Künstliche Elemente
In der Schule haben wir gelernt, daß es in der Natur 92 „Elemente" gibt. Das sind Grundstoffe, die...
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Künstliche Elemente
In der Schule haben wir gelernt, daß es in der Natur 92 „Elemente" gibt. Das sind Grundstoffe, die sich auf chemischem Wege nicht weiter zerlegen lassen. Das leichteste dieser Elemente ist der Wasserstoff, das schwerste — mit der Ordnungszahl 92 — das heute so heiß begehrte Metall Uran. Die Atomphysik unserer Tage hat in den alten Vorstellungen von den Elementen einen Wandel bewirkt. Es gibt „radioaktive" Elemente, wie beispielsweise Uran und Radium, die sich unter Abgabe von Strahlungsenergie in andere Elemente verwandeln. Derartige Umwandlungen lassen sich bei der „Atomzertrümmerung" auch künstlich auslösen. Handelte es sich bei den neu entstehenden Elementen zunächst nur um solche, die bereits seit langem bekannt waren, so gelang es später, Elemente künstlich zu erzeugen, die in der Natur n i c h t vorkommen. So wird z. B. das Element 94, das Plutonium, im Atommeiler aus Uran gewonnen. Plutonium findet als furchtbarer Explosivstoff in der Atombombe Verwendung. Vor kurzem gelang die Herstellung des Elements Nr. 100. Man bezeichnet diese künstlich gewonnenen Grundstoffe, die sich zum Teil nur in winzigen, unwägbaren Mengen herstellen lassen und meist schnell wieder in andere Elemente zerfallen, als „Transurane". Im vorliegenden UTOPIA-Band geht es um die Entdeckung einer neuartigen Gruppe künstlicher Elemente, welche die Ausgangsbasis für Zukunftswaffen von unvorstellbarer Zerstörungskraft liefern soll. Von A l f T j ö r n s e n
Ein heißer, neberschwangerer Südwind fegte in heftigen Böen durch die breiten, von flachen Häusern eingefaßten Straßen von „Silverfield of Venus". Der Himmel, der an diesem Nachmittag mit dichtem Gewölk über der Siedlung am Silbernen Strom lastete, nahm eine drohend-dunkle Färbung an. Plötzlich ein greller, blendender Blitzstrahl, von schmetterndem Donner gefolgt . . . Die wenigen Einwohner, die sich gerade auf der Straße befanden, suchten fluchtartig in den nächstgelegenen Häusern Deckung vor dem nahenden Wolkenbruch, der sich bereits in einzelnen, schweren Tropfen ankündigte. Überall wurden Türen und Fenster dicht gemacht. In ganz Silverfield flammte trotz der frühen Stunde das elektrische Licht auf. Und dann brach eines jener häufigen Venus-Gewitter mit elementarer Gewalt über die Siedlung am Silbernen Strom herein, die für die Kolonisten längst zu den alltäglichsten Dingen der Welt gehörten, den Neuling hingegen meist in ein panisches Entsetzen jagten. Blitz und Donner folgten einander pausenlos. Die Welt schien unterzugehen im gleißenden Feuer der elektrischen Entladungen, im Krachen der Donnerschläge und im Tosen des Wassers, das wie eine Wand vom Himmel stürzte. Im Sitzungsraum des Venus-Hauptquartiers saß eine Gruppe von Männern in ernstem Gespräch um den ovalen Tisch aus dunklem Edelholz, der mit Karten, Tabellen und Aufzeichnungen bedeckt war. Die Männer trugen zum Teil die praktischen, blauen Uniformen des S.A.T.1), zum Teil modische Tropenanzüge. Mühsam versuchten sie, sich in dem Höllenlärm, der durch die geschlossenen Fenster hereindröhnte, verständlich zu machen. Die Luft war klamm vor Hitze, Feuchtigkeit und Zigarettenrauch. Sie trieb den Männern den Schweiß aus den Poren.
„Das wäre also" — schloß Kommodore Parker seine Ausführungen — „in großen Zügen das neue Venus-Projekt, das wir nach dem Willen Generaldirektor Cunninghams unverzüglich in Angriff nehmen sollen." Er wischte sich mit dem Taschentuch über das nasse Gesicht und ließ sich seufzend auf den harten Stuhl fallen. Fritz Wernicke, sein treuer Freund und Gefährte bei manchem Abenteuer im Weltraum und auf Erden, schob ihm besorgt ein großes Glas Whisky-Soda über die Tischplatte zu. Jim Parker leerte es mit einem Zuge. Conan Fletcher, der einstige Raumschiffzahlmeister, seit einigen Jahren Statthalter des Staatlichen Atom-Territoriums in den Siedlungen und Industrieanlagen auf dem Planeten Venus, stemmte seine Fettmassen hinter der Tischkante hoch und räusperte sich ärgerlich. „Ahem — Sie sind mir furchtbar sympathisch, Parker, aber wenn Sie mich in Cunninghams Auftrag in den April schicken wollen, dann ..." „Es handelt sich keineswegs um einen Scherz, Fletcher", lächelte Jim Parker. „Glauben Sie etwa, Direktor Lindenberg hätte die mühsame und zeitraubende Reise zur Venus mitgemacht, nur um Ihnen die neuesten Witze aus Orion-City zu erzählen?" Der kleine S.A.T.-Direktor erhob sich lebhaft und holte zu einer großangelegten Erklärung aus. Aber ein neuer Blitz- und Donnerschlag ließ ihn verstummen. Unwillkürlich sackte er auf seinen Stuhl zurück und schloß geblendet die Augen. „Haben — haben Sie hier wenigstens Blitzableiter?" stammelte er. Der dicke Fletcher machte eine verächtliche Handbewegung. „Blitzableiter? Pshaw! Dies bißchen Knallerei gehört bei uns auf Venus zum guten Ton. Wenn Sie wirklich das größte Atomwerk der Welt im Venus-Dschungel aufziehen wollen, müssen Sie sich wohl oder übel daran gewöhnen, Herr Direktor." „Es ist tatsächlich halb so wild", tröstete Jim den verängstigten, kleinen Mann. „Und Sie, Fletcher, werden eines Tages daran denken, was ich Ihnen heute sage: In spätestens drei Jahren steht das Werk — hier, im Dschungel der Venus!" „Aber das ist ein Milliardenobjekt ..." „Das S.A.T. ist es gewohnt, Milliardenobjekte zu verwirklichen", sagte Direktor Lindenberg so würdevoll, wie es ihm nur möglich war. „Die Welt hungert nach Uran", ergriff der Kommodore wieder das Wort. „Auf Venus gibt es Erzlager von gewaltiger Ausdehnung, und doch lohnt sich ihr Abbau nicht, weil der Transport des Erzes, des .Hesperit', zur Erde zu kostspielig und zu mühsam ist. Wir müssen an Ort und Stelle Hüttenwerke anlegen, müssen Anlagen errichten, in denen das Uranisotop 235 vom U 238 getrennt und das Uran in Plutonium verwandelt werden kann. Erst für den Transport des metallischen Plutoniums zur Erde lohnt sich der gewaltige Kostenaufwand." „Bedenken Sie auch, daß die Atomenergiegewinnung ein ziemlich heißes Eisen ist", warf Direktor Lindenberg ein. „Die radioaktive Verseuchung bedeutet eine wachsende Gefahr für die ganze Erde." „Und diese Gefahr wollen Sie auf uns arme Venusbewohner abwälzen'" grollte
Fletcher. „Der Planet Venus ist viel zu dünn bevölkert, als daß man hier vorläufig von einer Gefährdung sprechen könnte. Wir würden das Atomwerk in einer völlig isolierten Gegend anlegen — weit nördlich, jenseits der Hoover-Mountains." Wieder ein furchtbarer Donnerschlag. Das Licht erlosch. Ärgerlich tastete Fletcher Im Finstern nach dem Telefonhörer. Er rief die Zentrale an. „Einschlag in der Transformatorenstation", meldete er gleich danach seinen Gästen. „Das Kraftwerk am Silbernen Strom ist ausgefallen. Gedulden Sie sich, Gentlemen es werden gleich Kerzen gebracht." „Zustände wie im alten Rom", rief Fritz Wernicke belustigt. „Aber trösten Sie sich, edler Scheich: Wenn erst das größte Atomwerk aller Zeiten auf diesem holden Abendstern steht, kommt sowas nicht mehr vor. Prost, Gentlemen!" Mit Behagen ließ der kleine Weltraumpilot das edle Feuerwasser durch die ewig durstige Kehle rinnen. „Gewitter wird es auf diesem Planeten immer geben", meinte Conan Fletcher grimmig. „Gewiß", gab der Kommodore zu. „Aber keine Gegend auf Venus ist derart von ihnen heimgesucht, wie gerade das Tal des Silbernen Stromes. Nördlich des Hoover-Gebirges — dort, wo die großen Hesperit-Vorkommen lagern — herrscht ein recht angenehmes Klima. Die wenigen Farmer, die sich bisher in dieser Gegend angesiedelt haben, sind jedenfalls des Lobes voll. Die neue Atomanlage wird — so ganz nebenbei — ein Kraftwerk betreiben, das den ganzen Planeten mit Strom versorgen kann. Sie können dann Ihre primitive Bude am Silbernen Strom getrost dichtmachen." „Es ist also wirklich Ihr Ernst, Kommodore?" „Voll und ganz. Wir brechen morgen bei Sonnenaufgang mit dem Hubschrauber auf, um uns die Gegend genauer anzuschauen. Und wenn wir alles nach Wunsch antreffen. . . " „ „ . . . steht jenseits der Berge in drei Jahren das größte Atomwerk der Welt", vollendete Lindenberg den Satz. „Verlassen Sie sich darauf"
Der Kommodore sollte recht behalten. Die kleine Expedition, die am folgenden Morgen im Hubschrauber über die schroffen Kämme des Hoover-Gebirges nordwärts flog, entdeckte nach mehrstündigem Suchen ein Gelände, das für den großen Plan wie geschaffen war. Wie ein ungeheures Stadion dehnte sich am Ostrand des Urangebietes ein ovales Tal, tief in das Felsenmassiv eines Gebirgsausläufers eingebettet. „Gehört zu den Rutherford Mountains", erklärte Fletcher. „Well", meinte Jim Parker. „Scheint das Richtige zu sein. Wollen mal landen und uns die Geschichte näher besehen." Während die vier Männer langsam über den Talboden schritten und aufmerksam die steilen Bergwände musterten, hob der fünfte, der Geologe Rowland, witternd den Kopf und steuerte dann, mit Spitzhacke und Spaten
bewaffnet, auf eine Grotte im Hintergrund des Tales zu. Die Besichtigung, die bis zum Abend dauerte, verlief äußerst befriedigend. Das Tal war groß genug, um sämtlichen Anlagen, die zu einem modernen Atomwerk gehörten, Raum zu bieten. Im Osten, wo der mächtige Kegel eines fernen Venusvulkans die Bergwand überragte, stürzte ein rauschender Wasserfall aus der Höhe herab. Ein kleiner reißender Fluß schlängelte sich durch das ganze Tal und verließ es durch ein enges Tor im Westen. Hier lag der einzige Zugang zu dem von fast senkrecht aufragenden Wänden eingeschlossenen Kessel. Wie die Männer später vom Hubschrauber aus feststellten, verlief die Schlucht, die der Bergfluß im Laufe unvorstellbarer Zeiten in den Fels hineingefressen hatte, zuerst in zahlreichen Windungen fast genau nach Westen, bog dann plötzlich südwärts um und lief, immer breiter werdend, von da ab in südöstlicher Richtung weiter, so daß der Fluß schließlich nochmals ganz in der Nähe des Tales vorbeikam, ehe er endgültig nach Süden.abbog. Jim Parker, der den Hubschrauber durch die Abenddämmerung nach Silverfleld zurücksteuerte, war mit dem Ergebnis sehr zufrieden. „Einen besseren Platz hätten wir gar nicht finden können. Das Tal liegt in unmittelbarer Nähe der großen Erzlagerstätten. Es ist völlig von der Außenwelt abgeschnitten und daher leicht zu überwachen. Ferner sind Wasserkräfte vorhanden ..." „Und Kohle", rief der Geologe triumphierend und holte einige' Gesteinsproben aus seinen Taschen. „Und Graphit, ohne den ein Atommeiler nun mal nicht existieren kann." „Das ist — wirklich — phänomenal." Direktor Lindenberg war geradezu ergriffen. „Was mir weniger gefällt", ließ sich der dicke Fletcher vernehmen, „ist dieser lange Schlauch, durch den sich die Zufahrtsstraße am Fluß entlangschlängeln soll. Wenn man einen Tunnel in das südliche Gebirgsmassiv sprengen würde ..." „Ausgeschlossen", winkte Direktor Lindenberg ab. „Das würde den Bau des Werkes um Jahre verzögern, und so lange kann das S.A.T. nicht warten." — Auf dem Funkwege ging noch am gleichen Abend eine chiffrierte Meldung Lindenbergs nach Orion-City ab. Jim Parker und Fritz Wernicke starteten am nächsten Morgen mit dem Planetenschiff „Dädalus" zur Erde, um Ted S. Cunningham, dem allmächtigen Atomboß, einen ausführlichen Bericht zu überbringen. Doch lange, bevor sie die Erde erreichten, hatte bereits eine ganze Flotte von Transportraumschiffen die irdische Außenstation mit Kurs Venus verlassen. Sie hatten Ingenieure und Facharbeiter. Maschinen und Baumaterial an Bord — kurz und gut alles, was zum Bau einer hypermodernen Atomstadt gehörte und auf Venus nicht zu finden war. Die wenigen, dünnbevölkerten Niederlassungen auf dem Abendstern erlebten eine technische Invasion. Die bewährte Organisation des Staatlichen Atom-Territoriums lief auf Hochtouren. Alles klappte genau nach dem Plan, der bis in die kleinsten Einzelheiten für diesen Fall ausgearbeitet worden war.
Bereits drei Monate nach dem ersten Erkundungsvorstoß in das Felstal im Rutherford-Gebirge konnte Direktor Lindenberg den Grundstein der jüngsten Atomstadt der Welt legen. Er taufte sie auf den Namen „Urania".
Jim Parker sollte sogar mehr als recht behalten. Die vorgesehenen drei Jahre waren noch nicht einmal herum, als er von Generaldirektor Cunningham den Befehl erhielt, eine ganze Schiffsladung voller Ehrengäste zur Venus zu schaffen; denn die Atomstadt Urania sollte feierlich eingeweiht werden und mit ihrer Arbeit beginnen. „Scheußlich", meinte Jim Parker, als er in Gesellschaft Fritz Wernickes das Ausbooten der Festteilnehmer am Zielplaneten überwachte. „Wie ich diese feierlichen Staatsakte hasse! Endiose Reden, die sich klug anhören und doch nichts enthalten als leeres Stroh. Eisgraue Mummelgreise, die würdevolle Verbeugungen machen und gar nicht wissen, wie komisch sie aussehen. Aber die Reporter von Presse, Funk und Wochenschau brauchen nun mal Futter für den unersättlichen Sensationshunger der Menschheit. . . " „…und die würdigen Mummelgreise lassen sich eben gar zu gern auf der Leinwand und in der Presse bewundern", lachte Wernicke. „Doch ärgere dich nicht, Jim. Take it easy! Auch dieses Staatsbegräbnis geht vorüber. Ich für mein Teil freue mich schon auf die feuchtfröhliche Nachfeier." Genießerisch schnalzte er mit der Zunge. Es war ein besonders warmer Tag, und über dem Tal in den Rutherford Mountains schien die Luft stillzustehen. Den würdevollen Festrednern und den nicht minder würdigen Ehrengästen troff der Schweiß von den Gesichtern und floß in kleinen Bächen in die gesteiften Kragen hinein. Eintönig plätscherten die Reden — nun schon zwei Stunden lang. Jeder der Redner glaubte, etwas besonders Interessantes und Wichtiges zu erzählen, und doch konnten die Zuhörer sich das Gähnen kaum noch verkneifen. Fritz Wernicke hatte sich bereits vor einiger Zeit davongeschlichen und unterzog im Kasino die bereitgestellten Getränke einer sachverständigen Prüfung. Gerade hatte der bärtige Vertreter des „Weltbundes der freien Nationen" seine „tiefschürfenden Ausführungen" beendet. Unter tiefen Verbeugungen reichte er einen riesigen, goldenen Schlüssel an den nächsten Redner weiter. Der Kommodore erkannte Unterstaatssekretär Baker aus Washington. O weh — der würde es kaum unter einer Stunde machen. Unbemerkt gelang es Jim, die Versammlung zu verlassen, die den Platz vor dem großen Atommeiler bevölkerte. Er schritt über, die neuangelegten „Betonstraßen und erklomm eine Schutthalde an der südlichen Talmauer. Weit ließ er den Blick über die neue Atomstadt schweifen. Wahrhaftig, hier war in den wenigen Jahren, seit er zum ersten Male das Tal betreten hatte, Ungeheuerliches geleistet worden. Unweit des Taleinganges zog ein flaches Gebäude — es sah von oben wie ein großes, liegendes U aus — seinen Blick auf sich. Jim schätzte die Länge jedes seiner Flügel auf gut tausend Meter. Ein Komplex von rund hundert weiteren
Gebäuden gruppierte sich um die Anlage herum. Der Kommodore wußte: Hier wurde das wertvolle Uran 235 vom „gewöhnlichen" U 238 in gasförmigen Zustand getrennt. Weiter wanderte sein Blick. Eine kleine Stadt — Jim schätzte die Zahl ihrer Gebäude auf zweihundert — diente einzig und allein dem Zweck, das Uran 235 auf elektromagnetischem Wege zu konzentrieren Die Häuser wirkten flach und niedrig, aber sie reichten tief in den Boden hinein. Hundert Meter lange Riesenmagnete waren hier eingebaut, Tausende von Kilometern Rohrleitungen, Millionen von Ventilen — durch Schnelltransportraumschiffe von der fernen Erde herangeschafft — waren in dieser Anlage installiert worden. Das Zentrum der ganzen Atomstadt, der große Atommeiler, wirkte von außen wie ein ungeheurer, würfelförmiger Betonklotz. Er verriet äußerlich durch nichts, daß hier das Plutonium, jenes künstliche, radioaktive Element 94, gewonnen wurde, das zum unentbehrlichen „Treibstoff des Atomzeitalters" geworden war. Nur die düster himmelwärts ragenden Schlote der benachbarten Trennanlage und das gewaltige Kessel- und Turbinenhaus des 10-Millionen-Kilowatt-Kraftwerks in seiner Nähe ließen etwas von den geheimnisvollen Vorgängen ahnen, die sich im Inneren des Betonklotzes abspielten. Es hätte noch manches andere zu sehen gegeben, aber der Kommodore wurde durch ein Scharren und Zischen aufgeschreckt, das plötzlich hinter seinem Rücken laut wurde. Blitzschnell fuhr er herum — und blickte in das bösartige Basiliskenauge eines wohl fünf Meter langen Reptils. Giftig züngelte ihn das häßliche Tier an, das wie ein übergroßer irdischer Waran aussah. Instinktiv fuhr Jims Rechte in die Tasche, in der die Pistole steckte. Das eidechsenähnliche Reptil wandte sich blitzartig um und verschwand in der grauen Felsmauer „Nanu?" murmelte der Kommodore erstaunt. „Kann dieses häßliche Vieh denn mit dem Kopf durch die Wand gehen?" Vorsichtig trat er näher heran — und faßte in einen weichen Vorhang dichter, graugrüner Flechten, der sich in seiner Färbung durch nichts von dem verwitterten Gestein unterschied. Jim Parker schob den Vorhang zur Seite und schlüpfte durch einen breiten Felsspalt in die Wand hinein. Im Strahl seines Taschenscheinwerfers erkannte er das Innere einer tiefen Höhle. Bizarr geformte Tropfsteingebilde versperrten den Blick auf den Hintergrund, der sich im geheimnisvollen Dunkel verlor. Einige Gänge schienen von hier aus tiefer in den Berg hineinzuführen. Überall huschten undeutliche Schatten. In der Schwärze glühten grünlich phosphoreszierende Augen. Als der Lichtstrahl eine Stelle am Boden erfaßte, an der es von lautlosen Lebewesen wimmelte, erkannte Jim ein Knäuel von ekelerregenden Riesenspinnen, das im grellen Licht bewegungslos verharrte. Angewidert zog er sich nach dem Eingang zurück, wo trübes Tageslicht durch den Vorhang aus Flechten schimmerte. Man müßte dieses Rattenloch zumauern, dachte der Kommodore. Wer weiß, was
für Ungeziefer noch darin haust. Ich werde es Fletcher sagen. Doch als er kurz danach wieder zur Festversammlung vor dem Uranbrenner stieß, hatte er sein Erlebnis bereits vergessen. John Baker, der schwitzende Regierungsvertreter, war gerade am Schluß seiner großen Rede angelangt. „... Möge Urania, die jüngste Atomstadt des Sonnensystems, eihe neue Epoche in der Entwicklung des Atomzeitalters einleiten! Möge all ihr Schaffen einem friedlichen Aufschwung der Menschheit dienen!" Unter dem lahmen Beifallsklatschen der ermüdeten Festversammlung reichte der Unterstaatssekretär den goldenen Schlüssel an Direktor Lindenberg weiter. Der gab einem semer Schaltingenieure ein Zeichen. Eine Sirene, hoch auf dem flachen Dach des Kraftwerks, heulte auf. Feierlich legte der Ingenieur ein paar Schalter um und setzte die Fernsteuerung für den Uranmeiler in Gang. Atomwerk Urania hatte seine Arbeit aufgenommen.
