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KENNEN SIE DEUTSCHLANDS ERSTES GRUSEL MAGAZIN? Auf 180 Seiten finden Sie die besten Gruselgeschichten der Welt...
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KENNEN SIE DEUTSCHLANDS ERSTES GRUSEL MAGAZIN? Auf 180 Seiten finden Sie die besten Gruselgeschichten der Welt, schwarzen Humor und Informationen. Faszinierend sind die Comics, gezeichneter Horror der Weltliteratur. Berühmte Autoren wie Robert Bloch, H. P. Lovecraft und S. Maugham schreiben für LUTHER'S GRUSEL MAGAZIN Gönnen auch Sie sich Entspannung mit der großartigen Story DAS GEHEIMNIS DES DR. JEKYLL, eine spannungsgeladene Bildgeschichte, die jetzt wieder einmal verfilmt wird. Leseprobe aus PICKMAN'S MODELL, Story von H. P. Lovecraft Für einen Augenblick war ich wie gelähmt. Ich horchte und glaubte irgendwo ein schwaches Kratzen zu vernehmen und Schreie und Schläge aus einer Richtung, die ich nicht bestimmen konnte. Bei dem Gedanken an Ratten schauderte ich. Dann hörte ich gedämpftes Getrampel, ein hastiges, aber vor sichtiges Trampeln, was mir prompt eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Es klang so ähnlich, als ob Holz auf Stein fiele. Woran erinnerte mich das? Es kam immer wieder und wurde immer lauter. Vibrationen entstanden, als ob das Holz jetzt heftiger fiel. Ein scharfes Kratzen folgte, ein paar unverständliche Rufe von Pickman, dann die ohrenbetäubende Explosion des Revolvers. Ein erstickter Schrei, ein Dröhnen, dann wieder das Holzgeräusch, Kratzen, Pause, die Tür ging auf – ich hatte sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen – und Pickman kam mit rauchender Waffe wieder herein, die Ratten in dem alten Gemäuer verfluchend. Seite 2
LUTHER'S GRUSEL MAGAZIN
überall im Buch , Zeitschriften und Bahnhofsbuchhandel. Falls vergriffen, schreiben
Sie an den ANNE ERBER VERLAG, 7595 Sasbachwalden, Postfach 5.
Dr. Morton Band 3
BAD IN HCL
(gescannt und überarbeitet von schroeg)
Die Familie von Sir Cunningham war seit mehreren hundert Jahren in der
Nähe von Norwich, etwa 150 Kilometer nordöstlich von London, ansässig. Dar
an hatte sich auch nichts geändert, als Sir Cunningham Familienminister Ihrer
Majestät wurde. Die Cunninghams unterhielten schon lange kein kostspieliges
Stadthaus in London mehr. Auch darauf jetzt, beschränkte sich Cuningham darauf,
ein Apartment in Westminster, in der Nähe seines Ministeriums, zu bewohnen,
solange er sich in der Hauptstadt aufhielt.
Als er donnerstags gegen Mittag noch nicht im Büro erschienen war, läutete sein
persönlicher Referent in diesem Apartment an. Cunningham ging jedoch nicht ans
Telefon.
Der tüchtige junge Mann wartete noch eine halbe Stunde. Dann bestellte er sich
einen Dienstwagen und fuhr zur Wohnung des Ministers.
Er klingelte und klopfte vergebens. Daraufhin wandte er sich an den Hausmeister.
„Öffnen? Die Wohnung von Sir Cunningham?" fragte der Mann misstrauisch und
schüttelte den Kopf.
Er hatte verständlicherweise große Hemmungen, das Apartment mit seinem
Universalschlüssel aufzuschließen. Der junge Mann des Ministers aber, von dunklen
Ahnungen erfüllt, gab keine Ruhe und konnte den Hausmeister schließlich
überreden, mit ihm nach oben zu fahren und Cunninghams Wohnung mit ihm
gemeinsam zu betreten.
Der Vorraum war leer. Ebenso der Livingroom.
Sir Cunninghams Referent klopfte an die Tür des Schlafzimmers.
„Er wird nicht da sein", brummte der Hausmeister. „Mich wundert's nicht. Wird wohl 'n
anderes Bett gefunden haben."
Im Schlafzimmer rührte sich nichts. Nach kurzem Zögern öffnete der junge Mann.
Cunningham befand sich auch nicht im Schlafraum.
„Bleibt noch das Bad", murmelte der Hausmeister, der sich unbehaglich fühlte und
die Wohnung so schnell wie möglich wieder verlassen wollte. Minister Cunningham
konnte sehr unangenehm werden, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Der
Hausmeister hatte das schon bei verschiedenen belanglosen Kleinigkeiten feststellen
müssen.
Der Referent des Ministers wandte sich nach links, drückte die Türklinke und
räusperte sich indigniert, weil der Hausmeister trotz des Widerwillens, mit dem er die
Wohnung geöffnet hatte seine Neugier offenbar nicht bezähmen konnte und sich an
ihm vorbeizudrängen versuchte.
Das Badezimmer war aufgeräumt und sauber. Wanne, Waschbecken und alle
Kacheln glitzerten und glänzten. Ungewöhnlich war, dass die Lampen brannten,
obwohl es doch helllichter Tag war und draußen die Sonne von einem blassblauen,
nur leicht bewölkten und dunstigen Himmel schien.
Ungewöhnlich war aber auch die Situation, in der sich der Minister befand.
„Sir Cunningham!" murmelte sein entsetzter Referent.
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Doch Cunningham reagierte nicht. Konnte er auch nicht. Denn er war seit Stunden tot. Seit ungefähr zwölf Stunden, wie die Gerichtsmediziner später feststellten. Der Strick, an dem der Minister hing, war an einem sehr stabilen verchromten Überlaufrohr befestigt. „Mord?" fragte der Hausmeister in einer Mischung aus Entsetzen und geiler Sensationslust. „Mord oder Selbstmord?" Sir Cunninghams persönlicher Referent zuckte stumm die Achseln. Er wich einen Schritt zurück. Es war offenbar, dass er seinem Vorgesetzten nicht mehr helfen konnte. Er besaß genug Lebenserfahrung und hatte auch Kriminalromane in hinreichender Zahl gelesen, um zu wissen, dass es ratsam war, nichts hier im Badezimmer zu berühren oder gar zu verändern. Die Morgenzeitungen, die in London ja am späten Abend erscheinen, brachten bereits groß aufgemachte Berichte über den Tod des Ministers. Scotland Yard hatte die Möglichkeit eines Mords schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Selbstverständlich wurden an den Selbstmord eines Kabinettsmitglieds sofort die verschiedensten Vermutungen geknüpft, und es gab tatsächlich einige, die der Wahrheit sehr nahe kamen. Bei der BBC gab's an diesem und an den folgenden Tagen eine Reihe von Mitarbeitern, die einen ihrer Kollegen schnitten. Nun geschah das Mr. Fox öfter, und er hatte gelernt, mit der Verachtung und dem Hass seiner Kollegen zu leben. Diesmal allerdings, fand Mr. Fox, waren die Reaktionen besonders hart. Das beeinträchtigte sein Wohlbefinden. Er zuckte die Achseln, sooft er darüber nachdachte, denn er fühlte sich völlig schuldlos. Minister Cunningham hatte sich umgebracht. Gut. Er hatte das nach einer der Magazinsendungen von Fox getan. Auch gut. Fox hatte den jetzt toten Minister in seiner Sendung zum zweiten Mal hart attackiert. Er hatte ihm vorgeworfen, sein Lebenswandel stehe im krassen Widerspruch zu seinen Aufgaben sowie auch zu der öffentlich zur Schau getragenen Haltung als Familienminister. Mr. Fox war überzeugt, gründlich und sorgfältig recherchiert zu haben. Nichts von allem, was er in seiner Sendung gegen Sir Cunnigham vorgebracht hatte, war zu widerlegen. Dass er Facts mit seinen persönlichen Ansichten gemischt hatte, dass diese Mischung von Bericht und Kommentar nur für den Insider und für den mit einer gewissen Intelligenz und Denkfähigkeit Ausgestatteten erkennbar war und bei der breiten Masse ziemlich schiefe Vorstellungen erwecken musste, kümmerte Mr. Fox nicht. Schließlich arbeitete er seit vielen Jahren für die BBC, und schließlich war sein persönlicher Stil, wie er es nannte, auf der ganzen Insel bekannt. Dass außer herber Kritik auch immer wieder Briefe voller Zustimmung kamen und die oft gleich Waschkorb weise, stärkte Fox zusätzlich das Rückgrat. Er beschloss, in seiner nächsten Magazinsendung einige Worte zum Tode des Ministers zu sagen. Natürlich würde er den Toten nicht mehr angreifen. So etwas tat man nicht. unter Gentlemen. Und Fox rechnete sich zu dieser Spezies. Er wollte nur klarstellen, dass er den Tod des Ministers nicht zu verantworten hatte. Sein gutes Recht, fand Fox. Natürlich beschäftigte der Freitod des Ministers Presse, Funk, Fernsehen und die Bevölkerung während der nächsten Tage noch stark. Die Freigabe der Leiche, die Überführung zum Stammsitz der Familie in der Nähe von Norwich und die Beerdigung im engsten Familienkreis, zu der sich einige Dutzend Reporter drängten,
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trotz aller Abschirmungsversuche, gaben immer neuen Anlass zu Berichten und Kommentaren. Der Hausmeister, der zusammen mit dem persönlichen Referenten des Toten die Leiche entdeckt hatte, verkaufte seine Erinnerungen an ein Boulevardblatt. Dort konnte man nachlesen, dass Sir Cunninghams Leiche sich im leichten Luftzug bewegt habe, als der tapfere Hausmeister die Tür geöffnet hatte, dass Sir Cunninghams Gesicht blau verfärbt gewesen und seine aufgequollene Zunge zwischen den geöffneten Lippen sichtbar gewesen sei. Die Story war mit zahlreichen weiteren Details dieser Art angereichert und ließ den persönlichen Referenten des Ministers als kleinen Trottel erscheinen, der die Leiche seines Chefs ohne die Hilfe des kriminalistisch hochbegabten Hausmeisters vermutlich nie gefunden hätte. Für Scotland Yard war der Fall klar und fertig zum Abschluss. Auch die sorgfältigste Überprüfung hatte keinerlei Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden am Tod des Ministers ergeben. Dass Sir Cunningham den Strick selbst und freiwillig genommen hatte, stand außer Zweifel. Auch beim Yard wurde darüber diskutiert, ob Mr. Fox von der BBC eine moralische Schuld treffe. Doch diese Diskussion war rein akademisch. Es gehört nicht zu den Aufgaben von Scotland Yard, sich mit den Aspekten moralischer Schuld auseinanderzusetzen. Glenn Morton, Mitglied des Königlichen Kollegiums der Chirurgen, verdächtig, demnächst in den persönlichen Adelsstand erhoben zu werden, Inhaber einer Praxis in der Harley Street und einer Privatklinik in Brighton, Besitzer eines komfortablen Wohnhauses an Londons Grosvenor Square und des weitläufigen Landsitzes Lanix Manor, von den meisten seiner Bekannten, wenn sie darum gebeten wurden, ihn mit einem Wort zu charakterisieren, als genial bezeichnet, von einigen anderen allerdings auch als geheimnisvoll Glenn Morton also unterhielt sich mit William Grimsby, dem Mann, der mehr von ihm wusste als irgendein anderer Mensch, dem einzigen, vor dem er so gut wie keine Geheimnisse hatte. „Grimsby, wir werden uns heute einen beschaulichen Fernsehabend machen", sagte er. „Einen Fernsehabend, Sir?" „Ja. Und ich möchte, dass Mr. Spratt teilnimmt" Jetzt horchte Grimsby auf. „Ich verstehe nicht ganz ..." Glenn Morton lächelte. „Dass ich den Chefinspektor dabeihaben will, ist nur eine Laune, Grimsby. Ein Test, wenn Sie so wollen. Ich möchte sehen, wie er reagiert." „Worauf reagiert, Sir?" „Heute ist Mittwoch, Grimsby." Der andere glaubte zu verstehen: „Ah, Mr. Fox' Magazinsendung." „Richtig. Die werden wir uns gemeinsam anschauen. Unten." „Und dann?" Grimsby ließ diesmal das achtungsvolle ,Sir` weg. Er war allein mit Glenn Morton, und es sah so aus, als käme wieder einmal eine Sache auf sie zu, von der kein Außenstehender erfahren durfte. In solchen Fällen veränderte sich das Verhältnis der beiden Männer zueinander. Es wurde vertraulicher und zwang 6 loser, was der Tatsache Rechnung trug, dass bei diesen geheimen Unternehmungen einer auf den anderen angewiesen war, dass sie sich restlos aufeinander verlassen mussten und konnten. „Haben Sie schon Pläne?" erkundigte Grimsby sich. Glenn Morton nickte. „Wir werden heute Abend darüber sprechen. Im Anschluss an die Sendung." Seite 5
„Genügt es, wenn ich das neue Farbportable hinunterbringe, oder möchten Sie einen größeren Bildschirm haben?" „Das Portable genügt", sagte Glenn Morton. „Wir sind ja nur zu dritt und können dicht genug an die Mattscheibe rücken. Übrigens habe ich Spratt seit drei Tagen nicht mehr gesehen. Wie geht es ihm?" „Er hält sich erstaunlich gut", sagte Grimsby. „Besser jedenfalls als Philipp Gregory." Glenn Morton nickte. „Das habe ich nicht anders erwartet, Grimsby. Wir werden jetzt eine Pause einlegen und unser Experiment frühestens in 14 Tagen fortsetzen. Das gibt Gregory und Spratt Gelegenheit, sich physisch und psychisch zu regenerieren." Chefinspektor Spratt und Mr. Philipp Gregory waren Gäste in Lannix Manor. Sie waren unfreiwillige Gäste, um präzise zu sein, und sie befanden sich in einem Teil von Lannix Manor, der niemandem außer Glenn Morton und Williams Grimsby zugänglich und darüber hinaus auch nicht einmal dem Personal des Landsitzes oder irgendeinem anderen Außenstehenden bekannt war. Die Gründe, weshalb Glenn Morton den Chefinspektor und Mr. Gregory seine Gastfreundschaft aufzwang, waren sehr verschiedener Natur. Philipp Gregory hätte eigentlich als Dauergast in eines der staatlichen Zuchthäuser gehört. Da die Justiz jedoch zu sanft mit ihm umgegangen war, hatte Glenn Morton sich seiner angenommen. Bei Chefinspektor Spratt lag der Fall so, dass er ein allzu großes Interesse an der Person des hochberühmten Chirurgen gezeigt hatte. Glenn Morton war deshalb wenn auch schweren Herzens zu dem Schluss gekommen, dass es keine andere Möglichkeit gab, als den Chefinspektor aus dem Verkehr zu ziehen. Das war vor etwa 14 Tagen geschehen, und wenn Sir Cunninghams Selbstmord nicht die Schlagzeilen der Londoner Zeitungen erobert hätte, wäre das geheimnisvolle Verschwinden eines Polizeioffiziers von Scotland Yard dem sich ein ebenso geheimnisvoller Mord an einem anderen Polizeioffizier, ausgerechnet in Spratts Büro, angeschlossen hatte vermutlich immer noch das liebste Thema der Morgen und Abendblätter gewesen. Grimsby führte den Chefinspektor herein. Glenn Morton erhob sich höflich und sagte: „Guten Abend, Mr. Spratt. Ich hoffe, es geht Ihnen gut." „Guten Abend”, sagte Spratt ebenso höflich. Er machte einen ruhigen, gesammelten Eindruck. Nur Kleinigkeiten deuteten an, dass seine Psyche durch die Entführung und die Experimente, die Glenn Morton in den vergangenen zwei Wochen mit ihm angestellt hatte, etwas durcheinander geraten war. So zuckte beispielsweise sein linkes Augenlid; hin und wieder verschränkte er die Finger und rieb die Handflächen aneinander. Etwas, das er früher nie getan hätte. Glenn Morton behielt den, Partyton` bei, wie Grimsby das nannte. Er bat den Chefinspektor, Platz zu nehmen und erkundigte sich, ob der Abstand zum Bildschirm recht sei. Ein nicht eingeweihter Zuschauer hätte an der Zusammenkunft der drei Männer nur eines sonderbar gefunden. Die Tatsache nämlich, dass Chefinspektor Spratt einen Bademantel auf der nackten Haut und Hausschuhe an den Füßen trug, während Glenn Morton und William Grimsby korrekt gekleidet waren. Grimsby bot Drinks an. Spratt, der 14 Tage lang wesentlich weniger zuvorkommend behandelt worden war, vermochte sein Misstrauen zwar nicht ganz zu kaschieren, beschloss aber, die Annehmlichkeiten, die sich ihm hier so unverhofft boten, zu nutzen. Er bat um einen doppelten Gin. Glenn Morton warf einen Blick auf seine Uhr. Seite 6
„Es ist noch Zeit, Grimsby. Ich hoffe, Sie haben sich davon überzeugt, dass der Empfang einwandfrei ist?"„Selbstverständlich, Sir." Morton wandte sich an seinen Gast: „Sie sind sicher daran interessiert, zu hören, Chefinspektor, welche Sendung der Grund für unser Zusammentreffen ist." Chefinspektor Spratt reagierte nur mit einem fragenden Blick. Er war fast sicher, dass die Sendung seine Person betraf, wollte aber keine Vermutungen darüber äußern. „Wissen Sie, welchen Wochentag wir haben, Spratt?" „Nein." „Dann will ich's Ihnen sagen. Heute ist Mittwoch." Glenn Morton sah den anderen an, als warte er auf einen Kommentar zu dieser Mitteilung. Spratt jedoch blieb stumm. „Sie wissen doch, welche Sendung seit Jahren mittwochs um acht Uhr abends ansteht, Spratt?" Und als der andere immer noch nichts sagte, mit einer Spur Ärger in der Stimme: „Kommen Sie, Spratt, spielen Sie nicht den Beleidigten. Ein bisschen Mitarbeit kann nichts schaden. Sie sollten doch daran interessiert sein, Ihre Situation nicht unnötig zu verschlechtern." Das war eine unverhüllte Drohung. Zu normalen Zeiten hätte Chefinspektor Spratt sehr wohl gewusst, wie er darauf zu reagieren hatte. Jetzt spürte er, wie eine Gänsehaut ihm über den Rücken kroch. Es waren eben keine normalen Zeiten. Er befand sich in den Händen dieses möglicherweise wahnsinnigen, auf jeden Fall aber skrupellosen Chirurgen. Und die dreimal wiederholte Behandlung in dem kleinen, luftdicht zu verschließenden Raum mit der großen Glasscheibe, durch die Morton ihn beobachtet hatte, war nicht ohne Wirkung geblieben. Das spürte Spratt jetzt deutlicher als je zuvor. Seine Widerstandsfähigkeit war angeknackst. Wenn er daran dachte, dass man ihn irgendwann in den nächsten Tagen wieder in diese Kabine bringen, dass er wieder das Gas zischen hören würde, dass der Schmerz wiederkommen würde, dieser ungeheure Schmerz, der jede Faser seines Körpers ergriff und ihn fast wahnsinnig machte, ohne dass eine erlösende Ohnmacht ihm half wenn er daran dachte, war es leicht, einen Entschluss zu fassen. Nein, es stand nicht dafür, Glenn Morton zu verärgern. Wenn er Mitarbeit erwartete gut, dann würde er, Spratt, mitarbeiten. „Sie sprechen von Mr. Fox' Magazinsendung?" „Genau. Grimsby, geben Sie dem Chefinspektor die Ausschnitte." Es gehörte zu Glenn Mortons Experimenten mit Spratt und Gregory, dass er sie völlig von der Außenwelt isolierte und ihnen keine Möglichkeit gab, sich über die Vorgänge draußen anhand von Zeitungen, Funk oder Fernsehen zu informieren. Grimsby reichte Spratt eine Sammlung von Zeitungsausschnitten, die sich alle mit dem Freitod von Sir Cunningham und den Mutmaßungen über dessen Ursachen beschäftigten. Ein Blick auf die Uhr zeigte Glenn Morton, dass er Spratt Zeit lassen konnte. Die Magazinsendung des Mr. Fox begann erst in etwa 20 Minuten. Chefinspektor Spratt, durch langjähriges Training darin geübt, die relevanten Aspekte eines Falles sofort zu erkennen, wusste schon nach einer halben Minute, weshalb Glenn Morton sich für Mr. Fox interessierte und in groben Umrissen was diesem bevorstand. Spratt zeigte jedoch keine Regung und las die Berichte, die Grimsby ihm gegeben hatte, sehr sorgfältig und langsam. Grimsby stand auf und schaltete das Farbportable ein. Nach 15 Sekunden erschien das Bild. Ein Nachrichtensprecher bewegte den Mund, ohne dass ein Ton zu hören war. Grimsby hatte den Lautstärkeregler ganz zugedreht. Seite 7
Jetzt und hier interessierte nichts außer der Magazinsendung des Mr. Fox. Als Spratt
die verschiedenen Ausschnitte ordnete, fragte Glenn Morton: „Nun, was halten Sie
davon?"
„Was wollen Sie hören?" fragte Spratt zurück, knapp, aber ruhig und höflich.
„Sie als Mann von Scotland Yard werden mir sagen, dass Mr. Fox keine
strafrechtliche Schuld am Tod des Ministers trifft, und dass man ihn deshalb auch
nicht zur Verantwortung ziehen kann."
Spratt nickte. Glenn Mortons Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.
„Und da Sie ein kluger Mann sind, Spratt, werden Sie auch bereits wissen, dass ich
mich damit nicht zufrieden geben kann."
„Das überrascht mich nicht", sagte Spratt. „Ich habe eine Frage, Dr. Morton. Was
habe ich mit dieser Geschichte zu tun?"
„Gar nichts", sagte Morton. „Ich wollte nur ein wenig mit Ihnen darüber plaudern."
Er schien nicht geneigt, weitere Auskünfte und Erläuterungen zu geben.
„Bekommt Mr. Fox noch eine Chance?" erkundigte Spratt sich.
„Wie meinen Sie das?"
Spratt deutete mit dem Kinn auf das Fernsehgerät, auf dessen Bildschirm jetzt eine
Ansagerin stumm die Lippen bewegte und die drei Männer im Zimmer unterhalb von
Lannix Manor freundlich anlächelte.
„Machen Sie Ihr Eingreifen eventuell von der Haltung abhängig, die Fox in seiner
heutigen Sendung zeigt?"
