Band 05 - Atlantis' Untergang Torgo, Prinz von Atlantis von Karl H. Koizar ISBN:
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Band 05 - Atlantis' Untergang Torgo, Prinz von Atlantis von Karl H. Koizar ISBN:
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Als der Tag über Atlantis anbrach, konnte man erst die Folgen des Erdbebens erkennen. In der Stadt waren schwere Verwüstungen entstanden. Der Tempel des Bel war zur Gänze eingestürzt das Götzenstandbild vernichtet. Auf den Zufahrtsstraßen zur Stadt zeigten sich breite Risse und Sprünge im Erdreich, welche Fahrzeuge, Fußgänger und Reiter zu Umwegen durch die Felder zwangen. Bleich und übernächtig kehrten die Menschen aus der Umgebung der Residenz in ihre Heimstätten zurück, welche sie zum Teil in argem Zustand wiederfanden. Menschen waren, soweit sich bisher übersehen ließ, in dieser Nacht des Schreckens keine zu beklagen gewesen. Aber man wußte nicht, was weiter im Inneren der Insel geschehen war. Dort konnten die Schäden durchaus noch ärger sein und es war nicht ausgeschlossen, daß dort das Beben auch Menschenleben gekostet hatte. In dem Prinzen war in jener Nacht eine Verwandlung vor sich gegangen, die sich seine Umgebung nicht zu erklären vermochte. Allmählich kehrte die Dienerschaft, kehrten Torgos Freunde in den Königspalast zurück, aber der Prinz begegnete ihnen einsilbig und mit Zurückhaltung. Auch Jargo merkte mit Staunen, daß der Prinz ihm gegenüber kühl blieb. Er kam nicht auf den Gedanken, daß es Torgo als Unrecht empfinden könne, daß sich Jargo in der Stunde der Gefahr um seine nächsten Angehörigen gekümmert habe und berichtete dem Prinzen von dem ernsten Zustand, in dem sich sein Vater befand. "Nimm den Heilkundigen des Hofes und sage ihm, daß es mein Wunsch ist, daß dein Vater gesund gepflegt werde", ordnete der Prinz an und Jargo entfernte sich mit vielen Dankesworten, aber doch auch dem Gefühl im Herzen, daß zwischen Torgo und ihm nicht mehr alles so sei wie früher. Er versprach, bald zurück zu sein. Der Prinz hatte vor, zu einem Inspektionsritt aufzubrechen. An diesem Ritt sollten auch Rostan und Nebussor teilnehmen. Rostan war der Urheber dieses Plans. Er hatte in dem Prinzen die Neugier nach dem Bergwerk geweckt. Obwohl der Königspalast infolge seiner stattlichen Bauart durch das Beben kaum Schaden genommen hatte, war es Rostan doch nicht entgangen, wie es in der Stadt selbst aussah. Um so mehr fürchtete er nun für die Arbeiten im Inneren des Berges und er war schon am frühen Morgen beim Prinzen erschienen, um ihm die Reise vorzuschlagen. Man konnte sich dann gleich an Ort und Stelle davon überzeugen, was geschehen war und die nötigen Anordnungen treffen. In den frühen Vormittagsstunden brach die kleine Reisegesellschaft auf, unter Begleitung einer Kohorte von Hauptmann Alwas Kriegern. Die drei Hauptleute selbst blieben in der Stadt zurück. Teils, weil trotz der gewonnenen Seeschlacht gegen die Griechen die Lage an der Küste unsicher war, teils aber auch, weil es die neue politische Lage erforderte, daß sie sich gemeinsam mit den im Rat verbliebenen Ältesten um die öffentliche Ordnung zu kümmern hatten. Torgo schied diesmal gerne von der Residenz. Zu bitter war für ihn die Erinnerung an die persönlichen Enttäuschungen, welche er in der vergangenen Nacht erlitten hatte. Ein uneingestandener, heimlicher Haß gewann in seiner Seele Boden und machte ihn gefügig für die Pläne Rostans, dessen Ziel es war, in Atlantis ein unumschränktes Schreckensregiment aufzurichten. Bethaseba, die einzige Getreue, ließ Torgo im Palast zurück. Er setzte sich selbst an die Spitze der Reiterkolonne, gefolgt von Jargo, Rostan und dessen kleinem Diener Nebussor und durch das östliche Stadttor ging es hinaus ins offene Land und von da den Bergen C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
entgegen. Numrod, der Herrscher des Kupferbergwerks ahnte nichts von dem hohen Besuch, der ihm bevorstand. Das war gut so, denn sonst hätte er keine ruhige Minute mehr gehabt. Bergwerkssklaven und Wachmannschaften waren seit Stunden damit beschäftigt, die Toten ans Tageslicht zu schaffen, welche durch den Einbruch der Stollen verschüttet worden waren. Wie durch ein Wunder waren Taaf und Shidra, die beiden Hohepriester Bels, welche man nach dem Attentat auf den alten König zu Zwangsarbeit verurteilt hatte, einem schrecklichen Ende entgangen. Der gewaltige unterirdische Dom, den Rostan in ein riesiges Laboratorium, in eine Werkstatt zur Ausführung seiner Erfindungen umgewandelt hatte, zeigte Risse und Sprünge an den Wänden, die eine Fortführung der Arbeiten als gefährlich erscheinen ließen. Aber an Rostans Geräten selbst und an einem noch unfertigen, im Bau befindlichen Brennspiegel für die Küstenbefestigungen, war kein Schaden entstanden. "Los, macht die Stollen vom Schutt frei, schafft die Toten und Verwundeten fort", befahl Numrod. "Wer arbeitsfähig ist oder es bald wieder werden kann, bleibt im Bergwerk. Die Toten und Sterbenden aber werft hinab in die Geierschlucht." Diese unmenschliche Maßnahme wurde von Numrods Schergen ausgeführt. Man war an diesem Orte gewohnt, über Leichen zu gehen. Numrod, der ein Herz für seine Wachhunde hatte, besaß keines für seine Mitmenschen. Man war mit den ärgsten Aufräumungsarbeiten am Ende und machte sich daran, die Stollen zu sichern und fackelndes Erdreich zu treffen, als die Posten auf den Wachtürmen das Nahen des Reiterzuges Prinz Torgos meldeten. "Wer kann das sein?" fragte sich Numrod unwillig. "Ob etwa Rostan so schnell aus der Hauptstadt zurückkehrt?" Kurz darauf war er nicht wenig erstaunt, auch den Prinzen bei sich zu sehen. "Wie steht es, Numrod?" war Rostans erste, besorgte Frage. "Hat das Erdbeben bei euch großen Schaden angerichtet?" "Es ist nicht der Rede wert" log Rostan, um sich beim Prinzen beliebt zu machen. "Alle deine Geräte sind so unversehrt, wie du sie verlassen hast Rostan. Du kannst sogleich die Arbeit wieder aufnehmen. Wir haben ein paar Arbeitssklaven verloren, aber wir verlieren täglich welche und es kommt ja immer wieder Nachschub. Ich hoffe, daß man mir bald wieder welche liefert." Der Prinz nickte finster. "Es ist damit zu rechnen, Numrod", sagte er. "Und wie steht es in der Hauptstadt?" wandte sich Numrod an die Umstehenden. "Schlimm genug, das ist gewiß" , erzählte Nebussor, "ich habe so eine schlimme Nacht noch nicht erlebt, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand. Ich hoffe nur, sie wiederholt sich nicht, sonst bliebe ich keinen Tag länger in Atlantis." Numrod kratzte sich hinterm Ohr. An die Möglichkeit, daß sich das Beben wiederholen könne, hatte er noch gar nicht gedacht. "Ich hoffe, daß es nicht wiederkommt", erklärte jedoch Torgo beruhigend, "Seit ich denken kann, gab es dergleichen nie in unserem Reiche. Wir lebten ungestört und ruhig. Den Göttern hat es gefallen, uns zu erschrecken und uns ihre Macht zu zeigen." "Ja", pflichtete Numrod bei, "das sagen Shidra und Taaf auch. Sie sagen, es sei Strafe dafür, daß man die Priester Bels ins Bergwerk verbannte." Numrod lachte. "Hoffentlich glauben das nicht auch andere Leute", meinte Jargo besorgt. "Sie mögen es ruhig glauben", knurrte Torgo", es würde ihnen nichts nützen." Überrascht sah Torgo auf. Noch nie hatte er seinen Herrn so hart reden hören.
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"Recht so", lobte jedoch Rostan. "Und nun Prinz, folge mir hinab in dein unterirdisches Reich, in welchem deine Sklaven und Diener für die Sicherheit von Atlantis arbeiten." * Als die Sonne sank, näherten sich die ägyptischen Galeeren unter der Führung von Tach-Hamon einer abgelegenen Stelle der Küste. Hauptmann Sarga, welcher die Seestreitkräfte der Atlanter befehligte, hatte einen schweren strategischen Fehler begangen. Er hatte seine Flotte dort konzentriert, wo er eine Wiederholung des Angriffs befürchten zu müssen glaubte. Daß ein neuer Gegner von einer ganz anderen Stelle angreifen könne, damit hatte er nicht gerechnet. Als die Galeeren im Schutze der Dunkelheit landeten und die ägyptischen Krieger an Land spien, fanden sie keinen nennenswerten Widerstand bei der überraschten Bevölkerung. Fast tausend gut ausgerüstete Männer näherten sich im Eilmarsch der Hauptstadt, in der man des Erdbebens wegen an andere Dinge dachte, als an Verteidigung, schon gar nicht nach der Landseite hin, da die Heerführer ihre Aufmerksamkeit auf die See konzentrierten. Auf dem Wege nach der Residenz überfielen die Ägypter ein atlantisches Heerlager und erbeuteten in einem erbarmungslosen Kampf fast fünfhundert Streitwagen und die dazugehörigen Pferde. Tach-Hamon triumphierte. "Nur jetzt keine Zeit verlieren". Er hatte durch die Schlacht mehrere Stunden verloren, aber er hoffte, noch vor Sonnenaufgang die Hauptstadt erreicht zu haben. Aber die Kunde von den in Eilmärschen herannahenden feindlichen Truppen eilte dem ägyptischen Heer doch wie ein Lauffeuer voran und noch während der Nacht erreichte sie die Residenz, wo sie ungläubiges Staunen und neue Verwirrung auslöste. Alwa schickte seine Truppen aus der Zitadelle auf die Wälle und Wusso bereitete sich auf eine Verteidigung des Schlosses vor, während seine Männer gleichzeitig überall vergeblich nach Prinzessin Nif-Iritt, Nimbur, Gül-Gül und Sil suchten. Man fand nichts als einen toten Wachposten. Irgendwo mußten die ägyptische Prinzessin, ihr blinder Berater und ihre beiden Dienerinnen über die Mauer des Gartens gelangt sein. Tatsächlich hatte Nimbur, kaum daß ihm das Gerücht von der ägyptischen Heersäule zu Ohren gedrungen war, seine Maßnahmen ergriffen. "Jetzt ist die Stunde gekommen, wo sie uns als Geiseln verwenden werden", hatte er zu Nif-Iritt gesagt, "und dies müssen wir, selbst um den Preis unseres Lebens verhindern. Wir müssen aus der Stadt gelangen und unserem Heer entgegengehen." Gül-Gül hatte noch von ihrem letzten, mißglückten Fluchtversuch her einen Dolch im Besitz. Auch die Kleider waren noch vorhanden. So gingen sie bei Nacht und Nebel über die Mauer, was Nif-Iritt und Nimbur viel Beschwer verursachte und einem Atlanter das Leben kostete. Die Stadtmauer war durch das Erdbeben an mehreren Stellen geborsten. Breite Sprünge klafften in dem morschen Mauerwerk, das schon Jahrhunderte überdauert hatte. An einer solchen Stelle kletterten die vier Flüchtlinge über die Trümmer und standen nun zum erstenmal außerhalb der Stadt, in der sie die Zeit ihrer Gefangenschaft verbracht hatten. Sie kamen gerade zur rechten Zeit, eine Viertelstunde später wurde die Mauer von Alwas Truppen besetzt, die sich zur Verteidigung vorbereiteten. "Wohin jetzt?" fragte Nif-Iritt, als sie auf der Landstraße standen. "Wäre ich doch sehend", klagte Nimbur, "hätte ich mein Augenlicht wieder, wie einst!" "Bediene dich unserer Augen, Nimbur", sagte Gül-Gül. "Sage uns, was du wissen willst und wir werden dir erzählen, was wir sehen." "Wo befinden wir uns", fragte Nimbur. "Offenbar auf einem Acker." "Sind Leute in der Nähe?" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Rechts von uns läuft eine Straße. Ich höre Lärm von dort und sehe das Licht von Fackeln." "Die Straße scheint demnach ungewöhnlich belebt?" "So ist es Nimbur. Es sind Flüchtlinge, welche die Stadt zu erreichen suchen." "So haben wir mehr Glück, als ich zu hoffen wagte. Wir sind an der richtigen Stelle, wir brauchen nichts zu tun, als die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen als die Flüchtlinge. Dann werden wir gewiß auf unsere Landsleute stoßen. Aber betreten wir die Straße nicht. Wir könnten Kriegern begegnen oder Leuten, denen unsere Marschrichtung auffällt und verdächtig erscheint. Das wäre vielleicht unser Ende." "Gut", sagte die energische Gül-Gül, "wenn du es erlaubst Prinzessin, werde ich uns führen. Wir bleiben außer Sichtweite der Straße." "Führe uns", bat Nif-Iritt, "bringe uns sicher zu den Ägyptern. Ich will dich belohnen, sobald wir wieder am Hofe des Pharao sind." Gül-Gül setzte sich an die Spitze des Zuges. Sie hielt Nimbur an der Rechten und blieb mit ihm unausgesetzt im Gespräch. Er fragte nach jeder geringsten Kleinigkeit und es wurde nun tatsächlich so, daß sie beide eine Einheit bildeten. Sein Verstand und ihr Augenlicht ergänzten einander. Die Prinzessin war langer, nächtlicher Wanderungen ungewohnt. Der kleine Zug stolperte über Erdschollen, Kaninchenlöcher und allerlei Hindernisse und Nif-Iritt klagte bald über Fußschmerz und Müdigkeit. Aber Nimbur packte sie bei ihrem Ehrgeiz und vor allem bei ihrer Furcht, von den Atlantern überrascht zu werden. Sie waren erst dann gerettet, wenn sie die Spitze der ägyptischen Heersäule erreicht hätten. Plötzlich hörten sie im Dunkel der Nacht, aus der Richtung der Hauptstadt kommend, unheimlich röhrende Laute. Der Boden schien neuerlich zu erbeben. Und dann sahen sie in breiter Schwarmlinie dahineilend und sie überholend die Schatten riesiger, unheimlicher Tiere, auf deren Rücken seltsame kleine Türme schwankten. Es waren Kampfelefanten der Atlanter, welche Alwa den anstürmenden Ägyptern entgegenschickte, um sie aufzuhalten. "Wir geraten mitten in eine Schlacht", sagte Nimbur besorgt. Nif-Iritt hatte noch nie Elefanten gesehen. Die gewaltigen Tiere mit ihren drohend erhobenen Rüsseln und ihren Stoßzähnen flößten ihr Furcht und Schrecken ein. "Sie werden unsere Landsleute niedertrampeln", bangte sie, "wer weiß, was für schreckliche Waffen die Atlanter noch gegen sie einsetzen werden!" "Weiter, trotzdem weiter", drängte Nimbur. "Je weiter wir von der Hauptstadt fort sind, um so besser ist es. Bis jetzt hat man uns noch nicht gefunden, aber sicher suchen sie uns schon. Wahrscheinlich würden sie uns töten, als den Ägyptern ausliefern. Und so hasteten sie weiter ihres Weges. Plötzlich blieb Gül-Gül stehen. Halt", flüsterte sie, "hört ihr nichts?" Sie hielten an und lauschten. Jenseits eines Hügels, der in der Nacht dem Rücken einer riesigen Schildkröte glich, hatte sich ein fürchterlicher Lärm erhoben, dessen Laute der Wind bis hierher trug. Offenbar waren dort die Elefanten der Atlanter mit dem ägyptischen Heer zusammengestoßen. "Wir müssen einen Bogen schlagen", rief Nimbur. "Wir müssen versuchen, das Schlachtfeld zu umgehen und die Flanke der Ägypter zu erreichen." Keine Zeit war zu verlieren, denn sicher würden die Ägypter vor dem ebenso unerwarteten wie ungewohnten Gegner zurückweichen. Die vier Menschen begannen zu laufen. Auch Nif-Iritt biß die Zähne zusammen. Es ging um ihre Freiheit, um ihr Leben. Keuchend und die letzte Kraft aus ihren Lungen pressend, umgingen sie den Hügel in einem Zeitraum von über einer Stunde. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Im Osten färbte sich der Himmel bereits hell. Im fahlen Licht des dämmernden Tages bot sich ihnen ein schreckliches Bild. Immer noch war die Schlacht nicht entschieden, doch die Elefanten, auf deren Rücken durch Aufbauten gedeckte Bogenschützen saßen, waren eine fürchterliche Waffe. Sie faßten ihre Gegner mit den Rüsseln und schleuderten sie durch die Luft, trampelten kurz und klein was ihnen in den Weg kam und das ägyptische Heer befand sich in dauernder, wilder Fluchtbewegung. Unterdessen führte Alwa aus dem Gebiet der Stadt und aus der Umgebung derselben durch Stafetten herbeigeholte Truppenverstärkungen heran. Das wußten Nif-Iritt und Nimbur noch nicht. Aber sie sahen trotzdem, daß keine Zeit zu verlieren war. Sie umgingen das Schlachtfeld, bis sie weit hinter demselben Tach-Hamons Befehlsstand erblickten. In seiner Nähe wurden sie von ägyptischen Soldaten aufgegriffen, die nicht wenig überrascht waren, sich in ihrer Muttersprache angeredet zu hören. Man hielt die vier für atlantische Spione. Doch Nimbur verlangte energisch, vor den Befehlshaber gebracht zu werden. Tach-Hamon hatte im Augenblick allerdings andere Sorgen. Er hatte um ein Haar den Befehl gegeben, die Gefangenen zu liquidieren, als er Nimburs lautes Schreien hörte, welches verkündete, daß es Prinzessin Nif-Iritt sei, die hier zu den Truppen ihres Vaters geflohen wäre. "Nif-Iritt?" rief Tach-Hamon. "Bringt mir die Leute, rasch! Wenn sie es wirklich sind, so ändert das alles!" Immer näher kam der Lärm der Schlacht. Die Ägypter wichen zurück. Einige der Elefanten waren durchgebrochen und tauchten plötzlich in gefährlicher Nähe des Befehlsstandes auf. * In wilder Hast jagte ein Reiter durch die Bergschluchten und durch die Serpentinenstraßen aufwärts, die nach dem Kupferbergwerk führten. Er fiel fast von dem schäumenden Pferd, als sich vor ihm das Tor öffnete. "Der Prinz!" rief er, "wo ist der Prinz? Ich komme von Hauptmann Alwa!" Der Prinz befand sich gerade im Felsendom, in dem bis vor kurzem noch Erz geschürft worden war und wo Rostan jetzt an der Verwirklichung seiner phantastischen Einfälle arbeitete. Der völlig erschöpfte Bote wurde zu Torgo gebracht. "Herr", rief er noch immer atemlos, "deine Hauptstadt ist in Gefahr!" "Was ist geschehen?" fragte Torgo erschrocken. "Fremde Schiffe sind gelandet und haben Krieger an Land gesetzt. Wir sind mitten im Kampf und bedürfen Deiner!" "Wie war das möglich?" fragte Torgo erstaunt, "wie konnten sie landen, ohne daß sie vernichtet wurden?" "Sie stehen mit bösen Mächten im Bunde. Unsere Schiffe haben sie gar nicht gesichtet." "Du erzählst Märchen!" "Nein Prinz, es ist so wie ich sage, wir bedürfen Deiner, die Hauptleute sandten mich, dich zu benachrichtigen, daß du sogleich nach der Hauptstadt kommen mögest." "Sind der Angreifer viele?" "Es scheint so. Und noch etwas Schlimmes hat sich ereignet. Die gefangene Prinzessin ist verschwunden. Man hat alles nach ihr und ihren Leuten abgesucht, sie aber nicht finden können. Die Hauptleute befürchten, daß es ihr gelungen ist zu den feindlichen Truppen zu gelangen." Torgo ließ einen Ausruf des Zornes hören. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Kaum kehrt man der Stadt den Rücken" rief er, "passieren die schlimmsten Dinge." "Es wird wohl nichts anderes übrig bleiben Herr", meinte Jargo begütigend "als daß wir unverzüglich die Rückreise antreten." "Das ist leider notwendig", erklärte Torgo. "Aber ebenso nötig erscheint es mir, daß man die Arbeit hier fortsetzt. Nach dem was ich gesehen habe, kann man ohne Verzug damit beginnen. Rostan, ich beauftrage dich, so rasch als möglich eine Anzahl von Spiegeln herzustellen. So viele als nötig sind, um die Insel nach allen Seiten hin zu beherrschen." Rostan verbeugte sich. Der Prinz eilte davon, von Jargo und dem Boten sowie Numrod begleitet, während Rostan und Nebussor in der Felsenhalle zurückblieben. "Der Prinz ist schlechter Laune, das ist gewiß", konstatierte Nebussor. "Aber ich an seiner Stelle wäre es ebenso, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand." Tach-Hamon war nichts anderes übrig geblieben, als seine Truppen zurückzunehmen. Während eine starke Nachhut kämpfend den Rücken deckte, erreichte das Gros der Ägypter wieder die Galeeren und schiffte sich ein. Das Ziel der Expedition - die Befreiung Prinzessin Nif-Iritts - war dank der tätigen Mithilfe derselben und ihres Anhanges gelungen, wenn es nur gelang, nun auch heil wieder von den atlantischen Gewässern fortzukommen. Tach-Hamon klang noch immer die schreckliche Erzählung des griechischen Schiffskommandanten Menelaus von der brennenden Feuersonne der Atlanter in den Ohren, welche fast die gesamte Flotte König Telaus vernichtet hatte. Bis jetzt waren sie diesem Schreckgespenst noch nicht begegnet. Aber der ägyptische Feldherr beobachtete mit Sorge das Höhersteigen des Tagesgestirns und gab so bald es möglich war, Befehl in See zu stechen. Eine letzte, zurückbleibende Galeere sollte die Nachhut aufnehmen. Tach-Hamon gab diese Galeere verloren und es sollte sich zeigen, daß er recht hatte. Hauptmann Sarga hatte mit der atlantischen Flotte die Insel auf der Suche nach dem Landeplatz der Ägypter zu umfahren begonnen und sichtete schließlich in großer Entfernung, schon fast am Horizont, die in eiliger Fahrt das Weite suchenden Galeere. Auf Tach-Hamons Galeeren stöhnten die auf den Ruderbänken festgeketteten Sklaven unter den Peitschen der Aufseher. Der Takthammer des Aufsehers trommelte einen unbarmherzigen Rhythmus. Sie wußten aber selbst, daß ihr eigenes Leben von der Schnelligkeit der Schiffe abhing und gaben ihr Letztes. Tach-Hamon stand voll Sorge neben Nif-Iritt unter einem auf Deck errichteten Baldachins, sie sahen die ungastliche Insel in der Ferne verschwinden und Nif-Iritt wurde dabei leichter ums Herz, nicht aber Tach-Hamon, dessen scharfe Augen sehr wohl bereits die atlantischen Schiffe erspäht hatten. "Schneller, schneller!" rief er in den Ruderraum hinab", ich sehe sie schon kommen!" Sarga hingegen war beim Anblick der fliehenden ägyptischen Flotte vom Jagdeifer gepackt worden. "Setzt volle Segel!" rief er, "setzt alles Tuch das ihr habt, wir müssen sie einholen!" Aber der Wind war an diesem Tage nicht bei Laune, die Unternehmungen der Atlanter zu unterstützen und so mußten auch diese zu den Rudern greifen, was die Krieger höchst ungern taten. Dennoch näherten sich die kleineren, wendigeren Schiffe der Atlanter bald den plumpen, großen Galeeren. Sarga fand es an der Zeit, Rostans Wunderwaffe einzusetzen, als er sich seiner Meinung nach den Ägyptern genügend genähert hatte. In diesem Augenblick fuhr die letzte der Galeeren vom Lande ab und kreuzte den Kurs der Atlanter. An Land sah sich ein Rest der Ägypter der Vernichtung preisgegeben. Sie wurden durch Alwas Truppen erbarmungslos niedergemacht. Die Atlanter schrien und winkten begeistert ihren Schiffen zu, die Galeere aber versuchte, daß sie möglichst viel Raum zwischen sich und dem Lande brachte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Dort vorn, seht das Schiff der Feinde", rief Sarga, "das müssen wir haben, wir jagen diese Beute!" Er gedachte, mit ihr einen verheißungsvollen Anfang zu machen, und gab Befehl, den Spiegel auf die Galeere zu richten. Es war ein Zufall, daß sein Schiff in der Richtung der Sonnenstrahlen fuhr und infolgedessen der Spiegel. versagte. Sarga stieß wilde Rufe aus und gab die Schuld dem Bedienungspersonal, das seiner Meinung nach von Rostan und Nebussor nicht genügend geschult worden war. "Jetzt, da man ihn braucht ist er nicht zur Stelle", rief er wütend. "Seine Erfindung taugt nichts!" Die Männer am Spiegel drehten und wendeten ihn nach allen möglichen Richtungen, aber es gelang ihnen nicht, die Galeere in den Brennpunkt zu bekommen. Um dies zu ermöglichen, hätten sie dem Schiff voraus sein und es von der anderen Seite her angreifen müssen, aber das wußten weder Sarga noch seine Männer, da sie die ursächlichen Zusammenhänge zwischen Sonnenstand und Wirkung der Brennspiegel nicht begriffen hatten. Es blieb Sargas Schiffen daher nichts übrig, als die Galeere mit ihren herkömmlichen Waffen anzugreifen. Tach-Hamon erkannte mit einer gewissen Befriedigung, daß die Galeere die Atlanterschiffe aufhalten und ihm daher einen Vorsprung ermöglichen würde. Die Sklaven ruderten bis zur Erschöpfung. Da gab es kein Erbarmen. Es galt das Leben aller, vornehmlich aber das der Prinzessin zu retten. Nimbur, der Blinde, ließ sich laufend über den Stand der Dinge berichten. Er hoffte auf gutes Gelingen, nachdem wie er sagte, das Schwerste, die Flucht aus dem Schloß und die Vereinigung mit den ägyptischen Truppen bereits gelungen war. Die Atlanter hatten unterdessen die schwerfällige Galeere eingekreist, die ihre Ruder eingezogen hatte. Alle Mann standen an den Schleuderbrettern und sobald eines der atlantischen Kampfschiffe sich der Galeere vorwitzig näherte, sausten schwere Gesteinsbrocken hinüber, zerfetzten die Segel und fielen auf Deck. Die Atlanter hingegen hatten Ballen von Werg, die sie in Brand setzten und aufgespießt auf kleine Pfeile, hinüber nach der Galeere sandten. Die taten ihre Wirkung. Bald entstanden Brandherde im ausgetrockneten Holz der Außenwand. Pfeile fielen durch die Luken in den Ruderraum und setzten die angeketteten Sklaven in Schrecken. Pfeile aber trafen auch das Herz manches Ägypters. Der Kampf der Schiffe war bald in vollem Gang. Wilde .Schreie ertönten, mit denen die Anführer ihre Krieger anfeuerten. Das Röcheln Verwundeter erscholl auf den Decks der im Kampf befindlichen Schiffe. Die Atlanter hatten die ägyptische Galeere bald eingekreist und machten sie damit unfähig, sich von der Stelle zu bewegen. Sie war verurteilt, ein grausiges Ende zu erleben. Die Ägypter wußten, was ihnen bevorstand. Aber sie waren gesonnen, ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen, um so mehr als die Atlanter keine Gnade würden walten lassen, wenn sie ihnen etwa lebend in die Hände fielen. Sarga hingegen hatte außer dieser einen Galeere noch jene Schiffe im Auge, welche sich am Horizont entfernten. Das war die Hauptmacht der ägyptischen Flotte und der Hauptmann ahnte, daß sich auch die verschwundene Prinzessin auf einem dieser Schiffe befand. Deshalb wollte er mit dieser Galeere so schnell als möglich fertig werden und er sparte nicht mit Mitteln, sein Ziel zu erreichen. Bald brannte das ägyptische Schiff lichterloh, und als die Verwirrung auf dem feindlichen Schiff am größten war, enterten die Atlanter. Auf dem Deck der Galeere entspann sich ein erbitterter Kampf, Mann gegen Mann. Die Körper der Erschlagenen flogen über die Reling ins Wasser, die Haie schossen von allen Seiten herbei und bald färbte sich der Wasserspiegel blutig.
