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Ernesto Che Guevara
Aufzeichnungen aus dem kubanischen Befreiungskrieg 1956-1959 Mit einem einleitenden Text von Fi...
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Ernesto Che Guevara
Aufzeichnungen aus dem kubanischen Befreiungskrieg 1956-1959 Mit einem einleitenden Text von Fidel Castro
Deutsch von Reinhold Neumann-Hoditz
Rowohlt 2
Die vorliegende Ausgabe folgt der bei Monthly Review Press, Inc., New York, unter dem Titel «Reminiscences of the Cuban Revolutionary War» erschienenen amerikanischen Ausgabe Einbandgestaltung: Werner Rebhuhn (Fotos: UPI) Foto Ernesto Che Guevara: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Veröffentlicht im Januar 1969 Für die deutsche Übersetzung © Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1969 Alle deutschen Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck/Schleswig Werkdruckpapier von der Peter Temming AG, Glückstadt/Elbe Printed in Germany
Zum ehrenvollen Gedenken an Che1 Revolutionäre Genossen! Zum erstenmal begegnete ich Che an einem Tag im Juli oder August 1955. Und eines Nachts - wie Che sich in seinen Schriften erinnert -wurde er einer der späteren Expeditionsteilnehmer der Granma, obgleich jene Expedition zu diesem Zeitpunkt weder ein Schiff noch Waffen oder Soldaten zur Verfügung hatte. So also wurde Che, zusammen mit Raúl, als einer der ersten auf die Liste der Granma gesetzt. Zwölf Jahre sind seither vergangen. Es waren Jahre des Kampfes, Jahre von historischer Bedeutung. In dieser Zeit hat der Tod viele tapfere Männer von unschätzbarem Wert gefällt; gleichzeitig sind jedoch in allen diesen Jahren unserer Revolution außergewöhnliche Persönlichkeiten nach vorn gerückt, sie drängten aus den Reihen der Revolutionäre an die Spitze, und zwischen jenen Männern und dem Volk haben sich Bande der Zuneigung und der Freundschaft entwickelt, wie man sie kaum schildern kann. Heute sind wir hier zusammengekommen, um irgendwie zu versuchen, den Gefühlen Ausdruck zu geben, die uns ihm gegenüber bewegen, der einer von denen war, die uns am nächsten standen, der der geliebteste und ohne Zweifel der außergewöhnlichste unserer revolutionären Kameraden war - wir sind zusammengekommen, um unseren Gefühlen für ihn und für die Helden Ausdruck zu geben, die mit ihm gekämpft haben und mit ihm gefallen sind, für seine internationalistische Armee, die ein ruhmreiches historisches Heldenepos geschrieben hat, das niemals ausgelöscht werden kann. Che gehörte zu den Menschen, die man sofort gern haben muß. Seine Einfachheit, sein Charakter, seine Natürlichkeit, seine kameradschaftliche Haltung, seine Persönlichkeit, seine Originalität zogen die Menschen an, auch wenn sie von seinen anderen charakteristischen und einzigartigen Vorzügen noch nichts wußten. In jenen ersten Tagen war er der Arzt unserer Truppen. Und schon aus diesem Grunde wurden die Bande der Freundschaft und der herzlichen Gefühle, die wir für ihn hegten, immer stärker. Er haßte den Imperialismus zutiefst und war erfüllt mit Ekel vor ihm - und dies nicht nur, weil sein politisches Bewußtsein schon damals beträchtlich entwickelt war, sondern auch, weil er kurz vorher die Gelegenheit gehabt hatte, Zeuge der verbrecherischen imperialistischen Intervention in Guatemala 1
Text der Rede, die Fidel Castro am 18. Oktober 1967 zum Gedenken an Ernesto Che Guevara auf dem Platz der Revolution in Havanna hielt.
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zu sein, die mit Hilfe von Söldnern vollzogen wurde, die die Revolution in diesem Land zunichte machten. Ein Mann wie Che brauchte keine ausgeklügelten Argumente; ihm genügte es zu wissen, daß es Männer gab, die entschlossen waren, mit der Waffe in der Hand gegen diese Situation anzukämpfen; ihm genügte es zu wissen, daß diese Männer von echten revolutionären und patriotischen Idealen beseelt waren. Das war mehr als genug. Eines Tages, Ende November 1956, machte er sich mit uns auf die Expedition nach Kuba. Ich erinnere mich, daß ihm diese Fahrt sehr schwergefallen ist, denn er konnte sich, wegen der Umstände, unter denen die Abreise vonstatten gehen mußte, nicht einmal mit den notwendigsten Medikamenten versorgen; auf der ganzen Fahrt litt er an einem schweren Asthma-Anfall, und er hatte nichts, ihn zu lindern, aber er klagte nie. Wir gingen in Kuba an Land, unternahmen unseren ersten Vormarsch, mußten den ersten Rückschlag hinnehmen, und dann, nach einigen Wochen, konnten sich, wie ihr alle wißt, einige der Überlebenden von der GranmaExpedition wieder zusammenschließen. Che blieb der Arzt unserer Gruppe. Wir überstanden das erste Gefecht als Sieger, und Che war schon einer unserer Soldaten und gleichzeitig weiterhin unser Arzt. Wir siegten zum zweitenmal, und Che war nun nicht nur einer unserer Soldaten, sondern der hervorragendste Soldat dieses Gefechts, in dem er zum erstenmal eine jener ungewöhnlichen Heldentaten vollbrachte, die für ihn in allen militärischen Aktionen charakteristisch waren. Unsere Streitkräfte machten weiter Fortschritte, und wir standen gerade vor einem neuen Kampf von außerordentlicher Bedeutung. Die Lage war schwierig. Die Informationen, die wir erhalten hatten, waren in vieler Hinsicht falsch. Wir waren im Begriff, bei hellem Tageslicht - bei Tagesanbruch - eine feindliche Stellung anzugreifen, die direkt am Meer lag, die gut verteidigt und gut bestückt war. Feindliche Truppen standen, nicht sehr weit entfernt, in unserem Rücken, und in dieser verwirrten Lage war es notwendig, unseren Männern höchste Anstrengungen abzuverlangen. Genosse Juan Almeida hatte eine der schwierigsten Aufgaben übernommen, aber eine Flanke blieb völlig ungedeckt, dort standen keinerlei Angriffskräfte bereit, wodurch die ganze Operation gefährdet war. In diesem Augenblick bat Che, der immer noch als unser Arzt fungierte, um zwei oder drei Mann, einen mit Maschinengewehr, und er brach in Sekundenschnelle auf, um die Aufgabe zu übernehmen, von dieser Richtung her anzugreifen. In solchen Situationen war er nicht nur ein hervorragender aktiver Kämpfer, sondern auch ein ausgezeichneter Arzt, der die verwundeten Genossen versorgte und sich gleichzeitig auch um die verwundeten feindlichen Soldaten
kümmerte. Schließlich hatten wir die Waffen erbeutet, und es wurde notwendig, jene Stellung aufzugeben; unter dem Störfeuer aller möglichen feindlichen Kräfte machten wir uns auf einen langen Rückzugsmarsch; es mußte aber jemand bei den Verwundeten zurückbleiben, und es war Che, der bei den Verwundeten blieb. Mit Unterstützung einer kleinen Gruppe unserer Soldaten widmete er sich den Verwundeten, rettete ihr Leben und schloß sich später zusammen mit ihnen wieder unserer Kampfgruppe an. Von diesem Zeitpunkt an tat er sich als fähiger und tapferer Truppenführer hervor, er gehörte zu den Männern, die - wenn eine schwierige Aufgabe bevorsteht - nicht erst darauf warten, bis man sie auffordert, diese Mission auszuführen. So war es in der Schlacht von El Uvero gewesen; aber bei einer noch nicht erwähnten Gelegenheit hatte sich Che ähnlich verhalten, und zwar in den ersten Tagen, als nach einem Verrat unsere kleine Truppe von mehreren Flugzeugen überrascht wurde und wir gezwungen waren, uns vor den Bomben zurückzuziehen. Wir waren schon ein Stück gegangen, als uns einige Gewehre einfielen, die ein paar Bauernsoldaten gehört hatten, die bei den ersten Aktionen bei uns gewesen waren, dann aber um die Erlaubnis ersucht hatten, ihre Familien zu besuchen; das geschah zu einem Zeitpunkt, als in unserer MiniArmee die Disziplin noch nicht sehr groß war. Und so nahmen wir an, daß die Gewehre möglicherweise verlorengegangen waren. Ich erinnere mich, daß das Problem dann nicht wieder angeschnitten wurde, daß sich aber Che während der Bombenangriffe freiwillig meldete und dann eilig aufbrach, die Gewehre zu beschaffen. Eine Eigenschaft zeichnete ihn vor allem aus: seine Bereitschaft, sich für die gefährlichste Mission sofort freiwillig zu melden. Und das löste naturgemäß Bewunderung aus - doppelt soviel Bewunderung wie gewöhnlich, denn es handelte sich um einen Mitkämpfer, der, obwohl er nicht in unserem Land geboren worden war, an unserer Seite stritt, um einen Mann mit scharfsinnigen und tiefgründigen Ideen, in dessen Geist ständig der Traum vom Kampf in anderen Teilen des Kontinents umging und der dennoch so altruistisch, so selbstlos und so voller Bereitschaft war, stets die schwierigsten Dinge zu tun, ständig sein Leben aufs Spiel zu setzen. So wurde er Major, dann Chef der Zweiten Kampfgruppe, die in der Sierra Maestra aufgestellt wurde. Sein Prestige wuchs, ihm ging der Ruf voraus, ein glänzender Kämpfer zu sein, der im Laufe des Krieges die höchsten Positionen erreichen würde. Che war ein unvergleichlicher Soldat. Er war eine unvergleichliche Führerpersönlichkeit. Vom militärischen Gesichtspunkt aus war Che ein außerge4
wöhnlich fähiger Mann, er war außergewöhnlich mutig und außergewöhnlich angriffslustig. Wenn er als Guerillero überhaupt eine Achillesferse besaß, so war es diese übermäßige Angriffslust, die ihm eigen war, und seine völlige Verachtung jeder Gefahr. Der Feind glaubt, er könne aus dem Tod Ches gewisse Schlußfolgerungen ziehen. Che war ein Meister der Kriegführung. Er war ein Virtuose in der Kunst des Guerillakampfes. Er hat diese Eigenschaft unendlich viele Male unter Beweis gestellt, insbesondere aber mit zwei außerordentlichen Taten. Einmal bei der Schlußoffensive, in der er eine Kampfgruppe führte, die von Tausenden feindlichen Soldaten über flaches und völlig unbekanntes Gelände verfolgt wurde, und wobei er mit Camilo ein hervorragendes militärisches Unternehmen durchführte. Zum zweiten zeigten sich diese seine Fähigkeiten in seinem Blitzfeldzug in der Provinz Las Villas und vor allem bei dem kühnen Angriff auf Santa Clara, als er mit nur dreihundert Mann in eine von Panzern, Artillerie und mehreren tausend Infanteristen verteidigte Stadt eindrang. Diese beiden heldenhaften Taten prägten ihn als außergewöhnlich fähige Führerpersönlichkeit, als Meister, als Virtuosen in der Kunst des revolutionären Krieges. Jetzt jedoch, nach seinem heldenhaften und glorreichen Tod, versuchen einige, die Wahrheit oder den Wert seiner Auffassungen und seiner Guerillatheorien abzustreiten. Der Meister mag sterben - vor allem dann, wenn er ein Virtuose in einer so gefährlichen Kunst wie der des revolutionären Kampfes ist -, aber was gewiß niemals sterben wird, das ist die Kunst, der er sein Leben, der er seine Intelligenz gewidmet hat. Was ist an der Tatsache so seltsam, daß dieser Meister im Kampf gefallen ist? Seltsamer ist, daß er nicht schon früher - bei einer der zahllosen Gelegenheiten, als er in unserem revolutionären Kampf sein Leben riskierte - kämpfend den Tod gefunden hatte. Und wie oft hatte man einschreiten müssen, um zu verhindern, daß er in Aktionen von minderer Bedeutung sein Leben riskierte. Und so also hat er in einem Gefecht - in einem der vielen Gefechte, in denen er gekämpft hat - sein Leben verloren. Wir wissen nicht genug davon, um Schlüsse ziehen zu können, welche Umstände jenem Gefecht vorausgegangen sind, und Vermutungen anzustellen, inwieweit er sich etwa übermäßig angriffslustig vorgewagt haben könnte; aber - wir wiederholen es - wenn er als Guerillero eine Achillesferse besaß, dann war es sein übermäßiger Wagemut, seine völlige Verachtung der Gefahr. Und das ist der Punkt, an dem wir mit ihm kaum übereinstimmen können,
denn wir sind der Ansicht, daß sein Leben, seine Erfahrung, seine Fähigkeiten als eine erprobte Führerpersönlichkeit, sein Prestige und alles, was sein Leben bedeutete, wertvoller, unvergleichlich wertvoller waren, als er selbst es vielleicht annahm. Vielleicht war sein Verhalten nachhaltig von der Vorstellung beeinflußt worden, daß Menschen in der Geschichte nur einen relativen Wert besitzen, von der Vorstellung, daß eine Sache nicht verloren ist, wenn Menschen fallen, und daß der gewaltige Gang der Geschichte nicht angehalten werden kann und nicht angehalten werden wird, wenn die Führer fallen. Und das trifft zu, daran besteht kein Zweifel. Hier zeigt sich sein Glaube an die Menschen, an Ideen, an das Beispiel. Wir hätten ihn jedoch aus vollem Herzen gern als Schmied der Siege erlebt, wir hätten es gern erlebt, daß sich unter seiner Führung die Siege Bahn brechen, denn Männer mit seiner Erfahrung, von seinem Format und mit seinen wahrhaft einzigartigen Fähigkeiten sind nicht alltäglich. Wir erkennen den Wert seines Beispiels sehr gut. Wir sind völlig davon überzeugt, daß viele Menschen danach streben werden, seinem Beispiel zu folgen, und daß die Völker Männer wie ihn hervorbringen werden. Es ist nicht leicht, einen Menschen zu finden, der alle die Vorzüge besitzt, die in ihm vereinigt waren. Es ist nicht einfach für einen Menschen, sich spontan zu einer Persönlichkeit, wie er es war, zu entwickeln. Ich möchte sagen, er ist einer der Menschen, denen ebenbürtig zu sein schwierig und die zu übertreffen praktisch unmöglich ist. Aber ich kann auch sagen, daß das Beispiel von Menschen seiner Art dazu beiträgt, daß Menschen des gleichen Formats hervortreten. In Che bewundern wir nicht nur den Kämpfer, den Mann, der fähig ist, große Taten zu begehen. Was er tat, was er in Angriff nahm - allein schon die Tatsache, daß er sich mit nur einer Handvoll Männer gegen die Armee der herrschenden Klasse erhob, die von Yankee-Beratern ausgebildet worden war, die wiederum vom Yankee-Imperialismus geschickt worden waren, gegen eine Armee, die von den Oligarchien aller benachbarten Länder unterstützt wurde - das allein schon ist eine außerordentliche Heldentat. Wenn wir die Seiten der Geschichte durchblättern, werden wir wahrscheinlich kaum noch einmal finden, daß eine Führerpersönlichkeit mit einer derart kleinen Zahl von Männern eine Aufgabe von derartiger Bedeutung in Angriff genommen hat, daß jemand mit so wenigen Männern den Kampf gegen eine so große Streitmacht aufgenommen hat. Man kann in den Seiten der Geschichte nach einem solchen Beweis für Selbstvertrauen suchen, für Vertrauen zum Volk und für den Glauben an die Fähigkeit des Menschen, zu kämpfen - aber ähnliches wird man niemals finden. 5
Und Che fiel. Der Feind glaubt, er habe seine Ideen, sein Guerilla-Konzept, seine Auffassung vom revolutionären bewaffneten Kampf vernichtet. Aber er hat, durch einen für ihn glücklichen Zufall lediglich erreicht, Che physisch zu vernichten; es ist ihm lediglich gelungen, einen zufälligen Vorteil zu gewinnen, wie ihn ein Feind im Krieg gewinnen kann. Und wir wissen nicht, in welchem Maße Ches charakteristische Eigenschaft, eben jene, von der wir schon gesprochen haben - die übermäßige Angriffslust und die absolute Verachtung der Gefahr -, in einem Gefecht wie viele andere diesem Glück des Feindes nachgeholfen hat. So geschah es auch in unserem Unabhängigkeitskrieg. In einem Gefecht bei Dos Ríos wurde der Apostel unserer Unabhängigkeit getötet. Und in einem Gefecht bei Punta Brava wurde Antonio Maceo, ein Veteran aus vielen hundert Schlachten, getötet.2 Unzählige führende Persönlichkeiten, unzählige Patrioten unseres Unabhängigkeitskrieges wurden in ähnlichen Gefechten getötet. Und dennoch bedeutete dies für die Sache Kubas keine Niederlage. Ches Tod ist für die revolutionäre Bewegung ein harter Schlag, denn er beraubt sie ohne Zweifel eines ihrer erfahrensten und fähigsten Führer. Aber jene, die sich des Sieges rühmen, täuschen sich. Sie täuschen sich, wenn sie annehmen, daß sein Tod das Ende seiner Ideen, seiner Taktik, das Ende seines Guerilla-Konzepts und seiner Thesen bedeutet. Denn der Mann, der als ein Sterblicher gefallen ist, als ein Mann, der den Kugeln immer und immer wieder ausgesetzt war, der als Soldat und als Führer gefallen ist dieser Mann war tausendmal fähiger als diejenigen, die ihn durch einen Streich hinstreckten. Wie jedoch müssen sich Revolutionäre angesichts dieses ernsten Rückschlags verhalten? Wie müssen sie diesem Verlust gegenübertreten? Wenn sich Che zu diesem Punkt äußern müßte, was würde er sagen? Er hat seine Meinung dazu schon ganz klar geäußert, als er in seiner Botschaft an die Lateinamerikanische Solidaritätskonferenz schrieb, wenn der Tod ihn irgendwo überraschte, so wäre er willkommen, so lange sein Schlachtruf ein offenes Ohr fände und eine andere Hand sich ausstrecke, sein Gewehr zu ergreifen. Sein Schlachtruf wird jedoch nicht nur ein offenes Ohr, sondern Millionen offener Ohren finden. Und nicht nur eine Hand, sondern Millionen Hände werden sich ausstrecken, um die Waffen zu ergreifen. Neue Führer werden hervortreten. Und die Männer - mit offenem Ohr und ausgestreckter Hand - werden Führer brauchen, die aus dem Volk hervorge2
Mit dem «Apostel unserer Unabhängigkeit» ist José Martí gemeint (1853 bis 1895); Martí fiel in einem der ersten Gefechte des zweiten kubanischen Unabhängigkeitskrieges. Zu Maceo siehe Fußnote Seite 113 im Kapitel ‹Lydia und Clodomira›.
hen, so wie Führer in allen Revolutionen hervorgetreten sind. Es wird nicht sofort ein Mann mit der außergewöhnlichen Erfahrung und den großen Fähigkeiten, wie Che sie besaß, zur Verfügung stehen. Solche führenden Persönlichkeiten werden im Prozeß des Kampfes gebildet, sie werden aus den Reihen der Millionen Menschen heraustreten, die früher oder später ihre Hände ausstrecken werden, um die Waffen zu ergreifen. Wir sind gar nicht der Meinung, daß sein Tod notwendigerweise sofortige Auswirkungen auf die praktische Seite des revolutionären Kampfes haben wird, auf die praktische Seite der Entwicklung dieses Kampfes. Tatsache ist, daß Che nicht an einen sofortigen Sieg, an einen schnellen Sieg über die Kräfte der Oligarchien und des Imperialismus dachte, als er die Waffen wiederaufnahm. Als erfahrener Kämpfer war er auf einen langen Kampf von fünf, zehn, fünfzehn oder - wenn notwendig - zwanzig Jahren vorbereitet. Er war bereit, fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre oder, wenn es notwendig werden sollte, auch sein ganzes Leben zu kämpfen. Und im Rahmen dieser zeitlichen Perspektive wird sein Tod - oder, besser gesagt, sein Beispiel - gewaltige Auswirkungen haben. Die Kraft dieses Beispiels wird unbesiegbar sein. Die Glücksritter versuchen vergeblich, seine Erfahrung und seine Fähigkeit als Führerpersönlichkeit zu leugnen. Che war ein außergewöhnlich fähiger militärischer Führer. Aber wenn wir uns an Che erinnern, wenn wir an Che denken, dann denken wir nicht grundsätzlich an seine militärischen Tugenden. Nein! Die Kriegführung ist Mittel und nicht Selbstzweck - Kriegführung ist ein Werkzeug der Revolutionäre. Das Wichtige ist die Revolution - ist die revolutionäre Sache, sind die revolutionären Ideen, die revolutionären Ziele, die revolutionären Gefühle und die revolutionären Werte! Und gerade hier, hinsichtlich der Ideen, der Gefühle, der revolutionären Werte, der Intelligenz spüren wir - abgesehen von seinen militärischen Qualitäten - den gewaltigen Verlust, den sein Tod für die revolutionäre Bewegung bedeutet. Denn Che, diese außergewöhnliche Persönlichkeit, besaß Eigenschaften, die selten beieinander gefunden werden. Er hob sich heraus als ein unübertroffener Tatmensch, aber Che war nicht nur dies, er war auch ein Mensch von visionärer Intelligenz und umfassender Bildung und ein tiefschürfender Denker. Das heißt, in seiner Person waren der Theoretiker und der Praktiker vereint. Nicht nur, daß Che zweifach definiert ist durch Ideenreichtum - und zwar durch profunden Ideenreichtum - und durch Tatkraft, sondern auch, daß er als Revolutionär die Vorzüge in sich vereinigte, die als der vollkommenste Ausdruck der Werte eines Revolutionärs gelten: er war ein Mensch von unbeding6
ter Integrität, mit höchstem Ehrgefühl und von absoluter Aufrichtigkeit - ein Mann mit stoischen und spartanischen Lebensgewohnheiten, ein Leben ohne Makel. Dank dieser Werte war er das, was man das wirkliche Muster eines Revolutionärs nennen kann. Wenn Menschen sterben, so hält man gewöhnlich Reden, um ihre Vorzüge zu unterstreichen, aber selten kann man von einem Menschen mit größerem Recht und größerer Sicherheit behaupten, was wir bei dieser Gelegenheit von Che sagen: daß er ein reines Beispiel revolutionärer Werte gewesen ist. Aber er besaß noch eine andere Eigenschaft, nicht eine Eigenschaft des Intellekts oder des Willens, nicht eine Eigenschaft, die aus Erfahrung oder aus dem Kampf stammte, sondern eine Eigenschaft des Herzens: er war ein außergewöhnlich humaner Mensch und von außergewöhnlicher Empfindsamkeit. Deshalb sagen wir, wenn wir an sein Leben denken, daß er ein einzigartiger, ein höchst außergewöhnlicher Mensch gewesen ist, ein Mann von besonderer menschlicher Sensibilität und mit makellosen revolutionären Werten, die sich mit einem eisernen Charakter, einem stählernen Willen und einer unbezähmbaren Zähigkeit verbanden. Und deshalb hat er künftigen Generationen nicht nur seine Erfahrung, seine Kenntnisse als hervorragender Soldat, sondern gleichzeitig auch die Früchte seiner Intelligenz hinterlassen. Er schrieb mit der Virtuosität eines Meisters der Sprache. Seine Schilderungen des Krieges sind unvergleichlich. Die Tiefe seiner Gedanken ist eindrucksvoll. Alles, was er schrieb, verfaßte er mit außerordentlichem Ernst, und er schrieb nur mit außergewöhnlicher Kenntnis; zweifellos werden einige seiner Schriften von der Nachwelt als klassische Dokumente des revolutionären Denkens angesehen werden. Und so hat er uns dank seiner starken und scharfsinnigen Intelligenz eine Unzahl von Erinnerungen, von Geschichten und Berichten hinterlassen, die ohne seine Arbeit, ohne seine Mühe möglicherweise für immer verloren gewesen wären. Er war ein unermüdlicher Arbeiter, und er kannte in den Jahren, in denen er unserem Land diente, keinen einzigen Ruhetag. Große Verantwortung war ihm übertragen worden: er war Präsident der Nationalbank, Direktor des Nationalen Planungsamtes, Industrieminister, Befehlshaber von Militärbezirken und Leiter von politischen, wirtschaftlichen oder Solidaritätsdelegationen. Infolge seiner beweglichen Intelligenz war er in der Lage, jede Aufgabe, wie auch immer sie beschaffen war, mit einem Höchstmaß an Sicherheit in Angriff zu nehmen. So vertrat er unser Land auf zahlreichen internationalen Konferenzen genauso glänzend, wie er die Soldaten im Gefecht geführt hatte, und genauso musterhaft wie er in jeder einzelnen der Institutionen arbeitete,
mit deren Leitung er beauftragt war. Für ihn gab es keine Ruhetage und keine Ruhestunden! Wenn wir in die Fenster seines Büros schauten, so brannte dort bis spät in die Nacht hinein das Licht; er studierte oder, besser gesagt, er arbeitete und studierte. Denn er beschäftigte sich intensiv mit allen Problemen, und er las unermüdlich. Sein Wissensdurst war praktisch unstillbar, und die Stunden, die er sich vom Schlaf stahl, widmete er seinen Studien. An den ihm zustehenden freien Tagen arbeitete er freiwillig. Er war die Inspiration, und er lieferte den größten Anreiz zu jener Arbeit, die heute von Hunderttausenden von Menschen im ganzen Land ausgeführt wird. Er gab den Ansporn zu jener Aktivität, mit der unser Volk immer größere Leistungen erzielt. Als Revolutionär, als kommunistischer Revolutionär, als wahrer Kommunist, vertraute er den moralischen Werten und dem menschlichen Gewissen grenzenlos. Und wir sollten sagen, daß er mit völliger Klarheit die moralischen Werte als den grundlegenden Hebelarm für den Aufbau des Kommunismus in der menschlichen Gesellschaft sah. Über viele Dinge hat er nachgedacht, viele Dinge hat er ausgearbeitet und über sie geschrieben. An einem Tag wie diesem ist es angebracht, auszusprechen, daß die Schriften Ches, daß sein politisches und revolutionäres Denken im kubanischen revolutionären Prozeß und im revolutionären Prozeß Lateinamerikas von dauerhaftem Wert sein werden. Wir zweifeln nicht daran, daß seine Ideen, die Ideen eines Praktikers und eines Theoretikers, eines Mannes mit unbefleckten moralischen Werten, von unübertroffener menschlicher Empfindungskraft und mit makellosem Verhalten, jetzt und in Zukunft universalen Wert behalten werden. Die Imperialisten rühmen sich ihres Triumphs, diesen Guerillakämpfer in Aktion getötet zu haben; sie rühmen sich eines triumphalen Glücksfalls, der es ermöglicht hat, einen derart hervorragenden Mann der Tat zu vernichten. Aber vielleicht wissen die Imperialisten es nicht, oder sie geben vor, es nicht zu wissen, daß die Eigenschaften des Tatmenschen nur eine der vielen Seiten dieser kämpferischen Persönlichkeit ausmachten. Und wenn wir von Schmerz sprechen, so trauern wir nicht nur deshalb, weil wir einen Mann der Tat verloren haben, sondern auch, weil eine moralisch überlegene Persönlichkeit, ein Mann von höchster menschlicher Empfindungskraft und ein solcher Geist von uns gegangen ist. Wir trauern, wenn wir daran denken, daß er zum Zeitpunkt seines Todes erst neununddreißig Jahre alt gewesen ist. Wir trauern, weil wir die zusätzlichen Früchte vermissen werden, die wir von dieser Intelligenz und dieser immer reicheren Erfahrung hätten ernten 7
können. Wir haben eine Vorstellung vom Ausmaß dieses Verlusts für die revolutionäre Bewegung. Dennoch hat hier der imperialistische Feind seine schwache Seite: er glaubt, daß man mit der physischen Auslöschung eines Menschen auch sein Denken, seine Ideen, seine Tugenden und sein Beispiel ausgelöscht hat. Und dabei sind sie so schamlos, so als wäre es die natürlichste Sache der Welt, nicht davor zurückzuschrecken, die Umstände zu veröffentlichen, die heute fast allgemein hingenommen werden, unter denen sie ihn ermordeten, nachdem er im Gefecht schwer verwundet worden war. Ihnen scheint nicht einmal die Widerwärtigkeit eines solchen Vorgehens, die Schamlosigkeit eines solchen Eingeständnisses klar zu sein. Sie haben darüber geschrieben, so als ob Räuber und Banditen, Oligarchen und Söldner das Recht hätten, einen schwer verwundeten revolutionären Kämpfer niederzuschießen. Schlimmer noch: sie erläuterten, warum sie es taten. Sie machen geltend, ein Prozeß Ches hätte die Erde ganz schön erschüttert, und es wäre unmöglich gewesen, diesen Revolutionär vor Gericht zu stellen. Und nicht nur das. Sie haben auch nicht gezögert, seine Überreste verschwinden zu lassen. Mag es wahr sein oder nicht, sie haben jedenfalls bekanntgegeben, daß sie seine Leiche verbrannt haben, und sie haben damit schon begonnen, ihre Furcht zu zeigen, zu zeigen, daß sie nicht so sicher sind, daß sie durch die physische Vernichtung dieses Kämpfers auch seine Ideen und sein Beispiel liquidieren können. Che fiel im Kampf für die Interessen, die Sache der ausgebeuteten und unterdrückten Völker dieses Kontinents. Er fiel für die Sache der Armen und der Entrechteten dieser Erde. Selbst seine erbittertsten Feinde können die beispielhafte Art und die Selbstlosigkeit, mit der er diese Sache verteidigte, nicht abstreiten. Und vor der Geschichte nimmt die Größe der Männer zu, die so handeln, wie er es tat, die alles für die Sache der Unterdrückten tun und geben, mit jedem Tag, der vergeht. Mit jedem Tag finden sie einen tieferen Platz im Herzen der Völker. Die imperialistischen Feinde erkennen dies allmählich, und der Beweis wird nicht lange auf sich warten lassen, daß sein Tod auf lange Sicht gesehen wie eine Saat sein wird, die viele Menschen hervorbringen wird, die entschlossen sind, ihn nachzuahmen und seinem Beispiel zu folgen. Wir sind vollkommen davon überzeugt, daß sich die revolutionäre Sache auf diesem Kontinent von diesem Schlag erholen und daß die revolutionäre Bewegung auf diesem Kontinent durch diesen Schlag nicht niedergeworfen wird.
Wie müssen wir Ches Beispiel vom revolutionären Standpunkt unseres Volkes aus sehen? Haben wir das Gefühl, daß wir ihn verloren haben? Es ist wahr, daß wir keine neuen Schriften von ihm lesen und daß wir niemals wieder seine Stimme hören werden. Aber Che hat der Welt eine Erbschaft hinterlassen, ein großes Erbe, und wir, die wir ihn so gut kannten, können in großem Maße seine Nutznießer werden. Er hinterließ uns sein revolutionäres Denken, seine revolutionären Werte er hinterließ uns seinen Charakter, seinen Willen, seine Zähigkeit und seinen Arbeitsgeist. Mit einem Wort, er hinterließ uns sein Beispiel! Und sein Beispiel wird unserem Volk Vorbild sein - Ches Bei- spiel wird das ideale Vorbild für unser Volk sein! Wenn wir dem Ausdruck geben wollen, was wir von unseren revolutionären Kämpfern, von den militanten Angehörigen unserer Bewegung, von unseren Männern erwarten, so müssen wir, ohne zu zögern, sagen: «Mögen sie so sein wie Che!» Wenn wir dem Ausdruck geben wollen, wie die Männer künftiger Generationen nach unserer Ansicht beschaffen sein sollen, so müssen wir sagen: «Mögen sie so sein wie Che!» Wenn wir ausdrücken wollen, wie wir unsere Kinder erzogen haben möchten, so müssen wir, ohne zu zögern, sagen: «Wir wollen, daß sie in Ches Geist erzogen werden!» Wenn wir einen Mann als Vorbild suchen, der nicht unserer Zeit, sondern der Zukunft gehört, so sage ich aus der Tiefe meines Herzens, daß Che ein solches Vorbild ist - ein Vorbild ohne einen einzigen Schatten auf seinem Verhalten und ohne einen einzigen Flecken auf seinen Handlungen. Wenn wir dem Ausdruck geben wollen, wie unsere Kinder einst werden sollen, so müssen wir als glühende Revolutionäre aus tiefstem Herzen sagen: «Wir wollen, daß sie so wie Che werden!» Che ist zum Vorbild dessen geworden, wie Menschen beschaffen sein sollen, zum Vorbild nicht nur für unser Volk, sondern auch für die Völker überall in Lateinamerika. Che hat dem revolutionären Stoizismus, dem revolutionären Opfergeist, der revolutionären Kampfbereitschaft, dem revolutionären Arbeitsgeist höchsten Ausdruck verliehen. Che brachte die Ideen des Marxismus-Leninismus in ihrer frischsten, reinsten und revolutionärsten Form zum Ausdruck. Kein anderer Mensch unserer Zeit hat so wie Che den Geist des Internationalismus auf seinen höchstmöglichen Stand gebracht. Und wenn in Zukunft ein Beispiel für einen proletarischen Internationalismus gesucht wird, so wird Che dieses Beispiel sein, das hoch über allen anderen steht! Nationale Fahnen, Vorurteile, Chauvinismus und Egoismus waren aus seinem Geist und Herzen verschwunden. Er war bereit, im Namen 8
eines jeden Volkes, für die Sache eines jeden Volkes, spontan und auf der Stelle sein edles Blut zu vergießen. So rann sein Blut auf unsere Erde, als er in mehreren Gefechten verwundet wurde; und für die Erlösung der Ausgebeuteten und der Unterdrückten vergoß er sein Blut in Bolivien. Dieses Blut wurde um aller Ausgebeuteten und aller Unterdrückten willen vergossen - für alle Völker Amerikas und für das Volk von Vietnam, denn, während er dort in Bolivien kämpfte, während er gegen die Oligarchien und den Imperialismus kämpfte, wußte er, daß er Vietnam den höchstmöglichen Ausdruck seiner Solidarität bot! Aus diesem Grunde, Kameraden der Revolution, müssen wir mit Optimismus in die Zukunft blicken. Ches Beispiel wird uns stets inspirieren, zum Kampf, zur Zähigkeit, zur Unversöhnlichkeit gegenüber dem Feind; es wird unser internationalistisches Bewußtsein lebendig erhalten. Deshalb laßt uns nach der eindrucksvollen Feierstunde dieses Abends, nach dieser unglaublichen Demonstration der vielfachen Anerkennung - unglaublich wegen ihrer Größe, ihrer Disziplin und des Geistes der Hingabe, die zeigt, daß unser Volk ein aufmerksames und dankbares Volk ist, das weiß, wie das Andenken der Tapferen geehrt werden muß, die im Kampf fallen, und die zeigt, das unser Volk jene anerkennt, die ihm dienen, die die Solidarität des Volkes mit dem revolutionären Kampf unter Beweis stellen und die zeigt, wie dieses Volk sich emporschwingen und das revolutionäre Banner und die revolutionären Grundsätze sogar noch höher emporheben wird - in diesen Augenblicken der Erinnerung laßt uns mit Optimismus in die Zukunft blicken, mit uneingeschränktem Vertrauen in den endgültigen Sieg der Völker und laßt uns zu Che und zu den Helden sagen, die mit ihm zusammen gekämpft haben und mit ihm gefallen sind: immer weiter vorwärts zum Sieg! Patria o Muerte! Venceremos! FIDEL CASTRO
Von Rosario nach Kuba3 Ernesto Che Guevara wurde am Abend des 14. Juni 1928 in Rosario, einer der bedeutendsten Städte Argentiniens, geboren. Schon im Alter von zwei Jahren erlitt er den ersten Asthma-Anfall. Diese Krankheit konnte nie geheilt werden; niemals verließ ihn ein schweres ermüdendes Würgegefühl, ein Keuchen, weder in den Räumen der Medizinischen Fakultät noch im Herzen der Sierra Maestra oder in den Dschungeln Lateinamerikas. Seine Eltern, Ernesto Guevara Lynch, von Beruf Bauingenieur, und Celia de la Serna - der Vater Abkömmling einer irischen, die Mutter einer spanischen Familie -, beschlossen, ihren Wohnsitz nach Buenos Aires zu verlegen. Celia berichtete, daß «Ernesto im Alter von vier Jahren das Klima der Hauptstadt nicht mehr vertragen konnte. Da Ernesto die Asthma-Attacken besser überstehen konnte, wenn er mit dem Kopf an der Brust des Vaters ruhte, verbrachte sein Vater viele Nächte an seinem Bett.» Ernestos Zustand verschlimmerte sich: die Ärzte sagten, es sei ein schwieriger Fall, und später verordneten sie einen Klimawechsel. So zog die Familie Guevara wieder um. Sie ging nach Córdoba, wo sich der Zustand des Kindes besserte. Die Asthma-Attacken ließen nach. Schließlich ließen sich die Guevaras in Alta Gracia nieder, nachdem sie in der ganzen Provinz umhergezogen waren. Ihr ältester Sohn war noch nicht acht Jahre alt, da erhielt Frau Guevara ein Schreiben des Erziehungsministeriums, in dem es hieß, daß der siebenjährige Ernesto Guevara de la Serna noch nicht an einer Grundschule registriert sei. «Ich beantwortete den Brief sofort», erzählte Celia. «Ich war stolz darauf, daß sie sich darum kümmerten, daß die Kinder lesen und schreiben lernten. Ich lehrte ihn das ABC, aber er konnte wegen seines Asthmas nicht die Schule besuchen. Nur in der zweiten und dritten Klasse nahm er regelmäßig am Unterricht teil; in der fünften und sechsten nur von Zeit zu Zeit. Seine Geschwister schrieben den Unterrichtsstoff ab, und er lernte zu Hause.» Dann kam er in die höhere Schule. In einem winzigen Auto, vollgepackt mit Mitschülern, fuhr er jeden Tag nach Córdoba. Am Steuer saß Celia de la Serna. Er wohnte in Villa Nidia, im «besseren» Teil der Stadt. Dies waren für die Familie Tage der Freude und des Wohlstandes. Später änderte sich die Situation; man mußte das große Gut verkaufen, das die Mutter am Stadtrand besaß, und in die Stadt ziehen. Ernesto hatte Unterkunft und Verpflegung, aber das 3
Diese biographischen Angaben erschienen am 24. Oktober 1967 in der kubanischen Wochenzeitschrift Granma, dem offiziellen Organ der kubanischen Kommunistischen Partei und Regierung.
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Einkommen der Familie erlaubte keine überflüssigen Ausgaben. So suchte er sich seine erste Arbeit. Er war schon ein junger Mann, unabhängig, gründlich, interessiert an Büchern, bestimmt in seinem Auftreten. Mit unglaublicher Anstrengung hatte er seine Krankheit überwunden und trieb mit seinem Bruder Roberto und einigen anderen Kameraden Sport. Ernesto hatte noch drei Geschwister: Celia, Ana Maria und Juan Martin. Einige Sportler erinnern sich noch heute an den jungen Guevara, der im Atalaya Athletik-Klub gut bekannt war. Manchmal verließ er den Sportplatz, um seinen Inhalator zu benutzen. Das Interesse an Baudelaire sowie die sportliche Betätigung festigten ihn sowohl geistig wie auch körperlich. 1941, in der höheren Schule, freundete er sich mit dem heutigen Bio- Chemiker Alberto Granados an, der die Schule drei Jahre später beendete. Che und Granados unternahmen eine lange Fahrt mit dem Motorrad. Sie hatten beschlossen, die pazifische Küste entlangzufahren. Guevara wollte den Kontinent bereisen, ihn kennenlernen, die alten Zivilisationen erkunden, die vor der Ankunft der Conquistadores bestanden hatten; er wollte Menschen kennenlernen und reisen, selbst wenn er es zu Fuß tun müßte. Ende 1944 war die Familie Guevara nach Buenos Aires übergesiedelt. Ernesto setzte seine Studien fort. Seine Mitschüler meinten, er solle wegen seiner Eignung für die Mathematik Ingenieur werden, und sie waren überrascht, als er ihnen sagte, er habe sich für Medizin einschreiben lassen.. Vor seiner Fahrt mit Granados war er nach dem Norden und Westen des Landes gereist, getrieben von seinem Interesse an der Lepra und anderen tropischen Krankheiten. Einmal fuhr er mit dem Fahrrad von einem Ende des Landes zum anderen. Er wanderte durch die Täler der Calchaquiés und der Anden, kam durch Tucumán und Mendoza, Salta, Jujuy und La Rioja. Granados und Ernesto besuchten Santiago de Chile; später überquerten sie zu Fuß das Hochland. Granados erinnert sich: «So hatten wir eine Möglichkeit, das Volk kennenzulernen. Wir nahmen Gelegenheitsarbeiten an, um ein paar Peso zu verdienen. Dann setzten wir unseren Weg fort. Wir verdingten uns als Stauerleute, als Gepäckträger, Matrosen Ärzte und Tellerwäscher. Der eine von uns hatte ein Abschlußzeugnis einer Universität, der andere war beinahe ein promovierter Arzt, aber es machte uns nichts aus, Kartoffeln zu schälen oder andere Hausarbeiten zu verrichten.» Sie kamen nach Peru und verwirklichten den alten Wunsch, eine Aussätzigenkolonie zu besichtigen. Guevara besuchte auch Machu Picchu und später das Herz des peruanischen Dschungels, wo die Patienten einer LepraKolonie einen Damm gebaut hatten, durch den ein Fluß nach Kolumbien
umgeleitet wurde. Unerwartete Probleme tauchten auf. Es gab Schwierigkeiten mit den Papieren oder mit Geld; absurde Belanglosigkeiten behinderten die Reise. «In Iquitos», schreibt Granados weiter, «waren wir Fußballtrainer und verdienten genug Geld, daß wir unsere Flugtickets bezahlen konnten. In Bogota wurden wir ausgewiesen.» Infolge einer von Studenten veranstalteten Geldsammlung konnten sie eine Reise nach Venezuela unternehmen. Alberto blieb dort. Ernesto flog an Bord eines Frachtflugzeuges nach Miami. Die Ladung bestand aus Vollblutpferden. Ursprünglich wollte er zwei Tage in Miami bleiben, aber dann blieb er einen Monat. Er ging mit seinem Geld so sparsam um, weil er sich nur in der Stadtbibliothek aufhielt und fast nur von Kaffee mit Milch, einmal am Tag, lebte. Schließlich kehrte er nach Buenos Aires zurück und wurde zum Militärdienst einberufen. Doch schon bei der ersten Musterung wurde er für dienstuntauglich erklärt. Er erhielt den Bescheid, daß man ihn nach seinem Examen einer neuerlichen Untersuchung unterziehen werde. Bei seinen ausgefallenen Methoden des Studierens, seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten und seiner Intelligenz schaffte er elf oder zwölf Examensthemen in weniger als einem Jahr. Im März 1953 promovierte er zum Dr. med. Er war 25 Jahre alt und schon ein aktiver Kämpfer gegen jede Form der Tyrannei. Er litt schmerzlich unter der grausigen Erkenntnis der wahren Bedingungen, unter denen die lateinamerikanischen Indianer lebten, und er beschloß, sich für die Indianerbevölkerung einzusetzen. Er kehrte nach Caracas zurück, wo ihn Granados erwartete. Dort wollte er in der Leprakolonie von Cabo Blanco arbeiten. Ernesto verließ Buenos Aires. Da er niemanden um Geld bitten wollte, beschloß er, die Eisenbahn zu benutzen. Schließlich überzeugte ihn in Ekuador der Rechtsanwalt Ricardo Rojo, daß Guatemala der rechte Platz für ihn sei. Dort traf er im Dezember 1953 ein. Später ging er nach Mexiko und danach an Bord der Granma nach Kuba.
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Aufzeichnungen aus dem kubanischen Befreiungskrieg
Einleitung Schon lange hatten wir eine Geschichte unserer Revolution schreiben wollen, die ihre zahlreichen Details und Aspekte umfassen sollte. Viele Revolutionsführer haben oft im privaten Gespräch oder öffentlich den Wunsch zum Ausdruck gebracht, eine solche Geschichte zu verfassen; aber viele Aufgaben sind zu bewältigen, die Jahre vergehen, und die Erinnerung an die Rebellion versinkt in der Vergangenheit. Wir haben jene Ereignisse, die schon jetzt zur Geschichte Amerikas gehören, noch nicht endgültig niedergelegt. Deshalb beginne ich, persönliche Erinnerungen niederzuschreiben, Erinnerungen an die Angriffe, Schlachten und Gefechte, an denen wir alle teilgenommen haben. Es ist nicht meine Absicht, daß diese fragmentarische Geschichte, die sich auf das Gedächtnis und ein paar eilig hingeworfene Notizen stützt, als ein vollständiger Bericht angesehen wird. Im Gegenteil hoffe ich, daß jeder einzelne Teil des Berichts von jenen weiterentwickelt werden wird, die ihn gelebt haben. Da ich mich während des ganzen Kampfes nur in einem bestimmten Gebiet Kubas aufhielt, konnte ich nicht an Schlachten und Ereignissen an anderen Orten teilhaben. Um unsere revolutionären Aktionen methodisch wiederzubeleben, ist es wohl am besten, wenn ich mit der ersten Schlacht beginne, der einzigen, in die unsere Streitkräfte vom Gegner verwickelt wurden und an der Fidel teilnahm: Mit dem Überraschungsangriff bei Alegría de Pío.4 Es gibt viele Überlebende dieser Schlacht, und jeder von ihnen wird ermutigt, seine Erinnerungen beizusteuern, so daß dieser Bericht vervollständigt werden kann. Ich ersuche nur darum, daß sich der Berichterstatter streng an die Wahrheit hält. Er sollte nicht, um seine eigenen Taten hervorzuheben, behaupten, irgendwo gewesen zu sein, wo er in Wirklichkeit gar nicht war, und er sollte keine Ungenauigkeiten zulassen. Wenn er, so gut er es nach Bildungsstand und Fähigkeiten vermochte, einige Seiten niedergeschrieben hat, sollte er das Geschriebene dann so scharf wie möglich kritisieren, um jedes Wort wieder zu streichen, das sich nicht auf eine genau feststehende Tatsache bezieht, oder auf jene Angaben zu verzichten, bei denen die Tatsachen nicht genau festgestellt werden können. Das ist es, was ich bei der Niederschrift meiner Erinnerungen versuchen will. ERNESTO CHE GUEVARA 4
Dem Bericht über die Schlacht bei Alegría de Pío gehen in diesem Buch zwei Kapitel voraus, die sich mit dem Beginn der Expedition und der Fahrt der Granma beschäftigen.
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«El Patojo» Vor wenigen Tagen kam die telegrafische Nachricht vom Tode einiger guatemaltekischer Patrioten, unter ihnen ist auch Julio Roberto Cáceres Valle. Der schweren Arbeit eines Revolutionärs inmitten von Klassenkämpfen, die den gesamten Kontinent erschüttern, wird durch den Tod häufig ein Ende gesetzt. Aber der Tod eines Freundes, eines Kameraden in schweren Stunden, der die Träume von besseren Zeiten mit einem geteilt hat, ist stets besonders schmerzlich für den, der die Mitteilung erhält, und Julio Roberto war ein großer Freund. Er war klein und zierlich; aus diesem Grunde nannten wir ihn «El Patojo». Das ist ein guatemaltekisches Slangwort und bedeutet «der Kurze» oder kleiner Junge. El Patojo war während seines Aufenthalts in Mexiko Zeuge der Geburt unserer Revolution gewesen, und er hatte sich uns als Freiwilliger angeschlossen. Fidel wollte jedoch nicht, daß noch mehr Ausländer an dem Kampf um die nationale Befreiung teilnähmen, an dem mitzuwirken ich die Ehre hatte. Einige Tage nach dem Triumph der Revolution verkaufte El Patojo seine geringe Habe und erschien, nur mit einem kleinen Koffer, auf Kuba. Er arbeitete in verschiedenen Behörden der öffentlichen Verwaltung, und er war der erste Personalchef der Abteilung für die Industrialisierung beim INRA (dem Nationalen Institut für die Agrarreform). Aber er fühlte sich bei seiner Arbeit nie wohl. El Patojo strebte etwas anderes an; ihm ging es um die Befreiung seines eigenen Landes. Die Revolution hatte ihn zutiefst verändert, wie uns alle. Der bestürzte Junge, der Guatemala verlassen hatte, ohne die Niederlage völlig zu begreifen, hatte sich nun in einen zutiefst bewußten Revolutionär verwandelt. Zum erstenmal trafen wir uns in einem Zug, als wir ein paar Monate nach dem Sturz von Arbenz aus Guatemala flohen. Wir fuhren nach Tapachula, von wo aus wir Mexico City erreichen konnten. El Patojo war mehrere Jahre jünger als ich, aber wir schlossen sofort eine dauerhafte Freundschaft. Wir machten die Fahrt von Chiapas nach Mexico City gemeinsam; gemeinsam standen wir vor den gleichen Problemen - wir standen beide völlig mittellos da, wir waren besiegt und gezwungen, uns in einer indifferenten, wenn nicht feindseligen Umgebung den Lebensunterhalt zu verdienen. El Patojo hatte kein Geld, und ich besaß nur ein paar Peso; ich kaufte eine Kamera, und gemeinsam gingen wir der illegalen Beschäftigung5 nach, in den Parks der Stadt Spaziergänger zu fotografieren. Unser Partner war ein Mexi5
Als Ausländer besaßen sie keine Arbeitserlaubnis.
kaner, der eine kleine Dunkelkammer hatte, wo wir die Filme entwickelten. Wir lernten Mexico City kennen, indem wir von einem Ende der Stadt zum anderen wanderten und die scheußlichen Fotos ablieferten, die wir aufgenommen hatten. Wir stritten uns mit allen möglichen Kunden herum und versuchten sie zu überzeugen, daß der kleine Junge auf dem Bild wirklich ganz entzückend sei und daß man wirklich ein großes Geschäft mache, wenn man für solch eine Köstlichkeit einen mexikanischen Dollar entrichte. So hatten wir einige Monate lang zu essen. Ganz allmählich wurden wir durch die Umstände des revolutionären Lebens voneinander getrennt. Ich sagte schon, daß Fidel El Patojo nicht mit nach Kuba nehmen wollte, nicht, weil er ihn für unzulänglich hielt, sondern damit unsere Armee nicht in eine internationale Streitmacht verwandelt werde. El Patojo war Journalist gewesen, er hatte an der Universität Mexico Physik studiert, hatte sein Studium abgebrochen und dann wiederaufgenommen, ohne je sehr weit damit gekommen zu sein. Er verdiente seinen Lebensunterhalt an verschiedenen Orten, mit verschiedenen Arbeiten, und er bat nie um irgend etwas. Ich weiß noch heute nicht, ob dieser empfindsame und ernsthafte Junge ungeheuer schüchtern war oder zu stolz, sich seine Schwächen und persönlichen Probleme einzugestehen und sich an einen Freund um Hilfe zu wenden. El Patojo war in sich gekehrt, hoch intelligent, äußerst kultiviert und sensibel. Seine Reife nahm stetig zu, und in seinen letzten Tagen stellte er seine große Empfindungsfähigkeit in den Dienst seines Volkes. Er war Mitglied der Partido Guatemalteco de Trabajo (der Guatemaltekischen Partei der Arbeit), und hatte sich der Disziplin des Parteilebens unterworfen; er entwickelte sich zu einem guten Revolutionär. Zu jenem Zeitpunkt war von seiner früheren Überempfindlichkeit wenig zurückgeblieben. Die Revolution reinigt die Menschen, sie verbessert sie und entwickelt sie weiter, so wie der erfahrene Landwirt die Mängel seiner Feldfrüchte korrigiert und die guten Qualitäten stärkt. Nachdem El Patojo nach Kuba gekommen war, wohnten wir fast immer unter einem Dach, so wie es sich für zwei alte Freunde gehörte. Aber in diesem neuen Leben bestand zwischen uns beiden nicht mehr die alte Vertrautheit früherer Zeiten, und ich konnte nur vermuten, was in ihm vorging, wenn ich manchmal sah, wie er ernsthaft eine der Indianersprachen seines Landes studierte. Eines Tages teilte er mir mit, daß er uns verlasse, daß die Zeit für ihn gekommen sei, seine Pflicht zu tun. El Patojo besaß keine militärische Ausbildung; er war einfach der Meinung, daß die Pflicht ihn rufe. Er ging in sein Land, um zu kämpfen, mit der Waffe in der Hand, um auf irgendeine Weise unseren Guerillakampf dort zu wieder12
holen. Damals hatten wir eines unserer wenigen langen Gespräche. Ich beschränkte mich darauf, die folgenden drei Punkte aufs stärkste zu empfehlen: Ständig in Bewegung bleiben, unbedingtes Mißtrauen und ewige Wachsamkeit. Bewegung: Das heißt - niemals eine Rast einlegen, niemals zwei Nächte am selben Ort verbringen, niemals aufhören, von einem Platz zum anderen zu ziehen. Mißtrauen: Das heißt zu Beginn sogar seinem eigenen Schatten zu mißtrauen, den freundlichen Bauern, den Informanten, Wegführern und Kontaktleuten; das heißt allem und jedem mißtrauen, bis man eine befreite Zone geschaffen hat. Wachsamkeit: Das heißt ständiges Postenstehen, ständige Aufklärung, Errichtung eines Lagers an einem sicheren Ort und, vor allem, niemals Schlaf unter einem Dach, niemals Schlaf in einem Haus, in dem man umstellt werden kann. Das war die Zusammenfassung unserer Guerillaerfahrung, das einzige - außer einem herzlichen Händedruck -, das ich meinem Freund mit auf den Weg geben konnte. Konnte ich ihm den Rat geben, seinen Plan nicht zu verwirklichen? Mit welchem Recht? Wir selbst hatten etwas zu einem Zeitpunkt unternommen, da man unser Vorhaben für undurchführbar hielt, und nun sah er, daß es von Erfolg gekrönt war. El Patojo verließ uns, und nun kam die Nachricht von seinem Tode. Zuerst hatten wir gehofft, daß eine Namensverwechslung vorliege, daß es sich um einen Irrtum handele; aber unglücklicherweise war seine Leiche von seiner Mutter identifiziert worden; es besteht kein Zweifel daran, daß er tot ist. Und nicht nur er, sondern mit ihm auch eine Gruppe von Kameraden, jeder von ihnen so tapfer, so selbstlos, vielleicht so intelligent wie er, aber uns persönlich nicht bekannt. Wieder einmal schmecken wir die Bitterkeit der Niederlage, und wir stellen die unbeantwortete Frage: Warum zog er aus der Erfahrung anderer keine Lehre? Warum haben jene Männer den einfachen Rat, den man ihnen gegeben hatte, nicht sorgfältiger beachtet? Wir wissen noch immer nicht genau, was geschehen ist, aber es ist uns doch bekannt, daß das Operationsgebiet schlecht ausgewählt war, daß die Männer physisch nicht trainiert waren, daß sie nicht mißtrauisch genug und, natürlich, daß sie nicht wachsam genug waren. Die Repressionsarmee überraschte sie, tötete einige von ihnen und zerstreute den Rest; dann kehrte sie zurück, um sie zu verfolgen, und sie hat sie faktisch vernichtet. Sie haben einige gefangengenommen; andere, wie El Patojo, fielen in der Schlacht. Nachdem sie ihren Zusammenhalt verloren hatten, wurden die Guerilleros wahrscheinlich zu Tode gehetzt, so wie es uns nach Alegría de Pío erging. Wieder hat junges Blut die Felder Amerikas gedüngt, damit die Freiheit möglich werde. Wieder ist eine Schlacht verloren. Während wir unsere Ma-
cheten schärfen, müssen wir uns die Zeit nehmen, unsere gefallenen Kameraden zu beweinen. Aus der wertvollen und tragischen Erfahrung der teuren Toten müssen wir die feste Entschlossenheit gewinnen, ihre Fehler nicht zu wiederholen, durch viele Siege den Tod eines jeden von ihnen zu rächen und die totale Befreiung zu erkämpfen. Als El Patojo Kuba verließ, ließ er nichts zurück; er hinterließ auch keine Botschaft; er hatte nur wenig Kleidung oder persönlichen Besitz, um den er sich hätte kümmern müssen. Alte beiderseitige Freunde in Mexiko brachten mir jedoch einige Gedichte von ihm, die man dort in einem Notizbuch aufgefunden hatte. Es sind die letzten Verse eines Revolutionärs; sie sind außerdem ein Liebeslied an die Revolution, an die Heimat und an eine Frau. An jene Frau, die El Patojo auf Kuba kannte und liebte, sind diese Schlußverse, ist diese Aufforderung gerichtet: Nimm es, es ist nur mein Herz Halte es in deiner Hand Und wenn der Tag anbricht Öffne deine Hand und laß die Sonne es wärmen ... El Patojos Herz ist unter uns geblieben, in den Händen derjenigen, die er liebte, und in den liebenden Händen eines ganzen Volkes; es wartet darauf, daß es unter der Sonne eines neuen Tages gewärmt wird, die mit Gewißheit für Guatemala und für ganz Amerika scheinen wird. Heute gibt es beim Industrieministerium, wo er viele Freunde zurückgelassen hat, eine kleine Schule für Statistik, die ihm zum Gedächtnis «Julio Roberto Cáceres Valle» genannt wurde. Später einmal, wenn Guatemala frei sein wird, werden sicherlich eine Schule, eine Fabrik, ein Krankenhaus oder irgendein Ort, an dem Menschen für den Aufbau einer neuen Gesellschaft kämpfen und arbeiten, seinen geliebten Namen tragen.
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Eine Revolution beginnt Die Geschichte der militärischen Machtübernahme vom 10. März 1952 - des unblutigen, von Fulgencio Batista geleiteten Putsches - beginnt natürlich nicht erst am Tage des Putsches. Die Ereignisse, die zu ihm führten, müssen weiter zurück in der Geschichte Kubas gesucht werden: viel weiter zurück als die Intervention des US-Botschafters Sumner Wells im Jahre 1933; sogar weiter zurück als das Platt Amendment von 19016 und noch weiter zurück als die Landung des «Helden» Narciso López, der direkt von den nordamerikanischen Annexionisten geschickt worden war. Die Wurzeln der Ereignisse sind in der Zeit von John Quincy Adams zu suchen, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Haltung darlegte, die sein Land in bezug auf Kuba einnehmen werde. Man sah die Insel als einen Apfel an, der, von Spaniens Baum gepflückt, unweigerlich dazu bestimmt war, in Uncle Sams Hände zu fallen. Dies alles sind Glieder einer langen Kette der Aggression auf dem amerikanischen Kontinent, die sich gegen andere Länder, wie auch gegen Kuba richtete. Dieses Ansteigen und Fallen, diese imperiale Ebbe und Flut, ist dadurch gekennzeichnet, daß unter dem unkontrollierbaren Druck der Massen neue Regierungen an die Macht gelangen oder stürzen. Die Geschichte Lateinamerikas läßt folgendes Charakteristikum erkennen: Diktatorische Regierungen, die eine kleine Minderheit repräsentieren, kommen durch Staatsstreiche an die Macht; demokratische Regierungen, die eine breite Basis im Volk besitzen, kommen mühselig zustande und sind oft, sogar noch ehe sie die Macht übernehmen, durch eine Anzahl von vorher vereinbarten Konzessionen kompromittiert, die eingegangen werden mußten, wenn die betreffende Regierung überleben wollte. Die kubanische Revolution war in dieser Hinsicht eine Ausnahme, und an dieser Stelle wird es notwendig, ein wenig Hintergrund aufzuzeigen, denn der Verfasser dieser Zeilen hatte - von den Wellen dieser sozialen Bewegungen, die Amerika erschütterten, hin und her geschleudert - somit die Gelegenheit, einen anderen Amerikaner im Exil zu treffen: Fidel Castro. Ich traf ihn in einer jener kalten Nächte in Mexiko, und ich erinnere mich, daß es bei unserer ersten Diskussion um internationale Politik ging. Ein paar Stunden später in jener Nacht, es dämmerte schon, war ich einer der künftigen Teilnehmer an der Expedition nach Kuba. Aber ich möchte noch darlegen, wie und warum ich den jetzigen Chef der kubanischen Regierung in Mexiko traf. Es war 1954, während der Ebbe der demokratischen Regierungen, als die
letzte revolutionäre amerikanische Demokratie, die sich in diesem Gebiet noch hielt - nämlich die Regierung von Jacobo Arbenz Guzmán in Guatemala —, angesichts der kalten, vorsätzlichen Aggression der USA zusammenbrach, einer Aggression, die sich hinter einem Rauchvorhang der Propaganda auf dem Kontinent verbarg. Ihr offenkundiger Initiator war der Außenminister John Foster Dulles, der durch einen seltsamen Zufall auch der Rechtsanwalt der United Fruit Company und Aktionär dieses größten imperialistischen Konzerns in Guatemala war. Ich kam gerade von dort, besiegt, allen Guatemalteken in meinem Schmerz verbunden, ich hoffte und suchte einen Weg, damit es für dieses blutende Land wieder eine Zukunft geben sollte. Und Fidel kam nach Mexiko auf der Suche nach einem neutralen Territorium, wo er seine Männer auf den großen Schlag vorbereiten konnte. Der Angriff auf die Moncada-Kasernen in Santiago de Cuba hatte schon alle jene ausgesondert, die nur schwachen Willens waren und die sich aus diesem oder jenem Grunde politischen Parteien oder revolutionären Gruppen angeschlossen hatten, die weniger Opfer fordern. Die Rekruten schlossen sich den völlig neuen Reihen der ‹Bewegung des 26. Juli› an (genannt nach dem Datum des Angriffs auf die Moncada-Kasernen im Jahre 1953). Eine sehr schwere Aufgabe begann für diejenigen, die in Mexiko die Ausbildung dieser Personen unter der erforderlichen Geheimhaltung zu leiten hatten. Sie kämpften gegen die mexikanische Regierung, gegen amerikanische FBI-Agenten und auch gegen die Spione Batistas. Sie kämpften gegen diese drei Kräfte, die sich auf diese oder jene Weise zusammentaten, wobei Geld und persönlicher Verrat eine große Rolle spielten. Außerdem mußten sie gegen Trujillos Spione kämpfen und hatten sich mit dem armseligen Angebot an Menschen herumzuschlagen (vor allem in Miami). Und, nachdem wir alle diese Schwierigkeiten überwunden hatten, mußten wir auch die äußerst wichtige Abreise und dann die Ankunft in die Wege leiten und alles, was damit zusammenhing. Damals schien es uns eine leichte Aufgabe. Heute können wir die Kosten an Anstrengung, Opfern und Menschenleben ermessen. Fidel Castro widmete sich, mit Hilfe einer kleinen Gruppe von Vertrauten, mit all seiner Kraft und seinem außerordentlichen Arbeitsgeist, der Aufgabe, die bewaffnete Expedition nach Kuba zu organisieren. Er erteilte fast niemals Unterricht in militärischer Taktik, denn es war nicht viel Zeit vorhanden. Wir übrigen konnten eine ganze Menge von General Alberto Bayo71 lernen. Mein fast unmittelbarer Eindruck, den ich bei den ersten Lektionen hatte, war die
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Es legalisierte die Einmischung der Vereinigten Staaten in die Angelegenheiten Kubas für einige Jahrzehnte. (Anm. d. Übers.)
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Ein Veteran des spanischen Bürgerkrieges.
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Möglichkeit des Sieges, die mir, als ich mich dem Rebellenkommandeur anschloß, als sehr zweifelhaft vorgekommen war. Von Beginn an war ich Fidel durch das Gefühl einer romantischen Sympathie, des Abenteuers und durch die Überzeugung verbunden, daß es wert sein werde, für ein solch reines Ideal am Strand eines fremden Landes zu sterben. So vergingen mehrere Monate. Unsere Treffsicherheit wurde größer, und es bildeten sich Scharfschützen heraus. Wir fanden eine Ranch in Mexiko, wo unter der Leitung von General Bayo - ich war Personalchef - die letzten Vorbereitungen für die Abfahrt im März 1956 getroffen wurden. Zu jenem Zeitpunkt wurde Fidel Castro jedoch von zwei mexikanischen Polizeigruppen gejagt, die beide von Batista bezahlt wurden, und eine von ihnen hatte - finanziell gesprochen - das große Glück, ihn gefangenzunehmen. Aber sie begingen - ebenfalls finanziell gesprochen - den Fehler, daß sie ihn nach der Gefangennahme nicht töteten.8 Viele der Anhänger Fidels wurden einige Tage später gefangengenommen. Unsere Ranch in den Außenbezirken von Mexico City wurde ebenfalls von der Polizei besetzt, und wir kamen alle ins Gefängnis. Dadurch wurde der letzte Teil des ersten Stadiums hinausgezögert. Einige von uns verbrachten 57 Tage im Gefängnis, und ständig wurde uns mit Auslieferung gedroht (Major Calixto García und ich können dies bezeugen). Aber zu keinem Zeitpunkt verloren wir unser Vertrauen zu Fidel Castro. Denn Fidel tat einiges, das, so konnten wir fast sagen, seine revolutionäre Haltung um der Freundschaft willen kompromittierte. Ich erinnere mich, wenn ich an meinen eigenen Fall denke. Ich war Ausländer und hielt mich in Mexiko illegal auf; zahlreiche Beschuldigungen wurden gegen mich erhoben. Ich sagte Fidel, die Revolution dürfte meinetwegen unter keinen Umständen verzögert werden: er könne mich zurücklassen; ich begriffe die Lage und würde versuchen, mich ihrem Kampf von dem Ort aus anzuschließen, wohin auch immer ich geschickt werden mochte; ich sagte ihm, die einzige Mühe, deren sie sich um meinetwillen unterziehen sollten, sei die, zu erreichen, daß ich in ein nahegelegenes Land und nicht nach Argentinien ausgewiesen werde. Ich erinnere mich an Fidels brüske Antwort: «Ich werde dich nicht im Stich lassen.» Und so geschah es; sie mußten wertvolle Zeit und Geldmittel aufwenden, um uns aus dem mexikanischen Gefängnis herauszubekommen. Die persönliche Haltung Fidels zu den Menschen, die er schätzt, ist der Schlüssel zu der völligen Ergebenheit, die in seiner Umgebung anzutreffen ist. Die Loyalität gegenüber dem einzelnen, zusammen mit der Prinzipientreue, macht diese Rebellenarmee zu einer unteilbaren Einheit. 8
Um die Belohnung zu erhalten
Die Tage vergingen, wir arbeiteten insgeheim, verbargen uns, wo wir konnten, vermieden, wenn irgend möglich, in der Öffentlichkeit zu erscheinen und gingen tatsächlich fast nie auf die Straße hinaus. Nach ein paar Monaten stellten wir fest, daß es in unseren Reihen einen Verräter gab. Wir wußten nicht, wer es war, aber er hatte eine unserer Waffenlieferungen verkauft. Wir wußten auch, daß er die Jacht und ein Sendegerät verkauft hatte, obgleich der «gesetzliche Kontrakt» des Verkaufs noch nicht abgeschlossen war. Dieser erste Verrat bewies den kubanischen Behörden, daß ihr Agent gut arbeitete und unsere Geheimnisse kannte. Dasselbe Wissen rettete uns, denn wir wußten nun ebenfalls Bescheid. Von diesem Augenblick an war wahnsinnige Eile geboten : die Granma wurde mit außergewöhnlichem Tempo auf die Fahrt vorbereitet; wir luden so viel Nahrungsmittel, wie wir bekommen konnten (es war natürlich nicht sehr viel); dazu Uniformen, Gewehre, Ausrüstung aller Art, und zwei panzerbrechende Karabiner mit fast keiner Munition. Schließlich, am 25. November 1956, um zwei Uhr morgens, wurden Fidels Worte, «1956 werden wir frei sein oder zu Märtyrern werden», die von der amtlichen Presse verspottet worden waren, in die Wirklichkeit umgesetzt. Ohne Licht verließen wir, inmitten eines höllischen Durcheinanders von Menschen und aller Art Material den Hafen Tuxpan. Das Wetter war sehr schlecht, Navigationshilfen waren verboten, aber das Mündungsgebiet des Flusses war ruhig. Im Zickzackkurs liefen wir in den Golf ein, und setzten wenig später die Positionslichter. Eine wahnwitzige Suche nach den Tabletten gegen die Seekrankheit begann, aber wir fanden sie nicht. Wir sangen vielleicht fünf Minuten lang die kubanische Nationalhymne und die ‹Hymne des 26. Juli›, und dann bot das Schiff einen sowohl lächerlichen wie auch tragischen Anblick: Männer mit schmerzverzerrtem Gesicht hielten ihre Mägen, einige steckten ihre Köpfe in Eimer, andere lagen in den seltsamsten Stellungen herum, unbeweglich, ihre Kleidung mit Auswurf geschmutzt. Von den 83 Mann an Bord waren außer zwei oder drei Seeleuten und vier oder fünf anderen alle seekrank. Aber am vierten oder fünften Tag hatte sich das allgemeine Bild ein wenig gebessert. Wir entdeckten, daß das, was wir für ein Leck im Schiff gehalten hatten, in Wirklichkeit ein offener Installationshahn war. Wir hatten schon alles Überflüssige von Bord geworfen, um die Ladung zu erleichtern. Die von uns gewählte Route beschrieb südlich von Kuba und windwärts von Jamaica und der Großen Cayman Insel einen weiten Bogen, so daß wir den Landungspunkt irgendwo in der Nähe der Stadt Niquero in der Provinz Oriente erreichten. Der Plan wurde ganz langsam ausgeführt. Am 30. Novem15
ber hörten wir über den Rundfunk die Nachricht von Unruhen in Santiago de Cuba, die unser großer Frank País in der Hoffnung organisiert hatte, daß sie mit dem Eintreffen unserer Expedition zusammenfielen. In der folgenden Nacht, am 1. Dezember, gingen wir - ohne Wasser, Brennstoff und Nahrungsmittel - von unserem Bogen auf geraden Kurs in Richtung Kuba und suchten verzweifelt das Leuchtfeuer von Cabo Cruz. Um zwei Uhr morgens, in einer dunklen und stürmischen Nacht, war die Situation besorgniserregend. Die Wachen liefen unruhig hin und her und hielten Ausschau nach dem Lichtstrahl, der nicht am Horizont erscheinen wollte. Roque, ein ehemaliger Marineleutnant, kletterte noch einmal auf die kleine obere Brücke hinaus, um das Feuer des Leuchtturms von Cabo zu entdecken. Er verlor den Halt und fiel ins Wasser. Eine Weile später, als wir uns noch einmal vergewisserten, sahen wir das Licht, aber wegen der nur langsamen ächzenden Fahrt unserer Jacht dauerten die letzten Stunden der Reise unendlich lange. Es war schon Tag, als wir auf Kuba landeten, an einem Ort, der als Belic bekannt ist und am Strand von Las Coloradas liegt. Ein Kutter der Küstenwacht sichtete uns und gab einen Funkspruch an die Armee Batistas durch. Kaum waren wir an Land gegangen und hatten in großer Hast und nur das Notwendigste mit uns schleppend das Sumpfgebiet betreten, wurden wir von feindlichen Flugzeugen angegriffen. Da wir durch Mangrovensümpfe landeinwärts gingen, waren wir aus der Luft nicht auszumachen; wir wurden auch von den Flugzeugen nicht getroffen, aber die Armee der Diktatur war nun auf unserer Spur. Wir brauchten mehrere Stunden, das Sumpfgebiet zu durchqueren. Unser Vormarsch verzögerte sich durch Mangel an Erfahrung und durch die Verantwortungslosigkeit eines Kameraden, der behauptet hatte, er kenne den Weg. Wir befanden uns auf festem Grund, hatten die Orientierung verloren und gingen im Kreis, wir waren eine Armee von Schatten, von Phantomen, die sich fortbewegte, als würde sie von irgendeinem obskuren psychischen Mechanismus angetrieben. Sieben Tage ständigen Hungers und Krankheit auf See lagen hinter uns, es folgten drei Tage an Land, die noch schrecklicher waren. Genau zehn Tage, nachdem wir Mexiko verlassen hatten, in der Morgendämmerung des 5. Dezember, erreichten wir nach einem Nachtmarsch der durch Schwächeanfälle Erschöpfung und Ruhepausen unterbrochen wurde, einen Ort, der - welch ein Paradoxon! - Alegría (Fröhlichkeit) de Pío genannt wurde.
Alegría de Pío Alegría de Pío liegt in der Provinz Oriente, im Gebiet von Niquero, nahe Cabo Cruz. Dort wurden wir am 5. Dezember 1956 von Batistas Truppen gestellt und angegriffen. Nach einem Marsch, der mehr beschwerlich als lang war, befanden wir uns in einem sehr geschwächten Zustand. Am 2. Dezember waren wir an der Playa de las Coloradas an Land gegangen, wir hatten fast unsere gesamte Ausrüstung eingebüßt und waren endlose Stunden lang durch SalzwasserSümpfe marschiert. Wir trugen alle neue Stiefel; dadurch waren unsere Füße mit Blasen bedeckt. Aber unsere Fußbekleidung und die davon herrührenden Pilzinfektionen waren nicht unsere einzigen Feinde. Wir hatten den mexikanischen Hafen Tuxpan am 25. November verlassen, ein Tag, an dem der Nordwind die Navigation zu einem lebensgefährlichen Glücksspiel machte. Wir landeten auf Kuba, nachdem wir den Golf von Mexiko und das Karibische Meer sieben Tage lang durchkreuzt hatten. Wir fuhren ohne Nahrungsmittel, unser Schiff war in schlechtem Zustand, und die meisten von uns waren, an Seereisen nicht gewöhnt, seekrank. All dies hatte bei diesem Haufen von Anfängern, die noch niemals ein Gefecht mitgemacht hatten, seine Spuren hinterlassen. Nichts war von unserer Ausrüstung gerettet worden, außer ein paar Gewehre, Patronengürtel und einige nasse Patronen. Unsere medizinische Ausrüstung war verschwunden, unsere verpackten Ballen waren zum größten Teil in den Sümpfen zurückgeblieben. Am Tage vorher waren wir in einem Nachtmarsch an der Grenze der Zuckerplantagen der Zuckerraffinerie von Niquero entlanggezogen, die damals Julio Lobo gehörte. Wir stillten unseren Hunger und Durst im Gehen mit Zuckerrohr und, unerfahren wie wir waren, ließen wir die Strünke zurück. Jahre später erfuhren wir, daß der Feind diese sorglos hinterlassenen Spuren, die auf unsere Anwesenheit hindeuteten, in Wirklichkeit gar nicht brauchte, denn unser Wegführer, einer der Hauptverräter während der Revolution, führte ihn zu uns. Wir hatten dem Führer die Nacht freigegeben, ein Fehler, den wir während des Krieges mehrere Male wiederholten, bis wir lernten, daß Zivilisten, die wir nicht näher kannten, stets scharf im Auge behalten werden mußten, wenn wir uns in Gefahrenzonen befanden. Wir hätten unserem verräterischen Führer niemals gestatten dürfen, sich von uns zu entfernen. Als der 5. Dezember heraufdämmerte, waren nur noch ein paar von uns in der Lage, einen Schritt zu gehen. Unsere erschöpften Männer konnten sich nur noch kurze Entfernungen vorwärts bewegen, dann brauchten sie lange Ruhe16
pausen. Am Rande einer Zuckerplantage wurde eine Rast angeordnet. Die meisten von uns schliefen den Vormittag hindurch in einem Dickicht nahe dem dichten Wald. Gegen Mittag bemerkten wir eine ungewöhnliche Aktivität. Piper CubFlugzeuge und andere militärische und private Maschinen kreisten in der Umgebung. Einige unserer Männer schnitten ruhig das Zuckerrohr und aßen, wenn die Flugzeuge über unseren Köpfen kreisten, und bedachten nicht, wie gut sie von den niedrig fliegenden Maschinen aus gesehen werden konnten. Als Arzt unserer Truppe war es meine Aufgabe, die Blasen der Männer zu behandeln. Ich glaube, ich erinnere mich, daß Humberto Lamotte mein letzter Patient an jenem Tag war, und, wie sich herausstellte, es war sein letzter Tag auf dieser Erde. Ich habe noch sein müdes und ängstliches Gesicht vor mir, als er von unserem primitiven Sanitätsposten in seine Stellung ging, die Schuhe, die er nicht anziehen konnte, in der Hand. Kamerad Montane und ich lehnten uns gegen einen Baum und sprachen von unseren Kindern; wir aßen unsere mageren Rationen - ein halbes Würstchen und zwei Crackers -, als wir einen Schuß hörten. In Sekundenschnelle ging - so wenigstens schien es meinen ängstlichen Sinnen während dieser Feuerprobe - ein Orkan von Kugeln auf diese Truppe von 82 Mann nieder. Mein Gewehr war keines der besten - ich hatte absichtlich darum gebeten, denn eine langanhaltende Asthma-Attacke hatte mich während der Überfahrt in einen bedauernswerten Zustand versetzt, und ich wollte keine gute Waffe verschwenden. Ich weiß nicht genau, wann oder wie es geschah; die Erinnerung läßt schon etwas nach. Aber daran erinnere ich mich, daß Almeida, er war damals Hauptmann, während des Kreuzfeuers kam und um Befehle ersuchte; aber es gab niemanden mehr, der Befehle erteilen konnte. Wie ich später herausfand, versuchte Fidel vergebens, seine Männer in dem nahe gelegenen Zuckerrohrfeld umzugruppieren, das man einfach dadurch erreichen konnte, indem man eine kleine Schneise überquerte. Der Überraschungsangriff war zu massiv gewesen, zu viele Geschosse waren auf uns niedergegangen. Almeida ging zurück, um seine Gruppe zu übernehmen. In diesem Augenblick ließ ein Kamerad einen Patronenkasten zu meinen Füßen fallen. Ich deutete fragend auf den Behälter, und der Mann antwortete mit einem Gesichtsausdruck, an den ich mich sehr gut erinnere, denn die Qual, die sein Gesicht widerspiegelte, schien zu sagen: «Es ist zu spät zum Schießen», und er ging sofort weg, den Pfad durch das Zuckerrohrfeld entlang (später wurde er von Batistas Mördern umgebracht). Da stand ich vielleicht zum erstenmal dem Dilemma gegenüber, zwischen meiner Hingabe an die Medizin und meiner Pflicht als revolutionärer Soldat wählen zu müssen. Zu meinen
Füßen lagen ein Packen voll mit Medikamenten und ein Patronenkasten; beide zusammen konnte ich nicht tragen, sie waren zu schwer. Ich wählte den Patronenkasten, ließ den Packen mit Medikamenten zurück und überquerte die Schneise, die mich von dem Zuckerrohrfeld trennte. Ich erinnere mich deutlich, daß Faustino Pérez am Rande des Feldes kniete und aus seiner Maschinenpistole feuerte. In meiner Nähe lief ein Kamerad namens Arbentosa auf die Plantage zu. Ein Feuerstoß, wie er schon gar nicht mehr ungewöhnlich war, traf uns beide. Ich fühlte einen schrecklichen Schlag an der Brust und einen anderen am Hals und war sicher, daß ich sterben würde. Arbentosa schoß Blut aus Nase, Mund und aus einer gewaltigen Wunde von einem 45iger Geschoß; er schrie etwas Ähnliches wie «sie haben mich umgebracht» und begann, wild zu feuern, obgleich in diesem Augenblick niemand zu sehen war. Vom Boden aus sagte ich zu Faustino: «Sie haben mich erwischt» (aber ich benutzte einen stärkeren Ausdruck). Faustino, der weiter feuerte, schaute meine Wunde an und sagte, es sei nichts, aber in seinen Augen las ich das Todesurteil. Ich blieb am Boden liegen; ich folgte dem gleichen dunklen Impuls wie Faustino und feuerte einmal in Richtung auf den Wald. Sofort fragte ich mich, welches wohl die beste Art zu sterben sein würde, da nun alles verloren schien. Ich dachte an eine alte Geschichte von Jack London, in der der Held, der wußte, daß er in den eisigen Weiten Alaskas zum Tode durch Erfrieren verdammt war, sich gegen einen Baum lehnte und beschloß, sein Leben in Würde zu beschließen. Dies ist das einzige Bild, an das ich mich erinnere. Jemand, der neben mir am Boden entlangkroch, schrie, es sei besser, wenn wir uns ergäben, und hinter mir hörte ich eine schreiende Stimme - es war, wie ich später erfuhr, Camilo Cienfuegos -: «Hier ergibt sich niemand...»; darauf folgte ein Schwur. Erregt und atemlos kam Ponce in meine Nähe. Er war verwundet; offenbar war es ein Lungenschuß. Er sagte mir, daß er verwundet sei, und gleichgültig zeigte ich ihm, daß ich ebenfalls etwas abbekommen hatte. Ponce schleppte sich zusammen mit denen, die unverletzt geblieben waren, weiter in Richtung auf das Zuckerrohrfeld. Einen Augenblick lang war ich allein, ich streckte mich aus und wartete auf meinen Tod. Almeida kam herüber zu mir und überredete mich, ich solle doch versuchen, mich vorwärts zu bewegen. Trotz meiner Schmerzen tat ich es, und so gelangten wir schließlich in das Feld. Dort sah ich unseren Kameraden Raúl Suárez in der Nähe eines Baumes; sein Daumen war von einem Geschoß zerschmettert, und Faustino Pérez verband ihn. Danach geriet alles in Verwirrung. Die leichten Flugzeuge flogen in niedriger Höhe über uns hinweg, und die Bordschützen feuerten ein paar Schüsse aus ihren Maschinengewehren auf uns ab. Dadurch wurden die Danteschen, grotesken Szenen um uns herum nur 17
noch akzentuiert: ein beleibter Guerillero versuchte, sich hinter einem einzigen Stengel Zuckerrohr zu verbergen; ein anderer schrie, ohne wirklich zu wissen, warum, inmitten des gewaltigen Lärms nach Ruhe. Eine Gruppe wurde gebildet, deren Führung Almeida übernahm; zu ihr gehörten Leutnant Ramiro Valdés (heute Major), die Kameraden Chao und Benítez und ich. Mit Almeida an der Spitze durchquerten wir die letzte Reihe des Zuckerrohrfeldes, um einen kleinen schützenden Wald zu erreichen. In diesem Augenblick hörten wir die ersten Schreie «Feuer!» aus dem Feld, und Säulen von Rauch und Flammen schossen daraus hervor; sehr genau erinnere ich mich nicht mehr, denn ich dachte mehr an die Bitterkeit unserer Niederlage und an meinen nahen Tod als an die Details der Schlacht. Wir gingen, bis die Nacht den weiteren Marsch verhinderte; dann beschlossen wir, eng aneinandergeschmiegt, zu schlafen. Wir wurden von Moskitos attackiert, von Durst und Hunger gequält. Das war unsere Feuertaufe; sie fand am 5. Dezember 1956 im Bezirk Niquero statt, der Beginn dessen, woraus die Rebellenarmee entstehen sollte.
