ERNST RÖHNER
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN 1957
Copyright by Verlag Neues Leben Berlin 1957 Lizenz-Nr.: 303 (305 80/37) ...
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ERNST RÖHNER
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN 1957
Copyright by Verlag Neues Leben Berlin 1957 Lizenz-Nr.: 303 (305 80/37) Umschlagzeichnung und Illustrationen: Rainer Stuchlik, Leipzig Druck: (140) Neues Deutschland, Berlin N 54 • 2667
Der Squatter Anton Weller war unter dem Namen Bären-Anthy an der Indianergrenze bekannt und berühmt. Kein anderer Jäger hatte soviel Grizzlys und Schwarzbären geschossen wie er, der die Wildpfade liebte, den Schrecklaut des Rehbocks, das Röhren des Hirsches, den Ruf der Eulen und die Ursprünglichkeit der Natur. Mit den anderen Sqattern hatte er nicht viel Umgang, aber die Sioux der Black Hills waren seine Freunde; sie achteten ihn seiner Unerschrockenheit und seines verläßlichen Charakters wegen. Er hatte seine Blockhütte in der Nähe von Rickeys Taverne errichtet und lebte dort mit seiner Frau und seinen zwei Kindern, an denen er mit der Liebe des treuen Familienvaters hing. An einem schönen Frühlingsmorgen war Anthy zur Pirsch geritten. Er hatte die Fährte zweier Grizzlybären aufgespürt, die aus dem Gebirge heruntergekommen waren. Es war oft der Fall, daß Bären bis in die Ansiedlungen der Weißen vordrangen und Vieh rissen. Indianische Jäger folgten ihnen manchmal, obwohl sie dabei dann außerhalb ihres Stammesgebietes gerieten. Aber das wurde nicht so genau genommen; man duldete es stillschweigend. Schließlich waren die Indianer ja einmal die rechtmäßigen Eigentümer des Landes gewesen. Die Fährte war frisch, kaum eine Stunde alt: die Raubtiere mußten noch in der Nähe sein. Weller stand eine Weile stumm neben dem Pony, das mit blasenden Nüstern an seinem Herrn herumschnupperte und den langen Schweif erregt auf und nieder schlug. Der Jäger spähte argwöhnisch durch die friedlich besonnten Bü-
sche. Das Gras bog sich im Morgenwind. Quer über die Flußniederung flog lärmend eine Schar Krähen. Anthy saß auf und ritt langsam der Spur nach, sie strich über die
Flußwiese und dann am Ufergehölz entlang. Ein Kind hätte ihr folgen können, so deutlich war sie. Das Pony begann unruhig zu werden, es schnaubte und riß am Zügel. Plötzlich fiel ein Schuß. Hell und scharf knallte er, wie eine Fuhrmannspeitsche. Es konnte nicht weit entfernt sein, vielleicht hundert Schritt hinter den Bäumen am Flußufer. Der Schuß einer Winchester, dachte Anthy, als er den wölkenden Pulverrauch durch die Blätter der Bäume sah. Er wollte das Pferd in die Richtung lenken, aus der der Schuß gekommen war. Das hatte jedoch seine Schwierigkeit: es sträubte sich vor Angst und war nicht mehr voran zu kriegen.
Anthy sprang ab und griff nach dem Remingtongewehr. Vor ihm mußte ein schwerer Kampf toben. Die Dickung krachte. Es stampfte, es wirbelte, es brach; dazwischen Fauchen und Brummen voll Wut und Tükke. Anthy ließ das Pony stehen und rannte los. Dann war scharfer, fauliger Raubtiergeruch um ihn her. Er stolperte über die reglose Masse eines am Boden liegenden Graubären, sah einen zweiten Grizzly, der auf einen niedergestreckten Menschen losfuhr. Der Mensch, blutüberströmt, wehrte sich mit einem Messer gegen das fauchende Ungetüm. Es war ein Indianer, Häuptling Hatch-Seno, Grau-Elch, von den Teton-Dakota; Weller kannte ihn. Ein Tatzenschlag hatte ihm die Schulter aufgerissen. Wahrscheinlich war Grau-Elch von dem zweiten Bären überraschend angefallen worden, als er den ersten erlegt hatte. Es war das Weibchen, gräßlich anzuschauen in seiner wilden Wut. „Halt aus, Bruder, ich helfe dir!“ schrie Weller und gab der Bärin von hinten her einen Stoß. Sie wirbelte herum, eräugte den neuen Feind und änderte augenblicklich das Angriffsziel. Die Gefahr war von dem Indianer abgewendet worden. Er wälzte sich blitzschnell zur Seite, suchte von der Flanke her der Bärin die Klinge in den Leib zu stoßen. Da schoß Anthy. Das Raubtier schwankte durch beißenden Pulverrauch vorwärts. Anthy sprang zurück, repetierte, schoß noch einmal. Die Bärin ging wie ein geborstener Baumriese zu Boden. Ihre messerscharfen Klauen wühlten im Todeskampf den Rasen auf, dann war der zottige Koloß er-
starrt. In den kleinen düsteren Mörderaugen war kein Leben mehr. Anthy lud seine Büchse durch und wandte sich dem Indianer zu. Grau-Elch preßte den Handteller auf die blutende Wunde. Er war ein älterer, hochgewachsener, hagerer Mann, ganz in Hirschleder gekleidet. Trotz der Schmerzen war sein kühnes Gesicht völlig unbeweglich, nur die Augen blickten prüfend umher, ein warmer Glanz war in ihnen. „Du hast dem Dakota einen Dienst erwiesen, den er dir nicht vergißt“, sagte er in einwandfreiem Englisch, „ich danke dir!“ „Du brauchst mir nicht zu danken“, brummte Weller unwillig, „wäre ich an deiner Stelle gewesen, du hättest das gleiche getan.“ Der Glanz in den dunklen Indianeraugen vertiefte sich. „Du bist anders als die übrigen Bleichgesichter“, murmelte er. „Kein Freund des roten Volkes hat den Platz wie du in den Herzen der Dakota. Denke daran, Bruder, wenn du einmal in Not bist, Grau-Elch hat gesprochen!“ Er spähte nach seiner Büchse, die mit abgeknicktem Kolben am Boden lag. Ihr Lauf war verbogen, ihr Abzug zerbrochen. Die Bärin hatte sie ihm aus den Händen geschlagen. Sein Blick fiel auf die toten Raubtiere. „Nimm dir die Felle“, meinte er gleichmütig, „du hast sie beide verdient. Du brauchst das Geld, das dir der Händler dafür gibt, nötiger als ich.“ Anthy wollte erst widersprechen, unterließ es dann aber. Er kannte Grau-Elch. Seine Entschlüsse waren bündig wie ein Gesetz.
Weller wandte nun seine Aufmerksamkeit der Verletzung Grau-Elchs zu. Ein Whisky wird ihm gut tun, dachte er, es braucht ja nicht viel zu sein. Er hatte noch einen Rest in der Flasche. Schon griff er danach und auch nach dem Verbandzeug, das er immer mit sich führte. Grau-Elch winkte ab. Er lächelte dünn, etwas spöttisch, und war im Handumdrehen längs der Uferwaldung verschwunden; ohne ein weiteres Wort, ohne einen Gruß. Das war so die Art der Indianer, etwas närrisch für das Begriffsvermögen der Bleichgesichter. Anthy zuckte die Schultern, ohne im mindesten gekränkt zu sein. Er betrachtete sachkundig die Jagdbeute und zog dann das Messer, um mit dem Abhäuten zu beginnen. Sein Pony weidete hundert Meter von ihm entfernt auf der Flußwiese. Es wagte sich nicht heran; selbst die toten Bären flößten ihm noch Angst ein. Die Wellersche Siedlung lag in einer Talmulde des Horse Creek, der in einen der Prärieflüsse mündete, die den Missouri speisten. Ein einfaches Blockhaus mit Schuppen und Stallung, eine Viehkoppel, einige Feldparzellen machten den Besitz aus. Die Familie Weller baute nur das an, was sie brauchte; sie lebten von der Hand in den Mund. Einzig der Tauschhandel und der Verkauf von Wildfellen brachte einen mäßigen Gewinn. Daher war Anthy mehr Jäger als Landwirt. Als er mit den Bärenhäuten - das Fleisch hatte er zunächst zurücklassen müssen – nach Hause kam, merkte er sofort, daß etwas nicht stimmte. Die Kinder, Helge und Bobby, zehn- und zwölfjährig, hatten verweinte Gesichter. Seine Frau machte ihm unter der Block-
haustür ein Zeichen, daß er ihr folgen solle. Er tat es, nachdem er die Kinder beauftragt hatte, das Pferd zu versorgen und die Bärenfelle zum Trocknen auszuspannen. Helge und Bobby waren mit solchen Arbeiten vertraut. Frau Weller erwartete ihren Mann in der geräumigen Küche, in der es nach Schmorkartoffeln und Braten roch. Anthy blickte von dem warmgestellten Essen auf dem Herd in das ernste Gesicht seiner Frau. „Was ist los, Ethel?“ „Die Landhaie wollen uns aus der Siedlung vertreiben“, sagte sie leise. „Wir seien Squatter und hätten ohne Besitztitel keinen Anspruch auf Grund und Boden.“ „Ist etwa einer von den Halunken während meiner Abwesenheit hier gewesen?“ „Nein.“ „Aber?“ Frau Weller zögerte, dann legte sie ihrem Mann die Hand tröstend auf die Schulter. „Bob Safter, der Expreßreiter, brachte einen Brief von einer Terraingesellschaft, von Dorntet & Co. Er sagte, ähnliche Briefe hätten auch die anderen Squatter im Dakotagebiet erhalten.“ „Wo ist der Brief?“ „Ich habe ihn verbrannt, Anthy. Ich wollte dir nicht zumuten, solche Niederträchtigkeiten schwarz auf weiß zu sehen. Wir sollen mit Beginn des nächsten Jahres zweitausend Dollar zahlen oder die Siedlung räumen. Die Forderung hätte Gesetzeskraft.“ Anthy fuhr sich verzweifelt mit den Fingern durch
das Haar. „Die Hunde“, knirschte er, „diese Hunde! So machen sie es immer, kaufen spottbillig Regierungsland auf und verlangen dann von den Squattern Wucherpreise dafür. Wenn sie das Geld nicht kriegen, jagen sie uns von Haus und Hof.“ Er ballte die Faust. „Aber wenn das geschieht, gibt’s ein Unglück!“ „Ruhe, Anthy“, beschwichtigte die Frau. „Kommt Zeit, kommt Rat. In einem halben Jahr kann viel geschehen. Vielleicht wird das alles gar nicht so schlimm. Nun iß mal erst, mit sattem Magen sieht die Welt anders aus.“ Frau Ethel war eine besinnliche, charakterfeste Person, die noch niemals verzagt hatte. Sie hatte Seite an Seite mit ihrem Anthy gearbeitet, gesorgt und gelitten. Unter Schweiß, Entbehrungen und Gefahren war die Wellersche Siedlung entstanden. Das Bauernblut ihrer Besitzer war stark und kämpferisch genug und konnte allen Widerständen trotzen. Vierzehn Tage später ritt Weller flußabwärts nach Rickeys Taverne, Herberge und Handelsposten am Fuße der Black Hills. Dort wollte er die beiden Bärenfelle verkaufen. Als er sein Ziel erreicht hatte, verglühte die Sonne farbenprächtig hinter den Gletschermützen des Gebirges. Im aufkommenden Abendwind rauschten die Präriepappeln. Die Zikaden summten, zwischen den Hügeln heulten die ersten Coyoten. In Rickeys Tarverne ging es hoch her. Sie war schon lange das Sammelbecken von allerhand Durchzüglern, vom biederen Trapper bis zum zweifelhaften Satteltramp.
