Springer-Lehrbuch
Carolin Kröner Berthold Koletzko
Basiswissen Pädiatrie Mit 112 farbigen Abbildungen und 163 Tabell...
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Springer-Lehrbuch
Carolin Kröner Berthold Koletzko
Basiswissen Pädiatrie Mit 112 farbigen Abbildungen und 163 Tabellen
123
Dr. med. Carolin Kröner Klinikum der Universität München Dr. von Haunersches Kinderspital Lindwurmstraße 4 80337 München
Univ.-Prof. Dr. med. Berthold Koletzko Klinikum der Universität München Dr. von Haunersches Kinderspital Lindwurmstraße 4 80337 München
ISBN 978-3-540-75457-2 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. SpringerMedizin Springer-Verlag GmbH Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Renate Scheddin, Peter Bergmann, Heidelberg Projektmanagement: Sigrid Janke, Heidelberg Lektorat: Dr. Susanne Meinrenken, Bremen Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Titelbild: www.imagesource.com Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN: 12123698 Gedruckt auf säurefreiem Papier
15/2117 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Die Kinder- und Jugendmedizin ist gemeinsam mit Innerer Medizin, Chirurgie und Frauenheilkunde eines der vier Kernfächer der klinischen Medizin. Die große Breite des Faches Pädiatrie, das ganz unterschiedliche Lebensphasen vom kleinsten Frühgeborenen bis zum heranwachsenden jungen Erwachsenen und nahezu das gesamte Spektrum der Medizin von der psychosozialen Entwicklung bis zu molekularen Aspekten spezifischer Organerkrankungen umfasst, stellt für lernende Studierende eine besondere Herausforderung dar. Dieses Buch stellt die wichtigsten Fakten im Sinne des notwendigen Basiswissens in klar strukturierter Form dar und soll insbesondere zur raschen Rekapitulation und zur Prüfungsvorbereitung dienen und so die ausführlicheren Lehrbücher ergänzen. Unser besonderer Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen, die bei der Entstehung dieses Buches wesentlich mitgeholfen haben. Das Kapitel Nephrologie wurde von Dr. Marcus Benz und PD Dr. Lutz Weber erstellt. Dr. Regina Ensenauer trug grundlegend zu dem Kapitel Stoffwechselstörungen bei, PD Dr. Markus Loeff und PD Dr. Robert Dalla-Pozza zu dem Kapitel Herz- und Kreislauferkrankungen (alle: Dr. von Haunersches Kinderspital, Klinikum der Universität München). Darüber hinaus danken wir den folgenden Kolleginnen und Kollegen für Ihre engagierte Hilfe bei der Erstellung dieses Buches: Dr. Roland Böhm Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie Universitätsklinikum Leipzig Liebigstr. 20 A 04103 Leipzig PD Dr. Philipp Bufler Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstr. 4 80337 München Prof. Dr. Jutta Gärtner Zentrum Kinderheilkunde und Jugendmedizin Schwerpunkt Neuropädiatrie Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37075 Göttingen Prof. Dr. Orsolya Genzel-Boroviczeny Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstr. 4 80337 München Prof. Dr. Matthias Griese Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstr. 4 80337 München
VI
Vorwort
Prof. Dr. Tiemo Grimm Institut für Humangenetik Klinikum der Universität Würzburg Am Hubland 97074 Würzburg Prof. Dr. Peter Höger Katholisches Kinderkrankenhaus Wilhelmstift gGmbH Liliencronstr. 130 22149 Hamburg Dr. Antonia Kienast Katholisches Kinderkrankenhaus Wilhelmstift gGmbH Liliencronstr. 130 22149 Hamburg Dr. Ingrid Krüger-Stollfuß Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstr. 4 80337 München PD Dr. Irene Schmid Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstr. 4 80337 München Prof. Dr. Heinrich Schmidt Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstr. 4 80337 München Prof. Dr. Karl Schneider Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstr. 4 80337 München Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Klinikum der Universität München Pettenkoferstr. 8a 80336 München
VII Vorwort
Dr. Nina Sellerer Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstr. 4 80337 München Prof. Dr. Michael Weiss Kliniken der Stadt Köln Kinderkrankenhaus (Riehl) Amsterdamer Str. 59 50735 Köln Prof. Dr. Uwe Wintergerst Krankenhaus St. Josef Braunau Ringstr. 60 5280 Braunau Österreich
München, Oktober 2009 Carolin Kröner Berthold Koletzko
IX
Die Autoren Carolin Kröner Geboren 1979 in München, studierte zunächst Medizin und Politikwissenschaften an der Yale University, Connecticut. Nach ihrem Abschluss als Bachelor of Arts wurde das Medizinstudium an den Universitäten München und Lausanne, Schweiz fortgesetzt. Sie promovierte an der Universität München und arbeitet seit 2005 als Ärztin im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München. Nebenberuflich engagiert sie sich in verschiedenen Stiftungen für medizinisch-humanitäre Hilfsprojekte v. a. in Entwicklungsländern.
Berthold Koletzko Leiter der Abteilung Stoffwechselkrankheiten und Ernährungsmedizin am Dr. von Haunerschen Kinderspital, Klinikum der Ludwig Maximilians-Universität München. Pädiatrische Ausbildung an Kinderkliniken in Südafrika, Tanzania und den Kinderkliniken der Universitäten Düsseldorf und Toronto, Kanada. Wissenschaftliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Stoffwechsels und der Biochemie der Ernährung, mit mehr als 600 Veröffentlichungen, Koordinator nationaler und internationaler Forschungs-Verbundprojekte. Träger zahlreicher wissenschaftlicher Auszeichnungen und Preise. Mitarbeit in der Schriftleitung nationaler und internationaler Fachzeitschriften und in zahlreichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und -kommissionen. Gründer und Vorsitzender der gemeinnützigen Stiftung Kindergesundheit.
Das Layout: Basiswissen Pädiatrie
Inhaltliche Struktur: klare Gliederung durch alle Kapitel
Leitsystem: schnelle Orientierung über alle Kapitel und den Anhang
Aufzählungen: Lerninhalte übersichtlich präsentiert
Schlüsselbegriffe: sind fett hervorgehoben
Cave: Vorsicht! Bei falschem Vorgehen Gefahr für den Patienten!
Übersichten: Fakten kompakt und lernfreundlich zusammengefasst
Navigation: Farbleitsystem, Seitenzahl und Kapitelnummer für die schnelle Orientierung
Verweise auf Kapitel, Abbildungen und Tabellen: deutlich herausgestellt und leicht zu finden
Wichtig: Kernaussagen bringen das Wichtigste auf den Punkt
112 größtenteils farbige Abbildungen: veranschaulichen komplexe Sachverhalte
Tabelle: klare Übersicht der wichtigsten Fakten
----;-_ Sagen Sie unsr------die MehiU:lliIg!
Liebe Leserin und lieber Leser, Sie wo llen gute l.ehrbucher lesen, w ir wo llen gute t.ehrbucher machen : dabei ki:innen Sie uns helfen!
Lob und Kritik, Verbesserungsvorschläge und neue Ideen können Sie auf unserem Feedback-Fragebogen unter www.lehrbuch-medizin.de gleich online loswerden. Als Dankeschön verlosen wir jedes Jahr Buchgutscheine für unsere Lehrbücher im Gesamtwert von 500 Euro.
Wir sind gespannt auf Ihre Antworten! Ihr Lektorat Lehrbuch Medizin
XIII
Inhaltsverzeichnis 1
Entwicklung und Vorsorgeuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 1.2 1.3 1.4
Vorsorgeuntersuchungen . . . . . . . Reflexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meilensteine kindlicher Entwicklung Pubertätsentwicklung . . . . . . . . .
2
Pädiatrische Genetik und teratogene Fruchtschädigung . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 2.2 2.3
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
Chromosomenanalysen in der Pädiatrie . . Übersicht genetische Diagnostik . . . . . . . Übersicht über genetische Beratung und Pränataldiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . Nummerische Chromosomenaberrationen Strukturelle Chromosomenaberrationen . . Uniparentale Disomie und Genomic Imprinting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gonosomale Chromosomenaberrationen . Mitochondriale Gene . . . . . . . . . . . . . . Monogene Vererbung . . . . . . . . . . . . . . Multifaktorielle (polygene) Vererbung . . . Embryo- und Fetopathien durch exogene Noxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. .
1 2 4 5 6
7 8 8
5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9
82
Infektionskrankheiten . . . . . . . . . . . . . 106
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Bakterielle Infektionskrankheiten Virale Infektionskrankheiten . . . . Infektionen durch Protozoen . . . Infektionen durch Pilze . . . . . . . Impfungen . . . . . . . . . . . . . . .
8
Erkrankungen des Immunsystems . . . . 141
8.1
Einteilung und Funktion menschlicher Abwehrmechanismen . . . . . . . . . . Allergische Erkrankungen . . . . . . . . Autoimmunerkrankungen . . . . . . . . Juvenile rheumatische Arthritis, rheumatisches Fieber . . . . . . . . . . .
16
3
Neonatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologie der Neonatalzeit . . . . . . . . Perinatale Schäden und ihre Folgen . . . . Reanimation beim Neugeborenen . . . . . Frühgeborene . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lungenerkrankungen des Neugeborenen Bluterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . Gastrointestinale Erkrankungen . . . . . . Fetale und neonatale Infektionen . . . . . Neugeborenenkrämpfe . . . . . . . . . . . . Metabolische Störungen . . . . . . . . . . . Maternale Drogenabhängigkeit und neonatale Entzugssymptomatik . . . . . .
. . . . . . . . . . .
18 20 20 21 23 24 28 32 37 40 48 48
. .
50
4
Ernährung und Ernährungsstörungen . .
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Ernährung des gesunden Säuglings . . . Ernährung im Kleinkind und Schulalter . Untergewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . Übergewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . Vitaminmangel und Hypervitaminosen
51 52 55 55 56 57
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6
5
Stoffwechselstörungen . . . . . . . . . . . .
5.1 5.2
Aminosäurenstoffwechsel . . . . . . . . . . . . Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels .
61 62 70
9.7 9.8
8.2 8.3 8.4
9 . . . . .
. . .
7
.
. . . . .
77 80 80 81 82 82
Definitionen und Grundlagen . . . . . . Hypothalamus und Hypophyse . . . . . Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . . Schilddrüsenerkrankungen . . . . . . . Epithelkörperchen und Parathormon . Erkrankungen der Nebenniere . . . . . Erkrankungen des Nebennierenmarks Störungen der Pubertätsentwicklung . Hypogonadismus . . . . . . . . . . . . . Hodenhochstand . . . . . . . . . . . . . . Störung der sexuellen Differenzierung
11 11 13 13 15
. . . . .
. . . . . .
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10 6.11
. . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . .
Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems . . . . .
8 8 10
2.7 2.8 2.9 2.10 2.11
. . . . . .
6
. . .
2.4 2.5 2.6
Fettstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . Sterolstoffwechselstörungen . . . . . . . Sphingolipidosen . . . . . . . . . . . . . . Peroxisomale Störungen . . . . . . . . . . Purin-/Pyrimidinstoffwechselstörungen Kongenitale Defekte der Glykosylierung Störungen im Abbau komplexer Kohlenhydrate (Heteroglykanosen) . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . .
84 85 86 89 91 94 96 100 100 103 103 104
107 120 135 135 137
. . . . 142 . . . . 147 . . . . 151 . . . . 153
Hämatologische Erkrankungen . . . . . . Physiologie der Blutbildung und Normwerte Basisdiagnostik und Einteilung der Anämien Mikrozytäre Anämien . . . . . . . . . . . . . . . Megaloblastäre Anämien . . . . . . . . . . . . . Hyporegenerative Anämien . . . . . . . . . . . Hämolytische Anämie bei Membrandefekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hämolytische Anämie bei Enzymdefekten . . Mechanisch und toxisch bedingte Hämolysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162 164 164 165 170 172 173 173 174
XIV
9.9 9.10 9.11 9.12 9.13 9.14 9.15 9.16 9.17 9.18 9.19
10
Inhaltsverzeichnis
Immunhämolytische Anämien . . Sichelzellerkrankung und andere Hämoglobinopathien . . . . . . . . Methämoglobinämie . . . . . . . . Angeborene Erkrankungen mit Knochenmarkversagen . . . . . . . Erworbene aplastische Anämie . . Polyglobulie (Erythrozytose) . . . Erkrankungen der Granulozyten . Erkrankungen der Thrombozyten Gerinnungsstörungen . . . . . . . Thrombophilie . . . . . . . . . . . . Vasopathien . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 174 . . . . . . . 175 . . . . . . . 176 . . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
Krebserkrankungen . . . . . . . . . . . . Grundlagen und allgemeine Prinzipien onkologischer Therapie . . . . . . . . . . . 10.2 Leukämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . . . . 10.4 Hodgkin-Lymphome (Lymphogranulomatose) . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Tumoren des ZNS . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Weichteilsarkome . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Maligne Knochentumoren . . . . . . . . . 10.8 Nierentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9 Keimzelltumoren . . . . . . . . . . . . . . . 10.10 Lebertumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.11 Histiozytosen . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.12 Seltene Tumoren im Kindesalter . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
177 178 178 179 180 182 185 185
. . . 188
12.6 12.7 12.8
Erkrankungen der Lunge . . . . . . . . . . . . . 254 Erkrankungen der Pleura . . . . . . . . . . . . . 258 Erkrankungen des Mediastinums . . . . . . . 260
13
Erkrankungen des Verdauungstrakts . Leitsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeborene Fehlbildungen des Gastrointestinaltrakts . . . . . . . . . . . . . . Motilitätsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . Akut entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts . . . . . . . . . . . . . . Chronisch-entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts . . . . . . . . . . . . . . Nichtentzündliche Darmerkrankungen . . . Erkrankungen der Gallenwege und Gallenblase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkrankungen der Leber . . . . . . . . . . . . Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse . . .
13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7
10.1
11
. . . 189 . . . 190 . . . 193 . . . . . . . . .
Herz- und Kreislauferkrankungen . . . Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeborene Herzfehler mit Links-RechtsShunt (azyanotische Shuntvitien) . . . . . 11.3 Angeborene Herzfehler mit Rechts-LinksShunt (zyanotische Shuntvitien) . . . . . . 11.4 Funktionell univentrikuläre Herzen – komplexe angeborene Herzfehler . . . . . 11.5 Herzfehler ohne Shunt . . . . . . . . . . . . 11.6 Kardiomyopathien . . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Erworbene Herzerkrankungen . . . . . . . 11.8 Herzrhythmusstörungen . . . . . . . . . . . 11.9 Funktionelle Störungen . . . . . . . . . . . . 11.10 Schock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 11.2
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
195 195 199 200 202 204 204 205 206
. . 207 . . 208 . . 208 . . 212 . . . . . . .
. . . . . . .
216 217 222 224 227 232 232
12
Erkrankungen des Respirationstrakts . . 234
12.1 12.2 12.3
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeborene Fehlbildungen . . . . . . . . . . . Infekt der oberen Luftwege (»Atemwegsinfekt«) . . . . . . . . . . . . . . . . Erkrankungen von Nase, Rachen und Ohren Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.4 12.5
235 235 236 237 243
13.8 13.9
. 261 . 263 . 265 . 271 . 275 . 278 . 284 . 286 . 288 . 292
14
Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege . . . . . . . . . . . . 294
14.1
Kongenitale Fehlbildungen der Niere und der ableitenden Harnwege . . . . . . . . . Zystische Nierenerkrankungen . . . . . . . Glomerulopathien . . . . . . . . . . . . . . . Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) Tubulointerstitielle Nephritis (TIN) . . . . . Tubulopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . Arterielle Hypertonie . . . . . . . . . . . . . Urolithiasis und Nephrokalzinose . . . . . Harnwegsinfektionen (HWI) . . . . . . . . . Enuresis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akute Niereninsuffizienz (ANI) . . . . . . . Chronische Niereninsuffizienz (CNI) . . . . Nierenvenenthrombose (NVT) . . . . . . . Das äußere Genitale . . . . . . . . . . . . . . Tumoren im Bereich der Nieren und ableitenden Harnwegen . . . . . . . . . . . Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts . . . . . . . . . . . .
14.2 14.3 14.4 14.5 14.6 14.7 14.8 14.9 14.10 14.11 14.12 14.13 14.14 14.15 14.16
15 15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7 15.8 15.9
Knochen und Gelenke . . . . . . . . . Angeborene Skelettanomalien . . . . . Wirbelsäulenerkrankungen . . . . . . . Hüfterkrankungen . . . . . . . . . . . . . Kniegelenkserkrankungen . . . . . . . . Fußdeformitäten . . . . . . . . . . . . . . Trichterbrust – Pectus excavatum . . . Osteomyelitis . . . . . . . . . . . . . . . . Knochentumoren . . . . . . . . . . . . . Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
296 301 303 314 315 316 320 321 323 324 325 326 328 328
. . 331 . . 331 . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
336 337 340 343 346 347 347 348 349
. . . . 351
XV Inhaltsverzeichnis
16
Pädiatrische Dermatologie . . . . . . . . . . 358
16.1 16.2 16.3 16.4 16.5 16.6 16.7 16.8 16.9
Erbliche Hauterkrankungen . . . . . . . . . . . Nävuszellnävi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viruserkrankungen der Haut . . . . . . . . . . Bakterielle Hauterkrankungen (Pyodermien) Pilzinfektionen der Haut . . . . . . . . . . . . . Parasitosen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . Dermatitis und Ekzem . . . . . . . . . . . . . . . Urtikaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arzneimittelexantheme und infektallergische Exantheme . . . . . . . . . . . . . . 16.10 Psoriasis vulgaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.11 Acne vulgaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.12 Keloid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 17.1 17.2
359 361 364 365 367 368 369 371 371 373 374 375
Erkrankungen des Nervensystems . . . . 376
Fehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . Infantile Zerebralparese (Morbus Little, cerebral palsy, CP) . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Neurometabolische Erkrankungen . . . 17.4 Neuromuskuläre Erkrankungen . . . . . 17.5 Neurokutane Erkrankungen . . . . . . . . 17.6 Zerebrovaskuläre Erkrankungen . . . . . 17.7 Epilepsie und zerebrale Krampfanfälle . 17.8 Entzündliche Erkrankungen des ZNS . . 17.9 Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.10 Gehirntumoren . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . 378 . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
381 383 385 396 399 403 410 414 416
18
Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . 417
19
Wichtige psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen . . . . . . . 420
19.1 19.2 19.3 19.4 19.5 19.6 19.7 19.8
Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der Ausscheidungsfunktionen Bewegungsstereotypien . . . . . . . . . . . Störungen des Sprechablaufs . . . . . . . . Teilleistungsstörungen . . . . . . . . . . . . Tic-Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hyperkinetisches Syndrom (HKS) . . . . . Tiefgreifende Entwicklungsstörungen . .
20
Unfälle und akzidentelle Vergiftungen . 427
20.1 20.2 20.3 20.4 20.5 20.6
Verbrühungen und Verbrennungen . . . . . . . Ertrinkungsunfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . Verätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdkörperingestion . . . . . . . . . . . . . . »Sudden infant death« und »apparent life threatening event« . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
421 422 423 423 424 424 425 425
428 429 430 430 433 433
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
1 1 Entwicklung und Vorsorgeuntersuchungen 1.1
Vorsorgeuntersuchungen – 2
1.2
Reflexe
1.3
Meilensteine kindlicher Entwicklung
1.4
Pubertätsentwicklung – 6
–4 –5
1
2
Kapitel 1 · Entwicklung und Vorsorgeuntersuchungen
1.1
Vorsorgeuntersuchungen
In Deutschland gibt es gesetzlich garantierte Angebote für Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten und Entwicklungsstörungen. Vorsorgeuntersuchungen beinhalten: 4 Messung von Größe, Gewicht und Kopfumfang und Eintragen in die Perzentilenkurven 4 Gezielte Anamnese und ausführliche körperliche Untersuchung 4 Dokumentation der Befunde im gelben Untersuchungsheft 4 Überprüfung des Impfstatus und ggf. Impfung (nicht in der eigentlichen Vorsorgeuntersuchung enthalten) U1 Unmittelbar nach der Geburt: 4 Beurteilung des Vitalzustandes des Kindes: Bestimmung des APGAR 1, 5 und 10 min nach der Geburt (7 Kap. 3) 4 Bestimmung des Nabelschnur-pH 4 Beurteilung von Reifezeichen und -grad (Gestationsalter) des Kindes (7 Kap. 3) 4 Verabreichung der Blutungsprophylaxe: 2 mg Vitamin K p. o. U2 Am 3.–10. Lebenstag: 4 Klinische Untersuchung 4 Abnahme des erweiterten Neugeborenen-Screenings (nicht vor der 36., nicht nach der 72. Lebensstunde abnehmen): kapilläre Blutentnahme an der Ferse oder venöse Abnahme, Auftragen auf spezielle Filterpapierkarten zum Ausschluss zahlreicher angeborener Erkrankungen: Hypothyreose, Phenylketonurie (PKU), Galaktosämie und andere angeborene Stoffwechselerkrankungen, 7 Kap. 5 4 Besprechung der Vitamin-D und Fluoridprophylaxe mit den Eltern (. Tab. 1.1) 4 Sonographie der Hüfte: Ausschluss Hüftgelenksdysplasie (Inzidenz: 3% aller Neugeborenen, w>m) 4 Hörtest (OAE) 4 Verabreichung der 2. Dosis der Blutungsprophylaxe: 2 mg Vitamin K p. o. > Im 1. Lebensjahr und im 2. Lebenswinter müssen tgl. 500 IE Vitamin D zur Rachitisprophylaxe verabreicht werden.
. Tab. 1.1. Fluoridprophylaxe mit Tabletten* (bis zum 2. erlebten Frühjahr kombiniert mit Vit. D) Alter
Menge
1.–2. Lebensjahr
0,25 mg/Tag
2.–3. Lebensjahr
0,50 mg/Tag
3.–6. Lebensjahr
0,75 mg/Tag
* Werte gelten bei einer Fluoridkonzentration im Trinkwasser <0,3 mg/l. Wenn ab etwa dem 4. Lebensjahr regelmäßig fluoridhaltige Zahnpasta verwendet wird, erhält das Kind keine Fluoridtabletten mehr.
U3 In der 4.–6. Lebenswoche: 4 Erweiterte Basisuntersuchung, körperliche Untersuchung 4 Beurteilung des Sozialverhaltens (Lächeln), der Sprachentwicklung (Lautentwicklung) und des Spielverhaltens (Fixieren und Verfolgen von Gegenständen) 4 Reflexprüfung . Tab. 1.2 4 Prüfung der motorischen Entwicklung . Tab. 1.3 4 Kontrolle pathologischer Befunde der U1 und U2 (z. B. Kontrollsonographie der Hüfte) 4 Erinnerung an die Vitamin D-, Fluorid- und IodidProphylaxe 4 Verabreichung der Blutungsprophylaxe: 2 mg Vitamin K p. o. U4 Im 3.–4. Lebensmonat: 4 Untersuchung von Muskeltonus und Koordination 4 Sehprüfung (Fixieren von Gegenständen oder Personen) 4 Hörprüfung (Hochtonrasseln, Klatschen, Papierknittern) 4 Ernährungsberatung 4 Ggf. erste Impfungen (gehören jedoch nicht zur Vorsorgeuntersuchung) U5 Im 6.–7. Lebensmonat: 4 Beurteilung der geistigen Entwicklung 4 Beobachtung des Kindes und seiner Reaktionen (Blickkontakt, Reaktion auf die Mutter, Interesse an der Umgebung, Greifen nach Gegenständen, Körperhaltung) 4 Beurteilung motorischer Meilensteine, Ausschluss zerebraler Bewegungsstörungen: Das Kind hat vollständige Kopfkontrolle, es dreht sich von Rücken- in die Bauchlage und umgekehrt,
3 1.1 · Vorsorgeuntersuchungen
4 4 4 4
es stützt sich symmetrisch mit beiden, geöffneten Händen ab, es kann gezielt greifen. Sehprüfung, Strabismus? Hörprüfung? (Kleinaudiometer) Erinnerung an die Vitamin-D- und Fluoridprophylaxe Ggfs. Impfungen
U6 Im 10.–12. Lebensmonat: 4 Beurteilung des Sozialverhaltens: Fremdeln? 4 Beurteilung der Sinnes- und Sprachentwicklung: 5 Silbenverdopplung 5 Reaktion auf leise Geräusche 4 Beurteilung der motorischen Entwicklung: 5 Steh- und Schreitreaktion 5 Untersuchung von Einzelheiten an den Spielsachen mit dem Zeigefinger, »Pinzettengriff« 4 Sehprüfung, Strabismus? 4 Hörprüfung U7 Im 21.–24. Lebensmonat: 4 Beurteilung der motorischen Entwicklung: 5 Gangbild, schnelles Gangbild 5 Vorwärts- und Rückwärtsgehen, Treppen steigen, Bücken, Aufrichten aus der Hocke 4 Deformitäten des Skelettsystems: 5 Füße, Beine (Schuhwerk) Wirbelsäule, Beckenschiefstand 4 Verhaltensstörungen? (z. B. Schlafstörungen, Schreiattacken, Sprachstörungen, Wutanfälle) 4 Fortsetzung der Fluoridprophylaxe (keine Vitamin D-Prophylaxe mehr) U7a Im 34.–36. Lebensmonat: 4 Altersgemäße Entwicklung? Übergewicht? Zahn-, Mund- und Kieferanomalien? 4 Sprachentwicklung (Drei- bis Fünfwortsätze?) 4 Untersuchung des Sehvermögens, Strabismus? 4 Sozialisations- und Verhaltensstörungen? 4 Kindergartenreife? 4 Impfstatus? U8 Im 43.–48. Lebensmonat: 4 Verhaltensstörungen? (Enuresis, Enkopresis, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Stereotypien, Trotzreaktionen, Aggressivität) 4 Sprachentwicklung? (Stammeln, Stottern, Poltern, Dysarthrie) 4 Sehprüfung mittels Sehtafeln oder Sehtestgeräten
1
4 Hörprüfung mittels Kleinaudiometer oder Tympanometrie 4 Motorik? (Muskeltonus, Ataxie, Koordinationsstörung, Tremor) 4 Urinstatus (Teststreifen) 4 Ggfs. Tuberkulinprobe U9 Im 60.–64. Lebensmonat: 4 Ausführliche Anamnese: Infektionen, Sprachstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, motorische Entwicklung 4 Sehprüfung mittels Bildertafeln oder Sehtestgerät 4 Einfache Hörprüfung 4 Motorik? (Einbeinhüpfen, Seiltänzergang, grobe Kraft der Arme und Beine, Körperhaltung) 4 Hand-Augen-Koordination? (Abzeichnen eines Kreises, eines Dreiecks und eines Quadrats) 4 Sprachfähigkeit? (Benennen von Bildern) 4 Urinstatus (Teststreifen) 4 Blutdruckmessung U10/J1 Im 12.–13. Lebensjahr: 4 Ausführliche Anamnese (Erkrankungen, Behinderungen, seelische Störungen, Familie, Schule, psychische Belastungen, Sexualität) 4 Körperliche Untersuchung, Beurteilung Pubertätsentwicklung . Abb. 1.2 4 Cholesterinbestimmung 4 Blutdruckmessung 4 Urinstatus (Teststreifen)
1
4
Kapitel 1 · Entwicklung und Vorsorgeuntersuchungen
1.2
Reflexe
Je nach Alter des Kindes sind unterschiedliche Reflexe physiologisch, eine Auswahl ist in . Tabelle 1.2 dargestellt. . Tab. 1.2. Reflexe im Kindesalter Reflex
Beschreibung
Alter
Magnetreflex
Langsames Zurücknehmen des gegen die Fußsohle gedrückten Daumens führt zur Streckung des Beins zur Aufrechterhaltung des Kontakts
bis ca. 3. Monat
Schreitreaktion
Nach Berühren einer Unterlage mit der Fußsohle wird das betroffene Bein gebeugt, das andere gestreckt (langsame Schreitbewegung)
bis ca. 3. Monat
Steigreaktion
Halten des Säuglings, so dass ein Fußrücken eine Kante leicht berührt, der Fuß »steigt« dann über diese Kante und die Großzehe wird dorsalflektiert
bis ca. 2. Monat
Oraler Einstellreflex
Periorale Berührung führt zu »Suchreflex« mit Drehen des Kopfs zur Reizseite
bis ca. 3. Monat
Saugreflex
Berühren der Lippe und der perioralen Haut führt zur Saugreaktion und rhythmischen Zungenbewegungen
bis ca. 6. Monat
Galant-Reflex
Paravertebrales Entlangstreichen am Rücken führt zu konkaver Bewegung der Wirbelsäule in Richtung des Bestreichers, das Becken wird angehoben, Arm und Bein der entsprechenden Seite strecken sich
bis ca. 9. Monat
Glabellareflex
Bei Druck auf die Stirnmitte werden die Augen geschlossen
bis ca. 3. Monat
Moro-Reflex (Umklammerungsreflex)
Legen des Kindes auf den Unteram des Untersuchers und Stützen des Kopfs mit der anderen Hand: bewegt man die Hand, die den Kopf hält, rasch nach unten kommt es zu 4 1. Phase: Umklammerungsbewegung der Arme nach außen und oben, Spreizen der Finger und Öffnen des Mundes 4 2. Phase: Schließen des Mundes, die Arme werden gebeugt und an den Thorax zurückgeführt 4 häufig schreien die Kinder (»Schreckreflex«)
bis ca. 3. Monat
Bauer-Reaktion
Liegt das Kind in Bauchlage und drückt man auf die Fußsohlen, beginnt das Kind zu kriechen
bis 5. Monat
4 Drehung des Kopfs zur Seite führt zur Streckung der gleichseitigen Extremitäten und zur Beugung der Extremitäten der Gegenseite
4 immer pathologisch
4 STNR (symmetrischtonischer Nackenreflex)
4 Beugung des Kopfs führt zu Beugung der Arme und Streckung der Beine, Streckung des Kopfs führt zu Streckung der Arme und Beugung der Beine
4 bis 6. Monat
Stützreaktion
Leichtes Kippen des Kindes zur Seite führt zur Streckung des Arms und Abstützen der geöffneten Hand zur Seite
ab 7. Monat
Greifreflex palmar
Bestreichen der Handfläche führt zum Handschluss
bis 6. Monat
Greifreflex plantar
Bestreichen der Fußsohle führt zum Zusammenkrallen der Zehen
bis 13. Monat
LSR (Labyrinthstellreflex)
Legt man das Kind auf den Bauch, stellt sich der Kopf im Raum ein
bis 11. Monat
Landau-Reaktion
Halten des Säuglings in Bauchschwebelage führt zur Streckung von Rumpf und Extremitäten und zum Anheben des Kopfs
5. Monat bis 3. Lebensjahr
Schaltenbrand-Reflex (Sprungbereitschaft)
Abstützreaktion der Arme in Richtung der Unterlage beim Bewegen des Kindes in Richtung Unterlage, zunächst mit geschlossener Hand, später mit vollständig geöffneter Hand
ab 6. Monat
Halsstellreflexe (Nackenreflexe): 4 ATNR (asymmetrischtonischer Nackenreflex)
5 1.3 · Meilensteine kindlicher Entwicklung
1.3
Meilensteine kindlicher Entwicklung
. Abb. 1.1. Meilensteine der kindlichen Entwicklung
1
1
6
Kapitel 1 · Entwicklung und Vorsorgeuntersuchungen
1.4
Pubertätsentwicklung
Die körperlichen Veränderungen während der Pubertät werden in . Abb. 1.2 im Zeitverlauf dargestellt.
. Abb. 1.2. Schematische Darstellung der Pubertätsentwicklung. Die Entwicklungsstadien sind als Keile angegeben, um zu verdeutlichen, dass die Entwicklung kontinuierlich über mehrere Jahre verläuft. Nur der Menarchetermin und der maximale Wachstumsschub sind Fixpunkte. Das Symbol einer Welle für den Wachstumsschub steht für Anstieg, Maximum und Abfall der Wachstumsgeschwindigkeit während der Pubertät
2 2 Pädiatrische Genetik und teratogene Fruchtschädigung 2.1
Chromosomenanalysen in der Pädiatrie – 8
2.2
Übersicht genetische Diagnostik – 8
2.3
Übersicht über genetische Beratung und Pränataldiagnostik – 8
2.4
Nummerische Chromosomenaberrationen
2.5
Strukturelle Chromosomenaberrationen – 10
2.5.1 Deletionen und Mikrodeletionen 2.5.2 Translokationen – 10
2.6
–8
– 10
Uniparentale Disomie und Genomic Imprinting – 11
2.6.1 Uniparenterale Disomie – 11 2.6.2 Genomic Imprinting – 11
2.7
Gonosomale Chromosomenaberrationen
2.8
Mitochondriale Gene
2.9
Monogene Vererbung
2.9.1 2.9.2 2.9.3 2.9.4
Autosomal-dominante Vererbung – 13 Autosomal-rezessive Vererbung – 14 X-chromosomal-rezessive Vererbung – 14 X-chromosomal-dominante Vererbung – 15
– 11
– 13 – 13
2.10 Multifaktorielle (polygene) Vererbung
– 15
2.11 Embryo- und Fetopathien durch exogene Noxen 2.11.1 Physikalische Noxen/Strahlen – 16 2.11.2 Chemische Noxen – 16
– 16
2
8
Kapitel 2 · Pädiatrische Genetik und teratogene Fruchtschädigung
2.1
Chromosomenanalysen in der Pädiatrie
Der französische Genetiker Lejeune erkannte als erste Chromosomenaberration beim Menschen die Trisomie 21 beim Down-Syndrom. Seit den 1960er Jahren sind die Chromosomenanalysen fester Bestandteil der pädiatrischen klinischen Diagnostik, meist im Zusammenhang mit Fehlgeburten, Entwicklungsstörungen, Dysmorphien (Gesicht, Ohr und Gliedmaßen) und Organfehlbildungen. 2.2
Übersicht genetische Diagnostik
Chromosomenanalyse (Karyogramm). Mikrosko-
pische Darstellung des Chromosomensatzes aus Zellkulturen (z. B. Hautbiopsie, Fruchtwasser, Chorionzellen etc.); Darstellung nummerischer Aberrationen und struktureller Chromosomenanomalien. Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). Anlagerung
von spezifischen, fluoreszenzmarkierten DNA-Sequenzen (DNA-Sonden) an bestimmte Chromosomenabschnitte durch Hybridisierung. Anwendung bei Verdacht auf Mutationen an bestimmten DNA-Abschnitten. FISH bietet eine höhere Auflösung als die Chromosomenanalyse, auch Mikrodeletionen können erfasst werden. PCR. Die Polymerasekettenreaktion vervielfältigt DNA-
Fragmente (z. B. Gen, Abschnitt eines Gens oder nichtkodierende Region), wobei eine große Kopienanzahl entsteht. DNA-Sequenzierung. Bestimmung der DNA-Sequenz,
d. h. die Abfolge der Nukleotide eines DNA-Moleküls; dient der Erkennung von Mutationen (u. a. Austausch, Deletion, Einschub von Nukleotiden). 2.3
Übersicht über genetische Beratung und Pränataldiagnostik
Definition. Genetische Beratung der Eltern bei vermu-
teter oder bestehender angeborener Erkrankung in der Familie. Diagnostik zur vorgeburtlichen Diagnose angeborener Erkrankungen. Indikation.
4 Mutter >35 Jahre, Vater >45 Jahre 4 Ein von einer genetischen Erkrankung betroffener Elternteil oder ein betroffenes Kind gesunder Eltern
4 Pränatale Infektionen oder Exposition teratogener Noxen 4 Rezidivierende Aborte ohne andere Ursache 4 Konsanguine Eltern 4 Auffälliger Triple-Test 4 Sonographischer Verdacht auf Fehlbildungen oder Dysplasien (z. B. Nackenödem in der 12. SSW) Diagnostik. Pränataldiagnostik: 4 nichtinvasiv: 5 Ultraschalluntersuchung des Feten 4 invasiv: 5 Chorionzottenbiopsie (ab 9.–10. SSW) ermöglicht eine Chromosomenanalyse, DNA-Analyse oder biochemische Untersuchungen (Abortrisiko 1%) 5 Amniozentese (16. SSW, Frühamniozentese 12. SSW) ermöglicht eine Chromosomenanalyse, biochemische Untersuchungen, die Bestimmung von α1-Fetoprotein, Insulin, Bilirubin u. a. (Abortrisiko 0,5–1%) 5 Chordozentese: fetale Blutentnahme aus der Nabelschnur, ermöglicht die Bestimmung von Hb, Bilirubin u. a. (Abortrisiko 2%)
2.4
Nummerische Chromosomenaberrationen
Definition. Veränderte Chromosomenzahl. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:200 Lebendgeburten. Die Häufigkeit steigt mit dem Alter der Mutter. Meist treten nummerische Chromosomenaberrationen sporadisch auf, durch Fehlverteilung einzelner Chromosomen (Non-disjunction) in der Meiose oder Mitose.
Down-Syndrom (Trisomie 21) Definition. Syndromatische Erkrankung durch ein zusätzliches Chromosom 21. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:650–700 Geburten; die Häufigkeit steigt mit dem Alter der Mutter: 30 Jahre: 0,1%, 35 Jahre: 0,5%, 40 Jahre: 1%, 45 Jahre: 3%. Ätiopathogenese.
4 Freie Trisomie 21(47+21; >90% der Fälle: zusätzliches, frei vorliegendes Chromosom 21) 4 Translokationstrisomie 21 (5% der Fälle: auf ein anderes Chromosom transloziertes Chromosom 21) 4 Mosaike (2% der Fälle: neben einer Zelllinie mit freier Trisomie 21 liegt eine Zelllinie mit normalem Chromosomensatz vor, häufig mildere Klinik)
9 2.4 · Nummerische Chromosomenaberrationen
2
4 Pränatal ist in der 12. SSW sonographisch häufig eine vergrößerte Nackenfalte nachweisbar, in 50% der Fälle ist der Femur verlängert. Symptomatik. . Abb. 2.1. 4 Kraniofaziale Dysmorphien: Brachyzephalie, breite Nasenwurzel, offener Mund, gefurchte und hervortretende Zunge, Makroglossie, tiefer Ohransatz, rundliche Ohren, hoher, schmaler Gaumen, kurzer Hals 4 Augen: lateral ansteigende (»mongoloide«) Lidachsen, Epikanthus (zarte Hautfalte am inneren Augenwinkel), Hypertelorismus (weiter Augenabstand), »Brushfieldspots« der Iris (helle, weiße Flecken) 4 Extremitäten: kurze, breite Hände, Brachy-/Klinodaktylie D5 (Einwärtskrümmung und Verkürzung der Kleinfinger), Vierfingerfurche, Sandalenlücke (vergrößerter Abstand zwischen 1. und 2. Zehe) 4 Skelett: Kleinwuchs, Gelenkhyperflexibilität, Hüftdysplasie, Coxa valgae 4 ZNS: geistige Behinderung, v. a. des abstrakten Denkens, muskuläre Hypotonie 4 Innere Organe: Herzfehler in fast 50% (v. a. AV-Kanal, VSD, ASD), Stenosen und Atresien im Verdauungstrakt (z. B. Duodenalatresie), urogenitale Fehlbildungen, Hypogonadismus 4 Sonstiges: erhöhte Infektanfälligkeit, 10- bis 20-fach erhöhte Leukämieinzidenz, erhöhte Inzidenz der präsenilen Demenz, Infertilität bei Männern Prognose. Die Lebenserwartung liegt in 45% >60 Jahre.
Meist können die Patienten einfache Arbeiten verrichten. Das Wiederholungsrisiko liegt bei freier Trisomie 21 bei ca. 1–2% und steigt mit dem mütterlichen Alter. Edwards-Syndrom (Trisomie 18) Definition. Syndromatische Erkrankung durch ein zu-
sätzliches Chromosom 18. Epidemiologie. Zweithäufigste Trisomie, Häufigkeit: 1:6 000–1:8 000; w:m=4:1. Meist freie Trisomie 18, selten Mosaik (20%).
. Abb. 2.1. Trisomie 21. Kleinkind mit Trisomie 21: lateral ansteigende Lidachsen, Epikanthus, Hypertelorismus, eingesunkene Nasenwurzel, Makroglossie
4 Extremitäten: Beugekontrakturen der Finger mit Überlagerung II über III und V über IV, Pes calcaneovarus (»Tintenlöscherfuß«): dorsalflektierter Hallux und hervorspringende Ferse 4 Thorax/Abdomen: kurzes Sternum, kleine Mamillen mit weitem Abstand, Inguinal- oder Umbilikalhernien, Rektusdiastase 4 Organe: Herzfehler (95%), Nierenanomalien, Ösophagusatresien, Malrotationen 4 Genitale: Kryptorchismus 4 Sonstiges: niedriges Geburtsgewicht, Gedeihstörung, Ateminsuffizienz, Krampfanfälle, schwere psychomotorische Entwicklungsverzögerung Prognose. 90% der betroffenen Kinder versterben im 1. Lebensjahr; die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 2–10 Monate.
Symptomatik.
4 Kraniofaziale Dysmorphien: Mikrozephalus, ausladender Hinterkopf, kleiner Gesichtsschädel, Dreiecksstirn, Hypertelorismus, Epikanthus, kleine Nase, hoher Gaumen oder Gaumenspalte, tief ansetzende, dysmorphe Ohren (»Faunenohren«), Mikroretrognathie, Katarakt, Lippen-Kiefer-GaumenSpalte
Pätau-Syndrom (Trisomie 13) Definition. Syndromatische Erkrankung durch ein zusätzliches Chromosom 13. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:10 000. Meist freie Trisomie 13 (80% der Fälle), Translokationstrisomie oder Mosaik.
10
Kapitel 2 · Pädiatrische Genetik und teratogene Fruchtschädigung
2.5.1 Deletionen und Mikrodeletionen
Symptomatik.
2
4 Klinische Trias: An-/Mikrophthalmie, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, ulnare Polydaktylie 4 Kraniofaziale Dysmorphien: Mikrozephalie, Kopfhautdefekte (narbige Skalpdefekte entlang der Sagittalnaht), Mikrophthalmie, Iriskolobom, LippenKiefer-Gaumen-Spalte, tiefer Ohransatz, dysmorphe Ohren 4 Extremitäten: Hexadaktylie 4 Gehirn und innere Organe: Holoprosenzephalie (Fehlbildungssyndrom mit Arhinenzephalie, Mittellinienfehlbildungen, schwerste geistige Schädigung), Herzfehler, Zystennieren, Omphalozele, Malrotation des Darms, Kryptorchismus 4 Sonstiges: niedriges Geburtsgewicht, Anfallsleiden Prognose. 90% der Kinder versterben im 1. Lebensjahr, die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 1 Monat.
2.5
Strukturelle Chromosomenaberrationen
Strukturelle Chromosomenaberrationen entstehen durch Umbauten innerhalb eines Chromosoms (z. B. Deletionen) oder zwischen verschiedenen Chromosomen (z. B. Translokationen). Diese können zum Verlust oder Zugewinn von genetischem Material (unbalancierte Genverhältnisse) oder zu Umbauten ohne Verlust oder Zugewinn von genetischem Material (balancierte Genverhältnisse) führen. Balancierte Aberrationen sind in der Regel phänotypisch unauffällig, unbalancierte Aberrationen führen zu genetischen Syndromen.
Definition. Als Deletion bezeichnet man das Fehlen größerer Chromosomenstücke; dies ist im Karyogramm sichtbar – das jeweils homologe Chromsom ist intakt. Eine Mikrodeletion ist der Verlust kleinerer Chromosomenstücke; sie kann mehrere Gene oder größere Abschnitte eines Gens umfassen und zu verschiedenen Varianten genetischer Syndrome führen (contiguous gene-syndromes) (. Tab. 2.1). Der diagnostische Nachweis erfolgt mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH, 7 Kap. 2.2).
2.5.2 Translokationen Definition.
4 Reziproke Translokation: Stückaustausch zwischen 2 Chromosomen 4 Balancierte Translokation: Stückaustausch ohne Gewinn oder Verlust von genetischem Material 4 Robertson-Translokation: die langen Arme von 2 akrozentrischen Chromosomen (13, 14, 15, 21, 22) verschmelzen im Zentromerbereich unter Verlust der kurzen Arme Ätiopathogenese. Eine balancierte Translokation hat in der Regel keine pathologische Bedeutung für den Träger und kann über mehrere Generationen vererbt werden. Bei Trägern einer balancierten Translokation können jedoch in der Meiose Keimzellen entstehen, in denen ein Chromosomabschnitt fehlt und/oder ein anderer doppelt vorhanden ist. Dies führt dann in der nachfolgenden Generation zu einer unbalancierten
. Tab. 2.1. Wichtige Mikrodeletionen und Syndrome Syndrom
Deletion
Symptome
Katzenschrei-Syndrom (Cri-du-chat-Syndrom)1
5p15
LKG-Spalte, faziale Dysmorphien, Kopfhautdefekte, Organdefekte, geistige Retardierung
Prader-Willi-Syndrom
15q12(pat)2
Neonatale Hypotonie, anfangs Gedeihstörung, Adipositas, Minderwuchs, Hypogenitalismus, geistige Retardierung
Angelman-Syndrom
15q12(mat)2
Schwere geistige Behinderung, Epilepsie, Ataxie, Lachanfälle
DiGeorge-Syndrom (Velokardiofaziales Syndrom, Shprintzen-Syndrom
22q11
Entwicklungsstörungen von Thymus, Nebenschilddrüse und Aortenbogen
1 2
Die Mehrheit der Patienten hat größere, lichtmikroskopisch sichtbare Deletionen. Neben Mikrodeletionen können z. B. auch Punktmutationen oder Isodisomie entsprechende Krankheitsbilder verursachen (vgl. Tab 2.2).
11 2.7 · Gonosomale Chromosomenaberrationen
Translokation (wichtige Ursache für Minderwuchs, Dysmorphien, geistige Behinderung, Fehl- und Totgeburten). Jedes der 23 homologen Chromosomen kann an verschiedenen Stellen brechen und sich mit anderen gebrochenen Chromosomen verbinden; es ist also eine große Vielfalt an Translokationen möglich. 2.6
Uniparentale Disomie und Genomic Imprinting
2.6.1 Uniparenterale Disomie Definition/Ätiopathogenese. Bei der Bildung der Zy-
gote (Befruchtung) werden die 23 Chromosomen der Eizelle und die 23 Chromosomen des Spermiums zu einem Chromosomensatz vereint (46 Chromosomen), d. h. von den 46 Chromosomen (22 Autosomenpaare und 2 Geschlechtschromosomen) stammt normalerweise je ein Chromosom von der Mutter und eins vom Vater. Durch Verteilungsstörungen der Chromosomen während der Meiose können so genannte uniparentale Disomien eines bestimmten Chromosoms entstehen: 4 Maternale Disomie: beide Chromosomen stammen von der Mutter 4 Paternale Disomie: beide Chromosomen stammen vom Vater Diagnostik. Uniparentale Disomie ist nicht im Karyotyp nachweisbar, da sich die Gesamtzahl der Chromosomen nicht unterscheidet; sie ist daher nur mit einer DNA-Analyse nachweisbar.
2
2.6.2 Genomic Imprinting Definition. Spezifische, von der elterlichen Keimbahn
abhängige Inaktivierung bzw. Prägung von Genen. Symptomatik. Beispiel für Genomic Imprinting ist das
Prader-Willi-Syndrom: die Gene sind auf dem väterlichen Chromosom aktiv, auf dem mütterlichen inaktiv. Die 15q12-Deletion beim Prader-Willi-Syndrom liegt ausnahmslos auf dem väterlichen Chromosom 15. Das Fehlen der aktiven elterlichen (väterlichen) Kopie dieser Gene führt deshalb zum völligen Funktionsverlust dieser Gene und somit zur Erkrankung. Beim Angelman-Syndrom als weiterem Beispiel liegen die aktiven Gene auf dem mütterlichen Chromosom, hier führt die 15q12-Deletion der mütterlichen Gene zur Erkrankung (. Tab. 2.2). 2.7
Gonosomale Chromosomenaberrationen
Als gonosomal bezeichnet man Aberrationen der Geschlechtschromosomen u. a. mit einer gestörten Geschlechtsdifferenzierung. Ullrich-Turner-Syndrom (45, X0) Definition. Genetisches Syndrom basierend auf dem vollständigen oder teilweisen Verlust eines X- oder Y-Chromosoms. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:2 500 Mädchen.
Symptomatik. Klinisch relevant werden uniparentale
Ätiopathogenese. Ursächlich kann das Fehlen eines X-
Disomien bei rezessiven Gendefekten, wenn diese bei uniparentaler Disomie homozygot vorliegen (. Tab. 2.2). Phänotypisch relevant werden sie bei Genomic Imprinting (s. u.).
oder Y-Chromosoms sein, 45,X (ca. 50%), verschiedene Mosaike (ca. 50%, z. B. 46,XX oder 47,XXX) oder Strukturaberrationen eines X- oder Y-Chromosoms.
. Tab. 2.2. Uniparenterale Disomie und Krankheitsbilder Chromosom (Disomie)
Erkrankung
Symptome
7 (maternal)
Minderwuchs
Primordialer, proportionierter Minderwuchs (Silver-RusselSyndrom)
11 (paternal)
Beckwith-Wiedemann-Syndrom
EMG-Syndrom = Exomphalos, Makroglossie, Gigantismus; geistige Behinderung, Tumoren
15 (maternal)
Prader-Willi-Syndrom
. Tab. 2.1
15 (paternal)
Angelman-Syndrom
. Tab. 2.1
12
Kapitel 2 · Pädiatrische Genetik und teratogene Fruchtschädigung
Symptomatik. Sehr variabel (. Abb. 2.2):
2
4 Kleinwuchs (Endgröße durchschnittlich 145 cm) 4 Typische Stigmata: kurzer Hals mit Pterygium colli, Epikanthus, Hypertelorismus, tiefer Haaransatz, Ptosis, Ohrdysplasie, hoher Gaumen, Cubitus valgus, verkürzte Metacarpale D IV, Schildthorax mit weit auseinander stehenden Mamillen, multiple Naevi, postpartal Lymphödeme an Hand- und Fußrücken 4 Innere Organe: Aortenisthmusstenose, Transposition der großen Gefäße, Hufeisenniere, hypergonadotroper Hypogonadismus, »Stranggonaden« (Ausbleiben der Pubertät, keine Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale, hypoplastisches inneres und äußeres Genitale, primäre Amenorrhoe)
Therapie. Wachstumshormontherapie zur Förderung
des Längenwachstums; Östrogensubstitutionstherapie; ggf. chirurgische Therapie bei Fehlbildungen. Prognose. Hohe intrauterine Letalität (95%); Betrof-
fene haben einen normalen IQ. Es besteht kein Wieder-
holungsrisiko, das Risiko des Auftretens ist nicht vom Alter der Mutter abhängig. ! Ca. 5% der Patientinnen mit Ullrich-Turner-Syndrom zeigen ein Mosaik mit 46,XY; bei ihnen ist die Entfernung der Gonadenrudimente indiziert, da diese ein hohes Malignomrisiko (Dysgerminom, Gonadoblastom) bergen.
Triplo-X-Konstitution (47, XXX) Definition. Genetisches Syndrom basierend auf einem zusätzlichen X-Chromosom bei weiblichem Karyotyp und Phänotyp. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:1 000 Mädchen. Ätiopathogenese. In ca. 80% der Fälle liegt ein zusätzliches X-Chromosom bei weiblichem Karyotyp vor (47,XXX); möglich sind auch Mosaike. Symptomatik. Häufig asymptomatisch. Es können eine verkürzte fertile Phase, eine sprachliche Entwicklungsverzögerung und eine leichte Intelligenzminderung bestehen.
Klinefelter-Syndrom (47,XXY) Definition. Genetisches Syndrom basierend auf einem zusätzlichen X-Chromosom bei männlichem Karyotyp und Phänotyp. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:1 000 Knaben, nimmt mit dem Alter der Eltern zu. Ätiopathogenese. In ca. 80% zeigt das Karyogramm
47,XXY, selten sind XXXY oder XXXXY oder Mosaike. Symptomatik. Die Diagnose wird häufig erst in der Pu-
bertät gestellt: 4 »Eunuchoider« Großwuchs 4 In der Pubertät: 5 Männlicher Phänotyp mit primärem (hypergondadotropen) Hypogonadismus 5 Verzögerte oder ausbleibende sekundäre Geschlechtsentwicklung: kleine Hoden, Gynäkomastie, weiblicher Behaarungstyp, geringer Bartwuchs, Infertilität (Azoospermie) 4 Geistige Fähigkeiten im Mittel um 10 Punkte im Vergleich zu Geschwistern reduziert, häufig nur verzögerte Sprachentwicklung 4 z. T. Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Kontaktschwäche, Affektlabilität, Ängstlichkeit) . Abb. 2.2. Ullrich-Turner-Syndrom: kurzer Hals, Pterygium colli, Cubitus valgus, Schildthorax, hypoplastisches Genitale
Diagnostik. Klinisches Bild; Labor: Androgene erniedrigt, FSH erhöht.
13 2.9 · Monogene Vererbung
Therapie. Testosteronsubstitution ab dem 12. Lebens-
2.8
2
Mitochondriale Gene
jahr. 47,XYY-Konstitution Definition. Genetisches Syndrom bei männlichem Karyotyp und Phänotyp aufgrund eines zusätzlichen Y-Chromosoms. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:1 000 Knaben, in 90% der Fälle XYY, es kommen auch Mosaike vor. Symptomatik. Meist asymptomatisch; z. T. bestehen
eine überdurchschnittliche Körpergröße, eine sprachliche Entwicklungsverzögerung oder Verhaltensauffälligkeiten (Anpassungsschwierigkeiten, niedrige Frustrationstoleranz). Fragiles-X-Syndrom (Martin-Bell-Syndrom) Definition. Genetisches Syndrom aufgrund der Fragilität eines Abschnitts des X-Chromosoms.
Definition. Neben den Chromosomen des Zellkerns enthalten auch die Mitochondrien des Zytoplasmas DNA. Die ringförmige mitochondriale DNA (mtDNA) liegt in 2–10 Kopien pro Mitochondrium vor. Jede Zelle enthält mehrere 100 Mitochondrien, die Eizelle 50 000– 100 000. Heteroplasmie bedeutet, dass in einer Zelle Mitochondrien mit normaler und mutierter DNA vorliegen können. ! Die Mutationsrate der mtDNA ist ca. 10-mal so hoch wie die der nukleären DNA.
Symptomatik. Mutationen der mtDNA verursachen
eine Reihe von Erkrankungen, deren Schweregrad u. a. vom Energiebedarf des Gewebes und dem Anteil mutierter Mitochondrien pro Zelle abhängt. Beispiele:
Epidemiologie. Häufigste genetisch bedingte Form ei-
ner unspezifischen geistigen Behinderung. Häufigkeit: 1:1 000 Jungen. 1:5 000 Mädchen weisen Prä- oder Vollmutationen auf, haben aber nur eine milde Klinik. Ätiopathogenese. Zugrunde liegt eine Expansion des trinukleotid repeats CGG auf dem langen Arm des X-Chromosoms. Es kommt zum Phänomen der Antizipation: die instabile Trinukleotid-Sequenz (triplet repeat des Trinukleotids CGG) im Gen des MartinBell-Syndroms verlängert sich von Generation zu Generation, die Schwere der Erkrankung nimmt von Generation zu Generation zu. Gesunde Träger haben ca. 10–50 Kopien der CGG-Sequenz, gesunde Überträger ca. 50–200 Kopien (Prämutation), Patienten ca. 200– 2 000 Kopien (Vollmutation). > Weitere Erkrankungen mit Trinukleotidexpansionen und dem Phänomen der Antizipation sind z. B. die Myotone Dystrophie, Chorea Huntington und die spinozerebelläre Ataxie.
Symptomatik.
4 Geistige Behinderung unterschiedlicher Ausprägung (durchschnittlicher IQ: 50), Hyperaktivität, Sprachentwicklungsverzögerung 4 Großwuchs, langes Gesicht, große Ohren, langes Kinn, vergrößerte Testes Diagnostik. Nachweis der CGG-Amplifikation in der
DNA-Analyse.
4 Kearns-Sayre-Syndrom: Ptosis, Ophthalmoplegie, Retinitis pigmentosa, Ataxie, kardiale Rhythmusstörungen, Muskelschwäche, Ragged-Red-Fibres (RRF) 4 Myoklonus Epilepsie mit Ragged-Red-Fibres (MERRF): Myoklonusepilepsie, RRF, zerebelläre Ataxie, Demenz, Myopathie 4 Mitochondriale Enzephalopathie mit Laktazidose und schlaganfallähnlichen Ereignissen (MELAS): proximale Myopathie, Ophthalmoparese, Kardiomyopathie, Schlaganfälle, Demenz, Taubheit 2.9
Monogene Vererbung
Monogene Erkrankungen sind Folge pathologischer Genveränderungen an einem Genort, die autosomaldominant, autosomal-rezessiv, X-chromosomal-rezessiv und X-chromosomal-dominant vererbt werden können. 2.9.1 Autosomal-dominante Vererbung Definition. Bei heterozygoten Genträgern ist das mutierte Gen allein für die Ausprägung des Merkmals maßgeblich. Bei voller Penetranz und Expressivität des mutierten Gens ist durchschnittlich die Hälfte aller Kinder betroffen. Die Weitergabe des Gens kann am Stammbaum beobachtet werden (»senkrechte Weitergabe«).
14
Kapitel 2 · Pädiatrische Genetik und teratogene Fruchtschädigung
. Tab. 2.3. Beispiele von autosomal dominanten Erbkrankheiten
2
Erbkrankheit
Genort
Mutation
Häufigkeit
Symptome
HuntingtonKrankheit
4p16
CAG-Repeat im Huntington-Gen
Prävalenz: 1:15 000
Erkrankungsalter beginnt mit 35–40 Jahren, in 10 % sind auch Jugendliche betroffen (bei überwiegend väterlicher Vererbung); Bewegungsstörungen, psychische Veränderungen und Demenz
MarfanSyndrom
15q21
im FBN1-Gen
5q25-31
im FBN2-Gen
Prävalenz: 1:10 000 bis 1:20 000
Bindegewebedefekt, Skelettveränderungen, kardiovaskuläre Veränderungen und Augensymptome
Myotone Dystrophie (Typ 1)
19q13
CTG-Repeat im DMPK-Gen
Prävalenz: 1:8 000 bis 1:20 000
Muskelschwäche, Myotonie, Katarakt, es sind praktisch alle Organe betroffen (Multisystemerkrankung), sehr variable Expressivität; kongenitale Form: generalisierte Muskelhypotonie, Atem- und Trinkprobleme, Intelligenzminderung und Verkürzung der Achillessehne
Achalasie
4p16
im FGFR3-Gen, überwiegend Neumutationen
Inzidenz: 1:30 000
dysproportionierter Minderwuchs mit kurzen Armen und Beinen, Makrozephalus und Gesichtsdymorphien
Ätiopathogenese. Autosomal-dominant vererbte Ver-
änderungen treten sporadisch auf (Neumutation, Keimzellmosaik) oder werden von einem Elternteil vererbt (. Tab. 2.3). 2.9.2 Autosomal-rezessive Vererbung Definition. Bei dieser Form der Vererbung tritt ein Gen
nur bei homozygotem oder compound heterozygotem (zwei unterschiedliche Mutationen an einem Genort), nicht aber bei heterozygotem Vorliegen phänotypisch in Erscheinung (. Tab. 2.4). Rezessive Erkrankungen treten familiär bei Geschwistern auf und sind gehäuft bei Verwandtenehen (Konsanguinität). Vererbungsrisiko. Wenn beide Eltern heterozygote
Mutationsträger sind, beträgt das kindliche Risiko für
die Erkrankungen 25%. Sind beide Eltern homozygot (selbst krank), werden alle Kinder ebenfalls homozygot und krank sein. Viele Stoffwechseldefekte werden autosomal-rezessiv vererbt: in heterozygotem Zustand genügt die genetische Information des nicht betroffenen Gens für eine ausreichende Enzymaktivität, erst in homozygotem und compound heterozygotem Zustand kommt es zum fast völligen Ausfall der Enzymaktivität. 2.9.3 X-chromosomal-rezessive Vererbung Definition/Vererbungsrisiko. Von gesunden Muta-
tionsträgerinnen (»Konduktorinnen«) wird das Merkmal an durchschnittlich die Hälfte der Söhne weitergegeben, die Töchter haben ein 50%iges Risiko auch Konduktorinnen zu sein. Die Erkrankungen treten
. Tab. 2.4. Beispiele für autosomal-rezessive Erbkrankheiten Erbkrankheit
Genort
Mutation
Inzidenz
Symptome
Mukoviszidose (Cystische Fibrose)
7q31
im CFTR-Gen
1:2 500
Multisystemerkrankung: pulmonale, gastrointestinale und hepatobilliäre Symptome
Phenylketonurie (PKU)
12q24
im PAH-Gen
1:8 000
Ohne Behandlung geistige Retardierung
Spinale Muskelatrophie (SMA)
5q12
überwiegend Deletionen im SMN1-Gen
1:8 000
Proximal betonte, generalisierte Muskelschwäche
15 2.10 · Multifaktorielle (polygene) Vererbung
2
. Tab. 2.5. Beispiele für X-chromosomal-rezessive Erbkrankheiten Erbkrankheit
Genort
Mutation
Inzidenz
Symptome
Hämophilie A
Xq28
im FVIII-Gen
1:5 000 männl. Neugeborene
verstärkte Blutungsneigung
Muskeldystrophie Typ Duchenne
Xp21
im Dystrophin-Gen
1:3 000 männl. Neugeborene
Muskeldystrophie, mit 8–10 Jahren rollstuhlabhängig; Lebenserwartung ca. 25 Jahre
Glucose-6-PhosphatDehydrogenase-Mangel
Xq28
im G6PD-Gen
sehr variabel
neonataler Ikterus, hämolytische Krisen oder chronische hämolytische Anämie
praktisch nur bei Knaben auf (. Tab. 2.5), da diese nur ein X-Chromosom haben; bei Mädchen treten die Erkrankungen nur auf, wenn sie homozygot für das betreffende X-chromosomale Gen sind oder den 45,X-Karyotyp haben. Das Erkrankungsrisiko für Söhne heterozygoter Frauen beträgt 50%. Aufgrund der präferenziellen X-Inaktivierung des X-Chromosoms mit dem normalen Allel können auch bei Konduktorinnen klinische Symptome auftreten.
2.10
Multifaktorielle (polygene) Vererbung
Definition. Multifaktoriell/polygen vererbte Erbkrank-
heiten entstehen durch Mutationen mehrerer Gene: 4 Polygen: Zusammenwirken mehrerer Gene 4 Multifaktoriell: Zusammenwirken mehrerer Gene mit Umweltfaktoren Epidemiologie. Multifaktorielle Störungen sind we-
Ätiopathogenese. Bei sporadischen Fällen kann eine
Neumutation vorliegen, bei betroffenen Geschwistern kann auch ein Keimzellmosaik ursächlich sein. 2.9.4 X-chromosomal-dominante
Vererbung X-chromosomal-dominante Erkrankungen treten bei Männern und Frauen auf (. Tab. 2.6); sie sind meist beim männlichen Geschlecht stärker ausgeprägt, z. T. so stark, dass die männlichen Feten bereits intrauterin absterben.
sentlich häufiger als monogene Erbkrankheiten. Beispiele.
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte Ventrikelseptumdefekt Morbus Hirschsprung Diabetes mellitus Typ 1 Spina bifida Pylorusstenose Hüftgelenksdysplasie Fieberkrämpfe Idiopathische Epilepsien Schizophrenie Manisch-depressive Psychose
. Tab. 2.6. Beispiele für X-chromosomal-dominante Erbkrankheiten Erbkrankheit
Genort
Mutation
Inzidenz
Symptome
Vitamin-D-resistente hypophosphatämische Rachitis (Phosphatdiabetes)
Xp22
im PHEX-Gen
1:25 000
Minderwuchs und z.B. Verbiegungen der belasteten langen Röhrenknochen (O-Beine)
Rett-Syndrom
Xq28
im MECP2-Gen
bei Mädchen: 1:10 000 bis 1:15 000
geistige Retardierung, Wachstumsretardierung, Verlust von erworbenen Fähigkeiten, stereotype Handbewegungen
16
2
Kapitel 2 · Pädiatrische Genetik und teratogene Fruchtschädigung
! Das Wiederholungsrisiko lässt sich bei multifaktoriellen Erbkrankheiten im Gegensatz zu monogenen Erbkrankheiten nicht aus dem Erbgang, sondern nur empirisch bestimmen.
2.11
Embryo- und Fetopathien durch exogene Noxen
Beim Einwirken von Noxen auf das Ungeborene ist die Art der Schädigung abhängig von der Art der Noxe, dem Ausmaß der Exposition und dem Zeitpunkt der Schädigung: 4 Blastogenese (1.–14. Tag): »Alles-oder-Nichts«Regel, entweder die Blastula regeneriert sich oder sie stirbt ab (Abort). 4 Embryogenese/Organogenese (15.–90. Tag): die Periode der Organdifferenzierung ist besonders sensibel für Schädigungen. 4 Fetalperiode (>90. Tag): Sensibilität für Schäden geringer, teratogene Wirkung manifestiert sich v. a. als Wachstumsstörung oder Differenzierungsstörung des Gehirns oder als Organschaden (z. B. Hepatitis). 2.11.1 Physikalische Noxen/Strahlen Strahlung führt ab einer Dosis von 200 mSv zu geistiger Retardierung, Mikrozephalie, Augenschädigung, Katarakt und Minderwuchs.
Alkoholkonsum in der Schwangerschaft wurde mit kindlichen Entwicklungsstörungen assoziiert. Schwangere sollten deshalb keinerlei alkoholische Getränke konsumieren. Symptomatik.
4 Kraniofaziale Dysmorphie: Mikrozephalie, kurze Lidspalten, Epikanthus, Strabismus, kleine Nase mit eingesunkenem, verkürztem Nasenrücken (»Steckdosennase«), verstrichenes Philtrum, schmale Lippen, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, fliehendes Kinn (Retrogenie), dysplastische Ohren (. Abb. 2.3) 4 Innere Organe: Herzfehler, Nierenfehlbildungen, Hernien 4 ZNS: geistige Retardierung, muskuläre Hypotonie, Hyperexzitabilität, Hyperaktivität, Konzentrationsstörungen, Verhaltensstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen 4 Sonstiges: intrauteriner und postnataler Minderwuchs, Sakralgrübchen, Klinodaktylie und Verkürzung der Kleinfinger, Genital- und Gelenkanomalien Die Einteilung erfolgt nach dem Majewski-Score in die Schädigungsgrade I–III (s. Lehrbücher der Pädiatrie). Prognose. Hohe perinatale Sterblichkeit, IQ bei den Überlebenden im verbalen Teil in der Regel 60–70, im Handlungsteil 70–80.
! Diagnostische Röntgenaufnahmen sollten in der Schwangerschaft möglichst unterlassen werden. Sie führen bei korrekter Durchführung zu einer Belastung des Uterus von ca. 10 mSv, die kritische Dosis von 100 mSv wird jedoch praktisch nie erreicht.
2.11.2 Chemische Noxen Alkoholembryopathie Definition. Embryonale oder fetale Schädigung aufgrund von Alkoholexposition während der Schwangerschaft. Die Kinder weisen eine typische Fazies, eine geistige und motorische Retardierung auf. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:300! Ätiopathogenese. Ab einer täglichen Einnahme von
>50 g reinem Alkohol kommt es zu schweren Schäden des Ungeborenen (0,5 l Bier entsprechen ca. 20 g Alkohol, 0,2 l Wein entsprechen ca. 16 g Alkohol). Niedriger
. Abb. 2.3. Alkoholembryopathie: typische Fazies: Mikrozephalie, verkürzter Nasenrücken, verstrichenes Philtrum, schmale Lippen
17 2.11 · Embryo- und Fetopathien durch exogene Noxen
Weitere wichtige chemische Noxen für das Ungeborene 4 Valproinsäure: Neuralrohrdefekte, Auffälligkeiten des Gesichtsschädels 4 Thalidomid: je nach Zeitpunkt der Schädigung Anotie, Amelie der Arme, Triphalangie der Daumen, Leistenhernien, Phokomelie 4 Hydantoin und Barbiturate: bei 6% der Kinder von epilepsiekranken Müttern, die während der Schwangerschaft Medikamente einnehmen müssen, kommt es zu Auffälligkeiten im Gesichtsbereich, Minderwuchs, Mikrozephalie oder psychomotorischer Retardierung 4 Warfarin: kritische Phase in der 4–6. Woche post conceptionem: Auffälligkeiten des Gesichts, verkürzte Extremitäten, kalkspritzerförmige Einlagerungen in Wirbelkörpern und Kalkaneus; ein Drittel der Patienten sind geistig mäßig bis stark retardiert. 4 Vitamin A und Abkömmlinge: Anotie, Mikrotie, Hydrozephalus, Mikrozephalus (15%), Herzfehlbildungen (30%), Anomalien des N. opticus (20%)
! 6 Monate vor bis 6 Monate nach jeder zytostatischen Therapie muss ein strenger Konzeptionsschutz eingehalten werden.
4 Tabak: dosisabhängige Schädigung, ab 1 Packung/ Tag steigt das Risiko für einen Spontanabort um 70%, das Risiko für eine Placenta praevia verdoppelt sich, das Risiko der Frühgeburtlichkeit steigt um 50% und die perinatale Mortalität verdoppelt sich. 4 Thyreostatika: in der Schwangerschaft müssen bevorzugt Thyreostatika angewendet werden, die nicht plazentagängig sind. Postpartal müssen die Neugeborenen streng überwacht werden. 4 Zytostatika, Verknöcherungsstörungen des Gesichtsschädels, Hydrozephalus, faziale Dysmorphien, Gliedmaßenfehlbildungen; v. a. Folsäureantagonisten (Aminopterin, Methotrexat) sind teratogen bzw. letal. 4 Drogen: 7 Kap. 3
2
3 3 Neonatologie 3.1
Grundlagen – 20
3.2
Physiologie der Neonatalzeit – 20
3.2.1 Postnatale Adaptation – 20
3.3
Perinatale Schäden und ihre Folgen – 21
3.3.1 Asphyxie – 21 3.3.2 Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie – 22 3.3.3 Geburtstraumatische Schäden – 22
3.4
Reanimation beim Neugeborenen – 23
3.5
Frühgeborene
3.6
Lungenerkrankungen des Neugeborenen – 28
3.7
Bluterkrankungen
3.7.1 3.7.2 3.7.3 3.7.4 3.7.5 3.7.6 3.7.7 3.7.8 3.7.9
Fetale Erythropoese – 32 Besonderheiten beim Neugeborenen – 32 Neonatale Anämie – 32 Polyzythämie, Hyperviskositätssyndrom – 33 Neugeborenenhyperbilirubinämie – 33 Morbus haemolyticus neonatorum – 35 Bilirubinenzephalopathie (Kernikterus) – 36 Das weiße Blutbild Neugeborener – 36 Koagulopathien – 36
– 24
– 32
3.8
Gastrointestinale Erkrankungen – 37
3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.8.4 3.8.5
Angeborene Atresien des Gastrointestinaltrakts – 37 Mekoniumileus – 38 Volvulus mit oder ohne Malrotation – 38 Bauchwanddefekte – 38 Nekrotisierende Enterokolitis (NEC) – 39
3.9
Fetale und neonatale Infektionen – 40
3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4
Konnatale Infektionen – 40 Toxoplasmose – 40 Konnatale Rötelninfektion – 40 Zytomegalie (CMV) – 41
3.9.5 3.9.6 3.9.7 3.9.8 3.9.9 3.9.10 3.9.11 3.9.12 3.9.13 3.9.14 3.9.15
Herpes simplex – 42 Varizella-Zoster (VZV) – 42 Hepatitis B – 43 Parvovirus-B19 – 44 Listeriose – 44 Neugeborenensepsis – 45 Meningitis – 46 Haut- und Weichteilinfektionen – 46 Omphalitis – 47 Lokale Candidainfektionen – 47 Konjunktivitis – 47
3.10 Neugeborenenkrämpfe
– 48
3.11 Metabolische Störungen – 48 3.12 Maternale Drogenabhängigkeit und neonatale Entzugssymptomatik – 50
20
Kapitel 3 · Neonatologie
3.1
Grundlagen Definitionen Gestationsalter: Schwangerschaftsdauer vom 1. Tag der letzten normalen Regelblutung der Mutter bis zur Geburt des Kindes Frühgeborenes: Gestationsalter <259 Tage (<37. vollendete SSW) Reifes Neugeborenes: Gestationsalter 259– 293 Tage (vollendete 37.–41. SSW) Übertragenes Neugeborenes: Gestationsalter >293 Tage (>42. SSW) Hypotrophes Neugeborenes (SGA: small for gestational age): Geburtsgewicht <10. Perzentile Eutrophes Neugeborenes (AGA: appropriate for gestational age): Geburtsgewicht 10.–90. Perzentile Hypertrophes Neugeborenes (LGA: large for gestational age): Geburtsgewicht >90. Perzentile Untergewichtige Neugeborene (LBW: low birth weight infant): Geburtsgewicht <2 500 g Sehr untergewichtige Neugeborene (VLBW: very low birth weight infant): Geburtsgewicht <1 500 g Extrem untergewichtige Neugeborene (ELBW: extremely low birth weight infant): Geburtsgewicht <1 000 g Perinatale Mortalität: Sterblichkeit in den ersten 7 Lebenstagen (inkl. Totgeburt) Neonatale Mortalität: Sterblichkeit in den ersten 4 Lebenswochen, in Deutschland ca. 6‰.
3
3.2
Physiologie der Neonatalzeit
3.2.1 Postnatale Adaptation Fetaler Kreislauf. Die O2-Versorgung des Feten erfolgt
in utero durch die Plazenta. O2-reiches Blut gelangt über die Nabelvene und die V. cava inferior in das rechte Herz, dort wird ca. 90% des Bluts über das offene Foramen ovale und den Ductus arteriosus in den linksseitigen Anteil des Kreislaufs befördert (physiologischer Rechts-Links-Shunt). Die Bewegung von Amnionflüssigkeit im tracheobronchoalveolären System ist entscheidend für die fetale Lungenentwicklung. Fehlende Lungenflüssigkeit (Anhydramnion, Potter-Sequenz, vorzeitiger Blasensprung mehr als 2 Wochen vor der Geburt) führt zur Lungenhypoplasie. Postnataler Kreislauf. Nach der Geburt wird die intra-
pulmonale Flüssigkeit durch die Mechanik der ersten
Atemzüge über interstitielle Lymph- und Blutgefäße abtransportiert. Neugeborene bauen mit dem ersten Atemzug einen hohen, positiven intrathorakalen Druck auf, der arterielle O2-Gehalt steigt und der pulmonale Gefäßwiderstand sinkt. Die zunehmende Lungendurchblutung steigert die Füllung des linken Ventrikels und Vorhofs, dadurch kommt es zum Schluss des Foramen ovale. Hämodynamische Veränderungen und erhöhter O2-Partialdruck lösen den funktionellen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli aus; der endgültige Verschluss (Fibrosierung) kann sich über Wochen hinziehen. Normwerte/-befunde beim Neugeborenen:
4 Atemfrequenz: 40–60 Atemzüge/min 4 Herzfrequenz: 120–160/min 4 pH-Wert der Nabelschnurarterie: durchschnittlich 7,25 4 Blutvolumen: 80–100 ml/kg (Spätabnabelung steigert das Blutvolumen um ca. 15 ml/kg) 4 Wasserbedarf: 50–100 ml/kg/d 4 Urinproduktion: 50–150 ml/kg/d 4 Postnataler Gewichtsverlust: ca. 10% (Wasserverlust), Geburtsgewicht sollte in den ersten 10 Tagen wieder erreicht werden 4 Urinausscheidung: innerhalb der ersten 24 h 4 Mekoniumentleerung: innerhalb der ersten 12– 48 h, praktisch steril, die bakterielle Besiedelung des Kolons erfolgt erst postnatal innerhalb der ersten Stunden und Tage 4 Östrogenwirkung (durch mütterliche Östrogene): Brustdrüsenschwellung, Neugeborenenakne, evtl. Milchsekretion Temperaturregulation. Das Neugeborene schützt sich
nach der Geburt vor Wärmeverlusten durch die O2-abhängige Oxidation von Fettsäuren im braunen Fettgewebe. Hypoxische, hypotrophe Neugeborene und Frühgeborene haben einen geringeren Anteil an braunem Fettgewebe und eine relativ vergrößerte Körperoberfläche. Dadurch besteht die Gefahr der Hypothermie mit metabolischer Azidose (durch periphere Minderdurchblutung und anaeroben Metabolismus), Hypoxie, Surfactantinaktivierung, Hypoglykämie und erhöhter Mortalität. Apgar-Index. Postpartal wird die Adaptation des
Neugeborenen mit dem Apgar-Schema beurteilt (. Tab. 3.1): Die postnatale Reifebestimmung (Gestationsalter) erfolgt anhand verschiedener Scores: DubowitzFarr-Score, Ballard-Score, Petrussa-Index (vgl. Lehrbücher).
21 3.3 · Perinatale Schäden und ihre Folgen
. Tab. 3.1. Apgar-Schema zur Beurteilung von Neugeborenen Symptom
1
2
Hautfarbe
blau oder weiß
Akrozyanose
rosig
Atmung
keine
langsam, unregelmäßig
gut
Herzaktion
keine
< 100 bpm
> 100 bpm
Muskeltonus
schlaff
träge Flexion
aktive Bewegung
Reflexe beim Absaugen
keine
Grimassieren
Schreien
Bestimmung nach 1, 5 und 10 Minuten
Der Petrussa-Index (Anwendung bei allen Geburten >30. SSW) beurteilt insbesondere: 4 Haut (Verletzlichkeit, Fältelung, Abschilferung) 4 Mamillen (Drüsenkörper) 4 Ohren (Profil und Knorpelbildung) 4 Fußsohlen (Fältelung) 4 Genitale (Hoden deszendiert, Größe der Labia minora und majora) 3.3
. Tab. 3.2. Ursachen der perinatalen Asphyxie Mutter
4 uteroplazentare Insuffizienz, Gestose 4 Hypotension 4 übermäßige Sedierung
Plazenta
4 Abruptio placentae 4 Placenta praevia, Vasa praevia 4 Randsinusruptur
Nabelschnur
4 Nabelschnurvorfall, -umschlingung 4 kurze Nabelschnur 4 Knoten, Riss, Kompression
Geburt
4 traumatisch (abnorme Lage, Missverhältnis von Becken/Kind, hypertrophes Neugeborenes, Schulterdystokie) 4 langdauernd, überstürzt, Sturzgeburt
Kind
4 Anämie (fetomaternale Transfusion, Erythroblastose u. a.) 4 extreme Unreife 4 neuromuskuläre Erkrankungen (Myopathie, kongenitale Myasthenia gravis u. a.) 4 Erkrankungen der Atemwege und Lungen (Choanalatresie, pulmonale Hypoplasie, Zwerchfellhernie u. a.) 4 Infektionen (Pneumonie, septischer Schock)
Apgar-Zahl 0
Perinatale Schäden und ihre Folgen
3.3.1 Asphyxie Definition. (griech. Pulslosigkeit). Definition nach dem American College of Obstetrics and Gynecologists: Nabelarterien pH <7,00; Apgar 0–3 für mindestens 5 min; neurologische Auffälligkeiten, z. B. Krampfanfälle; Multiorgandysfunktion. Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 1% aller Geburten, ca. 9% aller Frühgeborenen. Ätiopathogenese. . Tab. 3.2. Pathophysiologie. Die perinatale Hypoxie führt durch
den Anstieg von Laktat (Produkt anaerober Energiegewinnung) und CO2 zur metabolisch-respiratorischen Azidose, die eine pulmonale Vasokonstriktion induziert. Die physiologische, postpartale Dilatation der Lungenarterien bleibt aus, es kommt zur pulmonalen
3
Hypertonie, in schweren Fällen zum Persistieren der fetalen Zirkulation mit Rechts-Links-Shunt, 7 Kap. 3.6. Der O2-Mangel im arteriellen Blut verstärkt sich weiter, es resultiert ein circulus vitiosus. Symptomatik.
4 Intrauterine Warnzeichen: 5 Fetale Herztondezeleration (Norm: 120– 160/min), pathologische Herzfrequenzmuster im CTG (Cardiotokogramm = Ableitung der fetalen Herztöne und der mütterlichen Wehen) 5 Kindliche Bewegungsarmut 5 Mekoniumabgang, grünliches Fruchtwasser (durch vorzeitigen Mekoniumabgang) 5 Laktazidose, pH <7,2 (kapilläre Mikroblutanalyse aus kindlicher Kopfhaut) 4 Neonatale Warnzeichen: 5 Apgar nach 1 min<4, nach 5 min<6 5 Verminderte Spontanatmung, Apnoe 5 Herzfrequenz <100/min 5 Neonatale Azidose, pH<7,15 (Nabelarterie) 4 Postnatale Zeichen: 5 Dyspnoe, Atemstillstand, Zyanose, Bradykardie (früher: »blaue Asphyxie«) 5 Seltener: extreme Blässe, Bradykardie, Hypotension (»weiße Asphyxie«)
22
3
Kapitel 3 · Neonatologie
Therapie.
Therapie.
4 Rasche, wirksame Reanimation (Intubation, maschinelle Beatmung, Kreislaufstabilisierung) zur Durchbrechung des circulus vitiosus. 4 Bei schwerer Aspyhxie protektiver Effekt durch Hypothermiebehandlung in Erprobung.
4 Symptomatische Behandlung: Frühförderung, Physiotherapie, ggf. antikonvulsive Therapie 4 Ziel ist die Vorbeugung einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie durch eine rasche und wirksame Reanimation bei Asphyxie und eine optimale weitere Versorgung.
Komplikationen.
4 ZNS: hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (s. u.), Krampfanfälle, Gehirnblutungen, periventrikuläre Leukomalazie 7 Kap. 3.5. 4 Herzkreislaufsystem: myokardiale Ischämie, Hypotension 4 Lunge: persistierende fetale Zirkulation (PFC) 7 Kap. 3.6, Atemnotsyndrom (RDS) 7 Kap. 3.5, Lungenblutung, Mekoniumaspiration 7 Kap. 3.6 4 Niere: akute tubuläre oder kortikale Nekrose 4 Magendarmtrakt: Perforation, Ulzeration, nekrotisierende Enterokolitis (NEC) 7 Kap. 3.8.5 4 Nebenniere: Nebennierenrindenblutung 4 Gerinnung: disseminierte intravasale Gerinnungsstörung 7 Kap. 3.7.9 4 Hypoglykämie, Hyperglykämie, Hypokalzämie 3.3.2 Hypoxisch-ischämische
Enzephalopathie
3.3.3 Geburtstraumatische Schäden Haut und Muskulatur Caput succedaneum (Geburtsgeschwulst) Definition/Symptomatik. Teigig-ödematöse, bräunliche Schwellung über der Schädelkalotte, die nicht durch die Schädelnähte begrenzt ist, bildet sich spontan nach einigen Tagen zurück. Kephalhämatom Definition/Symptomatik. Subperiostal fluktuierende,
durch die Schädelnähte begrenzte subperiostale Blutung (durch Verletzung subperiostaler Gefäße durch Scherkräfte). Die Rückbildung kann Monate bis Jahre dauern, meist keine Therapie notwendig. Cave: Infektionsgefahr. Hämatom des M. sternocleidomastoideus Symptomatik. Durch ein Hämatom im M. sternoclei-
Definition. Gehirnschädigung durch peri- oder postnatalen Sauerstoffmangel.
domastoideus auftretende Schwellung und ggf. Schiefhals, physiotherapeutisch gut zu behandeln. Klavikulafraktur
Drei Schweregrade der hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie (nach Sarnat): 4 Grad I (mild): Irritabilität, Schreckhaftigkeit, milde muskuläre Hypotonie, Trinkschwäche, nach 3 Tagen keine neurologischen Symptome mehr 4 Grad II (moderat): Lethargie, Krampfanfälle (Beginn nach 12–24 h), ausgeprägte muskuläre Hypotonie, Sondenernährung notwendig, deutliche Besserung des neurologischen Status innerhalb 1 Woche 4 Grad III (schwer): Koma, prolongierte Krampfanfälle, schwere muskuläre Hypotonie, häufig keine Spontanatmung, nach kurzfristiger Stabilisierung werden die Neugeborenen komatös und entwickeln prolongierte Krampfanfälle, 50% Mortalität, Überlebende schwer neurologisch beeinträchtigt
Symptomatik. Krepitation, Knick tastbar; Häufigkeit
3-4% der Geburten, keine Therapie notwendig, evtl. Ruhigstellung zur Schmerzminderung Peripheres Nervensystem Periphere Fazialislähmung Definition/Therapie. Zur peripheren Fazialislähmung kann es bei Forzepsextraktion kommen. Das Auge muss vor Austrocknung geschützt werden, um Hornhautläsionen zu vermeiden. Obere Plexuslähmung (Erb-Duchenne) – C5/C6 Ätiopathogenese. Schädigung (Zerrung, Ödem, Hä-
matom, Nervenausriss, -abriss) des Plexus brachialis durch starke Traktion am Nacken des Kindes oder bei Schulterdystokie mit übermäßiger Lateralflexion des Kopfs, u. a. bei Beckenendlage oder Entwicklung nach Veit-Smellie.
23 3.4 · Reanimation beim Neugeborenen
Symptomatik.
4 Adduktion und Innenrotation des Arms 4 Streckung im Ellenbogengelenk (. Abb. 3.1) 4 Finger können bewegt werden, der Greifreflex ist positiv (DD: untere Plexuslähmung). > Bei der oberen Plexuslähmung wird der Arm wie der eines Oberkellners gehalten.
Komplikationen. Beteiligung des N. phrenicus (C4) mit
Zwerchfellparese und Beeinträchtigung der Atmung. Therapie/Prognose. Fixierung des im Ellenbogenge-
lenk gebeugten Arms für 10 Tage am Thorax, tägliche Physiotherapie. Bei ausbleibender Besserung ggf. Operation. Die Prognose ist relativ günstig. Untere Plexuslähmung (Klumpke) – C7/C8/Th1 Ätiopathogenese. Entsprechend der oberen Plexusläh-
mung. Symptomatik. Die Nn. ulnaris und medianus sind mitbetroffen, das Handgelenk hängt schlaff herab: »Pfötchenstellung«. Die Finger können nicht bewegt werden, der Greifreflex ist erloschen. Komplikationen. Evtl. Beteiligung sympathischer Nervenfasern mit Horner-Syndrom (Trias: Ptosis, Miosis, Enophthalmos).
3.4
3
Reanimation beim Neugeborenen
Leichte Adaptationsstörung. Bei einer leichten Adaptationsstörung (Neugeborenes zyanotisch, HF>100/ min, gute Reaktion auf Stimuli, aber fehlende oder unregelmäßige Atmung) zunächst Absaugen der Atemwege. Dabei gilt: erst den Mund absaugen, da Neugeborene über die Nase atmen (»obligate Nasenatmer«) (. Tab. 3.3). ! Beim Absaugen kann es durch Vagusreiz zu Bradykardien kommen.
Unregelmäßige/fehlende Atmung. Bei einer HF<100/
min und fehlendem Muskeltonus muss mit Maske und Ambubeutel beatmet werden. Die Maskenbeatmung muss mit einem ausreichendem inspiratorischen Druckplateau erfolgen, um den Thorax für mindestens 3–5 s zu heben, mit dem Ziel, die intraalveoläre Lungenflüssigkeit in das Gefäß- und Lymphsystem zu pressen (so genannte »Blähatmung«). Die HF steigt in der Regel schnell an. Bei ausbleibendem Erfolg muss endotracheal intubiert werden. > Bei Ateminsuffizienz des Neugeborenen wird zunächst mit Beutel und Maske beatmet (»Blähatmung«). Bei Mekoniumaspirationssyndrom, Zwerchfellhernie, Hydrops fetalis oder schwerer Asphyxie (Apgar 0–3) darf jedoch keine Maskenbeatmung durchgeführt werden, es muss primär endotracheal intubiert werden.
Therapie. Schienung der Hand, Physiotherapie. . Tab. 3.3. Wesentliche Maßnahmen der primären Reanimation bei asphyktischen Neugeborenen 4 Adäquate Wärmezufuhr: Abtrocknen und Zudecken des Neugeborenen 4 Luftwege freimachen (Mund vor Nase gezielt absaugen. Cave: Begrenzung des Sogs) 4 Auskultation 4 Beutel-Masken-O2-Beatmung (21–100 % O2), initiale »Blähatmung«, assistierte Beatmung (40–60 Atemzüge/min)
. Abb. 3.1. Erb-Lähmung. Adduktion und Innenrotation des Arms, Streckung im Ellenbogengelenk
Bei Apnoe und/oder Bradykardie (Herzfrequenz < 60/min): 4 Endotracheale Intubation (Tubus: 2,5–3,5 mm) 4 Beatmungsfrequenz: Herzmassage 4 Bei Bedarf Suprarenin 0,01–0,03 mg/kg/KG i. v. 4 Peripherer venöser Zugang, evtl. Nabelvenenkatheter (nur in Notfallsituationen, Cave: Pfortaderthrombose), Volumenzufuhr (0,9 % NaCl/5 % Glucose, Erythrozytenkonzentrat) 4 Bei Bedarf: Natriumbikarbonat (1:1 mit Aqua dest. verdünnt) 4 Bei Bedarf: Naloxon 0,01 mg/kg i. v.; wegen kurzer Wirkdauer evtl. repetitive Dosen
24
Kapitel 3 · Neonatologie
Bradykardie mit HF<60/min. Extrathorakale Herzmassage im Wechsel mit der Beatmung (3–5:1). Der Thorax des Kindes wird von beiden Seiten am mittleren Drittel des Sternums umfasst, und mit einer Frequenz von 100/ min um 1–2 cm komprimiert.
3
Fortbestehende Bradykardien trotz ausreichender Lungenbelüftung. i. v.-Applikation von Suprarenin
(0,01 mg/kg), in Ausnahmefällen ist eine endotracheale Applikation möglich. Volumenmangel. i. v.-Infusion von NaCl 0,9% (10–
4 Ggf. Ernährung über Magensonde, parenterale Ernährung 4 Körperkontakt zur Mutter (»Känguru-Methode«) Prognose. Die Überlebenschance liegt bei Frühgebo-
renen mit einem Geburtsgewicht von 600–1 000 g bei >75% und bei einem Geburtsgewicht von 1 000–1 499 g bei >95%. Männliche Frühgeborene und Mehrlingskinder haben schlechtere Überlebenschancen. Ca. 10% der sehr kleinen Frühgeborenen weisen schwere neurologische Defekte auf, ca. 20% leichte neurologische Defekte.
20 ml/kg) aus der Hand. Das Atemnotsyndrom Frühgeborener Azidose. Pufferung mit Natriumbikarbonat, das nur
Synonym. RDS: respiratory distress syndrome, hyaline
verdünnt und langsam appliziert werden darf. Es besteht ein erhöhtes Risiko einer Gehirnblutung, daher strenge Indikationsstellung.
Membranen-Syndrom.
! Bei Kindern heroinabhängiger Mütter ist eine Naloxongabe kontraindiziert, da hierdurch eine schwere Entzugssymptomatik ausgelöst werden kann.
durch Surfactantmangel.
3.5
Frühgeborene
Definition. Geburt vor der vollendeten 37. Schwanger-
schaftswoche. Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 7% der Geburten er-
folgen vor der 37. Woche, ca. 1,5% aller Neugeborenen sind sehr kleine Frühgeborene (Geburtsgewicht <1 500 g). Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen der Frühgeburtlichkeit sind vorzeitige Wehen, Zervixinsuffizienz, vorzeitiger Blasensprung, Amnioninfektionssyndrom, Mehrlingsschwangerschaften, akute Plazentalösung oder mütterliche Erkrankungen, z. B. EPH-Gestose, die Ursache ist nicht immer eindeutig feststellbar.
Definition. Postpartal progrediente Ateminsuffizienz
Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 1% aller Neugeborenen
und bis zu 60% aller Frühgeborenen <30. Gestationswoche. Ätiopathogenese. Surfactant (surface-active-agent)
wird in Pneumozyten-Typ-II gebildet und besteht aus verschiedenen Phospholipiden und Apoproteinen. Die Hauptkomponente ist Lecithin. Eine ausreichende Surfactantsynthese erfolgt in der Regel ab der 35. SSW. Ein Surfactant-Mangel führt zu einer Verminderung der Oberflächenspannung der Alveolen und zum Alveolarkollaps in der Exspiration mit diffuser Atelektasenbildung, alveolärer Minderbelüftung, Hypoxämie und Anstieg des CO2-Partialdrucks. In der Folge kommt es zur systemischen Hypotension und zur Vasokonstriktion der pulmonalen Gefäße mit intrapulmonalen Shunts und Rechts-Links-Shunt. Azidose, Hypoxie und der veränderte Lungenstoffwechsel hemmen zusätzlich die Surfactant-Synthese (circulus vitiosus). Symptomatik.
Therapie.
4 Betreuung von Risikoschwangerschaften in Perinatalzentren 4 Bei drohender Geburt vor der 32. SSW: maximale Tokolyse und Lungenreifungsbehandlung (Betamethason) 4 Atraumatische Geburt, ggf. Sectio 4 Verlegung auf eine neonatologische Intensivstation, Inkubator, Monitoring (EKG, Atmung, kontinuierliche transkutane Messung von O2- und CO2-Partialdruck, Pulsoxymetrie, Nabelarterienkatheter für Blutgasanalysen)
4 Tachypnoe >60/min, Nasenflügeln, exspiratorisches Stöhnen, sternale und interkostale Einziehungen 4 Abgeschwächtes Atemgeräusch 4 Blass-graues Hautkolorit (Mikrozirkulationsstörung), evtl. Zyanose Diagnostik.
4 Labor: Blutgasanalyse, Ausschluss einer Infektion (Blutbild, Diff-BB, CRP, Interleukin-6) 4 Röntgen-Thorax: verdichtetes Lungenparenchym, unscharfe Herz- und Zwerchfellkonturen, »weiße Lunge«, positives Luftbronchogramm
25 3.5 · Frühgeborene
3
Therapie.
Symptomatik. Der PDA wird häufig zwischen 3. und
4 Je nach Schweregrad: Sauerstoffgabe über die Nasenbrille, Beatmung über einen Rachentubus, CPAP(continuous-positive-airway-pressure) Beatmung oder endotracheale, kontrollierte maschinelle Beatmung 4 »Minimal handling« (möglichst geringe Belastung des Frühgeborenen durch diagnostische und therapeutische Maßnahmen) 4 Intrabronchiale Applikation von natürlichem Surfactant (aus Rinder- oder Schweinelungen oder aus menschlicher Amnionflüssigkeit) Komplikationen.
5. Lebenstag symptomatisch: 4 Lunge: pO2-Schwankungen, Lungenödem, feinblasige Rasselgeräusche 4 Herz: gesteigertes HZV durch Rezirkulation, Herzinsuffizienz, schwirrendes Präkordium, systolisches Herzgeräusch (80%), Pulsus celer et altus, große Blutdruckamplitude 4 Minderperfusion abdomineller Organe, z. B. Niere: Oligurie, Anurie. Magendarmtrakt: Gefahr der Entwicklung einer nekrotisierenden Enterokolitis 4 Gehirn: im fortgeschrittenen Stadium Entwicklung einer PVL (periventrikuläre Leukomalazie, s. u.)
4 Persistierender Ductus arteriosus, Persistierende Fetale Zirkulation (7 Kap. 3.6), pulmonale Hypertonie 4 Gehirnblutung, periventrikuläre Leukomalazie 4 Mögliche Beatmungskomplikationen: pulmonales interstitielles Emphysem, Pneumothorax, Pneumomediastinum, Pneumoperitoneum, Retinopathia praematorum, bronchopulmonale Dysplasie 4 NEC
4 Echokardiographie: direkter Shunt-Nachweis im (Farb)-Doppler, bei großem PDA Nachweis einer reduzierten diastolischen Perfusion, z. B. im Truncus coeliacus oder der A. renalis. 4 evtl. Röntgen-Thorax: links verbreitertes Herz durch linksventrikuläre Volumenzunahme
Prävention. Eine Lungenreifungsbehandlung durch Betamethasontherapie der Mutter in den letzten 48 h vor der Geburt bei einer drohenden Geburt vor der 32. SSW kann Inzidenz und Schweregrad des RDS der Frühgeborenen vermindern.
Diagnostik.
Therapie. Der Ductus sollte innerhalb der ersten
7–10 Lebenstage verschlossen werden, ein möglichst frühzeitiger Verschluss sollte v. a. bei hämodynamisch relevantem PDA und bei Frühgeborenen <1 000 g erfolgen. Nach Surfactanttherapie kommt es z. T. zum Spontanverschluss.
Persistierender Ductus arteriosus (PDA) Definition. Persistieren der fetalen Verbindung zwi-
schen Arteria pulmonalis und Aorta descendens mit persistierendem Rechts-Links-Shunt; im Verlauf kann es zu einer bedrohlichen Shuntumkehr mit Entwicklung eines Links-Rechts-Shunts kommen. Epidemiologie. Häufigkeit abhängig vom Geburtsge-
wicht: <1 000 g: 42%, 1 000–1 500 g: 21%, 1 500–1 700 g: 7%. Ätiopathogenese. Bei reifen Neugeborenen kommt es normalerweise durch den ansteigenden O2-Partialdruck zur Konstriktion und zum Verschluss des Ductus arteriosus. Bei unreifen Frühgeborenen wird der Verschluss häufig durch die unreife Muskulatur des Ductus und durch den persistierenden vasodilatatorischen Effekt hoher Prostaglandinkonzentrationen (PGE2) verhindert. Akut kommt es zu einem Rechts-LinksShunt. Bei Rückbildung des RDS (respiratory distress syndrome) sinkt der pulmonale Gefäßwiderstand, es kann sich ein Links-Rechts-Shunt mit akuter pulmonaler Überflutung, hämorrhagischem Lungenödem und kardialer Insuffizienz entwickeln.
Nicht hämodynamisch relevanter PDA: 4 Flüssigkeitsbilanzierung zur Vermeidung von Überwässerung (Herz) und Volumenmangel (Niere) Hämodynamisch relevanter PDA. 4 Medikamentöser Verschluss mit Indometacin (Prostaglandinsynthese-Hemmer, Cave: Nebenwirkungen: Oligurie, Thrombozytenaggregationshemmung) oder Ibuprofen 4 Operativer Verschluss bei Erfolglosigkeit, Kontraindikationen zur medikamentösen Therapie oder sehr großem PDA ! Indometacin ist bei Thrombozytopenie, Serumkreatinin <1,8 mg/dl oder Oligurie kontraindiziert.
Prognose. 40% Erfolgsquote bei Indomethacinthera-
pie; durch PDA kann es zu einer passageren Minderdurchblutung von Gehirn und Intestinum kommen mit Gefahr der Entwicklung einer NEC (7 Kap. 3.8.5) oder einer PVL (s. u.).
26
3
Kapitel 3 · Neonatologie
Bronchopulmonale Dysplasie Definition. Chronische Lungenerkrankung Früh- und Neugeborenener, die durch das Zusammenspiel von inflammatorischen Effekten, Lungenunreife, Beatmungstrauma (»Barotrauma«) und O2-Toxizität entsteht. Ein Beatmungs- oder Sauerstoffbedarf nach einem Alter von 36 Wochen wird als BPD definiert (nach Shennan).
! Die O2-Zufuhr bei Frühgeborenen darf nur kontrolliert erfolgen, da zu hohe pO2-Drücke zu einer Retinopathia praematurorum führen können, s. u.
Prognose. Eine graduelle Rückbildung der BPD nach dem 1. Lebensjahr ist möglich, meist bleibt eine bronchiale Hyperreagibilität bestehen. Hohe Mortalität bei pulmonaler Hypertonie. Präventive Impfungen (v. a. Pertussis, Hib).
Epidemiologie. Häufigkeit: 10–30% der Frühgeborene
mit einem Gewicht <1500 g; erhöhtes Risiko bei PDA und Infektionen. Ätiopathogenese. Nach einer pulmonalen Inflamma-
tionsreaktion mit Akkumulation von neutrophilen Granulozyten, Makrophagen und Enzündungmediatoren im Interstitium und in den terminalen Luftwegen kommt es nach einigen Wochen zum fibrotischen Umbau der Lunge.
Retinopathia praematurorum Definition. Vasoproliferative Erkrankung der Retina
Frühgeborener, hervorgerufen durch die toxische Wirkung von Sauerstoff auf die sich entwickelnden retinalen Gefäße. Epidemiologie. Die Häufigkeit ist abhängig vom Ge-
burtstermin: <25. SSW: 76%, 26.–27. SSW: 54%. Reife Neugeborene entwickeln keine Retinopathie, da die Retina bei Geburt bereits vollständig vaskularisiert ist.
Symptomatik.
4 Dyspnoe, Einziehungen, Husten, anhaltender Sauerstoffbedarf, Hyperkapnie 4 Schwere Verläufe: pulmonale Hypertonie, Cor pulmonale, Rechtsherzversagen, rezidivierende Infektionen, psychomotorische Entwicklungsverzögerung, Glockenthorax Diagnostik.
4 Blutgasanalyse: erhöhter pCO2 4 Echokardiographie: Rechtsherzbelastung, EKG: P-pulmonale 4 Röntgen-Thorax: verdichtete, atelektatische Areale, Überblähung, große Emphysemblasen, Kardiomegalie Therapie.
4 Adäquate Oxygenierung (Ziel: paO2 >50 mmHg), eine Hypoxie erhöht den pulmonalen Gefäßwiderstand. 4 Diuretika (Hydrochlorothiazid, Spironolacton, Furosemid) 4 Bronchodilatatoren (Theophyllin) 4 evtl. inhalative Therapie (Salbutamol) 4 evtl. Dexamethason-Stoß-Therapie über 3 Tage (wegen schlechterem neurologischen outcome nur in absoluten Notfällen) 4 Ausreichende Kalorienzufuhr (vermehrter Atemarbeit) 4 Vitamin-A-Supplementation (evtl. protektiver Effekt) 4 Antibiotische Therapie bei Infektionen 4 Physiotherapie
Risikofaktoren einer Retinopathia praematurorum 4 Frühgeborene <1 000 g, Unreife 4 Sauerstoffgabe in den ersten Wochen, Hyperkapnie 4 Blutaustauschtransfusionen, häufige Bluttransfusionen
Ätiopathogenese. Ein erhöhter paO2 induziert zu-
nächst eine Vasokonstriktion der unreifen, retinalen Gefäße, eine anhaltende Hyperoxie führt zur Gefäßobliteration. Die Ausreifung der Photorezeptoren ist ungestört, jedoch führt die mangelnde Gefäßversorgung der Retina im Folgenden durch eine extraretinale fibrovaskuläre Proliferation zur Ausbildung von Demarkationslinien und Leistenbildung zwischen vaskulärer und avaskulärer Retina. Bei milden Verlaufsformen kommt es zur Neovaskularisierung der peripheren Retina, bei schweren Verlaufsformen ist die gesamte Retina betroffen. Symptomatik. Einschränkung des Visus. Die Untersu-
chung der Retina zeigt retinale Neovaskularisation, Leistenbildung bis hin zur Netzhautablösung. Die ersten Veränderungen treten frühestens 3 Wochen nach der Geburt auf, das Maximum besteht zum errechneten Geburtstermin, die Vernarbung erfolgt erst 6 Monate nach der Geburt.
27 3.5 · Frühgeborene
. Tab. 3.4. Stadieneinteilung der Frühgeborenenretinopathie (ROP, Retinopathy of Prematurity) Stadium
Befund
1
charakeristische grau-weißliche Grenzlinie, die die normale Netzhaut von der unreifen Retina trennt
2
erhabener, wallartiger Bindegewebsrand im Bereich der Grenzlinie
3
Bildung von abnormen neuen Blutgefäßen, Vermehrung von Bindegewebe am Rand der wallartigen Veränderung, Blutgefäße und Bindegewebe wachsen in den Glaskörperraum
4
partielle Netzhautablösung durch Traktion von Gefäßen und Bindegewebe
5
komplette Netzhautablösung
3
Risikofaktoren für Hirnblutungen 4 Frühgeborene <1 500 g, Unreife 4 Asphyxie, Azidose 4 Traumatische Geburt, Reanimation, postpartaler Transport 4 Blutdruckschwankungen, Hypothermie, Hyperkapnie 4 Volumenexpansion durch Transfusion, Applikation von hyperosmolaren Lösungen (Natriumbikarbonat) 4 Pneumothorax 4 Persistierender Ductus arteriosus (PDA) 4 Gerinnungsstörungen 4 Infektionen
Einteilung der Gehirnblutungen nach Papille Diagnostik. Engmaschige augenärztliche Untersu-
chungen. Komplikationen/Prognose: Traktion von Gefäßen, die
in den Glaskörper einsprießen, können zu Netzhautablösung, Synechien und Sekundärglaukom führen. Mögliche Folgen sind Schielen, Schwach- und Kurzsichtigkeit, eine progressive Vasoproliferation kann zur Erblindung führen. Eine Netzhautablösung kann sich auch erst Jahre später entwickeln. Milde Formen können sich auch komplett zurückbilden. Therapie. Im fortgeschrittenen Stadium: Kryo- oder Lasertherapie.
4 Grad I: subependymale Blutung 4 Grad II: Blutung mit Einbruch in das Ventrikelsystem ohne Ventrikelerweiterung 4 Grad III: Blutung mit Einbruch in das Ventrikelsystem mit Ventrikelerweiterung 4 Grad IV: Grad I–III Blutung mit Blutung in das Gehirnparenchym
Symptomatik. Die Symptomatik variiert je nach
Schweregrad. Höhergradige Blutungen können zu Temperaturstörungen, metabolischer Azidose, Bewegungsarmut, schlaffen Paresen, generalisierten Krampfanfällen, vorgewölberter Fontanelle, Blutdruckabfall und Atemstillstand führen.
Prävention. Kontrollierte O2-Gabe; kontinuierliche
transkutane SaO2- und pO2-Messung (Ziel arterieller pO2: 50–70 mmHg). > Die Entwicklung einer ROP bei Frühgeborenen wird initial durch eine Hyperoxie begünstigt, bei bestehender ROP kann ein höherer pO2 jedoch protektiv wirken.
Gehirnblutungen des Frühgeborenen Definition. Gehirnblutungen gehen bei Frühgeborenen vom fragilen Kapillar-/Arteriolensystem der subependymalen Keimschicht aus. Epidemiologie. Häufigkeit: bis zu 40% bei Risikopa-
tienten. 90% der Gehirnblutungen treten in den ersten 3 Lebenstagen auf.
Komplikationen. Akute hämorrhagische Infarzierung; Einbruch der Blutung in das Ventrikelsystem mit Hydrocephalus occlusivus, Arachnoiditis. Therapie. Blutdruckstabilisierung, ausreichende Oxy-
genierung, ggf. antikonvulsive Therapie. Nach Blutung müssen die Neugeborenen überwacht werden, der Kopfumfang täglich dokumentiert werden, um einen Hydrozephalus frühzeitig zu erkennen. Prognose.
4 Grad I und II: meist keine bleibenden neurologischen Defekte 4 Grad III: in 30% und Grad IV: in 70% schwere, persistierende neurologische Defekte
28
Kapitel 3 · Neonatologie
Periventrikuläre Leukomalazie (PVL) Definition. Hypoxisch-ischämische Schädigung der vulnerablen, periventrikulären weißen Substanz. Ätiopathogenese. Eine PVL kann durch Hyperventila-
3
tion maschinell beatmeter Frühgeborener und durch jede prä- und postnatale Komplikation, die mit einer Reduktion der Gehirnperfusion einhergeht, verursacht werden. > Eine Hyperventilation beatmeter Frühgeborener muss vermieden werden, da es durch Abnahme des arteriellen pCO2 zu einer drastischen Reduktion der Gehirnperfusion kommt.
Symptomatik.
4 Motorische Ausfälle insbesondere der unteren Extremität (spastische Diplegie der Beine) 4 Infantile Zerebralparese, Morbus Little (nach Little, engl. Arzt in London 1810–1894); 7 Kap. 17.2. Diagnostik. Klinik, sonographische Darstellung der pe-
riventrikulären Veränderungen, ggf. MRT. Therapie. Symptomatische Therapie: Frühförderung, Physiotherapie.
Apnoen Definition. Atempausen >20 s, oft mit Bradykardien bei Frühgeborenen. Epidemiologie. Häufigkeit: bis zu 30% aller Frühgebo-
4 Sekundäre Apnoen im Rahmen von Begleiterkrankungen: 5 ZNS: Blutung, Krampfanfälle, Hypoxie, mütterliche Drogeneinnahme, Medikamente 5 Respirationstrakt: Fehlbildungen, verminderter laryngealer Reflex, Atemwegsobstruktion, Atelektase, RDS, Pneumothorax etc. 5 Infektion: Sepsis, Meningitis, nekrotisierende Enterokolitis 5 Intestinal: orale Nahrungsaufnahme (Bolusreiz), gastroösophageale Refluxkrankheit 5 Herzkreislaufsystem: Hypotension, Hypovolämie, Anämie, Hyperviskositätssyndrom, persistierender Ductus arteriosus (PDA) 5 Metabolisch: Hypoglykämie, -kalzämie, Hypoxie, Hypo-/Hyperthermie Diagnostik. Klinisch: Atempausen mit Abfall der Sauerstoffsättigung und oft Bradykardie. Differenzialdiagnostik. Periodische Atmung: typisches Atemmuster Frühgeborener mit einem Wechsel von Atempausen (5–10 s) und Hyperventilationsphasen (5–15 s). Therapie. Kutane Stimulation, O2-Zufuhr unter trans-
kutaner pO2-Messung, CPAP-Beatmung, medikamentöse Behandlung (Theophyllin, Koffein), bei ausgeprägten Apnoen und Bradykardien ggf. Intubation. ! Vermehrte Apnoen bei Frühgeborenen können Zeichen einer beginnenden Sepsis sein.
renen und bis zu 80% der Frühgeborenen <1 000 g.
Lungenerkrankungen des Neugeborenen
3.6 Einteilung der Apnoen 4 Zentrale Apnoe (häufigste): Luftfluss fehlt, Atembewegungen fehlen 4 Obstruktive Apnoe: Luftfluss fehlt, Atembewegungen vorhanden 4 Gemischte Apnoe: von obstruktiver Apnoe eingeleitet, Übergang in zentrale Apnoe
Ätiopathogenese.
4 Primäre Apnoe (häufigste): idiopathisch. Ursächlich sind das unreife Atmungszentrum, ungenügende axodentritische Verbindungen der respiratorischen Neurone im Hirnstammbereich und ein vermindertes Ansprechen zentraler und peripherer Chemorezeptoren auf Änderungen der O2- und CO2-Partialdrücke.
Transitorische Tachypnoe (wet lung) Definition. Häufig zu beobachtende, postpartale Tachypnoe, hervorgerufen durch eine verzögerte Resorption von Fruchtwasser aus den Alveolen.
Risikofaktoren für eine transitorische Tachypnoe 4 4 4 4
Perinatale Asphyxie Mütterlicher Diabetes Geburt per sectio Exzessive Analgesie
29 3.6 · Lungenerkrankungen des Neugeborenen
3
tiert sich ähnlich einem mildem Respiratory Distress Syndrome: 4 Postpartale Tachypnoe (bis zu 120 Atemzüge/min) 4 Einziehungen, Nasenflügeln, exspiratorisches Stöhnen, Zyanose
4 Postnatale Zeichen: 5 Mekonium auf Haut, Fingernägeln und Nabelschnur 5 Ateminsuffizienz, Schnappatmung, Tachypnoe, Dyspnoe, Zyanose 5 Bradykardie, Hypotonie, Schock
Diagnose. Röntgen Thorax: periphere Überblähung der Lunge, interlobäre Flüssigkeitsansammlung, kleine Pleuraergüsse.
Diagnostik. Röntgen-Thorax: fleckige Infiltrate, überblähte Areale, abgeflachte Zwerchfelle, extraalveoläre Luftansammlung.
Komplikationen. Ein erhöhter intrapulmonaler Druck kann zu einem Rechts-Links-Shunt führen; Gefahr der Entwicklung einer persistierenden fetalen Zirkulation.
Therapie. Laryngoskopie möglichst vor dem 1. Atemzug, Intubation, tracheobronchiale Lavage mit NaCl 0,9% (bei hypotonem Kind) 4 Surfactant-Gabe 4 Frühzeitige antibiotische Therapie
Therapie.
! Grünliches Mekonium im Fruchtwasser weist auf eine kindliche Asphyxie in utero hin. Bei Verdacht auf Mekoniumaspiration darf keine Maskenbeatmung durchgeführt werden.
Symptomatik. Die transitorische Tachypnoe präsen-
4 Bei Atemfrequenzen >80/min sollte nicht oral ernährt werden (Aspirationsgefahr), i. v. Flüssigkeitssubstitution 4 evtl. antibiotische Therapie 4 »Minimal handling«
Prognose. Letalität 10%. Prognose. Die Tachypnoe sistiert spontan nach 2–3 Ta-
gen. Mekoniumaspirationssyndrom Definition. Atemnotsyndrom aufgrund der Aspiration
von Mekonium. Ätiopathogenese. Eine intrauterine Hypoxie führt zu
Vasokonstriktion mesenterialer Gefäße mit Darmischämie, konsekutiver Hyperperistaltik und vorzeitigem Mekoniumabgang. Die Aspiration von Mekonium erfolgt in utero durch frühzeitige Atembewegungen oder postnatal. Es folgt eine chemische Inflammation der Lunge mit Atelektasen, intrapulmonalen Shunts, mechanischer Obstruktion mit Überblähung einzelner Areale, ungleicher Ventilationsverteilung und extraalveolärer Luftansammlung. Nach 24–48 h entsteht eine chemische Pneumonie mit Inaktivierung des Surfactant-Systems. Epidemiologie. Häufigkeit ca. 0,2–6:1 000 Lebendgeborenen, betroffen sind v. a. reife und übertragene Neugeborene.
Pneumothorax Definition. Eindringen von Luft in den Pleuraspalt mit Kollaps der Lunge (oder Teilen der Lunge). Unterschieden werden: 4 Asymptomatischer Pneumothorax: kleinerer, symptomloser Pneumothorax; keine Therapie notwendig, ca. 1% der Neugeborenen. 4 Symptomatischer Pneumothorax; Therapie s. u. 4 Spannungspneumothorax: Pneumothorax mit lebensbedrohlichem Ventilmechanismus: Luft dringt in den Pleuraspalt, kann aber nicht mehr entweichen. Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen eines Pneumo-
thorax sind: 4 Atemnotsyndrom, Mekoniumaspiration, kongenitale Zwerchfellhernie 4 Iatrogen verursacht: unsachgemäße Reanimation, Eingriffe im Thoraxraum, maschinelle Beatmung: pathogenetisch kann ein hoher intraalveolärer Druck (hoher Spitzendruck, hoher PEEP) zur Überblähung der Alveolen und Ruptur der Alveolarwand führen.
Symptomatik.
4 Intrauterine Warnzeichen: 5 Herztondezeleration, silentes CTG (eingeschränkte Fluktuation der fetalen Herzschlagfolge) 5 Prolongierte und komplizierte Geburt
Symptomatik.
4 Plötzliche Atemnot, Dyspnoe, Tachypnoe, Zyanose 4 Bradykardie, Blutdruckabfall, Schock (durch Gefäßkompression bei Spannungssymptomatik)
30
Kapitel 3 · Neonatologie
4 Thoraxassymmetrie, fehlende Atemexkursionen, seitendifferentes Atemgeräusch 4 Leise Herztöne, bei Mediastinalverdrängung Verlagerung der Herztöne
3
Diagnostik. Bei stabilen Patienten:
4 Röntgen-Thorax: scharfer Herzrand, ggf. Mediastinalverdrängung 4 Bei Neugeborenen Transillumination mit Kaltlicht: im Bereich des Pneumothorax stellt sich ein großes Halo dar > Bei symptomatischem Pneumothorax darf keine Zeit mit weiteren diagnostischen Maßnahmen verloren werden, es muss eine sofortige Pleurapunktion erfolgen.
Therapie. Kleinere Pneumothoraces sind nicht therapiebedürftig. Beim Spannungspneumothorax muss eine sofortige Pleurapunktion zur Entlastung erfolgen, dann Anlage einer Pleuradrainage.
Lungenhypoplasie Definition. Intrauterine Fehlentwicklung der Lunge.
Symptomatik. Lungenkompression, Herzverlagerung, respiratorische und kardiale Insuffizienz: 4 Atemnot, Zyanose, Schock 4 Asymmetrisch vorgewölbter Thorax ohne Atemexkursion, eingesunkenes Abdomen 4 Fehlendes Atemgeräusch, verlagerte Herztöne, evtl. Darmgeräusche im Thorax Diagnostik. Röntgen-Thorax, Sonographie: Darstel-
lung der Abdominalorgane im Thorax . Abb. 3.2; sonographische Darstellung häufig schon pränatal möglich. Therapie.
4 Sofortige Intubation, keine Maskenbeatmung. 4 Legen einer großlumigen Magensonde 4 Bereits im Kreißsaal Lagerung auf die vom Enterothorax betroffene Seite 4 Chirurgische Sanierung ! Die Zwerchfellhernie ist einer der dringlichsten Notfälle der Neugeborenenchirurgie: durch die Verdrängung von Lunge und Mediastinum kann sich eine lebensbedrohliche Spannungssymptomatik entwickeln.
Neonatale Pneumonien Ätiopathogenese. Kompression oder Wachstumsbe-
Definition/Ätiopathogenese. Pneumonien beim Neu-
hinderung der fetalen Lunge u. a. durch: 4 Angeborene Zwerchfellhernie 4 Hydrops fetalis mit bilateralen Pleuraergüssen 4 Chylothorax (bilaterale, aus Lymphflüssigkeit bestehende Pleuraergüsse) 4 Chronischer Fruchtwasserverlust bei vorzeitigem Blasensprung >2 Wochen vor der Lebensfähigkeit 4 Oligohydramnion, bilaterale Nierenagenesie (Potter-Syndrom), polyzystische Nieren
geborenen entstehen u. a. durch Aspiration von infiziertem Fruchtwasser, häufig bei vorzeitigem Blasensprung oder mütterlichem Amnioninfektionssyndrom. Das Erregerspektrum ist in . Tab. 3.5 dargestellt. Bei beatmeten Frühgeborenen kommt es z. T. zu Pseudomonas-, Klebsiellen- oder Candida-Pneumonien.
Symptomatik/Diagnostik.
4 Je nach Schweregrad Atemnotsyndrom mit respiratorischer Insuffizienz 7 Kap. 3.5 4 Häufig Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie Therapie. Maschinelle Beatmung, unterstützende Maßnahmen (Surfactant-, NO-Gabe); Säuglinge mit schwerer pulmonaler Hypoplasie überleben selten.
Zwerchfellhernie (Enterothorax) Definition/Ätiopathogenese. Verlagerung von Bauchorganen in die Thoraxhöhle durch einen (bevorzugt links auftretenden) Defekt im Zwerchfell. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:10 000 Lebendgeborene.
. Abb. 3.2. Zwerchfellhernie: Verdrängung der Thoraxorgane
31 3.6 · Lungenerkrankungen des Neugeborenen
. Tab. 3.5. Typische Erreger von Pneumonien, die sich bereits intrauterin, prä- bzw. intranatal oder postnatal ausbilden können Zeitpunkt der Infektion
Erreger
intrauterin
Zytomegalie-Viren Enteroviren Herpes-Viren Röteln (Rubella)-Viren Listerien Treponema pallidum Mycobacterien Toxoplasmen
prä-/intranatal
postnatal
Streptokokken Gruppe B E. coli Listerien Enterokokken u. a. Herpes-Viren Mykoplasmen Chlamydien Ureaplasmen E. coli S. aureus Klebsiella-Spezies Enterobacter-Spezies Serratien Proteus H. influenzae u. a. Bakterien Pneumocystis carinii
Symptomatik.
4 Ähnlich einem RDS: Tachypnoe, Einziehungen, Nasenflügeln, zunehmender O2-Bedarf 4 Sepsiszeichen, Zentralisation: peripher kühle Extremitäten, marmoriert-gräuliches Hautkolorit, verlängerte Rekap-Zeit (Rekapillarisationszeit = erneute Durchblutung einer initial blassen Druckstelle, normal <2–3 sec) Diagnostik. Labor: Infektionsparameter (BB, Diff-BB, CRP, Il-6), Erregernachweis im Rachensekret, ggf. in der Blutkultur, ggf. Röntgen Thorax. Therapie. Antibiotische Therapie nach Antibiogramm, ggf. maschinelle Beatmung.
Persistierende fetale Zirkulation (PFC-Syndrom), persistierende pulmonale Hypertonie des Neugeborenen (PPHN) Definition/Ätiopathogenese. Lebensbedrohliches Krankheitsbild mit Rechts-Links-Shunt über das offene
3
Foramen ovale, den persistierenden Ductus arteriosus und intrapulmonale Shunts. Pathogenetisch kommt es durch Hypoxie zu einer Azidose, die zu einer pulmonalen Vasokonstriktion mit pulmonaler Hypertonie führt. Der Rechts-Links-Shunt persistiert und verschlechtert seinerseits die Hypoxie (circulus vitiosus). Epidemiologie. Betroffen sind überwiegend reife oder
übertragene Neugeborene.
Risikofaktoren für ein PFC-Syndrom 4 Fetale, subpartale Hypoxie oder Asphyxie, Mekoniumaspirationssyndrom, Pneumonie, Zwerchfellhernie, Lungenhypoplasie 4 Polyglobulie 4 Stress: Hypothermie, Sepsis
Symptomatik.
4 Tachypnoe, Dyspnoe, Einziehungen, exspiratorisches Stöhnen, Zyanose 4 Postduktale Sauerstoffsättigungsdifferenz (Differenz zwischen prä- und postduktaler SaO2-Messung) Diagnostik.
4 Echokardiographie: Shuntnachweis, Ausschluss anderer Herzfehler 4 Hyperoxietest (FiO2 auf ca. 1,0 erhöhen, pO2-Bestimmung nach ca. 15–20 min, Bestimmung des Shunts (in %) in einem PFC Normogramm) 4 ggf. Röntgen-Thorax (jedoch meist nur diskrete Veränderungen sichtbar) Therapie.
4 »Minimal handling« 4 Analgosedierung (Morphin, reduziert Stresshormone und pulmonalen Widerstand), Relaxierung (Norcuron) 4 Maschinelle Beatmung 4 Azidoseausgleich (da die Azidose zur pulmonalen Vasokonstriktion führt) 4 Blutdruckstabilisierung (Volumentherapie, Katecholamine) 4 Pulmonale Vasodilatation: NO-Beatmung, evtl. Prostacyclin, Sildenafil Ultima ratio ist die extrakorporale membranöse Oxygenierung (ECMO).
32
Kapitel 3 · Neonatologie
Weitere Erkrankungen, die mit akuter Atemnot einhergehen können
Choanalatresie: Angeborene Persistenz eines Knochenseptums oder einer Membran im Bereich der hinteren Nasenmuschel: Verhinderung der normalen Nasenatmung; ggf. Intubation, OP. Pierre-Robin-Syndrom: Mikrognathie, Gaumenspalte und Glossoptose; beim Zurückfallen der Zunge kommt es zu einer akuten Atemwegsobstruktion; ggf. Intubation, OP, evtl. Gaumenplatte. Glottische oder subglottische Stenose, z. B. Larynx-, oder Trachealhypoplasie (z. T. letal). Laryngo/Tracheomalazie 7 Kap. 12 Atemwegserkrankungen.
3
3.7
Bluterkrankungen
3.7.1 Fetale Erythropoese Die embryonale Erythropoese beginnt am 20. Gestationstag. Die fetale Erythropoese erfolgt in Leber und Milz, ab dem letzten Trimenon im Knochenmark. Nach der Geburt wird die fetale Erythropoese innerhalb von 6 Monaten durch die Bildung adulter Erythrozyten ersetzt. Die geringe Lebensdauer von Neugeborenenerythrozyten führt zu vermehrtem Anfallen von Bilirubin, das durch die unreife Leber und die unreife Glukuronierung nur unvollkommen ausgeschieden werden kann.
Normwerte Hämoglobin (Hb): 4 12. Gestationswoche: 8–10 g/dl 4 40. Gestationswoche: 16,5–20 g/dl 4 Postpartal: kurzer Hb-Anstieg innerhalb von 6–12 h, dann Abfall bis zum 3.–6. Lebensmonat auf 10 g/dl 4 Frühgeborene <32. SSW haben geringere Hb-Ausgangskonzentrationen, der Minimalwert wird schneller erreicht (2 Monate postpartal).
4 Größeres MCV: 110–120 fl (Erwachsene: 85 fl) 4 In den ersten Tagen nach der Geburt: Retikulozytose von 50–120‰ 4 Bei Geburt: fetales Hb 60–90% 4 Nach 4 Monaten: fetales Hb <5% Die fetalen Erythrozyten enthalten überwiegend Hämoglobin F (2 α- und 2 γ-Ketten). Unmittelbar vor der Geburt setzt bei einem reifen Neugeborenen die Synthese von β-Hämoglobinketten und damit des adulten Hb ein (2 α- und 2 β-Ketten). Reife Neugeborene haben ein Blutvolumen von ca. 85 ml/kg KG; Plazenta und Nabelgefäße beinhalten ca. 20–30 ml/kg Blut. 3.7.3 Neonatale Anämie Definition. Hb <14 g/dl oder Hk <40% bei einem reifen Neugeborenen am 1. Lebenstag. Ätiopathogenese.
4 Akuter Blutverlust: fetomaternale Blutung, Placenta praevia, vorzeitige Plazentalösung, fetofetale Transfusion, Nabelschnureinriss, Vasa praevia, neonatale Blutung (intrakraniell, gastrointestinal) 4 Chronischer Blutverlust: häufig durch fetomaternale oder fetofetale Transfusion. Eine fetomaternale Transfusion besteht bei 50% aller Schwangerschaften mit z. T. erheblichem Blutverlust. Die Diagnose wird durch den Nachweis Hb-F-haltiger Erythrozyten im mütterlichen Blut gestellt. 4 Verminderte Bildung: konnatale oder perinatale Infektionen, Blackfan-Diamond-Anämie 7 Kap. 9, konnatale Leukämie 4 Hämolyse: Rh-Erythroblastose (7 Kap. 9), AB0Erythroblastose (7 Kap. 9), andere Blutgruppeninkompatibilitäten, Erythrozytenmembrandefekte, selten: Hämoglobinopathien ! Nach einem akuten Blutungsereignis können Hämoglobin und Hämatokrit initial noch normal sein, fallen jedoch dann in den ersten Stunden kontinuierlich ab.
Symptomatik
3.7.2 Besonderheiten beim Neugeborenen Im Vergleich zu adulten Erythrozyten weisen fetale Erythrozyten folgende Merkmale auf: 4 Kürzere Lebensdauer: 70–90 Tage (Erwachsene: 120 Tage)
Akuter Blutverlust: 4 Blässe, Hypotension, Tachykardie, Tachypnoe, Pulse schwach oder nicht tastbar, Schnappatmung, Schock
33 3.7 · Bluterkrankungen
Chronischer Blutverlust: 4 Blässe bei erhaltender Vitalität, Tachykardie, normaler Blutdruck, Herzinsuffizienz, Hepatomegalie, evtl. Splenomegalie (extramedulläre Blutbildung), evtl. Hydrops
3
4 Niere: Nierenvenenthrombose: Hämaturie, Oligurie, Nierenversagen 4 Gastrointestinal: Ileus, nekrotisierende Enterokolitis 4 Sonstiges: Thrombozytopenie, Hypoglykämie, -kalzämie, Hyperbilirubinämie
Diagnostik. Labor: Hb und Hk erniedrigt, bei vermin-
derter Blutbildung: Normoblasten und Retikulozyten erniedrigt, Fehlen von Erythrozytenvorstufen im Knochenmark. Therapie.
4 Bei ausgeprägtem akuten Blutverlust (hämorrhagischer Schock, »weiße Asphyxie«): notfallmäßige Transfusion von 0-Rh-negativem Erythrozytenkonzentrat ohne vorherige Kreuzprobe. 4 Bei allen anderen Transfusionen muss vorher eine Kreuzprobe durchgeführt werden. 3.7.4 Polyzythämie, Hyperviskositäts-
syndrom Synonym. Neonatale Polyglobulie. Definition/Ätiopathogenese. Ab einem Hk >65% (Hb >22 g/dl) nimmt die Viskosität des Blutes so stark zu, dass es zu einer vaskulären Stase mit Mikrothrombosierung und Hypoperfusion bzw. Ischämie verschiedener Organe kommen kann. Epidemiologie. Häufigkeit: 3–5% der Neugeborenen.
Risikofaktoren für eine Polyglobulie 4 Reife, übertragene Neugeborene, intrauterine Wachstumsretardierung, Fetopathia diabetica 4 Späte Abnabelung, Patienten nach fetofetaler oder fetomaternaler Transfusion 4 Schlechtes Trinken, Stillprobleme 4 Hyperthyreose
Therapie. Therapieziel Hk 55-60%:
4 Ausreichende i. v. Flüssigkeitszufuhr 4 Ab einem Hk >70% partielle Austauschtransfusion (simultane arterielle Blutentnahme und Ersatz des Blutvolumens mit NaCl 0,9%) 3.7.5 Neugeborenenhyperbilirubinämie Physiologischer Ikterus Definition. Vorübergehende Hyperbilirubinämie mit Gesamtbilirubinwerten bis maximal 17 mg/dl. Ätiopathogenese. Durch den Abbau von Hämoglobin im retikuloendothelialen System entsteht wasserunlösliches unkonjugiertes (indirektes) Bilirubin (aus 1 g Hb entstehen ca. 35 mg Bilirubin), das sich im Blut an Albumin bindet. Nach der Aufnahme in der Leber erfolgt die Konjugation durch die UDP-Glukuronyltransferase; das mit Uridin-5’-Phosphat-Glukuronsäure konjugierte (direkte) Bilirubin ist wasserlöslich und wird über das biliäre System in den Darm ausgeschieden.
Besonderheiten beim Neugeborenen: 4 2- bis 3-fach höhere Erythrozytenkonzentration und verkürzte Überlebenszeit der Erythrozyten führen zu höherer Bilirubinkonzentration. 4 Verstärkter »enterohepatischer Kreislauf« bei Neugeborenen durch die verzögerte Darmpassage des mekoniumhaltigen Darms und die fehlende Kolonisation mit Bakterien, die Bilirubin in Urobilinogen umwandeln. Enterohepatischer Kreislauf: Hydrolyse des in den Darm gelangten glukuronidierten Bilirubins durch die intestinale Glukuronidase und die Rückresorption des Bilirubins aus dem Darm.
Symptomatik.
Epidemiologie. Häufigkeit: >50% der reifen Neugebo-
4 Plethorisches Aussehen, Belastungszyanose 4 Hypotonie, Lethargie 4 Hyperexzitabilität, Myoklonien, zerebrale Krampfanfälle
renen.
Komplikationen.
4 Kardiorespiratorisch: Atemnotsyndrom, persistierende fetale Zirkulation, Herzinsuffizienz
Symptomatik. 2–3 Tage nach der Geburt entwickelt sich
ein Ikterus (gelbliche Hautfarbe, gelbliche Skleren) mit Maximum am 4.–5. Lebenstag (maximales Gesamtbilirubin 17 mg/dl), dann langsames Abklingen. Bei Frühgeborenen kann der Ikterus stärker ausgeprägt sein, länger andauern und später das Maximum erreichen.
34
Kapitel 3 · Neonatologie
. Tab. 3.6. Ätiologie der indirekten Hyperbilirubinämie (Erhöhung des unkonjugierten Bilirubins) Erkrankungen bzw. Störungen mit gesteigerter Hämolyse
3 Erkrankungen bzw. Störungen ohne Hämolyse
Blutgruppeninkompatibilität
Rh, ABO, Kell, Duffy u. a.
neonatale Infektionen
bakteriell, viral
genetisch bedingte hämolytische Anämien
Enzymdefekte: Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase, Pyruvatkinase Membrandefekte: Sphärozytose u. a. Hämoglobinopathien
verminderte Bilirubinkonjugation
physiologischer Ikterus Muttermilchikterus Kinder diabetischer Mütter Crigler-Najjar-Syndrom, (genetisch bedingter Glucuronyltransferasemangel) Gilbert-Meulengracht-Syndrom (verminderte Bilirubinaufnahme in die Leberzelle) Hypothyreose Medikamente
vermehrter Bilirubinanfall
Polyzythämie Organblutungen Hämatome
vermehrte enterale Rückresorption von Bilirubin
intestinale Obstruktion; verminderte Peristaltik unzureichende Ernährung
Pathologischer Ikterus
Symptomatik. Gelbe Hautfarbe, Sklerenikterus (kli-
Definition.
nisch erkennbar ab einem Bilirubin von 5 mg/dl).
4 Icterus praecox: Gesamtbilirubin >12 mg/dl in den ersten 36 Lebensstunden 4 Icterus gravis: >20 mg/dl bei reifen Neugeborenen, >10 mg/dl bei Frühgeborenen 4 Icterus prolongatus: erhöhtes Bilirubin über den 14. Lebenstag hinaus Ätiopathogenese. Ursachen der Hyperbilirubinämie
fassen . Tab. 3.6 und . Tab. 3.7 zusammen.
Diagnostik.
4 Transkutane Bilirubinmessungen (tcB-Index) 4 Labor: 5 Bilirubin (gesamt und direkt), Blutgruppe und Rhesusfaktoren von Mutter und Kind, indirekter Coombstest 5 Bestimmung von TSH/T3, T4 5 Ausschluss einer Infektion Komplikationen. Kernikterus, Leberzirrhose.
. Tab. 3.7. Ätiologie der direkten Hyperbilirubinämie (Erhöhung des konjugierten Bilirubins) Intrahepatische Cholestase
Extrahepatische Cholestase
neonatale Hepatitis, Hepatitis B perinatale Infektionen (CMV u. a.) Syndrom der eingedickten Galle parenterale Ernährung α1-Proteinase-Mangel (synonym: α1-Antitrypsin) Galaktosämie, Tyrosinose intrahepatische Gallengangshypoplasie (Alagille Syndrom) Gallengangsatresie Choledochuszyste zystische Fibrose (Mukoviszidose)
Therapie.
4 Regelmäßige Kontrolle der Bilirubinwerte 4 Je nach Grenzwerten (vgl. Lehrbücher Neonatologie) Phototherapie: durch blaues Licht (425–475 nm) wird das in der Haut vorhandene Bilirubin zu nichttoxischen Bilirubin-Isomeren umgeformt. Eine Phototherapie ist bei reifen Neugeborenen erst nach dem 3. Lebenstag ab Bilirubinwerten >16 mg/dl indiziert. 4 oder partielle Austauschtranfusion (s. u.) ! Phototherapie sollte nur bei gegebener Indikation erfolgen, da sie zu Diarrhoe und Dehydratation führen kann. Zudem ist durch das blaue Licht die Hautfarbe der Neugeborenen nur noch eingeschränkt beurteilbar (Monitorüberwachung notwendig!).
35 3.7 · Bluterkrankungen
3.7.6 Morbus haemolyticus neonatorum Definition. Hämolyse kindlicher Erythrozyten, häufig
bedingt durch Blutgruppenunverträglichkeit von Mutter und Fetus.
3
hepatische Albuminsynthese mit Verringerung des onkotischen Drucks. Es kommt zu generalisierten Ödemen, Höhlenergüssen (Aszites, Pleuraergüsse, Perikarderguss), Hypervolämie und Herzinsuffizienz, ggf. zerebrale Schädigung oder intrauteriner Fruchttod.
Ätiopathogenese. Beim Übertritt fetaler, inkompatib-
ler Erythrozyten in die mütterliche Blutbahn während einer vorangegangenen Schwangerschaft (oder eines Aborts etc.) oder nach einer vorherigen Transfusion mit nicht blutgruppengleichen Erythrozyten reagiert das mütterliche Immunsystem mit der Bildung spezifischer IgG-Ak (Sensibilisierung). IgG-Ak sind plazentagängig und binden sich nach Übertritt auf das Kind an spezifische Antigenstrukturen fetaler Erythrozyten. In Folge kommt es zu vermehrtem Abbau der fetalen Erythrozyten, zu gesteigerter extramedullärer Blutbildung (Leber, Milz) und zum Auftreten von Erythroblasten in der kindlichen Blutbahn. Durch die gesteigerte Hämolyse fällt vermehrt indirektes Bilirubin an, das über die Plazenta transportiert, vom hepatischen Enzymsystem der Mutter glukuronidiert und biliär ausgeschieden wird. Intrauterin sind daher die kindlichen Bilirubinkonzentrationen kaum erhöht. Rh-Erythroblastose Definition. Hämolyse kindlicher Erythrozyten auf-
grund von Rhesusinkompatibilität. Ätiopathogenese. Das erythrozytäre Antigensystem
besteht aus 5 Antigenen: C, D, E, c und e; d hat keine antigenen Eigenschaften. Bei 90% der Rhesusinkompatibilitäten liegt folgende Konstellation vor: das D-Antigen des Fetus in der ersten Schwangerschaft sensibilisiert die Rh(d)-negative Mutter, die in Folge IgG-Antikörper bildet (Anti-D-IgG). Das erste Kind ist gesund oder entwickelt nur eine hämolytische Anämie oder eine Hyperbilirubinämie. Die Rh-Erythroblastose manifestiert sich ab der 2. Schwangerschaft als Morbus haemolyticus neonatorum mit zunehmendem Schweregrad.
Diagnostik. Labor: 4 Retikulozyten und Erythroblasten erhöht 4 Indirekter Coombs-Test: Nachweis plazentagängiger Antikörper im Serum 4 evtl. sequenzielle Amniozentese zur Bilirubinbestimmung des Fetus > Postnatal müssen bei Rh-Inkompatibilität engmaschige Bilirubinkontrollen durchgeführt werden, da die Konzentration des indirekten Bilirubins unmittelbar nach der Geburt stark ansteigen kann.
Therapie. Bei ausgeprägter Anämie muss eine intrauterine Transfusion durchgeführt werden; bei ersten Anzeichen eines Hydrops fetalis Sectio caesarea! 4 Postnatal ist bei leichten Verläufen eine Phototherapie ausreichend 4 evtl. Immunglobuline i. v. 4 Bei schweren Verläufen muss eine Austauschtransfusion mit kompatiblem Spender-Vollblut durchgeführt werden: die Austauschtransfusion erfolgt in Portionen von 5–20 ml über den Nabelvenenkatheter; das 2- bis 3-fache Blutvolumen eines Neugeborenen wird ausgetauscht, neben mütterlichen Antikörpern werden ca. 90% der kindlichen Erythrozyten eliminiert. Mögliche Komplikationen einer Austauschtransfusion sind: Infektion, Katheterperforation, Pfortaderthrombose, Hypotension, Azidose, nekrotisierende Enterokolitis und Elektrolyt-Entgleisung. > Nach einer Austauschtransfusion können die nicht eliminierten Anti-D-Antikörper auch noch in den ersten Lebenswochen bzw. -monaten zu einer ausgeprägten Anämie führen (Spätanämisierung).
Symptomatik.
Prävention. Präventiv sind im Rahmen der Schwanger-
4 Anämie 4 Icterus praecox oder Icterus gravis mit Gefahr der Entwicklung einer Bilirubinenzephalopathie (Kernikterus) 7 Kap. 3.7.7 4 Hepatosplenomegalie (extramedulläre Blutbildung) 4 evtl. Hydrops fetalis: bei schwerer Anämie (Hb <8 g/dl) entwickelt sich intrauterin eine Hypoxie und eine Hypoproteinämie durch eine verminderte
schaftsvorsorge die Blutgruppenbestimmung und ein Ak-Suchtest (Rh-, Duffy-, Kell- oder andere Blutgruppen-Systeme) notwendig. Eine Anti-D-Prophylaxe wird nach Aborten, Amniozentesen oder unsachgemäßer Transfusion mit Rh-positivem Blut sowie bei Rh-negativen Schwangeren mit negativem Anti-DNachweis in der 28.–30. Gestationswoche durchgeführt: die bei der ersten Schwangerschaft, Aborten etc. in den mütterlichen Kreislauf gelangten fetalen Eryth-
36
Kapitel 3 · Neonatologie
rozyten werden mit Anti-D-Antikörpern beladen und vorzeitig eliminiert.
3
AB0-Erythroblastose Definition. Hämolyse fetaler Erythrozyten durch mütterliche Bildung von Anti-A- oder Anti-B-Antikörpern vom Typ IgG gegen kindliche Antigene, z. B. nach Übertritt kindlicher Erythrozyten in den mütterlichen Kreislauf. Ätiopathogenese. Mütter der Blutgruppe 0 haben
Anti-A- und Anti-B-Antikörper (Typ IgM-Antikörper, nicht plazentagängig). Einige Schwangere bilden nach dem Übertritt kindlicher Erythrozyten in die mütterliche Blutbahn plazentagängige IgG-Antikörper, die gegen die kindlichen Blutgruppen-Antigene A, B oder AB gerichtet sind. Die kindliche Antigenität der Blutgruppeneigenschaften ist jedoch gegen Ende der Schwangerschaft noch nicht voll ausgebildet, daher verläuft die AB0-Erythroblastose eher mild. Außerdem tragen auch viele Gewebszellen A- bzw. B-Antigene, wodurch es zur »Ablenkung« der mütterlichen Antikörper von einer ausschließlich erythrozytären Reaktion kommt.
(Kernikterus), des Hypothalamus, einiger Hirnnervenkerngebiete und der Großhirnrinde.
Risikofaktoren für eine Bilirubinenzephalopathie 4 Unreife 4 Überschreiten der Albuminbindungskapazitäten durch zu hohe Bilirubinspiegel oder Hypalbuminämie 4 Veränderung bzw. Schädigung der Blut-Hirnschranke nach Asphyxie, neonataler Meningitis u. a.
Symptomatik.
4 Frühsymptome: Apathie, Hypotonie, abgeschwächte Neugeborenenreflexe, Trinkschwäche, schrilles Schreien, Erbrechen 4 Später: vorgewölbte Fontanelle, opisthotone Körperhaltung, muskuläre Hypertonie, zerebrale Krampfanfälle 4 Überlebende Patienten: Taubheit, zerebrale Bewegungsstörung (Choreoathetose), mentale Retardierung
Epidemiologie. Die AB0-Erythroblastose tritt häufig
bereits in der ersten Schwangerschaft auf, im Gegensatz zur Rh-Inkompatibilität; keine Gefährdung des Feten. Symptomatik. Neugeborene haben meist nur geringgradige Anämie, im peripheren Blut finden sich »Sphärozyten«, ggf. besteht eine Hyperbilirubinämie. Die Symptomatik nimmt in der Regel in den nachfolgenden Schwangerschaften zu.
Prävention. Engmaschige Bilirubinkontrollen, recht-
zeitige Therapie einer Hyperbilirubinämie. 3.7.8 Das weiße Blutbild Neugeborener Neonatale Thrombozytopenie Definition. Thrombozytenwerte <150 000/μl bei Neugeborenen.
Therapie. Je nach Grenzwerten bei Hyperbilirubin-
ämie: Phototherapie.
Ätiopathogenese. . Tab. 3.8.
3.7.7 Bilirubinenzephalopathie
Symptomatik. Ab Thrombozytenzahlen <50 000/μl können z. T. bedrohliche Blutungen auftreten.
(Kernikterus) Definition. Irreversible Gehirnschädigung durch un-
konjungiertes Bilirubin, insbesondere im Bereich der Basalganglien.
Therapie. Wiederholte Thrombozytentransfusionen, die Halbwertszeit von Thrombozytenkonzentraten beträgt 12 h.
Ätiopathogenese. Unkonjungiertes, nicht an Albumin
3.7.9 Koagulopathien
gebundenes Bilirubin dringt aufgrund seiner lipophilen Eigenschaften leicht in das zentrale Nervensystem ein. Dort inhibiert es den neuronalen Metabolismus durch Hemmung der oxidativen Phosphorylierung und hinterlässt irreversible Schäden im Bereich der Basalganglien, des Globus pallidus, des Nucleus caudatus
Morbus haemorrhagicus neonatorum (Vitamin K-Mangel) Definition. Durch Vitamin-K Mangel hervorgerufene Blutungen bei Neugeborenen.
37 3.8 · Gastrointestinale Erkrankungen
. Tab. 3.8. Ursachen der neonatalen Thrombozytopenie Mütterliche Ursache
Kindliche Ursachen
4 idiopathisch thrombozytopenische Purpura der Mutter 4 Lupus erythematodes der Mutter 4 Medikamenteneinnahme während der Schwangerschaft 4 Thrombozyteninkompatibilität: Alloimmunthrombozytopenie 4 konnatale Infektionen: Toxoplasmose, Röteln, Zytomegalie, Herpes simplex, Lues 4 neonatale Infektionen: Sepsis neonatorum 4 disseminierte intravaskuläre Gerinnungsstörung nach Asphyxie, Schock etc. 4 nekrotisierende Enterokolitis 4 Austauschtransfusion 4 selten: aplastische Anämie, kongenitale Leukämie, Wiskott-AldrichSyndrom, Riesenhämangiom u. a. 4 Retardierung 4 Polyzythämie
Ätiopathogenese. Neugeborene haben erniedrigte
Plasmakonzentrationen nahezu aller Gerinnungsfaktoren. Gerinnungsfaktoren sind nicht plazentagängig und insbesondere die Synthese Vitamin-K-abhängiger Faktoren (II, VII, IX und X) ist vermindert. Beim Morbus haemorrhagicus neonatorum unterscheidet man folgende Ätiologie: 4 Frühe Form (1. Lebenstag): bedingt duch mütterliche Medikamente (Phenytoin, Phenobarbital, Primidon, Salizylate, Antikoagulanzien), die den Vitamin-K-Metabolismus der Neugeborenen beeinträchtigen. 4 Typische Form (3.–7. Lebenstag): Vitamin K-Mangel bei Muttermilch-ernährten Säuglingen (nur wenig Vitamin K in der Muttermilch), antibiotischer Langzeitbehandlung, parenteraler Ernährung 4 Spätmanifestation (nach 4–12 Wochen): Vitamin K-Mangel bei Muttermilch-ernährten Säuglingen, Vitamin-K-Malabsorption (Mukoviszidose, Cholestase, Gallengangsatresie) > Eine Heparintherapie während der Schwangerschaft führt nicht zum Morbus haemorrhagicus neonatorum, da Heparin nicht plazentagängig ist.
3
Symptomatik.
4 Spontane Blutungen: gastrointestinale Blutungen (Melaena vera), Hämatemesis 4 Epistaxis, Nabelschnur- und Hautblutungen 4 Intrakranielle Blutungen. Diagnostik. Labor: Quick erniedrigt; PTT in schweren
Fällen verlängert; Faktoren II, VII, IX und X erniedrigt. Therapie. Vitamin K i. v., ggf. Fresh-Frozen-Plasma. Prävention. Alle Neugeborene erhalten prophylaktisch Vitamin K (3-mal je 2 mg p. o. bei der U1, U2 und U3; 7 Kap. 1). Prognose. Letalität je nach Ausprägung bis zu 20%.
Disseminierte intravaskuläre Gerinnungsstörung (DIC) Definition, Ätiologie. Erworbene, lebensbedrohliche Gerinnungsstörung durch den Verbrauch von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren, hervorgerufen durch die Freisetzung von gerinnungsaktivierenden Faktoren und Toxinen, u. a. bei 4 Hypoxie, Asphyxie, Hypotension, Azidose, Hypothermie, Schock 4 Bakterieller Sepsis, Virämie, nekrotisierende Enterokolitis 4 Riesenhämangiomen, intrauterinem Tod eines Zwillings 4 Neoplasie Symptomatik. Die DIC verläuft in verschiedenen Sta-
dien: initial besteht eine Hyperkoagulabilität, im Verlauf entwickelt sich eine Hypokoagulabilität mit Blutungen, zuletzt kommt es zu Mikrothrombosierung, Multiorganversagen und Schock. Therapie.
4 Substitution von Fresh Frozen Plasma 4 Therapie der Grunderkrankung 3.8
Gastrointestinale Erkrankungen
3.8.1 Angeborene Atresien des Gastro-
intestinaltrakts Ösophagusatresie, Duodenalatresie und Analatresie 7 Kap. 13.
38
Kapitel 3 · Neonatologie
3.8.2 Mekoniumileus
3
Definition. Verlegung des terminalen Ileums mit einge-
4 Farbdoppler-Sonographie: bei Malrotation abnormer Gefäßverlauf von A. mesenterica superior und V. mesenterica superior
dicktem, klebrigen Mekonium, häufig bei Patienten mit zystischer Fibrose.
Therapie. Operativ.
Symptomatik. Abdominelle Distension, galliges Erbrechen, fehlender Mekoniumabgang.
3.8.4 Bauchwanddefekte
Diagnostik.
Omphalozele
4 Röntgen-Abdomen: feine Gasbläschen im Bereich der mekoniumgefüllten Dünndarmschlingen; nach Kontrastmittelfüllung Darstellung eines Mikrokolons (strangartiger Dickdarm). 4 Ausschluss zystische Fibrose: DNA-Analyse, Schweißtest.
Definition/Ätiopathogenese. Mediale Nabelschnur-
Differenzialdiagnostik. Mekoniumpropfsyndrom:
Epidemiologie: Häufigkeit: 1:3 000 Geburten.
Darmverschluss bei Frühgeborenen mit geringer Darmmotilität und später oraler Nahrungszufuhr.
Diagnostik. Häufig bereits pränatale, sonographische
hernie infolge einer Hemmungsfehlbildung der Bauchdecke mit Vorfall des Darms und evtl. Teilen der Leber in einen aus Nabelschnurhäuten bestehenden Bruchsack; häufig mit extraabdominellen Fehlbildungen assoziiert.
Diagnose. Komplikationen. Perforation mit Mekoniumperitonitis
(auch pränatal). Therapie. Bei unkompliziertem Mekoniumileus Darm-
spülung mit Kontrastmittel, cave: Perforationsgefahr durch Darmspülung; ein Strangulationsileus ist ein chirurgischer Notfall. 3.8.3 Volvulus mit oder ohne
Malrotation Definition. Verschlingung von Darm, zusätzlich kann eine embryonale Rotationsstörung bestehen. ! Eine Malrotation mit intestinaler Obstruktion ist wegen der Gefahr der Darmnekrose und -perforation ein chirurgischer Notfall.
Symptomatik.
4 Postnatal: galliges Erbrechen, Mekoniumabgang trotz Volvulus z. T. noch möglich 4 Sepsis, Schock 4 Assoziierte Fehlbildungen: diaphragmatische Hernie, Pancreas anulare, Darmatresien
Therapie.
4 Wärmeschutz: Abdecken des Bruchsacks mit sterilen, warmen Tüchern, Plastikfolie 4 Rechtsseitenlagerung des Kindes, um den Zug auf die intraabdominellen Gefäße durch seitliches Herabhängen der Zele zu vermeiden. 4 Magensonde und regelmäßiges Aspirieren, um die Luftfüllung des Darms zu reduzieren. 4 Zügige Operation ! Bei Omphalozele besteht die Gefahr des Abknickens der V. cava inferior und der Entwicklung eines Low-output Syndroms.
Gastroschisis Definition. Rechts lateral des Nabels gelegener Bauchwanddefekt mit Prolaps verschiedener Organe (Darm, Magen, Harnblase, Ovarien), meist ohne Bruchsack (. Abb. 3.3). Symptomatik. Die strangulierten, torquierten Darm-
schlingen sind ödematös verändert, mit Fibrinbelägen und verbacken (»chemische Peritonitis«), häufig entzündlich verändert; mit häufig abdominellen Fehlbildungen assoziiert.
Diagnostik.
4 Röntgen-Abdomen a. p., Linksseitenlage: dilatierte Dünndarmschlingen, evtl. Spiegelbildung 4 Kontrastmitteldarstellung unter Röntgen-Durchleuchtung: Darstellung eines abnormen Darmverlaufs oder eines kompletten Verschlusses
Diagnostik/Therapie. Siehe Omphalozele, z. T. wird
eine frühzeitige Sectio in der 35–37. SSW angestrebt.
39 3.8 · Gastrointestinale Erkrankungen
3
Symptomatik. Schleichender oder fulminanter Beginn (septisches Krankheitsbild): 4 Temperaturinstabilität, blass-grau-marmoriertes Hautkolorit 4 Apnoen, Bradykardien, Tachypnoe 4 Geblähtes und berührungsempfindliches Abdomen, Nahrungsverweigerung, vermehrte Magenreste, galliges, blutiges Erbrechen, schleimig-blutige Stühle 4 Ödem und Erythem der prall und schmerzhaft gespannten Bauchhaut, Flankenrötung als Zeichen der Peritonitis 4 Azidose, DIC, Schock Diagnostik.
. Abb. 3.3. Gastroschisis: Prolaps von abdominellen Organen ohne Bruchsack
3.8.5 Nekrotisierende Enterokolitis (NEC) Definition. Akute, hämorrhagisch-nekrotisierende
4 Klinische Untersuchung 4 Labor: Leukozytose, neutrophile Granulozytose, D-Dimere erhöht; metabolische Azidose, CRP (idealer Verlaufsparameter); klassische NEC-Zeichen sind Thrombopenie und Hyponaträmie; Aerobe/anaerobe Blutkulturen 4 Röntgen-Abdomen: Darmdistension, bläschenförmige, intramurale Luft (Pneumatosis intestinalis), Pneumatosis V. portae, Nachweis freier Luft bei Perforation 4 Sonographie: Nachweis von Pneumotosis intestinalis und Pneumatosis V. porta
Entzündung des Dünn- und Dickdarms. Epidemiologie. Häufigste Ursache des akuten Abdo-
mens im Neugeborenenalter; Häufigkeit: 3–10% aller Frühgeborenen, 2% aller Neugeborenen.
Differenzialdiagnose. Isolierte Darmperforation, häufig bei Frühgeborenen, keine Nekrose, meist weniger dramatischer Verlauf. Therapie.
Risikofaktoren für eine NEC Hauptrisikofaktor für eine NEC ist die Unreife des Darms. Zusätzliche Risikofaktoren sind Asphyxie, Nabelgefäßkatheterisierung, Blutaustauschtransfusionen, persistierender Ductus arteriosus, Hyperviskositätssyndrom, Hyperalimentation, Ernährung mit hyperosmolarer Nahrung, Medikamente und gastrointestinale Virusinfektionen (Rota-Viren, Entero-Viren).
4 Sofortige Nahrungskarenz, Magenablaufsonde, parenterale Ernährung 4 i. v.-antibiotische Therapie (inkl. Anaerobierspektrum, z. B. Metronidazol, umstritten) 4 Supportiv: Transfusion von Fresh Frozen Plasma, maschinelle Beatmung, engmaschige klinische, laborchemische und radiologische Kontrollen 4 Bei Perforation oder Peritonitis: Operation (Anus praeter), Rückverlagerung meist nach mehreren Wochen bis Monaten möglich. Komplikationen. Strikturen, Stenosen, Bridenileus
Ätiopathogenese. Es wird eine multifaktorielle Genese
diskutiert: Minderperfusion mesenterialer Gefäße, O2Unterversorgung des Darms und Ischämie, ödematöse Veränderung der Darmwand mit Mikrozirkulationsstörungen, Mukosaschädigung, möglicherweise auch durch hyperosmolare Nahrung, Invasion bakterieller Erreger mit Infektion und generalisierter Dissemination, z. T. ausgedehnte Darmnekrosen.
Prognose. Letalität bei Frühgeborenen <1 000 g bis zu
50%.
3
40
Kapitel 3 · Neonatologie
3.9
Fetale und neonatale Infektionen
In der Frühschwangerschaft führen v. a. virale Infektionen (Röteln, Zytomegalie) zur Schädigung des Ungeborenen, in der Spätschwangerschaft eher aszendierende bakterielle Infektionen (Streptokokken B, E. coli, Listerien u. a.). 3.9.1 Konnatale Infektionen Definition/Ätiopathogenese.
4 Konnatale Infektion: Infektion des Fetus transplatzentar (hämatogen) oder seltener durch eine Erregeraszension 4 Intranatale/neonatale Infektion: Infektion bei vorzeitigem Blasensprung oder durch Kontamination des Neugeborenen während der Passage 4 Postnatale Infektion: Infektion im Rahmen einer mütterlichen Erkankung 4 Vertikale Infektion: Infektion vor Durchtrennung der Nabelschnur 4 Horizontale Infektion: Infektion nach dem Abnabeln Erreger: . Tab. 3.9, die jeweiligen Erkrankungen werden in den folgenden Kapiteln behandelt. 3.9.2 Toxoplasmose Definition. Infektion von Mutter und/oder Kind mit
dem Protozoe Toxoplasma gondii. Die Übertragung erfolgt durch Oozyten im Katzenkot oder durch Verzehr von rohem Schweine- oder Rindfleisch.
Epidemiologie. Durchseuchungsgrad 50%; 50% der
Toxoplasmose-Primärinfektionen in der Schwangerschaft verlaufen bei der Mutter asymptomatisch, weitere 50% zeigen unspezifische Symptome, wie Schwäche und Lymphadenopathie. Symptomatik. 40% der Neugeborenen infizierter Mütter erkranken, davon sind ca. 80% zunächst asymptomatisch. Im Verlauf entwickelt sich die typische klinische Trias: Enzephalitis mit intrazerebralen Verkalkungen, Krampfanfällen und Hydrozephalus, Chorioretinitis und Hepatomegalie. Die Kinder sind mental retardiert, haben Seh- und Lernstörungen. > Charakteristische klinische Trias bei Toxoplasmose: Enzephalitis, Chorioretinis, Hepatomegalie.
Diagnostik. Serologie: IgM-Nachweis (Sabin-Feld-
mann-Test, Komplementbindungsreaktion, indirekter Immunfluoreszenztest); evtl. direkter Erregernachweis aus Nabelschnurblut oder Plazentaresten. Therapie.
4 Infektion in der Schwangerschaft: sofortiger Therapiebeginn mit Spiramycin (bis 15. SSW) und Sulfadiazin, Pyrimethamin und Folinsäure (ab 16. SSW). 4 Infektion des Neugeborenen: sofortiger Therapiebeginn mit Sulfadiazin, Pyrimethamin und Folinsäure. 4 Im Kindesalter: regelmäßige augenärztliche Kontrollen im Kindesalter zur Früherkennung der Chorioretinitis, regelmäßige neurologische Untersuchungen und Hörprüfungen. Prävention. In der Schwangerschaft:
. Tab. 3.9. Konnatale Infektionen, die unter der amerikanischen Bezeichnung TORCH zusammengefasst werden T
Toxoplasmosen
O
Others: andere infektiöse Mikroorganismen wie: Varicella-Zoster-Viren Hepatitis-B-Viren HIV-Viren Parvoviren Treponema pallidum, Listeriosen u. a.
R
Rubella-Viren (Röteln)
C
Zytomegalieviren
H
Herpes-simplex-Viren Typ I und II
4 Durchführung eines Toxoplasmose-Screenings in der Frühschwangerschaft 4 Vermeidung von rohem oder halbgarem Fleisch, von ungewaschenem Obst und Gemüse; strenge Hygieneregeln bei der Zubereitung 4 Tragen von Handschuhen bei der Gartenpflege, Vermeidung von Katzenpflege und Reinigung von Kotkästen 3.9.3 Konnatale Rötelninfektion Synonym. Gregg-Syndrom (australischer Arzt, Erstbe-
schreibung 1941). Definition/Ätiopathogenese. Embryo-/Fetopathie auf-
grund einer Primärinfektion in der Schwangerschaft
41 3.9 · Fetale und neonatale Infektionen
mit dem Rubella-Virus. Eine Infektion in den ersten Schwangerschaftsmonaten führt zum Abort oder zu einer schweren Embryopathie (höchstes Risiko zwischen der 1. und 11. Schwangerschaftswoche), eine Infektion nach dem 4. Schwangerschaftsmonat zeigt meist einen milderen Krankheitsverlauf. Epidemiologie. Häufigkeit 1:10 000; ca. 10–15% der
Frauen im gebärfähigen Alter haben keine Rötelnantikörper.
3
Prävention.
4 Aktive Impfung aller Mädchen, spätestens bis zur Pubertät nach STIKO-Empfehlungen 4 Kontrolle der Röteln-Antikörper-Titer bei Frauen im gebärfähigen Alter (protektiver Titer: ≥1:32) 4 Nach Rötelnkontakt einer seronegativen Schwangeren: passive Immunisierung mit spezifischen Immunglobulinen 3.9.4 Zytomegalie (CMV)
Symptomatik. Die Klinik variiert beim Kind je nach
Zeitpunkt der Schädigung und Viruslast von asymptomatisch bis zu schwerer Embryopathie mit multiplen Fehlbildungen: 4 Vitium cordis (70%): persistierender Ductus arteriosus, Pulmonalstenose, Aortenstenose 4 Katarakt (30%), Retinopathie (»Pfeffer- und Salzfundus«) (30%) 4 Taubheit (90%) 4 Dystrophie 4 Thrombozytopenische Purpura (30%) 4 Floride Meningoenzephalitis bei Geburt (20%) 4 Diabetes mellitus (20%) 4 Seltener: Mikrophthalmie, Mikrozephalie, Zahndefekte, Glaukom, Hepatitis, interstitielle Pneumonie, Myokarditis, Ostitis, Thyreoiditis, Pankreasinsuffizienz > Typische Trias der Rötelnembryopathie: Herzfehler, Katarakt, Innenohrschwerhörigkeit.
Diagnostik.
4 Labor: Leukopenie, Lymphozytose, erhöhte Plasmazellen; Erregernachweis: Nachweis von Röteln-DNA (PCR), u.a. im Rachensekret, Blut-/Urinkultur 4 Serologie: Nachweis von Röteln-IgM ! Neugeborene mit konnataler Rötelninfektion scheiden das Virus für mehrere Monate bis Jahre in Stuhl und Urin aus, sie sind hochinfektiös und müssen während des stationären Aufenthalts streng isoliert werden.
Definition/Ätiopathogenese. Prä-, peri- oder postna-
tale Infektionen mit dem Zytomegalie-Virus. Infektion im Geburtskanal (10% der Schwangeren haben CMV im Zervikal und Vaginalsekret) oder durch Muttermilch, Körpersekrete (Urin, Speichel) oder Blutprodukte. Epidemiologie. Häufigste konnatale Infektion, Inzi-
denz ca. 1%. Symptomatik.
Konnatale Infektion: diaplazentare Übertragung auf den Fetus bei Primärinfektion in der Schwangerschaft. Die meisten der intrauterin infizierten Patienten sind asymptomatisch, 10–15% entwickeln eine klinisch manifeste Zytomegalie mit: 4 Frühgeburt 4 Mikrozephalie, periventrikuläre Verkalkungen 4 Chorioretinits, Katarakt, Opticusatrophie, Innenohrschwerhörigkeit, Zahndefekte 4 Purpura, Ikterus, Hepatosplenomegalie 4 Interstitielle Pneumonie, Myokarditis Perinatale Infektion: 10- bis 20-mal häufiger als die konnatale Form, meist subklinischer Verlauf. Bei sehr kleinen Frühgeborenen z. T.: 4 Schwere interstitielle CMV-Pneumonie 4 Hepatosplenomegalie, Thrombopenie, Petechien 4 Sepsisähnliche Krankheitsbilder Diagnostik.
Therapie. Symptomatisch, evtl. operative Korrektur
von Herzfehlern. Prognose. Abhängig vom Schweregrad der Infektion; nach 10 Jahren weisen ca. 25% der Kinder eine schwere mentale Retardierung und ca. 30% Verhaltensauffälligkeiten auf, 5% sind autistisch.
4 Labor: Nachweis von CMV early-Antigen im Urin, Virus-DNA in Urin, Speichel, Blut, Zervikalabstrich 4 Serologie: Nachweis von CMV-IgG, -IgM (nicht sehr sensitiv) > Histologisch zeigen sich bei CMV-Infektion Riesenzellen, die aus Virusaggregaten bestehende ZellkernEinschlusskörperchen enthalten (so genannte »Eulenaugen«).
42
Kapitel 3 · Neonatologie
Therapie. Symptomatisch; in schweren Fällen, z. B. bei
Pneumonie, ggf. Ganciclovir oder Foscarnet i. v. (cave schwerwiegende Nebenwirkungen); evtl. CMV-Hyperimmunglobuline.
3
Prognose. Die Letalität der konnatalen Form beträgt
20%. 90% der überlebenden Kinder mit konnataler Infektion und 15% mit postnataler Infektion weisen Folgeschäden auf: Hörverlust, Retardierung, Chorioretinitis, Optikusatrophie, Krampfanfälle, mentale Retardierung. Prävention.
4 Vor einer Schwangerschaft muss der CMV-Antikörper-Status erfasst werden; Expositionsprophylaxe aller Schwangeren, die Kontakt mit Kleinkindern haben (hohe CMV-Infektionsrate!). 4 Blutprodukte: bei Frühgeborenen oder immundefizienten Patienten dürfen nur leukozytendepletierte Blutprodukte von CMV-seronegativen Spendern transfundiert werden. 4 Pasteurisieren der Muttermilch bei unreifen Frühgeburten und seropositiven Müttern
Konnatale Herpesinfektion (selten): Hypotrophie, Mikrozephalie, Mikrophthalmus, Katarakt. Diagnostik.
4 Virusisolation und -typisierung aus Vesikelinhalt oder Abstrichen 4 Serologie: Nachweis von IgM-Antikörpern (bei perinataler Infektion erst 1–2 Wochen nach Infektionsbeginn nachweisbar) Therapie/Prognose. Aciclovir oder Foscarnet i. v., die Prognose hängt von einem frühen Therapiebeginn ab. Prävention.
4 Entbindung durch sectio bei Müttern mit florider HSV2 Infektion; bei rezidivierenden Herpes genitalis-Infektionen ist eine vaginale Entbindung möglich, wenn bei Geburt weder Effloreszenzen noch ein positiver Virusnachweis gegeben sind. 4 Stationäre Isolation von Kindern mit Herpes-Infektion. 3.9.6 Varizella-Zoster (VZV)
3.9.5 Herpes simplex Definition/Ätiopathogenese. Intrauterine oder postDefinition. Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus
(DNA-Virus) 4 HSV 1: Haut, Schleimhaut, ZNS, Auge 4 HSV 2: Genitale Epidemiologie. Perinatale Herpesinfektion (85%): In-
fektion im Geburtskanal mit HSV 2; ca. 50% der vaginal entbundenen Neugeborenen einer Mutter mit genitaler Primärinfektion erkranken, seltener erkranken die Kinder bei rezidivierenden genitalen Herpesinfektionen, da in diesen Fällen protektive mütterliche Antikörper bestehen. Konnatale Herpesinfektion (5%): diaplazentare Herpes-Infektion.
natale Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus (Herpes-Virus) bei Primärinfektion der Schwangeren mit VZV. Varizellen sind hochkontagiös (fliegende Infektion) und haben einen hohen Manifestationsindex. Neonatale Varizellen-Infektionen beim Neugeborene haben häufig schwere, z. T. letale Verläufe. Eine Reaktivierung einer Varizellen-Infektion im Rahmen eines »Zosters« während der Schwangerschaft hat keine Auswirkungen auf das Ungeborene. Infektiosität. 2–4 Tage vor Auftreten des Exanthems
bis 5 Tage nach Auftreten der letzten frischen Effloreszenz. Inkubationszeit. 14–21 Tage.
Symptomatik. Perinatale Herpesinfektion: Manifesta-
tion zwischen der 1. und 3. Lebenswoche; klinisch variable Symptomatik von lokaler Haut-/Schleimhautinfektion bis hin zu schwerer, disseminierter Infektion mit 4 Temperaturinstabilität, Zirkulationsstörungen 4 Apnoen, Ateminsuffizienz 4 Lethargie, Erbrechen 4 In 60–70% ZNS-Beteiligung: Hyperexzitabilität, Enzephalitis, Krampfanfällen, Opisthotonus, Koma 4 In 50–80% Haut-Beteiligung: vesikuläre Effloreszenzen, bullöses Exanthem, Konjunktivitis, orale Ulzerationen
Symptomatik.
4 Schubweise auftretende, charakterische, vesikuläre Effloreszenzen, stark juckend 4 Beginn am Stamm, dann Gesicht, behaarter Kopf, Mundhöhle 4 Alle Stadien der Effloreszenzen (Papel, Vesikel, Kruste) bestehen gleichzeitig (Sternenhimmel) (7 Kap. 7), z. T. bakterielle Superinfektionen 4 Neonatale Varizellen: disseminierte Infektion mit generalisierter Organbeteiligung, Pneumonie, Enzephalitis, häufig letal
43 3.9 · Fetale und neonatale Infektionen
3
Prävention. Einteilung der Varizella-Zoster-Infektion Konnatales Varizellensyndrom: VarizellenEmbryopathie bei Infektion im 1. und 2. Trimenon (8.–21. SSW): die Neugeborenen haben hypoplastische Gliedmaßen, sternförmige Hautläsionen, kortikale Atrophie und Augenschäden. Es kann zum Abort oder zur Totgeburt kommen. Letalität 40%, schwerwiegende Folgeschäden bei überlebenden Kindern. Neonatale Varizellen: 4 Erkrankung der Mutter 4 Tage vor bis 2 Tage nach der Entbindung oder am 5.-10. Tag nach der Entbindung: ca. 25% der Neugeborene erkranken, es werden nicht ausreichend mütterliche Antikörper auf das Neugeborene übertragen. Die Infektion verläuft meist foudrouyant und disseminiert, häufig letal. 4 Erkrankung der Mutter mehr als 5 Tage vor der Entbindung: beim Neugeborenen kommt es meist nur zu einem flüchtigen Exanthem, gutartiger Verlauf Postnatale Varizellen: 4 Postnatale, direkte Infektion der Neugeborenen, die Neugeborenen erkranken erst nach der 2. Lebenswoche, gutartiger Verlauf, bei Frühgeborenen jedoch z. T. schwerwiegender Verlauf. Spätere Infektion: 7 Kap. 7
4 Expositionsprophylaxe Immunsupprimierter, ggf. postexpositionelle Prophylaxe mit spezifischen Anti-Varizellen-Immunglobulinen innerhalb von 96 h nach Exposition 4 Immunisierung mit Varizellen-Lebendimpfstoff aller Kinder und Jugendlicher (nach STIKO); aktive Immunisierung auch bei Immunsupprimierten, beruflich exponierten seronegativem Personal oder Frauen vor der Schwangerschaft. 3.9.7 Hepatitis B Definition. Lebererkrankung des Neugeborenen auf-
grund einer Infektion der Mutter mit dem Hepatitis-BVirus (DNA-Virus). Das Hepatitis-Virus besteht aus 3 Antigenen: HBsAg, HBcAg und HBeAg, gegen die jeweils Antikörper gebildet werden. Epidemiologie. Die Durchseuchungsrate von Hepatitis
B beträgt 6%. 0,3–0,5% der deutschen Bevölkerung sind HBsAg-Träger, 10% der Kinder HBs-positiver Mütter werden infiziert. Ätiopathogenese. Obwohl das Hepatitis-B-Virus die
Plazenta passieren kann, weisen die meisten Neugeborenen zum Zeitpunkt der Geburt kein HBs-Antigen auf, sie entwickeln die Antigenämie erst im Alter von 6–12 Wochen; vermutlich findet die Virustransmission von der Mutter auf das Neugeborene erst während der Geburt statt. Die Übertragung durch Speichel, Muttermilch oder andere Körpersekrete ist seltener.
Diagnostik. Klinisch (charakteristische Effloreszenzen);
Virusnachweis aus Bläscheninhalt (PCR); Serologie: IgG- und IgM-Nachweis. Differenzialdiagnose: HSV-Infektion, Impetigo, Rö-
teln, CMV, Toxoplasmose. Therapie.
4 Neugeborene von Müttern, die 5 Tage vor bis 4 Tage nach der Geburt an Varizellen erkranken, sollten unmittelbar postnatal bzw. nach maternalem Erkrankungsbeginn Varizella-Zoster-Immunglobulin erhalten. 4 Manifeste neonatale Varizellen: Aciclovir i. v. 4 Spätere Infektion, 7 Kap. 7
Symptomatik.
4 50% der Infektionen verlaufen beim Neugeborenen subklinisch 4 Wenn klinisch manifest, verläuft die Erkrankung in 2 Phasen: 5 Prodromalstadium: Fieber, Erbrechen, Diarrhoe (2–3 Wochen) 5 Später: Hepatosplenomegalie, Ikterus, Juckreiz, acholische Stühle, dunkler Urin 5 z. T. extrahepatische Manifestation: GianottiCrosti-Syndrom (papulöse Akrodermatitis), Arthralgien, Myalgien, Vaskulitis, Kryoglobulinämie, Glomerulonephritis, Myo-/Perikarditis
44
Kapitel 3 · Neonatologie
3.9.8 Parvovirus-B19 Mögliche Manifestation der Hepatitis B Infektion im Kindesalter:
3
4 Die Kinder werden HBs-Ag positiv, klinisch asymptomatisch, entwickeln aber eine persistierende Antigenämie mit Zeichen einer chronischen Lebererkrankung (»Carrier-Status« – die meisten Fälle). 4 Die Kinder werden HBs-Ag positiv, klinisch asymptomatisch, entwickeln nur eine passagere Antigenämie und eine milde Hepatitis, die Erkrankung heilt aus. 4 Die Kinder werden HBs-Ag positiv, entwickeln eine schwer verlaufende, fulminante Hepatitis mit Lebernekrose, letaler Verlauf. 4 Die Kinder werden nicht mit dem Hepatitis-BVirus infiziert.
Diagnostik.
4 Labor: GOT/GPT, Bilirubin, alkalische Phosphatase, γ-GT, Cholinesterase und Urobilinogen im Urin erhöht, Albumin erniedrigt (verringerte Syntheseleistung der Leber), ggf. Gerinnungsstörung 4 Serologie: Nachweis von HBs-Ag, HBe-Ag und HBV-DNA bedeutet Infektiosität, Nachweis von Anti-HBs-Ag bedeutet Ausheilung Therapie. Symptomatisch, evtl. Therapieversuch mit
Interferon-α. Prognose.
4 Chronifizierung und Gefahr der Leberzirrhose und des Leberzellkarzinoms bei perinataler Infektion in 95%, bei Infektion zwischen 1. und 5. Lebensjahr in 25–40%, bei Infektion im Schul-/Erwachsenenalter in 5% der Fälle. 4 Letalität der fulminanten Hepatitis B: 80% 4 Prognostisch günstig ist eine Serokonversion von HBe-Ag zu anti-HBe; Ausheilung bei Konversion zu anti-HBs. Prävention.
4 HBs-Ag Screening der Mutter nach der 32. SSW; bei Neugeborenen HBs-Ag positiver Mütter: passive und aktive Simultanimpfung noch im Kreißsaal 4 Aktive Immunisierung aller Säuglinge nach STIKO-Empfehlung 4 Nach Hepatitis B Exposition: postexpositionelle Hyperimmunglobulingabe innerhalb von 12 h
Definition. Infektion mit dem Parvovirus-B19 (DNA-
Virus), dem Erreger der Ringelröteln (Erythema infectiosum). ! Eine Erstinfektion der Schwangeren mit Parvovirus B19 verläuft bei 35% der Frauen subklinisch ohne das typische Exanthem, dennoch ist eine diaplazentare Übertragung möglich.
Epidemiologie. Durchseuchung im Erwachsenenalter
40–50%; bei Infektion in der Schwangerschaft kommt es in 25% der Fälle zum Hydrops fetalis. Symptomatik. Parvovirus B19 hemmt die fetale Eryth-
ropose und führt zu einer aplastischen Krise in utero. Ab einem Hb <8 g/dl kommt es zur intrauterinen Hypoxie mit verminderter hepatischer Albuminsynthese, Hypoproteinämie, generalisierten Ödemen, Höhlenergüssen (Aszites, Pleuraerguss, Perikarderguss), Hypervolämie und Herzinsuffizienz. Es kommt zum generalisierten Hydrops mit intrauterinem Fruchttod. Diagnostik. Serologie: Nachweis von IgM- und IgG-
Antikörpern; direkter Virusnachweis (PCR). Therapie. Bei Kontakt mit Ringelröteln während der Schwangerschaft ist zunächst der Immunstatus zu überprüfen; bei fehlender Immunität müssen engmaschige sonographische Kontrollen und ggf. eine intrauterine Transfusionen durchgeführt werden, die Prognose ist in diesen Fällen nicht schlecht.
3.9.9 Listeriose Definition. Infektion mit dem gram-positiven Stäb-
chenbakterium Listeria monocytogenes. Die Listeriose ist eine Anthropozoonose, Reservoir bilden alle Tiere. Bedeutung hat die Listeriose v. a. als Neugeboreneninfektion und als opportunistische Erkrankung bei immunsupprimierten Patienten: Symptomatik.
4 Bei Infektion in der Schwangerschaft sind die Mütter meist asymptomatisch oder haben Symptome eines unspezifischen, grippalen Infekts. 4 Bei hämatogen-diaplazentarer Infektion des Fetus: 5 Generalisierte Organbeteiligung, z. T. Abort oder Totgeburt 5 Pulmonale Infektion bei Fruchtwasseraspiration (miliare Aussaat im Röntgen-Thorax)
3
45 3.9 · Fetale und neonatale Infektionen
5 Pathognomonische Hautveränderungen: stecknadelkopfgroße, weißlich-gelbe Knötchen mit rotem Hof 4 Je nach Erkrankungsbeginn unterscheidet man die 5 Early-onset-Manifestation vor dem 5. Lebenstag: septisches Krankheitsbild, pulmonale Infektion, Hepatosplenomegalie, Meningitis 5 Late-onset-Manfestation nach wochenlanger Latenz: Meningitis oder Enzephalitis Diagnostik. Erregernachweis aus Trachealsekret, Me-
konium, Liquor, Blut, Granulomen, Urin, Plazenta, Fruchtwasser; histologisch charakteristisch sind Granulome mit zentraler Nekrose in allen Organen (»Granulomatosis infantiseptica«). Therapie. Antibiotische Therapie der Mutter (z. B. Am-
picillin/Amoxicillin und Gentamycin) kann die Übertragung der Erkrankung auf den Fetus verhindern. Prävention. Meidung von Weichkäse, nichtpasteuri-
sierter Milch, rohem Fisch oder Fleisch während der Schwangerschaft. 3.9.10 Neugeborenensepsis
. Tab. 3.10. Verlaufsformen der neonatalen Sepsis Frühe Verlaufsform
Späte Verlaufsform
Erkrankungsbeginn
≤ 4 Tage
≥ 5 Tage
Durchschnittliches Erkrankungsalter
20 Stunden
18 Tage
Schwangerschaftskomplikationen
+
+
Herkunft der Erreger
mütterlicher Genitaltrakt
mütterlicher Genitaltrakt, postnatales Umfeld
Klinische Verlaufsform
fulminant
foudroyant oder langsam fortschreitend
Häufige Komplikationen
Pneumonie
Meningitis
Sterblichkeit
15–50 %
10–20 %
Symptomatik. . Tab. 3.11; Leitsymptom ist das »schlechte Aussehen« der Neugeborenen.
Definition.
4 SIRS (systemic inflammatory response syndrome): systemische, entzündliche Reaktion auf Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Viren) oder auf nichtinfektiöse Auslöser (Trauma, Verbrennung). 4 Sepsis: generalisierte Infektion aufgrund einer Dissemination von Bakterien, Pilzen, Viren oder Parasiten 4 Sepsis = SIRS plus Infektion
> Die Symptome der neonatalen Sepsis sind uncharakteristisch und variabel. Bleiben die oftmals diskreten klinischen Zeichen unerkannt, so kann sich innerhalb kürzester Zeit das Vollbild eines lebensbedrohlichen, septischen Schocks entwickeln. Bei jeglichen Warnzeichen besteht bis zum Beweis des Gegenteils der Verdacht auf eine neonatale Sepsis.
Epidemiologie/Ätiopathogenese. Häufigkeit der Sep-
. Tab. 3.11. Wichtige Symptome der neonatalen Sepsis
sis: 1–4:1 000 (Westeuropa und USA), die Mortalität beträgt 10–50% (. Tab. 3.10).
Störung
Symptome
Temperaturinstabilität
Hyper- oder Hypothermie
Atemstörungen
Tachypnoe, Dyspnoe, Apnoe
Gastrointestinale Störungen
Trinkschwäche, Erbrechen, abdominelle Distension
Zirkulatorische Insuffizienz
periphere Mikrozirkulationsstörungen, Blässe, graumarmoriertes Hautkolorit, septischer Schock, Multiorganversagen, DIC
Neurologische Störungen
Hyperexzitabilität, Lethargie, Krampfanfälle
Risikofaktoren für eine neonatale Sepsis 4 Vorzeitiger Blasensprung 4 Aszendierende Infektion durch Aszension vaginaler Erreger, insbesondere B-Streptokokken 4 Deszendierende Infektion bei Bakteriämie der Mutter 4 Amnioninfektionssyndrom (mit mütterlichen Infektionszeichen bei der Geburt) 4 Frühgeburtlichkeit 4 Infektion durch nosokomiale Erreger
46
Kapitel 3 · Neonatologie
Diagnostik.
3
4 Labor: BB, Diff-BB, CRP, Il-6, Il-8, BGA; Aerobe, anaerobe Blutkulturen, evtl. Urinkulturen 4 Frühzeitige Lumbalpunktion und Liquorkultur 4 Erregernachweis aus Haut-, Schleimhautabstrichen, Trachealsekret, Magensekret Für eine Sepsis spricht das Vorhandensein von mindestens 2 der folgenden Symptome: 4 Körpertemperatur >38°C oder <36°C 4 Tachypnoe 4 Tachykardie 4 Leukozyten >12 000/μl oder <4000/μl
4 Gespannte Fontanelle, opisthotone Körperhaltung, Nackensteifigkeit (bei offener Fontanelle selten) 4 Krampfanfälle (15%) Diagnostik. Labor: BB, Diff-BB, CRP, Il-6, Lumbal-
punktion; Liquor- und Blutkulturen. Therapie. Antibiotische Therapie, je nach Erreger und
Resistenztestung in Meningitis-Dosierung und unter Beachtung der Liquorgängigkeit: 4 Neugeborene: z. B. Kombination aus Cephalosporin, Ampicillin und Aminoglykosid 4 Ältere Kinder: in der Regel Monotherapie mit Cefotaxim
> Laborchemische Frühzeichen einer Infektion sind Il-6Erhöhung, Leukopenie oder Leukozytose und eine Linksverschiebung im Blutbild. Das CRP steigt erst 4–6 h nach Keiminvasion an und ist dann ein idealer Verlaufsparameter.
Prognose. Abhängig von Therapiebeginn und -effekti-
Komplikationen. Septischer Schock, Multiorganver-
Komplikationen.
sagen.
4 Hydrozephalus 4 Ventrikulitis (v. a. bei E.-coli-Meningitis) 4 Hirnabszesse (v. a. bei Infektion mit Citrobacter diversus, Proteus mirabilis, Enterobacter-Spezies) 4 Folgeschäden in 10%: Zerebralparese, Anfallsleiden, mentale Retardierung, Taubheit, Blindheit.
Therapie. Sofortige i. v. antibiotische Therapie (bzw.
antivirale, antimykotische oder antiparasitäre Therapie) nach Abnahme des Materials zur Erregerdiagnostik und Resistenztestung: Kombinationstherapie, z. B. Ampicillin und Aminoglykosid (z. B. Gentamycin) oder Ampicillin und Cephalosporin der 3. Generation (z. B. Cefotaxim). Prognose. Letalität: bei Neuborenen 15–30%, bei älteren Kindern 10–50%.
3.9.11 Meningitis
vität; höchste Letalität bei Pneumokokken-Meningitis (6–20%).
3.9.12 Haut- und Weichteilinfektionen Impetigo neonatorum Definition/Epidemiologie. Häufige oberflächliche, hochinfektöse, pustulöse Pyodermie durch Infektion mit Streptokokken (kleinblasige Form) oder Staphylokokken (großblasige Form).
Definition. Bakterielle oder virale Infektion des Ge-
Diagnostik: Klinisches Bild, Erregernachweis aus Ab-
hirns, der Gehirnhäute und der Ventrikel.
strichen.
Epidemiologie. Ca. 0,1–0,4:1 000 Lebendgeborene, In-
Symptomatik/Therapie Kleine Eiterpusteln, honiggelbe Krusten; Prädilektionsstellen sind Gesicht, behaarter Kopf und Gesäss. Meist ist eine lokale antiseptische Therapie ausreichend, in ausgedehnten Fällen systemische antibiotische Therapie.
zidenz abnehmend. Ätiopathogenese. Eine Meningitis bei Neugeborenen ist
häufig Folge einer zu spät erkannten neonatalen Sepsis. Ausgangspunkte für die Streuung der Erreger sind u. a. Pneumonien, Hautinfektionen, Omphalitis, Harnwegsinfektionen, Otitis media und/oder Liquor-Shunt-Systeme. Symptomatik. Die Symptomatik der Meningitis ist ebenso unspezifisch wie die der neonatalen Sepsis. 4 Fieber, Erbrechen 4 Berührungsempfindlichkeit, spärliche Spontanbewegungen, schrilles Schreien
Impetigo bullosa oder Pemphigus neonatorum Definition/Ätiopathogenese. Infektion Neugeborener mit Staphylococcus aureus der Phagozytengruppe II, die das Exotoxin Exfoliatin produzieren.
47 3.9 · Fetale und neonatale Infektionen
Symptomatik.
4 Große, von einem roten Hof umgebene Blasen, die nach dem Platzen gerötete, nässende Hautstellen hinterlassen. 4 3–5 Tage nach Erkrankungsbeginn: Desquamation von epidermalen Teilen (Stratum cornea) 4 Das Nikolski-Phänomen – Ablösbarkeit der Epidermis durch Druck auf die Haut – ist negativ.
3
3.9.14 Lokale Candidainfektionen Definition. Oberflächliche Infektion mit dem Sprosspilz
Candida albicans, v. a. im Bereich der Mundschleimhaut oder an sensiblen, feuchten Hautstellen (Windelbereich, intertriginös); begünstigt wird die Infektion durch eine Therapie mit Antibiotika (auch der stillenden Mutter), Zytostatika oder Immunsuppressiva. In schweren Fällen kommt es zur systemischen Candidose.
