Als sich Britta – hübsch, verwöhnt und ziemlich oberflächlich – erfolgreich um einen Gruppenleiterjob im Feriencamp bewi...
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Als sich Britta – hübsch, verwöhnt und ziemlich oberflächlich – erfolgreich um einen Gruppenleiterjob im Feriencamp bewirbt, hat sie nur beweisen wollen, dass sie bekommt, was sie will. Doch dann muß sie erkennen, dass sie ihre Aufgabe nun mal nicht mit tollen Klamotten oder ihrem einstudierten Augenaufschlag lösen kann. Klein beigeben war allerdings noch nie Brittas Sache, und so geht sie in gewohnter Halsstarrigkeit ihren Weg. Einen Weg, der bestimmt nicht einfach ist, auf dem sie aber Dirk kennenlernt – und eine unheimlich wichtige Erfahrung macht. Originalausgabe „Spoiled Rotten“ 1987 by CORA Verlag
Band 170 (172) 1987
Scanned & corrected by SPACY Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht für den Verkauf bestimmt
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Brenda Cole
Auch ohne Lippenstift und Rouge Britta – hübsch, verwöhnt und ziemlich oberflächlich – ist mit großem Gepäck ins Feriencamp gereist, wo sie einen Gruppenleiterjob angenommen hat. Doch anders als zu Haus, kann sie hier weder mit tollen Klamotten noch mit schmachtendem Augenaufschlag Punkte machen und scheint an ihrer Aufgabe kläglich zu scheitern. Da Britta aber nicht nur erfolgsgewohnt, sondern auch wahnsinnig starrsinnig ist, denkt sie nicht daran aufzugeben. Sie ist entschlossen, sich durchzusetzen. Dabei macht sie unerwartet eine wichtige Erfahrung – und kommt außerdem dem furchtbar netten Dirk Walker aufregend nahe.
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1. KAPITEL Britta warf das blaue Longshirt auf den immer größer werdenden Haufen aussortierter Klamotten und ging zum Schrank, um noch eine Bluse herauszuholen. Da muß doch irgendwas Akzeptables drin sein, dachte sie, während sie die Bügel auf der langen Kleiderstange durchging. Schließlich zog sie einen handgestrickten, hellen Pullover aus dicker Baumwolle hervor. Wenn sie dazu ihre neuen Stiefeletten aus weichem Ziegenleder anzog und sich das Haar mit dem schicken apricotund cremefarbenen Seidenschal zurückband, würde es gehen. Obwohl es schon Juni war und die Sommerferien, begonnen hatten, konnte man ohne weiteres Pullover und Stiefel tragen, denn in der Bucht von San Francisco war es morgens immer noch ziemlich frisch. Und mit etwas Glück würde sie vielleicht etwas Neues finden, bevor es zu warm wurde. Sie war gerade mit ihrem Haar fertig, als sie ihren Vater von unten rufen hörte. „Britta, beeil dich... Dein Frühstuck steht auf dem Tisch!" „Ich komme, Dad", rief Britta zurück und schnappte sich ihre Geldbörse, die auf der Frisierkommode lag. Als sie schon an der Tür war, drehte sie sich noch -3-
einmal um und sah das Zimmer an. Das Bett war nicht gemacht, der Schrank stand offen, die Schubladen der Kommode waren herausgezogen, die Klamotten, die sie verworfen hatte, lagen in wüstem Durcheinander, auf dem Boden. Aber jetzt hatte sie keine Zeit aufzuräumen. Später, versprach sie sich selbst und sprang die Treppe hinunter. Gleich nach dem Frühstück würde, sie hochgehen und Ordnung schaffen. In der Küche roch es herrlich nach gebratenem Speck. Brittas Vater, Mr. Allen, saß schon am Tisch, als sie sich auf den Stuhl neben ihm gleiten ließ. Nach einem Blick auf den kroß gebratenen Speck und den in Butter geschwenkten Toast schob Britta den Teller beiseite. „Dad, ich hab dir doch gesagt, daß ich abnehmen muß. So lange ich keine Schule habe, möchte ich morgens Orangensaft und Toast." „Ja, und? Das habe ich dir doch gemacht Toast." „Ha, ha, sehr komisch", meinte Britta und nahm sich statt dessen ein Stück trockenen Toast von einem Teller in der Mitte des Tisches. „Wenn ich das jeden Tag essen würde, müßte ich die Bändchen an meinem Bikini weiter machen." Mr. Allen zog die Augenbrauen zusammen und fixierte seine Tochter mit einem finsteren Blick. „Laß dich bloß nicht von mir in einem Ding erwischen, das nur mit Bändern zusammengehalten wird.“ „War nur ein Scherz. Bei dir und Grandma ist es ja, schon ein Wunder, daß ich überhaupt etwas anziehen darf, das Knie und Schultern frei läßt." „Das stimmt nicht. Deine Großmutter mag ja ein bißchen altmodisch sein, aber sie beschwert sich nie -4-
über deine Kleidung.“ „Ich weiß", gab Britta zu. „Und Tante Cecilia ist zum Glück auf meiner Seite. Die versteht wenigstens was von Mode." „Geht sie heute mit dir einkaufen?" „Nein, ich treffe mich mit Mary Ann und Linda: Wir wollen im Bryant Plaza anfangen und uns zurück zur Cordova Mall durcharbeiten." „Wie sieht's mit Geld aus? Hast du genug?" „Ich hab noch das Geld von meinem Geburtstag, aber da du das Thema angeschnitten hast... ich könnte tatsächlich etwas für Benzin gebrauchen." Ehe ihr Vater protestieren konnte, setzte Britta schnell hinzu: „Ich brauch mein ganzes Geld für Klamotten. Ich hab überhaupt nichts Neues für den Sommer." „Aber warum mußt du denn immer mit deinem Auto fahren, wenn du mit deinen Freundinnen einkaufen gehst?" „Na, weil Mary Ann und Linda sich den Wagen, von ihren Eltern ausleihen müßten. ich bin die einzige, die ein eigenes Auto hat." „Daran hätte ich vielleicht denken sollen, bevor ich mich von deinen Tanten und Onkeln dazu habe überreden lassen, daß sie dir zu Weihnachten ein Auto schenken durften. Ich gehe ja noch bankrott, wenn das so weiterläuft.“ Britta verzog das Gesicht. „Ich dachte immer, du siehst es lieber, wenn ich fahre. Du weißt ja, daß ich gut fahre." „Ja, aber könnten deine Freundinnen nicht gelegentlich mal etwas Benzingeld dazugeben?" „Du mußt nicht denken, daß die beiden Schnorrer sind“ protestierte Britta „Sie denken nur einfach nicht -5-
daran. Für das Benzin ist in ihren Augen jemand anders zuständig." „Es kommt mir nur so vor, als ob du dauernd nach Benzingeld fragst, seit du das Auto hast." „Wenn ich eine eigene Kreditkarte hätte, bräuchte ich dich nicht mehr damit zu belämmern." „Das schlag dir lieber aus dem Kopf. Ich beschwere mich zwar, aber wenigstens habe ich auf diese Weise etwas Kontrolle über deine Ausgaben.“ Mr. Allen nahm seine Brieftasche, zählte die Geldscheine durch und steckte sie dann wieder weg. „Ich hab im Moment nicht genug Geld da. Schaffst du.'s bis zur Tankstelle von Onkel Ed?" „Klar. Kein Problem." „Sag ihm, er soll volltanken und es auf meine Rechnung setzen." Ihr Vater hatte sein Frühstück beendet, und während er ins Wohnzimmer hinüberging, zog er seinen Schlüsselbund aus der Tasche. Britta folgte ihm, doch sie blieb stehen, als er die Schreibtischschublade aufschloß und den Polizeirevolver herausnahm. Auch ihre Mutter war bei der Polizei gewesen, bis sie eines Nachts von einer Kugel getötet worden war. Noch lange Zeit danach hatte Britta den Anblick einer Pistole nicht ertragen können. Aus diesem Grunde hatte ihr Vater seine Waffe in der Polizeistation oder im Streifenwagen gelassen. Aber das war mehr als zehn Jahre her, und da ihr Vater immer noch Polizist war, hatte Britta schließlich akzeptieren müssen, daß Waffen ein Teil seines Lebens waren. Wenigstens brauchte Mr. Allen, seit er zum -6-
Kriminalbeamten befördert worden war keine Uniform mehr zu tragen. Er sah aus wie jeder andere Vater, wenn er morgens zur Arbeit fuhr. Die Waffe war unter seinem Sportjackett verborgen. Britta ging zur Haustür und wartete darauf, daß ihr Vater ihr einen Abschiedskuß gab. „Wiederhol mir noch mal, was du heute alles vorhast", sagte Mr. Allen. „Zuerst fahr ich zur Tankstelle, dann hole ich Mary Ann und Linda ab," und wir fahren zum Einkaufszentrum. Nach dem Einkaufen bringe ich die beiden wieder nach Hause, dann gehe ich zu Tante Helen." „Bleibst du dort, bis ich nach Hause komme?" „Kommt drauf an. Um sieben Uhr bin ich verabredet, deshalb muß ich spätestens um fünf wieder zu Hause sein, um mich fertig zu machen. „Um fünf müßte ich auch wieder hier sein. Falls du nicht da bist, wenn ich komme, rufe ich dich bei Tante Helen an", sagte Mr. Allen. „Okay." „Und du weißt, wie du mich erreichen kannst, wenn du mich brauchst?" „Dad, du bist seit Jahren in der gleichen Abteilung. Sämtliche Polizisten kennen mein Auto, und ich hab an jeder Ecke der Stadt einen Haufen Verwandte." „Ich weiß, aber jeder könnte leicht annehmen, daß du gerade bei jemand anders bist. Deshalb möchte ich genau wissen, wo du steckst." Mr. Allen beugte sich hinunter und küßte, seine Tochter auf die -7-
Wange. „Im Haus brauchst du nichts zu machen. Ich will nicht, daß du deine Ferien damit verbringst, dich um den Haushalt zu kümmern. Ich habe mit Louise ausgemacht, daß sie dreimal in der Woche kommt und saubermacht. Sie wird heute reinschauen." „Danke, Dad. Bis heute nachmittag.“ Nachdem ihr Vater gegangen war, lief Britta in ihr Zimmer zurück, um ein letztes Mal ihr Aussehen zu überprüfen. Schlank und langbeinig, mit schulterlangem, braunem Haar, zarter Haut und klaren blauen Augen war Britta daran gewöhnt, Aufmerksamkeit zu erregen, wo immer sie sich blicken ließ. Sie ging nie aus dem Haus, ohne perfekt auszusehen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß ihre Klamotten, ihr Haar und ihr Make-up in Ordnung waren, verschloß sie das Haus und holte ihr Auto aus der Garage. Die Tankstelle ihres Onkels war zwar nicht sehr weit entfernt, aber um dorthin zu kommen, mußte Britta über eine der Hauptverkehrsstraßen fahren, auf` der sich normalerweise im Pendelverkehr Auto an Auto drängte. Aber heute war zum Glück Samstag, und der Verkehr hielt sich in Grenzen. Britta erreichte die Tankstelle ohne weitere Schwierigkeiten. Dann war ihre Glückssträhne zu Ende. Vor der Tanksäule mit Bedienung hatte sich eine lange Autoschlange gebildet, die sich bis zur Straße hinzog. Britta konnte sich nicht ans Ende der Schlange stellen, ohne den Verkehr auf der Straße zu behindern, deshalb parkte sie vor der Selbstbedienungsinsel. Einer ihrer Cousins, Billy Allen, war gerade dabei, -8-
einen Wagen vollzutanken. Als er sie sah, winkte er und brüllte über den Lärm hinweg: „Tom ist drinnen. Sag ihm, er soll rauskommen und sich um deinen Wagen kümmern." Tom war sein Bruder. „Danke, mach ich", rief Britta zurück. Sie stieg aus und wich vorsichtig Öl- und Benzinpfützen aus, die zwischen ihrem Wagen und dem Büro auf dem Asphalt standen. Sie öffnete die Tür und sah Tom und seinen besten Freund, Dirk Walker, am Schreibtisch ihres Onkels irgendeine Broschüre studieren. „Guten Morgen", rief sie ihnen zu. Beide Jungen blickten auf, aber als Tom sah, daß es nur seine Cousine war, murmelte er eine flüchtige Begrüßung und wandte sich wieder dem Faltblatt zu. „Entschuldige mal, aber...äh...ich brauche Benzin", sagte Britta. „Sag Billy Bescheid. Ich arbeite diesen Sommer nicht hier", antwortete Tom. „Billy ist beschäftigt, und an der Säule mit Bedienung hat sich eine lange Autoschlange gebildet. Deshalb stehe ich an der Selbstbedienung. „Dann mach's selbst", unterbrach Tom sie. „Genau das bedeutet Selbstbedienung." „Ich weiß nicht, wie." „Dann hättest du dich eben ans Ende der Schlange stellen und abwarten müssen, bis du dran bist wie alle anderen." In dem Augenblick kam Ed Allen herbei, ,,Geh raus und tank Brittas Wagen voll", befahl er. Dirk war schon auf dem Weg zur Tür. „Ich mach's", sagte er. Er blieb vor Britta stehen und streckte die -9-
Hand aus. „Ich brauch deine Schlüssel." Britta blickte verwirrt drein, und er erklärte: „Dein Auto, hat ein Schloß am Benzintank, erinnerst du dich?" „Hätte ich fast vergessen." Sie lachte. „Woher weißt du das?" „Ich habe Ed dabei geholfen, es anzubringen", sagte er und ließ die Tür hinter sich ins Schloß fallen. Onkel Eds Stimme und Verhalten wurden merklich sanfter, als er sich seiner Nichte zuwandte. „Na, wo willst du denn schon so früh am Morgen hin?" meinte er scherzhaft. „Einkaufen." Britta lächelte. „Wohin sonst?" „Begleitet dich jemand?" „Ja, und mach dir keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung. Aber wenn du etwas für mich tun willst, schreib das Benzin an, Dad sagt, ich könnte es auf seine Rechnung setzen lassen. Geht das?" „Natürlich geht das." „Das ist nicht fair", mischte Tom sich ein. „Du hast fünf Neffen, und nie schreibst du für einen von uns an." „Britta ist aber meine einzige Nichte. Außerdem habt ihr Jungen, jedenfalls die, die alt genug sind, um Auto zu fahren, alle einen Job." Jemand rief ihn von der Werkstatt aus, und Onkel Ed griff nach der Türklinke, hielt jedoch lange genug inne, um zu sagen: „Nimm dir, was du brauchst, Schatz. Und wenn Tom dich ärgert, sag es Dirk. Er wird sich um dich kümmern." Britta nickte und lächelte ihren Onkel an. Als er gegangen war, drehte sie sich zu Tom um „Was hast du damit gemeint, als du sagtest, du arbeitest diesen - 10 -
Sommer nicht hier?" „Daß ich nicht hier arbeite.. Diesen Sommer bin ich Betreuer in einem Feriencamp." „Du? Betreuer? Wo denn?" Tom nahm die Broschüre vom Tisch und hielt sie hoch, damit Britta sie sehen konnte. „Camp Chabewa." „Was ist das?" „Es ist das Ferienlager, wo ich mit neun und zehn Jahren war. Dirk ist die letzten beiden Sommer dort Betreuer gewesen, und er hat mich überredet dieses Jahr mit ihm zusammen dort zu arbeiten." „Aber wie hast du sie dazu gekriegt, dich einzustellen?“ „Das Camp gehört Dirks Tante und Onkel. Er hat ein gutes Wort für mich eingelegt." Dirk kam zurück. Er hatte Brittas Auto vollgetankt und hielt ihr jetzt die Schlüssel hin. Dabei behielt er den Ring in der Hand, so daß ihre Fingerspitzen seine Handfläche streiften, als sie die Schlüssel zurücknahm. „Ich hoffe, du weißt, was du tust", meinte Britta neckend. Dirk wurde rot. „Was meinst du?" fragte er. „Natürlich, daß du Tom einen Job als Betreuer verschafft hast. Wenn du mich fragst, der braucht selbst noch jemanden, der auf ihn aufpaßt. „Ach, das. Dirk zuckte die Achseln. „Es ist keine harte Arbeit. Wir machen Lagerfeuer, fahren Kanu, wandern, fischen, schwimmen und solche Sachen." „Woher hat das Lager den Namen ,Chabewa'? Ist das indianisch oder sowas?" Dirk grinste. „Das denken die Kinder auch immer, aber in Wirklichkeit ist es nur eine Zusammenziehung - 11 -
der Namen meines Onkels und meiner Tante Charles und Betty Walker." „Cha...Be...Wa. Verstehe", sagte Britta. „Hört sich echt nach Spaß an. Schade, daß es nur für Jungen ist." „Ist es gar nicht. Es ist ein gemischtes Camp.“ „Wirklich? Brauchen sie noch weibliche Betreuerinnen?" „Ich weiß nicht, aber wenn du willst, könnte ich mich für dich erkundigen", meinte Dirk. „Klar, warum nicht. Es könnte ganz lustig sein.“ „Nun mach aber mal ’nen Punkt, Britta“, warf Tom ein. „Das Camp liegt mitten in der Wildnis. Es gibt keinen einzigen Kosmetiksalon im Umkreis von ein paar Meilen. Was würdest du tun, wenn dir ein Fingernagel abbrechen sollte?" Britta schnitt ihrem Cousin eine Grimasse. „Hast du nicht davon gehört? Es gibt neuerdings fantastische falsche Fingernägel. Sie sehen so echt aus, daß man sie kaum von richtigen unterscheiden kann. Ich nehm einfach einen großen Vorrat davon mit." Dirk lachte: „Jetzt hat sie's dir gegeben." Er nahm Tom die Broschüre aus der Hand und gab sie Britta. „Sieh dir das mal an, und klär es dann mit deinem Vater. Wenn du das gern machen würdest, lege ich ein gutes Wort für dich ein." „Toll. Danke, Dirk“, sagte Britta „Ich werd's mir überlegen." Sie steckte die Broschüre in ihre Handtasche. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und lächelte Tom zu. „Wir drei zusammen im Camp, wär’ das nicht lustig?“ „O ja, unheimlich lustig.“ - 12 -
Kaum war Britta außer Sichtweite, fuhr Tom seinen Freund an: „Warum hast du das gemacht? Glaubst du, ich hab Lust, sie den ganzen Sommer auf dem Hals zu haben?" „Um ehrlich zu sein, habe ich dabei nicht an dich gedacht", antwortete Dirk. „Was soll dann. .." begann Tom, aber nach einem Blick auf Dirks Gesicht beendete er seinen Satz nicht. „O nein! Nicht du auch!“ Dirk löste den Blick von dem Sportwagen, der bereits im Morgenverkehr verschwand, und sah wieder Tom an. „Was heißt das, ‚nicht du auch'?" „Du weißt genau, was ich meine. Ich hab schon zu viele Typen um meine verwöhnte Cousine herumhängen sehen, um nicht die Symptome zu erkennen. Ich dachte bloß, du wärst zu clever, um dich einwickeln zu lassen. Deshalb hab ich wohl die Warnzeichen nicht rechtzeitig bemerkt." „Wenn du nicht ihr Cousin wärst, könntest du vielleicht verstehen, was wir alle an ihr finden.“ „Im Gegenteil, gerade weil ich ihr Cousin bin, muß ich dich warnen: Du solltest nicht allzu viele Hoffnungen, in die ganze Sache setzen. Sie wollte mich nur nerven, deswegen hat sie davon geredet, Betreuerin zu werden. Sie meint es, nicht ernst. Es war nur eine ihrer Launen.“ „Woher willst du das wissen?" „Britta hat noch nie 'nen Job gehabt, nicht einmal als Babysitter. Als sie jünger war, wollte sie nicht ins Ferienlager, weil ich ihr erzählt hatte, daß man da sein Bett selbst machen muß." Dirk ließ sich nicht abschrecken. „Ich wette, du - 13 -
könntest sie dazu bringen, ins Lager zu kommen, wenn du wolltest." ,,Könnte ich wahrscheinlich, werd ich aber nicht." Tom sah seinen Freund trotzig an. „Erinnerst du dich, als ich dir die Verabredung mit Linda Hooper verschafft hab? Damals hast du gesagt, wenn du mir jemals einen Gefallen tun könntest..." „Ja, aber...“ „Und letzten Freitag hab ich dir mein Auto geliehen; und nicht mal das Benzingeld von dir verlangt." „Jetzt komm schon! Willst du damit sagen, daß wir quitt sind, wenn ich Britta dazu kriege, ins Camp zu kommen?" „Wenn du das schaffst, hast du was bei mir gut", erwiderte Dirk. „Was versprichst du dir davon?" „Vielleicht kommt nichts dabei raus", gab Dirk zu. „Außer daß ich sie wenigstens öfter sehe als jetzt." „Du wirst herausfinden, daß ich die ganze Zeit recht hatte mit meiner Meinung über sie." „Ich gehe dieses Risiko ein. „Okay, du hast gewonnen. Wenn es das ist, was du wirklich willst, komm morgen zum Mittagessen zu meiner Großmütter. Britta wird auch da sein, und ich will sehen, was ich tun kann."
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2. KAPITEL Solange sie sich erinnern konnte, hatte Britta den Sonntag bei ihren Großeltern verbracht. Als ihre Mutter noch lebte, hatten sie abwechselnd die Familie ihrer Mutter und die ihres Vaters besucht, aber nach dem Tod ihrer Mutter waren die beiden Seiten zu einer einzigen großen Familie verschmolzen. Jetzt trafen sich alle jeden Sonntag bei Granny und Pap Allen. Außer bei ganz besonderen Anlässen wurden diese wöchentlichen Verwandtschaftstreffen locker gehandhabt. Das heißt, jeder kam und ging, wie es ihm gerade paßte. Manche kamen früh und blieben lange, andere kamen bloß zum Mittagessen. Diesmal erschienen Britta und ihr Vater als letzte. Dirk hatte seit einer Stunde die Tür im Auge behalten, aber als Britta hereinkam, hielt er sich mit Tom im Hintergrund, während alle anderen sich um die beiden Nachzügler scharten und sie begrüßten. „Hoffentlich habt ihr unseretwegen nicht das Mittagessen verschieben müssen", meinte Mr. Allen. „Wir haben unterwegs einen von Brittas Freunden getroffen, und er hat uns aufgehalten. Ich dachte, wir kommen nie mehr los." Britta machte gerade eine Runde durch den Raum und umarmte ihre Großeltern, Tanten und Onkel. Sie hielt inne, um zu protestieren: „Er ist nicht mein - 15 -
Freund. Bloß ein Bekannter.“ „Sie ist viel zu jung für einen. Freund", stellte Grandma fest, ihre Großmutter mütterlicherseits. „Na, ich bin sicher, die Jungen sind da anderer Meinung", warf Tante Ernestine ein. „Aber ich bin dagegen, daß Britta sich auf irgendeinen bestimmten Jungen festlegt." „Da hast du recht", meinte Tante Helen. „Britta sollte sich damit noch viel Zeit lassen." In dem Augenblick kam Tante Cecilia ins Zimmer und wechselte das Thema. „Ist das eines der neuen Outfits, die du dir gestern gekauft hast?" „Diese alten Klamotten?" Britta lachte. „Bestimmt nicht. Ich hab mir gestern zwar ein neues Kleid gekauft, aber ich kann es nicht tragen, bis es nicht umgesäumt ist." „Bring es mir morgen vorbei, und ich säume es für dich um", bot Grandma an. Tom war den Zirkus gewöhnt, den alle um Britta machten. Nach einem flüchtigen Blick in ihre Richtung wandte er, sich wieder dem Baseballspiel zu, das im Fernsehen lief. Dirk dagegen starrte immer noch Britta an, und Tom stieß ihm leicht in die Rippen. „Mach den Mund zu, sonst fängst du noch an zu sabbern", flüsterte er ihm zu. Verlegen gab Dirk ihm einen heftigeren Schubs zurück als nötig. „Hast du schon: irgendwas unternommen, damit Britta als Betreuerin zum Camp kommt?" fragte er. „Langsam, langsam. Du hast es erst gestern erwähnt.“ „Weiß ich, aber Tante Betty und Onkel Charles - 16 -
haben schon fast alle Jobs vergeben. Ich möchte nur sichergehen, daß noch was für sie frei ist." „Hey, Tussi!" gab Britta automatisch zurück und schlängelte sich zu dem Sofa durch, auf dem Tom und Dirk etwas abseits von den anderen saßen. „Was soll ich gehört haben?" „Dirk hat erzählt, daß sein Onkel einen Job als Betreuerin für dich reserviert hat. Sie haben schon drei anderen Leuten abgesagt." Brittas Augen weiteten sich, und sie blickte Dirk bestürzt an. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder? Ich meine, ich hab doch bloß...“ Tom stieß Dirk erneut an. „Na, was habe ich dir gesagt? Sie meinte es nicht ernst. Dieses Gerede von wegen Betreuerin und so war bloß leeres Gewäsch." „Nein, das war es nicht. Ich hatte bloß noch keine Zeit, darüber nachzudenken. Wenn..." „Hey, vergiß es. Du würdest mit so einem Job sowieso nicht klarkommen", sagte Tom. „Was soll das denn heißen?" „Es ist Arbeit, Britta. Die Walkers bezahlen uns nicht fürs Nichtstun. Außer auf die Kinder aufzupassen, müssen die Betreuer auch arbeiten." „So schlimm ist es nicht", protestierte Dirk. „Kann es auch gar nicht sein, sonst wäre Tom nämlich nicht interessiert", sagte Britta. „So? Na, vergiß nicht, daß ich den Job bereits habe. Du weißt genau, daß du es nicht schaffen würdest, deswegen willst du es gar nicht erst versuchen.“ „Was du kannst, kann ich schon lange." „Du würdest schon vor dem Ende der ersten Woche vor Heimweh heulen." - 17 -
„Würde ich nicht!" „Beweise es", forderte er sie heraus. Britta drehte sich zu Dirk um. „Hast du deiner Tante und deinem Onkel wirklich gesagt, sie sollen mir einem Job reservieren?" „Nein, Tom hat nur Quatsch gemacht. Aber ich bin sicher, daß noch ein paar Plätze für Juniorbetreuerinnen frei sind. Bist du interessiert?" „Darauf kannst du wetten. Es scheint, ich muß meinem Cousin etwas beweisen." Helen Allen, Toms Mutter, erschien in der Tür und verkündete, daß das Mittagessen fertig war. Tom stand auf und lehnte sich zu seiner Cousine hinüber. „Solltest du die Sache nicht besser erst mit Onkel Frank klären? Vielleicht läßt er dich nicht gehen?" „Kümmer dich nicht um meinen Vater. Ich weiß schon, wie ich ihn anfassen muß", war die Antwort. Das Schwierige war, die anderen alle zur Zustimmung zu bewegen. Britta war das einzige lebende Wesen, das ein ganzes Zimmer voller Eltern hatte. Und sie alle erwarteten, zu jedem Punkt ihres Lebens um ihre Meinung gefragt zu werden. Normalerweise wußte Britta all die Aufmerksamkeit zu schätzen, aber es gab Zeiten, wo es ihr auf die Nerven ging. Die ganze Familie diskutierte darüber, wie hoch ihr Taschengeld sein sollte, wieviel Make-up sie tragen durfte, und sogar über die Wahl ihrer Freunde. Ihre erste Verabredung war der Gegenstand vieler eingehender Familientreffen gewesen. Da Dirk sofort eine Antwort brauchte, beschloß Britta, das Thema gleich zur Sprache zu bringen. Bei der ersten Gesprächspause holte sie tief Atem und - 18 -
fragte: „Ist es okay, wenn ich mich diesen Sommer als Betreuerin für Camp Chabewa bewerbe?" Einen Augenblick lang herrschte verblüffte Stille. Dann wandte sich ihr Großvater an Frank Allen. „Warum, hast du uns nichts davon gesagt?" wollte er wissen. „Ich hör zum erstenmal davon", sagte Frank. „Ich hab mit Tom und Dirk darüber gesprochen und mich gerade erst entschlossen, daß ich es machen will", erklärte Britta. „Von was für einem Ferienlager redest du?" fragte Tante Ernestine. „Es handelt sich um das Camp, wo Billy und Tom waren, als sie noch jünger waren. Es gehört Dirks Tante und Onkel", sagte Helen. „Du meinst Charles Walker? Den Trainer an der Oak Grove High School?" fragte Mr. Allen. Dirk nickte. „Ja, und meine Tante Betty arbeitet an der gleichen Schule als Krankenschwester. Sie betreiben dieses Sommercamp am Blue Lake seit zwölf Jahren. Es ist für Kinder zwischen neun und zwölf Jahren." Tante Ernestine funkelte Dirk an, und ihr Ehemann, Onkel Fred, meinte: „Der Blue Lake liegt über vier Autostunden von hier entfernt. Britta müßte über Nacht bleiben." „Wie lange wolltest du denn dort arbeiten?" fragte Mr. Allen seine Tochter.“ „Weiß ich noch nicht. Ich hab ja noch nicht mit Mr. und Mrs. Walker gesprochen." „Manche Betreuer bleiben die ganzen Ferien über, aber manche bleiben auch nur eine Woche", erklärte Dirk. - 19 -
Tante Cecilia legte eine Hand auf Brittas Arm. „Du hast überhaupt: keine Erfahrung als Betreuerin. Woher willst du wissen, was du zu tun hast?" „Es ist nicht schwer, die Pflichten zu lernen", meinte Dirk. Alle neuen Praktikanten werden mit erfahrenen Betreuern zusammengetan." „Es müssen ein paar Erwachsene dabei sein", meldete sich Frank Allen zu Wort. „Das Camp kann nicht ganz und gar von Teenagern betrieben werden." „O nein", erwiderte Dirk. „Außer meinem Onkel und meiner Tante sind noch zwei Ehepaare da, und etwa die Hälfte der zwanzig Betreuer sind Studenten. Onkel Charles sagt, er kriegt Seniorbetreuer, indem er jedes Jahr ein paar neue Leute aufnimmt und sie gründlich ausbildet." „Ich glaube nicht, daß Britta sich für so einen Job bewerben sollte, ehe wir nicht die Gelegenheit hatten, uns die Sache gründlich anzusehen", sagte Grandma. „Aber ich muß es sofort wissen", protestierte Britta. „Nächste Woche geht's los." „Vielleicht im nächsten Jahr dann", meinte Mr. Allen. „Das gibt uns mehr Zeit, darüber nachzudenken." Britta seufzte. „Ich hatte befürchtet, daß du das sagen würdest. Ich hab Linda schon gesagt, daß ich den Sommer wahrscheinlich hier verbringen muß. Wenigstens haben wir dieses Jahr etwas anderes zutun." „Und das wäre?" fragte Granny Allen. „Lindas Vater arbeitet diesen Sommer als Gastprofessor am College, und Linda hat gesagt, wir könnten einen Benutzerausweis für den - 20 -
Swimmingpool dort bekommen. Am Pool hängen immer eine Menge gutaussehender Typen rum." Tom erstickte fast an einem Bissen, aber niemand schien Notiz davon zu nehmen. Alle starrten Britta mit offenem Mund an. Schließlich brach Tante Helen das Schweigen. „Also, wißt ihr... Tom arbeitet diesen Sommer auch als Betreuer im Camp. Er könnte auf Britta aufpassen." Onkel Fred räusperte sich. „Und Dirk meinte, sie brauchte nicht den ganzen Sommer dort zu bleiben. Sie kann also jederzeit nach Hause kommen, wenn sie will.“ Obwohl die Diskussion wieder aufgenommen war, war die Sache keineswegs erledigt. Britta wußte, daß ihre Verwandten erst noch eine Reihe von Telefongesprächen führen und sämtliche Leute ihrer Bekanntschaft, deren Kinder das Camp besucht hatten, ins Kreuzverhör nehmen würden. Aber wenigstens bekam Britta die Erlaubnis, ein Bewerbungsformular auszufüllen. Rein zufällig hatte Dirk eines dabei, und ungeachtet Toms ständiger Unterbrechungen half er ihr beim Ausfüllen. „Meinst du, daß sie mich nehmen?" fragte 'Britta. „Ich hab überhaupt keine Erfahrung in der Richtung, und gut in Sport bin ich auch nicht. Außerdem..." „Du hast genauso gute Chancen wie alle anderen auch", sagte Dirk. „Und bessere als die meisten", murmelte Tom, bevor Dirk ihm das Wort abschneiden konnte. Dirk warf einen Blick zu den Erwachsenen hinüber, - 21 -
die noch immer diskutierten, und fragte „Was ist mit ihnen? Meinst du, sie lassen dich gehen?“ „Wenn nicht, dann erzähle ich ihnen von Mary Anns Idee, mit einer Gruppe aus ihrem Wanderklub eine Zweihundert-Kilometer-Querfeldein-Radtour zu machen." Dirk grinste und schüttelte den Kopf. „Du weißt wirklich, wie du mit ihnen umgehen mußt, was?" „Wenn man so viele Eltern wie ich hat, dann muß man manchmal kreativ sein." Dirk steckte das Bewerbungsformular in seine Tasche. „Tante Betty wird dich anrufen, um einen Termin für ein Vorstellungsgespräch mit dir zu vereinbaren. Sie wird alles mit dir durchgehen, aber ich werd ein gutes Wort für dich einlegen." „Danke", sagte Britta. „Ich möchte meinem. allerliebsten Cousin wirklich gern zeigen, daß ich alles kann, was er kann." Bevor Britta am nächsten Morgen aus dem Bett kam, rief Dirk schon mit den Neuigkeiten an. Es gab ein Problem mit einer defekten Wasserleitung, und sein Onkel und seine Tante hatten in aller Eile zum Camp zurückfahren müssen. Es würden also keine weiteren Bewerbungsgespräche stattfinden können. „Das heißt wohl, daß ich den Job abschreiben kann", sagte Britta „Im Gegenteil, es heißt, daß du den Job bereits hast." „Aber wieso? Das versteh ich nicht." - 22 -