Eine schauderhafte Luft schlug dem eintretenden Anthy entgegen. Der Stimmenlärm war ohrenbetäubend. Anthy war das gewohnt. Er pflegte immer in die Kneipe zu gehen, nachdem er mit Al Rickey einen guten Handel abgeschlossen hatte. Auch diesmal hatte er die beiden Grizzlyhäute günstig losschlagen können. Rickey war ein ehrlicher Geschäftsmann, der seine Kunden niemals betrog. „Nehmen Sie sich in acht, Weller“, hatte ihm der Alte zugeflüstert, als sie aus dem Store gingen. „Es ist Gesindel im Schankraum, damit Sie Bescheid wissen.“ Anthy setzte sich in der überfüllten Kneipe an ein abgelegenes Plätzchen, schnallte den Hüftgurt ab und lehnte die Remington an die Wand. Er ließ sich vom Wirt ein Glas Dünnbier bringen, holte seinen Proviant aus der Tasche und begann zu essen. Der Lärm um ihn her kümmerte ihn nicht. Erst als in seiner Nähe schnapsheisere Stimmen von Gold faselten, wurde er aufmerksam. Ein grobschlächtiger Kerl, etwa vierzig Jahre alt, mit einem brutalen, blatternarbigen Gesicht, führte das große Wort. Seine Zechkumpane nannten ihn Ben Acklin. Weller hatte ihn schon ein paarmal in Rickeys Taverne gesehen. Er brüllte: „Kennt einer die Black Hills so wie ich? Keiner von euch Jammerlappen weiß, daß in den Gebirgswässern der gelbe Mammon kaum einen Spatenstich tief im Schwemmsand liegt. Wenn die Sioux nicht wären, könnten wir reiche Leute sein, Jungens!“ Gierig funkelnde Augen starrten auf den Sprecher. Einer schimpfte: „Die Pest über den Vertrag mit den Indianern, der uns den Zugang nach den Schwarzen
Bergen versperrt!“ „Vertrag hin, Vertrag her“, lärmte ein dritter, „der geht uns einen Dreck an! Wir knallen die Roten zusammen und holen uns, was wir brauchen.“ „Hast du eine Ahnung, du Säugling“, belferte Acklin. „Meinst du, die Dakota lassen sich so leicht zusammenknallen? Die haben bessere Büchsen als wir, und schießen können sie auch, darauf kannst du dich verlassen.“ Er legte sein breitflächiges Gesicht in Falten. „Das ist gar nicht so einfach, Jungens, sonst wäre ich längst mit euch droben im Gebirge, um Gold zu buddeln auf Teufel hol mich.“ Er dämpfte die Stimme ein bißchen, damit nur seine Freunde ihn verstehen sollten: „Im Oth-y-sah, dem Geistertal der Sioux, soll es ganze Nester von Placergold geben. Wenn wir da hinkommen könnten, Jungens, wären wir mit einem Schlag gemachte Leute.“ Wieder das habsüchtige Gefunkel in den Augen der Zuhörer. Bei manchem ging der Atem schwer, so, als schleppe er eine Last den Berg hinauf; sie waren alle erregt. Bären-Anthy hatte das Wort Oth-y-sah aufgeschnappt und war mit einem Male nachdenklich geworden. Eine dumpfe Erkenntnis war in ihm aufgestiegen, die ihn verwirrte. Oth-y-sah – war das nicht die Möglichkeit, die zweitausend Dollar zusammenzubringen? Der Kopf wurde ihm heiß, während Zweifel und Lockung in ihm stritten. Neue Gäste kamen, andere gingen; vor der Kneipe schallte das Wiehern und Stampfen der angeseilten Gäule. Rickey, der Tavernenwirt, hatte alle Hände voll
zu tun, ebenso sein Gehilfe, ein Mischling, den er unlängst eingestellt hatte. Sie schafften pausenlos Getränke an die Tische und mußten auch noch die Gäste bedienen, die an der Theke standen. Ben Acklin und seine Kumpane, ein halbes Dutzend wüster Kerle, bestellten eine Lage Schnaps nach der anderen. Einige hatten schon glasige Augen. Acklin schwärmte immer noch vom Gold der Black Hills und baute Luftschlösser. Plötzlich hob Weller den Kopf. Unter den neuen Gästen war ein Indianer aufgetaucht, in dem er den Häuptling Grau-Elch erkannte. Er ging mit Rickey in den Store. Es dauerte lange, ehe der Indianer zurückkam und sich ein Glas Ale bringen ließ. Er hatte in der Nähe von Acklin Platz genommen. Der Häuptling war oft in der Taverne. Weller wußte, daß Rickey ihm heimlich Munition verkaufte, denn offiziell war es streng verboten. Auch Grau-Elch hatte Bären-Anthy längst erspäht, aber seine harten Züge blieben unberührt und reglos. Er hatte sein Gewehr zwischen die Knie gestellt und blickte gleichmütig in den Rauch der Tabakspfeifen, der schwadenweise unter den trüben Lampen hing. Unvermittelt löste sich Ben Acklin aus dem Kreis seiner Genossen und schwankte auf den Indianer zu. Als er vor ihm stand, drehte er sich grinsend zu den johlenden Schnapsbrüdern um. „Nun paßt mal auf, Jungens, was ich diese Rothaut fragen werde.“ Alles schwieg jetzt und blickte gespannt auf Acklin und den Indianer. Mäuschenstill war es in der Kneipe geworden, nur an der Theke hörte man Rickey mit Gläsern
klirren. Acklin packte den Häuptling brutal an der Schulter. „Du bist ein Teton-Dakota, dein Stamm wohnt in den Vorbergen der Black Hills, in der Gegend vom Geistertal. Hast du mal Gold gesehen dort in den Schluchten, wie?“ Grau Elch stieß mit einer lässigen Bewegung die Hand Acklins zurück. Seine dunklen Augen schienen durch den Blatternarbigen hindurchzublicken, als wäre der Mann aus Glas. „Antworte, du roter Hund, sonst knallt es!“ zischte Acklin und fingerte am Hüftleder. Grau-Elch, die Gefahr erkennend, schnellte von seinem Sitz in die Höhe. Schon blinkte Acklins Revolver im Lampenlicht. Grau-Elch duckte sich zusammen und wollte von unten her den Weißen packen, um ihm die Füße unter dem Leib wegzuziehen. Da dröhnte Acklins Revolver los, einmal, zweimal. Die Kugeln spritzten in die Decke. Acklins Arm war hochgerissen worden. Ein Schlag, sein Colt klirrte zu Boden. Bären-Anthy stand im Pulverrauch neben ihm. „Mach dich aus dem Staub, Acklin, oder es gibt ein Begräbnis! Der Indianer ist mein Freund!“ „Dein Freund?“ Der blatternarbige Riese verzog das Gesicht zu einem bösen Grinsen. „So kann nur einer quasseln, einer, dem die Rothäute lieber sind als die Leute der eigenen Rasse. Bären-Anthy, zieh dein Lederhemd vom Buckel, ich gebe dir eine Chance, im Faustkampf dein Fell zu retten!“ „Gut“, sagte der Jäger kalt, „wenn es sein muß, dann los!“ Sofort scharten sich die Gäste um die beiden Wider-
sacher. Man sah glühende Augen und stumme Erwartung in den Gesichtern. Der Indianer war verschwunden. Gut, daß er sich verkrümelt hat, dachte Weller befriedigt, mit dem Satteltramp werde ich auch allein fertig. Er streifte gemächlich das Jagdhemd ab, so daß man seine kräftigen Muskeln sehen konnte, und betrachtete nunmehr prüfend seinen Gegner. Acklin hatte ebenfalls den Oberkörper entblößt. Er war einen Kopf größer als Anthy, hatte einen Brustkasten wie ein Felsblock und riesige Gorillaarme, die mit bläulichen Tätowierungen bedeckt waren. Zweifellos war die Reichweite dieser Arme für Anthy bedenklich, aber das mußte er in Kauf nehmen. Anthy stellte sich breitbeinig auf, die Fäuste erhoben. „Ich bin soweit, Acklin“, brummte er gelassen. Der Blatternarbige tauschte mit seinen Kumpanen, die als Vorderste im Kreis standen, einen verständnisvollen Blick, dann warf er sich mit dem Sprung eines Wolfes auf den Jäger. Anthy hatte von vornherein gewußt: Der rohen Gewalt dieses Schwergewichts konnte er nichts anderes entgegensetzen als kluge Berechnung, Wendigkeit, Ausdauer und die Zuversicht eines furchtlosen Herzens. Aber trotzdem konnte er einen trommelnden Schlagwechsel nicht vermeiden. Man hörte nur die klatschenden Fäuste der hin und her springenden Kämpfer, ihren kurzen, mühsamen Atem. Anthy mußte Abwehrstellung einnehmen, bekam einen mörderischen Kinnhaken, ging zu Boden und lag verkrümmt im Dielenstaub. Acklins Freunde jubelten. Mit einem heiseren Siegesschrei stürzte der Sat-
teltramp über den Gegner her, wollte ihm mit dem bespornten Reitstiefel den Schädel zertrümmern. Anthy rollte sich zur Seite, japste nach Luft, kam wieder auf die Füße und griff erneut an. Acklin war nicht vorbereitet auf den Ausfall. Er deckte zu spät, mußte einen gewaltigen Magenschlag einstecken, der ihn zu Boden warf. Er dampfte vor Erschöpfung und blieb ächzend liegen. Seine Freunde bemühten sich um ihn, so daß Anthy unbehelligt die Kneipe verlassen konnte. Er fand den Häuptling Grau-Elch bei den Pferden am Kneipeneingang. Das lederne Lenkseil seines Mustangs hatte er um den Arm geschlungen und wollte aufsitzen. Das Mondlicht floß über sein dunkles Gesicht und über das Metall der Büchse, die er umgehängt hatte. „Du hast mir zum zweiten Male das Leben gerettet, Bruder“, sagte er fast ein wenig bekümmert, „was kann ich für dich tun?“ Anthy zögerte. Die Zunge hing ihm wie Blei im Munde. Dann würgte er hastig hervor, die Worte überschlugen sich: „Laß mich im Gebiet deines Stammes nach Gold graben, Häuptling. Die Landhaie sitzen mir an der Kehle. Sie wollen mir meine Siedlung nehmen, wenn ich nicht in einer bestimmten Frist das Kaufgeld für Grund und Boden aufbringe. Es ist eine hohe Summe. Wie soll ich sie beschaffen? Ich bin ein armer Teufel, und im Oth-y-sah der roten Männer sollen Goldadern liegen, so stark wie mein Arm.“ Das war ein bißchen übertrieben, es war ihm in der Erregung so herausgerutscht.
