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Außendienst Eva Nowack und Lars Dittrich 20.11.2006 Ein Hörspiel für 6 Personen: Jamilia Sam Timo Clara Gideon Professor Conja (Frühstück. 5 Uhr früh. Klappern von Geschirr) JAMILIA (gähnt): Ist das früh. Warum müsst ihr bloß immer schon um sechs Uhr loslegen! SAM: Aber du hättest doch gut noch ein Stündchen liegen bleiben können. JAMILIA: Nein, nein. Ist schon in Ordnung so. Sonst bekomm ich dich ja gar nicht mehr zu Gesicht. Außerdem habe ich noch eine Menge zu tun, bevor ich zur Arbeit gehe. SAM: Was denn? JAMILIA: Ach, das Übliche. Heute Abend habe ich die Kinder. Ich muss Wäsche waschen und das Essen vorbereiten. Zehn Mäuler stopft man nicht so mit links. (Pause) Wohin geht es bei euch heute? SAM: Ich weiß noch nicht so genau. Es gab Gerüchte, dass jetzt Kunsstofffabriken in München unter die Lupe genommen werden sollen. Mag sein, dass sie uns heute schon dort hin schicken.
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JAMILIA: München? Scheiße, da seid ihr ja mindestens drei Tage unterwegs und der Sturm soll noch zunehmen. SAM: Dass es einfach werden wird hat keiner behauptet. Aber was soll's. Das Umland ist radikal leergefegt. Im Umkreis von 200 km brauchen wir es gar nicht mehr versuchen. Sogar die Wohnhäuser sind ausgeräumt. Kein Plastik, kein Holz, kein Metall, keine Textilien mehr. JAMILIA: Warum musst du unbedingt diesen Außendienst machen? Es gäbe so viele Gesellschaftspflichten, die du hier zu Hause in unserer Nähe verrichten könntest. SAM: Jamilia, warum musst du immer diese Diskussion anfangen? Ich mache den Dienst seit zehn Jahren und immer noch mit Spaß. Soll ich vielleicht auch auf Erziehung umsatteln? Dann haben wir hier zwanzig Blagen rumwuseln. JAMILIA: Ich sag ja nicht, dass du Erziehung machen sollst. Aber es gibt genug Dienste, die weniger gefährlich sind und dich nicht für Tage von zu Hause und deinem Job abhalten würden. SAM: Jamilia, Schatz. Ich bin jung und kräftig. Ich sehe es als meine Pflicht, die Aufgaben für die Gesellschaft zu erledigen, die die Alten und Schwachen nicht mehr machen können. Lass mich 50 werden und ich verspreche dir, Algen anzubauen oder Maschinen zu schrauben. Aber jetzt lass mich gehen, es ist schon halb. Ich möchte die Anderen nicht warten lassen. JAMILIA: Du hast ja recht, Sam. Aber versprich mir, dass du wenigstens ab und zu an mich denkst. SAM (scherzend): Ich kann doch gar nicht anders. (Kuss) Tschüss, mach's gut und gib den Kindern einen Kuss von mir. JAMILIA: Tschüss, Sam. (Timo und Clara anwesend, Gideon tritt ein) TIMO: Hallo Gideon! Darf ich vorstellen, Clara-Gideon, GideonClara. CLARA: Hallo. GIDEON: Sehr erfreut. Hallo Timo. TIMO: Setz dich, nimm dir Kaffee. Wir warten eh noch auf den Vierten. Was macht die Wissenschaft?
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GIDEON: Oh, gut, gut. Bin gerade an was dran... TIMO: (zu Clara) Gideon arbeitet nämlich im Photosynthesewerk. Entwicklungsabteilung. CLARA: Wirklich? Dann machst du den Außendienst ja bald überflüssig, wie? GIDEON: Zumindest den Plastikabbau. Oh Mann, dass ich ausgerechnet heute dran bin. Ich bin echt auf ner heißen Spur. Geht ums Wirkungsgradproblem. CLARA: Wirkungsgrad? Du meinst, dass das Photosynthesewerk so viel Platz einnimmt, wie das Ratsgebäude und kaum genug Strom für einen Haushalt abwirft? GIDEON: Das war vielleicht im ersten Jahr so! Die Stromausbeute hat sich seitdem vervierfacht! Photosynthese ist und bleibt die einzig sinnvolle Energiequelle der Zukunft. Erstens wird es immer aufwändiger, an gutes Plastik zu kommen und zweitens fallen bei der Plastikverwertung Unmengen an CO2 an und das heizt die Klimaspirale immer weiter an. Reiner Wahnsinn! TIMO: Schon gut, Gideon, schon gut. Wir glauben alle an Strom durch Photosynthese. Aber bis ihr euren Algen beigebracht habt, wie es geht, sind wir weiter auf Plastik angewiesen. Entspann dich lieber noch ein bisschen bevor es losgeht, die nächsten drei Tage werden anstrengend genug. GIDEON: Drei Tage diesmal? (Sam tritt ein) TIMO: Ah, hallo Sam! Dann sind wir ja vollständig. Sam, das ist Clara. Gideon kennst Du ja bereits. CLARA: Hallo. SAM: Hallo Clara. Hallo Gideon, hallo Timo. TIMO: Jetzt, wo alle da sind, möchte ich Clara noch einmal offiziell willkommen heißen in unserem Team. Sie ist Ingenieurin. Gesellschaftsdienst hat sie bisher in der Großküche Ost verrichtet. Heute ist ihr erster Tag im Außendienst, ich freue mich auf gute Zusammenarbeit. Wir alle werden auf der Fahrt Gelegenheit haben, uns näher kennen zu lernen. In einer halben Stunde geht die Sonne auf, deswegen würde ich gerne sofort die Einsatzbesprechung machen und dann los. GIDEON: Wie ist denn der Einsatz? Du hast gerade gesagt drei
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Tage... TIMO: Ja, etwa drei Tage. Zuerst die Formalitäten. Ich schlage mich als Projektleiter vor. Seid ihr damit einverstanden oder gibt es andere Vorschläge? GIDEON: Ja, klar. SAM: Einverstanden. CLARA: Ich auch. TIMO: Gut. Unser Einsatzbrief sieht vier Missionen vor. Die erste führt zu IBAC, einer Kunststofffabrik bei München. SAM: Ah, davon habe ich gehört. Polyethylen, nicht wahr? TIMO: Genau. 2043 arbeitete das Werk an einer Lieferung in die Volksrepublik China. Nachdem die ersten bedeutenden Klimastürme im Oktober '43 diverse kleinere Fabriken beschädigt hatten, wurde in München gestreikt weil die Arbeiter eine höhere Gebäudesicherheit forderten. Dann kam die Seuche. Die Satellitenbilder zeigen, dass die Lagerhallen noch stehen. Hier. Und hier. Unsere Aufgabe ist zu ermitteln, ob sich eine Bergung der Vorräte lohnt und welches Gerät dafür notwendig sein wird. CLARA: In München? Kann sich das überhaupt lohnen? SAM: Selbstverständlich! Unverschmutztes Polyethylen! Plastik von Mülldeponien muss aufwändig gesäubert werden bevor wir es raffinieren können. Das kostet viel mehr Energie als ein paar Transportkonvois. GIDEON: München. War da überhaupt schon mal jemand? TIMO: So weit ich weiß, sind wir die ersten. SAM: Wie lauten die anderen drei Missionen? GIDEON: Ich hoffe, sie führen uns nicht noch weiter weg. TIMO: Im Münchener Rechenzentrum gibt es einen Internetserver, den wir bergen sollen. Er ist zusammengebrochen, bevor das Netz gesichert werden konnte. Eine Solaris-Maschine, irgendwo im zweiten Stock. Auf ihr sollen Daten regionaler Unternehmen gespeichert sein. Außerdem gibt es bei Schopfloch einen Wettermelder, von dem wir seit etwa einem Jahr kein Signal mehr empfangen. Das liegt hier, seht ihr? Wir haben eine Ersatz-Solarzelle
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dabei, mit ein bisschen Glück kriegen wir ihn wieder in Gang. Zu guter Letzt werden wir unterwegs Candell-Pflanzen ausbringen. SAM: Ah. Das macht natürlich Sinn, wenn wir schon so weit nach Norden kommen. GIDEON: Und vor allem kostet es keine Zeit. Wir fahren auf irgendeine Anhöhe und halten die Samen in den Wind. TIMO: Gut. Gibt es noch Fragen zu einer der Missionen? CLARA: Alles klar. SAM: Ich denke die Fragen treten auf, wenn wir da sind. TIMO: Wir müssen uns nur noch für ein Fahrzeug entscheiden. Wir fahren viel auf offenen Flächen, also kommt nur eins mit einer Karosserie in Frage, die vom Wind auf den Boden gedrückt wird. Außerdem wären Greifarme sinnvoll, um Hindernisse wegzuräumen oder uns aus Verschwämmungen zu befreien. Der G ist schon unterwegs. Bleiben der T2 oder einer der Plastiksammler. GIDEON: T2 natürlich! Der ist viel schneller. SAM: Im T2 wird es ganz schön eng, wenn wir noch säckeweise Samen dabei haben. Im Plastiksammler könnten wir die im Laderaum verstauen. Da könnten wir auch gleich noch was von dem Polyethylen als Probe mitbringen. TIMO: Clara? CLARA: Laderaum leuchtet ein. TIMO: Gideon? GIDEON: Ja, stimmt schon. TIMO: Gut. Dann nehmen wir den Sammler. Also, laden wir alles ein, dann geht's los. (Im Fahrzeug. Leise Motorengeräusche zu hören) SAM: Schön, dass Timo und Gideon sich zuerst mit dem Fahren abwechseln wollen. Dann können wir hinten raus gucken, während wir aus dem Tal raus fahren. Warst du schon mal draußen? CLARA: Nein, noch nie.