„Ein interessanter Aspekt", sagte Glenn Morton nachdenklich. „Doch ich glaube nicht,
dass Mr. Fox fähig ist, sich irgendetwas einfallen zu lassen, das mich von meinem
Vorhaben abbringen kann.
Aber selbstverständlich interessiert mich, wie er sich heute verhält."
„Es ist soweit. Die Sendung beginnt, Sir", sagte Grimsby und drehte den
Lautstärkeregler auf.
Der Titel der Magazinsendung flimmerte über die Mattscheibe. Aus dem
Lautsprecher drang die Erkennungsmelodie. Dann war Mr. Fox selbst auf dem Bild
zu sehen.
Er trug das gewohnte leichte Lächeln im Gesicht.
Spratt fand allerdings, dass es diesmal etwas gequält wirkte.
Mit der eher leisen, bescheidenen Stimme, die der Nation seit Jahren vertraut war,
sprach Mr. Fox über das heutige Programm seiner Sendung. Dann legte er eine
Pause ein und fuhr fort:
„Bevor wir mit dem ersten Beitrag beginnen, meine Damen und Herren, lassen Sie
mich noch eine Anmerkung machen.
Sie alle wissen, was sich in der letzten Woche ereignet hat, und ich bin sicher, Sie
alle warten darauf, dass ich mich zum Tod von Sir Cunningham äußere."
Spratt blickte ebenso gespannt wie Dr. Glenn Morton und William Grimsby in die
Röhre, bestrebt, sich kein Detail des Bildes und kein Wort von Mr. Fox entgehen zu
lassen.
„Ich denke, ich kann mich kurz fassen", sagte Fox. „Selbstverständlich bedaure ich
den Tod des Ministers. Er war unnötig. Überflüssig. Sir Cunningham hat
offensichtlich in einem Zustand geistig seelischer Verwirrung Hand an sich gelegt.
Sein Fall ist tragisch.
Ich bedaure seine Familie.
Ich bedaure auch, dass unser Land einen trotz aller Vorbehalte, die ich gegen ihn
hatte und immer deutlich artikuliert habe in seinem Fachbereich fähigen Politiker
verloren hat.
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Gleichzeitig bedaure ich jedoch die Angriffe gegen meine Person, die aus den verschiedensten Richtungen kommen. Diese Angriffe sind unsachlich und durch nichts zu rechtfertigen. Dort, wo sie zu Verunglimpfungen und Verleumdungen gedeihen, werde ich mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln gegen sie vorgehen. Ich bin das nicht nur mir selbst, sondern auch der Institution schuldig, die 10 ich seit Jahren hier in dieser Sendung vertrete. Wenn meine Gegner den offenen Kampf wollen, sollen sie ihn haben. Ich nehme ihn in der sicheren Gewissheit auf, dass es in meinem Leben keine dunklen Punkte gibt, dass meine Arbeit immer fair war, dass ich nichts zu verbergen habe, und dass meine Integrität sich letzten Endes so schmutzig der Kampf von der anderen Seite auch geführt werden mag erweisen wird. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren." Grimsby schaltete den Apparat ab. „Das war's dann wohl", sagte er. Spratt saß mit gesenktem Kopf da. Er fand Fox' Auftritt im höchsten Maße peinlich. Es fiel ihm schwer, einer Regung nicht nachzugeben. Der nämlich, eine Art Verständnis für Dr. Mortons Vorhaben zu entwickeln. „Kein Kommentar, Chefinspektor?" fragte Morton höflich. „Mr. Fox ist ein unangenehmer Zeitgenosse", murmelte Spratt. „Sie haben aber trotzdem kein Recht, sich zum Richter aufzuwerfen. Ich weiß, ich wiederhole mich, und es beeindruckt Sie in gar keiner Weise. Das ändert aber nichts an den Tatsachen, Dr. Morton." Glenn Morton nickte. Er hatte mit dieser Reaktion des Chefinspektors gerechnet. „Von Ihrem Standpunkt aus haben Sie ja Recht, Spratt. Aber Ihr Standpunkt ist eben nicht der meine." Grimsby, der sich einen neuen Drink genommen und auch Chefinspektor Spratts Glas nachgefüllt hatte, ließ sich in seinen Sessel fallen und sagte: „Dr. Morton hat alles zusammengetragen, was er über Fox bekommen konnte. Es ist eine Menge, Mr. Spratt. Eine verdammt große Menge Schmutz. Fox hat nicht nur diesen Cunningham auf dem Gewissen. Wenn ich die Existenzen aufzählen sollte, die er ruiniert hat, hätte ich die halbe Nacht zu tun." Als Grimsby schwieg, fuhr Glenn Morton fort: „Es gibt da eine Reihe von Selbstmorden, Mr. Spratt, die zwar nicht so deutlich mit Mr. Fox in Zusammenhang stehen und nicht zu solch spektakulärem Interesse der Öffentlichkeit geführt haben wie Cunninghams Tod, deren Unterlagen ich aber sorgfältig geprüft habe. Jetzt bin ich sicher, dass Fox für jeden dieser Selbstmorde verantwortlich ist." Er trank einen Schluck und tupfte sich den Bart sorgfältig mit einem blütenweißen Taschentuch. „Dieser ehrenwerte Mr. Fox, der auf einem Sessel der BBC sitzt und allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz eine unwahrscheinliche Macht in Händen hält, eine Macht, die darin besteht, dass Millionen von Fernsehern sein Wort für wahr und unangreifbar halten —dieser Mr. Fox ist nach meiner Ansicht ein viel größerer Verbrecher als beispielsweise unser armer Mr. Gregory. Sein Schuldkonto ist mit mehr Verbrechen belastet als die Konten einer halben Hundertschaft der so genannten Jungens aus der Londoner Unterwelt. Das Perverse an dieser Geschichte ist, dass unsere Gesetze keine Möglichkeit bieten, Mr. Fox zur Rechenschaft zu ziehen.
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Unter diesen Umständen, Chefinspektor, bleibt mir gar nichts anderes übrig: Ich
werde die Angelegenheiten auf meine Weise regeln. Ob Ihnen das nun passt oder
nicht."
„Ich weiß, dass ich nichts dagegen unternehmen kann", sagte der Chefinspektor
tonlos.
Er fühlte sich plötzlich schrecklich müde und sah keinerlei Sinn darin, sich mit Dr.
Glenn Morton anzulegen ohne Aussicht auf Erfolg und noch dazu für diesen
Burschen, der ihm selbst seit Jahren suspekt war. Er hätte es schon nach Fox
allerersten Sendungen gern gesehen, wenn die BBC ihn von seinem
Redaktionssessel gekippt hätte. Sie hatte es nicht getan. Jetzt würde Glenn Morton
das Problem auf seine radikale Art lösen.
„Wie wollen Sie es machen, Dr. Morton?"
Mit gleichmütiger Stimme erwiderte der Chirurg:
„Das werden Sie sehen, Chefinspektor. Sie werden es selbst erleben. Hier auf
diesem Bildschirm."
Am Nachmittag des nächsten Tages kam ein ziemlich aufgeregter Grimsby in die
Praxis in der Londoner Harley Street. Er verbarg seine Nervosität zwar, doch Morton
spürte, dass etwas schief gelaufen war.
Grimsby war froh, als Schwester Barrington, Glenn Mortons rechte Hand in der
Praxis und auch in der Klinik, ihn mit seinem Chef allein ließ.
„Was gibt's denn, Grimsby?" erkundigte Glenn Morton sich.
„Er ist weg, Sir!"
„Wer ist weg? Doch nicht etwa Mr. Fox?"
„Genau. Fox ist verschwunden." Morton sah Grimsby forschend an. „Glauben Sie, wir
waren unvorsichtig, und er hat Verdacht geschöpft?"
Grimsby schüttelte den Kopf:
„Das halte ich für ausgeschlossen, Sir."
„Ist es möglich, dass noch jemand hinter ihm her ist? Dass Fox deshalb das Weite
gesucht hat?"
Grimsby zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.
„Möglich ist das schon. Aber ich weiß nichts davon, Sir."
Morton betrachtete seinen Mitarbeiter.
„Nehmen Sie einen Drink, und beruhigen Sie sich", sagte er dann lächelnd. „Fox ist
verschwunden. Na und? Er wird auch wieder auftauchen. Vielleicht erzwingt er einen
Aufschub. Das Schicksal wird ihn trotzdem ereilen."
„Er bringt unseren Zeitplan durcheinander", murmelte Grimsby.
„Ja. Mehr aber auch nicht."
Glenn Morton griff nach einem Zettel und schrieb eine Adresse darauf. Grimsby
nahm den Zettel, den Morton über den Tisch geschoben hatte.
„Versuchen Sie es da. Sie wissen ja Bescheid mit so etwas. Keinen Staub
aufwirbeln. Lieber verzichten wir auf Details."
Grimsby nickte, trank sein Glas aus und erhob sich.
„Ich hoffe, dass ich noch heute etwas erreiche. Sind Sie am Grosvenor Square?"
„Vermutlich. Andernfalls hinterlasse ich, wo Sie mich finden können." Unterwegs zu
der von Dr. Morton notierten Adresse fielen Grimsby auch einige andere
Möglichkeiten ein, dem verschwundenen Mr. Fox auf die Spur zu kommen.
Es war schon dunkel, als er den alten Austin A 60, der sich äußerlich in nichts von
den Tausenden seiner Artgenossen in Londons Straßen unterschied, unter der
Haube jedoch einen starken Dreilitermotor hatte, vor Mortons Haus am Grosvenor
Square parkte.
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Johannes, der würdige Butler, entgegen aller britischen Tradition ein Deutscher aus
Berlin, öffnete ihm die Tür.
„Ist der Chef da?"
„Ja, Mr. Grimsby." Johannes wusste, dass er diesen Besucher nicht zu melden
brauchte.
„In der Bibliothek, Johannes?"
„Im Arbeitszimmer."
Grimsby nickte, durchquerte die Halle und klopfte an die hohe, zweiflügelige Tür aus
dunkler Eiche. Dr. Glenn Morton saß hinter seinem Schreibtisch und arbeitete. Er sah
kaum auf, als Grimsby hereinkam, wies auf einen der Sessel und erkundigte sich,
ohne seine Notizen zu unterbrechen:
„Haben Sie etwas herausgefunden, Grimsby?"
„Jawohl, Sir."
Morton lächelte. Er wusste genau, was Grimsbys Wortkargheit zu bedeuten hatte:
Dass er recht genau über Mr. Fox' Aufenthaltsort informiert war.
„Also, Grimsby?"
„Er ist mit der planmäßigen Vormittagsmaschine nach München geflogen, Sir. Dort
hat er einen Zug nach Innsbruck genommen, und inzwischen dürfte er sein Ziel
bereits erreicht haben. Einen kleinen Ort in Tirol. Fulpmes. Genau gesagt, liegt das
Dorf im Stubaital."
„Sieht aus, als sei das eine Urlaubsreise", sagte Morton.
„Ja, Sir."
Morton nickte nachdenklich.
„Wie ich Sie kenne, haben Sie auch herausgefunden, wann Mr. Fox zurückkehren
wird."
„Fox macht drei Wochen Urlaub. In der Zwischenzeit lässt er sich bei der BBC
vertreten. Das ist nicht ungewöhnlich. Ich habe mich erkundigt. Er tut das jedes Jahr
ein oder zweimal.
Dr. Morton lehnte sich in seinem schwarzen Ledersessel zurück. Die Relax Mechanik
ließ die Lehne nach hinten kippen.
„Was halten Sie davon, Grimsby? Meiner Ansicht nach konnte Mr. Fox uns gar keine
größere Hilfe geben."
Grimsby nickte.
„Ich habe keine unüberwindliche Schwierigkeit, ihn aus Fulpmes zu holen, Sir. Wir
hätten ihn dann drei Wochen zur Verfügung, völlig ungestört."
„Drei Wochen genügen", sagte Morton. „In diesen drei Wochen können wir unseren
Plan in aller Ruhe ausführen."
„Natürlich gibt es da ein paar Imponderabilien”, bemerkte Grimsby. „Nach meiner
Information ist er zwar alleine nach Tirol gereist, aber möglicherweise trifft er sich
dort mit Freunden oder Bekannten. Möglich auch, dass er dort ein Mädchen hat. Er
war schon öfter in Tirol."
„Das werden wir an Oft und Stelle herausfinden", sagte Glenn Morton. „Wir, Sir?"
„Ja. Diesmal komme ich mit, Grimsby."
„Ist das nicht zu riskant? Man wird Sie hier vermissen und möglicherweise ..."
Morton winkte ab.
„Wir werden uns ganz offiziell nach Tirol begeben, Sie und ich. Innsbruck ist doch
eine schöne Stadt. Warum soll ich nicht zu einem Kurzurlaub von zwei oder drei
Tagen hinfliegen?"
Grimsby grinste.
„Ja, Sir, warum sollten Sie nicht." „Die Maschine ist klar?"
„Wie immer, Sir."
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„Schön. Dann bereiten wir uns darauf vor, morgen in aller Frühe zu fliegen. Warum ist Mr. Fox eigentlich nicht direkt nach Innsbruck geflogen, sondern schon in München gelandet?" „Der Innsbrucker Flughafen ist momentan nicht für Verkehrsmaschinen offen", erklärte Grimsby. „Wir allerdings können dort ohne Schwierigkeiten landen." Morton sah auf seine Armbanduhr, nickte, griff nach dem Telefon und wählte Schwester Barringtons Privatnummer. Sie wunderte sich nicht, so spät am Abend noch von ihrem Chef zu hören. Das kam öfter vor. „Ein Notfall?" fragte sie. „Nein, Cynthia. Ich wollte Sie nur darüber informieren, dass ich für zwei oder drei Tage verreise. Ich fliege nach Innsbruck. Grimsby kommt mit. Sagen Sie bitte alle Termine ab. Ich denke, Mr. Williams und Mr. Forsyth werden in Brighton auch ohne mich fertig." „Im Augenblick sicher", bestätigte Cynthia Barrington. „Und auf unserer Liste in der Harley Street ...?" „Nichts, was nicht warten könnte, wenn Sie einen Urlaub nötig haben." Er lachte und unterhielt sich noch einige Minuten mit Cynthia. Grimsby hörte zu. Ihm gefiel das nicht sehr. Manchmal hatte er das Gefühl, dass Dr. Morton der attraktiven Schwester allzu viel Vertrauen schenkte. Jetzt zum Beispiel. Aber er hätte nie gewagt, irgendeine Andeutung in dieser Richtung zu machen. Nachdem Glenn Morton das Gespräch beendet hatte, fragte Grimsby: „Sie haben keine Befürchtungen, dass es Schwierigkeiten auf dem Innsbrucker Flughafen geben könnte? Mit Mr. Fox, meine ich." „Nein, Grimsby. Ich habe keine Befürchtungen. Ich werde meinen kleinen schwarzen Koffer mitnehmen. Eine Injektion zur rechten Zeit hat uns in solchen Fällen noch immer geholfen." „Richtig, Sir", sagte Grimsby und nickte zufrieden. Er hatte Dr. Morton mit seiner Frage lediglich an den segensreichen kleinen schwarzen Koffer erinnern wollen. „Wenn Sie erlauben, fahre ich jetzt noch einmal zum Flughafen und überzeuge mich davon, dass die Maschine in Ordnung ist." Grimsby holte Dr. Glenn Morton am nächsten Morgen kurz nach sechs Uhr aus seinem Haus am Grosvenor Square ab. Sie fuhren mit dem großen grauen Rover hinaus nach Heathrow und fanden dort Platz in einer der Garagen. Während Grimsby die Formalitäten erledigte, ging Dr. Morton schon zur Maschine. Das Flugzeug war eine Cessna, Modell 340, eine zweimotorige Schönheit mit Druckkabine und Turboladermotoren. Sie erlaubte Flüge bis zu einer Höhe von mehr als 26000 feet, ohne dass man Sauerstoffmasken benutzen musste. Zwei Continental Motoren mit Abgasturboladern und Benzineinspritzung, jeder mit einer Leistung von 285 HP, erlaubten Spitzengeschwindigkeiten von 230 Meilen. Die Tanks fassten über 200 Gallonen. War die Cessna voll getankt, so wie jetzt, so machte sie mühelos 1500 Meilen ohne Zwischenlandung. Nach seinen speziellen Wünschen hergerichtet, hatte die Twin Dr. Morton mehr als 100.000 Pfund gekostet. Aber sie war ihm nicht deshalb so teuer.
Die Cessna hatte sich bei manchem harten Einsatz als äußerst zuverlässig erwiesen,
und Morton sah in ihr die beste Versicherung für den Fall, dass er England einmal
schnell und unbehelligt verlassen musste.
Sie stand deshalb auch normalerweise nicht auf dem Londoner Flughafen, sondern
in der Nähe von Brighton auf einem kleinen privaten Flugfeld.
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Glenn Morton bestieg die Kabine und nahm im linken der beiden Pilotensitze Platz.
Er überblickte das Instrumentenbrett vor sich und bereitete den Start vor. Anhand der
check list kontrollierte er auch die an der linken Bordwand angebrachten Schalter
und Sicherungen.
Als er sich umwandte, sah er Grimsby auf das Flugzeug zukommen.
„Alles in Ordnung, Sir", sagte der, als er sich neben Glenn Morton auf dem zweiten
Pilotensitz niederließ.
Morton überließ es Grimsby, Sprechkontakt zur Flugleitzentrale herzustellen. Nach
wenigen Minuten wurden sie auf Bahn L eingewiesen und bekamen Starterlaubnis.
Die Turbolader heulten auf was im Innern der Maschine allerdings nur als nicht
unangenehmes Rauschen zu hören war. Langsam ließ Morton die Cessna über das
Vorfeld rollen.
„Ich freue mich immer wieder", sagte er zu Grimsby, „wie zivilisiert sich diese Kiste
benimmt. Selbst auf dem Boden. Ist Ihnen aufgefallen, wie exakt sich das Bugrad mit
den Pedalen steuern lässt, auch wenn man die Bremsen nicht zu Hilfe nimmt?"
Heathrow hatte an diesem Morgen einen ziemlich böigen Seitenwind, doch das
beeindruckte die Cessna überhaupt nicht.
Morton beobachtete die Instrumente. Er kontrollierte den Ladedruck, die
Drehzahl und die Klappenstellung. Sie benötigten nur einen Bruchteil der Startbahn,
bevor die Maschine abhob.
Mit der vollen Startleistung ließ Morton die Cessna bis in eine Höhe von 16.000 feet
steigen. Dann erst ging er auf Kurs.
Sie erreichten den Kontinent und flogen in eine Schlechtwetterzone hinein, die ihnen
das Wetterradar bereits über dem Kanal angezeigt hatte.
Morton ließ die Twin um weitere 4.000 feet steigen. Hier oben waren sie aus dem
Gröbsten heraus.
Die Landung in Innsbruck hier herrschte wieder schönes Wetter, die Sonne schien
von einem föhnigen, tiefblauen Himmel war ebenso problemlos wie der Start in
London, obwohl Glenn Morton keine große Erfahrung mit Flugplätzen hatte, die links
und rechts von hohen Bergen gesäumt sind.
Wieder erledigte Grimsby die Formalitäten. In der Zwischenzeit hatte Dr. Morton sich
bereits um einen Leihwagen gekümmert und wartete hinter dem Lenkrad. Als
Grimsby hinauskam, fand er seinen Chef ins Studium einer Straßenkarte vertieft.
„Nach meiner Schätzung brauchen wir eine halbe bis dreiviertel Stunde, Grimsby."
„Bis nach Fulpmes, Sir?"
„Ja. Aber vorher werden wir uns irgendwo einmieten. Ich rechne nicht damit, dass wir
Mr. Fox schon heute zu fassen bekommen. Vermutlich wäre es auch gar nicht klug,
so rasch wieder nach England zurückzukehren." Er lächelte. „Schließlich sind wir
nach Innsbruck geflogen, um uns einige Tage zu erholen."
Sie mieteten Zimmer im Schwarzen Bären, ließen ihre Reisetaschen nach oben
bringen, und während Dr. Morton duschte und sich umzog (Grimsby fand manchmal,
sein Reinlichkeitsbedürfnis sei übertrieben), nahm der andere einen Drink.
Anschließend ging er über die Straße zur Filiale der Länderbank und tauschte
hundert Pfund gegen die putzigen Scheine ein, die hier als Zahlungsmittel galten.
„Wollen Sie fahren, Sir?" fragte Grimsby, als sie sich am Leihwagen trafen, einem
schnellen, großen BMW.
„Ja", sagte Morton. „Es kann nichts schaden, wenn ich ein wenig mit einem links
gesteuerten Wagen trainiere. Auf der Rückfahrt dürfen Sie sich damit versuchen."
„Der Verkehr ist kaum weniger schlimm als in London", knurrte Grimsby wenig
später, als sie sich durch die engen Straßen quälten.