Das hagere Gesicht des Dakota wirkte im Silberschein des Mondes noch starrer und regloser als sonst. Die scharfgeschnittenen Züge waren wie aus Stein, nur in den schmalen Augen kohlte es unruhig. Er ließ das Lenkseil des leise schnaubenden Schecken los und legte dem anderen die Hand vertraulich auf den Arm. „Wieviel Geld brauchst du, Bruder?“ „Zweitausend Dollar. Wenn das Jahr vorüber ist, müssen sie beisammen sein. Vielleicht habe ich bis dahin Glück mit dem Goldgraben.“ Grau-Elch schüttelte den unbedeckten langhaarigen Kopf und zog die bemalte Büffeldecke mit einer gemessenen Bewegung über die Schultern. „Laß ab von deinem Plan, Bruder. Das gelbe Metall wird dich unersättlich machen und dir Seele und Hirn zerfressen. Grau-Elch gibt dir Goldstaub im Werte der Summe, die du zahlen mußt. Aber du darfst zu keinem Menschen darüber sprechen. Die Dakota haben uralte Gesetze. Die Geheimnisse ihrer Berge sind ihnen heilig. Willst du meinen Vorschlag annehmen?“ In Bären-Anthy stritten Freude, Beschämung und Stolz. In einer jähen Gefühlsaufwallung war er versucht, doch ja zu sagen. Aber dann sträubte sich etwas in ihm, über das er nicht hinwegkam. Seine Bereitwilligkeit zerbrach. „Ich muß dein Geschenk zurückweisen, Häuptling“, sagte er. „Deine Großmut würde mich bedrücken; denn ich möchte mir aus eigener Kraft die Geldmittel beschaffen, die ich benötige. Deshalb, laß mich in das Oth-y-sah gehen und erlaube mir, dort nach Gold zu suchen.“ Über dem verschlossenen Indianergesicht hingen die
Schatten düsteren Grams. Weller ahnte nicht, daß Grau-Elch einen schweren inneren Kampf zu bestehen hatte und daß bei ihm die Dankbarkeit siegte gegen Anschauung, Überzeugung und die altüberkommenen Gesetze seines Stammes. „Gut“, sagte der Dakota nach einer Weile dumpf, „geh nach dem Oth-y-sah und suche nach dem gelben Metall. Aber vergiß nicht, daß böse Geister das Gold bewachen. Sie werden dich verderben, falls dir die Habsucht den Kopf verwirrt. Nimm nicht mehr, als du brauchst, Bruder, und sei gewarnt!“ Er ließ den Jäger stehen und sprang mit der Wendigkeit einer Katze auf den Pferderücken. Die Verletzung durch die Bärin schien verheilt zu sein. Als er davonritt, sah Anthy einen großen Fellsack, den er auf das Pferd geschnallt hatte. Darin befanden sich die Patronen aus Rickeys Store. Seit acht Tagen hatte Anthy sein Zelt im Oth-y-sah aufgeschlagen und mühte sich von früh bis spät. Die Landschaft hatte einen düsteren Reiz: ein von waldigen Hängen umschlossenes Wiesental, durch das malerisch ein Bächlein schoß. Man hörte das Geplätscher der Wellen, das Summen der Insekten und das Klappern des Spatens, mit dem Anthy arbeitete. Systematisch grub er Stück für Stück in den Sandablagerungen der Uferbank um, schüttete das Erdreich in die Pfanne, goß Wasser darüber, schwenkte das Gefäß hin und her, spülte und wusch mit nimmermüder Ausdauer. Aber keine Spur des glückverheißenden Bodensatzes zeigte sich auf dem Grund des Schlammwassers. Grau, stumpf und glanzlos lag der Dreck in der Pfanne;
von Gold nicht das winzigste Körnchen. Es war eine harte, zermürbende Arbeit. Der Mißerfolg zerrte an seinen Nerven, aber er verlor nicht die Geduld. Morgen wird es klappen, tröstete er sich, wenn er abends vor seinem Zelt am Lagerfeuer saß, sein karges Mahl verschlang und in die Schatten der Dunkelheit blinzelte, die drohend hinter den Flammen emporwuchsen. Er dachte an Frau und Kinder und an seine Siedlung, die er verlassen hatte, um selber die Kaufsumme für sein Land zu erarbeiten. Er hätte es leichter haben können, gewiß. Seine Frau hatte ihm zwar keine Vorwürfe gemacht, daß er das Geschenk Grau-Elchs abgelehnt hatte. Aber vielleicht halte sie recht, vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, das Gold des Indianers anzunehmen, statt sich womöglich erfolglos abzuschinden. Er war nicht mehr der Jüngste, hatte die Vierzig auf dem Buckel, und ob er jemals Gold im Oth-y-sah fand, stand in den Sternen geschrieben. Morgen muß es klappen, redete er sich nachdrücklicher ein, brannte seine Pfeife an, spuckte in hohem Bogen ins Feuer und dehnte den hageren Oberkörper, der schon ein bißchen krumm gezogen war vom vielen Bücken. Es wäre doch gelacht, wenn ich kein Glück haben sollte, denn die Geschichte von dem Gold in den Black Hills ist doch bestimmt kein Märchen. Dann kroch er ins Zelt, lauschte dem Stöhnen des Windes, dem Geschrei der Eulen, spann seine Gedanken und konnte erst spät einschlafen. Die Sonne stand schon hoch, als er erwachte und die Zeltklappe zurückschlug. Ein wunderschöner Tag blaute über dem Wiesental.