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Unter Deck versuchten sich die Sklaven vergeblich von ihren Ketten zu befreien. Da stieß eine Stichflamme hinab in den Ruderraum. Die Galeere begann plötzlich zu sinken. Als der Prinz die Hauptstadt erreichte, waren die wildesten Gerüchte über den Einfall der Ägypter im Gange. Niemand wußte etwas Genaues. Man sprach von ungeheuren Verlusten der Atlanter, oder auch von solchen der Ägypter. Man erzählte von einem gewaltigen Sieg, aber auch von vernichtender Niederlage. Im Schloße traf er nur Wusso. Sarga hatte sich an die Verfolgung der ägyptischen Schiffe gemacht und Hauptmann Alwa befehligte die Landtruppen. Auch er war im Feld und dabei, den Feind zu schlagen. Prinz Torgo zweifelte nicht an der unfehlbaren Wirkung von Rostans Wunderwaffe, die er mit eigenen Augen erlebt hatte. Er war der Ansicht, daß es mit ihrer Hilfe auch diesmal wieder zu einem überlegenen atlantischen Sieg kommen müsse, sofern der Spiegel nur rechtzeitig zur Stelle sei und bedauerte es, nicht hier gewesen zu sein, als Sarga abfuhr. Aber wenigstens bei den Landtruppen wollte er sein und so brach er sogleich mit Jargo wieder auf, um nach dem Schlachtfeld zu eilen. Züge von Flüchtlingen und die Lager der Verwundeten wiesen den beiden den Weg. Aber früher als er hatte annehmen können, begegnete er den heimwärts ziehenden Truppen Alwas und ihren Mienen sah er an, wie die Begegnung mit den Ägyptern ausgegangen war. Dann traf er Alwa selbst. "Ihr hättet dabei sein müssen, Herr", rief Alwa. "Wir haben sie vernichtet! Sie haben gekämpft wie die Löwen, aber zur Stunde gibt es keinen lebenden ägyptischen Krieger mehr auf atlantischen Boden!" "Aber die Prinzessin?" fragte Jargo. "Die ist freilich fort", antwortete ihm der Hauptmann, indem seine Miene merklich an Begeisterung verlor, "sie ist mit einem der Schiffe auf und davon. Wir haben es nicht verhindern können. Ich glaube aber, daß auch die Schiffe nicht weit kommen werden" "Du zählst auf Sarga?" meinte Torgo. "Gewiß doch! Wir haben es von Land aus gesehen, wie er mit einer der Galeeren fertig wurde. Gab das einen Regen von Pfeilen, Schwefel und Pech! Und als sie dann die Galeere enterten, hörte man das Geschrei bis weit an Land..." "Enterten?" Der Prinz war erstaunt. "Ja, hat er denn die Galeere nicht aus der Entfernung in Brand gesetzt?" "Aus der Entfernung? Nein, Prinz. Sie schossen zwar mit brennenden Pfeilen hinüber, aber die Ägypter taten alles, um die Flammen wieder zu löschen." "Da stimmt doch etwas nicht", sagte Jargo bedenklich. "Es sieht so aus Herr, als ob Rostans Erfindung diesmal versagt hätte." "Gewiß haben sie den Spiegel nicht richtig bedient", vermutete Torgo. "Rostan hätte mit dabei sein müssen. Nun entkommt womöglich die Prinzessin!" "Gräme dich nicht um sie, Herr", meinte Alwa einfältig. Der Prinz warf ihm einen wütenden Blick zu. Ich gräme mich gewiß nicht um Nif-Iritt", sagte er, "aber die Lage bereitet mir Sorge. Die Griechen haben wir in die Flucht gejagt und die Ägypter für dieses Mal auch, wie ich sehe. Aber wer sagt uns, daß sie nicht wieder kommen? Offenbar haben sie ihr Ziel erreicht und sie haben gewiß auch gesehen, daß wir Atlanter nicht unverwundbar sind." Alwa lachte behäbig. "Was das betrifft Herr, so mach dir nur keine Sorgen. Gewiß, wir haben Verluste, aber es ist mehr ägyptisches Blut geflossen als unseres. Ich denke, es wird ihnen der Appetit vergangen sein, so bald wieder nach Atlantis zu kommen. Und noch sind sie nicht daheim. Sarga ist ihnen auf den Fersen und die See geht hoch, seit die Erde bebte." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Ja, es liegt ein Unheil in der Luft", fand auch Jargo. "Die Sonne ging heute morgen auf hinter einem seltsamen, düsteren Schleier. Und sieh die Vögel an: noch ist nicht die Zeit ihres großen Fluges, aber sie sammeln sich und fliegen kreischend und in Schwärmen über das Land, als wollten sie sich jetzt schon aufmachen." Eben wieder flog ein Zug Kraniche in tiefem Flug über das Feld. Ihr schwerer Flügelschlag rauschte und vermengte sich mit dem fernen Donner der Brandung. Hauptmann Alwa schützte mit der rechten Hand seine Augen gegen die Sonne und schaute gegen den Himmel. "Du hast recht", bestätigte er erstaunt. "Ich habe noch gar nicht darauf geachtet. Das ist kein gutes Zeichen." "Aberglaube", erklärte Prinz Torgo verärgert. "Oh, Herr", sagte Alwa, "ich war dabei, als dein Vater sein Reich verfluchte. Mögen die Götter diesen Fluch gnädig von unseren Häuptern abhalten." "Die Vögel sind noch immer unruhig wegen des Bebens", meinte Torgo. "Das ist nur natürlich. Wenn die Erde zittert, wird das Getier unruhig. Die Mächte der Tiefe regen sich." "Und diese Mächte können uns vernichten, Herr." "Aber das Beben ist vorbei und du siehst, wir leben noch", erklärte Torgo zuversichtlich. Ein langer Zug Verwundeter näherte sich schleppenden Schrittes und zog über die Straße dahin. "Die Schwerter der Ägypter fürchte ich mehr", fuhr Torgo fort. "Ich sehe, sie sprechen eine deutliche Sprache. Aber für diesmal sind sie vertrieben. Wäre ich doch nur auf See, um zu erleben, wie es Sarga mit den Galeeren ergeht!" * Die Schiffe Sargas hatten die Verfolgung der Ägypter mit vermehrtem Eifer wieder aufgenommen. Die Galeeren waren langsam und schwerfälliger. Tach-Hamon hatte wohl einen kleinen Vorsprung gewonnen dadurch, daß sich die Atlanter mit dem letzten seiner Schiffe beschäftigt hatten, aber dieser Vorsprung schwand nach und nach und die Kräfte der Rudersklaven erlahmten. Tach-Hamon sah, daß ihm nichts anderes übrig blieb, als sich zum Kampf zu stellen. "Du willst sie erwarten?" rief Nif-Iritt. "Bist du toll? Wir werden alle des Todes sein, ich mit euch! Die Fische werden uns fressen! Rudert schneller, damit sie uns nicht einholen!" "Die Bauart unserer Schiffe läßt ein größeres Tempo nicht zu", erklärte Tach-Hamon. "Dann mach es wie vorhin. Laß eines der Schiffe zurück." "So würde ich sie nach und nach alle verlieren und zuletzt doch selbst daran glauben müssen. Nein, es hilft nichts, die Seeschlacht ist nicht zu vermeiden." Er dachte einen Augenblick lang daran, Nif-Iritt mit einem der Schiffe allein ziehen zu lassen, aber dann kam er davon ab. Er wollte und durfte seine Kampfkraft nicht vermindern. So formierte er seine Schiffe zu einem Keil, dessen Spitze den Feinden zugewendet war und fuhr nunmehr in gemächlichem Tempo weiter, die Atlanter erwartend. Immer noch hatte er die Wirkung ihrer Wunderwaffe nicht kennen gelernt, ja er hatte sogar den Glauben an die Existenz einer solchen verloren. Die Götter mochten wissen, was den griechischen Schiffen widerfahren war. Er selbst hatte die Atlanter als handfeste Seeleute kennengelernt und als nichts weiter. Doch er erinnerte sich, einen merkwürdigen Aufbau auf dem Flaggschiff der Atlanter gesehen zu haben, dessen Zweck und Sinn er nicht begriff. Ob das etwa die geheimnisvolle Wunderwaffe gewesen war? Er sah am Horizont die näher kommenden atlantischen Schiffe. Sie wuchsen mit der sich verringernden Entfernung. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Man konnte berechnen, wie lange sie brauchen würden, bis sie in so großer Nähe waren, daß der Kampf beginnen konnte. Es würde nicht mehr allzu lange dauern. "Rüstet euch zum Kampf", befahl er seinen Männern, "macht das Pech heiß, richtet die Schleudern - sie kommen!" Nif-Iritt sah das Herannahen der atlantischen Flotte mit schreckgeweiteten Augen. "Wie weit sind sie noch?" fragte Nimbur, neben ihr stehend, mit unbewegtem Gesicht. "Sie werden in Kürze bei uns sein", antwortete die Prinzessin, "sie sind nur noch zwanzig oder dreißig Schiffslängen von uns entfernt." "Dann mögen die Götter uns schützen", murmelte Nimbur. "Geht hinab", befahl Tach-Hamon. "Ihr habt jetzt an Deck nichts zu suchen. Hier wird es bald heiß genug hergehen." "Ich will bleiben", meinte Nimbur. "Ein Blinder im Kampfgetümmel? Nein, du gehst. Hier auf dem Schiff bin ich Herr und ich befehle dir, die Prinzessin hinab in die Kajüte zu bringen. Geht alle in die Kajüte und verschließt sie gut. Verrammelt die Türe." "Und wenn wir sinken?" fragte Nif-Iritt. Tach-Hamon deutete auf die Haie, die das Schiff umschwammen. "Dann gibt es keine Rettung", antwortete er. "Doch wir wollen nicht das Schlimmste befürchten. Wir werden uns wehren und ihnen die Zähne weisen!" Nimbur nickte. "Wir tun, wie du gesagt hast. Komm, Prinzessin, führe mich." Von Sil und Gül-Gül begleitet stiegen sie die Holztreppe ins Schiffsinnere hinab. Gül-Gül wandte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf die atlantischen Schiffe, von denen bereits das wilde Angriffsgeschrei herüberklang. Der Keil der Ägypter hielt dem atlantischen Ansturm stand. Die atlantischen Schiffe mußten sich teilen und wurden in ihrer Formation durch den Keil nach zwei Richtungen hin auseinander gedrängt. In langsamer Fahrt glitten sie die Galeeren entlang und ein Hagel von Pfeilen ergoß sich nach hüben und drüben. Wurfspeere folgten, wo sich ein Ziel bot. Nach dieser ersten Vorbeifahrt formierten sich die Atlanter neu. Sarga hatte die Strategie der Ägypter durchschaut und wollte den Keil brechen, sie waren am offenen Ende der Keilspitze angelangt, die ihnen entgegen starrte, wie eine zum Zuschnappen aufgesperrte Zange. Die atlantischen Schiffe wendeten und fuhren in diese Zange hinein, in dem Bestreben, die Spitze zu sprengen und ihrerseits die Ägypter auseinander zu drängen. Aber hinter ihnen schloß sich die Zange, und bald krachte Holz an Holz, Bordwand an Bordwand. Die Ägypter enterten zuerst. Sie waren an roher Gewalt den Atlantern überlegen und standen ihnen zahlenmäßig nicht viel nach. Nif-Iritt und Nimbur hörten in ihrer verrammelten Kajüte das Klirren der Schwerter, sie rochen Pech und feurigen Dampf und glaubten, daß das vergebens gewesen und das Ende nahe sei. Der Boden des Verdecks dröhnte unter den Tritten der Kämpfenden, denn die Atlanter hatten ihrerseits die ägyptischen Schiffe betreten. Sie sprangen in kühnen Sätzen von Bord zu Bord und machten nieder, was ihnen in den Weg kam und nicht schneller war als sie. Es war ein furchtbarer Kampf. Wohlweislich hatte Tach-Hamon den Abstieg zu den Kajüten durch eine starke Bedeckung sperren lassen. Der Abstieg war verhältnismäßig leicht zu verteidigen und bald verblutete vor ihm eine Anzahl Atlanter. Mehrere der Schiffe brannten. Dennoch wurde auf ihnen weiter gekämpft. Nach einer Stunde erbitterten Ringens war die Schlacht noch nicht entschieden. Nach drei Stunden aber befanden sich drei der ägyptischen Schiffe, darunter das Flaggschiff, bereits auf der Weiterfahrt. Eines brannte am Ort der Seeschlacht aus, die Überlebenden hatte man (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
übernommen. Die Atlanter hatten sich schließlich mit starken Verlusten aus der Umzingelung befreien können. Ein kläglicher Rest von vier Kampfschiffen voller Verwundeter kehrte vor Anbruch der Nacht geschlagen in den Hafen zurück. * "Wann hat man je gehört, daß sich die atlantische Flotte hätte schlagen lassen?" Torgo fragte es wütend. Die Ratsversammlung war zusammengetreten und die drei Hauptleute, ebenso die Ältesten, saßen ihm gegenüber. "Herr", verteidigte sich Sarga, "die Ägypter kämpften wie die Löwen." "Aber ihr hattet Rostans Wunderwaffe, mit ihr hättet ihr euch gar nicht auf einen Kampf einzulassen brauchen! Warum habt ihr denn keinen Gebrauch von ihr gemacht?" "Sie leistete uns keine Dienste Herr, sie hat versagt. Wir drehten das Ding nach allen Richtungen, ohne daß es Feuer sandte. Und beim Kampf mit der ersten Galeere wurde sie sodann so schwer beschädigt, daß sie später überhaupt nicht mehr zu verwenden war." "Dieser Rostan muß uns betrogen haben", brummte Wusso. "Er war mir sogleich verdächtig, denn er fertigte das Gold für die Priester an, welche deinen Vater ermorden ließen, Prinz Torgo." "Unsinn!" Torgo schüttelte unwillig den Kopf. "Die Waffe ist wirksam, ich habe es selbst erlebt, auch Sarga und Jargo und mein Freund Prano waren mit dabei. Sie alle sind Zeugen dafür, daß wir die griechischen Schiffe in Brand steckten, ohne einen einzigen Pfeil gegen sie abgeschossen zu haben." "Ich weiß es", bestätigte Sarga betreten. "Aber vielleicht ist ein Zauber dabei, den wir nicht kennen und den uns Rostan nicht verraten hat. Laß ihn rufen, Prinz! Er soll uns Rechenschaft geben! Er trägt Schuld an der Niederlage, nicht ich." "Ich aber habe gesiegt", brüstete Alwa und sonnte sich im Glanze des Sieges, den er gegen die Eindringlinge erfochten hatte. "Ganz ohne Wunderwaffe habe ich gesiegt, allein durch meine Überlegung und die Tapferkeit meiner Männer!" "Ja, wir wissen es", antwortete Torgo, "du bist Sieger geblieben und du mußtest es auch, denn sonst stünde wohl in Atlantis kein Stein mehr auf dem anderen. Es ging um unsere Habe, unsere Frauen, Kinder und alten Leute. Ein solcher Überfall auf unser Land hat sich seit Menschengedenken nicht ereignet, er hat uns gezeigt, daß wir wachsam sein müssen, aber auch, daß wir verwundbar sind, verwundbar dort, wo wir es am wenigsten erwartet haben - zur See!" "Das geht gegen mich", ärgerte sich Sarga. "Ja ich weiß, ich habe Verluste gehabt. Aber wir haben zwei der Galeeren versenkt. Die Ägypter werden so bald nicht wiederkommen." "Und wenn sie es doch tun, was dann?" fragte Torgo. "So werden wir zu kämpfen wissen", erklärte Alwa grimmig. Die Ältesten sahen bedenklich drein. "Es stimmt mich bedenklich", sagte Prano, daß alle diese bösen Vorzeichen in die Tage fallen, an denen du die Krone des Reiches auf dein Haupt setzen willst." Torgo saß mit finsterer Miene auf seinem Schimmel. Sie machten zu dritt einen Ausritt nach den Klippen, Torgo, Prano und Jargo. "Aber die Menschen vergessen rasch", erklärte Jargo. "Schau hinab in die Stadt. Sie schwatzen, trinken, tanzen und vergnügen sich schon wieder auf jede erdenkliche Art und haben das Erdbeben und den Krieg schon wieder vergessen, kaum daß die Toten unter der Erde sind." "Wohin sind die Tage", meinte Torgo trübe gestimmt, "da wir selbst so unbeschwert hinaus nach den Klippen ritten. Die Bürde des Reiches drückt mich, noch ehe ich König geworden bin."
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"Ich weiß es", sagte Prano. "Und ich weiß auch, daß es dir die Hauptleute bis heute nicht verziehen haben, daß du mich und meine Freunde zum Schutz riefst, als in der Hauptstadt Wirren herrschten und der Thron in Gefahr war." "Darum kümmere ich mich nicht", antwortete Torgo. "Manche wollen mir wohl, manche nicht und die Eifersucht der Hauptleute gegen dich und untereinander erscheint mir lächerlich. Niemand hat nötig, um meine Gunst zu intrigieren oder gar gegen jemand Neid zu empfinden. Ich kenne sehr wohl den Wert jedes einzelnen." "Ich weiß", meinte Prano, "und dennoch bitte ich dich, dich vorzusehen. Du bist nicht mehr ungebunden in deinen Entschlüssen, sobald du König bist. Zu viele Interessen stehen auf dem Spiel. Was hast du für Pläne?" "Wir müssen unsere Grenzen sichern. Wir brauchen mehr Krieger und ich habe Befehl gegeben, die jungen Männer einzuziehen." "So bringst du Leid über viele Familien: Du wirst den Vätern die Söhne, den alten Leuten die Ernährer nehmen." "Weißt du einen besseren Rat? Ich habe mit den Griechen und den Ägyptern zu rechnen. Es ist ein schlimmes Erbe, daß mir mein Vater nebst seinem Fluch hinterlassen hat." "Der Fluch galt nicht dir Torgo", wandte Jargo ein. "Das weiß ich. Aber er trifft mich wie alle anderen Atlanter. Wollte ich werben, so gingen wohl einige freiwillig zum Heer. Es gibt überall welche, die eine angeborene Vorliebe für das blutige Handwerk der Waffen hegen oder zu Handel und Handwerk nicht taugen und deshalb ihr Glück beim Heere suchen. Aber ihrer sind zu wenig und jeder von diesen möchte kommandieren. So muß ich die, welche im Notfall bluten werden, gewaltsam zu den Waffen rufen. Die Sicherheit des Reiches gebietet es." "So schiebe es auf bis nach der Krönung", meinte Prano. "Das Volk will sein Fest haben und es ungetrübt genießen." Torgo schüttelte energisch den Kopf. "Die Befehle sind bereits gegeben. Ich verschiebe es keinen Tag länger. Wir müssen den unsicheren Zeiten Rechnung tragen und dürfen nicht nur an unsere Feste denken." "Torgo, Torgo", meinte Prano bedenklich. "Baue nicht zu sehr auf deine Beliebtheit beim Volk. Die Maßnahmen, die du treffen wirst, sind unpopulär. Ein jeder sieht ihre Notwendigkeit ein, solange er nicht selbst von ihnen betroffen wird. Du schaffst böses Blut. Weißt du was man bereits sagt?" "Ich bin nicht neugierig darauf", erklärte Torgo. Auch Jargo wollte es wissen. "Was sagt man?" fragte er. "Man sagt, es sei Bels Rache. Man sagt, das alles sei geschehen, weil du Taaf und Shidra ins Bergwerk verschleppen hast lassen und viele bereuen es, daß sie den Tempel geplündert haben. Hast du ihn schon einmal in den letzten Tagen aufgesucht?" "Nein", antwortete Torgo verwundert. "Ich habe wenig Zeit, mich um Ruinen zu kümmern." "In diesem Falle solltest du es aber tun. Ich rate dir, dir den Tempel noch heute anzusehen. Vielleicht wirst du dich wundern." Sie waren bei den Klippen angelangt und ritten den Strand entlang, bevor sie auf einem Umweg nach der Stadt zurückkehrten. Torgo hatte beschlossen, auf den Vorschlag seines Freundes einzugehen und den zerstörten Bel Tempel zu besichtigen. So ritten sie, noch bevor sie ins Schloß zurückkehrten, auf die Tempelinsel und langten bald vor der Ruine des durch das Erdbeben zerstörten, gewaltigen Bauwerkes an. Der Tempel Bels lag in der Düsternis der Dämmerung. Auf dem Tempelplatz wucherte das Unkraut. Rauchgeschwärzt ragten die Reste der Säulen gegen den Himmel.