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In der Nähe des Bahnhofes hätte es beinahe einen Unfall gegeben, weil ein Einheimischer sich zu weit nach links eingeordnet hatte. „Das fehlt uns", murmelte Morton. „Ein Unfall mit Protokoll und allem." Sie erreichten die Brenner Autobahn ohne Zwischenfall. Als sie die Europabrücke passierten, sagte Grimsby, der die Straßenkarte vor sich hatte: „Nicht mehr weit bis zur Abfahrt, Sir. Wir müssen dort halten und eine Art Straßenzoll zahlen." Sie verließen die Autobahn, zahlten einige Schilling für die Benutzung und gelangten ins Stubaital. Hinter Mieders wurde die Straße eng und geradezu gefährlich kurvenreich. Aber bevor Morton Zeit hatte, sich daran zu gewöhnen, erreichten sie bereits Fulpmes. „Mein Magen knurrt", sagte Grimsby. „Vielleicht haben wir Glück und begegnen Mr. Fox beim Lunch. Und wenn nicht..." „Schadet's auch nichts", sagte Morton. „Ich bin überzeugt, es ist nicht schwer, ihn hier aufzustöbern." Mr. Fox genoss den ersten richtigen Urlaubstag. Nicht einmal die Zwiespältigkeit seiner Natur hinderte ihn daran. Einerseits war er ein Snob, für den es undenkbar war, woanders als im ersten Haus am Platz abzusteigen. Andererseits hasste er die Geschäftigkeit und den Trubel der Urlaubszentren. Deshalb hatte er sich diesen ein wenig verschlafenen Ort in den Tiroler Alpen ausgesucht und sah jetzt noch drei Wochen ungetrübter Urlaubsfreuden vor sich, mit den kleinen Freuden, die auch ein Snob hin und wieder zu schätzen weiß: Deftige Hausmannskost, kühles schäumendes Bier, Bergwanderungen (die völlig ungefährlich waren, mit denen man aber Nicht Alpinisten gleichwohl mächtig imponieren konnte, wenn man sie nur im richtigen Licht darzustellen vermochte) und möglicherweise das eine oder andere galante Abenteuer, wahlweise mit den Töchtern des Landes oder mit liebeshungrigen Touristinnen. Mr. Fox litt ein wenig darunter, dass er nur knapp mittelgroß war und zur Fettleibigkeit neigte. Dazu war seine Physis recht auffällig; irgendein Wehwehchen verspürte Fox so gut wie immer. Trotzdem, und obwohl er absolut nicht zu den gut aussehenden Männern gerechnet werden konnte, hielt er sich für einen Frauenfresser. Tatsächlich konnten ihm gewisse Erfolge nicht abgesprochen werden. Er vermochte auf eine ganz bestimmte Art Liebenswürdigkeit vorzutäuschen. Die meisten Frauen merken erst, nachdem sie mit ihm ins Bett gegangen waren, dass diese scheinbare Liebenswürdigkeit nur ein dünner Firnis war, der Fox' Zynismus und seine Arroganz überdeckte. Fox, der selten zu erwähnen vergaß im Ausland vor allem; dass er sehr genau wisse, was sein Geld wert sei, hatte sich am schönsten Tisch des Restaurants Sonnenspitze niedergelassen. Er sah mit Vergnügen, dass eine attraktive Blondine, die offensichtlich ganz allein war, sich suchend umsah und dann seinem Tisch näherte. „Verzeihung", sagte sie zögernd, „ist hier wohl noch ein Platz frei?" Sie sprach akzentfreies Deutsch. Fox erhob sich, deutete eine artige Verbeugung an und antwortete ebenfalls deutsch, er freue sich, wenn sie bei ihm Platz nehmen wolle. „Sie sind Engländer?" fragte die Blondine. Fox bestätigte das, stellte sich vor und erfuhr, dass der Name seiner neuen Bekannten Lidia Brenner war. Schon bei der Suppe waren sie so in ihr Gespräch vertieft, dass Fox den beiden Männern nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte, die das Restaurant eben
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betreten hatten, einen bedeutungsschwangeren Blick wechselten und sich am
Nebentisch niederließen. Grimsby grinste dünn und murmelte:
„Allmählich beginne ich an Eingebungen zu glauben, Sir."
„Tun Sie's nicht", gab Morton gutgelaunt zurück. „Mir ist es lieber, Sie verlassen sich
auch künftig auf Ihren Verstand."
Während des Essens konnten sie fast jedes Wort verstehen, das Mr. Fox und seine
neue Bekannte wechselten. Grimsby achtete besonders deutlich auf Stimme und
Tonfall von Lidia Brenner und auf Eigenheiten ihrer Sprache.
Er hatte einen guten Grund.
Mr. Fox lud Lidia Brenner nach dem Essen ein, ihn auf einem Spaziergang in die
Umgebung des Dorfs zu begleiten.
„Soll ich ihnen folgen, Sir?" fragte Grimsby.
„Ich glaube nicht, dass das nötig ist." Morton lächelte. „Wie weit die beiden
miteinander kommen, können wir auch hinterher noch feststellen. Wir wissen ja jetzt,
in welchem Hotel Fox abgestiegen. ist."
Das und eine Reihe weiterer Einzelheiten hatten sie in der Tat während des Lunchs
erfahren.
Die beiden Männer setzten sich auf die Sonnen überflutete Terrasse eines kleinen
Cafes. Dr. Morton schloss die Augen. Auch Grimsby döste vor sich hin. Er gönnte
sich eine halbe Stunde Entspannung. Besser gesagt: Er versuchte, sich zu
entspannen, aber es gelang nur teilweise. Schon am Morgen, beim Aufwachen, hatte
er diese gewisse Unruhe verspürt.
Als die halbe Stunde um war, sah es immer noch so aus, als halte Grimsby eine Art
Mittagsschlaf mit offenen Augen. Aber nichts, was auf der Straße geschah, entging
seinem Blick.
So sah er auch Mr. Fox und seine Begleiterin gegen drei Uhr zurückkommen. Er
konnte Fetzen ihrer Unterhaltung verstehen, als sie die Cafe Terrasse passierten.
Dr. Morton, ohne die Augen zu öffnen, sagte:
„Das waren sie, nicht?"
„Ja, das waren sie, Sir. Ich glaube, wir brauchen nicht länger zu bleiben. Es wäre
Zeitverschwendung."
Glenn Morton nickte.
„Kehren wir nach Innsbruck zurück und tun das, wozu wir offiziell hergekommen sind.
Machen wir uns einen schönen Tag."
Sie verließen das Stubaital über Mieders und Schönberg. Diesmal lenkte Grimsby
den schnellen BMW. Dr. Morton studierte die Karte.
„Es gibt außer der Autobahn noch eine andere Straße in Richtung Innsbruck. Wir
sollten sie benutzen, Grimsby, uns für alle Fälle damit vertraut machen. Man braucht
dort keinen Straßenzoll zu zahlen und wird deshalb auch nicht kontrolliert."
Grimsby hatte schon begriffen. Sie fuhren über die alte Brennerstraße zurück. Dr.
Morton genoss den Blick auf die tief im Inntal liegende Stadt und die dahinter steil
aufsteigende Nordkette.
„Setzen Sie mich vor dem Hotel ab, Grimsby."
„Ja, Sir."
„Was ist los mit Ihnen?"
Grimsbys Hände umklammerten das
Lenkrad. So fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Nervös, Grimsby?"
„Ja, Sir."
„Ist es schlimm?"
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Grimsby nickte stumm. Diese Zustände kamen anfallartig über ihn. Er konnte nichts dagegen tun. Nicht einmal Dr. Morton konnte das. Morton hätte ihn höchstens unter Drogen setzen können. Aber das war natürlich ausgeschlossen, solange sie Mr. Fox jagten. Glenn Morton wurde das Gefühl des Unbehagens nicht los. „Wir sind in einem fremden Land, Grimsby", murmelte er. „Ich bitte Sie, sehen Sie sich vor." „Selbstverständlich, Sir." „Es ist riskant, hier etwas zu unternehmen. Sie sind mit den Verhältnissen nicht vertraut genug." Grimsby biss die Zähne zusammen. Er spürte Dr. Mortons prüfenden Blick, hasste sich selbst für seine Schwäche, war aber machtlos dagegen. In der Nähe des Schwarzen Bären stieg Glenn Morton aus. Er warf Grimsby noch einen letzten prüfenden Blick zu, sagte aber nichts. Grimsby musste selbst wissen, was er tat. Während Glenn Morton einen Gang durch die Altstadt antrat, der ihn zum Goldenen Dachl, durch die Maria Theresien Straße zur Triumph Pforte und nach einer Teepause zur Hofburg führte, lenkte Grimsby den BMW hinauf zur Hungerburg. Er parkte den Wagen dicht unterhalb der Bergstation, stieg aus und begann, sich sehr genau umzusehen. Wer konnte ihm gefährlich werden? Gegen wen hatte er sich im Notfall zu wehren? Grimsby war gewohnt, alle Möglichkeiten durchzugehen, bevor er dem unwiderstehlichen Trieb nachgab. Und er war sogar in der Lage, zu widerstehen, wenn irgendeine Gefahr zu erkennen war. Allerdings steigerte die quälende Unruhe sich dann bis ins Unerträgliche. Und das, fand William Grimsby, durfte jetzt nicht sein. Er hätte die Ausführung des Unternehmens Fox in Frage gestellt. Einige uniformierte Angestellte der Hungerburg Bahn beobachtete er. Durchweg ältere Männer, teils recht verdrießlich. Keiner sah so aus, als würde er notfalls den Helden spielen. Natürlich besagte das wenig. In der Menge der Menschen konnte immer einer sein, der sich zum Helden berufen fühlte. Was das betraf, ließ sich das Risiko nicht bis zum Letzten kalkulieren. Es ist schön hier oben, dachte Grimsby, während er sich umsah. Wirklich schön. Die Stadt da unten wie Spielzeug. Der leichte Wind macht die Sonne erträglich. Bestimmt wäre es angenehm, dort drüben im Cafe zu sitzen, nein, besser noch daneben im Freien, etwas zu trinken und entspannt den Ausblick genießen: auf Innsbruck im Tal und auf die Berge gegenüber. Es wäre angenehm, unter anderen Umständen. Aber jetzt muss ich erst ... Jetzt brauche ich. Natürlich war nicht gesagt, dass er das Passende hier und jetzt überhaupt fand. Es war sinnlos, eine x beliebige Frau, irgendein Mädchen auszuwählen, das nicht seinen Vorstellungen entsprach. Grimsby hatte das schon versucht, aber keinerlei Befriedigung dabei empfunden. Im Gegenteil, es hatte seinen Zustand eher verschlimmert. Wenn er nicht fand, was er suchte, wenn er stundenlang hier oben herum lief und es nicht fand dann musste er sich zusammenreißen und unverrichteter Dinge zurückkehren. Musste Dr. Morton erklären, dass es nicht geklappt hatte und er ,unerlöst` geblieben war. Dann würde Morton ihn unter Drogen setzen. Und die Sache mit Fox allein durchführen, oder nach London zurückkehren und sie verschieben. Eine Aussicht, die William Grimsby überhaupt nicht behagte. So eine Gelegenheit wie jetzt kam sicher nicht wieder. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Seite 16
Gerade beförderte die Bergbahn einen neuen Schwung Sonnen und Lufthungriger heran. Grimsby sah die Gondel heranschweben und ging, wie zufällig, einige Meter weiter bis zu einem Platz, von dem aus er die Ankömmlinge beim Aussteigen beobachten konnte. Einen nach dem anderen. Sie drängten sich hintereinander durch die schmale Tür, hatten noch diesen ein wenig starren Blick, den alle Bergbahnbenutzer bekommen, sofern sie nicht durch tagtägliches Fahren an das ruckende, schüttelnde, schwingende Schweben gewöhnt sind. Noch fünf, vier, drei, zwei. Die beiden letzten Passagiere waren Männer. Niemand kam in Frage. Äußerlich ruhig, aber mit seiner Enttäuschung kämpfend, wandte Grimsby sich ab. Links neben der Bergbahn führte eine Straße nach oben, zunächst noch von einigen Häusern begleitet. Sie wandelte sich bald zum schmalen Weg. Grimsby stieg mit ausholenden, gleichmäßigen Schritten hinauf. Er wusste nicht, wie weit und wohin er kommen würde. Zu spät fiel ihm die Karte ein, die er irgendwo neben einer der Türen der Bergbahnstation gesehen hatte und auf der auch dieser Weg bestimmt eingezeichnet war. Nicht so wichtig. Wichtig war nur, dass er scharf beobachtete. Dass er sich merkte, welche Strecke er zurücklegte und wie viel Zeit er für den Rückweg brauchen würde, der ja bergab führte und entsprechend schneller als der Aufstieg zu bewältigen war. Auf einem Stein saß ein junger Mann und starrte seinen nackten linken Fuß an, mit einem Blick der Verzweiflung. Das Mädchen neben ihm lachte gutmütig schadenfroh. „Sieh dir das an!" sagte der junge Mann. „Wie ein Hühnerei!" „Du übertreibst", sagte das Mädchen. „Soll ich dir sagen, was das beste Mittel gegen so eine Blase ist? Aufstechen und einen Faden durchziehen! Der leitet die Flüssigkeit ab, und es kommt genügend Luft ans rohe Fleisch, dass sich bald neue Haut bildet." Der junge Mann schüttelte sich. „Ich will dir sagen, was ich tue", hörte Grimsby ihn noch sagen. „Ich kehre zurück. Bis zur Station schaffe ich's noch. Und dann gehe ich keinen einzigen Schritt mehr zu Fuß!" Sie lachte ihn aus, aber ihr Lachen war nicht verletzend. Grimsby, schon ein Stück weiter, sah sich um und spürte, wie sein Körper vibrierte und ein Schauer über seinen Rücken rann. Er hatte das Mädchen vorher nur schräg von hinten gesehen, nur die schmalen Schultern und das Goldhaar, die schlanke Mitte und die langen Schenkel. Jetzt sah er ihr Gesicht und wusste, dass er gefunden hatte, was er suchte. Aber leider ... Es gab einen Vorwand zum Rasten. Die niedrige Steinmauer, grob gefügt als Schutz vor dem Abgrund linkerhand, bot sich zum Ausruhen an. Grimsby konnte so tun und tat so —, als interessiere ihn das Panorama, das von hier aus noch imponierender war als von der Station der Hungerburgbahn oder der Cafe Terrasse aus. Mit der linken Hand schirmte er die Augen ab und drehte den Kopf langsam von rechts nach links. Aber er sah nicht hinunter nach Innsbruck und auch nicht hinüber zum Berg Isel und zum Patscherkofel. Er beobachtete nur das Mädchen und den jungen Mann, der jetzt vorsichtig die Socke über den nackten, mit der Blase behafteten Fuß zog. Endlosigkeiten vergingen. In Wirklichkeit waren's vielleicht fünf, vielleicht zehn Minuten. Für Grimsby aber waren es Endlosigkeiten. Worüber redeten die beiden so lang? Was besprachen sie? Was gab's denn zu besprechen? Mit einem Schuh, den anderen Fuß offenbar so lädiert, dass er ihn nur mit der Ferse aufzusetzen wagte, würde der junge Mann den Aufstieg bestimmt nicht fortsetzen. Er würde zur Seite 17
Bergbahnstation zurückkehren, und Schluss. Was gab's da zu diskutieren? Manchmal drang das Lachen des Mädchens bis zu Grimsby herüber. Er musste die Augen schließen und die Zähne zusammenbeißen, um der Unruhe Herr zu werden, die ihn erfüllte. Zeitverschwendung! dachte er. Nichts als Zeitverschwendung! Ich sitze hier auf der Mauer wie ein gottverdammter Tourist, der nichts zu tun hat, als auf die Bahn zu warten, die ihn zur nächsten Mahlzeit hinunter in die Stadt bringt. Wie ein gottverdammter Tourist! Aber während er das dachte, während er sich über sich selbst lustig machte, war gleichzeitig diese winzige, irrsinnige Hoffnung da. War doch möglich, dass sie so reagierte, wie Grimsby hoffte. Mädchen! Sie handelten oft unberechenbar, gaben plötzlich Launen nach. Warum nicht diese da? Warum tat sie nicht das, was Grimsby sich so heiß wünschte? Im Hintergrund seines Denkens war er sich klar darüber, dass die Hoffnung eitel, dass die Möglichkeit sehr, sehr unwahrscheinlich war. Der junge Mann war aufgestanden und humpelte herum. Mehrmals im Kreis, drehte sich um das Mädchen, immer linksherum, wobei er den Fuß mit der Blase, den Fuß, der nur im Strumpf steckte, während der junge Mann den zugehörigen Schuh in der hand hielt, während er also den bestrumpften Fuß vorsichtig aufsetzte, mit der Ferse nur, und das Gesicht zu lächerlichen Grimassen verzog. Wieder hörte Grimsby das Mädchen lachen. Er schloss die Augen. Er biss die Zähne aufeinander. Keine Frage, dass er größere Pein litt als dieser dumme Bursche mit seiner lächerlichen Blase. Grimsby krampfte die Hände zu Fäusten. Presste die Fingernägel ins Fleisch, schüttelte sich, um den Schauer loszuwerden, der immer und immer wieder über seine breiten Schultern und den Rücken hinab lief. „Ja, ja, geh nur!" rief der junge Mann plötzlich so laut, dass Grimsby jedes Wort verstand. Er wagte noch nicht, daran zu glauben. Langsam öffnete er die Augen und sah unauffällig zu den beiden hin. „Geh nur, ich warte im Cafe auf dich!" wiederholte der junge Mann. Und das Mädchen sagte: „Du, ich geh wirklich!" „Ja, ja, lass dich nicht davon abhalten." „Bist du nicht böse, wenn ich allein gehe?" „Du wolltest doch unbedingt hinauf. Zu Fuß! Also los, geh schon!" „Es macht dir nichts aus?" Der junge Mann stöhnte vernehmlich. Grimsby zitterte und hoffte, dass das Mädchen sich nicht noch anders besinnen werde. Das Mädchen nicht und der junge Mann nicht ... Grimsby hatte sich auf der aus groben Quadern gefügten und kaum verfugten Mauer ausgestreckt, das Gesicht der Sonne zugewandt. Als das Mädchen an ihm vorbeikam, nahm sie an, dass er schlief. Sie schenkte ihm nicht viel Beachtung. Hatte ihn flüchtig wahrgenommen, als er an ihr und ihrem Freund vorbeigegangen war und sich dann über ihnen auf die Mauer gesetzt hatte, offenbar, um den Ausblick auf die Stadt und die gegenüberliegenden Berge zu genießen. Nichts deutete darauf hin, dass er sich für sie interessierte. Warum sollte er auch? Seit Grimsby die Mauer erreicht und von hier aus das Mädchen und den jungen Mann beobachtet hatte, war niemand vorbeigekommen. Doch ausgerechnet jetzt näherte sich eine Gruppe von sechs Leuten. Ein älteres Ehepaar, ein jüngeres und zwei Kinder von schätzungsweise neun und zehn Jahren. Seite 18
Grimsby blieb auf der Mauer liegen. Er beobachtete die Gruppe aus fast geschlossenen Augen. Eins der Kinder machte eine Bemerkung über den Mann auf der Mauer und wurde von seiner Mutter zurechtgewiesen. Allmählich entfernten sich Schritte und Stimmen. Grimsby richtete sich auf, wandte den Kopf. Das Mädchen war schon mehr als 200 Meter entfernt. Grimsby machte sich auf den Weg. Er verringerte den Abstand nicht, ließ ihn aber auch nicht größer werden. Er brauchte die Augen nicht zu schließen, um sie genau vor sich zu sehen. Ihr Gesicht hatte sich ihm bereits so fest eingeprägt, dass er's nie mehr vergessen würde. Es war eingereiht in die Galerie ähnlicher Gesichter, an die Grimsby sich auch nach Jahren noch mit jeder Einzelheit erinnerte, die er mühelos unterscheiden konnte, die alle ihre zwar kurze, aber unverwechselbare Geschichte hatten. Grimsby lächelte. Wer ihn beobachtete, hätte geschworen, dass dieser Mann mit dem sanften Lächeln bestimmt an etwas sehr Schönes dachte. Der Weg Grimsby sah's von hier aus gabelte sich, führte rechts weiter steil in die Höhe, während links vermutlich fast eben weiterging, vielleicht völlig eben verlief oder sogar abfiel. Grimsbys Herz machte einen jähen Sprung, als er das Mädchen verschwinden sah. Die Gruppe mit den beiden Kindern jedoch wandte sich dem weiter steil nach oben führenden rechten Weg zu. „Besser konnte es nicht kommen", murmelte Grimsby, sah sich um und stellte befriedigt fest, dass niemand hinter ihm war. Im Augenblick konnte er den Weg noch bis hinab zur Bergstation überblicken, mit all seinen Windungen und Kehren. Einen völlig leeren Weg. Grimsby erreichte die Gabelung. Tatsächlich führte der linke Weg in weitem Schwung flach am Hang entlang. Das Mädchen war so weit voraus, dass es seinem Blick fast entschwand. Grimsby sah sich noch einmal nach den beiden Ehepaaren mit den Kindern um, die sich so laut unterhielten, dass er einzelne Gesprächsfetzen hörte, ohne sie zu verstehen. Dann folgte er dem Mädchen. Dr. Glenn Morton hatte seinen Bummel durch Innsbrucks Altstadt beendet und benutzte einen der städtischen Busse, um hinaus zum Alpenflugplatz zu fahren. Aber er hatte nicht vor, nach der Cessna zu sehen. Stattdessen ging er langsam, wie einer der anderen zahlreichen Spaziergänger, am Rand des Flugplatzes entlang, scheinbar am regen Starten und Landen der kleinen Sportmaschinen interessiert. In Wirklichkeit suchten seine Augen die Umzäunung ab, maßen Entfernungen, und er spielte verschiedene Möglichkeiten durch, einen Fluggast ungesehen aufs Vorfeld und zu der dort abgestellten zweimotorigen Maschine zu bringen. Die Umzäunung war auf dieser Seite wenigstens lückenlos. Aber sie war nur einfach, und es bedurfte lediglich des richtigen Werkzeugs, um binnen kurzer Zeit ein Loch hinein zuschneiden, das groß genug war, Grimsby oder ihn mit Mr. Fox passieren zu lassen. Dr. Glenn Morton erreichte das Ende des Alpenflugplatzes. Auf ganzer Länge führte eine belebte Straße daran vorbei. Blieb abzuwarten, wie der Verkehr am Abend war. Schwierigkeiten sah Morton eigentlich nicht. Es gab genügend Parkplätze neben dem Flugplatz, von denen aus man Mr. Fox zum Zaun führen konnte. Morton runzelte die Stirn, als er an den einzigen Punkt von Bedeutung dachte, den er im Augenblick nicht hin• reichend berechnen konnte. Grimsby. Dr. Morton hoffte zweierlei: Dass Grimsby seiner Nervosität rasch Abhilfe zu schaffen vermochte, und dass dabei alles glatt ging, dass er nicht auffiel und keine Schwierigkeiten bekam. Seite 19
Eines Tages, dachte Dr. Morton, werde ich Grimsby verlieren. Eines Tages wird er auffallen, sich erwischen lassen, weil er unaufmerksam war, weil es ihm an Konzentration und Übersicht mangelte. Ein Gedanke, der ihm ganz und gar nicht behagte. Ohne Grimsby war er nicht im Stande, weiterzumachen. Ohne Grimsby konnte er nur noch liquidieren, was er in jahrelanger Arbeit aufgebaut hatte. Dr. Glenn Morton würde dann zwangsläufig der untadelige, in jeder Beziehung vorbildliche Arzt und Mensch werden, für den ihn seine Mitmenschen sowieso hielten. Er grinste dünn bei diesem Gedanken. Fragte sich, ob ihm diese Verwandlung tatsächlich gelingen mochte, sollte sie sich eines Tages als notwendig erweisen. Oder werde ich weitermachen, fragte er sich, ungeachtet des dann wesentlich größeren Risikos? Werde ich so lange weitermachen, bis man mich schließlich erwischt? Er fegte den Gedanken weg wie eine lästige Fliege. Allmählich näherte er sich den Flugplatzgebäuden. Er wies sich aus und betrat das Vorfeld, angeblich, um etwas aus der Maschine zu holen. In Wirklichkeit wollte er den schon ziemlich genauen Weg, den er oder Grimsby mit Mr. Fox nehmen würde, noch einmal von der anderen Seite des Zauns aus überprüfen. Er blieb einige Minuten im Cockpit der Cessna sitzen. Das war völlig unverdächtig. Wenn jemand vom Zoll es tatsächlich seltsam fand na, dann sollte er ihn und die Maschine ruhig durchsuchen. Nach Belieben. In dieser Hinsicht hatte Dr. Glenn Morton wirklich nichts zu fürchten. Und dass der Mensch vom Zoll die kleinen Veränderungen an der Cessna bemerkte, dass sie ihn stutzig machen würde das konnte man auch ausschließen. Er hätte ein ausgefuchster Techniker sein müssen, um Verdacht zu schöpfen. Eine Viertelstunde später stand Glenn Morton wieder auf dem Platz vor den Abfertigungsgebäuden. Er nahm ein Taxi, um in die Stadt zurückzukehren und hoffte nach einem Blick auf die Uhr, Grimsby schon im Hotel vorzufinden. Grimsby bog um einen Felsvorsprung und blieb halb in dessen Schatten stehen. Er war darauf gefasst gewesen, und deshalb überraschte es ihn nicht, das Mädchen keine 20 Meter entfernt vor sich zu sehen. Die Goldblonde hatte sich, um auszuruhen, hingesetzt. Saß auf einem abgerundeten kleinen Felsbrocken und schlenkerte mit einem Fuß. Grimsby vergewisserte sich, dass hinter ihm niemand war (allerdings konnte er nicht mehr als 300 Meter überblicken) und löste sich aus dem Schatten des Felsvorsprungs. Das Mädchen hörte seine Schritte und wandte den Kopf. Sie erkannte ihn, schenkte ihm ein kleines, gleichgültiges Leseprobe aus ERBER'S GRUSELKRIMI DOPPELBAND MORDFAMILIE von James Ronald „Das ist so eine Sache mit deiner Tante Octavia. Bei ihr, weißt du, können Streitigkeiten schlummern, aber niemals sterben. Wenn ich dein Vater wäre, dann würde ich Octavia den Hals durchschneiden. Es würde mir nichts ausmachen, es irgendwann einmal zu tun. Es würde eine Menge Probleme lösen. Dein Vater würde ihr Geld erben.", Onkel Simon grinste verschmitzt, „und ich könnte ihn für den Rest meines Lebens laufend anpumpen."
