29. August um 21.30 Uhr von einer stillen Bucht, die zum „Universal“-Gebiet gehört, auslaufen. Sechs Abenteurer, von keinem menschlichen Gewissen mehr geplagt, führen sie. Ihr Auftrag: Atlanta ausbrennen. 41
Aber die Sonne und die leichten Mädchen in den Hafenkneipen sollen auch sie nicht wiedersehen. Dafür hat Mako zu sorgen. Oh, Wamnana ist ein ausgezeichneter Mathematiker, der sich in seinem ganzen Leben noch nicht verrechnete! Der 29. August ist unruhiger als je ein Tag zuvor. Ein steifer Wind kämmt das Meer, daß es streifig den Tauchern um den Bug läuft, als sie absteigen. „Tauchen auf 800!“ „Auf 800! Dort in Formation verharren!“ „Verstanden!“ * Der Angriff auf Atlanta beginnt! Nol macht sich wohl Gedanken wegen Mako, dem er nichts Gutes zutraut; doch mit solch einem entsetzlichen Anschlag kann er nicht rechnen. Er führt Dr. Werner, Diethelm und einige andere Herren der atlantinischen Verwaltung durch die „Afrika“. Auch Isa und Valdasa sind dabei. „Es war uns jahrelang nicht möglich, ein Boot zu konstruieren, mit dem wir den Ozean nach oben durchbrechen konnten. Nun erkenne ich den Grund für unsere Schwierigkeiten.“ „Ich bin gespannt, Herr Doktor.“ „Sie haben das Problem der Stufenregelung zentral in Ihrem neuen Gerät dort gelöst, während wir uns in sechs verschiedenen Arbeitsgängen verzettelten.“ „Vergessen Sie bitte nicht, Dr. Werner“, tröstet Nol liebenswürdig, „daß wir auf den afrikanischen Werften geradezu unbegrenzte Möglichkeiten haben.“ „Da haben Sie allerdings recht.“ Isas Blicke wandern an den Atommotoren vorbei, über Wände und Nebenräume. Sie suchen Mako und finden ihn nicht. Als 42
sie nachher in Nols Kabine bei einem kleinen Drink zusammensitzen und Dr. Werner mit der kindlichen Wißbegierde eines Idealisten, der endlich seine Träume erfüllt sieht, auch von den verschiedenen Schnäpsen probiert, die Valdasa auftischt, sagt sie wie nebenbei: „Ich hätte dir gern meinen Lebensretter vorgestellt, Vater; aber leider ist Herr Kapitän Mako nicht aufzufinden.“ Valdasa fällt beinahe die Flasche aus der Hand. Auch Nol, der gerade dem übereifrigen Diethelm Feuer für seine erste Zigarette reichen will, hält unwillkürlich in seiner Bewegung inne, winkt aber Valdasa verstohlen zu und wendet sich freundlich an Isa. „Kapitän Mako ist in den nächsten Tagen unabkömmlich, gnädiges Fräulein.“ „Oh, das ist schade!“ bedauert sie, wird unter seinem bewundernden Blick rot, und in ihren Augen ist viel Nichtverstehen. Dr. Werner achtet nicht darauf, sieht auf seine Armbanduhr – Nol fällt auf, daß die führenden Atlantiner alle erstklassige Armbanduhren besitzen, die allerdings sehr unmodern wirken – und erhebt sich. „Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, Kapitän. Und nun meine große Bitte.“ „Die Klärung der Lage, Herr Doktor?“ „Die Zeit drängt, meine Herren.“ Dr. Werner wird sehr ernst. Auch die anderen stehen auf. Niemand von ihnen weiß, daß die Todestaucher Wamnanas bereits unterwegs sind. „Ich muß Sie noch einmal für Atlanta um Ihren Beistand bitten. Werden Sie so freundlich sein, an einer Sitzung unseres kleinen Westeuropäischen Rates teilzunehmen?“ „Wir kommen mit, Herr Doktor.“ *
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Dr. Werner hat die Sitzung eröffnet. Zum erstenmal sind Nol und Valdasa durch den Spalt in das atlantinische Land geflogen. Sie sitzen zwischen zehn Charakterköpfen, von denen jeder so interessant ist, daß Nol sich neugierig fragt, welche führenden Europäer wohl vor hundert Jahren in das Atlantistief geflohen sind. Es müssen wahrlich bedeutende Menschen gewesen sein, deren Nachkommen hier sehr besonnen, aber mit leuchtenden Augen sitzen. „… der Tag der Rückkehr nach Europa steht bevor …“ Valdasa interessiert sich mehr für das, was sich draußen vor dem Atlantahaus abspielt, draußen am blühenden Abhang, auf dem man breite Wege und einen kreisrunden, von herrlichen schneeweißen Büschen umstandenen Platz angelegt hat. Dort schlagen jetzt die Herzen der Atlantiner höher, die noch Immer das große Wunder nicht fassen können. Tausende jubelten ihnen zu, als sie in das Land flogen. Eine ist ihm aufgefallen: ein bildhübsches, schwarzhaariges Mädchen, wahrscheinlich französischer oder spanischer Abstammung. Sie ist wie besessen gewesen und noch mit vielen anderen neben ihnen hergelaufen. Valdasa hatte Diethelm gefragt. „Sieht gut aus, wie? Vera heißt sie. Ihr Vater ist einer unserer Bootskommandanten.“ „Nicht schlecht. Das fiele in mein Fach.“ „Halten Sie sich ’ran!“ * „Meine Herren!“ Die zehn verantwortlichen Atlantiner springen von den Sitzen auf, als Nol sprechen will Sie klatschen und sind plötzlich wie kleine Kinder. Nol ist verlegen. Ein anderer hätte sich vielleicht als Befreier Atlantas oder so ähnlich gefühlt. Nol mag das Händeklatschen nicht; er ist froh, als es sich gelegt hat. 44
„Meine Herren, ich schlage vor, in den nächsten Tagen mit einer atlantinischen Delegation aufzutauchen. Wir haben in Afrika und auch in Amerika eine Anzahl großer Tiefseetaucher, mit denen eine Umsiedlung der Bevölkerung in wenigen Monaten durchgeführt werden könnte.“ „Dann heißt es Abschied nehmen von unserem Atlanta.“ „Wir werden Atlanta nicht ganz aufgeben“, wendet Dr. Werner ein. „Wir werden es der Weltregierung jenseits des Meeres überlassen müssen, doch nur unter der Bedingung einer weiteren Beteiligung Westeuropas.“ Nols Respekt vor dem Weitblick dieses Mannes wächst. „Das alles wird in den kommenden Verhandlungen mit der Weltregierung zu klären sein, meine Herren. Ich bin nur ein ganz einfacher Tiefseemann und kann Ihnen keine Versprechungen machen. Ich weiß nur, daß die drei ehemaligen europäischen Bundesstaaten unter der Treuhand einiger Mächte stehen, und ich glaube nicht, daß man Ihnen Schwierigkeiten bereiten wird, wenn Sie mit Recht beanspruchen, was Ihren Vorfahren gehörte.“ „Die letzte legitime Regierung des Westeuropäischen Bundes hat Passagiere und Besatzung des Tauchschiffes ‚Gloria’, auf dem sich unsere Vorfahren befanden, zu ihren Erben eingesetzt und ihnen empfohlen, zu diesem Zweck ein staatenähnliches Gemeinwesen zu gründen, was auch geschehen ist.“ „Entsprechende Dokumente sind in Ihren Händen?“ „In unserem Archiv – in der Safekammer.“ „Dann ist es gut.“ Nol atmet auf. Aber in dem Augenblick, da Dr. Werner einen jungen Atlantiner beauftragt, die Dokumente herbeizuschaffen, erkennt er mit schmerzhafter Klarheit die Gründe für Makos Sonderauftrag. Wamnana will verhindern, daß die Atlantiner ihre Ansprüche stellen. 45
Nol dröhnt es in den Schläfen. Niemand merkt ihm an, daß er sich gegen eine fürchterliche Erkenntnis wehrt, nicht einmal Valdasa. Eine furchtbare Erkenntnis: Die „Universal-Industrie“, der er durch Eid verbunden ist, will den Untergang dieser kleinen, friedlichen Welt. Nol denkt nicht an die Folgen, die es für ihn haben kann – er sagt nur laut und deutlich und aus tiefstem Herzen, daß es alle ergreift: „Meine Jungen und ich werden immer für Sie dasein!“ Dr. Werner schüttelt ihm die Hände. Nol fürchtet schon, daß wieder diese grenzenlose Begeisterung losbrechen wird, als ein Atlantiner den ovalen, schmucklosen Sitzungsraum betritt, dessen altertümliche Möbel noch von der „Gloria“ stammen und dessen gelbliche Wände nur von einem breiten, roten Streifen dekorativ unterbrochen werden, der aussieht, wie aus großen Muscheln zusammengesetzt. Der Atlantiner trägt eine weiße Uniform im Marineschnitt, die ihn als einen der wenigen Polizisten des Landes ausweist. Sorgfältig schließt er die schwere Holztür, geht auf den Vorsitzenden zu und meldet mit gepreßter Stimme: „Tauchboot 22 hat Kamare gesichtet.“ Nol und Valdasa staunen, als sie sehen, wie die Verantwortlichen auffahren, sich gegenseitig in stummem Erschrecken anstarren und einige bleich werden. Dr. Werner schlägt mit der Faust auf den Tisch und fährt den Polizisten an. „Die haben uns noch gefehlt! Wo, Gaston?“ „In der blauen Schlucht.“ * Kamare – der große Schrecken, den der Meeresgrund birgt. Vor 80 Jahren sind sie zum erstenmal über Atlanta hergefallen. Dann vor 30 Jahren noch einmal. Den letzten Überfall haben viele der lebenden Atlantiner noch miterleiden müssen – 46