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SAM: Ich finde es immer wieder eindrucksvoll, wie sich die Station an den Berg schmiegt. So organisch. Als wäre sie dort gewachsen. CLARA: Kommt ja nicht von ungefähr. SAM: Ja, die Form der Gebäude hat man von Muscheln abgeguckt, nicht wahr? CLARA: Seepocken. Weil sie so dem Wind keine Angriffsfläche bieten. Aber ich meine die Anordnung der Gebäude. Sie geben sich gegenseitig Windschatten, wie Vögel in einem Schwarm. Das erhöht die Widerstandsfähigkeit bei Sturmspitzen noch mal um 10 bis 15 Prozent. SAM: Ah. Das wusste ich gar nicht. CLARA: Ich arbeite bei der Gebäudeinstandhaltung. Da lernt man alles über Statik, Aerodynamik, und so weiter. Bei den Fahrzeugen ist das Prinzip so ähnlich, deswegen sind sie auch so lang gezogen. Allerdings weichen sie dem Wind nicht nur aus, sondern werden regelrecht auf den Boden gedrückt. Kommt auch aus der Natur, das Prinzip. Wie hießen die noch mal... Irgendwelche Käfer, die im Fluss auf Steinen sitzen... SAM: Jetzt, da rechts! CLARA: Wow. SAM: Sieht toll aus, oder? CLARA: Wahnsinn. Mit dem Sonnenaufgang dazu. (es gibt einen Ruck) TIMO (entfernt): Scheiße! SAM (ruft): Was ist los? TIMO: Verschwämmung. GIDEON: Na, das fängt ja gut an! Noch nicht aus Sichtweite der Station raus und schon die erste Verschwämmung. SAM: Das ist eine Sache, mit der wir noch häufig zu kämpfen haben werden. Die Straßen sind zwar hier noch gut befestigt, aber durch die Regengüsse werden immer wieder Schlamm-Muren ausgelöst, die die Strecke unpassierbar machen.
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CLARA: Ich weiß, auf diese Situation sind wir im Lehrgang vorbereitet worden. Ich mache mir mehr Sorgen um die Strecke jenseits der befestigten Wege. (Lautes Gerüttel) TIMO: Nein, nicht rausziehen! Versuch den Brocken nach rechts zu drücken. Sonst rutscht der ganze Hang nach. GIDEON (verbissen): Danke für den Hinweis! Genau das versuche ich ja gerade. Nur muss ich ihn zunächst ein Stück anheben, um ihn überhaupt manövrieren zu können. SAM: Alles klar da vorne, oder braucht ihr Hilfe? GIDEON: Wird schon schief gehen. Nur bitte keine klugen Ratschläge mehr. SAM: Ich frag ja nur! (zu Clara) Gideon hasst den Außendienst. CLARA: Aber niemand wird gezwungen, Außendienst zu machen. SAM: Er würde jeden anderen Dienst genau so hassen. Er mag es nicht, von seiner Arbeit abgehalten zu werden. Er sagt, Außendienst wäre das kleinste Übel, weil es wenigstens ein bisschen mit seinem Job zu tun hätte. CLARA: Und was? SAM: Na ja, zum Beispiel diese Sache mit den Candell-Pflanzen. CLARA: Was hat er denn mit den Candell-Pflanzen zu tun? Ich dachte er arbeitet in der Photosynthesestrom-Forschung. SAM: Diese Forschungsbereiche sind stark verwandt. Die Forscher arbeiten eng zusammen. (Motorengeräusche) TIMO: Freie Fahrt! Leute, es kann weitergehen. Super, Gideon! CLARA: Das ging ja schnell. (Pause) Weißt du, Photosynthesestrom leuchtet mir noch ein aber dieses ganze Candell-Projekt ist doch reiner Unsinn. SAM: Was? Warum? CLARA: Die Idee ist doch, dass diese Pflanzen irre schnell wachsen
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und nur sehr langsam verrotten. Dadurch sollen sie soviel CO2 binden, dass die Erhitzungsspirale durchbrochen wird. Aber erstens: Wie sollen sich die Pflanzen denn ausreichend ausbreiten, wenn sie nur um die Stationen herum ausgebracht werden? Und selbst wenn es klappt, wie sollen wir die Pflanzen jemals wieder loswerden? Dieser eingebaute Mechanismus, der die Pflanzen abtötet, sobald der CO2-Spiegel eine kritische Schwelle unterschreitet, wird doch nicht funktionieren. Es passieren immer spontane Mutationen, die solche Kontrollen außer Kraft setzten. Das ist doch genau so mit den Getreidepflanzen in den 30er Jahren passiert. Wer sagt denn, dass das Candell-Projekt die Weltökologie nicht so gravierend schädigt, dass alles nur noch