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„Denkst du wirklich, sie wird es Vater vermachen?" fragte Ann dann nachdenklich. „Wem sollte sie es denn sonst hinterlassen? Nicht mir, das ist klar; und sie hat doch keine anderen Verwandten. Hunde kann sie nicht ausstehen. Sie hasst Katzen. Sie ist nicht an Mildtätigkeit interessiert. Oh, ich erwarte bestimmt, dass es dein Vater letzten Endes bekommen wird. Aber obgleich Tante Octavia über siebzig Jahre alt ist, dürfte es mindestens noch zehn Jahre dauern wenn es nicht jemand anders arrangiert. Und ich habe die größte Lust, es selbst zu tun." „Um dann als Mörder gehängt zu werden", sagte Ann scharfsinnig. „Das", meinte Onkel Simon, „ist eben der Haken." Versäumen Sie nicht diesen spannenden Doppelband, den Ihr Zeitschriften oder
Bahnhofsbuchhändler für Sie bereithält. Sollte dieser Band dort bereits vergriffen
sein, so schreiben Sie bitte an:
ANNE ERBER VERLAG
7595 SASBACHWALDEN, POSTFACH 5
Lächeln und erwartete mit Sicherheit, dass er an ihr vorbeigehen würde_
Doch Grimsby, der sie jetzt erreicht hatte, blieb stehen. Er lächelte sie an. Wenn
Grimsby so dastand und lächelte, wirkte er durchaus Vertrauen erweckend. Kein
Grund zur Sorge für irgendein Mädchen, mochte es auch noch so allein sein mit
diesem Fremden.
„Hallo!" sagte Grimsby.
Er bemühte sich, das Wort deutsch auszusprechen und ohne jeden Akzent.
„Hallo", sagte das Mädchen, das immer noch lächelte.
„Wir haben uns schon einmal gesehen", stellte Grimsby fest. Er lauschte seiner
Stimme nach, um herauszufinden, ob man ihr die Herkunft ihres Besitzers anmerkte
für den Fall, dass etwas schief ging und hinterher jemand versuchte, Anhaltspunkte
für seine Identifizierung zu sammeln.
Ich kann sehr zufrieden mit mir sein, dachte Grimsby. Und außerdem wird nichts
schief gehen. Jetzt nicht mehr. Ganz bestimmt nicht in der Hauptsache. Und was
hinterher sein wird ...
Es war überflüssig, sich Gedanken darüber zu machen. Er kannte die Gefahr ganz
genau. Sie war groß, größer als irgendwann zuvor bei einem vergleichbaren
Unternehmen, denn es gab keinen anderen Weg zurück als den, auf dem er
gekommen war.
„Ja, wir haben uns schon gesehen", sagte das Mädchen, immer noch ohne Argwohn,
aber ein bisschen verwundert. Was wollte der Mann von ihr?
„Sind Sie auch hier, um Urlaub zu machen?" erkundigte Grimsby sich höflich.
„Ja, wir machen Urlaubs mein Verlobter und ich."
,,Ihr Verlobter, ah. Er hat sich verletzt, nicht wahr?"
Sie lachte belustigt.
„Er hat sich eine Blase gelaufen. Zu dumm, nicht? Eine Blase wie eine Walnuss! So
was habe ich noch nicht gesehen!"
Grimsby stimmte in ihr fröhliches Lachen ein.
„Und Sie sind allein weitergegangen", sagte er.
Zum ersten Mal spürte das Mädchen so etwas wie Unsicherheit. Nicht Angst, nein!
Von Angst war das Gefühl noch weit entfernt. Aber ihr Lachen veränderte sich und
verstummte. Der Mann ließ sie nicht aus den Augen. Warum sah er sie so
unverwandt an? Ob er was von ihr wollte?
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Unsinn! dachte sie. Natürlich las und hörte man immer wieder von Überfällen, las und
hörte immer wieder von Sexgangstern, die Frauen und Mädchen nachstellten.
Aber hier am Berg? Hier in der Sommerfrische, wo alles so friedlich und ruhig war,
dass der Verkehr unten in der Stadt irgendwie unwirklich wirkte
Nein, hier passierte dergleichen bestimmt nicht.
„Was was wollen Sie denn?" fragte das Mädchen, das seine Unsicherheit nicht mehr
stumm für sich zu behalten vermochte.
„Gehen wir", antwortete Grimsby ruhig.
„Gehen? Wohin?"
Er sah sich um. Der Weg führte weiter bis zur nächsten Biegung. Was da
hinter war, wusste er nicht. Das war auch uninteressant. Hier an dieser Stelle stieg
der Berg nicht steil an. Die Fläche zur Rechten war wie eine flache Wanne, mit
diesem groben, kurzen Berggras bewachsen und mit kleineren und größeren
Felsbrocken übersät.
Das ideale Gelände, um Versteck zu spielen ...
„Wir gehen da hinüber", sagte Grimsby.
Das Mädchen, dessen Unsicherheit sich recht schnell in Angst verwandelte, drehte
den Kopf und blickte in die Richtung, die Grimsby mit seinem Kinn angegeben hatte.
Sie stand auf. Ihre Stimme klang abweisend und schroff und konnte die jäh erwachte
Angst nicht ganz verbergen.
„Ich denke nicht daran!"
Sie drehte sich um und würde im nächsten Augenblick den ersten Schritt zur
Bergbahnstation tun. So dachte sie wenigstens.
Grimsby schien sich kaum zu bewegen. Sie hatte die Bewegung jedenfalls nicht
bemerkt. Aber plötzlich hielt er etwas in der Hand. Und dieses Etwas hielt sie davon
ab, den Schritt zu tun, obwohl sie den linken Fuß schon fast vom Boden
hochgehoben hatte.
Langsam stellte sie sich wieder fest auf die Beine. Ihr Blick war von dem Gegenstand
in Grimsbys Hand gefesselt, und ihre Oberschenkel zitterten. Die Angst war im
Moment so stark, dass sie kaum atmen konnte.
Grimsby bewegte sich. Ein Sonnenstrahl brach sich auf der langen, schmalen
Messerklinge.
„Gehen wir jetzt?" fragte Grimsby leise und höflich.„Hören Sie ..."
Grimsby schüttelte den Kopf und bat: „Gehen wir doch! Hier am Weg möchte ich
wirklich nicht länger stehen bleiben."
„Was wollen Sie von mir?" Die Stimme des Mädchens verriet eine Spur Hysterie.
Grimsby stellte sich darauf ein, indem er sie anherrschte:
„Also los! Keine Mätzchen jetzt! Dort hinauf!"
Das half. Die Goldblonde drehte sich um und ging mit seltsam hölzernen Schritten
vor Grimsby her. Er griff nach ihrem Arm und korrigierte die Richtung. Ihr
Zusammenzucken bei dieser ersten Berührung entging ihm nicht und entlockte ihm
ein kleines Lächeln.
Aah, er spürte, wie sein Inneres sich veränderte. Die quälende Unruhe war noch
nicht vorüber, natürlich nicht, aber sie ging doch allmählich unter in der Vorfreude, in
der sicheren Gewissheit des unbeschreiblichen Genusses, den er hin und wieder
nötiger brauchte als Speise und Trank.
„Bitte, tun Sie das weg!" sagte das Mädchen, während sie stehen blieb und sich
umdrehte. Sie deutete mit zaghaftem Finger auf das Messer in Grimsbys Hand.
„Warum denn?" fragte Grimsby freundlich lächelnd.
„Ich habe Angst davor", sagte das Mädchen ehrlich.
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„Das kann ich verstehen." Grimsbys Stimme klang verbindlich. „Wenn Sie wüssten, wie geschickt ich mit diesem Instrument bin, hätten Sie noch mehr Angst." Er lachte über seine eigenen Worte wie über einen guten Scherz. „Bitte!" sagte sie noch einmal. Ihre Stimme schien zu brechen. „Weiter!" sagte Grimsby. „In diese Richtung, wenn ich bitten darf." Unterwegs sah er sich immer wieder um. Bis jetzt hatte er die Stelle noch nicht gefunden, die Sichtschutz nach allen Richtungen bot. Aber er wusste, dass es diese Stelle gab, zwangsläufig geben musste bei der Struktur des Geländes. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie von mir wollen", sagte das Mädchen mit zitternder Stimme. „Geld? Ich habe überhaupt kein Geld mit! Jürgen hat das Geld, jeden Pfennig. Meine Handtasche ist unten im Hotel. Ich ..." „Das macht doch nichts", sagte Grimsby besänftigend. „Ich habe es wirklich nicht auf Ihr Geld abgesehen." Er lachte belustigt. Ein kleines Lachen, das unter anderen Umständen nett, fast lausbubenhaft geklungen hätte. Aber im angsterfüllten Kopf des Mädchens dröhnte es teuflisch wider. „Was wollen Sie von mir?" fragte sie flüsternd. „Was könnte es wohl sein?" fragte Grimsby amüsiert zurück. „Mich?" „Richtig", sagte ei nickend, sah sich wieder einmal um und entschied, dass sie nur zwei Schritte nach links zu gehen brauchten, um völlig vor neugierigen Blicken geschützt zu sein, zwei Schritte, die sie hinter einen großen Felsblock brachten. Er dirigierte das Mädchen mit dem goldblonden Haar nach links. „Setzen Sie sich." Seine Stimme war nicht laut, duldete aber keinen Widerspruch. Das Mädchen ging in die Knie. Die Beine versagten ihr den Dienst. Sie fiel mehr, als dass sie sich setzte. Natürlich hatte sie hin und wieder darüber nachgedacht, wie sie sich verhalten würde, wenn ein Mann versuchte, sie zu vergewaltigen. Sie hatte eine fortschrittliche Schule besucht, in der dieses Thema nicht tabu gewesen war. Sie kannte sogar verschiedene Möglichkeiten, sich gegen einen Mann zu wehren, wusste ziemlich genau, wo sie ihn treffen musste, um ihm große Schmerzen zuzufügen und ihn möglicherweise verteidigungsunfähig zu machen. Aber ein Mann mit einem Messer in der Hand ... Mit einem Messer, das hauptsächlich aus solch einer gefährlich aussehenden, langen, schmalen, auf beiden Seiten scharf geschliffenen Klinge bestand „Ich werde mich nicht wehren", sagte sie und schluckte. Dann räusperte sie sich, um ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen und wiederholte: „Ich werde mich nicht wehren, das verspreche ich Ihnen! Sie brauchen das Messer nicht!" Ohne zu überlegen, fingerte sie an den Knöpfchen ihrer Bluse herum, öffnete eines nach dem anderen, bis der Ansatz ihrer hübschen, vollen Brüste sichtbar wurde. „Ich brauche das Messer nicht, meinst du!" Grimsby lachte amüsiert. Zum ersten Mal hatte er das Mädchen geduzt und gab sich jetzt auch keine Mühe mehr, seinen Akzent zu verbergen. Ein überraschter Blick war die Quittung. Das Mädchen dachte darüber nach, ob er seine Stimme erst verstellt hatte oder ob er das jetzt tat. Als ob das wichtig wäre, dachte sie, konnte den überflüssigen Gedanken aber trotzdem nicht aus ihrem Gehirn verbannen. „Du wirst merken, dass ich das Messer brauche. Sitzt du bequem?" „Ja, danke", hörte sie sich sagen, während ihr ganzer Körper gleichzeitig so stark zitterte, dass der Mann es sehen musste. Er brauchte das Messer, hatte er gesagt. Wozu?
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„Lass das bitte", sagte Grimsby in diesem Moment ruhig. „Niemand hat von dir
verlangt, dass du dich ausziehst."
Sie wusste jetzt überhaupt nicht mehr, woran sie war, was er von ihr wollte. Und das
war unerträglich. Also fragte sie:
„Was soll ich denn tun? Wenn Sie mir nur sagen würden, was ich tun soll!"
„Stillhalten."
Die Messerspitze näherte sich blitzschnell, so dass sie kaum Zeit zum Schreien
hatte. Im Bruchteil einer Sekunde musste sie den blanken, kalten Stahl spüren, wie
er durch ihre Haut in ihr Fleisch drang. Sie spannte instinktiv alle Muskeln, um dem
Schmerz zu begegnen.
Aber das Messer war schon wieder fort. Es gab keinen Schmerz. Ungläubig sah sie
erst auf das Messer in der Hand des Mannes und dann an sich herab. Ihre Bluse war
quer vor den Brüsten zerschnitten wie mit einem Rasiermesser. Aber die Spitze der
Klinge hatte ihre Haut nicht berührt. Sie hatte nicht einmal den Büstenhalter geritzt.
Wie scharf musste dieses Messer sein!
So scharf, dass es in ihren Körper dringen würde wie in Butter!
„Klapperst du mit den Zähnen?" erkundigte Grimsby sich liebenswürdig. „Ist deine
Angst so groß, dass du mit den Zähnen klapperst?"
„Nein", hörte das Mädchen sich stammeln. Und dann hörte sie ein hohes, unechtes
Lachen; so ein Lachen hatte sie noch nie zuvor in ihrem Leben gehört, aber es kam
zweifellos aus ihrer eigenen Kehle.
Wieder zuckte das Messer nach vorn. Wieder hielt sie instinktiv den Atem an und
spannte alle Muskeln. Aber der Schmerz blieb auch diesmal aus. Von ihrer Bluse
waren nur noch Fetzen übrig. Der Mann beseitigte sie und betrachtete ihren bis auf
den Büstenhalter nackten Oberkörper. Sie wagte es, ihn dabei zu beobachten. Ein
leichtes Lächeln lag auf seinem Gesicht, und er wirkte verträumt.
„Du bist schön", sagte er. „Du bist exakt so, wie ich mir das vorgestellt habe. Sag mir,
wie alt du bist."
„Neunzehn", antwortete sie gehorsam.
Grimsby nickte. Er hatte sie auf 13 bis 19 Jahre geschätzt.
„Wird dein Verlobter dich vermissen?"
Die Frage kam so unerwartet, dass das Mädchen beinahe spontan verneint hätte. Im
nächsten Augenblick fragte sie sich, weshalb sie nicht auf diesen rettenden Einfall
gekommen war und im übernächsten behauptete sie:
„Ja, er wird mich bestimmt vermissen!”
„So?"
„Wir haben vereinbart, dass ich nicht länger dass ich höchstens eine halbe Stunde
bleibe."
„Ach nein!" sagte Grimsby lächelnd. „Dann müsste er sich jetzt aber schon große
Sorgen machen, findest du nicht? Immerhin habt ihr euch schon vor gut anderthalb
Stunden getrennt."
Er wusste, dass sie log. Und das Mädchen wusste, dass er's wusste.
„Aber selbst wenn er hier auftaucht", sagte Grimsby im Plauderton, „wird das nichts
ändern. Denn du wirst ganz bestimmt nicht schreien. Und wie sollte dein Verlobter
auf die Idee kommen, dich ausgerechnet hinter diesem Felsen zu suchen?"
Das Messer mit der scharfen, schmalen Klinge war sekundenlang dicht vor ihrer
Kehle, so dass sie nicht die kleinste Bewegung wagte.
Und zu schreien hätte sie erst recht nicht gewagt! Es wäre ihr Todesschrei gewesen,
ohne Zweifel.
„Alles klar?" fragte Grimsby lächelnd.
Das Mädchen nickte.
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Vorsichtig, so dass ihre Haut die Kälte des Messers nicht zu spüren bekam, schob Grimsby die Klinge hinter den Stoff des Büstenhalters, genau zwischen den beiden hohen Brüsten. Ein kurzer Ruck der Stoff war durchtrennt und gab die beiden Halbkugeln frei. Grimsby benutzte das Messer, um die jetzt nutzlos herabhängenden Schalen weiter zur Seite zu schieben. Die Messerspitze glitt dabei ganz leicht über die nackte Haut des Mädchens und hinterließ eine Spur darauf, die aber rasch wieder verschwand. Sie schüttelte die Arme, um die Reste des zerschnittenen Wäschestücks loszuwerden. Fast eine Reflexbewegung war das. Ganz vage war der Gedanke da: Wenn es mir gelingt, ihn aufzugeilen, so dass er keinen anderen Gedanken mehr hat, als mit mir zu schlafen wenn mir das gelingt, wird mir vielleicht nichts Schlimmeres zustoßen. Im nächsten Augenblick strich sie das Wort ‚vielleicht' und klammerte sich an die winzige Hoffnung, die ihre Todesangst milderte. „Hübsch", sagte Grimsby lächelnd. „Dein Freund hat guten Geschmack, das muss ich sagen. Du hast schöne Brüste. Wahrscheinlich bist du überall gleich gut anzuschauen." Sie musste sich zwingen, nicht zu nicken und sich anzupreisen, damit er sie nahm, in sie eindrang, aber nicht mit dem schrecklichen Messer, sondern mit dem Glut gefüllten heißen Ding, das sie zwar (in diesem speziellen Fall) heftig verabscheute, das ihr jedoch viel weniger gefährlich schien als der blitzende blinkende Stahl. „Steh auf!" befahl Grimsby in diesem Augenblick. Sie gehorchte mit zitternden Knien. Ihre Oberschenkel schmerzten. Ihr ganzer Körper schien wie zerschlagen. Der Mann stand einen halben Meter entfernt von ihr. Die Hand mit dem Messer kam blitzschnell auf sie zu, musste jetzt in ihren nackten, ungeschützten Magen dringen. Das Mädchen keuchte vor Entsetzen und wusste auch schon, dass sie sich wieder einmal getäuscht hatte. Dass der Schmerz ausblieb. Statt dessen rutschte ihr Rock ein Stückchen nach unten. Er saß nicht mehr so eng um ihre Taille, ruhte jetzt mehr auf den Hüften, denn das Messer, das seine Stoßrichtung im letzten Moment geändert hatte, hatte den Verschluss auf gefetzt. Grimsby sah in das entsetzte Gesicht des Mädchens und lachte. „Ich glaube, du hast schreckliche Angst vor mir." Sie sah ihn aus aufgerissenen Augen stumm an. „Hast du Angst?" Sie nickte. „Warum sprichst du nicht mit mir?" Er fragte das freundlich, fast jovial. Das Mädchen beeilte sich trotzdem, Antwort zu geben. „Ja, ich habe Angst", stotterte sie. ,,Schreckliche Angst." Grimsby nickte. Befriedigt, wie ihr schien.. „Ich kann mir vorstellen, wie groll deine Angst ist", sagte er leise. Das Messer! Es zuckte wieder nach vorn, traf aber wieder nicht ihren nackten Magen, sondern fuhr von oben nach unten und teilte den Rock. Er fiel zu Boden und ließ das Mädchen fast nackt zurück. Sie trug jetzt nichts mehr als die derben Schuhe mit flachen Absätzen, die weißen Socken und einen knappen Slip, der nicht viel von ihrem Leib verbarg. Sie • dachte sekundenlang ernsthaft darüber nach, wie sie hinunter zur Bergstation kommen sollte. Ob die Reste ihrer Kleidung überhaupt noch dazu taugten, sie wenigstens notdürftig zu verhüllen, ihre Brüste und ihren Schoß zu bedecken. Als ob das jetzt wichtig wäre! dachte sie gleich darauf und wusste, dass die Kleidung im Augenblick wirklich ihre geringste Sorge war. Seite 25
Grimsby ging um sie herum. Sie blieb stehen, wagte nicht, sich zu rühren. Er hatte
sie einmal ganz umrundet und lächelte sie wohlgefällig an.