Hin und her getrieben Am Tag nach dem Überraschungsangriff von Alegría de Pío marschierten wir durch ein Waldgebiet in einer Zone, in der rote Erde mit Felsformationen abwechselte, die aussahen wie ein Gebiß. Wir hörten den Knall einzelner Schüsse, und es gelang uns nie, eine richtige Straße zu finden. Chao, ein Veteran des Spanienkrieges, meinte, wenn wir so weiter auf der Suche nach dem richtigen Weg herumtappten wie bisher, würden wir am Ende bestimmt in einen Hinterhalt des Feindes geraten. Er schlug vor, einen Ort zu finden, wo wir die Nacht abwarten konnten, so daß wir unseren Marsch dann im Schutz der Dunkelheit fortsetzen konnten. Wir hatten praktisch kein Wasser, und mit dem einzigen Behälter mit Milch, den wir besaßen, war ein Unglück geschehen. Benítez, dem wir ihn anvertraut hatten, hatte ihn verkehrt herum in seine Tasche gesteckt. Die kleinen Löcher, die wir zum Trinken in den Behälter gebohrt hatten, waren also nach unten geraten, und als wir unsere Ration - ein Vitaminröhrchen voll Kondensmilch mit einem Schlückchen Wasser - verteilen wollten, sahen wir mit Schrecken, daß die ganze Milch in der Tasche und über die Uniform von Benítez ausgelaufen war. Es gelang uns, eine Art Höhle zu finden, in der wir uns einrichten konnten; auf der einen Seite hatten wir eine sehr gute Aussicht, von der anderen her war es jedoch unglücklicherweise unmöglich, den Vormarsch des Feindes aufzuhalten. Da es uns jedoch mehr darum zu tun war, nicht gesehen zu werden, als uns zu verteidigen, beschlossen wir, den ganzen Tag in dieser Höhle zu bleiben. Wir fünf gingen eine feierliche Verpflichtung ein, bis zum Tode zu kämpfen. Folgende Personen legten diesen Schwur ab: Ramiro Valdés, Juan Almeida, Chao, Benítez und der Verfasser dieses Berichts. Wir fünf überlebten die schreckliche Erfahrung der Niederlage und die folgenden Schlachten. Die Nacht brach herein, und wir machten uns wieder auf den Weg. Ich suchte meine astronomischen Kenntnisse zusammen und machte den Nordstern aus, und zwei Tage lang ließen wir uns durch ihn führen, indem wir nach Osten in Richtung auf die Sierra Maestra marschierten. Erst Monate später sollte mir klarwerden, daß der Stern, den wir als unseren Wegweiser benutzten, nicht der Nordstern war. Wir hatten einfach Glück, daß wir die richtige Richtung einschlugen und bei Morgendämmerung vor einigen Kliffs bei der Küste ankamen. Zwischen uns und dem Meer war ein etwa fünfzig Meter hohes Kliff. Jenseits des Felsens nahmen wir das verführerische Bild eines Wasserspiegels 18
wahr, ein Teich mit Süßwasser, wie es uns schien. In der voraufgegangenen Nacht waren wir plötzlich in einen Schwarm von Landkrabben geraten, und von Hunger getrieben, hatten wir sie zerlegt. Da wir unter keinen Umständen ein Feuer anmachen konnten, aßen wir den Gelatineteil der Krabben roh, und danach bekamen wir furchtbaren Durst. Wir brauchten geraume Zeit, bis wir einen Durchgang entdeckt hatten, durch den wir zu dem Wasser hinuntersteigen konnten. Aber in dem Hin und Her unseres An- und Abmarsches konnten wir den Teich, den wir von oben entdeckt hatten, nicht wiederfinden. Wir mußten uns mit einigen spärlichen Resten Regenwasser begnügen, das wir in den Vertiefungen der «Gebiß»Felsen fanden. Wir benutzten die winzige Pumpe eines Zerstäubers, der gegen AsthmaAnfälle helfen sollte, um das Wasser aus den Felsrinnen herauszuziehen, aber es kamen für jeden von uns kaum ein paar Tropfen zusammen. Wir marschierten weiter, ohne bestimmte Richtung; wir waren demoralisiert. Von Zeit zu Zeit sahen wir ein Flugzeug über dem Meer. Der Marsch zwischen den Felsen hindurch war außerordentlich anstrengend; einer von uns schlug vor, wir sollten unten an der Küste, an den Kliffs entlangmarschieren. Aber das hatte einen schweren Nachteil: der Feind konnte uns sehen. So blieben wir im Schatten einer Anzahl Büsche und warteten auf den Sonnenuntergang. Bei Einbruch der Nacht fanden wir einen kleinen Strand, und wir konnten im Meer schwimmen. Ich versuchte, etwas auszuprobieren, worüber ich einmal in einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift oder in einem Roman gelesen hatte. Es hieß dort, man solle Süßwasser mit einem Drittel Seewasser anreichern und erhalte dadurch eine größere Menge sehr gut trinkbaren Wassers. Ich machte das Experiment und benutzte dazu eine Feldflasche; aber das Ergebnis war jämmerlich: ein brackiges Getränk, das meine Kameraden nur mit düsterem Blick betrachteten. Erfrischt durch das Bad setzten wir unseren Marsch fort. Es war Nacht, und wenn ich mich recht erinnere, schien der Mond ziemlich hell. Almeida und ich marschierten an der Spitze. Plötzlich bemerkten wir in einem der kleinen Verschläge, die die Fischer an einer scharfen Biegung der Küste errichten, um sich vor schlechtem Wetter zu schützen, die Konturen von schlafenden Männern. Wir waren sicher, daß es Soldaten waren, aber wir waren schon zu nahe herangekommen, als daß wir die Richtung ändern konnten. So schlichen wir vorwärts. Almeida wollte sie schon auffordern, sich zu ergeben, da erlebten wir eine freudige Überraschung. Es waren drei Kameraden von der Granma: Camilo Cienfuegos, Pancho González und Pablo Hurtado. Sofort begannen wir, Eindrücke, Neuigkeiten und Meinungen auszu-
tauschen; wir berichteten das Wenige, das jeder von uns über die anderen Kameraden und den Verlauf der Schlacht wußte. Camilos Gruppe bot uns Zuckerrohrstengel an, die sie vor der Flucht herausgerissen hatten. Diese süße und saftige Masse stillte gut den Hunger. Mittlerweile kauten sie begierig die Krabben. Sie hatten eine Methode entwickelt, ihren Durst zu stillen, indem sie aus den kleinen Vertiefungen in den Felsen das Wasser direkt mit einem Röhrchen oder einem ausgehöhlten Stock heraussogen. Zusammen marschierten wir weiter. Wir waren nun acht überlebende Kämpfer der Granma-Armee, und wir hatten keinerlei Informationen, ob es noch andere Überlebende gab. Wir nahmen an, daß nach allen Gesetzen der Logik noch andere Gruppen wie die unsere existieren mußten. Aber wir hatten nicht die geringste Vorstellung, wo wir sie finden konnten. Wir wußten nur, daß wir, wenn wir an der Küste entlang mit dem Meer zu unserer Rechten weitermarschierten, nach Osten zogen, das heißt in Richtung auf die Sierra Maestra, wo wir Zuflucht suchen sollten. Wir versuchten nicht, uns vor der Tatsache zu verschließen, daß unsere Fluchtchancen gleich Null waren, wenn wir, gefangen zwischen den schroffen Kliffs und dem Meer, mit dem Feind zusammenstießen. Ich weiß nicht mehr, ob wir einen oder zwei Tage an der Küste entlangmarschierten. Ich erinnere mich nur noch daran, daß wir kleine indische Feigen aßen, die am Strand wuchsen. Es gab nur ein oder zwei Stück pro Kopf; sie mußten ausreichen, den Hunger zu besänftigen. Und wir wurden von Durst gequält, denn wir mußten unsere paar Tropfen Wasser äußerst streng rationieren. Eines Morgens erreichten wir bei Dämmerung hundemüde die Küste. Wir hielten an dieser Stelle, um ein wenig einzunicken, bis es hell genug war, so daß wir einen Durchgang finden konnten, ehe wir die steilen Klippen in Angriff nahmen. Als es hell war, schauten wir uns um. Überrascht gewahrten wir ein großes Haus aus Palmholz, das anscheinend einem ziemlich wohlhabenden Bauern gehörte. Ich war instinktiv der Meinung, wir sollten uns einem solchen Haus nicht nähern, denn seine Bewohner würden uns wahrscheinlich feindlich gesonnen sein; tatsächlich könnte das Haus auch sogar von der Armee besetzt sein. Benítez teilte meine Ansicht nicht, und schließlich gingen wir zusammen auf das Haus zu. Ich blieb draußen, während er über einen Stacheldrahtzaun kletterte. Es war noch jemand mit uns, ich weiß nicht mehr, wer. Plötzlich bemerkte ich in dem trüben Licht die klar geschnittene Silhouette eines uniformierten Mannes mit einem M-1 Gewehr. Mir schien, dies war ein Signal für uns, zumindest für Benítez, daß wir uns zurückziehen sollten, aber da er näher an den Mann 19
herangekommen war, konnte ich ihn nicht warnen. Nur zwei Schritte von dem Soldaten entfernt, machte Benítez plötzlich kehrt, kam zu mir zurück und sagte mit vollkommener Naivität, er sei zurückgekommen, weil er «einen Mann mit einem Gewehr» gesehen habe und weil es seiner Ansicht nach klüger gewesen sei, dem Mann keine Fragen zu stellen. Tatsächlich aber fühlten wir uns, und besonders Benítez, als seien wir von den Toten auferstanden. Aber unsere Odyssee endete hier noch nicht. Nachdem wir das Gelände vorsichtig geprüft hatten, sahen wir, daß es notwendig wäre, die Klippen hinaufzuklettern, die an dieser Stelle nicht so steil waren. Tatsächlich kamen wir nun näher an das Gebiet Ojo de Buey (Ochsenauge) heran, so genannt, weil ein Wasserlauf, der zum Meer hinunterführt, dort das Kliff geradewegs durchschneidet. Die Nacht brach herein, noch ehe wir unsere Klettertour beendet hatten. Wir hatten gerade noch Zeit, eine Höhle zu finden, einen glänzenden Beobachtungsposten, von dem aus wir das ganze Panorama überschauen konnten. Ringsum herrschte völlige Stille. Wir sahen ein paar Männer aus einem kleinen Marineboot an Land gehen, wir zählten etwa dreißig Personen, andere stiegen ein; anscheinend handelte es sich um eine Rettungsoperation. Später erfuhren wir, daß diese Männer zum Kommando von Laurent gehörten, des gefürchteten Mörders von der Marine. Nachdem dieser seine Aufgabe, nämlich die Hinrichtung einer Gruppe unserer Kameraden, erfüllt hatte, war er nun damit beschäftigt, seine Leute in Sicherheit zu bringen. Vor den verblüfften Augen von Benítez entpuppten sich nun die «Männer mit Gewehren» in all ihrer schrecklichen Realität. Die Situation war nicht gut. Wenn wir entdeckt wurden, gab es nicht die geringste Chance für eine Flucht; wir würden dann keine andere Wahl haben, als an Ort und Stelle bis zum Ende zu kämpfen. Wir hatten den ganzen Tag noch nichts gegessen; wir rationierten unser Wasser - und mit welcher Präzision! Wir verteilten es in der Linse eines Feldstechers; eine gerechtere Verteilung war nicht möglich. Nachts setzten wir unseren Weg fort, wir strebten fort aus dieser Umgebung, wo wir einige der qualvollsten Tage des Krieges verbracht hatten, ausgeliefert dem Hunger und Durst, unserem Gefühl der Niederlage und einer realen und ungeheueren Gefahr, die jederzeit über uns hereinbrechen konnte; so kamen wir uns wie Ratten in einer Falle vor. Nachdem wir viel herumgeirrt waren, kamen wir an einen Gebirgsfluß, der ins Meer mündet, oder an einen seiner Nebenflüsse. Wir warfen uns an das Ufer des Flusses und tranken und tranken mit der Gier von Pferden; wir hätten noch weitergemacht, aber unsere Mägen, die keine Nahrung bekommen hatten, weigerten sich, auch nur noch
einen einzigen Tropfen aufzunehmen. Wir füllten unsere Feldflaschen und gingen weiter. Bei Dämmerung erreichten wir die Spitze eines kleinen Hügels mit ein paar Bäumen. Unsere Gruppe schwärmte aus, so daß wir Widerstand leisten und uns so gut wie möglich tarnen konnten. Wir verbrachten den ganzen Tag damit, die kleinen mit Lautsprechern ausgerüsteten Flugzeuge zu beobachten, die unverständliche Geräusche von sich gaben, wenn die Maschinen dicht über uns hinwegbrausten. Almeida und Benítez, die Veteranen von Moncada, erkannten, daß sie uns zur Übergabe aufforderten. Von Zeit zu Zeit kamen nicht identifizierbare Geräusche aus dem Wald zu uns herüber. In jener Nacht führte uns unsere Wanderschaft in die Nähe eines Hauses, aus dem Musik klang. Wieder gingen unsere Meinungen auseinander. Ramiro, Almeida und ich waren unbedingt der Ansicht, daß wir es unter allen Umständen vermeiden mußten, uns bei einer Tanzerei oder einer derartigen Festlichkeit sehen zu lassen, denn die Bauern würden unsere Anwesenheit weit und breit bekanntmachen, nicht notwendigerweise aus bösem Willen, sondern aus dem Vergnügen, eine Neuigkeit verbreiten zu können. Benítez und Camilo waren jedoch der Ansicht, wir sollten um jeden Preis das Haus betreten, damit wir etwas zu essen bekämen. Schließlich wurden Ramiro und ich bestimmt, in das Haus zu gehen und in Erfahrung zu bringen, was es Neues gibt, und Nahrungsmittel zu beschaffen. Wir waren gerade dorthin auf dem Weg, als plötzlich die Musik stoppte und wir deutlich die Stimme eines Mannes hörten, der so etwas Ähnliches sagte wie: «Und jetzt wollen wir auf unsere Waffengefährten trinken, die so glänzende Taten vollbracht haben» usw. Das genügte uns, wir machten kehrt, verstohlen, aber im Laufschritt und meldeten unseren Kameraden, wo diese Männer zu Hause waren. Wir nahmen unseren Marsch wieder auf, aber die Männer hielten an jeder Biegung an. In jener Nacht, oder vielleicht war es auch in der folgenden, beschlossen alle Kameraden mit wenigen Ausnahmen, daß sie nicht weitergehen wollten. So waren wir also - neun Tage nach dem Überraschungsangriff von Alegría de Pío - nun gezwungen, an die Tür eines Bauern zu klopfen, der in der Nähe der Straße bei Puercas Gordas wohnte. Wir wurden herzlich aufgenommen. Diese Bauernhütte wurde der Schauplatz eines endlosen Festmahles. Stunden vergingen, und wir aßen immer noch, so viel und so gut, daß wir bei Morgendämmerung immer noch schmausten. Es war unmöglich, aufzubrechen. Den ganzen Vormittag hindurch kamen ständig Bauern zur Hütte, die, aus Neugier oder Sorge, unsere Bekanntschaft machen wollten, die uns Nahrungsmittel anboten oder uns ein Geschenk brachten. Dann verwandelte sich das kleine Haus, das uns Schutz bot, in ein Inferno. 20
Almeida war der erste, der von der Diarrhöe überwältigt wurde; und dann, auf einen Schlag, legten acht Eingeweide, die das, was man ihnen antat, nicht zu würdigen wußten, Zeugnis von der schwärzesten Undankbarkeit ab. Einige der Kameraden begannen, sich zu erbrechen. Pablo Hurtado, erschöpft durch die Seekrankheit, durch tagelanges Marschieren, durch Hunger und Durst, hielt nicht länger durch. Wir beschlossen, in der folgenden Nacht aufzubrechen. Die Bauern sagten uns, daß nach den Informationen, die sie erhalten hatten, Fidel am Leben sei. Sie schlugen vor, uns zu einem Ort zu bringen, wo wir ihn und Crescencio Pérez aller Wahrscheinlichkeit nach finden konnten. Aber sie stellten eine Bedingung: wir mußten unsere Waffen und unsere Uniformen zurücklassen. Almeida und ich behielten unsere beiden Maschinenpistolen. Die acht Gewehre und die ganze Munition blieben als Sicherheit in der Hütte des Bauern. Wir wollten in einzelnen Abschnitten nach der Maestra gelangen und dazwischen Ruhepausen bei Bauern einlegen. Deshalb teilten wir uns in zwei Gruppen, eine bestand aus drei, die andere aus vier Männern. Zu unserer Gruppe gehörten, wenn ich mich recht erinnere, Pancho Gonzalez, Ramiro Valdés, Almeida und ich. Zur anderen Camilo, Benítez und Chao. Pablo Hurtado war zu krank, als daß er die Hütte verlassen konnte. Wir hatten uns kaum auf den Weg gemacht, als der Besitzer der Hütte der Versuchung erlag, unter dem Vorwand, Rat darüber einzuholen, wie man unsere Waffen am besten verstecken konnte, seine Neuigkeit einem Freund mitzuteilen. Dieser überredete ihn, sie zu verkaufen. Sie feilschten mit einem dritten Dieb herum, und dieser wiederum denunzierte uns bei der Polizei. Die Folge war ein Überfall des Feindes, nur wenige Stunden nachdem wir den ersten gastfreundlichen kubanischen Herd verlassen hatten; sie nahmen Pablo Hurtado gefangen und beschlagnahmten unsere Waffen. Wir blieben bei einem Adventisten namens Argelio Rosabal, der als ‹Pastor› bekannt war. Dieser Kamerad nahm sofort, als er die schlimme Nachricht erhielt, mit einem anderen Bauern Verbindung auf, der das Gebiet wie seine Westentasche kannte und mit den Rebellen sympathisierte. Noch in derselben Nacht suchten wir einen anderen Zufluchtsort auf, der größere Sicherheit versprach. Der Bauer, den wir bei jener Gelegenheit trafen, war Guillermo García. Heute ist er Befehlshaber der Oriente-Armee und Mitglied der nationalen Führung unserer Partei. In der Folge wurden wir von verschiedenen Bauern willkommen geheißen: von Carlos Mas, der sich uns später anschloß; von Perucho und anderen Kameraden, deren Namen ich vergessen habe. Eines Morgens bei Tagesanbruch erreichten wir, nachdem wir die Straße nach Pilón überquert hatten und
ohne jeden Führer marschiert waren, den Hof von Mongo Pérez, des Bruders von Crescencio. Dort fanden wir alle Kameraden unserer Landungstruppe, die am Leben geblieben und noch in Freiheit waren: Fidel Castro, Universo Sánchez, Faustino Pérez, Raúl Castro, Ciro Redondo, Efigenio Ameijeiras, René Rodríguez und Armando Rodríguez. Wenige Tage später stießen Morán, Crespo, Julito Díaz, Calixto García, Calixto Morales und Bermúdez zu uns. Unsere kleine Truppe hatte keine Uniformen und keine Waffen. Tatsächlich hatten wir außer den beiden Maschinenpistolen nichts aus der Katastrophe gerettet. Fidel machte uns deshalb bittere Vorwürfe. Den ganzen Feldzug hindurch blieben mir seine Worte im Gedächtnis, und sogar bis heute habe ich sie nicht vergessen: «Ihr mußtet für den Fehler, den ihr begangen habt, nicht zahlen, denn der Preis dafür, daß ihr unter solchen Umständen eure Waffen im Stich laßt, ist euer Leben. Eure Gewehre wären die einzige, die allereinzige Hoffnung auf ein Überleben gewesen, falls ihr mit der Armee Mann gegen Mann zusammengestoßen wäret. Sie im Stich zu lassen, war verbrecherisch und töricht.»
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Das Gefecht von La Plata Der Angriff auf die kleinen Kasernen an der Mündung des La Plata-Flusses in der Sierra Maestra brachte uns unseren ersten Sieg und hatte Auswirkungen, die weit über die zerklüftete felsige Gegend hinausgingen, in der das Gefecht stattgefunden hatte. Dieser Sieg wurde im ganzen Land bekannt und bewies, daß die Rebellenarmee existierte und zum Kampf bereit war. Für uns war es die neuerliche Bestätigung, daß unser endgültiger Triumph möglich war. Am 14. Januar 1957, wenig mehr als vier Wochen nach dem Überraschungsangriff von Alegría de Pío, hielten wir am Magdalena-Fluß, der vom La Plata durch einen ins Meer führenden Gebirgszug der Sierra getrennt wird und auf diese Weise die beiden kleinen Flußtäler voneinander absondert. Hier bildeten wir auf Befehl Fidels die Männer im Schießen aus; einige von ihnen hielten zum erstenmal in ihrem Leben ein Gewehr in der Hand; hier wuschen wir uns auch, nachdem wir viele Tage lang die Gebote der Hygiene ignoriert hatten, und diejenigen, die es konnten, wechselten ihre Kleidung. Zu jenem Zeitpunkt besaßen wir 23 einsatzbereite Waffen: neun Gewehre mit Zielfernrohr, fünf halbautomatische und vier Bolzengewehre, zwei ThompsonMaschinenpistolen, zwei andere MPs und eine Schrotflinte, Kaliber sechzehn. An jenem Nachmittag erklommen wir den letzten Hügel, um die Umgebung des La Plata zu erreichen. Wir folgten einem schmalen verlassenen Waldpfad, den ein Bauer dieser Gegend namens Melquiades Elías speziell für uns mit der Machete freigehauen hatte. Unser Wegführer Eutimio hatte uns seinen Namen angegeben; Eutimio war damals unentbehrlich für uns, er war das Muster von einem Bauernrebellen. Einige Zeit später wurde Eutimio von Casillas gefangengenommen, der, anstatt Eutimio zu töten, versuchte, ihn mit 10 000 Peso und einem Dienstgrad in der Armee zu bestechen, damit er Fidel ermordete. Er war schon fast entschlossen, seinen Plan zu verwirklichen, aber schließlich fehlte ihm doch der Mut dazu. Dennoch erwies er sich, indem er unsere Lagerplätze verriet, dem Feind als wichtiger Helfer. Zunächst jedoch diente uns Eutimio loyal; er war einer der vielen Bauern, die gegen die Gutsbesitzer um ihr Land gekämpft hatten, und die damit auch gegen die Landgendarmerie kämpften. An jenem Tag nahmen wir auf dem Marsch zwei guajiros (Bauern) gefangen. Es zeigte sich, daß sie mit unserem Führer verwandt waren; wir ließen einen von ihnen frei, als Vorsichtsmaßnahme behielten wir aber den anderen. Am folgenden Tag, dem 15. Januar, lagen die halb fertiggestellten, mit Zinkblech bedeckten Kasernen von La Plata vor uns. Wir sahen eine Gruppe von Männern, die, obgleich nur halbbekleidet, die Uniform des Feindes trugen.
Wir sahen, daß um sechs Uhr abends, gerade vor Sonnenuntergang, eine Barkasse mit Wachsoldaten anlegte. Einige stiegen aus, andere betraten das Boot. Da wir den Sinn dieses Vorgangs nicht klar genug verstanden, beschlossen wir, den Angriff bis zum folgenden Tage aufzuschieben. Von der Morgendämmerung des 16. Januar an waren die Kasernen unter ständiger Überwachung. Die Küstenwachen hatten sich bis zur Nacht zurückgezogen. Wir schickten ein paar Kundschafter aus, die nirgendwo Soldaten entdecken konnten. Um drei Uhr nachmittags beschlossen wir, den Pfad hinaufzusteigen, der zu den Kasernen führte und in der Nähe des Flusses lag, damit wir einen besseren Überblick gewinnen konnten. Bei Einbruch der Nacht überquerten wir den seichten La Plata-Fluß und postierten uns auf dem Pfad. Nach fünf Minuten kamen zwei guajiros vorbei, die wir gefangennahmen. Einer von ihnen war ein bekannter Spitzel. Wenn sie einmal wußten, wer wir waren und unseren Drohungen glaubten, lieferten sie uns wichtige Informationen. Wir fanden heraus, daß in dem Militärlager etwa fünfzehn Soldaten waren; weiter erfuhren wir, daß nach einer Weile einer der drei berüchtigsten Aufseher des Bezirks, Chicho Osorio, den Weg entlangkommen werde. Diese Aufseher arbeiteten in der Laviti-Plantage, einem gewaltigen Lehngut, das mit Hilfe solcher Leute wie Chicho Osorio durch Terror verwaltet wurde. Nach einiger Zeit erschien Chicho, er war betrunken und ritt zusammen mit einem kleinen Negerjungen auf einem Maultier.. Universo Sánchez forderte ihn im Namen der Guardia Rural auf, stehenzubleiben, und er antwortete sofort mit «mosquito», dem Kennwort. Trotz unseres abgerissenen Aussehens gelang es uns, Chicho Osorio zu täuschen, vielleicht, weil er so betrunken war. Fidel erklärte ihm in entrüstetem Ton, er sei Oberst der Armee und gekommen, herauszufinden, warum die Rebellen noch nicht vernichtet worden seien; nun sei er auf dem Weg in die Berge, um sie zu finden (deshalb trage er auch einen Bart), und was die Armee in dieser Sache unternehme, sei alles «Dreck». Insgesamt sprach er recht geringschätzig von der Wirksamkeit des Feindes. Mit großer Unterwürfigkeit erwiderte Chicho Osorio, das treffe zu, die Wachen verbrächten ihre Zeit innerhalb des Kasernengebäudes, sie äßen ständig und täten nichts, als unwichtige Übungen zu veranstalten; alle Rebellen, so meinte er mit Nachdruck, müßten vernichtet werden. Wir begannen, Chicho vorsichtig nach freundlich und unfreundlich gesonnenen Personen in dem Bezirk auszuhorchen, natürlich waren dabei die Rollen vertauscht: wenn Chicho sagte, jemand sei schlecht, so hatten wir Grund zu der Annahme, daß diese Person für unsere Sache gut war. Auf diese Weise bekamen wir etwa zwanzig Namen zusammen, und der Schurke plapperte immer weiter. Er erzählte uns, er habe zwei Männer getötet, 22
«aber mi general Batista hat mich sofort frei weggehen lassen»; er berichtete, wie er einige Bauern, die «ein bißchen unverschämt geworden waren» nur so zusammengeschlagen habe und meinte, daß die Guardia Rural in Wirklichkeit unfähig sei, in dieser Weise vorzugehen; sie erlaube den Bauern, daß sie straffrei Widerrede gäben. Fidel fragte ihn, was er mit Fidel Castro tun würde, wenn er ihn zu fassen bekäme, und Chicho antwortete mit einer unmißverständlichen Geste, daß er seine... abschneiden würde, das gleiche würde er mit Crescendo tun. «Schaut her», sagte er und deutete auf seine mexikanischen Stiefel, die er trug (und die wir ebenfalls anhatten), «ich habe sie einem dieser ... söhne ausgezogen, die wir getötet haben.» Damit hatte Chicho Osorio, ohne es zu wissen, sein eigenes Todesurteil unterzeichnet. Schließlich fand er sich auf den Vorschlag Fidels hin bereit, uns zu dem Militärlager zu führen, damit wir die Soldaten überraschen und ihnen beweisen konnten, daß sie schlecht vorbereitet waren und ihre Pflicht vernachlässigten. Wir näherten uns den Kasernen; Chicho Osorio führte uns. Ich persönlich war nicht so sicher, daß dieser Mann unser Spiel nicht schon durchschaut hatte. Aber er machte in aller Unschuld weiter; er war so betrunken, daß seine Urteilsfähigkeit beeinträchtigt war. Als wir den Fluß noch einmal überquerten, um näher an die Kasernen heranzukommen, sagte Fidel zu ihm, daß Gefangene nach den militärischen Vorschriften gefesselt werden müßten; Chicho weigerte sich nicht, und ohne es zu wissen, ging er nun als richtiger Gefangener mit uns weiter. Er erläuterte uns, daß sich der einzige Wachtposten zwischen den teilweise fertiggestellten Kasernen und dem Haus eines der anderen Aufseher, Honorio, befand, und er führte uns zu einer Stelle in der Nähe der Kasernen, an der die Straße nach El Macío vorbeiführte. Kamerad Luis Crespo, heute Major, wurde ausgeschickt, die Gegend zu erkunden, und er kehrte mit der Nachricht zurück, daß Chichos Angaben richtig gewesen waren, denn Luis hatte die beiden Gebäude gesehen und dazwischen den roten Punkt einer brennenden Zigarette des Postens. Wir waren drauf und dran, loszuschlagen, als drei Wachtsoldaten vorbeiritten, und wir uns verstecken mußten. Vor ihnen her ging ein Gefangener, den sie wie ein Maultier antrieben. Der Gefangene kam dicht an mir vorbei, und ich erinnere mich an die Worte dieses armen Bauern: «Ich bin ein Mensch, so wie ihr auch», und an die Antwort eines der Soldaten (den wir später als Korporal Basól identifizierten): «Halt's Maul und lauf, oder wir werden dir mit der Peitsche Beine machen.» Zu diesem Zeitpunkt glaubten wir, der Bauer werde außer Gefahr sein, wenn er sich nicht in der Kaserne aufhielte, und er werde im Augenblick des Angriffs den Kugeln entgehen; er wurde jedoch am folgenden Tag, als sie von dem Gefecht und seinem Ausgang hörten, in El
Macío auf brutale Weise ermordet. Wir bereiteten uns mit den zweiundzwanzig vorhandenen Waffen auf den Angriff vor. Dies war ein wichtiger Augenblick, denn wir hatten nur wenig Munition; wir mußten die Kaserne um jeden Preis nehmen, denn sonst würden wir alle unsere Munition verschossen haben und praktisch verteidigungsunfähig sein. Kamerad Leutnant Julito Díaz (der bei El Uvero heldenhaft fiel) und Camilo Cienfuegos, Benítez sowie Calixto Morales - alle mit halbautomatischen Gewehren bewaffnet - sollten das mit Palmstroh gedeckte Haus des Aufsehers vom äußersten rechten Flügel her umzingeln. Fidel, Universo Sánchez, Luis Crespo, Calixto García, Fajardo (jetzt Major) und ich würden von der Mitte her angreifen. Raúl mit seiner Gruppe und Almeida mit seinen Leuten standen zum Angriff von links bereit. Derart näherten wir uns langsam den Stellungen des Feindes, bis wir auf vierzig Meter herangekommen waren. Es war Vollmond. Mit zwei Feuerstößen aus dem Maschinengewehr begann Fidel das Gefecht; dann schossen wir mit allen verfügbaren Waffen. Sofort danach forderten wir die Soldaten zur Übergabe auf; aber wir hatten keinen Erfolg. In dem Augenblick, als die Schießerei begann, wurde Chicho Osorio, der Denunziant, der gemordet hatte, hingerichtet. Der Angriff begann um 2.40 Uhr morgens, und die Soldaten leisteten stärkeren Widerstand, als wir erwartet hatten. In dem Gebäude befand sich ein Sergeant mit einer M-1, und jedesmal, wenn wir sie aufforderten, sich zu ergeben, antwortete er mit einem Geschoßhagel. Wir erhielten den Befehl, unsere alten Handgranaten (des brasilianischen Typs) zu werfen; Luis Crespo warf seine und ich meine, aber keine von ihnen explodierte. Raúl Castro schleuderte Dynamit, aber auch dies hatte keine Wirkung. So mußten wir uns also noch näher heranarbeiten und die Häuser in Brand setzen, obgleich wir damit unser Leben riskierten. Universo Sánchez versuchte es zuerst, aber es mißlang ihm, auch Camilo Cienfuegos hatte kein Glück. Schließlich näherten sich Luis Crespo und ich dem Gebäude und steckten es in Brand. Im Licht der Flammen konnten wir erkennen, daß es nur ein Lagerhaus für Kokosnüsse war, das zu einer nahe gelegenen Kokospalmen-Plantage gehörte. Aber wir hatten die Soldaten schon so eingeschüchtert, daß sie den Kampf aufgaben. Einer von ihnen stieß auf der Flucht beinahe mit Luis Crespos Gewehr zusammen und erhielt einen Brustschuß. Luis nahm die Waffe des Soldaten an sich, und wir feuerten weiter auf das Haus. Camilo Cienfuegos schoß, hinter einem Baum in Deckung, auf den fliehenden Sergeanten, und verschoß seine paar Patronen. Die fast wehrlosen Soldaten wurden von unserem gnadenlosen Feuer in 23
Stücke gerissen. Camilo Cienfuegos war der erste, der das Haus betrat, und wir hörten Rufe, daß man sich ergeben wolle. Wir zählten schnell die Waffen, die uns in die Hände gefallen waren: acht Springfields, eine ThompsonMaschinenpistole und einige Tausend Schuß Munition; wir selbst hatten etwa fünfhundert Schuß abgefeuert. Außerdem erbeuteten wir Patronengürtel, Treibstoff, Messer, Kleidungsstücke und einige Nahrungsmittel. Es gab folgende Verluste: der Gegner verlor zwei Tote, fünf Verwundete und drei Gefangene. Einige, unter ihnen der erbärmliche Honorio, waren entkommen. Auf unserer Seite gab es nicht einmal eine Schramme. Wir steckten die Häuser der Soldaten in Brand und zogen uns zurück, nachdem wir die Verwundeten, so gut wir konnten, versorgt hatten. Es waren drei Schwerverletzte darunter, die später starben, wie wir nach dem endgültigen Sieg erfuhren. Wir ließen sie in der Obhut der gefangengenommenen Soldaten zurück. Einer der Soldaten schloß sich später den Truppen Major Raúl Castros an und wurde schließlich zum Leutnant befördert; er kam nach Kriegsende bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Unsere Haltung gegenüber den Verwundeten stand in krassem Gegensatz zu der, die die Armee zeigte. Die Armeeangehörigen ermordeten nicht nur unsere Verwundeten, sondern ließen auch die eigenen im Stich. Mit der Zeit hatte diese unterschiedliche Behandlung ihre Wirkung und war einer der Faktoren, die zu unserem Sieg beitrugen. Zu meinem Mißvergnügen befahl Fidel, alle unsere Medikamente bei den Gefangenen zu lassen, die die Verwundeten pflegen sollten; ich wollte eine Reserve für unsere kämpfende Truppe zurückbehalten. Wir befreiten auch die Zivilisten, und am 17. Januar um 4.30 Uhr morgens brachen wir nach Palma Mocha auf, wo wir bei Tagesanbruch ankamen und uns sofort nach den zerklüftetsten und unzugänglichsten Teilen der Sierra Maestra auf den Weg machten. Ein trauriger Anblick bot sich uns: am Tag zuvor hatten ein Unteroffizier und ein Aufseher allen Bauernfamilien der Gegend mitgeteilt, daß die Luftwaffe das ganze Gebiet bombardieren werde, und diese Bekanntmachung hatte einen Exodus an die Küste ausgelöst. Da zu diesem Zeitpunkt niemand von unserer Anwesenheit Kenntnis hatte, handelte es sich ganz offensichtlich um einen Schachzug der Aufseher und der Landgendarmerie, den guajiros ihr Land und ihren Besitz wegzunehmen. Aber ihre Lüge war mit unserem Angriff zusammengefallen, und nun eine Realität geworden, so daß sich jetzt wirklich Furcht und Schrecken verbreiteten und es unmöglich war, den Auszug der Bauern abzustoppen. Dies war das erste siegreiche Gefecht der Rebellenarmee. Nur hier und bei dem folgenden bewaffneten Zusammenstoß ergab es sich, daß unserer Truppe
mehr Waffen als Männer zur Verfügung standen. Die Bauern waren noch nicht bereit, sich dem Kampf anzuschließen, und eine Verbindung zu den Stützpunkten in den Städten gab es praktisch nicht.
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Das Gefecht von El Arroyo del Infierno El Arroyo del Infierno (Höllenflüßchen) ist ein schmaler seichter Fluß, der in den Palma Mocha mündet. Als wir, vom Palma Mocha entfernt, den Höllenfluß entlangmarschierten und die Abhänge der benachbarten Hügel hinaufkletterten, erreichten wir ein kleines Tal, wo wir auf zwei bohíos (Bauernhütten) stießen. Hier schlugen wir ein Lager auf, obgleich wir die Hütten natürlich nicht benutzten. Fidel war überzeugt, daß die Armee uns verfolgen und uns wahrscheinlich auch finden werde. Bei dieser Überlegung plante er einen Hinterhalt, und wir hofften, daß wir dabei einige feindliche Soldaten gefangennehmen könnten. Zu diesem Zweck stellte er unsere Leute auf. Fidel kontrollierte unsere Postenkette gründlich und überprüfte unsere Verteidigungsstellungen immer und immer wieder. Am Morgen des 19. Januar musterten wir die Truppen, als es zu einem Zwischenfall kam, der ernste Folgen hätte haben können. Als Trophäe des Gefechts von La Plata hatte ich die Mütze eines Unteroffiziers an mich genommen und trug sie mit großem Stolz; aber als ich die Soldaten inspizierte und dabei mitten durch den Wald ging, hörten uns die Vorposten von weitem kommen und sahen die Gruppe, die von jemandem mit einer Armeemütze geführt wurde. Glücklicherweise waren sie in diesem Augenblick gerade beim Waffenreinigen, und nur das Gewehr von Camilo Cienfuegos war schußbereit. Er eröffnete das Feuer auf uns und erkannte sofort seinen Irrtum. Sein erster Schuß ging fehl, und dann hatte sein automatisches Gewehr Ladehemmung, so daß er nicht weiterschießen konnte. Dieser Zwischenfall war symptomatisch dafür, in welcher Spannung wir uns befanden, aus der uns der Beginn des Gefechts erlösen würde. In solchen Zeiten spüren selbst diejenigen, die Nerven aus Stahl besitzen, ein gewisses leichtes Zittern in den Knien, und jeder sehnt sich danach, daß jener strahlende Augenblick anbricht und die Schlacht beginnt. Allerdings wollte niemand von uns den Kampf; wir kämpften, weil es notwendig war. In der Morgendämmerung des 22. Januar hörten wir aus der Richtung des Palma Mocha-Flusses einige vereinzelte Schüsse, und dies zwang uns, noch strengere Disziplin in unseren Reihen zu wahren, noch vorsichtiger zu sein und auf das jetzt unmittelbar bevorstehende Erscheinen des Feindes zu warten. Da wir annahmen, daß die Soldaten des Gegners schon ganz in der Nähe waren, machten wir kein Feuer, weder um das Frühstück noch um das Mittagessen zu bereiten. Einige Zeit zuvor hatten Crespo und ich ein paar Hühnereier gefunden; wir rationierten sie und ließen eines davon zurück, so daß die
Henne weiterlegen konnte. An jenem Tag entschied Crespo wegen der Schüsse, die wir in der Nacht gehört hatten, daß wir das letzte Ei verzehren sollten; und so geschah es. Mittags sahen wir in einer der bohíos eine menschliche Gestalt. Zuerst nahmen wir an, einer unserer Kameraden habe den Befehl mißachtet, nicht in die Nähe der Häuser zu gehen. Dann jedoch stellte sich heraus, daß es ein feindlicher Soldat war. Danach erschienen etwa sechs andere; einige verschwanden wieder, drei blieben sichtbar. Wir sahen, daß der Soldat, der die Wache hatte, um sich schaute, ein paar Pflanzen ausriß und sie sich als Versuch der Tarnung hinter die Ohren steckte. Dann saß er ruhig im Schatten, sein Gesicht, das durch den Feldstecher klar erkennbar war, zeigte keine Furcht. Der Schuß, den Fidel zur Eröffnung des Gefechts abfeuerte, erschütterte ihn; er konnte nur noch einen Ruf ausstoßen, so etwas wie «Ay, mi madre!», dann fiel er tot zu Boden. Der Schußwechsel verstärkte sich, und die beiden Gefährten des Soldaten fielen ebenfalls. Plötzlich bemerkte ich, daß sich in der näher gelegenen bohío noch ein anderer Soldat aufhielt, der versuchte, vor unserem Feuer in Deckung zu gehen. Von meinem höher gelegenen Standort aus waren nur seine Beine zu sehen, da das Dach der Hütte seinen Körper verdeckte. Ich feuerte auf ihn und verfehlte mein Ziel; der zweite Schuß traf den Mann direkt in die Brust, er sank um, und sein Gewehr blieb mit dem Bajonett im Boden stecken. Crespo gab mir Deckung, und ich erreichte das Haus, wo ich die Leiche liegen sah; ich nahm die Patronen des Toten, sein Gewehr und ein paar andere Dinge. Die Kugel hatte ihn mitten in die Brust getroffen, wahrscheinlich war sie in sein Herz gedrungen, und der Tod war auf der Stelle eingetreten; er zeigte schon die ersten Zeichen des rigor mortis, vielleicht als Folge der Erschöpfung von dem Marsch, den er an seinem letzten Tage unternommen hatte. Das Gefecht war außerordentlich heftig, und bald liefen wir alle in Dekkung, nachdem unser Plan erfolgreich verwirklicht worden war. Als wir Inventur machten, stellten wir fest, daß wir etwa neunhundert Patronen verschossen und siebzig aus einem erbeuteten Patronenkasten dazubekommen hatten. Wir hatten auch ein Gewehr, Modell Garand, erbeutet, das Major Efigenio Ameijeiras erhielt, der es lange Zeit benutzte. Wir zählten auf der Seite des Feindes vier Tote, aber Monate später erfuhren wir, als wir einen Denunzianten gefangennahmen, daß tatsächlich fünf Soldaten gefallen waren. Es war kein totaler Sieg, aber auch kein Pyrrhussieg. Wir hatten unsere Kräfte in einer neuen Situation gegen den Feind erprobt, und wir hatten die Probe bestanden. Dies hob unsere Stimmung beträchtlich und befähigte uns, den ganzen Tag hindurch mühsam zu den unzugänglichsten Stellen hinaufzuklettern, um der 25
Verfolgung durch stärkere feindliche Kräfte zu entgehen. Auf diese Weise erreichten wir die andere Seite des Berges. Wir gingen parallel zu den Truppen Batistas, die sich ebenfalls zurückzogen, wobei beide Gruppen dieselben Berggipfel überquerten, um die andere Seite zu erreichen. Zwei Tage lang marschierten unsere Soldaten und die des Feindes, ohne es zu bemerken, beinahe Seite an Seite. Einmal schliefen wir in einer bohío, die vom Feind nur durch einen kleinen Fluß und ein paar Straßenkrümmungen getrennt war. Der Leutnant, der die feindliche Patrouille kommandierte, war Sanchez Mosquera, dessen Name wegen seines Plünderns und Mordens in der ganzen Sierra Maestra verrufen war. Es ist wert, erwähnt zu werden, daß die Schüsse, die wir mehrere Stunden vor dem Gefecht gehört hatten, einen Bauern haitianischer Abstammung getötet hatten, der sich geweigert hatte, die Soldaten zu unserem Versteck zu fuhren. Wenn sie diesen Mord nicht begangen hätten, würden sie uns nicht alarmiert und ihres Kommens gewärtig angetroffen haben. Wieder hatten wir viel zuviel zu schleppen; viele von uns trugen zwei Gewehre. Unter diesen Umständen fiel der Marsch nicht leicht, aber es gab ganz offensichtlich andere Antriebskräfte als solche persönlicher Art, die uns vorwärtszwangen, Kräfte, die verschieden von jenen waren, die nach der Katastrophe von Alegría de Pío auf uns einwirkten. Vor wenigen Tagen hatten wir eine kleinere Gruppe besiegt, die sich in Gebäuden verschanzt hatte; jetzt hatten wir einer Kolonne auf dem Marsch eine Niederlage bereitet, die unseren Kräften zahlenmäßig überlegen war, und wir alle begriffen die Bedeutung dieser Art von Gefecht, wodurch die Vorhut ausgeschaltet wird, denn ohne Vorhut ist eine Armee gelähmt.
Luftangriff Nach dem Sieg über die Streitkräfte Sánchez Mosqueras' waren wir an den Ufern des La Plata-Flusses entlanggezogen. Später, als wir den MagdalenaFluß überquerten, waren wir in den uns schon bekannten Bezirk von Caracas zurückgekehrt. Aber diesmal war die Atmosphäre dort eine andere: als wir uns das erste Mal dort verborgen hielten, hatten uns alle Leute unterstützt. Jetzt waren Casillas' Truppen durchgezogen und hatten im ganzen Gebiet Terror verbreitet. Die Bauern waren verschwunden, sie hatten nur ihre leeren Hütten und ein paar Tiere zurückgelassen, die wir töteten und aßen. Die Erfahrung hatte uns gelehrt, daß es nicht sicher war, sich länger in den Häusern aufzuhalten, so kehrten wir, nachdem wir die Nacht in einer der abgelegenen Hütten verbracht hatten, in die Wälder zurück und schlugen unser Lager neben einem kleinen Wasserfall fast auf der Spitze des Caracas-Hügels auf. Manuel Fajardo kam zu mir und fragte mich, ob es möglich sei, daß wir den Krieg verlieren. Meine Antwort war, ganz unabhängig von der Euphorie unseres letzten Sieges, stets die gleiche: der Krieg werde unbestreitbar gewonnen werden. Er erklärte auch, warum er mich gefragt hatte: «Gallego» Morán habe behauptet, es sei nicht mehr möglich, den Krieg zu gewinnen, wir seien verloren, und er habe dann Fajardo aufgefordert, die Truppe zu verlassen. Ich unterrichtete Fidel von dem Vorfall, aber er sagte mir, daß Morán, sehr vernünftig, ihm bereits erzählt habe, daß er insgeheim die Moral der Truppe überprüfe. Wir stimmten überein, daß dies nicht die wirkungsvollste Art sei, und Fidel hielt eine kurze Ansprache, in der er größere Disziplin forderte und die Gefahren erläuterte, die entstehen könnten, wenn die Disziplin vernachlässigt würde. Er gab auch bekannt, daß drei Verbrechen mit dem Tode bestraft würden: Ungehorsam, Desertion und Defätismus. Unsere Situation war in jenen Tagen nicht rosig. Unserer Truppe fehlte es an Zusammenhalt. Sie hatte weder den Geist, der aus der Erfahrung des Krieges kommt, noch ein klares ideologisches Bewußtsein. Einmal verließ uns dieser Kamerad, einmal jener. Viele ersuchten darum, in der Stadt eingesetzt zu werden, wo es manchmal noch viel gefährlicher war, aber solche Missionen bedeuteten eine Flucht aus den rauhen Bedingungen auf dem Lande. Dennoch wurde unsere Kampagne fortgesetzt; Morán legte eine unermüdliche Aktivität an den Tag, indem er nach Nahrungsmitteln Ausschau hielt und Kontakte zu den Bauern des Gebiets herstellte. So waren wir also am Morgen des 30. Januar beschaffen. Eutimio Guerra, der Verräter, hatte um die Erlaubnis ersucht, seine kranke Mutter zu besuchen, und Fidel hatte sie gewährt und ihm auch für die Fahrt etwas Geld gegeben. 26
Nach den Angaben Eutimios sollte die Reise mehrere Wochen dauern. Wir hatten noch nicht die Bedeutung einiger Zwischenfälle erkannt, deren Bedeutung uns später durch das folgende Benehmen dieses Mannes klar wurde. Als er wieder zu unserer Truppe stieß, sagte Eutimio, er habe schon beinahe Palma Mocha erreicht gehabt, als er erfahren habe, daß die Regierungsstreitkräfte auf unserer Spur waren. Er habe versucht, uns zu warnen, aber er habe nur die Leichen der Soldaten in der bohío gefunden, die Delfín gehörte, einem der guajiros, auf dessen Grund und Boden das Gefecht von El Arroyo del Infierno stattgefunden hatte. Eutimio war unserem Weg über die Siestra gefolgt, bis er uns schließlich gefunden hatte. Aber in Wirklichkeit war er gefangengenommen worden und arbeitete jetzt als Agent des Feindes; er war mit Geld und einem militärischen Dienstgrad für den Fall bestochen worden, daß er Fidel ermorde. Als Teil dieses Planes hatte Eutimio das Lager am Tage zuvor verlassen, und am Morgen des 30. Januar, nach einer kalten Nacht, hörten wir, als wir gerade aufstanden, das Dröhnen von Flugzeugen, die wir nicht genau ausmachen konnten, da wir uns im dichten Unterholz befanden. Unsere Kochstelle befand sich etwa zweihundert Meter unter uns in der Nähe einer kleinen Quelle, an derselben Stelle wie die vorgeschobenen Posten. Plötzlich hörten wir, wie ein Bomber zu uns herunterstieß, das Geratter von Maschinengewehrfeuer und dann die Detonation der Bomben. Damals hatten wir noch sehr wenig Erfahrung, und es schien uns, als hörten wir von allen Seiten Schüsse. Geschosse vom Kaliber fünfzig explodierten beim Aufschlag, und obgleich das, was wir hörten, Maschinengewehrfeuer aus der Luft war, schien es uns, daß die Geschosse, die in unserer Nähe einschlugen, aus dem Wald kämen. Durch diesen falschen Eindruck nahmen wir an, daß wir vom Boden aus angegriffen würden. Ich erhielt die Anweisung, auf den Vorposten zu warten und einige der Ausrüstungsgegenstände einzusammeln, die wir während des Luftangriffs im Stich gelassen hatten. Ich sollte den Rest der Truppe bei La Cueva del Humo treffen. Chao begleitete mich, der Veteran aus dem spanischen Bürgerkrieg. Eine Weile warteten wir auf einige der vermißten Männer, aber niemand kam. Es war schwierig, unserer Marschkolonne zu folgen, denn ihre Spuren waren nicht allzu klar erkennbar, und wir beide hatten schwer zu schleppen. Wir kamen zu einer Lichtung und beschlossen, eine Rast einzulegen. Nach einiger Zeit hörten wir Geräusche und sahen, daß sich etwas bewegte. Auch Guillermo García (heute Major) und Sergio Acuña, beide gehörten dem vorgeschobenen Posten an, folgten der Kolonne. Nach einigem Hin und Her kehrten
Guillermo Garcia und ich zum Lager zurück, um festzustellen, was dort geschah, denn wir hörten nichts mehr: die Flugzeuge waren verschwunden. Ein trostloser Anblick bot sich uns: mit einer seltsamen Präzision, die sich während des Krieges glücklicherweise nicht wiederholte, war unsere Kochstelle angegriffen worden. Der Herd war durch Maschinengewehrfeuer in Stücke geschlagen, und eine Bombe war genau in der Mitte des Lagers unseres vorgeschobenen Postens explodiert, aber naturgemäß sahen wir dort niemanden. Morán und ein Kamerad waren auf Spähtrupp gegangen; Morán kehrte allein zurück und berichtete, er habe die Flugzeuge von weitem gesehen, insgesamt fünf Maschinen, und es gäbe keine Bodentruppen in der Nähe. Schwer beladen setzten wir fünf unseren Marsch fort, vorbei an dem traurigen Anblick ausgebrannter bohíos, die unseren Freunden gehörten. Die einzigen zurückgebliebenen Lebewesen waren eine Katze, die uns anblickte und kläglich miaute, und ein Schwein, das grunzend herauskam, als es uns vorbeikommen hörte. Wir hatten von La Cueva del Humo gehört, wußten aber nicht genau, wo es lag. So verbrachten wir die Nacht in Ungewißheit, warteten darauf, unsere Kameraden zu treffen, fürchteten jedoch, statt dessen dem Feind zu begegnen. Am 31. Januar bezogen wir auf einem Hügel unsere Stellungen, von dem aus einige bebaute Felder zu überblicken waren. Wir glaubten, wir seien schon in der Nähe von La Cueva del Humo und stellten einige Erkundungen an, ohne etwas zu finden. Sergio, einer von uns fünf, glaubte, er erkenne zwei Männer in Baseballmützen, aber er sagte es uns nicht sofort, und so konnten wir sie nicht einholen. Dann gingen wir mit Guillermo, um das Tal in der Nähe des Flusses Ají zu erkunden, wo ein Freund von Guillermo uns etwas zu essen gab, aber alle Leute, die wir trafen, waren sehr verschreckt und ängstlich. Der Freund berichtete uns, daß alle Waren, die Ciro Frías in seinem Laden hatte, von der Gendarmerie weggenommen und verbrannt worden waren; die Maultiere waren beschlagnahmt und der Maultiertreiber getötet worden. Ciro Frías' Laden wurde dann niedergebrannt und seine Frau als Gefangene mitgeschleppt. Die Soldaten, die am Morgen hier durchgekommen waren, standen unter dem Befehl von Major Casillas, der irgendwo in der Nähe des Hauses übernachtet hatte. Am 1. Februar blieben wir in unserem kleinen Lager - praktisch unter freiem Himmel - und ruhten uns von dem anstrengenden Marsch des Vortages aus. Um elf Uhr vormittags hörten wir Gewehrfeuer auf der anderen Seite des Hügels, und bald danach, schon viel näher bei uns, vernahmen wir die herzzerreißenden Schreie irgendeines Mannes, der um Hilfe rief. In diesem Augenblick verlor Sergio Acuña die Nerven. Ruhig ließ er seinen Patronengürtel 27
und sein Gewehr zurück und verließ den Wachtposten, den er kommandierte. Ich notierte in mein Feldtagebuch, daß er einen Strohhut, eine Büchse Kondensmilch und drei Würstchen mitgenommen hatte. Damals tat es uns um die Büchse Milch und die Würstchen sehr leid. Ein paar Stunden später hörten wir ein Geräusch und waren auf einen Angriff vorbereitet, da wir nicht wußten, ob uns der Deserteur verraten hatte oder nicht. Aber es erschienen Crescendo mit einer langen Kolonne fast aller unserer Männer und auch einige Neue von Manzanillo unter der Führung von Roberto Pesant. Von unseren Leuten fehlten: Sergio Acuña, der Deserteur, und die Kameraden Calixto Morales, Calixto Garcia und Manuel Acuña; auch ein neuer Rekrut wurde vermißt. Wieder stiegen wir zum Tal des Ají herab, und auf dem Weg wurden einige der Nachschubgüter von Manzanillo verteilt, darunter ein Kasten mit chirurgischen Instrumenten für mich und Kleidungsstücke für alle. Besonders gerührt waren wir, daß wir Kleidungsstücke mit Initialen anziehen konnten, die von den Mädchen von Manzanillo hineingestickt worden waren. Am nächsten Tag, dem 2. Februar, waren wir - zwei Monate nach der Landung der Granma — eine wiedervereinigte, in sich geschlossene Kampfgruppe; zehn weitere Männer aus Manzanillo hatten sich uns angeschlossen, und wir fühlten uns stärker und in besserer Stimmung als je zuvor. Wir hatten viele Diskussionen darüber, wie der Überraschungsangriff und der Luftangriff zustande gekommen sein konnten, und wir stimmten alle darin überein, daß die Flugzeuge durch unser Abkochen am Tage, durch den Rauch des Feuers, zu unserem Lager geleitet worden waren. Viele Monate lang und vielleicht für die Dauer des ganzen Krieges wirkte die Erinnerung an jenen Überraschungsangriff bei unseren Soldaten nach, und bis zuletzt wurde tagsüber kein offenes Feuer angezündet, weil wir stets irgendwelche unangenehmen Folgen fürchteten. Wir hätten es für undenkbar gehalten, und ich glaube, es ist niemand auf die Idee gekommen, daß Eutimio Guerra, der Verräter und Denunziant, in dem Aufklärungsflugzeug gewesen war und Casillas den Platz gezeigt hatte, wo wir uns aufhielten. Die Krankheit seiner Mutter war ein Vorwand gewesen, uns zu verlassen und nach Casillas, dem Mörder, Ausschau zu halten. Noch einige Zeit nach diesem Vorfall spielte Eutimio eine wichtige Rolle, die die Entwicklung unseres Befreiungskrieges nachteilig beeinflußte.
Überraschungsangriff in den Altos de Espinosa Nach dem überraschenden Luftangriff verließen wir den Hügel von Caracas und versuchten, in bekanntere Gegenden zurückzukehren, von wo wir einen direkten Kontakt mit Manzanillo herstellen, mehr Hilfe von außerhalb erhalten und einen besseren Überblick über die Lage im übrigen Land gewinnen konnten. Aus diesem Grunde überquerten wir den Ají und kehrten durch ein Gebiet zurück, das uns allen bekannt war, bis wir das Haus des alten Mendoza erreichten. Auf dem Kamm der Hügel mußten wir uns unseren Weg mit Macheten freischlagen, wir benutzten Pfade, auf denen seit vielen Jahren kein Mensch mehr gegangen war, und wir kamen nur sehr langsam vorwärts. Wir verbrachten die Nacht auf einem dieser Hügel, praktisch ohne etwas gegessen zu haben. Ich erinnere mich noch heute daran, als ob es eines der großen Bankette meines Lebens gewesen sei, als Crespo mit einer Büchse ankam, in der vier Würstchen aus Schweinefleisch waren. Das war ein Ergebnis seiner früheren Sparsamkeit, und er meinte, sie seien für seine Freunde bestimmt. Crespo, Fidel und ich delektierten uns zusammen mit einem vierten an dieser mageren Ration wie an einem prächtigen Festmahl. Wir marschierten weiter, bis wir rechts vom Caracas-Hügel das Haus erreichten, wo uns der alte Mendoza etwas zu essen bereiten sollte. Trotz seiner Furcht ließ ihn seine Bauernloyalität uns jedesmal begrüßen, wenn wir an diesem Ort vorbeikamen. Seine Haltung entsprang einer Freundschaft, die ihn mit Crescendo Pérez und den anderen Bauern in unserer Truppe verband. Für mich war der Marsch besonders schmerzvoll, denn ich litt an einem Malariaanfall. Es war Crespo und jener unvergeßliche Kamerad Julio Zenón Acosta, die mir dabei halfen, diesen qualvollen Marsch durchzustehen. Wenn wir eine kleine Ansiedlung erreichten, schliefen wir niemals in den bohíos; aber mein schlechter Gesundheitszustand und der von Morán, der immer eine Entschuldigung fand, wenn es galt, krank zu werden, machten es notwendig, daß wir unter einem Dach schliefen, während die übrigen in der Umgebung Wache hielten und nur in die Hütte kamen, um etwas zu essen. Wir waren gezwungen, unsere Truppe zu verringern; denn es gab eine Gruppe Männer, deren Kampfgeist sehr zu wünschen übrigließ, und ein oder zwei Schwerverwundete; zu den letzteren zählten der gegenwärtige Innenminister Ramiro Valdés und Ignacio Pérez, ein Sohn von Crescencio, der später, als Hauptmann, heldenhaft ums Leben kam. Ramirito hatte eine schlimme Wunde am Knie, das schon bei den Moncada-Kasernen getroffen worden war; so mußten wir ihn zurücklassen. Ein paar andere verließen uns, was indessen 28
für die Truppe nur von Vorteil war. Ich erinnere mich, wie einer von ihnen dort in der Einsamkeit der Berge und der Guerilla einen Nervenzusammenbruch erlitt. Er begann laut zu schreien, daß man ihm ein Lager mit reichlichem Essen und Flugabwehreinrichtungen versprochen habe und daß ihn nun die Flugzeuge behelligten und er weder ein ständiges Quartier noch etwas zu essen und nicht einmal Wasser zum Trinken besäße. Dies war mehr oder weniger die Ansicht der neuen Guerilleros. Später gewöhnten sich diejenigen, die die ersten Proben überstanden und blieben, an den Schmutz, den Mangel an Wasser und Nahrung, an das fehlende Dach über dem Kopf und die mangelnde Sicherheit, und sie verließen sich allmählich allein auf das Gewehr, auf den Zusammenhalt und den Widerstand dieses kleinen Kerns der Guerillatruppe. Ciro Frías kam mit einigen neuen Rekruten; er brachte Neuigkeiten, die uns heute lächeln machen, die uns aber damals in Verwirrung stürzten: die Nachricht, daß Díaz Tamayo dabei war, das Lager zu wechseln und sich mit den revolutionären Kräften «einzulassen»; die Nachricht, daß Faustino viele Tausende von Peso zusammenbekommen hatte -kurz gesagt, daß Sabotage im Land um sich griff und daß für die Regierung der Tag des Chaos näherrückte. Außerdem vernahmen wir eine traurige, aber lehrreiche Neuigkeit: Sergio Acuña, der Deserteur, war zu irgendwelchen Verwandten gegangen. Dort begann er sich bei seinen Vettern mit seinen Taten als Guerillero zu brüsten; ein gewisser Pedro Herrera hörte zu und denunzierte ihn bei der Guardia Rural. Dann erschien der berüchtigte Korporal Roselló (er wurde später vom Volk der Gerechtigkeit übergeben), folterte ihn, erschoß ihn und hängte ihn scheinbar auf. Damit war unseren Männern klar bewiesen, wie wichtig die Geschlossenheit und wie nutzlos der Versuch war, als einzelner dem kollektiven Schicksal zu entfliehen. Für uns wurde es aber auch notwendig, den Lagerplatz zu wechseln, denn wahrscheinlich hatte Sergio etwas gestanden, ehe man ihn ermordete, und er wußte, daß wir uns in Florentinos Haus aufhielten. Damals trug sich noch ein seltsamer Vorfall zu, und erst später, als wir alle Einzelheiten wußten, wurden uns die Zusammenhänge klar: Eutimio Guerra erzählte uns, er habe von Sergio Acuñas Tod geträumt, und nicht nur das, er habe auch geträumt, daß Korporal Roselló ihn getötet habe. Dies löste eine lange philosophische Diskussion darüber aus, ob eine Voraussage kommender Dinge durch Träume möglich sei oder nicht. Es gehörte zu meinen alltäglichen Aufgaben, den Männern Dinge von kultureller oder politischer Bedeutung zu erklären, und ich setzte ihnen mit Bestimmtheit auseinander, daß dies nicht möglich sei, daß es irgendein besonderer Zufall sein könnte, daß wir alle
angenommen hätten, Sergio Acuña könnte auf diese Weise enden, und daß es Roselló war, der zu jenem Zeitpunkt das betreffende Gebiet heimsuchte. Darüber hinaus gab Universo Sánchez einen Anhaltspunkt, indem er feststellte, daß Eutimio ein «Geschichtenerzähler» sei, und daß ihm irgend jemand am Vortag davon erzählt haben mußte, als er sich außerhalb des Lagers aufhielt, um ein paar Dinge zu beschaffen. Einer der Männer, die äußerst heftig auf der Theorie der Eingebung beharrten, war ein analphabetischer guajiro von 45 Jahren, dessen Namen ich schon erwähnt habe: Julio Zenón Acosta. Er war mein erster Schüler in der Sierra; ich lehrte ihn lesen und schreiben, und jedesmal, wenn wir eine Marschpause hatten, brachte ich ihm ein paar Buchstaben bei. Damals nahmen wir gerade die Vokale durch. Mit großer Entschlossenheit, indem er vorwärts und nicht rückwärts schaute, hatte sich Julio Zenón die Aufgabe gestellt, lesen und schreiben zu lernen. Vielleicht könnte sein Beispiel heute vielen Bauern von Nutzen sein, seinen Kameraden der Kriegszeit oder jenen, die seine Geschichte kennen. Denn Julio Zenón Acosta war einer von denen, die unsere Sache damals mit großer Intensität unterstützten; er war unermüdlich tätig, mit der Gegend gut vertraut und stets bereit, einem Kameraden, der sich in Schwierigkeiten befand, zu helfen, oder einem Kameraden aus der Stadt beizustehen, der noch nicht genügend Kraft oder Ausdauer besaß, sich aus einer heiklen Lage zu befreien. Er war es, der Wasser aus weit entfernten Wasserstellen herbeiholte, der schnell ein Feuer anmachen konnte und der selbst an einem Regentag trockenes Anmachholz auftrieb. Er war in der Tat unser Hans Dampf in allen Gassen. Eines Nachts, kurz ehe sein Treuebruch bekannt wurde, beklagte sich Eutimio, daß er keine Decke habe, und er bat Fidel, ihm eine zu leihen. Es war im Februar sehr kalt in den Bergen. Fidel antwortete, daß sie beide frieren würden, wenn er Eutimio seine Decke gäbe. Er schlug vor, daß sie unter derselben Decke und unter den beiden Mänteln Fidels schlafen sollten. So verbrachte Eutimio Guerra die ganze Nacht ganz nahe bei Fidel; er hatte eine 45er Pistole bei sich, mit der er Fidel töten sollte, und ein paar Handgranaten, die dazu bestimmt waren, seinen Rückzug vom Kamm des Hügels zu decken. Er fragte Universo Sánchez und mich (damals hielten wir uns stets in Fidels Nähe auf) nach unseren Wachen. Er sagte: «Ich bin an den Wachen sehr interessiert. Wir müssen wirklich vorsichtig sein.» Wir sagten ihm, daß drei Männer in der Nähe postiert seien; wir selbst, Veteranen der Granma und rechte Hand Fidels, lösten uns die ganze Nacht hindurch ab, um ihn persönlich zu schützen. So verbrachte Eutimio die Nacht neben dem Führer der Revolution; mit einer Pistole hielt er Fidels Leben in der Hand und wartete auf 29
die Gelegenheit, ihn zu ermorden. Aber er konnte sich nicht dazu durchringen. In jener Nacht hing ein großer Teil der kubanischen Revolution von den undurchschaubaren und verwickelten Gedankengängen eines Mannes ab, davon, ob sich Mut und Furcht, Schrecken und, vielleicht, Skrupel das Gleichgewicht hielten, von der Gier eines Verräters nach Macht und Reichtum. Zum Glück für uns waren Eutimios Hemmungen stärker, und der Tag brach an, ohne daß er seinen Vorsatz ausgeführt hatte. Wir hatten Florentinos Haus verlassen und unser Lager in einer Schlucht in einem trockenen Flußbett aufgeschlagen. Ciro Frías war nach Hause gegangen; er wohnte relativ nahe und brachte einige Hennen und andere Nahrungsmittel mit, so daß die lange, ohne Schutz verbrachte Nacht am Morgen mit heißer Hühnerbrühe kompensiert werden konnte. Jemand brachte die Nachricht, daß auch Eutimio in der Nähe gewesen sei; Eutimio kam und ging, denn jeder vertraute ihm. Er hatte uns in Florentinos Haus gefunden und erläuterte, daß er, nachdem er gegangen war, um nach seiner kranken Mutter zu sehen, festgestellt habe, was bei Caracas geschehen war. Dann sei er uns gefolgt, um zu sehen, was sonst noch passiert sei. Er berichtete auch, daß es seiner Mutter nun wieder gut gehe. Manchmal wagte er sich besonders weit vor; wir befanden uns an einem Ort namens Altos de Espinosa, ganz in der Nähe einer Kette von Hügeln — El Lomón, Loma del Burro und Caracas -, die von den Flugzeugen ständig beschossen wurden. Mit der Gewichtigkeit eines Orakels erklärte Eutimio: «Heute werden sie den Loma del Burro beschießen.» Die Flugzeuge beschossen tatsächlich den Loma del Burro, und Eutimio sprang hoch vor Freude und frohlockte über seine kühne Prophezeiung. Am 9. Februar 1957 machten sich Ciro Frías und Luis Crespo wie üblich auf den Weg, um nach Nahrungsmitteln Ausschau zu halten, und alles war ruhig. Um zehn Uhr vormittags machte Labrada, ein junger Bauer, der vor kurzem als Rekrut eingestellt worden war, in der Nähe einen Gefangenen. Es stellte sich heraus, daß es ein Verwalter von Crescendo war, der im Laden von Celestino arbeitete, wo Casillas' Soldaten stationiert waren. Er berichtete uns, daß sich 140 Soldaten in dem Haus befänden. Tatsächlich konnten wir sie von unserer Position aus in der Ferne auf einer Lichtung sehen. Weiter hieß es in den Aussagen des Gefangenen, er habe mit Eutimio gesprochen und dieser habe ihm gesagt, daß das Gebiet am folgenden Tag bombardiert werde. Casillas' Truppen seien abgezogen, aber er konnte nicht sagen, in welche Richtung. Fidel wurde mißtrauisch; schließlich war uns Eutimios seltsames Benehmen aufgefallen, und wir begannen, Vermutungen anzustellen. Um 1.30 Uhr nachmittags beschloß Fidel, das Lager abzubrechen, und wir kletterten auf den höchsten Punkt des Hügels, wo wir auf unsere Kundschafter
warteten. Bald trafen Ciro Frías und Luis Crespo ein; sie hatten nichts Ungewöhnliches bemerkt. Wir sprachen gerade darüber, als Ciro Redondo meinte, einen Schatten zu sehen, der sich bewegte. Er befahl Ruhe und hob sein Gewehr in Anschlag. In diesem Augenblick hörten wir einen Schuß und dann noch einen. Sofort war die Luft voll von Schüssen und Explosionen, die durch den Angriff ausgelöst wurden, der sich auf unser früheres Lager konzentrierte. Das neue Lager leerte sich schnell. Später stellte ich fest, daß Julio Zenón Acosta oben auf dem Hügel gefallen war. Dieser ungebildete und analphabetische guajiro, der die gewaltigen Aufgaben erkannt hatte, denen sich die Revolution nach ihrem Siege gegenübersehen würde, und der das Alphabet lernte, um sich darauf vorzubereiten, würde diese Aufgaben niemals vollenden. Wir übrigen rannten fort. Ich mußte meinen Tornister zurücklassen, meinen Stolz und meine Freude, der voll war mit Medikamenten, mit Büchern und Decken, aber ich raffte eilends eine Decke an mich, die ich beim La Plata als Trophäe von der Batista-Armee erbeutet hatte, und lief, so schnell ich konnte. Bald traf ich eine Gruppe unserer Männer: Almeida, Julito Díaz, Universo Sánchez, Camilo Cienfuegos, Guillermo García, Ciro Frías, Motolá, Pesant, Emilio Labrada und Yayo. Wir folgten einem gewundenen Pfad, versuchten, den Schüssen zu entgehen, und wußten nicht, was mit unseren anderen Kameraden geschehen war. Wir hörten hinter uns vereinzelte Detonationen; es war leicht, uns zu folgen, da wir so schnell die Flucht ergriffen, daß es unmöglich war, unsere Spuren zu beseitigen. Um 5.15 Uhr nachmittags, nach meiner Uhr, erreichten wir eine schroffe felsige Stelle, wo der Wald zu Ende war; nach einigem Hinundher-überlegen beschlossen wir, es sei besser, an dieser Stelle den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten, denn wenn wir die Lichtung bei Tageslicht überquerten, würde man uns entdecken. Wenn der Feind uns aber folgte, so hatten wir hier eine gute Verteidigungsstellung. Aber der Feind tauchte nicht auf, und wir konnten unseren Weg fortsetzen, unsicher geführt von Ciro Frías, der die Gegend nur vage kannte. Jemand hatte den Vorschlag gemacht, unsere Gruppe sollte sich in zwei Abteilungen aufteilen, damit wir leichter vorwärts kämen und weniger Spuren hinterließen. Aber Almeida und ich waren dagegen, denn wir wollten unsere Gruppe zusammenhalten. Wir stellten unseren Standort fest; es war ein Platz namens Limones, und nach einigem Zögern - denn einige von uns wollten weiter - befahl Almeida, der als Hauptmann die Gruppe führte, den Marsch nach El Lomón fortzusetzen. Diesen Ort hatte Fidel zu unserem Treffpunkt bestimmt. Einige der Männer meinten, daß El Lomón Eutimio bekannt sein könnte, und daß uns die Armee deshalb dort vielleicht schon erwartete. Natürlich zweifelten wir nun nicht 30
länger daran, daß Eutimio ein Verräter war, aber Almeida hatte den Entschluß gefaßt, sich an den Befehl Fidels zu halten. Nach drei Tagen der Trennung trafen wir am 12. Februar in der Nähe von El Lomón an einem Ort namens Derecha de la Caridad wieder mit Fidel zusammen. Dort erhielten wir die Bestätigung, daß Eutimio Guerra ein Verräter war, und nun erfuhren wir die vollständige Geschichte. Sie begann nach dem Gefecht von La Plata, als er von Casillas gefangengenommen wurde, und als man ihm, anstatt ihn zu töten, einen bestimmten Geldbetrag anbot, falls er Fidel ermordete; wir erfuhren, daß er es gewesen war, der unsere Stellung in Caracas preisgegeben hatte, und daß er auch den Befehl gegeben hatte, den Loma del Burro anzugreifen, da diese Hügelkette auf unserer ursprünglich festgesetzten Route lag. (Wir hatten unseren Plan erst in letzter Minute geändert.) Er hatte auch den Angriff auf die enge Schlucht organisiert, in der wir im Canon del Arroyo Zuflucht gefunden hatten und von der aus wir uns mit nur einem Mann Ausfall retten konnten, weil Fidel rechtzeitig den Befehl zum Rückzug gegeben hatte. Auch der Tod von Julio Acosta wurde uns bestätigt; zumindest ein Gendarm war getötet worden, und einige waren verwundet. Ich muß gestehen, daß es nicht mein Gewehr war, durch das dieser Gegner getötet oder ein anderer verwundet wurde, denn ich tat nichts weiter, als mich so schnell wie möglich auf den «strategischen Rückzug» zu machen. Nun waren wir zwölf (außer Labrada, der verschwunden war) wieder einmal mit dem Rest der Gruppe vereinigt - mit Raúl, Ameijeiras, Ciro Redondo, Manuel Fajardo, Echeverría, «Gallego» Morán und Fidel, insgesamt achtzehn Mann. So sah die wiedervereinigte Revolutionsarmee vom 12. Februar 1957 aus. Einige unserer Kameraden waren versprengt, einige neue Rekruten hatten uns verlassen und einer der Veteranen von der Granma war desertiert. Er hieß Armando Rodríguez; als er bei uns war, hatte er eine Thompson-Maschinenpistole, und zum Schluß machte er, wenn er nur in der Ferne Schüsse hörte, ein so verschrecktes und gequältes Gesicht, daß wir diesen Gesichtsausdruck cara de cerco (deutsch etwa: das Gesicht eines Eingekreisten) nannten. Jedesmal, wenn einer unserer Männer das von Furcht gezeichnete Gesicht eines verschreckten Tieres zeigte, so wie wir es bei unserem ehemaligen Kameraden in den Tagen vor Altos de Espinosa gesehen hatten, prophezeiten wir sofort einen unglücklichen Ausgang, denn ein solcher Gesichtsausdruck war mit dem Guerilla-Leben unvereinbar. Cara de cerco ging «über den Hügel», wie wir in unserem neuen Guerillaslang sagten, und seine Maschinenpistole fand sich später in einer weit entfernten bohío; seine Füße hatten ihn gut getragen.