„Na ja, um die Wahrheit zu sagen, die beiden waren in der Klemme. Eine der Betreuerinnen, die sie angeheuert haben, kann erst übernächste Woche anfangen. Und da sie keine Bewerbungsgespräche mehr führen können, habe ich mich für dich verbürgt, sozusagen. Sie sagten, du könntest für die erste Woche einspringen, und wenn du gut zurechtkommen würdest, könntest du vielleicht..." „Eine Woche ist schon okay", versicherte Britta ihm. „Und was soll ich jetzt tun?" „Pack zusammen, was du brauchst, und sei Sonntag morgen auf dem Parkplatz der Oak Grove High School. Von dort, fahren wir los." Zum Glück hatte sie die Broschüre nicht weggeworfen, die Dirk ihr gegeben hatte. An den folgenden Tagen studierte sie die bunten Fotos von Kindern beim Schwimmen, beim Klettern auf Felsen und wie sie rund um ein Lagerfeuer saßen. Eine Gruppe Kinder beim Spielen im Wald im Auge zu behalten, konnte jedenfalls nicht so schwer sein, wie zu entscheiden, was sie mitnehmen sollte. Nachdem sie sich entschlossen hatte, welche Klamotten sie einpacken wollte, mußte sie noch die dazu passenden Schuhe finden und die Accessoires aufeinander abstimmen. Außerdem mußte sie Platz für all die anderen notwendigen Dinge lassen - Fön, Make-up, Lockenstab und Spiegel. Sie schaffte es, alles in vier Koffern zu verstauen. Den Rücksitz ihres Wagens ließ sie für die neue Luftmatratze und den Schlafsack frei. Als letztes machte sie am Freitag die Runde bei ihrer Verwandtschaft, um sich zu verabschieden. Sie wollte sichergehen, daß keiner von ihnen am - 23 -
nächsten Morgen auf dem Parkplatz erschien. Britta könnte nämlich unmöglich einen guten ersten Eindruck auf Mr. und Mrs. Walker machen, wenn ihre Verwandten mehr Wirbel um sie veranstalteten als die anderen Eltern um ihre kleinen Kinder. Als sie am nächsten Morgen zum Parkplatz der Schule kam, herrschte dort scheinbar das reinste Chaos. Kinder aller Altersstufen und Größen rannten herum, zerrten ihre Koffer hinter sich her und brüllten einander und ihren Eltern etwas zu. Niemand schien da zu sein, der das Ganze beaufsichtigte, und zum erstenmal, seit Britta Toms Herausforderung angenommen hatte, kamen ihr ernsthafte Zweifel. Vielleicht war das doch nicht das Richtige für sie. Jetzt bedauerte sie es auch, daß sie kein Bewerbungsgespräch geführt hatte, denn sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was von ihr erwartet wurde. Eine vertraute Stimme rief ihren Namen, und als Britta aufblickte, sah sie, wie Dirk auf sie zukam. „Gott sei Dank bist du da. Ich hab mich langsam ziemlich mulmig gefühlt“, gestand sie. „Tja, so ist es immer am ersten und am letzten Tag. Alle sind ein bißchen aus dem Häuschen." „Kann man wohl sagen." „Willst du rüberkommen und meinen Onkel und meine Tante begrüßen, bevor wir dein Zeug in den Bus laden?" „In den Bus? Warum kann ich es nicht in meinem Auto lassen?" „Weil wir alle mit dem Bus zum Camp fahren." Britta warf einen Blick auf die unförmigen gelben Vehikel und zog die Nase kraus. „Muß das sein? Sie sehen so heiß und... und nach Durchgerüttelt-werden - 24 -
aus." „Das ist der halbe Spaß an der Sache. Man ist, heilfroh, wenn man am Blue Lake endlich aussteigen kann." „Kann ich mir, vorstellen." Brittas Stimme; war kaum zu vernehmen, als sie beide sich einen Weg durch die lärmende Menge bahnten. Mr. und Mrs. Walker saßen in einer kleinen Bretterbude, wo sie jeden Neuankömmling auf einer Liste abhakten. „Onkel Charles, Tante Betty, das ist Britta Allen", stellte Dirk sie vor. „Du kannst mich Coach nennen", sagte. Charles Walker zu Britta und schüttelte ihr die Hand. „Und mich Betty", setzte Mrs. Walker hinzu. „Vielen Dank. Es ist nett von Ihnen, daß Sie mir diese Chance geben, vor allem weil ich vorher noch nie so etwas gemacht habe", sagte Britta. Mr. Walker zwinkerte ihr zu. „Du bist uns warm empfohlen worden", meinte er, bevor er zu den Bussen hinüberging, um mit einem der Fahrer zu sprechen. Betty Walker wollte gerade etwas sagen, als eine junge Frau mit einem kleinen, blassen Jungen an der Hand sie unterbrach. „Mrs. Walker, mein Name ist Rhonda Wayne, und ich...äh, ich habe ein Problem." „Worum handelt es sich?" fragte Betty verständnisvoll. „Vielleicht kann ich helfen." „Bobby wird manchmal reisekrank, wenn er lange Fahrten machen muß. Und nun hat er Angst, daß ihm vor all den anderen Kindern übel wird und er sich - 25 -
blamiert." „O je", meinte Betty, „die Busse sind unsere einzige, Transportmöglichkeit. Aber wenn sie ihn selbst zum Camp bringen möchten...“ „Das geht nicht", erwiderte Mrs. Wayne „Ich habe heute nachmittag ein Tennisturnier, das ich unmöglich absagen kann." „Rasch schaltete Dirk sich ein. „Tante Betty, Britta ist mit dem Auto hier. Sie wollte sowieso selbst fahren und hat bestimmt nichts dagegen, Bobby mitzunehmen, wenn Mrs. Wayne einverstanden ist." „Oh, ich bin einverstanden, ich meine, falls sie eine Betreuerin ist." „Sie ist eine Juniorbetreuerin, aber ich könnte die beiden begleiten", erbot Dirk sich. „Das offizielle Transportmittel sind die Busse", stellte Betty fest. „Aber ich habe nichts dagegen, wenn Bobby privat fährt, falls Sie mir dieses Formular hier unterschreiben." Mrs. Wayne nahm bereits einen Füllfelderhalter aus ihrer Handtasche. „Oh, natürlich unterschreibe ich", meinte sie. „Ich habe Bobby schon ein Medikament gegeben, insofern sollte eigentlich nichts passieren." „Ich kann ihm auf dem Rücksitz ein Bett machen", sagte Britta und lächelte Bobby an. „Ich kann mir vorstellen„ wie du dich fühlst, Bobby. Früher bin ich auch immer reisekrank geworden." „Geh vor und mach alles fertig", sagte Dirk zu ihr. „ich muß noch beim Beladen der Busse helfen, danach komme ich auch, okay?" Nachdem Mrs. Wayne sich mit mehreren herzzerreißenden Küssen und Umarmungen von - 26 -
ihrem, Sohn verabschiedet hatte, nahm Britta ihn mit zum Auto. Mit Bobbys Hilfe breitete sie ihren Schlafsack auf der Rückbank aus, und während sie auf Dirk wartete, kroch der kleine Junge schon mal hinein und streckte sich aus. Tom ließ sich kurz blicken, um Britta seine Hilfe beim Umladen ihres Gepäcks anzubieten. Als er erfuhr, daß sie ihren Wagen nahm, machte er, sich kopfschüttelnd davon. Schließlich waren alle Kinder und Betreuer in den Bussen untergebracht und die Eltern weggefahren. Britta sah Dirk kommen. Er fing ihren Blick auf und hielt das Klemmbrett hoch, das er in der Hand trug. „Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat", rief er. Alles bereit zur Abfahrt?" Britta nickte und legte den Finger auf die Lippen. Gleichzeitig wies sie mit dem Kopf auf den Rücksitz. „Bobbys Medikament hat schon gewirkt", sagte sie. „Scheint so." Dirk grinste. „Sieht aus, als ob er eine bequeme Fahrt zum Camp haben wird." „So wie ich, und das hab ich dir zu verdanken. Hoffentlich macht's dir nichts aus, dich von einem Mädchen chauffieren zu lassen." „Natürlich nicht." Dirk streckte die Beine aus und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du beobachtest den Verkehr, und ich beobachte dich." „Was?"' „Ach nichts. Nur'n kleiner Scherz." „Ich staune, daß ein Freund von Tom sich von mir fahren läßt." „Wieso?" „Er hat diese verrückte Vorstellung, daß ich zu - 27 -
verwöhnt bin, um irgend etwas selbst zu tun. Ich dachte, er hätte dich vielleicht vorgewarnt." „Meinst du, er hat unrecht?" Britta hob die Schultern. „Wenn man unter Verwöhntsein versteht, daß man andere Leute Sachen für sich tun läßt oder seinen Willen durchsetzen möchte... dann bin ich es wahrscheinlich. Das heißt aber nicht, daß ich hilflos bin. Auch wenn Tom das behauptet.“ Dirk lachte. „Kriegt ihr beide euch immer in die Haare?" Britta lächelte. „Ganz schön oft." „Es scheint dir offenbar nichts auszumachen." „Manchmal schon, aber das würde ich mir vor ihm nie anmerken lassen. Sonst könnte er womöglich aufhören." „Und, das willst du nicht?" Britta zögerte. „Wenn du ihm jemals flüsterst, was ich dir jetzt sage, streite ich alles ab. Tatsache ist, ich brauche ihn so, wie er ist. Er scheut sich nicht, mir ab und zu die Wahrheit zu sagen. Ich weiß, daß ich ihm wirklich trauen kann und er mich nicht schont. Deshalb muß ich ihm zeigen, daß ich diesen Job eine Woche lang ohne besondere Hilfe überlebe." „Wenn ich irgendwas für dich tun kann, sag's mir.“ „Das ist genau der Punkt, Dirk. Ohne Hilfe." „Gut, dann tue ich, was ich kann, um es dir möglichst schwerzumachen." Dirk zwinkerte ihr zu. Britta lachte. „So weit mußt du nun auch wieder nicht gehen. Behandele mich so wie alle anderen auch." Weil sie sich mit Dirk unterhalten konnte, verging die Zeit für Britta wie im Flug. - 28 -
Erst als die Straße immer steiler und die Kurven immer enger, wurden, merkte sie, wie weit sie schon gefahren waren. Sie befanden sich bereits mitten in den Gebirgsausläufern.
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3. KAPITEL Einige Kilometer nördlich vom Kings Canyon National Park verließ der Troß den Highway und bog in eine kleine Straße ein, die sich tiefer in den Wald schlängelte. Riesige Bäume standen zu beiden Seiten der Straße. Ihre Kronen bildeten einen richtigen Dom und ließen an manchen Stellen fast kein Sonnenlicht mehr durch. „Wie weit ist es noch?" fragte Britta, als sie den Bussen auf einen ungeteerten Weg folgte. „Noch ein paar Kilometer. Gleich hinter der nächsten Biegung", antwortete Dirk. Der letzte Abschnitt der Reise war der schwierigste. Nur mit absoluter Konzentration und all ihrem Geschick als Fahrerin schaffte es Britta, daß der Wagen nicht auf dem losen Schotter rutschte oder in ein Schlagloch geriet. Das Hin- und Hergerüttel weckte Bobby auf. Aber Dirk gelang es, den Kleinen abzulenken, bis Britta den Wagen auf dem Gelände des Camp Chabewa zum Stehen brachte. „Die letzten paar Kilometer waren die reinste Folter", meinte Britta. Sie stieg aus dem Auto und streckte sich. „Ja, aber bist du nicht froh, daß du. jetzt hier bist?" fragte Dirk. Britta blickte sich um. Ihre Vorstellung von - 30 -
niedlichen kleinen Blockhütten, die von Bäumen eingerahmt waren, löste sich ins Nichts auf. Statt dessen Staub und kahle Erde, auf der mehrere einfache, streng zweckmäßige Gebäude und eine verwitterte kreisförmige Tribüne errichtet waren. In der Mitte der Tribüne stand ein hoher Fahnenmast. Doch sogar die Flagge daran schien schlaff und leblos. Die Türen, der Busse öffneten sich, und die Kinder begannen herauszuströmen. Sobald sie ihre Taschen hatten, rannten sie in verschiedene Richtungen davon „Wo rennen sie alle hin?" fragte Britta. „Zu ihren Hütten, um das Gepäck zu verstauen", erklärte Dirk. Er warf einen Blick auf sein Klemmbrett und setzte hinzu: „Bobby, du bist in meiner Hütte, 131. Es ist die erste Hütte auf der rechten Seite. Britta, du bist in G 4, die vorletzte Hütte links, hinter dem kleinen Hügel dort drüben." Bobby rannte los, um seine Tasche aus dem Bus zu holen, aber Britta blieb stehen und wartete. „Ist irgendwas?" wollte Dirk wissen. „Ich hab mich gerade gefragt, wer uns, wohl mit unserem Gepäck hilft." Dirk wollte schon loslachen, doch dann merkte er, daß sie es ernst gemeint hatte. „Wir müssen uns selbst darum kümmern", sagte er freundlich. „Aber das ist verrückt! Ich würde den ganzen Tag brauchen, um meine Sachen den Hügel da hochzukriegen." Sie öffnete den Kofferraum, und als Dirk all ihr Gepäck sah, pfiff er leise. „Jemand hätte dir sagen sollen, daß du nur eine Tasche mitnehmen solltest." - 31 -
„Ich wüßte nicht, wozu. Nie hätte ich alles, was ich brauche, in eine Tasche gekriegt." „Ist ja schon gut." Dirk seufzte. „Ich werd dir also helfen müssen.“ Britta hörte ihn nicht. Sie hatte bei den Bussen eine Gruppe von Jungen entdeckt, offensichtlich auch Betreuer. Da sie gerade nicht anderweitig beschäftigt waren, würden sie ihr sicher helfen. „Hallo." Sie lächelte. „Könnte mir einer von euch helfen..." „Natürlich! Gern! Wobei denn?" kam der erwartete Chor von Antworten. „Ich brauche jemanden, der mir dabei hilft, meine Sachen in meine Hütte zu verfrachten." Ein besonders gutaussehender Junge löste sich aus der Gruppe. Er sah sehr auffallend aus mit seinem Haar und den attraktiven dunklen Augen und war etwas größer als die anderen. „Ihr könnt abhauen. Ich helfe der Kleinen hier.“ Britta erwiderte sein warmes Lächeln. „Danke, aber die Kleine hier hat vier nicht so kleine Koffer mitgebracht." Seine Augenbrauen schossen in die Höhe, aber er machte gute Miene zum bösen Spiel. Er legte seine Arme um die Schultern der beiden Jungen, die neben ihm standen. „Hab mich leider geirrt, Jungs: Wir werden alle gebraucht." „Tut mir leid, daß ich euch so viel Mühe mache", entschuldigte Britta sich bei den drei Jungen und blickte sie dabei der Reihe nach an. „Ich heiße Britta Allen, und falls ihr es noch nicht gemerkt habt, das ist das erste Mal, daß ich in einem Sommercamp bin." „Dann haben wir ja etwas gemeinsam." Das war - 32 -
der gutaussehende Junge. „Ich heiße Sean McCashen und bin auch zum erstenmal hier." „Ich heiße Bill Howland. Ich bin zum zweitenmal als Betreuer hier, aber für meinen Bruder George ist es das erste Jahr." Bill wies auf den dritten Jungen. Sie gingen zu Brittas Auto hinüber, und diese deutete auf ihr Gepäck, das Dirk inzwischen ausgeladen hatte. „Seht ihr, was ich meine?" „Wenigstens hast du bereits Dirk angeheuert", sagte Bill, schüttelte Dirk die Hand und stellte ihn den anderen Jungen vor. Dann griff er nach einem von Brittas Koffern. Sean hielt sich etwas zurück, bis alle Koffer vergeben waren, dann schwang er sich Brittas Schlafsack über die Schulter und gesellte sich zu ihr. „Wieso bist du mit Dirk zusammen in einem Wagen, gekommen?" wollte er wissen. „Läuft was zwischen euch?" „Natürlich nicht", erwiderte Britta rasch. „Ein kleiner Junge konnte nicht mit dem Bus fahren, deshalb hab ich ihn hergebracht. Dirk ist mitgefahren, weil er mir den Weg zeigen mußte." „Das mag das erstemal sein, daß ich hier in der Gegend bin, aber ich glaube, ich hätte den Bussen auch folgen können", bemerkte. Sean trocken. An einer Weggabelung ein Stück von ihnen war Dirk mit den beiden anderen Jungen stehen geblieben. Er sah Britta über die Schulter hinweg an. „Da drüben ist deine Hütte: Jungen sind auf der Seite nicht, zugelassen, deshalb lassen wir deine Sachen hier.“ „Vielen Dank, Jungs", sagte Britta und, senkte dann die Stimme, so daß nur Dirk sie hören konnte. - 33 -
„Was soll ich jetzt tun?" „Geh einfach rein und richte dich häuslich ein. Deine Hüttenkameradin kommt bestimmt auch gleich. Sie wird dir ;weiterhelfen.“ „Na, hoffentlich. Ich beginne langsam zu glauben, daß Tom , doch recht hatte. Irgendwie fühle ich mich hier fehl am Platz.“ „Wart's doch erst mal ab. Du bist doch erst seit ein paar Minuten hier", erinnerte Dirk sie. Britta betrachtete die Hütte. Ermutigend sah sie nicht gerade aus. Ein schmuckloses, rechteckiges Gebäude mit zwei kleinen Fenstern an den Längsseiten und einer Tür an jeder Schmalseite. Die Fenster waren so hoch, daß sich Vorhänge oder Rollos erübrigten. Britta nahm ihren Schlafsack, ging zur Hütte hinüber und stieß die Tür auf. Drinnen waren vier Etagenbetten und an jedem Ende des Raumes zwei Einzelbetten aufgestellt. Es gab keine Möbel oder sonstige Innenausstattung, nichts, was die Strenge des Raums ein wenig abgemildert hätte. Aus den Augenwinkeln sah Britta eine plötzliche Bewegung. Sie blickte auf. Auf einem der oberen Betten saß eine Gruppe von Mädchen, die zu ihr hinunterstarrten. „Waren das alles deine Freunde?" fragte eine von ihnen. „Natürlich nicht", antwortete Britta. „Sie haben mir bloß mit dem Gepäck geholfen." „Der mit den schwarzen Haaren sieht echt wie'n Schauspieler aus", erklärte ein rundliches kleines Mädchen in einem roten Overall. „Mir gefällt der, der an der Spitze gegangen ist. Er - 34 -
hat mir vorhin geholfen, die Hütte zu finden, und er ist wirklich nett", sagte ein anderes Mädchen und setzte damit eine lebhafte Diskussion über die Vorzüge und Nachteile der einzelnen Jungen in Gang. Die Mädchen kletterten vom Bett herunter. „Wer von euch hat das ganze Gepäck hier draußen stehenlassen?" fragte eine energische Stimme von der Tür her. Dort stand ein schlankes Mädchen, ungefähr in Brittas Alter, mit halblangem braunem Haar, grünen Augen und einem Anflug von Sommersprossen auf der Nase. In ihren verblichenen abgeschnittenen Jeans und dem, Weiten T-Shirt sah sie aus, als fühle sie sich hier ganz wie zu Hause. „Tut mir leid", sagte Britta. „Das Gepäck gehört mir. Ich hatte noch keine Zeit, es reinzubringen." „Der ganze Kram gehört dir?" Britte bemerkte den einzelnen Rucksack, den das Mädchen über der Schulter trug, und den Schlafsack in ihrer Hand. „Ich weiß, es sieht nach viel aus, aber ich brauche das alles." „Okay, schaffen wir es rein", sagte das Mädchen. Sie drehte sich um, bevor Britta in ihrem Gesicht lesen konnte, aber die Anspannung in ihrer Stimme war unverkennbar. „Ich heiße übrigens Jenny Kurk, und du mußte Britta Allen sein, stimmt's?“ „Stimmt", antwortete Britta, die sich mit zwei Koffern abplagte und versuchte, einen dritten mit dem Fuß vor sich herzuschieben. Jenny nahm den vierten Koffer, stellte ihn neben eines der Einzelbetten und wandte sich dann an die jüngeren Mädchen. „Jede von euch sucht sich jetzt ein Bett aus. Breitet eure Schlafsäcke darauf aus, und - 35 -
euer Gepäck verstaut jeweils unter dem Bett " Es gab ein eifriges Gelaufe, als die kleinen Mädchen sich beeilten zu tun, was Jenny gesagt hatte. Britta sah ihnen eine Weile zu und fing dann an, einen ihrer Koffer auszupacken. Plötzlich hielt sie inne und; blickte sich suchend um. „Wo sind die Schränke, Jenny? Ich muß ein paar Sachen aufhängen und...“ „Hier gibt es keine Schränke. Du mußt alles in den Koffern unterm Bett lassen." „Aber das ist unmöglich! Meine Sachen passen nicht alle darunter, und selbst wenn, würden meine Klamotten viel zu zerknittert. Ein paar Sachen muß ich wenigstens ins Bad hängen..." Brittas Stimme wurde immer leiser, als sie sich in der Hütte umsah. „Das Bad ist draußen, den Weg hinunter. Es ist ein Gemeinschaftswaschraum, den wir mit fünfzig anderen Mädchen teilen", meinte Jenny. Britta preßte die Lippen zusammen und warf den Kofferdeckel zu. Sie war auf primitive Bedingungen gefaßt gewesen, zum Beispiel darauf, daß keine Klimaanlage da sein würde, kein Fernseher und auch kein Telefon, aber daß Bad und Toilette in einem anderen Gebäude waren, ging zu weit. Außerdem gefiel es ihr gar nicht, vor den jüngeren Mädchen wie eine Idiotin; dazustehen. Schweigend nahm sie ihre Luftmatratze, legte sie auf das Bett und begann, sie aufzublasen, als draußen ein schrilles Pfeifen ertönte. Eines der Mädchen zuckte zusammen und schrie leise auf, während einige andere zu kichern anfingen. „Das ist nur die Camppfeife", erklärte Jenny. „Ihr werdet euch daran gewöhnen." - 36 -
„Das Signal bedeutet, daß das Mittagessen fertig ist", sagte das rundliche kleine Mädchen mit überlegener, Miene. „Können wir jetzt in die Cafeteria gehen? Ich habe Hunger." „Einen Moment noch. Ehe ihr losgeht, muß ich euch noch auf meiner Liste abhaken und überprüfen, ob ihr; alle in der richtigen Hütte gelandet seid." „Marlene Lee. Jada Williams", riefen die ersten beiden Mädchen, die sich an der Tür aufstellten. Es folgten Beth Fondren, Nettie Fretwell, Melba Deloach, Rebecca Slade, Judy Kimbrough und Pam Langham. Nachdem Jenny alle abgehakt hatte, sagte sie: „Da Marlene und Jada schon letztes Jahr hier waren, können sie euch den Weg zur Cafeteria zeigen. Setzt euch bitte alle zusammen an einen Tisch, damit wir uns kennenlernen können, okay? Sie wartete an der Tür, bis die Mädchen die Hütte verlassen hatten, und schloß sich dann Britta an. „Alles in Ordnung?" fragte sie. „Ich weiß nicht. Ich frage mich allmählich, warum ich überhaupt hier bin." „Warum bist du denn hier?" „Wegen einer dämlichen Herausforderung. Da du mit mir als Hüttenkameradin geschlagen bist, kann ich dir genausogut sagen, daß ich noch nie im Leben in einem Camp gewesen bin." „So viel hab ich mir schon selbst ausgerechnet“, sagte Jenny. Dann, weil Britta so ein unglückliches Gesicht machte, setzte sie hinzu. „Mach dir keine Sorgen. Das Tolle am Camp ist, daß man sich austoben und Dinge tun kann, die man zu Hause nie macht. Entspann' dich. Wir werden es schon; - 37 -
hinkriegen." Britta war sich da nicht so sicher, aber es klang gut, und sie wollte es gern glauben. Außerdem hatte sie jetzt Hunger, und das hatte Vorrang vor allem anderen. In der Cafeteria gab es Lunchpakete. Sobald sich alle an einem der Picknicktische niedergelassen hatten, begann Jenny, den kleinen Mädchen Fragen zustellen, um sie aus der Reserve zu locken. Marlene und Jada waren seit langem die dicksten Freundinnen, und da sie im vorigen Jahr auch in Camp Chabewa gewesen waren, wurden sie bereits so etwas wie die Anführerinnen der Mädchen. Beth und ihre Bettnachbarin waren sich vorher noch nie begegnet, sahen einander aber so ähnlich, als seien sie Schwestern. Doch das war auch alles an Ähnlichkeit. Während Beth eher schüchtern war und wenig sagte, schwatzte Nettie unaufhörlich. Judy, und Rebecca waren totale Gegensätze, was das Äußere betraf, die eine groß und eckig, mit einer dicken Brille, die andere niedlich und zierlich. Aber ansonsten paßten sie gut zusammen. Die beiden letzten Mädchen; Pam und Melba, waren die ältesten und vergaßen nur gelegentlich ihr „fortgeschrittenes Alter", um dann genauso wie der Rest der Gruppe loszuprusten. Nach dem Essen hielt Coach Walker eine kurze Willkommensrede und stellte die anderen Erwachsenen im Camp vor, die Clarks und die Jacksons. Danach stellte er einzeln die Seniorbetreuer vor und bat sie, ihre Schützlinge zur Orientierung in die Hütten zurückzubringen, während - 38 -
er sich noch mit den Juniorbetreuern besprechen wollte. Jenny stand auf, packte ihren Abfall zusammen und achtete darauf, daß die Mädchen in ihrer Gruppe dasselbe taten. „Beeilen wir uns ein bißchen. Wir haben noch eine Menge zu tun, ehe wir Freizeit haben", meinte sie. „Was ist mit mir?" wollte Britta wissen. „Coach Walker geht mit euch nur ein paar Grundregeln durch. Wenn er fertig ist, findest du mich in unserer Hütte." Jenny verschwand mit ihren Schützlingen, und Britta ging weiter nach vorn und setzte sich an einen freien Tisch. Sie blieb nicht lange allein; Sean ließ sich mit den Worten, bei ihr nieder: „Wahrscheinlich kriegen wir jetzt alle Vorschriften und Verbote eingehämmert." „Wahrscheinlich", erwiderte Britta, der das anerkennende Funkeln in Seans Augen Auftrieb gab. Die übrigen Juniorbetreuer kamen und füllten die anderen Plätze um Coach Walker herum. Er stellte zunächst alle einander vor, aber Britta hatte an diesem Tag, schon so viele neue Leute kennengelernt, daß sie die Namen beim besten Willen nicht behalten konnte. Sie war deshalb froh, als die Vorstellungsrunde vorüber war und der Coach Kopien der Regeln des Camps verteilte. „Ich möchte, daß sich jeder von euch diese Regeln sorgfältig durchliest, egal, ob ihr schon einmal hiergewesen oder ob ihr Anfänger seid", sagte er. „Ihr seid zwar alle mit einem Seniorbetreuer in der Hütte zusammen, aber ihr könnt nicht erwarten, daß sie oder er dauernd für alle eure Fragen zur Verfügung - 39 -
steht. Ich werde keine Verstöße entschuldigen, nur weil ihr die Regeln nicht kanntet." Britta, begann zu lesen, doch dann merkte sie, daß Coach Walker weiterredete. Schnell wandte sie ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zu. „Eine der wichtigsten Regeln ist, daß immer wenigstens ein Betreuer in der Hütte anwesend sein muß, wenn die, Kinder dort sind, also vor allem während der Mittagsruhe und natürlich abends nach dem Zubettgehn. Jeden zweiten Abend - oder was ihr sonst mit eurem Hüttenkameraden ausmacht - habt ihr ein paar freie Stunden für euch und könnt länger draußen bleiben. Aber die Kinder müssen um neun Uhr in der Hütte sein." Er ging nicht auf alle Regeln näher ein, aber er erklärte noch, wie die im Camp anfallenden Arbeiten aufgeteilt wurden. Jede Hütte übernahm jeden Tag eine unterschiedliche Aufgabe. „Von den Kindern wird zwar erwartet, daß sie helfen. Aber ihr Betreuer seid letztlich dafür verantwortlich, daß die Arbeit ordentlich erledigt wird. Und damit es euch nicht zu langweilig wird, ist die Hausarbeit Teil des ‚Beste-Hütte-Wettbewerbs'. Ihr könnt Punkte gewinnen oder auch verlieren, je nachdem, wie gut ihr eure Arbeit macht. Außerdem könnt ihr euch mit Pünktlichkeit und sportlichen Leistungen weitere Punkte verdienen. Und natürlich bei der Schatzsuche, aber darüber sage ich, heute abend mehr." Zum Schluß setzte er noch hinzu: „Ihr habt ja bei den Bewerbungsgesprächen alle eure spezielle Aufgabe zugeteilt bekommen. Aber wenn ihr noch irgend etwas mit mir besprechen wollt, könnt ihr jetzt - 40 -
anschließend zu mir kommen." Als Britta aufstand, sprang Sean ebenfalls auf die Füße. „Ich begleite dich zu deiner Hütte", sagte er. „Danke, aber ich muß mit dem Coach wegen meiner speziellen Aufgabe hier sprechen. Was hast du denn für eine?" „Ich gebe Unterricht im Bogenschießen", antwortete Sean mit einem Augenzwinkern. „Bist du an ein paar Privatstunden interessiert?" „Mal sehen." Britta lächelte noch, als sie zu Coach Walker hinüberging. Er sprach gerade mit den Howland-Brüdern, deshalb wartete sie, bis er sich an sie wandte. „Ich wette, du brennst darauf, deine spezielle Aufgabe kennenzulernen", meinte er. „Na ja, ein bißchen.“ „Wir haben beschlossen, dir die Erste Hilfe zu übertragen." „Tatsächlich?“ „Nach deinem Bewerbungsformular hast du zwei Erste-Hilfe Kurse absolviert, also wirst du damit keine Schwierigkeiten haben. Komm bitte nach dem nächsten Pfeifsignal in den. Krankenraum. Betty wird dir dann alles erklären." Britta drehte sich um, um zu gehen, und sah, daß Tom auf sie wartete. „Na, wie läuft's?" fragte er. „Ganz gut. Meine Hüttenkameradin ist echt gut. Und wie ist es bei dir?“ „Ich bin mit Dirk zusammen." „Hätte ich mir denken können." Als sie die Abzweigung zu Brittas Hütte erreichten, - 41 -
verließ Tom sie mit der Bemerkung: „Sag mir Bescheid, wenn du schlappmachst." „Darauf kannst du warten, bis du schwarz wirst", rief Britta hinter ihm her. Als sie aufblickte, sah sie gerade noch die Köpfe der Mädchen im Fenster ihrer Hütte. Sie winkte ihnen zu. „Ist das dein Freund?" fragte Pam, sobald Britta die Hütte betrat. „Nein", erwiderte Britta lachend. „Der ist ganz bestimmt nicht mein Freund." Jenny sah Tom immer noch an. „Warum eigentlich nicht?" fragte sie. „Er ist doch echt süß. Und bei deinem Aussehen, könntest du..." „Er ist mein Cousin. „Oh!" Jenny grinste. „Das ist ja noch viel besser." „Da wir gerade beim Thema sind, es gibt hier wirklich ein paar sehr attraktive Typen", meinte Britta. „Findest du nicht auch, daß Sean toll aussieht?" „Nein, nach allem, was ich von ihm gesehen habe, trägt er mir zu dick auf. Dirk ist besser", sagte Jenny. „Du meinst Dirk Walker?" „Ach ja, ihr seid zusammen in deinem Auto gekommen. Nach dem Theater, daß Glenda deswegen gemacht hat, weiß ich nicht, wie ich das vergessen konnte.„Wer ist Glenda?" fragte Britta. „Auch eine Betreuerin. Sie und Dirk waren letzten Sommer eine Zeitlang zusammen. Ich bin sicher, sie wollte da wieder anfangen, wo sie letztes Jahr aufgehört haben." „Na, wegen mir braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Dirk ist Toms bester Freund, und ich kenne ihn schon seit Jahren. Es läuft nichts zwischen uns." - 42 -
„Wieso nicht? Findest du nicht, daß er gut aussieht?" Britta dachte an Dirks kurzgeschnittenes blondes Haar, seine hübschen hellbraunen Augen und sein freundliches Lächeln. Sie zuckte die Achseln. „Ich glaub schon. Ich hab nur noch nie darüber nachgedacht. Er war immer so was wie noch ein Cousin für mich." „Mit einem Cousin wie Tom braucht man keine anderen mehr", sagte Jenny. Ehe Britta darauf antworten konnte, ertönte das Pfeifsignal. Dieses Mal gab es keine erschrockenen Schreie. Trotzdem erklärte Jenny Britta: „Die Mittagsruhe ist jetzt vorbei. Normalerweise würden wir jetzt zum Sportplatz gehen und Spiele machen oder einen, Staffellauf. Aber heute, am ersten Tag, läuft alles lockerer. Wir können so ziemlich machen, was wir wollen, solange wir ein Auge auf die kleinen Mädchen haben." „Was wirst du denn machen?" wollte Britta wissen. „Ich geh wahrscheinlich runter zum Pier. Da treffen wir uns immer, wenn wir Freizeit haben. Kommst du mit?" „Ich kann jetzt nicht. Ich muß zu Betty in den Krankenraum Sie erklärt mir, wie das, mit der Ersten Hilfe hier gehandhabt wird." „Okay. Wenn du fertig bist, komm doch nach. Du brauchst nur dem Lärm nachzugehen, dann findest du uns schon", sagte Jenny und lächelte ihr aufmunternd zu.