auch der Kommandant des Tauchbootes 22, der in diesem Augenblick mit seinem Boot über der blauen Schlucht steht, etwas mehr als 400 Kilometer von Atlanta entfernt. Auch hier summt leise der atomare Antrieb. Im engen Führerraum stehen drei Männer, die gebannt auf einen Kamar starren. Sie sind nur 20 Meter über dem Panzerleib des urweltlichen Riesen, der stur und schwerfällig das blaue Schlinggewächs zerstampft, das die aus einer bergigen Landschaft abwärts führende Schlucht bedeckt. „Wenn er die Richtung beibehält, ist für die Station Berlin Feierabend.“ „Noch ist keine Gefahr“, sagt der Kommandant ruhig, während seine Hände nicht so ruhig mit dem Steuergerät spielen. „Noch nicht; aber –“ „In einigen Stunden vielleicht.“ „Dieser Einzelgänger ist schon gefährlich genug“, erklärt der Kommandant seinen beiden Männern, die noch sehr jung sind und ihr Entsetzen krampfhaft zu verbergen suchen. „Von diesen Kamaren soll es aber mindestens dreihundert geben, die in mehreren Kolonien jenseits der Schlucht wohnen. Dreihundert! Nur vier von ihnen fielen einmal über Atlanta her, vor 30 Jahren. Urplötzlich brachen sie aus dem Meer hervor, vernichteten die Station Berlin.“ „Davon habe ich mal gehört.“ „Als sie die Station niedergerannt hatten, ließen sie sich durch den Spalt auf das Blumenfeld fallen, alle vier, nacheinander. In Atlanta brach eine Panik aus.“ „Die Kamare rennen alles nieder?“ „Wenn es nur das wäre!“ Der Kommandant schüttelt den grauen Kopf, während er sein Boot scharf wendet und ihm dieselbe Richtung gibt, die der Kamar in seinem Vorwärtsstampfen einhält. „Diese unheimlichen Geschöpfe des Meeresgrundes sind nicht nur mordlustig, sie sind auch heimtückisch. Sie 47
schleppen ihr Opfer in irgendeinen Winkel und töten es langsam und auf eine grauenvolle Weise. Über 200 Tote hatten wir damals. Ich habe es miterlebt.“ „Und es gibt keine Gegenwehr?“ „Wir Atlantiner haben keine Waffen, die stärker sind als der Schuppenpanzer der Kamare.“ „Er bleibt stehen, Kommandant.“ Der Kommandant läßt vorsichtshalber sein Boot 30 Meter steigen. Der Kamar ist fast 30 Meter lang, und sein überschlanker Rücken so hoch wie zwei ausgewachsene Männer. Man kann vom Boot aus nur undeutlich den mächtigen Körper erkennen, undeutlich nur die Konturen des Kopfes, der im Verhältnis zum Körper klein zu sein scheint. Der Kamar verharrt einen Augenblick lang regungslos. Dann wühlt er das Wasser auf. So plötzlich geschieht es, daß das Boot seitlich weggeschleudert wird und der Kommandant es mit einigen schnellen Steuergriffen abfangen muß. Vor den weitaufgerissenen Augen der drei geistert der Körper des Kamar hoch, wirft sich geschmeidig herum, und dann rennt die gewaltige Bestie die enge Schlucht zurück. „Kommandant, hat der uns wahrgenommen?“ „Möglich.“ „Aber Atlanta hat Ruhe.“ „Ich traue einem Kamar nicht.“ * Isa tanzt mit Nol, als am Abend in einem saalartigen Raum des Atlantahauses die weißen, vasenähnlichen Lampen aufglühen, die vom Tunnel aus mit elektrischem Strom gespeist werden. Nol ist selig. Er hat sogar vergessen, daß er 13 000 Meter unter dem Wasser tanzt. Isa sieht nicht so fröhlich aus. Alle Atlanti48
ner, die hier umherstehen, machen sorgenvolle Gesichter. Nol schüttelt den Kopf. „Was ist denn los? Wir holen euch doch ’raus!“ „Verzeihung, Kapitän! – Es ist wegen der Kamare.“ „Sind die wirklich so gefährlich?“ „Sie sind die Unholde der Tiefsee.“ „Das haben Sie schön gesagt“, entgegnet er. „Wie im Märchen. Mit denen werden wir auch noch fertig. Übrigens – Sie tanzen ausgezeichnet“, fährt er ziemlich unbeholfen fort. „Ich meine – für atlantinische Verhältnisse.“ „Oh – wir wissen schon, was das ist: Leben!“ „Sie werden es erst richtig kennenlernen.“ „Darauf freue ich mich schon. Schade nur, daß Kapitän Mako unabkömmlich ist.“ „Sie möchten gern mit Ihrem – Lebensretter tanzen?“ „Sie sagen das so ironisch.“ „Ich fürchte, ich habe Ihnen noch mehr über meinen Landsmann zu sagen. Aber nicht heute abend.“ Die kleine Kapelle, die nur altmodische Walzer und einen kreolischen Tanz zustande bringt, der vor hundert Jahren einmal modern war, bricht ab. Nol geht mit Isa über die Tanzfläche, als plötzlich von irgendwoher Dr. Werner auftaucht und ihn herauswinkt. Nol weiß gleich, daß etwas Scheußliches passiert sein muß, als draußen der sanftmütige Zaki steht und ihn angstzitternd anstarrt. „Es ist nicht meine Schuld, Kapitän, es ist …“ Nol packt ihn bei den Schultern. „Halte hier keine Reden, Mann!“ „Kapitän Mako ist entwichen.“ Nol wirbelt herum. Vielleicht will Mako nur die Freiheit; aber es ist ziemlich sicher, daß er die Freiheit mißbrauchen wird. Einen Mako darf man nicht auf Atlanta loslassen. Nol ruft Dr. Werner irgend etwas Beruhigendes zu und ist schon draußen. Zaki keucht ne49
ben ihm. Valdasa steht mit der schwarzhaarigen Vera vor einem malerischen kakteenartigen Gewächs. Er hat es geschafft; aber er läßt sie einfach stehen und setzt sich in Bewegung. „Was ist los, Nol?“ „Mako ist draußen!“ Nol rennt den Hügel hinab, ohne sich um die Aufregung zu kümmern, die dadurch entsteht. Tausende Atlantiner sehen ihn und bilden sich nun ein, ihre kleine Welt werde untergehen. Nol rennt zum Blumenfeld. Er sieht schon von weitem, daß dort ein atlantinischer Flugkörper liegt, der arg beschädigt ist. Mako hat eine Bruchlandung „gebaut“. Ein älterer Atlantiner steht daneben, sieht Nol böse entgegen und klopft sich den Schmutz von der Leinenhose. „Ich denke, ihr wollt uns hier herausholen?“ schimpft er gleich los. „Schläger seid ihr! Verbrecher! Hier gibt es keine Verbrecher, aber unter euch. Ein Schwarzer sprang aus der Maschine und schlug mich sofort nieder.“ „Es tut mir leid, Herr. Wo ist er geblieben?“ „Dort im Wald.“ Wald? Nol und die anderen bremsen ihren scharfen Lauf. Ein atlantinischer Polizist kommt hinzu. Der Wald ist nur ein wüstes Durcheinander von hartem, stacheligem Unterholz und hochgeschossenen, breitblättrigen Pflanzen. Es zieht sich vom Blumenfeld aus am Flußlauf entlang und scheint in der Ferne mit der Hügelkette zu verwachsen. Die Gegend ist menschenleer. Nol spürt plötzlich so etwas wie eine zornige Hilflosigkeit. Der Polizist hebt den Arm. „Kapitän – dort nach Norden zu ist eine Wildnis, in der er sich leicht verbergen kann. Er kann sich aber auch in die Siedlung schleichen, wenn er etwas Bestimmtes will.“ In seinen Augen steht ein untergründiges Mißtrauen. Nol flucht im stillen, was ihm nur an Kraftausdrücken einfällt. Mako stellt sie alle in ein schiefes Licht. 50
„Wir müssen durch den Wald.“ „Und die Jungen?“ fragt Valdasa. „Soll ich sie holen?“ „Schick sie zurück an Bord.“ Valdasa rennt los. * Mako keucht. Die hohen Schlingpflanzen klatschen hinter seinem Kopf zusammen, wenn er sich einen Meter vorangearbeitet hat. Das ist gut. Aber es kostet Kraft. Mako lächelt auch jetzt so überheblich wie immer, nur daß der Schweiß ihm über das Gesicht rinnt. Mako hat nicht den Gefangenenkoller. Wamnana hat ihm was von dem „Staatsschatz“ der Westeuropäer erzählt, der hier irgendwo lagern soll. Mako will ihn haben. Er denkt nicht an Gold und Edelsteine. Der „Schatz“ wird aus ganz anderen Dingen bestehen. Wahrscheinlich wird man damit allerhand anfangen können. Die Europäer sollen tüchtige Wissenschaftler und Techniker gewesen sein. Der „Schatz“ wird Tausende Vermögen bergen. Mako bleibt stehen. Verfluchtes Land! denkt er. Treibhausluft. Jetzt ist es 22 Uhr, und hier wird es immer gleichmäßig hell und gleichmäßig schwül bleiben. Hier gibt es keine bewegte Atmosphäre mit Wetterbildungen, keinen Himmel mit Gestirnen, die den Rhythmus der Zeit bestimmen. Über dem Land liegt nur eine riesige Felsenplatte, unter der sich Wärme und feuchte Luft stauen. Mako atmet tief durch. Linker Hand geht es den Hügel hinauf. 100 Meter vor ihm steht eines der Gebäude, die sich weiter zurück zu einer der drei atlantinischen Siedlungen zusammendrängen. Ich muß Isa spre51