Tod eines Verräters Nachdem diese kleine Armee wiedervereinigt war, beschlossen wir, die Gegend von El Lomón zu verlassen und in ein neues Gebiet zu ziehen. Auf unserem Weg stellten wir weiter Kontakte mit den Bauern der betreffenden Gegend her und errichteten die Stützpunkte, die für unsere Existenz notwendig waren. Gleichzeitig verließen wir die Sierra Maestra und zogen in Richtung auf die Ebene, wo wir die Personen treffen sollten, die den Kampf in den Städten organisierten. Wir kamen durch ein Dorf namens La Montería und kampierten später in einem kleinen Dickicht in der Nähe eines Flüßchens, auf dem Grund und Boden eines Mannes namens Epifanio Díaz, dessen Söhne in der Revolution kämpften. Wir zogen näher heran, um einen engeren Kontakt mit der ‹Bewegung des 26. Juli› herzustellen, denn unser nomadisches und heimliches Leben machte jede Verbindung zwischen den beiden Teilen der ‹Bewegung des 26. Juli›9 unmöglich. (In der Praxis waren dies zwei voneinander getrennte Gruppen mit unterschiedlicher Taktik und unterschiedlicher Strategie. Die tiefe Spaltung, die die Einheit der Bewegung in späteren Monaten gefährdete, gab es zu jenem Zeitpunkt noch nicht, aber wir konnten schon erkennen, daß wir unterschiedliche Vorstellungen hatten. Auf diesem Gehöft trafen wir mit den wichtigsten Persönlichkeiten der städtischen Bewegung zusammen; unter ihnen waren drei Frauen, die heute dem ganzen kubanischen Volk bekannt sind: Vilma Espín, jetzt Präsidentin des Kubanischen Frauenverbandes und Ehefrau Raúls; Haydée Santamaría, Vorsitzende der Casa de las Américas, und Armando Harts Frau und Celia Sánchez, unsere geliebte Kameradin während des ganzen Kampfes, die sich uns einige Zeit später definitiv und auf Dauer anschloß. Auch Faustino Pérez kam in unser Lager, ein alter Bekannter von der Grantna, der mit einigen Aufträgen in die Stadt gegangen war und nun zurückkam, um uns Bericht zu erstatten; danach kehrte er sofort in die Stadt zurück. (Wenig später wurde er gefangengenommen.) Wir trafen auch mit Armando Hart zusammen, und ich hatte die einzige Gelegenheit, den großen Revolutionsführer aus Santiago, Frank País, kennenzulernen.
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Es handelt sich um den Kampf im Gebirge - «Sierra» - und in der Ebene - «Llano» -; um die Guerilla und den Kampf in besiedelten Gebieten. Siehe auch Kapitel ‹Ein Jahr Kampf›, S. 150 ff.
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Frank País war einer der Männer, die vom ersten Zusammentreffen an Respekt einflößen; er sah mehr oder weniger so aus wie auf den Bildern, die wir heute von ihm kennen, aber seine Augen waren von außerordentlicher Tiefe. Es ist schwer, von einem toten Kameraden zu sprechen, mit dem ich nur ein einziges Mal zusammengetroffen bin und dessen Geschichte dem Volk gehört. Ich kann von ihm nur sagen, daß seine Augen sofort einen Menschen erkennen ließen, der von einer Sache besessen war, und daß er ganz offensichtlich eine überlegene Persönlichkeit war. Heute wird er der «unvergeßliche Frank País» genannt, und für mich, der ich ihn nur einmal gesehen habe, ist er unvergeßlich. Frank ist einer der vielen Kameraden, die sich heute, wäre ihr Leben nicht vorzeitig beendet worden, der gemeinsamen Aufgabe der sozialistischen Revolution weihen würden. Dieser Verlust ist Teil des hohen Preises, den das Volk entrichten mußte, damit es seine Befreiung gewinnen konnte. Frank erteilte uns ruhig eine Lektion in Ordnung und Disziplin, er reinigte unsere verschmutzten Gewehre, zählte die Patronen und packte sie so zusammen, daß sie nicht verlorengehen konnten. Von diesem Tage an beschloß ich, mein Gewehr besser zu pflegen (ich hielt mich auch an diesen Vorsatz, obgleich ich nicht von mir sagen kann, daß ich je ein Muster an peinlicher Genauigkeit gewesen bin). Jenes Dickicht war auch Schauplatz anderer Ereignisse. Zum erstenmal wurden wir von einem Journalisten aufgesucht, und noch dazu von einem ausländischen Korrespondenten. Es war der berühmte (Herbert L.) Matthews,10 der nur eine kleine Boxkamera bei sich hatte, mit der er jene Aufnahmen machte, die später eine so weite Verbreitung fanden und deren Echtheit in den dummen Ansprachen eines Batista-Ministers so heftig in Zweifel gezogen wurden. Damals dolmetschte Javier Pazos, der sich später für einige Zeit den Guerilleros anschloß. Nach den Angaben Fidels (ich war bei jenem Interview nicht zugegen) stellte Matthews konkrete Fragen; keine von ihnen war hinterhältig, und er sympathisierte offensichtlich mit der Revolution. Ich erinnere mich, daß Fidel berichtete, Matthews habe gesagt, ja, er sei antiimperialistisch eingestellt, und er habe sich öffentlich gegen die Lieferung von Waffen an Batista ausgesprochen, weil diese Waffen nicht für die interkontinentale Verteidigung, sondern zur Unterdrückung des Volkes eingesetzt würden. Matthews Besuch war naturgemäß sehr kurz. Sobald er uns verlassen hatte, waren wir bereit, weiterzuziehen. Indessen riet man uns, doppelt auf der Hut zu sein, da sich Eutimio in der Gegend befinde. Daraufhin wurde sofort Al10
1 Korrespondent der New York Times. (Anm. d. Übers.)
meida beauftragt, ihn ausfindig zu machen und gefangenzunehmen. Zu der Patrouille, die wir zusammenstellten, gehörten Julito Díaz, Ciro Frías, Camilo Cienfuegos und Efigenio Ameijeiras. Es war Ciro Frías, der Eutimio mit Leichtigkeit überwältigte, und dann wurde er zu uns gebracht. Wir fanden eine 45er Pistole bei ihm, ferner drei Handgranaten und einen von Casillas ausgestellten Passierschein. Nachdem er nun in unsere Hände gefallen war und da diese inkriminierenden Beweisstücke bei ihm entdeckt wurden, konnte er über sein Schicksal nicht im Zweifel sein. Er fiel vor Fidel auf die Knie und bat ganz einfach, daß wir ihn töteten. Er sagte, er wisse, daß er den Tod verdiene. In diesem Moment schien er gealtert zu sein; seine Schläfen waren ergraut, was wir vorher nie bemerkt hatten. Es war ein außerordentlich spannender Augenblick. Fidel machte ihm wegen seines Verrats die härtesten Vorwürfe, und Eutimio wollte nur erschossen werden, denn er bekenne sich schuldig. Wir können niemals den Augenblick vergessen, als Ciro Frías, ein ehemals enger Freund Eutimios, zu ihm zu sprechen begann. Er erinnerte Eutimio an alles, was er für ihn getan habe, an die kleinen Gefälligkeiten, die er und sein Bruder der Familie Eutimios geleistet hätten und wie Eutimio sie verraten habe, zuerst, indem er den Tod von Ciros Bruder verschuldete - den Eutimio der Armee ausgeliefert hatte -, und dann, indem er versuchte, die ganze Gruppe zu vernichten. Es war eine lange und bewegende Ansprache, der Eutimio schweigend mit gebeugtem Kopf zuhörte. Wir fragten ihn, ob er noch einen Wunsch habe, und er antwortete ja, er wünsche, daß die Revolution, oder besser gesagt wir, für seine Kinder sorgen sollten. Die Revolution hat dieses Versprechen gehalten. Eutimio Guerras Name erscheint heute noch einmal in diesem Buch, aber er war bereits vergessen, vielleicht sogar von seinen Kindern. Sie haben jetzt neue Namen und besuchen eine von unseren vielen neuen Schulen; sie werden genauso behandelt, wie alle Söhne des Volkes, und sie bereiten sich auf ein besseres Leben vor. Aber eines Tages werden sie erfahren müssen, daß ihr Vater wegen seines Treubruchs von der revolutionären Macht hingerichtet wurde. Es ist auch nur gerecht, daß man ihnen sagt, wie ihr Vater - ein Bauer, der sich durch Korruption in Versuchung führen ließ und der, getrieben von dem Verlangen nach Ruhm und Reichtum, versucht hatte, ein schweres Verbrechen zu begehen dennoch seinen Fehler eingesehen und nicht einmal andeutungsweise den Wunsch nach Gnade zum Ausdruck gebracht hatte, denn er hatte gewußt, daß er keine Gnade verdiente. Schließlich sollten sie auch wissen, daß er in seinen letzten Augenblicken an seine Kinder dachte und darum bat, daß sie gut behandelt werden mögen. 32
Gerade in diesem Augenblick brach ein schwerer Sturm los, und der Himmel verdunkelte sich. Inmitten einer Sintflut, die hereinbrach, als Blitze über den Himmel zuckten und Donner hallte, wurde Eutimio Guerras Leben gerade in dem Augenblick ein Ende gesetzt, als einer dieser Blitzstrahlen aufleuchtete und ihm sofort ein Donnerschlag folgte - und nicht einmal die Kameraden, die in seiner Nähe standen, hörten den Schuß. Am folgenden Tag, als wir den Toten begruben, gab es einen kleinen Zwischenfall, an den ich mich erinnere. Manuel Fajardo wollte ein Kreuz auf sein Grab setzen, und ich verwehrte es ihm, weil ein solcher Beweis der Exekution für die Eigentümer des Grund und Bodens, auf dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten, sehr gefährlich gewesen wäre. So schnitt er ein kleines Kreuz in den Stamm eines nahen Baumes. Und dies ist das Merkmal, das das Grab des Verräters kennzeichnet. Morán verließ uns zu jenem Zeitpunkt; er wußte, wie wenig wir ihn inzwischen schätzengelernt hatten, und wir alle sahen in ihm einen potentiellen Deserteur: einmal war er drei Tage lang unter dem Vorwand verschwunden, daß er nach Eutimio Ausschau gehalten und sich im Wald verirrt habe. Als wir uns zum Aufbruch fertig machten, ertönte plötzlich ein Schuß, und wir fanden Morán mit einer Kugel im Bein. Die Männer, die das gesehen hatten, führten viele erregte Diskussionen darüber; die einen meinten, der Schuß sei zufällig losgegangen, die anderen, er habe sich selbst verstümmelt, um nicht weiter mitmarschieren zu müssen. Moráns weitere Geschichte, seine Treulosigkeit und sein Tod durch die Hände der Revolutionäre in Guantánamo schienen die Version zu bestätigen, daß er sich absichtlich eine Wunde beigebracht hatte. Dann brachen wir auf. Frank País hatte versprochen, in den ersten Tagen des folgenden Monats März eine Gruppe von Männern zu schicken; sie sollten sich uns im Haus von Epifanio Díaz, in der Nähe des Jíbaro, anschließen.
Bittere Tage Die Tage, die unserem Abmarsch vom Hause Epifanio Díaz' folgten, waren für mich persönlich die schmerzvollsten des ganzen Krieges. In den bisherigen Aufzeichnungen habe ich versucht, eine Vorstellung davon zu geben, wie der erste Teil unseres revolutionären Kampfes für alle beteiligten Männer beschaffen war; wenn ich mich in diesem Teil des Berichts häufiger als sonst auf meine persönliche Beteiligung an den Geschehnissen beziehen muß, so geschieht dies deshalb, weil er mit den späteren Ereignissen in Zusammenhang steht, und es nicht möglich war, beide voneinander zu trennen, ohne daß die Kontinuität des Erzählten verlorengegangen wäre. Nachdem wir Epifanios Haus verlassen hatten, bestand unsere revolutionäre Gruppe aus siebzehn Mann der ursprünglichen Truppe und aus drei neuen Kameraden: Gil, Sotolongo und Raúl Díaz. Diese drei Kameraden waren mit der Granma gekommen; sie hatten sich einige Zeit in der Nähe von Manzanillo verborgen gehalten und hatten dann, nachdem sie von unserer Anwesenheit gehört hatten, beschlossen, zu uns zu stoßen. Sie hatten alle die gleiche Geschichte erlebt wie wir; es war ihnen gelungen, der Guardia Rural zu entgehen, indem sie bei einem Bauern und dann der nächsten Zuflucht suchten; schließlich hatten sie Manzanillo erreicht und sich dort versteckt. Nun verbanden sie ihr Schicksal mit dem der ganzen Gruppe. In jener Periode war es sehr schwierig, unsere Streitmacht aufzufüllen; ein paar neue Männer kamen, aber andere verließen uns; die physischen Bedingungen des Kampfes waren sehr hart, aber die psychischen Anspannungen waren noch stärker, und wir lebten mit dem Gefühl, ständig in einer Art Belagerungszustand zu sein. In jenen Tagen bewegten wir uns langsam voran, wir schlugen keine bestimmte Richtung ein; wir verbargen uns in kleinen Dickichten in einem Gebiet, wo das Laubwerk vom Vieh abgegrast worden war, so daß nur noch Reste von Vegetation zurückblieben. Eines Nachts hörten wir in Fidels kleinem Radio, daß ein Kamerad von der Granma, der mit Crescencio Pérez zusammen gewesen war, gefangengenommen worden sei. Wir hatten schon von Eutimio davon gehört, aber die Nachricht war noch nicht offiziell; jetzt wußten wir zumindest, daß er noch am Leben war. Die Gefangenen überstanden ein Verhör durch die Armee Batistas nicht immer lebend. Dann und wann hörten wir aus verschiedenen Richtungen immer wieder Maschinengewehrfeuer; die Gendarmen schossen häufig in die bewaldeten Gebiete, auch wenn sie sie niemals selbst betraten. Am 22. Februar vermerkte ich in meinem Feldtagebuch, daß ich an mir die ersten Symptome eines wahrscheinlich schweren Asthmaanfalls verspürte, 33
denn ich war ohne meine antiasthmatischen Medikamente. Erst am 5. März sollte unser nächstes Zusammentreffen sein, so waren wir gezwungen, ein paar Tage zu warten. In jener Zeit zogen wir, wie gesagt, sehr langsam voran, ohne Ziel, wir bewegten uns einfach auf der Stelle bis zum 5. März, dem Tag, an dem eine von Frank País geschickte Gruppe bewaffneter Männer zu uns stoßen sollte. Wir hatten bereits beschlossen, zuerst die Feuerkraft unserer kleinen Truppe zu stärken, ehe wir sie zahlenmäßig vergrößerten, und deshalb sollten alle Waffen, die in Santiago aufgetrieben werden konnten, hinauf in die Sierra Maestra geschickt werden. Eines Morgens bei Dämmerung befanden wir uns an einem kleinen Fluß, in einer fast vegetationslosen Gegend, wir verbrachten dort einen unsicheren Tag, in einem Tal in der Nähe von Las Mercedes, ich glaube, es heißt La Majagua (an Namen kann ich mich heute nicht mehr ganz genau erinnern), und wir trafen gegen Abend beim Haus des alten Emiliano ein. Emiliano war auch einer der vielen Bauern, die in jenen Tagen jedesmal erschrocken waren, wenn sie uns sahen, die aber dennoch mutig ihr Leben für uns aufs Spiel setzten und damit einen Beitrag zum Erfolg der Revolution leisteten. In der Sierra war Regenzeit, und jede Nacht waren wir völlig durchnäßt; deshalb betraten wir die bohíos, auch wenn dies äußerst gefährlich war, denn die Gegend wimmelte von Soldaten. Mein Asthma war so schlimm, daß ich mich nicht schnell bewegen konnte, und wir mußten in einer kleinen Kaffeeplantage in der Nähe einer bohío übernachten, wo wir unsere Streitkräfte umgruppierten. An dem Tag, von dem ich spreche, es war der 27. oder 28. Februar, war die Zensur im Lande aufgehoben worden, und im Rundfunk wurde über alles berichtet, was sich in den vergangenen Monaten zugetragen hatte. Man sprach von Terrorakten und berichtete von Matthews' Interview mit Fidel; dies war der Zeitpunkt, als der Verteidigungsminister seine berühmte Erklärung abgab, wonach Matthews' Interview eine Fälschung sei und er dazu aufforderte, die Fotos zu veröffentlichen. Hermes, ein Sohn des alten Emiliano, half uns, etwas zu essen zu bekommen und zeigte uns die Route, die wir einschlagen sollten. Aber am Morgen des 28. Februar erschien er nicht, und Fidel befahl uns, unseren Platz unverzüglich zu räumen und uns an einer anderen Stelle zu postieren, von der aus wir die Straßen überblicken konnten, denn wir wußten nicht, was geschehen würde. Etwa um vier Uhr nachmittags beobachteten Luis Crespo und Universo Sánchez die Straßen, und letzterer sah eine starke Einheit Soldaten, die gerade dabei waren, die Straße von Las Vegas zu besetzen. Wir mußten
schnell die andere Seite des Hügels erreichen, ehe die Soldaten uns den Weg abschneiden konnten; dies war nicht schwierig, da wir sie rechtzeitig erkannt hatten. In der Nähe begann Geschütz- und Maschinengewehrfeuer; damit war klar, daß die Batista-Armee über unsere Anwesenheit Bescheid wußte. Jeder konnte die Spitze des Hügels mit Leichtigkeit erreichen und auf die andere Seite gelangen; aber für mich war es eine ungeheure Anstrengung. Ich schaffte es bis zur Höhe, hatte aber einen solchen Asthma-Anfall, daß es praktisch unmöglich war, auch nur noch einen einzigen Schritt zu tun. Ich erinnere mich, wie sehr Crespo mir half, als ich nicht mehr weiter konnte und darum bat, zurückgelassen zu werden. So wie er üblicherweise zu unseren Soldaten sprach, sagte er zu mir: «Du... Argentinier. Du gehst jetzt, oder du kriegst eins mit dem Gewehrkolben!» Tatsächlich schleppte er sowohl mich wie auch meine Ausrüstung, als wir uns in einem schweren Regensturm abplagten, über den Hügel zu kommen. So erreichten wir eine kleine bohío und erfuhren, daß wir uns an einem Ort namens Purgatorio befanden. Dort gab sich Fidel als Major Gonzalez von der Bundesarmee aus, der sich angeblich auf der Suche nach den Rebellen befand. Der Bauer, kalt-höflich, bot uns sein Haus an und bediente uns. Es war auch ein Freund von einer benachbarten bohío zugegen, der ein außergewöhnlicher Speichellecker war. Da ich krank war, konnte ich den köstlichen Dialog zwischen Fidel in der Rolle des Majors Gonzalez und dem guarijo nicht voll genießen, der Fidel Ratschläge erteilte und sich fragte, warum dieser Junge, Fidel Castro, hier in den Bergen kämpfte. Wir mußten zu einem Entschluß kommen, denn ich konnte den Weg unmöglich fortsetzen. Als der indiskrete Nachbar gegangen war, sagte Fidel dem Gastgeber, wer er wirklich war. Der Mann umarmte ihn auf der Stelle und erklärte, er sei ein Mitglied der Orthodoxen Partei, ein Anhänger von Chibás, und er stehe uns zu Diensten. Als wir das erfuhren, mußten wir den Mann nach Manzanillo schicken, damit er Kontakt herstellte oder zumindest von dort Medikamente beschaffte, und ich mußte in der Nähe des Hauses zurückbleiben, und nicht einmal die Frau unseres Gastgebers durfte davon wissen. Der letzte, der sich unserer Gruppe angeschlossen hatte, ein Mann von zweifelhafter Reputation, aber mit großen körperlichen Kräften, wurde bestimmt, bei mir zu bleiben. Fidel gab mir mit einer generösen Geste ein Johnson-Repetiergewehr, einen der Schätze, die wir besaßen. Wir alle taten so, als gingen wir in dieselbe Richtung, und nach ein paar Schritten verschwanden mein Begleiter (den wir El Maestro nannten) und ich im Wald, um unser Versteck aufzusuchen. An jenem Tag berichtete der Rundfunk, daß Matthews telefonisch interviewt worden sei und mitgeteilt habe, daß die berühmten 34
Fotos veröffentlicht würden. Díaz Tamayo hatte gesagt, daß das unmöglich sei, da Matthews den Sperrgürtel der Armee, der die Guerilleros umgab, nicht habe durchqueren können. Armando Hart war im Gefängnis, er war angeklagt, zweithöchster Befehlshaber der Bewegung zu sein. Es war der 28. Februar. Der Bauer führte seinen Auftrag aus und brachte mir eine ganze Menge Adrenalin. Dann kamen zehn der bittersten Tage des Kampfes in der Sierra: ich schleppte mich dahin, hielt mich an Bäumen fest und stützte mich auf meinen Gewehrlauf, ich war begleitet von einem furchterfüllten Soldaten, der jedesmal zitterte, wenn wir Schüsse hörten, und der jedesmal nervös wurde, wenn ich an irgendeiner gefährlichen Stelle hustete. Wir brauchten zehn lange Tage, um wieder Epifanios Haus zu erreichen, für eine Strecke, die man normalerweise in wenig mehr als einem Tag zurücklegen konnte. Das Zusammentreffen war für den 5. März angesetzt worden, aber es war unmöglich, daß wir bis dahin dort eintreffen konnten. Wegen der Soldaten, die das Gebiet unsicher machten, und unserem langsamen Vorwärtskommen, erreichten wir den Platz erst am 11. März. Die Bewohner des Hauses unterrichteten uns davon, was geschehen war. Fidels Gruppe von achtzehn Mann hatte sich zufällig zu einem Zeitpunkt aufgeteilt, als sie - an einem Ort namens Altos de Meriño - einen Angriff der Armee erwarteten; zwölf Mann waren mit Fidel und sechs mit Ciro Frías gegangen. Später war die Gruppe von Ciro Frías in einen Hinterhalt geraten, aber sie waren alle unverletzt geblieben und trafen später in der Nähe wieder zusammen. Einer von ihnen, Yayo, der ohne sein Gewehr zurückkam, war auf dem Weg in Richtung Manzanillo an Epifanio Díaz' Haus vorbeigekommen; von ihm erfuhren wir alles. Die Truppe, die Frank auf den Weg schicken sollte, war abmarschbereit, obgleich sich Frank selbst in Santiago im Gefängnis befand. Wir trafen den Führer dieser Gruppe - Hauptmann Jorge Sotús. Es war ihm unmöglich gewesen, am 5. März einzutreffen, denn die Nachricht von der neuen Gruppe hatte sich herumgesprochen, und die Straßen waren schwer bewacht. Wir trafen alle notwendigen Vorkehrungen für das schnelle Eintreffen der fünfzig neuen Rekruten.
Verstärkungen Am 13. März, als wir die neuen revolutionären Truppen erwarteten, hörten wir im Rundfunk, daß ein Anschlag auf das Leben Batistas verübt worden war. Dann nannte man die Namen der Personen, die im Zusammenhang mit dem Attentat ums Leben gekommen waren. Zunächst war der Studentenführer Jose Antonio Echeverría unter ihnen, außer ihm andere, wie Menelo Mora. Personen, die nicht in den Anschlag verwickelt waren, büßten ebenfalls ihr Leben ein. Am folgenden Tag erfuhren wir, daß Pelayo Cuervo Navarro, ein Kämpfer von der Orthodoxen Partei, der stets eine feste Haltung gegen Batista eingenommen hatte, ermordet worden war und daß man seine Leiche in dem vornehmen Wohnbezirk des Country Club, bekannt als El Laguito, aufgefunden hatte. Es ist interessant, daß sich paradoxerweise die Mörder Pelayo Cuervo Navarros und die Söhne des Ermordeten bei der erfolglosen Invasion in der Schweinebucht zusammengefunden haben, die inszeniert wurde, um Kuba von der «kommunistischen Schande» zu «befreien». Trotz der scharfen Zensur erfuhr man einige Einzelheiten dieses denkwürdigen, wenn auch erfolglosen Anschlags auf das Leben Batistas. Persönlich kannte ich den Studentenführer nicht, aber ich hatte seine Freunde in Mexiko getroffen, als die ‹Bewegung des 26. Juli› und das Directorio Estudiantil (Studentendirektorat) eine konzentrierte Aktion vereinbarten. Diese Freunde waren: Major Faure Chomón, später Botschafter in der UdSSR, Frucruoso Rodríguez und Joe Westbrook; alle drei nahmen an dem Anschlag gegen Batista teil. Die Attentäter waren schon beinahe bis zum dritten Stock des Präsidentenpalastes vorgedrungen, wo sich der Diktator aufhielt, aber dann verwandelte sich das, was ein erfolgreicher Schlag hätte werden können, in ein Massaker all jener, die nicht mehr aus der Falle herauskamen, zu der der Präsidentenpalast für sie geworden war. Die Ankunft unserer Verstärkungen war für den 15. März vorgesehen; stundenlang warteten wir an dem vereinbarten Platz, einem Canon, wo der Fluß eine Krümmung macht; es war leicht, dort im verborgenen zu warten, aber niemand kam. Später erläuterten sie uns, es habe einige unglückliche Zufälle gegeben, die die Ankunft verzögerten. Folglich erreichten sie erst in der Dämmerung des 16. März unseren Treffpunkt. Die Männer waren so müde, daß sie kaum noch die paar Schritte bis in das Waldgebiet gehen konnten, wo sie sich bis zum Tagesanbruch ausruhen sollten. Sie kamen in Lastwagen, die einem Reisbauern aus der Gegend gehörten, der dann, durch die Folgen seiner Handlungsweise erschreckt, nach Costa Rica ins Exil ging. 35
Später kehrte er, weil er auf dem Luftwege Waffen aus Costa Rica nach Kuba brachte, als ein Held in seine Heimat zurück. Sein Name war Hubert Matos. Es waren etwa fünfzig Neuankömmlinge, aber nur dreißig von ihnen waren bewaffnet. Sie brachten zwei automatische Gewehre mit, ein Madzen- und ein Johnson-Gewehr. Nach ein paar Monaten in der Sierra waren wir Veteranen geworden, und wir sahen bei den neuen Truppen alle die Mängel, die jene, die mit der Granma gelandet waren, auch gehabt hatten: Mangel an Disziplin; Unfähigkeit, sich größeren Schwierigkeiten anzupassen; Mangel an Entschlußfreudigkeit und die Unfähigkeit, sich an dieses Leben zu gewöhnen. Die Gruppe von fünfzig Mann stand unter der Führung von Hauptmann Jorge Sotús und war in fünf Abteilungen zu je zehn Mann unterteilt; jede Abteilung wurde von Leutnanten geführt (man hatte ihnen diesen Dienstgrad verliehen, der jedoch noch von der Bewegung in der Ebene bestätigt werden mußte). Die Abteilungsführer waren: Kamerad Domínguez, soweit ich mich erinnere, der wenig später in Pino del Agua gefallen ist; Kamerad René Ramon Latour, ein Guerilla-Organisator in der Ebene, der in den letzten Tagen der Schlußoffensive der Regierungstruppen den Heldentod in der Schlacht fand; «Pedrín» Soto, unser alter Freund von der Granma, dem es schließlich gelang, wieder zu uns zu stoßen, Soto wurde ebenfalls im Gefecht getötet, und Raúl Castro beförderte ihn an der zweiten östlichen Front, die den Namen Frank País' trug, posthum zum Major; ferner Kamerad Pena, ein Student aus Santiago, der den Rang eines Majors erreichte und nach der Revolution Selbstmord beging; und schließlich Leutnant Hermo, der einzige von ihnen, der die beiden Kriegsjahre überlebte. Von allen Problemen, vor denen die neue Formation stand, waren die Schwierigkeiten beim Marsch eines der wichtigsten. Ihr Führer Jorge Sotús war ein sehr schlechter Marschierer; er blieb ständig zurück und gab damit seinen Männern ein schlechtes Beispiel. Ich hatte Anweisung erhalten, das Kommando über die Gruppe zu übernehmen, aber als ich Sotús dies mitteilte, erklärte er mir, er habe den Befehl, die Männer Fidel Castro zu übergeben, und deshalb könne er sie nicht irgend jemandem anderen abgeben, solange er das Kommando habe usw. usw. Damals hatte ich noch Komplexe, weil ich Ausländer war, und ich wollte nicht bis zum Äußersten gehen, obgleich ich eine große Unruhe in der Truppe feststellte. Nach einigen kurzen Marschstrecken, die wegen der schlechten Ausbildung der Männer sehr lange Zeit beanspruchten, erreichten wir die Stelle, wo wir auf Fidel Castro warten sollten. Dort trafen wir die kleine Gruppe, die früher von Fidel getrennt worden war: Manuel Fajardo, Guillermo García, Juventino, Pesant, die drei Brüder Sotomayor und Ciro Frías.
In jenen Tagen war der gewaltige Unterschied zwischen den beiden Gruppen leicht festzustellen: unsere war diszipliniert, in sich geschlossen und an die Kriegführung gewöhnt; die der Neuen hatte immer noch mit den Krankheiten der ersten Tage zu kämpfen: sie waren nicht gewöhnt, nur einmal am Tag etwas zu essen, und wenn das, was sie bekamen, nicht schmeckte, dann aßen sie es nicht. Ihr Marschgepäck war voll von nutzlosen Dingen, und wenn es zu schwer war, trennten sie sich, um ein Beispiel zu nennen, lieber von einer Büchse Kondensmilch als von einem Handtuch. Wir nutzten dies für uns, indem wir alle zurückgelassenen Büchsen und Nahrungsmittel einsammelten. Nachdem wir in La Derecha untergebracht worden waren, entstand wegen der ständigen Reibereien zwischen Jorge Sotús, einem Mann von autoritärem Zuschnitt, der mit den Männern nicht umgehen konnte, und der Truppe im allgemeinen eine gespannte Situation. Wir mußten besondere Vorsichtsregeln treffen, und René Ramos, dessen Nom de guerre Daniel war, wurde der Befehl über die MG-Abteilung übertragen, die den Eingang zu unserem Zufluchtsort deckte, so daß wir eine Garantie hatten, daß nichts geschehen werde. Einige Zeit später wurde Jorge Sotús auf Sondermission nach Miami geschickt. Dort verriet er die Revolution, indem er mit Felipe Pazos zusammentraf, dessen unermeßlicher Machthunger dazu führte, daß er seine Verpflichtungen vergaß und sich selbst als provisorischer Staatspräsident Kubas installierte. Das war ein erbärmliches Manöver, bei dem das State Department eine wichtige Rolle spielte. Mit der Zeit ließ Hauptmann Sotús erkennen, daß er seine Schuld wieder wettmachen wollte, und Raúl Castro gab ihm die Gelegenheit dazu, die die Revolution noch niemandem verweigert hat. Sotús begann jedoch, gegen die Revolutionäre Regierung zu konspirieren, und er wurde zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Dank der Mitschuld einer seiner Wachen gelang ihm die Flucht, und beide flohen miteinander nach dem üblichen Asyl der gusanos11: nach den Vereinigten Staaten. Zur Zeit unseres Berichts versuchten wir jedoch, ihm soviel wie möglich zu helfen, seine Meinungsverschiedenheiten mit den neuen Kameraden beizulegen, und ihm zu erklären, wie notwendig die Disziplin sei. Guillermo García ging, um Fidel aus dem Bezirk Caracas abzuholen, während ich mich kurz auf den Weg machte, um Ramiro Valdés zurückzuholen, dessen Beinwunde mehr oder weniger geheilt war. In der Nacht des 24. März traf Fidel ein; seine Ankunft, zusammen mit den zwölf Kameraden, die sich zu jener Zeit fest an 11
Deutsch: «Würmer»; so bezeichnete Fidel Castro «bourgeoise» Elemente, die mit der Konterrevolution sympathisierten. (Anm. d. Übers.)
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seiner Seite hielten, war eindrucksvoll. Es war ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den bärtigen Männern mit ihrem Marschgepäck aus irgendwelchem gerade vorhandenen Material, zusammengeschnürt mit dem, was man gerade auftreiben konnte, und den neuangekommenen Soldaten mit sauber rasierten Gesichtern, sauberen Uniformen und schönen neuen Tornistern. Ich erläuterte Fidel die Probleme, die sich ergeben hatten, und dann wurde ein kleines Beratungsgremium zusammengestellt, das über die entstandenen Fragen beschließen sollte. Dem Rat gehörten an: Fidel selbst, Raúl, Almeida, Jorge Sotús, Ciro Frías, Guillermo García, Camilo Cienfuegos, Manuel Fajardo und ich. Fidel kritisierte mich, weil ich die Autorität, die mir übertragen worden war, nicht ausgeübt, sondern die Befehlsgewalt in den Händen von Sotús gelassen hatte, der gerade erst eingetroffen war, gegen den keine persönliche Animosität bestand, dessen Haltung aber nach Fidels Ansicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hätte geduldet werden dürfen. Dann wurden auch die neuen Züge zusammengestellt; es waren im ganzen drei, die unter dem Kommando der Hauptleute Raúl Castro, Juan Almeida und Jorge Sotús standen; Camilo Cienfuegos sollte die Vorhut führen und Efigenio Ameijeiras die Nachhut; ich war der Arzt im Generalstab, und Universo Sánchez fungierte als Abteilungsführer im Generalstab. Mit diesen Verstärkungen und zwei weiteren automatischen Gewehren erreichte die Schlagkraft unserer Truppe einen neuen Höchststand. Diese Waffen waren zwar von zweifelhafter Wirksamkeit, denn sie waren alt und schon sehr verbraucht, aber dennoch trugen sie dazu bei, unsere Streitmacht zu stärken. Wir erörterten, was wir nun zuerst beginnen könnten; ich vertrat die Ansicht, wir sollten den erstbesten feindlichen Posten angreifen, damit wir die neuen Männer durch Gefechtserfahrung stählen konnten. Aber Fidel und alle anderen Mitglieder des Rates meinten, es sei besser, einige Zeit zu marschieren, so daß sie sich an das rauhe Leben in den Wäldern und Bergen und an die langen Märsche über die Gebirgszüge gewöhnen konnten. Also beschlossen wir, nach Osten zu ziehen, und soviel wie möglich zu marschieren; wenn somit einige grundlegende praktische Erfahrungen in der GuerillaKriegführung gesammelt waren, wollten wir dann die Gelegenheit suchen und irgendeine Einheit von Soldaten angreifen. Die Truppe unterzog sich den Vorbereitungen mit Begeisterung und brach auf, um ihre Aufgaben zu verwirklichen. In der Schlacht von El Uvero erlebte sie später ihre Feuertaufe.
Abhärtung Die Monate März und April 1957 waren für die Rebellenstreitkräfte eine Zeit der Umgruppierung und Ausbildung. Nach den Verstärkungen von La Derecha bestand unsere Armee aus etwa achtzig Mann und gliederte sich wie folgt: Die Vorhut bestand, unter der Führung von Camilo, aus vier Mann. Der folgende Zug stand unter dem Befehl von Raúl Castro; ihm waren drei Leutnants unterstellt - Julite Díaz, Ramiro Valdés und Nano Díaz -, die je eine Abteilung führten. (Die beiden Kameraden mit dem Namen Díaz, die beide bei El Uvero den Heldentod fanden, waren nicht miteinander verwandt. Der eine von ihnen stammte aus Santiago; die Raffinerie ‹Hermanos Díaz› in Santiago trägt ihren Namen zu Ehren und zum Gedächtnis an Nano und seinen Bruder, der in Santiago de Cuba gefallen ist. Der andere, ein Kamerad aus Artemisa, war ein Veteran von Moncada und von der Granrna.) Hauptmann Jorge Sotús waren die folgenden Leutnants unterstellt: Ciro Frías, der später an der Frank País-Front gefallen ist, Guillermo García, heute Oberbefehlshaber der Armee im westlichen Abschnitt, und René Ramos Latour, der ums Leben kam, nachdem ihm in der Sierra Maestra der Rang eines Majors verliehen worden war. Dann kam der Generalstab oder Comandancia mit Fidel als Oberbefehlshaber, Ciro Redondo, Manuel Fajardo (heute Major), Crespo (Major), Universo Sánchez (Major) und mir als Arzt. Dann folgte üblicherweise Almeidas Zug; seine Leutnants waren: Hermo, Guillermo Domínguez, der in Pino del Agua fiel, und Pena. Die Nachhut bestand aus Efigenio Ameijeiras, einem Leutnant, und drei Mann. Wegen der Größe unserer Kampfgruppe mußte von nun an jede Abteilung für sich abkochen. Verpflegung, Medikamente und Munition wurden abteilungsweise ausgegeben. In fast allen Abteilungen und natürlich in allen Zügen waren altgediente Soldaten, die den neuen Männern zeigten, wie abgekocht wurde und wie die Verpflegung am besten zu verwerten war; sie brachten ihnen auch bei, wie man Tornister packte und wie man am besten durch die Sierra marschierte. Die Entfernung zwischen La Derecha, El Lomón und El Uvero kann auf der Straße mit dem Wagen in wenigen Stunden zurückgelegt werden. Für uns aber bedeutete sie Monate vorsichtigen Vorwärtsbewegens, und die ganze Zeit widmeten wir uns unserer Hauptaufgabe, die Männer auf die Feindberührung und auf die Zeit nach einem Gefecht vorzubereiten. So kamen wir wieder durch Altos de Espinosa, wo wir Veteranen eine Ehrenwache um das Grab von Julio Zenón bildeten, der dort vor einiger Zeit gefallen war. Dort fand ich ein Stück meiner Decke, das im dornigen Gestrüpp als Erinnerung an meinen 37
eiligen «strategischen Rückzug» hängengeblieben war. Ich steckte es zu meinen Sachen, fest entschlossen, meine Ausrüstung nie wieder auf solche Weise einzubüßen. Ein neuer Rekrut, Paulino, wurde mir als Gehilfe zugeteilt; er sollte die medizinische Ausrüstung tragen. Dadurch wurde meine Aufgabe ein wenig erleichtert, so daß ich mich ein paar Minuten täglich nach unseren langen Märschen den medizinischen Problemen der Männer widmen konnte. Wiederum zogen wir am Loma de Caracas vorbei, auf dem wir durch Guerras Verrat eine so unangenehme Begegnung mit den feindlichen Flugzeugen gehabt hatten. Dort fanden wir eines der Reservegewehre, das einer unserer Männer zurückgelassen hatte, damit er sich leichter zurückziehen konnte. Bis jetzt hatten wir keine Reservewaffen; im Gegenteil, es fehlten welche. Wir waren nun in eine neue Phase eingetreten. Die Qualität unserer Truppe hatte sich verbessert; es gab nun ein geschlossenes Gebiet, das der Feind mied, weil er fürchtete, mit uns zusammenzustoßen, obgleich auch wir wenig Interesse zeigten, seine Bekanntschaft zu machen. Die politische Situation zeigte in jenen Tagen verschiedene Abstufungen des Opportunismus. Die gut bekannten Stimmen von Pardo Llada, Conte Agüero und anderen Geiern von derselben Sorte, spezialisierten sich auf demagogische Ausbrüche, indem sie zu Eintracht und Frieden aufriefen und ängstlich die Regierung kritisierten. Die Regierung sprach von Frieden; der neue Ministerpräsident Rivero Agüero hatte angedeutet, daß er, wenn notwendig, in die Sierra Maestra gehen würde, um die ländlichen Gebiete zu befrieden. Ungeachtet dessen erklärte Batista wenige Tage später, es sei nicht länger notwendig, mit Fidel oder den Rebellen zu sprechen, Fidel Castro halte sich nicht in der Sierra auf, und deshalb gebe es keinen Grund, mit einem «Haufen Banditen» zu verhandeln. Auf diese Weise zeigten Batista und seine Anhänger die Bereitschaft, den Kampf fortzusetzen; das war das einzige, in dem beide Seiten übereinstimmten, denn es war auch unsere Absicht, um jeden Preis weiter zu kämpfen. In jenen Tagen wurde ein neuer Operationschef bestimmt: Oberst Barrera; er war gut bekannt dafür, daß er Geldmittel für die Verpflegungssätze der Armee unterschlug. Später beobachtete er den Zusammenbruch des Batista-Regimes in aller Ruhe von der venezolanischen Hauptstadt Caracas aus, wo er Militärattache war. Damals hielten sich einige einnehmende Leute bei uns auf, die dabei halfen, für unsere Bewegung in den USA Propaganda zu machen. Es waren drei junge Nordamerikaner, die ihre Eltern im Marinestützpunkt Guantánamo verlassen und sich unserem Kampf angeschlossen hatten. Besonders zwei von
ihnen gaben uns Probleme auf; sie haben nie einen Schuß in der Sierra gehört, und sie verließen uns erschöpft vom Klima und den vielen Entbehrungen. Der Journalist Bob Taber nahm sie mit zurück. Der dritte nahm an der Schlacht von El Uvero teil, und später verließ auch er unsere Truppe; er war krank, aber er hatte an unserer Seite gekämpft. Ideologisch waren die Jungen nicht auf die Revolution vorbereitet; sie stillten in unserer Gesellschaft einfach ihren Abenteuerdurst. Es tat uns leid, aber wir waren auch froh, als sie wieder gingen. Ich persönlich war über den Abschied besonders erfreut, denn sie erbaten häufig meinen ärztlichen Rat, da sie unserem rauhen Leben nicht gewachsen waren. In jener Zeit lud die Regierung auch einige Journalisten ein, in Militärflugzeugen mehrere tausend Meter hoch über die Berge zu fliegen; damit sollte ihnen bewiesen werden, daß sich niemand in der Sierra Maestra aufhalte. Das war eine seltsame Unternehmung, die niemanden überzeugte; sie demonstrierte aber auch, wie die Regierung Batista mit Hilfe von Conte Agüero und Männern wie ihm die öffentliche Meinung täuschte, mit Hilfe von Leuten, die, als Revolutionäre getarnt, täglich das Volk belogen. In diesen Tagen der Abhärtung erhielt ich endlich eine Hängematte aus Segeltuch. Diese Hängematte ist ein kostbarer Besitz. Ich hatte sie bisher nicht bekommen, denn es gab eine strenge Guerillaregel, wonach Hängematten aus Segeltuch nur an die Männer ausgegeben werden durften, die sich schon eine Hängematte aus Sackleinwand angefertigt hatten. Mit dieser Regel wollte man gegen die Faulheit ankämpfen. Jeder konnte sich selbst eine Hängematte aus Sackleinwand anfertigen, und wenn man sie besaß, hatte man Anspruch auf die nächste verfügbare Hängematte aus Segeltuch. Wegen meiner Allergien konnte ich jedoch die aus Sackleinwand nicht benutzen; die rohe Faser verursachte mir große Beschwerden, und so mußte ich auf dem Boden schlafen. Da ich aber keine Hängematte aus Sackleinwand besaß, hatte ich auch keinen Anspruch auf eine aus Segeltuch. Solche banalen Einzelheiten gehörten zu den tagtäglichen Ärgernissen, mit denen wir alle uns herumschlagen mußten. Aber Fidel bemerkte das, machte eine Ausnahme und gab mir eine vernünftige Hängematte. Ich werde dieses Ereignis nie vergessen, es war an den Ufern des La Plata, in den letzten Vorbergen, ehe man Palma Mocha erreicht, und es war an einem Tag, nachdem wir unser erstes Pferdefleisch gegessen hatten. Dieses Pferd war mehr als ein luxuriöses Mahl; es war gleichzeitig eine Art Feuerprobe, in der die Anpassungsfähigkeit der Männer getestet wurde. Die Bauern in unserer Gruppe waren entrüstet und weigerten sich, ihre Ration Pferdefleisch zu essen; einige von ihnen betrachteten Manuel Fajardo tatsäch38
lich als einen Mörder, denn er war es, den man bestimmt hatte, das Tier zu schlachten, da er in Friedenszeiten Metzger gewesen war. Dieses unser erstes Pferd gehörte einem Bauern namens Popa, der vom anderen Ufer des La Plata stammte. Popa muß eigentlich heute lesen können, und wenn er die Zeitschrift Verde Olivo12 in die Hand bekommt, wird er sich an jene Nacht erinnern, als drei finster blickende Rebellen an die Tür seiner bohío schlugen, als sie ihn irrtümlich für einen Spitzel hielten, und ihm dieses müde alte Pferd wegnahmen. Stunden später gehörte dieses Tier zu unserer Verpflegung, und für einige war sein Fleisch ein höchst genußreiches Festmahl, und bei anderen stellte es die voreingenommenen Mägen der Bauern auf die Probe, die glaubten, daß sie einen Akt des Kannibalismus begingen, wenn sie den alten Freund des Menschen verzehrten.
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Dieser Teil des Berichts wurde ursprünglich in Verde Olivo, der Zeitschrift der Revolutionsarmee, veröffentlicht.
Ein berühmtes Interview Mitte April 1957 kehrten wir mit unserer Rekrutenarmee in die Gegend von Palma Mocha, in die Nähe des El Turquino, zurück. In jener Zeit waren die Guerilleros bäuerlicher Abstammung unsere tapfersten Gebirgskämpfer. Guillermo García und Ciro Frías kamen und gingen mit ihren Bauernpatrouillen; sie zogen von Ort zu Ort in der Sierra, brachten Nachrichten, gingen auf Kundschaft aus, beschafften Verpflegung; sie waren faktisch die wirklich bewegliche Vorhut unserer Kampfgruppe. In jenen Tagen befanden wir uns wieder einmal in El Arroyo del Infierno, am Schauplatz eines unserer Gefechte. Die Bauern, die kamen, um uns zu begrüßen, teilten uns zusätzliche Einzelheiten jenes Angriffs mit: wer die Soldaten direkt zu unserem Lager geführt hatte, oder wer dort gefallen war. Von den Bauern, die äußerst geschickt in der Kunst der Flüsterpropaganda waren, erfuhren wir tatsächlich alles, was in der Gegend los war. Fidel, der damals kein Rundfunkgerät besaß, ließ eines von einem Bauern der Gegend ausleihen; der tat es, und so konnten wir mit Hilfe dieses großen Radioapparats, den ein Soldat in seinem Tornister mit sich trug, die Nachrichten direkt aus Havanna hören. Wegen der Wiederherstellung sogenannter Garantien sprach man dort wieder einmal offener als sonst. Guillermo García trug die Uniform eines Armeeunteroffiziers, begleitet von zwei Kameraden, die als Soldaten der Armee Batistas verkleidet waren, um nach dem Spitzel zu suchen, der die Soldaten zu uns geführt hatte. «Auf Befehl des Obersten» brachten sie ihn am folgenden Tag zu uns. Der Mann war ahnungslos mitgegangen, aber als er die zerlumpte Armee sah, wußte er, was ihm bevorstand. Mit großem Zynismus erzählte er uns alles über seine Beziehungen zu der Armee Batistas und wie er «diesem Bastard Casillas» gesagt habe, er sei durchaus bereit, die Soldaten zu uns zu führen, denn er habe uns gesehen, und so könnten sie uns also gefangennehmen; sie hatten jedoch nicht auf ihn gehört. Einige Tage später wurde der Denunziant auf einem der nahe gelegenen Hügel hingerichtet und begraben. Wir erhielten eine Botschaft von Celia, daß sie mit zwei nordamerikanischen Journalisten eintreffen werde, die - unter dem Vorwand, sie wollten die drei nordamerikanischen Jungen aufsuchen Fidel interviewen wollten. Sie schickte auch etwas Geld, das bei Leuten, die mit der Bewegung sympathisierten, gesammelt worden war. Wir beschlossen, daß Lalo Sardiñas die Nordamerikaner durch das Gebiet von Estrada Palma führen sollte, das er, als ehemaliger Kaufmann in dieser Gegend, gut kannte. Wir waren dabei, Kontakte mit Bauern herzustellen, die 39
als Bindeglieder fungieren und ständige Lager unterhalten konnten, so daß wir Kontaktzentren für das gesamte Gebiet besaßen, das an Ausdehnung immer mehr zunahm. So machten wir Häuser aus, die wir als Nachschubzentren für unsere Truppen benutzten, und legten dort Warenlager an, aus denen wir uns je nach unserem Bedarf versorgten. Diese Plätze dienten auch als Halte- und Ausruhepunkte für die menschlichen Expreßkutschen, die überall am Rande der Sierra Maestra von Ort zu Ort zogen und Botschaften und Neuigkeiten übermittelten. Diese Melder hatten eine außergewöhnliche Fähigkeit entwickelt, sehr große Entfernungen in kurzer Zeit zurückzulegen. Ständig wurden wir irritiert, wenn sie von einem «Halbstundenweg» sprachen oder meinten, ein bestimmter Ort läge «gerade da drüben». Für die Bauern erwies sich das fast immer als eine genaue Angabe, wenn sich auch ihre Vorstellung von Zeit und Entfernung von der eines Städters gehörig unterschied. Drei Tage nachdem uns Lalo Sardiñas verlassen hatte, erfuhren wir, das sechs Personen durch das Gebiet von Santo Domingo zu uns heraufkamen; es waren zwei Frauen, zwei gringos (die Journalisten) und zwei andere, die niemand kannte. Allerdings erhielten wir auch eine Nachricht, die das Gegenteil besagte, wonach nämlich die Gendarmerie, die durch einen Spitzel von der Anwesenheit der Gruppe unterrichtet worden sei, das Haus, in dem sich die Ankömmlinge aufhielten, umstellt habe. In der Sierra machen Nachrichten mit bemerkenswerter Geschwindigkeit die Runde, aber oft sind sie entstellt. Camilo rückte mit einem Zug aus, um Celia Sánchez und die Nordamerikaner unter allen Umständen zu befreien. Sie trafen jedoch gesund und munter ein; der falsche Alarm war durch Truppenbewegungen ausgelöst worden, und diese wiederum waren die Folge einer Denunziation, die bei rückständigen Bauern in jenen Tagen leicht zu erlangen war. Am 23. April trafen der Journalist Bob Taber und ein Fotograf in unserem Lager ein. Mit ihnen kamen die Kameraden Celia Sánchez und Haydée Santamaría sowie die Männer, die von der Bewegung in der Ebene zu uns heraufgeschickt worden waren: «Marcos» oder «Nicaragua», Major Iglesias, heute Gouverneur von Las Villas und damals Chef der Aktionen in Santiago, und Marcelo Fernández, Koordinator der Bewegung und später Vizepräsident der Nationalbank. Er fungierte als Dolmetscher. Die Tage vergingen ganz nach Plan; wir versuchten, den Nordamerikanern unsere Stärke zu zeigen, und ihren mehr indiskreten Fragen auszuweichen. Wir wußten überhaupt nichts von diesen Journalisten; sie interviewten jedoch die drei amerikanischen Jungen, die alle Fragen gut beantworteten und dabei den neuen Geist an den Tag legten, den sie sich trotz der Schwierigkeiten bei
der Anpassung an dieses primitive Leben in unserer Mitte und an uns selbst in unserer Gesellschaft angeeignet hatten. Bald schloß sich uns einer der sympathischsten und beliebtesten Mitkämpfer unseres Revolutionskrieges an. Das war Vaquerito, der uns zusammen mit einem anderen Kameraden eines Tages gefunden hatte und erklärte, er habe schon seit mehr als einem Monat nach uns gesucht. Er war aus Morón in der Provinz Camagüey. Wie immer in solchen Fällen vernahmen wir ihn eingehend und gaben ihm eine erste politische Orientierung, eine Aufgabe, die häufig mir zufiel. Vaquerito hatte keine politische Vorstellung in seinem Kopf; er schien auch nicht mehr als ein glücklicher, gesunder Junge zu sein, der das Ganze als ein wundervolles Abenteuer betrachtete. Er kam barfuß an, und Celia schenkte ihm ein Paar verzierte mexikanische Lederschuhe. Sie hatte ein Extrapaar, und da seine Füße so klein waren, waren dies die einzigen Schuhe, die ihm paßten. Mit den neuen Schuhen und einem großen Strohhut schaute Vaquerito wie ein mexikanischer Cowboy oder vaquero aus, und deshalb gaben wir ihm den Spitznamen Vaquerito. Wie bekannt, erlebte Vaquerito das Ende des revolutionären Kampfes nicht; einen Tag ehe Santa Clara genommen wurde, fiel er als Kommandeur der Selbstmordabteilung der achten Marschgruppe. Wir alle erinnern uns an seine außergewöhnliche Fröhlichkeit, seine ständige gute Stimmung, an die seltsame und romantische Art, wie er einer Gefahr begegnete. Vaquerito war ein erstaunlicher Lügner; ich möchte wissen, ob er je eine Unterhaltung führte, in der er nicht die Wahrheit so ausschmückte, daß sie nicht wiederzuerkennen war. Aber bei seiner Tätigkeit als Melder in den ersten Tagen des Krieges und später als Soldat oder als Befehlshaber der Selbstmordabteilung demonstrierte Vaquerito, daß für ihn Wirklichkeit und Phantasie keine festumrissenen Grenzen hatten, und er war in der Lage, die gleichen Heldentaten, die sich sein behender Geist ausdachte, auch auf dem Schlachtfeld zu vollziehen. Am Ende unseres heldenhaften Krieges war seine außerordentliche Tapferkeit zur Legende geworden. Einige Zeit nachdem sich Vaquerito uns angeschlossen hatte, beschloß ich, ihn über sein Leben auszufragen. Nach einer der nächtlichen Lese- Veranstaltungen saß eine Gruppe noch beieinander. Vaquerito begann, : uns von sich zu erzählen, und wir alle waren insgeheim dabei, sein Alter zu schätzen. Als er, nach vielen funkelnden Anekdoten, seinen Bericht beendet hatte, fragten wir ihn, wie alt er sei. Vaquerito war zu jener Zeit etwas über zwanzig, aber nach all seinen Taten und nach allen Posten, die er gehabt hatte, zu urteilen, mußte er fünf Jahre vor seiner Geburt zu arbeiten begonnen haben. 40
Kamerad «Nicaragua» brachte die Nachricht, daß sich in Santiago noch weitere Waffen befänden, Überreste des Angriffs auf den Palast. Es standen nach diesen Angaben zehn Maschinengewehre, elf Johnson-Gewehre und sechs Kurzkarabiner zur Verfügung. Dazu kamen noch ein paar andere, aber sie waren nicht für uns bestimmt, denn in der Gegend der Zuckerraffinerie von Miranda sollte eine neue Front eröffnet werden. Fidel war gegen diesen Plan, er genehmigte nur ein paar Waffen für die zweite Front und befahl, daß alle verfügbaren Waffen zu unserer Verstärkung heraufgeschafft würden. Wir setzten den Marsch fort und zogen uns von der unangenehmen Gesellschaft einiger Gendarmen zurück, die in der Nähe plünderten. Aber zunächst, so beschlossen wir, sollte der El Turquino bestiegen werden. Die Besteigung dieses höchsten Berges unseres Landes hatte für uns eine fast mystische Bedeutung, und auf jeden Fall waren wir dem Gipfel schon ganz nahe. Die ganze Marschkolonne bestieg den El Turquino, und oben auf dem Gipfel beendeten wir das Interview mit Bob Taber. Er bereitete einen Film vor, der später - als man uns noch nicht so fürchtete - in den USA über das Fernsehen ausgestrahlt wurde. Eine bezeichnende Anmerkung: ein guajiro, der sich uns angeschlossen hatte, berichtete, Casillas habe ihm dreihundert Pesos und eine trächtige Kuh angeboten, falls er Fidel tötete. Die Nordamerikaner waren nicht die einzigen, die sich über den Preis unseres Oberbefehlshabers täuschten. Nach den Angaben eines Höhenmessers, den wir bei uns hatten, lag der Gipfel des El Turquino 1850 Meter über dem Meeresspiegel. Ich notiere dies beiläufig, denn wir hatten das Instrument nie ausprobiert; aber auf der Höhe des Meeresspiegels arbeitete der Apparat gut; jedenfalls weicht diese Zahlenangabe ganz erheblich von den amtlichen Dokumenten ab. Da uns eine Kompanie Soldaten auf den Fersen war, wurde Guillermo mit ein paar Kameraden ausgeschickt, sie aus der Entfernung gezielt unter Einzelfeuer zu nehmen. Wegen meines asthmatischen Zustandes, der mich zwang, am Ende der Kolonne zu gehen, und der mir keine besonderen Anstrengungen erlaubte, nahm man mir meine Thompson-Maschinenpistole, die ich trug, ab. Erst nach etwa drei Tagen bekam ich sie zurück. Das waren für mich einige der angespanntesten Tage in der Sierra, denn ich war unbewaffnet, während wir tagtäglich mit dem Feind zusammenstoßen konnten. Im Mai 1957 verließen zwei der jungen Nordamerikaner unsere Kampfgruppe; sie gingen zusammen mit Bob Taber, der seine Story beendet hatte, und sie erreichten gesund und munter Guantánamo. Auf dem Kamm der Maestra und entlang ihren Abhängen setzten wir langsam unseren Marsch fort. Wir stellten Kontakte her, erforschten neue Gebiete und verbreiteten die
revolutionäre Flamme und die Legende unserer Truppe von barbudos13 über die ganze Sierra. Der neue Geist wurde weit in alle Richtungen getragen. Die Bauern kamen nun weniger furchtsam, um uns zu begrüßen, und wir hatten andererseits jetzt mehr Vertrauen zu ihnen. Unsere relative Stärke hatte beträchtlich zugenommen, und wir fühlten uns sicherer vor irgendeinem Überraschungsangriff der Batista-Armee. Allgemein gesagt, waren wir nun den guajiros ein großes Stück näher gekommen.
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Deutsch: die «Bärtigen». (Anm. d. Übers.)
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Auf dem Marsch Die ersten fünfzehn Tage im Mai waren wir ununterbrochen auf dem Marsch. Zu Beginn des Monats befanden wir uns auf einem Berg in der Nahe des El Turquino; wir durchquerten Gebiete, die später Schauplatz vieler revolutionärer Siege waren. Wir passierten Santa Ana und El Hombrito; später, bei Pico Verde, fanden wir das Haus von Escudero und wir zogen weiter, bis wir den Loma del Burro erreichten. Wir gingen ostwärts und hielten Ausschau nach den Waffen, die uns aus Santiago geschickt und im Gebiet des Loma del Burro, in der Nähe von Oro de Guisa, versteckt werden sollten. Auf diesem zwei Wochen dauernden Marsch verwechselte ich eines Nachts, als ich austreten ging, die Wege und ging drei Tage lang in die Irre, bis ich an einem Platz namens El Hombrito wieder zu unserer Truppe stieß. Damals erkannte ich, wie gut es war, daß jeder von uns auf dem Rücken alles mit sich trug, was für das Überleben des einzelnen unerläßlich war: Salz, Öl, Verpflegung in Dosen, Büchsenmilch und alles, was zum Schlafen, Feuermachen und Abkochen notwendig war, und ebenso einen Kompaß, auf den ich mich bis dahin sehr verlassen hatte. Als ich erkannte, daß ich mich verirrt hatte, nahm ich am nächsten Morgen den Kompaß, ließ mich durch ihn führen und setzte meinen Weg auf diese Weise eineinhalb Tage lang fort, bis mir klar wurde, daß ich mich nur noch mehr verlaufen hatte. Ich näherte mich einer Bauernhütte, und die Leute zeigten mir den Weg zu dem Lagerplatz der Rebellen. Später fanden wir heraus, daß ein Kompaß in einem derart zerklüfteten Gelände nur eine allgemeine Richtung und nie einen ganz bestimmten Kurs anzeigen kann; später wußten wir, als ich mich wieder in derselben Gegend aufhielt, daß man entweder einen Führer haben oder die Gegend selbst kennen mußte. Ich war sehr bewegt durch den herzlichen Empfang, mit dem ich begrüßt wurde, als ich wieder auf unsere Truppe stieß. Als ich eintraf, hatten sie gerade einen Volksprozeß geführt, in dem über drei Spitzel Gericht gehalten wurde; einer von ihnen, Nápoles, wurde zum Tode verurteilt. Camilo war Vorsitzender des Tribunals. In jener Zeit hatte ich meine Pflichten als Arzt auch bei der Bevölkerung zu erfüllen, und in jedem kleinen Dorf richtete ich meine Beratungsstation ein. Es war eine eintönige Angelegenheit, denn es standen mir nur wenige Medikamente zur Verfügung, und die klinischen Fälle waren in der Sierra alle mehr oder weniger die gleichen: vorzeitig gealterte und zahnlose Frauen, Kinder mit aufgetriebenen Bäuchen, Haut-Parasiten, Rachitis, allgemeine Avitaminose - das waren die Kennzeichen der Sierra Maestra. Sogar heute sind sie
noch vorhanden, wenn auch in viel geringerem Ausmaß. Die Söhne jener Mütter von der Sierra lernen und studieren heute in der Schulstadt, die den Namen Camilo Cienfuegos trägt; sie sind herangewachsen und gesund, es sind ganz andere Jungen als die ersten unterernährten Bewohner zu der Zeit, als die Schulstadt gegründet wurde. Ich erinnere mich, daß ein kleines Mädchen die Konsultationen, die ich für die Frauen der Gegend abhielt, aufmerksam verfolgte. Sie kamen mit einer fast religiösen Inbrunst zu mir herein, um die Gründe für ihre Leiden herauszufinden. Als seine Mutter an der Reihe war, plapperte das kleine Mädchen, nachdem es mehrere vorangegangene Untersuchungen in der bohío, die mir als Klinik diente, aufmerksam beobachtet hatte, lustig darauf los: «Mama, dieser Doktor sagt zu allen das gleiche.» Und das war völlig richtig; mein Wissen reichte für wenig mehr aus; aber außerdem hatten sie alle die gleiche Krankheitsgeschichte. Ohne es zu wissen, erzählte jede von ihnen die gleiche herzergreifende Geschichte. Was wäre geschehen, wenn der Arzt die Diagnose gestellt hätte, daß die seltsame Müdigkeit, die die junge Mutter mehrerer Kinder befiel, wenn sie eine Kanne Wasser vom Fluß hinauf zum Haus trug, einfach die Folge von zuviel Arbeit bei solch magerer Kost sei? Ihre Erschöpfung ist für sie etwas Unerklärliches, denn diese Frau hatte ihr ganzes Leben lang dieselben Kannen Wasser zum selben Platz getragen, und erst jetzt fühlt sie sich müde. Die Menschen in der Sierra wachsen heran wie wilde Blumen, unbeaufsichtigt und ohne Betreuung, und sie nutzen sich schnell ab, da sie ohne Lohn arbeiten. Bei diesen Konsultationen wurde uns die Notwendigkeit immer mehr bewußt, daß die Lebensbedingungen für das Volk definitiv geändert werden mußten. Die Idee der Bodenreform reifte aus und verband sich mit dem Volk; sie war nun nicht länger Theorie, sondern wurde zu einem grundlegenden Teil unseres Daseins. Die Guerilleros und die Bauern verschmolzen allmählich zu einer einzigen Masse, ohne daß wir angeben können, zu welchem Zeitpunkt auf dem langen revolutionären Weg dies geschah, oder wann die Worte zu einer tiefen Realität und wir zu einem Teil der Bauern wurden. Was mich betrifft, so verwandelten diese Konsultationen mit den guajiros der Sierra meine spontane und irgendwie lyrische Entschlossenheit in eine stärkere Kraft und mehr Gelassenheit. Diese leidenden und loyalen Bewohner der Sierra Maestra sind sich der Rolle, die sie als Schmiede unserer revolutionären Ideologie spielten, nie bewußt geworden. Damals wurde Guillermo García zum Hauptmann befördert und übernahm den Befehl über alle Bauern, die sich uns anschlossen. Vielleicht hat Kamerad 42
Guillermo das Datum vergessen: in meinem Tagebuch ist der 6. Mai 1957 vermerkt. Am folgenden Tag verließ uns Haydée Santamaría, nachdem sie von Fidel genaue Instruktionen erhalten hatte, um die notwendigen Kontakte herzustellen. Aber einen Tag später erhielten wir die Nachricht von der Verhaftung «Nicaraguas». Er war dafür verantwortlich, daß wir die Waffen erhielten. Dadurch entstand bei uns große Verwirrung, denn wir hatten keine Ahnung, was wir jetzt tun sollten, um an die Waffen heranzukommen. Dennoch beschlossen wir, unseren Marsch in derselben Richtung fortzusetzen. Wir erreichten einen Ort in der Nähe von Pino del Agua, eine kleine Schlucht direkt am Rande der Sierra mit einem verlassenen Holzfällerlager; dort gab es auch zwei unbewohnte bohíos. In der Nähe einer Straße nahm eine unserer Patrouillen einen Unteroffizier gefangen. Dieser Unteroffizier war seit den Zeiten von Machado wegen seiner Verbrechen gut bekannt. Aus diesem Grunde schlugen einige von uns vor, ihn hinzurichten, aber Fidel lehnte dies ab; wir ließen ihn einfach unter Bewachung der neuen Rekruten zurück, die noch keine Gewehre, sondern nur Pistolen hatten. Er wurde gewarnt, daß ihn jeder Fluchtversuch das Leben kosten würde. Die meisten von uns setzten unseren Weg fort, um zu sehen, ob die Waffen an der vereinbarten Stelle eingetroffen waren, und wenn ja, sie fortzuschaffen. Es war ein langer Weg, wenn er auch leichter als sonst war, da wir unser vollbeladenes Gepäck in dem Lager gelassen hatten, wo der Gefangene war. Unser Weg war jedoch umsonst; die Ausrüstung war nicht eingetroffen, und wir führten dies naturgemäß auf die Verhaftung von «Nicaragua» zurück. Wir konnten Verpflegung in einem Laden kaufen, und kehrten mit einer anderen, wenn auch willkommenen Fracht ins Lager zurück. Für den Rückweg benutzten wir dieselbe Straße, langsam und müde zogen wir auf dem Kamm der Sierra Maestra entlang und überquerten die Stellen, die einzusehen waren, sehr vorsichtig. Plötzlich hörten wir vor uns Schüsse. Wir waren beunruhigt, denn einer unserer Männer war uns vorausgegangen, um das Lager so schnell wie möglich zu erreichen. Es war Leutnant Guillermo Domínguez, einer derjenigen, die mit den Verstärkungen von Santiago heraufgekommen waren. Wir bereiteten uns auf jede Möglichkeit vor und schickten einen Spähtrupp los. Nach einiger Zeit kehrte er zurück und brachte den Kameraden Fiallo mit, der zu Crescencios Gruppe gehörte und sich den Guerilleros während unserer Abwesenheit angeschlossen hatte. Er kam von unserem Lager und erläuterte, daß auf der Straße eine Leiche läge und daß es einen Zusammenstoß mit einigen Gendarmen gegeben habe, die sich in Richtung auf Pino del Agua zurückgezogen hätten, wo sich eine größere Abteilung
von ihnen aufhalte. Wir näherten uns vorsichtig der Stelle und fanden die Leiche. Ich erkannte den Toten; es war Guillermo Domínguez. Sein Oberkörper war nackt; in seinem linken Ellenbogen war das Loch einer Schußwunde und in der oberen Brusthälfte, über dem Herzen, ein Bajonettstich; sein Kopf war durch einen Schuß - offensichtlich aus seiner eigenen Schrotflinte - buchstäblich zerschmettert. Einige Schrotkugeln steckten als Beweis in seinem zerfleischten Körper. Wir rekonstruierten den Hergang: die Gendarmen hatten wahrscheinlich nach ihrem Freund gesucht, den Unteroffizier, den wir gefangengenommen hatten. Sie hatten Domínguez gehört, wie er vor uns her ging; er muß sich sehr sicher gefühlt haben, denn er benutzte denselben Weg wie am Vortage. Sie hatten ihn gerade gefangengenommen, als einige von Crescencios Leuten dazukamen, die mit uns von der anderen Richtung her zusammentreffen wollten. Sie überraschten die Gendarmen und eröffneten in ihrem Rücken das Feuer auf sie; die Gendarmen zogen sich zurück und ermordeten vor der Flucht unseren Kameraden Domínguez. Pino del Agua ist ein Lager- und Stapelplatz, der zu einem Sägewerk gehört; er liegt inmitten der Sierra, und der Pfad, den die Gendarmen einschlugen, dient seit jeher zum Transport des geschlagenen Holzes. Wir mußten diesem Weg ein paar hundert Meter weit folgen, um auf unseren schmalen Pfad zu stoßen. Unser Kamerad hatte in diesem Fall die elementarsten Vorsichtsmaßnahmen nicht beachtet, und es war sein Pech, daß er den Gendarmen geradewegs in die Arme lief. Sein bitteres. Los diente uns für die Zukunft als Warnung.
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Die Waffen treffen ein In der Nähe des Holzlagers von Pino del Agua töteten wir das prächtige Pferd, das der gefangengenommene Unteroffizier als Reittier benutzt hatte. In einem derart zerklüfteten Terrain war das Tier für uns nutzlos, und außerdem waren wir knapp an Nahrungsmitteln. Auf jeden Fall war unsere übliche Verpflegung so beschaffen, daß wir es uns nicht leisten konnten, frisches Fleisch, auch wenn es Pferdefleisch war, zu verschmähen. Für etwas Spaß sorgte unser Gefangener: als er ahnungslos seine Pferdefleischsuppe und seine Portion Pferdefleisch verzehrte, erläuterte er uns, daß er das Tier von einem Freund geliehen habe; er gab uns dessen Namen und Adresse und ermahnte uns, es ihm so schnell wie möglich zurückzugeben. An diesem Tag hörten wir im Rundfunk von der Verurteilung unserer Kameraden von der Granma. Außerdem erfuhren wir, daß sich ein ehrenamtlicher Richter in einer persönlichen Stellungnahme gegen das Urteil gewandt hatte. Es war Richter Urrutia, dessen ehrenhafte Geste ihm später die Nominierung zum provisorischen Präsidenten der Republik einbrachte. Das persönliche Votum eines solchen Richters war - ganz bestimmt zu jener Zeit - nicht mehr als eine achtbare Geste, aber seine späteren Folgen waren ernster Natur: es führte zu der Ernennung eines schlechten Präsidenten, eines Mannes, der unfähig war, den revolutionären Prozeß zu begreifen und die Tiefe einer Revolution zu verkraften, mit der seine reaktionäre Mentalität nichts anzufangen wußte. Durch seinen Charakter und sein Widerstreben, einen definitiven Standpunkt einzunehmen, sind viele Konflikte entstanden. Höhepunkt dieser Entwicklung war dann schließlich sein Rücktritt als Präsident, den er in jenen Tagen einreichte, als wir den ersten 26. Juli nach der Revolution feierten, und als er sah, daß sich das Volk einmütig gegen ihn wandte. An einem jener Tage traf ein Kontaktmann aus Santiago ein. Er hieß Andres und brachte genaue Informationen über die Waffen: sie waren in Sicherheit und sollten bald auf den Weg geschickt werden. Als Übergabestelle war die Umgebung eines Holzlagers an der Küste vorgesehen, das von den Brüdern Babún verwaltet wurde. Die Waffen sollten mit voller Kenntnis der Brüder an uns abgehen, denn sie waren der Ansicht, daß sie ein lohnendes Geschäft machen konnten, wenn sie die Revolution unterstützten. (Die folgende Entwicklung spaltete die Familie in zwei Lager, und drei der BabúnSöhne hatten den zweifelhaften Vorzug, unter jenen zu sein, die in der Schweinebucht gefangengenommen wurden.) Es ist seltsam, festzustellen, daß viele Menschen in jener Zeit versuchten, die Revolution für sich auszunutzen, indem sie uns kleine Gefälligkeiten
erwiesen, um später von der neuen Regierung belohnt zu werden. Die Brüder Babún zum Beispiel hofften, daß man ihnen später bei der kommerziellen Ausbeutung der Wälder freie Hand geben werde, daß sie dabei die Bauern erbarmungslos vertreiben und somit ihre Latifundien noch vergrößern könnten. Es war etwa um diese Zeit, daß sich uns ein nordamerikanischer Journalist anschloß. Er war von derselben Art wie die Familie Babún, von Geburt Ungar und hieß Andrew Saint George. Zunächst zeigte er nur eines seiner Gesichter, das bessere; es war einfach das eines Yankee-Journalisten. Aber außerdem war er auch ein FBI-Agent. Da ich der einzige in unserer Kampfgruppe war, der französisch sprach (damals sprach bei uns noch niemand englisch), wurde ich dazu bestimmt, mich um ihn zu kümmern. Ganz offen gesagt, erschien er mir zunächst als nicht so gefährlich, wie er sich dann in unserem zweiten Interview herausstellte, als er sich schon ganz offen als ein Agent benahm. Wir gingen am Rande des Pino del Agua entlang in Richtung auf die Quelle des Peladero-Flusses, ein zerklüftetes Gebiet, und wir alle hatten schwer zu schleppen. Der Peladero hat einen Nebenfluß, den Arroyo del Indio. Hier verbrachten wir ein paar Tage, faßten Verpflegung und leiteten die Waffen, die wir erhalten hatten, weiter. Wir passierten ein paar Bauernsiedlungen und errichteten eine Art außergesetzlichen revolutionären Staat, indem wir Leute, die mit uns sympathisierten, zurückließen, die uns über alles, was sich zutrug, und über die Bewegungen der Armee unterrichten sollten. Wir aber hielten uns stets in den bewaldeten Bergen auf; nur gelegentlich stießen wir nachts, ohne es erwartet zu haben, auf eine Gruppe von Häusern, und dann übernachteten einige von uns dort. Aber die Mehrheit schlief stets im Schutz der Berge, und tagsüber waren wir alle, geschützt von einem Dach von Bäumen, auf Posten. Unser schlimmster Feind war zu jener Jahreszeit die macagüera, eine Art Pferdestechmücke, die ihre Eier im Macagua (oder Macaw-Baum) legt und ausbrütet. In einer bestimmten Jahreszeit vermehrt sie sich in den Bergen in Massen. Die macagüera sticht die ungeschützten Körperteile; wenn wir uns mit all dem Dreck auf unserem Körper kratzten, entstanden durch die Stiche leicht Infektionen und Abszesse. An den unbedeckten Teilen unserer Beine, an den Handgelenken und am Hals waren stets Beweise für die Anwesenheit der macagüeras zu sehen. Schließlich erhielten wir am 18. Mai eine Nachricht über die Waffen und eine vorläufige Bestandsaufnahme. Diese Nachricht löste im Lager große Aufregung aus, denn alle Männer wollten bessere Waffen haben. Wir erfuhren auch, daß der Film, den Bob Taber bei uns gedreht hatte, mit großem Erfolg in den USA gezeigt worden war. Diese Nachricht stimmte jeden von uns hocher44
freut - mit Ausnahme von Andrew Saint George, der, außer daß er ein FBIAgent war, auch noch seinen kleinlichen Journalistenstolz hatte und sich irgendwie um den Ruhm betrogen fühlte. Am nächsten Tag verließ er uns in einer Jacht und fuhr nach Santiago de Cuba. An jenem Tag stellten wir auch fest, daß einer unserer Männer desertiert war. Da jeder im Lager über das Eintreffen der Waffen Bescheid wußte, war das besonders gefährlich. Wir schickten Leute aus, die nach ihm Ausschau halten sollten. Sie kehrten mit der Meldung zurück, daß es ihm gelungen war, an Bord eines Schiffes nach Santiago zu gehen. Wir nahmen an, daß er die Behörden informieren wollte, obgleich sich später herausstellte, daß der Mann einfach deshalb desertiert war, weil er physisch und moralisch nicht in der Lage war, die Härten unseres Lebens durchzuhalten. Auf jeden Fall mußten wir unsere Vorsichtsmaßnahmen verdoppeln. Tagtäglich mußten wir gegen die unzureichende physische, ideologische und moralische Vorbereitung unserer Männer ankämpfen; die Ergebnisse waren jedoch nicht immer ermutigend. Die Schwächeren unter ihnen baten oft aus den kleinlichsten Anlässen um die Erlaubnis, uns verlassen zu dürfen, und wenn wir sie ihnen verweigerten, dann desertierten sie gewöhnlich. Wir mußten daran erinnern, daß auf Desertation sofort nach der Gefangennahme die Todesstrafe stand. In jener Nacht trafen die Waffen ein. Für uns war dies das glänzendste Schauspiel der Erde: die Instrumente des Todes wurden vor den begierigen Augen aller unserer Männer zur Schau gestellt. Wir erhielten drei Maschinengewehre mit Dreifuß, drei automatische Gewehre vom Typ Madzon, neun M1-Karabiner, zehn automatische Gewehre vom Typ Johnson und insgesamt sechstausend Schuß Munition. Obgleich für die M-1-Karabiner nur je fünfundvierzig Schuß zur Verfügung standen, waren es hochgeschätzte Waffen, und sie wurden entsprechend den Verdiensten der einzelnen Männer und der Länge ihres Aufenthalts in der Sierra verteilt. Einen der Karabiner erhielt zum Beispiel der heutige Major Ramiro Valdés, zwei fielen an die Vorhut, die unter dem Befehl von Camilo stand, und vier sollten zur Deckung für die schweren Maschinengewehre eingesetzt werden. Eines der automatischen Madzon-Gewehre wurde an den Zug von Hauptmann Jorge Sotús ausgegeben, ein anderes an den von Almeida und das dritte erhielt der Generalstab (wobei ich für seine Bedienung verantwortlich war). Die MGs mit Dreifuß wurden wie folgt verteilt: eines für Raúl, das zweite für Guillermo García und das dritte für Crescencio Pérez. Auf diese Weise machte ich mein Debüt als kämpfender Guerillero, denn bis dahin war ich lediglich Truppenarzt gewesen, der nur gelegentlich an einem Gefecht teilnahm. Damit war für mich ein neuer Lebensabschnitt gekommen.