Diagnostik. Klinisches Bild; Labor: systemische Infek-
tionszeichen (BB, Diff-BB, CRP, Il-6), Erregernachweis in der Blutkultur (in den Blasen nicht nachweisbar). Differenzialdiagnostik. Vesikuläre Effloreszenzen bei neonataler Herpes simplex-, CMV- oder Varizelleninfektion; bullöse Veränderungen bei Lues connata (Pemphigus syphiliticus).
Symptomatik.
4 Mundschleimhaut: weiße, nicht abwischbare Beläge auf rotem Grund 4 Perinanale, intertriginöse Dermatitis: blass-gelbliche makulöse Veränderungen mit feuerroten, leicht schälenden Arealen Therapie. Windeldermatitis:Windel möglichst weglas-
Komplikationen. Dermatitis exfoliativa neonatorum
(Morbus Ritter von Rittershain, Staphyloccus Scaled Skin Syndrome): schwerste Verlaufsform der Impetigo bullosa durch hämatogene Aussaat der Erreger. Im Bereich großflächiger, unscharf begrenzter Erytheme entstehen nach Hautablösung große Wundflächen, das Nikolski-Phänomen ist positiv. Therapie.
4 i. v. antibiotische Therapie mit penicillasefestem Penicillin 4 Lokale Supportivtherapie ähnlich der Verbrennungstherapie 4 i. v. Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich 4 Bei Dermatitis exfoliativa intensivmedizinische Behandlung
sen; lokale antimykotische Therapie (Nystatin, Miconazol, Amphotericin B); bei systemischer Infektion i. v.antimykotische Therapie. 3.9.15 Konjunktivitis Definition, Epidemiologie. Infektion der Bindehaut, u. a. mit Neisseria gonorrhoea, Streptokokken der Gruppe B, Staph. aureus, Chlamydia trachomatis, Herpes-Viren oder bei intensivmedizinisch behandelten Patienten mit Pseudomonas aeruginosa. Die Erreger werden im Geburtskanal oder postpartal durch Schmierinfektion übertragen; betroffen sind 10% aller Neugeborenen. Symptomatik. Konjunktivale Hyperämie, eitrige Sekre-
3.9.13 Omphalitis
tion, Rötung, Schwellung. Diagnostik. Erregernachweis aus Abstrichen: Direkt-
Definition/Ätiopathogenese. Nabelinfektion. Häufig
durch Staph. aureus hervorgerufene, eitrige Entzündung des Nabels mit periumbilikaler Rötung, Infiltration, purulentem Sekret und ggf. Ulzeration. Diagnostik. Labor: Entzündungsparameter, Blutkultur; Erregernachweis aus Abstrichen. Komplikationen. Nabelphlegmone, Sepsis. Therapie/Prävention. Lokale antiseptische Therapie, i. v.-antibiotische Therapie; vorbeugend effektive Nabelhygiene.
präparat, bakteriologische Kultur. Therapie. Primär lokale Therapie (z. B. Ecolicin Augensalbe); bei Gonokokkeninfektion oder ausgedehnter Infektion systemische, antibiotische Therapie, meist mit Erythromycin. Gleichzeitig immer abschwellende Nasentropfen verabreichen. ! Bei Konjunktivitis besteht die Gefahr von KorneaUlzerationen, Perforationen, Iridozyklitis, Synechien, Panophthalmitis und Erblindung, v. a. bei Gonokokkenund Pseudomonas-Infektionen.
48
Kapitel 3 · Neonatologie
3.10
Neugeborenenkrämpfe
Definition. Krampfanfälle im Neugeborenenalter sind meist Ausdruck einer Grunderkrankung.
3
Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen für Krampfan-
fälle sind u. a.: Metabolisch: 4 Hypoglykämie, Hypokalzämie, Hypomagnesämie, Hypo- und Hypernatriämie 4 Aminoazidopathien, Stoffwechselstörungen organischer Säuren 4 Vitamin-B6-abhängige Krampfanfälle (Nachweis durch klinische Besserung und Besserung des EEGs nach Applikation von Vitamin B6)
epilepsietypischer Potentiale; Schädelsonographie, ggf. MRT/CT: Ausschluss größerer struktureller Veränderungen. Differenzialdiagnostik. Abgrenzung zu harmlosen Myoklonien (fokale muskuläre Zuckungen) und Einschlafmyoklonien häufig schwierig. Therapie.
4 Therapie der Grunderkrankung: z. B. Elektrolyt-, Blutzuckerausgleich, Vit-B6 Versuch 4 Antikonvulsive Behandlung mit Phenobarbital (1. Wahl), Phenytoin (2. Wahl), evtl. Lorazepam, Clonazepam Prognose. Abhängig von der Grunderkrankung; »Fünf-
ZNS: 4 Hypoxisch-ischämische Schädigung 4 Intrakranielle Blutungen, traumatische Hirnschädigung 4 Bilirubinenzephalopathie (7 Kap. 3.7.7) 4 Infektionen (Sepsis, Meningitis, Enzephalitis) 4 Angeborene zerebrale Fehlbildungen 4 Degenerative zerebrale Erkrankungen 4 Polyglobulie, Hyperviskositätssyndrom 4 Drogenentzug bei mütterlichen Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit 4 »Fünftageskrämpfe« (5th day fits): gutartige, selbstlimitierende Krampfanfälle im Neugeborenenalter um den 5. Lebenstag, sistieren spontan, z. T. familiär Symptomatik. Selten generalisierte tonisch-klonische
Krampfanfälle, meist unspezifische Symptomatik: 4 Wechselnd lokalisierte Zuckungen kleiner Muskelgruppen (z. B. horizontale Augenbewegungen, rhythmische oder »tanzende« Augenbewegungen, Schmatzen, Saugautomatismen) 4 Einteilung in fokal klonische (einzelne Muskelgrupe), multifokal klonische (mehrere Muskelgruppen), myoklonische (symmetrische Zuckungen), selten tonische Krampfanfälle 4 Tonusveränderungen, Apnoen, Veränderungen des Hautkolorits: Hautblässe, Blutdruckanstieg, Tachykardie 4 Krampfanfälle sind meist durch äussere Reize nicht unterbrechbar 4 Häufig sind die Krampfanfälle klinisch nicht erkennbar (im Zweifelsfalls EEG durchführen) Diagnostik. Klinisches Bild; Labor: Elektrolyte, Blutzucker, organische Säuren im Urin, toxikologische Untersuchung, Liquor: Zellzahl, Eiweiss, Glukose, Bakteriologie, ggf. Stoffwechselmetabolite; EEG: Nachweis
tageskrämpfe« haben eine günstige Prognose. 3.11
Metabolische Störungen
Fetopathia diabetica Definition. Erkrankung Neugborener von Müttern mit schlecht eingestelltem Diabetes mellitus. Ätiopathogenese. Glukose diffundiert ungehindert
durch die Plazenta. Die mütterliche Hyperglykämie führt zur Hyperglykämie beim Feten mit Hyperplasie der fetalen pankreatischen β-Zellen und Hyperinsulinismus. Insulin stimuliert die Lipogenese und Proteinsynthese, hemmt die Lipolyse und wirkt als fetales Wachstumshormon. Es kommt zu Organvergrößerungen, Makrosomie und Hypertrophie der Neugeborenen. ! Postnatal besteht bei Fetopathia diabetica die Gefahr der Hypoglykämie, da sich der intrauterin bestehende Hyperinsulinismus nur langsam zurückbildet.
Symptomatik.
4 Makrosomie, cushingoides Aussehen, geburtstraumatische Komplikationen: Schulterdystokie, Frakturen, Asphyxie 4 Verzögerte Surfactantsynthese in utero, Atemnotsyndrom 4 Hypertrophe Kardiomyopathie durch Glykogeneinlagerungen 4 Plethora, Polyzythämie und Hyperviskositätssyndrom, Gefahr der Nierenvenenthrombose 4 Hepatomegalie, Hyperbilirubinämie 4 Hypoglykämie, -kalzämie, -magnesämie 4 Assoziierte Fehlbildungen: kaudale Regression, Neurolrohrdefekte, gastrointestinale Atresien, Nierenfehlbildungen
49 3.11 · Metabolische Störungen
. Tab. 3.12. Ursachen der neonatalen Hypoglykämie Verminderte SubstratVerfügbarkeit
intrauterine Hypo- und -Dystrophie Frühgeburtlichkeit wachstumsretardierter 2. Zwilling
Vermehrter Glucoseverbrauch
Hyperinsulinismus: Kinder diabetischer Mütter Erythroblastosis fetalis Nesidioblastose Beckwith-Wiedemann-Syndrom
Polyzythämie Störung des Glucosestoffwechsels
Glykogenose Galaktosämie hereditäre Fruktoseintoleranz Aminosäurestoffwechselstörungen
Verschiedene Erkrankungen des Neugeborenen
Asphyxie Sepsis neonatorum endokrinologische Erkrankungen Hypothermie
Therapie. Regelmäßige Blutzucker-, Elektrolyt-, BBund Bilirubinkontrollen: ggf. Blutzucker- und Elektrolytausgleich.
3
Glukagon (nicht bei Frühgeborenen), Octreotid oder Diazoxid. Hypokalzämie Definition. Kalzium im Serum <7,2 mg/dl, ionisiertes Kalzium (biologisch aktive Form) <4 mg/dl (1,0 mmol/l). Epidemiologie. Häufigkeit: 3–5% der Neugeborenen;
v. a. bei hypotrophen Neugeborenen und Frühgeborenen. Ätiopathogenese. Ursache ist ein transitorischer Hy-
poparathyreoidismus und ein vermindertes Ansprechen der Parathyreoidea auf den nach der Geburt plötzlich einsetzenden, physiologischen Abfall des Kalziumspiegels. Eine späte Hypokalzämie (>7 Tage) kann sich aufgrund einer zu hohen Phosphatzufuhr (Kuhmilchernährung), Malabsorptionssyndrome oder inadäquater Vitamin-D-Zufuhr entwickeln. Sonstige Ursachen: 4 Frühgeburtlichkeit, Sepsis, Schock, Fetopathia diabetica 4 Hypothyreose 4 Alkalose 4 Diuretika, Niereninsuffizienz
Prävention. Strenge Einstellung des mütterlichen Dia-
Symptomatik.
betes mellitus während der Schwangerschaft.
4 Hyperexzitabilität, Tremor, Myoklonien, Laryngospasmen, Apnoen, Krampfanfälle 4 Gelegentlich, v. a. bei älteren Kindern: 5 Chvostek-Zeichen (bei Beklopfen der Wange treten Zuckungen im Fazialisgebiet auf) 5 Trousseau-Zeichen (Pfötchenstellung der Hand)
Hypoglykämie Definition. Blutzuckerwerte bei Neugborenen und Früh-
geborenen <47 mg/dl, bei älteren Kindern <50 mg/dl und bei Erwachsenen <55 mg/dl. Ätiopathogenese. . Tab. 3.12.
Diagnostik. Labor: Bestimmung von ionisiertem und Symptomatik. Häufig asymptomatisch, oder:
4 Apnoen, Tachypnoe, Tachykardie, Unruhe, Schwitzen 4 Schrilles Schreien 4 Hypotonie, Apathie, Trinkschwäche 4 Blässe, Hypothermie 4 Hyperexzitabilität, Krampfanfälle Diagnostik. Klinisches Bild, Blutzuckerkontrollen, ggf. in der Hypoglykämie: Bestimmung freier Fettsäuren, β-Hydroxybuttersäure, Laktat, Insulin und C-Peptid; ggf. Schilddrüsenparameter, Wachstumshormon, ACTH. Therapie. Engmaschige Blutzuckerkontrollen; frühe Nahrungszufuhr; bei nachgewiesener Hypoglykämie: sofortige i. v.-Glukosezufuhr, nur in schweren Fällen
Serumkalzium, Phosphat, Magnesium, ggf. Vitamin D, PTH Differenzialdiagnostik. Angeborene Aplasie der Parathyreoidiea (Di-George-Syndrom, Thymusaplasie). Therapie.
4 Orale Kalziumsubstitution, bei Frühgeborenen schon präventiv 4 Symptomatische Hypokalzämie: langsame i. v.-Injektion von 2 ml/kg einer 10%igen Kalziumglukonatlösung unter Monitorkontrolle, da Gefahr von Bradykardien; Nekrosegefahr bei paravasaler Gabe 4 ggf. Ausgleich einer Hypomagnesiämie 4 evtl. hochdosiert Vitamin D oder Kalzitriol
50
Kapitel 3 · Neonatologie
3.12
Maternale Drogenabhängigkeit und neonatale Entzugssymptomatik
Definition. Postnatale Entzugssymptomatik der Neu-
3
geborenen in Folge mütterlicher Drogenabhängigkeit. Die Heroinersatztherapie mit Methadon hat ähnlich gravierende Auswirkungen auf das Neugeborene wie Heroin, Entzugserscheinungen treten jedoch verzögert auf und können mehrere Wochen anhalten. Entzugssymptomatik kann auch nach Absetzen bei längerfristiger Therapie der Kinder mit Sedativa, wie Morphin, Phenobarbital o. ä. aufteten. Symptomatik. In Abhängigkeit von Dosis und Intervall bis zur letzten Dosis: 4 Hyperexzitabilität, Tremor, Unruhe, hochfrequentes Schreien 4 Erbrechen, Diarrhoe 4 Tachykardie 4 Rhinitis, auffälliges Niesen 4 Selten: zerebrale Krampfanfälle 4 Einteilung nach dem Finnigan-Score (Schweregrad der Entzugssymptomatik, vgl. weiterführende Lehrbücher) Diagnose. Urin-Toxikologie: Mutter und Kind, Labor: BB, BZ, Elektrolyte, Schilddrüsenparameter, evtl. Hepatitis-/HIV-Serologie. Therapie. Symptomatisch, Tinctura opii p. o. (1% Mor-
phinlösung), evtl. Phenobarbital, Chloralhydrat, evtl. Clonidin (umstritten).
4 4 Ernährung und Ernährungsstörungen 4.1
Ernährung des gesunden Säuglings – 52
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5
Stillen – 52 Supplementierung – 54 Säuglingsnahrungen – 54 Säuglingsernährung und Allergieprävention – 54 Beikost – 54
4.2
Ernährung im Kleinkind und Schulalter
4.3
Untergewicht – 55
4.4
Übergewicht – 56
4.5
Vitaminmangel und Hypervitaminosen
4.5.1 Wasserlösliche Vitamine – 57 4.5.2 Fettlösliche Vitamine – 59
– 55
– 57
52
Kapitel 4 · Ernährung und Ernährungsstörungen
4.1
Ernährung des gesunden Säuglings
. Tab. 4.2. Mittlerer Gehalt der Hauptnährstoffe in Muttermilch und Kuhmilch Bestandteil
Reife Muttermlich (≥14. Tag) Angabe in g/100 g
Kuhmilch Angabe in g/100 g
Protein
1,0
3,4
davon Kasein
0,4 (40% des Proteins)
2,8 (80% des Proteins)
Fett
3,8
3,7
Laktose
7,0
4,6
Mineralstoffe
0,2
0,8
Kalorien
66
65
. Tab. 4.1. Referenzwerte für die Nahrungszufuhr an Energie, Protein und Fett bei gesunden Kindern in Abhängigkeit vom Lebensalter Alter
kcal/kg/Tag
4
Protein (g/kg/d)
Fett (% der kcal/d)
männlich
weiblich
0–3 Monate
94
91
1,5–2,7
45–50
4–12 Monate
90
91
1,1–1,3
35–45
1–3 Jahre
91
88
1,0
30–40
4–6 Jahre
82
78
0,9
30–35
7–9 Jahre
75
68
0,9
30–35
10–12 Jahre
64
55
0,9
30–35
13–14 Jahre
56
47
0,9
30–35
15–18 Jahre
46
43
0,9 (m.) 0,8 (wbl.)
30
Angaben als Bedarf pro kg Körpergewicht und Tag (/kg/d) oder als Bedarf pro Tag (/d); modifiziert nach den Empfehlungen der Deutschen, Östereichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Ernährung Beachte: Der Bedarf des einzelnen gesunden und v. a. kranken Kindes kann individuell erheblich von diesen Werten abweichen
4 Transitorische Milch (5.–10. Tag): höherer Energiegehalt, niedrigerer Protein- und Mineralgehalt, zunehmender Laktose- und Fettgehalt 4 Reife Milch (ab 3. Woche): nochmals höherer Energiegehalt (Fett), niedrigerer Proteingehalt (. Tab. 4.2) Während einer Stillmahlzeit werden zunächst Proteine, Mineralien und wasserlösliche Vitamine abgegeben, am Ende der Mahlzeit erhöht sich der Fettgehalt um das 1,5- bis 3-fache. »Der Säugling stillt zuerst den Durst, dann den Hunger.« Stillen: Vorteile, Nachteile und praktische Empfehlungen
4.1.1
Stillen
Muttermilch ist die ideale Ernährung für gesunde Säuglinge. In den ersten Tagen nach der Geburt triggern die postnatal fallende Östrogenspiegel und die Prolaktinsekretion des Hypophysenvorderlappens die Milchbildung. Nach initial nur in geringer Menge gebildeter Milch folgt am 3.–5. Tag der »Milcheinschuss«. Durch kindliches Saugen wird über neuronale Afferenzen (Hypophysenhinterlappen, HHL) die Freisetzung des Hormons Oxytocin stimuliert, das die Ejektion der Milch und eine beschleunigte Uterusinvolution fördert. Die Milchzusammensetzung ändert sich im Laufe der Laktation und ist an den kindlichen Bedarf angepasst: 4 Kolostrum (1.–5. Tag): hoher Gehalt an Proteinen, Immunglobulinen (IgA), Leukozyten, guter Infektionsschutz
Vorteile des Stillens:
4 Bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr: 5 Bessere Bioverfügbarkeit einiger Nährstoffe aus der Muttermilch z. B. bessere Resorption der Muttermilchfette durch die »Frauenmilchlipase« (die in Kuhmilch nicht vorkommt) 5 »Muttermilchstühle« (weich, hellgelb) enthalten einen höheren Anteil an Bifidusbakterien. 5 Bessere Resorption von Kalzium und Eisen bei geringerem Gehalt der Muttermilch. 5 Gute Vitaminversorgung (bis auf Vitamin D und K, diese müssen substituiert werden). 4 Infektionsschutz durch hohen Anteil an antiinfektiösen Komponenten (. Tab. 4.3): mit Muttermilch ernährte Säuglinge haben eine niedrigere Erkrankungsrate v. a. an infektiösen Durchfallerkrankungen. Im späteren Alter zeigt sich eine geringere Inzidenz von malignen Lymphomen, Diabetes mellitus und Morbus Crohn.
53 4.1 · Ernährung des gesunden Säuglings
4
. Tab. 4.3. Wichtige antiinfektiös wirksame Komponenten der Muttermilch Humorale Komponenten
Immunglobuline (vorwiegend sekretorisches IgA, daneben IgG, IgM, IgD) Lysozym (Lyse von Bakterienzellmembranen) Laktoferrin (entzieht eisenabhängigen Bakterien das Eisen) Laktoperoxidase (oxidative Inaktivierung von Mikroorganismen) Oligo- und Polysaccharide, Glykokonjugate Monoglyzeride, nicht veresterte Fettsäuren (Lyse von Bakterienzellmembranen) Membranen der Milchfettkügelchen (bakterielle Adhäsion)
Zelluläre Komponenten
Neutrophile Granulozyten Makrophagen Lymphozyten Epithelzellmembranen (bakterielle Adhäsion)
Nachteile des Stillens: . Tab. 4.4. . Tab. 4.4. Mit dem Stillen verbundene, potenzielle Nachteile für das Neugeborene Stärkere postpartale Gewichtsabnahme
Cave: dystrophe Neugeborene, Frühgeborene, Neugeborene diabetischer Mütter!
Verstärkter und verlängerter Neugeborenenikterus
Bilirubin im Mittel um etwa 1 mg/dl höher (meist ohne Bedeutung)
Übertragung mütterlicher Infektionen
z. B. Zytomegalie (unreife Frühgeborene!), Virushepatitis, HIV, Tbc
Risiko marginaler Nährstoffversorgung des Kindes
je nach mütterlicher Versorgung, z. B. Vitamin K, D, B12, Jod
Belastung mit von der Mutter aufgenommenen Fremdstoffen
Nikotin, Medikamente, Alkohol, allergen wirksame Proteine aus der mütterlichen Nahrung (z. B. intakte Kuhmilchproteine, bedeutsam ggf. bei allergisch sensibilisierten Säuglingen)
Belastung mit Umweltschadstoffen
Vor allem lipophile Schadstoffe aus dem mütterlichen Fettgewebe (z. B. PCB, DDT, Dioxine). Cave: Reduktionsdiäten mit starker Gewichtsabnahme erhöhen die Belastung der Milch!
Praktische Empfehlungen zum Stillen
4 Ausschließliches Stillen für 4–6 Lebensmonate, dann Zufütterung (Beikost) und weiteres Teilstillen 4 Frühes Anlegen der Neugeborenen zum Stillen möglichst innerhalb der ersten 90 min nach der Geburt 4 In den ersten Tagen häufiges Anlegen zur Förderung der Milchbildung (mindestens alle 6 h für jeweils 5–10 min an beide Brüste) Nicht gestillt werden sollte bei: 4 Bestimmten mütterlichen Infektionen, z. B. HIV, TBC (CMV bei sehr unreifen Frühgeborenen; dann ggf. Milch pasteurisieren)
4 Konsumierenden Erkrankungen der Mutter, z. B. Malignome, Herzfehler, chronische Nierenerkrankungen 4 Mütterlicher Einnahme von ACE-Hemmern, Aminoglykosiden, Benzodiazepinen, Chloramphenicol, Cumarin, Immunsuppressiva oder Thyreostatika (eingeschränkte Empfehlungen je nach Präparat zudem bei Antikonvulsiva, Antibiotika, Laxanzien, Ergotamin-Präparaten) 4 Nikotin-, Alkohol- und Koffeinabusus 4 Bestimmten Stoffwechselstörungen des Kindes, z. B. Galaktosämie
54
Kapitel 4 · Ernährung und Ernährungsstörungen
4.1.2 Supplementierung
4
Alle Säuglinge erhalten zur Bedarfsdeckung zusätzlich zum Stillen (und auch zur Flaschenernährung): 4 Vitamin K: 3-mal je 2 mg Vitamin K p. o. bei der U1, U2 und U3 (Prophylaxe der Vitamin-K-Mangelblutungen) 4 Vitamin D und Fluorid: Zunächst bis zum 2. erlebten Frühjahr Kombinationspräparat mit 500 I.E. Vitamin D p. o. (Prophylaxe der Vitamin-D-Mangelrachitis) plus 0,25 mg Fluorid (Kariesprophylaxe), danach nur Fluorid bis ca. 4. Lebensjahr (wenn regelmäßig fluoridierte Zahnpasta verwendet wird). 4 Iod: Substitution der stillenden Mutter mit tgl. 100–150 μg ! Bei vegan (rein pflanzlich) ernährten Frauen kann es zu einer Vitamin-B12-Mangelversorgung des gestillten Kindes mit schweren und irreversiblen neurologischen Schäden beim Kind kommen. Hier ist unbedingt eine Supplementierung von Mutter und Kind erforderlich.
! Flaschennahrung sollte keinesfalls selbst hergestellt werden (infektiologische Risiken, mangelhafte Zusammensetzung, nicht an den kindlichen Bedarf angepasst).
4.1.4 Säuglingsernährung
und Allergieprävention Die Neugeborenenperiode ist eine kritische Phase für die allergische Sensibilisierung durch Nahrungsmittelproteine. Die Permeabilität des unreifen Gastrointestinaltrakts ist für intakte Fremdproteine erhöht, die Proteine werden vermehrt in Mukosa-assoziiertem lymphatischen Geweben präsentiert und führen so zur Sensibilisierung. Für familiär belastete Neugeborene mit Eltern oder Geschwistern mit allergischer Rhinitis, allergischem Asthma oder Neurodermitis werden die in . Tab. 4.5 genannten Maßnahmen empfohlen. . Tab. 4.5. Empfohlene Ernährung bei Säuglingen mit familiärer Allergiebelastung zur Allergieprävention 1. Vollstillen über mindestens 4 Monate
4.1.3 Säuglingsnahrungen Säuglingsmilchnahrungen auf Kuhmilchbasis sind die Standardflaschennahrungen für gesunde Säugline. Säuglingsanfangsnahrungen (ab der Geburt): »Pre-Nahrungen« enthalten Laktose als einziges Kohlenhydrat, sind am stärksten an die Muttermilch angepasst; Fütterung ad libitum, wie Muttermilch, auch zusätzlich zur Muttermilch. Sie können für die Dauer des ersten Lebensjahres gegeben werden. »1«-Nahrungen: enthalten verschiedene Kohlenhydrate, nicht nur Laktose. Folgenahrungen (Beginn möglich ab Einführung der Beikost): sind weniger an die Muttermilch angepasst, höherer Protein und Energiegehalt, höherer Eisengehalt. Säuglingsanfangs- (oder Folgenahrung) auf Sojabasis: nur bei spezieller Indikation (z. B. Galaktosämie, weltanschaulich begründete Ablehnung von Kuhmilchnahrung). Hypoallergene Nahrung (HA): antigenreduziert durch mäßiggradige Eiweißhydrolyse, für die Dauer des ersten Lebenshalbjahres für nicht (voll) gestillte Kinder mit familiärer Allergiebelastung (als Pre-Nahrungen, »1«-Nahrungen und Folgemilch erhältlich). Hochgradige Eiweißhydrolysatnahrungen oder Aminosäuremischungen: zur Therapie bei gesicherter Kuhmilcheiweißallergien und ggf. bei Malabsorption, sehr teuer, strenge Indikationsstellung.
2. Vermeidung der Zufütterung des Kindes mit Nahrungen, die intaktes Fremdprotein enthalten (Säuglingsnahrungen mit Kuhmilch- oder Sojaeiweiß, Zubereitungen aus Schaf-, Ziegen-, Esels- oder Stutenmilch, Mandelmus u. a.) 3. Nicht oder nicht voll gestillte Säuglinge sollten während der ersten 6 Lebensmonate ausschließlich antigenreduzierte Säuglingsnahrungen erhalten 4. Beikostprodukte nicht vor dem 5. Monat einführen, initial nur eine begrenzte Zahl von Beikostprodukten verwenden
4.1.5 Beikost Beikost sollte schrittweise ab dem 5.–7. Lebensmonat eingeführt werden, zur Sicherung einer bedarfsgerechten Versorgung (z. B. Eisen, Zink, Ballaststoffe). Die kindlichen Eisenspeicher sind gegen Ende des 1. Lebenshalbjahres entleert, Muttermilch liefert nicht mehr ausreichend Eisen. 4 Ab dem 5.–7. Monat: Ersatz einer Milchmahlzeit durch Gemüse-Kartoffel-Brei mit Fleisch oder Eigelb 4 Ab dem 6.–8. Monat: Ersatz einer 2. Milchmahlzeit durch Obst-Getreidebrei 4 Ab dem 7.–9. Monat: Ersatz einer weiteren Milchmahlzeit durch einen 3. Brei (Obst-Getreide-Brei)
55 4.3 · Untergewicht
4 Bis zum Ende des 1. Lebensjahres sollte mindestens 1 Milchmahlzeit pro Tag gegeben werden. 4 Im 1. Lebensjahr ist das Trinken handelsüblicher »Vollmilch« nicht empfohlen; ihr Eisengehalt ist nur gering und die Eisenresorption aus anderen Nahrungsmitteln wird vermindert. 4.2
Ernährung im Kleinkind und Schulalter
Ab dem 10.–12. Lebensmonat findet der Übergang zur Kleinkinder- bzw. Familienkost statt. ! Gezuckerte Tees oder Fruchtsäfte sollten nicht in Nuckelflaschen angeboten werden: Kariesgefahr (»nursing bottle caries«).
Empfehlung für Kleinkinder und Schulkinder: 4 Abwechslungsreiche Mischkost aus Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Milchprodukten (1,5% Fett), pflanzlichen Ölen, Seefisch, Fleisch (wichtig für Eisen- und Zinkversorgung). 4 Regelmäßiger Fleischverzehr zur Deckung des Eisenbedarfs empfohlen besonders für Kleinkinder (rasches Wachstum) und für Mädchen in der Pubertät (erhöhter Eisenbedarf durch Menstruationsverluste). 4 Prävention hoher Cholesterinwerte und früher atherosklerotischer Gefäßveränderungen durch sparsame Zufuhr gesättigter Fette (tierische Fette) und Cholesterin. 4 Vermeidung von übermäßigem Verzehr zuckerhaltiger Speisen (Kariesprävention), insbesondere als Zwischenmahlzeit. Zuckerzufuhr während der Hauptmahlzeiten führt zur Anregung des Speichelflusses durch stärkeres Kauen, der Zahnschmelz wird besser geschützt. 4 Hohe Zufuhr an resorbierbarem Kalzium durch Milch- und Milchprodukte (bevorzugt fettreduziert); die Knochendichte wird dadurch langfristig positiv beeinflusst. 4.3
Untergewicht
Längensollgewicht (%):
4 4 4 4
4
Körpergewicht · 100 Gewichtsmedian für Körperlänge
Normalgewicht: 90%–110% Übergewicht 110–120% Adipositas >120% Untergewicht <90% BMI (Body-Mass-Index):
Gewicht (kg) Körpergröße (m2 )
Für Erwachsene gilt: 4 Norm: 20–25 4 Übergewicht: 25–30 (Grad I) 4 Adipositas II: 30–40 (Grad II) 4 Schwere Adipositas: >40 (Grad III) Für Kinder gelten altersnormierte Referenzwerte; im Kindesalter erfolgt die Beurteilung daher anhand von Perzentilen. Ätiopathogenese. Verminderte Nahrungszufuhr: 4 Nahrungsmangel (z. B. Armut, Vernachlässigung, Stillhindernisse), Fehlernährung (z. B. Diäten), Erbrechen (z. B. Pylorusstenose), Anorexia nervosa, psychosoziale Probleme
Gestörte Nahrungsresorption: 4 Anatomische Störungen (z. B. Kurzdarm), Darmerkrankungen (z. B. Zöliakie, Mukosaschädigung), Nahrungsmittelunverträglichkeiten (z. B. Allergien, Immundefizienz), Pankreaserkrankungen (z. B. Mukoviszidose), entzündliche Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn, bakterielle Infektionen, Fehlbesiedlungen) Exzessiver Kalorienverbrauch: 4 Hypermotorik (z. B. Hochleistungssport), chronische Systemerkrankungen (z. B. Infektionen, Morbus Crohn, maligne Erkrankungen), Hypermetabolismus (z. B. Hyperthyreose), Substratverlust (z. B. Diabetes mellitus, nephrotisches Syndrom) Symptomatik. Gesunde Säuglinge haben ein Fettpolster.
Definition.
4 Kindliches Untergewicht: im Verhältnis zur Körperlänge vermindertes Körpergewicht (<3. Perzentile). 4 Gedeihstörung: Abknicken der vom Kind etablierten Gewichtsperzentile, kann bereits vor dem Erreichen von Untergewicht erfasst werden (z. B. Abknicken von der 60. auf die 15. längenbezogene Gewichtsperzentile)
Bei dystrophen Kindern verschwindet dieses zunächst an Bauchhaut, Extremitäten und Gesäß (»Tabaksbeutelgesäß«). Die Muskulatur verliert an Volumen, die Bauchdecke wird schlaff und dünn (. Abb. 4.1). 4 Fortschreitende Dystrophie: Abzehrung des Kindes, vollständiger Fettschwund (inkl. Bichat-Fettpropf der Wangen), greisenhaftes Gesicht, bleiche, schlaffe Haut und Atrophie.
56
Kapitel 4 · Ernährung und Ernährungsstörungen
Differenzialdiagnostik.
4 Unterernährung: überproportionaler Abfall der Gewichtsperzentile bei zunächst normalem Verlauf von Längen- und Kopfumfangsperzentile 4 Konstitutionelle/genetische/exogene Schädigung: proportionale Retardierung von Gewicht, Länge und Kopfumfang. Komplikationen. Untergewicht kann zu zahlreichen
4
Komplikationen führen, u. a. zu Imbalancen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts, Infektanfälligkeit, eingeschränktem Längen- und Kopfwachstum, verzögerter Pubertätsentwicklung, eingeschränkter mentaler Entwicklung, sekundären Immundefekten und gestörter Wundheilung. Therapie. . Abb. 4.1. Dystrophie
4 Vita minima: Hypothermie, herabgesetzer O2-Bedarf, Bradykardie, Hypoglykämie. Ein plötzlicher, terminaler Gewichtssturz kann schnell zum Tode führen. Vor allem in Entwicklungsländern kommt es z. T. zu schwerer Protein-Energie-Malnutrition: Marasmus (vorwiegend Energiemangel) und Kwashiorkor (vorwiegend Eiweißmangel, s. weiterführende Lehrbücher der Pädiatrie). ! Bei untergewichtigen Kindern kann z. T. durch Ödeme oder große Raumforderungen ein normales Gewicht vorgetäuscht werden.
Diagnostik.
4 Anamnese und Untersuchung: Länge, Gewicht, Kopfumfang, Längensollgewicht, Perzentile (Verlauf, U1–U9, J1), Pubertätsstadien nach Tanner, Messung der Fettfaltendicke zur Bestimmung der Fettmasse. 4 Labor: BB, CRP, Elektrolyte, BGA, Ammoniak, Elektophorese, BZ, TSH, T4,Kreatinin, Harnstoff, GOT, GPT, γ-GT, AP, Bilirubin, IgG, IgM, IgA, t-Transglutaminase, AK, Urin auf organische Säuren und Aminosäuren. 4 Ggf. Zusatzdiagnostik: Schweißtest (CF), Sonographie des Abdomens und des Schädels, Elastase im Stuhl, Stuhl auf pathologische Keime, Würmer, Parasiten, pH-Metrie, Helicobacter-Atemtest, Bildgebung Schädel, Chromosomenanalyse, TORCHDiagnostik (7 Kap. 3).
4 Steigerung der oralen Nahrungszufuhr, ggf. Sondenernährung (z. B. PEG). 4 energetische Anreicherung der Säuglingsnahrung z. B. mit Maltodextrin (Glucosepolymere) oder Öl 4 Hochkalorische Trink- und Sondennahrung 4 ggf. kausale Therapie ! Nach einer Phase mangelnder Nahrungszufuhr, insbesondere beim Säugling, sollte das Nahrungsangebot nur allmählich qualitativ und quantitativ gesteigert werden, da ein sekundärer Mangel an Verdauungsenzymen bestehen kann, der nur allmählich reversibel ist.
4.4
Übergewicht
Definition. Erwachsene gelten ab einem BMI >25 als
übergewichtig, bei Kindern gelten altersnormierte Referenzwerte, die Beurteilung erfolgt daher anhand der Perzentilen. Übergewicht im Kindesalter entspricht einem Gewicht >90. Perzentile, oder einem Gewicht von >120% des Längensollgewichts. Epidemiologie. Ca. 6% der 3- bis 17-jährigen Kinder sind adipös, ca. 15% übergewichtig. Ätiopathogenese. Differenzialdiagnose zur alimentä-
ren Adipositas: 4 Monogenetische Adipositas: z. B. genetischer Leptindefekt (sehr selten!) 4 Hirnorganische Adipositas: z. B. bei Enzephalitis, Tumoren des Dienzephalons, Dystrophia adiposogenitalis kann es zu einer Störung im Bereich des Esszentrums mit Hyperphagie kommen. 4 Hormonelle Störungen: Wachstumshormonmangel, Hypothyreose, Hyperkortisolismus (z. B. Morbus Cushing)
57 4.5 · Vitaminmangel und Hypervitaminosen
4 Syndrome: z. B. Prader-Labhart-Willi Syndrom, Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndrom Diagnostik.
4 Anamnese und Untersuchung: Gewicht, Länge, Perzentile, Messung der Fettfaltendicke an bestimmten Körperstellen, Bestimmung der Impedanz (Messung der elektrischen Leitfähigkeit), Blutdruck 4 Labor: BZ, Harnsäure, nüchtern Triglyzeride, Lipidstatus (Cholesterin, LDL, HDL, LDL/HDL,VLDL, Homocystein, Lp(a)) 4 Ernährungsprotokoll Alimentäre Adipositas Definition. Häufigste Form der Adipositas: Übergewicht aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Energieverbrauch (körperliche Aktivität) und -zufuhr (Speisen und Getränke). Ätiopathogenese. Die Patienten nehmen eine kalorienreiche Ernährung zu sich, haben jedoch nur wenig regelmäßige Bewegung. Nicht selten besteht eine psychosoziale Belastung (wenig Zuwendung, emotionale Spannung, Ersatzbefriedigung Essen, Ablehnung durch Altersgenossen, weitere Isolation, Frustration). Symptomatik. Kinder wachsen normal bis groß, haben z. T. sogar ein akzeleriertes Knochenalter. Es kommt zu einer generalisierten Zunahme des Subkutanfetts (Bauch, Oberschenkel); bei schwerer Ausprägung Striae distensae durch Überdehnung der Subkutis. Bei Knaben besteht oft eine Pseudogynäkomastie und ein Pseudohypogenitalismus (das Genitale wirkt im Verhältnis zum Körper zu klein, v. a. präpubertär). Diagnostik.
4 Anamnese und Untersuchung: Größe, Gewicht, Bauchumfang etc. 4 Labor: BB, CRP, TSH, T3, T4, Kreatinin, Harnstoff, Leberwerte: γ-GT, AP, Bilirubin, STH, GH, Kortisol, Lipidstatus 4 Ernährungsprotokoll
4
4 Gezielte Kalorienbregrenzung (sättigende Speisen, Obst und Gemüse, wenig Fett und Zucker, häufige kleine Mahlzeiten, bewusst langsames Essen, keine Fastenkuren) 4 Psychotherapeutisches Begleitprogramm (Spielund Bewegungstherapie in Gruppen) 4 Einbeziehen der Familie 4.5
Vitaminmangel und Hypervitaminosen
Physiologie. Wasserlösliche Vitamine sind vorwie-
gend als Kofaktoren biochemischer Reaktionen wirksam, sie werden im Körper nur in begrenztem Umfang retiniert und bei überschüssiger Zufuhr in der Regel mit dem Urin ausgeschieden. Fettlösliche Vitamine (A, D, E, K) können in größerem Umfang gespeichert werden. Diagnose. Bei Vitaminmangel entwickeln sich charak-
teristische klinische Bilder, eine Bestätigung erfolgt laborchemisch. Therapie. Substitution des fehlenden/mangelnden Vita-
mins. 4.5.1 Wasserlösliche Vitamine . Tab. 4.6.
Folsäure-Mangel (Vitamin B9-Mangel) und Vitamin B12 Mangel 7 Kap. 9, Hämatologie Vitamin-C-Mangel (L-Ascorbinsäure-Mangel): Skorbut Definition. Seltene, nur bei schwerer Fehlernährung auftretende Hypovitaminose C. Symptomatik. Blutungen, Gingivitis; vermehrte In-
fektanfälligkeit; gestörte Kollagensynthese, schlechte Wundheilung.
Differenzialdiagnostik.
4 Organische Adipositas: Kinder sind eher zu klein 4 Hyperkortisolismus: Striae distensae sind tiefer rot Therapie. Übergewicht ist behandlungsbedürftig. Fol-
geerkrankungen im Erwachsenenalter (Diabetes mellitus, Arteriosklerose, orthopädische Probleme) und psychosoziale Folgen müssen vermieden werden:
Infantiler Skorbut (Möller-Barlow-Krankheit) Ätiopathogenese.
4 Bei Säuglingen, die mit hausgemachten Kuhmilchzubereitungen ohne adäquate Vitamin-C-Zugabe ernährt wurden. 4 Bei gestillten Säuglingen mit unzureichender Vitamin-C-Zufuhr der Mütter
58
Kapitel 4 · Ernährung und Ernährungsstörungen
. Tab. 4.6. Vitaminmangel weiterer wasserlöslicher Vitamine Physiologie
Vorkommen
Äthiopathogenese des Vitaminmangels
Symptomatik
Vitamin-B1Mangel (Thiamin Mangel)
Thiaminpyrophosphat ist Koenzym zahlreicher Stoffwechselreaktionen, z. B. von Karboxylierungsreaktionen und Transketolasereaktionen
Vollkornprodukte
Malabsorption, Lebererkrankungen, Erwachsene: mangelernährte Alkoholiker, gestillte Säuglinge von Müttern mit Thiaminmangel, Südostasien: einseitige Ernährung mit poliertem Reis (Beri-Beri-Erkrankung)
Gedeihstörung, Müdigkeit, periphere Neuropathie, Ataxie, Muskelatrophie, Herzinsuffizienz Infantile Beri-Beri: Trinkschwäche, Apathie, Erbrechen, Unruhe; akut: lebensbedrohliche Herzinsuffizienz
Vitamin-B2Mangel (Riboflavin-Mangel)
Riboflavin ist Bestandteil von Oxireduktasen wirksamer Koenzyme (z. B. FAD)
Milchprodukte, Ei, Fleisch, Leber, grünes Gemüse
Selten, meist als Folge von Galleabflußstörungen
Mundwinkelrhagaden (Perlèche), glatte, glänzende, hochrote Luppen, periorale Dermatitis, Glossitis, Keratitis, vermehrter Tränenfluss, Korneavaskularisation, Katarakt
Vitamin-B3Mangel (Niacin-Mangel)
Nikotinsäure und Nikotinsäureamid (gemeinsam Niacin) werden für die Bildung von Nikotin-AdeninDinukleotid (NAD) und NADP benötigt (Lipidsynthese, Fettsäureoxidation, anaerobe Glykolyse etc.)
Bildung aus Tryptophan aus Eiern und Kuhmilch
Malnutrition
Pellagra Trias: Dermatitis (v.a. an der belichteten Haut), Diarrhoe, Demenz; atrophische Glossitis, Depression, Lethargie, Delir, periphere Neuropathie und Muskelschwäche
Vitamin-B6Mangel (PyridoxinMangel)
Pyridoxin, Pyridoxal, Pyridoxamin sind Vorstufen des Pyridoxalphosphats und Pyridoxaminphosphats, die als Koenzym bei mehr als 100 enzymatischen Reaktionen des Intermediärstoffwechsels (u. a. der Aminosäure-, Phospholipidund Myelinsynthese) und der Neurotransmittersynthese mitwirken
Leber-, Hühner-, Schweinefleisch, Fisch, Karotten.
Malnutrition
Anorexie, Gewichtsverlust, Dermatitis, Glossitis, Mikrozytäre Anämie, zerebrale Krampfanfälle, periphere Neuropathie
PantothensäureMangel (früher: Vitamin B5)
Pantothensäure und Pantothenol sind Vorstufen des Coenzyms A, das Fettsäuren und Azetylgruppen aktiviert
Leber, Niere, Fleisch, Hering, Ei, Vollkornprodukten
Selten, bei schwerster Malnutrition
Periphere Neuropathie
Biotin-Mangel (Vitamin H)
Biotin ist Koenzym verschiedener Karboxylierungsreaktionen
Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Ei, Leber, Reis
Malnutrition Längerfristige Ernährung mit rohem Hühnereiweiß, das ein Biotin-bindendes Protein (Avidin) enthält DD: angeborener Biotinidasemangel (Ausschluss im Neugeborenenscreening)
Gedeihstörung, desquamative Dermatitis mit Haarausfall
4
59 4.5 · Vitaminmangel und Hypervitaminosen
4
Symptomatik.
Symptomatik.
4 ZNS: Unruhe, Hyperexzitabilität 4 Gastrointestinaltrakt: Anorexie, Gedeihstörung 4 Haut: Blutungen, typischerweise subperiostal an den langen Röhrenknochen, petechiale Blutungen, Schleimhautblutungen, Hämaturie, gastrointestinale Blutungen, livides, leicht blutendes Zahnfleisch 4 Skelett: 5 Schmerzhafte Schwellung der Extremitäten mit Pseudoparalyse und Froschbeinhaltung (»Hampelmann-Phänomen«) 5 »Skorbutscher Rosenkranz«: durch Subluxationen der Knochen-Knorpel-Verbindungen der Rippen (»Stufenbrust«)
4 Verlangsamte Dunkeladaptation (Frühsymptom) 4 Xerophthalmie mit konjunktivaler Xerose (Austrocknung) 4 Korneatrübung (Keratomalazie) 4 Entwicklung trockener, silbergrauer Flecken auf der Konjunktiva (Bitot-Flecken) 4 In schweren Fällen Erblindung 4 Epithelschädigung anderere Geweben mit Bronchitiden, gastrointestinalen Symptomen, Gallenund Nierensteine, gestörtem Knochenwachstum und Anämie
! Eine Überdosierung von Vitamin C (>4 g/Tag) kann durch die gesteigerte Ausscheidung von Oxalsäure zur Oxalatsteinbildung führen.
Hypervitaminosen Beispiele Hypervitaminose A Definition. Akute Vitamin-A-Intoxikation ab einer Zu-
fuhr >300 000 IE/Tag. Symptomatik.
4.5.2 Fettlösliche Vitamine Vitaminmangel fettlöslicher Vitamine (. Tab. 4.7) Vitamin-A-Mangel (Retinol-Mangel) und Provitamin-A-Mangel (Carotinoid-Mangel) Vitamin A ist Bestandteil tierischer Lebensmittel. In pflanzlichen Lebensmitteln sind Carotinoide enthalten, aus denen im Körper Vitamin A gebildet werden kann. Die Vitamin A-Verfügbarkeit ist abhängig von Zufuhr, Resorption und Vorhandensein von Bindungsproteinen, u. a. des RBP (Retinol-bindendes Protein).
4 Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit 4 Anorexie, Erbrechen 4 Erhöhter Hirndruck (bei Säuglingen mit vorgewölbter Fontanelle) 4 Chronisch: 5 Appetitverlust, Gedeihstörung 5 Mundwinkelrhagaden; trockene, juckende Hautveränderungen mit Haarausfall 5 Hepatomegalie 5 Diaphysäre, kortikale Hyperostosen der langen Röhrenknochen (schmerzhaft) ! Vitamin A in hoher Dosis ist teratogen.
. Tab. 4.7. Vitaminmangelsyndrome weiterer fettlöslicher Vitamine Physiologie Vitamin-D-Mangel
7 Kap. 15
Vitamin-E-Mangel (α-Tocopherolmangel)
α-Tocopherol, Tokol- und Tokotrienverbindungen sind fettlösliche Substanzen, die die Zellmembranen vor perioxidativer Schädigung schützen
Vitamin K Mangel
7 Kap. 3, Neonatologie und 7 Kap. 9, Hämatologie
Vorkommen
Symptomatik
Pflanzliche Lebensmittel, pflanzliche Öle Mangel v. a. bei Frühgeborenen (geringe Reserven), Maldigestion, Malabsorption
Hämolytische Anämie, verkürzte Überlebensdauer der Erythrozyten, Thrombozytose Ältere Kinder: neuronoaxonale Dystrophie, gestörte Sensibilität, Reflexausfälle, Myopathie, Ophthalmoplegie, Ataxie, spinozerebelläre Degeneration
60
Kapitel 4 · Ernährung und Ernährungsstörungen
Hypervitaminose D Ätiopathogenese. Eine Vitamin-D-Überdosierung führt zu einer vermehrten Resorption von Kalzium aus Darm und Skelett und zur Hyperkalzämie. Symptomatik.
4
4 4 4 4 4
Hyperkalzämie, Hyperkalziurie Polyurie, Polydipsie, Dehydratation Erbrechen, Obstipation Bradykardie und Herzstillstand Kalziumablagerungen in Leber, Niere (Nephrokalzinose), Blutgefäßen
Therapie. Stopp der Vitamin-D-Zufuhr und stark ein-
geschränkte Kalziumzufuhr; in schweren Fällen: Kortikoide (Vitamin-D-Antagonist), Kalzitonin.
5 5 Stoffwechselstörungen Carolin Kröner, Berthold Koletzko, Regina Ensenauer 5.1
Aminosäurenstoffwechsel – 62
5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.1.7
Allgemeines – 62 Störungen des Stoffwechsels aromatischer Aminosäuren – 62 Störungen des Stoffwechsels verzweigtkettiger Aminosäuren – 65 Störungen im Stoffwechsel schwefelhaltiger Aminosäuren – 67 Störungen der Harnstoffsynthese – 68 Weitere Enzymopathien des Aminosäurenstoffwechsels – 69 Renale Aminosäurentransportdefekte – 69
5.2
Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels – 70
5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5
Hypoglykämien – 70 Glykogenosen – 70 Störungen des Galaktosestoffwechsels – 72 Störungen des Fruktosestoffwechsels – 73 Diabetes mellitus – 74
5.3
Fettstoffwechsel
– 77
5.3.1 Hyperlipoproteinämien (HLP) – 77 5.3.2 Hypolipoproteinämien – 79
5.4
Sterolstoffwechselstörungen – 80
5.5
Sphingolipidosen
5.6
Peroxisomale Störungen
5.7
Purin-/Pyrimidinstoffwechselstörungen – 82
5.8
Kongenitale Defekte der Glykosylierung
5.9
Störungen im Abbau komplexer Kohlenhydrate (Heteroglykanosen) – 82
– 80 – 81
5.9.1 Mukopolysaccharidosen – 82 5.9.2 Oligosaccharidosen – 83 5.9.3 Mukolipidosen – 83
– 82
62
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
5.1
Aminosäurenstoffwechsel
5.1.1 Allgemeines Ätiopathogenese. Enzymdefekte des Aminosäurenstoffwechsels werden häufig autosomal-rezessiv vererbt, zugrunde liegt meist ein Mangel an Enzym (Apoenzymdefekt) oder ein Mangel eines für die Enzymreaktion notwendigen Kofaktors.
und LCHAD/MTP-Mangel), Carnitinzyklusdefekte (Carnitin-Palmitoyl-Transferase (CPT)I/II- und CACT-Mangel), Organoazidurien (Glutarazidurie Typ I, Isovalerianazidämie) 5.1.2 Störungen des Stoffwechsels
aromatischer Aminosäuren Phenylketonurie
5
Diagnostik. Frühdiagnose durch Neugeborenen-Screen-
ing oder selektives Stoffwechsel-Screening. Neugeborenenscreening.
4 Kapilläre Blutentnahme aus der Ferse (Trockenblut auf Filterpapier) ab der 36. Lebensstunde. 4 Ausnahme: erste Probenentnahme vor der 36. Lebensstunde (dann 2. Screening notwendig, z. B. bei U2): 5 Vor Bluttransfusion/Austauschtransfusion. 5 Vor Behandlung mit Kortikosteroiden oder Dopamin. 5 Vor Verlegung in eine andere Institution. 5 Bei früher Entlassung vor der 36. Lebensstunde. 4 Suche nach folgenden Erkrankungen durch konventionelle Verfahren: 5 Hypothyreose, Adrenogenitales Syndrom, Biotinidase-Mangel, Klassische Galaktosämie 4 bzw. durch Tandem-Massenspektrometrie (TMS): 5 Aminoazidopathien (Phenylketonurie, Hyperphenylalaninämie, Ahornsiruperkrankung), Fettsäureoxidationsdefekte (MCAD-, VLCAD-
Definition. Gestörte Umwandlung von Phenylalanin zu
Tyrosin durch defekte Phenylalaninhydroxylase (PAH) oder Störung des Kofaktors Tetrahydrobiopterin (BH4). Vermehrte Urinausscheidung von Phenylbrenztraubensäure (ein Keton, daher der Name »Phenylketonurie«) (. Abb. 5.1). Einteilung. Drei Schweregrade je nach Enzymrestaktivität: . Tab. 5.1. Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 1:7 000. Ätiopathogenese. Hohe Phenylalaninkonzentratio-
nen hemmen die Tyrosin- und Tryptophanhydroxylase, dadurch Defizit der Neurotransmitter Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Adrenalin und Melanin. Zudem hemmt Phenylalanin die intrazerebrale Protein- und Myelinsynthese und fördert den Myelinabbau. Symptomatik. Bei früher Diagnose und Therapie: unauffällige Entwicklung.
. Abb. 5.1. Störungen des Stoffwechsels aromatischer Aminosäuren. 1 Phenylalaninhydroxylase-Defekt→PKU, HPA 3 Tetrahydrobiopterinsynthese-Defekt→atypische PKU 2 Dihydropteridinreduktase-Defekt→atypische PKU 4 Fumarylazetoazetase-Defekt→Hypertyrosinämie Typ-1
63 5.1 · Aminosäurenstoffwechsel
. Tab. 5.1. 3 Schweregrade der PKU Phenylalanin i. S.
5
Ziel: Phenylalaninspiegel: 4 0,7-4 mg/dl (bis 10. Lebensjahr), 0,7-15 mg/dl (bis 16. Lebensjahr), 0,7–20 mg/dl (>16. Lebensjahr).
Restaktivität des Enzyms (PAH)
> Bei PKU ist eine lebenslange Therapie erforderlich.
Komplikationen. Maternale Phenylketonurie: Erhöhte
Klassische PKU
>1 200 μmol/l
<1%
Milde PKU
600–1 200 μmol/l
1–3%
Milde Hyperphenylalaninämie
120–600 μmol/l
3–10%
Unbehandelt: 4 Anfangs normale Entwicklung, ab 4.–6. Lebensmonat: fortschreitende psychomotorische Retardierung, Krampfanfälle, hellblonde Haare, blaue Augen, exzematöse Hautveränderungen, Mäusekot- oder pferdestallähnlicher Uringeruch nach Phenylessigsäure. 4 Progrediente ZNS-Schädigung bis zur Pubertät, in ca. 50% schwere mentale Retardierung. Diagnostik.
4 Neugeborenen-Screening: Phenylalaninkonzentrationen im Trockenblut erhöht (>2 mg/dl=120 μmol/l) 4 Labor: Plasmaphenylalaninspiegel erhöht, Phenylalanin/Tyrosin-Ratio erhöht 4 Ausschluss eines BH4-Defekts (s. u.) durch: 1. Bestimmung des Pterin-Musters im Urin und der Dihydropterin-Reduktase (DHPR)-Aktivität im Blut 2. BH4- oder kombinierter Phenylalanin-/BH4Belastungstest 4 Mutationsanalyse des PAH-Gens
Phenylalaninspiegel in der Schwangerschaft führen zu einer Embryo-Fetopathie mit Fehlgeburten, Dystrophie, Mikrozephalie, mentaler Retardierung und kardialen Fehlbildungen. Bei Kinderwunsch ist eine streng phenylalaninarme Diät bereits vor der Konzeption und während der gesamten Schwangerschaft einzuhalten, welche Schäden verhindern kann. Prognose. Bei Diagnose und konsequenter Diät ab der Neugeborenenperiode altersentsprechende Entwicklung; bei später einsetzender Diät meist noch Besserung möglich.
Hyperphenylalaninämien durch Tetrahydrobiopterinmangel (BH4) Definition. Früher Mangel an Tetrahydrobiopterin (BH4) (Kofaktor der Phenylalaninhydroxylase) führt zu erhöhtem Blut-Phenylalanin. Zudem wird BH4 für die Neurotransmittersynthese benötigt (Hydroxylierung von Tyrosin und Tryptophan). Diagnostik.
4 Im Neugeborenen-Screening erhöhte Phenylalaninspiegel. 4 Neurologische Symptome trotz phenylalaninarmer Diät. 4 BH4-Belastungstest: orale BH4-Gabe aktiviert Phenylalaninhydroxylase, innerhalb weniger Stunden Phenylalanin-Abfall und Tyrosin-Anstieg im Blut.
Therapie. Diätetische Therapie mit dem Ziel der Nor-
malisierung der erhöhten Phenylalaninspiegel: 4 Phenylalaninfreie Säuglingsdiät in den ersten Tagen zur raschen Senkung der Phenylalaninspiegel. 4 Dann phenylalaninarme Diät. Phenylalanin ist eine essenzielle Aminosäure und muss in kleinen Mengen mit der Nahrung zugeführt werden, bei Säuglingen durch begrenzte Mengen Muttermilch oder Säuglingsnahrung. 4 Später eiweißreduzierte Nahrung: keine Milchprodukte, kein Fleisch oder Fisch; eiweißarme Lebensmittel. Natürliche Proteine enthalten ca. 5% Phenylalanin; Eiweißsubstitution mit phenylalaninfreiem Aminosäuregemisch.
Therapie. Keine Durchführung einer phenylalaninarmen Diät (außer: DHPR-Mangel), sondern Substitution von Tetrahydrobiopterin und Neurotransmittervorstufen (L-Dopa/Karbidopa, 5-OH-Tryptophan).
Hypertyrosinämien Hypertyrosinämie Typ I (hepatorenale Hypertyrosinämie) Definition. Defekte Fumarylazetoazetase (Fumarylazetoazetat-Hydrolase, FAH), katalysiert den Umbau von Fumarylazetessigsäure zu Fumarsäure und Azetessigsäure (Abbauweg des Tyrosins, . Abb. 5.1). Epidemiologie. Häufigkeit: 1:700 (Quebec) bis zu
1:50 000 (Norwegen).
64
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
Symptomatik. Akutes Leberversagen oder chronische
Therapie.
Leberzirrhose mit Gefahr der Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms; renaltubuläre Dysfunktion (De-Toni-Debré-Fanconi-Syndrom, 7 Kap. 5.1.4).
4 NTBC (2-(2-Nitro-4-Trifluoromethyl-benzoyl)1,3-zyklohexadion) hemmt die Bildung von Succinylaceton und anderer toxischer Tyrosinabbauprodukte. 4 Tyrosin- und phenylalaninarme Diät 4 Ggf. Lebertransplantation
Diagnostik.
5
4 Labor: Succinylaceton in Plasma und Urin erhöht; 5-Aminolävulinsäure-Dehydratase-Aktivität erniedrigt (Inhibierung durch Succinylaceton); evtl. Tyrosin-, Methionin- und Phenylalanin-Konzentrationen im Plasma erhöht. 4 FAH-Aktivität in Leber oder Fibroblasten erniedrigt. 4 Mutationsanalyse des FAH-Gens
Prognose. Ohne Therapie häufig frühes Leberversagen. ! Bei Leberversagen im Kindesalter muss immer auch an eine Hypertyrosinämie Typ I gedacht werden.
. Tab. 5.2. Weitere Störungen des Stoffwechsels aromatischer Aminosäuren Hypertyrosinämie Typ II (okulokutane Hypertyrosinämie)
Alkaptonurie
Albinismus (okulokutane Form)
Definition
Störung der zytosolischen Tyrosin-Aminotransferase, die am Abbau von Tyrosin zu 4-Hydroxyphenylpyruvat beteiligt ist.
Defekt der HomogentisinsäureDioxygenase
Defekt der Melaninbildung bei der Umwandlung von Tyrosin über Dopa und Dopa-o-Chinon
Pathogenese
Akkumulation von Tyrosin in Plasma und Liquor, kristalline Ablagerung von Tyrosin in der Kornea.
Akkumulation von Homogentisinsäure und ihres Derivats Benzoquinonazetat, Ablagerung in Haut, Schleimhaut und Knorpeln
Fehlen von Melanin
Symptomatik
4 Palmare und plantare Hyperkeratosen 4 Bds. Herpetiforme Keratokonjunktivitis mit Ulzerationen 4 Entwicklungsstörung (60%)
4 Typische Trias: 4 Nachdunkeln des Urins durch Oxidation der Homogentisinsäure 4 Ochronose: Dunkelfärbung von Knorpel und Skleren durch Ablagerung 4 Arthritis: bei älteren Patienten degenerative Veränderungen an allen großen Gelenken und der Wirbelsäule
4 Weiße, sehr sonnenempfindliche Haut 4 Weißes Haar 4 Transparente Iris mit durchscheinender Choroidea: zentrale Skotome, beeinträchtigte Sehschärfe
Diagnostik
Tyrosin im Plasma ↑↑↑, 4-Hydroxyphenylpyruvat, -laktat, -acetat im Urin ↑, Enzymaktivität in der Leber ↓, Mutationsanalyse
Im Urin: Homogentisinsäure ↑↑
Klinisch
Therapie
Tyrosin- und phenylalaninarme Diät
Eiweißarme Diät
Sonnenschutz von Haut und Makula
Prognose
Unter Therapie Rückbildung der kornealen und kutanen Veränderungen
Normale Lebenserwartung, jedoch Komplikationen durch Ablagerungen an Gelenken, Gefäßen und Myokard
Erhöhte Inzidenz an Hauttumoren, Sehschärfe beträgt nur ca. 10% der normalen Sehschärfe.
65 5.1 · Aminosäurenstoffwechsel
5.1.3 Störungen des Stoffwechsels
verzweigtkettiger Aminosäuren Ahornsirupkrankheit (Maple Syrup Urine Disease, MSUD) Definition. Mangel des verzweigtkettigen 2-Oxosäurendehydrogenase-Komplexes mit gestörtem Abbau (gestörter oxidativer Dekarboxylierung) von Leucin, Isoleucin und Valin (BCAAs = Branched-Chain Amino Acids).
5
Dauertherapie: 4 Eiweißarme Nahrung, Eiweißsubstitution durch BCAA-freie Aminosäuremischungen (angereichert mit Vitaminen und Spurenelementen). 4 Bei katabolen Zuständen (OP, Infekt): hochdosierte Glukose- und Insulininfusion 4 Evtl. begleitend Thiamingabe bei nachgewiesender Thiaminsensitivität Prognose. Bei frühzeitiger Therapie befriedigende
Prognose. Unbehandelt Tod im Säuglingsalter. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:100 000 bis 1:200 000.
Einteilung der Ahornsirupkrankheit Klassische (akut-neonatale) Form: Akute Dekompensation in den ersten Lebenstagen mit Somnolenz, Trinkschwäche, Ketose, Enzephalopathie, Koma, Uringeruch nach Ahornsirup (wie Maggi, Lakritz). Bei Restaktivität des Enzyms Intermediärform (chronische Form): rezidivierendes Erbrechen, Gedeihstörung, Entwicklungsstörung, oder Intermittierende (»late-onset«) Form: unauffällige Entwicklung, Symptome nur im Rahmen kataboler Phasen (z. B. Infekte), intermittierende metabolische Entgleisungen mit Lethargie, Ataxie.
Ätiopathogenese. Akkumulation von Leucin, Isoleucin
und Valin und ihrer korrespondierenden 2-Oxosäuren in Organen und Körperflüssigkeiten.
! Bei MSUD besteht bei Katabolismus (z. B. Infekt, OP) die Gefahr der Entwicklung einer schweren, lebensbedohlichen Ketoazidose und eines Gehirnödems.
Organoazidurien Definition. Störungen im Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAAs) Leucin, Isoleucin oder Valin, dadurch vermehrte Ausscheidung organischer Säuren (. Tab. 5.3). Ätiopathogenese. Akkumulation organischer Säuren, dadurch: 4 Hemmung der Pyruvatdehydrogenase und sekundärer Laktatanstieg mit metabolischer Azidose 4 Hemmung der Pyruvatcarboxylase und Hypoglykämie 4 Hemmung der Acetylglutamatsynthetase mit Hyperammonämie und der Entwicklung eines Gehirnödems 4 Endogene Detoxifizierung durch Veresterung mit Carnitin, es resultiert ein Carnitinmangel.
Diagnostik.
4 Frühdiagnose im Neugeborenenscreening (TMS) 4 Labor: Leucin, Isoleucin, Valin und Alloisoleucin (beweisend) im Plasma erhöht, schwere Ketose oder Ketoazidose; Urin: Verzweigtkettige 2-Oxound 2-Hydroxysäuren erhöht Therapie. Akuttherapie (intensivmedizinisch):
4 Stopp der Zufuhr von natürlichem Eiweiß (nicht länger als 12 h). 4 Hochkalorische, parenterale Anabolisierung (Insulin, Glukose und Lipide i.v.) und Weiterführung der enteralen Zufuhr von BCAA-freiem Aminosäurengemisch zum Durchbrechen des Katabolismus. 4 Ggf. Detoxifikation durch Austauschtransfusion, Hämodialyse, -filtration zur Entfernung der toxischen Metabolite.
Symptomatik. Leitsymptom sind periodisch auftre-
tende metabolische Azidosen, ausgelöst v. a. durch Katabolie (Infekte, Fasten, OP). Diagnostik.
4 Neugeborenenscreening bei IVA 4 Labor: metabolische Azidose, Hyperlaktatämie, Hyperammonämie, Hypoglykämie, freies Carnitin im Blut erniedrigt, im Urin organische Säuren 4 Erniedrigte Enzymaktivität in Fibroblasten, Mutationsanalyse
66
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
. Tab. 5.3. Wichtige Organoazidurien Methylmalonazidämie (MMA)
Propionazidämie (PA)
Isovalerianazidämie (IVA)
Multipler Carboxylasemangel
Definition
Defekt der Methylmalonyl-CoA-Mutase
Defekt der PropionylCoA-Carboxylase
Defekt der IsovalerylCoA-Dehydrogenase
Störung im Abbau mehrerer organischer Säuren durch Biotinmangel (angeboren bei Biotinidasemangel oder erworben) oder durch die fehlende Bindung von Biotin an Apocarboxylasen (HolocarboxylaseSynthetase-Mangel). Biotin ist ein für die Carboxylierung benötigter Kofaktor.
Symptomatik
4 Schwere, metabolische Ketoazidosen im Neugeborenenalter 4 Panzytopenie, mentale Retardierung, extrapyramidale Bewegungsstörungen, Pankreatitis, progrediente Niereninsuffizienz
4 Schwere, metabolische Ketoazidosen im Neugeborenenalter 4 Panzytopenie, mentale Retardierung, extrapyramidale Bewegungsstörungen, Pankreatitis, Kardiomyopathie
4 Ketoazidose 4 Intensiver »Schweißfuß«-Geruch
4 Metabolische Azidose 4 Muskelhypotonie, Ataxie 4 Ekzem, Alopezie
Therapie
Valin-, Isoleucin-, Methionin- und Threonin-reduzierte Diät, L-CarnitinSubstitution
Valin-, Isoleucin-, Methionin- und Threonin-reduzierte Diät, L-Carnitin-Substitution
Protein- bzw. Leucinreduzierte Diät, Substitution von L-Carnitin, ggf. von L-Glycin
Normalisierung des Stoffwechsels durch Biotin-Substitution
5
Therapie. Akuttherapie (intensivmedizinisch):
4 Stopp der Zufuhr von natürlichem Eiweiß (nicht länger als 12 h) 4 Hochkalorische, parenterale Anabolisierung (Insulin, Glukose und Lipide i.v.) und Weiterführung der enteralen Zufuhr von Leucin (bzw. Isoleucin, Valin, Methionin, Threonin) – freiem Aminosäurengemisch; Azidosebehandlung; L-Carnitin i.v. zur Ausschleusung toxischer Metabolite (plus L-Glycin p.o. bei IVA); ggf. Austauschtransfusion, Hämodialyse, oder -filtration zur Entfernung der toxischen Metabolite; ggf. Organtransplantation (MMA, PA).
Dauertherapie: 4 Eiweißarme Diät; Substitution einer Aminosäuremischung ohne Leucin bzw. ohne Isoleucin, Valin, Methionin, Threonin, L-Carnitin (plus L-Glycin bei IVA); ggf. Metronidazol (Reduktion der mikrobiellen enteralen Propionat-Produktion bei MMA/PA). Bei multiplem Carboxylasemangel: Biotin p. o. Störungen der mitochondrialen Fettsäurenoxidation Definition. Enzymatische Defekte der mitochondrialen Fettsäurenoxidation (FAO) mit gestörter Energieproduktion.
67 5.1 · Aminosäurenstoffwechsel
5
Therapie. Einteilung der Störungen der mitochondrialen Fettsäurenoxidation 4 Carnitinzyklus-Defekte: – Carnitintransporter-Defekt (CTD; primärer Carnitinmangel), Carnitin-Palmitoyltransferase-1-Mangel (CPT1-Mangel), CarnitinAcylcarnitin-Translokase-Mangel (CACTMangel), Carnitin-Palmitoyltransferase-2Mangel (CPT2-Mangel) 4 Störungen der mitochondrialen β-Oxidation von Fettsäuren: – (Über)Langkettigen-Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel (VLCAD-Mangel), Langkettigen-Hydroxyacyl-CoA-DehydrogenaseMangel (LCHAD-Mangel)/Defekt des Mitochondrialen Trifunktionalen Proteins (MTP), Mittelkettigen-Acyl-CoA-DehydrogenaseMangel (MCAD-Mangel, häufigster FAODefekt), Kurzkettigen-Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel (SCAD-Mangel)
4 Vermeidung prolongierter Fastenperioden, häufige kohlenhydratreiche Mahlzeiten 4 Akute Krise: hochdosiert Glukose i.v., ggf. mit Insulin 4 Mittelkettige Triglyzeride (MCT) bei langkettigen FAO-Defekten/Carnitinzyklus-Defekten 4 Carnitin bei Carnitinmangel (insbesondere CTD; nicht bei langkettigen FAO-Defekten/übrigen Carnitinzyklus-Defekten) 5.1.4 Störungen im Stoffwechsel
schwefelhaltiger Aminosäuren Homocystinurie Definition.
Defekt der Cystathionin-β-Synthase (Syntheseweg des Cysteins aus Methionin) und gestörter Synthese von Cystathionin aus Homozystein und Serin. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:200 000 bis 1:300 000
Symptomatik.
4 Bei Katabolie (z. B. Infekt, Fasten, OP) hypoketotisch-hypoglykämisches Koma mit Leberbeteiligung, Hyperammonämie. Häufig Erstmanifestation im späten Säuglingsalter, falls nicht im Neugeborenenscreening diagnostiziert. 4 Langkettige FAO-Defekte/Carnitinzyklus-Defekte: Schwere neonatale Laktatazidose, Kardiomyopathie, Rhabdomyolysen, muskuläre Hypotonie, Hepatopathie. 4 LCHAD-/MTP-Mangel: zusätzlich Neuropathie, Retinopathie. Cave: Schwangere mit einem betroffenen Fetus können sich mit einem HELLP-Syndrom präsentieren. Diagnostik.
4 Neugeborenenscreening (MS; Ausnahmen: CTD, SCAD-Mangel) 4 Labor: erhöhte spezifische Acylcarnitine, freies Carnitin im Blut erniedrigt (Ausnahme: CPT1Mangel) 4 Organische Säuren im Urin: Nachweis spezifischer pathologischer Metabolite (Dicarbonsäuren, Acylglycine) 4 Akute Krise: Hypoglykämie, (Laktat)azidose, Ketonkörper erniedrigt/fehlend, freie Fettsäuren im Plasma erhöht. Erhöhung von Transaminasen, CK, Ammoniak, ggf. Myoglobinurie 4 Enzymaktivität in Fibroblasten, Lymphozyten erniedrigt 4 Mutationsanalyse
(Irland 1:65 000). Ätiopathogenese. Akkumulation von Homocystein
und Methionin (durch Remethylierung von Homocystein) führt zu Bindegewebsläsionen und vermehrter Thrombozytenadhäsivität. Symptomatik.
4 Klinische Trias (DD: Marfan-Syndrom): Linsendislokation (nach unten), Langgliedrigkeit, kardiovaskuläre Erkrankungen 4 Thromboembolische Komplikationen, psychomotorische Retardierung (60%), psychiatrische Auffälligkeiten und zerebrale Krampfanfälle (50%), Myopie, Glaukom, Osteoporose. 4 Charakteristisches Aussehen: marfanoider Habitus, dünne Haare, Kyphoskoliose, eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit Diagnostik.
4 Labor: Homocystein und Methionin im Plasma erhöht, Cystin erniedrigt 4 Urin: Homocysteinausscheidung stark erhöht, positiver Zyanid-Nitroprussid-Test (Brandprobe): Nachweis schwefelhaltiger Säuren 4 Enzymaktivität in Fibroblasten erniedrigt 4 Mutationsanalyse des CBS-Gens Therapie.
4 Vitamin B6 (100–1 000 mg/Tag) plus Folsäure 5–10 mg/Tag (ca. 10% Pyridoxin-responsive Patienten)
68
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
4 Bei Nichtansprechen: methioninarme, cystinreiche Diät 4 Betain zur Remethylierung von Homocystein zu Methionin 4 Ggf. Vitamin B12, Vitamin C Cystinose Definition. Lysosomale Transportstörung von Cystin
kann bei frühzeitigem Therapiebeginn weitgehend erhalten werden. 4 Symptomatisch: Ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit, Pufferung (Natrium-, Kaliumbikarbonat), Elektrolytsubstitution. Phosphatsubstitution und Vitamin-D-Substitution bei hypophosphatämischer Rachitis. Ggf. Carnitinsupplementation. Ultima ratio: Hämodialyse, Nierentransplantation.
mit Speicherung von Cystin in fast allen Geweben.
5
Epidemiologie. Häufigkeit: 1:180 000. Ätiopathogenese. Cystinosin ist ein lysosomales Membranprotein, das für den Transport des Cystins aus den Lysosomen verantwortlich ist. Ein Defekt des Proteins führt zur Speicherung von Cystin v. a. in retikuloendothelialen Zellen verschiedender Organe: Kornea, Konjunktiva, Schilddrüse, Leber, Milz, Pankreas, Niere, Gonaden, Lymphknoten, Knochenmark, Muskel und ZNS. Symptomatik.
4 In der Niere entstehen schwere Funktionsstörungen, zunächst am Tubulus, später am Glomerulus. 4 Kinder oft hellblond, hellhäutig und lichtscheu (Cystinkristalle in Kornea und Konjunktiva) 4 Zunächst: normale Entwicklung 4 Später: Appetitlosigkeit, Erbrechen, Gewichtsstillstand, Dystrophie, Fieber, Organomegalien, Blindheit, zerebrale Atrophie, Diabetes mellitus, Hypothyreose 4 DeToni-Debré-Fanconi-Syndrom: Generalisierte Hyperaminoazidurie, vermehrte Ausscheidung von Glukose, Phosphat, Kalzium, Kalium, Natrium und Bikarbonat, Polyurie, Vitamin-D-resistente Rachitis, renale Azidose ! Bei Cystinose können schwere Stoffwechselkrisen im Rahmen von Infekten durch Dehydratation und Elektrolytverluste schon im Säuglingsalter zum Tod führen.
Diagnostik.
4 Nachweis intrazellulärer Cystinvermehrung in peripheren Leukozyten, Fibroblasten, Amnionzellen; Mikroskopisch Cystinspeicherung an Nativpräparaten von Knochenmark, Lymphknoten (doppelbrechende Kristalle in polarisiertem Licht), Spaltlampenuntersuchung: Cystinkristalle in Kornea und Konjunktiva, Mutationsanalyse des CTNS-Gens Therapie.
4 Cysteamin wirkt cystinbindend und reduziert so die Cystinspeicherung. Die glomeruläre Funktion
Prognose. Oft jahrelanges relatives Wohlbefinden, jedoch Kleinwuchs, Durst und Polyurie; dann progrediente, terminale Niereninsuffizienz und hypokalzämische Krampfanfälle im Schulalter.
5.1.5 Störungen der Harnstoffsynthese Definition/Ätiopathogenese. Beim Aminosäureabbau
entstehendes NH3 (Ammoniak) wird hauptsächlich durch hepatische Harnstoffbildung entgiftet. Harnstoffzyklusdefekte durch Defekte der beteiligten Enzyme manifestieren sich in jedem Lebensalter, typischerweise mit einer Hyperammonämie. Die Effektivität der NH3Entgiftung der Leber wird durch die Glutaminsynthese gesteigert, Glutamin fungiert dabei als Puffer. Zu hohe Glutaminkonzentrationen können zum Hirnödem führen. Eine erhöhte Glutaminkonzentration im Plasma ist der empfindlichste Parameter für eine unzureichende Harnstoffsynthese.
Beispiele für Störungen der Harnstoffsynthese 4 Ornithin-Transcarbamylase-Mangel (OTC-Mangel, häufigster Harnstoffzyklusdefekt, X-chromosomal, bei Jungen oft neonatal letal) 4 Carbamylphosphat-Synthetase-I-Mangel (CPS I-Mangel) 4 Citrullinämie (Mangel der ArgininosuccinatSynthetase (ASS)) 4 Argininbernsteinsäurekrankheit (Mangel der Argininosuccinat-Lyase (ASL)) 4 HHH-Syndrom (Hyperammonämie, Hyperornithinämie, Homocitrullinämie)
Epidemiologie. Häufigkeit: 1:8 000. Symptomatik.
4 Neugeborene und Kleinkinder: Lethargie, Trinkschwäche, Erbrechen, Hyperventilation, Krampfanfälle, Ataxie, Areflexie, Enzephalopathie und Koma
69 5.1 · Aminosäurenstoffwechsel
4 Erwachsene: Chronische neurologische und psychiatrische Auffälligkeiten mit Lethargie, Psychose, rezidivierender Enzephalopathie bei hoher Proteinzufuhr oder -katabolismus im Rahmen von metabolischem Stress (Infektion, Fasten, OP) Diagnostik.
4 Labor: Hyperammonämie, respiratorische Alkalose, Glutaminerhöhung 4 Urin: Nachweis von Orotsäure (nicht erhöht bei CPS I- oder N-Acetylglutamat-Synthetase (NAGS)Defekt) 4 Enzymaktivität (Leber) erniedrigt 4 Mutationsanalyse > Bei allen Patienten mit unklarer Enzephalopathie muss NH3 im Blut bestimmt werden.
Therapie. Notfalltherapie:
4 Bei NH3 >500 μmol/l: sofortige extrakorporale Entgiftung (Hämodialyse). Stopp der Proteinzufuhr. Aufhebung der katabolen Stoffwechsellage (Insulin/Glukose, Lipide i.v.). NH3-Entgiftung mit Na-Benzoat i.v., Na-Phenylbutyrat enteral. Ersatz von Intermediaten des Harnstoffzyklus (Arginin i.v., ggf. plus Citrullin). Unterstützung des mitochondrialen Stoffwechsels durch Carnitin. Unterstützung der renalen NH3-Ausscheidung (reichlich Flüssigkeit, Diuretika). Dauertherapie: 4 Anabolie erhalten. Proteinzufuhr begrenzen, Substitution essenzieller Aminosäuren. Substitution von Arginin und ggf. Citrullin. Entfernung von NH3 durch Na-Benzoat, Na-Phenylbutyrat. Ggf. Carnitinsubstitution. Ggf. Laktulose (bindet Ammoniak im Darm). Prognose. Schlechte Prognose bei protrahiertem Koma
länger als 36 h vor Therapiebeginn. 5.1.6 Weitere Enzymopathien des
Aminosäurenstoffwechsels Hierzu gehören z. B.: 4 Nicht-ketotische Hyperglycinämie: Glycin im Blut, Liquor und Urin stark erhöht, schwere epileptische Enzephalopathie ab dem 1. Lebenstag 4 Oxalose (Hyperoxalurie): Kalziumoxalat-Ablagerungen, rezidivierende Nierensteinbildung, Nephrokalzinose, Begleitpyelonephritis, Niereninsuffizienz
5
5.1.7 Renale Aminosäurentransport-
defekte
Einteilung der renalen Aminosäurentransportdefekte Partielle Defekte: 4 Vermehrte Ausscheidung einzelner Aminosäuren oder Gruppen von Aminosäuren (z. B. Cystinurie) Generalisierte Aminoazidurien: 4 Generalisiert vermehrte Aminosäurenausscheidung, meist sekundär bei anderen Stoffwechselstörungen (Cystinose, Galaktosämie, Hypertyrosinämie Typ I, Morbus Wilson), häufig in Kombination mit tubulären Funktionsstörungen: DeToni-Debré-Fanconi-Syndrom (7 Kap. 5.1.4)
Cystinurie Definition. Transportdefekt des Tubulusepithels mit gestörter Rückresorption von Cystin, Lysin, Arginin und Ornithin. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:2 000 bis 1:7 000. Symptomatik. Auskristallisieren des Cystins im sauren Milieu der Harnwege führt zu Urolithiasis. Diagnostik. Urin: positiver Zyanid-Nitroprussid-Test (Brandprobe), muss bei allen Kindern mit Urolithiasis durchgeführt werden, Nachweis des charakteristischen Aminosäuremusters. Therapie.
4 Erhöhte Flüssigkeitszufuhr (auch nachts) 4 Steinprophylaxe durch Alkalizufuhr (höhere Cystin-Löslichkeit bei alkalischem Urin) 4 Evtl. D-Penicillamin oder Mercaptopropionylglycin zur Cystinbindung 4 Bei Urolithiasis: Lithotrypsie oder operative Entfernung
70
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
5.2
Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels Wichtige Elemente des Kohlenhydratund Energiestoffwechsels
5
4 Glukose: wichtigste, schnell verfügbare Energiequelle des Organismus, besonders für Gehirn und Erythrozyten. 4 Glykogen: Speicherung in Leber und Muskulatur, Bildung aus Glukose-6-Phosphat 4 Glukoneogenese: Glukosesynthese aus Pyruvat, Aminosäuren und Glycerin 4 Glykolyse: Abbau zu Pyruvat 4 Lipolyse: Abbau von Fetten zu Glycerin und freien Fettsäuren 4 Ketogenese: Bildung von Ketonkörpern (Azetoazetat, β-Hydroxybutyrat, Azeton) aus Fettsäuren.
. Tab. 5.4. Symptome der Hypoglykämie Neugeborene
Säuglinge/Kinder
Trinkschwäche
Blässe, Schwitzen
Tremor (»zittrig«)
Hunger, Bauchschmerzen
Apnoe, Zyanose
Übelkeit, Erbrechen
Blässe
Schwäche, Apathie
Tachypnoe
Kopfschmerzen
Hypotonie
Sehstörungen
Hyperexzitabilität
abnorme Verhaltensmuster
Krampfanfälle
Bewusstseinstrübung
Koma
Krampfanfälle Koma
5.2.1 Hypoglykämien
Differenzialdiagnose. . Tab. 5.5.
Definition. Absinken der Blutglukose <50 mg/dl (<2,8 mmol/l).
Therapie. Glukosegabe (bei schwerer Hypoglykämie
Ätiopathogenese.
4 Ungenügende Zufuhr: Hunger, Malabsorption, Lebererkrankungen, geringe Glykogenreserven bei Früh-/Neugeborenen 4 Erhöhter Verbrauch: Muskelarbeit, Katabolismus 4 Medikamente: Betablocker, Insulin, Salizylate 4 Stoffwechselstörungen: Hyperinsulinismus, Glykogenspeichererkrankungen, Glukoneogenesestörungen, hereditäre Fruktoseintoleranz, Galaktosämien, Störungen der Fettsäurenoxidation/Ketogenese, Organoazidurien, Mitochondriopathien 4 Hormonmangel: Wachstumshormonmangel bzw. ACTH-Mangel bei Hypopituitarismus, Nebennierenrindeninsuffizienz, Glukagonmangel
i.v.), ggf. kausale Therapie je nach Ursache. 5.2.2 Glykogenosen Definition/Ätiopathogenese. Glykogen besteht aus über 1,4-glykosidische Bindungen verbundenen und über 1,6-glykosidische Bindungen verzweigten Glukosemolekülen. Glykogen ist eine wichtige Speicherform von Energie im Körper. Bei Glykogenosen fehlen enzymatische Schritte im Glykogenabbau zu freier Glukose bzw. in der Glykogen-Synthese . Tab. 5.6. Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 1:20 000. Symptomatik. Leitsymptome: Hepatomegalie, Hepa-
topathie, Myopathie, Hypoglykämie. Symptomatik. . Tab. 5.4
Glykogenose Typ I (von Gierke)
Diagnostik.
Definition. Defekt der Glukose-6-Phosphatase, die
4 Labor (bei Hypoglykämie): Bestimmung von freien Fettsäuren und 3-Hydroxybutyrat, Acylcarnitine (zum Ausschluss der meisten Fettsäurenoxidationsstörungen und Organoazidurien), Hormone (Insulin, Kortisol), Blutgase, Laktat. 4 Im Urin: Keto-Stix, organische Säuren
v. a. für die Freisetzung von Glukose aus der Leber verantwortlich ist. Es kommt zur Akkumulation von Glukose-6-Phosphat in Leber und Nieren, zur Stimulation der Glykogensynthese und zu ausgeprägter Glykogenspeicherung in Leber und Niere. 4 Glykogenose Typ Ia: Defekt des Enzyms 4 Gykogenose Typ Ib: Defekt des Transportsystems für das Enzym in die Vesikel des endoplasmatischen Retikulums
! Rezidivierende Hypoglykämien verursachen irreversible Schäden des Gehirns.
5
71 5.2 · Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels
D Tllb. 5.5. Onentlerende Labcrvn tersuchunqen 00 der ~fferenziald iag no~e von HY~!y"kdmien
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n, normal: i erhoht; ,l.erniedrigt. Lebcrparemeter; Blutzucker(-Tage-sprofil); Blutqasenalyse.Laktat im Blut Ketonkorper im Blut.frele Fenseuren im Blut
Symptomatik.
4 Schwere Hypoglykämien mit Krampfanfällen 4 Laktazidose, da alle Produkte, die in der Leber normalerweise zu Glukose umgewandelt werden, nun zu Pyruvat und Laktat abgebaut werden. 4 Hepatomegalie durch Glykogenspeicherung, . Abb. 5.2, Nephromegalie 4 »Puppenähnliches« Aussehen (Fettgewebe vermehrt) 4 Später Xanthome (als Folge einer reaktiven Hyperlipidämie), Blutungsneigung, Gicht-Tophi 4 Typ Ib: zusätzlich Neutropenie, rezidivierende Infekte, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (»Crohn-like-bowel-disease«) ! Patienten können z. T. extrem niedrige Blutzuckerwerte (<20 mg/dl) ohne neurologische Symptome tolerieren, da sich das Gehirn an die Metabolisierung des erhöhten Laktats gewöhnt hat. Die rezidivierenden Hypoglykämien hinterlassen jedoch bleibende neurologische Schäden.
Diagnostik.
4 Labor: niedrige Blutzuckerwerte im Tagesprofil, Laktat ↑↑, Triglyzeride ↑, Harnsäure ↑ (Hemmung des renalen Transports der Harnsäure durch Laktat), Transaminasen leicht ↑; Glukosebelastungstest: rascher Abfall des Serumlaktats 4 Enzymaktivität in der Leber vermindert 4 Mutationsanalyse des G6PC- oder G6PT-Gens
. Abb. 5.2. Hepatomegalie bei Glykogenose Typ I
72
5
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
Therapie. Ziel: Vermeidung von Hypoglykämien
5.2.3 Störungen des
durch tagsüber häufige Mahlzeiten (alle 2–3 h), nachts Dauersondierung. Etwa 60% der Kalorien werden durch Kohlenhydrate gegeben (bevorzugt langsam resorbierbare Kohlenhydrate; nach dem 1. Lebensjahr ungekochte Maisstärke mit verzögerter Glukosefreisetzung und -resorption im Darm). Begrenzte Zufuhr von Fruktose (Gemüse, Früchte) und Meidung von Laktose, um die Laktazidose nicht zu verstärken. Bei Glykogenose Typ Ib: zusätzlich antibiotische Dauerprophylaxe, evtl. G-CSF bei Granulozyten <200/μl.
Galaktose (Stereoisomer der Glukose) kommt überwiegend in Milchzucker (Laktose) vor. Laktose wird durch die Laktase in der Dünndarmschleimhaut in Glukose und Galaktose gespalten. Vorkommen auch in Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten. Im Körper ist Galaktose ein wichtiger Bestandteil von Glykolipiden und Glykoproteinen.
Prognose. Bei anhaltender Normoglykämie normale
Entwicklung; bei Adoleszenten/Erwachsenen erhöhte Inzidenz von hepatozellulären Adenomen und Übergang in Karzinome, Osteoporose, Niereninsuffizienz.
Galaktosestoffwechsels
Galaktosämie Definition. Mangel an Galaktose-1-Phosphat-Uridyltransferase (GALT), dadurch Anhäufung von Galaktose-1-Phosphat und Galaktose in Leber, Niere, Darm, Gehirn. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:40 000–1:60 000.
Glykogenose Typ II (Pompe) Definition. Defekt der lysosomalen Alpha-1,4-Glukosidase (saure Maltase) und dadurch defekter Abbau und lysosomale Speicherung von Glykogen. Symptomatik. Infantile Form: schwere Muskelhypotonie; Makroglossie (vergrößerte Zunge), Hyporeflexie, Kardiomegalie. Tod meist im 1. Lebensjahr durch Herzinsuffizienz oder Aspirationspneumonie. Juvenile Form: Motorische Entwicklungsverzögerung, progrediente Muskelschwäche, die Patienten versterben meist vor dem Erreichen des Erwachsenenalters an Ateminsuffizienz. Meist keine kardiologischen Komplikationen. Adulte Form: Beginn der Muskelschwäche in der 3.–4. Lebensdekade, nahezu normale Lebenserwartung. Diagnostik.
4 Labor: Erhöhung der Transaminasen, CK, CK-MB (infantile Form); keine Hypoglykämien; Lymphozytenvakuolen im Blutausstrich. Urin: pathologisches Muster der Oligosaccharide 4 EKG: verkürzte PR-Zeit, große QRS-Komplexe. EMG: verändert. 4 Muskel-/Hautbiopsie: Glykogenspeicherung in vakuolären Lysosomen 4 Enzymaktivität in Fibroblasten, Muskel, Lymphozyten erniedrigt 4 Mutationsanalyse des GAA-Gens Therapie. Symptomatisch, i.v.-Enzymersatztherapie.
Symptomatik. Wenige Tage nach Milchfütterung (Muttermilch und Säuglingsmilchen enthalten Laktose): Verfall mit Trinkschwäche, Erbrechen, Durchfall, Gedeihstörung, Sepsisneigung (meist gram-negative Sepsis), Leber: Hepatomegalie, Ikterus, Gerinnungsstörungen, Niere: Tubulopathie mit Hyperaminoazidurie, Auge: Katarakt durch Ablagerung von Galaktitol, ZNS: ggf. psychomotorische Retardierung. Diagnostik.
4 Neugeborenenscreening: Analyse der GalaktoseKonzentration und/oder »Beutler-Test« (Bestimmung der GALT) 4 Labor: Bilirubin ↑, Transaminasen ↑, Gerinnungsstörung; Urin: Hyperaminoazidurie, positive Reduktionsprobe; Erythrozyten: Galaktose-1-Phosphat ↑, Enzymaktivität ↓; Mutationsanalyse des GALT-Gens Differenzialdiagnose. Duarte-Variante: harmlose genetische Variante der Galaktosämie mit partiellem GALT-Mangel ohne klinische Symptome. Therapie. Akuttherapie: Stopp der Milchzufuhr, Er-
nährung mit laktosefreier (z. B. Soja-) Nahrung. Bei schweren Gerinnungsstörungen: Vitamin K und FFP i.v. Bei Sepsis antibiotische Therapie. Dauertherapie: Lebenslang laktosefreie, galaktosereduzierte Diät (komplette Elimination von Galaktose unmöglich, da in vielen Nahrungsmitteln wie Obst und Gemüse enthalten). Kalzium-Supplementierung (niedrige Nahrungszufuhr durch Milchelimination).
73 5.2 · Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels
5
. Tab. 5.6. Übersicht Glykogenosen
Definition
Glykogenose Typ I (von Gierke) und II (Pompe)
Glykogenose Typ III (Cori, Forbes)
Glykogenose Typ VI (Hers)
Glykogenose Typ IX
s.o.
Defekt des »debranching enzymes« Amylo-1,6-Glukosidase, das die Glukosemoleküle an den Verzweigungen abspaltet. 4 Typ IIIa: Leber und (Herz-)Muskel betroffen 4 Typ IIIb: nur Leber betroffen
Vollständiger oder partieller Defekt der LeberPhosphorylase
4 X-chromosomal vererbter Defekt der Phosphorylase-bKinase (PHK) der Leber oder 4 Autosomal-rezessiv vererbter Defekt der Phosphorylase-bKinase in Leber und Muskel oder 4 Weitere 4 Subtypen
Pathogenese
Speicherung eines abnormen Glykogens mit kurzen Verzweigungsketten in fast allen Körperzellen
Symptomatik
Hepatomegalie (bildet sich im Verlauf der Pubertät z. T. zurück), progrediente Myopathie, Kardiomyopathie
Häufig asymptomatisch oder milde Symptome, Hepatomegalie bis zur Pubertät, evtl. Minderwuchs
s. Typ VI, myopathische Formen mit muskulärer Belastungsintoleranz, Muskelkrämpfen und Myoglobinurie
4 Geringere Hypoglykämieneigung als bei Typ I, kaum Laktaterhöhung 4 Transaminasen, CK, Lipide ↑, Ketoazidose beim Fasten, Enzymaktivität in Leber, Muskel bzw. Erythrozyten, Leukozyten und Fibroblasten↓, Mutationsanalyse des GDE-Gens
4 Seltener Hypoglykämien, Transaminasen ↑, Lipide leicht ↑ 4 Laktat normal oder leicht ↑ 4 Glukosebelastungstest: Laktat ↑ 4 Enzymaktivität in der Leber ↓ 4 Mutationsanalyse des PYGL-Gens
4 S. Typ VI 4 Enzymaktivität in Leber, Erythrozyten und Leukozyten normal oder ↓, Mutationsanalyse verschiedener PHK-Gene
Weniger strenge Diät als bei Typ I, hohe Proteinzufuhr, Fruktose und Laktose sind erlaubt
Meist keine Therapie notwendig, falls im Säuglingsalter Hypoglykämien auftreten: Therapie s. Typ I.
s. Typ VI, sehr gute Prognose, Rückbildung der Symptome bis zur Pubertät, unsicherere Prognose für myopathische Formen
Therapie
Prognose. Bei frühzeitiger laktosefreier Ernährung bil-
den sich die akuten klinischen Symptome zurück. Die Langzeitprognose ist jedoch unsicher: variabel eingeschränkte Intelligenz, Störungen der visuellen Perzeption, des Sprach- und Rechenvermögens, z. T. Ataxie, Tremor, Wachstumsverminderung. Bei Mädchen ovarielle Dysfunktion, hypergonadotroper Hypogonadismus.
5.2.4 Störungen des
Fruktosestoffwechsels Fruktose wird aus der Nahrung als freie Fruktose aufgenommen oder entsteht aus dem Disaccharid Saccharose, das im Darm in Glukose und Fruktose gespalten wird.
74
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
Hereditäre Fruktoseintoleranz Definition. Mangel an Fruktose-1-Phosphat-Aldolase (Aldolase B), dadurch starker Anstieg von Fruktose-1Phosphat, das nicht weiter metabolisiert werden kann und toxisch für Leber und Niere ist. Es entsteht ein Mangel an ATP, GTP und anorganischem Phosphat. Glukoneogenese und Glykogenolyse werden gehemmt. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:20 000.
5
Symptomatik. Wenige Tage nach Einführung einer fruktose- oder saccharosehaltigen Nahrung (Gemüse, Obst): 4 ZNS: hypoglykämische Krampfanfälle, Blässe, Schwitzen, Erbrechen, Apathie, Koma 4 Leber: Hepatomegalie, Ikterus, Gerinnungsstörung mit Blutungsneigung 4 Niere: renale proximal-tubuläre Dysfunktion
Ältere Kinder zeigen eine ausgeprägte Abneigung gegenüber fruktose- und saccharosehaltigen Nahrungsmitteln (Obst und Süßigkeiten). Diagnostik. Labor: Hypoglykämien, Transaminasen ↑, Gerinnungsstörung, proximal-tubuläres Syndrom (chronisch renal-tubuläre, metabolische Azidose). Enzymaktivität in Lebergewebe erniedrigt. Mutationsanalyse des ALDOB-Gens (3 häufige Mutationen).
Therapie. Fruktosefreie bis -arme Diät (<1 g Fruktose
täglich), Multivitamin-Substitution. Prognose. Ohne Behandlung kann es zum Tod durch
Leber-/Nierenversagen kommen. Bei rechtzeitiger Diagnose gute Prognose. ! Früher verwendete Infusionslösungen mit Fruktose (Laevulose) oder Sorbit (zu Fruktose umgewandelt) können bei hereditärer Fruktoseintoleranz tödliches Leberversagen auslösen.
5.2.5 Diabetes mellitus Definition. Absoluter oder relativer Insulinmangel kann akut zur ketoazidotischen Entgleisung, langfristig zu zahlreichen Folgeschäden führen. Verschiedene Formen des Diabetes mellitus sind in . Tab. 5.7 aufgeführt. Epidemiologie. Ca. 5% der Bevölkerung in Deutsch-
land betroffen, jährlich 3 000 Neuerkrankungen zwischen 0 und 19 Jahren. Physiologie. Insulin senkt die Blutglukose, fördert die
zelluläre Aufnahme von Glukose und Aminosäuren, wirkt anabol (»aufbauend«), fördert die Glykogen-, Fettsäure- und Triglyzeridsynthese und hemmt die
. Tab. 5.7. Einteilung des Diabetes mellitus Formen
Ätiologie
Pathophysiologie
Typ-I-Diabetes (Juveniler Diabetes, Insulin-dependent diabetes mellitus IDDM)
Immunologisch bedingt oder idiopatisch (selten)
Mangel oder verminderte Wirksamkeit von Insulin
Insulinresistenz und mangelnde Insulinsekretion
Typ-II-Diabetes (Non-insulin-dependent diabetes mellitus NIDDM) MODY Typ 1–6 (Maturity onset diabetes of the young)
Autosomal-dominant
Sekundäre Formen (Beispiele)
Mukoviszidose Pankreaserkrankungen
Genetische Defekte der β-Zellen mit mangelhafter Insulinsekretion
Endokrinopathien
z. B. Akromegalie, Cushing, Phäochromozytom, Hyperthyreose, Glukagonom
Medikamentös induziert
z. B. Glukokortikoide, Schilddrüsenhormone, Diazoxid, Thiazide
Syndrom-assoziiert
z. B. Down-, Klinefelter-, Turner-Syndrom
Schwangerschaft
Gestationsdiabetes
75 5.2 · Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels
Glykogenolyse und die Lipolyse. Insulinantagonisten sind Glukagon, Adrenalin, Kortisol (Kortikosteroide) und GH. Ätiopathogenese. Typ-I-Diabetes: Autoimmune Zerstörung der β-Zellen des Pankreas (insulinproduzierende Zellen), Meist besteht eine genetische Prädisposition (z. B. HLA DR 3/4), häufig Triggerung der Diabetes-Erstmanifestation durch Infektionen (z. B. Mumps, Coxsackie B4). Meist Auto-Ak gegen Insulin und/oder Inselzellen. Insulinmangel führt zu verminderter zellulärer Glukoseaufnahme mit Hyperglykämie und Hyperosmolarität, bei Überschreiten der Nierenschwelle (bei BZ >160 mg/dl) zu Glukosurie und Polyurie mit Elektrolytverlusten und Dehydratation. Die verstärkte Lipolyse führt zum Anstieg freier Fettsäuren, die zu Ketonkörpern verstoffwechselt werden. Es kommt zur metabolischen Azidose (Ketoazidose). Eine persistierende Hyperglykämie führt zur Glukoseanlagerung an Strukturproteine und Gewebsschädigung. Symptomatik. Akute Präsentation (ketoazidotische
Stoffwechselentgleisung): Übelkeit, Erbrechen, Azetongeruch; Bauchschmerzen (Pseudoappendizitis); Exsikkose, Kussmaul-Atmung; Bewusstseinstrübung, Coma diabeticum. Schleichender Beginn: Polyurie (oder erneutes Einnässen), Polydipsie (vermehrter Durst), Gewichtsabnahme, allgemeine Leistungsschwäche. Diagnostik.
4 Anamnese: typische Symptome, s. o. 4 Diagnosestellung: – Klassische Symptome und ein Gelegenheitsblutzucker ≥200 mg/dl oder – wiederholte Bestimmung eines Gelegenheitsblutzucker ≥200 mg/dl oder – Nüchternblutzucker ≥110 mg/dl (kapillär) bzw. ≥126 mg/dl (venös) oder – 2 h-Wert im oralen Glukosetoleranztest ≥200 mg/dl. 5 evtl. Metabolische Azidose (BGA), häufig Leukozytose, erhöhtes HbA1c (glykosylierter Hb-Anteil, reflektiert Blutzucker der letzten 2–3 Monate). 5 Inselzellantikörper (ICA/GADA Autoantikörper gegen Glutamat-Decarboxylase), IAA (Insulinautoantikörper), IA-2A (Autoantikörper gegen Tyrosinphosphatase IA-2). 5 Urin: Glukose und Keton positiv (U-Stix)
5
Komplikationen. Akut:
4 Ketoazidose 4 Hypoglykämien (. Tab. 5.4) unter Therapie bei unzureichendem Nahrungsangebot, erhöhtem Glukoseverbrauch (körperliche Belastung), Insulinüberschuss. Chronisch: 4 Mikroangiopathie: 5 Diabetische Retinopathie, Katarakt 5 Diabetische Nephropathie (Typ I: Morbus Kimmelstiel-Wilson, Typ II: unspezifisch) 5 Diabetische Neuropathie (v. a. Polyneuropathie, diabetischer Fuß) 4 Makroangiopathie (KHK, pAVK, zerebraler Insult) 4 Häufig Komorbidität: Zöliakie, Hashimoto-Thyreoiditis, perniziöse Anämie, Morbus Addison. Therapie. Notfalltherapie der Ketoazidose:
1. Flüssigkeitssubstitution mit NaCl 0,9%: vorsichtige Reduktion der Hyperosmolarität, Gefahr des Hirnödems bei zu schnellem Ausgleich 2. Normalinsulin 0,05–0,1 IE/kg × h i.v. zur langsamen Glukosereduktion, nicht schneller als 100 mg/dl pro Stunde reduzieren; ab Blutzucker von 290 mg/dl → zusätzlich Glukose 5% i.v. 3. Kaliumsubstitution, da Gefahr der Hypokaliämie durch: 5 Azidoseausgleich (Bei extrazellulärer Azidose kommt es zu einem Einstrom von H+ in die Zellen im Austausch zu K+. Die Azidose fördert eine Hyperkaliämie, eine Alkalose und ein Azidoseausgleich führen durch den umgekehrten Mechanismus zu einer Hypokaliämie.) 5 Insulinwirkung (Insulin fördert den Transport von Kalium in die Zelle) 4. Azidoseausgleich erst bei pH <7,10: Pufferung mit Natriumbikarbonat Notfalltherapie der Hypoglykämie (BZ <50 mg/dl): 1. Rasch resorbierbarer Zucker p.o. (Traubenzucker, Fruchtsaft), nicht bei Bewusstlosigkeit! 2. Bei Bewusstlosigkeit: Glukagon i.m. oder s.c. 3. In schweren Fällen: Glukose i.v. Dauertherapie (Typ-I-Diabetes): Die Dauertherapie beruht auf Diät, Bewegungsförderung und Insulingabe (Blutzuckerziel: 70–160 mg/d), Patientenschulung und Überwachung. 1. Diät: Verhältnis von Kohlenhydrate:Fett:Eiweiß ca. 55%:30%:15%. Bevorzugt langsam resorbierbare Kohlenhydrate. Häufige Mahlzeiten (ca. 6–7). 1 BE entspricht 12 g Kohlenhydraten.
76
5
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
2. Bewegungsförderung: erhöht die Insulinsensitivität der Muskulatur 3. Insulingabe: Verwendung von humanidentischem Insulin mit unterschiedlicher Wirkdauer (erreicht durch Zusätze, welche die Resorption am Injektionsort verlängern): – Insulinanalog: sehr kurz – Altinsulin, Normalinsulin: kurz – Basalinsulin, NPH: mittellang – Zinkinsulin: lang 4 Arten der Insulintherapie: 5 Konventionelle Insulintherapie: 2-mal tägliche Injektion von Alt- und Basalinsulin, festgelegte Nahrungsmenge und Nahrungszeitpunkte 5 Intensivierte Insulintherapie (Basis-BolusPrinzip): niedrige Dosis von Basalinsulin (meist morgens und spätabends) und an die Mahlzeiten angepasste Dosen von Altinsulin; ermöglicht freiere Lebensführung und bessere Stoffwechseleinstellung, erfordert jedoch gute Schulung und hohe Eigenverantwortung.
4. 4 4 4 4
5 Insulinpumpentherapie: kontinuierlich intrakutan oder intraperitoneal appliziertes Insulin über Insulinpumpen, nur bei hoch motivierten und verlässlichen Patienten verwendbar. 5 In Studien: intranasales Insulin Überwachung: 3- bis 5-mal tgl. BZ-Messung; bei Infekt, Sport etc. häufiger Genaue Protokollierung von BZ, Insulindosis, BE HbA1c geeignet zur Kontrolle der langfristigen Einstellung (normal <6%, Ziel <6,5%) Augenärztliche Kontrollen 1-mal/Jahr
Therapiekomplikationen.
4 Hypoglykämie (s. o.) 4 Dawn-Phänomen: morgendliche Hyperglykämie durch nachlassende Insulinwirkung und vermehrte Ausschüttung antiinsulinärer Hormone in den Morgenstunden. Therapie: spätere Applikation von lang wirksamen Insulin (gegen 23.00 Uhr).
. Tab. 5.8. Differenzialdiagnose des Typ-I-Diabetes und Typ-II-Diabetes Parameter
Typ-I-Diabetes
Typ-II-Diabetes
Manifestationsalter
Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene
Mittleres bis höheres Erwachsenenalter
Auftreten
Akut, subakut
Schleichend
Symptome
Polyurie, Polydipsie, Gewichtsverlust, Müdigkeit
Meist keine Beschwerden
Körpergewicht
Meist normalgewichtig
Oft übergewichtig
Familiäre Häufung
Manchmal
Typisch
Erbgang
Multifaktoriell (polygen)
Multifaktoriell
Konkordanz bei eineiigen Zwillingen
30–50%
>50%
Ketoseneigung
Ausgeprägt
Keine bis gering
Insulinresistenz
Keine oder gering
Oft ausgeprägt
Insulinsekretion
Vermindert bis fehlend
Subnormal bis hoch
Stoffwechsel
Labil
Stabil
Antikörper nachweisbar
Meistens
Nicht
HLA-Assoziation
Vorhanden
Nicht vorhanden
Orale Antidiabetika
Selten Erfolg
Zunächst meist guter Erfolg
Insulintherapie
Erforderlich
Meist nach jahrelangem Verlauf der Erkrankung mit nachlassender Insulinsekretion notwendig
77 5.3 · Fettstoffwechsel
5
. Tab. 5.9. Differenzialdiagnose ketoazidotisches/hyperosmolares Koma Ketoazidotisches Koma
Hyperosmolares Koma
Symptomatik
Akuter Beginn mit Durst, Polyurie, Polydipsie, Erbrechen, Exsikkose, Bauchschmerzen (Pseudoperitonitis), Kussmaulatmung, Schock
Schleichender Beginn mit Durst, Polyurie, Polydipsie, Erbrechen, starke Exsikkose! Schock
Laborwerte
Glukose >250 mg/dl Ketone im Plasma und Urin positiv Metabolische Azidose
Glukose >600 mg/dl Osmolarität >310 mosmol/l
Charakteristisch für
Typ-I-Diabetes
Typ-II-Diabetes
4 Somogyi-Phänomen: morgendliche Hyperglykämie als Reaktion auf nächtliche Hypoglykämien bei zu hoher nächtlicher Insulindosis. Therapie: Reduktion des Abend-/Spätinsulins.
höhungen (VLDL, Chylomikronen) bergen die Gefahr einer Pankreatitis und sind mäßig atherogen. Die Lipoproteine werden nach ihrer elektrophoretischen Mobilität in verschiedene Dichteklassen eingeordnet (. Tab. 5.10).
Differenzialdiagnose. Typ-I-/Typ-II-Diabetes (. Tab. 5.8);
ketoazidotisches/hyperosmolares Koma (. Tab. 5.9). Prognose. Lebenserwartung gegenüber Gesunden um
15–20 Jahre reduziert. Schwangerschaftskomplikationen häufig, daher unbedingt optimale Einstellung vor und während einer Schwangerschaft. 5.3
Diagnostik. Normwerte im Kindesalter (altersabwei-
chend leichte Modifikationen): 4 Cholesterin: <170 mg/dl 4 LDL-Cholesterin: <110 mg/dl 4 HDL-Cholesterin: >35 mg/dl 4 Triglyzeride: <120 mg/dl 4 LDL/HDL: 1–4 > HDL ist gefäßprotektiv, LDL ist atherogen.
Fettstoffwechsel
Lipide (Triglyzeride, Cholesterin und Phospholipide) sind wasserunlöslich und zirkulieren im Blut an Eiweiße (Apolipoproteine) gebunden als sogenannte »Lipoproteine«. Erhöhte Konzentration von VLDL und insbesondere LDL, sowie erniedrigte Konzentration von HDL erhöhen das Atheroskleroserisiko. Triglyzerider-
5.3.1 Hyperlipoproteinämien (HLP) Definition. Erhöhung der Plasmalipide über die alters-
entsprechenden Normwerte.
. Tab. 5.10. Dichteklassen der Lipoproteine Lipoprotein
Elektrophoretische Mobilität
Aufgabe
Chylomikronen
Keine Wanderung im elektrischen Feld
Transport von exogenen Triglyzeriden zur Leber
HDL (high-density-lipoproteins)
α-Lipoproteine
Transport von Cholesterin zur Leber
LDL (low-density-lipoproteins)
β-Lipoproteine
Endprodukt von VLDL nach Abgabe des Lipids, Transport von Cholesterin zu extrahepatischen Zellen
VLDL (very-low-density lipoproteins)
prä-β-Lipoproteine
Transport von endogenen Triglyzeriden
78
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
Einteilung der Hyperlipoproteinämien
Sekundäre Hyperlipoproteinämien: 4 Bei kalorien-, zucker- und fettreicher Ernährung, Alkoholkonsum 4 Bei anderen Erkrankungen, z. B. bei Diabetes mellitus, Nephrotischem Syndrom, Niereninsuffizienz, Glykogenose Typ I, Cholestase, Hypothyreose, Idiopatischer Hyperkalzämie, Medikamente: z. B. Steroide
Primär genetische (hereditäre, familiäre) Hyperlipoproteinämien, z. B. familiäre Hypercholesterinämie (LDL-Rezeptordefekt), familiär kombinierte Hypercholesterinämie, familiäre Hypertriglyzeridämie, familiäre Dysbetalipoproteinämie, Lp(a) Erhöhungen
5
. Tab. 5.11. Weitere Hyperlipoproteinämien Familiäre Chylomikronämie
Familiäre Hypertriglyzeridämie
Synonym
Hyperlipoproteinämie Typ I oder V nach Frederickson, HLP nach Bürger-Grütz, familiärer Lipoproteinlipasemangel
Hyperlipoproteinämie Typ IV nach Frederickson
Definition
Autosomal-rezessiver Defekt der Lipoproteinlipase (LPL), die für den Abbau von Chylomikronen verantwortlich ist, oder Mangel an Apolipoprotein CII, dem Aktivator der LPL. Chylomikronen ↑↑, die zu 95% aus Triglyzeriden bestehen.
Autosomal-dominant vererbte Fettstoffwechselstörung mit Erhöhung des VLDL
Autosomal-dominant vererbte Fettstoffwechselstörung mit erhöhtem Cholesterin und erhöhten Triglyzeriden
Epidemiologie
Selten
Häufig
Häufigkeit: bis zu 1:300
Symptomatik
4 Rezidivierende Abdominalkoliken durch Pankreatitisschübe 4 Hepatosplenomegalie 4 Lipaemia retinalis 4 Xanthome (. Abb. 5.3), v. a. an den Streckseiten der Extremitäten, Gesäß und Gesicht 4 Keine frühzeitige Atherosklerose
4 Meist asymptomatisch 4 Als »metabolisches Syndrom« assoziiert mit Adipositas, Störung der Glukosetoleranz, Hyperurikämie und Hypertonus. 4 Bei hohen Triglyzeridwerten Pankreatitisgefahr
Erhöhtes Atheroskleroserisiko
Diagnostik
4 Milchiges (lipämisches) Nüchternserum, Triglyzeride und Chylomikronen ↑↑ (evtl. VLDL ↑)
Triglyzeride, VLDL und Chylomikronen↑
Familienanamnese: Wechsel des Lipidphänotyps über die Zeit, Cholesterin und Triglyzeride moderat ↑
Therapie
4 Diät: maximale Fettrestriktion, mittelkettige Fette (MCT-Öl und -Margarine) sind erlaubt 4 Akut: Lipidapherese, bei ApoCII-Mangel Gabe von Apo CII (in FFP)
4 Vermeidung rasch resorbierbarer Kohlenhydrate 4 Gewichtsabnahme, Sport 4 Ggf. Fibrate, Nikotinsäure
Diät, gutes Ansprechen
Familiär kombinierte Hyperlipoproteinämien
79 5.3 · Fettstoffwechsel
5
Familiäre Hypercholesterinämie Definition. Autosomal-dominanter Defekt im LDL-Rezeptor (familiäre Hypercholesterinämie, FH). Homozygote FH-Patienten haben eine schwerst ausgeprägte Klinik, heterozygote Patienten sind später betroffen. Phänotypisch sehr ähnlich manifestiert sich der familiäre Defekt des an den Rezeptor bindenden Apolipoprotein B. Epidemiologie. Häufigkeit: homozygot: 1:1 Mio, he-
terozygot: 1:500 (familiärer Apolipoprotein B-Defekt ca. 1:700). Diagnostik. Familienanamnese. Labor: Gesamtcho-
lesterin und LDL-Cholesterin erhöht (Heterozygotie: 2- bis 3-fach, Homozygotie: 4- bis 8-fach). Mutationsanalyse. Symptomatik. Heterozygotie: Als Kinder häufig asymptomatisch, im Erwachsenenalter stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Homozygotie: Tendinöse oder tuberöse Xanthome, Arcus lipoides cornea, Atherosklerose und kardiovaskuläre Komplikationen bereits im 1. Lebensjahrzehnt. Therapie.
4 Diät: Begrenzte Zufuhr an gesättigten Fettsäuren. 4 Medikamentös: Statine (HMG-CoA-ReduktaseHemmer, Pravastatin); Ezetimib (Hemmung der Cholesterinresorption im Darm)
. Abb. 5.3. Xanthome bei Hyperlipoproteinämie Typ-I
4 Homozygote Patienten: extrakorporale LDLApherese z. B. alle 10–14 Tage 5.3.2 Hypolipoproteinämien Definition. Fehlen oder Mangel an Lipoproteinen. Bei-
spiele sind in . Tab. 5.12 aufgeführt.
. Tab. 5.12. Beispiele Hypolipoproteinämien Familiäre A-Beta-Lipoproteinämie (Kornzweig-BassenSyndrom)
Familiäre Hypobetalipoproteinämie
Familiärer HDL-Mangel
Definition
Fehlen des Apolipoproteins B (autosomal-rezessiv)
Erniedrigtes Apolipoprotein B
Fehlen des Apolipoprotein A1 durch Defekt im ApoA1-Gen oder TangierKrankheit (autosomal-rezessiv): gestörter Cholesterin-Efflux aufgrund eines Defekts des ABCA1-Gens
Symptomatik
Fettmalabsorption mit Steatorrhoe und Gedeihstörung, Vitamin-A- und -E-Mangel, Ataxie, Neuropathie, Retinopathie, Akanthozytose
Ähnlich des KornzweigBassen-Syndroms; heterozygote Patienten schwächer betroffen als homozygote
Deutlich erhöhtes Atheroskleroserisiko durch Mangel an protektivem HDL, Korneainfiltration, Xanthome. Tangier-Erkrankung: zusätzlich große, gelbliche Tonsillen, Hepatosplenomegalie, periphere Neuropathie
Diagnostik
Triglyzeride und Cholesterin ↓, Chylomikronen, LDL, VDL und ApoB fehlen
Therapie
Substitution von Vitamin A, D, E und K, Fettrestriktion
s. Kornzweig-BassenSyndrom
80
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
5.4
Sterolstoffwechselstörungen
Smith-Lemli-Opitz Syndrom Definition. Störung der endogenen Cholesterinsynthese durch Mangel der 7-Dehydrocholesterin-Reduktase, dadurch Akkumulation von 7-Dehydrocholesterin bei erniedrigtem Cholesterin.
atrophie, Krampfanfälle, Opisthotonus, Tetraspastik, Froschschenkelstellung. Im 2.–4. Lebensjahr Kachexie und Dezerebrationsstarre. Auch juvenile und adulte Verläufe (Fehldiagnose: Psychose) Morbus Sandhoff (Defekt der Hexosaminidasen A und B): ggf. auch Hepatosplenomegalie, Knochenabnormalitäten.
Symptomatik.
5
4 Faziale Dysmorphien (Mikrozephalie, Ptosis, Epikanthus, antevertierte Nasenöffnung, Mikrognathie) 4 Syndaktylie der 2. und 3. Zehe 4 Mentale Retardierung 4 Organ-, Genitalfehlbildungen Therapie. Cholesterin, Simvastatin.
5.5
Sphingolipidosen
Diagnostik.
4 Kirschroter Makulafleck (DD: GM1-Gangliosidose, Morbus Niemann-Pick). Bildgebung (CT oder MRT): Atrophie der Hirnrinde, später: Volumenzunahme des Gehirns durch Gliaschwellung. Enzymaktivität in Leukozyten, Fibroblasten erniedrigt. Mutationsanalyse des HEXA-Gens (3 häufige Mutationen bei Ashkenazi-jüdischen Patienten). Therapie. Keine kausale Therapie, Lebenserwartung bei der infantilen Form 2–4 Jahre.
Definition. Lysosomale Enzymdefekte, die zur intrazellulären Speicherung von Makromolekülen (Sphingolipiden) in Ganglienzellen, Neuroglia, Markscheiden, Nierenepithelien und im retikulohistiozytären System von Leber, Milz, Knochenmark und Lymphknoten führen.
GM1-Gangliosidose Definition. Mangel an β-Galaktosidase mit variablem Verlauf: Hypotonie, Entwicklungsverzögerung, Hepatosplenomegalie, Ataxie, Nystagmus, kirschroter Makulafleck, Krampfanfälle.
Gangliosidosen Ganglioside sind Glykolipide, die aus einem Ceramidkörper (Sphingosin, Fettsäuren) aufgebaut sind, der über eine Hydroxylgruppe glykosidisch mit einem Oligosaccharid (bestehend aus Glukose, Galaktose, N-Acetylgalaktosamin und obligatorisch N-Acetylneuraminsäure) verbunden ist.
Definition. Defekt der Sphingomyelinase führt zur
Sphingomyelinose (Morbus Nieman-Pick)
GM2-Gangliosidose (Morbus Tay-Sachs) Definition. Defekt der Hexosaminidase A, früher »amaurotische Idiotie«. Ätiopathogenese. Speicherung des normalerweise im Gehirn nur in geringen Mengen vorkommenden GM2Gangliosids.
lysosomalen Speicherung von Sphingomyelin in Knochenmark, Leber, Milz und Gehirn. Symptomatik. Typ A: akute infantile neuronopathi-
sche Form: Beginn in den ersten Lebensmonaten mit Dystrophie, Gedeihstörung; aufgetriebener Leib durch extreme Hepatosplenomegalie (Leber >> Milz), Aszites, Beinödeme, gelblich-bräunliche Pigmentation der Haut. Lipidzellinfiltrationen der Lunge mit miliaren und bronchopneumonischen Herden. ZNS: progrediente muskuläre Hypotonie und Spastik, ab 6. Monat Neurodegeneration. Typ B: chronisch viszerale Form: milderer Verlauf ohne ZNS-Beteiligung.
Epidemiologie. Häufig bei Kindern jüdischer Abstam-
Diagnostik.
mung (Ashkenazi): 1:2 500; Nicht-Ashkenazi-Juden: 1:200 000.
4 Labor: Lymphozytenvakuolen im Blutausstrich, Chitotriosidase-Aktivität im Serum ↑ (Marker der Makrophagen-Aktivierung). Knochenmark: »Niemann-Pick-Schaumzellen«. Kirschroter Makulafleck (50%). Röntgen-Thorax: interstitielle Zeichnungsvermehrung. Enzymaktivität in Fibroblasten erniedrigt. Mutationsanalyse des SMPD1Gens.
Symptomatik. Infantile Form: Normale Entwicklung
bis zum 2. Lebenshalbjahr, dann Muskelhypotonie und Verlust bereits erworbener statischer Fähigkeiten. Myoklonische Schreckbewegungen (Frühsymptom), Makrozephalie, Nystagmus, Erblindung, Muskel-
81 5.6 · Peroxisomale Störungen
5
Therapie/Prognose. Keine kausale Therapie; Typ A:
Symptomatik. Klassische, spätinfantile Form (Mani-
Tod im 2. Lebensjahr, Typ B: annähernd normale Lebenserwartung.
festation im 1.–2. Lebensjahr): Hypotonie, Verlust der erworbenen psychomotorischen Fähigkeiten (Verlernen des Laufens). Neuropathie, Ataxie, Tremor, Nystagmus, Optikusatrophie mit Blindheit, progrediente Demenz, Tetraspastik. Juvenile und adulte Formen (seltener)
Glukocerebrosidose (Morbus Gaucher) Definition. Defekt der Glukocerebrosid-β-Glukosidase (β-Glukocerebrosidase), die für die Glukoseabspaltung vom Cerebrosidmolekül verantwortlich ist. Vermehrte Speicherung von Glukocerebrosid im retikuloendothelialen System von Milz, Leber, Knochenmark, Lymphknoten, miliare Infiltration der Lunge. Symptomatik. Typ I (viszerale Form, 80–90% der Fäl-
le): Chronischer Verlauf, Manifestation vom Säuglingsbis zum Erwachsenenalter. Hepatomegalie, massive Splenomegalie mit Hypersplenismus (Thrombopenie, Anämie, ggf. Leukopenie). Knochenschmerzen, avaskuläre Knochennekrosen, Spontanfrakturen, ggf. Lungenbeteiligung mit diffuser Infiltration. Keine ZNS-Beteiligung. Typ II (akute infantile neuronopathische Form): Akut progredienter Verlauf mit ZNS-Beteiligung. Hirnstamminsuffizienz (Augenmuskelparese, Stridor, Schluckstörung), Spastik, Opisthotonus, Dezerebration. Hepatosplenomegalie, Gedeihstörung. Tod im 1.–2. Lebensjahr. Typ III (subakute oder chronische neuronopathische Form): Wie Typ II, nur späterer und protrahierterer Verlauf. Diagnostik.
Diagnostik.
4 Liquor: Protein ↑, Urin: Sulfatide ↑. ENG: Nervenleitgeschwindigkeit ↓, MRT: Demyelinisierung. Enzymaktivität in Leukozyten, Fibroblasten erniedrigt (cave: Pseudodefizienz). Mutationsanalyse des ARSA-Gens. Therapie/Prognose. Keine kausale Therapie, evtl. Knochenmarktransplantation; spätinfantile Form: Tod nach 3–6 Jahren, juvenile Form: Tod nach 5–10 Jahren.
Globoidzell-Leukodystrophie (Morbus Krabbe) Definition. Defekt der Galaktocerebrosid-β-Galaktosidase (β-Galaktocerebrosidase), dadurch Akkumulation von Galaktosylcerebrosid (in multinukleären Globoid-Zellen) und von Galaktosylsphingosin (Psychosin), das zur Zerstörung von Oligodendrozyten und zur Demyelinisierung führt. Symptomatik. Infantile Form (>85% der Fälle): ZNS: Irritabilität, Hyperpyrexie, Neuropathie, Blindheit, Taubheit, Spastik, Opisthotonus, Dezerebration. Late-onset (spätinfantile, juvenile und adulte) Formen.
4 Labor: Saure Phosphatase↑, ACE↑, Aktivität der Chitotriosidase ↑. Knochenmark: Nachweis von Gaucher-Zellen (Retikulumspeicherzellen mit vakuoliger Zytoplasmastruktur, »zerknitterter Zellstoff«) mit Verdrängung der Hämatopoese. Enzymaktivität in Leukozyten, Fibroblasten ↓. Mutationsanalyse des GBA-Gens.
4 Liquor: Protein ↑. ENG: Nervenleitgeschwindigkeit ↓, MRT: Demyelinisierung. Enzymaktivität in Leukozyten, Fibroblasten vermindert. Mutationsanalyse des GALC-Gens.
Therapie. i.v.-Enzymersatztherapie bei Typ I und evtl.
Therapie/Prognose. Keine kausale Therapie, Tod im
III (bei Typ II wirkungslos; Enzym kann die Blut-HirnSchranke nicht passieren). Substratreduktionstherapie (Miglustat). Evtl. Splenektomie bei ausgeprägtem Hypersplenismus.
1.–2. Lebensjahr (infantile Form).
Sulfatidose (Metachromatische Leukodystrophie, MLD) Definition. Defekt der Sulfatidase (Arylsulfatase A) mit Speicherung von Sulfatiden (Galaktocerebrosidsulfat) in Gehirn, peripheren Nerven, Niere, Leber, Gallenblasenwand. Normalerweise sind in der weißen Hirnsubstanz 10–25% Sulfatide vorhanden, bei Patienten mit MLD 70–80%.
Diagnostik.
5.6
Peroxisomale Störungen
Zellweger-Syndrom (zerebro-hepato-renales Syndrom) 7 Kap. 17, Neurologie. Refsum-Krankheit (Heredopathia atactica polyneuritiformis) Definition. Verwertungsstörung und Speicherung von exogen zugeführtem Lipid aufgrund eines peroxisoma-
82
Kapitel 5 · Stoffwechselstörungen
len Defekts der Phytanoyl-CoA-Hydroxylase (Phytansäure-α-Oxidase), die für den Abbau des Phytols (Bestandteil des Chorophylls) verantwortlich ist. Es kommt zur vermehrten Speicherung von Phytansäure in Leber-, Niere-, Muskel- und Fettgewebe.
5.9.1 Mukopolysaccharidosen Definition. Störungen im lysosomalen Abbau von Gly-
kosaminoglykanen (= Mukopolysacchariden), Speicherung in verschiedenen Organen; autosomal-rezessive Vererbung, bis auf MPS Typ II (X-chromosomal).
Symptomatik.
5
4 Manifestation in später Kindheit oder Adoleszenz (bis zum 50. Lebensjahr). Retinitis pigmentosa mit Nachtblindheit, Polyneuropathie, zerebelläre Ataxie, Taubheit, Nystagmus, Katarakt, Anosmie, Ichthyosis. Skelettdysplasie, Herzrhythmusstörungen. Häufig chronisch-progredienter Verlauf mit Remissionen. Diagnostik.
4 Labor: Phytansäure ↑, Liquor: Protein ↑. Enzymaktivität in Fibroblasten vermindert. Mutationsanalyse (PHYH-Gen, PEX7-Gen). Therapie. Phytansäurearme Diät (Reduzierung von
Milchprodukten und Fleisch); ggf. Plasmapherese. 5.7
Purin-/Pyrimidinstoffwechselstörungen
7 Kap. 17, Neurologie.
5.8
Symptomatik. Leitsymptome (. Tab. 5.13): 4 Skelettdeformitäten (Dysostosis multiplex): Kraniofazial: Balkonstirn, Makrozephalie, eingesunkene Nasenwurzel, wulstige Augen. Peripher: verkürzte und plumpe Röhrenknochen, bikonvexe Wirbelkörper, Kontrakturen, tatzenartige Hände 4 Hepatosplenomegalie 4 Progressive psychomotorische Retardierung (Ausnahmen: Typ IV, Typ VI), Hornhauttrübungen (Ausnahme: Typ II) Diagnostik.
4 Urin: pathologische Glykosaminoglykane. Enzymaktivität in Leukozyten, Fibroblasten erniedrigt. Mutationsanalyse. Therapie. Enzymersatztherapie i.v. bei präsymptomatischen Patienten mit MPS Typ I, II und VI; evtl. Knochenmarktransplantation. . Tab. 5.13. Ausprägung klinischer Leitsymptome bei den verschiedenen Formen der Mukopolysaccharidosen
Kongenitale Defekte der Glykosylierung
Dysostosis multiplex
Psychomotorische Retardierung
Hornhauttrübung
MPS I H (Hurler)
+++
+++
+++
MPS I S (Scheie)
+
0
++
MPS II (Hunter)
++
+++
+
MPS III (Sanfilippo A,B,C,D)
+
+++
0
MPS IV (Morquio A, B)
+++
0
+++
MPS VI (MaroteauxLamy)
+++
0
++
MPS VII (Sly)
++
++
w
7 Kap. 17, Neurologie.
5.9
Störungen im Abbau komplexer Kohlenhydrate (Heteroglykanosen)
Heteroglykane sind komplexe Kohlenhydratketten (Polysaccharide) aus Neutralzuckern, Aminozuckern und Zuckersäuren, die für den Aufbau des Bindegewebes, die Funktion der Zellmembran und die Steuerung zahlreicher biologischer Vorgänge Bedeutung haben. Zu Heteroglykanen zählen Glykosaminoglykane, der Kohlenhydratanteil von Glykoproteinen und Glykolipiden. Die Kohlenhydratketten werden durch lysosomale Hydrolasen sequenziell abgebaut. Fehlt ein Enzym der Abbausequenz, wird die nicht weiter verarbeitete Kohlenhydratkette lysosomal gespeichert. Epidemiologie. Häufigkeit ca. 1:20 000.
0, fehlt; w, wechselnd; +, leicht; ++, mittel; +++, schwer.
83 5.9 · Störungen im Abbau komplexer Kohlenhydrate (Heteroglykanosen)
Beispiel: Mukopolysaccharidose Typ I (Morbus Hurler, Morbus Scheie) Definition. Defekt der α-L-Iduronidase.
5
Diagnostik.
4 Blutausstrich: Lymphozytenvakuolen; Urin: Oligosaccharide ↑. Enzymaktivität in Leukozyten und Fibroblasten ↓ .
Symptomatik.
4 Zunächst: normale Entwicklung. Im Verlauf des 1. Lebensjahrs rezidivierende Atemwegsinfektionen, Schlafapnoen. Typische kraniofaziale und Skelett-Dysmorphien s. o., Kleinwuchs, Hepatosplenomegalie, Hornhauttrübung, Makroglossie, Gingivahyperplasie, Hernien, Herzklappendysfunktion, Verengung des Rückenmarks am kraniozervikalen Übergang, Psychomotorische Retardierung. 4 Morbus Scheie: milderer Verlauf, normale Größe und Intelligenz
Prognose. Häufig schon bei Geburt bzw. im 1. Lebensjahr symptomatisch (Hydrops, Kardiomegalie).
5.9.3 Mukolipidosen Definition. Lysosomale Speichererkrankungen, die Merkmale der Mucopolysaccharidosen und der Sphingolipidosen vereinigen.
5.9.2 Oligosaccharidosen
Beispiel: Mukolipidose Typ II (I-Cell-Disease, inclusion-cell-disease) Definition. Mangel einer Phosphotransferase, die für den Aufbau von Mannose-6-Phosphat verantwortlich ist (dient der Kennzeichnung lysosomaler Enzyme, um sie in die Lysosomen zu importieren).
Definition. Störung des lysosomalen Abbaus von Oligo-
Symptomatik. Ähnlich der MPS I: schwere Skelettdys-
sacchariden; z. B. Fucosidose (α-Fucosidase-Mangel), α-Mannosidose (α-Mannosidase-Mangel), β-Mannosidose (β-Mannosidase-Mangel), Sialidose (α-Neuraminidase-Mangel).
plasie, Kardiomyopathie, psychomotorische Retardierung.
Therapie. Enzymersatztherapie i.v.
Symptomatik.
4 Milde kraniofaziale und skelettale Dysmorphien, psychomotorische Retardierung, neurologische Auffälligkeiten (Epilepsie), z. T. kirschroter Makulafleck, ggf. Angiokeratome, Taubheit, Hepatosplenomegalie.
Diagnostik.
4 Lymphozytenvakuolen im Blutausstrich, Aktivität verschiedener lysosomaler Enzyme in Serum stark erhöht, Mutationsanalyse des GNPTA-Gens.
6 6 Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems 6.1
Definitionen und Grundlagen
– 85
6.1.1 Portalkreislauf der Hypophyse – 85 6.1.2 Wirkmechanismen – 85 6.1.3 Besonderheiten im Kindesalter – 86
6.2
Hypothalamus und Hypophyse
– 86
6.2.1 Hypophysäre Hormone – 86 6.2.2 Störungen der Hormonausschüttung aus dem HVL – 86 6.2.3 Störungen der Hormonausschüttung aus dem HHL – 88
6.3
Wachstumsstörungen
– 89
6.3.1 Kleinwuchs – 89 6.3.2 Großwuchs – 91
6.4
Schilddrüsenerkrankungen
– 91
6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4
Hypothyreose – 92 Hyperthyreose – 92 Hashimoto-Thyreoiditis Struma – 94
6.5
Epithelkörperchen und Parathormon – 94
6.6
Erkrankungen der Nebenniere – 96
6.7
Erkrankungen des Nebennierenmarks – 100
6.8
Störungen der Pubertätsentwicklung – 100
6.8.1 6.8.2 6.8.3 6.8.4
Pubertas praecox – 101 Partielle Frühreife – 102 Pubertas tarda – 102 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung – 102
6.9
Hypogonadismus
– 103
6.10 Hodenhochstand
– 103
– 93
6.11 Störung der sexuellen Differenzierung – 104 6.11.1 Störung des gonadalen Geschlechts – Hermaphroditismus verus 6.11.2 Störungen des phänotypischen Geschlechts – Pseudohermaphroditismus – 104
– 104
85 6.1 · Definitionen und Grundlagen
6.1
Definitionen und Grundlagen
6.1.1 Portalkreislauf der Hypophyse Physiologie. Im Hypothalamus werden Releasing-Hor-
mone gebildet, die in über den Portalkreislauf der Hypophyse zu den Zellen des Hypophysenvorderlappens (HVL) gelangen (. Abb. 6.1) und dort die Bildung der HVL-Hormone stimulieren. Die HVL-Hormone werden in die Blutbahn sezerniert und stimulieren an peripheren, endokrinen Organen die Hormonbildung und -sekretion (STH, TSH, ACTH, FSH, LH) oder wirken direkt auf die Effektororgane (GH, Prolaktin). Die Hormone des Hypophysenhinterlappens, Oxytocin und ADH, werden im Hypothalamus gebildet, in den Zellen des Hypophysenhinterlappens gespeichert und bei Bedarf sezerniert. Sie stimulieren die peripheren Effektororgane direkt. Rückkopplungsmechanismus: Die peripheren Hormonspiegel werden über einen Regelkreislauf reguliert. Positiver Feed-back-Mechanismus am Beispiel des Kortisols: Kortisol wird in der Nebennierenrinde unter Einfluss von ACTH produziert. Der Kortisolspiegel wird in hypothalamischen Zentren registriert. Sinkt der Kortisolspiegel in der Peripherie, setzen hypothalamische Zentren Kortikotropin-Releasing-Hormon frei (CRH), das über den Portalkreislauf im HVL die ACTHProduktion stimuliert; zusätzlich wird der CRH-Impuls durch ACTH verstärkt. ACTH gelangt auf dem Blutweg zur Nebennierenrinde und induziert dort die Kortisolbildung. Negativer Feed-back-Mechanismus: ab einer bestimmten Kortisol-Konzentration wird die CRH-Produktion im Hypothalamus gehemmt, es wird weniger ACTH gebildet, der periphere Kortisolspiegel sinkt. . Abb. 6.1. Hypothalamo-hypophysäre Steuerung
6
Störungen des endokrinen Systems: 4 Primäre Störung: Defekt der endokrinen Drüse selbst, z. B. Schilddrüse 4 Sekundäre Störung: Störung des direkt übergeordneten Steuerungsorgans, z. B. TSH-Ausfall bei Hypophysendefekt 4 Tertiäre Störung: hypothalamische Defekte, z. B. CRH-Mangel nach Schädel-Hirn-Trauma 6.1.2 Wirkmechanismen Hormone sind Botenstoffe, meist Proteine, Steroide oder Aminosäurederivate. Es werden verschiedene Wirkmechanismen unterschieden: 4 Endokrine Sekretion: Hormone werden in die Blutbahn sezerniert und wirken an entfernten Zellen und Organen 4 Parakrine Sekretion: Hormone werden in benachbarte Zellen sezerniert und wirken dort 4 Autokrine Sekretion: Hormone wirken auf die Zellen der Bildung zurück Proteohormone (Eiweißhormone, z. B. ACTH, STH, Insulin) binden an spezifische Rezeptoren der Zelloberfläche. Durch diese Bindung werden intrazellulär »second messenger« aktiviert (z. B. cAMP), die über Enzyminduktion und andere Kaskaden bestimmte Stoffwechselvorgänge der Zelle in Gang setzen. Steroidhormone (z. B. Kortisol, Testosteron) dringen als fettlösliche Substanzen durch die Zellmembran und binden an zytoplasmatische Rezeptoren. Die Hormon-Rezeptor-Komplexe gelangen in den Zellkern
86
6
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
und binden dort an spezifische DNA-Sequenzen, wodurch sie die Transkription verändern. Rezeptoren sind Eiweißmoleküle an der Zelloberfläche oder im Zytoplasma, die bestimmte Hormone binden und für ihre Wirkung verantwortlich sind. Rezeptoren können vermehrt und vermindert synthetisiert werden. Down-Regulation: bei hohen Hormonkonzentrationen werden z. B. unbesetzte Rezeptoren der Zelloberfläche in das Zellinnere internalisiert, die Hormonwirkung wird abgeschwächt. Eine Loss-of-function-Mutation ist ein angeborener Rezeptormangel oder -defekt, der klinisch wie ein Hormonmangel imponiert (z. B. Pseudohypoparathyreoidismus, Androgenresistenz 7 Kap. 6.5); eine Gainof-function-Mutation ist ein angeborener Rezeptordefekt, bei dem der Rezeptor ohne Bindung des Hormons konstitutiv aktiv ist (z. B. Testotoxikose, Mc-Cune-Albright-Syndrom 7 Kap. 2). > Die einmalige Bestimmung der Serumkonzentration eines Hormons ist aufgrund der stark schwankenden Konzentrationen nur eine Momentaufnahme und bringt selten eine definitive Information. Meist sind die Basalwertbestimmung, die Durchführung von Langzeitprofilen, Funktionstest und die Bestimmung mehrerer Hormone notwendig.
6.1.3 Besonderheiten im Kindesalter Physiologie. Intrauterin sind mütterlicher und kindlicher Hormonhaushalt über die Plazenta verbunden. Die Plazenta liefert das schwangerschaftserhaltende humane Choriogonadotropin (hCG) und wandelt das Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS) der fetalen Nebennierenrinde(NNR) in Östriol um. Niedrige hCG- oder Östriolspiegel führen zu schwangerschaftsgefährdenden Plazentafunktionsstörungen. Postnatal können mütterliche Östrogene, die auf das Kind übergegangen sind, beim Neugeborenen zu Brustdrüsenschwellungen, selten auch zu Milchproduktion führen. Nach Abfall der Östrogenspiegel kann bei neugeborenen Mädchen eine vaginale Blutung auftreten. Mütterliche Erkrankungen: Durch stimulierende Antikörper der Mutter bei Morbus Basedow kann beim Neugeborenen eine Hyperthyreose, durch blockierende Antikörper auch eine Hypothyreose ausgelöst werden. Ein androgenproduzierender Tumor der Mutter kann zur Virilisierung des fetalen Genitales führen.
6.2
Hypothalamus und Hypophyse
6.2.1 Hypophysäre Hormone Die Hypophyse besteht aus dem Hypophysenvorderlappen (HVL) und dem -hinterlappen (HHL). Der HVL sezerniert folgende Hormone mit peripherer Wirkung: 4 TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon): T3-, T4-Produktion 4 FSH (Follikel-stimulierendes Hormon): Follikelreifung, Östrogenproduktion, Spermienentwicklung 4 LH (luteinisierendes Hormon): Ovulation, Östrogen- und Progesteronproduktion, Testosteronproduktion 4 STH (somatotropes Hormon, growth hormone GH): Wachstum, Proteinsynthese, Lipolyse 4 ACTH (adrenokortikotropes Hormon): Glukokortikoidproduktion 4 MSH (melanozytenstimulierendes Hormon): Hautpigmentierung 4 Prolaktin: Brustwachstum, Milchproduktion Aus dem HHL werden folgende Hormone mit peripherer Wirkung abgegeben: 4 Oxytocin: Uteruskontraktion, Milchejektion 4 ADH (antidiuretisches Hormon): Wasserrückresorption 6.2.2 Störungen der Hormonausschüttung
aus dem HVL Hypophysenvorderlappeninsuffizienz Definition. Insuffizienz des HVL; es entsteht ein Mangel an GH, TSH, ACTH und/oder Gonadotropinen. Ein Ausfall aller HVL-Hormone bezeichnet man als Panhypopituitarismus. > Bei Panhypopituitarismus kann es aufgrund des Mangels and Plasmaglukose-steigernden Hormonen zu lebensbedrohlichen Hypoglykämien kommen.
Ätiopathogenese. Idiopathisch oder hervorgerufen
durch einen Tumor, ein Schädel-Hirn-Trauma oder Entzündungen. Symptomatik.
4 GH-Mangel: Kleinwuchs 7 Kap. 6.3.1 4 TSH-Mangel: Hypothyreose 7 Kap. 6.4.1 4 ACTH-Mangel: Nebennierenunterfunktion 7 Kap. 6.6
4 FSH/LH-Mangel: Hypogonadismus 7 Kap. 6.9
87 6.2 · Hypothalamus und Hypophyse
6
Wachstumshormon-Mangel
Diagnostik.
Physiologie. Wachstumshormon (STH, Somatotropes Hormon; GH, Growth hormone). Die Sekretion von GH wird vom
4 Perzentilenverlauf 4 Röntgen Hand: retardiertes Knochenalter 4 Labor: schwierig, da GH auch bei Gesunden tagsüber nur in geringer Konzentration vorhanden ist 5 Screening: IGF-1 und IGFBP-3 ↓ 5 Belastungstests. Insulinhypoglykämietest, Clonidin-Stimulationstest und Arginin-Stimulationstest. Bestimmung von GH nach Applikation von Altinsulin, Clonidin oder Arginin: bei Wachstumshormonmangel bleibt nach Stimulation der Anstieg von GH im Serum aus. 5 GRH-Test: nach Gabe von GRF bleibt beim hypophysären GH-Mangel der GH-Anstieg aus, beim hypothalamischen GH Mangel kommt es zu einem GH-Anstieg.
hypothalamischen GRH (growth hormone releasing hormone) stimuliert und von Somatostatin gehemmt. Sekretion: 4 Tageszeitliche Schwankungen: Ausschüttung nachts in 3‒5 Pulsen, v. a. in der ersten Tiefschlafphase, tags meist nicht messbar niedrig. 4 Die Sekretion wird stimuliert durch Hunger, Hypoglykämie, Stress und körperliche Anstrengung. Wirkung des GH: 4 Fördert die Lipolyse, die Freisetzung freier Fettsäuren aus den Fettzellen (insulinantagonistisch) 4 Hemmt die Glukoseaufnahme und -oxidation im Muskel, der Glukosespiegel im Blut steigt (insulinantagonistisch) 4 Bildet insulinähnliche Wachstumsfaktoren, z. B. IGF-1 (Insulin-like-growth-factor, früher Somatomedin C) und Bindungsproteine, z. B. IGFBP-3 (IGF-Bindungsprotein 3), die die Wirkung von GH auf das Längenwachstum an Epiphyse, Knorpel und Muskel vermitteln 4 Fördert die Proteinbiosynthese im Muskel (insulinagonistisch) Ätiologie. GH Mangel: 4 Idiopathisch 4 Anlagestörungen: hypoplastischer HVL, ektoper HHL, empty sella 4 Geburtstraumatische Ursachen: z. B. bei Beckenendlage 4 Schädel-Hirn-Trauma 4 Schädelbestrahlung, Tumore im Bereich der Hypophyse oder des Hypothalamus, z. B. Kraniopharyngeom 4 Genetisch bedingter GH-Mangel (selten) Symptomatik.
4 Angeborene Hypoglykämie, Krampfanfälle 4 Knaben: hypoplastisches Genitale (Mikropenis) 4 Das intrauterine und postnatale Wachstum in den ersten Monaten ist noch nicht eingeschränkt. 4 Später niedrige Wachstumsgeschwindigkeit und Kleinwuchs mit normalen Körperproportionen, stark verzögerte Knochenreifung 4 Rundes, puppenhaftes Gesicht, häufig kurze Finger und Zehen (Akromikrie), kurzes Kinn und Nase 4 Ausgeprägte Fettpolster, v. a. am Bauch
Differenzialdiagnosen.
4 Psychosozialer Kleinwuchs: funktionelle transitorische Störung bei Kindesvernachlässigung oder Kindesmisshandlung. Übergeordnete zentralnervöse Einflüsse hemmen die GH-Sekretion, die Wachstumsgeschwindigkeit ist vermindert. 4 Laron-Syndrom: peripherer GH-Rezeptordefekt mit hohen GH-Spiegeln und niedrigem IGF-1. Das klinische Bild entspricht einem schweren GHMangel. Therapie. GH-Substitution s. c. > Bei GH-Mangel muss ein zerebraler Tumor ausgeschlossen werden (z. B. Kraniopharyngeom).
Gesteigerte Hormonausschüttung aus dem HVL Beispiele:
4 GH: Gigantismus durch GH-Überproduktion, meist bei eosinophilem Adenom des HVL 4 ACTH: Morbus Cushing durch ACTH-Überproduktion, meist bei basophilem Adenom des HVL (7 Kap. 6.6) 4 Gonadotropine: zentrale Pubertas praecox aufgrund vorzeitiger Gonadotropinproduktion (7 Kap. 6.8.1) 4 Prolaktin: Galaktorrhoe (Milchaustritt aus der Mamille) durch Hyperprolaktinämie, meist bei Prolaktinom
88
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
6.2.3 Störungen der Hormonausschüttung
aus dem HHL Diabetes insipidus Definition. ADH-Mangel mit den Leitsymptomen Polyurie und Exsikkose. Unterschieden wird der zentrale Diabetes insipidus mit mangelnder ADH Ausschüttung aus dem HHL und der nephrogene Diabetes insipidus (seltener) mit ADH-Rezeptordefekten an der Niere.
6
Physiologie. ADH wird im Nucleus supraopticus und Nucleus paraventricularis des Hypothalamus gebildet und im HHL gespeichert. Bei Wassermangel steigt die Serumosmolarität; erreicht sie Werte >280 mosm/l, wird aus dem HHL vermehrt ADH freigesetzt, das in der Niere die Rückresorption von Wasser fördert. Die Serumosmolarität sinkt, die Osmolarität des Urins steigt. Ätiopathogenese. Diabetes insipidus: 4 Zentraler Diabetes insipidus (Diabetes insipidus centralis oder neurohumoralis): 5 Idiopathisch (30%) 5 Familiär (autosomal-dominant vererbt) 5 Autoimmune Ak-Produktion gegen ADH-produzierende Zellen 5 Entzündungen, z. B. Meningitis, Sarkoidose 5 Traumata, Operationen 5 Tumoren, z. B. Kraniopharyngeom, Langerhans-Histiozytose 4 Nephrogener Diabetes insipidus: 5 X-chromosomal vererbt; Defekt eines Wassertransportkanals in der Niere (Aquaporin 2) und des Vasopressin-Typ 2-Rezeptors Symptomatik.
4 Polyurie und Polydipsie, unerträglicher Durst 4 Häufiges, nächtliches Wasserlassen und sekundäre Enuresis nocturna 4 Fehlende Harnkonzentration (Asthenurie), Hyperosmolarität im Serum 4 Appetitverlust, Gewichtsabnahme 4 Bei Säuglingen: Fieber, Dehydratation
4 ADH-Test: Anstieg der Urinosmolarität nach Gabe des ADH-Analogon DDAVP (Desamino-D-Arginin-Vasopressin, Minirin) bei zentralem Diabetes insipidus; mangelnder Anstieg bei nephrogenem Diabetes insipidus. 4 Bildgebung: CT, MRT zum Ausschluss einer Raumforderung Differenzialdiagnostik.
4 4 4 4
Diabetes mellitus Hyperkalzämie, Hypokaliämie Polyurische Phase der Niereninsuffizienz Psychogene Polydipsie (niedrige Serum- und Urinosmolarität durch Verdünnungseffekt)
Therapie. Therapie der Grunderkrankung; DDVAP (Minirin) intranasal. ! Bei DDAVP-Therapie muss bei Säuglingen und Kleinkindern die Flüssigkeitszufuhr eingeschränkt werden, da es zu Überwässerung mit Elektrolytstörungen kommen kann.
Inadäquate ADH-Sekretion (Schwartz-Bartter-Syndrom) Definition. Inadäquat gesteigerte ADH-Sekretion mit Wasserretention und Hyponatriämie. Ätiologie.
4 Entzündungen: Meningitis, Enzephalitis 4 Schädel-Hirn-Traumata 4 Pneumonien, Bronchopulmonale Dysplasie 7 Kap. 3.5
4 Paraneoplastische ADH Produktion: kleinzelliges Bronchialkarzinom bei Erwachsenen 4 Medikamente: Carbamazepin, Morphin, Nikotin, Vincristin, Barbiturate, Cyclophosphamid Symptomatik.
4 Reduzierte Urinausscheidung, konzentrierter Urin 4 Gewichtszunahme, Ödeme 4 Schwindel, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle Diagnostik. Serum: Osmolarität↓, Natrium↓; Urin: Osmolarität↑, Natrium↑.
Diagnostik.
4 Serum: Osmolarität↑, Hypernaträmie; bei zentralem Diabetes insipidus inadäquat niedrige ADH-Spiegel 4 Urin: Osmolarität↓, spezifisches Gewicht↓ 4 Durstversuch: mangelnder Anstieg der Urinosmolarität nach »Dursten« bei steigender Serumosmolarität
Therapie. Therapie der Grunderkrankung; Flüssigkeits-
restriktion; evtl. Ausgleich der Hyponatriämie mit NaCl 0,9% (cave: zentrale pontine Myelinolyse 7 Kap 14).
89 6.3 · Wachstumsstörungen
Wachstumsstörungen
6.3
6.3.1 Kleinwuchs Definition. Körpergröße <3. Perzentile, Wachstumsrate <25. Perzentile.
Einteilung: 4 Primärer Kleinwuchs: anlagebedingte Störung des wachsenden Gewebes; die Endgrösse bleibt vermindert und kann nicht beeinflusst werden, . Tab. 6.1. 4 Sekundärer Kleinwuchs: Störung der wachstumsregulierenden Faktoren im Rahmen verschiedener Grunderkrankungen, Verzögerung des Knochenalters gegenüber dem Lebensalter, verzögerte Pubertät und verspätetes Erreichen der Endgröße, . Tab. 6.2.
Diagnostik.
4 Anamnese: SS, Geburt, Begleitsymptome, Traumata?, Familienanamnese, Perzentilen (Verlauf, U1‒ U9, J1), Meilensteine der Entwicklung, Dentition, Ernährung 4 Auxologie: Größe, Gewicht, Kopfumfang, Armspanne (entspricht ca. der Körperhöhe), Sitzhöhe, Wachstumsgeschwindigkeit 4 Zielgröße des Kindes ermittelt aus der mittleren Elterngröße (MEG = arithmetisches Mittel der Größe der Eltern): Knaben: MEG +6,5 cm, Mädchen: MEG –6,5 cm 4 Körperliche Untersuchung: proportionierter/dysproportionierter Minderwuchs, Dysmorphiezeichen, Pubertätsstadien nach Tanner 4 Bestimmung des Knochenalters: bis 18 Monate Röntgen linkes Knie, ab 18 Monate Röntgen linke Hand (Knochenalter nach Greulich und Pyle) 4 Labor: BB, alkalische Phosphatase, Vitamin D, TSH, fT4, IGF1, IGF-BP3, GOT, GPT, Kreatinin, Harnstoff, Kalzium, Phosphat, t-Transglutaminase AK, Chromosomenanalyse
. Tab. 6.1. Ursachen des primären Kleinwuchses
Skelettdysplasien
Beispiele
Klinik
Achondroplasie
Verschobene Körperproportionen, Extremitäten
Osteogenesis imperfecta Knochenstoffwechselstörungen
Chromosomenanomalien
Kleinwuchssyndrome
6
6
Mukopolysaccharidosen Mukolipidose
7 Kap. 5
Down-Syndrom
7 Kap. 2
Ullrich-Turner-Syndrom
7 Kap. 2 Endgröße ca. 145 cm
Noonan-Syndrom
Ähnlich dem Ullrich-Turner-Syndrom, Endgröße ca. 3. Perzentile 7 Kap. 2
Trisomie 13
7 Kap. 2
Trisomie 18
7 Kap. 2
Katzenschreisyndrom
7 Kap. 2
Russel-Silver-Syndrom
Intrauterine Dystrophie Großer Schädel Dreieckige Gesichtsform Hohe Stirn, spitzes Kinn Körperasymmetrie Klinodaktylie 5. Finger
Cornelia-de-Lange-Syndrom
Komplexes Fehlbildungssyndrom mit mentaler Retardierung und Synorphys (über der Nasenwurzel zusammenlaufende Augenbrauen) 7 Kap. 2
Prader-Willi-Labhardt-Syndrom
7 Kap. 2
90
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
. Tab. 6.1 (Fortsetzung) Beispiele
Klinik
Intrauteriner Kleinwuchs – SGA (small for gestational age)
Embryopathien Fetopathien Intrauterine Infektionen, Toxine Alkoholembryopathie
Plazentainsuffizienz mit pränataler Wachstumsstörung; wenn die Kinder das Wachstumsdefizit nicht innerhalb der ersten 2 Lebensjahre ausgleichen, haben sie eine eingeschränkte Wachstumsprognose
Hereditäre Faktoren
Zielgröße richtet sich nach der Elterngröße Normvarianten, z. B.: 4 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
6 4 Familiärer Minderwuchs
4 Tempovariante des Wachstums mit verzögerter Gesamtentwicklung, retardiertem Knochenalter, verzögertem Pubertätsbeginn, aber meist normaler Endgröße (häufig familiär) 4 Altersentsprechendes Knochenalter, gleichmäßiges Wachstum, aber Endgröße entsprechend der Eltern <3. Perzentile
. Tab. 6.2. Ursachen des sekundären Kleinwuchses Beispiele
Klinik
Nutritive Störungen
Mangel- oder Fehlernährung
Erkrankungen von Organsystemen
Darmerkrankungen
Zöliakie, Morbus Crohn
Lebererkrankungen
Chronische Hepatitis, Leberzirrhose
Herzerkrankungen
Zyanotische Herzfehler, große Shuntvitien
Nierenerkrankungen
Niereninsuffizienz, tubuläre Azidose
Rheumatische Erkrankungen
7 Kap. 8
Metabolische Erkrankungen
Störungen im Kohlenhydrat-, Eiweiß-, Mineral- oder Fettstoffwechsel
7 Kap. 5
Endokrinologische Störungen
GH-Mangel GH-Rezeptordefekt (Laron-Syndrom) Hypothyreose Cushing-Syndrom AGS
Medikamente
Psychosoziale Deprivation
Glukokortikoide Zytostatika Bestrahlung
Die vermehrte Sekretion von Sexualsteroiden führt zu einer vorübergehenden Zunahme der Körpergröße und Beschleunigung der Knochenreife und dadurch zu einem vorzeitigen Wachstumsstopp mit verminderter Erwachsenengröße
91 6.4 · Schilddrüsenerkrankungen
Differenzialdiagnostik. Gedeihstörung (7 Kap. 4). > Indikation zur s. c. GH-Therapie ist Kleinwuchs bei Turner-Syndrom, Prader-Willi-Syndrom, GH-Mangel, SGA-Patienten und Patienten mit Niereninsuffizienz.
6.3.2 Großwuchs Definition/Epidemiologie: Körpergröße >97. Perzentile, Wachstumsgeschwindigkeit >75. Perzentile; im Vergleich zum Kleinwuchs eher selten, Einteilung in permanenten und transitorischen Großwuchs (. Tab. 6.3, . Tab. 6.4). Diagnostik. Labor: Bestimmung von Testosteron,
Dihydrotestosteron, 17-β-Östradiol, DHEA, DHEA-S,
17-OHP, Androstendion, Chromosomenanalyse, Aminosäuren im Urin (Homozystinurie, s. u.). Therapie. Zur Vermeidung der psychosozialen Folgen
einer exzessiven Größe (Frauen >185 cm, Männer >205 cm) kann die Größe durch die Applikation von hochdosiertem Testosteron bzw. Östradiol »gebremst« werden; Therapiedauer ca. 2 Jahre; Nebenwirkungen u. a. gestörte Leberfunktion, Thromboseneigung, Adipositas und Akne. 6.4
Schilddrüsenerkrankungen
Physiologie. Die Bildung und Sekretion des hypophysären TSH wird durch das hypothalamische TRH (TSH-releasing hormone) reguliert.
. Tab. 6.3. Ursachen des permanenten Großwuchses Beispiele
Klinik
Familiärer Großwuchs
Normvariante
Durch psychosoziale Belastungen relevant, besonders bei Mädchen
Großwuchssyndrome
Sotos-Syndrom
Autosomal-dominant vererbt, Vergröberung der Gesichtszüge, Progenie, Makrozephalie, Störung der Grobmotorik, Intelligenzminderung
Marfan-Syndrom
Autosomal-dominant vererbte Störung des Bindegewebes, Arachnodaktylie (Spinnfingrigkeit), Linsenschlottern, Aortenaneurysma und Skoliose
Beckwith-Wiedemann-Syndrom (Exomphalos-MakroglossieGigantismus-Syndrom)
Meist sporadisch auftretend, Makroglossie, Exomphalos (Umbilikalhernie), Hypoglykämie, Wilmstumore
Homozystinurie
Autosomal-rezessiv vererbt, ähnlich der Symptomatik des Marfan-Syndroms: Linsenluxation, Arachnodaktylie, Kyphoskoliose und Thrombosen
Chromosomenanomalien
z. B. Klinefelter-Syndrom, Fragiles-X-Syndrom 7 Kap. 2
Hypophysenadenom
Im Kindesalter: Gigantismus Im Erwachsenenalter: Akromegalie
GH-Überschuss
6
. Tab. 6.4. Transitorischer Großwuchs Beispiele
Klinik
Alimentäre Adipositas
Adiposogigantismus
Bei Adipositas häufig auch Großwuchs
Hormonstörungen
Pubertas praecox vera, Pseudopubertas praecox 7 Kap. 6.8.1
Die verfrühte oder übermäßige Sekretion von Sexualhormonen führt zunächst zu einem akzelerierten Wachstum, durch übermäßige Beschleunigung der Knochenreife jedoch zu einem verfrühten Wachstumsstopp mit verminderter Erwachsenengröße
92
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
Sekretion. Negativer Feed-back-Mechanismus: bei erhöhter T3, T4 Konzentration wird die TSH-Ausschüttung gehemmt. Wirkung. TSH: 4 Fördert die Proliferation der Follikelzellen und Schilddrüse 4 Fördert die Iodidaufnahme 4 Bewirkt die Freisetzung von Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) aus Thyreoglobulin
6
Gesteuert vom hypophysären TSH nimmt die Schilddrüse Jod auf, synthetisiert und sezerniert die iodhaltigen Hormone Thyroxin (T4) und in geringem Maß Triiodthyronin (T3). Beide Hormone zirkulieren im Blut an Transportproteine gebunden (v. a. TGB, thyroxinbindendes Globulin). Peripher wird T4 zum aktiven T3 deiodiert. 6.4.1 Hypothyreose Definition. Schilddrüsenunterfunktion. Ätiologie.
4 Primäre Hypothyreose: 5 Entwicklungsstörungen (in 80‒90%): Schilddrüsenektopie: die physiologische Wanderung der fetalen Schilddrüse nach kaudal bleibt aus, Schilddrüsenrestgewebe findet sich am Zungengrund; Schilddrüsenhypoplasie: mangelhaft entwickelte Schilddrüse; Schilddrüsenaplasie: nicht entwickelte Schilddrüse 5 Dyshormogenese: Enzymdefekte der Schilddrüsenhormonsynthese 5 Schilddrüsenhormonresistenz 4 Sekundäre Hypothyreose: 5 TSH-Mangel 5 Iodmangel des Neugeborenen (häufigste transiente Ursache) oder der Mutter während der Schwangerschaft 5 Bakterielle Infektionen 5 Hashimoto-Thyreoiditis 5 Iatrogen: Radiatio, Operation, Medikamente, neonatale, tansitorische Hypothyreose durch Iodkontamination, z. B. bei Applikation von iodhaltigem Kontrastmittel während der Schwangerschaft (die Schilddrüse des Neugeborenen wird durch große Iodmengen blockiert). 4 Tertiäre Hypothyreose: TRH-Mangel
Symptomatik.
4 Postpartal: zunächst unauffällig, evtl. verlängerte Schwangerschaftsdauer, erhöhtes Geburtsgewicht 4 In den ersten Wochen: 5 Hypothermie, Trinkschwäche, Apathie 5 Ikterus prolongatus 5 Makroglossie, heiseres Schreien 5 Struppige Haare, teigige Haut (Myxödem) 5 Obstipation, ausladendes Abdomen, Nabelhernie 5 Wachstumsretardierung, psychomotorische Retardierung 5 Unbehandelt: Kretinismus mit Kleinwuchs, Schwerhörigkeit und psychomotorischer Retardierung. Diagnostik.
4 Neugeborenen-Screening: TSH↑ 4 Labor: TSH↑, fT3 und fT4↓, evtl. TGB↓ und Schilddrüsenautoantikörper↑ 4 Röntgen linkes Knie: Bestimmung des Knochenalters 4 Sonographie der Schilddrüse 4 evtl. 123I-Szintigraphie bei Verdacht auf Ektopie Therapie. Sofortiger Beginn einer lebenslangen Substitutionstherapie mit Schilddrüsenhormon L-Thyroxin, da die Gehirnentwicklung sonst irreversibel geschädigt wird; initial wöchentliche Kontrolle von TSH, T3, T4. Prognose. Abhängig vom Beginn der Substitutionsthe-
rapie; bei rechtzeitiger Therapie normale Entwicklung. 6.4.2 Hyperthyreose Definition. Schilddrüsenüberfunktion. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:50 000 bis 1:100 000. Ätiopathogenese. . Tab. 6.5. Symptomatik.
4 Nervosität, Unruhe 4 Konzentrationsstörungen, Feinmotorikstörungen (Schreiben), Schulprobleme 4 Tremor, Tachykardie, hoher systolischer Blutdruck, Wärmeintoleranz 4 Gewichtsabnahme trotz Heißhunger 4 Haarausfall 4 Merseburg-Trias: Exophthalmus, Struma, Tachykardie
93 6.4 · Schilddrüsenerkrankungen
. Tab. 6.5. Ursachen einer Hyperthyreose Primäre Hyperthyreose
Autoimmunerkrankungen 4 Morbus Basedow 4 Neugeborenenhyperthyreose 4 Hashimoto-Thyreoiditis Andere primäre Formen: 4 Autonomes Adenom 4 Subakute Thyreoiditis de Quervain
Sekundäre Hyperthyreose
HVL-Adenom
Ektope TSHSekretion
Bronchial-, Chorion- oder Ovarialkarzinom
Hyperthyreosis factitia
Exogene Überdosierung von Schilddrüsenhormon
6
Die Antikörper stimulieren eine unkontrollierte Bildung und Freisetzung von Schilddrüsenhormonen. Ätiopathogenese.
4 Genetische Prädisposition (HLA-B8, -A1, -DR3 und -DRW8 assoziiert) 4 Auftreten im Rahmen anderer Autoimmunerkrankungen 4 Ausgelöst häufig durch Virusinfektionen, Stress Epidemiologie. Häufigkeit: w:m=5:1. Symptomatik. Typische Hyperthyreosesymptome s. o. Diagnostik. Labor: TSH↓, T3 und T4↑, v. a. fT3↑, Thyreoglobulin↑, Antikörper-Nachweis: TSH-RezeptorAntikörper (TRAK), TPO-Ak (MAK) Therapie. Thyreostatische Therapie s. o., nach einem
> Hyperthyreose – charakteristische klinische Zeichen: 4 Dalrympe-Zeichen: das Lid ist retrahiert, die Lidspalte erweitert 4 Graefe-Zeichen: das Oberlid folgt dem Bulbus beim Blick nach unten nicht 4 Stellwag-Zeichen: seltener Lidschlag 4 Moebius-Zeichen: Schwäche der Konvergenzreaktion
Diagnostik.
4 Labor: TSH↓, T3 und T4↑, v. a. fT3↑, evtl. Nachweis von Schilddrüsenantikörpern: TRAK (TSHRezeptorantikörper), Anti-Thyreoglobulin-Ak, Anti-TPO-Ak (mikrosomale Antikörper) 4 Sonographie: unregelmäßige Textur der Schilddrüse, vergrößertes Volumen, gesteigerte Durchblutung, evtl. Darstellung von Knoten, Adenomen Therapie.
4 Thyreostatika: Carbimazol, Thiamazol oder Methimazol 4 bei Tachykardie evtl. β-Blocker, z. B. Propanolol 4 im Kindesalter meist Kombination aus vollständiger Blockade der Schilddrüse mit Thyreostatika und L-Thyroxin-Substitution zur Vermeidung einer iatrogenen Hypothyreose 4 evtl. subtotale Thyreoidektomie und L-Thyroxinsubstitution 4 Augenärztliche Kontrollen Morbus Basedow Definition. Hyperthyreose aufgrund der Bildung autoimmuner Antikörper gegen den TSH-Rezeptor (TRAK).
Jahr Auslassversuch der Thyreostatika, jedoch meist lebenslange Therapie notwendig. 6.4.3 Hashimoto-Thyreoiditis Definition. Autoimmunerkrankung mit lymphozytärer Entzündungsreaktion der Schilddrüse. Passager kommt es häufig zu einer Hyperthyreose, im Verlauf entsteht eine Hypothyreose. Meist sind Autoantikörper gegen Thyreoglobulin und mikrosomales Schilddrüsenantigen (Peroxidase) nachweisbar. Epidemiologie/Ätiologie. Häufigste Schilddrüsenerkrankung im Kindesalter; familiäre Disposition. Symptomatik.
4 Initial häufig unbemerkte Hyperthyreose, im Verlauf Hypothyreose 4 Vergrößerte Schilddrüse, derbe Konsistenz Diagnostik.
4 Labor: T3, T4 je nach Stadium erhöht oder erniedrigt; Antikörper-Nachweis: TPO-Ak, Thyreoglobulin-Ak 4 Sonographie: diffus echoarme, vergrösserte Schilddrüse, fleckiges Muster Therapie.
4 L-Thyroxin-Substitution, bei hypothyreoter Stoffwechsellage.
94
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
6.4.4 Struma Definition. Über die Norm vergrößerte Schilddrüse.
6
Struma Stadieneinteilung: 4 Stadium 0: keine Struma 4 Stadium 1: tastbare Struma 4 Stadium 1a: bei normaler Kopfhaltung ist Struma nicht sichtbar 4 Stadium 1b: bei zurückgebeugtem Hals ist Struma sichtbar 4 Stadium 2: bei normaler Kopfhaltung sichtbar 4 Stadium 3: große Struma mit lokalen Stauungs- und Kompressionszeichen
Epidemiologie. Eine Struma liegt bei >90% aller Schild-
drüsenerkrankungen vor; Häufigkeit in Endemiegebieten: 5%. Ätiologie.
4 Iodmangelstruma: in vielen Teilen Deutschlands ist die Iodversorgung ungenügend 4 Familiäre Iodverwertungsstörung 4 Exposition mit strumigenen Substanzen: Phenolderivate, Thiocyanate oder Sojamilch Symptomatik. Anfangs reversible Vergrößerung, später
. Abb. 6.2. Struma nodosa
Neugeborenen-Struma Definition. Struma bei Neugeborenen. Ätiopathogenese. Während der Schwangerschaft:
4 Iodmangel der Mutter 4 Morbus Basedow der Mutter, Auto-Antikörper werden von der Mutter auf das Kind übertragen (Neugeborenenhyperthyreose) 4 Thyreostatikatherapie der Mutter
irreversible Knoten-, Zysten- und Nekrosenbildung; im Kindesalter häufig euthyreote Iodmangelstruma ohne Schilddrüsenfunktionsstörung (. Abb. 6.2).
Symptomatik. Struma, z. T. mit Stridor und Atemnot.
Diagnostik.
Therapie. Symptomatisch.
4 Inspektion, Palpation 4 Sonographie der Schilddrüse: Volumen, Knoten, Echogenität 4 Labor: T3, T4, TSH, Bestimmung der Schilddrüsenantikörper (Ausschluss Morbus Basedow, Hashimoto Thyreoiditis) > Schilddrüsenknoten im Kindesalter sind immer malignomverdächtig.
Therapie.
4 Bei Iodmangelstruma Iodidsubstitution, 100‒ 200 μg/Tag p. o. 4 Bei iodrefraktärer Struma: L-Thyroxin zur TSHSupprimierung 4 Selten Strumektomie notwendig Prophylaxe. Iodiertes Speisesalz verwenden; in Mangel-
gebieten Iodidprophylaxe.
Prognose. In der Regel gut.
6.5
Epithelkörperchen und Parathormon
Physiologie. Parathormon (PTH) wird in den Epithel-
körperchen gebildet. PTH erhöht die Kalziumkonzentration und senkt Phosphatkonzentration im Serum. In der Niere stimuliert PTH die Phosphatausscheidung und die Kalziumresorption. PTH stimuliert zudem die Synthese von 1,25(OH)2Vitamin D3 und dadurch die Kalziumresorption aus dem Darm. Die PTH-Sekretion wird getriggert durch niedrige Kalziumkonzentrationen oder hohe Phosphatkonzentrationen im Serum und durch Calcitriolmangel. In der Fetalzeit besteht ein uneingeschränkter Kalziumaustausch über die Plazenta, die fetalen Epithelkörperchen sind bis zur Geburt we-
95 6.5 · Epithelkörperchen und Parathormon
nig aktiv. Daher kommt es postpartal häufig zu einem transitorischen Hypoparathyreoidismus mit Hypokalzämie für wenige Tage. Hypoparathyreoidismus Definition. Mangel an PTH oder verminderte PTHWirkung mit Hypokalzämie.
6
Therapie. Ziel: Kalziumwerte in den unteren Normbe-
reich anheben, iatrogene Hyperkalzämie mit Gefahr der Nephrolithiasis vermeiden. 4 Akute, symptomatische Hypokalzämie: Kalziumglukonat 10% langsam i. v. (EKG-Kontrolle, Cave: Herzrhythmusstörungen) 4 Dauertherapie: Vitamin D3 (u. a. Stimulation der Kalziumresorption aus dem Darm); Kalzium p. o.
Ätiologie.
Primärer Hypoparathyreoidismus: 4 Autosomal rezessiv oder X-chromosomal vererbt 4 Im Rahmen von Syndromen: 5 Di George-Syndrom: Mikrodeletionssyndrom mit Hypoparathyreoidismus (7 Kap. 8.1.2) 5 Genetische autoimmune Polyendokrinopathie (APECED-Syndrom: Autoimmune Polyendocrinopathy, Candidiasis, Ectodemal Dysplasia) u. a. mit Hypoparathyreoidismus, Kandidiasis, Alopezie, Thyreoidits, Morbus Addison, perniziöser Anämie, Diabetes mellitus 5 Blizzard-Syndrom: Autoimmunendokrinopathie Typ I (häufig familiär, autosomal-rezessiv vererbt): Hypoparathyreoidismus, Soor, Nebenniereninsuffizienz, Hashimoto-Thyreoiditis, Alopezie, Vitiligo, Steatorrhoe Sekundärer Hypoparathyreoidismus: 4 Tumoren im Bereich der Epithelkörperchen 4 Iatrogen: Zerstörung der Epithelkörperchen durch Eisenüberladung nach wiederholten Bluttransfusionen (Hämosiderose), postoperativ nach Thyreoidektomie, nach Radiatio 4 Hypomagnesiämie (Magnesium ist ein physiologischer Kalziumantagonist und verdrängt die Kalziumionen kompetitiv von ihren Bindungsstellen. Eine Hypomagnesiämie führt über eine Hyperkalzämie reaktiv zu einer verminderten PTH Ausschüttung, in Folge kommt es zur Hypokalzämie mit u. g. Symptomen) Symptomatik. Hypokalzämie mit:
Akut: 4 Erhöhte muskuläre Erregbarkeit, Tetanie, Karpopedalspasmen (Hand- und Fußkrämpfe bei Tetanie) 4 Krampfanfälle Chronisch: 4 Trockene, atrophische Haut, Dystrophie von Nägeln und Zähnen, Haarausfall 4 Muskelhypotonie, Kleinwuchs 4 Konzentrationsschwäche, depressive Verstimmung Diagnostik. Labor: PTH↓, Kalzium↓, Phosphat↑.
Pseudohypoparathyreoidismus Definition. Autosomal-dominant vererbter Defekt des
PTH-Rezeptors mit Endorganresistenz bei normalen oder erhöhten PTH-Spiegeln. Symptomatik.
4 Hypokalzämie mit Tetanie und Krampfanfällen 4 Kleinwuchs, gedrungener Körperbau, rundes Gesicht, Brachydaktylie 4 Häufig auch Resistenz anderer G-Protein-abhängiger Rezeptoren (z. B. Schilddrüse) Diagnostik.
4 Labor: Kalzium↓, Phosphat↑, PTH↑, Molekulargenetik 4 PTH-Infusionstest: ausbleibender Anstieg von cAMP in Urin und Plasma nach PTH-Infusion Differenzialdiagnostik.
4 Pseudopseudohypoparathyreoidismus: unregelmäßig dominant vererbte Knochenveränderungen (Minderwuchs, rundes Gesicht, Exostosen, Brachydaktylie), die dem klinischen Bild des Pseudohypoparathyreoidismus ähneln. Kalzium, Phosphat und PTH im Serum sind jedoch im Normbereich. 4 Albright‘sche hereditäre Osteodystrophie: autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit Pseudohypoparathyreoidismus, Kleinwuchs, rundem Gesicht, kurzem Hals, gedrungenem Körperbau, Brachydaktylie, geistiger Retardierung und subkutanen Verkalkungen. Therapie. Ziel: Kalzium im oberen Normbereich hal-
ten, um einen sekundären Hyperparathyreoidismus zu vermeiden. 4 Hoch dosiertes Vitamin D3 p. o. Hyperparathyreoidismus Definition. Primär oder sekundär gesteigerte PTH-Se-
kretion mit Hyperkalzämie. Epidemiologie. Häufigkeit: 2‒5:100 000; primärer Hyperparathyreoidismus im Kindesalter selten.
96
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
. Tab. 6.6. Ursachen des Hyperparathyreoidismus
6
Form
Ursache
Primärer Hyperparathyreoidismus
Epithelkörperchenadenom Epithelkörperchenhyperplasie (idiopathisch oder autosomal-dominant oder -rezessiv) multiple endokrine Neoplasien (MEN): 4 MEN I (Typ I): Hyperparathyreoidismus, Pankreastumore, HVL-Tumore 4 MEN IIa (Sipple Syndrom): Hyperparathyreoidismus, C-Zell-Karzinom, Phäochromozytom
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Reaktive gesteigerte PTH-Ausschüttung bei 4 kalzipenischer Rachitis 4 Niereninsuffizienz, Urämie 4 Malassimilation 4 Pseudohypoparathyreoidismus
Tertiärer Hyperparathyreoidismus
Infolge eines sekundären Hyperparathyreoidismus kann es bei lang anhaltender, reaktiver Überfunktion der Epithelkörperchen zu einer autonomen Überfunktion kommen.
Ätiopathogenese. . Tab. 6.6. Symptomatik. Hyperkalzämie mit Symptomen an fol-
genden Organsystemen: 4 Gastrointestinaltrakt: Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsabnahme 4 Niere: (Polyurie, Polydipsie) Nephrokalzinose, Nephrolithiasis 4 Skelett: Osteopenie, Knochenschmerzen 4 ZNS: psychische Veränderungen
4 Prednison (hemmt die Kalziumresorption und fördert die Kalziumausscheidung) 4 Bisphosphonate (hemmen die Osteoklastenaktivität und somit die Kalziumfreisetzung aus dem Knochen) Bei Adenomen: operative, solitäre Adenomentfernung oder Entfernung aller 4 Epithelkörperchen und autologe Transplantation von einem Epithelkörperchen in den Unterarm.
Diagnostik.
4 Labor: Kalzium↑, Phosphat↓, PTH↑; Urin: Kalzium↑, Phosphat↑ 4 Bildgebung: Sonographie Abdomen, CT, MRT zum Ausschluss einer Raumforderung 4 Röntgen: aufgrund der PTH Wirkung auf den Knochen Osteitis fibrosa generalisata mit Resorptionslakunen und subperiostalen Defekten an den Radialseiten der Mittelphalangen. > Differenzialdiagnose Hyperkalzämie: 4 Hyperparathyreoidismus, Hyperthyreose, NNR-Insuffizienz 4 paraneoplastisch: Bronchial-, Mamma-, Prostatakarzinom (über PTH und Vitamin D3 Erhöhung), 4 Nierenversagen, Thiaziddiuretika, familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie (selten) 4 Vitamin-D, Vitamin-A Intoxikation 4 Sarkoidose, Morbus Hodgkin 4 Immobilisation
Therapie. Akute Hyperkalzämie:
4 Unterbrechung der Kalziumzufuhr, NaCl 0,9% i. v. 4 Furosemid (fördert die Kalziumausscheidung)
6.6
Erkrankungen der Nebenniere
Physiologie. In der Nebennierenrinde werden 3 Grup-
pen von Steroidhormonen gebildet (. Abb. 6.3): 4 Zona glomerulosa (außen): Mineralokortikoide, z. B. Aldosteron 4 Zona fasciculata: Glukokortikoide, z. B. Cortisol 4 Zone reticularis (innen): Sexualsteroide, z. B. Dehydroepiandrosteron (DHEA), Androstendion Aldosteron Aldosteron steigert die Natrium- und die Wasserrückresorption, sowie die Kalium und H+-Ausscheidung in der Niere. Die Aldosteron Sekretion wird stimuliert durch Angiotensin II (über das Renin-AngiotensinAldosteron-System 7 Kap. Lehrbücher Physiologie), und durch Hyperkaliämie, Hyponatriämie und Volumenmangel. Kortisol Kortisol steigert die Glukoneogenese, die Lipolyse und wirkt katabol durch Stimulation des Protein- und Knochenabbaus. Kortisol steigert den Blutzuckerspiegel
97 6.6 · Erkrankungen der Nebenniere
6
. Abb. 6.3. Schema der Steroidsynthese. Beim Defekt der Enzyme 1–5 ist die Kortisolsynthese eingeschränkt. Beim Defekt des Enzyms 4 (klassisches AGS) oder des Enzyms 5 (AGS mit Hypertension) kommt es durch vermehrte Androgenproduktion (»im Überlauf«) zur Virilisierung. Der mögliche Salzverlust bei den Defekten 1, 4 und 6 ist durch mangelhafte Aldosteronproduktion bedingt. Dagegen ist die Hypertension beim Defekt 5 Folge einer vermehrten Bildung von Desoxy-
kortikosteron. Bei den Defekten 1 und 3 ist die Bildung aller biologisch aktiven Steroide (auch Sexualsteroidhormone) eingeschränkt, beim Defekt 2 ist dagegen die Produktion von Mineralokortikoiden nicht behindert, eher erhöht. Defekte der Schritte 7 (17,20-Desmolasedefekt) und 8 (Steroid-17-Reduktase) bedingen eine mangelhafte Androgenproduktion und dadurch bei männlichen Feten einen Pseudohermaphroditismus masculinus
(insulinantagonistisch), wirkt immunsuppressiv und z. T. mineralokortikoid (Förderung der Natrium- und Wasserrückresorption). Kortisol wird über den CRHACTH-Regelkreis (negativer Feed-back-Mechanismus) gesteuert und unterliegt einem ausgeprägt zirkadianen Rhythmus, die maximale Ausschüttung erfolgt in den frühen Morgenstunden.
4 Waterhouse-Friderichsen-Syndrom (perakute NNRNekrose mit petechialen Hautblutungen bei Sepsis) 4 Adrenoleukodystrophie 7 Kap. 5 4 Metastasen 4 Infektionen (z. B. Tbc)
Nebenniereninsuffizienz Definition. Ausfall oder verminderte Produktion der NNR-Hormone. Ätiologie.
Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (ACTH reaktiv erhöht): 4 Autoimmunadrenalitis aufgrund von Autoimmunantikörpern gegen hormonproduzierende Zellen der NNR (Morbus Addison, ca. 50‒80%) 4 Aplasie und Hypoplasie der NNR 4 X-chromosomal-vererbte NNR-Insuffizienz 4 Autoimmune Polyendokrinopathien 4 Adrenogenitales Syndrom (AGS) mit Salzverlust 4 Perinatale NNR-Blutungen
Sekundäre Nebennierenrindeninsuffizienz (ACTH erniedrigt): 4 Insuffizienz des HVL: Isolierter ACTH-Ausfall oder Panhypopituitarismus 7 Kap. 6.2 Tertiäre Nebennierenrindeninsuffizienz (ACTH erniedrigt): 4 Insuffizienz des Hypothalamus 7 Kap. 6.2 4 Längere Kortikosteroidbehandlung mit Supprimierung des Regelkreises (häufigste Form) ! Bei längerer Kortikosteroidtherapie (>1 Woche) dürfen die Kortikosteroide nicht abrupt abgesetzt werden, da die Gefahr einer Addison-Krise besteht.
98
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
Symptomatik.
Chronische Nebenniereninsuffizienz: 4 Allgemein: Schwäche, Adynamie, Gewichtsverlust, Dehydratation, arterielle Hypotonie, Salzhunger 4 Gastrointestinal: Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, Diarrhoe 4 Haut: primäre NNR-Insuffizienz: Hyperpigmentation an belichteten Stellen der Haut, »bronzefarbene Haut«, evtl. Vitiligo, Druckstellen; sekundäre NNR-Insuffizienz: Blässe durch Ausfall von MSH (Melanozyten-stimulierendes Hormon).
6
Akute Nebenniereninsuffizienz (Addison-Krise): tritt meist in Stress-Situationen bei chronischer oder latenter NNR-Insuffizienz, bei Waterhouse-Friderichsen-Syndrom oder postpartaler NNR-Blutung auf: 4 Exsikkose, Blutdruckabfall, Schock 4 Abdominelle Schmerzen, Erbrechen, Diarrhoe, Oligurie 4 Hypoglykämie, Koma Diagnostik.
4 Labor: Hypoaldosteronismus: Aldosteron↓, Na+↓¸ K+↑, Azidose, Renin reaktiv ↑; Hypokortisolismus: Kortisol↓, Glukose↓; Androgen↓, je nach Form ACTH↓ oder ↑; in 50% der Fälle: NNR-Antikörper nachweisbar 4 ACTH-Test: nach i. v.-Applikation von ACTH bei primärer NNR-Insuffizienz kein Anstieg von Kortisol im Serum 4 Bildgebung: Sonographie, MRT zum Ausschluss einer Raumforderung Therapie.
4 Addison-Krise: i. v.-Substitution von Glukose, NaCl 0,9%, Hydrokortison und Mineralokortikoiden 4 Dauertherapie: Substitution von Hydrokortison und Mineralokortikoiden > Patienten mit NNR-Insuffizienz benötigen einen Notfallausweis. Die Kortikosteroid-Substitution muss bei Stress, Infekt oder Operation verdrei- bis versechsfacht werden (»Stressdosis«).
Adrenogenitales Syndrom (AGS): verminderte Kortisolsynthese Definition. Autosomal-rezessiv vererbter Enzymdefekt der Kortisolsynthese (Mutation auf Chromosom 6) mit oder ohne Aldosteronmangel (mit oder ohne Salzverlust). Epidemiologie. Häufigkeit: 1:10 000.
Einteilung des adrenogenitalen Syndroms: Nach Enzymdefekt: 4 21-Hydroxylase-Defekt (90%) – Unkompliziertes AGS (»simple virilizing form«) – AGS mit Salzverlust (»salt-wasting form«) 4 11β-Hydroxylase-Defekt 4 3β-Hydroxylase-Defekt Nach Manifestation: 4 Klassisch: Manifestation im Säuglingsalter 4 »Late-onset«: Manifestation vor bzw. in der Pubertät 4 »Cryptic«: Enzymdefekt und Hormonveränderungen im Blut ohne klinische Symptomatik
Ätiopathogenese. Einer der o. g. Enzymdefekte führt
zu einer verminderten Kortisolsynthese und zu einer reaktiv gesteigerten ACTH-Ausschüttung. Die Hormonmetabolite vor dem Enzymdefekt stauen sich an und werden in die Synthese anderer Steroide, z. B. Androgene umgeleitet. Dies führt zur Virilisierung. Wird nicht genügend Aldosteron produziert, kommt es zum Salzverlust. Symptomatik.
4 Virilisierung: 5 Mädchen: Pseudohermaphroditismus femininus: Normales, inneres weibliches Genitale (Uterus, Ovarien), aber äußerliche Virilisierung: Klitorishypertrophie, Amenorrhoe, fehlende Brustentwicklung (die Abgrenzung zu Jungen mit Hypospadie und Kryptorchismus ist schwierig) 5 Jungen: Pseudopubertas praecox: Frühzeitige Pubertät durch Androgenproduktion mit prämaturer Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale: Schambehaarung, großer Penis, Akne, tiefe Stimme, muskulöser Körperbau 4 Schnelles Wachstum im Kindesalter, aber früher Schluss der Epiphysenfugen und geringe Endgröße (Androgenwirkung) 4 »Salt-wasting-Form«: In den ersten Lebenswochen kommt es zu einer lebensbedrohlichen Salzverlustkrise mit Erbrechen, Trinkschwäche, Exsikkose, Hyponatriämie, Hyperkaliämie mit Herzrhythmusstörungen und metabolischer Azidose 4 »Late-onset«: Erst im späten Kindes- oder im Erwachsenenalter kommt es bei Frauen zu Hirsutismus (männlicher Behaarungstyp), Zyklusstörun-
99 6.6 · Erkrankungen der Nebenniere
gen, eingeschränkter Fertilität; beim Mann bleibt das Late-onset-AGS meist unerkannt. ! Wenn bei einem männlichen Säugling keine Hoden zu tasten sind, muss daran gedacht werden, dass es sich um ein virilisiertes Mädchen handeln kann.