Auch Unterstaatssekretär Baker hatte recht, wenn er eine neue Epoche des Atomzeitalters angekündigt hatte. Jim Parker sollte es sehr bald erfahren, als er mit Fritz Wernicke und den Ehrengästen an Bord von der Einweihungsfeier der Atomstadt Urania nach Orion-City zurückkehrte. Am Abend nach ihrer Ankunft saßen die beiden Frexmde — wie so oft nach getaner Arbeit — in Jim Parkers Wohnzimmer behaglich am Kamin zusammen. Der Kommodore studierte die Post, die während der letzten Venusfahrt für ihn eingegangen war. Fritz Wernicke, der sich hinter einer ganzen Batterie von Gin- und Whiskyflaschen verschanzt hatte, machte sich über die neuesten Zeitungen her. „O Jim", begann der kleine Weltraumpilot weise, „die Welt findet keine Ruhe mehr, seitdem die bösen Wissenschaftler das Atom erfunden haben!" Jim Parker blickte nicht einmal auf. „Atome gab es schon, bevor unsere Erde entstand, mein Lieber. Die bösen Wissenschaftler haben sie nicht erst ,erfinden' müssen. Sie haben lediglich den Weg gefunden, die" Energien frei zu machen, die im Atomkern gebunden sind. Die Atomenergie dient heute bereits in aller Welt dem Fortschritt der Menschheit ..." „Schöner Fortschritt", warf Wernicke ein. „Vielleicht bist du so gütig, großer Meister, dir einmal diese Schlagzeilen anzuhören: Boston News' .Weitere Verschärfung der Spannung zwischen Ost und West.' New York Times: Wird der nächste Weltkrieg durch Atomenergie entschieden? Sensationelle Enthüllungen James Huxleys auf der Pressekonferenz im Verteidigungsministerium.' Chicago Star: ,Der Alptraum der Kohlenstoffbombe. — C-Bombe tausendmal wirksamer als Kobaltbombe.' Arizona Observer: .Geheimnisse um Professor Skeleton. Amerikanischer Atomforscher auf dem Wege zur X-Bombe." „Hör auf, Fritz!" rief der Kommodore und hielt sich die Ohren zu. „Sind die Leute denn verrückt geworden? Da bemühen wir uns — mit allen, die guten
Willens sind — seit Jahr und Tag darum, den interplanetarischen Raum der Menschheit untertänig zu machen, da setzen wir unser Leben ein, um dieser Erdmenschheit auf fremden Gestirnen neuen Lebensraum zu erschließen, und inzwischen hat eben diese selbe Menschheit nichts Besseres zu tun, als neue Massenvernichtungsmittel zu erfinden, um sich bei nächstbester Gelegenheit gegenseitig auszurotten." „Du bist ungerecht, Jim. Die Menschheit will im Grunde nichts anderes, als ihre Ruhe. Es sind nur die ehrgeizigen und machthungrigen Politiker, die ihr die Ruhe nicht gönnen. Und die Herren Atomforscher, in deren eiskalten Hirnen immer neue Scheußlichkeiten ausgebrütet werden. Sie werden nicht eher Ruhe geben, bis sie den ganzen Erdball in die Luft gesprengt haben. Man sollte den ganzen Rummel ein für allemal verbieten." „Du bist ungerecht, Fritz", lachte der Kommodore. „Du schüttest das Kind mit dem Bade aus. Bedenke doch, wieviel Nützliches die Atomforschung schon für die Menschheit geleistet hat, sei es in der Energieversorgung, der Medizin, der Industrie und der Landwirtschaft. Wie arg wäre es um unsere Weltraumreisen bestellt, wenn wir keine Atomtriebwerke für unsere Venusschiffe hätten! Die Forschung als solche ist nichts Verwerfliches. Der menschliche Geist will nun einmal die Welt ringsum genau erkunden. Das wollen ja auch wir, du und ich, wenn wir mit Kurs nach einem unerforschten Stern ins Weltall starten." „Mit dem Unterschied, daß wir es in friedlicher Absicht tun." „Gewiß — und man sollte auch die Atomforschung ausschließlich in friedliche Bahnen lenken. Es gibt bereits seit langer Zeit Abmachungen, die den Mißbrauch der Atomenergie für zerstörerische Zwecke verbieten." „Und keiner kümmert sich darum", meinte Fritz Wernicke. „Im Grunde hat sich seit der Steinzeit nicht viel geändert — wenigstens nicht in der internationalen Politik." Der Kommodore sah seinen Freund nachdenklich an. Der kleine Fritz schien heute an Weltschmerz zu leiden. Aber der Whisky, von dem er ganz unglaubliche Quantitäten vertrug, schmeckte ihm noch. Und das wirkte immerhin beruhigend. „Ich glaube, mein lieber Alter, wir sind beide ein bißchen überarbeitet. Ich finde es riesig nett vom Boß, daß er uns ein paar Tage Urlaub gegeben hat. Wie wär's mit einer kleinen Tour in die Rockys?" „Okay, Jim. Ich mache mit" „O Jim, alte Mondrakete, wie lange soll das noch so weitergehen? In was für eine gottverlassene Gegend hast du mich da entführt? Weit und breit nichts als Berge, Steine, Sonne und Durst — sehr viel Durst sogar. Wollen wir nicht endlich irgendwo einkehren, bevor ich ein gar trauriges Ende in der FelswUdnis der Rocky Mountains genommen habe?" „Aber, Fritz, wer wird denn so schnell ans Ende denken?" lachte der Kommodore vergnügt. „So schnell stirbt man nicht. Ich denke ..." Nie sollte Fritz Wernicke erfahren, was Jim Parker in diesem Augenblick gedacht
hatte. Über den Berggipfeln im Westen schoß ein grelles, gleißendes Lichtphantom hoch — heller als die Sonne. Die Freunde preßten instinktiv die Hände auf die Augen. Da fühlten sie sich plötzlich emporgehoben — wehrlos wirbelten ihre Körper durch die Luft, schlugen hart irgendwo im Geröll auf. Ein furchtbarer Donner rollte heran und ließ den Boden und die Felsen erzittern. Jim Parker vernahm noch" das Krachen, das seine Trommelfelle taub machte, er sah noch die Trümmer, die vom Himmel stürzten. Dann schwanden ihm die Sinne. Als er wieder zu sich kam und mühsam die Lider hob, schien zunächst alles unverändert. Doch dann fiel sein Blick auf Fritz Wernicke, der sich etwa fünfzehn Schritte von ihm entfernt fluchend aus dem Geröll erhob und sich den Staub aus dem zerrissenen Anzug klopfte. Ach ja — jener Blitz am Westhimmel, heller als die Sonne ... Der Donner und die Druckwelle ... Und hier und da lagen auch Trümmerstücke umher, die ganz gewiß nicht aus dieser Bergwildnis stammten „Hallo, Whiskytöter! Das nenne ich 'ne Überraschung. Bist du heil davongekommen?" „Schätze, das ging noch gerade mal am Auge vorbei", grinste Fritz. „Wie sagtest du eben noch so richtig? ,So schnell stirbt man nicht'." Der Kommodore stand auf, dehnte die zerschundenen Glieder und räusperte sich. „Ahem — konnte ja auch nicht ahnen, daß man uns hier — mitten im tiefsten Frieden — mit Konfetti beschmeißen würde." „Auf d a s .Konfetti' bin ich wirklich neugierig", erwiderte Wernicke Er steuerte auf einen zerfetzten Stahlträger zu, der in einem intensiven Blau zu glühen schien. „Zurück, Fritz! Das Ding dürfte hochgradig radioaktiv sein!" „Wieso denn? Glaubst du etwa, es stammte von irgendwelchen Atomversuchen? Ausgeschlossen, Jim, hier gibt es weit und breit kein Versuchsfeld. Das nächste Kuhdorf ist — der Karte nach — Yampa, und von Alamogordo sind wir in der Luftlinie 800 Kilometer weit entfernt." „Gewiß, gewiß", nickte Jim „Und doch ... Na ja, wir haben ja Zeit. Schlage vor, wir sehen uns dieses Yampa mal aus der Nähe an. Das heißt, sofem es überhaupt noch steht. Der Feuerschein kam genau aus dieser Richtung." .,Male nicht den Teufel an die Wand, Jim! Es wäre entsetzlich, wenn es in diesem Kaff nichts mehr zu trinken gäbe."
Nach halbstündigem Abstieg stießen die Freunde zu ihrer Überraschung auf eine gepflegte, offenbar ganz neu angelegte Straße, die in vielen Windungen dem Lauf eines Flusses folgte. Der Kommodore zog die Karte zu Rate und schüttelte verwundert den Kopf. „Nun finde ich mich in der Geographie der Landschaft überhaupt nicht mehr zurecht. Nehme aber an, daß wir uns flußabwärts halten müssen, um nach Yampa zu kommen." Auf der bequemen Straße, die seltsamerweise völlig menschenleer war, ging es nun rasch voran. Nach zehn Minuten blieb Jim Parker stehen und deutete nach
vorn. „Dort, an der Brücke, gabelt sich der Weg. Geradeaus geht es weiter nach Yampa." „Und was liegt hinter der Brücke? Wenn mich nicht alles täuscht, Jim, steigt da drüben Rauch auf. Ob sich die Katastrophe hier abgespielt hat?" „Das werden wir gleich wissen. Komm, Fritz, wollen mal nachsehen, was hinter der Brücke los ist " „Das möchte euch so passen, Boys." Beim Klang der sonoren Stimme fuhren die beiden Freunde herum — und blickten direkt in die Mündungen einiger Maschinenpistolen. Wie aus dem Boden gewachsen, stand plötzlich ein gutes Dutzend Wachtposten in der Uniform der US Army um sie herum. „Die Personalausweise, bitte", befahl der Sprecher, ein junger Mann im Leutnantsrang. „Und die Sonderausweise, wenn ich bitten darf." Lächelnd reichte ihm der Kommodore seinen Paß. „Mit Sonderausweisen können wir leider nicht dienen." „Das hatte ich erwartet", sagte der andere überlegen. „Sie sind verhaftet. Leisten Sie keinen unnötigen Widerstand. Mit Atomspionen verstehen wir hier, in New Yampa, keinen Spaß." „Atomspione? Na, erlauben Sie mal, Sie komischer Waldheini! Sie sind wohl vom Affen gebissen? Wollen Sie sich nicht gefälligst erst überzeugen, mit wem Sie es zu tun haben?" Der kleine Wernicke kochte vor Entrüstung. „Das festzustellen, ist Aufgabe Captain Donogans vom Geheimdienst", erwiderte der Leutnant eisig. „Vorwärts jetzt — sonst mache ich euch Berne."
Als die Verhafteten in das Stabsgebäude der Sicherheitstruppen gebracht wurden, gelang es ihnen, einen flüchtigen Blick auf das Gelände von New Yampa zu werfen. Sie erkannten sofort die Anlagen eines ausgedehnten Atomwerkes, von dessen Existenz in dieser Gegend sie bislang nichts geahnt hatten. Kein Zweifel — hier mußte sich die gewaltige Katastrophe ereignet haben, deren Ausläufern sie vor einer knappen Stunde droben, in den Bergen, um ein Haar zum Opfer gefallen waren. Das ganze Werkgelände war übersät von Trümmern und zerfetzten Maschinenteilen, die Gebäude zum Teil einfach fortrasiert. An einer Stelle gähnte ein tiefer Krater. Männer in dickgepanzerten Strahlenschutzanzügen wimmelten wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen durcheinander. Tote oder Verletzte waren jedoch nicht zu entdecken. Folgendes hatte sich an diesem Vormittag in New Yampa zugetragen: Als Doktor Frazer, der junge Atomphysiker, bei Dienstbeginn das Privatlabor seines Chefs betreten hatte, war ihm Professor Skeleton entgegengetreten, mit dem Ausdruck des Fanatikers in den vor Übermüdung entzündeten Augen. „Frazer — es ist soweit. Ich habe alle Formeln heute nacht noch einmal überprüft. Wir sind auf dem richtigen Wege. Es kann keinen Zweifel mehr geben: Jenseits der Transurane gibt es weitere künstliche Elemente — spaltbare
Substanzen von ungewohntem Energiegehalt. Und das erste Element dieser ,Trans-Actiniden'-Gruppe, das Element 104, soll heute entstehen." Den Assistenten durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. Doch zugleich griff ein kaltes Grauen nach seiner Kehle. „Soweit ich es überblicke, Herr Professor", sagte er gepreßt, „muß dieses neue Element bereits ,in statu nascendi' — das heißt im Augenblick des Entstehens — in furchtbarer Kettenreaktion zerfallen. Wir wissen nichts über den Umfang dieser Reaktion. Man sollte den Versuch lieber nach Alamogordo verlegen. In der Wüste New Mexicos kann weniger Schaden entstehen als hier." „Ach, Unsinn", wehrte Skeleton ungeduldig ab. „Wie denken Sie sich das überhaupt? Eine Übersiedlung nach Alamogordo würde uns einen Zeitverlust von Monaten bringen. Nein, nein, Frazer, der Versuch findet h i e r statt, im Panzerraum D, und zwar heute. Die kritische Menge des neuen Elementes liegt nach der Theorie sehr niedrig, wir können also mit winzigen, ganz ungefährlichen Stoffmengen arbeiten. Um 11 Uhr geht's los, Frazer. Veranlassen Sie bei der Werkleitung, daß man die ganze Belegschaft eine Viertelstunde vorher in die Schutzräume schickt." Um 10.45 Uhr kündigten die Sirenen im Atomforschungswerk New Yampa den Großversuch 222 an. Ohne große Eile suchten Ingenieure und Arbeiter, Wissenschaftler, Büropersonal und Wachtmannschaften die tief unter der Erde liegenden Schutzräume auf, von denen man äußerlich nichts sah, als riesige, in den Himmel ragende Belüftungsschächte. Wie die übriggebliebenen Schornsteine einer irh Boden versunkenen Fabrik ragten sie einsam aus dem Sand. Professor Skeleton aber begab sich in den Befehlsbunker, der in einer engen Seitenschlucht in den westlichen Ausläufern der Berge fünfzig Meter tief in den Fels hineingesprengt war. Von hier aus konnte man den Großversuch 222, der weit entfernt im Panzerraum D vorbereitet war, in allen Einzelheiten durch Fernsteuerung kontrollieren. Die Elektriker und Schaltingenieure saßen bereits an den Geräten. Aus dem Lautsprecher klang ein leises Summen und Knistern. Es war, als ob die Luft mit Hochspannung geladen war. Und doch wußten nur Professor Skeleton und Doktor Frazer, um was es hier in Wirklichkeit ging. Der hagere Gelehrte mit dem wachsbleichen Totenkopfgesicht blieb vor dem Fernseher stehen. Auf dem Bildschirm war ein kreisrunder, nüchterner Raum zu erkennen. Auf einem Betonsockel in der Mitte ruhte eine starkwandige Kugel aus einer druck- und hitzebeständigen Metallegierung, der eigentliche Versuchsraum, der kurz vor Beginn des Experiments die winzige Menge von drei Gramm des künstlichen Elements 99 aufnehmen sollte. Ein stark isoliertes Kabel führte aus der Kugel heraus. Es enthielt die Leitungen zu den zahlreichen Fernanzeigegeräten im Befehlsbunker. „Noch zwei Minuten, Frazer. Fangen Sie an." Nervös rückte der Professor an seiner Hornbrille, Alles klappte wie vorgesehen. Geschickt bediente der Assistent die femgesteuerten Greifer. Eine kaum wahrnehmbare Menge des frisch
hergestellten Metalls 99 wurde blitzschnell in das Innere der Kugel hineingeschoben, dann rollte der „Varras-Strahler" heran, ein nur in wenigen Exemplaren existierendes Atomzertrümmerungsgerät, das mit konzentrierter kosmischer Strahlung arbeitete. Fest wurde die Mündung des Strahlers mit der Kugelöffnung verschraubt. Der Versuch konnte beginnen. Es war genau fünfzehn Sekunden vor elf Uhr. Wie Ewigkeiten krochen die Sekunden. Endlich die heisere Stimme des Gelehrten: „ A a c h tung! — Jetzt!" Doktor Frazer drückte auf den Auslöser des Varras-Strahlers. Ein Bündel Korpuskularstrahlen von höchster Energie traf die Atome des Elements 99. Ein neues Element wurde geboren — doch schon im Augenblick seines Entstehens zerbarst es in vernichtender Kettenreaktion ... Die Wissenschaftler im Befehlsbunker merkten nicht mehr viel davon. Sie spürten nur noch die Ausschläge sämtlicher Meßinstrumente, deren Zeiger in Bruchteilen einer Sekunde über die Skalen rasten und beim Anschlag brachen. Sie sahen das Gesichtsfeld des Fernsehers grell aufleuchten, hörten im Lautsprecher einen scharfen Knall — und dann nichts mehr. Tot lagen die Geräte, von der Explosion zerstört, Und droben raste im gleichen Augenblick die Explosionswelle durch die Anlagen des Atomwerks, alles niederreißend und verbrennend, was in ihrem Bereich stand. Dort, wo eben noch die Kuppel des Panzerraumes D, der Geburtsstätte des Elements 104, aus dem Boden geragt hatte, gähnte ein riesiger Krater.
