C.H.GUENTER
Bandito Amigo
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C.H.GUENTER
Bandito Amigo
1
1. Der Morgen des letzten Montags im November war klar wie Kristallglas. Auf dem Flugplatz von Heraklion wurde eine zweimotorige Privatmaschine aus dem Hangar gezogen. Der Pilot Costa Dimilios ließ sie auftanken und rollte dann zur Abfertigung. Während er auf den Kleinbus wartete, leerte er die Ascher in den Lehnen der zehn Passagiersessel. Er war gerade damit fertig, als seine Passagiere, alles sportliche Männer um die Dreißig, ankamen. Mit einem Blick sah der erfahrene Pilot, daß es mit diesen Burschen keinen Ärger geben würde. Das waren weder Rowdies noch Playboys. Alle traten sie glattrasiert, mit kurzem Haarschnitt, gebügelten Hemden, blitzsauberen Jeans und poliertem Schuhwerk auf. Sie hatten nur Reisetaschen bei sich. Die letzten zwei schleppten eine Kiste in die Kabine der Piper Navajo. Der Pilot wandte sich an einen Blonden mit blauen Augen. „Sagten Sie nicht zehn Personen, Sir?“ „Der Flugpreis ist pauschal ausgehandelt, denke ich.“ „Nur der Ordnung halber, Sir“, erklärte der Pilot. Er war Grieche, paßte sich aber dem Englisch an, das die jungen Männer untereinander benutzten. „Sie sehen“, antwortete der Blonde, „es werden nicht mehr.“ „Kommt noch jemand?“ „Sie können starten.“ Da der Pilot zögerte, rief einer von hinten: „Unser Freund liegt stockbetrunken im Hotel. Er war nicht wach zu kriegen.“ „Und der andere mußte dringend nach Athen.“ 2
„In einer Minneangelegenheit“, fügte der Blonde hinzu. „Wo ist der Champagner?“ Ein Rothaariger hatte den Fuß mit dem Cowboystiefel darauf stehen. „An Bord.“ „Ob das für drei Tage reicht?“ gab einer augenzwinkernd zu bedenken. „Zehn Magnumflaschen? Ganz trocken soll Zypern ja auch nicht sein.“ Der Pilot nahm an, daß seine Passagiere in Zypern etwas zu feiern hätten oder eine Feier fortsetzen wollten. Er sagte: „Gentlemen, Sie können jede Menge Alkohol und Zigaretten von Kreta nach Zypern bringen. Obwohl wir vierhundert Meilen übers Meer fliegen, ist es ein Inlandflug. Der Zoll wird Sie also nicht behelligen, solange Sie in Zypern nicht die türkische Zone betreten.“ Schallendes Gelächter quittierte diese Rede sowie Bemerkungen, daß es ziemlich überflüssig sei, mit Mozart über den Kammerton a zu reden, mit Kaiser Nero über Brandstiftung oder mit der Pompadour über Keuschheit. Komischer Verein, dachte der Pilot. Er holte die Gangway ein, vielmehr klappte er die kleine Treppe nach innen und schloß die Rumpftür. Als er zum Cockpit ging, fühlte er sich am Arm gepackt. Es war ein stämmiger Rothaariger, der Englisch sprach wie ein Brite. „Wenn Sie Probleme kriegen, wenden Sie sich ruhig an mich.“ „Probleme welcher Art, Sir?“ „Nun, mit der Kiste oder mit dem Wetter.“ „Ich fliege die Route seit zehn Jahren, Sir.“ „Nun, Sie wissen Bescheid.“ Der Pilot stieg ins Cockpit, drehte sich aber noch einmal um. „Sind Sie auch Flieger, Sir?“ „Ein wenig.“ 3
„Kennen sich aus bei Zweimotorigen?“ „Ich habe insgesamt viertausend Flugstunden auf Düsenjets.“ Demnach war dieser Passagier ein Profi. „Danke, Sir! Hoffe, wird nicht nötig sein. Das Wetter bleibt konstant, mein Flugzeug ist in Ordnung und ich fühle mich in Form.“ „Um so besser“, sagte der Rothaarige. Im Verlauf des Fluges von Insel zu Insel entnahm der Pilot den Gesprächen seiner Gäste, daß sie zwar unterschiedlicher Herkunft waren, aber ein gemeinsames Interesse hatten, nämlich auf Zypern ein Faß aufzumachen und ausgiebig schwimmen zu gehen. Das Meer sollte dort im Spätherbst noch warm sein. Die zweimotorige Piper Navajo hatte eine Langstreckenreisegeschwindigkeit von dreihundert Stundenkilometern. Gegen 11.50 Uhr kam Zypern in Sicht. Um 11.55 Uhr überflogen sie Kap Gata. Die Passagiere blieben von der Küste und den Buchten so unbeeindruckt, als würden sie alles schon kennen. Sie rauchten, tranken Whisky und redeten ständig. Bis auf einen glaubte der Pilot die Nationalität seiner Passagiere bestimmen zu können. Ein Franzose war unter ihnen, ein Italiener, ein Brite. Wer der Holländer und wer der Deutsche war, konnte er nicht mit letzter Bestimmtheit sagen. In bezug auf den Griechen hatte er jedoch keinen Zweifel. Der kleine Dunkelhaarige mochte Spanier sein oder Portugiese. Nur der Schweigsame ließ sich schwer einordnen. Vielleicht Türke, schätzte der Pilot. - Was ging es ihn an. Nordkurs nehmend hielt er auf Limassol zu und leitete Sinkflug ein. Der Tower gab ihm sofort Landeerlaubnis. Jetzt im November herrschte, auf der Insel wenig Verkehr. Nach dem Ausrollen gingen die Passagiere recht aufgekratzt von Bord. Der Blonde mit den blauen Augen schüttelte dem Piloten die Hand und dankte für den guten Flug. 4
„Den Scheck haben Sie ja bekommen.“ „Bezahlt ist, Sir.“ „Was haben Sie übermorgen vor?“ wollte der Blonde noch wissen. „Ich bin Bedarfsflieger, Sir“, antwortete Dimilios. „Inhaber der Firma, Besitzer des einzigen Flugzeugs der Firma und einziger Pilot. Meine Frau macht in Kreta den Bürokram.“ „Bekamen Sie unterwegs nicht einen Funkanruf?“ Der Pilot bestätigte dies. „Vermutlich nehme ich morgen in Tel Aviv Fracht auf. Zwei Kisten Elektronik für Athen. Aber das ist noch nicht perfekt.“ Der Blonde schien zu überlegen. „Der Rückflug führt Sie zwangsläufig über Zypern.“ „Es wäre kein großer Umweg, Sir.“ „Dann könnten Sie uns mit nach Athen nehmen.“ „Gerne, Sir. Wann, Sir?“ „Ich denke, wir bleiben bis Mittwoch abend. Am Mittwoch abend dürften wir hier ...“ Der Blonde wechselte mitten im Satz die Worte, offenbar um sich nicht zu verraten. „ ... dürften wir von Zypern genug haben.“ Der Pilot wollte sich das lukrative Geschäft nicht entgehen lassen. „Ich werde hier sein, Sir, und auf Sie warten.“ Der Blonde besprach sich mit seinen Freunden und wandte sich wieder an den Piloten: „Mittwoch, sechzehn Uhr?“ „Abgemacht.“ „Zum selben Preis.“ Nun zögerte der Pilot. „Athen ist weiter entfernt als Kreta, Sir.“ „Nicht im Direktflug. Das können Sie mir nicht weismachen.“ Der Pilot fühlte sich bei einer Unkorrektheit ertappt. Aber so groß war sie auch wieder nicht, daß sie ihn beschämte. Athen war wirklich weiter entfernt als Kreta. 5
Ein paar Meilen zwar nur, aber feilschen war ja nicht verboten. „Einverstanden“, sagte der Pilot. „Alter Preis, übermorgen sechzehn Uhr.“ „An dieser Stelle.“ „Bei jedem Wetter“, fügte der Mann, der angeblich Jetpilot war, hinzu. „Nur dichter Nebel oder Orkanböen über zwölf werden als Entschuldigung für Nichterscheinen angenommen.“ „Okay, Sir“, rief der Pilot. Oder vorzeitiges Ableben, fügte er in Gedanken hinzu. Allerdings hatte er nicht die Absicht, in den nächsten fünfzig Stunden zu sterben, und diese lebensfrohen Gentlemen wohl auch nicht. Auf der Kiste stand Veuve Cliquot eingebrannt, der Name einer der besten Champagnermarken der Welt. In der Kiste befand sich jedoch nicht ein Tropfen Flüssigkeit. Die acht Männer besuchten auf Zypern Kafenions, die Straßencafes und auch Bouzouki-Nachtclubs. Sie trafen sich in Kellerkneipen und Altstadtrestaurants, wo man die Speisen nicht nach der Karte wählte, sondern auf einem Gang durch die Küche. Sie kamen in der Superdisco Lamaca zusammen, wo aus neunundneunzig Lautsprechermembranen der Hit „Relaxos“ dröhnte, ohrenbetäubend, wenn sie alle Regler aufzogen. Sie tanzten unter der Leuchtkraft von einhundert Kilowatt bunter Scheinwerfer und Laserkanonen, aber stets trennten sie sich wieder. Immer dann, wenn die Insel Siesta hielt oder schlief, wurden sie besonders aktiv. Planmäßig verfolgten sie bestimmte Interessen. Jeder hatte seine Aufgabe und erledigte sie als Mitglied eines perfekten Teams. Dabei gingen sie vor, als handle es sich um die geheimste Sache der Welt. Am Mittwoch waren alle Arbeiten beendet. Die acht Freunde fuhren in die Larnaca Bay. Während sie auf dem offenen Feuer Steaks und 6
Lammkoteletts grillten, lieferte jeder einen Kurzbericht über seine Tätigkeit ab. Der Engländer referierte über Straßen, Brücken und Eisenbahnlinien. „Man kann sagen, das Netz ist in Ordnung“, lautete seine Schlußbemerkung. „Dasselbe gilt für Häfen und Flugplätze“, steuerte der Italiener bei. Der Deutsche, der sich um die öffentlichen Einrichtungen gekümmert hatte, sagte: „Radio und TV-Stationen sind modern. Für die Elektrizitäts- und Wasserwerke gilt das weniger. Von den Hospitälern ganz zu schweigen. Davon gibt es ein einigermaßen brauchbares nur in Nikosia. Die ärztliche Versorgung der Insel läßt zu wünschen übrig.“ „Die Küste, Bays und Strände entsprechen in Zustand und Eignung weitgehend den Handbüchern“, stellte der Holländer fest. Der Portugiese, der das Hügelland im Inneren mit dem Jeep durchquert hatte, meinte: „Viele Dörfer sind verlassen. Es gibt noch ein paar Bauern und Hirten, aber die Menschen zieht es in die Stadt. Dort leben sie nach der Devise: Besser in den Slums faulenzen, als sich abrackern für noch weniger Geld.“ Der Grieche hatte die Garnisonen der griechischen Truppen besucht und der Türke jenseits der Demarkationslinie die türkische Armee. „Stärke, Ausrüstung und Qualität entsprechen weitgehend dem letzten NATO-Jahresbericht“, erklärten sie übereinstimmend. Gespannt warteten sie auf den Bericht des Franzosen. Er kam mit dem Fernglas in der Hand vom Wasser her. Seine Beine waren naß bis zum Knie und voll Algen, „Das Meer ist lauwarm und klar. Aber Quallen gibt es.“ „Laßt uns erst einen Happen essen“, schlug der Engländer vor. „Zu wem gehört der Mast da draußen?“ 7
„Offenbar eine Privatyacht.“ „Ziemlich großes Ding.“ Der Franzose - er hatte sich mit Küstenbefestigungen und Frühwarnanlagen befaßt - nahm einen Schluck Retsina. „Ich beobachte die Yacht schon seit gestern. Nicht auszuschließen, daß es sich um ein sowjetisches Spionageschiff handelt. Sie vermessen hier immer wieder die Fahrrinnen und die Küstenlinien. Sie horchen in den Funkverkehr hinein und interessieren sich für Radarfrequenzen.“ Nach zwei Schlucken setzte er das Glas mit dem Wein ab. Als Franzose war er wohl andere Qualitäten gewöhnt. Als die Steaks und Koteletts fertig waren, verzichtete er überraschend auf seinen Anteil. Er entschuldigte es damit, daß ihm übel sei. „Muß gleich kotzen.“ „Aber nicht hier, bitte.“ „Hat jemand einen Schnaps bei der Hand?“ „Das waren die Muscheln gestern.“ „Oder zu viel Sonne“, meinte der Portugiese. Nach einer Weile kam der Franzose wieder und setzte sich hin. „Geht es dir besser?“ fragten sie. Er gab keine Antwort. Nach dem Essen schaute der Holländer auf die Uhr. „Noch drei Stunden bis zum Rückflug. Wird Zeit für ein letztes Bad, Freunde.“ Sie zogen sich aus und rannten splitternackt in die Dünung hinein. „He, kommst du nicht mit?“ fragte der Deutsche den Franzosen. Der schüttelte nur den Kopf. „Achtet auf die Quallen! „ „Die sind nicht giftig hier.“ Das waren die letzten Worte, die einer aus der Clique mit dem Franzosen gewechselt hatte. Als sie zwanzig 8
Minuten später vom Schwimmen im Meer zurückkamen, lag er tot neben der Glut. „Sterbend hat er noch Wärme gesucht“, sagte der Portugiese erschüttert. „Weiß nicht.“ Der Engländer schluckte. „Mir ist ebenfalls schwindlig.“ „Hast du auch Muscheln gegessen?“ „Noch nie im Leben.“ „Was machen wir jetzt?“ fragte der Holländer. Sie beratschlagten und kamen zu dem Entschluß, daß sie ihren Freund, den Franzosen, nicht auf der Insel zurücklassen durften. Unter keinen Umständen. „Wir nehmen ihn mit“, entschieden sie. „Dann nichts wie ab zum Flugplatz.“ Der Engländer ging hinüber zum Pinienwald, um den gemieteten VW-Bus zu holen. Sie hörten, wie er anließ. Aber er kam nicht, obwohl der Motor lief. „Gewiß steckt er im Sand fest“, vermutete einer. Vier Mann machten sich auf, um ihn herauszuschieben. Ab 15.30 Uhr Nahostzeit wartete der Pilot Costa Dimilios am Flugplatz Limassol. Seine Piper Navajo war aufgetankt und startklar. Um 16.00 Uhr fragte er im Tower noch einmal das Wetter ab. Nicht nur die Meldung, daß sich von Sizilien her ein Tief näherte, machte ihn unruhig, auch seine Passagiere kamen nicht. Er hatte die Reisegruppe als äußerst pünktlich in Erinnerung. Jetzt ging es auf 16.15 Uhr, und keiner von den Männern war zu sehen. Eine Viertelstunde später wurde Costa Dimilios nervös. Die Hoffnung, noch bei Tageslicht Athen zu erreichen, schwand von Minute zu Minute. Seine Zweimotorige hatte zwar Nacht- und Blindflugzulassung, und er besaß die dafür notwendigen Lizenzen, aber eine Schlechtwetterlandung bei Dunkelheit ohne bordeigenes ILS trug ein hohes Risiko in sich. 9
Außerdem war die Ladung nicht ausreichend versichert. Noch zehn Minuten wollte er warten. Länger nicht. Um 16.45 Uhr gab Dimilios noch einmal zehn Minuten zu. Der Flug lohnte sich erst, wenn er Passagiere mitnahm. Die fünfzig Dollar, die sie pro Kopf zahlten, waren Reingewinn. Er erinnerte sich an den Wortlaut der Abmachung. Was hatte der angebliche Jetpilot gesagt: Nur bei dichtem Nebel oder Orkanböen lassen wir den Flug ausfallen. - Oder bei vorzeitigem Ableben, hatte er noch gedacht. Damit war bei diesen athletischen Typen wohl nicht zu rechnen. Vermutlich waren sie gestern total abgesackt. Aber telefonieren konnten sie wenigstens. Über Sprechfunk fragte er noch einmal die Flugleitung. „Ein Anruf für mich?“ „Nichts.“ „Das Wetter?“ „Unverändert bis Athen. In Athen ist noch alles klar, aber es macht langsam zu.“ „Dann bitte ich um Startfreigabe.“ Die Piper bekam Starterlaubnis für siebzehn Uhr. Drei Minuten später als die Linienmaschine nach Rom hob sie ab. 2. „Höchste Alarmstufe. Alles muß auf die Beine! „ Der Anruf kam buchstäblich aus heiterem Nachthimmel. Was den BND-Agenten Robert Urban aufs höchste wunderte, war der Umstand, daß das Kanzleramt in Bonn direkt mit ihm sprach. So gut wie nie überging der weisungsberechtigte Minister den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes. In den letzten tausend Jahren war das nur dreimal vorgekommen. Bei einem niemals publizierten 10
Terroranschlag auf den Bundeskanzler, als die Russen Afghanistan okkupierten und heute. Da sie ihm am Telefon keine näheren Auskünfte erteilen wollten, fragte Urban anders herum. „Wer alles muß auf die Beine?“ „Sie.“ „Wer noch?“ „Sie allein.“ „Nur ich?“ „Sie sind unser Bester, und deshalb stehen Sie für alle.“ Das klang verdächtig nach Todesmission. „Und was bedeutet ‚höchste Alarmstufe’? Müssen wir in die nicht vorhandenen Luftschutzkeller?“ Der Kanzleramtsminister persönlich führte dieses Gespräch. Seine Stimme klang nach Staatsgeheimnis. „Natürlich haben wir uns bei Ihrem Direktor rückversichert. Nun stelle ich eine Direktverbindung zwischen Ihnen und dem Verteidigungsminister her.“ Im Klartext bedeutete das, daß sie ihn bereits mit der Hardthöhe kurzgeschlossen hatten. Die verfügten zwar über ihren eigenen Dienst, den MAD, aber der war wohl nicht zuständig. Urban kombinierte, daß es sich um ein Problem der Bundeswehr im Ausland handelte. Daß er nicht völlig falsch lag, erfuhr er beim nächsten Anruf. Dieser erwischte ihn mit einem Glas Bourbon in der Hand. Anders ließen sich solche Überraschungen morgens um halb drei kaum verkraften, Wieder war es ein Minister, der mit ihm sprach. „Man hat Sie vorgewarnt, Urban. Der Kanzler weiß Bescheid, Ihr Präsident auch.“ „Nur ich nicht“, bemerkte Urban. „Wir müssen den Fall angesichts der Sachlage so unbürokratisch wie möglich durchziehen. Wie ich hörte, ist auch ein deutscher Staatsbürger davon betroffen.“ Urban schwieg und ließ den Minister kommen. Offenbar hatte man beschlossen, es ihm bröckchenweise 11
zu servieren. Also richtete er sich darauf ein und nahm auch den Bourbon schluckweise. Der Minister fuhr fort: „Trotzdem ist der Fall ein NATO-Problem. Brüssel wird Sie über alles in Bild setzen. Machen Sie sich schon mal reisefertig.“ „Wohin?“ hätte Urban gerne erfahren. „Jedenfalls wartet in Riem in einer Stunde ein Bundeswehr-Jet.“ „Wollte ja nur wissen, ob ich den Pelzmantel einpacken soll oder die Badehose.“ „Zumindest schußfeste Unterwäsche“, ließ sich der Minister zu einem Scherz herab. Danach dauerte es nicht lange, und Brüssel rief an. Erst fragte der Adjutant des Oberkommandierenden, ob er mit Urban spreche. Dann kam ein Amerikaner an den Apparat, danach noch einer und schließlich der NATOSupergeneral mit seinem texanischen Sandsturm-Bariton. „Hier Rogers. Wir kennen uns.“ „Was kann ich für Sie tun, Sir?“ „Zunächst mal alles geheimhalten.“ Es war unnötig, einen Mann wie Urban darauf hinzuweisen. „Normalerweise bespreche ich solche Dinge nur hier in meinem Arbeitszimmer. Aber es geht gewissermaßen um Sekunden. Sind Sie noch da?“ „Ich höre, General.“ „Mister Urban“, fuhr der General fort. „Wir wollen, daß Sie nach Zypern fliegen und herauskriegen, warum acht unserer fähigsten jungen Obristen ums Leben kamen.“ In Urban blinkte sofort das Warnlicht. Gewöhnlich übernahm so etwas die CIA, der amerikanische Geheimdienst. Gerade im Mittelmeerraum waren die USA durch die 6. Flotte stark vertreten. Warum er zur Lösung des Falles auserkoren war, erfuhr Urban, als General Rogers die Betroffenen aufzählte. „Es sind je ein Oberst aus England, Italien, Frankreich, 12
den Niederlanden, Griechenland, der Türkei, Portugal und Deutschland. Oberst Joachim Graf Terra. Sie kennen ihn vielleicht.“ Ein Amerikaner war also nicht dabei. „Colonel Rock Carvin von der zweiten Luftlandedivision blieb in Kreta zurück. Und Oberst Jorgensen von den norwegischen Pionieren hatte in Athen zu tun. Nur deshalb überlebten sie.“ „Kreta, Zypern, Athen, wie darf ich das verstehen, Sir?“ erkundigte sich Urban. „Die zehn ausgesuchten Offiziere nahmen in Kreta an einem NATO-Speziallehrgang teil. Er war am letzten Sonntag beendet. Acht von ihnen unternahmen noch einen Badetrip nach Zypern. Dort passierte es dann.“ Urban dachte zunächst an einen Autounfall. Daß acht hervorragende Obristen auf andere Weise ums Leben gekommen sein könnten, dazu fehlte ihm die Phantasie. „Alles wirklich erstklassige Leute, trainiert, cool, clever, in bestem gesundheitlichem Zustand.“ „Wie geschah es?“ „Vermutlich beim Schwimmen. Man fand sie an einem einsamen Strandstück der Larnaca Bay nackt und tot, ohne äußere Zeichen von Gewaltanwendung.“ „Wer fand sie?“ „Ein Bauer auf der Suche nach seinem wildernden Hund. Die Toten trugen ihre Erkennungsmarken. Daran identifizierte sie die Polizei mit Hilfe der griechischen Garnison. Via NATO-Süd erfuhren wir es vor Mitternacht.“ „Mord ist auszuschließen?“ vergewisserte sich Urban. „Die Toten lagen schmerzverkrümmt in Kot und Erbrochenem. Der zypriotische Gerichtsmediziner grenzt die Zeit des Todeseintritts für Mittwoch in den Nachmittagsstunden ein.“ „Das war vorgestern.“ „Wann fliegen Sie?“ drängte der Viersternegeneral. „Bei Tagesanbruch“, sagte Urban. 13
Auf Zypern fand Urban die geschilderte Situation voll bestätigt. Die acht Toten lagen noch im Schauhaus von Limassol. Der zuständige Staatsanwalt hatte die Leichen zum Abtransport in die jeweiligen Heimatländer freigegeben. „Natürlich gibt es noch Unklarheiten“, gestand er Urban gegenüber ein. „Deshalb bin ich hier“, erwiderte Urban. „Interpol glaubt also nicht an eine Lebensmittelvergiftung“, fuhr der Staatsanwalt fort und sprach Urban dabei als Kommissar an. Er wußte es nicht besser. Urbans Papiere und Vollmachten wiesen ihn als Beamten der Internationalen Polizeizentrale Paris aus. Der BND hatte diese Tarnung in Absprache mit dem NATO-Oberkommando gewählt. „Nein! Wir glauben nicht ernsthaft an eine Massenvergiftung“, fuhr Urban fort und überflog die in Neugriechisch abgefaßten Untersuchungsberichte. „Schon allein deshalb nicht, weil acht Personen selten genau das gleiche zu sich nehmen und weil sie auch nicht auf die gleiche Weise reagieren. Es müßte sich um ein und dieselbe Portion Fleisch, Muscheln oder Fisch gehandelt haben. Einer von den acht hätte sicher etwas gerochen oder geschmeckt. Ein Fleischstück etwa muß schon stark mit Botulinus-Bakterien verseucht sein, um den Tod herbeizuführen. Alle acht starben binnen einer Stunde. Nun, das ist doch sehr merkwürdig.“ „Zunächst dachten wir auch an Mord“, erwiderte der Staatsanwalt. „Unsere Fachleute entdeckten jedoch keinerlei äußere Hinweise. In den Exkrementen hingegen befanden sich die Reste abgebauter Stoffe, die zu Krämpfen und Muskellähmungen führen können.“ „Mikroskopische Reste?“ fragte Urban. „So steht es im Protokoll.“ „Die findet man so gut wie überall“, bedauerte Urban. „Sogar an Kinderlutschbonbons. Aber das haut nicht acht 14
sportliche Männer um.“ Mit deutlicher Zurückhaltung sprach der Staatsanwalt nun die Reise der acht Männer nach Zypern an. „Sie kamen mit einem Privatflugzeug“, zählte er auf, „wohnten im selben Hotel in Doppelzimmern. Tagsüber trennten sie sich, sofern unsere Nachforschungen stimmen, und gingen eigene Wege. Abends speisten sie gemeinsam und suchten wohl auch gemeinsam Cafés und Discotheken auf. Und dies Ende November, wo man die Touristen hier an einer Hand abzählen kann. Andererseits handelte es sich nicht um eine jener typischen Gruppen von Studienreisenden, Kegelvereinen, Sportmannschaften oder Managern, die einen gemeinsamen Ausflug unternommen haben.“ „Sondern?“ fragte Urban, der ahnte, was jetzt kommen würde. „Die Herren waren durchweg gut bis teuer gekleidet. Sie verfügten über ausreichend Bargeld oder Reiseschecks, und man fand sie nackt. Nun, das erinnert ein wenig an die Verhaltensweise gewisser Lustknaben des Altertums. - Sie wissen, worauf ich hinaus will, Kommissar?“ „Nein“, antwo rtete Urban und nahm an, daß jetzt das Wort „Homosexuelle“ fallen würde. „Ein Freundeskreis von Homosexuellen“, äußerte der Staatsanwalt. Urban nickte. „Daran dachten wir auch.“ Gerne ließ er den Beamten auf der falschen Spur. „Wir verfolgen Hinweise in dieser Richtung.“ „Gemeinsamer Selbstmord scheidet da wohl aus.“ Urban erhob sich. „Gestatten Sie, daß ich mir die Toten noch einmal ansehe?“ Der Staatsanwalt rief bei der Kriminalpolizei an und bei der kommunalen Behörde, die das Beerdigungswesen verwaltete. 15
Der zypriotische Kriminalinspektor wich nicht von Urbans Seite. Manchmal war er hilfreich, meist empfand Urban ihn jedoch als störend. Dies insofern, als daß der Beamte für alles zu rasche und einfache Erklärungen lieferte. Bei den Leichen fielen Urban dunkle Stellen auf, ungefähr handtellergroß. Der eine hatte sie am Oberschenkel, der andere am Rücken, der dritte an der Schulter. „Wurde das untersucht?“ fragte er. „Keine Gewebeschädigung“, erklärte der Inspektor. „Es sieht aus wie Blutergüsse.“ „Auch bei Hautabschürfungen gerät Blut in die Epidermis.“ „Hat der Strand dort Klippen?“ „Nein, nur Sand und Kies, Kommissar. Die Toten lagen an diesen dunklen Stellen auf. Man fand sie immerhin erst am nächsten Morgen.“ „Sicher gibt es Tatortfotos.“ Urban bekam sie zu sehen und fand, daß die Toten auffällig zusammengekrümmt dalagen und ziemlich verschmutzt waren. „Nach Beendigung der Totenstarre löste sich auch die Muskelverkrampfung. „ „Bei der Verschmutzung, um was handelt es sich da?“ wollte Urban wissen. Der Inspektor zählte auf: „Erbrochenes, Exkremente, Sand und ein paar Algen.“ „Die hafteten noch an ihren Gliedern?“ „Wir duschten sie ab. Eine andere Möglichkeit, sie zu säubern, hatten wir am Strand nicht.“ „Aber erst nachdem die Spurensicherung ihre Arbeit beendet hatte, hoffe ich doch.“ „Wir sind hier nicht in Afrika, Kommissar“, gab der Beamte zurück. Urban wollte die Hinterlassenschaft der Toten in Augenschein nehmen. Ihre Kleidungsstücke und 16