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4. KAPITEL Der Krankenraum befand sich im hinteren Teil von Mr. und Mrs. Walkers Sommerhaus: Das Zimmer, diente nicht nur als Erste-Hilfe-Station, sondern wurde auch noch als Campbüro genutzt. Die schwere Holztür stand offen, und durch das Fliegengitter konnte Britta Betty am Schreibtisch sitzen sehen. Sie klopfte leicht an den Türrahmen. Betty sah auf und lächelte. „Komm rein", sagte sie. „Charles hat dir also deine Aufgabe mitgeteilt." „Ja, aber ich sag es Ihnen am besten gleich - es war die Idee meines Vaters, daß ich diese Erste-HilfeKurse machen sollte. Ich hab die Ausbildung nie praktisch angewendet," „Das macht nichts. Ich bin staatlich geprüfte Krankenschwester, und Mrs. Clark hat eine Ausbildung als Hilfspflegerin. Deine Aufgabe ist nur, mal ein aufgeschlagenes Knie oder Abschürfungen zu verpflastern. Ja, ich möchte gar nicht; daß du mehr tust als das, es sei denn, Mrs. Clark oder ich geben dir genaue Anweisungen." „Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich hab mich schon gefragt, ob ich mit dem Job überhaupt fertigwerden könnte." „Wir brauchen dich vor allem, damit immer jemand im Krankenraum ist. Wenn Mrs. Clark und ich nicht - 44 -
hiersein können, mußt du übernehmen. Wir haben aber beide ein Sprechfunkgerät. Also, wenn es einen Notfall gibt, kannst du immer eine von uns erreichen“, erklärte Betty. Sie schwieg einen Moment, um Atem zu holen, und fragte dann: „Hast du noch irgendwelche Fragen dazu?" Britta schüttelte den Kopf. „Nein, alles klar." „Gut, dann hast du jetzt auch frei und kannst die anderen Betreuer kennenlernen und dich mit dem Gebäude vertraut machen. Ich muß sowieso noch hierbleiben, um die Medikamente einzutragen, die einige Kinder bekommen. Sei bitte morgen nach dem Frühstück hier, okay?“ „Klar, mach ich. Vielen Dank. Am See herrschte Betrieb. Kinder plantschten im Wasser, rannten unter den Bäumen herum oder lagen einfach auf der Wiese ausgestreckt. Britta entdeckte Jenny, die mit Tom, Dirk und den anderen Juniorbetreuern auf dem Pier saß. Sie ging zu ihnen hinüber. „Bist du schon fertig für heute?" wollte Jenny wissen. „Und wie sieht's aus?" Britta lächelte. „Im wesentlichen besteht der Job daraus, daß ich dasitze und bei Notfällen jemanden zu Hilfe rufe. Sonst darf ich nichts tun." „Darin müßtest du eigentlich ganz gut sein, im Nichtstun", sagte Tom. „Mir wäre auch nicht wohl bei dem Gedanken, daß dir Gesundheit und Wohlergehen aller Leute im Camp anvertraut sind." - 45 -
Glenda, ein hübsches Mädchen mit kurzem, hellbraunem Lockenkopf, das zwischen Tom und Dirk saß, gab Tom einen gutmütigen Schubs. „Es ist nicht nett, so was über Britta zu sagen, auch wenn sie deine Cousine. ist." „Ich finde, es ist der perfekte Job für Britta", warf Sean ein. „Sie kann lernen, all die Herzen zu heilen, die sie bricht." „Nun halt aber die Luft an“, rief Bill Howland. „Kannst du mit diesem schleimigen Zeug nicht wenigstens warten, bis ihr beide allein seid?" „Was weißt du schon davon?" fuhr Sean ihn an. „Vielleicht sollte ich euch alle beide ins Wasser werfen, um euch abzukühlen", schlug Georg vor." „Würde ich an deiner Stelle lieber nicht tun. Das ist es nicht wert“, meinte eine der Betreuerinnen, deren Namensschildchen sie als Sandy Cross auswies. „Was meinst du damit?" wollte Georg wissen. „Wenn du bei so was erwischt wirst, dann gibt das Minuspunkte für deine Hütte", erklärte Jenny. „Worum geht's überhaupt bei diesem Wettbewerb?" fragte Sean. „Am letzten Abend hier gibt's eine große Feier mit Siegerehrung für die beiden Hütten, die bei den Jungen und bei den Mädchen die meisten Punkte bekommen haben", antwortete Jenny. „Ja, mit einem tollen Essen und einem Unterhaltungsprogramm - alles müssen die anderen Hütten machen warf Bill ein „Meine Hütte hat letztes Jahr mal. gewonnen." „Ist es schwer, Punkte zu bekommen?" fragte Britta. - 46 -
„Steht alles Wort für Wort auf dem Zettel mit den Regeln", sagte Glenda zu ihr. „Die meisten Punkte kann man bei der Schatzsuche machen", erklärte Dirk. „Jede Hütte bekommt die gleiche Liste mit ungefähr fünfzig Gegenständen, und für jeden Gegenstand, den man findet, kriegt man Punkte." „Klingt einfach", meinte George. „Wann, geht's denn los?" „Wahrscheinlich bekommen wir die Liste heute abend beim Lagerfeuer. Danach haben wir den Rest der Woche Zeit, um die Dinge zu finden, Es ist aber nicht so leicht, wie es sich anhört. Voriges Jahr sind wir fast ausgeflippt, so haben wir nach ein paar Stricknadeln gesucht", sagte Jenny. ,Ja, so haben wir auch gewonnen", sagte Bill. „Ich hab sie durch reinen Zufall gefunden. Sie waren mit Tesafilm unter einen der Picknicktische geklebt." „Na ja, hört sich nicht schlecht an. Aber ich kann mir vorstellen, daß jemand mit dem Namen Walker einen gewissen Vorteil dem Rest von uns gegenüber hat", meldete Sean sich zu Wort. „Das stimmt nicht", erwiderte Dirk. „Wenn du damit Probleme hast, kannst du ja meinen Onkel und meine Tante fragen." Um die Spannung zu verringern, die sich plötzlich zwischen den Betreuern aufgebaut hatte, sagte Jenny: „Ich geh jetzt schwimmen. Kommst du mit, Britta?" „Im See?" fragte Britta zweifelnd und blickte auf das Wasser. „Es ist nicht gefährlich. Aber wenn es dir lieber ist, es gibt auch einen Swimmingpool.“ Britta dachte automatisch an ihr Haar. Es war schon nach vier Uhr, und wenn sie jetzt noch - 47 -
schwimmen ging, würde sie vor dem Abendessen keine Zeit mehr haben, ihr Haar zu waschen und zu fönen." „Ich glaube, heute passe ich", sagte sie deshalb. „Ich lauf lieber ein bißchen rum und seh mir das Camp an. Ich wußte ja nicht mal, daß es hier einen Swimmingpool gibt. „Ich komm' mit", erklärte Sean. „Ich auch", stimmte George ein. Sean war bereits aufgestanden und blickte auf George hinunter. „Dich hat keiner eingeladen", sagte er bedeutungsvoll. „Ich bin der Führer, und jeder, der Lust hat, kann mitkommen" schaltete Dirk sich ein. „Ich möchte", sagte Glenda und streckte Dirk ihre Hand entgegen, damit er sie hochziehen konnte. „Du warst doch schon letztes Jahr hier, Glenda", bemerkte Jenny scharf. „Sag bloß, du hast vergessen, wie das Camp aussieht." Als die kleine Gruppe sich auf den Weg machte, trat Sean an Brittas Seite und drängte George ab. Aber Britta durchschaute sein Manöver und zögerte so lange, bis George an ihre andere Seite gekommen war. Sean war zwar der hübschere von den beiden Jungen, aber George war süß, und Britta mochte seine gelassene Art. Schließlich hatte sie noch die ganze Woche vor sich und dachte nicht daran, jetzt schon einen von ihnen zu bevorzugen. Dirk führte die kleine Gruppe am Seeufer entlang und zeigte ihnen die Kanus und das Bootshaus, wo - 48 -
die Angelgeräte und die Schwimmwesten aufbewahrt wurden. Um den gesamten See herum verlief ein kleiner Pfad. „Können wir Betreuer uns ein Boot nehmen und auf den See rausfahren, wann wir wollen?" fragte Sean. „Wenn ihr nichts anderes zu tun habt, und wenn jemand weiß, daß ihr auf dem Wasser seid", antwortete Dirk. „Na, was meinst du?" wandte Sean sich an Britta. „Hättest du Lust, mal mit mir loszuziehen?" „Müßte ich dann etwa paddeln?" „Nicht, wenn du mit mir fährst", warf George ein. „Danke, George." Britta lachte und versuchte, Seans unmutigen Gesichtsausdruck zu ignorieren. Es würde nicht leicht sein, die Dinge mit Sean locker laufen zu lassen. Er war offensichtlich nicht gewöhnt, mit anderen konkurrieren zu müssen. Sie verließen den See und gingen zum Hauptplatz des Camps zurück. Auf dem Weg kamen sie an dem großen, ebenen Feld vorbei, das Britta gesehen hatte, als sie angekommen war. Dirk erklärte, daß es das Spielfeld war. Es wurde für Volleyball, Staffelläufe und: andere Spiele benutzt.' „Dort drüben sind die Hütten der Jungen", fuhr Dirk fort und zeigte auf eine Reihe von Gebäuden, die genauso aussahen wie die Hütten der Mädchen. „Und da ist auch der Swimmingpool. „Willst du wirklich nicht schwimmen gehen, Britta?" fragte Sean. „Ich bin ganz wild darauf, dich im Bikini zu sehen." „In ein paar Minuten kommt das Signal zum Abendbrot", sagte Dirk schnell. - 49 -
„Ich glaub, ich geh lieber zu meiner Hütte zurück und bring meine Sachen...“ schluckte Britta die Worte „im Schrank unter", herunter und sagte statt dessen „...in Ordnung. Vorhin habe ich es nicht geschafft.“ „Ich begleite dich", sagte Sean. „Ist schon okay", erwiderte Britta. „Du müßtest extra den ganzen Weg über den Hügel gehen und dann wieder zurück." „Dann versprich mir wenigstens, daß wir beim Abendessen zusammensitzen", sagte Span. „Nach den Regeln müssen wir mit den Leuten aus unseren Hütten zusammensitzen erklärte George. „Also, bis später“, sagte Britta. Die beiden Jungen sahen ihr nach und hörten sofort auf, so zu tun, als wären sie an einem Rundgang interessiert. Glenda wartete, bis Sean und George weggegangen waren, ehe sie sich bei Dirk einhängte. „Sieht so aus, als wollten sich beide ein Anrecht auf Britta sichern", sagte sie. „Wer wohl das Rennen machen wird?" „Keine Ahnung", antwortete Dirk. „Wenigstens haben sie das Glück, daß sie alle Juniorbetreuer sind." „Was hat das damit zu tun?" „Na ja, da du Seniorbetreuer bist, sind deine freien Abende die gleichen wie die der College-Leute." „Ich bin nicht der einzige High-School-Schüler, der Seniorbetreuer ist. Da ist zum Beispiel noch Jenny." „Ja, aber würdest du nicht lieber zusammen mit den Juniorbetreuern freihaben?" Warum hatte er nicht daran gedacht? Er zog seinen Arm von Glenda weg und sagte: - 50 -
„Entschuldige, ich muß mit Tom über was reden." „Jetzt?" fragte sie. „Ja, ich will mit ihm darüber sprechen, ob wir unsere freien Abende tauschen können. Mit diesen Worten eilte er davon. Dirk lief zurück in Richtung Pier. Da entdeckte er Jenny und Tom, die zusammen zu ihren Hütten gingen. Das war ein gutes Zeichen. Wenn Tom Jenny mochte, würde es einfach sein, ihn dazu zu bringen, die freien Abende zu tauschen. Dirk wechselte die Richtung und baute sich hinter der Wegkreuzung auf, wo Tom und Jenny sich trennen mußte. Er brauchte nicht lange zu warten. Nach ein paar Minuten bog Tom in den Weg ein und blieb abrupt stehen. „Wem willst du hier auflauern?" „Dir", entgegnete Dirk. „ich wollte dich fragen, ob du nicht deine freien Abende mit, mir tauschen willst." „Wozu?", „Na, wozu wohl? „Falls es was mit meiner Cousine zu tun hat, weißt du, was ich davon halte. Sie wickelt Jungen um ihren kleinen Finger, seit sie ein Baby war. Wenn sie spitz kriegt, was du fühlst, dann ergeht's dir genauso wie den anderen." „Ich verberge meine Gefühle schon seit Jahren, und es hat mir nichts ausgemacht. Die meiste Zeit behandelt sie mich, als wäre ich ein Teil der Landschaft." „Glaubst du, du bist besser dran, wenn du dich von ihr herumkommandieren läßt?" „Wenigstens wär's mal was anderes. So geht's - 51 -
doch auch nicht mehr weiter, und ich denk mir, wenn ich überhaupt je die Initiative ergreife, dann diese Woche. Also, was ist? Tauschst du die Abende mit mir? Es ist doch nur für eine Woche. Sobald sie wieder wegfährt, können wir es rückgängig machen, wenn du willst." „Was springt dabei für mich raus?" „Du hättest immer zusammen mit Jenny frei." „Daran hab ich nicht gedacht." Tom grinste. „Vielleicht könnte ich das Opfer bringen." Sie versammelten ihre Schützlinge, und während Tom die Jungen beaufsichtigte, ging Dirk zur Cafeteria, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Als das Signal zum Abendessen ertönte, brannte das Feuer lichterloh, und es lagen eine Menge angespitzter Hölzer bereit, um Wurst und Fleisch darauf zu spießen. Obwohl er alle Hände voll zu tun hatte, bemerkte Dirk es sofort, als Jenny und Britta mit ihren Schützlingen auftauchten. Er versuchte, Brittas Blick aufzufangen, aber sie schien so beschäftigt mit den Kindern, daß sie nicht in seine Richtung schaute. Tatsächlich hatten die beiden Mädchen genug damit zu tun, ihre Gruppe zusammenzuhalten und den Kindern mit den Tellern und den Hot dogs zu helfen. Es war erstaunlich, daß keins von acht Mädchen eine Wurst aufspießen oder Senf auf ein Brötchen streichen konnte. „Ich komme mir vor wie ein Kindermädchen", stöhnte Britta, als sie Pam noch einen Hot dog in die Hand drückte. „Mir geht's genauso." Jenny lachte. „Sieh nur zu, daß du selbst auch was in den Magen kriegst." - 52 -
„Nach all den Hot dogs bin ich nicht mehr hungrig. Ist nicht bald Schlafenszeit?" „Noch nicht. Wir müssen noch zur Tribüne am Fahnenmast rüber, zur Abschlußzeremonie mit Lagerfeuer", sagte Jenny. „Und da du heute abend bei den Kindern bleiben mußt, solltest du besser jetzt etwas essen. Hier ist es nicht so wie zu Hause, wo du um Mitternacht den Kühlschrank plündern kannst." Jennys Hinweis hatte den gewünschten Effekt. Britta nahm sich die Zeit, einen Teller für sich selbst zu füllen. Als sie zu Ende gegessen hatte, war es auch schon Zeit, die Teller einzusammeln, den Tisch abzuwischen und mit den anderen hinüber zum Fahnenmast zu gehen. Die Fahne wurde langsam eingeholt, und Coach Walker machte das Lagerfeuer an. Die Flammen züngelten und drängten die einbrechende Dämmerung zurück. Britta überlegte, daß sie bereits einen Tag, oder den größten Teil davon, überlebt hatte. Ihr Zuhause erschien ihr in diesem Moment ganz weit weg. Coach Walker hielt eine Rede. Britta gab sich einen Ruck und konzentrierte sich auf das, was er sagte. „Einige von euch haben mich schon, auf die Schatzsuche angesprochen, deshalb verteile ich jetzt erst mal die Listen an die Betreuer; ehe wir zusammen singen und zu den Geschichten kommen, mit denen wir unseren ersten Tag hier beschließen werden. Für den Rest von euch lese ich die einzelnen - 53 -
Gegenstände laut vor." Als er die Liste durchging, wurde ringsum ein Aufstöhnen laut. Es gab die üblichen Sachen wie zum Beispiel einen vollkommen runden Stein, eine Vogelfeder, das längste Stück Schnur oder ein Comic-Heft. Aber es waren auch einige sehr haarige Gegenstände dabei - eine Wäscheklammer, eine Gummiente, rosa Haarschleifen und der Bonus, ein sorgfältig verstecktes Kästchen voller Juwelen. „Der Inhalt ist natürlich nur etwa zwei Dollar wert", erklärte Coach Walker. Aber die Gruppe, die den Schatz findet, bekommt fünfundzwanzig Extrapunkte:" Nachdem die Aufregung sich gelegt hatte, übergab Mr. Walker die weitere Gestaltung des Abends an Mr. Clark, der zuerst ein paar alte Folksongs anstimmte und dann Geschichten erzählte, hauptsächlich über Tiere, die es in dieser Gegend gab, ihre Gewohnheiten und Vorfahren. Die Geschichten waren sehr interessant und spannend, manchmal auch richtig komisch, und Britta bekam direkt Lust, mal einen Waschbären oder ein Reh aus der Nähe zu sehen. Schließlich sprach Mr. Jackson noch ein paar abschließende Worte, und dann war der Tag zu Ende. „Jetzt lauft alle, so schnell ihr könnt, in die Hütten zurück“, sagte Jenny. „Die erste Hütte, in der das Licht ausgeht, bekommt zwei Punkte. Und diejenige, die nach dem letzten Pfeifsignal noch das Licht anhat, verliert zwei Punkte." „Ich soll also heute mit den Kindern in der Hütte bleiben, und du kommst später nach, stimmt's?" fragte Britta. „Ja, aber ich bleib nicht zu lange. Sieh nur zu, daß - 54 -
ihr das Licht aushabt, ehe das Signal ertönt", antwortete Jenny. Obwohl Britta die Kinder zur Eile antrieb, waren sie nicht die ersten, die das Licht ausmachten. Aber wenigstens schafften sie es vor dem Signal. Betty machte ihre Runde, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Kaum war sie fort, setzte Marlene sich in ihrem Bett auf und flüsterte: „Britta, können wir uns Gespenstergeschichten erzählen?“ Britta zögerte einen Moment. „Ich weiß nicht, recht." „Ach; bitte! Die anderen Gruppen machen das auch, und wir lassen ja auch das Licht aus und so." „Ich will aber keine Gespenstergeschichten hören", sagte Beth. „Ich kenne eine, die keine richtige Gespenstergeschichte ist“, warf Jada ein. „Ich hab sie letztes Jahr hier im Camp gehört, und sie soll gar nicht weit von hier passiert sein." „Britta, kommst du zu mir ins Bett?" fragte Beth. Britta hatte ebensowenig Lust, die Geschichte zu hören, wie Beth, aber sie konnte die jüngeren Mädchen nicht merken lassen, daß sie Angst hatte. Also tastete sie sich durch das dunkle Zimmer und kletterte zu Beth ins Bett. Die restlichen Mädchen setzten sich ans Fußende des Bettes oder hockten sich davor auf den Boden. Jada wartete, bis alle still waren. Dann senkte sie die Stimme und sprach sehr langsam. „Vor etwa zwei Jahren fuhr ein Paar zu dem Campingplatz hier in der Nähe. Aber sie verfuhren sich und kamen an der Straße heraus, die hierher führt. Jedenfalls hatten sie kein Benzin mehr. Und, na - 55 -
ja, ihr wißt ja, daß es hier in der Gegend keine Tankstelle gibt oder so was. Der Mann sagte also zu seiner Frau, er wolle Hilfe holen; sie solle im Auto bleiben und die Türen und Fenster fest verschlossen halten, bis er wieder zurückkäme." Jada legte eine Pause ein: Kein einziger Laut war im Raum zu hören, nicht mal Atemgeräusche. Sie fuhr fort: „Der Mann war noch nicht lange weg, als die Frau merkte, daß irgend etwas gegen die Seite des Autos stieß... Sie hörte ein kratzendes Geräusch und blickte aus dem Fenster, aber es war so dunkel, daß sie nichts sehen konnte. Das Kratzen wurde lauter und lauter, und schließlich kam es ihr so vor, als klopfe jemand eine Art Signal. Doch da ihr Mann ihr ans Herz gelegt hatte, Fenster und Türen fest verschlossen zu halten, rührte sie sich nicht. Sie wartete weiter, und da ihr Mann nicht zurückkam, schlief sie schließlich ein. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, stand ein Polizist neben dem Auto. Er winkte sie hinaus, sagte ihr jedoch, sie solle nicht auf den Boden schauen. Natürlich tat sie es doch. In dem Moment wußte sie, was das kratzende Geräusch gemacht hatte, das sie die ganze Nacht gehört hatte. Es war ihr Mann, und er..." In diesem Moment schlug etwas gegen die Hüttenwand, und alle klammerten sich aneinander, viel zu erschrocken, um auch nur zu schreien.