Rund zwölf Stunden später stand in einem der nüchternen Laborräume der Atomwerke von Tannu Tuwa ein mittelgroßer Mann im weißen Arbeitsmantel am Fenster und kaute verdrossen auf seiner Zigarettenspitze. Sein glattrasiertes Gesicht unter dem wirren, graumelierten Haarschopf wirkte ausdruckslos, doch seine grauen Augen verrieten Tatkraft und ungewöhnliche Intelligenz. Draußen erstreckten sich die Werkanlagen im Sonnenschein: die Kolossalgebäude der Uranmeiler, die Raffinerie, das Kraftwerk und die geheimnisvollen Zwecken dienenden Hallen und Laboratorien. Ein geschäftiges Leben und Treiben herrschte überall. Doch jenseits dieses Bezirks, in der blau verschwimmenden Ferne, dehnte sich endlos die öde Steppe. „Es ist das Hinterteil der Welt", murmelte der Mann am Fenster und wandte sich ab. „Manchmal wünschte ich, der Teufel holte dieses Tannu Tuwa." Ein kräftiges Klopfen. Die Tür ging auf. Ein geschmeidiges Männchen, dessen listige Züge ein gepflegter Spitzbart zierte, trat ein und ging lächelnd auf den Wissenschaftler zu. „Herr Lewinski", rief dieser erstaunt. „Was verschafft mir die Ehre?" „Eine interessante Neuigkeit, Doktor Kux: Atomwerk New Yampa ist in die Luft geflogen." „Hölle und Teufel!" Erbleichend wich der mit „Kux" Angeredete zurück. „Seien Sie unbesorgt", lächelte der Besucher, von dem Kux eigentlich nur wußte,
daß er ein hochgestellter Beamter des Verteidigungsministeriums war. „Außer ein paar Vorwitzigen, die durch umherfliegende Trümmer Verletzungen davongetragen haben, ist niemand zu Schaden gekommen. Auch Ihr verehrter Lehrer, Professor Skeleton, befindet sich wohlauf." „Aber wie konnte das passieren? Meines Wissens wurden in New Yampa doch nur Laborversuche in kleinstem Umfange durchgeführt." „Ganz recht. Unseren bisherigen Informationen zufolge handelte es sich auch nur um ein Experiment mit kleinsten Mengen: einige Gramm eines künstlichen, radioaktiven Elements, mit bestimmten Partikeln beschossen ..." „Und das sollte genügen, um eine ganze Stadt in die Luft zu sprengen? Unglaublich!" Aufgeregt rannte Doktor Kux in seinem Arbeitsraum herum. Sollte es Professor Skeleton am Ende doch gelungen sein, jenen sagenhaften Elementen, den „Trans-Actiniden", die es in der Natur nicht gab, auf die Spur zu kommen? Mit einem jähen Ruck unterbrach er seine Wanderung und blieb vor Lewinski stehen. „Unsere neue Super-X-Bombe ist im Prinzip fertig. Sie kann zur stärksten Waffe aller Zeiten werden und selbst die Kohlenstoffbombe tausendfach an Wirkung übertreffen, wenn — ja, wenn es uns möglich ist, noch eine Art Vervielfacher einzubauen. Mir scheint, Professor Skeleton ist auf dem richtigen Weg. Aber leider dürfte er der einzige Mensch auf Erden sein, der das Geheimnis der Elemente jenseits der Transurane kennt." Lewinski wippte mit seinem Stuhi und sah sein Gegenüber prüfend an. „Ich fürchte, lieber Doktor, diese Kenntnis würde Ihnen auch nichts nützen. Eine Bombe, deren Ladung bereits im Zustand des Entstehens explodiert, ist eine reine Selbstvernichtungswaffe. An der Entwicklung solcher Knallbonbons ist unsere Regierung natürlich wenig interessiert." Der kleine Mann lachte schallend über seinen eigenen Witz. „Trotzdem — wir könnten aus diesen Erfahrungen wertvolle Rückschlüsse gewinnen. Wenn wir die Formel kennen, die der Atomexplosion von New Yampa zugrunde liegt, können wir in dieser Richtung weiter vorstoßen. Vielleicht ist Professor Skeletons neues Element nur der Anfang einer neuen, noch unbekannten Reihe, die auch stabilere Substanzen zu ihren Vertretern zählt." „Die Formel? Darüber ließe sich reden" meinte Lewinski nachdenklich. „Bei dem Ausmaß der Katastrophe fürchte ich, daß alle Unterlagen vernichtet wurden." Lewinski lächelte geheimnisvoll und stand auf. „Ihr Pessimismus ist unbegründet, Doktor Kux. Solange Professor Skeleton lebt — werden wir auch über seine Gedanken, Pläne und Erfolge genauestens informiert sein. Leben Sie wohl Doktor, und arbeiten Sie weiter — an der Super-X-Bombe!" Der alte Farmer Georg Fürchtegott Simon zog die Bremse und brachte den
schweren Raupenschlepper mit hartem Ruck zum Stehen. Lauschend hob er den ergrauten Kopf. „Da ist es wieder!" Bedeutungsvoll nickte er seinem Sohn zu, der auf einer Drillmaschine riesigen Formats im Schlepp des väterlichen Traktors hockte. Aus der Ferne, jenseits des mächtigen Vulkans im Westen, klang ein feines, aber sehr intensives Summen. Der Boden zitterte leicht, als arbeiteten schwere Maschinen in den Tiefen des Venusbodens. „In Urania lassen sie das neue Bevatron anlaufen", rief der junge Heinz Simon aufgeregt, „den größten Partikelbeschleuniger, der je gebaut wurde. Ach, Vater — wer das miterleben könnte!" „Papperlapapp!" erwiderte der Alte ärgerlich. „Ich verstehe zwar nichts von diesen neumodischen Höllenmaschinen, aber so viel ist gewiß: Das nimmt kein gutes Ende mit dem gefährlichen Teufelsspuk, den die Leute da drüben in Urania ausbrüten. ,Der Mensch versuche die Götter nicht',' das hat schon vor langer Zeit ein kluger Dichter in unserer alten Heimat gesagt. Schiller hieß der Mann — wenigstens behauptete das unser Lehrer in der Dorfschule . . . " „Hahaha! Schiller und die Atomenergie. O Vater, du bist wirklich köstlich!" „Und du bist ein törichter Grünschnabel, Heinz. Was hast du, als Bauernsohn, bei den Atomfatzken zu suchen? .Bleibe im Lande und nähre dich redlich', pflegte man bei uns daheim zu sagen." Aber der junge Mann hatte mächtig Oberwasser. „Hast du dich etwa an diesen schönen Spruch gehalten, Vater, als du vor Jahren mit den ersten Siedlern zur Venus geflogen bist?" Der alte Georg Fürchtegott antwortete nicht. Zornig ließ er den Motor aufheulen und seinen Schlepper so unvermittelt anfahren, daß er fast das Gleichgewicht verloren hätte. Verbissen steuerte er das Fahrzeug über den fruchtbaren Boden des fremden Planeten, den er in all den Jahren harter Arbeit liebgewonnen hatte, der ihm zur neuen Heimat geworden war. Dieser Heinz, sein einziger Junge — er war doch ein rechter Nichtsnutz. Anstatt sich mit aller Kraft und Inbrunst für das Gedeihen der Farm „Neupommerland" einzusetzen, die hier im Norden, als äußerster, einsamer Vorposten menschlichen Pioniergeistes, umgeben von feindseligem Dschungel, lag, lockten ihn die Abenteuer, die ihm Urania, die Atomstadt im fernen Westen, zu verheißen schien. Aber der alte Simon war es gewohnt, gründlich und gerecht über alles nachzudenken, was ihn bewegte. War er nicht selbst als junger Mensch der Enge des väterlichen Hofes entflohen, um jenseits des Großen Teiches ein neues Leben zu beginnen? Hatte es ihn nicht jahrzehntelang in den Staaten ruhelos umhergetrieben? Und hatte er nicht — endlich in Kalifornien seßhaft geworden — alles stehen- und liegengelassen, als der Ruf zur Besiedlung der Venus erging? Begleitet von Frau und Sohn, hatte er sich den ersten Freiwilligen angeschlossen, die an Bord der „Trans Universum" von Kommodore Parker zum fernen Abendstern geführt wurden.
Abermals hielt der Schlepper mit scharfem Ruck. Langsam wandte der alte Simon sich um. „Ich will dich nicht halten, Heinz. Du bist alt genug, um selbst zu wissen, was du tust. Wenn es dich zu den Atomleuten zieht, so gehe nach Urania. Vielleicht können sie dich brauchen. Nur" — ein Zittern ging durch seine Stimme — „vergiß deine Eltern und die Farm in der Fremde nicht ganz ..."
„Willkommen, Gentlemen! Oh, der Herr Unterstaatssekretär persönlich! How do you do, Professor. Was verschafft mir die hohe Ehre Ihres so unerwarteten Besuchs in Orion-City?" Ted S. Cunningham, der Generaldirektor des Staatlichen Atom-Territoriums, stemmte seine umfangreichen Fleischmassen hinter dem schweren, eichenen Schreibtisch hoch und trat den vier Herren jovial entgegen, die sein Privatsekretär hereingeführt hatte. Man gruppierte sich um den großen, runden Tisch am Fenster: James Huxley, der allgemein bekannte Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, dessen verkniffenes, von hundert Falten und Fältchen durchzogenes Gesicht nichts von den Gedanken verriet, die hinter der hohen Stirn arbeiteten; Professor Skeleton, der mit seiner erschreckend dürren Gestalt und dem fahlen Totenschädel wie der verkörperte Gegensatz zu Cunninghams massiger Gutmütigkeit wirkte; Doktor Frazer, mit den ausdruckslosen Zügen und den allzeit wachen, klugen Augen; und schließlich der lange Oberst Mortimer, seines Zeichens Chef des Sicherheitsdienstes von Orion-City. „Nun, Gentlemen, was haben Sie auf dem Herzen?" erkundigte sich Cunningham nochmals, als Shilling, sein Sekretär, Zigarren und Whisky aufgefahren und sich dann diskret zurückgezogen hatte. „Es handelt sich um diese Sache in — ahem — in New Yampa", begann der Unterstaatssekretär. „Aha — Ihre übereifrigen Wachtsoldaten haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, als sie Kommodore Parker und Mister Wernicke verhafteten — zwei Männer, die doch wirklich jedes Kind zwischen dem Nord- und dem Südpol kennt." „Gewiß, gewiß, Sir. Allerdings wurden die beiden unter etwas — ahem — verdächtigen Umständen aufgegriffen, und das ausgerechnet kurz nach jener Katastrophe, der ein Teil des Werkes zum Opfer fiel. Selbstverständlich wurden die beiden Herren sofort auf freien Fuß gesetzt, als sich der Irrtum aufgeklärt hatte, und ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit in edler Form das Bedauern des Ministeriums über diesen Mißgriff zum Ausdruck bringen." „Danke." Der Atomboß verneigte sich würdevoll und wandte sich dann Professor Skeleton zu. „Sie müssen ja eine tolle Hexenküche in New Yampa unterhalten haben, Professor. Der Kommodore erzählte mir von der Bescherung, die Sie da
angerichtet haben. Mein lieber Mann, wie leicht kann so was ins Auge gehen. Nur gut, daß das Experiment keine radioaktive Verseuchung der ganzen Gegend zur Folge hatte." „Die Katastrophe von New Yampa ist der andere Grund, aus dem wir Sie aufgesucht haben", erwiderte der Gelehrte. Cunningham rutschte mit seinem Sessel zurück und hob abwehrend die Hände. „Um Himmelswillen, hören Sie auf, Professor! Das S.A.T. hat keinerlei Interesse an Ihrem Teufelszeug. Ich ahne zwar nicht, was Sie da zusammengebraut haben, aber ..." „Ich habe ein neues, spaltbares Element entdeckt", sagte Skeleton leise, und in seinen Augen leuchtete es von Stolz und Fanatismus. „Es hat allerdings die Eigenschaft, schon im Augenblick des Entstehens zu zerfallen ..." „Ja, ahem — und deshalb kann ich mir absolut nicht vorstellen, wozu es gut sein soll." „Das Element 104 selbst wird keine praktische Bedeutung erlangen", fuhr der Professor feierlich fort. „Aber es ist wahrscheinlich nur das erste Glied einer Reihe von 14 neuen, künstlichen Elementen. 13 von diesen ,Trans-Actiniden', wie ich sie nennen möchte, gilt es noch zu entdecken. Nach meiner Theorie müßte bereits das fünfte Element der Reihe eine größere Halbwertzeit besitzen." „Und bis dahin sprengen Sie mit Ihren famosen Elementen 104 bis 107 ein Atomwerk nach dem anderen in die Luft? Das sind ja nette Aussichten, Professor." „Eben deshalb kommen wir zu Ihnen", mischte sich Huxley ein „Diese Experimente sind für irdische Verhältnisse viel zu gefährlich. Wir müssen sie daher wohl oder übel in einem außerirdischen Atomwerk fortsetzen. Ihr Außenwerk Urania auf Venus bietet alle technischen Voraussetzungen ..." „Urania? Unmöglich!" brauste Cunningham auf und schlug mit der gewaltigen Faust auf den Tisch. „Nein, Sir, dazu gebe ich nie und nimmer meine Einwilligung." Auf dem faltigen Gesicht des Unterstaatssekretärs erschien der Anflug eines Lächelns. „Sie vergessen, daß das S.A.T. letzten Endes der Regierung untersteht. Und die Regierung legt größten Wert darauf, daß Professor Skeleton seine Versuche zu einem günstigen Abschluß bringen kann." „Und was verspricht sich die Regierung von solch einem — äh — .günstigen Abschluß'? Will sie etwa mit diesen gefährlichen Elementen Öfen heizen und Lokomotiven antreiben? Ihre Bemühungen in Ehren, Herr Professor, aber ich glaube, sie führen zu nichts." „Sie vergessen die unvorstellbare Explosivwirkung der Trans-Actiniden, Sir", warf Doktor Frazer ein. „Eine Atombombe auf der Basis der neuen Elemente würde an Zerstörungskraft alles übertreffen, was je ein menschliches Hirn sich vorstellen kann." Dem Generaldirektor blieb der Mund offenstehen. Er rang nach Luft. „Ich höre wohl nicht richtig", sagte er schließlich heiser. „Sie vergessen wohl,
Gentlemen, daß das S.A.T. eine Einrichtung ist, die laut Satzung ausschließlich friedlichen, nutzbringenden Zielen dient?" „Daran ändert sich ja auch nichts, Cunningham", versuchte Huxley den entrüsteten Boß zu besänftigen. „Das S.A.T. hat mit Professor Skeletons Arbeiten nicht das geringste zu tun. Es soll ihm lediglich im Werkbereich von Urania die nötigen Räumlichkeiten und Materialien zur Verfügung stellen." „Aber derartige Arbeiten sind ungesetzlich", beharrte der Atomboß eigensinnig. „Alle im .Weltbund' vereinigten Nationen haben die Atombombe in feierlichen Resolutionen geächtet." Huxley zuckte die Achseln. „Was wollen Sie? Solange der böse Nachbar auf diese Abmachungen pfeift, können auch wir uns nicht daran gebunden fühlen." Der dicke Ted S antwortete nicht. Mit erstaunlicher Elastizität sprang er auf und eilte ins Vorzimmer. Er ließ ein Blitzgespräch mit Unterstaatssekretär Baker in Washington, dem Dezernenten des S.A.T. bei der Regierung, anmelden. Doch auch John Baker wies seinen Protest zurück Innerlich berstend vor Wut, ging Cunningham in sein Arbeitszimmer zurück, um die Einzelheiten der Übersiedlung 14 der Abteilung Skeleton nach Urania festzulegen. Oberst Mortimer wurde die undankbare Aufgabe zuteil, die in diesem Fall besonders heikle Spionageabwehr zu organisieren.
„In drei Tagen sind wir am Ziel, Professor. Höchste Zeit, daß die langweilige Venusfahrt zu Ende geht. Schade um jede Stunde, die wir hier an Bord auf dem Trockenen saßen. Ich brenne bereits vor Ungeduld, in Urania mit der Arbeit fortzufahren." Professor Skeleton nickte seinem Assistenten wohlwollend zu. Er schätzte den unermüdlichen Arbeitseifer Doktor Frazers. Doch nun lächelte er halb belustigt. „Ich finde diese Reise durch den leeren Weltraum gar nicht so langwellig, Herr Kollege, und ich glaube, daß ich meine Zeit nicht unnütz vertan habe. In den vergangenen 24 Stunden dürfte ich unserem Ziel ein gutes Stück näher gekommen sein." „Sie meinen — die Gewinnung neuer, stabilerer Transactiniden?" „Allerdings. Wir sind bei unserem verhängnisvollen Experiment in New Yampa zu robust vorgegangen. Die Anwendung des Varras-Strahlers käme in unserem Falle dem Versuch gleich, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen." „Und welchen Weg wollen Sie künftig einschlagen?" „Man könnte von Element 97, dem Berkelium, ausgehen", sagte der Gelehrte sinnend, „und es mit — Neutrettos beschießen." „Mit Neutrettos?" „Pst!" machte der Gelehrte erschrocken. „Sind das nicht Schritte im Mittelgang? Wenn man uns gehört hätte . . . Es würde mich nicht wundern, wenn man uns bereits ein Heer von Spionen auf die Spur gesetzt hätte." Aber es war nur die schlanke Gestalt des Kommodores, die jetzt in der Türöffnung erschien.
„Kommen Sie in den Führerraum, Gentlemen. Wir haben das Elektronen-Teleskop aufgestellt. Im Fadenkreuz liegt Urania, Ihre neue Heimat." Endlich! Tief drunten im engen Flußtal zur Linken wand sich in zahllosen Kehren das helle Band der Straße, die nach Urania führte, Heinz Simon war nahe am Ziel. Aber er war auch mit seinen Kräften am Ende. Drei Tagesmärsche im mörderischen Klima der Venus bedeuteten selbst für einen so kräftigen und gesunden jungen Menschen, wie es Heinz war, keine Kleinigkeit Vor drei Tagen war er im Morgengrauen Von Neupommerland aufgebrochen, wohlversorgt mit väterlichen Ermahnungen und reichlichem Proviant, den ihm die Mutter mitgegeben hatte. Ein wenig beklommen war ihm doch zumute gewesen, als er die kummervollen Mienen seiner Eltern sah. Doch dann wandte er sich gen Westen und schritt rüstig aus. Am ersten Tage ging es nur langsam vorwärts; Jenseits der Grenzen der elterlichen Farm dehnte sich der fast undurchdringliche Venusdschungel. Streckenweise konnte Heinz, dem dieses Gelände nichts Ungewohntes war, auf Wildwechseln rasch westwärts vordringen, doch meist mußte er sich mit dem Buschmesser mühevoll den Weg durch Schlinggewächse und Unterholz bahnen. Die Nacht verbrachte Heinz an einem prasselnden Lagerfeuer. Aus Furcht vor Schlangen und Raubtieren, von denen der Dschungel wimmelte, wagte er kein Auge zuzutun. Während der Wanderung des nächsten Tages ging der Dschungel allmählich in Steppe über, die Steppe in eine glühende Wüste aus vulkanischem Gestein. Todmüde sank Heinz am Abend neben einer Quelle am Fuße des mächtigen Vulkankegels zu Boden. Das Wasser war warm und schmeckte widerlich nach Schwefel. Der junge Wanderer fiel in einen tiefen Schlaf. Mehr als einmal im Verlauf des folgenden Tages hätte Heinz Simon sein Unternehmen fast aufgegeben. Unendlich mühsam war der Aufstieg in das dunkle, kahle, von Sonnenglut erfüllte Gebirge. Doch der Gedanke an sein Ziel, die Atomstadt Urania, ließ ihn sich immer wieder aufraffen. Und nun lag unter ihm in der Tiefe die Straße, die in das weite Tal von Urania führte. Heinz wußte: Sie holte — dem Flußlauf folgend — weit nach Westen aus, um dann scharf umzubiegen und jenseits des Gebirges fast in entgegengesetzter Richtung umzukehren. Würde es da nicht einfacher sein, direkt über den Gebirgskamm nach Norden zu steigen? Heinz Simon schaute zu dem steilen, schroffen Grat empor, und sein Mut schwand dahin. Doch plötzlich zuckte er zusammen. Hinter ihm, aus der Felsgrotte, ertönte ein gefährliches Fauchen. Heinz fuhr herum und riß das Gewehr von der Schulter. Flüchtig erkannte er ein mittelgroßes, katzenartiges Raubtier, mit grellgelben Augen und bläulichem Fell. Ein Venus-Berglöwe! Eines jener scheuen, seltenen Raubtiere des Abendsterns,
für deren kostbaren Pelz man auf der fernen Erde schwindelnde Liebhaberpreise zahlte. Flink, wie ein Wiesel, war das kostbare Wild im nächsten Augenblick in der grauen Felswand verschwunden. Ohne zu überlegen, stürzte Heinz ihm nach. Es ging in einen langen Höhlengang hinein. Anfangs konnte der junge Mann die Umrisse noch schwach im hereinflutenden Tageslicht erkennen. Doch plötzlich prallte er mit solcher Wucht gegen einen vorspringenden Pfeiler, daß er halb betäubt zu Boden stürzte. Mühsam raffte er sich auf und betastete die zerschundenen Glieder. Der Berglöwe . . . Ja, der war längst auf und davon. Schon wollte Heinz den Rückzug antreten, als ihm blitzartig ein Gedanke kam. Hastig holte er den Taschenscheinwerfer hervor. Im scharfen Lichtstrahl erkannte er vor sich ein finsteres, enges Loch, das tiefer in den Berg hineinführen mußte. Heinz legte das Gewehr nieder, klemmte die Lampe zwischen die Zähne und kroch, einen unheimlichen Schauer tapfer niederkämpfend, in die dunkle Öffnung hinein. Der enge Schlauch schien kein Ende zu nehmen. Und doch waren kaum zehn Minuten verstrichen, als er sich plötzlich wieder zu einem mannshohen Gang weitete. Zwischen zwei bizarr gestalteten, kandelaberförmigen Tropfsteingebilden trat er in eine riesige, unterirdische Halle, die sich wie ein mächtiger Dom in die Höhe wölbte. Erstaunt ließ Heinz Simon den Kegel der Taschenlampe über die abenteuerlichen Tropfsteine gleiten. Hier und dort huschte es lautlos, schattenhaft davon. Irgend etwas Lebendiges ringelte sich vor seinen Füßen. Angeekelt schritt er weiter — und starrte plötzlich in die bösen, starren Augen einer riesigen Spinne, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Die Lampe entglitt seinen Händen und zerbrach. Entsetzt floh der Junge in die Finsternis hinein. Da — rechts vor ihm — schimmerte es da nicht schwach grünlich in der Schwärze? Er stolperte auf die Stelle zu, griff in einen Vorhang aus harten, struppigen Flechten — und stand im nächsten Moment draußen, im Sonnenlicht. Als er die geblendeten Augen wieder öffnete, sah er unter sich ein großes, ovales Tal. Und in diesem Tal erkannte er die phantastischen technischen Anlagen, die er in ähnlicher Gestalt so oft in Büchern und Journalen bewundert hatte, die ihm vertraut waren aus seinen sehnsüchtigen Träumen . . . „Urania!" jubelte Heinz und warf die Arme in die Luft. Nun hielt ihn nichts mehr. Er raste den Geröllhang hinunter, direkt auf einen Gebäudekomplex mit riesigen, runden, in den Himmel strebenden Kaminen zu. Er schwang sich über eine niedrige Betonmauer — und fühlte sich im nächsten Augenblick von einer kräftigen Faust am Kragen gepackt und geschüttelt. Und eine unfreundliche Männerstimme sprach: „Das fängt ja nett an. Hatte von dieser tollen Gegend von Anfang an nichts Gutes erwartet. Aber daß die Spione hier einfach vom Himmel regnen? Na, komm mal mit auf die Wache, old chap, wollen dir mal ein wenig auf den Zahn fühlen."