Wertsachen lagen in einem Asservatenraum, den man extra eingerichtet hatte. Urban fand nicht mehr als die Dinge, die ein Mann mit dreißig Jahren auf eine kurze Reise mitnahm. Ein Reservehemd, Ersatzwäsche, Socken, Rasierzeug, Zahnbürste, Zigaretten, eine Pfeife, eine Kamera, ein Taschenbuch vielleicht. Eine Kiste mit Landkarten, Reiseführern in vier Sprachen, Kompaß, Ferngläsern und Campingausrüstung gehörte auch dazu. Die Fotoapparate hatten, obwohl von unterschiedlicher Bauart und Marke, eines gemeinsam: sie waren leer. „Wo sind die Filme?“ fragte Urban. „Wir haben sie nicht.“ Die Polizei hatte die Filme nicht gefunden, also auch nicht entnommen. Urban mußte das akzeptieren. Nun bat er, an den Strand gebracht zu werden. Im Gegensatz zu anderen Strandabschnitten machte dieser einen peinlich aufgeräumten Eindruck. „Sind Sie mit einer Putzkolonne darübergegangen?“ fragte Urban. „Wir Zyprioten schätzen die Reinlichkeit.“ Urban, der nicht unbedingt diesen Eindruck hatte, blieb höflich. „Interpol darf annehmen“, sagte er, „daß die Reinigung mit Absicht geschah, kleinste Spuren und Hinweise zu sichern.“ „In der Tat, Monsieur Commissaire“, bestätigte der Inspektor, ein schmaler dunkelhaariger Mann von bestenfalls achtundfünfzig Kilo Gewicht. Anhand der Fotos rekonstruierte Urban die Stellen, wo das Grillfeuer gebrannt hatte, wo der VW-Bus stand und wo die Toten lagen. „Wurden die Reste von Fleisch und Brot untersucht?“ „Da hatten sich Vögel, Raubzeug, Hunde und Mücken darüber hergemacht.“ „Konnte der Busvermieter etwas beisteuern?“ „Nein. Der Motor lief allerdings noch. Der Tank war 17
offenbar voll gewesen. Im Leerlauf braucht so ein Ding ja nur wenige Liter in der Stunde.“ Ein interessanter Hinweis, wie Urban glaubte. Wäre es Mord gewesen, hätte der Täter wohl den Motor abgestellt. Schon des Geräusches wegen. Urban marschierte den Strand nach beiden Seiten etwa einen Kilometer entlang. Draußen lag ein Schiff. „Ist das ein Küstenwachboot?“ „Eine Privatyacht“, vermutete der Inspektor. „Davon gibt es hier jede Menge.“ „Auch vor Anker?“ „Auch das.“ „Ich sehe nur die eine.“ „Hier überwi ntern vor allem größere Schiffe. Unsere Häfen sind sicherer als die kleinen ägäischen Inselbuchten, der Service ist besser, ebenso die Erreichbarkeit mit Linienjets.“ Die Yacht verschwand bald darauf, als habe sie nur beäugen wollen, was sich am Strand tat. „Zurück zur Stadt, Monsieur Commissaire?“ fragte der Zypriot. „Gern, wenn uns der Weg bei dem Bauern vorbeiführt, der das Massaker entdeckte.“ Der Inspektor gab seinen Unwillen durch heftiges Lufteinziehen zum Ausdruck. „Was der Mann zu sagen hat, steht in den Protokollen“, zischte er über seine vorstehenden Unterzähne. Aber Urbans Uhr tickte einfach anders. Im Gegensatz zu den Insulanern hier, die offenbar noch mit Sanduhren arbeiteten, war er an eine quarzgesteuerte Weltraumuhr angeschlossen. „Jeder sagt nur das, was man ihn fragt.“ „Sie halten uns für nicht sehr kompetent“, griff der Zypriot an. „Man kann bisweilen etwas übersehen“, besänftigte Urban ihn, setzte seinen Wunsch aber durch. Sie fanden den Bauern im Weingarten, wo er die Reben 18
beschnitt. Seine Frau hackte indessen die Erde zwischen den Stöcken auf. „Sie sind“, begann Urban unter Einsatz all seiner Kenntnisse des Neugriechischen, „wie mir scheint, ein erfahrener Fischer, Jäger und Strandgänger.“ Dem verwitterten Gesicht des Bauern war kaum eine Veränderung anzumerken. „Bin ich, mein Herr.“ „Hatten Sie den Eindruck, daß Sie nach dem Tod der acht Männer der erste Mensch am Strand gewesen sind?“ Der Alte knipste eine trockene Rebe ab und blickte dann auf. „Weiß nicht“, erwiderte er. „Ich sah Spuren von Vögeln, von Raubzeug, von Krebsen und Insekten.“ „Und?“ drängte Urban. „Abdrücke Barfüßiger.“ „Was noch?“ „Abdrücke von Schwimmflossen.“ Nun mischte sich der zypriotische Inspektor ein. Er ging den Bauern hart an. „Warum haben Sie uns das verschwiegen?“ Urban glaubte den Grund zu kennen. „Wo genau sahen Sie die Flossenabdrücke eines Tauchers?“ „In der anderen Bucht.“ Der Inspektor gab sich mit dieser Auskunft zufrieden. Urban nicht. „Wie alt war der Abdruck?“ „Wohl jünger als die Spuren der Nackten - Toten.“ „Aber in der Nachbarbucht“, wiederholte Urban. „Sie liefen vom Wasser herauf und wieder zurück.“ „Beschrieben sie einen Kreis?“ „Das war in den Flechten, im Gras und zwischen den Steinen nicht erkennbar.“ „Los, fahren wir hin“, schlug der Inspektor vor. „Wir hatten Sturm heute nacht“, erklärte der Bauer. „Mit hoher Dünung.“ 19
Urban hatte noch eine Frage. „Kann man von der einen Bucht in die, wo die Toten lagen, hinübersehen?“ „Von der Anhöhe aus schon. Mit einem Fernglas.“ „Der Taucher muß von einem Boot gekommen sein.“ „Draußen lag ein Schiff“, erinnerte sich der Landmann. Urban versuchte den Mast zu beschreiben. „Sah er aus wie eine Stange mit einem aufgespießten Pappteller?“ Über die Züge des Bauern ging jetzt ein deutliches Zucken. „Genau so, mein Herr.“ „Danke.“ Als sie gingen, wandte sich Urban an den Inspektor: „Das Schiff vorhin hatte denselben Mast mit gekapselter Radarantenne.“ „Das haben viele hier.“ Das Erstaunliche an dem Inspektor war die Art und Weise, wie er stets Erklärungen fand. Urban zweifelte daran, daß der Mann jemals einen komplizierten Mordfall gelöst hatte. Doch am Ende verblüffte ihn dieser Bursche. Es war, als sie sich trennten. „Ich danke Ihnen für die hervorragende Unterstützung, Inspektor“, äußerte Urban artig. „Wann fliegen Sie?“ „Morgen.“ Der Zypriot grinste ein wenig spöttisch. „Grüßen S' mir München, Mister Dynamit“, sagte er. „Bier, Rettich und Schweinshaxen.“ Urban hatte ihn ziemlich unterschätzt. Vom Hotel aus rief er zu Hause an. Das BND-Hauptquartier in Pullach war Relaisstation zwischen ihm und Brüssel. „Neues von der NATO?“ fragte er. „Die acht waren dick befreundet“, übermittelte ihm sein 20
Vorgesetzter, der Operationschef. „Eigentlich ist es ein Zehnerclub.“ „Club der zehn Aufrechten, wie?“ „Zwei überlebten. Ein Amerikaner, der besoffen im Bett lag, als sie von Kreta starteten, und ein Norweger, der seine Freundin in Athen traf.“ „Ist das bewiesen?“ „Wie man hört, besteht kein Zweifel.“ „Oder die zwei hatten in dem Herrenclub andere Funktionen.“ „Was vermuten Sie?“ „Soweit bin ich noch nicht“, erklärte Urban. „Aber wer begibt sich nach einem NATO-Lehrgang schon nach Zypern, um dort bei einer Strandparty Abschied zu feiern.“ „Es wurde ein Abschied für immer“, bemerkte Oberst Sebastian. „Also nichts Neues aus Brüssel.“ „Was gibt es bei Ihnen?“ „Meine Begeisterung sinkt deutlich unter hundert Prozent.“ „Wenn erfolgverwöhnte Leute“, entgegnete der Alte unwirsch, „mal nicht vom Erfolg verwöhnt werden, dann taugen sie nichts mehr.“ „Glück macht faul“, stimmte Urban ihm zu, und seine Begeisterung sank rasch unter fünfzig Prozent. „Ich schaue mir noch die Yacht an.“ „Welche?“ „Wenn ich sie finde.“ „Dann ist ja alles klar.“ „Alles klar“, bestätigte Urban. „Keiner weiß Bescheid.“ Er hängte auf, setzte sich auf den Balkon und nahm ein Glas von dem nicht sehr berühmten Inselwein. Später rief er eine Nummer an. Es war die des Abwehroffiziers bei der griechischen Garnison. „Haben Sie mit der Marine gesprochen?“ fragte Urban. „An der Südküste kommen nur zwei Yachten mit gekapseltem Tellerradar auf Einrohrmasten in Frage. Es 21
handelt sich um die Ciarisse und um die Ocean. Die Ciarisse gehört einem britischen Kaufhauskönig, die Ocean einem Türken, der wohl in Istanbul wohnt.“ Gefühlsmäßig tippte Urban auf die britische Yacht. „Die Ciarisse, wo liegt sie jetzt?“ „In Famagusta.“ Urban holte die Karte der Insel. Nach Famagusta konnte die Yacht in wenigen Stunden gekommen sein. „Die Ocean ist derzeit nicht auffindbar. Vermutlich befindet sie sich auf See“, hörte Urban den Mann am anderen Ende sagen. „Dann war es die Ciarisse.“ Der Abwehroffizier räusperte sich. „Wir haben da unsere Bedenken, Sir.“ „Etwa weil der Eigner britischer Staatsbürger ist?“ „Nein, eher deshalb, weil sie derzeit umgebaut wird. Sie bekommt eine neue Ruderanlage und ist im Moment gar nicht in der Lage, auszulaufen. Ich würde sagen, so wenig wie ein Automobil ohne Lenkung eine Kurve fahren kann.“ „Danke“, sagte Urban. „Dann ist es wohl die Ocean.“ Damit baute sich wieder ein neues Hindernis auf. Wo schipperte die Yacht Ocean derzeit im Mittelmeer umher? Die 65-Meter-Hochseeyacht Ocean ankerte im Hafen von Kyrenia, im türkischen Sektor der Nordküste also. Urban sah sie im Frühlicht dort liegen. Von dem geliehenen Schlauchboot aus griff er nach der Stahlkante des Achterdecks, zog sich hoch und wand sich unter der Reling hindurch. Nun stand er auf den blitzsauberen, nahezu weißen Eichenplanken. Die Ocean machte einen überaus gepflegten Eindruck. Ein Milliardärsschiffchen, hochelegant von der Linienführung bis zur Kordel um die Polster der Sessel am Swimming-pool. Das Schwimmbecken selbst war mit einer blauen Persenning abgedeckt. Motoryachten dieser Größe wurden in der Regel von einer Sechs-Mann-Crew gefahren: zwei Seeleute für die 22
Brücke, zwei Mechaniker für die Technik, ein Koch und ein Steward. Meist schlief die Besatzung an Land, aber eine Wache blieb in der Regel an Bord. Deshalb bewegte Urban sich mit aller Vorsicht. Das Betreten eines ankernden Schiffes war dasselbe wie das Betreten eines fremden Hauses und konnte als Einbruch ausgelegt werden. Gegen die Spillspake eines Matrosen halfen ihm seine gefälschten Interpol-Ausweise wenig. Das Innere der Yacht hielt, was das Äußere versprach. Auch dort war alles vom Besten. Edelholz, Messing, feines Leder. Die Teppiche und Gemälde waren so erlesen, daß nur ein reicher Mann wagen konnte, Kunstwerke dieser Art mit auf See zu nehmen. Auch die Bar war mit den teuersten Cognacs, Whiskys und Likören ausgestattet. Um so mehr wunderte Urban sich, daß die Pantry, die kleine Anrichte dahinter, mehr den Charakter eines Labors hatte. An beiden Wänden des schmalen Raumes liefen zum Bullauge hin zwei Tische. Links standen Prüfgeräte, ein Mikroskop, alle möglichen Filter, ein einfacher Chromatograph zur Bestimmung von Flüssigkeiten, Glaskolben und ein Gasbrenner. Auf der anderen Seite in derselben peinlichen Ordnung ein leeres Aquarium, zwei Paar Gummihandschuhe, eine Schutzbrille und ein Dutzend leerer Reagenzgläser in einem Holzständer. Ferner entdeckte Urban in einem Kasten aus Plastik mehrere Flaschen, alle aus weißem Glas, zugekorkt, leer und gespült. Bis auf eine. In ihr befand sich ein lila-roter Bodensatz. Nach kurzem Zögern nahm Urban dieses Fläschchen an sich. An der Pinnwand über dem Labortisch klebten drei beschriftete Papierstreifen. Vo m Bullauge zur Pantrytür hin gelesen trugen sie folgende Aufschriften: Bassin-Maschine - Bassin-Vorschiff - Bassin-Pool Zweifellos handelte es sich um größere Behältnisse, mit denen irgend etwas transportiert wurde oder worden war, 23
dessen Zustand man im Labor laufend überwachte. Urban ging weiter in den Salon. Die halbrunde Fensterfront bot einen umfassenden Blick auf das Vorschiff. Seitlich, zwischen Reling und Spül, war ein Gegenstand festgezurrt, den man für eine Rettungsinsel halten konnte. Das Ding hatte die Abmessungen eines liegenden Spindes, war aber stumpfgrau und hatte Falten wie ein Blasebalg. Wo hatte er so etwas schon gesehen? Ja, richtig, auf Luftstützpunkten. Zusatztanks aus gummiertem Nylon wurden auf diese Weise gelagert, wenn man sie nicht brauchte. Er nahm an, daß es sich um das Bassin-Vorschiff handelte. Jetzt war es leer und hatte seinen Zweck erfüllt. Den Weg in den Maschinenraum sparte Urban sich und schlich zurück durch Salon und Bar. Auf dem Labortisch sah er wieder die Gummihandschuhe und die Schutzbrille. Zweifellos hatten sie gefährliches Material in den Bassins gehabt. Vielleicht enthielt der Pool noch etwas davon. Rasch streifte er die Handschuhe über, setzte die Brille auf und öffnete achtern die Poolabdeckung. Das gekachelte Schwimmbecken war leer. Allerdings klebte etwa armtief unter dem Rand ein streifenartiger Ring von lilarotem Belag. Urban beugte sich vor und kratzte ein wenig von dem Belag ab. Es fühlte sich an wie feuchtes Sägemehl. Als sein rechter Handschuh voll davon war und er sich aufrichten wollte, sah er Bordschuhe neben sich und weiße Drellhosen, ausgewaschen und hinten fransig. „Los, steh auf, Mann!“ Urban kam auf die Füße. Die Brille war beschlagen. Er sah nur Umrisse von dem Burschen, spürte aber das Messer. Die Spitze berührte ihn handbreit seitlich vom Nabel. „Was suchst du hier?“ Der Wachmann sprach englisch, wenn auch in der 24
vereinfachten Form ohne grammatikalische Feinheiten, wie an den Küsten üblich. „Ich nehme eine Probe.“ „Wovon?“ Die Messerspitze übertrug den Druck der Faust auf schmerzhafte Weise. „Das siehst du doch.“ Der Wachmann senkte den Blick auf Urbans Hand, die sich langsam öffnete. Die Schutzbrillengläser wurden von der Seite her klar. Urban wäre über die Visage des Burschen gewiß erschrocken gewesen, wenn er im Leben nicht schon einer oder zwei noch übleren begegnet wäre. Sein Gegenüber sah aus wie ein Gorilla, der versucht hatte, sich zu rasieren, aber mit der Klinge nicht klargekommen war. Er hatte Pickel und Narben und tiefliegende, gefährliche Augen. Von dem ist nichts anders zu erwarten als ein Loch im Bauch, durchfuhr es Urban. Blitzschnell nützte er seinen Vorteil aus, den er gegen ein doppelt so schweres Muskelpaket zu haben glaubte. Der Bursche starrte noch auf das algige Zeug in Urbans Hand, da drehte Urban sich vom Messer weg und schlug ihm die Faust auf die Augen - mit völlig unerwarteter Wirkung. Der mittelprächtige Treffer fällte den Baum wie ein Schlag mit der Axt eine morsche Tanne. Der bärenstarke Yachtwächter wankte, taumelte seitwärts, warf die Arme hoch und gab röchelnde Laute von sich. Urban war sich absolut sicher, daß der Schlag nicht mehr zuwege gebracht haben konnte, als einen Nasenknorpel zu verbiegen. Er sollte den Gegner auch nur irritieren, um ihn für einen echten Wirkungstreffer aufzubauen. Der Mann schrie, krallte beide Hände in sein Gesicht, rannte im Kreis herum und sprang ins Wasser, als würde er lichterloh brennen. 25
Vor mehreren Jahren waren in New York durch einen E-Werk-Kurzschluß alle Lichter ausgegangen. In derselben Sekunde hatte ein Junge seinen Football gegen einen Laternenmast geworfen und geglaubt, er wäre nun schuld an der Finsternis. - Mein Gott, was hast du getan, hatte er gedacht. Verdammt, was hast du mit ihm gemacht, durchfuhr es Urban. Er streifte die Handschuhe ab, riß die Brille herunter und wollte hinterherhechten. Etwas Steifes, Röhrenförmiges im Rücken hinderte ihn daran. Er schielte über die Schulter. Da stand ein zweiter Mann mit einem Gewehr in der Hand. Der Lauf mündete unmittelbar neben Urbans Rückenwirbel. Der Mann hatte ein ebenmäßiges Gesicht, glatt wie das eines Priesters, und er lächelte. „Sorry, Sir, aber dafür muß ich Sie töten“, sagte er. Drüben am Kai, etwa hundertfünfzig Meter entfernt, stand eine große silbergraue Limousine. Für einen Mercedes war sie zu hoch, für einen Cadillac etwas zu kurz, außerdem brachte soviel Masse nur ein Rolls Royce auf die Straße. Neben dem Wagen stand ein Mann. Entweder er trug eine Sonnenbrille, oder er hatte ein Fernglas vor den Augen. Wahrscheinlich war es ein Fernglas, denn die Sonne steckte noch im Frühdunst. Dies alles registrierte Urban mit überscharfen Augen, wachem Verstand und Nervensträngen, die in diesem Augenblick so sensibel waren, daß sie feinste Schwingungen wahrnahmen. So reagierte ein Profi in höchster Gefahr. Alle Systeme stellten sich auf Selbsterhaltung ein. Trotzdem schien es Urban äußerst zweifelhaft, ob sie zu realisieren sei. „Weg von der Wand!“ befahl das freundliche Blaßgesicht. „Ich möchte nicht, daß die Schrotladung den Anstrich ruiniert.“ Der Lauf dirigierte Urban an die Reling zur Meerseite 26
hin. Wie alles auf diesem Schiff war auch die Waffe von erlesener Qualität. Ein Mannlicher-Stutzen, doppelläufig, einen Lauf für Schrot, einen für Kugeln. Die Hähne waren bereits gespannt, sowohl der für den dicken Lauf wie der für das Kugelkaliber. Der Blasse griff mit der Linken in Urbans Sakkotasche, wo er das Lederetui mit der Interpolmarke fand. Ohne den Blick von Urban zu wenden, brachte er es fertig, den Ausweis zu lesen. „Pierre Village“, murmelte er, „Kommissar. Einen besseren Rang hatten sie nicht für Sie? Kriminaldirektor wäre wohl das mindeste gewesen, oder Chief Constable oder Police Commander.“ Er warf den Ausweis über Bord. Urban sah ihn schwimmen. Drüben stand der Mann immer noch am Pier neben seinem silbergrauen Rolls Royce. „Die Hände hoch!“ forderte der Mann mit dem Gewehr. Urban tat dies betont langsam. All die tausend Tricks, um einen Gegner abzulenken, rasten durch seinen Kopf. Aber der andere war es, der ihn ablenkte, indem er ihn überraschte. „Commissaire finde ich überhaupt nicht angemessen für einen Mann wie Sie, Mister Dynamit.“ Urban versuchte zu lächeln. „Dann wissen Sie ja, was Sie riskieren, wenn Sie jetzt Druckpunkt nehmen.“ „Druckpunkt habe ich schon“, fuhr der andere fort. „Aber was mir nicht in den Kopf will, ist, daß man einen Geheimdienstoberst wie Sie als Interpol-Kommissar ohne jede Kompetenz unter's Volk läßt. Was mag wohl dahinterstecken.“ Urban überlegte fieberhaft. „Sie wissen es“, sagte er, „und ich we iß es, und eine Menge anderer Leute wissen es. Unter anderem wissen sie auch, wo ich in dieser Minute bin.“ „Bluff!“ zischte der fast gütig wirkende Mann mit dem 27
Gewehr. Da packte Urban, weil es keine andere Möglichkeit mehr gab, so blitzschnell den Lauf und riß ihn in die Höhe, daß dies um den Bruchteil einer Sekunde schneller geschah, als sich der Finger krümmte. Deshalb donnerte der Schrotschuß wie eine Böllerladung in den Himmel. Doch der Blasse tat das einzig Richtige. Er sprang zurück, entwand Urban den Lauf und hatte ihn jetzt, mit drei Metern Abstand, vor seiner Kugel. „Das war nicht meisterlich“, keuchte er. „Höchstens der Versuch eines furchtlosen Mannes, das Beil des Henkers aufzuhalten. Aber ein Beil fängt man nicht mit der bloßen Hand und keine Kugel mit den Zähnen.“ Er legte an und nahm Druckpunkt. - Das war ein Herzschlag vor dem Schuß. Plötzlich ertönte eine Stimme. Urban wußte nicht, woher sie kam, vermutlich aus einem Decklautsprecher, aus einer ganzen Batterie von Lautsprechern, die gewöhnlich Stereosound übertrugen. Jedenfalls klang es so, als würde der Sprecher neben ihm stehen. Jeder Vokal, jeder Zischlaut war deutlich zu vernehmen. „ Wir lassen ihn am Leben“, lautete die Entscheidung. „Nicht einen Schuß ins Bein zur Abschreckung, Sir?“ „Männer wie er verstehen Warnungen.“ „Und wie komme ich weg, Sir?“ Offenbar standen der Unsichtbare und sein Killer über Sprechfunk in Verbindung. „Deine Sache“, sagte die Stimme. Das freundliche Gesicht verspannte sich jetzt. Der Mann griff zum Gewehrlauf um, schwang den Kolben gegen Urban und traf ihn seitlich an der Schläfe. In der kurzen Zeitspanne, die Urban noch bei Bewußtsein erlebte, bevor er über die Reling kippte, fiel sein Blick zum Pier hinüber. Die Sonne hatte jetzt den grauen Beton und das rostige Eisen der Poller und Kräne erreicht. Der Rolls Royce war verschwunden. 28
3. Zwischen Sonnenaufgang und der frühen Abenddämmerung legte er mit seinem besten Hengst achtzig Kilometer zurück. Nur einfach so, um zu wissen, ob er mit achtundvierzig Jahren im Sattel noch etwas taugte. Angekommen in seiner Burg, eilte er in die Marmorthermen, duschte erst, nahm ein Schwitzbad, schwamm dann im Pool einige Bahnlängen und ließ sich anschließend massieren. Zwei Asiatinnen, die diese Kunst besser beherrschten als jeder europäische Masseur, lockerten seine Muskeln. Nachdem sie ihn eingecremt hatten, arbeiteten sie nicht etwa mit den Händen, sondern unter Einsatz ihrer nackten Körper, ihrer Arme, Schenkel und Brüste. Danach war er auf eine Weise entspannt, daß er sich stark genug fühlte, den Gewaltritt durch die anatolischen Berge zu wiederholen. Aber er hatte etwas anderes im Hinterkopf, nämlich ein gutes Mahl, eine Flasche Wein und eine Havanna-Zigarre. Dies alles nahm er auf der Südterrasse seiner Burg zu sich. Die Abendtemperaturen lagen um diese Zeit schon nahe fünf Grad. Doch die unsichtbare Infrarotheizung klimatisierte die Terrasse auch bei Frost und Schnee recht angenehm. Es hatte keine Mühe gekostet, jeden Luxus einzubauen. Die mittelalterliche Burg hatte die Kuppe des Berges vor zehn Jahren noch nicht gekrönt. Er hatte sie erst aus Beton, Stahl, Aluminium und Glas errichten lassen. Nicht ohne einen gewissen Komfort, wie er bescheiden prahlte. Zwar erhellten Kerzen in goldenen Leuchtern seine Tafel, aber statt Damen ließ er heute seine Mitarbeiter tanzen. 29
„Nigeria ist in der Klemme“, berichtete der Experte für das Ölgeschäft. „Entweder sie decken jetzt ihre Zinsschulden, oder eine der Banken schert aus und erklärt sie für zahlungsunfähig. Sie bieten Rohöl, Qualität T-B schwefelarm zu zweiundzwanzig Dollar das Barrel.“ Der Mann im Brokat-Hausmantel telefonierte mit seinem Raffineriedirektor. „Wieviel?“ fragte er. „Fünf Millionen Tonnen.“ „Das sind fünfzehn Tankerladungen. Wie steht es mit Transportraum?“ „Verfügbar.“ „Kaufen Sie bei zwanzig.“ „So weit gehen sie nicht herunter. Das wäre Selbstmord.“ „Nicht für mich“, erklärte der Mann. „Sonst noch etwas?“ „Das war alles, Sir.“ Später kam der Leiter der Abteilung Waffenhandel. „Gibt Ärger mit Moskau“, befürchtete er. „Wegen der Computer.“ „Sie sind unterwegs.“ „Wenn Sie die Computer via Amsterdam-Stockhohn meinen, Sir“, bedauerte der Angestellte, ein Telex aus der Mappe nehmend, „die wurden heute morgen beschlagnahmt. Auf Verlangen des amerikanischen Außenhandelsministeriums.“ „Das geht in Ordnung“, bemerkte der Mann im Brokatmantel und nahm einen Schluck Champagner. „Wert fast fünf Millionen Dollar, Sir.“ „Hören Sie zu!“ sagte der Mann, der alle Fäden seines Imperiums straff in der Hand hatte. „Die Computer waren das Fressen für den kleinen Hund, die Damenspende, das Schmiergeld, wenn Sie so wollen, die Brosamen, die man der Zollfahndung hinwirft. Sie gehen zurück nach Kalifornien, und der Hersteller wird den Betrag meinem Konto gutschreiben. Die wirklich heiße Ware läuft 30
inzwischen unbemerkt von Singapur nach Delhi und übers Gebirge in die Mongolei. In die mongolische Sowjetrepublik versteht sich. - Sonst noch Probleme?“ Der nächste erschien. Es war der Manager, der die Finanzen verwaltete. Er bat um Order wegen der Dollarguthaben. „Wie sind wir eingestiegen?“ fragte der Mann im Hausmantel. „Bei zwei Franken.“ „Wie steht der Dollar heute?“ „Bei drei Franken.“ „Verkaufen!“ entschied der Boß der Bosse. „Alles abstoßen. Weiter klettert er nicht mehr.“ „Dann gehen wir also zu Börsenbeginn mit vierhundert Millionen auf den Markt.“ „Nicht alles auf einmal“, riet der Herr der Burg. „Fangen Sie mit hundert Millionen an. Wenn der Kurs fest bleibt, schieben wir am nächsten Tag dieselbe Summe nach.“ „Welche Valuta kaufen wir?“ „Franken, D-Mark, österreichische Schillinge.“ „Gold?“ „Höchstens zehn Prozent. - Wie steht Gold?“ „Nahe dreihundert Dollar die Unze. Aus Südafrika wäre eine Partie zu bekommen. Zu zwo -acht.“ „Tausend Kilo - eine Tonne, nicht mehr.“ Der letzte Besucher konnte sich zu den Vertrauten des Burgherren zählen. „Die türkischen Armeen befinden sich in Unruhe.“ „Ja, im Drusengebiet. Dort herrscht immer Spannung.“ „Diesmal rumort es auch an der kleinasiatischen Südküste.“ Der Burgherr schien es besser zu wissen und winkte ab. „Und wie steht es im Südkaukasus?“ „Die Russen ziehen Eliteregimenter aus Mitteleuropa ab.“ „Wohin?“ 31