schlimmer wird? SAM: Hm. Das könnte natürlich passieren. Aber es ist nun mal die einzige sinnvolle Idee, die Treibhausspirale zu stoppen. Und wenn wir das nicht schaffen, ist alles andere auch sinnlos. Die Verbreitung soll ja rein rechnerisch kein Problem sein. Die Pflanzen sind so designt, dass ihre Samen vom Wind kilometerweit getragen werden. Und da die anderen beiden Stationen auf anderen Kontinenten sind, wird die Candell-Pflanze bald überall auf der Welt vorkommen. CLARA: Ich glaube einfach nicht, dass man die Klimakatastrophe noch aufhalten kann. Aber die Zeit, in der Leben noch möglich ist, ist ja gar nicht so kurz. 2 bis 300 Jahre sind auf jeden Fall noch drin. Mindestens. Und die Technik steht auch nicht still. Wir werden uns in 100 Jahren an Bedingungen anpassen können, die heute noch gar nicht denkbar wären. SAM: Na ja, ob ich das als Optimismus durchgehen lassen kann... (beide lachen) CLARA: Wohl eher nicht... SAM: Clara, darf ich dich mal was Persönliches fragen? CLARA: Klar. SAM: Warum bist du zu uns in den Außendienst gewechselt? CLARA (kurz angebunden): Warum nicht? Der Außendienst ist eine Aufgabe, wie jede andere auch. SAM: Hmm..., ich bin sicher, du weißt, dass der Dienst hier schon mit erheblichen Strapazen und Gefahren verbunden ist. Allein im letzten Jahr sind fast 20 Menschen dabei ums Leben gekommen. Die Stürme treten plötzlich auf sind oft so heftig, dass selbst mit den Spezialfahrzeugen das Vorwärtskommen manchmal über Stunden oder Tage unmöglich ist. Die Regengüsse können Flächen innerhalb
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kürzester Zeit zu Sümpfen verwandeln und Schluchten werden zu reißenden Strömen. Hier im Umkreis der Station ist natürlich alles gesichert und mit Dränagen versehen, die das Schlimmste verhindern aber selbst hier kommt es immer wieder zu Verschwämmungen, wie du gerade eben noch erlebt hast und weiter draußen... CLARA (gereizt): Und warum bist du dann hier, wenn das alles so unerfreulich und gefährlich ist? SAM: Naja, also ich... Ich meine, du... CLARA: Oh Gott, hab ich mir doch gleich gedacht, dass du darauf hinaus willst! Du willst aufs Kinderkriegen hinaus, hab ich recht? SAM: Nunja, ich habe mir nur gedacht... CLARA: Ja, natürlich! Du hast dir nur gedacht was alle denken: Sie ist mindestens 25, warum hat sie noch keine Kinder? Ist sie vielleicht unfruchtbar? Hat sie überhaupt noch einen Wert für unsere Gesellschaft? Und soviel kann ich dir sagen, genau das ist der Grund warum ich hier beim Außendienst gelandet bin. Ich wollte endlich mal raus aus diesem Dorf! Ich bin es leid, wie sich alle immer gegenseitig belauern und dass man ständig an seinem Wert für die Gemeinschaft gemessen wird. (Pause) SAM: Du hast ja Recht. Es ist nicht immer leicht zu akzeptieren, dass man bei jeder Entscheidung das Wohl der Gemeinschaft im Blick haben muss, gerade wenn es um so persönliche Dinge wie das Kinderkriegen geht. Aber hier geht es nicht um Voyeurismus oder Willkür, sondern um das Überleben der Menschheit. Das musst du dir klar machen. Für mich erleichtert diese Einsicht stets auf neue, die Lage so zu akzeptieren wie sie ist. CLARA: Das Überleben der Menschheit! Und wofür? Glaubst du denn, dass das Leben auf diesem Planeten in 100 Jahren überhaupt noch lebenswert sein wird? Sieh doch, was für eine Welt wir unseren Kindern bieten können! Alles verwüstet und verseucht. Dieses Ghetto da unten ist doch der letzte Strohhalm an den wir uns klammern. Und hier draußen? Wüstenei. Es gibt keine Wälder mehr, nicht mehr die grünen Wiesen von denen die Alten schwärmen. Überall nur noch diese dornigen grauen Büsche. Unerfreuliche Gewächse in einer unerfreulichen Umwelt. Und dann das Virus! Wer kann sagen, ob es jemals von der Erdoberfläche verschwinden wird? Sollen wir uns denn ewig nur in Schutzanzügen mit nachfolgender Dekontaminations-Behandlung in der Umwelt aufhalten können?