„Ich denke, Herr Professor, Sie wählen am besten das Werk Süd für die Fortsetzung Ihrer segensreichen Tätigkeit." Direktor Lindenberg, der Leiter des Atomwerks Urania, gab sich keinerlei Mühe, den Wissenschaftlern der Gruppe Skeleton gegenüber, die man ihm wie Kuckuckseier ins Nest gelegt hatte, Sympathie zu heucheln. Männer, die mit der Atomforschung nichts Besseres anzufangen wußten, als sie in den Dienst der Entwicklung von Vernichtungswaffen zu stellen, waren der geraden und verantwortungsbewußten Art des S.A.T.-Direktors widerwärtig. Lindenberg machte kein Hehl daraus, und er wußte sich darin eins mit manch einem führenden Kopf in den Reihen des Staatlichen Atom-Territoriums, an ihrer Spitze Kommodore Parker. Der hagere Gelehrte mit dem bleichen Totenkopfgesicht stelzte geistesabwesend durch die Anlagen des Süd-Werks, die im Augenblick nur von einigen wenigen Arbeitern imstand gehalten wurden. Sicher brütet er wieder über einer neuen, teuflischen Erfindung, mutmaßte der Direktor im stillen. Laut sagte er: „Sie finden hier alles, was Sie für Ihre Arbeit brauchen, Professor. Die Anlage diente bis vor kurzem der Gewinnung radioaktiver Isotope für Medizin und Landwirtschaft, die jedoch neuerdings in der großen Haupt-Trennanlage hergestellt werden." „Verfügt das Süd-Werk über einen eigenen Partikelbeschleuniger?" fragte Professor Skeleton. „Es steht Ihnen ein Zyklotron zur Verfügung. Das erforderliche Bedienungspersonal ist gut eingearbeitet und . . ." „. . . und hoffentlich in jeder Hinsicht zuverlässig?" erkundigte sich Doktor Frazer. „Wie steht es überhaupt mit der Spionageabwehr in Urania, Sir? Habe den Eindruck, daß dieser allerwichtigste Punkt bei Ihnen reichlich lax behandelt wird. Ihr Wachpersonal scheint nicht gerade zahlreich zu sein." „Oberst Mortimer hatte mir ein Spezialkommando des Sicherheitsdienstes zugesagt", -erwiderte Lindenberg ärgerlich. „Es sollte gleichzeitig mit dem Raumschiff des Kommodores hier eintreffen. Aber aus ungeklärten Gründen erlitt das Transportschiff unterwegs eine Havarie und mußte zur Außenstation zurückkehren. Einstweilen muß unsere kleine Werkwache ausreichen." Frazer schien nicht sonderlich beunruhigt, fand jedoch sogleich einen neuen Einwand. „Das Süd-Werk liegt leider viel zu dicht an den übrigen Komplexen dran. Bei der — ahem — Gefährlichkeit unserer Versuche . . ." „Ich möchte Sie von vornherein auf folgendes aufmerksam machen, Gentlemen." Die Stimme Direktor Lindenbergs war eiskalt. „Treiben Sie Ihren wissenschaftlichen Unfug meinetwegen, solange Sie wollen — angeblich dienen Sie ja damit den Interessen der sogenannten Verteidigung —, aber wenn Sie in Urania einen ähnlichen Feuerzauber aufführen sollten, wie in New Yampa, dann holt Sie der Teufel. Das verspreche ich Ihnen hoch und heilig. Good night!"
Direktor Lindenberg befand sich an diesem Abend in einer scheußlich ungnädigen Stimmung. Und Flugkapitän Horst Fischer, der mit Jim Parkers Raumschiff von Orion-City gekommen war und die kommissarische Leitung des Sicherheitsdienstes von Urania übernommen hatte, schien ebenfalls schlechte Laune zu haben, als er sich bei seinem Chef melden ließ. „Eine tolle Schweinerei, Sir", legte der junge Deutsche los, „daß dem Transportschiff des Sicherheitsdienstes dieses Malheur passieren mußte. Würde mich nicht wundern, wenn Sabotage dahintersteckte. Irgend jemand führt etwas gegen Urania im Schilde, und er hat ein Interesse daran, das Werk ohne ausreichenden Schutz zu wissen." „Wir haben keine Beweise für diese Vermutung", wandte Lindenberg grämlich ein. „Auf jeden Fall sollten wir natürlich auf der Hut sein." „Leicht gesagt, Sir. Unsere Mannschaft reicht bei weitem nicht aus. Hier können Hinz und Kunz unbemerkt einsickern." Und er erzählte dem erstaunten Direktor von seinem überraschenden Fang am Nachmittag. „Und der Kerl will auf dem normalen Wege ins Werk gelangt sein?" „Er behauptet es steif und fest. Wüßte auch nicht, wie er sonst hereingekommen sein könnte. Zum Glück hat er sich als ein harmloser Bauerntölpel entpuppt — mit etwas zu viel Abenteurerblut in den Adern. Behauptet, unbedingt mitmachen zu wollen, ganz gleich wo und als was, Heinz Simon, heißt der Knabe, von der .Neupommerland'-Farm. Zwei von unseren Arbeitern, denen die Familie bekannt ist, haben seine Angaben bestätigt." „Na schön", meinte der Direktor gelangweilt, „dann sehen Sie mal zu, wie Sie ihn am besten verwenden können."
So kam es, daß Heinz Simon, der über den Titel „harmloser Bauerntölpel" wahrscheinlich sehr erbost gewesen wäre, zwar keine Anstellung als Atomphysiker oder Laborant bekam, aber doch wenigstens in der „Stadt seiner Träume", in Urania, bleiben durfte. Flugkapitän Fischer hatte ihn kurz entschlossen dahin gesteckt, wo gerade Not am Mann war: in die Wachtabteilung. Eintönig verlief der Postendienst, und sehnsüchtig schaute der junge Mann zuweilen nach den großen, geheimnisvollen Gebäuden hinüber, in denen die übermächtigen Energien des Atomkernes erschlossen und gebändigt wurden. Horst Fischer sah es, und er beschloß, dem Jungen zu helfen. Bald ergab sich eine Gelegenheit. Kommodore Parker kam mit Fritz Wernicke im Düsen-Schnellwagen von Silverfleld herüber, um die Werkanlagen zu besichtigen. Heinz durfte sich der Gruppe anschließen, und was er an diesem Morgen sah, war für ihn eine Offenbarung. Da lernte er das gewaltige Bevatron kennen, die riesige Anlage, in der Protonen fast bis zyr Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden, wobei sie Energien von 10 Milliarden Elektronenvolt erhielten; den großen Uranmeiler, einen mächtigen, betonverkleideten Graphitwürfel, in den Tausende von Uranstrben, in reinstes
Aluminium eingekapselt, eingeführt waren. Hier spielten sich die Kernreaktionen ab, hier entstand das geheimnisvolle Element Plutonium, und hier wurden die unvorstellbaren MVärmo mengen frei, die das 10-Millionen-Kilowatt-Kraftwerk speisten. Auch das fris* he.gestellte Plutonium selbst durfte Heinz sehen. Sein Chef ließ ihn durch ein sogenanntes Fliegenauge blicken, eine von zwei Linsen verschlossene Öffnung in der Schutz-§?and, deren Zwischenraum mit Wasser gefüllt war. Heinz erkannte einen Glasbehälter mit dickflüssigem, grünlichem Inhalt. „Sieht aus wie Erbsensuppe", meinte Heinz Simon. „Die Suppe würde Ihnen schlecht bekommen, junger Freund", erklärte Fritz Wernicke gönnerhaft. „Was Sie da sehen, ist reines Plutonium." „Ich hatte gedacht, Plutonium sei ein festes Metall." „Gewiß — wenn es nachher erstarrt ist." Nur widerwillig riß sich Heinz Simon von den technischen Wundern des Uranmeilers los und folgte der Gruppe der anderen, die bereits zum Werk Süd weitergegangen waren. Im Eingang zum Laborgebäude traf er auf Flugkapitän Fischer, der sich angelegentlich mit einem blonden, jungen Mädchen in weißem Labormantel zu unterhalten schien. Heinz hatte das unklare Gefühl, sein Erscheinen würde als störend empfunden. „Das ist Mister Simon, einer von meinen Leuten", stellte Horst Fischer etwas herablassend vor. „How do you do." Die junge Laborantin reichte Heinz die Hand. „Ich bin Janet Mason. Nehmen Sie auch an der Besichtigung teil?" Heinz Simon druckste noch verlegen an einer Antwort, als aus dem Nebenraum das Geräusch eines heftigen Wortwechsels drang. Die beiden Männer horchten auf. „Das sind Direktor Lindenberg und Doktor Frazer", lachte Janet. „Die beiden können sich nicht riechen. Kommen Sie, Gentlemen, ich führe Sie inzwischen in den anderen Abteilungen herum."
„Nun sagen Sie uns bloß, Professor, welch einem erstaunlichen Venusungeheuer sind Sie denn eigentlich auf der Spur? Ich platze allmählich vor Neugier." Jim Parker verhielt den Schritt und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte sich mit Fritz Wernicke der Tierfangexpedition Professor Hausers angeschlossen und durchstreifte mit ihr nun schon den dritten Tag das vulkanische Hochland zwischen dem Silbernen Strom und den Hoover Mountains im Norden, ohne daß der weißhaarige, kleine Gelehrte sich bisher über den wahren Zweck des Unternehmens geäußert hätte. „Wahrscheinlich hat es der Professor auf einen von diesen scheußlichen Sauriern abgesehen, die den holden Abendstern unsicher machen", mutmaßte der kleine Wernicke. „Ich stelle ihn mir ungefähr so vor: Auf einem schuppigen Schlangenleib thront — auf endlos langem Giraffenhals — ein furchtbares Haupt
mit dolchartigen Hörnern und flammensprühendem Rachen. Die Augen, groß wie Wagenräder, entsenden ihren hypnotischen Blick. Das Ungeheuer betrachtet uns arme Menschlein als sein Leibgericht. Es mißt von Kopf bis Schwanz 50 Meter, vom Schwanz bis zum Kopf 60 Meter, das macht zusammen 125 Meter. Wenn es sich schlafen legt . . ." „Hör auf, Fritz!" rief der Kommodore in komischem Entsetzen. „Mäßige deine blutrünstige Phantasie, old fellow, und nimm lieber einen ordentlichen Schluck aus der Flasche. Findest du nicht auch, daß es furchtbar heiß und trocken hier oben ist?" Fritz Wernicke ließ sich nicht lange nötigen. Er labte sich mit durstigen Zügen aus der Flasche seines Freundes. „Es ist der gleiche trockene Wind, wie er in dieser Gegend oft einem Vulkanausbruch vorangeht", meinte einer der vier jungen Siedlersöhne, die man als Scouts und Träger für die kleine Expedition angeheuert hatte. Mißtrauisch witternd hob er das Gesicht zum Himmel, der trübe, verhangen und drückend war. „Mister Wernicke irrt", nahm Professor Hauser das Gespräch wieder auf. „Ich habe in den vergangenen Jahren die Saurierwelt der Venus gründlich durchforscht. Nein, diesmal gilt die Jagd einem edleren Wild. Sehen Sie her!" Er zog aus der altmodischen Botanisiertrommel ein längliches Stück Seidenpapier und entfaltete es feierlich. „Thunderstorm!" rief der Kommodore überrascht. Er starrte auf die herrliche, in allen Farben des Spektrums leuchtende und von Goldfäden durchwachsene Vogelfeder, die da zum Vorschein kam. „Das ist ja ein wahres Wunderwerk der Natur! Wo haben Sie die denn gefunden?" „Unweit von hier", erwiderte der Gelehrte, „auf einer meiner früheren Expeditionen. Sie stammt von einem noch unbekannten Vogel, den ich nur einmal, für einen flüchtigen Augenblick, sah. Wie ein herrlicher, überlebensgroßer Flamingo sah er aus — nein, fast wie der sagenhafte Vogel Phönix, als er im Abendrot die Schwingen spreizte . . ." Mit ausgebreiteten Armen und verklärtem Blick stand der kleine Gelehrte, der außer seiner geliebten Wissenschaft nichts kannte auf dieser Welt, vor seinen Begleitern. Er sah sie nicht — er sah auch nicht, wie der Himmel von Sekunde zu Sekunde dunstiger und dunkler wurde. Plötzlich war da das Flattern eines Vogels über ihren Häuptern. „Der Phönix!" schrie der übermütige Wernicke. Er hob die Jagdflinte und feuerte zwei Schrotladungen aufs Geratewohl in den Dunst. Ein kleiner, weißer Vogel stürzte aus den Wolken herab und fiel tot auf den harten Boden. Zögernd traten die Männer näher. „Du hast im wahrsten Sinne des Wortes wieder einmal den Vogel abgeschossen", sagte Jim Parker mißbilligend. „Weidmannsheil! Dein .Phönix' war eine weiße Taube,' das Symbol des Friedens." Der gute Fritz sah sehr betreten aus. Die Männer kicherten heimlich. Dann war es still. Irgendwo im Dunst wetterleuchtete es gespenstig. „Eine Taube?" Die Stimme des Professors kam wie aus tiefem Sinnen. „Das ist
unmöglich, Gentlemen. Auf Venus gibt es keine Tauben." „Bitte, Professor, überzeugen Sie sich selbst." Der Gelehrte unterzog das Tier einer fachmännischen Untersuchung. Und so war et auch der erste, der die kleine Hülse am Bein entdeckte. „Eine Brieftaube, Gentlemen!" „Eine Brieftaube? Hier, auf Venus? Das ist wohl das Allerneueste?" Die jungen Siedler tauschten ungläubige Blicke. Der Kommodore drehte das weiße Blatt Papier, das in der Hülse gesteckt hatte, hin und her Das Blatt war unbeschrieben Schon wollte er es fortwerfen, als er sich eines Besseren besann und es sorgfältig in seiner Brieftasche verstaute. „Tut mir aufrichtig leid", sagte Wernicke reumütig. „Werde den Besitzer des bedauernswerten Vogels durch öffentlichen Anschlag in Silverfleld auffordern, sich zu melden und seine Entschädigung abzuholen." „Der geheimnisvolle Brieftaubenzüchter dürfte kaum auf deinen Aufruf reagieren", meinte Jim Parker ahnungsvoll. Ein blendender Blitz — ein krachender Donnerschlag! Hastig suchten die Männer unter überhängenden Felsen Schutz vor den urplötzlich entfesselten Elementen. Seit jenem Tag, an dem ein gütiges Geschick dem jungen Simon nicht nur tiefe Einblicke in das Herz der Atomstadt Urania gewährt hatte, sondern ihm auch die scharmante Laborantin des totenköpfigen Professors Skeleton über den Weg führte — seit jenem Tag fühlte sich Heinz von einem neuen, unbekannten Glücksgefühl durchpulst. Wann immer es ihm seine Freizeit erlaubte, war er mit Janet zusammen, und er verstand es so einzurichten, daß er mehrmals am Tage „dienstlich" im Süd-Werk zu tun hatte. Allmählich war das aufgefallen, und heute mittag hatte es einen bösen Zusammenstoß mit Doktor Frazer gegeben. Wutentbrannt hatte sich der Assistent bei Flugkapitän Fischer beschwert und war dabei so weit gegangen, den verliebten, jungen Wachtmann einen „widerwärtigen Schnüffler" zu nennen und ihn der Spionage zu verdächtigen. Horst Fischer, dem die Verantwortung für die Sicherheit des Werkes allmählich auf die Nerven ging, hatte den schimpfenden Doktor kurzerhand hinausgeworfen. Aber auch Heinz Simon bekam sein Teil ab. Nach einem kurzen, heftigen Donnerwetter wurde er der Nachtschicht zugeteilt und für den Außendienst eingesetzt. An diesem Abend erleichterte Heinz sein grimmbeladenes Herz, als er an der Seite Janets über die Geröllhänge des südlichen Gebirgsmassivs stolperte. „Grün und blau schlagen würde ich diesen Frazer, wenn ich ihn jetzt hier hätte", schimpfte er. „Hier oben werden Sie ihn schwerlich finden", lachte Janet. „Übrigens finde ich Sie heute furchtbar komisch, Heinz." „Darf ich fragen, wieso?" „Sie dürfen. Sagen Sie selbst: Finden Sie es nicht selbst etwas ungewöhnlich, so in voller Kriegsbemalung, mit geladenem Gewehr, zum Rendezvous zu kommen?"