„In die kaspischen Provinzen.“ „Das ist nur Tarnung“, befürchtete der Mann im Brokatmantel, nahm seine Havanna, steckte sie aber noch nicht an. Was er hörte, mißfiel ihm offenbar. „Sie scheinen sich sehr sicher zu sein. Aber sie sind nicht ganz auf dem laufenden. Die Lage hat sich geändert. Was ist mit diesem Amerikaner?“ „Er säuft herum, ist ein Schwätzer.“ „Wo säuft er im Moment?“ „Jetzt in Istanbul.“ „Und der andere, was treibt er?“ „Die ersten Vorbereitungen.“ „Überwachen!“ entschied der Mann, der das Benehmen eines Adligen, aber das Aussehen eines Hunnenkönigs hatte. „Überwacht sie auf eine Weise, daß wir sie jederzeit abschalten können.“ Er bekam noch weitere Informationen, erteilte präzise Anordnungen und entließ den Chef seiner Informationsabteilung. Dann wünschte er, Musik zu hören. Musik, wie sie ein Mensch liebte, dessen Wurzeln irgendwo in Asien lagen. Ein Mädchen erschien, schön, langgliedrig, mit nichts bekleidet als einem Gewand aus dünnem Tüll. Das Mädchen begann zu tanzen. Aber er begehrte sie nicht. Der lange Ritt schien ihm doch zugesetzt zu haben. Zwar hatte er ihm Klarheit über viele Dinge gebracht, aber er hatte ihn auch erschöpft. Deshalb begab sich der Mann, den jeder im Lande Bey Anatol nannte, bald in sein Himmelbett. Sein Großvater, ein armer Berghirte, hatte gesagt: Meinen Enkel hat ein Fuchs gezeugt und eine Hyäne geboren. Nehmt alle Spiegel aus dem Haus, damit er sich nie zu Gesicht bekommt. Deshalb betrachtete sich Anatol Ankara jeden Morgen in seinem vollverspiegelten Fitnessraum von allen Seiten. Sein Großvater hatte recht gehabt. Nur hatte der Alte 32
eines vergessen: Die Vorfahren der Hyäne waren Kröten und die des Fuchses waren Ratten gewesen. Es gab Menschen, die fanden seine Häßlichkeit schon wieder anziehend. Er selbst schöpfte seine Kraft aus ihr. Was ihm die Natur verweigert hatte, holte er sich auf anderen Gebieten zurück. Macht und Einfluß wogen vieles auf. Mit Geld konnte man sich alles kaufen. Anatol Ankara absolvierte sein Programm, das jeden Muskel auf seine entsprechende Weise bewegte. Nach dem Schwimmen trat er auf die Terrasse und schaute über das Land, das jetzt grau im fahlen Herbstlicht lag. Soweit er blicken konnte, gehörte es ihm. Das alles hatte er in den letzten zehn Jahren - nach einem Erlebnis, das sein Leben verändert hatte - an sich gerafft. Auf den Bastionen, im Park, in den Wachtürmen der Mauer sah er die Posten stehen. Von den kugelfesten Scheiben seines titangepanzerten Hubschraubers perlte der Tau. Während des Gewaltrittes vor zwei Tagen hatte ihn selbstverständlich der Hubschrauber begleitet. Mit Abstand zwar, aber doch so, daß er jederzeit hätte eingreifen können. Einen Mann wie ihn auf einsamem Ritt abzufangen, dafür hätte mancher Gegner eine Million Dollar bezahlt. Und Verräter gab es überall. Die Uhr an seinem Handgelenk gab Pieptöne von sich. Es war mit Sicherheit die einzige Telefonarmbanduhr Kleinasiens. Ein Geschenk der deutschen Firma Siemens, ein Labormodell, als Dank dafür, daß durch seinen Einfluß das Telefonnetz eines großen arabischen Landes von Siemens eingerichtet wurde. Natürlich war noch Provision in angemessener Höhe dazugekommen. Anatol Ankara drückte auf die Krone der Uhr, woraufhin die Leuchtdiode verlosch und eine Stimme aus dem winzigen Lautsprecher kam. „Ein Fernschreiben, Sir.“ „Hat es nicht Zeit bis zur Frühbesprechung?“ 33
„Es ist mit Wildkatze signiert, Sir.“ „Dann bringen Sie es herauf.“ Wann immer das Kennwort „Wildkatze“ auf vertraulichen Berichten stand, mußte es sofort Bey Anatol vorgelegt werden. Ohne Verzug. Dann kam es vom Chef seiner Spionageabteilung. Wildkatze wußte nahezu alles. Er kannte die geheimsten und intimsten Vorgänge in den Ministerien zwischen Kairo und Peking. Er war mit den neuesten Plänen der Politiker und Militärs vertraut, war informiert über das Privatleben der wichtigsten Männer in Ost und West und nicht zuletzt über die Konkurrenz und ihre Chancen im Wettstreit um die fettesten Geschäfte. Es dauerte nicht lange, dann zischte in der Wohnhalle die stählerne Schiebetür auf. Durch sie gelangte nur jemand, den die Wachen gut kannten und den sie auf Waffen durchsucht hatten. Ankaras Sekretär übergab ein Telex auf blauem Papier. „Noch nicht entschlüsselt, Sir.“ Der Code, den sie benutzten, war schwer knackbar. Für den Eingeweihten jedoch, vorausgesetzt, er verfügte über gewisse mathematische Fähigkeiten, ohne Hilfsmittel zu lesen. Ankara, einigermaßen darin geübt, brauchte dazu nur dreimal so lange wie bei Klartext. Als er die wenigen Zeilen übersetzt hatte, zerknüllte er das Telex und warf es ins Kaminfeuer. „Schlechte Nachrichten, Sir?“ fragte sein Sekretär. „Es gibt keine schlechten Nachrichten“, entgegnete Anatol Ankara. „Ebensowenig wie es gute Nachrichten gibt. Es gibt nur wichtige und unwichtige.“ Aus einem Glaskrug goß er rosagelben Fruchtsaft in ein Glas. Die Eisstücke klirrten, als er den Krug zurückstellte. Nachdem er getrunken hatte, sagte er mehr zu sich selbst: „Ich brauche Frieden, Frieden und nochmals Frieden.“ „Nur im Frieden gedeihen Handel und Wandel, Sir.“ 34
Mit halbgeschlossenen Augen blickte Ankara den jungen Akademiker an. „Aber es wird Krieg geben.“ „Auch Kriege sind gut für Geschäfte, Sir.“ „Mag sein, sofern man seine Gewinne in einem sicheren Land genießen kann. Nach diesem Krieg wird es das nicht mehr geben. Er würde sich ausbreiten wie Waldbrände nach einem trockenen Sommer bei stetigem Wind.“ Er trat auf die Terrasse. Sein Sekretär hörte ihn sprechen, verstand aber nicht, was er sagte. Es war wohl keine Anordnung. „Und jetzt auch das noch“, murmelte Ankara immer wieder. „Du magst im Leben erreichen, was du willst, kannst geworden sein, was du werden wolltest, es gibt Schulden, die holen dich ein. Dann mußt du bezahlen ...“ Oder töten, setzte er in Gedanken hinzu. 4. Nachdem der BND-Agent Robert Urban im novemberkalten Wasser zu sich gekommen war, schwamm er tauchend weiter bis zu einer Boje. An ihrer Kette glitt er hoch und holte erst einmal tief Luft. Er blieb so lange im Schutz des blechernen Doppelkegels, bis er sich wieder bei Kräften fühlte. Er sah wie die „Ocean“ den Anker aus dem Schlamm des Vorhafens holte, wie die Diesel ansprangen und wie sie den Bug molenwärts richtete. Er konnte wenig dagegen tun. Er hatte genug Probleme mit sich selbst. Er schwamm weiter bis zu einem halbverfallenen Pier. Im Begriff, durch das Gewirr vermorschter Holzbohlen nach oben zu steigen, sah er etwas herantreiben. Es war der Yachtmann mit dem Messer. Er hatte es noch immer in der Faust. Tote kamen meist erst nach Wochen an die Oberfläche. 35
Bei ihm war es wohl das Luftpolster unter der Lederjacke, was ihm Auftrieb verlieh. Noch einmal konnte Urban sein Gesicht sehen. Zwischen Stirn und dem Kinn wies es eine Rötung auf, so intensiv, als hätte man ihn mit Bleimennige bemalt. Der Schlag mit Urbans Faust allein konnte das nicht hervorgerufen haben. Der Tote trieb weiter in den Pfeilerwald unter dem Pier. Urban gelangte durch einen Schachtdeckel nach oben. Sein Mietwagen stand auf der anderen Seite des weiten Hafenrunds, etwa einen Kilometer entfernt. Er trabte sich warm, fuhr sofort ins Hotel, duschte dort und war froh, Jeans und einen Pullover mitgenommen zu haben. Bevor er die dunkle Hose und den Sakko zur Schnellreinigung gab, leerte er die Taschen. Die zugekorkte Flasche hatte alles heil überstanden. Dann meldete er ein Gespräch nach München an. Sein magerer Bericht endete in einer Frage: „Hatten die Zehn möglicherweise einen Geheimauftrag?“ Sein Chef, Oberst a. D. Sebastian, beantwortete die Frage eindeutig. „Nein, wie kommen Sie darauf?“ „Durch die Qualität des möglichen Gegners.“ „Sie meinen also, zehn NATO-Obristen mit Sonderauftrag müßte ein Feind von Rang und Namen gegenüberstehen.“ „Allerdings.“ „Dabei begehen Sie einen Denkfehler, Nummer achtzehn“, fuhr der Alte fort. „Aus der Existenz einer möglicherweise potenten Gangsterorganisation muß man noch lange nicht schließen, daß gegen sie etwas unternommen wird.“ „Wir haben acht Tote zu verzeichnen.“ „Wurden sie ermordet?“ „Das soll ich ja wohl klären.“ „Sehen Sie ein Motiv für die Tat?“ 36
„Deshalb meine Frage nach einem Geheimauftrag.“ „Den gibt es nicht, versichert Brüssel“, behauptete Sebastian. „Wie kommen sie darauf - was spukt herum in Ihrem Schädel?“ „Der Skipper der Luxusyacht Ocean, die mehrmals beobachtet wurde, kannte meinen Namen. Er ließ sich durch die Interpol-Tarnpapiere nicht täuschen. Er weiß, daß ich BND-Agent mit NATO-Auftrag bin. Wer, so frage ich, hat hier am Rande Asiens schon vom Bundesnachrichtendienst gehört, wenn er nie zuvor auf dieser Bühne auftrat?“ „Vielleicht saß er im Zuschauerraum.“ „Oder er stand hinter den Kulissen“, bemerkte Urban. „Diese Leute sind meine einzige konkrete Spur.“ ,,Dann bleiben Sie dran.“ „Die Yacht ist ausgelaufen und dürfte so schnell keinen zyprischen Hafen mehr ansteuern.“ Urban sah noch einen zweiten Weg, aber er sprach nicht darüber. Kaum hatte er aufgelegt, verließ er das Hotel, fuhr ein paar Straßen, hielt vor einer Apotheke und ließ den Inhalt der Flasche aus dem Yachtlabor analysieren. Der Apotheker entnahm eine Probe des nahezu getrockneten Inhalts, schwemmte sie mit irgendeiner Flüssigkeit auf, gab wenige Tropfen auf einen Träger, schob das Glasplättchen unter das Mikroskop, betupfte später eine Reihe von Teststreifen und fragte schließlich: „Zahlen Sie in Dollar?“ „Drachmen, Türkische Pfund, Dollar, wie Sie wollen.“ „Dann macht das zwanzig Dollar.“ Dafür erhielt Urban nur geringen Gegenwert. Er erfuhr lediglich, daß es sich bei den Resten in der Flasche um etwas stark Toxisches, also um Gift handle. „Um Gift welcher Art?“ Der Apotheker prüfte nochmals seine Teststreifen. „Ich kann nur sagen, was es nicht ist. Es handelt sich nicht um Cyanide, nicht um Arsen, nicht um Alkaloide. Ich 37
würde eher auf einen Giftstoff organischer Natur schließen.“ „Bakterien?“ „Insekten-, Schlangen-, Pflanzengift.“ Der Mann war zweifellos überfordert. Urban bezahlte und ging und sprach am Abend wieder mit München. „Besorgt mir einen Chemiker, der sich in Pflanzengiften auskennt.“ „Einen Chemo-Botaniker am besten.“ Urban hatte einen Einfall. Er erinnerte sich an die verschiedenen Bassins auf der Yacht. „Einen Meeresbiologen.“ „Einen Meeresbiochemiker.“ „Das wäre optimal, wenn es so was gibt.“ Sie wollten alles versuchen. „Bezüglich der Wasserleiche haben wir über den türkischen Geheimdienst die Kripo in Nicosia verständigt. Sie haben ihn rausgefischt. Einer von viertausend Yachtmatrosen, die mal hier, mal da anheuern. Die Identifizierung wird schwierig sein.“ „Und auch nichts bringen“, beendete Urban die Unterhaltung. Auf dem Bett dösend begann er mit den Fakten, die er hatte, zu spielen. Er ging damit um wie ein Jongleur mit Bällen. Meist mißlang es ihm, die Bälle wieder zu fangen. Sie waren zu unterschiedlich in Form, Größe und Gewicht. Am Morgen erhielt Urban ein chiffriertes Telegramm, das er mit Doppelcode römisch vier in Klartext brachte. Es lautete: gelbes taxi - marke datsun - licht links - montag 13 uhr plus minus 5 minuten - nicosia türkischer Sektor adapazariplatz ecke sögüt strasse - angeforderter experte. Sie hatten wirklich alle Fäden gezogen. Er fuhr auf der Straße, die sie hier als Autobahn bezeichneten, die aber schlechter war als eine vernachlässigte Bundesstraße in Ostfriesland, durch die Berge nach Süden. 38
Da er nicht genau wußte, wieweit die Zentralen in München und Ankara alles vorbereitet hatten, parkte er den Mietcombi am Bahnhof und schlenderte Richtung Adapazariplatz. Im Café neben dem Denkmal, das vielleicht Mister Adapazari darstellte oder irgendeinen anderen Pascha, nahm er einen Kaffee. Dabei stellte er mit Bedauern fest, daß der türkische sich immer mehr dem Espresso-Einheitsgebräu annäherte. Sechs Minuten vor 13.00 Uhr Rolextime baute er sich hinter einer Zeitung an der beschriebenen Ecke auf. Dann wartete er. Im Kino, dachte er, ist es immer erst der dritte Wagen. Im wahren Leben ist es meist der zweite. Es war der erste, der in der Sollzeit vorbeikam. Gelbes Taxi, Marke Datsun, der linke Scheinwerfer brannte. Er senkte die Zeitung. Der Taxifahrer sah ihn herantreten und stoppte. Hinten ging, wie von einer Automatik betätigt, die Tür auf. Urban schwang sich hinein und entbot ein höfliches bayrisches Grüß Gott. „Hallo!“ sagte er und war verblüfft. Im Fond neben ihm saß, dezent duftend, eine Blondine. Eine echte, das sah er sofort. Echte fand der Kenner unter zehn Falschen mühelos heraus. Sie war elegant, damenhaft gekleidet, hatte eine GraceKelly-Frisur und wirkte unnahbar. „Kennwort?“ fragte er. „Man nannte mir keines“, erwiderte sie in perfektem Englisch. „Mir auch nicht.“ Sie duftete nach frischem zitronigem Parfüm, öffnete ihre Handtasche, nahm eine Karte heraus und reichte sie Urban. Er las: Doktor Valinda Vidalos. „Sind Sie Griechin?“ „Engländerin.“ „Ich bin Dr. Robert Urban. Schlage vor, wir nennen uns 39
der Einfachheit halber beim Vornamen. Natürlich können wir beim Sie bleiben, Gnädigste.“ „Kollege?“ fragte sie. „Doktor der Ingenieurwissenschaften“, erwiderte er, „Bei Pflanzen und Tieren, speziell unter Wasser, gerate ich in Schwierigkeiten. Ich habe schon Mühe, Rosen und Gänseblümchen zu unterscheiden.“ Sie trug Handschuhe aus hellbeigem Safian. Das weiche Leder lag glatt an. Urban sah an den für einen Ehering in Frage kommenden Fingern keinen Abdruck. „Sie wissen Bescheid?“ fragte er. „Ich habe keine Ahnung“, gestand sie lächelnd. Madonna, dachte er. Sie haben zwar an einer Menge Fäden gezogen, aber wohl an den falschen. „Man setzte Sie über Ihre Aufgabe also nicht ins Bild?“ „Sie drückten mir mehrere tausend Dollar Sonderhonorar und eine Flugkarte in die Hand. Alles Weitere würde ich vor Ort erfahren, versicherte man mir.“ „Den Taxifahrer kennen Sie ebenfalls nicht?“ „Ich hatte nur die Wagennummer.“ Urban beugte sich vor. „Wo bringen Sie uns hin, Mann?“ Der Türke nannte eine Adresse. Er behauptete, sie liege in einem Vorort. Nein, ein Hotel sei es nicht. In dieser Villengegend gebe es keine Hotels. Urban drang nicht weiter in ihn. Er hätte ihn ausquetschen können, von wem der Fahrauftrag stammte. Vermutlich wäre es auf die Beschreibung irgendeines Mannes, der vielleicht türkischer Agent war, hinausgelaufen. Sie fuhren durch den türkischen Teil der Stadt und verließen sie, der Sonne nach zu urteilen, nach Nordosten. „Nervös?“ fragte die schöne Blondine. „Keineswegs“, log er, „Darf ich erfahren, worin meine Tätigkeit bestehen wird?“ „In der Analyse von Giftstoffresten“, erklärte er, „die 40
möglicherweise aus dem Meer stammen.“ „Verfügen Sie über ein Labor?“ Urban bedauerte. „Sie etwa?“ „Wo bitte? In meinem Schminkkoffer etwa?“ „Dann bin ich wirklich außerordentlich beruhigt“, sagte Urban. „So wird unsere Arbeit gewiß flott voranschreiten.“ „Mit Sicherheit.“ Um alles von vorneherein klarzustellen, fragte er: „Halten Sie es für möglich, Valinda, daß wir, sei es aus Langeweile oder weil wir uns in ungeheizten Räumen aufhalten müssen, miteinander schlafen?“ Als sie antwortete, behielt sie ihre aristokratische Haltung bei. „Mit Sicherheit nein, Bobby.“ Er holte tief Luft. „Einer Lady wie Ihnen, Valinda“, sagte er, „ist wirklich allerlei erlaubt, aber bitte nennen Sie mich nie wieder Bobby mit diesem komischen Ypsilon hintendran.“ Wenig später hielt das Taxi vor einer hübschen kleinen Villa, etwas abseits liegend und hinter Pinien versteckt. Der Fahrer hatte den Schlüssel. Er nahm weder Gebühren noch Trinkgeld, sondern fuhr gleich weiter. Im Haus fanden sie einen gefüllten Kühlschrank, zwei Schlafzimmer und ein eingerichtetes Labor. „Das haben Sie organisiert, Bob“, sagte die schöne Blonde. „Bin ich ein Zauberer?“ fragte er. Wie sich herausstellte, gehörte das Haus einer juristischen Person, nämlich der Gesellschaft für Umweltschutz. Sie stellte es Wissenschaftlern, die in Zypern Forschungsarbeiten mit Urlaub verbinden wollten, zur Verfügung. Urban hatte einiges dem Telefonbuch, dem Türschild und anderen Hinweisen entnommen. Der Rest war Kombination. „Und wie erklären Sie sich die prallvolle Speisekammer?“ fragte Valinda. 41
„Die werden wir nutzen und nicht erklären“, schlug er vor. „Können Sie kochen?“ „Bin ich Bocuse?“ fragte er. „Kein Zauberer, kein Koch“, zählte sie auf, „was dann?“ „Gehen wir an die Arbeit“, schlug er vor und stellte das kleine Fläschchen mit dem rot-lila Bodensatz auf den Tisch. Er sagte, woher er es hatte, was er vermutete und verfolgte jeden Handgriff, jede Maßnahme, mit der sie versuchte, der Sache auf den Grund zu kommen. Zunächst ging sie ähnlich wie der Apotheker vor. Sie kratzte wenige Kubikmillimeter Belag vom Flaschenboden, teilte die Menge und schwemmte die Partien jeweils mit wenigen Tropfen klarer Flüssigkeit auf. Dann wartete sie mehrere Minuten, ehe sie den ersten Glasträger präparierte, um ihn unter das Mikroskop zu schieben. „Womit verflüssigen Sie die trockene Substanz?“ wollte Urban wissen. „Mit Wasser“, sagte sie, „die eine Hälfte.“ „Nur Wasser?“ „Nur H zwei O. Natürlich entnahm ich es der Flasche mit Destillat, sonst weiß man am Ende nicht, welcher Bestandteil von der Probe und welcher von der Zugabe stammt.“ „Und warum Wasser?“ Sie schaltete die Lampe am Mikroskop ein, korrigierte Spiegel und Linsenführung. „Sie sprachen von den Bassins auf der Yacht. Im Bordlaboratorium wurde wahrscheinlich auch der Zustand des Tankinhaltes überwacht. Sie sprachen ferner von einem algenähnlichen Rand im Schwimmbecken. Von der Annahme ausgehend, daß es sich bei der Füllung um Wasser oder um Meerwasser handelte, müßte sich das Material aus der Flasche in Wasser lösen.“ 42
Sie beobachtete gespannt die Reaktion unter der Vergrößerung. „Na und?“ „Wie ich feststelle, tut es das auch.“ Urban lehnte sich zurück, steckte sich eine MC an, rauchte und wartete. Ihr Kommentar kam wie langsame Tropfen aus einem undichten Hahn. „Zweifellos Meerwasser.“ Nun begann sie die winzigen Planktonteile zu bestimmen und auszuzählen. Sie machte Notizen, indem sie die Worte wie Zahlen untereinanderschrieb. Dann zog sie einen Strich und schien die Zahlen zu addieren. Nachdenklich kaute sie auf dem Bleistift, dann gab sie sich einen Ruck. „Der Planktonbesatz ist untypisch für die nördlichen Ozeane.“ „Die Gewässer südlich Zypern zählen wohl nicht mehr zum Polarmeer.“ „Sie sind zwar wärmer“, erklärte die Meereszoologin, „aber noch immer kalt im Vergleich zur Südsee etwa oder dem Indischen Ozean. Nein, aus der Gegend um Zypern stammt dieses Plankton nicht. Schon eher ...“ Sie zögerte mit der Entscheidung. „Schon eher von der Nordwestküste Australiens. Aber warten wir die nächste Analyse ab.“ Jetzt wurde es kompliziert. Sie arbeitete mit Erwärmung und Kontrastmitteln. Sie färbte die Proben ein, legte die eine unter die Infrarotlampe, die andere in das Gefrierfach des Kühlschranks. „Zum Glück ist alles vorhanden, was man braucht.“ „Vor allem können Sie damit umgehen, Valinda.“ Leider brachte er sie nicht dazu, daß sie aus ihrem Leben erzählte. Sie sagte nicht, wie sie studiert hatte, unter welchen Professoren oder Wissenschaftlern sie gearbeitet und an welchen Expeditionen sie sich beteiligt hatte. Vielleicht war sie auch reine Theoretikerin und hatte ihre 43
Universität nie verlassen. Frauentypisch kam sie nicht direkt, sondern ein wenig von der Flanke her zur Sache. „Wie meinen Sie, Bob, hätten diese merkwürdigen Spuren an den Toten ausgesehen?“ „Handtellergroß. Bei den älteren Leichen schwarz, im frühen Stadium hellrot.“ „Ähnlich einer mittelalterlichen Peitschenzüchtigung?“ „Dann müßte das eine sehr feine Peitsche gewesen sein.“ Sie goß Kaffee ein und bat um eine von seinen Goldmundstückzigaretten. „Was wissen Sie über Quallen, Bob?“ „Daß sie hübsch anzusehen sind, wenn sie durch das Weltmeer segeln. Gallertartig, mit wehenden Fangarmen, getragen von einer Gasblase. Doch am Strand fallen sie zu einem jämmerlichen Haufen Aspik zusammen.“ „Hatten Sie schon Kontakt mit Quallen?“ „In der Ostsee geriet ich mal in ein Geschwader von Feuerquallen. Stunden später dachte ich noch, meine Haut würde brennen. Aber mehr war nicht.“ „Dann hatten Sie Glück“, stellte die Zoologin fest. „Selbst eine Begegnung mit unseren harmlosen Quallen kann starke Schmerzen, Bewußtlosigkeit, Kreislaufstörungen und Brechreiz zur Folge haben.“ „Daraus schließe ich messerscharf, daß es weniger harmlose Quallen gibt. Mir fällt da nur die Portugiesische Galeere ein.“ „Sie hat bis zu sechzig Meter lange Fangfäden. Wenn die einen Schwimmer richtig nesseln, kann das zu Muskelkrämpfen und Lähmungen führen. Mitunter sogar zum Tod. Aber auch diese Qualle ist noch verhältnismäßig ungefährlich.“ Urban deutete auf die Flasche. „Im Vergleich zu der Rotlilafarbenen?“ Sie nickte zustimmend. „Wir nennen sie die Seewespe“, fuhr die Expertin fort. 44
„Die Seewespe führt die Reihe der sogenannten Horrorquallen mit weitem Abstand an. Ich möchte sagen, und das ist nicht übertrieben, die Seewespe ist das gefährlichste Meerestier überhaupt. Haie sind wahre Schmusefische dagegen.“ „Und sie kommen in Australien vor.“ „An den Nordstränden, wo sie Jahr für Jahr mehreren hundert Menschen das Leben kosten.“ Urban ließ sich informieren, daß die Seewespen nur zehn Zentimeter groß waren, daß sie sich von Plankton und Jungfischen ernährten und dabei mit fast tänzerisch pulsierenden Bewegungen langsam dahintrieben. An ihren Tentakeln saßen Nesselzellen, Zehntausende davon. „Wie Trauben am Weinstock. Jede Nesselzelle ist eine Art Giftspritze. Sie gehören zu den kompliziertesten Zellen in der ganzen Biologie. Für ihre Entwicklung brauchten sie mehrere hundert Millionen Jahre.“ „Wie funktionieren sie?“ fragte Urban, den alle Technik faszinierte. „Nesselzellen stehen unter dem unvorstellbaren Innendruck von rund zweihundert Atü. An die Spitze führen sie feine Kontakthärchen, die wie Zünder arbeiten. Werden sie berührt, explodiert die Zelle. Sie sprengt eine Art Luke ab, schießt eine mit Widerhaken versehene Harpune heraus, die in die Haut der Beute eindringt. In die Öffnung wird über einen Schlauch das Gift in die Wunde eingebracht. Das Ganze dauert ungefähr vier- bis fünftausendstel Sekunden.“ „Menschenhaut ist ganz schön zäh“, gab Urban zu bedenken. „Manche Quallenarten durchdringen sogar Neoprenanzüge.“ Urban kam wieder auf die Seewespe zurück. „Was enthalten ihre Kampfzellen?“ „Nervengift.“ „Es kann sich pro Zelle doch nur um winzige Mengen handeln, die kaum meßbar sind.“ 45