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Trostlos war das Bild, ein Hauch von Melancholie lag über die Stätte der Zerstörung gebreitet... Jedes Leben schien den Tempel verlassen zu haben. Und doch regte sich da nicht etwas im Schatten der Säulen, flammte nicht flackernder Lichtschein auf? "Kommt mit", sagte Prano und winkte den Freunden. Sie betraten die Stufen, kletterten über Trümmer von Steinquadern, fanden schließlich einen Weg auf dem sie in die einstige Tempelhalle gelangen konnten, über der sich ein dunstiger, sternenloser Himmel wölbte. Da lagen die Trümmer Bels, des gestürzten Gottes. Sie schienen zu glühen. Der Widerschein unzähliger kleiner Opferlichter wurde von dem metallenen Körper zurückgeworfen, die rings um die Statue auf den nackten Steinboden aufgestellt waren. Es war, als ruhe Bel in einem flammenden Teppich und seine starren, ausdruckslosen Züge gewannen seltsames Leben. Überrascht von dem Anblick blieb Torgo stehen. "Was hat das zu bedeuten?" fragte er. "Bels Anhänger halten an ihrem Glauben fest", sagte Prano leise. "Sie lassen nicht von dem Götzen, sie sagen, alles Unheil das über Atlantis kommt sei Bels Werk, er sei mit Absicht von seinem Thron gestiegen." "Und sie kommen jeden Abend hierher und entzünden die Lichter?" "Es sind nicht immer die gleichen Leute, Torgo. Aber es finden sich immer welche, die es hierher treibt, um heimlich zu opfern und zu beten." Torgo wandte sich schweigend um, um den Tempel zu verlassen und Jargo und Prano folgten ihm. Was er gesehen hatte, war nicht ohne Eindruck auf den Prinzen geblieben. "So tief verwurzelt also ist der Glaube in den Menschen" sagte er sinnend, als sie wieder auf ihren Pferden saßen und deren Schritte über die Brücke hinüber nach dem Palast lenkten. "Vergiß nicht, schon ihre Väter, Großväter und Urväter glaubten an Bel", meinte Prano. "Aber einstmals kannten sie nur Poseidon", erwiderte Torgo. "Niemand weiß, wer den Glauben an Bel aufgebracht hat. Poseidon hob Atlantis aus dem Meere, er allein kann es wieder vernichten." "Poseidon war nackt Herr", warf Jargo ein. "Er kannte nicht Kleidung noch Gold. Aber Bel hat die Begierde nach all dem in ihnen geweckt. Sie waren nicht zufrieden mit dem, was sie hatten. Also begann Bel zu regieren und sie zu beherrschen. Sie verlangten nach mehr, nach immer mehr. Heute hat Bel ihr Sinnen und Trachten erfüllt. Sie kennen keinen anderen Gott außer ihn und der Gedanke an Poseidon ist in den hintersten Winkeln ihres Gedächtnisses verdrängt." "Wenn Poseidon dies alles hat geschehen lassen, dann verdient er es nicht anders", meinte Prano. "Aber auch Bel hat es mit sich geschehen lassen, daß sein Tempel verbrannte und geplündert wurde. Seine Glieder sind zerbrochen und sein Antlitz liegt im Staub. Die Opferflammen machen ihn nicht wieder heil rund richten ihn nicht wieder auf. Bel ist tot und ich will den Atlantern einen neuen Gott geben", erklärte Torgo finster entschlossen, "einen, an dessen Macht sie glauben und vor dem sie zittern sollen." "Einen neuen Gott?" fragte Prano erstaunt. "An wen denkst du?" "An mich selbst." "An dich?" Unwillkürlich hielt Prano sein Pferd an, so daß auch Torgo und Jargo ihre Tiere zügeln mußten. "Was erstaunt dich daran?" fragte Torgo unwillig. "Stammen meine Väter nicht von Poseidon ab? Bin ich nicht ein Atlantide? Halte ich nicht die Macht über mein Reich, über Tod und (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Leben aller meiner Untertanen in Händen?" "Aber du bist ein Mensch wie ich!" wandte Prano ein. "Denkst du?" fragte Torgo, indem er hochmütig seine Lippen verzog. "So vollbringe, was ich vollbringen kann. Auf einen Wink von mir kann ich dich töten oder in den finsteren Kerker meines Reiches werfen lassen." Jargo lenkte sein Pferd in den Schatten. "Versuche es", zischte Prano wütend und ehe sich Torgo und Jargo versahen, war er auf seinem Tier im aufrauschenden Laubwerk verschwunden. "Prano - Prano!" rief ihm Torgo nach. Er mußte sich sagen., daß er zu weit gegangen war. Aber sein Ärger unterdrückte seine Reue. "Herr, du hättest das nicht sagen sollen", meinte Jargo. "Ach was, mag er reiten, wohin er will", rief Torgo wütend und gab seinem Pferd die Sporen. "Er ist ein einfältiger Dummkopf, der sich nicht in meine Gedanken versetzen kann." "Aber er liebt dich, Herr." "Mag er es", rief Torgo geringschätzig. Im Galopp sprengten sie bis vor das Schloß, wo Jargo die Pferde übernahm, während Torgo hinauf in seine Gemächer lief. Das Erlebnis im Tempel und das nachfolgende Gespräch mit Prano hatten ihn, ohne daß er es sich eingestehen wollte, innerlich aufgewühlt und er wollte allein sein, um mit den Empfindungen und vielerlei Gedanken, die ihn bestürmten fertig zu werden. In Gedanken sah er Pranos Miene vor sich, als er ihm offenbarte, daß er sich selbst zum Gott ausrufen lassen wolle. Er hatte ebensoviel Überraschung wie Widerwillen aus Pranos Antlitz gelesen. Unschlüssig sank er auf ein Kissen, er lauschte auf die Stimmen in seinem Inneren und plötzlich vernahm er Rostans Stimme... "Du wirst ihr König sein, Torgo", sagte Rostan, "und mehr als ihr König, ihr Gott! Du hast alle Macht und alles Leben in Händen, wenn du dich meiner Erfindung bedienst!" "Es gibt einen Gott, der größer ist als alle und du wirst vor ihm deine Knie beugen!" Bethsebas Stimme rief es dazwischen. Schrill lachte Torgo auf, verließ seinen Platz und schritt ziellos in das dunkle Gemach hinein. "Ich meine Knie beugen? Niemals!" rief er laut, so daß es von den steinernen Wänden widerhallte. "Knien wird man vor mir, ich bin Torgo, Gott und König der Atlanter!" Er reckte sich auf, als habe er einen unsichtbaren Gegner zu begegnen. Aber da war niemand, der ihm Antwort gab, niemand als die steinernen Figuren, als die in den Marmor gemeißelten Gesichter. Torgo lauschte in die Stille. Es war, als warte er auf etwas. "Ich bin Torgo, Gott und König der Atlanter", murmelte er schließlich, begab sich auf seinen Platz zurück, sank in sich zusammen und starrte in die Dunkelheit. "Ich werde alles haben, alles, was ein Mensch nur besitzen kann, "murmelte er, Reichtum, Macht und Glück?" Torgo glaubte es. Aber er war nicht glücklich, als er es sagte. In seinem Inneren war eine nie gekannte Leere, so trostlos wie der Platz vor dem verwüsteten Tempel Bels. Und die Vögel flogen in kreischenden Schwärmen über Atlantis und fanden keinen Ruheplatz. Und die Brandung des Meeres donnerte unablässig gegen die Klippen in vernichtender Wut. * (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Im Hafen von Hellas stieg ein Orkan brausender Jubelstimmen gegen den Himmel. Die ägyptische Flotte war eingelaufen, gemeinsam mit den beiden griechischen Schiffen, welche den Kampf überlebt hatten. Freilich gebührte aller Ruhm Tach-Hamon. Er hatte über die Atlanter gesiegt und er brachte die Prinzessin nach Griechenland, König Telaus junge Braut. Die Berichte der griechischen Seeleute wußte sich niemand zu erklären. Die Ägypter hatten keine Wundersonne gesehen, das Feuer auf ihren Schiffen war durch gewöhnliche Brandpfeile und durch brennende Werchbündel, welche die Atlanter an Bord geschossen hatten, entstanden und durch sonst nichts. Aber die Erzählungen der Griechen waren in allen Punkten so übereinstimmend, daß man schließlich den Verlust fast der gesamten griechischen Flotte den Künsten böser Dämonen zuschrieb, welche an der Seite der Atlanter gekämpft hatten. Es gab viele Mütter, welche ihre in den Kampf gegen Atlantis gezogenen Söhne betrauerten. Aber ihr Leid ging unter in dem Jubel über die Ankunft der künftigen Königin. König Telaus hatte einen mächtigen Teppich über die Treppe des Palastes legen lassen und ging Nif-Iritt bis an die unterste Stufe entgegen. Krieger säumten die Straße, welche der Zug nahm und hielten die Menge zurück, die sich drängte und jubelnd schrie, als die Sänfte mit Nif-Iritt herangetragen wurde. Es war Nef-Natons Werk. Aber GülGül suchte vergebens nach Nef-Naton. Auch er lebte nicht mehr. Nif-Iritt entstieg der Sänfte und Tach-Hamon reichte ihr die Hand, um sie dem König zuzuführen. Hinter ihnen gingen die beiden griechischen Kapitäne. Reros blickte finster vor sich hin. Tach-Hamons Triumph war seine Niederlage. Er dachte, wie es wohl gewesen wäre, wenn er oder einer der anderen Griechen jetzt an der Stelle des Ägypters hätten sein können. "Dies ist Telaus, unser König", sagte einer der Würdenträger, auf den König weisend. "König", rief Tach-Hamon, so laut, daß es alle hören konnten, "hier bringe ich dir Nif-Iritt, die jüngste Tochter meines Herrschers, welche er dir zur Frau versprochen." Telaus nickte ihm gnädig zu, dann wandte er seine Blicke voll auf Nif-Iritt. "Sei willkommen in deinem künftigen Königreich", erklärte er. "Das Volk der Hellenen, das dir heute zujubelt, wird dich morgen lieben, wenn du an meiner Seite auf dem Thron dieses Reiches sitzen wirst." Er reichte ihr die Hände, in welche sie die ihren legte. Wieder brandete der Jubel des Volkes gegen die Säulen des Palastes. "Hoch! Hoch der König und die Königin!" riefen sie. Nif-Iritt schien es nicht zu hören. Ihre Blicke glitten abschätzend über Telaus und wenn ihm ihr Anblick Wohlgefallen einflößte, so empfand sie keineswegs dasselbe. Unwillkürlich dachte sie an Torgo und dieser Vergleich fiel nicht zu König Telaus Gunsten aus. Aber ihr blieb jetzt keine Zeit zu Überlegungen. Sie mußte etwas sagen. Erwartungsvolle Stille war dem brausenden Jubel gefolgt, alle Blicke waren auf sie gerichtet. "Ich freue mich, endlich hier zu sein", sagte sie nach kurzem Nachdenken. Und diese Worte lösten neuen Jubel aus. Von dem Dache des Tempels flog ein Schwarm weißer Tauben auf, kreiste über dem Platz und verschwand dann über den Hügeln jenseits der Stadt. "Mögen diese Tauben dem Pharao Kunde bringen", rief Telaus, "daß du in Hellas gelandet bist und daß dein Einzug ein glücklicher war. Komm mit in meinen Palast. Ehe siebenmal die Sonne die Dächer des Tempels vergoldet, sollst du Königin und meine Gemahlin sein. Er reichte Nif-Iritt die Hand zur Hilfe und an seiner Seite stieg sie die Stufen empor, während das Volk auf dem Platz jubelte und schrie. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Man hörte die Stimmen noch wie einen fernen, brausenden Orkan, als Nif-Iritt und Telaus längst allein in einem Gemach des Königs einander gegenüberstanden. "Es wird dir bei uns gefallen" sagte Telaus, der wohl die Reserve merkte, die sich Nif-Iritt auferlegte. "Du wirst dich bei uns schneller eingewöhnen als du denkst." "Ich hoffe es", antwortete die Prinzessin. Immer wieder ruhte ihr Blick auf Telaus und sie fragte sich, wie sie es wohl über sich bringen werde, ihr Leben mit ihm zu teilen. "Es ist schön bei uns", erzählte Telaus. "An den Hängen unserer Hügel reifen die Trauben. Saftige Oliven gedeihen in unseren Hainen. Kunst und Kultur stehen in hoher Blüte, wir haben Dichter, Sänger und Männer, die miteinander wetteifern in der Geschicklichkeit ihres Körpers. In den Häusern unserer Patrizier treffen sich hochgesinnte Männer, welche den Rätseln des Lebens nachsinnen und ihrer Weisheit zu lauschen ist ein Genuß. Wir haben Theater, in denen Spiele abgehalten werden. Tausende von Menschen füllen sie, um zuzusehen. Du wirst dies alles kennenlernen, Nif-Iritt." "Ich bin darauf begierig", antwortete sie. Aber König Telaus hörte wohl, daß es nicht echt klang. Er überlegte kurz und glaubte dann zu verstehen. "Du bist müde von der Reise", sagte er, "und willst gewiß ruhen. Es war falsch von mir, dich mit meinen Erzählungen zu langweilen, umso mehr, als dir deine eigenen Augen viel besser alles zeigen werden, als mein Mund es dir zu schildern vermag. Dienerinnen werden dir deine Gemächer weisen. Gehe hin und ruhe dich aus. Wenn du mich zu sehen begehrst, so laß es mich wissen." Nif-Iritt nickte erleichtert. "Ich tue, wie du sagst", sagte sie, neigte ihr Haupt ein wenig und folgte dann den Dienerinnen, welche der König durch ein Klatschen seiner Hände herbeigerufen hatte. Telaus Blicke folgten ihr mit Wohlgefallen. "Ich bin ein Glückspilz", murmelte er vergnügt. "Ich habe mit einem Schlag einen wertvollen Verbündeten und eine reizende Frau gewonnen. Sie ist noch fremd und schüchtern. Aber hat sie sich erst eingewöhnt, wird es ein vergnügtes Leben für uns beide werden!" So dachte König Telaus, nicht aber Nif-Iritt. Die Tochter des Pharao schritt durch die fremden, kalten Gänge des griechischen Königspalastes, bis sie die Räume erreicht hatte, in denen sie bis zur Hochzeit wohnen sollte. Diese Räume waren schon vor Monden für die Prinzessin hergerichtet worden. Ihre Bewohnerin kam spät, später als man hatte erwarten dürfen. Als Nif-Iritt ihre Gemächer betrat sah sie, daß König Telaus mit nichts gespart hatte, um ihr Wohlgefallen zu erringen. Die Räume waren mit erlesenem Geschmack und Reichtum ausgestattet. Kostbare Teppiche und Vorhänge, Schalen aus Gold, mit verlockenden Früchten gefüllt, weiche Ruhelager harrten der Prinzessin und der Blick auf die Stadt, den Hafen und das unendliche, tiefblaue Meer das sich bis zum Horizont erstreckte, war von solcher Schönheit, daß sie einen leisen Ausruf des Staunens nicht unterdrücken konnte. "Hast du je schon so etwas Wunderbares gesehen, Prinzessin?" fragte Gül-Gül, welche sich gleichfalls an dem Anblick weidete. "Es ist wunderschön!" "Ja, es ist wunderschön, Herrin", meinte auch Sil, "ganz anders als in Atlantis, wohin uns die bösen Mächte verschlagen haben. Ich glaube, hier läßt es sich leben!" Sie schwieg verwundert, als sich Nif-Iritt ohne ein Wort zu antworten vom Fenster abwandte, eines der Ruhelager aufsuchte und sich dort niederwarf. Gül-Gül und Sil kamen besorgt näher. Die Prinzessin hatte ihren Kopf in die Kissen vergraben und die beiden Dienerinnen glaubten, ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. "Fehlt dir etwas, Herrin?" fragte Sil besorgt.
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"Meine Heimat", stieß Nif-Iritt hervor, "meine Heimat fehlt mir, mein Vater, meine Mutter, meine Schwester... All dies ist mir fremd! Ja, es ist schön, aber es ist nicht das Haus meiner Kindheit, ist nicht mein Land. Wie soll ich diese Menschen, diesen Mann, dieses Hellas lieben, wenn es mir fremd ist!" Sie stieß es hervor und richtete sich auf. Sil und Gül-Gül erkannten, daß sie Tränen in den Augen hatte. Die beiden Frauen verstanden sie wohl. Auch ihnen war die Heimat genommen worden und man hatte sie unter viel schlimmeren Umständen in die Fremde, in die Sklaverei der Ägypter gebracht. "Nun", versuchte Sil sie zu beruhigen, "du wirst dich daran gewöhnen. Wir werden hier alles kennen lernen, und eines Tages wird es dir wie eine zweite Heimat sein..." "Nie", rief Nif-Iritt, "niemals... Oh, wie sehne ich mich nach der wärmenden Sonne Ägyptens!" Leichte Schritte wurden laut. Eine junge Griechin in ihrem weiten, faltenreichen Gewand erschien. "Ich bin Helena, Herrin", nannte sie ihren Namen. "Der König schickt mich, dir zu dienen. Wünschest du Speisen, hast du Durst? Steht dein Sinn nach Musik und Gesang?" "Nein", antwortete Nif-Iritt. "Nach all dem steht mein Sinn nicht. Ich möchte ruhen, nichts weiter." Die Griechin nickte. "Rufe mich, wenn du meiner bedarfst", sagte sie und entfernte sich wieder. Und Nif-Iritt blieb mit Sil, und Gül-Gül allein. * "Seit Urzeiten schon haben die Schildkröten diesen Strand aufgesucht, um ihre Eier hier in den Sand zu legen", erzählte der Fischer Arman, "und wir sammelten diese Eier ein. Sie sind eine große Delikatesse und es blieben noch genug übrig, Tausende und Abertausende. Der heiße Sand brütete die jungen Schildkröten aus, und dann krabbelten sie hinaus ins Meer, wo sie verschwanden. Aber heuer kommen keine Elterntiere. Nicht eine Schildkröte hat sich blicken lassen. Sie müssen einen anderen Weg genommen haben. Seit Menschengedenken ist so etwas noch nicht dagewesen!" "Das ist seltsam, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand", sagte Nebussor verwundert und kratzte sich hinterm Ohr. "Es ist mehr als seltsam, es ist unheimlich", antwortete Arman und verschwand wieder in seiner Hütte. "Was sagst du dazu?" fragte Nebussor seinen Freund Jargo. Die beiden waren an die Küste geritten, um einen Platz zur Aufstellung eines Spiegels ausfindig zu machen, gerade der Schildkrötenstand schien ihnen hierzu besonders geeignet. "Ich kann es mir nicht erklären." "Hast du die Zugvögel beobachtet, die sich jetzt, zur Unzeit bereits zum Flug sammeln? Sie verlassen die Brut in ihren Nestern um fortzufliegen. Ich habe noch nie dergleichen gehört. Wo hat man je vernommen, daß ein Vogelweibchen seine Jungen im Stich läßt?" "Ja, du hast recht", antwortete Jargo. "Es geht etwas vor in der Natur, was die Dinge auf den Kopf stellt. Könnten wir doch die Vögel befragen, sie scheinen mehr zu wissen als wir." "Weiß der Prinz von allem?" "Gewiß weiß er es. Ich habe erst unlängst mit ihm darüber gesprochen. Aber er fürchtet nicht diese Erscheinungen, sondern die Meinung des Volkes, welche durch jene rätselhaften Vorkommnisse hervorgerufen wird. Die Leute sagen, es sei die Rache des Bel." Nebussor lachte. "Die Rache des Bel? Welcher vernünftige Mensch kann so etwas glauben."
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"Es glauben mehr Leute daran, als du denkst Nebussor. Und das ist in der Tat gefährlich. Nun hat die gespannte Stimmung auch auf das Land übergegriffen. Sieh doch den Fischer. Die Städter kümmern sich wenig um die Schildkröten, solange sie nur ihre Eier auf dem Markte haben. Aber die Leute vom Lande leben mit der Natur. Sie sehen die Wirkungen und fürchten ihre Ursachen." "Das ist begreiflich das ist gewiß", fand Nebussor. "Dein Herr scheint dem meinen zu gleichen. Er hat sich in der Tiefe des Bergwerkes vergraben und kennt nichts als seine Spiegel. Um sie fertig zu kriegen, hetzt er Numrods Gefangene zu Tode." "Und was sagt dein Herr zum Versagen seines Spiegels beim Kampf mit der ägyptischen Flotte?" "Er nennt Sarga und seine Leute Esel und Dummköpfe und ich glaube, er hat recht, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand." "Weiß er, weshalb die Spiegel versagten?" "Natürlich weiß er es. Und Sarga weiß es nun auch, er hat es ihm lange genug erklärt und ihm die Arbeitsweise der Spiegel eingetrichtert, als wolle er einem kranken Roß Medizin einflößen. Ich hoffe, Sarga hat es nun endlich begriffen." "Dann wollen wir hoffen, daß sich ein solches Versagen wie unlängst nicht noch einmal wiederholt." "Ich sagte es dir schon, nicht der Spiegel versagte, sondern Sarga und seine Mannschaft, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand." Die beiden machten sich auf dem Heimritt. * Rostan der Erfinder, stand über seine Pläne gebeugt. In der unterirdischen Halle herrschte rege Arbeit, als hätte es das Erdbeben nie gegeben. Auch Taaf und Shidra arbeiteten. Immer wieder fielen ihre Blicke auf Rostan und es war, als ob sie die seinen mit magnetischer Kraft anzögen. "Er kennt uns, aber er will uns nicht kennen", zischte Taaf. "Könnten wir doch nur einmal ein Wort mit ihm sprechen", gab Shidra zurück. Tatsächlich wußte Rostan sehr wohl, daß es die beiden ehemaligen Hohepriester und Diener des Gottes Bel waren, die da ausgemergelt und bis zur Unkenntlichkeit verwandelt, im Schweiße ihres Angesichtes arbeiteten, aber er hatte wirklich keine Lust, sich mit ihnen auf ein Gespräch einzulassen. Anders Numrod. Er fühlte sich zu Taaf ähnlich hingezogen wie seinerzeit zu Nimbur, dem Ägypter. Er ließ ihn öfter zu sich kommen und Taaf verfehlte nie, auf die Macht des Gottes Bel hinzuweisen und was für eine Todsünde der Prinz auf sich geladen habe, indem er die beiden Hohepriester ins Bergwerk verbannte. So erfuhr er vom abergläubischen Numrod auch von den Vorgängen, welche sich außerhalb des Bergwerkes abspielten und er begann, schlau wie er war, sie für seine Zwecke zu nutzen. "Das Volk hat recht, es ist Bels Rache", erzählte er Numrod. "Denke doch nur an das Erdbeben! Viele, die im gleichen Stollen lagen wie Shidra und ich wurden verletzt oder gar getötet. Wir beide aber sind unversehrt geblieben. Bedürfte es noch eines weiteren Beweises um dir zu zeigen, daß wir in Bels mächtigem Schutze stehen?" Numrod brummte verlegen. "Und weshalb, Taaf hat Bel es dann überhaupt zugelassen, daß ihr hinab ins Bergwerk mußtest?" "Auch das kann ich dir sagen. Torgo wäre kein guter König für die Atlanter. Die Zeit der Atlantiden ist vorbei. Eine neue Zeit muß anbrechen, eine Zeit in der auch die Macht im Staate nur mehr von Bel ausgeht. Diese Zeit wird kommen, niemand wird es verhindern können. Dann wird Bel sich derer erinnern, die seinen Dienern Gutes getan haben und es (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
wird das Ende jener sein, die ihre Hand gegen sie erhoben." Dieses Gespräch veränderte manches in Taafs und Shidras Situation. Nicht sogleich, aber allmählich. Sie erhielten gewisse Vorrechte. Numrod ließ sie absondern und ihnen Speisen zukommen. Sein Aberglaube verlangte nach einer Rückversicherung. Wenn Numrod dann mit Rostan zusammentraf und das geschah naturgemäß öfter, brachte er unwillkürlich das Gespräch auf seine beiden neuen Schützlinge. "Eigentlich war es wahrhaftig ein starkes Stück von dem Prinzen, mir die beiden Hohepriester zu schicken, um sie im Bergwerk verschwinden zu lassen." "Er hat ihnen Gnade erwiesen", sagte Rostan, der in Bezug auf die beiden ganz anderer Meinung war als Numrod, "Sie hätten von Rechts wegen den sofortigen Tod verdient." "Glaubst du denn die Anschuldigungen, welche gegen sie erhoben wurden?" "Ich glaube sie nicht nur, ich weiß, daß sie zutreffen. Die beiden Schurken haben sich sogar meiner Hilfe bedient. Ich schaffte ihnen das Gold das sie brauchten." "So solltest auch du jetzt mein Gefangener sein." Rostan lachte, aber das Lachen gefror ihm im Munde. Zu ernst war der Blick der ihn traf. "Du machst einen Scherz", sagte er tadelnd. "Ich habe weder dem König noch dem Prinzen geschadet. Ich wußte nicht, was Taaf und Shidra mit dem Metall vorhatten." "Das sagst du", meinte Numrod überlegen. "Aber wer weiß, ob es wahr ist. Sei still Rostan. Ich habe nichts gegen dich. Mir gehen nur in der letzten Zeit so verschiedene Dinge durch den Kopf. Weshalb arbeitest du so viel für den Prinzen und nicht für dich selbst?" Rostan hielt ein und sah Numrod an. "Wie meinst du das?" fragte er mißtrauisch. "Nun, alle deine Werke dienen fremden Interessen. Dem Prinzen spielst du alle Macht in die Hände. Weshalb willst du nicht selbst herrschen?" "Weil Torgo ein Atlantide ist, ein Nachkomme Poseidons." "Und sind nicht Taaf und Shidra Diener Bels? Sie würden dir dienen und du hättest ihre Anhänger sogleich auf deiner Seite und wer nicht dein Anhänger ist, nun, der wäre bald genug zum Schweigen gebracht." Rostan wandte sich ärgerlich ab. "Was du für verrückte Gedanken hast Numrod", lachte er. "Verrückt? Sind sie das wirklich?" Numrod ging, aber er ließ den Stachel des Zweifels im Herzen Rostans zurück. * Bethseba saß bei Torgo. "Erzähle mir von deinem Gott", befahl er ihr. Sie lächelte. "Du möchtest wissen, ob du ihn zu fürchten hast", sagte sie, "deshalb willst du von ihm hören." "Ich fürchte ihn nicht", entgegnete Torgo. "Ich werde bald selbst ein Gott sein." Bethsebas Lächeln verstärkte sich. "Ich will dir von meinem Gott erzählen und von seinen Werken. Nenne mir dann die Werke, welche du vollbringen willst." "Das will ich tun", antwortete er. Und Bethseba begann. "Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde und alles, was du auf Erden siehst, die Vögel in den Lüften und die Fische in den Gewässern und das Getier auf dem Lande. Und er (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
setzte die Sonne in die brausenden Nebel des Himmels, damit es Licht werde auf Erden und den Mond, damit er die Nächte erhelle und all die ungezählten Sterne des Firmaments. Und als er dies alles geschaffen hatte und fand, daß es gut war, schuf er den Menschen zuletzt, einen Mann und eine Frau. Und sie lebten in einem Land des Glücks und des Friedens, in dem es keinen Tod gab und keinen Haß, keine Krankheit, kein Elend, nicht Plage noch Schmach. Es herrschte die reine Glückseligkeit. Sie waren die Stammeltern aller Menschen bis auf den heutigen Tag und bis in fernere Zeiten. Der Mann hieß Adam und das Weib Eva. Und sie lebten glücklich und priesen Gott, ihren Schöpfer." "Erzähle weiter. Deine Geschichte interessiert mich." "Dann kam eines Tages der Versucher in Gestalt einer Schlange. Und er wandte sich an Eva und erweckte ihre Wünsche. Gott hatte dem Menschenpaar alles erlaubt, bis auf eines: den Genuß der Früchte eines Apfelbaumes. Der Versucher erweckte Evas Begierde danach und sie wieder ihres Mannes Ehrgeiz. Und so aßen sie trotz Gottes Verbot und wurden aus dem Paradiese vertrieben." "Wegen eines Apfels?" fragte Torgo ungläubig, "Denke darüber nach und du wirst erkennen, daß der Apfel ein Sinnbild ist." "Wie soll ich das verstehen? "Du wirst es leichter begreifen wenn ich dir folgende Geschichte erzähle" fuhr Bethseba fort. "Es war einmal ein fernes Land mit einem König, der sich groß dünkte und nicht zufrieden gab mit dem was ihm von Gott geschenkt war. Er wollte mehr. Er wollte selbst ein Gott sein, so wie du es willst und seine Wünsche begannen zur Plage eines ganzen Volkes zu werden." "Was tat der König?" "Er ließ einen Turm errichten, der bis zum Himmel reichen sollte." "Kein schlechter Gedanke!" "Aber der Turm wurde niemals fertig, der Herr tat ein Wunder und verwirrte die Sprachen der Leute, die an dem Turm arbeiteten, so daß sie einander nicht mehr verständigen konnten." "Und der König?" "Mußte einsehen, daß er durchaus nicht Gott gleich war." Torgos Stirn runzelte sich. "Dann werde ich auf das Wunder warten, welches er an mir tun wird, um mir dasselbe zu zeigen", antwortete er spöttisch. "Deine alten Geschichten taugen nicht viel Mädchen." "So schaffe du Himmel und Gestirne, schaffe eine Welt und schaffe Leben!" "Ich kann den Tod geben, Bethseba." "Das könnt ihr Großen alle... den Tod geben, den hundertfachen, den millionenfachen Tod. Und ihr dünkt euch gewaltig dabei. Aber schaffe Leben! Schaffe einen einzigen, unbedeutenden, kleinen Sperling, der fliegt, frech piept und sich seines Lebens freut. Das könnt ihr alle nicht! Da wird eure Macht zur Ohnmacht und eure Größe zur Lächerlichkeit. Ein Sperling macht euch zu Schanden!" Bethseba erhob sich und verließ den Raum. Torgo blieb betroffen im Halbdunkel sitzen. * Es war in dunkler Nacht, als Numrod den Erfinder Rostan in eine abseits stehende kleine Hütte führte. Dort saßen zwei Männer, welche das Gewand der Sklaven trugen. Aber ihre Haltung war nicht so, daß man hätte annehmen dürfen, daß sie wahrhaft diesem Stande angehörten. Numrod begrüßte sie vertraut. Rostan hatte für sie ein verlegenes Nicken. "Es freut mich, daß du uns nun wieder kennst", beantwortete Taaf dieses Nicken mit spitzer Zunge. "Unsere Augen haben die deinen oft gesucht, aber du hast sie von uns abgewendet." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Wie mir Numrod sagt, habt ihr mir Wichtiges mitzuteilen", überging Rostan den Vorwurf. "Numrod hat dir recht berichtet", bestätigte Shidra, der sich in den letzten Tagen wieder etwas erholt hatte. "So sprecht." Sie setzten sich um einen primitiven Tisch. Die Blicke der Männer kreuzten einander abwägend, vorsichtig, feindselig. Es lag die Stimmung einer geheimen Verschwörung in dieser Hütte. Endlich sprach Taaf. "Wir bieten dir den Schutz Bels an." Rostan sah auf die Tischplatte, als gelte es, dort eine besondere Entdeckung zu machen. "Den Schutz Bels?" fragte er nach einer Weile, "was hat das zu bedeuten?" "Er bedeutet die Hilfe unserer gesamten Anhängerschaft." "Bei der Schaffung eines Königreiches, dessen König sich dem Gotte voll und ganz unterwirft", setzte Shidra hinzu. Unwillkürlich mußte Rostan lachen. "Lache nicht", fuhr ihn Numrod an. "Die Sache ist heilig und ernst. Taaf hat gut gesprochen. Der künftige König der Atlanter muß in allen Punkten mit unserer Religion übereinstimmen. Es darf keinen Zwiespalt geben zwischen ihm und den Priestern." ,,Ein Scheinkönig also", sagte Rostan geringschätzig. "Wie kann ein von Bel eingesetzter König ein Scheinkönig sein", widersprach Taaf. "Er ist erst der wahrhafte und echte König. Die Zeit der Atlantiden ist abgelaufen." "Verbünde dich mit uns", unterstützte ihn Shidra. "Deine Kenntnisse und Mittel sind groß. Aber du brauchst Menschen. Die Stimmung ist gegen Prinz Torgo. Der Himmel und alle Elemente sind wider ihn. Das Blatt wird sich wenden, sobald Bels Gnade wieder über Atlantis leuchtet und dein erstes Werk wird sein, einen neuen Bel aufzurichten und einen neuen Tempel zu bauen, beide noch größer, noch gewaltiger, als sie es jemals zuvor gewesen sind." "Und eines Tages", erwiderte Rostan halblaut, "habt ihr dann den gleichen Dank für mich wie für König Amur." Taaf und Shidra lächelten unwillkürlich. "Dieser Dank wäre nicht möglich gewesen ohne deine Hilfe", entgegnete Taaf. "Und dafür wissen wir dir Dank. Wir wissen auch Dank einem König, der unsere Interessen vertritt, nicht aber einem Mann wie Amur, der uns Übles widerfahren ließ." Rostan schüttelte ungläubig den Kopf "Was ihr mir sagt, klingt verlockend", erklärte er. "Aber Torgo hat bereits die Macht, Ich kann mit ihm tun, was ihr mit mir vorhabt, nämlich ihn zu meinem Werkzeug machen." "Du irrst dich", erklärte Taaf hart, "Der Prinz wird niemals dein Werkzeug sein. Er hat einen harten Schädel. Er tut, was er will und das einzige Mittel, ihn umzustimmen ist ein Dolch in seinem Herzen. Auch sagten wir dir bereits. Die Tage der Atlantiden sind vorbei. Torgo wird es bald genug bemerken." "Er bereitet seine Krönung vor." "Es darf nicht zu dieser Krönung kommen. Noch ist Torgo nicht gekrönt und der Herrscher. Wir müssen ihm zuvorkommen." Rostan erhob sich. "Eure Worte bedürfen meiner reiflichen Überlegung" sagte er. "Wenn ich mitmache, muß alles gut vorbereitet und genau geplant sein." Taaf nickte und erhob sich gleichfalls.