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5. KAPITEL
„Britta!" rief eine Stimme von draußen. „Bist du da drin?" Britta stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte. Alles okay. Es ist bloß Sean. Sie brauchte nichts weiter zu sagen. Alle Mädchen kletterten auf eins der oberen Betten an der Seite des Zimmers. „Komm hier rauf, Britta, sagte Marlene. „Es gibt Zoff, wenn du nach draußen gehst." Britta kletterte ebenfalls auf das Bett und spähte in die Dunkelheit hinaus. Sie konnte Sean im Schatten eines der großen Bäume stehen sehen. „Was machst du hier?" rief sie. „Ich möchte mit dir reden. Kannst du mal einen Moment rauskommen?" Jada zog Britta am Ärmel. „Geh nicht. Wenn du erwischt wirst, kannst du was erleben." „Ich kann nicht", rief Britta zurück. „Und ich glaube, du solltest auch nicht da draußen rumstehen." ,,Nein, es ist okay, solange ich hier stehen bleibe", antwortete Sean. „Ich hab mich vorher erkundigt." „Warum bist du nicht in deiner Hütte?" „Mein Hüttenkamerad ist doch dort. Ich wollte dich nur was wegen morgen fragen. Plötzlich glitt ein Lichtstrahl den Weg entlang und - 57 -
machte genau auf Seans Gesicht halt. „Junger Mann!" rief Mrs Clark. „Bleib da stehen! „Schnell! Duck dich!" flüsterte eines der Mädchen, und Britta gehorchte instinktiv. Auf dem Bett zusammengekauert konnte sie hören, wie sich Mrs. Clark über Sean aufregte. „Es ist strikt verboten, daß Jungen hierherkommen! Weil du das erste Mal hier bist, und weil heute der erste Tag ist, werde ich dich nur mit zehn Minuspunkten bestrafen. Sollte so etwas allerdings noch mal vorkommen, werde ich dich bei Mr. Walker melden, und du mußt das Camp verlassen." Von drinnen konnten die Mädchen Seans Entgegnung nicht hören, aber das laute Klopfen an ihrer Tür einen Augenblick später war nicht zu überhören. Ehe Britta von dem Bett herunterklettern und die Tür öffnen konnte, stand Mrs. C!ark schon in der Hütte und schwenkte ihre Taschenlampe durch den Raum. „Wie ich es mir gedacht habe", sagte sie, als sie sämtliche Mädchen dicht aneinandergedrängt' auf dem oberen Bett sah. „Hat eine von euch mit dem Jungen draußen gesprochen?“ Britta konnte die Spannung, die sich im Raum aufbaute, förmlich spüren. Als sie antwortete, kam ihr ihre eigene Stimme ganz fremd vor. „Ja, ich." „Hast du gehört, Was ich eben, gesagt habe?", fragte Mrs. Clark. Britta nickte. „Gut, das gleiche gilt: für- dich. Du bekommst zehn Minuspunkte und eine Verwarnung. Wenn das noch mal passiert, könntest du nach Hause geschickt - 58 -
werden." Mrs. Clark drehte sich um und schlug die Tür hinter sich zu. „Warum hast du ihr gesagt, daß du mit Sean gesprochen hast?" beschwerte sich Melba; sobald Mrs Clark weg war. „Jetzt haben wir ganze zehn Punkte verloren!" „Ich mußte es ihr sagen. Ich konnte doch nicht...“ Die Tür ging, erneut auf: Diesmal war es Jenny. „Hey, Leute", sagte sie. „Wie wär's, wenn ihr mal eure Klappen hieltet? Wenn jemand hier vorbeikommt und diesen Lärm hört, gibt es einen Minuspunkt." „Zu, spät. Wir haben bereits zehn Punkte verloren", meinte Judy. „Zehn Punkte! Wieso?" wollte Jenny wissen. Jada erzählte ihr die ganze Geschichte. „Hast du denn nicht gewußt, daß so etwas gegen die Regeln ist?" wandte Jenny sich an Britta. „Nein. Sean hat gesagt, es wäre okay, solange er unter den Bäumen stehenbleibt." „Sobald es dunkel ist, dürfen die Jungen überhaupt nicht auf diese Seite des Camps." „Tut mir leid. Es wird nicht noch mal passieren", sagte Britta. „Hoffentlich nicht. Ich würde dieses Jahr wirklich gern den Wettbewerb gewinnen, und viele Rückschläge wie diesen können wir uns nicht leisten:" Als es wieder still in der Hütte war, fragte Jada: „Wer will, die Geschichte zu Ende hören?" „Ich nicht", erwiderte Beth. „Mir hat sie nicht gefallen." „Von was für einer Geschichte redet ihr?" fragte - 59 -
Jenny. „Jada hat uns eine Gespenstergeschichte erzählt", sagte Rebecca. „Es ging um ein Paar, das kein Benzin mehr hatte, und der Mann, ging Hilfe holen. Seine Frau blieb allein im Wagen zurück, und...“ „Ach, die Geschichte", unterbrach Jenny sie. „Mach dir keine Sorgen, Beth. Die Geschichte wird seit Jahren erzählt. Ich kenne sie schon, seit ich zum erstenmal im Camp war.“ „Und meine Mutter hat gesagt, sie kennt die Geschichte schon aus der Zeit, als sie im Camp war", meinte Jada. Britta kroch in ihr Bett und merkte, daß sie den ganzen Tag über nicht dazu gekommen war, ihre Luftmatratze aufzublasen. Es würde nahezu unmöglich, sein, auf den harten Sprungfedern zu schlafen, die durch den Schlafsack hindurchstachen. Aber sie wollte auch nicht noch einmal aufstehen und die anderen dadurch stören. Die Mädchen waren ohnehin sauer genug auf sie... Noch lange, nachdem die tiefen, ruhigen Atemzüge der; anderen in der Hütte zu hören waren, lag Britta wach und starrte an die dunkle Zimmerdecke. Zu Hause schlief sie nie ein, ohne vorher noch ein bißchen fernzusehen oder zu lesen. Das harte, unbequeme Bett, die seltsamen nächtlichen Geräusche von draußen und das ungewohnte Gefühl, mit mehreren Leuten in einem Raum zusammenzusein, machten es Britta unmöglich einzuschlafen. - 60 -
Ein Laut drang an ihr Ohr, und sie setzte sich im Bett auf, um besser zu hören. „Wer ist da?" flüsterte sie. „ich bin's, Beth." „Was ist los? „Ich kann nicht schlafen." Britta tastete sich bereits durch den Raum zu Beths Bett hinüber. „Warum? Fühlst du dich nicht wohl?" „Nein", antwortete Beth mit zitternder Stimme. „Ich hab Angst. Die Geschichte...“ Britta setzte sich auf die Bettkante und strich Beth über die Stirn. „ist schon gut. Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Soll ich bei dir bleiben, bis du eingeschlafen bist?" „Macht es dir auch nichts aus?" „Nein, ich konnte sowieso auch nicht schlafen." Britta rollte sich am Fußende von Beths Bett zusammen, und Beth streckte sich aus, so daß ihre Füße Brittas Knie berührten. Langsam begann Britta sich zu entspannen, während. sie dem, regelmäßigen Atmen des Kindes lauschte. Doch plötzlich spürte sie einen leichten Tritt, der sie schlagartig aus dem angenehmen Dämmerzustand riß. „Britta?“ „Ja?" „Ich wollte nur sehen, ob du noch wach bist." Mit diesen Worten drehte Beth sich auf die andere Seite. Noch zweimal prüfte Beth nach, ob Britta noch wach war. Obwohl Britta mehrmals einnickte, war es schon fast hell, als sie sich endlich auf ihrem eigenen Bett ausstreckte. Fast sofort hatte sie einen seltsamen Traum von - 61 -
Leuten, die hin und her liefen. Es herrschte großer Lärm und Verwirrung, aber Britta konnte nicht entkommen. Ihr war sogar; als riefe, jemand ihren Namen. Langsam öffnete sie die Augen. Jenny stand über sie gebeugt und rüttelte sie an der Schulter. „Was machst du denn immer noch im Bett?" fragte sie. „Ich hab dich doch schon geweckt, bevor ich in den Waschraum gegangen bin." Britta konnte die Augen kaum offenhalten. „Was... Ich kann nicht..." murmelte sie. „Wir müssen in acht Minuten zur Morgenzeremonie am Fahnenmastsein." „In acht Minuten!" schrie Britta, schwang die Beine aus dem Bett und sprang auf. „Ich kann mich unmöglich in acht Minuten duschen und anziehen." Jenny war bereits auf den Knien und zog die Koffer unter Brittas Bett hervor. „Vergiß das Duschen, schlüpf einfach in ein paar Klamotten“, sagte sie und zog Sachen aus den Koffern. Britta schob sie weg. „Hör zu", sagte sie. „Warum gehst du nicht schon mal mit den Mädchen vor Ich komm nach, sowie ich fertig bin." „Das nützt nichts. Wir müssen alle zusammen vor dem Pfeifsignal da sein." Der Morgen war ein, bißchen kühl, deshalb holte Britta eine Jeans hervor. Das dazu passende Sweatshirt war allerdings in einem anderen Koffer. Sie hatte gerade begonnen sich die Haare, zu bürsten, als sie das durchdringende Pfeifsignal hörten. Die Mädchen stöhnten auf, und Jenny meinte: „Du kannst jetzt langsamer machen. Wir haben gerade - 62 -
fünf Punkte verloren. Ich geh mit den Mädchen rüber, damit sie nicht die ganze Zeremonie verpassen. Komm nach, sobald du kannst. Britta machte sich zwei kleine Pferdeschwänze und schlang rote Bänder darum, die zu der Stickerei auf ihrem Sweatshirt und zu den roten Sportschuhen paßten. Schließlich malte sie sich noch die Lippen an und lief dann zum Fahnenmast hinüber. Die Morgenfeier war vorbei und die Kinder wurden gerade zum Frühstück geschickt. Britta setzte sich mit ihrer Gruppe an einen Tisch. Alle waren ungewöhnlich ruhig, und Britta wußte, daß es ihre Schuld war. Fünfzehn Minuspunkte in vierundzwanzig Stunden, das mußte eine Art Rekord sein. Nach dem Frühstück verteilten die Kinder sich auf ihre verschiedenen Kurse, in denen gemalt, gebastelt oder geschwommen wurde und anderes mehr. Britta war froh, daß sie in den vergleichsweise intimen Krankenraum entwischen konnte. „Ist was schiefgegangen?" fragte Mrs. Walker, sobald sie Britta zu Gesicht bekam. Britta nickte. „Ich glaub, ich hab bisher nicht gerade einen guten Start gehabt." „Laß dich davon nicht unterkriegen", meinte Betty freundlich. „Jeder hat mal einen schlechten Tag." Sie gab Britta den Schlüssel zum Medizinschrank und sagte: „Ich hab Stephan Wheeler schon seine Allergietabletten gegeben, aber Joshua Pocus und Traci Groot sind heute morgen noch nicht aufgetaucht. Miriam Clark ist mit der Liste unterwegs und sammelt alle Kinder ein, die irgendeine Medizin oder Vitamine bekommen. Wenn sie eintrudeln, prüf - 63 -
bitte alles genau nach und schreib es in dieses Buch hier." „Okay." „Ich geh jetzt rüber, in die Cafeteria und frühstücke. Danach bin ich oben in der Wohnung, falls du mich brauchen solltest." Als Britta allein war, sah sie sich erst mal gründlich in dem kleinen Büro um und machte sich vor allem mit dem Inhalt des Medizinschränkchens vertraut Außerdem merkte sie sich, wo die Erste-HilfeUtensilien verstaut waren. Ab und zu wurde sie von jemand unterbrochen, der ein Pflaster oder ein Medikament brauchte. Britta gewann einen Teil ihres Selbstvertrauens zurück, weil sie gut mit ihren einfachen Aufgaben zurechtkam. Sie hatte die Blätter mit den Regeln mitgebracht, und wenn sie gerade nichts zu tun hatte, las sie darin. Vielleicht würde sie später noch mehr Minuspunkte bekommen, aber bestimmt nicht aus dem Grund, weil sie die Regeln nicht kannte. Als Betty zurückkam, um sie abzulösen, konnte Britta den größten Teil beinahe auswendig. „Brauchen Sie mich noch?" fragte sie, als sie Betty den Schlüssel zurückgab. „Nein, nein. Es ist gleich Mittag, und vielleicht hast du vorher noch etwas in deiner Hütte zu tun." Britta überquerte den Hauptplatz, verlangsamte jedoch ihr Tempo, als sie Sean kommen sah. „Hey, wohin gehst du?" fragte sie. „Zur Cafeteria. Unsere Gruppe hat heute Tischdienst. Hast du mich heute morgen beim Frühstück nicht gesehen?" Britta schüttelte den Kopf. - 64 -
„Ich hab nicht aufgepaßt." „Ich dachte schön, du wärst sauer auf mich, weil ich dich gestern abend in Schwierigkeiten gebracht hab. Ich hab wirklich nicht gewußt, daß ich mich da nicht aufhalten durfte." „Es war genauso mein. Fehler." Britta hielt die Blätter hoch. „Aber das passiert mir kein zweites Mal.“ „Gibt's auch irgendeine Regel, die besagt, daß du heute abend nicht mit mir spazierengehen darfst?" „Das nicht, aber...“ „Kein Aber. Heute abend haben wir frei, also treffen wir uns nach dem Lagerfeuer.“ „Sean, ich hab nicht gesagt...", begann Britta, aber Sean entfernte sich bereits in Richtung Cafeteria. Kopfschüttelnd drehte Britta sich um und stieß fast mit George Howland zusammen. „Hast du Probleme mit Sean?" fragte er. „Nein, natürlich nicht. Er ist nett aber..." „Aber du magst keine netten Jungen?" „Natürlich nicht! Nein, das meine ich nicht... ich mag nette Jungen, wirklich, aber das ist nicht das Problem. Ach, was red ich denn da!" Britta lachte. „Was machst du überhaupt hier?" „Ich wollte zum Krankenraum." „Was ist passiert?` „Nichts Ernstes", sagte George und zuckte die Achseln. „Ich hab einen Kratzer abbekommen und hab mir gedacht, ich komm einfach mal rüber, du gibst mir einen Kuß drauf und machst es wieder gut." „Ich glaube, ein bißchen Jod wäre da wohl hilfreicher", erwiderte Britta. Plötzlich pfiff es zum Mittagessen, und Britta erschrak. „Ich muß los!" - 65 -
Sie wollte schon losrennen, doch George hielt sie am Arm fest. „Können wir uns nachher treffen?“ „George, ich muß los! Wenn wir meinetwegen schon wieder Minuspunkte kriegen...“ „Was ist mit heute abend?" Er hielt immer noch ihren Arm fest. „Okay, aber laß mich jetzt los!" Sie befreite sich mit einem Griff und rannte zu ihrer Gruppe. Britta schaffte es gerade noch. Völlig außer Atem schloß sie sich den Mädchen auf dem Weg zur Cafeteria an. Die Mädchen waren zwar gesprächiger als am Morgen, aber sie ignorierten Britta weiterhin. Sie unterhielten sich über die Staffelläufe, die am Nachmittag stattfinden sollten, und versuchten herauszufinden, wer von ihnen spezielle sportliche Fähigkeiten hatte. Nachdem sie die Regeln von hinten bis vorn durchgelesen hatte, wußte Britta, daß man bei den Spielen und Sportwettkämpfen ebenfalls Punkte gewinnen konnte. Sie hätte wirklich gern dazu beigetragen, aber in sportlicher Hinsicht stand es hoffnungslos um sie. Im übrigen erwartete auch niemand etwas von ihr. Nach dem Mittagessen mußte Britta mit den Kindern in die Hütte zurückgehen und während der Mittagsruhe bei ihnen bleiben. Jenny hatte frei. Trotzdem kam sie noch mit und wartete, bis alle Kinder sich hingelegt hatten. „Du brauchst dich nicht hinzulegen", sagte sie zu Britta. „Paß nur auf, daß die Kinder nicht zu laut sind. „Ja, wir haben schon genug Minuspunkte", meinte - 66 -
Nettie. „Ich kann das nicht mehr aushalten!" schrie Beth plötzlich. Jenny blieb an der Tür stehen und drehte sich zu ihr um. „Was meinst du?" fragte sie. „Ich bin dran schuld, daß Britta heute morgen verschlafen hat." „Ist schon gut, Beth", warf Britta ein. „Du brauchst..." „Es ist nicht gut! Alle geben dir die Schuld, dabei sollten sie auf mich wütend sein." Mit geballten Fäusten blickte Beth die anderen trotzig an. „Nach dieser Geschichte konnte ich gestern nicht einschlafen, deshalb hab ich Britta gebeten, an meinem. Bett zu sitzen. Sie ist die ganze Nacht bei mir geblieben." Alle waren still und sahen von Beth zu Britta. Schließlich fragte Jenny: „Warum hast du mir nichts gesagt?" Britta hob die Schultern; „Ich dachte nicht, daß es so wichtig wäre." „Es ist aber wichtig“, sagte Jenny. „Tut mir wirklich leid. Ich habe mich so darauf versteift, den Hüttenwettbewerb zu gewinnen, daß ich nicht mehr rechts und links, gesehen habe." „Mir tut es auch leid", schloß Nettie sich an. „Mir auch!", „Entschuldigung!“, „Tut mir echt leid!" fielen die anderen Mädchen im gemischten Chor ein. „Danke, das ist lieb von euch, aber ich muß ehrlich mit euch sein. Ich hätte vielleicht auch so verschlafen, auch wenn ich nicht die ganze Nacht wach geblieben wäre. Ich bin kein Frühaufsteher.“ „Keine Sorge, ab jetzt passen wir auf", versicherten - 67 -
die Mädchen ihr. „Okay, da du hier alles unter Kontrolle hast, gehe ich jetzt", sagte Jenny. „Wenn du das Signal hörst, komm mit den Kindern auf den Sportplatz." Sie war schon fast aus der Tür, als sie sich noch mal umdrehte. „Das hätte ich beinahe vergessen. Nehmt euch nichts vor für nach den Staffelläufen. Wir sind heute dazu eingeteilt, das Gelände nach Abfall zu durchkämmen. Außerdem sollen wir alles melden, was repariert werden muß." „Nicht schlecht", meinte Jada. „Dabei können wir prima nach Sachen für die Schatzsuche Ausschau halten. Am besten, wir nehmen uns gleich mal die Liste vor, damit wir wissen, wonach wir suchen müssen. Als Jenny fort war, scharten die Mädchen sich um Brittas Bett, um die Liste durchzugehen. Einiges hatten sie rein zufällig dabei, und nachdem alle ihr Gepäck durchwühlt hatten, war schon ein ganz eindrucksvoller Haufen von Dingen zusammengekommen. Da waren Klammern, rosa Socken, ein langes Stück Strippe, Lakritze und sogar ein paar der ungewöhnlicheren Dinge, wie zum Beispiel ein Taschenmesser, ein klassischer Roman und zum Schluß noch eine Tube Rasiercreme. „Wozu hast du denn die Rasiercreme mitgebracht?" fragte Pam, als Melba die Tube zum Vorschein brachte. .„Na ja, in dem Camp, wo ich vorigen Sommer war, haben wir einer unserer Betreuerinnen das Kopfkissen mit Rasiercreme vollgeschmiert. Nicht, daß ich hier auch so was vorgehabt hätte", fügte sie hastig hinzu. „Erinnert mich daran, daß ich mein Kopfkissen - 68 -
jeden Abend vor dem Schlafengehen checke", sagte Britta. „Wo verstecken wir denn jetzt den ganzen Kram?" wollte Rebecca wissen. „Ich meine, wir wollen doch nicht, daß er verlegt oder anderweitig benutzt wird." „Wie wäre es mit einem meiner Koffer?" schlug Britta vor. Sie zog die Koffer unter ihrem Bett hervor und begann, Sachen auszuräumen, bis einer völlig leer war. Als das Pfeifsignal ertönte, versammelten sich alle Gruppen auf dem Sportplatz. Es fanden ein paar der üblichen Läufe statt, bei denen man rennen, hüpfen oder springen mußte. Aber die meisten Läufe waren ungewöhnlich einmal mußten sie rennen und dabei ein Ei auf einem Löffel tragen, einmal mit einem Ballon zwischen. den Knien laufen und einmal eine menschliche Pyramide bilden. Glücklicherweise kam es nicht sosehr auf sportliche Fähigkeiten, sondern mehr auf Geschicklichkeit und Wendigkeit an, so daß Britta mithalten konnte. Niemand war froher als sie, als ihre Gruppe zwei der zehn Wettrennen gewann.
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6. KAPITEL Statt ihren kleinen Sieg zu feiern, teilten Britta und Jenny die Mädchen in zwei Gruppen auf, die sorgfältig das Gelände absuchten. Sie fanden wenig Abfall oder beschädigtes Gerät, dafür aber acht weitere Gegenstände für die Schatzsuche. Nach getaner Arbeit gingen alle außer Britta zum Swimmingpool oder zum See hinunter. Britta verzog sich in den Waschraum. Seit sie hier war, hatte sie keine Gelegenheit gehabt, sich die Haare zu waschen. Noch einen Tag, und es würde ihr in schlaffen Strähnen ums Gesicht hängen. Nach dem Duschen hätte Britta gern noch etwas mehr Zeit auf ihr Make-up und ihre Klamotten verwandt, aber die Regeln besagten, daß es um sieben Uhr Abendessen gab, und das hieß Punkt sieben, nicht Viertel nach sieben. Bei der strengen Zeiteinteilung und dem allgegenwärtigen Pfeifsignal wußte Britta ihren freien Abend um so mehr zu schätzen. Als Jenny die Kinder im Anschluß an die Abendzeremonie am Lagerfeuer zur Hütte zurückbrachte, tat Britta einen langen, erleichterten Atemzug. Es war nicht so, daß sie die jüngeren Mädchen nicht mochte oder es nervig fand, mit ihnen zusammenzusein. Aber das war ihre erste richtige Erholungsphase, seit sie im Camp war. Mit den - 70 -
nächsten kostbaren Stunden konnte sie anfangen, wozu sie Lust hatte. Sie näherte sich den anderen Juniorbetreuern, die um das Feuer herum saßen. Zu ihrer Verwunderung saß Dirk mitten unter ihnen. „Was machst du denn hier?" fragte sie. Er war auf den Knien und fegte mit der Hand kleine Holzstückchen und Strohhalme vom Feuer weg. Bei ihrer Frage drehte er den Kopf und lächelte zu ihr hoch. „Ich arbeite hier, erinnerst du dich?" „Das weiß ich, aber ich dachte, es wär Toms freier Abend.“ „Wieso?" fragte Dirk. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Willst du was von ihm?" „Ich dachte nur...“ Glenda drängte sich in den Kreis vor dem Feuer und versperrte Britta die Sicht auf Dirk. „Ich wußte gar nicht, daß du deinen freien Abend nur mit Tom getauscht hast, damit du aufs Feuer aufpassen kannst", neckte sie ihn. „Ich bin fast so weit", erwiderte er. „Ich wollte nur sichergehen, daß das Feuer sich nicht ausbreitet. „Was diesem Feuer wirklich fehlt, sind ein paar Marshmallows“, meinte George. Er streckte die Hand aus und berührte Brittas Arm. „Willst du nicht mit mir rüber zum Laden gehen und ein paar Marshmallows holen?" „Wenn sie geht, dann mit mir", mischte Sean sich ein und schob sich näher an Brittas andere Seite heran. „Wie kommst du darauf?" fragte George. „Weil ich mich heute nachmittag mit ihr verabredet - 71 -
habe." „Ich auch", sagte George. „Sean... George...“ Britta legte beiden eine Hand auf den Arm. „Hört doch auf damit. Es ist alles meine Schuld. Ich weiß, ich hab gesagt, ich würde mich heute abend mit euch treffen. Aber das war, ehe..., ich meine, mir ist was dazwischen gekommen." „Wovon redest du eigentlich?" fragte Sean. „Tut mir leid, ich kann nicht...“ begann sie und versuchte verzweifelt, sich eine Ausrede auszudenken, die beide Jungen akzeptieren würden. Sie sah sich aufgeregt um, und ihr Blick fiel auf Dirk. Plötzlich wußte sie, was sie tun konnte. „Ich wollte etwas ganz Dringendes mit meinem Cousin besprechen, aber da er nicht da ist, muß Dirk wohl für ihm einspringen." „Warum gerade Dirk?" fragte Sean. „Weil ich, ihrem Vater versprochen habe, auf sie aufzupassen", antwortete Dirk. „Vielleicht solltest du lieber Tom für sie holen", schlug Glenda vor. „Nein, es ist kein Notfall", warf Britta hastig ein. Sie sah Sean und George an. „Es sei denn, ihr beide, seid mir böse. Es tut mir wirklich leid." „Hey, wenn du auf geröstete Marshmallows verzichten willst, ist das dein Pech", sagte George, dessen gute Laune wiederhergestellt war. „Ein andermal." Britta lächelte. „Okay?" Um nicht hinter George zurückzustehen, meinte Sean: „Ich kann warten.“ Britta spürte, daß die Spannung nachließ und seufzte erleichtert auf. „Ich muß hierbleiben, bis das Feuer aus ist", - 72 -
erklärte Dirk. „Aber dann können wir einen Spaziergang machen, und du kannst mir dein Herz ausschütten." „Wenn du willst, paß ich für dich auf das' Feuer auf", bot Sandy an. „Ich möchte sowieso hierbleiben, um zu sehen, ob George tatsächlich mit ein paar Marshmallows zurückkommt. „Danke, Sandy." Dirk stand auf und nahm Britta bei der Hand. Britta und Dirk gingen langsam zum See hinunter, aber statt auf den Anlegesteg zuzusteuern, wählte Dirk den von Bäumen beschatteten kleinen Pfad, der um den See herumführte. Die Dunkelheit lieferte ihm einen guten Vorwand dafür, mit Britta weiter Händchen zu halten. Er hatte nicht die Absicht, sie so schnell loszulassen. „Was ist denn das" fragte er, als er mit dem Daumen über einen Ring mit großer, unebener Fassung strich. Britta sah auf ihre Hand hinunter, weil sie sich nicht sicher war, welchen Ring sie angesteckt hatte. „Ein Geschenk von Onkel Ed.“ Dirk zog ihre Hand näher zu sich. „So einen hab ich noch nie gesehen. War er teuer?" Britta hob die Schultern. „Weiß ich nicht. Onkel Ed hat ihn für mich aus einem Goldstück machen lassen, das er irgendwo gefunden hat. Warum fragst du?" „Es wäre vielleicht besser, wenn du ihn hier draußen nicht tragen würdest." Dirk ließ Brittas Hand schließlich los, als sie am Ufer stehenblieben. „Wenn du ihn verlieren würdest, könntest du ihn nie mehr wiederfinden.“ - 73 -
„Du hast wahrscheinlich recht. Ich werde den Ring in meinen Koffer legen, sobald ich wieder in der Hütte bin. Ich hab das Schminken bereits aufgegeben. Da kann ich genausogut auch noch den Schmuck aufgeben." Sie schwieg einen Moment. „Wenn ich noch länger hierbleibe, sehe ich bald genauso aus wie..." Dirk beendete den Satz für sie. „Wie der Rest von uns." „Ich will nicht unverschämt sein, aber das ist wirklich nicht der passende Ort für mich. Ich mag die Leute, besonders Jenny. Aber ich würde mich lieber toll anziehen und schminken als... angeln zu gehen." „Wolltest du deshalb mit Tom sprechen? Bist du soweit, daß du aufgeben und nach Hause fahren willst?" „Nein. Ich bin vielleicht nicht für das rauhe Landleben geschaffen, aber eine Woche halte ich durch.“ „Warum wolltest du denn mit Tom sprechen?" „Wollte ich gar nicht. Eigentlich war ich froh, daß du da warst statt Tom. Tom hätte sich nie von mir..." „... benutzen lassen?" ergänzte Dirk., „Das hab ich nicht gemeint. Ich wollte nur irgendwie aus der Sache rauskommen, ohne das Sean und George sauer auf mich wären." „Was hast du dir dabei gedacht, dich mit beiden zu verabreden? Wolltest du sie in Schichten treffen?" „Natürlich nicht. Im Grunde genommen war es nicht mal meine Schuld. Ich war...“ „Das hab ich doch schon mal gehört", unterbrach Dirk sie. „Auf der Schulfete an der Junior High School und in der Disco letztes Jahr..." - 74 -
„Aber das hab ich nie mit Absicht gemacht. Es ist einfach passiert." Und es wird immer wieder passieren, dachte Dirk. Es war so selbstverständlich wie der Wechsel der Jahreszeiten, daß immer irgendwelche Jungen hinter Britta her waren. Das würde sich niemals ändern. „Britta", begann er, aber Britta hörte den belustigten Tonfall in seiner Stimme. Spontan schlang sie einen Arm um seine Taille und schmiegte den Kopf an seine Brust. „Ich bin so froh, daß du hier bist. Auf dich kann ich mich immer verlassen." Dirk umfaßte sie und hielt sie einen kurzen Augenblick fest an sich gedrückt. „Sag mal, wer gefällt dir besser, Sean oder George?" fragte sie. Abrupt schob Dirk sie weg. „Wenn du meinst, mit wem ich mich eher, verabreden würde, dann ist die Antwort: mit keinem." „Ich meine, für mich, du Dummkopf." „Komm, ich bring dich jetzt zu deiner Hütte zurück", sagte er kühl. „Es ist doch erst kurz nach neun. Können wir nicht länger draußen bleiben?" „Ja, aber ich will nicht riskieren, daß du wieder verschläfst." Ohne ein weiteres Wort brachte er sie zu der Abzweigung. Dort wartete er, bis sie um eine Wegbiegung verschwunden war. Dann ging er langsam zu seiner eigenen Hütte zurück und paßte dabei auf, daß ihn keiner von der Gruppe sah, die immer noch um das Feuer herum saß. „Du bist aber früh zurück", bemerkte Tom, als Dirk - 75 -
die Tür der Hütte hinter sich schloß. „Halt die Klappe", knurrte Dirk. „Sie hat dich also wieder mal abgeschmettert, was? Manche lernen's nie." Am nächsten Morgen führte Tom seine Gruppe zu den Mädchen von Hütte vier. „Ich sehe, daß du es heute morgen geschafft hast", ärgerte er seine Cousine. „Spinnst du? Die Mädchen haben mich aus dem Bett geholt und mich in den Waschraum geschickt. Dann haben sie sich selbst wieder schlafen gelegt. Als ich zurückkam, mußte ich alle wecken." Britta lachte. „Geschieht dir recht." „Kann schon sein", sagte Britta friedfertig. „Auf jeden Fall hab ich einen tollen Sonnenaufgang über dem See gesehen und, gleich ein Foto gemacht. Das ist eins der Dinge für die Schatzsuche, erinnerst du dich?" „Oh, klar", antwortete Tom und sah dann Jenny an. „Wie kommt ihr denn mit der Schatzsuche voran?" „Ganz gut", meinte Jenny. „Wir hatten eine Reihe der Sachen in unserem Gepäck." „Das war mir klar. Britta hat ja den halben Haushalt mitgebracht." „Du bist bloß neidisch, weil du nicht daran gedacht hast, mehr mitzubringen." Britta lachte erneut Sie war entschlossen, sich heute nicht die Laune verderben zu lassen. Nicht mal von ihrem griesgrämigen Cousin Tom. - 76 -
Sie stellte sich fürs Frühstück an und bemerkte Sandy Cross hinter dem Büfettisch. Sandy stellte gerade riesige Schüsseln mit Müsli und Cornflakes; hin. „Na, macht's Spaß?" frotzelte Britta. Sandy verdrehte die Augen. „Kann ich nicht gerade behaupten." Jenny zwinkerte Sandy zu und meinte: „Warte nur, bis Britta erfährt, was unsere Gruppe heute machen muß." „Was denn?" fragte Britta alarmiert. „Oh, nichts weiter, als daß wir heute nachmittag den Mädchenwaschraum saubermachen müssen. „Wie ... toll", sagte Britta. „Und wenn wir es einfach vergessen würden?" „Dann würden wir zwanzig. Minuspunkte kriegen. Nein danke", sagte Jenny. Als sie am Tisch saßen, fragte Beth: „Britta, kommst du nachher mit, wenn ich Schwimmunterricht habe?" „Weiß ich noch nicht. Hängt davon ab, wann ich aus dem Krankenraum wegkomme." „Habt ihr euch alle für einen Kurs heute morgen eingetragen?" wollte Jenny wissen. „Wenn nicht, dann sagt Bescheid, und ich melde euch noch irgendwo an, bevor ich hinüber zum Werkraum gehe." Die Mädchen zogen ihre Kurskarten aus der Tasche. Alle waren den Vormittag über beschäftigt. Das einzige Problem war, daß Marlene und Jada nicht in denselben Bogenschießen-Kurs gekommen waren. „Macht doch nichts", versucht Jenny die beiden zu beruhigen. „Auf diese Weise könnt ihr ein paar andere Leute kennenlernen. Außerdem seid ihr doch den - 77 -
ganzen Nachmittag zusammen." „Geh du mit den Mädchen vor", schlug Britta Jenny nach dem Frühstück vor. „Ich räum den Tisch ab." „Danke. Wenn du keine kranken Leute mehr zu versorgen hast, dann komm doch rüber zum Werkraum. Ich zeig dir, wie man Körbe flicht", rief Jenny, während sie die Mädchen zur Tür hinausscheuchte. Britta räumte den Tisch ab und ging dann zum Krankenraum. Sie öffnete die Tür und begrüßte Betty mit einem Lächeln. „Alles okay heute morgen?" „Soweit ja", antwortete Betty. „Du siehst heute viel besser aus als gestern." „Ich fühl mich auch viel besser", gab Britta zu. Betty reichte ihr den Schlüssel für den Medizinschrank und nahm ihr Sprechfunkgerät vom Tisch. Als sie gerade gehen wollte, kam Jerry LeMoyne die Stufen, hochgelaufen, und Betty hielt ihm die Tür auf. „Guten Morgen, Jerry. Bist du wegen deiner Vitamine gekommen?" „Ich weiß nicht, warum ich die überhaupt nehmen muß" , murrte er.„ Ich dachte, das sollten Ferien sein." Britta schloß den Medizinschrank auf, nahm Jerrys Vitamine heraus und verglich noch einmal mit dem Medikamentenplan. „Ja, es ist wirklich schrecklich, daß deine Mutter so besorgt um deine Gesundheit ist, nicht wahr?" Jerry schluckte die Vitamine ohne weiteren Kommentar, und Britta konnte es auf der Liste abhaken. „Gut, du hast ja alles unter Kontrolle", sagte: Betty. - 78 -
„Ich gehe in die Cafeteria, falls du mich brauchst." In der folgenden Stunde hatte Britta mit der Medikamentenausgabe zu tun, aber danach war wie gestern alles ruhig, und sie blieb allein. Die Regeln kannte sie ja bereits auswendig, deshalb griff sie nach dem Erste-Hilfe-Buch, das Auf dem Schreibtisch lag. Britta hatte kaum das erste Kapitel des Buches zu Ende gelesen, als sie jemanden kommen hörte. Sie hob den Kopf und sah Dirk mit einem weinenden Kind auf den Armen. „Was ist passiert?" rief sie und sprang auf, um ihm die Tür aufzuhalten. „Er ist gestürzt und hat sich das Bein aufgeschlagen." Dirk setzte den kleinen Jungen auf den Untersuchungstisch. „Er heißt Ronnie Downs." Ronnie versuchte, das Schluchzen zu unterdrücken, aber von der Anstrengung zuckte sein ganzer Körper. An den Beinen hatte er mehrere böse Schürfwunden, und ein Knie war aufgeschlagen. Sobald Britta festgestellt hatte, daß es nur oberflächliche Verletzungen waren, beruhigte sie sich. „Wo tut es weh?" fragte sie ihn sanft. „M ... mein Arm", sagte Ronnie. „Du hast dir das Bein verletzt, nicht den Arm", warf Dirk ein, aber Britta untersuchte, bereits Ronnies Handgelenk, das tatsächlich rot und geschwollen war. „Bist du auf die Hand gefallen, oder, hast du dich vielleicht beim Fallen abgestützt?" wollte sie wissen. „Ich weiß nicht mehr." Britta rief Betty per Funk und nahm dann einen - 79 -
Eisbeutet aus dem Kühlschrank, um ihn auf Ronnies Handgelenk zu legen. Anschließend holte sie Wunddesinfektionsmittel, Tupfer und Binden aus dem Medizinschrank und legte alles auf den kleinen Tisch neben dem Jungen. Ronnie wollte sein Bein wegziehen, aber Britta sagte unbeirrt: „Laß mich nur mal einen Blick darauf werfen." Die Abschürfungen waren nicht sehr tief, doch es war viel Schmutz und Sand in den Wunden. „Ich glaube, du wirst es überleben", meinte Britta lächelnd. „Aber wir müssen das Bein ein bißchen saubermachen." „Tut das weh" fragte Ronnie. „Du wirst schon was merken, aber es tut nicht weher als jetzt. Und sobald es sauber ist, kann es heilen. Gut, daß du so ein großer Junge bist. Wenn du weinen und herumzappeln würdest, täte es nämlich noch weher." „Es tut aber schon weh", sagte Ronnie. „Ich weiß." Britta begann, eine der Schürfwunden zu säubern. Betty stürzte durch die Tür. „Was ist passiert?" „Ronnie ist hingefallen. Die Schürfwunden hier sind nicht schlimm, aber Sie sollten sich mal den Arm ansehen", antwortete Britta. Betty nahm den Eisbeutel herunter und befühlte Ronnies Handgelenk. „Gebrochen ist nichts, glaube ich. Aber vorsichtshalber sollten wir den Arm röntgen lassen. Ich fahre mit ihm zum Krankenhaus." Betty ging zum Aktenschrank und holte Ronnies Krankenschein heraus. „Mach die Wunden weiter sauber, aber verbinde sie lieber nicht. Bestimmt - 80 -
wollen sie im Krankenhaus auch einen Blick darauf werfen. Als Britta fertig war, nahm sie ein Kissen von einem der Krankenbetten. können Sie das hier benutzen, um auf der Fahrt sein Handgelenk zu stützen." „Ja, sehr gut, danke." Betty nahm das Kissen unter den Arm. „Mrs. Clark ist am Swimmingpool. Ich gehe dort vorbei und sag ihr Bescheid, daß ich wegfahre. Du mußt leider hierbleiben, bis ich wieder da bin." „In Ordnung", meinte Britta. „Soll ich Ronnie zum Auto tragen?" wollte Dirk wissen. „Ich kann laufen sagte Ronnie. Betty zögerte einen Moment, zuckte dann die Achseln und sagte: „Gut, wenn du kannst, dann lauf.“ Nachdem Betty mit dem Jungen gegangen war, notierte Britta den kleinen Unfall in dem dafür vorgesehenen Buch. Dirk rührte sich nicht von der Stelle, deshalb fragte sie: ,,Ist noch irgendwas?" Er schüttelte den Kopf und setzte sich auf eine Ecke des Schreibtisches. „Du bist echt gut darin", meinte er. „Das war meine erste richtige Verletzung. Bisher habe ich immer nur Vitamine und Allergiepillen ausgeteilt. Es macht mir Spaß. Ich habe sogar schon daran gedacht, Ärztin zu werden." „Dirk?" rief Glenda. Sie steckte den Kopf durch die Tür. „Kommst du, um die Ruderstunde zu beenden?" „Ja, ja, ich komme." Dirk stand auf und trat vom Schreibtisch weg. „Ich hab bloß Ronnie abgeliefert." „Wo ist er denn?" fragte Glenda. „Betty bringt ihn ins Krankenhaus zum Röntgen", antwortete Britta. Glenda blickte über die Schulter Dirk an. „Dann bist du hier ja fertig, oder? Sie hielt die - 81 -
Tür für ihn auf. „Ja, bin ich." Er folgte ihr. Britta sah den beiden nach. Sie war überrascht, weil sie einen Kloß im Hals spürte. Jenny hatte angedeutet, daß Glenda und Dirk letzten Sommer miteinander gegangen waren. Vielleicht war da immer noch was dran.