Die blonde Zoologin drückte die Zigarette aus, indem sie sie senkrecht in den Ascher stieß, und dies mehrmals. „Erwachsene Menschen werden in der Regel binnen drei Sekunden getötet.“ Urban schwieg erst verblüfft. Dann hatte er noch eine Frage, die jedoch aus mehreren Teilen bestand. „In der Flasche befinden sich Reste so eines Lebewesens?“ „So ist es.“ „Man nahm Ihrer Meinung nach Stichproben aus den Bassins. In den Bassins lebten also Quallen der Familie der Seewespen.“ „Ohne Zweifel.“ „Der Bursche mit dem Messer starb an noch funktionsfähigen Killerzellen von Seewespen, die sich an meinem Handschuh befanden.“ „Wobei Sie Glück hatten, nicht selbst beeinträchtigt zu werden.“ „Nun, ich nehme an, daß man sich Handschuhe aus Spezialgummi besorgte. Man muß die Quallen im Indischen Ozean eingefangen und nach Zypern gebracht haben. Das war eine Prozedur, die Vorplanung und einige Zeit erforderte. Also wußte man von dem Trip der acht Gentlemen nach Zypern schon lange vorher. Ebenso von ihrer Absicht zu baden. Die Strömung war günstig, die Yacht leerte im rechten Moment am richtigen Punkt ihre Bassins.“ Valinda zögerte, Urban zuzustimmen. „Diese Beweiskette wage ich nicht zu schließen.“ „Das ist auch nicht Ihre Aufgabe. Ich danke Ihnen.“ „Ich wurde ausreichend bezahlt“, antwortete sie. Beim nächsten Gespräch mit München erfuhr Urban, daß sich die Toten bereits auf dem Transport nach Hause befanden. Seine Anregung, sie auf Spuren von Nervengift zu untersuchen, wurde zur Kenntnis genommen. Aber Sebastian faßte sofort tiefer. 46
„Wer sollte das gemacht haben? Was für eine Mühe, was für immense Kosten, und wozu das Ganze?“ Urban mutmaßte jetzt live. „Die zehn Knaben sind nicht nur ein loser Club von Freunden. Ich bin sicher, daß sie mehr verbindet, irgendein geheimer Auftrag, ein Plan, eine Ideologie.“ „Denken Sie in Richtung Freimaurerei?“ „Man muß sie durchleuchten nach Herkunft, Bildung, Karriere, Familie, nach ihrer Beziehung zu Frauen, ihrem Verhältnis zu Geld, zu Macht, ihrer politischen Einstellung und dreimal und ...“ „Wird gemacht“, versprach Sebastian. „Und wenn Sie Ihre fundierte Viertelbildung in bezug auf Meerestiere erweitert und abgeschlossen haben, versuchen Sie, konkrete Spuren zu verfolgen und nicht solche, die in den Bereich der Science Fiction gehören.“ „Möglich, daß ich mich dann von hinten in Hinterindien melde oder von Australien.“ „Ergebnisse“, drängte der alte Hetzer. „Ergebnisse. Bitte die ganze Torte, nicht nur den Boden. Wenn schon, dann mit Füllung, Creme und Sahne.“ Und der Verzierung obendrauf, dachte Urban und die lautete: Für Sebastian Nimmersatt. Er hängte auf, nahm von den Zigarren, die ein Gast der Forschungsgesellschaft hinterlassen hatte, suchte nach etwas Hartem, fand aber nur einen Klaren, der nach Mandeln und Mirabellen schmeckte. Oben hörte er die schöne Zoologin vom Bad ins Schlafzimmer und vom Schlafzimmer wieder ins Bad gehen. „Essen wir hier, oder gehen wir aus?“ rief er. „Ich würde gerne abreisen.“ „Jetzt schon?“ „Die Arbeit ist getan, denke ich.“ „Wird ja schon Nacht.“ „Ich muß nach London.“ 47
„Wie denn? Auf einem schattigen Waldweg mit dem Fahrrad? Die Fähre zum Festland geht erst wieder Mittwoch und das erste Flugzeug morgen früh.“ Die Treppe nehmend, dachte er im tiefsten Inneren an etwas anderes, als an die Probleme, die es zu lösen galt. Die Badezimmertür stand offen. Valinda stand unter der Dusche bei offenem Vorhang so ungeniert wie nackt. Sie seifte sich rundum ein und brauste die Seife dann genußvoll herunter. Urban lehnte an der Tür, rauchte die Havanna und sah ihr dabei zu. „Würden Sie mir bitte das Handtuch reichen?“ Er zog es vom Chrombügel, wollte es hinwerfen, faltete es jedoch auseinander und breitete es um sie. Sie ließ zu, daß er sie trockenrieb. Jetzt spürte er deutlich, was er vorhin nur gesehen hatte, diese prächtigen mittelgroßen Brüste mit den aufmüpfigen rosa Spitzen, den Rücken, die Porundung, die Hüften, die Schenkel, deren Innenseite. „Und jetzt noch die Creme.“ Er klatschte sich von der französischen Hautlotion auf die Handfläche und verrieb das duftende, zartgrüne Gemisch über ihren Körper. Dann bat sie um das Höschen und den Büstenhalter. „Muß das sein?“ fragte er. „Mit Sicherheit ja“, antwortete sie, dieselben Worte wie im Taxi verwendend. „Man könnte sich einen netten Abend machen“, schlug er vor. „Es gibt sogar Champagner hier.“ „Und eine nette Nacht.“ „Einverstanden“, sagte er. „Alles claro und paletti.“ Sie lächelte, ihre Augen lächelten mit, sogar die perlmuttweißen Zähne. „Eine Nacht mit einem Gentleman, von dem ich nichts weiß, danke schön.“ „Meine Lebensgeschichte lautet wie folgt ...“ Sie verschloß ihm den Mund. Leider nicht mit einem 48
Kuß, sondern mit dem gestreckten Zeigefinger. Eine gewisse Zärtlichkeit lag zwar darin, aber nicht mehr. „Ein andermal, Bob.“ „Warum?“ fragte er. „Sind Sie gerade in einen anderen verknallt, oder was?“ „Vor solchen Entscheidungen pflege ich stets meine Mutter zu fragen“, antwortete sie. „Da schaue ich aber“, gestand er verblüfft. „Ja, da schaust du“, sagte sie und bat ihn, ein Taxi zu rufen. Als sie herunterkam, trug sie ein schwarzes Kostüm mit geschlitztem Rock und Netzstrümpfe in hochhackigen Schuhen. Wenn etwas ihre Schönheit und die blonde Löwenmähne in den richtigen Rahmen stellte, dann dies. Sie war ungefähr das Schärfste, was die Meereszoologie je hervorgebracht hatte. 5. Der Colonel hielt sich seit Tagen in Athen auf, ohne seine Freundin zu treffen. Er hatte gar keine Braut in Athen, auch nicht in Oslo, wo er herkam. Was Frauen betraf, lebte er à la carte. In letzter Zeit hatte er die Speisekarten jedoch relativ selten studiert. Es ging jetzt um größere Dinge. Sie beanspruchten ihn vollauf und so sehr, daß er bestenfalls ein Callgirl anrief, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ. In Athen war er nicht unter seinem echten Namen, sondern als Peer Hammerstal abgestiegen. Sein zweiter Paß, der gefälschte, war in dem kleinen Hotel gar nicht verlangt worden. Es war ein norwegischer Paß, und der Gast zahlte bar. Das genügte der Inhaberin. Um den Schein des Studienreisenden zu wahren, ließ er sich Prospekte für Busfahrten nach Korinth und nach 49
Olympia besorgen. Er unternahm sogar eine Dampferfahrt nach Ägina und besuchte auch den Poseidontempel auf Cap Sunion. - Seine wirklichen Interessen hingegen galten nur einem Punkt. Er lag im Herzen der Stadt. Es handelte sich um das Staatsarchiv. Leider hatte man eines der alten Zeughäuser, wo vor zweihundert Jahren noch die Waffen gelagert wurden, umgebaut. Das Gebäude war eine entsprechend massive Konstruktion. Der Colonel hatte sich die Baupläne beschafft. Ein Kern aus Ziegelsteinen war mit Granitmarmor verblendet worden wie ein Kirchenschiff mit Panzerplatten. Die zwei Tore waren immer bewacht, als würden in den Regalen wer weiß was für wichtige Dokumente aufbewahrt. Zugegeben, es gab einige außerordentlich brisante Akten, aber von denen wußten nur noch wenige. Man sorgte sich auch nicht um sie, denn sie lagerten im Sicherheitsbereich des Staatsarchivs, wie man die Tresorzone bezeichnete. Den Plänen nach zu urteilen, handelte es sich dabei um einen Raum im Fundament des Archivgebäudes, gebaut wie ein atomarer Bunker mit zwei Meter dicken Wänden aus Stahlbeton und einer tonnenschweren Stahltür. Dies alles entmutigte den Colonel nicht sonderlich. Er war Pionieroffizier und kannte sich aus mit Bunkern. An den norwegischen Fjorden gab es Sperrforts von ähnlicher Qualität. Alles konnte geknackt werden, wenn man den schwachen Punkt kannte, und jede Festung hatte ihren schwachen Punkt. Die empfindlichen Stellen des griechischen Staatsarchivs waren das Dach und die Keller. Am Abend traf er in der Plaka, in einem Altstadtrestaurant, einen Mann, der wie Demostenes aussah und auch ein wenig stotterte. Der feine Modergeruch, der von ihm ausging, überzeugte den Colonel, daß der Mann wirklich bei der 50
städtischen Behörde für Abwasserbeseitigung arbeitete. Auch war die Haut seiner Hände und seines Gesichtes grau wie das Fell einer Schlammratte, die selten das Tageslicht sah. „Hast du die Zeichnungen?“ fragte der Colonel, der Neugriechisch in einem Intensivkurs erlernt hatte. Der Mann deutete auf seine Stirn. „Hier oben.“ „Das ist mir zu wenig.“ „Die Pläne der Athener Kanalisation wiegen zwei Zentner, mein Herr.“ „Mir geht es um die Tunnel unter dem Klatho-MonosPlatz.“ „Die Pläne sind ungenau.“ „Werden sie nicht ergänzt?“ „Zuletzt vor dreißig Jahren. Inzwischen hat man es aufgegeben. Man müßte alles völlig neu vermessen. Wer soll das machen? Die Beförderung von Scheiße interessiert hier keinen. Hauptsache, sie schwimmt flott ab ins Meer.“ Der Colonel, der nur ans Ziel kommen wollte, sagte: „Am Klatho-Monos-Platz liegt ein Gebäude, da möchte ich unbedingt rein.“ „Wann? Jetzt gleich?“ „Sie gefallen mir, aber Sie übertreiben wohl ein wenig.“ „Mein Herr“, sagte der Mann der Kanalbrigade, „ich arbeite seit achtundzwanzig Jahren unter der Erde von Athen. Ich kenne die letzte Verästelung besser als der beste Chirurg der Welt das Adersystem eines Menschen. Um was geht es?“ Der Colonel schob ihm ein Papier hin. „Um die Kanalisation unter dem Staatsarchiv. Wie komme ich hinein?“ „Leicht“, meinte der Grieche und zögerte. „Haben Sie Bedenken?“ „Ja, ich dachte an Drachmen“, gestand der Grieche. „Es dürfen auch Dollar sein.“ „Sind zweihundert genug?“ 51
„Vierhundert, wenn ich schweige und mitmache.“ „Und wieviel, wenn Sie mich führen?“ „Fünfhundert. Vorausgesetzt, Sie haben keine Schweinerei vor, mein Herr.“ Der Colonel war für Offenheit. „Sechshundert. Jede Schweinerei eingeschlossen.“ Der Grieche nahm das Geld und blinzelte nicht einmal. Dann bestellte er noch eine Runde Ouzo. Die Kiste kam mit einem Kaiki, einem Fischkutter, in Piräus an und wurde am Zoll vorbei importiert. Für ein paar Grüne mit George Washington drauf bekam man in diesem Land sehr viel. Ein Kleinlieferwagen übernahm die Kiste. An der Straße nach Elefis, außerhalb Athens, bog der Fahrer in einen schmalen Weg ein, der zum Meer führte. An der Stelle, wo der dürre Ast einer Akazie auf dem Pfad lag, hielt er an. Rasch zog er die Kiste von der Ladefläche und schleifte sie ins Gebüsch. Um einen Zweig des Akazienastes war Papier gewickelt. Darunter befand sich ein Fünfzigdollarschein. Der Fahrer steckte ihn ein, bestieg seinen Wagen und machte sich, rückwärtskurvend, aus dem Staub. Weiter oben wendete er und nahm die Straße nach Athen zurück. Kaum war das Motorgeräusch verklungen, bewegten sich die Äste. Der Colonel verließ sein Versteck. Sofort öffnete er die Kiste und prüfte den Inhalt. Alles geliefert wie bestellt. Die Kiste war nicht leicht. Eine Maschinenpistole, die Munition, die Panzerweste, der Sprengstoff, Zünder, Handgranaten und der Bolzenschneider wogen etwa fünfundvierzig Kilogramm. Mühelos nahm der trainierte Offizier die Kiste auf die Schulter und trug sie etwa einen Kilometer weit. Dort hatte er seinen Ford abgestellt. Die Kiste kam in den Kofferraum. Gegen Abend parkte der Colonel den Wagen am 52
Klatho-Monos-Platz. Dabei achtete er darauf, daß er nicht in der Kurzparkzone stand. Neuerdings schleppte die Polizei Parksünder rigoros ab. Zunächst ging er einen Kaffee trinken. Weil es regnete und er noch Zeit hatte, sah er sich einen Film an. Leider verstand er wenig davon und verließ das Kino um 22.00 Uhr, noch vor dem Ende des Liebesdramas. In seinem Escort rauchte er zwei Zigaretten, dann tauchte der Grieche auf. Es war dunkel, aber am Kanalräumergeruch war er einwandfrei zu identifizieren. Sogleich fragte der Colonel: „Haben Sie alles?“ Papier knisterte. Der Grieche übergab ihm eine Skizze. Der Colonel fand sie recht ordentlich ausgeführt. „Waren Sie schon mal Architekt?“ „Ich kam an die Pläne. Habe sie durchgepaust.“ „Und es hat keiner bemerkt?“ „Die Pläne liegen bei uns offen herum. Für den Fall, daß irgendwas passiert, ein Einsturz, eine Überschwemmung, und sich die Rettungskommandos durchschlagen müssen. Beim letzten Militärputsch haben die Generäle sogar ihre Truppen durch die Kanalisation hin und her geschoben. Die Straßen oben waren verbarrikadiert.“ Die Skizze zeigte neben blauen Strichen auch schwarze. „Die schwarzen Linien zeigen, was sich im Laufe der Jahre verändert hat“, erklärte der Grieche. „Vom Staatsarchiv läuft ein neuer Schacht herunter.“ „Es ist ein altes Gebäude. Bis vor kurzem hatte es Sickergruben. Jetzt ist es angeschlossen.“ „Und wie kommt man hinein?“ „Durch den Kontrollschacht. Er mündet oben in den Keller.“ Der Colonel verglich den Kanalisationsplan mit seinen eigenen Skizzen und berechnete, daß der Saferaum mit den hochgeheimen Staatsakten ein Stockwerk höher und etwa vierzig Meter vom Schacht entfernt lag. Allerdings mußte man durch zwei Stahltüren, über mehrere Gänge und eine 53
Treppe. „Los, gehen wir“, drängte der Colonel. „Wohin?“ „Alles abchecken.“ „Muß ich dabei sein?“ „Heute nacht“, erklärte der Colonel, „findet nur ein vorbereitender Spähtrupp statt.“ Sie nahmen Lampen mit, Gummistiefel und den Bolzenschneider. Der Colonel hängte noch einen brotbeutelartigen Sack um, über dessen Inhalt er sich nicht äußerte. Unter dem Segeltuch drückten sich Konturen wie von großen Kartoffeln ab. Der Colonel folgte dem Griechen in das Toilettenhäuschen mitten auf dem Platz. Dort öffnete der Grieche mit einem Spezialschlüssel eine seitliche Tür, machte Licht, ließ den Colonel herein und schloß die Tür von innen wieder ab. Eine Wendeltreppe führte etwa zwanzig Meter in die Tiefe. „Ich nahm an, Sie würden einen Gullydeckel abheben“, sagte der Colonel. „Andere mögen es im Leben weiterbringen“, die Stimme seines Führers klang hohl herauf, „aber was die Kanalisation betrifft, da bin ich Vollprofi. Da macht mir keiner was vor. Von den städtischen Urinalen führen meist Treppen nach unten. Ziehen Sie jetzt den Kopf ein, lichte Höhe einssiebzig. Es wird noch niedriger.“ Die röhrenartigen Gänge hatten ovalen Querschnitt. Der untere Teil sah aus wie eine betonierte Wanne, der obere Teil bestand aus Ziegelmauerwerk. Unten floß das stinkende Abwasser, oben führten Lichtleitungen entlang. In den Nebenstollen gab es keine Beleuchtung. Dafür stank es um so mehr. Mitunter staute sich das Abwasser durch die eigenen Dreckbestandteile. Die Arbeit der Kanalbrigade bestand darin, dies zu verhindern. Ein Geräusch irritierte den Colonel. Er blieb stehen. „Ist da jemand?“ 54
„Nur Ratten, mein Herr“, beruhigte ihn der Grieche. „Wenn es sehr kalt wird, verkriechen sich schon mal ein paar Penner nach unten, aber hierher kommen sie nie. Es sind wirklich nur Ratten.“ Der Grieche kannte sich aus. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er den Weg, ohne auf Markierungen zu achten. Der dritte Querstollen, in den sie hinein mußten, war nur noch hundertfünfzig Zentimeter hoch. Aber nach wenigen Metern sah der Colonel die Steigeisen. Sie führten schräg aufwärts in ein Betonrohr. Er leuchtete nach oben. Der Lampenkegel erfaßte eine rostige Sperre. „Ein Deckel.“ „Ein Gitter“, sagte der Grieche. „Wenn Sie da durch sind, können Sie aufrecht gehen. Dann kommt der Kontrollschacht. Auf ihm liegt der Deckel. Er dürfte um hundert Kilo wiegen. Ich würde mir einen Wagenheber besorgen.“ „Den drücke ich weg“, erwiderte der Colonel. „Das ist Ihre Sache.“ Der Colonel verstand. Von hier ab mußte er allein weiter. „Sie warten auf mich.“ Der Grieche hob den Daumen und zeigte „klar“. Vier Zigarettenkippen schwammen im Abwasser meerwärts, bis der Colonel wieder auftauchte. Der Grieche sah sofort, daß er nur noch die Lampe bei sich hatte und den Bolzenschneider. „Das Gitter stellte keine Probleme dar“, berichtete der Colonel in Englisch, „nur noch Draht mit Rost drumherum. Die Stahltür war nicht einmal versperrt. Innen steckte der Schlüssel. Ich nahm einen Abdruck. Die Alarmanlage dürfte zwanzig Jahre alt sein. Ich wurde sie als vortrojanisch einstufen. Schätze, sie ist außer Funktion. Der Saferaum ist in den Kontrollbereich der Wächter einbezogen. Sie gehen unregelmäßig, soweit ich das der 55
Stechuhr entnahm.“ „Verzeihung, mein Herr“, unterbrach ihn der Grieche, „aber das interessiert mich nicht. Ich möchte es auch gar nicht wissen.“ „Was habe ich gesagt?“ fragte der Colonel. „Nichts. Außerdem verstehe ich die englische Sprache nicht.“ „Los, bringen Sie mich nach oben!“ „Wo haben Sie den Brotbeutel?“ Der Colonel lächelte. „Habe mir erlaubt, an der Stelle, wo ich morgen tätig sein werde, ein Proviantdepot zu errichten.“ „Ein Proviantdepot“, wiederholte der Grieche kopfschüttelnd. Auf dem Rückweg hinterließ der Colonel an den Tunnelwänden Zeichen mit weißer Kreide. Der Colonel war bereit und versuchte, London zu erreichen. Es ging um das vereinbarte Startsignal. Aber er bekam die Verbindung nicht. Da ihm noch Informationen bezüglich des Rückmarsches fehlten, rief er mehrmals in London an, verschob die Aktion um vierundzwanzig Stunden, wartete dann aber nicht länger, obwohl London weiterhin tot blieb. Der Ablauf der großen strategischen Operation beruhte auf präziser Einhaltung des Zeitplans. Damit dieser gewährleistet wurde, hatte man Regel- und Sicherungskreise eingebaut. Für diese Kreise wiederum gab es Unter- und Notsysteme. Die Tatsache, daß er London nicht bekam, änderte also nichts an seinem Vorgehen. Es war die Basis, um weitermachen zu können. Bei grundlegenden Änderungen hätte man ihn auf jeden Fall unterrichtet. So stieg der Colonel am Donnerstag, wenige Minuten vor Mitternacht, durch das Toilettenhäuschen am KlathoMonos-Platz in die Athener Unterwelt ein. Er fand sich mühelos zurecht und erreichte binnen zwölf Minuten die 56
zweite Stahltür im Keller des staatlichen Archivs. Der Schlüssel steckte immer noch. Die Anfertigung eines Nachschlüssels war unnötig gewesen. Oben in dem riesigen Gebäude war es ruhig. Der Colonel nahm die Steintreppe zum Vorraum des Safegewölbes. Hinter dem Feuerlöscher zog er seinen Proviantbeutel hervor. Zwei Handgranaten hängte er an den Gürtel des Overalls. Dann machte er die äußere Tür zur Tresorkammer sprengfertig. Dazu führte er Shellite-Plastiksprengstoff in das Schlüsselloch. Es war geformt wie eine Zigarette in King-Size-Format einschließlich des Dreißig-SekundenZünders. Der Colonel betätigte den Zünder, sprang in Deckung und zählte. Nach etwa einer halben Minute puffte es deutlich. Als er um die Ecke kam, qualmte und stank es penetrant, aber die Tür hing offen und schräg in den Angeln. Innen stand ihm jetzt das massive Gitter im Weg. Er beseitigte es auf dieselbe Weise. Bei der Panzertür zum Tresorraum würde es allerdings lauter zugehen. Der Colonel verteilte die Sprengsätze um die ganze Rundung, die Ähnlichkeit mit einem überdimensionalen Kronkorken hatte. Der zwei Meter hohe Korken mußte heraus, damit er in die Flasche hineinkam, um dort eine bestimmte Sache an sich zu bringen. Dafür würde ihm wenig Zeit bleiben. Aber mit den Wächtern glaubte er notfalls fertig zu werden. Nachdem die tennisballgroßen Sprengsätze, an die Fugen gepreßt, miteinander verbunden waren und der Zünder lief, packte der Colonel die Skorpionsmaschinenpistole und wartete in Deckung den Knall ab. Der Zeiger seines Armbandchronometers wanderte in rhythmischen Zuckungen über das Zifferblatt. Sobald er in 57
die Nähe von 45 kam, mußte die Zündung erfolgen. 30 - 40 - 50 - nichts! Die Zündung blieb aus. Sie kam bei voller Minute nicht und auch nicht dreißig Sekunden später. - Kein Zweifel, der Primer hatte versagt. Nun überlegte der Colonel, was zu tun sei. Ersatzzünder hatte er keinen. Aber er konnte den Shellite-Sprengstoff mit Handgranaten hochjagen. Die hatten allerdings nur drei Sekunden Vorlauf. Eine gefährlich kurze Zeit. Doch daß er jetzt aufgab, kam nicht in Frage. Er wartete noch eine Minute, verließ die Deckung und entschärfte eine der Einerhandgranaten. In diesem Moment - er stand etwa vier Meter von der Safetür entfernt - erfolgte die verspätete Zündung. Ein Lichtblitz eröffnete das höllische Inferno. Die sechs Shellite-Brocken hatten die Wirkung von doppelt soviel Tellerminen. Der Colonel hatte jedoch insofern Glück, als ihn die tonnenschwere Panzertür nicht erschlug. Schon vorher packte ihn die Druckwelle und schleuderte ihn durch die Gitterschleuse gegen die Wand des Vorraums. Dort blieb er allerdings ohne Besinnung und schwer verletzt liegen. So fanden ihn dann Feuerwehr und Polizei, mehr tot als lebend. „Er kommt durch“, versicherte der griechische Geheimdiensthauptmann seinem deutschen Kollegen Robert Urban. „Wir taten, was wir konnten. Großartigen Sport wird er allerdings nicht mehr treiben können.“ „Hauptsache, er ist in der Lage, Aussagen zu machen.“ „Bis jetzt schweigt er.“ Urban nahm an, daß sie bei einem Menschen auf der Intensivstation ihre subtilen Verhörpraktiken noch nicht angewendet hatten. „Wer sprach mit ihm?“ „Unser bester Experte. Der Täter ist voll da, kann hören, 58
reden und sehen. Zugegeben, er steht unter dem Einfluß schmerzstillender Medikamente, aber die Ärzte versichern, daß er nicht hirngeschädigt ist.“ „Die Erinnerung setzt meist für eine Weile aus“, gab Urban zu bedenken. „Aber nur für die letzten Minuten vor der Katastrophe. Wichtig für uns ist, zu wissen, ob es sich um einen Terroranschlag oder um einen Einbruch zum Zwecke der Bereicherung handelt.“ „Bereicherung woran?“ fragte Urban. „An alten staatlichen Pergamenten? Enthält die Safekammer verwertbare Akten?“ „Wohl kaum.“ „Kunstwerke, alte orthodoxe Bibeln etwa?“ „Das Staatsarchiv ist kein Museum.“ „Und Terroristen suchen sich meist wirkungsvollere Objekte aus“, gab Urban zu bedenken. „Was zum Teufel“, stöhnte der elegante Captain, „bewog diesen Burschen dann zu dieser Wahnsinnstat?“ „Um das zu klären, bin ich hier.“ Nun stellte der Grieche jene Frage, die ihm am Telefon nicht beantwortet worden war. „Sie sind vom BND, Oberst Urban. Sie handeln mit einer NATO-Vollmacht mit Einverständnis und Unterstützung meiner Regierung. Warum interessiert Sie dieser Bursche?“ „Weil er Norweger ist.“ „Nur eine Vermutung.“ „Und vermutlich ein höherer Offizier.“ „Auch diese Erkenntnis ist nicht absolut gesichert.“ „Und weil er von Kreta nach Athen kam“, fügte Urban hinzu. „Damit stützten Sie sich ausschließlich auf ungesicherte Ermittlungen. Oder ...“ Urban nickte. „... suchen Sie einen Mann, auf den all diese Punkte passen?“ drang der Captain weiter in ihn. 59
„So ist es.“ Der Höflichkeit halber und weil er den Captain brauchte, weihte Urban ihn oberflächlich ein, „Wir“, er sagte nicht genau wer, „hörten davon, lasen davon, sahen das Foto. Sein Gesicht ist kaum verletzt.“ „Ja, er verfügt über einen harten Schädel.“ Urbans Umweg über Athen zu einem anderen Ort hatte eine weitaus kompliziertere Vorgeschichte. Der BNDResident in Athen hatte den Vorfall routinemäßig nach München gemeldet, weil man ihm den Steckbrief eines norwegischen Colonels, des neunten Mannes aus dem Zehnerclub, durchgegeben hatte. Über Brüssel und Querverbindungen nach Oslo hatte man gewisse Erkenntnisse gesammelt und Urban vor seinem Abflug in Zypern noch erreicht. Jetzt saß er im Büro der griechischen Abwehr, und man fragte ihn, ob er Kaffee wollte oder lieber Tee. „Ich möchte diesen Mann sprechen“, entschied er. „Diesen Verrückten? Er mußte sich ausrechnen, daß die Sache schiefgeht.“ „Vielleicht nur eine technische Panne.“ „Schön und gut“, räumte der Captain ein. „Aber was suchte er. In der Stahlkammer liegen nur Akten. Staatspapiere. Kein Dokument ist jünger als fünfzig Jahre. Nur solche, die dieses Alter haben, werden dort abgelegt.“ „Die jüngsten stammen also aus den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts.“ „Keine sehr aufregende Zeit, wenn man vielleicht von Deutschland absieht.“ „Die Akte, auf die es ihm ankam, kann älter sein.“ „In den Jahren vorher war noch weniger los.“ „Er wird es uns sagen“, gab Urban seiner Hoffnung Ausdruck. „Wann kann ich zu ihm?“ Der Captain telefonierte herum. „Morgen früh.“ „Heute abend wäre mir lieber.“ „Keine Sorge, er wird vorzüglich versorgt und bewacht 60