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SAM: Wie kannst du nur so verbittert sein? Man muss doch wenigstens die Hoffnung auf ein besseres Leben aufrechterhalten. Unsere Forschung steht ja nicht still. Es wird doch mit Hochdruck an der Entwicklung eines Resistenzgens gearbeitet. Nicht nur bei uns, sondern auch in den beiden anderen Stationen. CLARA: Du kannst mir glauben, ich war nicht immer so verbittert. Früher hab ich genauso gedacht wie du. Ich habe immer an eine bessere Zukunft geglaubt. Ich wollte der Gesellschaft auch Kinder schenken. Carlos, mein Mann, und ich wollten nur noch warten, bis ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte. Und dann kam die neue Genome-Compatibility Direktive raus. Wie sich bei der Untersuchung herausstellte, sind unsere Genome nicht kompatibel! Dass musst du dir mal vorstellen! Nicht dass wir Träger irgendwelcher Erbkrankheiten wären, unsere Genome haben nur Schwachstellen an ähnlichen Loci. Dass reicht ihnen aus uns das Kinderzeugen zu verbieten. Es würde zur Zeugung benachteiligter Genome führen, sagen sie. Verstehst du? Unsere Kinder wären vollkommen gesund. SAM: Jamilia und ich haben auch nur ein einziges Kind gemeinsam. Die anderen sind von anderen Vätern. Den Leuten wurde auch vor der Direktive schon dazu geraten genetisch möglichst vielfältigen Nachwuchs zu zeugen. Unsere Population ist einfach zu klein, um überleben zu können, wenn nicht auf die optimale Durchmischung des Erbguts geachtet wird. Ich weiß nicht warum dich das so aufregt. Du wirst ja nicht dazu gezwungen, deine Ehe aufzugeben, oder mit anderen Männern zusammenzuleben. Die Befruchtung ist ein winziger medizinischer Eingriff. Es dauert keine 10 Minuten. CLARA: Ich will keine Kinder von irgendeinem Samenspender! Wir haben uns immer vorgestellt wie sie sein würden. Sie sollten meine Nase haben und Carlos Augen. Meine Intelligenz und seinen Forschergeist und Ausdauer. SAM: Du kannst doch an fremden Kindern genauso viel Spaß haben. Und deine wären es ja alle mal. Meine Frau, Jamilia, ist in der Erziehung tätig. Neben ihrer Arbeit betreut sie außer den 4 eigenen 6 fremde Kinder und glaub mir, sie macht keinen Unterschied zwischen fremd und eigen. CLARA: Du weißt nicht, wie das ist. Wenn man sich so auf was gefreut hat. Ich muss darüber nachdenken. Ich weiß einfach nicht, wie es weiter geht. Ich bin beim Außendienst, um ein bisschen Abstand zu gewinnen. Können wir es dabei belassen? SAM: Sicher. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.
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CLARA: Können wir es dabei belassen? SAM: Schon gut. GIDEON: Wie die Vegetation hier aussieht. TIMO: Was? GIDEON: Die Vegetation. Vor 100 Jahren war hier alles voll mit Bäumen. TIMO: Ja. GIDEON: Und jetzt nur noch diese Büsche. Eine Anpassung an die Stürme. Salix hauptsächlich. Verschiedene Arten. TIMO: Hm. GIDEON: Hohe Bäume bieten dem Wind zu viel Widerstand. Knicken um. Die meisten Holzgewächse sind aber gar nicht durch die Stürme selbst ausgestorben. Einen sturmtauglichen, buschigen Wuchs kriegen die meisten hin. Aber manche halt besser als andere. Und die verdrängen dann die anderen. Besetzen einfach den ganzen verfügbaren Lebensraum. Wie mit dem CO2-Gehalt. TIMO: Mhm. GIDEON: Für Pflanzen ist das ja eigentlich gut. Mehr CO2, mehr Wachstum. Aber einige können das besser nutzen als andere. Und die vermehren sich dann auch stärker. Zack. Verdrängung. Wusstest Du, dass deswegen auch der Koala ausgestorben ist? TIMO: Wie? GIDEON: Der Koala. In Australien. Hat sich nur von Eukalyptus ernährt. Weil er einen Stoffwechsel hatte, der mit den vielen ätherischen Ölen im Eukalyptus umgehen konnte. Aber wenn die Eukalyptuspflanze mehr CO2 zur Verfügung hat, bildet sie auch mehr ätherische Öle. Peng. Hat ihn umgehauen. Nicht mal ein Koala hält das aus. TIMO: Es wird Zeit, einen Übernachtungsplatz zu suchen. Die Sonne geht bald unter. GIDEON: Oh. OK. TIMO: Hier ist es sehr windgeschützt. Vielleicht bleiben wir lieber hier in der Nähe. Dann verschenken wir zwar eine halbe Fahrtstunde
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aber nicht, dass wir bei Sonnenuntergang nur schlechte Plätze finden. Scheiße! GIDEON: Was... (man hört einen dumpfen Aufschlag, Bremsgeräusche, Gerüttel; Pause) GIDEON: Was war das? TIMO: Ein Tier. Oder so. SAM (entfernt): Was ist denn passiert? GIDEON: (ruft) Ein Tier. (Zu Timo) War ganz schön groß, oder? TIMO: Ja... GIDEON: Sollen wir eine Probe nehmen? Vielleicht können wir auch den ganzen Kadaver mitnehmen. So große Tiere gibt es eigentlich gar nicht mehr. Bestimmt interessant, was der für Nahrung im Magen hat. (Pause) Timo? Du bist ja ganz bleich. Alles in Ordnung? TIMO: Es kam mir so vor... (stellt den Motor aus) Kannst du es sehen? GIDEON: Nein, muss irgendwo hinter uns sein. Oder unter uns. TIMO: Lass uns nach hinten gehen. Vielleicht sieht man es von da. (Geräusche von abgeschnallten Gurten und Bewegung) GIDEON: Gut. Ich komme mit. SAM (diesmal nah): Was ist denn los? Warum halten wir? TIMO: Wir haben etwas überfahren. Habt Ihr es gesehen? SAM: Nein, ich habe gerade ein Nickerchen gemacht. CLARA: Ich habe auch nichts gesehen. Wir gucken ja nach hinten. TIMO: Auf der Seite ist nichts... (Bewegung) Oh Mann! CLARA: Was denn? TIMO: Das kann doch nicht wahr sein.