„Dies ist kein Rendezvous. Ich bin im Dienst." „Ah — so. Darum also schleifen Sie mich hier unbarmherzig durch wegloses Gelände. Gute Nacht, Heinz! Ich will Sie natürlich nicht stören, wenn Sie — im Dienst sind." „Halt, Janet, so war das doch nicht gemeint. Doch — nanu — was ist denn das?" Die beiden blieben stehen und lauschten in das Dunkel. Da war es wieder, hoch über ihnen, am Steilhang: ein Geräusch, als würden Steine losgetreten. Eine Lampe blitzte auf, verlosch ebenso schnell wieder. Schritte tasteten sich den Hang herunter. „Halt, wer da?!" Heinz Simons Stimme klang rauh und kehlig. Ein unbehagliches Gefühl kroch ihm über den Rücken. „Vielleicht — irgendein Tier?" flüsterte Janet. „Ein Tier mit Taschenlampenbeleuchtung? Nein, Janet, das gibt es selbst auf der Venus nicht." Langsam hob Heinz die Waffe, aber er fand kein Ziel. Die stolpernden Schritte waren verstummt. Plötzlich flammte drunten im Hauptlabor des Werks Süd das Licht auf. Fragend wandte sich Heinz zu seiner Begleiterin um. „Sie arbeiten wieder die Nacht durch — der Professor und Doktor Frazer", sagte Janet. „Die beiden haben anscheinend weder Schlaf nötig, noch Nahrung, Sie sind nicht wie normale Menschen. Manchmal sind sie mir unheimlich." „Was treiben die beiden eigentlich so Geheimnisvolles?" fragte Heini. Sein Interesse war erwacht. „Sie suchen nach .Transactiniden'." Heinz Simon war genau so klug wie zuvor. „Und — was kann man mit diesen Trans — Trans . . ."„Transactiniden", half Janet aus. „ . . . a l s o mit diesen Transactiniden anfangen?" „Man kann mit ihnen Vernichtungswaffen herstellen — die entsetzlichsten Massenvernichtungswaffen, die die Welt je sah." Janets schmale Hand schlich sich wie hilfesuchend in die mächtige Pranke ihres Begleiters. Heinz fühlte, daß sie eiskalt war und zitterte.
„Mein verehrungswürdiger Herr Professor", hub Fritz Wernicke feierlich an zu sprechen, „ich glaube, diesmal jagen Sie einem Phantom nach. Wer weiß, was für einen komischen Vogel Strauß Sie damals gesehen haben. Der leibhaftige Phönix war es bestimmt nicht." „Eine Taube noch viel weniger", erwiderte Hauser schlagfertig. „Warten Sie ab, Wernicke. Ich habe das bestimmte Gefühl, daß wir auf der richtigen Fährte sind. Und Sie wissen, dieser Instinkt hat mich selten betrogen." „Schön wär's", meinte Fritz Wernicke träumerisch, „schön wär's, wenn wir gleich eine ganze Herde von Ihren Riesenvögeln erbeuteten. Was meint ihr, Boys, wie sich die Damen auf der alten Erde um die kostbaren Phönixfedern raufen würden? Manch eine würde jede Summe zahlen, um sich den Hut damit zu
dekorieren. Wir könnten ein Vermögen damit verdienen . . ." „... von dem uns das Finanzamt in Orion-City den Löwenanteil wegsteuern würde", lachte der Kommodore. „Und den Rest würdest du wahrscheinlich in Whisky umsetzen, so wie ich dich kenne, mein lieber Fritz." Sie lagen inmitten von Grotten aus erstarrter Lava und Basalt rings um das prasselnde Feuer und lauschten in die Stille der Venusnacht: Professor Hauser, Jim Parker, Wernicke und ihre vier Begleiter. Nah und fern glühten in dunklem Rot die Gipfel der zahlreichen Vulkane. Hin und wieder ertönte aus einem der Feuerberge ein dumpfes Poltern — dann wieder der Laut eines Nachtvogels oder das ferne Brüllen eines Venustieres. Und wieder Stille . . . „Immer, wenn ich so wie jetzt am nächtlichen Lagerfeuer liege", begann Fritz Wernicke von neuem, „muß ich an jene Zeit zurückdenken, als wir unsere erste Expedition auf diesem unbekannten Planeten durchführten."2) „Erzählen Sie, Mister Wernicke, erzählen Sie!" riefen die jungen Siedler aufgeregt und rückten näher heran. Fritz Wernicke war sehr zufrieden, sich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu sehen. Er nahm noch einen tiefen Schluck aus der Whiskyflasche und streckte sich behaglich auf seiner Decke aus. Aber es sollte ganz anders kommen. Gerade öffnete der kleine Weltraumpilot die Lippen, als ein greller Blitz im Norden die Nacht taghell erleuchtete. Die Männer hielten die schmerzenden, geblendeten Augen noch geschlossen, als ein. grollender Donner den Boden um sie her erbeben ließ. „Ein Vulkanausbruch!" rief der Professor. „Hm", machte der Kommodore grimmig, „wenn Sie es so nennen wollen? Jedenfalls war es kein natürlicher." „Da — da . . ." stotterte einer der Siedler. Er war aufgesprungen und deutete mit zitternder Hand nach Norden, wo über dem Kamm der Hoover Mountains gespenstisch eine buntleuchtende Wolke, wie ein Riesenpilz, rasch in den Himmel stieg. „Eine Atomexplosion — hol's der Teufel!" rief Wernicke .„Dort, hinter den Bergen, liegt Urania."
„Jawohl — dort liegt Urania", nickte Jim Parker. „Vermutlich ist dort jetzt der Teufel los. Und wir hocken hier am gemütlichen Lagerfeuer und spielen Märchenerzähler." „Möchte wetten, dieser Skeleton, das alte Knochengerüst, hat Wieder mal gezaubert." „Diese Wette hättest du bestimmt gewonnen, Fritz." Mit düsterer Miene setzte sich der Kommodore an das Tornister-Funkgerät und rief Urania an. Atemlos verharrten die anderen, während er mit dem diensttuenden Funker in der Atomstadt sprach. Nach wenigen Minuten legte er den Kopfhörer hin und wandte
sich den Gefährten wieder zu. „Nichts von Bedeutung. Schätze, wir gehen auf diesen Schrecken in der Abendstunde hin lieber schlafen. Ich übernehme mit Wernicke die erste Wache. Good night!" „Und was war nun wirklich los?" fragte Wernicke wenig später Das verschlossene Gesicht seines Freundes wollte ihm gar nicht gefallen. „Ein ,Laborversuch' Skeletons, den der alte Giftmischer angeblich mit winzigsten Mengen durchgeführt hat. Dabei ist das alte Kraftwerk am östlichen Talende in die Luft geflogen. Ansonsten ist nicht viel passiert. Fischer kam zum Glück noch rechtzeitig dahinter, daß die Luft im Tal radioaktiv verpestet wurde. Er schickte die ganze Belegschaft schleunigst in die Schutzräume." „Hast du mit Fischer gesprochen?" „Lindenberg war am Apparat. Er tobte, wie zehn nackte Wilde, und schwor Stein und Bein, er würde Skeleton zum Teufel jagen, wenn er es wagen sollte, auch nur noch einen einzigen derartigen Versuch in Urania auszuführen." „Recht hat er, Jim", nickte Wernicke bedrückt. „Wie soll das nur noch enden? Diese Experimente sind ja gemeingefährlich." „Sie sind schlimmer als das, mein lieber Alter. Aber man wird nichts dagegen tun, verlaß dich drauf." „Aber warum denn nicht, Jim? Die Regierung . . ." „Die Regierung wird diesen Skeleton weiter nach Kräften unterstützen; denn seine Experimente dienen ja" — der Kommodore lächelte bitter — „den Interessen der sogenannten Verteidigung."
„Bald haben wir's geschafft, Frazer. Der letzte Laborversuch hat es bewiesen, daß wir auf dem richtigen Wege sind." Die tiefliegenden Augen in dem Totenkopfgesicht Professor Skeletons strahlten in fanatischem Glanz, als er sich an der Seite seines Assistenten mühsam über den schmalen Serpentinenweg zum Hochplateau hinaufquälte „Nur gut, daß wir ihn nicht im eigenen Labor gestartet haben", grinste Doktor Frazer. „Wir hätten sonst von vorn anfangen können. Um das alte Kraftwerk ist es weniger schade." Der Professor hörte nicht zu. „Die Wirkung war abermals größer, als nach der Theorie zu erwarten gewesen wäre", murmelte er gedankenvoll. „Wider Erwarten traten diesmal radioaktive Strahlungen von erstaunlicher Stärke auf. Ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich uns. Der morgige Großversuch wird es entscheiden." Aufatmend erreichten sie die Hochebene in den südöstlichen Ausläufern der Hoover Mountains. Hier herrschte bereits reges Leben. Vor einem flüchtig aufgestellten Barackenlager im Hintergrund arbeiteten Spezialisten an der Montage einer kleinen, nichtssagend wirkenden Versuchsanordnnug. Nur wenige Eingeweihte wußten, daß es sich dabei um eine von Skeleton erdachte Anlage zur Erzeugung schneller Neutrettos handelte, die zur Beschießung und Zertrümmerung der Atome des künstlichen Elements Berkelium dienen sollten.
Und von diesem Berkelium würde die bisher nie verwendete Riesenmenge von einem Kilogramm der Beschießung ausgesetzt sein. Ein neues Element sollte dabei entstehen. Es würde im gleichen Augenblick unter Entfesselung unvorstellbarer Energien zerfallen. Eine Sonne würde auf dem Abendstern zerbersten — bei diesem ersten Großversuch auf Venus ...
„Alles klar zum Großversuch, Herr Professor." Doktor Frazer war wie ein Schatten im Halbdunkel des behelfsmäßigen Beobachtungsbunkers aufgetaucht, den man am Vorabend jenseits der Randgebirge, welche die kleine Hochebene begrenzten, tief in den Boden gesprengt und in aller Eile befestigt hatte. Professor Skeleton schrak zusammen und starrte auf die nichtssagenden Züge seines Assistenten, in denen jedoch heute die Augen wie im Fieber brannten — im Fieber der Erwartung. Auch ihn hatte die unerträgliche Spannung des Augenblicks gepackt. Mit zitternder Hand zog er Frazer an den Fernseher. Auf dem Bildschirm stand leicht vibrierend das Bild des öden Hochtals. Das Tal war völlig menschenleer. In seiner Mitte erhob sich einsam ein großes Zelt. Man sah von außen die geheimnisvollen Apparate nicht, die es barg. „Sagen Sie, Frazer" — die Stimme Skeletons klang belegt —, „wissen Sie genau, daß keiner von unseren Leuten noch im Tal ist?" Der Assistent stieß die Türöffnung zu dem primitiven Nebenraum auf und blickte flüchtig hinein. „Wir sind vollzählig, Professor." Skeleton holte tief Atem. „Es ist gut, Frazer. Wir wollen beginnen. Der Neutretto-Erzeuger . . ." Frazer bediente eine Tastatur, drehte langsam an ein paar Knöpfen. Bewegungslos starrte der Professor auf den Bildschirm. Sekundenlang geschah überhaupt nichts. Dann war es, als wäre das Hochtal mit gleißender Glut erfüllt. Eine Sonne wurde geboren . . . Das Bild erlosch Und dann brach es herein über die Berge des Abendsterns, wie ein Weltuntergang. Der Boden bebte, die Wände rissen. Sand und Geröll polterten auf die Menschen im Bunker herab. Finsternis senkte sich über das Land. Aus dem Nebenraum klangen ängstliche, halb erstickte Schreie. „Die Schutzanzüge ..." Das war das letzte, was Skeleton sagen konnte, ehe er niederstürzte und eine tiefe Ohnmacht sich seiner bemächtigte. Die Nacht, die so plötzlich hereingebrochen war, wich endlich einer trüben Dämmerung. Kern Mensch vermochte zu sagen, wie lange sie gedauert hatte. Die Uhren waren im Augenblick der atomaren Explosion stehengeblieben. Schwerfällig und zerschlagen arbeiteten sich die Verschütteten aus den Trümmern des eingestürzten Bunkers hervor. Die Strahlenschutzanzüge hinderten sie in ihren Bewegungen. Und die zitternde Stimme Professor Skeletons befahl: „Kommen Sie, Frazer, wir wollen mit den Messungen beginnen."
Janet Mason saß an diesem Morgen in ihrem kleinen Arbeitsraum im Süd-Werk von Urania. Sie war damit beschäftigt, die letzten Versuchsprotokolle auszuwerten, als ein respektvolles Klopfen an der Tür sie aufhorchen ließ. „Herein! O Heinz, was führt dich so früh ..." Aber es war nicht Heinz Simon, der hinter ihrem Rücken eingetreten war. „Pardon, Miß Janet, i c h bin es nur", sagte eine sonore, männliche Stimme. Flugkapitän Fischer schob seine sportliche Gestalt in den Raum und verbeugte sich höflich. Man konnte ihm anmerken, daß er von der unerwarteten Art der Begrüßung nicht gerade entzückt war. „Mister Fischer!" Janet errötete und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. „Womit kann ich dienen?" In Fischers offenen Zügen kämpften widerstreitende Gefühle. Endlich siegte das Pflichtbewußtsein in ihm. „Ich muß Sie leider für kurze Zeit stören, Janet", erklärte er sachlich. „Ich hörte, Ihr hoher Chef hätte sich auf eine kleine Tour ins Gebirge begeben?" „Allerdings. Er ist gestern mit Doktor Frazer und ein paar Laboranten und Arbeitern aufgebrochen. Sie wollen ein geeignetes Versuchsgelände ausfindig machen, nachdem Direktor Lindenberg ihnen das Experimentieren innerhalb Uranias untersagt hat." „Was man ihm nicht verdenken kann", lachte Horst Fischer rauh. „Dieser klapprige Zauberkünstler sprengt am Ende noch die ganze Atomstadt in die Luft." Janet Mason liebte es nicht, wenn in ihrer Gegenwart abfällig von ihrem Chef gesprochen wurde. „Wie gesagt — Professor Skeleton ist nicht hier", bemerkte sie kühl. „Er dürfte kaum vor heute abend zurück sein. Sie kommen am besten morgen noch einmal vorbei." Der Flugkapitän schien ihre Ablehnung nicht zu bemerken. „Um so besser", meinte er leichthin, „dann sind wir ja ungestört." Janet schaute ihn ziemlich fassungslos an. Und ihr Erstaunen wurde noch größer, als Fischer unvermittelt fragte: „Kennen Sie in Ihrer Abteilung zufällig jemand, der — ahem — Tauben züchtet?" „Sie machen wirklich ziemlich alberne Witze, Mister Fischer. Ich glaube, Sie gehen jetzt lieber. Ich habe zu tun." „Ich auch, teuerste Miß", grinste Horst. „Schätze, Sie haben noch gar nicht gemerkt, daß ich rein dienstlich in diesen heiligen Hallen weile. Als Chef des Sicherheitsdienstes von Urania — wenn Sie es ganz genau wissen wollen." „Und was — was hat das mit m i r zu tun?" „Hoffentlich nichts, Janet. Aber Sie könnten mich mal ein wenig herumführen. Vor allem interessiere ich mich brennend für alle Geräte, mit denen man zum Beispiel — Nachrichten übermitteln könnte . . ." Janet kam nicht dazu, über die Bedeutung dieser Worte nachzudenken. Ein plötzlicher Erdstoß ließ sie taumeln. Ohne zu wissen, was sie tat, flüchtete sie sich erschrocken in Fischers Arme. Dem ersten, heftigen Stoß folgte ein rollender Donner, der die Wände erbeben
ließ. Irgendwo stürzte ein Gestell mit Reagenzgläsern um, die klirrend am Boden zerbrachen. Horst Fischer hielt die zitternde Gestalt des Mädchens, doch seine Augen spähten scharf durch die geöffneten Fenster zum Himmel, der sich von Sekunde zu Sekunde dunkler färbte. Ein Summer ertönte, auf der optischen Personenrufanlage flammte mit bunten Lampen Fischers Signal. Der Flugkapitän ließ Janet vorsichtig auf einen Schemel gleiten, eilte zum Telefon und stellte die Verbindung mit der Zentrale her. In halber Bewußtlosigkeit vernahm Janet nur abgerissene Wortfetzen: „Der Kommodore? Was ist passiert? Komme sofort . . . Simon vertritt mich . . . Maschine klarmachen . . ." Und dann sah sie ihren Besucher mit langen Sätzen davonhasten — dem Ostteil des Tales zu, wo am Rande des kleinen Flugplatzes ein mächtiger Düsenhubschrauber aus dem Hangar gezogen wurde.
Drückend und schwül war die Nacht im Dschungel der Venus gewesen. Die sieben Männer der Tierfangexpedition Professor Hausers erwachten wie zerschlagen und tranken gierig den starken, heißen Kaffee, den Bill Holloway, der Koch, über dem Lagerfeuer bereitet hatte. „Wenn mich nicht alles täuscht, müßten wir dem Standort der unbekannten Vögel schon sehr nahe sein", sagte Professor Hauser beim Aufbruch, und in seinen Augen lag ein träumerischer Glanz. Tatsächlich hatte man am vergangenen Nachmittag abermals zwei jener farbenprächtigen, golddurchwirkten Federn gefunden, und im Dunst des sinkenden Abends war es gewesen, als ob das rhythmische Schlagen mächtiger Schwingen hoch in den Lüften wäre. „Wird auch höchste Zeit, Professor", meinte der Kommodore. „Unser Whiskyvorrat neigt sich nämlich dem Ende zu", sagte Fritz Wernicke und machte ein sorgenvolles Gesicht. „Das wäre zur Not noch zu ertragen, mein lieber Alter", lachte Parker, „aber wir dürfen unseren Reisetermin nicht versäumen. Man wartet auf uns in Orion-City." „Herr Professor — Vorsicht!" James Austin, der Mann, der an der Spitze des kleinen Zuges schritt, hielt an und deutete mit ausgestrecktem Arm in den Morgennebel, der in dünnen Schwaden die Sicht nach vorn beschränkte. Sie standen auf einer weiten sumpfigen Wiese, die mit fetten Gräsern und Blumen in satten Farben bestanden war. Das liebliche Bild stand in merkwürdig krassem Kontrast zu den schroffen Wänden kleiner, erloschener Vulkankegel, welche die Wiese rings umsäumten. Fast genau in ihrer Mitte war ein Teich zu erkennen, in dem hochbeinige Wasservögel standen. In diesem Augenblick brach die Sonne siegreich durch den Dunst. In ihren Strahlen flammte das Gefieder der großen Vögel auf zu blendender, märchenhafter Farbenpracht. Fasziniert von dem wunderbaren Bild, wagten die Männer kaum zu atmen. Mit
einem Gemisch von Ergriffenheit und Verlegenheit nahm der Professor die Brille von der Nase und fing an, sie umständlich mit dem großen, roten Schnupftuch zu putzen 26 Selbst Fritz Wernicke brachte keine seiner schnoddrigen Bemerkungen hervor, um die er sonst nie verlegen war. „Der leibhaftige Phönix", sagte er nur. Als hätten die Tiere dieses leise Wort vernommen, kam plötzlich Bewegung in ihre Schar. Sie reckten die Köpfe mit den langen, geschwungenen Schnäbeln nach Nordosten. Dann ein Laut, wie von einer Fanfare. Die Vögel schwangen sich in die Lüfte. Ein Schleier von Wassertropfen, in dem sich das Sonnenlicht brach, sank aus ihrem Gefieder herab. „Wir waren zu unvorsichtig. Sie haben uns bemerkt." Professor Hauser weinte fast vor Enttäuschung. „Ausgeschlossen", sagte Jim Parker kopfschüttelnd. „Das muß andere Gründe haben. Seht doch — diese plötzliche Unruhe in der Natur! Ist es nicht so, als ob die gesamte Tierwelt des Planeten auf der Flucht sei?" Das eben noch so stille Hochtal wimmelte plötzlich von huschenden, springenden, flatternden Tieren aller Arten und Größen. Insekten, Schlangen und Echsen, Vögel und kleinere Säugetiere — Tierarten, die sich sonst gegenseitig bekämpften und auffraßen — flüchteten in wilder Panik nach Süden. „Als ob sie irgend etwas ahnten", meinte Fritz Wernicke. „Da — da!" schrie Bill Holloway schreckensbleich. Über den Bergen im Nordosten stieg es empor: Eine buntleuchtende Wolke, wie ein großer, schlanker Pilz anzuschauen, schoß in die Höhe — lautlos — riesenhaft.. „Eine Atomexplosion — und ganz in unserer Nähe!" Der Kommodore ließ die Blicke umherschweifen und überlegte fieberhaft. Es mußte sich um ein besonders gefährliches Experiment handeln. Die Reichweite der tödlichen radioaktiven und Wärmestrahlung ließ sich nicht abschätzen, aber bestimmt würde ihr gegenwärtiger Standort im unmittelbaren Gefahrenbereich liegen. Und nirgends eine Stelle, die ihnen Schutz gewähren konnte. Doch halt — der Teich! „Ins Wasser, schnell, schnell!" brüllte der Kommodore und stürzte bereits — die Nächststehenden mitreißend — auf die Mitte des Tales zu. Die anderen folgten ihm, ohne zu zögern. „Den Strahlenschutz, Fritz!" Der kleine Steuermann zauberte zwei große Tuben „Antiradin", einer hoch wirksamen Schutzcreme gegen radioaktive Strahlen, aus der Tasche, mit der sich die Freunde anläßlich ihres Besuchs in Urania vorsichtshalber versorgt hatten. Noch im Laufen rieben sich die Männer bis zu den Hüften mit der zähen Salbe ein. Sie wateten in den Teich hinein, dessen Wasser ihnen an den tiefsten Stellen bis an die Brust reichte. Es geschah keine Sekunde zu früh . . . Ein jäher Sturm jagte in harten Stößen heran, änderte urplötzlich seine Richtung, trug überheiße Luft und einen feinen Aschenregen heran.