Der schwarzgezackte Tann umschloß wie eine starre Wand den tiefen Grund. Ein Meer von bunten Blumen leuchtete. Über der Waldgrenze, wo die nackten Felsen aufragten, kreiste langsam ein Adlerpärchen. Anthy fühlte neue Zuversicht beim Anblick der sonnenvergoldeten Herrlichkeit. Er wusch sich gründlich im Bach, gab seinen zwei Ponys, die mit gefesselten Vorderbeinen hinter dem Zelt weideten, ein paar Hände voll Maiskörner zu fressen, frühstückte hastig und ging mit der gleichen Hast an die Arbeit. Zweihundert Schritt vom Zelt entfernt floß der Bach. Der Spaten steckte noch von gestern her im Schwemmsand; Picke, Schaufel und Pfanne lagen daneben auf der übergrasten Uferbank. Hier konnte er alles unbesorgt liegenlassen; er brauchte keine Angst zu haben vor ungebetenen Besuchern. Ganz leicht hatte Weller sich angezogen; er trug nur Hose, Stiefel und einen Stetson auf dem Kopf. Sein Oberkörper war von der Sonne bronzefarbig geröstet wie die Haut eines Indianers. Büchse, Revolver und Messer lagen im Zelt. Er brauchte keine Waffen, denn er dachte nicht an die Jagd. Dabei trat das Rotwild rudelweise aus den Gehölzen der Talhänge. Manchmal zeigte sich in der Ferne ein streunender Wolf, oder das dunkle Fell eines Schwarzbären schimmerte durch die Föhren. Zu anderer Zeit hätte Wellers Herz höher geschlagen. Jetzt war sein Sinnen und Trachten nur auf Gold gerichtet. Auch heute war es wieder das gleiche Lied. Verbissen schwenkte er die Pfanne mit dem Schlammwasser, bis der trübe Kies, der braune Lehm, die schwarze Erd-
krume zurückblieben und sein Herz sich vor Enttäuschung zusammenkrampfte. Stundenlang arbeitete er so. Die Sonne stieg höher. Kein Lüftchen regte sich. Unbarmherzig brannte ihm die sengende Glut auf den nackten Buckel, den Hals, die Arme. Er triefte vor Anstrengung, sein Atem keuchte. Tief lagen ihm die Augen in den Höhlen. Aber er gönnte sich keine Ruhe. Er schaufelte, schwenkte und wusch. Jedoch es war vergebens; kein Hauch von Placergold, kein noch so schwaches Gerinnsel, nichts! Da schleuderte er mit einem Fluch sein Gerät in die Wiese, stelzte bachaufwärts, bis das Wasser keine Trübung zeigte, sondern klar und sauber floß, und löschte erst einmal seinen brennenden Durst. Dann hockte er brütend am Ufer. Zehn Tage lang hatte er sich nun schon abgerackert, ohne Erfolg. Jagte er einem Phantom nach? War das nicht doch nur ein gemeiner Schwindel mit dem Gold, das es hier geben sollte? Waren die Behauptungen des Satteltramps nur dummes Geschwätz gewesen? Bären-Anthy fühlte einen maßlosen Grimm in sich aufsteigen. Sein stierer Blick bekam einen rötlichen, gefährlichen Glanz. Aber Grau-Elch konnte ihn doch nicht zum Narren gehalten haben; er hatte ihm ja Gold angeboten! Er zwang sich zum Nachdenken. Dann spähte er aufmerksam am Bachufer hinauf und hinunter, stand plötzlich auf und lief noch hundert Schritt am Wasser weiter. Die Ufer näherten sich jetzt einander und bildeten schließlich einen Engpaß. Die Wellen glucksten und schäumten über Kiesel und Blöcke, es klang wie Hohngelächter. Anthy blieb vor dem Einschnitt stehen. Eine fettig
glänzende Erdschicht fiel ihm auf, darunter waren Lagen von kristallisch schimmerndem Felswerk. Ein paar kleine grünliche Schlangen kamen aus einem Spalt hervorgekrochen, glotzten den Mann aus böse schillernden Augen an und verschwanden wieder. Anthys Herz pochte überschnell. „Mokassinschlangen“, murmelte er und fühlte, wie das Blut stürmisch in seinem Schädel zu kreisen begann. Wo diese kleinen giftigen Reptile hausten, da gab es Gold. Das war eine Erfahrungstatsache, auf die jeder Prospektor tausend Eide schwor. Mechanisch, einen abgrundtiefen Seufzer auf den Lippen, stakte Anthy zu seinem Gerät und holte die schwere Kreuzpicke. Dann stand er in der schrägen Höhlung und schlug wie ein Wahnsinniger in das steinige Erdreich. Spritzende Funken, polternde Brocken, klirrender Kies und wölkender Staub waren um den schwer arbeitenden Menschen. Immer tiefer fraß sich das Spitzeisen in die Uferwand. Dann stockten die Hiebe plötzlich, die Hand des Mannes erstarrte. Ein heiserer Aufschrei kam aus seiner Brust. Die Knie zitterten ihm. Er griff sich nach den Augen. Er tastete nach der Stirn, dem aufgerissenen Mund, aus dem der Atem lohte; faßte sich an die Brust. Ruhe – Ruhe! Jetzt nur klaren Kopf behalten, es war doch Wahrheit, echte, glückstrunkene Wahrheit! Vor ihm, im losgesprengten Gestein, glitzerte lockend eine Goldader. Sie lag horizontal in den felsvermischten Erdschichten, unverkennbar, fett, massig, zum Greifen nahe. Sie verhieß unermeßliche Reichtümer. Durch diesen Fund änderte sich Bären-Anthys See-
lenverfassung erschreckend. Er dachte nur noch an sein Gold. Es spukte in seinen Träumen, es vergiftete seine Empfindungen. Es machte ihn zu einem haltlosen Narren, der im Reichtum die Erfüllung uferloser Wünsche sah. Seine leidenschaftliche Gier steigerte sich, je größer die Ausbeute wurde. Bald hatte er einen Haufen Gold im Werte von mehr als zehntausend Dollar aus der dicken Ader herausgeschlagen. In einem Loch, über das er einen schweren Steinblock gewälzt hatte, verwahrte er diesen ständig anwachsenden Schatz und bewachte ihn mit dem Argwohn eines Geizhalses. Von nun an hatte er stets die Büchse, den Revolver und auch das Messer bei sich. Oft fand er nachts keinen Schlaf. Dann patrouillierte er manchmal stundenlang zwischen seinem Zelt und seinem Claim hin und her, das Gewehr in der Hand; zuweilen hockte er am Bachufer und starrte in die Mondgespenster. Überall sah er drohende Gestalten, hungrige Augen und lauernden Verrat. Es war wie eine Krankheit, wie ein Fieber; es war ein Fluch. Einmal, als er gerade neue Schächte in die Uferbank grub, um der Goldader besser beizukommen, klapperte Hufschlag im Geröll des Talhangs. Hastig griff er zur Büchse und wandte mit einem Ruck den Kopf. Ein Reiter auf sattellosem Pferderücken galoppierte heran. Anthy ließ die Remington sinken; der lauernde Ausdruck in seinem Gesicht blieb unverändert.
Der halbnackte Indianer auf dem fast wilden Mustang war Ya-sun-ka, Biberohr, der älteste Sohn Grau-Elchs, der die Mutprobe beim letzten Sonnentanzfest bestanden hatte und in die Reihen der Krieger aufgenommen worden war. Er war blutjung, kaum Siebzehn. Sein feuriges Tier tänzelte und scheute ein bißchen beim Anblick des weißen Mannes. Es schnaubte und schlug mit dem langen Schweif nach den Insekten. Biberohr kehrte die Innenflächen der Hände nach oben. Das war der Friedensgruß der Dakota. „Du sollst zum Häuptling kommen“, sagte er in gebrochenem Englisch. „Häuptling erwartet dich, du sollst mit ihm auf die Bärenjagd gehen.“ Er spreizte die Finger ein paarmal von sich. „Viel Bären im Gebirge, Grizzlys, Baribals, du schießt gern Bären, so spricht der Häuptling.“ Anthy machte eine verdrossene Handbewegung. „Laß mich zufrieden, Junge“, knurrte er barsch. „Sage deinem Vater, ich hätte keine Zeit. Gold graben ist nützlicher als Bären jagen, und nun mach, daß du fortkommst!“ Er wartete, die Büchse in der Hand, bis Biberohr seinen Mustang auf den Hacken herumwarf und im Galopp davonritt. Erst als er am Taleingang verschwunden war, legte Anthy die Waffe beiseite und machte sich wieder an die Arbeit. Seine eingefallenen Augen glitzerten unheimlich. „Sie wollen mich weglocken von meinen Schätzen“, murmelte er böse. „Husten werde ich Ihnen etwas!“ Und er rackerte unermüdlich weiter, bis der Tag zerfloß und die neue Ausbeute sich protzig und schwer vor ihm häufte. Es waren Goldbrocken dabei, so groß wie Hühnereier. Placer-
und Schwemmgold war armseliger Dreck gegen die Reichtümer dieser Mutterader. Sie nahm kein Ende, sie schien quer durch das Tal zu verlaufen. Anthy lachte zufrieden in sich hinein. Das hatte es noch nicht gegeben, auch nicht während der großen Goldfunde in Kalifornien. Er war ein begüterter Mann, ein vom Glück Auserwählter. Er würde sich nun eine große Farm kaufen, Ruhe haben vor allen Landhaien der Staaten, und auch die Zukunft seiner Kinder würde gesichert sein. Dreimal war die Sonne gekommen und gegangen, dann tauchte Grau-Elchs Sohn erneut aus den Schatten der Gehölze auf. Es war in einer der kargen Arbeitspausen, als Weller rauchend in der Sonne döste und wieder hochfahrende Pläne schmiedete. „Der Häuptling hat mich nochmals geschickt“, sagte der Jüngling knapp, mit abgewandtem Gesicht. „Weißer Mann, du sollst Zelt abbrechen und Ya-sun-ka folgen!“ Anthy lachte ironisch. „Gleich, oder hat es noch ein bißchen Zeit?“ „Sofort!“ Die dunklen Augen des jungen Kriegers wurden schmal und stechend. „Häuptling muß mit dir reden.“ „Ich weiß schon“, sagte Anthy und qualmte dicke Rauchwolken in die Luft, „ihr wollt mich von hier forthaben, ihr gönnt mir nicht den Reichtum. Aber macht, was ihr wollt, ich gehe erst aus dem Oth-y-sah, wenn ich den letzten Zacken aus dieser Goldader herausgebrochen habe. Und jetzt scher dich zum Teufel! Falls du dich noch einmal sehen läßt, mache ich dir mit der
Remington Beine.“ Um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, nahm er das Gewehr zur Hand und lud bedächtig durch. Der Indianerjüngling aber hatte sich schon hinter den Hals des Mustangs geduckt und das Pferd herumgerissen. Vierundzwanzig Stunden später, zur gleichen Tageszeit, erschien der Häuptling. Er hatte seinen Schecken bei den weidenden Pferden Anthys zurückgelassen und kam, lanzengerade und würdevoll, auf den Jäger zugeschritten. Er war geschmückt wie zu einem Stammesfest, hatte das beste Kriegshemd aus weichgegerbtem Elchleder angelegt; die Federschleppe seines Kopfputzes reichte bis herab zur Mokassinferse. Er hielt die Winchesterbüchse im Arm, ihr Lauf funkelte in der Sonne. Anthy blickte ihm unruhig entgegen. Ein Gefühl der Schuld wollte in ihm aufsteigen. Doch dann dachte er an sein Gold, und sein Herz verhärtete sich wieder. Er schob die Pfeife trotzig in den Mundwinkel und kletterte aus der Grube, die sich täglich mehr erweiterte. Grau-Elch reichte ihm die Hand, frostig, ohne Wärme. Eine dunkle Schwermut war in seinen schrägen Augen. Eine Weile betrachtete er stumm den anderen. Es war ein durchdringender, wissender Blick. Die bösen Schatten in dem ausgemergelten Gesicht, das ein wilder Bart umstarrte, sagten dem Dakota genug. Der weiße Bruder war verloren, wenn es nicht gelang, ihn von dem Gold loszureißen. Und Grau-Elch war entschlossen, den weißen Bruder zu retten. Er liebte ihn, er vergaß nicht, was er ihm schuldig war. Aber er handelte nicht nur aus Dankbarkeit. Sein kluger Sinn
richtete sich auch noch auf andere Ziele. Er wußte, daß Bären-Anthy ein treuer Freund der Dakota war, ein Verbündeter gegen die Übergriffe der weißen Grenzer, ein Vermittler zwischen dem Militär und den roten Stämmen. Er konnte auf die Dienste dieses Helfers nicht verzichten, er mußte ihn sich erhalten. Er sagte gemessen, ohne den Jäger, der eine mürrische Arroganz zeigte, aus den Augen zu lassen: „Du bist erfolgreich gewesen, Bruder. Du hast gelbes Metall im Überfluß, aber dein Herz ist nicht froh dabei. Ein Wurm frißt in deiner Seele, in deinem Kopf gehen schwere Gedanken um. Du bangst um das Gold, du fürchtest, man könnte es dir nehmen. Du bist nicht glücklich, Bruder!“ Er legte dem anderen die Hand auf den nackten Unterarm, der braun und verledert war vom Sonnenbrand. „Weißt du noch, was dir der Dakota riet, ehe du in die Gründe der roten Männer gingst? Sagte er dir nicht, daß es besser sei, nur so viel Gold zu nehmen, wie du brauchst? Kannst du sprechen: Es ist nicht so?“ „Ich kann das nicht mehr aufrechterhalten, es ist überholt“, erwiderte Weller. Er machte einen drohenden Lufthieb, mit dem er gleichsam sein Gewissen erschlug. Er rief erbittert: „Den möchte ich sehen, der so eine Goldader, wie ich sie entdeckt habe, nicht ausbeuten würde bis zum letzten Körnchen!“ Er knirschte mit den Zähnen, seine Augen rollten. „Ich gehe von hier nicht fort, bis ich nicht das ganze Gold habe. Und wenn du mir sämtliche Krieger der Dakota auf den Hals jagst!“ Er legte grimmig die Hand um den Büchsenschaft. „Ich bin bereit, für mein Gold zu kämpfen, bis zur letzten Patrone!“ Grau-Elch wiegte
bekümmert die prächtige Federkrone, unter der das straffe, lange Haar hervordunkelte. „Deine Seele ist krank, Bruder“, sagte er leise. „Das gelbe Metall hat deinen Geist verwirrt. Die Krieger der Dakota könnten dich töten, ohne daß du Zeit fändest, eine Waffe zu erheben. Sie tun es nicht, weil ihr Häuptling es nicht will. Grau-Elch möchte deine Freundschaft nicht verlieren, Bruder.“ „Ich pfeife auf eine Freundschaft, die mir die Früchte meiner Mühen mißgönnt!“ knurrte Anthy finster. Er wollte wieder an die Arbeit gehen. Seine Büchse hatte er an einen Felsbrocken gelehnt. Der Häuptling vertrat ihm den Weg. Seine dunklen Augen sprühten vor Zorn und Schmerz. Er packte den Weißen an der Schulter, Anthy duckte sich unter dem Griff, schwankte ein wenig, und sein Hut rollte ins Gras. Dann versuchte er mit verkrallten Händen GrauElchs Kehle zu fassen. Grau-Elch ließ ihn los und trat zurück. „Wach auf, Bruder“, bat er beschwörend. „Du mußt die schlimmen Geister besiegen, die dich vernichten wollen. Reite aus dem Oth-y-sah, wenn die Schatten lang werden im Walde, sonst singt dir der Vogel Wakondas das Totenlied.“ Anthy war verwirrt, ernüchtert, beschämt und fühlte eine dumpfe Angst im Herzen. Er griff zum Stetson und stülpte ihn wieder auf den Schädel. Er starrte in den schäumenden Bach zu seinen Füßen und in die leuchtenden Gräser, über denen bunte Schmetterlinge segelten. Seine Gedanken kreisten ihm bleischwer durchs Hirn, seine Zweifel, seine Irrungen, seine Nöte.