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GIDEON: Das gibt's doch nicht. CLARA: Was ist denn? (Clara und Sam schnallen sich ebenfalls ab) SAM: Das ist ja... CLARA: Das ist ein Mensch! TIMO: Er lebt noch. CLARA: Meine Güte! Das Erste-Hilfe-Kit, schnell! Sam, komm mit! TIMO: Nein! Niemand verlässt das Fahrzeug! CLARA: Was? TIMO: Das Virus. Wir öffnen die Tür nicht. CLARA: Wir haben Schutzanzüge. Wir haben gerade einen Menschen überfahren, wir müssen ihm helfen. TIMO: Er trägt keinen Schutzanzug. SAM: Stimmt. Überhaupt seine Kleidung Er ist nicht aus der Station. GIDEON: Wie? Nicht aus der Station? CLARA: Vielleicht ist er bei einer Mission verschollen. Und versucht, zurückzukommen. TIMO: Ich weiß nichts von einem Vermissten. CLARA: Ich warte jedenfalls nicht hier drinnen, bis er tot ist! SAM: Clara, bitte! Alle! Lasst uns jetzt nichts überstürzen. Lasst uns ruhig bleiben und überlegen, was zu tun ist. Für diese Situation gibt es keine Weisung. Haben wir Kontakt zur Station? Über Funk oder Satellit? TIMO: Wahrscheinlich nicht. Gideon, kannst du das mal testen? GIDEON: Gut. (Geht) SAM: Es sieht so aus, als wäre er nur am Bein verletzt. CLARA: Es ist total verrenkt. Und er blutet.
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TIMO: Wo kommt er nur her? Ist ganz plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. SAM: Es gibt Überlebende. CLARA: Was meinst du? SAM: Er kann sich unmöglich alleine durchgeschlagen haben. Es muss noch mehr geben. CLARA: Menschen? Außerhalb der Station? GIDEON (kommt zurück): Kein Funkkontakt. Nichts zu machen. SAM: Verdammt. GIDEON: Leute, ich habe nachgedacht. Höchst wahrscheinlich ist er resistent. Als die Seuche ausgebrochen ist, ist sie überall hingekommen. Nur die Klimaforschungsstationen konnten sich auf Dauer abschotten weil sie autark waren. Er kann dem Virus unmöglich entgangen sein. Außer durch Resistenz. SAM: Meinst du es gibt noch mehr? GIDEON: Bestimmt. Nehmen wir eine Letalität von 99,999 % an. Dann würden von 12 Milliarden Menschen immer noch 13.320 überleben. Bisher sind wir nur davon ausgegangen, dass die Klimakatastrophe diesen potentiell Überlebenden den Rest gegeben hat. Oh man, hätten wir das 40 Jahre früher gewusst... CLARA: Jetzt hört schon auf zu diskutieren, wir müssen ihn retten. Die Anzüge müssten schon ausreichenden Schutz bieten. Die Schweißnähte sind... TIMO: Die Anzüge sind darauf ausgelegt, uns vor dem Virus zu schützen. Aber sie wurden nicht für den direkten Kontakt mir einem Überträger designt. Und das ist das, was wir hier möglicherweise haben. Vielleicht ist er resistent aber wenn er hier draußen lebt, dann ist jede Zelle seines Körpers kontaminiert. Stimmt doch, Gideon, oder? GIDEON: Das ist zumindest möglich. TIMO: Wer weiß, wie gut die Anzüge in dieser Situation funktionieren. Bisher waren wir nur auf Mülldeponien und in verlassenen Gebäuden. Ich habe keine Lust, die Anzüge auf die Feuerprobe zu stellen. Wir riskieren dadurch nicht nur unser Leben, sondern die Sicherheit der ganzen Station.
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GIDEON: Was gleichzusetzen ist mit dem Überleben der kompletten Menschheit. CLARA: Aber wir können doch nicht einfach weiterfahren, als wäre nichts gewesen. Wenn er dieses Resistenzgen tatsächlich besitzt, müsste er doch von größtem Nutzen für die Station sein. GIDEON: Da hast du ganz Recht. Und darum macht es auch keinen Sinn, jetzt rauszugehen und ihm einen Gips anzulegen. Er ist resistent! Er könnte der Schlüssel sein! Wir müssen ihn in die Station bringen und das Resistenzgen identifizieren! TIMO: Aber dann wäre er hier im Fahrzeug. Hinter der Virusschleuse. Das werde ich in meiner Funktion als Projektleiter auf gar keinen Fall zulassen. GIDEON: Verstehst du nicht? Wir konnten in 40 Jahren Resistenzgenforschung keine Lösung für das Problem finden. Weder durch von Expertise geleiteten Knock-in Strategien noch durch blinde Mutagenese nach dem Versuch- und Irrtumsprinzip. An dieser Person da draußen hängt unter Umständen die Wiederbesiedelbarkeit des Planeten Erde durch die Menschen. Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass wir ihn hier zurücklassen. Und wenn wir nur eine Gewebsprobe nehmen und in die Station transportieren. SAM: Es reicht Gideon! Aus welchem Grunde sollte es erstrebenswert sein, dass die Menschheit überhaupt überlebt, wenn wir uns wie Monster benehmen und Gewebeproben aus unseren am Boden liegenden Mitmenschen stanzen! Verstehst du das nicht? Das hier ist keine von deinen Labormäusen, kein wissenschaftliches Kuriosum, das hier ist einer von uns. Ein Mitmensch! Sagt dir das was? CLARA: Mir reichts ich geh raus. TIMO: Clara, bitte! CLARA: Nein, wartet, ich hab's! Ich hab die Lösung! Ich werde ihn in den Laderaum heben. Dort ist er jenseits der Schleuse. Gebt mir das Erste-Hilfe Paket mit, damit ich ihn notdürftig versorgen kann. Und dann geht's schleunigst zurück zur Station! Auf der Station angekommen, könnt ihr mich ja einer gründlichen Dekontamination unterziehen und drei Monate ins Quarantänelager einsperren. GIDEON: Das ist gar keine so schlecht Idee. SAM: Dann geh ich mit. Alleine wirst du ihn nicht heben können.