wie der Kronschatz. Dafür sorgen ein Arzt, zwei Schwestern, Posten unserer Garde und mehrere meiner Leute.“ „Schön, dann morgen.“ „Ich lasse Sie abholen, Oberst Urban.“ „Im Hilton Hotel.“ An der Tür fragte der Captain: „Darf ich heute nacht Ihren Fremdenführer durch die Stadt spielen. Sie hat mehr zu bieten, als man annimmt. Ich würde sagen, sie ist schlechter als ihr Ruf.“ „Danke, Captain“, sagte Urban. „Ich bin seit drei Tagen pausenlos auf den Beinen.“ Außerdem kannte er Athen. Trotzdem rief der Captain um Mitternacht bei ihm an. „Mein Wagen steht unten, Colonel Urban.“ „Sie haben keine Chance, mich aus dem Bett zu kriegen, Captain.“ „Wetten, daß?“ fragte der Grieche. „Tausend Mark“, scherzte Urban. „Die haben Sie schon verloren“, erwiderte der Geheimdienstoffizier. „Unser wertvoller Gefangener beging nämlich einen Selbstmordversuch. Er riß sich den Tropf aus der Vene und stopfte an Schmerztabletten in sich hinein, was er erwischte.“ „Ich komme“, entschied Urban. Als sie im Armeehospital, wo hin man den Norweger verlegt hatte, ankamen, erfuhren sie, daß er soeben verstorben sei. „Herzstillstand null Uhr vierunddreißig“, sagte der Arzt. 6. Er kam mit seinem gepanzerten Hubschrauber. Die schwarze Ministerlimousine, die ihn in Empfang nahm, war ebenfalls gepanzert. Ankara saß links im Fond, der General saß rechts. Die 61
Herren kannten sich. Sie mochten sich zwar nicht, schätzten einander aber wie zwei Werkzeuge, die sich ergänzten, oder wie Schraubendreher und Schraube. „Du bist die Schere“, sagte Anatol Ankara zu dem Minister. „Ich bin der Stoff.“ „Oder umgekehrt.“ „Aber ohne den anderen geht nichts, ist man ohne Funktion.“ Der General gab seiner filterlosen Zigarette Feuer. „Das halte ich für übertrieben, Bey Anatol.“ „In diesem besonderen Fall trifft es zu.“ „Dann laß den Hund heraus“, drängte der General, „alter Bandito.“ Vorher steckte Ankara noch einmal die Linien ab. „Jeder läßt den anderen auch weiterhin in Ruhe.“ „Innerhalb gewisser Grenzen.“ „Ich störe dich in der Politik nicht, du mich nicht in meinen Geschäften.“ Der General ließ den Kopf fallen als sterbe er in diesem Augenblick. Er starrte aber nur auf die Stiefelspitzen. „Du hast längst begonnen, dich in die Politik einzumischen.“ Dies mußte Ankara zugeben. „Aber nur insofern, als ich möchte, daß du Regierungschef wirst.“ „Es läßt sich gar nicht trennen“, befürchtete der General. „Die Politik und das Geschäft.“ Nun kam Ankara zur Sache. „Insoweit schon, als ich meine Freiheit behalten möchte, die wiederum vom Frieden abhängig ist.“ „Wir haben ihn in der Hand“, sagte der General. „Dafür verbürge ich mich.“ „Im Innern vielleicht“, schränkte der Mann, den sie Bey nannten, ein. „Den äußeren garantiert die NATO.“ Ankara schaute hinaus auf die schiefen Hütten der Vorstadt und dachte sich einen Teil. Es gab Dutzende von 62
Sanierungsprogrammen, aber die Slums blieben. Es gab Hunderte von Sicherheitsprogrammen, aber ein Wahnsinniger konnte alles zunichte machen. „Der Abwurf einer Atombombe irgendwo im Westen, was würde er auslösen!“ „Ich möchte nicht daran denken“, gestand der General. „Die Atombombe wurde bereits abgeworfen“, erklärte Ankara, „und befindet sich im freien Fall auf das Ziel.“ Anatol Ankara fühlte, wie der General sein Handgelenk packte. „Du bist kein Mann von billigen Scherzen.“ „Nicht einmal von makabren.“ „Ich habe dich betrunken gesehen, doch in allem, was du je sagtest, steckt ein Kern Wahrheit.“ „Die Bombe fällt“, wiederholte Ankara. Der General ließ seinen Arm los und griff zum Telefon, das ihn mit dem Fahrer verband. Durch die Trennscheibe sah man, wie der Fahrer ebenfalls den Hörer abnahm. „Stellen Sie das Radio an, Sergeant“, befahl der General. Der Fahrer legte auf, hantierte am Armaturenbrett, bis im Radio eine grüne Lampe aufleuchtete. Zu hören war im Fond nichts davon. „Die Trennscheibe ist schalldicht“, bemerkte der General, „und er hat Musik hereingeholt.“ „Trotzdem sollten wir besser Französisch sprechen.“ Der General schaute sich um, dann wieder nach vorn. „Wenn es in diesem Wagen ein Abhörmikrofon gibt, oder wenn man uns in einem Fahrzeug mit Richtmikrofon folgt, dann sprechen die am anderen Ende mehr Fremdsprachen, als wir je beherrschen werden.“ „Hast du im Ministerium einen abhörsicheren Raum?“ „Man behauptet, er sei abhörsicher, aber ich zweifle daran. Zuviel dringt in unbefugte Kanäle.“ „Dann laß uns in die Berge fahren“, schlug der Mann aus Anatolien vor. 63
Der Mercedes 600 parkte eine Serpentine weiter unten. Die Hauptstadt lag im Dunst. Außer zirpenden Grillen, dem Wind und ihnen gab es nichts hier oben. „Wohin fällt die Bombe?“ fragte der General. „Die Sowjets haben Eliteregimenter vom Eisernen Vorhang abgezogen und an die östliche Schwarzmeerküste verlegt.“ „Auch Landungseinheiten?“ „Landungstruppen und Panzer.“ „Gewiß nur ein großräumiges Manöver“, vermutete der General. Ankara schüttelte den Kopf. „Ich halte es für die Grobabstimmung mit anderen Maßnahmen, die sich gegen das westliche Bündnis richten.“ Obwohl ein taktisch kluger Kopf, fehlte dem General mitunter der strategische Durchblick. „Und wo vollzieht sich die Feinabstimmung?“ „Vermutlich auf Zypern.“ „Die Insel ist zwar die Achillesferse der NATO“, räumte der General ein, „aber derzeit stabil.“ „So stabil wie Hirsebrei. Womöglich gibt es Bestrebungen, den Brei wieder kochen zu lassen.“ Der General schritt zügig aus. Ankara hatte Mühe, ihm zu folgen. Mit einem Ruck blieb der General stehen und stieß stakkatoartig eine Reihe von Worten hervor. „Zypern - Athen schluckt unser Gebiet dort - Krieg Zerfall der NATO - Rußland sieht seine Südflanke bedroht und greift ein.“ „Moskau würde es so hinstellen, als sei es von den Linken in Athen um militärische Hilfe gebeten worden.“ „Was nicht von der Hand zu weisen wäre, wenn unsere Panzerketten auf ihren Straßen rollten.“ „Das ist die Bombe, von der ich sprach.“ „Und das erfordert Reaktionen“, murmelte der General. „Und zwar an Leuten vorbei, die eine solche Entwicklung durchaus begrüßen würden.“ 64
Der General bat um eine Zigarette. Er hatte seine eigenen im Mercedes liegenlassen. „Gibt es noch weitere Anzeichen?“ Der Mann aus Anatolien nickte. „Selbst bei den NATO-Stäben hat man die Gefahr erkannt und ergreift Gegenmaßnahmen.“ Der General rauchte aus. Dabei lachte er grimmig. „Auch du hast Maßnahmen ergriffen, Anatol.“ „Ich verständige dich, mein Freund.“ „Woher hast du die Informationen?“ „Schon früher waren reisende Kaufleute die besten Spione. Daran hat sich bis heute wenig geändert.“ „Du machst gute Geschäfte mit den Russen.“ Der General schien an der Ehrlichkeit des anderen zu zweifeln und hinter allem gezielte Scharfmacherei zu wittern. „Ich hasse die Russen trotzdem“, erwiderte Ankara. „Haßliebe wie zu einer Frau, die du nicht verlassen kannst“, meinte der General, „weil du weißt, daß sie trotz allem die beste für dich ist.“ „Ich mache Geschäfte mit den Russen und lasse sie dafür bluten, bis sie mir eins zu einer Million zurückzahlen, was sie mir schulden.“ „Immer noch diese uralte Affäre“, wunderte sich der General. „Das war doch schon vor zwanzig Jahren.“ „Vor zwölf Jahren“, präzisierte Anatol Ankara. „Ich wußte, daß sie nichts dringender wünschten, als ein funktionsfähiges Modell des besten Panzers der Welt, des Leopard, zu bekommen. Sie lobten fünf Millionen Rubel dafür aus. Ich nahm mich der Sache an.“ „Und gingst pleite“, fiel ihm der General ins Wort. „Das erste große Geschäft meines Lebens führte zu einem katastrophalen Bankrott. Ich setzte alles ein, was ich besaß, machte Schulden, gab Garantien, verpfändete mein Wort, meine Ehre. Ich wandte jeden denkbaren Trick an. Ich entführte, setzte unter Druck, erpreßte, quälte und ...“ „... tötete“, ergänzte der General. „Das nicht“, schränkte Ankara ein. Man wußte aber 65
nicht, ob es der Wahrheit entsprach. „Endlich bekam ich so ein fünfzig Tonnen schweres Ungetüm in die Hand. Ich lieferte es unter unvorstellbaren Schwierigkeiten bis an ihre Grenze. Sie holten es herüber, und als ich zur Kasse bat, sagte man mir, der Panzer müsse erst überprüft werden.“ Der General kannte die Geschichte. „Sie zahlten nicht, weil die Kanone angeblich nicht das neueste Modell war und weil die Zielelektronik fehlte.“ „Seitdem liebe ich die Russen, wie du dir denken kannst.“ „Du gingst trotzdem nicht unter.“ „Ich mobilisierte meine allerletzten Kräfte.“ „Hätten die Russen bezahlt, hättest du dich mit den Goldrubeln zur Ruhe gesetzt. Heute besitzt du das Hundertfache davon.“ „Wer weiß“, äußerte Ankara und deutete mit dem Zeigefinger auf die Brust. „Aber der Haß bleibt. Einer wie ich vergißt niemals. Weder das Gute noch das Schlechte, das man ihm zufügte.“ „Aber du bist maßlos in deinem Haß.“ „Wie in meiner Zuneigung.“ „Ein Ausgleichskonto gibt es bei dir wohl nie.“ Irgend etwas piepte wie ein kleiner Vogel, den man in der Sakkotasche eingesperrt hatte. Das Piepen enthob Ankara der Antwort. Über sein Armbandtelefon kam ein Anruf. „Ich muß weiter“, sagte er. Die Fahrt zurück zum Flugplatz verlief unter Schweigen. Der General schien darüber nachzudenken, was ihm Ankara mitgeteilt hatte und welche Maßnahmen ergriffen werden mußten. „Alarm scheidet aus“, sagte er. „Du darfst nichts unternehmen, was die Krise anheizt.“ „Oder gar erst auslöst. Ich werde die Herbstmanöver in Kaukasien und Zypern um einige Wochen verschieben und anschließend die daran beteiligten Truppen verzögert abziehen. Außerdem werde ich Elite-Einheiten dorthin 66
verlegen.“ „Verdeckte Mobilmachung also.“ „Ein Signal an die Russen schadet nicht.“ Da alles so lief, wie er es sich wünschte, fragte Ankara : „Hast du dein neues Haus schon bezogen?“ „Ich habe es noch nicht einmal gefunden.“ „Woran liegt es?“ Der General wurde jetzt privat. „Du weißt, ich stamme aus kleinen Verhältnissen. Ohne Einheirat in eine angesehene Familie wäre ich nicht einmal Major, geschweige denn Mitglied des Generalstabs geworden. Lange mußte ich meiner Frau den Lebensstandard, den sie durch ihre Herkunft gewohnt ist, versagen. Sie beschwerte sich nie, aber sie leidet wohl ein wenig darunter. Das Haus, das ich nun kaufen möchte, soll ihren Wünschen entsprechen. Was ihr vorschwebt, ist eine ältere Villa in einem großen Garten mit Blick über die Stadt, in einem der besseren Viertel. Aber wie gesagt, es ist schwierig. Was ihr gefällt, übersteigt meine Einkünfte bei weitem.“ „Was gefällt ihr denn?“ wollte Ankara wissen. „Hat sie ein bestimmtes Objekt im Auge?“ „Nun, es ist wohl gar nicht bezahlbar.“ Ankara ließ nicht locker. „Handelt es sich vielleicht um die Villa des verstorbenen Ali Öryvik, der im Schrotthandel sehr reich wurde?“ „Mag sein.“ „Ist es so?“ vergewisserte sich Ankara. „In der Tat“, gestand der General. „Ein herrliches Haus.“ „Wem sagst du das.“ „Es würde zu euch passen.“ „Leider nicht zu meinem Bankkonto.“ Da griff Ankara in die Innentasche seines Kaschmirmantels und zog einen länglichen Umschlag aus festem kartonartigen Papier heraus. 67
„Grüß mir deine Frau, General.“ „Was ist das?“ „Nichts von Bedeutung.“ Der General wollte den Umschlag öffnen. Er war jedoch zugeklebt und an seine Ehefrau adressiert. „Kann sie das akzeptieren, oder bringst du sie in Verlegenheit damit?“ „Keine Briefbombe“, beruhigte ihn Ankara. „Nur der Kaufvertrag für die Öryvik-Villa, ausgestellt auf ihren Namen.“ Der General bekam harte Züge. „Das ist Bestechung.“ „Ein Geschenk. Immer machten die Reichen den Mächtigen Geschenke, seitdem es Reiche und Mächtige gibt.“ Die Stimme des Generals wurde kalt wie Gletscherwasser, als er fragte: „Und was willst du dafür? Daß wir nicht nur zwei Augen zudrücken, sondern vier Augen? Daß wir dir freie Bahn lassen für deine üblen Machenschaften?“ „Dein Geheimdienst beschattet mich“, erwähnte Ankara. „Wen wundert das.“ „Verstärkt die Beschattung“, bat Ankara zur Verblüffung des Generals. „Weitet sie aus zu einer Art Personenschutz.“ „Hast du den nötig?“ „Möglicherweise“, deutete Ankara an. „Deine Leute mögen sich im Zweifelsfall so verhalten, als stünden sie auf meiner Seite.“ Zögernd steckte der General den Umschlag ein. „Du hast doch nicht irgend etwas mit meiner Frau?“ „Ich kenne sie nicht einmal.“ „Du solltest sie kennenlernen.“ „Dann würde ich vielleicht was mit ihr anfangen.“ „Na wenn schon“, sagte der General, „du Hurensohn.“ Er brachte Ankara zu seinem Hubschrauber und wartete, 68
bis dieser gestartet war. Der Helikopter zog hoch und flog nach Südosten davon. Der General griff zum Autotelefon. „Wohin fliegt er?“ fragte er bei seiner Zentrale an. „Angeblich in seine Burg“, übermittelte man ihm. „Wir glauben aber, daß er eine Verabredung hat, irgendwo am Bosporus. Eine Familiensache.“ Er ist unberechenbar wie eine Katze, dachte der General. Man weiß nie, was er denkt und was er im nächsten Augenblick tun wird. 7. Der BND-Agent Robert Urban fand die Hochseeyacht Ocean in Istanbul ohne Mühe. Nach zwei Stunden Suche entdeckte er sie am Pier einer kleinen Werft im Goldenen Horn hinter der Galatabrücke. Nach Auskunft des Geschäftsführers sollte das Backbord-Schraubenlager erneut werden. „Der Eigner behauptet“, sagte der Ingenieur, „das Lager habe Luft, es mache sich durch rumpelnde Geräusche bemerkbar. Ich erklärte ihm, was lange rumpelt, das läuft auch lange. Mit dem bißchen Lagerluft dreht sich das Ding noch zehn Jahre. Der Austausch kostet, in Dollar gerechnet, wenigstens zehntausend. Aber manche Leute haben einfach zuviel Geld.“ „Oder zu feine Ohren“, ergänzte Urban. Er machte einen Rundgang auf dem Oberdeck und stellte fest, daß sich einiges verändert hatte. Der zusammengefaltete Gummitank war entfernt worden. Den Pool hatte man wohl mit einem chlor- oder salmiakhaltigen Mittel gereinigt, und die Anrichte zwischen Bar und Salon war kein Labor mehr, sondern eine Pantry. Die Geschichte mit dem Wellenlager nahm Urban den Werftleuten nicht ab, aber auch nicht übel. 69
Im Begriff, wieder an Land zu gehen, fragte er: „Wem gehört die Ocean eigentlich?“ „Ich glaube, der derzeitige Eigner ist Ali Öryvik.“ „Öryvik der Schrottkrämer?“ „Öryvik ist ein häufiger Name in der Türkei.“ „Aber nicht alle sind Multimillionäre“, erwiderte Urban. „Und so mysteriös wie dieser Öryvik.“ „Sie verstehen“, äußerte der Ingenieur, „daß wir über unsere Kunden nicht gerne ...“ Urban lächelte. „Auch wenn sie längst tot sind.“ Der Ingenieur war in diesem Punkt wohl nicht kompetent. „Wir bekommen die Aufträge von einem technischen Büro, das Schiffsreparaturen plant und überwacht. Von dort werden wir auch bezahlt.“ Urban tippte einen Gruß an die Stirn. Dann schwang er sich in das wartende Taxi. Im Fond saß ein Mann mit schwarzem Schnurrbart, „Hatten Sie Erfolg?“ „Gemeinsam mit Ihnen wäre wohl mehr herausgekommen“, antwortete Urban. „Wir hatten vereinbart, daß wir uns bedeckt halten.“ „Und warum zum Teufel?“ „Anordnung von oben.“ „Als ob es nicht uns alle anginge.“ „Wenn es not tut“, sagte der türkische Geheimdienstoffizier, „werden wir zur Stelle sein. - Was haben Sie jetzt vor, Colonel Urban?“ „Ich würde gerne diesen Schrottsammler Ali Öryvik sprechen.“ „Das dürfte kaum möglich sein.“ „Weiß ich. Er gilt als tot.“ Der türkische Major, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Urban aufwies, wenn man von seinem schwarzen Schnauzer absah, steifte sich zurück in die Polster. „Er ist nicht tot“, erklärte der Türke, „er ist mehr als 70
das. Es hat ihn nie gegeben.“ Urban zeigte sich nicht überrascht. „Richtig. Er wurde erfunden und aufgebaut, übergroß, so daß man sich hinter ihm verstecken und ihn bei Bedarf auch sterben lassen konnte.“ „Nun, er hat seine Schuldigkeit getan. Er hat tausendfach Handelsbestimmungen übertreten, hat Gesetze verletzt, Steuern in unvorstellbarem Maße hinterzogen, hat erpreßt, bestochen, wer weiß was noch alles.“ „Fahren wir zu ihm“, schlug Urban vor. „Ich glaube, er erwartet mich.“ Kopfschüttelnd gab der Abwehrmajor seinem Fahrer Befehl. „Zu seinem Grab“, übersetzte er für Urban die Anweisung. „Im Park seiner Villa?“ „Über dem Bosporus.“ „Wo er die malerischen Sonnenuntergänge genießen kann.“ „Ein Toter in seinem Marmormausoleum.“ Zweifelnd steckte sich Urban eine MC an. „Tote hören, sehen, fühlen nichts“, sagte er. „Aber ein Mann, der nicht sterben konnte, weil es ihn niemals gab, der kann recht lebendig sein.“ „Sie schildern ihn, als seien Sie ihm schon begegnet“, bemerkte der Türke. „Ich sah ihn erst kürzlich in Zypern an einem Morgen wie diesem. Er stand, an seinen Rolls Royce gelehnt, und sah zu, wie man mich umbrachte.“ Der Türke lächelte jetzt. „Sie leben noch, Colonel.“ „Und er auch.“ Der Wagen schob sich durch das Verkehrschaos an der Galatabrücke, bog dann nach rechts ab, rollte am Wasser hinaus, hinter dem Dolmabahce-Palast vorbei, Richtung Bosporusbrücke. „Aber wir halten uns bedeckt“, wiederholte der Major, 71
„Warum nehmen Sie nicht gleich den Schleier?“ fragte Urban. Die pompös wirkende Villa lag nahe der Festung Rumeli Hisari auf der asiatischen Seite der Meerenge. Die Mauer war nicht so hoch wie auf dem gegenüberliegenden Festungshügel, aber mit Stacheldraht bewehrt. „Er führt Strom“, vermutete der türkische Geheimdienstoffizier. Sie hörten Gebell. „Im Park gehen Hundestreifen.“ „Als sei der Schrottkönig wieder auferstanden.“ Urban verließ das Taxi, nahm aber das Fernglas aus seiner Reisetasche mit. Zweimal schlenderte er an dem hohen eisernen Gittertor vorbei. Die Villa lag oben hinter Akazien und Tamarisken, die noch üppig im Grün standen. Auf der Terrasse glaubte er einen Mann zu erkennen. Für Sekunden bekam er ihn ins Glas. - Kein Zweifel, es war das Blaßgesicht mit der Schrotflinte, der ihn auf Grund eines wundersamen Radiobefehls am Leben gelassen hatte. Nach ein paar tiefen Atemzügen verschwand der Skipper wieder im Haus, dessen Fassade mit Scheinwerfern und Fernsehkameras gespickt war. Bei Tag kam man unbemerkt nicht hinein. Und auf einen richterlichen Durchsuchungsbefehl hätte man wohl bis Weihnachten gewartet. Wieder im Taxi, fragte Urban: „Wie lange haben Sie Zeit für mich, Major?“ „So lange Sie hier bleiben.“ „Pausenlos?“ „Hautnah.“ „Dann richten Sie sich bitte auf eine lange Nacht ein.“ Der Türke runzelte die Stirn. „Sie beabsichtigen einzusteigen, Colonel Urban?“ „Was bleibt mir übrig.“ „Sie sind lebensmüde.“ „Durchaus nicht. Aber ein Mann, der nicht existiert, 72
kann auch nicht auf einen anderen schießen, oder?“ „Verbeißen Sie sich da nicht in eine Wahnvorstellung?“ Urban zählte auf: „Acht tote NATO-Obristen, Quallen aus Australien, gezüchtet auf der Ocean, und die Yacht zur Tatzeit an der Südküste von Zypern vor Anker.“ „Wie lautet das bitte im Klartext?“ „Das erzähle ich Ihnen heute nacht, wenn ich lebend aus der Villa zurückkomme. Würden Sie mich jetzt bitte im Sheraton-Hotel abliefern, Major.“ Die beste Vorbereitung für eine Unternehmung dieser Art war Schlaf, Entspannung, Ruhe. Vorausgesetzt, man fand sie. Urban war fähig, abzuschalten. Aber ein Anruf riß ihn aus seinen Träumen. Der Mann am Telefon sprach englisch. „Mister Ali Öryvik erwartet Mister Dynamit zum Tee.“ „Wann?“ „Siebzehn Uhr.“ „Ich komme“, war Urban sofort bereit. Dann sprach er mit dem Hauptquartier in Pullach. „Tote geben eine Party“, sagte er. „Was habt ihr über den Schrottkönig von Istanbul ausgegraben?“ „Er kam bei einem Flugzeugabsturz vor vier Jahren ums Leben.“ „Wo?“ „Im Dschungel von Indonesien.“ „Man fand das Flugzeugwrack und die Leiche nie. Stimmt’s?“ „So ist es.“ „Und sein Vermögen?“ „Verwaltet eine Stiftung.“ „Wo residiert sie?“ Urban tippte auf die Schweiz. „In Liechtenstein.“ „Wer ist ihr Präsident?“ Der Mann aus dem BND-Archiv nannte einen Namen. 73
Er klang schweizerisch und gehörte wohl einem Anwalt. „Gibt es den überhaupt?“ erkundigte sich Urban. „Wir forschen nach.“ „Falls ich mich morgen nicht melde“, riet Urban, „dann dehnt die Nachforschungen weiter aus, nämlich nach meiner Leiche.“ „Okay“, bestätigte der Mann im Hauptquartier relativ ungerührt. Der blasse Typ, der ihm den Gewehrkolbenschlag verpaßt hatte, begrüßte ihn wie einen Ehrengast. „Man erwartet Sie, Sir.“ Doch die Wohnhalle war leer. Trotz der hohen Fenster wirkte sie düster. Die schweren Möbel standen verloren da, so riesige Dimensionen hatte der Raum. Im Kamin konnte man einen Ochsen braten. Ein Mensch ohne starkes Selbstbewußtsein kam sich hier zusammengestaucht vor. Auf der Treppe zur Galerie, breit genug, um eine Musikkapelle in Viererreihe hinaufmarschieren zu lassen, erschien plötzlich ein Mann. Wie die Gestalt aus einer anderen Welt nahm er genau jene Stelle ein, wo ein Lichtstrahl hinfiel. Er war einen Kopf kleiner als der Durchschnitt, aber eine halbe Schulter breiter und in seinen Zügen mischte sich die Wildheit aller Zaren, Khans und Beys des Ostens. „Nicht nötig“, rief Ankara, „daß du dein Knie beugst, Amigo.“ „Ich bin nahe daran“, spottete Urban. „Es beeindruckt dich“, Anatol schritt die letzten Stufen herunter und machte eine weite Armbewegung, „alles das?“ „In der Tat, Mister Öryvik.“ Der Anatolier blieb stehen und schob die Hände in den breiten Ledergürtel. Außer Hose und einem handgenähten Seidenhemd trug er nichts. „Ja, der bin ich“, gestand er. „Und nicht nur er. Ich bin 74
noch manch anderer. Männer, die es nie gab, die ich erfand, um sie bei Bedarf sterben oder einfach verschwinden zu lassen.“ Urban fand es zwar äußerst amüsant und beachtlich, wie weit es der einst abgerissene Typ aus Anatolien gebracht hatte, aber er wollte zur Sache kommen und endlich Schluß machen. Deshalb ergänzte er Ankaras Rede: „Und Besitzer der Yacht Ocean bist du auch. So kam ich hierher.“ Ankaras Blick verschärfte sich deutlich. Falls er es nicht geahnt hatte, jetzt wußte er, in welche Richtung alles lief. „Ja, es ist mein Schiff“, gestand er. „Was damit geschieht, verantwortest du.“ „Natürlich“, antwortete der Anatolier. „Aber willst du nicht Platz nehmen, Amigo?“ Urban lehnte dies mit einer Handbewegung ab. „Du wußtest vom Transport der Seewespen.“ Die Brauen Ankaras wurden zu einer borstigen Linie. „Meine Yacht ist kein Frachtschiff.“ „Aber deine Organisation beschäftigt Killer. Acht NATO-Obristen starben in Zypern.“ „Was trinken wir?“ fragte Ankara. „Wenn sich alte Freunde wiedersehen, sollten sie zur Begrüßung nur vom Besten zu sich nehmen.“ Er betätigte einen Klingelknopf. Der Diener erschien. „Champagner!“ rief Ankara. „Wenn Freunde sich wiedersehen“, nahm Urban den Faden auf, „dann sollten sie sich auch nicht belügen. Falls sie je Freunde waren.“ „Ich halte mich gerne daran“, erwiderte Ankara. „Der Mann an jenem Morgen neben dem Rolls Royce am Pier in Kyrenia, das warst du.“ Ankara nickte langsam. Er griff sogar in die Tasche, zog eine Sonnenbrille heraus und setzte sie auf. Nachdem er sich auf diese Weise präsentiert hatte, nahm er die Brille wieder ab. „Du hast mein Leben geschont“, stellte Urban fest. 75