Ich werde nie den Augenblick vergessen, als ich das automatische Gewehr erhielt. Es war alt und von schlechter Qualität, aber für mich war es eine wichtige Neuerwerbung. Vier Männer sollten mir beim Gebrauch dieser Waffe helfen. Diese vier Guerillakämpfer sind in der Folge sehr verschiedene Wege gegangen. Zwei von ihnen, die Brüder Pupo und Manolo Beatón, wurden von der Revolution hingerichtet, nachdem sie Major Cristino Naraño ermordet hatten und in die Sierra de Oriente geflohen waren, wo sie ein Bauer gefangennahm. Dann gehörte ein Junge von fünfzehn Jahren zu ihnen, der fast immer das sehr schwere Zubehör der automatischen Waffe tragen mußte. Sein Name war Joel Iglesias; heute ist er Vorsitzender der Jóvenes Rebeldes und Major in der Rebellenarmee. Der vierte hieß eigentlich Oñate - heute ist er Leutnant -, aber wir nannten ihn liebevoll Catinflas14 Mit dem Eintreffen der Waffen waren unsere Versuche nicht beendet, den Guerilleros eine größere ideologische Stärke einzuimpfen und allgemein ihre Kampfkraft und Moral zu stärken. Ein paar Tage später, am 23. Mai, ordnete Fidel neue Entlassungen an; unter ihnen war eine vollständige Abteilung, und unsere Kampfgruppe wurde auf 127 Mann verringert; die meisten von ihnen waren bewaffnet, etwa achtzig sogar sehr gut. Von der Abteilung, die zusammen mit ihrem Führer entlassen wurde, blieb ein Mann namens Crucito zurück, der später einer unserer beliebtesten Kämpfer wurde. Crucito war ein Dichter von Natur aus, und er trug lange ReimWettbewerbe mit Calixto Morales, dem Dichter aus der Stadt, aus. Morales war mit der Granma gekommen und hatte sich selbst den Spitznamen «Nachtigall der Ebene» gegeben, worauf Crucito in seinen guajiro-Balladen stets mit einem Refrain antwortete, der spöttisch Calixto parodieren sollte: Soy guacaico de la Sierra - «Ich bin ein alter Mäusebussard der Sierra». Dieser vortreffliche Kamerad hat die ganze Geschichte der Revolution in Balladen geschrieben, die er, aus seiner Pfeife paffend, in jeder Ruhepause verfaßte. Da Papier in der Sierra äußerst knapp war, konnte er aber die Balladen nicht niederschreiben, so daß keine der Nachwelt überliefert war, als im Gefecht von Pino del Agua eine Kugel seinem Leben ein Ende bereitete. In der Holzzone hatten wir die unschätzbare Hilfe von Enrique Lopez, einem alten Freund von Fidel und Raúl aus ihrer Kindheit, der damals bei den Babúns als Kontaktmann für das Versorgungswesen beschäftigt war. Er ermöglichte es uns auch, daß wir gefahrlos das ganze Gebiet durchqueren konnten. Die zahlreichen Straßen wurden von Lastwagen der Armee benutzt. Mehrere Male bereiteten wir erfolglos Hinterhalte vor, durch die wir einige 14
Mexikanischer Filmkomiker. (Anm. d. Übers.)
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Lastwagen in unseren Besitz bringen wollten. Vielleicht trugen diese Fehlschläge zu dem Erfolg der Operation bei, die nun näherrückte. Die psychologische Auswirkung dieser siegreichen Schlacht sollte größer sein, als die aller anderen in der Geschichte des Krieges. Ich meine die Schlacht von El Uvero. Am 25. Mai hörten wir, daß eine Expeditionstruppe unter der Führung von Calixto Sánchez an Bord der El Corintia eingetroffen und bei Mayarí an Land gegangen sei; wenige Tage später sollten wir von dem verheerenden Ergebnis dieser Expedition erfahren: Prío (Socarrás) hatte seine Männer in den Tod geschickt, ohne auch nur einmal daran zu denken, sie zu begleiten. Die Nachricht von dieser Landung zeigte uns, wie unbedingt notwendig es war, die Kräfte des Feindes abzulenken, damit diese Männer einen Platz erreichten, wo sie sich reorganisieren und ihre Aktionen beginnen konnten. Wir taten dies alles aus Solidarität mit der anderen Gruppe, obgleich wir nicht einmal ihre gesellschaftliche Zusammensetzung noch ihre wahren Absichten kannten. Bei diesem Stand der Dinge hatten wir eine interessante Diskussion, die hauptsächlich zwischen Fidel und mir ausgetragen wurde. Ich vertrat die Ansicht, daß wir uns die Gelegenheit, einen Lastwagen zu erbeuten, nicht entgehen lassen sollten und daß wir uns darauf konzentrieren sollten, sie von den Straßen, die sie sorglos passierten, in einen Hinterhalt zu locken. Aber Fidel hatte bereits die Aktion von El Uvero geplant, und seiner Ansicht nach würde es viel wichtiger sein und uns einen nachhaltigeren Erfolg einbringen, wenn wir den Armeeposten von El Uvero einnähmen. Der Erfolg dieses Unternehmens hätte eine gewaltige moralische Auswirkung zur Folge, und man würde im ganzen Land darüber sprechen; das aber wäre nicht der Fall, wenn wir einen Lastwagen erbeuteten, eine solche Aktion könnte als ein Unglücksfall auf der Straße dargestellt werden, wobei ein paar Menschen ums Leben gekommen seien, und obgleich die Leute die Wahrheit ahnen würden, käme unser wirkungsvoller kämpferischer Einsatz in der Sierra dennoch niemals ans Licht der Öffentlichkeit. Dies bedeute nicht, daß wir - wenn die Umstände besonders günstig wären - die Idee, einen Lastwagen zu erbeuten, völlig von der Hand weisen sollten, aber wir sollten ein solches Unternehmen nicht zum wichtigsten Punkt unserer ganzen Aktivität machen. Heute, mehrere Jahre nach jener Diskussion (bei der mich damals Fidels Argumente nicht überzeugten), muß ich zugeben, daß seine Einschätzung der Lage richtig war. Für uns wäre weit weniger dabei herausgekommen, wenn wir eine isolierte Aktion gegen eine der Patrouillen unternommen hätten, die mit den Lastwagen unterwegs waren. Damals verleitete uns unsere Begierde, mit dem Gegner zu kämpfen, immer dazu, daß wir ungeduldig drastische, aber
übereilte Maßnahmen treffen wollten. Vielleicht konnten wir noch nicht die weiter gesteckten Ziele er- kennen. Auf jeden Fall begannen wir mit den letzten Vorbereitungen für die Schlacht von El Uvero.
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Die Schlacht von El Uvero Nachdem wir den Angriffspunkt bestimmt hatten, mußten wir unseren Überfall genau planen. Es waren einige wichtige Fragen zu klären; so zum Beispiel mußte die genaue Anzahl der im Stützpunkt anwesenden Soldaten festgestellt werden; wir mußten die Anzahl der vorgeschobenen Wachen in Erfahrung bringen, die Nachrichtenmittel, die im Stützpunkt verwendet wurden, die Zugangsstraßen, die Haltung und Stärke der Zivilbevölkerung usw. Bei all dem wurden wir auf bewundernswerte Weise von Kamerad Caldero (er ist heute Major) unterstützt, der - wenn ich mich recht erinnere - der Schwiegersohn des Verwalters des Holzlagers war. Wir gingen davon aus, daß die Armee mehr oder weniger genaue Angaben über unsere Anwesenheit in diesem Gebiet besaß, denn es waren zwei Spitzel gefaßt worden, die mit Identifizierungspapieren der Armee ausgestattet waren und gestanden, sie seien von Casillas geschickt worden, unsere Stellungen und unsere üblichen Treffpunkte auszumachen. Das Schauspiel, das diese beiden um Gnade bettelnden Männer boten, war wirklich widerlich, aber gleichzeitig war es ein bemitleidenswerter Anblick. Jedoch durften die Gesetze des Krieges in jenen schwierigen Zeiten nicht mißachtet werden, und beide Spione wurden am folgenden Tag hingerichtet. Am selben Tag, dem 27. Mai, trat der Generalstab mit allen Offizieren zusammen, und Fidel gab bekannt, daß der Kampf im Laufe der nächsten achtundvierzig Stunden beginnen werde. Er befahl uns, unsere Männer und ihre Waffen für den Abmarsch bereitzuhalten. Einzelheiten erfuhren wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Caldero sollte uns führen, denn er kannte den Stützpunkt El Uvero gut: Seine Ein- und Ausgänge und seine Zufahrtsstraßen. In derselben, Nacht brachen wir auf; es war ein langer Marsch von etwa sechzehn Kilometern, aber es ging immer bergab - auf den Wegen, die von der Babún-Gesellschaft extra als Verbindungsstücke zu ihren Sägewerken angelegt worden waren. Wir brauchten für diese Entfernung jedoch etwa acht Stunden, denn unser Marsch wurde durch die besonderen Vorsichtsmaßregeln verlangsamt, die wir, vor allem als wir uns der Gefahrenzone näherten, treffen mußten. Schließlich wurden die Befehle an uns ausgegeben; sie waren sehr einfach: wir hatten die Vorposten zu überwältigen und die Holzbaracken mit einem Geschoßhagel zu zerfetzen. Wir wußten, daß es außer einigen in der unmittelbaren Umgebung verstreuten Baumsperren bei den Unterkünften der Soldaten keine Verteidigungsanlagen von Bedeutung gab. Die befestigten Punkte waren die
Vorposten; jeder von ihnen war mit drei oder vier Soldaten besetzt und an einer strategisch wichtigen Stelle im Halbkreis um die Gebäude herum angelegt. Von einem Berg aus, von dem man die Kasernen überblicken konnte, sollte unser Generalstab die Schlacht leiten. Wir sollten uns den Gebäuden durch das Dickicht nähern und uns in einer Entfernung von nur wenigen Metern bereithalten. Wir erhielten die strikte Anweisung, nicht auf die abseits gelegenen Gebäude zu feuern, da sie Frauen und Kinder beherbergten; unter ihnen war die Frau des Verwalters, die von dem bevorstehenden Angriff Kenntnis hatte, es aber vorzog, in dem Stützpunkt zu bleiben, damit sie später keinen Verdacht erregte. Als wir unsere Angriffspositionen einnahmen, waren wir vor allem um die Zivilisten besorgt. Die Kasernen von El Uvero lagen nahe an der Küste, so daß wir sie nur von drei Seiten anzugreifen brauchten, wenn wir sie vollständig umzingeln wollten. Die Küstenstraße von Peladero wurde von einem Vorposten im Kasernenbereich beherrscht; die Züge unter dem Befehl von Jorge Sotús und Guillermo García sollten diesen Posten angreifen. Almeida sollte die Ausschaltung eines Postens übernehmen, der sich, mehr oder weniger nördlich von El Uvero, vor dem Gebirge befand. Fidel hielt sich auf dem Berg auf, von dem aus man das Kasernengelände überschauen konnte, und Raúl sollte mit seinem Zug frontal angreifen. Mir wurde, mit meinem automatischen Gewehr und meinen Adjutanten, ein Posten etwa dazwischen zugewiesen. Camilo und Ameijeiras sollten ebenfalls, zwischen meiner Position und der Raúls, von vorn vorrücken. Aber wegen der Dunkelheit verrechneten sie sich und begannen links von mir, anstatt zu meiner Rechten, zu schießen. Crescendo Pérez' Zug sollte an der Straße nach Chivirico vorrücken und jede Verstärkung aufhalten, die von der Armee auf den Weg geschickt wurde. Wir erwarteten, daß das Gefecht wegen des Überraschungsmoments ziemlich kurz sein würde. Dann allerdings vergingen die Minuten, und wir konnten unsere Männer nicht in den erhofften idealen Ausgangsstellungen placieren. Unsere Führer Caldero und ein anderer aus der Gegend namens Eligio Mendoza brachten uns die Neuigkeiten, die sie in Erfahrung bringen konnten. Die Nacht war schon bald vorüber, und die Dämmerung würde langsam anbrechen, ehe wir die Soldaten auf die geplante Weise überraschen konnten. Jorge Sotús benachrichtigte uns, daß er noch nicht seine zugeteilte Ausgangsstellung eingenommen habe, daß es aber jetzt zu spät sei, sich noch im Gelände zu bewegen. Als Fidel mit seinem Zielfernrohrgewehr das Feuer eröffnete, konnten wir die Gebäude an den Antwortschüssen ausmachen, die aus den Unterkünften abgegeben wurden. Ich befand mich auf einer kleinen Erhöhung 47
und hatte einen sehr guten Ausblick auf die Kasernen; ich war jedoch sehr weit von ihnen entfernt, und so arbeiteten sich meine Männer und ich vorwärts, um bessere Stellungen zu finden. Wir alle gingen vor. Almeida bewegte sich in Richtung auf den Posten, der den Eingang zu den kleinen Baracken verteidigte. Links von mir konnte ich Camilo sehen, der sein Barett wie die Kopfbedeckung der französischen Fremdenlegion mit einem Taschentuch im Genick trug; aber darauf waren natürlich die Insignien der Bewegung. Vorsichtig arbeiteten wir uns unter dem allgemeinen Schußwechsel an den Gegner heran. Unserer kleinen Abteilung schlossen sich einige Männer an, die von ihren Einheiten versprengt worden waren; ein Kamerad aus Pilón namens Bomba, Kamerad Mario Leal und Acuña stießen zu unserer Gruppe, die nun schon eine richtige kleine Kampfeinheit war. Der Gegner leistete beträchtlichen Widerstand; wir waren an einem ebenen, offenen Geländestreifen angekommen und waren gezwungen, unendlich vorsichtig vorzurücken, denn wir lagen unter ständigem Beschuß, und der Feind zielte genau. Von meiner Position aus sah ich, kaum fünfzig oder sechzig Meter von dem Vorposten des Gegners entfernt, zwei Soldaten, die aus dem vordersten Graben herausliefen. Ich feuerte auf beide, aber sie gingen in den nächstgelegenen Gebäuden in Dekkung, und diese waren uns natürlich heilig. Wir arbeiteten uns weiter vor, obgleich zwischen uns und dem Gegner, dessen Kugeln gefährlich nah an uns vorbeipfiffen, jetzt nur noch ein schmales, kaum bewachsenes Stück Land lag. In diesem Augenblick hörte ich ein Stöhnen neben mir und dann einige Schreie. Ich dachte, dies müsse ein verwundeter feindlicher Soldat sein, robbte mich vorwärts und schrie ihm zu, er solle sich ergeben. Aber es war Kamerad Leal, der einen Kopfschuß hatte. Ich untersuchte ihn hastig und stellte fest, daß sowohl Einschuß wie Ausschuß in der Gegend des Scheitelbeins lagen. Leal verlor schon das Bewußtsein, und an einer Körperseite stellten sich Lähmungserscheinungen ein. Der einzige Verband, den ich zur Hand hatte, war ein Stück Papier, das ich auf die Wunden legte. Später sah Joel Iglesias nach ihm, während wir den Angriff fortsetzten. Dann wurde auch Acuña verwundet. Wir hielten nun an und nahmen weiterhin den Graben vor uns unter Feuer. Dabei lagen wir unter wirksamem Gegenbeschuß. Wir nahmen gerade unseren Mut wieder zusammen und hatten schon beschlossen, das Lagerhaus zu nehmen und den Widerstand zu brechen, da ergaben sich die Soldaten in den Baracken. Die Beschreibung hier nimmt nur ein paar Minuten in Anspruch, aber vom ersten Schuß bis zur Übergabe der Garnison hatte die Schlacht etwa zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten gedauert. Links von mir nahmen einige
der Männer von der Vorhut, ich glaube, es waren Victor Mora und drei andere, die letzten, die noch Widerstand leisteten, gefangen. Aus dem Graben tauchte ein Soldat auf, der sein Gewehr hoch über seinen Kopf hielt. Von allen Seiten kamen Rufe, daß man sich ergeben wolle. Wir stürmten gegen die Gebäude vor und hörten den letzten Feuerstoß eines Maschinengewehrs; dabei wurde, wie ich später erfuhr, Leutnant Nano Diáz getötet. Wir erreichten das Lagerhaus, wo wir die beiden Soldaten, die meinen Schüssen entkommen waren, den Arzt des Stützpunktes und seinen Adjutanten gefangennahmen. Der Arzt war ein ruhiger, grauhaariger Mann. Ich weiß nicht, ob er sich heute der Sache der Revolution verschrieben hat. Mit diesem Mann geschah etwas Seltsames: meine Kenntnisse der Medizin waren nie sehr umfangreich gewesen, und es gab viele Verwundete, um die ich mich in diesem Augenblick nicht kümmern konnte. Als ich die Verwundeten zu dem Militärarzt brachte, fragte er mich, wie alt ich sei und wann ich meine Ausbildung beendet habe. Ich antwortete, das sei vor einigen Jahren gewesen, und daraufhin sagte er ganz offen: «Schauen Sie, junger Mann, Sie übernehmen besser die ganze Sache hier, denn ich habe gerade mein Examen gemacht, und ich konnte bisher nur wenig Erfahrung sammeln.» Mit seinem Mangel an Erfahrung und bei dem Schrecken, plötzlich Gefangener zu sein, hatte er seine ganze medizinische, Ausbildung vergessen. So mußte ich wieder einmal vom Soldaten zum Arzt überwechseln, was aber praktisch beinahe mit einem Händewaschen getan war. Nach der Schlacht, die eine der blutigsten des revolutionären Krieges war, werteten wir unsere Erfahrungen aus, und ich kann nun ein allgemeineres Bild dieser Aktion geben. Die Schlacht ging so vonstatten: nachdem Fidels Schuß das Signal zur Eröffnung des Feuers gegeben hatte, begannen alle, sich in Richtung auf die Kasernen vorzuarbeiten. Die Armee erwiderte das Feuer mit voller Wucht, vielfach nahmen die Soldaten den Berg unter Beschuß, von dem aus unser Befehlshaber die Schlacht lenkte. Ein paar Minuten später starb Julito Díaz an der Seite Fidels; er hatte einen Kopfschuß erhalten. Die Minuten vergingen, und der Widerstand hielt an; es gelang uns nicht, die Soldaten so einzuschüchtern, daß sie sich ergaben. Almeida hatte die wichtigste Aufgabe im Mittelabschnitt zu erfüllen: er war dafür verantwortlich, daß der feindliche Vorposten unter allen Umständen vernichtet wurde, damit seine und Raúls Männer in Richtung auf die Baracken vorrücken konnten. Die Männer berichteten später, wie Eligio Mendoza, unser Wegführer, sein Gewehr nahm und sich in die Schlacht stürzte; er war ein abergläubischer Mann und hatte einen Santo (Heiligen), der ihn beschützte; als man ihm sagte, er solle vorsichtig sein, hatte er geringschätzig gemeint, sein Santo werde ihn 48
vor allem schützen; ein paar Minuten später fiel er; ein Geschoß riß seinen Körper buchstäblich in Stücke. Die gut eingegrabenen feindlichen Soldaten trieben uns zurück, und wir hatten einige Verluste. Es war sehr schwierig, von der Mitte her vorzurücken; zusammen mit einem Adjutanten, der den Spitznamen El Policía trug, versuchte Jorge Sotús, von der Straße nach Peladero her die Stellung in der Flanke anzugreifen. Aber El Policía wurde sofort getötet, und Sotús mußte sich ins Meer werfen, wenn er dem gleichen Schicksal entgehen wollte. Von diesem Augenblick an war er für das Gefecht praktisch ausgeschaltet. Andere von seinem Zug versuchten vorzurücken, aber auch sie wurden zum Rückzug gezwungen. Ein Bauer, ich glaube, er hieß Vega, kam ums Leben; Manals hatte einen Lungenschuß; Quike Escalona wurde am Arm, am Gesäß und an der Hand verwundet. Der Vorposten war durch eine hölzerne Palisadenwand gut gesichert; seine Besatzung feuerte mit automatischen und halbautomatischen Gewehren und fügte unserer kleinen Truppe schwere Verluste zu. Almeida befahl einen letzten Angriff, durch den er versuchen wollte, den Feind vor sich unter allen Umständen außer Gefecht zu setzen; Cilleros, Maceo,, Hermes Leyva, Pena und Almeida selbst wurden dabei verwundet (Almeida an der Schulter und am linken Bein); Kamerad Moll wurde getötet. Dennoch konnte der Posten bei diesem Vorstoß eingenommen werden, und es war ein Weg zu den Kasernen freigekämpft. Von der anderen Seite her waren drei der Verteidiger durch die gut gezielten Schüsse aus Guillermo Garcías Maschinengewehr ausgeschaltet worden; der vierte lief heraus und wurde auf der Flucht getötet. Raúl ging mit seinem in zwei Einheiten aufgeteilten Zug schnell gegen die Kasernen vor. Es waren die Hauptleute García und Almeida, die die Schlacht entschieden. Jeder vernichtete den feindlichen Vorposten, auf den er angesetzt war, und ermöglichte so den Schlußangriff. Ein anderer Einzelkämpfer, der besondere Erwähnung verdient, ist Luis Crespo, der vom Standort des Generalstabs herunterkam, um an der Schlacht teilzunehmen. Der Widerstand des Feindes zerbröckelte langsam; jemand hatte ein weißes Taschentuch gezeigt, und wir drangen in die Kasernen ein. In diesem Augenblick feuerte wieder jemand, wahrscheinlich war es einer von unseren Leuten, und aus den Baracken kam ein Feuerstoß; in den Kopf getroffen sank Nano Díaz zusammen. Bis zum Schluß hatte Nanos Maschinengewehr dem Feind viele Verluste zugefügt. Crescencios Zug nahm kaum an dem Gefecht teil, denn sein Maschinengewehr hatte Ladehemmung; so sicherte er die Straße von Chivirico. Dort hielt er einige fliehende Soldaten an. Die Schlacht hatte zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten gedauert, und trotz der vielen
Schüsse, die abgefeuert worden waren, hatte es unter den Zivilisten keinen einzigen Verwundeten gegeben. Als wir eine Bestandsaufnahme machten, ergab sich die folgende Situation: auf unserer Seite waren sechs Mann gefallen - Moll, Nano Díaz, Vega, El Policía, Julito Díaz und Eligio Mendoza. Leal und Cilleros waren schwer verwundet. Mehr oder weniger ernste Verletzungen trugen davon: Maceo an der Schulter, Hermes Leyva äußerlich an der Brust, Almeida am linken Arm und linken Bein, Quike Escalona am rechten Arm und an der Hand; Manals hatte einen Lungenschuß, Pena war am Knie und Manuel Acuña am rechten Arm verwundet. Insgesamt wurden fünfzehn Kameraden außer Gefecht gesetzt. Der Feind hatte neunzehn Verwundete und vierzehn Tote; vierzehn weitere Soldaten waren gefangengenommen worden, und sechs waren geflohen. Das sind zusammen 53 Mann, die unter dem Befehl eines Zweiten Leutnants standen, der die weiße Flagge gezeigt hatte, als er verwundet worden war. Wenn man bedenkt, daß wir etwa achtzig Mann und sie dreiundfünfzig waren, insgesamt also hundertdreiunddreißig, von denen achtunddreißig, also mehr als ein Viertel, in wenig mehr als zweieinhalb Kampfstunden außer Gefecht gesetzt wurden, so wird man begreifen, was für eine Schlacht dies gewesen ist. Es war ein Sturmangriff von Männern, die mit freier Brust gegen einen Feind vorgingen, der nur durch sehr schwache Verteidigungsstellungen geschützt war. Man muß anerkennen, daß auf beiden Seiten mit großem Mut gekämpft wurde. Für uns war dies der Sieg, der uns mündig machte. Seit dieser Schlacht war unsere Moral gewaltig gehoben und unsere Entschlußkraft und unsere Hoffnung auf den Triumph unserer Sache waren ebenso gewachsen. Obgleich die folgenden Monate schwer waren, kannten wir bereits das Geheimnis des Sieges. Die Aktion von El Uvero besiegelte das Schicksal aller kleinen Garnisonen des Gegners, die von den größeren Truppenkonzentrationen des Feindes weit entfernt lagen, und tatsächlich wurden sie alle bald nach dem Gefecht von El Uvero aufgelöst. Einer der ersten Schüsse traf die Telefonvermittlung der Kaserne, und so wurde die Verbindung mit Santiago unterbrochen. Nur ein paar kleine Flugzeuge waren über dem Schlachtfeld zu sehen, aber erst Stunden später, als wir schon wieder hoch oben in den Bergen waren, schickte die Luftwaffe Aufklärer. Man erzählte uns später, daß außer den vierzehn Soldaten auch drei der fünf Papageien getötet wurden, die sich die Wachen in der Kaserne hielten. Man muß sich nur einmal vergegenwärtigen, wie klein diese Vögel sind, und dann kann man sich ein Bild davon machen, wie der Angriff auf das Gebäude aussah. 49
Mit meiner Rückkehr zum Beruf des Mediziners waren einige bewegende Szenen verbunden. Mein erster Patient war Kamerad Cilleros. Ein Geschoß hatte seinen rechten Arm abgetrennt, und war, nachdem es einen Lungenflügel durchbohrt hatte, offensichtlich in seiner Wirbelsäule steckengeblieben, so daß beide Beine gelähmt waren. Sein Zustand war kritisch; ich konnte ihm nur ein Beruhigungsmittel geben und ihm seine Brust fest zusammenbinden, so daß er leichter atmen konnte. Wir versuchten, ihn auf die damals einzig mögliche Weise zu retten: wir führten die vierzehn unverletzten Gefangenen mit uns fort und ließen die beiden schwerverwundeten Guerilleros, Leal und Cilleros, mit den verwundeten Feinden zurück, nachdem uns der Arzt sein Ehrenwort gegeben hatte, daß man sich um sie kümmern werde. Als ich Cilleros dies mit den üblichen Trostworten sagte, antwortete er mit einem traurigen Lächeln, das mehr aussagte, als es alle Worte vermocht hätten, und das seiner Überzeugung Ausdruck gab, daß für ihn alles vorbei sei. Auch uns war dies klar, und in diesem Augenblick war ich versucht, auf seine Stirn einen Abschiedskuß zu drücken; aber mit einer solchen Geste hätte ich unserem Kameraden sein Todesurteil angezeigt, und mein Pflichtgefühl sagte mir, ich dürfe seine letzten Minuten nicht noch erschweren, indem ich etwas bestätigte, was er selbst schon wußte. So sagte ich den beiden Männern, die in den Händen des Feindes zurückblieben, so herzlich wie möglich und mit großem Schmerz Lebewohl. Sie schrieen laut auf, sie wollten lieber im Kreise ihrer Kameraden sterben; aber auch wir hatten die Pflicht, bis zuletzt um ihr Leben zu kämpfen. So blieben sie also mit den neunzehn verwundeten Batista-Soldaten zurück, die wir ebenfalls so gut versorgt hatten, wie es die Bedingungen erlaubten. Unsere beiden Kameraden wurden von der Armee des Feindes anständig behandelt, aber Cilleros erreichte Santiago nicht. Leal überlebte seine Verwundung; er wurde für den Rest des Krieges auf der Pinieninsel inhaftiert, und trägt noch heute die unauslöschlichen Zeichen jenes wichtigen Ereignisses unseres revolutionären Krieges. In einem von Babúns Lastwagen verluden wir von den erbeuteten Ausrüstungsgegenständen soviel wie möglich und so verschiedene Dinge wie möglich, vor allem auch medizinische Ausrüstung. Als letzte verließen wir den Platz in Richtung auf unser Versteck in den Bergen, das wir noch rechtzeitig erreichten, so daß wir uns um die Verwundeten kümmern und von den Toten Abschied nehmen konnten, die an einer Straßenkrümmung begraben wurden. Es war uns klar, daß wir nun starker Verfolgung ausgesetzt sein würden, und wir beschlossen, daß jene, die laufen konnten, schnell weitermarschieren, und daß die Verwundeten unter meiner Obhut zurückbleiben sollten. Enrique Lopez sollte mir Transportmittel für die Verwundeten beschaffen und für ein
geeignetes Versteck, einige Adjutanten und alle die notwendigen Kontakte sorgen, mit deren Hilfe wir Medikamente erhalten und unsere Leute richtig behandeln konnten. In jener Nacht fand fast niemand Schlaf; jeder einzelne berichtete, was er in der Schlacht erlebt und gesehen hatte. Aus Spaß notierte ich, wie viele feindliche Soldaten nach den Aussagen unserer Leute angeblich ums Leben gekommen waren. Ich zählte mehr Leichen, als es überhaupt Soldaten gegeben hatte. Diese Erfahrung lehrte uns, daß alle Tatsachen von mehreren Personen bestätigt werden müssen; übertrieben vorsichtig verlangten wir sogar handgreifliche Beweisstücke, also etwa Gegenstände, die einem gefallenen Soldaten abgenommen worden waren, ehe wir einen getöteten Gegner bestätigten. Die wahrheitsgemäße Berichterstattung war stets ein zentrales Thema in den Berichten der Rebellenarmee, und wir versuchten, unseren Männern eine tiefe Achtung vor der Wahrheit und das Gefühl einzuimpfen, wie notwendig es ist, die Wahrheit höher einzustufen, als jeden vorübergehenden eigenen Vorteil. Morgens sahen wir zu, wie die siegreichen Truppen uns verließen, und wir sagten ihnen traurig Lebewohl. Meine Adjutanten Joel Iglesias und Oñate blieben bei mir, ebenso ein Wegführer namens Sinecio Torres und Vilo Acuña (er ist heute Major), der bei seinem verwundeten Onkel bleiben wollte.
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Pflege der Verwundeten Am Tage nach der Schlacht von El Uvero kreisten von der Dämmerung an Flugzeuge über dem Gelände. Wir hatten Abschied von der abziehenden Kolonne genommen, und nun gingen wir daran, die Spuren unseres Eintritts in den Wald zu verwischen. Wir waren nur hundert Meter von einer Lastwagenstraße entfernt und warteten auf Enrique Lopez und die Lastautos, die uns zu unserem Versteck bringen sollten. Almeida, Pena und Quike Escalona konnten nicht gehen; ich mußte Manals drängen, wegen seiner Lungenverletzung ebenfalls nicht zu gehen; Manuel Acuña, Hermes Leyva und Maceo konnten ohne Hilfe gehen. Vilo Acuña, Sinecio Torres, Joel Iglesias, Alejandro Oñate und ich standen zum Schutz, für die Pflege und den Transport der Verwundeten zur Verfügung. Es war schon spät am Morgen, als ein Melder kam und uns mitteilte, daß Enrique Lopez uns nicht helfen konnte, weil seine Tochter krank sei und er nach Santiago habe gehen müssen; er ließ uns aber mitteilen, er werde uns einige Freiwillige zu unserer Unterstützung schicken, diese aber trafen nie bei uns ein. Die Situation war schwierig, denn bei Quike Escalonas Wunden hatte sich eine Infektion eingestellt, und ich konnte auch nicht genau feststellen, wie ernst Manals' Verletzungen waren. Wir erkundeten die nahe gelegenen Straßen und stellten keine feindlichen Soldaten fest; so beschlossen wir, die Verwundeten in eine drei oder vier Kilometer entfernte bohío zu transportieren. Die bohío war leer, aber der Besitzer hatte ein paar Hühnchen zurückgelassen. Am ersten Tag halfen uns zwei Arbeiter aus dem Holzlager bei der ermüdenden Aufgabe, die Verwundeten in Hängematten an den neuen Platz zu bringen. Am nächsten Tag brachen wir, nachdem wir gut gefrühstückt hatten, bei Dämmerung schnell auf, denn wir hatten uns dort unmittelbar nach dem Angriff einen vollen Tag aufgehalten, und der Platz lag in der Nähe von Straßen, auf denen Soldaten herangeführt werden konnten. Wir befanden uns am Ende eines der Wege, die von der Firma Babún angelegt worden waren, damit die Holzarbeiter tiefer in den Wald gelangen konnten. Mit den wenigen Leuten, die uns zur Verfügung standen, machten wir uns auf einen kurzen, aber schwierigen Weg hinunter in die kleine Schlucht, die Del Indio genannt wurde. Dann kletterten wir wieder einen schmalen Pfad hinauf, der zu einer Hütte führte, wo ein Bauer namens Israel mit seiner Frau und seinem Schwager lebte. Es war äußerst schwierig, unsere verwundeten Kameraden über ein derart zerklüftetes Terrain zu transportieren, aber wir schafften es. Das Bau-
ernehepaar stellte uns sogar sein Doppelbett zur Verfügung, damit die Verwundeten darin schlafen konnten. Wir hatten einige unserer älteren Waffen und zahlreiche Ausrüstungsgegenstände zurückgelassen, die zu unserer weniger wichtigen Kriegsbeute gehörten, denn die Verwundeten wurden uns mit jedem Schritt schwerer. Beweise für unser Erscheinen blieben immer in irgendeiner bohío zurück. Deshalb, und weil wir die Zeit dazu hatten, beschlossen wir, an jeden einzelnen Lagerplatz zurückzukehren und alle Spuren zu beseitigen, denn davon hing unsere Sicherheit ab. Zur selben Zeit verließ uns Sinecio, um einige seiner Freunde in der Gegend von Peladero aufzusuchen. Kurz danach meldeten mir Acuña und Joel Iglesias, sie hätten am jenseitigen Berghang Stimmen gehört. Wir nahmen wirklich an, wir würden nun gezwungen sein, unter den schwierigsten Umständen zu kämpfen, denn unsere Pflicht war es, die kostbare Last der verwundeten Männer, die uns anvertraut war, bis zum Tode zu verteidigen. Wir gingen ein Stück vorwärts, damit der Zusammenstoß so weit wie möglich von der bohío entfernt stattfinden sollte; einige Abdrücke bloßer Füße auf dem Pfad zeigten an, daß die Eindringlinge demselben Weg gefolgt waren. Als wir uns behutsam näherten, hörten wir, daß sich mehrere Personen unbekümmert unterhielten; ich lud meine Maschinenpistole durch,, verließ mich auf die Unterstützung von Vilo und Joel, ging weiter vor und überraschte die Gruppe. Es stellte sich heraus, daß es die Gefangenen von El Uvero waren, die Fidel freigelassen hatte, und die nun einfach einen Weg aus dem Wald suchten. Einige von ihnen waren barfuß; ein alter Unteroffizier gab mit heiserer Stimme seiner Bewunderung für uns Ausdruck, und rühmte, daß wir mit den Wäldern so gut vertraut seien. Sie waren ohne Wegführer und hatten lediglich einen von Fidel unterschriebenen Passierschein. Wir machten uns den Eindruck zunutze, den unser überraschendes Erscheinen auf sie gemacht hatte und warnten sie, den Wald unter gar keinen Umständen wieder zu betreten. Sie stammten alle aus der Stadt; sie waren an die Entbehrungen im Gebirge nicht gewöhnt und wußten auch nicht, wie man mit ihnen fertig werden konnte. Wir kamen zu der Lichtung, auf der sich unsere bohío befand, und zeigten ihnen den Weg zur Küste. Vorher allerdings erinnerten wir sie daran, daß von hier aus das Waldesinnere unser Gebiet sei, und daß unsere Patrouille - man konnte uns für eine einfache Patrouille halten - die Streitkräfte dieses Abschnitts unverzüglich unterrichten werde, wenn sich irgendein Fremder in diesem Territorium aufhalte. Trotz dieser Warnungen, die sie im übrigen sorgfältig beachteten, hielten wir es für klug, uns so schnell wie möglich wieder auf den Weg zu machen. 51
Wir verbrachten diese Nacht in der schützenden bohío, aber bei Dämmerung zogen wir uns in den Wald zurück und baten vorher die Besitzer der Hütte, uns einige Hühnchen für die Verwundeten zu bringen. Wir warteten den ganzen Tag auf sie, aber sie kamen nicht. Einige Zeit später hörten wir, daß sie in dem kleinen Haus gefangengenommen worden waren, daß die feindlichen Soldaten sie am nächsten Tag als Wegführer eingesetzt hatten und daß sie an unserem Lager am Vortag vorbeigekommen waren. Wir hielten sorgfältig Ausschau, und niemand hätte uns überraschen können, aber der Ausgang eines Zusammenstoßes war unter diesen Umständen nicht schwer vorauszusehen. Als es schon fast Nacht war, traf Sinecio mit drei Freiwilligen ein, einem alten Mann namens Feliciano und zwei Männern, die später in die Rebellenarmee eintraten: Banderas, ein Leutnant, der in der Schlacht von El Jigüe gefallen ist, und Israel Pardo, der Älteste aus einer Familie von Revolutionären, der heute den Rang eines Hauptmanns hat. Diese Kameraden halfen uns, die Verwundeten eilig in eine bohío auf der anderen Seite der Gefahrenzone zu bringen, während Sinecio und ich bis Anbruch der Nacht auf das Bauernehepaar warteten. Beide konnten nicht kommen, da sie zu jenem Zeitpunkt schon Gefangene waren. Da wir mit einem Verrat rechneten, beschlossen wir, die neue Unterkunft am nächsten Tag in aller Frühe zu verlassen. Unser frugales Mahl bestand aus einigen Früchten und Gemüse, das wir in der Nähe der bohío gefunden hatten. Am folgenden Tag - es waren nun sechs Monate seit der Landung der Granma vergangen - brachen wir frühzeitig auf. Diese Märsche waren ermüdend, wenn auch unglaublich kurz für jene, die an lange Wegstrecken im Gebirge gewöhnt waren. Wir konnten nur einen verwundeten Kameraden gleichzeitig befördern, denn wir mußten sie in Hängematten tragen; diese waren an starken Ästen befestigt, die buchstäblich in die Schultern der Träger einschnitten. Sie mußten einander alle zehn oder fünfzehn Minuten ablösen, so daß wir unter diesen Umständen für jeden Verwundeten sechs oder acht Mann benötigten. Ich begleitete Almeida, der sich halb dahinschleppte. Wir gingen sehr langsam, bewegten uns beinahe von Baum zu Baum fort, bis Israel eine Abkürzung durch den Wald entdeckte und die Träger zurückkamen, um Almeida zu holen. Später hinderte uns ein gewaltiger Regensturm daran, Pardos Haus sofort zu erreichen, aber schließlich trafen wir beinahe bei Anbruch der Dunkelheit dort ein. Wir hatten die kurze Entfernung von vier Kilometern in zwölf Stunden zurückgelegt, mit anderen Worten hatten wir für jeden Kilometer drei Stunden gebraucht. Damals war Sinecio Torres der wichtigste Mann in unserer kleinen Gruppe, denn er kannte die Wege und die Menschen dieses Gebiets, und er half uns
auf jede Weise. Er war es, der zwei Tage später dafür sorgte, daß Manals zur Heilung nach Santiago gebracht werden konnte; außerdem trafen wir Vorbereitungen, auch Quike Escalona in die Stadt zu bringen, dessen Wunden sich infiziert hatten. In jenen Tagen trafen einander widersprechende Nachrichten ein; einmal hieß es, daß Celia Sánchez im Gefängnis, und dann wieder, daß sie getötet worden sei. Dann gingen auch Gerüchte um, wonach eine Armeepatrouille Hermes Caldero gefangengenommen habe. Wir wußten nicht, ob wir diese zuweilen haarsträubenden Berichte glauben sollten oder nicht. Celia zum Beispiel war unsere einzige bekannte und sichere Kontaktperson. Ihre Verhaftung würde für uns eine völlige Isolierung bedeuten. Glücklicherweise stimmte es nicht, daß Celia verhaftet worden war, aber Hermes Caldero war tatsächlich im Gefängnis, doch während er durch die Verliese der Tyrannei geschleppt wurde, blieb er wie durch ein Wunder am Leben. Am Ufer des Peladero-Flusses wohnte David, der Aufseher in einem latifundium war. Er arbeitete bestens mit uns zusammen. Einmal tötete David für uns eine Kuh, und wir mußten unser Versteck verlassen und sie uns holen. Das Tier war am Flußufer geschlachtet und in Stücke zerlegt worden; wir mußten das Fleisch bei Nacht fortschaffen. Ich schickte die erste Gruppe unter Führung von Israel Pardo, und dann die zweite unter Banderas. Letzterer war sehr undiszipliniert; er ließ die anderen den ganzen Kadaver allein schleppen, so daß sie die ganze Nacht dazu brauchten. Nun wurde eine kleine Truppe unter meinem Befehl zusammengestellt, da Almeida verwundet war; eingedenk meiner Verantwortung erklärte ich Banderas, wenn er seine Einstellung nicht ändere, sei er nicht länger als aktiver Kämpfer zu betrachten, sondern nur noch als jemand, der mit uns sympathisiere. Tatsächlich änderte er sich daraufhin; wenn es auf die Disziplin ankam, war er niemals ein musterhafter Kämpfer, aber er war einer jener wagemutigen und toleranten, einfachen und offenherzigen Männer, deren Augen durch die Erschütterung der Revolution für die Realität geöffnet wurden. Er hatte sein kleines und abgelegenes Stückchen Land in den Bergen bebaut, und er war wirklich von großem Interesse für Bäume und für die Landwirtschaft besessen. Er lebte zusammen mit zwei kleinen Schweinen, jedes hatte einen Namen, und einem Hund in seiner kleinen Hütte. Eines Tages zeigte er mir ein Bild von seinen beiden Söhnen, die bei seiner von ihm getrennt ‹ lebenden Frau in Santiago wohnten. Er meinte, daß er eines Tages, wenn die Revolution gesiegt haben werde, irgendwohin gehen könnte, wo wirklich etwas anzubauen wäre, und wo es nicht so sein würde, wie auf diesem ungastlichen Stück Land, das beinahe von der Spitze des Berges herabhänge. 52
Ich erzählte ihm von den Kooperativen, aber er begriff dies nicht recht; er wollte das Land selbst, mit seiner eigenen Hände Arbeit, bebauen. Dennoch überzeugte ich ihn ganz allmählich, daß es besser sei, den Boden kollektiv zu bearbeiten, und daß mit Hilfe von Maschinen auch seine Produktivität erhöht werden könnte. Banderas würde heute ein avantgardistischer Kämpfer auf dem Gebiet der Landwirtschaftsproduktion sein; dort in der Sierra brachte er sich selbst das Lesen und Schreiben bei und bereitete sich auf die Zukunft vor. Er war ein fleißiger Bauer, der erkannt hatte, wie wichtig es war, mit eigener Anstrengung dazu beizutragen, daß ein neues Kapitel der Geschichte geschrieben werden konnte. Ich hatte ein langes Gespräch mit dem Aufseher David, der mir sagte, ich solle eine Liste aller wichtigen Dinge zusammenstellen, die wir benötigten, denn er gehe nach Santiago und wolle sie von dort mitbringen. Er war ein typischer Aufseher; loyal gegenüber seinem Chef verachtete er die Bauern und war ein Rassist. Als die Armee ihn jedoch gefangennahm und ihn, als sie von seinen Beziehungen zu uns hörte, barbarisch folterte, war er bei seiner Rückkehr bemüht, uns davon zu überzeugen, daß er nichts ausgeplaudert habe. Ich weiß nicht, ob sich David heute in Kuba aufhält oder ob er seinen alten Chefs gefolgt ist, deren Ländereien von der Revolution beschlagnahmt wurden. Aber er war ein Mann, der in jenen Tagen fühlte, daß eine Veränderung notwendig war. Aber er konnte sich nie vorstellen, daß diese Veränderung auch ihn und seine Welt erreichen würde. Die Geschichte der Revolution setzt sich aus vielen aufrichtigen Bemühungen einfacher Menschen zusammen. Unsere Aufgabe ist es, die Güte und den Edelmut in jedem Menschen zu entwickeln, jeden Menschen in einen Revolutionär zu verwandeln, von den Davids, die das alles nicht richtig verstanden, bis zu den Banderas, die starben, ohne die Morgendämmerung zu erleben. Auch blinde Opfer ohne Lohn haben ihren Beitrag zu der Revolution geleistet. Diejenigen unter uns, die heute den Erfolg der Revolution erleben, haben die Verantwortung, jener zu gedenken, die am Wege geblieben sind, und für eine Zukunft zu arbeiten, in der es weniger Abseitsstehende geben wird.
Unsere Rückkehr Wir verbrachten den ganzen Juni 1957 damit, unsere verwundeten Kameraden zu pflegen und die kleine Truppe zusammenzustellen und auszubilden, die mit uns zu der Kampfgruppe Fidels zurückkehren sollte. Die Kontakte mit der Außenwelt wurden durch den Aufseher David aufrechterhalten, dessen Rat und Informationen, die immer gerade im rechten Augenblick eintrafen, sowie die Verpflegung, die er für uns beschaffte, unsere Lage außerordentlich erleichterten. In jenen ersten Tagen hatten wir die unschätzbare Hilfe von Pancho Tamayo noch nicht, der nach dem Krieg von den Brüdern Beatón ermordet wurde. Pancho Tamayo, ein alter Bauer aus diesem Gebiet, kam später mit uns in Berührung und diente uns ebenfalls als Kontaktmann. Bei Sinecio waren Anzeichen zu bemerken, daß seine revolutionäre Moral nachließ; er betrank sich von Geldern der Bewegung, und ließ sich Indiskretionen zuschulden kommen. Auch Befehle führte er nachlässig aus; nach einer seiner Trinktouren brachte er uns elf neue Rekruten, die alle ohne Waffen waren. Im allgemeinen versuchten wir, die Einstellung unbewaffneter Männer zu verhindern, aber dennoch schlossen sich neue Leute auf jede Weise und unter allen möglichen Bedingungen der jungen Guerilla-Streitmacht an, und die Bauern, die unseren Aufenthaltsort kannten, führten uns oft neue Kameraden zu. Nicht weniger als vierzig Personen kamen auf diese Weise zu uns, aber einige verließen uns wieder - manchmal mit unserer Zustimmung, manchmal ohne dieselbe -, so daß die Truppe faktisch nie mehr als fünfundzwanzig oder dreißig aktive Mitglieder zählte. Mein Asthma hatte sich etwas verschlimmert, und da wir knapp an Medikamenten waren, konnte ich mich fast ebensowenig wie die Verwundeten bewegen. Bis Medikamente aus Santiago eintrafen, konnte ich meine Krankheit ein wenig lindern, indem ich getrocknete Clarín-Blätter, ein örtliches Heilmittel, rauchte. Dies trug dazu bei, meine Gesundheit wiederherzustellen, und diente mithin ebenfalls der Vorbereitung unseres Aufbruchs. Aber der Abmarsch verzögerte sich um mehrere Tage, Schließlich stellten wir eine Patrouille zusammen, die alle die Waffen zusammensuchen sollte, die wir nach dem Angriff von El Uvero als un-brauchbar zurückgelassen hatten. Wir benötigten sie nun trotz ihres schlechten Zustandes. In unserer Lage waren diese alten Waffen, zu denen auch ein Maschinengewehr vom Kaliber 30 gehörte, potentielle Schätze, und wir verbrachten eine ganze Nacht damit, sie zu suchen. Schließlich setzten wir das Datum unseres Abmarsches auf den 24. Juni fest. Unsere Truppe bestand aus sechsundzwan53
zig Mann: fünf genesende Verwundete, fünf Helfer, zehn Rekruten aus Bayamo, vier Rekruten aus der Umgebung und zwei weitere. Zuerst sollte Vilo Acuña mit der Vorhut kommen, dann, was man als Generalstab bezeichnen konnte; dieser stand unter meiner Führung, da Almeida genug damit zu tun hatte, sich nur von der Stelle zu bewegen, und schließlich folgten zwei weitere kleine Abteilungen unter Befehl von Maceo und Pena. Pena war damals Leutnant. Maceo und Vilo waren einfache Soldaten, und Almeida hatte als Hauptmann den höchsten Dienstgrad inne. Wegen einiger Zwischenfälle konnten wir doch nicht am 24. Juni aufbrechen. Zunächst hieß es, daß einer unserer Wegführer mit einem neuen Rekruten eintreffen sollte, und wir mußten auf sie warten; dann wurde uns gemeldet, daß der Führer mit neuem Nachschub an Medikamenten und Verpflegung kommen werde. Der alte Tamayo kam und ging ständig; er brachte Neuigkeiten und etwas Nachschub. Einmal mußten wir eine Höhle ausfindig machen, in der wir einen Teil unserer Versorgungsgüter zurücklassen konnten, denn unser Kontaktmann in Santiago war schließlich durchgekommen, und David brachte uns eine wichtige Lieferung, die wir unmöglich transportieren konnten, wenn man berücksichtigt, daß sich unsere Truppe zum größten Teil aus Rekonvaleszenten und neuen Rekruten zusammensetzte. Am 26. Juni machte ich mein Debüt als Zahnheilkundiger, obgleich mir in der Sierra der etwas bescheidenere Titel eines «Zahnziehers» verliehen wurde. Mein erstes Opfer war Israel Pardo (heute ist er Hauptmann), der dabei ziemlich gut davonkam. Das zweite war Joel Iglesias; alles, was er benötigt hätte, den Störenfried zu entfernen, war ein bißchen Dynamit im Eckzahn, aber tatsächlich erlebte er das Ende des Krieges, und der Zahn war immer noch an seinem Platz, denn meine Bemühungen, ihn herauszuziehen, waren erfolglos geblieben. Außer der Tatsache, daß meine Fertigkeiten nur sehr gering waren, hatten wir keine Betäubungsmittel, und so wandte ich häufig eine «psychologische Betäubung» an, ein paar harte Beiworte, wenn meine Patienten zu sehr klagten. Die Abneigung gegen das ständige Marschieren war der Grund dafür, daß einige Männer uns verließen, aber andere traten an ihre Stelle. Tamayo führte uns eine Gruppe von vier Männern zu. Unter ihnen war Felix Mendoza, der ein Gewehr mitbrachte. Er berichtete, daß eine Einheit der Armee ihn und seinen Begleiter überrascht habe und daß er sich, während der andere gefangengenommen wurde, ein steiles Kliff hinuntergestürzt habe und, ohne Schaden zu nehmen, davongekommen sei. Später erfuhren wir, daß die «Armee» eine Patrouille gewesen war, die von unserem Kameraden Lalo Sardiñas befehligt wurde, der den Begleiter nicht gefangengenommen, sondern zu
Fidels Kampfgruppe gebracht hatte. Außerdem schloß sich uns Evelio Saborit an, der heute Major der Rebellenarmee ist. Mit der Ankunft von Felix Mendoza und seinen Leuten, zählten wir nun sechsunddreißig Mann, aber am folgenden Tag verließen uns drei, dann kamen zwei andere dazu, so daß wir insgesamt fünfunddreißig waren. Naturgemäß verringerte sich unsere Zahl wieder, als der Marsch begann. Wir klommen die Abhänge von Peladero empor, machten aber jeden Tag nur wenig Fortschritte. Über den Rundfunk erfuhren wir von der allgemeinen Gewalttätigkeit auf der ganzen Insel. Am 1. Juli hörten wir die Nachricht, daß Franks Bruder, Josué País, und andere Kameraden bei den anhaltenden Kämpfen in Santiago ums Leben gekommen waren. Trotz der nur kurzen Marschstrecken fühlten sich unsere Männer deprimiert, und einige der neuen Rekruten ersuchten darum, uns verlassen zu dürfen, damit sie «nützlichere Missionen in der Stadt ausführen» könnten. Auf dem Wege den La Botella-Berg hinunter kamen wir an der Hütte von Benito Mora vorbei, der uns in seinem bescheidenen Heim bewirtete, das sich an die steilen Felsen dieses Teils der Sierra schmiegte. Kurz vorher rief ich die kleine Truppe zusammen und sagte den Männern, daß Augenblicke großer Gefahr vor uns lägen, daß der Feind ganz in der Nähe sei und daß wir wahrscheinlich viele Tage ohne Verpflegung und fast ständig auf dem Marsch zubringen müßten. Ich forderte alle diejenigen, die sich dem nicht gewachsen fühlten, dringend auf, dies jetzt zu sagen; einige der Männer waren so offen, zuzugeben, daß sie Angst hatten, und sie verließen uns; ein anderer, er hieß Chicho, sprach für eine kleine Gruppe und schwur, daß sie uns alle bis zum Tod folgen würden. Er sprach so überzeugend und entschieden, daß wir wirklich überrascht waren, als dieselbe Gruppe, nachdem wir Benito Moras Haus wieder verlassen hatten und in einem kleinen Tal unser Lager für die Nacht aufschlugen, uns ihre Absicht mitteilte, die Guerilleros zu verlassen. Wir stimmten dem zu und tauften den Ort scherzhaft «Fluß des Todes», denn Chichos und seiner Freunde gewaltige Entschlossenheit hatte gerade bis zu diesem Punkt angehalten. Dieser Name blieb, bis wir die Sierra verließen. Wir waren jetzt achtundzwanzig Mann, aber als wir am folgenden Tag aufbrachen, schlossen sich uns zwei neue Rekruten an; es waren ehemalige Soldaten, die gekommen waren, um in der Sierra für die Freiheit zu kämpfen. Ihre Namen waren Gilberto Capote und Nicolas. Arístides Guerra brachte sie mit. Er war auch einer der örtlichen Kontaktleute, die später eine so unschätzbare Stütze unserer Kampfgruppe wurden; wir nannten ihn El Key del Condumio oder Futter-König. Während des ganzen Krieges leistete uns der «Fut54
ter-König» zahllose Dienste, die oft sogar gefährlicher als der eigentliche Kampfeinsatz gegen den Feind waren; dazu gehörte etwa der Transport von Maultierkolonnen von Bayamo in unser Operationsgebiet. Auf dem Marsch versuchten wir, die Rekruten mit ihren Waffen vertraut zu machen. Die beiden ehemaligen Soldaten Batistas mußten ihnen beibringen, wie man mit einem Gewehr umging; sie übten mit ihnen Laden, Entladen, Leerlauf-Schießen usw. Kaum hatte der Unterricht begonnen, als einer der Instruktoren einen Schuß abfeuerte; wir mußten ihn von dieser Aufgabe ablösen, und wir betrachteten ihn mit Mißtrauen, obgleich die Bestürzung auf seinem Gesicht so echt schien, daß schon großes Schauspieltalent dazu gehört hätte, sie zu simulieren. Die beiden ehemaligen Soldaten hielten den Marsch nicht durch, und zusammen mit Arístides verließen sie uns wieder, aber Gilberto Capote kehrte später zu uns zurück, und er fand in Pino del Agua den Heldentod. Wir verließen unser Lager, das Haus Polo Torres' bei La Mesa, das später eines unserer Operationszentren wurde. Unser Führer war nun ein Bauer namens Tuto Almeida. Wir wollten La Nevada erreichen und danach zu Fidel stoßen, indem wir die nördlichen Abhänge des El Turquino überquerten. Wir marschierten in jene Richtung, als wir aus der Entfernung zwei Bauern bemerkten, die bei unserem Anblick zu fliehen versuchten. Wir liefen ihnen nach, und es stellte sich heraus, daß es zwei Negermädchen mit dem Nachnamen Moya waren. Es waren Adventisten, die, obgleich sie wegen ihres Glaubens gegen jede Gewaltanwendung waren, uns dennoch voll und ganz unterstützten und uns danach auch für die Dauer des ganzen Krieges halfen. Wir aßen tüchtig und machten dort eine Rast, aber als wir durch Malverde kamen (wir mußten diesen Weg nehmen, um La Nevada zu erreichen), stellten wir fest, daß sich Armeeinheiten in diesem Gebiet aufhielten. Nach einer kurzen Beratung beschlossen unser kleiner Generalstab und die Wegführer, wir sollten uns zurückziehen und direkt über den El Turquino gehen; diese Route war zwar schwieriger, aber unter den gegebenen Umständen weniger gefährlich. Unser kleines Transistorradio brachte beunruhigende Nachrichten; es hieß, daß in Estrada Palma schwere Gefechte stattfänden und daß Raúl schwer verwundet sei. (Heute, da soviel Zeit vergangen ist, kann ich nicht mehr sagen, ob wir das durch die Flüsterpropaganda oder über den Rundfunk hörten.) Wir wußten nicht, ob wir diesen Meldungen glauben sollten oder nicht, denn wir hatten gelernt, allen derartigen Berichten zu mißtrauen. Aber wir trieben unsere Männer zur Eile an, damit wir so schnell wie möglich Fidel erreichten. Wir marschierten in der Dunkelheit, verbrachten aber einen Teil
der Nacht in der Hütte eines allein lebenden Bauern, der wegen seiner spanischen Abstammung El Vizcaino15 genannt wurde. Er hauste ganz allein in einer kleinen bohío in den Vorbergen des El Turquino, und seine einzigen Freunde waren einige marxistische Schriften, die er weit von seiner Hütte entfernt, in einem kleinen mit einem Stein bedeckten Loch sorgfältig verborgen hielt. Er bekannte sich stolz zu seiner militanten marxistischen Einstellung, von der nur wenige Leute in der Gegend eine Ahnung hatten. El Vizcaíno zeigte uns, welchen Weg wir einschlagen mußten, und so setzten wir unseren langsamen Marsch fort. Sinecio entfernte sich nun immer mehr von seinem Heimatbezirk, und einem Bauern wie ihm, der nun praktisch ein Geächteter war, bereitete eine solche Situation nur Qualen. Eines schönen Tages schloß sich Sinecio Torres während einer Rast einem Rekruten namens Cuervo an, der zur Wache eingeteilt war; der Rekrut hatte ein Remington-Gewehr, und auch Sinecio Torres war mit einem Gewehr bewaffnet. Als ich etwa dreißig Minuten später davon hörte, machte ich mich auf, um sie zu suchen, denn ich traute Sinecio nicht, und Gewehre waren damals ziemlich kostbar. Aber beide waren bereits desertiert. Banderas und Israel Pardo gingen ihnen nach, es war ihnen klar, daß die Flüchtigen mit weitreichenden Waffen ausgerüstet waren, während sie nur Revolver hatten. Aber sie holten die Deserteure nicht mehr ein. Es war sehr schwierig, die Moral der Truppe aufrechtzuerhalten. Wir hatten zuwenig Waffen und keinen direkten Kontakt mit dem Befehlshaber der Revolution. Unerfahren und von Feinden umgeben, die in unserer Vorstellung und in den Erzählungen der guajiros als Giganten drohend umhergeisterten, tasteten wir uns praktisch nur vorwärts. Der Widerwillen der Rekruten aus den Städten, und die Tatsache, daß sie mit tausendundein Schwierigkeiten der Sierra nicht vertraut waren, hatten bei unserer kleinen Gruppe eine ständige moralische Krise zur Folge. Es gab einen Desertionsversuch, der von einem Mann namens El Mexicano angestiftet wurde, der später den Dienstgrad eines Hauptmanns erlangte und sich heute als Verräter an der Revolution in Miami aufhält. Kamerad Hermes Leyva unterrichtete mich von den Desertionsabsichten. Hermes ist ein Vetter von Joel Iglesias. Ich berief eine allgemeine Beratung ein, um das Problem zu erörtern und aus der Welt zu schaffen. El Mexicano schwur bei allen seinen Vorfahren, daß er selbst dann, wenn er daran gedacht habe, uns zu verlassen, nicht die Absicht gehabt habe, aus unserem Kampf zu desertieren. Er habe eine kleine Guerillagruppe bilden wollen, die Spitzel 15
Deutsch: «Der von der Biskaya.» (Anm. d. Übers.)
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überfallen und töten sollte, denn bei uns habe er konkrete Aktionen vermißt. Aber in Wahrheit wollte er Denunzianten wegen ihres Geldes umbringen; er plante eine typische Banditenaktivität. In einem der folgenden Gefechte, bei El Hombrito, war Hermes unser einziger Gefallener, und wir wurden den Verdacht nie los, daß El Mexicano ihn getötet haben könnte, weil Hermes ihn früher bei uns angezeigt hatte. Niemand konnte dies jedoch beweisen. El Mexicano blieb bei uns, er gab uns sein Wort als Mann, als Revolutionär usw. usw., daß er uns nicht verlassen werde, daß er dies auch nicht versuchen wollte und ebenso niemanden dazu anstacheln werde. Nach kurzen, aber schwierigen Märschen erreichten wir das Gebiet von Palma Mocha, am westlichen Abhang des El Turquino, in der Nähe von Las Cuevas. Die guajiros bereiteten uns einen sehr freundlichen Empfang, und mit Hilfe meines neuen Berufs als «Zahnzieher», den ich jetzt mit großer Begeisterung ausübte, konnten wir einen direkten Kontakt herstellen. Wir aßen etwas und erholten uns, so daß wir unseren Marsch schnell in die uns bekannten Gebiete von Palma Mocha und El Infierno fortsetzen konnten. Am 15. Juni trafen wir ein. Dort unterrichtete uns Emilio Carrera, ein Bauer aus der Gegend, davon, daß Lalo Sardiñas in der Nähe einen Hinterhalt gelegt hatte. Er war beunruhigt, denn im Fall eines Angriffs auf eine feindliche Patrouille wäre sein Haus gefährdet. Am 16. Juni stieß unsere kleine neue Gruppe auf den Zug von der Kampfgruppe Fidels, der unter dem Befehl Lalo Sardiñas stand. Lalo berichtete uns, warum er es für notwendig gehalten habe, sich der Revolution anzuschließen, obgleich er nicht mehr als ein Kaufmann gewesen war, der für uns Nachschub aus der Stadt heranzuschaffen pflegte: einmal war er überrascht worden, und er mußte einen Mann töten, wodurch er faktisch dazu gezwungen wurde, ein Guerillero zu werden. Lalo hatte Instruktionen erhalten, dort auf das Eintreffen der Vorhut von der Kampfgruppe des Feindes zu warten, die unter dem Befehl von Sánchez Mosquera stand. Wir erfuhren, daß der hartnäckige Sánchez Mosquera wieder einmal in das Gebiet am Palma Mocha-Fluß eingedrungen war und beinahe von Fidels Truppen eingeschlossen worden wäre, daß es ihm aber gelungen sei, ihnen auszuweichen, indem er auf Eilmärschen den El Turquino überschritt und die andere Seite des Berges erreichte. Wir wußten bereits, daß die feindlichen Truppen in der Nähe waren; ein paar Tage vorher hatten wir, als wir eine bohío erreichten, die Gräben gesehen, die die Soldaten noch bis zum Vortage besetzt gehalten hatten. Wir ahnten nicht, daß dieser offenkundige Beweis für eine anhaltende Offensive gegen uns in Wirklichkeit ein Anzeichen für den Rückzug der repressiven Kräfte war, wodurch unsere Operationen in der Sierra auf eine qualitativ
völlig neue Grundlage gestellt wurden. Wir waren jetzt stark genug, daß wir den Feind umzingeln und ihn mit der Drohung, ihn zu vernichten, zum Rückzug zwingen konnten. Der Feind begriff diese Lektion gut und drang nur noch in Einzelfällen in die Sierra ein. Aber Sánchez Mosquera war einer der zähesten, aggressivsten und blutrünstigsten Offiziere des Feindes; er stieg vom einfachen Leutnant im Jahre 1957 zum Obersten auf, einem Dienstgrad, der ihm im Juni des folgenden Jahres nach der endgültigen Niederlage in der allgemeinen Offensive der Armee verliehen worden war. Er durchlief eine Blitzkarriere; seine Laufbahn war aber auch für ihn persönlich außerordentlich ertragreich, denn jedesmal, wenn er und seine Truppen in den Irrgarten der Sierra Maestra eindrangen, plünderte er die Bauern erbarmungslos aus.
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Vorbereitung eines Verrats Wir freuten uns sehr, unsere gesamte Kampfgruppe wiederzusehen. Wir zählten nun nahezu zweihundert Mann und hatten einige neue Waffen; unsere Disziplin war besser geworden und die Moral höher. Es war offensichtlich, daß die qualitative Veränderung, die ich bereits erwähnte, nun in der Sierra Maestra deutlich wurde. Es existierte bereits eine wirklich befreite Zone; die Vorsichtsmaßnahmen waren nicht mehr so unbedingt notwendig; man konnte sich schon nachts etwas unterhalten oder in seiner Hängematte bewegen; es wurde die Erlaubnis erteilt, die Dörfer der Sierra aufzusuchen und ein engeres Verhältnis zu der Bevölkerung anzuknüpfen. Rührend war es, den Empfang mitzuerleben, der uns von unseren alten Kameraden zuteil wurde. Felipe Pazos und Raúl Chibás waren damals die großen Namen im Lande. Es waren zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten, Raúl Chibás lebte unter dem Namen seines Bruders. Sein Bruder Eduardo Chibás war wirklich Symbol einer Ära auf Kuba, aber Raúl besaß keine seiner hervorragenden Eigenschaften; er konnte sich weder gut ausdrücken, noch war er klug oder intelligent. Es war gerade seine völlige Mittelmäßigkeit, die ihn zu einer einzigartigen und symbolischen Erscheinung in der Orthodoxen Partei werden ließ. Er sprach wenig und wollte die Sierra so schnell wie möglich wieder verlassen. Felipe Pazos dagegen war eine selbständige Persönlichkeit und als guter Wirtschaftler bekannt. Außerdem galt er als ein ehrenhafter Mann, denn als Präsident der Nationalbank hat er nie nach öffentlichen Geldern gegriffen und das in einem Land mit einer Regierung, die sich (damals, unter Prío Socarrás) auf Betrug und ständigen, systematischen Raub und auf Ausbeutung stützte. Wie großartig, wenn jemand in dieser Zeit eine integre Persönlichkeit blieb. Bei einem reinen Funktionär, der auf strikte Einhaltung seiner Verwaltungslaufbahn bedacht ist und der den schweren Problemen seines Landes gleichgültig gegenübersteht, mag dies vielleicht ein großes Verdienst sein. Wie aber können wir uns einen Revolutionär vorstellen, der die unvorstellbaren Willkürakte jener Zeit nicht täglich aufs neue bloßstellt und anprangert? Felipe Pazos schaffte es geschickt, solche Kritik zu umgehen, und nach dem Putsch Batistas legte er den Vorsitz der Kubanischen Nationalbank als Mann mit größtem Prestige nieder - eine Persönlichkeit von Ehre, hoher Intelligenz und großen Gaben als Wirtschaftler. Er war arrogant genug, daß er sich in die Sierra begeben wollte, damit er dort die Führung der Rebellion übernähme; in seinem kleinen machiavellistischen Geist war er der Mann, der ganz klar dazu bestimmt war, die Geschicke des Landes zu lenken. Vielleicht hatte die Idee, die Bewegung zu verraten, schon damals bei ihm Wurzeln geschlagen, viel-
leicht geschah dies auch erst später; in jedem Fall war seine Haltung niemals völlig klar und offen gewesen. Gestützt durch die gemeinsame Deklaration, auf die ich noch eingehen werde, nominierte er sich selbst zum Delegierten der ‹Bewegung des 26. Juli› in Miami und wurde später zum provisorischen Präsidenten der Republik vorgeschlagen. Auf diese Weise wäre sichergestellt gewesen, daß Prío eine rechte Hand in der Führung der provisorischen Regierung erhielt. Wir hatten in jenen Tagen wenig Zeit, diese Dinge eingehend durchzusprechen, aber Fidel berichtete mir von seinen Bemühungen, diese Deklaration zu einem wirklich militanten Dokument zu machen, ihr die Form einer Grundsatzerklärung zu geben. Mit diesen beiden nur auf sich selbst bezogenen und unempfänglichen Charakteren war es jedoch schwierig, zu einer allgemeinen Volkserhebung aufzurufen. Grundsätzlich bestand das Manifest darauf, «eine breite zivile revolutionäre Front zu schaffen, der alle oppositionellen politischen Parteien, alle zivilen Institutionen und alle revolutionären Kräfte angehören sollten». Es enthielt auch eine Reihe von Vorschlägen, wie zum Beispiel die «Bildung einer zivilen revolutionären Front für einen gemeinsamen Kampf», oder die Nominierung «einer Persönlichkeit, die den Vorsitz in der provisorischen Regierung übernehmen sollte». Die Deklaration stellte klar, daß die Front die Vermittlung einer anderen Nation im Hinblick auf die inneren Angelegenheiten Kubas weder herbeiführen noch ihr zustimmen werde und daß «als provisorische Regierung der Republik keine wie auch immer beschaffene Militärjunta akzeptiert wird». Sie verkündete ferner den Beschluß, die Armee von der Politik streng und ohne Einschränkung zu trennen, und sie garantierte den Streitkräften ihre Integrität. Darüber hinaus wurde festgestellt, daß nach einem Jahr Wahlen stattfinden sollten. Das Programm, nach dem die provisorische Regierung die Geschäfte ausüben sollte, sah die Freilassung aller politischen Gefangenen, der Zivilisten, der Militärpersonen vor; es verlangte für Rundfunk und Presse eine unabänderliche hundertprozentige Garantie der Informationsfreiheit und forderte alle individuellen und politischen Rechte, so wie sie in der Verfassung garantiert sind. Zu den Programmpunkten gehörten ferner: Ernennung von provisorischen Bürgermeistern in allen Stadtbezirken nach Konsultationen mit den Vertretungen der Bürgerschaft des betreffenden Ortes; Unterdrückung der Spekulation in allen ihren Erscheinungsformen und Maßnahmen zur Stärkung der Leistungsfähigkeit aller staatlichen Stellen; Ausbildungsstätten für Verwaltungsfachleuchte; Demokratisierung der Gewerkschaftspolitik durch freie Wahlen in allen Gewerkschaften und Industrieverbänden; sofortiger Beginn 57
eines intensiven Feldzuges gegen das Analphabetentum und für eine staatsbürgerliche Erziehung, wobei insbesondere Wert auf die Pflichten und Rechte des Bürgers gegenüber der Gesellschaft und seinem Land gelegt werden solle; «Festlegung von Bestimmungen für eine Bodenreform mit dem Ziel der Verteilung des im öffentlichen Besitz befindlichen Landes und der Umwandlung aller Naturalienpächter, aller Gutspächter und Ansiedler ohne Rechtstitel mit kleinem Landbesitz in Eigentümer des Grund und Bodens, und zwar unabhängig davon, ob sich das Land in staatlichem oder privatem Besitz befindet. Dabei hat eine Entschädigung des früheren Besitzers vorauszugehen»; eine gesunde Fiskalpolitik, wodurch die Stabilität unserer Währung gewährleistet und das Vermögen der Nation für produktive Arbeiten genutzt werden sollte; Beschleunigung des Industrialisierungsprozesses und Beschaffung neuer Arbeitsplätze. Dazu kamen noch zwei besonders wichtige Punkte: «Erstens muß sofort die Persönlichkeit bestimmt werden, die aufgerufen ist, den Vorsitz der provisorischen Regierung der Republik zu übernehmen, damit vor aller Welt demonstriert wird, daß das kubanische Volk fähig ist, sich hinter dem Ruf nach Freiheit zusammenzuschließen und diese Persönlichkeit zu unterstützen, die ihrerseits die Qualitäten der Unparteilichkeit, Integrität, Leistungsfähigkeit und Anständigkeit in sich vereinigt und die diesem Ruf eine konkrete Form gibt. Es gibt auf Kuba genügend Männer, die in der Lage sind, die Republik zu führen.» (Naturgemäß wußte zumindest Felipe Pazos, als einer der Unterzeichner der Deklaration, im innersten Herzen, daß es eben nicht genug Männer, sondern'; nur einen einzigen gab, und das war er.) «Zweitens muß diese Persönlichkeit von allen Institutionen der Bürgerschaft des Landes, also von unpolitischen Gremien bestimmt werden, deren Unterstützung den provisorischen Präsidenten von allen parteipolitischen Verstrickungen freimachen und völlig saubere und unparteiische Wahlen erlauben würde.» Weiter hieß es: «Es ist nicht notwendig, in die Sierra zu kommen, damit diese Angelegenheit erörtert werden kann; wir können unsere Vertreter nach Havanna, nach Mexiko oder an jeden anderen Ort entsenden.» Fidel hatte versucht, sie dahingehend zu beeinflussen, daß sie einige? Erklärungen zur Bodenreform deutlicher faßten. Es war jedoch schwierig, die monolithische Front dieser beiden Einzelgänger zu durchbrechen; die «Festlegung von Bestimmungen für eine Bodenreform mit dem Ziel der Verteilung des im öffentlichen Besitz befindlichen Landes» war eine Politik, der sogar das Diario de la Marina zustimmen konnte, und die Krönung des Ganzen war
die «vorausgehende Entschädigung des früheren Besitzers». Einige der hier niedergelegten Punkte wurden von der Revolution nicht, wie ursprünglich geplant, verwirklicht. Es muß unterstrichen werden, daß der Feind das stillschweigende Übereinkommen, das in dem Manifest zum Ausdruck kam, verletzte, indem er die Autorität der Sierra nicht anerkannte und versuchte, die künftige Revolutionsregierung durch a priori festgelegte Verpflichtungen zu binden. Wir waren mit dem Kompromiß nicht zufrieden, aber er war notwendig; er war zu jenem Zeitpunkt sogar fortschrittlich. Er konnte nicht über seine Zeit hinaus Bestand haben, als er zu einem Hemmschuh der revolutionären Entwicklung wurde, aber wir waren gewillt, uns an ihn zu halten. Durch seinen Treubruch half uns der Feind, die unbequemen Bande zu zertrennen und dem Volk seine wahren Absichten zu zeigen. Wir wußten, daß es ein Minimalprogramm war, ein Programm, das unsere Anstrengungen begrenzte, aber wir wußten auch, daß es nicht möglich war, unseren Willen von der Sierra Maestra aus zur Geltung zu bringen, und daß wir uns - für eine lange Zeit - auf «Freunde» verlassen mußten, die versuchten, unsere militärische Stärke und das Vertrauen, das die Bevölkerung Fidel entgegenbrachte, für ihre eigenen makabren Pläne zu nutzen. Vor allem wollten sie mit Hilfe der imperialistischen Handelsbourgeoisie, die mit den Herren im Norden eng verbunden war, die Herrschaft des Imperialismus auf Kuba aufrechterhalten. Das Manifest hatte einige positive Seiten. Es sprach von der Sierra Maestra und stellte ausdrücklich fest: «Niemand sollte sich im Hinblick auf die Situation in der Sierra von der Regierungspropaganda täuschen lassen. Die Sierra Maestra ist bereits ein unzerstörbares Bollwerk der Freiheit, das die Herzen unserer Landsleute für sich gewonnen hat, und hier werden wir wissen, wie der Glauben und das Vertrauen unseres Volkes vergolten werden können.» Das «hier werden wir wissen, wie...» bedeutete in Wirklichkeit, daß Fidel Castro es wußte; die beiden anderen waren unfähig, der Entwicklung des Kampfes in der Sierra Maestra, und sei es auch nur als Zuschauer, zu folgen. Sie verließen die Berge fast unmittelbar nach ihrem Eintreffen. Chibás wurde dabei von der Polizei Batistas überrascht und ein wenig mißhandelt; beide gingen später in die Vereinigten Staaten. Es war ein gut durchdachter Coup: einige der distinguiertesten Angehörigen der kubanischen Oligarchie trafen «zur Verteidigung der Freiheit» in der Sierra Maestra ein, unterzeichneten zusammen mit dem Guerilla-Chef eine gemeinsame Deklaration und gingen dann nach Miami, um ganz nach Belieben ihre Trumpfkarte auszuspielen. Sie hatten jedoch nicht daran gedacht, daß 58
politische Manöver nur so weit gehen können, wie es die Stärke des Gegners erlaubt; in diesem Fall war das bewaffnete Volk der Gegner. Die schnelle Aktion unseres Befehlshabers, der das völlige Vertrauen der Guerilla-Armee besaß, verhinderte, daß sich der Anschlag weiter entwickelte. Monate später, als das Ergebnis des Paktes in Miami bekannt wurde, lähmte Fidels leidenschaftliche Antwort den Feind. Man beschuldigte uns, wir wollten die Opposition gegen Batista spalten und ihr von der Sierra aus unseren Willen aufzwingen; aber sie mußten nun ihre Taktik ändern und eine neue Falle, den Pakt von Caracas, vorbereiten. Unser Manifest trug das Datum des 12. Juli 1957 und wurde in den Zeitungen veröffentlicht. Für uns war diese Deklaration nicht mehr als ein kurzer Halt auf unserem Wege; wir Guerilleros standen auch weiterhin vor der grundlegenden Aufgabe, die Armee der Unterdrückung auf dem Schlachtfeld zu besiegen. In jenen Tagen wurde eine neue Kampfgruppe gebildet, zu deren Führer ich bestimmt wurde. Ich war damals Hauptmann. Es gab auch einige andere Beförderungen: Ramiro Valdés wurde zum Hauptmann ernannt und mit seinem Zug meiner Kampfgruppe zugeteilt; Ciro Redondo wurde ebenfalls zum Hauptmann befördert; er führte einen anderen Zug. Die neue Kampfgruppe setzte sich aus drei Zügen zusammen; der erste stand unter dem Befehl von Lalo Sardiñas, der die Vorhut führte und gleichzeitig zweiter Befehlshaber der Gruppe war. Zu dieser Kampfgruppe, die als «die enteigneten Bauern» bekannt war, gehörten etwa fünfundsiebzig Mann; ihre Kleidung und Bewaffnung war ganz unterschiedlich. Dennoch war ich auf sie sehr stolz. Ein paar Nächte später war mein Stolz noch viel größer, fühlte ich mich der Revolution noch viel näher, wenn das überhaupt möglich war, und ich war noch mehr bemüht, zu beweisen, daß die Beförderungen äußerst verdient waren. Das kam so: Wir schickten ein Glückwunsch- und Dankschreiben an «Carlos» (Frank País' Nom de guerre), der wenige Tage später fallen sollte. Es wurde von allen Offizieren der Guerilla-Armee unterzeichnet, die schreiben konnten (die Bauern der Sierra waren in der Kunst des Schreibens nicht sehr bewandert, aber sie waren bereits ein wichtiger Bestandteil der Guerillatruppe). Der Brief wurde in zwei Rubriken unterzeichnet, die zweite war für den Dienstgrad bestimmt. Als ich an der Reihe war, befahl Fidel kurz: «Schreib ‹Major› hin.» So formlos und fast beiläufig wurde ich Major161 der Zweiten Kampfgruppe der Guerilla-Armee, die später zur Vierten Kampfgruppe wurde.