Diagnostik.
4 Klinische Untersuchung des Genitales 4 Labor: 17-Hydroxyprogesteron↑, Urin: Pregnantriol, Pregnantriolon↑ 4 Pränatal: Chorionzottenbiopsie, HLA-Bestimmung, Molekulargenetik (Chromosom 6), Amniozentese: Bestimmung von 17-Hydroxyprogesteron im Fruchtwasser Therapie. Ziel: Verhinderung einer postnatalen Virilisierung und einer Salzverlust-Krise; Erreichen einer zeitgerechten Pubertät, einer normalen Körpergröße und einer normalen Fertilität. 4 Substitution mit Hydrokortison (10‒20 mg/m2 KO/ Tag) p. o.; bei Stress, Infekt oder Operation muss die Dosis verdrei- bis versechsfacht werden (»Stressdosis«). 4 Pränatal: die Gabe von Dexamethason an die Mutter verhindert die Virilisierung des Genitales beim weiblichen Feten. 4 Salzverlust: zusätzliche Substitution mit Mineralokortikoid, z. B. Fludrokortison p. o.; bei Säuglingen Substitution von Natrium p. o. 4 Operativ: Genitalkorrektur bei Mädchen vor dem 1. Lebensjahr 4 Monitoring: Wachstumgeschwindigkeit, Knochenreifung, Pregnantriol im Sammelurin, Plasmareninaktivität bei Salzverlust
Cushing-Syndrom: gesteigerte Kortisolsynthese Definition. Übermäßige Kortisolproduktion oder übermäßiges Kortisolangebot. Ätiologie.
4 Primär: adrenaler NNR-Tumor (Kinder oft Karzinome, Erwachsene Adenome), NNR-Hyperplasie 4 Sekundär: basophiles HVL-Adenom (zentrale Form: Morbus Cushing), paraneoplastische ACTHSekretion von Tumoren (z. B. kleinzelliges Bronchialkarzinom) 4 Tertiär: hypothalamische Störung 4 Iatrogen: Kortikoidtherapie (häufig)
6
Symptomatik.
4 Stammfettsucht, Stiernacken, Vollmondgesicht (gerötetes und rundes Gesicht) 4 Verminderte Wachstumsgeschwindigkeit, Osteoporose, Myopathie mit Muskelschwäche 4 evtl. Striae rubrae (. Abb. 6.4) 4 Akne, Hypertrichose (vermehrte Behaarung an Rücken, Armen, Beinen), v. a. bei der sekundären und tertiären Form 4 Arterielle Hypertonie, diabetogene Stoffwechsellage Diagnostik.
4 Labor: Kortisol im Tagesprofil↑, Aufheben des zirkadianen Rhythmus, Kalium↓, Natrium↑, gestörte Glukosetoleranz, Blutbildveränderungen: Leukozytose, Eosinopenie, Lymphopenie, Thrombozytose; Urin: freies Kortisol↑; ACTH↑ bei primärer, ACTH↓ bei sekundärer Form 4 Dexamethasonhemmtest: morgendlicher Kortisolwert lässt sich durch Dexamethason nicht unterdrücken. 4 Bildgebung: MRT und Sonographie des Schädel und der Nebenniere zum Ausschluss einer Raumforderung Therapie. Bei Raumforderungen: chirurgische Entfer-
nung der adrenalen Tumore oder transsphenoidale Exstirpation des HVL-Adenoms; bei iatrogenem Cushing Umsetzen bzw. Erweiterung der Therapie. > Adipöse, klein gewachsene Kinder können eine Hormonstörung haben (z. B. Hypothyreose, Cushing-Syndrom, STH-Mangel); adipöse, groß gewachsene Kinder haben selten eine endokrine Erkrankung.
Hypoaldosteronismus: verminderte Aldosteronsynthese Definition. Verminderte Aldosteronsynthese, meist im Rahmen eines AGS, selten isoliert bei autosomal-rezessiv vererbtem Enzymdefekt oder bei Pseudohypoaldosteronismus bei Endorganresistenz gegen Aldosteron. Symptomatik. Renaler Salzverlust mit metabolischer Azidose, Dehydratation und Gedeihstörung. Therapie. 9α-Fludrocortisol p. o. (Mineralokortikoid).
Conn-Syndrom: vermehrte Aldosteronsynthese Definition/Epidemiologie. Gesteigerte Aldosteronsynthese, im Kindesalter selten.
100
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
. Abb. 6.4. Cushing-Syndrom: Stammfettsucht, Striae rubrae
6
Ätiologie.
4 Aldosteron-produzierende Adenome, selten Karzinome der NNR 4 Mikronoduläre, bilaterale Hyperplasie der Zona glomerulosa der NNR
6.7
Erkrankungen des Nebennierenmarks
Neuroblastom, Phäochromozytom (7 Kap. 10).
Störungen der Pubertätsentwicklung
Symptomatik.
6.8
4 Polydipsie, -urie 4 Arterielle Hypertonie, Kopfschmerzen, Parästhesien 4 Hypokaliämie: Muskelschwäche, Obstipation, EKG-Veränderungen, metabolische Alkalose
Physiologie. 7 Kap. 1.
Diagnostik.
4 Labor: Natrium↑, Kalium↓, hypochlorämische Alkalose, Aldosteron↑ in Plasma und Urin, Renin reaktiv↓ 4 Bildgebung: CT/MRT zum Ausschluss Adenom Therapie. Bei Raumforderungen: operative Entfernung. Differenzialdiagnostik. Sekundärer Hyperaldosteronismus über ein stimuliertes Renin-Angiotensin-System, u. a. bei Nierenarterienstenose, maligner Hypertonie, einem reninproduzierenden Tumor, Volumenmangel bei nephrotischem Syndrom, Rechtsherzinsuffizienz, Ödemen oder Lakritzabusus.
Definition.
4 Primäre Geschlechtsmerkmale: Organe, die der Fortpflanzung dienen (Hoden, Nebenhoden, Samenwege, Penis, Ovarien, Tuben, Uterus, Vagina, Vulvula) 4 Sekundäre Geschlechtsmerkmale: Geschlechtsmerkmale, die nicht direkt der Fortpflanzung dienen (Bart, Körperbehaarung, tiefe Stimme, Brüste, Schambehaarung) 4 Thelarche: Beginn der Entwicklung der weiblichen Brustdrüse 4 Menarche: Auftreten der ersten Regelblutung 4 Pubarche: Beginn der Schambehaarung 4 Adrenarche: Beginn der Androgenproduktion in der NNR, Beginn der Achsel- und Schambehaarung
101 6.8 · Störungen der Pubertätsentwicklung
4 Gynäkomastie: Vergrößerung der männlichen Brustdrüse 6.8.1 Pubertas praecox
6
Therapie. LHRH-Analoga (Enantone) 1-mal/Monat s. c.: durch Bindung an die LHRH-Rezeptoren des HVL kommt es zur Down-Regulation der FSH/LH-Ausschüttung. Prognose. Häufig Kleinwuchs.
Definition. Auftreten von Pubertätszeichen vor dem
8. Lebensjahr bei Mädchen, vor dem 9. Lebensjahr bei Jungen, als Pubertas praecox vera: zentral, GnRH-vermittelt oder Pseudopubertas praecox: nicht GnRHvermittelt.
> Bei Pubertas praecox besteht eine psychosoziale Belastung durch die Diskrepanz zwischen psychischer und somatischer Entwicklung. Eine zerebrale Raumforderung muss ausgeschlossen werden.
Pubertas praecox vera Definition. Prämature Pubertät durch vorzeitige Gonadotropinausschüttung (LH, FSH) aufgrund einer hypothalamischen oder hypophysären Störung mit vorzeitiger Reifung der Gonaden und prämaturer Entwicklung von Pubertätsmerkmalen.
Pseudopubertas praecox Definition. Prämature Pubertät durch gesteigerte Ausschüttung von Sexualhormonen, die GonadotropinAusschüttung ist nicht gesteigert. Vorzeitige Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale bei infantilen Gonaden.
Epidemiologie. Häufigkeit: 1:5 000‒1:10 000.
Ätiologie.
Ätiologie.
4 Idiopathisch (90%): w>m, meist um das 3.‒4. Lebensjahr 4 Hypothalamusläsionen (10%): Tumor, Bestrahlung, Meningitis, Hydrozephalus
Isosexuelle Pseudopubertas praecox: Östrogen-Überschuss bei Mädchen durch: 4 Ovarialzysten, -tumoren 4 McCune-Albright-Syndrom (genetische Erkrankung mit den Leitsymptomen Café-au-lait Flecken, fibröse Knochendysplasie und Pubertas praecox) 4 Exogene Östrogenzufuhr
Symptomatik.
4 Brustdrüsen- und Hodenvergrößerung 4 Vorzeitiges Auftreten sekundärer Geschlechtsmerkmale 4 Wachstumsspurt (Kinder sehr groß), aber durch übermäßige Androgenproduktion frühzeitiger Schluss der Epiphysenfugen mit Wachstumsstillstand (Erwachsene klein) 4 Prämature Menarche, frühe Fertilität 4 Diskrepanz zwischen psychischer und somatischer Entwicklung Diagnostik.
4 Labor: basales LH, FSH↑, Mädchen: Östrogene ↑, Jungen: Testosteron ↑ 4 LHRH-Test: nach i. v.-Applikation von LHRH starker Anstieg der Gonadotropine 4 Röntgen linke Hand: Knochenalter anfangs normal, später beschleunigt 4 Bildgebung: Sonographie (vergrößerte Ovarien und Testes), MRT-Schädel zum Ausschluss einer Raumforderung
Androgen-Überschuss bei Jungen durch: 4 Testotoxikose: autosomal-dominant vererbte, GnRH-unabhängige Reifung von Sertoli- und Leydig-Zellen mit prämaturer Pubertät 4 Adrenogenitales Syndrom 7 Kap. 6.6 4 Tumoren: Leydig-Zell-Tumor, Teratom, HCG-sezernierenden Tumor 4 Exogene Androgenzufuhr Heterosexuelle Pseudopubertas praecox 4 Androgen-Überschuss bei Mädchen durch: 5 Adrenogenitales Syndrom 5 Tumore: androgen-produzierende Tumoren, Nebennierenrindentumor 5 Exogene Androgenzufuhr 4 Östrogen-Überschuss bei Jungen durch: 5 Sertoli-Zell-Tumor 5 Exogene Östrogenzufuhr Symptomatik. Infantile Gonaden, aber frühzeitige Aus-
bildung sekundärer Geschlechtsmerkmale.
102
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
Diagnostik.
4 Labor: Sexualsteroide↑, LH/FSH↓ (supprimiert) 4 LHRH-Test: kein Anstieg der Gonadotropine nach i. v.-LHRH-Applikation
. Tab. 6.7. Ursachen der Pubertas tarda Primärer Hypogonadismus
Therapie. Kausale Therapie der Grunderkrankung
Jungen: 4 Klinefelter-Syndrom 4 Nach Hodeninfekten, -traumata, -operationen 4 Anorchie
6.8.2 Partielle Frühreife Prämature Thelarche Definition. Frühzeitige isolierte Brustdrüsenschwellung vor dem 8. Lebensjahr.
6
Ätiopathogenese.
4 Im 1. und 2. Lebensjahr Reaktion auf die physiologisch erhöhten Östrogenspiegel; häufig bei ehemaligen Frühgeborenen 4 Später: idiopathisch
Sekundärer Hypogonadismus
4 Tumoren des HVL (z. B. Kraniopharyngeom)
Tertiärer Hypogonadismus
4 Hyopothalamische Prozesse 4 Kallmann-Syndrom (Anosmie und LRH-Mangel)
Andere Ursachen
4 Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung 4 Hypothyreose 4 Diabetes mellitus 4 STH-Mangel 4 Cushing-Syndrom 4 Mangelernährung 4 Morbus Crohn 4 Zystische Fibrose 4 Entzündliche Erkrankungen 4 Nierenerkrankungen
Prognose. Spontane Rückbildung nach mehreren Mo-
naten. Pubertätsgynäkomastie Definition. Vorübergehende Schwellung der Brustdrü-
sen beim Knaben in der Pubertät aufgrund eines gestörten Testosteron/Östrogen Verhältnisses; häufig bei Adipositas. Epidemiologie. Häufigkeit: 6:10 Knaben. Therapie. Sehr zurückhaltender Einsatz von Medika-
menten: evtl. Tamoxifen (Östrogenrezeptorhemmung, Stimulation von Progesteronrezeptoren) über 4 Monate; bei großem psychischen Druck ultima ratio Operation.
Mädchen: 4 Ullrich-Turner-Syndrom 7 Kap. 2 4 Andere Gonadendysgenesien (s. u.)
6.8.4 Konstitutionelle Entwicklungs-
verzögerung Definition/Epidemiologie. Familiär gehäufte Entwicklungsverzögerung, eine häufige Normvariante. Symptomatik.
Prognose. Meist spontane Rückbildung nach 2‒3 Jah-
ren. 6.8.3 Pubertas tarda Definition. Auftreten von Pubertätszeichen nach dem 14. Lebensjahr bei Mädchen und nach dem 15. Lebensjahr bei Jungen.
4 Längenwachstum, Knochenreifung und Pubertätsbeginn gleichmäßig verzögert. 4 Der Kleinwuchs verstärkt sich relativ im späten Kleinkindalter, weil der pubertäre Wachstumsschub auf sich warten lässt. Knaben fallen stärker auf, da sie physiologischerweise einen um 2 Jahre verspäteten Wachstumsschub haben. Zum Teil erheblicher Leidensdruck. Therapie.
Ätiologie. . Tab. 6.7.
4 Meist nicht notwendig 4 Bei hohem Leidensdruck: temporäre Testosteronbehandlung bei Jungen, niedrig dosierte Östrogenbehandlung bei Mädchen; strenge Indikationsstellung; die Endlänge wird durch die Behandlung nicht beeinflusst.
103 6.10 · Hodenhochstand
6
Prognose. Verspätetes Erreichen der Endlänge aus dem
Epidemiologie. Seltener als primärer Hypogonadis-
familiären Zielbereich.
mus.
6.9
Hypogonadismus
Primärer, hypergonadotroper Hypogonadismus Synonym. Gonadale Dysfunktion mit verminderter Sekretion von Geschlechtshormonen und reaktiv erhöhten Gonadotropinen. Ätiopathogenese.
4 Gonadeninsuffizienz, z. B. nach Bestrahlung, Operation, Infektion, Trauma Jungen: 4 Klinefelter-Syndrom (7 Kap. 2) 4 Vanishing-testes-Syndrom (sekundärer, idiopathischer Verlust der Hodenfunktion) 4 Anorchie 4 Leydig-Zell-Hypoplasie 4 Testosteronsynthese-Defekt Mädchen: 4 Ullrich-Turner-Syndrom (7 Kap. 2)
Ätiopathogenese.
4 Zentrale Ursachen: Tumoren, Infektion, Bestrahlung, Trauma, Panhypopituitarismus 4 Kallmann-Syndrom: genetisches Syndrom mit den Leitsymptomen Anosmie und Hypogonadismus 4 Chronische Erkrankungen: Anorexia nervosa, Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz, Zöliakie, Morbus Crohn, Hypothyreose 4 Leistungssport Diagnostik.
4 Labor: Testosteron↓, Östradiol↓, FSH, LH↓ 4 Bildgebung: MRT zum Ausschluss einer Raumforderung Symptomatik/Therapie. 7 Kap. 6.9, Hypergonadotro-
per Hypogonadismus. 6.10
Hodenhochstand
Synonym. Maldescensus testis, Retentio testis.
Symptomatik.
Definition.
4 Infantiles Genitale 4 Ausbleiben der Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale: geringe Körperbehaarung, hohe Stimme, wenig Muskulatur 4 Hochwuchs, eunuchoide Körperproportionen: die Extremitäten wachsen schneller als der Stamm 4 Osteoporose, bei Testosteronmangel bereits im frühen Erwachsenenalter 4 Stagnation einer begonnenen Entwicklung oder stark verzögerte Entwicklung
4 Kryptorchismus: Hoden auch bei sorgfältiger Palpation und warmen Händen nicht zu tasten (Bauchhoden oder Anorchie). 4 Leistenhoden: Hoden im Leistensack 4 Gleithoden: nur vorübergehende Verlagerung der Hoden ins Skrotum möglich, die Hoden gleiten sofort in den Leistenkanal zurück, Verkürzung des Samenstrangs 4 Pendelhoden: Hoden wechseln die Lage spontan zwischen Leistenkanal und Skrotum (nicht therapiebedürftig)
Diagnostik. Labor: Östrogen↓, Testosteron↓, reaktiv:
LH↑↑, FSH↑. Therapie. Einleiten der Pubertät mit Sexualsteroiden. > Bei ausbleibender Pubertätsentwicklung trotz normaler Knochenreifung muss eine Gonadeninsuffizienz ausgeschlossen werden.
Epidemiologie. 3% aller neugeborenen Jungen, häu-
figer bei Frühgeborenen; in den ersten Lebensmonaten kommt es häufig zum spontanen Deszensus eines bei der Geburt noch nicht deszendierten Hodens; am Ende des 1. Lebensjahres haben ca. 1–2% der Knaben einen nicht deszendierten Hoden. Diagnostik.
Sekundärer, hypogonadotroper Hypogonadismus Definition. Gonandeninsuffizienz aufgrund eines Defekts des Hypothalamus oder der Hypophyse mit verminderter Sekretion von GnRH oder LH/FSH und dadurch verminderter Sekretion von Sexualhormonen.
4 Klinische Untersuchung 4 Sonographie: Hodensuche, selten MRT, Laparoskopie bei Verdacht auf Bauchhoden
104
Kapitel 6 · Endokrinologie – Erkrankungen des hormonproduzierenden Systems
Therapie.
Ätiopathogenese. Chromosomenstörungen: Mosaike,
4 i. m.-Gabe von hCG 1-mal/Woche über 5 Wochen 4 evtl. intranasale Applikation von LHRH (nicht vorzuziehen, teuer, schlechte Compliance) 4 Bei ausbleibendem Erfolg operative FunikuloOrchidolyse mit Orchidopexie
Translokationen des Y-Chromosoms oder der SRY, 46 XY/46 XX Chimärismus. Karyotyp meist 46,XX.
! Therapieindikation besteht bei nicht deszendiertem Hoden spätestens zum Ende des 1. Lebensjahres (früher: Ende des 2. Lebensjahres). Wenn der Hoden bis dahin nicht orthotop im Skrotum liegt, besteht die Gefahr der dauerhaften Tubulusschädigung und der Infertilität. Ektop belassene Hoden neigen zur malignen Entartung.
6 6.11
Störung der sexuellen Differenzierung
Symptomatik.
4 Äußeres Genitale: intersexuell mit weiblichen und männlichen Anteilen in unterschiedlicher Ausprägung 4 Inneres Genitale: Anteile von Ovarien und Testes vorhanden (Mischgonaden, Ovotestes) 4 In der Pubertät: partielle Virilisierung, Gynäkomastie, Regelblutungen Diagnostik. Chromosomenanalyse, Bestimmung des Karyotyps; histologische Untersuchung des gonadalen Gewebes.
Die Entwicklung des Genitale vollzieht sich zwischen der 6. und 12. Schwangerschaftswoche und ist primär durch den Karyotyp determiniert.
6.11.2 Störungen des phänotypischen
Männliches Geschlecht. Für die Entwicklung einer männlichen Gonade ist das Vorhandensein der SRY (sex determining region of Y) notwendig, die auf dem kurzen Arm des Y-Chromosoms liegt. Ist die SRY vorhanden, differenziert sich eine männliche Gonade. Die Sertoli-Zellen des Fetus produzieren das Anti-MüllerHormon (AMH), das die Rückbildung der MüllerGänge bewirkt. Die Leydig-Zellen produzieren Testosteron, das für die Differenzierung der Wolff-Gänge zu Samenstrang, Nebenhoden und Prostata verantwortlich ist. Das äußere männliche Genitale mit Penis, Harnröhre und Skrotum entwickelt sich unter Einwirkung von Dihydrotestosteron.
Definition. Störung der sexuellen Entwicklung mit un-
Weibliches Geschlecht. Fehlt das Y-Chromosom oder
ist das SRY-Gen defekt, entwickelt sich die gonadale Anlage zum Ovar. Aus den Müller-Gängen entwickeln sich Uterus, Tuben und obere Vagina. Aufgrund des Fehlens von Testosteron bilden sich die Wolff-Gänge zurück, das äußere weibliche Genitale entsteht mit Klitoris, Labia minora und majora. 6.11.1 Störung des gonadalen Geschlechts
– Hermaphroditismus verus Definition. Intersexuelles Geschlecht mit Mischgo-
naden: gleichzeitiges Vorhandensein von Teilen des Hodens und des Ovars.
Geschlechts – Pseudohermaphroditismus
zureichender Ausprägung der zum Genotyp passenden äußeren Geschlechtsmerkmale. Therapie.
4 Frühzeitige Zuordnung zu einem Geschlecht 4 Frühzeitige, operative Herstellung einer optimalen sexuellen Funktionsfähigkeit, ggfs. Gonadektomie bei Entartungsgefahr oder Virilisierungsgefahr 4 Hormonelle Substitutionstherapie 4 Psychologische Begleitung von Eltern und Kindern Beispiele Pseudohermaphroditismus masculinus Definition. Chromosomal und gonadal männliches Individuum (XY) mit unzureichend oder nicht virilisiertem oder weiblichem äußeren Genitale. Ätiologie.
4 Leydig-Zell-Hypoplasie oder -aplasie 4 Defekt des hCG/LH-Rezeptors an den LeydigZellen 4 Enzymdefekt in der Testosteronsynthese 4 5α-Reduktase-Mangel (mangelnde Umwandlung von Testosteron zu Dihydrotestosteron) 4 Androgenrezeptordefekte (Testosteron und Dihydrotestosteron erhöht)
105 6.11 · Störung der sexuellen Differenzierung
Symptomatik.
4 Inneres Genitale: männlich 4 Äußeres Genitale: unzureichend virilisiert oder weiblich
6
4 Bei inkompletter Androgenresistenz: Intersexualität unterschiedlichen Grades, Geschlechtsbestimmung schwierig Diagnostik.
Differenzialdiagnostik.
4 Mikropenis 4 Maldescensus testis 4 Fehlbildungen Testikuläre Feminisierung – komplette Androgenresistenz Definition. Normaler männlicher Karytyp (XY), aber X-chromosomal vererbter Testosteronrezeptordefekt, dadurch Ausbleiben der Androgenwirkung. Symptomatik.
4 Inneres Genitale: männlich, kein Uterus, keine Tuben, Hoden oft inguinal, intraabdominell oder in den Labien 4 Äußeres Genitale: weiblich mit rudimentärer Vagina (endet blind), mangelnder Scham- und Achselbehaarung (»hairless women«), normaler, weiblicher Brustentwicklung, primärer Amenorrhoe (die Diagnose wird häufig erst bei der Abklärung einer primären Amenorrhoe gestellt)
4 Labor: Testosteron↑, LH↑ (nach der Pubertät), Molekulargenetik 4 Rezeptoranalyse in Genitalhautfibroblasten Pseudohermaphroditismus femininus Definition. Weiblicher Karyotyp (XX) mit weiblichem inneren Genitale, aber virilisiertem äußeren Genitale. Ätiopathogenese.
4 Intrauterin: Überproduktion von Androgenen, androgenproduzierender Tumor der Mutter, mütterliche Einnahme von Medikamenten mit anabolisierender oder virilisierender Wirkung 4 Adrenogenitales Syndrom, 7 Kap. 6.6 Symptomatik.
4 Inneres Genitale: weiblich 4 Äußeres Genitale: virilisiert (Klitorishypertrophie)
7 7 Infektionskrankheiten 7.1
Bakterielle Infektionskrankheiten
– 107
7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6 7.1.7 7.1.8 7.1.9 7.1.10
Streptokokkeninfektionen – 107 Diphtherie – 109 Keuchhusten (Pertussis) – 109 Tetanus (Wundstarrkrampf ) – 110 Haemophilus-Influenzae-Infektion – 111 Meningokokken-Infektion – 112 Bakteriämie und Sepsis – 113 Tuberkulose – 114 Bakterielle Durchfallerkrankungen – 115 Lyme-Borreliose – 119
7.2
Virale Infektionskrankheiten
– 120
7.2.1 Virale Infektionskrankheiten mit flächenhaftem Exanthem, Bläschen oder ohne obligates Exanthem – 120 7.2.2 HIV-Infektion und AIDS (acquired immune deficiency syndrome) – 128 7.2.3 Virusinfektionen der Atemwege – 129 7.2.4 Virusinfektionen mit bevorzugter Beteiligung des ZNS – 131 7.2.5 Zytomegalie (CMV) – 133 7.2.6 Rotavirus-Infektionen – 133 7.2.7 Tollwut (Rabies) – 134 7.2.8 Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) – 134
7.3
Infektionen durch Protozoen
7.4
Infektionen durch Pilze
7.5
Impfungen
– 137
– 135
– 135
107 7.1 · Bakterielle Infektionskrankheiten
Definitionen 4 Kontagionsindex: Zahl der Infizierten von 100 Exponierten 4 Manifestationsindex: Zahl der Erkrankten von 100 Infizierten 4 Endemie: Wiederholte Erkrankungen in einer begrenzten Region 4 Epidemie: Zahlreiche Erkrankte in einem begrenzten Gebiet und Zeitraum 4 Pandemie: Eine Epidemie, die einen Großteil der Bevölkerung eines Landes oder eines Kontinents betrifft.
7.1
7
4 eine typenspezifische Immunantwort induzieren 4 bei Infektion mit anderen M-Typen zu einer erneuten Infektion führen. Bildung von: 4 Hämolysinen (Streptolysin) 4 Enzymen (Streptokinase, Hyaluronidase, Exotoxine) Streptokokkenpharyngitis (Angina tonsillaris) Definition. Infektion mit Streptococcus pyogenes (β-hämolysierend), ab dem 3. Lebensjahr gehäuft auftretend. Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 2‒4 Tage, die Infektiosität endet 24 h nach Beginn der antibiotischen Therapie.
Bakterielle Infektionskrankheiten
Symptomatik.
7.1.1 Streptokokkeninfektionen Definition. Infektion mit Streptokokken (gram-positive
Kokken). Sie werden nach Lancefield nach den gruppenspezifischen Kohlenhydraten der Zellwand und nach ihrer Hämolyseart typisiert (. Tab. 7.1).
4 Plötzlicher Beginn mit Halsschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen 4 Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen 4 Hochrote, geschwollene Tonsillen, meist mit eitrigen Stippchen 4 Bei tonsillektomierten Patienten: Pharyngitis Diagnostik. Nasopharyngealabstrich (Kultur oder
Epidemiologie.
Streptokokken-Schnelltest).
4 10‒20% der Menschen sind symptomlose Keimträger 4 Streptokokken sind Teil der Standortflora der oberen Luftwege 4 Übertragung per Tröpfcheninfektion 4 Hoher Kontagionsindex
4 Penicillin V über 10 Tage 4 Bei ausbleibender Entfieberung nach 48 h: orales Cephalosporin, z. B. Cefuroximacetil 4 Bei Penicillinallergie: Makrolide
Pathogenese. Wirkung durch typenspezifische, immunogene Wirkung der M-Oberflächenproteine, die als Virulenzfaktoren: 4 die Phagozytose behindern 4 die Invasivität steigern
Therapie.
Scharlach Definition. Angina tonsillaris mit dem scharlachtypischen Exanthem, verursacht durch Streptococcus pyogenes (β-hämolysierend), der ein erythrogenes Exotoxin produziert.
. Tab. 7.1. Einteilung der Streptokokken Lancefieldgruppe
Hämolyseart
Erkrankungen
A – S. pyogenes
β
s. o.
B – S. agalactiae
β
Neugeborenensepsis, Pneumonie, Meningitis
D – S. faecalis
α, (β)
Endokarditis, Harnwegsinfektionen, Gallenwegsinfektionen, Peritonitis
– - S. pneumoniae
α
Pneumokokken-Pneumonie, -Meningitis
Nicht typisierbar – »vergrünende Streptokokken«, S. viridans
α
Mitverursacher von Karies, Endokarditis
108
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 2‒4 Tage, die Infektiosität endet 24 h nach Beginn der antibiotischen Therapie. Symptomatik. Prodromalstadium:
4 Plötzliches hohes Fieber 4 Halsschmerzen, Schluckbeschwerden
7
Tonsillopharyngitis: 4 Enanthem mit düsterroter Färbung 4 Regionäre Lymphadenopathie an Hals und Kieferwinkel 4 Typisches feinfleckiges Exanthem (nach 12‒48 h), Beginn an Achsel und Leisten, Ausbreitung über den ganzen Körper 5 Stecknadelkopfgroße, rote Papeln, nach Glasspateldruck blassgelb (. Abb. 7.1) 5 Exanthem fühlt sich samtartig, sandpapierartig an 5 Gelegentlich kleine Petechien 4 Blasses Munddreieck 4 Kleieförmige Schuppung v. a. der Hände und Füße, sie erreicht ihren Höhepunkt nach 2‒3 Wochen. 4 Zunge anfangs belegt, im Verlauf hochrote, papillentragende Himbeerzunge Diagnostik.
4 Rachenabstrich, Streptokokken-Schnelltest 4 Labor: Nachweis von ASL-, anti-DNAse- (v. a. bei Hautinfektionen erhöht), anti-Streptokinase- und anti-Hyaluronidase-Antikörper möglich (in der Praxis selten durchgeführt).
. Abb. 7.1. Scharlachtypisches Exanthem: stecknadelkopfgroße Papeln
4 Selten: 5 Toxischer Verlauf: foudrouyant mit Hyperpyrexie, Delir, Krämpfen und Hautblutungen, z. T. innerhalb der ersten Tagen letal. 5 Septischer Verlauf: septische Krankheitszeichen, nekrotisierende Angina, Otitis, Sinusitis oder Mastitis.
Therapie.
Erysipel
4 Penicillin V 100 000 IE/kg KG über 10 Tage oder Cephalosporine 4 Beschwerdefreiheit normalerweise nach 48 h. Falls nach 48 h keine Entfieberung eintritt, soll auf Cefuroxim umgesetzt werden, da es Penicillinresistenzen gibt. 4 Bei Penicillinallergie: Makrolide
Definition. Akute, diffuse Hautinfektion mit Strepto-
Komplikationen.
4 Otitis media, Pneumonie, Sepsis, Meningitis, toxische Myokardschädigung 4 Rheumatisches Fieber (nach 10–20 Tagen): Karditis, Arthritis, Erythema anulare, Noduli rheumatici, Chorea minor (7 Kap. 8.4.3) 4 Poststreptokokkenglomerulonephritis (nach 6‒ 10 Tagen): 2 Wochen nach Krankheitsbeginn muss eine Hämaturie im Urin-Stix ausgeschlossen werden(7 Kap. 14)
coccus pyogenes (β-hämolysierend), ausgehend von kleinen Verletzungen. Symptomatik.
4 Deutlich reduzierter Allgemeinzustand, Fieber 4 Rasch fortschreitende, überwärmte, schmerzhafte Rötung und Schwellung 4 Rand des Erythems unregelmäßig, aber scharf begrenzt 4 Lymphangitis, -adenitis Diagnostik. Labor: Leukozytose, CRP↑, Eosinophilie. Therapie. Bettruhe; lokale Umschläge mit antisepti-
schen Lösungen; Penicillin V p. o. oder Penicillin G i. v. (oder Cephalosporine, Makrolide).
109 7.1 · Bakterielle Infektionskrankheiten
Prognose. Keine Immunität, ausgeprägte Rezidivnei-
gung. Impetigo contagiosa und Toxisches Schocksyndrom 7 Kap. 16
7.1.2 Diphtherie Definition. Infektion mit den sporenlosen, an den En-
den kolbig aufgetriebenen Stäbchen, Corynebacterium diphtheriae (gram-positiv), die ein Exotoxin produzieren. Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 2‒5 Tage, Infektiosität ohne Therapie bis zu 4 Wochen, unter Therapie 2 Tage, der Patient gilt erst nach 3 negativen Abstrichen als nicht mehr infektiös. Übertragung/Epidemiologie.
4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion, selten durch Schmierinfektion. 4 Das Erregerreservoir ist der Mensch. 4 Die Erkrankung ist in Deutschland durch die Impfung selten geworden. Symptomatik.
Prodromalstadium (1–2 Tage) 4 Fieber, allgemeines Krankheitsgefühl, katarrhalische Symptome Verschiedene Verlaufsformen: 4 Lokale Diphtherie: 5 Tonsillen-/Rachendiphtherie: grau-weiße, dickspeckige Pseudomembranen auf Tonsillen, Uvula und Rachen, nicht abstreifbar, leicht blutend; Fieber, Schluckbeschwerden und fauligsüßer Mundgeruch, schmerzhafte, geschwollene Lymphknoten am Kieferwinkel 5 Nasendiphtherie: meist bei Säuglingen: seröseitriger Schnupfen, dann blutiges Sekret, mit kleinen Membranfetzen am Naseneingang 5 Kehlkopfdiphtherie (Krupp): die Membranbildung zieht abwärts: Heiserkeit, Aphonie, bellender Husten, inspiratorischer Stridor, Dyspnoe, drohende Erstickung (z. T. Intubation oder Tracheotomie notwendig) 5 Hautdiphtherie: seltene, ungefährliche Form: meist Geschwür mit scharfem Rand und pseudomembranösen Belägen an Nabel, Konjunktiven oder vulvovaginaler Schleimhaut
7
4 Progrediente Diphtherie: 5 Meist von einer Tonsillendiphtherie ausgehend 5 Gleichzeitige, konfluierende Membranbildung an mehreren Stellen 5 häufig Komplikationen (s. u.) 4 Toxische oder maligne Diphtherie, entwickelt sich aus der lokalen Form oder primär bei schwerem Krankheitsverlauf: 5 Fieber, Ödeme, Nekrosen, Membranen und ausgeprägte Lymphknotenschwellung (Caesarenhals). Diagnostik.
4 Klinisches Bild, Impfanamnese 4 Abstrich (das Abstrichmaterial muss unter den Membranen entnommen werden), das Direktpräparat ist unzuverlässig. Therapie.
4 Sofortige Gabe des antitoxischen Diphtherieserums i. v. und zusätzlich Penicillin V über 14 Tage (bei Penicillinallergie: Erythromycin); Bettruhe, Vermeidung von Aufregung. 4 Kontaktpersonen ohne Immunität erhalten Penicillin V, ggf. passive Immunisierung mit Antiserum ! Bei der Injektion von Diphtherieserum besteht die Gefahr einer anaphylaktischen Reaktion.
Komplikationen. Folgende exotoxinbedingte Komplikationen können etwa ab der 2. Krankheitswoche auftreten: 4 Myokarditis (akuter Herztod) 4 Polyneuritis (Paresen von Gaumensegel, Schlund-, Augen- und Atemmuskulatur) Prophylaxe.
4 Standardimpfung, Auffrischimpfungen bis ins Erwachsenenalter 4 Isolierung der Patienten 7.1.3 Keuchhusten (Pertussis) Definition. Infektion des Respirationstrakts mit dem unbeweglichen, endo- und exotoxinbildenden, aeroben, gram-negativen Stäbchenbakterium Bordetella pertussis oder Bordetella parapertussis. Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 7‒14
(‒21) Tage, die Infektiosität beginnt am Ende der Inkubationszeit und endet ca. 3 Wochen nach Hustenbeginn.
110
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Übertragung/Epidemiologie.
Diagnostik.
4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion 4 Die Erreger vermehren sich auf dem zilientragenden Epithel der Atemwege. 4 Hoher Kontagionsindex, hoher Manifestationsindex 4 Sorgfältige Expositionsprophylaxe junger Säuglinge notwendig, da für Pertussis kein Nestschutz besteht. 4 Früher trat Pertussis v. a. bei Kleinkindern, heute gehäuft auch bei Erwachsenen auf. Die Immunität bleibt nicht lebenslang bestehen.
4 Klinik: typische Hustenattacken 4 Labor: Leukozytose mit relativer Lymphozytose, Erregernachweis und -kultur aus dem Nasenrachenabstrich, PCR, Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper ca. 2‒4 Wochen nach der Erkrankung
Symptomatik.
7
Stadium catarrhale (Dauer: 1‒2 Wochen): 4 Respiratorische Symptome, Husten, Rhinitis, Konjunktivitis, Fieber Stadium convulsivum (Dauer: 4‒6 Wochen): 4 Meist kein Fieber 4 Paroxysmale Hustenattacken (häufig nachts): auf eine tiefe Inspiration folgt ein »Stakkatohusten« mit 15‒20 Hustenstößen. Die Kinder werden erst rot, dann zyanotisch-blau, sie scheinen zu ersticken. Es folgen eine krächzende Inspiration und erneute Hustenstöße (»reprise«); Angestrengtes Herausstrecken der Zunge, das Herauswürgen von zähem Schleim oder Erbrechen beendet den Anfall. 4 Konjunktivalblutungen durch hohen intrathorakalen Druck und venöse Einflussstauung, Petechien, Nasenbluten 4 Nabel-, Leistenhernien, Rektumprolaps durch intraabdominelle Drucksteigerung möglich
> Der Tod an Pertussis ist meldepflichtig.
Therapie.
4 Makrolide (Erythromycin oder Clarithromycin) über 14 Tage, möglichst Beginn im Stadium catarrhale 4 Säuglinge müssen aufgrund der Apnoegefahr stationär überwacht werden 4 Stadium convulsivum: Ruhe, Anwesenheit der Mutter, häufige kleine Mahlzeiten, Sedierung, Anfeuchten der Luft, O2-Zufuhr 4 Chemoprophylaxe mit Erythromycin nach Exposition von Säuglingen und immunsupprimierten Kleinkindern Prophylaxe. Standardimpfung (aktive Immunisierung)
ab dem 3. Monat. 7.1.4 Tetanus (Wundstarrkrampf) Definition. Infektion mit dem anaeroben Sporenbild-
ner Clostridium tetani, der die neurotoxischen Exotoxine Tetanospasmin und Tetanolysin produziert. Epidemiologie. Clostridium tetani gehört zur norma-
Stadium decrementi (Dauer: 2‒4 Wochen): 4 Anzahl und Heftigkeit der Hustenattacken nehmen ab. ! Bei Säuglingen kommt es statt der Hustenattacken zu lebensbedrohlichen Apnoeanfällen, bei Erwachsenen besteht meist nur ein trockener Husten, ohne die typischen Attacken.
len Darmflora von Tieren und Menschen; der Erreger tritt über Haut- und Schleimhautverletzungen durch kotverseuchte Erde ein; in industrialisierten Ländern ist Tetanus aufgrund der Regelimpfung selten geworden, tritt aber bei nicht Geimpften weiter auf. In tropischen Ländern hohes Risiko durch Nabelinfektion (Neugeborenentetanus). Inkubationszeit. 8‒10 Wochen; eine kürzere Inkuba-
Komplikationen.
4 Superinfektionen: Bronchitis, Bronchopneumonie, eitrige Otitis, interstitielle Keuchhustenpneumonie, verantwortlich für die meisten Pertussis bedingten Todesfälle im Säuglingsalter 4 Lunge: Atelektasen, Bronchiektasen, Emphysem, alveoläre Rupturen, chronisch-bronchitische Symptome 4 ZNS: zerebrale Krampfanfälle, Enzephalopathie mit Defektheilung
tionszeit geht mit einer schlechteren Prognose einher. Pathogenese. Das Exotoxin (Tetanospasmin) gelangt über die Blutbahn in Rückenmark und Gehirn; es verhindert dort die Freisetzung von Neurotransmittern, die normalerweise die Erregung hemmen, es kommt zu Muskelkrämpfen.
111 7.1 · Bakterielle Infektionskrankheiten
Symptomatik.
4 Schleichender Beginn mit Schwitzen, Schlaflosigkeit, Frösteln 4 Dann Muskelsteifigkeit, v. a. der Nacken- und Massetermuskulatur. Typisch sind: 5 Trismus: Masseterkrampf 5 Risus sardonicus: Krampf der mimischen Muskulatur 5 Zwerchfellkrämpfe, Larynxkrämpfe 5 Muskelspasmen des gesamten Körpers, Opisthotonus (Streckkrämpfe des Rumpfes und der Extremitäten), evtl. Wirbelkörperfrakturen 4 Starke Schmerzen bei vollem Bewusstsein
7
Prophylaxe. Regelimpfung aller Säuglinge ab dem 3. Lebensmonat; Auffrischimpfungen alle 10 Jahre, auch im Erwachsenenalter. ! Bei jeder noch so kleinen Verletzung muss der Impfstatus überprüft werden, ggf. eine Booster-Impfung durchgeführt werden (. Tab. 7.2). Fehlende Impfungen der Grundimmunisierung sind entsprechend den für die Grundimmunisierung gegebenen Empfehlungen nachzuholen.
7.1.5 Haemophilus-Influenzae-Infektion
Diagnostik. Klinisches Bild; Toxinnachweis in spezi-
Definition. Infektion mit dem unbeweglichen, sporen-
ellen Zentren; der Antikörperstatus dient der Überprüfung der Immunisierung.
losen Stäbchen Haemophilus influenzae (gram-negativ, Serotypen A‒F).
Komplikationen. Sekretverhalt, Aspiration und Pneu-
Inkubationszeit/Epidemiologie.
monie.
4 Die »invasiven« Infektionen (Meningitis, Epiglottitis, Arthritis, Osteomyelitis, Zellulitis) sind meist Folge einer Infektion mit Haemophilus influenzae Typ B (Hib). 4 Haemophilus gehört zur Normalflora des Rachenraums 4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion, meist bei Kindern <6. Lebensjahr 4 Inkubationszeit: wenige Tage 4 Seit Einführung der Hib-Impfung kam es zu einem deutlichen Rückgang der invasiven Infektionen.
Therapie.
4 Sedierung, Muskelrelaxierung 4 Sofortige Simultanimpfung mit Tetanustoxoid (aktiv) und Tetanusimmunglobulin (passiv) 4 Chirurgische Wundtoilette 4 Penicillin G i. v. über 14 Tage Prognose. Die Letalität beträgt 20‒50%, beim Neugeborenentetanus >50%.
. Tab. 7.2. Tetanus-Immunprophylaxe im Verletzungsfall (Quelle: Robert Koch Institut) Vorgeschichte der TetanusImmunisierung (Anzahl der Impfungen)
Saubere, geringfügige Wunden Td2
Saubere, geringfügige Wunden TIG3
Alle anderen Wunden1 Td2
Alle anderen Wunden1 TIG3
Unbekannt
Ja
nein
Ja
ja
0–1
Ja
nein
Ja
ja
2
Ja
nein
Ja
nein4
3 oder mehr
nein5
nein
nein6
nein
1
2 3
4 5 6
tiefe und/oder verschmutzte (mit Staub, Erde, Speichel oder Stuhl kontaminierte) Wunden, Verletzungen mit Gewebszertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung oder Eindringen von Fremdkörpern (z. B. Quetsch-, Riss-, Biss-, Stich-, Schusswunden) → schwere Verbrennungen und Erfrierungen, Gewebsnekrosen, septische Aborte Kinder <6 Jahren T, ältere Personen Td (d. h. Tetanus-Diphtherie-Impfstoff mit verringertem Diphtherietoxoidgehalt) TIG= Tetanus-Immunglobulin, im Allg. werden 250 IE verabreicht, die Dosis kann auf 500 I.E. erhöht werden; TIG wird simultan mit Td/T-Impfstoff angewendet ja, wenn die Verletzung >24 h zurückliegt ja (1 Dosis), wenn seit der letzten Impfung >10 Jahre vergangen sind ja (1 Dosis), wenn seit der letzten Impfung >5 Jahre vergangen sind
112
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Symptomatik.
Diagnostik.
4 4 4 4
4 Labor: Leukozytose, Linksverschiebung, Thrombozytopenie, CRP↑ 4 Liqour: Pleozytose (>5 000 Zellen/μl), Eiweiß ↑, Glukose ↓ 4 Erregernachweis und -kultur aus Blut, Liquor, Abstrichen: Gramfärbung. 4 Antigennachweis in Liquor und Urin 4 Es besteht Meldepflicht bei Erkrankung und Tod.
HNO: Sinusitis, Otitis media, Mastoiditis Lunge: Bronchitiden, Pneumonien Haut: Phlegmone, Zellulitis, Empyeme, Abszesse Invasive Infektionen: Arthritis, Osteomyelitis, Sepis, Endokarditis, Meningits, Epiglottitis
Diagnostik. Erregernachweis in Blut, Liquor, Abstri-
chen, Eiter. Therapie. Ampicillin, Cefuroxim oder Amoxicillin und Clavulansäure; bei invasiven Erkrankungen: Cefotaxim. Prophylaxe. Aktive Immunisierung aller Säuglinge ab
7
dem 3. Lebensmonat; Umgebungsprophylaxe bei invasiven Erkrankungen mit Rifampicin p. o. über 4 Tage. 7.1.6 Meningokokken-Infektion Definition. Infektion mit den Diplokokken Neisseria
Differenzialdiagnose:
4 4 4 4
Akute allergische Vaskulitis Toxic-shock-Syndrome Purpura Schoenlein-Henoch Leukämie 7 Kap. 9
Therapie.
4 Schocktherapie 4 Penicillin G i. v., bei Resistenzen: Cefotaxim oder Ceftriaxon i. v. 4 evtl. Dexamethason vor i. v.-Antibiose bei eitriger Meningitis
meningitidis (gram-negativ), es gibt 12 Serotypen (Meningitis durch Typ A‒C, in Mitteleuropa kommt v. a. Typ B vor). Inkubationszeit/Epidemiologie.
4 Meningokokken gehören zur normalen Standortflora des Nasenrachenraums, von hier aus können sich die Erreger hämatogen in Meningen, Haut, Gelenken, Lunge o. Ä. ausbreiten und dort vermehren. 4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion. 4 Inkubationszeit: 1‒10 Tage, meist <4 Tage. Symptomatik. Die Infektion beginnt katarrhalisch oder als Harnwegsinfektion. Die Symptomatik ist im Verlauf progredient mit Fieber, Lethargie, Erbrechen, Meningismus und Krämpfen. Das Waterhouse-Friderichsen Syndrom ist die schwerste Form einer Meningokokkensepsis (. Abb. 7.2): 4 Charakteristische, hämorrhagische Hauteffloreszenzen, zunächst petechial, dann großflächige Hautblutungen, verteilt über den ganzen Körper. 4 Disseminierte Verbrauchskoagulopathie (DIC), Schock 4 Schwere Erkrankung, fulminanter Verlauf innerhalb weniger Stunden 4 Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Meningismus
. Abb. 7.2. Waterhouse-Friderichsen-Syndrom: schwerstes Schocksyndrom innerhalb weniger Stunden mit Ausbildung flächenhafter Hautblutungen bei Verbrauchskoagulopathie
113 7.1 · Bakterielle Infektionskrankheiten
! Einschleichende Dosierung der antibiotischen Therapie bei Meningokokken-Meningitis, da sonst die Gefahr einer plötzlichen Endotoxinausschüttung besteht (JarischHerxheimer-Reaktion).
Komplikationen.
4 Multiorganversagen, Schock, Nebennierenrindenblutung 4 Schwere Gewebsdefekte und Nekrosen 4 Perikarditis, Myokarditis 4 Arthritis, Pneumonie 4 Spätfolgen: Taubheit, Blindheit, Krampfanfälle Prognose. Die Letalität variiert: Meningitis: 1‒4%, Meningokokkensepsis: 5‒25%, Waterhouse-FriderichsenSyndrom: 95% Prophylaxe. Standardimpfung gegen Typen A und C im Säuglingsalter, gegen Typ B gibt es keine Impfung. Nach Exposition Chemoprophylaxe enger Kontaktpersonen mit Rifampicin p. o. über 2 Tage.
7
kokken, Haemophilus influenzae und gram-negative Enterobakterien. Die ausgeprägte Symptomatik ist meist Folge der Endotoxinfreisetzung aus Bakterien, die zur Ausschüttung endogener Mediatoren (TNF, Interleukine) führt mit peripherer Vasodilatation, »Capillary-Leak-Syndrom«, Störung der peripheren O2-Aufnahme und -Abgabe. Im pulmonalen Kreislauf führt dies zu Vasokonstriktion und Mikrothromben. Besonders gefährdet sind Patienten mit Immundefekten, malignen Erkrankungen, immunsuppressiv behandelte Patienten, Asplenie und Patienten mit Fremdkörpern, z. B. ZVK. Symptomatik.
4 Neugeborene: 7 Kap. 3 4 Ältere Kinder: Schweres Krankheitsgefühl, hohes Fieber, Schüttelfrost, Tachypnoe, Tachykardie, Hypotension, Zyanose, Zentralisation, Oligurie, Hyperoder Hypothermie bis zu Bewusstseinsstörung, Koma. Diagnostik.
7.1.7 Bakteriämie und Sepsis Definition. Bakteriämie: vorübergehendes Eindringen von Bakterien in die Blutbahn ohne klinisch relevante Symptome, z. B. bei chirurgischen Eingriffen. Sepsis: generalisierte Infektion infolge der Aussaat von Erregern von einem Herd ausgehend in die Blutbahn. 7 Kap. 3. Ätiologie. Klassische Erreger sind (. Tab. 7.3): Koagu-
lase-positive Staphylokokken, Streptokokken, Meningo. Tab. 7.3. Zu erwartende Erreger bei Bakteriämie und Sepsis in verschiedenen klinischen Ausgangssituationen (Aus: Koletzko: Kinderheilkunde und Jugendmedizin, 12. Auflage) Situation
Wahrscheinlicher Erreger
Ventrikuloatrialer Shunt
Staphylokokken, koagulasenegativ
Ventrikuloperitonealer Shunt
Erreger der Darmflora, aerob und anaerob
Zentraler Venenkatheter
Staphylococcus epididermidis
Blasenkatheter
gram-negative Erreger
Intubation mit maschineller Beatmung
Staphylokokken, Pseudomonas aeruginosa
Agranulozytose
Pseudomonas aeruginosa
4 Labor: Leukozytose und Linksverschiebung oder Leukopenie, CRP↑, BKS ↑; IL-6 ↑ (sensibelster Parameter) 4 Erregernachweis aus Blutkulturen, Abstrichen, Liquorpunktion, Urin(-kulturen), Trachealsekret, Antigennachweis aus Urin und Liquor Therapie. Nach Abnahme des Materials zur Erregerdi-
agnostik: 5 Beseitigung der Infektionsquelle 5 »Empirische Antibiotikatherapie«: Erfassung aller möglichen Erreger, z. B. Cefotaxim plus Aminopenicillin plus Aminoglykosid, ggf. antivirale, antiparasitäre oder antimykotische Therapie 5 Nach Erhalt des Antibiogramms bzw. Erfassung individueller Faktoren (Niereninsuffizienz, Liquorgängigkeit) ggfs. Anpassen der antibiotischen Therapie 5 Supportive Therapie: Schocktherapie (s. u.) Bei septischem Schock: 4 Volumensubstitution bei intravasaler Hypovolämie i. v. 4 Katecholamine (bei kardialer Insuffizienz) 4 Fiebersenkung (Paracetamol) 4 O2-Gabe, z. B. über die Nasenbrille 4 Azidose-, Elektrolyt- und Blutzuckerausgleich 4 evtl. Kortikoide 4 evtl. Pentaglobin bei gram-negativer Sepsis 4 evtl. G-CSF bei Granulozytopenie 4 evtl. Intubation und Beatmung
114
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Prognose. Die Letalität beträgt bei Neugeborenen 15‒
30%, bei älteren Kindern 10‒50%, beim septischen Schock 60‒70%. 7.1.8 Tuberkulose Definition. Chronische Erkrankung durch Infektion
mit dem säurefesten, unbeweglichen Stäbchen Mycobacterium tuberculosis. Weitere Bakterien des Myobacterium-tuberculosis-Komplexes sind M. bovis, M. africanum (selten). Übertragung/Epidemiologie.
7
4 Weltweit erkranken jährlich ca. 8 Mio. Menschen (90% in Entwicklungsländern), jährlich sterben ca. 3 Mio. 4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion, evtl. durch Sputumkontakt; die Darmtuberkulose wird z. T. durch infizierte Nahrung übertragen. 4 Ca. 5% der Infizierten erkranken symptomatisch, bei Immunschwäche (z. B. AIDS) ein deutlich höherer Anteil.
Risikofaktoren für Tbc 4 Koninfektion mit HIV; AIDS 4 Medizinische Unterversorgung, hohes Bevölkerungswachstum, Armut, Krieg, Migration, Gefängnisaufenthalte 4 Malnutrition, Diabetes mellitus, Morbus Hodgkin, Immundefekt, zytostatische Therapie, Maserninfektion 4 Alkoholismus, Drogenabusus
Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 4‒12 Wochen; Reaktivierung auch noch nach Jahrzehnten möglich. Höchste Infektiosität besteht solange säurefeste Stäbchen im Sputum nachweisbar sind. Unter Therapie klingt die Infektiosität nach 2‒3 Wochen ab. Symptomatik. Die Symptome unterscheiden sich je nach Krankheitsstadium: 1. Primär-Tbc (Erstinfektion): Milde Infektionszeichen, evtl. Erythema nodosum 5 Primäre Lungentuberkulose (. Abb. 7.3): – Meist im frühen Kindesalter in Ländern mit hoher Prävalenz – Primärkomplex: Lungenherd mit regionalem Lymphknoten (auf dem Röntgenbild meist nicht sichtbar)
– Primärinfiltrat: stärkere Entzündung und röntgenologisch sichtbare Infiltrate – Evtl. Einschmelzen des Primärherdes oder Übergreifen auf die Gegenseite – Abheilung (Einschmelzen, Kaverne, Verkapselung, Verkalkung) 5 Miliartuberkulose: – Disseminierte Tuberkulose, die durch hämatogene oder lymphogene Ausbreitung entsteht. – Plötzliches, hohes Fieber, septisches Krankheitsbild – Röntgen-Thorax: multiple kleine Rundherde: »Schneegestöber« (. Abb. 7.4) 5 Hiluslymphknoten-Tbc 5 Pleuritis exsudativa 2. Postprimär-Tbc (Organ-Tbc nach durchgemachter Primärinfektion): 5 Lungentuberkulose bei Jugendlichen und Erwachsenen: – Meist Reaktivierung eines Primärherdes – Lappeninfiltration, exsudative Pleuritis, Atelektasen, Kavernen – Symptomatik: Husten, Auswurf, Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust – Röntgen: infraklavikulärer Rundherd entspricht einem Frühinfiltrat 5 Generalisierte Tuberkulose: – Meningitis: v. a. bei Kleinkindern nach Primärinfektion, v. a. an der Hirnbasis (Basalmeningitis) Symptomatik: Kopfschmerzen, Fieber, Erbrechen, schrilles Schreien, Wesensveränderung, evtl. Paresen, Hirnnervenausfälle, Koma Liquor: klar, Zellzahl ↑, Eiweiß ↑, Glukose ↓, Spinngewebsgerinnsel – Pleuritis und Perikarditis: 3‒6 Monate nach der Primärinfektion, Mitreaktion der Pleura oder des Perikards bei nahe gelegenem Primärherd Symptomatik: Fieber, Reizhusten, atemabhängige Thoraxschmerzen 5 Extrapulmonale Tuberkulose: – Gastrointestinal-Tbc: nach Verschlucken von Mykobakterien bei offener Tbc, Primärherd häufig an der Ileozökalklappe, meist rasches Abheilen, evtl. Ulzera, Perforation, Obstruktion, Fistelung, Blutung – Halslymphknoten-Tbc: häufig Primärherd in den Tonsillen oder postprimär hämatogene Streuung, schmerzlose Schwellung, Einschmelzung, evtl. Fistelung, Patienten sonst meist asymptomatisch.
115 7.1 · Bakterielle Infektionskrankheiten
– Urogenital-Tbc: Mitbeteiligung der Niere bei Lungenbefall, klinisch meist stumm, evtl. Dysurie, Flankenschmerzen, charakteristische »sterile Leukozyturie« – Skelett-Tbc: immer durch hämatogene Streuung, meist Spondylitis der HWS oder oberen BWS, häufig Senkungsabszesse: Psoasabszess, Rückenschmerzen, evtl. Skoliose, Gibbusbildung, evtl. Coxitis; Röntgen: Verschmälerung der Zwischenwirbelräume Diagnostik:
4 Labor: BKS ↑ 4 Erregernachweis aus Nüchternmagensaft an 3 Tagen, auch möglich aus Sputum, Bronchialsekret, Urin, Liquor; die Erreger sind allerdings schwer kultivierbar. Typenidentifikation und Resistenztestung; Ziehl-Neelsen-Färbung, Auraminfärbung oder Immunfluoreszenz; PCR: DNA-Nachweis (schneller und empfindlicher Erregernachweis) 4 Röntgen-Thorax 4 Bei Verdacht auf Tuberkulose: intrakutaner GT-10Test nach Mendel-Mantoux: gereinigtes Tuberkulin der Stärke 10, PPD, wird intrakutan appliziert. Der Test ist positiv, wenn nach 48‒72 h eine tastbare Induration (nicht nur eine Rötung) vorliegt. Die Beurteilbarkeit ist eingeschränkt bei durchgeführter BCG-Impfung oder Infektion mit atypischen Mykobakterien. Zur Bestätigung Tbc-Elispot anwenden. 4 Es besteht Meldepflicht bei aktiver Erkrankung und Tod.
7
. Tab. 7.4. Tuberkulostatika Medikament
Nebenwirkungen
INH (Isoniacid)
Akne, Hepatitis, periphere Neuropathie, Agranulozytose, bei Säuglingen Vitamin B6-Supplementierung!
RMP (Rifampicin)
Hepatopathie, Enzyminduktion und Medikamenteninteraktion, rot gefärbter Urin, Thrombopenie
PZA (Pyrazinamid)
Hyperurikämie, Übelkeit, Appetitstörungen, Hepatopathie, Arthralgien, Exanthem, Photosensibilisierung
EMB (Ethambutol)
Optikusneuritis, Störung des Farbsehens
SM (Streptomycin)
Exanthem, Schwindel, ototoxisch, nephrotoxisch, Ataxie, Hörverlust, Agranulozytose
! Strenge Überwachung der Compliance bei Tuberkulosetherapie, sonst Gefahr der Resistenzentwicklung.
Prophylaxe. Die BCG-Impfung wird nicht mehr empfohlen; nach Tuberkuloseexposition INH-Prophylaxe über 3 Monate.
7.1.9 Bakterielle Durchfallerkrankungen Komplikationen. Die häufigste Komplikation von
Therapie.
4 Meist Kombinationsbehandlung über 6‒9 Monate, z. B. 3-Fach-Kombination (INH, PZA, RMP) für 2 Monate, dann 2-Fach-Kombination (INH, RMP) für 4 Monate (. Tab. 7.4) 4 Medikamentenwahl je nach Resistenztestung . Abb. 7.3. Tuberkulose, Primärinfiltrat
Durchfallerkrankungen ist die Dehydratation. Insbesondere für Säuglinge, Kindern mit schwerer Allgemeininfektion und schon vorbestehenden, chronischen Darmerkrankungen ist die Dehydratation besonders gefährlich, es besteht die Gefahr der Entwicklung eines prärenalen Nierenversagens.
116
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Akute Lebensmittelvergiftung: bei Aufnahme von Nahrungsmitteln mit hohem Erregergehalt kommt es zu heftigem Erbrechen, Durchfall, schweren Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten bis hin zum Schock. Diagnostik.
4 Labor: Leukozytose, selten Leukopenie; Blutkultur häufig positiv 4 Erregeranzüchtung und Antigennachweis aus Stuhl 4 Es besteht Meldepflicht bei Erkrankung. Therapie.
4 Orale oder parenterale Rehydrierung 4 In schweren Fällen, bei Säuglingen <6 Monate oder immunsupprimierten Patienten: Ampicillin i. v. oder Cefotaxim i. v. je nach Resistenztestung.
7 . Abb. 7.4. Miliartuberkulose
Salmonellosen Definition: Bakterielle Infektion, primär des Gastrointestinaltrakts, mit Salmonellen, beweglichen Stäbchen (gram-negativ) aus der Familie der Enterobacteriaceae. Salmonellen sind klassifizierbar nach den Zellwandantigenen (O-Antigen), den Geißelantigenen (H-Antigene) und den Virulenzantigenen (Vi). Es gibt über 2 400 Serovare und mehrere Serogruppen.
Komplikationen. Dauerausscheider (Erregernachweis
>6 Monaten im Stuhl, bei Kindern selten) stellen aufgrund der fäkalen-oralen Übertragung eine Gefahr dar, v. a. bei Beschäftigung in öffentlichen Einrichtungen, z. B. Restaurants. Typhus abdominalis Definition. Infektion mit Salmonella typhi, paratyphi A
oder B. Epidemiologie. Übertragung: fäkal-oral, von Mensch
zu Mensch. Epidemiologie/Übertragung: Je nach Gruppe unter-
scheiden sich die Übertragungswege: 4 Salmonella enteritidis: Reservoir Tiere, Übertragung durch infizierte Nahrungsmittel (Geflügel, Ei, Milch) und Trinkwasser 4 Salmonella typhi: Reservoir Mensch, Übertragung fäkal-oral, u. a. über Dauerausscheider 4 Salmonella typhimurium: Reservoir Tiere, Übertragung durch infizierte Lebensmittel 4 Salmonella paratyphi: Reservoir Mensch, Übertragung fäkal-oral Salmonellengastroenteritis Definition. Akute Gastroenteritis aufgrund einer Infekti-
on häufig mit Salmonella enteritidis oder typhimurium. Inkubationszeit. Wenige Stunden bis Tage.
Inkubationszeit. 2 Wochen. Symptomatik. Typischer treppenförmiger Fieberverlauf mit Stadium incrementi, acmis und decrementi. 4 Schleichender Beginn mit Fieber, Müdigkeit, Kopfschmerzen 4 Gelegentlich Bronchitis, Angina 4 Dicke, weißliche Beläge auf der Zunge 4 Blassrote Roseolen auf der Bauchhaut (Erregerembolien in Kapillargefäßen) 4 Hohes Fieber mit Bradykardie (normalerweise bei Fieber Tachykardie), Fieber-Kontinuum (bei Kindern nicht immer) 4 Durchfälle (meist blutig) oder Obstipation, später: Erbsbreistühle 4 Splenomegalie 4 Bewusstseinstörungen (typhos: Dunst, Nebel)
Symptomatik.
4 4 4 4
Akute Bauchschmerzen, Erbrechen Wässrig-schleimige Durchfälle, z. T. blutig Fieber, Kopfschmerzen, Krankheitsgefühl Abklingen der Symptome nach wenigen Tagen
Diagnostik.
4 Labor: Leukopenie, Neutrophilie, Linksverschiebung (infektbedingtes vermehrtes Auftreten von stabkernigen und jugendlichen Granulozyten, die
117 7.1 · Bakterielle Infektionskrankheiten
weiter »links« in der Entwicklungsreihe der Granulozyten lokalisiert sind), ab der 2. Woche Lymphozytose. Blutkultur meist zu Krankheitsbeginn positiv. Serologie: Antikörpernachweis oft erst nach der 2. Krankheitswoche möglich. 4 Erregernachweis in Stuhl und Urin oft erst nach der 1. Krankheitswoche möglich. 4 Meldepflicht bei Krankheitsverdacht, Erkrankung oder Tod. Therapie.
4 Ausgleich von Wasser- und Elektrolytverlusten, orale und i. v.-Rehydrierung 4 Antibiotische Therapie mit Ampicillin, Cotrimoxazol, Cephalosporinen oder Ciprofloxacin je nach Resistenztestung 4 Bei Bewusstseinsstörungen und Schock: Dexamethason
7
Staph.-aureus-Stämme bilden hitzestabile Enterotoxine (A‒E), die eine Nahrungsmittelintoxikation verursachen können. Inkubationszeit/Epidemiologie. Inkubationszeit: 2‒8 h;
Übertragung durch Keimträger, die z. B. an Pyodermie oder Panarteritiden erkrankt sind. Symptomatik. Hochakuter Beginn mit Erbrechen, Koliken, Durchfall bis hin zum hypovolämischen Schock; Symptome klingen nach 12‒48 h ab. Diagnostik. Ggf. Erregernachweis aus Stuhl. Therapie. Rehydrierung, Flüssigkeits- und Elektrolyter-
satz. Escherichia coli-assoziierte Gastroenteritiden Definition. Enteritis aufgrund einer Infektion mit
Komplikationen.
4 Darmblutung und Perforation 4 Hämatogene Streuung und fokale Infektion anderer Organe (septische Metastasen) 4 Myokarditis
Escherichia coli, es gibt 5 E. coli-Gruppen (. Tab. 7.5). Epidemiologie. Übertragung durch kontaminierte
Nahrungsmittel. Inkubationszeit. Stunden bis wenige Tage.
Prophylaxe. Passive oder aktive Immunisierung bei Ex-
positionsrisiko (Reisen, Kontakt mit Dauerausscheidern, Laborpersonal); präventive, hygienische Maßnahmen.
Diagnostik. Erreger- und Endotoxinnachweis im Stuhl, Antigennachweis.
Staphylokokkengastroenteritis, »akute Nahrungsmittelgastroenteritis« Definition. Enteritis aufgrund einer Infektion mit enterotoxinbildenden Staph. aureus Stämmen. 30% aller
Therapie. Rehydrierung, Flüssigkeits- und Elektrolyt-
substitution, bei schwerem Verlauf Cotrimoxazol Prophylaxe. Meidung nichtpasteurisierter Milch.
. Tab. 7.5. E. coli-Gruppen Art
Name
Klinik
ETEC
enterotoxisch
Ruhrähnliche Diarrhoe: wässrige, nicht blutige Diarrhoe durch Toxinbildung für ca. 12 Wochen
EPEC
enteropathogen
Säuglingsdiarrhoe mit protrahiertem Verlauf, 10–20 Stühle pro Tag für ca. 2 Wochen
EaggEC
enteroaggregativ
Persistierende, wässrige Diarrhoe, v. a. bei Säuglingen
EHEC
enterohämorrhagisch Verotoxinbildung
Durchfall, hämorrhagische Kolitis, hämolytisch-urämisches Syndrom 7 Kap. 14 Hämolytisch-urämisches Syndrom 7 Kap. 14
EHEC, Serotyp 0157:H7 EIEC
enteroinvasiv
Blutig-schleimige Diarrhoe, Fieber, Erbrechen, Tenesmen, krampfartige Bauchschmerzen
118
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Campylobacter Definition. Infektion mit den gram-negativen darmpathogenen Stäbchen Campylobacter jejuni und Campylobacter fetus. Inkubationszeit/Epidemiologie. Inkubationszeit: 1‒ 8 Tage; Reservoir sind Haustiere und infizierte Menschen; die Übertragung erfolgt durch infizierte Nahrungmittel. Betroffen sind v. a. Neugeborene und junge Säuglinge. Symptomatik. Akut Fieber und Diarrhoe, z. T. mit blu-
7
tigen Stühlen; nach Wochen entwickeln sich z. T. Folgeerkrankungen: Postinfektiöse Arthritis (HLA-B 27 assoziiert), Guillain-Barré-Syndrom 7 Kap. 17, Reiter-Syndrom 7 Kap. 8, Erythema nodosum 7 Kap. 16. Therapie. Erythromycin kann den Verlauf signifikant
abkürzen; in der Regel kommt es aber zur Spontanheilung unter symptomatischer Therapie (Rehydratation). Yersinien Definition. Enteritis durch Infektion mit den gram-nega-
tiven Stäbchenbakterien Yersinia enterocolitica, Yersinia pestis (Erreger der Pest) oder Y. pseudotuberculosis. Inkubationszeit/Epidemiologie. Inkubationszeit: 4 Tage bis 2 Wochen; Reservoir sind Nagetiere, Katzen und Vögel. Symptomatik.
4 Y. enterocolitica verursacht eine Gastroenteritis. 4 Y. pseudotuberculosis führt bei Kindern <6 Jahren zu mesenterialer Lymphknotenschwellung, das klinische Bild ähnelt einer Appendizitis. Komplikationen. Bei Patienten mit Immundefekt sind septische Verläufe sind möglich. Diagnostik. Erregernachweis in Stuhl, Blutkultur, Lymphknotengewebe; Serologie: Antikörpernachweis.
4 Gruppe C: S. boydii 4 Gruppe D: S. sonnei Inkubationszeit/Epidemiologie. Inkubationszeit: 2‒ 7 Tage; In Deutschland ist v. a. Shigella sonnei relevant (85%). Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch, durch Erkrankte oder Keimträger, durch Schmierinfektion oder über Nahrungsmittel. Symptomatik. Im Rahmen einer akuten, ulzerierenden Kolitis kommt es zu Bauchschmerzen, wässrig-blutigeitrigen Durchfällen, fadem Geruch, evtl. Erbrechen. Die Patienten haben hohes Fieber, z. T. zerebrale Krampfanfälle. Komplikationen.
4 4 4 4 4
Meningitisch-enzephalitische Verläufe Myokarditis Otitis Pneumonien S. dysenteriae bildet das Shigatoxin 1 und kann ein hämolytisch-urämisches Syndrom auslösen, 7 Kap. 14.
Diagnostik. Erregernachweis aus frischem Stuhl. Therapie. Symptomatisch; bei schweren Verläufen Cotrimoxazol oder Ampicillin.
Botulismus »Lebensmittelvergiftung« Definition. Infektion mit dem Anaerobier Clostridium botulinum, der die Neurotoxine A‒G bildet. Übertragung/Pathogenese. Die Erreger vermehren sich im anaeroben Milieu. Die Intoxikation erfolgt durch verdorbene Nahrung: geräuchertes Fleisch, Schinken, Wurstwaren oder Konserven. Die Neurotoxine hemmen die Acetylcholinfreisetzung an den motorischen Endplatten und blockieren so die Erregungsübertragung. Inkubationszeit. 16‒48 h.
Therapie. Symptomatisch: Rehydrierung; bei septischen
Krankheitsbildern Cotrimoxazol, Cefotaxim oder Aminoglykoside. Shigellen Definition. Infektion mit Shigellen, gram-negativen, unbeweglichen, enterotoxinbildenden Bakterien, die zur Familie der Enterobacteriaceae gehören. Es gibt 4 Subgruppen: 4 Gruppe A: S. dysenteriae 4 Gruppe B: S. flexneri
Symptomatik. Neben gastrointestinalen Beschwerden mit Erbrechen, Durchfall oder Obstipation, kommt es zu folgenden Symptomen: 4 ZNS: Augenmuskellähmung: Doppelbilder, Ptosis, Mydriasis, Schlucklähmung, Sprachstörung. Das Bewusstsein ist voll erhalten. 4 Trockender Mund, quälendes Durstgefühl 4 Atmung: Ateminsuffizienz, Schnappatmung, Tod durch Atemlähmung oder Aspirationspneumonie
119 7.1 · Bakterielle Infektionskrankheiten
7
Diagnostik.
7.1.10 Lyme-Borreliose
4 Erregernachweis aus Magensaft, Erbrochenem, Stuhlkultur, Blutkultur.
Definition. Infektion mit den beweglichen, spiralförmi-
Therapie.
4 Intensivmedizinische Betreuung, MagendarmEntleerung 4 Sofortige Applikation von Botulinum-Antitoxin vom Pferd 4 Antibiotika sind unwirksam. 4 Es besteht Meldepflicht. ! Bei der Applikation von Botulinum-Antitoxin kann es zu anaphylaktischen Reaktionen kommen.
Komplikationen. Der Säuglingsbotulismus bis zum Alter von 8 Monaten wird durch Sporen im Erdboden oder in Nahrungsmitteln (Bienenhonig) übertragen. Daher sollten Säuglinge keinen Honig erhalten (z. B. zum Süßen des Breis oder Bestreichen des Schnullers).
gen Spirochäten Borrelia burgdorferi. »Lyme« war der Ort einer Epidemie Mitte der 1970er in Connecticut, USA. Inkubationszeit/Epidemiologie.
4 Inkubationszeit: 1‒3 Wochen 4 Reservoir sind Nage-, Wild- und Haustiere 4 Übertragung durch Zecken (v. a. Ixodes ricinus, »Holzbock«), 30% der Zecken in Mitteleuropa sind infiziert. 4 Das Infektionsrisiko steigt mit der Dauer der Saugaktivität, die Erreger sitzen im Darm der Zecken. 4 Die Krankheit hinterlässt keine Immunität. ! In ca. der Hälfte der Fälle ist kein Zeckenbiss erinnerlich.
Symptomatik.
Antibiotika-assoziierte Enterokolitis Definition. Enteritis aufgrund einer Infektion mit den anaeroben, gram-positiven, sporenbildenden Stäbchenbakterien Clostridium difficile, die das Toxin A (Enterotoxin) und Toxin B (Zytotoxin) bilden. Pathogenese. Bevorzugt während oder nach antibio-
tischer Behandlung (v. a. mit Clindamycin) entwickelt sich eine pseudomembranöse Kolitis mit toxinbedingter Plaquebildung (Pseudomembranen) im Kolon. Symptomatik. Der Schweregrad der Symptomatik variiert von leichter Diarrhoe und Meteorismus bis hin zu schwerer Enterokolitis mit blutig-wässriger Diarrhoe, hohem Fieber und schlechtem Allgemeinzustand. Diagnostik. Stuhlkultur mit Toxinnachweis, ggs. Sig-
moidoskopie mit Biopsie. Therapie. Absetzen des Antibiotikums; Vancomycin oder Metronidazol p. o. über 2 Wochen. Komplikationen. Kreislaufschock; toxisches Megakolon und Darmperforation. Prognose. Es besteht eine hohe Letalität. ! Enterokokken in Krankenhäusern sind häufig vancomycinresistent, daher sollte die Indikation zur Vancomycintherapie streng gestellt werden.
4 Lokales Frühstadium/Stadium I (1‒3 Wochen nach Stich) mit Erythema migrans: rötliche, livide, runde Effloreszenz, ausgehend von der Stichstelle, zirkuläre Ausbreitung unter zentraler Abblassung und leichter Schuppung (. Abb. 7.5), Juckreiz, unspezifische Krankheitssymptome 4 Generalisiertes Frühstadium/Stadium II: 5 Lymphadenosis cutis benigna (Lymphozytom): reaktives lymphozytäres Infiltrat als solitärer Hauttumor, derbe, infiltrativ, gerötet; v. a. an Ohr, Mamille und Skrotum, kann Wochen bis Monate persistieren (. Abb. 7.6). 5 Lyme-Neuroborreliose: meist plötzlich auftretende, einseitige periphere Fazialisparese; z. T. seröse, lymphozytäre Menigitis mit Kopfschmerzen, Müdigkeit, Nackenschmerzen 5 Meningoradikulitis Bannwarth: lymphozytäre Meningopolyneuritis, radikuläre Schmerzen und Sensibilitätsstörungen (typischerweise bei Erwachsenen). 5 (Endo)myokarditis, Herzrhythmusstörungen (AV-Block), Perikarditis: eher selten 4 Spätstadium/Stadium III (>1 Jahr): 5 Acrodermatitis chronica atrophicans (Herxheimer): ödematöses, atrophisches Erythem der Haut, bräunlich-livide verfärbt (meist bei Erwachsenen) 5 Progressive Enzephalomyelitis: selten bei Kindern 5 Lyme-Arthritis: meist oligoartikuläre Arthritis, frühestens 4 Wochen nach Zeckenbiss, oft chronisch rezidivierend
120
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Therapie. Je nach Stadium:
4 Erythema migrans, Lymphozytom: Amoxicillin p. o., ab 9. Lebensjahr: Doxycyclin p. o. 4 Neuroborreliose, Arthritis, Karditis: Cefotaxim, Ceftriaxon oder Penicillin G i. v. über 2 (‒3) Wochen Prophylaxe. Zeckenschutz (lange Kleidung, Repel-
lents); nach Entdecken einer Zecke sollte diese schnell entfernt werden (per Zeckenzange, kein Leim oder Öl verwenden). ! Bei Fazialisparese muss eine Lumbalpunktion durchgeführt werden, da eine Fazialisparese im Kindesalter in 50% der Fälle durch eine Borrelieninfektion bedingt ist.
7
Virale Infektionskrankheiten
7.2 . Abb. 7.5. Erythema migrans: handflächengroße, wandernde Rötung (Einstichstelle der Zecke)
7.2.1 Virale Infektionskrankheiten
mit flächenhaftem Exanthem, Bläschen oder ohne obligates Exanthem
Viruserkrankungen mit flächenhaftem Exanthem: 4 4 4 4
Masern (Morbilli) Röteln (Rubella) Exanthema subitum (Drei-Tage-Fieber) Exanthema infectiosum (Ringelröteln)
Masern (Morbilli) Definition. 2-phasige Erkrankung aufgrund einer Infektion mit dem Masernvirus (RNA-Virus, Familie der Myxoviren). Epidemiologie:
. Abb. 7.6. Lymphozytom am Ohrläppchen mit Rötung und derber Infiltration als seltenere Hautmanifestation einer Lyme-Borreliose
Diagnostik.
4 Klinisches Bild 4 Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper in Blut, Liquor, Gelenkpunktat; Erregernachweis (PCR) 4 Lumbalpunktion (sollte bei Zweifel immer durchgeführt werden): Zellzahl↑, Erregernachweis
4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion, Eintrittspforten sind Respirationstrakt und Augen 4 Hoher Manifestations- (99%) und Kontagionsindex 4 Erwachsene erkranken selten, bei Säuglingen besteht bis zum 6.‒8. Lebensmonat Nestschutz 4 Lebenslange Immunität nach Impfung oder durchgemachter Infektion Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 9‒
12 Tage bis zum Auftreten der ersten Symptome, 12‒ 15 Tage bis zum Auftreten des Exanthems; Infizierte sind 4 Tage vor bis 4 Tage nach Auftreten des Exanthems infektiös; Erkrankte dürfen Gemeinschaftsein-
121 7.2 · Virale Infektionskrankheiten
7
richtungen frühestens 5 Tage nach Auftreten des Exanthems wieder aufsuchen. Symptomatik. Prodromalstadium (3‒5 Tage): 4 Katarrhalische Symptome: Rhinitis, Konjunktivitis, Lichtscheu, gedunsenes Gesicht, bellender Husten. Es besteht Fieber um 39°C. 4 Am 2.‒3. Tag treten Koplik-Flecken auf: weiße Flecken auf der stark geröteten Wangenschleimhaut (kalkspritzerartig, nicht wegwischbar) gegenüber den unteren Molaren
Im Exanthemstadium (ab dem 5. Tag): 4 Plötzlicher, erneuter Fieberanstieg bei stark reduziertem Allgemeinzustand 4 Makulopapulöses, konfluierendes Exanthem, hochrot, z. T. livide bis bräunlich verfärbt, z. T. hämorrhagisch zunächst hinter dem Ohr, dann breitet es sich auf Gesicht und Körper aus (. Abb. 7.7). Das Exanthem verblasst nach ca. 3‒4 Tagen: Rückbildung in der Reihenfolge des Auftretens, z. T. mit kleieförmiger Schuppung, das Fieber ist rückläufig. 4 Begleitend besteht eine generalisierte Lymphadenopathie, Durchfall, Konjunktivitis, Laryngitis, Tracheobronchitis. Eine abgeschwächte Verlaufsform bezeichnet man als mitigierte Masern. Diagnostik.
4 Klinik 4 Erregernachweis: Nachweis der Masern-DNA mittels PCR; die Virusisolierung erfolgt aus Blut, Rachensekret, Konjunktivalflüssigkeit, Urin (keine Standarddiagnostik). Therapie. Symptomatisch: Antipyrese, Flüssigkeitssubstitution, ggf. hustenstillende Medikamente. Komplikationen.
4 Bakterielle Superinfektionen: Bronchopneumonie, Otitis media, Laryngitis durch transitorische Immunschwäche für ca. 6 Wochen 4 Masernenzephalitis (Häufigkeit: 1:500 bis 1:2 000): am 3.‒9. Exanthemtag kommt es zu Somnolenz, Koma, Krampfanfällen; Letalität: 20%, Defektheilung: 10‒30% 4 SSPE (subakut sklerosierende Panenzephalitis) (Häufigkeit: 1:100 000): so genannte Slow-Virusinfektion, die sich nach 5‒10 Jahren als degenerative Erkrankung der weißen Hirnsubstanz manifestiert mit Verhaltensstörungen, Myoklonien, Krampfanfällen, Dezerebrationsstarre; der Tod tritt nach 3‒5 Jahren ein.
. Abb. 7.7. Hochrotes, makulopapulöses, konfluierendes Masernexanthem
Prognose. Unkomplizierte Masern haben eine gute Prognose, die Komplikationen sind jedoch gefürchtet, daher striktes Einhalten des Impfschutzes. Prophylaxe:
4 Standardimpfung: aktive Immunisierung mit Lebendvakzine (zusammen mit Mumps und Röteln, MMR); es können »Impfmasern« mit Fieber, flüchtigem Exanthem, Konjunktivitis auftreten. 4 »Inkubationsimpfung«: aktive Impfung bis zu 3 Tage nach Exposition (»Riegelungsimpfung«) 4 Bei immundefizienten Patienten besteht die Möglichkeit einer passiven Masern-Immunisierung mit Immunglobulinen 4 Isolierung infizierter Patienten Röteln (Rubella) Definition. Hochkontagiöse Erkrankung aufgrund einer Infektion mit dem Rubivirus (RNA-Virus) aus der Familie der Togaviren. Epidemiologie.
4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion 4 Hoher Kontagionsindex, niedriger Manifestationsindex 4 Die Erkrankung führt zu einer lebenslangen Immunität; bei Säuglingen besteht in den ersten 6 Monaten Nestschutz durch mütterliche Antikörper. Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 2‒3 Wo-
chen; Infizierte sind 7 Tage vor bis 7 Tage nach Exanthemausbruch infektiös.
122
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Symptomatik. Prodromalstadium (1‒2 Tage): 4 Milde Symptomatik: Temperatur um die 39°C, Rhinokonjunktivitis; charakteristische ausgeprägte nuchale Lymphadenopathie.
Exanthemstadium (ca. Tag 2‒5): 4 Hellrotes, kleinfleckiges Exanthem mit stecknadelkopfgroßen Papeln, das im Gesicht beginnt und sich kraniokaudal ausbreitet (. Abb. 7.8). Die Flecken sind nicht konfluierend, Größe zwischen Masern und Scharlach. 4 Kein ausgeprägtes Krankheitsgefühl. Diagnostik.
7
4 Klinik 4 Labor: Leukopenie mit Lymphozytose, Plasmazellen ↑, ggf. Eosinophilie, Serologie: Nachweis spezifischer Röteln-IgM 4 Erregernachweis aus dem Rachensekret, Nachweis von Röteln-DNA mittels PCR Therapie. Symptomatisch, meist verläuft die Infektion
harmlos. Komplikationen.
4 Splenomegalie (50%) 4 Selten Enzephalitis mit guter Prognose 4 Selten Arthralgien bei älteren Kindern und Erwachsenen 4 Gefahr der Rötelnembryopathie (7 Kap. 3) Prophylaxe. Standardimpfung: aktive Immunisierung
(MMR). Überprüfung des Antikörperstatus aller Frauen im gebärfähigen Alter zur Vermeidung einer Rötelnembryopathie (Titer ≥1:32 notwendig). Die passive Immunisierung seronegativer Schwangerer in der Frühgravidität ist bis 2 Tage nach Exposition möglich. Exanthema subitum (Dreitagefieber, HHV-6 Infektion) Definition. Infektion mit dem Humanen Herpesvirus 6 (HHV6), selten mit HHV7.
. Abb. 7.8. Kleinfleckiges, nichtkonfluierendes Rötelnexanthem
Nach 3‒5 Tagen: 4 Entfieberung und Auftreten eines flüchtigen, meist makulösen, leicht papulösen, blassroten Exanthems, typischerweise an Stamm und Nacken, seltener im Gesicht (meist nur für wenige Stunden bis Tage) Diagnostik.
4 Klinik 4 Labor: Leukozytose mit Granulozytose ohne Linksverschiebung, im Verlauf Leukopenie mit relativer Lymphozytose, Serologie: Nachweis spezifischer IgM 4 Erregernachweis mittels PCR aus Blut, Speichel, Urin, Liquor
Inkubationszeit/Epidemiologie. Inkubationszeit: 5-15
Tage; es sind fast ausschließlich Kinder zwischen 6 Monaten und 2 Jahren betroffen; nach der Erkrankung besteht eine lebenslange Immunität.
Therapie. Symptomatisch: Antipyrese (z. B. Paraceta-
mol, Ibuprofen), ausreichend Flüssigkeit. Komplikationen. Fieberkrämpfe (häufig, bis zu 25%),
Symptomatik. Beginn:
4 Hohes Fieber bei häufig gutem Allgemeinzustand 4 Charakteristischerweise keine Ursache für das Fieber eruierbar (selten Erbrechen, Durchfall)
selten Enzephalitis oder Guillain-Barré-Syndrom (7 Kap. 17). Prognose. Die Prognose ist gut.
123 7.2 · Virale Infektionskrankheiten
7
Erythema infectiosum (Ringelröteln, 5. Krankheit) Definition. Infektion mit dem Parvovirus B19. Epidemiologie. Häufig bei Schulkindern; Übertragung durch Tröpfcheninfektion, kontaminierte Hände oder infizierte Blutprodukte. Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 4‒14 Ta-
ge; Erkrankte sind v. a. in den Tagen vor dem Exanthemausbruch ansteckend, danach nicht mehr. Symptomatik.
4 Die meisten Infektionen verlaufen klinisch stumm. 4 In 15‒20% besteht das Exanthem für ca. 8 Tage: es tritt plötzlich ohne Vorboten als schmetterlingsförmiges, stark juckendes Wangenerythem mit perioraler Blässe auf. Es breitet sich auf Extremitäten, v. a. Oberarmstreckseiten, Unterarmbeugeseiten und Gesäß aus; girlandenförmige, landkartenförmige, »Ringel«-Röteln mit zentraler Abblassung, . Abb. 7.9. 4 Der Allgemeinzustand ist gut. Diagnostik:
4 Klinik: charakteristisches Exanthem 4 Serologie: Nachweis spezifischer IgM-Antikörper; Nachweis von Virus-DNA mittels PCR Therapie.
4 Symptomatisch: ausreichend Flüssigkeitszufuhr, ggf. Antipyrese (z. B. Paracetamol) 4 Bei Juckreiz Antihistaminika (z. B. Fenistil) oder lokale Schüttelmixturen 4 Bei immunsupprimierten Patienten Immunglobuline i. v.
. Abb. 7.9. Ringelröteln: girlandenförmiges Exanthem mit zentraler Abblassung
Viruserkrankungen mit bläschenförmigem Exanthem 4 Varizellen (Windpocken) 4 Herpes zoster (Gürtelrose) 4 Herpes simplex-Infektionen – HSV-1 – Gingivostomatitis herpetica (Stomatitis aphthosa) – Herpes simplex labialis – Exzema herpeticatum Kaposi – Keratokonjunktivitis herpetica – Nekrotisierende Herpesenzephalitis – HSV-2: Herpes genitalis
Komplikationen. Aplastische Krise bei hämolytischer
Anämie; chronische Verläufe bei Immundefekt.
Varizellen (Windpocken)
Prognose. Gute Progose bei immunkompetenten Pa-
Definition. Erstinfektion mit dem hochkontagiösen Va-
tienten, die Symptome klingen i. d. R. nach 10‒12 Tagen spontan ab.
rizella-Zoster-Virus (VZV), einem DNA-Virus aus der Gruppe der Herpes-Viren.
! Eine Infektion mit Parvovirus B19 kann bei nichtimmunen Schwangeren zu einer Fetopathie mit Anämie und Hydrops fetalis führen. Schwangere dürfen keinen Kontakt mit infizierten Kindern haben (7 Kap. 3).
Übertragung/Epidemiologie.
4 Übertragung durch direkten Kontakt mit den Effloreszenzen oder durch Tröpfcheninfektion (»fliegende Infektion«). 4 Hoher Kontagions- und Manifestationsindex 4 Hoher Durchseuchungsgrad: vor Einführung der Impfung waren >90% der Kinder bis zum 14. Lebensjahr infiziert. 4 Lebenslange Immunität nach Infektion
124
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Pathogenese. Nach Abklingen persistiert das VZV in
den Spinal- und Hirnnervenganglien, von dort kann es bei schlechter Immunlage reaktiviert werden (Herpes Zoster). Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 2‒3 Wo-
chen; die Infektiosität beginnt 2 Tage vor Auftreten des Exanthems und endet 5 Tage nach Auftreten der letzten Effloreszenz oder nach Abfallen der letzten Kruste. Symptomatik:
7
4 Exanthem: charakterisiert durch schubweise auftretende, 2‒5 mm große Pusteln, die sich aus Knötchen entwickeln, mit wasserklarem Inhalt und rotem Saum; sie platzen leicht und bilden dann Krusten. Das Exanthem beginnt am Stamm, breitet sich auf Gesicht, behaarten Kopf, Genitale und Mundhöhle aus. Es besteht starker Juckreiz (Cave: kein Kratzen → keine Narben). Das Nebeneinander aller Effloreszenzstadien (Makula, Papula, Vesikula, Kruste) wird als »bunter Sternenhimmel« bezeichnet (. Abb. 7.10). 4 Häufig guter Allgemeinzustand, kaum Fieber 4 Im Erwachsenenalter häufig schwere Verläufe mit tagelangem Fieber
. Abb. 7.10. Varizellen-Exanthem. »Sternenhimmel«, d. h. Nebeneinander aller Effloreszenzstadien
bei immundefizienten Patienten und Patienten unter Zytostatika bzw. Kortisontherapie auf, z. T. mit letalen Verläufen. Prophylaxe. Standardimpfung für alle Kinder im 11.‒
14. Lebensmonat (aktive Immunisierung mit Lebendimpfstoff). Bei seronegativen Patienten ist bis 96 h nach Exposition die Gabe eines Varizella-Zoster-Immunglobulins sinnvoll. Eine Chemoprophylaxe exponierter Personen erfolgt mit Aciclovir.
Diagnostik. Klinik; Serologie: Nachweis spezifischer
Herpes Zoster (Gürtelrose)
IgM; Nachweis von Virus-DNA aus Bläscheninhalt.
Definition. Reaktivierung der Varizella-Zoster-Viren
Therapie.
(VZV), die nach Erstinfektion (Windpocken) in den Ganglien jahrelang persistieren.
4 Symptomatisch: zinkhaltige Schüttelmixturen zur Austrocknung der Bläschen und Linderung des Juckreizes, bei starkem Juckreiz: ggf. Antihistaminika 4 Bei konnatalen Varizellen 7 Kap. 3 und komplizierten Verläufen: Aciclovir i. v. innerhalb von 72 h Komplikationen.
4 Bakterielle Superinfektion der Bläschen: Impetigo, Phlegmone, nekrotisierende Fasziitis, ToxicShock-Syndrom 4 Thrombopenie mit Blutung 4 Pneumonie, Otitis, Nephritis, Hepatitis, Arthritis 4 Varizellenenzephalitis: 3‒10 Tage nach der akuten Erkrankung, meist gute Prognose 4 Zerebellitis mit Ataxie (Häufigkeit 1:4 000), gute Prognose 4 Varizellenembryopathie und neonatale Varizellen: 7 Kap. 3. Prognose. Im Kindesalter verläuft die Infektion blande,
schwere Verläufe treten v. a. im Erwachsenenalter und
Infektiosität. Bis 5 Tage nach Exanthemausbruch, so-
lange sollten die Patienten isoliert werden. Symptomatik.
4 Einseitige, örtlich begrenzte Eruptionen dicht stehender Bläschen, die bandförmig entlang eines Dermatoms angeordnet sind, meist im Bereich des Thorax, des Nackens, der Schulter- oder Armregion. 4 Nach ca. 1‒2 Wochen trocknen die Effloreszenzen ein, nach 2‒3 Wochen werden braun-gelben Borken abgestoßen, es bleiben depigmentierte Narben zurück. Diagnostik.
4 Klinik 4 Virusnachweis aus den Bläschen; Serologie: rascher Anstieg spezifischer IgG-Antikörper bei niedrigen IgM-Antikörpern (DD: Varizellen) (es kann auch zu einer Reaktivierung von Varizellen IgM-Ak kommen, jedoch nicht obligat)
125 7.2 · Virale Infektionskrankheiten
Komplikationen.
4 Schmerzhafte Neuralgien im Bereich des Exanthems (bei Kindern selten) 4 Befall von Hirnnerven ist möglich (Zoster ophthalmicus, Zoster oticus (mit Fazialisparese: RamsayHunt-Syndrom), Trigeminus) 4 Selten: Befall des ganzen Körpers (Zoster generalisatus) 4 Bakterielle Superinfektionen 4 Passagere Paresen oder Parästhesien
7
5 hohem Fieber 5 zahlreichen Bläschen auf Mund- und Rachenschleimhaut 5 schmerzhaften Mazerationen und Ulzerationen auf blutigem Grund, die Kinder verweigern häufig die Nahrungsaufnahme. 4 Die Erkrankung dauert 5‒7 Tage. 4 Therapie: lokalanästhetische Maßnahmen, z. B. Bepanthen Lsg., evtl. Aciclovir p. o., evtl. parenterale Ernährung, falls notwendig
Therapie.
Herpes simplex labialis
4 Symptomatisch: Linderung des Juckreizes (z. B. Fenistil) und der Neuralgien (Analgetika) 4 Vermeidung von Superinfektionen 4 Bei Immunsupprimierten bzw. Zoster ophtalmicus/oticus: Aciclovir i. v. und Nukleosidanaloga
4 Reaktivierung von HSV-1 mit perioraler Hautrötung, Juckreiz 4 Es entwickeln sich dicht stehende, kleine Bläschen, die zunächst mit klarem Inhalt gefüllt sind, nach 2‒3 Tagen abtrocknen, verschorfen und abheilen. 4 Therapie: evtl. topisches Aciclovir 4 Hohe Rezidivrate
! Das Auftreten eines Herpes Zoster im Kindesalter kann Hinweis auf eine noch nicht erkannte maligne Erkrankung oder einen Immundefekt sein.
Herpes-simplex-Infektionen Definition. Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus (DNA-Virus). Es gibt 2 Virusstämme: 4 Herpes simplex 1 (HSV-1): Befall von Haut und Schleimhaut 4 Herpes simplex 2 (HSV-2): Befall des Genitales Diagnostik.
4 Virusnachweis aus Bläscheninhalt oder Liquor, Nachweis von Virus-DNA mittels PCR 4 Serologie: Nachweis spezifischer HSV1/2-IgM HSV 1 Epidemiologie.
4 Übertragung durch engen Hautkontakt 4 hoher Durchseuchungsgrad (90%), die Primärinfektion mit HSV-1 erfolgt meist im Kindesalter 4 die Primärinfektion ist meist inapparent; nach Reaktivierung der in den sensorischen Ganglien persistierenden Viren entstehen lokale Infektionen. 4 Auslöser für Reaktivierung sind u.a. Resistenzminderung, fieberhafte Erkrankungen, Sonnenbestrahlung, Menstruation, Stress.
Eczema herpeticatum Kaposi
4 Primär- oder Sekundärinfektion eines bestehenden atopischen Ekzems mit HSV-1 4 Dichte, bläschenförmige Eruptionen, die sich schnell ausbreiten. 4 Hohes Fieber 4 Mögliche Komplikationen: Dehydratation, Elektrolytentgleisung, bakterielle Superinfektion, Sepsis. 4 Therapie: Aciclovir i. v., bei Superinfektion antibiotische Therapie Keratokonjunktivitis herpetica
4 Primär- oder Sekundärinfektion der Konjunktiven mit HSV-1 4 Schwellung und Rötung der Konjunktiven ohne Eitersekretion, dendritische Ulzerationen der Kornea. 4 Differenzialdiagnose: Keratokonjunktivitis epidemica (s. Adenoviren), Schwimmbadkonjunktivitis (Chlamydia trachomatis) 4 Therapie: Topische (5-mal tgl.) und systemische Aciclovirtherapie ! Bei einer Keratokonjunktivitis herpetica besteht bei Korneabefall die Gefahr der Erblindung.
Nekrotisierende Herpesenzephalitis Krankheitsformen. Gingivostomatitis herpetica (Stomatitis aphthosa)
4 Häufigste Primärinfektion mit HSV-1 4 Altersgipfel zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr 4 Nach einer Inkubationszeit von 3‒7 Tagen kommt es zu:
4 Primär- (30%) oder Sekundär-Infektion (70%) des Gehirns mit HSV-1, im Neugeborenenalter auch mit HSV-2 durch Infektion im Geburtskanal 7 Kap. 3
4 Hohes Fieber, Kopfschmerzen, Wesensveränderung, Somnolenz, Bewusstseinsverlust, Krampfan-
126
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
fälle, Herdsymptomatik, Koma. Charakteristische Lokalisation: Temporallappen. 4 Diagnostik: Liquorpleozytose und Eiweißerhöhung; temporal lokalisierte Veränderungen im EEG, MRT. 4 Therapie: (auch bei Verdacht) sofortige i. v.-Gabe von Aciclovir über 3 Wochen, hohe Letalität (20%), hohe Rate an Defektheilungen (30%). HSV-2 Herpes genitalis
7
4 Vesikuläre Effloreszenzen im Genitalbereich 4 Komplikationen sind konnatale und neonatale HSV-Infektionen (7 Kap. 3) 4 Therapie: systemische Aciclovir Therapie (alternativ Famciclovir, Valaciclovir) 4 Aciclovir-Prophylaxe bei Transplantation (3 Tage vor bis 6 Wochen nach Transplantation und länger) und rezidivierendem Herpes genitalis (6 Monate bis 2 Jahre).
Viruserkrankungen ohne obligates Exanthem 4 Parotitis epidemica (Mumps, Ziegenpeter) 4 Mononucleosis infectiosa (Pfeiffer-Drüsenfieber, Epstein-Barr-Virusinfektion)
Parotitis epidemica (Mumps, Ziegenpeter) Definition. Infektion mit dem Mumpsvirus (RNA-Virus) aus der Familie der Paramyxoviren. Übertragung/Epidemiologie.
4 Ausscheidung des Virus über Speichel, Urin und Muttermilch 4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion, Speichelkontakt oder über Gegenstände; Eintrittspforte: Mundschleimhaut 4 Niedriger Manifestationsindex: 30‒40% der Infektionen verlaufen subklinisch 4 Bei Säuglingen besteht während der ersten 6 Lebensmonate Nestschutz aufgrund mütterlicher Antikörper 4 Eine Infektion führt zu lebenslanger Immunität. Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 2‒4 Wo-
chen; Infektiosität besteht 5 Tage vor Auftreten der Speicheldrüsenschwellung bis zum kompletten Abschwellen. Symptomatik. Prodromalstadium (1‒2 Tage):
4 Uncharakteristische Symptome (Abgeschlagenheit, Müdigkeit etc.)
Weiterer Verlauf: 4 Entzündliche, schmerzhafte, teigig-ödematöse Schwellung der Glandula parotis, zunächst einseitig, nach 1‒2 Tagen beidseitig; abstehende Ohrläppchen 4 Ohrenschmerzen, Schmerzen beim Kauen und bei Kopfbewegungen 4 Rötung der Ausführungsgänge der Speicheldrüsen; gelegentlich Mitbeteiligung der submandibulären und sublingualen Speicheldrüsen 4 Patienten afebril oder Temperaturerhöhung bis 38°C Diagnostik. Labor: Anstieg von Amylase und Lipase; Serologie: Nachweis spezifischer Mumps-IgM. Differenzialdiagnose. Andere Parotitiden, Lymph-
adenitiden; Sekretstau, Speichelsteine. Komplikationen.
4 Seröse Meningitis (häufigste Komplikation): mononukläre Pleozytose, häufig unerkannt, gute Prognose 4 Meningoenzephalitis: Benommenheit, Erbrechen, neurologische Ausfälle, bei Beteiligung des N. statoacusticus evtl. Taubheit 4 Orchitis und Epididymitis (20%), v. a. postpubertär: schmerzhafte Hodenschwellung, in 10% kommt es zu Hodenatrophie und Sterilität 4 Befall anderer Drüsen: Pankreas, Thymus, Thyreoidea, Tränendrüsen 4 Umstritten ist eine mögliche Assoziation mit Diabetes mellitus-Typ-1. Therapie. Symptomatisch: Antipyrese, Flüssigkeitszufuhr; bei ausgeprägt enzephalitischen Symptomen oder Orchitis: Kortikoide. Prognose. Die Prognose ist insgesamt gut. Prophylaxe. Standardimpfung: aktive Immunisierung (MMR). Eine »Inkubationsimpfung« ist für nicht geimpfte Personen innerhalb von 3 Tagen nach Exposition möglich.
Mononucleosis infectiosa (Pfeiffer-Drüsenfieber, Epstein-Barr-Virusinfektion) Definition. Infektion mit dem Epstein-Barr Virus (EBV), einem DNA-Virus der Herpesgruppe. Inkubationszeit/Epidemiologie. Inkubationszeit: 1‒ 2 Wochen. Die Übertragung erfolgt meist durch infizierten Speichel (»kissing disease«), selten durch Trans-
127 7.2 · Virale Infektionskrankheiten
fusion; ab dem Adoleszentenalter liegt die Durchseuchung bei fast 100%. Nach Infektion persistiert EBV in ruhenden B-Zellen, bei Reaktivierung durch z. B. immunsuppressive Therapie können sich schwere lymphoproliferative Erkrankungen und Lymphome ausbilden. Symptomatik. Das klinische Bild variiert stark:
4 Leitsymptome: hohes Fieber, Tonsillitis, generalisierte Lymphadenopathie 4 Tonsillitis mit gelb-grauen, pseudomembranösen Belägen oder Stippchen (»Angina lacunaris«) (. Abb. 7.11) 4 Hämorrhagisches Enanthem aus stecknadelkopfgroßen Petechien am weichen Gaumen 4 Lidödeme, katarrhalische Erscheinungen (Husten, Rhinitis) 4 Lymphknotenschwellung: v. a. im Bereich des Halses, der Achselhöhle und intrathorakal 4 Polymorphe Exantheme (meist morbilliform) 4 evtl. Splenomegalie, Ikterus 4 Starkes Krankheitsgefühl, lange Rekonvaleszenz, z. T. wochenlang andauerndes Fieber
7
Komplikationen.
4 Milzruptur (Vorsicht bei der Palpation!) 4 Guillain-Barré-Syndrom, Meningoenzephalitis, Polyneuritis 4 Nephritis 4 Interstitielle Pneumonie 4 Myokarditis 4 Selten Hepatitis Prognose. Die Prognose ist in der Regel gut, jedoch
sind protrahierte Verläufe häufig. ! Eine EBV-Infektion bei immundefizienten Patienten kann schwere, letale, lymphoproliferative Krankheitsbilder und maligne B-Zell-Lymphome verursachen.
Diagnostik.
4 Labor: Leukozytose, im Blutausstrich finden sich (atypische) Lymphozyten¸ Monozyten ↑, Plasmazellen ↑; 5‒20% sind mononukleäre »Drüsenzellen« (»Pfeifferzellen«, »Reizformen«) mit exzentrisch gelappten Kernen in einem dunkelgraublauen Plasma mit Vakuolenbildung (T-Zellen) (. Abb. 7.12) 4 Serologie: Antikörpernachweis (ELISA) je nach Krankheitsstadium (akut, abgelaufen, chronisch), im Paul-Bunnell-Hämagglutinationstest (Agglutination von Schafserythrozyten) lassen sich in 90% spezifische EBV-IgM/IgG nachweisen 4 Nachweis von EBV-DNA mittels PCR
. Abb. 7.11. Mononukleose: Tonsillitis mit gelb-grauen Belägen: Angina lacunaris
Differenzialdiagnose.
4 Andere Tonsillopharyngitiden: z. B. Streptokokkeninfektionen, Diphtherie 4 Akute Lymphknotenvergrößerung oder Splenomegalie: z. B. Morbus Hodgkin, Leukämie Therapie. Symptomatisch: körperliche Schonung, evtl.
NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika), Steroide. ! Bei EBV-Infektion ist Ampicillin kontraindiziert: die versehentliche Anwendung von Ampicillin (DD: Streptokokkenangina) führt häufig zu einem stark juckenden, morbilliformen Arzneimittelexanthem. . Abb. 7.12. Mononukleose: atpypische »Pfeiffer-Zellen« im Blutausstrich
128
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
7.2.2 HIV-Infektion und AIDS (acquired
immune deficiency syndrome)
4 T-Zell-System: T-Helfer-Zellen (CD4-positiv) zunehmend↓
Definition. Chronische Infektionskrankheit mit dem
Übertragung/Epidemiologie. Im Kindesalter erfolgt die
Retrovirus HIV (Humanes Immundefizienz-Virus) aus der Familie der Lentiviren. Die Infektion führt zu einem progredienten Immundefekt und schließlich zum klinischen Vollbild AIDS (. Tab. 7.6). Es gibt 2 Virusformen: HIV-1 (v. a. Nordamerika und Europa) und HIV-2 (v. a. Westafrika und Indien, mit milderem Verlauf und seltenerer vertikaler Infektion).
Übertragung häufig als vertikale Infektion, während der Geburt, oder beim Stillen durch infizierte Mütter. Im Kindesalter seltener ist die Übertragung durch Gerinnungskonzentrate, Blutprodukte, Transplantate, infizierte Nadeln und Transfusionsbestecke, Geschlechtsverkehr, sexuellen Missbrauch oder i. v.-Drogenabusus.
Pathogenese. HIV dringt in den menschlichen Or-
7
ganismus ein und reagiert mit dem zellulären CD4Rezeptor, der vorwiegend auf T-Helfer-Zellen, seltener auf Makrophagen, Nervenzellen u. ä. exprimiert ist. Die Reverse Transkriptase fertigt von der Virus-RNA eine DNA-Kopie an, die in die menschliche DNA eingebaut wird und dort lebenslang persistiert. Mittels Transkription entstehen neue HIV, die die Wirtszelle verlassen und neue Zellen infizieren. Es kommt zu einem progredienten, humoralen und zellulären Immundefekt mit Abfall der CD4-positiven T-Zellen, u. g. klinischen Symptome (. Tab. 7.6), opportunistischen Infektionen und Malignomen. 4 B-Zell-System: Immunglobuline, v. a. IgG und IgA↓, spezifische Impfantikörper nach Impfung↓
Symptomatik. Die Symptomatik der HIV-Infektion im Kindesalter ist in . Tab. 7.6 dargestellt. Kategorie C sind AIDS-definierende Erkrankungen, z. B.: 4 Virale Erkrankungen (u. a. HSV-Pneumonie, -Bronchitis; HIV-Enzephalitis; CMV-Infektionen außerhalb von Leber, Milz oder Lymphknoten bei Kindern >1 Monat; EBV-Pneumonie) 4 Bakterielle Infektionen (z. B. disseminierte oder extrapulomonale Tbc) 4 Pilzinfektionen (z. B. Kandidiasis von Ösophagus, Trachea, Bronchien, Lunge, disseminierte oder extrapulmonale Kryptokokkose, extrapulmonale Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie) 4 Parasitäre Infektionen (z. B. ZNS-Toxoplasmose bei Kindern >1 Monat, Kryptosporidiose) 4 Tumoren (Kaposi-Sarkom und Lymphome)
. Tab. 7.6. Center of disease control: Symptome der HIV-Infektion bei Kindern Kategorie N – nicht symptomatisch
Kategorie A – milde Symptome
Kategorie B – mäßig bis schwere Symptome
Keine Symptome Nur ein Symptom aus Kategorie A
Lymphadenopathie (>0,5 cm an mehr als 2 Lymphknotenstationen) Hepatosplenomegalie Dermatitis Parotitis Rezidivierende/persistierende Infektionen der oberen Luftwege, Sinusitis, Otitis media
Fieber >1 Monat Anämie, Neutropenie, Thrombopenie >30 Tage Kardiomyopathie/Karditis Lymphoide interstitielle Pneumonie Hepatitis Nephropathie Rezidivierende/chronische Durchfälle CMV-Infektion vor dem 1. Lebensmonat Herpes-simplex-Stomatitis > 2-mal/Jahr Herpes-simplex-Bronchitis, -Pneumonie, -Ösophagitis vor dem 1. Lebensmonat Herpes zoster >2-mal oder an mehr als einem Dermatom Disseminierte Varizellen Bakterielle Meningitis, Pneumonie, Sepsis Nokardiose Oropharyngeale Kandidose >2 Monate, bei Kindern >6 Monate Toxoplasmose vor dem 2. Lebensmonat Leiomyosarkom
(nach CDC-center of disease control); Kategorie C s. Text
129 7.2 · Virale Infektionskrankheiten
7
. Tab. 7.7. Center of disease control: Stadieneinteilung bei HIV-Infektion bei Kindern >5 Jahren CD4-Helfer-Lymphozyten
Kategorie A milde Symptome
Kategorie B mäßig bis schwere Symptome
Kategorie C schwere Symptome AIDS-Indikatoren
>500/μl
A1
B1
C1
200–499/μl
A2
B2
C2
<200/μl
A3
B3
C3
Diagnostik.
4 Labor: CD4-positive T-Zellen im Serum ↓, Nachweis von spezifischem HIV-Antigen (p24), Nachweis von HIV-DNA aus Lymphozyten, HIV-RNA aus dem Plasma mittels PCR, Virusquantifizierung: RNA-Kopien/ml Plasma 4 Serologie: Nachweis von HIV-Antikörpern im Serum: Suchtest (ELISA) und Bestätigungstest (Immunoblot) 4 HIV-Resistenztestung (Medikamentenauswahl) ! Vor HIV-Diagnostik ist eine Einverständniserklärung von Patient oder Erziehungsberechtigtem erforderlich.
Therapie. Ziel der Therapie ist es, die Viruslast auf <50 Kopien/ml zu senken durch eine antiretrovirale Kombinationstherapie (HAART – highly active antiretroviral therapy) aus: 4 Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI, Nukleosid-Analoga, z. B. Zidovudin, Lamivudin), 4 Nicht-Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI, z. B. Nevirapin, Efavirenz) und 4 Protease-Inhibitoren (z. B. Nelfinavir, Indinavir) > Die regelmäßige Einnahme der Medikamente ist essenziell, da bei mangelnder Compliance die Gefahr des Therapieversagens und der Resistenzentwicklung besteht.
land beträgt die vertikale Transmissionsrate ohne Prophylaxe 15% und mehr, mit Prophylaxe <1%. Symptomatik. Infizierte Kinder kommen gesund zur Welt; ohne Therapie werden ein Drittel der Patienten in den ersten 3 Lebensjahren symptomatisch, zwei Drittel erst nach 6‒7 Jahren. Diagnostik. Die von der Mutter diaplazentar übertragenen mütterlichen HIV-IgG-Antikörper und die kindlichen HIV-Antikörper sind in den ersten 18 Monaten nicht zu differenzieren, daher ist postpartal der Nachweis spezifischer DNA oder RNA aus kindlichen Lymphozyten notwendig (innerhalb der ersten 4‒6 Wochen nachweisbar). Prophylaxe. HIV-Testung vor und während der
Schwangerschaft; ist die Mutter HIV-positiv: 4 Zidovudin p. o. ab der 32. SSW 4 Elektive Sektio nach der vollendeten 36. SSW, vor Eintritt des Blasensprungs/der Wehen 4 Prä- und perioperativ Zidovudin i. v., die Neugeborenen erhalten Zidovudin i. v. für 10 Tage 4 unmittelbar postpartal: Reinigung von Mund und Nasenöffnung 4 Nicht stillen 7.2.3 Virusinfektionen der Atemwege
Supportivtherapie: Immunglobuline i. v. bei rezidivierenden bakteriellen oder viralen Infekten. Prophylaxe von Begleiterkrankungen: Cotrimoxazol als Dauerprophylaxe der Pneumocystis-jiroveciPneumonie.
Epidemiologie. Die meisten Infektionen im Kindesalter betreffen die Atemwege mit saisonaler Häufung in den Herbst- und Wintermonaten.
Prognose. Die Morbidität konnte durch die verbes-
Ätiologie. Folgende Viren sind typische Erreger von
serten Therapieoptionen deutlich gesenkt werden, dennoch ist die Prognose immer noch infaust.
Atemwegsinfektionen: Influenza, Parainfluenza, ECHOViren, Coxsackie A und B, RS-Viren, Rhinoviren, Reoviren, Enteroviren, Adenoviren und Polioviren.
Vertikale HIV-Infektion Definition. Intrauterine und perinatale Infektion des
Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: ca. 2‒
Kindes durch eine HIV-infizierte Mutter, in Deutsch-
7 Tage, hohe Infektiosität.
130
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Influenza
Komplikationen.
Definition. Infektion mit dem Influenzavirus (RNA-
4 Toxische Herzinsuffizienz 4 Fulminante Influenzapneumonie (kann innerhalb von 72 h zum Tod führen) 4 Bakterielle Superinfektion (Haemophilus influenzae, Pneumokokken, Staphylokokken) 4 Kleinkinder: stenosierende Laryngotracheitis (Krupp) 4 Nekrotisierende Tracheobronchitis 4 Enzephalitis
Orthomyxovirus) der Virusstämme A, A1 und A2. Influenzaviren sind die Erreger von Grippeepidemien, die sich weltweit ausbreiten (Pandemien). Grippevirus B verursacht umschriebene Ausbrüche, Grippevirus C lokale Atemwegserkrankungen. Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 2‒3 Tage; hohe Kontagiosität, die Patienten sind 24 h vor Ausbruch der Erkrankung bis 3 Tage danach infektiös, die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion oder durch auf Gegenständen haftenden Viren.
7
Pathogenese. Auf der Virushülle befindet sich das Membranprotein H (Hämagglutinin) und das Enzym N (Neuraminidase). Durch Antigen-Shift, den Austausch von Oberflächenantigenen, entstehen alle 10‒20 Jahre neue Subtypen und Pandemien. Antigen-Drift ist die Antigenvariation eines Subtyps, die alle 3‒5 Jahren zu Epidemien führt. Symptomatik.
4 »Überfallsartiger« Fieberanstieg mit Schüttelfrost 4 Geröteter Rachen, Schmerzen im Hals und hinter dem Brustbein sowie quälender, hartnäckiger trockener Husten 4 Lichtscheu, Tränenfluss, schmerzhafte Augenbewegung, Nasenbluten, Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen 4 Oft wochenlange Rekonvaleszenzphase 4 Säuglinge: obstruktive Tracheobronchitis oder Bronchiolitis mit sepsisähnlichen Verläufen
Prognose. Bei der Influenza-Pandemie 1918 (Spanische Grippen) starben 20 Mio. Menschen, die Asiatische Grippe 1957 kostete ca. 1 Mio. Menschen das Leben. In Deutschland erkrankten 2002/2003 ca. 5 Mio. Menschen am Influenza-Virus. Prophylaxe. Für Risikopatienten mit chronischen Erkrankungen und für medizinisches Personal wird einmal jährlich die Influenza-Impfung mit aktueller Antigenkombination im Herbst empfohlen. Eine postexpositionelle Chemoprophylaxe ist bei ungeimpften Risikopatienten mit Amantadin oder Oseltamivir möglich.
Parainfluenzaerkrankungen Definition. Infektion des Respirationstrakts mit Parainfluenzaviren (RNA-Paramyxoviren, 4 Serotypen). Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 2‒4 Tage;
Übertragung durch Tröpfcheninfektion; bei Säuglingen besteht in den ersten 6 Monaten Nestschutz für Parainfluenza Serotyp 1 und 2. Symptomatik.
Diagnostik.
4 Virusisolierung aus dem Nasen-Rachen-Sekret, Rachenabstrich und Nachweis mittels Influenza-Aund -B-Schnelltests, Nachweis viraler RNA mittels PCR innerhalb von 2 Wochen 4 Serologie: Nachweis spezifischer IgM und IgG Antikörper im Verlauf
4 Säuglinge und Kleinkinder: stenosierende Laryngitis (Pseudokrupp, 7 Kap. 12) mit bellendem Husten, Tachydyspnoe, inspiratorischem Stridor und Fieber 4 Ältere Kinder: fieberhafte Pharyngitis, Laryngotracheitis, Bronchitis oder Pneumonie
Therapie. Neuraminidase-Hemmer (z. B. Oseltamivir,
Diagnostik. Antigennachweis in Sekreten (selten notwendig); Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper.
Tamiflu) innerhalb von 48 h nach Symptombeginn, bei späterer Diagnose symptomatische Therapie.
Therapie. Symptomatisch: O2-Gabe, abschwellende
! Acetylsalicylsäure kann im Kindesalter im Rahmen einer Influenza-B-Infektion zur Entwicklung eines lebensbedrohlichen Reye-Syndroms führen; Acetylsalicylsäure ist daher bei fieberhaften Infektionen im Kindesalter kontraindiziert.
Nasentropfen, Steroide; bei Superinfektion antibiotische Therapie. Komplikationen.
4 Bakterielle Superinfektionen: Otitis media, Tracheitis, Pneumonie (Cave bei erneutem Fieberanstieg) 4 Anhaltende bronchiale Hyperreagibilität mit rezidivierenden obstruktiven Atemwegserkrankungen
131 7.2 · Virale Infektionskrankheiten
! Parainfluenza-Infektionen können bei immundefizienten Patienten schwer, z. T. letal verlaufen.
RS-Viruserkrankungen Definition. Infektion (insbesondere des Respirationstrakts) durch »Respiratory-syncytial«-Viren (RNA-Viren) aus der Familie der Paramyxoviren.
7
testinale Erkrankungen, Konjunktividen und ca. 5% der akuten respiratorischen Erkrankungen im Kindesalter. Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit 2‒10 Tage;
Übertragung durch Tröpfcheninfektion, fäkal-oral oder durch Schmierinfektion; Gefahr der nosokomialen Verbreitung.
Inkubationszeit/Infektiosität.
4 Höchste Morbidität in den ersten 2 Lebensjahren, v. a. in den Wintermonaten 4 RS-Virusinfekte sind wichtige nosokomiale Infektionen 4 Hoher Kontagionsindex: ca. 100%ige Durchseuchungsrate am Ende des 2. Lebensjahres 4 Inkubationszeit: 3‒6 Tage 4 Übertragung durch Tröpfcheninfektion oder über Nasenrachensekret, das auf Oberflächen persistiert. Symptomatik.
4 Bronchiolitis und/oder Pneumonie 4 Bei Säuglingen vermehrte Apnoen 4 Ab dem 6. Lebensmonat obstruktive Bronchitis mit Fieber, Husten, Tachydyspnoe, verlängertem Exspirium, Giemen, Pfeifen.
Symptomatik. Häufig asymptomischer Verlauf oder:
4 Fieber, grippale Symptome 4 Pharyngitis, Bronchopneumonie, Lymphadenitis 4 Gastroenteritiden, mesenteriale Lymphadenitiden, evtl. Darminvagination 4 Keratokonjunktivitis epidemica: hochkontagiöse Konjunktivitis mit Korneaulzerationen; Juckreiz, Brennen, Schmerzen, Photophobie (Follikelkonjunktivitis mit Pseudomembranen) 4 Follikuläre Konjunktivitis: Schwimmbadkonjunktivitis 4 Selten DAD (Disseminated Adenovirus Disease): Hepatitis, Pankreatitis, Meningo-Enzephalitis, Karditis, Nephritis (30% Letalität) 4 Hämorrhagische Zystitis (nach Knochenmarktransplantation) Diagnostik. Labor: Leukozytose und CRP ↑ (im Unter-
Diagnostik. Nasenrachenabstrich: RSV-Schnelltest,
Virusisolierung; selten Serologie notwendig: Antikörpernachweis.
schied zu den meisten Viruserkrankungen); Erregernachweis aus Rachenspülwasser, Augenabstrich, Stuhl oder Urin, Gewebe; Antigen- und DNA-Nachweis; Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper.
Therapie.
4 Symptomatisch: O2-Gabe, β2-Sympatomimetika, evtl. Inhalation mit Epinephrin, systemische Kortikoide oder Ribavirin (strenge Indikationsstellung) 4 Säuglinge müssen wegen der Apnoegefahr überwacht werden. Komplikationen. Zum Teil schwere Verläufe bei im-
mundefizienten Patienten und bei Frühgeborenen mit chronischer Lungenerkrankung oder Herzfehlern.
Therapie. Symptomatisch; prophylaktische Hygienemaßnahmen zur Vermeidung nosokomialer Infektionen; in der Regel selbstlimitierender Verlauf.
7.2.4 Virusinfektionen mit bevorzugter
Beteiligung des ZNS Enteroviren sind eine Gruppe enteropathogener RNAViren, die zur Gruppe der Picornaviren gehören.
Prognose. Die Letalität beträgt nach Hospitalisierung
ca. 1%. Erkrankungen durch Enteroviren Prophylaxe. Stationäre Isolierung der Patienten; bei
Frühgeborenen mit hohem Morbiditätsrisiko evtl. prophylaktisch humanisierte monoklonale Antikörper gegen RSV (Palivizumab). Adenoviruserkrankungen Definition. Infektionen mit Adenoviren (DNA-Viren mit 51 Serotypen). Adenoviren verursachen gastroin-
4 Polioviren – Poliomyelitis 4 Coxsackieviren – Sommergrippe – Hand-Fuß-Mund Krankheit (Coxsackie A) – Herpangina 6
132
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
– Myalgia epidemica Bornholm – Pleurodynie (Coxsackie B) – Perimyokarditis – Aseptische Meningitis oder Enzephalitis 4 ECHO-Viren – Infektionen der oberen Luftwege – Gastroenteritiden – Meningitiden – Myalgien – Exantheme – Neugeborenensepsis
7
Poliomyelitis Definition. Infektion mit dem Poliovirus (RNA-Virus) aus der Gruppe der Picornaviren (mit den Serotypen I bis III). Serotyp I hat die höchste Virulenz. Übertragung/Epidemiologie.
5 Biphasischer Verlauf mit erneutem Fieberanstieg 5 Adynamie, Hypertonie, Schweißausbrüche 5 Meist asymmetrische Paresen, zunächst an den Beinen, dann an den Armen und der Rumpfmuskulatur 5 Periphere Atemlähmung bei Befall der Interkostalmuskulatur 5 Typischerweise keine Sensibilitätsstörungen Sonderformen der Poliomyelitis sind bulbopontine oder bulbäre Poliomyelitis, Polioenzephalitis und Post-Poliomyelitissyndrom (PPS, sehr häufig). Diagnostik.
4 Klinik, typisch doppelgipfelige Fieberkurve (»Dromedarkurve«) 4 Erregernachweis in Rachensekret, Stuhl und Liquor (im Rachen ist das Virus nach einer Woche, im Stuhl nach 3‒6 Wochen nachweisbar), Viruskultur aus dem Stuhl, RNA-Nachweis mittels PCR; Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper 4 Liquor: Liquorpleozytose, zunächst geringe, später deutliche Eiweißerhöhung
4 Virusreservoir ist der Mensch, Übertragung fäkaloral, z. T. durch Tröpfcheninfektion 4 In Deutschland gab es bis 1960 ca. 2000‒4000 Fälle/Jahr, seit Einführung der Impfung werden praktisch keine Fälle mehr gemeldet; Europa ist seit einigen Jahren poliofrei; Vorkommen v. a. in Entwicklungsländern bei schlechten hygienischen Verhältnissen.
Therapie. Symptomatisch (Physiotherapie, Analgetika, Antiphlogistika), ggf. intensivmedizinische Versorgung und Beatmung.
Inkubationszeit/Infektiosität. Inkubationszeit: 1‒2 Wo-
Prophylaxe. Standardimpfung: inaktivierte Poliomye-
chen; hohe Kontagiosität; eine durchgemachte Infektion führt zu lebenslanger Immunität.
litisvakzine nach Salk (IPV) i. m. Die früher verwendete orale Schluckimpfung mit attenuierten, lebenden Viren nach Sabin (OPV) wird heute wegen des Risikos der impfassoziierten Impfpoliomyelitis nicht mehr empfohlen.
Pathogenese. Nach der Infektion vermehren sich die
Viren im Epithel und im lymphoretikulären Gewebe des Pharynx und des Darms (meist inapparente Infektion). Überwindet das Virus die Blut-Hirn-Schranke, kommt es zu Schäden v. a. der grauen Substanz (polios = grau) und der motorischen Vorderhornzellen.
Prognose. Nach der Minor illness bleiben keine Resi-
duen; nach der Major illness kann die Rückbildung der Paresen bis zu 1,5 Jahre dauern; bei der paralytischen Poliomyelitis persistieren die Paresen in 50% der Fälle.
Symptomatik. Die Krankheit verläuft in 3 Stadien, wo-
bei nur ein Teil der Patienten Stadium 2 erreichen, wenige das Stadium 3. 90% der Erkrankungen verlaufen inapparent. 1. Minor illness (1‒3 Tage): 5 Katarrhalische Erscheinungen, Fieber, Durchfall, »Sommergrippe« 2. Major illness (5‒10%, nichtparalytische Poliomyelitis, Auftreten nach 1 Woche): 5 Abakterielle Meningitis mit Fieber um 39°C, Nackensteifigkeit, Liquorpleozytose 3. Paralytische Poliomyelitis (nur 1%, Auftreten innerhalb von 2‒12 Tagen):
Komplikationen. Kontrakturen, Muskelatrophie, Sko-
liose, Arm-/Beinlängendifferenz. Coxsackieviren Definition. Infektion mit Coxsackieviren (meist Coxsackie A und B) aus der Gruppe der Enteroviren. Epidemiologie/Inkubationszeit.
4 Übertragung: fäkal-oral 4 Hoher Kontagionsindex, Erkrankungsgipfel im Spätsommer und Herbst; v. a. Neugeborene sind durch nosokomiale Infektionen gefährdet.
133 7.2 · Virale Infektionskrankheiten
4 Inkubationszeit: 3‒6 Tage 4 95% der Infektionen verlaufen klinisch stumm Symptomatik.
4 Sommergrippe (Coxsackie A): Fieber, Pharyngitis, Tonsillitis, Laryngitis, Bronchitis, Kopf- und Gliederschmerzen, Lymphadenopathie 4 Hand-Fuß-Mund Krankheit (Coxsackie A): Ulzerationen der Mundschleimhaut, Bläschen an Händen und Füßen 4 Herpangina: Plötzliches hohes Fieber, Appetitlosigkeit, Hals- und Kopfschmerzen, vesikulärulzeröse Effloreszenzen mit rotem Hof im Rachen und auf den Tonsillen ohne Infekt der oberen Luftwege, evtl. hämorrhagische Konjunktivitis (DD: Stomatitis aphthosa (Herpesviren)) 4 Myalgia epidemica Bornholm ‒ Pleurodynie (Coxsackie B): Fieber, stechende Schmerzen im Brustbereich und im oberen Abdomen (»Teufelsgriff«), z. T. Pleuritis, Perikarditis, Peritonitis (gute Prognose) 4 Perimyokarditis 4 Aseptische Meningitis oder Enzephalitis. Diagnostik. Virusisolierung aus den Bläschen; Nachweis der Virus-RNA mittels RT-PCR. Therapie. Symptomatisch; Hygienemaßnahmen zur Vermeidung nosokomialer Infektionen.
ECHO-Viren Definition. Infektion mit den »Enteric Cytopathogenic Human Orphanviren« (ECHO) aus der Gruppe der Enteroviren.
7
Übertragung/Epidemiologie.
4 Horizontale Übertragung: durch Blut (Transfusion), Speichel, Urin, genitale Sekrete, Spermien, Muttermilch (Durchseuchung ca. 50%) 4 Vertikale Übertragung: Infektion von Neugeborenen im Geburtskanal 7 Kap. 3 Inkubationszeit. Bei Übertragung durch infizierte
Sekrete 3‒12 Wochen, nach Organtransplantation 4 Wochen bis 4 Monate und nach Bluttransfusion 3‒ 12 Wochen. Symptomatik. Meist klinisch inapparent; wenn die Infektion symptomatisch wird, ähnelt das klinische Bild der Mononukleose mit Fieber, Krankheitsgefühl, generalisierter Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie. Bei immundefizienten Patienten treten z. T. interstitielle Pneumonien, Chorioretinitiden, nekrotisierende Retinitiden, Enterokolitiden oder Hepatitiden auf. Diagnostik.
4 Antigennachweis aus Körperflüssigkeiten (CMVAntigen pp65, CMV-early-Antigen), DNA-Nachweis mittels PCR, Bestimmung der Viruslast 4 Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper 4 Die Diagnose wird immer im Zusammenhang mit dem klinischen Bild gestellt. Therapie. Bei schwerer Infektion Ganciclovir i. v. (cave: Knochenmarksdepression, Nephro- und Hepatotoxizität) oder Foscarnet i. v. Prognose. Bei immunkompetenten Patienten verläuft
Inkubationszeit/Übertragung/Epidemiologie. Inkuba-
die Infektion meist inapparent oder blande. Bei Immundefizienten und Neugeborenen schwere, z. T. letale Verläufe oder Defektheilung (7 Kap. 3).
tionszeit: 6‒14 Tage; Übertragung durch Tröpfchenoder Schmierinfektion; hoher Kontagionsindex.
Prophylaxe. Bestimmung des CMV-Antikörperstatus
Therapie. Symptomatisch; Hygienemaßnahmen zur Vermeidung nosokomialer Infektionen.
bei jeder Frau im gebährfähigen Alter. Hygienemaßnahmen im Krankenhaus. Bei der Transfusion Neugeborener oder Immunsupprimierter darf nur leukozytenfreies, CMV-negatives Blut verwendet werden. Bei Transplantation müssen seronegative Transplantatempfänger mit CMV-Hyperimmunglobulin und Aciclovir/Ganciclovir behandelt werden.
7.2.5 Zytomegalie (CMV)
7.2.6 Rotavirus-Infektionen
Definition. Infektion mit dem Zytomegalie-Virus (CMV), einem DNA-Virus aus der Gruppe der Herpesviren.
Definition. Infektion mit dem Rotavirus, einem RNAVirus mit den Antigengruppen A‒E. Klinisch bedeutsam ist v. a. die Gruppe A.
Symptomatik. Variabel: Infekte der oberen Luftwege,
Gastroenteritiden, Meningitiden, Myalgien, Exantheme oder Neugeborenensepsen.
134
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
Übertragung/Inkubationszeit/Epidemiologie.
4 Übertragung: fäkal-oral oder durch Tröpfcheninfektion 4 Inkubationszeit: 1‒3 Tage 4 Häufigste Durchfallerkrankung bei Kindern (Säuglingen), v. a. im Winter 4 Das Virus wird über 1‒2 Wochen ausgeschieden, bei Frühgeborenen z. T. über Wochen bis Monate. ! Rotaviren sind sehr kontagiös, es besteht die Gefahr der nosokomialen Verbreitung.
7
bie, Erregungszustände, Reizbarkeit, Lichtempfindlichkeit, Halluzinationen 4 Exzitatorisches Stadium: Schmerzhafte Schluckkrämpfe, z. T. durch Geräusch von fließendem Wasser auslösbar, Hydrophobie, Aerophobie (Angst, dass Luftzug Muskelkrämpfe auslösen könnte), generalisierte Muskelkrämpfe, Hypersalivation, aggressive Beißbewegungen, Enzephalitis, erhöhte Körpertemperatur 4 Paralytisches Stadium: Progrediente Paresen, Koma. Der Tod tritt nach 3‒4 Tagen durch Atemlähmung oder Rabies-Myokarditis auf.
Symptomatik.
Diagnostik.
4 Erbrechen, Diarrhoe (grüne, übelriechende Stühle), erhöhte Temperaturen 4 Gefahr der Dehydratation und der Elektrolytentgleisung 4 Begleitend z. T. respiratorische Symptome
4 Anamnese: Verhalten des Tieres, Impfstatus 4 evtl. Abklatschpräparat (Kornea, Speichel) 4 Post mortem sind intrazerebral »Negri-Körperchen« nachweisbar 4 Meldepflicht innerhalb von 24 h
Diagnostik. Antigennachweis im Stuhl.
Therapie. Keine kausale Therapie möglich. Bei Bisswun-
Therapie.
den durch fraglich infizierte Tiere (v. a. Füchse, Fledermäuse): Simultanimmunisierung, d. h. aktive und passive Immunisierung mit Immunglobulinen.
4 Orale Rehydratation mit Glukose-Elektrolytlösungen. 4 Bei schweren Verläufen ggf. i. v. Rehydratation
Prognose. Nach Krankheitsausbruch verläuft die Infektion immer letal.
Prophylaxe. Strenge hygienische Maßnahmen zur Ver-
meidung nosokomialer Infektionen, Impfung.
Prophylaxe. Für beruflich exponierte Personen ist eine präexpositionelle Impfung sinnvoll.
7.2.7 Tollwut (Rabies) 7.2.8 Frühsommer-Meningoenzephalitis Definition. Infektion mit dem Lyssavirus, einem RNA-
(FSME)
Virus aus der Familie der Rhabdoviridae. Übertragung/Epidemiologie/Inkubationszeit. Erreger-
reservoir sind Säugetiere, v. a. Füchse, Hunde, Katzen, Mäuse, Fledermäuse. Die infizierten Tiere sind entweder unverhältnismäßig zutraulich (»stille Wut«) oder aggressiv (»rasende Wut«). Übertragung der Erreger durch Biss, Kratzen oder Schleimhautkontakt mit infiziertem Speichel. Eine aerogene Übertragung ist in Fledermaushöhlen möglich. Inkubationszeit: 10 Tage bis mehrere Monate (z. T. Jahre), bei Kindern häufig kürzere Inkubationszeiten.
Definition. Infektion mit dem FSME-Virus, einem Flavivirus aus der Familie der Arboviren (RNA-Virus). Übertragung/Epidemiologie/Inkubationszeit. Über-
träger des Erregers sind Zecken (Ixodes ricinus, »genuiner Holzbock«). Auftreten der Erkrankung v. a. im Hochsommer, in bestimmten Regionen Mittel- und Osteuropas endemisch. Nur 0,1‒5% der Zecken in Risikogebieten sind infiziert. 30% der infizierten Personen erkranken. Inkubationszeit: 1‒8 Tage. Symptomatik.
Symptomatik.
4 Prodromalstadium (2‒10 Tage): Allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber, Übelkeit, Kopfschmerzen 4 Sensorisches Stadium: Parästhesien an der Bissstelle, verstärkter Speichelfluss, Angst, Hydropho-
4 Prodromalstadium: Fieber und grippale Symptome (30% der Infizierten) 4 Es folgt ein symptomfreies Intervall (1‒20 Tage). 4 In der Folge kommt es zu: 5 Meningitis (60%), Meningoenzephalitis (30%), Meningoenzephalomyelitis (bei Kindern <1%),
135 7.4 · Infektionen durch Pilze
z. T. periphere Paresen, Bulbärsymptomatik, Sprachstörung, Ataxie 5 Hohes Fieber, Erbrechen, Krampfanfälle, Apathie, Koma 5 Bei Kleinkindern besteht häufig nur eine gastrointestinale Symptomatik. Diagnostik.
4 Virusnachweis (z. B. PCR) aus Blut, Liquor; Serologie: einmalig deutlich erhöhte IgG/IgM oder deutliche Änderung der IgG-Antikörperkonzentration zwischen 2 Proben 4 Liquor: Nachweis intrathekal synthetisierter FSMEspezifischer Antikörper (erhöhter Liquor/SerumIndex) Therapie. Symptomatisch. Prognose. Bei Kinder i. d. R. blander Verlauf; Letalität
Therapie. Bei mildem Verlauf keine Therapie notwen-
dig; bei schweren Verläufen: Pyrimethamin, Sulfadiazin, Folinsäure. Komplikationen. Kongenitale Toxoplasmose, 7 Kap. 3.
Sonstige Protozoenerkrankungen Eine Übersicht weiterer Protozoeninfektionen ist in . Tab. 7.8 dargestellt (vgl. weiterführende Lehrbücher Pädiatrie).
. Tab. 7.8. Sonstige Protozoenerkrankungen Erreger
Erkrankung
Pneumocystis jiroveci
Erreger der interstitiellen plasmazellulären Pneumonie
Giardia lamblia
Erreger der Giardiasis (Lambliasis): Bauchschmerzen, Durchfälle, Malabsorption
Entamoeba histolytica
Amöbenruhr
Leishmanien
Leishmaniose, Kala-Azar
insgesamt: 1%. Prophylaxe. Impfung von Personen aus Risikoge-
bieten. ! Bei Kindern <14 Jahren ist die postexpositionelle, passive Immunisierung mit Hyperimmunglobulin kontraindiziert, da im Rahmen der passiven Immunisierung schwere Krankheitsverläufe aufgetreten sind.
7.3
Infektionen durch Protozoen
Toxoplasmose Definition. Infektion mit der bis zu 2 μm langen, gebogenen Protozoe Toxoplasma gondii. Epidemiologie/Inkubationszeit. Der weltweit vorkom-
mende Erreger befällt v. a. Warmblüter; Übertragung über ungenügend gekochtes Fleisch (Gewebszysten) oder Katzenkot (Oozysten); Inkubationszeit: 4‒21 Tage. Symptomatik.
4 Primärinfektion: inapparenter Verlauf oder allgemeine Krankheitszeichen, u. a. Lymphadenitis, Übelkeit, Fieber, Myalgie, Hepatosplenomegalie, Exanthem 4 Schwerwiegendere Verläufe bei AIDS-Patienten durch Reaktivierung der Erreger mit Enzephalitis, nekrotisierender Retinitis und Organbeteiligungen. Diagnostik. Erregernachweis aus Liquor und Gewebe, DNA-Nachweis mittels PCR; Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper.
7
7.4
Infektionen durch Pilze Infektionen durch Pilze 4 Dermatophyten, z. B. Trichophyten: Tinea (. Abb. 7.13) 4 Epidermophyten: Tinea capitis, Onychomykose 4 Schimmelpilze, z. B. Aspergillus fumigatus: Aspergillose 4 Hefen und Sprosspilze, z. B. Kandida, Kryptokokken, Trichosporen: Kandidiasis, Kryptokokkose
Infektion durch Candida spp. Definition. Infektion mit einem Hefepilz aus der Candida-Gruppe, z. B. Candida albicans. Epidemiologie. Candida findet sich ubiquitär und ist der häufigste Erreger von Pilzerkrankungen im Kindesalter. Eine systemische Kandidose ist mit Immunschwäche assoziiert (bei Kindern <3 Monate). Prädisponierende Faktoren bzw. Risikofaktoren sind schwere, kombinierte Immundefekte, AIDS, Frühgeburtlichkeit, zytostatische Therapie oder Zustand nach Organtransplantation.
136
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
7 . Abb. 7.13. Trichophyteninfektion
. Abb. 7.14. Mundsoor
Symptomatik. . Tab. 7.9 fasst die Symptomatik zu-
Therapie.
sammen. Diagnostik. Direktpräparate, kultureller Nachweis aus
Abstrichen, Blut- und Urinkulturen; Serologie: Antikörpernachweis wenig sensitiv.
4 Lokale Infektion: topische Applikation von Nystatin, Amphotericin B 4 Systemische Infektion: Amphotericin B, liposomales Amphotericin B, Fluconazol i. v. Prognose. Je nach Grunderkrankung selbstlimitierend
bis letal. . Tab. 7.9. Erkrankungen durch Kandida
Infektionen durch Aspergillus spp.
Erkrankung
Symptome
Definition. Infektion durch die Schimmelpilze Asper-
Mundsoor (Stomatitis) (. Abb. 7.14)
Weiße, nicht-abwischbare Beläge im Mund, leicht blutend
gillus fumigatus, A. flavus, A. niger oder A. nidulans, u. a.
Windeldermatitis
Vesikulo-papulöse Effloreszenzen auf stark geröteter Haut, Mazerationen
Hautkandidose
Blasen und gelbe Makulae auf rotem Grund, oft intertriginös
Vulvovaginitis, Balanitis
Weiße Beläge auf Vulva und Penis, Juckreiz
Chronische mukokutane Kandidose
Befall von Haut, Schleimhäuten und Nägeln bei Immundefekt
Kandidasepsis
Aussaat in die Blutbahn bei Immundefekt: Fieber, Hepatosplenomegalie, rasche Verschlechterung
Organbefall
Befall von Lunge, Knochen, Ösophagus, Auge (Endophthalmitis)
Epidemiologie. Aspergillen kommen ubiquitär vor,
werden meist aerogen übertragen und führen zu einem invasiven Organbefall v. a. der Atemwege. Eine Aspergilleninfektion tritt fast ausschließlich bei chronisch kranken bzw. immunkompromittierten Patienten auf.
Risikofaktoren Invasive Aspergillose: 4 Septische Granulomatose (Granulozytenfunktionsstörung) 4 Leukämie Allergische Aspergillose: 4 Atopie 4 Mukoviszidose
137 7.5 · Impfungen
Symptomatik. Symptome der Aspergilleninfektion fasst . Tab. 7.10 zusammen.
. Tab. 7.10. Klinik der Aspergilleninfektion Art
Symptome
Aspergillom
Myzel mit eingeschlossenen Aspergillen, kreisrunder Herd, meist pulmonal bei Patienten mit Immundefekt
Invasive Aspergillose
Befall innerer Organe, hohes Fieber
Allergische Aspergillose
Asthmaähnliche Beschwerden, keine Organinvasion
7
Diagnostik.
4 Labor: IgE-Erhöhung und Eosinophilie; Erregernachweis im Sputum, Erregerkultur; Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper 4 Im Röntgen-Thorax bei Aspergillom Nachweis eines Rundherdes Therapie. Invasive Aspergillose: Amphotericin C und 5-Fluorocytosin i. v.; evtl. chirurgische Intervention; allergische Aspergillose: Kortison, Itraconazol p. o. Prognose. Abhängig von der Grunderkrankung; die invasive Aspergillose hat eine schlechte Prognose.
7.5
Impfungen
Folgende Impfungen werden in Deutschland empfohlen (. Tab. 7.11, . Abb. 7.15).
. Tab. 7.11. Empfohlene Impfungen Impfung
Art der Impfung
Besonderheiten
Diphtherie
Toxoidimpfstoff (entgiftetes Diphtherietoxin)
Nebenwirkungen: häufig Lokalreaktionen, v. a. bei älteren Kindern, daher ab 6. Lebensjahr Impfung mit reduziertem Diphtherietoxingehalt (d)
Tetanus
Toxoidimpfstoff (entgiftetes Tetanustoxin)
Grundimmunisierung s. Impfkalender, Auffrischimpfung im 6. Lebensjahr, dann alle 10 Jahre. Impfung im Verletzungsfall, . Tab. 7.2 Gut verträglich
Pertussis
Totimpfung (azelluläre Pertussisimpfstoffe (aP) aus gereinigten, zellfreien B. pertussis-Bestandteilen)
Neu seit 2006: Die Auffrischimpfung Td im Alter von 5–6 Jahren wurde ersetzt durch eine Td-aP-Auffrischimpfung, die Auffrischung zwischen 9 und 17 Jahren bleibt erhalten. Gute Wirksamkeit (90%), gute Verträglichkeit.
Haemophilus influenzae Typ B
Totimpfung (Konjugatimpfstoffe aus Polyosaccharidkapselantigen von Hib)
Gute Verträglichkeit, gute Wirksamkeit (>90%)
Poliomyelitis
Heute: Totimpfung nach SALK i. m. Früher: Lebendimpfung nach SABIN p. o. (heute nicht mehr empfohlen!)
Orale Schluckimpfung nach SABIN wegen des Risikos impfassoziierter Poliomyelitis-Fälle nicht mehr empfohlen
Hepatitis B
Totimpfung (gentechnisch hergestellt)
Seit 1995 für alle Säuglinge empfohlen, Nebenwirkungen: gelegentlich Fieber, Leberenzymerhöhung, gastrointestinale Beschwerden Simultanimpfung Neugeborener HbsAg-positiver Mütter im Kreißsaal, aktive Immunisierung und kontralaterale Applikation von HBV-Immunglobulin
Varizellen
Lebendimpfung
Gute Verträglichkeit
138
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
. Tab. 7.11 (Fortsetzung) Impfung
Art der Impfung
Besonderheiten
Masern
Lebendimpfung (vermehrungsfähiges, attenuiertes Masernvirus)
Meist in Kombination mit Mumps, Röteln, gute Wirksamkeit (95%), guter Schutz vor SSPE; Nebenwirkungen: i. A. gute Verträglichkeit, evtl. Auftreten von Impfmasern (nicht ansteckend, s. u.), Enzephalitis (umstritten, ca. 1:1 000 000), evtl. allergische Reaktionen bei Hühnereiweiß-Unverträglichkeit. Kontraindikationen: Säuglinge <11. Monat, Schwangerschaft, Überempfindlichkeit gegen Neomycin, akute Erkrankungen, Immundefekte (außer HIV)
Mumps
Lebendimpfung (attenuiertes Mumpsvirus)
Meist als MMR-Kombinationsimpfung, gute Wirksamkeit, Nebenwirkungen: evtl. Fieber und leichte Parotisschwellung. Kontraindikationenen s. Masern
Röteln
Lebendimpfung (attenuierte Rötelnviren)
Titerkontrolle von Frauen im gebärfähigem Alter, ggfs. Nachimpfung, gute Wirksamkeit, Nebenwirkungen: evtl. Fieber, Exanthem, Lymphadenopathien, Arthralgien v. a. bei Adoleszenten
PneumokokkenKonjugat Impfung
Totimpfstoff (Konjugat-Impfstoff)
Kinder ab dem vollendeten 2. Lebensjahr, Jugendliche und Erwachsene mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge einer Grunderkrankung (chronische Erkrankung, Immundefekt etc.)
Meningokokken Typ C Konjugatimpfstoff
Totimpfung (konjugierter MenC Impfstoff oder Polysaccharidimpfstoff )
Kinder <2 Jahre konjugierter MenC-Impfstoff, nach vollendetem 2. Lebensjahr im Abstand von 6–12 Monaten durch 4-valenten Polysaccharidimpfstoff ergänzen.
Rotaviren
Orale Lebendimpfung (attenuierte Rotaviren)
Je nach Hersteller 2 oder 3 Dosen zwischen 7 Wochen und 6 Monaten. Bei Drucklegung (Sept. 2009) allgemein empfohlen durch Sächsische Impfkommission. STIKO: die Impfung junger Säuglinge kann entsprechend einer individuellen Risiko-NutzenAbwägung sinnvoll sein.
7
Grundsätze 4 Dokumentation im Impfbuch und in der Patientenkartei ist Pflicht, jeweilige Chargennummer asservieren 4 Bei jeder Arztkonsultation sollte der Impfstatus überprüft werden 4 Bevorzugt sind Kombinationsimpfstoffe anzuwenden, um unnötige Zusatzinjektionen zu vermeiden 4 Impfungen sollten möglichst frühzeitig durchgeführt werden: – Grundimmunisierung vor dem 14. Lebensmonat abschließen
– Spätestens ab Schuleintritt ist der vollständige Impfschutz sicherzustellen – Spätestens bis zum 18. Lebensjahr sind versäumte Impfungen nachzuholen 4 Lebendimpfungen werden entweder gleichzeitig appliziert oder in 4 Wochen Abstand 4 Bei Totimpfungen gibt es keine Mindestabstände zu anderen Impfstoffen 4 Es gibt keine unzulässig großen Abstände zwischen den Impfungen; jede Impfung gilt, so muss eine für viele Jahre unterbrochene Grundimmunisierung nicht neu begonnen werden.
139 7.5 · Impfungen
. Abb. 7.15. Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene (Quelle: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI/Stand: Juli 2009, Epidemiologisches Bulletin 30/2009, S. 280)
7
140
Kapitel 7 · Infektionskrankheiten
> Unerwünschte Wirkungen treten im Allgemeinen sehr selten auf: 4 Lokale Impfreaktionen: Rötung, Schwellung, Schmerzhaftigkeit an der Einstichstelle, Therapie: Kühlung, ggf. Analgesie 4 MMR-Impfung: 1–4 Wochen nach Impfung: »Impfkrankheit« (nicht infektiös!) mit masernoder mumpsähnlicher Symptomatik (Exanthem, leichte Parotisschwellung, erhöhte Temperaturen); ob impfassoziiert eine Enzephalitis auftreten kann, ist umstritten (Häufigkeit 1:1 000 000)
7
Kontraindikationen zur Impfung 4 Nach Infektionen 4 Wochen (bei banalen Infekten 2 Wochen) Abstand zur nächsten Impfung einhalten. 4 Nach Immunglobulingaben mindestens 4 Monate Abstand zur nächsten Lebendimpfung einhalten. 4 Vor und nach einer OP müssen 2 Wochen Abstand zu Lebendimpfungen eingehalten werden (nicht bei vitaler Indikation: z. B. Tollwut, Tetanus) und 3 Tage zu Totimpfungen (bei elektiver OP). 4 Vorausgegangene unerwünschte Arzneimittelreaktionen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung standen. 4 Bei Immundefekten sollte Rücksprache mit den pädiatrischen Immunologen gehalten und serologische Impftiterkontrolle nach durchgeführter Impfung durchgeführt werden. 4 Während einer Schwangerschaft sollten keine Lebendimpfungen durchgeführt werden (Gelbfieber, MMR, Varizellen).
8 8 Erkrankungen des Immunsystems 8.1
Einteilung und Funktion menschlicher Abwehrmechanismen – 142
8.1.1 Allgemeines – 142 8.1.2 Angeborene Immmundefekte – 142 8.1.3 Erworbene Immundefekte – 147
8.2
Allergische Erkrankungen – 147
8.2.1 Typen der allergischen Reaktion – 147 8.2.2 Atopische Krankheitsbilder – 149 8.2.3 Prinzipien der Allergieprävention – 151
8.3
Autoimmunerkrankungen – 151
8.4
Juvenile rheumatische Arthritis, rheumatisches Fieber
8.4.1 Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) – 153 8.4.2 Postinfektiöse (reaktive) Arthritiden nach sonstigen bakteriellen Infekten – 157 8.4.3 Rheumatisches Fieber – 159 8.4.4 Virusinduzierte para- und postinfektiöse Arthritiden – 160 8.4.5 Septische Arthritis – 161 8.4.6 Familiäres Mittelmeerfieber – 161
– 153
142
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
8.1
Einteilung und Funktion menschlicher Abwehrmechanismen
8.1.1 Allgemeines
Diagnostik. Labor: Blutbild und Differenzialblutbild, Bestimmung der Immunglobuline: IgA, IgE, IgG, IgM und der Immunglobulin-Subklassen, Bestimmung von Impfantikörpern, T-Zellen, Lymphozytentransformationstests, Granulozytenfunktionstests, CH50, AP50 (Komplementdefekte).
Definitionen.
4 Immundefekt: das Immunsystem erzeugt keine oder eine zu schwache Abwehrreaktion 4 Allergie: das Immunsystem erzeugt eine Überreaktion gegen Fremdantigene 4 Autoimmunität: das Immunsystem erzeugt eine Überreaktion gegen Autoantigene
8
Symptomatik. Folgende Symptome können auf einen Immundefekt hinweisen: 4 Unklare Ekzeme, Dermatitiden 4 Chronische Kandidiasis 4 Hypoplastische Tonsillen und Lymphknoten 4 Thymushypo/-aplasie im Röntgen-Thorax 4 Unklare Arthritiden 4 Autoimmunerkrankungen 4 Rezidivierende bakterielle Infektionen, Therapieresistenzen 4 Atypische Virusinfektionen 4 Infektionen mit ungewöhnlichen, opportunistischen Erregern (z. B. PCP, Candida, Aspergillus) 4 Abszesse innerer Organe 4 Thrombozytopenie (Wiskott-Aldrich-Syndrom, HIV etc.) 4 Systemische Infektion mit atypischen Mykobakterien 4 Gedeihstörungen 4 Chronische Durchfälle 4 Verwandte mit Immundefekten
Leitsymptome sind rezidivierende Infektionen mit Bakterien bei B-Zell-Defekten, rezidivierende Infektionen mit Viren, Parasiten, Pilzen und intrazellulären Bakterien bei T-Zell Defekten, verspätetes Abfallen des Nabels. > 6–8 Infekte/Jahr sind normal.
8.1.2 Angeborene Immmundefekte B-Zell-Defekte (Antikörpermangelsyndrome) Ätiopathogenese.
4 Neugeborene haben physiologischerweise niedrige IgA- und IgM-Spiegel, der IgG-Spiegel entspricht dem mütterlichen Spiegel, da IgG diaplazentar übertragen wird. IgG bietet dem Neugeborenen »Nestschutz«. 4 Niedrigste IgG-Spiegel im 3. und 4. Lebensmonat, danach bildet das Neugeborene nach entsprechender Antigenexposition die Antikörper selbst. ! Bei niedrigen Immunglobulinspiegeln bei Kindern muss immer auch an einen Immundefekt gedacht werden.
Transitorische Hypogammaglobulinämie Definition. Persistierende Hypogammaglobulinämie nach dem 6. Lebensmonat, häufig, v. a. bei Frühgeborenen. Symptomatik. Asymptomatisch oder gehäufte bakterielle Infekte (Otitiden, Sinusitiden). Therapie/Prognose. Antibiotische Therapie bei Infekten, bei schweren Infektionen Immunglobulinsubstitution, insgesamt gute Prognose.
Agammaglobulinämie (Typ Bruton) Definition. X-chromosomal rezessiv vererbte Hypogammaglobulinämie mit Mutation im Gen der Bruton-Tyrosin-Kinase. B-Zellen und Plasmazellen fehlen, Immunglobuline sind nur in Spuren vorhanden. Die zelluläre Immunität ist nicht betroffen.
. Tab. 8.1. Bestandteile des Immunsystems Humorales Immunsystem
Angeborene Komponenten: Komplementsystem, Lysozym, Interferone, Akute-Phase-Proteine Erworbene Komponenten: B-Lymphozyten, Antikörper
Zelluläres Immunsystem
Unspezifische Reaktionen: Phagozytose (Granulozyten, Makrophagen), Opsonierung Spezifische Reaktionen: T-Lymphozyten, antigenpräsentierende Zellen
143 8.1 · Einteilung und Funktion menschlicher Abwehrmechanismen
Epidemiologie. Häufigkeit: 1: 100 000‒300 000. Symptomatik. Neigung zu bakteriellen Infekten, v. a. nach dem 6. Lebensmonat, wenn die Säuglinge durch die mütterlichen Antikörper nicht mehr ausreichend geschützt sind: 4 Otitiden, Bronchitiden, Pneumonien, Sinusitiden 4 Rezidivierende pulmonale Infekte und Bronchiektasien 4 Gastroenteritiden, Malabsorption 4 Selten: Arthritiden, Osteomyelitiden, Meningitiden, Empyeme, Septikämien 4 Häufige Keime: Pneumokokken, Staphylokokken, Haemophilus Diagnostik.
4 Lymphknoten, Milz und Tonsillen (lymphatisches Gewebe) sind hypoplastisch 4 Labor: IgA, IgM, IgE nur in Spuren vorhanden, IgG erst nach dem 6. Lebensmonat vermindert; keine Bildung protektiver Impfantikörper
8
Symptomatik.
4 Meist symptomlos 4 z. T. rezidivierende Sinusbronchitiden, Gastroenteritiden oder HWI 4 Gehäuftes Auftreten von Zöliakie, Autoimmunerkrankungen und malignen Erkrankungen Diagnostik.
4 Labor: im Serum IgA <5 mg/dl, im Speichel: völliges Fehlen von IgA, IgM häufig erhöht 4 Zelluläre Immunität intakt 4 Nicht selten mit IgG-Subklassen-Defekt kombiniert Therapie. Symptomatisch. ! Die i. v.-Immunglobulinapplikation ist bei IgA-Mangel (bis auf wenige Ausnahmen) nicht notwendig.
IgG-Subklassen-Mangel Definition. Selektiver Defekt einer oder mehrerer IgGSubklassen.
Therapie. Bei Infektionen antibiotische Therapie; regel-
Ätiopathogenese. Menschliches IgG besteht aus 4 Sub-
mäßige Immunglobulinsubstitution (alle 3‒4 Wochen i. v. oder 1- bis 2-mal/Woche s. c.).
klassen (IgG1-IgG4). IgG1 und IgG3 wirken v. a. gegen Proteinantigene, IgG2 v. a. gegen Polysaccharidantigene.
Prognose. Durch Immunglobulintherapie deutlich ver-
besserte Prognose, jedoch häufig Entwicklung einer chronischen Lungenerkrankung und eines Cor pulmonale.
Symptomatik. Rezidivierende Infekte (HNO und Respirationstrakt). Diagnostik. Meist IgG2 und IgG4 vermindert; nicht
Common variable immunodeficiency (CVID) Definition. Genetisch bedingter Immundefekt: Unfähigkeit, spezifische Antikörper zu bilden. Manifestation meist erst im späten Kindes- oder Erwachsenenalter. Symptomatik/Therapie. Siehe Agammaglobulinämie. Diagnostik. Immunglobuline in unterschiedlicher Aus-
prägung vermindert (v. a. IgG); z. T. Störung der zellulären Immunität.
selten mit IgA-Mangel kombiniert. Therapie. Immunglobulinsubstitution nur bei entsprechenden Symptomen.
T-Zell-Defekte Di-George-Syndrom Definition. Genetisch bedingtes Syndrom mit T-ZellDefekt, Thymushypo/-aplasie, Hypoparathyreoidismus, kraniofazialer Dysplasie und kongenitalem Herzfehler aufgrund einer Mikrodeletion 22q11.2.
Selektiver IgA-Mangel Definition. Isolierter, autosomal-rezessiv oder -domi-
Ätiopathogenese. Die mangelhafte embryonale Ent-
nant vererbter IgA-Mangel in Serum und exokrinen Sekreten, aufgrund einer Reifestörung von IgA. IgA ist normalerweise für die lokale Immunabwehr verantwortlich.
wicklung der 3. und 4. Schlundtasche führt zu einer Thymus- und Epithelkörperchenaplasie.
Epidemiologie. Häufigster Immundefekt: Häufigkeit: 1:700, bei Allergikern 1:300.
Epidemiologie. Häufigkeit: 1:5 000 bis 1:10 000. Symptomatik.
4 Fehlender Thymus 4 Schwerer zellulärer Immundefekt: rezidivierende Infekte, v. a. durch Viren, Pilze
144
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
4 Hypoparathyreoidismus mit Hypokalzämie, Krampfanfällen und Tetanie im Neugeborenenalter, später meist Normalisierung 4 Typische Fazies: Fischmund (Oberlippe überdeckt die Unterlippe), kurze Nase, tiefer Ohransatz, Hypertelorismus, Mikrognathie, antimongoloide Lidachsen 4 Herzfehler: meist Aortenbogendefekte, auch VSD, PDA 4 Entwicklungsretardierung, Minderwuchs 4 Früher als CATCH 22 zusammengefasst: Cardial abnormalities, Abnormal face, Thymic hypoplasia, Cleft palate, Hypocalcemia, Del22q11 Diagnostik.
8
4 Klinik: typische Fazies 4 Röntgen-Thorax: Thymusaplasie 4 Labor: Kalzium↓, Phosphat↑, PTH↓, T-Lymphozyten↓↓¸ B-Lymphozyten normal, Mutationsanalyse: Nachweis der 22q11.2-Deletion ! Bei Di-George-Syndrom kann bei Transfusion von unbestrahlten Blutkonserven durch immunkompetente T-Zellen aus der Blutkonserve eine Graft-versus-Host-Reaktion hervorgerufen werden.
Therapie. Substitution von Kalzium und Vitamin D; Knochenmarktransplantation oder Transplantation von fetalem Thymusgewebe. Prognose. Bei schwerer Ausprägung versterben 80%
der Patienten im 1. Lebensjahr, bei leichterer Ausprägung kann es zu einer Rückbildung des T-Zell-Defekts im Säuglingsalter kommen. Die Prognose ist u. a. abhängig vom Ausmaß des Herzfehlers und des Hypoparathyreoidismus. Kombinierte B-Zell/T-Zell Defekte Schwerer kombinierter Immundefekt (severe combined immune deficiency: SCID) Definition/Ätiopathogenese. X-chromosomal- oder autosomal-rezessiv vererbtes, meist vollständiges Fehlen der B-Zell- und T-Zell-Funktion. Epidemiologie. Häufigkeit: 1: 25 000.
Einteilung SCID* 4 4 4 4
B-positiver SCID (X-chromosomal-rezessiv) B-negativer SCID Omenn-Syndrom ADA (Adenosin-Desaminidase)-Mangel und PNP (Purinnukleosidphosphorylase)-Mangel 4 Retikuläre Dysgenesie 4 MHC-Expressionsdefekt * vgl. weiterführende Lehrbücher der Pädiatrie
4 Durch diaplazentar übertragene mütterliche Lymphozyten kann es zu einer chronischen Graft-versus-Host-Reaktion kommen. ! Bei SCID rufen durch Bluttransfusionen übertragene Lymphozyten fast immer eine tödliche GvH-Reaktion hervor: Blutprodukte müssen daher vor Transfusion unbedingt bestrahlt werden, CMV negativ und Parvo B19 negativ sein. Lebendimpfungen und BCG Impfungen sind bei SCID kontraindiziert.
Diagnostik.
4 Labor: 5 Lymphopenie (nicht obligat), häufig Eosinophilie, Thrombozytose 5 Lymphozytenstimulationstests mit Mitogenen und Antigenen negativ bzw. stark vermindert 5 Phänotypisierung der Lymphozyten stark auffällig (Verminderung der CD3-Zellen) 5 Immunglobuline im Serum↓ (IgG postpartal noch hoch, da diaplazentare Übertragung) 5 Keine Impfantikörper nach Totimpfungen nachweisbar (Lebendimpfungen kontraindiziert) 5 Mutationsanalyse 4 Röntgen-Thorax: 5 Thymusaplasie Therapie.
Symptomatisch: 4 Chemotherapie der Infektionen, i. v. Immunglobulinsubstitution 4 Cotrimoxazol-Prophylaxe gegen Pneumocystis jiroveci Infektionen 4 Nystatin-Prophylaxe gegen Pilzinfektionen
Symptomatik. Bereits in den ersten Lebensmonaten
kommt es zu: 4 Pneumonien, v. a. durch Pneumocystis jirovecii 4 Diarrhoen, Dystrophie, Gedeihstörung 4 Mykosen, ausgeprägte oropharyngeale Candidiasis 4 Fehlen von Lymphknoten, Tonsillen und Thymus
Kausal: 4 Stammzelltransplantation (meist Knochenmarktransplantation) 4 evtl. somatische Gentherapie bei 2 Varianten: ADA-Mangel (Adenosindesaminase-Mangel) und X-chromosomal vererbter SCID
145 8.1 · Einteilung und Funktion menschlicher Abwehrmechanismen
Prognose. Ohne Therapie versterben die Patienten im 1. Lebensjahr; erfolgreiche KM-Transplantation in 95% der Fälle bei Diagnose vor dem 3. Lebensmonat.
Ataxia teleangiectatica (Louis-Bar-Syndrom) Definition. Autosomal-rezessiv vererbtes Syndrom mit gestörter B-Zell- und T-Zell-Funktion, rezidivierenden bronchopulmonalen Infekten, zerebellärer Ataxie und Teleangiektasien. Ätiopathogenese. Ein Defekt im ATM-Gen führt zum gehäuften Auftreten von Chromosomenbrüchen, Störung des DNA-Reparaturmechanismus, erhöhter Strahlenempfindlichkeit und gestörter Signaltransduktion. Symptomatik. Die Symptomatik beginnt nach dem
2. Lebensjahr: 4 Zerebelläre Ataxie, später extrapyramidale Bewegungsstörungen, Dyspraxie, Nystagmus 4 Okulokutane Teleangiektasien, v. a. an den Skleren, Ohren, Schultern, Hals, Armen 4 Rezidivierende bronchopulmonale Infekte 4 Störungen der endokrinen Funktionen, Störung der Leberfunktion 4 Erhöhte Inzidenz maligner Erkrankungen 4 evtl. im Verlauf leichte mentale Retardierung Diagnostik.
4 Thymusdysplasie 4 Labor: IgG↓, IgA in Serum und Sekreten ↓, IgE↓ (inkonstant), Immunglobulin-Subklassen-Mangel, Lymphopenie, T-Zell-Defekte, α-Fetoprotein↑, CEA↑ 4 Mutationsanalyse 4 Erhöhte Chromosomenbrüchigkeit 4 Bei Verdacht auf Ataxia teleangiectatica muss auf Röntgendiagnostik verzichtet werden.
8
Thrombozytenfunktionsstörung. Die humorale Immunität ist bereits im 1. Lebensjahr gestört, die zelluläre Immunität ist zunächst normal, im Verlauf entwickelt sich eine zunehmende Funktionsstörung. Symptomatik.
4 Schwere Blutungen, erst petechial, im Verlauf großflächig; später gastrointestinale und intrakranielle Blutungen 4 Ekzeme, ähnlich der atopischen Dermatitis 4 Rezidivierende bakterielle Infektionen: Otitis, Pneumonie, Meningitis, Sepsis 4 Autoimmune Reaktionen: Arthritis, Vaskulitis, hämolytische Anämie 4 Erhöhtes Risiko der Entwicklung lymphoretikulärer Malignome Diagnostik.
4 Labor: Thrombozytopenie und gestörte Thrombozytenfunktion, IgM↓¸IgG normal, IgA, IgD, IgE↑, Impfantikörper↓, ab dem 6. Lebensjahr: Lymphopenie 4 Mutationsanalyse Therapie.
4 Symptomatisch: 5 Bei Infektionen frühzeitig antibiotische und antivirale Therapie, i.v. Immunglobulinsubstitution 5 Bei Blutungen Substitution bestrahlter Thrombozytenkonzentrate 5 Durch Splenektomie kann die Thrombozytenzahl normalisiert werden, das Infektionsrisiko steigt jedoch 4 Kausal: 5 HLA-identische Stammzelltransplantation Prophylaxe. Infektionsprophylaxe mit Penicillin V
(Pneumokokken) und Cotrimoxazol (PCP). Therapie. Symptomatisch: Chemotherapie der Infek-
tionen, i. v. Immunglobulinsubstitution, Cotrimoxazol-Prophylaxe gegen PCP. Prognose. Tod durch Infektionen oder Tumoren.
Wiskott-Aldrich-Syndrom Definition. X-chromosomal-rezessiv vererbter Immundefekt mit der klinischen Trias: Ekzem, Thrombozytopenie und rezidivierende Infektionen. Eine schwächere Form ist die X-chromosomal gebundene Thrombozytopenie bzw. Neutropenie. Ätiopathogenese. Eine Mutation im Wiskott-Aldrich-
Syndrom (WAS)-Gen führt zu Thrombozytopenie und
Prognose. Nach Stammzelltransplantation ist eine Hei-
lung möglich. ! Bei allen kombinierten T- und B-Zelldefekten sind Lebendimpfungen kontraindiziert.
Störung der Granulozytenzahl (Phagozytosedefekte) Definition.
4 Neutropenie: 5 Leicht: Granulozyten 1 000‒1 500/μl 5 Mittelschwer: Granulozyten 500‒1 000/μl 4 Agranulozytose: 5 Schwer: Granulozyten <500/μl
146
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
Ätiopathogenese. Störung der Granulozytenreifung
im Knochenmark, Störung der Granulozytenausschleusung aus dem Knochenmark oder gestörte Granulozytenbeweglichkeit (Chemotaxis). Symptomatik. Rezidivierende bakterielle Infektionen,
fehlende Eiterbildung; rezidivierende Pilzinfektionen. Die Abwehr von viralen und parasitären Infektionen ist intakt.
nulozytenzahl. Vermutlich besteht eine Ausschleusungsstörung aus dem Knochenmark. Die Prognose ist gut. Zyklische Neutropenie Definition. Autsomal-dominant vererbte oder spontan auftretende Erkrankung mit rezidivierenden Agranulozytoseintervallen alle 2‒6 Wochen für 3‒6 Tage. Es besteht eine Mutation im ELA-2-Gen. Die Prognose ist gut, im agranulozytischen Intervall besteht jedoch eine Letalität von 10%.
Diagnostik.
8
4 Labor: neutrophile Granulozyten↓↓ oder fehlen, Eosinophile oder Monozyten kompensatorisch↑, Immunglobuline↑ 4 Knochenmarkpunktion: Fehlen reifer Granulozyten im Knochenmark 4 Stimulationstest mit Hydrokortison oder G-CSF (Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor) zur Beurteilung der Mobilisierbarkeit der Granulozyten aus dem Knochenmark Agranulozytose Typ Kostmann Definition. Autosomal-rezessiv vererbte, schwerste Form der Agranulozytose aufgrund eines Reifungsstopp der Myelopoese: die Entwicklung stagniert auf der Stufe der Myelo-/Promyelozyten. Symptomatik. Bereits in den ersten Lebenstagen entwickeln sich schwerste, rezidivierende bakterielle Infekte, bevorzugt durch Staph. aureus, E. coli und Pseudomonas. Die Leukämieinzidenz ist erhöht.
Epidemiologie. Häufigkeit: 0,5 bis 1:1 000 000.
Störungen der Granulozytenfunktion Adhäsions-Protein-Mangel (LFA-1-Mangel) Definition. Seltene, autosomal-rezessiv vererbte Synthesestörung von Zellmembranglykoproteinen auf Leukozyten. Ätiologie. Die Glykoproteine erfüllen normalerweise
wichtige Funktionen bei der Interaktion von Abwehrzellen untereinander und zwischen Abwehrzellen und Bakterien. Bei Dysfunktion der Glykoproteine kommt es zu gestörter Phagozytenfunktion, gestörter spezifischer Immunität und gestörter Aktivität der »natural killer«-Zellen. Symptomatik.
4 Verzögertes Abfallen des Nabelschnurrests (3. Lebenswoche) 4 Rezidivierende, schwere bakterielle Infektionen, z. B. Omphalitis, fehlende Eiterbildung
Diagnostik.
4 Labor: Neutrophile Granulozyten <200/μl 4 Knochenmark: keine reifen Granulozyten nachweisbar 4 Mutationsanalyse: Nachweis einer ELA-2- oder HAX-1-Mutation Therapie.
4 Großzügige antibiotische Therapie 4 G-CSF(hämatopoetischer Wachstumsfaktor) s. c., wenn keine Wirksamkeit Stammzelltransplantation Prognose. Die Patienten sind unter G-CSF-Therapie
zunächst asymptomatisch. Später besteht das Risiko der Entwicklung von Malignomen, eine Stammzelltransplantation sollte angestrebt werden.
Therapie. Symptomatisch: antibiotische Therapie, kau-
sal: Stammzelltransplantation, experimentell: Gentherapie. Prognose. Ohne spezifische Therapie innerhalb des
1. Lebensjahres letal; es gibt auch partielle Formen mit chronischen Verläufen. Progressiv-septische Granulomatose – chronic granulomatous disease (CGD) Definition/Ätiopathogenese. Meist X-chromosomal rezessiv, selten autosomal rezessiv vererbter, oxidativer Enzymdefekt in der Phagozytenmembran: Granulozyten können Keime phagozytieren, diese aber intrazellulär nicht abtöten. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:100 000 bis 1:300 000.
Chronisch-benigne Neutropenie Definition. Granulozytopenie im infektfreien Intervall bis <500/μl, bei Infekten jedoch deutlich höhere Gra-
Symptomatik. Es bilden sich septische Metastasen: die intrazellulär persistierenden Bakterien und Pilze
147 8.2 · Allergische Erkrankungen
werden von den Granulozyten im Organismus verteilt. Es kommt zur Granulombildung: die unvollständig eliminierten Antigene verbleiben im Gewebe und bilden dort Granulome. 4 Früher kam es v. a. zu: 5 Rezidivierenden Infektionen mit Staphylokokken und anderen, katalasepositiven Bakterien 5 Pneumonien, Lymphadenitiden, Sepsen, Osteomyelitiden und Arthritiden 4 Heute stehen: 5 aufgrund der Cotrimoxazol-Prophylaxe v. a. Aspergillus-Infektionen im Vordergrund, 5 es bilden sich Furunkel, Fisteln, Abszesse und Granulome mit Funktionsstörungen in Lunge, Magendarmtrakt und ableitenden Harnwegen 5 es treten Morbus-Crohn-ähnliche Krankheitsbilder auf. Diagnostik.
4 NBT-Test: fehlende Nitroblautetrazoliumreduktion (nicht immer verlässlich), besser: quantitative Bestimmung des oxidativen Stoffwechsels der Granulozyten (DHR-Test: Dihydrorhodamin Test) 4 Nachweis von Granulomen in der Histologie Therapie.
Symptomatisch: 4 Antibiotische Therapie bakterieller Infektionen, antimykotische Therapie von Pilzinfektionen 4 Granulozytentransfusion in Notfallsituationen 4 Chirurgische Ausräumung von Abszessen 4 Dauerprophylaxe mit Cotrimoxazol (PCP) und Itraconazol (Aspergillen) 4 Umstritten ist die γ-Interferontherapie zur Reduktion der Infektanfälligkeit Kausal: 4 Stammzelltransplantation von HLA-identischem Spender Experimentell: 4 Gentherapie bei X-chromosomal gebundener Form Prognose. Bei konsequenter Therapie beträgt die Le-
benserwartung 10‒20 Jahre, bestenfalls 30‒40 Jahre. Komplementdefekte Definition. Es gibt ca. 25 verschiedene Komplementdefekte mit 3 Leitsymptomen: rezidivierende bakterielle Infekte, Autoimmunerkrankungen (Immunkomplexerkrankungen) und nicht allergische Angioödeme.
8
C1-Esterase-Inhibitor Defekt – hereditäres Angioödem Definition. Autosomal-dominant vererbter Komplementdefekt mit mangelnder oder fehlender Aktivität des C1-Esterase Inhibitors; häufigster Komplementdefekt. Symptomatik.
4 Spontan auftretende Schwellungen an Gesicht und Extremitäten ohne allergische Ursache: es besteht kein Juckreiz, keine Rötung, keine Quaddeln. 4 Schwellungen im Intestinaltrakt bis hin zum akutem Abdomen (DD: Appendizitis). 4 Die Schwellungen beginnen im Kindesalter und nehmen an Stärke im Erwachsenalter zu. 4 Häufig mit SLE assoziiert 7 Kap. 8.3. ! Bei C1-Esterase-Inhibitor-Defekt besteht die Gefahr der Entwicklung einer lebensbedrohlichen Larynxschwellung.
Diagnostik. Labor: C1-Inhibitor↓. Therapie.
4 Im Notfall: i. v.-Substitution von gereinigtem C1-Inhibitor (Berinert) 4 Dauertherapie: Danazol (attenuiertes Androgen) bzw. intermittierende Substitution von Berinert 4 Glukokortikoide und Antihistaminika sind unwirksam, daher Notfallausweis essentiell! 8.1.3 Erworbene Immundefekte Vermehrte Infektanfälligkeit aufgrund anderer Grunderkrankungen, z. B. im Rahmen von: 4 Mangel-, Fehlernährung 4 Verbrennungen 4 Renalem oder enteralem Proteinverlust 4 Virusinfektionen, z. B. Masern, Zytomegalie, HIV 4 Malignen Tumoren und/oder zytostatischer Behandlung 4 Autoimmunerkrankungen inkl. Autoimmunneutropenie 4 Exposition gegenüber Umweltgiften 8.2
Allergische Erkrankungen
8.2.1 Typen der allergischen Reaktion Definition.
4 Allergie: Spezifische Änderung der Immunität im Sinne einer krank machenden Überempfindlichkeit.
148
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
. Tab. 8.2. Typen von Überempfindlichkeitsreaktionen
8
Typ
Kurzbezeichnung
Mechanismus
Klinische Beispiele
I
Soforttyp
durch Allergene hervorgerufene Degranulation von IgE-beladenen Mastzellen
Anaphylaktischer Schock
II
Zytotoxische Reaktion
Bindung zytotoxischer Antikörper an zellgebundene Antigene, Zytolyse
Immunhämolyse
III
Immunkomplextyp
Ablagerung von Immunkomplexen (IgG, IgM) im Gewebe, Komplementaktivierung, Entzündung
Serumkrankheit, systemischer Lupus erythematodes
IV
Tuberkulintyp (Spätreaktion)
antigen-spezifische T-Lymphozyten vermitteln (nach Tagen) die Freisetzung von Zytokinen
Tuberkulinreaktion, Transplantatabstoßung
V
Stimulatorische Immunreaktion
Bindung von Autoantikörpern an Hormonrezeptoren, die eine Hormonwirkung hervorrufen
Hyperthyreose (Morbus Basedow)
4 Atopie: Genetische Disposition zur Überempfindlichkeit gegenüber natürlichen Allergenen der Umwelt; Assoziation mit Asthma, Rhinitis und Neurodermitis. Einteilung. . Tab. 8.2. Ätiopathogenese.
4 Typ I – Sofortreaktion: Das Allergen wird von einer antigenpräsentierenden Zelle aufgenommen (z. B. B-Zelle), immunogene Peptide werden den T-Helfer-Zellen über das MHC-II-Molekül präsentiert. T-Zellen sezernieren daraufhin IL4, das in den B-Zellen die IgE-Synthese induziert. IgE wird auf der Oberfläche von Mastzellen lokalisiert und interagiert dort mit präsentierten Allergenen. Bei Allergenkontakt setzen die Mastzellen Mediatoren wie Leukotriene, Prostaglandine, Zytokine und Histamin frei, die zur Dilatation von Arteriolen, zu gesteigerter Gefäßpermeabilität, Bronchospasmus, Blutdruckabfall oder anaphylaktischem Schock führen. 4 Typ II – zytotoxische Reaktion: Bindung zytotoxischer Antikörper (IgG oder IgM) an zellgebundene Antigene, wodurch es zu Zellzerstörung (Zytolyse) unter Mitwirkung von Komplement (z. B. autoimmunhämolytische Anämie) oder so genannter Killerzellen (z. B. Rhesusinkompatibilität) kommt. 4 Typ III – Arthus-Reaktion: Bildung von Immunkomplexen aus Antigenen und Antikörpern (IgG oder IgM), die im Gewebe abgelagert werden. Dort aktivieren sie Komplement, die freigesetzten Mediatoren verursachen eine Entzündungsreaktion.
4 Typ IV – Reaktion vom Tuberkulintyp: Antigenspezifische T-Lymphozyten interagieren mit einem Antigen, bilden vor Ort ein zelluläres Infiltrat (Makrophagen und Lymphozyten) und rufen die Freisetzung von Zytokinen hervor. Der Gewebsschaden manifestiert sich erst nach Tagen (Spätreaktion). 4 Typ V – stimulatorische Immunreaktion: Bildung von Autoantikörpern, die gegen Hormonrezeptoren gerichtet sind und dort die Hormonwirkung hervorrufen (z. B. Morbus Basedow). Diagnostik.
4 Anamnese, Familienanamnese 4 Labor: BB, Diff-BB: Eosinophilie, gesamt IgE ↑, RAST: Nachweis von allergenspezifischem IgE im Serum, ggf. IgG-Subklassenbestimmung zum Ausschluss eines Immundefekts 4 Hauttests: 5 Prick-Test: mittels einer Prick-Nadel werden Allergene in die Haut eingebracht, anschließend wird die Hautreaktion beurteilt 5 Intrakutantest: das Allergen wird intrakutan appliziert 5 Epikutantest (»Atopy-patch-Test«): das Allergen wird unter ein Pflaster geklebt; Cave: Verfälschung der Ergebnisse bei Therapie mit Kortikoiden oder Antihistaminika. 4 Karenztests: Besserung der Symptomatik durch Vermeidung eines potenziellen Allergens 4 Provokationsproben: nasale Provokation, bronchiale (inhalative) Provokation (Cave: strenge Indikationsstellung)
149 8.2 · Allergische Erkrankungen
8.2.2 Atopische Krankheitsbilder Atopisches Ekzem 7 Kap. 16
Rhinitis/Rhinokonjunktivitis allergica Definition. Ganzjährig oder saisonal auftretende Rhinitis und/oder Konjunktivitis, die durch Inhalationsantigene ausgelöst wird, z. B. durch Pollen von Gräsern, Getreide oder Frühblühern (Birke, Erle, Haselnuss), durch Hausstaubmilben oder Tierhaare.
8
Diagnostik.
4 Anamnese 4 Auslassversuche, orale Provokationstests (doppelblind) 4 Prick-Tests, PATCH-Tests 4 Nahrungsmittel RAST: Nachweis spezifischer IgE im Serum Differenzialdiagnostik. Nahrungsmittelintoleranz be-
steht meist aufgrund eines Enzymdefekts, z. B. Laktoseintoleranz bei Laktasemangel.
Symptomatik. Durch Allergenkontakt ausgelöst kommt
Therapie. Karenz- oder Eliminationsdiät; Patienten
es zu einer Behinderung der Nasenatmung, häufigen Niesanfällen, seröser Sekretion und Juckreiz von Nase und/oder Augen. Auftreten selten vor dem 3. Lebensjahr. In 15‒30% kommt es zum »Etagenwechsel« mit der Entwicklung eines Asthma bronchiale.
müssen mit einem Notfallset ausgestattet werden, mit einer Adrenalin-Fertigspritze, flüssigen Antihistaminika und Glukokortikoiden. Prognose. Im Säuglingsalter gut, diätetische Maßnahmen sind oft nur für 1–2 Jahre erforderlich.
Diagnostik. Anamnese; Labor: spezifisches IgE↑; Haut-
tests. Therapie.
4 Lokale Therapie: Cromoglicinsäure/Nedocromil (prophylaktisch umstritten), initial α-Sympathomimetika, H1-Antagonisten, topische Steroide 4 Systemische Therapie: H1-Antagonisten 4 Bei schweren Verläufen: Hyposensibilisierung Prävention.
4 Haare häufig waschen 4 Fenster in den frühen Morgenstunden schließen 4 Bettwäsche für Allergiker verwenden Asthma bronchiale 7 Kap. 12.
Insektengiftallergie Definition. Allergische Reaktionen auf Insektengiftproteine v. a. von Bienen und Wespen. Nach dem ersten Stich werden die Patienten sensibilisiert, zu einer allergischen, IgE-vermittelten Reaktion kommt es ab dem zweiten Stich. Epidemiologie. Häufigkeit: systemische Reaktionen bei
ca. 0,4%, lokale Reaktionen bei ca. 10% der Bevölkerung. Symptomatik. Der Schweregrad der Symptomatik va-
riiert von verstärkten Lokalreaktionen über generalisierte Urtikaria bis hin zum anaphylaktischen Schock mit Atemstillstand. Diagnostik.
Nahrungsmittelallergie Definition. Meist IgE-vermittelte, allergische Reaktion auf Nahrungmittelallergene, z. B. auf Kuhmilchproteine, Hühnereiweiß, Nüsse, Soja oder Getreide. Epidemiologie: Häufigkeit: ca. 5% der Bevölkerung; Manifestation häufig im ersten Lebensjahr. Symptomatik. Nach oraler Aufnahme der Allergene kommt es zu: 4 Urtikaria, Rhinitis, asthmaartigen Beschwerden 4 Erbrechen, Koliken, Durchfällen 4 In schweren Fällen zum anaphylaktischen Schock
4 Anamnese, Klinik 4 Bestimmung des allergenspezifischen IgE 4 Hauttitration mit gereinigtem Bienen- oder Wespengift Therapie.
4 Stachel entfernen, möglichst ohne das Gift auszudrücken 4 Abschnüren der Extremität, Kühlung 4 Lokal: Antihistaminika und Glukokortikoide 4 Systemisch: Antihistaminika oder Glukokortikoide 4 Ggf. Therapie eines anaphylaktischen Schocks (s. u.) 4 Patienten müssen mit einem Notfallset und einem Notfallausweis ausgestattet werden: Adrenalin-Fertigspritze, flüssige Antihistaminika und Glukokortikoide
150
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
4 Nach Allgemeinreaktion und nachgewiesener Sensibilisierung: 5 »Schnell-Hyposensiblisierung«: innerhalb 1 Woche wird die verabreichte Insektengiftdosis auf 100 μg (ca. Gift von 2 Insektenstichen) gesteigert, anschließend Dauertherapie über 3 Jahre (gute Erfolge) Urtikaria
8
Arzneimittelunverträglichkeit Definition. Allergische Reaktion auf Arzneimittel durch: 4 Anaphylaktische Reaktionen (Typ I) 4 Immunkomplex-vermittelte Reaktionen (Typ II) 4 Zelluläre Reaktionen (Typ IV) 4 Allergische Spätreaktionen oder 4 Toxische Reaktionen
Definition. Flüchtiges, juckendes Exanthem mit Quad-
Penicillinallergie
delbildung, ausgelöst bei Histaminfreisetzung durch: 4 Allergische Reaktionen (Sofortreaktion Typ I) auf: 5 Nahrungsmittel (z. B. Hühnerei, Erdbeeren, Nüsse) 5 Farb- und Konservierungsstoffe 5 Medikamente 5 Insektengifte 5 Inhalationsantigene 5 Impfstoffe 4 Nichtallergische Reize: 5 Brennesseln, Quallen 5 Infektionen (Parasiten, Viren) 4 Physikalische Reize: 5 Druck, Kälte, Wärme, Sonne
Definition. IgE-vermittelte, allergische Reaktion auf
Im Kindesalter tritt die Urtikaria meist infektbedingt oder durch eine IgE-vermittelte allergische Reaktion auf.
Penicillin; Penicillin fungiert als Hapten, wird an Albumin gebunden und aktiviert mediatorhaltige Zellen, z. T. Kreuzreaktionen mit Cephalosporinen der 1. und 2. Generation möglich. Symptomatik. Exanthem, meist des ganzen Körpers: Erythem, Makula, Pusteln oder Papeln; ausgeprägter Juckreiz. Therapie. Absetzen von Penicillin; evtl. Antihistamini-
ka, Glukokortikoide i. v./p. o., das Exanthem klingt innerhalb von Stunden bis Wochen ab. > Bei anaphylaktoiden oder pseudoallergischen Reaktionen (z. B. auf Röntgenkontrastmittel, Acetylsalicylsäure) ähnelt das klinische Bild einer allergischen Reaktion, ein immunologischer Mechanismus kann aber nicht nachgewiesen werden.
Symptomatik.
4 Erythem mit Quaddelbildung, starker Juckreiz 4 Meist Rückbildung nach einigen Stunden 4 Noch Tage später Wiederauftreten der Quaddeln an gleicher Stelle möglich (Refraktärphase nach Erschöpfung der Mastzelldepots) 4 Im Erwachsenenalter z. T. Chronifizierung der Urtikaria ! Bei Urtikaria besteht Schockgefahr.