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7. KAPITEL Lange nach dem Signal zum Mittagessen kamen Betty und Ronnie endlich ins Camp zurück. Ronnies Handgelenk war mit einem Stützverband umwickelt. Kurz darauf erschien Mrs. Clark, um Britta im Krankensaal abzulösen. Britta ging geradewegs zur Cafeteria, aber Jenny und die Mädchen waren schon fast fertig mit dem Essen. „Tut mir leid, daß ich so spät komme", sagte Britta und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Hoffentlich streichen wir deswegen nicht wieder Minuspunkte ein." „Keine Sorge. Alle wissen, was los war", antwortete Jenny. „Wie geht's dem Jungen?" „Dem geht's schon wieder ganz gut. Der Arm ist nicht gebrochen, sondern bloß verstaucht." „Britta", fiel Beth ein, „kommst du nachher zum Swimmingpool? Ich möchte dir den Kopfsprung zeigen, den ich gelernt hab." „Na gut." „Vergeßt nicht, daß wir den Waschraum saubermachen müssen", erinnerte Jenny sie. „Weiß jemand, was wir heute nach der Mittagspause spielen?" fragte Marlene. „Auf dem Weg hierher habe ich gesehen, daß Volleyballnetze aufgespannt wurden", sagte Melba. - 83 -
„Vielleicht sollte ich den Waschraum allein saubermachen, während ihr Volleyball spielt", schlug Britta vor. „Du kannst auch Volleyball spielen. Es ist nicht schwer", erwiderte Jada. Jada klang so ernst, daß Britta loslachen mußte. „Danke, Jada. Tut mir leid, daß ich so eine Niete bin." „Du bist keine Niete", protestierte Beth. „Du versuchst doch dein Bestes, das wissen wir." Das brachte alle zum Lachen. Sobald das Gelächter verebbte, scheuchte Jenny sie auf. „Los, Leute. Räumt den Tisch ab, und dann ab mit euch in die Hütte. Ich möchte, daß ihr heute alle an eure Eltern schreibt. Wir kriegen einen Extrapunkt, wenn alle mindestens einen Brief nach Hause schreiben." „Du bist wirklich wild entschlossen, diesen BesteHütte-Wettbewerb zu gewinnen, was?" fragte Nettie. Jenny blieb stehen. „Das stimmt“, meinte sie schließlich. „Wenn euch nichts daran liegt zu gewinnen, müßt ihr es sagen." „Nein, wir wollen auch gewinnen", meinte Jada. „Glaubst du denn, daß wir wirklich eine Chance haben?" fragte Britta. „Ich habe uns so viele Punkte gekostet." „Selbst wenn wir nicht den ersten Preis gewinnen, zweiter oder dritter können wir immer noch werden. Dann dürfen wir uns wenigstens aussuchen, was für eine Aufgabe wir bei der Siegerfeier übernehmen wollen. Ich habe keine Lust, das Saubermachen und Aufräumen aufgehalst zu kriegen", stöhnte Jada. „Oder das Unterhaltungsprogramm. Das wäre noch schlimmer", warf Marlene ein. - 84 -
Auf dem Weg zur Hütte unterhielten sich die Mädchen weiter über ihre Gewinnchancen. Britta, die die folgende Stunde frei hatte, schlenderte währenddessen zum Anlegesteg. Es war nicht der offizielle Treffpunkt, aber alle fühlten sich dort hingezogen. Heute wartete Sean mit einem Kanu auf sie. „Komm her!" rief er. „Ich hab die Erlaubnis bekommen, eine Fahrt mit dir zu machen." Britta wäre eigentlich lieber schwimmen oder spazierengegangen, nachdem sie den ganzen Vormittag im Krankenraum eingeschlossen gewesen war. Aber sie wollte Seans Gefühle nicht verletzen. „Okay, danke", sagte sie. Dirk saß auf dem Steg und zeigte George und Sandy gerade, wie man eine Angelschnur aufzieht. Glenda lag in der Nähe und sonnte sich. Als Sean und Britta vorbeikamen, mahnte Dirk: „Vergeßt nicht, die Schwimmwesten mitzunehmen." „Wieso? Ich kann schwimmen, und das Wasser ist nicht tief", protestierte Sean. „Tut mir leid. Das ist Vorschrift." Sean rührte sich nicht. Deshalb stand Dirk auf, nahm eine Schwimmweste von dem Stapel neben dem Bootshaus und gab sie Britta. Britta streifte sich das orangefarbene Ungetüm über den Kopf. Sie versuchte, die Bänder, zu befestigen, konnte sie aber nicht erwischen. Dirk verknotete die Bänder für sie und zog dann noch einmal daran, um zu sehen, ob die Weste fest saß. „Behalt das Ding an", sagte er. Sean schlüpfte ebenfalls in eine Schwimmweste, murrte dabei jedoch: „Vielleicht solltest du dir ein - 85 -
Kanu nehmen und uns hinterherfahren." Er schob das Boot ins Wasser. „Vielleicht werd ich das. Britta drängte sich rasch zwischen die beiden, doch als sie ins, Boot sprang, schlingerte es, und sie klammerte sich an Dirk fest. Dirk half ihr auf ihren Sitz. „Alles okay?" fragte er. „Natürlich ist sie okay", erwiderte Sean, der ins Kanu kletterte und abstieß. Mehrere kraftvolle Ruderstöße brachten das leichte Boot rasch in die Mitte des Sees. Sobald sie weit genug vom Ufer weg waren, streifte Sean die Schwimmweste ab und ließ sie auf den Boden des Kanus fallen. „Er kann mich zwar zwingen, das Ding mitzunehmen", sagte er, „aber nicht, es anzubehalten. Willst du deine nicht auch abmachen?" „Nein, mich stört sie nicht", meinte Britta. „Was ist los? Denkst du, daß ich dich nicht retten könnte?“ „Darum, geht's nicht. Außerdem kann ich selbst schwimmen. Aber die Schwimmweste ist gar nicht so unbequem.“ „Vielleicht. Ich kann es bloß nicht ausstehen, wie dieser Typ sich aufführt." „Was meinst du damit?" „Na, falls du es noch nicht bemerkt hast, er tut so, als wärst du sein Eigentum." „Ich hab dir schon mal gesagt - Dirk ist nur ein Freund der Familie." Sean grinste und sagte mit tiefer Stimme: „Du kannst mir glauben, wenn wir uns so lange kennen würden, dann wären wir viel mehr als gute Freunde." Britta wußte nicht so recht, was sie darauf - 86 -
antworten sollte. So schwieg sie lieber. Sean sah toll aus, aber seine ewigen Schmeicheleien und sein ständiges Flirten bewirkten, daß sie sich unbehaglich fühlte. Wenn er doch nur den Sinn für Humor von George gehabt hätte! Ja, dachte Britta, der perfekte Junge müßte eine Mischung aus diesen beiden sein jemand, der so gut aussieht wie Sean, aber mit dem Wesen von George. Jemand wie...Dirk. Dirk. Wie um alles in der Welt war sie denn auf den gekommen? Britta lehnte sich zurück und ließ ihre Hand durchs Wasser gleiten. Irgend etwas leuchtend Rotes fiel ihr plötzlich ins Auge. Sie wandte den Kopf, um es genauer anzusehen. Es waren keine Stoffetzen, sondern ein. Schal, oder ein Band, das mit einem Ende an einem tiefhängenden Ast befestigt war, während das andere Ende ins Wasser hing. Auch nachdem sie bereits vorbei gepaddelt waren, starrte Britta weiter darauf. Sean wunderte sich, weil sie so abwesend war. „Was ist los?" fragte er. „Ach nichts." Britta hob die Schultern. „Es ist so friedlich hier draußen. Ich hab mich einfach meinen Gedanken überlassen." „Du siehst wirklich sehr zufrieden aus." „Soll ich mal paddeln, und du ruhst dich aus?" fragte Britta. „Nein, genieß du die Fahrt. Ich bin zufrieden, wenn ich dich nur betrachten kann." Erneut lächelte Britta unverbindlich und lenkte dann das Gespräch auf Sean. Sie redeten über ihn, bis es Zeit war, zum Camp zurückzufahren. Noch bevor sie; das Ufer erreichten, konnte Britta sehen, - 87 -
daß der Pier verlassen war. „Sean, beeil dich, oder wir kommen zu spät zu den Spielen", drängte Britta. „Ach was, so spät ist es noch gar nicht. Wir hätten das Pfeifsingal hören müssen." „Vielleicht haben wir es verpaßt", rief sie und sprang aus dem Kanu, bevor er ihr helfen konnte. „Wenn unsere Hütte wegen mir noch mehr Minuspunkte bekommt, bringen die Mädchen mich um.“ Sie versuchte, ihre Schwimmweste loszubinden, aber sie konnte die Bänder nicht sehen. Statt weiter nutzlos Zeit zu vergeuden, zog sie das Ding schließlich über den Kopf aus. Sean war damit beschäftigt, das Kanu festzumachen, also griff Britta sich seine Schwimmweste und brachte beide Westen zurück zum Bootshaus. Sie machten sich zusammen auf den Weg zum Sportplatz, aber Britta nervte Seans langsames Tempo, und sie rannte voraus. Sie war völlig außer Atem, als sie endlich auf dem Sportplatz eintraf. „Alles in Ordnung?" fragte Jenny, sobald Britta sich, zu ihrer Gruppe gesellt hatte. „Kommt darauf an", keuchte Britta. „Habe ich es noch rechtzeitig geschafft?" Jenny nickte. „Ein paar der Hütten sind noch dabei, ihre Partner auszuwählen. Wir sind mit Toms und Dirks Hütte zusammen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen." „Wie ist das gekommen?" „Tom hat mich gefragt, ob wir in ihrem Team sein - 88 -
wollten", antwortete Jenny. „Er wird doch wohl nicht vergessen haben, daß ich in deiner Hütte bin?" „Natürlich nicht. Wieso fragst du?" „Wenn mein Cousin dich als Partnerin will, obwohl er weiß, daß er mich bei dem Handel gleich mit dazu bekommt, muß er dich wirklich mögen", erklärte Britta. Jenny wurde rot, aber ehe sie etwas sagen konnte, stießen die Jungen zu ihnen. Tom stellte sich sofort neben Jenny. „Du bist also von der Kanufahrt zurück", bemerkte Dirk. „Gerade noch rechtzeitig. Irgendwie laufe ich diese Woche immer hinter der Zeit her und bekomme entweder Minuspunkte oder vermeide sie gerade noch. Wir könnten heute wirklich ein paar Punkte gebrauchen." Dirk grinste. „Wie bist du in Volleyball?“ „So wie in allen anderen Sportarten, miserabel", antwortete Britta. Aber ich verspreche, dir, daß ich versuchen werde, wenigstens niemanden in die Quere zu kommen.“ Coach Walker gab den Teams fünf Minuten, um sich für das erste Spiel aufzustellen. Jenny, Tom und Dirk machten sich sofort daran, die Spieler zu verteilen, und zwar so, daß immer ein starker Spieler hinter einem schwachen stand. Britta hielt den Mund und ließ sich genauso wie die Kinder hin und her schieben. Sie fühlte sich sicherer, als Dirk hinter ihr Aufstellung nahm. Sobald das Spiel angefangen hatte, war keine Zeit - 89 -
mehr, an etwas anderes zu denken. Manchmal flog der Ball so schnell an Britta vorbei, daß sie es nicht mal schaffte, sich zu ducken. Aber sie bekam sogar heraus, wie sie vorbereiten mußte, damit Dirk den Ball übers Netz schlagen konnte. Britta genoß die Kameradschaft in ihrem Team und stellte mit Stolz, fest, daß Tom sie nicht ein einziges Mal im Laufe dieses Nachmittags anschrie oder kritisierte. Alles in allem spielte ihr Team in acht Spielen mit. Da sie nur eins verloren, waren sie Sieger. „Ich hab eine tolle Idee, wie wir feiern können", sagte Jenny. „Jeder schnappt sich, einen Schwamm und Scheuermittel, und wir gehen den Waschraum saubermachen." „Das ist deine Vorstellung von Feiern?" Britta lachte. „Na ja, es muß nun mal gemacht werden. Und je eher wir fertig sind, desto schneller können wir alle schwimmen gehen." Die Mädchen wußten, daß Jenny recht hatte. Außerdem waren alle so aufgeregt wegen des Sieges, daß sie noch immer lachten, als sie die Tür zum Waschraum öffneten. Dann verstummte das Lachen. Der Waschraum war das totale Chaos. Der Boden war mit einer klebrigen Masse und nassem Toilettenpapier bedeckt, die Spiegel und Wände mit Zahnpasta verschmiert, und auf die Armaturen hatte jemand Vaseline gestrichen. „Mist!", brach Pam das Schweigen. „Was ist hier passiert?" - 90 -
„Wer kann das getan haben?" fragte Judy. „Es waren doch alle beim Volleyball." Jenny und Britta gingen im Raum umher und besahen sich kopfschüttelnd den Schaden. "Ich nehme an, jemand hat sich geärgert, daß wir die Volleyballspiele gewonnen haben", meinte Jenny. „Aber das ist nicht fair. Wir werden. Stunden brauchen, um hier Ordnung zu schaffen", schimpfte Beth. „Nicht, wenn wir uns ranhalten", sagte Jenny. „Los, fangt an, das Zeug vom Fußboden zu wischen. Marlene, du und Jada putzt die Spiegel, und; Britta und ich. kümmern uns um die Toiletten." Natürlich brauchten sie länger als die vorgesehene halbe Stunde. Als sie die Arbeit schließlich beendet hatten, sagte Nettie: „Also, ich weiß nicht, wie es euch geht. Aber jetzt will ich erst recht diesen Wettbewerb gewinnen. Wer immer das hier getan hat - zeigen wir ihm, daß wir uns nicht unterkriegen lassen.“ „Das würde denen recht geschehen` stimmte Beth ein. „Wie viele Punkte haben wir eigentlich schon?" wollte Judy wissen. „Auf der großen. Tafel in der Nähe des Fahnenmastes werden jeden Tag die Punkte verzeichnet. Wenn wir heute nach dem Abendessen zum Lagerfeuer gehen, sehen wir nach, wie wir im .Rennen liegen", antwortete Jenny. Britta war sehr gespannt darauf, wie viele Punkte - 91 -
ihre Gruppe brauchte, um zu gewinnen. Sie war erleichtert, als sie feststellte, daß die Lage nicht so hoffnungslos war, wie sie gedacht hatte. Sie waren immer noch auf dem letzten Platz, aber zusammen mit den Punkten vom Volleyball lagen sie nur sieben Punkte hinter der vorletzten und siebzehn Punkte hinter der ersten Hütte. „Wenn wir es fertigbringen, von jetzt an keine Minuspunkte mehr zu machen, und irgendwie die Schatzsuche gewinnen, dann könnten wir es schaffen", meinte Jenny. „Wie viele Gegenstände fehlen uns noch?" fragte Jada. „Heute hab ich noch nicht gezählt, aber gestern hatten wir schon die Hälfte", antwortete Britta. „Ja, aber wenn das für uns so einfach war, kannst du wetten, daß die anderen Hütten damit auch keine Probleme haben werden. Wir müssen uns an die Schwierigen, ungewöhnlichen Dinge machen." „Ich habe angefangen, Wildblumen zu pressen und einzukleben. Das stand auf der Liste warf Rebecca ein. „Das ist genau das, was ich gemeint hab", lobte Jenny sie. „Na ja, ich weiß nicht, ob es gut wird." „Mach dir deswegen keine Sorgen. Bring es morgen mit in den Werkraum, dann helfe ich dir damit." Die Mädchen waren so eifrig dabei, ihre nächsten Schritte zu planen, daß Britta Sean nicht bemerkte, bis er fragte: „Sag mal, wo bist du heute nachmittag nachdem Spiel gewesen?" Britta verzog das Gesicht. „Wir mußten den Waschraum saubermachen." - 92 -
„Das ist ein Grund, warum ich diesen Ort nicht mag", sagte Sean. „Ich sehe nicht ein, wieso wir die Arbeit eines Hausmeisters machen müssen." „Zunächst einmal hilft es, die Kosten niedrig zu halten. Wenn die Walkers dafür Leute anstellen müßten, dann würden wir Betreuer entweder nicht soviel Geld kriegen, oder die Kinder müßten doppelt soviel bezahlen", antwortete Jenny. Beverly Adams hatte sich zu ihnen gesellt und mischte sich nun ins Gespräch „Im übrigen finde ich die Hausarbeiten gar nicht so schlimm." „Na ja: wir hatten vorhin zwar ein kleines Problem", sagte Jenny, „aber wir haben es trotzdem geschafft." Während Jenny und Beverly sich weiter unterhielten, beugte sich Sean zu Britta hinüber und flüsterte „Können wir uns nach dem Lagerfeuer treffen?" Britta schüttelte den Kopf. „Heute abend hab ich keine Zeit. Wir wollen heute die erste Hütte sein, die das Licht ausmacht. Den Extrapunkt dafür brauchen wir. Deshalb muß ich..." „Sag bloß, du machst dich jetzt auch für diesen Wettbewerb stark." „Klar, willst du nicht gewinnen?" „Ich bin mehr daran interessiert, mit dir zusammenzusein." „Aber wenn unsere beiden Gruppen gewinnen würden, dann könnten wir zusammen zur Siegerfeier gehen." „Daran glaubst du doch nicht wirklich, oder?" „Natürlich. Wieso nicht?" „Kapierst du denn nicht, daß der Neffe der Walkers bei den Jungen gewinnen wird?" - 93 -
„Seine Hütte führt im Moment, aber das heißt noch lange nicht, daß, er gewinnen wird", sagte Britta. „Sieh uns an. Wir sind auf dem letzten Platz und lassen uns davon keineswegs abschrecken." „Ja, aber die Walkers haben auch keine Nichte. Das heißt, ihr habt noch eine Chance. Der gute alte Dirk hat seinem Onkel und seiner Tante wahrscheinlich dabei geholfen, die Regeln für den Wettbewerb aufzustellen." „Das ist nicht wahr." „Woher willst du das wissen?" „Also erstens ist mein Cousin Dirks Hüttenkamerad. Glaubst du, daß er auch in der Sache mit drinsteckt?" fragte Britta scharf. „An Tom hab ich nicht gedacht, aber..." Coach Walker hatte sich dem Flaggenmast genähert, und als er das Feuer anzündete, ging Britta fort, um sich zu Jenny zu gesellen. Wie konnte Sean es wagen zu behaupten, daß die Walkers mogelten? Es lohnte sich nicht mal, die Sache mit Jenny zu besprechen. Außerdem wußte Britta, daß ihre Freundin hoffte, Toms Hütte würde gewinnen. Wenn ihre eigene Hütte dann auch gewinnen würde, dann würde Jenny mit Tom, ein Paar bilden. Und Britta und Dirk. Irgendwie war das ein verlockender Gedanke. Sie war so mit ihren Überlegungen beschäftigt, daß sie nicht viel von dem Vortrag Mr. Clarks mitbekam. Er handelte von den Indianern, die einmal in diesem Gebiet gelebt hatten. Alles, was sie hinterher noch wußte, war, daß die Indianer geglaubt hatten, Erdbeben würden von den Schritten einer gigantischen Schildkröte verursacht. - 94 -
8. KAPITEL Die Schatzsuche schien am nächsten Tag in den Köpfen aller herumzuspuken. Das gesamte Camp war auf den Beinen und kletterte auf dem Gelände herum, um vielleicht doch noch etwas zu finden, was sie vorher übersehen hatten. Da Britta im Krankenraum Dienst hatte, benutzte sie die Zeit, um die Liste der Gegenstände noch einmal genau zu studieren. Beim Mittagessen konnte sie ihrer Gruppe mitteilen: „Wir sind gar nicht so schlecht dran. Von den fünfzig Sachen auf der Liste haben wir schon vierunddreißig." „Ja, aber wir wissen nicht, wieviel die anderen Hütten haben", wandte. Jenny ein. „Dirk ist vorhin beim Krankenraum vorbeigekommen; und er hat gesagt, daß seine, Gruppe erst sechsundzwanzig Sachen hat." „Und wir haben noch heute und morgen Zeit; um zu suchen“, warf Marlene ein. „Ein paar von den Gegenständen sind wirklich seltsam. Wir könnten ja noch ein Vogelnest oder eine Pfeilspitze finden, aber was ist mit der Muschel? Hat jemand schon mal am Pier danach gesucht?" fragte Britta. „Britta, das Wasser da draußen ist ein See, kein Meer", bemerkte Judy. „Ich weiß, aber wenn Muscheln auf der Liste - 95 -
stehen, dann haben sie bestimmt irgendwo welche verstreut." „Ich hab das Schwarze einer Pappzielscheibe von heute morgen aus dem Bogenschießen-Kurs", sagte Melba. „Du hast ins Schwarze getroffen?" fragte Marlene. „Nein, ich nicht. Einer der Jungen im Kurs hat zweimal getroffen, und ich hab ihn gefragt, ob ich eine der Zielscheiben haben könnte." „Toll. Es steht nirgendwo in den Regeln, daß man selbst getroffen haben muß. Außer Klauen ist alles erlaubt", sagte Jenny. „Habt ihr alles in meinen Koffer gelegt?" wollte Britta wissen. „Ich hab ihn offengelassen, damit ihr jederzeit dran könnt.“ „Alles erledigt", erwiderte Melba. „Nach dem Mittagessen wollen Tom und ich in den Wald gehen und nach dem Schatz suchen." erklärte Jenny. „Auf der Liste steht, daß der Schatz vergraben ist. Aber da wir ihn schlecht ausbuddeln können, muß er in einer der Höhlen oder Spalten oben in den Hügeln sein." „Was macht ihr, wenn ihr ihn findet? Ich meine, wer behält, ihn?" gab Nettie zu bedenken. „Das haben wir schon geklärt. Der, der ihn entdeckt, bekommt ihn. Das ist die fairste Lösung." „Du mußt ihn ablenken, Jenny", sagte Britta. „Dann sieht er nicht so genau hin." „Das ist mehr deine Spezialität." Jenny grinste, als sie aufstand, um ihr Tablett wegzubringen. Britta und die anderen Mädchen folgten ihrem Beispiel und gingen dann zur Hütte zurück. Jenny machte, sich auf die Suche nach Tom. - 96 -
Während die Mädchen alle mit einem Spiel oder einem Buch beschäftigt waren, nahm Britta sich Kamm und Spiegel aus ihrem Koffer. Für heute nachmittag war Schlagball angesagt, wobei man bekanntlich viel rennen mußte. Deshalb wollte Britta sich eine passende Frisur machen. Am besten einen einzelnen Zopf. Da sie einen fliederfarbenen Overall mit pinkfarbenen Streifen anziehen wollte, entschloß sie sich, ein pink-, ein fliederfarbenes und ein rotes Band in den Zopf einzuflechten. Sie legte die Schleifen auf das Fußende ihres Bettes. Als sie sich daneben setzen wollte, rutschten die Bänder auf den Boden. Britta bückte sich, um sie aufzuheben. Da kam ihr beim Anblick der Bänder, die von ihrer Hand herunterbaumelten, etwas in den Sinn. Vor ihrem geistigen Auge stand das deutliche Bild eines anderen leuchtend roten Bandes, das von einem Baum herunterhing. Was um alles in der Welt suchte ein Band in einem Baum? Es konnte nicht von allein dahin gekommen sein. Jemand mußte es an den Baum gehängt haben, und niemand außer den Walkers hatte Zugang zu diesem besonderen Teil des Sees. Was für einen Grund konnten; sie dafür gehabt haben, wenn nicht die Schatzsuche? Auf der Liste stand nichts von einem roten Band oder Schal; aber vielleicht war es etwas anderes. Vielleicht markierte das Band die Stelle, wo etwas versteckt war. Das Schatzkästchen? Konnte es im Wasser „vergraben" sein? Britta war so aufgeregt, daß sie keine Geduld hatte, ihre Haare zu flechten, und sie am Schluß zu - 97 -
einem einfachen Pferdeschwanz zusammenband. Dann zog sie sich um und ging im Zimmer auf und ab, bis Jenny zurückkam - mit leeren Händen. „Nichts gefunden, was?'" fragte Britta. Jenny schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich weiß nicht, wo das Schatzkästchen noch sein könnte. Es sei denn, jemand hat es schon gefunden und sagt bloß nichts." In diesem Augenblick ertönte das Pfeifsignal, und Britta setzte die Mädchen in Richtung Sportplatz in Bewegung. Sie selbst blieb mit Jenny etwas zurück. „Ich hab gestern auf dem See was Seltsames gesehen", begann sie. „Vielleicht war es ein Hinweis, oder so was, deshalb fahre ich gleich nach den Spielen noch mal raus und sehe nach." „Ich komme mit“, bot Jenhy an. „Ich weiß nicht. Die anderen könnten mißtrauisch werden, wenn wir zusammen losziehen." „Du kannst aber nicht allein los. Du weißt nicht mal, wie man mit einem Kanu umgeht." Daran hatte Britta bereits gedacht. „Ich werd Dirk fragen, ob er mitkommt und hilft." Britta mußte nicht lange auf eine Gelegenheit warten, mit Dirk sprechen zu können. Ein paar Minuten nach Spielbeginn traf er sie mit dem Ball. „Ich bin froh, daß du es warst", sagte sie zu ihm. „Darf ich dich was fragen?" Dirk grinste sie an. „Das hier ist Krieg. Ich lasse mich nicht auf Verhandlungen ein." „Es geht nicht um das Spiel. Ich möchte, daß du mir einen Gefallen tust." „Um was geht's?" „Könntest du mich heute nachmittag mit dem Kanu - 98 -
rausfahren?" „Warum gerade ich?" „Ich erklär dir alles nachher. Bist du also einverstanden? Ich meine, fährst du mich raus?“ „Klar. Kein Problem." Britta lächelte ihn an. „Toll, vielen Dank, Dirk." Das Spiel ging weiter. Der Ball wurde zurückgeworfen, und Britta rannte los. Aber bevor sie die Basis erreichte, wurde sie erneut getroffen. Ihr Team hatte auf ganzer Linie Pech. Es verlor das Spiel. Am Schluß stand es unentschieden zwischen Glendas und Dirks Team. „Mist", schimpfte Jenny. „Wir hätten den Sieg wirklich gut gebrauchen können. Jetzt hat Glendas Hütte den Abstand noch vergrößert." „Uns bleibt noch die Schatzsuche", erinnerte Britta; sie. „Dirk fährt mit mir raus." „Hoffentlich findet ihr was, Während du weg bist, passe ich auf, die Mädchen auf." Britta lief zum Anlegesteg hinunter, wo Dirk bereits auf sie wartete. Schnell band sie sich eine Schwimmweste um, und kletterte ins Kanu. „Los, fahren wir ab", sagte sie. „Warum hast du's so eilig?" fragte Dirk. „Hast du Angst, Sean; könnte dich erwischen, wie du hier mit mir zusammen rausfährst?" „Sean ist mir egal. Ich will bloß nicht, daß uns jemand folgt." Dirk stieß das Kanu ab, und als sie ein Stück vom - 99 -
Ufer weg waren, fragte er: „Willst du mir nicht endlich mal erzählen, was das alles zu bedeuten hat?" „Gestern hab ich hier draußen etwas entdeckt, und ich brauchte jemanden, dem ich vertrauen kann, um mich nochmal hinzubringen." „Und deshalb hast du mich gefragt?" „Klar. Wen denn sonst?" Das war zwar nicht gerade das Motiv, das Dirk sich gewünscht hätte. Aber wenigstens war es etwas. Laut fragte er: „Wo soll's denn langgehen?" Britta zeigte nach rechts, und Dirk lenkte das Kanu mit kraftvollen Ruderstößen in die Richtung. Das Boot glitt rasch dahin. Eine Weile fuhren sie schweigend, und dann, als Britta dachte, das Band sei ein Produkt ihrer Fantasie gewesen, sah sie es erneut. „Da ist es!" schrie sie und zeigte auf das kleine Stückchen Stoff. „Was denn? „Dieses Band da, oder was immer es ist. Kannst du mich; näher heranfahren?" Dirk manövrierte das Kanu herum, bis Britta mit der Hand das rote Band erreichen konnte. Ein Ende davon war fest um den Ast gebunden, und als sie versuchsweise daran zog, spürte sie am anderen Ende einen Widerstand. „Da unten ist etwas rief sie und zog weiter an dem Band. Einen Augenblick später tauchte eine kleine Metallkiste aus dem Wasser auf. „Hey!" rief Dirk. „Das ist doch nicht etwa... " Britta fummelte an den Verschnürungen auf dem Schloß herum. „Ich weiß nicht. Ich krieg's nicht auf." Dirk zog ein kleines Taschenmesser heraus und nahm Britta die Kiste aus der Hand. Nachdem er die - 100 -
Schnüre durchschnitten hatte, löste er mit der Klinge den Deckel. Dann hielt er Britta die Kiste hin. „Möchtest du dir die Ehre geben?" fragte er. Britta streckte schon die Hand aus, änderte dann jedoch ihre Meinung. „Wenn es nun etwas anderes ist? Sieh du lieber zuerst nach." Gleichzeitig ängstlich und zu aufgeregt, um wegzuschauen, beobachtete sie als Kompromiß Dirks Gesicht. Sobald er anfing zu lächeln, strahlte sie ebenfalls. „Es ist tatsächlich der Schatz", sagte er und drehte das Kästchen um, damit Britta die funkelnden Goldkettchen, die Kolliers und Ringe mit Glassteinen und die billigen Armreifen sehen konnte. „Tatsächlich! Ich kann es nicht glauben! Ich hab ihn gefunden!" Es fiel ihr schwer, stillzusitzen, und; ihre aufgeregten Bewegungen ließen das Kanu gefährlich hin- und her schaukeln. „Hey, vorsichtig, oder wir kippen mitten auf dem See um!" „Ist mir egal! Ich möchte springen und tanzen!" „Schön. Sobald wir wieder an Land sind, kannst du mich abküssen, aber bis dahin setzt du es besser auf mein Guthaben", sagte er und begann zum Camp zurückzurudern. „Ich fühl mich, als hätte ich einen richtigen Schatz gefunden. Britta streifte sich den Modeschmuck auf Hände und Arme. „Was werden die anderen wohl denken, wenn ich so geschmückt zurückkomme?" „Vielleicht solltest du es geheimhalten." „Wieso?" „Na ja, wenn niemand weiß, daß du ihn bereits - 101 -