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"Überdenke es reiflich und du wirst finden, daß du mit unserer Hilfe leichter ans Ziel kommst", sagte er. "Laß uns morgen Abend wissen, was du beschlossen hast." Sie kehrten in den Stollen der Gefangenen zurück, aber nicht wie Sklaven, sondern wie freie Herren. "Nun?" fragte Numrod, als sie gegangen waren, "was hältst du von der Sache?" "Ist mein Diener Nebussor schon zurück?" stellte Rostan eine Gegenfrage. "Ich hörte, wie die Wache das Tor öffnete. Das könnte dein kleiner Nebussor gewesen sein." Rostan wollte die Hütte grußlos verlassen, aber Numrod hielt ihn zurück. "Begehe keine Dummheit, überlege alles reiflich", riet er in dringlichem Tone. Rostan stieß ihn von sich. "Ich weiß was ich tue", erklärte er. Er suchte seine Hütte auf, vor der Nebussor eben seinen Esel anband. "Du kommst spät", begrüßte er ihn, ,,ich hatte dich schon viel früher erwartet." "Das ist gewiß Herr", antwortete Nebussor betrübt, "aber ich konnte nicht früher kommen, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand." "Was hat dich davon abgehalten?" "Schlimme Dinge bereiten sich vor. Jargo und ich sind die Küste abgeritten, um Plätze für die Aufstellung deiner Spiegel zu finden." "Das hatte ich dir befohlen. Und? Habt ihr solche Plätze gefunden?" "Die Menge Herr. Wir haben dann auf des Prinzen Wunsch noch die Hauptleute mit beigezogen. Aber die Hauptleute sind uneins und nicht mehr überzeugt vom Wert deiner Erfindung. Ich wurde Zeuge, als sie heimlich über den Prinzen sprachen, der an deine Spiegel glaubt. Es sieht nach einer neuen Verschwörung aus." "Was, in der Hautstadt auch?" "Wo noch?" fragte Nebussor überrascht. "Hier, im Bergwerk. Ich komme eben von einer geheimen Zusammenkunft. Numrod hat Taaf und Shidra halb auf freien Fuß gesetzt und die beiden wollen mich gewinnen." "Du wirst es doch nicht tun, Herr!" rief Nebussor. Rostan lächelte. "Was weißt du von mir, Zwerg" sagte er hochmütig. "Meine innersten Pläne kennst du nicht." Nebussor fand darauf seine Antwort. Er schwieg und starrte seinen Herrn furchtsam an. "Taaf hat recht", murmelte Rostan. "Die Tage der Atlantiden sind gezählt. Aber auch die Zeiten Taafs und Shidras werden niemals wiederkommen." "So willst du alleine - - -?" Über den Nachthimmel zuckten die Blitze eines fernen Gewitters. "Lege dich schlafen", sagte Rostan, "noch ist die Zeit nicht reif." "Und wie steht es mit den Spiegeln, Herr?" fragte Nebussor. "Zwei neue sind fertig. Mit ihnen vermag man viel, aber nicht genug. Geh schlafen, sag ich. Ich muß über vieles nachdenken." Nebussor nickte und ging müde ins Haus. Rostan folgte ihm und schloß die Tür. Numrod, der lauernd hinter einer Ecke gestanden und die beiden beobachtet hatte, schlich sich gleichfalls seiner Behausung zu. Die Nacht war dunkel, als sich Nebussor von seinem Lager schlich. Er hatte kein Auge zutun können. Nun stand sein Entschluß fest.
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Nebenan schlief sein Herr. Er atmete mit unregelmäßigen Zügen. Offenbar hatte er schwere Träume. Nebussor ahnte, daß er mit sich uneins war. Nebussor wollte einem schlimmen Entschluß seines Herrn zuvorkommen. Er wollte nicht warten, bis sich die Dinge zu Ungunsten des Prinzen entwickelten. Seine Absicht war, heimlich nach der Stadt zu reiten und Jargo zu verständigen. Der Esel war nicht weniger müde als er selbst. Aber Nebussor nahm weder auf ihn noch auf sich selbst Rücksicht. Er führte ihn aus dem Stall und ritt mit ihm bis vor das Tor, wo die Wachen standen. "Laß mich hinaus, ich muß sogleich wieder nach Atlantis", sagte er zu dem Posten. Der mißtraute ihm nicht, da er ihn kannte. Er öffnete das Tor und Nebussor ritt in die Nacht hinaus, ohne daß sein Herr etwas davon ahnte. * Inzwischen war im Reiche die Rekrutierung im vollen Gange. Die Hauptleute hatten alle Hände voll zu tun. Das Heer brauchte neue Männer, um gegen die Rückkehr der Griechen und Ägypter gerüstet zu sein. Und während in der Stadt der Herold den Termin für die Krönung verkündete und sich die Stadt zum Fest rüstete, ritten Torgo und Jargo zu den Feldlagern, um überall nach dem Rechten zu sehen. An diesem Morgen durchritten sie eben einen Hain, als sie plötzlich von allen Seiten von Männern umringt wurden, welche aus den Büschen hervor und aus den Kronen der Bäume sprangen und sich auf sie stürzten. "Ein Überfall!" rief Jargo. Aber Torgo hatte bereits sein Schwert gezogen, riß seinen Schimmel hoch und schaffte sich Platz durch die Hufe des Pferdes. Dann drang er auf die Angreifer ein. Während er kämpfte, erkannte Torgo zu seinem Erstaunen, daß er weder Anhänger des getöteten Reg vor sich hatte, noch Wegelagerer anderer Art. Das waren Bauern und ihre Waffen bestanden zum Großteil aus ihrem Arbeitsgerät. "Zurück Leute", rief er ihnen zu, "zurück, was wollt ihr?" Die Männer ließen vom Kampf ab und wichen keuchend zurück. Sie umringten die beiden und maßen sie mit finsteren Blicken.. "Dein Leben, Torgo", rief einer von ihnen. "Steigt herab vom Pferd und kämpf mit mir! Du wirst diesen Ort nicht lebend verlassen." "Weshalb willst du, daß ich mit dir kämpfe?" fragte Torgo verwundert. "Ich fordere Rechenschaft für meine beiden Söhne. Die Ägypter haben sie erschlagen. Doch nicht genug damit, du verlangst auch das Blut meines Jüngsten. Aber du wirst ihn nicht bekommen." "Tu den Spieß weg Alter", suchte ihn Torgo zu beruhigen. "Mich schmerzt es, daß deine Söhne gefallen sind. Ich wollte ihr Blut nicht. Die Ägypter tragen die Schuld an ihrem Tode. Wollt ihr eure Höfe unverteidigt lassen? Soll der Feind ungestraft in unser Land einfallen können?" "Versöhne dich mit den Feinden Herr," gab der Alte zurück. "Der schlechteste Friede ist für uns besser als der siegreichste Kampf. Auf Äckern, die mit Blut gedüngt sind, gedeiht die Saat nicht gut. Mache Frieden!" "Setz die Priester wieder ein", fügte ein anderer hinzu. "Du hast gefrevelt und nun verfolgt uns das Unglück." In diesem Augenblick erreichte der kleine Trupp Krieger, welcher zum Schutz des Prinzen dessen Weg begleitete und dem Torgo und Jargo stets vorauszureiten pflegten, den Ort des Überfalls. Die Krieger wollten die Bauern zu Paaren treiben und auch diese nahmen eine feindselige Haltung an. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Doch Torgo verhinderte den Kampf. "Geht heim", rief er den Landleuten zu. "Ich will den Überfall vergessen." Die Bauern traten mit mürrischen Mienen auseinander und ließen ihn und Jargo ziehen. Von seiten der Krieger fielen noch harte Worte, aber schließlich setzte der Trupp seinen Ritt fort. * Nebussor hatte die Serpentinenstraße abwärts genommen. Sein Esel widersetzte sich eigensinnig dem Verlangen das der kleine Perser an ihn stellte. Er träumte von Ruhe in einem warmen Stall und nicht von nächtlichen Strapazen. "Bei allen Göttern", drohte ihm Nebussor, "setz deine Beine in Trab, sonst sollst du mich kennen lernen, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand!" "I-aah", antwortete der Esel und stemmte bockbeinig seine Beine gegen den Fels. "Hüte deine Zunge", schimpfte Nebussor "und werde nicht frech! Du bist nichts als ein dummer Esel, was mich hingegen anbetrifft, so bin ich viel mehr als du. Niemand wird bestreiten können, daß sich deine Dummheit nicht mit meiner Intelligenz zu messen vermag, das ist gewiß!" Er sprang wütend aus dem Sattel und versuchte das Grautier mit sich fortzuziehen, aber das wollte nicht vom Fleck. "Höre, du Esel", versuchte es Nebussor mit gutem Zureden, "es geht um das Wohl und Wehe des Prinzen und um das von ganz Atlantis! Soll man etwa später sagen, es sei vom guten Willen eines Esels abhängig gewesen, daß Atlantis seinen rechtmäßigen König nicht bekam?" Er zerrte und versuchte schließlich den Esel zu schieben, aber der schlug aus, so daß Nebussor in hohem Bogen bis. an den Rand der Straße flog. "Bei allen Göttern, du treibst deine Unverschämtheit zu weit", rief er, sich erhebend und sein Hinterteil reibend, "wenn du jetzt nicht gutwillig gehorchst, dann lasse ich dich hier stehen und gehe zu Fuß weiter und du kannst von mir aus sehen, wo du wieder einen Herrn bekommst, der so viel Geduld mit dir hat wie ich! Ich muß zu Jargo, begreifst du?" Er klettert wieder in den Sattel und als ob das Grautier ihn diesmal tatsächlich verstanden habe, setzte es sich gehorsam in Trab. "Na, also, warum nicht gleich", sagte Nebussor befriedigt. "Selbst der Esel sieht offenbar ein, daß Jargo verständigt werden muß." Der Weg führte die beiden in steilen Windungen abwärts. Von Zeit zu Zeit zuckte ein Blitz über den Himmel, aber kein Donner folgte. Die Nacht war schwül und unheilverkündend und Nebussor war gar nicht wohl zumute. "Ich werde glücklich sein, wenn die Sonne aufgeht", brummte er vor sich hin. "Ich kann es meinem Esel nicht verdenken, daß er an dieser nächtlichen Wanderung keinen Gefallen findet." Der Esel bewegte die Ohren. Er vernahm offenbar etwas, was ihn beunruhigte. Und tatsächlich glaubte auch Nebussor jetzt ein fernes, dumpfes Rollen zu vernehmen, aber er war sich nicht klar darüber, ob es eine Folge der Blitze war oder aus dem Inneren der Erde erklang. "Dies ist fürwahr eine unheimliche Nacht", brummte er. "Weiter, Esel, damit wir vom Fleck kommen." Doch plötzlich stieg der Esel hoch und warf Nebussor neuerlich aus dem Sattel. Knapp vor ihm war eine Anzahl vermummter Gestalten zwischen den Felsen hervorgesprungen. * Es war nicht Numrods Gewohnheit, die Posten zu kontrollieren. Aber in dieser Nacht fand er keinen Schlaf. Die Worte, welche bei der geheimen Zusammenkunft in der Hütte gefallen (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
waren, ließen ihm keine Ruhe. Seufzend erhob er sich von seinem Lager, trat aus der Schwüle seiner Hütte und stand bald auf der Terrasse. "Ich will doch einmal nach dem Posten am Tore sehen", brummte er. Er hätte selbst nicht zu sagen vermocht, was ihn auf diesen Einfall brachte. Er bewegte sich halb schlaftrunken über den Platz, fand den Posten ordnungsgemäß auf Wache und fragte ihn, ob es etwas Besonderes gäbe. "Nichts hat sich ereignet. Nur der Zwerg ist wieder fort. Offenbar hat ihn Rostan noch in dieser Nacht mit einer Botschaft weggeschickt." "Rostan?" fragte Numrod und ein Gedanke kam ihm. Er wandte sich wortlos von dem Posten ab und ging in sein Haus zurück. "Darum also hat er nach Nebussor gefragt" murmelte er. "Es ist klar, er hält zu dem Prinzen und wird ihn verständigen. Der Prinz wird mit Truppen hierher kommen, es wird unser Ende sein, wenn wir keine Gegenmaßnahmen ergreifen." Er rief nach einem seiner Leute und befahl ihm, sogleich Taaf und Shidra herbeizubringen. Die beiden kamen. Sie waren unausgeschlafen und schlechter Laune. "Was gibt es?" fragte Taaf. "Weshalb läßt du uns wecken? Du weißt, daß wir sehr des Schlafes bedürfen. Morgen früh holt man uns wieder zu harter Arbeit ab." "Ein solches Morgen wird es nicht mehr geben", antwortete Numrod. "Die Zeit zum Handeln ist jetzt gekommen!" "Bist du toll?" fragte Shidra. "Es muß sich etwas gefährliches ereignet haben", mutmaßte Taaf, der weiter dachte. "Sprich, was ist geschehen?" "Rostan ist ein Verräter", erklärte Numrod. "Er hat seinen Diener, kaum daß er gekommen war, sogleich wieder mit einer Botschaft zurück nach Atlantis geschickt. Es kann sich nur darum handeln, daß er den Prinzen von unseren Plänen unterrichten ließ." Taaf pfiff leise durch die Zähne. "Das wäre freilich schlimm", brummte er bedeutungsvoll. "Dann befänden wir uns in einer üblen Lage und du, Numrod mit uns." Beinahe schien ihm diese Tatsache Vergnügen zu bereiten. "Überlege was wir tun können", forderte ihn Numrod jedoch auf. "Wir müssen handeln. Wenn wir warten bis der Prinz kommt, ist es für uns zu spät." "Du hast recht", meinte Shidra furchtsam. "Das beste wäre, wenn wir sogleich fliehen würden." "Fliehen?" Numrod lachte, enttäuscht über diesen Vorschlag. "Wohin sollen wir fliehen? Etwa in die Dschungel des Sumpflandes oder noch höher hinauf in die Berge? Eines Tages würden sie uns auch dort aufspüren." "Du hast recht", antwortete Taaf. "Laß uns überlegen. Immerhin haben wir ein Heer von Sklaven und Rostans Spiegel." "Woran denkst du?" fragte Shidra. "Etwa an Widerstand?" "Nein, an Angriff", rief Taaf. "Wir schenken den Sklaven dafür, daß sie für uns kämpfen, die Freiheit. Und bald werden sich uns noch Hunderte und Tausende anschließen. Mit ihnen marschieren wir gegen die Residenz." "Es wird ein schreckliches Blutvergießen werden", prophezeite Shidra. "Und es wird bei Rostan selbst seinen Anfang nehmen, heute Nacht noch", setzte Taaf hinzu. "Da gehe ich aber nicht mit", erklärte Shidra abwehrend. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Das brauchst du nicht", antwortete Taaf. "Numrod, gib mir deinen Dolch." Einen Augenblick lang zögerte Numrod. Dann fühlte Taaf zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine Waffe in den Händen, erleichtert atmete er auf. Es war für ihn ein großer Augenblick. Während die beiden anderen in Numrods Haus zurückblieben, schlich sich Taaf hinüber zu der Hütte, in der Rostan schlief. "Und wir werden jetzt dem kleinen Nebussor ein paar Männer nachschicken", entschloß sich Numrod. "Auf seinem Esel kann er noch nicht allzu weit sein. Er darf das Tal nicht erreichen." Er rief nach seiner Mannschaft, wählte fünf Krieger aus und befahl ihnen: "Ihr folgt sofort Rostans Diener. Ihr werdet ihn auf der Serpentinenstraße finden. Macht mit ihm keine Umstände. Es ist nicht nötig, daß er den Sonnenaufgang erlebt." * Sargas Wachschiffe fuhren weit hinaus auf See, um das eventuelle Nahen einer feindlichen Flotte sofort wahrzunehmen. Hauptmann Alwa hatte seine Truppen beträchtlich verstärken können. Zwar waren diese Männer noch nicht kämpferisch geschult, aber das war eine Frage von wenigen Wochen. Auch Wusso hatte für seine Palastgarde Zuzug erhalten. Es handelte sich um besonders ausgesuchte junge Männer, welche für diesen ehrenvollen Dienst ausersehen waren. Allerdings gab es keine ägyptische Prinzessin mehr zu bewachen. Nif-Iritts Pavillon stand leer und nur Bethseba suchte ihn zuweilen auf, um sinnend auf seinen Stufen zu sitzen, oder die Pfaue im Park zu füttern. Manchmal traf sie auch Torgo im Park. Aber seit ihrem letzten Gespräch schien er ihr auszuweichen. Er hatte keine weitere Frage an sie gerichtet und wünschte auch keine ihrer Erzählungen zu hören. Und dennoch schien es Bethseba, als ob ihn sehr beschäftige, was sie ihm gesagt hatte. Wirklich dachte Torgo oft an den Turm, der dazu bestimmt gewesen war, in den Himmel zu wachsen. Der König, der den Befehl zum Bau dieses Turmes gab, hätte er selbst sein können. Tat er recht daran, nicht nur König sondern auch Gott sein zu wollen? Wer war jener unbekannte Gott, an den Bethseba felsenfest glaubte? War der Sturz Bels wirklich sein Werk gewesen? Torgo fand auf diese Fragen keine Antwort. Manches an Bethsebas Geschichte erschien ihm sonderbar und unglaubwürdig. Für ihn waren nach alter Überlieferung Sonne und Mond selbst göttliche Wesen und er konnte sich nicht vorstellen, daß sie von einem anderen Gotte geschaffen worden seien. Aber Torgo hatte auch an vielerlei andere Dinge zu denken. Er erwartete den Feind: die Griechen und die Ägypter. Er wollte sein Volk gerüstet sehen und mußte es erleben, daß seine Maßnahmen auf Mißbilligung stießen. Auch entging ihm nicht das Ränkespiel der drei Heerführer untereinander und das gemeinsame, das gegen ihn gerichtet war. Und die Zeichen der Natur, die er sehr wohl sah, aber nicht verstand, versetzten ihn nicht minder in Unruhe als alle anderen Atlanter. In dieser Atmosphäre des Unbehagens also sollte seine Krönung vor sich gehen. Torgo wäre glücklich gewesen, wäre dieser anstrengende Tag bereits vorbei gewesen. Andererseits hoffte er, durch ein Spektakel das Volk von der schwierigen Situation des Reiches nach innen und nach außen hin abzulenken, So wurden die Geschirre der weißen Elefanten auf Festglanz gebracht und der Palast legte nach und nach seinen Schmuck an. Festliche Gewänder wurden angefertigt und der Dienerschaft bemächtigte sich eine angeregte Stimmung, welche vom Palast aus auf die Stadt übergriff. Hauptmann Wusso übte mit der Garde festliche Paraden und besprach ein ums andere Mal die Sicherheitsmaßnahmen für den Festzug. Er sollte vom Palast aus durch die Stadt und wieder zurück geführt werden. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Unberührt von all dem lag der Tempelbezirk in geheimnisvoller Stille. Nacht für Nacht wurden Leute beobachtet, welche mit Kähnen die Kanäle übersetzten, an jenen Stellen, wo von den Krokodilen nichts zu befürchten war. Sie brachten dem gestürzten Gott weiterhin ihre Opfer dar. Bei Tage betraten Dienstleute den Tempelbezirk, um die Raubtiere in der Grube zu füttern, die übrigens in den letzten Tagen und Nächten ein seltsames Benehmen zur Schau trugen. Sie brüllten stundenlang und versuchten unablässig, an den glatten Wänden der Tiergrube hochzuspringen, was ihnen natürlich jedes mal misslang. Dann wieder versuchten sie, sich durch die Gitter, welche den nach der Arena führenden Stollen abschlossen, einen Weg ins Freie zu verschaffen, natürlich gleichfalls vergeblich. Nacht für Nacht auch führte die Stadt ein anderes, hektisches Leben. Man traf sich in den Schenken und in privatem Kreis zu ausgelassenen und ausschweifenden Gesellschaften. Gelage wurden gegeben, bei denen der Wein in Strömen floß und ein Spottlied auf die drei Hauptleute, denen das Volk die Schuld am Entkommen der ägyptischen Prinzessin gab, machte die Runde. Urplötzlich tauchten dann Krieger in den Schenken auf oder pochten an die Pforten der Häuser. Manch einer verschwand in einer solchen Nacht, wenn er das Lied gesungen hatte. Am Morgen fand man Betrunkene in den Straßengräben, die ihre Räusche ausschliefen. Aber manch einer von denen, die da so lagen, stand nicht wieder auf. Man entdeckte erst später den Stich in seinem Rücken und fand, daß ihm seine Beutel mit Goldkörnern und seine Ringe fehlten. Atlantis war zu einer Stadt des Lasters und des Verbrechens geworden. Der alte König hatte es nicht mehr erlebt. Seine Anhänger waren froh darüber. Und der Prinz? Er war gewiß auf der Seite der Tugend und des Rechtes. Oft verschwand er des Nachts mit Jargo und ein paar beherzten Männern in Verkleidung aus dem Palast. Dann suchte er mit seinem Schwert dort einzugreifen, wo es ihm nötig erschien. Er suchte das Unrecht zu bestrafen und die Willkür zu steuern. Es glückte ihm auf diese Weise oft besser, als wenn er Übeltäter in seiner Eigenschaft als Regent zur Verantwortung gezogen hätte. Seine Organe konnten oder wollten ihrer dann gar nicht habhaft werden. Und immer mehr schauderte Torgo davor zurück, in wenigen Tagen schon an der Spitze jenes Volkes zu stehen, das den Weg der Verderbnis gewählt hatte. War Rostans dunkle Saat beinahe aufgegangen, so hatten doch auch Bethsebas Worte einen fruchtbaren Boden gefunden. Wenn Torgo von solchen nächtlichen Exkursionen oft schaudernd zurückkehrte, war es ihm als müsse er nach Bethseba rufen. Eines Nachts schlich er sich vor das Mausoleum seines Vaters und kniete sich auf die Stufen hin. Ein bleicher Mond warf Torgos Schatten auf die gewaltige Tür, die das Leben vom Tode trennte. "Vater", betete Torgo, "wie würde ich es den Göttern danken, wenn du noch lebtest und an meiner Seite wärst. Du hast eine schwere Bürde auf meine Schultern geladen. Sie haben dich gemordet und ich habe deinen Tod gerächt. Aber du hast deinen Fluch nicht von mir und von deinem Volk genommen. Welchen Weg soll ich gehen, Vater? Gib mir Antwort, ich bitte dich. Siehe, dein Sohn steht vor dir. Soll ich den Weg der Gewalt gehen und dieses Volk mit harter Rute züchtigen? Soll ich sein Gott und sein höchster Richter sein und mit Feuer und Schwert regieren, für dieses Volk und gegen seine Widersacher? Oder soll ich seinen Wünschen entgegenkommen und Bel einen neuen Tempel bauen? Soll ich die Verräter wieder ins Amt einsetzen und die Mordanstifter begnadigen? Soll ich mich an ihre Tische setzen und die Stunde genießen und unsere Grenzen ungeschützt lassen?