Ampicillin-Exanthem Definition. Exanthem, das ca. 8 Tage nach einer Ampicillintherapie auftreten kann, die Ätiologie ist bislang nicht geklärt (keine Typ-I-Reaktion). ! Bei EBV-Infektion führt Ampicillin fast immer zum Exanthem.
Therapie. Meidung des Allergens; Antihistaminika
Latexallergie Definition. Allergische Reaktion auf Latex, zunehmend bereits im Kindesalter auftretend. Häufig bei Kindern mit Myelomeningozelen, Hydrozephalus, Shuntimplantationen, häufigen oder frühen Operationen (z. B. bei gastrointestinalen Fehlbildungen) mit Kontakt zu Latex (OP-Handschuhe) oder bei Atopie.
p. o.; systemische Steroide nur bei allergischer Urtikaria und Druckurtikaria, ggf. stationäre Überwachung.
Symptomatik. Die Symptomatik variiert von lokaler
Diagnostik. Die Diagnose wird klinisch gestellt. Dif-
ferenzialdiagnostisch kommt das hereditäre Angioödem in Betracht.
Schwellung (z. B. beim Aufblasen eines Luftballons) bis hin zum anaphylaktischen Schock. Diagnostik/Therapie. Hauttests; Nachweis spezifischer
IgE; Therapie Expositionsprophylaxe, Operation gefährdeter Kinder in latexfreier Umgebung.
151 8.3 · Autoimmunerkrankungen
Anaphylaktischer Schock Definition. Schwerste und bedrohlichste Form der systemischen, allergischen Reaktion vom Soforttyp.
. Tab. 8.3. Autoimmunerkrankungen – Häufigkeiten Erkrankung
Häufigkeit
Epidemiologie. Auftreten bei hochgradiger Sensibili-
Hashimoto-Thyreoiditis
5%
sierung gegen Tierepithelien, Nahrungsmittel, Medikamente, Latex oder Insektengift.
Morbus Basedow
1–3%
Diabetes Mellitus Typ I
In Deutschland ~12–14:100 000
Juvenile chronische Arthritis
1:1 000
Myasthenia gravis
5–10:100 000
Systemischer Lupus erythematodes
7:100 000
Wegener Granulomatose
5:100 000
Rheumatisches Fieber
2:100 000
Goodpasture-Syndrom
0,6–1,9:100 000
Ätiopathogenese. Die Ausschüttung von Mediatoren
(Histamin, Serotonin, Prostaglandine etc.) aus den Mastzellen führt zur Vasodilatation der Kapillaren, gesteigerter Kapillarpermeabilität, Extravasation von Flüssigkeit, intravasalem Volumenmangel und Blutdruckabfall. Es kommt zur Bronchokonstriktion und Konstriktion der glatten Muskulatur (Magendarmtrakt). Symptomatik.
4 Stadium I: Juckreiz, Urtikaria, Rötung 4 Stadium II: Übelkeit, Erbrechen, Tachykardie, Hypotension 4 Stadium III: Erbrechen, Bronchospasmus, Defäkation, Zyanose, Schock 4 Stadium IV: Atemstillstand, Kreislaufstillstand Therapie.
4 Stadium I: 5 Stopp der Allergenzufuhr 5 i. v. Antihistaminika 5 evtl. i. v. Glukokortikoide 4 Ab Stadium II: 5 Stopp der Allergenzufuhr, evtl. Entfernen des Allergens (z. B. Magenspülung) 5 i. v. Adrenalin (Suprarenin) auch subkutane und intratracheale Applikation möglich 5 i. v. Glukokortikoide und Antihistaminika 5 i. v. Volumensubstitution, z. B. mit Humanalbumin 5% bei Hypotension 4 Stadium IV: 5 Reanimation 8.2.3 Prinzipien der Allergieprävention 7 Kap. 4, . Tab. 4.5.
8.3
Autoimmunerkrankungen
Definition. Autoimmunerkrankungen entstehen, wenn das Immunsystem gegen körpereigene Strukturen reagiert, wenn es »Selbst« nicht als »Selbst«, sondern als »Fremd« erkennt.
8
Systemischer Lupus erythematodes (SLE) Definition. Chronische Autoimmunerkrankung mit Befall mehrerer Organsysteme. Epidemiologie. Häufigkeit: 7:100 000; w:m=4:1; genetische Prädisposition (Assoziation mit HLA-DR2 und HLA-DR3). Ätiologie. Zirkulierende Immunkomplexe, die aus DNA
und anti-DNA zusammengesetzt sind, lagern sich an Gefäßwänden ab und verursachen eine Immunkomplexvaskulitis mit Aktivierung und Verbrauch von Komplement, Freisetzung von Entzündungsmediatoren und lysosomalen Enzymen, Granulozyten-Infiltration und Gewebeläsionen. Auslöser können u. a. virale Infektionen, bakterielle Infektionen und UV-Exposition sein. Diagnostik. American Rheumatism Association (ARA): Diagnosestellung bei 4 positiven von 11 möglichen Kriterien (. Tab. 8.4). Symptomatik.
4 Schleichender oder akuter Beginn möglich 4 Bei Kindern häufig: 5 Plötzlicher Beginn mit Fieber, Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Gewichtsverlust 5 Gelenkbeteiligung 5 Hauterscheinungen (Schmetterlingserythem) in 50% 5 Nierenbeteiligung, gefolgt von Symptomen der . Tab. 8.4
5 ZNS-Beteiligung
152
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
. Tab. 8.4. Diagnosekriterien des Systemischen Lupus erythematodes Betroffenes Organ
Klinische Manifestation
Haut
Schmetterlingserythem im Gesicht diskoider Lupus (plaqueförmige Läsionen mit Rötung, Hyperkeratose, Pigmentverschiebung und Atrophie) Photosensibilität
Schleimhaut
Ulzerationen an der Mundschleimhaut, meist schmerzlos
Gelenke
Arthralgien Arthritis
Seröse Häute
Pleuritis Perikarditis
Niere
chronische Glomerulonephritis
ZNS
Krampfanfälle Psychosen
Hämatopoese
Coombs-Test: positive hämolytische Anämie Leukopenie < 4000/mm3 Lymphopenie < 1500/m3 Thrombozytopenie < 100000/mm3
Autoimmunphänomene
Nachweis von LE-Zellen (aufgetriebene neutrophile oder eosinophile Granulozyten mit azidophilen Einschlusskörperchen, reduziertem Zellplasma u. randständigem Zellkern); Nachweis von Antikörpern gegen native Doppelstrang-DNA oder Nachweis von Sm-Antigenen; Nachweis von Antinukleären Antikörpern (ANAs), meist mit homogenem oder peripherem Fluoreszenzmuster
5 Antikörpernachweis: ANA (antinukleäre Faktoren in 95%), evtl. Anti-Ro, Anti-La APA (Anti-Phospholipidantikörper); beweisend ist der Nachweis von Anti-Ds-DNA und Sm-Antigen 5 Nachweis zirkulierender Immunkomplexe 5 CH50, C3, C4↓, durch Komplementaktivierung und -verbrauch 5 »Lupus-Phänomen«: in neutrophilen Granulozyten lassen sich phagozytierte Zellkerne, so genannte »LE-bodies«, nachweisen 4 Urin: 5 Hämaturie, Proteinurie, Leukozyturie 4 Nierenbiopsie (Glomerulonephritis) Therapie.
8
4 Symptomatik sehr variabel (Lupus = »Chamäleon«) 4 Weitere Verlaufsformen: kutaner LE, chronisch diskoider LE und subakut kutaner LE (vgl. Lehrbücher Innere Medizin)
4 NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika) 4 Glukokortikoide (Stoßtherapie oder niedrig dosierte Dauertherapie) 4 Antimalariamittel (Hydroxychloroquin) 4 Azathioprin (evtl. Cyclosporin A oder Methotrexat) 4 Cyclophosphamid, v. a. bei bedrohlicher Nephritis oder ZNS-Befall 4 Bei schweren Verläufen: Plasmapherese, hochdosierte Glukokortikoidstoßtherapie 4 Experimentell: Rituximab (monoklonaler Antikörper) Prognose. Die Überlebensrate wurde durch die The-
rapiemöglichkeiten deutlich verbessert, die 5-Jahresüberlebensrate beträgt >90%, die 10-Jahresüberlebensrate >80%. Limitierend sind häufig Nierenbeteiligung, ZNS-Befall oder opportunistische Infektionen. Neonatales Lupussyndrom Definition. SLE-Manifestation beim Neugeborenen
durch diaplazentar übertragene Antikörper, wenn die Mutter an einem SLE leidet oder asymptomatische Trägerin von Autoantikörpern (antiRo (SSA) oder antiLa(SSB)) ist. Bei den Neugeborenen kommt es zu einem transitorischen, kutanen LE und zu einem irreversiblen AV-Block III, der z. T. schrittmacherpflichtig ist. Die Antigene weisen Sequenz- und Epitophomologien zu myokardialen Strukturen des Erregungsleitungssystems auf.
Diagnostik.
4 Klinik 4 Labor: 5 Anämie, Panzytopenie (Leukozyten↓, Lymphozyten↓, Thrombozyten↓) 5 BKS↑, CPR normal oder ↑, γ-Globuline, α2Globuline↑ als Ausdruck der chronischen Entzündung
Dermatomyositis/Polymyositis Definition.
4 Dermatomyositis: autoimmune Entzündung von Muskulatur (mit Muskelschwäche, Muskelschmerzen), Haut (mit erythematösen, indurativen und atrophischen Veränderungen, . Abb. 8.1) und inneren Organen
153 8.4 · Juvenile rheumatische Arthritis, rheumatisches Fieber
8
4 Polymyositis: autoimmune Entzündung von Muskulatur und inneren Organen ohne Hautbeteiligung Ätiologie. Ursächlich sind immunologische Mechanismen: es kommt zur autoimmunen Kapillarschädigung in Muskulatur und Dermis mit nekrotisierender Vaskulitis und Perivaskulitis, zur direkten T-Zell vermittelten zytotoxischen Muskelfaserschädigung (Polymyositis) und zur Ablagerung von Komplement und und B-Zell-Infiltraten (Dermatomyositis). Es besteht eine genetische Disposition (HLA-DR3, und -B8 assoziiert), Auslöser sind vermutlich Infektionen, v. a. durch Coxsackie-Viren. Symptomatik.
Schleichende oder akute Manifestation: 4 Proximale, symmetrische Muskelschwäche, v. a. im Schulter- und Beckenbereich, muskelkaterartige Schmerzen, Ödeme 4 Ausgeprägtes Krankheitsgefühl Hautmanifestation (nicht bei Polymyositis): 4 Violettfärbung und Schwellung der Augenlider und über den Fingergelenken (»Lilakrankheit«) 4 Schmetterlingserythem (vereinzelt) 4 z. T. Verkalkungen von Subkutis, Sehnen, Fazien und Muskulatur (Kalzinose) mit Fehlstellungen 4 Teleangiektasien des Nagelfalzes
. Abb. 8.1. Dermatomyositis: erythematöse, indurative Hautveränderungen
Therapie.
4 Physiotherapie 4 Glukokortikoide (Stoßtherapie oder Dauertherapie), evtl. Azathioprin, Cyclosporin A, Methotrexat, evtl. hochdosierte Immunglobuline i. v. Prognose.
z. T. Organbeteiligung: 4 Herz: Arrhythmien, Myokarditis, Perikarditis 4 Gastrointestinaltrakt: Ösophagus mit Schluckstörungen, vaskulitische Ulzera im Magendarmtrakt mit Perforationsgefahr 4 Lunge: rezidivierende Aspirationen, Atemstörungen, interstitielle Pneumonien 4 ZNS: Verhaltensstörungen Diagnostik.
4 Klinik 4 Labor: (BKS↑), Leukozytose; Muskelenzyme: CK↑, LDH↑, Aldolase↑; GOT, GPT↑; kein Rheumafaktor nachweisbar; Nachweis von Antikörpern: ANA (50%), anti-Mi2, anti-Jo1 (5‒30%) 4 EMG: myopathisches Muster 4 Muskelbiopsie: perivaskuläre T-Zell-Infiltrate Differenzialdiagnose.
4 Spinale Muskelatrophie (7 Kap. 17) 4 Myasthenia gravis (7 Kap. 17) 4 Multiple Sklerose (7 Kap. 17)
4 4 4 4
8.4
Überlebensrate >90% z. T. Ausheilung der Erkrankung nach 3‒5 Jahren z. T. schwere Behinderungen Akute Gefahr bei Darmperforationen oder Aspirationspneumonien
Juvenile rheumatische Arthritis, rheumatisches Fieber
8.4.1 Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) Synonym. Juvenile rheumatoide Arthritis, juvenile
chronische Arthritis. Definition. Vermutlich autoimmun bedingte, entzünd-
liche Erkrankung mit chronischer, nichteitriger Synovitis eines oder mehrerer Gelenke. Für die Diagnosestellung müssen folgende Kriterien erfüllt sein: 4 Beginn vor dem 16. Lebensjahr 4 Dauer mindestens 6 Wochen 4 Ausschluss ähnlicher Erkrankungen
154
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
. Tab. 8.5. Übersicht über die Kollagenosen im Kindesalter Erkrankung
Zusammenfassung
Lupus erythematodes disseminatus
s. o.
Dermatomyositis/Polymyositis
s. o.
Sharp Syndrom (mixed connective tissue disease)
Symptomkombination aus: 4 Systemischer Lupus erythematodes 4 Systemische Sklerodermie 4 Dermatomyositis 4 Chronische Arthritis Assoziiert mit Antikörpern gegen U1-RNP
Sklerodermie
Fibrosierende und sklerosierende Bindewebserkrankung im Kindesalter, meist lokalisiert, im Erwachsenenalter meist generalisiert, mit den Leitsymptomen: 4 Morphea (rundliche, livide Hautverfärbung mit Schwellung und Atrophie) 4 Fibrotische Umbauvorgänge 4 Hautatrophie im Gesicht mit Mikrostomie, Lippenatrophie 4 Motilitätsstörungen des Ösophagus 4 Lungenfibrose 4 Perimyokarditis 4 Niereninfarkte Assoziiert mit ANA oder Scl-70-Ak
Sjögren-Syndrom (Sicca-Syndrom)
Als eigenständiges Krankheitsbild auftretend oder in Kombination mit anderen rheumatischen Krankheitsbildern und den Leitsymptomen: 4 Keratokonjunktivitis sicca 4 Xerostomie Assoziiert mit Anti-SS-A und Anti-SS-B Antikörpern
Undifferenzierte Kollagenosen, Overlap-Syndrome
Symptomkomplexe, die nicht eindeutig einer definierten Diagnose zugeordnet werden können, meist Symptome mehrerer Kollagenosen
8
Nach ILAR (International League against Rheumatism) werden verschiedene Krankheitsbilder unterschieden (. Tab. 8.6): 4 Polyarthritis: 5 oder mehr Gelenke betroffen 4 Oligoarthritis: 1‒4 Gelenke betroffen 4 Monarthritis: 1 Gelenk betroffen Epidemiologie. Häufigkeit 1:1 000 bei Kindern <16 Jah-
ren; zweithäufigste Ursache von Gelenkbeschwerden im Kindesalter (häufigste: »Coxitis fugax« und reaktive Arthritis s. u.). Ätiopathogenese. Die Ätiologie ist nicht eindeutig geklärt, vermutlich Kombination aus genetischer Prädisposition und immunologischen Ursachen; Auslöser sind häufig Infektionen, Stress und Traumata. Es kommt zu Synovitis mit lympho- und plasmazellulärer Infiltration, zu Hyperplasie und Verdickung der Synovia, zu Pannusbildung, Knorpelarrosion und -zerstörung mit Gelenkbeteiligung, Knochenarrosionen, Schleimbeutelentzündung und z. T. zu fibrinöser Serositis von Pleura und Perikard.
Symptomatik.
4 Allgemein: rasche Ermüdbarkeit, eingeschränkte Leistungsfähigkeit 4 Schmerzhafte Schwellung, Rötung und Überwärmung der Gelenke 4 Typische Morgensteifigkeit (nicht immer) 4 Knorpel- und Knochendestruktionen 4 Knöcherne Ankylose 4 Generalisierte oder lokale Wachstumsverzögerung, evtl. Kleinwuchs 4 Schonhaltungen, Fehlstellungen 4 evtl. Synovialzysten, z. B. im Bereich des Kniegelenks (Baker-Zyste) 4 evtl. Fieberschübe 4 z. T. Organbeteilung: 5 Herz: – Perikarditis, evtl. Myokarditis, cave: nur ein Drittel der Patienten haben subjektive Beschwerden, immer auch kardiologische Diagnostik durchführen 5 Auge: – Iridozyklitis, Uveitis
155 8.4 · Juvenile rheumatische Arthritis, rheumatisches Fieber
8
. Tab. 8.6. Klassifikation der idiopathischen Arthritiden im Kindesalter entsprechend den Empfehlungen der International League against Rheumatism (ILAR) Erkrankung
Kriterien
1. Systemische Arthritis
Definitive Erkrankungskriterien: 4 Täglich Fieberschübe über 2 Wochen 4 Typischer Rash 4 Arthritis Wahrscheinliche Erkrankungskriterien: Keine Arthritis, aber Symptome 1 und 2 der definitiven Erkrankungskriterien (s.o.) plus 2 der folgenden Symptome: 4 generalisierte Lymphadenopathie 4 Hepato- oder Splenomegalie 4 Serositis
2. Seronegative Polyarthritis
Arthritis an ≥ 5 Gelenken innerhalb der ersten 6 Krankheitsmonate
3. Seropositive Polyarthritis
4 Arthritis an ≥ 5 Gelenken innerhalb der ersten 6 Krankheitsmonate und 4 zweimaliger Nachweis des IgM- Rheumafaktors im Abstand von mindestens 3 Monaten
4. Oligoarthritis
Arthritis an 1–4 Gelenken innerhalb der ersten 6 Krankheitsmonate
5. Erweiterte Oligoarthritis
4 Arthritis an 1–4 Gelenken innerhalb der ersten 6 Krankheitsmonate und 4 Arthritis an ≥ 5 Gelenken nach den ersten 6 Krankheitsmonaten
6. Arthritiden mit Enthesitisneigung
4 Arthritis + Enthesitis oder beim Fehlen der Enthesitis neben der Arthritis mindestens 2 der folgenden Zeichen: 4 schmerzhafte Iliosakralgelenke 4 Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule 4 HLA B 27 4 positive Familienanamnese für mindestens eine der folgenden Erkrankungen: 5 schmerzhafte Uveitis anterior 5 Spondylarthropathie 5 chronisch-entzündliche Darmerkrankung
7. Psoriasisarthritis
4 Arthritis + Psoriasis oder beim Fehlen der Psoriasis: positive Familienanamnese für Psoriasis bei den Eltern oder Geschwistern plus eines der folgenden Zeichen: 4 Daktylitis 4 Nagelabnormitäten (Tüpfelnägel, Onycholyse)
– Weniger als die Hälfte der Patienten haben subjektive Beschwerden: Schmerzen, Lichtempfindlichkeit, Fremdkörpergefühl, gerötete Augen oder Anisokorie. – Immer Spaltlampenuntersuchungen durchführen zum Ausschluss einer Uveitis, auch wenn die Gelenkbeschwerden schon längst abgeklungen sind. 5 Amyloidose: Ablagerung von fibrillärem Enzündungsproteinen in Gewebe und Gefäßen – Heute selten, Manifestation als Proteinurie, Diagnosestellung durch Rektum- oder Nierenbiopsie ! Besonders gefürchtet sind die ophthalmologischen Komplikationen der JIA: hintere Synechien, Visusverlust, Katarakt, Keratopathie oder Katarakt.
Diagnostik.
4 Klinik 4 Labor: 5 Entzündungsparameter: BKS↑, CRP↑, Leukozyten↑, Thrombozyten↑, Eiweißelektrophorese (Albumin↓, α2- und γ-Globulin↑): diese Veränderungen entsprechen häufig, aber nicht immer der Krankheitaktivität 5 IgM-Rheumafaktor: Autoantikörper gegen bestimmte Determinanten im Fc-Teil des IgG (bei Kindern in 5‒10% positiv, bei Erwachsenen in 90%. Rheumafaktoren sind nicht krankheitsspezifisch); Nachweis im Latex-Test (Agglutination mit Human-IgG beladenen Latexpartikeln) oder im Waaler-Rose-Test (Agglutination mit Kaninchen-IgG-beladenen Hammelerythrozyten)
156
4
8
4 4 4 4
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
5 Antinukleäre Antikörper (ANA): Autoantikörper, die gegen bestimmte Bestandteile von Zellkernen gerichtet sind. Positiv bei ca. 30% der JIA-Patienten, auch bei Oligoarthritis, anderen Autoimmunerkrankungen, Kollagenosen. Risikofaktor für die Iridozyklitis. 5 HLA-B27: HLA B27 (HLA: humanes Leukozytenantigen) bei ca. 40% der JIA positiv, v. a. bei Adoleszenten mit seronegativer Oligoarthritis. Risikofaktor für Uveitis und Sakroileitis. Nicht krankheitsspezifisch: gehäuftes Auftreten auch bei reaktiven Arthritiden und mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa assoziierten Arthritiden. Röntgen: zunächst Weichteilschwellung, Ödem, später Knorpelerosionen, Gelenksspaltverschmälerungen, Zysten, Usuren, Gelenkdestruktionen, Synostosen Sonographie der Gelenke: Erguss, Weichteilschwellung MRT: genauere Beurteilung der Gelenkzerstörung Gelenkpunktion: zum Ausschluss bakterieller Arthritis, zur Gelenkentlastung oder zur Instillation von Steroiden Synoviabiopsie (und Histologie) zum Ausschluss villo-nodulärer Synovitis
Differenzialdiagnostik.
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Reaktive, postinfektiöse Arthritiden Bakterielle, virale Gelenkentzündungen Generalisierte Infektionen Familiäres Mittelmeerfieber Kollagenosen Leukämien, Neuroblastome, andere Tumoren Knochentumoren Sarkoidose Vaskulitiden Morbus Crohn-, Colitis ulcerosa-assoziierte Arthritiden 4 Aseptische Knochennekrosen 4 Trauma 4 Misshandlung etc. Komplikationen.
4 Wachstumsretardierung, Kleinwuchs oder Wachstumsbeschleunigung 4 Gelenkkontrakturen, Synostosen 4 Infektanfälligkeit 4 Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie 4 Iridozyklitis: Gefahr der Erblindung 4 ZNS: psychische Alterationen
Therapie.
4 Allgemein: 5 Physio- und Ergotherapie, Motivationsförderung, keine Ruhigstellung 5 Sozialpädiatrische und psychologische Betreuung 5 Orthopädische Versorgung, evtl. Schienung zur Kontrakturprophylaxe 5 Kühlung bei florider Entzündung 5 Wärme bei Bewegungseinschränkung ohne Entzündung oder akutem Ileosakralgelenkbefall 4 Medikamentös: 5 Entzündungshemmung: – NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika): z. B. Indometacin, Diclofenac, Naproxen, Ibuprofen ‒ antiphlogistisch und analgetisch wirksam – Glukokortikoide: systemisch (p. o., i. v.) oder lokal (Augentropfen, intraartikuläre Injektion) 5 Basistherapeutika (lindern die Autoimmunreaktion und beeinflussen den Krankheitsverlauf): – Sulfasalazin (v. a. bei HLA-B27-assoziierter Polyarthritis und bei reaktiver Arthritis) – Methotrexat (bei JIA 1. Wahl) – TNFα-Antagonist: Etanercept s. c. – evtl. Azathioprin, Cyclosporin A, Cyclophosphamid, Hydroxychloroquin (heute selten), Goldsalze (heute selten) 5 Regelmäßige kardiologische und ophthalmologische Untersuchungen ! Die Indikation zur Glukokortikoidtherapie sollte aufgrund der Nebenwirkungen (u. a. Wachstumsstillstand, Osteoporose, Hüftkopfnekrose) streng gestellt werden. Anwendung nur bei ausbleibendem Erfolg der NSAR, bei Iridozyklitis, Karditis und schwerer Polyarthritis. Topische Applikation bei Iridozyklitis, intraartikuläre Applikation bei Mono-/Oligoarthritis.
Prognose. Bleibende Behinderung bei der systemischen Form in 60%, bei der Polyarthritis in 50%, und bei der Mono-/Oligoarthritis in 20%. In 10% der Fälle kommt es zum Kleinwuchs.
Systemische Arthritis (Morbus Still) Definition. Schwerste Verlaufsform der juvenilen chronischen Arthritis. Arthritis mit täglichem Fieber für mindestens 2 Wochen und mindestens einem der folgenden Symptome:
157 8.4 · Juvenile rheumatische Arthritis, rheumatisches Fieber
4 4 4 4
Exanthem Generalisierte Lymphadenopathie Hepato-/Splenomegalie Serositis
Epidemiologie.
4 20% der JIA, bevorzugt im Kleinkindesalter (aber auch im Erwachsenenalter möglich) 4 Häufigkeitsgipfel 2.‒5. Lebensjahr 4 Häufigkeit: m=w Symptomatik.
4 Akuter Beginn: 5 Hohe, meist intermittierende Fieberschübe, oft schon morgens >39°C über mindestens 2 Wochen 5 Schlechter Allgemeinzustand 5 Makulopapulöses, lachsfarbenes Exanthem (Stamm und obere Extremitäten), Juckreiz 5 Lymphadenopathie 5 Hepatosplenomegalie 5 Serositis (Perikarditis, Pleuritis, Aszites) 4 Gleichzeitig oder Wochen bis Jahre später: 5 Symmetrische Oligoarthritis (40%) oder Polyarthritis (60%) der großen und kleinen Gelenke: Handgelenke, Ellenbogen, Schulter, Hüfte, Knie und Sprunggelenke Komplikationen. Sekundäramyloidosen: Ablagerung des
fibrillären Entzündungsproteins Serumamyloid A in Geweben und Organen mit Funktionsbeeinträchtigung. Diagnostik. Oft schwierig, da die Polyarthritis initial
fehlt. 4 Labor: 5 BKS↑↑, CRP↑, Leukozytose, Thrombozytose (z. T. >1 Mio.), Elektrophorese: Dysproteinämie 5 Kein Nachweis von Rheumafaktor oder ANAs 4 Bildgebung: s. o.
8
8.4.2 Postinfektiöse (reaktive) Arthritiden
nach sonstigen bakteriellen Infekten Definition. Postinfektiös auftretende Arthritis, meist als asymmetrische Oligoarthritis, häufig nach Darm- oder Urogenitalinfektionen. Epidemiologie. Häufigkeit: 300:100 000, häufig bei
Kindern >10 Jahren, m>w. Ätiopathogenese. Die Ähnlichkeit bakterieller Antigene zu körpereigenen Antigenen führt zu einem Angriff des Immunsystems auf körpereigene Zellen. 4 Häufig nach Darminfektionen mit Salmonellen, Shigellen, Yersinien, Brucellen, Campylobacter oder Chlamydien 4 Genetische Prädisposition 4 HLA-B27 assoziiert (in ca. 80% positiv) Symptomatik.
4 Auftreten meist wenige Wochen nach einer Darminfektion. 4 Schmerzhafte, asymmetrische Oligoarthritis oder Monarthritis, meist der unteren Extremität: Hüfte, Knie, Sprunggelenk 4 Extraartikuläre Symptome: Konjunktivitis, Keratitis, Uveitis, Schleimhautaphten, Keratoderma blenorrhagicum, Karditis u. a. 4 Definitionsgemäß keine Gelenkdestruktionen 4 z. T. nach Jahren Entwicklung einer Spondylarthritis > Auftreten häufig als Reiter-Syndrom: Konjunktivitis, Urethritis und Polyarthritis.
Diagnostik.
Erkrankungen.
4 Labor: 5 Entzündungsparameter je nach Aktivität ↑ (Leukozyten, CRP, BKS↑) 5 Rheumafaktor und ANA negativ 4 Serologie: Titeranstieg von erregerspezifischen Antikörpern, z. T. auch kein Erreger nachweisbar
Prognose.
Differenzialdiagnostik.
4 Oft schlecht, meist dauerhafte Medikation mit Methotrexat, Mycophenolat notwendig 4 Häufig schubförmiger Verlauf, jedoch auch Ausheilung oder Defektheilung möglich 4 Mortalität 1%
4 Seronegative JIA 4 Mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa assoziierte Arthritiden 4 Juveniler Morbus Bechterew 4 Psoriasisarthritis
> Vor Beginn einer Therapie mit Kortikosteroiden oder Immunsuppressiva müssen maligne Erkrankungen ausgeschlossen werden.
Therapie. NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika), Sul-
Differenzialdiagnostik. Septische Arthritis; maligne
fasalazin, evtl. Steroide; bei extraartikulären Symptomen: Steroide; frühzeitige Physiotherapie.
Juvenile chronische Arthritis von 5 oder mehr Gelenken, während der ersten 6 Monate ohne RF-Nachweis
25% der JIA, häufig im späten Kindesalter, w>m
Leistungsschwäche, leichtes Fieber symmetrische Arthritis kleiner und großer Gelenke, typischerweise der Fingergelenke; häufig Tendosynovitis, v. a. der Hohlhand
Definition
Epidemiologie
Symptomatik
4–5% der JIA, meist <16. Lebensjahr, häufig Psoriasis in der Familie, Häufigkeit 10:100 000 Psoriasiseffloreszenzen, Auftreten z.T. Jahre vor oder nach der Arthritis: Erythematöse, mit silberweissen Schuppen bedeckte Herde; Oligoarthritis v.a. der Mittel- und Endgelenke von Fingern und Zehen; Tüpfelnägel, Onycholyse; Gelenkbefall »im Strahl«, Daktylitis (»Wurstfinger«) Asymmetrische Oligoarthritis: Knie, Sprung-, Zehen-, Hüftgelenke; Enthesopathien (Sehnenansatzentzündungen): Fersenschmerz, Achillessehnenentzündung; Übergang in juvenile Spondylarthritis: Befall von HWS, LWS, Ileosakralgelenken, Rückenschmerzen, radiologische Veränderung der Ileosakralgelenke; akute Iridozyklitis (20%)
Mono- oder asymmetrische Oligoarthritis der großen Gelenke (Knie-, Sprung-, Ellenbogengelenke); In 30% Iridozyklitis (Cave: alle 4 Wochen Spaltlampenuntersuchungen durchführen)
Symmetrische Polyarthritis der großen und kleinen Gelenke; rascher, destruktiver Verlauf häufig Rheumaknötchen (subkutane, schmerzlose Knötchen an den Streckseiten der Extremitäten); Allgemeinsymptome, Wachstumsknick
Arthritis und Psoriasis oder Arthritis und 2 der folgenden Merkmale: Daktylitis, Tüpfelnägel oder Onycholyse, Psoriasis bei einem Verwandten 1. Grades z. T. auch vor dem Auftreten des ersten Hautzeichens
Psoriasisarthritis
20% der JIA, meist m:w=8:1, 6. und 16. Lebensjahr
Synonym: HLA-B27 assoziierte Arthritis, Enthesitis-assoziierte Arthritis, Asymmetrische Arthritis des Jugendalters, häufig HLA-B27 assoziiert: Arthritis und Enthesitis oder Arthritis und 2 der folgenden Merkmale: Schmerzen der Ileosakralgelenke und/oder entzündlicher LWS Schmerz, HLA-B27 positiv, Spondylitis ancylosans, Enthesitis-assoziierte Arthritis, Sakroiliitis mit entzündlicher Darmerkrankung, Reiter-Syndrom oder akuter Uveitis bei einem Verwandten 1. Grades
Oligoarthritis Typ II (juvenile)
40% der JIA, meist 2.–5. Lebensjahr, w:m=4:1
Arthritis von 1-4 Gelenken; asymmetrische, juvenile, chronische Arthritis des frühen Kindesalters; nach 6 Monaten Differenzierung persistierende (<5) oder erweiterte (>5 Gelenke) Oligoarthritis
Oligoarthritis Typ I (frühkindliche)
5–10% der JIA, meist >10. Lebensjahr, w>m
Juvenile chronische Arthritis von 5 oder mehr Gelenken, meist Polyarthritis des Erwachsenenalters, aber vorgezogener Beginn möglich, mit RF Nachweis
Seropositive (RF-positive) Polyarthritis
8
Seronegative (RF-negative) Polyarthritis
. Tab. 8.7. Weitere Formen der JIA
158 Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
159
Ausheilung oder chronischer Verlauf möglich, in 2% Übergang in eine Spondylitis ancylosans (Morbus Bechterew) Gut, selten bleibende Gelenkkontrakturen; bei Iridozyklitis jedoch Gefahr der Erblindung
Günstig bei Oligoarthritis; bei hochentzündlichem Verlauf gelegentlich schwere Gelenkdestruktionen
Fehlende bis wenig ausgeprägte Entzündungsparamter, HLA-B27 in 90% positiv Fehlende oder wenig ausgeprägte Entzündungsparameter, ANA in 75–80% positiv, der ANA Nachweis steigert das Iridozyklitisrisiko
Klinische Diagnose
Oligoarthritis Typ II (juvenile)
8
Prognose. Günstig, häufig selbstlimitierend. > Sonderform: Coxitis fugax: transitorische, harmlose Synovitis des Hüft- oder Kniegelenks im Anschluss an einen Infekt der oberen Luftwege, häufigste Form der kindlichen Arthritis, Schonhaltung des Hüftgelenks in Aussenrotation, Schmerzen, Bewegungsverweigerung; Altersgipfel im 3.–8. Lebensjahr.
8.4.3 Rheumatisches Fieber Definition. Postinfektiöse, autoimmune, nichteitrige
Entzündungsreaktion nach einer Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A. Manifestation an Gelenken, Herz, Haut und ZNS. Ätiopathogenese. Bildung von Antikörpern gegen Streptokokkenantigene (M-Proteine), die mit körpereigenen Antigenen u. a. an Herzmuskel und Basalganglien im ZNS kreuzreagieren (»molecular mimikry«), und Ablagerung von Immunkomplexen im Gewebe. Epidemiologie. Betroffen sind v. a. Kinder im Alter von ca. 10 Jahren; in Industrieländern durch Penicillintherapie selten geworden: Häufigkeit <1‒3:100 000. Beginn ca. 2 Wochen nach einer Streptokokken-A-Pharyngitis/ Angina tonsillaris.
Gut, jedoch destruierender Verlauf möglich Prognose
Schlecht, destruierender Verlauf
RF negativ, ANA in 75% positiv
RF positiv, ANA in 25% positiv
Symptomatik. Allgemeinsymptome: Kopf-, Bauch-
Diagnostik – Besonderheiten
Seronegative (RF-negative) Polyarthritis
. Tab. 8.7 (Fortsetzung)
Seropositive (RF-positive) Polyarthritis
Oligoarthritis Typ I (frühkindliche)
Psoriasisarthritis
8.4 · Juvenile rheumatische Arthritis, rheumatisches Fieber
schmerzen, Müdigkeit, hohes Fieber, zervikale Lymphadenopathie (. Tab. 8.8, . Tab. 8.9). > Symptome des rheumatischen Fiebers: Subkutane Rheumaknötchen, Polyarthritis, Erythema anulare, Chorea minor, Karditis (SPECK).
Komplikationen. Herzklappenfehler, v. a. der Aorten-
klappe (20%) und der Mitralklappe (80%). Diagnostik.
4 Diagnosestellung bei mindestens 2 Hauptsymptomen oder 1 Haupt- und 2 Nebensymptomen . Tab. 8.8, 8.9
4 Rachenabstrich: Streptokokkennachweis 4 Labor: 5 BKS↑, CRP↑, Leukozyten↑, Anämie 5 Antikörpernachweis: Anti-Streptolysin (ASL), Anti-Desoxyribonukleotidase (anti-DNAse B), Anti-Hyaluronidase 4 EKG: PQ- und PR-Zeit-Verlängerung, ST-Streckenveränderungen
160
Kapitel 8 · Erkrankungen des Immunsystems
. Tab. 8.8. Symptomatik des Rheumatischen Fiebers
8
Hauptsymptome
Charakteristika
Karditis
Pankarditis, Endokardbeteiligung, Klappenbeteiligung bestimmen den Verlauf, häufig Mitralinsuffizienz, später Stenosen durch Vernarbung, neue Herzgeräusche, Tachykardien, Arrhythmien, Perikardergüsse, in schweren Fällen: akute Herzinsuffizienz
Arthritis
Schmerzhafte Rötung, Überwärmung bevorzugt der großen Gelenke, »wandernde Arthritis«: springt von Gelenk zu Gelenk
Erythema anulare (marginatum)
Ringförmiges, blass-rotes, polyzyklisches Erythem, v. a. an Rumpf und Extremitäten
Noduli rheumatici (. Abb. 8.2)
Subkutane, schmerzlose Rheumaknötchen über Kochenvorsprüngen
Chorea minor Sydenham
Seltene Spätkomplikation nach Wochen bis Monaten: unkontrollierte, ataktische Bewegungen, muskuläre Hypotonie, Sprach- und Schluckstörungen
. Tab. 8.9. Symptomatik des Rheumatischen Fiebers – Nebensymptome Fieber EKG: PQ- oder PR-Zeit Verlängerung Erythema nodosum Flüchtige Arthralgien Positive Anamnese für Streptokokken-A-Infekt Iridozyklitis Labor: BKS, CRP und Leukozyten erhöht Anti-DNAse B oder Anti-Hyaluronidase positiv ASL >300
4 Herz ECHO: Klappenveränderungen, -stenosen, -insuffizienzen, Erguss 4 Augenarzt: Spaltlampenuntersuchung Therapie.
4 Antibiotisch: 5 Penicillin V über mindesten 10‒14 Tage, dann Penicillinprophylaxe über mindestens 5 Jahre, maximal bis zum 25. Lebensjahr, bei Rezidiv lebenslang, später: gezielte Penicillinprophylaxe bei diagnostischen oder operativen Eingriffen 5 Bei Penicillinallergie: Makrolide (Erythromycin) 4 Antiinflammatorisch: Acetylsalicylsäure 4 Karditis: Kortikosteroide, evtl. kardiale Therapie; Bettruhe 4 Chorea: Benzodiazepine, evtl. Haloperidol; Bettruhe
. Abb. 8.2. Noduli rheumatici
8.4.4 Virusinduzierte para-
und postinfektiöse Arthritiden
Prognose.
Definition.
4 Letalität 1% (Myokarditis) 4 Rezidive ohne Penicillinprophylaxe in über 50% der Fälle
4 Parainfektiös Arthritis: arthritische Symptome im Rahmen von Allgemeininfektionen als Ausdruck der Grunderkrankung
161 8.4 · Juvenile rheumatische Arthritis, rheumatisches Fieber
4 Postinfektiöse Arthritis: arthritische Symptome nach Abklingen einer Infektion Ätiopathogenese.
4 Häufig nach Infektionskrankheiten: u. a. Röteln, Hepatitis A und B, Mumps, Varizellen, Infektion mit Influenzaviren, Adenoviren, Epstein-Barr-Viren, Arboviren, Coxsackie-Viren, Parvoviren oder Zytomegalie-Viren 4 Direkte Virusinvasion in das Gelenk 4 Immunkomplexbildung mit Komplementaktivierung und Freisetzung von Entzündungsmediatoren Symptomatik. Transiente Arthritiden, oft nur Arthralgien, selbstlimitierend. Diagnostik. Selten Virusnachweis aus dem Gelenk-
punktat; Serologie: Titeranstieg spezifischer Antikörper gegen das Virus. Therapie. NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika).
8.4.5 Septische Arthritis Definition. Akute, meist hämatogene Infektion des Ge-
lenks, früher häufig durch Infektion mit Haemophilus influenza (heute durch Impfung selten), heute v. a. durch Staph. aureus oder Streptokokken, Pneumokokken, Pseudomonas oder Mykobakterien.
8
Therapie.
4 Erst Erregerdiagnostik abnehmen, dann: 4 Hochdosierte i. v.-Antibiose über mindestens 2 Wochen: z. B. initial Clindamycin und Cefotaxim, nach Erhalt der Erregerdiagnostik ggf. anpassen nach Antibiogramm 4 Chirurgische Gelenkentlastung bei Erguss 4 evtl. Spüldrainagen des Gelenks mit Kochsalzlösung 4 Ruhigstellung des Gelenks zu Beginn, jedoch nicht länger als 1 Woche 8.4.6 Familiäres Mittelmeerfieber Definition. Autosomal-rezessiv vererbte, entzündliche Systemerkrankung. Epidemiologie. Häufig bei Juden, Armeniern, Türken und anderen ursprünglich im Mittleren Osten angesiedelten ethnischen Gruppen; Manifestation häufig <20. Lebensjahr, meist <10. Lebensjahr. Ätiopathogenese. Mutation im Pyrin-Gen auf dem
kurzen Arm von Chromosom 16 (16p13). Dort wird vermutlich ein antiinflammatorisches Protein kodiert, bei Defekt des Pyrin-Gens kommt es zu rezidivierenden, Granulozyten vermittelten Serositiden. Symptomatik.
4 Fieber 4 Meist Monarthritis: schmerzhafte Schwellung und Bewegungseinschränkung, Rötung, Überwärmung, meist der großen Gelenke: Knie, Hüfte, Ellenbogen, Sprunggelenk
4 Fieberattacken bis 40°C (Dauer 1‒3 Tage) 4 Thorax- und Abdominalschmerzen durch Serositis, z. T. akutes Abdomen 4 Seltener Pankarditis 4 Schmerzhafte Weichteilschwellungen 4 Mon- oder Oligoarthritis an den großen Gelenken der unteren Extremität
Diagnostik.
Komplikationen. Sekundäramyloidose (AA-Typ) mit
4 Labor: BKS↑, Leukozytose mit Linksverschiebung, CRP↑ 4 Blutkultur 4 Gelenkspunktion (sofort bei Verdacht!): 5 Erregernachweis und -kultur 5 Leukozytenzählung und -differenzierung 5 Nachweis bakterieller Antigene (Gegenstromelektrophorese, Latexagglutination) 4 MRT, evtl. Szintigraphie zur DD Osteomyelitis 4 Röntgen
Niereninsuffizienz (30%).
Symptomatik.
Diagnostik. Mutationsanalyse. Therapie. Eine lebenslange Therapie mit Colchicin
senkt Anzahl und Schwere der Attacken und das Risiko einer Sekundäramyloidose.
9 9 Hämatologische Erkrankungen 9.1
Physiologie der Blutbildung und Normwerte – 164
9.2
Basisdiagnostik und Einteilung der Anämien – 164
9.3
Mikrozytäre Anämien – 165
9.3.1 Eisenmangelanämie – 167 9.3.2 Thalassämien – 168 9.3.3 Eisenverteilungsstörungen und Eisenverwertungsstörung
– 170
9.4
Megaloblastäre Anämien
– 170
9.5
Hyporegenerative Anämien
9.6
Hämolytische Anämie bei Membrandefekten
9.7
Hämolytische Anämie bei Enzymdefekten – 173
9.8
Mechanisch und toxisch bedingte Hämolysen – 174
9.9
Immunhämolytische Anämien – 174
– 172 – 173
9.10 Sichelzellerkrankung und andere Hämoglobinopathien – 175 9.11 Methämoglobinämie
– 176
9.12 Angeborene Erkrankungen mit Knochenmarkversagen 9.13 Erworbene aplastische Anämie – 178 9.14 Polyglobulie (Erythrozytose)
– 178
9.15 Erkrankungen der Granulozyten – 179 9.15.1 Granulozytopenie – 179 9.15.2 Granulozytose – 179 9.15.3 Funktionelle Granulozytendefekte
– 180
– 177
9.16 Erkrankungen der Thrombozyten
– 180
9.16.1 Thrombozytopenie – 180 9.16.2 Thrombozytose – 181 9.16.3 Thrombozytopathien – 181
9.17 Gerinnungsstörungen
– 182
9.17.1 Störungen der sekundären Hämostase (plasmatische Gerinnungsstörungen, Koagulopathien) – 182 9.17.2 Hämophilie B – 183 9.17.3 Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom – 183 9.17.4 Verbrauchskoagulopathie – 183 9.17.5 Vitamin-K-Mangel – 184
9.18 Thrombophilie 9.19 Vasopathien
– 185
– 185
9.19.1 Vaskulitiden – 185 9.19.2 Angeborene vaskuläre Erkrankungen
– 187
9
164
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
9.1
Physiologie der Blutbildung und Normwerte
Blutbildung: ausgehend von wenigen pluripotenten Stammzellen werden unter zunehmender Einschränkung des Differenzierungspotenzials Progenitorzellen (»colony forming units«) und morphologisch differenzierbare Vorläuferzellen gebildet. Die Differenzierung der Vorläuferzellen der Erythrozyten wird von verschiedenen Zytokinen aus Stromazellen, Lymphozyten und der Niere (Erythropoetin) vermittelt. Die fetale Blutbildung findet zunächst im Dottersack, ab dem 2. Fetalmonat in der Leber und ab dem 5.‒7. Fetalmonat bis zum Erwachsenenalter im Knochenmark statt. Hämoglobin: je nach Lebensalter liegen verschieden Formen des Hämoglobins vor und die Hämoglobinkonzentration im Blut variiert (. Tab. 9.1): 4 Präpartal: kontinuierlicher Hb-Anstieg bis zur Geburt 4 In den ersten Lebenstagen: Polyglobulie durch Volumenreduktion des Bluts 4 Postpartal Trimenonreduktion: Abfallen der HbKonzentration bis zum 3.‒6. Lebensmonat auf ca. 11,5 g/dl, dann langsames Ansteigen bis zum Erwachsenenalter. Bei Frühgeborenen z. T. Anämie mit einem Hb bis 8 g/dl. 4 Das mittlere korpuskuläre Volumen (MCV) verringert sich bis zum 1. Lebensjahr und steigt dann bis zum Erwachsenenalter wieder an.
Leukozyten und Granulozyten: nach der Geburt innerhalb von 12 h rascher Anstieg auf Werte um die 20 000/μl, dann innerhalb von 5 Tagen Abfall auf den Ausgangswert. Thrombozyten: Normwerte in jedem Lebensalter 130‒150 000/μl, bei Frühgeborenen und Kleinkindern besteht z. T. eine Thrombozytose bis >1 000 000/μl ohne Handlungsbedarf. Die Lebensdauer der Erythrozyten beträgt 120 Tage, der Granulozyten 5‒8 h und der Thrombozyten 7‒ 10 Tage. 9.2
Basisdiagnostik und Einteilung der Anämien
Definition. Anämie: Verminderung der Hb-Konzentra-
tion unter die Altersnorm. Ätiopathogenese. . Tab. 9.2. Symptomatik.
4 Blässe, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Leistungsminderung 4 Tachykardie, systolisches Herzgeräusch 4 Bei raschem Hb-Abfall Tachykardie, Hypotonie bis hin zum Schock
. Tab. 9.1. Hämoglobin-Formen in verschiedenen Lebensaltern Alter
Hämoglobin (g/dl)
Erythrozyten (× 1012/l)
Hämatokrit (%)
MCV (fl)
Leukozyten (×109/l)
Geburt*
14,9–23,7
3,7–6,5
47–75
100–125
10–26
2 Wochen*
13,4–19,8
3,9–5,9
41,65
88–110
6–21
2 Monate*
9,4–13,0
3,1–4,3
28–42
84–98
5–15
6 Monate
10,0–13,0
3,8–4,9
30–38
73–84
6–17
1 Jahr
10,1–13,0
3,9–5,0
30–38
70–82
6–16
2–6 Jahre
11,0–13,8
3,9–5,0
32–40
72–87
6–17
6–12 Jahre
11,1–14,7
3,9–5,2
32–43
76–90
4,5–14,5
12,1–15,1
4,1–5,1
35–44
77–94
4,5–13
12,1–16,6
4,2–5,6
35–49
77–92
4,5–13
12–18Jahre
* reifes Neugeborenes. Frühgeborene zeigen in den ersten Lebenswochen niedrigere Werte (Ausnahme MCV).
165 9.3 · Mikrozytäre Anämien
9
. Tab. 9.2. Klassifikation der Anämien nach deren Ätiologie I. Störung der Zellproliferation Kennzeichen: Retikulozytopenie, aregeneratorische bzw. aplastische Anämie
II. Reifungs- und Produktionsstörung von Hämoglobin und/ oder Erythrozyten Kennzeichen: Normabweichung von MCV und MCH
III. Verkürzte Lebenszeit von Erythrozyten und/oder Erythroblasten Kennzeichen: Hämolyse, Retikulozytose, ineffektive Erythropoese
IV. Erythrozytenverlust und Verteilungsstörung Kennzeichen: keine typischen Merkmale
Knochenmarkversagen
4 aplastische Anämie (Verringerung aller Zellreihen): kongenital oder erworben 4 isolierte hypo- oder aregeneratorische Anämie (nur Erythropoese) 4 Diamond-Blackfan-Anämie (kongenital), transitorische Erythroblastopenie (erworben) 4 Markverdrängung: Leukämie, Osteopetrose, Myelofibrose
Störungen der Erythropoetinproduktion
4 4 4 4 4
chronische Nierenerkrankung Hypothyreose, Hypophyseninsuffizienz chronische Entzündung Eiweißmangel Hämoglobinmutationen mit erniedrigter Sauerstoffaffinität
Störung der Hämoglobinisierung
4 4 4 4
Eisenmangel Thalassämie sideroblastische Anämie Bleivergiftung
Störung der Kernreifung
4 4 4 4
Vitamin B12-Mangel, kongenitale Stoffwechseldefekte Folsäure-Mangel, kongenitale Stoffwechseldefekte Orotazidurie Thiamin-sensitive megaloblastäre Anämien
hereditäre hämolytische Anämien
4 Membrandefekte 4 Enzymdefekte 4 Hämoglobindefekte (Strukturvarianten wie Sichelzellerkrankung und instabile Hämoglobine, α-Thalassämie [HbH Krankheit])
erworbene hämolytische Anämien
4 Membranschäden (immunologische, mechanische, thermische, oxidative, toxische Schäden) 4 Hämoglobinschäden (oxidative Schäden)
ineffektive Erythropoese
4 kongenitale dyserythropoetische Anämien 4 Dyserythropoese bei kongenitalen erythropoetischen Erkrankungen (β-Thalassämie, hämolytische Anämien)
akuter Blutverlust Blutverdünnung
4 iatrogen durch Infusion
Verteilungsstörung
4 Poolen bzw. Sequestration in Organen
Diagnostik. Beurteilung der Erythrozyten nach Zahl,
Form, Größe und Inhalt (. Tab. 9.3, . Tab. 9.4): 4 Mikroskopie 4 MCV: mikro-, normo- oder makrozytäre Erythrozyten? 4 MCH: mikro-, normo- oder hyperchrome Anämie? 4 Retikulozytenzahl: hypo-, normo- oder hyperregenerative Anämie?
9.3
Mikrozytäre Anämien
Definition. Anämie mit Verminderung von MCV und/
oder MCH unter die Altersnorm. Ätiologie.
4 Eisenmangel 4 Eisenverwertungsstörung (sideroblastische Anämie, Atransferrinämie)
166
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
. Tab. 9.3. Berechnung der Erythrozytenindizes MCV (mean corpuscular volume)
MCH (mean corpuscular hemoglobin)
MCHC (mean corpuscular hemoglobin concentration)
Hkt (%) × 10
Altersabhängig: Geburt: 100–125 fl 2 Jahre: 72–87 fl Erwachsene 77–94 fl
Eryzahl (×1012/l)
Hb (g/dl) × 100
Altersabhängig: Geburt: 34 pg 2 Jahre: 27 pg Erwachsene: 30 pg
Eryzahl (×1012/l)
normal 31–36 g/dl
Hb (g/dl) × 100 Hkt (%)
. Tab. 9.4. Klassifikation der Anämien nach dem mittleren Erythrozytenvolumen (MCV) I. Mikrozytäre Anämien (MCV erniedrigt)
Eisenmangelanämie (nutritiv, chronischer Blutverlust) Thalassämien sideroblastische Anämie chronische Entzündung chronische Bleivergiftung einige kongenitale hämolytische Anämien mit instabilem Hämoglobin
II. Makrozytäre Anämien (MCV erhöht)
mit megaloblastären Veränderungen im Knochenmark
4 4 4 4
ohne megaloblastäre Veränderungen im Knochenmark
4 4 4 4 4 4
angeborene hämolytische Anämien
4 Membrandefekte 4 Enzymdefekte 4 Anomale Hämoglobine
erworbene hämolytische Anämien
4 immunhämolytische Anämien 4 mikroangiopathische hämolytische Anämien
9
III. Normozytäre Anämien (MCV normal)
akuter Blutverlust Bildungsstörungen bei chronischer Niereninsuffizienz Bildungsstörungen bei Markverdrängung (kann auch makrozytär sein) Verteilungsstörungen (Poolen bzw. Sequestration in Organen)
Vitamin-B12-Mangel Folsäuremangel hereditäre Orotazidurie Thiamin-sensitive Anämien
aplastische Anämien Diamond-Blackfan-Anämie dyserythropoetische Anämien bei Hypothyreose bei Lebererkrankung Bildungsstörung bei Markverdrängung (kann auch normozytär sein) 4 einige hämolytische Anämien mit starker Retikulozytose
9
167 9.3 · Mikrozytäre Anämien
. Tab. 9.5. Ätiologie der Eisenmangelanämie Prä- und postnataler Mangel
4 Frühgeborene 4 Zwillinge 4 Fetomaternales Transfusionssyndrom
Mangelhafte Zufuhr
4 Einseitige Ernährung (z. B. Kuhmilch) 4 Viel Milch, wenig Fleisch
Mangelhafte Resorption
4 Malabsorption 4 Malassimilation (v. a. Zöliakie), Durchfallerkrankungen
Erhöhter Verbrauch
4 Wachstum
Erhöhter Verlust
4 Chronische Blutungen 4 Gastrointestinal: Refluxösophagitis, Gastritis, entzündliche Darmerkrankungen, Meckel-Divertikel, Zöliakie 4 Hämangiome 4 Urogenital: Hochleistungssportler, Bilharziose, verstärkte Menstruation 4 Iatrogen: wiederholte Blutentnahmen
4 4 4 4 4
Thalassämie Aluminium-, Bleivergiftungen Kupfermangel Mangelernährung Seltene Hämoglobinopathien mit instabilen Hb
9.3.1 Eisenmangelanämie
4 Eisen ↓, Ferritin ↓ (sensibelster Parameter), Transferrinsättigung ↓, Löslicher Transferrinrezeptor ↑ Blutausstrich (. Abb. 9.1): 4 Anulozyten (ringförmige Erythrozyten), Anisozytose (unterschiedlich große Erythrozyten), Poikilozytose (unterschiedlich geformte Erythrozyten)
Definition/Epidemiologie. Mikrozytäre hypochrome
Ursachensuche: Hämoccult, ggf. gastrointestinale, gynäkologische und urologische Diagnostik.
Anämie aufgrund eines Mangels an verfügbarem Eisen; weltweit häufigste Anämie.
Differenzialdiagnostik. . Tab. 9.6.
Ätiopathogenese. Eisenmangel führt zur Synthesestö-
rung von eisenhaltigen Proteinen, u. a. von Hämoglobin und Myoglobin, Proteinen des ZNS, des Gastrointestinaltrakts und der Infektabwehr.
> Bei Infektion und Tumor ist die Abgabe des Eisens aus dem retikuloendothelialen System (RES) gestört, Ferritin ist erhöht.
Therapie. Symptomatik. Symptomatik meist diskret:
4 Blässe, Müdigkeit, Lern- und Konzentrationsstörungen 4 Tachykardie, evtl. systolisches Herzgeräusch 4 Entwicklungsstörung, Gedeihstörung, Appetitlosigkeit 4 Haut: trockene Haut, Aphthen der Mundschleimhaut, Mundwinkelrhagaden, Pruritus, brüchige Nägel Diagnostik.
Labor: 4 Hb ↓, Erythrozyten normal bis ↑ 4 Hypochrome, mikrozytäre Anämie: MCV ↓, MCH ↓, Retikulozyten normal bis ↓
1. Kausale Therapie 2. Orale Substitution: Eisen-II-Salze (Fe-II) p.o. 5 mg/ kg/Tag in 3 ED über 4‒5 Monate; NW: Schwarz-
. Tab. 9.6. Laborparameter bei hypochromer Anämie je nach Differenzialdiagnose Eisenmangelanämie
Infekt/Tumoranämie
Thalassämie
Eisen
↓
↓
↑
Ferritin
↓
(n) bis ↑
↑
Transferrin
↑
(n) bis ↓
n
168
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
färbung des Stuhl, Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall, Obstipation; Einnahme morgens und abends ca. eine halbe Stunde vor der Mahlzeit 4 Fruchtsäfte und Vitamin C steigern die Eisenresorption, Tee und Kaffee vermindern die Eisenresorption durch Komplexbildung. 4 Nach Normalisierung des Hb sollte die Therapie über 2‒3 Monate weitergeführt werden, um die Eisenreserven aufzufüllen (Normalisierung des Ferritins). 4 Therapieerfolg: Anstieg der Retikulozyten nach 8‒12 Tagen; möglicher Hb-Anstieg pro Woche ca. 1 g/dl, nur in Ausnahmefällen parenterale Substitution mit Eisen-III-Salzen (Fe-III) i.v. bei: 5 Resorptionsstörung (z. B. chronisch-entzündliche Darmerkrankung) 5 Wenn eine orale Aufnahme nicht möglich ist
9
! Die parenterale Eisensubstitution hat viele Nebenwirkungen (anaphylaktische Reaktionen, Thrombophlebitis, Kopfschmerzen, Urtikaria, Gefahr einer Eisenüberladung) und ist nur in Ausnahmefällen indiziert.
9.3.2 Thalassämien Definition. Thalassämien sind angeborene, autosomal-
rezessiv vererbte Erkrankungen mit gestörter Produktion einer oder mehrerer Hämoglobinpolypeptidketten und Anämie. Ätiopathogenese. Aufbau des Hb . Tab. 9.1. Bei der
seltenen α-Thalassämie kommt es zu einer verminderten Synthese der α-Kette, bei der β-Thalassämie zu einer verminderten Synthese der β-Kette. Es resultiert eine vorzeitige Hämolyse im Knochenmark und in der Blutbahn. Die übrigen, nicht verminderten Polypeptidketten des Hämoglobins werden im Überschuss gebildet und denaturieren bereits im Knochenmark mit Präzipitation von Polymeren. Die chronische Anämie führt zu einer gesteigerten Erythropoetinbildung bei ineffektiver Erythropoese mit Ausweitung der Markräume und Skelettveränderungen. Die gesteigerte Eisenresorption und die periphere Hämolyse führen zur Eisenüberladung (Hämosiderose), der schwerwiegendsten Komplikation der Thalassämien.
Prophylaxe. Schwangerschaft, Frühgeborene und Neu-
β-Thalassämie
geborene <2500 g: prophylaktische Eisensubstitution; Beginn mit fleischhaltiger Beikost ab dem 5. Lebensmonat.
Definition. Ungenügende Produktion der β-Ketten des
! Eisentabletten müssen außer Reichweite von Kindern aufbewahrt werden, da bedrohliche Intoxikationen möglich sind. Kontraindikation zur Eisensubstitution sind Entzündungs-, Infekt- und Tumoranämie, normale Ferritinwerte, Hämosiderose und Hämochromatose.
. Abb. 9.1. Eisenmangelanämie
HbA1 (α2β2). Die Konzentrationen von HbF (α2γ2) und HbA2 (α2δ2) sind reaktiv erhöht. Ätiologie/Epidemiologie. Bekannt sind ca. 150 verschie-
dene Mutationen im β-Globin-Gen auf Chromosom 11; Vorkommen v. a. in den östlichen Mittelmeerländern, den arabischen Ländern und Afrika. Symptomatik. Thalassämia major (Cooley-Anämie, homozygote Form): 4 Schwere, hypochrome Anämie ab dem 3.‒4. Lebensmonat (wenn normalerweise der vollständige Wechsel von HbF zu HbA erfolgt wäre) 4 Blässe, Ikterus, ausgeprägte Hepatosplenomegalie 4 Dyspnoe, Tachykardie 4 Knochenmark: erythropoetische Hyperplasie mit Erweiterung der Markräume: 5 Bürstenschädel: hohe Stirn, Mittelgesichtsverbreiterung (Oberkiefer, Jochbein) »Fazies thalassaemica« 5 Minderwuchs, Osteoporose, pathologische Frakturen 4 Ohne Transfusionstherapie: 5 Zunehmende Hepatosplenomegalie, Cholelithiasis 5 Ausgeprägte Gedeihstörung, verzögerte Pubertätsentwicklung
169 9.3 · Mikrozytäre Anämien
9
5 Zunehmende Anämie, hämorrhagische Diathese, rezidivierende Infektionen 5 Pathologische Frakturen 5 Leber- und Herzinsuffizienz durch Hämosiderose Thalassämia minor (heterozygote Form): 4 Meist asymptomatisch, Hb normal, MCV ↓, MCH ↓, keine Therapie erforderlich Thalassämie intermedia: 4 Leichte Anämie, häufig Ikterus und Splenomegalie
. Abb. 9.2. β-Thalassämie: Poikilozytose, Targetzellen
Diagnostik.
4 Anamnese: Herkunftsland 4 Labor: 5 Hypochrome, mikrozytäre Anäme: Hb 2‒8 mg/ dl, MCV ↓, MCH ↓ 5 Ausschwemmung von Normoblasten und moderate Retikulozytose 5 Serumeisen ↑ oder normal, Ferritin ↑ (Hämosiderose) 5 Hb-Elektrophorese: HbA2 ↑, HbF ↑ auf 20‒ 80% 4 Blutausstrich: 5 Targetzellen (. Abb. 9.2) 5 Poikilozytose (unterschiedliche Form der Erythrozyten) 5 Anisozytose (unterschiedliche Grösse der Erythrozyten) 5 Basophile Tüpfelung der Erythrozyten 5 Röntgen: Bürstenschädel Therapie.
4 Symptomatische Therapie: regelmäßige Erythrozytentransfusionen ca. alle 3‒4 Wochen, ein Hb von 9‒10 g/dl sollte nicht unterschritten werden 4 Therapiekomplikation: transfusionsbedingte Hämosiderose mit Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Hypothyreose, Hypoparathyreoidismus, Kleinwuchs, Pubertas tarda. Daher muss ab dem 3. Lebensjahr tgl. Deferoxamin (Chelatbildner) s.c. appliziert werden (nachts kontinuierlich über eine Pumpe über 8‒12 h), zur Steigerung der Eisenausscheidung und Verhinderung von Organschäden. 4 Kurative Therapie: allogene Stammzelltransplantation, möglichst vor dem Schulalter. ! Bei Thalassämie ist aufgrund der Gefahr der Hämosiderose eine Eisengabe absolut kontraindiziert.
Prognose. Bei guter Compliance überleben die Patien-
ten bis ins Erwachsenenalter, ohne Therapie versterben sie jedoch bereits in den ersten Lebensjahren. Limitierend ist häufig die durch die Hämosiderose bedingte Kardiomyopathie. Eine genetische Beratung wird empfohlen. α-Thalassämie Definition. Synthesestörung der α-Globinketten des
Hämoglobins. Epidemiologie/Ätiologie. Vorkommen v.a. in Indien
und Südostasien. Für die α-Kette sind 4 Strukturgene auf Chromosom 16 (αα/αα) verantwortlich, daher gibt es 4 α-Thalassämiesydrome: 4 α-Thalassämia major: Deletion von 4 α-Ketten-Genen, homozygot 4 α-Thalassämia intermedia: Deletion von 3 α-Ketten-Genen 4 α-Thalassämia minor: Deletion von 2 α-KettenGenen, heterozygot 4 α-Thalassämia minima: Deletion von einem α-Ketten-Gen Symptomatik.
4 α-Thalassämia major: mit dem Leben nicht vereinbar, Hydrops fetalis 4 α-Thalassämia intermedia: mittelgradige hypochrome Anämie, Mikrozytose 4 α-Thalassämia minor: leichte hypochrome Anämie, normales Serumeisen 4 α-Thalassämia minima: keine Symptome
170
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
9.3.3 Eisenverteilungsstörungen und
Eisenverwertungsstörung Eisenverteilungsstörung Bei chronischen Infektionen oder Tumoren kann es zu einer Verschiebung des Eisens in das retikuloendotheliale System (RES) kommen mit mikrozytärer hypochromer Anämie. Ferritin im Serum ist im Gegensatz zum Eisenmangel erhöht oder normal. Es darf keine Eisensubstitution durchgeführt werden. Eisenverwertungsstörungen Zu mikrozytärer Anämie kann es auch bei Transferrinmangel (hereditär oder sekundär bei nephrotischem Syndrom) oder bei sideroachrestischer Anämie (Eisenverwertungsstörung bei der Hämsynthese, hereditär oder sekundär, z. B. bei Bleivergiftung, Urämie etc.) kommen.
9
9.4
Megaloblastäre Anämien
Vitamin B12-Mangel und/oder Folsäuremangel Definition. Makrozytäre Anämie aufgrund eines Vitamin B12- oder Folsäuremangels. Physiologie. Vitamin B12 (Kobalamin) wird im terminalen Ileum in Anwesenheit des Intrinsic Factors aus den Beleg-/Parietalzellen der Magenschleimhaut resorbiert. Die Leber hält einen Vitamin-B12-Speicher für ca. 3 Jahre bei unterbrochener Zufuhr. Vitamin B12 dient als Koenzym bei der Synthese von Methionin und beim Abbau von Propion- und Methylmalonsäure. Vorkommen v. a. in tierischen Lebensmitteln. Folsäure. Die aktive Form des Vitamins, Tetrahydrofolsäure, ist das entscheidende Koenzym für die Übertragung von C1-Gruppen, die bei Methylierungsreaktionen, z. B. bei der Synthese von Amino- und Nukleinsäuren relevant sind. Vorkommen v. a. in grünen Pflanzen (folia), Gemüse, Leber. Ein Vitamin B12- oder Folsäuremangel führt zu einer gestörten DNA-, RNA- und Proteinsynthese mit verzögerter Zellteilung und beeinträchtigter Erythropoese. Die Erythroblasten und die Erythrozyten sind vergrößert und weisen einen erhöhten Hb-Gehalt auf.
Definition. Anämie mit erhöhtem MCV und Makrozy-
tose im Knochenmark. . Tab. 9.7. Ursachen des Vitamin B12 und des Folsäuremangels Vitamin B12 Mangel
Folsäure Mangel
Mangelnde Zufuhr
4 Gestillte Kinder von Müttern mit veganer Ernährung 4 Ernährung ohne Fleisch, Fisch, Milch, Käse oder Ei 4 Parenterale Ernährung ohne Vitamin B12-Zufuhr
Mangelnde Zufuhr
4 Ziegenmilchernährung, Alkoholismus 4 Parenterale Ernährung ohne Vitaminzufuhr
Mangelnde Resorption
4 Malabsorption (Kurzdarmsyndrom, bakterielle oder parasitäre Dünndarmbesiedelung, Fischbandwurm)
Mangelnde Resorption
4 z. B. Zöliakie
Transportdefekte
4 Mangel an Intrinsic factor, dem Resorptionsfaktor des Vitamin B12 bei Schädigung der Parietalzellen der Magenschleimhaut, z. B. bei – perniziöser Anämie mit Auto-Ak Bildung gegen die Parietalzellen, atrophische Autoimmungastritis – Magenschleimhautatrophie – t. n. Magenresektion 4 Defekter Transport von Vitamin B12 durch die Enterozyten 4 Mangel des Transportproteins von Vitamin B12: Transcobalamin II
Gesteigerter Erythrozytenumsatz
4 Hämolytische Anämien
171 9.4 · Megaloblastäre Anämien
9
. Tab. 9.7 (Fortsetzung) Vitamin B12 Mangel
Folsäure Mangel
Metabolische Störungen
4 Methylmalonazidurie
Angeborene Störungen des Folsäuremetabolismus
4 Selten
Medikamentöse Therapie
4 Phenytoin, Phenobarbital 4 Methotrexat, Pyrimethamin, Aminopterin
Medikamentöse Therapie
4 Phenytoin, Phenobarbital 4 Folsäureantagonisten: Methotrexat, Pyrimethamin
Sonstiges
4 Hämolytische Anämie 4 Hyperthyreose 4 Neoplasien
Symptomatik.
Folsäure und Vitamin B12-Mangel: 4 Mutter: häufig asymptomatisch 4 Säugling: Irritabilität, Gedeihstörung, Entwicklungsverzögerung, Verlust motorischer Fähigkeiten 4 später: Blässe, Appetitlosigkeit, Gedeihstörung, Mundwinkelrhagaden, Übelkeit, Erbrechen Nur bei Vitamin B12-Mangel (aufgrund des Leberspeichers erst nach Jahren symptomatisch): 4 Hämatologisch: Makrozytose, Leuko- und Thrombopenie, Megaloblasten im Knochenmark 4 ZNS: funikuläre Myelose: Demyelinisierung, Degeneration der weißen Substanz, v. a. der Seitenund Hinterstränge (nur partiell reversibel, frühe Diagnosestellung essenziell) 4 Hunter-Glossitis: Zungenbrennen, -atrophie Diagnostik.
4 Labor: 5 Makrozytäre Anämie: MCV ↑, MCH ↑ 5 Bilirubin ↑, Eisen ↑ 5 LDH ↑, Retikulozyten ↓ 5 z. T. andere Zellreihen mitbetroffen: Leukozyten ↓, hypersegmentierte Granulozyten, Thrombozyten ↓ (häufig Megathrombozyten) 5 Vitamin B12, Folsäure ↓ 5 Homocystein ↑, Acylcarnitinprofil: C3-Carnitin ↑ 5 Urin bei Vitamin B12-Mangel: Methylmalonsäure ↑ 4 Blutausstrich: 5 Makrozytäre, hyperchrome Erythrozyten mit basophiler Tüpfelung
4 Knochenmark: 5 Megaloblastäre Veränderungen (Riesenmyelozyten, Riesenstabkernige) mit vorzeitigem Zelluntergang (intramedulläre Hämolyse). 4 Früher: Schilling-Test: 5 Vitamin-B12-Resorptionstest mit radioaktiv markiertem Vitamin B12, nach oraler Gabe wird die Aktivität im Urin bestimmt. Therapie. Vitaminsubstitution (Cyanocobalamin (Vitamin B12) und/oder Folsäure) i.m. oder p.o. Prävention. Bei nicht optimaler Zufuhr an Folsäure
in der Frühschwangerschaft erhöhtes Risiko des Auftretens von Neuralrohrdefekten (Spina bifida, Myelomeningozele). Alle Frauen mit Kinderwunsch sollten 0,4 mg/d Folsäure erhalten; dies verringert bei Gabe mit Beginn vor der Konzeption bis 8 Wochen nach Konzeption die Inzidenz von Neuralrohrdefekten um 50‒70%. ! Ein isolierter Folsäuremangel zeigt keine neurologischen Symptome. Bei Vitamin-B12-Mangel können die neurologischen Symptome den hämatologischen Veränderungen um Monate vorausgehen. Säuglinge veganer Mütter erkranken bereits nach wenigen Monaten an einem schweren Vitamin-B12-Mangelsyndrom mit irreversibler Gehirnschädigung. Neurologische Symptome durch Vitamin-B12-Mangel können durch die Gabe von Folsäure verschlechtert werden, daher muss vor Folsäure-Substitution ein VitaminB12-Mangel ausgeschlossen werden.
172
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
9.5
Hyporegenerative Anämien
Diamond-Blackfan-Anämie (kongenitale hypoplastische Anämie) Definition. Progrediente, meist makrozytäre, normochrome Anämie mit einem Mangel an Präkursorzellen der Erythrozyten bei regelrechter Leuko- und Thrombopoese. Epidemiologie. Selten; sporadisch oder in 10‒20% fa-
miliär auftretend (autosomal-rezessiv oder -dominant vererbt, Chromosom 19q13). Symptomatik.
4 Im 1. Lebensjahr: Blässe, ausgeprägte Anämie 4 In 25% der Fälle assoziierte Fehlbildungen: Mikrozephalus, Mikrophthalmie, Gaumenspalte, Hypertelorismus (vergrößerter Augenabstand, verbreiterter Nasenrücken), Daumenveränderungen (triphalangeale Daumen), Herzfehler 4 Später: Hepatosplenomegalie, Minderwuchs
9
Diagnostik.
4 Labor: 5 Ausgeprägte Anämie, Retikulozyten ↓↓, MCV ↑ 5 ADA (Adenosin-Desaminase) ↑ in Erythrozyten 5 Hb-Elektrophorese: HbF ↑ 4 Knochenmark: 5 Isoliertes Fehlen der Erythropoese Therapie.
4 Kortikoide p. o. (gutes Ansprechen in 60%, Beginn aufgrund der NW erst nach dem 1. Lebensjahr) 4 Bei Versagen der Kortikoidtherapie: regelmäßige Erythrozytentransfusionen alle 2‒4 Wochen, zusätzlich Deferoxamin zur Eisenelimination da Gefahr der Hämosiderose. 4 Bei transfusionsabhängigen Patienten besteht die Indikation zur HLA-identischen, hämatopoetischen Stammzelltransplantation (kurativ). ! Wiederholte Bluttransfusionen bergen die Gefahr der Hämosiderose mit: 4 Sekundärem Hypersplenismus mit Leuko- und Thrombopenie 4 Diabetes mellitus 4 Wachstumsretardierung 4 Kardiomyopathie
Prognose.
4 In 60% gutes Ansprechen auf Kortikoide, in 30% dauerhafte Kortikoidtherapie notwendig, in 20% keine weitere Therapie notwendig, in 10% sekundäre Steroidresistenz. 4 In 40% Transfusionsabhängigkeit, oft Tod durch Kardiomyopathie im Erwachsenenalter. 4 In 20% keine Therapie notwendig. Transitorische Erythroblastopenie (akute transitorische Erythroblastophtise) Definition. Erworbene, selbstlimitierende Erkrankung des Kleinkindes mit Sistieren der sonst regelrechten Erythropoese. Es besteht eine normochrome, normozytäre Anämie. Ätiologie/Epidemiologie. Unklar; vermutlich postviraler Autoimmunprozess gegen Vorläuferzellen von Erythrozyten im Knochenmark. Insgesamt häufiges Auftreten, v. a. bei Kindern zwischen 6. Lebensmonat und 5. Lebensjahr Symptomatik. Langsame Entwicklung einer normozytären Anämie mit Retikulozytopenie, dadurch gute Adaptation der Patienten und nur diskrete Symptome, z. B. Blässe. Diagnostik.
4 Labor: 5 Ausgeprägte, normochrome, normozytäre Anämie (MCV normal) 5 In der spontanen Erholungsphase Retikulozytose 5 Eisen ↑ 4 Knochenmark: 5 Vorläuferzellen der Erythrozyten ↓ Therapie/Prognose. Selten Transfusion notwendig
(ab Hb <5 g/dl und weiterhin fehlender Erythropoese), die Prognose ist gut, die Erythropoese erholt sich spontan. Aplastische Krise bei chronisch-hämolytischer Anämie Definition. Aplastische Krise bei vorbestehender chronisch-hämolytischer Anämie, ausgelöst durch eine Infektion mit Parvovirus B19. Ätiologie/Symptomatik. Parvovirus B19, der Erreger
der »Ringelröteln« 7 Kap. 7, repliziert sich in erythropoetischen Progenitorzellen und lysiert diese. Es kommt zu einer normozytären Anämie und Retikulozytopenie für 7‒10 Tage (bis zum Einsetzen der Anti-
173 9.7 · Hämolytische Anämie bei Enzymdefekten
körperantwort). Parvovirus B19 hinterlässt eine lebenslange Immunität. Diagnostik. Labor: normozytäre Anämie, Retikulozytopenie, keine Hämolysezeichen; evtl. Neutro- und Thrombopenie. Komplikationen.
4 Bei Patienten mit Immundefekt kann es aufgrund der ausbleibenden Immunantwort zu einer chronischen Anämie kommen 4 Bei maternaler Infektion mit Parvovirus B19 kann es zum Hydrops fetalis kommen (7 Kap. 3) 9.6
Hämolytische Anämie bei Membrandefekten
Hereditäre Sphärozytose (Kugelzellanämie) Definition. Hämolytische Anämie aufgrund eines Membrandefekts der Erythrozytenmembran. Die Erythrozyten sind zu Kugelzellen (Sphärozyten) verformt, ihre Überlebenszeit ist verkürzt. Ätiopathogenese. Ursächlich sind Mutationen in Ge-
nen, welche die Bestandteile des Zytoskeletts der Erythrozyten kodieren (Ankyrin, Bande 3, α- oder β-Spektrin). Die vertikale Verankerung der äußeren Lipidschicht mit dem Zytoskelett der Erythrozyten ist geschwächt. Durch die defekte Membran strömen Natrium und Wasser ein, die Erythrozyten nehmen eine Kugelform an und verlieren ihre Verformbarkeit. Die Kugelzellen verfangen sich im Kapillarbett der Milz und werden dort phagozytiert. Epidemiologie. Autosomal-dominant (75%) oder -rezessiv vererbt; häufigste, genetisch bedingte hämolytische Anämie, Häufigkeit: 1:5 000.
Therapie. Meist keine Therapie notwendig; evtl. Splen-
ektomie bei moderater bis schwerer Anämie oder rezidivierenden hämolytischen Krisen. Prognose. Nach Splenektomie normalisiert sich die
Erythrozytenüberlebenszeit, es treten keine hämolytischen Krisen mehr auf. ! Eine Splenektomie sollte möglichst nicht vor dem 6. Lebensjahr durchgeführt werden, wegen der Gefahr einer rasch tödlich verlaufenden Sepsis (Pneumokokken, Hib, OPSI: »overwhelming post splenectomy infection«). Präoperativ müssen die Patienten gegen Pneumokokken und Hib geimpft werden, postoperativ erhalten sie über mehrere Jahre eine Penicillin-Prophylaxe.
Hereditäre Elliptozytose Definition/Epidemiologie. Autosomal-dominant vererbte, hämolytische Anämie aufgrund eines Membrandefekts (Spektrindefekt) der Erythrozyten. Die Erythrozyten sind ellipsenförmig verformt. Mutationsträger haben eine erhöhte Malariaresistenz. Häufigkeit: ca. 1:2 500 bei der weißen, nordeuropäischen Bevölkerung, ca 1% der Bevölkerung in Westafrika und 15% in Neuguinea (Ovalozytose). Symptomatik. Variabel: z. T. transfusionspflichtige hä-
molytische Anämie; Splenomegalie, Ikterus, Cholelithiasis. Diagnostik. S. Kugelzellanämie; im Blutausstrich ellip-
tisch verformte Erythrozyten. Therapie/Prognose. Erkrankung meist harmlos, aber rezidivierende hämolytische Krisen möglich, selten Splenektomie erforderlich.
9.7 Symptomatik. Ikterus, Splenomegalie, Fieber; evtl. hä-
molytische Krisen bei Parvovirus-B19-Infektion, evtl. Bilirubin-Gallensteine. Diagnostik.
4 Labor: 5 Geringgradige bis ausgeprägte normochrome Anämie, MCHC ↑ 5 Hämolysezeichen: Retikulozyten ↑, indirektes Bilirubin ↑, LDH ↑, Haptoglobin ↓ 5 Verminderte osmotische Resistenz der Erythrozyten (frühzeitige Hämolyse in Salzlösung) 4 Blutausstrich: kleine hyperchrome Sphärozyten (Kugelzellen), keine zentrale Aufhellung.
9
Hämolytische Anämie bei Enzymdefekten
Erythrozyten besitzen weder Zellkern noch Mitochondrien, Ribosomen oder andere Zellorganellen. Sie haben keine Kapazität zur Zellreplikation, Proteinsynthese und Phosphorylierung, ihre einzige Energiequelle ist die Glykolyse mit der Produktion von ATP. Eine verringerte ATP-Produktion oder eine defekte Funktion einzelner Enzyme der Glykolyse kann daher eine hämolytische Anämie verursachen.
174
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
Pyruvatkinasemangel Definition. Autosomal-rezessiv vererbte, hämolytische Anämie aufgrund eines angeborenen Pyruvuatkinasemangels. Häufigster hereditärer Glykolysedefekt. Ätiologie. Verminderte Bildung von ATP, Pyruvat und
NAD+. Durch die eingeschränkte Funktion der ATPabhängigen Na+/K+-ATPase kommt es zum intrazellulären Kaliummangel und zur hämolytischen Anämie.
4 Im Verlauf Retikulozytenkrise und Sistieren der Hämolyse Diagnostik.
4 Labor: Hb ↓, G6PD-Aktivität in der Erythrozyten ↓, Urin: Hämoglobinurie 4 Blutausstrich: denaturiertes Hb ist in den Erythrozyten als Heinz-Innenkörperchen erkennbar. Therapie. Vermeidung auslösender Noxen.
Symptomatik.
4 Homozygot: schwere transfusionsbedürftige Anämie 4 Heterozygot: milde Hämolyse, Blässe, Ikterus, häufig Splenomegalie Diagnostik.
4 Blutausstrich: morphologisch unauffällige Erythrozyten, gelegentlich Polychromasie und geringe Poikilozytose 4 Pyruvatkinaseaktivität in Erythrozyten ↓
9
Therapie. Bei schwerem Verlauf Splenektomie nach dem 5.‒6. Lebensjahr.
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G6PD-Mangel) Definition/Epidemiologie. X-chromosomal rezessiv vererbte, hämolytische Anämie aufgrund eines Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangels mit intermittierendem oder chronischem Verlauf. Mutationsträger haben eine erhöhte Malariaresistenz (Selektionsvorteil, Verbreitung v. a. in Malariagebieten). Der G6PD-Mangel ist die häufigste Ursache des Kernikterus (7 Kap. 3) in Afrika und Südostasien. Ätiopathogenese. Erythrozyten sind als Sauerstoffträger empfindlicher gegenüber oxidativem Stress als andere Zellen, daher wird ein G6PD-Mangel ausschließlich in Erythrozyten symptomatisch. Oxidativer Stress führt durch Formationsänderung von Proteinen zur Membranschädigung der Erythrozyten und zur Hämolyse. Symptomatik.
4 Neugeborene: ausgeprägte Hyperbilirubinämie, Ikterus 4 Später Ikterus, Hämoglobinurie und 4 Hämolytische Krisen bei oxidativem Stress, ausgelöst u. a. durch 5 Antimalaria-Mittel, Nitrofurantoine, Sulfonamide 5 Vitamin K, Acetylsalicylsäure, Paracetamol 5 Verzehr von Fava-Bohnen (»Favismus«)
9.8
Mechanisch und toxisch bedingte Hämolysen
Definition. Eine Hämolyse kann auch mechanischer, mikroangiopathischer und toxischer Genese sein: 4 Mechanisch: angeborene Herzfehler, Herzklappen 4 Mikroangiopathisch: hämolytisch-urämisches Syndrom 7 Kap. 14 4 Toxisch: Bakterientoxine (u. a. Clostridien), bakterielle Neuraminidasen (u. a. Pneumokokken), Medikamente (u. a. Resochin, Vitamin K)
Im Blutausstrich finden sich v. a. bei mechanischer Hämolyse Fragmentozyten. 9.9
Immunhämolytische Anämien
Autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) Definition. Hämolytische Anämie aufgrund der Bildung von Autoantikörpern gegen Antigene der Erythrozytenoberfläche; bei Kindern sind v. a. Wärmeantikörper (IgG) und Ak gegen den T-Rezeptor relevant. Ätiopathogenese. Autoantikörper binden sich an Anti-
gene der Erythrozytenoberfläche, die Ak-beladenen Erythrozyten hämolysieren und werden durch Phagozytose in Leber oder Milz zerstört. Einteilung der Antikörper in: 4 IgG-Wärmeantikörper (optimale Reaktionstemperatur bei 37°C): Vorkommen idiopathisch, bei Virusinfekten, Tumoren, Morbus Hodgkin, NHL und medikamentöser Therapie mit Penicillin oder Chinin. 4 IgM-Kälteantikörper (agglutinieren bei 0‒5°C und führen zur Komplementaktivierung): Auftreten v. a. im Rahmen von Mykoplasmen- oder EBVInfektionen oder idiopathisch. 4 Antikörper gegen T-Rezeptoren der Erythrozyten: Vorkommen häufig bei Darminfektionen (mit neuraminidasehaltigen Bakterien) bei Säuglingen.
175 9.10 · Sichelzellerkrankung und andere Hämoglobinopathien
Symptomatik.
4 Klinisches Bild variabel: allmähliche oder akute Symptomatik, milde oder starke Anämie, evtl. hämolytische Krisen 4 IgG-Wärmeantikörper: 5 Häufig ausgeprägte Hämolyse mit raschem Hb-Abfall 5 Frühzeitig Blässe, Tachykardie, Herzinsuffizienz, Dyspnoe 5 Ikterus, Erbrechen, Schmerzen 5 Selten Splenomegalie 4 IgM-Kälteantikörper: 5 Typischerweise Akrozyanose nach Kälteexposition Diagnostik.
4 Labor: 5 Schwere normochrome, normozytäre Anämie, Retikulozyten ↑ 5 Hämolysezeichen: indirektes Bilirubin ↑, LDH ↑, Haptoglobin ↓ 5 Häufig BKS ↑ (bei IgM-Kälteantikörpern ist die BKS bei 37°C normal) 5 Direkter Coombstest (immer positiv): Nachweis von Antikörpern auf der Erythrozytenoberfläche 5 Indirekter Coombstest (z. T. positiv): Nachweis von Antikörpern im Serum 4 Blutausstrich: Mikrozytose, Anisozytose, Sphärozytose, Retikulozytose, z. T. Normoblasten Therapie.
4 Therapie der Grunderkrankung, Absetzen potenziell auslösender Medikamente 4 IgG-Wärmeantikörper: 5 Kortikoide p. o. 5 Immunglobuline i.v. (bei Kleinkindern mit Verdacht auf infektassoziierte AIHA vom Wärmetyp) 5 Bei starkem Hb-Abfall: evtl. Erythrozytentransfusion (bei Kälteagglutininen Transfusion vorher erwärmen) 5 Ultima ratio: Azathioprin zusätzlich zu den Kortikoiden, anti-CD20 (Rituximab) oder Cyclophosphamid 4 IgM-Kälteantikörper: 5 Prophylaxe: Schutz vor Kälte 5 Kortikoide sind unwirksam, evtl. Immunsuppressiva Prognose. Variabel: selbstlimitierende oder schwere
Verläufe.
9
Isoimmunhämolytische Anämie Definition. Akut auftretende Anämie nach passiver Übertragung von Antikörpern (Morbus haemolyticus neonatorum, 7 Kap. 3) oder Antigenen des AB0- oder Rhesus-Systems (Transfusionszwischenfall). Symptomatik. Bei einem Transfusionszwischenfall
kommt es innerhalb von Minuten bis Stunden zu: 4 Schüttelfrost, Erbrechen, Urtikaria, Fieber 4 Dyspnoe, Lungenödem 4 Hämoglobinurie, Nierenversagen 4 Schock, Verbrauchskoagulopathie Therapie.
4 Sofortiges Unterbrechen der Transfusion, Monitoring von Herzfrequenz, Blutdruck 4 Hochdosierte Glukokortikoide: Prednisolon alle 4‒6 h i. v.; Fenistil i. v. 4 Schocktherapie 9.10
Sichelzellerkrankung und andere Hämoglobinopathien
Sichelzellerkrankung Definition. Autosomal-dominant vererbte Hämoglobinopathie mit Produktion eines abnormen Hämoglobins. HbS, das zur Verformung der Erythrozyten führt. Epidemiologie. Vorkommen v. a. in Afrika, Südeuropa, betroffene Patienten haben eine erhöhte Resistenz gegen Malaria falciparum; 20‒40% der Bevölkerung im tropischen Afrika sind betroffen und ca. 5‒10% der schwarzen Bevölkerung der USA. Ätiologie. Eine Mutation des β-Globingens auf Chromosom 11 (Austausch der Aminosäure Glutamin gegen Valin an Position 6) führt zur Produktion eines abnormen Hämoglobins HbS. Bei Desoxygenierung nehmen die Erythrozyten eine Sichelform an und verlieren die Verformbarkeit, es kommt zu vasookklusiven Organinfarkten. Die Sichelzellerythrozyten werden in Leber und Milz sequestriert. Heterozygote Patienten haben 20‒40% HbS und 60‒80% HbA (harmlos), homozygote Patienten haben 90% HbS und 10% HbF. Symptomatik.
4 Heterozygot: 5 Asymptomatisch, aber Selektionsvorteil in Malariagebieten 4 Homozygot: 5 Rezidivierende, akute Gefäßverschlusskrisen mit heftigen Schmerzattacken
176
9
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
5 Skelettsystem: Vasookklusionen im aktiven Knochenmark, Schmerzkrisen; DD: Osteomyelitis (höhere Inzidenz bei Sichelzellpatienten); »Hand-Fuß-Syndrom«: Infarzierung der Mittelhand-/Mittelfußknochen mit Schmerzen, Rötung und Schwellung, v. a. bei Kleinkindern; Wachstumsstörung, Osteoporose 5 Kardiopulmonales System: akutes Thoraxsyndrom: Sequestrierung von Blut in den Pulmonalgefäßen: häufigste letal verlaufende Komplikation des Säuglings-und Kleinkindesalters; ab der 3. Deckade kann es zu Kardiomyopathie, Lungenfibrose und Cor pulmonale kommen 5 Milz: bei einer akuten Milzsequestrations-Krise werden große Blutmengen in Leber und Milz sequestriert, es kommt zum hypovolämischen Schock (häufigste Komplikation beim Säugling). Die Milz atrophiert bis zum 6. Lebensjahr durch Autosplenektomie, daher kommt es nach dem 6. Lebensjahr nur noch selten zu Milzsequestrationskrisen; funktionelle Asplenie 5 Gastrointestinaltrakt: abdominelle Schmerzen durch Milzsequestration, Infarkte der Wirbelsäule, Gallensteine, Mesenterialgefäßverschlüsse (Girdle-Syndrom) 5 Urogenitaltrakt: chronische Niereninsuffizienz im Erwachsenenalter, Priapismus 5 ZNS: in 25% ZNS-Infarkte, kognitive Defekte, Netzhautinfarkte 5 Insgesamt hohe Morbidität mit reduzierter Lebensqualität und -erwartung 5 Hämolytische Krisen bei Parvovirus-B19-Infektion 5 Gestörte Infektabwehr: rezidivierende bakterielle Infekte, Sepsis Diagnostik.
4 Labor: Hb ↓, Leukozyten ↑, Thrombozyten ↑, HbElektrophorese: HbS 4 Blutausstrich: Targetzellen, Howell-Jolly-Körperchen (intraerythrozytäre Kernreste); Sichelzelltest: Auftragen von 1 Tropfen EDTA-Blut auf einen Objektträger, luftdichter Verschluss mit einem Deckglas, nach 24 h nehmen die Erythrozyten die typische Sichelform an (. Abb. 9.3).
. Abb. 9.3. Sichelzellanämie: typische Sichelform der Erythrozyten
4 i.v.-Hydrierung 4 Antibiotische Therapie (Ampicillin, Cefotaxim) 4 Bei aplastischer Krise, Milzsequestration, akutem Thoraxsyndrom: Erythrozytentransfusionen 4 Dauertherapie: 5 Bei >2 Krisen/Jahr: Hydroxyurea p.o. zur Induktion der HbF-Synthese 5 Nach einem großen oder >2 kleinen Milzsequestrationen: Splenektomie 5 Kurativ: Knochenmarktransplantation Prophylaxe.
4 Meidung von Unterkühlung und Sauerstoffmangel (große Höhen) 4 Penicillin-Prophylaxe (Penicillin V bis zum Erwachsenenalter) 4 Impfung gegen Hib und Pneumokokken 4 Frühzeitige antibiotische Therapie von Infektionen Prognose. Durchschnittliche Lebenserwartung homo-
zygoter Patienten: 40‒50 Jahre. 9.11
Methämoglobinämie
Therapie.
Definition. Methämoglobin enthält Eisen in der Fe3+-
4 Akute Schmerzkrise: großzügig Schmerzmittel (3-Stufen-Plan der WHO), meist sind Opiate notwendig. 4 O2-Gabe, Austauschtransfusion z. B. bei ZNS-Infarkten, Multiorganversagen
Form (Hämiglobin). Eine Methämoglobinämie besteht, wenn mehr als 0,8% des Gesamthämoglobins als Methämoglobin vorliegen. Da Methämoglobin keinen Sauerstoff binden kann, kommt es zur Hypoxämie.
177 9.12 · Angeborene Erkrankungen mit Knochenmarkversagen
Ätiologie. Methämoglobin entsteht bei Intoxikation
mit oxidierenden Substanzen: 4 Nitrit, Anilinfarbstoffe, Schuhputzmittel 4 Medikamente: Phenacetin, Azulfidine, Sulfonamide, Vitamin-K-Analoga, Kaliumchlorid 4 Darminfektionen mit nitritbildenden Bakterien 4 Kohlrabi-, Karotten- und Spinatkonserven 4 Bei Säuglingen ist die Methämoglobinreduktase, die Methämoglobin zu normalem Hb reduziert, noch nicht ausgereift, daher treten v. a. im Säuglingsalter Vergiftungen durch nitrithaltiges Wasser oder durch Gemüsekonserven auf. Hereditäre Methämoglobinämie: 4 Methämoglobinreduktase(-diaphorase)-Mangel (autosomal-rezessiv vererbt) 4 M-Hämoglobin (genetische Aminosäuresubstitution der Globinketten und dauerhafte Oxidation des Eisens zu Fe3+ mit gestörter O2-Transportfunktion)
9
. Tab. 9.8. Erkrankungen mit angeborenem Knochenmarkversagen Panzytopenie
Fanconi-Anämie Shwachman-Diamond-Syndrom Dyskeratosis congenita amegakaryozytäre Thrombozytopenie andere genetische Syndrome: 4 Dubowitz-Syndrom 4 Seckel-Syndrom 4 retikuläre Dysgenesie familiäre aplastische Anämie
Zytopenie einer Zellreihe
Diamond-Blackfan-Anämie Kongenitale Neutropenie (KostmannSyndrom) Thrombozytopenie mit fehlendem Radius
Symptomatik. Je nach Anteil des Methämoglobins im
Blut: 4 >5%: grau-braune, schmutzige Zyanose 4 >40%: Dyspnoe, Tachykardie, Kopfschmerzen 4 >50%: Bewusstlosigkeit 4 >70%: Tod Diagnostik. Filterpapiertest: ein Blutstropfen auf Fil-
terpapier bleibt braun, im Gegensatz zu zyanotischen Herzfehlern, hier wird das Papier rot. Therapie.
4 In leichten Fällen nicht erforderlich 4 Keine Besserung durch O2-Gabe 4 Ab MetHb >15‒20% Methylenblau i.v. In schweren Fällen Austauschtransfusion. 9.12
Angeborene Erkrankungen mit Knochenmarkversagen
Einteilung. Versagen einer Zellreihe oder aller Zell-
reihen mit Panzytopenie (Anämie, Leuko- und Thrombozytopenie). Fanconi-Anämie (kongenitale aplastische Anämie) Definition. Autosomal-rezessiv vererbte, genetisch und phänotypisch heterogene Erkrankung mit progredientem Knochenmarkversagen, abnormer Chromosomenbrüchigkeit, gestörtem DNA-Reparaturmechanismus, angeborenen Fehlbildungen und Prädisposition zu Neoplasien.
Epidemiologie. Häufigkeit: 5–10:1 Mio. Symptomatik.
4 Ab dem 4. Lebensjahr Panzytopenie: zunächst Thrombopenie, dann Anämie und Leukozytopenie 4 Blässe, Infektanfälligkeit, reduzierte Leistungsfähigkeit, Blutungen 4 Häufig: Kleinwuchs, Skelettanomalien (Radius-/ Daumenaplasie), Pigmentveränderungen (meist Hyperpigmentierung, Café-au-lait Flecken), Mikrozephalie, mentale Retardierung, endokrinologische Störungen bei 80% der Patienten (primäre Hypothyreose, Diabetes mellitus, Hyperinsulinismus, Hypogenitalismus), Nierenfehlbildungen Diagnostik.
4 Labor: Panzytopenie (Anämie, Leukozytopenie, Thrombozytopenie), MCV ↑, HbF ↑ 4 Knochenmark: Verminderung aller Zellreihen, Fettgewebsvermehrung 4 Lymphozytenfragilitätstest: Nachweis erhöhter Chromosomenbrüchigkeit Komplikationen. Erhöhtes Malignomrisiko durch
Chromosomenbrüchigkeit, häufig MDS (myelodysplastisches Syndrom), AML (akute myeloische Leukämie) und Plattenepithelkarzinome (Kopf- und Halsbereichs, Anogenitalregion und Haut).
178
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
Therapie.
Symptomatik.
4 Symptomatisch: Erythrozyten- und Thrombozytentransfusion, antibiotische Therapie von Infektionen, ggf. antibiotische Prophylaxe 4 Kausal: Knochenmarktransplantation (bei fehlendem Spender Androgentherapie)
4 Blässe, Müdigkeit, Dyspnoe (Anämie) 4 Infekte, Fieber (Granulozytopenie) 4 Petechien, Blutungen (Thrombopenie)
Prognose. Ohne kausale Therapie hohe Mortalität;
60‒80% Heilung nach Stammzelltransplantation. Shwachman-Diamond-(Bodian-) Syndrom
Diagnostik.
4 Labor: Hb ↓, Granulozyten ↓, Lymphozytenanteil an Gesamtleukozyten ↑ bei normaler absoluter Anzahl, Thrombozyten ↓, BKS ↑ (aufgrund der Anämie) 4 Knochenmark: hypozellulär; Zytogenetik
Definition. Autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung
mit chronischer Zytopenie einer oder mehrerer Zellreihen, exokriner Pankreasinsuffizienz, Leberfunktionsstörungen, Skelettanomalien (Dysostosen) und Chemotaxisdefekt der Granulozyten mit schweren Infektionen.
9
Dyskeratosis congenita Definition. X-chromosomal-rezessiv vererbte Erkrankung mit progredientem Knochenmarkversagen und ektodermalen Veränderungen: retikuläre Hautpigmentierung, orale Leukoplakie der Mukosa, Nageldystrophie. 9.13
Erworbene aplastische Anämie
Definition. Panzytopenie und verringerte Zellularität im Knochenmark ohne hämatopoetische Neoplasie und ohne Vorhandensein einer angeborenen Erkrankung mit Knochenmarkversagen.
Schwere aplastische Anämie (SAA) Definition. Eine schwere aplastische Anämie besteht bei 2 von 3 Kriterien: 4 Anämie mit Retikulozytopenie <20 000/μl 4 Thrombozytopenie <20 000/μl 4 Granulozytopenie <500/μl
Therapie.
4 Symptomatisch: 5 Hygienemaßnahmen, Infektionsprophylaxe, frühzeitige antibiotische Therapie 5 Ab Hb<7 g/dl: Erythrozytenkonzentrate 5 Ab Thrombozyten <10 000/μl–20 000/μl: Thrombozytenkonzentrate (Verwendung, CMV-freier, Parvo-B19-negativer, bestrahlter Blutprodukte mit Leukozytenfilter) 4 Kausal: 5 Allogene Stammzelltransplantation (bei Vorhandensein eines HLA-identischen Spenders) 5 Sonst: immunsuppressive Therapie: Cyclosporin; Antithymozytenglobulin/Antilymphozytenglobulin Prognose.
4 Ohne Behandlung hohe Mortalität durch Infektionen und Blutungen 4 5-Jahres-Überlebensrate ca. 80% bei immunsuppressiver Therapie oder Stammzelltransplantation 4 Häufige Rezidive, z. T. Entwicklung klonaler maligner Knochenmarkerkrankungen (z. B. MDS). 9.14
Polyglobulie (Erythrozytose)
Definition. Anstieg von Hb, Erythrozyten und Hk über
Eine sehr schwere aplastische Anämie (VSAA) besteht bei einer Granulozytopenie <200/μl.
die altersentsprechende Norm. Ätiopathogenese. Hypoxie steigert die Erythropoetin-
Epidemiologie/Ätiologie. Häufigkeit: 0,2/100 000 Kin-
dern. Bei genetischer Prädisposition führt ein Auslöser zu einem Autoimmunprozess gegen Stammzellen, in 4 70‒80% der Fälle idiopathisch oder aber 4 sekundär im Rahmen von Virusinfektionen, v. a. Hepatitis (5%), EBV, im Rahmen einer medikamentösen Therapie mit Phenylbutazon, Indomethazin, Chloramphenicol, Antikonvulsiva, einer toxischen Schädigung durch Pestizide, Farben, Benzol, bei Strahlenexposition oder Thymom.
(EPO-)Produktion mit Proliferation der erythropoetischen Vorläuferzellen und Polyglobulie. Hämatokrit und Blutviskosität steigen, Kreislaufgeschwindigkeit und O2-Austausch sind beeinträchtigt; Gefahr thromboembolischer Komplikationen.
179 9.15 · Erkrankungen der Granulozyten
Absolute Polyglobulie durch Anstieg der Erythrozytenzahl bei Hypoxämie: 4 Neugeborene, Plazentainsuffizienz, maternofetale oder fetofetale Transfusionen 4 Angeborene zyanotische Herzfehler 4 Chronische Lungenerkrankungen, pulmonale Insuffizienz 4 Nierenerkrankungen 4 Eisenmangel 4 Hämoglobinopathien mit hoher O2-Affinität (Methämoglobinämie) 4 Down-Syndrom, Hypothyreose 4 Erythropoetinproduzierende Tumoren: z. B. WilmsTumor Relative Polyglobulie durch Abfall des Plasmavolumens: 4 Akute Dehydratation: Durchfall, Erbrechen, Verbrennung 4 Bei Säuglingen im Rahmen von Gewichtsverlust Symptomatik.
4 Gesichtsrötung, Zyanose, Dyspnoe 4 Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Müdigkeit 4 Thromboembolische Komplikationen (z. B. Nierenvenenthrombose) Therapie. Aderlasstherapie ab Hk >70%, ggf. Hämo-
dilution; Therapie der Grunderkrankung. 9.15
Erkrankungen der Granulozyten
9.15.1 Granulozytopenie
9
Diagnostik.
4 Labor: Blutbild (BB), Differenzial-BB, bei asymptomatischen Patienten Wiederholung des Differenzial-BB nach 1‒2 Wochen. 4 Bei vermehrten und langandauernden Infekten, oder länger als 2 Wochen dauernder Neutropenie: Knochenmarkpunktion. 9.15.2 Granulozytose Neutrophilie Definition. Über die Altersnorm erhöhte Anzahl neutrophiler Granulozyten . Ätiopathogenese.
4 Reaktiv (durch Adrenalinausschüttung): 5 Bei psychischer Belastung, Krampfanfällen, OP, Gastroenteritiden (im Rahmen von Erbrechen) 5 Verbrennung, Hypoxie, Azidose, metabolische Störungen 5 Bei Intoxikationen, endokrinen Störungen, akutem Blutverlust etc. (ohne Linksverschiebung) 5 »Schreileukozytose« nach schwieriger Blutentnahme 5 Medikamentös bedingt: z. B. durch Adrenalin, Kortikosteroide, Allopurinol, Barbiturate, Digitalis 4 Bakteriell: 5 Nach bakteriellen Infekten (mit Linksverschiebung = vermehrtes Auftreten unreifer neutrophiler Granulozyten (Stabkernige, Myelozyten) im Blutbild
Neutropenie Definition. Neutrophile Granulozyten <1 000/μl durch ineffektive Produktion im Knochenmark oder gesteigerten peripheren Verbrauch.
Eosinophilie Definition. Über die Altersnorm erhöhte Anzahl eosinophiler Granulozyten.
Ätiologie. Kongenitale Neutropenie: 7 Kap. 8, z. B. be-
4 Allgemeinerkrankungen: Asthma, Heuschnupfen, Neurodermitis, Ekzem, Urtikaria, Parasitenbefall, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa 4 Chronische Hauterkrankungen, z. B. Psoriasis, Sklerodermie 4 Rekonvaleszenz nach einer akuten Infektion 4 Immundefekte (z. B. Hyper-IgE-Syndrom), kongenitale HIV-Infektion 4 Medikamente (allergisch oder bei antikonvulsiver, antihypertensiver oder antibiotischer Therapie) 4 Autoimmunerkrankungen (z. B. Vaskulitiden) 4 Maligne Erkrankungen: Morbus Hodgkin, NHL
Ätiopathogenese.
nigne familiäre Neutropenie, zyklische Neutropenie, Kostmann-Syndrom, Shwachman-Diamond-Syndrom oder erworbene Neutropenie bei medikamentöser Therapie, Autoimmunprozessen, Infektionen, v. a. Virusinfektionen, Leukämien, myelodysplastischem Syndrom oder Zustand nach Chemo- und Radiotherapie.
180
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
Erkrankungen der Thrombozyten
Basophilie Definition. Über die Altersnorm erhöhte Anzahl basophiler Granulozyten.
9.16
Ätiopathogenese.
Definition. Abfall der Thrombozytenzahl unter die Norm: <130 000–150 000/μl. Milde Thrombozytopenie: 50 000‒100 000/μl, mittelgradige Thrombozytopenie: 20 000‒50 000/μl, schwere Thrombozytopenie: <20 000/μl.
4 4 4 4
Chronisch entzündliche Erkrankungen Myeloproliferative Syndrome (z. B. CML) Thyreotoxikose Nahrungsmittelallergie
9.16.1 Thrombozytopenie
! Ab Thrombozyten <30 000/μl sollte zusätzlich zur maschinellen Bestimmung eine mikroskopische Quantifizierung erfolgen, da die maschinelle Zählung ungenau wird.
9.15.3 Funktionelle Granulozyten-
defekte 7 Kap. 8. . Tab. 9.9. Ursachen der Thrombozytopenie 1. Verringerte Produktion
kongenital
4 4 4 4 4
metabolisch
4 Methylmalonazidurie 4 ketotische Glyzinämie
erworben
4 4 4 4
aplastische Anämie (7 Kap. 9.13) Knochenmarkinfiltration Medikamenten-induzierte Thrombopenie, Bestrahlung Vitamin B12-, Folsäure-Mangel
immunologisch
4 4 4 4 4
Autoimmunthrombozytopenie (ITP) neonatale Alloimmunthrombozytopenie maternale Autoimmunthrombozytopenie Medikamenten-induzierte Thrombopenie infektionsassoziiert
mechanisch
4 Mikroangiopathie (z. B. hämolytisch-urämisches Syndrom) 4 Katheter, Prothesen 4 angeborene Herzfehler
Verbrauch von Gerinnungsfaktoren
4 disseminierte intravaskuläre Gerinnung
9
2. Vermehrter Verbrauch
3. Sequestration
Thrombozytopenie und Radiusaplasie-Syndrom Erkrankungen mit primären Knochenmarkversagen (7 Kap. 9.12) Bernard-Soulier-Syndrom May-Hegglin-Anomalie Wiskott-Aldrich-Syndrom
4 Hypersplenismus 4 Hypothermie
Immunthrombozytopenien Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP, Autoimmunthrombozytopenie) Definition. Häufige, postinfektiöse, durch Autoantikörper bedingte Thrombopenie des Kleinkindesalters.
xen, die an die Fc-Rezeptoren der Thrombozytenoberfläche binden. Die Thrombozyten werden durch die Makrophagen des RES schnell aus der Zirkulation entfernt. In 1‒3% der Fälle ist die ITP die Erstmanifestation einer systemischen Autoimmunerkrankung.
Ätiopathogenese. Nach einem viralen Infekt kommt es
Symptomatik. In der Regel guter Allgemeinzustand, ab Thrombozyten <20 000/μl treten Hämatome, Pete-
zur Bildung von Autoantikörpern oder Immunkomple-
181 9.16 · Erkrankungen der Thrombozyten
chien, Schleimhautblutungen und selten Gehirnblutungen (0,1‒1%) auf. Diagnostik. Labor: Thrombozyten oft <20 000/μl, evtl. Antikörpernachweis (ein negativer Test schließt eine ITP nicht aus); ITP ist eine Ausschlussdiagnose.
9
troffen sind ca. 10% der ITP Patienten, v. a. adoleszente Mädchen. Therapie: Immunglobuline i.v. alle 4 Wochen; falls kein Ansprechen: evtl. Splenektomie oder immunsuppressive Therapie (Azathioprin). 9.16.2 Thrombozytose
Therapie.
4 Meist keine Therapie notwendig, sorgfältige klinische und hämatologische Überwachung 4 Bei Blutung: 5 lokale Blutstillung (Druckverband, Tamponade) 5 Immunglobuline i.v. oder 5 Kortikosteroide i.v. (vorher muss eine ALL (akute lymphatische Leukämie) mittels Knochenmarkpunktion ausgeschlossen werden) 4 Bei lebensbedrohlichen Blutungen: 5 Kortikoide i.v. 5 Immunglobuline i.v. 5 Substitution von Thrombozyten- und/oder Erythrozytenkonzentraten (nur bei lebensbedrohlichen Blutungen)
Definition. Anstieg der Anzahl der Thrombozyten über
die Norm. Ätiopathogenese.
4 Selten, v. a. bei myeloproliferativen Erkrankungen 4 Sekundär im Rahmen von Infektionen, v. a. bei Säuglingen <6 Monate, Hypoxämie, Trauma, OP, Splenektomie, Stress, Frühgeburtlichkeit, Immunsuppression. Symptomatik. Nicht symptomatisch; bei sekundärer
Thrombozytose besteht im Allgemeinen kein erhöhtes Thromboserisiko. 9.16.3 Thrombozytopathien
Prognose. Spontanheilung in 80‒90% der Fälle inner-
halb von 6 Monaten. Von einer chronischen ITP (Morbus Werlhof) spricht man bei einem Verlauf der ITP >6 Monate. Be-
Definition. Funktionsstörung von Thrombozyten, häufig im Rahmen von Systemerkrankungen (. Tab. 9.10, . Tab. 9.11).
. Tab. 9.10. Angeborene Thrombozytopathien (Beispiele) Erkrankung
Pathogenese/Symptomatik
Thrombasthenie Glanzmann-Naegeli (autosomal-rezessiv)
Verringerung des Glykoprotein(GP)-Komplex IIb–IIIa Haut und Schleimhautblutungen, v. a. nach OP, Traumen
Bernard-Soulier-Syndrom (autosomal-rezessiv)
Verringerung des Glykoprotein(GP)-Komplex Ib–IX
»Storage pool defect« (autosomal-dominant)
Gestörte Granulierung der Thrombozyten, Zellorganellen ↓
Hermansky-Pudlack-Syndrom (autosomal-rezessiv)
Ablagerung von Ceroid u. a. in Thrombozytengranula, moderate Blutungsneigung, okulokutaner Albinismus
. Tab. 9.11. Erworbene Thrombozytopathien im Rahmen von Angeborenen Systemerkrankungen
Erworbenen Systemerkrankungen
4 4 4 4 4 4 4 4
4 4 4 4 4 4
Ehlers-Danlos-Syndrom Osteogenesis imperfecta Trisomie 21 Alport-Syndrom Glykogenose Mukopolysaccharidose Morbus Wilson Homozystinurie
Chronische Niereninsuffizienz Lebererkrankungen Chronische Hypoglykämie Diabetes mellitus Leukämie Medikamentöse Therapie mit Acetylsalicylsäure, Indomethacin, Phenylbutazon, β-Laktam-Antibiotika, Penicilline, Cephalosporine, Dextrane, Heparin, Valproat
182
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
Symptomatik. Ab dem Kleinkindesalter:
9.17.1 Störungen der sekundären Hämos-
4 Vermehrt Hämatome, Echkymosen (fleckförmige Blutungen < 3 mm) bereits nach geringfügigen Traumata. 4 Epistaxis (Nasenbluten) 4 Schleimhautblutungen 4 Menorrhagien (verlängerte Menstruationsblutungen)
Definition. Mangel eines oder mehrerer plasmatischer
tase (plasmatische Gerinnungsstörungen, Koagulopathien)
Gerinnungsfaktoren und gestörte Fibrinbildung. Hämophilie A Definition. X-chromosomal-rezessiv vererbter Mangel
Diagnostik. Labor: Blutungszeit verlängert, in-vitroBlutungszeit (PFA 100) verlängert, normale plasmatische Gerinnung (Quick, PTT normal).
oder erniedrigte Aktivität von Faktor VIII:C. Je nach Faktorenaktivität Einteilung in leichte (Faktorenaktivität 5‒30%), mittelschwere (Faktorenaktivität 1‒5%) und schwere Form (Faktorenaktivität 0‒1%, selten).
Therapie. Tranfusion von Thrombozytenkonzentraten
bei stärkeren Blutungen. 9.17
Gerinnungsstörungen
Physiologie. Das Gerinnungssytem wird eingeteilt in
9
eine: 4 Primäre Hämostase mit Vasokonstriktion und Bildung eines Thrombus aus Thrombozyten unter Beteiligung des vWF und eine 4 Sekundäre Hämostase mit Aktivierung der plasmatischen Gerinnungskaskade und Stabilisierung des Thrombozytenthrombus über Fibrin und Faktor XIII. Die plasmatische Gerinnungskaskade besteht aus: 1. Intrinsisches System (langsam ablaufend): Aktivierung der Gerinnungskaskade über Kontaktaktivierung bei Endothelläsion: konsekutive Aktivierung der Gerinnungsfaktoren XII → XI → IX → VIII → X → gemeinsame Endstrecke (s. unten) 2. Extrinsisches System (schnell ablaufend): Aktivierung über Gewebsthromboplastin, das bei Gewebsverletzung freigesetzt wird mit Aktivierung des Faktors VII → X → gemeinsame Endstrecke 3. Gemeinsamer Endstrecke: Faktor X → Faktor V → Prothrombinaktivator → Prothrombin (Faktor II) → Thrombin → Fibrinogen (Faktor I) → lösliches Fibrin → stabiles Fibrin (Faktor XIII – Fibrinstabilisierender Faktor)
Ätiologie/Epidemiologie. Mutation im Faktor-VIIIGen auf dem X-Chromosom, in 30% Neumutation; Häufigkeit: 1:10 000 männliche Neugeborene. Symptomatik. Je nach Schweregrad: 4 Schwere Form: bereits in der Neonatalperiode kommt es zu Hirnblutungen und verstärkter Blutungsneigung z. B. bei der Zirkumzision 4 Leichtere Formen: ab dem Krabbelalter treten Gelenkblutungen, Mund- oder Zungenblutungen, Blutungen nach Operationen oder Zahnextraktionen auf, bei älteren Kindern kommt es zu Blutungen in Knie-, Fuß- und Ellenbogengelenke, Psoasblutungen, Blutungen in die Flexorengruppe des Unterarms (Kompartment-Syndrom), Gehirnblutungen, Hämaturie; nach Traumata kommt es meist nach mehreren Stunden zu »Spätblutungen«. 4 Sekundäre Gelenkschädigung durch rezidivierende Blutungen (hämophile Arthropathie) > Bei Hämophilie ist die primäre Hämostase intakt, die Blutungszeit nach Schnitt- oder Schürfverletzungen ist nicht verlängert.
Diagnostik.
4 Familienanamnese, Klinik 4 Labor: PTT verlängert, Quick normal, Faktor VIII ↓, von-Willebrand-Faktor-Antigen und vonWillebrand-Faktor-Aktivitätstest normal 4 Mutationsanalyse Therapie.
Symptomatik. Klinisch kommt es bei Störung der
primären Hämostase zu Hämatomen, Petechien und Schleimhautblutungen, bei Störung der plasmatischen Gerinnungskaskade zu ausgedehnten Blutungen in große Gelenke und Muskeln, zu flächenhaften Einblutungen und zu Nachblutungen im Rahmen von Verletzungen, Operationen, Zahnextraktionen.
4 i.v.-Substitution von FVIII:C-Konzentraten bei akuter Blutung (on-demand-Behandlung, HWZ von FVIII:C-Konzentrat 12 h, daher Applikation alle 6‒12 h); Patienten und Eltern werden selbst angelernt 4 Bei schwerer Form Dauersubstitution von Faktor VIII 3-mal/Woche i.v.
183 9.17 · Gerinnungsstörungen
4 Leichte und mittlere Formen: DDAVP (1-Deamino8-D-Arginin-Vasopressin) i.v. oder intranasal steigert die Freisetzung von Faktor VIII:C um das 2- bis 3-Fache, Wirkung erschöpft sich allerdings nach mehrmaliger Gabe
9
sion und -aggregation zu fördern. vWF ist gleichzeitig ein Trägerprotein für Faktor VIII. Bei Fehlen des vWF kommt es zu mangelnder Thrombozytenadhäsion (primäre Hämostase) oder Störung des vWF/Faktor VIIIKomplexes (sekundäre Hämostase).
Komplikationen.
Symptomatik.
4 Hemmkörperhämophilie: Antikörperbildung gegen den substituierten Faktor VIII und Thrombozytenfunktionsstörung (Blutungszeit verlängert). Therapie: hochdosierte Gabe von Faktor VIII-Konzentrat. 4 Früher: durch F VIII-Substitution Gefahr einer HIV oder Hepatitis Infektion, heute kaum noch Infektionsrisiko, da heute gentechnisch hergestellte Präparate verwendet werden.
4 Typ 1 und 2: Schleimhautblutungen, v. a. im NasenRachenraum 4 Typ 3: Hämophilie-ähnlicher Blutungstyp (Gelenkblutungen)
9.17.2 Hämophilie B Definition/Epidemiologie. X-chromosomal rezessiv
vererbter Mangel oder erniedrigte Aktivität von Faktor IX. Häufigkeit: 1:30 000 männliche Neugeborene.
Diagnostik.
4 Anamnese, Familienanamnese 4 Labor: Blutungszeit verlängert, in-vitro-Blutungszeit (PFA100) verlängert, aPTT normal bis verlängert, FVIII:C normal bis reduziert, Quick normal, von-Willebrand-Antigen↓, Ristocetin-Kofaktor↓, Kollagenbindungsaktivität des vWF↓, Multimeranalyse 4 Spezialtests: Ristocetin-induzierte Plättchenaggregation (RIPA), FaktorVIII-Bindungsaktivität des vWF 4 Mutationsanalyse
Symptomatik/Diagnostik. Analog zu Hämophilie A;
Labor: Faktor IX ↓. Therapie. Substitution mit Faktor IX, längere HWZ,
seltenere Applikation notwendig (alle 12‒24 h); DDAVP nicht wirksam. 9.17.3 Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom Definition. Autosomal-dominant oder -rezessiv vererb-
ter Defekt des von-Willebrand-Faktors (vWF); Einteilung in verschiedene Typen: 4 Typ 1: verringerte Konzentration von vWF (80% der Patienten) 4 Typ 2: Synthese von Mutanten des vWF mit Auffälligkeiten bei der Multimerisierung (Typ 2A), der Bindung an Thrombozyten (Typ 2B) oder Faktor VIII (20% der Patienten) 4 Typ 3: kompletter Mangel des vWF, sehr selten
Therapie.
4 Bei kleineren Blutungen oder Operationen: lokale Blutstillung, DDAVP i. v. führt zu einer Konzentrationsteigerung von vWF und Faktor VIII (vermutlich durch Freisetzung aus Endothelzellen) 4 Bei schweren Blutungen: Substitution mit vWFhaltigen Faktor VIII-Konzentraten. 4 Zusätzlich: antifibrinolytische Therapie mit Tranexamsäure, Aminokapronsäure. ! Thrombozytenaggregationshemmer (ASS u. a.) und andere blutungsfördernde Medikamente sind bei Hämophilie und beim von-Willebrand-Jürgens-Syndrom kontraindiziert.
Prognose. Variabel, z. T. Besserung nach der Pu-
bertät. 9.17.4 Verbrauchskoagulopathie
Epidemiologie. Häufigste hereditäre Gerinnungsstö-
rung, Häufigkeit ca. 1% der Bevölkerung.
Synonym. Disseminierte intravasale Gerinnungsstö-
rung, DIC. Ätiologie. vWF ist ein Adhäsionsprotein, das an ver-
schiedene Liganden des Plasmas und der subendothelialen Matrix bindet. Es wird von den Endothelzellen sezerniert und bindet z. B. an Glykoprotein Ib auf der Thrombozytenoberfläche, um dort die Plättchenadhä-
Definition. Akute Gerinnungsstörung mit intravasaler Aktivierung des Gerinnungssystems und gesteigertem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren: es bilden sich disseminierte Mikrothromben (Aktivierung des Gerin-
184
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
nungssystems), es kommt zur hämorrhagischen Diathese (Verbrauch der Gerinnungsfaktoren) und zur sekundären Hyperfibrinolyse (zusätzliche Inaktivierung von Fibrinogen und anderen Gerinnungsfaktoren). Ätiopathogenese.
Einschwemmung von Prothrombinaktivatoren: 4 Geburtshilfliche Komplikationen: vorzeitige Plazentalösung, perinatale Asphyxie, Mekoniumaspiration 4 Im Rahmen anderer Erkrankungen: Verbrennungen, hämolytisch-urämisches Syndrom, Leukämien, Tumoren 4 Im Rahmen von Operationen an thrombokinasereichen Organen: Pankreas, Lunge, Prostata Gerinnungsaktivierung über Mediatoren (z. B. Bakterientoxine): 4 Infektionen: gram-negative Sepsis, WaterhouseFriderichsen-Syndrom (fulminante Meningokokkensepsis), Virusinfektionen
9
4 Bei ATIII ↓: Antithrombin-Konzentrat (Kofaktor von Heparin) i. v. 4 Blutung: FFP (fresh frozen plasma) zur Substitution der Gerinnungsfaktoren, Thrombozytenkonzentrate i. v. 4 Neuer Therapieansatz: Protein-C-Konzentrat i. v. (wirkt antikoagulatorisch) ! In der Phase der manifesten DIC mit hämorrhagischer Diathese darf kein Heparin appliziert werden; es müssen Gerinnungsfaktoren, ggf. Thrombozytenkonzentrate substituiert werden.
9.17.5 Vitamin-K-Mangel Physiologie. Vitamin K ist ein Kofaktor der Carboxylie-
rung vieler Proteine, u. a. der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX, X und der antikoagulatorischen Proteine C und S. Definition. Mangel an Vitamin K, dadurch verminderte
Kontaktaktivierung des Gerinnungssystems: 4 Schock (Kontakt mit geschädigtem Endothel) 4 Extrakorporale Kreisläufe (Kontakt mit körperfremden Oberflächen) Symptomatik. Akut kommt es innerhalb weniger Stunden zu: 4 Blutungen: Petechien, Hämorrhagien 4 Thrombosen: Ischämien, Hautnekrosen, Nieren-, Lungeninfarkten 4 Schock durch Mikrozirkulationsstörungen: Nierenversagen, Schocklunge, Multiorganversagen 4 Krämpfen, Somnolenz
Aktivität der Faktoren II, VII, IX, X (Eselsbrücke: 1972). Ätiopathogenese.
4 Malabsorption: Zöliakie, Morbus Crohn, Mukoviszidose, Gallengangsatresie, biliäre Obstruktion 4 Medikamente: Antibiotika, Phenytoin 4 Neonatal: 7 Kap. 3 Symptomatik. Haut-, Schleimhautblutungen, gastroin-
testinale Blutungen. Diagnostik. Labor: zunächst Faktor VII ↓ (Quick ↓); dann Faktoren II, IX, X ↓ (PTT verlängert); Blutungszeit normal.
Bei malignen Systemerkrankungen z. T. chronische Verläufe.
Therapie. Vitamin-K-Substitution p.o., s.c., i.v.
Diagnostik. Labor: Thrombozyten ↓ (empfindlichster
! Bei Vitamin-K-Applikation sind selten anaphylaktische Reaktionen möglich.
Parameter), Leukozyten ↓, PTT ↑, Quick ↓, ATIII ↓, Fibrinogen ↓, Nachweis von Fibrinmonomeren; bei sekundärer Hyperfibrinolyse Nachweis von Fibrinspaltprodukten (z. B. D-Dimer). Therapie.
4 Therapie der Grunderkrankung 4 Schocktherapie: Volumenersatz, Katecholamine, Ausgleich des Elektrolyt- und Säure-Basenhaushalts 4 Evtl. Heparin i. v. (Dauerinfusion), um die Gerinnungsaktivität zu bremsen, aber umstritten, da die Blutungsneigung verstärkt wird.
185 9.19 · Vasopathien
9.18
9
Thrombophilie
Definition. Thromboseneigung. Ätiopathogenese. . Tab. 9.12. Thrombophilie im Rahmen von Angeborenen Störungen
Erworbenen Risikofaktoren
4 Faktor-V-Leiden (APC-Resistenz): Mutation im FaktorV-Gen bedingt eine Resistenz des aktivierten Faktor V gegenüber dem Abbau durch aktiviertes Protein C (APC), Prävalenz ca. 5% 4 Prothrombinmutation 4 Antithrombin III-, Protein C- oder Protein S-Mangel 4 Lipoprotein (a) Erhöhung 4 Homocystinurie 4 Faktor-II-Mutation 4 Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom
4 4 4 4 4 4 4 4
Symptomatik.
4 Venöse Thrombosen, z. B. der Extremitäten: Schmerzen, Schonhaltung, Bewegungseinschränkung, Schwellung, livide Verfärbung, verstärkte Venenzeichnung 4 Nierenvenenthrombose: Flankentumor, Makrohämaturie, Thrombozytopenie 4 Sinusvenenthrombose: Kopfschmerzen, Schielen, Krampfanfälle, Hyperexzitabilität, Somnolenz, Stauungspapille
Fremdkörper: zentrale Venenkatheter, Herzklappen Nephrotisches Sydrom Zyanotische Herzfehler (Polyglobulie) Kinder diabetischer Mütter, Diabetes mellitus Adipositas Rauchen Schwangerschaft, Östrogene, Pille Infektion: Sepsis, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen 4 Vaskulitis: Kawasaki, HUS 4 Medikamente: Glukokortikoide 4 Dehydratation, Polyglobulie, Schock
9.19
Vasopathien
9.19.1 Vaskulitiden Purpura-Schönlein-Henoch Definition. Generalisierte, schubartig verlaufende Vaskulitis der kleinen und mittleren Gefäße, die nach einem Infekt der oberen Luftwege oder nach Einnahme bestimmter Medikamente auftreten kann. Epidemiologie/Ätiologie. Häufigste Vaskulitis im
Diagnostik.
4 Anamnese, Familienanamnese, Klinik 4 Bildgebung: Dopplersonographie, Phlebographie, Angiographie, MR-Angiographie 4 Labor: u. a. Bestimmung von Antithrombin, Protein C und S, Antiphospholipid-Ak, Homocystein, APCR (APC-Resistenz-Bestimmung), Mutationsanalysen (Faktor-V-Leiden, Prothrombinmutation) Lipoprotein (a) Therapie. Kompressionsstrümpfe; Heparin i.v., s.c.; evtl.
Fibrinolyse mit Urokinase, evtl. rtPA, evtl. Thrombektomie; Langzeitprophylaxe mit niedermolekularem Heparin oder evtl. Vitamin-K-Antagonisten (Cumarine).
Kleinkindes- und Schulalter; m>w. IgA-haltige Immunkomplexe lagern sich in den kleinen Gefäßen ab, es kommt zu Komplementaktivierung und Leukozyteninfiltration. Das Endothel wird geschädigt, die Gefäßwände destruiert. Symptomatik.
4 Purpuraförmige, nicht thrombozytopenische Hautblutungen, v. a. an den Streckseiten der unteren Extremität und am Gesäß (. Abb. 9.4). 4 Symmetrische, makulöse und papulöse Effloreszenzen 4 Ödeme 4 Purpura rheumatica: schmerzhafte Schwellung und Bewegungseinschränkung der Gelenke 4 Purpura abdominalis: Vaskulitis der Mesenterialgefäße mit Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall, blutige Stühle, Invagination
186
Kapitel 9 · Hämatologische Erkrankungen
Prognose.
4 Abhängig von der Nierenbeteiligung, jedoch in der Regel spontane Rückbildung der Hautveränderungen 4 Nicht selten schubartiger Verlauf Kawasaki-Syndrom (mukokutanes Lymphknoten-Syndrom) Definition. Akut verlaufende Vaskulitis im Kleinkindesalter mit Multiorganbefall. Epidemiologie/Ätiologie.
. Abb. 9.4. Purpura bei Morbus Schönlein-Henoch
9
4 Schönlein-Henoch-Nephritis: Nierenbeteiligung bei ca. 50% der Patienten: Makrohämaturie, Proteinurie 4 Purpura cerebralis: Beteiligung der zerebralen Gefäße: Verhaltensauffälligkeiten, Kopfschmerzen, Meningismus, Krämpfe, Paresen Diagnostik.
4 Anamnese, Klinik 4 Labor: Thrombozyten normal, Eosinophilie, Leukozytose, Gerinnung normal, BKS ↑ 4 Urin: Hämaturie, Proteinurie (Nierenbeteiligung?) 4 Klinische Kontrolle der abdominellen Symptomatik, Kontrolluntersuchungen der Niere Therapie. Meist selbstlimitierend, keine Therapie erfor-
derlich; evtl. Bettruhe im akuten Schub; bei Abdominalkoliken: Steroide; regelmäßige Urinkontrollen. Komplikationen.
4 Purpura fulminans: plötzliche, flächenhafte Hautblutungen mit Schocksymptomatik, z. T. Übergang über ein Blasenstadium in flächenhafte Nekrosen 4 Purpura necroticans: leichtere Verlaufsform mit Purpura fulminans, spontan abheilende Haut- und Weichteilnekrosen 4 Niereninsuffizienz (1‒2%), v. a. beim Auftreten einer RPGN (Rapid progressive Glomerulonephritis)
4 Auftreten meist zwischen 2. und 5. Lebensjahr, selten nach dem 10. Lebensjahr 4 Häufigste Vaskulitis im Kindesalter, Häufigkeit: 8‒ 10:100 000; m>w 4 Inzidenz in Japan erhöht 4 Ätiologie noch ungeklärt, vermutlich infektiologische Ursache. Symptomatik. 6 Hauptsymptome: 4 Hohes Fieber über 5 Tage, das nicht auf Antipyretika anspricht 4 Haut: Palmar- und Plantarerythrem, nach 2‒3 Wochen kommt es zur Schuppung der Finger- und Zehenspitzen 4 Scalartini- oder morbilliformes, stammbetontes Exanthem 4 Hochrote, trockene, rissige Lippen (»Lacklippen«), Enanthem und Erdbeerzunge 4 Konjunktivitis 4 Zervikale Lymphadenopathie
Zusätzlich: 4 Magendarmtrakt: Erbrechen, Durchfall, Gallenblasenhydrops 4 Gelenke: Schwellung 4 Leber: Transaminasenerhöhung 4 Niere: Leukozyturie, Proteinurie 4 ZNS: aseptische Meningitis mit Pleozytose 4 Herz: Myokarditis, Perikarditis Verlauf in 3 Phasen: 4 Akut (1.‒2. Woche): hohes Fieber, Hauptsymptome, schlechter AZ 4 Subakut (2.‒3. Woche): Rückbildung der Hauptsymptome, Schuppung der Finger und Zehen (. Abb. 9.5) 4 Rekonvaleszenz: komplette Rückbildung Komplikationen.
4 Myokarditis, Perikarditis: Arrhythmien, Herzklappeninsuffizienzen
187 9.19 · Vasopathien
9
Therapie.
4 Einmalig hochdosierte Immunglobuline i.v. 4 Acetylsalicylsäure bis zur Entfieberung, anschließend Erhaltungsdosis bis zur Normalisierung von Echokardiographie und Labor. Prognose.
4 Rechtzeitiger Therapiebeginn essentiell 4 Abhängig von der Ausbildung von Koronaraneurysmen, die z. T. zu Stenosen führen, in 50% Rückbildung der Aneurysmata 9.19.2 Angeborene vaskuläre
Erkrankungen
. Abb. 9.5. Typische Schuppung der Fingerkuppen bei Kawasaki-Syndrom
4 Koronaraneurysmen, -thrombosen, -rupturen und kardiale Ischämie Diagnostik. Diagnosestellung bei 4 Mindestens 4 Hauptsymptome und Nachweis von Koronaraneurysmen oder 4 mindestens 5 Hauptsymptome 4 z. T. auch inkomplette Formen, v. a. im Säuglingsalter mit nur 2 Hauptsymptomen 4 Labor: Leukozyten ↑, Thrombozyten ↑, Anämie, CRP ↑, BKS ↑ 4 EKG und Herzechokardiographie: Koronaraneurysmen?
Beispiele Angeborene, vaskuläre Erkrankungen, die mit einer Blutungsneigung einhergehen sind z. B.: 4 Teleangiektasia hereditaria (Morbus RenduOsler): Verminderung von Muskelzellen und elastischen Fasern in teleangiektatischen Gefäßen 4 Ehlers-Danlos-Syndrom: Kollagenstoffwechselstörung mit Hyperelastizität der Haut, Wundheilungsstörungen, Hämorrhagien, überstreckbaren Gelenken, Linsenektopie, Myopie, blauen Skleren, Aneurysmata, Nachblutungen
10 10 Krebserkrankungen 10.1 Grundlagen und allgemeine Prinzipien onkologischer Therapie – 189 10.2 Leukämien
– 190
10.3 Non-Hodgkin-Lymphome
– 193
10.4 Hodgkin-Lymphome (Lymphogranulomatose) – 195 10.5 Tumoren des ZNS
– 195
10.6 Weichteilsarkome – 199 10.6.1 Rhabdomyosarkom
– 199
10.7 Maligne Knochentumoren
– 200
10.8 Nierentumoren – 202 10.9 Keimzelltumoren 10.10 Lebertumoren 10.11 Histiozytosen
– 204
– 204 – 205
10.12 Seltene Tumoren im Kindesalter
– 206
10
189 10.1 · Grundlagen und allgemeine Prinzipien onkologischer Therapie
10.1
Grundlagen und allgemeine Prinzipien onkologischer Therapie
. Tab. 10.1. Altersmedian für die häufigsten Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen <15 Jahren Einzeldiagnose
Epidemiologie. Die Inzidenz von Krebserkrankungen
pro Jahr liegt bei 5‒14:100 000 Kinder <15 Jahre; in Deutschland entspricht das ca. 1 800 Neuerkrankungen pro Jahr. Die Inzidenz ist im 1. Lebensjahr am höchsten und fällt danach bis zum 6. Lebensjahr kontinuierlich ab; die Altersgipfel einzelner Erkrankungen variieren (. Tab. 10.1).
Risikofaktoren für Krebserkrankungen Endogene Risikofaktoren 4 Keimbahnmutationen 4 Mutationen in Tumor-Suppressorgenen 4 Angeborene DNA-Reparaturdefekte (z. B. Fanconi-Anämie, Ataxia teleangiectatica) 4 Immundefekte (z. B. Wiskott-Aldrich-Syndrom) 4 Down-Syndrom 4 Anlagestörungen (z. B. Dysgerminom bei Gonadendysgenesien, Nephroblastome bei Nephrogeneseresten der Niere) 4 Syndrome mit Keimbahnmutationen (Retinoblastom, Li-Fraumeni-Syndrom, Neurofibromatose Typ 1, von-Hippel-Lindau-Syndrom, Adenomatöse Polyposis Coli, Multiple Endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN2) ) Exogene Risikofaktoren 4 Hepatitis B (hepatozelluläres Karzinom) 4 Strahlen- und Chemotherapie (Zweitneoplasien) 4 Weitere ungeklärte Risikofaktoren
Retinoblastom
Altersmedian (Jahre) 1,3
Hepatoblastom
1,4
Neuroblastom
1,4
Nephroblastom
2,9
Ependymom
3,6
Akute lymphatische Leukämie (ALL)
4,7
Rhabdomyosarkom
5,2
Akute myeloische Leukämie (AML)
5,8
Primitive neuroektodermale Tumoren im ZNS
6,0
Keimzelltumoren
6,3
Astrozytom
6,8
Non-Hodgkin-Lymphom
8,6
Ewing-Sarkom
11,0
Osteosarkom
11,8
Morbus Hodgkin
12,0
Symptomatik. Leitsymptome: 4 Abgeschlagenheit, Spielunlust 4 Appetitlosigkeit, subfebrile Temperaturen 4 B-Symptomatik: Gewichtsverlust >10% des Körpergewichts innerhalb der letzten 6 Monate, Fieber, Nachtschweiß Therapie.
4 3 Therapiesäulen: Operation, Chemotherapie und Radiotherapie 4 Neoadjuvante Therapie: präoperative Chemo-/ Strahlentherapie mit dem Ziel der präoperativen Tumorverkleinerung 4 Adjuvante Therapie: postoperative Chemo-/Strahlentherapie mit dem Ziel, nach der Operation vorhandene »Mikrometastasen« zu behandeln 4 Kurative Therapie: Therapie mit dem Ziel der Heilung 4 Palliative Therapie: Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität ohne Heilungsaussicht 4 Stratifizierte Behandlung in Therapiegruppen je nach Rückfallrisiko . Abb. 10.1. Relative Häufigkeit maligner Erkrankungen bei Kindern <15 Jahren nach Diagnosegruppen
Während der Therapie besteht die Gefahr der Entwicklung eines lebensbedrohlichen Tumorlysesyn-
190
10
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
droms: bei raschem Tumorwachstum und großer Zellmasse ist bei Beginn der zytostatischen Therapie mit einem akuten Zellzerfall zu rechnen mit Freisetzung von LDH, Phosphat, Kalium und Harnsäure. Es kommt zu Hyperkaliämie, Hyperphosphatämie und folgender Hypokalzämie, Uratnephropathie und Niereninsuffizenz. Therapeutisch müssen die Patienten i.v. hydriert und alkalisiert, ggf. dialysiert werden. Die Chemotherapie schädigt nicht nur Tumorzellen, sondern auch gesunde, rasch proliferierende Gewebe: 4 Hämatopoetische Zellen im Knochenmark: 5 Neutropenie mit Infektionsgefahr: v. a. bakterielle Sepsis und Pilzinfektionen. Der Einsatz von G-CSF (»granulocyte-colony-stimulating factor«) verkürzt die therapiebedingte Aplasie des Knochenmarks. Zusätzlich Trimethoprim/ Sulfamethoxazol zur Prophylaxe einer Pneumocystis jirovecii-Pneumonie. 5 Anämie 5 Thrombozytopenie mit Transfusionsbedürftigkeit 5 Herabgesetzte Funktion des T-Zell-Systems mit Gefahr von Infektionen mit VZV, HSV, CMV und EBV 4 Schleimhäute des Gastrointestinaltrakts: Mukositis 4 Zellen der Haarwurzeln: Haarverlust 4 Je nach Chemotherapeutikum Organschädigung, z. B. Nephrotoxizität, Hepatotoxizität
mien werden nach der Dauer in akut und chronisch und nach der Morphologie in lymphatisch und myeloisch eingeteilt. Im Kindesalter treten (anders als bei Erwachsenen) in >95% akute Leukämien auf. Häufigkeit: 80% ALL, 15% AML, 5% CML oder MDS. ALL (Akute lymphatische Leukämie) Definition. Maligne Erkrankungen unreifer hämatopoetischer Progenitor- oder Vorläuferzellen mit fehlender Differenzierung und unregulierter Proliferation. Die Blastenpopulation beträgt >25% der Gesamtzellzahl des Knochenmarks (im Gegensatz zu Non-Hodgkin-Lymphomen, hier beträgt die Blastenpopulation im Knochenmark <25%). Epidemiologie.
4 80% der Leukämien im Kindesalter, 25% der Krebserkrankungen im Kindesalter 4 Inzidenz 3,5:100 000 Kinder <15 Jahre 4 Medianes Alter bei Diagnosestellung: 5 Jahre Ätiopathogenese.
4 Diffuse Infiltration des Knochenmarks durch leukämische Blasten und Verdrängung der normalen Hämatopoese im Knochenmark mit Anämie, Thrombopenie 4 Ausschwemmung von Blasten in die Blutbahn 4 Organinfiltration durch leukämische Zellen mit Vergrößerung von Lymphknoten, Leber und Milz, Hoden, ZNS und Thymus Symptomatik. In der Regel kurze Anamnese und un-
Therapiebedingte Spätschäden von Organen: 4 Kardiotoxizität (v. a. durch Anthrazykline) 4 Gonadentoxizität mit Infertilität 4 Neurotoxizität (v. a. bei ZNS-Bestrahlung) 4 Orthopädische Probleme (z. B. Osteoporose nach Steroidtherapie, operative Maßnahmen bei Knochentumoren, Wachstumsstörungen nach Radiotherapie) 4 Zweitmalignome, meist Entwicklung innerhalb von 25 Jahren 4 Kinder von ehemals Erkrankten zeigen im Allgemeinen keine erhöhte Fehlbildungsrate und haben mit Ausnahme von Keimbahnmutationen kein wesentlich erhöhtes Risiko, selbst eine Krebserkrankung im Kindesalter zu entwickeln. 10.2
Leukämien
Epidemiologie. Leukämien stellen 35% aller Krebs-
erkrankungen im Kindes- und Jugendalter dar. Leukä-
spezifische Symptome: 4 Blässe, Müdigkeit (Anämie) 4 Blutungen, Petechien (Thrombozytopenie) 4 Infektionen, Fieber (Leukopenie) 4 Organinfiltration: 5 Lymphknotenvergrößerung, Splenomegalie, Hepatomegalie, Mediastinaltumoren 5 Knochenschmerzen (Kleinkind weinerlich, will getragen werden) 5 Seltener: Infiltration von Hoden, ZNS; bei ZNS-Befall: Kopfschmerzen, Erbrechen, Sehstörung, Krampfanfälle Diagnostik.
4 Labor: Leukozytenzahlen variabel, meist Neutropenie, in ca. 25% Leukozytose, normozytäre Anämie mit Retikulozytopenie, Thrombozytopenie, Differenzialblutbild: Beurteilung der Blastenmorphologie; meist LDH ↑, Harnsäure ↑, z. T. Kalium ↑, Phosphat ↑ (Tumorlysesyndrom); Blutausstrich: Nachweis von Blasten
191 10.2 · Leukämien
4 Knochenmarkpunktion zur morphologischen Zuordnung der Leukämie, beim Neugeborenen/ jungen Säugling aus dem Tibiakopf, beim älteren Kind aus dem Beckenkamm 4 Klassifikation: 5 Morphologie: entsprechend der unreifsten Zellelemente (Blasten); nach Zellgröße, Kernform, Chromatinstruktur, Größe und Zahl der Nukleolen, Breite, Basophilie und Vakuolisierung des Zytoplasmasaums 5 Immunhistochemie (PAS, saure Phosphatase, Peroxidase) 5 Immunphänotypisierung: Charakterisierung der Oberflächenantigene (. Tab. 10.2) 5 Zyto- und molekulargenetische Analysen zum Nachweis von Chromosomenveränderungen (z. B. Hyperdiploidie: >50 Chromosomen, Hypodiploidie, Translokationen) haben eine wesentliche prognostische Bedeutung 4 Lumbalpunktion: zum Ausschluss ZNS-Befall 4 Bildgebung. Röntgen-Thorax: bei ALL der T-Zellreihe evtl. Thymustumor; Sonographie Abdomen: Nierenbefall, Lymphknoten 4 EKG/Echokardiographie Differenzialdiagnosen.
4 Infektion mit EBV, CMV oder anderen Erregern 4 Rheumatische Erkrankungen (mit Knochenschmerzen) 4 Nichtmaligne hämatologische Erkrankungen wie Autoimmunthrombozytopenie (ITP) oder aplastische Anämie 4 Knochenmarkinfiltrationen durch andere maligne Erkrankungen wie Neuroblastom oder Non-Hodgkin-Lymphom ! Wechselnde Knochenschmerzen sind ein häufiges Symptom einer akuten Leukämie. Vor Behandlung von »rheumatischen Erkrankungen« mit Knochenschmerzen ist daher immer eine Knochenmarkpunktion zum Ausschluss einer Leukämie durchzuführen.
. Tab. 10.2. Immunphänotyp der ALL im Kindesalter Immunphänotyp pro-B
Anteil der Patienten (%)
10
Risikofaktoren für einen ungünstigen Verlauf der ALL im Kindesalter 4 Alter <1 Jahr oder >10 Jahre 4 Leukozyten >25 000/μl 4 Chromosomale Translokationen (z. B. Philadelphia-Chromosom) 4 ZNS-Befall 4 Immunozytologie
Therapie.
4 Akuttherapie: 5 i.v. Hydrierung, evtl. Natriumbikarbonat 5 Allopurinol p.o. oder i.v. oder Rasburicase 5 Ab Hb <7‒8 g/dl: Erythrozytenkonzentrat 5 Ab Thrombozyten <10‒20 000/μl: Thrombozytenkonzentrat 5 Bei Fieber: antibiotische Therapie nach Abnahme von Blutkulturen 4 Therapieprotokoll (Gesamtdauer 2 Jahre ab Diagnosestellung): 5 Chemotherapie, entsprechend dem Therapieoptimierungsprotokoll, z. B.: 1. Vorphase 2. Induktion: Ziel der Induktionstherapie ist die morphologische Remission (<5% Blasten im Knochenmark). Die Induktion ist im Allgemeinen das intensivste Therapieelement, da die Geschwindigkeit der initialen Zytoreduktion wesentlich mit der Prognose korreliert 3. Konsolidierung: ZNS-wirksame Therapie: intrathekale Therapie; i.v. appliziertes, hoch dosiertes und damit liquorgängiges Methotrexat (ALL) und/oder Cytosin/Arabinosid (AML, ALL); Schädelbestrahlung (bei wenigen Patienten notwendig), Dauer insgesamt ca. 8 Monate. 4. ZNS-Behandlung 5. Reinduktion 6. Orale Erhaltungstherapie Prognose. Heilung in ca. 80%; 5-Jahres-Überlebensrate ca. 84%. Bei Rezidiven gilt: je später das Rezidiv, desto günstiger die Prognose.
5
common
60
prä-B
15
B
2
T
13
Akute myeloische Leukämie (AML) Definition. Maligne Erkrankung ausgehend von den myeloischen Vorläuferzellen. Epidemiologie. 15% der Leukämien im Kindesalter;
häufigste Leukämie bei Neugeborenen.
192
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
Symptomatik. Risikofaktoren für die Entwicklung einer AML 4 Down-Syndrom: 20-fach erhöhtes Risiko 4 Fanconi-Anämie, Blackfan-Diamond-Anämie 4 Knochenmarkversagen: kongenitale Neutropenie, Shwachman-Diamond-Syndrom, aplastische Anämie 4 Vorausgegangene Strahlen- und/oder Chemotherapie: AML ist die häufigste Zweiterkrankung.
4 Ausgeprägtere Klinik und kürzere Anamnese als bei der ALL 4 Häufig uncharakteristische Symptome, Anämie (Blässe und Müdigkeit), Fieber, Infektionen, Blutungszeichen 4 Progrediente Knochenmarksinsuffizienz 4 Lymphadenopathie 4 z. T. ausgeprägte Gerinnungsstörungen (DIC) 4 Hepatosplenomegalie 4 Selten Gingivahyperplasie, Orbita-, Hautinfiltrate, Knochenschmerzen 4 In 5‒10% ZNS-Befall
Ätiopathogenese.
4 Infiltration des Knochenmarks mit leukämischen Blasten 4 Verdrängung der regelrechten Hämatopoese, progredientes Knochenmarkversagen 4 Infiltration von Lymphknoten, Leber, Milz
Klassifikation der AML nach der FrenchAmerican-British-Klassifikation M1–M7
10
4 M1 akute Myeloblastenleukämie ohne Ausreifung 4 M2 akute Myeloblastenleukämie mit Ausreifung 4 M3 akute Promyelozytenleukämie 4 M4 akute myelomonozytäre Leukämie 4 M5 akute Monozytenleukämie 4 M6 Erythroleukämie 4 M7 akute Megakaryozytenleukämie
Therapie. Chemotherapie bestehend aus 4 Vorphase, 1. Induktionsphase, 2. Induktionsphase, Konsolidierungstherapie 4 Bei erhöhtem Risiko und Vorhandensein eines Spenders: HLA-identische Knochenmarktransplantation (KMT) 4 Intensivierungsblock 4 ZNS-Phase: Schädelbestrahlung über 1 Monat 4 Erhaltungstherapie s.c. und oral über 1 Jahr Prognose. Heilung in 52%, Prognose schlechter als bei
der ALL. Chronisch myeloische Leukämie (CML) Definition. Maligne klonale Erkrankung der hämato-
poetischen Stammzellen mit typischer chromosomaler Translokation t(9,22) (Philadelphia-Chromosom), pathologischer Linksverschiebung im Blutbild und häufig chronischem Verlauf über mehrere Jahre.
Diagnostik.
Epidemiologie. Ca. 2% der Leukämien im Kindesalter,
4 Labor: 5 Leukozyten häufig ↑↑ (bis 100 000/μl) 5 Anämie, Thrombopenie 5 Harnsäure ↑, LDH ↑ 5 Häufig Gerinnungsstörung 5 Blutausstrich: häufig Blasten und Myelozyten nachweisbar 4 Knochenmark: 5 Zytologie: uniformes Bild mit überwuchernden Myeloblasten, Einteilung M1‒M7 5 Zytochemie (Myeloperoxidase, Esterase?) 5 Immunologie: 30‒100% Blasten 5 Auer-Stäbchen (stäbchenförmige Zellorganellen) nachweisbar, pathognomonisch für die AML 5 Immunphänotypisierung 5 Zytogenetik 5 Chromosomenanalyse
meist >4. Lebensjahr. Symptomatik.
4 Häufig unspezifische Symptome: Leistungsknick, Bauchschmerzen, Hepatosplenomegalie, Gewichtsverlust, Fieber, Knochen- und Gelenkschmerzen 4 z. T. Hyperleukozytose mit Leukozytenstase und leukämischen Thromben: akute Atemnot, Sehstörungen, neurologische Ausfälle ! Bei CML besteht die Gefahr eines plötzlichen Übergangs in eine akute Blastenkrise.
Diagnostik.
4 Labor: Leukozyten stark erhöht >250 000/μl, alkalische Leukozytenphosphatase typischerweise ↓, Blutbild: Linksverschiebung mit Auftreten aller Vorstufen der Granulopoese und Basophilie im
193 10.3 · Non-Hodgkin-Lymphome
peripheren Blutbild, Anämie, Thrombozytose, Harnsäure ↑, LDH ↑ 4 Knochenmarkpunktion: hyperplastische Myelopoese, oft Megakaryopoese 4 Chromosomenanalyse: Philadelphia-Chromosom (Chromosom 22)+(9;22) 4 Bildgebung: Sonographie-Abdomen, RöntgenThorax
10
Risikofaktoren für die Entwicklung eines NHL 4 Angeborene Immundefekte (Ataxia teleangiectasia, Wiskott-Aldrich-Syndrom, schwerer kombinierter Immundefekt, X-chromosomales lymphoproliferatives Syndrom) 4 Erworbene Immundefekte (AIDS) 4 Patienten unter immunsuppressiver Therapie 4 Assoziation mit einer EBV-Infektion
Therapie.
4 Chronisch: Imatinib, Hydroxyharnstoff, α-Interferon 4 Heilung durch allogene Stammzelltransplantation (in der chronischen Phase in 70%) 4 Supportiv: Allopurinol, Erythrozyten/Thrombozytenkonzentrate, antibiotische Therapie von Infekten Prognose. Ungünstig: im myeloischen Blastenschub kann (im Gegensatz zu einem lymphatischen Blastenschub) eine Chemotherapie meist keine Remission erreichen.
10.3
Non-Hodgkin-Lymphome
Definition. Maligne Proliferation lymphatischer Zellen.
Das Knochenmark ist zu <25% mit Blasten infiltriert (. Abb. 10.2). Einteilung der NHL . Tab. 10.3 4 Vorläuferzell-Lymphom (lymphoblastisches Lymphom) (21%) 4 B-Zell-NHL (57%) 4 Großzelliges, anaplastisches Lymphom (ca. 13%)
Symptomatik.
4 Allgemein: Abgeschlagenheit, subfebrile Temperaturen, Gewichtsabnahme 4 Schmerzlose, zervikale Lymphadenopathie (bei unklarer Lymphnotenvergrößerung Biopsie anstreben!) 4 Mediastinale Tumoren (T-Zell-Lymphome) mit Atemnot, Stridor, Einflussstauung 4 Abdominelle Tumoren (B-Zell-Lymphome) mit Bauchschmerzen, Verdacht auf Appendizitis Diagnostik.
4 Labor: BB oft normal, Harnsäure ↑, LDH ↑ 4 Blutausstrich: evtl. Lymphoblasten 4 Biopsie: Lymphknoten oder Primärtumor: Histologie, Zytochemie, Immunologie, Zytogenetik, Molekulargenetik 4 Bildgebung: Sonographie, Röntgen, MRT, CT 4 Knochenmarkpunktion 4 Lumbalpunktion Therapie. . Tab. 10.3. Prognose. Heilung in 82%.
Stadieneinteilungen/Klassifikationen nach REAL, Kiel, Ann-Arbor, Murphy, St. Jude (s. weiterführende Lehrbücher).
Epidemiologie.
4 Dritthäufigste maligne Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen (7‒13%), 60% Non-HodgkinLymphome, 40% Hodgkin-Lymphome 4 Durchschnittsalter bei Diagnosestellung: 9 Jahre 4 m:w=3:1 4 Geografische Verbreitung: in Japan selten, in Afrika sind 50% aller Krebserkrankungen NHL vom BZell-Typ (Burkitt-Lymphome)
. Abb. 10.2. Malignes Lymphom
194
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
. Tab. 10.3. Non-Hodgkin-Lymphome Lymphoblastisches Lymphom
B-Zell-Lymphom (kleinzelliges Lymphom, Burkitt-Lymphom)
Grosszelliges anaplastisches Lymphom (ALCL)
Definition
Lymphom mit Proliferation z.B. unreifer T-Zellen oder Vorläufer-B-Zellen
Lymphom mit Proliferation reifer B-Zellen und Expression von IgM auf Zelloberflächen
Kleine Gruppe von NHL mit pleomorphen, anaplastischen Zellen, die das Oberflächenantigen CD30 (Ki1) exprimieren.
Epidemiologie
4 20–25% der NHL
4 >50% der NHL 4 In Europa nur sporadisches Auftreten (in 20% EBV-assoziiert) 4 In Afrika endemisches Auftreten (in >90% EBV-assoziiert) 4 1958 erstmals von Burkitt bei afrikanischen Kindern beschrieben (Burkitt-Lymphom)
4 <13% der NHL
Symptomatik
4 Tumoren des vorderen Mediastinums (bei lymphoblastischen T-Zell-Lymphomen) 4 Häufig Pleuraergüsse 4 Bei Kompression von Trachea und Bronchien: Luftnot und Stridor 4 Auch Leber- und Milzbefall
4 Abdominaltumor mit Schmerzen, Ileus und Invagination 4 Tonsilläre Tumoren
s. o., seltener Knochenmarkoder ZNS-Befall.
Diagnostik
4 s. o.
4 Dissemination von <25% der Lymphomzellen (Blasten) im Knochenmark: B-Zell-Lymphom (bei >25%: B-ALL) 4 Translokation auf Chromosom 8 mit Deregulation des c-mycOnkogens
4 Translokation t(2;5)
Therapie
Ähnlich der präB-/T-ALL
Vorphase, dann kurze, intensive Chemotherapie über 6 Monate
Kurze, alternierende Polychemotherapiezyklen, ähnlich der B-Zell-Lymphomtherapie
Besonderheit
Bei lebensbedrohlicher Luftnot ist der sofortige Beginn einer zytostatischen Therapie auch ohne histologische Sicherung des Tumors indiziert
B-Zell-Lymphome sind rasch proliferierende Tumoren mit großer Tumormasse, häufig kommt es zum Tumorlysesyndrom
10
195 10.5 · Tumoren des ZNS
10.4
Hodgkin-Lymphome (Lymphogranulomatose)
Definition. Maligne Erkrankung mit Proliferation
maligner Zellen, die von B-Zellen unterschiedlichen Reifegrads abstammen. Befall von Leber, Milz, Lymphknoten, Mediastinum, später Organbefall. Von Hodgkin als »Lymphogranuloma malignum« beschrieben. Charakteristischer Nachweis von Hodgkin-Zellen und Sternberg-Reed-Zellen.
10
4 Bildgebung: Röntgen-Thorax: Mediastinalverbreiterung, Sonographie-Abdomen, CT (Thorax), MRT (Hals, Abdomen, Becken), FDG-PET 4 Lymphknotenbiopsie 4 Knochenmarkstanzbiopsien ab Stadium IIb 4 Histologie (Lymphknotenbiopsie): 5 Sternberg-Reed-Riesenzellen: große, multinukleäre Zelle mit großen Nukleoli und einem blassen Hof, sie sind die eigentlichen Tumorzellen und meist klonal aus einer B-Zelle hervorgegangen. 5 Hodgkin-Zellen: s. oben, aber einzellig
Einteilung der Hodgkin-Lymphome WHO-Klassifikation: 1. Noduläres, lymphozytenprädominantes Hodgkin-Lymphom 2. Klassisches Hodgkin-Lymphom: – Lymphozytenreicher Subtyp (LP): 10% – Mischtyp (MC): >30% – Noduläre Sklerose (NS): 50% (häufigste Form im Kindesalter) – Lymphozytenarmer Subtyp: <10% Stadieneinteilung basierend auf Ann-ArborKlassifikation (weiterführende Lehrbücher Pädiatrie).
Therapie. Kombinierte Radiochemotherapie; in der Re-
gel gutes Ansprechen auf die Therapie, aber Spätfolgen, v. a. durch die Strahlentherapie bedingt: Skoliose, kosmetische Probleme, Zweittumoren (Schilddrüse, Mamma).
Risikofaktoren mit Verschlechterung der Prognose bei Hodgkin-Lymphomen (in pädiatrischer HD-Studie) 4 4 4 4
B-Symptomatik Extranodaler Befall oder Stadium IV Noduläre Sklerose Grad 2 Geschlecht: männlich
Epidemiologie.
4 5% der Krebserkrankungen im Kindesalter 4 2 Altersgipfel: 15.‒30. Lebensjahr und 45.‒55. Lebensjahr, Altersmedian 13 Jahre 4 EBV-Assoziation
Prognose.
4 Heilungsraten >95%, nach Rezidiv >90% 4 Lange Nachbeobachtungszeiten, da Rezidive auch noch nach >5 Jahren auftreten können.
Symptomatik.
4 Schmerzlose, derbe Schwellung peripherer Lymphknoten, meist zervikal und supraklavikulär, seltener axillär oder inguinal 4 Häufig Mediastinalverbreiterung durch angrenzende mediastinale Lymphknoten, evtl. Husten, Atemnot und Einflussstauung 4 Evtl. Infiltration von Lunge oder Perikard 4 Seltener infradiaphragmaler Befall (Milz, Leber) 4 Bei 30% der Patienten: B-Symptomatik: Fieber (>38°C), Nachtschweiß oder Gewichtsverlust >10% des Körpergewichts innerhalb der letzten 6 Monate. Diagnostik.
4 Anamnese: B-Symptomatik 4 Klinik: Hepatosplenomegalie (selten) 4 Labor: evtl. Leukozytose, Lymphopenie, oft normochrome, normozytäre Anämie, evtl. Eosinophilie, BKS ↑, LDH ↑, Ferritin ↑, Fibrinogen ↑, Kupfer ↑
10.5
Tumoren des ZNS
Epidemiologie. Zweithäufigste Tumorgruppe im Kindesalter (nach den Leukämien); m>w. . Tab. 10.4. . Tab. 10.4. Häufigkeit der ZNS-Tumoren im Kindesalter Tumorart
Häufigkeit im Kindesalter
Astrozytome
50%
Medulloblastome
20%
Ependymome
10%
Kraniopharyngeom
5%
196
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
Symptomatik. Einteilung der ZNS-Tumoren Grading (Histologie): 4 G1 – gut differenziert (I) 4 G2 – mäßig differenziert (II) 4 G3 – schlecht differenziert (III) 4 G4 – undifferenziert (IV) Lokalisation: 4 Infratentoriell: Kleinhirnastrozytom, Medulloblastom, Hirnstammgliom, Ependymom (im Kindesalter ca. 66%) 4 Supratentoriell: Kraniopharyngeom, Hypophysentumor, N. opticus-Gliom, Großhirnastrozytom, PNET 4 Hintere Schädelgrube: Tumor des Kleinhirns und Hirnstamms (im Kindesalter ca. 50%)
WHO-Klassifikation der Hirntumoren im Kindes- und Jugendalter 1.
10
2. 3.
4.
Tumoren der neuroepithelialen Gewebe (Auswahl): – Astrozytische Tumoren (30–35%): z. B. Astrozytom, Glioblastoma multiforme – Ependymale Tumoren (10–15%): Ependymom – Tumoren des Plexus choroideus (2–3%): Plexuspapillom, Plexuskarzinom – Tumoren des Pinealisparenchyms (2–3%): Pineozytom, Pineoblastom – Embryonale Tumoren (15–20%): Medulloblastom, primitiver, neuroektodermaler Tumor Menigeale Tumoren (1–2%) Keimzelltumoren (3–5%) – Germinom – Embryonales Karzinom – Dottersacktumor – Teratom – Choriokarzinom – Gemischter Keimzelltumor Tumoren der Sellaregion (8–10%) – Hypophysenadenom – Hypophysenkarzinom – Kraniopharyngeom
4 Symptomatik abhängig von der Lokalisation: 5 Großhirn: fokale Anfälle, neurologische Herdsymptome, Paresen, Parästhesien 5 Kleinhirn: Ataxie, Gleichgewichtsstörungen, Fallneigung, Nystagmus, Dysmetrie 5 Sella: Hypophyseninsuffizienz, Diabetes insipidus, Gesichtsfeldausfälle 5 Hirnstamm: Hirnnervenausfälle, Pyramidenbahnzeichen 5 Infratentoriell: Hirndruck 4 Hirndrucksymptomatik: Kopfschmerzen, (Nüchtern) Erbrechen, Papillenödem, Stauungspapille, Sehstörungen, Abduzenzparese, Schiefhaltung des Kopfs, Singultus bei Hirnstammschädigung, Bewusstseinsstörungen, Atemstörungen, Koma 4 Allgemein: Wesensveränderung, Leistungsknick ! Bei intrakraniellem Druckanstieg durch Liquorzirkulationsstörungen besteht die Gefahr der Verlagerung von Hirngewebe nach kaudal mit Herniation durch den Tentoriumschlitz. Bei weiterem Druckanstieg kommt es zur lebensbedrohlichen Herniation der Medulla oblongata durch das Foramen magnum.
Diagnostik.
4 Anamnese 4 Klinik: neurologische Untersuchung, ophthalmologische Untersuchung (Stauungspapille?) 4 Bildgebung: im Säuglingsalter bei offener Fontanelle: Schädelsonographie; bei älteren Kindern: MRT (Schädel und Wirbelsäule), CT ! Bei Verdacht auf Hirntumor ist vor Lumbalpunktion eine Bildgebung des Gehirns durchzuführen, da eine Lumbalpunktion bei erhöhtem Hirndruck eine lebensbedrohliche Einklemmung hervorrufen kann.
Therapie.
4 Wenn möglich: komplette makroskopische Resektion 4 Wenn Resektion oder offene Biopsie nicht möglich: stereotaktische Biopsie 4 Postoperativ Strahlentherapie und/oder Chemotherapie Prognose. Je nach Tumor unterschiedlich, die 5-JahresÜberlebensrate aller ZNS-Tumoren beträgt ca. 60%.
Risikofaktoren.
4 Schädelbestrahlung 4 Genetische Ursachen: erhöhte Inzidenz z. B. bei Neurofibromatose Typ 1, tuberöse Hirnsklerose, Basalzellnävussyndrom
> Bei morgendlichem Nüchternerbrechen muss ein Hirntumor ausgeschlossen werden.
197 10.5 · Tumoren des ZNS
Medulloblastom Definition. Maligner, PNET (primitiver neuroektodermaler Tumor) der hinteren Schädelgrube, meist ausgehend vom Kleinhirnwurm oder dem Dach des IV. Ventrikels (. Abb. 10.3). Frühe Dissemination in den Liquorraum, häufig Abtropfmetastasen im Spinalkanal. Epidemiologie. Medianes Alter bei Diagnosestellung:
5 Jahre; m:w=2:1. Symptomatik.
4 Initial intermittierende Symptomatik, dann 4 Hirndrucksymptomatik: Kopfschmerzen, (Nüchtern) Erbrechen, Papillenödem, Müdigkeit, später beinbetonte Ataxie, Dysmetrie, Nystagmus 4 Bei Hirnstamminfiltration Doppelbilder und Hirnnervenausfälle ! Nackensteifigkeit und Schiefhals sind Zeichen einer beginnenden Herniation der Kleinhirnhemisphären in das Foramen magnum. Es muss eine sofortige neurochirurgische Intervention durchgeführt werden.
Therapie.
4 Subokzipitale Kraniotomie und möglichst komplette Tumorresektion 4 Postoperativ Bestrahlung der gesamten Neuroaxe (>4. Lebensjahr) und Chemotherapie 4 Bei bis zu 40% tritt postoperativ ein Posterior-FossaSyndrom auf: Mutismus, Ataxie, Hemiparese
10
Prognose. 5-Jahresüberlebensrate: >60%, aber häufig bleibende intellektuelle und funktionelle neurologische Defizite.
Ependymom Definition. Epithelialer Tumor aus den ependymalen Zellen des Liquorsystems mit blumenkohlartiger Oberfläche, invasivem Wachstum und frühzeitiger Metastasierung über den Liquor. Symptomatik.
4 Hirndrucksymptomatik 4 Endokrinopathie bei Hypophyseninfiltration: Diabetes insipidus, Hypothyreose, STH-Mangel, NNRInsuffizienz Therapie.
4 Möglichst komplette Resektion 4 Postoperativ Radio- und Chemotherapie (>18. Lebensmonat) Prognose. Überlebenswahrscheinlichkeit: 50‒75% bei
kompletter Resektion, 0‒26% bei inkompletter Resektion. Kleinhirnastrozytome (WHO Grad I und II, Gliome mit niedriger Malignität) Definition. Von den Astrozyten abstammende Gliome, häufige ZNS Tumoren des Kindesalters, meist niedrig maligne, langsam wachsend, umschrieben, oft zystisch. Symptomatik. Hirndrucksymptomatik, häufig ensteht ein Hydrozephalus. Therapie.
4 Bei kompletter Resektion: Heilung 4 Bei inkompletter Resektion und Symptomen bzw. Progression <8 Jahre: Chemotherapie, >8 Jahre Radiotherapie 4 5-Jahres-Überlebensrate: 90% Hirnstammgliome Definition. Prognostisch ungünstige Tumoren ausgehend von Gliazellen des Hirnstamms, in 80% diffuse, intrinsische Ponstumoren. Symptomatik/Prognose. Kurze Anamnese, multiple
Hirnnervenausfälle. 2-Jahres-Überlebensrate: 2%.
. Abb. 10.3. MRT-Darstellung eines Medulloblastoms
Gliatumoren Supratentorielle, niedrig maligne Gliatumoren Definition. Supratentoriell lokalisierte Tumoren ausgehend von Gliazellen mit niedrigem Malignitätsgrad, Mehrzahl der Astrozytome.
198
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
Therapie.
4 Wenn möglich komplette chirurgische Resektion; bei inkompletter Resektion möglichst beobachtende Haltung, da niedrigmaligne Gliome im Kindesalter selten zu höheren Malignitätsgraden fortschreiten. Evtl. später erneute Resektion. 4 Bei inkompletter Resektion und Symptomen bzw. Progression: <8 Jahre: Chemotherapie; >8 Jahre: Radiotherapie. Supratentorielle, hochgradig maligne Gliatumoren Definition. Supratentoriell lokalisierte Tumoren ausgehend von Gliazellen mit hohem Malignitätsgrad. In den meisten Fällen Astrozytome Grad III (anaplastische Astrozytome) und Grad IV (Glioblastome). Seltener Oligodendrogliome, Gangliogliome und gemischt-astrozytisch-oligodendrogliale Tumoren. Symptomatik. Rasch progredient: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Paresen. Therapie.
10
4 Meist nur inkomplette chirurgische Resektion möglich 4 Postoperativ: Bestrahlung mit 50‒60 Gy >3 Jahre und Chemotherapie. Prognose. 3-Jahres-Überlebensrate 0‒3%.
Gliome des N. opticus und Chiasma optici Definition/Epidemiologie. Meist niedrig maligne Astrozytome im Bereich des Sehnervs und des Chiasma optici, die langsam in die Nachbarschaft einwachsen, z. B. in Frontalhirn, Hypothalamus und Thalamus. Insgesamt ca. 5% der kindlichen ZNS-Tumoren, in 50‒80% der Fälle mit Neurofibromatose-Typ-1 (NF-1) assoziiert.
Symptomatik. Je nach Lokalisation: 4 Suprasellär: frühzeitig Hirndrucksymptomatik (Hydrocephalus occlusus bei Verschluss des III. Ventrikels), Sehstörungen: Gesichtsfeldausfälle, häufig bitemporale Hemianopsie, Visusverlust bei Infiltration des Chiasmas 4 Intrasellär: Infiltration der Hypophyse mit Endokrinopathie, Wachstumsverzögerung, Diabetes insipidus 4 z. T. Durchbrechen des Diaphragma sellae Diagnostik.
4 Labor: Bestimmung von AFP und β-HCG in Liquor/Serum zum Ausschluss von intrakraniellen Keimzelltumoren 4 Bildgebung: MRT-Schädel, CT-Schädel, Nachweis verkalkter Tumoranteile (. Abb. 10.4) 4 Histologie: langsames Wachstum, feste Kapsel; zystische Anteile; ausgeprägte Verkalkungstendenz Therapie.
4 Möglichst komplette Tumorentfernung, zusätzlich Radiotherapie 4 häufige Rezidive, kein einheitliches Therapiekonzept im Kindes- und Jugendalter, Hormonsubstitution bei hormonellen Ausfällen. Primäre Keimzelltumoren Definition. Primäre Keimzelltumoren des ZNS sind in ca. 50% der Fälle reine Germinome. Andere Keimzelltumoren werden entsprechend dem hauptsächlich vor-
Symptomatik.
4 Visusverlust, Nystagmus, Amblyopie des betroffenen Auges 4 Bei Beteiligung des Zwischenhirns: endokrinologische Störungen, Wachstumsretardierung, Pubertas praecox Therapie. Wie bei den niedrig malignen Gliomen.
Kraniopharyngeome Definition/Epidemiologie. Gutartige, epitheliale Tumo-
ren der Sellaregion, ausgehend von Resten des embryonalen Ductus craniopharyngeus (Rathke-Tasche); häufigster nichtglialer, intrakranieller Tumor des Kindesalters.
. Abb. 10.4. Kraniopharyngeom. MRT, T2-gewichtet: große Raumforderung im Bereich der Sella und suprasellär, z. T. kleine, dunkle Verkalkungen
199 10.6 · Weichteilsarkome
liegenden Zelltyp klassifiziert in embryonale Karzinome, Dottersacktumoren, Chorionkarzinome oder maligne Teratome. Keimzelltumoren sind bevorzugt in der Vierhügelregion und suprasellär lokalisiert. Epidemiologie. Häufigkeitsgipfel im 2. und 3. Lebens-
jahrzehnt. Symptomatik. Leitsymptom: Pubertas praecox; bei Aquäduktstenose: Hirndruck; Sehstörungen. Diagnostik. Labor: α-Fetoprotein ↑, β-HCG ↑ in Serum
10
4 Gerötetes, entzündetes, schmerzhaftes Auge 4 Glaukom, Sehverlust Diagnostik.
4 Untersuchung des Auges in dilatierter Pupille in Narkose 4 Bildgebung: Sonographie, CT, MRT (Infiltration N. opticus?), bei fortgeschrittenen Tumoren Nachweis von Metastasen in Liquor, Knochenmark und Knochen 4 Histologie: kleine, runde, basophile Zellen mit Pseudorosettenbildung, exophytisches Wachstum
und Liquor. Therapie. Mit dem Ziel der Erhaltung der Sehkraft Therapie.
4 Reife Teratome: Resektion 4 Reine Germinome: Strahlentherapie 4 Bei malignem Keimzellanteil: kombinierte Radio-/ Chemotherapie
ohne Einschränkung der Überlebenswahrscheinlichkeit, je nach Stadium: Kryotherapie, Photokoagulation, externe Radiotherapie, radioaktive Implantate, systemische Chemotherapie oder Enukleation. Prognose.
Intramedulläre Tumoren des Rückenmarks 3‒6% der ZNS-Tumoren liegen intramedullär, in 70% sind dies Astrozytome, aber auch Ependymome, Oligodendrogliome, Ganglioneurome und hochmaligne Gliome.
4 Nach Therapie Überlebenswahrscheinlichkeit 97%; 50% Dauerheilung bei Stadium III und IV 4 Hereditäre Formen: hohes Risiko, Zweitmalignome zu entwickeln, v. a. Osteosarkome.
Retinoblastom Definition. Ein von der Retina ausgehender, maligner Tumor.
10.6
Epidemiologie.
4 ca. 2% der malignen Tumoren im Kindes- und Jugendalter 4 Häufigkeit in Europa und den USA: 1:18 000 Geburten, in einigen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas deutlich häufiger 4 Medianes Alter bei Diagnosestellung: 1,3 Jahre
Weichteilsarkome
Definition/Epidemiologie. Heterogene Gruppe von
Neoplasien des Weichteilsgewebes. In ca. 50‒60% der Fälle Rhabdomyosarkome (RMS), seltener Synovialsarkome, Fibrosarkome oder Hämangiosarkome. Weichteilsarkome machen ca. 7% aller Krebserkrankungen im Kindesalter aus. 10.6.1 Rhabdomyosarkom
Ätiopathogenese.
Definition. Hochmaligner Weichteiltumor aus primi-
4 Auftreten: spontan oder hereditär (autosomal-dominant, hohe Penetranz) 4 Ursächlich sind verschiedene Mutationen im Retinoblastom-Gen RB1. 4 Nichthereditäre Fälle (ca. 60%) sind unifokal und betreffen immer nur ein Auge. 4 Hereditäre Fälle sind multifokal einseitig (15%) oder beidseitig (25%).
tiven, mesenchymalen Zellen, die sich zu quergestreifter Muskulatur differenzieren. Einteilung in embryonale RMS (70%) und alveoläre RMS (30%).
Symptomatik.
4 Leukokorie, amaurotisches Katzenauge: weißer Lichtreflex in der Pupille (besonders deutlich auf Fotos erkennbar) 4 Schielen
Epidemiologie/Ätiologie.
4 Häufigster Weichteiltumor des Kindesalters (54% der Weichteilsarkome) 4 Altersgipfel: 1.‒5. Lebensjahr und 15.‒19. Lebensjahr 4 m>w 4 Das alveoläre RMS ist wesentlich bösartiger und weist die Translokation t(2;13)(q35,q14) auf. 4 Die chromosomalen Veränderungen des embryonalen RMS sind noch nicht bekannt.
200
10
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
Symptomatik. Je nach Lokalisation:
Epidemiologie.
4 Kopf/Hals: Protrusio bulbi, Konjunktivitis, Sinusitis, Epistaxis 4 Urogenitaltrakt: Harnverhalt, Zystitis, Dysurie 4 Extremitäten: schmerzlose Weichteilschwellung 4 Parameningeal: direkte Infiltration der Schädelbasis oder Meningen 4 30% der RMS sind bei Diagnosestellung bereits metastasiert in Lunge, Leber, Knochen, Knochenmark oder Gehirn
4 Häufigster maligner Knochentumor im Kindesalter 4 Häufigkeitsgipfel 16. Lebensjahr bei Jungen, 14. Lebensjahr bei Mädchen; m>w 4 Bevorzugte Lokalisation: Metaphysen der langen Röhrenknochen, v. a. kniegelenksnah, 60% distaler Femur und proximale Tibia 4 In 10‒20% bei Diagnosestellung bereits metastasiert, zu 90% in die Lunge, auch Skelettmetastasierung
Diagnostik.
Symptomatik. Schmerzen, Schwellung, Rötung, Über-
4 Bildgebung: Röntgen-Thorax, MRT-Schädel, CTThorax, Sonographie-Abdomen, evtl. MRT-Abdomen, evtl. FDG-PET 4 Offene Biopsie: histologische und molekulargenetische Differenzierung 4 Metastasierung: Knochenmarkpunktion, Skelettszintigramm
wärmung, Spontanfrakturen.
Therapie. Abhängig von Lokalisation und Stadium: primär komplette Resektion, falls nicht möglich, postoperative Chemotherapie; Radiotherapie ab R1-Resektion. Prognose.
4 Prognostische Parameter sind Stadium, Lokalisation und histologischer Subtyp 4 Bei primär komplett resezierten Tumoren beträgt die Heilungsrate 80‒90% 4 Bei günstiger Histologie und nicht kompett resezierten Tumoren beträgt die Heilungsrate 65‒70%, bei ungünstiger Histologie 40% 4 Disseminierte Tumoren (Stadium IV/Fernmetastasen) haben eine schlechtere Prognose, rezidivfreies Überleben in 10‒30%. 4 5-Jahres-Überlebensrate beträgt beim alveolären RMS 36%, beim embryonalen RMS 69%.
Diagnostik.
4 Röntgen: Osteolyse, seltener Sklerosierung, Unterbrechung der Kortikalis, Periostreaktion: Spiculae (senkrecht zum Knochen wachsendes Osteoid), Sunburst-Phänomen (ausgeprägte periostale Reaktion), Codman-Dreieck (dreiecksförmige Periostreaktion) (. Abb. 10.5) 4 MRT/CT: Ausdehnung des Tumors im Markraum und den Weichteilen 4 Ganzkörperszintigramm mit 99Technetiumdiphosphat: Nachweis knöcherner Metastasen 4 Biopsie: die Diagnosestellung erfolgt immer bioptisch 4 Röntgen-Thorax/CT-Thorax: Metastasensuche 4 FDG-PET 4 Histologie: vielfältig: osteoblastisch, chrondroblastisch, fibroblastisch oder teleangiektatisch Therapie.
4 Operation: Resektion, ggf. Amputation, Gelenkentfernung, Prothese; Resektion von Lungenmetastasen 4 Prä- und postoperative Chemotherapie Prognose.
10.7
Maligne Knochentumoren
Einleitung. Im Kindesalter treten v. a. Osteosarkome
und Ewingsarkome auf, Chondosarkome sind im Kindesalter eher selten. Knochentumoren machen 10% aller Neoplasien im Kindesalter aus. Wichtige Differenzialdiagnosen sind Osteomyelitis, Metastasen anderer Neoplasien und Langerhanszell-Histiozytose. Osteosarkom Definition. Hochmaligner, osteoidproduzierender
Spindelzelltumor ausgehend von der Knochenmatrix.
4 Heilung in 60% 4 Rezidivfreies Überleben beim lokalisierten Extremitäten-Osteosarkom: 70‒80%, bei Patienten mit Lungenmetastasen: 30% Ewing-Sarkom Definition. Hochmaligner Knochentumor aus Endothel, häufig diaphysärer Sitz im Mark langer Röhrenknochen oder in Becken, Rippen, Skapulae oder Wirbelkörpern.
201 10.7 · Maligne Knochentumoren
a
10
b
. Abb. 10.5a, b. Osteosarkom des distalen Femur mit Zeichen der Malignität: Codman-Dreieck, permeative Knochendestruktion, Sunburst-Phänomen. Weichgewebsanteil mit Tumorsklerosierung
a
b
. Abb. 10.6a, b. Ewing-Sarkom des distalen Femur mit expansiver Knochenmarksläsion, vermehrter Knochendichte und typischem Zwiebelschalenphänomen
Epidemiologie.
Diagnostik.
4 Zweithäufigster Knochentumor im Kindesalter (nach dem Osteosarkom) 4 Altersgipfel: 15 Jahre 4 m>w
4 Labor: evtl. Leukozytose, Anämie, BKS ↑, LDH ↑ (DD: Osteomyelitis!) 4 Biopsie: die Diagnose wird bioptisch gestellt, das klassische Ewing-Sarkom zeigt kleine, runde, blaue Zellen mit spärlichem Zytoplasmasaum 4 Bildgebung: Röntgen in 2 Ebenen, MRT und CT (. Abb. 10.6) 4 Metastasensuche: Röntgen-Thorax, CT-Thorax, Knochenszintigraphie, FDG-PET, Knochenmarkpunktion, Biopsie für Histologie, Immunhistochemie und molekularbiologische Untersuchungen
Ätiopathogenese. Ausgehend von einer peripheren, neuroektodermalen Stammzelle können Ewing-Tumoren eine variable neuronale Differenzierung zeigen. Zur Ewing-Sarkom-Familie gehören das Ewing-Sarkom, das atypische Ewing-Sarkom und die PNET-Tumoren (primitive neuroektodermale Tumoren). 95% der Tumoren der Ewing-Sarkom-Familie zeigen Translokationen des Ewing-Sarkom-Gen (EWS) auf Chromosom 22 (in 85% t(11;22)(q24,q12)). Symptomatik.
4 Schmerzen, Schwellung und Bewegungseinschränkung 4 Fieber 4 Bei Diagnosestellung in 25% bereits metastasiert in Knochen, Knochenmark und Lunge.
Therapie.
4 Operation, prä- und postoperative Chemotherapie 4 Evtl. autologe Stammzelltransplantation 4 Evtl. Radiotherapie Prognose. Rezidivfreies Überleben in 60% bei Patien-
ten ohne Metastasen, in 25% bei Patienten mit Metastasen.
202
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
Neuroblastom Definition. Maligner, embryonaler Tumor des Kindesalters ausgehend vom Nebennierenrindenmark oder vom sympathischen Grenzstrang. Einteilung des Neuroblastoms 4 Stadium 1:Tumor vollständig resezierbar 4 Stadium 2: Tumor operabel, aber makroskopischer Resttumor 4 Stadium 3: Tumor nicht operabel 4 Stadium 4: Fernmetastasen 4 Stadium 4S: Kinder <1 Jahr in Stadium 1 oder 2, ohne Knochenbefall, aber mit Dissemination in der Leber und Befall von Knochenmark (<10%) oder Haut
Epidemiologie.
4 Häufigkeit 1,1:100.000 Kinder <15 Jahren 4 Neben Leukämien und Gliomen die dritthäufigste maligne Erkrankung im Kindesalter 4 30% der Kinder erkranken im 1. Lebensjahr, 90% vor dem 6. Lebensjahr
10
Ätiopathogenese. Histologisch finden sich im Wesentlichen Neuroblasten/Ganglienzellen und SchwannZellen: kleine, hyperchromatische Tumorzellen mit schmalem Zytoplasma (»kleine, runde, blaue Tumoren«), häufig in Pseudorosetten gruppiert. Die Neuroblasten zeigen unterschiedliche ganglionäre Differenzierungen, das Ganglioneurom ist die ausdifferenzierteste Form. Prognostisch ungünstig sind genetische Veränderungen der Tumorzelle (z. B. Amplifikation des N-myc-Protoonkogens oder der Verlust von Material auf Chromosom 1p). Symptomatik. Abhängig von der Lokalisation (Abdomen: 70%; Thorax: 25%; Becken: 5%): 4 Abdomen: Vorwölbung, Bauchschmerzen, Erbrechen, Obstipation, Diarrhoe 4 Hinteres Mediastinum, zervikal: Schwellung, Horner-Syndrom (Miosis, Ptosis, Enophthalmus), Husten, Stridor, Dysphagie 4 Paravertebrale Ganglien: Einwachsen durch die Foramina intervertebralia in den Spinalkanal (Sanduhrtumor), Markkompression: Parästhesien, Paraplegie, Blasen- und Mastdarmlähmung 4 Bevorzugte Metastasierung in Knochen, Lymphknoten, Knochenmark, Leber oder retroorbital: typische periorbitale Ekchymosen und Protrusio bulbi 4 Allgemeinsymptome: Irritabilität, Hinken (Knochenschmerzen), Fieber
4 Stadium 4S: ausgeprägte Hepatomegalie und Lebermetastasen 4 Paraneoplastisch: Opsoklonus/Myoklonus-Syndrom mit Myoklonien, raschen Augenbewegungen »dancing eyes«, zerebellärer Ataxie (selten und v. a. bei niedrigen Stadien) Diagnostik.
4 Labor: Anämie, LDH ↑, Ferritin ↑, neuronenspezifische Enolase (NSE) ↑ (Verlaufsparameter) 4 Urin: Das Neuroblastom ist in >80% der Fälle ein katecholaminproduzierender Tumor, im Urin Ausscheidung der Abbauprodukte Vanillinmandelsäure und Homovanillinsäure; evtl. auch Nachweis im Serum (weniger sensitiv) 4 Bildgebung: Sonographie Abdomen, MRT, 123MetaIodbenzylguanidin (MIBG-)Szintigraphie 4 Knochenmarkpunktion an 4 Punktionsstellen: Nachweis von Tumorzellen 4 Tumorbiopsie mit Histologie und Untersuchung des Gewebes auf nmyc-Amplifikation und 1p-Deletion 4 Skelettszintigraphie bei MIBG-Szintigraphie-negativen Tumoren > Die Diagnosesicherung bei Neuroblastom erfolgt durch den Nachweis erhöhter Katecholamine im Urin und durch die MIBG-Szintigraphie.
Therapie. Therapie je nach Risikogruppe (Alter,
n-myc-positiv/negativ, Stadien, 1p-Deletion positiv/ negativ) 4 Operation und Beobachtung (in den ersten 15 Monaten ist eine spontane Rückbildung des Tumors möglich) 4 Falls Tumorprogression und Symptome: Chemotherapie 4 Stadium IV und wenn nmyc positiv: Operation plus Chemotherapie, Operation plus autologe Stammzelltransplantation und evtl. Radiotherapie Prognose. Stadienabhängig: Stadium 1 und 2: 90%, Stadium 3: 70%, Stadium 4: 20‒30%; 5-Jahres-Überlebensrate insgesamt: 65%; Säuglinge haben eine bessere Prognose als ältere Kinder
10.8
Nierentumoren
Nephroblastom (Wilms-Tumor) Definition. Maligner, von der Niere ausgehender Tumor aus embryonalem Mischgewebe mit mesenchymalen und epithelialen Anteilen.