Er wollte mit seiner schnöden Habsucht brechen, sich abkehren vom Ungeist seiner Goldgier, aber er fand nicht mehr die Kraft dazu. Als er sich auf den Indianer besann und nach ihm ausschaute, war dieser verschwunden. Am Felsenhang des Wiesentales verwehte der Galoppschlag eines Mustangs, der keine Eisen trug. Anthy beutete weiter seine Goldmine aus, die unerschöpflich schien. Wochen vergingen, Monate; die warme Jahreszeit neigte sich ihrem Ende zu. Schon färbte sich das Laub des Waldes, und der Hauch des Vergehens spann seine Fäden über die Landschaft. Der Indianersommer brachte heitere, sonnenvergoldete Tage und kalte Mondnächte, die den ersten Rauhreif auf die Gräser streuten. Frühmorgens schnitt ein scharfer Ostwind dem Goldgräber ins bärtige Gesicht, daß ihm die Augen wässerten. Dann bedeckte sich der Himmel, es folgten Sturm und Regen, der den Aufenthalt im Freien verbot. Anthy hockte in seinem Zelt und fror. Der Proviant war ihm ausgegangen, auch der Whisky und der Tabak. Er nährte sich von Kaninchen, die es in großen Mengen gab. Die Tiere waren zahm und zutraulich wie kleine Hündchen; es war nicht schwer, sie zu erlegen. Anthy hatte das Goldsraben einstellen müssen. Der Winter stand vor der Tür, und nun mußte er wohl oder übel das Oth-y-sah verlassen. Auch seine Sehnsucht nach Frau und Kindern war groß wie seit langem nicht. Langsam kam er jetzt zur Besinnung. Trotz seines Reichtums lag ein Druck auf seinem Herzen, vielleicht gerade deshalb.
Der Transport des Goldes machte Anthy Kopfzerbrechen. Er schätzte seine Goldausbeute auf ungefähr dreihundert Pfund. Sein Packtier war derartigen Lasten nicht gewachsen. Es würde Schwierigkeiten geben mit dem Pony. Er hätte einen stämmigen, hochbeinigen Gaul haben müssen, vielleicht sogar zwei. Schließlich lud er aber doch den sorgsam in Decken verschnürten Goldvorrat auf das Pony. Es keuchte vor Anstrengung. Die Zeltbahn und seine anderen Habseligkeiten schnallte er hinter dem Sattel seines Reittieres fest. Das Minengerät ließ er zurück, er konnte leichten Herzens darauf verzichten. Anthy war gezwungen, nur im Schritt zu reiten. Dadurch würde die Heimreise sehr lange dauern. Es waren an die hundert Meilen zurückzulegen, und noch dazu fast ausschließlich durch unwegsame Wildnis. Aber der Gedanke, seine Schätze unversehrt heimzubringen, ließ ihn alle Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen. Er machte öfter Rast, damit sich das überlastete Packtier erholen konnte. Am ersten Tag ging es so leidlich. Früh am Abend suchte er einen geeigneten Platz zum Lagern. Es war schon in den Ausläufern der Black Hills, wo die Hochprärie in die Waldbestände hineinwuchs. Jenseits des Travens-Fork, den er in einer Furt überquerte, entsattelte Anthy die Pferde. Hierbei wurde er von zwei Reitern überrascht, die plötzlich aus einer Bodensenke auftauchten und heranzuckelten. Zwei Kerle in Cowboykleidung stiegen stöhnend von den abgetriebenen Pferden. Der eine führte noch ein Packtier mit sich.
„Feine Sache, daß wir Sie getroffen haben, Fremder“, sagte der mit dem Packtier, der der jüngere zu sein schien. Er blickte auf den nahen Fluß. „Ist das nun der Travens-Fork oder ein anderes Gewässer?“ „Sie wissen das vielleicht besser als ich“, brummte Weller und stellte sich vor seine schweren Bündel, die im Grase lagen, „oder wollt ihr beide etwa behaupten, daß ihr unbekannt in der Gegend seid?“ „Na, erlauben Sie mal“, entrüstete sich der ältere der Burschen und streichelte das Leder, in dem sein Colt steckte. „Was soll denn dieser Ton, Gentleman? Natürlich kennen wir uns hier nicht aus, wir sind zum erstenmal den Schwarzen Bergen auf Büchsenschußweite nahe gerückt.“ „So, so – “, brummelte Anthy gezwungen und schoß einen spähenden Blick auf den Sprecher, „mir scheint, als hätte ich Sie schon einmal in Ben Acklins Gesellschaft gesehen; in Rickeys Taverne, glaube ich.“ „Das muß ein Irrtum sein“, protestierte der mit dem Packtier. „Ben Acklin? Den Namen habe ich nie gehört – du Jack?“ „No“, der andere grinste frech. „Der Gentleman sieht weiße Mäuse; kommt manchmal vor, wenn man ausgepowert ist durch Strapazen und so. Man merkt Ihnen an, daß Sie allerhand hinter sich haben, Kamerad. Sie kommen aus dem Indianergebiet, nicht wahr?“ Weller lachte höhnisch. „Wenn ihr glaubt, den BärenAnthy ausnehmen zu können wie einen feisten Truthahn, dann habt ihr euch verrechnet, Jungens.“ Er blickte drohend in die Gesichter der beiden, während er die Remington schußfertig in den Händen hielt. „Wo
ich herkomme und wo ich hin will, das geht euch nichts an. Von Wegelagerern läßt man sich nicht in die Karten gucken.“ „Wegelagerer?“ Der ältere Bursche lachte. Es klang nicht ganz echt. „Man könnte glauben, Sie hätten den Verstand verloren’, Gentleman.“ Er schielte nach der schwarzen Mündung von Wellers Büchse. „Tun Sie doch das Schießeisen weg. Sie haben ehrliche Leute vor sich, verstanden?“ Anthy schüttelte den Kopf. „Das möchte ich bezweifeln. Ich will mir nicht den Bauch mit Blei vollpumpen lassen, drum bleibt das Gewehr in Schußbereitschaft. Euren Gesichtern nach seid ihr Schnapphähne, eure Kugelspritzen haben Menschen getötet. Mir macht ihr nichts vor, Jungens!“ Der mit dem Packtier meinte scheinheilig: „Unschuld muß leiden, das war schon immer so in der Welt. Vielleicht werden Sie diese Herzlosigkeit mal bereuen, Bären-Anthy. Was haben Sie denn in diesen Paketen da?“ „Bisonfelle von den Rothäuten eingehandelt“, log Anthy schlagfertig. Er setzte sich auf einen der Packen, die Laufmündung der Remington immer in Brusthöhe der beiden Kerle haltend, und ergänzte seelenruhig: „Wißt ihr, Jungens, eure Gesellschaft ist mir unsympathisch. Ihr tätet mir einen großen Gefallen, zu verschwinden, und zwar augenblicklich.“ Seine Stimme wurde scharf wie ein Messer. „Wenn ihr in fünf Minuten noch hier seid, wird euch die Remington Beine machen!“ Da wußten die zwei Strolche, das war blutiger Ernst.