Es war in einem Bauernhaus, ich weiß nicht mehr, in welchem, als die Guerillakämpfer diese herzliche Botschaft an ihren Bruder in der Stadt entwarfen, der in Santiago so heldenhaft kämpfte, damit er uns mit Nachschub versorgen konnte, und durch dessen Aktivität der Druck auf uns gemildert wurde. Die Eitelkeit, die wir alle in uns tragen, machte mich an jenem Tag zum stolzesten Menschen auf der Erde. Celia überreichte mir das Symbol meines neuen Dienstgrades, einen kleinen Stern, und dazu eine der Armbanduhren, die sie aus Manzanillo bestellt hatten. Meine erste Aufgabe als Major war es, mit meiner Kampfgruppe Sánchez Mosquera einzuschließen. Aber er, der bestialischste dieser Räuber und Mörder, hatte das Gebiet bereits verlassen. Wir mußten irgend etwas unternehmen, um das halbunabhängige Leben zu rechtfertigen, das wir in dem neuen Gebiet von El Hombrito, wohin wir nun marschierten, führen sollten, und wir begannen, neue Aktionen auszubrüten. Wir bereiteten auch die Feierlichkeiten für den glorreichen 26. Juli vor, der nun näherrückte, und Fidel hatte mir freie Hand gegeben, zu tun, was ich konnte, vorausgesetzt, daß ich vorsichtig vorginge. Beim letzten Zusammentreffen lernten wir den neuen Truppenarzt Sergio del Valle kennen - er ist heute Generalstabschef unserer Revolutionsarmee -, der in jenen Tagen seinen Beruf ausübte, wie es die Bedingungen der Sierra gestatteten. Es war unbedingt notwendig, der Außenwelt zu zeigen, daß wir noch am Leben waren, denn unsere Kameraden in der Ebene hatten einen ernsten Rückschlag erlitten. Die Waffen, die dazu bestimmt waren, von der MirandaZuckermühle aus eine andere Front zu eröffnen, waren in die Hände der Polizei gefallen; dabei wurden viele tapfere Führer der Bewegung, unter ihnen Faustino Pérez, verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Fidel war gegen eine Aufspaltung unserer Streitkräfte gewesen, aber er hatte nachgegeben, weil die Bewegung in der Stadt darauf beharrte. Durch die Beschlagnahme der Waffen war klar bewiesen, daß er recht gehabt hatte, und wir machten uns nun zunächst daran, unsere Stellung in der Sierra Maestra zu konsolidieren, denn von hier aus wollten wir unsere Guerilla-Armee weiter ausbauen.
16 Major war in der Guerilla-Armee der höchste Dienstgrad; auch Castro ist Major; er hat - aus verständlicher Abneigung gegen diese durch Batista und seinesgleichen kompromittierten militärischen Titel - die Ränge Oberst und General auch in der heutigen kubanischen Armee abgeschafft. (Anm. d. Ü.)
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Der Angriff auf Bueycito Unsere neue Unabhängigkeit brachte neue Probleme mit sich. Wir mußten nun für straffe Disziplin sorgen, Kommandoposten und irgendeine Form von Generalstab einrichten, damit in jedem kommenden Gefecht ein Erfolg gewährleistet werden konnte. Dies war allerdings eine Aufgabe, die angesichts der mangelhaften Disziplin bei den Männern nicht allzuleicht zu lösen war. Kaum war die Kampfgruppe zusammengestellt worden, als uns ein sehr beliebter Kamerad verließ. Es war Leutnant Maceo, der mit einem Sonderauftrag nach Santiago ging und den wir nicht wiedersehen sollten, denn er fiel dort vor dem Feind. Auch beförderten wir einige Männer: die Kameraden William Rodríguez und Raúl Castro Marcader wurden Leutnants. Dadurch versuchten wir, unserer kleinen Guerillastreitmacht die nötige Form zu geben. Eines Morgens erfuhren wir, daß ein Mann mit seinem Gewehr, einer Waffe vom Kaliber 22, die unter den kläglichen Bedingungen jener Zeit eine Kostbarkeit war, die Truppe verlassen hatte. Der Deserteur war als El Chino Wong bekannt, er gehörte der Vorhut an und hatte sich wahrscheinlich in seinen Heimatbezirk in den Vorbergen der Sierra Maestra abgesetzt. Zwei Männer wurden ihm nachgeschickt; aber wir verloren die Hoffnung, als Israel Pardo und Banderas von einer erfolglosen Suche nach anderen Deserteuren zurückkehrten. Wegen seiner Vertrautheit mit dem Terrain und seiner großen physischen Spannkraft wurde Israel dazu befördert, an meiner Seite für Sonderaufgaben zur Verfügung zu stehen. Wir arbeiteten einen sehr ehrgeizigen Plan aus; er sah zunächst einen nächtlichen Angriff auf Estrada Palma vor; dann wollten wir in die nahe gelegenen Dörfer Yara und Veguitas vorstoßen, um die kleinen, dort stationierten Garnisonen gefangenzunehmen, und auf demselben Weg in die Berge zurückkehren. Auf diese Weise konnten wir drei Garnisonen in einem einzigen Angriff nehmen, wobei wir stets das Überraschungsmoment einkalkulierten. Wir hatten einige Praxis darin, mit unserer Munition sparsam umzugehen, und wir stellten fest, daß alle unsere Waffen - mit Ausnahme des automatischen Madzon-Gewehres, das sehr alt und verschmutzt war - in Ordnung waren. In einer kurzen Meldung legten wir Fidel unseren Plan dar und ersuchten um Nachricht, ob er ihm zustimme oder ihn ablehne. Wir erhielten keine Antwort, aber aus einer Rundfunksendung vom 27. Juli erfuhren wir, daß - nach der amtlichen Mitteilung - Estrada Palma von zweihundert Mann unter Führung Raúl Castros angegriffen worden war. Die Zeitschrift Bohemia veröffentlichte in ihrer einzigen unzensierten Aus-
gabe, die damals herauskam, einen Bericht über den Schaden, den unsere Truppen in Estrada Palma angerichtet hatten, wo die alten Kasernen niedergebrannt wurden; die Zeitschrift erwähnte auch Fidel Castro, Celia Sánchez und eine ganze Liste von Revolutionären, die von den Bergen heruntergekommen seien. Wie in solchen Fällen üblich, waren Wahrheit und Erfindung miteinander vermischt, und die Journalisten waren nicht in der Lage, beides voneinander zu trennen. Tatsächlich hatten nicht zweihundert Mann, sondern viel weniger den Stützpunkt angegriffen, und sie standen unter der Führung von Major Guillermo Garcia (der damals Hauptmann war), und es hatte auch gar kein richtiges Gefecht stattgefunden, denn Barreras hatte sich kurz vorher zurückgezogen, weil er logischerweise befürchtete, daß es am 26. Juli zu schweren Angriffen kommen werde, und vielleicht auch, weil er seiner eigenen Position mißtraute. Somit war der Vorstoß nach Estrada Palma eine vergebliche Anstrengung. Am folgenden Tag jagten Einheiten der Armee unsere Guerilleros, und da unsere Organisation noch nicht so gut klappte, wurde einer unserer Männer gefangengenommen, der irgendwo in der Nähe von San Lorenzo eingeschlafen war. Nachdem wir diese Nachrichten gehört hatten, beschlossen wir, in den Tagen unmittelbar nach dem 26. Juli so schnell wie möglich irgendeine andere Garnison anzugreifen, um damit eine für eine Erhebung günstige Atmosphäre zu erhalten. Als wir in die Richtung der Maestra zogen, holte uns bei einem Ort namens La Jeringa einer der beiden Männer ein, die nach dem Deserteur Ausschau gehalten hatten. Er berichtete uns, der andere habe ihm anvertraut, er sei ein enger Freund von El Chino Wong und könne ihn nicht verraten; er habe ihn selbst zur Desertion aufgefordert und habe zu verstehen gegeben, daß er nicht zu den Guerilleros zurückkehren werde. Der Kamerad befahl ihm daraufhin, stehenzubleiben. Aber der neue Deserteur setzte seinen Weg fort, und der Kamerad fühlte sich verpflichtet, ihn zu töten. Ich ließ meine ganze Truppe auf dem Hügel zusammentreten, der dem Schauplatz dieses Ereignisses gegenüberlag und erläuterte unseren Männern, was das, was sie nun bald sehen würden, zu bedeuten habe; setzte ihnen noch einmal auseinander, warum auf Desertion die Todesstrafe stehe und warum jeder, der die Revolution verrate, dazu verurteilt werden müsse. Schweigend zogen wir in Einerreihe an der Leiche des Mannes vorbei, der versucht hatte, seinen Posten zu verlassen. Viele der Männer hatten nie zuvor den Tod vor Augen gehabt, und vielleicht waren sie mehr durch persönliche Gefühle für den Toten bewegt und von einer für jene Zeit natürlichen politischen Schwäche befallen, als von Anwandlungen mangelnder Loyalität gegenüber der Revolution. Es waren damals schwierige Zeiten, und wir benutzten das 60
Schicksal dieses Mannes als warnendes Beispiel. Es ist nicht notwendig, hier seinen Namen zu nennen; es soll hier nur so viel gesagt werden, daß der Tote ein junger armer Bauer aus der Umgebung war. Wir zogen nun durch vertrautes Gelände. Am 30. Juli nahm Lalo Sardiñas zu einem alten Freund Kontakt auf; er hieß Armando Oliver und war Kaufmann im Bergbaugebiet. Wir verabredeten uns in einem Haus in der Nähe der Kalifornien-Zone, und dort trafen wir mit ihm und Jorge Abich zusammen. Wir sprachen von unserer Absicht, Minas und Bueycito anzugreifen. Es war riskant, dieses Geheimnis anderen Personen anzuvertrauen, aber Lalo Sardiñas kannte diese Kameraden und vertraute ihnen. Armando unterrichtete uns davon, daß Casillas üblicherweise sonntags in diese Gegend kam, denn nach der alten Tradition der Soldateska hatte er dort eine Geliebte. Naturgemäß ging es uns darum, lieber schnell anzugreifen, ehe unsere Anwesenheit bekannt wurde, und Casillas gefangenzunehmen, als unserem guten Glück zu vertrauen. Wir stimmten überein, daß der Angriff in der folgenden Nacht, am 31. Juli, beginnen sollte. Armando Oliver sollte die Aufgabe übernehmen, uns Lastwagen, Wegführer und einen Bergmann zu besorgen, der die Brücken zwischen der Fernverkehrsstraße von Bueycito und der von Manzanillo-Bayamo in die Luft sprengen sollte. Am nächsten Tag um zwei Uhr nachmittags brachen wir auf. Wir brauchten ein paar Stunden, bis wir den Kamm der Maestra erreichten, wo wir unser gesamtes Marschgepäck versteckten; danach setzten wir unseren Weg nur mit der Feldausrüstung fort. Wir mußten lange marschieren und passierten eine Anzahl Häuser. In einem war gerade eine Festlichkeit im Gange; wir riefen alle Teilnehmer zusammen und sprachen mit ihnen; wir machten ihnen klar, daß wir sie zur Rechenschaft ziehen würden, wenn unsere Anwesenheit entdeckt würde. Dann machten wir uns eilends wieder auf den Weg. Naturgemäß war die Gefahr, die mit solchen Begegnungen verbunden war, nicht sehr groß, denn in jenen Tagen gab es in der Sierra Maestra kein Telefon und auch keine anderen Nachrichtenmittel, und ein Denunziant hätte sich im Laufschritt auf den Weg machen müssen, um vor uns einzutreffen. Wir erreichten das Haus von Kamerad Santiestéban, der uns einen leichten Lastkraftwagen zur Verfügung stellte. Wir besaßen noch zwei weitere Lastwagen, die uns Armando Oliver geschickt hatte. Nachdem wir so die gesamte Kampfgruppe in Lastwagen verladen hatten - Lalo Sardiñas war im ersten, Ramirito und ich im zweiten und Ciro mit seinem Zug im dritten -, erreichten wir in weniger als drei Stunden das Dorf Minas. In Minas hatte die Wachsamkeit der Armee schon nachgelassen, und so hatten wir vor allem sicherzustellen, daß von dort niemand Bueycito erreichte. Wir ließen also unsere Nachhut
unter dem Befehl von Leutnant Vilo Acuña (er ist heute Major unserer Rebellenarmee) in Minas zurück und stießen mit den übrigen Leuten in die Außenbezirke von Bueycito vor. Vor dem Dorfeingang stoppten wir ein Kohlenlastauto und schickten es mit einem unserer Männer voraus, um festzustellen, ob Soldaten Wache stehen, denn manchmal kontrollierte ein Armeeposten am Eingang von Bueycito alles, was aus der Sierra kam. Aber niemand war zu sehen; alle Wachen schliefen glücklich und zufrieden. Unser Plan war einfach, wenn auch ein wenig anspruchsvoll: Lalo Sardiñas sollte die Kasernen vom Westen her angreifen; Ramiro und sein Zug sollten sie umstellen, Ciro stand mit dem Maschinengewehr des Stabes bereit, frontal anzugreifen, und Armando Oliver würde wie zufällig in einem Auto ankommen und mit den Scheinwerfern die Wachen blenden. In diesem Augenblick würden Ramiros Leute gegen die Kasernen vorstürmen und alle Insassen gefangennehmen. Gleichzeitig mußten als Vorsichtsmaßregel alle die Soldaten gefangengenommen werden, die in ihren Häusern schliefen. Aufgabe der Abteilung von Leutnant Noda (der später beim Angriff auf Pino del Agua fiel) war es, bis zum Beginn des Feuerüberfalls alle Fahrzeuge auf der Fernverkehrsstraße anzuhalten, und William erhielt den Befehl, die Brücke in die Luft zu sprengen, die Bueycito mit der zentralen Fernverkehrsstraße verbindet, damit die Streitkräfte des Feindes zurückgehalten würden. Dieser Plan wurde nie ausgeführt. Er war für unerfahrene Leute, die mit dem Gelände nicht vertraut waren, zu schwierig. Ramiro verlor im Laufe der Nacht einen Teil seines Zuges und traf etwas verspätet ein. Das Auto kam überhaupt nicht, und an einer Stelle schlugen, während wir unsere Truppen in ihre Ausgangsstellungen manövrierten, laut einige Hunde an. Als ich auf der Hauptstraße des Dorfes entlangging, kam ein Mann aus einem Haus heraus. Ich rief: «Halt, wer da?» Der Mann, in der Annahme, ich sei ein Soldat, gab sich zu erkennen: «Die Guardia Rural!» Als ich mein Gewehr gegen ihn in Anschlag brachte, lief er ins Haus zurück, schlug die Tür hinter sich zu, und von innen hörte ich, wie Tische und Stühle umfielen und Glas zerbrach, als er durch das Haus stürzte. Es gab, nehme ich an, zwischen uns beiden ein stillschweigendes Übereinkommen: ich konnte nicht schießen, da es uns ja vor allem darum ging, die Kasernen zu nehmen, und er rief seinen Gefährten keine Warnung zu. Wir gingen vorsichtig weiter und brachten gerade die letzten Männer in Stellung, als die Kasernenwache, durch die bellenden Hunde und wahrscheinlich durch die Geräusche meines Zusammentreffens mit dem Gendarmen aufmerksam gemacht, einige Schritte vorwärts ging, um die Ursache der Unruhe zu ermitteln. Plötzlich standen wir 61
uns, nur wenige Meter voneinander entfernt, Auge in Auge gegenüber. Ich hatte meine MP in Anschlag, und der Soldat sein Garand. Israel Pardo war an meiner Seite. Ich rief: «Halt!» und der Mann machte eine Bewegung. Das genügte mir. Ich riß am Abzug, um ihn über den Haufen zu schießen, aber nichts geschah, und ich war wehrlos. Israel Pardo wollte schießen, aber sein schadhaftes 22er Gewehr ging ebenfalls nicht los. Ich weiß wirklich nicht, wie es kam, daß Israel dabei am Leben blieb; ich weiß nur noch, was ich selbst tat, als ein Geschoßhagel aus dem Garand-Gewehr des Soldaten in meine Richtung flog: ich rannte so schnell wie niemals wieder und lief um die Ecke, um die nächste Straße zu erreichen. Dort machte ich meine Maschinenpistole wieder schußbereit. Unbewußt hatte der Soldat jedoch das Signal zum Angriff gegeben, denn unsere Männer hörten seinen Schuß zuerst. Als nun von allen Seiten Gefechtslärm ertönte, versteckte sich der Soldat erschreckt hinter einer Säule, wo wir ihn am Ende des kurzen Gefechts entdeckten. Während Israel ging, um Verbindung aufzunehmen, verstummte der Schußwechsel, und man bot uns die Übergabe an. Ramiritos Männer waren, als sie die ersten Schüsse hörten, vorgegangen und hatten die Kaserne von hinten angegriffen, indem sie durch ein Holztor feuerten. In der Kaserne waren zwölf Mann; sechs von ihnen waren verwundet. Wir hatten einen Verlust: Kamerad Pedro Rivera, einer der neuen Rekruten, war durch Brustschuß gefallen; drei unserer Männer waren leicht verwundet. Wir brannten die Baracken nieder, nachdem wir alles entfernt hatten, was uns irgendwie von Nutzen sein konnte; dann fuhren wir in den Lastwagen davon und nahmen den Stützpunktsergeanten und einen Spitzel namens Orán als Gefangene mit. Die Dorfbewohner an unserem Weg boten uns kaltes Bier und andere Erfrischungen an, denn es war mittlerweile heller Tag geworden. Die kleine Holzbrücke in der Nähe der Zentralen Fernverkehrsstraße war gesprengt. Als wir im letzten Lastwagen vorbeifuhren, wurde eine andere kleine hölzerne Brükke, die über einen Fluß führte, ebenfalls in die Luft gejagt. Der Bergmann, der die Sprengung vornahm, war uns von Oliver als neues Mitglied unserer Kampfgruppe zugeführt worden, und er erwies sich als eine wertvolle Neuerwerbung; er hieß Cristino Naranjo. Später wurde er zum Major befördert; in den Tagen nach dem Triumph der Revolution fiel er einem Mordanschlag zum Opfer. Wir fuhren weiter und erreichten Las Minas. Dort hielten wir an, um eine kleine Versammlung abzuhalten. In einer ziemlich theatralischen Szene bat uns ein Geschäftsinhaber der Gegend, ein Mitglied der Familie Abich, im Namen des Volkes, den Sergeanten und den Spitzel freizulassen. Wir erläuter-
ten, daß wir sie nur als Gefangene festhielten, um eine Garantie dafür zu haben, daß es im Dorf keine Repressalien geben; würde. Abich war so beharrlich, daß wir uns schließlich bereit fanden, sie freizugeben. So wurden die beiden Gefangenen freigelassen und damit die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet. Ehe wir nach der:, Sierra aufbrachen, begruben wir unseren toten Kameraden auf dem Friedhof des Ortes. Lediglich ein paar Aufklärungsflugzeuge flogen', hoch über uns hinweg. Nur um ganz sicher zu sein, daß sie uns nicht entdeckten, gingen wir in einen kleinen Laden und versorgten dort die; drei Verwundeten. Einer hatte eine äußere Verletzung an der Schulter; aber das Geschoß hatte das Fleisch zerrissen, so daß die Behandlung etwas schwierig war; der zweite war durch ein kleinkalibriges Geschoß an der Hand leicht verletzt worden, und der dritte hatte eine starke Beulet am Kopf. Sie war entstanden, als die Maultiere in der Baracke, durch die Schüsse erschreckt, wild ausschlugen und, wie der Mann berichtete, einen Brocken Mörtel von der Wand lösten, der ihm auf den Kopf fiel. In Alto de California verließen wir die Lastwagen und verteilten die erbeuteten Waffen. Obgleich meine Teilnahme an dem Gefecht minimal und nicht im mindesten heroisch gewesen war (da ich den wenigen Schüssen, denen ich ausgesetzt war, den Rücken gekehrt hatte), nahm ich ein automatisches Browning-Gewehr, das Juwel des Stützpunktes, an mich und trennte mich von der alten Thompson-MP, die niemals im rechten Augenblick losging. Die ganze Beute wurde verteilt, die besten Kämpfer erhielten die besten Waffen, und wir entließen jene Männer, die sich feige gezeigt hatten; unter ihnen waren auch die mojados (die Nassen), einige unserer Leute, die bei den ersten Schüssen geflohen und dabei in den Fluß gefallen waren. Unter denen, die sich gut bewährt hatten, war der Hauptmann Ramino Valdés, der den Angriff leitete, sowie Leutnant Raúl Castro Mercader, der zusammen mit seinen Leuten in dem kleinen Gefecht eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Als wir wieder in die Berge kamen, erfuhren wir, daß mittlerweile der Belagerungszustand erklärt und eine Zensur verhängt worden war. Wir hörten ferner, daß Frank País in den Straßen von Santiago ermordet worden war. Das war ein großer Verlust für die Revolution! Sein Tod beendete das Leben einer der reinsten und glorreichsten Gestalten der kubanischen Revolution; in dem spontanen August-Streik ging die Bevölkerung von Santiago, von Havanna, von ganz Kuba auf die Straße. Aus der teilweisen Zensur der Regierung wurde eine totale, und es begann eine neue Epoche, die durch das Schweigen der Pseudo-Opposition gekennzeichnet war, die ohnehin nicht mehr als ein Schwarm schwatzhafter Elstern gewesen war. Die Kunde von den grausamen 62
Morden, die Batistas Banditen begingen, verbreitete sich über das ganze Land, und das Volk Kubas bereitete sich auf den Krieg vor. Mit Frank País verloren wir einen unserer tapfersten Kämpfer; aber die Reaktion auf diesen Mord bewies, daß sich neue Kräfte unserem Kampf anschlossen, und daß der Kampfgeist des Volkes an Stärke zunahm.
Lydia und Clodomira Ich begegnete Lydia als frischgebackener Befehlshaber der Vierten Kampfgruppe ein paar Monate nachdem unsere revolutionäre Aktivität begonnen hatte. Wir stiegen die Berge hinunter, um den Flecken San Pablo de Yao, in der Nähe von Bayamo im Vorgebirge der Sierra Maestra, zu besetzen, weil wir hofften, dort Proviant zu finden. Eines der ersten Häuser, das wir in dem Dorf betraten, gehörte einer Bäckerfamilie. Lydia, die zu den Eigentümern der Bäckerei gehörte, war eine Frau von fünfundvierzig Jahren, und ihr Sohn hatte zu unserer Gruppe gehört. Von Beginn an stürzte sie sich mit Begeisterung und beispielhafter Hingabe in die revolutionäre Arbeit. Wenn ich an Lydia denke, fühle ich etwas mehr als nur herzliche Anerkennung für diese makellose Revolutionärin, denn sie zeigte sich besonders zu mir hingezogen und arbeitete - ungeachtet des Frontabschnitts, dem ich zugeteilt werden könnte - am liebsten unter meinem Befehl. Bei zahllosen Gelegenheiten betätigte sich Lydia für mich und für die Bewegung als Sonderkurier. Nach Santiago und Havanna beförderte sie die kompromittierendsten Dokumente, alle Kommuniques unserer Kampfgruppe und die Nummern unserer Zeitung El Cubano Libre; und herauf zu uns in die Sierra brachte sie Papier und Medikamente, alles, was wir benötigten und wann immer wir es brauchten. Ihr Mut war so unendlich groß, daß die männlichen Kuriere sie mieden. Ich erinnere mich sehr gut, wie einer von ihnen - in einer Mischung aus Bewunderung und Ressentiment - zu mir sagte: «Diese Frau hat mehr auf dem Kasten als Maceo17, aber sie wird uns noch alle umbringen. Was sie macht, ist einfach verrückt. Aber jetzt ist keine Zeit für Späße!» Doch Lydia ließ sich nicht beirren, immer und immer wieder ging sie durch die feindlichen Linien. Als ich in die Zone von Mina del Frío, in Las Vegas de Jibacoa, versetzt wurde, folgte sie mir. Dies bedeutete für sie, daß sie das Nebenlager, das ihr eine Zeitlang unterstellt gewesen war, sowie die Männer verlassen mußte, die sie lebhaft und ein wenig anmaßend befehligt hatte; dadurch war bei den Leuten eine gewisse Verstimmung entstanden, denn die Kubaner waren es nicht gewohnt, von einer Frau Befehle entgegenzunehmen. Ihr Lager befand sich bei Cueva, zwischen Yao und Bayamo, und es war exponierter als alle unsere anderen Stützpunkte; wir wollten sie von diesem Kommando ablösen, denn es war ein zu gefährlicher Platz. Nachdem der Feind es ausgemacht hatte, mußten es unsere Jungen oftmals unter Beschuß verlassen. Ich versuch17
1Antonio Maceo, ein gefeierter General aus der Provinz Oriente, der im Zehnjährigen Krieg (18681878) und 1895 für die Unabhängigkeit Kubas kämpfte.
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te zu erreichen, das Lydia ein für allemal von dort abgelöst wurde; aber es gelang mir erst, als sie mir an den neuen Kampfabschnitt folgte. Ich erinnere mich an einen der Vorfälle, die Lydias Charakter zeigten: es war an dem Tag, als Geilín, einer unserer besten Kämpfer - und noch ein Junge -, getötet wurde. Er war damals Vorposten von Lydias Lager. Als Lydia auf der Rückkehr von einer Sondermission den Vorposten aufsuchen wollte, beobachtete sie mehrere Männer, die sich, zweifellos von einem Spitzel aufmerksam gemacht, heimlich dem Posten näherten. Lydia reagierte, ohne zu zögern. Sie zog ihren kleinen 32er Revolver und wollte ein paar Warnschüsse in die Luft abgeben; aber ein freundschaftlich gesonnener Kamerad hielt sie rechtzeitig zurück, denn dies hätte allen das Leben gekostet. In der Zwischenzeit waren die Männer weiter vorgerückt und hatten Geilín, den Wachtposten des Lagers, überrascht. Guillermo Geilín verteidigte sich tapfer, bis er, zweimal verwundet und wohl wissend, was mit ihm geschehen würde, wenn er in die Hände dieser Mörder fiele, sich das Leben nahm. Die feindlichen Soldaten drangen in das Lager ein, brannten alles nieder, was brennbar war, und zogen sich dann zurück. Am folgenden Tag traf ich Lydia. An ihrem Gesicht konnte man ablesen, daß sie wegen des Todes des jungen Kameraden in höchster Verzweiflung war und voll Verbitterung über denjenigen, der sie daran gehindert hatte, die Warnschüsse abzugeben. «Mich, mich hätten sie getötet», sagte sie, «aber der Junge wäre gerettet worden. Ich, ich bin schon alt, aber er war noch nicht einmal zwanzig.» Und immer wieder kam sie auf das Thema zurück. Manchmal schien in ihrer ständigen Todesverachtung eine Art Prahlerei zu liegen, doch die ihr anvertrauten Aufgaben führte sie in hoher Vollendung aus. Lydia wußte, wie gern ich junge Hunde hatte, und sie versprach immer, einen von Havanna mitzubringen, ein Versprechen, das nicht leicht zu halten war. Während der großen Offensive der Armee führte Lydia ihre Aufträge buchstabengetreu aus; kreuz und quer zog sie durch die Sierra, übermittelte die wichtigsten Dokumente und war unsere Verbindung zur Außenwelt. Sie wurde von einer anderen Kämpferin vom selben Format begleitet, deren Namen der gesamten Rebellenarmee ein Begriff ist; alle kannten und verehrten Clodomira. Lydia und Clodomira waren unzertrennliche Gefährtinnen in der Gefahr geworden; ständig kamen und gingen sie und waren immer beieinander. Ich hatte Lydia gebeten, mit mir Kontakt aufzunehmen, sobald ich - nach der Invasion - von Las Villas eingetroffen sei, denn sie sollte unsere wichtigste Verbindung mit Havanna und mit dem Stabshauptquartier in der Sierra Maestra sein. Ich kam an und fand ihren Brief vor, in dem sie ankündigte, daß
sie einen jungen Hund für mich habe und daß sie ihn auf der nächsten Reise mitbringen werde. Diese Fahrt haben Lydia und Clodomira niemals angetreten. Bald danach wurde die Gruppe entdeckt, und ich erfuhr, daß die Schwäche eines Mannes daran schuld gewesen war, eines Mannes, der diesen beiden Frauen als Kämpfer, als Revolutionär und als Mensch hundertmal unterlegen war. In dieser Gruppe befanden sich Lydia und Clodomira. Unsere Kameraden verteidigten sich bis zum Tode. Lydia wurde bei der Gefangennahme verwundet. Die Leichen von Lydia und Clodomira sind verschwunden; auch in ihrem letzten Schlaf ruhen sie ohne Zweifel Seite an Seite, genauso, wie sie in den letzten Tagen ihres Kampfes um die Freiheit immer beisammen gewesen waren. Vielleicht werden ihre sterblichen Überreste eines Tages gefunden werden. Vielleicht wird man ihr Grab auf einem einsamen Feld jenes gewaltigen Friedhofes entdecken, zu dem die Insel geworden ist. Aber in der Rebellenarmee, bei denen, die kämpften und sich in jenen qualvollen Tagen opferten, wird die Erinnerung an diese beiden Frauen auf ewig fortleben, die in ständiger Lebensgefahr die Verbindung zwischen uns und der übrigen Insel ermöglichten. Bei uns allen - an der Ersten Front und bei mir persönlich - nimmt Lydia einen bevorzugten Platz ein. Deshalb schreibe ich heute ihr zu Ehren diese Erinnerungen nieder; es ist dies nur eine bescheidene Blume auf dem Massengrab, in das sich diese einst glückliche Insel verwandelt hat.
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Das Gefecht von El Hombrito Die Kampfgruppe war erst einen Monat alt, und wir waren in unserem seither etwas seßhaften Leben in der Sierra Maestra schon unruhig geworden. Wir befanden uns im El Hombrito-Tal, das diesen Namen trug, weil man von der Ebene aus ein paar gigantische Felsformationen sehen konnte, die, aufeinandergestülpt, an der Spitze einem kleinen Mann ähnelten. Unsere Männer waren immer noch rechte Anfänger, und wir mußten sie auf den Einsatz vorbereiten, ehe sie in wirklich schwierige Situationen gerieten. Denn die Erfordernisse unseres revolutionären Krieges verpflichteten uns, jederzeit gefechtsbereit zu sein. Unsere Aufgabe war es, jede feindliche Kolonne anzugreifen, die in jenen Teil der Sierra Maestra eindrang, den man damals als das freie Territorium Kubas betrachtete. In der Nacht des 29. August teilte uns ein Bauer mit, daß sich ein starker feindlicher Verband anschickte, entlang der Straße nach El Hombrito zur Maestra emporzusteigen. Wir waren der vielen falschen Informationen langsam müde geworden; so nahm ich den Mann als Geisel fest und befahl ihm unter Androhung schrecklicher Strafen, wenn er uns belüge - die Wahrheit zu sagen. Er schwur viele Eide, daß das, was er gesagt habe, wirklich wahr sei, und daß sich die Soldaten bereits auf der Farm von Julio Zapatero, nur ein paar Kilometer von der Maestra entfernt, befänden. In jener Nacht gingen wir in Stellung. Lalo Sardiñas' Zug sollte in einem kleinen, mit Trockenfarn bewachsenen Geländestück die östliche Flanke besetzen und das Feuer eröffnen, wenn die Kolonne anhielt. Ramiro Valdés befehligte die Männer, die Gewehre mit einer geringeren Feuerkraft besaßen. Er sollte sich an der westlichen Flanke postieren und ein «akustisches Scharmützel» vollführen, um auf diese Weise Alarmstimmung auszulösen. Obgleich seine Gruppe nur leicht bewaffnet war, war ihre Position weniger gefährlich, denn die Soldaten hätten eine tiefe Schlucht überqueren müssen, wenn sie sie hätten erreichen wollen. Der Fußpfad, auf dem sich der Gegner nähern würde, zog sich an der Seite des Berges entlang, wo sich Lalo verborgen hielt. Ciro würde sie von der Seite her angreifen; ich sollte mit einer kleinen Gruppe der am besten bewaffneten Männer die Feindseligkeiten eröffnen. Die beste Abteilung wurde von Leutnant Raúl Mercader geführt; sie war als Stoßeinheit gedacht, die die Früchte des Sieges pflücken sollte. Der Plan war sehr einfach: wenn der Feind eine kleine Straßenkrümmung erreicht hat, die in einer Biegung von fast neunzig Grad einen großen Felsblock umging, sollte ich zehn oder zwölf Soldaten passieren lassen und dann den letzten erschießen, so daß diese Soldaten von
der übrigen Kolonne getrennt würden. Dann sollten unsere Leute schnell den anderen Teil der Kolonne vernichten, Raúl Mercaders Abteilung würde vorrücken, wir wollten die Waffen der Toten an uns nehmen und uns dann sofort, gedeckt durch das Feuer der Nachhut unter Leutnant Vilo Acuña, zurückziehen. Bei Morgendämmerung hielt ich mich in einer Kaffeeplantage auf, in der Stellung, die Ramiro Valdés zugeteilt war. Wir lagen dem Haus von Julio Zapatero gegenüber, das unter uns am Abhang des Berges lag. Als die Sonne aufging, sahen wir Männer in dem Haus ein und aus gehen; sie verrichteten die üblichen Arbeiten nach dem Aufstehen am frühen Morgen. Nach einer Weile setzten einige von ihnen ihre Armeemützen auf, womit wir einen greifbaren Beweis dafür hatten, daß unser Geisel die Wahrheit berichtet hatte. Alle unsere Männer waren gefechtsbereit. Ich ging auf meinen Posten, und wir beobachteten, wie die erste der feindlichen Gruppe mühsam den Abhang hinaufkletterte. Das Warten schien uns unendlich lange, und bereit, meine neue Waffe, das automatische BrowningGewehr, zum erstenmal im Gefecht abzufeuern, spielten meine Finger am Abzug. Schließlich hieß es, daß sie schon ganz nahe seien, und wir konnten ihre unbekümmerten Stimmen und ihre lauten Rufe hören. Der erste ging vorbei, dann der zweite und der dritte. Ich rechnete mir mittlerweile aus, daß wir nicht genug Zeit haben würden wie geplant ein Dutzend passieren zu lassen. Als ich gerade den sechsten Soldaten zählte, hörte ich von vorn einen Ruf, und einer der Soldaten hob in einer Bewegung der Überraschung seinen Kopf. Ich eröffnete sofort das Feuer, und der sechste Mann brach zusammen. Dann begann ein allgemeiner Schußwechsel, und beim zweiten Feuerstoß aus meiner automatischen Waffe waren die sechs Mann vom Weg verschwunden. Ich befahl der Abteilung von Raúl Mercader, anzugreifen, während sich einige Freiwillige ebenfalls am Gefecht beteiligten. Der Feind wurde von beiden Flanken aus unter Feuer genommen. Leutnant Orestes von der Vorhut, Raúl Mercader selbst, Alfonso Zayas, Alcibiades Bermúdez, Rodolfo Vázquez und andere gingen vor. Aus der Deckung hinter einem großen Felsblock feuerten sie auf die feindliche Kolonne, die Kompaniestärke hatte und unter dem Befehl von Major Merob Sosa stand. Rodolfo Vázquez nahm die Waffe des Soldaten an sich, den ich verwundet hatte. Zu unserem Bedauern stellte es sich heraus, daß es ein Sanitäter war, der nur einen 45er Revolver mit zehn oder zwölf Patronen bei sich hatte. Die anderen fünf waren entkommen; sie waren rechts vom Pfad weggerobbt und hatten sich entlang einem nahen Flußbett zurückgezogen. Nach einer Weile hörten wir die ersten BazookaAbschüsse - offensichtlich hatte sich der Feind nun vom ersten Schock unse65
res Überraschungsangriffs etwas erholt. Außer meinem automatischen Gewehr war das Maxim-MG die einzige Waffe von Bedeutung, die wir besaßen, aber wir hatten es noch nicht einsetzen können, denn Julio Pérez, der MG-Schütze, konnte es nicht schußbereit machen. An Ramiro Valdés Flanke waren Israel Pardo und Joel Iglesias mit ihren fast primitiven Waffen gegen den Feind vorgegangen; Schrotflinten, von beiden Seiten abgefeuert, vollführten einen höllischen Lärm und verstärkten die Verwirrung des Feindes. Da wir eine zweite Widerstandslinie erwarteten, befahl ich den beiden seitlichen Zügen, sich zurückzuziehen, und als sie damit begannen, gingen auch wir zurück und überließen es der Nachhut, das Feuer aufrechtzuerhalten, bis Lalo Sardiñas' gesamter Zug vorbei war. Während wir uns zurückzogen, kehrte Vilo Acuña, der seine Mission ausgeführt hatte, zurück und meldete uns den Tod von Hermes Leyva, des Vetters von Joel Iglesias. Im Verlauf unserer Absetzbewegung stießen wir auf einen von Fidel geschickten Zug, den ich von unserem unmittelbar bevorstehenden Zusammenstoß mit überlegenen feindlichen Kräften in Kenntnis gesetzt hatte. Diese Gruppe stand unter dem Befehl von Hauptmann Ignacio Pérez. Wir zogen uns etwa tausend Meter vom Ort des Gefechts zurück und planten einen neuen Hinterhalt. Die Soldaten waren nun auf dem kleinen Plateau, auf dem das Gefecht stattgefunden hatte, eingetroffen, und sie verbrannten vor unseren Augen Hermes Leyvas Leiche, um auf diese Weise Rache zu nehmen. In unserem ohnmächtigen Zorn mußten wir uns auf einen Beschuß aus der Entfernung beschränken, den sie mit Panzerfäusten beantworteten. Zu diesem Zeitpunkt erfuhr ich, daß der Soldat, der mit seinem Ruf meinen vorzeitigen Schuß auslöste, laut geschrien hatte: «Was für ein Picknick!» Er muß damit gemeint haben, daß er schon beinahe auf der Kuppe des Hügels angekommen war. Dieses Gefecht bewies uns, wie schlecht ausgebildet unsere Truppe war, denn sie war nicht einmal in der Lage, eine sich bewegende Schützenlinie des Feindes aus der Nähe unter gezielten Beschuß zu nehmen. (Zwischen der Vorausabteilung des Gegners und unseren Stellungen konnte der Abstand nicht mehr als zehn oder zwanzig Meter betragen haben.) Dennoch war es für uns ein großer Triumph, denn wir hatten den Vormarsch von Merob Sosas Kampfgruppe gestoppt, die sich daraufhin zurückzog, und wir hatten einen kleinen Sieg über sie errungen. Wir hatten einen tapferen Kämpfer verloren, wurden dafür aber minimal entschädigt, indem wir eine kleine Waffe erbeuteten. All dies hatten wir mit einer Handvoll Waffen im Kampf gegen eine vollständige feindliche Kompanie erreicht, gegen mindestens 140 Mann, die alle für die moderne Kriegführung gut ausgerüstet waren und die
Panzerfäuste und vielleicht sogar Geschütze gegen unsere Stellungen eingesetzt hatten, obgleich ihre Schüsse so planlos und aufs Geratewohl wie auch unsere abgegeben worden waren. Nach diesem Gefecht wurden einige von uns wegen Tapferkeit befördert: Alfonso Zayas erhielt den Rang eines Leutnants, und es wurden auch noch einige andere Beförderungen ausgesprochen, an die ich mich aber nicht mehr erinnere. In der folgenden Nacht oder am Tag darauf hatten wir, nachdem sich die Soldaten zurückgezogen hatten, ein Gespräch mit Fidel, in dem er uns freudig erzählte, wie sie die Streitkräfte Batistas im Gebiet von Las Cuevas angegriffen hatten; bei dieser Gelegenheit erfuhr ich auch, daß in jenem Gefecht einige tapfere Kameraden gefallen waren: Juventino Alarcón aus Manzanillo, einer der ersten, der sich den Guerilleros angeschlossen hatte; Pastor; Yayo; Castillo und Oliva, der Sohn eines Leutnants bei den Regierungstruppen. Er war,; wie sie alle, ein tapferer Kämpfer und ein Junge, den wir sehr mochten. Das von Fidel gewonnene Gefecht war sehr viel wichtiger als unser eigenes, denn dort handelte es sich nicht um einen Hinterhalt, sondern um einen Angriff auf eine verteidigte Garnison. Obgleich sie die feindlichen Streitkräfte nicht vernichteten, hatten sie dem Gegner doch viele Verluste zugefügt, und die Soldaten zogen sich am Tag darauf aus jener Stellung zurück. Einer der Helden des Tages war El Negro Pilón. Es heißt, daß er auf eine bohío stieß, wo er «einen Haufen seltsamer Röhren mit Kästen dabei» entdeckte; es waren, wie sich herausstellte, Bazookas, die der Gegner dort zurückgelassen hatte. Niemand von uns war indessen mit diesen Waffen vertraut, die wir nur dem Namen nach kannten, und Pilón, dem eine Beinwunde zu schaffen machte, verließ wieder die Hütte. So entging uns die Gelegenheit, uns die Panzerfäuste anzueignen, die gerade bei Angriffen gegen kleinere Befestigungen eine so wirkungsvolle Waffe sind. Unser Gefecht hatte noch andere Auswirkungen; einen oder zwei Tage später hörten wir, daß in einem Kommunique der Armee von fünf oder sechs Toten gesprochen worden war; später erfuhren wir, daß wir neben unserem Kameraden, dessen Leiche sie geschändet hatten, noch vier oder fünf ermordete Bauern zu betrauern hatten. Der üble Merob Sosa hatte sie verdächtigt, daß sie für den Hinterhalt verantwortlich waren, weil sie der Armee die Anwesenheit unserer Truppen in dieser Gegend nicht gemeldet hatten. Ihre Namen sind mir noch in Erinnerung: Abigaíl, Calixto, Pablito Lebón - haitianischer Abstammung -und Gonzalo González. Sie alle hatten entweder überhaupt nichts mit uns zu tun, oder sie steckten nur zum Teil mit uns unter einer Decke. Sie wußten von unserer Anwesenheit und sympathisierten wie alle 66
Bauern mit unserer Sache, aber von dem konkreten Unternehmen, das wir vorbereiteten, hatten sie keinerlei Ahnung. Da wir die Methoden kannten, die die Kommandeure der Armee Batistas anwandten, verbargen wir unsere Absichten vor den Bauern; wenn einer von ihnen zufällig in ein Gebiet geriet, in dem ein Überfall vorbereitet wurde, hielten wir ihn fest, bis es vorbei war. Die unglücklichen Bauern wurden von Sosas Leuten in ihren bohíos ermordet, die dann in Brand gesteckt wurden. Dieses Gefecht zeigte uns, wie leicht es unter gewissen Umständen war, Einheiten auf dem Marsch anzugreifen. Ferner hatten wir neuerlich gesehen, daß es taktisch richtig war, stets die Spitze der marschierenden Truppe anzugreifen und zu versuchen, den ersten oder die ersten Soldaten der Kolonne zu töten und dadurch die Streitmacht des Feindes bewegungsunfähig zu machen. Ganz allmählich kristallisierte sich diese Taktik heraus, und schließlich wandten wir sie so systematisch an, daß der Feind die Sierra Maestra nicht mehr betrat und sich die Soldaten sogar weigerten, in der Vorhut zu marschieren. Allerdings hatten wir noch nicht genügend Gefechte geführt, als daß diese Taktik in allen Feinheiten hätte entwickelt werden können. Mit Fidels Kampfgruppe wieder vereint, konnten wir nun über unsere Taten sprechen. Sie waren bescheiden und dennoch eindrucksvoll, wenn man bedenkt, welch ein Mißverhältnis der Kräfte zwischen unseren armselig bewaffneten Soldaten und den sehr gut ausgerüsteten Kräften der Repression bestand. Das Gefecht von El Hombrito kennzeichnete mehr oder weniger den Zeitpunkt, zu dem sich die Regierungstruppen endgültig aus der Sierra zurückzogen. Danach war es nur noch Sánchez Mosquera, der mutigste und mörderischste der militärischen Häuptlinge Bastistas, zudem einer der räuberischsten, der in wagemutigem Alleingang in die Sierra eindrang.
Das erste Gefecht von Pino del Agua Nachdem wir am 29. August wieder mit Fidel zusammengetroffen waren, marschierten wir, manchmal gemeinsam, manchmal getrennt, mehrere Tage; wir hatten die Absicht, gemeinsam das Sägewerk von Pino del Agua zu erreichen. Wir hatten erfahren, daß sich dort augenblicklich entweder gar keine feindlichen Soldaten aufhielten oder daß dort höchstens eine kleine Garnison stationiert war. Fidel hatte folgenden Plan: wenn es dort eine kleine Garnison gab, dann sollte sie genommen werden; wenn nicht, sollten wir uns dort lediglich sehen lassen, und Fidel wollte mit seiner Kampfgruppe den Weg in Richtung auf den Abschnitt Chivirico fortsetzen; wir sollten unterdessen der Armee Batistas einen Hinterhalt legen. In solchen Fällen folgte sie uns stets auf dem Fuße, um den Bauern ihre Stärke zu zeigen und den revolutionären Effekt, den wir durch unsere Anwesenheit erzielt hatten, im Keim zu ersticken. An diesen langen Marschtagen, die dem Gefecht von Pino del Agua vorausgingen und uns von Dos Brazos del Guayabo bis zum Schauplatz des Gefechts führten, kam es zu verschiedenen Zwischenfällen, deren Hauptakteure in der weiteren Geschichte der Revolution eine Rolle spielten. Es war für uns ein Schlag, daß zwei Bauern aus der Gegend, Manolo und Popo Beatón, die sich kurz vor der Schlacht von El Uvero den Guerilleros angeschlossen hatten, desertierten. Damals, vor dem Feind, waren sie Waffenbrüder gewesen, jetzt verließen sie unser Lager. Später kehrten beide zu uns zurück. Fidel vergab ihnen ihren Treuebruch; aber sie wuchsen niemals über das hinaus, was sie vorher gewesen waren - nämlich halbnomadische Banditen. Nachdem die Revolution gesiegt hatte, wurde Cristino Naraño aus irgendwelchen persönlichen Gründen von Manolo getötet. Ihm gelang die Flucht aus der Festung Cabaña, in die man ihn gebracht hatte, und er organisierte in derselben Gegend der Sierra Maestra, wo er zusammen mit uns gekämpft hatte, eine kleine Guerillatruppe. Dort ermordete er Pancho Tamayo, einen tapferen Kameraden, der sich uns schon in den ersten Revolutionstagen angeschlossen hatte. Schließlich nahmen einige Bauern Manolo und seinen Bruder Popo gefangen; beide wurden in Santiago erschossen. Ein anderer schmerzlicher Zwischenfall: ein Kamerad namens Roberto Rodríguez wurde wegen Befehlsverweigerung entwaffnet. Er war sehr undiszipliniert, und der Leutnant seiner Abteilung übte ein ihm zustehendes disziplinarisches Recht aus, als er ihm seine Waffe abnahm. Roberto gelang es, sich den Revolver eines Kameraden zu beschaffen, und er verübte Selbstmord. Wir hatten in dieser Frage eine kleine Meinungsverschiedenheit; ich war dagegen, 67
ihm die militärischen Ehren zu erweisen, während meine Leute der Ansicht waren, er solle auf die Liste ihrer Gefallenen gesetzt werden. Ich vertrat die Ansicht, daß Selbstmord unter solchen Umständen ein verbrecherischer Akt sei - unabhängig davon, welche guten Eigenschaften der Mann auch besessen haben möge. Schließlich beruhigten sich die Männer und waren damit zufrieden, daß sie ohne militärische Ehren für ihn eine Totenwache hielten. Ein oder zwei Tage vorher hatte er mir einen Teil seiner Geschichte erzählt. Er war ganz offensichtlich ein übermäßig empfindsamer Junge und gab sich große Mühe, sich dem Leben und der Disziplin eines Guerillero anzupassen, all dem also, das seiner körperlichen Schwäche und seinem instinktiven Auflehnungstrieb zuwiderlief. Zwei Tage später schickten wir eine kleine Abteilung nach Las Minas de Bueycito, um unsere Stärke dort zur Schau zu stellen, denn es war der 4. September. Diese Gruppe stand unter dem Befehl von Hauptmann Ciro Redondo, der uns einen Gefangenen, Leonardo Baró, zurückbrachte. Baró spielte in der Gegenrevolution eine wichtige Rolle. Er blieb eine Zeitlang unser Gefangener, und eines Tages erzählte er mir eine traurige Geschichte von der Krankheit seiner Mutter. Ich verließ mich auf sein Wort. Allerdings versuchte ich, ihn dazu zu bringen, daß er seiner Freilassung einen politischen Akzent gab. Ich schlug ihm vor, daß er einen Bus nehmen und in Havanna nach seiner Mutter sehen solle, daß er dann in irgendeiner Botschaft um Asyl bitten, das Batista-Regime verurteilen und erklären solle, er wolle nicht länger gegen uns kämpfen. Er erklärte sich dazu nicht bereit und behauptete, er könne nicht das Regime verurteilen, für das seine Brüder kämpften. Wir kamen schließlich überein, er solle bei der Asylsuche lediglich angeben, daß er, nicht länger kämpfen wolle. Wir ließen ihn frei und gaben ihm vier Kameraden mit. Sie hatten ganz spezielle Instruktionen. So sollten sie nicht zulassen, daß Baró auf dem Weg mit irgend jemandem zusammentraf, denn ihm waren die Namen einer ganzen Reihe von Bauern gut bekannt, die uns in unserem Lager aufgesucht hatten. Darüber hinaus erhielten unsere Kameraden die Anweisung, den Weg bis zu den Außenbezirken von Bayamo zu Fuß zurückzulegen; dort sollten sie Baró sich selbst überlassen und auf einer anderen Route zurückkehren. Aber die Männer hielten sich nicht an ihre Befehle. Sie ließen es zu, daß sie von vielen Menschen gesehen wurden; sie hielten sogar eine Versammlung ab, auf der Baró als freigelassener Gefangener, der nun angeblich mit unserer Bewegung sympathisierte, vorgestellt wurde. Dann fuhren sie mit dem Jeep nach Bayamo. Auf dem Weg fiel die Gruppe Soldaten Batistas in die Hände, und unsere vier Kameraden wurden ermordet. Wir haben nie mit Sicherheit
erfahren, ob Baró seine Hände bei diesem Verbrechen im Spiel gehabt hatte. Er etablierte sich jedenfalls sofort bei Las Minas de Bueycito, stellte sich unter den Befehl des Mörders Sánchez Mosquera und begann, unter den Marktbesuchern jene Bauern zu identifizieren, die mit unserer Guerillagruppe in Berührung gekommen waren. Mein Irrtum kostete das kubanische Volk zahllose Opfer. Mehrere Tage nach dem Sieg der Revolution wurde Baró gefangengenommen und hingerichtet. Bald nach der Affäre mit Baró gingen wir hinunter nach San Pablo de Yao. Die Bevölkerung nahm uns mit offenen Armen auf. Kampflos besetzten wir das Dörfchen mehrere Stunden lang. Feindliche Truppen waren nicht in der Nähe. Wir stellten Kontakte her und trafen mit vielen Leuten aus der Gegend zusammen. Wir stopften die Lastwagen voll, die uns die Kaufleute zur Verfügung gestellt hatten, die uns auch verkauften, was wir brauchten. Wir kauften auf Kredit ein, denn in jener Zeit bezahlten wir mit Schuldverschreibungen. Bei dieser Gelegenheit traf ich Lydia Doce, deren Andenken ich auf diesen Seiten wieder in Erinnerung gerufen habe.18 Wir mußten nun sehen, wie wir die erhaltenen Waren ans Ziel bringen konnten. Das war nicht einfach, denn die Straße, die von San Pablo de Yao an der Cristina-Mine vorbei hinauf nach Pico Verde führt, ist sehr steil und kann nur von Lastwagen mit einem Spezialgetriebe, die zudem nicht zu schwer beladen sein dürfen, befahren werden. Unser Wagen blieb auf der Strecke stecken; wir mußten ihn entladen und die Fracht mit Hilfe von Maultieren oder auf dem Rücken weiter befördern. In jenen Tagen verließen uns auch einige Leute. Ein Kamerad, ein guter Kämpfer, wurde auf dem Marsch nach Yao wegen Trunkenheit aus unseren Reihen ausgestoßen, denn er hatte durch sein Verhalten seine Kameraden in Gefahr gebracht. Ein anderer, Jorge Sotús, verließ seinen Posten als Abteilungsführer und ging mit einem Empfehlungsschreiben von Fidel nach Miami. In Wirklichkeit hatte sich Sotús niemals der Sierra angepaßt, und seine Männer konnten ihn wegen seiner tyrannischen Art nicht leiden. In Miami legte er, gelinde ausgedrückt, eine schwankende Haltung an den Tag. Er schloß sich dann wieder unserer Armee an, man erließ ihm die Strafe und vergab ihm die Fehler der Vergangenheit. In Hubert Matos' Zeiten verriet er uns und wurde zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Mit Hilfe eines Gefängnisaufsehers floh er nach Miami. Er starb, nachdem er die letzten Vorbereitungen für einen Piratenüberfall auf kubanisches Territorium getroffen hatte. Es heißt, daß er 18
Siehe Kapitel 'Lydia und Clodomira›, S. 63 ff.
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bei einem Unglücksfall durch einen Starkstromschlag ums Leben gekommen sei. Unter den Kameraden, die uns zu jener Zeit verließen, war auch Marcelo Fernández, der Koordinator der Bewegung für die städtischen Gebiete. Nach einem Aufenthalt bei uns kehrte er in die Ebene zurück. Wir erreichten Pino del Agua am 10. September. Pino del Agua ist ein Flecken, der mitten in einem Waldgebiet der Maestra um ein Sägewerk herum angelegt wurde. Damals wurde das Sägewerk von einem Spanier verwaltet. Es gab dort ein paar Arbeiter, aber keinen einzigen Soldaten. Wir besetzten Pino del Agua, und Fidel teilte seine geplante Marschroute den Bewohnern mit; er rechnete damit, daß irgendeiner von ihnen diese Information der Armee weitergeben werde. Wir vollführten ein kleines Ablenkungsmanöver, und während die Marschgruppe Fidels ihren Weg nach Santiago so fortsetzte, daß alle es sehen konnten, machten wir in der Nacht einen Umweg und legten dem Feind einen Hinterhalt. Wir verteilten unsere Männer so, daß alle Armeelastwagen unter Beobachtung sein würden. Wir dehnten unsere Überwachung in einiger Entfernung vor Pino del Agua auf die Straße von Yao nach Pico Verde aus, aber wir vernachlässigten auch nicht den direkteren Weg hinauf zur Maestra, der von Lastwagen nicht befahren werden konnte. Die Pico Verde-Gruppe war nur sehr klein und mit Jagdgewehren bewaffnet. Sie sollte im Notfall Alarm schlagen. Da diese Straße gut für einen Rückzug war, rechneten wir tatsächlich damit, daß wir sie nach der Unternehmung benutzen würden. Efigenio Ameijeiras sollte mit seinen Männern einen der Zugangswege für die Nachhut beobachten, der ebenfalls in den Abschnitt Pico Verde führte. Lalo Sardiñas und seine Abteilung blieben in der Zapato-Zone und bewachten mehrere Holzfällerwege, die am Ufer des Peladero endeten. Da aber der Feind einen sehr langen Marsch hinauf ins Gebirge hätte unternehmen müssen, um diese Straßen zu erreichen, erwies sich dies als eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme. Außerdem war es bei ihm nicht üblich, in Kolonnen durch den Wald zu ziehen. Ciro Redondo und sein Zug sollten den Zugang von Siberia her verteidigen. An der Straße, die von Guisa heraufführt, erwarteten wir die Armee in einem Waldstück auf dem Kliff. Aus dieser Stellung wollten wir die Lastwagen überraschen und unsere Feuerkraft auf engem Raum konzentrieren. Von diesem von uns gewählten Platz konnten wir die Ankunft der Lastwagen schon aus großer Entfernung beobachten. Der Plan war einfach: wir wollten sie von beiden Seiten unter Feuer nehmen; an einer Straßenkrümmung sollte zunächst der erste Lastwagen bewegungsunfähig geschossen werden, dann
sollte das Feuer auch auf alle anderen eröffnet werden, damit sie zum Stehen kämen. Der Zug mit den besten Waffen war für den eigentlichen Einsatz vorgesehen, und einige der Leute von Hauptmann Raúl Castro Mercader sollten ihn verstärken. Etwa sieben Tage verbrachten wir in dem Hinterhalt und warteten geduldig, daß jemand auftauchte. Am siebenten Tag meldete mir jemand, daß sich der Feind nähere. Da die Straße in sehr steilem Winkel anstieg, hörten wir, noch ehe wir die Lastwagen sahen, das Brummen der Motoren, als sie sich mühsam den scheußlichen Berghang hinaufschleppten. Wir bereiteten uns auf den Kampf vor. An die wichtigste Stelle postierten wir die Männer, die von Hauptmann Ignacio Peréz befehligt wurden. Sie sollten den ersten Lastwagen zum Stehen bringen. Zwanzig Minuten vor dem ersten Schuß ging ein wolkenbruchartiger Regen nieder, der uns bis auf die Haut durchweichte. Unterdessen rückten die feindlichen Soldaten weiter vor, mehr mit dem Regen als mit der Möglichkeit eines Angriffs beschäftigt. Der Kamerad, der den Kampf eröffnen sollte, feuerte aus seiner Maschinenpistole, aber er schoß daneben. Von überall ertönte nun Gewehrfeuer, und die Soldaten des ersten Lastwagens sprangen eher erschreckt und überrascht, als durch unsere Schüsse verletzt, auf die Straße und verschwanden hinter dem Kliff. Vorher allerdings hatten sie Jose de la Cruz (Crucito), einen unserer großen Kämpfer und den Dichter unserer Kampfgruppe, getötet. Ein feindlicher Soldat ging unter dem Lastwagen, der an der Straßenkrümmung stehengeblieben war, in Deckung und feuerte auf jeden, der seinen Kopf hob. Eine Minute oder zwei vergingen, ehe ich mich bis an den Kampfplatz vorgearbeitet hatte. Ich sah, daß viele unserer Männer einem falschen Befehl gehorchten und sich zurückzogen. Das geschah mitten im Gefecht häufig. Arquímedes Fonseca wurde an der Hand verwundet, als er eine Maschinenpistole aufhob, die einer zurückgelassen hatte. Wir mußten den Befehl geben, daß jedermann an seinen Gefechtsposten zurückkehren sollte, und wir mußten mit Lalo Sardiñas' und Efigenio Ameijeiras' Truppen zusammengehen. Einer unserer Leute - er hieß Tatin - befand sich auf der Straße. Als ich die Straße herunterkam, rief er mir mit herausfordernder Stimme zu: «Dort ist er! Unter dem Lastwagen! Los, mach los!» Durch diese feigen Rufe zutiefst angewidert, nahm ich meinen Mut zusammen. Aber als wir versuchten, uns dem gegnerischen Soldaten zu nähern, der unter dem Lastwagen hervor auf uns feuerte, mußten wir erkennen, daß wir für unsere Mutprobe teuer bezahlen würden. Es waren insgesamt fünf Armeelastwagen mit einer Kompanie Soldaten. Die Abteilung unter Befehl von Antonio Lopez führte ihre Befehle genaue69
stens aus, die besagten, nach Eröffnung des Kampfes niemanden durchzulassen. Dennoch wurde unser weiteres Vorrücken durch eine Gruppe von Soldaten behindert, die heftigen Widerstand leisteten. Lalo und Efigenio trafen zur Verstärkung ein. Sie griffen die Lastwagen an und vernichteten das Zentrum des Widerstandes. Einige Soldaten stürzten verwirrt davon; andere flohen in zwei Lastwagen, die sie gerettet hatten, und ließen die gesamte Munition zurück. Dank Gilberto Caldero erfuhren wir einiges über gewisse Pläne des Feindes. Dieser Kamerad war in einem anderen Abschnitt auf einer Erkundungsmission gefangengenommen worden. Er war eine Zeitlang in Gefangenschaft gewesen, und die Soldaten hatten ihn mitgenommen, weil er Fidel vergiften sollte. Er sollte nichts weiter tun, als den Inhalt eines Fläschchens in Fidels Essen entleeren. Als er die Schüsse hörte, kletterte Caldero mit den Soldaten vom Lastwagen, aber anstatt die Flucht zu ergreifen, meldete er sich sofort bei uns und schloß sich uns wieder an. Auf dem ersten Lastwagen fanden wir zwei Tote und einen verwundeten Soldaten. Sterbend machte der Verwundete in seiner Phantasie noch immer alle erregenden Momente des Gefechts durch; aber schließlich setzte einer unserer Männer, ohne dabei innere Bewegung zu zeigen, seinem Todeskampf ein Ende. Derjenige, der für diesen Akt der Barbarei verantwortlich war, hatte mitansehen müssen, wie seine Familie von der Armee Batistas dezimiert wurde. Ich machte ihm heftige Vorwürfe, ohne zu bemerken, daß ein anderer verwundeter Soldat, der bewegungslos unter einer Plane auf dem Lastwagen verborgen lag, dies mit anhörte. Durch meine Worte ermutigt und auch dadurch, wie der betreffende Kamerad um Entschuldigung gebeten hatte, gab sich der feindliche Soldat zu erkennen und bat uns, ihn nicht zu töten. Er hatte ein gebrochenes Bein. Jedesmal, wenn einer unserer Leute in seiner Nähe vorbeikam, rief er laut: «Nicht töten! Nicht töten! Che sagt, Gefangene werden nicht getötet!» Als das Gefecht beendet war, brachten wir ihn in das Sägewerk und leisteten ihm Erste Hilfe. Die anderen Lastwagen hatten wir nur geringfügig beschädigt; aber wir hatten eine große Anzahl von Waffen erbeutet. Dazu gehörten: ein automatisches Gewehr; fünf Garands; ein Dreifuß-MG mit Munition und noch ein Garand, das die Truppe von Efigenio Ameijeiras, die zu Fidels Kampfgruppe gehörte, mit Beschlag belegte. Efigenio war der Ansicht, daß die Teilnahme seines Zuges an dem Gefecht von ausschlaggebender Bedeutung gewesen war; folglich hatte er nach seiner Meinung ein Recht auf bestimmte erbeutete Waffen. Aber Fidel hatte diese Einheit einfach deshalb unter meinen Befehl gestellt, damit sie uns unterstützen sollte.
So verteilte ich trotz aller ihrer Proteste die Beutestücke unter den Männern meiner Kampfgruppe, außer dem Garand, das sich die anderen schon angeeignet hatten. Antonio Lopez erhielt wegen seines ausgezeichneten Verhaltens das Browning-Gewehr. Die Garands gingen an Leutnant Joel Iglesias, Virelles (ein Mitglied der ‹Corintia›-Expedition, der sich uns angeschlossen hatte), Onate und zwei andere, deren Namen ich vergessen habe. Wir gingen dann daran, die drei erbeuteten Lastwagen anzuzünden, denn sie waren nicht mehr gebrauchsfähig. Während wir unsere Truppen sammelten, flogen einige Flugzeuge über unseren Köpfen hinweg. Aber ein paar Feuerstöße genügten, sie zu vertreiben. Mingolo, einer der Brüder Pardo, war ausgeschickt worden, Fidel vor den näherrückenden Soldaten zu warnen. Aber wir beschlossen, noch einen Melder zu schicken; Caldero sollte ihn begleiten, damit er von dem Abenteuer berichten könnte und Fidel von dem Ergebnis unseres Gefechts Kenntnis erhielt. Wir ließen Ciro durch Mongo Martínez mitteilen, er solle sich aus seiner Stellung zurückziehen. Nach einigen Minuten hörten wir Gewehrfeuer. Einige unserer Leute, die mit Jagdgewehren bewaffnet waren, hatten einen Soldaten entdeckt, der durchs Gelände schlich. Sie befahlen ihm laut, stehenzubleiben, und da er den Befehl ignorierte, feuerten sie auf ihn. Der Mann floh und ließ dabei sein Gewehr im Stich. Als Beweis ihrer Heldentat brachten sie uns ein SpringfieldGewehr. Uns schien es seltsam, daß sich in diesem Abschnitt noch immer versprengte Soldaten befinden sollten. Dennoch setzten wir das Gewehr auf unsere Liste. Zwei Tage später kehrte Mongo Martínez zurück. Er berichtete uns, daß ihn irgendwelche feindlichen Soldaten überrascht und mit Jagdgewehren auf ihn geschossen hätten; er habe fliehen müssen, weil er verwundet gewesen sei. Sein Gesicht war mit Pulverspuren bedeckt. Er also war der Besitzer der Springfield, die unsere Kameraden vom «Feind» erbeutet hatten! Der verwundete Kamerad hatte in der Annahme, die Soldaten seien auf seinen Fersen, einen Querweg eingeschlagen und sich in den Wäldern verirrt. Er hatte also Ciro Redondo über unser Gefecht keine Meldung erstattet und ihm auch den Rückzugsbefehl nicht übermittelt. Am nächsten Tag schickte uns Ciro einen Kurier und erhielt dann auf diese Weise den Befehl. Während die B-26 auf der Suche nach Opfern des Gefechts über dem Sägewerk hinwegbrummten, frühstückten wir in aller Ruhe. Wir hatten uns in einem Gebäude häuslich eingerichtet und tranken heiße Schokolade, die uns die Hausherrin servierte. Diese war allerdings über den Anblick der B-26 nicht gerade erfreut, die heran- und wieder wegflogen und dann zurückkehrten 70
und jedesmal beinahe das Dach streiften. Sie verschwanden schließlich endgültig, und wir waren, völlig entspannt, gerade dabei aufzubrechen, als wir auf der Straße von Siberia (derselben, die Ciro ein paar Stunden vorher beobachtet hatte) vier Lastwagen voll mit Soldaten bemerkten. Aber es war schon zu spät. Viele unserer Leute hatten sich schon in Stellungen zurückgezogen, die ihnen größere Sicherheit boten. Wir feuerten zweimal in die Luft, gaben damit das Rückzugssignal und zogen in aller Ruhe ab. Dieses Gefecht war wegen seiner Wirkung wichtig, denn die Nachricht von unserem Erfolg verbreitete sich über das ganze Land. Der Feind verlor bei diesem Zusammenstoß drei Tote und einen Verwundeten. Außerdem machte Efigenios Zug einen Gefangenen, als wir zum letztenmal durch dieses umkämpfte Gebiet zogen. Es war Unteroffizier Alejandro, der als unser Koch bis zum Ende des Krieges bei uns blieb. Crucito wurde auf dem Schauplatz des Gefechts beigesetzt; unsere gesamte Mannschaft war von Trauer tief bewegt, denn sie hatte in ihm einen edlen Kameraden und ihren bäuerlichen DichterSänger verloren. Folgende Kameraden haben sich im Gefecht von Pino del Agua besonders ausgezeichnet: Efigenio Ameijeiras, Lalo Sardiñas, Hauptmann Victor Mora, Leutnant Antonio Lopez mit seiner Abteilung, Dermidio Escalona und Arquímedes Fonsecas. Letzterem wurde danach das erbeutete Dreifuß-MG anvertraut. Er sollte es bedienen, wenn seine Hand geheilt war. Wir hatten einen Toten zu beklagen, einen Leichtverwundeten, einige Quetschungen und ein paar Schrammen, ohne die Schrotkugeln zu erwähnen, die den armen Mongo vom Weg abbrachten. Wir verließen Pino del Agua auf verschiedenen Wegen und beabsichtigten, uns im Abschnitt Pico Verde neu zu gruppieren. Dort konnten wir uns reorganisieren, während wir die Ankunft Fidels abwarteten. Eine Analyse des Gefechts offenbarte trotz des politischen und militärischen Sieges auf unserer Seite gewaltige Mängel. Das Überraschungsmoment hätte voll und ganz ausgenutzt werden müssen, so daß die ersten drei Lastwagen hätten außer Gefecht gesetzt werden können. Außerdem zirkulierte nach Eröffnung des Kampfes ein falscher Rückzugsbefehl, der dazu führte, daß unsere Männer den Überblick über die Situation verloren und sich ihr Kampfeseifer abkühlte. Ein Mangel an Stoßkraft war bei der Eroberung der Lastwagen festzustellen, die nur von wenigen Soldaten verteidigt wurden. Dazu kam auch noch, daß wir uns auf törichte Weise exponierten, indem wir die Nacht in dem Sägewerk verbrachten. Schließlich wurde der endgültige Rückzug in großer Unordnung vollzogen. All dies zeigte, daß es unbedingt notwendig war, die Gefechtsvorbereitung zu verbessern und die Disziplin
unserer Trappen zu stärken. Das waren die Aufgaben, denen wir uns in der kommenden Zeit widmen mußten.
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Ein bedauerliches Ereignis Nach dem Gefecht von Pino del Agua gingen wir daran, die Organisation unserer Guerillastreitmacht zu verbessern, die zu jenem Zeitpunkt durch mehrere Einheiten von der Kampfgruppe Fidels verstärkt worden war. Unser Ziel war es, unsere Kampfkraft im Gefecht zu verstärken. Leutnant Lopez, der sich bei Pino del Agua ausgezeichnet hatte, wurde zusammen mit den Angehörigen seiner Abteilung (die alle sehr verantwortungsbewußte Jungen waren) zum Mitglied der Disziplinarkommission bestimmt. Diese Kommission sollte eine Überwachungsfunktion ausüben; ihre Aufgabe war es, den Regeln der Wachsamkeit, der allgemeinen Disziplin, der Sauberkeit und der revolutionären Moral Geltung zu verschaffen. Aber sie führte nur ein ganz kurzlebiges Dasein; schon wenige Tage nach ihrer Gründung wurde sie wieder aufgelöst. Etwa um diese Zeit wurde in der Gegend der Botella, in einem kleinen Lager, das wir gewöhnlich als Durchgangsstation benutzten, ein früherer Deserteur namens Cuervo hingerichtet, der zwei Monate vorher mit seinem Gewehr geflohen war. Was mit seinem Gewehr geschah, werden wir nie erfahren; aber seine Aktivität war uns gut bekannt: unter dem Vorwand, er kämpfe für die revolutionäre Sache und mache Spione unschädlich, indem er sie hinrichte, quälte und vernichtete er ganz einfach - vielleicht im Einvernehmen mit der Armee - eine ganze Gruppe der Gebirgsbevölkerung. Angesichts seiner Desertion war das Verfahren schnell beendet. Dann mußten wir das Urteil vollstrecken und ihn unschädlich machen. Hinrichtungen von gesellschaftsfeindlichen Individuen, die ihre Position der Stärke in dem betreffenden Gebiet ausnutzten, um Verbrechen zu begehen, waren in der Sierra Maestra unglücklicherweise nicht selten. Wir erfuhren, daß Fidel nach dem Angriff auf Chivirico seinen Marsch durch die Sonador-Zone beendet hatte und sich neuerlich in unserem Abschnitt aufhielt. Folglich beschlossen wir, in Richtung auf den Peladero zu marschieren, um uns so schnell wie möglich mit ihm zu vereinigen. Damals lebte im Küstengebiet ein Kaufmann namens Juan Balansa, dessen Verbindungen zur Diktatur und zu den latifundistas bekannt waren, der aber uns gegenüber niemals aktive Feindseligkeiten an den Tag gelegt hatte. Er besaß ein Maultier, das wegen seiner Ausdauer in der ganzen Gegend berühmt war. Wir nahmen es als eine Art Kriegssteuer in Besitz. Mit dem Maultier trafen wir in Pinalito, in der Nähe des Peladero, ein. Am Ufer des Flusses mußten wir das steile Kliff hinuntersteigen. Sollten wir das Tier opfern, es zerlegen und das Fleisch mitnehmen? Sollten wir es
einfach im feindlichen Gebiet zurücklassen oder sollten wir es mitnehmen, solange es eben mitkommen konnte? Wir entschlossen uns für die letzte Möglichkeit. Außerdem hätte es Probleme gegeben, wenn wir das Fleisch genommen hätten. Das Maultier stieg hinunter, ohne zu zögern und sicheren Fußes, wo wir kriechen, uns an Lianen festhalten oder an Felsvorsprüngen entlanghangeln mußten. Es ging sogar an Stellen weiter, wo unser Maskottchen, ein junger Hund, stehenblieb und darauf wartete, hochgenommen und getragen zu werden. Das Maultier gab eine außergewöhnliche Vorstellung eines akrobatischen Talents. Es setzte dann seine Taten fort, indem es den Peladero an einer Stelle überquerte, wo der Fluß voll von großen Felsblöcken war, und es mit unglaublichen Sprüngen von Stein zu Stein setzen mußte. Damit hatte es sich sein Recht auf Leben gesichert. Später konnte ich auf ihm reiten; es blieb mein erstes reguläres Reittier, bis es bei einem unserer zahlreichen Zusammenstöße in der Sierra in die Hände von Sánchez Mosquera fiel. In der Nähe des Peladero kam es zu jenem bedauerlichen Zwischenfall, der zur Auflösung der Disziplinarkommission führte. Einige Kameraden waren dagegen, daß Disziplinarregeln aufgestellt würden; sie entzogen der Kommission ständig die Grundlage und verhinderten die Aufnahme ihrer Arbeit. Eine derartige Situation war untragbar. Wir mußten drakonische Maßnahmen treffen. Eine der Abteilungen, die zur Nachhut gehörten, trieb mit den Mitgliedern der Kommission, die alle anderen Dinge liegengelassen hatte und in aller Dringlichkeit ein sehr wichtiges Problem erörterte, einen geschmacklosen groben Unfug. Sie hatten albernerweise einigen Unrat angehäuft, um die für Disziplin verantwortlichen Leute zu reizen. Nach diesem Zwischenfall wurden verschiedene der ‹Spaßmacher› verhaftet; unter ihnen war Humberto Rodríguez, der einen traurigen Ruf genoß, weil er eine Vorliebe dafür hatte, immer dann die Rolle des Scharfrichters zu übernehmen, wenn wir uns vor die schmerzliche Pflicht gestellt sahen, einen Übeltäter hinrichten zu müssen. Nach dem Sieg der Revolution ermordete Rodríguez, zusammen mit einem anderen Rebellsoldaten als Komplicen, einen Gefangenen. Später flohen sie aus dem La Cabaña-Gefäng-nis. Zusammen mit Humberto wurden zwei oder drei Kameraden «eingesperrt». Unter den Bedingungen des Guerillakrieges bedeutete jedoch eine Haftstrafe nicht allzuviel. Wenn aber das Verbrechen schwer genug, wenn einer der Männer eines Disziplinarvergehens schuldig war, dann wurde dem Häftling für einen oder zwei Tage seine Ration entzogen. Das war dann tatsächlich eine Strafe, die saß. 72
Zwei Tage nach dem Zwischenfall, als die Hauptbeteiligten noch immer unter Arrest standen, hieß es, daß sich Fidel in der Nähe aufhalte, in einem Gebiet, das als ‹El Zapato» bekannt war. Ich ging, um ihn zu begrüßen und mit ihm zu sprechen. Wir waren kaum mehr als zehn Minuten zusammen, als Ramiro Valdés kam und uns Neuigkeiten brachte: Lalo Sardiñas hatte, etwas übereifrig, versucht, einen undisziplinierten Kameraden einzuschüchtern und zu bestrafen und ihm seine Pistole an den Kopf gehalten, so, als ob er ihn erschießen wolle. Unbeabsichtigt war die Pistole losgegangen, und der Kamerad wurde auf der Stelle getötet. Ich verlor keine Zeit, ging ins Lager zurück und stellte Lalo unter Arrest. Überall herrschte eine feindselige Stimmung gegen den Häftling. Die Männer forderten ein Schnellverfahren und die Hinrichtung des Arrestanten. Wir begannen mit den Vernehmungen und der Beweisaufnahme. Die Meinungen waren geteilt: einige gaben ausdrücklich ihrer Überzeugung Ausdruck, daß es sich um vorsätzlichen Mord handele. Andere waren eher dafür, daß es ein Unglücksfall gewesen sei. Abgesehen von diesen Meinungen muß hervorgehoben werden, daß es das Guerillagesetz ausdrücklich verbot, an einem Kameraden eine körperliche Züchtigung vorzunehmen und daß Lalo Sardiñas nicht zum erstenmal gegen dieses Gesetz verstieß. Die Situation war äußerst schwierig. Kamerad Lalo Sardiñas war immer ein erstklassiger Kämpfer gewesen, ein Mann, der stets für strikte Disziplin eintrat und der von hohem Opfermut beseelt war. Diejenigen, die sich hier so leidenschaftlich für die Todesstrafe einsetzten, waren andererseits bei weitem nicht die besten Männer unserer Gruppe. Bis Anbruch der Dunkelheit hörten wir uns die Aussagen der Zeugen an. Fidel nahm an dem Prozeß teil. Er war gegen ein Todesurteil, aber er hielt es nicht für klug, eine entsprechende Entscheidung zu treffen, ohne die Meinung aller Kämpfer zu hören. Dann war vorgesehen, daß Fidel oder ich den Angeklagten verteidigen sollten, der den Erörterungen teilnahmslos folgte, ohne die geringste Spur von Furcht zu zeigen. Nach leidenschaftlichen Erklärungen, in denen die Todesstrafe gefordert wurde, war die Reihe an mir, das Wort zu ergreifen, und ich ersuchte die Kameraden dringend, das Problem nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich versuchte, ihnen auseinanderzusetzen, daß der Tod unseres Kameraden den speziellen Bedingungen unseres Kampfes zugeschrieben werden müßte, der Tatsache, daß wir uns im Krieg befanden und daß es schließlich der Diktator Batista sei, der an allem die Schuld trage. Meine Worte konnten dieses feindselige Auditorium jedoch leider nicht überzeugen. Es war schon spät. Wir entzündeten mehrere Fackeln aus Pinienholz und
steckten einige Kerzen an, um die Diskussion fortsetzen zu können. Dann sprach Fidel; seine Rede dauerte eine volle Stunde. Er führte die Gründe für einen Freispruch des Angeklagten an. Er zählte im einzelnen unsere Fehler auf, sprach von unserem Mangel an Disziplin und den anderen Mißgriffen, die wir uns tagtäglich zuschulden kommen ließen, und von der daraus resultierenden Schwächung unserer Kampfbereitschaft; und er erklärte, daß Sardiñas seine unentschuldbare Handlung schließlich nur zum Schutz der allgemeinen Disziplin begangen habe und daß wir diese Tatsache berücksichtigen sollten. Wie er so zu uns sprach, beleuchtet vom Schein der Fackeln, groß vor dem Hintergrund des niedrigen Buschwerks, schwang in seiner Stimme etwas Emotionales mit, und viele unserer Männer ließen sich ganz offensichtlich von der Meinung unseres Befehlshabers überzeugen. Seine gewaltige Überzeugungskraft wurde in jener Nacht auf die Probe gestellt. Durch seine Beredsamkeit konnte jedoch die Opposition nicht völlig zum Schweigen gebracht werden. Wir beendeten die Erörterungen damit, daß zwei mögliche Strafen zur Abstimmung gestellt werden sollten: Tod durch Erschießen oder Ausstoß aus unseren Reihen. Die Gemüter waren ziemlich erhitzt und das beeinflußte diese Abstimmung, bei der das Leben eines Menschen auf dem Spiel stand. Durch das erregte Hin und Her der Meinungen wurden die Bedingungen für die Lösung des Falles schnell wieder entstellt. Einige gaben zweimal ihre Stimme ab, und wir mußten das Prozeßverfahren unterbrechen. Aufs neue wurden die Möglichkeiten, die die Stimmberechtigten hatten, erläutert, und jeder wurde aufgefordert, seine Entscheidung sofort bekanntzugeben. Ich wurde damit beauftragt, die abgegebenen Stimmen in einem kleinen Notizbuch zu registrieren. Viele von uns hatten Lalo sehr gern; wir schätzten sein Vergehen nicht gering ein, aber wir wollten, daß sein Leben verschont bliebe, denn er gehörte zu den wertvollen Kadern der Revolution. Ich erinnere mich, wie Oniria, ein junges Mädchen, das sich uns angeschlossen hatte, mit gequälter Stimme fragte, ob auch sie in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Kampfgruppe ihre Stimme abgeben könne. Wir erlaubten es ihr, und nachdem alle abgestimmt hatten, begannen wir mit der Auszählung. Ich notierte die Ergebnisse dieser seltsamen Abstimmung auf kleinen quadratischen Papierstückchen, ähnlich denen, die in medizinischen Labors benutzt werden. Sie ging äußerst knapp aus. Nach dem letzten Hinundherschwanken teilten sich die Meinungen wie folgt: von 146 Guerilleros sprachen sich 70 für die Todesstrafe aus; 76 plädierten für eine andere Art der Bestrafung. Lalo war gerettet. Aber dies war nicht das Ende der Affäre. Am folgenden Tag gab eine Gruppe von Männern, die gegen das Mehrheitsvotum waren, ihren Beschluß bekannt, die Guerillabewegung zu verlassen. Unter ihnen waren viele nicht 73
sehr vertrauenswürdig, aber auch einige wirklich gute Kämpfer. Paradoxerweise waren Antonio Lopez, der Erste Leutnant der Disziplinarkommission, und mehrere Angehörige seiner Abteilung unter den Unzufriedenen und verließen die Rebellenarmee. Einige Namen sind mir noch im Gedächtnis: ein gewisser Curro und Pardo Jiménez (ein Neffe eines Batista-Ministers, was ihn nicht gehindert hatte, sich unserem Kampf anzuschließen). Ich weiß nicht, was aus ihnen wurde. Zur selben Zeit verließen uns die drei Brüder Cañizares. Ihr Schicksal war kaum ruhmreich zu nennen: einer von ihnen kam in der Schweinebucht ums Leben, ein anderer wurde dort nach der mißglückten Invasion der Söldner gefangengenommen. Diese Männer, die den Mehrheitsbeschluß nicht respektiert und sich von unserem Kampf losgesagt hatten, stellten sich in der Folge in den Dienst des Feindes, und als Verräter kehrten sie zurück, um auf dem Boden unseres Landes zu kämpfen. Das politische Bewußtsein unserer Führer und Kämpfer vertiefte sich. Die besten unter uns waren zutiefst von der Notwendigkeit einer Bodenreform und einer Veränderung des gesellschaftlichen Systems überzeugt, denn ohne diese Maßnahmen konnte das Land niemals gesunden. Aber sie mußten stets jene hinter sich herziehen, die sich unserem Kampf allein aus Abenteuerlust oder in der Hoffnung anschlossen, nicht nur Ruhm zu ernten, sondern auch wirtschaftliche Vorteile einzustecken. Andere Unzufriedene lösten sich ebenfalls von uns. Ihre Namen habe ich vergessen, nur Roberto, der sich später eine mit Lügen vollgepfropfte langatmige Geschichte ausdachte, ist mir in Erinnerung geblieben. Conte Agüero verlor an Gesicht, indem er sie in der Zeitschrift Bohemia veröffentlichte. Lalo Sardiñas wurde aus unseren Reihen ausgestoßen und dazu verurteilt, sich zu rehabilitieren, indem er als einfacher Soldat gegen den Feind kämpfte. Joaquín de la Rosa, einer unserer Leutnants und Laos Onkel, beschloß, ihn zu begleiten. Als Ersatz für Hauptmann Sardiñas gab mir Fidel einen seiner besten Kämpfer, Camilo Cienfuegos, der zum Hauptmann befördert und in unserer Vorhut eingesetzt wurde. Wir mußten, ohne einen Augenblick zu verlieren, aufbrechen, denn es galt, eine Gruppe von Banditen auszuschalten, die unsere Revolution als Tarnung benutzten und Verbrechen dort verübten, wo wir unseren Kampf begonnen hatten, und ebenso im Abschnitt Caracas und in Lomón. Camilos erste Aufgabe in unserer Kampfgruppe war es, in Eilmärschen vorzurücken und alle diese unerwünschten Elemente gefangenzunehmen, denen dann der Prozeß gemacht werden sollte.