„Volle Deckung!" schrie Fritz Wernicke. Die sieben Köpfe verschwanden unter der Wasserfläche. Mit Hilfe von Schilfrohren, die sie sich noch in aller Eile geschnitten hatten und in die der Kommodore mit „Antiradin" getränkte Wattebäusche gesteckt hatte, konnten die Männer ohne Gefahr atmen. Dieses Verfahren hatte sich in der Praxis der Atomversuche schon häufig bewährt, wenn auch die primitiven Strahlenschutzfilter nur für begrenzte Dauer wirksam waren. Der Kommodore wußte das. Für ein, zwei Sekunden tauchte er aus dem Wasser und sah sich sorgenvoll um. Über dem Hochtal mit den blumigen Wiesen lag Weltuntergangsstimmung. Der Himmel, von dem unablässig radioaktiver Staub herniederrieselte, hatte sich bezogen und eine schwärzlich-rote Färbung angenommen. Am ganzen Firmament zuckten bläuliche Blitze, von drohendem Donnergrollen begleitet Er tauchte unter und tastete nach dem Taschensprecher, jenem geheimnisvollen, handlichen Gerät, das nur in ganz wenigen Exemplaren im Bereich des S.A.T. verbreitet war und das seinen Besitzern eine unauffällige Verständigung auf weiteste Entfernungen gestattete. Rasch war die Verbindung mit Urania hergestellt Pausenlos hämmerten Parkers Finger die Morsezeichen . . .
In Urania standen alle Räder still. Seit dem Augenblick, da der schlanke Atompilz über den Bergen im Südosten steil zum Himmel geschossen war und radioaktive Partikeln weit und breit das Land um die Hoover Mountains verseucht hatten, ruhte die Arbeit in den Werkhallen, den Laboratorien und Büros des Atomwerkes auf Venus. Die gesamte Belegschaft hockte in den unterirdischen Schutzräumen, mit Ausnahme einiger weniger, die den Wachdienst versahen oder für den Betrieb der Uranmeiler verantwortlich waren. Und diese wenigen stampften in schweren Strahlenschutzanzügen wie sagenhafte Mars-Ungeheuer herum. Heinz Simon war einer von ihnen, und die Verantwortung lastete schwer auf seiner Seele, seitdem Flugkapitän Fischer Ihm das Kommando über den Sicherheitsdienst übertragen hatte. Es war immerhin damit zu rechnen, daß unbefugte Elemente die unübersichtliche Lage benutzen könnten, um unauffällig in das Werk einzusickern. Auf einem seiner Kontrollgänge durch die unterirdischen Gänge, als er sich gerade aufatmend von dem lästigen Schutzhelm befreite, sah Heinz sich unerwartet Janet gegenüber. Das junge Mädchen war sichtlich erfreut, Heinz zu erblicken. „Hallo, Heinz! Sieht man dich auch mal wieder? Ich glaubte allen Ernstes, du hättest mich vergessen." Heinz Simon schien Janets Freude nicht zu teilen. „Bin ständig im Dienst", murmelte er. „Und außerdem . . ." „W a s außerdem?" Heinz Simon schaute verbissen auf die Spiegelfläche der optischen Überwachungseinrichtung, die es gestattete, von hier aus alle Vorgänge an der
Oberfläche zu übersehen. „Und außerdem scheint dir ja an Fischers Gesellschaft mehr zu liegen, als an meiner. Er war doch bei dir, bevor sich die Atomexplosion ereignete?" In Janets Mundwinkeln zuckte es verräterisch. „Stimmt auffallend. Wie hätte es deinem Späherblick auch entgehen können, du großer/Sherlock Holmes?" „Mir ist nicht zum Scherzen zumute", knurrte Heinz böse. „Schade, Heinz. Ich finde dich nämlich gerade furchtbar komisch, mein Lieber. Ja, ja, die Eifersucht . . ." Der junge Farmersohn wollte aufbrausen, aber etwas anderes nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Ein Schatten glitt über das Gesichtsfeld der Optik. Heinz erinnerte sich an seine Pflichten. Er trat zum Wandtelefon und rief die Radarstation an: „Ein Hubschrauber landet auf dem Flugplatz. Warum habt ihr ihn mir nicht avisiert? Ihr schlaft wohl, ihr Weihnachtsmänner?" „Wir sind selbst überrascht, Mister Simon", kam die Antwort. „Die Geräte haben nicht angesprochen." „Danke." Hastig stülpte Heinz den Helm wieder auf, eilte zum Lift und sauste zur Oberfläche hinauf. Ein bereitstehender Raketenschnellwagen brachte Ihn zum Flugplatz. Der Hubschrauber war inzwischen gelandet. Zwei Gestalten, in denen Heinz Professor Skeleton und Doktor Frazer erkannte, stiegen aus und schritten an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Es sah aus, als ständen sie noch völlig unter dem Eindruck eines großen, unheimlichen Erlebnisses. Ein dritter Mann, mit dem Abzeichen des Werkschutzes auf dem Strahlenpanzer, sprang aus der Maschine. Heinz gab ihm ein Zeichen, in den Schnellwagen zu steigen, und fuhr in rasender Fahrt mit ihm zur Zentrale zurück. „Was Neues, Smith?" fragte er seinen Begleiter, als sie sich im schützenden Bunker ihrer Kombinationen entledigt hatten. „Nichts Besonderes, Simon, nur — unweit der Explosionsstelle fand ich . . „Einen Menschen?" „Nein — nur sein Bild." „Sein — Bild? Wie soll ich das verstehen?" „Es muß einen Beobachter bei dem Versuch gegeben haben, von dem niemand etwas ahnte. Der gewaltige Strahlenausbruch im Augenblick der Explosion hat ihn ausgelöscht — atomisiert. Nur sein Schatten blieb erhalten. Er war in scharfen Umrissen in den Felsboden eingebrannt. Und dieser Schatten zeigte klar und deutlich, daß der Mann — mit einer hochleistungsfähigen Telekamera ausgerüstet war. Das ist alles." „Nun, Herr Lewinski, bringen Sie etwas Neues?" Mit gespannter Aufmerksamkeit betrachtete Doktor Kux seinen Besucher, der ihm geheimnisvoll lächelnd gegenübersaß und sich mit genießerischer Sorgfalt eine Zigarette drehte.
„Eine ganze Menge, Herr Doktor. Unsere Konkurrenz hat den ersten Großversuch gestartet — auf Venus." „Einen Großversuch?" Kux war aufgesprungen. „Und mit welchem Resultat?" Der Regierungsvertreter schien die Aufregung des anderen behaglich auszukosten. „Der Erfolg muß die kühnsten Erwartungen übertroffen haben", erwiderte er schließlich. „Sogar von unseren irdischen Observatorien konnte der Lichtblitz der Atomexplosion einwandfrei wahrgenommen werden." „Haben Sie Näheres erfahren können?" Lewinski hob bedauernd die Schultern. „Nähere Einzelheiten sind vor Eintreffen des nächsten Raumschiffes nicht zu erwarten. Eine chiffrierte Funkmeldung, die leider verstümmelt ankam, deutete etwas von tausend Gramm Berkelium an." „Das ist sehr wichtig", rief Kux aufgeregt „Ich werde sofort eine Versuchsreihe auf dieser Basis . ." „Langsam, langsam", wehrte Lewinski ab. „Voreilige Versuche würden dem Gegner nur verraten, daß wir seinem Geheimnis auf der Spur sind. Vorläufig haben wir es gar nicht nötig, praktische Experimente auszuführen, die im gegenwärtigen Stadium nur unnötige Gefahren bergen." „Aber, ich bitte Sie . . ." „Lassen Sie nur, lieber Doktor. Die Konkurrenz arbeitet, ohne es zu wissen, für uns. Wir erfahren alles, was wir wissen müssen." Doktor Kux sah sein Gegenüber forschend an. „Ich will es hoffen, Herr Lewinski, obwohl es mir völlig schleierhaft ist, auf welche Art wir diese Ergebnisse erfahren sollen." Lewinski stand auf und reichte dem Forscher zum Abschied die Hand. ..Staatsgeheimnis", flüsterte er mit wichtiger Miene. Flugkapitän Horst Fischer war mit seinem Düsenhubschrauber im Tal des Phönix gelandet und hatte die Hausersche Tierfangexpedition aus ihrer mißlichen Lage befreit. In respektvoller Höhe, über den radioverseuchten Schichten der Venusluft kreisend, wollte er jetzt Kurs auf Silverfleld nehmen. Doch der kleine, ganz seiner Wissenschaft verfallene Gelehrte protestierte heftig. War es ihm nicht vergönnt gewesen, den sagenhaften Vogel Phönix zu fangen, so wollte er doch wenigstens nicht mit ganz leeren Händen zurückkehren. Das Hügelland zwischen dem Silbernen Strom und dem Hoover-Gebirge im Norden war noch weitgehend unerforscht und konnte für den eifrigen Forscher ungeahnte wissenschaftliche Beute bergen. „O bitte, Gentlemen, haben Sie doch ein Einsehen", flehte Hauser. „Hinter jener Hügelkette muß der Große Schmetterlingsteich liegen, die Heimat der seltenen Venus-Goldfalter. Lassen Sie uns doch hier landen, Kommodore! Es bedeutet für Sie höchstens den Verlust eines einzigen Tages." Der Kommodore hatte irgendwie ein ungutes Gefühl. Auch drängte es ihn, nach Silverfleld zurückzukommen. Aber dem rührenden Eifer des kleinen Gelehrten konnte er nicht widerstehen.
„Setzen Sie uns hier ab, Fischer, und fliegen Sie dann schnellstens nach Urania zurück. Schätze, man wird Sie dort brauchen." Die Expedition errichtete auf einem Hügel in der Nähe des Großen Schmetterlingsteiches unter Wernickes Aufsieht ein provisorisches Lager. Professor Hauser hatte sich bereits voller Ungeduld — ein großes Schmetterlingsnetz schwingend — in Richtung auf die von Seerosen bedeckte Wasserfläche davongetrollt.
Von der Kuppe des Hügels musterte Jim Parker aufmerksam die Gegend, auf der die schwüle Mittagsstille der Venus lag. Nur selten ein müder Vogellaut, das silbrige Blitzen eines Fisches, der sich aus dem Wasser schnellte. Sonst nichts... Doch da — im Buschwerk am Rande des Teiches —, war da nicht plötzlich eine Bewegung? Was war das für ein scheußlicher Schlangenkopf, der züngelnd aus dem Blättergewirr ragte? Sollte er einem jener Venus-Saurier gehören, welche die Dschungel dieses Planeten bevölkerten? Das Untier setzte sich in Bewegung, ein Stampfen und Prasseln ging durch das Gebüsch. Und dann ein markerschütternder Schrei — der verzweifelte Hilferuf eines Menschen in höchster Todesnot... „Der Professor!" Blitzschnell hob Jim Parker das Repetiergewehr und feuerte — einmal zweimal. Der Kopf des Reptils verschwand. Der Lärm erstarb. Mit schußbereiten Waffen stürmten die sechs Männer - auf das Schlimmste gefaßt – auf die Stelle zu, von der sie den Schrei gehört hatten. Doch der Mann, der mit zerschmettertem Schädel neben dem Kadaver des Sauriers lag, war nicht Professor Hauser… Es war ein Unbekannter. Er war mit einem Strahlenschutzanzug bekleidet, der jetzt zerrissen war. In seinen Taschen fand man nichts, was auf die Person des Mannes schließen ließ — nur ein zusammengefaltetes Blatt weißen Papiers. Gedankenvoll nahm Jim Parker das Blatt an sich und verwahrte es sorgfältig in seiner Brieftasche.
„Sie werden sich noch ein wenig gedulden müssen, Doktor", erklärte Lewinski und ließ sich in einen Sessel in Kux' Privatlabor fallen. „Wie uns bekannt ist, wird jedoch das fahrplanmäßige Venusschiff — es ist die ,Urania II' — in den nächsten Tagen auf der Außenstation eintreffen. Man hat uns wertvollste Informationen über die letzten Versuche auf Venus mit diesem Schiff zugesagt. Übrigens befindet sich auch Kommodore Parker an Bord . . ." „Nun sagen Sie nur noch, daß Parker uns das Material persönlich aushändigen wird", unterbrach ihn Doktor Kux ungläubig. „Hahaha", lachte Lewinski. „Wenn der ahnungslose Engel wüßte, was er da für Fracht befördert! Einstweilen müssen Sie freilich mit dieser etwas konfusen Meldung fürliebnehmen, die gestern auf dem Funkweg einlief." Der Wissenschaftler vertiefte sich in die Botschaft, die aussah, als wäre sie in
einer Geheimsprache verfaßt. Einige Minuten vergingen in gespanntem Schweigen. „Das ist — wirklich — ungeheuerlich!" rief Doktor Kux endlich. Er sprang auf und ging mit raschen Schritten hin und her. „Mir scheint, Sie können etwas anfangen mit diesem — Kauderwelsch?" fragte Lewinski vorsichtig. „Und ob — und ob! Diese Meldung ist für uns von allergrößter Wichtigkeit. Es geht daraus hervor, daß Professor Skeleton ganz neue Wege beschritten hat. Jetzt liegt der weitere Entwicklungsgang klar vor meinen Augen. Sagen Sie mir bloß, Lewinski, woher in aller Welt haben Sie diese Informationen?" „Woher?" Der Regierungsvertreter grinste. „Nun — aus Orion-City natürlich. Woher denn sonst?"
Direktor Lindenberg hatte vor der Abfahrt der „Urania II" eine längere ernste Unterredung mit Kommodore Parker gehabt. Inständig hatte er ihn bestürmt, bei Generaldirektor Cunningham vorstellig zu werden und ihm über die verheerenden Auswirkungen der Atomversuche Professor Skeletons zu berichten. Jim Parker hatte es versprochen. Doch nach Ankunft der „Urania II" auf der Außenstation gab es Wichtigeres für ihn zu tun. Er ließ eine Sonder-Kurierrakete startklar machen und raste — begleitet von dem unermüdlichen Wernicke — ohne Aufenthalt zur Erde5 weiter, um Professor Hauser schnellstens in ärztliche Spezialbehandlung zu bringen. Bald nach ihrer Rückkehr nach Silverfleld of Venus hatte der Gelehrte nämlich mit Entsetzen Strahlenverbrennungen an beiden Händen feststellen müssen. Im Verlauf der langen Überfahrt hatte sich der Zustand der Wunden verschlimmert, und es durfte keine Zeit mehr verloren werden. Der Kommodore steuerte direkt den Flugplatz von Santa Fe an, um den Patienten in der besten Spezialklinik des Landes einzuliefern. So kam es, daß die beiden Freunde erst einen Tag später als vorgesehen in Orion-C ty eintrafen, und auch jetzt führte sie ihr erster Weg nicht zu Cunningham. Jim Starker nahm am Zentralflugfeld der City, ein Taxi und ließ sich mit Wernicke zum Gebäudekomplex der Chemischen Hauptabteilung fahren. Doktor Haffner, der Chef, begrüßte die Freunde mit großer Herzlichkeit. „Wir wollen Sie nicht lange aufhalten, Doc", erklärte der Kommodore. „Nur ein bescheidenes Anliegen." Und er übergab dem Überraschten die beiden leeren Blätter, die sie der toten Brieftaube und dem Manne am Schmetterlingsteich abgenommen hatten. Der Abteilungsleiter rückte an seiner Brille und wendete die Blätter hin und her. „Verstehe", brummte er. „Wohin soll ich Ihnen das Ergebnis schicken?" „Sie erwischen uns bei Cunningham, im Hauptverwaltungsgebäude. Aber vergessen Sie nicht: Die Sache ist streng geheim. So long, Doc!"