„Ein hübsches Mädchen bist du! Von welcher Seite man dich auch ansieht ..." Wieder
bewegte er sich, war jetzt hinter ihr, und sie w u ß t e, dass das Messer sich auf sie
zu bewegte. Diesmal ritzte es ihre Haut ganz leicht, und Crimsby knurrte unwillig,
weil das nicht in seiner Absicht gelegen hatte. Er hatte mit der scharfen Spitze
lediglich den Bund des Höschens durchtrennen wollen. Hatte um vielleicht einen
halben Millimeter zu weit ausgeholt, und nun trug das Mädchen einen kleinen Kratzer
auf der linken Pobacke, einen Kratzer, der sich rot färbte.
Das Höschen lag um die Füße des Mädchens. Der Anblick störte Grimsbys
ästhetisches Empfinden. Er wies sie an, die Schuhe auszuziehen und sich der Reste
des Slips zu entledigen.
„Woran denkst du?" erkundigte er sich wenig später interessiert. „Denkst du darüber
nach, was jetzt kommt?" „Ja a", antwortete sie zögernd.
„Und? Was kommt jetzt, deiner Meinung nach?"
Schulterzucken.
„Ich weiß es nicht."
Grimsby blieb dicht vor ihr stehen und nestelte an seiner Hose. Er wusste,
dass sie es sah und ließ keinen Blick von ihrem Gesicht.
Er hatte noch genügend Zeit, brauchte nichts zu überstürzen. Deshalb löste seine
linke Hand ganz langsam den Gürtel und öffnete den Reisverschluss, während die
rechte locker und leicht das Messer gefasst hatte.
„Kannst du dir's nicht denken?" „Doch."
„Dann sag's!" forderte Grimsby sie auf.
Aber das Mädchen brachte kein Wort über die Lippen. Sie war wie gelähmt.
„Sag's?" verlangte Grimsby, diesmal lauter.
„Sie Sie wollen ..."
„Was denn? Wen denn?" fragte er.
Sie zuckte zusammen, denn in seiner Stimme war ein neuer Ton, den sie zwar nicht
definieren konnte, der jedoch bestimmt nichts Gutes verhieß.
„Mich!?" Das Wörtchen war Antwort und Frage zugleich. Sie wünschte so sehr,
Recht zu haben, so sehr ... Himmel, wenn man ihr vor einer Stunde gesagt hätte,
dass sie je in die Lage kommen könnte, sich so etwas zu wünschen.
„Dich." Grimsby schmunzelte. „Natürlich dich!" Er ließ seine Hose fallen, und das
Schmunzeln verschwand so plötzlich aus seinem Gesicht, wie ein Licht
verschwindet, das man ausknipst.
Die Hand mit dem Messer zuckte nach vorn. Die Augen des Mädchens wurden groß
und rund. Sie spürte gar keinen Schmerz. Nur Verwunderung. Und das
Unwiderrufliche, das ihr hier geschah.
Der Schmerz kam Bruchteile von Sekunden später, und sie öffnete den
Mund, um zu schreien. Doch aus ihrem Mund drang nur ein Röcheln. Sie sank
zusammen und war tot.
Grimsby hatte sehr genau gezielt. Grimsby dachte, dass er sicher sehr viel mehr
davon gehabt hätte, sie noch länger leben zu lassen. Er wusste selbst nicht, weshalb
er so schnell zugestoßen hatte. Und so genau, dass der Stich sie fast augenblicklich
getötet hatte.
Grimsby lag auf dem Boden, zusammengekrümmt, eine Hand vor dem Körper, die
andere ins Gras gekrallt, in dieses kurze, grobe Berggras. Grimsbys Mund stand
offen. Er keuchte schwer, verdrehte die Augen, röchelte und atmete Sekunden
später tief durch.
Vorbei. Es war vorbei.
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Er ließ sich Zeit. Erst als sein Atem wieder vollkommen ruhig ging, stand er auf. Er brachte seine Kleider in Ordnung, bevor er die schmale, scharfe Klinge aus dem Körper des Mädchens zog. Die Wunde blutete kaum. Das Blut, das am Messer klebte, wischte Grimsby an dem kurzen, rauen Berggras ab. Als er den Rückweg zur Hungerburg und dem dort geparkten großen BMW antrat, fühlte er sich erleichtert und entspannt. Er dachte jetzt mit Vergnügen an den nächsten Tag und an Mr. Fox, der bestimmt sehr überrascht sein würde, wenn er die Tür öffnete und Grimsby kam unbehelligt und ohne Aufsehen zu erregen zu dem Leihwagen. Er warf einen Blick zu der Cafeterrasse hinüber, konnte den jungen Mann jedoch nirgends entdecken. „Hoffentlich hat er ein Alibi", murmelte Grimsby. „Aber Herr Fox ..." „Ist abgereist", sagte das Mädchen. „Abgereist?" echote Lidia. Sie ging zum Empfang und erkundigte sich nach der Nachricht, die Mr. Fox dort für sie hinterlassen haben musste. Es gab keine Nachricht. Sie bekam aus dem Empfangschef auch nichts weiter heraus, als dass Mr. Fox leider überraschend abgereist sei. Wie man sich in englischen Gentlemen doch täuschen kann, dachte Lidia Brenner enttäuscht und verärgert, während sie das Hotel verließ. „Wäre diese blödsinnige Verabredung nicht gewesen, hätten wir ihn später holen können und brauchten ihn nicht stundenlang durch die Gegend zu fahren", murmelte Grimsby. „Es wird bald dunkel", gab Morton gleichmütig zurück. In der Zwischenzeit suchten sie ein kleines Lokal in einem Dorf bei Innsbruck auf und aßen dort einige Bissen. Mr. Fox aß und trank, was man ihm vorsetzte. Der Kellnerin fiel zwar auf, dass er sich nicht an der Unterhaltung der beiden anderen Männer beteiligte und seltsam abwesend war, doch dachte sie sich nichts dabei. Sie blieben in der Gastwirtschaft sitzen, bis die Dämmerung draußen in Finsternis überging. Dr. Morton nickte Grimsby zu. Der atmete erleichtert auf. Das Warten war ihm diesmal an die Nieren gegangen. Sonst kannte er solche Symptome von Nervosität überhaupt nicht. Lag's dran, dass man die Leiche des Mädchens schon gefunden hatte und nach dem Mörder suchte? Er hatte die Nachrichten im Autoradio gehört. Das Landesprogramm hatte einen ausführlichen Bericht über die Sache gebracht. Natürlich hatte auch Morton zugehört. Dass er Grimsby einen kurzen, nachdenklichen Blick zuwarf, war die einzige Reaktion gewesen. Sie erreichten den Alpenflugplatz wie vorgesehen und parkten auf einem der Plätze dicht an der Einzäunung. Grimsby stieg aus, vergewisserte sich, dass niemand in Sichtweite war und begann, ein Loch in den Draht zu schneiden. Er brauchte weniger als eine Minute dazu. Morton, der ihn beobachtet hatte, stieg jetzt ebenfalls aus und sagte zu Mr. Fox: „Kommen Sie. Machen Sie keinen überflüssigen Lärm." Mr. Fox nickte gehorsam. Das Vorfeld lag, nur durch einige hoch hängende Lampen erleuchtet, einsam in der Nacht. Sie gelangten ohne Schwierigkeiten zu der Cessna 340. Grimsby schloss die Tür auf, während Morton dicht bei Fox stehen blieb. „Steigen Sie ein!"
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Er hatte Fox genau beobachtet und war sicher, dass der sich die Maschine nicht näher angesehen hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er sich auch die Nummer und die Nationalität nicht gemerkt. Aber das werde ich später feststellen, dachte Dr. Morton, der selbst verstand lieh alle Eventualitäten einkalkuliert hatte und nicht gewillt war, auch nur das geringste vermeidbare Risiko einzugehen. Mr. Fox stieg ein. Grimsby schnallte ihn fest. Dann kletterte er wieder aus der Maschine und schloss die Tür. Zog den Schlüssel ab und sagte leise zu Dr. Morton: „Alles in Ordnung, Sir. Ich habe ihn nicht geschlagen. Sie wollten das vermieden haben, wenn es sich machen lässt." Dr. Morton nickte. „Er wird sich nicht rühren. Die Dosis, die wir ihm gegeben haben, hält bestimmt noch ein oder zwei Stunden vor." Glenn Morton und Grimsby kehrten zu der Umzäunung zurück und zwängten sich durch das Loch, das Grimsby hinein geschnitten hatte. Sie bestiegen den großen BMW. Grimsby ließ den Motor an, wendete und nahm Kurs auf die Flughafengebäude. Leicht schlurfend näherte sich ein Mann von etwa 40 Jahren der Stelle, an der der Zaun zerschnitten war. Walter Steinhauer gehörte zu den wenigen Wachleuten des Flugplatzes Innsbruck. Da die Tätigkeit schlecht bezahlt wurde, musste die Flughafengesellschaft nehmen, wen sie bekam. Ein Schmuckstück war Walter Steinhauer bestimmt nicht. Weder äußerlich, noch was seinen Charakter betraf. Steinhauer hatte schwarzes, fettglänzendes Haar und hätte in hellerem Licht ausgesehen, als sei ein gründliches Bad das absolut Notwendigste für ihn. Er hinkte ein wenig auf dem linken Fuß, aber mehr aus Gewohnheit als wegen eines körperlichen Defekts. Seine Kleidung war ebenso schmierig wie er selbst. In einer Personalakte stand, dass er trank. Er hatte auch jetzt eine Fahne, aber er war nicht betrunken. Die Sache war nur so, dass er ein gewisses Quantum Alkohol brauchte, um zu funktionieren. Er brauchte den Alkohol ebenso selbstverständlich wie ein Motor das Benzin. Dass Walter Steinhauer nie vor Gericht gestellt und verurteilt worden war, erstaunte ihn selbst am meisten. Er schrieb's seinem Glück zu und vertraute fast blind auf dieses Glück. Ob zuverlässig und tüchtig oder nicht immerhin war er Wachmann hier auf dem Alpenflugplatz, und als er das Loch im Zaun entdeckte, wurde er sehr wach. „Was mach ich denn jetzt?" murmelte er. Minutenlang blieb er geduckt am Zaun stehen und sah sich nach allen Seiten um. Grimsby besorgte alles, was zum Abflug nötig war. Er hatte es mit missmutigen Leuten zu tun, die hätte es in ihrer Macht gestanden den Nachtstart am liebsten verhindert hätten. Aber es war angekündigt und genehmigt, da ließ sich nichts machen. Dr. Morton gab inzwischen den BMW zurück. „Waren Sie zufrieden, mein Herr?" fragte das eifrige Männchen, während es die Abrechnung noch einmal kontrollierte. „Ja, danke", sagte Dr. Morton höflich. „Ich war sehr zufrieden. Ein ausgezeichneter Wagen." „Danke, mein Herr!" Das Männchen dienerte, und als Morton ihm ein saftiges Trinkgeld gab, bedankte es sich gleich mehrmals und dienerte mit beängstigenden Verrenkungen. Grimsby und Morton trafen sich hinter dem Abfertigungsgebäude. Seite 28
„Alles in Ordnung?"
„Denke schon. Wir können sofort starten. Die scheinen hier ganz besondere
Methoden zu haben. Wir bekommen keine besondere Starterlaubnis mehr."
„Umso besser", sagte Dr. Morton schmunzelnd.
Drüben durchbrachen die langen Reihen der Flugplatzbefeuerung die Dunkelheit.
Wenn man eine Weile hingesehen hatte, schien die nur von wenigen, sparsamen
Lampen durchbrochene Dunkelheit des Vorfeldes noch dichter.
Grimsby blieb plötzlich stehen. Im gleichen Augenblick spürte auch Dr. Morton die
Gefahr. Sie verständigten sich durch knappe Gesten, was nur möglich war, da sie
dicht nebeneinander standen.
„Ist da jemand?" fragte eine Stimme.
Sie atmeten auf. Ein Gegner, der sich so ankündigte, konnte nicht besonders
gefährlich sein. Langsam gingen sie weiter, auf die Cessna Twin zu.
„Ist das Ihre Maschine?" fragte die Stimme.
„Ja", sagte Grimsby.
„Kommen Sie mal her!"
Diesmal sollte es befehlend klingen. Grimsby grinste vor sich hin.
„Was gibt's denn?" fragte er, scheinbar unterwürfig.
„Das möchte ich selbst wissen", sagte Walter Steinhauer, der sich noch nie so
wichtig gefühlt hatte wie in diesen Momenten. Noch nie, seit er für die
Flugplatzgesellschaft arbeitete und auch früher nicht.
Grimsby ging langsam auf ihn zu, während Morton sich einige Schritte zurückhielt.
„Wer sitzt denn da in Ihrer Maschine?" fragte Steinhauer. „Und wer, verdammt, hat
das Loch drüben in den Zaun geschnitten?"
„In unserer Maschine?" fragte Grimsby mit großer Verständnislosigkeit. „Da sitzt
jemand drin?"
„Ja. Entweder ist er besoffen oder verrückt. Oder beides", sagte Steinhauer grob.
„Ich hab reingeleuchtet und an die Scheibe geklopft. Denken Sie, der Kerl rührt sich?
Grade, dass er mir zugenickt hat. Und wie kommt das Loch in'n Zaun, frag ich Sie!
Gleich da drüben. Ein Loch, so groß, dass man fast aufrecht durchgehen kann."
„Ach, zeigen Sie doch mal", bat Grimsby, nachdem er sich umgesehen und nichts
Verdächtiges gesehen hatte, schloss man den Burschen dicht neben ihm einmal aus.
„Geben Sie mir Ihre Lampe einen Moment, ja?"
Steinhauer tat's. Grimsby schickte sich umständlich an, in die Cessna zu leuchten. Er
hatte offenbar Schwierigkeiten, die Lampe einzuschalten.
„Kommen Sie!" sagte Steinhauer ungeduldig und beugte sich vor, um Grimsby zu
helfen.
Da sauste die schwere Stablampe blitzschnell gegen seinen Kopf. Sie traf ihn hinter
dem rechten Ohr und ließ ihn zusammensinken wie einen nassen Sack.
Grimsby wandte sich um. Morton tauchte aus der Dunkelheit auf. Ein bedauerndes
Achselzucken:
„War nicht zu vermeiden, Sir." „Nein."
„Was machen wir mit ihm?"
Dr. Morton hatte das Problem bereits überdacht und war zu dem Entschluss
gekommen: „Wir nehmen ihn mit."
Grimsby hatte nichts anderes erwartet. Sein Chef half ihm, den Bewusstlosen
aufzuheben, nachdem er die Tür geöffnet hatte. Sie verstauten ihn neben Mr. Fox,
der ihnen ohne alles Interesse dabei zusah und schnallten ihn fest.
Dann verfügten sie sich ins Cockpit und schnallten sich ebenfalls sorgfältig an,
während die beiden Continental Turbolader warmliefen. Gemeinsam checkten sie
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alles Notwendige durch. Der Start verlief ohne Schwierigkeiten. Die Nacht war zwar dunkel, aber klar. Nach einer Platzrunde meldeten sie sich bei Innsbruck Tower ab, bekamen eine unwirsche, kaum verständliche Antwort und gingen auf Kurs. Als sie die Alpen hinter sich und München vorab hatten, überließ Morton Grimsby das Steuer. Er schnallte sich los, stand auf und ging nach hinten, um nach den beiden Passagieren zu sehen. Aus dem kleinen schwarzen Koffer nahm er eine Spritze und zwei Ampullen. Mr. Fox hatte die Augen geschlossen. Morton konnte nicht entscheiden, ob er schlief. Das war auch nicht wichtig. Wichtiger war, dass der andere, dieser schmierige Mensch mit dem fettglänzenden, tiefschwarzen Haar, just zu sich kam. Dr. Morton hatte keine Lust, sich hier und jetzt in Diskussionen einzulassen. Bevor Steinhauer wusste, was ihm geschah und wo er sich befand, spürte er den Einstich an seinem rechten Arm. Gleich darauf versank wieder alles in tiefster Finsternis. Auch Mr. Fox verpasste Morton die gleiche Injektion. Er nahm auf dem einzigen in Gegenrichtung montierten Passagiersessel Platz und beobachtete Fox und den anderen abwechselnd. Zwischendurch gönnte er sich einen Schluck Chivas Regal aus seiner Taschenflasche. Später kehrte er zu Grimsby ins Cockpit zurück. Die Cessna schwebte so niedrig über die Kreidefelsen der Küste herein, dass sie von keinem Radar erfasst wurde. Drunten in der Nähe von Seaford wurde ein pensionierter Polizeibeamter wach, registrierte das vertraute Geräusch und murmelte: „Schmuggler." Das war seine ganze Reaktion. Er war pensioniert, bei miserablen Bezügen. Ehrgeiz hatte er nie besessen. Warum sollte er sich ausgerechnet jetzt noch unnötige Arbeit machen, wo er doch selbst früher, als er noch im Dienst war, mit schöner Regelmäßigkeit das Kissen über beide Ohren gezogen hatte, wenn eins der Schmuggelflugzeuge über den Ort rauschte. Es kam ja doch meist nichts dabei heraus, wenn man den ganzen Apparat in Gang setzte. Beliebter machte man sich bei seinen Kollegen auch nicht. Der Mann grinste, ehe er wieder einschlief. Sein Nachfolger schien es ebenso zu halten wie er während der 30 Jahre, die er hier als Dorfpolizist verbracht hatte. Die Cessna landete sanft und rollte bis dicht vor den Schuppen am Ende der Bahn. Grimsby grinste seinen Chef an, bildete aus Daumen und Zeigefinger einen Kreis und schnalzte anerkennend mit der Zunge. Im Augenblick, und nachdem alles so glatt gelaufen war, durfte er sich solche Vertraulichkeit erlauben, fand er: Sie luden die beiden unfreiwilligen Passagiere aus, brachten sie in den Schuppen, der über einen absolut sicheren und keinem Unbefugten bekannten, noch dazu schallsicheren Keller verfügte, ketteten sie dort sicherheitshalber auch noch an und starteten eine halbe Stunde nach der Landung bereits wieder, flogen auf die See hinaus und dann in Richtung London Heathro. „Was wird aus diesem Subjekt?" fragte Grimsby unterwegs. Morton zuckte die Achseln. „Was sollen wir mit ihm machen? Laufen lassen können wir ihn nicht. Also werden wir ihn für meine Experimente verwenden. So erfüllt er doch noch einen Zweck." „Richtig, Sir. Wenn Sie mich fragen, ist er ohnehin nichts wert. Glaube kaum, dass ihm jemand eine Träne nachweint. Man wird sein Verschwinden kaum an die große Glocke hängen." Seite 30
In diesem Punkt allerdings irrte Grimsby sich, und das sollte er bereits am
übernächsten Tag erfahren, als er sich in London eine österreichische Tageszeitung
kaufte.
Die offizielle Landung in Heathrow verlief ebenso langweilig wie die inoffizielle auf
dem kleinen Privatplatz in der Nähe der Küste. Grimsby fand, es war eine Wohltat,
wieder mit höflichen englischen Beamten zu tun zu haben.
„Sie kommen aus Innsbruck, Sir?" „Ja."
„Keine Zwischenlandung, Sir?"
„Nein."
„Etwas anzumelden, Sir?"
„Nein, nichts."
„Danke."
Sie gingen zu der Garage. in der der große graue Roover stand, zahlten die Taxe für
knapp zwei Tage Aufenthalt und fuhren nach London hinein, wo Grimsby Dr. Morton
am Grosvenor Square absetzte.
Er selbst fuhr gleich weiter nach Süden, denn er wollte Mr. Fox und den
Schwarzhaarigen noch vor Morgengrauen an ihr Ziel bringen.
Das Ziel war Dr. Glenn Mortons Privatklinik in Brighton. Sie lag nicht weit von Lannix
Manor entfernt und verfügte ebenso wie der Landsitz über ein raffiniert angelegtes
System von verborgenen Kellerräumen.
Dort war bereits alles für Mr. Fox' Ankunft vorbereitet.
„Und für den anderen finden wir dort auch ein Plätzchen", murmelte Grimsby.
In seinem Gepäck hatte er ein ähnliches Kästchen, wie Dr. Morton es besaß. Als
Grimsby jetzt an dieses Kästchen bzw. an dessen Inhalt dachte, musste er lächeln.
Man sollte es nicht für möglich halten, wie sehr ein falscher Bart, ein bisschen Watte
in der Nase, ein Polster unter den Wangen, ein Leberfleck und ähnliche Kleinigkeiten
einen Menschen verändern konnten.
Sollten die beiden Engländer in Innsbruck oder Umgebung Verdacht erregt haben,
sollte die österreichische Polizei sich je für sie interessieren, dann würde sie ein
halbes Dutzend verschiedener Beschreibungen erhalten und ziemlich durcheinander
geraten.
Mr. Fox und Walter Steinhauer sprachen aufgeregt durcheinander, der eine englisch,
der andere die Tiroler Abart des Deutschen.
Sie schnatterten wie Gänse, dachte Grimsby belustigt. Aber im nächsten Augenblick
ärgerte er sich darüber. Er war müde, wollte die Arbeit so rasch wie möglich hinter
sich bringen, wollte ins Bett, um sich auszuschlafen. Außerdem gab's in den
nächsten Tagen so viel Arbeit für ihn, dass er sich wirklich keine zusätzliche
Störungen leisten konnte.
„Ruhe, zum Teufel! Ich will kein Wort mehr hören!" fauchte er.
Auch Steinhauer, der kein Wort verstand, verstummte. Er merkte, dass mit diesem
Kerl nicht zu spaßen war.
Mr. Fox, bei dem die Wirkung der von Dr. Morton injizierten Droge aufgehört hatte,
schluckte zwei, dreimal, nahm seinen Mut zusammen und fragte bockig:
„Wo bin ich? Weshalb hat man mich hergebracht? Und wer sind Sie? Ich verlange,
dass Sie mich sofort freilassen! Ich werde ..."
„Was?" fragte Grimsby schlechtgelaunt. „Was werden Sie, Sie mieses Stück? Ich
kann's Ihnen sagen. Sie werden parieren, und zwar aufs Wort. Sonst geht's Ihnen
verdammt schlecht."
Er befreite Steinhauer von der Kette, legte ihm stattdessen Handschellen an und zog
einen Knebel aus der Tasche, der schon vorbereitet war.