Moral und Disziplin der revolutionären Kämpfer Wir alle kennen die Beschaffenheit unserer Rebellenarmee, und gerade weil wir mit ihr so vertraut sind, neigen wir dazu, die Errungenschaften unserer Emanzipation unterzubewerten, die mit dem Blut von zwanzigtausend Märtyrern und mit der gewaltigen Bewegung des Volkes errungen wurde. Tiefgreifende Gründe haben diesen Triumph Wirklichkeit werden lassen. Mit ihrer Politik, die auf die Unterdrückung der Volksmassen abzielte und die Privilegien etablierte, Privilegien für die Lakaien des Regimes, für die parasitären latifundistas und die Geschäftsleute, für die ausländischen Monopole - hatte die Diktatur den notwendigen Gärungsstoff geliefert. Als dann der Konflikt ausgebrochen war, wurde der Widerstand des Volkes durch die repressiven Maßnahmen des Regimes und seine Brutalität keineswegs vermindert, sondern im Gegenteil noch verstärkt. Durch die Demoralisierung und die Schamlosigkeit der Militärkaste wurde die Aufgabe erleichtert. Auch das zerklüftete Terrain und die Unzugänglichkeit des Gebirges in der Provinz Oriente und die taktische Unfähigkeit unseres Feindes trugen ihren Teil bei. Aber dieser Krieg wurde vom Volk gewonnen, und zwar durch die Aktion seiner bewaffneten, kämpfenden Vorhut, der Rebellenarmee, deren grundlegende Waffen ihre Moral und ihre Disziplin waren. Disziplin und Moral sind die Grundlagen, auf denen die Stärke einer Armee, wie immer sie sich auch zusammensetzen mag, beruht. Wir wollen einmal beide Begriffe untersuchen. Die Moral einer jeden Armee hat zwei Aspekte, die einander ergänzen: einmal im ethischen Sinn des Wortes und zum anderen im heroischen Sinn. Jede bewaffnete Einheit muß beide Arten von Moral besitzen, wenn sie es zu höchster Leistung bringen will. Die ethische Moral hat sich im Laufe der Zeit im Einklang mit den vorherrschenden Ideen einer gegebenen Gesellschaftsform verändert. In der feudalen Gesellschaft war es eine korrekte Handlung, wenn man Häuser plünderte und alle Gegenstände von Wert mit sich nahm; aber moralische Bindungen wären verletzt worden, hätte man zum Beispiel Frauen als Zeichen des Sieges mit sich fortgeschleppt. Jede Armee, die sich in der Regel so verhielt, hätte die Wertmaßstäbe dieser Epoche nicht eingehalten. Vor jener Epoche wurden die Frauen der Eroberten jedoch Leibeigene der Eroberer. Alle Armeen müssen ihre ethische Moral hochhalten, denn sie ist ein wesentliches Element der Struktur einer Truppe, ein Faktor des Kampfes und trägt dazu bei, einen Soldaten härter zu machen. Moral im heroischen Sinne des Wortes ist gleichbedeutend mit jenem kämpferischen Elan, jenem Glauben an den endgültigen Sieg und an die 74
Gerechtigkeit der eigenen Sache, die den Soldaten dazu befähigen, die außergewöhnlichsten Heldentaten zu begehen. Die französischen maquisards nahmen ihren - scheinbar hoffnungslosen Kampf unter den schwierigsten Bedingungen auf, und sie befanden sich in einer äußerst unglücklichen Lage. Aber die Überzeugung, mit der sie für eine gerechte Sache kämpften, und die Entrüstung, die die Bestialitäten und Verbrechen der Nazis in ihnen auslösten, ließen sie bis zum Sieg durchhalten. Sie besaßen Kampfmoral. Die jugoslawischen Partisanen, deren Land von einer fünfzigfach überlegenen Macht besetzt gehalten wurde, warfen sich in den Kampf und hielten, ohne jemals zu schwanken, durch, bis sie gesiegt hatten. Auch sie besaßen Kampfmoral. Die Verteidiger von Stalingrad, deren Kräfte dem Feind um ein Vielfaches unterlegen waren, widerstanden - mit dem Fluß im Rücken - der langen, überwältigenden Offensive. Sie verteidigten jeden Hügel und jedes Grabenstück, jedes Haus und jedes Zimmer, jede Straße und jeden Bürgersteig der Stadt, bis die Sowjetarmee in der Lage war, eine Gegenoffensive zu starten und einen gewaltigen Kessel zu schließen, bis sie den Angreifer überwältigen, ihn vernichten oder gefangennehmen konnte. Sie besaßen Kampfmoral. Und wenn wir ein weiter zurückliegendes Beispiel nehmen wollen, so schlugen die Verteidiger von Verdun eine Offensive nach der anderen zurück und geboten einer Armee Einhalt, die ihnen an Zahl und Bewaffnung um ein Vielfaches überlegen war. Sie besaßen Kampfmoral. Auch die Rebellenarmee auf den Schlachtfeldern der Sierras und der Llanos besaß Kampfmoral. Und gerade sie fehlte der Söldnerarmee bei ihrer Konfrontation mit der Flut der Guerilleros. Wir spürten wirklich den Sinn der eindringlichen Worte unserer Nationalhymne: «Für das Vaterland zu sterben, heißt, zu leben!» Auch die Söldner kannten diese Worte, aber sie empfanden sie nicht stark genug. Das Gefühl, einerseits für eine gerechte Sache einzustehen und andererseits nicht zu wissen, wofür man eigentlich kämpft - das schuf den großen Unterschied zwischen den Soldaten beider Lager. Es gibt eine Verbindung, die diese beiden Arten von Moral, die ethische und die kämpferische, zu einer harmonischen Einheit verknüpft, und das ist die Disziplin. Es gibt verschiedene Formen der Disziplin, aber grundsätzlich eine äußere und eine innere. Militaristische Regimes streben ständig nur die erstere an. Auch in dieser Hinsicht war der Unterschied zwischen den beiden Armeen festzustellen: die Armee der Diktatur übte ihre Moral, ihre Kasernenhof-Disziplin, äußerlich, mechanisch und ohne innere Disziplin, wodurch aber die Kampfmoral des Soldaten automatisch verringert wird. Wofür und für wen
kämpfen? Soll man kämpfen, damit dem Soldaten ein gewisser einträglicher privater Posten erhalten bleibt? Soll man für das Recht auf Ausplünderung, auf Diebstahl in Uniform kämpfen? Für solche Rechte werden Menschen nur bis zu einem gewissen Punkt kämpfen: bis man nämlich ihr Leben von ihnen fordert. Ihnen steht eine Armee mit einer ungeheuren ethischen Moral gegenüber, mit einer nicht existenten äußeren, aber einer unerschütterlichen inneren Disziplin, die aus Überzeugung entstanden ist. Der Rebellensoldat rührte keinen Alkohol an; er tat dies nicht, weil sein vorgesetzter Offizier ihn im gegenteiligen Fall bestrafen würde, sondern weil er wußte, daß er nicht trinken sollte, weil seine Moral ihm Abstinenz auferlegte, und diese Moral wurde von seiner, von der Armee eingeimpften inneren Disziplin gefestigt. Er hatte sich dieser Armee einfach deshalb angeschlossen, um zu kämpfen, weil er begriffen hatte, daß es seine Pflicht sei, sein Leben für eine Sache hinzugeben. Die Moral hob sich, und die Disziplin wurde straffer; unsere Armee wurde unbesiegbar. Aber der Friede, das Produkt des Sieges, brach an, und damit kam es zu dem großen Zusammenstoß zwischen zwei Konzeptionen und zwei Organisationen: der alten Organisationsform, die sich auf äußere, mechanische Disziplin gründete, die in ein starres Muster gepreßt war, und der neuen, der eine innere Disziplin ohne vorher festgelegtes Muster zugrunde lag. Aus diesem Zusammenstoß erwuchsen die Schwierigkeiten hinsichtlich der letztlich gültigen Struktur unserer Armee, die uns allen vertraut sind. Heute, nachdem wir das Problem analysiert und begriffen haben, ist diese Frage gelöst. Wir versuchen, unseren Rebellenstreitkräften jenes Minimum notwendiger mechanischer Disziplin beizubringen, das für ein harmonisches Funktionieren großer Einheiten erforderlich ist, und ein Maximum an innerer Disziplin, die sich aus dem Studium und der Erkenntnis unserer revolutionären Pflichten ergibt. Obgleich Verstöße bestraft werden, kann sich Disziplin heute wie gestern nicht allein nur aus einem äußerlichen Mechanismus ergeben, sondern sie muß aus einem inneren Verlangen entstehen, alle bisherigen Fehler zu überwinden. Wie ist dies zu erreichen? Diese Aufgabe erfordert Geduld von den revolutionären Instruktoren, wenn sie der großen Masse unserer Armee die hohen nationalen Ziele darlegen und erläutern. Wie in allen anderen Armeen müssen auch die Angehörigen unserer Streitkräfte ihre vorgesetzten Offiziere achten, Befehle auf der Stelle ausführen und unermüdlich ihren Dienst verrichten, auf welchen Posten sie auch gestellt werden mögen. Aber sie müssen sich auch als Sozialforscher und als Richter betätigen. Als Sozialforscher befähigt sie ihr Kontakt mit dem Volk, die vorherrschende Stimmung in der Bevölkerung zu erkunden, die sie dann zu 75
konstruktiven Zwecken nach oben weitermelden können. Als Richter haben sie die Pflicht, jeden Mißbrauch innerhalb und außerhalb der Armee an den Pranger zu stellen und somit dabei zu helfen, sie abzustellen. Diese vielfältige Aufgabe der Rebellenarmee stellt den Wert der inneren Disziplin unter Beweis, deren Ziel es ist, den einzelnen Menschen zu vervollkommnen. Genauso wie damals in der Sierra muß der Rebellensoldat auch heute den Alkohol meiden, nicht etwa, weil er von den Disziplinarstellen eine Bestrafung zu erwarten haben könnte, sondern einfach deshalb, weil die Sache, für die wir eintreten - die Sache der Armen und überhaupt aller Menschen -, dies von uns erfordert. Dann bleibt der Geist eines jeden Soldaten wach, sein Körper beweglich, und er wird eine hohe Moral besitzen. Stets muß der Rebellensoldat eingedenk dessen sein, daß sich heute wie in der Vergangenheit alle Augen auf ihn richten und daß sich das Volk an ihm ein Beispiel nimmt. Es gibt keine starke Armee und es kann keine geben, wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht von der gewaltigen moralischen Stärke überzeugt ist, die wir heute besitzen. Unsere bewaffnete Stärke beschränkt sich indessen nicht nur auf die, die eine Uniform tragen; das ganze Volk ist mit uns, und so muß es auch sein. Wir müssen darauf hinarbeiten, daß es das Volk - die Arbeiter, Bauern, Studenten und Geistesarbeiter - als eine Ehre ansieht, die Waffe in die Hand zu nehmen, mit der es im gegebenen Fall an der Seite jener kämpfen kann, die die Uniform der Streitkräfte tragen. Wir müssen also für die zivile Bevölkerung eine Art Steuermann sein. Viel schwieriger als der Kampf selber, viel schwieriger als die Arbeit für den friedlichen nationalen Aufbau ist es, zu jeder Zeit die notwendige Richtung beizubehalten, ohne auch nur einen Zentimeter von ihr abzuweichen. Wenn unsere Streitkräfte genügend Zusammenhalt besitzen, wenn zu unserer Kampfmoral eine hohe ethische Moral tritt und innere wie äußere Disziplin als eine unerläßliche Ergänzung vorhanden sind, dann werden wir die feste und dauerhafte Grundlage für die große Armee der Zukunft, für das kubanische Volk, geschaffen haben.
Kampf gegen das Banditentum Die Bedingungen in der Sierra erlaubten es uns, in einem ziemlich ausgedehnten Gebiet ungehindert zu leben. Die Regierungsstreitkräfte hatten kaum je ein Stück der Sierra ständig besetzt gehalten; viele Teile hatten sie überhaupt nie betreten. Aber unser Regierungssystem war nicht straff genug organisiert und wurde auch nicht streng genug gehandhabt, als daß wir jenen marodierenden Banden hätten Einhalt gebieten können, die - unter dem Vorwand revolutionärer Betätigung - plünderten und Banditenüberfälle wie eine Unzahl anderer Verbrechen verübten. Außerdem waren die politischen Bedingungen in der Sierra immer noch ziemlich ungeklärt. Die Politisierung der Bevölkerung war nach wie vor oberflächlich, und die Tatsache, daß sich eine drohende feindliche Armee in unmittelbarer Nachbarschaft aufhielt, machte alle unsere Anstrengungen, diesen schwachen Punkt zu beseitigen, nutzlos. Wieder einmal zog der Feind die Schrauben fester an. Verschiedene Anzeichen deuteten darauf hin, daß er beabsichtigte, in die Sierra einzumarschieren. Das genügte, die Bewohner des betreffenden Bezirks in Panik zu versetzen. Die Zaghaftesten unter ihnen ruhten nicht, bis sie eine Möglichkeit gefunden hatten, der gefürchteten Invasion zu entgehen, zu der sich die Mordbanden der Diktatur anschickten. Sánchez Mosquera hatte sein Hauptquartier in dem Flecken Las Minas de Bueycito aufgeschlagen, und es wurde offensichtlich, daß ein neuer Einfall bevorstand. Trotz dieser Bedrohung machten wir uns im El Hombrito-Tal an die Arbeit, wo wir die Grundlagen für ein freies Territorium legten. Wir errichteten ein Backhaus und schufen so in jenem trostlosen Teil der Sierra sogar die ersten Anfänge einer Industrialisierung. In diesem Abschnitt von El Hombrito gab es ein Lager, das als eine Art Durchgangsstation zu den Guerillastreitkräften diente. Junge Männer, die sich uns anschließen wollten, trafen dort in Gruppen ein; sie wurden einigen Bauern unterstellt, die zu uns gehörten und zu denen wir volles Vertrauen hatten. Ihr Führer Aristidio gehörte unserer Kampfgruppe noch nicht lange an; er hatte sich ihr erst ein paar Tage vor der Schlacht von El Uvero angeschlossen. Aber das Gefecht fand damals ohne ihn statt, denn er hatte sich bei einem Sturz eine Rippe gebrochen. Zudem zeigte er nach dem Unglücksfall auch keinerlei Neigung, den Kampf fortzusetzen. Aristidio war das typische Beispiel eines Bauern, der sich der Revolution angeschlossen hatte, ohne irgendeine klare Vorstellung von ihrer Bedeutung zu haben. Er verkaufte seinen Revolver für ein paar Peso, denn seine Privateinschätzung der Situation hatte ihn zu der Überzeugung gebracht, daß es 76
vorteilhafter wäre, abzuwarten, nach welcher Richtung sich der Wind dreht. Dann sagte er jedem, der es hören wollte, immer wieder, daß er nicht so verrückt sei, sich in aller Ruhe in seinem Dorf gefangennehmen zu lassen, wenn die Guerilleros das Gebiet verlassen hätten, und daß er mit den Regierungsstreitkräften Kontakt aufnehmen wolle. Solche Äußerungen wurden mir von verschiedener Seite zugetragen. Die Revolution erlebte damals schwere Zeiten; kraft der Rechte, die mir als Befehlshaber des Abschnitts verliehen worden waren, ordnete ich eine Untersuchung an, die sehr summarisch durchgeführt wurde, und Aristidio wurde hingerichtet. Heute könnten wir uns fragen: war dieser Mann wirklich so schuldig, daß er den Tod verdiente, oder wäre es möglich gewesen, ein Menschenleben zu retten, das dann von der Revolution in ihrer Aufbauphase hätte eingesetzt werden können? Der Krieg ist eine harte Angelegenheit, und zu einer Zeit, da die Aggressivität des Feindes zunimmt, muß man sogar dann einschreiten, wenn man einen Verrat nur vermutet. Vielleicht hätte Aristidio seine Haut retten können, wenn sich der Vorfall einige Monate früher zugetragen hätte, als die Guerillabewegung noch nicht auf festen Füßen stand, oder einige Monate später, als wir weit sicherer im Sattel saßen. Aber er hatte das Pech, daß er gerade dann auf die andere Seite überging, als wir stark genug waren, einen solchen Verstoß unbarmherzig zu bestrafen, aber dennoch nicht stark genug, irgendeine andere Strafe zu verhängen, denn wir hatten kein Gefängnis oder sonstige Einrichtungen, die zur Abbüßung irgendeiner anderen Strafe geeignet waren. Unsere Kampfgruppe verließ dieses Gebiet nun für eine Zeit und wandte sich nach Los Cocos am Magdalena-Fluß, wo wir wieder mit Fidel zusammentreffen und eine Bande gefangennehmen sollten, die unter der Führung von El Chino Chang das Gebiet von Caracas verwüstete. Camilo, der mit der Vorhut vorausgegangen war, hatte bereits einige Gefangene gemacht, ehe wir an Ort und Stelle eintrafen. Die Säuberungsaktion dauerte etwa zehn Tage. Dort geschah es, daß der berüchtigte Chang, der Anführer der Bande, in einer Bauernhütte vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt wurde. Auf seinen Befehl waren Bauern gefoltert, andere ermordet worden. Er hatte in dem Bezirk Angst und Schrecken gesät, während er den Namen der Revolution usurpierte und sich ihr Eigentum widerrechtlich aneignete. Zur selben Zeit wurde ein Bauer zum Tode verurteilt, der, während er auf seine Autorität als «Kurier» der Rebellenarmee pochte, ein junges Mädchen vergewaltigt hatte. In der Folge stellten wir eine ganze Reihe von Mitgliedern der Bande vor Gericht, die aus Halbwüchsigen aus den Städten und aus Bauern bestand, die von den Aussichten auf ein sorgloses verschwenderisches Leben verführt
worden waren, das Chang ihnen vorgegaukelt hatte. Die meisten von ihnen wurden freigesprochen. Bei dreien beschlossen wir jedoch, ein symbolisches Exempel zu statuieren, das sie bestimmt zum Nachdenken bringen würde. Chang und der Bauer, der sich die Vergewaltigung zuschulden kommen ließ, wurden im Wald an einen Baum gebunden und hingerichtet. Sie waren äußerst gefaßt. Der erste der Delinquenten blickte, seine großen Augen weit aufgerissen, in die Gewehrmündung und rief laut aus: «Viva la revolución!» Chang sah dem Tod völlig gelassen entgegen, bat jedoch darum, daß ihm Pater Sardiñas die Letzte Ölung mit auf den Weg geben möge. Wir konnten ihm seinen Wunsch jedoch nicht erfüllen, da sich der Pater zu diesem Zeitpunkt nicht in der Nähe unseres Lagers aufhielt. Chang bat uns dann, ewige Zeugen seines letzten Gebets zu sein, so, als ob eine derartige öffentliche Zeugenaussage ihm im Jenseits als mildernde Umstände angerechnet werden könnte. Dann nahmen wir die symbolische Hinrichtung der drei jugendlichen Mitglieder der Bande vor. Sie waren tief in die zweifelhaften Taten Changs verstrickt, aber Fidel war der Ansicht, daß man ihnen eine Chance geben sollte. Wir verbanden ihnen die Augen und ließen sie die Qual einer vorgetäuschten Exekution durchleben. Drei Schüsse wurden in die Luft abgegeben, und dann erkannten die Jungen, daß sie noch lebten. Einer von ihnen warf sich auf mich und gab mir in einer spontanen Geste von Glück und Dankbarkeit einen schallenden Kuß, als ob ich sein Vater sei. Bei diesen Ereignissen hatten wir einen Augenzeugen, den CIA-Agenten Andrew St. George. Seine in der Zeitschrift Look veröffentlichte Reportage galt in den USA als die sensationellste des Jahres und brachte dem Verfasser einen Preis ein. Rückblickend könnten diese in der Sierra angewandten Methoden barbarisch erscheinen. Tatsache aber ist, daß in jener Periode für diese Männer keine andere Form der Strafe möglich war; es trifft zu, daß sie zwar nicht gleich den Tod verdienten, aber sie hatten eine Reihe schwerer Straftaten auf dem Gewissen. Die drei schlossen sich der Rebellenarmee an. Einer blieb lange Zeit in meiner Kampfgruppe. (Von den beiden anderen hörte ich später, daß sie sich in der aufrührerischen Periode glänzend geschlagen hatten.) Wann auch immer im Gespräch mit anderen Soldaten das Thema auf die verschiedenen Episoden des Krieges kam und ein Kamerad irgendeine seiner Geschichten in Zweifel zog, sagte er stets mit Nachdruck: «Aber es stimmt. Ich habe nie Angst vor dem Tod gehabt. Che ist mein Zeuge.» Zwei oder drei Tage später nahmen wir eine andere Gruppe gefangen. Die 77
Hinrichtung ihrer Mitglieder war für uns besonders schmerzlich. Unter ihnen war ein guajiro namens Dionisio und sein Schwager Juan Lebrigio; sie gehörten zu den allerersten, die unserer Guerillatruppe geholfen hatten. Dionisio hatte bei der Entlarvung des Verräters Eutimio Guerra eine wesentliche Rolle gespielt und uns in einem der schwierigsten Augenblicke der Revolution auf großzügige Weise unterstützt. Später hatte er, wie sein Schwager auch, unser Vertrauen jedoch aufs schwerste mißbraucht. Er hatte sich für seine persönlichen Zwecke alle Vorräte angeeignet, die uns von den städtischen Organisationen geschickt worden waren; er hatte mehrere Lager angelegt, wo er insgeheim Vieh schlachtete. Einmal auf diesen abschüssigen Pfad gekommen, hatte er sogar einen Mord begangen. Zu jener Zeit wurde in der Sierra der Reichtum eines Mannes vor allem an der Zahl der Frauen gemessen, mit denen er zusammenlebte. Getreu dieser Sitte hatte Dionisio, der sich für einen Pascha hielt, kraft der Machtbefugnisse, die ihm von der Revolution übertragen worden waren, drei Häuser mit je einer Frau und genügend Nahrungsmitteln in Besitz genommen. Als Fidel ihm wegen des Mißbrauchs unseres Vertrauens, seines Verrats und seines unmoralischen Verhaltens - hatte er nicht mit dem Geld des Volkes drei Frauen unterhalten? - heftige Vorwürfe machte, verteidigte er sich während des Prozesses mit einem gut Teil bäuerlicher Naivität damit, es seien nicht drei, sondern nur zwei Frauen gewesen, denn eine von den dreien wäre seine legitime Ehefrau (was ja auch stimmte!). Bei diesem Verfahren wurden auch zwei der Spione Masferrers hingerichtet, die auf frischer Tat ertappt worden waren, sowie ein Junge namens Echeverría, dem Sondermissionen in der Bewegung zugeteilt worden waren. Die Familie Echeverría hatte der Rebellenarmee mehrere Kämpfer gestellt (einer der Brüder hatte an der Granma-Expedition teilgenommen). Dieser Junge hatte, während er unsere Ankunft erwartete, eine kleine bewaffnete Gruppe gebildet; dann aber erlag er wer weiß welcher Versuchung und begann damit, im Guerillaterritorium bewaffnete Angriffe zu organisieren. Die letzten Minuten vor seinem Tod waren ergreifend. Er gab seine Fehler zu, aber er konnte sich nicht mit dem Gedanken vertraut machen, daß ihm der Tod durch Hinrichtung bevorstehe. Er flehte uns an, ihn im nächsten Gefecht sterben zu lassen; er schwur, er werde dort den Tod suchen, er wolle nur seiner Familie die Entehrung ersparen. Als Echeverría (er trug den Spitznamen «der Schielende») vom Tribunal zum Tode verurteilt war, schrieb er einen langen bewegenden Brief an seine Mutter, in dem er erläuterte, daß seine Strafe gerecht sei, und sie aufforderte, der Revolution treu zu bleiben. Der letzte der Delinquenten, genannt El Maestro, war eine schillernde Per-
sönlichkeit; ich hatte ihn in schweren Stunden gut gekannt, als ich krank und nur von ihm begleitet ziellos durch die Berge wanderte. Er hatte uns schon bald verlassen, indem er irgendeine Krankheit als Vorwand benutzte, und er kam danach in einem ausschweifenden Leben zu Fall. Eine seiner größten Heldentaten war es gewesen, sich als «Dr. Guevara» auszugeben und zu versuchen, ein kleines Bauernmädchen zu vergewaltigen, das bei ihm ärztliche Hilfe gesucht hatte. Sie alle, außer den beiden Spionen Masferrers, unterstrichen im Augenblick des Todes ihre Bindung an die Revolution. Ich war bei der Hinrichtung nicht dabei, aber Augenzeugen haben mir erzählt, wie Pater Sardiñas, der diesmal anwesend war, sich einem der Verurteilten näherte, ihm die letzten Segnungen der Kirche anbot und die Antwort erhielt: «Sehen Sie zu, Vater, ob jemand anderes für sie Verwendung hat; offen gesagt, das Zeug interessiert mich überhaupt nicht.» Mit Männern wie diesen wurde die Revolution gemacht. Von Anfang an hatten sie sich keiner Disziplin unterworfen; sie waren Einzelgänger, die damit endeten, daß sie sich angewöhnten, sich mit ihren kleinlichen persönlichen Angelegenheiten zu befassen, und die keinerlei Interesse daran hatten, die gesellschaftliche Ordnung umzustürzen. Auch wenn die Revolution nur für ganz kurze Zeit oder nur geringfügig ihre Kontrolle lockerte, begingen sie Fehler, die sie erstaunlich leicht auf die Bahn des Verbrechens führten. Dionisio und Juanito Lebrigio waren nicht schlechter als andere Zufallsdelinquenten, die die Revolution jedoch verschonte und die man heute in den Reihen unserer Armee antreffen kann. Aber jener Zeitpunkt erforderte eine eiserne Faust. Wir waren gezwungen, exemplarische Strafen zu verhängen, damit den Verletzungen der Disziplin Einhalt geboten und die Nester der Anarchie ausgerottet wurden, die in jenen Gebieten entstanden, denen eine stabile Regierung fehlte. Echeverría hätte ein Held der Revolution, ein Aktivist und wie seine beiden Brüder, die Offiziere der Rebellenarmee sind, ein Führer werden können, aber er hatte das Pech, sich in jener speziellen Epoche strafbar zu machen, und er mußte mit seinem Leben dafür zahlen. Ich habe gezögert, seinen Namen auf diesen Seiten zu nennen, aber im Angesicht des Todes war seine Haltung so aufrecht und fest, verhielt er sich so sehr als Revolutionär, hat er so klar anerkannt, daß die Strafe gerecht war, daß er durch sein Ende - wie es uns schien - erhöht wurde. Dieser Vorfall diente als Beispiel, und er hatte, so tragisch er auch war, doch insofern sein Gutes, als er anderen die Notwendigkeit klar vor Augen führte, unsere Revolution zu einer gesunden Sache zu machen, die frei war von allen jenen Akten des Banditentums, die das Erbe der Batista-Diktatur waren. 78
In diesen Prozessen hatte sich zum erstenmal ein Mann in einen Fall eingeschaltet, der nach verschiedenen Streitigkeiten mit den Führern der ‹Bewegung des 26. Juli› in der Ebene bei uns in der Sierra Zuflucht gesucht hatte. Nach der Revolution wurde er Landwirtschaftsminister; er behielt dieses Amt bis zu dem Zeitpunkt, als das Gesetz über die Bodenreform unterzeichnet wurde. Dieser Mann war Sorí Marín. Er wollte sich mit diesem Gesetz nicht identifizieren, und deshalb setzten andere ihre Unterschrift darunter. Als wir unsere schmerzliche Pflicht erfüllt und überall dort Ruhe und moralische Ordnung hergestellt hatten, wo sich die Rebellenarmee anschickte, die Verwaltung auszuüben, schlugen wir den Weg zurück nach El Hombrito ein. Unsere Kampfgruppe wurde in drei Züge aufgeteilt: Camilo Cienfuegos führte zusammen mit den vier Leutnants Orestes, Boldo, Leyva und Noda die Vorhut. Der zweite Zug stand unter dem Befehl von Hauptmann Raúl Castro Mercader und den Leutnants Alfonso Zayas, Orlando Pupo und Pablo Vabrera. Ramiro Valdés stand zusammen mit Leutnant Joel Iglesias an der Spitze unseres kleinen Generalstabs. Joel war noch nicht einmal siebzehn, aber er befehligte Männer, die älter als dreißig Jahre waren; er sprach sie respektvoll mit «usted»191 an, wenn er ihnen Befehle erteilte, und sie nannten ihn «tu»20-, befolgten aber diszipliniert seine Anweisungen. Der Zug, der die Nachhut bildete, wurde von Ciro Rodríguez geführt; ihm zur Seite standen Vilo Acuña, Felix Reyes, William Rodríguez und Carlos Mas. Gegen Ende Oktober 1957 richteten wir uns wieder in El Hombrito ein. Wir mußten damals die Grundlage für die Verteidigung des von uns kontrollierten Territoriums legen. Mit Hilfe zweier Studenten, die vor kurzem aus Havanna eingetroffen waren - einem künftigen Ingenieur und einem künftigen Veterinär -, arbeiteten wir Pläne für ein Miniatur-Wasserkraftwerk aus, das wir am kleinen El Hombrito-Fluß errichten wollten. Wir begannen auch mit der Herausgabe unserer mambi21 Zeitung, El Cubano Libre. Aus der Llano hatten wir einen alten, aber dennoch kostbaren Vervielfältigungsapparat erhalten. Mit seiner Hilfe veröffentlichten wir die ersten Ausgaben der Zeitung; für Redaktion und Druck waren die beiden Studenten Leonel Rodríguez und Ricardito Medina verantwortlich. So begannen war, unser Leben in diesem seßhaften Stadium einzurichten. Es gelang uns dank der Mithilfe und des reichlichen Schutzes, die uns von den Bewohnern des Tales und insbesondere von unserer prächtigen Freundin, der
«Alten Dame Chana», wie wir sie nannten, zuteil wurden. Wir richteten dann in einer alten verlassenen bohío ein Backhaus ein, denn wir wollten den feindlichen Flugzeugen kein Ziel bieten, indem wir ein neues Gebäude errichteten. Wir ließen eine gewaltige Fahne des 26. Juli anfertigen, die die Inschrift trug: «Ein glückliches 1958.» Wir pflanzten sie auf dem höchsten Plateau des El Hombrito-Tales auf, in der Hoffnung, daß man sie aus großer Entfernung, sogar in Las Minas de Bueycito erkennen konnte. In der Zwischenzeit zogen wir kreuz und quer durch unser Gebiet, verstärkten unsere Autorität, ließen uns überall sehen und trafen konkrete Anordnungen. Gleichzeitig legten wir Verteidigungsstellungen an den Zugangsstraßen an, die der Feind wahrscheinlich benutzen würde, und bereiteten uns damit darauf vor, daß wir einem Einfall von Sánchez Mosquera und seinen Truppen zu jeder Stunde begegnen konnten.
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Deutsch: «Sie» als Anrede. Deutsch: «du». So wurden die Unabhängigkeitskämpfer genannt, die im 19. Jahrhundert (1868-1878,1895) gegen die spanische Herrschaft kämpften. Sie gaben eine Zeitung mit dem Titel El Cubano Libre heraus. 20 21
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Altos de Conrado Die Tage, die dem Gefecht von Mar Verde folgten, waren mit intensiver Geschäftigkeit erfüllt. Wir wußten sehr gut, daß wir noch nicht genügend Kampfkraft besaßen, um es ständig auf ein Gefecht ankommen lassen, um den Feind mit Aussicht auf Erfolg einschließen oder Frontalangriffen Widerstand leisten zu können. Deshalb blieben wir in der Defensive, während wir im Tal von El Hombrito unsere Vorsichtsmaßnahmen verdoppelten. Dieses Tal liegt wenige Kilometer von Mar Verde entfernt; will man es erreichen, muß man der Straße folgen, die hinauf nach Santa Ana führt und den Guayabo, einen kleinen Gebirgsfluß, überquert. Man kann aber auch nach El Hombrito gelangen, indem man am Guayabo entlang nach Süden marschiert, den BotellaBerg hinter sich läßt und dann die Straße einschlägt, die aus Richtung Mina del Frío kommt. Wir stellten sicher, daß alle diese Zugangspunkte in gutem Verteidigungszustand waren. Wir mußten auch für eine ständige Wache sorgen, um zu verhindern, daß der Feind direkt durch die Wälder kam und uns dann in einem Überraschungsangriff von der Höhe aus überfiel. Wir hatten unsere unhandlichsten Ausrüstungsgegenstände in den Abschnitt La Mesa, in das Haus von Polo Torres, gebracht. Auch unsere Verwundeten hielten sich dort auf; unter ihnen war Joel Iglesias, der als einziger wegen einer Beinwunde nicht laufen konnte. Sánchez Mosqueras Truppen waren bei Santa Ana stationiert; andere gegnerische Einheiten hatten mit unbekanntem Bestimmungsort die CaliforniaStraße eingeschlagen. Vier oder fünf Tage nach dem Zusammenstoß von Mar Verde wurde Gefechtsalarm gegeben. Sánchez Mosqueras Truppen rückten auf dem üblichen Wege vor, auf der Straße, die direkt von Santa Ana nach El Hombrito führt. Unverzüglich warnten wir unsere Leute, die einen Hinterhalt vorbereitet hatten, und sie überprüften ihre Minen. Diese ersten von uns selbst hergestellten Minen hatten einen primitiven Auslösemechanismus. Er bestand aus einer Sprungfeder und aus einem Bolzen, der bei der Auslösung von der Feder vorwärtsgeschnellt wurde und auf den Zünder aufschlug. Ich muß hier erwähnen, daß diese Minen im Gefecht von Mar Verde nicht funktioniert und daß wir auch diesmal mit ihnen nicht mehr Glück hatten. Ein paar Augenblicke später waren auf unserem Kommandostand Schüsse zu hören; jemand meldete uns, daß die Minen nicht hochgegangen seien und daß der Feind in voller Stärke anrücke; deshalb hätten sich unsere Leute zurückgezogen, den Feinden vorher aber einige Verluste zugefügt. Ihr erstes
Opfer war nach dem detaillierten Bericht, den wir erhielten, ein großer fetter Sergeant, der mit einem 45er Revolver bewaffnet war und eine berittene Kolonne anführte. Leutnant Enrique Noda und ein anderer Kämpfer, der El Mexicano genannt wurde, hatten mit ihren Garands aus kurzer Entfernung auf ihn gefeuert, und ihre Beschreibungen des Mannes deckten sich. Aber Sánchez Mosqueras Truppen hatten unseren Rückzug erzwungen. Zwei Wochen später kam ein Bauer namens Brito zu mir, um mir für unsere Großmut zu danken; er war vom Feind gezwungen worden, an der Spitze der Kolonne zu gehen, und er hatte ganz eindeutig gesehen, wie unsere Jungen so taten, als zielten sie auf ihn. Von ihm erfuhr ich auch, daß es an jener Stelle keine Opfer gegeben hatte, dafür allerdings einige bei Altos de Conrado. Der Platz, den wir besetzt hielten, war mit unseren kärglichen Hilfsmitteln so schwer zu verteidigen, daß wir gar nicht erst darangegangen waren, Gräben auszuheben, die diesen Namen auch verdienten. Es waren nur noch die alten Stellungen vorhanden, die seinerzeit angelegt worden waren, den Zugang von Minas de Bueycito her zu sperren. Außerdem gefährdete der Feind beim Vormarsch auf der Straße unsere Hinterhalte so sehr, daß wir den Rückzug befahlen. So blieben nur in diesem Gebiet gelegentlich Bauern zurück, die entschlossen waren, sich der Ausplünderung durch die Guardia Rural zu widersetzen, oder die vielleicht insgeheim mit dem Feind in Verbindung standen. Langsam zogen wir uns auf den Weg zurück, der nach Altos de Conrado führt, was nichts weiter ist, als ein kleiner Berg in der Sierra Maestra, auf dem ein guarijo namens Conrado lebte. Dieser Kamerad war Mitglied der PSP22; er hatte von Anfang an mit uns im Kontakt gestanden und hatte uns viele Dienste geleistet. Er hatte seine Familie fortgeschickt, und sein Haus lag ganz einsam. Als Versteck oder Ausgangspunkt für Hinterhalte also ein idealer Platz! Nur drei schmale Pfade führten hinauf; sie wanden sich, durch das tropische Blattwerk perfekt getarnt, durch die hügeligen Wälder. Die Höhe des Berges war durch Felsen und schwindelerregende Klippen geschützt, die emporzusteigen äußerst gefährlich war. An einer kleinen Lichtung mit gefällten Bäumen erweiterte sich der Weg. Dies war der richtige Platz, an dem man den Angriffen Sánchez Mosqueras Widerstand leisten konnte! Am ersten Tag legten wir im Herd einer kleinen Hütte zwei Bomben, die wir zusammen mit den Zündschnüren versteckten. Das war die einfachste Falle, die man sich vorstellen konnte. Wenn wir uns zurückzogen, würde der Feind wahrscheinlich die Hütte besetzen und im Herd 22
Partido Socialista Popular, damals die Bezeichnung der Kommunistischen Partei.
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Feuer anmachen. Die beiden Sprengkörper waren vollständig von der Asche bedeckt. Wir gingen davon aus, daß die Zündschnüre durch die Hitze eines Feuers oder von Holzkohle in Brand gesetzt würden und eine Explosion auslösten, die sicherlich zahlreiche Opfer fordern würde. Aber natürlich wäre ein solcher Anschlag erst später von Nutzen. Zuerst müßten wir auf den Conradshöhen kämpfen. Drei Tage warteten wir dort oben geduldig. Wir stellten Tag und Nacht Wachen aus. In solcher Höhe und in jener Jahreszeit waren die Nächte sehr kalt und dunstig. Außerdem, das muß man zugeben, waren wir noch nicht abgehärtet genug, eine ganze Nacht in Gefechtsbereitschaft unter freiem Himmel zu verbringen. Auf dem Vervielfältigungsapparat, auf dem wir unsere Zeitung El Cubano Libre herstellten (die erste Ausgabe war gerade ein paar Tage zuvor erschienen), hatten wir Flugblätter für die Batista-Soldaten abgezogen. Wir wollten sie entlang dem Weg, den sie einschlagen würden, an den Bäumen anbringen. Am Morgen des 8. Dezember hörten wir von der Höhe unseres Felsens aus, wie die Soldaten mit dem Aufstieg begannen. Ihr Weg zog sich an der Straße entlang in Windungen durch das Gelände und mündete etwa zweihundert oder dreihundert Meter unter uns. Wir schickten Kamerad Luis Olazábal hinunter, damit er die Flugblätter anbringe; er hatte sich dafür freiwillig gemeldet. Wir hörten die erregten Stimmen einer heftigen Auseinandersetzung; da ich mich auf vorgeschobenem Posten befand, konnte ich ganz deutlich das Gebrüll verstehen, offensichtlich war es ein Offizier, der mit einem vulgären Ausdruck jemand den Befehl erteilte, weiterzugehen. Der andere, ein Soldat oder wer auch immer, weigerte sich voller Wut. Plötzlich wurde es ruhig, und die Truppe setzte sich wieder in Bewegung. Wir konnten die Kolonne heranrücken sehen; sie kam in kleinen Gruppen, von den Bäumen fast verdeckt. Nachdem ich sie einen Augenblick lang beobachtet hatte, begann ich zu bezweifeln, ob es wirklich ratsam sei, wenn wir ihnen durch unsere Flugblätter unseren Hinterhalt schon vorher bekanntgäben. Ich rief Luis zu mir und sagte ihm, er solle sie wieder entfernen. Es blieben ihm dazu nur noch ein paar Sekunden Zeit, denn die ersten Soldaten kamen schon ziemlich zügig näher. Die Gefechtsvorbereitungen waren übermäßig einfach: wenn der Feind aus dem Wald heraustrat, würde wahrscheinlich ein einzelner Soldat zuerst ins Blickfeld geraten, der von seinen Gefährten ziemlich abgeschnitten wäre. Zumindest dieser Mann müßte fallen. Verborgen hinter einem großen MastixBaum, wartete Camilo auf diesen Augenblick; wenn der Soldat an ihm vor-
beiging und angestrengt nach vorn blickte, würde er aus weniger als einem Meter Entfernung seine Maschinenpistole auf ihn abfeuern. Dann sollten die Scharfschützen in Aktion treten, die wir zu beiden Seiten im Buschwerk verborgen hatten. Vom Wegesrand her, etwa zehn Meter von Camilo entfernt, sollten Leutnant Ibrahim und ein anderer ihm Deckung geben, indem sie direkt von vorn das Feuer eröffneten, so daß sich ihm niemand nähern konnte, nachdem er den ersten der Soldaten niedergestreckt hatte. Ich befand mich etwa zwanzig Meter entfernt, seitwärts hinter einem Baumstamm, der mich zur Hälfte verdeckte. Ich zielte auf den Zugang zu dem Weg, auf dem die Soldaten herankamen. Mehrere von uns konnten sie nicht von Anfang an beobachten, denn wir befanden uns in einer exponierten Stellung, in der wir leicht entdeckt werden konnten. Wir sollten Camilos Schüsse abwarten. Ich riskierte einen schnellen Blick und verletzte damit meinen eigenen Befehl. Ich konnte in diesem Augenblick die Spannung, die einem Gefecht vorausgeht, fast körperlich spüren. Ich sah, wie der erste Soldat auftauchte. Er schaute sich mißtrauisch um und ging langsam weiter. Tatsächlich roch dieser Platz - eine kleine Lichtung mit einer Quelle inmitten der üppigen Vegetation des tropischen Waldes - förmlich nach einem Hinterhalt. Die Bäume, einige von ihnen gefällt, andere stehengeblieben und vom Feuer verkohlt, vermittelten einen Eindruck trostloser Verlassenheit. Ich ging wieder in Deckung und wartete auf den Beginn des Gefechtes. Zunächst ertönten einzelne Schüsse und dann erhob sich allgemeiner Gefechtslärm. Mir wurde klar, daß nicht Camilo, sondern Ibrahim zuerst geschossen hatte, der infolge des Wartens die Nerven verloren hatte. Er hatte das Feuer vorzeitig eröffnet; sofort darauf schoß es von allen Seiten, obgleich wir in Wirklichkeit von keinem Übersichtspunkt aus irgend etwas entdecken konnten. Wir schossen Einzelfeuer, und jeder Schuß hätte eigentlich gezielt und tödlich sein sollen; die Soldateska feuerte wahllos und ging mit der Munition verschwenderisch um. Vom Geräusch her konnten wir klar feststellen, auf welcher Seite gerade geschossen wurde, denn der Gefechtslärm verschmolz nicht ineinander. Höchstens fünf oder sechs Minuten später hörten wir über unseren Köpfen das erste Pfeifen der Granatwerfergeschosse oder der Bazookas; aber es war zu weit gezielt, und die Einschläge lagen weit hinter uns. Plötzlich verspürte ich ein unangenehmes Gefühl, ähnlich einem Brennen oder dem Prickeln einer Betäubung. Ich war nur in den linken Fuß getroffen, der durch den Baumstamm nicht geschützt gewesen war. Sofort schoß ich zurück (ich hatte mich wegen der größeren Treffsicherheit für ein Zielfernrohr-Gewehr entschieden); in dem Augenblick, als ich getroffen wurde, hörte 81
ich, wie Zweige auseinandergestoßen wurden. Einige Männer bewegten sich schnell in meine Richtung. Mein Gewehr hätte ich erst wieder laden müssen, und meine Pistole war mir, als ich mich auf den Boden warf, aus der Hand gefallen. Sie lag unter meinem Körper, aber ich konnte mich nicht aufrichten, denn sonst hätte ich mich direkt dem feindlichen Feuer ausgesetzt. Mit der Schnelligkeit der Verzweiflung warf ich mich zurück, und es gelang mir, die Pistole zu fassen. In diesem Moment sah ich, wie einer unserer Leute, der, den wir Catinflas nannten, auf mich zukam. In diesen Sekunden der Gefahr und der Schmerzen kam der arme Catinflas, um mir zu sagen, er ginge zurück, weil mit seinem Gewehr irgend etwas nicht stimme. Ich riß es ihm aus der Hand und sah nach, während er an meine Seite robbte. Das Gewehr hatte nur deshalb Ladehemmung, weil mit dem Abzug etwas nicht in Ordnung war. Ich gab es ihm mit der messerscharfen Diagnose: «Was mit dir los ist? Ein blöder Ochse bist du», schußbereit zurück. Catinflas, der in Wirklichkeit Oñate hieß, nahm sein Gewehr und warf sich in den Kampf. Er verließ die Deckung des Baumstammes und eilte, sein Garand zu verschießen. Er wollte nun seinen Mut beweisen. Aber es gelang ihm nicht, denn er wurde von einer Kugel getroffen, die in seinen linken Arm eindrang und am Schulterblatt heraustrat, also eine, gelinde ausgedrückt, bizarre Bahn zurücklegte. Jetzt waren wir beide verwundet und hatten keine Chance, uns unter dem Kugelregen zurückzuziehen. Da blieb nichts anderes übrig, als zu den Holzstämmen in der Nähe der gefällten Bäume zu kriechen, und dann um sie herumzurobben, während wir keine Ahnung hatten, wo sich der Rest unserer Gruppe befand. Wir schafften es, aber Cantinflas wurde ohnmächtig. Trotz der Schmerzen konnte ich mich nun freier bewegen, und ich erreichte die anderen und konnte sie um Hilfe bitten. Wir wußten, daß es beim Gegner Tote gegeben hatte, aber wir wußten nicht genau, wie viele. Wir, die einzigen Verwundeten bei uns, waren in Sicherheit, und so setzten wir uns in Richtung auf Polo Torres' Haus ab. Nachdem die ersten Augenblicke der Euphorie und der Erregung des Gefechts vorüber waren, spürte ich den Schmerz stärker, und das Gehen wurde unerträglich. Schließlich, auf halbem Weg, stieg ich auf ein Pferd und traf so in unserem Behelfslazarett ein. Cantinflas wurde mittlerweile auf unserer Feldtragbahre, in einer Hängematte, fortgeschafft. Die Schießerei hatte aufgehört. Es schien uns wahrscheinlich, daß der Feind die Conradshöhen eingenommen hatte. An einem Platz, den wir Pata de la Mesa (Tischbein) getauft hatten, stellten wir entlang einem kleinen Fluß Wachen aus, um den Vormarsch des Feindes im Auge zu behalten. Gleichzeitig organisierten wir die Evakuierung der Bauern und ihrer Familien aus dem
betreffenden Gebiet. Ich schrieb Fidel einen langen Brief, in dem ich ihm die Situation erläuterte. Ich schickte die von Ramiro Valdés befehligte Kolonne fort, damit sie sich mit den Truppen Fidels vereinigte. Tatsächlich breitete sich in unserer Truppe eine Stimmung der Niederlage und der Furcht aus, und ich wollte mich hier mit möglichst wenig Männern festsetzen, um mir für unsere Verteidigung so viel Beweglichkeit wie möglich zu bewahren. Camilo blieb an der Spitze der kleinen Verteidigungsgruppe. Am Morgen nach dem Gefecht war es in der Umgebung anscheinend so ruhig, daß wir Lien, einen unserer besten Kundschafter, ausschickten, damit er feststellte, was der Feind ausbrüte. So erfuhren wir, daß sich der Gegner mit Sack und Pack aus dem Abschnitt zurückgezogen hatte. Lien ging bis zu Conrados Hütte, aber er entdeckte von den Soldaten keine Spur. Als Beweis für seine Suche brachte er uns sogar einen der Sprengkörper mit, die wir in der bohío verborgen hatten. Als die Zeit für eine Inspektion der Truppe gekommen war, stellten wir fest, daß Kamerad Guile Pardos Gewehr fehlte. Er hatte seine Waffe mit einer anderen vertauscht und beim Rückzug hatte er nur die zweite mitgenommen und die erste am Ort des Gefechts zurückgelassen. Das aber war eines der schwersten Vergehen, das er begehen konnte. In solchen Fällen gab es eine klare Regel: der Betreffende mußte sich, nur mit Handfeuerwaffen ausgerüstet, auf den Weg machen, um sein Gewehr aus den Händen des Feindes zurückzuholen oder ein anderes beschaffen. Niedergeschlagen zog Guile ab, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Aber er kehrte mehrere Stunden später mit einem Lächeln auf den Lippen und seinem eigenen Gewehr in der Hand zu uns zurück. Das Geheimnis klärte sich schließlich auf: die Armee hatte sich von dem Platz, an dem sie sich eingegraben hatte, um unseren Angriff abzuwehren, überhaupt nicht fortbewegt. Jeder hatte sich auf seine Seite zurückgezogen. Das Gewehr war lediglich in einen Platzregen geraten, nichts weiter. Dies war für eine ganze Zeit der weiteste Punkt, bis zu dem die Armee in die Sierra eindrang. Auf jeden Fall wagten sie sich in dieser speziellen Zone nie über diesen Ort hinaus. Niedergebrannte Hütten - ein typisches Zeichen dafür, daß Sánchez Mosquera dagewesen war - das war alles, was von El Hombrito und anderen Dörfern übrigblieb. Unser Backhaus war gewissenhaft zerstört worden. Inmitten der rauchenden Ruinen fanden wir nichts weiter als einige Katzen und ein Schwein; sie waren der zerstörerischen Wut der Eindringlinge nur entgangen, um in unseren Mägen zu landen. Ein oder zwei Tage nach dem Gefecht operierte mich Machadito, der heutige Gesundheits82
minister, mit einem Rasiermesser und entfernte das Geschoß eines M-1 Gewehres. Von da an erholte ich mich schnell. Sánchez Mosquera hatte alles mit sich fortgeschleppt, was er konnte - von Säcken mit Kaffee bis zu Möbelstücken, die seine Soldaten tragen mußten. Wir hatten den Eindruck, es würde nun eine lange Zeit vergehen, bis er seine Nase wieder in die Sierra steckte. Es wurde dann notwendig, die politische Organisation dieses Abschnitts in Angriff zu nehmen und aufs neue unsere zentrale Operationsbasis einzurichten. Dieses sollte sich nun aber nicht länger in El Hombrito befinden, sondern an einem entlegeneren Platz, in derselben Zone wie die Mesa.
Der Krieg und die Bauernbevölkerung Eine Bevölkerungsgruppe, die in ständigem Kriegszustand leben muß und sich dieser neuen Situation anzupassen versucht, entwickelt eine besondere Geisteshaltung. Jeder einzelne muß sich einer solchen Anpassung unterziehen, damit er die mit diesem Zustand verbundenen bitteren Erfahrungen, die seine Ruhe und Gelassenheit bedrohen, durchstehen kann. Solchen bitteren Erfahrungen waren die Sierra Maestra und andere gerade befreite Zonen ausgesetzt. Die Situation in den zerklüfteten Gebirgszonen war verzweifelt. Der Bauer war von weit her gekommen und hatte, nach Freiheit dürstend, hart gearbeitet, um seinen Lebensunterhalt von dem neu umgegrabenen Land zu bestreiten, mit seiner mühseligen Plackerei hatte er die Kaffeepflanze schließlich dahin gebracht, daß sie auf den felsigen Abhängen gedieh, wo etwas Neues zu schaffen Opfer erfordert. All dies hatte er mit viel Schweiß vollbracht, seine Mühe war die Antwort auf die jahrhundertealte Sehnsucht des Menschen gewesen, ein eigenes Stück Land zu besitzen; und er hatte diese feindselige schroffe Erde, die so etwas war wie eine Verlängerung seines eigenen Ichs, mit unendlicher Liebe bearbeitet. Aber schon bald darauf, als die Kaffeesträucher zu blühen begannen und Früchte trugen, die Sinnbild für die Hoffnung dieser Menschen waren, wurde dieses Land von einem neuen Besitzer beansprucht. Vielleicht war es eine ausländische Gesellschaft, ein Landgieriger aus derselben Gegend oder irgendein anderer Spekulant, der die Verschuldung des Bauern ausnutzte. Die politischen caciques, die örtlichen Armeehäuptlinge, arbeiteten für diese Gesellschaft oder für die Landgierigen, sie warfen jeden Bauern ins Gefängnis oder ermordeten ihn, der sich gegen diese Willkürakte auflehnte. Mir schlug eine Atmosphäre der Niedergeschlagenheit und der Trostlosigkeit entgegen. Sie ging einher mit dem Gefühl unserer Niederlage bei Alegría de Pío, die das Ergebnis unserer Unerfahrenheit (und im übrigen unser einziges Mißgeschick in diesem langen Feldzug, in unserer blutigen Feuertaufe) gewesen war. Für die Bauern waren diese abgemagerten Männer, deren heute legendäre Bärte gerade zu sprießen begannen, Gefährten im Unglück und frische Opfer der respressiven Kräfte, und sie unterstützten uns spontan und selbstlos, ohne von diesen Geschlagenen irgend etwas zu erwarten. Die Tage vergingen, und unsere kleine Truppe von nun kampferprobten Männern errang die Siege von La Plata und Palma Mocha. Das Regime antwortete mit seiner ganzen Brutalität, und die Bauern wurden in Massen hingemordet. Terror wurde in den bäuerlichen Tälern der Sierra Maestra entfesselt, und die Bauern entzogen uns ihre Hilfe; eine Mauer gegenseitigen Miß83
trauens türmte sich zwischen ihnen und den Guerilleros auf; die Bauern fürchteten Repressalien, und die Guerillakämpfer argwöhnten, daß sie von denen, die Frucht hatten, verraten würden. Dennoch war unsere Politik gerecht und von Verständnis getragen, und die guajiro-Bevölkerung nahm allmählich ihre früheren Beziehungen zu unserer Sache wieder auf. Rasend vor Wut und verbrecherisch wie sie war, befahl die Diktatur die Umsiedlung von Tausenden von guajiro-Familien aus der Sierra Maestra in die Städte. Aber die stärksten und die entschlossensten Männer, unter ihnen fast die gesamte Bauernjugend, zogen Freiheit und Krieg der Sklaverei und der Stadt vor. Lange Karawanen von Frauen, Kindern und Greisen bevölkerten die Straßen; die Menschen verließen den Ort ihrer Geburt und zogen hinab in die Ebene, wo sie sich am Rande der Städte zusammendrängten. Zum zweitenmal machte Kuba das verbrecherischste Kapitel seiner Geschichte durch: die Zwangsumsiedlung. Zum erstenmal war sie von Weyler, dem blutigen General des kolonialen Spanien, angeordnet worden, und nun von Fulgencio Batista, dem schlimmsten Verräter und Mörder, den Amerika kennt. Hunger, Elend, Krankheiten, Epidemien und Tod dezimierten die von der Tyrannei ausgesiedelten Bauern. Kinder starben, weil es für sie keine ärztliche Hilfe und keine Nahrung gab, während nur wenige Schritte entfernt alle Hilfsmittel vorhanden waren, die ihnen hätten das Leben retten können. Der entrüstete Protest des kubanischen Volkes, der internationale Skandal und die Unfähigkeit der Diktatur, mit den Rebellen fertig zu werden, zwangen den Tyrannen schließlich, die Umsiedlung der Bauernfamilien aus der Sierra Maestra einzustellen. Und wieder kehrten sie - elend, krank und dezimiert - in das Land ihrer Väter zurück. Zuerst waren sie von den Kräften der Diktatur mit Bomben belegt worden, hatten sie erleben müssen, wie man ihre bohíos niederbrannte, hatte man an ihnen Massenmorde begangen; dann erfuhren sie die Unmenschlichkeit und die Barbarei eines Regimes, von dem sie schlimmer behandelt wurden als die Kubaner während des Unabhängigkeitskrieges vom kolonialistischen Spanien. Batista hatte Weyler übertroffen. Mit einer unzerstörbaren Entschlossenheit, bis zum Tod oder Sieg zu kämpfen, kehrten die Bauern als Rebellen zurück. Jetzt gab es für sie nur noch Tod oder Freiheit. Unsere kleine Gruppe von Guerillakämpfern, die in der Stadt aufgewachsen waren, begann, Hüte aus Palmstroh zu tragen; die Bevölkerung verlor ihre Furcht und beschloß, sich dem Kampf anzuschließen und entschlossen auf dem Weg zu ihrer Befreiung voranzuschreiten. Mit diesem Stimmungsumschwung fielen auch unsere Politik gegenüber den Bauern und unsere militäri-
schen Siege zusammen, und wir erkannten schon bald, daß dies alles zusammengenommen unter den Bedingungen der Sierra eine unschlagbare Kraft darstellte. Vor die Wahl gestellt, entschlossen sich alle Bauern für den Weg der Revolution. Die Veränderung in der geistigen Einstellung, von der wir schon gesprochen haben, kam nun zu voller Blüte. Der Krieg war ein Faktum - eine schmerzliche Tatsache, ja, aber doch eine Übergangserscheinung und ein Stadium, an dem nichts mehr zu ändern war und dem sich jeder einzelne anzupassen hatte, wenn er weiter existieren wollte. Als die Bauern dies einmal begriffen hatten, stellten sie sich entsprechend um, damit sie für die Konfrontation mit den bevorstehenden widrigen Umständen gerüstet waren. Die Bauern kehrten auf ihr verlassenes Stück Land zurück; sie hörten auf, ihr Vieh abzuschlachten, und bewahrten es für schlimmere Tage auf; sie gewöhnten sich an den grausamen Beschuß mit Maschinengewehren, und jede Familie baute sich ihren eigenen Unterstand. Sie gewöhnten sich auch daran, daß sie mit ihren Familien, ihrem Vieh und dem ganzen Hausrat von Zeit zu Zeit immer wieder aus den Kampfzonen fliehen mußten, und sie ließen dem Feind nur ihre leeren bohíos zurück, der seine Wut dann an ihnen ausließ und sie bis auf den Erdboden niederbrannte. Und es wurde ihnen zur Gewohnheit, auf den rauchenden Ruinen ihrer Wohnungen mit dem Wiederaufbau zu beginnen; sie taten es, ohne zu klagen, aber mit konzentriertem Haß und dem Willen zum Sieg. Als im Kampf gegen die Lebensmittelblockade der Diktatur mit der Verteilung des Viehs begonnen wurde, kümmerten sie sich mit liebevoller Sorge um ihre Tiere; als sie darangingen, ihr Vieh an einen sicheren Ort zu schaffen, arbeiteten sie in Gruppen zusammen und gründeten faktisch Kooperativen, indem sie ihr gesamtes Weideland und ihre Maultiere den gemeinsamen Anstrengungen zur Verfügung stellten. Es ist ein neues Wunder, das die Revolution hervorgebracht hat, daß sich als Folge des Krieges - auch der hartnäckigste Individualist, der eifrig die Grenzen seines Eigentums bewachte, den großen gemeinsamen Anstrengungen des Kampfes anschloß. Aber es gibt ein noch größeres Wunder: die Tatsache, daß der kubanische Bauer auf dem Territorium der befreiten Zonen sein persönliches Glück wieder entdeckte. Wer jemals Zeuge der verängstigten Laute geworden ist, mit der unsere Streitkräfte in jeder Bauernhütte empfangen worden waren, konstatiert mit Stolz den sorglosen Lärm und das glückliche herzliche Lachen der neuen Bewohner der Sierra. Das ist der Ausdruck der Selbstsicherheit, die der Bewohner des befreiten Gebiets durch das Bewußtsein seiner eigenen Stärke gewonnen hat. Und dies ist unsere Aufgabe für 84
die Zukunft: wir müssen erreichen, daß das kubanische Volk das Gefühl der eigenen Stärke zurückgewinnt und daß die Kubaner ihre von der Verfassung garantierten individuellen Rechte unter allen Umständen als ihren teuersten Schatz betrachten. Mehr als brausendes Glockengeläut wird die Rückkehr des alten glücklichen Lachens und der sorgenfreien Sicherheit, die das kubanische Volk verloren hatte, die Befreiung kundtun.
Ein Jahr Kampf Zu Beginn des Jahres 1958 standen wir mehr als ein Jahr im Kampf. Deshalb ist ein kurzer Rückblick auf unsere militärische, organisatorische und politische Situation sowie unsere Fortschritte am Platze. Was die militärische Lage betrifft, so soll daran erinnert werden, daß unsere Truppen am 2. Dezember 1956 am Strand von Las Coloradas an Land gegangen waren. Drei Tage später wurden wir bei Alegría de Pío überrascht und vernichtend geschlagen. Ende Dezember nahmen wir eine Umgruppierung vor und begannen bei La Plata, einer kleinen Garnison am Ufer des La PlataFlusses an der südlichen Küste der Provinz Oriente, mit kleineren, unserer gegebenen Stärke angemessenen Aktionen. In der Zeitspanne zwischen der Landung mit der sofort darauf folgenden Niederlage bei Alegrío de Pío und der Schlacht von El Uvero bestand unsere Streitmacht hauptsächlich aus einer einzigen Guerillagruppe, die unter dem Befehl von Fidel Castro stand, und deren Charakteristikum darin lag, daß sie sich ständig in Bewegung befand. (Deshalb können wir diese Zeitspanne die nomadische Phase nennen.) Zwischen dem 2. Dezember und dem 28. Mai, dem Datum der Schlacht von El Uvero, stellten wir langsam Verbindungen zur Stadt her. In dieser Periode waren die Beziehungen zwischen uns und der Führung der Bewegung in der Stadt dadurch gekennzeichnet, daß man dort unsere Bedeutung als Avantgarde der Revolution und die Persönlichkeit Fidels als ihren Führer nicht klar genug erkannte. Dann begannen sich hinsichtlich der Taktik, die eingeschlagen werden sollte, zwei verschiedene Richtungen herauszukristallisieren. Sie entsprachen zwei voneinander abweichenden strategischen Konzeptionen, die in der Folge als Sierra und als Llano bekannt wurden. Unsere Erörterungen und internen Konflikte waren ziemlich scharf. Dennoch ging es in dieser Phase grundsätzlich darum, daß wir überhaupt überlebten und eine Guerillabasis aufbauten. Die Haltung der Bauern ist bereits wiederholt analysiert worden. Unmittelbar nach der Katastrophe von Alegría de Pío begegnete unsere geschlagene Truppe herzlichen Gefühlen der Kameradschaft und einer spontanen Unterstützung. Mit unserer Umgruppierung und den ersten bewaffneten Zusammenstößen setzten die repressiven Aktionen der Batista-Armee ein; danach verbreitete sich unter den Bauern Furcht und Schrecken, und sie nahmen unseren Streitkräften gegenüber eine ablehnende Haltung ein. Das grundlegende Problem war dies: wenn sie uns sahen, mußten sie uns denunzieren. Wenn die Armee aus anderen Quellen von unserer Anwesenheit Kenntnis 85
erhielt, waren sie verloren. Meldeten sie uns aber dem Feind, dann taten sie ihrem eigenen Gewissen Gewalt an und auf jeden Fall brachten sie sich in Gefahr, denn die revolutionäre Justiz reagierte schnell. Trotz einer eingeschüchterten oder zumindest neutralisierten und unsicheren Bauernbevölkerung, die diesem schweren Dilemma dadurch zu entgehen suchte, daß sie die Sierra verließ, gewann unsere Streitmacht immer festeren Boden unter den Füßen, sie beherrschte das Terrain und brachte ein Gebiet der Sierra Maestra, das sich im Osten über den Pico Turquino hinaus und im Westen bis zum Caracas-Berg erstreckte, vollständig unter ihre Kontrolle. Ganz allmählich, in dem Maße, wie sie erkannten, daß die Guerilleros unbesiegbar waren und daß der Kampf lange dauern werde, begannen die Bauern logischer zu reagieren und sich unserer Gruppe als aktive Kämpfer anzuschließen. Von diesem Augenblick an traten sie nicht nur in unsere Reihen ein, sondern sie sorgten auch für unseren Unterhalt. Nach diesem Zeitpunkt hatte die Guerilla-Armee in den ländlichen Gebieten wirklich festen Fuß gefaßt, vor allem auch, weil die Bauern üblicherweise überall verstreut Verwandte haben. Diesen Vorgang nennen wir: «den Guerilleros Kleidung aus Palmblättern anlegen». Unsere Kampfgruppe wurde aber nicht nur durch die Hilfe der Bauern und durch die einzelnen Freiwilligen, die zu uns stießen, gestärkt, sondern auch durch die Kräfte, die uns das Nationalkomitee und das Provinzialkomitee von Oriente zuführten, wobei das letztere eine beträchtliche Autonomie besaß. In der Zeit zwischen der Landung und El Uvero traf eine Einheit bei uns ein, die aus etwa fünfzig Mann bestand und in fünf Kampfabteilungen unterteilt war; jeder Mann war bewaffnet; allerdings war die Bewaffnung nicht einheitlich, und nur etwa dreißig Waffen waren in gutem Zustand. Zu den Gefechten von La Plata und El Arroyo del Infierno kam es, ehe diese Gruppe zu uns stieß. In den Altos de Espinosa waren wir überrascht worden und hatten einen unserer Männer verloren; das gleiche geschah beinah im Gebiet von Gaviro, nachdem ein Spion, der den Auftrag hatte, Fidel zu töten, die Armee dreimal auf unsere Spur geführt hatte. Die bitteren Erfahrungen, die solche Überraschungen für uns zur Folge hatten, und unser schwieriges Leben in den Bergen stählten uns als Veteranen des Guerillakampfes. In der Schlacht von El Uvero empfing die neue Truppe ihre Feuertaufe. Diese militärische Aktion war von großer Bedeutung, denn hier griffen wir zum erstenmal einen gut verteidigten Stützpunkt frontal und dazu am hellen Tage an. Was die Dauer der Schlacht und die Zahl der Beteiligten betrifft, so war dies einer der blutigsten Zusammenstöße des ganzen Krieges. Ein Ergebnis von El Uvero war, daß der Feind aus den Küstenberei-
chen der Sierra Maestra vertrieben wurde. Nach El Uvero wurde ich zum Befehlshaber der Zweiten Kampfgruppe später hieß sie die Vierte - ernannt, die östlich des El Turquino operieren sollte. Es sollte erwähnt werden, daß die von Fidel persönlich geführte Kampfgruppe vor allem westlich des Pico Turquino eingesetzt war, und unsere also auf der anderen Seite des Berges, so weit wir vorstoßen konnten. Es gab mithin eine gewisse taktische Unabhängigkeit im Kommando, aber wir standen unter Fidels Befehl und hielten mit ihm alle ein bis zwei Wochen durch Kuriere die Verbindung aufrecht. Diese Aufteilung der Streitkräfte fiel mit dem Jahrestag des 26. Juli zusammen, und während die Truppen der Ersten Kampfgruppe, der «Kolonne José Martí», Estrada Palma angriffen, marschierten wir in Eilmärschen auf Bueycito. Im ersten Gefecht, das unsere Kolonne zu bestehen hatte, griffen wir diese Siedlung an und nahmen sie in Besitz. In die Zeitspanne zwischen Bueycito und dem Januar 1958 fiel die Konsolidierung des von den Rebellen gehaltenen Territoriums. Um in dieses Gebiet einzudringen, mußte die Armee Truppen konzentrieren und in starken Marschsäulen vorrücken. Der Gegner traf umfangreiche Vorbereitungen, aber die Ergebnisse waren begrenzt, denn seine Truppen waren nicht beweglich genug. Verschiedene feindliche Kolonnen wurden eingeschlossen, andere aufgerieben oder zumindest gestoppt. Unsere Kenntnis des Operationsgebietes erweiterte sich, und unsere Manövrierfähigkeit wurde größer; schließlich traten wir in das seßhafte Stadium ein, in die Periode der genau festgelegten Lagerplätze. Beim ersten Angriff auf Pino del Agua wandten wir subtilere Methoden an, und führten den Feind völlig in die Irre, da wir mit seinen Gewohnheiten nun schon vertraut waren. Es kam genauso, wie Fidel es vorausgesehen hatte: wenige Tage nachdem er sich in der Gegend hatte sehen lassen, traf die Strafexpedition ein, und meine Männer legten ihr einen Hinterhalt; in der Zwischenzeit tauchte Fidel unversehens irgendwo anders auf. Ende des Jahres zogen sich die feindlichen Truppen neuerlich aus der Sierra zurück, und das Gebiet zwischen dem Caracas-Berg im Westen und Pino del Agua im Osten blieb unter unserer Kontrolle; im Süden war das Meer, und die Armee hielt die kleinen Dörfer in den nördlichen Ausläufern der Maestra besetzt. Als Pino del Agua dann von unserer gesamten Streitmacht unter dem persönlichen Kommando Fidels zum zweitenmal angegriffen wurde, konnten wir unser Operationsgebiet stark erweitern. Zwei neue Kampfgruppen wurden gebildet - die «Kolonne Frank País», die unter dem Befehl von Raúl stand, und eine unter Almeidas Kommando. Beide waren aus der von Fidel befehlig86
ten Ersten Kampfgruppe hervorgegangen, die ein regelmäßiger Lieferant solcher Ableger war. Mit der Aufstellung solcher neuen Verbände bezweckten wir, die Präsenz unserer Truppen auch in weit entfernten Gebieten sicherzustellen. Diese Periode der Konsolidierung dauerte für unsere Streitkräfte bis zum zweiten Gefecht von Pino del Agua am 16. Februar 1958. Es war gleichzeitig eine Phase des Stillstands der militärischen Operationen, das heißt, wir waren nicht in der Lage, die befestigten und relativ leicht zu verteidigenden Stützpunkte des Gegners anzugreifen, während die feindlichen Kräfte nicht gegen uns vorrückten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir den Tod der Märtyrer von der Granma zu beklagen; wir betrauerten sie alle zutiefst, vor allem aber Nico Márquez. In diesem ersten Jahr haben auch andere Kämpfer ihr Leben eingebüßt, die sich wegen ihrer Unerschrockenheit und ihrer moralischen Qualitäten bei unseren Männern großes Prestige erworben hatten. Unter ihnen waren Nano und Julio Díaz, nicht miteinander verwandt, die beide in der Schlacht von El Uvero fielen; Ciro Redondo, der bei Mar Verde getötet wurde, und Hauptmann Soto, der im Gefecht von San Lorenzo den Tod fand. Unter den vielen Märtyrern unseres Kampfes in den Städten war bis dahin Frank País, der in Santiago de Cuba ums Leben kam, für die Revolution der größte Verlust. Der Aufzählung der militärischen Taten in der Sierra Maestra muß die Arbeit hinzugefügt werden, die die Llano-Kräfte in den Städten geleistet haben. In allen größeren Städten des Landes gab es Gruppen, die gegen das BatistaRegime kämpften, aber die beiden Brennpunkte des Kampfes waren Havanna und Santiago. Eine vollständige Verbindung zwischen Llano und Sierra hat es nie gegeben. Schuld daran waren zwei grundlegende Faktoren: die geographische Isoliertheit der Sierra und die taktischen und strategischen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Gruppen. Letztere entstanden aus den verschiedenartigen gesellschaftspolitischen und politischen Konzeptionen. Isoliert war die Sierra wegen der natürlichen Terrainbedingungen und auch deshalb, weil der Kordon der Armee zuzeiten nur mit größten Schwierigkeiten durchbrochen werden konnte. In diesem kurzen Abriß des Kampfes, den unser Land in diesem einen Jahr führte, muß auch die Tätigkeit anderer Kampfgruppen erwähnt werden, die jedoch im allgemeinen erfolglos war und in unglücklichen Ergebnissen kulminierte. Am 13. März 1957 griff das Studentendirektorat den Präsidentenpalast an und versuchte durch diese Aktion, Batista der Gerechtigkeit zuzuführen.