203 10.8 · Nierentumoren
Stadieneinteilung des Nephroblastoms 4 Stadium I: Tumor auf die Niere beschränkt 4 Stadium II: Überschreiten der Niere, aber vollständige operative Entfernung möglich 4 Stadium III: Überschreiten der Niere, aber vollständige operative Entfernung nicht möglich 4 Stadium IV: Fernmetastasen 4 Stadium V: bilateraler Tumor
10
! Bei Verdacht auf Wilmstumor muss die Palpation des Abdomens vorsichtig erfolgen, da die Gefahr einer Tumorruptur mit Metastasierung besteht.
Differenzialdiagnostik.
4 Neuroblastom 4 Zystennieren, Abszesse 4 Klarzellsarkom: bevorzugte Metastasierung in Knochen und Gehirn 4 Rhabdoidtumor der Nieren 4 Nierenzellkarzinom (selten)
Epidemiologie.
4 Häufigkeit: 6% aller kindlicher Malignome 4 Altersgipfel: 1.‒4. Lebensjahr, 80% vor dem 5. Lebensjahr 4 z. T. mit kongenitalen Fehlbildungen assoziiert: Aniridie (1%), urogenitale Fehlbildungen (4,7%), Hemihypertrophie (2,4%), Beckwith-Wiedemann-Syndrom (Omphalozele, Makroglossie, Hemihypertrophie), Denys-Drash-Syndrom (Wilms-Tumor, Pseudohermaphroditismus, Nephritis), WAGR-Syndrom (Wilms-Tumor, Aniridie, urogenitale Fehlbildungen, geistige Retardierung) 4 in 5% bei Diagnosestellung bilateral, 1% werden später bilateral
Therapie.
Ätiopathogenese.
Prognose. Heilungsrate 90%.
4 Entstehung aus persistierenden Resten des metanephrogenem Blastems, häufig Nephroblastomreste nachweisbar 4 Histologie gemischt: undifferenziertes Blastem und differenzierte Strukturen, histologische Klassifizierung von prognostischer Relevanz 4 Makroskopisch: großer Tumor, heterogener Aufbau, Pseudozysten, nekrotische und hämorrhagische Anteile; Durchbrechen der Nierenkapsel, Einwachsen ins perirenale Fettgewebe, Einbrechen ins Nierenbecken 4 In 8% hämatogene Metastasen, v. a. in Lunge, auch Leber, Knochen, ZNS 4 Bei Einbruch in die Nierenvene: Entstehung von Tumorzapfen in der V. cava inferior
4 Präoperative Chemotherapie, darunter meist deutliche Rückbildung der Tumorgröße 4 Operation: Entfernung der Niere und des perirenalen Fettgewebes 4 Postoperative Fortsetzung der Chemotherapie, je nach Histologie und Stadium 4 Bei Lymphknotenbefall, Stadium-III-Tumoren oder intraperitonealer Tumoraussaat: zusätzlich Radiotherapie; Spätfolgen durch Radiotherapie sind skelettale und muskuläre Hypoplasien, orthopädische Probleme und bei Frauen Fertilitätsstörungen.
Weitere Nierentumoren Rhabdoidtumor: hochmaligner Nierentumor des Säuglingsalters, frühe Metastasierung, schlechte Prognose.
Symptomatik.
4 Zunehmende Vorwölbung des Abdomens bei gutem Allgemeinzustand des Kindes (Erstsymptom in 62%) 4 Mikro- und makroskopische Hämaturie (15%), auffällige Befunde in der Vorsorgeuntersuchung (9%), Obstipation (4%), Gewichtsverlust (3,8%) Diagnostik. Bildgebung: Sonographie, MRT, Röntgen-
Thorax, evtl. CT-Thorax (. Abb. 10.7).
. Abb. 10.7. Wilmstumor beidseits mit großen hypodensen Tumoren beider Nieren, linksseitig erhebliche intraabdominelle Ausdehnung, zusätzlicher Nephromatoseherd links dorsal
204
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
Kongenitales mesoblastisches Nephrom: mittleres Alter bei Diagnosestellung 2 Monate, Heilung durch Nephrektomie. 10.9
Keimzelltumoren
Definition. Heterogene Gruppe von Mischtumoren, die aus einer Urkeimzelle hervorgehen. Häufig mittelliniennahe Lokalisation: 29% Ovar, 17% Hoden, 19% Steißbein, 21% Gehirn und 4% Mediastinum.
Epidemiologie.
4 Häufigster primärer Lebertumor im Kindesalter, meist im rechten Leberlappen lokalisiert 4 Diagnosestellung in 45% im 1. Lebensjahr, in 80% in den ersten 3 Lebensjahren 4 z. T. assoziiert mit Hemihypertrophie und Beckwith-Wiedemann-Syndrom 4 Erhöhte Inzidenz in Familien mit Adenomatöser Polyposis Coli und Keimbahnmutation im APCGen Symptomatik.
Ätiopathogenese. Während der embryonalen Ent-
wicklung wandert die Urkeimzelle vom Dottersack zur Genitalleiste im Retroperitoneum, um als Gonade ins Becken oder ins Skrotum zu deszendieren; dort entstehen gonadale Keimzelltumoren. Extragonadale Keimzelltumoren entstehen aus versprengtem Gewebe nach fehlerhafter Migration oder gestörtem Deszensus. Ca. 30% der malignen Tumoren haben mehrere Gewebskomponenten. Symptomatik. Raumforderungen im Steißbeinbereich,
10
schmerzlose Hodenschwellung; Ovarialtumoren werden erst spät symptomatisch, z. B. durch Bauchumfangszunahme und paraneoplastische Syndrome.
4 Hepatomegalie, Appetitlosigkeit, Erbrechen 4 Tastbarer Tumor im rechten Oberbauch Diagnostik.
4 Labor: Anämie, häufig Thrombozytose, α-Fetoprotein (80%) ↑, evtl. β-HCG ↑, LDH ↑, Ferritin ↑ 4 Bildgebung: Sonographie, MRT, CT-Thorax, Röntgen-Thorax, evtl. FDG-PET (Metastasensuche). > Diagnosekriterien des Hepatoblastoms: 1. Großer Lebertumor 2. Alter: 6 Monate bis 3 Jahre 3. Exzessiv erhöhtes AFP (>1000 ng/ml oder mehr als das 3-Fache der Altersnorm)
Diagnostik.
4 Labor: Nachweis von α-Fetoprotein (Tumoren mit Dottersackdifferenzierung), β-HCG (Choriokarzinome) 4 Bildgebung: Sonographie, lokales MRT/CT, Röntgen und CT-Thorax (Metastasensuche). Bei Verdacht auf Skelettmetastasen: Skelettszintigraphie Therapie. Operation; maligne Keimzelltumoren: prä-
und postoperative Chemotherapie; selten Bestrahlung. 10.10
Lebertumoren
Definition. Tumoren in der Leber sind im Kindesalter
häufig Metastasen (z. B. bei Wilms-Tumor, Neuroblastom), seltener primäre maligne Lebertumoren. Primäre Lebertumoren werden in gutartige Tumoren: Hämangiome, Hamartome, Adenome ‒ und bösartige Tumoren: Hepatoblastome und hepatozelluläre Karzinome eingeteilt.
Therapie. Operation; prä- und/oder postoperative Che-
motherapie. Prognose. Rezidivfreie 5-Jahres-Überlebensrate: 70%; Stadium IV: 38%.
Hepatozelluläres Karzinom Definition. Bösartiger Tumor des Leberparenchyms, ausgehend von den Leberzellen, meist multilokulär und diffus infiltrierend. Epidemiologie. Im Gegensatz zum Hepatoblastom
Aufreten meist nach dem 5. Lebensjahr; Assoziation mit Hepatitis-B-Infektion und anderen chronischen Lebererkrankungen, z. B. hereditäre Tyrosinämie, Gallengangsatresien, idiopathisch neonatale Hepatitis oder α1-AT-Mangel. Symptomatik/Diagnostik. Siehe Hepatoblastom, La-
bor: in 50% AFP ↑.
Hepatoblastom
Therapie.
Definition. Embryonaler Mischtumor der Leber mit
4 Operation und komplette chirurgische Resektion (nur bei unter einem Drittel der Patienten erfolgreich)
epithelialen und mesenchymalen Anteilen, meist solitär, gelegentlich multifokal.
205 10.11 · Histiozytosen
4 Chemotherapie trotz fraglichen Ansprechens 4 Ohne Lungenmetastasen: evtl. Lebertransplantation Prognose. Ungünstig: ohne Tumorresektion versterben
die Patienten meist innerhalb von 12 Monaten nach Diagnosestellung. 10.11
Histiozytosen
Das Monozyten-Makrophagen-System (retikulo-endotheliales System) hat seinen Ursprung im Knochenmark. Über den Blutweg gelangen die Monozyten in die Organe und übernehmen dort unter Wandlung ihrer Morphologie verschiedene Aufgaben als Gewebsmakrophagen (Histiozyten). Zu den Histiozyten zählen die Kupffer-Sternzellen der Leber, die Mikroglia des ZNS, die Langerhanszellen der Haut und die Osteoklasten des Knochenmarks. Histiozyten sind in 2 Gruppen eingeteilt, in antigenpräsentierende (dendritische) Zellen und antigenprozessierende Makrophagen. Definition. Histiozytosen umfassen eine Gruppe hetero-
gener Krankheiten, die die Infiltration und Akkumulation dendritischer Zellen oder Zellen des Monozyten-/ Makrophagensystems gemeinsam haben.
Klassifikation der Histiozytosen 4 Benigner oder variabler Verlauf: – Klasse I: Erkrankung der dendritischen Zelle, z. B. Langerhanszell-Histiozytose – Klasse II: Erkrankung der ordinären Histiozyten/Makrophagen, z. B. HLH 4 Maligne Erkrankungen: – Klasse III: Erkrankung der Monozytenreihe, z. B. Leukämien (FAB M5A+B) oder Erkrankung der histiozytären Zelllinie, z. B. maligne Histiozytose
Langerhanszell-Histiozytose Definition. Monoklonale Proliferation von Langerhanszell-Histiozyten in Blut, Gewebe und Organen. Langerhanszellen sind Histiozyten der Haut, stammen von Monozyten ab und zeigen Phagozytoseaktivität. Epidemiologie. Häufigkeit 0,2‒1:100 000; m>w. Symptomatik. Lokalisierter Befall eines Organ(systems) oder disseminierte Beteiligung mehrerer Organe:
10
4 Knochen: Knochenläsionen: v. a. Schädelkalotte (40%), Wirbelsäule (20%), Rippen, lange Röhrenknochen und Becken; osteolytische Bezirke mit darüber liegender Weichteilschwellung und Skleroseprozessen; bei Knochenmarkbeteiligung Panzytopenie 4 Haut: ähnlich der seborrhoischen Dermatitis: bräunliche Papeln, Schuppung, Otitis externa 4 Leber: Hepatosplenomegalie, Lebersynthesestörung, Aszites, Ödeme 4 Lunge: Husten, Dyspnoe 4 ZNS: Diabetes insipidus (häufigste Manifestation) Diagnostik.
4 Biopsie: Nachweis von Bierbeck-Granula (tennisschlägerförmige intrazelluläre Partikel), Nachweis des CD1a-Antigens auf der Zelloberfläche 4 Bildgebung: je nach Lokalisation Therapie.
4 Bei isoliertem Hautbefall: abwarten 4 Bei isoliertem Knochenbefall: Operation 4 Bei systemischem Knochenbefall, extrem großen Defekten und/oder spezieller Lokalisation: Chemotherapie, Steroide 4 Multisystemerkrankung: Polychemotherapie Prognose. Je nach Form: 4 Lokalisierte Form: gut 4 Systemische und disseminierte Formen, aktive Erkrankung nach 12 wöchiger Chemotherapie: schlecht.
Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH) Definition. Erkrankung mit überschießender, ineffektiver Immunantwort: Aktivierung von Lymphozyten und Histiozyten, Hyperzytokinämie und Hämophagozytose. Ätiopathogenese.
4 Angeborene, primäre Formen: 5 Bekannte Gendefekte (z. B. Perforinmutationen) 5 Unbekannte Gendefekte 4 Erworbene, sekundäre Formen: 5 Exogene Noxen: infektassoziiert 5 Endogene Noxen: Gewebsschäden, Stoffwechselprodukte 5 Rheumatische Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen: Makrophagenaktivierungssyndrom 5 Maligne Erkrankungen
206
Kapitel 10 · Krebserkrankungen
Symptomatik. Diagnose bei 5 von 8 der folgenden Kri-
Therapie.
terien (wenn Gendefekt nicht bekannt): 4 Fieber 4 Splenomegalie 4 Zytopenie von >2 Zellreihen 4 TG ≥3 mmol/l und/oder Fibrinogen ≤1,5 g/l 4 Ferritin ≥ 500 ng/ml 4 SCD25 ≥2 400 U/ml 4 Verminderte oder fehlende NK-Zellaktivität, Infektionen 4 Hämophagozytose in Knochenmark, Liquor oder Lymphknoten
4 Erregerspezifische Therapie bei Infekten 4 Kortikoide, Immunglobuline, Cyclosporin A 4 Angeborene und bedrohliche Formen: Dexamethason, Etaposid, Cyclosporin A 4 Einzig kurative Therapie bei angeborenen Formen: Stammzelltransplantation: Heilung in 50‒90% 10.12
Seltene Tumoren im Kindesalter
. Tab. 10.5.
. Tab. 10.5. Weitere, seltene Tumoren im Kindesalter
10
Tumor
Besonderheit
Therapie
Schilddrüsenkarzinome
Im Kindesalter häufig nach therapeutischer (z. B. HodgkinLymphom) oder akzidenteller Bestrahlung (Reaktorunglück Tschernobyl). Meist hochdifferenzierte papilläre oder weniger differenzierte follikuläre Tumoren. Das medulläre Schilddrüsenkarzinom ist die häufigste Manifestation der Multiplen endokrinen Neoplasie (MEN) Typ 2
Thyreoidektomie
Nebennierenkarzinome
Hormonaktive Tumoren: Virilisierung, Feminisierung, cushingoider Fazies, Hyperaldosteronismus
Operative Entfernung, postoperativ Hormontherapie
Karzinoidtumoren
Tumoren meist benigne, in der Appendix lokalisiert, häufig akzidentelle Diagnose bei Appendektomie
Operative Entfernung
Nasopharynxkarzinom
Vor allem bei Kindern aus dem Mittelmeerraum, EBV-assoziiert: zervikale Lymphadenopathie, Hörverlust, Otitis externa, behinderte Nasenatmung, Epistaxis, Schmerzen
Chemo- und Strahlentherapie, gute Prognose
Maligne mesenchymale Tumoren
Beispiele: malignes Schwannom (Neurofibromatose Typ I), Fibrosarkom, Synovialsarkom, Neuroepitheliom, Liposarkom, malignes Fibrohistiozytom, Hämangioperizytom
Operative Entfernung
11 11
Herz- und Kreislauferkrankungen Carolin Kröner, Berthold Koletzko, Markus Loeff und Robert Dalla-Pozza
11.1
Herzinsuffizienz
11.2
Angeborene Herzfehler mit Links-Rechts-Shunt (azyanotische Shuntvitien) – 208
11.2.1 11.2.2 11.2.3
Links-Rechts-Shunt zwischen den großen Arterien Links-Rechts-Shunt auf Vorhofebene – 210 Links-Rechts-Shunt auf Ventrikelebene – 210
11.3
Angeborene Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt (zyanotische Shuntvitien) – 212
11.3.1 11.3.2 11.3.3 11.3.4 11.3.5
Fallot-Tetralogie – 213 Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum – 214 Transposition der großen Arterien (d-TGA) – 214 Truncus arteriosus communis – 215 Totale Lungenvenenfehlmündung (TLVF) – 216
11.4
Funktionell univentrikuläre Herzen – komplexe angeborene Herzfehler – 216
11.4.1 11.4.2 11.4.3 11.4.4 11.4.5
Trikuspidalatresie – 216 Mitralatresie – 216 Double Inlet Left/Right Ventricle – 217 Hypoplastisches Linksherzsyndrom – 217 Therapie: univentrikuläre Korrektur – 217
11.5
Herzfehler ohne Shunt – 217
11.5.1 11.5.2
Herzklappenfehler – 217 Fehlbildungen des Aortenbogens
11.6
Kardiomyopathien
11.7
Erworbene Herzerkrankungen
11.8
Herzrhythmusstörungen
11.8.1 11.8.2 11.8.3
Angeborene Herzrhythmusstörungen – 227 Bradykarde Rhythmusstörungen – 228 Tachykarde Rhythmusstörungen – 229
11.9
Funktionelle Störungen – 232
11.10
Schock
– 232
– 208
– 221
– 222 – 224
– 227
– 209
208
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
11.1
Herzinsuffizienz
Definition. Das geförderte Herzminutenvolumen reicht
nicht für die Aufrechterhaltung der Organfunktionen. Ätiopathogenese.
4 Herzfehler mit Shunt 4 Obstruktionen (z. B. Klappenstenosen, Aortenisthmusstenose) 4 Pendelvolumen (Klappeninsuffizienz) 4 Kardiomyopathien 4 Herzrhythmusstörungen 4 Infektionen (z. B. Myokarditis, Endokarditis) 4 Allgemeinerkrankungen (z. B. Pneumonie, Sepsis) Circulus vitiosus: Die Vorlast (preload) steigt durch unzureichende Pumpfunktion der Ventrikel: es kommt zu Druck und Volumenbelastung der Vorhöfe, Stauung in Lungen- und Körpervenen und erhöhten diastolischen Füllungsdrücken der Ventrikel. Die Nachlast (afterload) steigt ebenfalls durch Zunahme des peripheren Widerstandes zur Aufrechterhaltung des arteriellen Blutdrucks. Es kommt zur Mehrbelastung des Myokards, reflektorischer Tachykardie und verminderter Kontraktilität, die Pumpfunktion verschlechtert sich und die Vorlast steigt weiter.
11 Einteilung der Herzinsuffizienz 4 Rechts- / Links- / Globalherzinsuffizienz (Linksund Rechtsherzinsuffizienz) 4 Akute / Chronische Herzinsuffizienz
Diagnostik.
4 Auskultation: Galopprhythmus 4 Blutdruck: flacher Puls, Hypotonie 4 EKG: Kammerhypertrophie, Rhythmusstörung, Rechts- oder Linksherzbelastung 4 ECHO: Kontraktilität, Ejektionsfraktion, Herzfehler, Klappenmorphologie 4 Röntgen-Thorax: Kardiomegalie, Lungengefäßzeichnung ↑, Lungenödem Therapie.
4 Akute Herzinsuffizienz: 5 Therapie der Grunderkrankung 5 Sauerstoffzufuhr, Oberkörperhochlagerung, ggf. Intubation und Beatmung, eingeschränkte Flüssigkeitszufuhr, ggf. Azidoseausgleich 5 Vorlastsenkung: Diuretika (z. B. Furosemid), selten Nitroglycerin 5 Positiv inotrope Medikamente: Dobutamin, Dopamin, wenn therapieresistent: Adrenalin 5 Phosphodiesterasehemmer (z. B. Milrinon) 5 Nachlastsenkung (nur bei ausreichendem Blutdruck): Nitroglycerin, Nitroprussid-Natrium, ACE-Hemmer (z. B. Captopril) 4 Chronische Herzinsuffizienz: 5 Bettruhe, Monitor 5 Digitalis (z. B. Digoxin) 5 Vorlastsenkung: Diuretika (z. B. Furosemid und Spironolacton) 5 Nachlastsenkung: ACE-Hemmer (z. B. Enalapril, Captopril) 11.2
Symptomatik.
4 Rechtsherzinsuffizienz: 5 Einflussstauung, Venenstauung 5 Hepatosplenomegalie, Aszites, Ödeme, Gewichtszunahme 4 Linksherzinsuffizienz: 5 Dyspnoe, Zyanose 5 Lungenödem (feinblasige RGs über der Lunge) 4 Akute Herzinsuffizienz: 5 graue Hautfarbe, kühle Extremitäten, Tachypnoe, flacher Puls, Blutdruckabfall 4 Chronische Herzinsuffizienz: 5 Trinkschwäche, Gedeihstörung, verminderte körperliche Belastbarkeit 5 Tachykardie, Tachypnoe, Husten
Angeborene Herzfehler mit Links-Rechts-Shunt (azyanotische Shuntvitien)
Bei einem Links-Rechts-Shunt fließt Blut durch einen Shunt vom linken ins rechte Herz. Der Blutfluss durch die Lunge nimmt um das Shuntvolumen zu. Eine Zyanose tritt typischerweise nicht auf. Die »pulmonale Rezirkulation« mit Überflutung der Lungenstrombahn führt bei längerem Bestehen zu einem Umbau der Lungenarteriolen und zu einem Anstieg des pulmonalen Widerstandes. Diese Veränderungen nehmen mit der Zeit zu und werden irreversibel. Wenn der Lungengefäßwiderstand den Systemwiderstand überschreitet, kommt es zur Shunt-Umkehr, der EisenmengerReaktion. Durch diese Shunt-Umkehr zum Rechts-LinksShunt werden die Patienten zyanotisch. Mit Eintritt der Eisenmenger-Reaktion besteht Inoperabilität, es bleibt nur eine Lungen- oder eine kombinierte Herz-Lungen-
209 11.2 · Angeborene Herzfehler mit Links-Rechts-Shunt (azyanotische Shuntvitien)
Transplantation. Auskultation: Verlust der Spaltung des 2. Herztons und Auftreten eines einzigen, laut knallenden 2. Herztons. EKG und ECHO zeigen die zunehmende Rechtsherzbelastung.
11
Diagnostik.
Persistierender Ductus Arteriosus Botalli (PDA) Definition. Persistieren des Ductus Botalli, der intrauterinen Verbindung zwischen A. pulmonalis und Aorta descendens, die sich normalerweise postpartal in den ersten Tagen (bis Wochen) schließt.
4 Puls: Pulsus celer et altus (große Blutdruckamplitude); pulsierende, präkordiale Hyperaktivität (Linksherzbelastung) 4 Auskultation: systolisch-diastolisches Maschinengeräusch im 2. ICR links und paravertebral 4 EKG: Linksherzhypertrophie, evtl. P-sinistroatriale 4 Echokardiographie: dopplerechographische Darstellung des Ductus, bei großem PDA Nachweis einer reduzierten diastolischen Perfusion, z. B. im Truncus coeliacus oder der A. renalis. 4 Röntgen-Thorax: vermehrte Lungefäßzeichnung, bei großem Shunt evtl. Kardiomegalie, linksverbreitertes Herz
Pathophysiologie. Im Fetalkreislauf dient der Ductus
Therapie.
der Umgehung der noch nicht entfalteten Lunge; das Blut fließt direkt von der A. pulmonalis in die Aorta. Postpartal kommt es bei Persistenz des Ductus zu einer Flussumkehr durch einen Druckabfall in der Lunge, es ensteht ein Links-Rechts-Shunt von der Aorta in die A. pulmonalis. Bei reifen Neugeborenen kommt es normalerweise durch den ansteigenden O2-Partialdruck zur Konstriktion und zum Verschluss des Ductus arteriosus; bei unreifen Frühgeborenen verhindern unreife Muskulatur des Ductus und persistierender vasodilatatorischer Effekt hoher Prostaglandinkonzentrationen (PGE2) häufig den Verschluss.
4 Kleiner PDA: abwarten, ob es zum Spontanverschluss kommt, sonst nach dem 1. Lebensjahr interventioneller Verschluss 4 Großer PDA: interventioneller Verschluss, z. B. mit ablösbaren Spiralen oder Doppelschirmen oder operativer Verschluss (Durchtrennung oder Ligatur) 4 Bei Früh- und Neugeborenen: Versuch eines medikamentösen Verschlusses mit Indometacin. Ein möglichst frühzeitiger Verschluss sollte v. a. bei hämodynamisch relevantem PDA und bei Frühgeborenen <1 000 g erfolgen. Nach Surfactanttherapie kommt es z. T. zum Spontanverschluss. 5 Nicht hämodynamisch relevanter PDA: Flüssigkeitsbilanzierung zur Vermeidung von Überwässerung (Herz) und Volumenmangel (Niere) 5 Hämodynamisch relevanter PDA. Medikamentöser Verschluss mit Indometacin (Prostaglandinsynthese-Hemmer, CAVE Nebenwirkungen: Oligurie, Thrombozytenaggregationshemmung) oder Ibuprofen i. v.; operativer Verschluss bei Erfolglosigkeit, Kontraindikationen zur medikamentösen Therapie oder sehr großem PDA. 4 Ziel: Verschluss innerhalb der ersten 7‒10 Lebenstage!
11.2.1 Links-Rechts-Shunt zwischen
den großen Arterien
Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 7% aller angeborener
Herzfehler; w>m; bei Frühgeborenen Häufigkeit abhängig vom Geburtsgewicht: <1 000 g: 42%, 1 000‒1 500 g: 21%, 1 500‒1 700 g: 7% Symptomatik.
4 Kleiner PDA: häufig Zufallsbefund 4 Großer PDA: Herzinsuffizienz, Blässe, Trinkschwäche, Lungenödem (Tachydyspnoe, Einziehungen) 4 Symptome bei Frühgeborenen (Beginn häufig zwischen 3. und 5. Lebenstag): 5 Lunge: pO2-Schwankungen, Lungenödem, feinblasige Rasselgeräusche 5 Herz: gesteigertes HZV durch Rezirkulation, Herzinsuffizienz, systolisches Herzgeräusch (80%) 5 Minderperfusion abdomineller Organge, z. B. Niere: Oligurie, Anurie; Magendarmtrakt: Risiko einer nekrotisierenden Enterokolitis; Gehirn: im fortgeschrittenen Stadium Entwicklung einer periventrikulären Leukomalazie
! Indometacin ist bei Thrombozytopenie, Serumkreatinin >1,8 mg/dl oder Oligurie kontraindiziert.
Prognose. 40% Erfolgsquote bei Indometacintherapie.
Aortopulmonales Fenster Definition. Kommunikation zwischen A. pulmonalis (Pulmonalarterienstamm bzw. rechte Pulmonalarterie) und Aorta ascendens. Die Hämodynamik entspricht dem PDA.
210
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
Symptomatik/Therapie. Schwere Herzinsuffizienz be-
Diagnostik.
reits im Neugeborenenalter, sofortiger operativer Verschluss mittels Patch oder direkter Naht.
4 Auskultation: 5 Raues, spindelförmiges Systolikum im 2.‒3. ICR links (Grad 2/6‒3/6) durch die relative Pulmonalstenose 5 Typisch: fixierte Spaltung des Herztons 5 Bei ASD I zusätzlich gießendes, hochfrequentes Mitralinsuffizienzgeräusch über der Herzspitze, Ausstrahlung in die linke Axilla 4 EKG: 5 Rechtsherzbelastung, -hypertrophie 5 Rechtsventrikuläre Erregungsausbreitungsverzögerung (inkompletter Rechtsschenkelblock) 4 Echokardiographie: 5 Darstellung des Defekts, Farbdoppler: Darstellung des Links-Rechts-Shunts 5 Bei ASD I zusätzlich Darstellung des Schlitzes in der Mitralklappe 4 Röntgen-Thorax: 5 Lungengefäßzeichnung ↑ 5 Vergrößerung des rechten Vorhofs und Ventrikels 5 Prominentes Pulmonalsegment 5 Seitliche Aufnahme: Einengung des Retrosternalraums
11.2.2 Links-Rechts-Shunt auf Vorhofebene Ein Links-Rechts-Shunt auf Vorhofebene führt zur Druck- und Volumenbelastung des rechten Ventrikels, weil das vom rechten Ventrikel in die Lunge gepumpte Blut über den linken Vorhof wieder in den rechten Ventrikel zurückfließt. Die vermehrte Lungendurchblutung führt längerfristig zu pulmonaler Hypertonie und evtl. Shunt-Umkehr (Eisenmenger-Reaktion, seltener als beim VSD). Durch die Volumenbelastung geht die atemvariable Spaltung des 2. Herztons verloren, es kommt zur weiten, fixierten Spaltung des 2. Herztons. Durch den verstärkten Blutfluss an der Pulmonalklappe entsteht dort ein funktionelles Strömungsgeräusch. Vorhofseptumdefekt Definition. Gewebedefekt im Vorhofseptum mit vermehrtem Rückfluss von Blut aus dem linken in den rechten Vorhof. Epidemiologie. Häufigkeit: 4‒10% aller angeborenen
11
Herzfehler.
Einteilung der Vorhofseptumdefekte (anatomisch von oben nach unten) 4 Sinus-venosus-Defekt: hochsitzender Vorhofseptumdefekt außerhalb der Fossa ovalis, an der Einmündung der V. cava superior oder inferior in den Vorhof 4 Ostium-sekundum-Defekt (ASD II): zentraler Vorhofseptumdefekt im Bereich der Fossa ovalis 4 Ostium-primum-Defekt (ASD I): tiefsitzender Defekt unmittelbar über der AV-Ebene, häufig mit Spalt in einer AV-Klappe (inkompletter AV-Kanal), oft Mitralinsuffizienz
Therapie.
4 Interventioneller Verschluss im Vorschulalter, Indikation bei rechtsventrikulärer Volumenbelastung oder pulmonal-systemischem Blutflussverhältnis (Qp/Qs) >1,5. 4 Falls nicht möglich (zu großer Defekt, ungünstige Lage): operativer Verschluss. 4 Bei Herzinsuffizienz: interventioneller oder operativer Verschluss in jedem Lebensalter. Partielle Lungenvenenfehlmündung Definition, Symptomatik. Eine oder mehrere (aber nicht alle) Lungenvenen münden nicht in den linken Vorhof, sondern entsprechend einer totalen Lungenvenenfehlmündung in das rechte Herz. Meist sind partielle Lungenvenenfehlmündungen assoziiert mit Vorhofseptumdefekten, die Klinik entspricht der eines Vorhofseptumdefekts.
Symptomatik.
4 Häufig erst im Jugendlichen- bis Erwachsenenalter symptomatisch: verminderte Belastbarkeit durch rechtsventrikuläre Dysfunktion oder durch supraventrikuläre Rhythmusstörungen (Vorhofflattern). 4 Im Kindesalter selten symptomatisch: evtl. Infektneigung, verminderte Belastbarkeit, selten Herzinsuffizienz, Gedeihstörung.
11.2.3 Links-Rechts-Shunt
auf Ventrikelebene Bei einem unbehinderten Blutfluss in die Lungenarterie führt ein Shunt auf Ventrikelebene zu einem reinen Links-Rechts-Shunt und einer Volumenbelastung beider Ventrikel, einer Druckbelastung des rechten Ventrikels
211 11.2 · Angeborene Herzfehler mit Links-Rechts-Shunt (azyanotische Shuntvitien)
und einer gesteigerten Lungenperfusion. Da der Lungengefäßwiderstand nach der Geburt erst langsam abfällt, nimmt der Links-Rechts-Shunt in den ersten Lebenswochen zu, Symptome treten z.T. erst nach ca. 4‒6 Wochen auf bzw. verschlechtern sich. Bei großem Shunt besteht ein hohes Risiko der Entwicklung einer EisenmengerReaktion, da die gesteigerte Lungenperfusion zu Umbauvorgängen mit pulmonaler Hypertonie führt. Ventrikelseptumdefekt (VSD) Definition. Defekt im Ventrikelseptum, der Scheidewand zwischen den beiden Ventrikeln.
4
4 4
Einteilung der Ventrikelseptumdefekte (VSD) Nach der Lokalisation: 4 Perimembranöser VSD: im membranösen Septum unterhalb der Aortenklappe (häufig), seltener im rechtsventrikulären Ausflusstrakt (»Outlet-Septum«). 4 Muskulärer VSD: im muskulären Septum, häufig multiple Defekte (»Swiss-Cheese-VSD«). 4 Inlet VSD: auf Höhe der AV-Klappen. Nach den Druckverhältnissen: 4 Nicht-drucktrennender VSD: großer Defekt, dadurch Angleich des Drucks zwischen rechtem und linken Ventrikel. 4 Drucktrennender VSD: kleinerer VSD, bei dem der Druck im rechten Ventrikel niedriger ist als im linken.
Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 25% der angeborenen
Herzfehler, häufigster angeborener Herzfehler. Symptomatik.
4 Sehr kleiner Defekt: asymptomatisch, aber lautes 3/6‒5/6 Systolikum im 3. ICR links (»viel Lärm um nichts«) 4 Kleiner Defekt: zunächst wenig Symptome: Infektneigung, vermehrtes Schwitzen 4 Großer Defekt (Qp/Qs >2, d. h. Shuntvolumen >50%): in den ersten Lebenswochen zunehmende Herzinsuffizienz: Tachydyspnoe, vermehrtes Schwitzen, Trinkschwäche, Gedeihstörung, Hepatomegalie. 4 Nach Shuntumkehr: Zyanose, Herzinsuffizienz Diagnostik.
4 Auskultation: 5 Mittelfrequentes, raues Holosystolikum im 3.‒ 4. ICR links (Grad 2/6‒4/6)
4
11
5 Betonte 2. Komponente (Pulmonaliskomponente) des 2. Herztons 5 Evtl. hebender Herzspitzenstoß 5 Evtl. Schwirren EKG: 5 Kleiner VSD: normal 5 Drucktrennender VSD: linksventrikuläre Hypertrophie 5 Großer VSD: biventrikuläre Hypertrophie 5 Bei Eisenmenger-Reaktion: rechtsventrikuläre Hypertrophie Echokardiographie: Darstellung und anatomische Zuordnung, Bestimmung des Druckgradienten. Röntgen-Thorax: 5 Nur bei großem Shunt: vermehrte Gefäßzeichnung, Kardiomegalie, vergrößerter linker Vorhof. 5 Bei Eisenmenger-Reaktion: kräftige zentrale Gefäßzeichnung, periphere Gefäßzeichnung verschwindet nahezu (»Kalibersprung«), prominentes Pulmonalissegment. Herzkatheter: Messung des Shunt-Volumens, Bestimmung des pulmonalen Widerstandes, Entscheidung zur Operation bzw. Operabilität (pulmonale Hypertonie?), interventioneller Verschluss.
> Je größer der Ventrikelseptumdefekt ist, desto leiser ist das Herzgeräusch.
Therapie.
4 Kleiner, muskulärer Defekt: oft Spontanverschluss, selten Therapie notwendig 4 Großer Defekt: 5 Therapie der Herzinsuffizienz 7 Kap. 11.1 5 Interventioneller Verschluss des VSD, wenn dieser ausreichend weit von den Klappen entfernt ist 5 Operativer Verschluss mittels »PATCH« oder direkter Naht: – Qp/Qs >1,5 – Therapierefraktäre Herzinsuffizienz – Noch nicht fixierte pulmonale Hypertonie ! Bei erhöhtem pulmonalem Widerstand ist anhand einer präoperativen Untersuchung mit O2-Beatmung und NO zu prüfen, ob der erhöhte pulmonale Widerstand noch reversibel ist, da ein VSD-Verschluss bei EisenmengerReaktion oder fixierte pulmonale Hypertonie kontraindiziert ist. Ein Verschluss des VSD würde bei fixierter pulmonaler Hypertonie zu einer tödlichen Rechtsherzinsuffizienz führen, da das Blut nicht mehr in den linken Ventrikel entweichen kann.
212
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
Prognose. Ein VSD kann kleiner werden oder sich
spontan verschließen (42% innerhalb von 1 Jahr, 75% innerhalb von 9 Jahren). ! Wichtigste Komplikation des operativen VSD Verschlusses ist die Verletzung des AV-Knotens mit komplettem AV-Block. Eine Schrittmacherimplantation kann notwendig werden.
AV-Septumdefekt (AVSD) Definition. Hemmungsfehlbildung des Vorhof- und Ventrikelseptumgewebes unmittelbar ober- und unterhalb der AV-Klappenebene. Beide AV-Klappen sind in die Entwicklungsstörung einbezogen und als mehr oder weniger gemeinsame Klappe angelegt.
4 Echokardiographie: 5 Darstellung des Defekts und des Ausmaßes der Klappenfehlbildung 5 Farbdoppler: Darstellung des Shunts und des Ausmaßes der Klappeninsuffizienz 4 Röntgen-Thorax: 5 Kardiomegalie, »liegende Eiform« des Herzens 5 Prominentes Pulmonalissegment, vermehrte Lungengefäßzeichnung Therapie.
4 Medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz 7 Kap. 11.1
4 Operation im 3.‒6. Lebensmonat: Verschluss des Defekts mittels Patch, Schaffung getrennter AVKlappen
Pathophysiologie. Durch den großen Links-Rechts-
11
Shunt auf Vorhof- und Ventrikelebene erhöht sich der pulmonale Widerstand progredient. Es entwickeln sich Rechts-Links-Shunts und eine pulmonale Hypertonie; zusätzlich liegen z. T. Klappeninsuffizienzen vor. Das Spektrum reicht vom Vorhofseptumdefekt vom Primumtyp (7 Kap. 11.2.2) bis zum kompletten AV-Kanal: Vorhof- und Ventrikelseptumdefekt gehen direkt ineinander über, Mitral- und Trikuspidalklappe sind durch eine gemeinsame AV-Klappe ersetzt. Epidemiologie. Häufigkeit: insgesamt ca. 6% der angeborenen Herzfehler; häufig bei Trisomie 21.
Prognose. Postoperativ Gefahr eines kompletten AV-
Blocks und Notwendigkeit einer Schrittmacherimplantation; je nach Ausdehnung des Defekts evtl. postoperativ persistierende Klappeninsuffizienzen. Ursprung beider großer Arterien aus dem rechten Ventrikel (DORV) Definition. DORV (»double outlet right ventricle«): heterogene Gruppe von Herzfehlern, bei der Aorta und Pulmonalarterie beide zu mindestens 50% aus dem rechten Ventrikel entspringen. Begleitend besteht ein VSD, der den Auslass aus dem linken Ventrikel ermöglicht. Symptomatik.
Symptomatik. Frühe Zeichen einer ausgeprägten Herz-
insuffizienz: 4 Tachydyspnoe, Einziehungen, rezidivierende pulmonale Infekte 4 Trinkschwäche, Gedeihstörung 4 Hepatomegalie
4 Mit Pulmonalarterienstenose: Symptome entsprechen der Fallot-Tetralogie (7 Kap. 11.3.1). 4 Ohne Pulmonalarterienstenose: massiver LinksRechts-Shunt (7 Kap. 11.2). 11.3
Diagnostik.
4 Auskultation: 5 Lautes Systolikum im 3. ICR links (Grad 3/6‒ 4/6) (VSD-Geräusch) 5 z. T. Mitralinsuffizienzgeräusch über der Herzspitze 5 Meist betonter 2. Herzton, eng gespalten 4 EKG: 5 AV-Block I° 5 Überdrehter Linkstyp (pathognomonisch), Rechtsherzhypertrophie 5 Später meist biventrikuläre, linksbetonte Hypertrophie 5 Bei Eisenmenger-Reaktion: rechtsventrikuläre Hypertrophie
Angeborene Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt (zyanotische Shuntvitien)
Epidemiologie. Viel seltener als azyanotische Shunt-
vitien. Pathophysiologie. Es besteht ein Shunt auf Ventrikel-
(oder Vorhof-)ebene, wodurch es bei stark behindertem Blutfluss in der Lungenstrombahn (z. B. durch eine ausgeprägte Pulmonalstenose) zu einem Rechts-LinksShunt kommt; das Blut wird nicht ausreichend oxygeniert. Es kommt zur Zyanose, wenn mehr als 3 g% Hämoglobin nicht mit Sauerstoff beladen sind (daher tritt bei Polyglobulie wesentlich schneller eine Zyanose ein als bei Anämie).
213 11.3 · Angeborene Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt (zyanotische Shuntvitien)
11
rikel fließt. Je ausgeprägter die Pulmonalstenose ist, desto weniger sauerstoffgesättigtes Blut gelangt in den Kreislauf. In Folge kommt es zu Zyanose, reaktiver Polyglobulie und Thrombembolien. Die Pulmonalstenose bedingt eine Druckerhöhung im rechten Ventrikel mit sekundärer rechtsventrikulärer Hypertrophie. Symptomatik.
. Abb. 11.1. Zyanotische Lippen
Symptomatik. Eine länger bestehende Zyanose
(. Abb. 11.1) führt zu: 4 Polyglobulie 4 Trommelschlegelfingern, Uhrglasnägeln Durch den Rechts-Links-Shunt können Blutgerinnsel, die sonst in der Lungenstrombahn abgefangen werden, in den Körperkreislauf gelangen und zerebrale Läsionen (Hirninfarkt, -abzess) verursachen. 11.3.1 Fallot-Tetralogie Definition. Zyanotischer Herzfehler mit:
4 Pulmonalstenose (meist infundibulär, z. T. auch valvulär oder supravalvulär) 4 Hochsitzendem VSD 4 Über dem VSD »reitender« Aorta 4 Rechtsherzhypertrophie (sekundär) Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 8% der angeborenen
Herzfehler, häufigstes zyanotisches Herzvitium; m>w; assoziierte Fehlbildungen sind Aortenbogenanomalien und Down-Syndrom. Pathophysiologie. Durch die Pulmonalstenose kommt
es zu einer verminderten Lungendurchblutung und zum Abfluss des Bluts durch den VSD in die Aorta (Rechts-Links-Shunt). Die Aorta enhält arteriovenöses Mischblut: Blut aus dem rechten Ventrikel über den VSD (venös) und wenig Blut aus der Lunge (arteriell), das regulär über die Lungenvenen in den linken Vent-
4 Keine Herzinsuffizienzzeichen 4 Zyanose (abhängig vom Grad der Pulmonalstenose, bei Anstrengung zunehmend): 5 Geringe Pulmonalstenose: fehlende Zyanose (»pink fallot«) 5 Hochgradige Pulmonalstenose: am 2.‒4. Lebenstag lebensbedrohliche Zyanose 5 Trommelschlegelfinger (. Abb. 11.2), Uhrglasnägel 4 Trinkschwäche, Dystrophie 4 Hypoxämische Anfälle: klinisch charakteristisch für die Fallot-Tetralogie: durch Zunahme der infundibulären Stenose kommt es zu anfallsartiger, schwerer Zyanose, Bewusstseinsverlust, z. T. verlaufen die Anfälle tödlich 4 Hockstellung: die Kinder bevorzugen die Hockstellung: dadurch Erhöhung des systemischen Widerstands und Zunahme der Lungendurchblutung. Diagnostik.
4 Auskultation: 5 Raues, niederfrequentes Systolikum (Grad 3/6‒5/6) mit p. m. im 2.‒3. ICR links (laut). 5 Singulärer, lauter 2. Herzton (veränderte Pulmonalklappe verhindert Pulmonalschlusston). 5 Systolisches Schwirren im 2. ICR links. 4 EKG: rechtsventrikuläre Hypertrophie, Rechtstyp. 4 Echokardiographie: Darstellung des VSD, der überreitenden Aorta, der infundibulären oder valvulären Pulmonalstenose (Bestimmung des Schweregrades der Stenose). 4 Röntgen-Thorax: 5 Unter Umständen rechts-dezendierende Aorta. 5 Fehlendes Pulmonalsegment. 5 Angehobene Herzspitze durch rechtsventrikuläre Hypertrophie (»Holzschuhherz«). 5 Transparentes Lungenparenchym mit verminderter Lungengefäßzeichnung. 4 Herzkatheter: 5 Darstellung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts, der Lungenarterien. 5 Ausschluss aortopulmonaler Kollateralgefäße, zusätzlicher VSDs, Fehlbildungen der Koronararterien (häufig assoziierte Fehlbildungen)
214
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
– Ggf. Erweiterung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts und der Pulmonalklappen bzw. Pulmonalgefäße mittels Patch. 11.3.2 Pulmonalatresie mit intaktem
Ventrikelseptum
. Abb. 11.2. Trommelschlegelfinger bei Fallot-Tetralogie
Definition. Die Pulmonalklappe ist atretisch, das Ventrikelseptum ist intakt. Der rechte Ventrikel hat keinen Auslass, er bleibt hypoplastisch. Die Lungenperfusion erfolgt ausschließlich über den Ductus Botalli. Diese Fehlbildung ist z. T. mit schweren Koronaranomalien assoziiert (Links-Rechts-Shunt). Symptomatik. Nach Verschluss des Ductus Botalli
! Bei Fallot-Tetralogie kontraindiziert sind positiv inotrope Medikamente (z. B. Digitalis), da sie die infundibuläre Pulmonalstenose verstärken und einen hypoxämischen Anfall auslösen können.
Therapie.
11
4 Neugeborene mit Ductus-abhängiger Lungendurchblutung: Offenhalten des Ductus Botalli durch Prostaglandin-Infusion 4 Therapie des hypoxämischen Anfalls: 5 Beruhigung 5 O2-Gabe, Knie an die Brust pressen 5 Ggf. Sedierung: Morphin 5 Volumenzufuhr: Humanalbumin 5 Betablocker: Propanolol (Cave: Hypotonie!) 5 Noradrenalin (Erhöhung des systemischen Widerstandes) 4 Dauerprophylaxe: 5 Ausreichende Flüssigkeitszufuhr 5 Eisengabe bei Anämie 5 Propanolol zur Prophylaxe hypoxämischer Anfälle 4 Operation (bei Säuglingen mit hypoxämischen Anfällen): 5 Als Notfalloperation modifizierte BlalockTaussig-Anastomose: End-zu-Seit GoretexRöhrchen zwischen rechter A. subclavia und rechter Pulmonalarterie, dadurch verbesserte Lungendurchblutung, Erweiterung der A. pulmonalis, des linken Vorhofs und Ventrikels, später Korrekturoperation s. u. 5 Ballondilatation der Pulmonalklappe. 5 Korrekturoperation: – Operativer Verschluss des VSD. – Infundibuläre Muskelresektion zur Behebung der infundibulären Stenose.
(2.‒3. Lebenstag) kommt es zu einer lebensbedrohlichen Zyanose. Diagnostik.
4 Auskultation: singulärer 2. Herzton, evtl. zusätzlich Trikuspidalinsuffizienzgeräusch: dumpfes Holosystolikum im 4. ICR rechts. 4 Echokardiographie: Darstellung der Anatomie Therapie.
4 Infusion von Prostaglandin E1 zum Offenhalten des Ductus Botalli. 4 Notfalloperation: ggf. modifizierte Blalock-Taussig-Anastomose. 4 Interventionell: hochfrequente Perforation und Ballondilatation der Pulmonalklappe (bei günstiger Anatomie). 4 Korrekturoperation: Homograft-Implantation zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie. 11.3.3 Transposition der großen Arterien
(d-TGA) Definition. d-TGA = dextro-Transposition der großen
Arterien. Fehlerhafte Anatomie der großen Arterien im Bereich des Herzens: die Aorta entspringt aus dem rechten, die Pulmonalarterie aus dem linken Ventrikel, Körper- und Lungenkreislauf sind parallel geschaltet. Die d-TGA ist ohne postnatal weiterbestehende Verbindung zwischen den Kreisläufen (z. B. Ductus Botalli oder ASD) nicht mit dem Leben vereinbar. Pathophysiologie. Das venöse Blut aus dem Körperkreislauf gelangt in den rechten Vorhof und Ventrikel und wird, ohne mit Sauerstoff angereichert zu werden in die Aorta ausgeworfen. Daneben wird O2-reiches
215 11.3 · Angeborene Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt (zyanotische Shuntvitien)
pulmonales Blut in den linken Ventrikel gepumpt und von dort über die Pulmonalarterie in die Lunge. Ohne Verbindung zwischen den beiden Kreisläufen versterben die Patienten sofort, lebensrettende Erstmaßnahme ist das Offenhalten des Ductus Botalli. Epidemiologie. Häufigkeit: 5% der angeborenen Herz-
fehler; m>w.
Einteilung der TGA 4 Einfache TGA: TGA plus Vorhofseptumdefekt und offener Ductus Botalli 4 Komplexe TGA: TGA plus weitere Fehlbildungen: einer oder mehrere Ventrikelseptumdefekte, Pulmonalstenose, Obstruktion im linksventrikulären Ausflusstrakt oder Aortenisthmusstenose.
Symptomatik. Am 1.‒4. Lebenstag nach Verschluss
des Ductus Botalli kommt es, falls die intratriale Verbindung unzureichend ist, zu einer schweren, lebensbedrohlichen Zyanose, Trinkschwäche und Tachydyspnoe. Ohne Therapie schwere, meist letale Herzinsuffizienz. Diagnostik.
4 Auskultation: singulärer, lauter 2. Herzton im 2. ICR 4 EKG: in der Regel normal, evtl. Rechtstyp 4 Echokardiographie: Darstellung der TGA und begleitender Fehlbildungen 4 Röntgen-Thorax: querovales, eiförmiges Herz mit schmalem Gefäßband (»Ei am Faden«), Lungengefäßzeichnung ↑ Therapie.
4 Lebensrettende Erstmaßnahme: Infusion von Prostaglandin E1 zum Offenhalten des D. Botalli 4 Notfall-Herzkatheter bei schwerer Zyanose: Ballonatrioseptostomie (Rashkind-Manöver) 4 Einfache TGA: Korrekturoperation (arterielle Switch-OP) bereits in den ersten Lebenstagen: Durchtrennung der großen Arterien, Tausch und Reanastomosierung mit den Gefäßstümpfen, Reanastomosierung der Koronararterien mit der »neuen« Aorta 4 Komplexe TGA: Korrekturoperation in den ersten Lebenswochen
11
11.3.4 Truncus arteriosus communis Definition. Es besteht keine Trennung zwischen Aorta
und Pulmonalarterie. Dem Herz entspringt nur ein Gefäß, der Truncus arteriosus communis, daher existiert auch nur eine Semilunarklappe, die Trunkusklappe, die oft vierzipflig und meist insuffizient ist. Die Ventrikel sind über einen VSD miteinander verbunden. Das Blut des Körper-, Lungen- und Koronarkreislaufs vermischt sich, die Lungendurchblutung ist gesteigert, es entsteht eine pulmonale Hypertonie. Epidemiologie. Häufigkeit: 3% aller angeborener Herz-
fehler, m>w. Symptomatik.
4 Schwere Herzinsuffizienz in den ersten Lebenstagen bis -wochen mit Dyspnoe, Zyanose, Trinkschwäche, Hepatosplenomegalie und rezidivierenden Infekten. 4 Oft schon in den ersten Lebensmonaten kommt es zur Eisenmenger-Reaktion. Diagnostik.
4 Auskultation: 5 Singulärer 2. Herzton (es gibt nur eine Semilunarklappe) 5 Meist systolisches Geräusch im 3. ICR beidseits (VSD-Geräusch) 5 Evtl. Austreibungsgeräusch an der Trunkusklappe 4 EKG: biventrikuläre Hypertrophie mit P-biatriale 4 Echokardiographie: Darstellung der Anatomie 4 Herzkatheter: Ausschluss von Abgangsstenosen der Pulmonalarterienhauptäste und Darstellung der exakten Koronaranatomie 4 Röntgen-Thorax: Lungengefäßzeichnung ↑↑ Therapie.
4 Therapie der Herzinsuffizienz 4 Korrekturoperation: Verschluss des VSD, der Truncus arteriosus wird zur Aorta, der rechte Ventrikel wird eröffnet und ein Homograft bzw. Conduit wird zwischen rechtem Ventrikel und Pulmonalarterie anastomosiert. Das Operationsrisiko ist hoch. Prognose. Ohne Operation ca. 80% Letalität im 1. Le-
bensjahr.
216
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
11.3.5 Totale Lungenvenenfehlmündung
(TLVF) Definition. Es besteht keine Verbindung zwischen Lungenvenen und linkem Vorhof.
Therapie.
4 Zunächst maschinelle Beatmung zur Behandlung eines Lungenödems und zur hämodynamischen Stabilisierung. 4 Dann operative Seit-zu-Seit-Anastomose des Lungenvenenkonfluenz mit dem linken Vorhof und Verschluss des Vorhofseptums.
Einteilung der TLVF 4 Suprakardiale Form: Lungenvenen münden in ein Sammelgefäß »Konfluenz« und dann in die V. cava superior. 4 Kardiale Form: Lungenvenen münden in den rechten Vorhof oder in den Sinus coronarius. 4 Infradiaphragmale Form: Lungenvenen münden direkt in die V. cava inferior oder die Pfortader.
Epidemiologie. Häufigkeit: <1% aller Herzfehler. Pathophysiologie. Keine Lungenvene mündet in den
11
linken Vorhof. Das sauerstoffreiche Blut gelangt stattdessen in das rechte Herz. Arteriovenöses Mischblut wird vom rechten Vorhof z. T. in den Lungenkreislauf befördert (pulmonalvenöse Überflutung) und z. T. über intraatriale Verbindungen in den Körperkreislauf. Die Lungenvenen sammeln sich oft hinter dem linken Vorhof zu einem »Konfluenz« und drainieren von dort gemeinsam in die obere Hohlvene, die V. anonyma, den Koronarvenensinus, direkt in den rechten Vorhof, in die Pfortader oder in die V. cava inferior. Bei Stenose des »Konfluenz« resultiert eine pulmonalvenöse Stauung. Symptomatik. In den ersten Lebenswochen:
4 Schwere pulmonale Hypertonie, schwere Herzinsuffizienz 4 Lungenödem, Hepatomegalie 4 Zyanose, Gedeihstörung Diagnostik.
4 Auskultation: 5 Feinblasige Rasselgeräusche über der Lunge (Lungenödem) 5 Uncharakteristisches Holosystolikum im 2.‒ 3 ICR links (meist Grad 3/6) 5 Singulärer, lauter 2. Herzton (pulmonale Hypertonie) 4 EKG: schwere Rechtsherzhypertrophie bei geringen linksventrikulären Potenzialen 4 Echokardiographie: deutlich vergrößerter rechter Ventrikel 4 Röntgen-Thorax: Kardiomegalie, Lungenstauung
11.4
Funktionell univentrikuläre Herzen – komplexe angeborene Herzfehler
Definition. Angeborene, komplexe Herzfehler mit nur
einem funktionsfähigem Ventrikel (»dominanter Ventrikel«). Der andere Ventrikel ist so unterentwickel, dass er seiner Funktion nicht nachkommen kann (»rudimentärer Ventrikel«). Diese Herzfehler sind immer zyanotisch. 11.4.1 Trikuspidalatresie Definition. Die Verbindung zwischen rechtem Vorhof
und Ventrikel fehlt. Das venöse Blut fließt durch einen ASD in den linken Vorhof, mischt sich dort mit dem arteriellen Blut und fließt als Mischblut in den dominanten linken Ventrikel. Der rudimentäre rechte Ventrikel wird über einen VSD erreicht. Häufig assoziierte Fehlbildungen sind Pulmonalstenose, -atresie oder d-TGA. Symptomatik/Diagnostik.
4 Bei fehlender Pulmonalstenose: Herzinsuffizienz 4 Bei Pulmonalatresie: Zyanose 4 EKG: überdrehter Linkstyp 11.4.2 Mitralatresie Definition. Statt der Mitralklappe ist eine atretische Membran (imperforierte Klappe) vorhanden. Das Blut aus den Lungenvenen gelangt über einen ASD aus dem linken in den rechten Vorhof. Häufig assoziierte Fehlbildungen sind Pulmonalstenose, -atresie oder d-TGA. Symptomatik. Evtl. Lungenvenenstauung mit Lungenödem, pulmonaler Hypertonie und Zyanose. Therapie. Entlastung der Lungenvenenstauung bei res-
triktivem ASD mittels Ballonatrioseptostomie.
217 11.5 · Herzfehler ohne Shunt
11.4.3 Double Inlet Left/Right Ventricle Definition. Die AV-Klappenebene ist so verschoben,
dass die beiden AV-Klappen in einen gemeinsamen, dominanten, linken (rechten) Ventrikel münden. Der andere Ventrikel füllt sich jediglich über einen VSD. Häufig assoziierte Fehlbildungen sind Pulmonalstenose, -atresie, d-TGA oder Lungenvenenfehlmündung. Die Fehlbildungen bestimmen die Klinik, die Korrektur erfolgt operativ.
11
pulmonale Anastomose; PCPC): Schaffen einer Verbindung der oberen Hohlvene mit der rechten Pulmonalarterie, Unterbindung des Pulmonalarterienstamms. 4 2. Schritt (im 2.‒3. Lebensjahr): Komplettierung zur totalen kavopulmonalen Anastomose durch Schaffen eines intra- oder extraatrialen Tunnels, durch den das Blut der unteren Körperhälfte in die Pulmonalarterie geleitet wird. Komplikationen. Postoperativ kann der erhöhte ve-
11.4.4 Hypoplastisches Linksherzsyndrom Definition. Atretische Aortenklappe oder kritische
Aortenstenose und/oder atretische oder hochgradig stenotische Mitralklappe. Der linke Ventrikel hat keinen funktionstüchtigen Auslass oder Einlass, er bleibt hypoplastisch. Die Aorta aszendens wird nicht vom linken Ventrikel perfundiert und bleibt auch hypoplastisch. Das Blut aus den Lungenvenen kann nur über eine Lücke im Vorhofseptum in den linken Ventrikel abfließen und gelangt zusammen mit dem venösen Blut in den rechten Ventrikel. Vom rechten Ventrikel wird dieses Mischblut in die A. pulmonalis gepumpt, es fließt von dort in die Lungenstrombahn und durch den Ductus Botalli in die Aorta. Der Ductus Botalli versorgt also den Körperkreislauf. Aortenbogen und A. ascendens werden retrograd perfundiert, die A. ascendens versorgt die Koronargefäße.
nöse Druck zu Pleuraergüssen, Perikardergüssen, Aszitesbildung und Hepatopathie führen. Schwerwiegendes Problem ist die »Proteinverlust-Enteropathie«: durch erhöhten venösen Druck kommt es zur Steigerung des Pfortaderdrucks und zum intestinalen Eiweißverlust mit Aszites und Ödemen. Im Langzeitverlauf führt die Überdehnung des rechten Vorhofs zu supraventrikulären Rhythmusstörungen. Jede Steigerung des pulmonalen Widerstandes kann für die Patienten letal sein. 11.5
Herzfehler ohne Shunt
11.5.1 Herzklappenfehler Pulmonalstenose Definition. Behinderung des Ausflusstrakts des rechten Ventrikels in die Pulmonalarterie.
Therapie. Vorbereitung auf die univentrikuläre Korrek-
Einteilung der Herzklappenfehler
tur: Norwood-Operation: Konstruktion einer Neoaorta aus der Pulmonalarterie und der hypoplastischen Aorta mit Anlage einer modifizierten Blalock-TaussigAnastomose oder eines Goretex-Shunts zwischen dem rechten Ventrikel und den Pulmonalgefäßen.
Nach Lokalisation: 4 Valvuläre Pulmonalstenose: Stenose der Klappe 4 Subvalvuläre Pulmonalstenose: Einengung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts durch eine fibromuskuläre Stenose unterhalb der Klappenebene. 4 Supravalvuläre Pulmonalstenose: Stenose oberhalb der Klappenebene am Hauptast der Pulmonalarterie oder an den Abzweigungen der beiden Hauptäste in kleinere Äste. 4 Periphere Stenose: Stenose der peripheren Lungenarterien.
11.4.5 Therapie: univentrikuläre Korrektur Definition.
Operation nach Fontan Das venöse Gefäßsystem wird mit der Pulmonalarterie so verbunden, dass das Blut passiv in die Lungenstrombahn fließt. Die Operation wird möglichst früh durchgeführt, um die Ventrikel frühzeitig von der Volumenarbeit zu entlasten und die Zyanose kurz zu halten. Statt der ursprünglichen Fontan-Operation wird heute zunehmend die Totale Kavopulmonale Anastomose durchgeführt: 4 1. Schritt (im 1. Lebensjahr): Glenn-Operation oder Hemifontan-Operation (auch partielle kavo-
Nach Schweregrad: 4 Leichte Stenose: Druckgradient <30 mmHg 4 Mittelschwere Stenose: Druckgradient 30– 80 mmHg 4 Schwere Stenose: Druckgradient >80 mmgHg
218
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
Epidemiologie. Häufigkeit: 10% der angeborenen
Herzfehler. Pathophysiologie. Es kommt zur rechtsventrikulären Drucksteigerung mit rechtsventrikulärer (konzentrischer) Hypertrophie. Durch den Rückstau des Bluts in den rechten Vorhof und Ventrikel kommt es zur Rechtsherzdilatation, sekundär zur Trikuspidalinsuffizienz und zur Rechtsherzinsuffizienz (Hepatomegalie). Bei offenem Foramen ovale kann eine Zyanose entstehen. Poststenotisch entsteht in der A. pulmonalis ein Druckabfall, es kommt zu einem turbulenten Blutfluss mit poststenotischer Dilatation. Symptomatik. Abhängig vom Schweregrad der Pulmo-
nalstenose: 4 Kritische Pulmonalstenose des Neugeborenen: nach Verschluss des Ductus Botalli in den ersten 2 Lebenswochen: schwere Herzinsuffizienz, Zyanose durch einen Rechts-links-shunt über das offene Foramen ovale, Tachydyspnoe und Hepatomegalie. 4 Ausgeprägte Pulmonalstenose: Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, leichte Belastungsdyspnoe. Diagnostik.
11
4 Auskultation: 5 Lautes, tieffrequentes, rumpelndes Systolikum im 2. ICR links (Grad 4/6‒6/6), Fortleitung in den Rücken. 5 Präkordiales Schwirren 5 Fixierte Spaltung des 2. Herztons (je höhergradig die Stenose, desto weiter verlagert sich das Geräuschmaximum ans Ende der Systole und desto weiter ist der 2. Herzton gespalten). 5 Evtl. frühsystolischer, pulmonaler EjektionKlick kurz nach dem 1. Herzton bei leicht- bis mittelgradigen Stenosen. 4 EKG: 5 Rechtsherzhypertrophie (in Abhängigkeit vom Schweregrad). 5 rechtsventrikuläre Repolarisierungsstörung: positive T-Welle in Ableitung V1, inkompletter Rechtsschenkelblock. 4 Echokardiographie: 5 Darstellung der Anatomie und Lokalisation der Stenose 5 Abschätzung des Druckgradienten im Doppler 4 Röntgen-Thorax: 5 Poststenotisch dilatiertes Pulmonalsegment 5 Linke Herzkontur wird vom rechten Ventrikel gebildet
5 Eingeengter Retrosternalraum im Seitenbild 5 Angehobene Herzspitze 5 Pulmonale Gefäßzeichnung ↓ Therapie.
4 Neugeborene mit kritischer valvulärer Stenose: Prostaglandin-E-Infusion zur Eröffnung des Ductus Botalli 4 Dann zügig Ballondilatation der Pulmonalstenose, Indikation zur Ballondilatation: Neugeborene mit kritischer Pulmonalstenose und ältere Kinder ab systolischen Druckgradienten >60 mmHg. 4 Bei dysplastischer Klappe: chirurgische Resektion der Klappe (Operationsrisiko: 1‒3%). 4 Bei muskulärer Stenose: chirurgische Resektion der Muskulatur (Operationsrisiko: 1‒3%). Pulmonalinsuffizienz Definition. Leckage der Pulmonalklappe mit Rückfluss des Bluts in die Pulmonalarterie und Volumenbelastung des rechten Ventrikels, v. a. sekundär nach operativen oder interventionellen Eingriffen. Diagnostik.
4 Auskultation: gießendes Diastolikum (Grad 2/ 6‒3/6) im 3. ICR links 4 EKG: rechtsventrikuläre Erregungsausbreitungsverzögerung 4 Echokardiographie: Darstellung des Ausmaßes der Regurgitation 4 Herzkatheter: Ausschluss peripherer Pulmonalstenosen und anderer Ursachen Therapie. Evtl. Implantation eines Homografts, mög-
lichst spät, da Gefahr der Reinsuffizienz oder -stenose. Aortenstenose Definition. Stenose im Ausflusstrakt des linken Ventrikels mit Rückstau des Bluts in den linken Ventrikel; intraventrikuläre Drucksteigerung, sekundäre linksventrikuläre Hypertrophie und subendokardiale Ischämie.
Einteilung der Aortenstenose 4 Valvuläre Aortenstenose: häufigste Form: bikuspidale (2 Klappensegel), trikuspidale oder unikommisurale Klappe mit verdickten und miteinander verwachsenen Segeln. 4 Supravalvuläre Aortenstenose: Stenose oberhalb der Klappenebene (oft mit dem Williams-Beuren-Syndrom assoziiert). 6
219 11.5 · Herzfehler ohne Shunt
4 Subvalvuläre Aortenstenose: fibröse, leistenförmige Gewebeverdickung unterhalb der Aortenklappe (Ringleistenstenose) oft mit sekundärer Aorteninsuffizienz oder asymmetrischer Hypertrophie des Ventrikelseptums (hypertrophisch obstruktive Kardiomyopathie (HOCM), autosomal-dominant vererbt).
Epidemiologie/Ätiopathogenese. 3‒10% der angebo-
renen Herzvitien; m>w = 5:1; angeboren oder erworben im Erwachsenenalter, z. B. bei Arteriosklerose oder rheumatisch. ! Bei körperlicher Belastung, v. a. Ausdauerbelastung (Leistungssport) kann der Druck in der Aorta durch die Stenose nicht aufrechterhalten werden, der Sauerstoffbedarf des hypertrophierten Myokards kann aufgrund des niedrigen Drucks in der Aorta (Ursprung der Koronargefäße) nicht gedeckt werden. Es besteht die Gefahr des akuten Myokardinfarkts und des plötzlichen Herztodes bei körperlicher Belastung. Die hochgradige Aortenstenose ist einer der wenigen Herzfehler, bei dem vor körperlicher Anstrengung gewarnt werden muss.
Symptomatik. Je nach Schweregrad:
4 Hochgradige Stenose: beim Neugeborenen kommt es zur linksventrikulären Dekompensation bis hin zum kardiogenen Schock; das Herzgeräusch ist leise, da der dekompensierte Ventrikel kaum Herzzeitvolumen erzeugt, die Pulse sind kaum tastbar. 4 Leichtere Stenosen: sind zu 70% symptomfrei; evtl. besteht eine eingeschränkte körperliche Belastbarkeit. Diagnostik.
4 Blutdruck: 5 Systolischer RR erniedrigt, Blutdruckamplitude vermindert. 4 Klinische Untersuchung: 5 Hebender Herzspitzenstoß (durch linksventrikuläre Hypertrophie), Schwirren über der Aorta und den Karotiden. 4 Auskultation: 5 Raues, spindelförmiges, mittel- bis niedrigfrequentes Systolikum (Austreibungsgeräusch) im 2.‒3. ICR rechts (Grad 3/6‒6/6), Fortleitung in die Karotiden. 5 Leises Aortensegment des 2. Herztons (veränderte Klappe zeigt abgeschwächten Schlusston). 5 Häufig: frühsystolischer Ejektion-Klick als Extraton.
11
4 EKG: 5 Linksventrikuläre Hypertrophie, Linkstyp. 5 Bei ausgeprägter Stenose: linksventrikuläre Repolarisationsstörungen (ST-Senkung mit negativem T in V5 und V6) durch subendokardiale Ischämie. 4 Echokardiographie: 5 Darstellung der Art und des Ausmaßes der Stenose, der linksventrikulären Funktion und des Druckgradienten. 5 Röntgen-Thorax: – Prominenter Aortenknopf. – Poststenotische Dilatation der Aorta ascendens mit Rechtsverbreiterung des Mediastinums. 5 Bei Dekompensation: Lungenstauung. 4 Herzkatheter: 5 Zur genauen Messung des Druckgradienten interventionelle Ballondilatation. Therapie.
4 Kritische Stenose des Neugeborenen: Offenhalten des Ductus Botalli mittels Prostaglandin E, dadurch Versorgung des Systemkreislaufs über den Ductus und Entlastung des dekompensierten linken Ventrikels. 4 Operation: 5 Perkutane Ballondilatation der valvulären Aortenstenose (Cave: postoperative Aorteninsuffizienz) 5 Falls erfolglos: Klappenimplantation, möglichst erst bei Jugendlichen, da Klappen nicht mitwachsen, Kunstklappen Dauerantikoagulation erfordern und biologische Klappen innerhalb weniger Jahre degenerieren können. 5 Ross-Operation: Pulmonalklappe wird entfernt und in Aortenposition implantiert, anstelle der Pulmonalis wird ein Homograft implantiert. 5 Operationsindikationen: Druckgradient >50‒ 60 mmHg, Synkopen oder EKG-Veränderungen. Aorteninsuffizienz Definition. Insuffizienz der Aortenklappe mit Rückfluss von Blut aus der Aorta in den linken Ventrikel. Ätiopathogenese. Häufigste Ursache ist Zustand nach chirurgischer oder interventioneller Therapie, seltener tritt die Aorteninsuffizienz kongenital, im Rahmen eines Marfan-Syndroms, eines subaortalen VSD mit Prolaps eines Aortenklappensegels, einer Aortenendokarditis, bei Rheumatischem Fieber oder KawasakiSyndrom auf.
220
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
Symptomatik.
4 Leichte Insuffizienz: symptomlos. 4 Mittlere Insuffizienz: verminderte körperliche Belastbarkeit, Belastungsdyspnoe, Schwitzen, Trinkschwäche, Gedeihstörung. 4 Schwere Insuffizienz: kardiogener Schock. Diagnostik.
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4 Untersuchung: Pulsus celer et altus; »Wasserhammerpuls« 4 Blutdruck: 5 Große Blutdruckamplitude 5 Systolischer Blutdruck ↑↑ (durch großes Schlagvolumen) 5 Diastolischer Blutdruck ↓↓ (durch Windkesselfunkton und Reflux) 4 Auskultation: 5 Diastolisches Decrescendogeräusch: leises, gießendes Diastolikum im 4. ICR links (Grad 2/6‒3/6), am besten am sitzenden, nach vorne übergebeugten Kind. 5 Häufig besteht die Aorteninsuffizienz sekundär aufgrund einer Aortenstenose, in diesem Fall: systolisches Austreibungsgeräusch. 4 EKG: 5 Linksventrikuläre Hypertrophie und linksventrikuläre Volumenbelastung, p-mitrale. 5 Schwere Formen: Repolarisationsstörungen. 4 Echokardiographie: 5 Darstellung der Insuffizienz, evtl. TEE (transösophageale Echokardiographie). 4 Röntgen-Thorax: 5 Ausladender linker Ventrikel (»Schuhform«). 5 Prominenter Aortenknopf. Therapie.
4 Leichte Insuffizienz: keine Therapie. 4 Mäßige Insuffizienz: Nachlast-Senkung (ACEHemmer, z. B. Captopril) zur Steigerung des Vorwärtsvolumens und zur Reduktion der Regurgitation. 4 Schwere Insuffizienz: Klappenersatz oder RossOperation (7 Kap. 11.5.1). Mitralvitien Definition. Die seltene kongenitale Mitralstenose tritt häufig in Kombination mit anderen Vitien auf. Erworbene Mitralvitien (z. B. nach rheumatischem Fieber) können stenotisch oder insuffizient sein. Eine Mitralinsuffizienz kann u. a. auch nach Operation eines AV-Kanals, bei Zustand nach Endokarditis oder im Rahmen eines Marfan-Syndroms auftreten. Durch eine Mitralinsuffizienz ensteht ein erhöhter
Druck im linken Vorhof mit pulmonalvenöser Stauung. Symptomatik. Mitralinsuffizienz: 4 Lungenödem, Dyspnoe, bei Rückstau: Rechtsherzinsuffizienz (Hepatomegalie). 4 Mildere Mitralvitien: Herzinsuffizienz tritt erst bei Belastung auf. Diagnostik.
4 Auskultation: 4 Bei Mitralstenose: 5 Paukender 1. Herzton und MÖT (Mitralöffnungston) kurz vor der Diastole durch lautes Umschlagen der Mitralsegel. 5 Rumpelndes Diastolikum, das verzögert nach dem 2. Herzton beginnt. 5 Betonung der 2. Komponente des 2. Herztons bei pulmonaler Drucksteigerung. 4 Bei Mitralinsuffizienz: 5 »Gießendes«, bandförmiges Holosystolikum sofort nach dem 1. Herzton über der Herzspitze, Ausstrahlung in die linke Axilla (Grad 2/6‒3/6). 4 EKG: 5 Nur bei ausgeprägten Vitien: p-mitrale (doppelgipfliges P, Dauer >100‒120 ms). 5 Bei Mitralstenose: Rechtsherzhypertrophie durch Lungenstauung. 5 Bei Mitralinsuffizienz: Linksherzhypertrophie durch Volumenbelastung des linken Ventrikels. 5 Vorhofüberdehnung mit supraventrikulären Rhythmusstörungen. 4 Echokardiographie: 5 Darstellung der anatomischen Veränderungen. 4 Röntgen-Thorax: 5 Vergrößerter, linker Vorhof, dargestellt durch Aufspreizung der Trachealbifurkation und Impression des Ösophagus. 5 Einengung des Retrosternalraums im Seitenbild. 5 Mitralform: »stehende Eiform« 5 Lungenstauung: unscharfe Gefäßzeichnung, zentrale Transparenzminderung (milchglasartig), Kerley-Linien: horizontale Linien in den Interlobärspalten. Therapie.
4 Mitralstenose: rekonstruktive Chirurgie; Klappenersatz möglichst vermeiden (bei mechanischer Klappe Antikoagulation notwendig).
221 11.5 · Herzfehler ohne Shunt
4 Mitralinsuffizienz: Nachlastsenker (ACE-Hemmer) zur Steigerung des Auswurfs in die Aorta, in schweren Fällen operative Klappenkonstruktion mit Raffung der Mitralklappe, Naht des Schlitzes in der Mitralklappe oder Klappenersatz. ! Kunstklappen der Mitralis sind im Kindesalter problematisch, da die Antikoagulation noch konsequenter als nach Aortenersatz durchgeführt werden muss und der Klappenring nicht mitwächst.
11.5.2 Fehlbildungen des Aortenbogens Aortenisthmusstenose Definition. Verengung der Aorta im Bereich des Aortenisthmus am Übergang des Aortenbogens zur A. descendens, zwischen linker A. subclavia und Ductus Botalli.
Einteilung der Aortenisthmusstenose 4 Präduktal: Stenose vor dem Ductus Botalli (infantile Form) (. Abb. 11.3). 4 Postduktal: Stenose nach dem Ductus Botalli (Erwachsene).
11
es besteht eine deutliche Blutdruckdifferenz zwischen oberer und unterer Extremität. ! Bei präduktaler Aortenisthmusstenose kommt es am 2.–14. Lebenstag durch den Verschluss des Ductus Botalli zur akuten Dekompensation und einer absoluten Mangelversorgung der unteren Körperhälfte. Es ist daher bei Neugeborenen essenziell, immer auch die Leistenpulse zu tasten.
Postduktale Stenose: Der linke Ventrikel hypertrophiert aufgrund der Druckbelastung, in der oberen Körperhälfte besteht eine Hypertonie (über A. ascendens und Aortenbogen plus abgehende Gefäße) und in der unteren Körperhälfte eine Hypotonie und eine Mangelversorgung (über A. descendens und A. abdominalis). Die Versorgung der unteren Körperhälfte erfolgt z. T. über Kollateralen (A. mammaria, Interkostalarterien), die sich im Röntgenbild als Rippenusuren darstellen. Symptomatik.
Präduktale Stenose: 4 Neugeborene: Zyanose, Trinkschwäche, Gedeihstörung, Hepatosplenomegalie 4 Dekompensation nach Verschluss des Ductus Botalli am 2.‒14. Lebenstag: 5 schwere Herzinsuffizienz, lebensbedrohliche Hypoxie, Dyspnoe, prärenales Nierenversagen durch mangelnde Perfusion der unteren Körperhälfte, ohne Therapie 90%ige Letalität.
Epidemiologie/Ätiologie. Häufigkeit: 7% aller ange-
borenen Herzfehler; 20% der Patienten mit UllrichTurner-Syndrom; m>w; Entstehung durch versprengtes Ductusgewebe, das sich nach der Geburt zusammenzieht. Pathophysiologie. Präduktale Stenose: Die Perfusion der unteren Körperhälfte erfolgt ausschließlich über den Ductus Botalli, da die Aortenstenose meist so hochgradig ist, dass kaum Blut über die Stenose in die A. descendens und in die untere Körperhälfte gelangt. Die untere Körperhälfte wird nahezu ausschließlich mit venösem Blut über die A. pulmonalis und den Ductus Botalli versorgt. Die untere Körperhälfte ist zyanotisch, . Abb. 11.3. Einteilung der Aortenisthmusstenose. Von links nach rechts: präduktale, iuxtaduktale und postduktale Form
Postduktale Stenose: 4 Zunächst symptomfrei, bei einer Vorsorgeuntersuchung fallen Herzgeräusch und Pulsdifferenz auf. 4 Kleinkinder: Kopfschmerzen, Nasenbluten, kalte Füße, Wadenschmerzen bei Belastung. 4 Schulalter: Claudicatio intermittens 4 Erwachsene: Gefahr des zerebralen Insults durch Hypertonus in der oberen Körperhälfte. Diagnostik.
4 Blutdruck: 5 Blutdruckdifferenz zwischen oberer (Hypertonus) und unterer (Hypotonus) Extremität.
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4
4 4
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
5 Pulsus celer et altus an der oberen, kaum tastbare Pulse an der unteren Extremität. Auskultation: 5 Präduktale Stenose: 2‒3/6 Systolikum im 3./4. ICR links, lauter 2. Herzton mit betonter Pulmonaliskomponente. 5 Postduktale Stenose: Systolikum dorsal, links paravertebral bis in die frühe Diastole. EKG: 5 Präduktale Stenose: Rechtsherzbelastung (durch Versorgung der unteren Körperhälfte über den Ductus Botalli). 5 Postduktale Stenose: Linksherzhypertrophie. Echokardiographie: 5 Darstellung der Stenose, Darstellung eines Rechts-Links-Shunts bei präduktaler AIS. Röntgen-Thorax: 5 Präduktale Stenose: prominentes Pulmonalsegment, Lungengefäßzeichnung im Hilusbereich ↑, peripher ↓ 5 Postduktale Stenose: prominente A. ascendens und prominenter Aortenknopf, Rippenusuren am Unterrand der Rippen (Kollateralkreisläufe).
Therapie.
11
4 Präduktale Stenose: 5 Neugeborene: Prostaglandin-E-Infusion zum Offenhalten des Ductus Botalli (lebensrettend). 5 Zügige operative Korrektur: Resektion der Stenose, Verschluss des Ductus Botalli. 5 Evtl. Ballondilatation einer Restenose. 4 Postduktale Stenose: 5 Operative Korrektur (Erwachsene: evtl. StentImplantation in den Aorthenisthmus). 5 Evtl. Ballondilatation einer Restenose.
teile hinter der Unterbrechung und die untere Körperhälfte versorgt. Schwere Herzinsuffizienz im Neugeborenenalter. Therapie: Prostaglandin-Infusion und operative Korrektur. Doppelter Aortenbogen, Ringund Schlingenbildung Definition. Durch Fehlentwicklung des embyonal doppelseitig angelegten Aortenbogens und des Ductus Botalli entstehen vaskuläre Schlingen, die durch Druck zu Tracheo- und Bronchomalazie führen. Symptomatik. Inspiratorischer Stridor, Dyspnoe; selten
Dysphagie. Diagnostik. Darstellung der Anatomie durch Echo-
kardiographie, Röntgen-Thorax mit Ösophagogramm, 3-D-Rekonstruktionen aus MRT und Spiral-CT, ggf. Angiographie, ggf. Bronchographie/Bronchoskopie. Therapie.
4 Hochlagerung, milde Sedierung. 4 Abschwellende Maßnahmen bei Infekten, ggfs. Inhalation mit Suprarenin. 4 Operativ: laterale Thorakotomie mit Ligatur und Durchtrennung der Schlinge, selten Resektion des veränderten Trachealknorpels. Bland-White-Garland-Syndrom Definition. Fehlerhafter Ursprung der linken Koronararterie aus der Pulmonalarterie. Mit dem postnatal fallenden Pulmonalarteriendruck kommt es zu Ischämie und Infarkt. Symptomatisch werden die Kinder mit plötzlichem Schreien zwischen der 2. Lebenswoche und dem 2. Lebensmonat (pektanginöse Beschwerden), Herzinsuffizienz. Diagnose durch EKG (Infarkt, Ischämie, Repolarisationsstörung, R-Verlust).
! Postoperativ kann es zur paradoxen Hypertension kommen durch Fehlreaktion der prästenotisch gelegenen Barorezeptoren, die an erhöhte Blutdruckwerte adaptiert sind. Schwerwiegendste Operationskomplikation ist die Paraplegie aufgrund einer Ischämie des Rückenmarks.
Therapie/Prognose. Schnelle Operation mit Reimplantation der Koronararterie in die Aorta. Die Prognose hängt von der Erholung des Myokards nach der Ischämie ab.
Prognose.
11.6
4 Präduktale Stenose: ohne Therapie Letalität 90% im 1. Lebensjahr. 4 Postduktale Stenose: wesentlich bessere Prognose, Operationsrisiko 1%.
Definition. Erkrankungen des Herzmuskels, die mit einer kardialen Funktionsstörung einhergehen.
Unterbrochender Aortenbogen Ein Segment des Aortenbogens fehlt, Überleben nur durch den offenen Ductus Botalli möglich, der die An-
Kardiomyopathien
223 11.6 · Kardiomyopathien
11
Therapie. Einteilung 4 Dilatative / Restriktive / Hypertrophe Kardiomyopathien 4 Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathien (ARCM) 4 Spezifische Kardiomyopathien: ischämisch, entzündlich, toxisch, neuromuskulär
4 Therapie der Herzinsuffizienz. 4 Bei Dekompensation intensivmedizinische Therapie, ggf. Implantation eines kreislaufunterstützenden Systems (»assist-device«) als Überbrückung zur Herztransplantation. Prognose. 5-Jahres-Überlebensrate: 60%.
Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) Dilatative Kardiomyopathie Definition. Dilatation insbesondere des linken Ventrikels bei geringer oder fehlender Myokardhypertrophie und deutlicher systolischer Funktionseinschränkung. Es entsteht ein »Low-cardiac-output-Syndrom«: durch die Dilatation kommt es zur systolischen Dysfunktion des linken Ventrikels mit Lungenödem und verminderter renaler Perfusion. Ätiopathogenese.
4 Zustand nach Myokarditis (häufigste Form) 4 Idiopathisch 4 Familiäre Formen, X-chromosomal vererbte Formen (30%) 4 Im Rahmen sonstiger Erkrankungen: Myopathien, Stoffwechselerkrankungen, neurodegenerative oder endokrinologische Erkrankungen, Intoxikationen oder im Rahmen einer onkologischen Therapie (z. B. mit Adriablastin)
Synonym. IHSS: idiopathische hypertrophe Subaorten-
stenose Definition. Genetisch bedingte, inadäquate Myokard-
hypertrophie, v. a. im Bereich des Ventrikelseptums mit (HOCM: hypertroph obstruktive Kardiomyopathie) oder ohne Obstruktion (HCM) des linksventrikulären Ausflusstrakts. Es kommt zu einer endsystolischen (dynamischen) Obstruktion der linksventrikulären Ausflussbahn durch Septumhypertrophie, ggf. mit Mitralinsuffizienz und zur Einschränkung der diastolischen Relaxation durch verminderte Dehnbarkeit des Ventrikels (»diastolic stiffness«). Ätiopathogenese.
Symptomatik.
4 50% familiär (autosomal-dominant vererbt; im Rahmen multipler Gendefekte, die kardiale Strukturproteine betreffen, z. B. Troponin t, Myosinketten, α-Tropomyosin). 4 50% sporadisch (im Rahmen von Syndromen: z. B. Noonan-Syndrom oder Speichererkrankungen).
4 Meist jahrelang keine Symptome. Dann erhöhte Infektanfälligkeit, verminderte Belastbarkeit, Gedeihstörung, Lustlosigkeit, Müdigkeit. Bei Dekompensation Herzinsuffizienz, Dyspnoe, Zentralisation, Ödeme, kardiogener Schock.
Symptomatik. Die Patienten sind oft beschwerdefrei, ohne Vorboten kommt es zum plötzlichen Herztod durch ventrikuläre Tachykardien, Leitungsstörungen oder Ischämien.
Diagnostik.
Diagnostik.
4 Klinische Untersuchung: bei chronischem Verlauf »Herzbuckel« 4 Auskultation: 3. und 4. Herzton (Galopprhythmus), Mitralinsuffizienzgeräusch über der Apex (Grad 2/6), feinblasige Rasselgeräusche über der Lunge (Lungenödem). 4 EKG: Linkshypertrophie, Repolarisationsstörung, p-mitrale. 4 Echokardiographie: vergrößerter linker Ventrikel, verminderte Ejektionsfraktion. 4 Röntgen-Thorax: Kardiomegalie, kardiale Stauung, vergrößerter linker Vorhof. 4 Herzkatheter: Myokardbiopsie
4 Auskultation: Spätsystolikum im 4. ICR links (Subaortenstenose), Mitralinsuffizienzgeräusch über der Apex. 4 EKG: ausgeprägte linksventrikuläre Hypertrophie: fehlende Q-Zacken, Repolarisationsstörungen. 4 Echokardiographie: Darstellung der linksventrikulären Hypertrophie, Messung der Druckgradienten über der Stenose, Darstellung der Mitralinsuffizienz. 4 Herzkatheter: Bestimmung des Grades der Hämodynamik (Ausmaß der pulmonalvenösen Stauung), evtl. Myokardbiopsie zum Ausschluss einer Systemerkrankung.
224
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
Therapie.
Therapie.
4 Verbesserung der diastolischen Füllung und Verminderung der Obstruktion durch Betablocker (z. B. Propanolol) oder Kalziumantagonisten (z. B. Verapamil); Cave: keine gemeinsame Anwendung! 4 Reduktion des Risikos eines plötzlichen Herztods durch Amiodaron oder Implantation eines internen Defibrillators. 4 Operativ: Myektomie der subvalvulären Muskulatur (Subaortenstenose). 4 Alternativ: Embolisation des ersten Septalasts der linken Koronararterie mit folgender Infarzierung und Myokarduntergang.
4 Keine gesicherte Therapie, einzig definitive Therapie: Herztransplantation 4 Symptomatisch: Therapie der Rhythmusstörungen
! 4 Bei HCM kontraindiziert sind 5 Positiv inotrope Medikamente (z. B. Digitalis) 5 Sympathomimetika 5 Vor-/Nachlastsenker (z. B. Nitrate, ACE-Hemmer), da diese zu einer Verschlechterung der Obstruktion und zur kardialen Dekompensation führen können. 4 2. Körperliche Belastung kann zum Sekundenherztod führen 4 3. Bei HOCM besteht ein hohes Endokarditisrisiko, eine konsequente Endokarditisprophylaxe muss eingehalten werden.
11
Differenzialdiagnosen. HCM durch Nesiodioblastose,
Morbus Pompe und im Rahmen toxisch-medikamentöser Schädigung z. B. durch ACTH, Kortikoide oder bei Neugeborenen diabetischer Mütter.
11.7
Erworbene Herzerkrankungen
Bakterielle Endokarditits Definition. Akute oder subakute Entzündung der Herzklappen, des Endokards oder des Endothels der herznahen großen Arterien. Pathophysiologie. Turbulente Blutströmungen bei kar-
diovaskulären Fehlbildungen prädisponieren zu bakterieller Endokarditis (in 90% liegen angeborene Herzfehler vor). An den Läsionen entwickeln sich thrombotische Auflagerungen, an denen sich bevorzugt grampositive Bakterien anlagern. Betroffen sind meist Mitral- und Aortenklappe. Ätiopathogenese.
4 Häufigste Erreger sind bei der subakuten Endokarditis (»Endokarditis lenta«, 50%) vergründende α-hämolysierende Streptokokken (S. viridans) und bei der akuten Endokarditis (30%) Staphylokokken, anders als bei Erwachsenen im Kindesalter selten Enterokokken. 4 Die Eintrittspforte der Erreger ist häufig der Oropharynx (S. viridans), die Haut (Abszesse, Akne: Staphylokokken) und der Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt (Enterokokken).
Prognose. 10-Jahres-Überlebensrate: 95%. Symptomatik.
Restriktive Kardiomyopathie Definition/Ätiologie. Seltenere Form der Kardiomyopathie mit verminderter diastolischer Dehnbarkeit der Ventrikel. Die Ventrikel sind klein, die Vorhöfe massiv dilatiert. Die Ätiologie ist fast immer unklar. Symptomatik.
4 Lungenstauung, Lungenödem mit Tachydyspnoe 4 Rezidivierende Infekte 4 Rhythmusstörungen durch Vorhofüberdehnung Diagnostik.
4 EKG: p-biatriale 4 Echokardiographie: massiv dilatierte Vorhöfe, kleine Ventrikel 4 Herzkatheter: deutlich erhöhte Füllungsdrücke 4 Evtl. Myokardbiopsie
4 Subakute Endokarditis: 5 Anfangs meist unspezifische Symptome: Fieber, Leistungsknick, Appetitlosigkeit, Nachtschweiß, subfebrile Temperaturen. 5 Im Verlauf Splenomegalie, durch Embolien neurologische Symptome (z. B. Paresen, Verwirrtheit). 5 »Osler-Knötchen« an Palmae und Plantae (Immunvaskulitis). 4 Akute Endokarditis: 5 Septisches Krankheitsbild bei Staph.-aureusEndokarditis, kann innerhalb weniger Tage zu Herzinsuffizienz, Nierenversagen und Koma führen. 5 Bakterielle Embolien mit Abszessbildung. ! Fieber bei bakterieller Endokarditis wird häufig als »banaler Infekt« fehlgedeutet und ungenügend mit Anti-
225 11.7 · Erworbene Herzerkrankungen
biotika behandelt, was zur Verschleierung des Krankheitsbilds führt. Bei Kindern mit angeborenem Herzfehler ist stets sorgfältig nach der Ursache des Fiebers zu suchen.
Diagnostik.
4 Auskultation: In ca. 40% der Fälle: neues systolisches oder diastolisches Herzgeräusch als Hinweis auf eine Klappeninsuffizienz. 4 Labor: CRP ↑, BKS ↑, Leukozytose mit Linksverschiebung, Anämie, bei langen Verläufen: Mikrohämaturie durch immunologisch bedingte Glomerulonephritis. 4 Erregernachweis: durch 4‒6 Blutkulturen, abgenommen im Abstand von 4 h im Fieberanstieg. 4 Echokardiographie (ggf. transösophageal): Klappenvegetationen und -destruktionen. Differenzialdiagnosen.
4 Rheumatisches Fieber 4 Morbus Still 4 Systemischer Lupus erythematodes (LibmanSacks-Endokarditis)
11
Komplikationen.
4 Klappendestuktion mit folgender Klappeninsuffizienz (Therapie: Klappenersatz). 4 Ablösung von Vegetationen und Apoplex oder Lungenembolie, bei α-hämolysierenden Streptokokken in ca. 30%, bei anderen Erregern in bis zu 60%. 4 In 30% renale Beteiligung: Glomerulonephritis mit Hämaturie. Prognose. Ernst: Letalität bei Streptokokken-Endokar-
ditis 10%, bei Staphylokokken-Endokarditis: 30%; Folgeschäden in 50%. Prävention.
4 Korrekturoperationen von Herzfehlern im Säuglingsalter zur Senkung des Endokarditisrisikos. 4 Gute Mund- und Zahnhygiene (Oropharynx ist die Haupteintrittspforte). 4 »Endokarditis-Prophylaxe« bei Risikopatienten und bei operativen oder interventionellen Eingriffen . Tab. 11.1, . Tab. 11.2. Akute Myokarditis
Therapie.
Definition/Ätiologie. Akute Entzündung des Herzmus-
4 Symptomatisch: Bettruhe, Antipyrese 4 Gezielte i. v.-antibiotische Therapie, Beginn nach Abnahme der Erregerdiagnostik, Therapiedauer: Streptokokken ca. 4 Wochen, Staphylokokken ca. 6 Wochen, bei noch fehlendem Keimnachweis Therapiebeginn, z. B. mit Vancomycin plus Gentamycin i. v. 4 Bei Staphylokokken: häufig operative Sanierung notwendig wegen des Embolierisikos und der Ineffektivität der antibiotischen Therapie. 4 Ggfs. operativer Klappenersatz.
kels mit disseminierten oder multifokalen Entzündungsherden, akuter Ventrikeldilatation und globaler Funktionseinschränkung. Die häufigsten Erreger sind Viren, z. B. Coxsackie-Viren: Sommergrippe, auch Influenza-, Echo-, Adenoviren und EBV, seltener Bakterien oder Protozoen oder toxische Myokarditis bei Diphtherie. Symptomatik. Akute Herzinsuffizienz nach vorausgegangenem Virusinfekt: 4 Schwäche, Tachykardie, Dyspnoe, Blässe 4 Hepatomegalie, obere Einflussstauung 4 Rhythmusstörungen
. Tab. 11.1. Patienten mit der höchsten Wahrscheinlichkeit eines schweren oder letalen Verlaufs einer infektiösen Endokarditis 4 Patiententen mit Klappenersatz (mechanische und biologische Prothesen) 4 Patienten mit rekonstruierten Klappen unter Verwendung von alloprothetischem Material in den ersten 6 Monaten nach Operationa, b 4 Patienten mit überstandener Endokarditis 4 Patienten mit angeborenen Herzfehlern – Zyanotische Herzfehler, die nicht oder palliativ mit systemisch-pulmonalem Shunt operiert sind – Operierte Herzfehler mit Implantation von Conduits (mit oder ohne Klappe) oder residuellen Defekten, d. h. turbulenter Blutströmung im Bereich des prothetischen Materials 4 Alle operativ oder interventionell unter Verwendung von prothetischem Material behandelten Herzfehler in den ersten 6 Monaten nach Operationb 4 Herztransplantierte Patienten, die eine kardiale Valvulopathie entwickeln a b
In diesem Punkt unterscheidet sich das vorliegende Positionspapier von den AHA-Leitlinien. Nach 6 Monaten wird eine suffiziente Endothelialisierung der Prothesen angenommen.
Aus Naber CK et al. (2007) Prophylaxe der infektiösen Endokarditis. Kardiologie 1:247, 248
226
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
. Tab. 11.2. Empfohlene Prophylaxe vor zahnärztlichen Eingriffena Situation
Antibiotikum
Einzeldosis 30–60 min vor dem Eingriff Erwachsene
Kinder
Orale Einnahme
Amoxicillinb
2 g p. o.
50 mg/kg p. o.
Orale Einnahme nicht möglich
Ampicillinb, c
2 g i. v.
50 mg/kg i. v.
Penicillin- oder Ampicillinallergie – orale Einnahme
Clindamycind, e
600 mg p. o.
20 mg/kg p. o.
Penicillin- oder Ampicillinallergie – orale Einnahme nicht möglich
Clindamycinc, e
600 mg i. v.
20 mg/kg i. v.
a
b c d
e
Zu Besonderheiten der Prophylaxe vor Eingriffen am Respirations-, Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt sowie an infizierten Haut- und Hautanhangsgebilden und am muskuloskelettalen System s. Text. Penicillin G oder V kann weiterhin als Alternative verwendet werden. Alternativ Cefazolin, Ceftriaxon 1 g i. v. für Erwachsene bzw. 50 mg/kg i. v. bei Kindern. Alternativ Cefalexin: 2 g p. o. für Erwachsene bzw. 50 mg/kg p. o. bei Kindern oder Clarithromycin 500 mg p. o. für Erwachsene bzw. 15 mg/kg p. o. bei Kindern. Cave: Cephalosporine sollten generell nicht appliziert werden bei Patienten mit vorangegangener Anaphylaxie, Angioödem oder Urtikaria nach Penicillin- oder Ampicillingabe.
Aus Naber CK et al. (2007) Prophylaxe der infektiösen Endokarditis. Kardiologie 1:247, 248
! Bei akuter Myokarditis ist eine Monitorüberwachung erforderlich (Gefahr des plötzlichen Herztodes durch Kammerflimmern oder AV-Block).
11
Diagnostik.
4 Auskultation: Leise Herztöne, 3. und 4. Herzton, häufig Mitralinsuffizienzgeräusch 4 Labor: Entzündungsparameter ↑, evtl. CK, CK-MB ↑, Serologie: Nachweis viraler Antikörper 4 EKG: Störungen der Erregungsleitung, Erregungsrückbildung, auffällig gekerbte T-Wellen, ventrikuläre Arrhythmien, bei Perikarditis: ST-Hebung 4 Echokardiographie: Dilatation des linken Ventrikels, Funktionseinschränkung 4 Röntgen-Thorax: unspezifische Kardiomegalie, Lungenstauung Therapie. Bettruhe für 10‒14 Tage, O2-Zufuhr, Diure-
tika, Antiarrhythmika; evtl. Immunglobuline. Prognose.
4 Letalität 25% 4 Komplikation: sekundäre, dilatative Kardiomyopathie Perikarditis Definition. Entzündung des Perikards, als Pericarditis sicca: fibrinöse Entzündung oder als Pericarditis exsudativa: exsudative Entzündung mit hämorrhagischem, serösem oder purulentem Erguss.
Ätiopathogenese.
4 Hämatogene Infektion durch: Viren (z. B. Coxsackie, Influenza) oder Bakterien (z. B. Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken, Meningokokken, Hämophilus influenza, Mykobakterien) oder im Rahmen einer Sepsis. 4 Fortgeleitete Infektion ausgehend von Lunge, Pleura, Myokard, Mediastinum. 4 »Polyserositis«: seröse Begleitergüsse bei Systemerkrankungen. 4 Begleitergüsse bei Malignomen. 4 »Postkardiotomie-Syndrom«: 1‒3 Wochen nach einem herzchirurgischen Eingriff mit Perikarderöffnung tritt ein seröser Perikarderguss auf, meist selbstlimitierend. Symptomatik.
4 4 4 4
Abgeschlagenheit, blass-graues Hautkolorit, Fieber Thoraxschmerzen Später: Zyanose, Tachydyspnoe, Tachykardie Herzinsuffizienz mit oberer Einflussstauung, Hepatomegalie, Aszites und peripheren Ödemen.
Diagnostik.
4 Labor: Entzündungszeichen↑ (Leukozyten, BKS, CRP↑), Blutkulturen, Virusserologie. 4 Auskultation: »Perikard-Reiben«: raues, systolisch-diastolisches Herzgeräusch (bei Erguss nimmt das Herzgeräusch ab), abgeschwächte Herztöne. 4 EKG: Niedervoltage (durch Erguss), Repolarisierungsstörung, Zeichen der Aussenschichtschädi-
227 11.8 · Herzrhythmusstörungen
gung: konkav gehobene ST-Strecke (Herzbeuteltamponade). 4 Röntgen-Thorax: »Bocksbeutelform« des Herzens 4 Echokardiographie: Nachweis des Ergusses Komplikationen. Herzbeuteltamponade bei hämody-
namisch wirksamen Perikarderguss mit: 4 Rückstau, praller Venenfüllung 4 Kussmaul-Zeichen: paradoxer, inspiratorischer Druckanstieg in der Jugularvene 4 Low-output-Syndrom: Belastungsdyspnoe, Blutdruckabfall v. a. bei Belastung 4 Pulsus paradoxus: inspiratorische Abnahme der Blutdruckamplitude, Tachykardie 4 Gefahr des tödlichen Kreislaufversagens Bei chronischer konstriktiver Perikarditis Entwicklung eines Panzerherzes mit schwieligem, schrumpfendem Herzbeutel. Therapie.
4 Strenge Bettruhe, Sedierung 4 Bakterielle Perikarditis: antibiotische Therapie nach Antibiogramm; chirurgische Therapie 4 Pericarditis sicca: Salicylate 4 Perikarderguss: Diuretika, Salicylate 4 Perikardtamponade: notfallmäßige Perikardpunktion zur Entlastung des Herzbeutels. 11.8
Herzrhythmusstörungen
11.8.1 Angeborene Herzrhythmus-
störungen Kongenitaler AV-Block Definition. Bereits intrauterin entwickelt sich ein kompletter AV-Block, meist bei mütterlichem Lupus erythematodes: mütterliche Antikörper gehen auf das Kind über und zerstören die Purkinje-Zellen des AV-Knotens. Ersatzrhythmus mit Ursprung im His-Bündel. Die Indikation zur Schrittmacherimplantation ist abhängig von der resultierenden Herzfrequenz und Entwicklung einer Herzinsuffizienz.
11
Ätiopathogenese.
4 Autosomal-rezessiv (Jervell-Lange-Nielson-Syndrom) oder autosomal-dominant (Romano-WardSyndrom) vererbte Mutationen in Genen, die myokardiale Ionenkanäle oder deren regulatorische Untereinheiten (in der Mehrzahl repolarisierende Kaliumkanäle) kodieren. 4 Repolarisationsverlängernde Medikamente führen über die Blockade von Kaliumkanälen zu einer QTVerlängerung. Symptomatik. Beim Long QT-Syndrom kann sich unter Belastung eine Torsades de Pointes-Tachykardie entwickeln mit polymorpher Tachykardie, ständig die Polarität wechselnden Spitzen der QRS-Komplexe, die mit einer Frequenz von 200‒330/min um die isoelektrische Linie tanzen. Die Leitsymptome der Torsades des Pointes-Tachykardie sind Palpitationen, Schwindel, Synkopen und plötzlicher Herztod. Erstmanifestation, Erstsymptomatik und Trigger sind abhängig von der kausalen Mutation und weiteren endogenen und exogenen Einflussfaktoren. Therapie. Akut: Kardioversion und Magnesium i. v. Prophylaxe/Prognose.
4 Meidung repolarisationsverzögernder Medikamente (www.torsades.org). 4 Magnesium und Kaliumsubstitution, die Laborwerte sollten hochnormal sein. 4 Betablocker je nach Mutation. 4 Ggf. Schrittmachertherapie und Implantation eines ICD. Das Risiko im Einzelnen hängt von der vorliegenden Mutation, der Dauer der frequenzkorrigierten QT-Zeit und dem Geschlecht ab. WPW-Syndrom (Wolff-Parkinson-WhiteSyndrom) Definition/Epidemiologie. Das WPW Syndrom ist das häufigste Präexzitationssyndrom, bei dem es zu einer vorzeitigen, den AV-Knoten umgehenden Depolarisation der Kammer über eine akzessorische Leitungsbahn (Kent-Bündel) kommt.
Long QT-Syndrom Definition.
Pathophysiologie. Die akzessorische Leitungsbahn
4 Verlängertes zelluläres Aktionspotenzial zeigt sich im EKG als verlängertes QT-Intervall.
kann antegrad und retrograd leiten, es entstehen z. B. kreisende Erregungen durch antegrade Leitung über den AV-Knoten und retrograde Leitung über die akzessorische Leitungsbahn. Es entstehen supraventrikuläre Tachykardien.
228
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
11.8.2 Bradykarde Rhythmusstörungen Sick-Sinus-Syndrom (Syndrom des kranken Sinusknotens) Definition. Intermittierender oder dauerhafter Ausfall der Erregung aus dem Sinusknoten. Nach einer Pause springt ein anderes Erregungsbildungszentrum im Bereich der Vorhöfe oder des AV-Knotens ein. Symptomatik. Bradykardien, Tachykardien, Herzklop-
fen, Dyspnoe, Schwindel, Synkopen. Diagnostik. . Abb. 11.4. EKG. Normale Form, EKG bei (langem) QT-Syndrom mit verlängerter QT-Zeit und das typische EKG bei WPW-Syndrom mit verkürzter PQ-Zeit und Delta-Welle
Symptomatik. Variables Erscheinungsbild:
4 Die meisten Patienten sind asymptomatisch mit dem typischen EKG-Befund . Abb. 11.4. 4 In ca. 25% treten Extrasystolen auf 4 Palpitationen, Präsynkopen und Synkopen 4 Anhaltende Tachykardien können zu Herzinsuffizienz führen
11
4 Sinusbradykardie: SA-Block 4 Sinusarrhythmie: Tachykardie-Bradykardie-Syndrom 4 Sinuspause: Sinusknoten-Reentry-Tachykardie 4 Langsamer Ersatzrhythmus: intraatriale ReentryTachykardie Therapie.
4 Bei Auftreten von Synkopen: Schrittmacherimplantation. 4 Im akuten Notfall: Atropin (Herzfrequenzsteigerung), Isoprenalin, transvenöser Schrittmacher.
Diagnostik. EKG:
AV-Block
4 PQ-Zeit verkürzt (<0,12 s) (. Abb. 11.4). 4 Delta-Welle (verbreiterter QRS-Komplex mit trägem R-Anstieg, entspricht der vorzeitigen Depolarisation des Ventrikelmyokards). 4 Bei einem Drittel der Patienten ist das OberflächenEKG unauffällig (so genanntes verborgenes WPWSyndrom).
Definition. Störung der atrioventrikulären Überleitung:
Therapie. 7 Kap. Supraventrikuläre Tachykardien. ! Bei Präexzitationssyndrom mit Vorhofflimmern sind Verapamil, Adenosin und Digitalis kontraindiziert. Sie führen zu einem AV-Block oder zu einer Verlängerung der Refraktärzeit im AV-Knoten, sodass atriale Tachykardien über die akzessorische Leitungsbahn 1:1 auf die Kammer übergeleitet werden können mit der Folge von Kammerflattern oder -flimmern.
Long-Ganong-Levine-Syndrom Definition. Präexzitationssyndrom, ähnlich dem WPWSyndrom, mit Erregung der Kammern über ein akzessorisches Bündel (James-Bündel). Im EKG stellt sich eine verkürzte PQ-Zeit dar, jedoch keine Delta-Welle und keine Deformierung der QRS-Komplexe.
verzögerte Überleitung bis zur kompletten Blockierung.
Einteilung des AV-Block Die Lokalisation der Blockierung ist von therapeutischer und prognostischer Bedeutung. Der AV-Block kann im AV-Knoten, im His-Bündel oder darunter liegen. Man unterscheidet 3 Schweregrade (. Abb. 11.5): 4 AV-Block Grad I: verzögerte Erregungsleitung, jeder atriale Impuls wird mit einem verlängerten PQ-Intervall (PQ-Zeit >0,2 s) auf die Kammer übergeleitet. 4 AV-Block Grad II: – Typ I (Wenkebach): charakteristischerweise kommt es zu einer Zunahme des PQ-Intervalls von Schlag zu Schlag, bis eine Überleitung auf die Kammer ausfällt. Dies führt zu einer ventrikulären Pause, welche kürzer als ein doppeltes PP-Intervall ist. – Typ II (Mobitz): intermittierender und plötzlicher kompletter AV-Block nach einem oder mehreren atrialen Impulsen. Wird von 6
229 11.8 · Herzrhythmusstörungen
11
. Abb. 11.5. AV-Block im EKG
11.8.3 Tachykarde Rhythmusstörungen 2 Sinusknotenimpulsen einer übergeleitet, resultiert ein 2:1-Block, wird von 3 Impulsen einer übergeleitet, resultiert ein 3:1-Block. 4 AV-Block Grad III: vollständige Dissoziation von Vorhof- und Kammerkontraktion, keine Beziehung zwischen P-Wellen und QRS-Komplexen. Die QRS-Komplexe sind häufig schenkelblockartig deformiert (Ersatzrhythmus aus den Ventrikeln), können aber auch normal sein (Ersatzrhythmus aus den His-Bündeln) (häufig bei mütterlichem SLE, rheumatoider Arthritis oder postoperativ).
Symptomatik. Meist symptomlos. Beim kompletten
AV-Block führt jedoch der erniedrigte Kammerersatzrhythmus zur Verschlechterung der Hämodynamik, ggf. mit Leistungsabfall, Müdigkeit bis hin zur Linksherzdekompensation. Die Dauer einer Asystolie bestimmt die Symptomatik (Schwindel, MorgagniAdams-Stokes-Anfällen bis zum irreversiblen Hirnschaden). Therapie.
4 AV Block Typ I und II (Wenkebach): keine Therapie, leitungsverzögernde Medikamente sollten abgesetzt werden. 4 AV Block Typ II (Mobitz): Schittmacherimplantation, wenn symptomatisch (Schwindel, Synkopen) oder bei drohendem Übergang in einen kompletten AV-Block. 4 AV Block Typ III: Schrittmacherimplantation
Extrasystolen (ES) Definition/Epidemiologie. Außerhalb des regulären
Herzrhythmus auftretende Herzaktionen, häufigste Herzrhythmusstörung im Kindesalter.
Definitionen SVES (supraventrikuläre Extrasystolen): vorzeitiger Einfall der P-Welle, normaler QRS-Komplex, keine voll kompensatorische Pause, teils blockierte SVES möglich mit resultierender Bradykardie, teils deformierte QRS-Komplexe bei aberranter Überleitung. VES: (ventrikuläre Extrasystolen): vorzeitiger Einfall einer Kammererregung, QRS-Komplex verbreitert und deformiert, P-Welle meist nicht erkennbar, voll kompensatorische Pause. 4 Bigeminus: ventrikuläre Extrasystole und normaler Herzschlag im Wechsel 4 Couplets: 2 konsekutive Extrasystolen direkt hintereinander 4 Triplets: 3 konsekutive ventrikuläre ES direkt hintereinander 4 Salven: 3–5 ventrikuläre ES direkt hintereinander 4 Ventrikuläre Tachykardie: mehr als 5 ventrikuläre ES in Reihe 4 R auf T-Phänomen: ventrikuläre Extrasystolen, die in die vulnerable Phase der vorausgegangenen T-Welle fallen: Gefahr des Kammerflatterns
230
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
Ätiopathogenese. Auftreten von Extrasystolen: 4 Idiopathisch 4 Kardial: z. B. bei entzündlichen Herzerkrankungen, angeborenen Herzfehler, Zustand nach Herzoperation. 4 Extrakardial: z. B. im Rahmen von Elektrolytstörungen, Intoxikationen, Hyperthyreose. Symptomatik. Meist asymptomatisch, evtl. »Herzstol-
pern«. Therapie. Bei herzgesunden Kindern sind SVES und
VES in Abhängigkeit von der Klinik, der Häufigkeit und dem echokardiographischen Befund meist nicht behandlungsbedürftig. Prognose. Prognostisch günstig ist das Verschwinden der Extrasystolen bei körperlicher Belastung.
Supraventrikuläre Tachykardien Definition. Plötzliche, anfallsartige Erhöhung der Herzfrequenz auf 180‒300 bpm (beats per minute) für Minuten bis Tage.
4 Tachykardie des älteren Kindes: Herzrasen, Palpitationen, Unruhe, Blässe, Angstgefühl. 5 Sistiert häufig spontan, sonst Therapie: Vagusstimulation (Erfolgsrate <40%), z. B. Trinken von Eiswasser, Valsalva-Manöver, einseitige Carotis-Sinus-Massage für ca. 10 s (nicht bei Stenosen und nie beidseits). 5 Bei ausbleibendem Erfolg: Adenosin (Mittel der Wahl). Der Kalziumkanalblocker Verapamil bewirkt durch eine AV-Überleitungsverzögerung ebenfalls eine Beendigung des ReentryMechanismus. Alternative: Ajmalin. Bei Ineffektivität oder Kontraindikation von Adenosin und/oder Verapamil oder hämodynamischer Instabilität sollte in Kurznarkose eine getriggerte elektrische Kardioversion erfolgen. 4 Prophylaxe: 5 Propafenon, Flecainid, Betablocker, Amiodaron. 5 Evtl. Katheterablation des akzessorischen Bündels. Prognose. In der Regel gut, häufig Rezidive, v. a. beim
WPW-Syndrom. Ätiopathogenese.
11
4 Idiopathisch 4 Kardial: z. B. bei Karditis, Kardiomyopathie, Zustand nach Herzoperation. 4 Extrakardial: z. B. im Rahmen von Elektolytstörungen, Infektionen und Intoxikationen. Die paroxysmale Tachykardie wird durch eine atriale oder ventrikuläre Extrasystole ausgelöst und führt zu einem Reentry im AV-Knoten: funktionelle Dissoziation des AV-Knotens in eine schnelle und eine langsam leitende Bahn oder einem Reentry über einer akzessorische Leitungsbahn: antegrade und/oder retrograde Leitung, z. B. bei WPW-Syndrom (7 Kap. 11.8.1). Symptomatik/Therapie.
4 Fetale Tachykardie: es besteht die Gefahr eines Hydrops fetalis. 5 Therapie: antiarrythmische Therapie der Mutter (z. B. Digoxin, Flecainid), postpartal antiarrhythmische Prophylaxe des Neugeborenen. 4 Tachykardie des Säuglings: Blässe, Tachydyspnoe, Schwitzen, Herzinsuffizienz, Erbrechen. 5 Therapie: Vagusstimulation (Eisbeutel), Adenosin i. v., Schnelldigitalisierung, bei ausbleibendem Erfolg und Zeichen der Herzinsuffizienz: elektrische Kardioversion, danach ggf. Einleitung einer medikamentösen Dauertherapie (z. B. Propafenon, Betablocker, Amiodaron).
Vorhofflattern/Vorhofflimmern Definition.
4 Vorhofflattern: intraatrialer Reentry-Mechanismus mit Vorhoffrequenzen von 250‒350/min, bei Neugeborenen bis 450/min. Die Kammerfrequenz liegt in der Regel niedriger und variiert je nach Überleitungsverhältnis, das häufig bei 2:1, seltener bei 3:1 oder 1:1 liegt. 4 Vorhofflimmern: intraatrialer Reentry-Mechanismus mit Vorhoffrequenzen von 400–700/min mit absoluter Arrhythmie der Kammer, im Kindesalter selten. Ätiopathogenese. Idiopathisch, bei Zustand nach Herzoperation oder durch chronische Überdehnung der Vorhöfe (z. B. bei Mitralklappenfehlern, Kardiomyopathie). Symptomatik. Die Symptomatik ist abhängig vom Verlust der Vorhofkontraktion und der Kammerfrequenz. Vorhofflimmern ist in der Regel nicht lebensbedrohlich. Vorhofflattern kann bei einer 1:1-Überleitung zum Kammerflattern führen. ! Insbesondere bei herzoperierten Kindern besteht bei Vorhofflattern oder -flimmern die Gefahr einer 1:1 atrioventrikulären Überleitung mit Synkope und plötzlichem Herztod.
231 11.8 · Herzrhythmusstörungen
Diagnostik. EKG: 4 Vorhofflattern: negativ sägezahnartig konfigurierte Flatterwellen in den Ableitungen II, III und aVF, Frequenzen von 250‒450/min, meist 2:1- oder 3:1Überleitung. 4 Vorhofflimmern: Vorhofflimmerwellen sind meist in den Ableitungen V1, III und aVF sichtbar, absolute Unregelmässigkeit der Kammeraktion (Arrhythmia absoluta). Therapie. Vorhofflattern: Bei bestehender kardialer
Dekompensation ist die elektrische getriggerte Kardioversion oder die transösophageale Overdrive-Stimulation indiziert. Bei stabilen Kreislaufverhältnissen kann der Versuch einer medikamentösen Konversion mit Antiarrhythmika der Klasse Ic (Propafenon, Flecainid) oder der Klasse III (Amiodaron, Sotalol) unternommen werden. Bei eingeschränkter Ventrikelfunktion sollte bevorzugt Amiodaron eingesetzt werden aufgrund seiner fehlenden negativen Inotropie. Die genannten Substanzen eignen sich ebenfalls zur Rezidivprophylaxe. Zudem sollte eine elekrophysiologische Untersuchung mit der Möglichkeit einer Ablation im Isthmusbereich erwogen werden. Vorhofflimmern: Bei hämodynamisch instabilem Patienten ist eine notfallmäßige elektrische Kardioversion indiziert. Diese kann nur als Notfalltherapie ohne den transösophagealen Ausschluss intrakardialer Thromben erfolgen. Bei hämodynamisch stabilem Patienten wird zunächst eine Frequenzkontrolle durch Herzglykoside, Betablocker, Kalziumantagonisten oder Amiodaron angestrebt. In Folge muss mit Heparin antikoaguliert werden, um thrombembolische Erreignisse zu vermeiden. Vor medikamentös oder elektrisch getriggerter Kardioversion in Kurznarkose) müssen intrakardiale Thromben mittels transösophageler Echokardiographie ausgeschlossen werden. Eine Rezidivprophylaxe erfolgt mit Antiarrhythmika der Klasse Ic (Propafenon, Flecainid), II (Betablocker) oder III (Amiodaron, Sotalol).
11
Intoxikationen und Elektrolytstörungen. Bei herzgesunden Kindern nur sehr selten. Symptomatik. Aufgrund der VT ist die Hämodynamik
schwer beeinträchtigt, es treten Palpitationen, Schwindel und Synkopen auf bis hin zum kardiogenen Schock. Die VT kann persistieren (>30 s) oder nicht persistieren (<30 s). ! Ventrikuläre Tachykardien sind lebensbedrohlich, es besteht die Gefahr des Übergangs in Kammerflattern oder -flimmern und des Sekundenherztods.
Diagnostik. EKG: meist AV-Dissoziation, seltener 1:1 ventrikuloatriale Rückleitung; breite, schenkelblockartig deformierte QRS-Komplexe. Therapie. Elektrokardioversion in Kurznarkose (Thera-
pie der Wahl). Medikamentös ist Amiodaron Mittel der Wahl. Kammerflattern/Kammerflimmern Definition. Bei Kammerflattern treten verbreiterte ventrikuläre Impulse mit Frequenzen von 200‒300/min auf, die sich im EKG haarnadel- oder sinusförmig darstellen. Eine isoelektrische Linie ist nicht mehr nachweisbar. Ein Übergang in Kammerflimmern ist möglich, das durch unkoordinierte, ventrikuläre Depolarisationen mit unregelmäßigen Flimmerwellen unterschiedlicher Ausgangshöhe und -richtung charakterisiert ist. Ätiopathogenese. Auftreten im Rahmen kardialer (Ischämien des Myokards, Narben nach Operation) und extrakardialer Ursachen (Intoxikationen, Elektrolytstörungen, z. B. Hypokaliämie, Hyperkalzämie, Infektionen, Traumata oder Elektrounfälle). Symptomatik.
4 Akuter Herzkreislaufstillstand 4 Sekundenherztod
Ventrikuläre Tachykardien
Therapie. Lebensrettend: kardiopulmonale Reanima-
Definition. Lebensbedrohliche Tachykardie mit mehr
tion 4 Herzdruckmassage 4 Amiodaron i. v. (5 mg/kg) 4 Defibrillation (4 J/kg)
als 3 konsekutiven, beschleunigten, ektopen, breiten Kammerkomplexen, meist ohne Beziehung zwischen QRS-Komplex und P-Welle, Frequenz >100 bpm. Anfallsweise Erhöhung der Herzfrequenz auf 180‒300 bpm über Minuten bis Tage möglich. Ätiopathogenese. Ventrikuläre Tachykardien entstehen häufig im Rahmen angeborener Herzfehler, insbesondere nach Herzoperationen, kardialem Tumor, Myokarditis, Kardiomyopathie oder im Rahmen von
Nach Überleben: Implantation eines antitachykarden Schrittmachers.
232
Kapitel 11 · Herz- und Kreislauferkrankungen
11.9
Funktionelle Störungen
Akzidentelle Herzgeräusche Definition. Normale Geräuschphänomene eines anatomisch und funktionell gesunden Herzens. Sie entstehen durch Unregelmäßigkeiten an der trabekularisierten Ventrikelmuskulatur durch Schwingungen an den Segeln der Semilunarklappen und durch so genannte akzessorische Sehnenfäden (Sehnenfäden, die quer durch den linken Ventrikel verlaufen). Epidemiologie. Häufigkeit: 80% der Kinder und Ju-
Therapie/Prophylaxe.
gendlichen zwischen 2 und 14 Jahren.
4 Akut: Beine hochlagern, meist spontanes Sistieren der Symptome. 4 Verhaltensregeln: kein Aufhalten in heißen, stickigen Räumen, kein schnelles Aufstehen, sportliche Bewegungsförderung, Wechselbäder, Diät: salzreiche Kost, Kaffee, viel Flüssigkeitszufuhr. 4 Selten medikamentöse Therapie mit Midodrin, Fludrokortison, Betablocker notwendig.
Symptomatik/Diagnostik.
4 Meist kurzes, systolisches Geräusch (Grad 2/6‒3/6), singender Charakter im 2.‒3. ICR parasternal. 4 Verstärkung des Herzgeräuschs durch Steigerung des Herzzeitvolumens bei Fieber, Anämie, Bradykardie. 4 Lageabhängigkeit: im Liegen deutlich lauter, verschwindet im Sitzen oft gänzlich.
11
minütliche Messung von RR und HF, anschließend wieder 6 min Liegen, dreimalige Messung von RR und HF. Bestimmung des Mittelwerts der 3 Ruhemessungen und Berechnung der prozentualen Abweichung von RR und HF nach dem Aufstehen von diesem Mittelwert. Normal sind ein systolischer Druckabfall bis 10% oder ein systolischer Druckanstieg bis 35%, ein diastolischer Druckabfall bis 5% und ein Anstieg der Herzfrequenz bis 50%. 4 Evtl. Kipptischuntersuchungen.
Differenzialdiagnostik. Nicht pathologische, funktionelle Herzgeräusche/-fehler sind z. B. die respiratorische Arrhythmie durch exspiratorischen Vagusreiz und die psychogene Tachykardie.
Stenokardien Definition. Rezidivierende »Herzschmerzen« ohne zugrunde liegende Pathologie, meist präkordial über Erb, Auftreten zwischen dem 10. und dem 16. Lebensjahr. Symptomatik.
Orthostatische Dysregulation Definition. Kreislaufdysregulation mit Schwindel oder Synkope beim Aufrichten.
4 Rezidivierende, präkordiale Schmerzen über Erb, in Ruhe und nach Belastung auftretend. 4 Dauer 5‒15 min, Verstärkung bei tiefer Inspiration. 4 Meist ist die (unbekannte) Ursache psychogen verstärkt.
Pathophysiologie. Nach dem Aufstehen »versacken« ca. 500‒700 ml Blut in der unteren Extremität und im Splanchikusgebiet, es ensteht eine kurzzeitige Minderversorgung des ZNS.
Diagnostik. Abklärung: Anamnese, EKG, ECHO, ggf. Belastungs-EKG, Ausschluss anderer Ursachen. Therapie. Aufklärung der Patienten und Eltern, dass die
Epidemiologie.
4 Häufig in der Pubertät, v. a. bei großen, schlanken Patienten. 4 Häufig in überwärmten, stickigen Räumen. 4 Bei gespannter Erwartung eines beängstigenden Ereignisses. Symptomatik.
4 Blässe, Schwindel, Palpitation 4 Schweißausbruch, Kältegefühl, Gähnen 4 Synkope
Beschwerden ungefährlich und selbstlimitierend sind. ! Bei akut aufgetretenen Stenokardien müssen folgende Ursachen ausgeschlossen werden: Perikarditis, Myokarditis, Pleurits, Aortenstenose, Hypertrophe Kardiomyopathien, Störungen der Koronarperfusion (Fisteln, Hyperlipidämien, Hyperkoagulopathien, Kawasaki), Rhythmusstörunge, Refluxösophagits, Lungeninfarkt bei nephrotischem Syndrom oder AML.
11.10
Schock
Diagnostik.
4 Schellong-Test: der Patient muss zunächst 15 min liegen, in den letzten 5 min dreimaliges Messen von RR und HF, anschließend zügiges Aufstehen,
Definition. Kritische Verminderung der Mikrozirkulation durch Minderperfusion der peripheren Strombahn mit Hypoxie des Gewebes.
233 11.10 · Schock
Einteilung des Schocks Hypovolämischer/Kardiogener/Anaphylaktischer/ Septischer Schock.
Hypovolämischer Schock Definition/Ätiopathogenese. Schock durch vermin-
dertes Intravasalvolumen bei Blutungen nach Trauma oder OP, Verbrennungen oder Dehydratation (Gastroenteritis). Pathophysiologie. »Schockspirale«: Blutdruckabfall →
Katecholaminausschüttung → Tachykardie und Vasokonstriktion (anfangs RR noch normal) → Zentralisation → zunehmende periphere Gewebshypoxie → Ansammlung saurer Metabolite und metabolische Azidose durch zunehmenden anaeroben Kohlenhydratabbau → transkapilläre Verluste von intravasaler Flüssigkeit → Verstärkung des Volumenmangels (circulus vitiosus) → SludgePhänomen der Erythrozyten → Mikrothromben. Auswirkungen auf die Organe: 4 Niere: Oligurie, Anurie; Herz: Herzinsuffizienz; Lunge: Schocklunge (Erwachsene: ARDS); Gerinnung: evtl. disseminierte intravasale Gerinnung.
11
4 i. v. Volumensubstitution: 5 Bei Blutungen: Erythrozytenkonzentrate oder Humanalbumin 5% (10‒20 ml/kg) 5 Bei Serum oder Flüssigkeitsverlust: NaCl 0,9% (10 ml/kg) 4 Elektrolytausgleich 4 Pufferung einer metabolischen Azidose durch Natriumbikarbonat 4 Häufig Intubation und Beatmung notwendig Kardiogener Schock Definition. Schock durch kardiales Pumpversagen bei: 4 Postoperativer Myokardschädigung 4 Myokarditis 4 Dekompensierten Vitien 4 Herzrhythmusstörungen 4 Perikardtamponade Symptomatik.
4 Stauungszeichen: Hepatosplenomegalie, Lungenödem, Pleuraergüsse 4 Zentralisation, arterielle Hypotension, Tachykardie 4 Multiorganversagen mit Nierenversagen und gestörter Leberfunktion
Symptomatik.
Therapie.
4 Zentralisation, um die Durchblutung der von Herz und Gehirn zu gewährleisten (kühle Extremitäten). 4 Tachykardie 4 Arterielle Hypotension 4 Ggf. getrübtes Bewusstsein
4 Intubation und Beatmung. 4 Dobutamin, Dopamin oder Adrenalin zur Verbesserung der Pumpleistung; zusätzlich: Phosphodiesterasehemmer (Enoximon). 4 Nachlastsenkung durch Nitroprussidnatrium; Cave: der für die Organperfusion notwendige Blutdruck darf nicht unterschritten werden. 4 Ultima ratio: Assist devices (Kunstherzen, ECMO/ extrakorporale Membranoxygenierung).
Therapie.
4 Beseitigung der Ursache 4 Kopftieflagerung: verbesserter Rückfluss zum Herzen
12 12
Erkrankungen des Respirationstrakts
12.1
Einführung
12.2
Angeborene Fehlbildungen – 235
12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4
Angeborene Fehlbildungen der Nase – 235 Angeborene Fehlbildungen des Kehlkopfs – 235 Angeborene Fehlbildungen von Luftröhre und Bronchien Angeborene Fehlbildungen der Lunge – 236
12.3
Infekt der oberen Luftwege (»Atemwegsinfekt«)
12.4
Erkrankungen von Nase, Rachen und Ohren
12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.4.5 12.4.6
Entzündungen der äußeren Nase, Nasenbluten, Fremdkörper – 237 Entzündungen der Nase, des Rachens und der Nebenhöhlen – 238 Erkrankungen der Rachenmandel – 240 Entzündungen der Gaumenmandel – Angina tonsillaris – 240 Erkrankungen des äußeren Ohres – 241 Erkrankungen des Mittelohrs – 241
12.5
Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien
12.5.1 12.5.2 12.5.3 12.5.4 12.5.5 12.5.6 12.5.7 12.5.8
Tumoren des Kehlkopfs – 243 Entzündungen des Kehlkopfs – 243 Fremdkörper in den Luftwegen – 245 Akute Entzündungen des Tracheobronchialsystems – 245 Chronische Entzündungen des Tracheobronchialsystems – »bronchitisches Syndrom« – 247 Mukoviszidose – Cystische Fibrose (CF) – 248 Asthma bronchiale – 250 Exogen allergische Alveolitis (EAA) – 254
12.6
Erkrankungen der Lunge
12.6.1 12.6.2 12.6.3 12.6.4 12.6.5
Pneumonien – 254 Emphysem und Atelektasen Lungenabszesse – 257 Lungenfibrosen – 258 Lungentumoren – 258
12.7
Erkrankungen der Pleura
12.8
Erkrankungen des Mediastinums
12.8.1
Entzündungen – 260
– 235
– 254 – 257
– 258 – 260
– 235
– 236
– 237
– 243
235 12.2 · Angeborene Fehlbildungen
12.1
Einführung
Therapie.
. Tab. 12.1. Atemfrequenzen, Normwerte Alter (Jahre)
Atemfrequenz
Frühgeborenes
40–60/min
0–1* 1–3 4–6 7–9 10–14 14–18 Erwachsene
24–38 22–30 20–24 18–24 16–22 14–20 12–15
* In der Neugeborenenperiode sind z. T. auch höhere Atemfrequenzen physiologisch, sofern keine anderen Symptome vorliegen.
12.2
12
Angeborene Fehlbildungen
12.2.1 Angeborene Fehlbildungen der Nase Choanalatresie Definition. Ein- oder beidseitiger Choanalverschluss mit knöchernem oder membranösem Septum zwischen Nase und Pharynx. Epidemiologie. Häufigste angeborene Fehlbildung der Nase; Häufigkeit: 1:5 000 bis 1:20 000 Neugeborene. Symptomatik.
4 Einseitige Choanalatresie: meist erst nach Wochen symptomatisch: chronisch-eitrige Rhinitis, Atembehinderung, Trinkschwierigkeiten, Gedeihstörung. 4 Beidseitige Choanalatresie: postpartal lebensbedrohliche Ateminsuffizienz, Zyanose, Hypoxie, rezidivierende Aspirationspneumonien (obligate Nasenatmung bei Neugeborenen). ! Bei Verdacht auf eine beidseitige Choanalatresie darf aufgrund der Aspirationsgefahr bis zur diagnostischen Klärung kein oraler Fütterungsversuch unternommen werden.
4 Akuttherapie bei beidseitiger Choanalatresie: Offenhalten des Mundes, Einlage eines Güdel-Tubus, ggf. Intubation. 4 Kausale Therapie: bei membranösem Verschluss intranasale Durchstoßung, sonst chirurgische Rekonstruktion. 12.2.2 Angeborene Fehlbildungen
des Kehlkopfs Laryngomalazie/Tracheomalazie Definition/Ätiologie. Angeborene Instabilität des Knorpels von Epiglottis, Larynxwänden oder Trachea mit Kollaps der Atemwege aufgrund eines unzureichenden oder verspäteten Kalziumeinbaus in das Larynx- oder Trachealskelett. Symptomatik/Diagnostik. Direkt postpartal oder in
den ersten Lebenswochen: 4 Inspiratorischer Stridor (ziehendes, jauchzendes oder schnarchendes, inspiratorisches Nebengeräusch), v. a. in Rückenlage, Besserung in Bauchlage. 4 Juguläre und epigastrische Einziehung 4 Infektbedingte, akute Exazerbation durch Schleimhautschwellung möglich, z. T. bedrohliche Verläufe. Differenzialdiagnosen.
4 Häm- oder Lymphangiome 4 Anomalien mediastinaler Gefäße mit Laryngo-/ Tracheomalazie 4 Konnatale Struma 4 Geburtstraumatische Rekurrensparese 4 Kongenitale Diaphragmen zwischen den Stimmbändern 4 Kongenitale Larynxzysten 4 Doppelter Aortenbogen Therapie. Therapie selten erforderlich, spontane Knor-
pelstabilisierung zwischen 9. und 15. Lebensmonat. > Bedrohliche Verläufe oder progrediente Verschlechterung sprechen gegen eine Laryngomalazie.
Diagnostik.
4 Sondierung der Nasenlöcher: die Sonde lässt sich nicht weiter als 5 cm vorschieben 4 Nasenendoskopie: Darstellung des Septums 4 Evtl. Röntgen-Kontrastdarstellung im Liegen
12.2.3 Angeborene Fehlbildungen
von Luftröhre und Bronchien Tracheal-/Bronchialstenose Definition. Stenose von Trachea oder Bronchien, häufig im Rahmen von Fehlbildungen, z. B. doppelter Aorten-
236
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
bogen, Fehlabgang von Truncus brachiocephalicus oder Pulmonalarterie (v. a. linksseitig), dadurch Druck von außen und sekundäre Erweichung des Tracheal-/ Bronchialknorpels Symptomatik.
4 Leitsymptom: inspiratorischer Stridor 4 Trinkschwierigkeiten, Gedeihstörung 4 häufig infektbedingte Exazerbation durch Schleimhautschwellung Diagnostik.
4 Röntgen-Thorax: Darstellung der Stenose nach Kontrastmittelfüllung des Ösophagus 4 Bronchoskopie: Pulsation im Bereich der Stenose 4 Angiographie: Darstellung der Gefäßanatomie Differenzialdiagnostik.
4 Ösophagotracheale Fisteln mit oder ohne Atresie des Ösophagus 4 Angeborene Tracheomalazie
Kongenitales lobäres Emphysem Definition. Angeborene Überblähung eines oder mehrerer Lungenlappen, meist des linken Oberlappens, seltener des rechten Ober- und Mittellappens. Zugrunde liegt eine Störung im Bronchusaufbau (z. B. bei fehlendem Knorpel) oder eine Kompression des Bronchus von außen (z. B. durch aberrierende Gefäße). Durch die chronische Fehlbelüftung entwickelt sich ein Emphysem. Symptomatik.
4 Einseitig abgeschwächtes Atemgeräusch, hypersonorer Klopfschall. 4 Leichte Atemstörung, Dyspnoe, »spastische Bronchitis«. 4 Exazerbation bei Infekten. Therapie. Bei Ateminsuffizienz/rezidivierenden Infekten: Resektion des betroffenen Lungenanteils.
Therapie. Meist keine Therapie erforderlich; spontane Festigung der Trachealwand im Laufe des 1. Lebensjahres.
12.3
12.2.4 Angeborene Fehlbildungen
Definition. Atemwegsinfekte, in 90‒95% viral bedingt,
der Lunge
12
Therapie. Extralobärer Lungensequester: Resektion; intrapulmonaler Lungensequester: Lobektomie.
Lungenhypoplasie und -aplasie Definition. Einseitige (partielle oder totale) Lungenfehlbildung. Symptomatik/Diagnostik.
4 Lungenhypoplasie: von symptomlos bis hin zu schwerer Ateminsuffizienz. 4 Lungenaplasie: sekundäre Entzündungen führen meist zum Tod im Kindesalter, radiologisch zeigt sich eine einseitige, homogene Verschattung einer Thoraxhälfte. Lungensequestration Definition. Funktionsloses Lungengewebe (intra- oder extrapulmonal), das von den Gefäßen des großen Kreislaufs versorgt wird, aber keinen Anschluss an das Bronchialsystem hat. Symptomatik/Diagnostik. Häufig symptomloser Zufallsbefund; gelegentlich rezidivierende bronchopulmonale Infekte. Im Röntgenbild zeigt sich ein intraoder extrapulmonal gelegener Verdichtungsbezirk, z. T. mit Zystenbildung.
Infekt der oberen Luftwege (»Atemwegsinfekt«)
die (häufig absteigend) Nase, Rachen, Kehlkopf und Bronchien befallen. Einteilung in obere Atemwegsinfekte: Rhinitis, Pharyngitis, Tracheitis und untere Atemwegsinfekte: Bronchitis, Pneumonie. Epidemiologie. Häufige Atemwegsinfekte in den ersten Lebensjahren bis in das Grundschulalter hinein sind normal und Ausdruck dafür, dass sich das Immunsystem zum Erwerb einer Immunität erst mit Keimen auseinandersetzen muss. Zudem haben Kinder einen relativ kleinen absoluten Durchmesser der Bronchien mit einem höheren Atemwegswiderstand als Erwachsene. Normale Häufigkeiten von Atemwegsinfekten: 4 Kleinkind: ca. 6- bis 8-mal/Jahr 4 9-jähriges Kind: ca. 3- bis 4-mal/Jahr 4 12-jähriges Kind: ca. 1- bis 2-mal/Jahr
Je nach Exposition (Kindergarten, Schule, Geschwister, Winter, Passivrauchen) auch häufiger. Symptomatik. In der Regel »absteigende« Infektion: 4 Beginn mit Fieber, Schnupfen, dann 4 Husten, Heiserkeit auskultatorisch: Giemen, Brummen.
12
237 12.4 · Erkrankungen von Nase, Rachen und Ohren
. Tab. 12.2. Zuordnung von Virusinfektionen zu anatomischen Prädispositionsorten der Atemwege Viren
»Banaler« Infekt
Pharyngitis
Subglottische Laryngitis (Krupp)
Bronchiolitis des Säuglings
Obstruktive Bronchitis
Pneumonie
Influenza Parainfluenza RS-Viren Rhinoviren Adenoviren
+ ++ ++ +++
+ +
+ +++ +
++ +++
+ + + ++
+ ++ ++
+++
+
Komplikation.
4 Häufig »kreisende« Reinfektionen, da die Immunität bei Virusinfektionen in der Regel nur von sehr kurzer Dauer ist. 4 Zum Teil bakterielle Superinfektionen mit Hämophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae oder Staphylococcus aureus. Diagnostik. Anamnese, klinisches Bild, Auskultation Therapie. Symptomatisch:
4 Antipyrese (z. B. Paracetamol, Wadenwickel). 4 Abschwellende Nasentropfen/-sprays (α-Sympathomimetika, z. B. Xylometazolin, Oxymetazolin). 4 Koch- oder Meersalz intranasal. 4 Sekretolyse: ausreichende Flüssigkeitszufuhr plus Sekretolytika (z. B. N-Acetylcystein, Ambroxol). 4 Hustensedativa (z. B. Codein) nur in Ausnahmefällen bei sehr trockenem Reizhusten. 4 Inhalation oder zur Atemluftbefeuchtung (z. B. NaCl 0,9%). 4 Antibiotische Therapie nur bei komplizierten Infekten oder bakteriellen Superinfektionen. ! 4 Zeitlich begrenzte Anwendung von lokalen α-Sympathomimetika in der Nase (in der Regel max. 3 Tage), da es zu Gewöhnung und Mukosaatrophie kommen kann. 4 Sekretolytika dürfen nur gezielt zur Erleichterung des Abhustens von sehr zähem Sekret verordnet werden. 4 Hustensedativa (z. B. Codein) dürfen nur in Ausnahmefällen und nicht in Kombination mit Sekretolytika verordnet werden, da das gelöste Sekret sonst nicht abgehustet werden kann.
+
12.4
Erkrankungen von Nase, Rachen und Ohren
12.4.1 Entzündungen der äußeren Nase,
Nasenbluten, Fremdkörper Nasenfurunkel Definition. Eitrige Entzündung eines Haarfollikels und seiner Talgdrüse im Bereich der Nase. Schmerzhafter, geröteter Knoten mit zentralem Eiterpropf, Erreger häufig Staphylococcus aureus. ! Bei Nasenfurunkeln können sich gefährliche Komplikationen, z. B. Venen- oder Sinusvenenthrombosen, entwickeln. Daher dürfen keine Ausdrück- oder Inzisionsversuche unternommen werden. Rechtzeitiger Beginn einer antibiotischen Therapie.
Epistaxis Definition. Nasenbluten, bei Kindern häufig. Ätiopathogenese.
4 4 4 4 4 4 4 4 4
Traumata Fremdkörper Akute oder chronische Infektionen Nasopharynxtumoren Adenoide Gefäßektasien am Locus Kiesselbachii Schwere Hustenattacken (Pseudokrupp, Pertussis) Gerinnungsstörungen Zu häufige Anwendung von Nasentropfen
Therapie.
4 Feuchte Kompressen auf Nasenrücken und Nacken legen. 4 Tamponade beider Nasenlöcher mit Druck auf die Nasenwände. 4 Evtl. durch HNO-Arzt: Ätzung mit Trichloressigsäure oder Elektrokoagulation. Fremdkörper Definition. Fremdkörper gelangen beim Spielen leicht in den Nasengang und können dort längere Zeit unbe-
238
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
merkt verbleiben. Einseitige fötide Nasensekretion ist verdächtig, Fremdkörper müssen entfernt werden. 12.4.2 Entzündungen der Nase, des
Rachens und der Nebenhöhlen Akute Rhinopharyngitis Definition. Infektion von Nasenschleimhaut und Pharynx mit Hypersekretion und Schleimhautschwellung. Häufig viral bedingt: Adeno-, Influenza-, Parainfluenzaviren, häufig bakterielle Superinfektionen; in 10% primär bakteriell bedingt: Pneumokokken, Streptokokken, Staphylokokken.
Ätiologie.
4 Allergisch (seröses Sekret) 4 Rhinopathia vasomotorica (gestörte vasomotorische Regulation) 4 Rhinitis atrophicans (im Kindesalter selten, Atrophie der Schleimhaut, Borken- und Rhagadenbildung) 4 Medikamentöse Rhinitis (zu lange Anwendung von abschwellenden Nasentropfen) 4 Rachenmandelhyperplasie 4 Chronische Tonsillitis 4 Säuglinge: Diphtherie, Lues connata (v. a. bei Blutbeimengungen im Nasensekret) Symptomatik.
Symptomatik.
4 4 4 4
Behinderte Nasenatmung, vermehrte Sekretion Husten, Heiserkeit Fieber, Spielunlust, Mattigkeit Trinkschwierigkeiten, Appetitmangel
! Bei Säuglingen präsentieren sich Atemwegsinfektionen häufig auch atypisch mit Erbrechen und Durchfällen, da v. a. Viren häufig sowohl den Respirations- als auch den Magendarmtrakt befallen.
12
Andauernde, schleimig-eitrige Sekretion oder bei allergischer Ursache seröse Sekretion. Therapie. Kausal.
Sinusitis Definition. Akute oder chronische Entzündung der
Schleimhäute der Nasennebenhöhlen als Reaktion auf infektiöse, allergische oder toxische Reize.
Diagnostik.
Einteilung der Sinusitis
4 Inspektion: Rötung und Granulierung der Rachenhinterwand, Schwellung der Seitenstränge, Schleimstraßen. 4 Labor: leichte Leukozytose, ausgeprägte Lymphozytose (bei Virusinfektion), CRP ↑ (weniger bei Virusinfektionen, deutlicher bei bakterieller Superinfektion), selten Virusserologie erforderlich. 4 Evtl. Nasen-/Rachenabstrich zum Erregernachweis. 4 Evtl. Schnelltest zum Influenza-, RSV- oder Streptokokkennachweis.
4 4 4 4
Einfache akute Sinusitis Akute eitrige Sinusitis Sinubronchitis Chronische Sinusitis (länger als 3 Monate andauernd)
Einfache akute Sinusitis Symptomatik. Fieber, Kopfschmerzen, Rhinitis, seröse Schleimstraßen an der Rachenhinterwand, Husten.
Komplikation.
4 Rezidivierende Otitiden bei längerdauernder Minderbelüftung der Tuben durch Schleimhautschwellung. 4 Bei bakterieller Superinfektion: Sinusitis, Mastoiditis, Peritonsillarabszess, Periorbitalphlegmone. Therapie. Symptomatisch: 7 Kap. 12.3, ggf. antibiotische
Differenzialdiagnostik. Sinubronchitis (sinubron-
chiales Syndrom): Sinusitis mit Beteiligung der Bronchien. Therapie. Symptomatisch: abschwellende Nasen-
tropfen; Inhalationen, z. B. mit Kamille, NaCl 0,9% oder 3%.
Therapie. Chronische Rhinopharyngitis Definition. Rasch aufeinanderfolgende Rhinopharyngitiden bei entsprechender Disposition mit chronischeitriger oder länger als 3 Monate andauernder Rhinopharyngitis.
Akute eitrige Sinusitis Definition. Akute eitrige Entzündung der Nasennebenhöhlen. Unterschiedliche Altersgipfel in Abhängigkeit von der Pneumatisation der verschiedenen Sinus: 4 Sinus ethmoidalis: bereits im Säuglingsalter 4 Sinus sphenoidalis: etwa ab dem 3. Lebensjahr
239 12.4 · Erkrankungen von Nase, Rachen und Ohren
4 Sinus frontalis: ab dem 8. Lebensjahr, da sich die Sinus frontales erst am Ende des 1. Lebensjahres auszubilden beginnen.
12
ziliäre Clearance); im Verlauf Bronchiektasen, Atelektasen. Symptomatik.
Symptomatik. Fieber, Kopfschmerzen, Rhinitis, eitrige
Sekretion, Husten.
4 Husten, Bronchitiden, Rhinitiden, Otitiden, chronische Sinusitiden. 4 Infertilität aufgrund gestörter Spermienmotilität.
Komplikationen. Bei bakterieller Infektion, v. a. durch Pneumokokken, H. influenzae oder M. catarrhalis, kann sich durch eine aufsteigende Infektion ein bedrohliches Krankheitsbild mit Befall von Wangen, Nasenrücken und Periorbitalregion entwickeln. Klinisch imponieren Rötung, Schwellung, Schmerzhaftigkeit und z. T. hohes Fieber. Besonders gefürchtete Komplikationen sind Periorbitalabszesse, subdurale Empyeme und Hirnabszesse.
Therapie. Ähnlich der Langzeitbehandlung der Mukoviszidose (7 Kap. 12.5.6).
Differenzialdiagnostik. Dakryozystitis (v. a. bei Säug-
Prognose. Gut, bei ausreichender Therapie.
Diagnostik. Zilienfunktionsdiagnostik: Biopsie aus der Nasen- oder Bronchialschleimhaut (bei Infekt Verfälschung der Ergebnisse): Messung der Schlagfrequenz der Zilien (normal: 12 Schläge/s), elektronenmikroskopischer Nachweis von Strukturanomalien.
lingen), Orbitalphlegmone, Oberkieferosteomyelitis. Therapie. Antibiotische Therapie, z. B. Ampicillin und
Oxacillin (nicht bei komplikationsloser, akuter Sinusitis), ggf. i. v.; häufig zusätzlich Kieferhöhlendrainage und -spülung notwendig. Chronische Sinusitis Definition. Chronisch rezidivierende Entzündung der Nasennebenhöhlen im Rahmen von Infekten oder länger als 3 Monaten andauernder Sinusitis. ! Folgende Grunderkrankungen sollten bei chronischer Sinusitis ausgeschlossen werden: 4 Allergie 4 Hypertrophie der Adenoide 4 Septumdeviation 4 Immundefekte 4 Mukoviszidose 4 Ziliendyskinesie
Primäre Ziliendyskinesie Definition. Seltenes, meist autosomal rezessiv vererbtes Syndrom mit verminderter oder fehlender Funktionsfähigkeit der Zilien in den Atemwegen, gestörter mukoziliärer Clearance, chronischer Bronchitis und Brochiektasien. Eine Sonderform ist das Kartagener-Syndrom mit Situs inversus viszeralis, Bronchiektasien und chronischer Sinubronchitis. Ätiopathogenese. Eine Missbildung der Zilien mit deutlicher Motilitätsminderung führt zu einem gestörten Schleimtransport in den Bronchien, der Tuba Eustachii und den paranasalen Sinus (gestörte muko-
Retropharyngealabszess Definition. Akutes Krankheitsbild, häufig bei Säuglingen und Kleinkindern, mit Abszedierung ausgehend von retropharyngealen Lymphknoten, meist Infektion mit Staphylokokken und Streptokokken. Symptomatik. Im Anschluss an eine Rhinopharyngitis
oder eine Angina retronasalis: 4 Plötzliches, hohes Fieber, schlechter Allgemeinzustand. 4 Starke Schluckbeschwerden, vermehrter Speichelfluss. 4 Atembehinderung (Rasseln, »Schnorcheln«), inspiratorischer Stridor. 4 Evtl. seitliche Vorwölbung der Rachenhinterwand. 4 Schmerzreflektorische Kopfschiefhaltung. Diagnostik.
4 Labor: Leukozytose, CRP↑↑ 4 Bildgebung: CT, MRT Therapie. I. v.-antibiotische Therapie (inkl. Staphylo-
kokken-wirksames Antibiotikum, z. B. Oxacillin), ggf. chirurgische Sanierung (Punktion oder Inzision des Abszesses). Komplikation. Durchbruch in das Mediastinum mit
akuter, lebensbedrohlicher Mediastinitis.
240
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
Bienen- und Wespenstiche ! Bienen- und Wespenstiche im Mund-/Rachenraum können innerhalb kürzester Zeit zu bedrohlicher Atemnot führen.
Therapie. Rasches Handeln erforderlich:
4 Herunterdrücken der Zunge, Einführen eines Guedel-Tubus, Glukokortikoide i. v. 4 Sofortige Klinikeinweisung, bei Schwellung des Kehlkopfeingangs: evtl. Intubation oder Tracheotomie. 12.4.3 Erkrankungen der Rachenmandel Angina retronasalis/Rachenmandelhyperplasie Definition. Die Rachenmandel (Adenoide) besteht aus adenoidem Gewebe und liegt an der oberen Epipharynxbegrenzung. Sie bildet sich in der Regel im Laufe des Kindesalters zurück. 4 Angina retronasalis: akute Entzündung der Rachenmandel. 4 Rachenmandelhyperplasie: Hyperplasie der Rachenmandel (im Volksmund »Polypen« genannt) bei rezidivierenden Entzündungen der Rachenmandel.
12
Symptomatik.
4 Angina retronasalis: 5 Behinderte Nasenatmung, Mundatmung, nasale Sprache. 5 Schleimeiterstraßen an der Rachenhinterwand. 5 Vergrößerte, schmerzhafte nuchale Lymphknoten. 4 Rachenmandelhyperplasie: 5 Behinderte Nasenatmung. 5 Rachenentzündung, chronische Rhinitis, rezidivierende Sinusitiden, Otitiden, Bronchitiden. 5 Nachts Schnarchen, tagsüber nasale Sprache. 5 Typische Fazies adenoidea: Mundatmung und offen stehender Mund. 5 Allgemein: gestörter Schlaf, Konzentrationsschwäche, schnelle Ermüdbarkeit, Essensunlust, nachlassende Schulleistungen. Diagnostik. Röntgen (Verschattungen), posteriore Rhi-
noskopie, transnasale Endoskopie. Therapie. Spontane Rückbildung möglich; bei klinisch relevanten Symptomen >2‒3 Monate: operative Entfer-
nung (Adenotomie). Die Indikation zur Adenotomie kann gestellt werden bei: 4 Hyperplasie der Rachenmandel mit chronisch behinderter Nasenatmung, 4 häufig rezidivierenden oder chronischen Entzündungen der Rachenmandel, 4 häufig rezidivierenden oder chronischen Mittelohrentzündungen, Rhinitiden, Sinusitiden und Bronchitiden bei Rachenmandelhyperplasie, 4 obstruktiver Schlafapnoe. Eine Adenotomie sollte in der Regel erst nach dem 2. Lebensjahr durchgeführt werden. Nach Adenotomie können Adenoide nachwachsen. 12.4.4 Entzündungen der Gaumenmandel –
Angina tonsillaris Tonsillitis catarrhalis Definition. Einfache, kartarrhalische Entzündung der Tonsillen, meist in Kombination mit einer Pharyngitis, häufig viral bedingt. Diagnostik. Inspektion: gerötete und geschwollene Tonsillen ohne Stippchen. > 4 Je jünger das Kind, desto seltener klagt es über Halsschmerzen. 4 Bei jeder fieberhaften Erkrankung sollte immer eine Racheninspektion durchgeführt werden. 4 Eine fleckige, intensive Rötung des weichen Gaumens ist verdächtig auf eine Streptokokkenangina.
Angina follicularis sive lacunaris Definition. Eitrige Angina, meist durch β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A ausgelöst. Symptomatik.
4 Katarrhalisches Vorstadium, dann hohes Fieber, Halsschmerzen, Schluckbeschwerden. 4 Erbrechen, Bauchschmerzen. 4 Zervikale Lymphknotenschwellung. Diagnostik.
4 Inspektion: 5 Gerötete und geschwollene Tonsillen. 5 A. follicularis: eitrige, weißlich-gelbe Stippchen. 5 A. lacunaris: fleckartige, größere Beläge oder Pfröpfe.
241 12.4 · Erkrankungen von Nase, Rachen und Ohren
4 Rachenabstrich: Streptokokkenschnelltest, ggf. Erregernachweis Komplikationen. Glomerulonephritis, rheumatisches
Fieber, Endokarditis (heute durch antibiotische Therapie selten), Sepsis, Peritonsillarabszesse. ! Jede eitrige Angina sollte antibiotisch behandelt werden, da meist eine Streptokokkeninfektion vorliegt, die schwerwiegende Komplikationen nach sich ziehen kann (u. a. Glomerulonephritis, rheumatisches Fieber, Endokarditis).
12
Indikation zur Tonsillektomie: 4 Mindestens 3 schwere Tonsillitiden innerhalb eines Jahres oder 4 Retrotonsillarabszess oder 4 Dauerhafte Allgemeinerscheinungen bzw. Herdwirkung (Nephritis, rheumatisches Fieber) oder 4 Tonsillenhyperplasie mit Behinderung von Atmung, Nahrungsaufnahme oder Sprechen. Eine Tonsillektomie sollte in der Regel erst nach dem 4. Lebensjahr durchgeführt werden.
Therapie.
4 Antibiotisch: Penicillin V p. o. über 10 Tage (Therapie der Wahl), bei Therapieversagen: orale Cephalosporine über 10 Tage, bei Penicillinallergie: Erythromycin oder andere Makrolide über 10 Tage. 4 Evtl. zusätzlich: Mundspülung (z. B. mit HexidinLösung). ! In 20% der Fälle sind die Erreger der Angina tonsillaris penicillinresistent. Aufklärung der Eltern bei Therapiebeginn, dass der Patient 24–48 h nach Therapiebeginn beschwerdefrei sein sollte. Ist dies nicht der Fall, muss die antibiotische Therapie umgesetzt werden.
Angina ulceromembranacea (Plaut-Vincenti) Angina tonsillaris durch Infektion mit den Fusobakterien Plaut-Vincenti und Borrelia vincenti. Klinisch charakteristisch ist eine einseitige Ulkusbildung mit schmierig, grau-weißlichen, leicht blutenden Belägen. Es bestehen starke Schluckbeschwerden und ein fötider Mundgeruch. Therapie: Penicillin p. o. Seitenstrangangina Miterkrankung der lymphatischen Seitenstränge der Rachenhinterwand im Rahmen einer Pharyngitis, häufig bei tonsillektomierten Patienten. Rezidivierende Tonsillitiden Rezidivierende Tonsillitiden mit Hypertrophie der Tonsillen. Die Indikation zur Tonsillektomie wird heute äußerst zurückhaltend gestellt (vgl. Übersicht).
12.4.5 Erkrankungen des äußeren Ohres Otitis externa Definition. Entzündung des äußeren Gehöhrgangs, primär (z. B. Schwimmbadotitis) oder sekundär (z. B. bei Dermatitis seborrhoides, endogenem Ekzem, Psoriasis). Symptomatik.
4 Schmerzhafte Schwellung des Gehörgangs, Rötung, Juckreiz; das Trommelfell selbst ist reizlos. 4 Tragusdruckschmerz. Therapie. Sekretausspülung, lokale antibiotische Pinselung (z. B. Panotile), evtl. schmerzstillende Ohrentropfen (z. B. Otalgan, umstritten).
12.4.6 Erkrankungen des Mittelohrs Otitis media acuta Definition. Akute, fieberhafte und schmerzhafte Entzündung des Mittelohrs. Meist als fortgeleitete Entzündung aus dem Nasenrachenraum, häufig bakterielle Superinfektion eines viralen Infekts. Eine einseitige Otitis ist meist bakterieller Genese, eine beidseitige Otitis meist viraler Genese. Symptomatik.
4 Ohrenschmerzen, Hörminderung. 4 Fieber, Unruhe, Kinder greifen nach dem Ohr. 4 Heftiges Schreien, häufig begleitendes Erbrechen, Enteritis. 4 Nach Trommelfellperforation: Otorrhoe (eitriger Ausfluss). 4 Auch atypische Präsentation möglich: plötzliche Eitersekretion nach relativ milden Symptomen (v. a. bei älteren Kindern).
242
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
Diagnostik. Tragusdruckschmerz; Otoskopie: Rötung
und Vorwölbung des Trommelfells, Verlust des Lichtreflexes, evtl. Blasenbildung. Komplikationen.
4 Hörminderung (nach 4 Wochen in 40% der Fälle, nach 3 Monaten noch in 10% der Fälle). 4 Vestibularisschäden mit Schwindel (selten). 4 Otitis media chronica. 4 Fazialisparese. 4 Mastoiditis (s. u.). 4 Meningitis, Hirnabszess, Sinusvenenthrombose. Therapie.
4 Symptomatisch: Analgetika und Antipyretika (z. B. Paracetamol), abschwellende Nasentropfen (z. B. Nasivin) für maximal 3 Tage, evtl. schmerzstillende Ohrentropfen (z. B. Otalgan; kein gesicherter Effekt), evtl. Sekretolyse (z. B. N-Acetylcystein). 4 Bei Otitis media purulenta: antibiotische Therapie (z. B. Cephalosporine, Erythromycin, Amoxicillin). 4 Bei rezidivierenden Otitiden: PneumokokkenImpfung; Adenotomie.
12
> Die Selbstheilungsrate bei Otitis media beträgt 60– 80%, trotzdem werden häufig Antibiotika eingesetzt. Falls nur symptomatisch behandelt wird, muss das Kind nach 24–48 h nachuntersucht werden zum Ausschluss möglicher Komplikationen. Falls nach einigen Tagen unter Therapie keine Besserung eintritt, müssen ebenfalls Komplikationen ausgeschlossen werden.
Mastoiditis Definition. Eitrige Entzündung des Antrums und des Mastoids mit Einschmelzung, häufig fortgeleitete Infektion nach Otitis media. Symptomatik.
4 Erneute Schmerzen, anhaltendes Fieber und schlechter Allgemeinzustand nach Otitis media. 4 Schwellung, Rötung, Überwärmung und Schmerzen über dem Mastoid. 4 Abstehendes Ohr. ! Wenn Beschwerden nach Otitis media länger als 1 Woche anhalten, muss immer auch an eine Mastoiditis gedacht werden.
Diagnostik. Labor: deutliche Leukozytose, Linksver-
schiebung, BKS ↑↑; Bildgebung: CT obligat, Vorstellung in der HNO.
Komplikationen. Otogene Meningitis purulenta, Gehirnabszess, septische Sinusvenenthrombose. Therapie. Bei leichteren Formen: i. v.-Antibiose; bei ausbleibender Besserung: Antrotomie (= Mastoidektomie, operative Ausräumung).
Otitis media chronica Definition. Chronische Entzündung des Mittelohrs mit
Trommelfellperforation: 4 Otitis media chronica mesotympanalis: chronische Schleimhauteiterung mit zentralem Trommelfelldefekt. 4 Otitis media chronica epitympanalis: chronische Knocheneiterung und -destruktion (Cholesteatom). Symptomatik. Schallleitungsschwerhörigkeit, Destruktion der Gehörknöchelchen. Therapie. Mikrochirurgische Therapie.
Seromukotympanon Synonym. Seröse oder muköse Mittelohrentzündung,
Paukenerguss, Otitis exsudativa. Definition/Epidemiologie. Chronische Form der Otitis
exsudativa häufig zwischen 4. und 8. Lebensjahr, häufig nach Otitis media. Ätiopathogenese. Persistierende Belüftungsstörung (Adenoide, Tubeninsuffizienz) und Absonderung eines sterilen, gallertig-mukösen Ergusses in die Paukenhöhle. Symptomatik.
4 Rasch auftretende Schallleitungsschwerhörigkeit: 5 Zunehmende Unaufmerksamkeit 5 Schulischer Leistungsabfall der Kinder 5 Ausbleibende Reaktion auf Fragen oder Geräusche 4 Evtl. Ohrensausen, Schwindel, dumpfes Ohrgefühl. 4 Meist keine Schmerzen, kein Fieber, subjektiv kaum Beschwerden. Diagnostik.
4 Impedanzaudiometrie 4 Tympanometrie 4 Trommelfellbefund meist uncharakteristisch
243 12.5 · Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien
12
Therapie.
Epidemiologie.
4 Hohe Spontanheilungsrate (75‒95%), Versuch der Belüftung der Ohrtrompete durch Valsalva-Manöver, abschwellende Nasentropfen. 4 Bei chronischem Erguss >3 Monate oder Schallleitungsschwerhörigkeit >30 dB: Parazentese und Einlage von Paukenröhrchen für mehrere Wochen.
4 Inzidenz im Kindesalter ca. 15%. 4 Vor allem bei älteren Säuglingen und Kleinkindern, häufiger bei übergewichtigeren Kindern, m>w.
Prognose. Sofortig Verbesserung des Hörvermögens
nach Einlage von Paukenröhrchen. 12.5
Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien
12.5.1 Tumoren des Kehlkopfs
Kehlkopftumoren, Beispiele: 4 Papillome: Gutartige Tumoren an den Stimmbändern. Klinik: Heiserkeit und inspiratorischer Stridor. Therapie: wiederholte Abtragung oder Leukozyteninterferon. 4 Sänger- bzw. Schreiknötchen: Fibromatöse Gebilde am Stimmbandrand nach Überbeanspruchung der Stimmbänder, meist spontane Rückbildung nach Stimmschonung.
12.5.2 Entzündungen des Kehlkopfs Laryngitis Defintion. Kehlkopfentzündung, in 80% im Rahmen eines viralen Infekts der oberen Luftwege.
Symptomatik. Beginn der Symptomatik häufig im
Herbst und Winter, spätabends oder nachts, häufig im Rahmen eines Infekts der oberen Luftwege. Leitsymptome: Bellender Husten, inspiratorischer Stridor mit jugulären und epigastrischen Einziehungen, evtl. Ateminsuffizienz. Diagnostik. Klinisches Bild. ! Bei Pseudokrupp sollte die klinische Untersuchung auf ein Minimum reduziert werden. Insbesondere auf eine Racheninspektion sollte unbedingt verzichtet werden, da Aufregung des Patienten zu einer Verschlechterung der respiratorischen Situation führen kann. Ein scheinbares Beruhigen des Patienten mit oberflächlicher Atmung kann eine Besserung vortäuschen, jedoch Hinweis auf Erschöpfung und beginnende Ateminsuffizienz sein.
Differenzialdiagnostik.
4 Akute Epiglottitis 4 Bakterielle Tracheobronchitis 4 Kehlkopfdiphtherie: langsamere Entwicklung der Larynxstenose (. Tab. 12.3) 4 Hochsitzende Fremdkörper 4 Glottisödeme durch eitrige Entzündungen, ätzende Dämpfe, Verbrühung, Insektenstiche oder Intubation 4 Laryngospasmus bei Tetanie 4 Asthma bronchiale Therapie. Monitor, Pulsoxymeter; Beruhigung von Kind
Symptomatik.
4 Heiserkeit, Aphonie. 4 Rauher, bellender Husten. 4 Evtl. Übergreifen auf die Trachea und akute Laryngotracheitis.
und Mutter; stadienabhängige Therapie . Tab. 12.4.
zufuhr.
Akute Epiglottitis Definition. Akutes, lebensbedrohliches Krankheitsbild aufgrund einer Infektion mit Haemophilus influenzae. Es kommt zu einem ausgeprägten, supraglottischen Ödem mit leukozytärer Infiltration und Epiglottisschwellung.
Pseudokrupp
Epidemiologie. Vor allem Kleinkinder zwischen 2 und
Synonym. Subglottische Laryngitis, akut stenosierende
5 Jahren betroffen; heute durch Regelimpfung gegen Hib im Säuglingsalter selten geworden; keine jahreszeitliche Häufung.
Therapie. Symptomatisch, ausreichend Flüssigkeits-
Laryngotracheobronchitis. Definition. Akute, subglottische Entzündung des Larynx mit subglottischer Schwellung, meist durch Infektion mit Parainfluenza-, Influenza-, Adeno- oder RS-Viren, selten auch bakteriell bedingt.
244
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
. Tab. 12.3. Differenzialdiagnose Kruppsyndrom Supraglottische Laryngitis (Epiglottitis)
Kehlkopfdiphtherie (»echter Krupp«)
2–6 Jahre
2–6 Jahre
jedes Alter
selten!
weniger häufig
weniger häufig
selten
Viren (Parainfluenzae)
Bakterien (Staphylokokken, Haemophilus influenzae)
allergisch
Bakterien (Haemophilus influenzae)
Corynebacterium diphtheriae
Stimme
heiser
heiser
heiser
kloßig
aphonisch
Husten
bellend
bellend
bellend
selten
Fieber
mäßig
mäßig
mäßig
sehr hoch
Dysphagie/ Hypersalivation
selten
selten
selten
häufig
Leukozyten
normal
erhöht
normal
stark erhöht
mäßig erhöht
Verlauf
meist gutartig: Besserung nach 1–3 Tagen
meist progredienter Verlauf
stets gutartig, Besserung nach Stunden
akut progrendienter Verlauf, fast immer Intubation oder Tracheotomie notwendig
verschiedene Formen: lokalisiert, progredient, toxisch 7 Kap. 7
Subglottische Laryngitis (Pseudokrupp) Viral
Bakteriell
»Spasmodic croup«
Lebensalter
6 Monate bis 3 Jahre
2–6 Jahre
Häufigkeit
häufig
Ätiologie
. Tab. 12.4. Stadieneinteilung und Therapie der subglottischen Laryngitis (Pseudokrupp) Phase I
12
Symptomatik. Bellender Husten
Phase II
Phase III
Phase IV
Stridor juguläre und epigastrische Einziehungen
Stridor zusätzliche Einziehungen der seitlichen Thoraxpartien, Atemnot, Tachykardie, Blässe, Unruhe, Angst
Stridor maximale inspiratorische Einziehungen, höchste Atemnot, Zyanose, Sopor
zusätzlich: 4 Glukokortikoide rektal 4 Kaltluftvernebelung
zusätzlich: 4 O2-Gabe per Trichter 4 Suprarenin-Inhalation (verdünnt) 4 Glukokortikoide i. v. 4 evtl. Antibiotika (Amoxicillin p. o. oder Ampicillin i. v.) 4 evtl. parenterale Flüssigkeitszufuhr
zusätzlich: 4 intensivmedizinische Überwachung 4 s. Phase III 4 evtl. Intubation und Beatmung (möglichst vermeiden) 4 im Notfall: Tracheotomie
Therapie: Frischluft Sekretolyse (orale Flüssigkeitszufuhr, Sekretolytika)
245 12.5 · Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien
Symptomatik. Dramatische, akut lebensbedrohliche
Symptomatik, plötzlich aus voller Gesundheit: 4 Hohes Fieber (40°C) 4 Kloßige Sprache (»hot potato voice«) 4 Atemnot 4 Inspiratorischer Stridor (schnarchende Einatmung), später 4 Exspiratorisches Röcheln (»Karcheln«) 4 Schluckbeschwerden, starke Halsschmerzen mit Ausstrahlung in die Ohren 4 Ständige Schluckbewegungen, Speichelfluss 4 Kind nimmt sitzende Position ein, beugt den Körper nach vorne und streckt den Kopf nach hinten. 4 Zunehmende Apathie und Eintrübung Diagnostik.
4 Keine Racheninspektion, Gefahr des reflektorischen Atemstillstands. 4 Labor: Leukozytose ↑↑, Linksverschiebung, CRP ↑. 4 Blutkultur: Nachweis von Haemophilus influenzae. 4 Liquorpunktion: bei klinischem Verdacht Ausschluss einer Meningitis. ! Die akute Epiglottitis ist ein akuter, lebensbedrohlicher Notfall. Es darf keine Racheninspektion durchgeführt werden, da die Gefahr eines reflektorischen Atemstillstandes besteht. Invasive diagnostische Maßnahmen nur nach Intubation (in Reanimationsbereitschaft!) durchführen.
Therapie.
4 Sitzende Position, EKG, Pulsoxymetrie, O2-Vorlage. 4 Fast immer notwendig: nasotracheale Intubation nach Maskennarkose mit Halothan; seltener Tracheotomie. 4 Nach Intubation: Feuchtluftvernebelung, tracheales Absaugen, anhaltende Sedierung, Extubation in der Regel nach 48 h möglich. 4 Sofortige i. v.-Antibiose: zunächst Cefotaxim, nach Resistenztestung evtl. Fortführung mit Ampicillin (nach Ausschluss Ampicillin-resistenter Erreger) über mindestens 10 Tage. 4 i. v.-Glukokortikoide 4 Monitorüberwachung; Röntgen-Thorax (häufig Pneumonie) Prophylaxe. Regelimpfung gegen Hib im Säuglingsalter; Umgebungsprophylaxe aller Kontaktpersonen mit Rifampicin (bei Schwangeren kontraindiziert). Prognose. Letalität 10‒20%.
12
12.5.3 Fremdkörper in den Luftwegen Definition. Aspiration von Fremdkörpern, häufig im
Säuglings- und Kleinkindesalter, z. B. von flüssiger oder breiiger Kost, von Münzen, Nüssen, Nägeln, Perlen, Spielzeugteilen oder Fruchtstücken, häufig in den rechten Hauptbronchus. Es kann ein Ventilmechanismus entstehen: in der Inspiration gelangt Luft in die tieferen Atemwege, die in Exspiration nicht mehr entweichen kann, es kann zu einer einseitigen Lungenüberblähung mit Mediastinalverlagerung kommen. Symptomatik.
4 Meist heftige Hustenattacke kurz nach dem Aspirationsereignis. 4 Im Verlauf kann das Kind auch asymptomatisch sein, in weniger als 30% besteht ein inspiratorischer Stridor. 4 Bei unerkannter Aspiration im Verlauf chronische Bronchitis, chronische Infekte der oberen Luftwege, chronischer Husten, rezidivierende Pneumonien. Diagnostik.
4 Auskultation: ggf. hypersonorer Klopfschall und abgeschwächtes Atemgeräusch auf der betroffenen Seite. 4 Röntgen-Thorax: poststenotische Überblähung mit Mediastinalverlagerung zur Gegenseite. Bei länger zurückliegender Aspiration entzündliche Infiltration oder Atelektase, in 10% unauffälliger Röntgen-Thorax. ! Die Diagnostik (Auskultation und Röntgen-Thorax) bei Fremdkörperaspiration ist nicht verlässlich, daher ist eine genaue Anamnese besonders wichtig, im Zweifelsfall CT bzw. Bronchoskopie erwägen.
Therapie.
4 Stationäre Aufnahme, es besteht die Gefahr des Hochrutschens des Fremdkörpers mit akuter Atemwegsobstruktion und Bradykardie durch Vagusreiz. 4 Bronchoskopische Entfernung des Fremdkörpers. 4 Perioperativ antibiotische Therapie. 12.5.4 Akute Entzündungen des
Tracheobronchialsystems Akute Tracheo-/Bronchitis Definition. Akute Entzündung von Trachea und/oder Bronchien, häufig viral bedingt im Anschluss an eine Rhinopharyngitis.
246
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
Symptomatik.
4 Zunächst trockender Husten, v. a. nachts, im Verlauf produktiver Husten. 4 Allgemeines Krankheitsgefühl, leicht erhöhte Temperaturen oder Fieber. Therapie.
4 Symptomatisch: Antipyrese (z. B. Paracetamol), ausreichend Flüssigkeitszufuhr, evtl. Antitussiva (z. B. Codein) nur bei trockenem, nichtproduktivem Reizhusten. 4 Bei eitriger Superinfektion: Sekretolytika (N-Acetylcystein), Inhalation mit NaCl 0,9%, antibiotische Therapie, z. B. mit Cephalosporinen. Obstruktive Bronchitis
4 Bei starker Obstruktion: 5 Inhalation mit Salbutamol (β2-Sympatomimetikum) und NaCl 0,9%, evtl. zusätzlich mit Ipratropiumbromid (Anticholinergikum). 5 Bei schweren Verläufen Glukokortikoide p. o. oder i. v. 5 Bei Verdacht auf bakterielle Superinfektion: antibiotische Therapie. 5 Evtl. Sekretolyse mit N-Acetylcystein oder Ambroxol (umstritten). Bronchiolitis Definition. Schwerste, akute, viral bedingte Form der obstruktiven Bronchitis bei Säuglingen: Obstruktion der kleineren Bronchien und Bronchiolen mit Schleimhautödem und gesteigerter Sekretproduktion.
Synonym. Asthmatische Bronchitis, spastische Bron-
chitis. Definition. Akute, meist viral bedingte Atemwegsinfek-
tion mit Obstruktion der mittleren und größeren Bronchien, Schleimhautödem und vermehrter Sekretproduktion. Epidemiologie/Ätiologie. Häufig im Säuglings- und Kleinkindesalter; meist Infektion mit RSV-, Adeno-, Influenza-, oder Parainfluenza-Viren.
12
Symptomatik.
4 Erst unproduktiver, dann produktiver Husten, Fieber. 4 Exspiratorische Dyspnoe, Tachypnoe, z. T. erhebliche Atemnot, Einziehungen. 4 »wheezy bronchitis«: v. a. exspiratorisches Giemen, Brummen oder Pfeifen. Diagnostik.
4 Klinik: exspiratorisches Giemen; Pulsoxymetrie. 4 Auskultation: evtl. mittel- und grobblasige Rasselgeräusche. 4 Röntgen-Thorax: Überblähung, Peribronchitis, Hypertransparenz. 4 Bei rezidivierenden Bronchitiden: Schweißtest zum Ausschluss einer Cystischen Fibrose. Differenzialdiagnostik. Bei mehr als 3 Episoden einer obstruktiven Bronchitis besteht der Verdacht auf ein Asthma bronchiale. Therapie.
4 Bei unkompliziertem Verlauf: Flüssigkeitszufuhr, Antipyrese (Dauer ca. 6‒8 Tage)
Epidemiologie/Ätiologie. Häufigkeitsgipfel im 3. und
4. Lebensmonat. Erreger: RSV (80%), Parainfluenza-, Adeno- oder Rhinoviren, bakterielle Superinfektion v. a. mit Haemophilus influenza; die Virusinfektion und Replikation des Erregers in den Schleimhäuten der Atemwege führt zu Epithelnekrose und zur Vermehrung nicht zilientragender Zellen. Die beeinträchtigte mukoziliäre Clearance und die Entzündungsreaktion bedingen eine vermehrte Schleimproduktion und eine bronchiale Obstruktion. Die Symptome ähneln der obstruktiven Bronchitis, die Bronchiolitis verläuft jedoch wesentlich schwerer. Die exspiratorische Atembehinderung wird nicht durch einen Spasmus, sondern durch die stenosierende Schleimhautentzündung der Bronchiolen hervorgerufen. Symptomatik.
4 Fieber, Husten 4 Schwere exspiratorische Dyspnoe, verlängertes Exspirium 4 Nasenflügeln, juguläre und subkostale Einziehungen 4 Blass-zyanotisches Hautkolorit Diagnostik.
4 Klinisches Bild: 5 Atemmuster, Atemfrequenz 5 Pulsoxymetrie: Sauerstoffsättigung 4 Auskultation: 5 Feinblasige Rasselgeräusche 5 Abgeschwächtes Atemgeräusch 5 Keine trockenen Rasselgeräusche oder Giemen (wie bei der obstruktiven Bronchitis) 4 Röntgen-Thorax: 5 Verstärkte Hiluszeichnung, streifige Zeichnungsvermehrung 5 Überblähung der Lunge
247 12.5 · Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien
4 Labor: uncharakteristisch 4 Rachenspülwasser: RSV- und Adenovirus-Antigen-Nachweis 4 Schweißtest: bei schweren Verläufen oder rezidivierenden Infektionen Ausschluss einer Cystischen Fibrose. ! Bei RSV-bedingter Bronchiolitis kann es in 10–20% der Fälle zu zentralen Apnoen kommen, daher ist eine Monitorkontrolle unabdingbar.
Therapie.
4 Stationäre Aufnahme, bei RSV-Nachweis Isolierung des Patienten. 4 Monitorüberwachung, Pulsoxymetrie, O2-Gabe, i. v.-Flüssigkeitszufuhr. 4 Inhalation mit Salbutamol (bei Säuglingen zurückhaltender Einsatz, da die Betarezeptoren noch nicht voll funktionstüchtig sind). 4 Abschwellende Nasentropfen (z. B. Nasivin) 4 Inhalation mit Adrenalin 4 Evtl. Glukokortikoide i. v. (umstritten) 4 Antibiotische Therapie (z. B. mit Erythromycin), um Sekundärinfektionen zu vermeiden. 4 Verlegung auf eine Intensivstation: ab einer Atemfrequenz in Ruhe von 60‒70/min oder einem pCO2 >60 mmHg.
12
4 Chronische Bronchitis: länger als 3 Monate dauernde Bronchitis innerhalb eines Jahres. Pathogenese. Eine Schädigung der Bronchialwand,
z. B. durch Pertussisinfektion oder durch eine Infektion mit so genannten »asthmogenen Viren« (z. B. Adeno-, Parainfluenza-, RS-Viren) begünstigt die Entstehung eines hyperreagiblen Bronchialsystems mit einer chronischen Entzündung der Bronchialschleimhaut. Häufig besteht auch eine familiäre Disposition: manche Kinder erkranken ohne fassbare Vorschädigung im Anschluss an »banale Infekte« immer wieder an einer Bronchitis. Passivrauchen ist ein Risikofaktor. Symptomatik. Anhaltender, chronischer Husten; rezidivierende Bronchitiden. Differenzialdiagnostik. Die Diagnose einer chronische Bronchitis bei Kindern erfordert den Ausschluss von Sinubronchitiden, Immundefekten (IgA-, IgG-Mangel), Bronchiektasien, Fremdkörperaspiration, Asthma bronchiale, Mukoviszidose und Ziliendyskinesie.
Bronchiektasien Definition. Zylindrische oder sackförmige Erweiterung der Bronchialäste nach irreversibler Zerstörung der Bronchialwand und des peribronchialen Gewebes.
Prognose. Meist Besserung der Symptomatik innerhalb
weniger Tage; je nach Erkrankungsdauer kann eine bronchiale Hyperreagibilität entstehen. Maligne, stenosierende Laryngotracheobronchitis Definition/Therapie. Progrediente, schwere Form des Kehlkopfkrupps, vermutlich aufgrund einer Koinfektion von Viren, Haemophilus influenzae und Streptokokken, mit raschem Übergreifen von Ödem, Schwellung und Stenose auf die Bronchien. Therapie. Häufig Tracheotomie notwendig, Glukokortikoide i. v., antibiotische Therapie i. v. (Ampicillin, Ceftazidim). 12.5.5 Chronische Entzündungen
des Tracheobronchialsystems – »bronchitisches Syndrom«
Ätiopathogenese.
4 Selten angeborene Fehlbildungen, meist erworben: 5 Postinfektiös: nach Keuchhusten, schweren bakteriellen Infekten, Pneumonien. 5 Im Rahmen chronischer Lungenerkrankungen: Mukoviszidose, Ziliendyskinesie, Asthma. 5 Bei Kompression durch Raumforderungen, vergrößerte Lymphknoten, Gefäße etc. 5 Nach Fremdkörperaspiration. Symptomatik.
4 Chronischer, produktiver Husten 4 Morgendlicher Auswurf von reichlich eitrigem Sekret 4 Evtl. Fieber und pneumonische Schübe 4 Bei dauerhafter Hypoxie: Dystrophie, Akrozyanose, Uhrglasnägel, Trommelschlegelfinger. Diagnostik.
Chronische Bronchitis Definition. Bei Erwachsenen (bei Kindern nicht anwendbar): 4 Rezidivierende Bronchitis: 3 Episoden von Bronchitis von mindestens 14-tägiger Dauer innerhalb eines Jahres.
4 Auskultation: mittel-grobblasige, nichtklingende Rasselgeräusche an umschriebenen Stellen, meist in den Lungenunterfeldern. 4 Bildgebung: Röntgen-Thorax: wechselnd Verdichtungen und wabige Strukturen, v. a. in den Unterfeldern, CT: zylindrische, sackförmige Ektasien.
248
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
Therapie.
4 Sekretolyse (NaCl, N-Acetylcystein) 4 »Bronchialtoilette«: Abhusten lassen in Hängelage, »autogene« Drainage, Atemgymnastik. 4 Konsequente antibiotische Therapie nach Antibiogramm. 4 Bei lokalisierten Bronchiektasien ggf. partielle Lungenresektion (Segment- oder Lappenresektion). 12.5.6 Mukoviszidose –
Cystische Fibrose (CF) Definition. Schwere, autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung basierend auf einem Defekt des Chloridkanals CFTR, mit abnormer Produktion von zähen Sekreten, Obstruktion der Ausführungsgänge exokriner Drüsen und zystisch-fibrotischem Umbau verschiedener Organe (u. a. Lunge und Pankreas). Epidemiologie.
4 Häufigkeit 1:2000 Neugeborene Ätiopathogenese. Autosomal-rezessiv vererbter Gen-
12
defekt des CFTR Gens (»cystic fibrosis transmembrane conductance regulator gene«) auf Chromosom 7, >1 600 Mutationen beschrieben, in Europa häufigste Mutation; delta F 508 (70–75%). Die gestörte Funktion des CFTR-Proteins (ein CAMP-abhängiger Cl—Kanal) bedingt charakteristische Sekretveränderungen exokriner Drüsen mit gestörter Chloridsekretion. Der Natrium- und Chloridgehalts des Schweißes ist pathologisch erhöht (Schweißtest). Intraluminale Sekrete verschiedener Organe sind viskös und obstruieren die Drüsen mit zähem Sekret, die betroffenen Organe werden progredient geschädigt. Lunge: Progrediente Obstruktion der submukösen Drüsen → Hyperplasie und Hypersekretion → Obstruktion kleiner Bronchien mit zähem Schleim → gestörte mukoziliäre Clearance → rezidivierende Infektionen, zunehmend mit Problemkeimen wie Pseudomonas aeruginosa, Klebsiellen → infektions- und inflammationsbedingte Zerstörung der Bronchialwand und des peribronchialen Bindegewebes → fibrotischer Umbau mit Bildung von Atelektasen, Zysten, Emphysemblasen (z. T. rezidivierende Pneumothoraces) → pulmonale Hypertonie mit Rechtsherzinsuffizienz (chronisches Cor pulmonale). Pankreas: Obstruktion der Ausführungsgänge mit zähem Sekret → prästenotische Dilatation → Entwicklung von Zysten, Atrophie und Fibrose exokriner Pankreaszellen → verminderte Sekretion von Bikarbonat, Chymotrypsin, Trypsin, Lipase, Amylase mit
Malabsorption; mangelnde Inaktivierung von Proenzymen → Autodigestion des Pankreas → rezidivierende Pankreatitiden; später zunehmende Pankreasfibrose → verminderte Insulinproduktion, evtl. gesteigerte periphere Insulinresistenz → Mischform aus Diabetes mellitus Typ 1 und 2 im Erwachsenenalter. Hepatobiliäres System: Eindickung der Galleflüssigkeit → Konkrementbildung in Gallenblase und Gallengängen → biliary sludge → rezidivierende Cholezystitiden und Cholangitiden → Cholestase → biliäre Zirrhose → portale Hypertension → Ösophagusvarizen. Symptomatik.
Lunge: 4 Chronischer, produktiver Husten (gelb-grünliches, z. T. blutiges Sputum). 4 Rezidivierende Infektionen: Bronchitiden, Pneumonien, Sinusitiden, chronische Besiedelung mit Problemkeimen: z. B. Pseudomonas aeruginosa. 4 Bronchiektasien, chronische pulmonale Überblähung. 4 Allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA) bei ca. 10% der Patienten: chronische Kolonisation mit Aspergillus fumigatus mit Sensibilisierung und überschießender IgG- und IgE-Produktion, plötzliche Lungenfunktionsverschlechterung. Diagnostik: Labor: IgE ↑, Eosinophilie, Nachweis spezifischer IgE und präzipitierender AK gegen Aspergillus fumigatus; Röntgen-Thorax: neue flaue Infiltrate. Gastrointestinaltrakt: 4 Mekoniumileus bei Neugeborenen (eingedicktes Mekonium). 4 Maldigestionssyndrom durch Pankreasinsuffizienz bei 80‒85% der Patienten; ausladendes, geblähtes Abdomen, voluminöse, fettglänzende, übelriechende Stühle, z. T. Rektumprolaps im Kindesalter durch zähen Stuhl, Defizienz an fettlöslichen Vitaminen (A,D,E,K). 4 Gedeihstörung. 4 Rezidivierende Pankreatitiden. 4 Mischform aus Diabetes mellitus Typ 1 und 2 (s. o.). 4 DIOS (Distales intestinales Obstruktions-Syndrom): Stuhlverhalt durch zähen, eingedickten Stuhl im terminalen Ileum mit Bauchschmerzen, Meteorismus, Koliken, Erbrechen. Hepatobiliäres System: 4 Postnatal: prolongierte Hyperbilirubinämie. 4 Progrediente Cholestase (acholische Stühle, bierbrauner Urin).
249 12.5 · Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien
4 Hepatopathie mit Ödemneigung, fibrotischem Umbau und biliärer Zirrhose. 4 Splenomegalie, portale Hypertension, Ösophagusvarizen. 4 Cholezystolithiasis mit rezidivierenden Cholezystitiden. Genitaltrakt: 4 Atrophie der Vasa deferentes, der Nebenhoden und der Samenbläschen, Aspermie, Infertilität, verzögerte Pubertätsentwicklung. 4 Erhöhte Inzidenz an Inguinalhernien, Kryptorchismus, Hydrozelen. 4 Bei weiblichen Patienten z. T. Amenorrhoe und Dysmenorrhoe. HNO: 4 Ödematöse und hyperplastische Nasenschleimhaut, chronische Sinusitis. 4 Rezidivierende Mittelohrentzündungen, sekundäre Hörminderung. Skelett: 4 Trommelschlegelfinger (chronische Hypoxie). 4 Fassthorax (Zunahme des Sagittaldurchmessers), Skoliose, Kyphose. Sonstiges: erhöhter Elektrolytgehalt des Schweißes, bei starkem Schwitzen (Hitze, Fieber) Gefahr von Salzverlust und Elektrolytentgleisungen (v. a. bei Säuglingen); hypokalzämische Alkalose.
12
. Tab. 12.5. Diagnostik Cystische Fibrose – Schweißtest Chlorid-/Natriumgehalt Normal Grenzwertig* Beweisend**
<40 mmol/l 40–60 mmol/l >60 mmol/l
* Wiederholung des Tests, Bestätigung der Diagnose durch andere Tests ** In den ersten Lebenswochen oder nach der Pubertät ist die NaCl-Konzentration auch bei Gesunden erhöht, beweisend sind hier erst Werte >90°mmol/l. Falsch negative Tests bei Ödemen, Hypoproteinämie, unzureichender Schweißproduktion. Falsch positive Tests bei Nebenniereninsuffizienz, Glykogenspeicherkrankheit, Hypothyreose, nephrogenem Diabetes insipidus, ektodermaler Dysplasie, Malnutrition, Mukopolysaccharidose, Panhypopituarismus, schlechter Testfunktion.