chen, schießt es ihm durch den Kopf; sie muß mir sagen, wo die Safes sind. Ich muß zu ihr! Irgendwo hallen Stimmen auf. Hinter ihm knackt und raschelt es. Mako wendet den Kopf. Seine Augen werden schmal. Sie sind schon heran. Er kommt aus dieser Wildnis nicht heraus. Mako hockt sich blitzschnell nieder und hält den Atem an. Kleine Insekten fallen über den Regungslosen her. Dann ist es soweit. Eine Gestalt taucht neben ihm auf. Eine weiße Hand zerteilt das grüne, klebrige Pflanzenzeug. Eine weiße Hand. Mako grinst höhnisch. Ein atlantinischer Polizist ist es. In der Linken trägt er einen kleinen Rotstrahler, den Nol ihm gegeben hat. Mako unterdrückt einen Jubelschrei. Er schnellt hoch. Seine Faust saust von unten gegen die Kinnspitze des Atlantiners, der lautlos zusammenbricht und im Fallen Pflanzen und Gestrüpp niederreißt. Mako wirft sich über ihn. Seine Hände tasten die leichte Uniform ab, finden auch etwas. Mako springt hoch und rennt in ein Getreidefeld, das zum Hügel überleitet. Ganz offen rennt er aus seinem Versteck heraus. Sie werden den Atlantiner gleich finden, und irgendwo in der Nähe wird Nol sein. Mako rennt auf die Siedlung zu. * Mako weiß, daß er keinen großen Spielraum hat. Atlanta ist nicht groß, und Nol wird ihn hetzen und schließlich einmal fangen. Aber er wird sich die Bande vom Halse halten, bis Wamnanas Geheimflotte heran ist. Mako ist kein schlechter Rechner. In 800 Meter Tiefe erhalten in diesem Augenblick die sechs 52
Taucher der Flotte von Verbrechern und Abenteurern den Angriffsbefehl. Der Flottenhäuptling ist ein riesiger Südamerikaner. Er reagiert auf den Angriffsbefehl mit der eiskalten Sachlichkeit eines abgebrühten Burschen. „Angriff in Formation!“ Das heißt: Die Flotte wird in „Kiellinie“ bis auf 10 000 Meter gehen und sich dann in zwei Gruppen teilen. Die erste Gruppe geht vor, vernichtet von 12 000 Meter aus alles, was ihre mächtigen Rotstrahler erreichen können, und zieht sich breit auseinander, um den Angriff der zweiten Gruppe zu sichern, die in das eigentliche Atlanta vorstoßen soll. Mako hat nur unbestimmte Angaben durchgeben können. Aber der Flottenhäuptling rechnet damit, daß ein enger Zugang in das Land führen wird. Er wird notfalls einen Taucher opfern, um die Bresche zu schlagen. * Es kann nur noch Stunden dauern. Wamnana raucht und raucht, und als der weiße Kasten auf dem Schreibtisch aufsummt, fährt er zusammen wie ein Nervenschwacher. Eine Männerstimme klingt ihm entgegen; sie ist durchaus nicht angenehm, aber sie ist ihm vertraut. „Wir haben Dr. Omar nicht angetroffen.“ Wamnana packt kaltes Entsetzen. Seine Hände zittern. Sie zittern nicht um sein Leben. Wamnana denkt jetzt nur an seine Rechenaufgabe. „Wo ist er?“ „Angeblich zu Verwandten nach Tanger geflogen. Ich hatte einen unserer Kriminalisten zu seiner Gattin geschickt, die …“ „Schon gut!“ Mit einer harten Bewegung stellt er ab. Sein Vertrauter in der Innenstadt wird jetzt den Kopf schütteln und in seinem weißen 53
Sportwagen davonbrausen. Aber Wamnana muß jetzt allein sein mit seinen Gedanken. Er bleibt stehen und sieht auf die Zigarette, die langsam in seiner Hand weiterglimmt. Das ist jetzt die Situation: Seine Geheimflotte greift an. Es gibt kein Zurück mehr; und in dem Augenblick, in dem die Flotte vor Atlanta steht, wird alles von Mako abhängen. Sollte es schiefgehen, ist er gedeckt. Die kleine Sicherung hat er sich eingebaut. Wahrhaftig – Wamnana ist gedeckt. Die Sicherheitstruppe der Unionsregierung wird dann in Kassuls Villa eine Mappe finden, aus deren Inhalt einwandfrei hervorgeht, daß der Generaldirektor das gigantische Attentat auf Atlanta vorbereitet hatte. In der Aufregung und getrieben von seinem schlechten Gewissen, ist er einem Herzschlag erlegen. Die Welt wird starr vor Schreck vor den finsteren Absichten dieses hochgestellten Mannes stehen, und Wamnana wird wieder einmal tieferschüttert sein. Kassul ist einem Herzschlag erlegen. Tunya ist von einem Auto überfahren worden. Nur Omar ist noch da. Omar ist einer der fünf, die alles wußten. Ihm winkten Millionen. Und nun ist er überraschend nach Tanger geflogen? Wamnana läßt seinen Sekretär kommen. „Maschine für Arra!“ Der Sekretär verneigt sich. * Nol bleibt ruckartig stehen. Von der Siedlung her kommen gellende Schreie. Nol steckt mitten im Unterholz dieses sonderbaren Waldes. Er kommt von Norden her, den anderen entgegen. Er wollte den Burschen in 54
die Zange nehmen und steht jetzt vor dem regungslosen Atlantiner. „Helft uns! Der Schwarze tötet alles!“ Nol erkennt, was das bedeutet. Er prescht durch die zähe Wand der übergroßen Pflanzen, rennt über das Getreidefeld und sieht schon von weitem, daß in der Siedlung die Hölle los ist. Schreiende Frauen und Kinder kommen ihm entgegen. „Er ist in Werners Haus!“ Nol nickt ihnen nicht einmal zu. Diethelm und Valdasa kommen von links. Sie jagen den sandigen Weg zu dem niedrigen Gebäude hinauf. Neben dem Weg krümmen sich zwei zu Tode getroffene Atlantiner. Rotstrahler! Nol poltert als erster in den Vorraum. Isa steht an der Wand neben einem alten Schiffsschrank und kann sich nicht rühren. Nol reißt sie einfach aus ihrer starren Haltung hoch. „Isa, ich hätte Ihnen doch schon sagen sollen, was für einer Mako ist!“ Sie wendet ihr Gesicht ab. „Isa – ist er noch im Haus?“ Ein leichtes Kopfschütteln. „Sie müssen uns jetzt helfen“, sagt Nol eindringlich, obwohl er sich entsetzlich schämt, ohne zu wissen, warum. Diethelm rennt herein und geht nicht so sanft mit seiner Schwester um. Er packt sie so brutal an der Schulter, daß sie aufschreckt und die Augen öffnet. „Was wollte er, Isa?“ „Er wollte wissen, wo die Safes sind.“ „Hast du es ihm gesagt?“ Sie sieht ihn an wie ein geschlagenes Tier. „Ich mußte es ihm sagen. Es kam alles so überraschend; und dann schlug er mich und bedrohte mich mit seiner Waffe, mit der er Paul und Christian und die beiden anderen verletzte.“ Nol holt tief Luft. – Mako, das sollst du büßen! 55
„Wo sind die Safes, Isa?“ „Im Tunnel“, sagt sie schwerfällig, „neben dem …“ „Ich komme mit!“ * Wieder brechen zwei zusammen. Mako kennt keine Gnade. Die sanften Atlantiner fallen wie nichts. Sein Rotstrahler bahnt ihm den Weg zum Tunnel. Hinter ihm kommen sie. Entsetzt springen zwei Frauen zurück, die neugierig zwischen den grasbedeckten Gebäuden stehen. Mako kümmert sich nicht um sie. Er rast an ihnen vorbei. Er sieht nur die Kunststraße vor sich – und den Tunnel zur Feuerhöhle. Noch einen gewaltigen Sprung macht er. Wie ein Raubtier federt er auf. „Bleib stehen, Mako!“ Nol ist heran, kurz hinter ihm Diethelm. Aber Mako hat gut 200 Meter Vorsprung, und die geben den Ausschlag. Die Verfolger sehen Mako im Tunnel verschwinden, in dieser gleißenden Helle, die von hier aus über das Land fließt. Nol hebt den Rotstrahler; aber Diethelm wirft sich vor und reißt ihm den Arm herunter. „Nicht Nol – um Himmels willen!“ „Ich muß ihm doch das Ding aus der Hand schießen!“ „Dort drinnen sind Dämpfe! Wer weiß …!“ Dann nimmt der Tunnel auch sie auf. Nol erkennt, daß an der linken Straßenseite eine Balustrade entlangläuft. Dahinter dehnt sich eine riesige Höhle, aus der sich wie aus einem Zauberschrein Licht und Wärme ergießen – nicht unerträglich. Solche scharfen Gegensätze gibt es in Atlanta nicht. Nol achtet jetzt nicht darauf. Sie fliegen fast durch den Tunnel. Mako sehen sie nicht. Am anderen Ende, wo das Südland beginnt, stehen alarmierte Posten der atlantinischen Polizei. Sie schütteln den Kopf. Bei ihnen ist Mako nicht vorbeigekommen. 56
Also zurück! Rechter Hand führt ein schmaler, eingesprengter Gang zu den Saferäumen. Die schwere Stahltür ist unversehrt. Auch hier ist er nicht. Nol und Diethelm sehen sich an. „Kann der Bursche zaubern?“ „Das ist doch nicht möglich.“ * Sie fassen ihn nicht. Nol wird zur „Afrika“ zurückgerufen, wo man ihm mindestens ebenso ratlos entgegensieht. „Wir bekommen Besuch, Kapitän.“ „Die Kamare?“ fragt Nol sofort; aber die Jungen schütteln den Kopf und zeigen ihm den Radarschirm. „Von oben kommt was, Kapitän. Das scheinen Taucher zu sein.“ Nol erkennt sogleich, daß sie recht haben, und er weiß auch, was das bedeutet. Entweder sind es Fremde – Amerikaner oder Asiaten – oder … Wamnana! „Fragt in Arra an, ob sie uns was nachgeschickt haben.“ „Arra antwortet seit Stunden nicht, Kapitän.“ Der herankommende Funker hebt die Schultern. Als er Nols Erstaunen sieht, macht er eine Armbewegung, die das bekräftigen soll. „Bevor Sie an Land gingen, ließen Sie doch eine Meldung an Arra durchgeben, daß wir Atlanta gefunden haben und sie sofort die Weltregierung unterrichten sollen. Darauf hat Arra nicht näher geantwortet. Ich erhielt nur eine kurze Eingangsbestätigung.“ „Los, frag an!“ Der Funker versucht es. Arra schweigt. Der Funker flucht in allen Tonarten über die Schlafmützen, die dort oben ihren Dienst vernachlässigen. Aber diesmal trifft seine Kollegen auf dem Festland keine Schuld; und als er das erkennt, wird er wild. 57