Dabei fiel eine Reihe hervorragender Männer, an ihrer Spitze Manzanita Echeverría, der Vorsitzende der FEU (Federación Estudiantil Universitaria), ein großer Kämpfer und ein wahres Symbol für unsere jungen Menschen. Einige Monate später, im Mai, wurde ein Landungsversuch unternommen. Wahrscheinlich war er schon verraten worden, ehe man sich von Miami aus aufmachte, denn er wurde von dem Verräter Prío finanziert. Er endete buchstäblich mit einem Massaker aller seiner Teilnehmer. Dieses Unternehmen ist als die El Corintia-Expedition bekanntgeworden. Sie stand unter der Leitung von Calixto Sánchez, der zusammen mit seinen Kameraden von Cowley umgebracht wurde, dem Mörder aus dem Nordteil der Provinz Oriente, der später von Mitgliedern unserer Bewegung der Gerechtigkeit übergeben wurde. Kampfgruppen wurden auch in El Escambray aufgestellt. Einige von ihnen waren der ‹Bewegung des 26. Juli› unterstellt, andere dem Studentendirektorat. Die letzteren wurden ursprünglich von Gutiérrez Menoyo geführt, einem Mitglied des Direktorats, der zuerst diese Einheiten und dann die Revolution selbst verriet, und der sich heute im Exil befindet. Die Kämpfer, die sich dem Direktorat gegenüber loyal verhielten, bildeten eine getrennt operierende Kolonne, die später von Major Chomón befehligt wurde. Die übrigen errichteten die Zweite Nationale Front von Escambray. Kleine Kernzellen entstanden in den Cristal- und Baracoa-Bergen; sie waren manchmal halb Guerilla, halb Soldateska, und Raúl brachte den Haufen in Ordnung, als er mit der Sechsten Kampfgruppe anrückte. Ein anderes Ereignis im bewaffneten Kampf jener Periode war die Rebellion im Marinestützpunkt Cienfuegos vom 5. September 1957, an deren Spitze Leutnant San Roman stand, der beim Scheitern des Putsches ermordet wurde. Der bewaffnete Aufstand in dem Stützpunkt sollte nicht als Einzelaktion vonstatten gehen; auch war es keine spontane Aktion. Sie war Teil einer ausgedehnten Untergrundbewegung in den Streitkräften, die, angeführt von einer Gruppe sogenannter reiner Militärs, von den Verbrechen der Diktatur unbefleckt geblieben waren, die aber - das ist heute offenkundig - vom Yankee-Imperialismus infiltriert war. Aus irgendwelchen unbekannten Gründen wurde die Erhebung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, aber der Marinestützpunkt Cienfuegos erhielt den Befehl nicht rechtzeitig, und die Militärs, die die Aktion nicht mehr rückgängig machen konnten, beschlossen, sie dennoch durchzuführen. Zunächst gelang der Coup, aber dann begingen sie den tragischen Fehler, daß sie sich nicht nach dem Escambray-Gebirge absetzten, in dessen unmittelbarer Nähe der Stützpunkt lag. Sie hätten dies tun sollen, als sie die ganze Stadt in der Hand hatten und die Möglichkeit besaßen, eine zuverlässige Front im Gebirge zu errichten. 87
Die nationalen und örtlichen Führer der ‹Bewegung des 26. Juli› nahmen an der Aktion teil. Auch die Bevölkerung beteiligte sich; zumindest teilte sie den Enthusiasmus, der zu der Revolte führte, und einige griffen auch zu den Waffen. Vielleicht fühlten sich die Führer des Aufstandes dadurch moralisch verpflichtet und noch enger an die eroberte Stadt gebunden; aber der Verlauf der Ereignisse entsprach völlig dieser Art von Putsch, den die Geschichte kannte und immer wieder erleben wird. Eine wichtige Rolle spielte dabei offensichtlich die Tatsache, daß die an die Militärakademie fixierten Offiziere die Bedeutung des Guerilla-Kampfes unterschätzten und daß sie zur Guerillabewegung als Ausdruck des Volkskampfes nicht genügend Vertrauen hatten. Wahrscheinlich glaubten die Verschwörer, daß sie ohne Hilfe ihrer Waffengefährten verloren seien, und beschlossen also, innerhalb der engen Grenzen einer Stadt und mit dem Rücken zum Meer einen Kampf bis zum Tode zu führen. Sie kämpften, bis sie durch die überlegenen Kräfte des Feindes, der nach Belieben Truppen mobilisiert und bei Cienfuegos zusammengezogen hatte, praktisch vernichtet waren. Die ‹Bewegung des 26. Juli› die als unbewaffneter Verbündeter an der Aktion teilnahm, hätte selbst dann das Blatt nicht wenden können, wenn ihre Führer den Ausgang des Unternehmens klar vorausgesehen hätten, was nicht der Fall gewesen war. Die Lehre für die Zukunft ist die: derjenige, der über die stärkeren Kräfte verfügt, diktiert die Strategie. Die massenhafte Tötung von Zivilisten, die wiederholten Mißerfolge und die Morde, die die Diktatur begangen hat, wurden in diesem Bericht über die verschiedenen Aspekte des Kampfes bereits analysiert. All dies läßt erkennen, daß ein Kampf des Volkes gegen eine despotische und immer noch starke Regierung am besten durch einen Guerillakrieg auf günstigem Terrain ausgetragen wird und daß diese Kampftechnik für die Söhne des Volkes mit den vergleichsweise geringsten Verlusten verbunden ist. Nachdem die GuerillaStreitmacht aufgestellt worden war, konnten wir unsere Ausfälle an den Fingern abzählen. Es waren ganz gewiß Kameraden von hervorragendem Mut und Ausdauer im Gefecht. Aber in den Städten waren es nicht nur die Entschlossenen, die ihr Leben einbüßten, sondern auch viele unter ihren Anhängern, die nicht mit Herz und Seele Revolutionäre waren, und viele gänzlich Unbeteiligte. Das war die Folge der größeren Verwundbarkeit angesichts der repressiven Aktion. Am Ende dieses ersten Kampfjahres zeichnete sich am Horizont eine allgemeine Erhebung im ganzen Land ab. Es gab Sabotagehandlungen, die von gut geplanten und mit großem technischen Können durchgeführten Aktionen bis zu unbedeutenden Terroristenanschlägen reichten, die auf Initiative ein-
zelner hin unternommen wurden und einen tragischen Tribut unschuldiger Toter und Opfer unter den besten Kämpfern forderten, ohne daß sie für die Sache des Volkes von irgendwelcher realer Bedeutung waren. Unsere militärische Situation wurde konsolidiert, und wir hielten nun ein ausgedehntes Gebiet besetzt. Wir befanden uns in einem bewaffneten Waffenstillstand mit Batista; seine Leute gingen nicht hinauf in die Sierra, und unsere kamen kaum je von den Bergen herunter. Die Einschließung durch Batistas Truppen war so wirkungsvoll, wie nur irgend möglich, aber unseren Männern gelang es immer noch, ihr zu entgehen. Was unsere Organisation betrifft, so hatte die Guerilla-Armee genügend Fortschritte gemacht, so daß wir am Ende dieses Jahres über eine Grundorganisation für das Vorratswesen, über gewisse minimale industrielle Einrichtungen, über Krankenhäuser und Nachrichtendienste verfügten. Die Probleme des Guerillero waren sehr einfach: um als Einzelperson existieren zu können, benötigte er geringe Mengen von Nahrungsmitteln und gewisse unerläßliche Kleidungsstücke und Medikamente; um als GuerillaStreitmacht zu existieren, das heißt, als eine zum Kampf fähige bewaffnete Truppe, brauchte der Guerillero Waffen und Munition; für seine politische Schulung waren Informationsmöglichkeiten notwendig. Um diese Minimalerfordernisse zu gewährleisten, wurde ein Nachrichten- und Informationsapparat benötigt. Zu Beginn waren die kleinen Guerilla-Einheiten, sie zählten etwa zwanzig Mann, auf magere Pflanzenrationen angewiesen, die in der Sierra wuchsen; an Feiertagen gab es Hühnerbrühe. Manchmal stellten uns die Bauern ein Schwein zur Verfügung, für das wir peinlich genau bezahlten. In dem Maße, wie die Guerilla-Streitmacht anwuchs und Gruppen von pre-guerrilleros ausgebildet wurden, benötigten wir größere Vorräte. Die Bauern der Sierra besaßen kein Vieh, und im allgemeinen hatten sie gerade so viel zu essen, daß es zum Leben reichte. Sie waren vom Verkauf ihres Kaffees abhängig, damit sie die unerläßlichen Gebrauchsgüter, wie zum Beispiel Salz, kaufen konnten. Als eine Anfangsmaßnahme vereinbarten wir mit bestimmten Bauern, daß sie spezielle Feldfrüchte, wie Bohnen, Mais, Reis usw. anbauten, deren Abnahme wir ihnen garantierten. Gleichzeitig trafen wir mit gewissen Kaufleuten in den nahe gelegenen Städten Verabredungen, wonach sie uns Nahrungsmittel und Ausrüstungsgegenstände lieferten. Es wurden Maultierkolonnen für den Transport zusammengestellt, die der Guerilla-Truppe gehörten. Was die Medikamente betrifft, so beschafften wir sie uns in den Städten, wenn auch nicht immer in der benötigten Menge oder Qualität; aber zumindest konnten wir eine Art funktionierenden Apparat für ihre Beschaffung 88
aufrechterhalten. Eine andere Sache war das Waffenproblem. Es war schwierig, Waffen von der Llano heraufzubringen. Zu den natürlichen Schwierigkeiten der geographischen Isolierung kam hinzu, daß die Streitkräfte in den Städten für sich selbst Waffen benötigten und daß sie sie ungern den Guerilleros übergaben. Fidel hatte ständig scharfe Diskussionen zu führen, um zu erreichen, daß Waffen und Ausrüstung zu uns gelangten. Die einzige Lieferung von Bedeutung, die wir in diesem ersten Jahr des Kampfes erhielten, waren - außer dem, was die Kämpfer selbst mitbrachten - die restlichen Waffen, die beim Angriff auf den Palast benutzt worden waren. Durch die Zusammenarbeit mit einem Großgrundbesitzer und Holzkaufmann der Gegend namens Babún, den ich schon erwähnt habe, gelang es, sie zu uns zu schaffen. Munition war nur in begrenzter Menge vorhanden, und wir hatten auch nicht die notwendige Auswahl. Wir konnten in dieser ersten Phase auch nicht selber Munition herstellen; wir konnten nicht einmal die Patronenhülsen neu füllen. Das war lediglich bei den Patronen für den 38er Revolver möglich, die unser Büchsenmacher mit etwas Schießpulver auflud, und bei einigen Geschossen vom Typ 30-06, die aber nur für die Gewehre benutzt wurden, aus denen man jeweils nur einen Schuß abgegeben konnte, da sie bei den halbautomatischen Waffen Ladehemmung verursachten und einen einwandfreien Gebrauch verhinderten. In jener Zeit wurden gewisse sanitäre Regeln aufgestellt, und wir richteten die ersten Lazarette ein. Eines von ihnen entstand in der Zone, in der ich die Befehlsgewalt ausübte; es lag an einem entlegenen unzugänglichen Platz und bot den Verwundeten relative Sicherheit, da es aus der Luft nicht einzusehen war. Aber da es inmitten eines dichten Waldgebietes lag, war die starke Feuchtigkeit für die Verwundeten und Kranken nicht zuträglich. Dieses Hospital wurde von Kamerad Sergio del Valle eingerichtet. Die Doktores Martínez Páez, Vallejo und Piti Fajardo stellten ähnliche Lazarette für Fidels Kampfgruppe zusammen, die im Laufe des zweiten Kampfjahres verbessert wurden. Was die Ausrüstungsgegenstände betrifft, so wurde der Bedarf der Truppe an Dingen wie Patronentaschen und Patronengürteln, Tornistern und Schuhwerk durch eine kleine Lederwerkstatt gedeckt, die in unserer Zone eingerichtet wurde. Als wir die erste Armeemütze produzierten, brachte ich sie voller Stolz zu Fidel. Sie löste eine ziemliche Sensation aus; jeder behauptete, es sei die Mütze eines guagüero23, ein Ausdruck, den ich bis dahin nicht kannte. Der 23
Auf Kuba und im karibischen Gebiet gebräuchlicher Slangausdruck für «Busfahrer». (Anm. d. Übers.)
einzige, vor dessen Augen ich Gnade fand, war ein Stadtrat aus Manzanillo, der unser Lager aufgesucht hatte, um Vorkehrungen für seinen Beitritt zu unserer Truppe zu treffen, und der die Mütze als Souvenir an sich nahm. Unsere wichtigste industrielle Anlage war eine Schmiede mit einer Waffenwerkstatt, wo schadhafte Waffen repariert und Sprengkörper, Minen und die berühmten M-26 (Molotow-Cocktails) hergestellt wurden. Zuerst wurden die Minen aus Blechbüchsen gefertigt, die wir mit dem Sprengstoff von Bombenblindgängern füllten, die von den häufiger feindlichen Luftangriffen herrührten. Diese Minen waren voller Mängel Sie hatten unter anderem einen Abzugsbolzen, der den Zünder häufig verfehlte. Später kam ein Kamerad auf die Idee, die ganze Fliegerbombe für größere Anschläge zu benutzen, indem man den Zünder ausbaute und eine geladene Schrotflinte an seine Stelle plazierte; mit Hilfe einer Schnur sollte dann der Abzug des Gewehrs aus der Entfernung betätigt werden, wodurch eine Explosion ausgelöst wurde. Später perfektionierten wir das System, indem wir Spezialzünder aus Metallegierungen und elektrische Zündvorrichtungen herstellten. Mit ihnen erzielten wir bessere Resultate. Obgleich wir die ersten waren, die solche Vorrichtungen entwickelten, gab Fidel der Sache den richtigen Auftrieb. Später schuf Raúl in seinem neuen Operationszentrum leistungskräftigere industrielle Einrichtungen als die, die wir im ersten Kriegsjahr besaßen. Um die Raucher unter uns zufriedenzustellen, errichteten wir eine Zigarrenfabrik; die dort hergestellten Zigarren waren grausig, aber da wir keine besseren hatten, fanden wir sie himmlisch. Die Schlachterei unserer Armee wurde mit Vieh beliefert, das wir bei Denunzianten und latifundistas beschlagnahmten. Wir verteilten das Fleisch gerecht, einen Teil für die Bauernbevölkerung, den anderen für unsere Truppe. Um für die Verbreitung unserer Ideen zu sorgen, gründeten wir zunächst eine kleine Zeitung, die wir in Erinnerung an jene Helden des Dschungels El Cubano Libre nannten. Unter unserer Überwachung erschienen drei oder vier Ausgaben. Später wurde sie von Luis Orlando Rodríguez herausgegeben und redigiert. Nach ihm gab Carlos Franqui dem Blatt neuen Auftrieb. Wir besaßen einen Vervielfältigungsapparat, der von der Llano zu uns heraufgebracht worden war. Mit seiner Hilfe stellten wir die Zeitung her. Gegen Ende des ersten Jahres und zu Beginn des zweiten hatten wir einen kleinen Rundfunksender eingerichtet. Wir sendeten die ersten regulären Übertragungen im Februar 1958. Unsere einzigen Zuhörer waren Palencho, ein Bauer, der gegenüber der Station auf einem Berg lebte, und Fidel, der bei der Vorbereitung des Angriffs auf Pino del Agua unser Lager aufsuchte. Er 89
hörte sich die Sendung mit unserem Empfänger an. Ganz allmählich wurde die technische Qualität der Übertragungen verbessert. Dann wurde die Anlage von der Ersten Kampfgruppe übernommen, und bis zum Dezember 1958 war sie zu einer der besten Rundfunkstationen auf Kuba geworden. Alle diese kleinen Fortschritte - auch was unsere Ausrüstung betraf, so beschafften wir uns zum Beispiel eine Winde und einige Generatoren, die wir mühselig die Berge der Sierra hinaufschleppten, damit wir für elektrisches Licht sorgen konnten - waren unseren eigenen Verbindungen zu verdanken. Um mit unseren Schwierigkeiten fertig zu werden, mußten wir ein ganzes Netz von Verbindungen und Informationsquellen anlegen. In dieser Hinsicht spielte Lydia Doce in meiner Kampfgruppe und Clodomira in Fidels eine wichtige Rolle. Hilfe kam in jenen Tagen nicht nur von den Menschen in den benachbarten Dörfern. Sogar die Bourgeoisie der Städte ließ uns Ausrüstungsgegenstände zukommen. Unsere Verbindungen reichten bis in die Städte Contramaestre, Palma, Bueycito, Las Minas de Bueycito, Estrada Palma, Yara, Bayamo, Manzanillo und Guisa. Diese Orte dienten uns als Relaisstationen. Auf heimlichen Pfaden wurden die erhaltenen Versorgungsgüter mit Hilfe von Maultieren in die Sierra hinauf in unsere Stellungen geschafft. Manchmal gingen diejenigen von uns, die in der Ausbildung waren, aber noch keine Waffen erhalten hatten, mit einigen Bewaffneten hinunter in die am nächsten gelegenen Städte, wie Yao oder Las Minas, oder sie suchten die mit Waren reichlich versehenen Geschäfte des Bezirks auf. Dann trugen sie die Waren auf dem Rücken hinauf in unser Versteck. Das einzige, woran es uns in der Sierra Maestra niemals - oder fast nie - mangelte, war Kaffee. Manchmal hatten wir kein Salz, das zu den für ein Überleben wichtigsten Lebensmitteln gehört, dessen Wert wir aber erst dann richtig erkannten, wenn es knapp war. Als wir damit begannen, Rundfunkberichte über unseren eigenen Sender auszustrahlen, wurde die Existenz unserer Truppen und ihre Entschlossenheit zum Kampf in der ganzen Republik bekannt. Unsere Verbindungen wurden immer ausgedehnter und verwickelter; sie reichten sogar bis nach Havanna und Camagüey im Westen, wo wir wichtige Nachschubzentren unterhielten, und nach Santiago im Osten. Unser Nachrichtendienst entwickelte sich derart, daß uns die Bauern der Zone nicht nur sofort unterrichteten, wenn die Armee auftauchte, sondern auch, wenn sich nur ein Fremder in der Gegend sehen ließ. So konnten wir mit Leichtigkeit jede derartige Person festhalten und überprüfen, was sie hier wollte. Auf diese Weise wurden viele Agenten der Armee und Spione ausgeschaltet, die in die Zone eingedrungen waren, um die Nase in unsere Lebens-
gewohnheiten und Aktionen zu stecken. Wir begannen auch, ein Rechtssystem einzurichten, aber ein Gesetz der Sierra war noch nicht verkündet worden. Dies war unsere organisatorische Situation zu Beginn des letzten Kriegsjahres. Was den politischen Kampf betrifft, so war er sehr kompliziert und widersprüchlich. Die Batista-Diktatur wurde von einem Kongreß unterstützt, der mit so vielen Schwindelmanövern gewählt worden war, daß er nicht auf eine ausreichende Bevölkerungsmehrheit zählen konnte, die seine Anordnungen ausführte. Gewisse abweichende Meinungen durften - wenn es keine Zensur gab zum Ausdruck kommen. Aber die offiziellen Sprecher des Regimes und seine Beamten, die zur nationalen Einheit aufriefen, sprachen mit mächtigen Stimmen, und die Rundfunksender übertrugen ihre Botschaften über die ganze Insel. Die hysterische Stimme Otto Meruelos wechselte ab mit den schwülstigen Possen eines Pardo Llada und Conte Agüero. Letzterer wiederholte schriftlich, was er über den Rundfunk gesagt hatte, und forderte den «Bruder Fidel» auf, einer Koexistenz mit dem Batista-Regime zuzustimmen. Die Oppositionsgruppen waren verschiedenartig und einander wenig ähnlich, selbst wenn die meisten über einen gemeinsamen Nenner verfügten nämlich den Wunsch, selbst an die Macht (das heißt: an die öffentlichen Mittel) heranzukommen. Dies hatte einen schmutzigen internen Kampf um den Sieg bei diesem Vorhaben zur Folge. Alle diese Gruppen waren von Batista-Agenten durchsetzt, die in den entscheidenden Augenblicken über ihre Aktivitäten berichteten. Obgleich diese Gruppen oft durch Gangstertum und Opportunismus gekennzeichnet waren, so hatten sie doch auch ihre Märtyrer. Tatsächlich befand sich die kubanische Gesellschaft in einem derartigen Zustand totaler Verwirrung, daß mutige und ehrenhafte Männer ihr Leben opferten, um die bequeme Existenz solcher Figuren wie Prío Socarrás zu bewahren. Das Studentendirektorat schlug den Weg des aufrührerischen Kampfes ein, aber diese Bewegung war von der unsrigen unabhängig, und sie verfolgte ihren eigenen Kurs. Die PSP schloß sich uns im Hinblick auf gewisse konkrete Unternehmungen an, aber gegenseitiges Mißtrauen behinderte gemeinsame Aktionen, und grundsätzlich verstand die Partei der Arbeiter nicht klar genug die Rolle unserer Guerilla-Streitmacht und auch nicht die persönliche Rolle Fidels in unserem revolutionären Kampf. In einer brüderlichen Diskussion gab ich einmal einem PSP-Funktionär eine Beobachtung weiter, die dieser später gegenüber anderen als eine wahre Charakterisierung jener Periode wiederholte: «Ihr seid in der Lage, Kader 90
aufzustellen, die im Gefängnis die schlimmsten Torturen stumm ertragen können, aber ihr könnt keine Kader zustande bringen, die in der Lage sind, ein Maschinengewehrnest zu nehmen.» Von meinem Gesichtspunkt als Guerillero aus gesehen, war dies die Folge einer bestimmten strategischen Konzeption: der Entschlossenheit, gegen den Imperialismus und die Exzesse der ausbeutenden Klassen zu kämpfen, die aber gepaart ist mit der Unfähigkeit, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß man selbst die Macht übernimmt. Später schlossen sich uns einige ihrer Leute, die Guerillerogeist besaßen, an, aber zu diesem Zeitpunkt war das Ende des bewaffneten Kampfes schon nahe; deshalb war der Einfluß, den er auf sie ausübte, nur gering. Innerhalb unserer eigenen Bewegung gab es zwei ganz klar herausgearbeitete Strömungen, von denen wir schon als die der Sierra und die der Llano gesprochen haben. Meinungsverschiedenheiten über strategische Konzeptionen trennten uns. Die Bewegung in der Sierra war bereits zuversichtlich, daß sie den Guerillakampf durchführen, ihn auf andere Gebiete ausdehnen und somit die von der Diktatur gehaltenen Städte von den ländlichen Gebieten her einkreisen konnte. Sie hoffte, durch Abschnürung und Zermürbung den Zusammenbruch des Regimes zu erzwingen. Die Bewegung in der Ebene nahm eine vorgeblich stärker revolutionäre Position ein. Sie war für den bewaffneten Kampf in allen Städten, der in einen Generalstreik einmünden sollte, durch den der Sturz Batistas herbeigeführt und eine schnelle Machtübernahme ermöglicht werden sollte. Diese Position war jedoch nur scheinbar revolutionärer, denn in jener Periode war die politische Entwicklung der Kameraden von der Ebene unvollständig, und sie hatten von einem Generalstreik eine zu eng begrenzte Vorstellung. Am 9. April des folgenden Jahres wurde dann ein Generalstreik ausgerufen. Es war eine geheime Aktion, ohne vorherige Benachrichtigung oder politische Vorbereitung und ohne eine Beteiligung der Massen. Sie endete mit einer Niederlage. Diese beiden Strömungen waren im Nationalkomitee der Bewegung vertreten, dessen Zusammensetzung sich mit der Entwicklung des Kampfes änderte. Im Vorbereitungsstadium, in der Zeit, bis Fidel nach Mexiko ging, setzte sich das Nationalkomitee, wenn meine Informationen richtig sind, aus folgenden Personen zusammen: Fidel, Raúl, Faustino Pérez, Pedro Miret, Ñico López, Armando Hart, Pepe Suárez, Pedro Aguilera, Luis Bonito, Jesús Montané, Melba, Hernández und Haydée Santamaría. Meine persönliche Beteiligung war damals sehr begrenzt; und es gibt nur wenige schriftliche Unterlagen. Später traten Pepe Suárez, Pedro Aguilera und Luis Bonito wegen der Widersprüche unter den Mitgliedern aus dem Komitee aus. Während wir uns in
Mexiko aufhielten, schlossen sich folgende Personen dem Ausschuß an: Maro Hidalgo, Aldo Santamaría, Carlos Franqui, Gustavo Arcos und Frank País. Von allen diesen Kameraden gingen nur Fidel und Raúl in dem ersten Kampfjahr in die Sierra und blieben dort. Faustino Pérez, einem Teilnehmer der Granma-Expedition, wurde die Leitung unserer Arbeit in der Stadt übertragen, und Pedro Miret wurde wenige Stunden, ehe wir Mexiko verlassen sollten, ins Gefängnis geworfen. Er blieb noch in Mexiko bis zum darauffolgenden Jahr, als er mit einer Waffenlieferung auf Kuba eintraf. Nico Lopez starb nur ein paar Tage nach der Landung; Armando Hart wurde am Ende jenes Jahres (oder Anfang des folgenden) eingekerkert; Jesus Montané' und Mario Hidalgo kamen nach der Landung ins Gefängnis; Melba Hernández und Haydée Santamaría arbeiteten für uns in den Städten; Aldo Santamaría und Carlos Franqui schlossen sich dem Kampf in der Sierra im folgenden Jahr an; Gustavo Arcos blieb in Mexiko, er war politischer Verbindungsmann und für den Nachschub verantwortlich; Frank País, dem die politische Arbeit in Santiago oblag, wurde im Juli 1957 getötet. Später stießen folgende Kameraden zu uns in die Sierra: Celia Sánchez, die das ganze Jahr 1958 bei uns war; Vilma Espín, die zunächst in Santiago und danach, bis zum Ende des Krieges, in der Kampfgruppe Raúl Castros gearbeitet hatte; Marcelo Fernández, der Koordinator der Bewegung, der nach dem Streik vom 9. April an die Stelle von Faustino trat, blieb nur ein paar Wochen bei uns, da sein Platz in den Städten war; René Ramos Latour, der die Miliz in der Ebene zu organisieren hatte, kam nach dem Fiasko vom 9. April hinauf in die Sierra und starb im zweiten Kampfjahr als Major den Heldentod; David Salvador leitete die Arbeiterbewegung, der er den Stempel seiner opportunistischen und spalterischen Aktionen aufdrückte. Später verriet er die Revolution und ist heute im Gefängnis. Einige der Kämpfer in der Sierra, wie zum Beispiel Almeida, kamen einige Zeit später zu uns. Wie ersichtlich, bildeten die Kameraden der Llano in diesem Stadium die Mehrheit, und ihr politischer Hintergrund, der durch den revolutionären Reifeprozeß nicht allzuviel beeinflußt worden war, ließ sie eine gewisse «zivile» Aktion befürworten sowie eine Art Widerstand gegen den caudillo, den sie in Fidel sahen, und gegen die «militaristische» Fraktion, die durch uns in der Sierra repräsentiert wurde. Die Meinungsverschiedenheiten waren schon offenkundig, aber sie waren noch nicht stark genug, die heftige Diskussion auszulösen, durch die das zweite Kriegsjahr gekennzeichnet war. Es muß hervorgehoben werden, daß die Kämpfer gegen die Diktatur sowohl in der Sierra als auch in der Ebene durchaus in der Lage waren, Meinungen zu taktischen Fragen zu vertreten, die einander zuzeiten diametral entge91
gengesetzt waren, ohne dabei zuzulassen, daß dies ein Nachlassen der Rebellion zur Folge hatte. Ihr revolutionärer Geist blieb wach und nahm an Schärfe weiter zu, bis zu dem Augenblick, da wir alle - nachdem der Sieg errungen war und die ersten Erfahrungen im Kampf gegen den Imperialismus folgten zu einem einzigen unbestreitbar von Fidel geführten Organismus eng vereint waren. Diese Gruppe schloß sich dann mit dem Direktorat und der PSP zur PURSC (Partido Unido de la Revolución Socialista Cubana) zusammen, aus der im Oktober 1965 die Kommunistische Partei Kubas wurde. Immer dann, wenn wir einem Druck von außerhalb unserer Bewegung ausgesetzt waren, Versuchen, sie zu spalten oder zu infiltrieren, stellten wir stets eine gemeinsame Front dar. Selbst jene Kameraden waren dann vor den Opportunisten auf der Hut, die zu jenem Zeitpunkt der kubanischen Revolution nur unvollkommene Chancen gaben. Als Felipe Pazos den Namen der ‹Bewegung des 26. Juli› benutzte und für sich selbst und für die korruptesten Interessen der kubanischen Oligarchie jene Positionen, einschließlich des Amtes eines Provisorischen Präsidenten, übernahm, die im Pakt von Miami angeboten worden waren, zeigte es sich, daß die gesamte Bewegung einheitlich und bestimmt gegen eine solche Haltung Stellung bezog. Sie unterstützte das Schreiben, das Fidel an die im Kampf gegen Batista beteiligten Organisationen sandte. Wir veröffentlichen dieses Dokument hier im vollen Wortlaut. Es ist ein historisches Dokument. Es ist vom 14. Dezember 1957 datiert; Celia Sánchez hatte Abschriften angefertigt, da wir zu jener Zeit keine Möglichkeit hatten, es drucken zu lassen. Kuba 14. Dezember 1957 AN DIE FÜHRUNG DER REVOLUTIONÄREN PARTEI DER PARTEI DES KUBANISCHEN VOLKES DER ORGANISATION Auténticos DER FÖDERATION VON UNIVERSITÄTSSTUDENTEN DES REVOLUTIONÄREN DIREKTORATS DES REVOLUTIONÄREN ARBEITERDIREKTORATS
Es ist meine moralische, patriotische und sogar historische Pflicht, diesen Brief an Sie zu richten; die Ereignisse und die Umstände, die uns in dieser Zeit zutiefst beunruhigt haben, und die darüber hinaus seit unserer Ankunft auf Kuba am meisten Verwirrung und Komplikationen mit sich gebracht
haben, machten die Abfassung dieser Stellungnahme unerläßlich. Am Mittwoch, dem 20. November, einem Tag, an dem unsere Streitkräfte im Laufe von sechs aufeinanderfolgenden Stunden drei Gefechte bestanden haben, einem Tag, der die Opfer und die Anstrengungen deutlich macht, denen sich unsere Männer ohne die geringste Hilfe anderer Organisationen unterzogen haben, an diesem selben Tag erhielten wir in unserem Operationsgebiet die überraschende Nachricht und das Dokument mit den veröffentlichten und geheimen Bestimmungen eines sogenannten Einheitspaktes, der anscheinend von der ‹Bewegung des 26. Juli› und den Organisationen, an die ich mich hiermit wende, in Miami unterzeichnet wurde. Das Eintreffen dieser Papiere und darin muß wohl die Ironie des Schicksals gesehen werden, denn, was wir benötigten, waren nicht Dokumente, sondern Waffen - fällt mit der stärksten Offensive zusammen, die die Diktatur je gegen uns unternommen hat. Unter Kampfbedingungen wie den unsrigen ist es schwierig, Verbindungen aufrechtzuerhalten. Trotz allem war es notwendig, hier, direkt auf dem Schlachtfeld, die Führer unserer Organisation zusammenzurufen, damit diese Angelegenheit erörtert werden konnte, bei der nicht nur das Prestige, sondern auch die historische Rechtfertigung der ‹Bewegung des 26. Juli› auf dem Spiel steht. Für jene, die gegen einen Feind kämpfen, der ihnen an Zahl und Bewaffnung unvergleichbar überlegen ist, und die ein volles Jahr lang keinerlei Unterstützung erfahren haben und sich allein durch die Würde, mit der man für eine wahrhaft geliebte Sache kämpfen muß, und durch die Überzeugung hochgehalten haben, daß diese Sache es wert ist, sein Leben für sie hinzugeben; für jene Männer, die durch die Geringschätzung ihrer Kameraden, die, selbst wenn sie es konnten, systematisch, um nicht zu sagen verbrecherisch, alle Hilfe abgelehnt haben, auf bittere Weise isoliert wurden; für jene Kameraden also, die das Opfer in seiner reinsten und selbstlosesten Form tagtäglich am eigenen Leibe erfahren haben, und die so häufig den Schmerz erdulden mußten, die besten von ihnen fallen zu sehen - kommt diese Nachricht zudem in einem Augenblick, da man sich gequält fragt, wer wohl das nächste Opfer des nächsten und unausbleiblichen Massenmordes sein wird. In dieser dunklen Stunde, da man den Tag des Triumphes nicht einmal sehen kann, des Sieges, für den wir so unerschütterlich kämpfen, und wobei wir keine andere Hoffnung und keinen anderen Trost haben, als daß wir uns nicht umsonst opfern - wie kann man da nicht begreifen, daß die Nachricht von einem Pakt, mit Bedacht über den Rundfunk verbreitet, der die Bewegung auf einen künftigen Kurs festlegt, ohne daß sich die Unterzeichner mit den Führern und Kämpfern beraten haben, was sich gehört hätte, um nicht zu sagen, 92
daß es einfach die Höflichkeit erfordert hätte... nun, diese Nachricht kann uns nur bis ins tiefste Herz verwunden und unsere Entrüstung auslösen. Wenn man sich derart falsch verhält, so hat das stets die schlimmsten Konsequenzen. Und diejenigen, die sich für fähig halten, eine Tyrannei zu stürzen und sogar die noch schwerere Aufgabe in Angriff zu nehmen, ein Land nach dem revolutionären Umsturz zu reorganisieren - sie täten gut daran, dies nicht zu vergessen. Die ‹Bewegung des 26. Juli› hat niemals eine Delegation ernannt und auch niemanden ermächtigt, an den betreffenden Verhandlungen teilzunehmen. Die Bewegung hätte sich jedoch einem solchen Schritt nicht widersetzt, wenn man sie darüber konsultiert hätte, und sie hätte es sich angelegen sein lassen, ihren Repräsentanten in einer für die gegenwärtige und künftige Aktivität unserer Organisation so wichtigen Angelegenheit konkrete Instruktionen zu erteilen. Statt dessen beschränkten sich unsere Informationen über die Beziehungen zu diesen verschiedenen Gruppen auf einen Bericht von St. Lester Rodríguez den wir lediglich ermächtigt hatten, mit ihnen gewisse Probleme rein militärischer Natur zu klären -, der uns folgendes mitteilte: «Im Hinblick auf Prio und das Direktorat kann ich Ihnen mitteilen, daß ich mit ihnen eine Reihe von Konferenzen ausschließlich zu dem Zweck geführt habe, die militärischen Pläne bis zu dem Zeitpunkt zu koordinieren, an dem eine von den drei Gruppen garantierte und respektierte Provisorische Regierung gebildet wird. Natürlich hob ich hervor, daß es in erster Linie notwendig sei, die Grundsätze des Sierra-Briefes zu akzeptieren, der darlegt, daß diese Regierung im Einklang mit dem Willen der politischen Kräfte des Landes gebildet werden sollte. Das war der erste Haken. Während des Generalstreiks hatten wir eine dringende Konferenz. Ich schlug dann vor, daß wir in Anbetracht der Umstände alle zur Verfügung stehenden Kräfte einsetzen sollten, um die Probleme Kubas ein für allemal zu lösen. Prío antwortete, er habe nicht genügend Kräfte, um mit der Gewißheit, den Sieg zu erringen, in dieses Unternehmen einzusteigen, und es wäre Wahnsinn, meinen Vorschlag zu verwirklichen. Dem entgegnete ich, er möge mich bitte wissen lassen, wenn alles bereit sei, Anker zu lichten; dann könnten wir über die Möglichkeit von Pakten sprechen. Ich sagte ihm ferner, er solle so freundlich sein und mich - und folglich auch diejenigen, die ich als Teil der ‹Bewegung des 26. Juli› repräsentiere - in der Zwischenzeit völlig unabhängig arbeiten zu lassen. Meiner festen Überzeugung nach gibt es keine Möglichkeit, mit diesen Herren zu einem Einvernehmen zu gelangen, und ich meine, es ist sogar besser, dies in Zukunft auch gar nicht mehr zu versuchen. Denn sie verweigerten uns die materielle Hilfe in einem Augenblick, da Kuba sie
am meisten benötigte; sie selbst aber haben nie aufgehört, die notwendigen Hilfsmittel für sich aufzustapeln, und sie sind mit ihnen überschwemmt.» Dieser Bericht bedarf keines Kommentars, und er bekräftigt unser Mißtrauen. Irgendwelche Hilfe von außerhalb konnten wir nicht erwarten. Wir erkennen an, daß es die Organisationen, die Sie repräsentieren, für ratsam erachtet haben, mit gewissen Mitgliedern unserer Bewegung die Bedingungen der Aktionseinheit zu erörtern. Es war jedoch unvorstellbar, daß Sie diese Bedingungen als bereits ausgehandeltes Abkommen veröffentlichten, ohne die nationalen Führer der Bewegung davon zu unterrichten und ohne ihre Zustimmung einzuholen. Wir konnten uns dies um so weniger vorstellen, daß diese Abkommen sogar die institutionellen Grundlagen veränderten, denen wir uns im Manifest der Sierra verschrieben hatten. Sich so zu verhalten, bedeutet, einen Pakt nur aus Gründen der Publicity einzugehen und den Namen unserer Organisation zu usurpieren. Die Situation ist, gelinde gesagt, paradox: in demselben Augenblick, da sich die nationale Führung, die ihr Untergrundhauptquartier irgendwo auf der Insel hat, anschickt, gleich von Anfang an den Bedingungen Widerstand entgegenzusetzen, die öffentlich und nicht öffentlich als Grundlage für ein Abkommen vorgeschlagen werden, erfährt diese Führung durch Rundschreiben, die im Untergrund zirkulieren, und durch die ausländische Presse, daß es schon die Spatzen vom Dach gepfiffen haben, gerade diese Bedingungen seien die Grundlage für eine Übereinkunft. Sie fand sich somit in aller Öffentlichkeit vor eine vollendete Tatsache gestellt und gezwungen, das Abkommen entweder zu dementieren und alle damit verbundene Verwirrung und das moralische Unrecht in Kauf zu nehmen, oder ihm zuzustimmen, ohne auch nur die eigene Meinung dazu geäußert zu haben. Ferner, wie zu erwarten gewesen war, erreichte uns in der Sierra eine Kopie des Dokuments erst mehrere Tage, nachdem es veröffentlicht worden war. Angesichts dieses Dilemmas hat die nationale Führung, ehe sie die in Frage stehenden Abkommen öffentlich dementierte, Ihnen gegenüber die Notwendigkeit geltend gemacht, zu den Grundsätzen des Manifests der Sierra zurückzukehren; in der Zwischenzeit wurde auf dem von den Rebellen gehaltenen Territorium eine Konferenz einberufen, auf der jedes einzelne Mitglied der Führung seine Meinung äußerte, die wir dann analysierten; als Ergebnis unserer Beratungen wurde einstimmig eine Resolution angenommen, die die Grundlage dieses Schreibens bildet. Es ist selbstverständlich, daß die nationale und internationale öffentliche Meinung jede Art Abkommen über einen Zusammenschluß gut aufnimmt. Denn neben anderen Gründen ist die wirkliche Situation der politischen und 93
revolutionären Anti-Batista-Kräfte nicht bekannt; auf Kuba selbst hatte das Wort Einheit in den Tagen, da sich das Kräfteverhältnis in der Tat von dem heute vorhandenen sehr unterschied, einen guten Ruf: und schließlich muß die Reaktion deshalb so sein, weil es stets das Beste ist, alle Anstrengungen zusammenzufassen, von den enthusiastischsten bis zu den lauesten. Wichtig für die Revolution ist aber nicht die Einheit an sich, sondern die Grundlage dieser Einheit, die Form, die sie annimmt, und die patriotischen Absichten, die sie beseelen. Es ist ein schmutziger Trick der schlimmsten Sorte, wenn man sich für diese Einheit zu Bedingungen entscheidet, die wir nicht einmal diskutiert haben, wenn man sie durch Leute gutheißen läßt, die dazu nicht qualifiziert sind, und wenn man vom bequemen Refugium einer im Ausland gelegenen Stadt aus, ohne weiteres Aufhebens, die Einheit proklamiert und somit die Bewegung in die Zwangslage bringt, daß die sich einer öffentlichen Meinung gegenübergestellt sieht, die durch einen betrügerischen Pakt irregeführt wurde. Mit diesem Trick wird eine wahrhaft revolutionäre Organisation jedoch nicht zerstört werden können Es handelt sich um einen Betrug an unserem Land, einen Betrug gegenüber der Weltöffentlichkeit. Und wodurch wurde ein solches Vorgehen ermöglicht? Während die Führer der verschiedenen Organisationen, die sich diesem Pakt anschlossen, im Ausland zusammentrafen und dort eine imaginäre Revolution in die Wege leiteten, befanden sich die Führer der ‹Bewegung des 26. Juli» auf Kuba und waren in einer sehr realen Revolution begriffen. Ist es überflüssig, dies niederzuschreiben? Mag es so sein. Ich hätte diese Zeilen nicht geschrieben, wären wir nicht so erbittert und fühlten wir uns nicht so gekränkt durch die Art und Weise, in der Sie versucht haben, die Bewegung mit diesem Pakt zu assoziieren. Dies geschieht unabhängig von der Tatsache, daß Meinungsverschiedenheiten über Verfahrensfragen niemals vor dem Wesentlichen rangieren sollten. Wegen des positiven Werts, den ein einheitliches Vorgehen stets darstellt, wegen gewisser wertvoller Projekte der Befreiungsjunta und wegen der uns angebotenen Unterstützung, die wir wirklich benötigen, hätten wir dem Abkommen trotz allem zugestimmt, wenn wir nicht einige seiner wesentlichen Grundsätze klar und einfach ablehnten. Selbst wenn unsere Situation verzweifelt werden sollte und wenn die Diktatur, um uns zu vernichten, so viele Tausende von Soldaten mobilisiert, wie sie will, werden wir niemals zulassen, daß gewisse fundamentale Grundsätze und unsere Auffassung von der kubanischen Revolution geopfert werden. Diese Grundsätze aber sind in dem Manifest der Sierra klar und deutlich niedergelegt.
Es ist der Akt eines höchst lauwarmen Patriotismus und offenkundiger Feigheit, wenn man, in einer Deklaration über die Einheit, den Grundsatz des Widerstandes gegen eine ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas über Bord wirft. Festzustellen, daß wir uns einer solchen Intervention widersetzen, heißt nicht nur, ihr im Namen der Revolution Widerstand zu leisten - denn sie wäre ein Anschlag gegen unsere Souveränität und, sagen wir es offen, gegen ein Prinzip, das allen Völkern Lateinamerikas teuer ist. Dieser Widerstand bedeutet gleichermaßen, einer Intervention zur Unterstützung der Diktatur entgegenzutreten, die sich in der Form der Lieferung von Flugzeugen, Bomben, modernen Panzern und Waffen äußert, mit deren Hilfe sich die Diktatur an der Macht hält, und unter der - außer der Bauernbevölkerung der Sierra - niemand mehr gelitten hat als wir. Schließlich: wenn man dem Grundsatz der Nichteinmischung Achtung verschafft, so würde dies allein schon den Sturz der Diktatur bedeuten. Werden wir uns in dieser Frage so feige verhalten und es nicht wagen, die Einstellung der ausländischen Intervention zugunsten Batistas zu fordern? Oder sind wir so unaufrichtig, daß wir irgend jemanden hinter den Kulissen ersuchen, unsere Kastanien aus dem Feuer zu holen? Oder sind wir vielleicht so schwach, daß wir es nicht wagen, uns auch nur mit einem einzigen Wort zu dieser Frage zu äußern? Wie können wir unter diesen Umständen die Verwegenheit besitzen, uns Revolutionäre zu nennen und gleichzeitig der Behauptung beizupflichten, daß diese Deklaration von der Einheit historische Bedeutung besitze? Ebenso hat diese Deklaration die formale Verpflichtung beseitigt, sich jeder Form einer Militärjunta als Provisorische Regierung der Republik zu widersetzen. Die Ersetzung Batistas durch eine Militärjunta wäre das Schlimmste, was der Nation in diesem Augenblick widerfahren könnte - wie sehr sie sich auch durch die falsche Illusion irreführen lassen mag, daß die Probleme Kubas durch die Eliminierung des Diktators gelöst werden. Auch gewisse Zivilisten der schlimmsten Sorte, die in Wirklichkeit Komplicen des 10. März24 gewesen sind, und die sich in der Folge lossagten, vielleicht wegen ihres brennenden Ehrgeizes, oder ihrer unmäßigen Neigung zum blackjack25, diese Leute also fassen eine derartige Lösung ins Auge, die nur die Gegner des Fortschritts unseres Landes befürworten können. Die Erfahrung auf dem amerikanischen Kontinent hat bewiesen, daß alle Militärjuntas in ein autokratisches Regime abgleiten. Das schlimmste aller 24 25
Am 10. März 1952 kam es zu einem Staatsstreich Batistas. (Anm. d. Übers.) Ein Glücksspiel. (Anm. d. Übers.)
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Übel, die diesen Kontinent gequält haben, ist die Verankerung militärischer Kasten in Ländern, die weniger Kriege als die Schweiz geführt haben, aber mehr Generale als Preußen besitzen. In dieser entscheidenden Stunde, da die demokratische und republikanische Entwicklung unseres Volkes für viele Jahre entweder gerettet oder zerstört wird, ist es eines seiner legitimsten Anliegen, als kostbarstes Erbteil seiner Befreier die zivile Tradition zu bewahren, die in den Kämpfen um die Emanzipation entstanden ist und die genau in dem Augenblick mit Füßen getreten würde, da eine uniformierte Junta sich an die Spitze der Republik stellte. (Im übrigen war weder in Kriegszeiten noch im Frieden keiner unserer Generale des Unabhängigkeitskampfes, und nicht einmal die Großspurigsten unter ihnen, in die Versuchung gekommen, einen solchen Schritt zu unternehmen.) Wenn dies also so ist, wie lang soll denn dann dieser Weg der Selbstverleugnung noch sein, wenn wir aus einer Furcht heraus, Empfindlichkeiten zu verletzen (mehr eingebildete als reale Empfindlichkeiten übrigens bei jenen ehrenhaften Militärs, die uns möglicherweise unterstützen), ständig die ausdrückliche Feststellung eines so wichtigen Grundsatzes unterdrücken? Oder ist es etwa so, daß man nicht begreift, daß eine rechtzeitig abgegebene Erklärung die Gefahr einer Militärjunta abwenden würde, deren Errichtung andererseits mit Gewißheit den Bürgerkrieg verlängern würde? Nun: wir zögern nicht, zu erklären, daß die ‹Bewegung des 26. Juli› mit aller Entschlossenheit ihren Befreiungsfeldzug fortsetzen wird, wenn an die Stelle Batistas eine Militärjunta tritt. Wir ziehen es vor, lieber heute noch härter zu kämpfen, als morgen in neue bodenlose Abgründe zu stürzen. Kein Spielzeug den Militärs in die Hand! weder eine Militärjunta noch eine Marionettenregierung! Warten wir vielleicht auf die Generale des 10. März, denen Batista mit Freuden Platz machen würde, wenn er sich einmal stark bedroht fühlte, und wobei er darin noch das beste Mittel sähe, mit einem Minimum an Schaden für seine eigenen Interessen und denen seines Klüngels die notwendige Übergabe der Macht zu bewerkstelligen? Zu welcher Verblendung führt dieser Mangel an Voraussicht, das Fehlen eines Ideals und der mangelhafte Kampf willen die kubanischen Politiker! Wenn Sie zum Volk kein Vertrauen haben, wenn Sie nicht auf seine großen Reserven an Energie und Kampfbereitschaft setzen, dann haben Sie auch nicht das Recht, Hand auf sein Schicksal zu legen, um es in dem heroischsten und hoffnungsvollsten Augenblick seiner republikanischen Existenz zu blockieren und zu frustrieren. Laßt die politicos mit ihren Arrangements, mit ihrem kindischen Ehrgeiz, ihrer verzweifelten Gier, die die Beute im voraus verteilen, sich nicht in den revolutionären Prozeß einmischen, denn auf Kuba ster-
ben Männer für mehr als das! Laßt diese Winkelpolitiker Revolutionäre werden, wenn sie es wollen! Aber laßt sie nicht die Revolution in degenerierte Politik verwandeln, denn heute vergießt unser Volk zuviel Blut, und es bringt zu viele gewaltige Opfer, als daß es morgen einen derart wertlosen Betrug verdient. Außer diesen beiden grundlegenden Prinzipien, die in dem Dokument über die Einheit nicht enthalten sind, stimmen wir ebenso in anderen Punkten nicht überein: Wenn wir der Unterabteilung B der Geheimklausel II über die Befugnisse der Befreiungsjunta zustimmen sollen, die die Ernennung «des Präsidenten der Republik, der dieses Amt in der Provisorischen Regierung ausübt» vorsieht, dann können wir uns nicht mit der Unterabteilung C derselben Klausel einverstanden erklären, die unter diesen Machtbefugnissen aufzählt: «Billigung oder Ablehnung des Kabinetts in seiner Gesamtheit, das vom Präsidenten der Republik ernannt wird, sowie der Veränderungen, die im Fall einer totalen oder teilweisen Krise gegeben sein könnten.» Wie kann man sich vorstellen, daß das Recht des Präsidenten, seine Mitarbeiter zu ernennen und zu entlassen, von der Billigung einer Körperschaft abhängig gemacht wird, die mit der Staatsmacht nichts zu tun hat? Da sich die Junta aus Vertretern verschiedener Parteien und Bevölkerungsschichten zusammensetzt, die folglich verschiedenartige Interessen vertreten, wird es dann nicht klar, daß die Ernennung der Kabinettsmitglieder nichts weiter wäre, als eine Suche nach dem geringstmöglichen Generalnenner, als einzigem Mittel, eine Übereinkunft über mannigfaltige Fragen zu erreichen? Kann man wirklich eine Bestimmung akzeptieren, die davon ausgeht, daß im Staate zwei Exekutiven geschaffen werden? Die einzige Garantie, die alle Schichten des Landes von der Provisorischen Regierung fordern müssen, ist die, daß sie ihrer Aufgabe ein festumrissenes Minimalprogramm zugrunde legt und daß sie ihre Rolle als Moderator während des Übergangsstadiums, das zur vollständigen Verfassungsnormalität führt, völlig unparteiisch spielt. Wenn versucht wird, sich in die Ernennung jedes einzelnen Ministers einzumischen, ist dies gleichbedeutend damit, daß man die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung anstrebt, um sie politischen Interessen zu unterwerfen. Ein solches Verfahren hat nur für jene Parteien und Organisationen eine Bedeutung, die - aus Mangel an Unterstützung durch die Massen - nur dann hoffen können, daß sie überleben, wenn sie sich an die Gebote der traditionellen Politik halten; es ist aber unvereinbar mit den hohen politischen und revolutionären Zielen, die von der Bewegung des 26. Juli› für die Republik verfolgt werden. 95
Allein schon die bloße Existenz von Geheimabkommen, die sich weder auf organisatorische Fragen des Widerstandes noch auf Aktionspläne beziehen, sondern auf Probleme - wie zum Beispiel die Struktur der künftigen Regierung —, bei denen die Nation das Wort haben und die deshalb öffentlich bekanntgegeben werden sollten, ist für uns unannehmbar. Martí hat gesagt: «In der Revolution sind die Methoden geheim aber die Ziele müssen stets bekanntgemacht werden.» Ein anderer Punkt, der für die ‹Bewegung des 26. Juli› gleichermaßen unannehmbar ist, ist die Geheimklausel VIII, in der es heißt: «Die revolutionären Kräfte werden, mit ihren Waffen, Teil der regulären bewaffneten Einrichtungen der Republik werden.» Zunächst einmal - was ist mit revolutionären Kräften gemeint? Bedeutet dies, daß man als Polizisten, als Matrosen oder Soldaten jene zulassen will, deren Waffen heute sorgfältig verborgen sind, die aber nicht zögern werden, sie am Tag des Sieges zu schwingen, und die ihre Arme verschränken, während eine Handvoll ihrer Landsleute gegen die organisierten Kräfte der Tyrannei kämpft? Stellen wir uns damit, in einem revolutionären Dokument, schützend gerade vor jenes Gift des Gangstertums und der Anarchie, das die Geißel der Republik in einer noch frischlebendigen Vergangenheit gewesen ist? Die Erfahrung auf dem von uns gehaltenen Territorium hat uns gelehrt, daß die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung für das Land ein wichtiges Problem ist. Die Tatsachen haben uns bewiesen, daß von dem Zeitpunkt an, da die bestehende Ordnung abgeschafft ist, existierende Bindungen gelöst werden und daß das Verbrechertum, wenn es nicht rechtzeitig eingedämmt wird, überall aufblüht. Weil wir rechtzeitig, mit voller und hundertprozentiger Zustimmung der Bevölkerung, scharfe Maßnahmen getroffen haben, konnten wir den ersten Anzeichen des Banditentums ein Ende setzen. Die Bauern, die gewohnt waren, einen Beauftragten der Obrigkeit als einen Feind des Volkes anzusehen, haben früher einem Flüchtling, der es mit den Behörden zu tun hatte, gewöhnlich Schutz vor Verfolgung angeboten. Heute sehen sie in unseren Soldaten die Verteidiger ihrer Interessen, und die Ordnung ist fest etabliert, wobei die Bürgerschaft selbst ihre beste Beschützerin ist. Anarchie ist der schlimmste Feind des revolutionären Prozesses. Sie zu bekämpfen ist deshalb eine fundamentale Notwendigkeit. Derjenige, der dies nicht begreift, sollte sich nicht mit dem Schicksal der Revolution befassen. Es ist natürlich, daß jene, die sich nicht für die Revolution aufgeopfert haben, sich auch um ihr Weiterleben nicht bekümmern sollten. Die Nation muß wissen, daß der Gerechtigkeit Genüge getan und daß das Verbrechen bestraft werden wird, wo immer es auftritt.
Die ‹Bewegung des 26. Juli› nimmt für sich die Pflicht in Anspruch, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und die bewaffneten Einrichtungen der Republik zu reorganisieren. Sie erhebt diesen Anspruch erstens, weil sie die einzige Organisation ist, die im ganzen Land über eine disziplinierte Miliz und im Felde über eine Armee verfügt, die mehr als zwanzig Siege über den Feind errungen hat; zweitens, weil unsere Kämpfer tausendfach ihren Edelmut unter Beweis gestellt und gezeigt haben, daß sie keinen Haß gegen die Soldaten hegen, indem sie stets deren Leben schonten, für den im Gefecht verwundeten Gegner sorgten und niemals einen Widersacher folterten, selbst wenn genau bekannt war, daß er wichtige Informationen besaß. Und sie haben dieses Verhalten im Kriege stets mit einer Großmut beibehalten, die Bewunderung verdient; drittens, weil es notwendig ist, die bewaffneten Einrichtungen mit jenem Geist der Gerechtigkeit und edler Gesinnung zu versehen, die die ‹Bewegung des 26. Juli› unter ihren Soldaten verbreitet hat; viertens, weil der Gleichmut, den wir in diesem Krieg zur Schau gestellt haben, die beste Garantie dafür ist, daß ehrenhafte Angehörige der Armee von der Revolution nichts zu fürchten haben, und daß sie nicht für die Missetaten jener zu zahlen haben werden, die durch ihre Verbrechen und ihre Schande der militärischen Uniform Unehre gebracht haben. Gewisse andere Aspekte der Deklaration über die Einheit bleiben schwer verständlich. Wie ist es möglich, Übereinkunft zu erzielen, ohne eine Strategie des Kampfes festgelegt zu haben? Denken die Auténticos immer noch an einem Putsch in der Hauptstadt? Werden sie weiterhin Waffen und immer mehr Waffen, die früher oder später mit Gewißheit der Polizei in die Hände fallen, lieber aufstapeln, als daß sie sie denen, die kämpfen, übergeben? Und schließlich: haben sie den Vorschlag eines Generalstreiks angenommen, wie er von der ‹Bewegung des 26. Juli› befürwortet worden war? Außerdem haben wir den Eindruck, daß die militärische Bedeutung des Kampfes in der Provinz Oriente beklagenswerterweise unterschätzt worden ist. Heute führen wir in der Sierra Maestra nicht länger einen Guerillakrieg, sondern einen Konfrontationskrieg. Unsere Streitkräfte, die dem Gegner an Zahl und Bewaffnung unterlegen sind, nutzen das Terrain und ihre größere Beweglichkeit soviel wie möglich aus und halten den Feind ständig unter Überwachung. Es ist überflüssig, die einzigartige Bedeutung des moralischen Faktors in diesem Kampf zu unterstreichen. Die Ergebnisse sind erstaunlich gewesen, und eines Tages werden sie in allen Einzelheiten bekanntwerden. Die gesamte Bevölkerung ist im Aufruhr. Wäre sie bewaffnet, so brauchten 96
sich unsere Einheiten auch um die winzigste Ecke des Landes keine Sorgen zu machen; die Bauern würden auch nicht einen einzigen Feind passieren lassen. Die Niederlagen der Diktatur, die nach wie vor Verstärkungen in großem Umfang einsetzt, könnten dann in Katastrophen für die Regierungstruppen verwandelt werden. Was immer ich Ihnen auch darüber berichten mag, wie der Mut des Volkes entfacht worden ist, es würde mit der Realität nicht Schritt halten können. Die Diktatur verhängt barbarische Repressalien. Der Massenmord an den Bauern konkurriert mit der Schlächterei, die die Nazis in Europa verübt haben. Sie lassen die wehrlose Bevölkerung für jede einzelne ihrer Niederlagen büßen. Den Kommuniques des Generalstabs über die Verluste der Rebellen geht stets ein Massaker voraus. Solche Praktiken haben einen Geist der grimmigen Revolte im Volk entfacht. Das Herz blutet, und dieser Geist leidet bei dem Gedanken, daß niemand diesem Volk auch nur ein einziges Gewehr zukommen ließ, daß - während hier die Bauern machtlos darauf warten, daß man ihre Wohnungen niederbrennt und ihre Familien ermordet, und sie mit aller Kraft der Verzweiflung nach Gewehren rufen - es auf Kuba geheime Waffenlager gibt, die nicht dazu benutzt werden, auch nur einen einzigen elenden Lakaien zu vernichten, und die nur darauf warten, daß sie von der Polizei ausgehoben werden, daß die Tyrannei zusammenbricht oder daß die Rebellen ausgerottet werden. Das Verhalten vieler unserer Mitbürger könnte nicht schmachvoller gewesen sein. Es ist immer noch Zeit, sich zu ändern und jenen zu helfen, die den Kampf führen. Von unserem persönlichen Standpunkt aus hat dies jedoch keine Bedeutung. Sie sollten nicht annehmen, daß diese Worte von Eigennutz oder Stolz diktiert werden: unser Schicksal ist besiegelt, und wir werden nicht von Zweifehl gequält. Entweder werden wir hier bis zum letzten Rebellen sterben, und in den Städten wird eine ganze junge Generation zugrunde gehen, oder aber wir werden über die unglaublichsten Hindernisse triumphieren. Für uns gibt es keine Niederlage! Niemand und nichts wird das Jahr der Opfer und der heroischen Taten, das unsere Männer hinter sich haben, auslöschen können. Unsere Siege sind ebenfalls eine Realität und können nicht leicht ausgelöscht werden. Unsere Männer sind entschlossener als je zuvor und werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. Es sind jene, die uns ihre Hilfe verweigert haben, die eine Niederlage erleiden werden - jene, die zu Beginn mit uns zusammen waren und die uns dann im Stich gelassen haben, jene, die Würde und Idealen nicht genug vertrauten, die ihre Zeit und ihr Prestige schmachvollen Abmachungen mit dem Trujillo-Despotismus vergeudeten; jene, die Waffen besaßen, sie aber dank ihrer eigenen Feigheit im Augenblick des Kampfes versteckten. Sie sind es,
die grobe Fehler begangen haben, nicht wir. Eines können wir laut und klar aussprechen: wenn wir andere Kubaner, verfolgt und der Vernichtung nahe, im Kampf um die Freiheit gesehen hätten, wenn wir gesehen hätten, daß sie Tag für Tag, ohne sich zu ergeben und ohne in ihrer Entschlossenheit nachzulassen, Widerstand leisteten, dann hätten wir nicht einen Augenblick lang gezögert, zu ihrer Unterstützung herbeizueilen und, wenn notwendig, mit ihnen zusammen zu sterben. Denn wir sind Kubaner, und Kubaner können dem Kampf um die Freiheit, auch in jedem anderen Land Lateinamerikas, gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Sammelten die Dominikaner ihre Kräfte, um ihr Volk zu befreien, so traten zehn Kubaner an die Seite eines jeden Dominikaners. Drangen die Anhänger Somozas in Costa Rica ein, so eilten die Kubaner dorthin, um am Kampf teilzunehmen. Man muß sich vorstellen, daß es heute, da ihr eigenes Land in einem mühseligen und zähen Kampf um die Freiheit begriffen ist, einige Kubaner im Exil gibt, die, von der Diktatur aus ihrem Vaterland vertrieben, ihren kämpfenden Brüdern ihre Hilfe verweigern! Oder - wenn sie uns helfen sollen, dann wollen sie uns unfaire Bedingungen stellen. Vielleicht sollten wir ihnen zum Lohn für ihre Hilfe ein Plateau der kubanischen Berge als Beute anbieten? Oder aber, sollten wir unseren Idealen abschwören und diesen Krieg zu einer neuen Kunst des Tötens der Mitmenschen machen und das Land in ein sinnloses Blutbad stürzen, wodurch das Versprechen nicht eingelöst wird und das Land die Belohnung nicht erhält, die es von seinen großen Opfern erwartet? Die Führung des Kampfes gegen die Tyrannei befindet sich auf Kuba selbst und wird dort, in den Händen der revolutionären Kämpfer, auch bleiben. Diejenigen, die jetzt oder später als Führer der Revolution betrachtet werden wollen, müssen sich im Lande selbst aufhalten und müssen die Verantwortung, die Risiken und Opfer direkt übernehmen, die die Situation auf Kuba heute erfordert. Diejenigen im Exil haben in diesem Kampf eine Rolle zu spielen; aber es wäre absurd, wenn sie etwa versuchten, uns von außerhalb der Grenzen her vorzuschreiben, welchen Berg wir erstürmen sollen, welche Zuckerplantage wir niederbrennen dürfen, welche Sabotageakte durchführen, und wann, unter welchen Umständen und in welcher Form wir einen Generalstreik ausrufen können. Das ist mehr als absurd, das ist lächerlich. Helft uns im Ausland, indem ihr unter den im Exil lebenden Kubanern und bei den Emigranten Geld sammelt, indem ihr für die kubanische Sache in der Öffentlichkeit eintretet, und stellt von dort aus die Verbrechen an den Pranger, deren Opfer wir hier sind; aber versucht nicht, von Miami aus eine Revolution zu führen, die in 97
allen Städten und auf den Feldern der Insel Gestalt annimmt, die mit Kampf, Aufruhr, Sabotage, Streiks und tausend anderen Formen revolutionärer Tätigkeit einhergeht, die durch die Kampfstrategie der ‹Bewegung des 26. Juli» ausgelöst worden sind. Um spezielle Pläne zu koordinieren und konkrete Unternehmungen durchzuführen, die für den Sturz der Diktatur als nützlich angesehen werden, ist die nationale Führung - wie sie wiederholt bekanntgegeben hat - bereit, auf kubanischem Gebiet mit den Führern einer jeden Oppositionsgruppe in Verhandlungen einzutreten. Zu einem Generalstreik wird es kommen, wenn die Anstrengungen der Movimiento de Resistencia Cívica (Widerstandsbewegung der Bürgerschaft), der Frente Nacional Obrero (Nationalen Arbeiterfront) und aller anderen Gruppen wirkungsvoll koordiniert werden, die sich vom Geist des Sektierertums losgesagt und mit der ‹Bewegung des 26. Juli› Kontakt aufgenommen haben, die heute die einzige Oppositionsorganisation ist, die innerhalb des Landes aktiv kämpft. Zusammen mit den oppositionellen Elementen, die sich zu einer Arbeitsniederlegung bereit finden, und die wahrscheinlich nicht im entscheidenden Augenblick von der Bildfläche verschwinden werden, organisiert die Arbeitersektion der ‹Bewegung des 26. Juli› gegenwärtig in jedem Arbeits- und Industriezentrum des Landes Streikkomitees. Diese Streikkomitees werden die Frente Nacional Obrero bilden; sie wird wiederum die einzige Vertretung des Proletariats sein, die die «Bewegung des 26. Juli› als legitim anerkennt. Der Sturz des Diktators impliziert notwendigerweise die Entfernung eines unrühmlichen Kongresses, der Führung der Confederación de Trabajadores Cubanos (der Kubanischen Arbeiterföderation) und all jener Bürgermeister, Gouverneure und anderer Funktionäre, die ihre Posten, direkt oder auf andere Weise, im Zusammenhang mit den «Wahlen» vom 1. November 1954 oder dem Militärputsch vom 10. März 1952 erhalten haben. Er bedeutet gleichermaßen die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, der Zivilisten oder Militärpersonen; außerdem muß allen Komplicen der Verbrechen, des Despotismus der Diktatur, der Prozeß gemacht werden. Die neue Regierung soll sich auf die Verfassung von 1940 stützen; sie wird alle durch diese Verfassung anerkannten Rechte garantieren und sich von jedem politischen Sektierertum fernhalten. Die Exekutive soll die legislativen Funktionen übernehmen, die die Verfassung dem Kongreß der Republik zuweist, und sie soll es als ihre grundlegende Aufgabe ansehen, im Einklang mit dem Wahlgesetz von 1943 und der Verfassung von 1940 allgemeine Wahlen auszuschreiben, und das Zehn-Punkte-
Minimum-Programm des Manifests der Sierra in Kraft zu setzen. Der gegenwärtige Oberste Gerichtshof soll für aufgelöst erklärt werden, weil er sich als unfähig erwiesen hat, mit der durch den Staatsstreich geschaffenen illegalen Situation fertig zu werden. Dies schließt jedoch nicht aus, daß einige seiner gegenwärtigen Mitglieder, die die Verfassungsgrundsätze stets verteidigt oder unbeirrt eine feste Haltung gegenüber den Verbrechen, dem Absolutismus und den Mißbräuchen dieser Jahre der Tyrannei eingenommen haben, in der Folge diesem Gremium wieder angehören. Der Präsident der Republik soll bestimmen, auf welche Weise der neue Oberste Gerichtshof eingesetzt wird, und dieser soll seinerseits damit beauftragt werden, alle Gerichtshöfe und autonomen Rechtsinstitutionen zu reorganisieren, und alle diejenigen zu entlassen, die überführt sind, in die anrüchigen Handlungen der Diktatur verwickelt zu sein. Die Ernennung neuer Funktionäre soll im Einklang mit dem Gesetz vorgenommen werden. Die politischen Parteien sollen unter der Provisorischen Regierung das folgende alleinige Recht besitzen: die Freiheit nämlich, ihr Programm vor dem Volk zu verteidigen, die Bürger im Rahmen unserer Verfassung zu mobilisieren und zu organisieren und an den allgemeinen Wahlen teilzunehmen. Zu der Notwendigkeit, die Persönlichkeit zu ernennen, die die Präsidentschaft der Republik übernehmen soll, wurde bereits im Manifest der Sierra Maestra Stellung genommen, und unsere Bewegung hat erklärt, besagte Persönlichkeit solle ihrer Meinung nach von allen Institutionen der Bürger ausgewählt werden. Wie dem auch sei; obgleich fünf Monate vergangen sind, ist dieses Problem noch nicht geklärt worden, und es wird immer dringlicher, der Nation eine Antwort auf die Frage zu geben: wer wird die Nachfolge des Diktators antreten? Angesichts dieses großen Fragezeichens ist es nicht möglich, auch nur noch einen einzigen Tag mit der Antwort zu warten. Die «Bewegung des 26. Juli› beantwortet die Frage. Als einzig mögliches Rezept, die Legalität zu garantieren und die Vorbedingungen für die Einheit und die Provisorische Regierung zu schaffen, unterbreitet sie dem Volk ihren Vorschlag. Dr. Manuel Urrutia Lleo, jener aufrechte Richter am Gerichtshof von Oriente, das muß der Mann sein. Nicht wir, sondern sein Verhalten hat ihn für diesen Posten prädestiniert, und wir erwarten, daß er der Republik diesen Dienst nicht verweigern wird. Für seine Ernennung sprechen folgende Gründe: 1. Er war der Angehörige des Richterstandes, der die Verfassung am stärksten respektiert hat, indem er nach dem Prozeß der Mitglieder der GranmaExpedition vor Gericht erklärte, es sei kein Verbrechen und im Einklang mit dem Geist und dem Buchstaben der Verfassung und dem Gesetz völlig zuläs98
sig, eine bewaffnete Streitmacht gegen das Regime aufzustellen. Das war eine für einen Richter in der Geschichte unseres Freiheitskampfes beispiellose Feststellung. 2. Sein Leben, das der wahren Rechtspflege gewidmet ist, gibt uns die Gewißheit, daß er vom beruflichen und menschlichen Standpunkt aus genügend qualifiziert ist, in dem Augenblick, wenn die Tyrannei vom Volk gestürzt ist, das Gleichgewicht aller legitimen Interessen im Lande aufrechtzuerhalten. 3. Niemand ist vom Parteiengeist so frei wie Dr. Manuel Urrutia. Tatsächlich gehört er kraft seines Richteramtes keiner politischen Gruppe an. Und es gibt keinen anderen Bürger von gleichem Prestige, der, ohne aktiv beteiligt zu sein, sich doch so sehr mit der revolutionären Sache identifiziert. Wenn unsere Bedingungen — die uneigennützigen Bedingungen einer Organisation, die sich zu den größten Opfern bereit gefunden hat, und die nicht einmal konsultiert wurde, ehe man ihren Namen in einem Manifest über die Einheit benutzte, das sie nicht gutgeheißen hat - zurückgewiesen werden, dann werden wir den Kampf allein fortsetzen, wie wir es stets getan haben; mit keinen anderen Waffen als denen, die wir dem Feind in jedem einzelnen Gefecht entreißen, mit keiner anderen Hilfe als der des so schwer geprüften Volkes und von niemand anderem als unserem Ideal unterstützt. Denn schließlich ist es die ‹Bewegung des 26. Juli›, und sie allein, die im ganzen Land einen aktiven Kampf geführt hat und diesen Kampf fortsetzt. Es sind die militanten Mitglieder der Bewegung, und niemand anderes, die die Revolte von den zerklüfteten Bergen Orientes den weiten Weg bis zu den westlichen Provinzen getragen haben. Sie allein sind es, die Sabotageakte verübt, Zuckerrohrfelder niedergebrannt und die politischen Räuber und Mörder hingerichtet haben; allein die ‹Bewegung des 26. Juli› ist in der Lage gewesen, die Arbeiter der Nation auf revolutionäre Weise zu organisieren; sie allein hat geholfen, die Bewegung des zivilen Widerstandes zu organisieren, in der alle Bürgerschaftsgruppen aus praktisch jedem Bezirk Kubas vereinigt sind. Sie sollen wissen, daß wir uns aus bürokratischen Verstrickungen gelöst und von einer Beteiligung an der Regierung zurückgezogen haben; aber Sie müssen ein für allemal begreifen, daß es die militanten Anhänger der Bewegung nicht aufgegeben haben und niemals aufgeben werden, das Volk - aus dem Untergrund, von der Sierra Maestra, oder aus den Gräbern, wohin der Feind unsere Toten schleudern mag — zu leiten und zu führen. Wir werden diesen unseren Vorsatz nicht aufgeben, denn es sind nicht wir allein, es ist eine ganze Generation, die dem kubanischen Volk versprochen hat, konkrete Lösungen für seine bedeutenden Probleme zu finden.
Wir werden - allein - siegen oder sterben. Niemals wird der Kampf härter sein als damals, als wir nur zwölf Mann waren, als wir nicht die Unterstützung eines Volkes besaßen, das nun an den Krieg gewöhnt und in der ganzen Sierra organisiert ist, als wir nicht, wie heute, eine mächtige und disziplinierte Organisation besaßen, die sich über das ganze Land erstreckt, und als wir nicht mit der ungeheueren Unterstützung der Massen rechnen konnten, wie mit jener, die an dem Tag zur Schau gestellt wurde, an dem unser unvergessener Frank País starb. Um mit Würde zu sterben, braucht man keine Gesellschaft. FIDEL CASTRO RUZ Sierra Maestra 14. Dezember 1957
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Das zweite Gefecht von Pino del Agua Nach Ansicht Fidels war es wichtig, die Tatsache auszunutzen, daß nun die Zensur aufgehoben worden war; dem Gegner sollte ein Schlag versetzt werden, der Widerhall auslöste, und wir bereiteten uns darauf vor. Wieder wurde Pino del Agua als der Platz ausgewählt, an dem wir unseren Plan ausführen wollten. Wir hatten Pino del Agua einmal erfolgreich angegriffen, und seither war der Ort von feindlichen Truppen besetzt. Auch dann, wenn die Soldaten nicht sehr viel in der Gegend umherschwärmten, machte ihre Position auf dem Kamm der Sierra Maestra weite Umwege notwendig; und es war stets gefährlich, in der Nähe des von ihm gehaltenen Gebiets vorbeizukommen. Wenn wir Pino del Agua als vorgeschobene Position der Armee ausschalteten, könnte dies von großer strategischer Bedeutung sein; angesichts der neuen Bedingungen, unter denen die Presse im Lande arbeitete, könnten sich Auswirkungen auf gesamtnationaler Ebene ergeben. In den ersten Februartagen begannen fieberhafte Vorbereitungen und Feinderkundungen; sie wurden vor allem von Roberto Ruiz und Félix Tamayo vorgenommen (beide sind Offiziere in unserer heutigen Armee), denn sie stammten aus der Gegend. Außerdem beschleunigten wir die Erprobung unserer neuesten Waffe, des M-26, auch «Sputnik» oder «Molotow-Cocktail» genannt, der wir außerordentliche Bedeutung beimaßen. Es war ein kleiner Sprengkörper aus Zinnblech, den wir zuerst mit Hilfe eines komplizierten Apparats abschossen, einer Art Katapult, den wir aus den Leinen eines Unterwasser-Abschußgeräts für Fische anfertigten. Später vervollkommneten wir die Vorrichtung so, daß wir den Sprengkörper mittels eines Gewehres und einer Patrone abfeuern konnten, womit eine viel weitere Schußentfernung erzielt werden konnte. Diese kleinen Bomben verursachten ein großes Getöse und waren wirklich furchterregend, aber da der Bombenkörper nur aus einem Zinnblechgehäuse bestand, war ihre todbringende Wirkung gering, und wenn sie in der Nähe eines feindlichen Soldaten explodierten, fugten sie nur kleinere Wunden zu. Außerdem war es sehr schwierig, den Zeitpunkt zu bestimmen, wenn die Zündschnur angesteckt werden mußte, so daß die Bombe genau am Ende ihrer Flugbahn explodierte. Durch die Erschütterung des Abschusses ging die Zündschnur leicht wieder aus, der kleine Sprengkörper explodierte nicht und fiel unversehrt in die Hände des Feindes. Als der Gegner einmal herausbekommen hatte, wie der «Sputnik» arbeitete, fürchtete er die Waffe nicht länger. Bei diesem ersten Einsatz hatte sie jedoch ihre psychologische Wirkung.