gefunden hast, werden sie ihre Zeit damit verschwenden, weiter danach zu suchen. Sie werden andere Dinge, die sie finden könnten, dafür vernachlässigen." „Gar nicht so dumm", meinte Britta. „Aber wie kriege ich das Kästchen unbemerkt in meine Hütte?" „Ich laß dich drüben hinter dem Mädchenwaschraum aussteigen, dann brauchst du nur noch über den Hügel zu laufen und dich in deine Hütte zu schleichen." „Und woher weiß ich, ob ich dir vertrauen kann? Ob du mein Geheimnis nicht verrätst?" „Ich lasse mich gern von dir bestechen." Dirk lenkte das Kanu zum Ufer und ließ Britta dort aussteigen. „Wie wär's, wenn wir uns heute abend nach dem Lagerfeuer treffen, damit ich eintreiben kann, was du mir schuldest?" „Okay. Ich kann es mir nicht leisten, daß noch Zinsen fällig werden." Ein Geräusch vom Hügel her lenkte sie ab, und Britta, die Angst hatte, daß jemand sie mit dem Schatzkästchen erwischen könnte, machte, daß sie wegkam. Ohne Zwischenfall erreichte Britta die Hütte. Sobald sie sicher drinnen war, öffnete sie das Kästchen und breitete den Inhalt auf ihrem Bett aus. Sie war so damit beschäftigt, die Schmuckstücke durchzugehen, daß sie nicht, hörte, wie die Tür aufging. „Du hast ihn gefunden!" Jenny verschlug es den Atem. „Ist das nicht toll?" Britta hielt eine Handvoll - 102 -
Schmuck in die Höhe. Nachdem Jenny sich von ihrer Überraschung erholt hatte, berichtete Britta ihr von Dirks Rat, den Fund vorläufig geheimzuhalten. „Gute Idee", meinte auch Jenny. „Vielleicht sollten wir es nicht mal unseren Mädchen erzählen." „Wieso nicht? Sie sind doch auf unserer Seite." „Ich weiß, aber wenn sie erfahren, daß wir das Kästchen haben, strengen sie sich bestimmt nicht mehr so an. „Da hast du wahrscheinlich recht. Außerdem könnte ihnen rausrutschen, daß wir es gefunden haben", sagte Britta. „Ich lege es in einen von meinen anderen Koffern." Sie zog einen vollen Koffer unter dem Bett hervor und schaffte für das. Kästchen Platz. „Woher wußtest du übrigens, daß ich wieder da bin? fragte sie Jenny. „Ich hab gesehen, wie du mit Dirk am Anlegesteg vorgepaddelt bist, und hab mir gleich gedacht, daß ihr irgendwas im Schilde führt. Also hab ich mich auf den Weg zur Hütte gemacht." „Meinst du, es hat noch jemand bemerkt?" „Bemerkt schon, ja, aber keine Sorge. Nach den Kommentaren, die ich gehört hab, dachten alle, ihr beide wolltet bloß noch ein bißchen allein sein." „Aber wir sind nicht..." begann Britta zu protestieren, doch dann hielt sie inne. „Er will sich heute abend mit mir treffen", sagte sie statt dessen. „Also ist doch was zwischen euch!" „Nicht direkt - jedenfalls noch nicht", gab; Britta grinsend zur Antwort. „Zu Hause wollten Tom und Dirk mich nie dabeihaben. Ich dachte immer, Dirk könnte mich nicht besonders leiden." Jenny setzte sich auf Brittas Bett, umschlang ihre - 103 -
Knie mit den Armen und stützte ihr Kinn darauf. „Oh; sicher", sagte sie. „Jeder einzelne Junge hier im Camp, mit Ausnahme von Tom, versucht, eine Verabredung mit dir zu bekommen, und du denkst, Dirk ist nicht interessiert." Britta schwieg einen Moment gedankenverloren. Dann fragte; sie: „Warst du schon mal richtig verliebt?“ „Du lieber Himmel, keine Ahnung, Ich war schon xmal verknallt, aber irgendwie hatte ich nie das Gefühl, daß es so richtig gefunkt hat. Und du?" Britta schüttelte den Kopf. „Ich war noch nicht mal verknallt. Jedesmal, wenn ich einen Jungen nett fand, haben wir uns verabredet und sind irgendwohin gegangen. Ich weiß auch nicht, alle kamen mir dann so uninteressant und durchschnittlich vor." „Das ist der Unterschied zwischen uns beiden", meinte Jenny. „Ich sitze zu Hause herum und träume von Verabredungen mit gewissen Jungen, und du setzt es in die Tat um." Sie nahm ein Kissen und warf es nach Britta. „Na komm, wir machen uns fertig fürs Abendessen." Dirk hatte nicht gesagt, wo sie sich treffen sollten, deshalb schlenderte Britta nach dem Abendessen und der Abendzeremonie hinüber zum Lagerfeuer, um dort auf ihn zu warten. Sandy und George saßen bereits vor dem Feuer und rösteten Marshmallows. Britta gesellte sich zu ihnen. - 104 -
Nach einer Weile hörte sie Schritte hinter sich und war überrascht, als Glenda fragte: „Was machst du denn hier?" „Das ist mein freier Abend. Wo sollte ich denn sonst sein?" Glenda zuckte die Achseln. „Ich dachte nur, du wärst in deiner Hütte. Ich hab Jenny getroffen. Sie war auf dem Weg zum Krankenhaus" „Du meinst doch nicht daß etwas passiert ist, oder?" fragte Sandy. „Gleich kommt das letzte Pfeifsignal für heute. Wenn dann keiner bei euren Mädchen in der Hütte ist...“ Britta stand auf. „Ich geh besser nachsehen." Sie machte sich wirkliche Sorgen. Einige der Hütten, ihre eigene eingeschlossen, hatten bereits das Licht aus. Sie wußte, daß sie nicht mehr viel Zeit hatte. Deshalb begann sie zu rennen und schaffte es tatsächlich, die Schwelle zu überschreiten, gerade als das Signal erklang. Ihre Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt, also blieb sie an der Tür stehen und rief: „Ist alles in Ordnung?" „Britta? Was machst du denn hier?" fragte Jenny. „Ich dachte, du wärst im Krankenraum", entgegnete Britta und tastete sich zum Bett ihrer Freundin. „Ich bin mit Rebecca, hingegangen, weil sie ein Pflaster brauchte. Aber Mrs. Clark war solange hier, um auf die Mädchen aufzupassen." Es klopfte leise an die Tür, und Betty steckte den Kopf in den Raum. „Ich seh nur nach, ob alle im Bett sind. Seid ihr vollzählig?" „Ja", antwortete Jenny und Britta setzte hinzu: „Wir sind okay." - 105 -
„Oh, ihr seid beide da. Dann kann ich eure Hütte für heute ja abhaken." Betty verschwand wieder. Sobald sie weg war, sagte Britta: „Da du hier bist, gehe ich wieder zurück.“ Jenny hielt sie am Arm fest. „Britta, du kannst nicht weggehen. Wenn du erst eingecheckt bist, darfst du nicht wieder nach draußen gehen." „Ich muß aber! Dirk wartet auf mich." „Du kennst die Regeln." „Jenny, wenn ich nicht komme, wird Dirk denken, daß ich ihn versetzt hab." „Du kannst es ihm morgen erklären.“ „Das ist doch nicht dasselbe!" Britta warf sich auf ihr Bett. „O Mann, ich glaub's einfach nicht!"
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9. KAPITEL Britta legte sich ins Bett, aber es fiel ihr schwer, einzuschlafen. Mehrmals in der Nacht wachte sie auf und starrte an die Decke, ohne die leiseste Ahnung zu haben, was sie aufgeweckt hatte. Als es schließlich dämmerte, beschloß sie aufzustehen. Sie konnte ohnehin kein Auge mehr zutun. Jenny hörte, daß sie sich im Zimmer bewegte, und setzte sich im Bett auf. „Was ist los?" fragte sie schläfrig. „Leg dich wieder hin", flüsterte Britta. „Ich geh duschen und bring mein Haar in Form. Es sieht schrecklich aus.“ „Du bist verrückt", murmelte Jenny und kuschelte sich tiefer in ihren Schlafsack. „Bin ich nicht. Ich bin fertig, bevor ihr aufsteht." Britta zog den Bademantel über ihren Schlafanzug und packte alles zusammen, was sie brauchte. Dann ging sie zum Waschraum. Obwohl ihr ein richtiges Badezimmer im Inneren der Hütte lieber gewesen wäre, genoß sie die frische, taufeuchte Morgenluft, vor allem, weil sie als einzige auf war und heißes Wasser haben würde. Unter der Dusche nahm sie sich Zeit, schamponierte gründlich ihr Haar und ließ eine Haarkur einwirken. Dann spülte sie sie aus und griff - 107 -
nach dem Handtuch, das sie auf der Bank vor der Kabine liegen lassen hatte. Sie trocknete sich ab, wickelte sich das Handtuch um und trat aus der Duschkabine, um das andere Handtuch für ihr Haar herauszuholen. Es war nicht mehr auf der Bank. Verwundert sah sie sich um. Sie wußte genau, daß sie das Handtuch auf die Bank gelegt hatte, zusammen mit ihrem Bademantel und den sauberen Klamotten. Dann fiel es ihr auf. Nicht nur das ,Handtuch war weg. Alle ihre Sachen ihre Klamotten, Bademantel, Fön alles war verschwunden! Sie hatte nur das eine Handtuch. Einen kurzen Augenblick spielte Britta mit dem Gedanken, sich so zur Hütte zurückzustehlen, aber nach einem Blick nach draußen ließ sie die Idee sausen. Das Risiko war zu groß. Statt dessen lief sie im Waschraum auf und ab. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, als sie draußen Stimmen und Geräusche hörte. Manchmal gingen die Mädchen erst nach dem, Frühstück in den Waschraum, um noch ein paar Minuten länger im Bett bleiben zu können. Was, wenn sie das heute auch taten? Gerade als sie in Panik geraten und um Hilfe, schreien wollte, ging die Tür auf, und Beverly Adams kam herein. „Bin ich froh, daß du da bist!" keuchte Britta. „Wieso? Was ist los? „Jemand hat meine Sachen geklaut. „Du machst Quatsch!" „Na ja, ich weiß, daß ich sie mitgenommen hab, und jetzt sind sie nicht mehr hier", sagte Britta. „Ich - 108 -
möchte dich nicht belämmern, aber könntest du bitte bei meiner Hütte vorbeigehen und Jenny erzählen, was los ist? Sie- soll mir andere Klamotten bringen, ja?" „Na klar, ich bin schon weg", sagte Beverly, ohne zu zögern. Ein paar Minuten später kam Jenny mit den Kleidungsstücken. „Ich hab die hier hinter unserer Hüttegefunden", sagte sie und gab Britta den Packen. „Wahrscheinlich sind die Sachen selbst dahin zurückgegangen", murmelte Britta, während sie nachsah, ob alles da war. „Du hast nichts gehört?" erkundigte Jenny sich. „Nein, ich war ja unter der Dusche." „Wer könnte so was tun, und warum?" Britta zog sich schnell an. „Jemand, der nicht wollte, daß wir heute morgen pünktlich sind." „O je!". stieß Jenny hervor. „ich treib besser die Mädchen ein bißchen an. Wir treffen dich am Fahnenmast, wenn du .... na ja, tu dein Bestes." „Geht ruhig vor, ich werd da sein", versprach Britta. Ihr Haar war noch klatschnaß, aber zum Föhnen reichte die Zeit nicht mehr. Britta fuhr sich nur ein paarmal mit dem Kamm hindurch und malte sich die Lippen an. Das war alles. In ihren Hütte war niemand mehr. Sie warf ihre Sachen aufs Bett und raste zum Fahnenmast. Sekunden vor dem Pfeifsignal, nahm sie ihren Platz ein. Sobald die kurze Zeremonie vorbei war, fiel Jenny Britta um den Hals. „Ich kann es noch nicht fassen; daß du es. rechtzeitig geschafft hast." - 109 -
„Ich auch nicht. Aber aufs Frühstück muß ich heute verzichten, damit ich mich fertig anziehen kann. „Das geht nicht, Britta. Wir haben doch heute Dienst in der Cafeteria. Wir müssen gleich los." „O nein", stöhnte Britta. „Was für ein Tag! Und es ist erst sieben Uhr morgens." Jenny versuchte, sie zu trösten. „Wenigstens weißt du, daß es nur besser werden kann." „Hoffentlich hast du recht", seufzte Britta. „Vielleicht sind die anderen zu hungrig, um zu merken, wie ich aussehe." Ein paar Kinder warteten schon vor der Tür, und sobald Jenny und Britta auftauchten, ließ Mrs. Jackson sie an die Arbeit gehen. Britta mußte den Saft in Gläser füllen und war so beschäftigt, daß sie ihr Aussehen vergaß: Sie kriegte nicht mal mit, wer alles in der Schlange stand, als sie Glenda leise sagen hörte: „Nanu, Britta, du bist ja ganz naß!" Britta blickte auf, da sah sie Dirk, der bereits ein paar Leute weiter war. Er war an ihr vorbeigegangen, ohne sie anzusprechen. Mit einem Schlag vergaß sie ihren ganzen Ärger auf Glenda. Mist! Sie hatte ihn verpaßt. Das einzig Gute am Dienst in der Cafeteria war für sie die. Aussicht gewesen, daß sie Dirk sehen würde. Sie schuldete ihm wegen gestern abend eine Erklärung, und je eher sie diese loswerden konnte, desto besser. An einem gewöhnlichen Tag konnte sie darauf zählen, ihn viele Male zu Gesicht zu bekommen. Aber heute, wo es wirklich darauf ankam, war er nirgendwo zu finden. Von jedem anderen Jungen hätte Britta - 110 -
geglaubt; daß er sie absichtlich mied. Doch von Dirk konnte sie sich so etwas nicht vorstellen. Es mußte ein dummer Zufall sein. Nachdem sie Dirk beim Mittagessen ebenfalls verpaßt hatte, beschloß Britta, nicht mehr darauf zu warten, daß er von sich aus zu ihr kam, sondern einfach nach ihm zu suchen. Da sie wußte, daß alle in der Pause unweigerlich zum Pier gingen, stellte sie sich auf dem Weg dorthin auf und wartete. Als Britta ihn kommen sah, reckte sie sich hoch, aber er gab kein Erkennungszeichen von sich. Sie wartete, bis er fast auf ihrer Höhe war, und rief ihn dann. „Ja?" fragte er und blieb stehen. Britta spürte seine Ungeduld und sagte rasch: „Kann ich mit dir reden?“ Dirk spannte die Wangenmuskeln an. „Worüber?“ „Über gestern abend“, begann sie verlegen. „Wir wollten uns doch treffen.“ „Ach, das." Dirk zuckte die Achseln. „Mach dir deswegen keine Gedanken. Ich hab dich bloß auf den Arm genommen." Das Blut wich so schnell aus Brittas Gesicht, daß sie sich wie benebelt fühlte. Sie mußte sich zwingen, etwas zu sagen. „Das hab ich mir gedacht", entgegnete sie steif. Aus Furcht, sie könnte die Fassung verlieren, wirbelte Britta herum und ging zu ihrer Hütte. Wenn sie den Raum für sich gehabt hätte, dann hätte sie einen fürchterlichen Wutanfall bekommen. Aber natürlich ging das in Gegenwart von acht neugierigen kleinen Mädchen nicht. Statt dessen riß sie einen ihrer Koffer auf und - 111 -
schnappte sich ihren Badeanzug. Sie war schon fast aus der Tür, als Jenny; sie anhielt. „Was ist denn los? Konntest du Dirk nicht finden?“ fragte sie leise und voller Mitgefühl. „Ich habe ihn gefunden, o ja“, antwortete Britta wütend. „Aber ich hätte mir wirklich die Mühe sparen können. Es war alles nur ein Scherz.“ „Das kann nicht sein. Und wenn ich für dich mit ihm reden würde?“ „Laß dir das bloß nicht einfallen! Bis jetzt sind du und ich die einzigen, die wissen, was für ein Idiot ich fast gewesen wäre. Und so soll es auch bleiben.“ Se wies auf den Badeanzug, den sie in der Hand hielt. „Ich geh schwimmen, um mich ein wenig abzukühlen.“ .Britta und ein Seniorbetreuer hatten den Swimmingpool ganz für sich, da die Kinder ja Mittagsruhe hielten und die meisten anderen Betreuer am See waren, wo sie Kanu fuhren oder einfach auf dem Pier faulenzten. Sie blieb dort und schwamm ihre Runden, bis es Zeit war, daß sie sich wieder anzog und auf dem Sportplatz einfand. Inzwischen war sie so müde, daß sie nicht mal Frust verspürte, als ihre Mannschaft das Spiel verlor. Nach dem Spiel ließen Britta und Jenny ihre Mädchen zum, Swimmingpool und zum See gehen, während sie selbst zur Hütte zurückschlenderten. Die Schatzsuche endete offiziell mit dem Pfeifsignal zum Abendessen, aber da sie in der - 112 -
Cafeteria bedienen mußten, wollten sie ihre Sachen vorher abgeben. Britta hakte jeden Gegenstand, den sie Jenny reichte, auf der Liste ab. Jenny wiederum steckte alles in einen alten Kissenbezug. Als sie mit den anderen Sachen fertig waren, sagte Jenny: „Okay, hol das Schatzkästchen. Wir setzen es obenauf." Britta zog den anderen Koffer hervor und machte ihn auf, aber das Kästchen war nicht da. Sie sah an den Seiten nach. Noch immer nichts. Sie begann, Klamotten aus dem Koffer zu nehmen und auf dem Boden aufzuhäufen. „Es ist weg", sagte sie schließlich. Jenny ließ den Kissenbezug fallen. „Was soll das heißen - es ist weg?" „Eben das. Das Schatzkästchen ist nicht in diesem Koffer." Jenny begann, die anderen Koffer hervorzuziehen und auf dem Boden auszuleeren. „Es muß hier irgendwo sein!" Nachdem alles, was Britta besaß, auf dem Boden ausgebreitet war, war es offenkundig, daß das Kästchen verschwunden war. „Was glaubst du, was damit passiert ist?" fragte Britta. „Jemand hat es genommen", sagte Jenny. „Du meinst, jemand war in unserer Hütte und hat meine unsere Sachen durchwühlt?" Britta schauderte. „Das ist ja widerlich." „Und gegen die Regeln. Ich frage mich, ob sonst noch was fehlt." Die anderen Gegenstände für die Schatzsuche sind alle da, und keins der Mädchen hat erwähnt, daß es was Persönliches verloren hätte. „Hast du irgendwas verloren?" - 113 -
Jenny schüttelte den Kopf. „Nein, was ist mit dir?" Britta schaute sich um. „Mir fällt nichts ein." Gemeinsam begannen sie, Brittas Klamotten wieder wegzupacken. „Ich glaube, jemand versucht, uns zu sabotieren", sagte Jenny. „Dieser Jemand hat den Waschraum verdreckt, deine Sachen geklaut, und nun das. Vielleicht wird's Zeit, daß wir den Walkers Bescheid sagen, was passiert ist." „Ich weiß nicht. Ich kann mir was Besseres vorstellen, als allen zu erzählen, daß mir meine Klamotten abhanden gekommen sind. Und irgendwie fänd ich's komisch; wenn wir verkünden würden, daß uns jemand schikaniert. Die anderen würden uns für einen Haufen Jammerlappen halten." „Du hast recht. Da wir aus dem Schatz ein großes Geheimnis gemacht haben, können wir nicht mal beweisen, daß wir ihn überhaupt hatten", meinte Jenny. „Aber ohne ihn können wir auf keinen Fall gewinnen." „Was ist mit all diesen anderen Sachen?" fragte Britta. „Die können gegen den Schatz nichts ausrichten. Er ganz allein war fünfundzwanzig Punkte wert. Ich bin nur froh, daß wir den Mädchen nichts gesagt haben. Die Enttäuschung wäre zu groß gewesen." „Ich würde zu gern wissen, wer ihn uns weggenommen hat", sagte Britta. „Das werden wir bald wissen." „Wie denn? „Wir können es vielleicht nicht beweisen, aber wenn uns jemand in der Schatzsuche schlagen will, dann kann er das nur mit Hilfe des Schatzes." - 114 -
Sie gab Britta den Kissenbezug mit dem Rest der Beute. „Geh du vor und liefere das hier ab. Wir treffen uns an der Cafeteria." Auf dem Rückweg vom Büro machte Britta einen Umweg über die Tafel, auf der der Punktestand verzeichnet war. Dort traf sie Bill Howland, dessen Hütte ebenfalls Dienst in der Cafeteria hatte. Wie sie verglich er die Punktzahl seiner Gruppe mit der der anderen. „Ich weiß gar nicht, wieso wir unsere Sachen überhaupt abgeliefert haben", sagte er. „Bis gestern haben wir nicht ernsthaft gesucht. Wir haben nicht mehr als zehn Gegenstände zusammenbekommen." „Wir haben die ganze Woche über gesucht", erwiderte Britta. „Bei all unseren Minuspunkten war es unsere einzige Chance, auf einen besseren Platz zu klettern." Ihre Hütte war zwar noch immer auf dem letzten Platz, aber sie lagen nicht allzu weit hinter dem dritten und vierten Platz. Glendas Hütte belegte Platz eins, die von Beverly Adams und Carol Smith den zweiten. Beide hatten einen so großen Vorsprung, daß Britta wußte, Jenny hatte recht. Sie konnten den „Beste-Hütte-Wettbewerb" auf keinen Fall ohne Schatz gewinnen. Bei den Jungen waren Tom und Dirk immer noch auf dem ersten Platz, aber die einzelnen Hütten lagen nur zwischen fünf bis zehn Punkten auseinander. Eine niedrigere Punktezahl bei der Schatzsuche, konnte allen gefährlich werden. „Wann erfahren wir, wer gewonnen hat?" fragte Britta Bill. „Heute übend am Lagerfeuer wird der Coach es - 115 -
bekanntgeben. Dann können die Nächstplazierten wählen, was sie bei der Feier machen wollen." „Was würdest du am liebsten tun? „Das spielt so gut wie keine Rolle. Meine Hütte landet mit Sicherheit auf dem letzten Platz und muß dann das nehmen, was die anderen übriglassen", sagte Bill. Als Britta und Bill die Cafeteria erreichten, waren ihre Gruppen schon eifrig dabei, die Tische zu decken. Es gab Lasagne als Hauptgericht, und während Bill und sein Hüttenkamerad, Tom Leitenberger, die riesigen Tabletts mit dem dampfenden Essen blanancierten, servierten Britta und Jenny den Salat und Desserts. Nachdem alle gegessen hatten, mußten sie die Tische abräumen, abwischen und den Boden kehren. Erst dann konnten sie zum Lagerfeuer hinübergehen, wo die anderen Gruppen schon versammelt waren. Sobald sie sich hingesetzt hatten, stand Mr. Walker auf, um die große Ankündigung zu machen. „Ich weiß, ihr wartet alle darauf zu erfahren, wer die Schatzsuche und den ,Beste-Hütte-Wettbewerb' gewonnen hat", begann er. „Vorher möchte ich euch nur noch kurz zu einem der besten Wettbewerbe gratulieren, die wir in den letzten Jahren hatten. Und nun will ich euch nicht länger auf die Folter spannen." Er ging hinüber zur Anzeigetafel und hielt ein Blatt Papier in die Höhe. „Auf der Tafel stehen die Punkte, die ihr bisher bekommen habt. Ich werde jetzt die Punkte für die Schatzsuche hinzuaddieren, und dann können wir sehen, wer die Gewinner sind." Er fing mit der niedrigsten Punktzahl an, und Britta; - 116 -
stellte fest, daß es tatsächlich Bills Hütte war. Gruppe nach Gruppe kam dran, bis Mr. Walker die letzte, höchste Punktezahl notierte. Bevor er noch mit dem Schreiben fertig war, wußten die Mädchen von Hütte vier, daß sie die Schatzsuche gewonnen hatten, und begannen zu jubeln. Jenny und Britta waren so überrascht, daß sie einander nur anstarrten. „Was ist mit dem Schatzkästchen passiert?" flüsterte Britta Jenny studierte immer noch die Tafel und schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Es ist nicht mal abgegeben worden. Sieh mal, wir sind insgesamt auf den dritten Platz gekommen, aber niemand liegt so weit vor uns." „Es ist bei uns Brauch, am letzten Abend der Woche die Gewinner bei Jungen und Mädchen mit einer Siegesfeier zu belohnen", sagte der Coach. „Deshalb werden die Hütten von Verna und Glenda und von Dirk und Tom unsere Ehrengäste sein. Er wartete eine Weile, bis der Jubel abgeklungen war, bevor er fortfuhr: „Die übrigen Hütten werden entweder die Cafeteria dekorieren, bedienen, saubermachen oder für die Unterhaltung sorgen. Wenn ihr beim Büro vorbeigeht, um die Sachen wieder abzuholen, die ihr dort für die Schatzsuche abgeliefert habt, dann könnt ihr Betty Bescheid sagen, was ihr machen wollt. Natürlich haben die Hütten auf dem zweiten Platz die erste Wahl, und so weiter." „Was sollen wir denn machen?" fragte Britta. „Dekorieren und bedienen sind die beiden leichtesten Arbeiten. Da Beverly und Carol zweite - 117 -
Sieger sind, haben sie die erste Wahl. Wir können das nehmen, was sie nicht wollen. Vorausgesetzt, unsere Mädchen wollen nicht die Unterhaltung machen. Es ist keine eigentliche Arbeit, aber..." „Ach du lieber Himmel Wir dürfen sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen lassen", sagte Britta. „Da ich sowieso mit den Mädchen reingehen muß, schaue ich beim Büro vorbei und hole unsere Sachen ab." „Danke. Ich suche Tom und gratuliere ihm", erwiderte Jenny. Britta versammelte die Mädchen und schickte sie vor. Sie sollten sich schon mal fürs Bett fertig machen, während sie selbst zum Büro ging. Betty wartete dort bereits auf ihre Entscheidung. „Wir würden am liebsten dekorieren", sagte Britta. „Aber falls Beverlys Hütte das gewählt hat, servieren wir." „So läuft es jedesmal", antwortete Betty. „Eure Hütte hat sich wirklich tapfer geschlagen. Ich glaube, es ist das erste Mal, daß eine Gruppe so viele Punkte bei der Schatzsuche gemacht hat.“ „Danke. Wir haben uns auch wirklich angestrengt", sagte Britta. „Aber ich hab mich gefragt... hat jemand den Schatz abgegeben? „Nein. Ich schätze, Charles hat ihn zu gut versteckt. Wir müssen Dirk losschicken, um ihn zu holen, damit wir nächste Woche nicht mit zwei Schatzkästchen dastehen." Dirk wußte, daß sie den Schatz gefunden hatte. Er war dabei gewesen! Vielleicht hatte er eine Idee, was damit passiert sein konnte. Britta drehte sich um, und als: hätten ihre Gedanken ihn herbeigezaubert, sah sie Dirk im - 118 -
Türrahmen stehen. Er betrachtete sie. „Herzliche Glückwünsche", sagte er. „Ich wußte, daß ihr die Schatzsuche gewinnen würdet, aber ich dachte, ihr hättet mehr Punkte gemacht mit dem...“ „Dirk!" rief Glenda, die die Stufen hochgerannt kam. „Ist es nicht toll? Wir haben gewonnen!" „Ja. Sieht so aus, als würden wir zusammen zur Feier gehen", sagte er. Glenda lachte. „Wenn das eine Einladung sein soll, nehme ich sie an.“ Britta wußte, daß sie keine Gelegenheit haben würde, mit Dirk zu reden, solange Glenda in der Nähe war. Deshalb versuchte sie, sich unbemerkt wegzustehlen. Sie würde draußen auf dem Weg warten und Dirk auf dem Rückweg zu seiner Hütte erwischen. Dirk sah Britta weggehen und wollte ihr folgen, doch Glenda streckte die Hand aus, um ihn zurückzuhalten. Er wollte Glenda schon einfach wegschieben, da fiel sein Blick auf ihren aufblitzenden Ring, und er hielt inne. Warum kam ihm der Ring so bekannt vor? „Hast du nicht vergessen, deine Sachen mitzunehmen?" fragte Glenda. „Ja, stimmt", gab er verlegen zu. Im Büro nahm er die Gelegenheit wahr, um sich den Ring in dem helleren Licht näher anzusehen. Er hatte ihn schon einmal gesehen, und nun wußte er, wo. An Brittas Hand. Britta hatte den Ring, den ihr Onkel für sie gemacht hatte, bestimmt nicht verschenkt, und sie hatte mit Sicherheit keinen Grund, ihn zu verkaufen. Wie war - 119 -
Glenda also an den Ring gekommen? Seine Tante gab ihnen ihre Sachen, und Dirk schwang sich seine über die Schulter. „Komm", sagte er zu Glenda. „Ich begleite dich. „Gern, danke." Glenda lächelte geschmeichelt. „Ich bin überrascht, daß du nicht losläufst, um Britta einzuholen." „Wie kommst du darauf?" „Spiel nicht den Unschuldigen, Dirk Walker! Du bist genauso hinter diesem Mädchen her wie alle anderen Jungen hier.“ Soviel zu der Möglichkeit, daß sie sich den Ring von Britta geliehen hatte. Offensichtlich waren die beiden Mädchen nicht allzugut aufeinander zu sprechen. Er konnte Glenda nicht direkt danach fragen - nicht, bis er sicher war, daß sie ihm traute. „Denkst du das wirklich?"' fragte er deshalb und nahm ihre Hand. „Ich weiß es", antwortete Glenda schon weniger heftig. „Wenn du wirklich wissen wolltest, wie ich zu Britta stehe, hättest du mich fragen sollen." „Okay. Dann frag ich dich jetzt.“ „Britta und Tom hatten eine Wette, daß sie es hier nicht eine ganze Woche lang aushalten würde", improvisierte Dirk rasch. „Tom wollte, daß ich ein Auge auf sie habe. Er wollte wissen, wie nah sie daran wäre zusammenzubrechen." „Und das ist alles?" „Was sollte sonst sein? Du hast doch nicht geglaubt, daß ich mir was aus dieser... dieser verwöhnten Göre mache.“ „Na ja, der Gedanke ist mir gekommen", sagte - 120 -
Glenda und sah leise lachend zu ihm auf. Die beiden waren so miteinander beschäftigt, daß keiner von ihnen die Gestalt sah, die bewegungslos im Schatten stand.