4 Lungenfunktion: obstruktive und restriktive Veränderungen 4 Bakteriologische Untersuchungen: wiederholte Sputumanalyse, Nachweis von Problemkeimen 4 Molekulargenetik: Mutationsanalyse des CFTRGens auf Chromosom 7 4 Neugeborenenscreening: Trypsinogen im Blut und Mutationsanalyse in vielen Ländern etabliert, in Deutschland in Diskussion.
> Bei rezidivierenden bronchopulmonalen Infekten und Gedeihstörung im Kindesalter muss eine Cystische Fibrose ausgeschlossen werden.
Diagnostik.
4 Klinik 4 Schweißtest: Pilokarpin-Iontophorese (mindestens 75 mg Schweiß notwendig): Reizung der Schweißdrüsen durch Pilocarpin, Sammlung des Schweißes und flammenphotometrische Bestimmung des NaCl-Gehalts. 4 Duodenalsekret: verminderte Aktivität der Verdauungsenzyme 4 Stuhl: Pankreaselastase ↓; Fett (Steatokrit) ↑ 4 Serum: immunreaktives Trypsin ↑ 4 Röntgen-Thorax: Überblähung, verdickte, obstruierte Bronchien, streifige Infiltrate, Atelektasen (. Abb. 12.1), später: Emphysem, Bronchiektasien, Ergüsse, Zeichen einer pulmonalen Hypertonie (z. B. Kalibersprung der A. pulmonalis), Pneumothorax.
. Abb. 12.1. CF mit verdickten, z. T. schleimgefüllten Bronchien und multiplen Fleckschatten und Ringschatten in der Lunge, Überblähung
250
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
4 Pränataldiagnostik: bei erkrankten Angehörigen: Mutationsanalyse aus Chorionzotten in der 9.‒ 10. SSW. Therapie.
12
4 Lunge: 5 Sekretmobilisation: Physiotherapie, Abklopfen, Absaugen, Auspressen, autogene Drainage, sportliche Betätigung, Mukolytika (z. B. ACC). 5 Inhalation mit NaCl 0,9%–5,85%, Bronchodilatatoren (z. B. Salbutamol), Antibiotika (Tobramycin, Colistin, Amikacin) und DNAse (zur Reduktion der Viskosität des Bronchialsekrets). 5 Antiinflammatorische Therapie: Ibuprofen. 5 Antibiotische Therapie (nach Antibiogramm) intermittierend, kontinuierlich (bei fortgeschrittenem Krankheitsstadium) und/oder pophylaktisch. 5 O2-Therapie, ggf assistierte mechanische Ventilation. 5 Bei allergischer bronchopulmonaler Aspergillose: Steroide, Itraconazol. 4 Gastrointestinaltrakt: 5 Pankreasfermentsubstitution Substitution fettlöslicher Vitamine. 5 Eiweißreiche und hochkalorische Ernährung (Bedarf 120‒150% des normalen Energiebedarfs), regelmäßige Zwischenmahlzeiten, fettreiche energiedichte Nahrung. 5 Zusätzliche Kochsalzzufuhr bei starkem Schwitzen. 4 Behandlung von Komplikationen: 5 Mekoniumileus, DIOS, Rektumprolaps, Ösophagusvarizen, Cholestase, Gerinnungsstörungen, Pneumothoraces, Lungenblutungen, gestörte Glukosetoleranz, Rechtsherzinsuffizienz, allergisch bronchopulmonale Aspergillose etc. Prognose.
4 Kontinuierlich verbessert bei konsequenter Behandlung in großen Zentren, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt heute deutlich über 30–40 Jahre. 4 Tod meist durch kardiorespiratorische Insuffizienz und Infektionen mit Problemkeimen. > Prognostisch entscheidend für CF-Patienten sind bedarfsgerecht hohe Energie-und Nährstoffzufuhr, konsequente Physiotherapie und rechtzeitige antibiotische Therapie.
12.5.7 Asthma bronchiale Definition. Anfallsweise auftretende oder chronische,
reversible Atemwegsobstruktion aufgrund einer chronischen, eosinophilen Entzündung der Atemwege mit Hyperreagibilität des Bronchialsystems.
Einteilung des Asthma bronchiale 4 Extrinsisch-atopische Form (IgE vermittelt) 4 Extrinsisch-nicht-atopische Form 4 Intrinsische Form (meist idiopathisch, ca. 15%)
Epidemiologie.
4 Häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter; Inzidenzschätzung: 10% aller Kinder haben Hinweise auf Asthma bronchiale, Prävalenz zunehmend, höhere Inzidenz in Städten als auf dem Land, m:w ca. 2:1 bis 1,5:1, Manifestationsgipfel: 2‒7 Jahre. 4 30% der Säuglinge mit rezidivierenden obstruktiven Bronchitiden entwickeln später ein Asthma bronchiale. 4 Bei 40‒50% der Kinder verbessert sich die Symptomatik im Jugend- und Erwachsenenalter. Ätiopathogenese. Es besteht eine bronchiale Hyperreagibilität und eine bronchiale Entzündung. Aufgrund von Bronchospasmen, Schleimhautödem und vermehrter zäher Schleimproduktion kommt es zu einer bronchialen Obstruktion mit vorwiegend exspiratorischer Atemflussbehinderung. Verschiedene Ursachen und auslösende Faktoren liegen zugrunde: Umweltfaktoren: Allergenexposition (bei 85% der asthmatischen Kinder kann eine allergische Sensibilisierungen nachgewiesen werden), Infekte (RSV, Influenza etc.), Schadstoffexposition, Passivrauchen. Genetische Prädisposition: erhöhtes Risiko bei Atopieneigung in der Familie. Atopie (Typ-I-Allergie): typische auslösende Allergene sind Pollen (Gräser, Roggen, Frühblüher), Hausstaubmilben, Tierhaare, Nahrungsmittel (spielen bei Kindern eine größere Rolle als bei Erwachsenen), insbesondere Kuhmilcheiweiß, Erdnüsse, Fisch und Hülsenfrüchte. Weitere Auslöser einer Asthmasymptomatik sind Anstrengung (Anstrengungsasthma), Infekte (infektexazerbiertes Asthma), Kälte, Rauch (Passivrauchen) und hormonelle Faktoren (z. B. Menstruation).
251 12.5 · Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien
> Passivrauchen fördert die Entstehung von Asthma und exazerbiert die klinischen Symptome.
Symptomatik.
4 Leitsymptome (. Tab. 12.6): 5 Verlängertes Exspirium mit Giemen und Pfeifen. 5 Anfallsartige Dyspnoe und Husten. 5 Säuglinge: rezidivierende obstruktive Bronchitiden, verstärkte, protrahierte Atmung »wheezing«. 4 Akuter Asthmaanfall: 5 Dyspnoe, Atemnot (Kinder ringen ängstlich nach Luft), Orthopnoe (Kinder sitzen aufrecht im Bett). 5 Kraftloser Reizhusten. 5 Maximal geblähter Thorax. 5 Blasse, zyanotische Haut. 5 »Lippenbremse«: die Lippen werden gespitzt, um den exspiratorischen Alveolenkollaps zu verhindern. Zwischen den Anfällen können die Kinder ganz unauffällig sein. In fortgeschrittenen Stadien bleiben Thoraxverformung und ein erhöhtes Residualvolumen bestehen. Diagnostik.
4 Anamnese: 5 Art der Beschwerden 5 Dauer, Ort, Zeit und Anlässe für die Beschwerden 5 Familienanamnese
12
4 Untersuchung: 5 Überblähter Thorax, hypersonorer Klopfschall über der Lunge, tiefstehende Lungengrenzen 4 Auskultation: 5 Verlängertes, giemendes Exspirium, Pfeifen, Brummen, in schweren Fällen »silent lung« (abgeschwächtes Atemgeräusch) 4 Röntgen: 5 Maximale Lungenblähung, Zwerchfelltiefstand, kleine Herzfigur, »Katarrh-Hili« mit peribronchialer Zeichnungsvermehrung 4 Allergiediagnostik: 5 Labor: Gesamt-IgE ↑, Eosinophilie ↑; RAST (Radio-Allergo-Absorbent-Test): Bestimmung allergenspezifischer IgE im Serum; Pricktest (Expositionstest auf der Haut); evtl. inhalative Allergenprovokationstests. 4 Lungenfunktionstests: 5 Erst ab dem 4.‒6. Lebensjahr durchführbar (Kooperativität). Schweregradbestimmung und Therapiekontrolle durch Messung des Peak flows. Die Einsekundenkapazität (FEV1) ist ausschlaggebend für Stadieneinteilung und Therapieüberwachung. 5 Broncholysetest: die FEV1 sollte nach Inhalationen mit β2-Sympathomimetika um mindestens 10–20% ansteigen. 5 Provokation mit verschiedenen Allergenen: Kaltluftprovokationstests, Laufbelastung. 4 Ggf. EKG, Tuberkulin-Test, Schweißtest.
. Tab. 12.6. Schweregrade des Asthmas Stufe 1: Intermittierendes Asthma
Stufe 2: Persistierendes, mildes Asthma
Stufe 3: Persistierendes, mittelschweres Asthma
Stufe 4: Persistierendes, schweres Asthma
Symptome
Husten, Episoden leichter Atemnot
z. T. chronischer Husten, z. T. zwischen den Episoden asymptomatisch
anfallsartige, ausgeprägte Symptome, oder chronisch an vielen Tagen, häufig nachts, z. T. Überblähung
starke Symptome an den meisten Tagen und Nächten, meist Überblähung
Häufigkeit der Symptome
symptomfreies Intervall >2 Monate
symptomfreies Intervall <2 Monate
an mehreren Tagen/ Woche und auch nächtliche Symptome
anhaltende, tägliche Symptomatik, häufig auch nächtlich
Beeinträchtigung der Lebensqualität
keine
kaum
ja
deutlich
FEV1*
>80%
im Intervall >80%
60–80%
<60%
PEF**
>80%
im Intervall >80%
60–80%
<60%
* Einsekundenkapazität in % des persönlichen Bestwerts; ** exspiratorischer Spitzenfluss in % des persönlichen Bestwerts Nach Leitlinien der Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie
252
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
> Bei Asthma bronchiale besteht eine obstruktive Ventilationsstörung mit 4 Reduktion der Einsekundenkapazität (FEV1), 4 Erhöhung des Atemwegswiderstands (Resistance) und 4 bei ausgeprägter Obstruktion Verminderung der Vitalkapazität und Erhöhung des Residualvolumens aufgrund von intrathorakal »gefesselter« Luft (air-trapping).
Komplikationen.
Emphysem; Pneumothorax, Pneumomediastinum. Differenzialdiagnostik. . Tab. 12.9. Therapie.
4 Allgemein: Allergenkarenz, Physiotherapie, psychosoziale Betreuung, Complianceförderung. 4 Medikamentös: . Tab. 12.7 und 12.8. 1. Therapie des Asthmaanfalls: 4 β2-Sympathomimetika (z. B. Salbutamol) als Dosisaerosol am besten mit Inhalationshilfe.
12
Wird darunter innerhalb von 15 min keine Besserung des Bronchospasmus erreicht, so handelt es sich um einen schweren Asthmaanfall oder einen drohenden Status asthmaticus. Dann zusätzlich: 4 Lagerung in sitzender Position 4 Sauerstoffzufuhr, angefeuchtet über Vernebler oder über Maske bei O2-Sättigung <90 % 4 β2-Sympathomimetika per Inhalation, Iputropiumbromid per Inhalation 4 Glukokortikoide zunächst i. v., dann p. o. 4 Antibiotika bei protrahierten Verläufen zur Verhinderung von Superinfektionen 4 Bei ausbleibender Besserung evtl. Theophyllin i. v. 2. Therapie des chronischen Asthma bronchiale: 4 . Tab. 12.8.
. Tab. 12.7. Antiasthmatische Medikamente Bronchodilatation
Entzündungshemmung
β2-Sympathomimetika (kurzwirkend) 4 Salbutamol 4 Terbutalin 4 Orciprenalin 4 Clenbuterol 4 Fenoterol
Cromogene 4 Cromoglicinsäure (DNCG) 4 Nedocromil
β2-Sympathomimetika (langwirkend) 4 Salmeterol 4 Formoterol
Steroide 4 Beclometasondiproprionat 4 Budesonid 4 Flunisolid 4 Fluticasonproprionat
Atropinderivate 4 Ipatropiumbromid 4 Oxitropiumbromid
Antihistaminika 4 Ketotifen 4 Cetirizin 4 Terfenadin 4 Loratadin 4 Azelastin
Xanthinderivate 4 Theophyllin
Leukotrienantagonisten 4 Montelukast
Einteilung nach den Wirkdauer: 4 Bedarfsmedikamente (»Reliever«): kurzwirksame β2-Sympathomimetika, rasch wirksames Langzeit β2-Sympathomimetikum Formoterol, inhalative Anticholinergika, systemische Glukokortikoide, wasserlösliches Theophyllin 4 Langzeittherapeutika (»Controller«): Cromoglicin, Nedocromil, Glukokortikoide (v. a. inhalativ), Leukotrienantagonisten, langwirksame β2-Sympathomimetika, Retard-Theophyllin Anwendung: 4 Inhalation mit Inhalierboys (feuchte Inhalation), z. B. Pari-Inhalierboy 4 Inhalation mit Spacern (Dosisaerosole) 4 Pulverinhalationen (Diskus, Turbohaler) 4 systemisch: p. o., rektal, i. v.
4 Prognostisch ungünstig sind früher Krankheitsbeginn, Atopie, Raucher in der Familie, schwere bronchiale Hyperreagibilität, therapierefraktäre, pathologische Lungenfunktionsparameter in der Pubertät.
3. Hyposensibilisierung bei allergischen Erkrankungen: 4 Strenge Indikationsstellung 4 Subkutane Applikation von Allergenen in unterschwelligen, ansteigenden Konzentrationen. 4 Ziel: Anstieg allergenspezifischer IgG-Antikörper und Abnahme allergenspezifischer IgE-Antikörper im Serum.
Status asthmaticus Definition. Asthmaanfall, der länger als 1‒2 Tage dauert mit einem pCO2 >60 mmHg, der nicht auf Inhalation mit β2-Sympathomimetika anspricht.
Prognose.
Therapie.
4 In der Regel gut therapierbar, die Langzeitprognose ist günstig.
4 Aufsitzen lassen, keine Sedierung, O2-Gabe, Pulsoxymetrie
253 12.5 · Erkrankungen von Kehlkopf, Trachea und Bronchien
12
. Tab. 12.8. Stufenplan der Therapie des Asthma bronchiale bei Kindern Stufe
Bedarfsmedikation
Dauertherapie
1
4 Kurz wirksames β2-Mimetikum inhalativ 4 Bei Unverträglichkeit: Ipratropiumbromid, evtl. Theophyllin in Lösung
keine*
2
4 Kurz wirksames β2-Mimetikum inhalativ 4 Bei Unverträglichkeit: Ipratropiumbromid, evtl. Theophyllin in Lsg.
4 Therapie der Wahl: inhalative Glukosteroide (IGCS) in niedriger Dosierung 4 Alternativ: Montelukast**, Cromone
3****
4 Kurz wirksames β2-Mimetikum inhalativ 4 Bei Unverträglichkeit: Ipratropiumbromid, evtl. Theophyllin in Lösung
4 IGCS in mittlerer Dosierung 4 Falls nicht ausreichend zusätzlich eine der folgendenen Optionen: – Steigerung der Dosis des IGCS – inhalatives, langwirksames β2-Mimetikum*** – Montelukast** 4 retardiertes Theophyllin
4
4 Kurzwirksames β2-Mimetikum inhalativ 4 Bei Unverträglichkeit: Ipratropiumbromid, evtl. Theophyllin in Lösung
4 IGCS in hoher Dosierung plus inhalatives langwirksames β2-Mimetikum (ggf. als feste Kombination) 4 Falls nicht ausreichend zusätzlich eine der folgenden Optionen: – Montelukast** – retardiertes Theophyllin – systemisches Glukokortikoid (intermittierend oder dauerhaft) in der niedrigsten noch effektiven Dosis
* Eine vorübergehende anti-entzündliche inhalative Therapie ist möglich. ** Bei Belastungsasthma als Monotherapie zugelassen, bei Kleinkindern (1–6 Jahre) ist Montelukast den langwirksamen β 2-Mimetika vorzuziehen, für Stufe 4 noch nicht zugelassen. *** Im Vorschulalter kaum Wirksamkeits- oder Sicherheitsdaten, daher hier nur in Ausnahmefällen. **** Vor Dosissteigerung der IGCS oder Zusatz-Therapie Vorstellung in einer pneumologischen Schwerpunktpraxis. Nach: Leitlinien AWMF 02/2006
. Tab. 12.9. Differenzialdiagnose Asthma bronchiale 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Adipositas α1-Antitrypsin Mangel Angeborene Fehlbildungen Atypische Pneumonien mit protrahiertem Verlauf Aspiration (z. B. Fremdkörper) Bronchopulmonale Dysplasie Bronchiektasien Entwicklungsstörungen Funktionelle Atemstörungen (psychogen, Hyperventilation, Stimmbanddysfunktion) Gastroösophagealer Reflux Herzerkrankungen Immundefekte Interstitielle Lungenerkrankungen (z. B. EAA) Kehlkopfveränderungen (u. a. Hämangiome) Neuromuskuläre Erkrankungen Postinfektiöse Störungen (z. B. Pertussis, Bronchiolitis obliterans) Spontanpneumothorax Tuberkulose Tumore (Kehlkopf, Trachea, Lunge) Zilienfunktionsstörungen Cystische Fibrose
4 Inhalation mit β2-Mimetika (z. B. Salbutamol), Ipratropiumbromid und einem Adrenalin-NaClGemisch 4 Glukokortikoide i. v. 4 Sekretolyse, Flüssigkeitssubstitution i. v. 4 Antibiotika bei Verdacht auf bakteriellen Infekt 4 evtl. Theophyllin i. v. 4 β2-Mimetika i. v., wenn keine ausreichende Besserung durch Inhalation 4 Adrenalin i. v., wenn kreislaufinstabil 4 Beatmung 4 Aufnahme auf eine Intensivstation bei mehreren der folgenden Symptome: paO2 <70 (bei Raumluft), Zyanose, ungleiches inspiratorisches Atemgeräusch, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, moderates exspiratorisches Giemen, Apathie. Prognose. Mortalität im Status asthmaticus: 1%. ! Trotz konsequenter Therapie kann es im Status asthmaticus zu einer lebensbedrohlichen Dekompensation kommen.
254
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
12.5.8 Exogen allergische Alveolitis (EAA)
Prognose.
Definition. Generalisierte Entzündung des Intersti-
4 Bei frühzeitiger Expositionsprophylaxe gut. 4 Bei später Diagnose häufig schon Lungenfibrose, dann schlechte Prognose.
tiums der Lunge, z. T. mit Alveolarzellproliferation und Schädigung der Bronchiolen durch chronische Inhalation kleiner, meist organischer Staubpartikel. Zugrunde liegt eine allergische Reaktion Typ IV der Lunge mit progredienter Lungenfibrose (. Tab. 12.10).
! Bei EAA sind frühzeitige Diagnosestellung und sofortige Expositionsprophylaxe entscheidend. Bei protrahierten Verläufen droht eine irreversible, lebensbedrohliche Lungenfibrose.
Symptomatik.
4 Trockener Husten, evtl. Fieber, v. a. nach Allergenexposition. 4 Dyspnoe, zunächst bei Belastung, später auch in Ruhe. 4 Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme. 4 In 50% bei Diagnosestellung Trommelschlegelfinger.
12
12.6
Erkrankungen der Lunge
12.6.1 Pneumonien Definition. Akute oder chronische Entzündung des
Alveolarraums und/oder des Interstitiums der Lunge.
Diagnostik.
Epidemiologie.
4 Labor: BKS ↑, Leukozytose, γ-Globulin ↑, Rheumafaktor, Nachweis präzipitierender Antikörper im Serum. 4 Röntgen-Thorax: feinfleckige, feinretikuläre Zeichnungsvermehrung, milchglasartige Eintrübung. 4 Lungenfunktion: Zeichen einer restriktiven Ventilationsstörung: Vitalkapazität ↓, Totalkapazität ↓, Compliance ↓, Diffusionskapazität ↓, Belastungshypoxämie 4 Bronchoalveoläre Lavage: Nachweis einer lymphozytären Alveolitis und eines erniedrigten CD4/ CD8-Quotienten. 4 Histologie: Lungenbiopsie mit Histologie (zur Diagnosesicherung)
4 Erkrankungsrate im 1. Lebensjahr am höchsten, danach abnehmende Inzidenz: Häufigkeit im Vorschulalter ca. 40:1 000, zwischen 9 und 14 Jahren ca. 9:1 000. 4 Pneumonien sind die fünfthäufigste Mortalitätsursache im Kindesalter.
> Bei EAA besteht eine restriktive Ventilationsstörung, bei Asthma bronchiale besteht eine obstruktive Ventilationsstörung.
Symptomatik.
Therapie.
4 Allergenkarenz, Expositionsprophylaxe 4 Akut: Systemische Steroidtherapie, evtl. ergänzt durch inhalative Steroide.
. Tab. 12.10. Beispiele der exogen allergischen Alveolitis Art
Allergische Reaktion auf
Farmer-Lunge
Aerophile Aktinomyzeten aus verschimmeltem Heu, Bakterien
Vogelhalter-Lunge
Vogelkot (z. B. Tauben: Taubenzüchter-Lunge) oder Vogelfedern
Befeuchter-Lunge
Klimaanlagen, feuchtes Mauerwerk
Ätiopathogenese. Meist infektiös (viral, bakteriell, fun-
gal) (. Abb. 12.2) bedingt: nach Tröpfcheninfektion zunächst Infektion der oberen Luftwege, dann Deszension der Erreger in das Bronchialsystem und in die Alveolen. Pneumonien können auch allergisch, physikalisch, chemisch oder autoimmun bedingt sein. 4 Fieber, Husten 4 Tachypnoe, interkostale Einziehungen, Nasenflügeln, Zyanose 4 Schlechter Allgemeinzustand 4 z. T. meningeale oder abdominelle Symptome (Fehldiagnosen) Diagnostik.
4 Labor: Leukozytose, Linksverschiebung, CRP↑, selten Erregernachweis aus Sputum oder serologischer Antikörpernachweis möglich. 4 Röntgen-Thorax: Verschattungen, Infiltrate, Ergüsse.
255 12.6 · Erkrankungen der Lunge
12
. Abb. 12.3. Bronchopneumonie im rechten Mittellappen
! Bei zentraler Lokalisation einer Pneumonie ist die Auskultation des Patienten oft unauffällig.
Pneumonien nach Altersgruppe Neugeborene 7 Kap. 3 . Abb. 12.2. Altersabhängiges Erregerspektrum bei Pneumonien im Kindesalter
Einteilung, Symptomatik und Diagnostik der Pneumonien 4 Bronchopneumonien: – Meist bronchogene, selten hämatogene Infektion. – Altersgipfel im Säuglings- und Kleinkindesalter. – Auskultation: bronchitische Nebengeräusche, z. T. feinblasige Rasselgeräusche. – Röntgen-Thorax: Verdichtung der Hili, streifige Zeichnungsvermehrung, vielherdige disseminierte, miliare Infiltration (. Abb. 12.3). 4 Lappen- oder Segmentpneumonien: – Meist hämatogene Infektion, häufig Pneumokokkeninfektion. – Infektion auf einen Lappen oder ein Segment begrenzt. – Altersgipfel: Schulalter. – Auskultation: Schallverkürzung, Knisterrasseln, feuchte Rasselgeräusche. – Röntgen-Thorax: geringe Hilusreaktion, flächige Verschattungen (durch Exsudation in die Alveolen), Lappen- oder Segmentgrenzen meist eingehalten.
Säuglinge und Kleinkinder Erreger.
4 Meist virale Pneumonien, im Säuglingsalter v. a. durch Infektion mit RSV, später v. a. durch Parainfluenza-Viren Typ 1 und 3. 4 Nach 1‒2 Wochen z. T. bakterielle Superinfektion mit Haemophilus influenza, Pneumokokken und selten Staphylokokken. Symptomatik.
4 Hohes Fieber, zunächst trockener, dann produktiver Husten. 4 Häufig milde Symptomatik bei ausgedehntem Röntgenbefund. 4 z. T. aber auch schwere Symptomatik, neben respiratorischen Symptomen z. T. Meningismus, Bauchschmerzen, Erbrechen. Diagnostik. Röntgen: Von Verdichtung der Hili bis hin zu miliarer Infiltration. In dieser Altersgruppe nur selten Segment- oder Lobärpneumonien. Therapie. Cefuroxim, Amoxicillin oder Erythromycin p. o. oder i. v. je nach Schweregrad; bei septischen Verläufen vgl. Neugeborenen-Therapie 7 Kap. 3.
256
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
4 Haupterreger: Mykoplasmen, aber auch Pneumokokken, Haemophilus influenza, Viren.
4 Bei Mykoplasmen: typischer, schleichender Beginn, mäßiges Krankheitsgefühl, Gliederschmerzen (grippaler Infekt), erst nach einigen Tagen volle Ausprägung.
Symptomatik.
Therapie. Erythromycin (Mykoplasmen wirksam); bei
4 Variabel: milde Symptomatik bis hin zu schweren Krankheitsbildern.
Lobärpneumonie Penicillin oder Cephalosporine.
Schulalter Erreger.
Atypische Pneumonien . Tab. 12.11. Beispiele atypischer Pneumonien Mykoplasmen
Chlamydien
Ornithose
Legionellen
Pneumocystis
Erreger
Mykoplasma pneumoniae
Chlamydia trachomatis
Chlamydia psittaci
7 Kap. 7
Pneumocystis jirovecii
Besonderheit
Häufigste atypische Pneumonie bei Klein- und v. a. bei Schulkindern
Erreger sitzt in der Zervixschleimhaut, perinatale Infektion des Neugeborenen 7 Kap. 3
Übertragung durch Wild- und Hausvögel, bei Übertragung durch Papageien: Psittakose
Früher: Pneumocystic carinii, häufig bei Patienten mit Immunschwäche (AIDS, Zytostatika)
Symptomatik
s. o., z. T. begleitende Exantheme
Typischer Beginn 4.–11. Lebenswoche, kein Fieber, stakkatoartiger Husten, Tachypnoe
Grippeähnliche Symptomatik
Interstitielle, plasmazelluläre Pneumonie, Tachypnoe, Appetitlosigkeit, Trinkunlust, Husten, Zyanose, meist kein Fieber, schleichender oder akuter Verlauf, Inkubationszeit mehrere Wochen
Labor
BKS↑, z.T. Kälteagglutinine nachweisbar
Eosinophilie typisch, Erregernachweis im Sputum, Nachweis spezifischer IgM Antikörper
Nachweis spezifischer Antikörper
Eosinophilie, Erregernachweis in bronchoalveolärer Lavage (BAL) oder Biopsie; histologisch: verbreitertes Interstitium mit mononukleären Zellen, Alveolen mit schaumigen Material gefüllt, in dem sich Pneumozysten finden.
Röntgen
Häufig Hilusbeteiligung, Verdichtungen, zentrale Infiltrationen
Überblähung, bilaterale hilifugale Infiltration
Streifige oder grossflächige, diffuse Verdichtungen
Blähung der Unterfelder, beidseitige, symmetrisch angeordnete Fleck- und Streifenzeichnung infolge von interstitieller Infiltration, Alveolarexsudaten und Atelektasen
Therapie
Makrolide (z. B. Erythromycin), bei älteren Kindern z. T. Doxycyclin
Makrolide (z. B. Erythromycin)
Makrolide (z. B. Erythromycin)
Cotrimoxazol, Primaquin/Clindamycin, Pentamidin; Prophylaxe mit Cotrimoxazol
12
257 12.6 · Erkrankungen der Lunge
Pilzpneumonien Definition. Pneumonien aufgrund von Pilzinfektionen, z. B. mit Candida, Aspergillen, Histoplasmen oder Aktinomyzeten. Häufig bei immunsupprimierten Patienten, bei schwerer Allgemeinerkrankung oder länger dauernder Behandlung mit Zytostatika, Glukokortikoiden oder Antibiotika. Erregernachweis aus Sputum, Blutkulturen, Bronchiallavage oder Lungenbiopsie. 12.6.2 Emphysem und Atelektasen
12
5 Röntgen Thorax: Homogene, scharf begrenzte Verschattung innerhalb eines Segments oder Lappens bei größerer Atelektase evtl. Mediastinalverlagerung zur kranken Seite, Zwerchfellhochstand auf der kranken Seite. 5 Sonographie: zum Ausschluss Pleuraerguss. 5 Bronchoskopie: zum Ausschluss Fremdkörper, Schleimpfropf, Bronchuskompression. 5 CT/MRT: zum Ausschluss Tumor oder Gefäßanomalien. Therapie.
Definition.
4 Emphysem: Überdehnung der Lufträume distal der terminalen Bronchioli, irreversible Zerstörung von Alveolen und Lungensepten. 4 Atelektase: periphere, luftleere Lungenabschnitte mit direkt aneinander liegenden Alveolarwänden. Ätiologie.
4 Emphysem: 5 Kongenitales lobäres Emphysem 7 Kap. 12.2.4. 5 Akute Obstruktion durch Fremdkörper, Schleim, Asthma bronchiale, Bronchiolitis obliterans. 5 Primär chronisch bei α1-Antitrypsinmangel, sekundär chronisch bei Asthma bronchiale oder Cystischer Fibrose. 4 Atelektase: 5 Erhöhte Oberflächenspannung der Alveolen z. B. bei Surfactant-Mangel. 5 Extra- oder intrabronchiale Bronchusobstruktion. 5 Verminderte Atemtätigkeit z. B. bei Schmerzen. 5 Skelettanomalien oder Zwerchfellparese.
4 Klopfmassage, Drainagelagerung. 4 Medikamentöse Sekretolyse (N-Acetylcystein), antibiotische Therapie bei Superinfektionen. 4 Ggf. Bronchoskopie zur Entfernung der Obstruktion. > Sonderform Mittellappensyndrom: Atelektase des rechten Mittellappenbronchus. Aufgrund des gestreckt verlaufenden, relativ engen und nahezu rechtwinklig vom Zwischenbronchus abgehenden rechten Mittellappenbronchus kommt es häufig im Rahmen von Entzündungen zu Obstruktion, Atelektase und Infektion des rechten Mittellappens.
12.6.3 Lungenabszesse Definition/Ätiologie. Umschriebender, von einer Mem-
bran umgebener Einschmelzungsprozess von Lungengewebe, häufig nach Aspiration, bei Bronchiektasien, Staphylokokkenpneumonien, metastatischer Absiedlung bei septischen Krankheitsbildern oder unzureichend behandelten Pneumonien bei Immunsuppression.
Symptomatik. Symptomatik geprägt von rezidivie-
Symptomatik. Hartnäckiges Fieber; Hustenreiz; z. T.
renden Pneumonien, je nach Ausdehnung: Dyspnoe, Zyanose; bei chronischem Verlauf: Trommelschlegelfinger, Fassthorax.
Aushusten bzw. Erbrechen des eitrigen Abszessinhalts; häufig spontaner Durchbruch in einen Bronchus oder in den Pleuraspalt mit Pyopneumothorax.
Diagnostik.
Diagnostik.
4 Emphysem: 5 Auskultation: Abgeschwächtes Atemgeräusch, Perkussion: hypersonorer Klopfschall. 5 Röntgen-Thorax: Gesteigerte Strahlentransparenz, verminderte Lungengefäßzeichnung, tiefstehende Zwerchfelle, erweiterte Interkostalräume. 4 Atelektase: 5 Auskultation: Abgeschwächtes, aufgehobenes Atemgeräusch, evtl. Bronchialatmen, Perkussion: gedämpfter Klopfschall.
4 Röntgen-Thorax, CT: kompakte Rundherde mit horizontalem Flüssigkeitsspiegel. 4 evtl. diagnostische Punktion. Differenzialdiagnosen.
4 Pneumatozele: abgegrenzte Luftansammlung, z. B. nach Abszessbildung. 4 Angeborene Solitärzysten: keine Flüssigkeitsspiegel. 4 Gangrän: Gewebsnekrose mit Autolyse, oft bei Infektion mit gramnegativen Bakterien.
258
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
Therapie.
4 Symptomatisch: O2-Zufuhr, Sekretolyse. 4 Antibiotische Therapie, initial Cephalosporine bis zum 6. Lebensjahr, ab 6. Lebensjahr Makrolide, ggf. Umstellung nach Antibiogramm. 4 Evtl. bronchoskopische Drainage, evtl. chirurgische Segmentresektion oder Lobektomie.
12.6.5 Lungentumoren Epidemiologie. Primär von Bronchuswand oder Alveo-
larepithel ausgehende Tumore sind im Kindesalter selten. Häufiger sind Metastasen von malignen Knochen-, Nieren- und Nebennierengeschwülsten ausgehend. 12.7
Erkrankungen der Pleura
12.6.4 Lungenfibrosen Definition. Chronisch-progrediente Fibrose des inter-
stitiellen Bindegewebes der Lunge. Ätiopathogenese.
12
4 Primär als eigenständiges Krankeitsbild: 5 Idiopathische interstitielle Pneumonie (IIP) 5 Idiopathische Lungenhämosiderose: periodisches Fieber, Atemnot, Husten, Hämoptoe 5 Idiopathische progressive Lungenfibrose (Hamman-Rich-Syndrom): Husten, Dyspnoe, Zyanose und ausgeprägte radiologische Verdichtungen 5 Chronic lung disease (CLD) des Frühgeborenen: – Wilson-Mikity-Syndrom: selten, bei nicht beatmeten Frühgeborenen (pulmonale Dysmaturität) mit zystischem Umbau, v. a. der Lungenunterfelder. – Bronchopulmonale Dysplasie (BPD): so genannte Beatmungs- oder Umbaulunge nach Beatmung Frühgeborener (7 Kap. 3). 4 Sekundär im Ramen von Systemerkrankungen: z. B. Speichererkrankungen, Kollagenosen, rheumatoider Arthritis, Vaskulitiden, Infektionen, Schädigung durch inhalative Noxen, z. B. Gase, Dämpfe, Rauch, EAA oder durch nichtinhalative Noxen, z. B. durch Pharmaka (Bleomycin), Strahlen, auch kardial bedingt bei Rechtsherzinsuffizienz, pulmonaler Hypertonie. Symptomatik.
4 Dyspnoe, Zyanose, trockener Reizhusten, z. T. besteht Sauerstoffabhängigkeit. 4 Rezidivierende obstruktive Bronchitiden und Pneumonien. Diagnostik. Lungenfunktion: Zeichen einer restrikti-
Pleuritis sicca Trockene, fibrinöse, schmerzhafte Begleitentzündung der Pleura mit charakteristischem Auskultationsbefund (Pleuraknarren). Selten, z. B. im Rahmen einer kruppösen Pneumonie älterer Kinder. Pleuritis exsudativa Definition. Seröse, schmerzhafte, nichteitrige Pleuritis mit geringer Exsudatbildung, häufig bei Pneumonien. Diagnostik.
4 Auskultation: abgeschwächtes oder aufgehobenes Atemgeräusch; fehlender Stimmfremitus, Perkussion: Klopfschalldämpfung bei größeren Ergüssen. 4 Röntgen: ausgedehnte Verschattungen; z. T. Verdrängung des Mediastinums (dann meist tuberkulöser Ursprung). 4 Sonographie: zur Differenzierung Pleuraerguss und Pleuraschwiele, evtl. CT. 4 Pleurapunktion: Erregernachweis und Entlastung. Therapie.
4 Probepunktion, setzt meist einen resorptiven Reiz, bei stärkerer Verdrängung laufende Entlastungspunktionen. 4 Kausale Therapie. Pleuritis purulenta (Pleuraempyem) Definition/Ätiologie. Eitrige Pleuritis, häufig bakteriell bedingt, infolge von Pneumonien. Der Erguss ist zunächst trübserös, im Verlauf eitrig. Früher v. a. durch Infektion mit Pneumokokken, heute eher durch Staphylokokken oder Haemophilus influenzae hervorgerufen. Symptomatik. Schlechter Allgemeinzustand, persistierendes Fieber trotz antibiotischer Therapie.
ven Ventilationsstörung 7 Kap. 12.5.8. Prognose. Abhängig von der Grunderkrankung, die
CLD des Frühgeborenen bessert sich z. T.
Komplikation. Pyopneumothorax bei Durchbruch eines subpleuralen Abszesses in den Pleuraspalt oder iatrogen bei Pleurapunktion.
259 12.7 · Erkrankungen der Pleura
Therapie.
4 Systemische antibiotische Therapie je nach Erregerspektrum, intrapleurale Instillationen von Antibiotika. 4 Wiederholte Pleurapunktionen, bei größeren Empyemen oder Spannungspneumothorax: BülauSaug-Drainage. Hydrothorax Definition. Nichtentzündlicher Pleuraerguss (Transsudat). Ätiopathogenese.
4 Kardiogen, z. B. bei Rechtsherzinsuffizienz 4 Pulmonal, z. B. bei pleuralen Metastatsen 4 Bei Hypoproteinämien mit Ödemen, z. B. bei Malabsorption oder nephrogen bedingt. 4 Sonderform: Chylothorax: bei Stauung oder Verletzung des Ductus thoracicus oder des Ductus lymphaticus z. B. im Rahmen operativer Eingriffe im Thoraxraum.
12
4 Traumatischer Pneumothorax: perforierende Traumata, Frakturen 4 Iatrogener Pneumothorax: 5 Unsachgemäße Reanimation, Eingriffe im Tho raxraum,Lungenpunktion, Tracheotomie, Subklaviakatheter. 5 Maschinelle Beatmung: hohe intraalveoläre Drücke können zu Überblähung und Ruptur der Alveolarwand führen. 4 Spannungspneumothorax: Pneumothorax mit lebensbedrohlichem Ventilmechanismus: Luft dringt in den Pleuraspalt, kann aber nicht mehr entweichen. Pathogenese. Durch die elastische Retraktionskraft der Lunge kommt es beim Eindringen von Luft in den Pleuraspalt zum Lungenkollaps. Bei Spannungspneumothorax kommt es durch den Ventilmechanismus zu einer erheblichen Drucksteigerung innerhalb des Mediastinums, mit lebensbedrohlicher Kompression der Blutgefäße, Behinderung des venösen Rückstroms zum Herzen und Mediastinalverlagerung.
Symptomatik. z. T. asymptomatisch oder Tachypnoe,
Einziehungen, Zyanose. Diagnostik. Röntgen-Thorax: Pleuraerguss; diagnostische (und therapeutische) Punktion. Differenzialdiagnose. . Tab. 12.12. . Tab. 12.12. Differenzialdiagnostik Exsudat – Transsudat Exsudat
Transsudat
Ätiologie
entzündlich
nichtentzündlich (s. o.)
Spezifisches Gewicht
> 1014
<1007
Rivalta-Probe*
positiv
negativ
* Essigsäurelösung trübt sich milchig (positive Reaktion)
Pneumothorax Definition/Ätiologie. Eindringen von Luft in den Pleuraspalt mit Kollaps der Lunge (oder Teilen der Lunge). Unterschieden werden: 4 Spontanpneumothorax: 5 Idiopathisch v. a. bei älteren Kindern und Erwachsenen 5 Sekundär im Rahmen von Grunderkrankungen, z. B. Marfan-Syndrom, Asthma bronchiale, Mukoviszidose, Bronchitis, abszedierende Pneumonien, bei Neugeboren bei Atemnotsyndrom, Mekoniumaspiration oder kongenitaler Zwerchfellhernie.
Symptomatik. Asymptomatischer Pneumothorax: kleinerer, symptomloser Pneumothorax; keine Therapie notwendig oder symptomatischer Pneumothorax: 4 Plötzliche Atemnot, Dyspnoe, Tachypnoe, Zyanose, stechende Schmerzen auf der betroffenen Seite. 4 Thoraxassymmetrie, fehlende Atemexkursionen, seitendifferentes Atemgeräusch. 4 Leise Herztöne, bei Mediastinalverdrängung Verlagerung der Herztöne. 4 Bradykardie, Blutdruckabfall, Schock bei Spannungspneumothorax. 4 Evtl. Hautemphysem (v. a. bei iatrogenem oder posttraumatischem Pneumothorax). > Bei symptomatischem Pneumothorax darf keine Zeit mit diagnostischen Massnahmen verloren werden, es muss eine sofortige Pleurapunktion erfolgen.
Diagnostik. Bei stabilen Patienten:
4 Auskultation/Perkussion: hypersonorer Klopfschall; abgeschwächtes Atemgeräusch auf der betroffenen Seite. 4 Röntgen-Thorax: sofern möglich in In- und in Exspiration durchführen (kleine Pneumothoraces sind in Exspiration besser erkennbar), scharfer Herzrand, ggf. Mediastinalverdrängung. 4 Bei Neugeborenen Transillumination mit Kaltlicht: im Bereich des Peumothorax stellt sich ein großer Halo dar.
260
Kapitel 12 · Erkrankungen des Respirationstrakts
Therapie.
Thymushyperplasie
4 Bei kleinen Pneumothoraces: keine Therapie notwendig, hohe Spontanheilungsrate. 4 Bei Spannungspneumothorax: sofortige, notfallmäßige Pleurapunktion notwendig. 4 Im Verlauf Anlage einer Pleurasaugdrainage.
Definition/Symptomatik. Häufig beim jungen Säugling
! Spannungspneumothorax: Lebensbedrohlicher Zustand mit Ventilmechanismus: bei der Inspiration gelangt immer mehr Luft durch den Defekt in den Pleuraspalt, die Luft kann jedoch nicht entweichen. Es kommt zu einer kontinuierlichen Druckerhöhung im Pleuraspalt mit Verdrängung des Mediastinums, rascher Dekompensation, Ateminsuffizienz und Schock. Lebensrettend ist eine sofortige Entlastungspunktion.
12.8
Erkrankungen des Mediastinums
12.8.1 Entzündungen Akute Mediastinitis Lebensbedrohliche, meist fortgeleitete Entzündung des Mediastinums, häufig nach Verletzung des Mittelfells, z. B. bei Ösophagusperforation, nach Fremdkörpereinklemmung oder Verätzung.
12
auftretende Hyperplasie des Thymus mit Atembehinderung durch konzentrische Einengung der Luftröhre. Therapie. Eine kurzfristige Kortisontherapie führt meist zur Verkleinerung des Organs. Differenzialdiagnose. . Tab. 12.13. Differenzialdiagnosen mediastinaler Raumforderungen mit möglicher Atembehinderung Vorderes und mittleres Mediastinum
Hinteres Mediastinum
4 4 4 4
4 Neurinome 4 Neurofibrome 4 Bronchogene und enterogene Zysten
Thymome Teratome Lymphangiome Bronchogene Zysten, Perikardzysten 4 Hodgkin und Non-HodgkinLymphome
13 13
Erkrankungen des Verdauungstrakts
13.1
Leitsymptome
13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5
Erbrechen – 263 Bauchschmerzen – 263 Gastointestinale Blutung – 264 Durchfall – 264 Obstipation – 264
13.2
Angeborene Fehlbildungen des Gastrointestinaltrakts – 265
13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4 13.2.5 13.2.6 13.2.7 13.2.8
Fehlbildungen des Ösophagus – 265 Fehlbildungen des Dünndarms – 266 Fehlbildungen des Dickdarms – 267 Hernien und Bauchwanddefekte – 268 Funktionelle Bauchschmerzen, funktionelle Dyspepsie und Reizdarmsyndrom – 269 Dreimonatskoliken – 270 Irritabler Darm des Kleinkindes – 270 Funktionelle Obstipation – 270
13.3
Motilitätsstörungen
13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4 13.3.5
Gastroösophageale Refluxkrankheit Achalasie – 272 Pylorushypertrophie – 272 Ileus und Invagination – 272 Morbus Hirschsprung – 274
13.4
Akut entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts – 275
13.4.1 13.4.2 13.4.3
Akute Gastroenteritis durch Bakterien und Viren – 275 Helminthosen und Protozoeninfektionen – 276 Appendizitis – 278
13.5
Chronisch-entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts – 278
13.5.1 13.5.2 13.5.3 13.5.4
Gastritis und peptisches Ulkus – 278 Nahrungsmittelallergien – 279 Zöliakie – glutensensitive Enteropathie – 280 Morbus Crohn und Colitis ulcerosa – 281
– 263
– 271 – 271
13.6
Nichtentzündliche Darmerkrankungen – 284
13.6.1 13.6.2 13.6.3
Maldigestion und Malabsorption von Kohlenhydraten – 284 Kurzdarmsyndrom – 285 Polypöse Darmerkrankungen – 285
13.7
Erkrankungen der Gallenwege und Gallenblase
13.7.1 13.7.2 13.7.3 13.7.4
Cholestase – 286 Fehlbildungen der Gallenwege – 286 Extrahepatische Gallengangsatresie – 287 Gallensteine und Cholezystitis – 287
13.8
Erkrankungen der Leber
13.8.1 13.8.2 13.8.3 13.8.4
Infektiöse Hepatitis – 288 Metabolische Lebererkrankungen – 290 Chronische Autoimmunhepatitis und primär sklerosierende Cholangitis – 292 Lebertumoren – 292
13.9
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse
– 286
– 288
– 292
263 13.1 · Leitsymptome
13.1
13
Leitsymptome
13.1.1 Erbrechen
Sonderformen des Erbrechens 4 Atonisches Erbrechen oder Spucken des Säuglings: passives Herauslaufen von Nahrung aus dem Mund, typisch für eine Insuffizienz des unteren Ösophagussphinkters. 4 Schwallartiges Erbrechen: durch starke Antiperistaltik hervorgerufen, im Säuglingsalter u. a. bei Passagestörungen (z. B. bei Pylorushypertrophie, Duodenalstenose) und bei infektiöser Gastroenteritis. 4 Galliges Erbrechen ist ein Alarmsymptom und deutet auf ein Passagehindernis distal der Papilla vateri hin (z. B. bei Malrotation, Ileus). 4 Regurgitation: aus dem Magen in den Oropharynx refluxierte Nahrung wird wieder geschluckt. 4 Rumination: willkürliches Hochbringen von Nahrung, meist Ausdruck psychischer Störungen. 4 Acetonämisches Erbrechen: durch eine katabole Stoffwechsellage (Hungern, viraler Infekt) hervorgerufenes Erbrechen, meist bei schlanken Kindern. Fehlende oder unzureichende Kohlenhydratzufuhr führt zur Erschöpfung der Glykogenreserven mit nachfolgender Lipolyse, Ketonkörperbildung und Azidose, die weiteres Erbrechen fördert. Klinik: milde Dehydratation, metabolische Azidose, Acetongeruch, Hypoglykämieneigung und positiver Acetonnachweis im Urin. Therapie. Kohlenhydrate in Form 6
von z. B. löffelweiser Zufuhr gesüßter Getränke (Tee oder Säfte) oder in Wasser gelöster Oligosaccharide (Maltodextrin bis 25%), je nach Alter. Bei unstillbarem Erbrechen und Dehydratation: i. v.-Zufuhr. ! Erbrechen von Galle, Blut und Hämatin sowie morgendliches Nüchternerbrechen sind Alarmsymptome, die eine umgehende Abklärung erfordern.
13.1.2 Bauchschmerzen ! Alarmsymptome bzw. Hinweise auf eine Organerkrankung sind bei Kindern >3 Jahren: 4 Rezidivierendes Erbrechen (blutig, gallig) 4 Blutige oder schleimig-weiche Stühle, nächtlicher Stuhlgang 4 Lokalisierte Bauchschmerzen, nicht in Nabelnähe 4 Extraintestinale Beschwerden: Fieber, Gelenkschmerzen, Hauterscheinungen, rezidivierende Aphthen im Mund, Dysurie 4 Gewichtsverlust, Abknicken der Wachstumskurve 4 Leistungsknick
Diagnostik. Anamnese bei Kindern mit Bauch-
schmerzen: 4 Schmerzen: Lokalisation? Charakter? Dauer? Tageszeit? Abhängigkeit von Mahlzeiten oder Defäkation oder anderer Aktivität? Begleitsymptome wie Blässe, Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit? Was macht es besser oder schlechter? Bei chronischen Beschwerden Schmerzkalender 4 Stuhlverhalten: Frequenz? Konsistenz? Blut- oder Schleimbeimengungen?
. Tab. 13.1. Erbrechen im Säuglings- und Kindesalter Ursachen
Beispiele
Entzündung/Infektion
Gastritis, Enteritis, Harnwegsinfektionen, Appendizitis, Peritonitis, Nahrungsmittelallergien
Kardiainsuffizienz
Inadäquate Relaxation oder verminderter Druck des unteren Ösophagussphinkters, Hiatushernie
Mechanische oder funktionelle Passagestörung
Kongenitale oder erworbene Stenosen im Magendarmtrakt, Pylorushypertrophie, Malrotation, Ileus, Invagination, Volvulus, Morbus Hirschsprung
Zentralnervöse Ursache
Hirndruck, Hirntumoren, Meningitis, Enzephalitis, psychische Störungen, Anorexia nervosa
Metabolische/endokrine Ursachen
Hyperammonämie, Organazidämie, ketonämisches Erbrechen, adrenogenitales Syndrom
Reflektorisch
Nierensteinkolik, inkarzerierte Hernie, Torsion des Hodens oder eines Leistenovars
Medikamentös oder toxisch
Überdosierung (Digitalis, Euphyllin), Nebenwirkungen (Zytostatika), Vergiftung
264
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
4 Beeinflussung durch Nahrungsaufnahme oder bestimmte Nahrungsmittel (Milch, Sorbit, hohe Fruktosezufuhr)? Appetit, besondere Diät? 4 Allgemeine Leistungsfähigkeit? Müdigkeit? 4 Gewichtsverlust? 4 Längen- und Pubertätsentwicklung, Menarche, Menstruationsverhalten? 4 Andere Beschwerden: Fieber? Sodbrennen, Kopfschmerzen? Sehstörung? Gelenkschmerzen? Hauterscheinungen? Husten? Rezidivierende Aphthen? Dysurie? Enuresis? 4 Frühere Bauchoperationen? Traumata? 4 Psychosoziale Situation: Familie, Freunde, Schule, Beruf? 4 Familienanamnese: Ulkus, Magenkarzinom, chronische Darmerkrankungen, funktionelles Schmerzsyndrom? Alarmbefunde: 4 Blut im Stuhl (auch okkultes) 4 Anämie, Eisenmangel 4 Erhöhte Entzündungsparameter oder Leberwerte 4 Perianale Veränderungen: Fissuren, Marisken, Fisteln, Abszesse 4 Uhrglasnägel 4 Hautzeichen einer Lebererkrankung (Spider naevi, Palmarerythem) oder Darmerkrankung (Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum) 4 Positive Familienanamnese für Ulkus, Magenkarzinom oder eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung
13
> Bei rezidivierenden Bauchschmerzen muss gezielt nach Alarmsymptomen oder Alarmbefunden gesucht werden.
4 Peranale Blutung: Blutungsquelle meist im distalen Darm (z. B. Darminfektionen, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Darmpolypen, Invagination, Purpura Schoenlein-Henoch, Meckel-Divertikel). Hellrote, oft fadenförmige Blutauflagerungen auf normal geformtem oder gar hartem Stuhl sind typisch für Analfissuren. Hämorrhoiden sind bei Kindern sehr selten. > Bluterbrechen oder blutige Stühle erfordern immer eine diagnostische Abklärung.
13.1.4 Durchfall Ätiopathogenese. . Tab. 13.2. . Tab. 13.2. Durchfall im Säuglings- und Kindesalter Art
Ursachen
Akut
Virale oder bakterielle Darminfektionen Toxische oder allergische Reaktionen auf Lebensmittel oder Allgemeinerkrankungen
Chronisch (>3 Wochen)
Funktionell, z. B. bei Reizdarmsyndrom Organerkrankungen Biochemische Störungen
Säuglinge haben besonders bei ausschließlicher Muttermilchernährung oft häufige und weiche Stühle. ! Je jünger das Kind, desto größer ist bei Durchfall die Gefahr von Dehydratation, Elektrolytentgleisung und Gedeihstörung. Der frühzeitige Beginn einer kausalen und/oder symptomatischen Therapie ist entscheidend.
13.1.3 Gastointestinale Blutung 13.1.5 Obstipation 4 Akute Blutung: akute, normozytäre Anämie und drohender Schock (z. B. bei Blutung aus einem Ulkus oder Ösophagus- und Fundusvarizen) 4 Chronische Blutung: mikrozytäre Anämie als Zeichen eines Eisenmangels bei okkultem oder sichtbarem Blutverlust im Stuhl 4 Hämatinerbrechen: bei Blutung im oberen Gastrointestinaltrakt (Ösophagus, Magen oder Duodenum) oder durch verschlucktes Blut (z. B. bei Nasenbluten oder Zahnextraktion) 4 Teerstühle: bei ausgeprägter Blutung im oberen Gastrointestinaltrakt 4 Meläna: Absetzen mehrerer Teerstühle und meist rasches Sistieren der Symptome bei akuter intestinaler Blutung
Definition. Unvollständige Entleerung des distalen Dickdarms bei der Defäkation oder sehr seltene Stuhlentleerung; häufige Ursache von Bauchschmerzen. Nach der Rom III-Klassifikation müssen mindestens 2 der folgenden Symptome erfüllt sein: 4 <3 Stuhlentleerungen/Woche 4 >1 Episode von Stuhlschmieren/Woche 4 Stuhlmassen im Rektum oder Abdomen tastbar 4 Gelegentliche Entleerung großer Stuhlmengen 4 Rückhalteversuche 4 Schmerzhafter oder harter Stuhlgang
Bei einer >2 Monate andauernden Symptomatik spricht man von chronischer Obstipation.
265 13.2 · Angeborene Fehlbildungen des Gastrointestinaltrakts
13
. Tab. 13.3. Obstipation Ursachen
Beispiele
Funktionell
Keine organische Ursache erkennbar.
Exogene Störfaktoren
Änderung des Tagesrhythmus, Kuhmilchunverträglichkeit, perinanale Entzündungen, wie Rhagaden, Fissuren, medikamentös (v. a. durch Antikonvulsiva) oder alimentär (zu wenig Flüssigkeit, zu wenig Ballaststoffe, Nahrungsumstellung beim Säugling von Muttermilch auf Formelnahrung) bedingt.
Kolorektale Erkrankungen
Morbus Hirschsprung, andere Neuropathien oder Myopathien des Darms, stenosierende Prozesse, Fehlbildungen
Allgemeinerkrankungen
Hypothyreose, Elektrolyt- und Flüssigkeitsstörungen, ZNS-Läsionen, Spina bifida, Immobilisation, Myopathien, Bauchwanddefekte
Ätiopathogenese. . Tab. 13.3, z. T. besteht eine ausgeprägte Retention von meist hartem Stuhl in der Ampulle mit Überdehnung der Ampulle. Durch Fäulnisprozesse entsteht im Verlauf häufig weicher Stuhl, der sich mehrmals täglich in die Unterwäsche entleert (Überlaufenkopresis). ! Bei Obstipation im Neugeborenenalter muss ein Morbus Hirschsprung ausgeschlossen werden.
Therapie. 7 Kap. 13.2.7.
13.2
Angeborene Fehlbildungen des Gastrointestinaltrakts
13.2.1 Fehlbildungen des Ösophagus Ösophagusatresie Definition/Ätiologie. Angeborene Fehlbildung des
Ösophagus aufgrund einer Differenzierungsstörung des embryonalen Vorderdarms in Ösophagus, Trachea und Lunge. Verschluss des Ösophagus, meist auf Höhe
der Trachealbifurkation, häufig kombiniert mit einer Trachealfistel (. Abb. 13.1). Epidemiologie.
4 Häufigkeit ca. 1:4000, w = m 4 In 85% obere Atresie mit unterer Fistel (Vogt IIIb, . Abb. 13.1) 4 In ca. 50% kombiniert mit anderen Fehlbildungen, z. B. VACTERL-Assoziation (Fehlbildung der Wirbelsäule (Vertebra), Analatresie, Herzfehler (Cardial), Ösophagusatresie (Tracheo-Esophageal), Fehlbildung der Niere (Renal) und der Gliedmaßen (Limbs) Symptomatik.
4 Pränatal: Polyhydramnion (Fruchtwasser ↑ bei fehlendem Schlucken des Fetus), erhöhtes Risiko einer Frühgeburt. 4 Postnatal: Schaumbildung vor dem Mund, nach einem kontraindizierten Fütterungsversuch kommt es zu Speicheln, Husten und Zyanose infolge von Aspiration; bei isolierter H-Fistel (. Abb. 13.1) wiederholte Aspirationspneumonien. Diagnostik.
. Abb. 13.1a–c. Formen der Ösophagusatresie nach Vogt. a Ösophagusatresie mit distaler ösophagotrachealer Fistel. Fast 9 von 10 Kindern mit einer Ösophagusfehlbildung haben diese Form. b Isolierte Atresie ohne Fistel. Seltene Form der Ösophagusatresie. c Ösophagotracheale Fistel ohne Atresie des Ösophagus (H-Fistel)
4 Magensondierung: Sonde lässt sich nur wenige Zentimeter vorschieben. 4 Röntgen-Thorax und Abdomen: eine dünne Magensonde wird soweit wie möglich vorgeschoben (. Abb. 13.2), aus der Lage der Sonde kann auf die Art der Fehlbildung geschlossen werden. In Intubationsbereitschaft evtl. Applikation von 1 ml wasserlöslichem Kontrastmittel zur Darstellung von Fistelgängen.
266
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Malrotation oder Non-Rotation Definition. Drehungsanomalien in Folge einer gestörten embryonalen Drehung des Darms um die Nabelschleife. Häufig assoziiert mit Mesenterium commune und fehlender Verwachsung des Mesokolons mit der Abdominalhinterwand (. Tab. 13.4). . Tab. 13.4. Einteilungen der Malrotation und Nonrotation
. Abb. 13.2. Ösophagusatresie. Kontrastmitteldarstellung des oberen Blindsacks
Art
Anatomie
Non-Rotation
Dünndarm liegt rechts, Kolon links
Malrotation I
Zökum liegt im rechten Unterbauch vor dem Dünndarm
Malrotation II
Dünndarm liegt vor dem Kolon
Therapie.
Symptomatik.
4 Lagern des Patienten in Bauch- oder Linksseitenlage, Oberkörper hochlagern, Ablaufsonde in den oberen Blindsack legen, kontinuierliches Absaugen. 4 Möglichst zügige Operation: End-zu-End-Anastomose, Fistelverschluss.
4 Symptomlos oder 4 krampfartige Bauchschmerzen, galliges Erbrechen aufgrund mangelnder Fixation und Passagehindernis. Komplikation. Volvulus: Stiel- oder Achsendrehung
Prognose. Postoperativ nicht selten Stenosen oder gas-
troösophagealer Reflux mit Aspirationsgefahr; Überlebensrate (bei Kindern mit Geburtsgewicht >1 500 g und ohne Herzfehler) >90%.
13
! Bei Verdacht auf Ösophagusatresie darf keine Masken- oder Rachenbeatmung durchgeführt werden, eine Magenüberblähung muss vermieden werden. Zügige Operation.
13.2.2 Fehlbildungen des Dünndarms
des Darms, so genannte Darmverschlingung, Gefahr ausgedehnter Darmnekrose. Diagnose oft schwierig; frühzeitige Operation. Duodenalatresie Definition/Ätiopathogenese. Lumenverschluss des
Duodenums infolge fehlender Rekanalisierung des Darmlumens in der 5.–6. SSW. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:5 000; Inzidenz bei Trisomie 21 fast 20%. Symptomatik.
Duplikaturen Definition. Embryonal entstandenes, meist kurzstreckiges Doppellumen des Intestinums mit tubulärer oder zystischer Struktur, häufig im Bereich des Dünndarms, immer dorsal lokalisiert. Der Wandaufbau entspricht dem des Darmtrakts.
4 Intrauterin: Polyhydramnion. 4 Postnatal: hoher Ileus, galliges Erbrechen, fehlender Mekoniumabgang, aufgetriebener Oberbauch bei eingefallenem Unterbauch. 4 Bei inkomplettem Verschluss erst später symptomatisch.
Symptomatik. Symptomlos (Zufallsbefund) oder raumfordernder Charakter.
Diagnostik.
Komplikationen. Blind-loop-Syndrom (Syndrom der blinden Schlinge): bei Anschluss einer Duplikatur an das Darmlumen und bakterieller Besiedelung mögliche Malabsorption. Therapie: chirurgische Resektion.
4 Intrauterin: sonographische Diagnosestellung möglich. 4 Postnatal: Röntgen-Abdomen-Leeraufnahme im Hängen: charakteristisches »Double-bubble-Phänomen«: prästenotische Luftansammlung in der Magenblase und im distendierten Duodenum, das übrige Abdomen ist luftleer (. Abb. 13.3).
267 13.2 · Angeborene Fehlbildungen des Gastrointestinaltrakts
13
Symptomatik.
4 Bei vollständig persistierendem Ductus omphaloentericus: Sekretion und/oder Stuhlentleerung aus dem Nabel. 4 Bei Persistenz des mittleren Anteils: Zystenbildung, meist symptomlos. 4 Bei Persistenz des darmwärtsgelegenen Teils: Meckel-Divertikel, meist symptomlos. Komplikationen.
4 4 4 4
Ulzera mit kolikartigen Bauchschmerzen Divertikulitis Invagination, Torsion, Perforation Blutung, Anämie
> Eine wichtige Differenzialdiagnose zur akuten Appendizitis ist das Meckel-Divertikel.
Diagnostik. Szintigraphische Darstellung der ektopen
Magenschleimhaut (70% Trefferquote). Therapie. Operative Resektion (häufig erst intraopera-
tive Diagnosestellung, z. B. im Rahmen einer Appendektomie). 13.2.3 Fehlbildungen des Dickdarms . Abb. 13.3. Duodenalstenose. Darstellung des »double bubble« in der Röntgen-Aufnahme
Differenzialdiagnostik.
4 Sonstige Formen der Duodenalstenose: z. B. intraluminale Membran, Pancreas anulare, andere Prozesse, die das Duodenum von außen komprimieren. 4 Atresien im Bereich des Jejunums und des Ileums (seltener).
Analatresien Definition. Atretisches Darmstück im Enddarm. Embryonal ausgebliebene Trennung des Enddarms vom ventralen Urogenitalsystem mit Fehlmündung (Fistelbildung) in die anoperinealen Region, Vulva oder Vagina bei Mädchen oder in die Urethra beim Jungen (. Abb. 13.4a–e). Bei einer hohen Atresie liegt der Blindsack oberhalb des M. levator ani (40%), bei einer tiefen Atresie unterhalb des M. levator ani (60%). Epidemiologie. Häufigkeit 1:5000; häufig begleiten-
Therapie. Operative Duodenoduodenostomie.
de Fehlbildungen (z. B. VACTERL-Assoziation 7 Kap. 13.2.1).
Meckel-Divertikel Definition. Ca. 80–120 cm proximal der Bauhinklappe
Symptomatik.
lokalisierte Ausstülpung des Ileums infolge unvollständiger Involution des Ductus omphaloentericus (= Dottergang, die intrauterine Verbindung zwischen Ileum und Nabel).
4 Fehlender Anus, verstrichene Analfalte, evtl. Hautgrübchen anstelle des Anus. 4 Fistelbildung: Stuhlentleerung an anderer Stellen, z. B. Skrotum, Vagina, Urethra, z. T. schwere Harnwegsinfektionen. 4 Isolierte Analstenose: hartnäckige Obstipation mit Beginn in der frühen Säuglingszeit.
Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 1–3%; m>w. Pathophysiologie. In 50% enthält das Meckel-Diverti-
kel Jejunumschleimhaut, in 50% ektope Magenschleimhaut (Gefahr der Ulkusbildung).
268
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Therapie/Prognose. Operativ; langfristige Beeinträch-
tigung durch hohe Inkontinenzrate; bei tiefer Atresie häufiger Kontinenzerhaltung möglich als bei hoher Atresie, da es bei der Operation einer hohen Atresie häufiger zu Schädigung von Beckenbodenmuskulatur und Nerven kommt. 13.2.4 Hernien und Bauchwanddefekte Hernien Definition. Eine Hernie ist der Durchtritt abdomineller Organe (Bruchinhalt), die mit Peritoneum überzogen sind (Bruchsack), durch eine normalerweise vorhandene Pforte (Bruchpforte) bzw. einen Bauchwand- oder Zwerchfelldefekt (. Tab. 13.5). Äußere Hernien wölben sich mit einem Bruchsack durch die Bauchdecke, innere Hernien sind mit einer inneren Bauchfelltasche überzogen.
Leistenhernien Definition/Ätiopathogenese/Epidemiologie.
13
. Abb. 13.4a–e. Beispiele für anorektale Fehlbildungen. a Rektumatresie, b Analatresie mit angelegtem Sphinkter, c Analatresie mit Rektourethralfistel, d Analatresie mit Rektovaginalfistel, e imperforierter Anus mit Fistelöffnung am Damm
Diagnostik. Palpation: rektale Untersuchung; Röntgen: seitlicher Strahlengang bei Hochlagerung der Analregion, Beckenübersichtsaufnahme.
4 Indirekte Leistenhernie: Hernie, die vom inneren Leistenring (lateral der epigastrischen Gefäße) durch den Leistenkanal zum äußeren Leistenring, teils bis ins Skrotum verläuft, häufig angeboren, aufgrund eines nicht obliterierten Processus vaginalis. Tritt häufig beim Schreien und Pressen auf. Häufigkeit: ca. 1–2% aller Kinder, bis zu 30% bei Frühgeborenen, m:w ca. 6:1. 4 Direkte Leistenhernie: Hernie, die auf geradem Weg (medial der epigastrischen Gefäße) durch die Bauchwand (direkt) zum äußeren Leistenring verläuft. Inhalt des Leistenkanals:
4 Beim Jungen: Ductus deferens, A. testicularis, A. ductus deferentis, A. musculi cremasteris, Plexus
. Tab. 13.5. Hernien Hernie
Bruchpforte
Hernie inguinalis
Leistenhernie s. u.
Hernia umbilicalis
Nabelhernie durch den Anulus umbilicalis
Narbenhernie
durch Narben
Spieghel-Hernie
Bruchpforte zwischen Außenrand der Rektusscheide und Linea semilunaris
Littré-Hernie
Meckel-Divertikel im Bruchsack
Rektusdiastase
Verbreiterung der Linea alba auf ganzer Länge ohne Lücke mit Auseinanderweichen der Mm. recti bei Anspannen der Bauchdecke
Besonderheiten
Angeboren oder erworben, neigt zur Inkarzeration
Beim Säugling meist Spontanverschluss, keine Operation notwendig.
269 13.2 · Angeborene Fehlbildungen des Gastrointestinaltrakts
pampiniformis, Fascia spermatica interna, M. cremaster, Fascia spermatica externa, R. genitalis des N. genitofemoralis, Plexus testicularis. 4 Beim Mädchen: Lig. rotundum. Symptomatik. Sichtbare Schwellung in der Leiste. Therapie.
4 Vorsichtige Reposition des Bruchinhalts beim ruhigen Kind. 4 Baldige Operation mit Verschluss der Bruchpforte, Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals, Einengung des inneren Leistenrings, z. B. nach Shouldice, Lichtenstein, Bassini (vgl. Lehrbücher Chirurgie). 4 Bei Komplikationen sofortige Operation.
13
Bruchspalt an der Kardia und dem distalen Ösophagus vorbei in den Thorax. Symptomatik. Die Kontraktion der Zwerchfellschenkel auf Höhe des unteren Ösophagussphinkters ist essenziell für die Aufrechterhaltung des Druckgradienten zwischen Bauchraum und Thorax. Eine Hiatushernie führt häufig zu gastroösophagealem Reflux (7 Kap. 13.3.1). Paraösophageale Hernien sind im Kindesalter selten und neigen zu Ulkusbildung und Einklemmung. Diagnostik.
4 Obere Magen-Darm-Passage: Röntgen-Kontrastdarstellung mit Darstellung der Hiatushernie. 4 Ösophago-Duodenoskopie: Darstellung von Schleimhautveränderungen. Therapie.
Komplikationen.
4 4 4 4
Irreponibilität Inkarzeration Obstruktionsileus Richter-Hernie: nur ein Teil der Darmwand ist eingeklemmt, die Obstruktion fehlt. 4 Ischämie, Nekrose 4 Perforation, Peritonitis > »Indirekte Leistenhernien« mit Austritt von Darm, Netz oder Ovar in den nicht obliterierten Processus vaginalis treten überwiegend im Säuglingsalter auf.
Nabelhernien Definition. Hernie mit einer Bruchpforte am Anulus umbilicalis. Symptomatik. Sichtbare Schwellung, meist keine Be-
schwerden, im Gegensatz zu Leistenhernien inkarzerieren die Nabelhernien bei Kindern nur sehr selten. Therapie. In der Regel Spontanverschluss bis zum 4. Le-
bensjahr; bei großen Hernien und fehlendem Spontanverschluss: operativer Verschluss. Hiatushernie Definition. Durchtritt von Teilen des Magens durch das
Zwerchfell in den Thoraxraum. 4 Gleithernie (axiale Hiatushernie): intermittierende Herniation von Magenanteilen durch den Ösophagusspalt in den Thorax 4 Fixierte Hernie: dauerhafte Herniation 4 Paraösophageale Hernie: Herniation eines Teils des Magenfundus oder des gesamten Magens (»upside-down-stomach«) mit peritonealem Bruchsack durch einen lateral des Ösophagus gelegenen
4 Operative Therapie fixierter Hernien und paraösophagealer Hernien. 4 Gleithernien bilden sich z. T. im Verlauf des 1. Lebensjahrs spontan zurück. 4 Therapie der Ösophagitis mit säuresupprimierenden Medikamenten 7 Kap. 13.3.1. Bauchwanddefekte Omphalozele, Gastroschisis, Zwerchfellhernie 7 Kap. 3. 13.2.5 Funktionelle Bauchschmerzen,
funktionelle Dyspepsie und Reizdarmsyndrom Definition/Symptomatik. Nach den Rom II-Kriterien:
Funktionelle Bauchschmerzen: abdominelle Beschwerden von mindestens 12-wöchiger Dauer ohne Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme, der Menstruation oder der Defäkation: 4 Periumbilikale oder epigastrische Schmerzen <1 h bei den meisten Patienten oder zumindest <3 h. 4 Schmerzen können die Kinder am Einschlafen hindern, wecken sie jedoch nicht auf. 4 Schmerzen nicht an bestimmte Aktivitäten des Kindes gebunden und nicht durch gezielte Maßnahmen zu verbessern. 4 Häufig begleitende Blässe und Übelkeit. 4 Unauffällige köperliche Untersuchung. Irritables Kolon (irritable bowel syndrome, IBS): abdominelle Beschwerden von mindestens 12-wöchiger Dauer in den letzten 12 Monaten mit Besserung nach der Defäkation; Beginn der Beschwerden in Assoziation mit einer Änderung der Stuhlfrequenz und Stuhlfarbe; unauffällige Endoskopie und Histologie.
270
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Epidemiologie. Pävalanz bei Schulkindern ca. 10–25%.
Therapie/Prognose.
Diagnostik. Anamnese; Untersuchungsbefund und kleines Laborprogramm zum Ausschluss von Alarmsymptomen und -befunden (7 Kap. 13.1.2).
4 altersgerecht normale Kost 4 Meidung exzessiver Zufuhr von Fruchtsäften (Fruktose) 4 die Symptome verschwinden ohne spezifische Therapie, häufig jedoch erst nach Monaten.
Therapie. Eltern und Kindern muss die Angst vor einer Organerkrankung genommen und das Konzept der angeborenen oder erworbenen Vulnerabilität des Darms vermittelt werden. Eine Verstärkung durch die Umgebung (Eltern, Lehrer, Ärzte) sollte vermieden werden.
13.2.8 Funktionelle Obstipation
13.2.6 Dreimonatskoliken
Definition. Stuhlretention infolge unvollständiger Stuhl-
entleerung (<3-mal/Woche über einen Zeitraum >2 Monate) ohne Nachweis einer organischen Erkrankung. Ätiopathogenese.
Definition/Ätiologie. Bauchkoliken mit Beginn typi-
scherweise ab der 2. Lebenswoche und Höhepunkt um die 6. Lebenswoche. Die Ätiologie ist ungeklärt, möglicherweise sind die Koliken Symptom einer unreifen intestinalen Motorik; Verstärkung durch große Trinkmengen oder Aerophagie. Abklingen meist gegen Ende des 3. Lebensmonats. Differenzialdiagnostische Abgrenzung von organischen Erkrankungen (z. B. Nahrungsmittelallergien).
4 Stuhlverhalt wegen schmerzhafter Defäkation durch perianale Läsionen, schmerzhafte Analrhagaden 4 Psychische Ursachen 4 Fehlernährung Kinder halten, nicht selten aufgrund schmerzhafter Defäkationserfahrungen, aktiv Stuhl zurück, was zur Verstärkung des Kreislaufs »harter, großkalibriger Stuhl – schmerzhafte Entleerung – Vermeidung des Stuhlgangs« führt.
Symptomatik.
4 Schreien während und nach der Mahlzeit, Gesamtschreidauer ca. 3–6 h/Tag. 4 Geblähtes Abdomen 4 Gutes Gedeihen, keine Alarmsymptome
13
Symptomatik.
4 Verminderte Stuhlfrequenz, harte, großkalibrige Stühle 4 Evtl. Bauchschmerzen und schlechter Appetit
Therapie. Keine spezifische Therapie erforderlich; Ent-
Diagnostik.
lastung der häufig erschöpften Eltern und Aufklärung über die Harmlosigkeit des Symptoms.
4 Anamnese: Ernährung, Stuhlprotokoll 4 Körperliche Untersuchung: tastbare Skybala, »Raumforderungen« im Unterbauch tastbar 4 Anale und rektale Untersuchung: Verletzungszeichen, stuhlgefüllte Ampulle 4 Ggf. anorektale Manometrie, Rektumbiopsie, Kolonkontrasteinlauf, Rektoskopie oder Sigmoidoskopie, Defäkographie
13.2.7 Irritabler Darm des Kleinkindes Definition. So genannte »Krabbler-Diarrhoe«, Auftre-
ten typischerweise zwischen dem 9. und 36. Lebensmonat.
Komplikationen. Symptomatik.
4 Stuhlunregelmäßigkeiten mit wechselnd wässrigen, schleimigen und normal geformten Stühlen mit unverdauten Bestandteilen (»carrots and peas stools«) 4 gutes Gedeihen, keine Zeichen einer Malabsorption (Steatorrhoe, Gedeihstörung, Anämie), keine allgemeine Krankheitszeichen oder Bauchschmerzen 4 häufig Beginn nach einer Gastroenteritis
4 Sekundäre Überdehnung des Enddarms, Ausbleiben des Defäkationsdrangs. 4 Überlaufenkopresis: weicher Stuhl schiebt sich an harten Stuhlballen der Ampulle vorbei und entleert sich unbemerkt in die Unterwäsche, »Schmierstuhl«. 4 Sekundäre Enuresis durch Verdrängung der Blase. 4 Störung der psychosozialen Entwicklung, sekundäre Verhaltensauffälligkeiten.
271 13.3 · Motilitätsstörungen
Therapie.
4 Allgemeine Maßnahmen: faserreiche Kost (Vollkornprodukte, Obst, Gemüse), ausreichende Trinkmenge, Toilettentraining: routinemässiger Toilettengang für ca. 5 min nach den Hauptmahlzeiten. 4 Weichhalten des Stuhls mit Polyethylenglycol (p. o). 4 Nur bei schwerer Impaktion initial Sorbitklysmen oder hohe Einläufe mit Koloskopielösung zur Entleerung der Stuhlimpaktion, ggf. in Sedierung, um eine Traumatisierung zu vermeiden. 4 Evtl. begleitende Gesprächstherapie bei schwerer psychischer Belastung. > Eine Obstipation sollte wegen drohender Folgeprobleme möglichst früh und konsequent behandelt werden.
13.3
Motilitätsstörungen
13.3.1 Gastroösophageale Refluxkrankheit
13
4 Ältere Kinder: 5 Sodbrennen, saures Aufstoßen, epigastrische Schmerzen 5 Regurgitation, Heiserkeit 5 z. T. pulmonale Symptome mit chronischem, oft nächtlichem Husten und rezidivierenden Pneumonien (z. T. alleiniges Symptom) Diagnostik.
4 24-h-pH-Metrie: v. a. bei Kindern mit pulmonalen Symptomen, sensitivste Methode zum Nachweis pathologischer Refluxperioden 4 ÖGD: Bestimmung des Schweregrades der Ösophagitis, Biopsien aus Duodenum, Magen und Ösophagus zum Ausschluss anderer Grunderkrankungen (sekundäre Refluxkrankheit, z. B. Nahrungsmittelallergie, Zöliakie) 4 Sonographie: evtl. Versuch einer sonographischen Darstellung des Refluxes 4 Obere MDP: Nachweis von Hiatushernien, Stenosen, Malrotation und Magenentleerungsstörungen
Definition.
4 Pathologischer Reflux: häufige Refluxperioden oder zu langes Verbleiben des Refluxats in der Speiseröhre. 4 Gastroösophageale Refluxkrankheit (GÖRK): Reflux mit organischen Läsionen (z. B. Ösophagitis, Aspirationspneumonien, Laryngitis) oder Symptomen (z. B. Schmerzen, Gedeihstörung, chronischer Husten, Heiserkeit).
Komplikationen.
4 Rezidivierende Aspirationspneumonien 4 Gedeihstörungen, Eisenmangelanämie bei chronischer Blutung 4 Narbige Strikturen, Stenosen 4 Barrett-Ösophagus: Verlagerung der Epithelgrenze von Platten- und Zylinderepithel nach oben in den distalen Ösophagus Therapie.
GÖRK – Risikofaktoren 4 4 4 4
Häufiges Spucken im Säuglingsalter Zustand nach Ösophagusatresie Angeborene oder erworbene Hiatushernie Allgemeinerkrankungen: chronische Lungenerkrankung (Asthma, zystische Fibrose), Zerebralparese oder andere schwere zerebrale Störungen, ausgeprägte Skoliose, Nahrungsmittelallergien
Symptomatik. Die Symptomatik ist variabel und vom
Alter des Kindes abhängig: 4 Säuglinge und zerebralparetische Kinder: 5 Unruhe, v. a. im Liegen 5 Schmerzäußerung bei den Mahlzeiten oder beim Aufstoßen 5 Vermehrtes Erbrechen 5 Verweigerung der Nahrungsaufnahme 5 Gedeihstörung 5 Hämatinfäden im Gespuckten (Spätzeichen)
4 Vermehrt spuckende Säuglinge in den ersten 6 Monaten: Abwarten, Oberkörperhochlagerung, häufige, kleine Mahlzeiten, evtl. Andicken der Flaschenmahlzeit mit Johannisbrotkernmehl bis mit Reifung der Sphinktermechanismen bis zum 2. Lebensjahr eine Besserung eintritt, evtl. Versuch mit allergenfreier Milch; bei älteren Kindern Meiden von Koffein, starken Gewürzen. 4 Bei nachgewiesener Ösophagitis: Säuresuppressive Therapie mit Protonenpumpenhemmern (z. B. Omeprazol) oder (selten) H2-Rezeptorantagonisten (z. B. Ranitidin). 4 Bei großer Hernie, wiederholten Aspirationen und häufigen Rezidiven evtl. chirurgische Therapie jenseits des 2. Lebensjahres (z. B. partielle Fundoplikatio). > Die Indikation zur Antireflux-Operation im Kindesalter sollte zurückhaltend gestellt werden, da postoperativ häufig Komplikationen (z. B. Dumping) auftreten.
272
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
13.3.2 Achalasie Definition. Gestörte Funktionen der Neuronen im
Plexus myentericus des Ösophagus mit fehlender oder unvollständiger Relaxation des unteren Ösophagussphinkters beim Schlucken. Es gibt angeborene und erworbene Formen, im Kindesalter u. a. Auftreten im Rahmen des Triple-A-Syndroms (Alakrimie, Achalasie, adrenale Insuffizienz). Symptomatik.
4 Zunehmende Dysphagie, zunächst für feste Speisen, später auch für Getränke 4 Regurgitation nicht angedauter Speisen 4 Retrosternale Schmerzen, nächtliche Aspirationen 4 Gewichtsverlust, Gedeihstörung Diagnostik.
4 Ösophagusmanometrie: Nachweis fehlender Relaxation, erhöhter Tonus des unteren Ösophagussphinkters 4 Obere MDP: weitgestellter, nach unten spitz zulaufender Ösophagus (Vogelschnabelzeichen) 4 Ösophago-Gastroskopie: Ausschluss anderer Ursachen 4 Röntgen-Thorax: Mediastinalverbreiterung, Megaösophagus mit Flüssigkeitsspiegel Therapie.
13
4 Medikamentös: Nifedipin (Calciumantagonist) 4 Interventionell: Ballondilatation, falls erfolglos operative Myotomie des unteren Sphinkters nach Heller mit Hemifundoplikatio
Symptomatik.
4 Leitsymptom: schwallartiges Erbrechen großer Mengen meist angedauter, säuerlich riechender Nahrung. 4 Metabolische Alkalose durch Hypochlorämie, Gedeihstörung, Exsikkose. 4 Nach dem Trinken vorgewölbter Magen und sichtbare Peristaltik durch die Bauchwand, z. T. olivgroßer Tumor rechts oberhalb des Nabels tastbar (verdickter Pylorus). 4 Angespannte Mimik. Diagnostik.
4 Labor: metabolische, hypochlorämische Alkalose, Hypokaliämie. 4 Sonographie: Durchmesser des äußeren Pylorus >4 mm, Pyloruskanal >14 mm verlängert, typische »Pyloruskokarde«. 4 Obere MDP (in unklaren Fällen): verzögerte Kontrastmittelpassage. > Wichtige Differenzialdiagnose zur hypertrophen Pylorusstenose: adrenogenitales Syndrom (AGS), dabei jedoch hyperkaliämische Alkalose.
Differenzialdiagnose.
4 4 4 4 4
AGS Hirndruck Pyelonephritis, Sepsis, Duodenalstenose, Pancreas anulare, Malrotation Kuhmilchproteinintoleranz
Therapie/Prognose.
4 Eingeschränkt, da hohe Rezidivrate 4 Postoperativ häufig Entwicklung eines gastroösophagealen Refluxes 4 Erhöhtes Risiko für ein Ösophaguskarzinom
4 Präoperative Rehydrierung und Elektrolytausgleich. 4 Operative Längsspaltung der hypertrophen Ringmuskulatur des Pylorus ohne Verletzung der Schleimhaut (Pylorotomie nach Weber-Ramstedt). 4 Postoperativ gutes Gedeihen.
13.3.3 Pylorushypertrophie
13.3.4 Ileus und Invagination
Definition. Ätiologisch ungeklärte, postnatale Hypertrophie der Ringmuskulatur des Pylorus mit zunehmender Obstruktion des Pylorus und dem Leitsymptom schwallartiges Erbrechen.
Definition. Störung bzw. Stopp der Darmpassage auf-
Prognose.
Epidemiologie.
4 Häufigkeit: ca. 1:800 4 Häufigkeitsgipfel zwischen 2. und 15. Lebenswoche 4 In 5% familiär, m:w=5:1
grund einer Verlegung des Darmlumens (mechanischer Ileus) oder einer gestörten Peristaltik (paralytischer Ileus).
273 13.3 · Motilitätsstörungen
Ätiopathogenese. . Tab. 13.6. . Tab. 13.6. Ursachen eines Ileus im Kindesalter Mechanisch
Paralytisch
4 Briden 4 Inkarzerierte Hernie 4 Duplikatur, MeckelDivertikel 4 Malrotation, Volvulus 4 Invagination 4 Tumoren, Polypen, Bezoar 4 Stenosen bei Morbus Crohn 4 Mekoniumileus bei Mukoviszidose 4 Angeborene Atresien und Stenosen 4 Pancreas anulare 4 A. mesentericaSyndrom
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
4 4
Peritonitis Enteritis Pankreatitis Diabetische Ketoazidose Hypokaliämie Morbus SchoenleinHenoch Trauma, Schock, postoperativ Neuropathien und Myopathien des Darms Nieren- oder Gallensteinkolik Stoffwechselerkrankungen (z. B. organische Azidämien) Schwere Infektionen (Enterokolitis, Sepsis u. a.) Medikamente
13
Komplikationen. Gefahr einer ausgedehnten Wandschädigung mit Perforation und Durchwanderungsperitonitis. Therapie. Abhängig von der Ursache: 4 Konservativ: Nahrungskarenz, Entlastung durch Einläufe (z. B. Mekoniumileum, Invagination), Legen einer großkalibrigen Magenablaufsonde, i. v. Flüssigkeitssubstitution. 4 Operativ: bei Versagen der konservativen Therapie und bei anderer Ursache (z. B. Volvulus, inkarzerierte Hernie): sofortige Operation.
Paralytischer Ileus Definition. Störung bzw. Stopp der Darmpassage aufgrund verminderter Motilität. Symptomatik.
4 Diffus schmerzhaftes Abdomen 4 Auskultatorisch nur spärliche oder gar keine Darmgeräusche hörbar (»Totenstille«) Diagnostik. 4 7 Kap. Mechanischer Ileus.
Mechanischer Ileus Definition. Störung bzw. Stopp der Darmpassage aufgrund einer mechanischen Obstruktion des Darmlumens. Symptomatik.
4 Krampfartige Schmerzen. 4 Erbrechen, oft gallig oder mit Stuhl kontaminiert. 4 Abdomen druckschmerzhaft und gebläht, meist kein Abgang von Stuhl und Luft. Diagnostik.
4 Klinische Untersuchung: Narben, Hernien, Walzen, Abwehrspannung, rektale Untersuchung; Auskultation: hochgestellte, klingende Darmgeräusche. 4 Labor: Entzündungsparameter, Elektrolyte, BGA, Leber- und Nierenwerte, Blutgruppe, Kreuzblut, Urinstatus. 4 Sono Abdomen: Nachweis freier Luft, Flüssigkeitsspiegel, Aszites, Wanddicke und Motilität der Darmschlingen, Kokarden (zum Ausschluss Invagination), Ausschluss Malrotation, nephrogene Schmerzen. 4 Röntgen Abdomen (Rücken- und Linksseitenlage oder im Stehen): abnorme Luftverteilung, prästenotisch erweiterte Darmschlingen, Flüssigkeitsund Luftspiegel. 4 Röntgen Thorax: freie Luft unter dem Zwerchfell als Hinweis auf Perforation.
4 Röntgen Abdomen: zahlreiche, gleichmäßig verteilte Luft-Flüssigkeitsspiegel ohne ausgeprägte Erweiterung des Darmlumens. Therapie.
4 Kausale Therapie, hohe Einläufe, Darmrohr. 4 7 Kap. Mechanischer Ileus. Invagination (Sonderform des Ileus) Definition. Einstülpung eines proximalen Darmabschnitts in ein distal gelegenes Segment, meist ileokolisch, selten ileoileal oder kolokolisch lokalisiert. Gestörter venöser Rückfluss, Schwellung und Blutung der Schleimhaut, Darmwandnekrose und drohende Perforation mit Peritonitis. Epidemiologie. Manifestationsgipfel: 3.–24. Lebensmonat, m:w = 3:1. Ätiopathogenese.
4 Idiopathisch 4 Selten finden sich Polypen, Meckel-Divertikel oder ein Lymphosarkom als Kopf des Invaginats, begleitend werden z. T. Enteritiden oder Lymphadenitis mesenterialis mit gestörter Darmmotilität beobachtet. 4 Gehäuft bei Mukoviszidose.
274
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Symptomatik.
Symptomatik.
4 Ein gesundes Kind schreit plötzlich schrill auf, erbricht und zeigt durch Unruhe oder Schreien intermittierende Schmerzen an, zwischen den Attacken sind die Patienten meist auffällig ruhig und apathisch. 4 Blutige Stühle.
4 Verzögerter Mekoniumabgang (>24–48 h) 4 Chronische Obstipation, Ileus, Subileus 4 »Bleistiftstühle«, z. T. explosionsartige Stuhlentleerungen, z. T. Erbrechen 4 Starke Erweiterung der proximalen Darmabschnitte durch Stuhlaufstau (Megakolon); bereits in den ersten Lebenstagen: aufgetriebenes Abdomen 4 Gedeihstörung 4 Manifestation z. T. erst nach dem Abstillen oder später (z. B. bei sehr kurzem aganglionären Segment).
Diagnostik.
4 Palpation: tastbare Resistenz im rechten Oberbauch, rektale Untersuchung: Blut am Fingerling. 4 Sonographie: »schießscheibennartige« Figur aus verdickter Darmwand und Invaginat. 4 Röntgen-Abdomen: bei ileokolischer Invagination: luftleeres rechtes oberes Abdomen und Zeichen eines Dünndarmileus. ! Bei Invagination können blutige Stühle, die meist ein Spätsymptom darstellen, zur Fehldiagnose Gastroenteritis führen.
Therapie.
4 Bei frischer Invagination <48 h: Versuch einer Reposition mittels hydrostatischem Druck: unter Druck wird Luft oder Flüssigkeit rektal ins Kolon eingebracht, Beobachtung der Reposition unter Röntgendurchleuchtung oder mit Ultraschall. 4 Bei Misslingen oder Zeichen einer Peritonitis oder Perforation: Operation.
13
Diagnostik.
4 Rektale Untersuchung: hoher Sphinktertonus, leere Rektumampulle, stuhlgefülltes Abdomen. 4 Rektum-Saugbiopsie: fehlende intramurale Ganglienzellen, enzymhistochemisch vermehrter Nachweis Acetylcholinesterase-positiver Nervenfasern. 4 Rektum-Manometrie: fehlender Relaxationsreflex des Sphincter internus nach rektaler Dehnung. 4 Kolonkontrasteinlauf ohne vorheriges Abführen: Bestimmung der Länge des aganglionären Segments. Differenzialdiagnostik.
Definition. Agangliose im distalen Segment des Darms mit fehlender Relaxation, Engstellung des betroffenen Darmstücks und gestörtem Stuhltransport, sowie sekundärer Dilatation der prästenotischen Darmstücke.
4 Sekundäres Megakolon: wird auch bei schwerer Obstipation und anderen Passagestörungen beobachtet, in diesen Fällen fehlt jedoch das enge Segment. 4 Kongenitales Mikrokolon 4 Chronisch habituelle Obstipation 4 Obstipation im Rahmen von Allgemeinerkrankungen: z. B. Mukoviszidose, Hypothyreose. 4 Megakolon durch Stenosen, neuronale intestinale Dysplasie. 4 Sonstige Ileusursachen 7 Kap. 13.3.4
Epidemiologie.
Komplikation. Toxisches Megakolon mit septischem
4 Häufigkeit 1:5 000, m>w; 4:1 4 In 75% beschränkt sich die Agangliose auf Rektum und Sigmoid, in 8% ist der gesamte Dickdarm betroffen, selten sind auch Teile des Dünndarms betroffen.
Verlauf und Gefahr der Perforation.
13.3.5 Morbus Hirschsprung
Ätiopathogenese.
4 Genetische Störung, autosomal-dominant- (RETGen) oder autosomal-rezessiv vererbt (EndothelinB-Gen), nur bei <10% der Patienten ist eine Mutation nachweisbar. 4 Gestörte pränatale Migration und Zellreifung des enterischen Nervensystems aus dem Vagussegment der Neuralleiste.
Therapie. Operative Resektion des aganglionären Segments, ggf. Anus praeter Anlage. > Bei schwerer Obstipation oder Subileus in der Neonatalzeit muss möglichst rasch ein Morbus Hirschsprung ausgeschlossen oder bewiesen werden, um lebensbedrohliche Komplikationen zu vermeiden.
275 13.4 · Akut entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
13.4
Akut entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
13.4.1 Akute Gastroenteritis durch
Bakterien und Viren Epidemiologie. Häufigste pädiatrische Infektionser-
krankung nach den Atemwegsinfektionen. Ätiopathogenese. Meist viral, seltener bakteriell oder
parasitär bedingt (. Tab. 13.7); 30–50% aller Enteritiden bleiben ätiologisch ungeklärt. Es kommt zur Invasion der Darmschleimhaut (v. a. bei Viren, Amöben, Salmonellen, enteroinvasiven E. coli) und/oder zur Toxinbildung (v. a. bei Vibrio cholerae und enterotoxinbildende E. coli). Viren werden von den Enterozyten aufgenommen, vermehren sich in der Wirtszelle und zerstören diese. Durch die Freisetzung der intrazellulären Viren werden weitere Enterozyten infiziert. Häufig entstehen Schleimhautschäden. Bei Bakterien ist v. a. die rezeptorvermittelte Adhäsion an der Schleimhaut mit Kolonisation, Invasion und Toxinbildung relevant. > Die häufigsten Durchfallerreger im Säuglings- und Kleinkindesalter sind Rotaviren, sie treten saisonal gehäuft v. a. in den Wintermonaten auf. Effektive Prävention durch Rotavirus-Impfung.
Symptomatik. Häufig in Kombination mit Symptomen
einer Atemwegsinfektion: 4 Erbrechen, Fieber 4 Wässrige, z. T. blutige oder schleimige Durchfälle 4 Dehydratation (. Tab. 13.8)
13
. Tab. 13.7. Häufigkeit verschiedener Erreger bei Gastroenteritis im Kindesalter Erreger
Häufigkeit (%)
Viren Rotaviren Enteroviren Adenoviren Norwalkviren
30–50 5–15 5–10 3–5
Bakterien und Parasiten Enteropathogene E. coli Salmonellen Seltene Erreger* Unbekannt
5–10 5–10 5–10 30–50
* Seltene Erreger sind: Koronaviren, Shigellen, Amöben, Campylobacter jejunii, Yersinia enterocolitica, Clostridium difficile, Lamblien, Kryptosporidien.
! Aufgrund von Bikarbonatverlusten im Darm kann es bei Gastroenteritis zu einer schweren metabolischen Azidose kommen.
Diagnostik.
4 Vor Therapie Wiegen des unbekleideten Kindes. 4 Bestimmung des Schweregrades der Dehydratation (. Tab. 13.8). 4 Nur bei mittlerer oder schwerer Dehydratation: Bestimmung von Säurebasenhaushalt, Elektrolyten, Nierenwerten und Blutbild. 4 Erregernachweis aus dem Stuhl nur bei schweren Allgemeinsymptomen, blutigen Durchfällen, bei Epi- oder Endemien, bei Erkrankungen institutionalisierter oder immunkompromittierter Patienten und nach Aufenthalt in den (Sub)tropen.
. Tab. 13.8. Schweregrade der Dehydratation Schweregrad
Klinik
Labor
Leicht Flüssigkeitsverlust <5% des Körpergewichts (KG)
Gering, vermehrter Durst, evtl. trockene Schleimhäute
Elektrolyte und pH meist normal
Mittel Flüssigkeitsverlust 5–10% des KG
Durst, Oligurie, reduzierter Hautturgor, Schleimhäute trocken, Fontanelle eingesunken
Harnstoff und Kreatinin normal bis ↑ Natrium und Chlorid normal bis ↑ Hämatokrit ↑ pH normal bis ↑
Schwer Flüssigkeitsverlust >10% des KG
Anurie, Schock, schrilles Schreien, Bewusstseinstrübung, stehende Hautfalten, häufig eingesunkene Augäpfel, hohes Fieber, Azidose, Tachykardie, Tachypnoe, RR ↓
Harnstoff und Kreatinin ↑ Natrium und Chlorid ↑ Hämatokrit ↑ pH ↑ Glukose ↑
276
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Therapie. > Patienten mit leichter oder mittelschwerer Dehydratation sollen oral rehydriert werden, bei starkem Brechreiz ggf. über eine nasogastrale Sonde. Die orale Rehydrierung ist effektiver und hat weniger Komplikationen als eine i. v. Rehydrierung.
Symptomatische Therapie:
13
4 Orale Rehydratation: 5 Isoosmolare Rehydratationslösung (ORL) (in mmol/l): Na: 60, K: ≥20, Cl: >25, Citrat: 10, Glukose: 74–111, Osmolarität 200–250. Die intestinale Wasserresorption wird durch die Kombination von Natrium und Glukose aufgrund des gekoppelten Natrium-Glukose-Wasser Transports zusätzlich gefördert. Bei Brechreiz kontinuierliche Gabe z. B. durch Löffeln kleiner Mengen (2–5 ml) alle 2 min. 5 Binnen 6 h nach Beginn der oralen Rehydratation Realimentation mit normaler Nahrung (bei Säuglingen Milchnahrung), zusätzlich Ersatz der weiteren Verluste durch ORL. 5 Gestillte Kinder werden von Beginn zusätzlich angelegt. 5 Stationäre Aufnahme nur bei (mittlerschwerer oder) schwerer Dehydratation 5 Antibiotische Therapie nur bei septischen Krankheitsverläufen, bakteriellen Enteritiden bei Säuglingen <4 Monaten, Kindern mit schwerer Grunderkrankung oder Immundefizienz, Typhus, Cholera, Amöbiasis und Shigellosis. 4 Parenterale Rehydratation: 5 Nur in schweren Fällen bei Schock, Bewusstseinstrübung und Kindern mit unstillbarem Erbrechen. 5 Kalium wird erst nach Urinproduktion substituiert. ! Wenn eine schwere Hyponatriämie durch Infusion natriumreicher Lösungen i.v. ausgeglichen werden muss, darf der Ausgleich nur langsam erfolgen. Bei zu schnellem Anstieg des Serumnatriumspiegels besteht die Gefahr der Entwicklung eines Gehirnödems und einer zentralen pontinen Myelinolyse mit letalem Verlauf.
4 Realimentation: 5 Eine frühe orale Realimentation binnen 6 h nach Beginn der Rehydratation ist wichtig für die Regeneration der geschädigten Darmschleim (Enterozyten beziehen Energie und Subtrate überwiegend aus dem Lumen). 5 Säuglinge erhalten zur Realimentation die Milchnahrung, die sie auch vor Beginn des Durchfalls
erhalten haben (Muttermilch oder Säuglingsnahrung). 5 Ältere Kinder: Nahrungsaufbau mit komplexen Kohlenhydraten (Zwieback, Reisschleim, Salzstangen, Weißbrot, Kartoffelbrei), baldige Umstellung auf Normalkost. ! Nach einer bakteriellen Enteritis kann über Wochen bis Monate eine Überempfindlichkeit des Magendarmtraktes mit postprandialen Bauchschmerzen persistieren.
Komplikationen.
4 Dehydratation, metabolische Azidose. 4 Postenteritisches Syndrom: keine ausreichende Erholung nach der akuten Phase. Die meist schleimig-wässrigen Durchfälle persistieren länger als 2 Wochen (chronischer Durchfall), es kommt zur Gedeihstörung. Häufig bei Kindern in Entwicklungsländern. Prophylaxe durch frühe Rehydratation und Realimentation ohne unangemessene diätetische Restriktionen. > Bei der akuten Gastroenteritis sind die frühe orale Rehydratation über 6–8 h und die anschließende zügige Realimentation die wichtigsten Maßnahmen, um akute Komplikationen wie Dehydratation, Elektrolytentgleisung, Krampfanfälle und Spätfolgen wie postenteritisches Syndrom und Gedeihstörung zu vermeiden.
13.4.2 Helminthosen und
Protozoeninfektionen Oxyuriasis (Enterobiasis) Definition. Infektion mit Oxyuren (Enterobius vermicularis, Madenwürmer), 5–10 mm lange, fadenförmige, weißliche Parasiten. Ätiopathogenese. Orale Aufnahme der Wurmeier, die dann im Duodenum und Dünndarm in einem 5- bis 12-wöchigen Zyklus heranreifen. Die Weibchen legen nachts Eier in der Perianalregion ab und verursachen Pruritus, durch Kratzen mit den Fingern und durch kontaminierte Wäsche kommt es zu Reinfektion. ! Oxyuriasis ist hoch infektiös.
Symptomatik. Leitsymptom: analer Juckreiz, meist
einziges Symptom. Diagnostik. Erregernachweis: Nachweis der Würmer
auf frischem Stuhl oder auf einem nachts/morgens perianal aufgeklebten Tesafilmstreifen.
277 13.4 · Akut entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
Therapie.
4 Mebendazol über 3 Tage. 4 Mitbehandlung von Kontaktpersonen, Körperhygiene (Händewaschen, Kürzen der Fingernägel), Umgebungssanierung (häufiger Wechsel von Schlafbekleidung und Bettwäsche). 4 Wiederholung der Therapie nach 2–4 Wochen (Reinfektionsgefahr, zudem wirkt die Therapie nur gegen adulte Wümer, nicht gegen Larven).
13
Rinderbandwurm (Taenia saginata) Definition. Infektion mit Taenia saginata. Ätiopathogenese. Aufnahme der Finnen bei Genuss
Askariasis Definition. Infektion mit dem Spulwurm (Ascaris lumbricoides).
von rohem oder ungenügend gekochtem Rindfleisch, die im Dünndarm zu einem mehrere Meter (bis 10 m) langen, in Proglottiden gegliederten Wurm heranwachsen. Die eiertragenden Proglottiden lösen sich ab und werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Die Eier werden vom Rind als Zwischenwirt aufgenommen, wandern im Rind über die Darmwand in die Gefäße und in die Muskulatur, wo die Finnenbildung (Einkapselung) stattfindet.
Ätiopathogenese. Aufnahme der Eier des Spulwurms
Symptomatik. Symptomatik meist diskret; gelegentlich
mit der Nahrung (v. a. über mit Fäkalien gedüngtes Gemüse), die Larven schlüpfen im Dünndarm, durchbohren die Darmwand und gelangen über den Blutweg in die Lunge. Dort passieren sie die Alveolarwand und wandern über das Bronchialsystem nach proximal, wo sie wieder verschluckt werden und in den Darm gelangen. Dort wachsen sie zu geschlechtsreifen Würmern heran. Die Eier werden mit dem Stuhl ausgeschieden, reifen im Freien und werden erneut mit der Nahrung aufgenommen.
Gewichtsverlust, Bauchschmerzen, Anämie, Myalgien, Vitamin B12-Mangel.
Symptomatik.
4 Symptomatik meist diskret. 4 Die Lungenpassage der Erreger kann eosinophile Infiltrate hervorrufen (Löffler-Infiltrate), Husten und Fieber. 4 Bei starkem Befall: Bauchschmerzen, Gewichtsabnahme, selten Obstruktionsileus, »Nabelkoliken«, Übelkeit.
Differenzialdiagnose. Schweinebandwurm (Taenia solium): ca. 3 m langer Wurm, kürzere Proglottiden. Zwischenwirt: Schweine. Ansiedeln der Finnen v.a. in Muskeln, Zwerchfell, Herz oder Gehirn (Zystizerkose), häufig neurologische Symptome. Therapie. Niclosamind, Praziquantel oder Mebendazol.
Echinokokkose Definition. Infektion mit dem Larvenstadium des Hundebandwurms (E. granulosus) oder des Fuchsbandwurms (E. multilocularis). Ätiopathogenese. Infektion über Nahrungsmittel (Beeren, Pilze), die mit Fäkalien vom infizierten Hund oder Fuchs kontaminiert sind. Zystenbildung in Leber, Lunge und anderen Organen.
Diagnostik.
4 Erregernachweis: Würmer im Stuhl (männliche Würmer bis 20 cm, weibliche bis 40 cm), Nachweis der Eier in der obersten Schicht einer »Stuhlaufschwemmung«. 4 Röntgen-Thorax: evtl. eosinophiles Infiltrat (Löffler). 4 Labor: charakteristische Eosinophilie. Therapie.
4 Mebendazol (über 3 Tage), Albendazol (über 3 Tage) oder Pyrantelembonat (einmalig). 4 Wiederholung der Therapie nach 2 Wochen, da sie nur gegen adulte Würmer wirkt, nicht gegen Larven. Prophylaxe. Gründliches Waschen von Rohkost.
Symptomatik.
4 Lange Inkubationszeiten: Monate bis Jahre 4 Zystenbildung v. a. in der Leber (rechter Leberlappen) und in der Lunge, z. T. Verkalkungen. 4 E. granulosus: vereinzelte, große, gut abgegrenzte Zysten. 4 E. mulitlocularis: multiple, kleine, infiltrativ wachsende Zysten. 4 Häufig asymptomatisch und Zufallsbefund (Sonographie) oder durch Verdrängung symptomatisch: z. B. cholestatischer Ikterus, Dyspnoe. 4 Bei Zystenruptur Erregeraussaat und evtl. akute allergische Reaktion bis hin zum anaphylaktischen Schock.
278
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Diagnostik.
4 Bildgebung: Sonographie-Abdomen, MRT, CT 4 Labor: Serologie: Nachweis spezifischer Antikörper, evtl. Transaminasen ↑, Eosinophilie Therapie.
Diagnostik.
4 Operative Entfernung isolierter Zysten im gesunden Gewebe, intraoperativ muss eine Zystenruptur unbedingt vermieden werden (Erregeraussaat). 4 Antiparasitäre Therapie bei inoperablen Patienten und perioperativ: Mebendazol oder Albendazol für einige Monate, evtl. mehrer Therapiezyklen.
4 Klinische Untersuchung: lokalisierter Druckschmerz im rechten Unterbauch (Mc Burney-, Lanz-Punkt); Blumberg-Zeichen: Klopf- und Loslassschmerz auf der Gegenseite; Psoaszeichen: Schmerzen im Unterbauch beim Anheben des rechten Beins; Rovsing-Zeichen: Schmerzen beim Ausstreichen des Dickdarms in Richtung Zoekum; rektale Untersuchung: Druckempfindlichkeit rechts (Douglas-Schmerz); häufig: axillär-rektale Temperaturdifferenz >1°C (nicht obligat). 4 Labor: mäßige Leukozytose und leichte CRP-Erhöhung, Urinstatus zum Ausschluss Harnwegsinfektion. 4 Sonographie: verdickte Appendix, nicht komprimierbar, lokal freie Flüssigkeit, Kokarde.
13.4.3 Appendizitis Definition. Entzündung des Wurmfortsatzes (Appen-
dix). Ätiologie/Epidemiologie. Obstruktion der Appendix
durch Lumenverlegung z. B. durch Schleimhautschwellung, impaktierten Darminhalt, Kotsteine, Fremdkörper, Würmer (Askarien, Oxyuren) oder durch Hyperplasie der Lymphfollikel bei intestinalen Infekten. Die Obstruktion bedingt eine Keiminvasion, es entwickelt sich eine seröse, phlegmonöse oder abszedierende Entzündung mit Gefahr der Perforation und der Durchwanderungsperitonitis. Bei Kindern <2. Lebensjahr selten, Häufigkeitsgipfel zwischen 10. und 15. Lebensjahr, familiäre Häufung.
13
4 Chronisch rezidivierende Appendizitis: schwierig zu verifizierende Diagnose und oft Ausschlussdiagnose bei in Schüben auftretenden Schmerzen im rechten Unterbauch.
! Fehldiagnosen sind wegen des oft uncharakteristischen Symptombildes, v. a. beim Kleinkind oder bei atypischer Lage der Appendix nicht selten. Gefahr der Abszessbildung, der Peritonitis und der Perforation. Wenn Zweifel an der Diagnose bestehen, muss das Kind stationär aufgenommen werden und alle 2–4 h klinisch untersucht werden.
Therapie. Chirurgische Appendektomie, laparosko-
pisch oder interventionell.
Symptomatik.
4 Bauchschmerzen, häufig epigastrischer Beginn, dann Wanderung zum rechten unteren Quadranten. 4 Übelkeit und Erbrechen. 4 Anwinkeln des rechten Beins, Vermeidung der Belastung beim Gehen, Einbeinhüpfen rechts nicht möglich. 4 Bei beginnender Peritonitis: diffuser Bauchschmerz, Abwehrspannung.
13.5
Chronisch-entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
13.5.1 Gastritis und peptisches Ulkus Definition/Ätiologie. Eine Entzündung der Magen-
schleimhaut kann bei folgenden Erkrankungen auftreten . Tab. 13.9.
Differenzialdiagnostik.
Gastritis bei Helicobacter-pylori-Infektion
4 Chronische Obstipation 4 Akute Gastroenteritis, Lymphadenitis mesenterialis, Meckel-Divertikel 4 Harnwegsinfektion 4 Adnexitis, Dysmenorrhoe 4 Entgleisung bei Diabetes mellitus 4 Basale Pneumonie (Schmerzprojektion in den Bauchraum), Hepatitis, Nephrolithiasis, Cholelithiasis.
Definition. Entzündung der Magenschleimhaut auf-
grund einer Infektion mit dem gramnegativen Bakterium Helicobacter pylori. Epidemiologie. Häufigste Ursache einer chronischen Gastritis im Kindes- und Erwachsenenalter. 4 ca. 50% der Weltbevölkerung ist mit Helicobacter pylori infiziert, in Entwicklungsländern ein deutlich höherer Anteil.
279 13.5 · Chronisch-entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
. Tab. 13.9. Ursachen einer Gastritis B-Gastritis (>90%)
Helicobacter pylori
C-Gastritis
Gallereflux
Sekundäre Gastritis
4 Medikamente: NSAR, ASS 4 Noxen: Alkohol 4 Stress, Operationen, Verbrennungen, intensivmedizinische Therapie 4 Morbus Crohn 4 Eosinophilie Gastroenteropathie 4 Infektiös: z. B. Zytomegalievirus 4 Ischämien mit erosiven oder ulzerösen Läsionen (z. B. bei Früh- oder Neugeborenen nach protrahierter oder komplizierter Geburt) 4 Leberzirrhose mit portaler Hypertension (Stauungsgastritis) 4 Atrophische Gastritis mit intestinaler Metaplastie (selten) bei autoimmuner Endokrinopathie oder mit Immundefekt
4 2–3% der Kinder deutscher Eltern sind betroffen, deutlich häufiger bei in Deutschland lebenden Migrantenkindern. 4 Die Infektion erfolgt meist in der frühen Kindheit durch oral-orale oder fäkal-orale Infektion von betroffenen Eltern oder Geschwistern. 4 Ohne Therapie persistiert das Bakterium lebenslang. Symptomatik.
4 Meist symptomfrei. 4 Bei einigen Kindern: dyspeptische Beschwerden oder epigastrische Schmerzen, lokalisierter Druckschmerz im Epigastrium oder im rechten Oberbauch. 4 Bei Ulkus (im Kindesalter seltener als bei Erwachsenen): häufig, aber nicht immer, stärkere postprandiale oder nächtliche Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Eisenmangelanämie. 4 Bei Ulkusblutung: Teerstühle oder plötzlicher Hämoglobinabfall.
4
4 4 4
13
5 Ureaseschnelltest: Nachweis der Ureasetätigkeit des Keims 5 Kultur: zur Bestimmung des Antibiogramms 13C-Atemtest: 5 Gabe von mit dem nichtradioaktiven, stabilen Isotop13C-markiertem Harnstoff, der durch die Urease von HP gespalten wird, sodass in der Ausatemluft vermehrt 13CO2 nachweisbar ist. Stuhltest: Nachweis von HP-Antigen mittels ELISA. Serologie: Nachweis spezifischer IgG-Antikörper (je nach Test weniger zuverlässig, besonders bei jüngeren Kindern). Labor: Anämiediagnostik, Haemoccult.
Therapie.
4 Indikation: HP-Infektion plus Ulkus, Erosionen oder andere Komplikationen, starke Symptomatik und Ausschluss anderer Ursachen der Beschwerden, positive Familienanamnese für Magenkarzinom oder Ulkusleiden. 4 Antibiotische Therapie: Auswahl des Antibiotikums nach Antibiogramm nach kultureller Anzucht des Keims (Dreifachtherapie über 7 Tage – modifizierte Triple Therapie): 5 Protonenpumpenhemmer (Omeprazol) plus 5 2 Antibiotika (Amoxicillin, Clarithromycin oder Metronidazol) 4 Kontrolle des Therapieerfolgs nach 6 Wochen durch einen nichtinvasiven Test (13C-Atemtest oder Stuhltest). Prognose.
4 Bei erfolgreicher Keimeradikation heilen Duodenalulzera problemlos ab (endoskopische Kontrolle nicht notwendig). 4 Ein Ulkusrezidiv nach ausgeheilter Infektion ist sehr selten. 4 Gefahr einer Reinfektion ist auch bei Kindern nach erfolgreicher Eradikation des Keims gering: <3%/ Jahr. Komplikationen. Blutung, Perforation, Strikturen, bei chronischer Helicobakter pylori Gastritis, ggf. maligne Entartung.
13.5.2 Nahrungsmittelallergien
Diagnostik.
4 Endoskopie: 5 Makroskopie: Nodularität der Antrumschleimhaut (»Gänsehautmagen«) 5 Histologie: Keimnachweis durch FISH (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung)
Definition. Allergische Reaktion auf Nahrungsmittel als
Reaktion vom Soforttyp (IgE-vermittelt meist innerhalb von 30–120 min nach Ingestion) oder Spätreaktion (zellulär oder durch Immunkomplexe vermittelt).
280
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Epidemiologie.
4 Häufigkeit: ca. 4–6% aller Säuglinge, ca. 2–3% aller Kinder. 4 Auslösende Allergene u. a. Kuhmilch, Hühnerei, Soja, Weizen, Nüsse, Fisch. Symptomatik. . Tab. 13.10. . Tab. 13.10. Klinik der Nahrungsmittelallergie Organ
Symptome
Haut
Neurodermitis, Urtikaria
Atemwege
Allergische Rhinitis, Asthma bronchiale
Systemisch
Anaphylaxie
Gastrointestinal
Übelkeit, Erbrechen, Ösophagitis, Durchfall mit schleimigen, wässrigen oder blutigen Stühlen, Obstipation, Bauchschmerzen, Schreien, Unruhe, Nahrungsverweigerung, Gedeihstörung
Allergische Sofortreaktion
Periorale Rötung, Schwellung von Lippen, Augenlidern, urtikarielle Hautveränderungen
> Häufigste Nahrungsmittelallergie bei Säuglingen: Kuhmilcheiweißallergie (Inzidenz: 4–6% aller Säuglinge).
Diagnostik.
13
4 Auslassversuche: Verschwinden der Symptome unter Allergenkarenz, Reproduzierbarkeit der Symptome bei Allergenbelastung (Doppelblindversuche). 4 Nachweis einer allergischen Sensibilisierung: Prick-, Patch-Test, RAST (eingeschränkte Sensitivität und Spezifität). Therapie.
4 Konsequente Allergenkarenz 4 Kuhmilcheiweißallergie: Nicht-gestillte Säuglinge mit Kuhmilcheiweißallergie erhalten eine Milchnahrung mit hochgradig gespaltenem (extensiv hydrolysiertem) Eiweiß, sehr stark sensibilisierte Kinder erhalten eine Milch mit kristallinen Aminosäuren. Bei vollgestillten Säuglingen treten gelegentlich allergische Reaktionen gegen in die Muttermilch übergehende Fremdeiweiße aus der mütterlichen Nahrung auf → ggf. Versuch einer kontrollierten Eliminationsdiät bei der stillenden Mutter. Streng kuhmilcheiweißfreie Beikost. Prognose.
4 Kuhmilcheiweißallergien bei Säuglingen verlieren sich meist innerhalb der ersten 2 Lebensjahre →
ärztlich überwachte Wiederbelastung (Cave: Gefahr anaphylaktischer Reaktion). 4 Allergien gegen Erdnuss, Weizen, Fisch und Schalentiere bestehen meist lebenslang. 13.5.3 Zöliakie – glutensensitive
Enteropathie Definition. Genetisch determinierte, durch die Zufuhr von Gluten (Gliadin = Bestandteil des Glutens) ausgelöste, chronische Systemerkrankung mit immunologisch vermitteltem Umbau der Dünndarmschleimhaut mit Zottenatrophie, Kryptenelongation und Malabsorption. Gluten ist ein Bestandteil von Weizen, Roggen und Gerste. Hafer enthält Avenine, auf die ein kleiner Teil der Patienten reagiert. Epidemiologie. Prävalenz: 1:100–200, w:m = 2:1. Ätiopathogenese.
4 Genetische Prädisposition: >95% der Zöliakiepatienten weisen eine DQ2-Konstellation auf, die übrigen DQ8, 10% der Verwandten 1. Grades von Zöliakiepatienten sind ebenfalls betroffen (Antikörperscreening bei Verwandten), die Konkordanzrate bei monozygoten Zwillingen beträgt 50%. Gehäuftes Auftreten bei Diabetes mellitus Typ 1. 4 Umweltfaktoren: 5 Prädisponierend: Gastroenteritis im Säuglingsalter 5 Protektiv: Einführung glutenhaltiger Nahrungsmittel während der Stillphase um den 6. Lebensmonat. Symptomatik. Manifestation nach Beginn der Gluten-
zufuhr (getreidehaltige Breie, Brot, Kekse) oder auch später. Klassische Zöliakiemanifestation: 4 Chronische, voluminöse, oft übelriechende und fettglänzende Durchfälle. 4 Gedeihstörung (Gewicht und später Länge fallen aus den Perzentilen). 4 Aufgetriebenes Abdomen, dünne Extremitäten. 4 Appetitlosigkeit, Misslaunigkeit, Antriebsschwäche 4 Zeichen der Malabsorption (Eisenmangelanämie, Hypoproteinämie, niedrige Serumspiegel lipidlöslicher Vitamine, später Knochendemineralisierung, Zahnschmelzdefekte) Häufiger: oligosymptomatische Zöliakiemanifestation: 4 Kleinwuchs, Bauchschmerzen, Eisenmangel, u. v. a. m.
13
281 13.5 · Chronisch-entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
Gehäuftes Auftreten von Zöliakie plus Diabetes mellitus Typ 1, anderen Autoimmunerkrankungen, IgA-Mangel, Down-Syndrom, PSC, Hashimoto-Thyreoiditis, Dermatitis herpetiformis, Ullrich-Turner-Symdrom und chronischer Autoimmunhepatitis. Diagnostik.
4 Labor: 5 Nachweis von Anti-GewebstransglutaminaseIgA (hohe diagnostische Sensitivität und Spezifität)undAnti-Endomysium-IgA(Differenzialdiagnose: latente Zöliakie, positive Antikörper bei noch normaler Mukosa; silente Zöliakie: keine Symptome, aber positive Antikörper bei typischen Schleimhautveränderungen) 5 Suche nach Anämie, Eisenmangel, Hypoproteinämie, Hypoalbuminämie, Gerinnungsstörungen, Hypovitaminosen 4 Endoskopie mit Dünndarmbiopsie: Zottenatrophie, Infiltration der Lamina propria mit Lymphozyten. Disaccharidase Aktivität reduziert. > Bei Bestimmung der IgA-Antikörper gegen Endomysium und Gewebstransglutaminase muss das Gesamt-IgA im Serum mitbestimmt werden, da diese Zöliakie-spezifischen Antikörper bei IgA-Mangel (der bei Zöliakie gehäuft auftritt) ebenfalls vermindert sind. Auch bei eindeutigem Antikörperbefund ist die Diagnose Zöliakie stets durch eine Dünndarmbiopsie zu sichern, um die Durchführung einer lebenslangen glutenfreien Diät zu rechtfertigen.
Differenzialdiagnostik. Andere Malabsorptionssyndrome, Enteropathie bei Kuhmilcheiweißallergie, protrahierte Gastroenteritiden, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Mukoviszidose, Lamblieninfektion, Immundefekte.
Probleme in der Schwangerschaft und können psychische Auffälligkeiten aufweisen. Bei unzulänglicher Diät ist zudem das Risiko erhöht, andere Autoimmunerkrankungen oder maligne Darmlymphome zu entwickeln.
Prognose. Normalisierung der Schleimhautveränderungen und aller klinischen Symptome bei konsequenter Diät, Wiederauftreten der Veränderungen bei erneuter Glutenexposition
13.5.4 Morbus Crohn und Colitis ulcerosa Morbus Crohn Definition. Chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des Darms mit transmuraler, diskontinuierlich verteilter, segmentaler Entzündung der Darmwand, die den gesamten Magendarmtrakt betreffen kann. Epidemiologie.
4 Häufigkeit: 7–8 Neuerkrankungen/100 000 Einwohner/Jahr, m = w, in der westlichen Welt an Häufigkeit deutlich zunehmend. 4 Genetische Prädisposition (familiäre Häufung), Konkordanz eineiiger Zwillinge: 85%. 4 Zugrunde liegt eine gestörte Immunregulation, Risikofaktoren sind ein hoher Hygienestandard in der Kindheit, Rauchen und fehlende Muttermilchernährung. Ätiopathogenese. Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen proinflammatorischen (Il-1, Il-6, TNF-α) und antiinflammatorischen (Il-10, Il-4) Mediatoren, es kommt zu Komplementablagerung und -aktivierung an den kleinen Gefäßen der Darmwand. Symptomatik. . Tab. 13.11.
Therapie. Lebenslange, glutenfreie Diät:
4 Striktes Meiden von Lebensmitteln mit Weizen, Dinkel, Roggen, und Gerste (auch in Bier, einige Bio-Limonaden!). 4 Alternative Kohlenhydrate dürfen zu sich genommen werden: Mais, Reis, reine Weizenstärke, Buchweizen. 4 Die meisten Patienten tolerieren reinen Hafer (ohne Weizenkontamination). > Die glutenfreie Diät muss lebenslang eingehalten werden. Patienten mit unzureichender Diätführung bleiben oft kleinwüchsig, entwickeln eine Osteoporose mit erhöhter Frakturrate, sind z. T. infertil oder haben 6
. Tab. 13.11. Häufigkeit der Symptome bei Diagnose eines Morbus Crohn im Kindesalter Symptome
Häufigkeit (%)
Rezidivierende Bauchschmerzen Gewichtsabnahme, Malnutrition Durchfälle Inappetenz Fieber Wachstumsrate/Pubertät verzögert Marisken, Analfissuren, Analabszesse Rezidivierende Aphthen im Mund Uhrglasnägel Arthritiden, Arthralgien
80–90 70–80 65–75 50–60 50–70 60/20 20–25 20–25 ca. 20 ca. 20
282
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
4 Blutig-schleimige, übelriechende Durchfälle. 4 Häufig druckschmerzhafte Resistenz im rechten Unterbauch tastbar. 4 Evtl. perianale und periorale Veränderungen: Analekzem, Fisteln, Mundwinkelrhagaden und orale Aphthen. 4 Selten extraintestinale Manifestationen: Uveitis, Iridozyklitis, Erythema nodosum. Diagnostik.
13
4 Labor: 5 Entzündungszeichen: Leukozytose, Lymphopenie, BKS ↑, CRP ↑ 5 Hypochrome Anämie, Eisenmangel 5 Elektrophorese: Hypalbuminämie, Hypoproteinämie, IgG ↑ 5 Nachweis von Anti-Saccharomyces-cervisiaeAntikörpern (ASCA) 5 Stuhl: Nachweis von Calprotectin und Lactoferrin (Inflammationsmarker); Ausschluss von Parasiten, Bakterien; Haemoccult. 4 Sonographie-Abdomen: 5 Darmwandödem, Nachweis intraabdomineller Abszesse. 4 Endoskopie: 5 Sicherung der Diagnose 5 Bestimmung des Ausmaßes des Darmbefalls und der Krankheitsaktivität: – Frühstadium: aphthoide Läsionen (multiple 2–4 mm lange, in das Darmlumen vorspringende Gewebeveränderungen, oft bläschenhaftes Aussehen und häufig von gerötetem Schleimhauthof umgeben). – Später: vorwiegend längsfissurale Ulzerationen, Narben, Stenosen, Fisteln. – Bei Verdacht auf Dünndarmbefall: Videokapselendoskopie. 4 Histologie: 5 Transmurale, oft das Mesenterium einbeziehende Entzündung. 5 »Skip lesions«: im Wechsel gesunde und kranke Abschnitte vorhanden. 5 Granulome mit Riesenzellen, Ulzerationen und Fissuren. 5 Intramurale und intraperitoneale Abszesse und enteroenterale oder enterokutane Fisteln, besonders im Analbereich. 5 Narbige Stenosen. 5 Bevorzugter Befall des terminalen Ileums (»Ileitis terminalis«) und des Colon ascendens. 5 Befall aller Abschnitte im Gastrointestinaltrakt einschließlich der Mundhöhle möglich.
. Abb. 13.5. Morbus Crohn: Röntgenenteroklysma: Stenosen, Plastersteinrelief v. a. im terminalen Ileum
4 Röntgenenteroklysma (. Abb. 13.5): 5 Wandstarre, verdickte Darmwände, Schleimhautveränderungen mit »Pflastersteinrelief«, v. a. im terminalen Ileum. 4 Ggf. Hydro MRT, CT Abdomen bei Fisteln oder Abszessen, Röntgen linke Hand (Mineralisation), Spaltlampenuntersuchung (Iridozyklitis). Differenzialdiagnostik.
4 Infektiöse Darmerkrankungen, v. a. durch Infektion mit Yersinien oder Campylobacter jejunii 4 Colitis ulcerosa 4 Darmtuberkulose (Tine-Test) 4 Unspezifische Lymphadenitis mesenterialis 4 Appendizitis Therapie.
4 Medikamentös: 5 5-Aminosalicylsäure (5-ASA): Mesalazin, Sulfasalazin 5 Kortison (bewirkt jedoch keine Schleimhautheilung)
283 13.5 · Chronisch-entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
5 Antibiotika: z. B. Metronidazol (v. a. bei Entzündung, Fieber, Fisteln) 5 Immunsuppressiva: z. B. Azathioprin oder Methotrexat 5 Therapierefraktäre Patienten: TNF-α-Blocker 5 Topische Glukokortikoide oder 5-ASA-Präparate (v. a. bei Proktitis und linksseitiger Kolitis) 4 Ernährungstherapie: 5 Beseitigung der Unterernährung 5 Hochkalorische, eiweißreiche Ernährungstherapie mit nährstoffdefinierter Formelnahrung (per Sonde oder oral) über 8 Wochen führt zu einer raschen Besserung der Symptomatik, zu einer Remission und einer Verbesserung von Ernährungszustand und Wachstum. 5 Substitution von Vitaminen und Spurenelementen 5 Nur selten parenterale Ernährung notwendig 4 Operativ: 5 Bei Versagen der konservativen Therapie, ausgeprägter Wachstumsretardierung oder isolierten narbigen Stenosen, Fisteln, Abszessen oder bei Obstruktion: Resektion betroffener Segmente, jedoch hohe Rate an Rezidiven und postoperativen Komplikationen. Prognose. Unter Therapie bestenfalls Symptomfreiheit und Remission der Entzündung; insgesamt chronischer Verlauf und häufige Rezidive auch nach operativer Resektion.
Colitis ulcerosa Definition. Chronisch entzündliche Darmerkrankung; die Entzündung ist auf das Kolon beschränkt, kontinuierlich und superfiziell (nur die Mukosa betreffend). Epidemiologie. Häufigkeit: 3–7 Neuerkrankungen/
100 000 Einwohner/Jahr, m = w, im Gegensatz zum Morbus Crohn hat die Häufigkeit der Colitis ulcerosa in den letzten Jahren nicht zugenommen.
13
. Abb. 13.6. Erythema nodosum bei Colitis ulcerosa
4 Extraintestinale Symptome (treten z. T. Jahre vor der gastrointestinalen Symptomatik auf): Arthralgien, Erythema nodosum (. Abb. 13.6), Hepatopathie, primär sklerosierende Cholangitis, sekundäre psychische Veränderungen. Diagnostik.
4 Labor: 7 Kap. Morbus Crohn; statt ASCA-Nachweis Nachweis von ANCA, Ausschluss einer Clostridium difficile-Infektion. 4 Endoskopie/Histologie: 5 Distal betonte, häufig auf das Kolon beschränkte Entzündung mit kontinuierlicher Ausdehnung; keine segmentale Anordnung. 5 Superfizielle Entzündung, v. a. der Mukosa: hochrote, granulierte, z. T. diffus blutende Schleimhaut, schleimig-grünliches Sekret. 5 Ulzerationen, Kryptenabszesse, bei langfristigem Verlauf Bildung von Pseudopolypen. 5 z. T. Befall des gesamten Kolons (Pankolitis), mit ungünstiger Prognose.
Ätiopathogenese. Zusammenspiel aus genetischer
Prädisposition (Konkordanz eineiiger Zwillinge: 45%), gestörter Immunmodulation und Umwelteinflüssen.
Differenzialdiagnostik. Unspezifische und infektiöse
Kolitiden.
Symptomatik.
Therapie.
4 Chronisch-rezidivierender Verlauf 4 Leitsymptom: blutige und schleimige Durchfälle, meist akuter Beginn 4 Schmerzhafte Tenesmen, Bauchschmerzen, Fieber 4 Anorexie, Gewichtsverlust
4 Medikamentös: 5 Kortikosteroide 5 5-Aminosalicylsäure (5-ASA): z.B. Mesalazin, Sulfasalazin 5 Immunsuppressiva: z. B. Azathioprin 5 Therapierefraktäre Patienten: TNF-α-Blocker
284
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
5 Topische Glukokortikoide, z. B. Budesonid oder Hydrokortison bzw. 5-ASA-Präparate (v. a. bei distalem Befall) 5 Evtl. Supplementation von Erythrozyten, Vitaminen, Eiweiß und Elektrolyten 4 Ernährungstherapie: 5 Bei Colitis ulcerosa nicht sehr hilfreich 5 Evtl. Beeinflussung der Darmflora durch Probiotika 5 Bei schwerem Verlauf: parenterale Ernährung 4 Begleitende Psycho- oder Familientherapie in vielen Fällen hilfreich. Auch wenn die Ursachen der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen nicht im Psychischen liegen, können Belastungssituationen oder eine schlechte Krankheitsbewältigung den Krankheitsverlauf ungünstig modulieren. In der Regel ist die Compliance bei stabiler psychischer Situation besser. 4 Operative Therapie: 5 Unumgänglich bei toxischem Megakolon mit Perforation 5 Die partielle oder totale Kolektomie ist kurativ und muss bei fehlendem Ansprechen der medikamentösen Therapie oder bei langfristigem, chronischem Verlauf erwogen werden, v. a. bei Epitheldysplasie. 5 Evtl. Anlage einer Ileum-Tasche als Stuhlreservoir (Ileumpouch), die die Patienten vor dem Anus praeter bewahrt.
und Isomaltase im Bürstensaum der Enterozyten lokal zu Monosacchariden gespalten, die resorbiert werden. Ätiopathogenese. Eine gestörte Kohlenhydratverdauung führt zu Durchfällen. Die nicht resorbierten Kohlenhydrate verursachen eine osmotische Diarrhoe. Durch bakterielle Degradation der Kohlenhydrate entstehen organische Säuren, der Stuhl-pH ist niedrig. Diagnose.
4 Ernährungsanamnese, Besserung der Symptomatik unter Karenz des Kohlenhydrats. 4 Niedriger Stuhl-pH. 4 H2-Atemtest: orale Belastung mit dem auslösenden, im Dünndarm nicht resorbierten Zucker führt nach Übertritt in das Kolon zu bakterieller Fermentation mit H2-Freisetzung und erhöhter H2-Konzentration in der Ausatemluft. 4 Mutationsanalyse (bei Laktase- bzw. IsomaltaseSaccharase-Mangel). 4 Evtl. Dünndarmbiopsie und Bestimmung der Disaccharidaseaktivität. Therapie.
4 Meiden des verantwortlichen Zuckers bei der Nahrungsauswahl. 4 Bei Laktasemangel (s. unten) werden meist kleine Mengen an Laktose toleriert, sodass nur eine Begrenzung, aber nicht vollständige Vermeidung von Laktose notwendig ist, Kalziumsubstitution.
Komplikation.
13
4 Gefürchtete Komplikation: toxisches Megakolon mit Dilatation einzelner Kolonabschnitte bis zu 6 cm, Ileussymptomatik und Gefahr der Perforation. 4 Nach mehr als 10-jährigem Verlauf: Entstehung von Epitheldysplasien und Kolonkarzinom (5% nach 10 Jahren, 50% nach 20 Jahren). 4 Pankolitis (50%) 4 Rezidive, Strikturen, Analprolaps, Analfissuren, Blutungen etc. 13.6
Nichtentzündliche Darmerkrankungen
13.6.1 Maldigestion und Malabsorption
von Kohlenhydraten (. Tab. 13.12) Physiologie. Kohlenhydrate werden schrittweise ver-
daut: die Pankreasamylase spaltet komplexe Kohlenhydrate zu Di- und Trisacchariden, die Disaccaride werden durch die Disaccharidasen Laktase, Saccharase
Laktosemaldigestion Definition. Verminderte Laktaseaktivität. Der kongenitale Laktasemangel wird eingeteilt in: 4 Primärer kongenitaler Laktasemangel: Sehr selten! Autosomal-rezessiv vererbte Form mit vollständigem Fehlen von Laktase von Geburt, ab der ersten Milchfütterung wässrige Durchfälle, schwere Gedeihstörung. 4 Primärer, spät manifester Laktasemangel: Häufig, 15% der Schulkinder in Deutschland, >80% bei vielen Populationen in Asien und Afrika. Autosomal-dominant vererbter Laktasemangel mit erst ca. ab dem 5. Lebensjahr abnehmender Laktaseaktivität. Bei hoher Laktosezufuhr kommt es zu Bauchschmerzen, ggf. Krämpfen und wässrigen Durchfällen. 4 Sekundärer Laktasemangel: Bei Mukosaschäden mit Zottenatrophie reduzierte Disaccharidaseaktivität (Enzymexpression an der Zottenspitze), z. B. bei Zöliakie, schwerer Gastroenteritis, Kuhmilcheiweißallergie u. a.; Normalisierung nach Regeneration der Mukosa.
285 13.6 · Nichtentzündliche Darmerkrankungen
13
. Tab. 13.12. Kohlenhydratmalabsorptionsyndrome Defekt; Epidemiologie
Klinik; Besonderheiten
Glukose-GalaktoseMalabsorption
Der Transporter für die Monosaccharide Glukose und Galaktose fehlt in der Bürstensaummembran der Enterozyten und in den Tubuluszellen der Niere.
Profuse, wässrige Durchfälle mit der ersten Fütterung; Glukosurie, das einzig tolerierte Kohlenhydrat ist die Fruktose.
Saccharose-IsomaltaseMangel
Autosomal-rezessiv vererbter Defekt des Saccharase-Isomaltase-Gens; mangelnder Abbau von Rohrzucker und Stärke; Häufigkeit ca. 1:10 000.
Durchfälle mit Beginn der ersten Rohrzuckergabe (Breifütterung oder Säuglingsnahrungen mit Kochzucker) oder der ersten Isomaltosegabe (Stärke).
Fruktosemalabsorption
Autosomal-rezessiv vererbt, relativ häufig
Meteorismus, Bauchschmerzen und Diarrhoen als Reaktion auf Nahrungsmittel mit einem hohen Anteil freier Fruktose (z. B. Fruchtsäfte) und Sorbit; Verbesserung der Symptomatik durch gleichzeitige Gabe von Fruktose und Glukose aufgrund eines intestinalen Kotransporters.
! Die Fruktosemalabsorption darf nicht verwechselt werden mit der hereditären Fruktoseintoleranz (7 Kap. 5: Stoffwechselstörungen), bei der Fruktosezufuhr zu akuten Leberversagen und Lebensgefahr führen kann.
13.6.2 Kurzdarmsyndrom Definition. Malassimiliation infolge des Fehlens großer
Teile des Dünndarms, meist nach ausgedehnten Resektionen (z. B. nach Operationen bei Volvulus, nekrotisierender Enterokolitis, Morbus Crohn u. a.). Sehr selten angeborenes Kurzdarmsyndrom. Symptomatik. Das Ausmaß der Malabsorption (Durch-
fälle, Gedeihstörung) hängt ab von der Länge des verbleibenden Darms: 4 Verbleiben 50% des Dünndarms ist meist eine rasche enterale Ernährung möglich. 4 Verbleiben 20–50% des Dünndarms, ist meist eine langfristig parenterale Ernährung notwendig. 4 Bei <20–30 cm verbleibendem Dünndarm ist eine enterale Ernährung nur selten möglich. Therapie.
4 Langfristige parenterale Ernährung und frühzeitige orale oder enterale Teilernährung zur Förderung der Adaptation des Darms. Aufgrund der schwierigen Therapie und der häufigen und gravierenden Komplikationen ist bei ausgeprägtem Kurzdarmsyndrom eine Therapie in erfahrenen Zentren notwendig.
4 In ausgewählten Fällen ggf. operative Verminderung des Darmlumens oder Dünndarmtransplantation. Prognose. Die bei vielen Patienten erforderliche, lang-
jährige, parenterale Ernährung bedingt eine hohe Morbidität mit Risiko von Thrombosen, septischen Katheterinfektionen, metabolischen Entgleisungen, Cholestase und Leberzirrhose. Die Qualität der Betreuung beeinflusst die Prognose wesentlich. 13.6.3 Polypöse Darmerkrankungen Juvenile Polypen Definition. Meist im distalen Kolon, vereinzelt auch im Duodenum und Dünndarm lokalisierte, solitär auftretende, hamartöse Polypen ohne maligne Entartungstendenz. Leitsymptom ist die Blut- und Schleimauflagerung auf normalem Stuhl. Gelegentlich kommt es zu Komplikationen durch Obstruktion und Invagination. Heilung nach endoskopischer Abtragung. Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) Definition. Autosomal-dominant vererbte Erkrankung
mit multiplen adenomatösen Polypen im Kolon, langfristig nahezu 100%iges Risiko der malignen Entartung. Zugrunde liegt eine Keimbahnmutation im Tumorsuppressorgen APC auf Chromosom 5. Therapie.
4 Regelmäßige Koloskopien 4 Proktokolektomie im 2. Lebensjahrzehnt (Entartungsrisiko)
286
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
. Tab. 13.13. Weitere autosomal-dominant vererbte Polyposen Erkrankung
Definition
Organbeteiligung
Peutz-Jeghers-Syndrom
Mind. 2 hamartomatöse Polypen oder 1 hamartomatöser Polyp plus Familienanamnese oder Organbeteiligung
Hyperpigmentierung der Lippen- und Mundschleimhaut, gutartige Ovarial- und Hodentumoren, erhöhtes Risiko für Mamma-, Zervix- und Pankreastumoren
Gardener Syndrom
Adenomatöse Polypen in Magen und Darm
Zahlreiche Fett-, Bindegewebe- und Knochentumoren
4 Hemmung des Polypenwachstums durch SulindacSuppositorien (NSAR) 4 Molekulargenetisches Screening bei weiteren Familienmitgliedern. 13.7
Erkrankungen der Gallenwege und Gallenblase
13.7.1 Cholestase
Choledochuszysten und Mündungsanomalien Definition. Choledochuszysten: angeborene oder erworbene sackförmige Erweiterungen des Gallengangsystems unklarer Genese. Mündungsanomalien: pathologische Mündung des Gallen- und Pankreasgangs mit Cholestase. Symptomatik.
rung (obstruktive Cholestase) oder hepatozelluläre Galleabflussstörung mit den Leitsymptomen Ikterus, generalisiertes Hautjucken, dunkler Urin und heller, acholischer Stuhl.
4 Ikterus, Pruritus 4 Erbrechen, Oberbauchschmerzen, Hepatomegalie, tastbare, pralle Raumforderung im rechten Oberbauch. 4 Akute Entzündung mit Cholangitis oder Pankreatitis.
Ätiopathogenese. . Tab. 13.14.
Diagnostik.
Definition. Intra- oder extrahepatische Galleabflußstö-
13
13.7.2 Fehlbildungen der Gallenwege
. Tab. 13.14. Ätiologie der Cholestase Obstruktive Cholestase (Abflussbehinderung)
Hepatozelluläre Cholestase
Choledochuszysten oder Mündungsanomalien
Infektiöse Hepatitis
Extrahepatische Gallengangsatresie
Hereditäre Störungen der Gallensäurensekretion
Gallengangshypoplasie
α1-Antitrypsinmangel
Choledocholithiasis
Morbus Wilson
Cystische Fibrose
Cystische Fibrose
Primär sklerosierende Cholangitis
Autoimmune Hepatitis
Tumoren
Toxische oder medikamentöse Schädigung
4 Sonographie: Darstellung der intra- oder extrahepatischen Gallengangszysten. 4 MRCP (Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie): nichtinvasives Verfahren zur Darstellung isolierter Mündungsanomalien. 4 ERCP (extrahepatische retrograde Cholangiopankreatikographie): invasives Verfahren bei Versagen der MRCP: endoskopische Sondierung der Papilla vateri und Einspritzen von Kontrastmittel. Differenzialdiagnostik. Sonderform: Caroli-Syndrom: multiple Ektasien der intrahepatischen Gallengänge mit oder ohne Leberzirrhose, Gallengangssteinen oder Cholangitiden, autosomal-rezessiv vererbt. Therapie. Operativ: biliodigestive Anastomose: Entfer-
nung der veränderten extrahepatischen Gallengänge und der Gallenblase; Dünndarmanastomose. ! Bei postoperativ verbleibenden dysplastischen Anteilen kann sich ein Cholangiokarzinom entwickeln.
287 13.7 · Erkrankungen der Gallenwege und Gallenblase
13
Gallengangshypoplasie und Alagille-Syndrom
Symptomatik.
Definition.
4 Säuglinge: persistierender oder nach einem freien Intervall in den ersten Lebenswochen erneut auftretender Ikterus mit acholischen Stühlen und dunklem Urin; vergrößerte, derbe Leber. 4 Später: starker Juckreiz, schlechtes Gedeihen, Dystrophie, biliäre Leberzirrhose, Leberversagen, Gerinnungsstörungen, spontane Blutungen, Mangel an fettlöslichen Vitaminen.
4 Gallengangshypoplasie: isolierte, angeborene Hypoplasie der Gallengänge. 4 Alagille-Syndrom: autosomal-dominant vererbtes Syndrom mit Mutation im Jagged-1-Gen auf Chromosom 22q12, (kodiert einen zellulären Membranrezeptor mit regulierender Wirkung der Zelldifferenzierung während der Embryogenese). Symptomatik.
Diagnostik.
Gallengangshypoplasie: 4 Cholestase, Ikterus, Hepatopathie
4 Labor: konjugiertes und unkonjugiertes Bilirubin ↑, Gallensäuren ↑↑, Transaminasen ↑, alkalische Phosphatase ↑ und γ-GT ↑, Gerinnungsstörung, Albumin ↓, Hypercholesterinämie, Lipoprotein X ↑ 4 Sonographie: Gallenblase nicht darstellbar 4 Tc99-Szintigraphie: Nachweis des fehlenden Galleflusses 4 Leberbiopsie: histologisch typische, aber nicht pathognomonische Befunde: Gallengangsproliferation, Cholestase, entzündliche Veränderungen. 4 Intraoperative Cholangiographie: Darstellung der intra- und extrahepatischen Gallenwege.
Alagille-Syndrom (Häufigkeit: 1:20 000): 4 Chronische Cholestase, Juckreiz 4 Faziale Dysmorphie, Embryotoxon (heller Trübungsring an der Kornea) 4 Hypoplasie oder periphere Stenosen der Pulmonalarterien, andere Herzvitien 4 Wirbelsäulenfehlbildung, Schmetterlingswirbel 4 Hypogonadismus 4 Gedeihstörung 4 Geistige Retardierung 4 z.T. Gerinnungsstörungen mit intrakraniellen Blutungen Diagnostik.
4 Symptomatik: charakteristische Morphologie (s. oben) 4 Labor: Hypercholesterinämie, Lipoprotein X ↑, Gallensäuren im Serum ↑, Leberparameter ↑, Gerinnungstörungen 4 Leberbiopsie: Hypoplasie der intrahepatischen Gallengänge Therapie. Symptomatisch: Ursodesoxycholsäure, Substi-
tution fettlöslicher Vitamine (ggf. Lebertransplantation). Prognose. Alagille-Syndrom: Herzfehler häufig limi-
tierend, Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie. 13.7.3 Extrahepatische Gallengangsatresie Definition. Obliteration der extrahepatischen Gallengänge mit neonataler Cholestase; es können alle Gallengänge (80%) oder einzelne Segmente (20%) betroffen sein. Epidemiologie.
4 Häufigkeit: ca. 1:10 000, w>m 4 Gehäuft mit anderen Fehlbildungen assoziiert: Polyspleniesyndrom, Situs inversus, Edwards-Syndrom.
Therapie. Operative Portoenterostomie (Operation nach Kasai) in den ersten 8 Lebenswochen: Resektion der Leberpforte mit Eröffnung kleinerer intrahepatischer Gallengänge und Verbindung über eine angenähte Roux-Y-Anastomose mit dem Jejunum. Alternativ: Lebertransplantation. Erfolgschance bei späterer Operation deutlich reduziert; supportiv Ursodesoxycholsäure und Substitution fettlöslicher Vitamine. Komplikationen. Leberzirrhose, Leberinsuffizienz. Prognose.
4 Ohne Intervention verstirbt die Mehrzahl der Patienten innerhalb der ersten 3 Lebensjahre. 4 Durch die Operation wurde die Lebenserwartung deutlich verbessert, langfristiges Überleben jedoch meist nur nach Transplantation. 13.7.4 Gallensteine und Cholezystitis Definition. Cholelithiasis: Konkremente in Gallenblase oder -gängen. Cholezystitis: Entzündung der Gallenblase. Gallensteine: können als Bilirubinsteine (v. a. bei hämolytischen Erkrankungen), als gemischte Cholesterin-Bilirubinsteine (v. a. bei CF, Gallengangsstenosen) oder als Cholesterinsteine (z. B. bei Hypercholesterinämie, Adipositas) vorliegen.
288
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Symptomatik.
Hepatitis A
4 Gallensteine sind meist asymptomatisch. 4 Bei Steinabgang, Cholezystitis oder Cholangitis: kolikartige Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Ikterus.
Epidemiologie.
4 Hohe Infektiosität, fäkal-orale Übertragung, hohe Virusausscheidung vor Krankheitsausbruch. 4 Insgesamt selteneres Auftreten, Infektionsrisiko v. a. außerhalb von Europa und den USA.
Diagnostik.
4 Labor: bei Entzündung Leukozytose, CRP ↑, ggfs. γ-GT, alkalische Phosphatase ↑. 4 Sonographie: Darstellung der Steine oder von Gallenstein-»Sludge«. 4 Röntgen-Abdomen: Darstellung verkalkter (röntgendichter) Steine: meist Pigment- oder gemischte Steine. Therapie.
4 Operativ: nur bei symptomatischen Steinen, in der Regel laparoskopisch. 4 Konservativ: bei Sludge oder Cholesterinsteinen: mehrwöchige, orale Gabe von Ursodesoxycholsäure; evtl. extrakorporale Stoßwellenlithotrypsie 4 Interventionell: Entfernung von Choledochussteinen durch endoskopisch-retrograde CholangioPankreaticographie (ERCP) > Nur symptomatische Gallensteine müssen entfernt werden.
13.8
13
Symptomatik.
4 Die meisten Infizierten bleiben asymptomatisch (v. a. Neugeborene und Kleinkinder). 4 Nach einem Prodromalstadium mit Übelkeit, selten Erbrechen, Fieber, Abgeschlagenheit und Gelenkbeschwerden kommt es nach einigen Tagen zu: 5 Bauchschmerzen, häufig druckdolenter Hepatomegalie 5 Ikterus, acholischen Stühlen und dunklem Urin 5 Dauer ca. 2–4 Wochen 5 Zweigipfliger Verlauf mit erneutem Ikterus und Transaminasenanstieg möglich. Diagnostik. Labor: Transaminasen ↑, Anti-HAV-IgM wenige Wochen nach Infektion nachweisbar, Anti-HAVIgG persistiert lebenslang und beweist Immunität. Therapie/Prophylaxe. Symptomatisch: bei stärkerem
Krankheitsgefühl Bettruhe, eingeschränkte Aktivität; postexpositionell: bis 10 Tage nach Exposition Immunglobulingabe möglich; aktive Impfung.
Erkrankungen der Leber
13.8.1 Infektiöse Hepatitis
Prognose. Selten fulminante Verläufe mit Leberver-
sagen und Zirrhose. Definition. Infektion mit Hepatitis Viren verschiedener
Gruppen. Übersicht . Tab. 13.15. . Tab. 13.15. Charakteristika der Hepatitis A–G Diagnose (Virus)
Virusfamilie
Inkubationszeit
Chronizität
Diagnostik
Therapie
Aktive Impfung
Hepatitis A (HAV)
RNA
3–4 Wochen
Nein
Anti-HAV
Nein
ja
Hepatitis B (HBV)
DNA
6–30 Wochen
ja, sehr häufig bei vertikaler Infektion
HBs-Ag, HBe-Ag, Anti-HBe, Anti-HBc, HBV-DNA
α-Interferon
ja
Hepatitis C (HCV)
RNA
2–26 Wochen
ja, aber bei Kindern seltener
Anti-HCV, HVC-RNA
α-Interferon und Ribavirin
nein
Hepatitis D (HDV)
RNA
unbekannt
ja, häufig
Anti-HDV, HDV-RNA
nein
nein
Hepatitis E (HEV)
RNA
2–8 Wochen
Nein
Anti-HEV
nein
nein
Hepatitis G (HGV)
RNA
unbekannt
Ja
HGV-RNA
nein
nein
289 13.8 · Erkrankungen der Leber
13
Hepatitis B
Hepatitis C
Epidemiologie.
Epidemiologie. Infektion parenteral durch Blut und
4 Häufigkeit: weltweit haben ca. 250 Mio. Menschen eine chronische Hepatitis-B-Infektion. 4 Infektion parenteral durch Blut und Blutprodukte und vertikal während der Geburt durch eine infizierte Mutter: hohes Risiko für Neugeborene von Müttern mit HBe-Antigen (Infektionsrisiko 90%), niedrigeres Risiko bei Müttern mit anti-HBe-Antikörpern (Infektionsrisiko 20%).
Blutprodukte und vertikal während der Geburt durch eine infizierte Mutter. Symptomatik.
4 Meist asymptomatisch oder geringe, unspezifische Symptome. 4 Diagnosestellung häufig durch zufällig entdeckte Transaminasenerhöhung oder beim Screening der Familienangehörigen eines Patienten.
Symptomatik.
4 Ähnlich der Hepatitis A, die Symptomatik variiert von asymptomatisch bis hochakut. 4 Extrahepatische Manifestationen: Panzytopenie, Karditis, Panarteritis, Glomerulonephritis, Polyneuritis, Gianotti-Crosti-Syndrom: papuläres Exanthem im Gesicht und an den Extremitäten. 4 Chronische Hepatitis B: wechselnd erhöhte Transaminasen, intermittierender Ikterus, Übergang in Leberzirrhose möglich.
Diagnostik. Labor: Nachweis von HCV-RNA (aktive
Infektion) und Anti-HCV; Klassifizierung verschiedener HCV-Subtypen (unterschiedliche Prognose). Therapie. α-Interferon plus Ribavirin: in 20–30% Virus-
elimination. Komplikation. Leberzirrhose.
Hepatitis D Diagnostik.
Epidemiologie.
4 Labor: Virusnachweis und Antikörpernachweis: 5 Frische Infektion: Anti-HBc-IgM 5 Nach ca. 6–8 Wochen: Anti-HBc-IgG 5 Infektiosität: HBs-Ag, HBe-Ag, hohe Viruslast 5 Ausheilung: Anti-HBe, Anti-HBs, abnehmende Viruslast 5 Chronische Hepatitis: im Kindesalter lange Persistenz von HBe-Ag 5 Bestimmung von Transaminasen, Bilirubin und Leberfunktionsparametern (u. a. Gerinnung, Albumin) 4 Leberbiopsie: histologische Einteilung und Beurteilung des Ausmaßes der Zirrhose.
4 Selten 4 Parenterale Übertragung, auch Infektion des Neugeborenen durch infizierte Mütter möglich. 4 Hohe Prävalenz im Mittleren Osten, Ostasien, Afrika, Balkan und Mittelmeerländer. 4 Das Delta-Hepatitis-Virus (HDV) ist ein Einzelstrang RNA-Virus mit Bestandteilen des HepatitisB-Virus; die Virusreplikation ist daher nur bei Hepatitis-B-Virusträgern möglich und tritt nur als Koinfektion mit Hepatitis B auf.
Komplikation. Leberzirrhose; hepatozelluläres Karzi-
nom.
Symptomatik.
4 Führt bei Hepatitis-B-Infizierten zur Aggravierung der Symptomatik und zur Prognoseverschlechterung. 4 Häufig zweigipfliger Verlauf: Wiederanstieg der Transaminasen und Wiederaufflammen der Hepatitis.
Therapie/Prophylaxe. Bei chronischer Infektion mit
Nachweis von HBe-Antigen: Interferon-α, dadurch in etwa 30–40% der Fälle Konversion zu Anti-HBe (Ausheilung), in 10% komplette Viruselimination. Prophylaxe: in Deutschland wird die Immunisierung aller Säuglinge im Rahmen der Sechsfachimpfung empfohlen. > Nach HBV-Exposition (z. B. Verletzung durch Nadelstich) und bei Neugeborenen von Müttern mit HBV-Infektion und muss innerhalb von 24 (–72) h simultan eine aktive und passive HBV-Immunisierung erfolgen.
Therapie. Keine spezifische Therapie möglich. Differerenzialdiagnostik.
4 Hepatitis E: dem Verlauf der Hepatitis A ähnlich, Kinder erkranken äußerst selten, Vorkommen v. a. im ostasiatischen Raum, Südamerika und Afrika. 4 Hepatitis G: ungeklärt, ob HGV tatsächlich ein Hepatitis-Virus ist; häufig bei Patienten mit Hepatitis C. 4 Andere Infektionen der Leber mit: EBV, CMV, Herpesviren, Adenoviren etc., hier jedoch keine chronischen Verläufe.
290
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
Neugeborenenhepatitis Definition. Relative häufige Erkrankung des Neugeborenenalters (Häufigkeit ca. 1:10 000) mit neonataler Cholestase, Ikterus, acholischem Stuhl und dunklem Urin, Hepatosplenomegalie und Transaminasenerhöhung. Es gibt zahlreiche Differenzialdiagnosen, eine ätiologische Abklärung gelingt nur selten, häufig wird eine prä- oder perinatale Infektion vermutet. In der Leberbiopsie finden sich häufig Riesenzellen als Reaktion des unreifen Lebergewebes auf eine Noxe; die Hepatitis kann ausheilen oder chronifizieren.
Dubin-Jonson- und Rotor-Syndrom Definition. Autosomal-rezessiv vererbte konjugierte Hyperbilirubinämie aufgrund einer Exkretionsstörung für konjugiertes Bilirubin unklarer Ätiologie. Intermittierende Hyperbilirubinämien, im akuten Schub: Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen (nicht bei Rotor-Syndrom), Ikterus und Hepatomegalie. Eine Therapie ist nicht notwendig, die Prognose ist gut. Differenzialdiagnosen. Abgegrenzt werden müssen
schwere Leberfunktionsstörungen bei 7 Kap. 13.6; 7 Kap. 5.
13.8.2 Metabolische Lebererkrankungen
13
4 Störungen im Stoffwechsel verschiedener Aminosäuren 4 Störungen im Harnstoffzyklus und 4 Stoffwechselstörungen verschiedener Kohlenhydrate (z. B. Fruktoseintoleranz, Galaktosämie)
Crigler-Najar-Syndrom Definition. Autosomal-rezessiv (Typ I) oder autosomaldominant (Typ II) vererbter, kompletter (Typ I) oder partieller (Typ II) Defekt der hepatischen Glukuronyltransferase (UDPG-Transferase) mit ausgeprägter, unkonjungierter Hyperbilirubinämie. Das Bilirubin kann nicht konjugiert und daher nicht renal ausgeschieden werden.
α1-Antitrypsinmangel (ProteaseinhibitorPi-Mangel) Definition. Häufige, genetisch bedingte, chronische Lebererkrankung mit Defekt des Proteaseinhibitors α1-Antitrypsin.
Klinik/Diagnostik.
Ätiopathogenese. α1-Antitrypsin ist ein Glykoprotein,
4 Ikterus, Stuhl und Urin normal gefärbt, Galle entfärbt. 4 Frühzeitige Entwicklung einer Bilirubinenzephalopathie (7 Kap. 3) 4 Labor: indirektes Bilirubin ↑↑↑ (bis 50 mg/dl bei Typ I, bis 15 mg/dl bei Typ II), normale Leberwerte. 4 Leberbiopsie: Aktivität der UDPG-Transferase ↓.
das in der Leber synthetisiert wird und verschiedene Proteasen inhibiert. Die Synthese von α1-Antitrypsin wird durch verschiedene Allele (PiZ, PiM, PiS und andere) determiniert. Bei Mangel oder Defekt von α1-Antitrypsin wird das das Lungengewebe durch die ungehinderte proteolytische Aktivität der neutrophilen Elastase geschädigt, zudem akkumuliert α1-Antitrypsin in der Leber und schädigt das Parenchym.
Therapie.
4 Phototherapie, Austauschtransfusion, Cholestyramin 4 Nur bei Typ II: Phenobarbital (steigert die Konjugationsleistung) 4 Heilung durch Lebertransplantation Gilbert-Meulengracht-Syndrom Definition. Autosomal-dominant vererbte, unkonjugierte Hyperbilirubinämie aufgrund einer reduzierten Aktivität der UDPG-Tranferase. Häufigkeit: ca. 3%. Klinik/Diagnostik. Intermittierender Ikterus, besonders
in Belastungsituationen, z. B. bei langer Nüchternheit, Menstruation oder Infekten. Evtl. unspezifische Symptome mit Bauchschmerzen, Übelkeit und Abgeschlagenheit. Labor. Unkonjugiertes Bilirubin bis 6 mg/dl erhöht, Molekulargenetik. Therapie: nicht notwendig.
Epidemiologie. Häufigkeit: 1:2000. Diagnostik.
4 Labor: Genotypisierung, α1-Antitrypsin im Serum ↓, die Werte variieren je nach Allelkonstellation: 5 Homozygot für PiZ (PiZZ): <70 mg/dl 5 Heterozygot für PiZ (PiZM): 70–150 mg/dl 5 PiMM: <200–400 mg/dl Klinisch relevant ist v. a. der PiZZ-Typ. 4 Leberbiopsie: Riesenzellen, Fibrose, Nachweis PAS-positiver Granula in den Leberzellen Symptomatik.
4 Neonatale Cholestase mit chronischer Lebererkrankung (Transaminasen ↑ und Bilirubin ↑) Ikterus, Hepatosplenomegalie und Pruritus. 4 In 80% gutartiger Verlauf, in einigen Fällen jedoch Leberzirrhose, Dystrophie, Gerinnungsstörungen.
291 13.8 · Erkrankungen der Leber
4 z. T. nephrotisches Syndrom oder Glomerulonephritis 4 Im Alter von 20–40 Jahren Entwicklung eines chronisch-obstruktiven Lungenemphysems. Therapie.
4 Keine spezifische Therapie bekannt. 4 Supportiv: Antioxidanzien, z. B. Vitamin E 4 Therapieversuche mit α1-Antitrypsin-Infusionen bei Lungenbeteiligung. 4 Lebertransplantation bei Leberinsuffizienz.
13
Therapie.
4 D-Penicillamin oder Trientine: kupferbindender Chelatbildner, steigern die renale Kupferausscheidung. 4 Bei Unverträglichkeit: Zinksalze zur Hemmung der Kupferresorption. 4 Bei ausgeprägten Formen: Lebertransplantation. Prognose. Unbehandelt schlecht, bei frühzeitigem The-
rapiebeginn gut. Reye-Syndrom
Morbus Wilson – hepatolentikuläre Degeneration Definition. Autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung mit gestörter Kupferausscheidung und gesteigerter Kupferspeicherung, erst in der Leber, später in Gehirn, Kornea und Nieren. Zugrunde liegt eine Mutation des Wilson Gens auf Chromosom 13, das den Kupfertransporter ATP-7B kodiert, der für den hepatozellulären, lysosomalen Kupfertransport verantwortlich ist.
bralem Ödem, Leberfunktionsstörung und ausgeprägter Leberverfettung unbekannter Ätiologie. Die Gabe von Acetylsalicylsäure im Rahmen oder nach einem Infekt (v. a. mit Varizellen, Influenza A und B) wird als mitverursachend angesehen. Die Gabe von Acetylsalicylsäure ist daher bei Kindern zwischen 1 und 18 Jahren im Rahmen eines Infekts kontraindiziert.
Symptomatik. Erst nach dem 6. Lebensjahr symptoma-
Symptomatik. Während oder nach einer febrilen Erkrankung ausgeprägtes Erbrechen, Lethargie, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle, Koma.
tisch: 4 Leber: 5 Hepatitisähnliches Krankheitsbild (Transaminasen ↑, Bilirubin ↑), Bauchschmerzen. 5 Entwicklung einer chronischen Hepatopathie mit Übergang in eine Leberzirrhose. 5 Selten fulminante Verlaufsformen mit begleitender Hämolyse. 4 ZNS: 5 Nach der Pubtertät: Tremor, nachlassende Schulleistungen, Störung der Feinmotorik, Dysarthrie, Dysphagie, psychische Alterationen. 4 Auge: 5 Nach dem 10. Lebensjahr: Kaiser-FleischerKorneal-Ring: Kupferablagerung in der Kornea. 4 z. T. Nierenbeteiligung, Proteinurie, Fanconi-Syndrom.
Definition/Ätiologie. Akute Enzephalopathie mit zere-
Diagnostik.
4 Labor: Transaminasen ↑, CK ↑, Ammoniak ↑, Laktat ↑, Pyruvat ↑, Hypoglykämie, Gerinnungsstörungen; unauffälliger Liquorbefund. 4 Histologie: charakteristische Veränderung der Mitochondrien, ausgeprägte Leberzellverfettung. Differenzialdiagnostik. Störungen der Fettsäureoxidation (7 Kap. 5) müssen ausgeschlossen werden. Therapie. Symptomatisch: intensivmedizinische The-
rapie, Behandlung des Gehirnödems, Vermeidung einer Hypoglykämie, Intubation, Beatmung, antikonvulsive Therapie, Ausgleich von Elektrolyt- und SäureBasenhaushalt. Prognose. Bei Überlebenden häufig normale Leber-
Diagnostik.
4 Labor: 5 Coerulosplasmin ↓ (<20 mg/dl), Gesamtkupfer ↓, freies Kupfer ↑ 5 Kupferausscheidung im Urin ↑ (>100 μg/dl) 5 Kupfergehalt im Lebergewebe ↑ 5 Coeruloplasmin und Kupfer im Serum können auch normal sein. 4 Leberbiopsie: in unklaren Fällen Bestimmung des Kupfergehalts im Leberbiopsat.
funktion, jedoch bleibende neurologische Schäden. ! Acetylsalicylsäure (Aspirin) ist wegen der Gefahr der Entwicklung eines lebensbedrohlichen Reye-Syndroms im Kindesalter bei fieberhaften Infekten nicht empfohlen.
292
Kapitel 13 · Erkrankungen des Verdauungstrakts
13.8.3 Chronische Autoimmunhepatitis
und primär sklerosierende Cholangitis Definition. Autoimmunerkrankungen mit Toleranzverlust gegen Leberzellgewebe bei der chronischen Autoimmunhepatitis (AIH) oder gegen Gallengangsepithelien bei der selteneren primär sklerosierenden Cholangitis (PSC). Ätiopathogenese.
4 Genetische Prädisposition assoziiert mit HLA B8, DR3 und DR4; Auslöser häufig hepatotrope Viren. 4 v. a. Mädchen im Schulalter betroffen.
PSC: 4 Labor: Cholestasezeichen, Bilirubin ↑, Gallensäuren ↑ 4 ERCP: typische Veränderungen der kleinen und größeren Gallenwege mit Kalibersprüngen und Abbrüchen als Zeichen einer Obliteration. Therapie.
4 AIH: immunsuppressive Therapie mit Prednisolon und Azathioprin, Lebertransplantation bei Zirrhose. 4 PSC: Ursodesoxycholsäure, Wirksamkeit einer immunsuppressiven Therapie nicht gesichert. Prognose.
Symptomatik.
13
4 AIH: 5 Schleichender Beginn mit Müdigkeit, Appetitund Gewichtsverlust 5 Oberbauchschmerzen durch Lebervergrößerung 5 Ikterus, Juckreiz, Fieber, Aszites 5 Hautveränderungen: Spider naevi, Palmarerythem 5 z. T. begleitende immunologisch vermittelte Erkrankungen: Glomerulonephritis, hämolytische Anämien, Vitiligo, Polyendokrinopathien, Colitis ulcerosa, Diabetes mellitus, Arthritis 5 Auch akute Präsentation als akute Hepatitis mit Leberversagen 4 PSC: 5 Unspezifische Symptome 5 Pruritus
4 Unbehandelt Leberzhirrhose, deutliche Prognoseverbesserung durch Therapie. 4 Ca. 50% der Patienten mit AIH weisen bereits bei Diagnosestellung eine Leberzirrhose auf. 13.8.4 Lebertumoren Übersicht . Tab. 13.16, vgl. weiterführende Lehrbücher der Pädiatrie. . Tab. 13.16. Lebertumoren im Kindesalter Maligne
Leberzellkarzinom (selten, v. a. bei Hep B, Tyrosinämie Typ 1) Benigne
Hämangiome Hämangioendotheliome Adenome
Diagnostik. AIH:
4 Labor: 5 Transaminasen ↑↑ auf das 3- bis 20-Fache, BKS ↑↑, Lymphozytose, Bilirubin ↑, alkalische Phosphatase ↑, γ-GT ↑ 5 IgG ↑, C3, C4 ↓ 5 Subtyp 1: Nachweis von ANA (antinukleäre Antikörper) und SMA (smooth-muscle-Antikörper) 5 Subtyp 2: Nachweis von LKM1-Antikörper (Liver-Kidney-mikrosomale Antikörper) 4 Leberbiopsie: 5 Portale Entzündung (Mottenfraßnekrosen) 5 Nekrose und Fibrose zwischen portaler und zentraler Zone des Leberläppchens (Brückennekrose)
Embryonales Hepatoblastom (40% der Lebertumore)
Fokale noduläre Hyperplasie
13.9
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse
Akute Pankreatitis Definition. Akute Entzündung der Bauchspeicheldrüse mit intraparenchymatöser Enzymaktivierung und Autodigestion; der Schweregrad variiert von leichten, interstitiellen, ödematösen Entzündungen bis hin zu schweren, hämorrhagisch-nekrotisierenden Entzündungen. Ätiopathogenese.
4 Idiopathisch 4 Infektiös: v. a. durch Mumps, EBV, Coxsackie B, Röteln
293 13.9 · Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse
4 Metabolisch: Urämie, Hyperlipidämie (v. a. Hypertriglyzeridämie), Hyperkalzämie 4 Medikamentös bedingt: z. B. Azathioprin, Valproat, Sulfonamide, Asparaginase, Zytostatika 4 Gallengangsobstruktionen Symptomatik.
4 Erbrechen, Übelkeit 4 Heftige, gürtelförmige Oberbauchschmerzen, Ausstrahlung in den Rücken 4 Gespanntes, druckschmerzhaftes Abdomen, wenige oder fehlende Darmgeräusche 4 Begleitend Pleuraergüsse und Aszites 4 Komplikationen häufig: hypovolämischer Schock, DIC, Sepsis, Hyperglykämie, Abszesse, Fisteln, Pseudozysten
13
4 Gedeihstörung, Übelkeit, Erbrechen 4 Maldigestion, voluminöse Fettstühle Diagnostik.
4 Labor: Amylase, Lipase ↑; Pankreasfunktionstest; Schweißtest 4 Molekulargenetik: Mutationsanalyse 4 Stuhl: Chymotrypsin ↓, Steatokrit ↑ 4 Bildgebung: Sonographie, CT, ERCP Therapie. Symptomatisch: Analgesie, fettreduzierte Kost, Substitution von fettlöslichen Vitaminen und Pankreasenzymen.
Exokrine Pankreasinsuffizienz Definition. Insuffizienz der exokrinen Pankreasfunktionen.
Diagnostik.
4 Labor: Amylase, Lipase ↑ (die Höhe korreliert nicht immer mit dem Schweregrad), Alarmzeichen sind Hypoglykämie und Hypokalzämie 4 Bildgebung: Sonographie: Organschwellung, Echogenitätserhöhung; CT/MRT: Organschwellung, Fehlbildungen, Zysten, ggf. MRCP oder ERCP
Ätiopathogenese.
Therapie.
Symptomatik.
4 Leichte Form: nur bei Schmerzen Nahrungskarenz und ggf. parenterale Ernährung, Analgetika (kein Morphin). 4 Schwere Form: intensivmedizinische Therapie, Analgesie, Schockbekämpfung, Elektrolyt- und Säure-Basen-Ausgleich, antibiotische Prophylaxe.
4 Steatorrhoe mit fettig glänzenden, massigen Stühlen, Meteorismus 4 Gedeihstörung 4 Hypoproteinämie, Ödeme
Chronische Pankreatitis Definition. Chronischer Entzündungsprozess des Pankreas oder rezidivierende akute Pankreatitiden mit bindegewebiger und/oder fettiger Umwandlung des Parenchyms, Sklerose, Verkalkungen und Verlust endokriner und exokriner Funktionen (Pankreasinsuffizienz). Ätiopathogenese.
4 Primäre, hereditäre Pankreatitis: hereditäre rekurrierende Pankreatitis, Mutationen auf dem Gen für das kationische Trypsinogen (Chromosom 7) oder Mutationen im SPINK1-Gen. 4 Sekundäre Pankreatitis: bei Hyperkalzämie, Hyperlipidämie, CF, Galleabflussstörung 4 Juvenile tropische Pankreatitis (vorwiegend in Indien), häufig mit begleitendem Diabetes mellitus. Symptomatik.
4 Chronische, intermittierende Oberbauchschmerzen, initial z. T. Präsentation als akute Pankreatitis.
4 Cystische Fibrose (häufigste Ursache im Kindesalter) 4 Shwachman-Diamond-Syndrom 4 Kongenitaler isolierter Lipase- und Trypsinogenmangel
Diagnostik. Labor: Vitamine A und E, evtl. D ↓ Stuhl:
Chymotrypsin, Elastase ↓, Stuhlfett ↑.
Therapie.
4 Substitution mit Pankreasenzymen in Form von säuregeschützten Pellets (z. B. Kreon). 4 Bei CF: zusätzlich Substitution fettlöslicher Vitamine. > Sonderform: Shwachman-Diamond-Syndrom: autosomal-rezessiv vererbtes Syndrom mit globaler Pankreasinsuffizienz, fettiger Pankreasdegeneration, Dysplasie des Knochenmarks (Leukopenie, Anämie, Thrombozytopenie), Ekzemen, metaphysären Veränderungen, Minderwuchs, Zahnschmelzdefekten und psychomotorischer Entwicklungsverzögerung.
14 14
Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege Marcus R. Benz, Lutz T. Weber
14.1
Kongenitale Fehlbildungen der Niere und der ableitenden Harnwege – 296
14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.1.4 14.1.5
Lage- und Fusionsanomalien der Niere Agenesie – 297 Nierenhypoplasie – 297 Nierendysplasie – 298 Harntransportstörungen – 298
14.2
Zystische Nierenerkrankungen
14.3
Glomerulopathien
14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4 14.3.5 14.3.6 14.3.7 14.3.8 14.3.9 14.3.10
Leitsymptom Hämaturie – 303 Leitsymptom Proteinurie – 304 Nephrotisches Syndrom – 307 Nephritisches Syndrom – 309 IgA-Glomerulonephritis (IgA-GN) – 310 Systemerkrankungen mit glomerulärer und vaskulärer Beteiligung Rapid-progressive Glomerulonephritis (RPGN) – 312 Chronische Glomerulopathien – 313 Benigne familiäre Hämaturie – 313 Alport-Syndrom – 314
14.4
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) – 314
14.5
Tubulointerstitielle Nephritis (TIN) – 315
14.6
Tubulopathien
14.6.1 14.6.2 14.6.3 14.6.4 14.6.5 14.6.6 14.6.7 14.6.8 14.6.9
Renale Glukosurie – 316 Störungen des Aminosäuretransports – 317 Nephrogener Diabetes insipidus (NDI) – 317 Bartter-Syndrome und Gitelman-Syndrom – 318 Dent-Erkrankung – 318 Lowe-Syndrom (okulo-zerebro-renales Syndrom) – 318 Hypophosphatämische Rachitis – 319 Renal-tubuläre Azidosen (RTA) – 319 DeToni-Debré-Fanconi-Syndrom – 319
– 296
– 301
– 303
– 316
– 311
14.7
Arterielle Hypertonie – 320
14.8
Urolithiasis und Nephrokalzinose
14.8.1 14.8.2 14.8.3
Urolithiasis – 321 Nephrokalzinose – 322 Primäre Hyperoxalurie (PH)
14.9
Harnwegsinfektionen (HWI)
14.10
Enuresis
14.11
Akute Niereninsuffizienz (ANI) – 325
14.12
Chronische Niereninsuffizienz (CNI)
14.13
Nierenvenenthrombose (NVT) – 328
14.14
Das äußere Genitale
14.14.1 14.14.2 14.14.3 14.14.4 14.14.5 14.14.6 14.14.7 14.14.8 14.14.9 14.14.10
Hypospadie – 328 Epispadie und Ekstrophiekomplex – 329 Phimose – 329 Paraphimose – 330 Balanitis – 330 Lageanomalien des Hodens. – 330 Hydrozele – 330 Hodentorsion – 331 Labiensynechie – 331 Hymenalatresie – 331
14.15
Tumoren im Bereich der Nieren und ableitenden Harnwegen – 331
14.16
Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-BasenHaushalts – 331 Carolin Kröner, Berthold Koletzko
14.16.1 14.16.2 14.16.3 14.16.4
Grundlagen – 331 Störungen des Natrium-und Wasserhaushalts Störungen des Kaliumhaushalts – 334 Störungen des Säure-Basenhaushalts – 335
– 321
– 322
– 323
– 324
– 326
– 328
– 331
296
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
14.1
Kongenitale Fehlbildungen der Niere und der ableitenden Harnwege
Fehlbildungen der Niere und der ableitenden Harnwege gehören zu den häufigsten Fehlbildungen überhaupt. Durch die sich entwickelnde Ureterknospe wird im metanephrogenen Blastem (Metanephros = Nachniere) die Ausbildung der Glomeruli und Tubuli induziert, die dann Anschluss an die sich aus dem Ureter entwickelnden harnableitenden Strukturen (Sammelrohre, Nierenkelche, Harnleiter) finden. Die Nephrogenese mit Ausbildung von Glomeruli ist in der 34.–36. SSW abgeschlossen, danach schließen sich noch Größenwachstum und Ausreifung der angelegten Strukturen an. Die Nieren nehmen ihre Funktion zwischen der 11. und der 13. SSW auf, relevante Urinmengen werden etwa ab der 20. SSW produziert, sodass dann ein mögliches Oligo- oder Polyhydramnion renaler Ursache apparent wird. 14.1.1 Lage- und Fusionsanomalien
der Niere Definition. Gestörte Rotation und Wanderung der Nie-
re (. Abb. 14.1).
Beispiele für Lage- und Fusionsanomalien der Niere
14
4 Beckenniere (kaudal-dystope Niere): Lage der Niere im kleinen Becken, meist neben der A. iliaca communis, durch Ausbleiben der Nierenwanderung, bei 1:800 Geburten. 4 Gekreuzte Dystopie: die Nieren sind auf einer Seite untereinander angeordnet und miteinan6
. Abb. 14.1. Lage- und Formanomalien der Niere
der verschmolzen, der Ureter der dystopen Niere zieht über die Mittellinie und mündet auf der gegenüber liegenden Seite in die Blase (1:8 000). 4 Hufeisenniere: sehr häufige Form der Fusionsanomalie (1:500), die Nieren sind über die Mittellinie hinweg – meist am unteren Pol – miteinander verschmolzen und die Nierenbecken zeigen nach ventral (kommen beim Ullrich-Turner-Syndrom gehäuft vor). 4 Kuchenniere: komplette Fusion der Nieren im Bereich der Mittellinie, liegt meist im kleinen Becken. 4 Doppelniere: meist keine echte Verdopplung der Nierenanlage, sondern eine Trennung des Nierenbeckens durch eine Parenchymbrücke in ein oberes und ein unteres Nierenbecken (ca. 1% der Bevölkerung). Die Trennung der ableitenden Harnwege kann bei Doppelnieren unterschiedlich stark ausgeprägt sein: Von der Beschränkung auf das Nierenbecken mit einem gemeinsamen Ureter (dichotomes Nierenbecken) über einen Ureter fissus (getrennte Ureteren, die sich vor Einmündung in die Blase wieder vereinigen) bis zum Ureter duplex (separate Einmündung der Uretern in die Blase, wobei ein Ostium dabei immer ektop liegt) Meyer-Weigert-Regel: Bei Ureter duplex kreuzen die Harnleiter im Verlauf, der laterokranial in die Blase mündende Ureter gehört zum unteren Pol der Niere, der mediokaudal in die Blase mündende gehört zum oberen Pol der Niere.
Symptomatik. Reine Anomalien der Lage und Form
der Nieren sind in der Regel symptomlos, auf Harnwegsinfektionen oder die Entwicklung einer arteriellen
297 14.1 · Kongenitale Fehlbildungen der Niere und der ableitenden Harnwege
Hypertonie ist zu achten (dann Diagnostik bezüglich weiterer Fehlbildungen des Harntrakts). Sonderfall Doppelniere: Klinisch wird die unkomplizierte von der komplizierten Doppelniere unterschieden: 4 Unkomplizierte Doppelniere: Zufallsbefund ohne klinische Symptome 4 Komplizierte Doppelniere: Doppelniere mit Harnwegsinfektionen oder arterieller Hypertonie, meist bestehen dann weitere Fehlbildungen, die häufig mit Doppelnierenanlage assoziiert sind (vesikoureterorenaler Reflux (VUR), terminale Uretermündungsstenose, Ureterozele, Megaureter). Diagnostik.
4 Urinuntersuchung bei Verdacht auf Harnwegsinfektion 4 Blutdruckmessung 4 Sonographie (für Doppelniere meist allein nicht ausreichend) 4 Bei symptomatischen Lage- oder Fusionsanomalien ggf. Magnetresonanz-Urographie/ i. v.-Pyelogramm, ggf. Miktionszystourethrographie (bei Harnwegsinfektionen, zur Diagnose eines VUR), ggf. dynamische Nierenszintigraphie (zur seitengetrennten Funktionsbestimmung und Bestimmung der Abflussverhältnisse mittels 99mTc-MAG3), ggf. statische Nierenszintigraphie mittels 99mTc-DMSA Therapie. Bei symptomlosen Lage- und Fusionsanomalien ist in der Regel keine Therapie erforderlich; bei symptomatischen (= komplizierten) Doppelnieren ist im Verlauf ggf. eine chirurgische Korrektur der Fehlbildung indiziert.
14.1.2 Agenesie Einseitige Nierenagenesie Definition. Einseitiges Fehlen der Niere, meist auch des gleichseitigen Harnleiters. Epidemiologie. 1:500 bis 1:3 200 Lebendgeborene; m>w. Ätiopathogenese. Fehlentwicklung des primitiven
Harnleiters und des metanephrogenen Blastems. Symptomatik. Meist symptomlos; kompensatorische Hypertrophie der kontralateralen Niere; häufig mit anderen Fehlbildungen assoziiert.
14
Bilaterale Nierenagenesie Definition. Fehlen beider Nieren; mit dem extrauterinen Leben nicht vereinbar. Epidemiologie. Häufigkeit 1:10 000; m>w. Symptomatik. Aus der intrauterin Oligo- oder Anhy-
dramnie entwickelt sich die Potter-Sequenz mit typischen Stigmata auf: Lungenhypoplasie; weiter Augenabstand, Vogel- bzw. Hakennase, tief sitzende, gelappte Ohrmuscheln, abgeflachte und verbreiterte Nase, schmale Hände, Klumpfüße und Arthrogryposis, schmaler, hypoplastischer Thorax. Die Potter-Sequenz tritt bei allen schweren Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege auf, die mit verminderter intrauterinen Urinproduktion Oligo-/Anhydramnion) einhergehen. Diagnostik. Bei pränataler Diagnose einer PotterSequenz muss individuell und interdisziplinär (Neonatologie, Pädiatrische Nephrologie, Gynäkologie, Psychologie) über das weitere Vorgehen entschieden werden.
14.1.3 Nierenhypoplasie Definition/Symptomatik. Verminderte Nierenmasse bei mikroskopisch normalem anatomischen Aufbau der Niere. Unilaterale Formen führen zu einer kompensatorischen Hypertrophie der kontralateralen Niere. 4 Die einfache bilaterale Nierenhypoplasie – meist ohne gravierende Nierenfunktionseinschränkung – ist sehr selten und von der Nierenhypoplasie mit gleichzeitig vorliegender Nierendysplasie (s. u.) und der Oligomeganephronie abzugrenzen, die beide meist zu einer progredienten Niereninsuffizienz führen. 4 Die Oligomeganephronie ist durch ein stark erniedrigtes Nierengewicht und eine ausgeprägte Verminderung der Nephronzahl (ca. 20% der Norm) bei gleichzeitiger Hypertrophie derselben definiert. Sekundär kommt es durch Hyperfiltration der Nephrone zu Fibrose und weiterer Nierenfunktionseinschränkung bis zur terminalen Niereninsuffizienz. Differenzialdiagnostik.
4 Sekundäre Hypoplasie: bei vesikoureterorenalen Reflux, Zustand nach rezidivierenden Pyelonephritiden, Zustand nach vaskulärer Ischämie, Zustand nach Nierenvenenthrombose, bei dysplastischer Nierenanlage.
298
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
14.1.4 Nierendysplasie Definition/Ätiopathogenese. Entstanden durch fehler-
hafte Differenzierung des metanephrogenen Blastems, meist mit anderen Anomalien des Urogenitaltrakts, aber auch mit Fehlbildungssyndromen assoziiert. Am häufigsten ist die multizystische Nierendysplasie: Kombination mit zystischen Veränderungen (7 Kap. 14.2). Nierendysplasie ohne Zysten liegt häufig bei Harntransportstörungen vor, insbesondere bei obstruktiven Uropathien. ! Nierendysplasie ohne Zysten ist von sekundären Veränderungen, z. B. durch rezidivierende febrile Harnwegsinfektionen, schwierig zu unterscheiden.
Ätiopathogenese. Wahrscheinlich inkomplette Reka-
nalisierung des physiologischerweise am 42. Gestationstags komplett verschlossenen Ureters: passagere Erhöhung des intrapelvinen Drucks führt zur Dilatation des Nierenbeckens und der Nierenkelche. Symptomatik.
4 Meist pränataler oder postnataler sonographischer »Zufallsbefund«. 4 Meist keine oder uncharakteristische Symptome wie Bauchschmerzen durch ausgeprägte Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems, bei älteren Kindern Flankenschmerzen nach hoher Flüssigkeitszufuhr. 4 Fieberhafte Harnwegsinfektionen. Diagnostik.
14.1.5 Harntransportstörungen Im gesamten ableitenden Harntrakt kann es durch unterschiedlichste Fehlbildungen zu einem Harnstau kommen, der zur Dilatation proximal des Hindernisses gelegener Strukturen führt und schließlich zu einer Druckschädigung des Nierenparenchyms führen kann (. Abb. 14.2). Ureterabgangsstenose (Ureteropelvine Stenose) Definition. Innere Fibrose der Verbindung zwischen Nierenbecken und Harnleiter, Störung der peristaltischen Harnableitung vom Nierenbecken in den Harnleiter und sekundäre Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems.
14
Epidemiologie. Häufigste Ursache der Dilatation des
Nierenbeckenkelchsystems im Kindesalter (1:1 000, m: w = 2–3:1, in ca. 40% bilateral).
4 Sonographie: dilatierter Harnleiter und dilatiertes Nierenbeckenkelchsystem. 4 Dynamische Nierenszintigraphie und Diureseszintigraphie (mittels 99mTc-MAG3) zur seitengetrennten Funktionsbestimmung und Bestimmung der Abflussverhältnisse (Differenzierung obstruktiv oder nichtobstruktiv). 4 Intravenöse Pyelographie: heutzutage kaum mehr durchgeführt, nur speziellen Fragestellungen vorbehalten (z. B. Darstellung von Steinen). 4 Magnetresonanz-Urographie (MR-Urographie): zur Darstellung der Anatomie komplexer Fehlbildungen. 4 Miktionszystourethrographie: Untersuchung auf VUR, da eine Ureterabgangsstenose in 7–10% mit einem ipsilateralen VUR assoziiert ist. Differenzialdiagnostik. Ureterabgangsstenose bei: 4 Aberrierendem Gefäß mit Abknickung des Harnleiters. 4 Ureterkinking: gewundener Verlauf des Ureters mit Abknickung 4 Hohem Abgang des Ureters aus dem Nierenbecken 4 Gestörter Peristaltik 4 Urolithiasis 4 Tumor Therapie.
. Abb. 14.2. Übersicht über Fehlbildungen der ableitenden Harnwege
4 Bei ausgeglichener seitengetrennter Funktion und nicht obstruktivem Ausscheidungsmuster: Beobachtung des Befundes und sonographische Kontrollen. 4 Wiederholung der nuklearmedizinischen Untersuchung nach 3(–6)–12 Monaten je nach Befund. 4 Bei sonographisch schmalem Parenchym und szintigraphisch obstruktivem Ausscheidungsmuster: Operation der Stenose.
299 14.1 · Kongenitale Fehlbildungen der Niere und der ableitenden Harnwege
4 Bei akuter und massiver Hydronephrose: perkutane Nephrostomie zur Entlastung des Nierenbeckenkelchsystems. 4 Antibakterielle Dauerprophylaxe bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Prognose. Abhängig von der Ausprägung, Möglichkeit
14
passagere Harnableitung oder primäre Ureter-Neueinpflanzung. 4 Antibakterielle Dauerprophylaxe bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Prognose. Hohe Spontanheilungsrate, die operative Korrektur ist selten erforderlich.
der Rückbildung in den ersten Lebensjahren. Vesikoureterorenaler Reflux (VUR) Terminale Ureterstenose (= primärer konnataler Megaureter) Definition. Unterbrechung der Ureterperistaltik im prävesikalen Uretersegment durch Rarefizierung der spiralförmig angeordneten glattgestreiften Uretermuskulatur. Frustrane Peristaltik des proximalen Ureters und Regurgitation von Urin → Dilatation des Ureters.