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Steinhauer reagierte instinktiv, als Grimsby sich zur Seite wandte. Er holte mit den ineinander verschränkten Händen aus, warf sich herum und hätte Grimsby wohl tatsächlich voll am Kopf getroffen, hätte dessen Instinkt nicht ebenfalls funktioniert. Grimsby ahnte den Angriff und ließ sich fallen. Die Kante der Handschelle streifte ihn und zog ihm einen Scheitel. Er spürte das Brennen nicht, die kleine, oberflächliche Wunde war auch ohne alle Bedeutung. Im nächsten Augenblick stieß sein Kopf hart nach vorn, traf Steinhauer in Magenhöhe und warf ihn der Länge nach auf den Betonboden. Sein Kopf schlug hart auf. Der Körper streckte sich. Grimsby kniete neben ihm und betrachtete ihn. Bei einem solchen Sturz konnte man sich den Schädel zerschmettern. Mit geschickten Fingern tastete Grimsby Steinhauers Kopf ab, zog die Augenlider hoch, kontrollierte Puls und Atmung. Dann erhob er sich und klopfte sich den Staub von den Knien. Der Bursche hat höchstens eine Gehirnerschütterung, dachte er. So ein Idiot! Was hat er sich wohl davon versprochen, mich anzugreifen? Er grinste dünn. Insgeheim belustigte der Zwischenfall ihn. Eine Art Erfolgserlebnis war auch dabei. Immerhin hatte er sich wieder mal beweisen können, dass er in solchen Grenzsituationen noch zufrieden stellend funktionierte. Zufrieden stellend mindestens. Ob er wirklich gut war, das konnte man natürlich an einem Gegner wie Steinhauer nicht erproben. Vielleicht an Spratt. Oder Gregory. Ja, Gregory wäre gut für einen Versuch, dachte Grimsby. Gregory war jung und stark und durchtrainiert. Er kannte alle schmutzigen Tricks. Grimsby nahm sich vor, die Konfrontation mit Gregory irgendwann herbeizuführen. Dr. Morton hatte sicher nichts dagegen. „Wollen Sie mir auch Schwierigkeiten machen, Fox?" erkundigte er sich fast höflich. Fox schüttelte stumm den Kopf. Er spürte, dass er zitterte. Nachdem Grimsby ihn losgekettet hatte, hielt er seine Handgelenke freiwillig hin. „Das ist brav", lobte Grimsby. „Sie wissen, was gut für Sie ist." „Wo bin ich?" wagte Fox zu fragen. Grimsby schüttelte den Kopf. „Sie werden's nie erfahren, Fox. Niemals." Er grinste fröhlich. „Aber auch so gibt's eine Menge Überraschungen für Sie, das können Sie glauben." Eine halbe Stunde später rollte der graue Rover durch das noch dunkle Brighton. Er rollte fast lautlos durch die engen Straßen zu der Rückseite von Dr. Mortons Privatklinik. Bevor Grimsby ausstieg, um das Tor zu öffnen, wandte er sich lächelnd zu seinen im Fond sitzenden Begleitern um. „Keine Dummheiten", sagte er aufgeräumt. Er sprach deutsch, damit auch der Tiroler ihn verstand. „Dummheiten bringen nichts. Besser gesagt: Sie bringen keinen Vorteil. Nur Schläge und Schmerzen." Steinhauer, immer noch benommen, mit dem Geschmack von Blut im Mund und stechenden Kopfschmerzen, glotzte ihn an. Mr. Fox nickte ängstlich. Er wusste nicht, was ihm bevorstand. Er wusste nicht, wo er war, denn Grimsby hatte die Vorhänge zugezogen und Fox so tief in die Polster gedrückt, dass er auch nicht durch die Frontscheibe blicken konnte. Mr. Fox, der in seinem Herzen ein Feigling war, hatte beschlossen, sich zu fügen, weil er glaubte, auf diese Weise am glimpflichsten davonzukommen. Grimsby hatte das Tor geöffnet und schwang sich wieder hinter das Lenkrad des großen grauen Wagens. Langsam ließ er ihn in den Hof rollen, stieg abermals aus und verschloss das Tor sorgfältig. Er atmete auf. Die Gefahr einer Entdeckung war zwar nicht groß gewesen, aber man konnte nie wissen ... Eine Verkehrskontrolle zur
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falschen Zeit, ein unverschuldeter Unfall und schon steckte man mitten drin im Schlamassel. Aber jetzt konnte nichts mehr schief gehen. Der Hof war nicht einzusehen. Die Mauern der Klinik waren auf dieser Seite fensterlos. Es gab nur eine Tür, die ins Innere des Gebäudes führte. Und direkt hinter dieser Tür lag der gut kaschierte, allen neugierigen Blicken verborgene Zugang zu den Kellerräumen. Grimsby öffnete, holte seine Schutzbefohlenen aus dem Rover und brachte sie hinunter. Für Mr. Fox war ein Zimmer vorbereitet. „Wie heißen Sie?" fragte er den schwarzhaarigen Burschen, der noch vor wenigen Stunden Dienst auf dem Innsbrucker Flugplatz getan und nie gedacht hatte, dass sein Leben eine solch aufregende Wendung nehmen würde. „Steinhauer. Walter Steinhauer. Und wenn Sie ... Grimsby unterbrach ihn: „Da hinein, Steinhauer_ Hier haben Sie Decken und Wäsche. Sie können Ihr Bett selbst machen. Sie finden hier alles, was Sie brauchen. Wenn Sie sich anständig benehmen, ist das Ihr Vorteil. Wenn nicht, werde ich Sie mir vorknöpfen. Mit Vergnügen." Bevor Steinhauer noch etwas erwidern konnte, schloss sich die Tür zwischen Grimsby und ihm. Er hörte, wie sie verschlossen wurde, erkannte, dass für eine spontane Reaktion jede Grundlage fehlte und schlurfte zu dem. Sessel, der hinten in der Ecke stand. Himmel, vielleicht war das alles ein Traum? Ein Albtraum? So was konnte doch gar nicht passieren! Nicht ihm! Was hatte er getrunken? Nicht viel für seine Verhältnisse. Jetzt hätte er einen Schluck gebraucht. Aber hier gab's wohl keinen Alkohol. Oder? Steinhauer erhob sich ächzend, hielt seinen schmerzenden Kopf sekundenlang mit beiden Händen fest und machte sich dann auf die Suche nach dem ersehnten Schluck. Dr. Glenn Morton hatte am Tag nach seiner Rückkehr viel Arbeit vorgefunden und war bis zum Abend in der Praxis in Harley Street geblieben, hatte sogar den Lunch dort eingenommen, sich dabei von Schwester Barrington die Neuigkeiten erzählen lassen und ihr einen kurzen, der Wahrheit nicht ganz entsprechenden Bericht über den Trip nach Tirol gegeben. Natürlich hatte Grimsby ihn schon zeitig darüber informiert, dass mit den Leiden Gefangenen alles wunschgemäß und ohne Komplikationen verlaufen war, sah man von Steinhauers Aufmucken im Keller unter dem Schuppen ab. "Wir operieren morgen Mittag", sagte Dr. Morton, als er sich abends mit Grimsby in seinem Haus am Grosvenor Square traf. „Ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie alles vorbereiten." „Schon geschehen, Sir", sagte Grimsby lächelnd. „Ich wusste ja nicht, wann Sie Zeit finden. Sicherheitshalber habe ich den OP heute schon in Ordnung gebracht. Zwei Kapseln liegen bereit, für den Fall, dass Sie sie brauchen." „Zwei?" fragte Dr. Morton nachdenklich. „Ich dachte, dass eine vielleicht während der Vorbereitung oder während der Operation beschädigt wird. Man kann nie wissen."
Leseprobe aus GRUSEL + HORROR CABINET Nr. 14 DAS PHÄNOMEN DES TODES von Doris Grünning
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Wie eine Fontäne sprang der Blutstrahl mit jedem Stoß des Herzens in die Freiheit. Er hielt noch immer die Klinge in der rechten Hand. Die linke konnte er nicht mehr bewegen. Offensichtlich hatte er irgendwelche Sehnen verletzt. So brachte er es nicht fertig, sich auch an der rechten Hand die Ader aufzuschneiden. Eine schreckliche Übelkeit würgte ihn, und er senkte den Arm wieder in das blutigrote Wasser. Die Kacheln hinter dem Becken waren durch den hervor schießenden Strahl Blut bespritzt, und die einzelnen Tropfen rannen nun in dünnen, immer länger werdenden Fäden zum Fußboden hin. Versäumen Sie nicht diesen spannenden Doppelband, den Ihr Zeitschriften oder Bahnhofsbuchhändler für Sie bereithält. Sollte dieser Band dort bereits vergriffen sein, so schreiben Sie bitte an: ANNE ERBER VERLAG 7595 SASBACHWALDEN, POSTFACH 5 „Zwei”, wiederholte Dr. Morton. „Grimsby, es ist vielleicht sicherer, wir setzen Fox alle beide ein. Wenn eine ausfallen sollte ..." „... haben wir immer noch die zweite." Grimsby nickte. „Was macht Fox?" „Er ist sehr nervös, möchte am liebsten die Wände hochgehen. Aber ich brauche nur sein Zimmer zu betreten und ihn anzufahren, schon kuscht er. Schwierigkeiten gibt's mit Fox nicht, Sir." Morton nickte zufrieden. Dann fiel ihm der andere ein: „Wie steht's mit dem Burschen vom Flughafen?" „Steinhauer? Tja, ich weiß nicht. Er hat heute Mittag schon wieder versucht, mich anzufallen. Ich hab ihm eins über den Schädel gegeben, und er hat sich augenblicklich beruhigt. Aber wenn Sie ihn behalten und für irgendwelche Experimente verwenden wollen, müssen Sie ihn umpolen." Grimsby gestattete sich ein Lächeln. „Ich meine, Sie müssen ihn unter Drogen setzen, Sir." „Eine Versuchsperson, die unter Drogenwirkung steht, nutzt mir nichts, Grimsby." „Ja, dann . CC „Ich denke auch, wir entledigen uns seiner. Je eher, desto besser." „Warten Sie noch damit", entschied Dr. Morton. „Möglicherweise fällt mir doch noch ein Verwendungszweck für Mr. Steinhauer ein." Am nächsten Tag fuhr Dr. Morton selbst mit dem schnellen Jensen FF nach Brighton hinunter. Der Chryslermotor mit. seinen 6,3 Litern vermochte das Coupe in zehn Sekunden auf hundert Stundenmeilen zu beschleunigen, und dort, wo die Straße frei war, genoss Morton die rasante Beschleunigung, schoss kurzzeitig mit annähernd 130 Stundenmeilen über die Betonpiste. Das hob sein Wohlbefinden. Aber auch der Gedanke an den Eingriff, den er in Kürze an Mr. Fox vornehmen würde, animierte ihn. Er parkte den Jensen auf dem für ihn reservierten Platz neben dem Haupteingang seiner Privatklinik. Schwester Barrington hatte ihn kommen sehen und erwartete ihn bereits an der Tür. Es gab einige anstehende Operationen zu besprechen, die Herren Forsyth und Williams hatten Anliegen an ihren Chef, und außerdem wünschten ihn zwei oder drei Patienten zu sehen. Selbstverständlich erledigte Dr. Morton alles Notwendige, bevor er sich entschuldigte, sich offiziell in sein Privatzimmer zurückzog, in dem ihn niemand, nicht
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einmal Cynthia Barrington, stören durfte, in Wirklichkeit jedoch in die geheimen Kellerräume hinunter stieg, in denen Grimsby ihn bereits erwartete. „Wo ist unser Patient, Grimsby?" „Vorbereitet im OP." „Sie haben ihm etwas zur Beruhigung gegeben?" „Genau nach Ihren Anweisungen, Sir." Morton nickte zufrieden. Im Nebenraum des Operationssaales bereitete er sich vor. Grimsby folgte seinem Beispiel. Minutenlang schrubbten beide sich die Hände, bevor sie die Gummihandschuhe überzogen. Alles wirkte hier unten sauber und antiseptisch, nicht nur der Operationssaal und seine Nebenräume. Morton dachte nicht oft darüber nach, wie Grimsby es ganz allein schaffte, hier solche Ordnung zu halten. Wenn er aber daran dachte, konnte er sich nur darüber wundern. Wirklich, ohne Grimsby hätte überhaupt nichts funktioniert. Ohne Grimsby war Dr. Morton aufgeschmissen. Bedachte man das, so fiel es leicht, Grimsbys kleine Fehler zu tolerieren Als Dr. Morton und Grimsby den Operationssaal betraten, wandte Mr. Fox den Kopf so weit das ging. Er war bäuchlings auf den Operationstisch geschnallt und völlig nackt. Grimsby hatte ihm ein Beruhigungsmittel injiziert, aber offenbar war die Dosis nicht stark genug gewesen. Aus Mr. Fox' Gesicht blickte die nackte Angst. Sie konzentrierte sich auf Dr. Morton, den er in dieser Minute zum ersten Mal sah. Oder? Mr. Fox ließ sich verwirren. Der zweite der Männer, die plötzlich in seinem Hotelzimmer in Fulpmes aufgetaucht waren, hatte ganz anders ausgesehen. Und trotzdem eine gewisse entfernte Ähnlichkeit gab es da. Möglicherweise ein Täuschung. Vielleicht war's ein Verwandter gewesen. Spielte das jetzt überhaupt eine Rolle? Was wollten Grimsby und dieser andere von ihm? Warum hatte Grimsby ihn gezwungen, sich nackt auszuziehen? Warum hatte er ihn hier auf diesen Tisch geschnallt? Er hatte sich vor der Spritze gefürchtet, aber sie hatte ihn etwas ruhiger gemacht. Etwas. Längst nicht genug. War der Raum das, wofür er ihn hielt? Er hoffte stark, dass er sich täuschte. Er redete sich immer wieder ein, dass es doch völlig unsinnig sei, ihn in einen Operationssaal zubringen. Ihm fehlte doch nichts. Er war völlig gesund, sah man von dem Knacks ab, den die Entführung und alles, was damit zusammenhing, ihm mit Sicherheit verschafft hatte. Es gab jedenfalls keinen Grund für eine Operation. Nicht den geringsten. Was wollten Grimsby und der andere jetzt von ihm? Weshalb kamen sie herein? Und weshalb . Die Fragen drehten sich im Kreis, kamen immer wieder, ließen sich nicht ordnen. „Was ist los?" krächzte Mr. Fox ängstlich. „Wer sind Sie? Was wollen Sie?" „Meinen Namen weiß er", flüsterte Grimsby. „Mrs. Ciandon hat nach mir gerufen. Er ist nicht auf den Kopf gefallen, hat zwei und zwei zusammengezählt. Aber Sie haben ja gesagt, es spielt keine Rolle, Sir." „Richtig, Grimsby", gab Dr. Morton zurück. Zu Mr. Fox gewandt sagte er: „Ich bin Dr. Glenn Morton. Sie genießen meine Gastfreundschaft, weil ich es für notwendig halte, Mr. Fox." „Dr. Morton?" krächzte der. „Der Chirurg?" „Ja." „Sie haben mich aus Fulpmes entführt?" „So ist es." „Und wo bin ich? Weshalb?" Natürlich spielte es keine Rolle. Mr. Fax hätte ruhig erfahren dürfen, wo er sich befand. Morton überging diese
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Frage jedoch und wandte sich gleich der nächsten zu. Die war wichtiger. „Sie sind hier, weil ich beschlossen habe, Sie zu bestrafen, Mr. Fox." Mortons Stimme war ruhig und freundlich. „Mich bestrafen? lächerlich! Das dürfen Sie nicht. Dazu haben Sie kein Recht!" „Sie fragen gar nicht, warum ich Sie bestrafen werde, Mr. Fox?" erkundigte Morton sich interessiert. „Warum?" krächzte Fox, dem es schwer fiel, an die Realität dieser irren Szene zu glauben. Aber zweifellos war er nackt auf einen Tisch geschnallt, den beiden Männern in den Operationskitteln hilflos ausgeliefert. Dr. Morton zog einen der Hocker herbei und ließ sich darauf nieder. Er betrachtete Mr. Fox stumm, aber intensiv, bis der unwillig schnaubte und sich umzudrehen versuchte was die Fesselung jedoch verhinderte. „Sir Cunninghams Tod", sagte Morton leise und langsam. Fox fuhr hoch, als hätte ihn etwas gestochen. Die Lederfesseln schnitten in sein Fleisch. Stöhnend ließ er sich zurücksinken. „Ich habe nichts mit Cunninghams Tod zu tun", behauptete er. „Er war ein Idiot! Sich aufzuhängen, nur weil ich einigen Leuten die Augen geöffnet habe. Pah!" „Ich will gar nicht mit Ihnen darüber diskutieren", sagte Dr. Morton sanft. „Das wäre Zeitverschwendung. Aber Sir Cunninghams Tod war auch nur das letzte Glied in einer ganzen Kette von Verbrechen, die Sie begangen haben, Mr. Fox." „Verbrechen? Ich habe nie ein Verbrechen begangen! Ich habe eine weiße Weste, Dr. Morton! Weißer als die meisten anderen! Ich bin unangreifbar! Ich ..." Dr. Morton nickte bedächtig. Es war sein Lächeln, das Mr. Fox zum Schweigen brachte. „Sie sind unangreifbar, Mr. Fox. In der Tat. Unsere Justiz kann Sie nicht belangen. Sie sind ebenso gerissen wie skrupellos vorgegangen. Immer. In allen Fällen. Sie haben sich glänzend abgesichert, bevor Sie Ihre Opfer zur Strecke brachten. Unsere Gesetze sind machtlos gegen Menschen wie Sie." Sie sahen sich stumm an. Dutzende von Fragen jagten sich in Mr. Fox' Hirn. Er brachte nicht eine einzige heraus. Wusste nicht, wie und womit anfangen. Denn er spürte, dass er es in Dr. Morton mit einem Menschen zu tun hatte, wie er ihm bis dahin noch nie begegnet war. Mit einem gefährlichen Mann, der auf keinen seiner Tricks und Schliche hereinfallen würde umso weniger als er Fox jetzt und hier von all den so notwendigen Hilfsmitteln abgeschnitten war, die ihm sonst zur Verfügung standen. Nachdem Dr. Morton seiner Ansicht nach lange genug gewartet hatte, fuhr er fort: „Sie werden es schon erraten haben, Mr. Fox. Ich halte mich nicht an die geschriebenen Gesetze mit ihren zahllosen Hintertüren. Ich halte mich lieber an einen eher praktisch formulierten Begriff von Recht und Unrecht. Und ich bestrafe Menschen, die Strafe verdient haben, von der Justiz jedoch nicht oder nicht im richtigen Maß zur Rechenschaft gezogen werden. Menschen wie Sie, Mr. Fox." Seine Stimme klang immer noch ruhig und freundlich, und das war's, was Mr. Fox fast blind vor Wut machte und ihm nahezu die Besinnung raubte. „Sie sind verrückt!" krächzte er. „Völlig verrückt? Ein gefährlicher Irrer! Binden Sie mich los, Sie Scheusal, oder ...?" „Oder?" fragte Dr. Morton verbindlich. Mr. Fox sank in sich zusammen. Er schien tatsächlich kleiner zu werden. Grimsby beobachtete dieses Phänomen mit Interesse. „Man wird mich vermissen", murmelte Fox nach einer Weile. „Man wird mich suchen. Und finden. Und dann sind Sie dran, Morton." Seite 36
„Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über mein Risiko", entgegnete Glenn Morton
freundlich.
Wieder entstand eine lange Pause. Dann sagte Mr. Fox leise:
„Sie wollen mich also töten."
„Wer sagt das?" fragte Dr. Morton. In seiner Stimme schwang so etwas wie
Belustigung mit, die Mr. Fox erneut völlig aus der Fassung brachte.
„Sie müssen mich doch töten", stammelte er. „Sie können mich nicht laufen lassen,
denn ..."
„Nein?"
„Doch?" Er starrte in Dr. Mortons Gesicht, aber das zeigte nichts außer einem
ruhigen, heiteren Lächeln. Es war zum Wahnsinnigwerden?
Wieder eine Pause. Und dann erneut Mr. Fox« Stimme:
„Wollen Sie mich auf immer und ewig hier gefangen halten, Dr. Morton?"
„Auf immer und ewig? So lange sicher nicht."
„Eines Tages werden Sie mich also umbringen." Fox' Stimme war nicht mehr als ein
Flüstern, kaum vernehmbar.
„Eines Tages werden Sie sterben, Mr. Fox." Dr. Morton nickte. „Wie wir alle."
„Und jetzt?" fragte Fox. „Was geschieht jetzt mit mir?"
„Ich werde einen kleinen Eingriff vornehmen, Mr. Fox. Sie brauchen sich nicht zu
ängstigen."
„Nein!" schrie Fox. „Sie werden nicht an mir herum schneiden? Ich ... Ich lasse es
nicht zu, hören Sie?"
Grimsby lachte belustigt.
„Sie lassen es nicht zu, Fox? Wie wollen Sie's verhindern? Darf ich Ihnen einen Rat
geben? Seien Sie hübsch artig und machen Sie uns keinen Ärger. Zur Belohnung
verpasse ich Ihnen eine Betäubung, so dass Sie nichts spüren.
Wir können allerdings auch darauf verzichten."
Der letzte Satz klang nicht nur wegen seines Inhalts äußerst bedrohlich. Aus Fox'
Gesicht wich alle Farbe. Er biss sich auf die Lippen. Sein Blick wanderte angstvoll
zwischen Grimsby und Dr. Morton hin und her. Er spürte den Krampf in seinem
Genick. Während der ganzen Zeit hatte er den Kopf mühsam gehoben, und jetzt
spielten seine Muskeln nicht mehr mit.
Mit einem Ächzen ließ Fox den Kopf auf den Operationstisch sinken.
„Grimsby hat Recht", sagte Dr. Morton ruhig. „Sie haben die Wahl, Mr. Fox:
Betäubung oder nicht?"
„Weshalb wollen Sie mich denn operieren?" Aus seiner Stimme war alle Aggressivität
geschwunden, sie klang nur noch weinerlich.
„Darüber spreche ich nicht mit Ihnen", erklärte Dr. Morton verbindlich.
„Ist es ist es ein schwerer Ein /.
griff?"
„Bestimmt nicht. Sie werden sich rasch davon erholen. In wenigen Tagen spüren Sie
nichts mehr. Es werden auch kaum Narben zurückbleiben."
Unwillkürlich war Dr. Morton in den Trost spendenden Ton gefallen, in dem er auch
sonst mit seinen Patienten sprach, bevor sie auf die ,Schlachtbank' kamen. Auf Mr.
Fox machte das, verständlicherweise, keinen großen Eindruck.
Grimsby sah seinen Herrn und Meister forschend an.
„Wünschen Sie sich noch länger mit Mr. Fox zu unterhalten, Sir, oder kann ich
beginnen?"