Sie stiegen fluchend in die Sättel und verzichteten darauf, mit Bären-Anthy am gleichen Lagerplatz zu nächtigen. Sie trabten eilig davon. Hinter der Senke, aus der sie gekommen waren, verklang der Hufschlag ihrer Pferde. Es war inzwischen dämmerig geworden. Ein rauher Wind wehte von den Bergen her. Das welke Laub raschelte in den Büschen. Dann stieg ein blasser Mond, der einen Hof hatte, hinter dem Flußgehölz in den farblosen Himmel. Anthy hatte sein Nachtlager unter einer Douglastanne aufgeschlagen, deren Geäst bis herab zum Boden reichte. Er schob seine kostbaren Bündel hart an den Baumstamm zwischen die überhängenden Zweige, wo sie gut getarnt waren, und legte die Büchse in Reichweite daneben. Den Ledergurt mit Revolver und Jagdmesser behielt er um die Hüften. Er schnallte ihn nur etwas lockerer, damit er nachher beim Schlafen nicht drücken sollte. Dann aß er sein Abendbrot; es war nur dürftig: ein Stück kaltes Kaninchenfleisch, dazu einen Becher Wasser aus dem Travens-Fork, der einförmig durch sein flaches Bett floß. Das Reitpony, an den Vorderbeinen gefesselt, rupfte hungrig das Gras aus dem Boden; das Packpferd hatte sich vor Erschöpfung niedergetan und knabberte lustlos an einem Busch herum. Anthy machte sich Sorgen wegen des Tieres. Aber das war im Augenblick das kleinere Übel. Bedrohlicher war die Begegnung mit den beiden Kerlen, die sich nicht von ungefähr in der Gegend herumtrieben. Die hatten eine bestimmte Absicht. Das fühlte Anthy,
das sagte ihm sein Instinkt. Die Angst um sein Gold legte sich ihm als dumpfe Beklemmung auf die Brust. Er würde wohl nicht schlafen können in dieser Nacht, obgleich ihm die Augendeckel vor Ermüdung zuklappen wollten. Aus Gründen der Vorsicht verzichtete er auf ein Lagerfeuer, an dem er sich hätte aufwärmen können, und er unterließ es auch, sein Zelt aufzuschlagen. Er hielt es vielmehr für ratsam, unter freiem Himmel zu kampieren, und hoffte nur, daß es nicht regnen würde. Dann war er aber doch eingedruselt und träumte von seinen Schätzen, die eine Schar Habenichtse ihm stehlen wollte. Ganz plötzlich erwachte Bären-Anthy und fuhr erschrocken in die Höhe. Sein Herz pochte vor Erregung. Das unsichtige Dunkel der Nacht umschloß ihn. Nie vorher hatte er die Einsamkeit der Wildnis so bedrükkend empfunden wie heute; sie lähmte ihn, sie lag wie ein Würgegriff an seiner Kehle. Der Mond gaukelte durch fahles Gewölk. Schatten stiegen und sanken. Manchmal wurde es ein bißchen heller, so daß er die Umrisse des Gehölzes erkannte, die den Wasserlauf umgaben. Er hörte den Wind im dürren Laub rascheln und die Pferde schnauben, deren Körper sich von der Uferwiese abhoben. Anthy lauschte und spähte. Seine Hand faßte nach dem Schaft des Gewehres. Er konnte jedoch kein verdächtiges Geräusch wahrnehmen. Die Tiere schnaubten auch nicht mehr, sie grasten wieder. Er hörte deutlich das Mahlen ihrer Zähne und das Wedeln ihrer Schweife. Anthy freute sich darüber, daß sich das
Packtier erholt hatte und mit auf der Wiese weidete. Er kroch schmunzelnd unter seine Decke zurück und sinnierte, von einer Sorge befreit, vor sich hin. Das einförmige Geräusch des Windes wiegte ihn, ohne daß er es wollte, abermals in den Schlummer. Wie lange er geschlafen hatte, als er wiederum erwachte, wußte er nicht. Etwas Besonderes hatte ihn geweckt, die Witterung einer Gefahr. Im Auftaumeln griff er sofort zum Gewehr. Zwei dunkle Gestalten schlichen gebückt auf die Douglastanne zu, völlig geräuschlos wie Wölfe, die eine von vorn, die andere seitlich, mehr vom Buschwerk gedeckt. Weller schoß ohne Anruf. Er wußte, was die beiden wollten. Ein wilder Grimm löschte jedes Erbarmen in ihm aus. Als das Mündungsfeuer aus der Remington zuckte, brach die eine Gestalt zusammen. Ein Schrei verwehte mit dem Knall des Schusses. Die zweite Gestalt verschwand hinter den Sträuchern. Anthy lud durch und wartete. Der Mond rutschte in die Wolkensäcke. Das vorher leidliche Büchsenlicht wurde schlechter. Anthy konnte gerade noch seine beiden Pferde erkennen, die der Schuß erschreckt hatte. Sie standen ungefähr fünfzig Schritt weit entfernt. Anthy überlegte, ob er die Tiere an seinen Lagerplatz heranholen sollte, er unterließ es dann aber. Er brachte es nicht fertig, seine Packen auch nur für Minuten zu verlassen. Er hatte sich zwischen diese und das Geäst der Tanne gekauert und sicherte wachsam nach allen Seiten. Durch die Geräusche der Nacht wisperten verstohlene, unheimliche Laute; sie näherten sich, sie strichen
heran, schleichend wie auf Katzenpfoten. Nun Rascheln im Laub, ein dürrer Ast brach. Anthy erschrak. Er wußte, was das bedeutete; man wollte an sein Gold. Eine Bande von Raubgesellen, deren Spione die beiden Strolche gewesen waren, hatte ihn umstellt. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Dann war eine Stimme in der Nacht, bei deren Klang er zusammenfuhr. Es war die Stimme Ben Acklins. Sie hatte seinen Namen gerufen. Da Weller schwieg, rief es noch einmal aus dem Dunkel: „Hallo, Bären-Anthy! Strecke die Waffen, es hat keinen Zweck zu kämpfen!“ Anthy überlegte. Ganz ruhig war er nun angesichts der Gefahr. Er wußte, daß er keine Chancen mehr hatte. Man würde ihn so und so erledigen, ob er das Gold freiwillig herausgäbe oder es so lange verteidigte, bis er nicht mehr atmen konnte. Also dann Kampf! Ein kalter Grimm packte ihn wieder, aber er bezwang sich. Er fühlte etwas wie Galgenhumor in sich aufsteigen; er hatte ja nichts mehr zu verlieren. „Ich denke nicht daran, nach deiner Pfeife zu tanzen, Acklin!“ schrie er. „Was wollt ihr Halunken eigentlich von mir?“ „Nun, dein Gold, Kamerad. Wenn du uns deine Pakken auslieferst, lassen wir dich laufen. Ehrenwort, Bären-Anthy, es wird dir kein Haar gekrümmt, wenn du auf meinen Vorschlag eingehst.“ Weller antwortete mit einem Hohnlachen: „Meinst du wirklich, daß der Bären-Anthy dein hochherziges Angebot annimmt? Nein, Acklin, da mußt du dir schon einen Dümmeren aussuchen. Holt euch getrost die gelben Steinchen, mein Lasttier kann sie sowieso nicht
mehr tragen, aber vergeßt auch nicht die blauen Bohnen mitzunehmen, die ich aus meiner Remington blase. Schätze, es werden noch einige von euch ins Gras beißen, ehe ich das selber tun muß.“ Dann war Stille, eine würgende, gefährliche Stille. Anthy durchspähte, das Gewehr in der Hand, den dürftigen Sichtkreis. Er lauschte, aber er konnte keine Geräusche ausmachen, die das Nahen seiner Gegner verrieten. Die Pferde grasten wieder friedlich, der Fluß strömte, der Wind raunte, irgendwo schrie ein Käuzchen. Die Zeit vertröpfelte im Schneckentempo. Der Mond gaukelte durch Wolkenschalten und streute sein fahles Licht. Dann wurde es plötzlich unter den Bäumen lebendig. Anthy riß den Kolben an die Wange und schoß. Er sah springende Gestalten, die verschwanden und wieder auftauchten. Wie grellrote Striche blitzten Mündungsfeuer vor ihm auf. Er bekam einen Schlag gegen die Schulter, rutschte über seine Packen und fiel auf den Rücken. Seine Glieder streckten sich. Ein Rauschen war in seinen Ohren, stampfende Schritte von Männerstiefeln, Lärm, Hohngelächter. Er fühlte noch, wie rohe Fäuste ihn von den Packen wegrissen, dann traf ein Hieb seine Stirn… Anthy erwachte aus schwerer Betäubung mit einer Riesenbeule über der Nasenwurzel und einem Schulterschuß, der ihn mehr schmerzte als der Schädel, in dem ein dumpfes Brausen war. Er lag in einer Blutlache, hatte Schüttelfrost und einen Blutgeschmack im Munde. Es war Tag, aber die Sonne kam nicht durch die Wolken. Ein häßlicher Regenwind
flüsterte im feuchten Laub. Im Travens-Fork plätscherten die Wellen, sonst war Stille, eine trostlose, beängstigende Stille. Anthy bewegte mühsam den steifen, schmerzenden Körper, um sich in sitzende Stellung aufzurichten. Er blickte mit weitaufgerissenen, verstörten Augen umher. Von den Kerlen, die ihn überfallen hatten, war nichts zu sehen; sie hatten ihn wohl als tot liegenlassen und alles mitgenommen, was ihm gehörte, seine Pferde, seine Waffen, sein Zelt, seine Decken und sein Gold. Anthys Herz setzte einen Schlag aus, dann kam hohles Stöhnen aus seiner Brust. Er sank wieder hintenüber, lag in der braunen Blutlache, die geronnen war, und wünschte sich den Tod. Der Tod war der einzige Gedanke in seinem wüsten Hirn. Aber er kam nicht, er war hart und mitleidslos. Er überließ ihn dem Leben, das unerträglich geworden war, qualvoll und grausam wie nie. War das der Fluch des Goldes, der Lohn für seine unersättliche Gier? Die Verzweiflung packte ihn, als er sich seiner erbärmlichen Lage ganz bewußt geworden war. Er dachte dann an Heim und Herd, Frau und Kinder und an die Pflichten, vor denen er sich feige hatte drücken wollen. Nein, die Sehnsucht nach dem Tod war ein Frevel, er mußte leben, trotz allem! Dann kroch die Herbstsonne doch noch aus segelnden Wolkenfetzen und erwärmte mit ihren Strahlen den zerschundenen Mann. Der Schüttelfrost verging, es wurde ihm ein wenig besser, aber die Kehle brannte ihm vor Durst. Er mußte erst ans Wasser heran. Schwerfällig richtete er sich auf. Seine Knie schwank-
ten, vor seinem wirren Schädel tanzten die Bäume. Er betastete die Schußverletzung. Sie blutete nicht mehr. Er konnte den Arm bewegen, wenn auch unter Schmerzen. Der Knochen war also heil. Er seufzte erleichtert, schleppte sich nach dem Flußufer und trank. Das tat wohl, es vertrieb die Fieberhitze. Dann lag er wieder in der Sonne und überdachte seinen Zustand. Er brauchte unbedingt sofort Hilfe, der Verletzung wegen, sonst könnte sich der Wundbrand einstellen. Aber er wollte nun nicht mehr sterben. Er wollte heim, wenn auch bettelarm und krank an Leib und Seele. Er kühlte die Geschwulst auf der Stirn mit Flußwasser. Die Beule ging langsam zurück. Wahrscheinlich hatte ihn da ein Kolbenschlag getroffen. „Diese Hunde“, knirschte er, „diese elenden Hunde!“ Er wünschte ihnen die Pest an den Hals. Mochte sie der Fluch des Goldes ebenso treffen wie ihn. Dann schlief er ein vor Schwäche, Müdigkeit und Hunger. Als er wieder erwacht war, fand er noch ein Stück Kaninchenfleisch in seinem Lederrock, das hatten ihm die Räuber gelassen. Er verschlang es, war aber nur halb gesättigt. Er blickte nach dem Stand der Sonne, brach sich mühsam einen Ast aus den Büschen und verließ den Platz, an dem seine Zukunftsträume zerplatzt waren wie Seifenblasen. Er stakte auf unsicheren Beinen flußabwärts, ohne sich ein einziges Mal umzusehen. Der Knüppel in seiner Hand diente ihm als Stütze. Am Abend stand er völlig ausgepumpt vor dem Blockhaus des Trappers Cliff Strool, der neben seiner Fallenstellerei die Aufzucht von Pferden betrieb.