Definition.
Epidemiologie. Zweithäufigste Ursache der Dilata-
Ätiopathogenese
tion des Nierenbeckenkelchsystems im Kindesalter, m:w = 5:1.
4 Primärer VUR: Fehlanlage des Ureterostiums in der Blasenwand als Folge einer Fehlposition der Ureterknospe im Bereich des Wolff-Gangs, der submuköse Tunnel ist verkürzt und der physiologische Verschluss insuffizient. 4 Sekundärer VUR: Folge einer Obstruktion distal der Blase oder einer neurogenen Blase (pathologisch erhöhter Blaseninnendruck führt zu einer sekundären Insuffizienz des Ostiums).
Symptomatik.
4 Meist asymptomatisch und im pränatalen Ultraschall entdeckter »Zufallsbefund«. 4 Bauchschmerzen durch ausgeprägte Dilatation, bei älteren Kindern Flankenschmerzen nach hoher Flüssigkeitzufuhr. 4 Fieberhafte Harnwegsinfektionen
4 Vesikoureteraler Reflux: retrograder Rückfluss von Urin in den Harnleiter, bei ausgeprägteren Formen (Gradeinteilung) bis in das Nierenbecken (vesikoureterorenaler Reflux). 4 Intrarenaler Reflux: Reflux, der bis in das Nierenparenchym reicht.
Epidemiologie. Häufigkeit 1–2:1 000, w:m = 4:1. Diagnostik.
4 Sonographie: erweiterter retrovesikaler Harnleiter und ggf. Nierenbeckenkelchsystem. 4 Dynamische Nierenszintigraphie und Diureseszintigraphie (mittels 99mTc-MAG3) zur seitengetrennten Funktionsbestimmung und Bestimmung der Abflussverhältnisse (Differenzierung obstruktiv oder nichtobstruktiv). 4 Miktionszystourethrographie: Untersuchung auf VUR, da wichtigste Differenzialdiagnose bei sonographisch retrovesikal darstellbarem Ureter. Differenzialdiagnostik. VUR (s. unten); Urolithiasis,
Tumor. Therapie.
4 Bei ausgeglichener seitengetrennter Funktion und nicht obstruktivem Ausscheidungsmuster: Beobachtung des Befundes und sonographische Kontrollen. 4 Wiederholung der nuklearmedizinischen Untersuchung nach 3(–6)–12 Monaten je nach Befund. 4 Bei sonographisch schmalem Parenchym und szintigraphisch obstruktivem Ausscheidungsmuster:
Symptomatik. Asymptomatischer VUR; symptomatischer VUR mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen mit der Gefahr der Nierennarbenbildung sowie konsekutiver Nierenfunktionseinschränkung. > Bei einer gesicherten fieberhaften Harnwegsinfektion im Säuglings- oder Kleinkindesalter muss ein vesikoureteraler Refluxes ausgeschlossen werden.
Diagnostik.
4 Methode der Wahl: Miktionszystourethrographie (MCU, . Abb. 14.3, . Abb. 14.4): 5 Füllen der Blase mit wasserlöslichem Kontrastmittel, bei Miktion oder schon davor kommt es zu einem Rückfluss des Kontrastmittels in den Ureter, der je nach Schweregrad bis in das Nierenbecken reichen kann. 5 Die MCU kann mittels Durchleuchtung (Röntgen), sonographisch oder nuklearmedizinisch durchgeführt werden. Bei Jungen sollte die erste MCU immer röntgenologisch erfolgen, da so zusätzlich die Urethra untersucht werden kann (zum Ausschluss von Urethralklappen (s. un-
300
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
4 4
4
4
ten)). Für Kontrolluntersuchungen und bei Mädchen stehen grundsätzlich die sonographische und nuklearmedizinische Refluxprüfung zur Verfügung. Sonographie zeigt evtl. Hinweise für einen VUR (Dilatation des Ureters oder des Nierenbeckenkelchsystems). Dynamische Nierenszintigraphie und Diureseszintigraphie (mittels 99mTc-MAG3) zur seitengetrennten Funktionsbestimmung und Bestimmung der Abflussverhältnisse kann eine mögliche zusätzliche Obstruktion nachweisen. Statische Nierenszintigraphie mittels 99mTcDMSA zum Nachweis postinfektiöser Narben (6 Monate nach Infektion) und seitengetrennter Nierenfunktion. Zystomanometrie: bei neurogener Blasenstörung atypischer Druckkurvenverlauf.
! Eine unauffällige sonographische Untersuchung schließt einen VUR nicht aus.
Therapie. Die Therapie des VUR im Kindesalter ist ab-
hängig von Refluxgrad, Alter und Anzahl der Harnwegsinfektionen, Optionen: 4 Keine Therapie 4 Antibakterielle Langzeitprophylaxe 4 Endoskopische subureterale Kollageninjektion (SCIN) 4 Ureter-Neuimplantation (modifiziert nach Politano-Leadbetter)
14
. Abb. 14.3. Internationale Refluxklassifikation auf der Basis der Röntgen-Miktionszystourethrographie
Im 1. Lebensjahr ist wegen des hohen Risikos der Nierenparenchymschädigung durch eine Harnwegsinfektion bei höher gradigem Reflux eine antibakterielle Dauerprophylaxe indiziert. Eine SCIN oder UreterNeuimplantation wird nur in Ausnahmefällen bei multiplen rezidivierenden Harnwegsinfektionen durchgeführt. Im Alter von 1–5 Jahren wird nach reevaluierender Diagnostik bei niedriggradigen VUR (Grad I oder II) je nach Frequenz der Harnwegsinfektionen die antibakterielle Prophylaxe weitergeführt oder aber abgesetzt, wenn über 1 Jahr keine Harnwegsinfektion mehr aufgetreten ist. Höhergradige VUR (Grad III–V) werden in Abhängigkeit des individuellen Falles (bilateraler Reflux, Anzahl der Harnwegsinfektionen, bestehende Nierennarben) mit antibakterielle Dauerprophylaxe oder Ureter-Neuimplanatation behandelt. Ab dem Alter von 6 Jahren wird ein höhergradiger VUR meist chirurgisch korrigiert, da die Wahrscheinlichkeit der Rückbildung nun gering ist.
301 14.2 · Zystische Nierenerkrankungen
14
Komplikation. VUR-assoziierte Nierenschäden sind
meist multifaktoriell und werden unter dem Begriff Refluxnephronopathie zusammengefasst. Prognose. Abhängig vom Grad des VUR und der Anzahl der febrilen Harnwegsinfektionen: je niedriger der Grad des VUR, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in den ersten Lebensjahren zu einer Rückbildung kommt.
Urethralklappen Definition. Obstruktion der hinteren Harnröhre durch Klappen; schwerste Form: Urethralklappen in der proximalen Harnröhre des Jungen. Epidemiologie. Häufigkeit 1:5 000–8 000 männliche
Neugeborene. Symptomatik.
4 Pränatal stark vergrößerte, konstant gefüllte Blase mit Oligohydramnion, sekundärer VUR ein- oder beidseitig, Nierendysplasie möglich. 4 Blasenwandverdickung und Pseudodivertikel. 4 Postnatale Nierenfunktion hängt ab von der Schwere der Nierendysplasie und damit von Zeitpunkt und Ausmaß der intrauterinen Schädigung → unterschiedliches Ausmaß einer chronischen Niereninsuffizienz. 4 Rezidivierende, fieberhafte Harnwegsinfektionen. Diagnostik. 4 Sonographie: große Blase, Blasenwandverdickung, Pseudodivertikel, ggf. Megaureter und Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems, Nierendysplasie. 4 MCU: massive Dilatation der proximalen Urethra (. Abb. 14.4), stark trabekulierte Blasenwand, Pseudodivertikel, ggf. VUR (in 30–50%).
. Abb. 14.4. Darstellung von Urethralklappen bei einem Jungen mit Hilfe des Röntgen-Miktionszystourethrogramms. Nach Ziehen des transurethralen Blasenkatheters wird die stenosierende Einengung mit prästenotischer Dilatation im proximalen Drittel der Urethra sichtbar
Die pränatale Ableitung des Harns von der Blase in die Amnionhöhle ist umstritten. Prune-Belly-Syndrom Definition/Symptomatik. Die klassische Symptomtrias umfasst: 4 Partielle bis totale Bauchdeckenaplasie oder -hypoplasie 4 Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege 4 Bilateraler Kryptorchismus
Therapie.
4 Akut: 5 Methode der Wahl: suprapubische Harnableitung. 5 In Ausnahmefällen: Transurethrale Anlage eines Blasenkatheters. 4 Später: 5 Transurethrale Klappenresektion durch Zystourethroskopie, retrograd oder antegrad über suprapubischen Katheter (meist ab 4 kg KG durchführbar). 5 antibakterielle Langzeitprophylaxe. 5 Wenn nach Klappenresektion konstanter VUR, evtl. Reimplantation der refluxiven Ureter.
Epidemiologie. 1:35 000–50 000. Prognose. Abhängig vom Ausmaß der Nierenfunktionsstörung.
14.2
Zystische Nierenerkrankungen
Nierenerkrankungen mit Zystenbildung stellen keine einheitliche Krankheitsgruppe dar. Zunehmend setzt sich die genetische Bezeichnung der einzelnen Krankheitsbilder durch. Zystische Nierenerkrankungen können bereits in utero symptomatisch werden, aber auch
302
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
bis ins hohe Erwachsenenalter klinisch stumm verlaufen. Nierenzysten sind häufig Teil komplexer Fehlbildungssyndrome (z. B. Jeune-Syndrom, Bardet-BiedlSyndrom, Meckel-Gruber-Syndrom). Autosomal-rezessive Polyzystische Nierenerkrankung (engl. ARPKD) Definition. Autosomal-rezessiv vererbte Erweiterung der Sammelrohre. Zusätzlich Proliferation und Dilatation der intrahepatischen, später auch der extrahepatischen Gallengänge → Leberfibrose. Epidemiologie. Ca. 1:20 000.
Prognose.
4 Frühzeitige und konsequente Therapie der arteriellen Hypertonie mindert die Progression der Niereninsuffizienz 4 Überlebensrate nach 3 Jahren bei Jungen: 94% bei Mädchen: 82% 4 Terminale Niereninsuffizienz bei ca. 60% im Alter von 20 Jahren Autosomal-dominante Polyzystische Nierenerkrankung (engl. ADPKD) Definition. Autosomal-dominant vererbte, polyzystische Nierenerkrankung. Alle Nephronabschnitte sind von Zysten durchsetzt.
Ätiopathogenese.
14
4 Rezessives Gen (PKHD1) auf Chromosom 6 p21.1p12.
Epidemiologie. Prävalenz 1:1 000, häufigste monogene
Symptomatik. Die ARPKD ist gekennzeichnet durch
Ätiopathogenese. Für 85% aller Fälle verantwortliches, dominantes PKD1 Gen wird auf Chromosom 16 p13.3 kodiert; zweites Gen, PKD2, auf Chromosom 4.
vergrößerte Nieren mit mikroskopisch zystischer Erweiterung der Sammelrohre und Funktionseinschränkung. Das Manifestationsalter kann unterschiedlich sein. 4 Pränatal (ca. 10%): in schweren Fällen Oligohydramnion und Lungenhypoplasie → Potter-Sequenz. 4 Neugeborene (ca. 40%): starke Nierenvergrößerung, vorgewölbtes Abdomen, riesige tastbare Nieren (»Bauchtumor«). 4 1. und 2. Lebensjahr (ca. 20%): arterielle Hypertonie (meist Hauptproblem), Harnwegsinfektionen, Polyurie, Polydipsie, Azidose, renaler Salzverlust, schwere Niereninsuffizienz, kongenitale Leberfibrose (Hepatomegalie, Ösophagusvarizen, Splenomegalie). 4 Adoleszenz (ca. 30%): wie »1. und 2. Lebensjahr«. ! Die Nierenvergrößerung kann zu schwerer Atembehinderung und Ernährungsproblemen führen, sodass frühzeitig eine uni- oder bilaterale Nephrektomie erwogen werden muss.
Diagnostik.
4 Sonographie, ggf. i. v.-Pyelographie 4 Familienanamnese, Sonographie der Eltern und ggf. Großeltern 4 Molekulargenetik Therapie. Symptomatisch: Therapie der arteriellen
Hypertonie, der Niereninsuffizienz (inkl. Dialyse und Nierentransplantation) und der Leberfunktionsstörung.
Nephropathie.
Symptomatik.
4 Manifestation meist erst im mittleren Erwachsenenalter (früher: »adulter Typ«), zunehmende Niereninsuffizienz, im 4.–6. Lebensjahrzehnt terminal. 4 Nur 2% werden im Kindesalter manifest mit arterieller Hypertonie, z. T. stark vergrößerten Nieren, Harnwegsinfektionen, Hämaturie. 4 Extrarenale Komplikationen: Leberzysten, Hirnarterienaneurysmata, Kardiovaskuläre Komplikationen. Diagnostik.
4 Sonographie, ggf. i. v.-Pyelographie 4 Familienanamnese, Sonographie der Eltern und ggf. Großeltern 4 Molekulargenetik Therapie. Im Kindesalter konsequente Einstellung der
arteriellen Hypertonie und Therapie von Harnwegsinfektionen. Multizystische Nierendysplasie Definition. Angeborene Nierenerkrankung mit Verdrängung der normalen Nierenstruktur durch undifferenziertes, zystisch verändertes Gewebe ohne Funktion. Die unterschiedlich großen flüssigkeitsgefüllten Zysten kommunizieren nicht miteinander und haben keine Verbindung zum Harnsystem, der Ureter ist atretisch.
303 14.3 · Glomerulopathien
14
Epidemiologie.
Symptomatik.
4 Häufigste angeborene Nierenfehlbildung: 1:4 500: sporadisch (nicht hereditär) 4 m>w 4 Selten assoziiert mit anderen Fehlbildungen (z. B. Stenosen des Gastrointestinaltrakts, Herzvitien).
4 Meist im Schulalter Beginn mit Polydipsie und Polyurie (evtl. als sekundäre Enuresis nocturna), chronische Niereninsuffizienz z. B. mit gestörten Wachstum, renaler Anämie, renaler Osteopathie. 4 Extrarenale Beteiligungen: Augen: z. T. assoziiert mit Retinitis pigmentosa (Senior-Løken-Sydrom); ZNS (z. B. Joubert-Syndrom mit Hypoplasie des Kleinhirnwurms); Skelett (Zapfenepiphysen; Leber).
Symptomatik.
4 70% werden pränatal sonographisch diagnostiziert. 4 Beidseitige multizystische Nierendysplasie ist in Folge eines ausgeprägten Oligo-/Anhydramnions meist letal. 4 Niere kann anfangs sehr groß sein (Abdominaltumor) → in den ersten Lebensjahren Involution der Niere, bis eine Einzelniere der Gegenseite resultiert, kontralaterale Niere kompensatorisch hypertrophiert.
Auch die asphyxierende Thoraxdysplasie (Jeune-Syndrom) und das Ellis-van Krefeld-Syndrom sind Erkrankungen des Nephronophthise-Komplexes mit Skelettfehlbildungen und Leberbeteiligung sowie bei letzterem zusätzlich auch Herzfehlern. Diagnostik. Mutationsanalyse; Nierenbiopsie: typische
Histologie. Diagnostik.
4 Sonographie, ggf. Szintigraphie.
Differenzialdiagnostik. Medullary cystic disease (Son-
Differenzialdiagnostik. Ausgeprägte Ureterabgangsste-
derform) mit Manifestation im Jugend- bis Erwachsenenalter.
nose. Therapie.
Prognose. Manifeste chronische Niereninsuffizienz meist im Alter von 10–15 Jahren.
4 Ggf. Behandlung der arteriellen Hypertonie.
Glomerulopathien
Komplikationen. Sehr selten (1:2 000) maligne Entar-
14.3
tung der multizystischen Niere (bei vollständiger Involution nicht beobachtet).
14.3.1 Leitsymptom Hämaturie
Prognose. Meist Erhaltung der globalen Nierenfunktion durch kompensatorische Hypertrophie der kontralateralen Niere.
Nephronophthise Definition. Verschiedene autosomal-rezessive, progrediente tubulointerstitielle Nierenerkrankungen mit ähnlichem klinischem Verlauf und z. T. zusätzlichen extrarenalen Störungen. Überschneidungen zu den im Erwachsenenalter symptomatisch werdenden medullären Zystennieren, sodass auch vom »Nephronophthisis-Medullary cystic kidney disease Komplex« gesprochen wird. Ätiopathogenese. Bislang sind 7 Genorte für den Nephronophthisekomplex identifiziert (NPHP1-7). Epidemiologie. Prävalenz >0,1:100 000; trotz Seltenheit die häufigste genetisch bedingte Ursache für chronische Niereninsuffizienz im Kindesalter.
Definition.
4 Makrohämaturie: sichtbare Braun- oder Rotfärbung des Urins durch Erythrozyten. 4 Mikrohämaturie: >5 Erythrozyten/μl Urin, aber keine sichtbare Rotfärbung des Urins. Diagnostik. Allerdings bedeutet nicht jede Braun- oder
Rotfärbung des Urins eine Makrohämaturie (. Tab. 14.1). Mit dem Urinteststreifen können Erythrozyten, freies Hämoglobin und Myoglobin nachgewiesen werden, sodass bei positivem Urinteststreifen zur Differenzierung dieser 3 Ursachen eine Urinmikroskopie eines frisch gewonnen Urins obligat ist. Bei Nachweis von Erythrozyten in der Urinmikroskopie kann die Morphe der Erythrozyten bei der Differenzierung zwischen glomerulärer und nichtglomerulärer Erythrozyurie helfen. Akanthozyten (so genannte »Mickymaus-Erythrozyten«) sind pathognomonisch für eine glomeruläre Herkunft der Erythrozyten (. Abb. 14.5). Weitere Differenzierungsmerkmale . Tab. 14.2.
304
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
. Tab. 14.1. Ursachen für eine Rot- oder Braunfärbung des Urins Endogen Erythrozyten Hämoglobin Myoglobin Stoffwechselprodukte
Homogentisinsäure (Alkaptonurie), Porphyrine
Amorphe Urate (Ziegelmehl) Exogen Nahrungsmittel
Rote Beete (Betanidin), Rhabarber (Anthronderivate), Brombeeren, Lebensmittelfarbstoffe (z. B. Anilin)
Medikamente
Chloroquin, Deferoxamin, Ibuprofen, Metronidazol, Nitrofurantoin, Rifampicin, Phenolphtalein, Phenothiazine, Phenytoin
Bakterien
Serratia marcescens
Abhängig von Anamnese, Untersuchungsbefund und Urindiagnostik ist nun eine gezielte Differenzialdiagnostik möglich. 14.3.2 Leitsymptom Proteinurie Definitionen.
14
4 Normal: Eiweiß im Urin <100 mg/m2 Körperoberfläche pro 24 h 4 Kleine Proteinurie: Eiweiß im Urin 100–1 000 mg/ m2 Körperoberfläche pro 24 h 4 Große Proteinurie: Eiweiß im Urin >1 000 mg/m2 Körperoberfläche pro 24 h Die Differenzierung der Eiweiße im Urin (Elektrophorese) und das Molekulargewicht der im Urin nachgewie-
. Abb. 14.5. Akanthozyten (»Micky Mouse Erythrozyten«) im Urin bei glomerulärer Hämaturie infolge einer in der Histologie nachgewiesenen IgA-Glomerulonephritis
senen Proteine geben einen Hinweis auf den Ursprung der Proteinurie. Vorwiegend kleinmolekularer Proteine (wie α-1-Mikroglobulin) weisen auf eine tubulointerstitielle Schädigung hin, da diese Eiweiße normalerweise frei durch den Glomerulus filtriert und dann im proximalen Tubulus nahezu komplett rückresorbiert werden. Albumin wird aufgrund seiner Ladungen und seines Molekulargewichts (ca. 66 000 Da) nicht über den Glomerulus filtriert. Der Nachweis von Albumin ist Zeichen einer glomerulären Schädigung. Eine kleine Proteinurie ist im Kindesalter meist mit einer Hämaturie vergesellschaftet, eine isolierte Proteinurie eher selten. Die harmlose orthostatische Proteinurie, gekennzeichnet durch erhöhte Eiweißausscheidung tagsüber, aber nicht nachts, stellt eine Ausschlussdiagnose dar.
. Tab. 14.2. Differenzierung zwischen glomerulärer und nichtglomerulärer Hämaturie glomerulär
nichtglomerulär
Urinfarbe
rotbraun-colafarben
rosa-(hell)rot
Blutkoagel
keine
möglich
Eryhrozytenmorphologie
dysmorph (Akanthozyten)
eumorph
Erythrozytenzylinder
möglich
keine
Proteinurie*
>100 mg/ m2×d
<100 mg/m2×d
* als Differenzierungsmerkmal nur bei Mikrohämaturie sinnvoll, da bei Makrohämaturie falsch-positive Befunde für die Proteinurie
305
. Abb. 14.6. Algorithmus Hämaturie. (Aus: Benz et al, 2004)
14.3 · Glomerulopathien
14
306
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
14
. Abb. 14.7. Algorithmus isolierte Proteinurie. (Aus: Benz et al. 2004)
307 14.3 · Glomerulopathien
! Nephrotisches und nephritisches Syndrom sind klinisch definiert. Zugrunde liegende glomeruläre Erkrankungen können durch eine histopathologische Untersuchung gesichert werden.
. Tab. 14.3. Nephrotisches Syndrom im Kindesalter Ätiologie
Erkrankung
Idiopathisch
4 Minimale Glomerulusveränderungen (MCGN) 4 Fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS) 4 Diffuse mesangiale Sklerose (DMS) 4 Membranoproliferative Glomerulonephritis (MPGN) 4 Membranöse Glomerulonephritis (MGN)
14.3.3 Nephrotisches Syndrom Definition/Symptomatik. Symptomenkomplex, hervorgerufen durch glomerulären Eiweißverlust. 4 Obligate Symptome: 5 Große Proteinurie (>1 000 mg/m2 KOF pro 24 h 5 Hypalbuminämie ≤25 g/l 4 Fakultative Symptome: 5 Ödeme 5 Hyperlipidämie (Cholesterin ↑, Triglyzeride ↑)
Symptomatische Formen des nephrotischen Syndroms Immunologische Systemerkrankungen Infektionen
Pathophysiologie. Erhöhte Permeabilität der Glome-
Impfungen
ruluskapillaren → vermehrte Permeabilität für Makromoleküle, z. B. Albumin → renaler Eiweißverlust, v. a. von Albumin (selektive Proteinurie) → Hypalbuminämie → Verminderung des onkotischen Drucks → Verlagerung intravaskulärer Flüssigkeit in das Interstitium → Ödeme. Renaler Verlust von Immunglobulinen und Komplementfaktoren → vermehrte Infektanfälligkeit. Verminderter intravasaler Flüssigkeitsgehalt, erhöhte Viskosität, renaler Verlust von Antithrombin III, Protein C und S sowie Thrombozytose → Thromboseneigung. Stimulation der Lipoproteinsynthese in der Leber durch Hypoproteinämie und Verlust der Lipoproteinlipase über den Urin → Hyperlipoproteinämie.
Allergien
Ätiopathogenese. Es wird zwischen idiopathischen (primären) und sympomatischen (sekundären) Formen des nephrotischen Syndroms unterschieden (. Tab. 14.3). Sekundäre nephrotische Syndrome kommen im Rahmen von Systemerkrankungen mit glomerulärer Beteiligung vor, machen im Kindesalter aber nur einen Anteil von 10% aus.
Idiopathisches nephrotisches Syndrom Epidemiologie.
4 Die jährliche Inzidenz liegt bei 3–7:100 000. 4 m:w=2:1 beim steroidsensiblen und m:w=1:1 beim steroidresistenten nephrotischen Syndrom. 4 85% der nephrotischen Syndrome im Kindesalter sind MCGN. Symptomatik.
4 Manifestation im Kleinkindesalter (>12 Monate und <8 Jahre).
14
Tumore Kreislauf Medikamente und Toxine
4 Innerhalb von Tagen bis Wochen auftretende Ödeme (. Abb. 14.8a–c): 5 Lidödeme, v. a. morgens 5 Prätibiale Ödeme 5 Skrotalödem 5 Aszites, Pleuraergüsse 4 Gewichtszunahme 4 Oligurie 4 Häufige Begleitsymptome sind Inappetenz, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe 4 Hypothyreose (durch Mangel an Transportproteinen) 4 Selten glomeruläre Hämaturie 4 Meist normaler Blutdruck Komplikationen.
4 Infektionen (bedingt durch Antikörpermangel), selten, aber typisch: bakterielle Peritonitis (Streptococcus pneumoniae). 4 Thrombembolien (bedingt durch Hypovolämie, Hyperkoagulabilität, erhöhte Viskosität und Immobilisierung) → Beinvenenthrombose, Sinusvenenthrombose, Nierenvenenthrombose. 4 Nephrotische Krise: Schock (Hypotonie, Tachykardie,…) und akute Niereninsuffizienz 4 Dyspnoe infolge Lungenödem, Pleuraerguss und Aszites. 4 Medikamentös bedingte Nebenwirkungen.
308
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
a
b
. Abb. 14.8a–c. a Kind mit nephrotischem Syndrom mit deutlich sichtbarem Lidödem; b Nach Therapie Verschwinden der Lidödeme. c Bei peripheren Ödemen an den Extremitäten bleibt nach Eindrücken der Haut mit dem Finger eine Delle zurück
c
14
Diagnostik.
4 Labor: 5 Serum: Gesamt-Protein <50 g/l, Albumin <25 g/ l, pathognomonische Proteinelektrophorese: Albumin ↓, γ-Globuline ↓ in Kombination mit relativer Erhöhung der α2-Globuline; Cholesterin und Triglyzeride ↑↑, Kreatinin anfangs normal, später evtl. ↑, AT III ↓, Fibrinogen ↑, erniedrigtes Gesamtkalzium bei in der Regel normalem ionisierten Kalzium, Hyponatriämie. 5 Urin: Schaumig durch hohe Eiweißkonzentration. Proteinurie >1 000 mg/m2 KOF/Tag (selektive Proteinurie: fast ausschließlich Albumin), im Urinteststreifen ≥300 mg/dl. 20–30% der Patienten: glomeruläre Mikrohämaturie, Oligurie 4 Nierenbiopsie: 5 Bei typischem Verlauf und Steroidsensibilität zunächst nicht indiziert, bei Hinweis auf ande-
re Form jedoch schon vor Therapiebeginn indiziert. Histopathologie: in 77% aller Patienten mit einem idiopathischen nephrotischen Syndrom minimale Glomerulusveränderungen, in 8% fokal-segmentale Glomerulosklerose. > Rezidiv beim nephrotischen Syndrom: Im Morgenurin Urinteststreifen ≥300 mg/dl über 3 aufeinander folgende Tage oder im Sammelurin Proteinurie >1 000 mg/m2 pro 24 h. ! Wegen der Gefahr von Thrombembolien und Niereninsuffizienz vorsichtiges Ausschwemmen der Ödeme.
Therapie.
4 Symptomatisch: 5 Flüssigkeitsrestriktion 5 Natriumarme Kost
309 14.3 · Glomerulopathien
5 Diuretika nur bei ausgeprägten Ödemen (Gefahr der akuten Niereninsuffizienz und Thrombembolien). Nur bei schwersten Ödemen oder Schocksymptomatik Infusion von Albumin und anschließener Furosemidgabe. 5 Mobilisation und prophylaktische Gabe von niedermolekularem Heparin (Gefahr der Thromboembolien). 5 Bei schweren Ödeme und Aszites antibakterielle Prophylaxe und ggf. Immunglobulingabe i. v. 5 Impfungen nach STIKO-Empfehlungen (v. a. Pneumokokken und VZV). 5 Antihypertensive Therapie. 5 Bei langandauernder Hypercholesterinämie: Lipidsenker. 5 Bei Hypothyreose durch Mangel an thyroxinbindendem Globulin: Thyroxin. 4 Immunsuppressiv: 5 Prednison (60 mg/m2 KOFxd für 6 Wochen, anschließend 40 mg/m2 KOF alle 2 Tage für 6 Wochen). Über 90% der Patienten mit einer MCGN kommen mit diesem Therapieschema in Remission (Normalisierung des Albumins im Serum), unter den Patienten mit FSGS sind es lediglich 30%. Abhängig vom weiteren Verlauf kommen zusätzlich Cyclophosphamid, Cyclosporin A oder Mycophenolatmofetil zum Einsatz. Prognose. Steroidsensibles NS: 4 Ein Drittel der Patienten nach einer Episode geheilt, ein Drittel seltene Rezidive, eein Drittel steroidabhängig oder häufige Rezidive. 4 In ca. 70% verschwindet die Erkrankung nach der Pubertät, bei Persistenz ins Erwachsenenalter (ca. 30%) wird eine geringere Rezidivhäufigkeit beobachtet. > Therapieüberwachung: Täglich Morgenurin prüfen mit Albuminteststreifen für mindestens 1 Jahr nach dem letzten Rezidiv.
14
Das nephritische Syndrom kann folgende Symptome umfassen: 4 Arterielle Hypertonie, Glomeruläre Hämaturie, Ödeme (= Volhard-Trias) 4 (kleine) Proteinurie 4 Zylindrurie 4 Oligurie 4 Einschränkung der glomerulären Filtration (GFR) Eine Überlappung zwischen nephritischem und nephrotischem Syndrom ist möglich.
Histopathologische Formen der Glomerulopathien 4 Erworben: – Infektionsassoziiert: postinfektiöse Glomerulonephritis; IgA-Glomerulonephritis – Systemerkrankungen mit glomerulärer Beteiligung: – Purpura Schönlein-Henoch – Systemischer Lupus erythematodes – Goodpasture-Syndrom – Morbus Wegener – Panarteriitis nodosa – Chronische Glomerulopathien: – Fokal-segmentale Glomerulosklerose – Membranoproliferative Glomerulonephritis – Membranöse Glomerulonephritis 4 Hereditäre Glomerulopathien: – Benigne familiäre Hämaturie – Alport-Syndrom
Akute Postinfektiöse Glomerulonephritis (AGN) Definition. Akute, exsudativ-proliferative Immunkomplex-Glomerulonephritis, 1–4 Wochen nach einer akuten Infektion, manifestiert sich klinisch meist als nephritisches, selten als nephrotisches Syndrom. Epidemiologie.
Sonderformen Kongenitales und (bis zum 3. Monat, genetisch) und infantiles (3.–12. Monat) nephrotisches Syndrom. 14.3.4 Nephritisches Syndrom Definition. Symptomenkomplex, der im Gegensatz
zum nephrotischen Syndrom nicht einheitlich definiert ist.
4 Häufigste Ursache eines akuten nephritischen Syndroms. 4 Häufig zwischen 4. und 12. Lebensjahr, selten <3. Lebensjahr. 4 Eine AGN trat früher bei 10–20% aller Streptokokkenerkrankungen im Kindesalter auf, wird aber aufgrund konsequenter antibakterieller Therapie der primären Infektion zunehmend seltener.
310
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
Ätiopathogenese. Viele Erreger (Bakterien, Viren, Parasiten, Pilze) können eine AGN auslösen. Häufige Erreger sind β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A → Poststreptokokken-GN. β-hämolysierende Streptokokken A, die nach abgelaufener Infektion (meist Impetigo contagiosa, seltener Angina tonsillaris) eine AGN auslösen, werden auch als nephritogene Stämme bezeichnet. Eine direkte Entzündung des Glomerulus wird nur bei einigen Viren beobachtet (z. B. HIV, HepatitisViren). In der Mehrzahl der Fälle kommt es durch Antigene im Blut nach Immunantwort zur Bildung von Immunkomplexen. Immunkomplexe und Komplementfaktoren (C3) lagern sich an Mesangium und glomerulärer Basalmembran ab und induzieren so eine Entzündungsreaktion im Sinne einer endokapillären, exsudativen proliferierenden Glomerulonephritis.
deoxyribonukease B ↑ (Cave: ASL kann auch durch nicht nephritogene Streptokokken erhöht sein, bleibt andererseits bei Impetigo häufig negativ und ist bisweilen lediglich ein persistierender Durchseuchungstiter) → Rachenabstrich: zur Sicherung der Diagnose. 4 Nierenbiopsie: nur bei chronischem Verlauf indiziert. 4 Histologie: Diffuse, endokapilläre, mesangioproliferative Glomerulonephritis, Ablagerung von Antigenen, Antikörpern und Komplementfaktoren an den Kapillarschlingen der Glomeruli (»Humps«). > Pathognomonische Laborkonstellation bei akuter Poststreptokkoken-Glomerulonephritis: ASL, Antihyaluronidase und Antideoxyribonuklease B ↑ und C3 ↓.
Therapie. Symptomatik.
4 1–4 Wochen nach einer Infektion: 5 Nephritisches Syndrom mit: (Makro-)Hämaturie, arterieller Hypertonie, kleiner Proteinurie, Ödemen, Oligurie, akuter Niereninsuffizienz. 5 Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen, Blässe, Appetitlosigkeit, Erbrechen. 5 Dauer der klinischen Symptome ca. 1–2 Wochen, Proteinurie und Hämaturie können über 18 Monate persistieren.
4 Therapie der Infektion: 5 Bei Verdacht auf Poststreptokokken-GN antibakterielle Therapie: – Penicillin V über 10 Tage (100 000 I.E./kg KG/d) 4 Symptomatisch: 5 Antihypertensive Behandlung bei Hypertonie. 5 Bettruhe bei Ödemen, Hypertonie, Makrohämaturie. 5 Flüssigkeitsbilanzierung, evtl. Furosemid. 5 Evtl. Nierenersatztherapie.
Komplikationen.
14
4 In 5–10% der Fälle Anurie (= akute Niereninsuffizienz). 4 Kardiovaskuläre Symptome durch Wasser- und Salzretention. 4 Zerebrale Symptome: Kopfschmerzen, Erbrechen, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle, hypertensive Krisen. Diagnostik.
4 Mikrohämaturie ist obligat, Makrohämaturie häufig. 4 Erythrozytenzylinder und dysmorphe Erythrozyten im Urinsediment. 4 Kleine Proteinurie, nur in 5% große Proteinurie. 4 Kreatinin (n/↑), Harnstoff (n/↑) und Kreatininclearance (zur Abschätzung der GFR) n/↓. 4 Elektrolyte 4 Komplementaktivität, C3-Komponente ↓ (bei 60– 90% zu Erkrankungsbeginn erniedrigt, Normalisierung nach 3 Monaten, sonst Hinweis auf Chronifizierung). 4 Bei Verdacht auf Poststreptokokken-GN: Antistreptolysintiter (ASL), Antihyaluronidase und Anti-
Prognose.
4 Rückbildung der Symptome meist innerhalb von 1–2 Wochen. 4 GFR normalisiert sich innerhalb von Wochen bis Monaten. 4 Restitutio ad integrum in 95% der Fälle innerhalb von 2 Monaten. 14.3.5 IgA-Glomerulonephritis (IgA-GN) Definition. Eigenständige Form der Glomerulonephri-
tis mit Ablagerung von Immunglobulin A im Mesangium der Glomeruli. Epidemiologie. 4 Häufigste glomeruläre Erkrankung im Erwachsenenalter, jenseits des Säuglingsalters in allen Alterstufen (v. a. 10.–30. Lebensjahr), m>>w. Symptomatik.
4 Abhängig vom Schweregrad, meist oligosymptomatisch oder Zufallsbefund.
311 14.3 · Glomerulopathien
4 In der Regel sind die betroffenen Kinder subjektiv nicht beeinträchtigt. 4 Typisch (80%): rezidivierende Makrohämaturieschübe für wenige Tage mit meist persisitierender Mikrohämaturie im Intervall (Auslöser für Makrohämaturie: Infektionen, Impfungen, ausgeprägte sportliche Betätigung). 4 Meist keine weiteren Symptomen während der Makrohämaturie. 4 Im Langzeitverlauf evtl. Proteinurie und Abnahme der GFR. Diagnostik.
4 Glomeruläre Mikro- oder Makrohämaturie, bei fehlender oder geringer Proteinurie. 4 IgA im Serum ↑ (in 15%). 4 Indikation zur Nierenbiopsie: Große Proteinurie und/oder Abnahme der GFR. 4 Histologie: Pathognomonisch ist der immunhistologische Nachweis von diffusen granulären IgAAblagerungen im Mesangium der Glomeruli. Therapie.
4 Keine kausale Therapie. 4 ACE-Hemmer und AT1-Rezeptor-Antagonisten werden bei Proteinurie eingesetzt. 4 Evtl. antibakterielle Therapie bei akuten Infektionen (insbes. der oberen Luftwege). 4 Bei schweren Verläufen immunsuppressive Therapie oder Plasmapherese. 4 Bei terminaler Niereninsuffizienz: Nierenersatztherapie. 4 Ggf. Tonsillektomie.
14
Epidemiologie. Häufigste systemische Vaskulitis im Kindesalter; hauptsächlich jüngere Kinder; m>w. Ätiopathogenese. Immunkomplexbildung nach Antigenkontakt (Infektion, Impfung, Allergie,…) → Ablagerungen dieser IgA-haltigen Immunkomplexe in kleinen Blutgefäßen → Komplementaktivierung → Leukozyteninfiltration und proteolytische Endothelschädigung. Symptomatik. Im Kleinkindesalter und Schulkindesalter kommt es im Anschluss an eine Infektion des oberen Resirationstrakts, Impfung, etc. zu folgenden Symptomen: 4 Haut (obligat): Petechien und petechiale Blutungen auf Papeln (= Purpura), aber auch urtikariell-ödematöse Blutungen, v. a. der Schwerkraft folgend an den Streckseiten der unteren Extremitäten und am Gesäß, selten an Armen und im Gesicht. 4 Gelenke (60–70%): Arthritiden und Arthralgien an Füßen und Händen (meist symmetrisch). 4 Abdomen (60–70%): 5 Akute Abdominalkoliken durch Darmwandödem und Vaskulitis. 5 Blutige Stühle, nicht selten Invagination. 4 ZNS: Kopfschmerzen, Krampfanfall 4 Genital: Cave: Hodentorsion 4 Niere (50–80%): Renale Veränderungen, die unterschiedlich ausgeprägt sein können, treten in der Regel Tage bis Wochen nach der Purpura auf: 5 Mikro- oder Makrohämaturie 5 Kleine oder große Proteinurie
Prognose.
4 Im Erwachsenenalter: 25% der Patienten werden nach 20 Jahren dialysepflichtig. 4 Im Kindesalter Prognose schlechter als bislang angenommen, >4 Jahre nach Diagnosestellung sind 15% der Kinder niereninsuffizient. 14.3.6 Systemerkrankungen mit glomeru-
lärer und vaskulärer Beteiligung Purpura Schönlein-Henoch Definition. Leukozytoklastische Vaskulitits mit Befall der kleinen Gefäße von Haut, Gelenken, Gastrointestinaltrakt und Nieren mit den Leitsymptomen: nichtthrombozytopenische Purpura an den abhängigen Körperpartien, Arthritis, abdominelle Schmerzen und nephritisches oder nephrotisches Syndrom.
. Abb. 14.9. Petechien und Purpura an der unteren Extremität bei Purpura Schoenlein-Henoch
312
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
5 Ödeme 5 Arterielle Hypertonie 5 Selten akute Niereninsuffizienz
Tage. Wiederauftreten der Hautveränderungen in Schüben innerhalb von 6–8 Monaten ist nicht selten, v. a. bei körperlicher Belastung. Bei Auftreten einer RPGN (s. u.) sehr schlechte Prognose.
Diagnostik.
4 Symptomatik: Symptome und typisches Verteilungsmuster des petechialen Exanthems. 4 Urin: 5 In 50–80% der Fälle Mikrohämaturie innerhalb von 1–2 Wochen (kann bis zu 2 Jahre persistieren). 5 Proteinurie 5 Urinsediment: Erythrozytenzylinder, dysmorphe Erythrozyten 4 Labor: 5 Petechien bei normaler Thrombozytenzahl 5 Unauffälliger Gerinnungsstatus 5 In 50% IgA ↑, C3 meist normal 5 Gelegentlich ANCA-positiv 5 Stuhl: Haemoccult in der Regel positiv. 5 Nierenbiopsie: Indikation ist abhängig von Schweregrad und Verlauf. 4 Histologie: s. IgA-Glomerulonephritis
Systemischer Lupus erythematodes (SLE) Definition. Chronisch-entzündliche Multisystemerkrankung unklarer Ursache mit Produktion von Autoantikörpern gegen Zellkernbestandteile und Ablagerung von Immunkomplexen. Diagnostik. 7 Kap. 8.3. Therapie. Die immunsuppressive Therapie der Lupus-
nephritis richtet sich nach dem Ergebnis der Nierenbiopsie. Goodpasture-Erkrankung Definition/Ätiopathogenese. Im Kindesalter sehr sel-
tene Vaskulitis. Schweres Krankheitsbild mit akuter Niereninsuffizienz, Hypertension, Makrohämaturie und Proteinurie ausgelöst durch Antikörper gegen die glomeruläre Basalmembran sowie Hämoptysen als Zeichen des Befalls der pulmonalen Basalmembran.
Differenzialdiagnostik.
4 4 4 4
Sepsis Meningitis mit Verbrauchskoagulopathie Thrombozytopenie Andere Vaskulitiden
14.3.7 Rapid-progressive Glomerulo-
nephritis (RPGN) Definition.
Therapie.
14
4 Symptomatisch: 5 Arthritis: NSAID 5 Nur bei schweren abdominellen Symptomen: – Prednison 1–2 mg/kg pro Tag – Bei Invagination: konservative oder chirurgische Lösung – Bei Hodentorsion: Operation – Bettruhe bessert zwar die Purpura, jedoch nicht die Prognose der Erkrankung und ist daher nicht generell zu empfehlen 5 Nierenbeteiligung ist durch Steroide kaum zu beeinflussen und daher nicht indiziert, häufig guter Spontanverlauf, sonst symptomatische Therapie mit Diuretika und Antihypertensiva. 5 ACE-Inhibitoren bei persistierender Proteinurie 4 Bei schwerer Nierenbeteiligung abhängig vom Biopsieergebnis Planung der immunsuppressiven Therapie und ggf. Plasmapherese. Prognose. In den meisten Fällen gut. Spontane Rückbildung der Hautveränderungen innerhalb weniger
Charakteristisch sind die innerhalb von Tagen rasch absinkende Nierenfunktion sowie der histologische Nachweis von Halbmondbildungen in mindestens 50% der Glomeruli unabhängig von der zugrunde liegenden Nierenerkrankung. Ätiopathogenese. Diese perakute Glomerulonephritis entsteht auf dem Boden verschiedener primärer Nierenerkrankungen, am häufigsten Immunkomplexerkrankungen, wie Purpura Schönlein-Henoch und akute postinfektiöse GN; Vaskulitiden (v. a. ANCA-positive Vaskulitiden wie Wegener Granulomatose (cANCA) und Panarteriitis nodosa (pANCA), SLE und Goodpasture-Syndrom; idiopathische Formen. Symptomatik.
4 Ausgeprägtes nephritisches Syndrom mit Makrohämaturie, arterieller Hypertonie, Ödemen, Proteinurie und Oligurie oder Anurie. 4 Allgemeinsymptome wie Fieber, Kopfschmerzen, Erbrechen, Blässe, Müdigkeit, Krampfanfälle. 4 Evtl. extrarenale Symptome der zugrunde liegenden Systemerkrankung.
313 14.3 · Glomerulopathien
4 Meist Progression der Niereninsuffizienz innerhalb von Wochen bis Jahren.
14
Therapie, Prognose. Immunsuppressive und antifibro-
tische Therapieansätze; die Prognose für die Nierenfunktion ist schlecht.
Diagnostik.
4 Serum: Kreatinin ↑, Harnstoff ↑, Harnsäure ↑, Anämie, Autoimmun-Ak, Komplementfaktoren abhängig von Grunderkrankung. 4 Urin: Urinsediment: massenhaft Erythrozytenzylinder, dysmorphe Erythrozyten, Akanthozyten, Proteinurie. 4 Nierenbiopsie: Extrakapilläre proliferative und nekrotisierende Glomerulonephritis mit Halbmondbildung (engl. »crescents«) des Kapselepithels. Immunhistologisch kann anhand des Ablagerungsmusters auf der glomerulären Basalmembran zwischen linearen, granulären und fehlenden (pauci-immun) Ablagerungen unterschieden werden. Therapie.
4 Symptomatisch: s. Management der akuten Niereninsuffizienz 4 Kombinationstherapie aus Immunsuppressiva (Kortikosteroiden, Cyclophosphamid) und Plättchenaggregationshemmern (Acetylsalicylsäure) sowie bei linearen Ablagerungen und pauci-immuner RPGN: Plasmapherese. Prognose. Schlechte Prognose, abhängig von Anzahl
und Art der Halbmondbildungen, Therapieform und -beginn
Membranoproliferative Glomerulonephritis (MPGN) Definition. Die seltene MPGN (auch mesangioproliferative GN) betrifft ältere Kinder und Jugendliche. Histopathologisch Verdickung der glomerulären Kapillarwände und Proliferation der Mesangialzellen. Symptomatik, Diagnostik. Makro- oder Mikrohämaturie, kleine oder auch große Proteinurie vom glomerulären Typ, arterielle Hypertonie und bisweilen Nierenfunktionseinschränkung. Therapie, Prognose. Die optimale immunsuppressive Therapie ist umstritten. Ohne Therapie werden 50% der Kinder terminal niereninsuffizient, mit Therapie haben 60–85% nach 10 Jahren eine gute Nierenfunktion.
Membranöse Glomerulonephritis (MGN) Epidemiologie. Im Gegensatz zum Erwachsenenalter bei Kindern extrem selten. Ätiopathogenese. Mögliche sekundäre Ursachen wie
SLE und andere Autoimmunerkrankungen, Tumoren, Hepatitis B und C sowie Intoxikationen müssen ausgeschlossen werden. Symptomatik, Diagnostik.
14.3.8 Chronische Glomerulopathien 4 Glomerulopathien manifestieren sich im Kindesalter meist akut als nephritisches oder nephrotisches Syndrom. Die bei Kindern seltenen chronischen Glomerulopathien können zwar auch akut beginnen, zeigen aber häufig einen schleichend beginnenden Verlauf.
4 In 70% manifestiert sich die membranöse GN primär als nephrotisches Syndrom, in 30% als asymptomatische Proteinurie. 4 Mikrohämaturie und selten auch arterielle Hypertonie treten begleitend auf. 4 Histologie: diffuse Verdickung der glomerulären Basalmembran infolge subepithelialer Immunablagerungen ohne glomeruläre Zellproliferation. Therapie. Aufgrund der hohen Spontanremissionsrate
Fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS) Ätiopathogenese, Epidemiologie. Die primäre FSGS manifestiert sich als mesangiale Sklerose in einigen Glomeruli (= fokal) und in beschränkten Abschnitten des Glomerulus (= segmental), ist die zweithäufigste Ursache des idiopathischen nephrotischen Syndroms und die häufigste Glomerulopathie, die zur terminalen Niereninsuffizienz führt. Sekundäre Formen der FSGS kommen bei verschiedenen primären Nierenerkrankungen vor (z. B. Refluxnephropathie, Nierendysplasie).
im Kindesalter ist bei nichtnephrotischem Verlauf eine abwartende Haltung indiziert. Nephrotische Patienten sollten immunsuppressiv therapiert werden. 14.3.9 Benigne familiäre Hämaturie Definition. Autosomal-dominant vererbte, isolierte
oder häufig wiederkehrende Hämaturie mit guter Prognose.
314
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
Symptomatik. Persistierende oder intermittierende isolierte Mikrohämaturie. Diagnostik.
4 Isolierte Mikrohämaturie 4 Positive Familienanamnese: auch ein Elternteil und ggf. Großeltern haben eine (intermittierende) Mikrohämaturie ohne Proteinurie, Niereninsuffizienz oder Schwerhörigkeit. 4 Da die benigne familiäre Hämaturie eine Ausschlussdiagnose ist, müssen alle anderen Ursachen einer Mikrohämaturie ausgeschlossen werden. 4 Eine Abgrenzung zum Alport-Syndrom ist nicht immer einfach und im Zweifel ist eine milde Verlaufsform desselben nicht auszuschließen. 4 Pathohistologie: Lichtmikroskopisch unauffällig, elektronmikroskopisch dünne Basalmembran ohne die für das Alport-Syndrom (s. 14.3.10) typischen Veränderungen Therapie. Keine.
14.3.10
Alport-Syndrom
Definition. Hereditäre Glomerulopathie mit charakte-
Diagnostik.
4 Klinische Symptome und positive Familienanamnese plus typische elektronenmikroskopische Veränderungen oder Molekulargenetik. 4 Histologie: Lichtmikroskopisch weitgehend unauffällig. Elektronenmikroskopisch charakteristische Aufhebung der trilaminären Struktur der glomerulären Basalmembran (GBM), die Verdickung und Aufsplitterung der Lamina densa führt zu einer typischen korbgeflechtartigen Vernetzung der GBM. Therapie.
4 Antiproteinurische, nephroprotektive Therapie mit ACE-Hemmer/ AT1-Rezeptor-Antagonisten und evtl. Cyclosporin A. 4 Symptomatische Therapie der Niereninsuffizienz, ggf. Nierentransplantation. Prognose.
4 Bei Jungen: Niereninsuffizienz im Alter von 10– 20 Jahren, bei Mädchen: über viele Jahre glomeruläre Hämaturie ohne Einschränkung der Nierenfunktion. 4 Wichtigster prognostischer Faktor: Höhe der Proteinurie. 4 Hörverlust kann zu vollständiger Taubheit führen.
ristischen Veränderungen der glomerulären Basalmembran. 14.4 Ätiopathogenese.
14
4 75–85%: X-chromosomal vererbter Defekt der α-5Kette des Typ-IV-Kollagens (COL4A5), 10–15%: autosomal-rezessiv vererbter Defekt der α-3-Kette des Typ-IV-Kollagens (COL4A3), <5%: autosomaldominant vererbter Defekt der α-4-Kette des TypIV-Kollagens (COL4A4).
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
Definition. Akute Erkrankung der Endothelzellen mit der typischen Trias: 4 Hämolytische Anämie mit Nachweis von Fragmentozyten 4 Thrombozytopenie 4 Akute Niereninsuffizenz
Epidemiologie. Prävalenz 1:7 000; häufigste hereditäre,
progrediente Nierenerkrankung. Symptomatik.
4 Obligat: Hämaturie (Mikro- oder Makrohämaturie). Proteinurie im Verlauf. Progrediente Niereninsuffizienz, Terminalstadium bei männlichen Patienten in der (2–)3–4. Lebensdekade. 4 Innenohrschwerhörigkeit in der Adoleszenz. 4 Augenveränderungen: Lentikonus, Makulapathie. Bei Konduktorinnen kann neben einer glomerulären Mikrohämaturie ebenfalls eine Proteinurie und selten eine Schwerhörigkeit auftreten.
Pathoanatomisch liegt eine thrombotische Mikroangiopathie (TMA) vor (analog zur thrombotisch-trombozytopenische Purpura des ZNS im Erwachsenenalter). Epidemiologie.
4 Häufigste Ursache einer akuten Niereninsuffizienz im Kindesalter. 4 Inzidenz in Mitteleuropa und Nordamerika 3: 100 000. 4 Altersgipfel: 1–4 Jahre. Ätiopathogenese.
4 (D+) HUS = Typisches HUS: dem HUS geht eine Prodromalerkrankung (gewöhnlich Diarrhoe) vo-
315 14.5 · Tubulointerstitielle Nephritis (TIN)
raus. Das HUS basiert im 1. Lebensjahr zu 50% und ab dem 2. Lebensjahr zu 80% auf einer Gastroenteritis mit enterohämorrhagischem E. coli (EHEC), v. a. der Serogruppe O157H7 (Übertragung durch rohes Fleisch, unpasteurisierte Milch). Als Pathogenitätsfaktor fungiert das von diesen Erregern gebildete Shiga-like Toxin. 4 (D-) HUS = Atypisches HUS: nicht typischer klinischer Verlauf, keine Prodromalerkrankung, verschiedenste Ätiologien (Neuraminidase produzierende Pneumokokken, angeborene Defekte des Komplementsystems, von-Willebrand-Faktor-Protease-Mangel, u. a.). 4 Sekundäres HUS: nach Systemerkrankungen (SLE, Tumoren, u. a.) oder Medikamenten (Cyclosporin, orale Kontrazeptiva, u. a.). Symptomatik (typisches HUS, D+).
4 Prodromalstadium (3–10 Tage vor der Erkrankung): Bauchschmerzen, Durchfälle (häufig blutig), Erbrechen, Fieber, ggf. Rektumprolaps 4 Akute Phase: Blässe (hämolytische Anämie), Petechien (Thrombozytopenie), Rückgang der Ausscheidung bis Oligurie/ Anurie und akute Niereninsuffizienz, Dehydratation, aber auch Hyperhydratation (bei Anurie und Flüssigkeitszufuhr), Arterielle Hypertonie, ZNS: Krampfanfall, Somnolenz bis Koma (prognostisch ungünstig).
14
5 Thrombozytentransfusion bei Blutungszeichen oder vor chirurgischem Eingriff (z. B. Katheteranlage) 5 Antibakterielle Therapie ist nicht indiziert 5 Nierenersatztherapie (Peritoneal- oder Hämodialyse) 5 Antihypertensive Therapie 5 Bei ZNS-Beteiligung und/oder Verdacht auf atypisches HUS: Plasmagabe, Plasmapherese. Komplikationen. Überwässerung mit extrarenalen
Komplikationen wie Hypertonie, hypertensive Krisen, zerebralen Affektionen und pulmonalen Symptomen. Prognose. Akute Phase: bei adäquater Therapie: 90– 95% Überlebensrate. Bei 5–10% der Patienten terminale Niereninsuffizienz (D+ HUS), bei 20–60% der Patienten nach 15 Jahren arterielle Hypertonie, Proteinurie und/oder eingeschränkte Nierenfunktion. Vor allem beim atypischen HUS besteht das Risiko für Rezidive der Erkrankung. ! Prävention: Verzehr von rohem Rindfleisch und unpasteurisierter Milch meiden!
14.5
Tubulointerstitielle Nephritis (TIN)
Diagnostik.
Definition. Akute oder chronische Nierenerkrankun-
4 Labor: Blutbild (Anämie, Thrombozytopenie, Leukozytose); Blutausstrich: Fragmentozyten (= »eierschalenförmige« Erythrozyten); Hämolysezeichen: Haptoglobin ↓, LDH ↑, Kalium ↑; Kreatinin, Harnstoff ↑; Phosphat ↑, Amylase, Lipase, Transaminasen, Blutzucker; Gerinnung: PTT ↓, Fibrinspaltprodukte (D-Dimere) ↑; Komplementstatus (klassischer Weg: CH50, alternativer Weg: APH50 sowie C3 und C3d) → erniedrigt beim atypischen HUS 5 Urin: Erythrozyten, Hämoglobin, Protein, 24 h-Sammelurin 5 Stuhlkultur 4 Sonographie der Niere: vergrößerte Nieren mit erhöhter Echogenität im Bereich der Rinde bei gleichzeitig verminderter Echogenität im Mark.
gen, die sich auf den tubulointerstitiellen Apparat beschränken und Glomeruli und Gefäße weitgehend ausschließen.
Therapie.
4 Keine kausale Therapie beim typischen HUS. 4 Symptomatisch: 5 Flüssigkeits- und Elektrolytbilanz und -substitution 5 Erythrozytentransfusion
Ätiopathogenese.
4 Akute TIN: 5 Medikamente: NSAID, Antibiotika, Antikonvulsiva, Diuretika, andere 5 Infektionen (direkte Invasion oder postinfektiös): hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, Mykoplasmen, CMV, EBV, Hanta-Virus, Hepatitis B, HIV 5 Immunologisch bedingt: Systemerkrankungen: SLE, Sarkoidose, M. Wegener, rheumatoide Arthritis, Purpura Schönlein-Henoch, Komplizierend bei primärer Glomerulopathie, z. B. IgA-Glomerulonephritis. 5 Idiopathisch: – Mit Uveitis = Tubulointerstitielle-NephritisUveitis-Syndrom (TINU-Syndrom). 4 Chronische TIN: kann aus einer akuten TIN hervorgehen oder auf dem Boden einer anderen Erkrankung der Nieren und ableitenden Harnwege
316
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
entstehen (Harntransportstörung, Nephronophthise, Alport-Syndrom, Morbus Fabry u. a.). Symptomatik. Akute TIN:
4 Beginn mit unspezifischen Symptomen wie allgemeines Krankheitsgefühl, Müdigkeit, Blässe, Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust, Fieber. 4 Polyurie und Polydipsie durch eingeschränkte Konzentrierungsfähigkeit der Niere. 4 Auch akute Niereninsuffizienz mit Oligurie möglich. 4 Uveitis (ein Drittel der Patienten mit idiopathischer Form), die Uveitis kann der TIN vorausgehen, gleichzeitig auftreten oder nachfolgen. Diagnostik.
14
4 Anamnese (Infektionen, Medikamente, Hinweise auf Systemerkrankung) 4 Labor: 5 Leukozytose, Eosinophilie (v. a. bei medikamentös bedingter TIN), Anämie; BKS ↑, CRP ↑, Fibrinogen ↑; Kreatinin und Harnstoff ↑; hyperchlorämische metabolische Azidose; Elektrolytstörungen (Hyper- oder Hypokaliämie, Hyper- oder Hypophosphatämie). 4 Urin: 5 Proteinurie (meist <1 g/d), bevorzugte Ausscheidung kleinmolekularer Proteine (α1-Mikroglobulin); nicht selten Mikrohämaturie, sterile Leukozyturie; Glukosurie, Hyperaminoazidurie; Eingeschränkte Harnkonzentrierungsfähigkeit. 4 Sonographie: vergrößerte echoreiche Nieren. 4 Nierenbiopsie bei unklarer Genese oder zur Sicherung der Diagnose. 4 Ophthalmologische Untersuchung: Uveitis? Regelmäßige Kontrollen auch bei initial unauffälligem Befund!
14.6
Tubulopathien
Definition. Angeborene oder erworbene Defekte einzelner oder mehrerer tubulärer Transportfunktionen bei primär normaler Glomerulusfiltration. Im Kindesalter überwiegen angeborene Störungen die meist einzelne Transporter betreffen. Erworbene Formen sind seltener und betreffen meist mehrere Abschnitte des Tubulus.
Tubulopathien (Beispiele) Hereditäre Tubulopathien: 4 Zuckertransport: Renale Glukosurie 4 Aminosäuretransport: Cystinurie, 7 Kap. 5.1.7 4 Wassertransport: Nephrogener Diabetes insipidus 4 Natrium-, Chlorid- und Kaliumtransport: Neonatale Bartter-Syndrome, Klassisches BartterSyndrom, Gitelman-Syndrom, Pseudohypoaldosteronismus Typ I und II 4 Kalziumtransport: Dent-Erkrankung 4 Phosphattransport: Hypophosphatämische Rachitis, Pseudohypoparathyreoidismus Typ I 4 H+- und HCO3-Transport: Proximale renal tubuläre Azidose, Distale renal tubuläre Azidose 4 Harnsäuretransport: Lesch-Nyhan-Syndrom 4 Komplex: Idiopathisches DeToni-Debré-Fanconi-Syndrom Sekundäre Tubulopathien: 4 Hereditäre Stoffwechselerkrankungen: Cystinose, Galaktosämie, Hereditäre Fruktoseintoleranz, Morbus Wilson, Glykogenosen, Atmungskettendefekte. 4 Exogene Intoxikationen: Schwermetalle (Blei, Quecksilber), Cisplatin, Ifosfamid. 4 Nephropathien mit primärer Schädigung der Glomeruli oder der ableitenden Harnwege.
Therapie.
4 Behandlung der Ursachen, z. B. der zugrunde liegenden Infektion, Absetzen der auslösenden Medikamente. 4 Flüssigkeits- und Elektrolytkontrolle. 4 Evtl. Prednison (kein gesicherter Effekt). Prognose. Gerade bei Kindern wird meist nach Wo-
chen bis Monaten eine Spontanremission beobachtet, selten kommt es zu einer progredienten oder terminalen Niereninsuffizienz.
14.6.1 Renale Glukosurie Definition. Autosomal-rezessiv oder dominant vererbte
Störungen der renalen Glukoseresorption und Fehlen anderer tubulärer Störungen, bei normalem Blutzucker. 4 Typ A: Defekt des Glukosetransporters SGLT2, erniedrigte Schwelle für den Glukoseübertritt und verminderte maximale Resorptionskapazität 4 Typ B: Defekt des Glukosetransporters SGLT1, verminderte Resorptionsschwelle bei erhaltendem
317 14.6 · Tubulopathien
Resorptionsmaximum, zusätzlich meist GlukoseGalaktose-Malabsorption. Symptomatik. Keine klinischen Symptome (bei Typ B Diarrhoe infolge Glukose-Galaktose-Malabsorption), sehr selten Hypoglykämie.
Diagnostik. 4 Blut: normaler Blutzucker, Molekulargenetik. 4 Urin: Glukosekonzentration im Spontanurin und 24 h-Sammelurin. Differenzialdiagnostik. Diabetes mellitus, komplexe
tubuläre Schäden: z. B. DeToni-Debré-Fanconi-Syndrom, sekundäre Tubulopathie. Therapie. Keine.
14.6.2 Störungen des
Aminosäuretransports Beispiel: Cystinurie 7 Kap. 5.1.7 14.6.3 Nephrogener Diabetes insipidus
(NDI) Definition. Vermindertes Ansprechen des distalen Ne-
phrons auf das antidiuretische Hormon (ADH = Arginin-Vasopressin) mit gestörter Rückresorption von Wasser im distalen Tubulus und in den Sammelrohren. Die entstehende hypertone Dehydratation führt zu den Leitsymptomen Polydipsie und Polyurie. > Differenzialdiagnose 4 Nephrogener Diabetes insipidus: vermindertes Ansprechen der Sammelrohre auf ADH bei normaler Sekretion von ADH. 4 Zentraler Diabetes insipidus: verminderte Sekretion von ADH im Hypophysenhinterlappen.
Ätiopathogenese.
4 X-chromosomal-rezessiv vererbt durch Mutation im Vasopressin-V2-Rezeptor-Gen (AVPR2). 4 Autosomal-rezessiv vererbt durch Mutation im Gen für den Wassertransportkanal Aquaporin 2 (AQP2) (selten). Symptomatik.
4 Leitsymptome: Polydipsie und Polyurie bereits im Säuglingsalter. 4 Erbrechen, Obstipation.
14
4 Exsikkose, subfebrile bis febrile Temperaturen (»Durstfieber«), Irritabilität. 4 Gedeihstörung. ! Bei Patienten mit Diabetes insipidus besteht v. a. bei Infektionen, Gastroenteritiden oder vermehrtem Schwitzen die Gefahr der Exsikkose.
Diagnostik.
4 Blut: Zeichen der hypertonen Dehydratation: 5 Hypernatriämie und Hyperchloridämie (Natrium >150 mmol/l, Chlorid >110 mmol/l) 5 Hämatokrit ↑ und Gesamt-Eiweiß ↑ 5 Serumosmolalität ↑ (>310 mosmol/kg) 5 Ggf. Harnstoff ↑, Kreatinin ↑ 5 sonst normale Serum-Elektrolyte 5 Molekulargenetik 4 Urin: Ausscheidung eines hypotonen Urins durch mangelnde Konzentrierungsfähigkeit: Urinosmolarität ↓ (<150 mosmol/kg). ! Beim Diabetes insipidus renalis übersteigt die Urinosmolalität niemals die Serumosmolalität! > ADH-Test zur Differenzierung zentraler versus nephrogener Diabetes insipidus. Beim nephrogenen Diabetes insipidus (NDI) kommt es nach ADH-Gabe nicht zu einem Anstieg der Urinosmolarität oder zu einem Abfall der Serumosmolarität.
Differenzialdiagnostik.
4 Zentraler Diabetes insipidus 4 Psychogene Polydipsie 4 Mangelnde Konzentrationsfähigkeit der Nieren durch: Akute oder chronische Niereninsuffizienz, obstruktive Uropathien, vesikoureteralen Reflux, interstitielle Nephritis, Hypokaliämie, Hyperkalzämie, Lithiumtherapie. Therapie.
4 Ausreichend Flüssigkeit- und Kalorienzufuhr, kochsalzarme und eiweißreduzierte Kost zur Senkung der osmotischen Last. 4 Medikamentöse Senkung der Urinmenge: Prostaglandinsynthesehemmer (z. B. Indomethacin), Thiaziddiuretika (paradoxer Effekt). Prognose.
4 Bei rechtzeitigem Therapiebeginn (lebenslange Therapie) gute Prognose. 4 Beeinträchtigung der psychomotorischen Entwicklung v. a. bei wiederholten, schweren Exsikkosen.
318
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
! Bei Dehydratation und Diabetes insipidus besteht meist eine Hypernatriämie. Die Reduktion des Serumnatriums muss langsam erfolgen (nicht mehr als 15 mmol/d) und erfolgt mit physiologischer Kochsalzlösung (NaCl 0,9%).
14.6.4 Bartter-Syndrome und Gitelman-
Syndrom Definition. Verschiedene autosomal-rezessiv vererbte
Salzverlust-Tubulopathien mit hypochlorämischer Alkalose, Hyponatriämie und Hypokaliämie, mit Unterschieden hinsichtlich Manifestationsalter, Begleitsymptomen und zugrunde liegendem Kanaldefekt. Neonatale Bartter-Syndrome (»Furosemidähnliche Salzverlusttubulopathie in der Neonatalperiode«) 4 Bartter-Typ I: Mutation in SLC12A1 für den Na/ K/2Cl-Kotransporter (NKCC2) 4 Bartter-Typ II: Mutation in KJNJ1 für den Kaliumkanal (ROMK) 4 Bartter-Typ IV: Mutation in BSND (Barttin) → defekte Chloridkanäle (ClC-Ka und ClC-Kb)
Alkalose, Gedeihstörung, Fieber, Erbrechen, Polyurie, Polydipsie. Gitelman-Syndrom: 4 Symptomatisch erst im Jugend- oder Erwachsenenalter, Müdigkeit, Obstipation, Muskelkrämpfe, Gelenkbeschwerden, Hyponatriämie, Hypokaliämie, metabolische Alkalose und zusätzlich: Hypokalzurie und Hypomagnesiämie. Differenzialdiagnostik. Hypokaliämien anderer Ursache (Erbrechen, Diarrhoe); komplexe Tubulopathien (diese haben meist eine Azidose). Therapie.
4 Kalium-, Magnesium- und Natriumchloridsubstitution. 4 Ausreichende Flüssigkeitssubstitution. 4 Kaliumsparende Diuretika (Spironolacton oder Triamteren) → meist nur passagerer Effekt. 4 Indomethacin oder Ibuprofen zur Prostaglandinsynthesehemmung. Prognose.
Klassisches Bartter-Syndrom 4 Bartter-Typ III: Mutation in CLCNKB für den basolateralen Chloridkanal (CLC-Kb) Gitelman-Syndrom (»Thiazidähnliche Salzverlusttubulopathie«) 4 Gitelman: Mutation in SLC1231 für den Thiazidsensiblen Na/Cl-Kotransporter (NCCT)
14
Pathophysiologie. Defekte Transporter im aufsteigenden Schenkel der Henle-Schleife und/oder distalen Tubuluskonvolut → erhöhte Natriumchlorid- und Kaliumkonzentration im distalen Tubulus → Stimulation der Prostaglandinsynthese und Stimulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems → weitere Steigerung der Hypokaliämie. Symptomatik. Neonatale Bartter-Syndrome:
4 Polyhydramnion, Frühgeburtlichkeit, Hyponatriämie, Hypokaliämie (kann direkt postnatal noch fehlen), metabolische Alkalose, Polyurie, Hyperkalziurie → Nephrokalzinose, Fieber, Erbrechen, Durchfall, Gedeihstörung, muskuläre Hypotonie. 4 Bartter-Typ IV: Innenohrschwerhörigkeit, chronische Niereninsuffizienz, mentale Retardierung.
4 Unter Therapie gute Prognose. 4 Cave: Reizleitungsstörungen des Herzens durch chronische Hypokaliämie im Langzeitverlauf. 4 Selten Fortschreiten zur Nephrokalzinose und Niereninsuffizienz (Ausnahme Bartter Typ IV). 14.6.5 Dent-Erkrankung Definition. X-chromosomal vererbte Tubulopathie mit den möglichen Symptomen einer Hyperkalziurie, Proteinurie vom tubulointerstitellen Typ, Nephrokalzinose/Nephrolithiasis und Rachitis, die selten zu einer terminalen Niereninsuffizienz führen kann. In ca. 60% wird die Erkrankung durch eine Mutation im Gen CLCN5 verursacht, welches für einen endosomalen Chloridkanal kodiert. In etwa 10% der Patienten konnte eine Mutation in OCRL1 nachgewiesen werden. Somit besteht eine genetische Überschneidung zum Lowe-Syndrom.
14.6.6 Lowe-Syndrom (okulo-zerebro-
renales Syndrom) Definition. X-chromosomale Mutation in OCRL1 führt
Klassisches Bartter-Syndrom: 4 Symptomatisch erst im Kleinkindes- oder Kindesalter, Hyponatriämie, Hypokaliämie, metabolische
zu einem Defekt der Inositol-Polyphosphat-5-Phosphatase und führt neben einem sekundären FanconiSyndrom zu:
319 14.6 · Tubulopathien
4 4 4 4 4
Katarakt Mentaler Retardierung Chronischer Niereninsuffizienz Arthropathie Muskelhypotonie
14
14.6.7 Hypophosphatämische Rachitis
3. erhöhtes Kalium und Urin-pH<5,5: hyperkaliämische RTA (Typ IV) 4 Bei der distalen RTA kann der Urin-pH auch bei starker Azidose nicht <5,5 gebracht werden. 4 Säurebelastung: Gabe von 0,1 mg/kg Ammoniumchlorid. 5 Bei RTA Typ II: der Urin fällt innerhalb von 8 h auf einen pH <5. 5 Bei RTA Typ I: der Urin bleibt stets bei einem pH >5.
7 Kap. 15: Knochen.
Differenzialdiagnostik.
Keine kausalen Therapieoptionen.
14.6.8 Renal-tubuläre Azidosen (RTA) Definition. Störungen des renalen Säure- oder Bikarbo-
nattransports, die durch eine hyperchlorämische Azidose bei normaler Anionenlücke im Serum charakterisiert sind. Nach dem Ort des Defekts werden unterschieden: 4 Proximale RTA (Typ II): Reduzierte HCO3-Resorption im proximalen Tubulus. 4 Distale RTA (Typ I): Störung der Ausscheidung von H+-Ionen in Form von titrierbaren Säuren im distalen Tubulus. 4 Hyperkaliämische RTA (Typ IV): ein Aldosteronmangel oder eine Aldosteronresistenz führen durch verminderte Mineralokortikoidwirkung im distalen Tublus neben der verminderten Natriumreabsorption zur Abnahme der Kalium- sowie H+-Ionensekretion. Symptomatik. Die proximale RTA ist wesentlich selte-
ner als die distale Form und kann sich im Kleinkindesalter spontan bessern. Die Symptomatik der proximalen und distalen RTA ist sehr ähnlich: 4 Erbrechen, mangelndes Gedeihen, Polyurie, Dehydratation, Gliederschmerzen, Nephrokalzinose/ Nephrolithiasis, Rachitis/Osteopenie, Kleinwuchs. 4 Eine Nephrokalzinose fehlt bei der hyperkaliämischen RTA. Diagnostik.
4 Im Serum: hyperchloridämische Azidose mit normaler Anionenlücke (Anionenlücke: (Na+K)– (Cl+HCO3); Normal: 8–14. 4 Messung von Na, K, Cl im Urin, wenn: Cl<(Na+K): Messung von Kalium im Serum und Urin-pH 1. normales oder erniedrigtes Kalium und UrinpH<5,5: proximale RTA (Typ II) 2. normales oder erniedrigtes Kalium und UrinpH>5,5: distale RTA (Typ I)
4 Metabolische Azidosen mit erhöhter Anionenlücke (diabetische Ketoazidose, Organoazidurien, chronische Niereninsuffizienz, Medikamente). 4 Sekundäre renal tubuläre Azidosen: im Zusammenhang mit komplexen Tubulopathien (z. B. Fanconi-Syndrom), Autoimmunerkrankungen etc. Therapie. Orale Substitution von Basen als Bikarbonat
oder Zitrat (2–6 mmol/kgKG pro 24 h), bei der hyperkaliämischen RTA zusätzlich Korrektur der Elektrolytverluste. Prognose. Abhängig von der Form; ältere Kinder brauchen meist weniger Substitution, die proximale RTA kann nach den ersten Lebensjahren ohne Basengabe auskommen.
14.6.9 DeToni-Debré-Fanconi-Syndrom Definition. Tubuläre Transportstörung des proximalen und distalen Tubulus. Ätiopathogenese.
4 Idiopathisch (autosomal-rezessiv, autosomal-dominant, selten X-chromosomal oder sporadisch). 4 Sekundär bei hereditären Stoffwechselerkrankungen und exogenen Intoxikationen (s. oben). Durch Beeinträchtigung verschiedenster Transportsysteme im proximalen und möglicherweise auch distalen Tubulus kommt es zum renalen Verlust von Wasser, Natrium, Kalium, Kalzium, Phosphat, Bikarbonat (= sekundäre proximale RTA), Harnsäure, Glukose, Aminosäuren und kleinmolekularer Proteine. Symptomatik. Manifestation in den ersten 6 Lebens-
monaten: 4 Polydipsie, Polyurie, Dehydratation 4 Fieber, Erbrechen, Gedeihstörung, muskuläre Hypotonie
320
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
4 Knochenschmerzen, Rachitis/Osteopenie, Kleinwuchs Diagnostik.
4 Blut: Hyperchlorämische metabolische Azidose, Kalium: n/↓, Phosphat: n/↓, Harnsäure: n/↓, Alkalische Phosphatase ↑ bei Rachitis 4 Urin: Polyurie, Proteinurie vom tubulären Typ, Aminosäuren ↑, Glukose ↑, Phosphat ↑, Kalzium ↑, Carnitin ↑.
. Tab. 14.5. Chronische Hypertonien Ursachen
Erkrankungen
Renoparenchymatös (Beispiele)
4 Chronische Glomerulonephritis 4 Narben nach rezidivierenden Pyelonephritiden 4 Nierendysplasie
Renovaskulär (Beispiele)
4 Nierenarterienstenose (fibromuskuläre Dysplasie, Thrombosen, Aneurysmata, Neurofibromatose, Vaskulitis) 4 Nierenvenenthrombose
Kardiovaskulär (Beispiele)
4 Aortenisthmusstenose 4 Koarktation der abdominellen Aorta (mid-aortic-syndrome)
Endokrin (Beispiele)
4 Hyperkortisolismus 4 Hyperthyreose
ZNS (Beispiele)
4 4 4 4
Primär idiopathisch
4 Essenzielle Hypertonie
Therapie. Symptomatisch:
4 Ausgleich der Elektrolyt-, Basen- und Flüssigkeitsverluste (meist ca. 1–3 l zusätzliche Flüssigkeitszufuhr). 4 Kalzium und Vitamin D3 oder 1,25 Dihydroxy-Vitamin-D3 zur Verbesserung der Knochenmineralisation. 14.7
Arterielle Hypertonie
Definition. Blutdruckwerte, die systolisch oder diasto-
lisch nach mehrfacher Messung (>3) über der nach Alter, Geschlecht und Körperlänge eruierten 95. Perzentile liegen. Als Grenzwerthypertonie werden Blutdruckwerte zwischen der 90. und 95. Perzentile eingeordnet. Eine Normotonie besteht bei Blutdruckwerten <90. Perzentile.
14
> Blutdruckwerte schwanken innerhalb eines Tages und der Nacht zum Teil erheblich und sind bei Säuglingen und Kleinkindern oft schwierig zu generieren, daher sollte bei Verdacht auf arterielle Hypertonie eine kontinuierliche Blutdruckmessung über 24 h durchgeführt werden.
Im Kindesalter zeigen die Ursachen einer chronischen arteriellen Hypertonie eine altersabhängige Verteilung: je jünger das Kind, desto wahrscheinlicher ist eine se. Tab. 14.4. Erkrankungen mit akuter, transienter arterieller Hypertonie Renal (Beispiele)
4 Akute Postinfektiöse Glomerulonephritis 4 IgA-Glomerulonephritis 4 Hämolytisch-urämisches Syndrom 4 Pyelonephritis
Toxisch-medikamentös (Beispiele)
4 Kortikosteroide 4 Sympatikomimetika
Zentralnervöse oder vegetative Ursachen (Beispiele)
4 Erhöhter intrakranieller Druck 4 Enzephalitis
Intrazerebrale Raumforderung Hirnblutung Zustand nach Hirnverletzung Tetraplegie
kundäre arterielle Hypertonie und desto intensiver muss nach ihrer Ursache gefahndet werden. Renovaskuläre und renoparenchymatöse Erkrankungen sind die häufigsten Ursachen für eine arterielle Hypertonie im Kindesalter (. Tab. 14.5, . Tab. 14.6). Die primäre essenzielle Hypertonie ist im Kindesalter eine Rarität, . Tab. 14.6. Altersabhängige Ursachen der arteriellen Hypertonie (Beispiele) Neugeborene und Säuglinge
1. Nierenarterienstenose (fibromuskuläre Dysplasie, Thrombus durch Nabelarterienkatheter) 2. ARPKD/ADPKD 3. Nierenvenenthrombose 4. Neuroblastom
Kleinkinder
1. Renovaskulär und mid-aortic-syndrome 2. Glomerulonephritis 3. Phäochromozytom/Neuroblastom 4. Wilms-Tumor
Schulkinder
1. 2. 3. 4.
Refluxnephropathie Glomerulonephritis Zystennieren Renovaskulär und mid-aortic-syndrome
Adoleszente
1. 2. 3. 4.
Adipositas essenzielle Hypertonie Refluxnephropathie Glomerulonephritis
321 14.8 · Urolithiasis und Nephrokalzinose
tritt aber unter Jugendlichen aufgrund zunehmender Adipositas in dieser Altersgruppe immer häufiger auf. Symptomatik.
4 Meist asymptomatisch 4 Erst bei schwerem Hypertonus: 5 Kopfschmerzen, Schwindel, Schreiattacken, Irritabilität 5 Übelkeit, Erbrechen 5 Dystrophie 5 Hypertensive Enzephalopathie (Krampfanfälle, Somnolenz, Paresen, Visus-/Hörstörungen) Diagnostik.
4 Wiederholte Blutdruckmessungen an allen Extremitäten 4 24 h-Blutdruckmessung 4 Körperliche Untersuchung: Auskultation der Nierenarterien, Körpergewicht, -größe 4 Labor: 5 Serum: Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte, Schilddrüsenhormone, Kortisol, Plasmareninaktivität, Aldosteron. 5 Urin: Sediment, Protein, Kreatinin-Clearance, Elektrolyte, Katecholaminausscheidung. 4 Sonographie/Dopplersonographie: Nierengröße, dysplastische Niere, Parenchymstruktur, Flüsse in den Aa. renales und Aa. interlobares. 4 Digitale Subtraktionsangiographie (DSA) oder Angio-MRT: bei Verdacht auf Nierenarterienstenose. 4 EKG, ECHO 4 Augenhintergrund: hypertensive Veränderungen? > Die Blutdruckmanschette sollte dem Oberarm angepasst sein. Denn: zu kleine Manschetten führen zu falsch hohen Messungen, zu große Manschetten zu falsch niedrigen Messungen!
Therapie.
4 Kausal: Therapie der Ursache, sofern möglich. 4 Symptomatisch: 5 Bei nur leichter Erhöhung und Verdacht auf essenzielle Hypertonie ist zunächst eine konservative Therapie indiziert: – Natriumrestriktion, regelmäßige Bewegung, Gewichtsreduktion – evtl. verhaltenstherapeutische Maßnahmen (Stressreduktion) 4 Medikamente: Sind diese Maßnahmen nicht ausreichend oder liegt eine sekundäre arterielle Hyper-
14
tonie vor, deren Ursache nicht behoben werden kann, ist eine medikamentöse Therapie indiziert. Diese folgt in Abhängigkeit von der Schwere der arteriellen Hypertonie einem Stufenschema. Die Wahl des Antihypertensivums ist abhängig von der Grunderkrankung und den vorliegenden Kontraindikationen: Zunächst Monotherapie: Basistherapeutika: 5 A: ACE-Hemmer/ AT1-Rezeptor-Antagonist 5 B: Betarezeptorblocker 5 C: Kalziumantagonist 5 D: Diuretikum Bei ausbleibender Blutdrucknormalisierung Kombinationstherapie: 5 Zweiertherapie: Kombination aus A oder B mit C oder D; oder C + D Bei ausbleibender Besserung: 5 Dreiertherapie: A + C + D oder B + C +D > ACE-Hemmer sind bei renoparenchymatös bedingtem Hypertonus im Kindesalter meist das Mittel der ersten Wahl, da so die nephroprotektiven und evtl. auch antipoteinurische Wirkungen des ACE-Hemmers ausgenutzt werden können. ! Eine gute Blutdruckeinstellung ist für alle Erkrankungen und zur Vermeidung von Folgeerkrankungen essenziell! Eine konsequente Überwachung der Blutdruckwerte ist notwendig!
14.8
Urolithiasis und Nephrokalzinose
Definition.
4 Urolithiasis: Ablagerung von Steinen in den ableitenden Harnwegen 4 Nephrokalzinose: Ablagerung von Kalzium (als CaPhosphat oder Ca-Oxalat) im Nierenparenchym Epidemiologie. Steinbildungen in Niere und ableiten-
den Harnwegen sind bei Kinder in Industrieländern selten (1–5:10 000), kommen aber in Afrika und Asien wesentlich häufiger vor (häufiger Infektsteine). 14.8.1 Urolithiasis Ätiopathogenese.
4 Metabolisch bedingte Steine: a) Kalziumphosphatsteine: Hyperkalziurie (s. Nephrokalzinose) b) Kalziumoxalatsteine: Hyperkalziurie, Hypozitraturie, Primäre Hyperoxalurie (PH) Typ I
322
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
und II (s. unten), Sekundäre Hyperoxalurie bei Fettmalabsorption (z. B. chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Mukoviszidose) oder idiopathisch c) Cystinsteine: Cystinurie 7 Kap. 5.1.7 d) Harnsäuresteine;: Lymphome und Leukämien (Zelllyse), Harnsäurestoffwechselstörungen mit Hyperurikämie, Lesh-Nyan-Syndrom (Defekt der Hypoxanthin-Guanin-phosphoryltransferase mit den Leitsymptomen: psychomotorische Retardierung, Spastik, Dystonie, Choreathetose, ggf. Autoaggression). e) Xanthinsteine: Xanthinoxidasedefekt f) Dihydroadeninsteine: Adeninphosphoribosyltransferase-Defekt (sehr selten) 4 Infektsteine: Magnesium-Ammonium-PhosphatSteine/Struvit-Steine bei Infektionen Symptomatik.
4 Rezidivierende Harnwegsinfektionen (v. a. mit Proteus mirabilis). 4 Abdominalkoliken (akute Passage). 4 Nicht glomeruläre Hämaturie 4 Selten dumpfer Bauchschmerz 4 Harnwegsobstruktionen, Dilatation des Harnleiters und des Nierenbeckens 4 Symptomlos: Zufallsbefund Diagnostik.
14
4 Sonographie: Schallschatten 4 Röntgen-Abdomen-Übersicht: Darstellung röntgendichter kalziumhaltiger Konkremente; evtl. i. v.-Pyelogramm, evtl. CT. 4 Steinanalysen (bei Abgang des Steins): wichtig zur Planung der Metaphylaxe 4 Urinanalyse: Kalzium/Kreatinin-Quotient, Oxalat- bzw. Cystinausscheidung Therapie.
4 Akute Therapie: Analgesie, viel trinken (2–3 l/d), antibakterielle Therapie bei Infektionen 5 Je nach Lage, Größe und Konsistenz des Steins: Stoßwellenlithotrypsie, Schlinge, Zange oder operative Steinentfernung. 4 Metaphylaxe: Therapie der Ursache sofern möglich, hohe Trinkmenge. In Abhängigkeit von der Steinart Harnalkalisierung (Kalzium-, Oxalat-, Uratsteine) oder Harnansäuerung (Infektsteine). Bei Hyperkalziurie ggf. Therapie mit Hydrochlorothiazid
14.8.2 Nephrokalzinose Die Ablagerung von Kalzium im Nierenmark (seltener auch Nierenrinde oder kombiniert) kann bei Normokalzämie, Hyperkalzämie oder seltener Hypokalzämie sowie bei Hyperoxalurie entstehen. Diese Befunde helfen bei der breiten Differenzialdiagnose der Nephrokalzinose zur Identifikation der Ursache. Die Nephrokalzinose lässt sich sonographisch nachweisen (Gradeinteilung: I, IIa, IIb, III).
Differenzialdiagnostik Nephrokalzinose 4 Normokalzämie und Hyperoxalurie – Primäre Hyperoxalurie – Sekundäre Hyperoxalurie 4 Normokalzämie und Hyperkalziurie – Frühgeburtlichkeit – Diuretika – Vitamin-D-Gabe – Immobilisation – Neonatale Bartter-Syndrome – Osteogenesis imperfecta – Idiopathische Hyperkalziurie – Dent-Erkrankung – Renal tubuläre Azidose 4 Hyperkalzämie und Hyperkalziurie – Hyperparathyreoidismus – Vitamin-D-Intoxikation – Immobilisierung – Williams-Beuren-Syndrom – Hypophosphatasie – Tumoren – Idiopathische Hyperkalzämie 4 Hypokalzämie und Hyperkalziurie – Familiäre Hypomagnesiämie-Hyperkalziurie
14.8.3 Primäre Hyperoxalurie (PH) Definition/Ätiopathogenese. Autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung; verminderter hepatischer Oxalatabbau mit konsekutiv gesteigerter Oxalsäureausscheidung und Nephrolithiasis durch Kalziumoxalatsteine, Nephrokalzinose und im Verlauf progredienter Niereninsuffizienz. Symptomatik/Diagnostik.
4 PH Typ I: Defekt des peroxysomalen Enzyms Alanin-Glyoxylat-Aminotransferase (AGT). Variable klinischen Symptome in Abhängigkeit der zugrunde liegenden Mutation. Eine Nephrokalzinose und
323 14.9 · Harnwegsinfektionen (HWI)
chronische Niereninsuffizienz kann sich bereits im Säuglingsalter entwickeln oder es können Steine erstmals im Erwachsenenalter auftreten. Diagnose: erhöhte Werte für Oxalat in Urin und Plasma, Molekulargenetik, ggf. Leberbiopsie. Besteht eine Niereninsuffizienz kommt es zu Ablagerungen von Oxalat in allen Organen (v. a. Gefäße und Reizleitungssystem des Herzens). 4 PH Typ II: Defekt der D-Glyceratdehydrogenase. Der Typ II ist wesentlich seltener und verläuft leichter. Therapie. Therapeutische Optionen sind neben der symptomatischen erhöhten Flüssigkeitszufuhr und Harnalkalisierung, der Versuch einer Pyridoxingabe (40% der Patienten zeigen darunter Besserung). ggf. Lebertransplantation (Aufheben des Enzymdefekts) und Nierentransplantation. Eine oxalatarme Diät oder die Therapie mit Oxalobacter formigenes wird v. a. bei sekundärer Hyperoxalurie eingesetzt.
14.9
Harnwegsinfektionen (HWI)
Definition/Ätiopathogenese. Durch Mikroorganismen
bedingte Infektion des Niereninterstitiums, des Nierenbeckens, der Harnleiter, der Blase oder der Harnröhre gekennzeichnet durch eine Leukozyturie und Nachweis des Erregers im Urin.
14
4 Komplikationsmöglichkeiten: – Unkomplizierte Harnwegsinfektion: normaler Harntrakt, normale Blasenfunktion, normale Nierenfunktion, normale Immunkompetenz. – Komplizierte Harnwegsinfektion: bei Nierenfehlbildung, Harntraktfehlbildung, Harnabflussbehinderung, vesikoureteralem Reflux, Urolithiasis, neurogener Blasenentleerungsstörung, Immundefizienz, Fremdkörper, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Zustand nach Nierentransplantation.
Ätiopathogenese.
4 Häufigste Erreger: Darmbakterien wie 5 E. coli (80%) 5 Enterokokken (je nach Zentrum bis zu 20%) 5 Pseudomonas aeruginosa (v. a. bei Fehlbildungen, unter antibakterieller Prophylaxe), Proteus mirabilis (v. a. bei Jungen und bei Urolithiasis) 4 Pilze (selten) 4 Im Kindesalter meist Monoinfektion mit einem Erreger. 4 Mischinfektionen nur bei Patienten mit Vesikostoma, Ileumconduit oder Blasendauerkatheter.
Epidemiologie. 7% aller Mädchen und 2% aller Jungen
In der Neugeborenenperiode ist eine hämatogene oder aszendierende Infektion Ursache der Infektion, später: meist aszendierende Infektionen. Risikofaktoren: s. komplizierte Harnwegsinfektion.
erkranken in den ersten 6 Lebensjahren an einer Harnwegsinfektion.
Symptomatik.
Einteilung der Harnwegsinfektionen 4 Lokalisation: – Zystitis: Infektion der Blase und Harnröhre. – Pyelonephritis: zusätzlich Infektion von Harnleiter, Nierenbecken oder der Niere selbst. 4 Symptomatik: – Asymptomatische Bakteriurie: isolierte signifikante Bakteriurie ohne Symptome. – Asymptomatische Harnwegsinfektion: signifikanteBakteriurie und Leukozyturie, aber ohne körperliche Symptome. – Symptomatische Harnwegsinfektion: signifikante Bakteriurie und Leukozyturie mit körperlichen Symptomen (afebril oder febril). 6
4 Neugeborene und junge Säuglinge: 5 Unspezifische Symptome wie Erbrechen, Gewichtsverlust, Fieber 5 Grau-blasses Hautkolorit, schrilles Schreien, Schreckhaftigkeit 5 Entwicklung einer Urosepsis (Zentralisierung, Berührungsempfindlichkeit) 5 Evtl. Ikterus prolongatus bei Neugeborenen 4 Ältere Kinder: 5 Bei Zystitis: – Dysurie und Schmerzen/Schreien beim Wasserlassen – Pollakisurie – Harninkontinenz oder Enuresis nach bereits erreichter Kontinenz 5 Bei Pyelonephritis: – Flankenschmerzen im Kindesalter selten, eher diffuse Bauchschmerzen als Hinweis auf eine Pyelonephritis. – Temperatur >38,5°C
324
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
> Bei jedem Säugling mit Fieber unklarer Ursache muss differenzialdiagnostisch eine Harnwegsinfektion erwogen werden!
> Vor Beginn der Therapie Abnahme von Urin zur mikrobiologischen Erregerkultur und Antibiogramm! Nach Beginn der antibakteriellen Therapie ist die Diagnostik nicht mehr verwertbar!
Diagnostik.
14
4 Uringewinnung: 5 Bei älteren Kindern: Mittelstrahlurin 5 Bei Säuglingen: nach gründlicher Reinigung des Genitales mit Wasser oder nichtschäumenden Antiseptika Anbringen eines Urinbeutels 4 Urinuntersuchung: signifikante Erhöhung der Leukozytenzahlen im Urin: 5 Mädchen: <20 Leukozyten/μl: normal, 20–50/ μl: verdächtig, >50/μl: pathologisch 5 Jungen >3 Jahre: >10 Leukozyten/μl: pathologisch, Jungen <3 Jahre: s. Mädchen 5 Signifikante Bakteriurie: Mittelstrahlurin >100 000 Keime/mm3, Katheterurin >10 000 Keime/mm3, suprapubische Blasenpunktion: jeder Keimnachweis 5 Evtl. Nitritnachweis im Urin (unsicher) 5 Evtl. Hämaturie 4 Labor: Leukozytose, CRP ↑ (Fieber, Leukozytose und CRP >2,0 mg/dl sind hinweisend auf Pyelonephritis und sprechen gegen eine Zystitis) 4 Sonographie der Nieren: 5 Nierenvolumen bei Pyelonephritis vergrößert 5 Hinweise auf Harntraktfehlbildung? 4 Röntgen-Miktionszysturethrogramm bzw. sonographische/ szintigraphische Refluxprüfung 5 Nach erster Pyelonephritis beim Säugling oder Kleinkind. 5 Bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen im Kindesalter. 5 Harnwegsinfektion und sonographischen Hinweisen auf Harntraktfehlbildung. 4 Spezielle weiterführende Diagnostik: 5 In Abhängigkeit der bislang erhobenen Befunde: DMSA-Szintigraphie, MAG-3-Szintigraphie, IVP, MR-Urographie, Zystomanometrie. > Während ein negativer Befund aus einem Urinbeutel eine Harnwegsinfektion weitestgehend ausschließt, muss bei einem positiven Befund aufgrund der hohen Zahl falsch positiver Befunde eine Bestätigung mittels suprapubischer Blasenpunktion oder transurethralem Einmalkatheterismus erfolgen. Bei Jungen sollte der transurethrale Katheterismus zugunsten der suprapubischen Blasenpunktion vermieden werden.
Therapie.
4 Bei Säuglingen, Verdacht auf Urosepsis, deutlich reduziertem Allgemeinzustand, Trinkverweigerung, Erbrechen oder Durchfall sowie bei komplizierter HWI: i. v.-Applikation des Antibiotikums. 4 Antibakterielle Therapie: 5 HWI im 1. Lebensjahr: Ceftazidim+Ampicillin oder Aminoglykosid+Ampicillin. 5 Unkomplizierte Pyelonephritis und >1 Jahr: Monotherapie mit oralem Cephalosporin der 2. und 3. Generation oder Amoxicillin/Clavulansäure. 5 Unkomplizierte Pyelonephritis (jedes Alter): Ceftazidim+Ampicillin oder Aminoglykosid+ Ampicillin. 5 Zystitis: orales Cephalosporin oder Amoxicillin/Clavulansäure. Komplikationen.
4 Akut: Abszessbildung. 4 Chronisch: Narbenbildung bis zur Schrumpfniere bei rezidivierenden Infektionen und Entwicklung eines renoparenchymatösen arteriellen Hypertonus sowie einer Niereninsuffizienz. Prognose. Rezidivneigung bei Risikofaktoren (s. oben) und konstitutioneller Veranlagung. Prophylaxe.
4 Antibakterielle Dauerprophylaxe bei rezidivierenden Infektionen und Risikofaktoren: 5 Cephalosporine, Trimethoprim (nicht unter 7. Lebenswoche) oder Nitrofurantoin (nicht unter 3. Lebensmonat) 14.10
Enuresis
Definition. Enuresis: Normale Füllung und Entleerung
der Harnblase, jedoch zur falschen Zeit (nachts, im Schlaf), am falschen Ort (im Bett). Dies ist zu differenzieren von der funktionellen Harninkontinenz im Kindesalter = unwillkürlicher Urinverlust durch Störung der Blasenspeicherfunktion oder Blasenentleerungsfunktion. Enuresis: Kind ist mindestens 5 Jahre alt, Einnässen im Alter <7 Jahren mindestens 2-mal pro Monat, im Alter >7 Jahre mindestens 1-mal pro Monat.
325 14.11 · Akute Niereninsuffizienz (ANI)
4 Primäre Enuresis: das Kind war noch nie länger als 6 Monate am Stück trocken. 4 Sekundäre Enuresis: Wiederauftreten von Einnässen nach einer trockenen Periode von mindestens 6 Monaten. Epidemiologie. Kontinenz wird altersabhängig erlernt:
Regelmäßiges nächtliches Einnässen besteht bei ca. 30% der Kinder mit 4 Jahren. Eine Enuresis besteht bei ca. 10% der Kinder mit 7 Jahren, ca. 5% der Kinder mit 10 Jahren. Ätiopathogenese. Multifaktoriell:
4 Genetische Disposition mit familiärer Häufung und dominantem Erbgang 4 Entwicklungsverzögerung 4 Arousal-Dysfunktion (Ausbleiben des Aufwachens bei zunehmender Blasenfüllung)
14
– Apparative Verhaltenstherapie (AVT): Klingelhose oder Klingelmatte (Evidenzgrad I). 5 Medikamentöse Therapie (Indikationen: Situationen, die ein kurzfristiges Trockenwerden erfordern (z. B. Klassenfahrt), in Kombination mit AVT, Therapieresistenz): DDAVP (ADH Analogon) intranasal oder oral abends. Nach Absetzen der Therapie mit DDAVP kommt allerdings häufiger zu Rückfällen als bei der AVT. ! Bei Flüssigkeitszufuhr nach der Einnahme von DDAVP kann es zu Hyponatriämie und Wasserintoxikation kommen!
Prognose. Günstige Prognose, bei <1% langfristige Persistenz einer Enuresis.
14.11
Akute Niereninsuffizienz (ANI)
Diagnostik. Basisdiagnostik:
4 Fragebogen und Protokoll über 14 Tage (Frequenz des Einnässens) 4 Blasentagebuch über 2 Tage mit Dokumentation der Uhrzeit und der Menge der Flüssigkeitsaufnahme und Urinportionen (normal: 5–7 Miktionen/d und Blasenkapazität von Alter in Jahren + 1-mal 30 ml) 4 Erfragen von Tagessymptomatik wie Drangsymptomatik oder stotternder Miktion 4 Familienanamnese 4 Körperliche Untersuchung (Lumbosakralregion: Porus? Nävus? Analreflex?) 4 Urindiagnostik (inkl. Urin-Osmolarität) 4 Sonographie der Nieren und ableitenden Harnwege (inkl. Restharnprüfung)
Definition. Innerhalb von Stunden bis Tagen eintretende Abnahme der Nierenfunktion um mindestens 50%; Anstieg des Serumkreatinins (0,5–1,0 mg/dl pro Tag) und des Serumharnstoffs. Neugeborene: Kreatinin: >1,5 mg/dl unabhängig von der Urinproduktion, fehlendes Absinken unter das maternale Kreatinin am 5.–7. Tag p. p. oder Ansteigen um ≥0,3 mg/dl am Tag unabhängig von der Urinproduktion. Unterschieden werden: 4 Oligurie: Urinausscheidung <300 ml/m2 pro 24 h, bei Neugeborenen <1 ml/kg/h. 4 Anurie: komplettes Sistieren der Urinausscheidung (respektive <1 ml/kg pro 24 h). 4 Polyurie: Urinausscheidung >2 ml/kg/h.
Bestehen eine Tagessymptomatik oder Hinweise auf eine organische Untersuchung, ist eine weitere Diagnostik, z. B. Zystomanometrie, erforderlich.
! Die Urinmenge sagt nichts über die Nierenfunktion aus. Eine akute Niereninsuffizienz kann oligo-anurisch, normurisch oder polyurisch sein.
Therapie.
4 Neurogene, nephrologische, urologische oder andere pädiatrische Ursachen der Enuresis sind ebenso wie eine bestehende Tagessymptomatik primär zu therapieren. 4 Therapie der monosymptomatischen Enuresis: 5 Nichtmedikamentöse Therapie: – Ausführliches Gespräch mit Kind und Eltern und Führen eines »Sonne-Wolken-Kalender« für trockene respektive feuchte Nächte (Entlastung, Motivationsaufbau, positive Verstärkung). – Verteilung der Trinkmenge gleichmäßig über den Tag.
Epidemiologie.
4 Inzidenz: 40 pro 1 Mio. Kinder <16 Jahren. 4 1–6% der Patienten auf einer pädiatrischen Intensivstation (ohne Neonatologie). Ätiopathogenese. Unterscheidung prärenaler (70%),
renaler und postrenaler (selten) Ursachen (. Tab. 14.7). Der Übergang von der funktionellen Oligurie über die prärenale akute Niereninsuffizienz ist fließend und bei adäquater Therapie (Volumengabe) reversibel. Bei unzureichender Therapie mündet die prärenale ANI jedoch in einem renalen ANI mit akuten Tubulusnekrose.
326
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
. Tab. 14.7. Ätiologie der akuten Niereninsuffizienz im Kindesalter Ursachen
Erkrankungen
Prärenal
4 Intravasaler Volumenmangel – z. B. Blutung, Dehydratation (Gastroenteritis, Verbrennung,…) 4 Erniedrigter systemischer Blutdruck = Abfall des intraglomerulären Drucks
Renal
Postrenal
4 4 4 4
Akute Tubulusnekrose Glomerulär Vaskulär Kongenitale Malformation (Nierendysplasie/Nierenhypoplasie,…) 4 Infektiös (akute Pyelonephritis, Hantaavirusinfektion,…) 4 Akute tubulointerstitielle Nephritis 4 Strukturelle Anomalien des Harntrakts, z. B. Ureterabgangsstenose, terminale Ureterstenose, VUR, Harnröhrenklappen,… 4 Tumoren 4 Funktionelle Harnabflussstörungen: neurogene Blasenentleerungsstörung (auch medikamenteninduziert)
Symptomatik.
14
4 Anurie, Oligurie, Normurie oder Polyurie 4 In Abhängigkeit von der Ursache Dehydratation oder Hyperhydratation mit Ödemen (evtl. Herzinsuffizienz, Lungenödem, Gehirnödem, Aszites) 4 Hypertonus (mit zerebralen Krampfanfällen, Kopfschmerzen) 4 Übelkeit, Erbrechen 4 Arrhythmien durch Hyperkaliämie 4 im Endstadium: urämisches Koma ! Bei Hyper- und Hypokaliämie besteht die Gefahr lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen!
Diagnostik.
4 Anamnese: Podromi, Vorerkrankungen (inkl. Hinweise auf chronische Niereninsuffizienz), Pränatale Ultraschallauffälligkeiten, Medikamentenanamnese, Familienanamnese 4 Blut: BB, Differenzialblutbild, Retikulozyten, ggf. Blutausstrich (Fragmentozyten?); Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Cystatin C; Na, K, Cl, Ca, P, Mg, BGA; Eiweiß, Albumin, Haptoglobin, CK, LDH, Parathormon; C3, C4, Gesamt-Komplement (CH50); ANA, Anti-dsDNA-AK, ASL, Anti-DNAse B, Anti-GMB-AK; Blutkultur
4 Urin: Erythrozyten, Hb, Myoglobin (Urinmikroskopie), Kreatinin, Harnstoff, Na, K, Cl, Ca, P, Eiweiß, Albumin, α1-MG, IgG, Urinkultur 4 Röntgen-Thorax: Herzgröße? Lungenödem durch Überwässerung? 4 Sonographie der Nieren: Vergrößerung, Hydronephrose? > Die Flüssigkeitsbilanz kann durch mehrmals tägliche Gewichtskontrolle überwacht werden. Ziel bei Überwässerung ist eine negative Bilanz, d. h. ein Gewichtsverlust.
Therapie.
4 Vitalparameter, Gewicht und Blutwerte überwachen. 4 Therapie der Grunderkrankung. 4 Bei prärenaler ANI → Volumengabe zur Verhinderung des Übergangs in eine renale ANI. 4 Medikamente an Nierenfunktion anpassen. 4 Indikation zur Dialyse: Unkontrollierbare Ödeme/ Überwässerung, unkontrollierbare Hypertonie, andauernde Oligurie mit Überwässerung, Anurie >24 h, therapierefraktäre Azidose, Hyperkaliämie, Hyperphosphatämie, Hypo- oder Hypernatriämie, rapider Anstieg von Serumkreatinin oder Serumharnstoff (>200 mg/dl bzwm. >100 mg/dl Harnstoff-N) Absolute Dialyseindikation bei urämischen Symptomen (Blutungen, persistierender Brechdurchfall, Perikarditis, therapieresistente Konvulsionen, Bewusstseinsstörung), ausgeprägter Katabolismus trotz kalorienreicher Ernährung, dialysierbares Nephrotoxin als Ursache der ANI. ! Die Gabe von Diuretika (z. B. Furosemid) ist nur nach adäquater Volumengabe und bei noch vorhandener Diurese sinnvoll.
Prognose. Auch nach anscheinender Erholung der Nie-
renfunktion kann sich sekundär eine Nierenatrophie entwickeln → längerfristige Nachuntersuchungen in kindernephrologischem Zentrum. 14.12
Chronische Niereninsuffizienz (CNI)
Definition. Irreversibler bilateraler Verlust von Nierengewebe mit glomerulärer Filtrationsrate (GFR) unter der Altersnorm (Einteilung . Tab. 14.8). Schätzung der GFR durch: Klassische Kreatininclearance, GFR nach Schwartz oder Cystatin C im Serum.
327 14.12 · Chronische Niereninsuffizienz (CNI)
14
. Tab. 14.8. Stadieneinteilung der CNI GFR (ml/min×1,73m2) Grad 1
>90
Nierenerkrankung ist vorhanden, normale GFR
Grad 2
60–90
Meist noch keine Symptome
Grad 3
30–60
Sekundäre laborbiochemische Auffälligkeiten und klinische Symptome
Grad 4
15–30
Ausgeprägte sekundäre laborbiochemische Auffälligkeiten und klinische Symptome
Grad 5 = terminale NI
<15
Indikation zur Nierenersatztherapie
> GFR nach Schwartz: GFR =
k · Körperlänge (cm) Serumkreatinin (mg/dl)
Korrekturfaktor k: 4 FG: 0,33 4 NG <1 J: 0,45 4 >1 J–13 J: 0,55 4 >13 J weibl.: 0,57 4 >13 J männl.: 0,7
Epidemiologie. 5:1 Mio Kinder <16 Jahre in Deutsch-
4 4
4
land werden jährlich terminal niereninsuffizient. 4 Ätiopathogenese.
4 Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege: ca. 40% 4 Glomerulopathien: ca. 25% 4 Hereditäre Nierenerkrankungen: ca. 20% (inkl. zystische Nierenerkrankungen) 4 Systemische Erkrankungen (inkl. HUS): ca. 10% 4 Andere Nierenerkrankungen/unbekannt: ca. 5% Symptomatik.
4 Abhängig von der GFR (milde Formen sind meist asymptomatisch) 4 Müdigkeit durch renale Anämie 4 Inappetenz, Übelkeit und Untergewicht 4 Kleinwuchs 4 Knochendeformitäten und Osteopenie 4 Oligurie oder Polyurie (ggf. sekundäre Enuresis) 4 Arterielle Hypertonie mit zunehmender Kreislaufbelastung und Herzinsuffizienz 4 Blutungsneigung durch Thrombozytopenie und -pathie 4 Infektionsneigung
4 4
1,25 Dihydroxy-Cholecalciferol in der Niere → verminderte Kalziumresorption im Darm → Hypokalziämie → PTH↑ → Freisetzung von Kalzium aus dem Knochen → renale Osteopenie. Renale Anämie: verminderte Freisetzung von Erythropoietin aus der Niere → verminderte Stimulation des Knochenmarks. Arterielle Hypertonie: infolge Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) und Sympathikusaktivierung sowie durch Hypervolämie. Metabolische Azidose: durch gestörte Säureausscheidung und Bikarbonatverluste. Renaler Kleinwuchs: infolge verminderter Wirkung von IGF-I (Endorganresistenz), metabolische Azidose, Anämie. Polyurie infolge Isosthenurie (Unfähigkeit der Urinkonzentrierung). Malnutrition: durch Inappetenz und Übelkeit.
Therapie.
4 Kontrolle des Elektrolyt- und Säure-Basen Haushalts: Bilanzierung, Gewichtskontrolle; bei Elektrolytverlust: Substitution, Bei Azidose: Substitution von Natriumbikarbonat oder Natriumhydrogenzitrat; bei Hyperphosphatämie: phosphatarme Diät und Phosphatbinder zur Mahlzeit; bei Hyperkaliämie: kaliumarme Diät, selten Austauscherharze. 4 Anämie: Substitution von Erythropoetin s. c. und Eisen. 4 Renale Osteopathie: Therapie der Hyperphosphatämie durch Diät und Phosphatbinder, 25-Hydroxy-Cholecalciferol und 1,25 Dihydroxy-Cholecalciferol. 4 Arterielle Hypertonie: Stufenplan 7 Kap. 14.7: Hypertonie.
Komplikationen. Je niedriger die GFR, desto ausge-
prägter die sekundären Folgen der CNI: 4 Sekundärer Hyperparathyreoidismus: durch Phosphatretention verminderte Hydroxlierung von
4 Wachstumsretardierung: Rekombinantes Wachstumshormon. 4 Appetitlosigkeit: Antiemetika, evtl. Sondenernährung.
328
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
4 Diät: Iso-/hochkalorische Ernährung, An Alter und GFR angepasste Proteinzufuhr, ggf. Substitution von essenziellen Aminosäuren, wasserlöslichen Vitaminen, Zink, Eisen.
4 4
Bei terminaler Niereninsuffizienz → Nierenersatztherapie: 4 Dialyse: Die Dialyse dient (meist) zur Überbrückung bis zur Nierentransplantation (s. unten). 5 Hämodialyse: Blutreinigung mit extrakorporalem Hämofilter. Die harnpflichtigen Substanzen werden über eine semipermeable Membran entlang eines Konzentrationsgefälles nach dem Gegenstromprinzip entfernt. 5 Peritonealdialyse: Das Peritoneum dient als semipermeable Membran. Über einen Katheter werden Dialyseflüssigkeiten in die Bauchhöhle instilliert. Es existieren kontinuierliche sowie intermittierende(nächtliche) Verfahren. 5 Nierentransplantation: (präemptive) Lebendspende; Verstorbenenspende. 14.13
Nierenvenenthrombose (NVT)
4 4
5 D-Dimere (Fibrinspaltprodukte) ↑, Thrombozytopenie, Anämie Der Blutdruck ist im akuten Stadium meist normal. Sonographie: ein- oder beidseitige deutliche Nierenvergrößerung Dopplersonographie: verminderter venöser Fluss DMSA-Szintigraphie: fehlende Nierenfunktion
Therapie.
4 Umstritten: konservativ mit Hoffnung auf Rekanalisierung versus Therapie mit niedermolekularem Heparin. 4 Einseitiger Befall: Abwarten. 4 Beidseitiger Befall: Heparinisierung, Fibrinolyse mit Urokinase oder operative Therapie. 4 Nephrektomie bei Nierenatrophie, arterieller Hypertonie oder rezidivierenden Infektionen. Prognose.
4 Abhängig von der Ausdehnung der Läsion → sekundäre Atrophie der Niere. 4 Evtl. sekundäre Hypertonie oder rezidivierende Pyelonephritiden, aber auch Verläufe mit kompletter Restitution der Nierenfunktion.
Definition. Akutes Krankheitsbild mit Thrombosierung einer oder beider Nierenvenen. Ätiopathogenese.
14
4 Neugeborene und Säuglinge mit: mütterlichem Diabetes mellitus, Geburtstrauma, perinataler Asphyxie, Dehydratation, Schock, Sepsis, (75% Manifestation im 1. Lebensmonat). 4 Ältere Kindern mit nephrotischem Syndrom, Herzinsuffizienz, Kontrastmittelapplikation 4 Genetisch bedingte Thrombophilie: APC (aktiviertes Protein-C)-Resistenz, ATIII-Mangel, Protein-C- und Protein-S-Mangel. Symptomatik.
4 4 4 4
Plötzliche Makrohämaturie Einseitige oder bilaterale Nierenschwellung Thrombozytopenie Bei beidseitiger NVT: Oligurie → Akute Niereninsuffizienz
! Bei einem Neugeborenen mit Makrohämaturie und Olgurie oder eingeschränkter Nierenfunktion ist an eine Nierenvenenthrombose zu denken.
Diagnostik.
4 Labor: 5 Plötzliche Hämaturie
14.14
Das äußere Genitale
14.14.1
Hypospadie
Definition. Die Harnröhre mündet proximal dystop an der Unterseite des Penisschafts, im Bereich des Skrotums oder des Perineums (. Abb. 14.10). Je nach Mündung der Harnröhre werden unterschieden: 4 Anteriore = distale Hypospadie (50%): glandulär, koronar, subkoronar, distales Drittel des Penisschafts. 4 Mittlere Hypospadie (30%): mittleres oder proximales Drittel des Penisschafts. 4 Posteriore Hypospadie (20%): penoskrotal, skrotal, perineal.
Fakultative Merkmale: 4 Ventrale Penisschaftdeviation (Ursachen: Chorda, dystrophe ventrale Penisschafthaut, hochansetzendes Skrotum (»Palmure«), schnelleres Wachstum der dorsalen Anteile der Corpora cavernosa im Vergleich zu den ventralen Anteilen). 4 Dorsale Präputiumschürze (durch mangelnde zirkuläre Vereinigung des Präputiums).
329 14.14 · Das äußere Genitale
14
Epidemiologie. Inzidenz der Blasenekstrophie 1: 10 000–50 000 (m:w=2,5:1); familiäre Häufung. Symptomatik. Prä- oder postnatale Blickdiagnose. Therapie. Operative Rekonstruktion mit den Zielen:
Blasenverschluss, Rekonstruktion der Urethra und Kontinenz. Bei Unmöglichkeit der Rekonstruktion ist ein harnableitendes Verfahren zu wählen (z. B. Implantation des Ureters in einen Sigma-Rektumpouch). 14.14.3
. Abb. 14.10. Anteriore Hypospadie. Die Sonde weist auf das Orificium urethrae
Phimose
Definition. Unphysiologische Stenose des präputialen Rings, sodass die Vorhaut jenseits des Kleinkindalters nicht vollständig bzw. nicht ohne ausgeprägte Manipulation retrahiert werden kann. Eine Präputialverklebung bei Neugeborenen und Säuglingen ist physiologisch, sie löst sich in mehr als 95% bis zum 4. Lebensjahr spontan.
Epidemiologie. 4,7–8:1 000 männliche Lebendgebur-
Epidemiologie. Etwa 2–4% der Knaben und Männer
ten; familiäre Häufung. Assoziierte Fehlbildungen der Nieren und ableitende Harnwege möglich (VUR: 10–17%, Ureterabgangsstenose, Nierendystopie; auch Wilms-Tumor (5,5%)).
erhalten im Laufe ihres Lebens aufgrund einer Phimose, Paraphimose oder rezidivierender Balanitiden eine Zirkumzision. Symptomatik. Eine Phimose kann symptomlos sein.
Therapie. Operative Korrektur (meist im 1. Lebens-
jahr, ein- oder zweizeitig) mit dem Ziel der orthotopen Anlage eines Neomeatus im Bereich der distalen Glans und ggf. Aufrichtung des nach ventral deviierten Penisschafts sowie eines nach vorne gerichteten ungeteilten Harnstrahls mit normalem Flow. 14.14.2
Epispadie und Ekstrophiekomplex
Definition. Epispadie, Blasen- und Kloakenekstrophie
werden zusammengefasst unter der dem Epispadie-Ekstrophiekomplex. 4 Blasenekstrophie: dysraphische Störung mit offen liegendem Blasenfeld, Sphinkterregion und Urethra (häufig fehlende Symphyse, weit auseinander klaffende Schambeinäste). 4 Kloakenekstrophie: zusätzlich liegt mittig eine Dünndarm- oder Dickdarmfistel vor bei imperforierten Anus und möglichen lumbosakralen Defekten. 4 Epispadie: Dorsale Fehlbildung der Harnröhre mit gespaltener Urethra.
Pathologisch sind Rötung, Narben, kleine Einrisse, ein verdicktes Präputium sowie Ballonierung der Vorhaut beim Wasserlassen. Eine Phimose kann prädisponierender Faktor für rezidivierende Balanitiden sein. ! Keine Manipulation oder gewaltsame Dehnung der Vorhaut durchführen, da es sonst zu Einrissen der Haut und sekundären Narbenphimosen kommen kann!
Diagnostik. Vorsichtiges Überstreifen des Präputiums
über die Glans: wenn dies nicht möglich ist und ein rüsselförmiges, nicht zu öffnendes Vorhautstück vorliegt, besteht eine Phimose. Therapie.
4 Bei persisitierender Präputialverklebung Versuch der Auflockerung des Gewebes durch lokale steroidhaltige oder östrogenhaltige Creme für 6 Wochen. 4 Operative Zirkumzision bei symptomatischer Phimose.
330
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
14.14.4
Paraphimose
Definition. Überstreifen des zu engen Präputiums über
die Glans mit konsekutiver Einengung hinter der Glans und venöser Abflussbehinderung. Der distale Anteil des Penis schwillt so stark an, dass die Vorhaut nicht mehr zurückgezogen werden kann. Symptomatik. Starke Schwellung; ödematöse, glasig-
livide Verfärbung des Penis und des Präputialrings. Therapie. In Analgo-Sedierung oder in Narkose: 4 Versuch der Reposition des Präputiums über die Glans. 4 Bei Erfolglosigkeit Indikation zur dorsalen Inzision des einschnürenden Präputialrings. Nach Abschwellen (7–10 Tagen): Zirkumzision. ! Die Paraphimose stellt einen Notfall dar! Die Behebung einer Paraphimose muss baldmöglichst in ausreichender Sedierung oder Narkose durchgeführt werden!
14.14.5
Balanitis
Definition/Ätiopathogenese. Entzündung im Bereich der Glans und des Präputiums, eine Phimose ist prädisponierend. Symptomatik. Rötung, Schmerzen und ggf. Schwellung der Glans penis und des distalen Penis. Therapie.
14
4 Lokale Therapie: 5 Umschläge mit Antiseptika oder Kochsalz 5 Kamillebäder 5 Lokale antibakterielle Salbe 4 Bei systemischen Infektionszeichen: systemische antibakterielle Therapie. 4 Bei rezidivierenden Balanitiden Zirkumzision im Verlauf. 14.14.6
Lageanomalien des Hodens
4 Hodenektopie: der Hoden liegt außerhalb des normalen Weges (zeitweise dystop oder permanent dystop). 4 Pendelhoden: der normalerweise orthotop liegende Hoden retrahiert häufig aufgrund einer hypertrophen Kremastermuskulatur, bleibt aber nach Reposition im Skrotum. 4 Gleithoden: der dystope Hoden kann manuell in das Skrotum vorgebracht werden, retrahiert aufgrund eines verkürzten Samenstrangs jedoch beim Loslassen sofort wieder nach inguinal. Diagnostik.
4 Palpation und Manipulation 4 Bei nicht palpablem Hoden: 5 Sonographie (oder MRT) zur Lokalisation. 5 Choriogonadotropin (HCG)-Test zum Nachweis Testosteron produzierenden Hodengewebes 5 ggf. Laparoskopie Therapie. Ziel: korrekte skrotale Positionierung des
Hodens vor Vollendung des 1. Lebensjahrs: 1. Konservativ: LH-RH-Analoga intranasal 3-mal täglich über 4 Wochen und/oder HCG i.m. 1- bis 2-mal wöchentlich über 5 Wochen. 2. Operativ: Orchidopexie. ! Mögliche Komplikationen eines Maldescensus testis, der nicht bis zum 2. Lebensjahr operativ ins Skrotum verlagert wird, sind: Infertilität, Hodentorsion und selten maligne Entartung (5- bis 10-fach erhöhtes Risiko).
14.14.7
Hydrozele
Definition. Pathologisches Transsudat innerhalb eines aberrierenden Processus vaginalis oder zwischen den serösen Hodenhöhlen. Symptomatik. Schmerzlose, prall-elastische Schwel-
lung des Skrotums. Diagnostik. Positive Diaphanoskopie (Durchleuch-
tung).
Definition.
Therapie. Zunächst abwarten, meist spontanen Rück-
4 Maldescensus testis: ein oder beide Hoden sind nicht ins Skrotum deszendiert (10% der Neugeborenen), auf dem physiologischen Weg des Descensus testis oder außerhalb dieses Weges. 4 Retentio testis: der Hoden verharrt im Leistenkanal oder im Bauchraum.
bildung. Ab dem 1. Lebensjahr operative Entfernung wegen erhöhtem Risiko einer Hodentorsion.
331 14.16 · Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts
14.14.8
Hodentorsion
14
Therapie. Kreuzförmige Inzision oder partielle Exzisi-
on des Hymens. Definition. Hochakute schmerzhafte Torquierung des
Samenstrangs, Hodens und Nebenhodens mit ischämischer oder hämorrhagischer Nekrose. ! Bei einer Hodentorsion kann es innerhalb weniger Stunden zur irreversiblen Schädigung des Hodengewebes kommen!
14.15
Tumoren im Bereich der Nieren und ableitenden Harnwegen
Wilms-Tumor 7 Kap. 10.
Symptomatik.
Tuberöse Sklerose
4 Akut einsetzender Schmerz 4 Schwellung des Hodens 4 Prehn-Zeichen: Das Anheben des Hodens führt im Gegensatz zu entzündlichen Erkrankungen des Hodens nicht zur Schmerzlinderung (unsicheres Zeichen).
7 Kap. 17.
14.16
Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-BasenHaushalts
Diagnostik.
14.16.1
Grundlagen
4 Klinik 4 Dopplersonographie: fehlender venöser Rückstrom (in der Frühphase evtl. falsch negative Befunde durch noch erhaltene arterielle Perfusion) → im Zweifel: explorative operative Freilegung des Hodens.
Definition.
Definition. Durch Verklebung der Labia minora ist – je
4 Der Extrazellulärraum besteht aus interstitieller und intravasaler Flüssigkeit. 4 Transzellulärraum (»3. Raum«): z. B. zerebrospinale Flüssigkeit. 4 Osmolalität: molare Konzentration gelöster Teilchen/kg Wasser. 4 Osmolarität: molare Konzentration gelöster Teilchen/l Wasser. 4 Isovolämie: normale Wasser-Zusammensetzung des kindlichen Organismus. 4 Isotonie: normale Elektrolyt-Zusammensetzung des kindlichen Organismus.
nach Ausprägung – der Introitus vaginae und der Meatus urethrae nicht einsehbar, durch eine kleine Öffnung unterhalb der Klitoris fließt der Urin ab.
Gesamtkörperwasser: Reife Neugeborene 70%, Frühgeborene >70%, 10. Lebensjahr 60%.
Therapie. Eine operative Detorquierung und Fixierung
des Hodens ist binnen 6 h notwendig! 14.14.9
Labiensynechie
Symptomatik. Meist symptomlos, möglich jedoch sind
rezidivierende Vulvovaginitiden und Harnwegsinfektionen. Therapie. Mit Eintritt der Pubertät wird das Vaginal-
pH meist saurer, die Verklebungen verschwinden von selbst. Bei Persistenz lokal östrogenhaltige Cremes.
> Je jünger das Kind, desto größer die Labilität des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts, und desto geringer die Kompensationsfähigkeit bei Störungen.
14.16.2
Störungen des Natriumund Wasserhaushalts
14.14.10 Hymenalatresie
Dehydratation Definition. Extrazellulärer Volumenmangel
Definition/Symptomatik. Membranartiger, kompletter Verschluss des Hymens. Dies führt im Kleinkindesalter durch Sekretretention zu einem Hydrokolpos bzw. in der Pubertät durch Ansammlung von Menstruationsblut zum Hämatokolpos.
Ätiopathogenese. Übermäßiger Flüssigkeitsverlust (z. B. Gastroenteritis mit Erbrechen und Diarrhoe), mangelnde Flüssigkeitaufnahme. Einteilung: isotone, hypotone oder hypertone Dehydratation.
332
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
Symptomatik. Bei schwerer Dehydratation: 4 Exsikkose: eingesunkene Fontanelle, tief liegende Augen, verminderter Hautturgor, langsames Verstreichen einer angehobenen Hautfalte, trockene Mundschleimhaut. 4 Kreislauf: Tachykardie, Hypotonie, marmorierte Haut, kühle Extremitäten. 4 Atmung: beschleunigte und vertiefte Atmung bei schwerer metabolischer Azidose. 4 ZNS: Unruhe, schrilles Schreien, Apathie, Koma, Krämpfe.
Symptomatik.
4 Hautturgor nicht vermindert, Haut eher teigig 4 Typisch: Hyperexzitabilität, Muskelhypertonie, Nackensteifigkeit, Krämpfe Diagnostik. . Abb. 14.11.
Hypotone Dehydratation Definition. Der Elektrolytverlust ist größer als der Was-
serverlust. Ätiopathogenese.
Diagnostik.
4 Anamnese: Dauer der Erkrankung, Ausmaß und Häufigkeit des Erbrechens, Stuhlfrequenz, -menge und -konsistenz, Körpertemperatur, Zeitpunkt und Frequenz der letzten Urinabgabe. 4 Schweregrad abhängig von der klinischen Beurteilung. 4 Zusätzlich Bestimmung von Osmolalität, Natrium, Eiweiß. Isotone Dehydratation Definition. Wasserverlust entspricht etwa dem Elektrolytverlust.
Extrazellulärflüssigkeit ↓, die normale Salzkonzentration der Zelle saugt osmotisch extrazelluläres Wasser an → intrazelluläres Ödem. Symptomatik. Durch Hyponatriämie häufig Krampfanfälle, Somnolenz, Koma. Diagnostik. . Abb. 14.11.
Ätiopathogenese.
Therapie.
4 Renale Verluste (polyurische Phase des Nierenversagens, Diuretika). 4 Gastrointestinale Verluste (Erbrechen, Durchfälle, Peritonitis, Pankreatitis). 4 Verluste über die Haut (Verbrennungen).
4 Basisbedarf an Wasser: 5 Säuglinge: 100–140 ml/kg KG 5 Kleinkinder: 80–100 ml/kg KG 5 Schulkinder: 50–70 ml/kg KG 4 Natrium: jedes Alter: 3–4 mmol/kg KG 4 Chlorid: jedes Alter: 3–4 mmol/kg KG 4 Kalium: jedes Alter: 2 mmol/kg KG
Diagnostik. . Abb. 14.11.
14
4 Ungenügender Natriumersatz bei Erbrechen, Durchfall oder Schwitzen 4 Gesteigerter Natriumverbrauch bei Nieren- und Nebenniereninsuffizienz (AGS)
Hypertone Dehydratation Definition. Wasserverlust ist größer als der Elektrolytverlust. Ätiopathogenese.
4 Ungenügende Wasserzufuhr bei erloschenem Durst oder nicht befriedigtem Durstgefühl 4 Durchfallerkrankungen 4 Starkes Schwitzen, Hyperventilation 4 Hyperthermie, hyperpyretische Toxikose 4 Diabetes mellitus und insipidus, Nierenerkrankungen 4 Iatrogen Die hohe Osmolalität des Extrazellulärraums saugt Wasser aus dem Intrazellulärraum an, dadurch kommt es zu einer Verminderung des Intra- und Extrazellulärraums.
Praktisches Vorgehen: Leichte Dehydratation (Waserverlust bis 5% des Körpergewichts, d. h. 50 ml/kg): orale Zufuhr einer oralen Rehydratationslösung (isoosomare Lösung mit Glukose und Natrium im definierten Verhältnis) 4 Mittelschwere und schwere Dehydratation: Therapie in 3 Phasen: 5 1. Phase: – Schwere Exsikkose: 5% Humanalbumin (10–20 ml/kg KG in 10–30 min, anschließend 0,9% NaCl-Lösung (20 ml/kg/h) – Mittelschwere Exsikkose: 0,9% NaCl Infusion 5 2. Phase: (beginnt unmittelbar nach dem Eintreffen der ersten Labordaten, angepasst an den Typ der Dehydratation): – Isotone Dehydratation (Natrium 130–150 mmol/l): Ersatz des verlorenen Wassers und
333 14.16 · Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts
14
. Abb. 14.11. Veränderungen der Laborwerte bei Dehydratation und Hyperhydratation
Elektrolyte, nach Abzug des in Phase 1 substituierten Wassers und Natriums zu drei Viertel in den ersten 24 h und zu ein Viertel in der 25.–48. h, zusätzlich ggf. Ersatz des andauernden Mineral- und Wasserverlusts. – Hypertone Dehydratation (Natrium >150 mmol/l): große Gefahr (z. B. hyperpyretische Toxikose oder hyperosmolares Koma) besteht in der zu raschen Senkung des Natriumspiegels durch Infusion einer physiologischen Kochsalzlösung (NaCl 0,9%); da bei dieser Form der Dehydratation intrazellulär eine Hyperosmolarität besteht, würde es zu einem raschen Wassereintritt in die Zellen kommen und zum Gehirnödem! Daher zunächst Infusion eine isotonen, dann langsames Umstellen auf eine hypotone Lösung unter adäquater Kalium- und Kalziumsubstitution. – Hypotone Dehydratation (Natrium <130 mmol/l): entsprechend der Behandlung der isotonen Dehydratation, zusätzlich: Ersatz der Natriumverluste. Treten vor der Behandlung bereits zerebrale Krämpfe auf: Natriuminjektion in hohen Konzentrationen langsam i. v.! 5 3. Phase: Nach der akuten Rehydratation, die nicht länger als 48 h dauert, kann mit oraler Ernährung begonnen werden, die die Infusionsbehandlung schrittweise ersetzt. ! Der Serumnatriumspiegel soll nicht schneller als 0,5–1 mmol/h gesenkt werden. Gefahr der zentralen pontinen Myelinose durch zu schnellen Ausgleich einer Hyponatriämie, der Natriumspiegel darf nicht schneller als 1 mmol/h steigen.
Hyperhydratation Epidemiologie. Eher selten. Symptomatik. Gewichtszunahme, Ödeme. Diagnostik.
4 Hb ↓, Hk ↓, Eiweiß ↓ 4 Je nach Typ der Hyperhydratation Veränderungen von Natrium, MCV, MCHC. Hypotone Hyperhydratation (Natrium <130 mmol/l) Definition. Wasservermehrung > Elektrolytvermehrung. Ätiopathogenese.
4 Verminderte renale Ausscheidung des freien Wassers infolge einer inadäquat hohen ADH-Ausschüttung (Schwartz-Bartter-Syndrom) bei z. B. bakterieller Meningitis, Schädelhirntrauma, Tumor, Enzephalitis, Pneumonien, Medikamenten wie Vincristin, Carbamazepin, Indomethacin. 4 Inadäquat hohe Wasserzufuhr (Wasserintoxikation, inadäquate Infusionen). 4 Oligurie oder Anurie 4 Bei Kindern, die DDVAP bekommen wegen Enuresis, besteht die Gefahr der hypotonen Hyperhydratation bei nicht beschränkter Flüssigkeitszufuhr. ! Zunahme des extrazellulären und intrazellulären Volumens, Gefahr des Gehirnödems.
Symptomatik. Erbrechen, Kopfschmerzen, Krämpfe
und Bewusstseinsstörungen.
334
Kapitel 14 · Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege
Diagnostik. Natrium im Serum ↓ aber Natrium im
Urin ↑ (>20 mmol/l).
4 Umverteilung von Kalium aus dem Extra- in den Intrazellulärraum (Alkalose). 4 Medikamente: Diuretika, Steroide, Insulin.
Therapie.
4 Therapie der Grunderkrankung 4 Wasserrestriktion 4 Evtl. Furosemid ! Zentrale pontine Myelinose bei zu schnellem Ansteigen der Natriumkonzentration.
Hypertone Hyperhydratation (Natrium >150 mmol/l) Definition. Elektrolytvermehrung > Wasservermehrung. Ätiopathogenese.
4 Meist Folge einer unkontrollierten Zufuhr an hypertonen NaCl- oder Natriumbicarbonat-Lösungen. 4 Fehlerhafte orale Rehydrierung. 4 Zu kochsalzreiche Ernährung bei Säuglingen.
Symptomatik.
4 Adynamie, Hyporeflexie, schlaffe Lähmungen 4 Paralytischer Ileus 4 In schweren Fällen: Polyurie, Herzrhythmusstörungen (Tachykardie, Arrhythmie bis Herzstillstand) Therapie.
4 Bei leichter bis mittelschwerer Hypokaliämie: orale Substitution. 4 Bei schwerer Hypokaliäme: i. v.-Dauersubstitution (max. 4 mmol/kg/KG in 24 h, nur bei intakter Nierenfunktion!). Hyperkaliämie Definition. Kalium >5,5 mmol/l. Ätiopathogenese.
Diagnostik. MCHC ↑, MCV ↓. Symptomatik. Wasserbewegung aus dem Intra- in den Extrazellulärraum, daher können Symptome wie bei einer hypertonen Dehydratation auftreten. Therapie. Natrium- und Flüssigkeitsrestriktion.
14.16.3
14
Störungen des Kaliumhaushalts
Normbereich von Kalium im Serum: 3,5–5,5 mmol/l. Das mit der Nahrung aufgenommene Kalium wird fast vollständig im oberen Dünndarm resorbiert, die Ausscheidung erfolgt zu ca. 90% über die Nieren, zu 9% über den Darm und zu 1% über die Haut. > Eine Azidose bewirkt einen Anstieg, eine Alkalose einen Abfall des Serumkaliumspiegels – durch gegensinnigen Transport von Kalium und H+!
Hypokaliämie Definition. Kalium <3,5 mmol/l. Ätiopathogenese.
4 Unzureichende Zufuhr (v. a. bei parenteraler Ernährung). 4 Vermehrte renale Ausscheidung (renale Erkrankungen, Behandlung mit Diuretika). 4 Vermehrte gastrointestinale Verluste (Erbrechen, Durchfall, hypertrophe Pylorusstenose).
4 Unkontrollierte i. v.-Zufuhr. 4 Gestörte renale Ausscheidung infolge Niereninsuffizienz, Hyperaldosteronismus, AGS, Morbus Addison. 4 Azidose mit Umverteilung von K+ aus dem Intra- in den Extrazellulärraum. 4 Freisetzung großer Kaliummengen durch Zelluntergang (Hämolyse, Verbrennungen, zytostatische Behandlung von Leukämien). 4 Wiederholte Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten. Symptomatik.
4 Störungen der neuromuskulären Erregbarkeit (Muskelschwäche, Parästhesien, Paresen). 4 Herzrhythmusstörungen (Bradykardie, Arrhytmie und Kammerflimmern). Therapie.
4 Notfallbehandlung: 5 Verdünnung mit 0,9% NaCl 5 Azidoseausgleich 5 Glukose und Insulin i. v. → Aufnahme von K+ in die Zelle 5 Calciumgluconat i. v., dadurch Hemmung der kardiotoxischen Wirkung von K+ 5 Kationenaustauscher rektal oder oral 4 Evtl. Dialyse bei Niereninsuffizienz ! Ab K+ >9 mmol/l → Kammerflimmern und Herzstillstand.
335 14.16 · Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts
14.16.4
Störungen des SäureBasenhaushalts
Physiologie 4 Normwerte (Isohydrie): pH 7,35–7,45 4 Puffersysteme: 5 im Blut: Kohlensäure (CO2)/Bikarbonat (HCO3-), Oxyhämoglobin/Hämoglobin 5 im Urin: Dihydrogenphosphat/Hydrogenphosphat, Ammonium/Ammoniak Pulmonale Regulation: ein Anstieg der CO2-Konzentration in der Atemluft bewirkt über eine Stimulation des Atemzentrums eine Hyperventilation und eine Abatmung des überschüssigen CO2 (und umgekehrt) (. Abb. 14.12). Renale Regulation: das bei Pufferung und pulmonaler Regulation ständig verbrauchte Bikarbonat wird ausschließlich durch die Nieren nachgeliefert. Metabolische Veränderungen: ausgelöst durch Veränderung der Bikarbonatkonzentration. Respiratorische Veränderungen: ausgelöst durch vermindertes Abatmen von CO2. > Metabolische Störungen werden respiratorisch kompensiert und umgekehrt.
Azidose Metabolische Azidose Ätiopathogenese.
4 Übermäßige Säurebelastung (Ketoazidose bei Diabetes mellitus, Laktazidose) 4 Verminderte renale H+-Exkretion 4 Verminderte renale HCO3--Rückresorption (Niereninsuffizienz, tubuläre Azidose) 4 Vermehrte enterale Verluste bikarbonatreicher Sekrete (Diarrhoe)
14
Respiratorische Azidose Ätiopathogenese. Respiratorische Insuffizienz infolge pulmonaler, neurogen-muskulärer oder zentral-nervöser Erkrankungen. Therapie.
4 Therapie der Grunderkrankung. 4 Beatmung. Alkalose Metabolische Alkalose Ätiopathogenese.
4 Gesteigerter Säureverlust (anhaltendes Erbrechen, Diuretikatherapie mit Hypokalämie, Überschuss an Mineralokortikoiden). 4 Übermäßige Zufuhr an Basen (zu starke Bikarbonat-Pufferung). Therapie.
4 Behandlung der Grunderkrankung. 4 In schweren Fällen: Pufferung mit ansäuernden Substanzen (Argininhydrochlorid). Respiratorische Alkalose Ätiopathogenese. Hyperventilation infolge: 4 Psychischer Störungen 4 Kompensatorisch bei Hypoxie 4 Stimulation des Atemzentrums (Enzephalitis, Schädel-Hirn-Trauma, Hirntumoren) 4 Überbeatmung bei kontrolliert beatmeten Patienten Therapie. Behandlung der Grunderkrankung; evtl. Se-
dierung.
Symptomatik. Respiratorische Kompensation durch
vertiefte und beschleunigte Atmung (Kussmaul-Atmung). Therapie.
4 Therapie der Grunderkrankung. 4 Ab pH < 7,2: Pufferung mit 8,4%igem (1 mmol/ml) Natriumbikarbonat nach folgender Formel: ml= Basendefizit (mmol/l)×kg KG×0,3 Von diesem Defizit wird in der 1. h nur die Hälfte verabreicht!
. Abb. 14.12. Laborveränderungen bei dekompensierter Azidose und Alkalose
15 15
Knochen und Gelenke
15.1
Angeborene Skelettanomalien
15.1.1 15.1.2
Skelettdysplasien – Osteochondroplasien Dysostosen – 338
15.2
Wirbelsäulenerkrankungen – 340
15.2.1 15.2.2 15.2.3 15.2.4 15.2.5
Wirbelsäulenhaltung, Beinlängendifferenz – 340 Morbus Scheuermann (Adoleszentenkyphose) – 341 Skoliose – 342 Spondylolyse/Spondylolisthese – 342 Torticollis (muskulärer Schiefhals) – 343
15.3
Hüfterkrankungen – 343
15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4
Angeborene Hüftdysplasie – 343 Morbus Perthes (Legg-Calvé-Perthes Erkrankung, juvenile Hüftkopfnekrose) – 344 Epiphysiolysis capitis femoris – 345 Coxitis fugax – 346
15.4
Kniegelenkserkrankungen
15.4.1 15.4.2 15.4.3
Beinachsenfehler – 346 Osteochondrosis dissecans – 347 Morbus Osgood-Schlatter – 347
15.5
Fußdeformitäten
15.6
Trichterbrust – Pectus excavatum
15.7
Osteomyelitis – 348
15.7.1 15.7.2
Akute hämatogene Osteomyelitis Chronische Osteomyelitis – 349
15.8
Knochentumoren – 349
15.8.1 15.8.2
Gutartige Knochentumoren – 349 Maligne Knochentumoren – 351
15.9
Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumstoffwechsel – 351
15.9.2 15.9.3 15.9.4 15.9.5
Rachitis – 352 Hyperkalzämie und Hypokalzämie – 355 Störungen des Phosphatstoffwechsels – 356 Störungen im Magnesiumstoffwechsel – 356
– 337 – 337
– 346
– 347 – 347
– 348
337 15.1 · Angeborene Skelettanomalien
15.1
15
Angeborene Skelettanomalien
15.1.1 Skelettdysplasien –
Osteochondroplasien Definition. Fehlanlage oder fehlerhafte Entwicklung des Knorpel-Knochen-Gewebes mit dem Leitsymptom dysproportionierter Minderwuchs. Epidemiologie. Häufigkeit: 2–3:10 000.
Achondroplasie (Chondrodystrophie) Definition. Autosomal-dominant vererbte Störung der
enchondralen Ossifikation; generalisierte Fehlentwicklung des proliferierenden Knorpels der Wachstumsfuge (epiphysäre Dysplasie) mit Verkürzung der Röhrenknochen.
. Abb. 15.1. Patient mit Osteogenesis imperfecta
Epidemiologie. Häufigkeit: 2–4:100 000. Symptomatik.
4 Dysproportionierter Kleinwuchs mit charakteristischer Schädel- und Gesichtsform (früher häufig Zirkusclowns). 4 Deutlich reduziertes Längenwachstum (durchschnittliche Körpergröße 125 cm), nahezu normale Rumpflänge, jedoch stark verkürzte Extremitäten. 4 Charakteristische Schädelform: vergrößerter Hirnschädel mit »Balkonstirn« und »Sattelnase«. 4 Achsenabweichung der Extremitäten: Genua vara, plumpe Hände und Füße. 4 Hyperlordose der Lendenwirbelsäule (später z. T. Spinalkanalstenose); thorakolumbale Kyphose. 4 Normale Intelligenz. Therapie.
4 Keine kausale Therapie verfügbar. 4 Ggf. operative Begradigung der Achsenabweichung der unteren Extremität.
4 Ggf. Verlängerungsosteotomie mittels Ilizarov-Fixateur (Verlängerung bis ca. 20 cm möglich, pro cm Verlängerung ca. 1 Monat Behandlungsdauer). 4 Bei Spinalkanalstenose ggf. chirurgische Erweiterung im Erwachsenenalter (drohende Paralyse). Osteogenesis imperfecta (Glasknochenkrankheit) Definition. Systemerkrankung mit gestörter Kollagensynthese: statt des stabilen Kollagens Typ I wird das instabile Kollagen Typ III gebildet. Symptomatik. Die Symptomatik variiert je nach Klassifikation . Tab. 15.1, . Abb. 15.1: 4 Leitsymptom: abnorme Knochenbrüchigkeit, z. T. schon intrauterin 4 Mangelnde Knochendichte, Osteoporose, Minderwuchs, Kyphoskoliose 4 Progrediente Deformierung des Skelettsystems durch Knochenbrüche nach Bagatelltraumen
. Tab. 15.1. Osteogenesis imperfecta; Klassifikation in 4 Typen I (Typ Lobstein)
II (Typ Vrolik)
III
IV
Vererbung
Autosomal-dominant
Meist autosomal-dominant, Neumutation
Meist autosomal dominant
Autosomal-dominant
Blaue Skleren
+
+
Wechselnd
–
Otosklerose
+/–
+
(+)
Opaleszentes Dentin
+/–
+
+
Manifestation
Kindheit
Pränatal, evtl. Totgeburt
Geburt
Geburt oder später
Verlauf
Besserung in der Pubertät
Meist letal
Progrediente Deformierung
Besserung in der Pubertät
338
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
4 Schädel: breiter Stirnschädel, weicher »Kautschukschädel«, auseinanderklaffende Schädelnähte 4 Blaue Skleren, schlaffe Bänder 4 Gestörte Zahnentwicklung, Hörminderung durch Otosklerose
Kleidokraniale Dysplasie (früher: Dysostosis cleidocranialis, Dysplasia cleidocranialis) Definition. Autosomal-dominant vererbte Skeletterkrankung mit Befall von Schädel und Schlüsselbeinen.
Diagnostik. Röntgen: aufgrund der ausgedünnten Kor-
4 Großer Kopf, hervorspringende Stirnhöcker. 4 Hypermobilität des Schultergürtels durch fehlende Schlüsselbeine (die Betroffenen können die Schultern vor der Brust zusammenführen). 4 Evtl. Trichterbrust, Fuß- und Hüftdeformitäten.
Symptomatik.
tikalis gläsern wirkende Röhrenknochen, Frakturen, Kallusbildung, verbreiterte, plumpe Knochen, »Kartenherzform« des Beckens. Therapie.
4 Keine kausale Therapie verfügbar. 4 Evtl. Therapieversuch mit Calcitonin oder Biphosphonaten (kein gesicherter Effekt). 4 Ziel: Vertikalisierung der Kinder durch Steh- und Gehorthesen, Frakturvermeidung, muskuläre Stärkung. 4 Frakturversorgung (v. a. intramedulläre Schienung mit Nägeln).
15
Osteopetrosis (Marmorknochenkrankheit, Albers-Schönberg-Erkrankung) Definition/Ätiopathogenese. Seltene, genetisch-bedingte, generalisierte, sklerosierende Skeletterkrankung. Die Osteoklasten sind nicht in der Lage, die Knorpelanteile der Spongiosa abzubauen. Die mangelnde oder fehlende Resorption der Primärspongiosa führt zu einer generalisierten Verdichtung der Knochenstruktur (Osteosklerose) und zu einer Modellierungsstörung der Knochenenden. Das Knochenmark ist mit primärer Spongiosa gefüllt, es kommt zu Anämie, gesteigerter extramedullärer Blutbildung und Hepatosplenomegalie. Autosomal-rezessiv vererbte Form der Osteopetrosis mit schwerem Verlauf und früher Manifestation, autosomal-dominant vererbte Form mit milderem Verlauf und nur diskreter Symptomatik.
15.1.2 Dysostosen Definition. Angeborene Entwicklungsstörung einzelner Knochen: 4 Kraniale und faziale Dysostosen: z. B. Morbus Crouzon, Akrozephalosyndaktylie, Apert-Syndrom 4 Dysostosen mit axialem Befall: z. B. Klippel-FeilSyndrom 4 Dysostosen mit Extremitätenbefall: z. B. Dysmelien
Kraniale und faziale Dysostosen Kraniosynostosen Definition. Schädeldeformität aufgrund vorzeitigem Verschluss einer oder mehrerer Schädelnähte. Das Schädelwachstum erfolgt übermäßig in Richtung der verschlossenen Naht. Epidemiologie/Ätiologie. Häufigkeit ca. 1:2 000; Ätiologie unbekannt; in 10–20% mit genetischen Syndromen assoziiert. Einteilung. . Tab. 15.2. Symptomatik. Deformierter Schädel; palpable Kno-
Symptomatik.
4 Keulenförmig aufgetriebene Knochenenden 4 Frakturen nach Bagatelltraumen 4 Einengung der Hirnnervenpassage an der Schädelbasis 4 Hepatosplenomegalie, Anämie Diagnostik. Röntgen: gesteigerte Knochendichte, pathologische Frakturen mit Kallusbildung, charakteristische, geschichtete Verdichtungsbänder, die senkrecht zur Hauptwachstumsrichtung der Knochen laufen (vertikal oder transversal). Therapie. Knochenmarktransplantation (gute Erfolge).
chenleiste im Bereich der frühzeitig verknöcherten Naht. ! Insbesondere wenn mehrere Nähte betroffen sind, kann es bei Kraniosynostosen zu einer Erhöhung des Schädelinnendrucks kommen. Eine neurochirurgische Entlastungsoperation kann notwendig werden.
Therapie. Operative Therapie aus kosmetischen Gründen oder bei Hirndruck.
Dysostosis craniofazialis (Morbus Crouzon) Definition. Prämature Synostose der Schädelnähte mit Turmschädel, Hirndruck, Optikusatrophie und einem röntgenologisch charakteristischen »Wabenschädel«.
339 15.1 · Angeborene Skelettanomalien
15
. Tab. 15.2. Kraniosynostosen Art
Synonym
Prämature Synostose der
Morphologie
Skaphozephalus
Dolichozephalus, Kahnschädel
Sutura sagittalis
Verjüngung des Schädeldachs zum Scheitel hin, langer, schmaler, kahnförmiger Schädel
Trigonozephalus
Dreiecksschädel
Sutura frontalis
Kielartig vorspringender Schädel mit prominenter Stirn
Brachyzephalus
Kurz-, Rundkopf
Sutura coronalis (beidseitig)
Breiter, kurzer Schädel
Plagiozephalus
Schiefschädel
Sutura coronalis (einseitig)
Abflachung des Schädels auf der betroffenen Seite
Akrozephalus
Turmschädel
Sutura sagittalis und coronalis
Turmartiger, hoher Schädel
Symptomatik.
4 Turmschädel, hohe Stirn 4 Exophthalmus und Hypertelorismus (vergrößerter Augenabstand) 4 »Papageienschnabelartig« gebogene Nase, Oberkieferdysplasie Akrozephalosyndaktylie (Apert-Syndrom) Definition. Autosomal-dominant vererbtes Syndrom mit Turmschädel, Oberkieferhypoplasie, Syndaktylien und evtl. »Löffelhand« (knöcherne oder weichteilige Verbindung aller Finger). Dysostosen mit vorwiegend axialem Befall Klippel-Feil-Syndrom Definition. Angeborene Fehlbildung mit Blockwirbelbildung der HWS und ggf. der oberen BWS.
Einteilung in: 4 Transversale Gliedmaßendefekte: ein Teil der Extremitäten sind in der Transversalebene nicht angelegt oder abgeschnürt (»amputiert«). 4 Longitudinale Gliedmaßendefekte: Fehlen einzelner Skelettelemente mit Fehlentwicklung benachbarter Gelenke, Bewegungseinschränkung und Achsenfehlern. 4 Fehler in der Bildung von Teilen (Gliedmaßendefekte). 4 Fehler in der Differenzierung und Separation von Teilen. 4 Überentwicklungen qualitativ (z. B. Riesenwuchs) oder quantitativ (z. B. Polydaktylie). 4 Unterentwicklungen 4 Amniotische Abschnürungen
Symptomatik.
4 Kurzer Hals, tiefer Haaransatz 4 Evtl. Pterygium colli 4 Evtl. Bewegungseinschränkung der HWS, Skoliose der HWS und BWS und Schiefhals 4 Häufig mit der Sprengel-Deformität assoziiert: Wirbelbogenschlussstörung und Schulterblatthochstand Differenzialdiagnose. Muskulärer Schiefhals 7 Kap. 15.2.5.
Therapie. Bei unbeeinträchtigter Wirbelsäule keine
Therapie erforderlich; bei Skoliose ggf. Orthesenversorgung, selten Operation erforderlich. Dysostosen mit überwiegendem Extremitätenbefall Dysmelie (Gliedmaßenfehlbildungen) Definition. Schwerwiegendste Form der angeborenen Extremitätenfehlbildungen (. Abb. 15.2):
. Abb. 15.2. Patient mit Dysmelie
340
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
Transversale Gliedmaßendefekte Beispiele.
4 Perodaktylien: partielles Fehlen von Phalangen, meist rein kosmetisches Problem, da die Funktion nicht beeinträchtigt ist. 4 Peromelie: zu kurzer Unterarmstumpf, häufigste Dysmelie. 4 Amelie: vollständiges Fehlen einer Gliedmaße (ggf. Prothesenversorgung). Longitudinale Gliedmaßendefekte Beispiele.
4 Phokomelie: Fehlen der langen Röhrenknochen der Extremitäten; Hand oder Fuß setzen direkt am Rumpf an (»Robbengliedmaßen«). 4 Ektromelie: einzelne Röhrenknochen fehlen ganz oder teilweise (»Strahldefekte«), z. B. Klumphand mit Hypo- oder Aplasie der Speiche und Abweichen der Hand nach radial. 4 Spalthand und Spaltfuß: zentraler, longitudinaler Gliedmaßendefekt, keine wesentliche funktionale Beeinträchtigung bei Spalthand, bei Spaltfuß ggf. Einlagenversorgung und u. U. plastische Operationen notwendig. 4 Proximaler fokaler Femurdefekt (PFFD): unterschiedliche Ausprägung: geringe Hypoplasie bis hin zum völligen Fehlen des Femurs und begleitenden Fehlbildungen an Unterschenkel und Fuß. 4 Hypo- und Aplasie von Tibia und Fibula: Verkürzung des Unterschenkels, Achsenfehlstellung von Knie- und Sprunggelenk. Fehler in der Differenzierung und Separation von Teilen Beispiele.
15
4 Syndaktylie: knöcherne oder häutige Verbindung von Fingern oder Zehengliedern (kutane oder ossäre Syndaktylie), stärkste Ausprägung ist die Löffelhand (z. B. Apert-Syndrom), operative Sanierung
meist an der Hand notwendig, am Fuß meist nicht sinnvoll (Funktion vor Kosmetik). 4 Polydaktylie: quantitative Überschussfehlbildung, mit überschüssigen Fingern oder Zehen, z. T. funktionslos (z. B. Pendeldaumen) oder mit voller Funktion. Polydaktylie Hand: Abtragung bzw. Amputation ab dem 4. Lebensmonat, Polydaktylie Fuß: evtl. Korrektur zur Konturoptimierung vor dem Erlernen des Laufens. 4 Riesenwuchs: qualitative Überschussfehlbildung, häufig einseitig, vom Befall einer Fingerphalanx bis zum Befall einer Körperhälfte. 4 Amnionabschnürung: intrauterine Abschnürung von Gliedmaßen oder Schnürfurchen aufgrund von Verklebungen zwischen Amnion und Embryo oder Fehlentwicklung des Amnions (amniotische Abschnürungen); operative Resektion bzw. Erweiterungsplastik bei Gefahr der Durchblutungsstörung notwendig. 15.2
Wirbelsäulenerkrankungen
15.2.1 Wirbelsäulenhaltung,
Beinlängendifferenz Fehlformen und Fehlhaltungen der Wirbelsäule Definition.
4 Kyphose: dorsal konvexe Form der Wirbelsäule, im BWS-Bereich bis 40° physiologisch (Cobb-Winkel). 4 Lordose: dorsal konkave Form der Wirbelsäule, im Bereich der HWS und der LWS physiologisch. Einteilung. . Tab. 15.3. Epidemiologie. Häufigkeit: je nach Definition zwischen
20 und 80%.
. Tab. 15.3. Klassifikation von Haltung und Haltungsstörungen Morphologisch
Funktionell
Normale Haltung
Harmonische, physiologische Krümmung der Wirbelsäule (Lordosierung, Kyphosierung)
Minimale Haltungsleistung ohne Kompensationsarbeit der Muskulatur
Fehlhaltung (funktionelle, fehlerhafte Formvarianten)
4 4 4 4
Funktionell bedingte Abweichungen von der physiologischen Krümmung (ausgleichbar)
Fehlformen
4 Skoliose 4 Kyphose 4 Lordose
Rundrücken Hohlrunder Rücken Flachrücken Skoliotische Schiefhaltung
Fixierte Abweichung von der physiologischen Krümmung
341 15.2 · Wirbelsäulenerkrankungen
Symptomatik. Abweichung der Wirbelsäule von der Norm: 4 Rundrücken: starke Rundung der gesamten Wirbelsäule, insbesondere der Brustwirbelsäule. Die Schultern fallen nach vorne, entsprechend ist die Brustmuskulatur verkürzt, der Bauch wölbt sich vor. Bei starker Ausprägung kommt es sekundär zu vegetativen Symptomen (sternokostales Belastunggssyndrom Brügger) mit eingeschränkter Atmung, Darmträgheit und allgemeiner Konzentrations- und Leistungsschwäche. 4 Hohlrundrücken: vermehrte Brustkyphose und ausgleichende Lendenlordose, z. T. Schmerzen im Bereich der LWS. 4 Flachrücken: selten, verminderte Krümmung von Brust- und Lendenwirbelsäule. 4 Seitkrümmung oder skoliotische Schiefhaltung: Fehlhaltung infolge von Beinlängendifferenz und Beckenschiefstand. Anlagebedingte (idiopathische) Beinlängendifferenzen von bis zu 1 cm sind bei Jugendlichen häufig. Jede Beinverkürzung von >0,5 cm, die zu einer sekundären Seitkrümmung der Wirbelsäule führt, sollte durch Schuheinlagen oder Absatzerhöhung ausgeglichen werden. Bei länger bestehender Schrägstellung des Beckens und Krümmung der Wirbelsäule kann es zum Fehlwachstum und zu einer nicht mehr ausgleichbaren Skoliose kommen. 4 Hyperkyphose: fixierte, abnorme Kyphose mit stark konvexer Rundung der Brustwirbelsäule, die Schultern fallen nach vorne, die ventralen Strukturen sind verkürzt, der Bauch vorgewölbt; wenn das Kind an der Wand steht, erreicht der Kopf die Wand nicht, häufig Folge eines Morbus Scheuermann 7 Kap. 15.2.2.
15
4 Röntgen: bei ausgeprägten Formen Ausschluss von Strukturfehlern, angeborenen Fehlformen oder Morbus Scheuermann. 4 Gemeinsame Beurteilung mit Kinderchirurgen und Orthopäden. > Fehlhaltungen und Haltungsschwäche lassen sich in der Regel endgültig nicht vor dem 6.–8. Lebensjahr beurteilen. Die Beurteilung ist stets eine Momentaufnahme im Entwicklungsprozess.
Therapie.
4 Leichtere Formen: Ermunterung zur Bewegung. 4 Ausgeprägte Formen: krankengymnastische Übungsprogramme. 4 Sehr ausgeprägte Formen: Rumpforthesen zur Wachstumslenkung, Cave: Compliance. 15.2.2 Morbus Scheuermann
(Adoleszentenkyphose) Definition. Hyperkyphose im BWS-Bereich, im thorakolumbalen Übergangsbereich oder im LWS-Bereich aufgrund einer Wachstumsstörung der knorpeligen Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper. Die Bandscheibenkerne verlagern sich in die entstehenden Dellen (Schmorl-Knötchen). Die Bandscheiben sinken in sich zusammen, aufgrund einer ventral betonen Wachstumsverzögerung bilden sich Keilwirbel, die Wirbelsäule verliert an Beweglichkeit, es entwickelt sich ein fixierter Rundrücken. Epidemiologie. Häufigkeit: bis 30% der Jugendlichen;
m>w; Beginn ca. 11.–13. Lebensjahr.
Diagnostik.
Symptomatik.
4 Haltungstest nach Matthias: Das Kind hält die Arme in aufrechter Stellung waagrecht vor den Rumpf. Kann diese Position >30 s gehalten werden, ist das Kind als »haltungsgesund«, wenn innerhalb von 30 s die Schultern nach hinten fallen, der Rücken ins Hohlkreuz geht und das Becken vorkippt, liegt eine Haltungsschwäche vor. 4 Vorschiebeversuch: Abgrenzung einer noch ausgleichbaren Wirbelsäulenfehlhaltung von einer Wirbelsäulenfehlform: das Kind setzt sich auf die Fersen, die Hände werden flach auf den Boden gelegt, die Wirbelsäule durchgedrückt. Bleibt die Rundung bestehen, ist diese als fixiert und als erster Hinweis auf eine Fehlform zu deuten. 4 Vorbeugetest: Wirbelsäulenfehlbildungen sind am besten am vornüber geneigten Patienten zu erkennen.
4 Vorstellung häufig durch die Eltern wegen »schlechter Haltung«. 4 Bei Befall der BWS: thorakale Kyphose (Hohlrundrücken oder Flachrücken), bei Befall der LWS: Flachrücken durch Verminderung der Lendenlordose. 4 Eingeschränkte Beweglichkeit, Rückenschmerzen. Diagnostik. Röntgen:
4 Unregelmäßige Konturierung der Deck- und Bodenplatten, v. a. an den ventralen Wirbelkörperkanten. 4 Schmorl-Knötchen: Bandscheibeneinbrüche in die Wirbelkörper. 4 Deformierte Wirbelkörper, Keilwirbel, verschmälerte Zwischenwirbelräume (Bandscheiben). 4 Thorakale Kyphose >50°.
342
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
Therapie/Prognose.
Therapie.
4 Physiotherapeutische Stärkung der Rumpfmuskulatur, Haltungsturnen, Rückenschwimmen. 4 Je nach Krümmungswinkel (Tangenten an den am stärksten geneigten Wirbeln): 5 >50°: Korsettversorgung 5 >70°: operative Therapie (selten, v. a. bei neurologischen Ausfällen, therapieresistenten Schmerzen) 4 Meist gute Prognose, Besserung nach dem 18. Lebensjahr, jedoch häufig fixierter Rundrücken.
4 Abhängig von Alter und Ausmaß der Krümmung: 5 Bis 20°: Physiotherapie 5 Bis 40° (lumbal) oder 50° (thorakal): Rumpforthese (Korsett) zur Wachstumslenkung zur Vermeidung einer Progression, Rückbildung nicht möglich. 5 >40°: (lumbal) oder 50° (thorakal): operative Versorgung. 4 Osteopathische Skoliosen: operative Versorgung <5. Lebensjahr, da rasche Progredienz. 4 Neuropathische Skoliosen oder Skoliose bei Neurofibromatose: frühzeitige operative Versorgung, da rasche Progredienz (»collapsing spine«).
15.2.3 Skoliose Definition. Seitliche Wirbelsäulenkrümmung mit Fixation und Torsion. Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 1:1 000; w:m 4:1 (idio-
pathische Skoliose). Ätiopathogenese.
4 85% idiopathisch 4 15% sekundär durch Störungen der: 5 knöchernen Struktur (osteopathische Skoliose), z. B. angeborene Wirbelkörperfehlbildungen 5 muskulären Führung (myopathische Skoliose), z. B. Muskeldystrophie 5 im Rahmen neurologischer Erkrankungen (neuropathische Skoliose), z. B. Zerebralparese Symptomatik.
15
4 Häufig schleichende Entwicklung. 4 In schweren Fällen sichtbare Krümmung bis hin zu Einschränkung der Vitalkapazität und Cor pulmonale.
Prognose. Abhängig von der so genannten Wachstums-
reserve: je früher die Skoliose auftritt, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Progression: 4 Infantile Skoliose (bis zum 4. Lebensjahr) und juvenile Skoliose (bis zum 10. Lebensjahr): schlechte Prognose. 4 Adoleszentenskoliose (>10. Lebensjahr): günstigere Prognose. Operative Komplikationen mit Querschnittslähmung in ca. 1% der Fälle. ! Die Wirbelsäulenkrümmung unbehandelter Skoliosen nimmt bis zum Ende des Wachstums meist stark zu. Auch nach Wachstumsende kann es bei stärker ausgeprägten Skoliosen durch Abbauvorgänge im Bandscheiben- oder Wirbelkörperbereich zu einer Verschlechterung kommen, pro Jahr um bis zu 1°.
15.2.4 Spondylolyse/Spondylolisthese Definition.
Diagnostik.
4 Klinische Untersuchung: 5 Vorbeugetest: Beugung des Patienten und tangenziale Betrachtung des Rückenprofils: jede Seitwärtsverdrehung oder Torsion der Rumpfachse, die durch ein assymmetrisches Thoraxprofil (beginnender Rippenbuckel) oder Lendenprofil (so genannter Lendenwulst) auffällt, ist eine beginnende Skoliose und muss radiologisch untersucht werden. 5 Assymmetrischer Schulterstand, Beckenschiefstand 4 Röntgen: Wirbelsäule a. p. im Stehen 4 Ggf. Lungenfunktion
4 Spondylolyse: Unterbrechung eines Wirbelbogens im Bereich der Interartikulargelenke (in 90% auf Höhe L4 und L5). 4 Spondylolisthese: Lockerung des Wirbelsäulengefüges mit Wirbelgleiten, d. h. Verschieben der Wirbelkörper gegeneinander. Epidemiologie. Häufigkeit: 5% der weißen Bevölke-
rung. Symptomatik.
4 Spondylolyse: meist symptomlos 4 Spondylolisthese: Leitsymptom: Schmerzen im lumbosakralen Übergang, z. T. Bewegungseinschränkung, neurologische Defizite, z. T. Abkippen
343 15.3 · Hüfterkrankungen
des Wirbelkörpers in das kleine Becken (bei Mädchen Geburtshindernis). > Bei wiederholt auftretenden, tiefen, lumbalen Schmerzen im Schultalter ist eine radiologische Untersuchung zum Ausschluss Spondylolisthese zu empfehlen.
Therapie.
4 Spondylolyse: keine Therapie. 4 Spondylolisthese: sorgfältige klinische Beobachtung, Sportkarenz, meist operative Sanierung notwendig. 15.2.5 Torticollis (muskulärer Schiefhals) Definition. Fixierte Seitkrümmung und Rotation der Halswirbelsäule. Ätiopathogenese. Einseitige Verkürzung des M. ster-
nocleidomastoideus bei intrauterinen Zwangslagen oder geburtstraumatischen Schäden durch Muskelhämatom; DD: Wirbelsäulenfehlbildungen, funktionelle Störung der HWS-Beweglichkeit.
15
lokation des Hüftkopfs aus der Pfanne (Subluxation oder Luxation). Epidemiologie.
4 Eine der häufigsten angeborenen Skelettfehlbildungen im Kindesalter, Inzidenz ca. 2%, in so genannten »Luxationsnestern« (z. B. Sachsen) deutlich höher; w:m ca. 7:1. 4 In 40% beidseits. Ätiopathogenese.
4 Endogene Faktoren: 5 Genetische Disposition, familiäre Häufung. 4 Exogene Faktoren: 5 Hormonelle Faktoren: erhöhte Elastizität der Gelenkkapsel, bei weiblichen Feten durch Östrogeneinfluss. 5 Intrauterine Zwangslagen: z. B. Beckenendlage, Schräglage, Oligohydramnion, Mehrlingsschwangerschaften. 5 Fehlbildungssyndrome: z. B. Arthrogryposis multiplex congenita. Symptomatik.
4 Ab dem 3. Lebensmonat erkennbare Deformität: Neigung des Kopfes zur kranken Seite und Rotation zur Gegenseite, strangartige Verhärtung des M. sternocleidomastoideus tastbar. 4 Bei persistierender Schiefhaltung kann der Schiefhals im Verlauf nicht mehr korrigiert werden. 4 Evtl. sekundäre Beteiligung des Gesichtsschädels: »Gesichtsskoliose«.
4 Bei Geburt Instabilität des Hüftgelenks (in 80% spontane Rückbildung). 4 Bei ausbleibender Rückbildung sekundäre Deformierung der Pfanne durch Verknöcherungsverzögerung aufgrund des Drucks des Hüftkopfes auf den Pfannenerker. 4 Zunehmende Hüftgelenksdislokation und -luxation, Bewegungseinschränkung. 4 Beugekontraktur in Hüftgelenk, Beinverkürzung. 4 Kippung des Beckens, Hyperlordose der LWS.
Diagnostik. Röntgen: zum Ausschluss einer Wirbel-
Diagnostik. Je früher der Therapiebeginn, desto besser
säulenfehlbildung (v. a. wenn die strangartige Verhärtung des M. sternocleidomastoideus fehlt).
die Prognose; eine frühe Diagnosestellung ist daher essenziell: 4 Klinische Untersuchung: 5 Roser-Ortolani oder Barlow-Zeichen: Säugling liegt auf dem Rücken, das Beinchen wird mit der Hand umgriffen und die Hüfte bei 90° Beugung von der Abspreizung in die Anspreizung gebracht. Dabei entsteht ein Schnapp-Phänomen (Roser-Ortolani-Zeichen) oder bei Druck nach hinten eine Dislokation (Barlow-Zeichen). 5 Abduktionshemmung (normale Abduktion bei Neugeborenen 80–90°). 5 Faltenassymmetrie an Oberschenkel und Gesäß (in Bauchlage). 4 Sonographie: im Rahmen des Hüftscreenings bei der U3 (4.–6. Lebenswoche) (. Abb. 15.3a–c), bei familiärer Belastung oder Risikofaktoren früher,
Symptomatik.
Therapie. >90% Erfolgsquote durch intensive kranken-
gymnastische Übungen; bei ausbleibendem Erfolg: operative Behandlung durch biterminale Tendotomie des M. sternocleidomastoideus. 15.3
Hüfterkrankungen
15.3.1 Angeborene Hüftdysplasie Definition. Angeborene Fehlanlage der Hüftpfanne mit
zu flacher Pfanne (Pfannendysplasie) und häufig Steilstellung und Verdrehung des Schenkelhalses (Coxa valga et antetorta); bei ungünstiger Konstellation Dis-
344
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
4 Konservativ: Spreizhose, Pavlikbandage oder Tübinger Schiene bis zum 12. Lebensmonat. 4 Bei instabilerer Hüfte stabilere Schienen, ggf. Gips. 4 Bei Luxation oder Subluxation: Vorbehandlung, um eine schonende Reposition zu ermöglichen, Physiotherapie (nach Vojta), >3. Lebensmonat stationäre Traktionstherapie (Overhead-Traktion). 5 Geschlossene Reposition durch Beugung und Abspreizung des Gelenks (Ortolani-Manöver) oder offene Reposition (chirurgisch, selten). 5 Retention des Hüftgelenks in der physiologischen Position als Voraussetzung für die Ausheilung (Nachverknöcherung der Pfannendysplasie): Beckenbeingips bei Reluxationsgefahr, Spreizhosen, Bandagen. 4 Bei zu spätem Therapiebeginn und Restdysplasie: operative offene Reposition, Beckenosteotomie nach Salter, Pfannendachplastik u. a. ! Schwerwiegende Komplikation der Hüftgelenksdysplasie ist die Hüftkopfnekrose (Durchblutungsstörung des Hüftkopfkerns) mit Wachstumsstörung des gesamten Hüftgelenks und frühzeitigen arthrotischen Veränderungen. Es dürfen daher keine brüsken Repositionsmanöver durchgeführt werden, das Hüftgelenk darf nicht in dezentrierter Stellung oder in Extrempositionen fixiert werden (Druckschäden).
15
. Abb. 15.3a–c. Ultraschallbefunde der kindlichen Hüftgelenksregion. a Normal: korrekt ausgebildeter knöcherner Pfannenerker. Adäquat in der Gelenkpfanne lokalisierter Hüftkopf im Alter von 2 Monaten. b Dysplasie. Knöchernes Acetabulum lateral deformiert. Überdachung des Femurkopfs nicht optimal. Alter 4 Wochen. c Subluxation. Acetabulum sehr steil. Knöcherner Pfannenerker fehlt Hüftkopf stark lateralisiert und leicht nach kranial verlagert. Alter 7 Tage
bei Frühgeborenen erst ab einem Gewicht >1 500 g. Beurteilung des knöchernen Form, des knöchernen und knorpeligen Erkers, der Knochenwinkel α und β; Einteilung nach Graf in Typ I, Typ II a–c, Typ D, Typ IIIa und Typ IV. 4 Röntgen: Beckenübersichtsaufnahme im Verlauf: Bestimmung des Pfannendachwinkels (AC-Winkel) (Gonandenschutz). Therapie. Ziel: Nachreifen der Pfanne durch tiefe Zen-
trierung des Hüftkopfs in die Pfanne, dies ist v. a. in Abduktionsstellung möglich.
Prognose. Je früher der Therapiebeginn desto besser die Prognose; bei Therapiebeginn >3. Lebensmonat schlecht. Sonderform. Siebener-Syndrom: Symptomkombina-
tion aus Hüftgelenksdysplasie, Gesichts- und Schädeldeformitäten, Tortikollis, Skoliose, Thoraxassymmetrien und Fußdeformitäten. 15.3.2 Morbus Perthes (Legg-Calvé-Perthes
Erkrankung, juvenile Hüftkopfnekrose) Definition. Aseptische, ischämische Osteochondrose der Femurkopfepiphyse mit Wachstumsstörung des Hüftkopfs. Epidemiologie.
4 Inzidenz: 1:2 000; m:w=4:1 4 In 25% beidseits 4 Häufigkeitsgipfel: 5.–6. Lebensjahr
345 15.3 · Hüfterkrankungen
Ätiopathogenese. Durchblutungsstörung des Hüftkopfs unklarer Genese (möglicherweise insuffiziente Gefäßversorgung während einer starken Wachstumsphase). Die Nekrose der Knochenbälkchen der Femurepiphyse führt zum Sistieren des Wachstums. Die Erkrankung verläuft über Monate bis Jahre in verschiedenen Stadien: 1. Initialstadium: verzögertes Wachstum des Hüftkopfkerns mit Verbreiterung des Gelenkspalts. 2. Kondensationstadium: Nekrose des Ossifikationskerns mit zunehmender Verdichtung des Knochens. 3. Fragmentationsstadium: fortschreitender Abbau der Knochenbälkchen. 4. Reparationsstadium: Wiederaufbau des Hüftkopfs durch Bildung neuer Knochenbälkchen. 5. Ausheilung Symptomatik.
4 Leitsymptome: Hinken und belastungsabhängige Hüft- und v. a. Knieschmerzen 4 Bei älteren Kinder Schmerzen v. a. in der Leistenbeuge, an Oberschenkel und Knie 4 Einschränkung der Abduktion und Innenrotation 4 Atrophie der Oberschenkelmuskulatur, rasche Ermüdbarkeit ! Hinken und Knieschmerzen, v. a. bei älteren Kindern, können Hinweis auf einen Morbus Perthes sein.
Diagnostik.
4 Klinische Untersuchung: 5 Überprüfung der Hüftgelenksbeweglichkeit: bereits früh zeigt sich eine eingeschränkte Abduktion und Innenrotation. 5 Vierer-Zeichen: Beugung des betroffenen Beins im Hüftgelenk und Positionieren der Ferse auf das Knie der Gegenseite: es kommt zu einer Abduktionshemmung, das Knie kann nicht nach außen fallen. 4 Sonographie: Nachweis eines Gelenkergusses. 4 MRT: Frühdiagnose (nur in unklaren Fällen), Bestimmung des Ausmaßes der Hüftkopfnekrose. 4 Röntgen (Beckenübersicht und axiale Aufnahme in 90°-Hüftflexion und 45°-Abduktion nach Lauenstein): Stadieneinteilung 4 Evtl. Skelettszintigraphie: (in Ausnahmefällen): verminderte Speicherung im Nekrosebereich Therapie.
4 Konservativ: Ruhigstellung, Entlastung, ThomasSchiene, Physiotherapie. 4 Operativ: Umstellungsosteotomie (in schweren Fällen).
15
Differenzialdiagnostik. Coxitis fugax, septische Arthri-
tis. Prognose.
4 Bei Kindern <4 Jahren: günstigere Prognose, da Hüftkopf und Nekrose noch klein, schnellere Reparation, geringeres Körpergewicht und geringere körperliche Belastung. 4 Bei Kindern >8 Jahren: ungünstige Prognose, Sinterung der Nekrose zur Hüftkopfdeformität (abgeflachter und vergrößerter Hüftkopf), Defektheilung, Früharthrose. Therapie.
4 Keine kausale Therapie verfügbar. 4 Sofortige Entlastung, um einer Deformierung des Hüftkopfs zu verhindern. 4 <4. Lebensjahr: Beobachtung, Schonung, bei Adduktionskontrakturen: Krankengymnastik, Außenrotation der Hüfte. 4 Ältere Kinder: bei ausgedehntem Befall, beginnender Subluxation, metaphysärer Beteiligung: operative Behandlung mit dem Ziel der zentrierten Einstellung des Hüftkopfs durch Beckenosteotomien (nach Salter). 4 Kinder mittlerer Altersgruppe ohne Deformierung oder Risikozeichen: entlastende Orthesebehandlungen (z. B. Thomas-Splint, Mainzer-Orthese). 15.3.3 Epiphysiolysis capitis femoris Definition. Dislokation der Hüftkopfepiphyse vom
Schenkelhals; Einteilung in eine akute (Epiphysiolysis capitis femoris acuta) und eine chronische (Epiphysiolysis capitis femoris lenta) Verlaufsform. Epidemiologie.
4 Auftreten v. a. bei Jugendlichen während des pubertären Wachstumsschubs, m:w=3:1 4 Prädisponierend: Dystrophia adiposogenitalis, eunuchoider Hochwuchs 4 In 50–60% beidseits Ätiopathogenese. Das starke Längenwachstum während des pubertären Wachstumsschubs führt zu einer Verdickung der Knochensäulen mit mechanischer Schwächung. Die Hüftkopfepiphyse gleitet dorsal nach unten. Es kommt zu Außenrotationskontraktur und Beinverkürzung.
346
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
Symptomatik.
Komplikationen. Hüftgelenksarthrose; Hüftkopf- oder
4 Auffälliger Konstitutionstyp 4 Schmerzen in Hüft- und Kniegelenk 4 Beinfehlstellung: Streckung in Außenrotation und Adduktion 4 Akute Form: bei Belastung (z. B. Weitsprung, Verdrehung des Beins) tritt plötzlich eine hochgradig schmerzhafte Belastungsunfähigkeit im Bereich der Hüfte auf; absolute Notfallsituation, da die Durchblutung des Femurs gefährdet ist. 4 Lenta-Form: schleichende Entwicklung, ziehende Schmerzen im Hüft-, Oberschenkel- und Kniebereich, Gangbehinderung, Ermüdbarkeit.
Knorpelnekrose.
Diagnostik.
4 Klinische Untersuchung: 5 Untersuchung in Rücklage: spontane Haltung in Außenrotation bei schmerzhaft eingeschränkter Innenrotation. 5 Positives Drehmannzeichen: Beugung des Hüftgelenks führt zu Außenrotation und Abduktion des Beins. 5 Scherenphänomen: bei Beugung der Kniegelenke in Bauchlage, überkreuzen sich die Unterschenkel. 4 Röntgen: 5 Lauenstein-Aufnahme (axiale Aufnahme in 90°-Hüftflexion und 45°-Abduktion): Dislokation des Epiphyse nach dorsal, Bestimmung des Gleitwinkels. 5 verkürzter, plumper Schenkelhals. 4 Sonographie: Erguss. 4 Labor: Ausschluss Entzündung.
15
> Die Röntgenaufnahme des Hüftgelenks bei Verdacht auf Epiphysiolysis muss in 2 Ebenen erfolgen, da sich bei der Aufsichtsaufnahme ein isolierter Gleitprozess nach hinten dem Nachweis entziehen kann.
Therapie.
4 Sofortige Entlastung des Hüftgelenks. 4 Zügige operative Reposition und Fixation der Epiphyse: 5 Bei geringer Dislokation: Fixation der Epiphyse mit Kirschner-Drähten oder Schrauben. 5 Bei fortgeschrittener Dislokation mit begleitenden Kontrakturen: Wiederherstellung der Hüftgelenksmechanik durch Osteotomie, ggf. Keilresektion. 4 Bei Kindern vor dem Wachstumsschub muss eine prophylaktische Fixation der Gegenseite erfolgen, da der Gleitprozess häufig doppelseitig auftritt.
15.3.4 Coxitis fugax Definition. Flüchtige, aseptische Hüftgelenksentzündung für ca. 1–2 Wochen, häufig infektassoziiert. Symptomatik/Diagnostik.
4 Plötzliche Schmerzen in Hüft- oder Kniegelenk, Hinken, kein Fieber. 4 Eingeschränkte Innenrotation 4 Sonographisch Erguss nachweisbar (nicht obligat) 4 Labor: kein Hinweis auf eine bakterielle Entzündung Differenzialdiagnose. Morbus Perthes, septische Arthritis, rheumatoide Arthritis, Leukämie, Osteomyelitis, Epiphyseolysis capitis femoris u. a. Therapie. Entlastung des Hüftgelenks, antiphlogisti-
sche Therapie (z. B. Ibuprofen), in der Regel zügige Besserung. 15.4
Kniegelenkserkrankungen
15.4.1 Beinachsenfehler Definition. Abweichung der Beinachse von der Norm. Normalerweise liegen Hüftkopf-, Kniegelenks- und Sprunggelenksmittelpunkt auf einer Achse (MikuliczLinie). Varusfehlstellungen sind Achsenabweichungen im Sinne eines O, Valgusfehlstellungen sind Achsenabweichungen im Sinne eines X. Symptomatik.
4 Klinische Fehlstellung, meist keine Beschwerden. 4 Sekundäre degenerative Gelenkschäden durch Fehlbelastung, bei hochgradigen Deformitäten evtl. Bandlockerung des Kniegelenks. Diagnostik. Klinik; Röntgen: Objektivierung des Be-
fundes. Therapie. Verlaufsbeobachtung; Nachtschalenlagerung zur Wachstumslenkung; selten operative Sanierung bei starken Fehlstellungen.
347 15.6 · Trichterbrust – Pectus excavatum
15.4.2 Osteochondrosis dissecans Definition. Lokalisierte aseptische Osteochondrose eines umschriebenen Areals einer Gelenkfläche, vermutlich infolge einer Durchblutungsstörung, insbesondere bei starker Belastung. Häufig an Femurkondyle oder Patella lokalisiert. Bei Ablösung des abgestorbenen Knorpel-Knochen-Bereichs kommt es zur Dissektion eines freien Gelenkkörpers (Gelenkmaus, Dissekat) aus einem Gelenkflächendefekt (Mausbett). Symptomatik.
4 Knie- oder Knochenschmerzen, v. a. bei Bewegung oder Druck. 4 Unter Umständen Gelenkblockierung nach Ablösung des Dissekats. Diagnostik.
4 Röntgen: im Frühstadium meist noch nicht erkennbar. 4 MRT: im Frühstadium Darstellung möglich, Kontrastmitteldarstellung mit Gadolinium zur Beurteilung der Vitalität des Fragments und des Knorpelübergangs. Therapie.
4 Konservativ: <10. Lebensjahr, bei ausreichender Wachstumsreserve und kernspintomographisch nachweisbarer Vaskularisation des betroffenen Bereichs: konsequente Entlastung des Kniegelenks. 4 Chirurgisch: bei älteren Kindern oder völliger Avitalität des Fragments: Anbohrung, Spongiosaumkehrplastik, Replantation des ausgelösten Dissekats. 15.4.3 Morbus Osgood-Schlatter Definition. Aseptische Osteochondrose der knorpeli-
15
. Tab. 15.4. Übersicht aseptische Knochennekrosen Name
Lokalisation
Morbus Scheuermann
Wirbelkörper
Morbus Kienböck
Os lunatum
Morbus Köhler I
Os naviculare pedis
Morbus Freiberg-Köhler II
Metatarsaleköpfchen II–IV
Morbus Panner
Capitulum humeri
Morbus Calvé-Legg-PerthesWaldenström
Femurkopf und -hals
Morbus Larsen-Johansson
Apophyse der Patellaspitze
Morbus Osgood-Schlatter
Apophyse der Tuberositas tibiae
Morbus Vogel
Talus
Symptomatik.
4 Anfänglich belastungsabhängige Schmerzen an der Tuberositas tibiae, lokaler Druckschmerz 4 Später Schwellung 4 Aseptische Knochennekrosen auch an anderen Lokalisationen möglich (. Tab. 15.4). Therapie.
4 Entlastung: Sportkarenz, bei anhaltende Beschwerden Kniegelenksschiene 4 Ggf. lokale physikalische Therapie 15.5
Fußdeformitäten
. Tab. 15.5.
15.6
Trichterbrust – Pectus excavatum
gen Tuberositas tibiae. Epidemiologie/Pathogenese.
4 Auftreten v. a. präpubertär durch Auflockerung der knorpeligen Struktur während des präpubertären Wachstumsschubs. 4 Ossifikationsverzögerung der Tibiaapophyse. 4 Auftreten bei starker mechanischer Beanspruchung des Übergangs zwischen Patellasehne und knorpeligem Ansatz am Schienbein (Leistungssport, Adipositas).
Definition. Rinnen- oder schüsselförmige Einziehung der vorderen Thoraxwand; der übrige Brustkorb erscheint abgeflacht. Ätiopathogenese. Unklar, gelegentlich familiär; häufiger bei zarten, muskelschwachen Kindern. Symptomatik.
4 Die tiefste Stelle des Trichters liegt meist im unteren Brustbeindrittel. 4 Häufig begleitende Haltungskyphose der BWS und entsprechende Gegenbiegung der LWS, schlaffe Bauchdecke, nach vorne hängende Schultern,
348
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
. Tab. 15.5. Übersicht Fußdeformitäten Art
Definition
Klinik
Therapie
Knick-SenkFuß
Abflachung des Längsgewölbes und vermehrte X-Stellung des Rückfußes
»Plattfuß« Vorzeitige abgelaufene Fußsohle am Schuhinnenrand Mangelndes Abrollen Mangelde Ausbildung eines Fußgewölbes
Bei schweren Formen: Weichschaumeinlagen
Klumpfuß
Verkürzung des gesamten Bandapparats mit 4 Spitzfußstellung 4 Varusstellung des Rückfußes 4 Hohlfußkomponente 4 Adduktion des Vorfußes
Klinisch unverkennbar
Angeboren: tägliche Redression durch (Gips-) verbände Bleibende Deformität: operative Entflechtung der verkürzten Bandstrukturen
Hackenfuß
Fußdeformität mit Tiefstand der Ferse
Häufig bei intrauteriner Raumbehinderung
Meist spontane Rückbildung innerhalb der ersten Monate
Sichelfuß
Adduktion von Mittel- und Vorfuß
Kontrakte Adduktion des Vorfußes begleitende Valgusstellung des Rückfußes
Sofortige Redressionsverbände (Gips, Lagerungsschalen oder Innenschuhe)
Kletterfuß
passiv behebbare Adduktion des Vorfußes
Häufig bei intrauteriner Raumbehinderung
Spontane Korrektur innerhalb einiger Wochen
selten isolierte lokalisierte Fehlbildung bei sonst normalem Habitus. 4 Zum Teil ist das Herz nach hinten und nach links verdrängt. Therapie. Operation vorwiegend aus kosmetischen Gründen, v. a. bei psychischer Belastung, frühestens nach dem 8. (–12.) Lebensjahr.
15.7
15
Osteomyelitis
15.7.1 Akute hämatogene Osteomyelitis Definition. Akute, eitrige Infektion des Knochenmarks
mit und ohne Gelenkbeteiligung. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:5 000 Kinder <15. Le-
bensjahr. Ätiopathogenese. Erreger: in 80% Staphylococcus aureus (häufig Eiterherde an Tonsillen, Appendix etc.) oder Haemophilus influenzae, Streptokokken der Gruppe A, Salmonellen, gramnegative Erreger, Pseudomonas aeroginosa (bei Immundefekten) u. a.
Altersabhängige Ausbreitung der Infektion: 4 Säuglingsalter: die Infektion breitet sich entlang der A. nutricia aus, die durch die knorpelige Epi-
physenfuge läuft. Die Erreger durchbrechen die Metaphysen-Epiphysengrenze, es entwickelt sich eine septische Arthritis (Pyarthros). 4 Kleinkindesalter (>2. Lebensjahr): die perforierenden Arterienäste der A. nutricia haben sich zurückgebildet, die Epiphyse wirkt daher als Barriere für die Ausbreitung der Infektion, sie bleibt auf die Metaphyse beschränkt. 4 Späteres Kindes- und Adoleszentenalter: die Epiphyse ist verschlossen, die schützende Epiphysenfuge hat sich zurückgebildet, die Infektion kann in das Gelenk einbrechen (Pyarthros). Im Neugeborenenalter sind mögliche Infektionswege insbesondere die hämatogene Ausbreitung von lokalen Infektionen (Pyodermie, Omphalitis) oder von infizierten Infusionssystemen (z. B. Nabelgefäßkatheter) und die Absiedelung der Erreger in Knochen und Gelenken per continuitatem (Abszess, infiziertes Kephalhämatom) oder durch wiederholte Fersenpunktionen zur kapillären Blutentnahme (Kalkaneus-Osteomyelitis, seitliche Fersenpunktionen). Symptomatik.