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Oder gibt es noch einen dritten Weg? Wenn es einen gibt, so zeige ihn mir. Zeig mir die Kraft, aus der ich neue Stärke gewinnen kann, nenne mir den Gott dem ich vertrauen kann. Gib, daß ich ihm die Hand reiche und er mich führt aus dieser Finsternis. In den Tagen meiner Jugend stand alles so klar vor mir. Doch nun bin ich mit mir uneins. Meine Freunde haben sich von mir gewandt und mich allein gelassen. Ich weiß nicht mehr, wem ich wahrhaft trauen darf. Ich bin müde trotz meiner jungen Jahre. O Gott Bethsebas, wenn du meine Zwiesprache mit meinem Vater hörst und wenn es dich gibt, dann hilf mir." Nichts regte sich. Still stand das Mausoleum in stummer Wucht gegen den nächtlichen Himmel. Torgo erhob sich und schritt wieder dem Palast zu. * Der Tag der Hochzeit Nif-Iritts mit König Telaus war gekommen. Er war ein Festtag für das ganze griechische Volk. Schon am frühen Morgen waren die Massen zum Tempel unterwegs. Männer und Frauen, Kinder, Mütter, Greise, alle wollten dabei sein. Die Wasserträger und Melonenhändler machten gute Geschäfte. Der Durst war groß in dem Gedränge. "Die .Hochzeit Jupiters mit Juni im Olymp kann nicht prächtiger gewesen sein", versicherte man allgemein. Es war aber auch wirklich alles aufgeboten. Kampfspiele und festliche Gesänge wurden zu Ehren des Königs und seiner Braut abgehalten. Die Dichter schmiedeten Verse und trugen sie vor. Das Volk umstand die Musensöhne und jubelte ihnen zu und ein Gutteil dieses Jubels galt dem König und Nif-Iritt. In den Badestuben verbreiteten sich die Düfte wohlriechender Kräuter und Salben. In den Küchen duftete es nicht minder nach allerlei Leckerbissen, die Land und Meer in reicher Fülle lieferten. Die Häuser waren gescheuert und mit frischen Reisern und Blumen geschmückt. Blüten lagen auch auf den Straßen und namentlich auf dem Platz vor dem Königspalast und vor dem Tempel. Die Freude über das Ereignis lag auf allen Gesichtern, nur nicht auf dem Nif-Iritts. Aber sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben. Sie versuchte es mit Fassung zu tragen und verzichtete darauf, ihm mit Widerstand zu begegnen. Aber eine Genugtuung wollte sie haben. Sie hatte König Telaus einen heiligen Eid abverlangt, die ihr in Atlantis widerfahrende Unbill zu rächen. Und der König war gesonnen, diesen Eid zu halten. Er wollte eine neue Flotte gegen Atlantis senden. Am Tage nach der Hochzeit sollten die Schiffe fahren und die Flotte war größer und mächtiger als die, welche Rostans Spiegel vernichtet hatten. "Ich schwöre dir, Nif-Iritt", hatte König Telaus gesagt, "daß ich keine Gnade kennen werde für die Atlanter. Sollte je ein Atlanter griechischen Boden betreten, wird es ihm so ergehen, wie es dir und deinen Landsleuten in Atlantis erging." Und diese Worte hatten das erste Lächeln auf Nif-Iritts Antlitz gezaubert. So führte König Telaus eine willige Braut in den Tempel und er krönte eine rachedürstende Königin, deren Augen die griechischen Schiffe noch lange begleiteten, als sie im Verein mit Tach-Hamons ägyptischer Flotte gegen Atlantis fuhren. * Die Sonne stieg eben über die Berge, als Numrods Männer die erste Spur von Nebussor fanden. Diese Spur war eigentlich keine. Sie war genauer gesagt Nebussors Esel. Er stand stillvergnügt am Straßenrand und knabberte Disteln. Von seinem Reiter war weit und breit nichts zu bemerken.
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Erst ein wenig später fand man Nebussors Kopfbedeckung und ein Stück Stoff von seinem Mantel. Die Kopfbedeckung lag hart am Straßenrand und der Stoff hing an einem dürren Zweig eines über den Abgrund hinauswachsenden Strauches. "Er ist da hinab", sagte einer der Männer. "Offenbar hat ihn der Esel über den Abgrund befördert." "Dem Esel sei Dank" rief ein anderer, "er hat uns ein unangenehmes Stück Arbeit erspart." "Das brauchen wir aber oben im Bergwerk nicht zu sagen. Wir nehmen den Esel und die Kopfbedeckung als Beweis mit uns und behaupten, wir hätten den Zwerg befehlsgemäß getötet." Ein wenig unsanft wurde Nebussors Esel bei seiner Mahlzeit gestört, um ohne seinen verschwundenen Herrn und Gebieter den Rückweg nach dem Bergwerk wieder anzutreten. Dort hatten sich inzwischen sonderbare Dinge ereignet. Der Erfinder Rostan hatte die Sonne nicht mehr aufgehen sehen. Statt dessen schleppten die Sklaven unter Führung Taafs und Shidras die Spiegel ans Licht. Taaf hatte ihre Arbeitsweise wohl begriffen. Als die Ankömmlinge Nebussors Esel brachten, stand Numrod gerade vor seiner Terrasse und schrie Befehle. "Er ist tot Herr", meldete man ihm. "Schon gut", winkte Numrod ab. Er hatte seine liebe Not mit den Sklaven, die plötzlich widerspenstig zu werden begannen. Sie hatten gesehen, daß Taaf und Shidra mit einem Male große Herren waren und witterten auch für sich die Luft der Freiheit. Taaf und Shidra sahen es mit leuchtenden Augen. Sie warnten Numrod nicht, der mit jedem seiner Befehle einen Funken in ein Pulverfaß warf. Und als er wieder seinen Kriegern den Befehl gab, die Sklaven anzutreiben, wandten sich diese gegen ihre Peiniger. Es war wie ein Sturm der sich erhebt. Die Gedemütigten und Geknechteten spürten plötzlich die Gewalt, die in ihren Fäusten lag. Sie besannen sich nicht länger, packten die Speere der Krieger bei ihren Schäften und drehten sie um. Sie sprangen Numrod an die Gurgel und rissen ihn zu Boden. Sie schrien, jauchzten und wüteten in einem. Es war wie ein Taumel, der sie erfaßt hatte, ein Rausch der Freiheit, der sich fortpflanzte durch die Schächte bis hinab in die große Halle. Auch dort klirrten die Ketten, flogen Gesteinsbrocken gegen die Schädel der Krieger, röchelten Sterbende noch einmal auf, krallten sich ausgemergelte Finger im Gegner fest. Ein rasender, furioser Kampf entspann sich. Längst lag Numrod in seinem Blut und seine gebrochenen Augen starrten gegen den Himmel. Sein Gesicht aber trug einen solchen Ausdruck von Überraschung, daß Taaf und Shidra sich eines Lächelns nicht erwehren konnten, als sie ihn ansahen. "Werft ihn hinab in die Geiergrube!" schrie Taaf. Das war ein neues, zündendes Wort. "In die Geiergrube!" klang es auf und Numrod verschwand und der Leichnam Rostans folgte und all die anderen, die mit ihrem Leben für ihre Menschenschinderei gebüßt hatten. Nur nicht Taaf und Shidra. Wohl hatte auch Shidra Angst, unversehens den gleichen Weg zu nehmen. Aber Taaf hielt die Zügel fest in seiner Hand. "Freunde", rief er, "hört mich an! Die Stunde der Freiheit hat für euch geschlagen! Ihr steht unter dem besonderen Schutze Bels, dessen Hohepriester wir sind. Wir sind zu Unrecht eingekerkert, euresgleichen geworden. Wir nehmen euch mit uns auf unseren Weg in die Hauptstadt, der ein Weg der Rache sein wird. Aber wir sind machtlos gegen die Heere ohne (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
diese Spiegel. Wir müssen sie mit uns nehmen! Mit ihrer Hilfe werden wir alle Feinde besiegen!" Ein lautes Beifallsgeschrei antwortete ihm. "Ihr müßt also noch einmal hinab, ein letztes Mal, um die fehlenden Teile der Spiegel heraufzubringen. Bei dieser Gelegenheit nehmen wir unsere unten verbliebenen Kameraden mit!" * Als Nebussor sich von seiner Überraschung erholt hatte, rief er verwundert: "Prano! Du hier? Was soll das, was willst du von mir?" "Still! Die Neun sind unterwegs nach der Hauptstadt. Sie wollen Gericht halten über Torgo und ihm die Regentschaft aberkennen." "Die Neun?" fragte Nebussor entsetzt. "Und was soll ich da tun?" "Wir werden es dir sogleich erklären. Nur fort von hier. Rostan wird noch heute Nacht sterben oder ist vielleicht schon tot. Auch nach deinem Leben trachtet man. Jargo schickt uns, um dein Leben zu beschützen." "Das ist ja entsetzlich, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand", rief Nebussor entsetzt. "Was soll ich tun?" "Dich auf dieses Pferd setzen, das wir hier mitgebracht haben und uns folgen." "Und meinen Esel im Stich lassen?" "Ja doch, Nebussor! Es gibt noch andere Esel in Atlantis, dich mit eingeschlossen." Sie hoben den kleinen, sich beinahe sträubenden Perser auf ein Pferd und daneben blieb sein Mantel an dem Strauche hängen. Seine Kopfbedeckung hatte er schon vorher verloren, als der Esel mit ihm hochgegangen war. Es blieb keine Zeit zur Überlegung. Prano und seine Freunde, die hier im Auftrag Jargos ein Rettungswerk unternahmen, setzten sich sogleich mit Nebussor wieder in Bewegung. Zum Verständnis des nun Folgenden ist es vielleicht gut, noch einiges über Atlantis zu sagen, wie es Platon überliefert hat. Die gewaltige Insel dürfte etwa so groß wie das heutige Europa gewesen sein. Dieses Gebiet wurde von insgesamt zehn Königen regiert, die alle ihre Abkunft von Poseidons Atlas ableiteten. Das eigentliche Königreich Atlantis mit der Haupt- und Hafenstadt gleichen Namens enthielt den heiligen Hain Poseidons. Alle sechs Jahre kamen die neun Könige zum zehnten, um im Haine Poseidons Besprechungen zu pflegen. Bei dieser Gelegenheit konnten die Könige auch Klage gegeneinander erheben und die Mehrheit entschied über Recht oder Unrecht unter den Herrschern. Das sechste Jahr war noch nicht vollendet, aber die Könige waren mit großem Pomp nach Atlantis aufgebrochen. Es galt, die nach dem Tode ihres Verwandten, des Königs Amur, entstandene Lage zu besprechen. Prinz Torgo schien ihnen zu jung, schon jetzt die Regentschaft anzutreten und die Zustände, welche in der Hauptstadt herrschten, sowie der gelungene Einfall der Ägypter, schienen ihrer Ansicht Recht zu geben. Insgeheim hoffte jeder von ihnen bei Einsetzung eines Thronrates einen tüchtigen Happen zu erben. Die Atlantiden, einst ein edles Geschlecht, waren verkommen, nur Torgo hatte sich noch die edle Art erhalten und darum haßten sie ihn heimlich. So wollten sie seiner Krönung zuvorkommen. Jargo hatte Prano, kaum daß er Kunde vom Nahen der neun Könige hatte, Nebussor nachgesandt. Er wußte, daß die Könige Truppen nach dem Bergwerk gesandt hatten, um den Erfinder der Spiegel und diese selbst zu zerstören. Noch in dieser Nacht mußten sie das Bergwerk erreichen, wenn nicht am folgenden Morgen, daß Rostan schon von anderer Hand den Tod erhalten hatte und daß Nebussor bereits im Bergwerk gewesen war, davon wußte Prano nichts. Wie staunte er deshalb, als ihm Nebussor von den Ereignissen im Bergwerk und seinem Entschluß, Torgo zu warnen, berichtete.
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"Die Götter haben dich um deiner guten Tat willen beschützt" sagte Prano, "doch nun müssen wir zurück in die Hauptstadt. Wir müssen Torgo zur Seite stehen. Eine gewaltige Heermacht rückt vom Land her gegen die Stadt. Sie wollen alle Küsten besetzen." "Und Torgo?" "Befindet sich im Palast. Er hat nicht die Absicht zu fliehen, sondern will sich vor den neun Königen verantworten." * Inmitten von Poseidons Hain stand eine gewaltige Säule. In diese hatte einst Poseidon selbst, der Mythe gemäß, die ehernen Gesetze von Atlantis eingemeißelt, welche für die ganze gewaltige Insel und jedes ihrer Reiche Gültigkeit hatten. Im Hain Poseidons liefen heilige Stiere umher. Jedesmal, wenn die zehn Könige zusammentrafen, wurde einer dieser Stiere geopfert. Die Könige trafen sich jedes sechste Jahr. Gemeinsame Zukunftspläne wurden bei diesen Konferenzen ausgehandelt. In der Zwischenzeit ließen sie einander, alter Sitte gemäß, zufrieden. Schon die Nachricht vom Tod König Amurs hatte die Könige zu Fühlungnahmen untereinander veranlaßt. Aber die Entfernungen waren zu groß und die Reisemöglichkeiten zu langsam, als daß es einem von ihnen möglich gewesen wäre, bei der Beerdigung des Königs zugegen zu sein hingegen brachen sie auf, um zur Krönung Torgos zurecht zu kommen, unterwegs erhielten sie Kunde vom Einfall der Ägypter und das veranlaßte sie ihre Streitkräfte zu alarmieren. Immer mehr seltsame Gerüchte erreichten die reisenden Könige. Als sie sich vor den Grenzen von Torgos Reich vereinigten, war ihr Entschluß gefaßt. Sie wollten in Atlantis einen Regentschaftsrat einsetzen und Torgo vorerst die Krone entziehen. Und dabei stand es in den Reichen dieser Könige selbst nicht zum besten. Der Verfall der Sitten war auch unter ihrer Regentschaft fortgeschritten. Selbst der Griff nach Torgos Krone entsprang in Wirklichkeit weniger der Besorgnis, als vielmehr der Wahrnehmung eigener Interessen. Das ahnte Torgo nur zu genau. Dennoch ging er den Königen bis vor den Palast entgegen und hieß sie willkommen. Sie waren angetan mit aller Pracht und Herrlichkeit. Ihre Rosse trugen prunkenden Putz, ihre Mäntel glänzten voll Stickereien in Silber und Gold und auf den Köpfen trugen sie wallenden Federschmuck. In ihrer Begleitung befanden sich ihre Garden. Der Platz wimmelte von Kriegern, welche die Leute Wussos förmlich an die Wand drückten. Mit finsterer Miene empfingen die neun Könige Torgos Gruß, stiegen dann von ihren Tieren und folgten ihm in den Palast, wo ihnen ein Willkommenstrunk gereicht wurde. "Laßt uns sogleich nach dem Hain gehen und den Stier fangen", rief Aanas, der Älteste. Daraufhin legten die neun Könige und Torgo ihre Waffen ab. Dem Gesetz nach mußte der Hain von ihnen unbewaffnet betreten werden. Sie gingen, um einen Opferstier zu fangen und beteten an der Säule, daß sie Poseidon ein ihm wohlgefälliges Opfertier finden lassen möge. Torgos Blick fiel auf einen jungen Stier. "Sein Blut soll Poseidon gehören", rief er und ging den Stier an, der ihn mit gesenktem Gehörn empfing. Die Könige bildeten um die beiden einen Halbkreis. Sie hatten Stricke mitgebracht. Zu früheren Zeiten hätten die Könige mit Hand angelegt, aber diese hier überließen es Torgo, mit dem Stier allein fertig zu werden. Es war ein Kampf der Kräfte. Torgo stemmte sich fest gegen den Boden. Alle seine Muskeln waren angespannt. Mit übermenschlicher Anstrengung zwang er den Stier in die Knie. Daraufhin führten sie den Stier zu der Säule und schlachteten ihn, so daß sein Blut über die Gesetzesschrift und den Eid der Atlantiden, Poseidons Gesetze zu achten, floß. Die Könige hatten eine mit Wein gefüllte Schale mitgebracht. In dieses Gefäß warfen sie nun für jeden der Zehn einen geronnenen Klumpen Blutes von dem Opferstier. Den Rest des (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Blutes gossen sie ins Feuer und dann wuschen sie die Säule rein. Niemand war bei dieser Zeremonie zugegen außer Torgo und die neun Könige. Nun zog jeder von ihnen eine kleine, goldene Schale aus seinem Gewand, füllte sie mit dem Weinund Blutgemisch und goß dann den Inhalt gleichfalls ins Feuer. Dabei gelobten sie, nach den Gesetzen auf der Säule zu urteilen. Als dies geschehen war, brieten sie das Fleisch des Stieres und blieben im Garten, bis es dunkelte. * Unterdessen war das Bergwerk von den Kriegern der Könige überfallen worden. Als die Sklaven wieder ans Tageslicht kamen, quollen ihnen durch das geöffnete Tor die fremden Krieger entgegen und alle meinten nichts anderes, als daß Torgo ihrem Vorhaben bereits zuvorgekommen sei. Sie flüchteten wieder hinab in die Tiefe des Berges, wo sich ein entsetzliches Gemetzel entspann. Das war die Stunde, zu der Sargas Späherschiffe in der Ferne die griechische Flotte sichteten, welche mit gutem Winde rasch näher kam. "Feindliche Schiffe in Sicht, feindliche Schiffe!" Unter diesen Rufen wendeten die Schiffe der Atlanter, um die eigene im Hafen bereitliegende Flotte zu alarmieren, welche den Griechen einen gehörigen Empfang bereiten sollte. Als die atlantischen Schiffe im Hafen einliefen, war die Stadt bereits von den Truppen der Könige besetzt. Dennoch ritt Sarga sogleich nach dem Palast und begehrte, vorgelassen zu werden. "Wo ist der Prinz?" fragte er den Wachhabenden. "Du kannst ihn nicht sprechen, er ist mit den Königen in Poseidons Hain." "Aber ich muß ihn sprechen, feindliche Schiffe nähern sich unserer Küste." "Es tut mir leid, Hauptmann Sarga. Aber du darfst nicht zu ihm. Die Könige halten heilige Ratssitzung. Dabei darf sie niemand stören." "So werden die Griechen sie stören", rief Sarga unwillig und gab selbst Befehl, die Flotte zu sammeln und mit ihnen den Griechen entgegen zu fahren. Und die harten Gesichter der atlantischen Seeleute spannten sich zum Ausdruck der Entschlossenheit, als es den Griechen entgegenging. * Unterdessen liefen im Bergwerk Taaf und Shidra, verfolgt von den feindlichen Kriegern, um ihr Leben. Diese Männer machten keinen Unterschied. Sie griffen mit Keulen, Lanzen und Schwertern an und richteten ein Blutbad an, wohin sie kamen. Taaf und Shidra flehten zu ihrem Bel, aber der leistete ihnen keinen Schutz. Sie verkrochen sich in die hintersten, finstersten Winkel der unterirdischen Stollen und gelangten immer tiefer in das innere des Berges hinein. "Still", zischte Taaf, "hörst du sie noch?" Sie preßten ihre heißen Stirnen gegen das Gestein, um zu ruhen und zu lauschen. Und da spürten sie plötzlich das Zittern, das durch den Berg ging, sie hörten ein Knirschen und Rieseln in den Wänden des Felsens, Trümmer von Steinen prasselten auf sie herab und plötzlich begann der Boden unter ihnen zu wanken und zu zittern. * Prano und Nebussor samt ihren Leuten wurden von dem Beben kurz vor der Hauptstadt überrascht. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Sie sahen vor sich die Küste des Meeres, es dunkelte bereits und gespensterhaft gischtete der Schaum gegen die Klippen. "Rasch hinab, da unten sind Fischerboote!" rief Prano. Die Pferde jagten wie von selbst unter lautem Wiehern der Küste zu. Die Männer sprangen ab und ließen die Tiere laufen wohin sie wollten, während sich vor, hinter und neben ihnen plötzlich die Erde zu weiten Spalten öffnete. Nebussor sah, wie einer von Pranos Leuten plötzlich unter lautem Schrei in einer dieser Spalten verschwand. Schreckensbleich rannte er um sein Leben, die Freunde hatten eines der Boote erreicht und zogen Nebussor mit auf die Planken. Aber das Meer brach in das aufgerissene Land, bildete Strömungen und Strudel und der Kahn wurde wie ein Kreisel rundumgedreht. "Rudert, rudert!" schrie Prano. Sie arbeiteten aus Leibeskräften, um von der Küste wegzukommen, als Nebussor plötzlich in der Ferne, am Horizont, eine Reihe von Segel sah. "Die Flotte" rief er, "die Flotte!" "Was kümmert uns die Flotte", gab Prano zurück. "Rudere!" "Das tue ich, das ist gewiß, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand!" * Hauptmann Sarga stand am Führerstand des Kommandoschiffes. Er erinnerte sich genau der Taktik, mit welcher ihn die Ägypter geschlagen hatten. "Nun werde ich sie mit ihren eigenen Waffen schlagen" knurrte er, ließ seine Schiffe sich zu einem Keil formieren und fuhr mit vollen Segeln geradewegs auf die in breiter Front anrückende griechische Flotte los. "Haltet die Pfeile und die Speere bereit", befahl er und legt die Steine auf die Schleudern, um ihre Segel zu zertrümmern." Und auch Pech und Werg wurden nicht vergessen. Die Männer fieberten von Begierde, zu kämpfen. Sarga vor allem hoffte, seine Niederlage wett zu machen. "Seid ihr bereit?" "Ja Herr!" Und drüben, bei den Griechen das gleiche Bild... Überall die Bereitschaft zum Kampf, überall harte Fäuste, welche die Bogen spannten und die Pfeile auf die Sehnen legten. Und weit hinter ihnen am Horizont erst erkennbar, näherten sich die schwerfälligen ägyptischen Galeeren gleichfalls dem Schauplatz des Geschehens, für Hauptmann Sargas Flotte noch unsichtbar. "Wir greifen an!" befahl jetzt Sarga. Der Gischt brandete vor den Bügen. Näher und näher kamen einander die Schiffe. Da --Wildes Geschrei, ein Hagel von Pfeilen --Und dort, Bordwand stößt an Bordwand... Krachen, Bersten, Schreien von Verwundeten. Ein Mast bricht, schmettert nieder auf Deck, alles unter sich zermalmend. Speere zischen durch die Luft. Brennende Wergballen fliegen nach hüben und drüben. Dort springen sie hinüber aufs feindliche Deck, kreuzen die Klingen. Kämpfen, Mord in den Augen. Und immer näher mit jedem Ruderschlag schieben sich im Schutz der anbrechenden Nacht, die ägyptischen Galeeren. Kampf ohne Erbarmen... (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Kampf auch im Kupferbergwerk, das jetzt unter den Erdstößen erzittert. Freund und Feind werden hier von den niederstürzenden Gesteinsmassen erschlagen. Ineinander verkrallt, noch im Tode nicht voneinander lassend, stürzten sie im mächtigen Felsendom von den Terrassen, während zu beiden Seiten die Wände barsten und der ganze Berg aufschrie unter den wilden Stößen, die ihn erschütterten. Das krachte, tobte, knirschte und prasselte das donnerte, kreischte, grollte in der Tiefe, in einer Symphonie des entfesselten Infernos. Da lag Shidra, von Steinen erschlagen. Dort. versuchte Taaf sich an den Felsen festzuklammern, denn unter ihm hatte sich ein mächtiger Spalt gebildet, in den er zu stürzen drohte. "Hilfe" schrie er, "Hilfe!" Aber niemand hörte ihn. Schließlich begruben ihn nachstürzende Felsmassen und rissen ihn mit sich in die Tiefe hinab. Das Erdbeben griff auf das Gebiet der Hauptstadt über, die am Vorabend des Krönungstages stand und am Nachmittag die einziehenden Truppen der neun Könige und ihr Gefolge mit nichtsahnendem Jubel begrüßt hatte. Nur wenige ahnten oder wußten, was hier wirklich gespielt werden sollte. Als die ersten Erdstöße die Stadt erzittern machten, befanden sich Torgo und die Könige noch immer im Heiligen Hain. Eben sank die Sonne. Da löschte der älteste der Könige das Feuer und warf sich einen schwarzen Mantel um. Die anderen folgten seinem Beispiel. Nur Torgo hatte keinen solchen Richtermantel. Den seines Vaters zu tragen stand ihm noch nicht zu - und er sollte hier ja auch nicht richten, sondern gerichtet werden. "Torgo, Prinz der Atlanter!" rief Aanas, um die Verhandlung zu eröffnen. "Du willst morgen die Krone dieses Königreiches auf dein Haupt setzen und einer der Unseren werden." "Ja, das will ich", antwortete Torgo. "Laß uns sehen, ob du dessen würdig bist." "Ich bin ein Atlantide, stamme von Poseidon wie ihr und von Atlas, dessen Sohn. Ich bin der einzige Sohn meines Vaters. Ich habe Anspruch auf den Thron meiner Väter." "Anspruch? Ja", lächelte Aanas. "Aber ob du auch Gelegenheit dazu haben wirst, das ist eine andere Frage" Man konnte in der Dunkelheit seine Züge nicht mehr genau erkennen. "Ihr habt soeben den Schwur auf Poseidons Gesetze erneuert", rief Torgo. Doch da wankte der Boden unter ihren Füßen. Und Poseidons Säule mit den Worten, des Gesetzes, noch feucht von Blut, Wasser und Wein, neigte sich knirschend und brach. Entsetzt sprangen die Könige zur Seite. Ein tausendfacher Aufschrei erscholl von drüben, aus der Stadt. "Die Rache Poseidons", schrie einer der Könige abergläubisch und verließ von panischem Schrecken erfüllt, die heilige Stätte. Die Stiere im Hain brüllten auf, rannten wie wild umher. Aus den Gehegen der Raubtiere dröhnte entsetzliches Gebrüll und plötzlich stand einer der Löwen im Dunkel, die wahnsinnige Angst hatte ihm solche Kraft gegeben, daß er den Rand der Grube erreicht hatte und es ihm möglich gewesen war, sich herauszuziehen. Und während in der Stadt die ersten Brände aufflackerten, flüchteten die Könige aus dem Tempelbezirk. Nur Torgo stand dem Löwen und den Stieren gegenüber. In der Stadt stürzten die Häuser ein, unter ihren Trümmern Menschen begrabend. Die Straßen waren erfüllt mit Kriegern und Zivilisten, welche in panischer Angst durch die Stadttore ins Freie zu gelangen suchten. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Jargo und Bethseba waren nach dem Tempelbezirk geeilt, um Torgo zu finden. "Schnell, eile dich", verlangte Jargo. Bethseba lief mit aufgelöstem Haar so schnell sie konnte, Jargo folgend. Sie erreichten die Zugbrücke, da wich Bethseba entsetzt zurück. Die herabgelassene Brücke wimmelte von Krokodilen, die sich aus dem Wasser ans Land begeben hatten. "Hier kommen wir nicht durch", rief Jargo, "wir müssen es anderswo versuchen!" Von drüben, aus dem Tempelbezirk, hörten sie das Brüllen des Löwen, sie wußten nicht, daß Torgo mit dem Tier um sein Leben kämpfte, während ihn die anderen Könige feige verlassen hatten. Der aufgescheuchte Löwe hatte ihn, selbst von panischer Angst ergriffen, angesprungen. Torgo hatte die Kehle des Tieres erfaßt und drückte sie zusammen, bis seine Pranken nachließen, gegen ihn zu schlagen. Der Löwe war nicht tot, aber er suchte das Weite, als ihn Torgo, der selbst einige tüchtige Prankenhiebe abbekommen hatte, fallen ließ. "Herr", hörte er hinter sich eine wohlbekannte Stimme, "Herr!" Das war Jargo. Das Wasser des Grabens hatte durch neu entstandene Erdspalten Abfluß gefunden und Jargo war mit Bethseba durch den Schlamm gewatet. So hatten sie schließlich im Haine Torgo erreicht. "Hier bin ich", keuchte Torgo. Erstaunt erkannte er an Jargos Seite Bethseba. "Du hier?" fragte er. "Ja", antwortete Bethseba, "komm mit uns" "Wohin? In die Stadt?" "Die Stadt brennt", keuchte Jargo, ganz außer Atem. "Wohin also?" fragte Torgo. "Überall ringsum ist Verderben und Tod. Sollen wir sterben, so ist es einerlei, wo." "Aber wir werden nicht sterben", antwortete Bethseba zuversichtlich und ergriff seinen Arm. Er sah sie an. Der Widerschein fernen Feuers erhellte ihre Gesichter. "Gut", sagte Torgo. "So wollen wir kämpfen, gegen alle Gewalten der Welt und Unterwelt." "Und uns dem Herrn anvertrauen", setzte Bethseba hinzu. "Kommt endlich", drängte Jargo, "bevor das Raubgetier uns anfällt." Und sie liefen, während der Boden unter ihren Füßen in den Wellen des Bebens erzitterte. * Der stumpfe Kegel des Kupferbergwerks war mit gewaltigem Donnern in sich zusammengestürzt, die unterirdische Welt Numrods und Rostans, die Welt der Sklaverei und Gewalt, unter sich begrabend. Auf dem Meere kämpften unterdessen Prano und eine Handvoll Männer in einem Fischerboot um ihr Leben gegen die Gewalt der schreckensvollen Elemente. "So etwas habe ich noch nie erlebt, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand", bekannte Nebussor, der Reihe nach alle seine Götter anrufend. Immer wieder schleuderte die Brandung, die immer mächtiger aufzurauschen schien das Boot gegen den Strand und es bedurfte der Aufbietung aller Geistesgegenwart und schier übermenschlicher Kräfte, um zu verhindern, daß es an den Klippen zerschellte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Rudert, rudert", rief Prano ein ums andere Mal. Und die Männer ruderten um ihr Leben. Auf dem nächtlichen Meere hingegen standen hellauf zum Himmel lodernde Fackeln. Das waren die brennenden Schiffe der Griechen und Atlanter, auf denen die mörderische, erbarmungslose Schlacht noch immer tobte, während drüben das Land in Schutt und Asche sank. Ein Orkan war aufgebrochen, mit Blitz und Donnerschlag und trieb die Flammen hoch. Hell geisterte ihr roter Schimmer über die Gesichter der Männer. Mit gewaltigem Krachen fuhren Blitze vom Himmel und zeigten ihnen in ihrem lodernden, zuckenden Schein die Armada der Ägypter, die nun endlich nahe genug heran war, um aktiv in den Kampf mit einzugreifen. "Wir sind verloren", rief der Steuermann auf Sargas Schiff. Auch Sarga hatte die Schiffe gesehen. "So mag es sein", zischte Sarga entschlossen, "aber wir werden bis zum letzten Atemzuge kämpfen." "Und wofür?" Diese Frage des Steuermanns war berechtigt. Die ferne Küste schien ein einziges loderndes Flammenmeer zu sein. "Die Götter haben unsere Vernichtung beschlossen", antwortete Sarga finster. "Aber wir wollen als Helden sterben." Der Himmel öffnete seine Schleusen. Endlich fiel strömender Regen nieder, aber er löschte nicht die Flammen von Atlantis. Immer neue Blitze zuckten, immer wieder bebte die Erde. Die ganze Küste schien plötzlich wegzusacken und wurde vom Meer überspült. Die Wellen des Bebens teilten sich dem Meere mit. Von der Insel aus gingen ringförmige Wogenkämme, hoben die Schiffe und warfen sie gegeneinander. Irgendwo im Meer versank die geborstene Nußschale mit Prano und Nebussor, der sich verzweifelt an einem Balken festklammerte. In der Stadt selbst jagten schattengleich die Menschen durch die brennenden, einstürzenden Straßen. Der Palast der Könige war in sich zusammengestürzt. Wo die heuchlerischen Gäste, die neun Könige geblieben waren, wußte keiner. Es fragte auch niemand nach ihnen. Waren sie tot, so waren sie eben tot, lebten sie aber noch, dann galt ihr Leben nicht mehr als das eines der vielen, die in dieser Nacht des Endes ihre Rettung versuchten. Durch die von Rauch, Schreien und Lärm erfüllten Straßen kämpften sich Torgo, Bethseba und Jargo. Es war ein harter, erbitterter Kampf. Die Menge schob und drängte nach hierhin und dorthin, ohne Sinn, von wilder, kopfloser Panik erfüllt. Verwundete stöhnten, wer fiel, wurde niedergetrampelt. Die Menge ging über seinen Leib hinweg. Sie sahen Personen, deren Kleider brannten und solche, welche sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermochten. Sie sahen Kinder, welche ihre Mütter verloren hatten und solche, die mit herzzerreißendem Klagen nach ihren Kindern suchten oder vor Trümmern hockten, unter denen Angehörige begraben lagen. Über all dies brauste der nächtliche Orkan und trieb die Flammen zu lodernden Fackeln auf, trotzdem der Regen in Strömen vom Himmel fiel. Längst waren die drei bis auf die Haut durchnäßt. Sie suchten und fanden ihren Weg hinab zum Hafen. Dort war um jedes Schiff, um jedes Boot ein entsetzlicher Kampf entbrannt. Die Ichsucht feierte hier ihren Triumph. Ein jeder dachte an das eigene Leben und wollte es um jeden Preis retten. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Betroffen stand Jargo vor diesem Bild, das vom Schein der brennenden Stadt gespenstisch erhellt wurde. In solchen Augenblicken fällt die Tünche ab, da zeigen sich die wahren Charaktere. "Sind das noch Menschen, Herr?" fragte Jargo. "Nein, das sind Bestien. Sie haben den Untergang verdient." Bis zum Sinken überladene Kähne kamen kaum vom Ufer ab, als sie auch schon von den Wellen erfaßt wurden und umschlugen oder versanken. Das Hafenbecken war erfüllt von den Schreien Ertrinkender. "Bel, hilf uns, o Bel" gellte Torgo die Stimme einer Frau in den Ohren, welche eine gefüllte Schmuckkassette im Arme, ein paar Meter vom Lande entfernt in den Wellen versank. "Bel holt seine Kinder zu sich", meinte Bethseba. Und sie kämpften sich weiter durch das Menschengewühl. "Wohin?" fragte Torgo. "Zu meinem Vater", antwortete Jargo. "Dem alten Manne, welchem du den Heilkundigen sandtest." Eine Welle der Scham überflog Torgos Antlitz. Aber er schwieg und folgte den beiden. Das Haus von Jargos Vater stand außerhalb des Hafens am Strand. "Komm", drängte Jargo, doch Torgo und Bethseba hatten Mühe, ihm in dem Menschengewühl zu folgen. Endlich hatten sie das Haus erreicht, oder das was noch von ihm stand. "Das sind die Trümmer der Hütte", sagte Jargo. "Und dort drüben ist das Boot. Sie wollen meine Leute von ihrem Boot verdrängen. Kommt helft, das Boot ist unsere Rettung!" Er sprang mit gezogenem Schwerte hinzu und verschaffte seiner Schwester mit ein paar Hieben Luft. Es war ein größeres Boot, das Jargos Angehörigen und deren Freunden zur Not Platz bot. Jargos Vater lebte nicht mehr. "Steigt ein, schnell", rief er und half Bethseba und Torgo in das Boot. Torgo nahm Bethseba kurzerhand auf die Arme und sprang mit ihr auf das Boot hinüber, während Jargo mit einem Messer das Tau durchschnitt, welches es noch mit dem Lande verband. Im Wasser schwimmende Menschen versuchten, sich an dem Boot festzuklammern, aber durch den kräftigen Wellenschlag wurde die Bordwand immer wieder ihren Händen entrissen. Das Wasser schien förmlich zu kochen. Weißer Schaum gischtete im Hafenbecken, ringsum zischte und brodelte es und das schwere Rauschen des Regens war vermischt mit dem Rollen des Donners in den Lüften, dem Schreien der geängstigten Menschen und Tiere und dem unheimlichen, dumpfen Rollen aus dem Erdinneren. "Fort, nur fort" drängte Jargo. * Die Seeschlacht war in vollem Gang, als das Seebeben begann. Voll Schrecken starrten die Seeleute auf die unheimliche Wasserwand, welche sich vom Festland kommend, in rasender Eile näherte. Bei ihrem Anblick schwiegen die Waffen. Zu unheimlich war diese nächtliche Erscheinung, zu gespenstisch und gefahrdrohend, als daß angesichts der bevorstehenden Schrecken noch etwas anderes zu tun geblieben wäre, als der Versuch, sich zu retten und den Untergang zu überleben. Die Helden der Atlanterschiffe, die wackeren Kämpfer der Griechen und die Männer von den ägyptischen Galeeren, die mittlerweile auch bereits in den Kampf eingegriffen hatten, wurden bleich beim Anblick der gleich einer unheimlichen, riesigen Walze, deren Ausmaß den ganzen Horizont einnahm, herannahenden Sturzflut. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Die zum Teil Bord an Bord liegenden Schiffe suchten, voneinander loszukommen und die Schnäbel der Flut zuzukehren. Wer seine Breitseite der Flut darbot, war von vornhinein verloren. "Wendet, Wendet", schrie Sarga. Längst waren die Masten durch die Gewalt des Sturmes zerbrochen, die Segel der Atlanterschiffe vom Winde zerfetzt und davongetragen. Am besten waren jetzt die ägyptischen Galeeren dran, welche sich nur auf die Kraft ihrer Ruderer verließen. Schwerfällig wendeten die Schiffe ihre Schnäbel, suchten Fahrt zu gewinnen, aber da war auch schon die Sturmflut heran, hob sie hoch gleich Spielbällen, schleuderte sie gegeneinander, daß das Holz krachte und die Bordwände splitternd barsten. Ein vielstimmiger Aufschrei übertönte selbst das Toben der Elemente. Die vom Himmel zuckenden Blitze erhellten ein schauriges Schauspiel. Die Flut des Wassers, welche über die Schiffe hereinbrach, erstickte viele. Andere wurden von den Trümmern der Schiffe, die durch den brodelnden Gischt wirbelten, erschlagen. Die meisten der Schiffe kenterten, kamen mit dem Kiel nach oben, gerieten in einen Wirbel und verschwanden nach wenigen Minuten im Wasser. Nur zwei der Griechen und eine ägyptische Galeere hatten sich auf dem Kamm der Wassermauer behaupten können. Es war fast ein Wunder, daß sie überlebten. Nach dem Entsetzens- und Todesschrei aus vielen Kehlen lagerte über dem Ort der Katastrophe das Schweigen des Todes, das nur vom Rauschen des Wassers, vom Heulen des Sturmes und dem ununterbrochenen rollenden Donner gebrochen wurde. Irgendwo auf dem weiten Meer trieb ein kleines, verzweifeltes Männchen, das sich an einer Planke festgebunden hatte, auf den rasenden Wellen. Es schluckte Wasser, rang die Hände, versuchte zu atmen und jammerte: "Das ist das Schrecklichste, was ich bisher erlebte... Das ist das Ende der Welt, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand ...." Die Flut war durch den Einbruch der atlantischen Landmassen entstanden. Das Festland hatte sich gespalten und war buchstäblich unter den Füßen seiner Bewohner weggesackt. Nach und nach bröckelte der ganze Kontinent ins Meer. Mensch und Tier suchten sich in rasender Flucht nach den Höhen zu retten, aber selbst die Berge gerieten in Bewegung. Mit donnerndem Krachen stürzten die Gipfel zusammen, brausten Steinlawinen in die sich mit Rauch und Wasser füllenden Täler. Die Schrecken derer, die noch lebten, schienen keine Ende nehmen zu wollen. Längst war die Hauptstadt in den Fluten verschwunden, der goldene Tempel versunken und der Palast des Königs. Um Rostans Haus brandeten jetzt die Wellen, die Keller und Laboratorien füllten sich, ein Erdstoß brachte alles zum Einsturz. Mit wildem Röhren suchten die Elefanten höher gelegenes Gebiet zu erreichen. Mit ihnen flüchteten Löwen und Antilopen und kriechendes Getier. Die Vogelwelt hatte Atlantis schon vor Tagen verlassen, die Vögel allein hatten sich in Sicherheit bringen können und die Menschen hätten es vermocht, wären sie imstande gewesen, die Zeichen der Natur zu deuten und hätten sie nicht voll Egoismus und Dünkel nur den niedrigen Interessen des Augenblicks gelebt. Das war nicht immer so gewesen in Atlantis. "Sie hatten wahre und große Gedanken und waren sanftmütig und verständig in Widerwärtigkeiten. Daher verachteten sie alles andere als die Tugend und sahen ihr gegenwärtiges Glück für gering an. Das Gewicht des Goldes war ihnen nur leichte Bürde. Sie wurden nicht berauscht vom Wohlleben, das ihre Reichtümer gestatteten. So lange sie solche Gedanken hegten und die göttliche Natur sie noch beherrschte, nahm all der Wohlstand noch zu. Als aber die menschliche Natur die Oberhand gewann, konnten sie ihr Glück nicht mehr tragen, sondern arteten aus. Die kein Auge mehr für das wahre glückliche Leben hatten, meinten, sie wären nun erst recht glücklich, als sie des ungerechten Gewinnes und der ungebührlichen Macht vollauf hatten.
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Aber Jupiter, der Gott der Götter, welcher nach Gesetzen herrscht, konnte das alles wohl sehen. Er fand, daß ein edles Geschlecht tief gefallen war und darum wollte er es strafen. Feuerschlünde taten sich auf. Längst erloschene Vulkane begannen Feuer und Asche zu speien. Glühende Lavamassen ergossen sich über ihre bebenden Hänge und verwandelten das Land in ein Flammenmeer das erst durch die vorwärtsdringenden Wassermassen erstickt wurde. Es gab keine Rettung, nirgendwo war Sicherheit, wohin man blickte war Tod. Er schritt mit gewaltiger Sense über den Kontinent und hielt grausige Ernte. Sein schreckliches Gespenst breitete seinen Mantel im Fluge über das sterbende Land, das dem Untergang geweiht und verfallen war. Die Weissagung Nimburs erfüllte sich, aber auch der Fluch des gemordeten Königs Amur... Und Torgo verlor am Vorabend seiner Krönung sein künftiges Königreich... Atlantis war eine einzige Hölle. Und der Mond zog unberührt und fern über den von Stürmen zerfetzten Himmel, als der Regen endlich ein Ende nahm. Und als der Tag fern im Osten graute, erhellte er eine unendliche, tobende Wasserwüste, die sich dort breitete, wo einst Leben, Singen und Lachen war, wo Menschen gehofft und gelitten hatten. Da waren Bauten errichtet worden für Generationen. Da hatte der Stolz sich hoch erhoben über die vermeintlich Niedrigen. Da hatte man regiert und Gesetze erlassen, Freundschaft, Liebe und Feindschaft gepflogen und all das war ausgelöscht durch das Ereignis einer einzigen Nacht. "Auch Hellas verlor seine Flotte, doch dadurch wehrten sie die Schmach der Unterjochung von denen ab, die noch kein Sklaventum kannten. Später aber kamen schreckliche Erdbeben und Überschwemmungen und besonders ein böser Tag und eine böse Nacht. Da sanken alle eure Krieger miteinander unter die Erde und auch die Insel Atlantis versank im Meer und verschwand." Und als die Sonne höher stieg, zeugten nur noch in den Wellen schwimmende Trümmer von der gewaltigen Katastrophe. Und die Haie, die in den folgenden Tagen wiederkehrten, hielten ein grausiges Mahl. Tief unten auf dem Grunde des Meeres aber ruhten die Tempel, Paläste und Städte und in den Ruinen der Straßen und Häuser spielten die Fische und nisteten sich Seetiere ein. Und kaum ein Lichtstrahl drang mehr in jene seltsame Welt von Tang, Korallen und geborstenen Amphoren. Atlantis existierte nicht mehr. Atlantis war Vergangenheit geworden... Unwirklich, gleich einem Traum war es auferstanden aus den Wellen, hatte gelebt und gelitten und war wieder versunken im Meer. Der Erdteil der zehn Könige, Prinz Torgos künftiges Reich, dessen Krone er niemals tragen würde... * Allmählich beruhigte sich das Meer. Sie wußten nicht, wie viele Tage sie dahingetrieben waren, es waren fünf Menschen: Torgo, Bethseba, Jargo und dessen Schwester sowie einer von Jargos Leuten, der gleichfalls mit auf dem Boot war. Er war mit Jargos Schwester verlobt. Den Flüchtlingen mangelte es an Nahrung, Trinkwasser und Heilkräutern. Jargos Schwester fieberte heftig. Bethseba pflegte sie, so gut es möglich war und ihr Verlobter und Jargo saßen bei ihr und versuchten, ihr Hoffnung zuzusprechen. Torgo saß finster im Heck des Bootes und starrte auf die trübe Wasserfläche hinaus, auf der sich hin und wieder Trümmer von Schiffen oder von Dingen zeigten, die nach Atlantis gehört hatten und die das Meer nun mit sich fortspülte, irgendwohin. Er richtete kaum ein Wort an die Umsitzenden. Sein Inneres war zutiefst aufgewühlt. Er wäre nun König gewesen, ja er hatte sogar ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, sich zum Gott ausrufen zu lassen. Und nun? (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Torgo erkannte all seine Machtlosigkeit. Zu tief war der Sturz, den er erlitten hatte und er haderte mit seinem Schicksal. Er war so sehr mit sich beschäftigt, daß er kaum darauf achtete, was um ihn vorging. Jargo hatte, als er Torgos Teilnahmslosigkeit erkannte, die Führung an Bord übernommen. Es fanden sich ein paar getrocknete Fische und Brotfladen, welche als Proviant für eine Fangfahrt vorgesehen waren. Dies teilte Jargo in kleine Portionen und wenn die Zeit zum Essen gekommen war, reichte Bethseba dem Prinzen seinen Teil. "Nimm und iß", sagte sie, "du bist hungrig." Der Prinz schüttelte den Kopf. "Ich danke dir", antwortete er, "gib es den anderen. Ich bin nicht hungrig." "Aber du mußt bei Kräften bleiben." "Wofür? Niemand bedarf meiner." "Wir alle bedürfen deiner. Aber wenn du schon nicht an uns denkst, so denke an dich selbst." "Ich denke an mich selbst, Bethseba. Ich habe alle Hoffnung aufgegeben. Vielleicht wäre es für mich besser gewesen, mit meinem Reiche unterzugehen." "Iß, Torgo. Die Zeit heilt alle Wunden. Du hast die Schrecken dieser Nacht überlebt. Der Herr hat seine schützende Hand über dich gehalten." "Seine schützende Hand?" Torgo lachte bitter. "Wenn es wirklich dein Gott war, dessen Werk wir hier erlebten, so ist er ein schrecklicher und grausamer Gott. Wie konnte er dies alles zulassen oder gar es selbst bewirken!" "Niemand vermag seinen Ratschluß zu begreifen, Torgo. Wir alle denken in Zeitspannen, die viel zu kurz sind, als daß dies möglich wäre. Aber nichts geschieht willkürlich. Alles hat seinen Sinn und Zweck. Sieh die Sonne und den Mond. Sie ziehen seit undenklichen Zeiten ihre genau vorbezeichnete Bahn. Siehe die Sterne, von denen jeder seinen Platz am Firmament hat! Sie sind nicht zufällig an jenen Plätzen, sondern weil es so sein muß, damit die Gesetze der Wirksamkeit des Himmels erfüllt werden. Des Herrn hoher Ratschluß hat sie dort hingesetzt." "Dann meinst du, daß es sein Ratschluß war, daß Atlantis unterging?" "Gewiß." Torgo atmete tief auf. "Dann sage ich dir, ich werde nie zu deinem Gotte beten. Er ist mein Feind, er hat mir alles genommen was ich besaß, ja selbst meine Vergangenheit und Zukunft. Sie liegen nun auf dem Grunde des Meeres. Er hat sie ausgelöscht! Mir ist nicht einmal das Grab meines Vaters geblieben!" "Denke nicht an Gräber, denke an das Leben." "An das Leben? Wo lebt es, das stolze Geschlecht der Atlantiden, der Kinder Poseidons? Wo sind die Söhne Atlas, wo ihre Erben? Wie kann ich an das Leben denken, da der Tod nach uns allen greift! Sieh die Schwester Jargos. Sie wird den Abend nicht mehr erleben. Und wir alle werden jenen nachfolgen, die uns vorangegangen sind und denen diese Fluten zum Grabe wurden." "Ich glaube es nicht, Torgo." "Du glaubst es nicht? Aber ich glaube es... Oh, ich habe behalten, was du mir von deinem Gott erzählt hast! Noch ein Weilchen und er wird dir seine Kraft beweisen und noch eine Weile und du wirst dein Knie beugen vor ihm! Ich erinnere mich dessen wohl, wie du es mir in meinem Palast sagtest, Bethseba. Ich habe damals die Existenz deines Gottes bezweifelt." "Und nun?" "Nun muß ich wohl glauben, was ich sehe. Er hat Bel von seinem Sockel gestürzt. Er hat verhindert, daß ich selbst zum Gotte wurde. Er duldet keine anderen Götter neben sich. Nun erkenne ich es, denn er hat auch die Kinder Poseidons zum Tode gebracht und sein Andenken vertilgt von der Erde. Ja, es gibt ihn, doch ich liebe ihn nicht und werde ihn (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
niemals lieben und ich begreife nicht, wie du ihn zu lieben vermagst." "Torgo - - -" "Laß mich sprechen, Bethseba. Wie kann ich einen Gott lieben, der mir alles nahm was ich besaß und nichts dafür gab, was besser wäre? Wie kann ich einen Gott achten, der Jargos unschuldige Schwester vor unseren Augen hier sterben läßt? Du sprichst von seiner Weisheit, wo liegt aber Weisheit in all dem? Er ist grausam, rachsüchtig und blutgierig, dein Gott. Ich kann ihn nur hassen und wen ich hasse, den bekämpfe ich. Er ließ mich am Leben um zu triumphieren und mir zu zeigen, was er vermag. Aber ich fürchte ihn nicht, denn er kann mir nicht mehr nehmen als mein Leben und niemals habe ich den Tod gefürchtet. Ich habe ihm oft genug in die Augen geschaut. So also hat dein Gott keine Macht über mich, Bethseba und ich werde meine Knie nicht beugen vor ihm, weder heute noch zu einer späteren Zeit." Bethseba schüttelte bekümmert den Kopf. "Du bist ungerecht", sagte sie. "Du hättest Grund, ihm zu danken. Von all den Ungezählten, die gestern Nacht umkamen, hat er dich verschont. Mir ist es, als könne ich nicht begreifen, weshalb er gerade dich am Leben ließ, der du ihn so hassest, aber ich weiß, daß er einem Vater gleicht, der jene Kinder am meisten liebt, welche ihm Kummer bereiten." "Er, mich lieben?" Torgo lachte hart. "Er hat aus Torgo dem Prinzen, Torgo den Bettler gemacht!" Das Gespräch wurde durch das Stöhnen von Jargos Schwester unterbrochen. "Es ist das Ende", sagte Jargo bitter. "Wir können ihr nicht mehr helfen " Er bettete ihren Kopf auf seine Knie. "Schwester", sagte er heiser, "Schwester... Ich bin bei dir..." "Jargo", bat sie leise, "versprich mir, daß du bei Torgo und Bethseba bleiben willst. Sie sind beide gut." "Gewiß. Ich werde nicht von Torgos Seite weichen, so lange er mich bei sich haben will." Dann reichte sie mit einer schwachen Bewegung ihrem Verlobten die Hand. "Lebe wohl", sagte sie, "es hat nicht sein sollen, daß wir einen gemeinsamen Lebensweg gehen. Das Fieber verzehrt mich. Mein Geist und mein Körper waren den schrecklichen Ereignissen nicht gewachsen. Werft mich ins Meer wenn ich tot bin, dort wo jetzt mein Vater und meine Mutter sind, wo unsere ganze Heimat liegt, die uns genommen wurde." Sie hauchte die letzten Worte nur mehr, bäumte sich in einem kurzen, heftigen Krampfe auf und starb. Als sie erkaltet war, machten sich Jargo und sein Freund daran, den letzten Wunsch der Verstorbenen zu erfüllen. Kurze Zeit darauf zog die dreieckige, spitze Flosse eines Haies durch das Wasser. Es war seltsamerweise der erste Hai, den sie sichteten. Trotz ihres Schmerzes vergaßen die Männer keinen Augenblick lang die Gegenwart und das war gut für sie, denn es half ihnen über den Verlust hinwegzukommen. "Das Boot zieht wieder Wasser", bemerkte Jargo. "Es ist irgendwo undicht geworden." "Es bleibt uns nichts übrig, als das Wasser auszuschöpfen", meinte sein Freund. Und sie machten sich mit bloßen Händen an diese Arbeit. Auch Bethseba beteiligte sich daran. Nur der Prinz starrte stumpf vor sich hin, als ob ihn das alles nichts anginge. "Willst du nicht helfen?" fragte Bethseba. "Wozu? Dies alles ist sinnlos. Wir werden sterben, weil dein Gott es beschlossen hat. Ich will ihm nicht das Schauspiel geben das er sich erhofft. Ich werde nicht vergebens um mein Dasein kämpfen, um ihm ein paar kurze Augenblicke abzuringen." Die drei richteten kein Wort mehr an ihn, sondern verstärkten ihrerseits ihre Bemühungen das Boot wieder trocken zu bekommen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Die Sonne stieg höher und der Durst machte sich bemerkbar. Die Kehlen der vier einsamen Bootfahrer waren bald ausgedörrt, die Hitze flimmerte ihnen vor den Augen und vergebens suchten sie nach einem Schutz vor den sengenden Strahlen der Sonne. Nirgends bot sich ihnen ein schützendes Obdach dar. "Wenn wir ein paar Stangen hätten", meinte Jargo, "könnten wir aus Bekleidungsstücken eine Art Segel errichten. Es böte uns Schutz vor den Sonnenstrahlen und wir könnten den Wind nützen." "Wozu? Das Boot folgt einer Strömung, die wir nicht kennen. Es treibt uns irgendwohin. Wir werden solange fahren, bis wir gestorben sind, endlos, ewig. Nur unsere ausgedörrten und von der Hitze gebleichten Knochen werden eines Tages Gespenstern gleich über das Meer ziehen in diesem Boot." Torgo sagte das düster. Jargo schüttelte energisch den Kopf. "Nein, Herr", sagte er, "die Strömung führt uns irgendwo an Land." "Die Nähe eines Haies beweist gar nichts. Haie gibt es auf offener See genug. Man findet sie überall, ja die Tiere scheuen sogar die Küsten." "Und doch muß das Meer irgendwo zu Ende sein, Herr." "Niemand hat noch das Meer nach allen Seiten hin befahren. Es gibt Regionen, wo finstere Dämonen auf den Klippen und in den Wassern hausen, Regionen aus denen kein Seefahrer wiederkehrt. Wer weiß, ob wir nicht in eine dieser Bereiche treiben, von denen uns die Alten erzählen." Nun ließ auch Jargo den Kopf hängen. Doch plötzlich richtete er ihn wieder auf. "Dann werden wir gegen diese Dämonen und Spukgestalten kämpfen Herr. Du wirst sie alle besiegen", sagte er zuversichtlich. Dieses Vertrauen seines Dieners flößte dem Prinzen neues Selbstbewußtsein ein. Ja, vieles hatte sich verändert, aber er selbst war er immer noch Torgo? Wieder schauten sie auf die Wasserfläche hinaus. "Der Hai wird unruhig", sagte Jargo plötzlich. Torgo sah auf. Allmählich regte sich wieder das Interesse an seiner Umgebung. "Vielleicht treiben Trümmer oder Leichen in der Nähe", meinte er. "So wird es sein", pflichtete ihm Bethseba bei. Tatsächlich wich die Schwanzflosse des Raubfisches, die bisher in unbeirrter Fahrt dem Kahn eine silbergleißende Spur im Wasser nachgezogen hatte, nach hierhin und dorthin aus. Es sah so aus, als würde die Aufmerksamkeit des Fisches von einer bestimmten Sache erregt, der auf den Grund zu gehen er zu vorsichtig war. Torgo erhob sich und legte die Hand vor die Augen, um sie gegen das Sonnenlicht abzuschirmen. Er versuchte, mit seinem scharfen Blick die Ursache für das Benehmen des Haies zu erkennen. "Ja", sagte er schließlich nach einer kurzen Weile, "dort drüben schwimmt etwas. Ich kann es nicht genau erkennen. Es scheinen ein paar Planken von einem Schiff zu sein." "Planken?" meinte Jargo ungläubig. "Auf Planken hat ein Hai wenig Appetit. Siehst du nichts Lebendes, Herr?" Torgo schüttelte den Kopf und setzte sich wieder. Man beschäftigte sich eine Zeitlang mit anderen Dingen, bis Bethseba plötzlich aufhorchte. Es war ihr, als habe sie einen über das Wasser klingenden schwachen Ruf vernommen. Die Planken waren inzwischen erheblich näher an das Boot herangetrieben worden und nun sahen die Meerfahrer auch, daß tatsächlich ein menschlicher Körper auf ihnen lag, ein Körper der aber offenbar zu schwach war, um sich aufzurichten.