„Und jetzt zum Boß", rief er dann dem Fahrer zu. „Stop! Du hast die Plutonium-Begleitpapiere vergessen", erinnerte Fritz Wernicke. „Ja, richtig. Das erledigen wir auf dem Wege dorthin." Das Raumschiff „Urania II", mit dem die Freunde bis zur Außenstation gefahren waren, hatte eine große Ladung Plutonium aus dem Atomwerk der Venus mitgebracht, und Jim Parker hatte die Aufgabe übernommen, die geheimen Begleitpapiere persönlich in der zuständigen Abteilung des S.A.T. abzuliefern. Abteilungsleiter Babbitt war ein knöcherner, vertrockneter Pedant, der im Bürodienst ergraut war und von dem der Ruf ging, daß die staubigen Aktenbündel, die in den Regalen und Panzerschränken seiner Abteilung moderten, seinen ganzen Lebensinhalt bildeten. Er begrüßte die Eintretenden steif und unverbindlich. Der Kommodore ließ sich den Empfang der Papiere bestätigen und beeilte sich, das muffig riechende Büro Babbitts wieder zu verlassen. Draußen holte er tief Luft und steckte sich eine Zigarette zwischen die Zähne. Dabei warf er noch einen Blick durch die Glastür zurück. Hallo — was hatte denn das zu bedeuten? Jim gab Wernicke, der sich schon zum Gehen wandte, einen vorsichtigen Rippenstoß. Und nun sahen Sie es beide ganz genau: Der sonst so steife Babbitt war plötzlich wie verwandelt. Mit fieberhafter Hast glitten die Finger seiner linken Hand über die Worte und Ziffern der Transportbegleitpapiere, und hin und wieder notierte seine Rechte irgend etwas auf einem schmalen Papierstreifen. Unhörbar drückte Parker die Klinke nieder, lautlos traten die Freunde ein und postierten sich hinter dem aller Welt entrückten Abteilungsleiter. Der Kommodore gab Fritz einen Wink. , „Schätze, Sie raten wohl Kreuzworträtsel oder so was Ähnliches, Meister?" fragte der kleine Steuermann liebenswürdig. „Darf ich Ihnen behilflich sein? Beispielsweise: .Körperteil mit vier Buchstaben', erster Buchstabe P, letzter Buchstabe O. Hähähä!" Wie von der Tarantel gestochen, fuhr Babbitt von seinem Sitz hoch. Er wäre hingestürzt, wenn ihn der Kommodore nicht aufgefangen hätte. „Aber — wohin denn so schnell?" fragte Jim Parker freundlich. „Zeigen Sie doch mal, was Sie da so Interessantes haben." Ehe der Ertappte es verhindern konnte, riß er den Zettel mit dem geheimnisvollen Notizen an sich. Ein einziger Blick auf die Zahlen und Formeln genügte, um seinen Verdacht zu bestätigen. „Saubere Arbeit", nickte der Kommodore. „Und für wen ist das bestimmt7 Wer ist Ihr Gewährsmann auf Venus?" Mit einem verzweifelten Ruck riß Babbitt sich los. Er tat einen Satz zur Tür hin. Aber Fritz Wernicke stellte ihm geschickt ein Bein. „Nicht doch", sagte Jim Parker mit leisem Vorwurf und half dem Abteilungsleiter auf die Beine. „Und nun kommen Sie mal schön mit. Schätze, der lange Mortimer wird sich freuen." In Urania nahm das Leben inzwischen wieder den gewohnten Lauf. Längst hatten sich die Schwaden radioaktiv verseuchter Luft, die nach Professor
Skeletons erstem Großversuch das Tal verpestet hatten, verzogen. Der Professor selbst und sein Assistent machten sich so rar wie möglich. Direktor Lindenberg hatte ihnen kurz und bündig erklärt, er würde sie mit dem nächsten Raumschiff zur Erde zurückschicken, wenn sie ohne vorherige Warnung und ohne die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ein neues Experiment starten würden. Die beiden wußten, daß Lindenberg Wort halten würde. Es würde ihnen nicht möglich sein, den Direktor abermals zu überlisten. Sie fühlten sich beobachtet, sobald sie nur den Fuß vor die Tür ihres Laboratoriums setzten. Flugkapitän Fischer hatte im Auftrag des Chefs im Süd-Werk einen besonders strengen Wachtdienst aufgezogen. Angeblich war es nur geschehen, um der Spionage entgegenzuwirken, für die man untrügliche Beweise hatte. Aber Skeleton und Frazer wußten, daß zugleich sie selbst mißtrauisch überwacht wurden. — Flugkapitän Fischer saß an diesem Spätnachmittag in seinem Dienstraum am Schreibtisch und studierte die frisch eingegangene Post. Sie war am Morgen mit der „Queensland", dem routinemäßigen Transport-Raumschiff, auf Venus eingetroffen und sofort nach Urania weitergeleitet worden. Gerade überflog Fischer ein geheimes Schreiben des S.A.T.-Sicherheitsdienstes, als es kurz klopfte und Heinz Simon eintrat „Melde mich zum Dienstantritt", erklärte der junge Mann knapp, „mit sechs Mann für Werk Süd." „Danke." Horst Fischer konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als er in das teinerne Gesicht seines Untergebenen blickte. „Habe da gerade eine Nachricht er-alten, die Ihnen Freude machen wird, Simon. In ein paar Monaten sind Sie mich los. Oberst Mortimer kündigt die Ankunft der längst fälligen Verstärkungen für den Werkschutz mit dem nächsten Raumschiff an. Dann wird Captain Prescott aus Orion-City mein Kommando übernehmen, und ich fliege wieder heimwärts." „Ein paar Monate sind eine verflucht lange Zeit." Fischer mußte lachen. „Sie sind bezaubernd aufrichtig, Simon. Aber sagen Sie mir doch nur: Was habe ich Ihnen eigentlich getan?" In dem verschlossenen Gesicht des Farmersohns zuckte es. Aber er hielt den Blick starr geradeaus gerichtet: „Darf ich jetzt gehen, Sir? Mein Dienst beginnt ..." „Ja, was ist denn mit euch beiden los? Ihr seid ja scheußlich förmlich." Von der Tür her, die sich geräuschlos geöffnet hatte, klang Janets verwunderte Stimme. Fischer sprang auf. „Miß Janet! Fein, daß Sie uns mal besuchen. Haben Sie denn schon Feierabend?" „Ja — ausnahmsweise." Die junge Laborantin lächelte Heinz flüchtig zu, der noch immer dastand, als hätte er einen Stecken verschluckt, und setzte sich auf den angebotenen Stuhl. „Meine hohen Chefs haben mich nämlich vor der Zeit nach Hause geschickt. Sie wollen ungestört sein." „Aha." Der Flugkapitän warf Heinz einen vielsagenden Blick zu. „Da wird wohl wieder mal gezaubert?" „Ich weiß nicht" — Janet zog die Schultern wie fröstelnd zusammen — „irgend etwas Unheimliches ist da im Gange. Der Professor ist seit ein paar Tagen ganz
verändert, wie von irgendeiner Idee besessen — ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken, soll Er arbeitet Tag und Nacht an seinen Formeln und kennt kernen Hunger, keinen Durst und keinen Schlaf mehr. Ich mache mir Sorge um ihn." ..Na, Sie sind gut", knurrte Fischer. „Ich mache mir zwar auch Sorge, aber nicht um Professor Skeleton." „Um wen denn sonst?" „Wenn Sie's ganz genau wissen wollen, Janet: um die armen Schlucker, die gerade in der Nähe sein werden, wenn Ihr verehrter Herr und Meister die Erfindung ausprobiert, an der er jetzt wieder herumbastelt, und nicht zuletzt um Sie, Janet." Flugkapitän Fischer reckte sich und winkte seinem Untergebenen. „Entschuldigen Sie uns jetzt bitte, Miß Janet, aber wir müssen uns ein wenig im Süd-Werk umschauen. Haben da kürzlich eine aufschlußreiche Warnung aus Orion-City erhalten." „Eine Warnung? Wovor denn?" „Vor Atomspionen, kleines Fräulein."
„O du mein holder Abendstern! Wer hätte wohl gedacht, daß wir so bald schon deine gastlichen Gefilde wieder betreten würden?" Mit theatralischer Geste stand der kleine Fritz Wernicke am Bugfenster des Eilschiffes „Golden Arrow", das sich — von Zusatzraketen ganz neuartiger Konstruktion vorwärts getrieben — mit irrsinniger Geschwindigkeit der Venus näherte. „Langsam, mein Alter", kam die Stimme des Kommodores vom Steuer her. „Noch sind wir nicht da, und wie wir diese Affenfahrt rechtzeitig bremsen sollen, ist mir noch ziemlich schleierhaft." „Bangemachen gut nicht", rief Wernicke vergnügt und fuhr in der Betrachtung des immer näher heranrollenden Planeten fort. Jim Parkers Gedanken schweiften zurück. Eigentlich hatte diese neue Venusfahrt ganz und gar nicht in sein Programm gepaßt. Aber das Verteidigungsministerium hatte Generaldirektor Cunningham bestürmt, alles in die Wege zu leiten, um gewissen rätselhaften Vorkommnissen auf Venus nachzuspüren, die verteufelt nach Spionage rochen. Und der dicke Atomboß beauftragte seinen besten Mann mit dieser heiklen Angelegenheit. Die Vernehmung des verhafteten Abteilungsleiters Babbitt hatte kern Licht in das Dunkel bringen können, doch erhielt man wenigstens ein paar neue Anhaltspunkte. Babbitt bekam seine Informationen auf geheimnisvolle Art: Sie befanden sich verschlüsselt in den Begleitpapieren der Plutonium-Transporte. Nach einem bestimmten Schema hatte er sie aus diesen äußerlich unverfänglichen Texten herauszuschälen und übergab sie sodann an drittem Ort einem Unbekannten. Uber die, Höhe der jeweiligen Bestechungssumme schwieg sich der einstige Abteilungsleiter hartnäckig aus. Irgendwo in der Atomstadt Urania selbst mußte also ein gefährlicher Spion
sitzen. Er mußte über die Arbeit Professor Skeletons bestens informiert sein, und er mußte auch Zugang zur Abfertigung der Plutoniumsendungen haben. So unwahrscheinlich es schien — diese letztere Spur führte in den engsten Mitarbeiterkreis Direktor Lindenbergs. Aber handelte es sich wirklich nur um einen einzigen Atomspion? Das war sehr unwahrscheinlich. Auf jeden Fall mußte der Mann Helfer haben — vielleicht unter dem Venus-Personal des S.A.T., vielleicht auch unter den Siedlern, Der Schatten jenes Mannes mit der Fernkamera — von der Strahlungswirkung der Atomexplosion in den Felsboden eingebrannt —, der Unbekannte, den der Saurier am Großen Schmetterlingsteich zerstampfte — sie redeten, selbst als Tote noch, eine deutliche Sprache. Und dann war Doktor Haffner, der Chemiker, bei Cunningham erschienen und hatte dem Boß zwei Blätter auf den Tisch gelegt. In matter, aber gestochen scharfer 34 Schrift standen Formeln darauf zu lesen, die selbst ein Laie als in das Gebiet der Atomphysik gehörend erkannt hätte. Kein Zweifel — das Spionagenetz auf Venus war ausgedehnter, als der Kommodore zuerst vermutet hatte. Auch in Silverfield, der Hauptsiedlung, mußte es Verbindungsmänner geben. Hier durfte man keine Zeit mehr verlieren. Wenn die gefährlichen Erkenntnisse Professor Skeletons in die Hände einer fremden Macht gerieten . . . Es war nicht auszudenken! Kurz entschlossen hatte sich Jim Parker aufgemacht. Er nahm den „Golden Arrow", das schnellste Raketenschiff, das je gebaut worden war und das eigentlich noch mitten in der Erprobung stand. Fritz Wernicke und Captain Prescott begleiteten ihn auf dieser Fahrt, und dazu fünfzig ausgewählte Männer des S.A.T.-Sicherheits-dienstes. „Venus ahoi! Sag' mal, großer Meister, möchtest du nicht allmählich Gas wegnehmen?" Fritz Wernickes Stimme riß den Kommodore aus seinen Gedanken. Er warf einen Blick auf den Schirm des Radargerätes und faßte das Steuer fester. „Achtung! Alle Mann auf Station! Schiff klar zum Bremsmanöver!" „Frazer — Frazer!" Schrill und zittrig klang der Ruf Professor Skeletons durch die nächtlich stülen Räume des Hauptlabors im Süd-Werk von Urania. Sekunden später erschien der Assistent in der Tür und schaute verwundert auf seinen Chef. In seinem unordentlich zugeknöpften, weißen Arbeitsmantel stand der Gelehrte vor dem Schreibtisch, am ganzen Körper bebend. Wie im Wahnsinn glommen die weit aufgerissenen Augen in dem mageren Totenkopf. „Ich hab's, Frazer, ich hab's!" „Sie sollten sich schonen, Herr Professor. Seit Wochen arbeiten Sie fast ohne Unterbrechung. Das hält kein Mensch auf die Dauer aus." „Unsinn, Frazer! Wir sind am Ziel. Ich habe den Weg gefunden für die Gewinnung des Elements 109, des ersten künstlichen Elements in der Gruppe der
Transactiniden: mit dem man praktisch arbeiten kann. Die Aufgabe ist erfüllt, der Weg ist frei für die Entwicklung der stärksten Waffe aller Zeiten. Hier — sehen Sie, sehen Sie doch!" Der Assistent stürzte an den Schreibtisch. Fieberhaft überflog er die Formeln auf den weißen Blättern, und während er las, nahmen seine sonst so leeren Züge den Ausdruck höchster Ekstase an. Eine neue Atomwaffe ruhte im Schoß dieser geheimnisvollen Formeln. Eine Waffe, wie sie die Welt noch nie erlebt hatte. Sie gab ihrem Besitzer unumschränkte Macht Macht über die ganze Erde, Macht über den Weltraum und alle Planeten ... „Frazer! Wir müssen sofort die Probe aufs Exempel machen. Wir müssen einen Laborversuch mit kleinsten Mengen ..." „Direktor Lindenberg wird uns was husten." „Lindenberg? Pshaw! Gehen Sie zu ihm — jetzt, sogleich! Er m u ß es uns genehmigen. So beeilen Sie sich doch, Frazer — los, laufen Sie!" Der Assistent verschwand. Erschöpft sank der Professor auf einen Stuhl, barg den schmerzenden, übermüdeten Kopf in beiden Händen. Ein Zucken, wie von fassungslosem Weinen, erschütterte seinen hageren Körper; Doch plötzlich fuhr er zusammen. Waren da nicht schleichende Schritte hinter ihm? Er wollte schreien — doch der würgende Griff zweier Hände drückte ihm die Kehle zu. Mit letzter Kraft bäumte Skeleton sich auf, schüttelte den Angreifer ab und taumelte zur Tür. „Frazer — zu Hilfe!" Es wurde schwarz vor seinen Augen. In den wallenden Nebeln der Bewußtlosigkeit erkannte er noch schemenhaft Frazers vertrautes Gesicht. Aufstöhnend sank er in die Arme seines Assistenten. „Hallo, Kommodore! Schätze, Sie kommen gerade im rechten Moment In Urania ist der Teufel los." Das war die seltsame Begrüßung, mit welcher der dicke Conan Fletcher Jim Parker auf dem Raketenflugplatz von Silverfield of Venus empfing. Dem Kommodore benahm es fast den Atem. „Was soll das heißen, Fletcher? Hat dieser Skeleton etwa wieder mal gezaubert'?" „Nee — ich glaube, Skeleton würde viel darum geben, wenn er jetzt zaubern könnte." „Was meinen Sie damit? Ist dem Professor etwas zugestoßen? So reden Sie doch, Menschenskind!" „Ich weiß selbst nichts Genaues", gestand der Dicke. „Direktor Lindenberg rief vor ein paar Minuten an und teilte mit, Skeleton und sein Assistent seien spurlos verschwunden — und ein paar interessante Zauberformeln, an denen die beiden gerade gearbeitet hatten, anscheinend auch. Im Privatlabor des Professors fand man deutliche Anzeichen eines Kampfes. Lindenberg bat mich, den
Ausnahmezustand zu verhängen." „Was haben Sie bisher unternommen?" „Ich habe den Sicherheitsdienst alarmiert und lasse alle Straßen überwachen. Außerdem habe ich Startverbot für alle Luft- und Raumfahrzeuge erlassen." „Gut, Fletcher, aber von diesem Verbot nehmen Sie bitte meine Leute und mich aus. Captain Prescott, Wernicke! Verstaut die Männer in den Hubschraubern da drüben. Und dann los. Kurs Urania!" Mit surrenden Flügeln hoben sich die riesigen Maschinen vom Boden ab und verschwanden mit Nordkurs in der sternlosen Venusnacht. „Hallo, Miß Janet! Sie haben es ja verdammt eilig. Wo brennt's denn?" Flugkapitän Fischer befand sich gerade auf einem Kontrollgang durch die Laboratorien in der Umgebung des Verwaltungsgebäudes, als ihm an einer Straßenecke Professor Skeletons junge Laborantin buchstäblich in die Arme lief. „Mister Fischer — oh, wie gut, daß ich Sie treffe! Ich glaube — ich furchte, es ist irgend etwas geschehen." Im Schein der Straßenbeleuchtung sah Fischer, wie erregt und abgehetzt Janet war. ehutsam faßte er sie unter, führte sie die wenigen Schritte bis zum Eingang der erwaltung und schob sie in sein Dienstzimmer. „So", sagte er und holte aus einem Wandschränkchen eine Kognakflasche und läser. „Nun schießen Sie mal los." Stockend begann Janet: „Also — das war nämlich so: Ich hatte schon den ganzen Abend solch eine — unerklärliche Unruhe. Irgend etwas Unheimliches war da — das eißt — ich hatte das Gefühl, es müßte im Labor etwas passiert sein. Ich ging hin d . . . " „ ... und — was fanden Sie?" „Nichts. Professor Skeletons Arbeitsraum war leer. Die Tür stand weit offen. Das icht brannte noch, der Schreibtischsessel war umgestürzt. Der Professor und Doktor razer sind — verschwunden." „Hm — komische Geschichte." Horst Fischer war sehr ernst geworden. „Kommen ie, Janet, wir wollen uns die Bescherung mal aus der Nähe betrachten." Die Untersuchung des Laboratoriums im Werk Süd förderte keine neuen Anhaltspunkte zutage. Die beiden Forscher waren nirgends aufzufinden. Den in der Nähe postierten Werkschutzmännern war nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Aber was wollte das schon besagen? Die Postenkette war für eine lückenlose Überwachung des Geländes viel zu dünn. Direktor Lindenberg machte aus seinem Unmut kein Hehl, als Fischer ihm Bericht erstattete. „So, verschwunden sind die beiden? Na, hoffentlich für immer. Hol sie der Teufel!" „Soll ich Großalarm geben, Sir?" „Unsinn! Verstärken Sie die Posten im Süd-Werk durch Männer der Freiwache. Wahrscheinlich tauchen die beiden Giftköche eher wieder auf, als es uns lieb ist
Gute Nacht!" Horst Fischer begab sich nach dem Unterkunftshaus des Werkschutzes, um die Verstärkungen für Werk Süd einzuteilen. Doch zuvor schlüpfte er noch schnell in die Funkstation und gab eine Meldung an Conan Fletcher in Silverfield auf. Es geschah auf eigene Verantwortung — und es sollte sich zeigen, daß Fischer damit instinktiv das Richtige getan hatte.
An diesem Abend schlich Heinz Simon sehr bedrückt durch die Anlagen der Atomstadt. Er hatte die Wache am Haupttor, dort, wo die Straße in weiter Kurve westwärts das Werk verließ, und hätte eigentlich während der zwei Stunden bis zu seiner Ablösung unverwandt am Schlagbaum stehen müssen. Doch heute war er so sehr mit eigenen Sorgen beschäftigt, daß er alles um sich herum vergaß. In tiefen Gedanken trottete er am Rande der Fahrbahn dahin; unwillkürlich schlug er die Richtimg zum Werk ein. Als er unter einer Neonlampe stand, zog er den Brief aus der Tasche, den das Postflugzeug am Nachmittag für ihn gebracht hatte. Er hängte den Atombrenner über die Schulter und las noch einmal die wenigen Zeilen, die seine Mutter mit ungelenker Hand geschrieben hatte: „Mein lieber Heinz, Dein Vater hat mich beauftragt, Dir heute einmal zu schreiben. Er ist seit Wochen krank, sehr krank sogar. Es fing an dem Tage an, als die schreckliche Explosion hinter den Bergen passierte. Alles wurde dunkel bei uns, und wir glaubten, die Welt ginge unter. Müllers Fritz, der gerade zu Besuch war, steckte mich schnell in sein Flugzeug und brachte mich nach Süverfield, wo wir in Sicherheit waren. Dein Vater wollte nicht mitkommen. Du kennst ihn ja und weißt, wie eigensinnig er manchmal ist. Als ich nach Neupommerland zurückkam, lag er im Bett und fühlte sich sehr elend. Es dauerte lange, bis Doktor Richards von Süverfield hier war. Er gab dem Vater eine Medizin und schüttelte den Kopf. Ich fürchte, es geht bald zu Ende mit ihm Komm bald, Heinz, wenn Du Vater noch einmal sehen willst. In Liebe, Deine Mutter." Ein Schnellwagen raste heran. Heinz blickte nur flüchtig auf. Ein einzelner Mann saß darin. Heinz erkannte ihn nicht. Das Fahrzeug verschwand hinter dem Talausgang. Der junge Mann seufzte tief. Er mußte nach Neupommerland zurück, und zwar sofort. Flugkapitän Fischer würde ihm Urlaub geben müssen. Entschlossen nahm er seinen Weg wieder auf und schlug die Richtung nach dem Verwaltungsgebäude der Atomstadt ein. „Der Chef nimmt die Sache nicht ernst", meinte der Flugkapitän achselzuckend, als er eine halbe Stunde später wieder in seinem Dienstzimmer erschien, wo Janet voller Unruhe auf ihn wartete. „Aber — es muß doch irgend etwas geschehen! Mein Gefühl sagt mir, daß der Professor in Gefahr ist." Das junge Mädchen sah ganz verzweifelt aus. „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um." Fischer zündete sich lässig eine Zigarette an. „Und damit — glaube ich beinahe — täte der schrullige Professor
unserem Chef den größten Gefallen." „Sie sollten nicht so sprechen, Mister Fischer." „Sie lieben Ihren Professor wohl sehr, Janet?" „Lieben? Nein, gewiß nicht. Aber er ist ein großer Wissenschaftler, vielleicht der größte unserer Zeit. Und seine Forschungen ... Mein Gott, Fischer, denken Sie denn gar nicht daran, daß man es auf seine Forschungsergebnisse abgesehen haben könnte?" „Damned!" Dem guten Sicherheitshäuptling fiel die Zigarette aus dem Mund. „Sie haben recht. Bei allen Planeten! Was sind wir doch für Schlafmützen!" Er stürzte zum Tisch und wollte den Telefonhörer abheben. Doch da flog die Tür auf, und Heinz Simon stürmte herein. In seinen Augen funkelte es gefährlich. „So, Janet, hier also verbringst du deine Abende?" „Was ist denn mit Ihnen los?" fragte der Flugkapitän kopfschüttelnd. „Können Sie nicht anklopfen, bevor Sie hereinkommen?" „Aha — mein Lieber — ist Ihnen wohl peinlich, daß ich Sie erwischt habe?" rief der Eindringling höhnisch. „Heinz — ich bitte dich, sei doch vernünftig", flehte Janet. „Nehmen Sie gefälligst Haltung an, Simon!" In Horst Fischers Stimme war ein gefährlicher Klang. „Was haben Sie hier überhaupt zu suchen? Sind Sie nicht zur Wache am Talausgang eingeteilt?" „Stimmt auffallend. Das haben Sie sich raffiniert ausgedacht, um hier ungestört Ihr Rendezvous . . . " , „Maul halten, Simon, sonst..." „Was? Sie wollen mir drohen? Hahaha ..." Doch jäh erstarb das Lachen auf Heinz' Lippen, als ihn eine schallende Ohrfeige traf. Eine Sekunde lang füllte eisige Stille den Raum. Dann stürzte sich der Geschlagene mit Wutgebrüll auf seinen Gegner, Zu einem wirren Knäuel verkrampft, rollten die Raufenden über den Fußboden. Sie sahen nicht das Aufflammen der Signalanlage an der Wand — sie hörten nicht die monotone Stimme des Postens in der Radarüberwachung, die aus dem Lautsprecher klang: „Drei Düsen-Transporthubschrauber über Planquadrat H 7, im Anflug auf Urania. Achtung, ich wiederhole..." Mit entsetzt aufgerissenen Augen starrte Janet auf das Büd zu ihren Füßen, das sie verzweifelt an jene minderwertigen amerikanischen Gangsterfllme erinnerte, die sie zuweilen im Werkkino der Atorostadt gesehen hatte. „Ihr seid wohl total verrückt geworden?!" donnerte da plötzlich eine sonore Stimme von der Tür her. Janet erkannte die sportliche Gestalt des Kommodores, hinter dem sich Fritz Wernicke und einige Männer in der Uniform des Sicherheitsdienstes hereindrängten. „O Kommodore, helfen Sie doch . . . ! " Aber es hätte dieser Aufforderung gar nicht mehr bedurft, Jim Parker hatte die beiden Kampfhähne schon vom Boden hochgerissen und schüttelte sie aus
Leibeskräften. ' „So, Gentlemen, und nun sind wir wieder vernünftig, nicht wahr? He, Fischer, legen Sie los: Was ist nun eigentlich passiert?"