„Ich weiß nicht, woran das liegt, Kapitän, Wir kommen nicht mehr durch. Arra kann uns nicht mehr empfangen.“ * Die Spuren auf dem Schirm bleiben. In zehn Stunden, schätzt Nol, werden die fremden Taucher heran sein. Er hält es geheim. Noch sollen die Atlantiner nichts erfahren. Und es ist gut, daß sie nichts erfahren. Die Verwaltung hat bereits hundert Familien ausgesucht. Sie sollen mit dem ersten Schub in den nächsten Wochen zur Oberfläche gebracht werden. Gegen Mittag kommt Diethelm zurück. „Valdasa und einige andere von der ‚Afrika’ suchen immer noch. Der Bursche ist verschwunden. Was ist mit Isa?“ „Ich fürchtete, sie werde zusammenbrechen“, sagt Dr. Werner düster, „doch nun schläft sie wenigstens. Wer ist dieser Mako?“ „Isa gibt an, er habe ihr das Leben gerettet; aber ich glaube es nicht. Was bei den Afrikanern gespielt wird, weiß ich nicht. Nol vertraue ich aber.“ „Ich auch!“ Diethelm findet keine Ruhe mehr. Ruhelos läuft er umher. Schließlich geht er zum Blumenfeld, läßt sich einen Flugkörper geben und fliegt zur Station. Er will sich mit Nol aussprechen. Nol muß Vertrauen zu ihm haben. In der „Afrika“ lassen sie den Radarschirm keinen Augenblick mehr unbeobachtet. Als Diethelm zu Nol in den Leitraum tritt, ereignet sich in Arra etwas, das eine große Wendung herbeiführen soll. Der Chef der afrikanischen Sicherheitspolizei gibt seinen Mitarbeitern den Befehl, zum Privatpalast Wamnanas mitzukommen. Mit ihnen steigt Dr. Omar in einen der Polizeiwagen. 58
Der afrikanische Ministerpräsident Suambi bittet seine Kabinettsmitglieder fernmündlich, sich zu einer wichtigen Sondersitzung bereit zu halten. Die Wagen rasen die Küste entlang. Es ist 14 Uhr. * Dr. Omar duckt sich. Er schämt sich und gäbe viel darum, jetzt nicht neben dem gefürchteten Chef der Sicherheitspolizei sitzen zu müssen. Aber es ist doch gut, in einem Polizeiwagen zu sitzen, in dem man vor unliebsamen Schicksalsschlägen gesichert ist – vor Verkehrsunfällen und Herzschlägen. Der Privatpalast steht schneeweiß in der heißen Bläue des Tages. Ein Sekretär verneigt sich. „Herr Wamnana läßt die Herren bitten.“ Wamnana ist keineswegs überrascht oder peinlich berührt. Wamnana weiß, was der Aufwand an hohen Polizeioffizieren und schweren Wagen bedeutet; doch er lächelt. „Dr. Omar in offizieller Begleitung?“ Hinter dem Gelehrten und dem Polizeichef schließt sich die hohe Tür aus rotem Edelholz. Wamnana schüttelt erst Dr. Omar freundschaftlich und dann dem Polizeichef etwas kühler die Hand. „Ich war über Mittag in Arra und wollte Sie überraschen, lieber Doktor. Leider erklärte mir Ihre Gattin, Sie seien nach Tanger geflogen. Ihre Gattin sah übrigens etwas angegriffen aus.“ Dr. Omar beginnt das Herz zu hämmern, daß er die Rechte gegen die Brust pressen muß. „Sie – waren – bei uns?“ „Meine Freunde überrasche ich gern einmal.“ „Ja, gewiß – das habe ich gemerkt.“ „Herr Dr. Omar ist nicht nach Tanger geflogen“, schaltet sich 59
der Polizeichef ein, während sie sich auf die Sessel verteilen, „er ist zu uns geflogen, allerdings nur in seinem Stadthubschrauber.“ Wamnana hebt die Augenbrauen. „Ist etwas geschehen, Doktor?“ erkundigt er sich besorgt. „Sie zittern, wie mir scheint.“ „Ja, es ist etwas geschehen“, würgt Dr. Omar hervor und sieht angestrengt auf das Kästchen mit den schweren Zigaretten. Omar lechzt nach einer Zigarette; aber Wamnana reicht das Kästchen nicht herum. „Es ist etwas geschehen. Ich habe – ein Geständnis abgelegt.“ Wamnana sieht erst ihn und dann den Polizeichef an und schüttelt lächelnd den Kopf. „Sie scherzen doch wohl, lieber Doktor? Ich wüßte nicht, was ein Mann wie Sie zu gestehen hätte.“ „Den Anschlag auf Atlanta.“ Auf dem Schreibtisch summt es auf. Zweimal kurz, einmal lang. Wamnana steht auf, geht hin und schaltet ein. Der Polizeichef beobachtet ihn unauffällig. Eine kräftige Männerstimme meldet sich und verlangt den Polizeichef zu sprechen. „Soll mein Haus der Mittelpunkt einer Polizeiaktion werden?“ fragt Wamnana befremdet. Der Polizeichef tritt neben ihn. „Ich bitte sehr um Entschuldigung, Herr Wamnana, aber weil die Aktion die ‚Universal’ betrifft, hielt ich es für zweckmäßig. Sie gestatten? – Hallo, Hapa!“ „Hallo, Chef! Vizeadmiral Tunyas Wohnung haben wir ergebnislos durchsucht, aber bei Kassul haben wir was gefunden.“ Wamnana verschränkt die Arme über der Brust. „Dr. Omar hat recht, Chef! Es gibt ein Atlanta, und das wird angegriffen. Jetzt, zu dieser Stunde, Chef! Ich habe aus Kassuls Panzerschrank eine Mappe herausgeholt, die alle Angaben ent60
hält. Kassul war der Mann, der alle Fäden in der Hand hatte. Dr. Omar gehörte dazu, und Tunya auch.“ „Haben Sie das gehört, Herr Wamnana?“ „Ich verstehe nicht, mein Lieber.“ „Hallo, Hapa! Rufen Sie das Marineministerium an, und dann das Außenministerium. Die Regierung soll Weltalarm geben. Sie soll versuchen, den Angriff zu verhindern“, ruft der Polizeichef, und zum erstenmal zeigt es sich, wie erregt er ist. Wamnana erkennt, daß die Aktion umfangreich ist und im Einvernehmen mit der Unionsregierung durchgeführt wird. „Was haben Sie dazu zu sagen, Herr Wamnana?“ „Nichts.“ Der Millionär hebt die Schultern. „Ich warte auf eine Erklärung von Ihnen. Was ist mit Kassul? Was ist das – Atlanta? Ein Land?“ Die Blicke der beiden Männer ruhen ineinander. Sie achten erst auf Dr. Omar, als dieser schon neben ihnen steht. Frei, gelöst, in dem großen Gesicht nichts mehr von der dumpfen Ungewißheit der letzten Stunden. „Es wird nun alles seinen Gang gehen. Ich werde meine Strafe erhalten, aber ich werde vielleicht leben. Sie sind ein guter Mathematiker, Wamnana, aber Sie stolperten über einen kleinen Rechenfehler. Sie haben einen Faktor nicht berücksichtigt: das gegenseitige Mißtrauen der Menschen, die sich gemeinsam an einem großen Verbrechen beteiligen wollten – und die Angst! Als Tunya und Kassul so unerwartet starben, überfiel mich die Angst. Ist das so schwer zu verstehen?“ Langsam sinken Wamnanas Arme herab. „Durchaus nicht, lieber Doktor. Nur, wenn hier von einer Persönlichkeit unseres Unternehmens – und es scheint mir fast so zu sein – ein verbrecherischer Gewaltakt inszeniert wurde, an dem Sie in Ihrer Ahnungslosigkeit beteiligt waren, so sollten Sie sich doch an …“ „An Kassul wenden, wie?“ unterbricht Dr. Omar ihn scharf. 61
„Kassul ist tot, und er war der Anständigste unter uns. Nein, Wamnana, ich finde, es war sehr klug von Ihnen durchdacht und eingefädelt, im Panzerschrank des toten Kassul eine Mappe mit einem so sensationellen Inhalt unterzubringen. Für alle Fälle, und um dann den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, wie? Nein, Wamnana!“ „Wissen Sie wirklich nichts von dem unterirdischen Land Atlanta?“ fragt der Polizeichef. „Aber, meine Herren, ich bin völlig ahnungslos!“ Wamnana ist ein angesehener Mann. Der Polizeichef glaubt ihm nicht; aber es sieht nicht danach aus, als ob er ihn fangen könnte. Wer fängt schon einen Wamnana! Doch dann geht alles sehr schnell, und der alte Fuchs geht von allein in die Falle. Wieder meldet sich über den Fernsprecher der Polizeioffizier in Kassuls Villa. „Es wird immer toller, Chef! Nun haben wir hier noch eine geheime Funkanlage entdeckt, über die eben eine Meldung einging. Eine Meldung, kann ich Ihnen sagen! Von einem gewissen Mako. Aus der Tiefsee …“ Wamnana lächelt befriedigt. Er hat wirklich an alles gedacht. Mit seinen Gefühlsausbrüchen kann Dr. Omar ihn nicht fangen, dieser nervenschwache Gelehrte, dieser – „Bin in größter Gefahr! Helft mir! Mako!“ In dieser Sekunde gibt Wamnana endgültig Westeuropa auf; aber dann begeht er die größte Dummheit seines Lebens. „Mako ist einer Ihrer Tiefseekapitäne?“ „Gewiß.“ „Kennen Sie ihn persönlich? Haben Sie ihm in der letzten Zeit direkte Anweisungen gegeben?“ „Ich habe mit Mako nie zu tun gehabt“, sagt Wamnana rasch. „Nur Kassul. der auch …“ „Sie lügen!“ schreit Dr. Omar auf, und der kleine, zappelige Mann ist wie verhext von Hohn und Triumph. „Jetzt haben wir 62