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Ein Mensch schaukelte dort hilflos auf den Wellen, ein Mensch, der lebte und die Rufe, die er von Zeit zu Zeit ausstieß, verscheuchten im Verein mit seinen Bewegungen vorerst noch den mordlüsternen Hai. Aber es war vorauszusehen, das dies nicht mehr lange der Fall sein werde. Der Fisch zog immer engere Kreise um den Happen, der sich ihm hier darbot. Bald würde er angreifen. "Wir müssen den Menschen retten", meinte Bethseba. "Ja", sagte Torgo entschlossen. "Ich habe noch mein Messer." "Bleib da", rief Jargos Freund. "Ich habe meine Verlobte verloren. Mein Leben gilt nichts mehr. Ich will es gern für ein fremdes Leben aufs Spiel setzen." Noch ehe jemand ihn hindern konnte, sprang er in weitem Hechtsprung ins Wasser und hielt mit kühnen Stößen auf den Hai zu. "Er ist wahnsinnig", rief Torgo, "Jargo, bleibe bei Bethseba! Ich muß diesem Verrückten helfen!" Er riß sein Messer hervor, steckte es zwischen die Zähne und streifte ein paar hinderliche Kleidungsstücke ab. "Torgo", rief Bethseba entsetzt. "Sei ohne Sorge", antwortete Torgo. "Dieser Mann hat seine Braut verloren und wagt sein Leben für ein fremdes. Ich aber habe viel mehr verloren als er, weshalb soll ich nicht da das meine für die Leben zweier anderer in die Waage werfen." Hoch spritzte das Wasser auf und Torgo folgte dem Voranschwimmenden, während Jargo Bethseba zu beruhigen versuchte und dabei selbst grimmig die Fäuste ballte, weil er nicht seinem Herrn beistehen durfte. In raschen Schwimmstößen näherten sie sich dem Hai, der die Gefahr noch nicht bemerkt hatte. Das Tier hatte nur Augen für den ersehnten Leckerbissen auf den Planken. Eben hatte der Hai wieder eine Kreisbahn beendet und hielt nun wieder auf das Boot zu, als er die beiden Männer im Wasser sah. "Tauchen", rief Torgo und verschwand im gleichen Augenblick unter Wasser. Aber der andere schien seinen Ruf nicht gehört zu haben. Auch er besaß ein Messer und er nahm es nun in die Rechte und brachte sich mit ein paar kräftigen Schwimmzügen in gefährliche Nähe des Haies. Der Hai war es nicht gewohnt, selbst angegriffen zu werden. Mißtrauisch drehte er ab. Torgo war ein Stück seitwärts wieder aufgetaucht. Er hatte die Planken erreicht und erkannte mit Staunen, wer da auf dem Wasser trieb. Es war Rostans Diener, der kleine Perser Nebussor. Der Zwerg war halb bewußtlos. Er war offenbar völlig erschöpft und am Ende seiner Kräfte. Ab und zu stieß er einen heiseren Laut aus oder murmelte ein paar Worte in der Muttersprache. Dann wieder machte er eine matte Bewegung. Aber er konnte sich nicht viel rühren, denn Torgo bemerkte, daß er sich offenbar selbst an die Planken festgebunden hatte. Das war seine Rettung gewesen. Nun mußte es nur noch glücken ihn heil ins Boot zu bekommen und dann war er für den Augenblick außer Lebensgefahr. Das weitere Schicksal Nebussors und der anderen Überlebenden der Katastrophe stand allerdings in den Sternen... Eben war Torgo bei dieser Überlegung angelangt, als er sah, wie der Hai mit seiner Schwanzflosse zum Schlag ausholte. Im nächsten Augenblick spritzte das Wasser hoch auf. Der Hai war durch einen Messerstich verwundet worden und nahm schreckliche Rache. Torgo stieß sich von den Planken ab, um dem Kämpfenden zu Hilfe zu kommen. Aber es war bereits zu spät. Im nächsten Augenblick färbte sich das Wasser blutig. Aber da war Torgo auch bereits unter dem Hai. In die Tiefe tauchend, nahm er das Messer fest in die Rechte, und während der Hai durch sein grausiges Mahl abgelenkt war, stieß ihm Torgo die Klinge in den Leib, ihn weit aufschlitzend. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Mit einem gewaltigen Stoß stieß er sich von dem Tiere ab und brachte sich in Sicherheit. Mit wilden Schwanzschlägen peitschte der Hai das Wasser zu blutigem Schaum, bevor er den Bauch nach oben drehte und langsam in der Tiefe versank. Torgo hatte ihn getötet... "Nebussor", zischte jetzt Torgo und schwamm zu den Planken hinüber. Der kleine Perser war inzwischen vollständig bewußtlos geworden. Torgo packte die Planken, hielt sich an ihnen fest, und dirigierte sie, sich mit den Beinen vorwärts schnellend zu dem Boote hin, wo man inzwischen die Vorgänge mit atemloser Spannung verfolgt hatte. Jargo war verzweifelt, aber in den Schmerz über den Verlust seiner Schwester und seines Freundes, mischte, sich die Freude über das unverhoffte Wiedersehen mit dem kleinen Nebussor. "Nebussor, hier bei uns - wer hätte das gedacht!" rief er ein ums andere Mal. Erschöpft ließ sich Torgo ins Boot sinken. Und während Bethseba dem Bewußtlosen mit kühlem Meerwasser die Stirn kühlte. fischte sich der praktisch denkende Jargo die Planken und begann mit ihrer Hilfe einen Verschlag auf dem Boot zu errichten, der etwas Schutz vor den Sonnenstrahlen und vor Regen gewähren konnte. Alle aber waren sie erleichtert über den Tod des Haies. Jetzt wagte sich kein solcher Raubfisch in die Nähe, nur Schwärme von Delphinen, welche in possierlichen Sprüngen aus dem Wasser hüpften und dadurch ihre Lebensfreude kundtaten. Der Himmel war wolkenlos. Hatten sich in der vergangenen Nacht die Schleusen des Himmels zu einer wahren Sturzflut geöffnet, so waren nunmehr die Wolken wie weggefegt und kein Lüftchen regte sich. Immer unerträglicher wurde der Durst. Nebussors Lippen waren aufgesprungen und von einer rauhen Kruste bedeckt. Als er die Augen aufschlug, vermochte er kaum zu sprechen. Verwundert blickte er sich um. "Nebussor", rief Jargo und rüttelte ihn vollends wach, "Nebussor, du bist gerettet und bei Freunden!" Nebussor vermochte es kaum zu glauben. "Ja, du lebst", rief Torgo, "wir haben dich auf dem Meere aufgefunden!" Nebussor schloß die Augen wieder und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. "Es ist Torgos Stimme, das ist gewiß" murmelte er heiser. "Es ist nicht nur seine Stimme", meinte Jargo, "wir sind wirklich bei dir. Öffne die Augen, du bist bei Torgo, Bethseba und Jargo!" Erst nach einer Weile folgte Nebussor dieser Aufforderung. Er blickte die drei an, als sähe er Gespenster. "Das ist ein Wunder, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand", stieß er hervor und langte mit den Händen nach ihnen, als wolle er sich durch die Berührung davon überzeugen, daß er nicht träume und auch keiner Fiebertäuschung anheimgefallen sei. "Du lebst und wir haben dich gerettet", beruhigte ihn Torgo. "Aber deine Leiden sind damit noch nicht zu Ende. Du hast dich nur wenig verbessert, Nebussor. Statt auf Planken schwimmst du nun in einem Boot auf dem Meer. Aber wir haben weder Wasser noch Nahrungsmittel." "Aber die Küste muß doch in der Nähe sein!" "Die Küste gibt es nicht mehr, lachte Torgo bitter. "Ganz Atlantis ist im Meer versunken." "Er redet irre, das ist gewiß", brummte Nebussor erschrocken. "Nein, er sagt die Wahrheit", bestätigte Jargo. "Es ist so geschehen, wie er sagte." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Nun schien Nebussor allmählich die Erinnerung an all die Geschehnisse wiederzukehren. "Der Schleier weicht von meinem Gedächtnis", brachte er heiser hervor und versuchte sich aufzurichten. "Ja, ich erinnere mich. Es war die grauenvollste Nacht meines Lebens." "Und was nun werden soll, wissen wir nicht", setzte Jargo hinzu. "Der Tod ist noch nicht satt. Er hat noch nicht genug geerntet. Nun hat er auch noch meine Schwester und deren Verlobten geholt. Und ich weiß nicht, wann wir an die Reihe kommen. Offenbar haben die Götter beschlossen, daß niemand von den Atlantern am Leben bleibt.". "Aber ich bin kein Atlanter, ein jeder weiß, daß meine Wiege im fernen Persien stand", erklärte Nebussor. "Mein armer Freund Prano hingegen, er hat es büßen müssen." Torgo horchte auf. "Prano?" fragte er, "was ist mit Prano?" "Er ist tot und noch ein paar andere, die mit uns waren. Prano fürchtete die neun Könige. Wir waren eben dabei, etwas zu deiner Unterstützung zu unternehmen als das Ende kam. Wir retteten uns in ein Boot das aber zu schwach war, um den Wellen standzuhalten. Es zerbarst. Mich hätte bald ein Strudel hinab in die Tiefe gerissen. Aber ich hatte Glück, das ist gewiß. Nur leider mußte ich das Ende Pranos mit ansehen, ohne ihm helfen zu können." "Armer Freund", meinte Torgo betrübt. "Oh, es waren unheilvolle Stunden. Bis ans Ende meiner Tage werde ich sie in meinem Gedächtnis tragen. Oh, Atlantis... Land meiner Ahnen, meine Heimat, Stätte meiner Kindheit, wo bist du geblieben? Wo sind sie alle, die vertrauten Plätze und Gesichter?" Nebussor richtete sich halb auf. "Es ist schlimm für dich, das ist gewiß", versuchte er Torgo zu trösten. "Aber nicht du allein hast Verluste erlitten. Ich zum Beispiel außer Prano noch meinen Herren, von dem ich am Schluß beinahe überzeugt war, daß er im Grunde genommen ein Schurke war und meinen Esel, dem ich das ganz gewiß nicht vorwerfen kann. Und wenn ich Gelegenheit dazu hätte, mich zu entscheiden, welchen von beiden ich wiederhaben will, so weiß ich nicht, ob ich mich nicht für den Esel entscheiden würde." "Ich glaube kaum, daß du Gelegenheit dazu haben wirst", meinte Jargo und klopfte Nebussor auf die Schulter "und wir können den Göttern danken, wenn wir überhaupt jemals wieder einen Esel zu Gesicht bekommen." "Das wäre aber gut", sagte Nebussor, "etwas Abwechslung an Gesichtern kann schließlich nicht schaden." So brachte der kleine Perser ein wenig Optimismus und Heiterkeit in den Kreis der Einsamen, die nicht wußten ob ihre Rettung eine Endgültige war und was ihnen noch alles bevor stand. * König Telaus hatte in aufmerksamer Art eine Gebetsstätte in den Räumen Nif-Iritts errichten lassen, an der sie zu ihren heimatlichen ägyptischen Göttern beten konnte. Hierher zog sie sich gern zurück. Es war für sie ein Ort der Ruhe und inneren Sammlung. Und außerdem gab ihr dieser Raum ein heimatliches Gefühl, dessen sie sehr bedurfte. Nil-Iritt liebte es, diese Stätte ganz allein zu betreten. Sie warf sich dann, wenn der Vorhang hinter ihr zugefallen war auf die Knie, beugte ihren Körper weit vor und streckte die ausgebreiteten Arme aus, bis sie den Boden berührten und ihr Gesicht beinahe auf den marmornen Fliesen lag. "Isis, Osiris, ihr großen Götter Ägyptens und der Welt", betete sie dann mit Inbrunst, "lasset mich meine Heimat wiedersehen. Bringt mich fort von diesem Manne, den ich nicht zu lieben vermag und laßt den Weg dessen, den ich liebe, den meinen kreuzen. Isis, Osiris, ihr wißt, wen ich meine. Oh, große Göttin aller Liebe und allen Lebens, führe ihn zu mir. Seit ich Atlantis verlassen habe, brennt nach ihm mein Herz. Alle meine Gedanken sind auf ihn gerichtet. Der stolze Königssohn Torgo, er ist es den ich liebe, nun weiß ich es gewiß. Keiner gleicht ihm. Keiner hat seine Kraft, seine Tugend, seinen Mut und seine Tapferkeit."
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Und dann richtete sie sich auf, entzündete Weihrauch in Opferschalen und begann mit alten, überlieferten Beschwörungen. Sie sollten ihr Torgo wiederbringen. War sie damit zu Ende, dann träumte sie vom süßen Duft des Opferrauches halb benommen, von Torgo. Sie war sich erst nach harten, inneren Kämpfen darüber klar geworden, daß sie ihn liebte. Torgos abweisende Art hatte ein Haßgefühl in ihr erweckt, aber zugleich auch den heimlichen Wunsch, seinen Stolz zu brechen und ihn zu ihren Füßen zu sehen. Und je mehr die Entfernung zwischen ihr und Atlantis wuchs, um so lebhafter war dieser Wunsch in ihr geworden. Jetzt, da seine Erfüllung fast undenkbar schien, war er beinahe zu einer rasenden Leidenschaft geworden. König Telaus väterliche Art trug wenig dazu bei, sie von ihrer heimlichen Leidenschaft abzulenken. Er war ein Mann, der an der Schwelle des Alters stand. Nif-Iritt gefiel ihm und er pries sich glücklich, sie zur Frau zu haben, aber das durch die Heirat zustande gekommene Bündnis mit Ägypten schätzte er zumindest ebenso. Anfangs bemerkte er mit Erstaunen Nif-Iritts Widerstreben. Er schob es auf ihre Jugend. Aber die Tochter des Pharao war nicht von der Art, die man als scheu bezeichnet. Er erkannte, daß ihre Zurückhaltung andere Gründe haben müsse. Vergeblich zerbrach sich der König den Kopf, wie er ihr Benehmen ändern könne und ließ es nicht an Geschenken und Aufmerksamkeiten fehlen, die wohl auch mitunter für den Augenblick ihre Wirkung taten, ohne jedoch im Ganzen eine Wendung hervorzurufen. So schien denn diese Ehe keinen sehr glücklichen Verlauf nehmen zu wollen. Zu früh schlich sich ein graues Gespenst zwischen die beiden Eheleute: die Gleichgültigkeit. Immer noch wartete König Telaus auf Meldungen von der gegen Atlantis entsandten Kriegsflotte. Er hatte weder von ihr Nachricht noch von seinem verbündeten Schwiegervater, der doch gleichfalls zahlreiche Truppen auf dem Meere hatte. Auf den Märkten und Plätzen, in den Kaschemmen und Bädern raunte man sich Gerüchte zu von Siegen und Erfolgen. Hier war der Wunsch der Vater des Gedankens. Und die Wünsche seines Volkes deckten sich in diesem Fall mit denen des Königs ganz und gar. An einem Abend kehrte Telaus von einer wichtigen Ratssitzung müde und abgespannt in seine Gemächer zurück. Telaus fragte die Diener nach seiner Gattin, Nif-Iritt befände sich in ihrem Gebetszimmer, sagte man ihm. Telaus brummte unwillig und ließ sich das Abendessen auftragen. Er speiste üppig und begab sich dann zur Ruhe. Doch plötzlich spürte er eine seltsame Bewegung seines Bettes. Er hatte mit einem Male das Gefühl, sich in einem Kahn auf bewegtem Wasser zu befinden. Gleichzeitig klirrte irgendwo etwas, er hörte ein Knirschen und Rieseln im Mauerwerk und sprang entsetzt auf. "Die Erde bebt" rief er, warf einen Mantel über und verließ das Schlafgemach. Über steinerne Stufen sprang er hinab in den Garten, in dem sich eben die schreckensbleiche Dienerschaft zu versammeln begann. "Die Erde bebt!" Über die ganze Königsstadt hin schien sich dieser Schreckensruf fortzupflanzen. Man kannte und fürchtete Erdbeben in Griechenland. Sie hatten schon genug Opfer gefordert und gewaltigen Schaden angerichtet. Nif-Iritt wurde von dem Beben in einem ihrer Gemächer überrascht. Es war das erste Erdbeben ihres Lebens. Voll Entsetzen spürte sie, wie der Boden unter ihren Füßen sich wie ein lebendes, atmendes Wesen bewegte, wie die Kraft wellenartig unter ihr fortlief. Sie wußte sich zunächst vor Schreck nicht zu fassen. Aber Gül-Gül, die solche Beben kannte, stürzte in Nif-Iritts Gemach, in dem sich Sil gerade aufhielt. "Rasch Herrin, ins Freie!" rief sie, "die Erde bebt!" So pflanzte sich dieser Ruf in den Gemächern des Königspalastes fort. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Die beiden Dienerinnen führten Nif-Iritt eilends in den Garten, in welchem seltene Tiere aufgeschreckt durcheinanderliefen. An den Wellen des Wasserbeckens sah man, wie stark das Beben war. Man konnte es deutlich beobachten. Telaus, der sich gleichfalls im Garten aufhielt, lief auf seine Gemahlin zu. "Bitten wir die Götter, daß es vorübergeht, ohne schlimmen Schaden anzurichten" rief er. Doch da wurde ein seltsames Rauschen vernehmbar. Es glich einem dumpfen, brausenden Ton, der allmählich die Lüfte erfüllte und zunächst noch von weit her zu dringen schien, aber immer näher kam. "Das Meer", rief Telaus entsetzt, "das ist das Meer!" "Oh, ihr Götter", betete Sil, sich auf die Knie werfend. Und die Menschen, die in den Garten geflüchtet waren, folgten ihrem Beispiel. Draußen im Hafen geschahen schreckliche Dinge. Die Sturzflut raste mit ungebrochener Gewalt heran. Eine gewaltige Wassermauer schob sich gegen die Küste, alles zermalmend und vernichtend, was sich ihr in den Weg stellte. Unter donnerndem Krachen und Bersten wurden die am Kai vertauten Schiffe hochgehoben, vom Tauwerk gerissen und von der hohen Woge an Land gesetzt. Die Schiffe krachten gegen die Häuser, wurden bis in die Straßen am Hafen geschoben, zersplitterten in tausend Trümmer. Gischt und Schaum sprühte durch die Straßen. Der Himmel schien sich zu verdunkeln. Erschrockene Schreie wurden laut, als man nun auch noch das Beben verspürte. Als sich das Wasser wieder verlief, hatte die Sturzflut verheerenden Schaden angerichtet, viel größeren als das Beben, das nach kurzer Zeit wieder verebbte und nur der Ausläufer einer Erdbewegung gewesen zu sein schien, welche ihr Zentrum in größerer Entfernung gehabt haben mußte. König Telaus beklagte in seinem Palast nur einige zerbrochene Vasen. In den leichter gebauten Sommerhäusern auf den Berghängen waren Bauschäden geringeren Umfanges entstanden. Menschen waren keine zu Schaden gekommen. Im Hafen jedoch sah es wüst aus. Hier hatte die Sturzflut Opfer gefordert. Als es sicher schien, daß sich die Flut nicht wiederholen werde und man daran ging die Trümmer aufzuräumen und den Hafen wieder in einen verwendbaren Zustand zu versetzen, machte man seltsame Entdeckungen. Da fand man zwischen Schlamm, Seetang und den Trümmern, welche von den griechischen Schiffen stammten, seltsam geformte Figuren aus Holz und Dinge, deren Farbe und Musterung den Griechen völlig fremd war. Sie hätten sie keineswegs ihrer Geschmacksrichtung zufolge, als schön empfunden und dennoch war ihnen eine gewisse Harmonie, ja eine fremdartige Schönheit nicht abzusprechen. Da war viel Verwundern über diese Dinge, bis schließlich einige Männer auf den Gedanken kamen, sie in den Königspalast zu bringen. Prinzessin Nif-Iritt hatte sich wieder beruhigt. Die Kunde von den seltsamen Funden, die das Wasser an Land gespült hatte, erreichte sie und die Neugier machte, daß sie die Dinge zu sehen verlangte. Kaum war ihr Blick auf die hölzernen Gerätschaften und die kleinen Götzenfiguren gefallen, als sie ausrief: "Das ist Bel, der Gott der Atlanter! Und diese Dinge sind gewiß auch atlantischen Ursprungs! Wie kommen sie hierher?" "Die große Flut hat sie mitgebracht, Königin", bekam sie zur Antwort. "Sie stammen von keinem unserer Schiffe, gewiß nicht! Sie müssen vom Wasser mitgeführt worden sein. Es liegen noch mehr solcher Dinge im Hafen und gewiß auch an der Küste. Was davon brauchbar ist, werden die Fischer sich bald angeeignet haben."
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Die Prinzessin gab den Männern ein Geschenk und behielt den kleinen hölzernen Bel, der einmal in einer armseligen atlantischen Hütte gestanden haben mochte. "Was machst du mit dem Ding?" fragte Telaus verwundert. "Ich behalte es als Andenken", gab Nif-Iritt ausweichend zur Antwort. Aber der kleine Bel schien ihr als Antwort der Götter auf ihre Gebete, als ein Unterpfand des Schicksals, daß es sie eines Tages wieder mit Torgo zusammenführen werde. Der König aber hegte andere Gedanken "Wenn diese Dinge tatsächlich aus Atlantis stammen und hier bei uns, durch diese schreckliche Flut an Land geschwemmt wurden, dann muß in Atlantis ein schreckliches Unglück geschehen sein." "Ein Unglück?" fragte Nif-Iritt erschrocken. "Ja und es wird womöglich unsere Flotte getroffen haben. Man muß damit rechnen! Die Flut war an ihrem Ausgangspunkt viel stärker als hier, wo sie uns erreichte. Wehe den Schiffen, welche sie auf offenem Meer überfiel. Oh, Jupiter, oh ihr Götter, habt ihr euer Antlitz von uns gewendet? Mit Grauen denke ich an unsere Flotte, Nif-Iritt!" Nif-Iritt nickte bleich. Sie dachte nicht an die Flotte, sondern an Prinz Torgo. "Was kann geschehen sein?" fragte sie bebend. "Wie kann ich es wissen? Ein fürchterliches Erdbeben vielleicht! Es muß ganz schlimm gewesen sein! Wahrscheinlich hat es zerstört, was unsere Krieger überließen! Vermutlich steht auf dieser verfluchten Insel kein Stein mehr auf dem anderen." Nif-Iritt hörte seine Worte an, während ihre Finger den kleinen, hölzernen Bel umklammerten, daß sie die Knöchel schmerzten. Sie wollte etwas antworten, aber sie vermochte es nicht. Plötzlich wandte sie sich ab und lief davon, den erstaunten König allein zurücklassend. "Nif-Iritt", rief ihr Telaus nach. "Was hast du? Du wolltest Rache, nun hast du sie! Niemals hätte ich die Atlanter schlimmer strafen können, als es die Götter taten! Nif-Iritt!" Doch Nif-Iritt hörte ihn nicht mehr. Sie irrte durch die Gänge des Schlosses und erreichte schließlich ihren Gebetsraum, wo sie sich aufschluchzend zu Boden warf. "Oh, ihr Götter", schluchzte sie, "ihr straft mich hart. Schont doch das Leben dessen, den ich liebe!" Voll Sorge war ihr König Telaus nachgeeilt. Er hatte Nif-Iritts Betraum noch nie betreten. Diesmal aber fühlte er sich durch das seltsame Benehmen der Königin dazu verpflichtet, es zu tun. Er hatte die Vorhänge, welche diesen Raum von den anderen trennten, noch nicht zurückgeschlagen, als er das seltsame Gebet zu hören bekam, welches Nif-Iritt sprach. "Oh Isis, Osiris, schont Torgo", bat sie. Betroffen wich Telaus zurück. "Torgo?" fragte er sich, "sie betet für Torgo, den Prinzen der Atlanter? Für den Mann, an dem ich sie zu rächen versprechen mußte?" Er schüttelte den Kopf, denn er vermochte sich nicht sogleich in der Gedanken- und Empfindungswelt seiner Frau zurechtzufinden. Aber allmählich begann er zu begreifen und er ballte seine Fäuste im Zorn. "Sie liebt ihn, das ist klar" zischte er und entfernte sich leise. Nif-Iritt sollte nicht wissen, daß er sie belauscht hatte und daß er dadurch ungewollt Mitwisser ihres Geheimnisses geworden war. "Ja, sie liebt ihn... Und mir hat sie vorgespielt, daß sie ihn hasse... Oh, ihr Götter, spielt mir diesen Menschen in die Hände und das größte Opfer soll euer sein, daß ein griechischer König jemals gespendet hat!"