Wir trafen unsere Vorbereitungen äußerst sorgfältig, und am 16. Februar fand der Angriff statt. Wieder war der strategische Plan sehr einfach: Fidel wußte, daß in dem Holzlager eine ganze feindliche Kompanie stationiert war und bezweifelte deshalb, daß unsere Truppen das Lager einnehmen könnten. Wir wollten das Lager angreifen, die vorgeschobenen Stellungen zerstören, das Lager einschließen und dann auf die Verstärkungen warten, denn wir wußten sehr gut, daß Truppen auf dem Marsch sehr viel wachsamer als Einheiten im Quartier sind. Wir legten verschiedene Hinterhalte, von denen wir gute Resultate erwarteten. Jeden von ihnen besetzten wir mit so vielen Männern, wie nach unserer Ansicht notwendig waren, so daß wir mit dem Feind in der erwarteten Stärke fertig werden konnten. Fidel persönlich leitete den Angriff. Auf einem Berg im Norden, von dem aus man das Holzlager klar überblicken konnte, hatte er sein Stabsquartier aufgeschlagen. Wir hatten folgenden Schlachtplan: Camilo sollte entlang der Straße von Uvero vorrücken, die durch die Bayamesa führt; seine Truppen, der Vorhutzug der Vierten Kampfgruppe, sollten dann die vorgeschobenen Posten nehmen, so weit vorgehen, wie es das Terrain erlaubte, und dann die Stellung halten. Hauptmann Raúl Castro Mercaders Zug, der am Rand der Straße nach Bayamo eingesetzt war, sollte den Rückzug der Soldaten stören; falls der Feind versuchen sollte, den Río Peladero zu erreichen, würde Hauptmann Guillermo García mit etwa fünfundzwanzig Mann auf ihn warten. Sobald der Schußwechsel begann, sollte unser Granatwerfer, für den wir genau sechs Granaten hatten, und der von Quiala bedient wurde, in Aktion treten. Dann sollte die Belagerung beginnen. Durch einen von Leutnant Vilo Acuña geführten Hinterhalt auf dem Lorna de la Virgen sollte den Soldaten, die von Uvero heranrückten, der Weg abgeschnitten werden. Und weiter im Norden wartete Lalo Sardiñas mit einigen Leuten auf die feindlichen Soldaten, die über Vega de los Jobos aus Richtung Yao kommen würden. In diesem Hinterhalt testeten wir zum erstenmal jene besondere Art von Minen. Das Ergebnis war jedoch bei weitem nicht ermutigend. Kamerad Antonio Estévez (der später bei einem Angriff auf Bayamo getötet wurde) hatte, wie schon berichtet, ein System erdacht, wie man Bombenblindgänger mit Hilfe einer Schrotflinte als Zündvorrichtung zur Explosion bringen konnte. Wir brachten die Vorrichtung an, weil wir voraussahen, daß die Soldaten durch das betreffende Gebiet, wo wir nur ganz schwach vertreten waren, vorrücken würden. Aber es unterlief uns ein beklagenswerter Fehler: der Kamerad, der die Ankunft des Gegners melden sollte, war sehr unerfahren und nervös und gab das Signal in dem Augenblick, als sich ein Zivillastwagen 100
näherte. Die Mine ging hoch, und der Fahrer wurde das unschuldige Opfer dieser neuen Waffe, die später, nachdem sie richtig entwickelt worden war, sich als so wirkungsvoll erweisen sollte. Am 16. Februar 1958 ging Camilo bei Morgendämmerung vor, um die Vorposten einzunehmen; aber unsere Wegführer hatten nicht vorausgesehen, daß sich die Wachen in der Nacht bis ganz nahe an das Lager zurückziehen würden, so daß es eine ziemliche Verzögerung gab, ehe der Angriff begann. Die Männer glaubten, sie seien an der falschen Stelle, und bewegten sich sehr vorsichtig weiter, ohne daß ihnen klar war, was der Feind unternommen hatte. Um die fünfhundert Meter zwischen den beiden Stellungen zurückzulegen, brauchten Camilo und seine zwanzig Leute, die im Gänsemarsch vorgingen, nicht weniger als eine volle Stunde. Schließlich erreichten sie die Siedlung. Die Wachen hatten ein einfaches Alarmsystem angelegt, das aus an Schnüren aufgehängten Blechbüchsen bestand, die ganz knapp über dem Erdboden angebracht waren. Wenn jemand auf sie trat oder die Schnüre berührte, würden die Büchsen ein klapperndes Geräusch von sich geben. Aber sie hatten auch ein paar Pferde draußen auf der Weide gelassen, so daß, als unsere Vorhut gegen die Schnüre stieß, das entstandene Geräusch mit dem der Pferde verwechselt wurde. So gelang es Camilo, nahe an die Soldaten heranzukommen. Andererseits entstand bei uns Beunruhigung, weil Stunden vergingen, ehe der lang erwartete Angriff begann. Schließlich hörten wir den ersten Schuß, der den Beginn des Gefechts anzeigte, und wir begannen mit einem Feuerüberfall - mit den sechs Granatwerfergeschossen -, der jedoch schmerzlos und ohne Ruhm sehr schnell vorüber war. Die Wachen hatten die ersten Angreifer gesehen oder gehört, und bei dem Schnellfeuer ihrer Gewehre, mit dem sie das Gefecht eröffneten, wurde Kamerad Guevara verwundet; er starb später in unserem Lazarett. In wenigen Minuten hatten Camilos Streitkräfte den Widerstand gebrochen, sie erbeuteten elf Stück Waffen (darunter zwei automatische Gewehre), machten drei Gefangene und töteten sieben oder acht Mann; aber sofort wurde in den Baracken der Widerstand organisiert, und unsere Angriffe wurden abgewehrt. Beim Versuch, weiter vorzugehen, fielen die Leutnants Noda und Capote und Kamerad Raimundo Lien einer nach dem anderen; Camilo wurde am Oberschenkel verwundet, und Virelles mußte zurückgehen und das Maschinengewehr im Stich lassen, das er bedient hatte. Trotz seiner Verwundung kehrte Camilo bei Dämmerung zurück, um zu versuchen, die Waffe wieder in die Hand zu bekommen. Im ersten Licht des Tages, von einem Geschoßhagel überschüttet, wurde er zum zweitenmal verwundet, aber glücklicherweise
verließ das Geschoß, das in seinen Unterleib eingedrungen war, den Körper wieder, ohne irgendwelche lebenswichtige Organe zu verletzen. Camilo wurde in Sicherheit gebracht, aber das Maschinengewehr war verloren, und bei alledem schleppte sich ein anderer verwundeter Kamerad namens Luis Macías durch das Gestrüpp in die der Rückzugslinie seiner Kameraden entgegengesetzte Richtung, und fand dabei den Tod. Einige abgeschnittene Kämpfer hatten sich nahe an die Baracken herangearbeitet und bombardierten sie mit den «Sputniks», den M-26-Geschossen, und brachten damit die Soldaten in Verwirrung. Guillermo García konnte sich an dem Gefecht überhaupt nicht beteiligen, da die Soldaten keinen Versuch machten, ihren Stützpunkt zu verlassen; wie wir vorausgesehen hatten, funkten sie sofort um Hilfe. Am späten Vormittag war es überall ruhig, aber auf unserem Kommandoposten hörten wir einige Rufe, die uns Schmerz bereiteten: «Ab mit Camilos MG» - und dann eine Salve. Bei dem aufgegebenen schweren MG hatte Camilo auch seine Mütze zurückgelassen, die auf der Rückseite seinen Namen trug, und die Wachen rissen nun Witze über uns. Wir hatten so eine Ahnung, daß irgend etwas geschehen war, aber wir konnten mit den Truppen auf der anderen Seite keine Verbindung herstellen. Camilo, um den sich Sergio del Valle kümmerte, weigerte sich, zurückzugehen, und so blieben sie dort und warteten die weitere Entwicklung ab. Fidels Voraussagen bewahrheiteten sich: die von Hauptmann Sierra geführte Kompanie schickte Einheiten ihrer Vorhut aus Oro de Guisa, die erkunden sollten, was in Pino del Agua vor sich ging; Paco Carreras gesamter Zug erwartete sie - etwa dreißig bis fünfunddreißig Mann, die an der Landstraße auf dem El Cable-Berg stationiert waren. (Der Berg hieß so wegen des Drahtseils, das angebracht war, um den Fahrzeugen die schwierige Auffahrt zu erleichtern.) Unsere Abteilungen gingen unter dem Befehl der Leutnants Suñol, Alamo, Reyes und William Rodríguez in Stellung; als Zugführer hielt sich auch Paco Cabrera dort auf; verantwortlich dafür, die Einheiten der feindlichen Vorhut abzufangen, waren jedoch Paz und Duque, die sich direkt an der Straße befanden. Die kleine feindliche Truppe rückte vor und wurde völlig vernichtet: sie verlor elf Tote und fünf verwundete Gefangene, die in einem nahe gelegenen Haus behandelt und dort zurückgelassen wurden; der Zweite Leutnant Laferté, der heute einer der unsrigen ist, wurde ebenfalls gefangengenommen; wir erbeuteten zwölf Gewehre, darunter zwei M-1 und ein automatisches Gewehr sowie eines vom Typ Johnson. Einem oder zwei Soldaten gelang die Flucht; sie erreichten Oro de Guisa mit der Nachricht von unserem Überfall. Als die Meldung eintraf, muß man in 101
Oro da Guisa um Hilfe ersucht haben, aber gerade in dem Gebiet zwischen Guisa und Oro de Guisa war Raúl Castro mit allen seinen Streitkräften postiert worden, denn genau dort rechneten wir mit der Ankunft der Soldaten, die die Belagerten in Pino del Agua entsetzen sollten. Raúl teilte seine Männer so ein, daß Felix Pena und die Vorhut die Straße für die feindlichen Verstärkungen sperrten; darauf sollten die von Felix Pena und Ciro Friás geführten Abteilungen sowie die Einheit Raúls den Feind sofort angreifen, während Efigenio den Ring vom Rücken des Gegners her schloß. Ein Detail blieb in diesem Augenblick unbemerkt: zwei scheinbar harmlose und völlig bestürzte Bauern, die mit Hähnen unter dem Arm alle unsere Stellungen passierten, waren Soldaten aus Oro de Guisa, die ausgeschickt worden waren, die Straße zu erkunden. Sie konnten die Positionen unserer Truppen ausfindig machen und erstatteten ihren Kameraden in Guisa Meldung. Die Folge war, daß Raúl der vollen Wucht des feindlichen Gegenschlags ausgesetzt war, da seine Position bekannt war. Sie griffen ihn von einer Höhe aus an, die sie eingenommen hatten, und Raúl mußte einen langen Rückzug antreten, auf dem ein Mann verwundet und einer, Florencio Quesada, getötet wurde. Bei ihrem Versuch, vorzurücken, hatte die Armee lediglich die Route eingeschlagen, die auf der Straße von Bayamo durch Oro de Guisa führt, obgleich Raúl durch seine unvorteilhafte Position zum Rückzug gezwungen war, rückten die feindlichen Truppen nur sehr langsam auf der Straße nach und tauchten den ganzen Tag über nicht auf. An diesem Tag waren wir ständigen Angriffen der Armeeflugzeuge vom Typ B-26 ausgesetzt, die die Berge mit Maschinengewehren beschossen, aber keine anderen Ergebnisse erzielten, als uns ungelegen zu sein und uns zu zwingen, gewisse Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Fidel war vom Verlauf des Gefechts sehr angetan; gleichzeitig war er jedoch wegen des Schicksals unserer Kameraden besorgt und ging verschiedentlich größere Risiken ein, als er sollte. Deshalb schickten eine Gruppe von Offizieren und ich ihm Tage später einen Brief, in dem wir ihn im Namen der Revolution baten, sein Leben nicht unnötig aufs Spiel zu setzen. Es war ein ziemlich infantiler und von den altruistischsten Motiven inspirierter Brief; ich glaube, es war nicht einmal gerechtfertigt, daß Fidel ihn überhaupt las, und unnötig zu sagen, daß er ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte. In dieser Nacht bestand ich darauf, daß ein Angriff von der Art, wie ihn Camilo unternommen hatte, möglich sei, und daß wir die in Pino del Agua stationierten Soldaten überwältigen könnten. Fidel fand die Idee nicht gut,
aber schließlich stimmte er einem Versuch zu und schickte eine Einheit unter dem Befehl Escalonas, die sich aus den Zügen Ignacio Pérez' und Raúl Castro Mercaders zusammensetzte. Die Kameraden gingen vor und taten alles, um die Baracken zu erreichen, aber sie wurden durch schweres Feuer zurückgeschlagen, und sie zogen sich zurück, ohne einen neuen Angriffsversuch zu unternehmen. Ich bat darum, daß mir der Befehl über die Truppe übertragen werde, und Fidel stimmte nicht ohne Murren zu. Mir schwebte vor, so nahe wie möglich heranzukommen und dann die Holzhäuser mit Hilfe von Molotow-Cocktails, bestehend aus Benzin, das wir im Holzlager selbst vorgefunden hatten, in Brand zu setzen und die Soldaten zur Übergabe zu zwingen oder zumindest zu erreichen, daß sie herauskamen und sich unserem Feuer stellten. Als wir uns dem Schauplatz des Gefechts näherten und dabei waren, in Stellung zu gehen, erhielt ich von Fidel die folgende kurze Notiz: «16. Februar 1958. Che: Wenn, ohne Unterstützung durch Camilo und Guillermo, alles von dem Angriff von dieser Seite her abhängt, sollte meiner Meinung nach nichts Selbstmörderisches unternommen werden, denn es besteht die Gefahr, daß zu große Verluste eintreten, und daß das Ziel nicht erreicht wird. Ich ersuche Dich ganz dringend, vorsichtig zu sein. Du selbst darfst am Kampf nicht teilnehmen. Das ist ein strenger Befehl. Entscheidend notwendig ist im Augenblick, daß Du die Männer gut führst. Fidel.» Außerdem teilte Almeida, der die Botschaft überbrachte, mir mit, ich könnte, entsprechend den Bedingungen, die Fidel genannt hatte, auf eigene Verantwortung angreifen, aber er, Fidel, sei nicht einverstanden. Das alles lag schwer auf mir: der strenge Befehl, mich selbst am Kampf nicht zu beteiligen; die Wahrscheinlichkeit, wenn nicht Gewißheit, daß mehrere Männer getötet würden; die geringe Chance, die Baracken zu nehmen, und die Tatsache, daß wir nicht genau wußten, wo sich Guillermos und Camilos Truppen befanden, die von der Hauptgruppe getrennt waren. Dies zusammengenommen und dazu der Umstand, daß ich persönlich die gesamte Verantwortung übernehmen sollte, war zuviel für mich. Niedergeschlagen verfuhr ich wie mein Vorgänger Escalona. Am folgenden Morgen wurde, unter anhaltenden Luftangriffen, der Befehl zum allgemeinen Rückzug gegeben. Nach ein paar Schüssen mit dem Zielfernrohrgewehr auf die Soldaten, die langsam aus ihrer Deckung herauskamen, begannen wir, uns auf der Maestra-Straße abzusetzen. Wie aus dem offiziellen Bericht hervorgeht, den wir damals herausgaben, verlor der Feind etwa achtzehn bis fünfundzwanzig Tote; wir erbeuteten dreiunddreißig Gewehre, fünf Maschinengewehre und eine Menge Munition. 102
Unserer Gefallenenliste muß Luis Macías hinzugefügt werden, über dessen Schicksal uns damals nichts bekannt war; andere Kameraden, wie Luis Olazábal und Quiroga wurden in verschiedenen Aktionen des langwierigen Gefechts verwundet. In der Zeitung El Mundo vom 19. Februar erschien der folgende Bericht: Mittwoch, 19. Februar 1958 TOD VON 16 AUFSTÄNDISCHEN UND 5 SOLDATEN GEMELDET VERWUNDUNG GUEVARAS NICHT BESTÄTIGT In einem Kommunique, das gestern nachmittag um fünf Uhr herausgegeben wurde, hat der Generalstab der Armee dementiert, daß bei Pino del Agua, südlich von Bayamo, ein bedeutendes Gefecht mit den Rebellen stattgefunden hat. In dem offiziellen Bericht wurde eingeräumt, daß ‹es zwischen Aufklärungspatrouillen der Armee und Gruppen von Rebellen ein paar Zusammenstöße gegeben hat›. Ferner hieß es, zur Zeit des Berichts ‹stiegen die Verluste der Rebellen auf sechzehn an, während die Armee bei diesen Geplänkeln fünf Tote verlor›. Ob der gutbekannte argentinische Kommunist Che Guevara dabei verwundet wurde, fügte das Kommunique hinzu, habe noch nicht bestätigt werden können. Berichte, daß der Aufständischenführer bei diesen Zusammenstößen zugegen war, konnten ebenfalls nicht verifiziert werden; zuverlässig bekannt ist jedoch, daß er sich nach wie vor im Höhlenlabyrinth der Sierra Maestra verborgen hält. Ein wenig später oder vielleicht sogar in eben jenem Augenblick kam es zu dem Massaker von Oro de Guisa, das von Sosa Blanco durchgeführt wurde, jenem Meuchelmörder, der in den ersten Januartagen 1959 vor den Gewehren eines Hinrichtungskommandos sterben sollte. Während die Diktatur lediglich bestätigen konnte, daß Fidel «sich nach wie vor im Höhlenlabyrinth der Sierra Maestra verborgen hält», baten ihn die unter seinem persönlichen Befehl stehenden Soldaten, er möge sein Leben nicht unnötig aufs Spiel setzen, und die feindliche Armee vermied es, mit unseren Stützpunkten in Berührung zu kommen. Einige Zeit später wurde Pino del Agua gesäubert, und damit beendeten wir die Befreiung des westlichen Teils der Maestra. Wenige Tage nach diesem Gefecht kam es zu einer der wichtigsten Aktionen unseres Kampfes. Die Dritte Kampfgruppe, unter dem Befehl von Major Almeida, wandte sich in Richtung auf das Gebiet von Santiago; und die Sechste Kampfgruppe, die den Namen «Frank País» trägt, überquerte unter dem Kommando von Major Raúl Castro Ruz die östlichen Ebenen, drang in die Mangos de Baraguá ein, ging im Westen weiter auf Pinares de Mayarí vor und errichtete dann die zweite (östliche) «Frank País»-Front.
Camilo Die Erinnerung ist eine Möglichkeit, die Vergangenheit, die Toten, wiederzubeleben. Sich an Camilo zu erinnern, heißt, Dinge ins Gedächtnis zurückzurufen, die vergangen oder tot sind, und dennoch ist Camilo lebendiger Teil der kubanischen Revolution, ist er gerade durch seinen Charakter unsterblich. Ich möchte ganz einfach unseren Kameraden von der Rebellenarmee eine Vorstellung davon geben, was für ein Mensch dieser unbesiegbare Guerilla-Kämpfer gewesen ist. Ich bin in der Lage, dies zu tun, denn, von den traurigen Stunden des ersten Rückschlags bei Alegría de Pío an waren wir stets beisammen, und es ist auch meine Pflicht, dies niederzuschreiben, denn, weit mehr als ein Waffengefährte, als ein Kamerad in der Freude und im Sieg war Camilo mir ein wirklicher Bruder. In Mexiko hatte ich ihn nie kennengelernt, denn er stieß in letzter Minute zu uns. Er war ohne jede vorherige Empfehlung aus den Vereinigten Staaten gekommen, und in jenen risikoreichen Tagen hatten wir zu ihm keinerlei Vertrauen, wie wir überhaupt tatsächlich niemandem vertrauten. Er ging mit auf die Granma, nur einer der zweiundachtzig, die, der Gnade der Elemente ausgeliefert, die See überquerten, um eine Heldentat auszuführen, die den gesamten Kontinent erschüttern sollte. Wie er war, wurde mir schon klar, ehe ich ihn wirklich kennenlernte, als ich nämlich in dem katastrophalen Gefecht von Alegría de Pío einen für ihn charakteristischen Ausruf hörte. Ich war verwundet, lag ausgestreckt auf einer Lichtung, neben mir ein Kamerad, der mit Blut bedeckt war und der, bereit, kämpfend zu sterben, seine letzte Munition verschoß. Ich hörte, wie jemand aus Schwäche rief: «Wir sind verloren. Los, ergeben wir uns.» Und von irgendwoher zwischen den Männern war eine klare Stimme zu hören, die zurückschrie: «Hier ergibt sich niemand!» Dann ein Wort aus vier Buchstaben und ein Schwur. Das Gefecht ging zu Ende und wir überlebten. Dank der Hilfe des Kameraden Almeida hatte ich nicht den letzten Atemzug getan. Fünf von uns wanderten an den steilen Kliffs in der Nähe von Cabo Cruz entlang. In einer klaren, von Mondlicht übergossenen Nacht, stießen wir auf drei andere Kameraden, die friedlich, ohne jede Furcht vor den Soldaten, schliefen. Wir sprangen sie an, glaubten, es seien Feinde. Nichts geschah, aber der Zwischenfall lieferte uns später Stoff für einen Scherz untereinander: wir bezogen uns auf die Tatsache, daß ich zu denen gehörte, die sie überrascht hatten, und daß ich es ebenfalls war, der die weiße Flagge zeigen mußte, damit sie uns, in der Annahme, wir seien Batista-Soldaten, nicht erschössen. Camilo war einer der drei. Und so waren wir also acht. Camilo war hungrig 103
und wollte essen; es war ihm gleichgültig, was und wo, er wollte nur einfach essen. Dadurch kamen wir mit ihm ernsthaft aneinander, denn er wollte ständig bohíos aufsuchen und um etwas Eßbares bitten. Zweimal fielen wir beinahe in die Hände der feindlichen Soldaten, die Dutzende unserer Kameraden getötet hatten, weil wir dem Rat der «Hungrigen» gefolgt waren. Am neunten Tag setzten sich «die Hungrigen» durch, wir gingen in eine bohío, aßen und wurden allesamt krank. Und zu den Kränksten gehörte natürlich Camilo, der, wie ein hungriger Löwe, ein ganzes Zicklein verschlungen hatte. In dieser Phase des Kampfes war ich mehr Mediziner als Soldat. Ich setzte Camilo auf Sonderdiät und ordnete an, daß er in der bohío zurückblieb, wo er die richtige Pflege erhalten werde. Dies Mißgeschick ging vorüber, und wir waren wieder beieinander; die Tage verwandelten sich in Wochen und Monate, in deren Verlauf viele Kameraden getötet wurden. Camilo stellte sein feuriges Temperament unter Beweis; er verdiente sich den Rang eines Leutnants der Vorhut unserer einzigen Kampfgruppe, die auch das einzige war, das wir liebten, und die später die «Erste Kolonne Jose Martí» genannt wurde und unter Fidels persönlichem Kommando stand. Almeida und Raúl waren Hauptleute; Camilo war Leutnant der Vorhut; Efigenio Ameijeiras führte die Nachhut; Ramiro Valdés war Leutnant in einem von Raúls Zügen, und Calixto war Soldat in einem anderen Zug. Mit anderen Worten waren alle unsere Streitkräfte in eben dieser Kampfgruppe entstanden, wo ich Sanitätsleutnant gewesen war. Später, nach der Schlacht von Uvero, wurde ich zum Hauptmann befördert und einige Tage danach erhielt ich den Rang eines Majors und den Befehl über eine Kampfgruppe. Eines Tages wurde Camilo Hauptmann in dieser unter meinem Kommando stehenden Vierten Kampfgruppe. Wir hatten diese Nummer erhalten, damit der Feind getäuscht werden sollte, denn in Wirklichkeit gab es nur zwei Kolonnen. Hier nun begann Camilo seine heldenhafte Laufbahn; unermüdlich und mit außergewöhnlichem Eifer jagte er immer wieder hinter feindlichen Soldaten her. Einmal schoß er einen feindlichen Kundschafter aus so kurzer Entfernung nieder, daß er sogar das Gewehr des Mannes zu fassen bekam, noch ehe es zu Boden gefallen war. Ein anderes Mal hatte er vor, den ersten der feindlichen Soldaten vorbeigehen zu lassen, bis er sich mit unserer Truppe auf gleicher Höhe befand, und dann aus der Flanke das Feuer zu eröffnen. Dieser Hinterhalt gelang allerdings nicht, denn einer aus unserer Gruppe verlor die Nerven und eröffnete das Feuer, ehe der Feind nahe genug herangekommen war. Zu diesem Zeitpunkt war Camilo bereits der «Herr der Vorhut», ein wahrer Guerillakämpfer, der sich durch seine ihm eigene erfindungsreiche Kampfmethode durchzusetzen verstand. Ich erinnere mich noch, wie besorgt ich während des zweiten Angriffs auf
Pino del Agua war, als Fidel mir befahl, bei ihm zu bleiben und Camilo damit betraute, eine der Flanken des Feindes anzugreifen. Der Plan war einfach. Camilo sollte ein Ende des feindlichen Lagers angreifen und nehmen und dann das ganze Lager einschließen. Das Feuer begann; er und seine Männer schalteten den Wachtposten aus und gingen weiter vor; sie drangen in die Siedlung ein und töteten jeden Soldaten, der sich ihnen in den Weg stellte, oder nahmen ihn gefangen. Die Ortschaft wurde Haus für Haus genommen, bis der Feind schließlich seinen Widerstand organisierte und ein Sperrfeuer seine Opfer bei uns zu fordern begann. Wertvolle Kameraden, unter ihnen Noda und Capote, verloren in diesem Gefecht ihr Leben. Ein feindlicher MG-Schütze ging, umringt von seinen Leuten, nach vorn, aber plötzlich fand er sich einem wahren Feuersturm ausgesetzt. Die Begleiter des MG-Schützen fielen, und der Soldat, der das MG bediente, ließ es fallen und floh. Es dämmerte. Der Angriff hatte nachts begonnen. Camilo warf sich auf das Maschinengewehr, um es zu packen und zu verteidigen, und wurde zweimal getroffen. Eine Kugel drang durch seinen linken Oberschenkel, eine andere traf ihn in den Unterleib. Er konnte sich absetzen, und seine Kameraden trugen ihn. Wir befanden uns zwei Kilometer entfernt, und zwischen uns war der Feind. Wir konnten Feuerstöße aus Maschinengewehren hören und Rufe wie: «Ab mit Camilos MG», oder «das ist Camilo, der schießt», und Hochrufe auf Batista. Wir alle glaubten, Camilo sei getötet worden. Später sprachen wir von seinem Glück, daß das Geschoß in seinen Unterleib eingedrungen und wieder ausgetreten war, ohne seine Eingeweide oder irgendein lebenswichtiges Organ zu verletzen. Dann kam der tragische 9. April26, und Camilo, bahnbrechend wie immer, ging in die Ebenen von Oriente und wurde eine Legende. Er säte Angst und Schrecken in die Herzen der feindlichen Kräfte, die im Gebiet von Bayamo mobilisiert waren. Einmal war er von sechshundert Mann eingeschlossen, und seine Rebellenstreitmacht zählte nur zwanzig Mann. Sie leisteten einen vollen Tag einer Vorausabteilung des Feindes Widerstand, zu der zwei Panzer gehörten, und nachts unternahmen sie einen spektakulären Ausfall. Später kam die Offensive, und angesichts der bevorstehenden Gefahr und der Konzentration der Kräfte, erging der Ruf an Camilo, denn er war der Mann, auf den sich Fidel verließ und der Fidels Platz einnehmen sollte, wenn sich dieser zu einem speziellen Frontabschnitt aufmachte. Und dann kam die glänzende Geschichte der Invasion mit ihrer Kette von Siegen auf den Ebenen von Las Villas - schwierige Heldentaten, denn das Terrain bot wenig natürli26
Das Datum des erfolglosen Generalstreiks.
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chen Schutz. Es waren hervorragende Aktionen, denn sie waren mit besonderer Kühnheit durchgeführt; gleichzeitig aber konnte man schon die politische Haltung Camilos erkennen, seine Entschlüsse bezüglich politischer Probleme, seine Stärke und sein Vertrauen auf das Volk. Camilo war gewandt, erdverwachsen und machte gern einen Scherz. Ich erinnere mich, wie Camilo in der Sierra einem Bauern, einem unserer großen, glänzenden, anonymen Helden, einen Spitznamen gab und dies mit einer kritischen Geste begleitete. Eines Tages kam der Bauer zu mir als dem Befehlshaber der Kampfgruppe und beklagte sich, daß man ihn nicht beleidigen dürfe und daß er kein ventrílocua sei. Da ich nicht begriff, ging ich zu Camilo, damit er mir das seltsame Verhalten des Mannes erklären sollte. Folgendes war geschehen: Camilo hatte den Bauern ein wenig geringschätzig angesehen und ihn einen Bauchredner genannt; da der Bauer nicht wußte, was ein Bauchredner war, war er schrecklich beleidigt. Camilo hatte einen kleinen Alkoholbrenner, auf dem er von Zeit zu Zeit Katzenfleisch abkochte und es den neuen Rekruten als besondere Delikatesse anbot. Dies war eine der vielen Proben der Sierra und mehr als einer bestand diese Vor-«Prüfung» nicht, als er sich weigerte, die dargebotene Katze zu verzehren. Camilo war ein Mann der Anekdoten, einer Million Anekdoten. Sie waren Teil seines Wesens. Seine Wertschätzung und sein Verständnis fürs Volk und seine Fähigkeit, mit den Leuten umzugehen, waren Teil seiner Persönlichkeit. Diese guten Eigenschaften, die wir heute manchmal vergessen oder nicht anwenden, waren in allen seinen Handlungen gegenwärtig; dies ist etwas Wertvolles, das nur wenige Menschen erreichen. Es stimmt, wie Fidel es ausgedrückt hat, daß er keine große «Bücherweisheit» besaß, aber er hatte jene natürliche Intelligenz des Volkes, durch die er aus der Menge von Tausenden ausgewählt und auf jenen privilegierten Platz gestellt wurde, den er durch seine Kühnheit, seine Zähigkeit, seine Intelligenz und Hingabe verdiente. Zwei Dingen stand Camilo mit kompromißloser Loyalität gegenüber, und beides hatte das gleiche Ergebnis. Seine Loyalität und Hingabe für Fidel und für das Volk waren unbegrenzt. Fidel und das Volk marschieren zusammen, und Camilos Hingabe betraf also beide in einem. Wer war es, der Camilo tötete? Wer tötete den Mann, der im Leben anderer, die ihm gleichen, der im Volke weiterlebt? Solche Männer sterben so lange nicht, wie das Volk ihrem Sterben nicht irgendwie zustimmt. Ein Feind tötete ihn, weil er wollte, daß er stürbe, weil es keine völlig sicheren Flugzeuge gibt27, weil sich die Piloten nicht alle notwendige Erfahrung aneignen
können, weil Camilo mit Arbeit überlastet war und weil er so schnell wie möglich in Havanna sein mußte. Er wurde von seiner Energie, die ihn trieb, getötet. Camilo hatte für die Gefahr keinen Maßstab. Sie war für ihn ein Spiel, er benutzte sie als Spielzeug; mit seiner Guerillero-Mentalität huldigte er ihr, er zog sie an und machte sie sich gefügig. Eine bloße Wolke konnte ihn von dem Kurs, den er eingeschlagen hatte, nicht zurückhalten oder ablenken. Er starb zu einem Zeitpunkt, da ihn jeder kannte, bewunderte und liebte. Es hätte vorher geschehen können, und dann wäre seine Geschichte nur lediglich als die eines Guerilla-Hauptmanns bekanntgeworden. Es wird viele Camilos geben, wie Fidel gesagt hat; und ich kann hinzufügen: es hat Camilos gegeben, Camilos, die gefallen sind, ehe sie die glänzende Arbeit vollenden durften, die er abschließen konnte, so daß er in die Seiten der Geschichte eingegangen ist. Camilo und die anderen Camilos - diejenigen, die zu früh gefallen sind, und die, die noch kommen werden -, sie sind das Zeichen für die Stärke des Volkes. Sie sind vollständigster Ausdruck jener Höhen, die eine Nation erreichen kann, die kämpft, um ihre reinsten Ideale zu verteidigen, und die völlig darauf vertraut, daß sie ihre edelsten Ziele erreichen kann. Es hieße zuviel, wollte man mir erlauben, sein innerstes Wesen in eine leblose Form zu gießen. Dies wäre gleichbedeutend, ihn zu töten. Es ist besser, es dabei zu belassen, bei einer ganz allgemeinen Beschreibung, ohne seine gesellschaftlich-ökonomische Ideologie schwarz auf weiß zu umreißen, die im übrigen nicht genau definiert war. Aber wir müssen stets daran denken, daß es niemals — auch nicht vor der Revolution — einen Menschen gegeben hat, der mit Camilo zu vergleichen wäre: einen vollständigen Revolutionär, einen Mann des Volkes, einen Künstler der Revolution, der dem Herzen der kubanischen Nation entstammt. Sein Geist war auch nicht des geringsten Nachlassens oder der geringsten Enttäuschung fähig. An ihn muß man tagtäglich denken: dies oder das hat er getan; das stammt von Camilo. Er hat der kubanischen Revolution seinen unübersehbaren und unauslöschlichen Stempel aufgedrückt. Er ist unter jenen gegenwärtig, die in ihrer revolutionären Laufbahn früh gefallen sind, und unter jenen Helden, die noch kommen werden. In dieser seiner ständigen und ewigen Wiedergeburt ist Camilo die Verkörperung des Volkes.
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Camilo Cienfuegos kam nach dem Sieg der Revolution bei einem Flugzeugunglück ums Leben. (Anm. d. Übers.)
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Der Generalstreik, die Schlußoffensive und die Schlacht von Santa Clara Die gesamte Llano-Bewegung bereitete fieberhaft einen revolutionären Generalstreik vor. Eine Organisation wurde gegründet, die Frente Nacional Obrero (Nationale Arbeiterfront), die mit Hilfe einer schwachen Kontrolle von der ‹Bewegung des 26. Juli› geführt wurde. Von ihrer Gründung an litt diese Organisation an der Krankheit des Sektierertums. Die Arbeiter zeigten gegenüber dieser aufkeimenden Vereinigung eine gewisse Gleichgültigkeit, die offensichtlich auf die ‹Bewegung des 26. Juli› zurückging, weil deren Ziele für die gegebenen Bedingungen zu radikal waren. Mehrere Tage vor dem Zeitpunkt des Ausstandes am 9. April 1958 erließ Fidel Castro ein Manifest, in dem er harte Worte für jene fand, die nicht den Weg der Revolution eingeschlagen hatten. Bald darauf gab er ein neues Manifest an die Arbeiter heraus, in dem er sie zur Einheit innerhalb oder außerhalb der Frente Nacional aufrief, denn er erkannte klar, daß die Front allein machtlos sein würde, einen Streik durchzusetzen. Unsere Truppen stürzten sich in den Kampf; Camilo Cienfuegos, damals Hauptmann der Vierten Kampfgruppe, ging hinunter in das Tiefland der Provinz Oriente, in die Gegend von Bayamo, wo er Tod und Verwirrung in die Reihen des Feindes brachte. Der 9. April kam, unsere Anstrengungen waren jedoch zunichte geworden: das Nationalkomitee der Bewegung hatte hinsichtlich der Grundlagen des Massenkampfes völlig versagt und einen groben Fehler begangen, indem es versuchte, den Streik durch Überraschung, ohne Vorankündigung, und mit Schüssen zu beginnen. Wie zu erwarten war, verweigerten die Arbeiter ihre Teilnahme, und vergeblich fanden viele beispielhafte Kameraden überall im ganzen Land den Tod. Der 9. April war ein schmerzlicher Mißerfolg, und es gelang nicht einen Augenblick, durch diesen Streik die Stabilität des Regimes zu bedrohen. Weit davon entfernt: nach diesem tragischen Datum konnte die Regierung ihre Streitkräfte aus dieser Gegend abziehen und sie statt dessen allmählich in die Provinz Oriente verlegen, wo sie bis an den Rand der Sierra Tod und Verderben aussäten. Wir mußten unsere Verteidigung andererseits ständig verstärken und uns tiefer in die Wälder zurückziehen, während die Regierung die Anzahl der Regimenter erhöhte, die sie gegen uns einsetzte, bis sie schließlich zehntausend Mann im Felde stehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt begann am 25. Mai in unserem Außenposten, dem Dorf Las Mercedes, die Offensive. Die Armseligkeit der uns zur Verfügung stehenden Mittel war ganz offenkundig; zweihundert in guter Verfassung befindliche Gewehre gegen zehntausend Stück Waffen aller Art - was für ein gewaltiges Handicap! Aber das Bild
hatte auch eine Kehrseite: die Halbherzigkeit, die die Batista-Armee im Gefecht an den Tag gelegt hatte. Unsere Jungen kämpften wie die Löwen, einer von uns gegen zehn oder fünfzehn Gegner. Der Feind mußte alles, was er besaß - Panzer, Geschütze, Flugzeuge -, in die Schlacht werfen, um sie zu zwingen, das Dorf aufzugeben. Unsere kleine Gruppe wurde von Hauptmann Angel Verdecia geführt, der einen Monat später vor dem Feind fallen sollte. Zu dieser Zeit hatte Fidel schon einen Brief des Verräters Eulogio Cantillo28 erhalten, der wie ein typischer launenhafter Politiker hin und her manövrierte: In seinem Schreiben teilte er dem Rebellenführer als dem Chef der feindlichen Operationen mit, während man den endgültigen Ausgang der militärischen Aktion abwarte, werde die Offensive ohne Pardon fortgesetzt allerdings wolle man das Leben «dieses Mannes» (Fidels) schonen. Tatsächlich nahm die Offensive ihren Lauf. Nach zweieinhalb Monaten ständiger kleinerer Zusammenstöße hatte der Feind tausend Mann an Toten, Verwundeten, Gefangenen und Deserteuren verloren. Er hatte uns sechshundert Stück leichte und schwere Waffen zurückgelassen, darunter einen Panzer, zwölf Geschütze, zwölf schwere Maschinengewehre und eine eindrucksvolle Anzahl automatischer Waffen (ohne eine unglaubliche Menge von Ausrüstungsgegenständen und Munition aller Art zu rechnen); dazu kamen vierhundertfünfzig Gefangene, die wir nach Beendigung des Feldzugs dem Roten Kreuz übergaben. Diese berühmte Schlußoffensive in der Sierra Maestra brach der BatistaArmee das Rückgrat; aber dennoch war ihr letztes Wort noch nicht gesprochen. Der Kampf wurde wiederaufgenommen. Wir legten nun unsere Schlußstrategie fest und beschlossen, daß an drei Punkten angegriffen werden sollte: in Richtung auf Santiago de Cuba, das lose eingeschlossen werden sollte; auf Las Villas, was meine Aufgabe war, und mit Stoßrichtung auf Pinar del Río am anderen Ende der Insel; diese Provinz und Stadt sollte Camilo Cienfuegos mit seiner Zweiten Kampfgruppe, der «Kolonne Antonio Maceo», nehmen. Camilo konnte diesen letzten Teil unseres Programms nicht verwirklichen, denn die Erfordernisse des Krieges nötigten ihn, in Las Villas zu bleiben. Als wir die Regimenter vernichtet hatten, die in die Sierra Maestra eingedrungen waren, und nachdem wir die Front in ihrem ursprünglichen Verlauf wiederhergestellt hatten, beschlossen wir, mit dem Marsch auf Las Villas, in die Zentralprovinz, zu beginnen. Strategisch gesehen war es meine Hauptaufgabe, alle Straßen, die die beiden Enden der Insel miteinander verbanden, systematisch abzuschneiden. Ich hatte außerdem den Befehl erhalten, mit 28
Ein General der Streitkräfte Batistas, der in den letzten Tagen des Regimes versuchte, ein doppeltes Spiel zu treiben.
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allen bestehenden politischen Gruppen, die wir in den Gebirgsdistrikten finden konnten, Kontakt aufzunehmen. Und schließlich hatte ich weitgehende Vollmachten, in dem Abschnitt, für den ich verantwortlich war, eine Militärregierung einzusetzen. Wir glaubten, wir könnten die Strecke nach Las Villas in vier Tagen schaffen und wollten am 30. August 1958 in Lastwagen aufbrechen; aber ganz unerwartet wurden unsere Pläne über den Haufen geworfen. An jenem Abend traf ein Kurier ein; er brachte Uniformen und das Benzin, das wir für die Lastwagen benötigten, die alle abfahrbereit waren. Zur selben Zeit landete jedoch auf einem Flugplatz in der Nähe der Straße eine Maschine mit einer Ladung Waffen. Trotz der Dunkelheit war das Flugzeug gerade im Augenblick der Landung entdeckt worden. Daraufhin lag der Flugplatz unter starkem Beschuß; die Beschießung dauerte von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens; zu diesem Zeitpunkt setzten wir das Flugzeug in Brand, um zu verhindern, daß es in die Hände des Feindes fiel, und um zu erreichen, daß wir nicht auch noch bei Tageslicht bombardiert oder beschossen würden, was für uns sogar noch schlimmere Folgen hätte haben können. Die feindlichen Truppen drangen in das Flugplatzgebäude ein und fingen den Kurier und seine Benzinladung ab. Wieder einmal sahen wir uns allein auf unsere Füße angewiesen. Und dann begann am 31. August der Marsch — ohne Lastwagen und ohne Pferde. Wir wollten wieder auf die Lastwagen stoßen, nachdem wir die Manzanillo-Bayamo Straße überschritten hatten, und so geschah es auch. Aber am 1. September suchte ein schrecklicher Wirbelsturm das Gebiet heim, und machte alle Straßen unpassierbar, mit Ausnahme der Zentralen-CarreteraFernverkehrsstraße, der einzigen Straße in diesem Teil Kubas, die einen Teerbelag hatte. Nun ja, so mußten wir den Gedanken aufgeben, mit den Lastwagen weiterkommen zu können. Von da an mußten wir den Marsch zu Pferd oder zu Fuß fortsetzen. Wir waren schwer beladen - mit Munition, mit einem Vierziger-Raketenwerfer zur Panzerbekämpfung, und aller für einen lang Marsch und die schnelle Errichtung eines Lagers notwendigen Ausrüstung. Es kamen schwere Tage für uns in der uns nach wie vor freundlich gesonnenen Provinz Oriente. Wir mußten Ströme überqueren, die Hochwasser führten, und Flüsse und Bäche, die sich in Ströme verwandelt hatten; wir mußten darum kämpfen, daß wir unsere Munition, die Gewehre und Raketengeschosse trocken hielten. Wir mußten neue Pferde finden, damit wir die müden auswechseln konnten. In dem Maße, wie wir uns jenseits der Provinz Oriente bewegten, mußten wir die bevölkerten Gebiete immer mehr meiden.
Mühselig marschierten wir durch überflutetes Terrain; Schwärme von Moskitos überfielen uns, so daß es ganz unmöglich war, Marschpausen einzulegen. Wir aßen wenig und schlecht; wir tranken Wasser aus Flüssen, die sich durch den Morast dahinwanden, oder sogar Sumpfwasser. Entsetzliche Tage hindurch schleppten wir uns in einem erbärmlichen Zustand dahin. Eine Woche nach unserem Abmarsch überquerten wir den Jobado, der die Provinz Camagüey von Oriente trennt. Wir waren ziemlich entkräftet und zudem noch knapp an Schuhwerk; viele Kameraden marschierten barfuß durch den Schlamm des südlichen Teils der Provinz Camagüey. In der Nacht des 9. September geriet unsere Vorhut am Eingang von La Federal in einen feindlichen Hinterhalt. Zwei mutige Kameraden fanden dort den Tod. Aber das schlimmste war, daß die feindlichen Streitkräfte uns nun ausgemacht hatten, und uns von da an ohne Unterlaß behelligten. Bei diesem Zusammenstoß reduzierten wir ihre kleine Garnison, verloren aber dabei vier Leute, die gefangengenommen wurden. Wir mußten unsere Vorsichtsmaßregeln verdoppeln, und dies um so mehr, da die Luftwaffe des Gegners jetzt unsere allgemeine Richtung kannte. Einen oder zwei Tage später erreichten wir Laguna Grande; zur selben Zeit trafen auch Camilo und seine Kampfgruppe dort ein. Sie waren in besserer Verfassung als wir. Ich erinnere mich an diesen Ort sehr gut. Er war durch Moskitos völlig verseucht. Das ging so weit, daß es ohne Moskitonetz - und nicht alle von uns hatten eines - unmöglich war, auch nur einen Augenblick lang Ruhe zu haben. Es kamen Tage, an denen wir uns durch heiße öde Landstriche mühsam dahinschleppten, in denen wir auf nichts anderes als Schlammwasser stießen. Wir litten Hunger und Durst und waren kaum noch fähig, uns vorwärts zu bewegen. Unsere Beine waren wie Blei, und unsere Waffen drückten uns grausam zu Boden. Wir setzten den Marsch mit ein paar besseren Pferden fort, die Camilo für uns zurückgelassen hatte, als er ging, um die Lastwagen in Empfang zu nehmen; aber wir mußten sie in der Nähe der Zuckermühle von Macareño aufgeben. Da die Wegführer, die zu uns stoßen sollten, nicht erschienen waren, ließen wir uns einfach vorwärts treiben, und versuchten, unseren Weg blind zu ertasten. Unsere Vorhut traf bei Cuatro Compañeros auf einen feindlichen Posten, und dies war der Beginn eines heißen Gefechts. Die Dämmerung brach an. Es gelang uns - nicht ohne Schwierigkeiten -, den größten Teil unserer Truppen in einem dichtbewaldeten Geländestück zu versammeln, aber der Feind umging uns von der Seite, und so mußten wir ein langwieriges Gefecht führen, damit diejenigen von uns, die zurückgeblieben waren, eine Eisenbahnlinie 107
überschreiten und die Richtung auf das Waldstück einschlagen konnten. Dabei wurden wir von den Flugzeugen entdeckt. Maschinen vom Typ B-26 und C47, große Aufklärungsflugzeuge des Typs C-3 und kleine Maschinen - alle spieen Feuer innerhalb eines Umkreises von zweihundert Metern oder weniger. Nachdem sie sich so entladen hatten, flogen sie davon. Durch die Bomben hatten wir einen Toten zu beklagen; mehrere waren verwundet, unter ihnen Major Silva, der den Rest des Feldzugs mit einer gebrochenen Schulter mitmachte. Am nächsten Tag sahen die Dinge aber nicht ganz so schlimm aus, da einige unserer Versprengten auftauchten und wir die ganze Mannschaft zusammenbringen konnten; es fehlten lediglich zehn Mann, die sich Camilos Kampfgruppe angeschlossen hatten und mit ihm nach Yaguajay im nördlichen Teil von Las Villas zogen. Bei all unseren Schwierigkeiten mangelte es uns nie an Unterstützung durch die Bauern. Immer war einer da, der uns den Weg zeigte oder der uns vor dem Hungern bewahrte. Richtig ist, daß wir nicht einmütige Unterstützung vorfanden, so wie sie uns von der Bevölkerung der Provinz Oriente zuteil wurde, aber dennoch gab es immer Leute, die uns halfen. Manchmal wurden wir auch verraten, wenn wir durch eines der großen Güter zogen; aber dies bedeutete keineswegs eine gemeinsame Aktion der Bauern gegen uns. Man muß verstehen, daß diese Menschen durch ihre Existenzbedingungen in Sklaven verwandelt worden waren. In Angst und Schrecken bei dem Gedanken, daß sie ihr tägliches Stück trocken Brot verlieren könnten, informierten sie den Besitzer, daß wir durch das Gutsgelände zogen, und dieser hatte nichts Besseres zu tun, als die Militärbehörden zu warnen. Eines Nachmittags hörten wir in unserem kleinen Feldradio einen Bericht von General Francisco Tabernilla Dolz. Mit seinem üblichen feuerfressenden Wortschwall gab er die Vernichtung der von Che Guevara geführten Horden bekannt und legte eine Liste vor, die in Tote, Verwundete und Unversehrte aufgeteilt war. Alle seine Angaben stammten aus Papieren, die dem Gegner mit unserem Marschgepäck einige Tage vorher nach unserem verheerenden Zusammenstoß mit dem Feind in die Hände gefallen waren. Was man dort gefunden hatte, wurde mit falschen Informationen gespickt, die vom Generalstab der Armee zusammengestellt worden waren. Die Nachrichten von unserem Ableben lösten in unserer kleinen Truppe Vergnügen aus. Allmählich wurde sie jedoch von Pessimismus befallen: Hunger, Durst, Ermattung, ein Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der Einkreisung durch die Kräfte des Feindes und insbesondere eine schreckliche Fußkrankheit, die jeden Schritt zu einer Folter machte, - all dies hatte unsere
Streitmacht in eine Armee von Schatten verwandelt. Mit jedem Tag verschlechterte sich unser physischer Zustand, und unsere Mahlzeiten - einmal gab es etwas, am anderen Tag nichts, am dritten Tag war vielleicht etwas vorhanden - waren nicht dazu angetan, unseren Zustand zu verbessern. Unsere härtesten Tage waren die, die wir in der Einschließung verbrachten. Das war in der Nähe der Zuckermühle von Baraguá, in giftigen Sümpfen, ohne einen Tropfen Trinkwasser, ständig von Flugzeugen belästigt, ohne ein einziges Pferd, das den Schwächeren unter uns hätte helfen können, diesen unfreundlichen Sumpf zu überqueren; unser Schuhwerk war durch dieses Brackwasser vollständig verrottet; in dem mit Pflanzen aller Art durchsetzten schlammigen Wasser hatten wir uns die bloßen Füße aufgerissen. Als wir den Ring von Baraguá durchbrachen, um die berühmte Straße von Júcaro nach Morón zu erreichen - eine historische Stätte - im Unabhängigkeitskrieg Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen Patrioten und den Spaniern, befanden wir uns wahrhaftig in einer katastrophalen Situation. Wir hatten keine Zeit, eine Pause zu machen und uns zu erholen, denn die wolkenbruchartigen Regengüsse und die allgemeinen Unbilden des Wetters, zusammen mit den Angriffen des Feindes, zwangen uns, unseren Marsch fortzusetzen. Die Mannschaft wurde immer erschöpfter und entmutigter. Im kritischsten Augenblick jedoch, als Beleidigungen, Bitten und Flehen oder Spott noch die einzige Möglichkeit waren, die übermüdeten Männer dazu zu bekommen, daß sie weitergingen, genügte eine ganz entfernt auftauchende Vision, ihnen wieder Mut zu geben und ihnen allen neuen Kampfgeist einzuflößen: das war ein blauer Punkt am Horizont, gegen Westen, das Blau der cordillera von Las Villas, das zum erstenmal vor den Blicken unserer Männer auftauchte. Von diesem Moment an waren die Entbehrungen leichter zu ertragen, schien alles einfacher zu sein. Wir konnten dem zweiten Ring der Einkreisung entgehen, indem wir den Júcaro durchschwammen, der die Grenze zwischen den Provinzen Camagüey und Las Villas bildet. Es war uns, als seien wir aus der Dunkelheit ans Licht gelangt. Zwei Tage später befanden wir uns im Herzen der Trinidad-Sancti SpiritusGebirgskette in Sicherheit und waren bereit, in die neue Phase des Krieges einzutreten. Nun konnten wir uns etwas ausruhen. Aber wir waren in großer Eile und durften keine Verzögerung eintreten lassen, denn unser Plan war es, die für den 3. November ausgeschriebenen Wahlen zu verhindern. Am 16. Oktober hatten wir die Berge von Las Villas erreicht; zur Erfüllung einer gewaltigen Aufgabe blieb uns nur noch sehr wenig Zeit. Vom Zeitpunkt unseres Eintreffens in die Sierra Escambray an sollten wir darangehen, den Militärapparat der Diktatur und insbesondere ihr Nachrich108
ten- und Verbindungsnetz zu zerschlagen. Unser vordringliches Ziel war es, die Wahlen aufzuhalten. Das war eine harte Arbeit, wenn man bedenkt, daß wir so wenig Zeit zur Verfügung hatten und daß es in der revolutionären Bewegung interne Unstimmigkeiten gab, für die wir einen hohen Preis, einschließlich dem von Menschenleben, zahlen sollten. Der Plan sah vor, daß wir die benachbarten Flecken angriffen, so daß keine Wahlversammlungen abgehalten werden konnten. Wir planten einen gleichzeitigen Angriff auf Cabaiguán, Fomento und Sancti Spíritus, gegen Orte, die auf der reichen zentralen Ebene hegen. In der Zwischenzeit ergab sich die kleine Gebirgsgarnison Güinía de Miranda, und danach griffen wir ohne besonderes Ergebnis den Stützpunkt Banao an. In den Tagen vor dem 3. November waren wir mit einer Fülle von Unternehmungen beschäftigt; unsere Kampfgruppen waren überall; sie verhinderten eine Teilnahme an dem Wahlgang fast völlig. Im nördlichen Teil der Provinz wurde die Wahlfarce durch die Truppen Camilo Cienfuegos' gelähmt. Jeder Verkehr war unterbunden: sowohl der Transport der batistiano-Truppen wie auch der Waren- und Güterumschlag. In der Provinz Oriente konnte man von keiner Stimmenabgabe sprechen; in Camagüey war der Prozentsatz etwas höher; in der westlichen Zone gab es trotz allem Druck massenhaft Stimmenthaltungen. In Las Villas war der Verzicht auf die Teilnahme an den Wahlen eine spontane Aktion, denn wir hatten keine Zeit gehabt, passiven Widerstand und Guerilla-Aktivität zu organisieren. Durch die verstärkten Angriffe auf das Verbindungswesen entstand in Las Villas eine sehr kritische Situation. Als wir in der Provinz eintrafen, schufen wir ein völlig neues System des Kampfes in den städtischen Gebieten: bei jeder Unternehmung nahmen wir einige der besten städtischen milicianos mit uns und brachten sie in ein Ausbildungslager, wo sie in der Sabotagetaktik unterwiesen wurden. Diese Maßnahme trug in den vorstädtischen Bezirken ihre Früchte. Im Laufe des November und Dezember 1958 sperrten wir allmählich alle Straßen; Hauptmann Silva blockierte die Straße von Trinidad nach Sancti Spíritus vollständig, und die zentrale Fernverkehrsstraße wurde schwer beschädigt, als wir die Brücke über den Tuinicú unbenutzbar machten, ohne daß wir sie jedoch völlig zerstören konnten. Die zentrale Eisenbahnlinie wurde an mehreren Punkten unterbrochen; im südlichen Abschnitt wurde der Eisenbahnbetrieb durch die Truppen der Zweiten Front unterbrochen, im nördlichen wurde er durch die Streitkräfte Camilo Cienfuegos' lahmgelegt. So war die Insel in zwei Hälften gespalten. Nur die Provinz Oriente, das unruhigste
Gebiet, erhielt auf dem Luft- und Seeweg Unterstützung durch die Regierung. Aber diese Hilfe wurde in wachsendem Maße ungewiß. Überall vervielfachten sich beim Feind die Auflösungserscheinungen. Nach dem 16. Dezember brachten wir den Feind in eine heikle Lage, indem wir systematisch alle Straßen und Brücken sperrten. Wie konnte er unter diesen Umständen seine vorgeschobenen Positionen, und selbst die auf der zentralen Fernverkehrsstraße, verteidigen? In der Dämmerung des 16. Dezember sprengten wir die Brücke über den Falcón in die Luft, und damit war die Verbindung zwischen Havanna und den Städten östlich von Santa Clara faktisch durchschnitten. Ebenso schlossen wir eine Reihe von kleineren Orten - unter ihnen Fomento als südlichste -ein und griffen sie an. Der Kommandeur verteidigte diesen Stützpunkt ziemlich wirkungsvoll. Aber ungeachtet der Tatsache, daß die feindliche Luftwaffe unsere Streitkräfte ständig attackierte, unternahmen die demoralisierten Truppen der Diktatur wenig, um die Lage ihrer Kameraden zu erleichtern. Sie erkannten die Nutzlosigkeit des Widerstandes und ergaben sich, und mehr als hundert Gewehre wechselten auf die Seite der Freiheit über. Wir gönnten den feindlichen Truppen keine Atempause und beschlossen, die zentrale Fernverkehrsstraße unverzüglich in unsere Hand zu bringen. Am 21. Dezember griffen wir gleichzeitig Cabaiguán und Guayos an. Nach mehreren Stunden bot Guayos die Übergabe an; zwei Tage später folgte Cabaiguán mit seinen neunzig Soldaten. Bei Cabaiguán war die Unfähigkeit der Diktatur klar festzustellen; sie schickte keinerlei Infanterieverstärkungen zum Entsatz der belagerten Männer. Während er die Einschließung von Yaguajay, der letzten Bastion der Truppen des Diktators, in die Wege leitete, griff Camilo Cienfuegos mehrere Dörfer nördlich von Las Villas an. Ihr kommandierender Offizier war Abón Lee, ein Hauptmann chinesischer Abstammung, der elf Tage lang Widerstand leistete; dadurch waren die revolutionären Truppen in diesem Abschnitt gebunden. Mittlerweile steuerte unsere Gruppe auf die zentrale Fernverkehrsstraße zu; sie marschierte in Richtung auf die Provinzhauptstadt Santa Clara. Nach dem Fall von Cabaiguán griffen wir Placetas an, das sich am Ende des ersten Angriffstages ergab. Das Revolutionäre Direktorat leistete uns dabei wertvolle Unterstützung. Bald nach der Einnahme von Placetas befreiten wir Remedios und Caibarién, eine wichtige Hafenstadt an der Nordküste. Für die Diktatur war die Lage düster: in der Provinz Oriente erzielten wir immer neue Siege; die Kampfgruppe an der Escambray-Front schlug alle kleinen Garnisonen in ihrem Gebiet in die Flucht, und Camilo Cienfuegos kontrollierte den Norden. 109
Als sich der Feind aus Camajuaní absetzte, ohne den geringsten Widerstand geleistet zu haben, waren wir zum endgültigen Schlag gegen die Hauptstadt von Las Villas bereit. (Santa Clara ist der Mittelpunkt der zentralen kubanischen Ebene. Es ist eine Stadt mit 150 000 Einwohnern, ein Eisenbahnknotenpunkt und Zentrum eines Netzes von wichtigen Verbindungswegen. Sie ist von niedrigen, kahlen Hügeln umgeben, auf denen die feindlichen Truppen bereits in Stellung gegangen waren.) Zum Zeitpunkt des Angriffs hatten wir unseren Bestand an Gewehren beträchtlich vergrößert; wir hatten sogar einige schwere Waffen wieder erobert, allerdings ohne Munition. Wie hatten eine Bazooka, aber keine Geschosse. Uns standen aber zehn oder mehr Panzer gegenüber. Wir hatten erkannt, daß man sie am besten bekämpfen konnte, wenn man tief in die dicht besiedelten Bezirke eindrang, wo Panzer weit weniger wirksam eingesetzt werden können. Während die Truppen des Direktorats darangingen, die Kasernen Nr. 31 der Guardia Rural zu stürmen, waren wir damit beschäftigt, den Ring um faktisch alle Stützpunkte in Santa Clara zu schließen. Vor allem richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Verteidiger des Panzerzuges, der beim Knotenpunkt Camajuaní auf den Gleisen stand - eine Position, die von der Armee erbittert verteidigt wurde. Am 29. Dezember begann die Schlacht. Zu Beginn diente uns das Universitätsgebäude als Operationsbasis. Später richteten wir unser Hauptquartier näher beim Stadtzentrum ein. Unsere Leute kämpften gegen Truppen, die von Panzereinheiten unterstützt wurden; sie verjagten sie, aber viele mußten ihren tapferen Einsatz mit dem Leben bezahlen. Unsere improvisierten Friedhöfe und Krankenhäuser füllten sich mit Toten und Verwundeten. Ich erinnere mich an eine Episode, die für den Geist unserer Truppen während dieses letzten Angriffs in hohem Maße charakteristisch ist. Ich hatte einem unserer Soldaten, den ich mitten im Gefecht schlafend angetroffen hatte, einen scharfen Verweis erteilt. Er hatte mir berichtet, er sei waffenlos gewesen, weil er zufällig sein Gewehr verloren hatte. Ich hatte ihm, wie bei mir üblich, trocken geantwortet: «Los, geh an die Front mit bloßen Händen und komm mit einem anderen Gewehr zurück, wenn du Manns genug bist.» Später besuchte ich unsere Verwundeten in einem Militärhospital. Ein sterbender Soldat berührte meine Hand und sagte: «Erinnern Sie sich, Major? Sie haben mich geschickt... bei Remedios... mir ein Gewehr zu holen... Ich habe es mitgebracht.» Es war der Soldat, der in die Luft geschossen hatte, und der ein paar Minuten später sterben mußte. Mir schien, er war zufrieden, daß er seinen Mut unter Beweis gestellt hatte. So war unsere Rebellenarmee be-
schaffen. Auf den Hügeln von Cápiro wurde noch immer Widerstand geleistet, und die Schlacht hielt am 30. Dezember den ganzen Tag über an. In der Zwischenzeit eroberten wir mehrere andere Teile der Stadt. Die Verbindung zwischen dem Zentrum von Santa Clara und dem Panzerzug war bereits unterbrochen. Die Besatzung des Zuges fand sich in den Hügeln von Cápiro eingekreist; sie versuchte auf dem Schienenweg zu fliehen, und traf mit ihrem Gefährt und seiner prächtigen Ladung am Knotenpunkt ein; wir allerdings hatten die Vorsichtsmaßregel getroffen, die Bahnanlagen dort in die Luft zu sprengen. Die Lokomotive und mehrere Wagen entgleisten. Es ergab sich ein sehr interessanter Gefechtsablauf: die Besatzung des Panzerzuges wurde durch unsere Molotow-Cocktails außer Gefecht gesetzt; trotz des vorzüglichen Schutzes, aus dem heraus sie kämpften, waren sie lediglich darauf vorbereitet, auf eine lange Entfernung, aus einer bequemen Position und gegen einen praktisch wehrlosen Gegner zu kämpfen; das war genau der Stil, wie die Kolonisatoren gegen die Indianer im nordamerikanischen Westen vorgingen. Ständig von unseren Männern attackiert, die von nahe gelegenen Waggonsund aus anderen Stellungen aus kurzer Entfernung mit Benzin gefüllte Flaschen gegen die Verteidiger schleuderten, verwandelte sich der Zug, an dem die Flammen hochleckten - dank seiner Stahlpanzerung - für die Soldaten in einen wahren Brennofen. Nach mehreren Stunden ergab sich die gesamte Besetzung mit ihren zweiundzwanzig gepanzerten Waggons, ihren Fla-Geschützen, den Maschinengewehren der geheimen Sonderabteilungen und ihren märchenhaften (das heißt märchenhaft für uns) Munitionsvorräten. Es war uns gelungen, das Kraftwerk und die gesamten nordwestlichen Bezirke der Stadt zu besetzen. Wir gaben über den Rundfunk bekannt, daß sich faktisch die gesamte Stadt Santa Clara in den Händen der Revolution befinde. In dieser Sendung, in der ich in meiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Las Villas selbst sprach, hatte ich die traurige Pflicht, dem kubanischen Volk den Tod von Hauptmann Roberto Rodríguez bekanntzugeben; «EI Vaquerito», klein an Körpergröße und gering an Jahren, war der Führer der Selbstmordabteilung gewesen und hatte im Kampf um die Freiheit sein Leben tausendfach aufs Spiel gesetzt. Diese Selbstmordabteilung, die sich ausschließlich aus bewährten Freiwilligen zusammensetzte, war ein Muster an revolutionärer Einsatzbereitschaft. Jedesmal, wenn eines ihrer Mitglieder fiel, - und dies geschah in jedem Gefecht - und ein neuer Kandidat angenommen wurde, konnten die, die man abgelehnt hatte, ihre Enttäuschung nicht verbergen und gelegentlich sogar ihre Tränen nicht zurückhalten. Wie seltsam war es, wenn man dann sah, wie jung diese prächtigen, kampfge110
stählten Krieger waren, sie vergossen Tränen der Verzweiflung, weil sie nicht die Ehre hatten, für einen Einsatz in den vordersten Reihen von Kampf und Tod auserwählt zu werden. Als nächstes fiel das Polizeihauptquartier in unsere Hände, zusammen mit den Panzern, die es verteidigt hatten. Die Kasernen Nr. 31 hatten vor Major Cubela schnell kapituliert; wir besetzten ferner das Gefängnis, das Gerichtsgebäude und den Sitz der Provinzialregierung; ebenso nahmen wir das Grand Hotel, wo die Eingeschlossenen noch fast bis zur Einstellung der Feindseligkeiten aus dem zehnten Stockwerk auf uns feuerten. Zu diesem Zeitpunkt blieben nur die Leoncio Vidal-Kasernen, die größte Festung Zentralkubas, in den Händen der Diktatur. Aber am 1. Januar 1959 waren dann unter ihren Verteidigern die Anzeichen des Zusammenbruchs offenkundig. Am Vormittag des 1. Januar schickten wir Hauptmann Núñez Jiménez und Rodríguez de la Vega, damit sie die. Übergabe der Kasernen aushandelten. Es gab erstaunliche und einander widersprechende Nachrichten: Batista war gerade geflohen und hatte durch seine Flucht den Zusammenbruch des Oberkommandos der Streitkräfte herbeigeführt. Unsere beiden Abgesandten nahmen über Funk mit Cantillo Kontakt auf und unterrichteten ihn von unserem Übergabeangebot. Aber er weigerte sich, darauf einzugehen, da es sich um ein Ultimatum handelte und da er den Befehl über die Armee in striktem Einklang mit den Instruktionen Fidel Castros übernommen hatte. Wir unterrichteten Fidel sofort über das, was geschehen war, und teilten ihm unsere Meinung über die zweifelhafte Haltung Cantillos mit. Fidel hatte sich seine Meinung bereits gebildet: auch er war sicher, daß Cantillo ein Verräter war. (Cantillo hatte in jenen entscheidenden Stunden zugelassen, daß alle hohen Offiziere der Batista-Regierung die Flucht ergriffen. Seine Haltung war um so kläglicher, wenn wir die Tatsache berücksichtigen, daß er als Offizier den Kontakt zu uns hergestellt hatte. Wir hatten ihm vertraut und naiverweise angenommen, daß das Wort eines Militärs diesem heilig sein müsse.) Das übrige ist bekannt: Fidel Castros Weigerung, Cantillos Rat zu befolgen; Fidels Befehl, auf Havanna zu marschieren; die Übernahme des Armeeoberbefehls durch General Barquín, nachdem dieser aus dem Gefängnis auf der Pinieninsel freigelassen worden war; die Einnahme von Camp Columbia durch Camilo Cienfuegos und der Cabaña-Festung durch unsere Achte Kampfgruppe; und schließlich mehrere Tage später die Einsetzung Fidel Castros als Ministerpräsident der Provisorischen Regierung. All dies ist Teil der zeitgenössischen politischen Geschichte der Nation. Wir befinden uns gegenwärtig in einer Situation, in der wir viel mehr als
nur einfache Instrumente einer einzigen Nation sind; wir sind in diesem Augenblick die Hoffnung des unerlösten Amerika. Heute sind alle Augen auf uns gerichtet: die Augen der machtvollen Unterdrücker und die der Hoffnungsvollen. Von unserer künftigen Haltung, von unserer Fähigkeit, die vielfältigen Probleme zu lösen, hängt in großem Maße das Anwachsen der Volksbewegung in Amerika ab. Und ebenso wie die optimistischen Augen unserer amerikanischen Brüder beobachten die immer wachsamen Augen des mächtigen Unterdrückers jeden einzelnen Schritt, den wir tun. Wir alle wissen, daß es nicht leicht sein wird; wie alle sind uns der gewaltigen historischen Verantwortung bewußt, die die ‹Bewegung des 26. Juli›, die kubanische Revolution und die Nation als Ganzes tragen - der Verantwortung, ein Beispiel für alle Völker Amerikas zu sein, für jene, die wir nicht enttäuschen dürfen. Unsere Freunde auf dem unbezähmbaren Kontinent können gewiß sein, daß wir, wenn notwendig, bis zur letzten wirtschaftlichen Konsequenz unseres Handelns kämpfen werden. Und wenn der Kampf sogar noch schärfere Formen annimmt, dann werden wir bis zum allerletzten Tropfen unseres Rebellenblutes kämpfen, um dieses Land zu einer souveränen Republik zu machen, die die wahren Attribute einer glücklichen und demokratischen Nation besitzt und die den anderen Völkern Amerikas ein wirklicher Bruder ist.
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Zwei Briefe Che Guevaras Brief an Fidel Castro vom April 1965 29 Fidel, in diesem Augenblick erinnere ich mich an so vieles - daran, als ich Dich in Maria Antonias Haus traf, als Du vorschlugst, daß ich kommen sollte, und an all die Spannungen, die mit den Vorbereitungen verbunden waren. Eines Tages fragte man uns, wer im Falle des Todes benachrichtigt werden sollte, und die reale Möglichkeit, daß diese Tatsache eintreten kann, hat uns alle bewegt. Später wußten wir, daß es wahr war: daß man in einer Revolution entweder siegt oder stirbt (wenn es eine wirkliche Revolution ist). Viele Kameraden sind auf dem Weg zum Sieg gefallen. Heute ist alles weniger dramatisch, weil wir abgeklärter geworden sind. Aber die Tatsache wiederholt sich. Ich habe das Gefühl, daß ich den Teil meiner Pflicht erfüllt habe, der mich an die kubanische Revolution auf dem Territorium Kubas band, und ich sage jetzt Dir, den Kameraden und Deinem Volk, die alle ein Stück meiner selbst geworden sind, Lebewohl. Ich verzichte hiermit in aller Form auf meine Ämter in der nationalen Führung der Partei, auf meinen Ministerposten, meinen Rang als Major und auf meine kubanische Staatsangehörigkeit. Nichts Formaljuristisches bindet mich mehr an Kuba. Die einzigen Bande sind anderer Natur; es sind solche, die man nicht einfach durchschneiden kann, so wie man etwa eine Verabredung nicht einhält. Wenn ich an mein vergangenes Leben zurückdenke, so glaube ich, habe ich mit genug Ehre und Hingabe dabei mitgewirkt, den Triumph der Revolution zu konsolidieren. Mein einziger ernster Mangel war, daß ich von den ersten Augenblicken in der Sierra Maestra an nicht mehr Vertrauen in Dich gesetzt hatte, und daß ich nicht schnell genug Deine Qualitäten als Führer und Revolutionär erkannt habe. Ich habe wunderbare Tage durchlebt, und ich habe an Deiner Seite den Stolz gefühlt, in den glänzenden und doch traurigen Tagen der karibischen Krise 30zu unserem Volk zu gehören. Selten ist ein Staatsmann brillanter als Du in diesen Tagen gewesen. Ich bin
auch stolz darauf, daß ich Dir ohne Zögern gefolgt bin, daß ich mich mit Deiner Denkweise identifiziert habe, mit Deiner Art, die Gefahren und Grundsätze zu sehen und sie einzuschätzen. Andere Nationen der Erde verlangen nun nach meinen bescheidenen Anstrengungen. Ich kann das tun, was Dir wegen Deiner Verantwortung als Oberhaupt Kubas verwehrt ist, und die Zeit ist für uns gekommen, auseinanderzugehen. Ich möchte, daß man es weiß, daß ich dies mit gemischten Gefühlen der Freude und des Schmerzes tue: ich lasse hier meine reinsten Hoffnungen als einer, der aufbaut, zurück; und ich verlasse diejenigen, die mir von allen, die ich liebe, am teuersten sind. Und ich verlasse ein Volk, das mich wie einen Sohn aufgenommen hat. Das schmerzt mich zutiefst. Ich nehme zu den neuen Schlachtfronten den Glauben mit, den Du mich gelehrt hast, den revolutionären Geist meines Volkes und das Gefühl, daß ich die heiligste aller Pflichten erfülle: gegen den Imperialismus zu kämpfen, wo immer es sein mag. Dies ist ein Trost, und er heilt die tiefsten Wunden. Ich erkläre noch einmal, daß ich Kuba von jeder Verantwortung befreie, außer von der, die von seinem Beispiel herrührt. Wenn mich meine letzte Stunde unter einem anderen Himmel findet, dann wird mein letzter Gedanke der an dieses Volk und insbesondere an Dich sein. Ich bin dankbar für Deine Belehrung und für Dein Beispiel und ich will versuchen, treu zu sein, bis zu den letzten Konsequenzen meiner Handlungen. Ich habe mich stets mit der Außenpolitik unserer Revolution identifiziert und werde dies auch weiterhin tun. Wo immer ich mich aufhalte, werde ich die Verantwortung fühlen, ein kubanischer Revolutionär zu sein, und als solcher werde ich mich verhalten. Es tut mir leid, daß ich meinen Kindern und meiner Frau nichts Materielles zurücklasse. Ich bin glücklich, daß es so ist. Ich bitte für sie um nichts, denn ich weiß, daß der Staat genügend Vorsorge für das, was sie brauchen, und für die Erziehung der Kinder treffen wird. Ich möchte Dir und unserem Volk noch so viel sagen, aber ich fühle, daß dies nicht notwendig ist. Worte können dem, was ich sagen möchte, keinen Ausdruck verleihen, und ich glaube nicht, daß es sich lohnt, Phrasen herauszufordern. Für immer vorwärts zum Sieg! Patria o muerte! Ich umarme Dich mit aller meiner revolutionären Glut. CHE
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Nach halbjährigem Schweigen über Che Guevara, der aus Kuba verschwunden war, hatte Fidel Castro die Existenz dieses Briefes am 3. Oktober 1965 auf einer öffentlichen Kundgebung in Havanna erstmals bekanntgegeben und ihn verlesen. (Anm. d. Übers.) 30 Gemeint ist die kubanische Raketenkrise vom Oktober 1962. (Anm. d. Übers.)
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Brief an die Eltern; geschrieben Mitte 1965 Meine Lieben, abermals fühle ich zwischen meinen Fersen die Rippen Rosinantes; wieder mache ich mich, meinen Schild am Arm, auf den Weg. Heute sind es fast auf den Tag genau zehn Jahre, daß ich Euch einen anderen Abschiedsbrief schrieb. Wenn ich mich recht erinnere, klagte ich damals darüber, daß ich kein besserer Soldat und kein besserer Arzt sei. Letzteres interessiert mich nicht länger; ich bin kein so schlechter Soldat. Nichts hat sich im wesentlichen geändert, außer daß ich sehr viel bewußter geworden bin; ich erkenne, daß mein Marxismus Wurzeln geschlagen hat und geläutert wird. Ich glaube an den bewaffneten Kampf als an die einzige Lösung für jene Völker, die kämpfen, um sich zu befreien, und ich verhalte mich entsprechend meiner Überzeugung. Viele werden mich einen Abenteurer nennen -und das bin ich auch, nur bin ich einer von einer anderen Sorte; ich bin einer von denjenigen, die ihre Haut riskieren, um ihre Gemeinplätze unter Beweis zu stellen. Es ist möglich, daß dies das Ende ist. Ich suche es nicht, aber es liegt im logischen Bereich der Wahrscheinlichkeiten. Wenn es so sein sollte, schicke ich Euch hiermit eine letzte Umarmung. Ich habe Euch sehr geliebt, nur habe ich nicht gewußt, wie ich meiner Zärtlichkeit Ausdruck geben sollte. Ich bin in meinen Handlungen außerordentlich starr, und ich glaube, Ihr habt mich manchmal nicht verstanden. Es war nicht leicht, mich zu verstehen. Dennoch - bitte, nehmt mich heute nur gerade bei meinem Wort. Nun wird ein Wille, den ich mit Vergnügen aufpoliert habe, ein paar wacklige Beine und ein paar müde Lungen in Gang halten. Ich werde es tun. Denkt gelegentlich einmal an diesen kleinen Glücksritter des zwanzigsten Jahrhunderts. Einen Kuß für Celia, für Roberto, Juan Martín und Pototín, für Beatriz und für alle. Eine Umarmung für Euch von Eurem eigensinnigen und Verlorenen Sohn ERNESTO
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AKTIONEN DER GUERILLEROS IN DER SIERRA MAESTRA Dezember 1956 - Dezember 1957 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Strand von Las Coloradas: Landepunkt der Granma Alegría de Pío: das Expeditionskorps wird zerschlagen
Ojo de Buey-Bucht Puercas Gordas, wo Almeidas Männer ihre Waffen Im Stich ließen Mongo Pérez' Bauerngehöft, wo sich die versprengten Truppen unter dem Befehl Fidel Castros umgruppierten Caracas-Berg La Plata: der erste Sieg Arroyo del Infierno Caracas-Berg Überraschungsangriff der Batista-Truppen in den Altos de Espinosa El Lomón: Ort, an dem die von Frank País geschickten Verstärkungen eintreffen Pico Turquino Pino del Agua El Uvero
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Zeittafel Stichworte zum kubanischen Befreiungskrieg 25. November 1956
2. Dezember 1956 5. Dezember 1956
16. Januar 1957 Februar 1957 12. Februar 1957
März/Mai 1957
28. Mai 1957
12. Juli 1957
26. Juli 1957 Ende August 1957
14. Dezember 1957
Fidel Castro verläßt zusammen mit 82 Mann an Bord der Jacht Granma den mexikanischen Hafen Tuxpan; Invasionsziel ist die kubanische Ostküste. Landung am Strand von Las Coloradas in der Provinz Oriente. Zerschlagung des Expeditionskorps bei Alegría de Pío; Marsch der Versprengten zur Sierra Maestra; nur zwölf Mann erreichen das Ziel; mit ihnen bildet Castro die erste Partisanengruppe. Erstes siegreiches Gefecht der Rebellen bei La Plata. Interview Castros mit dem Sonderkorrespondenten der New York Times Herbert Matthews. Angriff der Truppen Batistas in den Altos de Espinosa; die Rebellen werden in die Flucht geschlagen; das Ejercito Rebelde zählt jetzt achtzehn Mann. Verstärkungen und Waffen treffen aus der Ebene ein; Mitte Mai ist die Streitmacht Castros 127 Mann stark. Sieg der Rebellen bei EI Uvero; erster Frontalangriff gegen einen befestigten Stützpunkt; Widerhall im ganzen Land; Rückzug der Truppen Batistas aus dem Küstengebiet der Sierra Maestra. «Manifest der Sierra Maestra»: Fidel Castro versucht, mit anderen Batista-Gegnern eine gemeinsame Plattform zu finden. Eine zweite Kampfgruppe wird unter dem Befehl des neuernannten Majors Che Guevara aufgestellt. Nach neuen Überfällen der beiden Kampfgruppen weitgehender Rückzug der Truppen Batistas aus der Sierra. Von da an nur noch Einzeloperationen der Regierungsstreitkräfte im befreiten Gebiet. Scharfe Verurteilung des sogenannten Paktes von Miami durch Fidel Castro.
Mitte Februar 1958
Unter dem Befehl von Raúl Castro und Juan Almeida werden zwei weitere Kampfgruppen gebildet. 9. April 1958 Erfolgloser Aufruf zum Generalstreik in der Ebene, dadurch vorübergehende Stärkung der Position Batistas; neuerlicher Druck der Regierungstruppen auf die Rebellen in der Sierra Maestra. 25. Mai 1958 Beginn der zweieinhalbmonatigen Schlußoffensive der Rebellen in der Sierra; Vorbereitung des Vorstoßes in die Ebene Ende August 1958 Vormarsch durch die Provinzen Oriente und Camagüey beginnt. 16. Oktober 1958 Eintreffen in der Sierra Escambray in der Provinz Las Villas. Ausgangspunkt der Schlußoffensive. November/Dezember Batistas Truppen werden immer mehr zurückge1958 drängt; ganz Mittel- und Ostkuba sind praktisch von der Diktatur abgefallen. 29. Dezember 1958 Angriff auf Santa Clara, die Hauptstadt der Provinz Las Villas. 31. Dezember 1958 Batista flieht in die Dominikanische Republik; wenig später zieht Castro in einem Triumphzug in die Hauptstadt Havanna ein.
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Inhaltsverzeichnis Zum ehrenvollen Gedenken an Che. Von Fidel Castro Von Rosario nach Kuba. Eine biographische Notiz Einleitung «El Patojo» Eine Revolution beginnt Alegría de Pío Hin und her getrieben Das Gefecht von La Plata Das Gefecht von El Arroyo del Infierno Luftangriff Überraschungsangriff in den Altos de Espinosa Tod eines Verräters Bittere Tage Verstärkungen Abhärtung Ein berühmtes Interview Auf dem Marsch Die Waffen treffen ein Die Schlacht von El Uvero Pflege der Verwundeten Unsere Rückkehr Vorbereitung eines Verrats Der Angriff auf Bueycito Lydia und Clodomira Das Gefecht von El Hombrito Das erste Gefecht von Pino del Agua Ein bedauerliches Ereignis Moral und Disziplin der revolutionären Kämpfer Kampf gegen das Banditentum Altos de Conrado Der Krieg und die Bauernbevölkerung Ein Jahr Kampf Das zweite Gefecht von Pino del Agua Camilo Der Generalstreik, die Schlußoffensive und die Schlacht von Santa Clara Anhang Zwei Briefe Che Guevaras Aktionen der Guerilleros in der Sierra Maestra, Dezember 1956 - Dezember 1957 Zeittafel - Stichworte zum kubanischen Befreiungskrieg
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