„Das war ich dir schuldig.“ „Das Quarkgesicht, dein Hofmarschall, hatte den Befehl, jeden zu durchsieben, der an Bord kam. Deinen Befehl erhielt er über Sprechfunk.“ „Nun sind wir quitt.“ „O nein“, entgegnete Urban. „Die Yacht war deine Falle. Die Falle, aus der ich dich vor zwölf Jahren befreite, war nicht meine Falle, sondern die der Russen und mithin von höherer Qualität.“ Ankara schien sich zu erinnern, daß die Russen damals nicht nur den Leopard, sondern auch ihn hatten haben wollen. Der deutsche Bundesnachrichtendienst hatte von dem Dreh mit dem Panzer erfahren. Da es zu seinen Aufgaben gehörte, dafür zu sorgen, daß deutsche Rüstungsgüter, auch wenn sie von der Armee eines Verbündeten stammten, niemals in die Hände eines potentiellen Gegners fielen, war der BND aktiv geworden. „Mein Leben“, wertete Ankara die Sache ab, „fiel damals ganz nebenbei ab. Im Grunde ging es dir um etwas anderes, nämlich darum, den Leopard, der auf dem Territorium der UdSSR war, zu sprengen.“ „Was mir auch gelang.“ „Ich half dir dabei.“ „Nachdem ich dich befreit hatte.“ „Ohne mich hättest du ihn niemals gefunden.“ „Und du hättest ohne mich deinen Rachedurst nicht gestillt.“ In diesem Punkt machte Ankara Einschränkungen. „Einen Teil meiner Rache“, sagte er. Lautlos servierte der Diener auf einem Tablett zwei Gläser mit perlendem, honigfarbenen Champagner. „Du bevorzugst französische Weine“, erinnerte sich Ankara. „Dieser hier stammt aus Trauben, die auf meinen Bergen an der Küste wachsen. Wir nehmen nur die erlesensten Sorten. Er steht einem Taittinger nicht nach. Du wirst es schmecken.“ Urban wollte erst reinen Tisch machen, ehe er trank. 76
Zum Abschied würde er einen Schluck nehmen. „Du hast die tödlichen Quallen in einer einsamen Bucht der Larnaca-Bay ausgesetzt.“ „Mag sein“, gestand der Anatolier. „Und hast damit acht Männer getötet.“ „Wer zwang sie, dort zu baden?“ „Du wußtest, daß sie es tun würden. Du hast sie beobachtet und vorsätzlich getötet. Acht hervorragende NATO-Offiziere.“ Ankara trat näher an Urban heran und senkte die Stimme. „Acht Verräter.“ „Du gibst bis hierher alles zu?“ Nun lächelte Ankara. „Ich erlaubte mir einen Scherz. Es war ein Spiel. Ich gebe nichts zu.“ „Dein Schiff, die tödlichen Quallen, die acht toten Manner“, zählte Urban auf. „Und?“ „Nesselspuren an ihren Körpern.“ „Aber das letzte Glied in der Kette fehlt dir“, wendete Ankara ein, ,,nämlich der Beweis, daß ich mit ihrem Tod etwas zu tun haben könnte. Beachtlich ist immerhin, daß du bis zu diesem Punkt vordrangst. Das schafft nur einer. Das konntest nur du. Wir ähneln uns sehr, Dynamit. Wir saßen eben doch auf der gleichen Schulbank.“ „Aber nicht auf derselben Schule.“ „Bei unserer Freundschaft“, beschwor ihn der Anatolier, „gib auf, Dynamit! Bis hierher und nicht weiter. Ich könnte von jetzt an für dein Leben nicht mehr garantieren.“ „Nicht bevor ich den Beweis geführt habe“, beharrte Urban. „Es wird nicht schwer sein. Einmal ein Lügner, immer ein Lügner. Einmal Bandit, immer ein Bandit.“ Ohne konkret zu werden, stellte Ankara eine Frage in den Raum. „Hältst du es für möglich, daß man, um den Frieden zu retten, über Politiker und Militärs hinweg Dinge tun muß, 77
die wie Verbrechen aussehen?“ „Warum fragst du das?“ „Was wiegt schwerer: acht Tote oder acht Millionen Tote?“ „Mord bleibt immer ein Verbrechen.“ „Angenommen, du weißt, daß das Leben von zehn Männern ein Volk auslöschen könnte, angenommen, du hast es in der Hand, die zehn zu beseitigen und tust es nicht, ist das nun moralisches Wohlverhalten oder Sünde?“ Urban war nicht hier, um zu philosophieren. „Warum mußten sie sterben?“ „Versprichst du mir“, setzte Ankara an, „schwörst du, alle Nachforschungen einzustellen, sowie dafür zu sorgen, daß die NATO-Geheimdienste dies ebenfalls tun, wenn ich dir die Hintergründe eröffne?“ „Das kann ich nicht. Du weißt das.“ „Dann muß ich schweigen.“ „Dann sind wir fortan Gegner.“ „Mehr als das.“ „Feinde?“ „Nur soviel sollst du wissen: Es geht um den Frieden.“ „Um was für einen? Um den Frieden, ungestört Milliardengeschäfte tätigen zu können, Waffen zu verschieben, Atombombenmaterial. - Was ist das für ein Frieden?“ „Besser als der kleinste Krieg.“ Urban trat zum Fenster und steckte sich eine MC an. Über Istanbul ging die Sonne unter. „Du willst also einen Krieg verhindern.“ Urban fragte genauer: „Welchen?“ „Ich will den Frieden erhalten. Der schmutzigste Friede ist besser als der sauberste Krieg.“ Urban nahm das Glas, setzte es jedoch wieder ab. Noch gab es keinen Grund zu trinken. „Dafür kämpfen auch wir. Warum tun wir es nicht gemeinsam?“ „Unsere Methoden sind anders“, wich Ankara aus. 78
„Auf ein gemeinsames Ziel gerichtet, kann man sie anpassen.“ „In diesem Fall leider nein“, erwiderte Ankara hart, aber offen. „Die rechte Hand am Klavier kann nie den Part der linken übernehmen. Bei euch geht es um die Aufklärung der acht Todesfälle - oder sollten es mittlerweile schon neun sein, oder zehn?“ „Das ist unsere Pflicht.“ „Mein letzter Rat, Bob, faß nicht hinein in diesen Topf, es lauern hungrige Vipern darin. Sie werden dich beißen. Ihr Gift ist tödlich.“ „Wie das der Quallen.“ „Wie das des Verrats.“ Sie hatten beide einen Punkt erreicht, wo es nicht weiterging. Sie waren sich in vielem ähnlich, aber sie standen auf unterschiedlichen Seiten. Urban hielt sich an die Regeln dessen, was allgemein als Moral und Recht bezeichnet wurde. Ankara unterstellte alles einem eigenen Gesetz. Selbst bei großzugiger Abwägung von Mittel und Zweck konnte Urban ihm nicht folgen. Ankara hob sein Glas. „Du bist also weiterhin gegen mich.“ „Wie von dem Augenblick an, als ich begriff, daß nur einer an den Drähten ziehen kann, nämlich Bey Anatol.“ „Dann sind wir von nun ab Todfeinde.“ „Da du es so willst.“ Ankara nahm die Gläser, reichte Urban eines davon. Der gekühlte Wein hatte die Schalen beschlagen lassen. „Dann adiós amigo!“ „Adiós bandito“, sagte Urban. Sie leerten beide ihre Gläser. Der Wein, den Anatol Ankara Champagner nannte, mochte seinen Gaumen vielleicht befriedigen, für Urbans Zunge hatte er den Nachgeschmack von Gummilutschern. Er blieb hartnäckig auf der Zunge haften. Eine Art Lupenwirkung stellte sich ebenfalls ein. Plötzlich sah Urban das Gesicht seines Exfreundes vergrößert, aber auch 79
verzerrt wie durch ein Fischauge. Dazu gesellte sich der Tunneleffekt. Seine ganze Umgebung nahm Urban wie durch ein Rohr hindurch wahr, das sich mit hoher Geschwindigkeit verlängerte, wodurch sich alles um ihn herum, laufend entfernte. Er sah noch, hörte, nahm wahr, wie Anatol Ankara das Glas hob und mit ausholendem Schwung von sich warf. Es zerschmetterte auf dem Marmorboden. Der Knall schmerzte Urban so stark, als detoniere in seinem Gehörgang eine Handgranate. Bald war Anatols Kopf briefmarkengroß im Tunnel. Urban fühlte sich fortgeschleudert, abgeschossen in einen schwarzen endlosen Raum. Dort glaubte er, schwerelos zu treiben. Er fühlte weder Traurigkeit noch Glück. Er spürte gar nichts. Er schien sich in Dampf aufzulösen, der weiterschwebte, einer Wolke gleich, hinein in die Unendlichkeit. Das Summen des Telefons wollte nicht enden. Davon erwachte Urban. Noch ehe er die Augen öffnete, nahm er ein Pochen im Kopf wahr, wie es entstand, wenn man einen Mann mit Killertropfen narkotisierte. Aber er vernahm ein irdisches Signal, befand sich also nicht im Jenseits, sondern auf Erden. Und vor allem, er lebte noch. Sein hochentwickelter Geruchssinn nahm den Gestank von kalter Asche, von Leder und Benzin wahr. Endlich hatte er die verklebten Augen offen. Um ihn herum war es dunkel und kalt. Die Leuchtziffern seiner Rolex flimmerten. Der kleine Zeiger stand nahe der vierten Stunde. Wann war er bei Ankara gewesen? - Um 18.00 Uhr etwa mußte der Black out eingetreten sein. Er suchte in der Tasche nach Streichhölzern. Dabei stieß er gegen etwas Beinhartes. Er tastete es ab, tastete weiter. Klar, er lag auf dem abgekippten Beifahrersitz eines 80
Automobils. Da war der Ganghebel, die Armaturen, die Knöpfe. Der Wagen kam ihm bekannt vor. Er fand einen Kippschalter und drückte ihn. Licht flammte auf. Scheinwerfer. Die Armaturen leuchteten rötlich. Verdammt, nicht zu fassen. Er griff nach oben und betätigte die Deckenlampe. Er saß in seinem eigenen BMW-Coupé. Es war sein alter 633 CSi. Und eines war sicher, er hatte ihn nicht mit nach Istanbul genommen. Der Wagen stand in der Tiefgarage neben seinem Oldtimer, unter seinem Haus in München-Schwabing. Die Orientierung hatte nur wenige Sekunden gedauert. Sein Autotelefon summte noch immer. Was konnte noch passieren, nach all dem, was geschehen war. Er hob ab. Diese Stimme - dieses rauhe, herrische Dompteurorgan des Operationschefs - heute kam es ihm beinahe warm und herzlich vor. „Zum Teufel, wo stecken Sie, Nummer achtzehn?“ „Sie wählten meinen Autoanschluß.“ „Nachdem wir es auf hundert anderen Kanälen versucht hatten. Wann verließen Sie Istanbul? Warum melden Sie sich nicht zurück?“ „Woher wissen Sie, daß ich hier bin?“ Der Oberst schnaubte es von sich. „Wir bekamen einen Anruf. Wir sollten uns um Sie kümmern, Sie seien nicht in bester Verfassung.“ „Ich fühle mich blendend.“ Urban steckte sich eine MC an. „Was gibt es zu berichten?“ „Eine ganze Menge“, sagte Urban. „Dann schießen Sie los!“ „Am Telefon?“ „Ich habe Zeit“, knurrte Sebastian. „Und ich fasse mich kurz. Ist nur ein einziger Satz. Drei kleine Worte, Boß.“ 81
„Kein großartiges Ergebnis, schätze ich.“ „Für mich schon.“ „Lassen Sie es schon raus, Nummer achtzehn.“ Urban erklärte es schlicht und ergreifend: „Ich steige aus, Großmeister.“ Zunächst legte Sebastian mehrere Sekunden Pause ein. Dann polterte er los, als stürze ein Berg Kartons ein. „Sind Sie krank? Haben Sie eine depressive Phase? Ist Ihr Gehalt zu niedrig? Schätzen wir Sie zu gering? Steckt ein Weib dahinter? Haben Sie Angst? Oder sind Sie über Nacht fromm geworden?“ „Ich steige aus“, wiederholte Urban. „Vielmehr, ich bin bereits ausgestiegen. Au revoir, hasta la vista!“ Der Alte schien im Moment überfordert zu sein. „Ich muß es akzeptieren“, äußerte er. „Nur eines noch. Könnten Sie rasch mal herauskommen zur Isar?“ „Wohin genau?“ „Grünwalder Brücke.“ „Wenn es weiter nichts ist.“ „Nur das noch.“ „Bis Sonnenaufgang.“ „Ich bin da.“ Urban hängte ein. Die Frage, wie er, ohne es zu bemerken, in wenigen Stunden den Weg von Istanbul nach München zurückgelegt hatte, von Ankaras Bosporus-Villa bis in seine Tiefgarage, war jetzt zweitrangig. Es gab Erklärungen dafür. Er fand den Zweitschlüssel, den er immer in seinem Coupé versteckt hielt, ließ an, fuhr nach oben und suchte eine Kneipe, wo es noch oder schon wieder einen starken Kaffee gab. „Sie hatten schon einen gesünderen Teint“, spottete Sebastian. Es lag nicht an der Leiche, daß Urban grau im Gesicht war. So übel sah der Mann auch gar nicht aus. Er lag 82
einfach da, auf der Kiesbank, Beine im Wasser. „Keine Verletzung“, stellte der Polizeiarzt fest. Für einen gewöhnlichen Toten, den ein Liebespaar gefunden hatte, veranstalteten sie einen ziemlichen Wirbel. „Landeskriminalamt“, stellte Urban erstaunt fest. „Verfassungsschutz, Mordkommission und BND. Was für ein Aufgebot!“ „Vermutlich brach er sich im Vollrausch das Genick“, meinte der Arzt. Nachdem alle Spuren gesichert waren, traten die Leute vom Erkennungsdienst in Aktion. Sie untersuchten den Toten. „Nehmt ihm die Fingerabdrücke“, schlug der Leiter der Mordkommission vor. „Nicht nötig, Herr Kriminalrat.“ Seine Schuhe, die Hose, das Hemd und die Lederjacke waren eindeutig amerikanischen Ursprungs. Die Papiere wiesen ihn als Angehörigen der US-Army aus. „Dienstgrad Colonel“, las einer ab. „Name Rock E. Corvin.“ Sebastian nahm Urban beim Arm. Sie schlenderten an der Isar entlang nach Süden. „Wir wurden schon um halb vier verständigt“, begann er, „und bekamen eine Beschreibung. Sie deckt sich mit einer Suchmeldung der CIA. In Washington vermissen sie den zehnten Mann aus diesem mysteriösen Freundeskreis. Acht starben in der Larnaca-Bucht, einer in Athen ...“ „Corvin blieb damals in Kreta zurück.“ „Stark betrunken.“ „Die Killer haben das Versäumte also nachgeholt.“ „Nur eine Frage ist offen. Warum kam er nach München?“ „Und noch eine Frage“, ergänzte Urban. „Warum tötete man sie alle? - Aber das interessiert mich nicht mehr.“ „Stimmt, Sie sind ja ausgestiegen“, bemerkte Sebastian. „Bewegt Sie dieser Vorfall zu einem Wiedereinstieg?“ 83
„Wir vollführen hier keine alemannischen Springprozession, Großmeister.“ Urban stieg hinauf zu seinem Wagen und fuhr stadteinwärts. Was ging ihn der letzte Oberst aus dem Zehnerclub an. Was ging ihn das alles noch an. Ankara war nicht mehr sein Amigo. Bey Anatol würde ihn umlegen, wenn er weitermachte. Denn wenn er weitermachte, mußte er ihm auf den Pelz rücken. Lieber fünf Minuten feige als ein ganzes Leben tot. Plötzlich hatte er Hunger. Im Mathäser gab es um diese Zeit die ersten Weißwürste. Er fuhr also hin, verdrückte eine Portion und fuhr weiter. Bloß nicht nach Hause, bloß jetzt nicht zwischen Mauern und Wände. Es ging auf sieben Uhr. Ziellos kurvte er durch die Stadt. Einmal kam er sich vor wie ein mieses Würstchen, dann wieder wie ein Mann, der endlich den Weg ging, den er schon immer ... Das Autotelefon summte. Er hob ab. „Man hat dem toten Colonel den Mageninhalt entnommen.“ „Laßt ihn doch seine ewige Ruhe genießen, verdammt!“ „Mageninhalt“, fuhr Sebastian ungerührt fort. „Döner Kebabi, also Scheiben von Lamm- und Hammelfleisch an einem senkrechten Drehstab geröstet.“ „Fürchterlich.“ „Dann Imam Bayilds. Mit Olivenöl zubereitete Eierfrüchte.“ „Sie sind ein Feinschmecker, Großmeister.“ „Ich lese nur ab, was man mir aufgeschrieben hat. Anschließend nahm Corvin noch Baklava zu sich.“ „Das sind Pasteten mit Mandeln, Nüssen und Pistazien gefüllt. Erhältlich in jeder Lokante, aber wohl nur in der Türkei.“ „In Istanbul“, eröffnete ihm der Alte. „Man kam zu der Auffassung, daß der tote Colonel Nummer zehn und Sie, 84
Urban, in ein und demselben Flugzeug vom Bosporus nach München befördert wurden.“ Urban dachte einen Moment darüber nach. „Dann war das ziemlich infam“, äußerte er. „Und warum das?“ „Weil man mich mit dem Mord an diesem Amerikaner in Verbindung zu bringen versucht.“ „Er wurde offenbar mit reinem Alkohol zu Tode gespritzt.“ „Er versucht, es mir anzuhängen.“ „Wer?“ „Bandito Amigo.“ „Das ist mir kein Begriff.“ „Seien Sie froh“, sagte Urban. „Sie sind wieder dabei?“ Urban klemmte den Hörer in die Gabel und fuhr nach Hause. Bey Anatol hatte einen Fehler gemacht. Das stimmte ihn fast fröhlich.
8. „Die Dokumente“, wandte sich Ankara an den besten Spezialisten der Branche, „wurden aufgrund eines Zwischenfalls in Athen an einen anderen Ort gebracht. Auch hier in London erhöhte man die Sicherheitsmarge. Aber ihr werdet es schaffen.“ „Es gibt keine Aktion dieser Art seit Beginn des Jahrhunderts“, betonte der Teamchef, „die besser vorbereitet war, Sir. Der Raub der Kronjuwelen aus dem Tower dürfte im Vergleich zu unserer Planung eine laienhafte Vorstellung gewesen sein, Sir. Es kann nichts schiefgehen.“ „Die zusätzliche Schwierigkeit“, eröffnete ihm der Auftraggeber, „besteht darin, daß die Dauer der Operation nicht nur zeitlich begrenzt ist, sondern auch zu einer 85
bestimmten Stunde durchgeführt werden muß.“ „Das erschwert sie allerdings“, räumte der Fachmann ein. Er sprach Englisch mit irischem Akzent. Ankara hatte ihn aus Dublin einfliegen lassen. „Ist das wirklich notwendig, Sir?“ Ankara versuchte es ihm, so gut das im dunklen Inneren der Jaguarlimousine möglich war, zu erklären. „Ein Beispiel. Angenommen, an einem der großen Börsenplätze, in Paris etwa, ziehen plötzlich die Goldpreise an. Dann ziehen sie auch in Tokio an.“ „Über kurz oder lang, Sir.“ „Mit einer gewissen Verzögerung“, räumte Ankara ein und fand, daß sein Beispiel wohl nicht eindrucksvoll genug gewesen war. Er suchte nach einem anderen. „Angenommen, in Rom bricht die Cholera aus, dann wird man auch in Neapel die nötigen Schutzmaßnahmen ergreifen.“ Der Mann aus Dublin schien zu ahnen, was ihm der Auftraggeber verschweigen wollte. „Es geht um die Akte, Sir.“ „Die ein bestimmtes Dokument enthält.“ „Um einen Vertrag also.“ „Darüber kann ich nichts Näheres sagen“, bedauerte Ankara. „Jedenfalls ist das Dokument, das Sie mir beschaffen werden und für das wir die Wahnsinnssumme von hunderttausend Dollar zahlen, unter dem Buchstaben Z registriert und mit der Chiffre eins-neun-eins-fünf versehen.“ „Verträge“, der Ire zählte auf, „Abkommen, Pakte, Gesetze, Dokumente werden mindestens in zwei Exemplaren ausgefertigt. Sie werden meist auch unter zwei Partnern ausgehandelt, egal, ob das nun Staaten sind, Könige, Diktatoren und ob sie einen Nachbarn oder das eigene Volk damit beglücken.“ „Sie sagen es.“ „Mithin existiert“, machte der Ire weiter, „an einem anderen Punkt der Erde das Gegenstück zu dem von uns zu 86
beschaffenden Dokument. Beide Regierungen hüten es mit außerordentlicher Sorgfalt. Wenn hier der Raub bekannt wird, würde man sofort den anderen Partner verständigen, woraufhin dieser zum Schutz der Dokumente eine Armee aufmarschieren ließe.“ „So kann man es ausdrücken“, räumte Ankara ein. „Deshalb muß der Zugriff gleichzeitig erfolgen“, verstand es der Ire. „Zumindest so, daß die Aktion nicht gleich bemerkt wird.“ Ankara klopfte ihm auf die Schulter. „Darauf kommt es an.“ Der Jaguar parkte in Mayfair, in der Davies Street nahe dem Berkeley Stadion. Ankara vermied, Licht zu machen. Aber die vorbeifahrenden Automobile warfen genug Helligkeit ins Innere des Jaguars. Die Karte sowie die Detailskizzen, die der Ire ausbreitete, waren einigermaßen deutlich zu lesen. Ebenso der Aktionsplan. Ankara, selbst ein erfahrener Mann auf diesem Gebiet auch er hatte klein angefangen -, prüfte die Unterlagen sorgfältig. Hier äußerte er Bedenken, dort gab er Anregungen und geizte auch nicht mit Anerkennung. „Nur zwölf Minuten für diesen Häuserblock?“ „Er ist zu umgehen, Sir. In seinem Inneren liegt das Archiv.“ „Eine sehr knappe Kalkulation. Das sind doch Wände wie auf der Eiger Nordseite.“ „Meine Männer trainieren an fugenlosen Betonfassaden, Sir“, erwiderte der Mann aus Dublin. „Wir arbeiten mit Seilschußgerät und Mauerankern.“ Ankara deutete auf eine rotmarkierte Tür. „Sie muß noch aus einem der alten Kriegsbunker stammen.“ „Das ganze Archiv liegt in einem Kriegsbunker. Er wurde neunzehnhundertvierundvierzig V-2-fest konstruiert und erst vor kurzem nach Atombomben-Richtlinien 87
verstärkt.“ „Trotzdem setzen Sie für diese Tür nur drei Minuten an?“ „Wir knacken sie hydraulisch, Sir“, verriet der Experte. Dabei deutete er auf Mauervorsprünge. „Hier, da und dort setzen wir Wagenheber an.“ „Wagenheber?“ „Damit können Sie eine Lokomotive aus dem Graben wuchten, Sir.“ Schließlich erhob Ankara keine Einwände mehr. Er genehmigte den Plan und begann über die Stunde danach zu sprechen. „Übergabe wann und wo ist bekannt.“ „Kennwort Mechmed. Was bedeutet Mechmed, Sir?“ „Mechmed war ein Mann, der irgendwann eine bestimmte Art von Tyrannei gebrochen hat.“ „Doch gewiß nur, um eine neue zu errichten.“ „Wann wäre es jemals anders gekommen“, erwiderte Ankara. „Laßt euch nach der Übergabe nicht erwischen.“ „Sie haben die Dokumente kaum in Händen, da sind wir schon außer Landes, Sir.“ „Und falls man einen kriegt?“ „Nun, ich kenne die Akte, Sir, aber ich weiß nicht, was sie enthält. Außerdem kenne ich Sie nicht. Sie werden gewiß nicht in England weilen.“ „Mit Sicherheit nicht“, bestätigte Ankara dem ExCaptain der irischen Armee. „Dann also in sechsundzwanzig Stunden.“ „Morgen, Null ein Uhr morgens, Sir.“ Sie reichten sich die Hand wie Partner, die etwas besiegelten. Dann wartete der Mann aus Dublin ab, bis die Ampel oben an der Grosvenor Street auf Rot schaltete und der Strom der Autos abriß. Rasch stieg er aus, drückte die Jaguartür leise, aber kräftig ins Schloß und verschwand zwischen den Büschen des Parks. 88
Bei der Zwischenlandung der BA-Boeing in Zürich mußte Anatol Ankara den jungen Manager nachdrücklich auf sich aufmerksam machen. „Ich hätte Sie nicht erkannt, Sir“, gestand sein Angestellter. „Warum?“ fragte Ankara, „glauben Sie wohl, verzichte ich auf meinen eigenen Lear Jet? Er steht unbenutzt am Rande des Rollfeldes in Alexandria Airport. Ich muß meinen Piloten bezahlen und unsere Flugtickets.“ „Gewiß gibt es Gründe dafür, Sir.“ „Ich werde seit Tagen beobachtet“, erklärte Ankara leise. „Wo immer ich mich hinbewege und aufhalte. Es kostet große Mühe, auch nur für wenige Stunden die Beschatter abzuhängen.“ „Was sind das für Leute, Sir?“ „Verschiedener Couleur“, erwiderte Ankara. „Sofern man aus Kleidung und Verhalten überhaupt auf einen Amerikaner oder einen Sowjetmenschen schließen kann. Heutzutage sind Agenten auf eine Weise trainiert, daß sie sich speziell mit den besonderen Merkmalen ihrer Herkunft tarnen. Früher verkleidete sich ein Engländer als Franzose und ein Italiener als Schwede. Jetzt blufft alles mit der Echtheit. Der Holländer tritt als Holländer auf, und keiner vermutet, daß ein Spanier dahintersteckt.“ „Das ist jetzt allgemeiner Brauch, Sir.“ „Wir machen es nicht anders“, fuhr Ankara fort. „Wir besuchten London und Athen, um unsere Gegner nicht befürchten zu lassen, ausgerechnet dort könnte etwas über die Bühne gehen. - Wie läuft es in Griechenland?“ Dem Bericht seines Assistenten nach zu urteilen, hatte alles seine Ordnung. Unter Ordnung verstand Ankara, daß es nach seinen Wünschen verlief. „Die Männer machen einen guten Eindruck, Sir.“ „Ein gemischtes Trio. Ein Italiener, ein Bulgare und ein Libanese.“ „Sie haben schon bedeutende Sachen zusammen gemacht, Sir. Zum Beispiel den Goldraub in Caracas 89
letztes Jahr. Für Gaddafi kidnappten sie einen Verräter unter den Augen der Israeli aus Tel Aviv heraus, und bei dem Attentat auf Sukarno hatten sie auch die Finger drin, wie man hört.“ „Das ging schief.“ „Es sollte wohl schieflaufen, Sir“, flüsterte sein Assistent, „denn es war vom Staatschef selbst bestellt worden.“ „So gute Leute geben sich mit kleinen Fischen wie den unseren ab?“ „Sie betrachten es als Fingerübung, Sir“, kommentierte sein Assistent. „Und die Erfolgsprämie ist beachtlich.“ Ankara bekam Unterlagen vorgelegt und zeichnete sie ab. „Morgen Null ein Uhr mitteleuropäischer Zeit. Sie sollten nicht vergessen, die Uhren nach Westminster-Time zu stellen.“ „Die Beute-Übergabe erfolgt wie vorgesehen.“ „Über zwei Kuriere direkt an mich. Sorgen Sie dafür, daß das Team sicher die Grenzen Griechenlands überschreitet.“ „Die Fluchtfahrzeuge stehen bereit, Sir. Zwei Wagen, zwei Boote und ein Hubschrauber. Wir können ausweichen, je nachdem, wo die Verfolger Schwerpunkte bilden.“ „Und daß es keine Zeugen gibt, falls etwas schiefgeht.“ „Man weiß nichts von Ihnen, Sir.“ „Niemand darf auch nur auf die Idee kommen, daß ich in Übereinstimmung mit der Regierung handle.“ „Alles läuft über den Neffen des Cousins des Onkels des Schwagers meines Bruders, Sir.“ Es war dies ein anatolisches Sprichwort für Verschwiegenheit. Ankara war zufrieden und bestellte bei der Stewardeß Champagner. „In Rom“, sagte er, „steige ich aus und mache mich für die nächsten zwei Tage unsichtbar. Wenn alles vorbei ist, sehen wir uns wieder.“ 90
Daraufhin vergrub sich Ankaras Assistent in die Financial Times, und der Chef las Verse in einem Gedichtband. Immer, wenn er versuchte, Krisen durch gefährliche Maßnahmen gegenzusteuern, suchte er Ruhe und inneren Frieden in der Dichtkunst.