Sie, Wamnana! Sie haben persönlich an Kapitän Nol die Anweisung durchgegeben, er solle Mako an Bord nehmen. Auf der Fahrt nach Atlanta. Die Eintragungen der Funkstelle der ‚Universal’ werden das ausweisen.“ Wamnana lächelt nicht mehr. Er gibt sich auf. * Wamnana tut gut daran, sich aufzugeben. Die afrikanische Kriegsmarine jagt ihre drei größten Tiefseetaucher zum Atlantistief. Sie werden mit Strahlenwaffen versorgt, deren Vorhandensein bisher geheimgehalten wurde und die eine größere Wirkung als die besten Rotstrahler haben: die dreifache Wirkung. Um 15.46 Uhr gibt ein Fregattenkapitän den Tauchbefehl. Elf Minuten zuvor wird der Weltalarm ausgelöst. Von Panamerika bringen drei mächtige Flugschiffe die modernsten amerikanischen Marinetaucher und setzen sie über dem Atlantistief ab. Die Afrikaner aber sind bereits unterwegs. „1000 Meter!“ „1500 Meter!“ * „6300 Meter!“ Wamnanas Flottenkapitän schmeckt der Schnaps. Nun erst recht, denkt er und leert die zweite Flasche. Der Bursche ist schon ziemlich blau; aber seine Leute wissen, daß er in einem solchen Zustand wenigstens alles so hinbekommt, wie er es haben will. „Gordon! – Gordon! – Wo steckt dieser Zuchthäusler?“ 63
„In meiner Gegenwart befindet sich einer von deiner Sorte immer noch in erlesener Gesellschaft“, grinst der Raubritter, der mit aufgekrempelten Ärmeln die Leiter hinunterklettert und gleich nach der Flasche greift. „Nicht schlecht! Wamnana läßt was springen, was?“ „Stell hin!“ „Wie du befiehlst, großer Gauner! Was hast du mit mir vor?“ „Alles klar, Gordon?“ fragt der Häuptling, und aus seinem gebräunten Gesicht weicht plötzlich die Verschwommenheit des Angetrunkenen. „Du weißt, wieviel von dir abhängt.“ „Ich nehme die von der ‚Madagaskar’ schon auf, wenn wir …“ „Achtung! Achtung!“ schreit der Lautsprecher dazwischen. „Hier Johnson! Wir werden verfolgt!“ Für Sekunden stehen die beiden wie erstarrt. Gordon blickt auf die Sichtscheibe und verfolgt gedankenlos das Spiel zweier Pelikanaale, die in schlangenhaften Windungen durch einen Zug kleiner, aufleuchtender Buntfische stoßen. Er fährt erst auf, als der Häuptling wortlos den Leitraum verläßt und zur Radarbox rennt. Johnson ist ein alter Radarspezialist, und er träumt nicht. „Verflucht, Johnson, das können nur Marinetaucher sein!“ „Afrikanische Marine, was?“ stottert der andere mit blassen Lippen. „Schöne Schweinerei! Ob die es auf uns abgesehen haben?“ „Vielleicht nur eine Übung“, murmelt der Häuptling. „Eine Übung?“ wiederholt der andere gedehnt. Rasend stoßen die Marinetaucher herab. Wamnanas Flottenhäuptling kann Arra nicht anrufen. Wamnana hat es ihm strikt untersagt. „6900 Meter!“ Johnson mißt die Distanz. „3600 haben sie.“ 64
„7200 Meter!“ „4150 haben sie.“ Der Häuptling wird fahl und hebt die Faust, als wolle er den lächerlichen Radarschirm in Stücke hauen. Dann rennt er zurück. „Gordon! Die meinen todsicher uns. Die Kerle holen auf. Aber wir sind vor ihnen in Atlanta. Wetten? Die kennen mich nicht. Die kennen den braunen Salino noch nicht.“ Und dann reißt er drei Hebel herum. „An alle: Beschleunigung A!“ * „So ist das bei uns.“ Nol hat Diethelm alles gesagt. Es sind nur Vermutungen; aber Makos Äußerungen, sein ganzes Verhalten und seine Flucht sagen genug. Und daß Wamnana kein Menschheitsbeglücker ist, weiß Nol auch. Diethelm geht vor ihm auf und ab, die Hände in die blaue Marinehose versenkt und das blonde Haar unordentlich in die hohe Stirn hängend. Nol, der schwarze Nol mit den blitzenden Zähnen und dem gutgeschnittenen Gesicht des gebildeten Afrikaners, legt ihm die Hand auf die Schulter, als er wieder neben ihm ist. Auch hier sitzen die Radarmänner an ihren Geräten, pausenlos – Aber zwischen diesen beiden Jungen fällt eine andere Entscheidung, die jenseits der Waffen, der Kämpfe und der materiellen Interessen liegt. „Du bist enttäuscht von den Afrikanern, wie?“ fragt Nol besorgt. „Wir sind eben keine Idealgestalten. Die gibt es nur in eurer Phantasie.“ „Nicht nur in unserer Phantasie“, sagt Diethelm herzlich. „Zu 65
dir habe ich Vertrauen, und zu Valdasa und deinen Jungen auch.“ „Na ja, aber ihr hattet euch zuviel versprochen.“ „Das macht das große Heimweh.“ Diethelm sieht an Nol vorbei; aber in seiner Stimme schwingt eine tiefe Erschütterung. „Das Heimweh nach der Sonne, nach dem großen Leben auf dem Festland, nach Europa wurde zum bestimmenden Gesetz unseres ganzen Daseins. Unsere Großväter gaben es an uns weiter. Sie sahen Europa nicht wieder. Wir haben Europa noch nie gesehen und lieben es doch.“ Nol nickt nachdenklich. „Ich verstehe dich, Diethelm. Ihr werdet es in den ersten Jahren nicht leicht haben, wenn Atlanta und wir nicht jetzt noch zum Teufel gehen. Ihr werdet es nur schaffen, wenn ihr eure romantischen Vorstellungen vom 26. Jahrhundert aufgebt. Die Menschheit hat sich in den letzten hundert Jahren nicht gebessert.“ „Wir werden es schaffen, wenn ihr uns dabei helft!“ „An uns soll es nicht liegen; und auch die Weltregierung wird euch nicht im Stich lassen können.“ Sie reichen sich die Hände. Der Radarmann winkt Nol aufgeregt heran. „Über uns ist schwer was los, Kapitän. Das wird immer toller. Die haben ein Tempo drauf, daß …“ Nol kommt nicht mehr dazu, es nachzuprüfen. Der Funker ruft nach ihm. „Kapitän, Arra meldet sich! Die rufen nach uns mit ihren großen Sendern. Das Marineministerium …“ „Zeig her!“ „M.T.T.B. an ‚Afrika’. Atlanta in Gefahr! Werdet von Verbrecherflotte angegriffen. Warnt Atlanta! Marinetaucher unterwegs.“ Nol lächelt dem Funker zu und weiß selber nicht, warum. 66
Wahrscheinlich ist das die Erlösung. Endlich weiß er, was los ist. Sie greifen an. Wer? Egal, wer! Sie sollen nur kommen! Diethelm liest über Nols Schulter den Text mit. „Was meinst du – könnt ihr die Wahrheit vertragen?“ „Das wird augenblicklich weitergemeldet“, sagt der junge Atlantiner. „Du unterschätzt die neuen Europäer.“ Er rennt los, um vom Rundgebäude aus seinen Vater anzurufen. Aber er ist noch nicht aus dem Leitraum, als Nol ihn aufgeregt zurückhält und einen zweiten Funkstreifen in der Hand hat. „Mako lebt! Hier: Kapitän Mako ruft von Atlanta aus um Hilfe.“ Diethelm wird blaß. „Aber das ist doch nicht möglich. Im Tunnel? Dann kann er nur im Tunnel sein.“ Sekundenlang starrt er Nol an, dann rennt er wieder los, ohne noch ein Wort zu sagen. Nol denkt nicht lange darüber nach. Er holt Valdasa aus dem Mittschiffsraum. „Alarm, Valdasa!“ * „Distanz auf 1200 Meter verringert!“ Das Marineministerium fängt diese Meldung um 18 Uhr auf. In Arra tobt das Fieber: das Fieber der Sensation, die an diesem brütend-heißen Tag, an dem das Meer wie geschmolzenes Metall unter der Sonne kocht, die Riesenstadt fast zur Explosion bringt. Atlanta! Wer hat schon von Atlanta gehört? Niemand. Sie können die ersten Nachrichten von Fernsehen und Presse zunächst nicht begreifen. Atlanta? Ein Land soll 13 000 Meter unter dem Ozean liegen? Das ist wohl ein Witz. Außerdem ist es heiß, Afrikaner, verdammt heiß. Aber was dann kommt, jagt die Hitze weg. 67
„Afrikanische Marinetaucher im Kampf um Atlanta!“ „Millionär Wamnana verhaftet!“ „Atlantiner sind Nachfahren der Westeuropäer! Wamnana wollte Tausende Atlantiner umbringen! Ungeheurer Skandal bei der „Universal-Industrie“! Das Außenministerium bedauert! Kabinett zu einer Geheimsitzung einberufen!“ „Kann Afrikas Marine den Untergang Atlantas verhindern?“ Die Hitze weicht aus den Köpfen, aber die Sensation ist noch schlimmer und bringt sechs Millionen Menschen in einen Fiebertaumel. Die erste Reaktion ist bezeichnend. Zehntausende ziehen zur „Universal“, um den Leuten mit Steinen und Sprechchören zu sagen, was sie von ihnen halten. Die „Universal“ wäscht ihre Hände in Unschuld. Sie kann es auch. Außer Wamnana und einigen anderen hat tatsächlich niemand etwas davon gewußt. * Kein Afrikaner wünscht den Sieg der Verbrecher. Viele bedauern es, daß es am 1. Oktober nicht zu der lang erwarteten Angliederung Westeuropas kommen wird. Doch ihre Herzen schlagen für die Atlantiner. Das Kabinett tagt seit der dritten Nachmittagsstunde. Ministerpräsident Suambi verliest eine neue Meldung aus dem Marineministerium: „Flottentaucher bis auf 500 Meter an Wamnana-Taucher heran. Werden Feuer eröffnen. Amerikanische Taucher bei 2000 Meter in raschem Abstieg.“ „Das dürfte die Entscheidung sein, meine Herren!“ Der Außenminister erhebt sich. „Von uns fordert diese wahrhaft erschütternde Nachricht von der Existenz eines unterirdischen oder unterseeischen Gemeinwesens der Menschen und ihrem zu erwartenden Anspruch auf Westeuropa eine klare außenpolitische Linie: Sollen wir diese Ansprüche anerkennen?“ 68