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Voll Wut und Zorn auf Torgo und Nif-Iritt kehrte er in seine Zimmer zurück, ohne Nif-Iritt weiter zu stören. Nif-Iritt aber nahm den kleinen, hölzernen Bel und stellte ihn neben die Götter Ägyptens. Und sie sah ihn an und dachte sich zurück nach Atlantis. Wie hatte sie sich von dort fortgesehnt und wie sehnte sie sich jetzt danach zurück! Oder nein, nicht nach Atlantis, nur nach Torgo... Hand in Hand mit ihm hätte sie nach Ägypten heimkehren wollen, unter die warme Sonne ihrer Heimat, in das Land am Nil. Fahren mit ihm, in einer Barke auf den blauen Wassern des Flusses, begleitet vom Gesang der Ruderer... Träumen mit ihm, im Schatten der Palmen und Pyramiden, fort, weit fort von Griechenland... * Als sich das Schiff wieder aus den Wassern aufrichtete, war es höchste Zeit, denn Reros hatte bereits geglaubt ersticken zu müssen. Den anderen Männern an Bord erging es wie ihm. Das Schiff schien zu kentern. In das Toben der Elemente mischte sich das Schreien und Brüllen der Menschen in Todesgefahr. Die Wassermassen spülten da und dort einen über Bord, rissen ihn mit sich, obwohl er sich verzweifelt festklammerte. Teile der Aufbauten verschwanden im Meer. Das Wasser drang durch alle Luken und Öffnungen, das Schiff schien zu sinken, abzusacken und richtete sich dort wieder auf. Reros hatte sich, wenige Augenblicke bevor die Flut kam, mit einem Tau an einen Pfosten gebunden. Das war seine Rettung, denn er hätte wohl das Schicksal jener anderen geteilt, die fortgespült wurden und in die kochende See verschwanden. Nun brauchte er zunächst Zeit, um wieder zur Besinnung zu kommen. Er japste nach Luft, spie Wasser und rieb sich das Salz aus den Augen, die ihn höllisch brannten. Es war ein Wunder geschehen. Das Schiff war ein Wrack, aber es schwamm. Schwerfällig drehte es sich im Kreise und schoß mit der Nachhut der Flut dahin, bis sich das Meer beruhigte. Da war nur noch in einiger Entfernung eine ägyptische Galeere zu sehen, die starke Schlagseite hatte. Es sah so aus, als ob sie sinken würde. Und die anderen Schiffe? - Auch die Armada des Pharao schien das Schicksal ereilt zu haben. Aufatmend band sich Reros los und kroch über das Deck. Er vermochte kaum sich auf den Beinen zu halten, obwohl er ein kräftiger Mann war. Dann erreichte er die Treppe und fand einen seiner Leute zwischen das Gestänge eingeklemmt. Er rüttelte ihn. Der Mann war bewußtlos, aber er lebte. Reros befreite ihn aus seiner Lage und zerrte ihn hinauf auf die Planken. Weiter taumelte er, zu sehen was noch am Leben war. Unter Deck boten sich ihm grauenvolle Bilder. Das Schiff war zu einem schwimmenden Sarg geworden. Im ganzen lebten noch an die sechzig Personen und es hatte außer seiner Mannschaft dreihundert Soldaten an Bord gehabt. Der halbe Schiffsraum stand unter Wasser. Es war durch die Luken und Treppenabgänge hineingedrückt worden. Der Galeere ging es offensichtlich ebenso. Das griechische Kriegsschiff war jedenfalls nicht leck und der Wasserballast hatte im Augenblick sogar sein Gutes. Er verlangsamte die Bewegungen des Schiffskörpers. Nach einer halben Stunde hatte Reros die Überlebenden beisammen und sie auch so weit wieder auf den Beinen, daß man darangehen konnte, das Wasser auszuschöpfen und die Toten über Bord zu schaffen. Dann ging er mit dem Steuermann daran, die Schäden zu besichtigen. "Ras Ruder ist hin, wir können nicht steuern", sagte der Mann "und unsere Masten sind über Bord. Wir sind dem Meere hilflos preisgegeben und werden dort landen, wohin uns die (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Strömung trägt." Reros schüttelte den Kopf. "Wir haben Holz genug an Bord. Wir werden ein Notruder zimmern, um zu steuern. Die Ruder zu unserer Fortbewegung sind gebrochen. Leinen haben wir keines mehr, obwohl sich ein Behelfsmast errichten ließe. Aber es erscheint mir ratsamer, die Handruder wieder instand zu setzen. Sie lassen sich ergänzen und reparieren. In zwei Tagen sind wir wieder Herr über das Schiff. Der Galeere dort drüben scheint es viel schlimmer zu gehen." * Men-Aton hieß der Befehlshaber der ägyptischen Galeere. Bei ihm an Bord sah es übel aus. Die meisten Rudersklaven waren ihm ertrunken. Sie hingen tot an ihren Ketten, an den Bänken festgemacht, auf denen sie das schreckliche Ende ereilt hatte. Men-Aton wußte nicht, ob das Schiff leckte oder die Schlagseite von der Wasserfüllung kam, die Galeere lag halb auf der Seite und schlingerte. Sie schöpfte immer wieder von neuem Wasser wenn sie hinab in ein Wellental schoß. Men-Aton rüttelte seine Männer zur Besinnung und half mit der Peitsche nach, wo es nicht anders zu gehen schien. "Wacht auf", brüllte er, "kommt zur Besinnung, packt an wenn ihr nicht sterben wollt!" Aber Men-Atons Männern war der Tod näher als das Leben. Die meisten von ihnen waren durch Schiffstrümmer arg verletzt und nach Stunden zeigte sich, daß überhaupt nur ein kleines Häuflein einsatzfähiger Überlebender vorhanden war. Die Galeere flott zu bekommen, schien ein Ding der Unmöglichkeit. "Was tun wir?" fragte sich Men-Aton. "Dem griechischen Schiff geht es offenbar besser. Vielleicht ist es ratsam, ein Floß zu zimmern und hinüber zu schwimmen. Die Griechen werden uns aufnehmen und wahrscheinlich können wir dort von Nutzen sein." Auch an Bord der Galeere gab es genügend Holz, daß sich zum Bau eines Floßes verwenden ließ. Mit Tauen wurden die Planken aneinandergebunden, bis sich eine genügend große Fläche bot, welche die Überlebenden der Galeere aufnehmen und zu dem griechischen Schiff hinübertragen konnte. Es war fast Abend, als man das Floß zu Wasser lassen konnte. Die Entfernung zwischen den beiden Schiffen hatte sich mittlerweile nur geringfügig vergrößert. Men-Aton hatte auch für die nötigen Ruderer gesorgt und alles was ihm brauchbar erschien, lud er zu sich auf das Floß. So kam es, daß die Griechen in der Dämmerung des herannahenden ägyptischen Floßes ansichtig wurden. Man warf ihnen, als das Floß längsseit legte, die einzige noch benutzbare Strickleiter zu und Men-Aton und seine Männer kletterten völlig erschöpft an Deck. Reros eilte herbei. "Wir bitten dich um Aufnahme", sagte Men-Aton. "Ich bringe dir unsere Überlebenden und einige Verwundete, welche sich erholen werden und dir mit meinen Männern Hilfe leisten können." "Die Galeere ist nicht mehr zu retten?" fragte Reros. "Ich weiß es nicht", bekannte Men-Aton, "auf jeden Fall sind wir zu wenig und wenn wir ein paar Tage an Bord bleiben, haben wir die Pest." Reros nickte. "Ihr habt recht daran getan, das Schiff zu verlassen", erklärte er. "Legt bei uns Hand mit an. Wir haben Hoffnung, Griechenland zu erreichen." "Wir werden helfen", erklärte Men-Aton. "Aber wie steht es mit Trinkwasser und Lebensmitteln? Wir haben nichts davon retten können." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Wir auch nicht. Es wird schlimm werden. Unsere Weinkrüge sind zerschlagen und unsere Wasserschläuche liegen selbst im Wasser. Wir können nicht zu ihnen hinab, wenigstens jetzt noch nicht. Du siehst, wir versuchen, das Schiff auszuschöpfen. Aber es geht kaum vorwärts. Wir haben keine brauchbaren Eimer." In der Tat waren die Griechen dabei, mit allen möglichen aufgefundenen Bechern und Schalen Wasser zu schöpfen, das gab nur einen geringen Fortgang. "So kommt ihr nicht weiter", erkannte Men-Aton. "Ihr müßt es anders machen." Men-Aton war ein geschickter Mann. Die Helme der Griechen erschienen ihm als weit bessere Schöpfmittel. Er ließ Ketten bilden. Dann fand sich ein halb geborstener Eimer, den man flicken konnte. Ununterbrochen waren die Männer an der Arbeit. Dann stieß man auf Amphoren, die noch ganz waren. Sie enthielten kostbaren griechischen Wein. Als sich der Wasserspiegel senkte, fand man allerdings auch noch einige ertrunkene Männer, die in den Wellen ihr Grab fanden. Unterdessen zimmerten die Griechen unter Men-Atons Anleitung große hölzerne Bottiche. Sie schlossen zwar nicht dicht, aber mit ihnen kam man immer noch rascher voran. Und dennoch dauerte es fast drei Tage, bis der Ruderraum trocken gelegt war und besetzt werden konnte. Mittlerweile war auch ein neues Steuerruder angefertigt worden. Seine Befestigung bereitete einige Schwierigkeiten, da es niemand wagte, sich ins Wasser hinab zu lassen, der Haie wegen, welche die beiden Schiffe umschwärmten. Schließlich wurde auch dieses Problem gelöst und am vierten Tage setzte sich das einzige Schiff der beiden Flotten, das die Heimat wiedersehen sollte, schwerfällig in Bewegung. Die See hatte sich mittlerweile völlig beruhigt, es herrschte drückende Hitze und Windstille. Von der herrenlos treibenden Galeere wehten hin und wieder Miasmen der verwesenden Leiber herüber. Es war höchste Zeit, daß man aus der Nähe der Galeere kam. Das griechische Schiff wendete seinen Schnabel, nachdem Reros und Men--Aton gemeinsam den Kurs bestimmt hatten und gewann langsam an Fahrt. "In etwa fünf oder sechs Tagen können wir es geschafft haben", meinte Reros. "Wenn uns der Wettergott gewogen bleibt, sind wir glücklich gerettet." "Das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe", bekannte Men-Aton. "Alle unsere Kameraden liegen jetzt auf dem Grund des Meeres und dienen den Fischen zum Fraß. Um ein Haar wäre es uns ebenso ergangen. Wenn ich heim nach Ägypten komme, werde ich ein Dankopfer im Tempel halten lassen." "Wie schlimm muß es erst in Atlantis gewesen sein", meinte Reros. "Das letzte, was ich sah, war die brennende Küste. Das ganze Land schien sich mit einem Male hochzuheben und aufzubäumen." "Diesen Atlantern geschieht recht. Ich hoffe, dieses Land ist mit Mann und Maus von den Dämonen verschlungen worden." "Von Rechts wegen sollten wir eigentlich wenden und nach der atlantischen Küste steuern, sie liegt näher als die Griechische." "In dieses Land des Verderbens bringen mich keine zehn Pferde. Was willst du dort? Zwischen offenen Gräbern umherirren? Dort lebt niemand mehr und wenn, dann möchte ich nicht in seiner Haut stecken." "Men-Aton, du hast recht. Machen wir, daß wir nach Griechenland kommen. Sollen sich andere um Atlantis kümmern, wir haben genug Opfer gebracht." Und sie trieben ihre Männer zur Eile an. damit sie schneller ruderten. * Tagelang trieb das Boot mit den Geretteten auf dem Wasser. Der Durst peinigte sie schließlich so, daß sie Meerwasser tranken. Aber der Salzgehalt dieses Wassers schaffte ständig neuen Durst und brannte in ihren Eingeweiden. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Sie lebten von Fischen, die sie fingen und roh verzehrten. Der Verschlag, den sie aus Nebussors Planken gezimmert hatten, schaffte ein wenig Schatten. Sie hatten es aufgegeben, zu rudern und ließen sich einfach von der Strömung treiben. Torgo war immer noch niedergeschlagen, aber nicht mehr so apathisch wie unmittelbar nach der Katastrophe. Er besann sich wieder auf sich selbst und sein Wille zu leben erwachte wieder in ihm. Zugleich mit diesem Willen erwachte aber auch sein Trotz, der Trotz dem Schicksal die Stirn zu bieten. Bethsebas sanfte Stimme wirkte oft beruhigend auf ihn ein, wenn er mit der Vorsehung, um seines Geschickes willen, zu hadern begann. Am Schlimmsten aber war für sie alle wohl die Einsamkeit der See, der enge Raum des Bootes, auf dem auszuharren sie verurteilt waren. Eines Tages weckte sie Nebussor aus ihren Träumereien. "Ich sehe etwas, das ist gewiß", meinte er, "aber ich kann nicht erkennen, was es ist. Ich wollte, es wäre ein Schiff, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand." Diese Worte rüttelten die Einsamen auf. Torgo erhob sich und spähte in die Richtung, welche Nebussor bezeichnete. "Es ist ein großer, dunkler Körper", erklärte Nebussor, "er treibt vor uns auf dem Wasser. Er ist noch sehr weit weg, man kann nicht genau sehen, was es ist. Vielleicht ist es auch eine Felsenklippe, die aus dem Wasser ragt." "Nein, es ist keine Klippe", sagte er. "Es scheint ein Wrack zu sein." "Ein Wrack?" fragte Jargo interessiert. "Die Flutwelle wird gar manchem Schiff den Garaus gemacht haben", meinte Torgo "und offenbar haben wir hier eines ihrer Opfer vor uns." "Vielleicht finden wir auf dem Schiff etwas Genießbares", meinte Jargo, dem die rohen Fische bereits zuwider waren. "Ja, rudern wir hin", pflichtete Torgo bei. Zum ersten Mal seit Tagen kehrte wieder Leben ein in das Boot. Sie hatten ein Ziel vor Augen, das Wrack. Sie griffen nach den Rudern und bewegten das Boot mit kräftigen Zügen über das Wasser. Je näher sie dem Wrack kamen, um so deutlicher spürbar wurde der Verwesungsgeruch, der von dem Schiffe ausging. Es war die ägyptische Galeere, welche Men-Aton verlassen hatte. Das Schiff hatte sich mittlerweile etwas aus seiner Lage aufgerichtet. Von dem Wasser war einiges verdunstet. "Das stinkt entsetzlich, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand", fand Nebussor. "Fast will es mir ratsam erscheinen, dieses Schiff nicht zu betreten", meinte Torgo. "Wir werden auf ihm nichts finden als verwesende Leichen." "Nun sind wir aber schon da, Herr", fand Jargo. "Ein paar Ruderschläge noch und wir sind an der Strickleiter, die hier eigens für uns zu hängen scheint." Tatsächlich sahen sie vor sich eine Strickleiter von Bord baumeln. "Es ist alles still auf Deck", murmelte Nebussor, "Es ist ein Gespensterschiff, das herrenlos auf dem Meer treibt. Hoffentlich begegnen wir nicht den Geistern der Toten." Torgo lachte und langte nach der Strickleiter, die sie eben erreicht hatten. Als erster kletterte er an Deck. Jargo und Nebussor folgten ihm, während Bethseba in dem Boote blieb. Das Deck bot einen wüsten Anblick. "Hier hat die Flut verheerend gehaust", stellte Torgo fest. "Diese Galeere ist fast zertrümmert, es ist ein Wunder, daß sie sich überhaupt noch über Wasser hält." Sie gingen über die feuchten Planken. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Da war nichts zu finden, was sie hätten brauchen können, als etwas Holz und einiges Tauwerk. Plötzlich war es ihnen, als wehe ein ferner Ruf an. Es war ein unheimlicher Laut, welcher aus der Tiefe des Schiffes zu dringen schien. Die Männer erstarrten. "Da lebt noch jemand", rief Jargo plötzlich, "gewiß, Herr, das war die Stimme eines Menschen!" Nebussor sträubten sich die Haare. Er streckte abwehrend alle zehn Finger von sich. "Es sind die Geister", rief er, "habe ich es nicht gesagt? Machen wir, daß wir von diesem Gespensterschiff fort kommen!" "Unsinn", antwortete Torgo ärgerlich. "Ja, hier rief ein Mensch. Wir müssen hinab. Wir wollen nachsehen, ob ihm noch zu helfen ist." In halsbrecherischer Kletterei ging es über die fast zerstörte Schiffstreppe nach abwärts, hinab in den Ruderraum. Im Halbdunkel des Raumes bot sich den Männern ein gespenstischer Anblick. Nebussor erstarrte fast, als er das grausige Bild in sich aufnahm. Das Wasser war durch die undichten Luken zu zwei Dritteln wieder abgelaufen. Man sah die Ruderbänke und die über die Ruder gebeugten Körper der Sklaven, welche wie durch einen Zauberspruch erstarrt zu sein schienen. "Alle Götter", entfuhr es Nebussor. "Dort lebt noch einer", rief Jargo, nach vorn deutend. Durch die schiefe Lage der Galeere war ein einziger Mann nicht in den Wellen umgekommen. Er mußte Fürchterliches mitgemacht haben. Vergeblich hatte er sich von seinen Ketten zu befreien versucht. Alle Mühe war umsonst gewesen. Men-Aton aber hatte den Ruderraum gar nicht betreten, weil er ihn voll mit Wasser geglaubt hatte. Auch bedeuteten ihm die Sklaven nichts und er hatte sich nur um die Mannschaftsräume und den Aufenthaltsraum der Krieger gekümmert. Der Sklave starrte auf die den Ruderraum betretenden Männer, als ob er Geister sähe, seine Augen flackerten wirr und seine langen Haare klebten an seinem Haupt. Die Gelenke an seinen Armen und Beinen waren blutig. "Schnell", rief Torgo. "Dort vorn liegt die Leiche des Aufsehers, er hat die Schlüssel bei sich. Wir müssen den Mann sofort losketten." Jargo holte die Schlüssel. "Komm mit uns", sagte er zu dem Sklaven. "Geht es? Stütze dich auf mich. Nur schnell, daß wir von diesem gräßlichen Ort fortkommen." "Lebensmittel fanden wir keine, aber einen neuen Esser", brummte. Nebussor mißvergnügt. "Wir haben einem Menschen das Leben gerettet", wies ihn Torgo zurecht. Gemeinsam brachten sie den Mann an Deck und zu der Strickleiter. "Wir haben einen Überlebenden gefunden", rief Torgo hinab. "Seid vorsichtig", rief Bethseba zurück, "er ist ja fast bewußtlos. Bindet ihn an ein Seil und laßt ihn langsam herab." "Ja, das machen wir", stimmte Jargo zu. Er nahm eines der Taue, die sie für sich gekappt hatten, zog es unter den Achselhöhlen des Sklaven durch und knüpfte es an seinem Rücken fest. Dann ließen sie ihn in das Boot hinab und Torgo und Jargo folgten. Den Beschluß machte Nebussor, der glücklich war, von der Galeere wieder fortzukommen.
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Der Gerettete war auf dem Boden des Bootes zusammengesunken. Bethseba kümmerte sich um ihn. Sie benetzte seine fieberheiße Stirn mit Wasser, während Jargo und Nebussor die magere Beute verstauten, welche der Besuch auf der Galeere erbracht hatte. "Nun, wie geht es ihm?" fragte Torgo nach einer Weile. "Schlecht", antwortete Bethseba. "Er ist krank. Er hat Fieber. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll. Er hätte einen Heilkundigen nötig." "Woher sollen wir hier einen nehmen?" fragte Jargo. "Daß er sich nicht frisch und froh fühlen kann, ist gewiß", meinte Nebussor. "Aber vielleicht ist es nur die ausgestandene Aufregung und die nachfolgende Angst und Entkräftung. Wahrscheinlich hat er seit Tagen nichts mehr gegessen und getrunken." "Das allein ist es nicht", antwortete Bethseba besorgt. "Er hat hohes Fieber." "Dann wollen wir hoffen, daß es nichts Ansteckendes ist und daß wir bald wieder auf ein Schiff stoßen, aber nicht auf ein Wrack." Sie überließen sich wieder der Strömung. Das Boot schaukelte dahin... Dann und wann regte sich der Kranke in seinen Fieberträumen und stieß wirre Laute aus. Die Sonne vollendete ihren Tageslauf. Im Osten lugte die Nacht über den Horizont und die weite Schale des Meeres begann sich mit dem Dunkel zu füllen, das vom Gewölbe des Himmels hernieder floß. Dort, wo Meer und Himmel einander berührten, schien plötzlich ein Licht aufzuglimmen, das kein Stern sein konnte, denn es stand viel zu tief. "Was ist das?" fragte Bethseba, die zuerst dieser seltsamen Erscheinung ansichtig wurde. "Das ist ein Feuer", meinte Torgo nach einer Weile. "Ein Feuer mitten auf dem Wasser? Das scheint mir unmöglich." "Vielleicht ist es ein brennendes Schiff", vermutete Jargo. "Nein, dazu ist das Licht viel zu klein. Wißt ihr, was ich glaube? Es ist ganz einfach ein Schiff, an dessen Bord Fackeln brennen." Diese Vermutung ließ sie aufhorchen. "Dann wären ja Leute auf dem Schiff", rief Jargo. "Wir sind gerettet, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand!" jubelte Nebussor und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. ' "Noch sind wir nicht dort", wehrte Torgo ab "und es wird mindestens, selbst wenn wir alle unsere Kräfte anstrengen, die halbe Nacht dauern, bis wir den Ausgangspunkt des Lichtscheines erreichen. Ganz abgesehen davon, daß ich vermute, daß die Lichtquelle eine Eigenbewegung hat, deren Richtung mit der unseren identisch ist." "Wir rudern dennoch, wir rudern!" rief Nebussor voll Begeisterung und machte sich sogleich an die Arbeit. Alle, bis auf den Kranken natürlich, der noch immer bewußtlos lag folgten seinem Beispiel. Langsam hatte sich die Nacht vollends hernieder gesenkt und hüllte sie in ihren blausamtenen Mantel ein. Nichts war zu hören als das Rauschen des Meeres und der gleichmäßige Schlag ihrer Ruder, der sich bald mit dem Schlag ihrer Herzen zu einem Rhythmus verband. Immer näher kamen sie dem flackerndem Lichtschein und bald vernahmen sie fremde Geräusche, es war ein gleichmäßiges, lautes Aufrauschen des Wassers, wie es entsteht wenn die Ruder einer Galeere in die Wellen tauchen. Und da wurde auch im Fackelschein da und dort ein Schatten, eine helle Kontur sichtbar. Ja, es war ein Schiff, das sich da bewegte.
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Torgo erhob sich, legte trichterförmig die Hände an den Mund und rief, als er glaubte nahe genug herangekommen zu sein, nach dem fremden, großen Schiff hinüber: "Hooo - - -Hooo!" Reros und Men-Aton standen gerade bei dem Steuermann, um gemeinsam mit ihm nach der Stellung der Gestirne am klaren Nachthimmel den Kurs des Schiffes zu ermitteln, als Torgos Ruf von fern her über das Wasser klang. . "Was war das?" fragte Men-Aton. "Es klang wie der Ruf eines Schiff brüchigen", meinte der Steuermann. Sie wandten sich um und sahen auf das Meer hinaus, in die Richtung aus welcher der Ruf erklungen war. "Es ist nichts zu sehen", meinte Reros. "Vielleicht war es nur eine Täuschung. Wir haben keine schlechte Fahrt gemacht, stelle ich fest. Wir kamen zwar nicht so rasch vom Fleck, wie dies ein gesundes Schiff tut und wie es unseren Wünschen entspricht. Aber ich denke, daß wir die griechische Küste in wenig mehr als der angenommenen Zeit erreichen werden." "Hoohhh!" klang es da wieder über das Wasser und diesmal war es schon näher. Nun wurden auch die Männer an Deck aufmerksam. "Nehmt Fackeln und leuchtet über Bord!" befahl Reros. Und im Schein der flackernden, vom Wind bewegten Flammen sahen sie, wie sich ein Boot dem Schiffe näherte, auf dem Leute standen und winkten. "Tatsächlich, es sind Menschen!" rief Men-Aton erstaunt. "Wahrscheinlich sind es Schiffbrüchige wie wir", rief einer der Ägypter. "Werft Ihnen die Strickleiter zu und laßt sie an Bord kommen!" befahl Reros und gleich darauf flog die Strickleiter über die Reling. "Sie haben uns gesehen!" jubelte Nebussor, "sie halten und werfen uns die Leiter zu. "Wir sind gerettet", freut sich auch Torgo. "Herr", meinte plötzlich Jargo. "Sieh dir das Schiff genau an. Es ist ein griechisches Schiff. Es sind unsere Feinde, die uns da retten." "Feinde?" gab Torgo zurück. "Ich kämpfe nicht mehr gegen die Griechen. Womit sollte ich das tun? Und worum sollte ich kämpfen? Atlantis und seine Heere existieren nicht mehr." "Aber er hat recht", sagte auch Nebussor mit plötzlich erwachter Besorgnis. "Es könnte sein, daß sie uns als ihrer Feinde betrachten. Und wenn sie erfahren, dass du Torgo der Prinz bist..." "Ja", pflichtete Bethseba bei, "wir wollen uns lieber verleugnen. Sagen wir, daß wir Passagiere auf einem phönizischen Schiff waren, welches die Flut überraschte." Torgo sah finster zu Boden. "So soll ich nun auch noch mein Ich verlieren?" fragte er. "Die Klugheit gebietet es Herr", drängte Jargo. "Ihr da unten im Boot, legt an und kommt herauf", rief Reros, sich über die Reling neigend. "Wir kommen", antwortete Torgo entschlossen. Und sie legten an und Torgo kletterte als erster nach oben.
ENDE
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