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TIMO: Scheiße! Er versucht zu fliehen. GIDEON: Er kann doch gar nicht laufen mit dem kaputten Bein. TIMO: Schneller als ich dachte. GIDEON: Unternimm was, er darf uns nicht entkommen. CLARA: Wo sind die Schutzanzüge? Schnell Sam! GIDEON: So geht das nicht, ihr braucht viel zu lange. Timo, fahr ihm hinterher. (Motorengeräusche) TIMO: Er ist viel zu langsam, keine Sorge, er kann uns nicht entkommen. GIDEON: Und wenn er sich da raufschleppt? Dahin kannst du ihm nicht folgen. Es ist schon fast dunkel. Er wird im Dickicht verschwinden. Da finden wir ihn nie wieder. Nimm den Greifarm, Timo! Du musst ihn aufhalten. SAM: Seid ihr wahnsinnig? Ihr werdet ihn verletzen! Gebt uns noch zwei Minuten. Wir sind ja gleich so weit. GIDEON: Zu spät. Er läuft schon auf die Felsen zu. Timo! (Mechanische Geräusche vom Greifarm) CLARA: Seid vorsichtig! TIMO: Ich hab ihn. Er kann nicht mehr raus. Schnell Sam, Clara. Die Lage ist nicht gerade angenehm für ihn. SAM: Nicht gerade angenehm? Du brichst ihm verflucht noch mal gleich den Hals. CLARA: Fertig. Sam? SAM: Auch. Timo, öffne die Schleuse! (Hydraulikgeräusche, Schritte) CLARA: Ach du Scheiße! Timo, mach sofort den Greifer los, Timo, hörst du mich? TIMO (durch Sprechanlage): Ich höre. Vorsicht, ich lass jetzt los.
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CLARA: Sam, schnell, fass mit an ich glaube er ist bewusstlos. (Im Laderaum): CLARA: Warte ich steige zuerst ein. Dann kannst du ihn angeben. (Pause; Schnaufen und Klettergeräusche) CLARA: Du kannst ihn jetzt angeben. SAM: Vorsicht mit dem Genick. CLARA: Wir müssen ihn in die stabile Seitenlage bringen und den Nacken stabilisieren. Der scheint irgendwie ungewöhnlich instabil. Ich hoffe nur, dass Timo ihm nicht das Genick gebrochen hat. TIMO (durch die Sprechanlage): Seid ihr soweit? SAM: Alles klar. Es kann losgehen. GIDEON (durch die Sprechanlage): Wie geht es dem Patienten? CLARA: Es sieht nicht gut aus. Er ist bewusstlos. Beeilt euch. Je schneller wir die Station erreichen, desto besser. Sobald ihr Funkkontakt habt, bereitet das Klinikum vor. SAM: Gibt es Schmerzmittel im Erste-Hilfe Kasten? Er muss wahnsinnige Schmerzen haben. Am besten wäre Morphium CLARA: Das ist ein Erste-Hilfe Kasten, kein Giftschrank. Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir Morphium finden. Oh man, er ist ja total abgemagert. SAM: Einfach ist das Leben da draußen bestimmt nicht. CLARA: Wenn er doch reden würde. (Pause) CLARA: Seine Augen flackern. Ich glaube er kommt zu Bewusstsein. Hallo? Kannst du mich hören? Hallo? Wie geht es dir? (Pause) FREMDER: (leichtes Stöhnen) SAM: Es geht ihm sehr schlecht. Oh Mann, wir hätten den Greifarm nie benutzten dürfen.