„Wir haben uns hundert Jahre lang um Westeuropa gekümmert“, wirft der Wirtschaftsminister erregt ein. „Die ‚UniversalIndustrie’ bietet uns auch heute noch die beste Gewähr für eine restlose wirtschaftliche Nutzung jener Gebiete. Ich stimme gegen eine Anerkennung der Ansprüche der sogenannten Atlantiner.“ „Die ‚Universal’ ist ein Verbrecherunternehmen!“ „Was hat die ‚Universal’ mit den Plänen Wamnanas zu tun?“ So geht es schon stundenlang. * Wamnanas Flottenkapitän säuft nicht mehr. Die Angst sitzt ihm ebenso in den Knochen wie den anderen. Und da hilft es sehr wenig, den überlegenen Taktiker zu spielen und die Heldenschar der bleichen Gestalten anzufauchen, die stumm vor Entsetzen an ihren Waffen und Geräten stehen. Da hilft nur noch eines: Flucht nach vorn – Angriff auf Atlanta! Bis auf 500 Meter sind die Verfolger heran. Ein Funkspruch ergeht an den Häuptling. „Steigen Sie ohne Verzug auf, und laufen Sie die Kapverdischen Inseln an. Weiteres Tauchen bedeutet sofortige Vernichtung. Widerstand oder Flucht zwecklos.“ „Ersticken sollen die Halunken!“ Weiter! 9100 Meter. Eben bemerken sie auf dem Radarschirm die Station Berlin. Atlanta rückt heran. Den breiten Mund des Flottenchefs umspielt ein Grinsen des Triumphs. Plötzlich ist die Station verschwunden. In diesem Augenblick hat Nol die Leuchtfeuer löschen lassen. Und fünf Minuten später bricht es über die Wamnana-Flotte herein. 69
Ausgerechnet den Taucher des Häuptlings erwischt es zuerst. Es dauert nur wenige Sekunden; die Wamnana-Leute hätten es nicht so rasch und so gnädig gemacht, wäre ihnen Atlanta vor die Waffen gekommen. Von einem der Marinetaucher löst sich ein kleines, raketenähnliches Geschoß und trifft ihn im Mittschiffsraum. Die Tiefsee leuchtet auf, kilometerweit, in schweigendem Grauen. Dann ist es schon aus mit ihnen. Nichts bleibt übrig. In der Station Berlin nehmen sie es deutlich wahr. Wieder leuchtet die Tiefsee auf, kilometerweit. Da geben sie auf. Ihre Kapitäne reißen hastig, nervös die Steuerhebel hinauf und hinunter. Ihre Besatzungen gehen in fassungsloser Erleichterung beinahe in die Knie, als sie merken, daß sie steigen. Nur einer der Wamnana-Taucher macht nicht mit. Sein Kapitän ist jung und reichlich frech. Er täuscht sogar die Marinetaucher, als er plötzlich seitlich davonschießt und dabei noch tiefer geht. Der Junge hat Schneid, aber der Tod schenkt ihm nur einen kleinen Spielraum. Das Geschoß eines Marinetauchers streift die Kugel. Sie fliegt nicht auseinander, aber sie sinkt. Sie geht rasend schnell in der angesteuerten Richtung nieder. Der Kapitän versucht alles. An seinen Tiefenanzeigern leuchten 10 500, 10 800, 11 500, 12 500 auf. Er bekommt den Taucher nicht wieder unter seine Kontrolle. Daran ändern auch die Verzweiflungsschreie seiner Mannschaft nichts. Er kann ihn nur noch in einem seichten Bodenbecken aufsetzen, ziemlich unversehrt. Doch dann kommen für sie die letzten Minuten, und sie werden die furchtbarsten. Kamare! Sie sind mitten unter diese Bestien des Meeresbodens gefallen. Sie lösen unter ihnen eine wilde Panik aus. Sie werden von den Heranrasenden zertrampelt und erleben nicht mehr, daß sie mit ihrem Ende auch noch Atlanta in größte Gefahr bringen. Wamnana, du kannst wieder lächeln! 70
Die aufgestörten Kamare rasen weiter, hinein in die blaue Schlucht. Nicht mehr vier, wie vor 30 Jahren. Was sind jetzt noch vier! Mindestens dreißig rasen heran. Eine ganze Kolonie. In der blauen Schlucht ist der Teufel los. * In Atlanta suchen sie Mako. Dr. Werner hat sie von dem Angriff einer Verbrecherflotte unterrichtet. Die Atlantiner nehmen die Nachricht erstaunlich gelassen auf. Um eine Panik zu vermeiden, gehen die Vorbereitungen für die Abreise der ersten hundert Familien ohne jede Stockung weiter. Nols Befürchtungen erfüllen sich nicht. Die Atlantiner sind wohl doch nicht ganz so lebensfremd, wie er annahm. Jetzt, wo es um ihre Existenz geht, verfluchen sie die Afrikaner nicht, jetzt strömen die Männer in Scharen zum Blumenfeld, um sich zur Station hinauffliegen zu lassen. „Wir brauchen jetzt Waffen, sonst nichts.“ „Rotstrahler könnt ihr haben, einige Hundert.“ „Her damit, Kapitän! Sie sollen nur kommen!“ Die atlantinische Polizei aber sucht fieberhaft nach Mako. Mag er ein Verbrecher sein – er muß aus seiner hilflosen Lage befreit werden. Sie durchsuchen den Tunnel, klettern über die Balustrade und kämmen unter Schutzmasken die Feuerhöhle durch. Von Mako keine Spur. Die Atlantiner schütteln den Kopf, wie vor einigen Stünden Nol und Diethelm. „Ich habe es“, sagt ein junger Atlantiner plötzlich und schüttelt sich. „Kommt mal mit.“ Er führt seine Kameraden an die Südwand der Höhle. Sie ist so glatt und kahl wie die anderen auch; aber vor der Wand liegt ein größerer Krater, aus dem Dämpfe aufsteigen. Alle Atlanti71
ner kennen diese Stelle nicht, da nur wenige Zutritt zu der Feuerhöhle haben. Ein Mann kann hier hineingefallen sein. „Dann lebt er nicht mehr.“ * Die blaue Schlucht dröhnt. Wie von Dämonen gejagt, rasen die Kamare dahin. Ihre langen Schuppenpanzer peitschen das Wasser auf, daß es wie in einer Sturmflut über ihnen tobt und gischt und die Fische in wilder Flucht davonstieben läßt. Einer führt die Rasenden an. Sein viel zu kleiner Saurierkopf sitzt auf einem langen, dünnen Hals und ist ständig in Bewegung. Die großen, tellerrunden Augen wirken irgendwie komisch, vermindern aber den grauenhaften Eindruck der Bestien nicht. Was sind das für Geschöpfe? Niemand weiß es. Fische sind es nicht. Warmblüter? Nach einer Stunde haben sie die Schlucht passiert und stampfen jetzt den meterhohen Sand einer Wüstenlandschaft. Ein prächtiger, rochenartiger Bursche stößt auf sie herab. Er ist der einzige Fisch, der sich in ihre Nähe wagt. Ihnen gehört der Meeresgrund! Zum Glück für Atlanta werden sie beobachtet. Tauchboot 22 kreist noch immer über der Schlucht und setzt die furchtbare Meldung an die Station ab. „Größte Gefahr! Rettet euch! Mindestens dreißig Kamare in wildem Dahinrasen in der Schlucht! Müssen auf Atlanta stoßen!“ Station Berlin fängt die Meldung auf. *
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Diethelm zittert wie ein Schwächling. „Nol – Nol – das ist das Ende!“ Auch Nol hat das Empfinden, erbarmungslos zusammengeschlagen zu werden. Ein Würgen steigt ihm im Hals auf. Das ist doch so niederträchtig! Von den Marinetauchern liegen Siegesmeldungen vor, die Wamnana-Flotte existiert nicht mehr – und nun das! „Wann sind deine Landsleute heran, Nol?“ „In frühestens drei Stunden“, sagt Nol dumpf und sieht in Gesichter, die krampfhaft das Wissen um den bevorstehenden Untergang Allan Las zu unterdrücken suchen. Diethelm wendet sich ab. „So lange brauchen die Kamare nicht.“ „Wann können sie heran sein?“ „Die sind in spätestens 90 Minuten da.“ „Das wären also 90 Minuten, die wir uns halten müßten.“ Nol reckt sich. So spielt man nicht mehr mit Nol. Er wendet sich an einen von Diethelms Freunden. „Wir dürfen uns nicht wegen der 90 Minuten verloren geben. Vielleicht sind unsere Rotstrahler wirksamer als eure Waffen. Die Bewohner Atlantas müssen aber wissen, was los ist. Erledigen Sie das, bitte?“ Der Atlantiner nickt und verläßt die „Afrika“. „Und wir, Nol?“ „Wir bauen eine Abwehrfront auf“, sagt Nol entschlossen. „Möglichst weit vor dem großen Spalt, damit sie an den nicht herankommen. Ihr habt eure wendigen Boote, und wir haben unsere Rotstrahler. Wir müssen die Bestien wenigstens aufhalten.“ „Das genügt, Nol.“ *
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21.45 Uhr. Atlanta schreit entsetzt auf. Die Kamare kommen! Gleich darauf dröhnt die Felsenplatte unter der Wucht der anstürmenden Riesen. So etwas hat man bisher noch nicht gehört. Es ist furchtbar; es ist ein höllisches Wutgeheul. In Atlanta rollt dumpfer Donner über die Hügelkette hin, in der sie noch immer Mako suchen. Dr. Werner weiß, was das bedeutet. Die Panik! Der Donner der rasenden Bestien klingt so unwirklich und gespenstisch, daß er die Vernunft aus den Hirnen treibt und Instinkte weckt, die nicht gut sind. Da ist eine ältere Frau. Ausgerechnet sie fängt an. Sie steht mit vielen anderen am Blumenfeld und sieht zu, wie sich die Freiwilligen, die auch jetzt noch in zorniger Entschlossenheit nach oben wollen, an die Flugkörper drängen. Daneben steht ein älterer Polizist mit einer Strahlenwaffe am Uniformgürtel. Urplötzlich kommt es und ist doch das Signal zu offenem Aufruhr. Sie schreit gellend auf, starrt mit weitaufgerissenen Augen nach oben gegen die grollende Felsendecke, wirft sich herum, reißt dem Polizisten die Waffe von der Uniform und schießt völlig sinnlos einen Freiwilligen nieder. „Ihr wollt euch nur retten! Ihr wollt mit der ‚Afrika’ aufsteigen!“ Sie ist wie eine Seherin. Sie reißt die anderen aus ihrer stumpfen Ergebenheit. Hunderte fallen über die Freiwilligen her. „Wir wollen ’raus!“ *