„Beginnen Sie, Grimsby."
„Eigentlich würde eine Lokalanästhesie genügen, Sir."
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„Eigentlich ja, Grimsby. Aber wir haben mehr Ruhe, wenn Sie Mr. Fox eine Vollnarkose geben." „Das dachte ich mir schon, Sir." Grimsby arbeitete geschickt wie ein erfahrener Anästhesist zu dem er sich als Dr. Mortons heimlicher Assistent ja auch tatsächlich im Lauf der letzten Jahre entwickelt hatte. Nach wenigen Minuten atmete Foxruhig. Er war organisch gesund. Mit irgendwelchen Komplikationen brauchte man deshalb nicht zu rechnen. Dr. Morton nahm eine der beiden weißlichen Kapseln in die Hand und betrachtete sie. Man sah ihr nicht an, was sie enthielt. „Ein kleines Kunstwerk, Grimsby." „Ja, Sir", sagte der in stolzer Bescheidenheit. Er hatte die Kapseln nach Dr. Mortons Anregungen konstruiert und gebaut und fand selbst, dass sie ihm sehr gut gelungen waren. „Sie haben die Versuchsmuster alle ausprobiert?" „Ja, Sir, und sie haben ohne Ausnahme einwandfrei funktioniert." „Dann werden auch diese ihren Zweck erfüllen. Eigentlich ist es eine Verschwendung, Mr. Fox beide einzusetzen. Finden Sie nicht? Vielleicht hätten wir für die zweite eines Tages einen viel besseren Verwendungszweck." „Ich kann jederzeit weitere Kapseln bauen", sagte Grimsby. Dr. Morton nickte. Die Kapseln waren ungefähr so lang wie ein Fingerglied, aber wesentlich dünner. Sie hatten, wenn man so will, etwa die Größe eines Kinderfingers. Die weißliche Hülle barg eine Reihe miniaturisierter Bestandteile. Eine winzige Quecksilberbatterie zum Beispiel. Eine kleine Antenne. Mit einem Ton modulierten Hochfrequenzsignal konnte man den Stromkreis schließen. Da dieses Signal, wie gesagt, Ton moduliert war, war das Risiko einer zufälligen, unbeabsichtigten Auslösung gleich Null. Der geschlossene Stromkreis betätigte einen mikroskopisch kleinen Zünder, den Grimsby nach dem simplen Prinzip gebaut hatte, wie es beispielsweise in Blitzlichtlampen Verwendung findet. Der Zünder schmolz die Kapsel an einer Stelle durch, und dann. „Wenn Sie noch nicht schneiden, Sir, muss ich ihm ..." Dr. Morton legte die Kapsel zurück zu ihrer Schwester in die flache, weiß emaillierte Schale. Er griff nach dem Skalpell und setzte einen raschen, geschickten Schnitt dicht unter Mr. Fox' linkem Schulterblatt. Es hätte genügt, die Kapsel ziemlich dicht unter die Haut zu pflanzen, aber Dr. Morton wollte kein Risiko eingehen. Also vertiefte und erweiterte er den Schnitt und zog das Gewebe auseinander. Er musste das Skalpell noch zweimal ansetzen, bevor er zufrieden war. Mit einer Pinzette nahm er eine der Kapseln aus der Schale und pflanzte sie Mr. Fox ein. Minuten später war die Wunde sauber vernäht und versorgt. Fox hatte kaum geblutet. Die zweite Kapsel brachte Dr. Morton knapp über der Hüfte, ziemlich dicht an der Wirbelsäule unter. Auch diesmal dauerte der Eingriff nicht länger als vier oder fünf Minuten. Grimsby sah fasziniert zu. Das konnte er sich leisten, ohne seine Pflichten zu vernachlässigen. Mr. Fox' Blutdruck blieb fast konstant. Die Pulsfrequenz hätte nicht besser sein können. „Okay", sagte Dr. Morton. „Den Rest besorgen Sie, nicht wahr?" „Selbstverständlich, Sir." „Er braucht nicht zu erfahren, was wir ihm da eingepflanzt haben, obwohl er das genauso vergessen würde wie alles andere. Wenn es Ihnen jedoch Spaß macht, mit ihm darüber zu diskutieren ..." Seite 38
Dr. Morton lächelte. Er kannte Grimsbys gelegentlichen Hang zum Sadismus, und wenn der sich Subjekten wie Fox gegenüber äußerte, hatte er nichts dagegen einzuwenden. Am Abend des nächsten Tages erstand Grimsby, der nach London zurückgekehrt war, einige Innsbrucker Tageszeitungen. Es hatte schon Vorteile, in einer Weltstadt zu leben. Hier gab's so gut wie nichts, was man nicht hätte kaufen können. Die Meldungen, die Grimsby suchte, fand er rasch allerdings nicht ganz in der Form, in der er sie erwartet hatte. Er las die Berichte mehrmals und grinste dünn. „Besser hätte es wirklich nicht kommen können", murmelte er. „Dr. Morton wird sehr zufrieden sein." Er setzte sich mit seinem Chef in Verbindung und berichtete knapp über das, was er den Innsbrucker Zeitungen entnommen hatte. „Ausgezeichnet, Grimsby", sagte Dr. Morton erwartungsgemäß. „Wir brauchen also nicht zu fürchten, dass auch nur der Schatten eines Verdachts auf uns fällt." „Nein, Sir. Und wir können in acht oder zehn Tagen ohne Bedenken nach Innsbruck zurückkehren." Die Zeitungsmeldungen besagten, kurz gefasst, etwa folgendes: Ein Mädchen war erstochen und nackt oberhalb der Hungerburg aufgefunden worden. Eine Touristin aus der Nähe von Mainz. Zunächst hatte man den Bräutigam verdächtigt, und es sah nicht gut für ihn aus, denn er hatte die Wanderung zusammen mit seiner Braut begonnen, sie aber dann verlassen, wofür ihm jedoch Zeugen fehlten. Angeblich hatte er die nächsten Stunden im Bereich der Hungerburgbahn und in den dortigen Gaststätten verbrachte. Leider erinnerte sich niemand an ihn. Ein Zufall war der untersuchenden Polizeibehörde zu Hilfe gekommen. Ein Subjekt namens Walter Steinhauer, zuletzt Wachmann auf dem Alpenflugplatz Innsbruck, war verschwunden. Hatte sich während seines Dienstes durch ein Loch im Zaun davongemacht. Diese zunächst unverständliche Flucht fand ihre Erklärung, als mehrere Bedienstete der Bergbahn, die Steinhauer kannten, bezeugten, dass der am Mord lag zur Hungerburg hinaufgefahren war. Die Polizei suchte jetzt nach dem Mörder Walter Steinhauer, der schon früher als Exhibitionist und Schläger in Erscheinung getreten, allerdings nie vor Gericht gestellt und verurteilt worden war. Eigentlich hatte Grirnsby vorgehabt, die Nacht in London zu verbringen, zumal sowohl in Lannix Manor als auch in der Klinik alle unfreiwilligen Gäste bestens versorgt waren. Selbst nach Mr. Fox brauchte er vor dem nächsten Morgen nicht zu schauen. Dass er seine Pläne änderte und doch noch am späten Abend nach Brighton zurückfuhr, hatte einen einzigen Grund. Walter Steinhauer. Grimsby hatte beschlossen, sich einen Spaß zu machen. Er war sehr gespannt, wie der schmierige Tiroler, dem auch kein Bad etwas von seiner Schmierigkeit zu nehmen vermochte, reagieren würde. In der Privatklinik, im Trakt der Angestellten, war auch für Grimsby ein Zimmer reserviert. Es fiel also absolut nicht auf, wenn er mitten in der Nacht hier ankam. Grimsby warf einen Blick in den Aufenthaltsraum der Schwestern. Eine Rotblonde hatte Nachtdienst. Sie schien sich zu langweilen und war über die Störung bestimmt nicht böse. „Kommen Sie doch herein, Mr. Grimsby. Darf ich Ihnen einen Tee eingießen?" „Dürfen Sie", sagte er, lächelte flüchtig und folgte der Einladung, sich zu setzen.
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Ich könnte es wieder einmal versuchen, dachte er. Bei einer wilden Hummel wie der
hier klappt es vielleicht doch. Die ist so scharf, dass sie nicht still auf ihrem Hintern
sitzen kann. Und wenn ich sie mir nackt vorstelle, und mich über ihr ...
Ein angenehmer Schauer durchlief seinen Körper.
„Tee ohne irgendwas ist ziemlich langweilig, nicht wahr, Schwester?" Sie kicherte.
„Da sind Zucker und Sahne, Mr. Grimsby."
„Sie wissen genau, was ich meine." „Aber das gibt's hier nicht. Alkohol
während der Dienstzeit wo kämen wir denn da hin?"
Ungerührt zog er eine flache Taschenflasche aus dem Sakko und schraubte sie auf.
„Müssen Sie mal probieren, Schwester. Hab ich aus Österreich mitgebracht, als ich
mit dem Chef dort war. Taugt zwar nicht, um es pur zu trinken, aber im Tee
schmeckt's köstlich. Hat 80 Prozent Alkohol."
„80 Prozent!" wiederholte sie beeindruckt. „Nein, für mich wirklich nicht, Mr. Grimsby.
Tut mir leid. Wo Sie mit Dr. Morton aber auch überall hinkommen!"
Er grinste und trank einen Schluck von seinem heißen Tee mit Rum. Schlürfte ein
wenig. Das Zeug rann ihm die Kehle hinunter und machte ihm wohlig warm.
„Selbst schuld, wenn Sie sich das entgehen lassen. Wird's einem ganz anders von."
„Wie meinen Sie denn das, Mr. Grimsby?"
Sie wechselten einen langen Blick. Die Schwester konnte nicht daran zweifeln, wie
er's meinte falls sie das jemals getan hatte. Ihre Wangen färbten sich rot, aber nicht
aus Ärger oder Scham, sondern weil sie sich in ihrer lebhaften Phantasie
Einzelheiten vorstellte. Sie und dieser Mr. Grimsby, der beim Chef einen mächtigen
Stein im Brett hatte und sich Dinge erlauben konnte, die die Ärzte zum Beispiel nie
wagen würden.
„Sie wissen doch, ich habe Nachtdienst, Mr, Grimsby", sagte sie bedauernd. „Ich
muss gleich nach meinen Patienten sehen."
„Und dann langweilen Sie sich wieder ein, zwei Stunden."
„Das stimmt", seufzte die Schwester. „Aber zwischendurch kreuzt wahrscheinlich die
Oberschwester auf, um mich zu kontrollieren. Sie kennen sie
„Ein Drachen", sagte Grimsby schlicht.
„Das haben S i e gesagt!"
Er nickte nur, stand auf und ging zum Stuhl der Rothaarigen hinüber. Dicht vor ihr
blieb er stehen. Ihre Knie berührten seine Beine fast. Er starrte in ihr Gesicht hinab,
sie gab den Blick zurück.
„Schade", sagte er. „Wirklich schade."
„Vielleicht." Sie versuchte sich an einem kleinen Lachen. „Aber vielleicht findet sich
auch eine andere Gelegenheit, wer weiß?"
„Wir werden's sehen", knurrte Grimsby, griff nach seinem Tee mit Rum und stürzte
den Rest in einem langen Zug hinunter,
„Gehen Sie jetzt schlafen, Mr. Grimsby?"
„Was sollte ich sonst wohl tun, Schwester?"
Sie hatte ein ziemlich nachdenkliches Gesicht, noch eine ganze Weile, nachdem
Grimsby verschwunden war. Ohne Zweifel war er ein attraktiver Mann. Er war sogar
mehr: ihr Typ nämlich. Sonderbar nur, dass er keine feste Freundin zu haben schien.
Außerdem hatte er etwas Geheimnisvolles an sich.
Die rotblonde Schwester, die in Dr. Mortons Privatklinik den Nachtdienst versah,
beschloss, sich bei nächster Gelegenheit etwas intensiver um Mr. Grimsby zu
kümmern.
Vielleicht stattete sie ihm schon in dieser Nacht einen Besuch in seinem Zimmer ab.
Sie musste nur eine passende Ausrede finden.
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Grimsby schloss Walter Steinhauers Zimmer auf, ging hinein und zog die Tür hinter
sich wieder ins Schloss.
Steinhauer lag auf seinem Bett. Das Licht brannte. An der Art, wie er ihn ansah
hasserfüllt im übrigen erkannte Grimsby, dass Steinhauer nicht geschlafen hatte.
„Was wollen Sie?"
Grimsby gab' keine Antwort. Stattdessen warf er die zusammengefaltete Zeitung auf
Steinhauers Bett, in der er den ausführlichsten Bericht gefunden hatte.
Steinhauer heuchelte zunächst Interesselosigkeit. Als er jedoch entdeckte, um
weiches Blatt es sich handelt, griff er fast gierig danach.
„Warum?" fragte er knurrend. „Werden Sie schon merken."
„Kann ich'n Schluck haben?"
„Wasser?" fragte Grimsby, der genau wusste, wonach Steinhauer gelüstete.
Der andere stieß einen bösen Fluch aus.
„Wasser!" höhnte er darin. „Damit können Sie sich 'n Arsch Waschen!"
„Wie Sie meinen, mein Freund"; sagte Grimsby sanft.
„Bin nicht Ihr Freund!"
Grirnsby zückte nur die Schultern. Er setzte sich in den Sessel an der
gegenüberliegenden Wand und wartete geduldig darauf, dass Steinhauer sich der
Zeitung widmen und den ihn betreffenden Artikel entdecken würde.
Er brauchte nicht lange zu warten. Steinhauer blätterte die Zeitung durch, stockte,
starrte mit offenem Mund auf die Seite, die sogar ein Bild von ihm enthielt und
begann zu lesen, wobei seine Lippen die Wörter formten.
Er müsste mehrmals lesen was auch Grimsby getan hatte. Steinhauer jedoch musste
es tun, um zu begreifen.
„So'n Blödsinn!" sagte er aufgebracht. „Ich war's nicht. Ich hab das Mädchen nicht
umgebracht!"
Er stand auf und starrte Grimsby an.
„Bei Gott, so was könnte ich gar nicht tun. 'n Mädchen mit'm Messer abmurksen! Bei
Gott, ich ..."
„Natürlich waren Sie's nicht", sagte Grimsby ruhig.
„Ich weiß das am besten."
„Was wissen Sie?" fragte Steinhauer, ebenso misstrauisch wie verständnislos und
grob. „Ich weiß, dass Sie die Kleine nicht umgebracht haben können. Ich hab's selbst
getan."
„Sie?" Steinhauer starrte ihn fassungslos an. „Sie haben das Mädchen totgemacht?"
„Richtig." „Sie Schwein!"
Grimsby zuckte die Achseln.
„Wie Sie sehen, verdächtigt mich aber niemand. Alle glauben, dass Sie der Mörder
sind, Steinhaber. Und das wird auch so bleiben.".
Hier eine Leseprobe aus HORROR EXPERT Nr. 26
DAS UNHEIMLICHE SANATORIUM
von Andre Caroff
Diesmal bin ich hellwach. Nein, das Geschrei ist Wirklichkeit. Ich kann es jetzt nicht mehr auf das Konto eines Traums oder auf meinen Halbschlaf abbuchen. Mir ist nur noch nicht klar, woher es kommt. Es ist überall und nirgends ... Dann kommt alles genau so wie in der Nacht zuvor. Ich greife zum Lichtschalter und knipse ihn an. Im Zimmer wird es hell, und im gleichen Augenblick ist alles still. Eine ganze Weile lausche ich angestrengt. Ich verhalte mich völlig reglos. Aber es ist nicht das geringste Anzeichen dafür zu Seite 41
entdecken, dass hier noch vor wenigen Minuten ein grauenhafter Spuk getobt
haben soll. Absolute Stille liegt über dem ganzen Haus. Plötzlich knarrt
draußen auf dem Gang der Fußboden. Kurz danach klopft es bei mir an der Tür.
Mechanisch sehe ich auf meinen Reisewecker. Es ist drei Uhr morgens.
Gestern war es auch um drei, als Patricia zu mir kam ...
„Herein!" sage ich mit gedämpfter Stimme.
Versäumen Sie nicht diesen spannenden Doppelband, den Ihr Zeitschriften oder
Bahnhofsbuchhändler für Sie bereithält. Sollte dieser Band dort bereits vergriffen
sein, so schreiben sie bitte an:
ANNE ERBER VERLAG
7595 SASBACHWALDEN, POSTFACH 5
„Ha!” war alles, was Steinhauer im Augenblick herausbrachte.
„Ich kehre in einigen Tagen nach Innsbruck zurück", plauderte Grimsby vergnügt.
„Ich werde mir vielleicht sogar die Stelle anschauen, an der man das Mädchen
gefunden hat." Er grinste stärker. „Ich nehme an, viele Touristen werden das tun.
Denken Sie nicht? —Na, jedenfalls ist es für mich völlig gefahrlos, mich dort zu
zeigen. Sie aber..."
„Ich werd beweisen, dass ich's nicht war! Und Sie, Sie werd ich schon hinbringen, wo
Sie hingehören!"
„Nämlich?"
„Ins Zuchthaus!"
„Und wie werden Sie das anstellen, Freundchen?"
Darauf wusste Steinhauer keine Antwort. Jedenfalls im Augenblick nicht.
Und wenn ich sie wüsste, würde ich dir's nicht auf die Nase binden, dachte er
Grimsby hatte sich, bevor er heruntergekommen war, seines Sakkos entledigt und
trug auch in den Hosentaschen nichts, was sich als Waffe verwenden ließ. Er hatte
ganz bestimmte Pläne. Und er zweifelte nicht daran, dass Steinhauer mitspielen
würde.
Grimsby stand auf und schlenderte langsam zur Tür. Dabei kam er dicht an
Steinhauer vorbei. Provozierend dicht.
Steinhauer, der im Denken bestimmt nicht der Schnellste war, erkannte die
vermeintliche Chance trotzdem rechtzeitig. Er holte aus und schlug Grimsby mit der
flachen Hand ins Genick, so fest er konnte. Grimsby fiel nach vorn und knallte auf
den Boden wie ein schwerer Sack. Im nächsten Augenblick war Steinhauer über ihm,
zerrte ihn herum und holte aus, um seine Faust in dieses verhasste Gesicht zu
knallen.
Grimsby machte gar nicht den Versuch, sich zu wehren. Wie's schien, hatte
Steinhauers erster Hieb ihn fast bewusstlos gemacht.
Wie's schien.
In Wirklichkeit hatte Grimsby dem Hieb den größten Teil der Wucht und Wirkung
genommen, indem er sich rechtzeitig nach vorn fallen ließ. Er war jedenfalls völlig da,
und bevor die Faust in seinem Gesicht landete, warf er den Kopf zur Seite.
Steinhauers Faust knallte auf den nackten, gekachelten Fußboden.
Während Steinhauer vor Schmerz aufheulte und die verletzte Hand mit der anderen
rieb, lachte Grimsby amüsiert.
Steinhauer war halb verrückt vor Schmerz und Zorn. Er sah wie durch einen roten
Schleier. Grimsbys Lachen jedoch hörte er überdeutlich.
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Und schlug wieder zu. Noch einmal und noch einmal. Doch jedesmal war dort, wo er
eben noch Grimsbys verdammte Visage gesehen hatte, nur noch der nackte, harte
Fußboden.
Mit dem vierten oder fünften Schlag brachen einige Knochen in Steinhauers Hand.
Grimsby stand auf und wartete ab.
Tu's doch! dachte Steinhauer. Tu's doch, du verdammter Mutterficker! Schlag mich
doch zusammen, jetzt, wo ich nur noch eine ganze Hand habe!
Aber Grimsby schien nicht daran zu denken. Er lachte nur leise und spöttisch. Und
genau das war's, was Steinhauer nicht ertragen konnte, was ihm den letzten Rest
Verstand raubte.
Er kam hoch und stürzte sich erneut auf Grimsby.
Der wich diesmal nicht aus, sondern ließ ihn auflaufen. Steinhauer nahm's den Atem.
Er krümmte sich zusammen und konnte seinem Schmerz nicht einmal durch Brüllen
Luft machen.
Als er den nächsten Angriff startete, erwartete Grimsby ihn mit ausgestreckten
Händen. Steinhauer hatte keine Ahnung, was das sollte. Er konnte sich keinen Reim
darauf machen, hielt's für Dummheit, für Unachtsamkeit oder was auch immer und
rechnete sich wieder Chancen aus.
Zum letzten Mal.
Grimsbys Finger griffen wie zwei Stahlklammern unter seine Rippenbögen. Der
Schmerz war so ungeheuer, dass Steinhauer an zwei Messer dachte, die in seinen
Körper drangen.
Doch der Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, den er in der nächsten Sekunde
erfuhr. Die Stahlklammern schnappten zu, hielten seine Rippen fest und rissen einen
Teil davon von seinem Rückgrat ab.
Aus Steinhauers aufgerissenem Mund drang ein Geräusch, wie auch Grirnsby es
noch nie gehört hatte. Er ließ den anderen los, und der fiel kraftlos zu Boden.
Das Experiment hatte zu Grimsbys vollster Zufriedenheit funktioniert. Er wusste jetzt,
dass man einen Angreifer auf diese Weise tatsächlich überwältigen und ziemlich
endgültig aus dem Verkehr ziehen konnte. Die Praxis hatte die Theorie bestätigt.
Grinamby massierte die Finger einer Hand mit denen der anderen. Er konstatierte,
dass zwei Fingernägel abgebrochen waren, obwohl er sie ziemlich kurz trug. Das
spielte jedoch keine Rolle.
Er verließ Steinhauers Zimmer, machte sich nicht einmal die Mühe, abzuschließen
und öffnete eine andere Tür, die zu einem selten benutzten, aber nicht unwichtigen
Raum führte.
Die sehr wirksame Klimaanlage, die den ganzen Keller versorgte, hielt auch diesen
Raum angenehm temperiert und frei von allen Gasen. Auf Knopfdruck öffnete das
Becken sich. Die zwei Hälften der Abdeckung glitten geräuschlos auseinander und
gaben den Blick auf eine blau schimmernde Flüssigkeit frei, die die mit einem
Spezialglas fugenlos ausgekleideten Wände bis etwa zehn Inches unter dem Rand
bedeckte. Die Bewegung der Abdeckung hatte die Oberfläche leicht gekräuselt.
Grimsby starrte darauf, verträumt, wie es schien. Er stand still da, bis die Oberfläche
sich völlig beruhigt hatte.