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10. KAPITEL Verwöhnte Göre! Britta konnte fühlen, wie ihr Herz gegen ihre Brust schlug, aber sie zwang sich, ganz ruhig stehenzubleiben, bis Dirk und Glenda weit genug weg waren. Dann trat sie auf den Weg hinaus. Sie hatte nicht lauschen wollen. Sie hatte bloß auf eine Gelegenheit gewartet, Dirk wegen des Schatzkästchens zu fragen. Als sie ihn mit Glenda gesehen hatte, war sie in den Schatten getreten, und nun war sie froh, daß sie das getan hatte. „Verwöhnte Göre", also wirklich! Hatte sie nicht die ganze Woche ausgehalten? Sie war früh aufgestanden, hatte im Krankenhaus gearbeitet, dabei geholfen, den Waschraum sauberzumachen und Mahlzeiten aufzutragen - alles, ohne sich zu beklagen, oder zumindest nicht sehr laut. Ihre Hütte hatte sich große Mühe gegeben, die Schatzsuche zu gewinnen, und wenn der Schatz nicht verschwunden wäre, hätten sie den „Beste-HütteWettbewerb" auch gewonnen! Britta stürmte zu ihrer Hütte zurück, zu aufgeregt, um zu bemerken, ob sie auf dem Weg jemandem begegnete. Sie hatte genug damit zu tun, wenigstens so lange leidlich ruhig zu bleiben, bis die Mädchen alle sicher im Bett waren. - 122 -
Sobald das Licht gelöscht war, streckte sie sich im Bett aus. Nach und nach lockerte sie die Kontrolle über ihre Gefühle. Sie erwartete, daß sie in Tränen ausbrechen würde, aber ihre Augen blieben trocken. Verwöhnt. Dirk hatte sie verwöhnt genannt. Natürlich war es nicht das erste Mal, daß jemand sie mit diesem Wort bedachte. Tom hatte sie schon immer so genannt, doch sie hatte ihn nie ernst genommen. Mit Dirk war es etwas anderes. In dieser Woche hatte er sich so verhalten, als bedeute es ihm wirklich etwas, was sie fühlte und was sie dachte. Er hätte sie nicht verwöhnte Göre genannt, wenn er es nicht wirklich meinte. Was das Schlimmste war - sie wußte, daß er recht hatte. Ihre ganze Familie verwöhnte sie, und sie ließ es sich gefallen. Okay, sie quengelte nicht und bekam auch keine Wutanfälle, aber das nur deshalb nicht, weil sie nie zu solchen Taktiken hatte greifen müssen, um ihren Willen zu bekommen. Sie hatte sich von ihrer Familie, ihren Großeltern, Tanten, Onkeln und sogar Cousins umhegen und umpflegen lassen, und das einzige, was diese von ihr erwarteten, war, daß sie lächelte und hübsch aussah. War es noch möglich, daß sie sich änderte? Morgen war ihr letzter voller Tag im Camp, und Jenny und den Mädchen zuliebe würde sie einen guten: Tag daraus machen. Sie würde sich nicht mehr wie ein Märtyrer fühlen, bloß weil sie die gleichen Regeln befolgen mußte wie alle anderen auch. Sie war Betreuerin und dazu da, ein Beispiel zu geben und den jüngeren Mädchen zu zeigen, wie man das Beste aus der Zeit im Camp machte.
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Als ihr Wecker am nächsten Morgen klingelte, rollte sie sich aus dem Bett und begann sich anzuziehen, noch ehe sie sich an den Entschluß erinnerte, den sie gestern abend gefaßt hatte. Vielleicht würde es doch nicht so schwer sein, sich zu ändern: Sie hatte. schon Fortschritte gemacht. Beim Frühstück verkündete Mr. Walker, daß diejenige Gruppe, die für die Unterhaltung zuständig war, dableiben und mit den Proben beginnen konnte. Die übrigen Gruppen würden eine Wanderung um den See herum machen. Es lag Britta schon auf der Zunge zu fragen, wie weit es wäre und ob unbedingt alle mitgehen müßten, aber sie hielt den Mund. Während die anderen den Proviant für das Picknick, trugen, bekam Britta von Betty einen Rucksack mit einer kleinen Erste-HilfeAusstattung anvertraut. Sie gingen vom Fahnenmast aus los, und obwohl die einzelnen Hütten zusammenblieben, herrschte eine lockere Ordnung. Jenny und Tom hatten sich so postiert, daß sie nebeneinander gehen konnten, aber Britta blieb am Ende ihrer Gruppe, möglichst weit weg von ihrem Cousin und dessen Hüttenkameraden. Außerdem fand sie es angenehm, neben Bill Howland zu gehen. „Ich hab immer noch nicht rausgekriegt, ob eine Fünfzehn-Kilometer-Wanderung eine Belohnung oder eine Strafe ist", bemerkte Bill. „Fünfzehn Kilometer! Bist du sicher?" fragte Britta. „Das hat mir letztes Jahr jemand erzählt, und ich glaube nicht, daß der See inzwischen kleiner - 124 -
geworden ist." „Vielleicht sind wir erschöpft, wenn wir zurückkommen“, meinte Britta. „Aber immer noch besser, als heute die Unterhaltung zu machen." „Stimmt. Ich hab schon fest damit gerechnet, meine Hütte müßte das übernehmen. Aber zum Glück für uns hat Seans Gruppe sich dafür gemeldet." Die meiste Zeit schwiegen die beiden und konzentrierten sich auf den Weg. Britta hatte den Eindruck, daß die Kinder viel mehr Spaß an der Wanderung hatten als die Betreuer, aber trotzdem beschwerte sich niemand, als Coach Walker das Signal zu einer Pause gab. Britta streifte ihren Rucksack ab und, ließ sich neben Bill auf den Boden sinken, als Dirk auf sie zukam. Sie sah ihn nicht an, bis er sie fragte: „Hast du ein paar Pflaster in deinem Rucksack?" „Natürlich." Sie griff bereits hinein. „Was ist passiert?" „Eines der Kinder hat eine Blase." Britta wollte schon aufstehen, aber Dirk schüttelte den Kopf. „Gib mir nur das Pflaster, ich mach das schon selbst." „Es ist besser, wenn ich mitkomme`, sagte Britta. „Ich muß es mir ansehen, damit ich eine Eintragung in mein Buch machen kann." Dirk streckte ihr die Hand hin, aber Britta ignorierte sie und stand allein auf. Als sie zu seiner kleinen Gruppe hinübergingen, senkte Dirk die Stimme, so daß nur Britta ihn verstehen konnte. „Ist irgendwas?" Britta hielt das Gesicht abgewandt, um seinem - 125 -
Blick auszuweichen. „Wie kommst du darauf?" „Ich weiß nicht. Du bist so anders." „Für dich kann das doch nur eine Verbesserung sein", fuhr sie ihn an. Dirk packte ihren Arm und drehte sie zu sich herum, so daß sie ihn ansehen mußte. „Was soll das heißen?" „Vergiß es. Es ist sowieso unwichtig." „Das ist es nicht. ich will...“ „Hierher", rief Tom ungeduldig. Britta riß sich von Dirk los, ging zu Tom hinüber und kniete sich neben ihn auf den Boden. Sie war überrascht, als sie den kleinen Jungen erkannte, den sie zum Camp chauffiert hatte. „Bobby, ich hab dich die ganze Woche nicht gesehen. Wie ist es dir ergangen?" „Bis jetzt okay", sagte er. „Du wirst mir doch nicht weh tun, oder?" „Natürlich nicht", versicherte sie ihm. „Ich will mir bloß mal deine Blase ansehen." Er hielt seinen Fuß hoch und Britta konnte sehen, daß die Haut rot und gereizt war. Eine kleine Blase hatte sich an seiner Ferse gebildet. Während sie Bobby Schritt für Schritt erklärte, was sie tat, desinfizierte sie die Stelle und klebte ein Pflaster darauf. „Sobald wir zurück sind, gehst du in den Krankenraum und läßt noch mal nachsehen, ob alles in Ordnung ist, okay?" Bobby nickte und zog sich Strumpf und Schuh wieder an. Britta stand auf. „Solange das Pflaster hält, müßte er eigentlich normal laufen können. Sag mir Bescheid, falls es Probleme gibt", meinte sie zu ihrem Cousin. - 126 -
„Ich bin beeindruckt", erwiderte Tom. Britta zog die Augenbrauen hoch. „Weil ich weiß, wie man ein Pflaster, auf eine Blase klebt?" „Nein, es ist deine ganze Einstellung. Ich muß zugeben, daß du dich diese Woche besser gehalten hast, als ich gedacht hätte." „Tatsächlich?" Tom legte den Arm um ihre Schultern. „Wann hab ich dir je etwas Nettes gesagt, ohne es zu meinen?" Britta lachte. „Du hast recht." Sie lehnte sich an ihn. Er drückte sie kurz an sich. „Du bist in Ordnung, Cousinchen." Toms seltenes Kompliment gab ihr so einen Auftrieb, daß sie den zweiten Teil der Wanderung besser durchstand. Als Mr. Walker, endlich das Signal für die Mittagspause gab, wußte die Truppe nicht, was größer war, ihr Hunger oder ihre Müdigkeit. Die Kinder erholten sich als erste und begannen, den Proviant auszubreiten. Als alles fertig war, merkte Britta, daß sie einen Bärenhunger hatte. Sie nahm sich ein paar Sandwiches und etwas zu trinken und suchte sich ein schattiges Plätzchen unter einem Baum neben Bill und George Howland. „Kann ich mich zu euch setzen?"' fragte Sandy Cross, als Britta sich gerade niedergelassen hatte. „Ich hab keine Lust, bei den Studenten zu sitzen, und ich möchte auch nicht stören." Sie wies auf Tom und Jenny und auf Dirk und Glenda, die etwas abseits von den anderen saßen. - 127 -
Bill legte seinen Kopf auf Brittas Schulter. „Woher willst du wissen, daß du hier nicht auch störst?" fragte er. Rasch hob Britta die Schulter, so daß sein Kopf runterrutschte. Sie rückte für Sandy ein Stück zur Seite. „Achte nicht auf den", sagte sie. „Du kannst dich hier neben mich setzen", lud George Sandy ein. Sandy ließ sich auf dem Boden nieder und streckte die Beine aus. „Danke. Ich glaub nicht, daß ich noch viel länger hätte stehen können", sagte sie. „Seht euch bloß mal die Kleinen an, wie die schon wieder herumrennen. Vor ein paar Minuten haben mich die Mädchen noch angebettelt, eine Pause zu machen. Sie haben gesagt, sie könnten keinen Schritt mehr laufen." „Bei mir war es dasselbe", meinte George. Leider war die Pause nur zu bald zu Ende. Coach Walker rief die Gruppen zusammen. Trotz der wütenden Proteste ihrer Muskeln stand Britta auf und fing an zu gehen. Zu ihrer Überraschung war der Rückweg nicht so schlimm, wie sie gedacht hatte. Er dauerte nicht so lange und war auch nicht so ermüdend wie der Hinweg, und sie kamen früh genug zum Camp zurück, um noch schwimmen zu gehen. Normalerweise wäre Britta eher als die anderen aus dem Wasser gestiegen, und sie hätte sich vor dem Abendessen noch das Haar gewaschen und gefönt. Aber heute erschien ihr das nicht so wichtig. Als es an der Zeit war, zur Cafeteria hinüberzugehen, spülte sie sich das Haar nur aus und kämmte es durch. Dann ließ sie es einfach feucht auf ihre - 128 -
Schultern herabhängen. Es war ja schließlich nicht so, als hätte sie vorher noch nie jemand mit nassem Haar gesehen. „Müssen wir allen das Abendessen servieren?" rief Pam, als sie auf dem Weg zur Cafeteria waren, um alles für die Siegesfeier fertig zu machen. .„Nein, nein" beruhigte Jenny sie. „Wir müssen nur am Haupttisch bedienen. Alle anderen stellen sich wie immer am Buffetfisch an. „Es macht mir nichts aus, am Buffet zu helfen", meinte Jada. „Aber ich möchte nicht an den Tischen bedienen." „Ich mach's“, sagte Melba. „Ich werde jemandem einen Teller Essen auf den Schoß werfen unabsichtlich, natürlich. „Wehe!" drohte Jenny. „Wieso nicht?" wollte Judy wissen. „Wenn wir da drinnen lange Gesichter machen, dann werden sie sich bloß noch viel überlegener fühlen! Wenn wir es ihnen wirklich heimzahlen wollen, müssen wir so tun, als ob es uns mehr Spaß machte als ihnen", erklärte Jenny. Marlene nickte zustimmend. „Stimmt, finde ich auch. Sie werden denken, sie versäumen was, weil sie nicht Dritte geworden sind." Britta blieb vor der Tür stehen, drehte sich zu ihrer Gruppe um und hielt die Hände hoch. „Also, sobald wir in der Cafeteria sind, nur noch lächeln, okay?" „Okay!" riefen alle zurück, Britta stieß die Tür auf, und einen Augenblick lang - 129 -
blieben sie alle stehen und machten große Augen. Die Cafeteria war verwandelt. Die Tische waren umgestellt, so daß sie den Haupttischen gegenüberstanden, die verschwenderisch mit Wildblumen, Kerzen und sogar Tischdecken geschmückt waren. Es sah wirklich wie ein Bankett aus. Trotz ihrer guten Vorsätze murmelte Britta: „Verdammt!" „Was ist los?" fragte Jenny. „Mir ist gerade klargeworden, wie gern ich an der Haupttafel sitzen würde", sagte sie. „Ich weiß das, und du weißt das, aber wir dürfen es die anderen nicht merken lassen. Danach, wie Glenda sich heute, gebrüstet hat, möchte ich, daß sie sich wünscht, sie würde an unserer Stelle bedienen." „Du glaubst doch nicht wirklich, daß wir das schaffen, oder?" fragte Britta. „Nein, aber sie wird sich fragen, was wir im Schilde führen." Britta lachte. Jenny hatte recht. Allein das So-tunals-ob hob ihre Stimmung. Das einzige Mal, daß sie wirklich Schwierigkeiten hatte, war, als Dirk auftauchte, und sich neben Glenda setzte. „Ich glaube, dein Cousin genießt die Sache", flüsterte Jenny Britta zu, nachdem sie Toms Glas zum dritten Mal gefüllt hatte. „Glenda auch", gab Britta zurück. Glenda hatte nach mehr Eis gefragt, nach einer neuen Serviette und sauberem Besteck. Aber jedesmal war es Britta gelungen, eines. der jüngeren Mädchen zu: schicken. Sie war nur mit Glenda und - 130 -
Dirk in Kontakt gekommen, als sie die Teller, ausgeteilt hatte. Obwohl sie so tat, als hörte sie nichts, registrierte sie sehr wohl, daß Dirk ein Dankeschön murmelte. Es war ganz schön anstrengend, immer. ein fröhliches Gesicht zu machen, und Britta merkte, wie erschöpft sie war. Sowie der Applaus verebbte, sagte sie zu Jenny: „Ich weiß, daß dies eigentlich mein freier Abend ist, aber wie wär's, wenn wir tauschen und du statt dessen frei hast?" „Danke für das Angebot, aber Tom muß heute bei den Kindern bleiben. Willst du nicht wenigstens eine kleine Weile draußen bleiben? Heute ist doch dein letzter Abend hier." Britta schüttelte den Kopf. „Ich muß noch packen. Außerdem hab ich genug davon, Glenda und Dirk zusammen zu sehen." „Ich bin mir nicht so sicher, ob sie wirklich zusammen sind. Ich hab Dirk heute beim Picknick beobachtete. Er hat deine kleine Gruppe nicht aus den Augen gelassen." „Na ja, mich hat er jedenfalls nicht angesehen." „Woher willst du das wissen?" „Ich weiß es eben." Britta brachte es nicht über sich, Jenny von dem Gespräch zwischen Dirk und Glenda zu erzählen, das sie mitgehört hatte. Dirk bemerkte es sofort, als Britta und Jenny den Raum verließen, und war eigenartigerweise erleichtert. Es fiel ihm schwer, sich auf irgend jemand - 131 -
anderen zu konzentrieren, wenn Britta da war. Da: sie morgen abreisen würde, mußte er etwas über den Ring herausfinden. Glenda hatte ihn heute bei der Wanderung nicht getragen, aber sie hatte ihn jetzt am Finger, und Dirk konnte, sie nicht gehen lassen, ehe er sie danach gefragt hatte. Entschlossen nahm er sie bei der Hand und führte sie nach draußen zu einem Baumstamm am Feuer hinüber, auf dem sie sich niederließen. Er wartete, bis einige der: anderen Betreuer weggeschlendert waren. Dann - er hielt noch immer ihre Hand - studierte er den Ring im Schein des Feuers. Schließlich fragt er: „Was, für ein Ring ist das?" „Ach, kein besonderer." Glenda, lachte leichthin und versuchte, ihre Hand wegzuziehen, aber Dirk hielt sie fest. „Was meinst du damit? Ich finde den Ring hübsch. Außerdem steht er dir"' „Ob du es glaubst oder nicht, ich hab. ihn gefunden. Erst wollte ich ihn wegwerfen, doch, dann hab ich mich entschlossen, ihn zu behalten und zum Spaß zu tragen." „Gefunden? Hier im Camp?" „Um dir die volle Wahrheit zu sagen, er war in dem Schatzkästchen." Dirk ließ ihre Hand los. „Du hast den Schatz gefunden? Aber Britta ..." „Sag bloß, sie hat dir erzählt, sie hätte ihn gefunden", sagte Glenda. „Äh, nein, sie hat mir nichts erzählt. Ihre Hütte hat nur die Schatzsuche gewonnen, deshalb hab ich angenommen, sie hätten das Kästchen." - 132 -
„Ich hab den Schatz nicht abgegeben", erklärte Glenda. „Meine Gruppe lag schon so weit vorn, daß wir die Punkte nicht brauchten." „Was hast du damit gemacht?" „Ich hab das Kästchen weggeworfen. Dieser Ring hier war wirklich das einzig Behaltenswerte." Dirk bückte sich, hob einen Zweig auf und warf ihn in die Glut. Er traute sich nicht, Glenda anzusehen, damit sie nicht merkte, was er dachte. Das Schatzkästchen war der Schlüssel zu dem ganzen Rätsel, aber es blieb ihm nicht mehr viel Zeit, es zu lösen. Er brauchte Hilfe. Aus den Augenwinkeln sah er seinen Onkel herüberkommen und das Feuer kontrollieren. Dirk stand schnell auf. „Onkel Charles, hat Tante Betty dir von den Kisten erzählt?" Sein Onkel runzelte die Stirn. „Was für Kisten?" Dirk versuchte, möglichst beunruhigt auszusehen. „Die Kisten, die ich vor dem Essen in ihr Büro bringen sollte." Er drehte sich zu Glenda um. „Tut mir leid, Glenda, aber ich muß jetzt gehen und mich darum kümmern. Tante Betty hat gesagt, sie müßte heute abend ein paar Dinge einpacken. Wenn ich ihr diese Kisten nicht bringe, schmeißt sie mich vielleicht noch raus." „Soll ich hier auf dich warten oder schon in meine Hütte gehen?" fragte Glenda. „Nein, warte hier auf mich", sagte Dirk. Er befürchtete, sie könnte den Ring abnehmen, wenn sie zu ihrer Hütte zurückging. „Ich komm sofort zurück, sobald ich mit Tante Betty gesprochen hab."