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Nol jagt heran, mit einem der atlantinischen Tauchboote. Sie sind nicht schlecht, diese Flitzer; sie schießen wie Aale unter den Steuergriffen dahin. 37 Tauchboote mit ihm. In jedem sitzen zwei Mann, einer am Antrieb, der andere am Rotstrahler, die sie durch die Hermetikklappen geschoben haben. Es sind nur leichte Strahler, und alles ist nur provisorisch; aber es muß gehen. Die „Afrika“ liegt weiter zurück, vor dem Spalt – als letzte Bastion, mit Valdasa, vier Jungen und vielen Atlantinern an Bord. Nol beugt sich vor. Von den Kamaren ist noch nichts zu sehen. Aber vor Ihnen tobt das Wasser auf. „Da oben ist schon die ‚22’, Kapitän!“ * Die „22“ fährt dem Höllensturm voraus. Die Kamare greifen jetzt in breiter Front an. Immer acht nebeneinander und mit dem Leitkamar am linken Flügel. Wahrscheinlich wittern die Bestien die nahe Station. Die „22“ ist nicht bestückt. Ihr Kommandant ist gewiß ein erfahrener Tiefseefahrer, und doch macht er einen Fehler. Er geht mit dem Boot zu tief hinunter. Einer der Kamare richtet sich auf und zertrümmert die „22“. Drei tapfere Atlantiner finden den Tod. Nols Nebenmann wird blaß. „Das hat er davon! Wie hoch sind wir, Kapitän?“ „25 Meter.“ „Oh – wir müssen mindestens auf 30 hinauf!“ „Irrtum“, der junge Kapitän lächelt, „wir müssen auf 5 hinunter.“ Der andere würde die Hände ringen, wenn er sie frei hätte. Er ist kein zitterndes Knäblein; aber er weiß, was Kamare sind. 75
„Kapitän, das ist Selbstmord!“ „Das einzige Mittel, um die dort vorn zu besänftigen“, sagt Nol entschlossen und ruft ins Mikrophon: „Achtung! Nol an alle! Aufrücken und Kette bilden. Auf 5 Meter hinuntergehen! Auf Befehl feuern!“ Die Tauchboote schließen auf und gehen tiefer, wie eine Perlenkette vor einem heranbrausenden Panzer. Die Kamare nehmen sie wahr; aber nichts könnte sie weniger beeindrucken. Sie stutzen erst, als die Kette zum erstenmal feuert. Bei einer Entfernung von 30 Metern. Die Rotstrahler werfen den Kamaren eine Strahlenfront entgegen, die sie spüren, die sie aber nicht erschreckt Die Kamare stampfen weiter über die aufdonnernde Felsenplatte. Die Strahlenfront bleibt. „Nicht nachlassen“, brüllt Nol ins Mikrophon, „jetzt nicht nachlassen!“ Gleich darauf bäumen sich die vordersten Kamare auf. „Nicht nachlassen, Jungen!“ Das Meer tobt auf. * Noch schwerer rollt der Donner. Er peinigt die Herzen der von namenloser Angst Gejagten. Auf dem Blumenfeld spielen sich schreckliche Szenen ab. In der Stunde der großen Befreiung greift ein grausiger Tod nach ihnen. Was nützen die Ermahnungen der Verwaltung, die über den Lautsprecher kommen! Nichts! Die Kamare sind da, und wer nicht vergessen hat, wie es vor 30 Jahren war, der kommt ihnen lieber zuvor und bringt sich selber um. Kein Dr. Werner und keine atlantinische Geistlichkeit können das verhindern. Sie verhindern allerdings auch nicht, daß auf dem Blumenfeld 39 Menschen von der tobenden Menge niedergetrampelt wer76
den. Erst als die Meldung durchgegeben wird: „… die Kamare stehen. Die afrikanischen Waffen wirken.“, erst da weicht die furchtbare Angst. Sie schämen sich. Das Donnern über ihren Köpfen bleibt. Aber sie finden zu sich zurück, und irgendeiner sagt: „Das hilft nun alles nichts; wir müssen etwas unternehmen.“ „Uns in Sicherheit bringen?“ „Ja. Überschätzt die gute Nachricht nicht! Die Bestien sind noch nicht geschlagen. Vielleicht haben wir nur eine Atempause. Hört!“ Das Donnern wird immer fürchterlicher, aber es kommt nicht näher. Tanzen die Kamare? Rasen sie unter der Wirkung der Rotstrahler? Toben sie in hilfloser Wut? Wird Nol sie halten? Dr. Werner hört es. Es dröhnt, daß in seinem Arbeitsraum alles hin und her schwankt. Er hat alle Fäden in der Hand. Auf dem altertümlichen Schreibtisch aus der Kapitänskajüte der „Gloria“ stehen drei Telefone, vor denen junge Atlantinerinnen sitzen. Nach der Station, in beide Landesteile und zum Blumenfeld führen diese Fäden. Dr. Werners Gesicht ist verdüstert. Er ist nicht abergläubisch, aber er sieht in diesem Kamarenangriff mehr als nur einen bösen Zufall. Will das Schicksal nicht die Befreiung der Atlantiner, die Wiedergeburt Westeuropas? Ist das Rad der Entwicklung über sie hinweggegangen? Eine alte Frau tritt ein. „Isa ist aufgewacht.“ Dr. Werner folgt ihr. * „Unten toben sich tausend Teufel aus!“ Der Chef der Marinetaucher steht an der Ansichttafel. Schon haben sie ein verschwommenes Bild von der Dämonenschlacht, 77
die unter ihnen tobt. „Wir brauchen noch mehr als eine Stunde“, knurrt er böse, „und das dort unten sieht verdammt gefährlich aus.“ „Nie etwas von Kamaren gehört!“ „Vielleicht können Sie Ihrer lieben Frau einen mitbringen“, sagt der Fregattenkapitän bissig und nimmt den Funkstreifen entgegen, der ihm hingereicht wird und eine Meldung vom Marineministerium enthält. Der Kapitän überfliegt die Meldung und schlägt mit der Faust neben die Steuersäule. „Das ist doch eine Schweinerei! Wir versuchen alles, die Atlantiner herauszuhauen, und die Regierung tut so, als ob sie es nicht habe. Hier: ‚Kabinett hat Entscheidung über Atlanta vertagt’.“ „Was bedeutet das?“ „Für heute noch nichts. Aber sie wollen nicht, und das kann sich auswirken. Das kann bedeuten, daß man die Atlantiner wieder zurückschickt oder sie als Staatenlose behandelt.“ „Kommt nicht in Frage!“ „Schießen Sie das Kabinett über den Haufen.“ Der Fregattenkapitän grinst. „Vielleicht helfe ich Ihnen dabei. Aber – Mann, –“ Immer klarer wird das Bild. „Um Himmels willen, was sind das für Boote?“ „Atlantinische.“ „Sie weichen zurück.“ * Nol weicht zurück. Die Kamare, die in wildem Höllentanz die Wirkung der Rotstrahler spürten, werfen sich herum, steigen hoch und wirbeln in die alte Richtung zurück. Nol flucht und beschwört Himmel und alle Götter, sie möchten das nicht tun. Aber sie wirbeln zu78
rück, und das hebt die Wirkung der Rotstrahler weitgehend auf. Nol sieht die Bestien auf die Kette zukommen. „50 Meter zurück!“ brüllt er ins Mikrophon. 50 Meter sind nichts unter diesen Umständen. Die Kamare haben jetzt den Dreh gefunden. Sie werden es immer wieder tun. „Wir müssen höher, Nol!“ „Dann laufen sie uns unten durch!“ Nach 50 Metern stehen die Boote wieder. Nol versucht es mit einem neuen Trick. Er läßt jeden zweiten auf 10 Meter steigen und bekommt so zwei Ketten, die aber recht dünn sind. „Wenn das gut geht, Nol!“ Es scheint gut zu gehen. Die Kamare werden wieder wild, als sie springen und wirbeln und auch dadurch den Rotstrahlern nicht entgehen können. Und doch hat Nol den Fehler gemacht, den er vermeiden wollte. Die Kette ist zu dünn. Der Leitkamar und zwei andere brechen plötzlich durch. Das kann das Ende sein! Nol spürt sein Herz nicht mehr. Mehr im Unterbewußtsein als mit voller Überlegung gibt er den Befehl, wieder die alte Kette zu bilden und nicht zurückzugehen, komme, was da wolle. Er reißt sein Boot herum und jagt den drei Kamaren nach, die in voller Raserei auf die „Afrika“ losstürzen. „Valdasa! Valdasa!“ In der „Afrika“ stehen sie an den Waffen. „Habe es schon gesehen, Nol. Verschwinde! Ich feuere!“ „Ihr müßt sie halten! Wenigstens einen oder zwei!“ „Verschwinde!“ * Der Fregattenkapitän fiebert. Sie rasen auf die Felsenplatte zu. Auch die Amerikaner sind 79
nahe, werden aber wohl nicht mehr eingreifen können. Der Afrikaner berechnet seine Möglichkeiten. Zehn Minuten gibt er denen dort unten noch. Die Kette hält sich noch, und die „Afrika“ treibt die drei Kamare immer wieder zurück, die stur und wütend gegen sie anrennen; doch plötzlich läßt einer von dem Tiefseetaucher ab und rennt den Spalt entlang. „Nun sind sie verloren! Der genügt schon …“ Ein Tauchboot folgt ihm. „Das ist Nol!“ * Der Kamar ist vor dem Spalt. Nol hängt über ihm und muß aufpassen, daß die Bestie ihm nicht in einem plötzlichen Aufbäumen das Boot vernichtet. Der Kamar stoppt wenige Meter vor der Stelle, an der die Felsplatte weit klafft. Dann geht er langsam heran. Ob das einer der Kamare ist, die vor 30 Jahren schon einmal Atlanta heimsuchten? geht es Nol durch den Kopf. Diese Bestien werden vielleicht mehrere Hundert Jahre alt. Er überfliegt wieder den Riesen, jagt ein Stück auf das Rundgebäude zu, das abgedunkelt ist und in dem sich einige hundert Atlantiner an den Hermetikfenstern drängen, reißt das Boot herum. Auf der anderen Seite des Spalts schleicht sich der Kamar ganz langsam vor, steckt seinen Saurierkopf durch den Spalt und lauert wie ein Riese auf Atlanta hinab. Nol brüllt auf wie ein großer Junge. Das ist seine letzte Chance! Er muß den Saurierkopf vom Hals trennen! Der Kamar lauert immer tiefer in den Spalt. Die Bestie ist so versessen darauf, den Sprung in das große Becken richtig zu 80