Fünf Minuten später verkündeten die Sirenen im ganzen Werkgebiet Großalarm. Schnellwagen rasten in atemberaubendem Tempo über die Straßen, Schlagbäume senkten sich an allen Knotenpunkten, Scheinwerfer flammten auf und bohrten ihre Lichtkegel in die Finsternis: Mit seinen fünfzig Mann Elitetruppen besetzte Captain Prescott alle Schlüsselpunkte des Werkes. Es klappte alles wie auf dem Exerzierplatz. Nur die beiden vermißten Forscher waren nirgends zu entdecken .., Im Chefbüro Direktor Lindenbergs nahm Jim Parker die Funkmeldungen der Einsatztrupps entgegen. Fritz Wernicke bediente drei Telefonapparate gleichzeitig. Nervös lief Lindenberg im Hintergrund des Zimmers auf und ab und rauchte hastig eine Zigarette nach der anderen. Er hatte seinen Groll gegen Skeieton niedergekämpft und malte sich die verheerenden Folgen aus, die aus einer Entführung der beiden Atomwissenschaftler oder aus einem Raub ihrer Dokumente erwachsen konnten. „Nun, Fischer?" hörte er den Kommodore fragen. Der Eintretende zuckte die Achseln. „Nichts. Fehlanzeige." Jim Parker trat vor die große Wandkarte des Werkgebiets und betrachtete eingehend die Gegend um das Südwerk. Plötzlich fuhr er herum. „Die Höhlen! Über Werk Süd befinden sich Tropfsteinhöhjen. Wir wollen sie durchsuchen. Es ist freüich nicht ganz geheuer darin — allerlei scheußliches Getier. Rufen Sie Freiwillige auf, Fischer, und sorgen Sie f ü r Taschenscheinwerfer und Magnesiumfackeln I* Die Suche in den Höhlen begann. Der Kommodore hatte nicht übertrieben- Im grellen Magnesiumlicht huschten den Männern so abscheuliche Reptilien über den Weg, daß selbst die Beherzteren den Rückzug antraten. Schließlich waren außer dem Kommodore nur nocb Wernicke, Fischer und Simon übriggeblieben. „Schau mal, Jim, da drüben liegt ein Totenkopf." Der kleine Wernicke schüttelte sich. Jim Parker richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf die Stelle und stieß einen überraschten Ruf aus. „Schätze, Fritz, der lebt noch. Wenn mich nicht alles täuscht, gehört er zu unserem Freund Skeleton, den wir wie eine Stecknadel im Heuschober Buchen." Der Kommodore hatte sich nicht getäuscht Es war wirklich Professor Skeleton, der — aus einer Kopfwunde blutend — wie leblos neben einem säulenförmigen Tropfsteingebilde lag. „Whisky", erklärte Fritz Wernicke sachverständig und führte dem Bewußtlosen die Feldflasche an die Lippen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.
Professor Skeleton schlug die Augen auf und sah verständnislos von einem zum anderen. „Wasser", flüsterte er schwach „Haben wir nicht", erwiderte Wernicke. „Nehmen Sie lieber noch 'nen ordentlichen Schluck Whisky." „Wie kommen Sie hierher, Professor?" drängte der Kommodore. „Was ist überhaupt geschehen?" Ein Ausdruck des Erschreckens trat in die Augen des Verletzten. „Er — er hat es getan. Er wollte mich zwingen — mitzugehen. Ich weigerte mich — da schleppte er mich hierher und schlug mich nieder. Er ließ mich liegen und floh — mit meinen Notizen." „Von welchen Notizen sprechen Sie, Professor?" „Meine Entdeckung — das Element 109 — alles hat er geraubt..." „Wer ist denn dieser ,Er'? Von wem sprechen Sie eigentlich?" Skeletons Lippen formten nur noch ein einziges, gehauchtes Wort: „Frazer..." Dann sank er erneut in tiefe Bewußtlosigkeit. Fassungslos sahen sich die vier Männer an. Schließlich räusperte sich der Kommodore. „Ahem — los, Fischer, und Sie, junger Mann, heben Sie den Professor auf. Wernicke und ich, wir leuchten Ihnen." Kaum war der Professor in Sicherheit, als der Kommodore alle erreichbaren Männer des Werkschutzes zusammentrommeln ließ und ein scharfes Verhör begann: „Hat jemand Doktor Frazer innerhalb der letzten anderthalb Stunden gesehen?" Schweigen. „Wer hatte in dieser Zeit Dienst am Werkeingang?" „Ich!" Trotzig trat Heinz Simon vor. „So, Sie waren am Werktor?" wunderte sich Jim. „Mir scheint, Sie können an zwei Stellen zugleich sein. Sind Sie nicht der junge Mann, den ich raufenderweise im Verwaltungsgebäude traf?" „Mister Simon hat seinen Posten ohne Befehl verlassen", warf Horst Fischer böse ein. „Und das ausgerechnet in dem Augenblick, da der gefährlichste Spion dieses schönen Planeten mit reicher Beute das Weite suchte." Der Kommodore schüttelte mißbüligend den Kopf. „Lieber Freund, ich muß Sie in Arrest nehmen und nach Orion-City schaffen lassen. Oberst Mortimer wird ein ernstes Wort mit Ihnen zu reden haben." In Arrest — nach Orion-City. . . Und hier, auf Venus, warteten sie, auf ihn — die alten Eltern, der sterbende Vater ... Nein, niemals! Ein Ruck ging durch Heinz Simons Gestalt. Ehe einer der Umstehenden ihn daran hindern konnte, jagte er davon — den Geröllhang hinan, dorthin, wo er den Eingang zu den Höhlen wußte. „Laßt ihn laufen", winkte der Kommodore ab. „Er wird schon wiederkommen, wenn er Hunger kriegt. Wir haben jetzt andere Sorgen. Rufen Sie Silverfleld an, Fischer. Fletcher soll diesen Frazer abfangen, wenn er dort auftaucht. Komm,
Fritz, rasch zum Flugplatz! Wir nehmen die Verfolgung auf." Tief duckte sich Doktor Frazer über das Steuer seines Düsenschnellwagens, der mit stark gedrosselter Geschwindigkeit über die Fahrbahn eilte. Verdammt — warum konnte er nicht mit Volldampf lostoben — alles aus dem Wagen herausholen, was der Strahlmotor am Heck nur hergeben wollte? Aber das war nicht möglich; denn die Straße folgte in vielen Windungen dem Lauf des Bergflusses zur Rechten. Und Frazer wollte nicht jetzt, da alles geglückt war, im letzten Augenblick noch mit zerschmetterten Gliedern im Flußbett landen. So — nun lag auch die große Haarnadelkurve hinter ihm. Endlich konnte er etwas aufdrehen. Der Rückstoßmotor heulte auf. Bisher war eigentlich alles unwahrscheinlich gut gegangen. Der schlafmützige Wächter an der Werkstraße würde ihn bestimmt nicht erkannt haben. Er galt einfach als verschwunden, ebenso wie der Professor, den wohl längst die Echsen und Schlangen in der Tropfsteinhöhle verspeist hatten. Nun galt es nur noch, ungesehen nach Silverfleld hineinzukommen, um das erbeutete Forschungsmaterial abzuliefern und sich mit Ausrüstung und Proviant zu versehen; denn es würde wohl geraten sein, sich für einige Zeit im Dschungel unsichtbar zu machen. „Damned!" Frazer trat verzweifelt die Bremse. Dicht hinter einer unübersichtlichen Kurve war die Straße mit Felsblöcken versperrt. Der Wagen kreischte, überschlug sich fast und prallte mit dumpfem Knall gegen die Barriere. Im gleichen Augenblick stand er auch schon in hellen Flammen. Halb betäubt taumelte Frazer vom Führersitz hoch und sprang auf die Straße. Mechanisch fuhr seine Rechte in die Tasche. Er entsicherte die Pistole und suchte hinter den Felsblöcken Deckung. Aus der Dunkelheit trat ein Mann in den Flammenschein. Er trug das Abzeichen des Werkschutzes von Urania und hielt die gefährliche Atomwaffe im Anschlag. „Ergeben Sie sich, Frazer! Jeder Widerstand ist zwecklos." Der Doktor legte die Pistole nieder und hob zögernd die Arme. Langsam kam der Werkschutzmann heran, stand jetzt, von den Flammen des brennenden Wagens hell beleuchtet — ein prächtiges Ziel! Frazer ließ die Hände blitzschnell sinken. Er riß die Pistole hoch. Zwei Schüsse knallten. Sein Gegner sackte zusammen — stemmte sich mühsam wieder hoch, umkrampfte den Schaft des Atombrenners ... Wieder feuerte Frazer. Doch da berührte der Finger des anderen den Auslöser. Ein bösartiger, grüner Strahl entfuhr der Mündung semer Waffe. Mit gellendem Aufschrei sank Frazer zu Boden.
Es war im gleichen Augenblick, als ein kleiner Hubschrauber mit surrenden Flügeln herunterkam und auf der engen Straße vorsichtig zur Landung ansetzte. Der
Kommodore und Fritz Wernicke sprangen heraus. „Hallo, Simon! Können Sie zaubern, oder haben Sie einen Doppelgänger? Ich dachte, Sie steckten drüben in der Höhle über Urania?" Heinz Simon richtete sich schwerfällig auf. Er versuchte, Haltung anzunehmen. „Die Höhle hat auf dieser Seite einen zweiten Ausgang. Ich entdeckte ihn schon vor längerer Zeit durch Zufall." Der Kommodore pfiff durch die Zähne. „Thunderstorm — wir werden Captain Prescott schleunigst darauf aufmerksam machen müssen. Schätze, Ihre Kenntnis kam Ihnen zugute, um unseren Meisterspion im letzten Augenblick abzufangen." „Ich hatte vieles wiedergutzumachen, Kommodore", sagte Heinz niedergeschlagen. „Der Kerl ist mausetot", verkündete Wernicke. „Hier, Jim, diese Papiere habe ich bei ihm gefunden." Jim Parker warf nur einen flüchtigen Blick darauf und steckte sie ein. Jetzt erst bemerkte er, daß Heinz' Kombination blutig war. „Sie sind verwundet, Simon? Ja, zum Teufel, was stehen wir hier noch herum? Einsteigen, Boys!" In der nächsten Minute schon stieg der Hubschrauber in die Luft und nahm Kurs auf Süverfield.
„Glückliche Reise, Kommodore! Laßt euch mal wieder bei uns sehen, Gentlemen." Conan Fletcher, der dicke „Venusboß", zerdrückte eine Abschiedsträne, als er Jim Parker und seine Kameraden Wernicke und Fischer zum letzten Male die Hand schüttelte. Die „Urania III" schwebte jenseits der höchsten Ausläufer der Venusatmosphäre im Raum, klar zum Start nach der fernen Erde. Die Plutonium-Ladung befand sich bereits an Bord. Auch Professor Skeleton, vom Verteidigungsministerium zurückbeordert, hatte es vorgezogen, Süverfield mit der ersten Zubringerrakete zu verlassen. Aus der Gruppe der Wartenden lösten sich Heinz und Janet. Hand in Hand traten 6ie vor Jim Parker. „Ich möchte Ihnen noch einmal danken, Kommodore, daß Sie sich so für mich eingesetzt haben ..." „Reden Sie nicht so viel, junger Mann! Viel Glück für euch beide! Wie geht's übrigens dem Herrn Papa? Ich erinnere mich noch an ihn. Er gehörte zu den ersten Siedlern, die ich damals zur Venus brachte." „Es geht ihm besser, Kommodore. Doktor Richards hat wieder Hoffnung." Noch einmal allgemeines Händeschütteln. Dann schloß sich die Einstiegluke des Zubringerschiffes hinter den letzten. Durch ein Bullauge im Führerstand schaute Horst Fischer ein wenig wehmütig zurück. In der vordersten Reihe der Zurückbleibenden stand Janet Mason und winkte mit ihrem bunten Seidenschal.
„Liebeskummer, old chap?" fragte Fritz Wernicke teilnahmsvoll. „Scheinen mir ein ausgesprochener Pechvogel zu sein, mein Lieber. Na, trösten Sie sich: Die Welt ist groß, und nette Mädel gibt es allerorten. Bislang wurde noch für jeden Topf der passende Deckel gefunden." Horst Fischer mußte lachen. „Sie haben's gerade nötig, Wernicke. Sie laufen doch als lebender Gegenbeweis für Ihre Theorie herum." „Ahem — sieht fast so aus", grinste der kleine Steuermann verlegen. „Na, dann wollen wir uns einstweilen mit diesem hier trösten." Und er zauberte aus geheimnisvollen Tiefen seiner Weltraumkombination eine respekteinflößende Brandyflasche hervor. „Rakete klar zum Start!" kommandierte Jim Parker. Eilig suchten die beiden, ihre Hängematten auf. Es war das erste Mai, daß Doktor Kux Herrn Lewinski mutlos und niedergeschlagen sah, und es dauerte lange, bis er ihn zum Sprechen bringen konnte. „Im Vertrauen gesagt", flüsterte der Regierungsvertreter, und seine Hand, die die selbstgedrehte Zigarette hielt, zitterte, „im Vertrauen gesagt: Unser prächtig organisierter Spionagering auf Venus ist aufgeflogen. Wir werden keinen Ersatz für Doktor Frazer finden." „Doktor Frazer? Meinen Sie den bekannten Atomphysiker aus Los Angeles?" „Den nämlichen", nickte Lewinski düster. „Er arbeitete für uns — als Assistent Professor Skeletons. Nun ist er tot. Wir werden nichts mehr über die Forschungsergebnisse der USA. erfahren — bis sie uns eines Tages in Form von verheerenden Bomben aufs Dach fallen." In das bedrückende Schweigen hinein klangen die verworrenen Geräusche, die von der rastlosen Arbeit des großen Atomwerks kündeten. Plötzlich stand Doktor Kux auf und trat an den Panzerschrank. Mit einem dicken Aktenbündel kam er an den Tisch zurück. „Wir werden auch ohne Frazers weitere Hilfe vorankommen. Seine Meldungen über die bisherigen Arbeiten mit den Transactiniden haben genügt, um mir Professor Skeletons Gedanken zu offenbaren. Der Weg liegt jetzt klar vor meinen Augen." „Sie meinen, daß wir den Wettlauf um die stärksten Vernichtungswaffen der Welt noch gewinnen können?" „Möglich. Wir wollen es jedenfalls versuchen." „Herr Unterstaatssekretär, es ist mir eine hohe Ehre, Ihnen hier die wackeren Männer vorstellen zu dürfen, deren entschlossenem Einschreiten Sie es zu verdanken haben, daß Professor Skeleton Ihrem Ministerium erhalten blieb und seine Forschungsergebnisse nicht in unrechte Hände fielen Darf ich bekannt machen: Kommodore Parker, Mister Wernicke — Herr Unterstaatssekretär
Huxley vom Verteidigungsministerium." Ted S. Cunningham, der gewichtige Atomboß, war ganz Würde. Er genoß den großen Augenblick, seine „besten Pferde" vorführen zu können, in vollen Zügen. „How do you do, Gentlemen!" schnarrte Huxley. „Sie haben uns wirklich unbezahlbare Dienste erwiesen, als Sie diesen Frazer zur Strecke brachten und..." „Pardon, Sir", wehrte Jim Parker bescheiden ab, „der Mann, der den Spion zur Strecke gebracht hat, war — genaugenommen — ein junger Farmer namens Simon." „Freut mich. Werde mir den Namen merken. Tut im übrigen nichts zur Sache. Nun, Gentlemen — Männer wie Sie braucht das Vaterland. Ich habe die Ehre, Ihnen im Auftrag des Herrn Ministers ein glänzendes Angebot zu machen. Unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit" — das faltige Gesicht des Staatsbeamten nahm einen ungemein wichtigen Ausdruck an — „darf ich Sie wohl darauf hinweisen, daß die Arbeiten Professor Skeletons einem ganz bestimmten Ziel dienen." „Das ist anzunehmen", bemerkte Fritz Wernicke vorlaut. James Huxley überhörte die Bemerkung. „Es handelt sich um die Entwicklung der X-Bombe, der stärksten Vernichtungswaffe, die ein menschliches Hirn je erdachte. Sie wird ihrem Besitzer praktisch die Herrschaft über die Welt sichern." „Und was haben wir damit zu tun?" fragte der Kommodore ohne sonderliche Begeisterung. Der Unterstaatssekretär bekam ganz große Kulleraugen. „Sehr viel sogar, Mister Parker Sie sollen mit Ihren engsten Mitarbeitern die Organisation und Durchführung der Großversuche übernehmen." Der Atomboß machte ein säuerliches Gesicht. „Gern würde ich Sie natürlich nicht hergeben, Parker — obwohl es sowieso nur für begrenzte Zeit wäre. Aber — die Entscheidung liegt bei Ihnen." „Meine Arbeit im Dienste des S.A.T. hat bisher stets nur f r i e d l i c h e n Zwecken gegolten", sagte der Kommodore mit Betonung, „dem Fortschritt der Menschheit und ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis. Mir scheint, die X-Bombe liegt außerhalb dieser Zieie." „Aber, Mister Parker!" rief Huxley beschwörend. „Ist das Ihr letztes Wort? Überlegen Sie es sich noch einmal. Was sagen Sie dazu, Mister Wernicke?" „Danke für Backobst!" „Da gibt es nichts zu überlegen", sagte Jim Parker bestimmt. „Wenn Sie wirklich für kurze Zeit auf unsere Dienste verzichten können, Boß, dann geben Sie uns doch ein paar Wochen Urlaub. Professor Hauser hat uns zu einer Expedition ins Land der Pyramiden eingeladen. Wir wären gern mit von der Partie. Schätze, das wird erholsamer und auch spannender sein, als die — verzeihen Sie — scheußliche Spielerei mit Atombomben. So long, Gentlemen." — ENDE —