Dann drehte er sich um und ging zu Steinhauer zurück. Er war bei Bewusstsein.
„Aufstehen", befahl Grimsby knapp.
Mit viel Mühe gelang es Steinhauer, der Anordnung zu folgen.
„Ziehen Sie sich aus!"
• Dabei musste er ihm helfen. Anschließend trieb er den nackten Mann vor sich her zu dem Raum mit dem geheimnisvollen Becken. „Was soll ich hier?” fragte Steinhauer flüsternd und kaum vernehmbar Seite 43
„Baden", antwortete Grimsby barsch.
„Ich will nicht baden", flüsterte Steinhauer angestrengt.
Er stand am Beckenrand und schwankte. Das Wasser in der eigenartigen
Badewanne schimmerte seltsam. Und in der Luft lag die Spur von einem
fremdartigen Geruch.
Nein, Steinhauer wollte ganz bestimmt nicht baden. Nicht jetzt und nicht in diesem
Becken.
„Es ist ja Ihr letztes Bad", hörte er Grimsby sagen. Die Stimme klang kalt wie Stahl.
„Ein Säurebad. Wenn Sie es hinter sich haben, werden Sie nicht mehr existieren."
„Nein!" schrie Steinhauer.
Oder bildete er sich nur ein, zu schreien?
Er spürte den Stoß und fiel. Er fiel in eine Hölle aus brennendheißer Säure und hielt
noch sekundenlang die Luft an, ein Reflex, ein letzter, untauglicher Rettungsversuch.
Grimsby blieb in einiger Entfernung vom Säurebad stehen und wartete ab, bis das
Sprudeln aufhörte und die Oberfläche wieder völlig ruhig war.
Man konnte bis auf den Grund sehen. Von Walter Steinhauer aus Innsbruck gab es
keine Spur mehr.
Dr. Glenn Morton untersuchte und behandelte Mr. Fox jetzt täglich. Die
Untersuchung war jeweils nach kürzester Zeit beendet, und Dr. Morton nickte jedes
Mal sehr zufrieden.
Die Behandlung in einem eigens dafür hergerichteten Raum unter der
Privatklinik gestaltete sieh langwieriger, doch war Dr. Morton mit ihrem Ergebnis
ebenfalls mehr als zufrieden.
Am letzten Tag durfte Grimsby Zeuge sein. Er saß ruhig auf einem Stuhl im
Hintergrund des Zimmers, sah und hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu.
Mr. Fox, der von den beiden kleinen Operationen nur kaum sichtbare Narben
zurückbehalten hatte, saß Dr. Morton gegenüber und schien völlig wach und recht
aufgeschlossen zu sein.
Er wirkt wie immer, dachte Grimsby beeindruckt. Er wirkt exakt so, wie ich ihn von
der Mattscheibe her kenne.
Morton unterhielt sich mit ihm. Stellte ihm Fragen. Wenn die Fragen Mr. Fox nicht
behagten, reagierte er in der Art, die man von ihm gewohnt war: aggressiv, bissig,
zynisch.
„Wo waren Sie während der letzten Wochen, 11/Ir. Fox?" fragte Dr. Morton. „Ich
habe Urlaub gemacht."
„Ah. Darf man wissen, wo?"
„In Fulpmes, einem Dorf in der. Nähe Innsbrucks."
„Wirklich? Ich habe mich erkundigt, Mr. Fox. Sie waren nur wenige Tage in Fulpmes,
zu Anfang und zu Ende Ihres Urlaubs. Was haben Sie dazwischen gemacht? Wo
waren Sie?"
Mr. Fox' Gesicht verzog sich unwillig. „Das geht Sie nichts an. Meine Privatsache.
Was bilden Sie sich eigentlich ein? Bin ich Ihnen Rechenschaft schuldig?"
Dr. Morton gab Grimsby ein Zeichen. Grimsby stand auf und ging langsam auf Fox
zu.
„Aber mir werden Sie es sagen", bellte er. „Ich bin Walker, Superintendent beim
Yard. Also? Wo waren Sie, Mr. Fox?"
Fox zischte wie eine Schlange: „Hauen Sie ab, Mann! Setzen Sie sich in Ihr Zimmer
im Yard und studieren Sie Ihre Vorschriften! Dann merken Sie, dass es Sie einen
Dreck angeht, was ich in meinem Urlaub gemacht habe!"
So und ähnlich ging es weiter. Die abschließende Prüfung dauerte stundenlang.
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„Er ist für alle Eventualitäten programmiert", sagte Dr. Glenn Morton, nachdem Grimsby Mr. Fox in sein Zimmer zurückgebracht hatte. „Wir schaffen ihn morgen nach Innsbruck. Schlafend. Die Einzelheiten haben wir ja besprochen. Irgendwelche Änderungswünsche?" „Nein, Sir", sagte Grimsby respektvoll. Mr. Fox kehrte nach London und an seinen Schreibtisch bei der BBC zurück und ließ sich von liebedienernden Untergebenen und Kollegen ein übers andere Mal bestätigen, er sehe prächtig erholt aus. Er fühlte sich in der Tat nicht schlecht. Seltsam war nur, dass eine Klappe zu fallen schien, sooft er versuchte, über seinen Urlaub nachzudenken. Es schien eine Tabuschranke zu geben, und er wusste nicht, weshalb. Er wusste auch nicht, was sich dagegen unternehmen ließ, und normalerweise hätte er kaum etwas anderes getan, als darüber nachzugrübeln. Da er aber schon die nächste seiner Magazinsendungen wieder selbst moderieren wollte, blieb ihm kaum Zeit für anderes. Er arbeitete zwölf, dreizehn Stunden am Tag, und wenn er endlich in seine Wohnung kam, fiel er todmüde ins Bett und war zwei Minuten später eingeschlafen. Fox schlief traumlos und ohne Unterbrechung, bis der Wecker schrillte und ihn daran erinnerte, dass sein Schreibtisch immer noch unter unerledigter Arbeit ächzte, dass die Platte sich fast bog... Noch zwei Tage bis zur Sendung. Fox hatte es fertig gebracht, seine Arbeit zu unterbrechen, um nachzudenken. Er saß hinter seinem Schreibtisch, hatte die Finger ineinander verschlungen und starrte angestrengt auf einen Punkt an der Wand. Schweiß troff ihm von der Stirn. Er hatte zwei Enden eines Fadens und versuchte, sie miteinander zu verbinden, aber es gelang nicht. Dazwischen zwischen den beiden Enden fehlte ein Stück. Zum Verzweifeln! „Ist Ihnen nicht gut, Mr. Fox?" fragte seine Sekretärin ängstlich. Er hatte sie nicht hereinkommen hören und fuhr zusammen, als hätte sie ihn bei etwas Verbotenem ertappt. „Zum Teufel, nein! Warum klopfen Sie nicht an, bevor Sie reinkommen?" „Ich habe angeklopft", sagte sie beleidigt und zog sich zurück. „Lidia Brenner", murmelte Fox nachdenklich. War sie der Schlüssel zu dem Geheimnis, zu der Lücke? Als er sich wieder in seinem Fulpmeser Hotel fand, hatte er fast sofort an sie gedacht und sich nach ihr erkundigt. Aber sie war abgereist, leider nicht nach Hause, sondern an einen unbekannten Ort. Die anderen, der Empfangschef zum Beispiel und das nette kleine Zimmermädchen, hatten sich offenbar gar nicht darüber gewundert, dass er erst abgereist und dann zurückgekommen war. Aber das war schließlich nur normal. Was ging es sie an? „Ich hätte ihnen auch keine Auskunft gegeben", murmelte er. „Selbst, wenn ich's gekonnt hätte." Nach einer Weile hatte Mr. Fox sich soweit beruhigt, dass er seine Arbeit fortsetzen konnte. Er klingelte nach seiner Sekretärin und machte ihr heftige Vorwürfe, weil sie ihre Pflichten vernachlässigte. Er wurde so grob, dass das arme Mädchen in Tränen ausbrach. Hinterher fühlte Fox sich viel besser und arbeitete für den Rest des Tages mit einem gewissen Vergnügen. Je näher die Sendung rückte, desto besser. Die Sendung, seine Sendung war d e r Fixpunkt in seinem Leben. Aber da war noch etwas, was Mr. Fox insgeheim beunruhigte. Er wartete auf etwas und wusste nicht, worauf. Er wusste nur, dass es kommen musste. Er sehnte den Zeitpunkt herbei. Seite 45
„Leider können wir Ihnen nicht Gesellschaft leisten", sagte Dr. Morton. „Aber Sie
werden sich auch ohne Grimsby und mich glänzend unterhalten, Chefinspektor."
„Damit?" fragte Spratt und deutete mit dem Kopf auf das Portable, das Grimsby ihm
ins Zimmer gestellt hatte.
„Ja, damit. Sie erinnern sich doch an das Gespräch, das wir kürzlich über Mr. Fox
hatten?" „Selbstverständlich."
„Nun, Mr. Fox hat einige Wochen Urlaub gemacht. Heute meldet er sich zurück und
wird sterben." „Er wird sterben?" fragte Spratt, der spürte, wie seine Stirn und dann
sein ganzer Körper sich mit Schweiß bedeckten.
„Ja. Sie können zuschauen. Mr. Fox wird während seiner Magazinsendung sterben."
„Wie ...?"
„über die Einzelheiten und die technischen Probleme, die zu lösen waren, können wir
ein andermal plaudern", sagte Dr. Morton verbindlich. „Jetzt habe ich leider keine
Zeit. Ich muss nach London." Er lächelte versonnen. „Natürlich hätte ich es Ihnen
gegönnt, zuzuschauen, das Abenteuer gewissermaßen aus nächster Nähe
mitzuerleben. Aber leider ..."
Spratt schaute verständnislos von einem zum anderen.
„Sie wollen ihn doch nicht im Funkhaus und während der Sendung umbringen?"
fragte er ungläubig.
„Aber ja!" sagte Dr. Morton fast fröhlich und er schien dem gefangenen Chefinspektor
wieder einmal wie ein Teufel.
In seiner Ohnmacht, diesem Teufel das Handwerk zu legen, hätte er fast mit den
Zähnen geknirscht.
„Ja, lieber Spratt, wir werden Mr. Fox im Funkhaus und während seiner Sendung
töten. Sie halten das doch nicht für zu riskant? Raten Sie uns ab, Chefinspektor?"
Spratt knirschte jetzt tatsächlich mit den Zähnen.
Tut's nur! dachte er. Versucht's! Das ist sowieso meine einzige Hoffnung: Dass ihr
einen Fehler macht und erwischt werdet und man mich hier entdeckt, bevor ihr mich
umbringt.
„Sie wissen doch, mit dem Apparat umzugehen, Sir?" erkundigte Grimsby sich
höflich. „Wenn Sie es wünschen, schalte ich auch jetzt schon ein. Sie können sich
dann am Kinderprogramm delektieren, bis es soweit ist."
Mr. Fox war ganz kribbelig vor Nervosität. Zehn Minuten bis zur Sendung, und noch
immer fehlte das, worauf er wartete und von dem er gar nicht wusste, was es war.
Zum Verrücktwerden!
Vielleicht bin ich's, dachte er und erschrak. Vielleicht bin ich wirklich verrückt?
Der Maskenbildner, die Beleuchter und die anderen Menschen im Studio hätten
darauf geschworen, dass Mr. Fox übergeschnappt war. Exzentrisch war er immer
schon gewesen. Aber heute.
„Ich hab dem verfluchten Kerl schon dreimal Maske gemacht. Er schwitzt wie ein
Schwein. Ich weiß mir bald nicht mehr zu helfen", flüsterte der Maskenbildner einem
Kollegen zu.
Am Eingang zum Studio gab's einige Aufregung.
„Was ist denn, verdammt noch mal!?" schrie Mr. Fox mit sich überschlagender
Stimme.
„Ein Bote, Sir. Er hat einen Brief, den er nur Ihnen persönlich geben will."
Mr. Fox' Gesicht entspannte sich. Er lächelte und schien, plötzlich völlig unbeschwert
und glücklich.
„Lassen Sie ihn rein", sagte er. „Komm, mein Junge, gib den Brief her. Da hast du
was. Mach dir 'nen vergnügten Abend."
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Der Bote steckte die Pfundnote überrascht, aber erfreut ein. Dann machte er, dass er davonkam. Aus dem Lautsprecher über seinem Tisch tönte die Stimme aus der Regie: „60 Sekunden bis zur Sendung, Mr. Fox. Nehmen Sie bitte Platz." Fox nickte und gehorchte. Er hielt den noch nicht geöffneten Brief in beiden Händen und wusste, jetzt war alles in Ordnung. Nur: Warum jetzt alles in Ordnung war, das wusste er nicht. Dr. Glenn Morton und William Grimsby saßen in einem Raum des großen Hauses am Grosvenor Square, der Unbefugten ebenso unbekannt und unzugänglich war wie die verschiedenen unterirdischen Anlagen in der Klinik und in Lannix Manor. Sie saßen in bequemen. Sesseln vor einer Schaltwand, die auch jeder Laie unschwer als Herzstück eines Senders identifiziert hätte. Ein tragbares Farbfernsehgerät, ähnlich dem, vor dessen Mattscheibe Chefinspektor Spratt jetzt vermutlich saß, zeigte den Titel der Magazinsendung. Aus dem Lautsprecher drang die Erkennungsmelodie. Dann war Mr. Fox auf dem Bild zu sehen. Er trug das gewohnte leichte Lächeln im Gesicht. Dr. Morton und Grimsby fanden, dass er diesmal wesentlich entspannter wirkte als bei der letzten Sendung vor seinem Urlaub. „Richtig glücklich sieht er aus", murmelte Grimsby. Mit der eher leisen, bescheidenen Stimme, seiner Magazin Stimme, die der Nation seit Jahren vertraut war, sprach Mr. Fox: „Nach einem mehrwöchigen Urlaub melde ich mich heute zurück, meine Damen und Herren. Bevor ich Ihnen eine Übersicht über unser Programm gebe, erlauben Sie, dass ich Ihnen einen Brief zur Kenntnis bringe, der mich gerade noch vor Sendungsbeginn erreicht hat." Die Nation sah zu, wie Mr. Fox das Kuvert aufriss, den Brief herausnahm und entfaltete. Mit seiner leisen, bescheidenen Stimme begann Fox zu lesen: „Mr. Fox, Sie tragen die Schuld am Tod von Sir Cunningham, Minister Ihrer Majestät, der Königin von Großbritannien. Sie haben Sir Cunningham zum Tod verurteilt, unter Umgehung unserer Gesetze und unserer Justiz. Sir Cunningham war der letzte in einer langen Reihe von Männern, deren Existenz Sie ruiniert, deren Leben Sie vernichtet haben. Ich bin durchaus der Ansicht, dass man dem Recht dort nachhelfen muss, wo unsere Justiz versagt. Sie aber, Mr. Fox, haben nicht verletztes Recht wiederhergestellt, Sie haben Verbrechen begangen. Denn keiner der Männer, die durch Ihre Tätigkeit umgekommen ist, hatte den Tod verdient. Mr. Fox, ich habe beschlossen, dass Sie jetzt sterben werden." Fox hob den Kopf von diesem sonderbaren Brief und lächelte in die Kamera. Die Nation hörte ihn sagen: „Er hat beschlossen, dass ich jetzt sterben werde!" Dann, von einer Sekunde zur anderen, schien Mr. Fox zu begreifen, was er da vorgelesen hatte, und das es nicht der makabre Scherz war, für den nahezu die ganze Nation, soweit sie vor dem Fernsehschirm versammelt war, es hielt. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich zu einer Grimasse unsagbarer Angst. Mr. Fox krümmte sich zusammen und krallte seine Hände in die Tischplatte. Sein Atem ging so laut und keuchend, dass der Tontechniker das Mikro fast ganz zudrehen musste. In seinem Haus am Grosvenor Square, in dem schon beschriebenen Raum, drückte Dr. Morton zwei kleine schwarze Knöpfe. Die Frequenzen waren schon lange zuvor sorgfältig eingestellt worden. Jetzt fingen die Antennen in Mr. Fox' Körper die Ton modulierten Hochfrequenzsignale auf. Die Stromkreise schlossen sich. Die winzigen Zünder schmolzen die weißlichen Kapseln an den vorherbestimmten Stellen durch. Blausäure gelangte in Mr. Fox' Blutkreislauf. Seite 47
Die Nation sah den Leiter der Magazinsendung hinter seinem Schreibtisch zusammensinken, und die Art, in der das geschah, ließ keinen Zweifel daran, dass Mr. Fox tot war. ENDE
. . . und hier eine Leseprobe aus dem nächsten Band:
DR. MORTON 4
„BIEDERMANN UND RAUSCHGIFTHÄNDLER"
„Es geht auch anders", sagte Dr. Morton ruhig. „Kennen Sie sich nict dem aus,
was Laien Wahrheitsdrogen nennen?"
„Nein, nicht sehr gut", antwortete Spratt einigermaßen ernüchtert.
„Ich verfüge über ein Mittel, das sehr verlässlich arbeitet", sagte Dr. Morton.
„Leider hat es einige sehr unangenehme Nachwirkungen. Wenn ich es Ihnen
verabreichen muss, werden Sie an den Folgen mindestens drei Tage leiden."
„Nicht zu knapp!" sagte Grimsby. „Außerdem haben wir auch noch das
Nervengas, Sir, wenn ich mir erlauben darf, daran zu erinnern. Mr. Spratt wird
sicher nur so sprudeln, wenn wir ihm eine kurze Dusche verabreichen!"
Seine Augen glänzten. Als Spratt ihn ansah, wurde ihm flau im Magen_
„Ich bin überzeugt, der Chefinspektor wird uns auch ohne solche Hilfen
unterstützen", sagte Dr. Morton sanft. „Der Chefinspektor ist doch ein kluger
Mann, Grimsby."
Eine halbe Minute etwa herrschte völliges Schweigen im Zimmer. Als Spratt
dann nach seinem Ginglas griff, klapperte es auf der nackten Tischplatte. Er
hatte Mühe, es zum Mund zu führen. Seine psychische Widerstandskraft schien
doch nicht so unerschöpflich zu sein, wie er sich das eingebildet hatte.
„Also?" fragte Grimsby drohend. „Ich kenne die Firma", sagte Spratt
abgehackt und tonlos. „Ich selbst habe nichts mit den Ermittlungen zu tun
gehabt. Ein Kollege ... Wir haben manchmal ausgetauscht ..."
„Was wissen Sie?" fragte Grimsby ungeduldig.
„Nichts nachzuweisen Knowles wird schon lange verdächtigt, seine Finger im
Rauschgifthandel zu haben, aber man konnte ihn nie schnappen_ Know7 les
hat Verbindungen zu den reichsten Männern von London. Er ist unangreifbar."
In einer plötzlichen Aufwallung von Zorn wandte er sich direkt an Dr. Morton
und stieß hervor: „Wie Sie!"
„So ähnlich", sagte Dr. Morton lächelnd. „Was wissen Sie im einzelnen?"
„So gut wie nichts."
„Soll ich die Spritze holen, Sir?" fragte Grimsby.
Spratt fuhr auf:
„Ich rede ja schon! Ich sage alles, was ich weiß, verdammt! Halten Sie Ihr
verdammtes Maul, Sie .. ,"
Grimsby grinste ungerührt. Er wandte sich langsam zu Dr. Morton um:
„Ich würde trotz allem empfehlen, dass wir ihn spritzen, Sir. Zur Kontrolle
gewissermaßen."
„Wir werden das später entscheiden", sagte Dr. Morton. „Weiter,
Chefinspektor."
„Knowles wohnt offiziell am Montpelier Walk."
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„Ist das nicht in Brompton?" fragte Dr. Morton. „Knightsbridge", sagte Grimsby. „Ich kenne mich da ein bisschen aus." Das war stark untertrieben. Kaum ein lebender Mensch kannte London so gut wie William Grimsby. Dr. Morton wusste das, und Grimsby wusste, dass er es wusste. „Die Leute vom Yard haben ihn wochenlang beschattet, und er ist ihnen immer wieder ausgekommen. In der Nähe von Draycott Avenue." „Das ist in Brompton", sagte Grimsby ruhig. „Er muss da irgendeinen Schlupfwinkel haben. Wenn's stimmt, ist er phantastisch getarnt. Meine Kollegen konnten damals nichts anderes herausbringen, als dass Knowles immer erst nach Stunden wieder auftauchte. Es war wie verhext. Die Verdachtsmomente reichten nicht zu einer Festnahme aus. Man konnte ihn nur überwachen und hatte keinerlei Erfolg damit." Spratt konnte seinen Auskünften nichts Nennenswertes mehr hinzufügen, und obwohl Grimsby ihm das Wahrheitsserum allzu gern verpasst hätte, entschied Dr. Morton sich dagegen. „Er weiß doch nichts weiter", sagte er auf dem Rückweg zu Grimsby. „Wir wollen uns die schweren Geschütze für die Gelegenheit aufheben, bei denen wir sie brauchen." „Sie haben natürlich recht, Sir", sagte Grimsby bescheiden. Am Abend des gleichen Tages fuhr Grimsby seinen Chef zur Privatklinik hinüber. Es entging seiner Aufmerksamkeit, dass in der Nähe der Einfahrt von Lannix Manor ein Mann neben seinem Kleinwagen stand und ein Rad wechselte. Die Panne schien ihn sehr zu beschäftigen, und er hatte offenbar beträchtliche Schwierigkeiten mit dem Ersatzrad. Als der Rolls Royce, ein schwerer, endlos langer Phantom V, verschwunden war, wischte der Mann sich die Hände an einem Papiertaschentuch ab und ging mit sorgenvoll gefurchter Stirn langsam auf die Einfahrt zu. Er setzte einen Fuß vor den anderen und schien keinerlei Bedenken zu haben, dass man ihn hier etwa unfreundlich aufnehmen würde. Vor dem Hauptportal zögerte er, wandte sich dann nach links und ging mit seinen bedächtigen Schritten zu den Garagen hinüber, die aus den früheren Stallungen des Landbesitzes entstanden waren. „Ist hier niemand?" fragte er mit mäßig lauter Stimme. Er bekam keine Antwort und wiederholte: „He, ist denn hier niemand, der mir helfen kann?" Versäumen Sie nicht, sich diesen ungewöhnlich spannenden Gruselkrimi zu besorgen. Für nur 1,— DM überall im Zeitschriften und Bahnhofsbuchhandel erhältlich.
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