tun, daß sie zu spät auf Nol aufmerksam wird, der auf ihren Hals zuschießt. Nol feuert aus beiden Rotstrahlern. Es sind scheußliche Sekunden. Aber sie entscheiden über das Schicksal vieler Atlantiner. In einem höllischen Aufflammen löst sich der Kopf des Kamar, der sich in letzter Wut aufbäumt, das Boot erfaßt und es auf den Felsen schleudert. Sie kommen aber gleich wieder zu sich und sehen in der Ferne die Boote der Kette in wilder Fahrt heranbrausen. Über ihnen Tiefseetaucher in geschlossener Formation. Die Marine ist da. Ihre Geschosse jagen den Spuk auseinander. Wieder leuchtet die Tiefsee auf. * Ist es ein Wunder? Die Atlantiner können es nicht fassen, als über ihnen plötzlich Atommotoren aufsingen, daß man es deutlich durch das Donnern hindurch hören kann, und dann die Nachricht durchgegeben wird: „Die Kamare sind vernichtet!“ Nur noch zwei dieser Riesen jagen in panischer Hilflosigkeit über die Felsenplatte hin und her. Auch für sie gibt es keine Gnade. Nol und der Fregattenkapitän fliegen ein und suchen Dr. Werner auf. Der Mann von der Marine greift sich immer wieder an den Kopf, als er das Land im Schoß der Erde sieht. Mit ungläubigem Staunen nimmt er es wahr: das milde Licht der Feuerhöhle, die schlichten Siedlerhäuser mit den Grasdächern, die Flugkörper, die von großem technischen Können zeugen. „Mensch, Nol – wo sind wir hier?“ 81
„13 000 Meter unter dem Meeresspiegel.“ Nol grinst und zeigt verstohlen auf Isa, die ihm mit ihrem Vater entgegenkommt. „Und so etwas gibt es hier auch.“ „Nol, das glaubt uns keiner.“ „Suchen Sie sich hier eine Frau. Das ist immer der beste Beweis!“ „Und Sie?“ „Haben Sie denn keine Augen im Kopf, Mann?“ „Nicht schlecht“, sagt der Fregattenkapitän, verstummt aber, als aus dem Tunnel Tausende von Atlantinern hervorbrechen – jubelnd und mit hocherhobenen Armen. Sie rufen etwas, ein Wort nur. Immer wieder ein Wort: „Nol!“ Diesmal hält der Jubel an. Nichts kann ihn mehr trüben. Die Atlantiner achten kaum auf einen Transportwagen, der langsam über die Kunststraße rollt. Sie haben Mako geborgen und werden ihn beisetzen, wie es in Atlanta Sitte ist. Mako lebt nicht mehr. Das helle Licht im Tunnel wird ihn irregeführt haben. * Der Weg ist frei! Die Weltregierung sagt den Nachkommen der Westeuropäer ihre Unterstützung zu. Aber noch zögert die Afrikanische Union. Erst Mitte September ist sie soweit. Der Wirtschaftsminister, der enge Beziehungen zu der „Universal-Industrie“ unterhält, ist sehr erschüttert, als das Kabinett gegen seine Stimme beschließt, am 30. September die afrikanische Verwaltung über Westeuropa aufzulösen. Er soll aber noch eine große Überraschung erleben. 82
Noch während der Kabinettssitzung trifft Dr. Werner aus Atlanta ein. Es ergeht ihm wie den Atlantinern, die bereits vor ihm den Boden des Festlandes betreten haben: Er muß einen fürchterlichen Schock überwinden, der ihn beim Anblick der Sonne und des Himmels und der weiten See überfällt. Minutenlang taumelt er wie ein Blinder. Dann hat er sich wenigstens so weit in der Gewalt, daß er imstande ist, sich zur Regierung fahren zu lassen. Wieder schließt er die Augen und hält die Hände schützend davor, um nicht dem zu erliegen, was auf den Straßen der großen Stadt den Wagen umtobt. Ministerpräsident Suambi begrüßt ihn mit impulsiver Herzlichkeit. * Isa und Nol bummeln. Die Wunder Arras nehmen das junge Mädchen gefangen, das in den für das Schicksal Westeuropas entscheidenden Stunden soviel erleiden mußte. Nol ist der glücklichste Mensch von der Welt. Er schleppt sie zu allen Sehenswürdigkeiten und besucht mit ihr die weltberühmte „Bar der drei Sonnen“, in der Zaki schon wieder zwischen hochbeinigen Mädchen sitzt und angibt, daß ihm die Schamröte kommen müßte. Sie treffen Valdasa und die schwarzköpfige Vera in einem einsamen Park und suchen gemeinsam in den erstklassigen Geschäften vom Fernsehempfänger bis zum Modellkleid so ziemlich alles für die jungen Damen aus.. Dann gehen sie den. stillen Strand entlang, der zu den Bädern führt. Von irgendwoher erklingt leise Tanzmusik. Nol zeigt auf ein Reklametransparent, das jenseits der Bucht mit riesigen Leuchtbuchstaben herübergrüßt. „Besucht das geheimnisvolle Atlanta! Meldet euch bereits 83
jetzt beim Globus-Reisedienst an! Die erste Reise in die Tiefsee findet im kommenden Frühjahr statt.“ „Nun wollen sie mit Atlanta ihre Geschäfte machen, diese Gauner!“ * Aber die famose Idee bleibt unverwirklicht. In den kommenden Monaten werden die Atlantiner in zwei Aufbaugebiete nach Deutschland und Frankreich gebracht. Als der letzte Atlantiner das stille Land verlassen hat, steigen Nol und Diethelm und Valdasa noch einmal hinab – mit der „Afrika“. Verlassen liegt Atlanta vor ihnen. Die Gebäude, in denen einige Generationen lebten, stehen leer. Auf dem Blumenfeld blüht es rot und blau unter dem Leuchten aus der Feuerhöhle. Um die breiten, hohen Blätter des Waldstreifens am stillen Flußlauf tanzen müde die Insekten. „Was haben sie nur?“ murmelt Diethelm bedrückt. „Früher waren sie viel munterer.“ „Das kommt dir nur so vor.“ Sie gehen in den Tunnel und nehmen noch einmal das Bild des geheimnisvoll aus der Erde aufsteigenden Feuers in sich auf, das soviel Lebenskraft spendete und soviel Freud und Leid beschien. Offen stehen die Panzertüren zur Safekammer, aus der man Dokumente und „Staatsschatz“ herausgeholt hat. Lange stehen die Freunde schweigend und nachdenklich. Plötzlich schreit Valdasa auf. „Das Feuer! – Was ist mit dem Feuer?“ Diethelm sagt kein Wort. Er geht an die Balustrade und starrt in das Feuer, das seine und seiner Eltern Sonne war. Er hebt die Hand. Es ist wie ein Dank und – wie ein Abschied. Nun nehmen sie es. deutlich wahr. 84
Das Feuer erlischt. Die Quelle, tief unten in der Erde, die es spendete, versiegt mit überraschender Schnelligkeit. Es wird langsam dämmerig. Darum also die Müdigkeit der Insekten! „Komm, Diethelm – komm!“ „Ja!“ Diethelm nickt und wendet sich ab. Sie gehen rasch über die Kunststraße zum Blumenfeld und steigen in einen bereitstehenden Flugkörper. Diethelm sieht sich nicht um. Er hat Abschied genommen. Er wird den anderen sagen, wie es in dem verdämmernden Atlanta gewesen ist. Nun wartet Europa. Atlanta stirbt. – Ende –
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Sie lesen im nächsten (47.) UTOPIA-Kleinband:
Am Abend vor dem Tage X von JAMES NORTON
Die Menschheit ist endgültig in zwei gegnerische Mächtegruppen zerfallen. Jede von ihnen rüstet zum letzten Entscheidungskampf um die Weltherrschaft. Überall wird an neuen, furchtbaren Massenvernichtungswaffen gearbeitet. Durch die Super-X-Bombe, gegen die es keine Möglichkeit der Abwehr gibt, droht allem Lebendigen auf Erden der Untergang.
In aller Stille arbeitet eine kleine Gruppe verantwortungsbewußter Forscher an einer geheimnisvollen Erfindung, die dazu bestimmt ist, die Menschheit vor der drohenden Vernichtung zu retten. Ihr Weg führt durch gefahrvolle Abenteuer und schwere Rückschläge. Wird es ihr gelingen, den Wettlauf mit den Mächten des Todes zu gewinnen? Die Antwort gibt der nächste UTOPI A-Kleinband!
UTOPIA-Kleinbände erscheinen vierzehntäglich SCIENCE-FICTION-Zukunftsromane, Preis 50 Pf
UTOPIA-Großbände erscheinen monatlich SCIENCE-FICTION in deutscher Sprache, 96 Seiten, 1.– DM Wissenschaftliche Zukunftsromane des XX. Jahrhunderts
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Sämtliche bisher erschienenen UTOPIA-Kleinbände (Jim Parkers Abenteuer im Weltraum) von Nr. 1–45 und UTOPIAGroßbände SCIENCE-FICTION in deutscher Sprache Nr. 1–23 sind beim Verlag noch vorrätig. Sollten Sie die gewünschten Nummern durch Ihren Zeitschriftenhändler nicht beziehen können, dann wenden Sie sich bitte direkt (verwenden Sie hierfür bitte den umseitigen Bestellzettel) an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden).
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