9. Der BND-Agent Robert Urban machte nur zwei Schritte in seine Penthousewohnung und wußte, daß er nicht alleine war. Dafür gab es eine Menge Indikatoren. Ein Duft nach Zitrone in Räumen, wo mit Sicherheit seit Wochen keine Zitrone gepreßt worden war. Ferner der Abdruck von Schuhen auf dem Velourflor, der gelbe Schimmer in der Wohnhalle, der zu diffus war, als daß es sich um einen wandernden Reflex handelte, und nicht zuletzt Urbans sechster Sinn. Er knipste alle erreichbaren Lichter an. Dem heimlichen Besucher konnte nicht bekannt sein, daß ein einziger Schalterdruck in der Diele genügte, um so gut wie alle Lampen bis hinauf zur Galerie mit Strom zu versorgen. Etwa tausend Watt erhellten nun das Ganze schlagartig bis in den letzten Winkel. „Good evening!“ rief Urban und blieb im Mauerbogen zwischen Entree und Wohnhalle stehen. Und zwar völlig ungedeckt, denn er wußte, wer der Besucher war. Dieser kauerte hinter Urbans Schreibtisch, weil beschriebenes Papier meist in solchen Möbeln aufbewahrt wurde. Der Besucher hob den blonden Kopf aus der Deckung, dann die Schultern und den Oberkörper bis zum Gürtel. Valinda Vidalos wirkte elegant und gepflegt wie immer. „Das Aquarium“, sagte Urban, „wo ich in der Regel 91
Geheimsachen aufbewahrte, ist längst auf dem Müll. Die Goldfische sind mir jedesmal vertrocknet.“ Natürlich hatte er nie ein Haustier besessen. Nicht, weil er Tiere nicht mochte - er mochte sie zu gerne, um sie einzusperren und zu zwingen, sich dem Menschen als Spielzeug anzupassen. Er wollte Valinda nur an ihre Rolle auf Zypern erinnern. Valinda zeigte ein maskenhaft unbewegtes Gesicht, das nichts verriet, weder Überraschung noch Scham. „Sie finden auch keine getrockneten Seewespen zwischen meinen Büchern.“ „Ich suche nach ganz anderem Giftzeug“, erklärte sie. „Im Auftrag Ihrer Regierung?“ Nun zeigte sie wirklich eine Spur von Lächeln. „Im Auftrag meiner Regierung“, bestätigte sie. „Aber sie sitzt nicht in Ankara.“ „In London etwa?“ „In Washington.“ „CIA?“ fragte er. „Wir sind gewissermaßen dicke Freunde“, fuhr sie fort. „Fiel Ihnen niemals auf, daß ich wenig nach Ihrer Herkunft fragte? Ich kannte sie längst.“ Urban wurde nachdenklich. „Die CIA besitzt alle Möglichkeiten, auf kürzestem Weg an meinen Ermittlungen teilzunehmen. Mißtraut ihr der Schaltstelle in Brüssel?“ Sie nickte. „Geben Sie doch zu, Bob, daß es ein paar Ungereimtheiten gibt, das Verhalten des NATOOberkommandos betreffend.“ „General Rogers ist euer Mann.“ „Und warum wurde so wenig über die Gruppe der zehn Obristen bekannt?“ Am Rokokotisch, auf dem die Gläser und Flaschen standen, mixte Urban einen Dynamit im Katastrophenverhältnis eins zu hundert. Die Menge reichte, um zwei Gläser dreifingerbreit zu füllen. 92
„Rauchen wir die Friedenspfeife?“ fragte Valinda. „Nicht so rasch.“ Er nahm einen Schluck. „Was ist der Hintergrund dieses merkwürdigen Männerbundes?“ In der Linken hatte sie noch die Taschenlampe, in der Rechten einen Universaldietrich. Den steckte sie ein und nahm das zweite Glas. „Darüber hoffte ich etwas bei Ihnen zu finden, Oberst Urban.“ „Agenten lassen ihren Geheimkram nicht einfach so herumliegen.“ „Ich bin mehr Spezialistin für Meereszoologie als Agentin.“ „Warum hat man Ihnen den Fall dann übertragen?“ „Weil ich über München kam, weil ich Sie kenne, weil man annahm, Sie seien noch in Istanbul und man die Aufgabe für nicht allzu schwierig hielt.“ Urban kannte die Gedankengänge der Leute in Langley und im Pentagon. Sie sagten niemals alles und gingen davon aus, daß auch die Verbündeten sie nicht vorbehaltlos unterrichteten. Aber in irgendeiner Form mußten sie Verdacht gegen den Zehnerclub geschöpft haben. „Setzen wir uns“, schlug er vor, „und legen wir die Karten auf den Tisch, Doktor Vidalos, falls das wirklich Ihr Name ist.“ „Ich verwende ihn nur in Nahost“, scherzte sie und zeigte beim Einsinken in die weichen Couchpolster überraschend viel von ihren Beinen. „Was hat es mit diesem Männerbund auf sich?“ kam Urban zur Sache. „Homosexuelle sind es nicht.“ „Eher Superintellektuelle und deshalb empfänglich für linkslastige Ideen.“ „Sie meinen, zu schlau, um stur an die NATO-Linie zu glauben.“ „Man nimmt an“, fuhr sie fort, „daß sich die zehn Obristen auf NATO-Sonderlehrgängen für Stabsoffiziere kennenlernten, dabei ideologische Gemeinsamkeiten entdeckten, sich auf diesem Weg einander näherten und 93
zusammenschlossen.“ „Auch mit Gleichgesinnten im Osten“, tippte er. „Wenn es das nur wäre“, deutete sie an. „Sie verfolgen eine Theorie, wonach die NATO unerbittlich am Konzept des Atomerstschlags festhält. Also wollten sie die NATO schwächen oder gar zerstören. Dies glaubten sie am ehesten zu erreichen, indem sie Streitigkeiten unter NATO-Mitgliedern schürten und damit den Zerfall des Bündnisses herbeiführen.“ „In Zypern“, stellte Urban fest. „Vergessen Sie nicht, woher die zehn kamen. Nämlich von Kreta.“ „Zypern ist immer ein Pulverfaß gewesen. Aber die Lunte, um es zu zünden, gibt es nicht. In Athen und Ankara sitzen besonnene Männer.“ Sie nahm die Schultern vor, als friere sie. „Offenbar gibt es diese Lunte doch. Sie sollten Ihren Freund darüber fragen.“ Urban ahnte, wen sie meinte. „Bey Anatol? Er ist nur ein Macher von dunklen Geschäften.“ „Aber er weiß, was uns noch fehlt.“ Sie blickte ihn über das Glas hinweg an. „Oder wissen Sie es auch, Robert?“ „Vermuten und Wissen unterscheidet sich, wie Fliegen im Traum und wirklich fliegen.“ „Und was vermuten Sie? Sie sind, wie man behauptet, ein sehr realistischer Vermuter.“ Er versuchte, sie von diesem Kurs abzubringen. „Die Zehn sind tot. Die Gefahr ist gebannt.“ „Warum plant Ihr Freund Anatol Ankara dann zwei geheimnisvolle Operationen?“ Urban stand auf, um neue Drinks zu machen. „Es dürfte Ihren Strategen im Pentagon nicht entgangen sein, Valinda, daß hinter dem Kaukasus starke sowjetische Verbände zusammengezogen wurden, und daß auch die Türken Maßnahmen ergreifen, die man als geheime Mobilmachung bezeichnen könnte. Die zehn Obristen 94
mögen tot sein, aber ihre Ideen leben weiter.“ „Auch in Athen ist man beunruhigt“, sie stand ebenfalls auf, „und in Washington nicht minder. Was wissen Sie, Bob, was vermuten Sie? Lassen Sie uns gemeinsam ...“ „Was?“ fragte er. „Wo kann man sich die Hände waschen?“ fragte sie ausweichend. Sie ging nach oben ins Bad und brauchte ziemlich lange. Urban bekam Hunger. Er öffnete den Kühlschrank, fand aber nichts, was ihn begeistert hätte. Ein Drink hatte immerhin auch Kalorien. Also kehrte er wieder in die Wohnhalle zurück und dachte sogleich, ihn treffe der Schlag. Dann glaubte er, er stehe im Prado in Madrid vor dem berühmtesten Goya-Gemälde, der nackten Maja. - Nur war diese Dame blond. Die Nacht in Zypern fiel ihm ein. „Sie wollen mit mir schlafen, Valinda?“ „Mit Sicherheit, ja“, antwortete sie. „Machen Sie kein Theater, Doktor.“ „Die Situation hat sich geändert.“ „Sie haben mit Mütterchen gesprochen. Ist Ihre Mutter vielleicht der Boß in Langley?“ Sie überhörte es und versuchte, sich so vorteilhaft wie möglich zu präsentieren. Was keine Kunst war. Ihr Körper hatte klassisches Ebenmaß und jene zarte Bräune, wie sie nur Blondinen erzielten. Ihre Brüste, je eine Männerhand voll, hatten als Abschluß rosa Pralinen, nach denen man zweifellos süchtig werden konnte. Nicht eine winzige Pigmentstörung zeigte ihre Haut bis hinab zu den Zehen. Mitunter wirkten die Füße schlanker Frauen unerotisch. Valinda hingegen hatte Füße von der Zartheit eines Babys und bildschön. Das blonde Gekräusel im magischen Dreieck war zweifellos geschoren, militärisch kurz, drei Millimeter, aber ungeheuer anziehend. „Worauf wartest du?“ fragte sie mit feuchtglänzenden 95
Lippen. „Daß sich in mir der Wunsch regen möge, eine Kanaille wie dich zu begehren“, log er. „Da bist du doch wie ein Computer, brauchst nur das Programm abzurufen.“ „Computer sind out, Gefühl ist in.“ Sie lachte provozierend, breitete die Arme aus und vergrößerte den Öffnungswinkel der Beine. „Du sollst Spitze sein, Bob.“ „Einsame.“ „Dann bediene dich.“ Er tat es. Aber vom Bourbon. Allmählich schien sie zu begreifen, daß diese Show keine Wirkung hatte. „Du stehst nicht auf Ladies, die Huren sind.“ „Eher auf Huren, die Ladies sind.“ „Diese Nummer kann ich auch.“ „Zu spät“, sagte er. „Ich habe meine Mama gefragt, und sie hat mir geraten, tu's nicht, Robertchen.“ Endlich kapierte sie. Sie stand auf und schwebte an ihm vorbei nach oben. „Jetzt bin ich aber in ganz mieser Laune“, rief sie. „Ich auch.“ An der Treppe blieb sie stehen. „Machst du mir noch einen Drink?“ „Kauf dir einen“, sagte er, „in Amerika.“ Urban rief im Hauptquartier an. „Wie geht's?“ fragte Sebastian. „Bin ich Arzt?“ entgegnete Urban. „Sagen Sie mir lieber, wo ich Bey Anatol finde.“ „Das möchten MI-six London, der SDECE Paris, SIFA Rom, die CIA in Washington und auch ich gerne wissen.“ „In seiner Hand bündeln sich jetzt alle Zügel.“ „Wie viele Pferde hat er vor seinen Wagen gespannt?“ „Es dürfte sich um einen Sechserzug handeln“, schätzte Urban. „Oder sogar einen Zwölfer, wenn es das gibt.“ Sebastian war für Augenblicke nicht zu hören, nur 96
Papier raschelte. „Der Türke wurde überwacht.“ „Wurde, das klingt recht verdächtig.“ „Er flog von Istanbul nach Madrid, von dort nach New York, von New York nach London, von London nach Rom. In Rom konnte er sich dauerhaft abkoppeln.“ „Welche Leute traf er?“ „Geschäftsfreunde, Ölhändler, Reeder, Industrielle, Bankiers, ein paar Politiker. Aber das bringt alles nichts.“ „Er ist ein Bandit, er kennt sich aus.“ „Und Sie kennen ihn.“ „Ich kann Europa nicht allein nach ihm absuchen“, entgegnete Urban. „Aber Sie haben einen Verdacht.“ „Die Personalabteilung in Langley soll feststellen, ob die CIA eine Blondine namens Dr. Valinda Vidalos beschäftigt.“ „Namen sind austauschbar.“ „Eine Frau, apart, blond, schön, elegant, smart.“ „Ein häufig von Geheimdiensten produzierter Typ.“ „Ohne die Hilfe von tausend Bühnenarbeitern kann ein Star-Tenor abends nicht singen“, gab Urban zu bedenken. „Und welche Arie würden Sie gerne hören?“ wollte der Alte wissen. „Weder Carmen noch Aida“, erwiderte Urban. „Beide Opern gehen schlecht aus für die Hauptdarsteller.“ „Wie wär's mit Hänsel und Gretel?“ fragte Sebastian. „Wenn ich nicht die Hexe spielen muß.“ „Mit dem Wolf“, äußerte der Operationschef, „wäre ich völlig zufrieden. Er hat nur eine Freßrolle, denn singen können Sie ohnehin nicht.“ Urban hängte auf. Diesmal war er es, dem solche Späße auf den Nerv schlugen. Außerdem irrte sich der Alte, was seine Sangeskunst betraf. Selbst Hunde gaben Töne von sich, wenn sie getreten wurden. 97
10. Trotz voll laufender Air-Condition herrschte in Langley dicke Luft. Bis Mitternacht brannten in der Nahostabteilung der amerikanischen Geheimdienstzentrale die Lichter. Der Direktor persönlich begab sich mehrmals zur Koordinierungsstelle. „Wie sieht es aus, Gentlemen?“ begann er stets seine Fragen. „Zunächst haben wir Netz-P von Tiflis bis Damaskus aktiviert. Sie marschieren tatsächlich auf.“ „Wegen der Herbstmanöver.“ „Die sind bereits beendet, Sir. Sie ziehen die Einheiten aber nicht ab, wie zu erwarten wäre und wie sie es seit Jahren immer taten.“ „Wann verhielten sie sich ähnlich?“ wollte der Direktor wissen, „Bei der Suezkrise etwa und im Sechstagekrieg, Sir.“ „Welche Einheiten stehen im Südkaukasus?“ „Offensivverbände. Vorwiegend Kampfpanzer neuesten Typs, dann Transportpanzer für Grenadiere, Werfer auf Selbstfahrlafetten. Man hat sogar einige mobile SSzwanzig-Raketen gesichtet. Und alle dazu nötigen Nachschubeinheiten.“ „Ist das der neueste Stand?“ „Top hot, Sir.“ „Woher haben Sie das?“ „Auf den Satellitenfotos ist wenig zu sehen. Das macht die Sache so gefährlich. Sie verstecken ihre Divisionen äußerst geschickt, Sir.“ „Die Lage stellt sich also vorwiegend aufgrund von Agentenberichten auf diese Weise dar.“ Der Chef der Auswertungsmannschaft bestätigte dieses. „Was von Agentenberichten zu halten ist, nun, das wissen wir ja. An die vielen Desaster, die durch 98
Agentenmeldungen ausgelöst wurden, brauchte ich wohl nicht zu erinnern, Gentlemen.“ „Es handelt sich um übereinstimmende Aussagen“, betonte der Chefauswerter, „von Spionen, die miteinander keine Verbindung haben. Die Angaben decken sich, zumindest zahnen sie auffällig ineinander, Sir.“ Der CIA-Direktor bat um Zusammenfassung. „Schauen wir uns zunächst die Luftlage an“, schlug ein anderer Experte vor. „Die rote Luftflotte in Transkaukasien wurde nicht nur bis zur Sollstärke aufgefüllt, sondern noch durch Kampfhubschrauber, MiG-sechsundzwanzig und Großtransporter ergänzt. Die Transporter sind zum Abwurf von Springern und Material geeignet.“ „Was macht die rote Marine?“ Ein junger Korvettenkapitän ergriff das Wort. „Im Asowschen Meer und in den Krimhäfen, wo das Gros der Schwarzmeerflotte liegt, keine sichtbaren Veränderungen. Das bedeutet jedoch wenig, Sir. Die Sowjets verfügen dort über moderne Einheiten. Sie sind in der Lage, jeden Punkt der türkischen Küste binnen einer langen Nacht zu erreichen.“ Der CIA-Direktor wirkte trotzdem erleichtert und war geneigt, die Lage weniger tragisch zu sehen als seine Fachleute, da wurde ein Fernschreiben hereingebracht. Zuerst überflog es der Chefauswerter. Er flüsterte einem anderen etwas zu, woraufhin dieser mehrere Fähnchen im Mittelmeerraum herauszog und ihnen neue Positionen in Richtung Ägäis und Bosporus gab. „Das Schlachtschiff Kiew“, erklärte der Marinefachmann, „eine Esquadra von Kynda-Zerstörern sowie vier kleine Kreuzer sind auf dem Marsch Richtung Meerenge von Konstantinopel. Nebst Begleitschiffen, versteht sich.“ „Sie laufen Höchstfahrt“, ergänzte ein anderer. „Sie wollen ins Schwarze Meer“, kombinierte der Direktor. 99
„Offensichtlich, Sir.“ „Und hindern kann man sie nicht daran.“ „Der Bosporus ist aufgrund internationaler Verträge für die Weltschiffahrt offen. Nur im Kriegsfall darf die Türkei ihn schließen.“ Der Direktor beugte sich über die Karten. „Wenden wir uns den Verbündeten zu“, schlug er vor. „Aber ich bitte um Kurzreferate, Gentlemen. In einer Stunde tritt der Sicherheitsrat zusammen.“ Gemeinsam im gepanzerten Lincoln fuhren der Chef des Pentagon und der CIA-Direktor zum Weißen Haus. „Der Präsident ist ungehalten“, warnte der Verteidigungsminister. „Ich auch“, erklärte der CIA-Direktor. „Weil man wieder einmal auf diplomatischem Wege nicht in der Lage ist, die verbündeten Streithähne zurückzuhalten.“ „Wie darf ich das verstehen?“ „Sehen Sie, Josef“, erläuterte der CIA-Direktor. „Ein Boxer allein im Ring bewirkt äußerst wenig. Er kann der beste Fighter der Welt sein, ohne Gegner verpuffen seine Schwinger und Haken ins Leere. Der Russe marschiert an der türkischen Grenze auf. Und was tun die Tü rken, anstatt es zu ignorieren? Sie marschieren ebenfalls auf. Aber nicht genug damit. Die Griechen spüren die Bedrängnis der Türken und ziehen ebenfalls Truppen zusammen. Dies in der Hoffnung, ein Scharmützel an der Kaukasusgrenze könnte die Türken so in Anspruch nehmen, daß man alte Streitpunkte mit einem raschen harten Schlag beseitigen könnte.“ „Und das sind Grenzfragen in der Ägäis. Rechte wegen der Ölvorkommen.“ „Und Zypern.“ „Ja, Zypern“, bemerkte der Verteidigungsminister. „Der uralte Streitapfel. Wie wär's jetzt mit ein wenig Hintergrundmusik?“ Da sie im Sicherheitsrat die Männer mit dem besten 100
Überblick waren, mußten sie sich abstimmen, um Entscheidungen möglichst dorthin lenken zu können, wohin sie sie haben wollten. „Kernproblem sind diese zehn toten Obristen.“ „Eine Verschwörung.“ „Vermutlich ja. Gesteuert vom Osten. Man hoffte, die jungen Aufsteiger würden bald Führungspositionen einnehmen, von welchen aus es möglich wäre, Griechenland gegen die Türkei zu hetzen. Das hätte zumindest, ich betone zumindest, den Zusammenbruch von NATO-Südost bedeutet.“ „Und was war als auslösendes Moment vorgesehen?“ „Bürgerkrieg auf Zypern. Die Türken schlagen auf die Griechen los, die Griechen verstärken die Truppen, die Türken schicken neue Kontingente. Sie sind stärker und siegen. Dafür greifen die Griechen auf dem Festland an.“ „Aber was hat der Einbruch im Staatsarchiv von Athen damit zu tun?“ „Das wird noch geprüft.“ „Von wem?“ „Von uns, vom BND, von allen Diensten, die davon berührt sind.“ „Was vermuten Sie?“ „Das Vorhandensein von geheimen Verträgen“, deutete der CIA-Direktor an. „Was können diese bewirken?“ „Dazu müßte man sie kennen. Es gibt sowohl Bestrebungen, sie in die Hand zu bekommen, sie streng zu verwahren, als auch sie zu vernichten. Drei Hände also, die ein und dasselbe Kotelett zu erwischen trachten.“ „Wie verhalten sich die Türken im Detail?“ wollte der Chef des Pentagon wissen. „Sie mobilisieren verdeckt.“ „Und die Griechen?“ „Werden dasselbe tun, wenn sie es spitzkriegen. Sie greifen jeden Grund, die Schwerter zu wetzen, gierig auf.“ Während der Lincoln der langen Boulevard hinauffuhr, 101
schwiegen die Gentlemen auffallend. „Und was sagen wir dem Präsidenten?“ murmelte der Pentagon-Chef schließlich. „Die Wahrheit“, schlug der CIA-Direktor vor. Aus der Nachtsitzung im Oval Office wurde der CIADirektor ans Telefon gerufen. Boy Vanguard, erster Mann seines Beraterstabes, war am Draht. „Sorry, Sir, aber es ist wichtig.“ ,,Neue Lage?“ „Eine Anfrage aus München-Pullach vom Bundesnachrichtendienst.“ „Und deswegen müssen Sie mich da wegholen?“ Genaugenommen herrschte beim Präsidenten eine dermaßen gereizte Stimmung, daß der CIA-Direktor froh über die Unterbrechung war. „Was wollen diese damned Germans?“ herrschte er seinen Assistenten an. „Anfrage wegen einer Agentin, Sir.“ „Zum Teufel, deswegen behelligen Sie mich?“ „Sie richten an uns Anfragen wegen einer Spezialistin. Einsatzname Dr. Valinda Vidalos, Meereszoologin. Sie liefern dazu eine genaue Personenbeschreibung.“ „Was ist mit der Dame?“ „Sie gibt sich als Sonderbeauftragte der CIA aus.“ „Na und, ist sie unsere Sonderbeauftragte?“ „Nein, Sir.“ „Mit Sicherheit?“ zweifelte der CIA-Direktor. „Wurde das genau überprüft, wirklich alles, auch die Sonderlisten, die freien Mitarbeiter, die Perspektiv-Agenten, die ruhenden Kräfte?“ „Sir“, erklärte sein Vertrauter. „Diese Frau gehört nicht zu uns, nicht im allerweitesten Sinne, selbst wenn wir die Dispo-Agenten einbeziehen.“ „Und woran arbeitet sie?“ „Vermutlich an dieser Zypern-Sache.“ 102
Der Direktor überlegte kurz. „Dann sollten unsere Freunde in Pullach verdammt vorsichtig sein. Am besten, sie überwachen diese Frau und kassieren sie notfalls.“ „Soll ich in dieser Form antworten, Sir?“ „Nein, stop!“ korrigierte sich der CIA-Boß. „Telexen Sie zurück: Anfrage wird überprüft. - Wir müssen erst wissen, wer diese Frau ist, wo sie sich aufhält, was sie in der Sache weiß, was sie gerade macht und so weiter.“ „Die Anfrage war dringend, Sir.“ „Vertrösten Sie den BND“, forderte der Direktor unwirsch. „Schicken Sie erst mal eine Gegenanfrage oder besser ein Trostpflaster.“ „Dazu fällt mir im Moment nichts ein, Sir.“ „Worauf sind die in Pullach denn besonders scharf? Auf etwas, das sie selbst nicht haben.“ Der Anrufer schien mit dem Finger zu schnippen. Es hörte sich so an. „Informationen aus unserem Netz.“ „Nein, Satellitenfotos. Geben Sie da etwas rüber mit Bildfunk oder Telefax. Natürlich nicht das Allerneueste. Sagen wir Satellitenfotos vom vorletzten Abruftermin.“ „Das war am vergangenen Freitag.“ „Ja, genau die. Wobei die Auflösung in Kaukasusnähe durchaus ein wenig unscharf sein kann.“ „Wird sofort erledigt, Sir.“ „Und noch etwas“, erwähnte der Direktor. „Fügen Sie einen persönlichen Gruß an den BND-Chef bei. Ich hätte gerne seine Meinung dazu gehört. Damit sind sie drüben eine Weile beschäftigt.“ Der CIA-Direktor legte auf. Weil er allein im Raum war und unbeobachtet, schluckte er rasch eine Tablette. Niemand sollte wissen, daß er Tage wie diese nur mit Speedys, wie ein Truckfahrer die dritte Nacht am Lenkrad, durchstand. Als er ins Oval Office zurückkam, strahlte er jene Zuversicht aus, die der Präsident bei seinen engsten 103
Freunden so sehr schätzte.