Anthy hatte früher einmal ein Pony von ihm eingehandelt. Strool war ein alter, erfahrener Mann, der seit über fünfzig Jahren in den Prärien lebte. Sogleich zog er den erschöpften Gast in die karge Behausung, die er mit zwei scharfen Wolfshunden teilte. Er versorgte Anthys Wunde, gab ihm zu essen und zu trinken und riet ihm, ein paar Tage dazubleiben. Anthy, der sich über die Ursachen seines Zustandes ausschwieg, lehnte ab. Er habe nicht viel Zeit und wolle auch keine Scherereien machen. „Leihen Sie mir einen Gaul, Strool. Werde ihn in Rickeys Taverne einstellen, wo Sie ihn gelegentlich zurückholen können.“ Damit schnitt er jede weitere Rede ab, kletterte auf den Vollblüter, den ihm der Trapper aufgezäumt hatte, und ritt los. Strool blickte ihm kopfschüttelnd nach und hatte eine leichte Gänsehaut, als er an Wellers leere Augen dachte und an die Trostlosigkeit in seinem müden Gesicht. Am nächsten Tag erreichte Anthy Rickeys Taverne, obwohl er seiner Verwundung wegen nur in mäßigem Tempo hatte reiten können. Rickey stand vor dem Store und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als Weller mit finsterer Miene aus dem Sattel rutschte. „Wie sehen Sie denn aus, Mann? Sind Sie das selber, oder ist es nur Ihr Geist?“ Er brachte den maroden Reiter ins Haus und ließ das Pferd von seinem Aufwärter absatteln, füttern und auf die Koppel treiben. Er schenkte Weller einen Schnaps ein und stellte ihm etwas zu essen hin. Anthy war auf einen der derben Stühle gesunken und schaute in dem Schankraum umher, als wäre er nicht von dieser Welt.
Gäste waren zu dieser Zeit nicht da. Er stürzte den Whisky in die Kehle, schüttelte sich und tastete schmerzverzerrt nach dem Verband an der Schulter… „Pech gehabt, Rickey“, murmelt er. „Acklin und seine Bande haben mich ausgeflöht bis zur letzten Tabakskrume. Daß ich mit dem Leben davongekommen bin, war ein Wunder. Ich hatte Gold in rauhen Mengen, jetzt bin ich arm wie eine Kirchenmaus.“ Und dann nach einer Pause, während Rickey ihn sprachlos anstarrte: „Der Gaul gehört Strool. Ich habe mit ihm vereinbart, daß er das Pferd bei Ihnen abholen soll, wenn ich es nicht mehr brauche.“ Anthy würgte das Essen hinunter und trank einen zweiten Whisky. Dann bat er um eine Pfeife Tabak. Rickey stopfte ihm eine von seinen Pfeifen, reichte ihm Feuer und sah zu, wie der andere den Rauch des duftigen Krautes in sich hineinzog. Er wollte Fragen stellen, – unterließ es aber, weil er merkte, daß Weller ein gebrochener Mann war. Er konnte sich sein Teil denken. Er war einer der wenigen, die über Anthys Verhältnisse Bescheid wußten. Beim Abschied sagte er mit schlichter Wärme: „Nicht unterkriegen lassen, Bären-Anthy! Wenn Sie der Schuh drücken sollte, wissen Sie ja, wo Al Rickey wohnt.“ Anthy nickte nur mit einem überflüssigen Räuspern, schlug dem Vollblüter die Hacken in den Bauch und machte, daß er fortkam. Frau Weller saß im Schein der Hirschtalgkerze am Herdfeuer und strickte Strümpfe für ihren Mann; die wollte sie ihm zu Weihnachten schenken, wie es in jedem Jahr geschah. Er trug zwar meist Fußlappen,
aber im Winter waren Strümpfe dienlicher. Die Wolle hatte sie bei einem der fahrenden Händler gegen Wolfsdecken eingetauscht, weil sie sich dadurch den Weg zu Rickeys Store hatte sparen können. Frau Ethel hatte Sorgenfalten auf der Stirn. Ihr Gesicht hatte schärfere Züge bekommen, und in ihr braunes Haar mischten sich vereinzelt weiße Fäden. Sie bangte um Anthy und um den Ausgang seines Unternehmens, das sie von vornherein als verfehlt angesehen hatte. Sein Verzicht auf das hochherzige Geschenk Grau-Elchs wäre nicht nötig gewesen. Die Frau unterbrach ihre Arbeit und schaute trüb in das flackernde Kerzenlicht. Zuweilen lauschte Frau Weller nach dem Nachbarraum hinüber, wo die Kinder schliefen. Sie wälzten sich unruhig in ihren Betten und sprachen manchmal einzelne Worte. Vielleicht träumten sie wieder von ihrem Vater; sie sehnten sich nach ihm. Frau Weller seufzte und fing wieder an zu stricken. Ihre harten, verarbeiteten Finger waren unermüdlich in Bewegung. Das Herdfeuer prasselte. Der Wind stöhnte im Rauchfang. Das Talglicht malte den Schattenriß ihrer Gestalt übergroß an die Balkenwand. Anthy hätte schon längst zurück sein müssen, er war überfällig. Jeden Tag konnte der Winter hereinbrechen. Die Schneestürme im Gebirge waren gefährlich; regelmäßig forderten sie ihre Opfer. Die Frau schauderte zusammen, ihr Herz klopfte. Wären die Kinder nicht gewesen, hätte sie sich längst aufgemacht, um ihren Mann zu suchen. Der Hilfe der Indianer wäre sie dabei sicher gewesen.