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11. KAPITEL Während Dirk bei seiner Tante im Büro war, ihr die verschiedenen Stücke des Puzzles schilderte und herauszufinden versuchte; wie diese zusammen paßten; versuchte Britta ebenfalls, etwas herauszufinden. Nämlich, wie sie all ihre Sachen wieder in ihren Koffern unterbringen könnte. „Hör mal", beklagte sie sich bei Jenny, die ihr mit der Taschenlampe leuchtete, „es würde wirklich helfen, wenn wir das Licht anmachen könnten." „Und wenn wir dabei erwischt würden, daß wir noch auf sind? Nein, vielen Dank.“ „Aber wenn ich heute abend nicht damit fertig werde, kann ich morgen nie pünktlich abfahren." „Ich wünschte, du würdest hierbleiben." „Ich bin froh, daß du so denkst, Jenny. Ich hatte schon gedacht, du wolltest mich nach dem ersten Tag rausschmeißen." „Nach dem ersten Tag wollte ich das aus.“ Jenny lachte. „Aber zum Glück haben wir gelernt, miteinander auszukommen.“ Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach sie, und Jenny machte sofort ihre Taschenlampe aus. „Leg dich hin“, flüsterte sie Britta zu und schlich sich durch die Dunkelheit zu ihrem eigenen Bett. Britta war noch vollständig angezogen, aber als es erneut klopfte, schlüpfte sie unter die Bettdecke. - 134 -
Vom anderen Ende des Raumes rief Jenny: „Ja, wer ist da? Inzwischen hatten sich einige der jüngeren Mädchen im Bett aufgesetzt. Sie hielten alle die Hand vor die Augen, als Mrs. Clark die Deckenlampe einschaltete und den Raum betrat. „Betty möchte, daß die Betreuerinnen in ihr Büro kommen. Ich bleibe hier bei den Mädchen, bis ihr wieder da seid", sagte sie. „Stimmt was nicht?" wollte Britta wissen, während sie aufstand. Der Anblick, wie Britta völlig angezogen aus dem Bett stieg, brachte Mrs. Clark einen Augenblick lang aus der Fassung, und sie mußte erst mal ihre Gedanken sammeln. „Nein ... nichts Schlimmes... sie möchte nur mit euch sprechen.“ „Ich zieh mir schnell was an“, sagte Jenny, die bereits Klamotten aus ihrer Tasche zog, während Britta nach ihrer Bürste griff, um sich das Haar zu kämmen. „Was soll das alles, bloß?" wunderte sich Britta, als sie und Jenny zum Büro gingen. „Gibt's nach jeder Woche eine Art Besprechung?" „Das wäre die erste, von der ich weiß." „Wir haben doch nichts falsch gemacht, oder?" „Nicht, daß ich wüßte", erwiderte Jenny. Als sie die Stufen zum Büro hochstiegen, konnten sie drinnen bereits Glenda und ihre Hüttenkameradin sehen. Sie blickten genauso verwirrt drein wie Britta und Jenny. „Kommt rein, Mädchen", sagte Betty. „Es tut mir - 135 -
leid, daß ich euch heute abend noch herbestellen mußte, aber da morgen der letzte Tag der ersten Woche hier im Camp ist und Britta uns verläßt, ging es nicht anders. Ich möchte Britta fragen, ob sie so einen Ring besitzt, wie Glenda ihn trägt." Glenda schnappte nach Luft, und als alle sich nach ihr umdrehten um auf ihre Hand zu sehen, bedeckte sie sie instinktiv mit der anderen. „Können wir bitte deinen Ring sehen, Glenda?" fragte Betty. Langsam streckte Glenda ihre Hand aus, und Britta erkannte ihren Ring. Sie blickte von Glenda zu Betty und wieder zurück. „Das ist mein Ring“, sagte sie. „Das heißt, ich glaube, daß er es ist. Ich habe genau so einen." „Weißt du, wo er jetzt ist?" „Ich dachte, er wäre in meiner Hütte. Ich hab ihn abgenommen, kurz nachdem ich hier angekommen bin, und seitdem hab ich ihn nicht mehr getragen." „Weißt du was über den Ring, Jenny?" fragte Betty. „Eigentlich nicht. Ich weiß, daß Britta ein paar Schmuckstücke mitgebracht hat. Ich hab ihr Schmuckkästchen gesehen, aber ich kann nicht behaupten, daß ich den Ring wiedererkenne." „Ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich ihn in mein Schmuckkästchen gelegt habe", meinte Britta. „Ich glaube, ich hab ihn einfach in einen meiner Koffer gesteckt." „Kann eine von euch irgendwie beweisen, daß es ihr Ring ist oder nicht?" wollte Betty wissen. „Meiner hat auf der Innenseite meine Initialen", sagte Britta. Betty streckte die Hand aus. „Darf ich den Ring mal - 136 -
sehen, Glenda?“ Glenda zog den Ring vom Finger und gab ihn Betty, ohne ihn anzusehen.: ,,B. A. A.", las Betty langsam. „Es ist meiner", sagte Britta. „Britta Ann Allen." „Ich hab ihn nicht gestohlen!" meldete Glenda sich zu Wort. „Woher hast du ihn dann?" fragte Betty. „Ich... ich hab ihn genommen, aber, ich wußte nicht... ich meine, ich dachte, er gehört zu dem Modeschmuck in dem Schatzkästchen. Ich wollte ihnen nur einen Streich spielen. Ich wollte nichts Wertvolles nehmen." Betty blickte Verna Kane an, Glendas Hüttenkameradin. „Hast du irgendwas davon gewußt?“ Verna schüttelte den Kopf. „Ich wußte, daß Glenda den Waschraum verdreckt hat, und ich hab ihr gesagt, sie sollte keinen Ärger machen, aber von dem Schatz hab ich nichts gewußt." „Ich wollte nichts stehlen. Ich wollte nur ein paar von den Sachen nehmen, die sie für die Schatzsuche gefunden hatten." „Daß du in eine fremde Hütte gegangen bist und überhaupt etwas genommen hast, ist ein ernster Verstoß. Strenggenommen hast du sogar eine Straftat begangen", sagte Betty. „Aber es war nicht fair, daß sie den ,Beste-HütteWettbewerb` gewinnen", verteidigte Glenda sich. „Unsere Hütte hatte in allem anderen die meisten Punkte. Warum sollten die gewinnen, bloß, weil sie das alberne Kästchen gefunden haben?" „Nein", sagte Betty, „du kannst deine - 137 -
Handlungsweise nicht damit entschuldigen, daß du behauptest, wir hätten einen Fehler gemacht Ich glaube, daß die Regeln für unseren Wettbewerb fair sind, und wenn du damit Probleme hattest, hättest du zu uns kommen müssen, statt die Sache in deine eigenen Hände zu nehmen." „Ja, Mrs. Walker. Es tut mir sehr leid", sagte Glenda. „Mir tut es auch leid." Betty seufzte. Sie gab Britta den Ring zurück. „Ich wünschte, ich könnte mehr für euch tun, als dir nur den Ring zurückzugeben. Aber; leider ist es zu spät dazu, euren Mädchen die Siegesfeier auszurichten, die sie verdient haben. Ich werde morgen früh beim Frühstück bekanntgeben, was passiert ist. Wenigstens werden, dann alle wissen, daß ihr eigentlich den Wettbewerb gewonnen habt." Britta steckte den Ring an ihren Finger. „Mir wäre es lieber, Sie würden gar nichts davon bekanntgeben. Ich glaube, es wäre besser, wir lassen alles so, wie es ist. Ich möchte nicht, daß unsere Mädchen von hier weggehen und vergessen, wieviel Spaß wir zusammen gehabt haben. Daß sie sich nur daran erinnern, daß wir um das Bankett gebracht worden sind." „Das stimmt", warf Jenny ein. „Unsere Mädchen wußten nicht mal, daß wir den Schatz gefunden hatten. Wir wollten sie damit überraschen, wenn wir gewonnen hätten." „Das ist ja lieb von euch", meinte Betty. „Ihr könnt jetzt zu eurer Hütte zurückgehen. Du auch, Verna. Ich möchte mit Glenda allein reden." Draußen vor der Tür wandte, Verna sich an Britta - 138 -
und Jenny. „Hört mal, es tut mir leid, was passiert ist. Wenn ich davon gewußt hätte, dann hätte ich Glenda daran gehindert." „Ist schon okay", sagte Jenny. Jenny und Britta machten sich auf den Weg zu ihrer Hütte, und Britta sagte: „Der einzige, dem ich es wirklich gern erzählen würde, ist Tom. Ich möchte, daß er weiß, daß unsere Hütte in Wirklichkeit den Wettbewerb gewonnen hat." „Er weiß es bestimmt schon"; antwortete Jenny. „Dirk ist sein Hüttenkamerad, und da er dabei war, als du den Schatz gefunden hast, hat er es Tom bestimmt erzählt." „Er hat es Glenda erzählt, meinst du wohl.“ „Das glaubst du doch nicht im Ernst!“ „Und woher wußte Glenda dann, daß wir den Schatz hatten? Wir haben es niemandem gesagt." „Ich weiß es nicht, aber...“ „Los, komm", unterbrach Britta sie. „Ich möchte darüber nicht mehr nachdenken. Außerdem muß ich noch fertig packen." Als Britta am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich flau und durcheinander. Auch die Mädchen waren stiller als gewöhnlich, während sie ihre Schlafsäcke zusammenrollten und sie mit ihren Koffern neben der Tür aufstapelten. Es war ihr letzter gemeinsamer Morgen, ihr letztes gemeinsames, Frühstück. Niemand wollte darüber reden. Statt dessen redeten sie über ihre Familien und ihre Pläne für den Rest des Sommers. - 139 -
Sie verließen gerade die Hütte, um zur Morgenzeremonie zu gehen, als Betty sie anhielt. „Der Rest von euch kann weitergehen" sagte sie. „Ich möchte mit Britta sprechen." „Ist irgendwas?" fragte Britta. „Nein, keine Sorge. Ich wollte dich nur fragen, ob es dir recht ist, wenn Bobby Wayne wieder mit dir im Wagen nach Hause zurückfährt." „Klar, kein Problem. Ist das alles?" „Nein, noch nicht. Weißt du, Glenda wird nicht als Betreuerin hierbleiben, und selbst mit Barbara Holland, die kommt, um dich zu ersetzen, fehlt uns immer noch ein Mädchen. Ich weiß, daß du nur für eine Woche zugesagt hast, aber Charles und ich haben uns gefragt, ob du nicht vielleicht bereit wärst, länger zu bleiben." „Sie meinen, Sie wollen, daß ich bleibe?" „Ja, natürlich. Du hast deine Sache sehr gut gemacht, und am liebsten würden wir dich den ganzen Sommer über hier behalten. Du könntest sogar mit Jenny in der gleichen Hütte bleiben, wenn du willst." „Wirklich? Das wär’ ja echt wahnsinnig! Ich würde am liebsten jetzt gleich zusagen, aber ich muß erst noch mit meinem Vater sprechen." „Wir werden aber nur solange in der Stadt bleiben, bis alle zu Mittag gegessen und wir die nächsten Kinder an Bord genommen haben. Warum rufst du deinen Vater nicht vom Büro aus an? Dann hat er mehr Zeit; darüber nachzudenken.“ „Danke, und Bobby fahre ich trotzdem nach Hause. Wenn mein Vater sagt, daß ich zurückkommen darf, fahre ich einfach mit dem Bus zurück, wie alle - 140 -
anderen", rief Britta über die Schulter zurück, als sie zum Büro lossprintete. Brittas Vater meldete sich nach dem zweiten Läuten, und obgleich er sich Bedenkzeit ausbat, schien er darüber erfreut zu sein, daß es ihr im Camp gefiel und sie länger bleiben wollte. Sie war sich ihrer Überredungskünste so sicher, daß sie es nicht abwarten konnte, Jenny die Neuigkeiten mitzuteilen. Die Morgenzeremonie ging gerade zu Ende, und Britta holte Jenny auf dem Weg zur Cafeteria ein. „Weißt du was? Ich bleibe hier!" Jenny blieb stehen und starrte sie an. „Was tust du?" Während sie in der Cafeteria anstanden, berichtete Britta in allen Einzelheiten und schloß: „Betty hat gesagt, ich könnte in der gleichen Hütte bleiben. Ist das okay?" „Das ist Spitze. Dann brauch ich keine Neue mehr einzuarbeiten." „Dad hat zwar, gesagt, er müsse es sich noch überlegen. Er will mir seine Entscheidung mitteilen, wenn ich nach Hause komme. Aber ich bin sicher, daß er mich bleiben läßt. Hör mal, warum kommst du nicht mit, ißt mit uns Mittag und hilfst mir, ihn zu überzeugen?" „Danke, aber als ich Tom erzählt hab, daß meine Eltern dieses Wochenende nicht da sind, hat er mich zum Essen zu seiner Familie eingeladen." „Das ist doch das gleiche", erwiderte Britta. „Unsere Familien kommen immer zusammen." Nachdem das Frühstück beendet war, rannten die Kinder los, um noch ein paar letzte Fotos zu machen - 141 -
und ihre Adressen auszutauschen. Britta ging in die Hütte und begann, ihre Koffer umzupacken. „Warum machst du das, wenn du doch zurückkommst" fragte Jenny. „Ich dachte, ich bring ein paar unnötige Dinge nach Hause." Jenny preßte eine Hand aufs Herz. „Was" rief sie dramatisch aus. „Britta Allen wird zwei Tage hintereinander das gleiche Paar Schuhe tragen?" „Ach, hör damit auf, und hilf mir lieber, das Zeug auszusortieren", sagte Britta. Jenny half ihr, alles in einen Koffer zu kriegen und meinte: „Also, wenn wir diese Prozedur jede Woche wiederholen, dann hast du gegen Ende des Sommers vielleicht eine überschaubare Anzahl von Klamotten dabei.“ „Sehr komisch." Britta mühte. sich ab, den Koffer durch die Tür zu bekommen. „Brauchst du Hilfe?" fragte eine vertraute Stimme. Britta blickte hoch und sah Dirk. „Nein danke“, erwiderte sie. Sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen. Nachdem er eine Weile beobachtet hatte, wie sie sich abplagte, machte er einen neuen Versuch. „Der Koffer sieht wirklich schwer aus. Bist du sicher...“ „Ich werde gut allein damit fertig." Aber schließlich mußte sie den Koffer absetzen, um zu verschnaufen. Dirk ergriff die Gelegenheit, schnappte sich den Koffer und ging davon. Wenn sie keine Szene - 142 -
machen wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Das tat sie denn auch mit verdrießlichem Gesicht. Dirk stellte den Koffer neben Brittas Auto und wartete, daß sie den Kofferraum aufschloß. „Ist das der letzte?" fragte er. Sie wollte nicht, daß er erfuhr, daß es der einzige war, deshalb antwortete sie: „Ja, ich hab schon alles andere eingeladen. Warum stellst du den hier nicht hinter den Fahrersitz auf den Boden? Bobby kann dann seinen Schlafsack auf der Rückbank ausbreiten, wenn er schlafen will." In dem Augenblick kam Bill Howland auf dem Weg zum Bus an Brittas Wagen vorbei geschlendert, betrachtete anerkennend ihr Auto und sagte: „Hey, Britta, was hältst du davon, wenn ich dich begleite?" „Danke, ich..." „Sie hat schon eine Begleitung“, fiel Dirk ein. Britta warf ihm einen wütenden Blick zu, aber sie wartete ab, bis Bill weggegangen war, bevor sie unverblümt sagte „Ich will nicht, daß du mit mir fährst." „Tut mir leid, aber du kannst nicht immer deinen Kopf durchsetzen", antwortete Dirk. „Wieso nicht? „Es geht eben einfach nicht. Hör zu, Britta, ich weiß, daß du mir aus dem Weg gehst, aber wir müssen irgendwann miteinander reden, und das kann genausogut jetzt sein, während der Autofahrt. Außerdem muß ich als Vertreter des Camp Chabewa mit Bobby fahren, um seine Sicherheit zu garantieren. Das ist eine Regel, die Du nicht umgehen kannst." Britta wollte etwas sagen, doch dann änderte sie - 143 -
ihre Meinung und ging davon. Da es gar keine Regel gab, nach der ein Vertreter des Camps mit ihr fahren mußte, beobachtete Dirk, wohin Britta ging. Er wußte, daß seine Tante oder sein Onkel es ihr überlassen würden, mit wem sie fahren wollte. Zu seiner Erleichterung ging sie nicht in Richtung Büro. Dirk lehnte sich gegen das Auto und beschloß, auf sie zu warten. Ganz vertieft in seine Gedanken, bekam er nicht mit, was los war, bis Tom erschien und vor seiner Nase mit den Wagenschlüsseln klimperte. Dirk sah sich nach Britta um. Schließlich sah er gerade noch, wie sie im Bus verschwand.
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12. KAPITEL Der Campbus war genauso laut und rumpelig, wie Britta es erwartet hatte, aber trotzdem war die Fahrt nicht halb so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Die meiste Zeit verbrachte sie damit, mit den Mädchen aus ihrer Hütte Adressen zu tauschen. Sie versprach, jeder einzelnen von ihnen zu schreiben. Sobald sie auf dem großen Parkplatz der Oak Grove High School einbogen, sah Britta ihren Vater, der auf sie wartete. Eine riesige Freude überkam sie. Sie hatte es genauso eilig, aus dem Bus zu kommen, wie die Kinder. Zuerst konnte sie ihren Vater in der Menge nicht wiederfinden. Sie dachte schon, sie hätte sich alles nur eingebildet. Doch dann fiel ihr ein, wo er sein mußte. Er war bestimmt zu ihrem Auto gegangen. Britta bahnte sich einen Weg an den Bussen entlang, und wie sie vermutet hatte, stand ihr Vater neben ihrem Auto, wo er sich mit Tom und Dirk unterhielt. „Dad“. rief sie und rannte zu ihm hinüber. Er schloß sie in die Arme. „Na, wenigstens hast du mich nicht völlig vergessen." „Natürlich hab ich das nicht. Wie kannst du so was sagen?" „Du hast doch angerufen, um mich zu fragen, ob du - 145 -
für den Rest des Sommers im Camp bleiben kannst", erinnerte er sie. „Darf ich? Hast du dich schon entschieden?" „Ich habe nichts dagegen, aber es hat eine Weile gedauert, ehe ich den Rest der Familie überzeugen konnte. Sie warten alle bei Granny auf dich." „Tante Helen auch?" „Ja, sie hat gesagt, ich soll Tom mitbringen." „Prima. Dann kann Tom mein Auto fahren, und ich fahre mit dir", sagte Britta. Dann erinnerte sie sich daran, daß sie noch fragen mußte. „Das heißt ... wenn du einverstanden bist, Tom." „Geht klar“, antwortete er. „Ich, muß Jenny noch aus dem Gewühl fischen, dann bin ich direkt hinter euch." „Wer ist Jenny?" wollte Mr. Allen wissen. „Meine Hüttenkameradin“, erklärte Britta. „Sie ist toll. Du wirst sie echt mögen Tom tut's jetzt schon." „Britta!" sagte Tom. „Ich sehe schon, daß sich einiges verändert hat", meinte Mr. Allen. Dirk hatte die ganze Zeit etwas abseits gestanden und still zugehört. Mr. Allen bezog ihn ein: „Wie wär's, wenn du mit uns ißt?" Britta warf einen raschen Blick in Dirks Richtung. Als sie sah, daß er sie ebenfalls anblickte, wandte sie sich schnell ab. „Danke, aber meine Eltern erwarten mich", gab Dirk zurück. „Ich verstehe. Wenn ich mich jetzt aber nicht beeile und losfahre, kommen nachher noch Brittas Großmütter und Tanten hierher, um nach uns zu suchen." Mr. Allen schob Britta zu seinem Auto.
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Auf dem Weg zu ihrer Großmutter hielt Britta einen pausenlosen Monolog über die Woche im Camp. Sie wußte, daß ihren Vater die Episode mit Glenda unnötig beunruhigen würde, deshalb ließ sie die klugerweise aus. Außerdem war die Sache bereits geregelt, und es gab viel anderes, Interessanteres zu berichten. Mr. Allen bog in die Einfahrt ihrer Großmutter ein, und Britta sprang aus: dem Wagen. Im Nu war sie von der ganzen Familie umringt. Unter Umarmungen und Küssen führten sie Britta ins Eßzimmer, wo der Tisch bereits mit all ihren Lieblingsgerichten gedeckt war. Bei dem Wirbel, den alle um sie machten, hatte Britta nicht mal, gemerkt, wann Tom und Jenny angekommen waren. Aber schließlich entdeckte sie die beiden gegenüber am Tisch neben Tante Helen und mußte lächeln. Zum Dessert brachte Granny Allen ein Tablett mit sechs verschiedenen Arten von Süßspeisen. „Ich konnte mich nicht entscheiden, was ich für dich machen sollte, deshalb hab' ich einfach eine Auswahl gemacht", sagte sie. „Granny, ich krieg keinen Bissen mehr runter", stöhnte Britta. „Dann pack ich dir alles ein, damit du es mitnehmen kannst. Die Speisen halten sich." „Das glaub ich nicht"„ meinte; Britta. „Heute abend ist alles verputzt, da bin ich sicher." „Bin ich froh, daß ich mit dir in einer Hütte wohne", warf Jenny ein. „Als dein Vater uns erzählt hat, daß du wieder, ins Camp zurück willst, habe ich. dir ein paar neue Outfits besorgt“, sagte Tante Cecilia. „Wenn du sie nicht magst, gebe ich sie: zurück." - 147 -
„Das war doch nicht nötig, Tante Cecilia." „Wie steht's mit Geld?" fragte Tante Ernestine. „Hast du genug?" „Ich hab alles, was ich brauche", antwortete Britta. „Denkt daran ich werde für die Arbeit bezahlt " „Und dein Auto?" meldete Onkel Ed sich zu Wort. „Ich laß es diesmal hier und fahre mit dem Bus." „Dann nehme ich es mit in die Werkstatt und überhol es, gründlich, bevor du zurückkommst." Das Verabschieden dauerte fast genauso lange wie der ganze Besuch, aber schließlich mußte Mr. Allen Britta, Tom und Jenny zum Parkplatz zurückbringen. „Ich kann nicht glauben, was sie für ein Affentheater gemacht haben, bloß weil du eine Woche weg warst", meinte Jenny, nachdem die drei ausgestiegen waren. „Machst du Spaß?'' sagte Tom. „So ist es jedesmal, wenn sie Britta sehen. Selbst wenn es erst einen Tag her ist." Jenny schüttelte den Kopf..„ Es ist wirklich ein Wunder, daß du so normal bist, Britta. Bei so einem Wirbel könnte man total überschnappen.“ „Ich hab auch immer gedacht, bei Britta wär’ das schon passiert", sagte Tom. „Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Vielleicht ist sie noch nicht völlig verloren. Nach letzter Woche beginne ich zu glauben, daß es noch Hoffnung für sie gibt." Britta lächelte ihn an. „Warte nur. Ich werd’s dir noch zeigen.“ „Besser, wir melden uns zurück und holen uns - 148 -
unsere Busnummern", sagte Jenny. „Ich erledige das für uns", bot Tom an. „ihr beide könnt euch ja mal umsehen„ ob jemand Hilfe braucht." Es gab viele Leute, die Hilfe brauchten. Bis zum letzten Moment hatten die Betreuer alle Hände voll damit zu tun, den neuen Campern beim Einladen ihrer Taschen zu helfen, die richtigen Busse für sie zu finden und die Fragen von Eltern über Essen, Unterkunft und Aktivitäten zu beantworten. Sobald der letzte Camper an Bord war, rief Jenny: „Komm, Britta, wir fahren in diesem Bus." Britta sprang die Stufen hinauf, doch als sie Jenny in den hinteren Teil des Busses folgen wollte, stellte Tom, sich ihr in den Weg. „Alle Betreuer können nicht zusammensitzen, und wenn du nichts dagegen hast, möchte ich mich gern neben Jenny setzen.“ „Okay." Sie grinste. „Ich setze mich nach vorn, aber dafür hab ich bei dir was gut." Sie drehte sich um und ging zurück, als sie Dirk die Stufen hochklettern sah. Er nahm seine Liste von einem der Vordersitze und sagte: „Du kannst dich hierher setzen." Britta entdeckte einen freien Platz direkt hinter ihm. „Nein danke. Ich setze mich hierhin." Nachdem er sich umgedreht hatte, wandte sie sich an das kleine Mädchen auf dem Platz neben ihr und fragte: „Ist es okay, wenn ich hier sitze?“ Das Mädchen antwortete mit einem ruckartigen Nicken, und Britta glaubte ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. „Ich heiße Britta", meinte sie. „Und du?" „Samantha Dueit." - 149 -
„Stimmt irgendwas nicht , Samantha? Vielleicht kann ich dir helfen." „Ich... ich war noch nie... in einem Camp. Ich hab Angst." Britta nickte. „Das kann ich dir gut nachfühlen. Die vorige Woche war auch meine erste Woche in einem Camp, und ich hatte auch Angst." „Du auch?" „Ja, aber weißt du was? Ich fand es so toll, daß ich mich entschlossen habe, länger zu bleiben." „Wie ist es denn so?" „Na ja... bist du schon mal auf einer Fete mit Übernachten gewesen?“ Samantha nickte, und Britta lächelte. „Nun, es ist wie eine Art Fete mit Übernachten, die eine ganze Woche dauert." Samanthas Gesicht hellte sich ein wenig auf und sie sagte schüchtern: „Wirst du die ganze Zeit mit mir zusammensein?" „Das weiß ich nicht. Sieh mal, jeder wird einer bestimmten Hütte zugeteilt, und..." Britta hielt inne und holte tief Luft. Dirk hatte die Information, die sie brauchte. Und obwohl sie noch keine Lust hatte, mit ihm zu reden, würde es Samantha doch beruhigen, Bescheid zu wissen. Sie beugte sich vor und tippte Dirk auf die Schulter. „Hör mal, kannst. Du mir vielleicht sagen, ob Samantha Dueit in meiner Hütte ist?" „Bist du wieder mit Jenny zusammen?" fragte er und fuhr mit. dem Zeigefinger die Liste entlang. „Ja, Hütte vier", antwortete Britta. Dirk hielt bei Samanthas. Namen an und schüttelte den Kopf. „Sie ist für Hütte zwei eingeteilt.“ - 150 -
Samantha stöhnte auf, und Britta sah sie mitfühlend an. „Gibt es eine Möglichkeit, sie in meine Hütte überwechseln zu lassen?" wollte sie von Dirk wissen. Dirk zog die Augenbrauen hoch und wollte schon den Kopf schütteln, änderte aber sehe Meinung. „Ich werd mich darum kümmern. Möglicherweise klappt es." „Siehst du, es geht alles in Ordnung", sagte Britta und lächelte Samantha fröhlich an. „Bist du sicher? Ich meine, kann er das wirklich regeln?" fragte Samantha. „Du kannst ihm vertrauen", versicherte Britta ihr. Jemand im hinteren Teil des Busses fing plötzlich an zu singen, und die anderen fielen ein. Als sie in die Auffahrt zum Camp Chabewa einbogen, hatten sie alle Camplieder durch, die sie kannten - zweimal. Als der Bus zum Stehen kam, reichte Dirk Britta seine Liste und sagte: „Du kannst den Kindern ihre Hüttennummern geben, während ich ihr Gepäck auslade. Behalte. Samantha bei dir, bis ich Zeit habe, den Wechsel zu arrangieren." Britta konnte kaum antworten, da bereits das erste der Kinder aus dem Bus sprang. „Wo muß ich hin?" fragte der Junge. „Wie heißt du denn?" „Richard Abbot" Britta zog die Liste zu Rate. „Du bist in B 4. Das ist die vorletzte Hütte auf der linken Seite da. Die Nummern stehen über der Tür...“ Der Junge nickte und trottete los, um sein Gepäck zu holen. Britta wandte sich dem nächsten Kind zu. - 151 -
Jenny bahnte sich einen Weg durch die Menge, und es gelang ihr schließlich, Britta auf sich aufmerksam zu machen. „Ich geh schon mal zur Hütte und helf’ den Mädchen." Britta nickte und zeigte auf Samantha. „Nimm die Kleine hier mit." Samantha sah sie fragend an und Britta lächelte. „Es ist okay. Sag Jenny, sie soll dir das Bett neben meinem geben. Ich komm in ein paar Minuten nach." Als der Bus endlich leer war, machte Britta sich auf den Weg zum Büro, um die Liste abzugeben. Auf dem Pfad traf sie Dirk. „Ich hab Samantha in deiner Hütte untergebracht“, sagte er: „Das ist gut", erwiderte sie leichthin. „Ich hab sie schon in meine Hütte geschickt." „Ist das alles, was du dazu sagst?" explodierte Dirk. „Weißt du überhaupt, was es mich für eine Mühe gekostet hat, diesen einen Tausch zu machen? Die Einteilung der Kinder wird Wochen im voraus vorgenommen. Ich mußte alle Listen durchgehen, um ein anderes neunjähriges Mädchen zu finden, das zum erstenmal. im Camp ist und keine besonderen Wünsche und Kurse hat." „Du hast mir nicht gesagt, daß es so kompliziert ist. Wie hätte ich das wissen sollen? „Ja, wie hättest du das? Du bist so daran gewöhnt, daß die Leute springen, wenn du was willst, daß du nicht mal darüber nachdenkst, was für eine Mühe du ihnen machst." Noch ehe Britta etwas entgegnen konnte, hatte er ihr die Liste aus der Hand genommen und ging in Richtung Büro davon. - 152 -
Offensichtlich hatte Britta die ganze Zeit richtig gelegen. Dirk hatte sie nur Tom zuliebe geduldet und nun, da er wahrscheinlich gerade erfahren hatte, daß Glenda nicht zurückkommen würde, und zwar irgendwie wegen ihr, Britta, tat er sich keinen Zwang mehr an. Britta drehte sich um und wollte zu ihrer Hütte gehen, als sie Tom sah, der ihr den Weg versperrte. „Wir müssen miteinander reden", sagte er. „Worüber?“ „Ich hab mir gelobt, mich nicht einzumischen, aber irgend jemand muß dir mal sagen, wie idiotisch du dich aufführst." „Ich weiß nicht, wovon du redest." „Über die Art und Weise, wie du Dirk behandelst." „Ich ihn? Und wie steht's damit, daß er mich ausgenutzt hat? Warum fragst du ihn nicht, woher Glenda wußte, daß Jenny und ich den Schatz gefunden haben?" „Warum fragst du Betty nicht, woher sie wußte, daß Glenda deinen. Ring hatte?“ konterte Tom. Britta schnappte nach Luft. Als Tom ihr überraschtes Gesicht sah, milderte er seinen Tonfall. „Dirk hat nicht. gewußt, daß Glenda den Schatz genommen hat. Er hat nur versucht, herauszufinden, woher sie deinen Ring hatte. Und als sie davon angefangen hat, sie hätte den Schatz, ist er sofort zu seiner Tante gegangen, um ihr alles zu erzählen.“ „Ich muß mich wohl bei ihm entschuldigen, was?" - 153 -
„Ich glaub's nicht", sagte Tom und schüttelte den Kopf. „Du benutzt ihn, behandelst ihn wie Dreck, und dann denkst du, eine einfache Entschuldigung macht alles wieder gut. Vielleicht täuscht du dich diesmal." „Das kann sein, aber ich muß es trotzdem versuchen. Soviel bin ich ihm schuldig", sagte Britta. Dann fügte sie hinzu: „Und danke. Danke, daß du es mir erzählt hast." Eigentlich sollte sie jetzt Jenny mit den Mädchen helfen, aber sie wußte, daß Jenny auch ohne sie fertig wurde. Es war Wichtiger, daß sie jetzt sofort mit Dirk sprach. Vielleicht hatte Tom recht. Vielleicht wollte Dirk nichts mehr mit ihr zu tun haben. Aber er verdiente eine Entschuldigung, und die würde er bekommen. Britta sah Dirk den Weg entlangkommen, und nervös rief sie ihm zu „Dirk, kann ich mit dir sprechen?" Er blickte sie kurz an und sah dann weg, auf seine Hütte. .„Ich muß sehen, was die Jungen..." „Tom ist schon rübergegangen, und ich möchte nur ein paar Minuten. Bitte." „Okay, was ist?" Britta schluckte. Ihre Kehle: war wie zugeschnürt, doch es gelang ihr, zu sagen: „Ich hab gerade erst erfahren, daß du es warst, der mir meinen Ring zurückbeschafft hat, und ich wollte mich bei dir bedanken.“ „Gern geschehen", sagte er mit ausdrucksloser Stimme. „Es tut mir leid, daß ich so grob zu dir war, aber ich dachte, du hättest Glenda erzählt, daß ich den Schatz - 154 -
gefunden habe. Um sicherzugehen, daß Jenny und ich nicht den ,Beste-Hütte-Wettbewerb' gewinnen." „Du hast wirklich gedacht, ich würde sowas tun?"' „Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Du warst der einzige, der wußte, daß ich den Schatz gefunden hatte, und..." „Glenda wußte nicht, daß du den Schatz hattest. Sie ist rein zufällig darauf gestoßen, als sie eure Sachen durchwühlt hat, um festzustellen, wie weit ihr mit der Schatzsuche wart. Wenn du mir nicht glaubst, sprich mit Tante Betty." „Ich glaub dir. Ich hätte das auch nie gedacht, aber ich weiß, was du von mir hältst." Dirk sah sie erstaunt an. „Das weißt du?" „Ich weiß, daß ich eine verwöhnte Göre bin, aber ich versuche wirklich, mich zu ändern." „Wer verlangt das denn?" Brittas Stimme zitterte, und sie blinzelte rasch, um die Tränen zurückzuhalten. „Ich dachte... ich meine, ich hab gehofft, wir könnten Freunde sein." „Weißt du es denn nicht?" fragte er leise. „Was denn?" Dirk trat vom Weg zurück und zog Britta hinter einen großen Baum. „Ich will, daß wir mehr als Freunde werden", sagte er. Britta wich ein wenig zurück, ließ ihre Hände aber auf seinen Schultern liegen. „Ich dachte; du wärst nicht daran interessiert, ob ich mich ändere, oder nicht", sagte sie. „Nein", erwiderte Dirk und schüttelte den Kopf. „Ich meinte, es macht mir nichts aus, wenn du dich nicht veränderst. Ich mag dich genau so, wie du bist." „Dann findest du also nicht, daß ich verzogen bin?" - 155 -
„Doch," Er lachte. „Ich weiß, daß du verzogen bist." Britta machte sich steif, doch bevor, sie sich losmachen konnte, setzte er hinzu: „Ich weiß auch, daß du nicht hinterhältig bist oder Wutanfälle hast, und daß andere Menschen dir wirklich etwas bedeuten." „Das stimmt", sagte Britta. Sie entspannte sich und schmiegte sich an ihn. „Das bedeutet mir was." Dirk beugte sich hinunter und küßte sie. „Ich weiß nicht, wie lange ich das Ganze noch ausgehalten hätte murmelte er nach einer Weile an ihrem Haar. „Daß du wütend auf mich warst, war zehnmal schlimmer, als von dir ignoriert zu werden." „Wann hab ich dich denn je ignoriert?“ „Von Anfang an. Seit ich um dich herumhänge. Du hast mir nicht mal 'nen Blick gegönnt." „Das war, weil du Toms Freund bist. Er hat mir immer zu verstehen gegeben, wie nervig ich bin, deshalb hab ich angenommen, du fühlst genauso." „Ich glaub, du mußt noch eine Menge über mich lernen." „Dann will ich gleich mal damit anfangen", sagte Britta. Im nächsten Moment spürte er ihre Lippen auf seinen.
- Ende -
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