11. Von Mittag ab sorgte Anatol Ankara dafür, daß er keine Minute allein blieb. Mit der Gesellschaft von unbedeutenden Menschen begnügte er sich jedoch nicht. Sie mußten prominent sein und einen makellosen Ruf ihr eigen nennen. Damit nicht die Gefahr bestand, daß ihm einer der Leute, aus welchen Gründen auch immer, sein Alibi verweigern würde, verbrachte er die Stunden vom Abend bis Mitternacht unter mindestens dreißig Personen. Dazu gab er in seiner Villa am Bois de Boulogne eine Party. Zu feiern hatte er immer etwas. Diesmal war es ein Ereignis im Leben des Propheten Mohammed. Allerdings ging es nicht ohne Alkohol. Man war schließlich in Paris. „Etikettieren Sie unseren eigenen Champagner auf eine französische Marke um“, hatte er dem Diener befohlen. „Benutzen Sie dafür Taittinger-Etiketts. Am besten lassen sie sich mit warmem Wasser von den Flaschen ablösen. Aber beschädigen Sie die Dinger nicht. Sie müssen morgen wieder zurückgeklebt werden, mit Zuckersirup.“ Selbst die anspruchvollsten Kenner bestätigten die vorzügliche Qualität des Weines. Anatol Ankara tanzte gerade mit einer Rothaarigen, von der er wußte, daß ihr Preis dreitausend Francs betrug, als er ans Telefon gerufen wurde. Sein Mann, der alles koordinierte, meldete sich vereinbarungsgemäß. „Sie stehen in den Startlöchern, Sir.“ Ankara schaute auf die Uhr am Kamin. In drei Stunden war alles vorbei. Dann würde er selbst in Aktion treten. Den Rest, das Wichtigste, überließ er keinem anderen. Sonst lief er Gefahr, die nächsten Jahre nicht schlafen zu können. 104
Zeitbomben mußte man selbst entschärfen und sich nicht nur melden lassen, daß sie entschärft seien. Etwas verspannt wirkend, kehrte er zu den Freunden zurück. Sein Anwalt nahm ihn beiseite. „Du bist geradezu publicitysüchtig heute“, staunte der Maître. „Sehr ungewöhnlich bei dir. Läuft da irgend etwas, das ich wissen müßte?“ Ankara war zu Scherzen aufgelegt. „Heute nacht wird die Königin von Saba vergewaltigt. Im Zweifelsfall bin ich der Täter.“ „Vor Zeugen?“ „Vor Zeugen und Kameras mit eingeblendetem Datum.“ „Du bist hervorragender Laune!“ rief ein anderer. „Nur äußerlich“, gestand Ankara. Es entsprach der Wahrheit, aber der Freund hielt es für einen seiner üblichen Spaße. „Dann sollten wir über ein Geschäft reden.“ „Um was geht es?“ „Zehn Tonnen Schnee aus Indonesien. Reinste Ware. Halb geschenkt.“ Ankara winkte ab. „Und wenn ich sie ganz geschenkt kriege. Rauschgift fasse ich nicht an.“ „Jeder faßt es an.“ „Bin ich etwa jeder?“ „Denk nach. Keine Probleme dabei. Transport und Verteilung läuft über das US-Netz. Es geht nur um die Zwischenfinanzierung. Gewinn bis zu fünfhundert Prozent.“ „Garantiert?“ „Garantiert“, versicherte sein Freund. „Warum machst du es nicht alleine?“ „Ich habe keine zweihundert Millionen Dollar locker.“ Ankara wußte, daß er nicht einsteigen würde, aber es ging darum, für diese Nacht in Erinnerung zu bleiben. „Wir sprechen übermorgen darüber.“ 105
„Warum nicht morgen?“ Ankara deutete auf eines der Mädchen in einem enganliegenden Kleid aus schwarzer Seide. „Ihretwegen.“ Der andere, ein Bursche von der indischen Mafia, schlug ihm gegen den Oberarm. „Ich rufe dich an.“ Vier Stunden später traf die alles entscheidende Nachricht ein. Die Party steuerte ihrem Höhepunkt zu, und Ankaras Diener hatte Mühe, den Herren des Hauses zu finden. Ankara wirkte angetrunken, war aber stocknüchtern. „Das Schlafzimmer, Sir“, flüsterte der Diener, „die Bibliothek und das Arbeitszimmer werden soeben von einigen Damen und Herren in Anspruch genommen.“ Auch im Gästezimmer lagen zwei Damen und ein Herr auf dem Bett. Also nahm Ankara das Telefon an der langen Schnur mit ins Badezimmer. Dort setzte er sich auf den Wannenrand und meldete sich. „Die Läufer sind am Ziel“, sagte der Koordinator. „Ohne Zwischenfälle?“ „Wir können ihnen den Lorbeer um das Haupt winden, Sir.“ „Ruhig überall?“ „Sowohl hier wie dort“, berichtete sein Informant. „Was sie mitbrachten ist unterwegs. Die Athleten kehren bereits nach Hause zu Heim und Herd zurück.“ „Das werde ich euch nicht vergessen“, sagte Ankara. „Treffpunkt wie vereinbart.“ Er legte auf, schlenderte nach unten und suchte die Rothaarige. „Bist du mit dem Taxi da?“ fragte er. „Mit meinem eigenen Wagen, Bey Anatol.“ „Gib mir den Schlüssel.“ „Es ist ein winziger Mini-Cooper. Nicht deine Klasse.“ „Hier sind alle Betten besetzt“, bedauerte er. „Wir gehen zu dir.“ 106
„Ich warte im Wagen, Anatol.“ „Gib mir deine Adresse“, sagte er, „und nimm in einer halben Stunde ein Taxi. Ich möchte nicht, daß man etwas bemerkt.“ „Verstehe“, antwortete das Callgirl. Die Rothaarige ging zu einem Sessel, über dem ihre Tasche hing, nahm den Autoschlüssel heraus und drückte ihn Ankara unauffällig in die Hand. „Bis später“, sagte er augenzwinkernd. Er machte den Umweg über die Terrasse und den Garten. Am unteren Ende der Treppe, neben der Venus aus Marmor, lehnte ein Bursche, der offensichtlich nicht zu den Gästen gehörte. Er trug keinen Smoking, sondern eine Kombination. Schwarze Hose, dazu einen Glenchecksakko, helles Hemd, dunklen einfarbigen Binder, vermutlich eine seidengewirkte Kreation. Sein Haar war braun und dicht, die Augen grau, der Mund lächelte. Die Füße hatte er gekreuzt. Seine Slipper hatten goldene Spangen. Ankara blieb stehen. Zuerst schien es, als wolle er einen anderen Weg einschlagen, um die Begegnung zu vermeiden. Aber er fühlte sich als Sieger in dieser Nacht. „Hallo Amigo!“ rief er. „Hallo Bandito!“ antwortete Urban. „Du bist mutig.“ „Reine Routine.“ „Ich hab dich gewarnt.“ „Vor all den Leuten läßt du keinen umlegen, nicht den schlimmsten Feind.“ „Wozu auch“, erwiderte Ankara. „Sind alle Fehler der Vergangenheit beseitigt?“ „So gut wie“, erwiderte der Mann aus Anatolien. „Richte deinen Kollegen von den Geheimdiensten aus, daß sie die Beschattung einstellen können. Sie bringt nichts mehr.“ Urban ließ die MC in den Kies fallen und trat sie aus. 107
„Was macht dich so sicher?“ „Soeben höre ich“, erklärte Anatol, „daß die Gefahr eines Krieges endgültig gebannt wurde.“ „Dann weißt du mehr als wir.“ „Kriege“, bemerkte Ankara, „werden entweder aus Angst begonnen oder zur Durchsetzung alter Rechte.“ „Bitte keine historischen Vorträge jetzt.“ „Rechte werden meist von Verträgen oder Testamenten abgeleitet“, fuhr Ankara fort. „Du solltest es wissen, als erster und einziger.“ „Auch hier in diesem Fall?“ Während sie durch den Park gingen, wurde Ankara redselig. „Es gab eine Gruppe von Offizieren, die versuchte, alte Rechte wiederherzustellen.“ „In Zypern.“ „Genau dort.“ „Aufgrund von Verträgen.“ „So ist es.“ „Von welchen Verträgen sprichst du?“ „Von dem Zaimis-Pakt“, eröffnete ihm Ankara. „Der griechische Ministerpräsident Alexander Zaimis handelte im Herbst des Jahres neunzehnhundertfünfzehn mit den Engländern und Franzosen einen Vertrag aus. Für den Kriegseintritt an der Seite der Alliierten sollte Griechenland die ganze Insel Zypern bekommen. Zaimis trat in den Krieg ein. Der Pakt gilt heute noch.“ „Geheimverträge“, bemerkte Urban, „haben es meist in sich.“ „Man wollte ihn ausgraben und veröffentlichen, um Rechte auf ganz Zypern zu beanspruchen. England, Frankreich und die USA hätten sich wohl oder übel daran halten müssen.“ „Das hätte zu einer Katastrophe geführt.“ „Zum Ende der NATO“, ergänzte Ankara. „Und das will ich verhindern.“ Urban steckte sich eine neue MC an. 108
„Indem du die Geheimakten an dich bringst.“ Ankara verstärkte sein Siegerlächeln. „Was dem norwegischen Colonel in Athen mißlang, anderen Leuten gelang es.“ Urban zog die logischen Schlüsse. „Dann bist du jetzt in großer Gefahr, Amigo. Man wird dir die Dokumente abjagen.“ „Wieso mir?“ „Weil du hinter allem steckst.“ „Es gibt eine Gefahr“, räumte Ankara ein, „aber die geht nur von einem aus, nämlich von dir. Du bist ein Mann, der für das Recht kämpft und nicht für die Vernunft.“ Urban packte Ankara beim Arm. „Bandito!“ sagte er. „Wir sind vom gleichen Holz. Unsere Bäume wachsen im selben Wald. Wir waren beide vom Borkenkäfer befallen. Ich bin mit ihm fertig geworden. Du nicht. Eines Tages wirst du die Dokumente benutzen, um Regierungen zu erpressen.“ „Eines Tages, wann ist das?“ „Bald“, befürchtete Urban. „Willst du mich festnehmen, in Ketten legen, eliminieren, oder was?“ „Ich werde nur für den Rest deines Lebens an deiner Seite bleiben.“ Ankara wirkte hocherfreut. „Okay, aber bitte immer drei Schritte hinter mir.“ Entschlossen ging er weiter zu seinem Rolls-Royce, wo sein Fahrer wartete, und stieg ein. Der Rolls setzte sich in Fahrt. Urban sprintete zu seinem BMW und nahm die Verfolgung auf. Der Rolls fuhr Richtung Innenstadt. Erst nahm er die Avenue New York an der Seine entlang, anschließend den Cours la Reine. An dessen Ende bog er zur Place de la Concorde ab. Er umrundete ihn einmal im Vollkreis, um dann die Champs-Elysées hinaufzufahren. 109
Die Pariser Prachtstraße war um diese Stunde noch hell erleuchtet und belebt. Auch die Ampeln waren noch in Funktion. Beim Grand Palais leuchteten sie rot. Zum ersten Mal konnte Urban neben den Rolls aufrücken. Er warf einen Blick hinein. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Der Fond der Luxuslimousine war leer. Nur der Fahrer saß kerzengerade hinter seinem Lenkrad. Anatol Ankara, der Bandit, hatte irgendwo den Wagen verlassen. Vermutlich noch im Park seines Hauses. Urban wendete und raste zurück. Noch bevor er den Bois de Boulogne erreichte, verringerte er das Tempo. Nur ein Anfänger konnte hoffen, Ankara noch zu erwischen. Mehr denn je machte sich Urban Sorgen um jenen Mann, der immer noch sein Freund war, weil sie im Grunde doch auf derselben Schulbank gesessen hatten, auch wenn jeder im Strom des Lebens in eine andere Richtung gedriftet war.
12. Zu der Stunde, als sich in Urban die Gewißheit festsetzte, daß der Anatolier nicht mehr zu finden sei, ehe etwas Katastrophales geschah, erreichte ihn der Anruf aus Pullach. „Habt ihr eine Spur?“ fragte Urban vorschnell. „Nicht die Nuance davon“, erklärte ihm Sebastians Assistent. „Was dann?“ „Ein Satellitenfoto.“ Urban wußte, daß die Auflösungsfähigkeit amerikanischer Satellitenkameras ans Wunderbare grenzte, aber daß ihm so ein Foto Anatol zeigen würde, war schlichtweg Träumerei. 110
„Vergiß es.“ „War ja nur eine Idee.“ „Wenn ihr nichts Besseres habt“, äußerte Urban, „aktiviert lieber alles, was bei den befreundeten Diensten in Frankreich, England und Italien Beine hat.“ „Ist bereits geschehen.“ „Ergebnis null, schätze ich.“ „Wir haben jetzt fünf Uhr morgens“, gab der Mann im Hauptquartier zu bedenken. „Seit wann ist Ankara verschwunden?“ „Mag sein“, erwiderte Urban, „daß vier Stunden verdammt wenig sind, um bei Nacht einen Mann wie ihn zu kriegen, aber mir ein Satellitenfoto anzubieten ist doch wohl der dickste Hund.“ Der Mann in der Operationsabteilung wollte das nicht unbedingt wahrhaben. Allen Ernstes antwortete er: „Die Fotos aus dem Weltraum sind so scharf, daß sie sogar Nummernschilder von Kraftfahrzeugen lesbar machen. Sie lassen erkennen, ob einer einen blauen Pullover trägt oder einen roten.“ Urban vermutete, daß der Bursche irgendeinen besonderen Gedanken verfolgte, aber nicht wagte, ihn auszusprechen, um sich nicht zu blamieren. Assistenten waren meist blutige Anfänger, frisch von der Universität. „Wann kam das Foto?“ erkundigte sich Urban. „Gestern, direkt vom CIA-Hauptquartier.“ „Dann ist es mindestens eine Woche alt. Aktuelle Fotos rücken die nicht heraus. Und wo Anatol Ankara vor einer Woche war, kann ich ziemlich genau sagen. Da trieb er sich auf Zypern herum.“ „Ja, es ist wohl nur in einem Zukunftsroman aus dem Jahre dreitausend möglich, einen Mann auf diese Weise ausfindig zu machen. Der Mensch hält sich vorwiegend in Häusern, Autos, Schiffen, Eisenbahnen oder Flugzeugen auf.“ „Und wenn er im Freien herumläuft, trägt er einen Hut. Senkrecht von oben, mein Gott, kannst du Ameisen besser 111
sortieren als Menschen.“ „Klar, war ziemlich idiotisch von mir, das Satellitenfoto überhaupt zu erwähnen.“ Urban wurde hellhörig. Der Bursche hatte etwas, wollte aber nicht heraus damit. „Was zeigen die Fotos?“ faßte er nach. „Europa von der Kanalküste bis zum Kaukasus.“ „Maßstab?“ „Etwa eins zu zehntausend.“ „Dann muß das Ding ja meterlang sein.“ „Ja, ziemlich lange Streifen. Man kann sie aufrollen.“ Die Sachkenntnis, die Sebastians Assistent in bezug auf die Weltraumfotos an den Tag legte, ohne seinen Vorschlag noch einmal zu wiederholen, hatte etwas Rührendes. Urban half ihm. „Und das Lesegerät?“ „Läßt sich zusammenklappen. Es wiegt kaum zwei Kilo.“ „Aber ich bin hier in Paris.“ „Alles paßt in einen Alukoffer. Den könnte man der ersten Lufthansa-Maschine mitgeben.“ Der Bursche hatte schon alles sorgsam durchdacht. „Wann landet sie in Paris?“ „Kurz nach neun Uhr.“ „Okay, organisieren Sie das. Ich bin draußen in Orly.“ „Wird erledigt.“ „Und noch was“, fügte Urban hinzu, „wenn Sie an etwas Bestimmtes denken, dann markieren Sie die Stelle.“ „Ist bereits geschehen, Herr Oberst“, erklärte der Assistent. Fixer Junge, dachte Urban. Wenn es etwas bringt, muß man sich den Knaben merken. Um 09.25 Uhr übergab der Crew-Kapitän der Lufthansa-Boeing ihm den Aluminiumkoffer. Urban fuhr in sein Hotel zurück. 112
Der Koffer enthielt mehrere Filmrollen, wie sie bei der Funkübertragung von Satellitenbildern anfielen. Eine der Rollen war nicht mit weißem, sondern mit rotem Lassoband gekennzeichnet. Diese legte Urban in den Betrachter, nachdem er ihn aufgeklappt und ans Stromnetz angeschlossen hatte. Das Auffinden jener Bildsequenz, die der Assistent notiert hatte, war insofern leicht, als ihre Nummern oben links standen. Es handelte sich um die Fotos 523 bis 534. Sie gingen ineinander über. Die Ausschnitte überlappten sich. Urban drehte den Film - er hatte doppeltes Kinoformat rasch durch. 524 zeigte einen Abschnitt der Rivieraküste bei Camp Camarat, ferner ein Stück der Straße, die von La Croix Valmer in zahlreichen Kurven nach Osten führte, vereinzelt stehende Villen über den Buchten, um die Villen herum Menschen als winzige Punkte und in den Buchten Badende sowie Boote. Deutlich unterscheiden konnte man mit diesem Gerät die Bäume, Akazien, Pinien und Zypressen, ebenso Cabrios von Limousinen und einen Tennisplatz von einem Schwimmbecken. Dem Schattenwurf zufolge hatte der Satellit die Aufnahmen am späten Nachmittag gemacht. Urban drehte weiter. Die Fotos wanderten durch. Es war, als fliege man im Hubschrauber nach Cap Camarat hinaus und dann nach St. Tropez hinüber. Bis Nummer 529 war nichts von Bedeutung. Auf Foto 530 dann die Markierung. Eine unregelmäßig ovale Fläche in einem ziemlich großen Grundstück zwischen Haus und Straße war mit Fettstift angekreuzt. Zweifellos ein kleiner See oder ein großer Fischteich. Bei Foto Nr. 531 kam dann der Hammer. Es war die Färbung des Wassers in dem Teich. Es schimmerte lila-rot, wie der Inhalt der Glasflasche, wie der Inhalt des Pools auf der Yacht Ocean, des Bassins also, das die supergiftigen Meerwespen enthalten hatte. Offenbar waren sie in diesem Teich nach ihrem Transport aus Australien abgesetzt, 113
gezüchtet und vermehrt worden. Der Bursche im Hauptquartier hatte verteufelt gut aufgepaßt und mitgedacht. Natürlich hatte er Urbans Bericht gelesen und war darin auf die Meerwespen gestoßen, was ihn wohl fasziniert hatte. - Später waren ihm die Satellitenfotos untergekommen. Vermutlich hatte er Stralmans Experten angerufen und ihm erklärt, er habe da einen Teich mit Wasser von rot-lila Färbung entdeckt, mit der er nichts anzufangen wisse. Urban hingegen konnte sehr viel damit anfangen. Amigo Anatol hatte das Giftzeug bis zum Einsatztag nicht irgendwo, sondern auf eigenem Grund und Boden aufbewahrt. Als es soweit war und sie das Zeug gebraucht hatten, war der Teich einfach abgelassen worden. Über Rohrleitungen hinunter zur Bucht, wo die Ocean ankerte und die Quallen übernahm. Urban rechnete. Wenn er sich beeilte, wenn er die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den französischen Autobahnen großzügig auslegte, konnte er in sechs Stunden an der Riviera sein. Er bezahlte seine Hotelrechnung, ließ das Gepäck in die Tiefgarage schaffen, tankte auf und machte sich auf den Weg. Kurz vor 16 Uhr, die Sonne stand schon tief, und von Norden her wehte ein eisiger Wind, parkte Urban sein BMW-Coupé neben der Natursteinmauer. Er stellte den Motor ab und gönnte sich eine Zigarette. Normalerweise hätten der fehlende Schlaf, die Hetzfahrt von Paris über Lyon, Avignon und Aix ihn geschafft, aber etwas trieb ihn vorwärts, und das war so stark wie der Inhalt von zwei Kannen Mokka. Nachdem er über die Mauer geklettert war, stieg ihm ein Geruch in die Nase, wie er in Parks lag, wenn sie im Herbst das Laub verbrannten. Vorsichtig arbeitete er sich durch das stachelige 114
Gestrüpp an der Mauerinnenseite. Das Gelände fiel zum Haus, einem massiven provenzalischen Gebäudekomplex, sanft ab. Links oberhalb der Villa lag der Teich. Dort stand ein Gärtner und unterhielt ein Feuer, das mehr schwelte als brannte. Der Gärtner trug einen breitrandigen Strohhut, eine grüne Schürze und gelbe Gummistiefel. Ein Gärtner wie aus dem Roman. Aber seine Figur, einem auf die Spitze gestellten Dreieck ähnlich, war unverkennbar. Urban versuchte hinter ihm zu bleiben. Bis auf fünf Meter kam er an ihn heran. „Bandito!“ rief er. Langsam wandte sich der Gärtner um und grinste. Kopfschüttelnd blickte Anatol Ankara zu Urban hinüber. Dann gab er Zischlaute von sich, als wundere er sich über alle Maßen. „Du bist doch besser als ich.“ „Kaum meßbar.“ „Aber zehn Millimeter geben einen Zentimeter.“ Anatol nahm von den Papieren, die er in den oberen Teil der grünen Schürze geschoben hatte, wieder ein Blatt, überflog es und legte es auf den glimmenden Haufen, Es dauerte einige Zeit, bis das Papier gilbte, dann dunkle Flecke bekam und Feuer fing. „Du verbrennst nicht nur Laub“, stellte Urban fest. „Ich schaffe böse Geister aus der Welt“, erklärte Ankara. „Seite für Seite.“ „Die Dokumente aus London und Athen.“ „In den falschen Händen würden sie immer dann benutzt werden, Ansprüche zu begründen oder dafür einen Krieg zu führen.“ „Und ich dachte ...“, gestand Urban. Ankara nickte. „Du dachtest, ich würde sie nur haben wollen, um sie in meinen Safe zu legen, um damit Millionen zu erpressen.“ „Genau in diese Richtung dachte ich.“ „Weil du mich für einen Bandito hältst.“ 115
„Weil ich dich für einen Banditen hielt“, widersprach Urban. „Ich nehme einiges davon zurück.“ „Das ist voreilig“, entgegnete Ankara lachend. „Wenn ich Geld für die Papiere gefordert hätte, dann nicht Millionen, sondern Milliarden. So billig wie vor zehn Jahren ist Anatol Ankara heute nicht mehr. Aber erstens bin ich nicht ganz mittellos, außerdem verstehe ich, für meinen Lebensunterhalt zur Not auf andere Weise aufzukommen. Die Geschäfte liegen in der Luft.“ „Wie der Rauch da“, bemerkte Urban. Er steckte sich eine MC an, und Anatol schüttelte wieder einmal den Kopf, als verstehe er die Welt nicht mehr. „Wie hast du mich gefunden?“ Urban deutete auf den Teich, der zwar abgelassen, am Grund aber mit einer lilaroten Schlammschicht bedeckt war, in die Urban nicht einmal eine Ratte geworfen hatte. „Du darfst raten.“ „So viele Spione, um das ganze Land abzusuchen, gibt es gar nicht. Habt ihr etwa Aufklärungsflugzeuge eingesetzt. Schossen sie Luftbilder?“ „Wir besitzen Satellitenfotos.“ „Gut aufgepaßt“, staunte Ankara. „Was man von dir nicht behaupten kann. Warum hast du den Teich nicht reinigen lassen?“ „Ich ordnete es an“, sagte Ankara, „dann brauchte ich die Leute anderswo. Im Herbst, wenn es regnet, dachte ich, erledigt sich das von selbst.“ Wieder warf er zwei Blätter aus den Dokumenten ins Feuer, das jetzt etwas höher züngelte. „Natürlich wird der Dreck dann ins Meer geschwemmt, aber die Quallen überleben die Kälte unseres Winters nicht. Ich habe Experten gefragt.“ „Vielleicht zufällig Doktor Valinda Vidalos?“ „Die Blonde.“ „Die Schöne.“ „Nimm dich vor ihr in acht“, riet ihm Ankara. „Du bist 116
ein feiner Junge, dem ich nichts Böses wünsche. Auch ich bin ein mächtig feiner Junge. Wir beide sind ausgesprochen feine Jungen, die noch lange leben mögen.“ Urban ging in die Hocke, um eines der verkohlenden Blätter lesen zu können. Es trug Siegel und Unterschrift von zwei Königen. „Bei der Handschriftenversteigerung bei Sothebys brächte das den Gegenwert von - na sagen wir mal ...“ „Die Hälfte.“ „Das Doppelte.“ „Tausend Flaschen Champagner, einen Porsche und ein Sportflugzeug.“ Ankara setzte gerade an, noch schönere Dinge aufzuzählen, als sich zweierlei ereignete: Ein Schatten fiel über sie, und ein Geräusch ließ sie beide herumfahren. Sie blickten auf die stahlblauen Kühlrippen einer russischen Maschinenpistole. Urban faßte sich als erster und gab die Richtung an. „Endlich“, rief er, „treten Sie aus der Versenkung, Mann. Seit Paris sind Sie schon hinter mir her. Ich hoffe doch, daß Sie bemerkten, daß man auch hinter Ihnen her ist.“ „Du hältst den Schnabel, Dynamit“, knurrte der Bursche mit dem tiefsitzenden Hut. „Meine Kollegen, vom SDECE und Sûreté“, fuhr Urban fort. „Im Bluffen warst du immer ganz groß.“ Der Mann, zweifellos ein Operativagent vom anderen Lager, trat zwei Meter zurück. So konnte er sie beide erledigen, ehe sie in der Lage waren, anzugreifen. „Ankara!“ rief er. „Die Papiere! Wirf sie alle auf den Boden! Und Hände hoch!“ Er mußte Ankara zweimal auffordern, ehe dieser dem Befehl nachkam. Dann wandte er sich an Urban: „Und du gehst jetzt schön langsam rückwärts. Schritt 117
für Schritt.“ Urban bekam eine Gänsehaut. Er wußte, was hinter ihm war und wohin er fallen würde, wenn er mehr als sechs Schritte tat, nämlich über die Böschung des Teiches. Der Agent, seinem Akzent nach hatte er Französisch in der Spionage-Universität von Kiew studiert, würde ernst machen, das stand außer Zweifel. Er mußte seinen Job tun. Er war nahe am Ziel. Es gab keine weiteren Zeugen, und er fühlte sich als Sieger. Urban sah, wie Ankara widerstrebend die Dokumente ins Gras warf. Dies mit einem Gesichtsausdruck, als begehe er Harakiri. „Zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagte der Russe, „Und was für Fliegen. Bey Anatols Papiere, die uns die Zündschnur in die Hände geben und dich, Urban, auf den der höchste Kopfpreis steht, den der KGB je ausgesetzt hat.“ Nach fünf Schritten blieb Urban stehen. Besser eine Kugel, dachte er, als im lilafarbenen Schlamm jämmerlich zu krepieren. Der Agent bemerkte sein Zögern und schoß sofort. Er feuerte eine Garbe zwischen Urbans Beine, daß die Grashalme wegspritzten. „Die nächste sitzt.“ Urban zweifelte nicht daran. Verdammt, dachte er, das geht noch böse aus. Doch da sah er hinten im Augenwinkel etwas und versuchte, den Russen abzulenken. Er gab sich den Anschein, als stolpere er. Wieder schoß der Russe, diesmal haarscharf über ihn hinweg. - Aber auch Ankara schoß. Urban hatte bemerkt, daß der Türke eine großkalibrige Armeepistole zwischen Hemd und Schürze verborgen hatte, ein Ding zum Elefantenjagen. Damit visierte er jetzt beidhändig den Russen an und riß durch. Die Pistole donnerte los wie ein Silvesterböller. Der Russe wurde unter dem Kinn erwischt. Es fetzte 118
ihm regelrecht den Hals auf. Aber er stand eisern, zog den Abzug und mähte, schon taumelnd, über Ankara hinweg, bis das Magazin leer war. Der Türke wurde getroffen, aber er wankte nicht. Mit letzter Kraft versuchte der Russe, sich auf ihn zu stürzen. Urban schnitt ihm den Weg ab und stieß ihn vor sich her in eine andere Richtung. Er hämmerte ihm die MPi aus der Hand und sah den Russen in den Teich stürzen. - Ein Schrei, ein Gurgeln und aus. Dann war Urban bei dem Anatolier. „Bring es zu Ende“, bat Ankara stöhnend. „Ich hole einen Arzt.“ „Mir hilft kein Doktor mehr“, flüsterte Ankara. „Bring es zu Ende. Du hilfst mir am besten - wenn du alles vernichtest - bis zur letzten Seite.“ Urban untersuchte die Einschüsse. Eine Kugel hatte ihm wohl die Leber zerrissen, eine den Bauch durchbohrt, und ein drittes Loch saß verdammt nahe an seinem Herzen. Es blutete stark. Helles Blut aus der Lunge wurde vom Herzen direkt ins Freie gepumpt. Nicht einmal auf dem Operationstisch hätte Anatol noch Chancen gehabt. Urban spürte seine Hand. „Bring es zu Ende, Amigo!“ „Okay, Bandito.“ „Danke.“ „Adios, amigo“, sagte Urban. Während Anatol Ankara starb, legte Urban Blatt für Blatt der brisanten Dokumente ins Feuer, bis es loderte. Als er nur noch wenige Blätter hatte, sah er die Gestalt durch den Park herüberkommen. Die blonde Schönheit Valinda hielt eine Makarow in der Hand, aber sie benutzte die Waffe nicht und hinderte Urban auch nicht an der Vollendung des Vernichtungswerkes. „Hat wohl keinen Sinn mehr“, bemerkte sie. „Wenig.“ 119
„Ist er tot?“ „So tot wie dein Kollege. Wie dieser lila-rote Schlamm wirkt, weißt du besser als jeder andere.“ Sie nickte stumm. „Ja“, sagte sie später. „Dann hat es wohl keinen Sinn mehr. Seit München bin ich hinter dir her. Jetzt hat es keinen Sinn mehr.“ „Mach es ihnen klar“, riet Urban ihr, „drüben in Moskau.“ Urban wollte gerade losfahren, da setzte es sich neben ihn, das blonde Gift, das angeblich vom türkischen Geheimdienst kam, das ihm später vorgemacht hatte, es gehöre zur CIA, in Wahrheit aber nichts war als eine Moskauer KGB-Agentin. „Ich bin eine Tüte Luft für dich“, fing sie an. „Nicht mal das.“ „Du stehst nur auf Rockefeller-Ladies.“ Er drehte den Zündschlüssel und ließ den Motor kommen. „Wir hatten doch ein paar vielversprechende Momente in Zypern und in München.“ Allmählich wurde ihm übel. „Zieh Leine, Gospodina“, zischte er. „Glaub mir doch.“ „Warum?“ fragte er. „Ich mag dich“, gestand sie. „Es gibt Sachen, die haben nichts mit dem Job zu tun, nur mit Gefühlen. Glaub mir.“ „Wohl kaum.“ Sie versuchte es ein letztes Mal. „Wie lange kennen wir uns, Bob?“ Er machte die Tür auf und warf sie hinaus auf die Straße „Zu lange“, sagte er. Dann fuhr er weg ENDE
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