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CLARA: Hallo, kannst du mich verstehen? (Pause) CLARA: Wie viele von euch gibt es da draußen? SAM: Nichts. Es geht ihm viel zu schlecht. Halte einfach seine Hand, vielleicht hilft ihm das. CLARA: Wir kommen viel zu langsam voran. Bis zur Station brauchen wir mindestens 15 Stunden. Wenn wir bloß schon da wären. Was wenn er innere Blutungen hat? SAM: Lass uns hoffen, dass nicht. Wir kontrollieren seinen Atem und seinen Herzschlag. Er wird es schon schaffen. Versorgen wir erst mal die Wunde an seinem Bein. Puh, das sieht furchtbar aus. CLARA: Hatten wir das Recht dazu? Ihn Mitzunehmen? SAM: Wir mussten ihm doch helfen! Dass er angefahren wurde, war ein Unfall, da konnte niemand was für. Wir hätten ihn ja nicht liegenlassen können. CLARA: Aber den Greifarm einzusetzen. Vielleicht wäre er durchgekommen. Oh Gott, hoffentlich überlebt er! (Pause) CLARA: Weißt du, woran ich gerade denke? An den Ansturm auf die Stationen, als die Seuche ausbrach. Lauter Menschen, die in Panik versucht haben, an Bord der Arche Noah zu kommen. Unsere Eltern haben sie nicht hereingelassen. Sie sind gestorben wie die Fliegen. SAM: Es war eine grausame Zeit. Niemandem ist es leicht gefallen, da bin ich sicher. Aber die Stationen waren nicht darauf ausgelegt, viele Menschen zu beherbergen. Entstanden sind sie als Forschungsstationen. Später wurde klar, dass diese autarken, futuristischen Dörfer ihren Bewohnern nicht nur vor der Klimakatastrophe Schutz bieten konnten, wie geplant, sondern auch vor der Seuche. Aber die kam zu plötzlich. Alles war noch ein Test. Es wurde alles Menschenmögliche getan, die Kapazitäten zu erweitern. Die Schuld tragen nicht unsere Eltern, erst recht nicht wir. Das alles hat hunderte von Jahren vorher begonnen. Exponentieller Bevölkerungszuwachs. Die Seuche war genau so absehbar wie die Klimakatastrophe. Es wurde einfach zu spät reagiert. Alle Menschen tragen die Schuld. Die, die leben und die, die gestorben sind.
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CLARA: Die, die gestorben sind, haben unser Überleben immerhin mitfinanziert. Die Stationen wurden vom Staat errichtet. Aus Steuergeldern. Europa, USA, China, alles das Gleiche. Weißt du, ich habe irgendwie das Gefühl, dass wir diesem Menschen hier etwas schuldig sind. Für das, was damals passiert ist. Er ist der, der draußen geblieben ist. Er hat aus eigener Kraft überlebt. Er ist Noah, nicht wir. TIMO: Hört Ihr mich? SAM: Ja, wir sind hier. TIMO: Wie ist die Lage? SAM: Schwer zu sagen. Er atmet. TIMO: Und wie geht es euch? CLARA: Mach dir keine Sorgen um uns. TIMO: Wir haben immer noch keinen Kontakt zur Station. Ich fürchte, das wird noch ein paar Stunden so bleiben. Am besten, ihr macht es euch bequem. SAM: Ja. Gut. (zu Clara) Ich glaube, viel anderes können wir wirklich nicht machen. CLARA: Ja. (monotones Motorengeräusch) TIMO: Clara? Sam? (Pause) Clara! Sam! SAM: Wie? Was? TIMO: Wir haben Funkkontakt. Wie geht es dem Patienten? CLARA: Sam? SAM: Ich, äh... ich bin gerade eingenickt... CLARA: Sam? SAM: Ja? CLARA: Ich glaube er atmet nicht mehr. SAM: Was?!
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CLARA: Kannst Du seinen Puls fühlen? Ich... ich find nichts... TIMO: Hey, da will euch jemand sprechen. CLARA: Ich habe auch geschlafen. SAM: Oh nein. Oh nein. CONJA: Hallo! Hier spricht Professor Conja. SAM: Da ist kein Puls. CONJA: Einen herzlichen Gruß von der Station! Wir alle hier können die Nachricht noch gar nicht fassen. Herzlichen Glückwunsch! CLARA: Das kann nicht sein. Wir müssen ihn wiederbeleben. (Wiederbelebungsgeräusche) SAM: Zu spät. Wir müssen mindestens zwei Stunden geschlafen haben. CLARA: Wir müssen es doch wenigstens probieren. Hilf mir! LOS! CONJA: Hallo? Hören Sie mich? Wir alle sind sehr stolz auf Sie. CLARA: Professor Conja? CONJA: Ja, ich höre sie. CLARA: Herr Professor, er lebt nicht mehr. CONJA: Der Fremde? Oh nein. Seit wann ist er tot? CLARA: Wir sind eingeschlafen. Vielleicht zwei Stunden. CONJA: Machen sie sich keine Vorwürfe, sie trifft keine Schuld. CLARA: Wir wollten seinen Puls überwachen. CONJA: Was hätten sie schon unternehmen können? Sie waren nicht für diese unerwartete Situation ausgerüstet und haben vollkommen richtig gehandelt. Wir alle trauern um diesen Menschen. Haben sie mit ihm gesprochen? SAM: Er war bewusstlos. CONJA: Zu schade. Aber nun wissen wir, dass es Menschen
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außerhalb der Station gibt. Wir werden weitere finden. Ihr Fund ist von unschätzbarem Wert für die Gemeinschaft. Wenn er wirklich Träger eines Resistenzgens ist, könnte dies das Ende der Infektionsgefahr bedeuten. Ich brauche nicht zu erwähnen, was das bedeutet! Wir freuen uns auf sie. Wir sehen uns in der Station! Ich wünsche ihnen eine gute Heimfahrt. Abstimmen
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