Jeden Abend gingen ihr diese Gedanken durch den Sinn. Das Talglicht vertröpfelte knisternd. Es bildeten sich groteske Wülste am Flaschenhals, in dem die Kerze steckte. Von draußen kamen die Stimmen der Nacht: das Rauschen der Bäume, das Geschrei der Eulen und das Wimmern der Coyoten, immer die gleichen Melodien. Dann waren plötzlich andere Laute dazwischen. Die Frau sprang auf und lauschte am Fensterladen. Sie griff zur Büchse, die am Holzpfosten hing. Es war eine Reservewaffe Anthys, ein alter Vorderlader, zu dem noch Pulverhorn und Kugelbeutel gehörten. Aber sie war auch vertraut mit solchen Gewehren und konnte schießen wie ein Mann. Hufschlag wehte an Ihr Ohr. Ein Reiter näherte sich. Dann rief eine Stimme draußen an der Fenz, eine Stimme, die sie kannte, die ihr lieb und teuer war. Der Frau stockte der Atem. Sie ließ alles liegen und stehen, sie stürmte hinaus. „Anthy!“ Er kletterte steifbeinig aus dem Sattel, sagte kein Wort, sondern schnüffelte nur seltsam durch den struppigen Vollbart, der ihn aussehen ließ wie ein Greis. Der Mond schien nicht hell genug, daß sie sein Gesicht richtig erkennen konnte. Nachdem der fremde Gaul versorgt worden war, ließ er sich ins Haus bringen wie ein Kind. Da gingen der Frau die Augen auf. Sie wußte alles. Aber sie bezwang ihre Bestürzung über sein Aussehen und über seine finstere Schweigsamkeit, holte heißes Wasser vom Herd, damit er sich gründlich waschen könne, und schaffte etwas zu essen herbei. Er verlangte jedoch nur zu trinken und bat, seinen Ver-
band zu erneuern, es sei nichts Schlimmes, nur eine kleine Verwundung. Nach dieser einsilbigen Bemerkung schüttete er mit zittrigen Händen den heißen Tee, den sie schnell gekocht hatte, in die Kehle, und es dauerte nicht lange, da fielen ihm vor Mattigkeit die Augen zu. Sie säuberte notdürftig die Wunde, die trotz Vernachlässigung einen gutartigen Eindruck machte, legte einen frischen Verband auf und richtete sein Lager. Er schlief gleich neben dem Herd auf der Holzbank, um es schön warm zu haben, und wegen der Kinder, deren Schlummer er sonst hätte stören müssen. Seine Frau schob ihm sorglich ein weiches Luchsfell unter, wünschte ihm gute Nacht und ging in den Schlafraum hinüber. Aber er hörte es schon nicht mehr, er schnarchte bereits. Frühmorgens, die Wiedersehensfreude der Kinder dämpfte sich merkwürdig schnell, rückte er langsam damit heraus, daß ihm Unheil widerfahren sei und er mit leeren Händen komme. Er erzählte alles in breiter Ausführlichkeit, ohne etwas zu beschönigen oder zu verschweigen. Später, als Helge die einzige Milchkuh zur Tränke führte und Bobby mit dem fremden Vollblüter zu tun hatte, beratschlagten die Eheleute, was zu tun sei, aber sie fanden keinen Ausweg; im Gegenteil, die Angst vor der Zukunft war noch bedrückender geworden. Es hing eine lähmende Ratlosigkeit zwischen den beiden Menschen. Frau Weller, die sonst nicht leicht resignierte, sagte zerbrochen: „Nun werden uns die Landhaie doch von Haus und Hof jagen. Bei einigen unserer Nachbarn haben sie schon damit angefangen. Die Familie Hok-
kett am Woodland-River ist bei Nacht und Nebel aus der Siedlung abgerückt. Die Hockett haben alles kurz und klein geschlagen. Jeffersons in der Hochprärie setzten den roten Hahn auf die eigenen Dächer, ehe sie mit dem Ochsenkarren loszogen, um sich eine neue Heimat zu suchen. In einigen Squatterfarmen soll gegen die Landhaie gekämpft worden sein.“ Die Frau starrte hart ins Leere. „Kann es soviel Unrecht in einem freien Land geben?“ Anthy murmelte böse: „Die Geldgier der Terraingesellschaften hat den Geist Lincolns zertreten. Lebte Old Abe noch, würde es solche Zustände nicht geben. Abe Lincoln war der Präsident des kleinen Mannes, sein Nachfolger hält es mit den Geldsäcken; das ist der Ruin von uns Squattern.“ Er schwieg verwirrt. Er dachte daran, daß auch er zu den Geldsäcken gehört hätte, wäre es nicht anders gekommen. Sie ratschlagten weiter hin und her. Sie faßten Entschlüsse und verwarfen sie wieder. Sie wußten nicht, wie sie der drängenden Not Herr werden sollten, deren Schatten sich über ihren Häuptern zusammenzogen. Ein paar Monate noch, dann würden die Landhaie auch an ihre Tür pochen. Es war ein unerträglicher Gedanke, die Siedlung im Stich lassen zu müssen. In diesen hoffnungslosen Tagen erwog Anthy insgeheim den Kampf als letzten Ausweg. Er mußte zu einem bitteren Ende führen, aber was half es? Die Siedlung freiwillig zu räumen und irgendwo in der Wildnis von neuem anzufangen, dazu war er nicht mehr fähig. Die Goldgräberzeit in den Black Hills hatte seinen sonst kühnen Unternehmungsgeist ausgelöscht. Aber er
war auch innerlich unsicher geworden und scheute sich jetzt davor, endgültige Entscheidungen zu treffen. Etwas war in ihm zerbrochen. Seine Wunde war verheilt, sein Bartgestrüpp verschwunden. Frau Ethel hatte ihm die Haare geschnitten. Er sah wieder menschlich aus, aber er war hager, ernst und still geworden. Manchmal ging er zur Jagd, aber das war selten. Er hatte keine rechte Freude mehr am Pirschen. Der alte Vorderlader reichte zudem nicht aus für seine Bedürfnisse, und eine neue Waffe zu kaufen, dazu fehlte ihm das Geld. Seine gute, treue Remington, mit der er einen Sperber im Flug schoß, die hatten ihm die Wegelagerer genommen. Wenn er daran dachte, zerquetschte er jedesmal einen Fluch zwischen den Zähnen. Meist schlug er Holz für den Winter, solange das noch möglich war. Es hatte schon kalte Tage gegeben. Jetzt waren die Temperaturen zwar wieder gestiegen, ein Anzeichen dafür, daß es bald Schnee geben würde. Die Luft war grau und verhangen, ein merkwürdig pfeifender Wind war in den kahlen Bäumen. Anthy konnte jetzt nachts oft keinen Schlaf finden. Dauernd gingen ihm die Sorgen im Kopf herum. In einer solchen ruhelosen Nacht lag er wieder grübelnd im Bettkasten und starrte mit offenen Augen ins Dunkel. Er hörte das tiefe, gleichmäßige Atmen seiner Frau und das der Kinder. Manchmal knisterte der Strohsack, wenn sich ein Schläfer auf die andere Seite drehte. Draußen schrien pausenlos die gehörnten Eulen, mitunter war ein Käuzchenruf dazwischen. Dann klagte ein einsamer Wolf, langgezogen, schaurig, ein Laut
voll wilder Schwermut. Es war nicht weit, vielleicht am Fluß drunten. Anthy hatte nichts übrig für Wölfe. Sie waren die geborenen Räuber; es war gefährlich, ihnen im Winter zu begegnen, wenn sie in Rudeln aus den Black Hills kamen. Dennoch zerfleischten sie nie ihre Opfer, wie es Katzenraubtiere taten oder Bären. Wölfe ließen nichts verludern, sie machten reinen Tisch. Weller schrak aus seinen Betrachtungen auf. Das Geheul des Wolfes klang jetzt ganz nahe, direkt vor dem Blockhaus, aber anders als vorher. Für Anthys geübte Jägerohren war der Unterschied leicht auszumachen. Nein, das war kein Wolf, keiner von den berüchtigten Einzelgängern, wie er erst geglaubt hatte. Das war… Der Kopf wurde ihm heiß bei dem Gedanken. Das Herz pochte ihm hoch zum Hals hinauf. Wendig und leise, damit Frau und Kinder nichts merkten, schlüpfte er in die Hose, streifte die Mokassins über und tastete sich aus dem Dunkel des Schlafraums. Er schob den Riegel der Haustür zurück und öffnete sie. Zuvor hatte er den alten Vorderlader unter den Arm geklemmt. Er trat aus dem überdachten Eingang und spähte ins Halbdunkel. Der Himmel war bedeckt. Ein feuchtes Prickeln lag in der Luft. Der Schneewind blies durch die Dachsparren. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten der Umzäunung und glitt auf ihn zu mit dem lautlosen Schritt des Indianers. „Du hast mein Zeichen gehört, Bruder“, begrüßte. Grau-Elch den Squatter, „es ist gut.“ Er reichte Anthy die Hand. „Ich weiß, was geschehen ist. Der Händler am Fluß hat mir alles erzählt, du brauchst mir nichts
mehr zu sagen.“ Und nach einer Weile, während Weller nach Fassung rang; „Sie haben dir das Gold genommen, vor dem der Dakota dich warnte, weil es dir den Geist verwirrte und die Seele stahl. Wakonda, das Große Geheimnis, hat es so gewollt.“ Er senkte die gutturale Stimme und näherte sein dunkles Gesicht dem des anderen. „Grau-Elch hat dich nicht vergessen. Du sollst das Haus behalten, in dem du wohnst, und das Land, auf dem du Mais pflanzt mit deinem Weib. Dein Herz soll wieder froh werden.“ Er griff in die Falten des Lederhemdes, zog einen Beutel hervor und reichte ihn dem Weißen. „Nimm das Gold, Bruder, das du einst verschmähtest, es ist noch nicht zu spät.“ Anthy stand reglos wie eine Bildsäule; er war ergriffen. Schließlich langte er zögernd nach dem prall gefüllten Lederbeutel und steckte ihn ein. „Ich danke dir, Häuptling“, raunte er heiser. Er wollte nach der Hand des Indianers fassen, aber der wehrte lakonisch ab. „Warte, es ist gut.“ Er kauerte sich nach Indianerart auf die hölzerne Stufe des Eingangs und zog auch Anthy zu sich nieder. „Männer sollen nicht stehen, wenn sie sprechen.“ Er nahm die tönerne Pfeife aus dem Hemdwams und legte die Winchesterbüchse quer über die Knie. „Komm mit ins Haus, Häuptling“, mahnte Anthy. „Einen Gast läßt man am Herdfeuer rasten und bewirtet ihn.“ Grau-Elch schüttelt den Kopf. „Ich habe nicht viel Zeit. Meine Krieger warten mit Packtieren am Fluß. Wir haben Patronen geholt vom Händler und müssen im Gebirge sein, ehe die Nacht gesunken ist. Es wird
Schnee fallen, und da ist es nicht gut, wenn man mit Lasten reitet.“ Er schlug Feuer und brannte sich die Pfeife an. Er rauchte echten Virginia, nicht mehr den Kinikinik der Väter aus den Blättern des Hanfes und des wilden Sumachstrauches. Er kannte den Wert des Goldes, der ihm den Ankauf von Waffen und Munition erlaubte, und mancher Güter der Bleichgesichter; Gewehre und Patronen waren die lebensnotwendigen Dinge für ihn und seinen Stamm. „Dank ist nicht nötig unter Brüdern. Weißt du noch, als du den Bären tötetest, der mich niederschlug? Da sagtest du ähnliche Worte.“ Eine Weile paffte er stumm und genießerisch, während Anthy wartete und fror, denn er hatte nur Hemd und Hose an, und der rauhe Schneewind blies ihm bis ins Mark hinein. Da sagte der Häuptling unvermittelt: „Es wird nicht mehr lange Frieden sein zwischen den weißen und den roten Männern. Die Goldgräber werden den Vertrag brechen und gewaltsam in das Land der Dakota einfallen. Dann wird Kampf sein. Die Prärie wird das Blut vieler Erschlagener trinken. Es wird Ungerechtigkeit kommen, Lüge und Verrat. Man wird den roten Mann schmähen und ihn behandeln wie den Wolf, der in die Hürden bricht, um zu morden. Man wird ihm noch mehr Land stehlen im Namen des Großen Weißen Vaters, der behauptet, seine roten Kinder zu lieben. Halte dein Gewissen rein, Bruder, und vergiß deine roten Freunde nicht, die in Ehren sterben werden. Grau-Elch
hat gesprochen, es ist gut!“ Er sprang auf, streckte dem anderen die Hand entgegen und verschwand wie ein Schatten in die Nacht. Anthy blickte ihm nach und fuhr sich über das Gesicht, als ob er geträumt habe. Dann stolperte er ins Haus und weckte lärmend Frau und Kinder.
Copyright by Verlag Neues Leben Berlin 1957 Lizenz-Nr.: 303 (305 80/37) Umschlagzeichnung und Illustrationen: Rainer Stuchlik, Leipzig Druck: (140) Neues Deutschland, Berlin N 54 • 2667