4 Häufig vorausgehende Allgemeininfektion 4 Schlechter AZ, hohes Fieber, Schüttelfrost 4 Überwärmung, Rötung, Schwellung der betroffenen Extremität 4 Eingeschränkte Beweglichkeit (Pseudoparalyse)
349 15.8 · Knochentumoren
! Bei unspezifischen Knochenschmerzen muss auch immer an eine Osteomyelitis gedacht werden, da nicht immer das klassische klinische Bild vorliegt.
Diagnostik.
4 Labor: BKS ↑↑ (»Sturzsenkung«), Leukozytose, Linksverschiebung, CRP ↑, Erregernachweis: Blutkultur, ggf. Gelenkpunktion, Knochenpunktion. 4 MRT: Darstellung von Knochen- und Weichteilveränderungen. 4 Ganzkörperszintigraphie (99m Technetium): bei Verdacht auf multifokale Osteomyelitis, jedoch hohe Strahlenbelastung, kein Routineverfahren. 4 Röntgen: im Frühstadium noch keine Knochenveränderung nachweisbar, nur eine ödematöse Weichteilschwellung; nach ca. 2 Wochen Osteolysen, Verkalkungen, periostale Ossifikationen. Differenzialdiagnostik. Ewing-Sarkom (v. a. radiolo-
gisch schwierige Differenzierung), Frakturen, Paresen, Weichteilinfektionen. Therapie. Unmittelbar nach Blutkultur, Knochenpunk-
tion und Röntgen: 4 Hochdosierte i. v.-Antibiose über mindestens 3 Wochen, im Anschluss orale Antibiose, initial Clindamycin plus Cefotaxim, nach Erhalt des Antibiogramms ggf. Umstellung. 4 Ruhigstellung der betroffenen Region (für 7 Tage, dann Mobilisierung). 4 Antipyrese, Analgesie 4 Falls Punktion eitrig: chirurgische Herdsanierung und Saugspüldrainage. 4 Regelmäßige laborchemische Verlaufskontrolle der Entzündungsparameter (BB, CRP, BKS). 4 Ggf. Sanierung des Primärherdes. Prognose. Bei rechtzeitiger Diagnose und konsequenter Behandlung günstig; bei verspätetem Behandlungbeginn kann es zu Defektheilung und Wachstumsstörungen kommen (regelmäßige Kontrolle der Patienten mit abgelaufener Osteomyelitis auf Defektheilung, Beinlängendifferenz etc.) Vor allem bei Säuglingen können die epiphysenversorgenden Gefäße thrombosieren und zu Fehlstellung und Fehlentwicklung der Gelenke führen.
15.7.2 Chronische Osteomyelitis
15
Ätiopathogenese.
Meist sekundär 4 als Folge eines verzögerten Therapiebeginns bei akuter Osteomyelitis 4 posttraumatisch 4 postoperativ Selten primär: 4 lokal meist keine Bakterien nachweisbar, nur diskreter klinischer Befund 4 tuberkulös durch Infektion mit Mycobacterium tuberculosis Symptomatik. Schwerer Verlauf (oft über Jahre bis
Jahrzehnte) mit rezidivierenden Fisteln und Bildung von Knochensequestern. Diagnostik. Röntgen: 4 Knochenzerstörung mit Sequesterbildung und Nekrosearealen (metaphysär als Brodie-Abszess bezeichnet). 4 Umgebende Sklerosebezirke (die eine wirksame Antibiotikakonzentration am Entzündungsherd verhindern). 4 Verdickte Kortikalis. Therapie.
4 Ruhigstellung, antibiotische Therapie, ggf. operative Einlage von Gentamixinketten. 4 Sequestrotomie: Ausmeißeln der Knochenhöhle und Auffüllung mit Spongiosa. 15.8
Knochentumoren
15.8.1 Gutartige Knochentumoren Osteochondrom (Osteokartilaginäre Exostose) Definition. Pilzförmiger Tumor aus Knochen- und Knorpelgewebe, meist metaphysennah wachsend. Epidemiologie.
4 Häufigster gutartiger Knochentumor im Kindesalter (ca. 40% der gutartigen Knochentumoren). 4 Häufig familiär, autosomal-dominant vererbt, m>w=2:1. 4 Lokalisation meist im Bereich der distalen Femurepiphyse und der proximalen Metaphyse von Tibia und Humerus.
Definition. Chronische Infektion des Knochens mit Re-
Symptomatik.
zidivneigung und Therapieresistenz.
4 Solitäres oder multifokales Auftreten eines pilzförmigen Knochentumors mit knorpeliger Kappe.
350
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
4 Meist schmerzloser Zufallsbefund. 4 Selten symptomatisch durch schnappende Sehnen oder mechanische Druckbelastung von anliegender Muskultur oder Nerven. 4 Die Knorpelschicht verkalkt nach Wachstumsabschluss. 4 Die Exostose schiebt sich im Verlauf des Wachstums langsam diaphysenwärts, sie wächst mit dem wachsenden Knochen. 4 Gelegentlich Wachstumsretardierung der betroffenen Extremität. ! Das Entartungsrisiko ist bei solitären Exostosen zwar gering, jedoch bei rumpfnaher Lokalisation erhöht. Solitäre Exostosen sollten auch immer abgetragen werden, da sie in ca. 1% maligne entarten können. Bei multiplen hereditären Exostosen beträgt das Entartungsrisiko 2%.
Therapie.
4 Bei Zufallsbefund und Gefahr einer Spontanfraktur: operative Sanierung; sonst: Abwarten bis zwischen Epiphysenfuge und Zystenrand ein Saum gebildet ist, damit bei Ausräumung der Höhle nicht die Wachstumsfuge mitverletzt wird. 4 Bei Spontanfrakturen: Abwarten der Frakturheilung. Nichtossifizierendes Knochenfibrom (Histiozytäres Fibrom) Definition. Benigner Knochentumor aus fibrösem Gewebe, häufig im Bereich der distalen Femurmetaphyse und der proximalen und distalen Tibiametaphyse lokalisiert. Epidemiologie. Häufigkeit: 20–30% aller Kinder zwi-
schen dem 5. und 10. Lebensjahr. Sonderform. Exostosenkrankheit: multiple kartilagi-
näre Exostosen.
Symptomatik. Meist symptomlos; selten Spontanfrakturen bei größeren Fibromen.
Diagnostik.
4 Röntgen: pilzartiges Tumorwachstum 4 Skelettszintigraphie (bei Verdacht auf Malignität): Mehrspeicherung bei Malignität Therapie. Chirurgische Abtragung bei Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigung; in allen anderen Fällen Operation erst nach der Pubertät, da sonst häufig Rezidive auftreten (2%).
Solitäre juvenile Knochenzyste Definition. Zystischer Kochendefekt, meist mit einer gelblichen Flüssigkeit gefüllt; häufige Erkrankung des kindlichen Skeletts.
15
Diagnostik. Röntgen: 4 Einzelne oder multiple, traubenförmig aneinander gereihte Osteolysen. 4 Schmaler sklerotischer Randsaum. 4 Verdünnte Kortikalis, die aber intakt ist. 4 Keine periostale Reaktion. Differenzialdiagnostik.
4 Albright-Syndrom: Kombination eines nichtossifizierenden Knochenfibroms (fibröse Dysplasie), Café-au-lait Flecken und Pubertas praecox. 4 Fibröser Kortikalisdefekt: auf die Kortikalis beschränktes Knochenfibrom, das im Laufe des Wachstums spontan verschwindet.
Symptomatik.
4 Meist uncharakteristische oder keine Symptome. 4 Evtl. »spontane oder schleichende Schmerzen«, wenn es unter Belastung zu kleineren Infraktionen der Zyste kommt. 4 Diagnosestellung meist erst bei pathologischer Fraktur.
4 Kleinere Fibrome: keine Therapie. 4 Größere Defekte: Kürretage und Auffüllung mit autologer Spongiosa oder Knochenersatzmaterial.
Diagnostik. Röntgen:
Osteoidosteom Definition. Benigner, osteoblastischer Knochentumor mit zentraler Aufhellungszone (Nidus).
4 4 4 4
Zystische Hohlraumbildung Scharf begrenzte, rundliche Aufhellungsherde Ausgebuchtete, verdünnte Kortikalis Keine periostale Reaktion, kein Überschreiten der Epiphysenfuge
Therapie.
Epidemiologie. ingesamt selten; m>w. Symptomatik.
4 V. a. nächtliche, hartnäckige und lokalisierte Schmerzen (DD: Wachstumsschmerzen). 4 Druckschmerzhafte Knochenauftreibung.
351 15.9 · Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumstoffwechsel
4 Bevorzugte Lokalisation: Dia- oder Metaphysen der Röhrenknochen (Femur, Tibia, Humerus), prinzipiell jedoch alle Lokalisationen möglich. > Leitsymptom bei Osteoidosteom sind nächtliche, lokalisierte Schmerzen, die typischerweise durch Analgetika (v. a. Acetylsalicylsäure) sistieren.
Diagnostik.
4 Röntgen: 5 Charakteristischer kleiner Aufhellungsherd (Nidus) im Knochen 5 Ausgeprägte perifokale Sklerosierung 5 Spindelige Auftreibung der Kortikalis 4 Szintigraphie: Nachweis einer Mehrspeicherung
15
Magnesium: 4 Magnesium ist zu 60% im Knochen lokalisiert, zu 40% in der Muskulatur, zu 1% im Serum. 4 Magnesium ist ein intrazelluläres Kation, Kofaktor vieler Enzme, beeinflusst die neuromuskuläre Erregung und die Strukturelemente des Skeletts. Die Regulation des Kalzium-Phosphat-Haushalts erfolgt durch Vitamin D, Parathormon und Calcitonin. Vitamin D Synonyme.
4 Vitamin D3 = Cholecalciferol 4 25-OH-D3 = Calcifediol 4 1α-25(OH)2-D3 = 1,25-Dihydroxy-Vitamin D = Calcitriol
Therapie. Chirurgische Exzision des Herdes, evtl. per-
kutane, computergesteuerte Verödung. 15.8.2 Maligne Knochentumoren 7 Kap. 10.7.
15.9
Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumstoffwechsel
Physiologie.
Kalzium: 4 Normwerte im Serum (Kinder): Gesamtkalzium: 2,1–2,6 mmol/l, Ionisiertes Kalzium: 0,9– 1,36 mmol/l 4 Kalzium liegt zu 50% als freie Ionen im Serum vor, zu 50% gebunden v. a. an Eiweiß. 4 Gesamtkalzium ↓ bei hohem Proteingehalt (mehr Kalzium gebunden), Gesamtkalzium ↓ bei Alkalose, ↑ bei Azidose. 4 Kalzium ist zu 99% im Skelett lokalisiert. Kalzium im Gewebe beeinflusst die Erregungsleitung im Nervensystem, die Zellmembranstabilisierung, die Blutgerinnung und die Sekretion und Funktion zahlreicher Hormone, Neurotransmitter und Enzyme. Phosphat: 4 Liegt im Skelett zu 85% in der anorganischen Form als Hydroxylapatit vor. 4 Ist wichtiger Bestandteil von Proteinen, Nukleinsäuren, Lipiden, energiereichen Phosphaten (z. B. ATP).
Physiologie. Vitamin D wird in der Haut aus 7-Dehy-
drocholesterol mittels UV-Licht gebildet oder mit der Nahrung aufgenommen. Es wird zur Leber transportiert, dort zu 25-(OH)-Vitamin D hydroxyliert und dann in der Niere zu 1,25-(OH)2-Vitamin D (Calcitriol, aktives Hormon) hydroxyliert. Es hebt den Kalziumspiegel im Blut durch: 4 Förderung der enteralen Resorption von Kalzium und Phosphat 4 Förderung der renalen Rückresorption von Kalzium und Phosphat 4 Förderung der Mineralisation des Knochens durch Kalziumphosphatbildung 4 Zudem hat Vitamin D immunmodulatorische Funktionen (z. B. Anregung der IL-1 Produktion). Regulation: vermehrte Calcitriolbildung bei: 4 Hypokalzämie 4 Hypophosphatämie 4 Hyperparathyreoidismus Parathormon (PTH) Physiologie. PTH wird in den Epithelkörperchen gebil-
det und hebt den Kalziumspiegel im Blut durch: 4 Hemmung der Kalziumausscheidung in der Niere 4 Förderung der Freisetzung von Kalzium und Phosphat aus dem Skelett (mit Vitamin D) 4 Förderung der Hydroxylierung von 25-(OH)-Vitamin D in der Leber (es stimuliert somit indirekt die Kalzium- und Phosphataufnahme im Darm) 4 Steigerung der renalen Phosphatausscheidung Regulation: vermehrte PTH-Ausschüttung bei: 4 Hypokalzämie 4 Hyperphosphatämie
352
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
Calcitonin Physiologie. Calcitonin wird in den C-Zellen der
Schilddrüse gebildet und senkt den Kalziumspiegel im Blut durch Hemmung der Osteoklastentätigkeit Regulation: vermehrte Calcitoninausschüttung bei Hyperkalzämie > Wirkung und Rückkopplung 4 PTH → (führt zu) → Serumkalzium ↑, Serumphosphat ↓ (als einziger Regulator gegensinnig) 4 Vitamin D → Serumkalzium ↑, Serumphosphat ↑ 4 Calcitonin → Serumkalzium ↓, Serumphosphat ↓ 4 Positiver Feedback-Mechanismus: PTH fördert die Bildung von Calcitriol 4 Negativer Feedback-Mechanismus: Calcitriol hemmt über Hyperkalzämie die PTH-Ausschüttung
15.9.2 Rachitis Definition. Rachitis: gestörte Mineralisation und Desorganisation der Wachstumsfuge (nur bei Kindern). Osteomalazie: mangelhafte Mineralisation von Spongiosa und Compacta.
Einteilung der Rachitis 4 Kalzipenische Rachitis 4 Phosphopenische Rachitis 4 Hypophosphatasie durch Aktivitätsminderung der alkalischen Phosphatase
15
Kalzipenische Rachitis Definition. Rachitis aufgrund von: 4 Vitamin D-Mangel (häufigste Ursache) 4 Mangelnder Umwandlung von Vitamin D in das aktive Calcitriol 4 Calcitriolresistenz 4 Stark verminderter Kalziumzufuhr Ätiopathogenese/Symptomatik.
Stadium 1: Hypokalzämie Stadium 2: 4 Vermehrte PTH-Ausschüttung (sekundärer Hyperparathyreoidismus) 4 Vermehrte Kalziummobilisation aus dem Skelett und noch normaler Kalziumspiegel 4 Vermehrte renale Phosphatausscheidung und Hypophosphatämie
Stadium 3: Trotz ausgeprägtem sekundären Hyperparathyreoidismus besteht eine Hypokalzämie, da nicht mehr genügend Kalzium aus dem Skelett mobilisierbar ist; es besteht eine Hypophosphatämie und eine Hypokalzämie. Diagnostik.
4 Labor: 5 Hypokalzämie (Stadium 1, 3) oder noch normaler Kalziumspiegel (Stadium 2) 5 Alkalische Phosphatase↑ (Zeichen gesteigerter Osteoblastenaktivität) 5 Phosphat ↓ oder normal 5 Parathormon ↑ 5 Differenzialdiagnostisch wegweisend: Vitamin-D-Metabolite im Serum (s. unten) 4 Urin: oft Hypokalziurie 4 Röntgen: 5 Auftreibung/Becherung der metaphysären Wachstumsfugen, Epiphysenverbreiterung 5 Kalkarmut und Skelettdeformierung 5 »Looser-Umbau-Zonen«: bandförmige Aufhellungen des Knochens quer zur Längsachse 5 Kolbige Auftreibungen der vorderen Rippenenden 5 Grünholzfrakturen: Biegungsfrakturen: Frakturen, die nur auf einer Seite vollständig frakturiert sind 5 Subperiostale Knochenresorptionszonen v. a. der Phalangen infolge des sekundären Hyperparathyreoidismus Vitamin-D-Mangel Rachitis Definition. Rachitis durch eingeschränkte physiologische Vitamin D-Bildung in der Haut durch: 4 mangelnde Sonneneinwirkung 4 zu geringe Vitamin-D-Zufuhr: unzureichende Vitamin-D-Prophylaxe, rein vegetarische Ernährung Symptomatik. Manifestation in den ersten beiden Lebensjahren: 4 Hypokalzämie: Tetanie, Krampfanfälle, Pfötchenstellung 4 Skelettveränderungen: 5 Verdickte Hand- und Fußgelenke (. Abb. 15.4) 5 Quadratschädel (abgeflachter Hinterkopf, vorgewölbte Stirn) 5 Kraniotabes (Erweichungsbezirke am Hinterkopf) 5 Harrison-Furche (horizontale Einbuchtungen des seitlichen Thorax) 5 »Rachitischer Rosenkranz« (Auftreibung der Knorpel-/Knochengrenze der Rippen)
353 15.9 · Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumstoffwechsel
15
! Die therapeutische Vitamin-D-Gabe kann initial durch Einbau von Kalzium in den Knochen eine schwere Hypokalzämie mit Krampfanfällen und/oder Herzrhythmusstörung auslösen, daher muss gleichzeitig unbedingt Kalzium substituiert werden. Bei initialer, symptomatischer Hypokalzämie muss Kalzium für einige Tage i. v. substituiert werden.
Immigrantenrachitis Definition. Rachitis bei Immigranten aus sonnenreichen Ländern; gefördert durch stärkere Hautpigmentierung (geringere UV-Wirkung), oft habituelles Meiden der Sonnenlichtexposition, eine Fortsetzung der traditionellen faserreichen Ernährung (Getreide und Hülsenfrüchte) mit Hemmung der Resorption von Vitamin-D-Metaboliten im Darm. Zusätzlich mangelhafte Aufnahme von Phosphat und Vitamin-D-haltigem Fleisch oder Fisch. Die mangelnde Kalzium-, Phosphat- und Vitamin-D-Zufuhr kann nicht mehr wie im Herkunftsland durch die stärkere UV-Exposition kompensiert werden.
. Abb. 15.4. Typische Gelenkauftreibung und Becherknochen bei Rachitis
Rachitis bei hepatobiliären und gastrointestinalen Erkrankungen und unter antiepileptischer Langzeittherapie Definition/Ätiopathogenese. Vitamin D Mangelrachitis bei 4 Mangelnden Reserven bei Frühgeborenen 4 Malabsorption: Zöliakie, Pankreatitis, Mukoviszidose 4 Medikamenten: Phenytoin, Phenobarbital 4 Hepatozellulären Erkrankungen Therapie. Therapie der Grunderkrankung; evtl. entera-
5 Sitzkyphose 5 Genua valga oder varae, Kartenherzbecken, Froschbauch 5 Frakturen 4 Myopathie: Bewegungsarmut, muskuläre Hypotonie, schlechte Kopfkontrolle 4 Wachstumsverzögerung, verzögerte psychomotorische Entwicklung 4 Infektanfälligkeit, Anämie, Obstipation, Zahnschmelzdefekte Diagnostik. 25-OH-Vitamin D im Serum ↓.
le oder parenterale Vitamin D- und Kalzium-Substitution. Renale Osteopathie Definition. Rachitis bei Niereninsuffizienz durch eine
herabgesetzte renale 1,25-(OH)2-D3-Produktion und eine verminderte renale Phosphatausscheidung. Symptomatik. Es besteht eine Hypokalzämie und eine Hyperphosphatämie, es entwickelt sich ein sekundärer Hyperparathyreoidismus.
Therapie. Vitamin D3 und Kalzium p. o. über 3 Wo-
Diagnostik. Labor: Kalzium ↓, Phosphat ↑, alkalische Phosphatase ↑, Nierenwerte (Kreatinin, Harnstoff) ↑.
chen; dann: Rezidivprophylaxe mit Vitamin D3 500 I.E./ Tag im Säuglingsalter, Frühgeborene 1 000 I.E./Tag.
Therapie.
4 Kalzium p. o. 4 Im fortgeschrittenen Stadium der Niereninsuffizienz: phosphatarme Diät, Vitamin-D-Substitution.
354
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ I (VDAR I) Definition. Autosomal-rezessiv vererbte renale Synthesestörung von 1,25-(OH)2-D durch Defekt der renalen 25-OHD-1α-Hydroxylase. Symptomatik. Ähnlich der Vitamin-D-Mangelrachitis,
jedoch zusätzlich gehäuftes Auftreten familiärer Fälle und fehlendes Ansprechen auf Vitamin-D in Dosierungen, die bei Vitamin-D-Mangelrachitis ausreichen.
Phosphopenische Rachitis Familiäre hypophosphatämische Rachitis (Phosphatdiabetes) Definition. X-chromosomal-dominant vererbte Rachitisform mit gestörter renaler Phosphatrückresorption; die Aktivität der neuralen Endopeptidase ist vermindert, dadurch bleibt die Inaktivierung des phosphaturischen Faktors »Phosphatonin« aus. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:20 000.
Diagnostik.
4 1,25-(OH)2-D3 im Serum ↓↓ 4 25-OH-D3 normal 4 Mutationsanalyse des CYP27B1-Gen Therapie. Lebenslange Gabe von 1,25-(OH)2-D3 (hohe Dosierung); ausreichende Kalziumzufuhr.
Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ II (VDAR II) Definition. Schwere, autosomal-rezessive, kalzipenische Rachitis aufgrund einer Inaktivierung des Vitamin-D-Rezeptors. Epidemiologie. Selten, gehäuft bei Arabern und Japa-
nern. Symptomatik. Ähnlich der Vitamin D Mangelrachitis, zusätzlich: totale Alopezie (50%).
Ätiopathogenese. In den Osteoblasten wird überschießend Phosphatonin gebildet, das die Phosphatrückresorption am Tubulus und die 1,25-(OH)2-D3-Bildung in der Niere hemmt. Symptomatik.
4 Ab dem 3. Lebensmonat ausgeprägte Hypophosphatämie. 4 Ein Mangel an Kalzium-Phosphatprodukt führt zu Rachitis und Osteomalazie. 4 Minderwuchs, breitbasiger/watschelnder Gang, rachitische Beindeformitäten. 4 Evtl. gestörte Zahnentwicklung. 4 Erwachsene: keine Symptome oder Verkalkungen im Bereich von Sehnen, Gelenkkapseln, Ligamenten, Innenohrschwerhörigkeit, Knochenschmerzen. Diagnostik.
Diagnostik.
4 4 4 4
15
1,25-(OH)2-D3 im Serum ↑↑ 25-OH-D3 normal Rezeptoranalyse in Fibroblasten Mutationsanalyse des VDR-Gens: inaktivierende Mutation
Therapie.
4 1,25-(OH)2-D3 oder D3 in höchster Dosierung (Tag) 4 Bei Therapieversagen: tgl. Kalzium i. v. oder oral Kalziummangelrachitis Definition/Ätiopathogenese. Rachitis infolge eines
Kalziummangels.
4 Labor: 5 Phosphat im Serum ↓, im Urin ↑ (tubuläre Phosphatrückresorption vermindert) 5 Alkalische Phosphatase ↑ 5 Kalzium, PTH, 25-OH-D3 meist normal 5 Mutation des PHEX-Gens (phosphate regulating gene with homologies to endopeptidase located on the X-chromosome) 4 Röntgen: 5 Klassische Rachitiszeichen 5 Typischerweise mediale Verbreiterung der Epiphysen am distalen Femur und an der proximalen Tibia 5 O-Bein-Stellung der Unterschenkel mit keilförmigem Defekt der statisch überlasteten medialen Tibiametaphyse
Epidemiologie. Sehr selten, z. T. bei inadäquat substitu-
ierten Frühgeborenen, parenteral oder streng vegetarisch ernährten Patienten.
Therapie. Phosphat und 1,25-(OH)2-D3 (Calcitriol)
p. o. Differenzialdiagnostik.
4 Hereditäre hypophosphatämische Rachitis mit Hyperkalzurie (hohe 1,25-(OH)2-D-Spiegel und erhöhte Kalziumausscheidung im Urin)
355 15.9 · Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumstoffwechsel
4 Tumorrachitis durch Bildung von »Phosphatonin«, das auch die Phosphatrückresorption hemmt, meist Normalisierung nach Entfernung der oft gutartigen mesenchymalen Tumore 4 Tubulopathie 4 Malabsorption Hypophosphatasie Definition. Erbliche Aktivitätsminderung der alkalischen Knochenphosphatase. Durch einen unzureichenden Phosphateinbau kommt es zu rachitisähnlichen Veränderungen mit gestörter Mineralisierung der Knochenmatrix. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:100 000.
15
4 Adulte Form: Knochenschmerzen, -deformierungen, Osteoporose, ektope Verkalkungen Diagnostik.
4 Labor: Aktivität der alkalischen Phosphatase ↓, Pyridoxalphosphat ↑ 4 24 h-Urin: gesteigerte Ausscheidung von Phosphoethanolamin 4 Mutationsanalyse des ALPL-Gens Therapie. Symptomatisch: orthopädische-operative Korrekturen. ! Bei Hypophosphatasie ist eine Vitamin-D-Behandlung kontraindiziert, da ohnehin eine Hyperkalzämietendenz besteht.
Symptomatik.
4 Infantile Form: zwischen 1–6 Monaten: rachitische Veränderungen mit Knochenverbiegungen und Frakturen, Gedeihstörung, prämaturer Schädelsynostose, Krampfanfällen, ätiologisch ungeklärte Hyperkalzämie und Nephrokalzinose 4 Juvenile Form: nach dem 1. Lebensjahr: vorzeitiger Ausfall der Milchzähne, Rachitiszeichen, Minderwuchs
15.9.3 Hyperkalzämie und Hypokalzämie Hyperkalzämie Definition.
4 Gesamtkalzium im Serum >2,6 mmol/l (10,6 mg/dl) 4 Ionisiertes Kalzium >1,4 mmol/L (5,5 mg/dl) Ätiopathogenese. . Tab. 5.6.
. Tab. 15.6. Ursachen der Hyperkalzämie Endokrinopathien
primärer Hyperparathyreoidismus
4 4 4 4
sporadisch familiär multiple endokrine Neoplasie Typ I und II familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie
Hypothyreose Hyperthyreose Nebennierenrindeninsuffizienz Medikamente
Vitamin D Vitamin A Thiazide
Erhöhte Calcitriolsekretion/ Wirkung
idiopathische Hyperkalzämie des Säuglings
4 ohne assoziierte Störungen 4 mit Retardierung und kardiovaskulären Fehlbildungen (Fanconi-Schlesinger-Syndrom)
Sarkoidose
Tumoren
Sonstige Ursachen
Adiponecrosis subcutanea neonatorum
4 subkutane Fettgewebsnekrose, meist bei reifen Neugeborenen, lokalisiert, spontan reversibel
direkte Wirkung auf das Skelett
4 Infiltration 4 Metastasen
Fernwirkung auf das Skelett durch Sekretion von Hormonen
4 parathormonähnliches Peptid (PTHrP) 4 Prostaglandine
plötzliche Immobilisierung Phosphatmangel Morbus Jansen
356
Kapitel 15 · Knochen und Gelenke
Symptomatik.
Diagnostik.
4 Polyurie, Polydipsie 4 Gastrointestinal: Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Gewichtsabnahme 4 Kardiovaskulär: Hypertonie, EKG-Veränderungen 4 ZNS: Muskelschwäche, Somnolenz, Halluzinationen
4 Chvostek-Zeichen: Zucken der Gesichtsmuskulatur beim Beklopfen des N. facialis 4 Trousseau-Zeichen: Pfötchenstellung der Hände bei Anlage und Aufblasen einer Blutdruckmanschette am Oberarm (>systolischer Blutdruck für 3 min)
Komplikationen. Nephrokalzinose, Nephrolithiasis.
4 Hyperventilationstetanie: Beruhigung des Patienten, Tütenatmung 4 Kausale Therapie 4 Akute Hypokalzämie: Kalziumglukonat i. v. (Cave: bei Hypomagnesiämie muss diese ebenfalls ausgeglichen werden) 4 Chronische Hypokalzämie: Kalziumsubstitution p. o., ggf. Vitamin D Substitution.
Therapie.
Diagnostik/Differenzialdiagnostik.
4 Primärer Hyperparathyreoidismus: PTH ↑, Kalzium im Urin ↓ 4 Familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (autosomal-dominant erbliche Inaktivierung des Gens für den Kalziumrezeptor) 4 Vitamin-D-Intoxikation: PTH ↓, Hyperkalziurie, 25-(OH)-D ↑ 4 Idiopathische infantile Hyperkalzämie: ungeklärte Hyperkalzämie, die sich im Säuglingsalter als Vitamin-D-Intoxikation manifestiert Therapie.
4 Stopp der Kalziumzufuhr (Milch/Milchprodukte, Mineralwässer) 4 Rehydrierung mit 0,9% NaCl, forcierte Diurese (Furosemid) 4 Evtl. Calcitonin oder Glukokortikoide (Vitamin-DAntagonisten) 4 Evtl. Hämodilayse bei Niereninsuffizienz
15
15.9.4 Störungen des Phosphat-
stoffwechsels Isolierte Hyperphosphatasie Definition. Isolierte Erhöhung der Aktivität der alkalischen Phosphatase. Diagnostik. Augeschlossen werden müssen hepatobili-
äre Erkrankungen oder Osteopathien (Bestimmung von Leberenzymen, Kalzium, Phosphat, Röntgenaufnahme der linken Hand). Transitorische Hyperphosphatasie
Hypokalzämie
Definition. Häufig bei Säuglingen und Kleinkindern
Definition.
auftretend, spontane Normalisierung der alkalischen Phosphataseaktivität nach 6–12 Wochen, häufig infektassoziiert. Zugrunde liegt vermutlich ein infektbedingt gestörter Abbau der alkalischen Phosphatase.
4 Gesamtkalzium im Serum <2,1 mmol/l (8,4 mg/ dl) 4 Ionisiertes Kalzium <1,1 mmol/l (4,4 mg/dl) Ätiopathogenese.
4 Vitamin-D-Mangel 4 Hyperventilationstetanie: Hypokalzämie aufgrund von Verminderung des ionisierten Kalziums bei respiratorischer Alkalose 4 Hyperphosphatämie, Hypoparathyreoidismus 4 Malabsorption 4 Akutes Nierenversagen (ANV) 4 Sepsis Symptomatik.
4 Tetanie: Parästhesien, Pfötchenstellung, Laryngospasmus, »Karpfenmaul« 4 Epileptiforme Krampfanfälle
Persistierende Hyperphosphatasie Definition. Viel seltenere, idiopathische oder hereditäre Hyperphosphatasie mit geistiger Retardierung. 15.9.5 Störungen im Magnesium-
stoffwechsel Hypomagnesiämie Definition. Magnesium im Serum <0,7 mmol/l (1,7 mg/dl). Ätiopathogenese.
4 Malabsorption, gastrointestinale Verluste (auch angeboren: primäre Hypomagnesiämie)
357 15.9 · Kalzium-, Phosphat- und Magnesiumstoffwechsel
15
4 Vermehrte renale Ausscheidung (auch angeboren: primärer renaler Magnesiumverlust) 4 Hyperparathyreoidismus, Hyperthyreose
Ätiopathogenese. Exzessive Zufuhr, z. B. durch magnesiumhaltige Antazida oder Infusionen bei gleichzeitiger gestörter Ausscheidung (Niereninsuffizienz).
Symptomatik. Symptome treten in der Regel erst bei
Symptomatik. Symptome treten in der Regel erst bei
Serumkonzentrationen <0,4 mmol/l (1 mg/dl) auf und ähneln einer Hypokalzämie: 4 Neuromuskuläre Übererregbarkeit: Krämpfe, Tetanie, psychische Veränderungen 4 Tachykardie und Rhythmusstörungen
Serumkonzentrationen >2 mmol/l (4,8 mg/dl) auf: 4 Schwäche, Verwirrung, Lethargie 4 Paresen, Atemlähmung 4 Kardiovaskuläre Störungen, Übelkeit, Erbrechen
Therapie. Magnesiumsubstitution.
4 Vermeidung exogener Magnesiumzufuhr, i. v.-Kalziumsubstitution 4 In bedrohlichen Fällen: Hämodialyse
Therapie.
Hypermagnesiämie Definition. Magnesium im Serum >1 mmol/l (2,4 mg/dl).
16 16
Pädiatrische Dermatologie
16.1
Erbliche Hauterkrankungen – 359
16.2
Nävuszellnävi
16.2.1 16.2.2 16.2.3
Melanozytäre Nävi – 362 Epitheliale (epidermale) und Bindegewebs-Nävi Gefäßnävi – 363
16.3
Viruserkrankungen der Haut
16.3.1 16.3.2 16.3.3
Viruspapillome – 364 Molluscum contagiosum (Dellwarzen) – 364 Herpes simplex und Herpes zoster – 365
16.4
Bakterielle Hauterkrankungen (Pyodermien)
16.4.1 16.4.2
Staphylodermien – 365 Streptodermien – 366
16.5
Pilzinfektionen der Haut
16.5.1 16.5.2 16.5.3
Kandidose – 367 Pityriasis versicolor – 367 Infektionen durch Dermatophyten
16.6
Parasitosen der Haut
16.6.1 16.6.2 16.6.3
Pedikulose – 368 Skabies (Krätze) – 368 Strophulus infantum – 368
16.7
Dermatitis und Ekzem
16.8
Urtikaria
16.9
Arzneimittelexantheme und infektallergische Exantheme – 371
16.9.1 16.9.2 16.9.3
Arzneimittelexantheme – 371 Erythema exsudativum multiforme Erythema nodosum – 372
16.10
Psoriasis vulgaris
16.11
Acne vulgaris
16.12
Keloid
– 361 – 363
– 364
– 365
– 367
– 367
– 368
– 369
– 371
– 375
– 373
– 374
– 372
359 16.1 · Erbliche Hauterkrankungen
16.1
Erbliche Hauterkrankungen
16
Definition/Ätiopathogenese. Gruppe diffuser Keratosen
zwischen Hornbildung und -abschilferung. Ätiologisch können Defekte epidermaler Strukturproteine und Regulationsdefekte des Lipidstoffwechsels oder der Proteinsynthese bzw. des -katabolismus zugrunde liegen.
mit generalisierter Schuppenbildung (griechisch »Ichthys« = Fisch), aufgrund eines gestörten Gleichgewichts
Einteilung/Symptomatik. . Tab. 16.1.
Ichthyosis vulgaris
. Tab. 16.1. Ichthyosen Erbgang
Klinik
Komorbidität
Ichthyosis vulgaris
Autosomaldominant
4 Häufigkeit ca. 1:300 Neugeborene 4 »Retentionshyperkeratose«: vermindertes Abschilfern bei normaler Epidermisproliferation 4 Auftreten einer feinen, generalisierten Hautschuppung im 1. oder 2. Lebensjahr 4 Ausprägung variabel: leichte Rauhigkeit der Haut bis hin zu schmutzig-brauner Fisch- oder Reptilienhaut 4 Juckreiz 4 Prädilektionsstellen: Streckseiten der Extremitäten und Rumpf 4 Große Gelenkbeugen ausgespart 4 Palmare Hyperlinearität: welkige, betonte Linienzeichnung »Ichthyosishand«
Atopie Atopisches Ekzem Keratosis pilaris
X-chromosomal rezessive Ichthyosis
X-chromosomalrezessiv; Defekt des STSGens wird auf Chromosom Xp22.32 kodiert
4 Häufigkeit: 1:2 000–1:6 000 männliche Neugeborene 4 Ätiologie: Steroidsulfatasemangel mit Störung des Cholesterinstoffwechsels der Haut 4 Klinik ähnlich der I. vulgaris, jedoch gröbere, grau-bräunliche und fest haftende Schuppen 4 Patienten wirken »schmutzig-grau« 4 Gelenkbeugen sind mitbetroffen 4 Hand- und Fußflächen bleiben frei 4 evtl. Geburtsstillstand, da Steroidsulfatase für Öffnung des Muttermundes verantwortlich ist
Gonadale Anomalien (Kryptorchismus, Maldescensus testis, Infertiliät); kommaförmige Hornhauttrübungen; Kallmann- Syndrom; Chondrodysplasia punctata
Ichthyosis congenita
Meist autosomalrezessiv
4 Häufigkeit 1:100 000 4 Generalisierte Verhornungsstörung 4 Einteilung in bullöse, nichtbullöse Formen, erythrodermische und nichterythrodermische Formen 4 Kollodium-Babys: bei Geburt von einer Kollodiummembran umhüllt, die in den ersten Lebenstagen einreißt 4 Dann glänzende Rötung der Haut 4 Schuppung der insgesamt verdickten und rissigen Haut
Ichthyosis congenita gravis (verschiedene Subtypen)
Autosomalrezessiv
4 Schwere Form der Ichtyosis congenita 4 »Harlekin-Babys«: bei Geburt extrem verdickte Kollodiummembran; Hornpanzer reißt rhombenförmig ein 4 Generalisierte Hautrötung (Erythrodermie) 4 Ektropium, Eklabium 4 Gelegentlich vernarbende Alopezie und Nagelwachstumsstörungen 4 erhöhter Energiebedarf
Erythrodermia ichthyosiformis congenita bullosa = Epidermolytische Hyperkeratose, Morbus Brocq
Autosomaldominant, in etwa 50% sporadisches Auftreten; Mutation der Gene für Keratin 1/10 (Chromosom 12q13/ Chromosom 17q21-22)
4 Ätiologie: schwere Differenzierungsstörung der Epidermis im Stratum spinosum 4 Bei Geburt: Erythrodermie und großflächige Erosionen 4 Generalisierte Hautschuppung und Blasenbildung 4 Später v. a. Hyperkeratosen, ausgeprägte Palmoplantarkeratosen 4 Neigung zu bakteriellen Superinfektionen 4 Pränatale Diagnose möglich
360
Kapitel 16 · Pädiatrische Dermatologie
Diagnostik.
4 Klinik 4 Hautbiopsie: elektronenmikroskopische und immunhistologische Differenzierung 4 Mutationsanalyse Therapie.
4 Symptomatisch: 5 Im 1. Lebensjahr rückfettende Ölbäder, später Bäder mit Natriumhydrogenkarbonat. 5 Rehydratation und milde Keratolyse: Im 1. Lebensjahr Cremes mit Zusatz von Glycerol (10%) und Dexpanthenol (5%), später Ureahaltige (1015%ige) Lotiones und Cremes, milchsäurehaltige (5%ige) Lotiones und Cremes; palmoplantar Salicylsäurehalige Cremes (2,5–5%) Cave: transkutane Resorption und metabolische Azidose bei großflächiger Anwendung. 5 Ggf. topische antiseptische Therapie. 5 Schwerste Formen: systemische Retinoide p. o. 4 Interdisziplinäre Betreuung: Ophthalmologie, HNO, Orthopädie, Pyhsiotherapie, Diätberatung, Psychologie. Prognose. Bei Ichthyosis vulgaris häufig Besserung der Symptomatik mit zunehmendem Alter der Patienten; bei allen anderen Ichthyosen meist lebenslange intensive Hautpflege notwendig.
Epidermolysis bullosa heredetaria Definition. Klinisch und genetisch heterogene Gruppe von Erkrankungen mit angeborener Neigung zu mechanisch induzierbarer Blasenbildung aufgrund von Defekten der Halbdesmosomen oder der Verankerungsfibrillen der Haut.
dern, keine Narbenbildung, evtl. bereits postpartal bestehende, generalisierte Blasenbildung, v. a. an mechanisch belasteten Stellen (z. B. Windelbereich); Verschlechterung der Symptomatik bei warmer Witterung; Beteiligung von Mund, Larynx und Ösphagusschleimhaut möglich; selten Nageldystrophie. 4 Epidermolysis bullosa junctionalis (überwiegend autosomal-rezessive, aber auch einzelne autosomal-dominant vererbte Mutationen hemidesmosomaler Proteine): 5 Tiefere Blasenbildung, obligate Narbenbildung; permanente Blasenbildung von Geburt an 5 Hautatrophie, Kontrakturen, Keloide, typische, subunguale Blasenbildung, Anonychie 5 Superinfektionen; Schleimhautbeteiligung, Beteiligung von Mund, Pharynx, Urethra, Blase 5 Schmerzen, Trinkprobleme, Eisenmangel, Anämie 4 Epidemolysis bullosa dystrophica (HallopeauSiemens) (Mutationen des Gens für die α1-Kette des Typ VII-Kollagens, . Abb. 16.1): 5 Narbenbildung bis hin zu ausgeprägter Mutilation mit Kontrakturen; rezessive EBD: Pseudosyndaktylien, Nagelverlust, 10% narbige Alopezie, Karies und Schmelzdefekte 5 Entstehung von Spinaliomen bereits im Jugendalter Diagnostik. Klinik, Hautbiopsie mit elektronenmikro-
skopischer und immunhistologischer Klassifikation, Molekulargenetik.
Einteilung der Epidermolysis bullosa hereditaria (EB):
16
4 Epidermolysis bullosa simplex: Spaltbildung oberhalb der Basalmembran (intraepidermal) 4 Epidermolysis junctionalis: Spaltbildung innerhalb der Basalmembran (junctional) 4 Epidermolysis dystrophica: Spaltbildung unmittelbar unterhalb der Basalmembran (dermal)
Symptomatik. Klinik je nach Form und Schweregrad sehr variabel: 4 Epidermolysis bullosa simplex (z. B. Typ Köbner): 5 Pralle Blasenbildung, v. a. an Händen und Füßen nach längerer Beanspruchung, z. B. Wan-
. Abb. 16.1. Epidermolysis bullosa hereditaria dystrophica
361 16.2 · Nävuszellnävi
Therapie. Keine kausale Therapie verfügbar, sympto-
matische Therapie: 4 Konsequente Hautpflege (»minimal handling« = keine verletzenden Manipulationen); Aufstechen von Blasen mit steriler Nadel (Blasendach belassen); Vermeidung von Traumata (Polsterschuhe, Polsterverbände, weiche Lagerung, keine Pflaster); Vermeidung und Behandlung von Superinfektionen (lokale Antiseptika); evtl. systemische Antibiose oder kurzfristige Kortikoidtherapie bei starkem Juckreiz; Physiotherapie und chirurgische Maßnahmen bei Kontrakturen und Mutilationen; ausreichende Eisenzufuhr, ggf. hyperkalorische Sondenkost bei Dystrophie; genetische Beratung. Xeroderma pigmentosum Definition/Symptomatik. Gruppe genetisch bedingter
Erkrankungen mit defektem DNA-Reparaturmechanismus und folgenden Leitsymptomen: 4 Hochgradige Lichtempfindlichkeit 4 Okulokutane Pigmentierungen, »Altershaut« 4 Entwicklung von Hauttumoren und neurodegenerativen Veränderungen Weitere Symptome sind: 4 Bereits im Kleinkindesalter starke Neigung zu »Sonnenbrand«, chronische Konjunktivitis, Photophobie, zahlreiche »Sommersprossen« (Epheliden), Hauttrockenheit; Teleangiektasien, Hypo- oder Hyperpigmentierungen, Präkanzerosen, multiple Hauttumoren, Narben, Ektropium. 4 Risiko nichtkutaner Malignome ebenfalls erhöht, etwa 30% entwickeln neurologische Symptome.
16
4 Zahndefekte, partielle Anodontie 4 Hypoplasie von Schweiß- und Tränendrüsen, Anhidrose 4 Bei den anhidrotischen Formen Hyperthermie durch Fehl- bzw. Nichtanlage von Schweißdrüsen. Therapie. Symptomatisch.
Ehlers-Danlos Syndrom (Cutis hyperelastica) Definition. Heterogene Gruppe erblicher Bindegewebserkrankungen bei gestörter Kollagenbiosynthese. Symptomatik.
4 Haut: pathologische Elastizität, samtartige, zigarettenpapierartige Haut, leicht verletzbar, schlecht heilende Wunden 4 Gelenke: pathologische Überstreckbarkeit (»Schlangenmenschen«), rezidivierende Subluxationen und Luxationen, Skoliose 4 Gefäße: Rupturneigung, Hämatome, Aneurysmata, Herzvitien, Varikosis 4 Organe: Hernien, Analprolaps, spontane intestinale Rupturen 4 Auge: Luxation und Subluxation der Linse, Glaukom, Astigmatismus, blaue Skleren Neurofibromatosis generalisata 7 Kap. 17. 16.2
Nävuszellnävi
Definition. Umschriebende, kongenitale oder erworbe-
ne Fehlbildungen der Haut (Muttermale). Therapie.
4 Lebenslang strengster Lichtschutz der Haut (Schutzkleidung, Sonnenschutzmittel). 4 Verlagerung des Tages- auf den Nachtrhythmus (»Mondkinder«). 4 Konsequente, engmaschige Vorsorgeuntersuchungen, großzügige Exzision. 4 Evtl. Chemoprophylaxe mit Isoretinoin, sofern die Nebenwirkungen toleriert werden. Ektodermale Dysplasien Definition. Gruppe erblicher Erkrankungen mit Fehlbildungen von Haut und Hautanhangsgebilden. Symptomatik.
4 4 4 4
Spärlicher Haarwuchs Charakteristische Fazies Nagelhypoplasie Trockene, atrophische Haut
Epidemiologie. Ca. 1% der Neugeborenen haben kon-
genitale Nävi; hellhäutige (»kaukasische«) Jugendliche haben im Schnitt im Alter von 10 Jahren ca. 20–40 erworbene Nävi. Einteilung. . Tab. 16.2. Formen der Nävuszellnävi 4 Melanozytäre Nävi: Vermehrung von Melanozyten – Epitheliale Nävi: Nävuszellnester in der Epidermis – Dermale Nävi: Nävuszellnester in der Dermis 4 Vaskuläre Gefäßnävi: Vermehrung und Erweiterung von Blutgefäßen 4 Bindegewebsnävi: Vermehrung bestimmter Gewebe und Hautadnexen
362
Kapitel 16 · Pädiatrische Dermatologie
. Tab. 16.2. Typen der Nävuszellnävi Aussehen
Histologie
Junktionaler Nävuszellnävus
Homogen pigmentierte Macula, scharf begrenzt, keine Behaarung
Nävuszellnester in der Junktionszone
Compound-Nävus
Homogen pigmentierte, flache oder leicht erhabene Papel, gelegentlich behaart
Nävuszellnester in der Junktionszone und dermal
Dermaler Nävuszellnävus
Meist hautfarbener, scharf begrenzter Knoten, häufig behaart
Nävuszellnester in der Dermis
16.2.1 Melanozytäre Nävi Definition. Umschriebene Vermehrung nestartig angeordneter Melanozyten in der dermoepidermalen Verbundzone oder in der Dermis. ! Eine erhöhte Entartungstendenz besteht bei dysplastischen Nävi, beim Syndrom der atypischen melanozytären Nävi und beim kongenitalen Riesenzellnävus.
Symptomatik/Diagnostik. Große Variabilität in Form,
16
Größe, Erhabenheit und Pigmentierungsgrad. Umschriebene Hyperpigmentierungen: 4 Epheliden: Sommersprossen 4 Lentigines: rundliche, mittel- dunkelbraune Pigmentflecken mit einem Durchmesser bis zu 5 mm. 4 Café-au-lait-Flecken: scharf begrenzte, homogene, hellbraune Maculae (histologisch keine Melanozytenvermehrung), >5 Café-au-lait Flecken, mit einem Durchmesser >0,5 cm (präbubertär) oder >1,5 cm Durchmesser (postpubertär) sind ein Hinweis auf eine Neurofibromatose. (DD: ash-leafs: weiße Hypopigmentierungen bei Tuberöser Sklerose). 4 Melanozytäre Nävi vom Junktions-, Compoundoder dermalen Typ: Generell: flache, halbkugeligpapulös oder papillomatös gefurchte Hautveränderungen mit gleichmäßiger Pigmentierung. 4 Atypische melanozytäre Nävi (dysplastische melanozytäre Nävi): in Form, Begrenzung und Farbe unregelmässige, größere und dunklere Nävi, häufig familiär auftretend, erhöhtes Melanomrisiko, auch als Syndrom der atypischen melanozytären Nävi vorkommend. 4 Spindelzellnävi (Spitz-Nävus): einzelnes rotes Knötchen, klinisch und histologisch oft schlecht von einem malignem Melanom zu unterscheiden. 4 Naevus spilus (Kiebitzei-Nävus): hellbrauner Patch mit dunklen Einsprengungen.
4 Halo-Nävus: depigmentierter Hof um einen NZN als Ausdruck einer harmlosen lymphozytären Entzündungsreaktion, häufig bei Vitiligo. 4 Kongenitale melanozytäre Nävi: bereits bei der Geburt vorhandene Nävi, die sich häufig bis ins Erwachsenealter schubweise vermehren. 4 Kongenitale Riesenzellnävi: großflächige (>20 cm), unregelmäßig pigmentierte Nävi, häufig Satellitenläsionen, erhöhte Entartungstendenz, neurokutane Melanose möglich. 4 Naevus coeruleus: blau-graue, einzeln stehende, derbe, rundliche Knötchen, klinisch ähnlich einem malignen nodulären Melanom. 4 Naevus fuscocoeruleus (Mongolenfleck): flächenhafter, bläulicher Nävus meist in der Kreuzbeinregion, angeboren, häufig bei Neugeborenen asiatischer/afrikanischer Herkunft, blasst im Verlauf meist ab. > ABCD-Kriterien, die für einen dysplastischen Nävus sprechen: 4 A – Assymmetrie: unregelmäßige Form 4 B – Begrenzung: unscharfe Begrenzung, Ausläufer 4 C – Color: unregelmäßige, inhomogene Farbe 4 D – Durchmesser: Durchmesser >6 mm
Therapie. Operative Exzision bei kosmetisch störenden
Nävi oder Entartungstendenz. ! Bei auffälligen Veränderungen, wie rasche Größenzunahme, Farbwechsel, Juckreiz, Erosion oder Blutung, muss eine genaue Beurteilung durch einen Dermatologen erfolgen. In jedem Zweifelsfall sollte eine Exzision mit nachfolgender histologischer Untersuchung erfolgen.
Prophylaxe. Meidung von Sonnenbränden im Kindes-
alter; regelmäßige ärztliche Kontrollen der Nävi.
363 16.2 · Nävuszellnävi
16.2.2 Epitheliale (epidermale)
und Bindegewebs-Nävi Definition.
4 Epidermaler Nävus: 0,1% aller Kinder; lineäre teils weich-polypöse, teils derb-hyperkeratotische, verruköse Tumore von hautfarben bis dunkelbraun, mögliche Assoziation mit extrakutanen Fehlbildungen, sonst nur kosmetische Beeinträchtigung. 4 Nävus sebaceus (Talgdrüsennävus): Häufigkeit: 0,05% aller Kinder; gelblicher, länglicher Plaque als Ausdruck einer epithelialen Fehlbildung mit Vermehrung der Talgdrüsen, häufig am Kopf lokalisiert. Talgdrüsennävi neigen zur Entartung im Erwachsenenalter, daher vorher Exzision.
16
4 Versuch der Kryotherapie 4 Lasertherapie 4 Bei periokulärer Lokalisation augenärztliche Untersuchung (Glaukom-Risiko) Hämangiom Definition. Gutartige, kapilläre Gefäßneubildungen,
angeboren oder in den ersten Lebenswochen auftretend, die initial proliferieren und sich in den meisten Fällen nach einer Wachstumsphase langsam zurückbilden. Symptomatik. Prall gefüllte, sattrote »Blutschwämme«, die einzeln oder multiple auftreten (. Abb. 16.2). Therapie.
16.2.3 Gefäßnävi Naevus flammeus – Feuermal Definition. Kongenitale Fehlbildung mit Vermehrung und Erweiterung kapillärer Hautgefäße aufgrund verminderter Dichte sympathischer Nervenfasern. Klinisch imponiert der Naevus flammeus als flammendrotes, scharf abgegrenztes, oft segmentales Erythem. Sonderform. Nicht selten kombiniert mit anderen Fehlbildungen, so genannten Phakomatosen: 4 Sturge-Weber-Syndrom (bei Auftreten in Trigeminusbereich V1) (7 Kap. 17) 4 Klippel-Trénaunay-Syndrom (7 Kap. 17)
4 Abwartende Haltung, da hohe spontane Rückbildungsrate. 4 Bei ungünstiger Lokalisation (Gesicht, Augennähe, Schleimhäute): frühzeitige Behandlung durch Kontakt-Kryotherapie mit flüssigem Stickstoff, gepulstem Farbstofflaser, Nd:YAG-Laser oder operative Entfernung. 4 Bei Hämangiomen im Mandibularbereich mögliche Beteiligung der Luftwege, im medianen Lumbosakralbereich okkulte spinale Dysraphien möglich. Prognose.
4 In 80–90% kommt es zur spontanen, meist vollständigen, narbenlosen Rückbildung nach 9– 12 Monaten.
Symptomatik.
4 Prädilektionsstellen: Trigeminusbereich V1/2, an der Mittellinie von Stirn und Nacken (im Volksmund »Storchenbiss«) 4 An der Stirn: meist Rückbildung in der Säuglingszeit 4 Am Nacken: meist Abblassung im Verlauf, aber lebenslanges Bestehenbleiben 4 Kosmetisch störender, einseitig lateraler Naevus flammeus des Gesichts oder einer ganzen Extremität 4 Im Verlauf mögliche knotige Verdickung und dunkle, livide Verfärbung Diagnostik. Klinisches Bild; bei lumbosakraler Lokalisation um die Mittellinie: Bildgebung zum Ausschluss Dysraphie. Therapie. Schwierig:
4 Im Gesichtsbereich Abdeckung mit medizinisch kosmetischen Schminken (»Camouflage«)
. Abb. 16.2. Hämangiom
364
Kapitel 16 · Pädiatrische Dermatologie
4 Rückbildungszeichen ist eine zunehmende, grauweiße Oberflächenzeichnung. 4 Bei ungewöhnlichem Wachstumsverlauf an Differenzialdiagnosen denken. 16.3
Viruserkrankungen der Haut
16.3.1 Viruspapillome Ätiopathogenese. Die humanen Papillomviren (HPV)
sind DNA-Viren verschiedener Typen mit einem Durchmesser von ca. 45 nm; sie rufen unterschiedliche Warzentypen hervor: 4 Verrucae vulgares 4 Verrucae plantares 4 Verrucae planae juveniles 4 Condylomata acuminata Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch oder über Gebrauchsgegenstände. Prädisponierend sind lokale (Akrozyanose) oder generalisierte Resistenzminderungen (Atopie, Immundefekte, Immunsuppression). Verrucae vulgares (vulgäre Warzen) Definition. Meist durch HPV Typen 1,2,4 oder 7 hervorgerufene, stecknadelkopf- bis linsengroße, in großer Zahl auftretende Papeln mit zerklüfteter, grauer Oberfläche. Bei Kindern häufig. Verrucae plantares
Therapie. Spontane Abheilung; evtl. zurückhaltende
Therapie mit keratolytischen, salicylhaltigen Tinkturen oder Vitamin-A-Säure (Tretinoin). Condylomata acuminata (Feigwarzen) Definition. Sexuell oder durch Schmierinfektion übertragbare Hauterkrankung im Anogenitalbereich durch Infektion mit HPV 6 und 11, bei Kindern selten. Symptomatik. Beeren- oder blumenkohlartige Papillome, bevorzugt auf entzündlich vorgeschädigten, mazerierten, intertriginösen Hautbereichen angesiedelt. ! Beim Auftreten von Condylomata acuminata im Kindesalter muss immer auch an sexuellen Missbrauch gedacht werden!
Therapie. Imiquimod, Podophyllotoxin (unter ärztli-
cher Aufsicht), operatives Ausschälen, Kryotherapie, Lasertherapie, evtl. Plazebo- oder Suggestivtherapien. Prognose. Spontanheilung der Warzen im Kindesalter in >50% der Fälle.
16.3.2 Molluscum contagiosum
(Dellwarzen) Definition. Stecknadelkopf- bis linsengroße Papeln mit glatter Oberfläche und zentraler narbiger Eindellung (Dellwarzen), hervorgerufen durch ein großes DNAQuadervirus aus der Gruppe der Pockenviren.
Definition/Symptomatik. Einzelne, in die Tiefe ein-
dringende »Dornwarzen« oder multiple »Mosaikwarzen«, die z. T. beetartig angeordnet sind. Übertragung durch Barfußlaufen v. a. in Schwimmbädern oder Turnhallen, Vermehrung durch Autoinokulation. Neigung zu Rezidiven. Das Gehen ist z. T. schmerzhaft behindert.
16
Therapie.
4 Spontanremission von 60% innerhalb von 2 Jahren. 4 Aufweichen mit Salicylpflastern, mechanische Abtragung und Auftragen virostatischer Warzentinkturen, Kryotherapie, (elektro)-chirurgische Abtragung in örtlicher oder allgemeiner Narkose, Lasertherapie. Verrucae planae juveniles Definition. Flache, gelb-rötliche Papeln, die durch HPV Typen 3, 10, 28 hervorgerufen sind und bei Kindern multipel v. a. an Wangen, Stirn oder Handrücken auftreten.
Symptomatik.
4 Weiße, gelbe oder rötliche, derbe Knötchen ca. 1– 5 mm groß (. Abb. 16.3). 4 Kugeliges Vorwölben aus der Haut mit zentraler Delle. 4 Vorkommen vereinzelt, aber meist gruppiert in großer Zahl. 4 Auftreten bevorzugt intertriginös und auf trockener Haut, auch periokulär. 4 Nach Anritzen lässt sich eine krümelige Masse exprimieren. 4 Mikroskopisch sind virusgefüllte »Molluscumkörperchen« zu erkennen. > Bei massivem Befall mit Mollusca contagiosa muss eine gestörte Immunabwehr (Atopie, Leukämie, Steroidtherapie, AIDS) ausgeschlossen werden.
365 16.4 · Bakterielle Hauterkrankungen (Pyodermien)
16
. Tab. 16.3. Prädisponierende Faktoren für bakterielle Hautinfektionen Beispiele Störung der epidermalen Lipidbarriere
4 Frühgeborene 4 Atopisches Ekzem, Ichtyosen und andere Erkrankungen 4 Traumata: Verbrennungen, Verletzungen 4 Zu häufiges Baden, Seifen
Abwehrschwäche
4 4 4 4
Andere Grunderkrankungen
4 Diabetes mellitus 4 Gefäßerkrankungen
. Abb. 16.3. Molluscum contagiosum
Therapie.
4 Meist Spontanheilung im Laufe von Monaten. 4 Therapieindikation besteht aufgrund der ständigen Autoinokulation und Infektiösität: 5 Entfernung der Mollusken durch Anritzen, Ausdrücken, Kürettage und Desinfektion nach Anwendung einer lokalanästhesierenden Salbe (Emla-Creme), bei großer Anzahl Entfernung in Kurznarkose. 5 Alternativ Applikation von 5%iger KOH-Lösung 2-mal täglich für 2–3 Wochen; Cave: Hautirritation. 16.3.3 Herpes simplex und Herpes zoster 7 Kap. 7.
16.4
Bakterielle Hauterkrankungen (Pyodermien)
Angeborene Immundefekte Konsumierende Erkrankungen Malnutrition Zytostatische Therapie
Ätiopathogenese. Die exfoliativen Toxine spalten intrazelluläre Haftstrukturen zwischen den Keratinozyten im Stratum granulosum (ähnlicher Pathomechanismus bei Staphylococcal Scaled Skin Syndrome, SSSS). Symptomatik.
4 Initial: fleckige Erytheme. 4 Rasches Auftreten leicht rupturierbarer Bläschen und feuchter Erosionen. 4 Leitsymptom: »honiggelbe Krustenbildung«. 4 Die Effloreszenzen sind hochkontagiös: die Infektion kann sich flächenhaft ausbreiten. 4 Sonderform: Bulla repens: eitergefüllte Blase, die sich um einen Finger- oder Zehennagel herum bildet. ! Die Impetigo contagiosa ist hochkontagiös.
Diagnostik. Abstrich, Erregernachweis und AntibioÄtiopathogenese. Bakterielle Hautinfektionen werden
insbesondere durch Streptokokken und Staphylokokken ausgelöst (. Tab. 16.3). Während sich Staphylokokken v. a. in vertikaler Richtung ausbreiten, breiten sich Streptokokken v. a. horizontal (lympho- oder hämatogen) aus. 16.4.1 Staphylodermien Grobblasige, »bullöse« staphylogene Impetigo contagiosa Definition. Hochkontagiöse, grobblasige, oberflächliche Hautinfektion mit Staphylokokken, die die exfoliativen Toxine Exfoliatin A und B bilden.
gramm. Differenzialdiagnostik. HSV-Infektion. Therapie.
4 Lokal begrenzte Formen (<3–5% der KOF): lokale Antiseptika und Betaisodona-Bäder. 4 In schwereren Fällen: systemische Antibiose mit Cephalosporinen der 1. Generation, Amoxicillin und Clavulansäure oder Amoxicillin und Sulbactam. ! Bei Impetigo contagiosa sollte ein Antibiotikum gewählt werden, das sowohl gegen Streptokokken (kleinblasige, »nicht-bullöse« Form) als auch gegen Staphylokokken (grobblasig, »bullöse« Form) wirksam ist. Nach Erhalt des Antibiogramms sollte ggf. ein Umsetzen der Antibiose erfolgen.
366
Kapitel 16 · Pädiatrische Dermatologie
Dermatitis exfoliativa neonatorum Synonym. Staphylococcal scaled skin syndrome, SSSS, früher: Morbus Ritter von Rittershain. Definition. Ausgedehnte, großflächige Blasenbildung aufgrund einer Infektion mit Staphylokokken, die ein exfoliatives Toxin produzieren; die Infektion geht meist von einer lokalisierten Staphylokokkeninfektion (z. B. Pharyngitis, eitrige Otitis) aus und betrifft häufig Säuglinge und Kleinkinder. Symptomatik/Diagnostik.
4 Generalisierte Erythrodermie, Entwicklung leicht platzender oberflächlicher Blasen (der Blaseninhalt ist steril), generalisierte, nässende Wunden 4 Positives Nikolski-Phänomen: Ablösen der Haut auf tangenzialen Druck hin Differenzialdiagnostik.
4 »Lyell-Syndrom«: toxische epidermale Nekrolyse mit subepidermaler Blasenbildung 4 Erythema exsudativum multiforme (Steven-Johnson-Syndrom) 4 Bullöse Arzneimittelexantheme 4 Ekzema herpeticum Therapie.
4 Lokale Wundbehandlung 4 »Minimal handling« (Berührungsempfindlichkeit) 4 Flüssigkeitssubstitution (Ersatz des Verlusts über die nässenden Wunden) 4 Antibiotische Therapie mit Flucloxacillin oder einem Cephalosprin Furunkel Definition. Knotige Entzündung eines Haarbalgs auf-
grund einer Infektion mit Staphylococcus aureus.
16
Symptomatik. Aus einer Pustel entwickelt sich eine infiltrative, schmerzhafte Rötung eines Haarbalgs mit eitriger Einschmelzung im Verlauf.
! An Gesichtsfurunkeln im Bereich des Nasen-MundDreiecks darf nicht manipuliert werden, sie dürfen keinesfalls inzidiert werden, da aufgrund der Lokalisation das Risiko der Entwicklung einer Sinusvenenthrombose oder einer Meningitis besteht.
16.4.2 Streptodermien Kleinblasige, streptogene Impetigo contagiosa Definition. Durch Streptokokken hervorgerufene, kleinblasige Pyodermie, häufig bei Klein- und Schulkindern. Symptomatik.
4 Initiale Rötung, dann Entwicklung von Bläschen, Pusteln und von münzgroßen oder größeren, von honiggelben Krusten bedeckte Erosionen. 4 Prädilektionsstellen: Hände und Gesicht (Kontaktinfektion), häufig Ausbreitung auf weitere Körperstellen. ! Die Impetigo contagiosa ist hochinfektiös und wird durch direkten Kontakt oder über Gebrauchsgegenstände und Spielzeug übertragen.
Differenzialdiagnostik. Bakteriell superinfizierte, »impetiginisierte« Dematosen, z. B. bei Skabies, Kopfläusen und Ekzemen; HSV-Infektionen. Therapie.
4 Lokale antiseptische Therapie (z. B. Methylrosanilin 0,1%, Octenispet 0,1%). 4 Evtl. Schwarztee-Umschläge zum Lösen der Krusten. 4 Bei Befall >5% der KOF oder Hinweis auf Nephritis: systemische Antibiose. 4 Häusliche Hygiene, Wechsel und Reinigung der Wäsche. Komplikationen. Gefürchtete Komplikation ist die Im-
petigo-Nephritis: 4 Wochen nach Streptokokkeninfektion muss immer eine Urinkontrolle erfolgen.
Therapie.
4 Ruhigstellung der erkrankten Region. 4 Lokal antiseptische Cremes oder Lösungen (Ammoniumbituminosulfonat). 4 Reife Furunkel: Stichinzision. 4 In schweren Fällen oder bei Lokalisation im Gesicht: systemische Antibiose mit penicillinasefesten Penicillinen.
Ekthyma Definition. Ulzerierende Infektion der Haut mit Streptokokken, bevorzugt bei abwehrgeschwächten Patienten und unzulänglichen Hygienebedingungen. Symptomatik. Im Bereich von Insektenstichen oder Kratzspuren entwickeln sich solitäre oder multiple rundliche Geschwüre, die ausgestanzt imponieren, im Verlauf nekrotisieren und langsam, narbig abheilen.
367 16.5 · Pilzinfektionen der Haut
16
4 Lokale antiseptische und systemische antibiotische Therapie 4 Evtl. Hydrokolloidverbände zu Reepithelialisierung
4 Vulvovaginitis/Balanitis: Befall der Genitalregion, präpubertät selten. 4 Kandidasepsis: gefürchtete Komplikation bei immunsupprimierten Patienten.
Erysipel
Diagnostik.
Definition. Flächenhafte, kutane Hautinfektion mit
Streptokokken (meist β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A). Eintrittspforte sind kleine Hautverletzungen, die Ausbreitung erfolgt über die Lymphwege.
4 Klinik 4 Mikroskopie: Nativpräparat und Kultur 4 Serologischer Nachweis von Candida-Antigen oder -Antikörpern bei System-Candidosen
Symptomatik.
Therapie.
4 Flächenhaftes, schmerzhaftes, flammend rotes Erythem 4 Scharf begrenzt, mit zungenförmigen Ausläufern 4 Rasches Ausbreiten über die Lymphwege 4 Fieber, Schüttelfrost
4 Kutane Form: lokale oder selten systemische Therapie mit Nystatin und Miconazol 4 Oropharyngeal: lokale Therapie mit Nystatin oder Miconazol-Gel 4 Vaginal: Nystatin-Pasten oder -Ovula, ggf. Clotrimazol-haltige Cremes 4 Systemisch: Amphotericin B oder Fluconazol i. v. (Cave: Nebenwirkungen)
Therapie.
Therapie.
4 Hochdosiert Penicillin G/Amoxicillin+Clavulansäure i. v. über 10 Tage 4 Bettruhe, Ruhigstellung, Hochlagerung und Kühlung der infizierten Region Prognose. Gut bei rechtzeitiger Therapie; mögliche Komplikationen: Sinus-cavernosus-Thrombose, Myo-, Endo-, Perikarditis, Glomerulonephritis, Streptokokkenpneumonie, Übergang in phlegmonöse Entzündungen oder Lymphödem.
16.5
Pilzinfektionen der Haut
16.5.1 Kandidose
16.5.2 Pityriasis versicolor Synonym. Malassezia furfur. Definition. Infektion mit Pityrosporum orbiculare/ova-
le führt zu einer harmlosen, oberflächlichen Schuppung und ungewöhnliche Pigmentierung mit bräunlicher (bei wenig pigmentierter Haut), sonst weißlicher, kleieförmig-scheckiger Haut im Thoraxbereich. Therapie. Antimykotische Lösungen und Ketoconazol-
haltiges Shampoos; Selendisulfid-haltige Suspensionen.
Definition. Entzündliche Infektion der Haut mit Can-
dida albicans, einem fakultativ pathogenen Hefepilz, der v. a. bei abwehrgeschwächen Patienten zur Erkrankung führt. Mundsoor und Windeldermatitis sind auch bei abwehrgesunden Patienten häufig.
Definition. Infektion von Haut und Nägeln mit Derma-
Symptomatik. Bevorzugter Befall von feuchtwarmen
tophyten (Fadenpilzen), z. B. Trichophyton, Epidermophyton oder Microsporon.
Regionen: 4 Stomatitis (Mundsoor): weißliche Beläge auf den Schleimhäuten, die nach Abwischen evtl. leicht bluten. 4 Windeldermatitis: Rötung, Papeln mit Colleretteartiger Schuppung, Erosion, Mazeration im Windelbereich. 4 Chronische mukokutane Kandidose: im Rahmen von Endokrinopathien oder Immundefekten auftretende, stärker entzündliche, granulomatöse Reaktionen von Haut, Schleimhaut und Nägeln.
16.5.3 Infektionen durch Dermatophyten
Ätiopathogenese. Übertragung von Tier zu Mensch, Mensch zu Mensch oder über kontaminierte Pflanzen und Erde; feuchtes Milieu begünstigt die Ausbreitung. Symptomatik.
4 Tinea corporis (Trichphyton mentagrophytes, T. rubrum): 5 Scharf begrenzte, scheibenförmige Erytheme randständig mit stärkerer Entzündung und zentrifugaler Ausbreitung, Schuppung, Juck-
368
4
4
4 4
Kapitel 16 · Pädiatrische Dermatologie
reiz; zentrales Abheilen bei peripherem Fortschreiten der Entzündung. Tinea capitis (T. mentagrophytes, T. verrucosum, T. rubrum): 5 Befall des behaarten Kopfs, von Wimpern und Augenbrauen: scheibenförmige, scharf begrenzte Alopezie-Herde mit randständiger Betonung, Rötung und Schuppung. 5 Tiefe Form (Kerion celsi): honigwabenartige Knoten, Pusteln, Lymphknotenschwellungen Mikrosporie (Microsporum audoninii, canis): 5 Kreisrunde Alopezieherde, mit feiner Schuppung, wie von Mehl bestaubt, die Haare brechen 1–2 mm über dem Hautniveau ab. Hochkontagiös, häufig Ausbreitung in Kindergärten etc., die Alopezie ist reversibel. Favus (Trichophyton schönleinii): 5 chronische, tiefe Trichophytie mit multiplen gelblichen Krusten und Alopezie. Tinea manum et pedum (T. rubrum, T. mentagrophytes): 5 Selten bei Kindern: feine, trockene Schuppung, die den Hand- und Fußlinien folgt, z. T. Entwicklung multipler kleiner Bläschen oder Mazerationen in den Finger- und Zehenzwischenräumen, tiefe Rhagaden, Juckreiz.
Diagnostik. Wood-Licht-Untersuchung, mikroskopische und kulturelle Untersuchung. Therapie.
4 Topische Antimykotika (Spray, Lotion, Creme), z. B. Imidazol-Derivate, Terbinafin, CiclopiroxOlamin 4 Ausgeprägte Dermatophytosen (besonders Tinea capitis): systemische Antimykose (Griseofulvin, Fluconazol, Itraconazol)
16
16.6
Parasitosen der Haut
16.6.1 Pedikulose Definition. Infektion der Haut (meist der Kopfhaut) mit Läusen (blutsaugende Insekten), Übertragung durch Körperkontakt, Ausbreitung v. a. in Kindergärten und Schulen. Symptomatik.
4 Pediculosis corporis: an den Bissstellen entstehen rötliche Papeln, besonders nachts stark juckenden und ekzemartigen Veränderungen, gelegentlich kommt es zur Superinfektion.
4 Pediculosis capitis: an den Haaren kleben weißliche Nissen, die das Haar verfilzen. Therapie.
4 Permethrin-haltige Lösung einmalig für 30–45 min auf das gewaschene Haar auftragen. 4 Herausspülen der Nissen mit warmer, verdünnter Essiglösung. 4 Entfernung der Nissen mit einem feinen Kamm. 4 Kein Schulbesuch, Untersuchung der Kontaktpersonen. 4 Evtl. milde Kortikoid-Cremes (Alfason Creme) bei ekzematösen Veränderungen. 16.6.2 Skabies (Krätze) Definition. Infektion der Haut mit der weiblichen
Krätzmilbe Sarcoptes scabiei var. hominis. Das befruchtete Weibchen gräbt Gänge in die Hornschicht der Haut und legt dort Eier ab, die Larven schlüpfen und legen erneut Eier ab. Symptomatik.
4 Feine Gangsysteme, v. a. an Interdigitalfalten, Handgelenken, Achselfalten, Brustwarzen, Nabel und Penis, am Ende der Gänge erkennt man das ca. 0,4 mm große Weibchen als schwarzen Punkt. 4 Nächtlicher Juckreiz durch sekundäre Ekzematisation und Entzündung. 4 Bei Säuglingen häufig auch Handflächen, Fußrücken und Fußsohlen befallen. Therapie.
4 Einreiben des Körpers über Nacht mit PermethrinEmulsion (<2 Jahre: 2,5%ig, >2 Jahre: 5%ig). 4 Antihistaminika gegen den Juckreiz. 4 Exzembehandlung (Kortikoidcremes, z. B. Alfason, Ölbäder). 4 Wäsche und Bettwäsche für 72 h nicht benutzen. 4 Untersuchung und Mitbehandlung von Kontaktpersonen. 16.6.3 Strophulus infantum Definition. Juckende Dermatose, die als Reaktion auf
Bisse von Milben, Hunde-/Katzenflöhe oder kleinen Insekten auftritt. Manifestation als urtikarielle Papeln oder persistierende papulo-nodöse Hautveränderungen, meist in den Sommer und Herbstmonaten, bevorzugt in ländlichen Gegenden.
369 16.7 · Dermatitis und Ekzem
16
Symptomatik.
4 Urtikarielle, stark juckende Papeln, ca. linsengroß 4 Häufig kleines Bläschen im Zentrum der Papel (Seropapel) 4 Generalisierte Kratzspuren Differenzialdiagnostik. Varizellen, Skabies, Milbendermatitis, persistierende Insektenstichreaktionen, papulopruriginöse Form des atopischen Ekzems. Therapie. Expositionsprophylaxe (Raumdesinfektion, Therapie der Haustiere); symptomatisch: Antihistaminika, kühlende Lotiones.
16.7
Dermatitis und Ekzem
Windeldermatitis Definition/Ätiologie. Entzündliche Veränderung im
Windelbereich: mäßige Rötung bis hin zu ausgedehnter Mazeration und Erosionen. Ursächlich ist die Hautreizung durch den Urin (Ammoniakbildung durch ureaseproduzierende Bakterien) und das feuchte Milieu.
. Abb. 16.4. Dermatitis seborrhoides
4 Ausbreitung auf andere Körperregionen möglich 4 Selten Entwicklung einer Erythrodermie: Erythrodermia desquamativa Leiner mit Rötung und Schuppung des gesamten Körpers 4 Gneis: mildeste Variante: fettige, fest-haftende Schuppung der Kopfhaut ohne oder mit geringer Entzündung Therapie.
Therapie.
4 Vermeiden zu fetter Grundlagen, keine Salben 4 Capillitium: Olivenöl über Nacht auftragen, morgens abwaschen, evtl. 1–2%ige Salicylvaseline. 4 Windelbereich und intertriginös: weiche Zinkpaste 4 Evtl. kurzzeitige Anwendung von Antimykotika (lokal) oder Steroidcremes
4 4 4 4
Dermatitis atopica Synonym. Atopische Dermatitis, endogenes Ekzem, Neurodermitis.
Symptomatik.
4 4 4 4
Rötung im Windelbereich Evtl. Papeln, Bläschen, Nässen und Schuppung Evtl. Lichenifizierung, Erosionen und Ulzerationen Evtl. Superinfektion mit Candida
Häufiges Windelwechseln Möglichst viel »offen« lassen, evtl. trocken föhnen Stoffwindeln Waschen der Haut mit lauwarmem Wasser, keine Anwendung von Zusätzen 4 Akut: Abdecken der Haut mit weicher Zinkpaste 4 Bei Candidabefall: Zusatz von Nystatin, Clotrimazol lokal
Definition. Chronisch-rezidivierendes, nichtinfektiöses
Ekzem bei genetischer Disposition (Atopie). Epidemiologie. Prävalenz 12–15% bei Kindern und Ju-
Dermatitis seborrhoides Definition. Akute, entzündliche Hauterkrankung v. a. junger Säuglinge in den ersten 6 Lebensmonaten unklarer Ätiologie.
gendlichen, häufigste kindliche Hauterkrankung; ca. 20% der Gesamtbevölkerung betroffen, zunehmende Häufigkeit.
Symptomatik.
4 Polygen vererbte atopische Disposition und maternales Imprinting 7 Kap. 2. 4 In einigen Fällen (selbst bei den schwersten Formen der Erkrankung jedoch nur in 35%, bei leichten Formen in 2–5%) Triggerung durch Nahrungsmittelallergene (z. B. Kuhmilch, Hühnerei). Bei älteren Kindern können auch aerogene Allergene (Tierhaare, Hausstaubmilben) als Trigger wirken.
Ätiopathogenese.
4 Beginn typischerweise in den ersten 6 Lebenswochen. 4 Scharf begrenzte, landkartenartige, gerötetet Herde mit gelblich-fettigen Schuppen (. Abb. 16.4) 4 V. a. im Bereich des behaarten Kopfs, der Windelregion und in Hautfalten 4 Meist geringer Juckreiz
370
Kapitel 16 · Pädiatrische Dermatologie
4 Barrieredefekte, Sebostase, Aktivität der Talgdrüsen ↓, bakterielle Besiedelung ↑ 4 Immunreaktion: (IgE ↑, Aktivität der T8-, T4-, NK-Zellen ↓, TH2/Mediatorausschüttung ↑) führt zu chronischer Entzündung und Juckreiz. 4 Verstärkte Reaktion auf Umweltreize.
5 Keratosis pilaris: follikuläre Hyperkeratose an Oberarm- und Oberschenkelstreckseiten 5 Ichthyosis-Hand: palmare Hyperlinearität 5 Cheilitis sicca: Austrocknung der Lippen mit Juckreiz und schmerzhaften Rhagaden 5 Pulpitis sicca: Vorfußekzeme oder Ekzeme der Fingerkuppen
Symptomatik.
4 Juckreiz 4 Sebostase: trockene Haut, Lichenifikation (vergröberte Felderung und Furchung) 4 Altersabhängiges klinisches Bild (. Tab. 16.4, . Abb. 16.5) 4 Nummuläre Form mit scharf begrenzten infiltrierten Plaques 4 Papulopruriginöse Form mit juckenden, zerkratzten Knötchen 4 z. T. Generalisierung und Erythrodermie 4 Typische klinische Stigmata: 5 Rhagaden am Ohrläppchenansatz 5 Dennie-Morgan-Zeichen: doppelte Unterlidfalte 5 Hertoghe-Zeichen: Fehlen der lateralen Augenbrauen 5 Weißer Dermographismus: nach Bestreichen der Haut mit einem stumpfen Gegenstand wird die Haut weiß.
. Tab. 16.4. Altersabhängige Symptomatik der Dermatitis atopica Alter
Präsentation
Säuglinge
»Milchschorf«: auf Wangen und behaartem Kopf, umschrieben oder disseminiert schuppende, nässende oder verkrustende Erytheme. Stark juckendes, oft nässendes Gesichtsekzem, kleine Knötchen, Papeln, Vesikeln, Kratzspuren, feinlamelläre Schuppung. Prädilektionsstellen: Arme, Streckseiten der Beine und Stamm, behaarter Kopf, seitliches Gesicht, retroaurikulär
Kleinkinder
Juckende, erythemato-squamöse, z. T. papulöse Herde, später Lichenifikation mit Verdickung und Vergröberung der Hautfelderung, entzündliche Infiltrationen, Kratzspuren, trockene Haut, im akuten Schub auch exsudativ-nässend. Prädilektionsstellen: Gelenkbeugen (»Beugeekzeme«: Ellenbeugen, Kniekehlen, Hals, Fußrücken, Hände), seitlicher und hinterer Halsbereich
Erwachsene
u. a. Hand und Fußflächen
16
Komplikationen.
4 Superinfektionen v. a. mit S. aureus, Herpesviren (Eczema herpeticatum), Mollusca contagiosa oder Pityrosporum ovale 4 Erythrodermie 4 Haarausfall 4 Katarakt Diagnostik.
4 Anamnese, Familienanamnese 4 Labor: 5 BB, Differenzial-BB (Eosinophilie) 5 Gesamt-IgE ↑ 5 RAST (spezifische IgE gegen Nahrungsmittel/Umweltallergene) 4 Evtl. Nahrungsmittelkarenztest 4 In unklaren Fällen: evtl. oraler Provokationstest mit steigender Allergenmenge (doppelblind): bei relevanten Allergenmengen kommt es innerhalb von wenigen Minuten (Sofortreaktion) oder von Stunden (bis Tage, Spätreaktion) zu einer Verschlechterung der Hautsymptomatik. Therapie. 4 Therapiesäulen:
1. Rückfettung: 5 Akut: kühlende Umschläge (Schwarztee, Schlauchverbände), dann Lotiones oder hydrophile Cremes. 5 Subakut: stärker rückfettende Cremes mit Zink-, Dexpanthenol- und Glycerol-Zusatz. 5 Chronisch: stark rückfettende Cremes und Salben, bei älteren Kindern auch mit Harnstoffzusatz (5–10%). 2. Antipruriginöse Therapie: 5 Kühlung, fett-feuchte Umschläge 5 Hitzestau vermeiden, leichte Baumwollkleidung 5 Antihistaminika p. o. 3. Antiseptische Therapie: 5 Topische Antiseptika, z. B. Methylrosanilin 0,1%, Cremes mit Triclosanzusatz (1–2%) 5 Großzügige systemische, antibiotische Therapie bei Verdacht auf Superinfektionen (z. B. Cefuroxim) und systemische antivirale Therapie bei Eczema herpeticatum.
371 16.9 · Arzneimittelexantheme und infektallergische Exantheme
16
4. Antiinflammatorische Therapie: 5 1. Wahl: kurzfristig lokale Klasse I/II-Glukokortikoide 5 2. Wahl: topische Immunmodulatoren. Besondere Indikation bei periokulären Ekzemen (da Steroide am Auge Glaukome bzw. Katarakte induzieren können). 4 Evtl. systemische Glukokortikoide 4 Evtl. Immunsuppressiva bei schwersten Formen Allgemeine Maßnahmen: 4 Diät bei gesicherter Nahrungsmittelunverträglichkeit: Hydrolysat-Nahrung, bei älteren Kindern: Eliminationsdiät, Karenzversuche, Kartoffel-ReisDiät und dann alle 2 Tage Einführung neuer Nahrungsmittel und Beobachtung der Hautreaktionen. 4 Keine Wolle, möglichst Schwitzen vermeiden, keine austrocknenden Seifen verwenden, keine Zitrusfrüchte, keine scharfen Speisen, längeres ausschließliches Stillen (6 Monate) mindert die Manifestation der atopischen Dermatitis, Meidung als allergen bekannter Nahrungmittel, keine Nüsse und kein Fisch <3. Lebensjahr. 4 In schweren Fällen: Aufenthalt an der Nordsee oder im Hochgebirge. ! Auch bei lokaler Glukokortikoidanwendung sind unerwünschte Reaktionen möglich. Bei länger dauernder Anwendung kann es zu Hautatrophie oder Mykosen kommen, und evtl. zur Wachstumshemmung. »Rebound-Effekt« bei abruptem Absetzen, daher muss auch die lokale Glukokortikoidtherapie immer ausgeschlichen werden. Die Anwendung topischer Immunmodulatoren geht mit einer erhöhten Rate kutaner Virusinfektionen einher (HSV, Mollusca contagiosa). Da mögliche Langzeiteffekte der topischen Immunsuppression (nach längerer Anwendung) noch nicht abgeschätzt werden können, sind ein zurückhaltender Einsatz und die Anwendung von Lichtschutzmaßnahmen in UV-exponierten Arealen zu empfehlen.
. Abb. 16.5. Neurodermitis: »Beugeekzeme«
5 Windeldermatitis, Leckekzem, Schnuller-Ekzem 5 Säuren, Laugen 4 Allergische Kontaktdermatitis: 5 Arzneimittel, Kosmetika, Pflegemittel 5 Desinfektionsmittel, Konservierungsmittel 5 Metallsalze 5 Nickel (Modeschmuck, Gürtelschnalle etc.) Symptomatik.
4 Zunächst nur an den Kontaktstellen, später generalisiertes Erythem 4 Ödeme, nässende, verkrustende Papulovesikel auf erythematösem Grund 4 Starker Juckreiz Diagnostik. Epikutantestung. Therapie.
4 Expositionsprophylaxe: Meidung des auslösenden Allergens, der auslösenden Noxe 4 Topische Glukokortikoide Klasse II/III, feuchte Umschläge, ggf. Antihistaminika 16.8
Kontaktdermatitis, Kontaktekzem Definition. Akute oder chronische entzündliche Reaktion der Haut auf physikalische und/oder chemische Reize (nichtallergische Kontaktdermatitis) oder auf definierte Kontaktstoffe, die eine allergische Reaktion Typ IV auslösen (allergische Kontaktdermatitis). Ätiopathogenese.
4 Nichtallergische Kontaktdermatitis: 5 UV-Strahlen: Dermatitis solaris 5 Gräser: Wiesengräserdermatitis (keine Typ-IVReaktion, sondern Effekt des Sonnenlichts nach Kontakt mit photosensibilisierenden Pflanzen)
Urtikaria
7 Kap. 8.2.2.
16.9
Arzneimittelexantheme und infektallergische Exantheme
16.9.1 Arzneimittelexantheme Definition. Exantheme, die als Reaktion auf die Anwen-
dung verschiedener Arzneimittel auftreten und Ergebnis einer Typ I (Ig-E-vermittelten) oder Typ IV (zellulären) Immunantwort sind 7 Kap. 8.
372
Kapitel 16 · Pädiatrische Dermatologie
Ätiopathogenese. Jedes Medikament als Auslöser möglich; im Kindesalter häufig Cephalosporine, Betalaktamantibiotika oder Sulfonamide. Symptomatik. Klinisches Bild sehr variabel:
4 Z. B. makulopapulöse, Masern-, Scharlach- oder Röteln-ähnliche Exantheme 4 Häufig auch Entwicklung von urtikariellen oder vesikulären Effloreszenzen 4 Häufig gerötetes Gesicht 4 Ausgeprägter Juckreiz Diagnostik. Anamnese, Klinik, Verlauf nach Absetzen der Medikation. Therapie.
4 Absetzen des verdächtigen Medikaments 4 Symptomatisch: lokal kühlende Lotionen, Antihistaminika p. o., in schweren Fällen: kurzfristig Glukokortikoide p.o. 4 Nach 3–4 Wochen evtl. allergologische Abklärung (Intrakutantest) 4 Allergieausweis 16.9.2 Erythema exsudativum multiforme Definition. Akut auftretendes Exanthem unklarer Ge-
nese, das nach Arzneimittelexposition oder Infektionen auftritt und sich als charakteristisches Exanthem manifestiert. Ätiopathogenese.
16
4 Unklar 4 Auslöser: 5 Medikamente: z. B. Antibiotika, Sulfonamide, NSAR, Schlafmittel 5 Antiepileptika: z. B. Phenytoin, Carbamazepin 5 Virale oder bakterielle Infekte (z. B. HSV, EBV, Yersinien, Mykoplasmen)
Therapie.
4 Absetzen der auslösenden Noxe, ggf. Therapie der Infektion (z. B. Mykoplasmen-Pneumonie) 4 Minor-Form: Hautpflege 4 Major-Form: evtl. niedrig dosierte systemische Glukokortikoidtherapie; ausreichende Flüssigkeitszufuhr Steven-Johnson- Syndrom (SJS) und toxische epidermale Nekrolyse (TEN) Synonym. Syndrom der verbrühten Haut. Definition. Schweres, lebensbedrohliches Krankheits-
bild noch unklarere Genese, durch Arzneimittel und Infektionen getriggert. Es kommt zu grossflächiger Blasenbildung, das SJS betrifft <10%, die TEN >10% der gesamten KOF. Symptomatik/Diagnostik.
4 Prodromalphase mit Allgemeinsymptomen 4 Kraniokaudale Ausbreitung erythematöser, makulärer Effloreszenzen 4 Starke Berührungsempfindlichkeit 4 Großflächige Blasenbildung und Ablösung fast der gesamten Oberhaut 4 Schlechter Allgemeinzustand, Fieber 4 Häufig pulmonale Komplikationen, Sepsis, Hornhautnarben, Symblepharon (zusammengewachsene Bindehaut von Lid und Sklera) Therapie.
4 Absetzen potenziell auslösender Arzneimittel 4 Intensivmedizinische Behandlung (siehe Verbrennungen) 4 I. v.-Antibiose (Cephalosporin) 4 Spezielle Augen- und Mundpflege Prognose. Letalität: SJS: 1%, TEN: 5–50%.
16.9.3 Erythema nodosum
Symptomatik.
4 Minor-Form: 5 Akutes oder schubweises Auftreten von symmetrisch angeordneten, scheiben- bzw. kokardenförmigen, erythematösen Maculae 5 Akrale Betonung 5 Entwicklung multipler kleiner Bläschen 5 Zentripetale Ausbreitung und Konfluieren der Herde 4 Major-Form: zusätzlich Erosionen der Schleimhäute, schlechter Allgemeinzustand, Fieber, Myalgien, z. T. purulente Konjunktivitis
Definition. Kutane Reaktion auf verschiedene Auslöser mit typischem klinischen Bild: gerötete, schmerzhafte, überwärmte Knoten an den Unterschenkelstreckseiten. Ätiopathogenese.
4 Vermutlich allergischer Prozess, u. a. durch Infektion mit Streptokokken, EBV, Yersinien oder Mycobakterium tuberculosis ausgelöst. 4 Häufig mit Sarkoidose, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und entzündlichen Gelenkerkrankungen assoziiert.
373 16.10 · Psoriasis vulgaris
Symptomatik.
4 Tief liegende, blaurote, später grün-braune, stark druckschmerzhafte, überwärmte Knoten. 4 Evtl. begleitendes Krankheitsgefühl, Fieber, Gelenkschmerzen. 4 Schubweises Auftreten über Wochen bis Monate. 4 Prädilektionsstellen: Unterschenkelstreckseiten.
16
4 Mögliche Triggerfaktoren sind Infektionen, Verletzungen, Operationen, mechanische Reizung (Schmuck, Gürtel), medikamentöse Therapie (z. B. Lithium, ACE-Hemmer), Alkohol, Kälte, Stress u. a. 4 Erhöhte Proliferation und Verbreiterung der Epidermis (Akanthose) mit Differenzierungsstörung und Entzündungsreaktion
Diagnostik.
4 Klinik 4 Labor: BKS ↑↑ 4 Ausschluss von Grunderkrankungen: 5 Anamnese (Medikamente?) 5 Tuberkulinprobe 5 Streptokokken-Schnelltest 5 Röntgen-Thorax (Sarkoidose?) Therapie.
4 Therapie der Grunderkrankung, falls bekannt 4 Symptomatisch: Bettruhe, feuchte Umschläge, entzündungshemmende Cremes 4 Evtl. nichtsteroidale Antiphlogistika 4 In ausgedehnten Fällen Kaliumiodid-Lösung p. o. 4 Evtl. kurzzeitige Therapie mit systemischen Glukokortikoiden 16.10
Psoriasis vulgaris
Epidemiologie. Eine der häufigsten Hauterkrankungen: 2–3% der hellhäutigen Bevölkerung sind betroffen. Symptomatik.
4 Leitsymptome: 5 Rötung und Schuppung der Haut 5 Scharf begrenzte, erythematosquamöse Plaques von unterschiedlicher Form 5 Selten auch Gelenkbeteiligung (meist oligoartikulär) 4 Prädilektionsstellen: 5 Streckseiten der Extremitäten 5 Behaarter Kopf 5 Sakralbereich 5 Nägel 5 Bei Kindern im Gegensatz zu Erwachsenen auch häufig Befall des Gesichts 5 Bei Säuglingen: Windelpsoriasis Diagnostik. Klinik . Tab. 16.5.
Definition. Erbliche, chronisch rezidivierende Immun-
erkrankung von Haut, Nägeln, Schleimhäuten und Gelenken mit typischem klinischen Bild: scharf begrenzte, erythematöse Plaques (. Abb. 16.6).
Einteilung der Psoriasis
Therapie.
4 Vermeidung von Triggerfaktoren 4 Entschuppung: 5 Salicylsäure-Salben (1–3%), kleinflächig, nicht im Windelbereich und nur kurze Applikationszeiten
4 Typ-I-Psoriasis (kindliche Psoriasis): – Frühes Manifestationsalter (15–25% <15. Lebensjahr) – Positive Familienanamnese – HLA-System assoziiert 4 Typ-II-Psoriasis: – Manifestaion ca. 50.–60. Lebensjahr 4 Nach dem klinischen Bild: – Psoriasis punctata – Psoriasis guttata – Psoriasis nummularis – Psoriasis geographica
Ätiopathogenese.
4 Multifaktoriell bedingt, genetische polygene Disposition
. Abb. 16.6. Psoriasis
374
Kapitel 16 · Pädiatrische Dermatologie
. Tab. 16.5. Klinische Merkmale der Psoriasis Name
Klinik
Phänomen des letzten Häutchens
Unter den Schuppen befindet sich eine letzte Epidermisschicht, die abgezogen werden kann.
Blutiger Tau, Auspitz-Phänomen
Nach Abziehen der Epidermisschicht kommt es zu punktuellen Blutaustritten aus den erweiterten Gefäßschlingen.
KerzentropfenPhänomen
Unter den groblamellären Schuppen lassen sich kerzenwachsartige Flocken ablösen.
Ölflecke
Gelbfärbung unter der Nagelplatte durch Hyperkeratose des Nagelbetts
Tüpfelnägel
Tüpfel- oder grübchenförmige Defekte der Nagelplatte
5 Harnstoff (10%), nicht im 1. Lebensjahr anwenden 5 Milchsäure (5% in Vaseline) 5 Badezusätze (Öle, Kochsalz, Milchsäure (3%)) 4 Antiproliferative/antientzündliche Medikamente: 5 Dithranol: seltene Anwendung bei Kindern und nur hoch verdünnt mit nur kurzem Hautkontakt 5 Kortison: Anwendung bei kleineren Herden und am Kopf, Anwendung für 2–3 Wochen dann Ausschleichen, nie oral und nicht abrupt absetzen, da Gefahr des Rebound-Effekts 5 Vitamin-D3-Analoga: nicht vor dem 6. Lebensjahr zugelassen, da Beeinflussung des Kalziumstoffwechsels 4 Systemische Therapie 5 Den schwersten Fällen vorbehalten: orale Retinoide, Cyclosporin A, Methotrexat 5 UV-Bestrahlung als ultima ratio
16
! Es bestehen Unterschiede in der Behandlung der Psoriasis des Kindes- und des Erwachsenenalters, da die kindliche Haut auch für lokal applizierte Medikamente besonders durchlässig ist und es auch bei lokaler Applikation zu systemischen Nebenwirkungen (u. a. Wachstumsstörungen) kommen kann. Nahezu alle in der Erwachsenenmedizin angewandten Psoriasismedikamente sind im Kindesalter nicht zugelassen.
Prognosee. Chronisch rezidivierender Verlauf; keine Heilung möglich.
16.11
Acne vulgaris
Definition. Erkrankung mit vermehrter Horn- und Talgbildung der Haut, typischerweise in der Pubertät auftretend bei genetischer Disposition und u. a. durch Androgene verursacht.
Einteilung der Acne vulgaris 4 Acne neonatorum: beim Neugeborenen 4 Acne infantum: im Kindesalter 4 Acne juvenilis: bei Jugendlichen
Epidemiologie.
4 Bis zu 85% aller Jugendlichen sind in irgendeiner Form von Akne betroffen. 4 Bei 15–30% der Jugendlichen deutliche Ausprägung z. T. mit Narbenbildung. Ätiopathogenese.
4 4 4 4
Seborrhoe (übermäßige Talgproduktion) Übermäßige Verhornung Verstopfung der Ausführungsgänge der Talgdrüsen Auslöser für die Seborrhoe: Androgene, die in der Pubertät vermehrt gebildet werden 4 Bakterielle Superinfektion Symptomatik.
4 Komedone (Mitesser, Acne comedonica) 4 Papeln und Pusteln aufgrund der Beteiligung von Propionibakterien (Acne papulopustulosa) 4 Bei Ausbreitung der Entzündung auf benachbarte Regionen entstehen Abszesse und Fisteln (Acne conglobata) mit Narbenbildung bei Abheilung 4 Prädilektionsstellen: Gesicht, Hals, Rücken und Außenseiten der Oberarme 4 Acne fulminans: Maximalform der Akne mit Fieber und Arthralgien 4 Acne neonatorum: bei ca. 20% der Neugeborenen auftretende Komedone, Papeln und Pusteln, v. a. an den Wangen, gelegentlich an der Stirn, spontanes Abheilen nach wenigen Wochen Therapie.
4 Allgemein: Hautreinigung mit Tensiden, benzoylperoxidhaltigen Waschgels oder milden alkoholischen Lösungen 4 Leichte Formen: Keratolyse durch Adapalen, Benzoylperoxid und Vitamin-A-Säure-Tinktur oder 4 Creme, anfangs starke Hautreizung, der Effekt tritt erst langsam ein, evtl. lokal antibiotische Gels (z. B. Erythromycin, Clindamycin)
375 16.12 · Keloid
4 Schwere Formen: zusätzlich zur Lokaltherapie systemische Antibiose mit Erythromycin p. o. oder Tetracyclin p. o. (ab dem 12. Lebensjahr) 4 Acne conglobata, Acne fulminans: zusätzlich zu o. g. Therapie systemische Glukokortikoide und Isotretinoin Prognose. Gut, meist spontanes Abheilen mit Beginn
des 3. Lebensjahrzehnts; bei schweren Formen Narbenbildung. 16.12
Keloid
Definition. Überschießende, die Wunde überschreiten-
de, knotige Narbenbildung, v. a. nach Verbrennung und Verbrühung.
16
Symptomatik.
4 Derbe, überschießende Narbenbildung 4 Evtl. Juckreiz, Hyperästhesie 4 Bewegungseinschränkung bei Gelenkbefall Therapie.
4 4 4 4 4 4
Kompressionsbehandlung Kryotherapie Örtliche Injektion von Steroidkristallen Okklusivverbände mit Steroidsalben Plastische Operationen Rezidivprophylaxe: Silikonfolien unter Kompression
17 17
Erkrankungen des Nervensystems
17.1
Fehlbildungen
17.1.1 17.1.2 17.1.3 17.1.4
Dysraphien – 378 Lumbale Dysraphien – Spina bifida – 378 Andere Fehlbildungen – 380 Hydrozephalus – 380
17.2
Infantile Zerebralparese (Morbus Little, cerebral palsy, CP)
17.3
Neurometabolische Erkrankungen
17.3.1 17.3.2 17.3.3 17.3.4 17.3.5 17.3.6
Lysosomale Erkrankungen – 383 Mitochondriale Erkrankungen – 383 Peroxisomale Erkrankungen – 384 Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels Erkrankungen des Golgi-Apparats – 384 Leukodystrophien – 385
17.4
Neuromuskuläre Erkrankungen
17.4.1 17.4.2 17.4.3 17.4.4
Muskeldystrophien – 385 Myotone Syndrome – 387 Erkrankungen der Motoneurone – 392 Erkrankung der peripheren Nerven – 393
17.5
Neurokutane Erkrankungen
17.5.1
Neurofibromatosen – 396
17.6
Zerebrovaskuläre Erkrankungen
17.6.1 17.6.2 17.6.3
Intrakranielle Gefäßanomalien – 399 Zerebrale Zirkulationsstörungen – 401 Kopfschmerzen – 402
17.7
Epilepsie und zerebrale Krampfanfälle
17.7.1 17.7.2 17.7.3 17.7.4 17.7.5
Fokale Epilepsien – 404 Generalisierte Anfälle – 406 Nicht klassifizierte Anfälle – 408 Grundzüge der Epilepsiebehandlung – 409 Anfallsartige Krankheitsbilder – 410
17.8
Entzündliche Erkrankungen des ZNS – 410
17.8.1 17.8.2
Meningitis – 410 Enzephalitis und Myelitis
– 378
– 412
– 383
– 384
– 385
– 396
– 399
– 403
– 381
17.8.3 17.8.4
Hirnabszess – 413 Parainfektiöse und immunologische ZNS Erkrankungen
17.9
Verletzungen
17.9.1 17.9.2
Schädelhirntrauma – 414 Intrakranielle Blutungen – 416
17.10
Gehirntumoren – 416
– 414
– 413
378
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
17.1
Fehlbildungen
17.1.1 Dysraphien Definition. Dysraphien (griechisch: Raphe = Naht)
sind eine Gruppe angeborener Fehlbildungen, die auf einem unvollständigen Schluss des Neuralrohrs in der ersten Pränatalphase bis zum Ende der 12. SSW basieren. Das Spektrum der Neuralrohrdefekte reicht von Anenzephalus (nicht mit dem Leben vereinbar) bis zur Spina bifida occulta (meist asymptomatisch). Epidemiologie/Ätiologie.
4 Inzidenz: 1:1 000 Schwangerschaften, häufigste Fehlbildung des Nervensystems 4 Meist sporadisches Auftreten 4 Selten familiäre Häufung (genetische Faktoren) 4 Maternale Folsäureunterversorgung während der frühen Embryonalentwicklung 4 Medikamentöse Therapie (z. B. Valproinsäure) während der Schwangerschaft 4 Ionisierende Strahlen, Chemikalien Kraniale Dysraphien Anezephalus Definition. Schwerste Störung der kranialen Entwicklung des Neuralrohrs mit Ausbleiben des Schlusses des zerebralen Neuralrohranteils, nicht mit dem Leben vereinbar. Symptomatik. Fehlen von Schädeldecke und Großhirn, stattdessen ist nur eine undifferenzierte Gewebsmasse angelegt. Der Gesichtsschädel ist weitgehend normal ausgebildet.
Enzephalozele Definition. Zystische Vorwölbung von liquorgefüllten Hirnhäuten (kraniale Meningozele), in die Hirngewebe verlagert sein kann (kraniale Enzephalozele), meist im hinteren Schädelbereich lokalisiert.
17
17.1.2 Lumbale Dysraphien – Spina bifida Definition. Spinale Neuralrohrdefekte aufgrund ei-
nes unvollständigen Neuralrohrschlusses bis zur 12. Schwangerschaftswoche. Lokalisation: 50% lumbosakral, 20% lumbal, 20% thorakolumbal, 9% sakrokokzygeal, 1% zervikothorakal. Einteilung: . Tab. 17.1. . Tab. 17.1. Einteilung der Spina bifida Art
Manifestation
Spina bifida occulta (= versteckt)
Unvollständiger Wirbelschluss, ausschließlich knöcherne Fehlbildung, Nervengewebe nicht beteiligt
Spina bifida aperta (= offensichtlich): 1. Spina bifida cystica 4 Menigozele 4 Meningomyelozele
4 Vorwölbung von Rückenmarkshäuten 4 Vorwölbung von Rückenmarkshäuten, Rückenmark und Nervenwurzel
2. Offene Myelozele, »Myeloschisis«
4 Prolabiertes und freiliegendes Nervengewebe
Diagnostik.
4 Klinische Untersuchung: neurologisch: Muskeltonus, Reflexe, Motorik; äußerlich: äußerliche Auffälligkeiten, Vorwölbungen, Analgrübchen, Depigmentierung, Behaarung im Bereich der Wirbelsäule 4 Bildgebung: Sonographie Spinalkanal: Darstellung des Myelons, Sonographie Schädel: assoziierte Fehlbildungen?, Röntgen Wirbelsäule: Wirbelbögen intakt?, MRT-Spinalkanal: Darstellung der Morphologie 4 Pränataldiagnostik: Sonographie (ab der 14.– 16. SSW); Amniozentese: α-Fetoprotein im Fruchtwasser bei Dyraphien ↑↑
Symptomatik.
4 Kraniale Meningozele: meist asymptomatisch 4 Kraniale Enzephalozele: Mikrozephalie, mentale Retardierung, Krampfanfälle, meist letal Sonderform. Cranium bifidum: Protrusion von Hirngewebe durch einen knöchernen Mittelliniendefekt des Schädels.
Spina bifida occulta Definition. Ausschließlich knöcherne Fehlbildung mit
unvollständigem Wirbelbogenschluss, z. T. bestehen assoziierte Hautveränderungen ohne klinische Relevanz. Epidemiologie. Häufigkeit: 1% der Bevölkerung; häu-
figste Form der Dysraphien; familiäre Häufung. Symptomatik. Meist asymptomatisch; z. T. Haarbü-
schel, Lipome, Pigmentstörung oder Hypertrichosis im Bereich der Läsion.
379 17.1 · Fehlbildungen
Therapie. In der Regel keine Therapie notwendig. Komplikationen.
4 Infektionen bei Verbindungen zum Spinalkanal. 4 Tethered Cord: eine Meningomyelozele, ein Lipom oder ein Dermoid führen zu einem Verwachsen des Conus medullaris oder des Filum terminale des Rückenmarks mit der Wirbelsäule. Die physiologische, mit dem Wachstum auftretende Aszension des Rückenmarks wird behindert, es entwickeln sich neurologische Defizite: distale Beinparesen, Sensibilitätsstörungen, Lumbalgien, Ischialgien, BlasenMastdarmstörungen u. a. Therapie. neurochirurgisches Detethering. 4 Dermalsinus: Verbindungskanal zwischen Dura (Spinalkanal) und Haut. Klinisch präsentiert sich der Dermalsinus als Hautpore mit dunkel pigmentierter Umgebung und vermehrter Behaarung. Komplikationen: rezidivierende Infektionen bei Verbindung zum Rückenmark, evtl. bestehen zusätzlich Tumoren (Dermoide, Teratome). Therapie. operative Entfernung der Fistel. > Neurologische Defizite, die vor einer Operation einer Meningomyelozele oder eines tethered cords vorhanden sind, bleiben postoperativ in der Regel bestehen.
Spina bifida cystica Schlussstörung des Neuralrohrs mit Beteiligung der Meningen (Meningozele) oder der Meningen und des Rückenmarks bzw. der Nervenwurzeln (Meningomyelozele). Meningomyelozele (MMC) Definition. Knöcherne Spaltbildung mit Vorwölbung von Meningen, Rückenmarksgewebe und Nervenwurzeln als geschlossener Defekt mit Hautdeckung oder als offener Defekt mit freiliegendem Nervengewebe. ! Bei offener Meningomyelozele liegt das Nervengewebe ohne Hautdeckung frei, es besteht ein hohes Infektionsrisiko. Postpartal muss der Defekt sofort steril abgedeckt und zügig operativ saniert werden.
Symptomatik. Abhängig von der Lokalisation (. Tab. 17.2):
4 4 4 4
Schlaffe Lähmungen, Para- oder Tetraparesen Muskelatrophien Sensible und trophische Störungen Harn- und Stuhlinkontinenz, Blasen-/Mastdarmentleerungsstörungen
17
. Tab. 17.2. Funktionseinschränkungen bei Meningomyelozele in Abhängigkeit von der Lokalisation Paresen S2
Kleine Fußmuskeln, Blasenentleerungsstörungen, aufsteigend: Plantarbeuger, Hüftstrecker
S1
Darmentleerungsstörungen
L5
Kniebeuger, Hüftabduktoren
L4
Hüftadduktoren
L3
Kniestrecker
L2
Hüftbeuger, Beckenbodenmuskulatur
L1
Unterbauch- und Rückenmuskulatur
4 Analprolaps, Reithosenanästhesie 4 Gelenkkontrakturen, Hüftluxation, Skoliose, Fußdeformitäten: Spitzfuß, Klumpfuß 4 Normale geistige Entwicklung 4 Evtl. Hydrozephalus 4 In 90% assoziierte Fehlbildung: Arnold-ChiariMalformation: Verschiebung der Kleinhirntonsillen durch das Foramen magnum in den Spinalkanal mit Liquorzirkulationsstörungen und Hydrozephalus > Konus-Syndrom: Schädigung des Conus medullaris (S3–S5) mit »Reithosenanästhesie« (reithosenförmige Sensibilitätsausfälle im Bereich S3–S5) und Störung von Miktion, Defäkation und Sexualfunktion. Cauda-Syndrom: Schädigung der Cauda equina mit segmental begrenzten, schlaffen Paresen, radikulären Sensibilitätsstörungen und Störung von Miktion, Defäkation und Sexualfunktion.
Therapie.
Operative Sanierung: v. a. bei Liquorfistel oder dünner Hautdeckung. 4 Pränatal diagnostizierte Meningomyelozele: Sectio, steriles Abdecken, Operation 4 Offene Myelomenigozele: steriles Abdecken, sofortige Operation 4 Geschlossene Myelomeningozele: Operation innerhalb von 24 h 4 Hydrozephalus internus: Anlage eines ventrikuloperitonealen Shunts (VP-Shunt) innerhalb der ersten 3–8 Lebenswochen 4 Tethered cord: operatives Detethering, Lösen der bindegewebigen Verwachsungen 4 Allgemeinmaßnahmen: Physiotherapie, orthopädische Versorgung, ggf. urologische Behandlung,
380
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
antibiotische Harnwegsinfektdauerprophylaxe, intermittierendes Einmalkatheterisieren, Mastdarmtraining
17.1.4 Hydrozephalus Definition. Erweiterung der Liquorräume des Gehirns.
Komplikationen.
4 Persistierende neurologische Defizite (durch Operation nicht zu verhindern) 4 rezidivierende Harnwegsinfektionen, vesikoureteraler Reflux 4 Orthopädische Deformitäten, Schmerzen, Dekubitus 4 Bei VP-Shunt: Shuntdysfunktion > Die Mehrzahl der Neuralrohrdefekte ist durch eine perikonzeptionelle Folsäureprophylaxe zu verhindern. Mindestens 4 Wochen vor bis 8 Wochen nach der Befruchtung sollte 0,4 mg Folsäure am Tag eingenommen werden.
Prognose.
4 Je kaudaler der Defekt bei Spina bifida, desto besser sind die Aussichten auf ein selbstständiges, unabhängiges Leben; je höher der Defekt, desto schlechter ist die Prognose. 4 Die 5-Jahres-Überlebensrate nach Operation beträgt 95%, aber nur 12% der Patienten erlernen das Laufen; unbehandelt beträgt die Mortalität 70– 80%. 4 Die Prognose wird insbesondere durch die Komplikationen beeinträchtigt: Infektionen, Hydrozephalus u. a. 17.1.3 Andere Fehlbildungen Dandy-Walker-Syndrom Definition. Fehlbildungssyndrom mit zystischer Erweiterung des 4. Ventrikels, Dysgenesie des Kleinhirnwurms, Erweiterung hintere Schädelgrube, Hochstand des Tentoriums und Atresie der Foramina Magendii. 90% der Patienten entwickeln einen Hydrozephalus.
17
Einteilung des Hydrozephalus 4 Hydrozephalus internus: Erweiterung der inneren Liquorräume, der Ventrikel 4 Hydrozephalus externus: Erweiterung der äußeren Liquorräume 4 Hydrozephalus communicans: Erweiterung der inneren und äußeren Liquorräume
Physiologie. Liquor dient dem mechanischen Schutz
des Gehirns vor Stößen, ermöglicht den Ausgleich von Druckunterschieden und den Transport von wasserlöslichen Substanzen. Täglich werden ca. 500 ml Liquor im Plexus choroideus (vorwiegend in den Seitenventrikeln) produziert. Ca. 150 ml Liquor zirkulieren im inneren und äußeren Liquorsystem, zwischen den Seitenventrikeln, dem 3. Ventrikel, dem Aquaeductus cerebri und dem 4. Ventrikel über die basalen Zisternen in das Cavum subarachnoidale. Von den Pacchioni-Granulationen (Granulationes arachnoidales) wird der Liquor resorbiert und über das Venen- und Lymphsystem abtransportiert. > Foramen Luschkae: Apertura lateralis des IV. Ventrikels. Foramen Magendi: Apertura mediana des IV. Ventrikels.
Epidemiologie. Angeborener Hydrozephalus: Häufig-
keit: ca. 3:1 000 Lebendgeburten. Ätiopathogenese.
4 Liquorabflusstörung aufgrund eines mechanischen Verschlusses, z. B. bei Fehlbildungen und Tumoren (Hydrozephalus occlusus). 4 Gesteigerte Liquorproduktion im Plexus choroideus (Hydrozephalus hypersecretorius). 4 Verminderte Liquorresorption, z. B. nach Entzündungen (Hydrozephalus aresorptivus) 4 Angeborener Hydrozephalus (25%): Fehlbildungen, Arnold-Chiari-Malformation, Dandy-WalkerMalformation, Aquäduktstenose, pränatale Toxoplasmose oder Zytomegalie, Atresie der Foraminae Luschkae und Magendii. 4 Erworbener Hydrozephalus: Zustand nach intrakranieller Blutung bei Frühgeborenen, Zustand nach Infektionen, Traumata, bei Tumoren, Plexuspapillomen mit Liquorüberproduktion.
381 17.2 · Infantile Zerebralparese (Morbus Little, cerebral palsy, CP)
Symptomatik.
4 Säuglinge: 5 Zunahme des Kopfumfangs (Abweichen von der physiologischen Perzentilenentwicklung) 5 Dünne Kopfhaut mit betonter Venenzeichnung 5 Gespannte Fontanelle, klaffende Schädelnähte 5 »Balkonstirn«, »frontal bossing«: vorgewölbte Stirn 5 »Sonnenuntergangsphänomen«: Bulbusverdrängung nach unten und sichtbare Sklera über der Iris 5 Optikusatrophie, Strabismus 5 Allgemein: Trinkschwäche, Erbrechen, Berührungsempfindlichkeit, schrilles Schreien, statomotorische Entwicklungsverzögerung 4 Ältere Kinder: Hirndrucksymptomatik: 5 Kopfschmerzen, Nüchternerbrechen, Verhaltensänderung 5 Sprengung der Schädelnähte 5 Stauungspapille, zunehmende Mydriasis 5 Progrediente Bewusstseinstrübung 5 Hirnnervenausfälle (Abduzensparese) 4 Später: 5 Blasenentleerungsstörungen 5 Gangstörungen 5 Psychoorganische Veränderungen ! Einklemmungssyndrome: Bei einem intrakraniellen Druckanstieg, der nicht ausgeglichen werden kann, kommt es zu einer Verlagerung bzw. Einklemmung des Mittelhirns in den Tentoriumschlitz (obere Einklemmung) oder zu einer Verlagerung bzw. Einklemmung der Medulla oblongata in das Foramen occipitale magnum (untere Einklemmung) mit den Leitsymptomen: Bewusstseinsstörung, verminderte Reaktion auf Schmerzreize, Störung der Pupillomotorik, weite lichtstarre Pupillen und Beugeoder Strecksynergien. Ein Einklemmungssyndrom ist lebensbedrohlich, es kann zu irreversiblem Verlust von Großhirn- und Hirnstammfunktionen kommen (Medulla oblongata mit Atem- und Kreislaufzentren).
Diagnostik.
4 Regelmäßige Messung des Kopfumfangs (Perzentilen) 4 Bildgebung: 5 Schädelsonographie: erweiterte Liquorräume, ggf. transtemporale Schädelsonographie 5 CT/MRT Schädel: Darstellung der Morphologie, Hinweise auf intrauterine Infektionen (z. B. Verkalkungen)? 4 Ophthalmologische Untersuchung: Stauungspapille? (erst nach Fontanellenschluss)
17
Therapie. Hydrocephalus occlusivus und malresorptivus: 4 Chirurgische Shuntanlage, bestehend aus einem Katheter und einem druckgesteuertem Ventil (verhindert den Rückfluss); der Liquor wird von den Seitenventrikeln ins Peritoneum (ventrikuloperitonealer Shunt, VP-Shunt) geleitet, in Ausnahmefällen in den rechten Vorhof (ventrikuloatrialer Shunt). 4 Regelmäßige Kontrollen der Shuntfunktion erforderlich, ggfs. Shuntrevisionen bei Kathetherobstruktion oder –diskonnektion, Infektionen, Thrombosen oder Ventildysfunktion. Prognose. Bei frühzeitiger chirurgischer Intervention günstig, dennoch bestehen neben dem Hydrozephalus häufig weitere Behinderungen; postoperativ ist in 25% der Fälle eine Shunt-Revision notwendig.
17.2
Infantile Zerebralparese (Morbus Little, cerebral palsy, CP)
Definition. Nicht progredienter, frühkindlicher Hirnschaden mit Störung der motorischen, der geistigen und der neuropsychologischen Entwicklung. Häufig assoziiertes Anfallsleiden. Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 1–2:1 000 Lebendge-
burten; sehr unreife Frühgeborenen <1 500 g GG haben ein 40-fach erhöhtes Risiko. Ätiopathogenese.
4 Pränatale Schäden: Anlagestörungen, zentrale Gefäßverschlüsse, Schwangerschaftskomplikationen 4 Perinatale Schäden: Hypoxie, Frühgeburtlichkeit, geburtstraumatische Schäden, Blutungen, Infektionen Symptomatik. Variable Symptomatik, häufig besteht
ein Mischbild: 4 Spastik: erhöhter Muskeltonus durch Schädigung im Verlauf des 1. Motorneurons. Häufig betroffen sind die Streck- und Adduktorenmuskulatur der unteren Extremität und die Beugemuskulatur der oberen Extremität; die Muskeleigenreflexe sind gesteigert, die Pyramidenbahnzeichen positiv, im Verlauf entwickeln sich Kontrakturen. 4 Dyskinesien: ständig wechselnder Muskeltonus der Agonisten und Antagonisten mit abnormen, unwillkürlichen Bewegungen, die nur im Schlaf sistieren. 4 Dystonie: langsame, wurmartige Bewegungen der Extremitäten und Körperachse
382
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
. Tab. 17.3. Beispiele infantiler Zerebralparesen
17
Klinik
Ätiologie
Besonderheit
Spastische Hemiparese
Parese betrifft nur eine Körperseite
Umschriebene Marklager- oder Hirnrindenläsion, häufig durch pränatale Gefäßverschlüsse verursacht, z. B. Verschluss der A. cerebri media oder im Rahmen von Fehlbildungen
Lähmung und Atrophie der betroffenen Extremität, Verkürzung
Spastische Diplegie
Beinbetonte Form der spastischen Tetraparese
Meist bei periventrikulärer Leukomalazie ehemaliger Frühgeborener nach hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie
Beinbetonte, spastische Bewegungstörung, Überkreuzungstendenzen, Spitzfußhaltung
Spastische Tetraparese
Alle 4 Extremitäten sind betroffen
Schwere, hypoxisch-ischämische oder hämorrhagische Läsion des Gehirns
Spastische Bewegungsstörung von Armen und Beinen
Dyskinetische Zerebralparese
Choreatiforme oder athetotische Bewegungsmuster
Neonatale Asphyxie (v. a. im Bereich der Basalganglien), Kernikterus
Ständige Beuge- und Streckbewegungen, Dysarthrie, orale Automatismen, häufig relativ gute geistige Fähigkeiten
Ataktische Zerebralparese
Ataxie, Intentionstremor, Nystagmus
Blutung, Trauma, Hypoxie
Nichtklassifizierbare Zerebralparese
Häufig
4 Athetose: wurmartige Bewegungen der Extremitäten 4 Chorea: schnelle, ruckartige Bewegungen von Rumpf und Extremitäten 4 Ataxie: gestörte Koordination von Bewegungsabläufen, Assynergie, Dysdiadochokinese, Dysmetrie, Gangstörung, überschießende Bewegungen 4 Je nach Lokalisation der Schädigung: Tetraplegie, Hemiplegie, Diplegie, Monoplegie (. Tab. 17.3) 4 Neuropsychologische Defizite, Verhaltensstörungen, Krampfanfälle 4 Frühsymptome bei CP im Neugeborenenalter: 5 Hypotoner Muskeltonus, Fäusteln, Überkreuzen der Extremitäten, Opisthotonus 5 Persistierende Neugeborenenreflexe 5 Reflex- oder Tonusasymmetrie 5 Muskelkloni, gesteigertes Reflexniveau > Pyramidenbahnzeichen sind pathologische Fremdreflexe, die bei einer Läsion zentraler motorischer Neurone in Gehirn und Rückenmark auftreten. Die pathologische Reflexantwort besteht in einer tonischen Dorsalextension der Großzehe, hervorrufbar je nach Reflex durch: 4 Babinski: Bestreichen der lateralen Fußsohle mit einem spitzen Gegenstand 6
Mischformen aus o. g. Elementen
4 Oppenheim: kräftiges Herabstreifen an der Tibia mit Daumen und Zeigefinger 4 Gordon: Kompression der Wadenmuskulatur 4 Chaddock: Bestreichen des lateralen Fußrandes von dorsal > Eine Progredienz der Symptome spricht gegen eine infantile Zerebralparese. Insbesondere bei der ataktischen Zerebralparese sind zerebelläre Raumforderungen, neurodegenerative (z. B. Heredoataxien) und neurometabolische Erkrankungen und genetische Syndrome (z. B. Angelman-Syndrom) auszuschließen.
Diagnostik.
4 Anamnese: Schwangerschaft, Geburt 4 Symptomatik, entwicklungsneurologische Verlaufsuntersuchungen 4 Bildgebung: Sonographie Schädel, MRT/CT: morphologische Auffälligkeiten, Ventrikelgröße, Verkalkungen etc. 4 EEG: unspezifische Veränderungen, hypersynchrone Aktivität 4 Seh- und Hörtests 4 Ausschluss anderer Erkrankungen: Gerinnungsdiagnostik, v. a. bei Infarkten, ggf. Chromosomenanalyse, Stoffwechseluntersuchungen
383 17.3 · Neurometabolische Erkrankungen
Differenzialdiagnostik.
4 4 4 4
Neuromuskuläre Erkrankungen Neurometabolische Erkrankungen Gehirntumoren Myelopathien: Dysraphien, Tethered cord (7 Kap. 17.1.2) 4 Genetische Syndrome Therapie.
4 Betreuung in sozialpädiatrischen Zentren 4 Physiotherapie, Logopäde, Ergotherapie, Frühförderung, Heilpädagogik 4 Orthopädische Hilfsmittel, ggf. operatives Lösen von Kontrakturen 4 Medikamentöse Therapie: 5 Bei Spastik: Botulinumtoxin als Injektion in die betroffene Muskelgruppe, Baclofen p. o. oder ultima ratio intrathekal oder subkutan appliziert mittels Pumpe. 5 Bei Krampfanfällen antikonvulsive Therapie. Sonderform. Minimale zerebrale Dysfunktion: diskrete neurologische Symptome im Sinne einer frühkindlichen Hirnschädigung bei auffälliger Schwangerschafts- oder Geburtsanamnese: verzögerte Entwicklung, u. a. im schulischen Bereich, Verhaltensauffälligkeiten: Langsamkeit, Reizüberempfindlichkeit, Impulsivität, Affektlabilität, Distanzstörung, Hypermotorik, Ängstlichkeit oder auffallende Angstfreiheit, grob- oder feinmotorische Ungeschicklichkeit (»clumsiness«).
17.3
Neurometabolische Erkrankungen
Definition. Angeborene Stoffwechselstörungen mit Be-
teiligung des ZNS und den Leitsymptomen: psychomotorische Entwicklungsverzögerung, Verlust bereits erworbener Fähigkeiten, zerebrale Krampfanfälle, Muskelschwäche und Bewusstseinsstörungen. Neurometabolische Erkrankungen werden nach der subzellulären Lokalisation des Stoffwechseldefekts eingeteilt. Defekte können im Zytoplasma oder in den Zellorganellen vorkommen, z. B. in den Lysosomen, Mitochondrien, Peroxisomen, im Golgi-Apparat oder dem endoplasmatischen Retikulum. Epidemiologie.
4 Inzidenz: 1:2 000 bis 1:500 000 4 Große ethnische Unterschiede in der Häufigkeit: z. B. Tay-Sachs bei Ashkenazi-Juden: 1:2 000, bei der übrigen Bevölkerung: 1:250 000
17
17.3.1 Lysosomale Erkrankungen Physiologie. In den Lysosomen werden eine Vielzahl
unterschiedlicher biochemischer Sustanzen abgebaut, sie sind die »Entsorgungsknotenpunkte« der Zelle. Beispiele lysosomaler Erkrankungen
4 4 4 4 4 4
Morbus Tay-Sachs, 7 Kap. 5 Morbus Niemann-Pick, 7 Kap. 5 Mukopolysaccharidosen, 7 Kap. 5 Zystinosen, 7 Kap. 5 Morbus Krabbe, 7 Kap. 5 Metachromatische Leukodystrophie, 7 Kap. 5
17.3.2 Mitochondriale Erkrankungen Physiologie. Mitochondrien sind die »Kraftwerke« der Zelle, die ATP zur Verfügung stellen. In der mitochondrialen Matrix werden durch die β-Oxidation von Fettsäuren und durch den Pyruvatabbau über den Citratzyklus Energieträgersubstanzen wie NADH erzeugt, die anschließend durch die Atmungskette in der inneren mitochondrialen Membran in ATP umgewandelt werden. Mitochondriale Erkrankungen enstehen bei Störungen der Atmungskette, des Pyruvatmetabolismus, des Citratzyklus oder der Fettsäureoxidation.
Atmungskettendefekte Definition. Autosomal-rezessiv oder mitochondrial vererbte Störungen einer der 5 Proteinkomplexe der Atmungskette. Symptomatik.
4 Rasche Ermüdbarkeit 4 Rückschritte in der motorischen Entwicklung, psychomotorische Retardierung 4 Generalisierte Muskelhypotonie, zunehmende Muskelatrophie, Spastik 4 Sehstörungen, Ptosis 4 Plötzliche Bewusstseinsstörung, Erbrechen, v. a. im Rahmen kataboler Stoffwechselsituationen 4 Plötzliche Krisen mit akuter Verschlechterung der neurologischen Funktionen Diagnostik.
4 Klinisches Bild 4 Labor: Laktazidose (nicht obligat), Molekulargenetik (nukleäres und mitochondriales Genom) 4 Muskel-/Hautbiopsie: histopathologische und funktionelle Untersuchungen der Atmungskette in Muskelgewebe oder Fibroblasten
384
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
Therapie/Prognose.
4 Symptomatisch, bei schwerer Laktazidose Pufferung 4 Ggf. Carnitin, Riboflavin, Thiamin, Vitamin-Koder Coenzym-Q-Substitution 4 Schubweiser, progredienter Verlauf Pyruvatdehydrogenasemangel Definition. Autosomal-rezessiv vererbter Mangel der Pyruvatdehydrogenase.
. Tab. 17.4. Andere peroxisomale Erkrankungen Erkrankung
Symptomatik
Rhizomelia chondrodysplasia punctata
Proximal verkürzte Extremitäten, faziale Dysmorphien, Kleinwuchs, Mikrozephalie, Katarakt, Ichthyose
X-chromosomal vererbte Adrenoleukodystrophie
Demyelinisierung des ZNS, Krampfanfälle, spastische Tetraparese, Demenz, periphere Neuropathie, Nebenniereninsuffizienz, Infertilität, häufig erst >3.–10. Lebensjahr symptomatisch
Morbus Refsum
7 Kap. 5
Symptomatik. Schwere neurologische Symptomatik
bereits im Neugeborenenalter: Entwicklungsverzögerung, Krampfanfälle, muskuläre Hypotonie, Koma. Diagnostik. Labor: schwere Laktazidose; Molekular-
genetik; Hautbiopsie: Nachweis des Enzymmangels in den Fibroblasten Therapie/Prognose. Symptomatisch, Tod im 1. Lebens-
Tod im 1. Lebensjahr.
jahr.
17.3.4 Störungen des Purin- und
17.3.3 Peroxisomale Erkrankungen
Definition. Autosomal-rezessiv oder X-chromosomal vererbte Erkrankungen mit Störungen in der Synthese oder im Abbau von Purin- und Pyrimidinnukleotiden.
Definition. Meist autosomal-rezessiv vererbte Erkran-
kungen mit ausbleibender oder mangelnder Bildung von Peroxisomen oder Defekten einzelner peroxisomaler Stoffwechselwege. Wichtige peroxisomale Funktionen sind die β-Oxidation von überlangkettigen Fettsäuren, der Abbau von Wasserstoffperoxyden und die Bildung von Gallensäuren.
17
Therapie/Prognose. Symptomatische Therapie; meist
Pyrimidinstoffwechsels
Beispiele.
Zellweger-Syndrom (zerebrohepatorenales Syndrom) Definition. Autosomal-rezessiv vererbte, schwere Störung der peroxisomalen Synthese.
4 Lesch-Nyhan-Syndrom: Autoaggressivität, psychomotorische Retardierung, neurologische Symptomatik, Epilepsie, Nephrolithiasis, Gicht 4 Adenosin-Desaminase (ADA)-Mangel: V. a. Immundefekt, progrediente neurologische Symptomatik 4 Xanthinurie: Nephrolithiasis, Arthropathie 4 Hereditäre Orotazidurie: Megaloblastäre Anämie, Gedeihstörung, psychomotische Retardierung
Symptomatik.
Therapie. Symptomatisch: z. T. purinarme Diät, Allo-
4 Typische Fazies: flache, hohe Stirn, tiefe Nasenwurzel, Hypertelorismus (breiter Augenabstand), Epikanthus, mongoloide Lidachse, Mikrognathie 4 ZNS: Trinkschwäche, Muskelhypotonie (floppy infant), psychomotorische Retardierung, Krampfanfälle 4 Sonstiges: Gedeihstörung, Zystennieren, Hepatopathie
purinol.
Diagnostik.
4 Labor: überlangkettige Fettsäuren ↑ und Plasmalogene ↑ 4 Molekulargenetik, Pränataldiagnostik
17.3.5 Erkrankungen des Golgi-Apparats Physiologie. Im Golgi-Apparat und im endoplasma-
tischen Retikulum werden viele Strukturproteine, Enzyme und Hormone glykosyliert. Eine gestörte Glykosylierung kann die Proteinfunktion beeinflussen und zu schweren Erkrankungen führen. Congenital Disorders of Glykosylation (CDG-Syndrome) Definition. Angeborene Störungen der N-Glykosylierung, der Anheftung eines Oligosaccharids an Proteine
385 17.4 · Neuromuskuläre Erkrankungen
während der Translation im rauen endoplasmatischen Retikulum. Symptomatik. Manifestation bereits im Säuglingsalter:
4 Schwere Infekte, Gedeihstörung 4 Leberveränderungen, Blutungsneigung 4 Muskuläre Hypotonie, psychomotorische Retardierung, Krampfanfälle 4 Invertierte Mamillen 4 Auffällige Fettverteilung Diagnostik. Labor: Nachweis eines abnormen Glyko-
sylierungsmusters des Ferritins in der Transferrinelektrophorese, Mutationsanalyse; Pränataldiagnostik Therapie. Symptomatisch. > Erkrankungen mit unbekanntem Defekt: Viele angeborene neurologische Erkrankungen konnten bisher keinem spezifischen Fehler im Stoffwechselnetzwerk zugeordnet werden, obwohl das klinische Bild und der histopathologische Befund auf einen Stoffwechseldefekt hinweisen. Insgesamt können nur 50% aller psychomotorischen Entwicklungsverzögerungen einer definierten Erkrankung zugeordnet werden.
17.3.6 Leukodystrophien 7 Kap. 5.
17.4
Neuromuskuläre Erkrankungen
4 Muskeldystrophien – X-chromosomal-rezessiv vererbt: – Muskeldystrophie Duchenne – Muskeldystrophie Becker-Kiener – Muskeldystrophie Emery-Dreifuss – Autosomal-rezessiv vererbt: – Muskeldystrophie vom Gliedergürteltyp, distaler und kongenitaler Typ – Autosomal-dominant vererbt: – Fazio-skapulo-humerale Muskeldystrophie – Skapulo-humerale Muskeldystrophie – Okuläre Muskeldystrophie – Okulopharyngeale Muskeldystrophie – Myopathia tarda hereditaria (Welander) 6
17
4 Myotone Syndrome – Myotonia congenita Thompson – Myotonia congenita Becker – Paramyotonia Eulenburg – Myotone Dystrophie Curschmann-Steinert (DM1, DM2) 4 Periodische dyskaliämische Lähmungen – Hypokaliämische Lähmung – Hyperkaliämische Lähmung – Normokaliämische Lähmung 4 Funktionelle Myopathien – Myasthenia gravis – Kongenitale Myasthenie – Myasthenia Lambert-Eaton 4 Entzündliche Myopathien – Polymyositis – Dermatomyositis – Im Rahmen von Systemerkrankungen, z. B. Kollagenosen – Selten: infektiös bedingt, z. B. bei Trichinose 4 Andere Myopathien – Endokrine Myopathien – Morbus Cushing – Morbus Addison – Hypo-/Hyperthyreose – Hyperparathyreoidismus – Metabolische Myopathien – Bei Kohlenhydratstoffwechselstörungen: Glykogenose Typ 2 (Morbus Pompe), Glykogenose Typ 5 (Morbus Mc Ardle) – Mitochondriale Myopathien – Exogen-toxische Myopathien – Alkoholbedingt – Durch Medikamente bedingt, z. B. Statine, Resorchin – Maligne Hyperthermie – Angeborene Myopathien
17.4.1 Muskeldystrophien Definition. Erkrankungen mit fortschreitender Degeneration von Muskelfasern und den Leitsymptomen progrediente Muskelschwäche und -atrophie. Es gibt verschiedene Formen (. Tab. 17.5). Epidemiologie. Häufigkeit: 5–10:100 000. Symptomatik.
4 Atrophie und Schwäche der Muskulatur 4 Gnomwaden: Pseudohypertrophie der Waden, degeneriertes Muskelgewebe wird durch Fett- und
386
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
. Tab. 17.5. Formen und Erbgang verschiedener Muskeldystrophien X-chromosomal-rezessiv
Autosomal-rezessiv
Autosomal-dominant
Typ Duchenne (maligner Beckengürtel Typ)
Gliedergürteltyp (LMGD »limb girde muscular dystrophy«, distaler und kongenitaler Typ)
Fazioskapulohumerale Form
Typ Becker-Kiener (benigner Beckengürtel Typ)
Myopathia distalis juvenilis hereditaria
Okuläre Form
Typ Emery-Dreifuss (humeroperonealer Typ)
Kongenitale maligne Myskeldystrophie
Okulopharyngeale Form Myopathia distalis tarda hereditaria (Welander) Gliedergürtel-Typ
4 4 4 4 4 4 4
Bindegewebe ersetzt (klassisch bei Muskeldystrophie Duchenne). Gowers-Manöver: beim Aufrichten aus der Hockstellung werden die Hände auf den Oberschenkeln abgestützt. Watschelgang Scapulae alatae: »lose« Schultern aufgrund einer Muskelschwäche im Schultergürtelbereich Mimische Schwäche: unvollständiger Lidschluss, periorale Schwäche Kontrakturen: v. a. bei kongenitaler Muskeldystrophie Skelettdeformitäten: Spitzfuß, Skoliose Kardiale Beteiligung
! Leitsymptome bei Muskeldystrophie sind Muskelschwäche und -atrophie, es bestehen keine Sensibilitätsstörungen.
X-chromosomal-rezessive Muskeldystrophien Muskeldystophie Duchenne (DMD) und BeckerMuskeldystrophie (BMD) Definition.
17
4 Muskeldystrophie Typ Duchenne: schwerste und häufigste Form der Muskeldystrophie 4 Muskeldystrophie Typ Becker-Kiener: mildere Form der Muskeldystrophie, ca. 10% der X-chromosomal-rezessiv vererbten Muskeldystrophien 4 Muskeldystrophie Typ Emery-Dreifuss: skapulohumerale und peroneale Muskelschwäche Ätiopathogenese. Bei Morbus Duchenne und Morbus Becker-Kiener (so genannte »Dystrophinopathien«) liegt eine Mutation im Dystrophin-Gen auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms vor. Es kommt zu einem Mangel oder einem Defekt des Proteins »Dystrophin«, einem Protein aus der Spectrin-Familie aus dem Sarkolem der Muskelfasermembran.
Das Fehlen von Dystrophin führt zu einer verstärkten Membrandurchlässigkeit mit Einstrom schädlicher Substanzen in den Muskel und Zelluntergang. Das Muskelenzym Kreatinkinase (CK) wird vermehrt freigesetzt und ist in hohen Konzentrationen im Blut nachweisbar. Aufgrund des X-chromosomalen Erbgangs sind die meisten Patienten männlich (in seltenen Fällen können durch ungleiche X-Inaktivierung auch weibliche Patienten betroffen sein). Morbus Duchenne: vollständiges Fehlen von Dystrophin; Morbus Becker-Kiener: partiell funktionstüchtiges Dystrophin, mildere Klinik. Epidemiologie. Häufigkeit: Morbus Duchenne: 1: 3 500
neugeborener Jungen, Morbus Becker-Kiener: 1: 17 000 neugeborener Jungen. Symptomatik. Muskeldystrophie Duchenne (Symptombeginn meist vor dem 3. Lebensjahr): 4 Proximal betonte, muskuläre Atrophie, v. a. im Bereich des Beckengürtels 4 Aufsteigende Muskelatrophie, Scapulae alatae 4 Kompensatorisch zur schwachen Beckenbodenmuskulatur Hyperlordose der LWS (. Abb. 17.1) 4 Verzögertes Laufen lernen, Watschelgang, Schwierigkeiten beim Aufstehen und Treppen steigen 4 Pseudohypertrophie der Wadenmuskulatur, Gnomenwaden, Wespentaille 4 Abgeschwächter Patellarsehnenreflex bei weitgehend erhaltenem Achillessehnenreflex 4 Gehunfähigkeit ca. im 9.–12. Lebensjahr, Lebenserwartung auf 20–30 Jahre begrenzt 4 Kardiomyopathie, progrediente Ateminsuffizienz, rezidivierende pulmonale Infektionen 4 z. T. leichte Intelligenzminderung (in 30%) 4 z. T. NNR-Insuffizienz, Hypogonadismus
387 17.4 · Neuromuskuläre Erkrankungen
17
Therapie.
4 Symptomatisch: 5 Physiotherapie, Atemübungen 5 Konservative und operative orthopädische Maßnahmen 5 Prednison p. o. verzögert bei Morbus Duchenne die Gehunfähigkeit um ca. 1–3 Jahre 5 Bei nächtlicher Hypoventilation: assistierte nächtliche Maskenbeatmung 4 Genetische Beratung: Die Mutter eines DuchenneJungen, die nachgewiesene Überträgerin ist, hat ein 50%iges Risiko, einen weiteren Jungen mit Morbus Duchenne oder ein Mädchen, das Konduktorin ist, zu bekommen. Bei Konduktorinnen, die meist asymptomatisch sind, lassen sich in der Kindheit häufig CK-Erhöhungen nachweisen.
. Abb. 17.1. Hyperlordose bei Muskeldystrophie Duchenne
Becker-Kiener-Muskeldystrophie (Symptombeginn im 4.–24. Lebensjahr): 4 Schwäche v. a. im Bereich des Beckengürtels, Watschelgang, aufsteigende Muskelschwäche bis zum Schultergürtel, häufig asymmetrisch. 4 Langsamere Progredienz, Gehunfähigkeit im 15.– 30. Lebensjahr 4 Kardiomyopathie 4 Evtl. geistige Retardierung Diagnostik.
4 Klinisches Bild: typische Symptomatik (s. oben) 4 Labor: CK ↑↑ >1 000 U/l (im Krankheitsverlauf nehmen die CK-Werte bei schwindender Muskelmasse ab), Transaminasen ↑, γ-GT normal, Molekulargenetik 4 Muskelbiopsie: Kaliberschwankungen der Muskelfasern, zentrale Lokalisation der Kerne, immunzytochemischer Nachweis des Dystrophin-Mangels 4 EMG: myopathisches Muster: vermehrte Polyphasien, verkürzte Potenziale, verminderte Amplitude bei maximaler Innervation 4 EKG, Echokardiographie: zum Ausschluss einer Kardiomyopathie 4 Pränataldiagnostik ! Patienten mit Muskeldystrophie haben ein erhöhtes Narkoserisiko. Es besteht die Gefahr der Entwicklung einer malignen Hyperthermie, 7 Kap. 17.4.2.
Komplikationen. Progrediente Schwäche der Atemmuskulatur, rezidivierende pulmonale Infektionen, Kardiomyopathie und Herzinsuffizienz.
Autosomal-rezessiv vererbte Muskeldystrophien Gliedergürtelmuskeldystrophie (LGMD) Definition. Paresen und Atrophie der Becken- und Oberschenkelmuskulatur. Manifestation im Kindesoder erst im Erwachsenenalter. Die Symptomatik ist langsam progredient. Kongenitale Muskeldystrophie (CMD) Definition. Gruppe von Muskeldystrophien mit ausgeprägter Muskelhypotonie bereits in den ersten Lebenstagen. Präsentation als »floppy infant«, häufig Mitbeteiligung des ZNS. In ca. 50% liegt ein Merosinmangel vor. Beispiele sind Merosinopathie, Fukyama-CMD, Walker-Warburg-Syndrom (WWS) und die Muscle-EyeBrain-Erkrankung (MEBD). Autosomal-dominant vererbte Muskeldystrophien Fazioskapulohumerale Muskeldystrophie Definition. Muskeldystrophie mit den Leitsymptomen: Fazies myopathica (offen stehender Mund, Pfeiffen nicht möglich) und Scapula alata. Manifestation im Kindes- oder Erwachsenenalter mit Paresen und Atrophie im Bereich der Gesichts-, Schulter- und Oberarmmuskulatur. 17.4.2 Myotone Syndrome Definition. Myotonie: verstärkte, anhaltende Muskel-
kontraktion und verzögerte Muskelrelaxation nach Willkürinnervation.
388
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
Symptomatik. Leitsymptome aller myotonen Syn-
Symptomatik.
drome (s. unten): 4 Verzögerte Öffnung der Hand nach willkürlichem Faustschluss 4 Ausbildung eines Muskelwulsts bei Beklopfen des Thenars oder der Zunge 4 Warm-up-Phänomen: Besserung der Symptomatik nach häufiger Wiederholung der Tätigkeit
4 Beginn zwischen dem 3. und 30. Lebensjahr 4 Myotonie, zunächst der Beine, später auch der Hände oder der Kaumuskulatur, periodische Muskelschwäche 4 Muskelhyertrophie der unteren Extremität: athletischer Habitus
! Bei Patienten mit Myotonie besteht ein deutlich erhöhtes Narkoserisiko mit der Gefahr der Entwicklung einer malignen Hyperthermie. Kontraindiziert sind daher depolarisierende Pharmaka wie Succinylcholin (Muskelrelaxans) und Cholinesteraseinhibitoren (Prostigmin/Neostigmin).
Myotonia congenita Thomsen Definition/Ätiologie. Autosomal-dominant vererbte Myotonie aufgrund eines Defekts der Chloridkanäle der Muskulatur (Mutation des Chloridkanals CLC-1 auf Chromosom 7), mit veränderter Leitfähigkeit des Sarkolems und Membraninstabilität. Epidemiologie. Inzidenz: 1:50 000 (Myotonia congeni-
ta Thomsen und Myotonia Becker). Symptomatik. Manifestation im Säuglingsalter oder im frühen Kindesalter: 4 Myotone Steifigkeit 5 der Beine: verzögerte motorische Entwicklung, verzögertes Laufenlernen 5 der Augenmuskulatur: bei Blickwendung nach unten bleibt die Sklera sichtbar, da sich das Oberlid verzögert senkt (»Lid lag«, Graefe-Zeichen) 5 der Kau- und Schluckmuskulatur: Kau- und Schluckstörungen 4 Athletischer Habitus durch generalisierte Muskelhypertrophie (v. a. von Rumpf und Waden) ! Bei Myotonie besteht keine Muskelatrophie, sondern eine Muskelhypertrophie mit athletischem Habitus.
17
Paramyotonia congenita Eulenburg Definition. Autosomal-dominant vererbte Myotonie aufgrund eines Defekts der Natriumkanäle der Muskulatur. V. a. nach Kälteexposition kommt es zu schlaffen Lämungen und Muskelsteifheit. Nach dem Waschen des Gesichts mit kaltem Wasser können z. B. die Augen nicht mehr geöffnet werden. ! Bei Paramyotonia congenita Eulenburg besteht kein Warm-up-Phänomen, sie wird daher auch als paradoxe Myotonie bezeichnet.
Therapie.
4 Meist keine Therapie erforderlich; die Patienten lernen, mit der myotonen Symptomatik umzugehen, z. B. durch Vermeidung von Kälteexposition oder durch warm-up. 4 Evtl. medikamentöse Therapie mit Membranstabilisatoren (z. B. Mexiletin) oder Carbamazepin. 4 Bei Paramyotonia congenita Eulenburg: Mexiletin v. a. vor Kälteexposition. Prognose.
4 Myotonia Becker: leichte Progredienz möglich 4 Myotonia Thomsen und Paramyotonia Eulenburg: Symptomatik meist diskret, keine Progredienz Myotone Dystrophie Curschmann-Steinert Definition. Autosomal-dominant vererbte Muskelerkrankung mit Muskeldystrophie, myotoner Symptomatik und Organbeteiligung u. a. von Herz, Lunge und Hormonsystem (. Tab. 17.6).
Diagnostik.
Epidemiologie. Häufigkeit: kongenitale Form: 1:3 000,
4 Klinische Zeichen der Myotonie (s. o.) 4 EMG: nach Nadelstich oder Beklopfen der Muskulatur: myotone Entladungsserien von Muskelpotentialen (»Sturzkampfbombergeräusch«, »myotone runs«) 4 Mutationsanalyse
late-onset Form: 1:8 000.
Myotonia congenita Becker Definition. Autosomal-rezessiv vererbte Myotonie aufgrund eines Defekts der Chloridkanäle der Skelettmuskulatur.
. Tab. 17.6. Formen der Myotonen Dystrophie (DM) Form
Subtypen/Manifestationsalter
DM 1
Intrauterin letale Form Kongenitale Form Manifestation in der Kindheit Manifestation im Jugendalter Late-onset-Form oder asymptomatische Form
DM2
PROMM (proximale myotone Myopathie)
389 17.4 · Neuromuskuläre Erkrankungen
Ätiopathogenese.
4 Es besteht eine Trinukleotidexpansion (CTG) auf dem für die Myotoninkinase kodierenden Gen (DMPK-Gen) auf Chromosom 19. Bei Gesunden liegen ca. 5–27 »CTG-repeats« vor, bei Patienten 50 bis zu mehrere 1 000 CTG-repeats; je länger die Trinukleotidexpansion, desto ausgeprägter die Klinik. 4 Die Länge der Trinukleotidexpansion nimmt von Generation zu Generation zu (Antizipation). 4 Übertragung v. a. durch maternale Vererbung (Mütter weisen z. T. eine diskrete Symptomatik auf, die häufig unerkannt bleibt).
17
4 Systemische Manifestation: 5 Herz: Reizleitungsstörungen, Gefahr des plötzlichen Herztodes 5 Lunge: peripartale Ateminsuffizienz, rezidivierende Aspirationen, Hypoventilation, Tagesschläfrigkeit 5 Endokrinologisch: Gonadeninsuffizienz, Hodenatrophie, Schwangerschaftskomplikationen, Insulinresistenz 5 ZNS: mentale Retardierung (kongenitale Form), leichte intellektuelle Beeinträchtigung (adulte Form) 5 Sonstiges: Katarakt, Hörstörung
Symptomatik.
Diagnostik.
Kongenitale Form: 4 Polyhydramnion 4 »Floppy infant« (. Abb. 17.2), Ateminsuffizienz 4 Trinkschwäche, Facies myopathica: zeltförmig offen stehender Mund 4 Fußfehlbildungen: Klumpfuß 4 Psychomotorische Retardierung
4 Familienanamnese: Facies myopathica und »myotoner Händedruck« der Mutter (verzögertes Loslassen) 4 Labor: Molekulargenetik: instabile Expansion von CTG-Triplett-repeats im DMPK-Gen 4 EMG: »Myotone runs« (nicht vor dem 2. Lebensjahr nachweisbar), EMG der Mutter
Kindliche/adulte Form: 4 Atrophie der Mm. sternocleidomastoidei und der Nackenbeuger: Patienten können den Kopf nicht vom Kissen heben. 4 »Steppergang«, »Fallfuß«, aber Gehfähigkeit meist erhalten. 4 Muskelschmerzen 4 Facies myopathica: Stirnglatze, kraniale Hyperostose, eingefallene Schläfen, Masseteratrophie, schlaffe periokuläre/periorbitale Muskeln, leichte Ptosis bds. (DD Myasthenia gravis).
Therapie.
4 Symptomatisch: Physiotherapie, bei Reizleitungsstörungen Herzschrittmacher 4 Medikamentös: Therapieversuch mit Mexiletin (Membranstabilisator) Prognose.
4 Kongenital: schlechte Prognose, v. a. bei länger anhaltender postpartaler Beatmungspflichtigkeit 4 Adult: meist in jungem Alter arbeitsunfähig; Lebenserwartung: 45–50 Jahre 4 Bei leichteren Formen auch symptomfreier Verlauf ! Patienten mit myotoner Dystrophie haben ein deutlich erhöhtes Narkoserisiko.
Periodische, familiäre, dyskaliämische Lähmung Definition. Autosomal-dominant vererbte Erkrankungen mit periodisch auftretenden Lähmungen und begleitender Hypo- oder Hyperkaliämie. Zugrunde liegt ein Defekt der Ionenkanäle der Skelettmuskulatur mit gestörter Membranpermeabilität. Ätiopathogenese.
. Abb. 17.2. Morbus Curschmann-Steinert: »floppy infant«
4 Hypokalämische periodische Lähmung: Mutation des CACNL1A3-Gens (Chromosom 1q32), das den Kalziumkanal der Muskulatur kodiert. 4 Hyperkaliämische periodische Lähmung: Mutation des SCN4A-Gens (Chromosom 17q23), das den Natriumkanal der Muskulatur kodiert.
390
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
Epidemiologie. Häufigkeit:1:100 000; m>w. Symptomatik.
4 Plötzlich auftretende, symmetrische, schlaffe Paresen oder myotone Symptome, v. a. an den proximalen Extremitäten. 4 Spontane Rückbildung innerhalb von Stunden oder Tagen. 4 Hypokaliämische periodische Lähmung: 5 Manifestation in der Regel vor dem 16. Lebensjahr. 5 V. a. nachts und frühmorgens auftretend, Häufigkeit ca. 1–2×/Monat, Dauer: Stunden bis Tage. 5 Plötzlich auftretende, proximal betonte schlaffe Lähmungen, Ausdehnung auf Rumpf- und Halsmuskulatur, evtl. Gangstörung, in schweren Fällen Atemlähmung (z. T. lebensbedrohlich). 5 Trigger: schwere körperliche Aktivität, Kohlenhydrat- und Insulinzufuhr (führt zur Kaliumverschiebung in den Intrazellulärraum), Natriumzufuhr, Antiphlogistika oder Lokalanästhetika. 5 Während der Attacke ist eine Hypokaliämie nachweisbar. 4 Hyperkaliämische periodische Lähmung: 5 Manifestation in der Regel vor dem 10. Lebensjahr. 5 Plötzliche, schlaffe Lähmungen der Extremitäten, Gangstörung, Sprech- und Schluckstörung. 5 Symptomatik meist weniger ausgeprägt als bei der hypokaliämischen Lähmung, es tritt keine Atemlähmung auf. 5 Trigger: schwere körperliche Arbeit, Kälte, kaliumreiche Nahrung, Fasten, Hypoglykämie, Alkoholabusus, emotionaler Stress, Glukokortikoide. 5 Während der Attacke ist eine Hyperkaliämie nachweisbar.
17
Diagnostik.
4 Labor: 5 Hypokaliämische periodische Lähmung: im Anfall: Kalium ↓ auf 2–3 mmol/l (im Intervall normal). 5 Hyperkaliämische periodische Lähmung: im Anfall: Kalium ↑ auf >6 mmol/l (im Intervall normal). 5 Mutationsanalyse des CACNL1A Gens bzw. des SCN4A-Gens
4 EKG: 5 Hypokaliämische periodische Paralyse: QTStrecken-Verlängerung, ST-Strecken-Senkung, U-Welle 5 Hyperkaliämische periodische Paralyse: TZacke vergrößert, QRS-Komplex verbreitert Differenzialdiagnosen. Erbrechen, Diarrhoe, Laxanzienabusus, Anorexia nervosa, pychogene Lähmungen, Thyreotoxikose, Leberzirrhose, NNR-insuffizienz, Conn-Syndrom, Hyperaldosteronismus, Diuretikatherapie. Bei diesen Formen treten die Lähmungen jedoch nicht periodisch auf. Therapie.
4 Hypokaliämische periodische Paralyse: 5 Ungesüßtes Kaliumchlorid p. o. 5 Vermeidung von Triggerfaktoren, z. B. von kohlenhydratreichen Mahlzeiten und körperlicher Belastung 5 Medikamentöse Therapie, z. B mit Acetazolamid 4 Hyperkaliämische periodische Lähmung 5 Im Anfall: Traubenzucker p. o. 5 Kohlenhydrat- und Natrium-reiche Kost empfohlen 5 Vermeidung von Triggerfaktoren: z. B. von kaliumreichen Speisen (Obst und Fruchtsäfte) oder körperlicher Anstrengung 5 Medikamentöse Therapie: versuchsweise Acetazolamid oder Hydrochlorothiazid ! Bei der periodischen, hypokaliämischen Lähmung darf Kalium nicht i. v. appliziert werden, da eine lebensbedrohliche Hyperkaliämie verursacht werden kann.
Prognose.
4 Im Erwachsenenalter abnehmende Frequenz der Anfälle. 4 In 30% progrediente Myopathie. Funktionelle Myopathien Myasthenia gravis Definition/Ätiologie. Autoimmunerkrankung mit pathologisch gesteigerter Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur aufgrund einer gestörten neuromuskulären Übertragung an der postsynaptischen Membran durch zirkulierende Autoimmunantikörper (IgG-Ak) gegen nichtnikotinerge Acetylcholinrezeptoren der muskulären Endplatte.
391 17.4 · Neuromuskuläre Erkrankungen
Epidemiologie.
4 Häufigkeit: 4–10:100 000 Einwohner; w:m=2–4:1; in 3% familiäre Häufung 4 Erkrankungsbeginn meist zwischen 20. und 60. Lebensjahr, in 10% Erkrankungsbeginn im Kindesalter
17
! Eine myasthene Krise ist eine akute, lebensbedrohliche Verschlechterung der Symptomatik mit Ateminsuffizienz. Therapeutisch ist die sofortige Applikation von Neostigmin und Pyridostigmin notwendig, bei ausbleibender Wirkung muss beatmet werden.
Prognose. Symptomatik.
4 Okuläre Myasthenie (auch isoliert vorkommend): Doppelbilder (Frühsymptom), ein- oder beidseitige Ptosis, vertikale Blickparese bei erhaltener Pupillenreaktion 4 Facies myopathica: schlaffe Gesichtszüge, Sprechund Schluckstörungen 4 Allgemeine Muskelschwäche > Die Symptomatik bei Myasthenia gravis ist im Tagesverlauf progredient, sie bessert sich nach Ruhepausen.
Diagnostik.
4 Symptomatik, klinische Untersuchung. 5 Simpson-Test: zunehmende Ptosis bei langem Blick nach oben 5 Rasche Ermüdbarkeit bei wiederholtem Blinzeln, beim Anheben des Kopfs oder beim Vorhalteversuch der Arme oder Beine. 4 Labor: 5 CK normal, in 90% Nachweis von Acetylcholinrezeptor-AK 5 Tensilon-Test: kurzzeitige Besserung der Symptomatik nach Gabe des Cholinesterasehemmers Edrophoniumchlorid i. v. 4 EMG-Ermüdungstest: repetitive Stimulation des Muskels führt zur Amplitudenabnahme des Muskelaktionspotenzials: Dekrement oder myasthene Reaktion. 4 Röntgen-Thorax, ggf. CT-Thorax: Thymushyperplasie, Thymom Therapie.
4 Symptomatisch: regelmäßige Erhohlungspausen, keine starke Belastung 4 Medikamentös: 5 Cholinesteraseinhibitoren (Cave: bei Überdosierung Gefahr der cholinergen Krise) 5 Immunsuppressiva: Steroide (können die Symptomatik initial verschlechtern), Azathioprin, Cyclosporin A 5 Immunglobuline 5 Thymektomie: führt in 75% zu einer partiellen oder vollständigen Rückbildung der Symptome 4 Myasthene Krise: Neostigmin i. v., ggf. Intubation oder Plasmapherese
4 Langsam progrediente Erkrankung, medikamentöse Therapie meist über Jahre notwendig. 4 Thymektomie führt in 75% zu Remission oder Verbesserung der Symptomatik. Sonderform. Neugeborenenmyasthenie: Myasthenie bei Neugeborenen von erkrankten Müttern durch diaplazentare Übertragung von Acetylcholin-Rezeptor-Antikörpern. Unmittelbar postpartal muskuläre Hypotonie, Trinkschwäche, wenig Spontanmotorik, flache Atmung bis hin zu Ateminsuffizienz. Spontanes Sistieren der Symptome nach 4–8 Wochen, Manifestation bei ca. 12% der Neugeborenen erkrankter Mütter. Therapie: vorübergehende Therapie mit Cholinesteraseinhibitoren, ggf. Beatmung, Sondenernährung.
Kongenitale Myasthenien Definition. Genetisch bedingte, autosomal-rezessiv oder -dominant vererbte Störung der Bildung, Freisetzung und der Rezeptorfunktion von Acetylcholin mit gesteigerter Ermüdbarkeit bis hin zu schweren Verlaufsformen mit generalisierter muskulärer Hypotonie; Manifestation postpartal oder in der frühen Kindheit. Therapie. Cholinesteraseinhibitoren (allerdings nicht bei allen Formen wirksam). Maligne Hyperthermie Definition. Narkosezwischenfall bei vorbestehender
Myopathie, vermutlich aufgrund eines Defekts verschiedener Ionenkanäle der Muskulatur: im Rahmen von Inhalationsnarkosen und der Gabe von depolarisierenden Muskelrelaxanzien kommt es zu einer hypermetabolischen Krise mit den Leitsymptomen: Tachykardie, Temperaturanstieg und Muskelsteifigkeit. Epidemiologie. Häufigkeit: 1:12 000 bis 1:15 000 Nar-
kosen. Symptomatik.
4 Tachykardie 4 Temperaturanstieg >42°C 4 Generalisierte Muskelkontraktion, ausgeprägter CK-Anstieg und Rhabdomyolyse mit Myoglobinurie und Nierenversagen 4 Kardial: Herzrhythmusstörungen und reduzierte Auswurfleistung
392
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
Diagnostik.
4 Familienanamnese 4 Labor (in der Krise): CK ↑↑↑ (bis 40 000 U/l), schwere metabolische und respiratorische Azidose, schwere Hyperkalzämie und Hyperkaliämie 4 In-vitro-Testung der Muskulatur auf Triggersubstanzen (Halothan, Succinylcholin, Coffein), bei positiver Familienanamnese vor der Narkose
Symptomatik. . Tab. 17.7. Diagnostik.
4 Sofortige Unterbrechung der Narkose 4 Intensive Kühlung des Patienten, z. B. mit Eiswasser 4 Dantrolen i. v. (reduziert die Kalziumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum), bei Risikopatienten präoperativ
4 Familienanamnese 4 Klinische Untersuchung: erloschene Muskeleigenreflexe, keine Pyramidenbahnzeichen, Faszikulationen 4 Sonographie der Muskulatur: fettige Degeneration 4 EMG: pathologische Spontanaktivität, verminderte, verbreiterte polyphasische Potentiale, Fibrillationen 4 NLG: Normalbefund 4 Muskelbiopsie: neurogene Muskelatrophie, gruppierte Atrophie muskulärer Einheiten 4 Mutationsanalyse: Nachweis der Deletion im SMNGen
Prognose. Letalität 65–70%.
Differenzialdiagnostik.
17.4.3 Erkrankungen der Motoneurone
4 Konnatale Myopathie (keine Faszikulationen, MER positiv) 4 Muskelhypotonie bei CP (keine Faszikulationen) 4 Muskeldystrophie (CK ↑↑) 4 Konnatale Myasthenie
Therapie/Prophylaxe.
Spinale Muskelatrophie Definition. Neurogene Muskelatrophien (. Tab. 17.7) basierend auf der Degeneration des 2. motorischen Neurons (α-Motoneuron) mit Untergang der Vorderhornzellen des Rückenmarks oder der motorischen Hirnnervenkerne (bei Bulbärparalyse). Bei den meisten Patienten mit SMA Typ I–III liegt eine Deletion im Survival-Motor-Neuron-Gen (SMN-)Gen vor.
Therapie. Symptomatisch: nächtliche Maskenbeat-
mung, PEG. > Ziel bei SMA ist, Intubation und Beatmung möglichst herauszuzögern, da meist keine Entwöhnung mehr möglich ist.
. Tab. 17.7. Klassifikation spinaler Muskelatrophien
17
Manifestation
Vererbung
Symptomatik
Verlauf
Typ I (Werdnig-Hoffmann), infantile Form der SMA
Autosomalrezessiv
Beginn in den ersten Lebensmonaten, »floppy infant«, Stillstand der motorischen Entwicklung, typisches aufsteigendes Lähmungsmuster: Schwäche Beine>Rumpf>Arme>Gesicht
Lebenserwartung 1–3 Jahre
Typ II (intermediärer Typ), intermediäre Form der SMA
Autosomalrezessiv
Beginn im 3.–8. Lebensmonat, symmetrische, proximal betonte, atrophische Paresen, das Sitzen wird erlernt, das Gehen nicht, Faszikulationen der Zunge, Tremor der Hände, fehlende MER
Lebenserwartung 2–30 Jahre (75% erreichen das Erwachsenenalter)
Typ III (KugelbergWelander), juvenile Form der SMA
Autosomalrezessiv
Beginn zwischen dem 2.–18. Lebensjahr, symmetrische, proximal betonte, atrophische Paresen, v.a. des Schultergürtels, z. T. verzögertes Laufen lernen, bei Spätmanifestation: Schwierigkeiten beim Treppen steigen, häufiges Hinfallen, Watschelgang
Langsam progredient, Lebenserwartung kaum eingeschränkt
Typ IV (adulte Form)
Autosomalrezessiv
Beginn nach dem 30. Lebensjahr, symmetrische, atrophische Paresen, Schwierigkeiten beim Treppen steigen, häufiges Hinfallen, Watschelgang
Gute Prognose, Lebenserwartung nicht eingeschränkt
393 17.4 · Neuromuskuläre Erkrankungen
Spinale Muskelatrophie Typ I (Werdnig-Hoffmann) Definition. Autosomal-rezessiv vererbte, schwerste Form der spinalen Muskelatrophie aufgrund ausgeprägter Degeneration der α-Motoneurone im Rückenmark. Symptomatik.
4 Beginn in utero: pränatal schwache Kindsbewegungen oder Beginn in den ersten 3 Lebensmonaten. 4 Progrediente, beinbetonte, schlaffe Lähmungen 4 Aufsteigendes Lähmungsmuster: Schwäche Beine> Rumpf>Arme>Gesicht 4 Generalisierte Muskelhypotonie: Spontanbewegung oft nur der Hände 4 »Froschhaltung« (angewinkelte Beine) 4 Muskelatrophie und -faszikulationen: Fibrillieren der Zunge, Polymyoklonien der Finger und Zehen 4 Paradoxe Atmung (»Schaukelatmung«, »Bauchatmung«): der Bauch wölbt sich bei Inspiration vor, der Thorax sinkt ein. 4 Bulbäre Beteiligung: Trinkschwäche, Schluckstörungen, rezidivierende Aspirationen 4 Normale Intelligenz Prognose. Tod in den ersten 2 Lebensjahren.
Poliomyelitis 7 Kap. 7.2.4.
17
. Tab. 17.8. Einteilung der HMSN Typ I Marie Charcot Tooth
Demyelinisierende Polyneuropathie
Typ II Marie Charcot Tooth
Neurogene Muskelatrophie
Typ III Derjerine-Sottas
Demyelinisierende und hypertrophe Neuropathie
Typ IV Refsum-Syndrom
Demyelinisierende Neuropathie
Typ V
Neuropathie mit spastischer Paraparese
Typ VI
Neuropathie mit Optikusatrophie
Typ VII
Neuropathie mit Retinitis pigmentosa
Diagnostik.
4 NLG: die motorische und sensible NLG ist stark verlangsamt. 4 EMG: typisch neurogenes Muster. 4 Nervenbiopsie des N. suralis: Abgrenzung der einzelnen Formen, z. B. Typ 1 und 2: segmentale Demyelinisierung, zwiebelschalartige Schwann-Zellen und Begleitdegeneration. 4 Mutationsanalyse Therapie/Prognose. Symptomatisch; in der Regel lang-
sam progredienter Verlauf. 17.4.4 Erkrankung der peripheren Nerven Hereditäre motorische und sensorische Neuropathien (HMSN) Definition. Genetisch heterogene Gruppe autosomaldominant oder -rezessiv vererbter Polyneuropathien mit sensibler, motorischer und autonomer Symptomatik. Hauptsymptome sind Muskelschwäche und -atrophie (. Tab. 17.8). Epidemiologie. Häufigkeit: 1:10 000. Symptomatik.
4 Beginn im Schulalter. 4 Symmetrische Schwäche und Atrophie der distalen Muskulatur der unteren Extremität, »Storchenbeine«, »Steppergang«. 4 Im Verlauf zusätzlich Sensibilitätsstörungen und autonome Störungen. 4 z. T. verdickte Nervenstränge, die auch palpabel sind. 4 z. T. sekundäre Skelettveränderungen: z. B. Hohlfuß.
Hereditäre sensorisch-autonome Neuropathie (HSAN) Definition. Seltene, autosomal-dominant oder -rezessiv vererbte Polyneuropathie mit Sensibilitätsstörungen und autonome Symptomen, die motorischen Funktionen sind weniger beeinträchtigt. Erworbene Neuropathien Ätiopathogenese. . Tab. 17.9.
Guillain-Barré-Syndrom Synonym. Idiopathische Polyneuritis, akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP), akute Polyneuroradikulitis. Definition. Postinfektiös auftretende, symmetrische, aufsteigende Polyradikuloneuritis mit vorübergehenden motorischen, sensiblen und autonomen Funktionsstörungen. Epidemiologie. Häufigkeit: 0,5–2:100 000 Einwohner;
ca. 25% der Betroffenen sind Kinder.
394
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
. Tab. 17.9. Ätiologie erworbener Neuropathien Ursache
Beispiele
Metabolisch
Morbus Krabbe, X-chromosomal Adrenoleukodystrophie, Porphyrie, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Hyperlipidämien
Nutritiv
Vitamin-B1-Mangel, Vitamin-B12-Mangel (funikuläre Myelose), Vitamin-B6Mangel, Vitamin-B2-Mangel, Folsäuremangel, insbesondere bei Resorptionsstörungen: Zöliakie, Zustand nach Gastrektomie, Ileumresektion
Paraneoplastisch
Myelosen, Plasmozytom,Thymom
Exogen toxisch
Blei, Quecksilber, Arsen, Insektizide, medikamentös bedingt: Isoniazid, Zytostatika, Statine
Rheumatisch
Kollagenosen, Sklerodermie, Lupus erythematodes, Wegener Granulomatose, rheumatoide Arthritis, Sarkoidose, Arteritiden
Infektiös
HIV, Borreliose, Lues
Traumatisch
Nach Unfällen
Ätiopathogenese. Pathogenese ungeklärt. Beginn häu-
fig 1–4 Wochen nach einem akuten respiratorischen oder gastrointestinalen Infekt; häufige Erreger Campylobacter jejuni, Borrelien oder Mykoplasmen. Es kommt zu einer multifokalen, entzündlichen Degeneration der Markscheiden von Rückenmark und peripheren Nerven mit Demyelinisierung bei erhaltenen Axonen. Symptomatik.
17
4 Motorische Symptomatik: 5 Beginn mit Schmerzen und Schwäche in den Beinen. 5 Innerhalb von Stunden bis Tagen aufsteigende, progrediente, symmetrische Paresen der Extremitäten und des Rumpfs bis hin zur Tetraplegie und Atemlähmung. 5 Häufig auch Hirnnervenausfälle, v. a. der Nn. facialis, trigeminus, vagus, accessorius und hypoglossus, Schluckstörung, Augenmuskelparesen. 4 Sensible Symptomatik: 5 Radikuläre Schmerzen, evtl. leichte Sensibilitätsstörungen, Parästhesien 4 Autonome Symptomatik: 5 Störung der Herz-/Kreislauf-, Atem- und Temperaturregulation: hypertone Krisen, Herzrhythmusstörungen, Bradykardie, Asystolie, Blutdruckschwankungen, Miktionsstörungen
4 Maximum der Symptomatik nach 1–4 Wochen 4 Ca. 2–4 Wochen nach Stillstand der Symptomatik beginnt die Rückbildung der Symptome in umgekehrter Reihenfolge, sie kann Wochen bis Monate dauern. ! In 15–20% der Fälle kommt es bei Guillain-BarréSyndrom zur Zwerchfellbeteiligung (Spinalwurzel C4) mit Atemlähmung (Landry-Paralyse).
Diagnostik.
4 Anamnese: vorausgegangener Infekt? 4 Neurologische Untersuchung: abgeschwächte MER, Areflexie 4 Liquorpunktion: 5 Klarer Liquor, normale Glukose 5 Pathognomonisch ist die albumino-zytologische Dissoziation: normale oder nur leicht erhöhte Zellzahl bei deutlich erhöhter Eiweisskonzentration (>50 mg%). 4 NLG: motorische und sensible NLG verlangsamt (Markscheidendegeneration) 4 EMG: ausgeprägte Denervierung > Das klassische diagnostische Merkmal des GuillainBarré-Syndroms ist die albumino-zytologische Dissoziation im Liquor.
Therapie.
4 Hochdosierte Immunglobuline i. v. über 5 Tage. 4 In schweren Fällen Plasmapherese (v. a. bei Erwachsenen). 4 Intensivmedizinische Überwachung: EKG-Monitoring, ggf. Beatmung, Herzschrittmacher, parenterale Ernährung etc. Prognose.
4 Im Kindesalter Restitutio ad integrum in > 80%. 4 Rezidive in 3–10%, Mortalität: 7%. Sonderform.
4 Miller-Fisher-Syndrom: Sonderform des GBS mit den typischen klinischen Merkmalen: Ophthalmoplegie, Schluckstörung, Ataxie und Areflexie. In 95% besteht eine Assoziation mit Gangliosid-Ak gegen Gq1b. 4 Chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIPD): seltenere Form einer demyelinisierenden Polyneuropathie mit ähnlicher Symptomatik, aber fluktuierenderem und protrahierterem Verlauf.
395 17.4 · Neuromuskuläre Erkrankungen
17
Fazialisparese Definition. Zentrale oder periphere Lähmung des VII. Hirnnervs (N. facialis) mit Parese der mimischen Muskulatur im Versorgungsbereich des N. facialis (. Abb. 17.3).
Einteilung der Fazialisparesen 4 Periphere Fazialisparese: Die Läsion liegt im 2. motorischen Neuron oder im peripheren Verlauf des Nervs, alle Fazialisäste sind betroffen. 4 Zentrale Fazialisparese: Die Läsion liegt im 1. motorischen Neuron (Gyrus praecentralis) oder im Verbindungsstrang (Tractus corticonuclearis) zum 2. motorischen Neuron, nicht alle Fazialisäste sind betroffen, das Stirnrunzeln ist aufgrund des Vorhandenseins gekreuzter und ungekreuzter Bahnen noch möglich.
Ätiopathogenese.
4 Periphere Fazialisparese: 5 Idiopathisch (80%) 5 Infektiös, v. a. im Rahmen einer Borrelieninfektion 5 Im Rahmen entzündlicher Prozesse im Bereich des Felsenbeins, z. B. Otitis, Mastoiditis 5 Traumatisch: Geburtstraumata, Zangengeburt, Felsenbeinfrakturen 5 Tumoren: Akustikusneurinom, Hirnstammtumoren 5 Iatrogen: nach Parotisoperationen 4 Zentrale Fazialisparese: 5 Zerebrale Tumoren, Blutungen, Angiome
. Abb. 17.3. Fazialisparese
5 Sensibilitätsstörungen im Bereich des Gehörgangs 4 Zentrale Fazialisparese: Stirnrunzeln und Augenschluss möglich Diagnostik.
4 Anamnese: Trauma, Infekt? 4 Neurologische Untersuchung: 5 Stirnrunzeln, Augen schließen, Mund spitzen, pfeifen, lachen, Tränensekretion vorhanden? 5 Sensibilitätsprüfung hinter dem Ohr und im Gehörgang 4 Lumbalpunktion zm Ausschluss infektiöser Ursachen 4 MRT zum Ausschluss raumfordernder Prozesse 4 HNO-Konsil zum Ausschluss Otitis, Mastoiditis
Symptomatik.
4 Periphere Fazialisparese: 5 Paresen der Gesichtsmuskulatur im Stirn-, Augen- und Mundbereich 5 Stirnrunzeln und Augenschluss sind nicht möglich, beim Augenschluss wird die physiologische Augenrotation nach oben sichtbar (Bell-Phänomen), das Auge bleibt beim Versuch, die Augen zu schließen, offen (Lagophthalmus). 5 Herabhängen der Mundwinkel, Mundschiefstand 5 Geschmackstörung in den vorderen zwei Dritteln der Zunge 5 Hyperakusis durch Funktionsausfall des N. stapedius
Therapie.
4 Symptomatisch: Uhrglasverband, Augensalbe (Gefahr der Entwicklung einer Keratitis bei unvollständigem Augenschluss). 4 Evtl. operative Therapie 4 Ggf. kausale Therapie bei Neuroborreliose oder Herpesinfektion 7 Kap. 7 Prognose. Gute Prognose bei idiopathischer Fazialisparese: in 85% Spontanremission, in 10% bleibt eine leichte Schwäche bestehen.
396
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
17.5
Neurokutane Erkrankungen
17.5.1 Neurofibromatosen Definition. Neurofibromatosen sind neurokutane Syn-
drome aus der Gruppe der Phakomatosen mit neuroekto- und mesodermalen Tumoren und Gefässveränderungen an Haut, ZNS und Auge.
Einteilung der Neurofibromatosen 4 Neurofibromatose Typ I (Morbus von Recklinghausen) 4 Neurofibromatose Typ II 4 Tuberöse Hirnsklerose (Morbus BournevillePringle) 4 Sturge-Weber-Syndrom 4 Von Hippel-Lindau-Erkrankung . Abb. 17.4. Café-au-lait-Flecken bei Neurofibromatose Typ 1
Neurofibromatose Typ I (NF-1) Morbus von Recklinghausen Definition. Autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit den Leitsymptomen: 4 Café au lait-Flecken 4 Neurofibrome 4 Neurinome der peripheren Nerven, der Hirnnerven und der Nervenwurzeln Epidemiologie. Häufigkeit: 1:3 000 bis 1:4 000; m=w.
4 4 4 4
Ätiopathogenese.
4 Mutation des NF1-Gens auf Chromosom 17 (17q11.2), das Genprodukt Neurofibronin ist für die Tumorsuppression relevant 4 In 50% Spontanmutation Symptomatik.
17
4 Haut: 5 Café-au-lait-Flecken: braune, fleckenhafte Hyperpigmentierungen, die in der Anzahl mit dem Alter zunehmen (. Abb. 17.4). 5 Sommersprossenartige Pigmentierung der Achseln und Inguinalregion. 4 Neurofibrome (bestehend aus Schwann-Zellen und Zellen des Epi- und des Perineuriums): multiple breitflächige oder gestielte Fibrome am gesamten Körper. 4 Plexiforme Neurofibrome: von größeren, viszeralen Nervensträngen ausgehende Tumoren, die z. T. benachbarte Organe verdrängen. 4 Neurinome (nur aus Schwann-Zellen bestehend): 5 Multiple auftretende, subkutan tastbare Knoten an peripheren oder zentralen Nerven (z. B.
4
Vestibularisneurinome), z. T. an spinalen Nervenwurzeln v. a. thorakal und zervikal lokalisiert, dort wachsen sie als »Sanduhrgeschwulst« aus den Foramina intervertebralia heraus. Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Parästhesien bei Nervenkompression. Zentralnervöse Tumore: v. a. Optikusgliome und pilozystische Astrozytome. Knochenanomalien: Skoliose, Trichterbrust. Augenveränderungen: Lisch-Knöchen (Hamartome) an der Iris. z. T. intellektuelle Beeinträchtigung, z. B. Lernstörungen.
Komplikationen.
4 Krampfanfälle 4 Malignes Entartungsrisiko der Neurofibrome: in 4% bilden sich Neurofibrosarkome. 4 Erhöhte Inzidenz der myeloischen Leukämie, von Rhabdomyosarkomen und Wilms-Tumoren, in 10% Assoziation mit Phäochromozytomen. Diagnostik. Die Diagnose ist wahrscheinlich, wenn der
Patient mindestens 2 der in . Tab. 17.10 genannten Kriterien aufweist. Therapie. Symptomatisch: ggf. medikamentöse Thera-
pie bei Krampfanfällen und chirurgische Resektion der Tumoren, genetische Beratung.
397 17.5 · Neurokutane Erkrankungen
. Tab. 17.10. Diagnosekriterien für Neurofibromatose Typ 1 nach den Empfehlungen der National Institutes of Health Consensus Conference 1) Mindestens 6 Café-au-lait-Flecken (größter Durchmesser präpubertal >5 mm, postpubertal >15 mm) 2) Mindestens 2 Neurofibrome oder mindestens ein plexiformes Neurofibrom 3) Sommersprossenartige Pigmentierung der Achselhöhlen oder der Inguinalregion 4) Optikusgliom 5) Mindestens 2 Lisch-Knötchen (Iris-Hamartome) 6) Typische Knochenläsionen wie Keilbeinflügeldysplasie oder Verkrümmung der langen Röhrenknochen mit oder ohne Pseudoarthrose 7) Verwandter 1. Grades mit NF Typ 1 aufgrund der o. g. Kriterien
Prognose.
4 Langsam progrediente Erkrankung. 4 Prognose abhängig von der Ausprägung der Erkrankung, insgesamt reduzierte Lebenserwartung. Neurofibromatose Typ II Definition. Seltene, ebenfalls autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit dem Leitsymptom: bilaterale Tumore des Vestibularisanteils des VIII. Hirnnerven (»Vestibularis-Schwannome«, früher: »Akustikus-Neurinome«).
17
. Tab. 17.11. Diagnosekriterien für Neurofibromatose Typ II nach Empfehlungen der National Institutes of Health Consensus Conference 1) Bilaterale Tumoren des VIII. Hirnnervs 2) Ein Verwandter 1. Grades mit gesicherter NF2 und entweder 4 einem unilateralen Tumor des VIII. Hirnnervs oder 4 2 der folgenden Befunde: – Neurofibrom – Meningeom – Gliom – Schwannom – Juvenile posteriore subkapsuläre Katarakt
Therapie. Neurochirurgische Resektion invasiver Tu-
moren. > Bei NF-2 führen sowohl die operative Entfernung der Vestibularis-Schwannome als auch das progrediente Tumorwachstum letztendlich zur Ertaubung.
Tuberöse Hirnsklerose – Morbus BournevillePringle Definition. Autosomal-dominant vererbte neurokutane Erkrankung mit: 4 Schmetterlingsförmiger Angiofibromatose des Gesichts (früher: »Adenoma sebaceum«, »Naevus pringle«) 4 Herdförmiger Hirnsklerose (»kortikale Tubera«) 4 Netzhautsklerose (»retinale Phakomata«)
Epidemiologie. deutlich seltener als NF Typ 1, Häufig-
keit: 3:100 000 Einwohner.
Epidemiologie. Häufigkeit: 10:100 000.
Ätiopathogenese. Mutation des NF2-Gens auf Chromosom 22(22q11); das Genprodukt Merlin ist für die Tumorsuppression relevant
Ätiopathogenese.
Symptomatik.
4 Manifestation meist erst im Erwachsenenalter, in 10% vor dem 10. Lebensjahr. 4 Die »Vestibularis-Schwannome führen zu Hörverlust, Tinnitus und Schwindel. 4 Im Verlauf entwickeln sich intrakranielle Tumore, z. B. Gliome und Meningeome. 4 Subkapsuläre posteriore Katarakte (meist schon im Kindesalter). 4 Keine Hautbeteiligung. Diagnostik. . Tab. 17.11.
4 Gendefekt des TSC1-Gens auf Chromosom 9q34 oder des TSC2-Gens auf Chromosom 16p13.3, die Genprodukte Hamartin und Tuberin sind für die Tumorsuppression relevant. 4 In 50% autosomal-dominante Vererbung, in 50% Spontanmutation. Symptomatik. Nur bei 30% der Patienten kommt es zur vollen Ausprägung des Krankheitsbildes: 4 Herdförmige Hirnsklerose: 5 Multiple, subependymale Hamartome, mit steigendem Lebensalter zunehmende Verkalkung, z. T. Hereinreichen in die Liquorräume, Bildung von Riesenzellastrozytomen und Hydrozephalus, es entwickeln sich Tubera: Hamartome mit Gliawucherung und Sklerosierung.
398
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
Therapie. Symptomatisch: antiepileptische Therapie;
ggf. Laserung der fazialen Angiofibrome, ggfs. VPShunt-Anlage bei Verschlusshydrozephalus. Prognose. Lebenserwartung verkürzt.
Sturge-Weber-Syndrom Definition. Neurokutane Erkrankung mit enzephalofazialer Angiomatose (Naevus flammeus im Gesicht und ipsilaterale Hämangiome der Meningen) und intrazerebralen Verkalkungen. Epidemiologie/Ätiologie. Häufigkeit: 1:230 000; sporadisches Auftreten; die Ätiologie ist ungeklärt, in seltenen Fällen sind familiäre Formen beschrieben. Symptomatik. . Abb. 17.5. Tuberöse Sklerose: faziale Angiofibrome
5 in 80–90% Krampfanfälle, häufig schon im Säuglingsalter (typischerweise West-Syndrom, 7 Kap. 17.7) 5 Psychomotorische Retardierung 4 Haut: 5 Fleckförmige Depigmentierung mit gezacktem Rand (White Spots), z. T. nur im Wood-Licht (UV-Licht mit 360 nm Wellenlänge) erkennbar. 5 Pathognomonisch sind faziale Angiofibrome: schmetterlingsförmig angeordnete, kleine, multiple, blau-rötliche, teleangiektatische Papeln (. Abb. 17.5). 5 Sub- und periunguale Fibrome (Koenen-Tumoren). 4 Tumoren: 5 Gliomatöse Tumoren der Retina 5 Hamartome der Choroidea und umschriebene Depigmentierung der Iris 5 Rhabdomyome des Herzens 5 Angiomyolipome der Niere
17
Komplikationen. Hypertonie, Niereninsuffizienz,
Herzrhythmusstörungen.
4 Gesicht: meist einseitiger, blau-roter Naevus flammeus im Innervationsgebiet des N. trigeminus (V1 und/oder V2) 4 Auge: angiomatöse Choroidea, Atrophie der Retina, homonyme Hemianopsie, in 30% Glaukom 4 ZNS: ipsilaterale Hämangiome der Meningen, leptomeningeale Angiomatose (Netzwerke geschlängelter, kapillärer Gefäße), Gehirnatrophie, Verkalkungen, Krampfanfälle, psychomotorische Retardierung, z. T. Hemiparese Diagnostik.
4 Klinisches Bild 4 Ophthalmologische Untersuchungen: okuläre Beteiligung? 4 Bildgebung: CT/MRT-Schädel: Nachweis kortikaler Atrophie, girlandenförmige Verkalkungen, leptomeningeale Angiomatose Therapie. Antikonvulsive Therapie; ggf. Lobektomie oder Hemisphärektomie bei nicht beherrschbarer Epilepsie.
Von Hippel-Lindau-Erkrankung Definition. Autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit Hämangioblastomen des Kleinhirns, des Rückenmarks und der Retina. Die Hämangioblastome bestehen aus einem Netz kapillärer und kavernöser Gefäße.
Diagnostik.
4 Bildgebung: CT/MRT-Schädel: Darstellung der periventrikulären Verkalkungen und der Tuberome 4 Ophthalmologische Untersuchung: Nachweis gliomatöser Tumore der Retina 4 Echokardiographie und Sono-Abdomen zum Ausschluss assoziierter Tumoren 4 Mutationsanalyse
Epidemiologie/Ätiologie.
4 Häufigkeit: 0,6:100 000 Einwohner; m>w 4 Zugrunde liegt eine Mutation im VHL (von Hippel-Lindau)-Gen (Tumorsuppressorgen) auf Chromosom 3p25, auch sporadisches Auftreten.
399 17.6 · Zerebrovaskuläre Erkrankungen
17
Symptomatik. Manifestation selten vor dem 10. Lebensjahr: 4 Ataxie, Kopfschmerzen (okzipital betont), Hirndrucksymptomatik 4 Sehstörungen, Gefahr der Glaukomentwicklung 4 Zystische Veränderungen in Niere, Pankreas und Nebenhoden. 4 In 30% entwickelt sich ein multifokales, bilaterales Nierenzellkarzinom.
4 Zusätzliche Gefäßmissbildungen an anderen Körperstellen 4 Hypertrophie von Knochen und Weichteilen 4 Meist trophische Hautstörung mit rezidivierenden Infektionen.
Diagnostik.
17.6
4 Ophthalmologische Untersuchung: retinale Angioblastome? 4 Bildgebung: MRT-Schädel: Angioblastomnachweis, Sonographie-Abdomen: Nachweis der zystischen Veränderungen in Niere, Pankreas und Nebenhoden. 4 Mutationsanalyse
Therapie. Symptomatisch: chirurgische Teilexzisionen,
Sklerosierung der Hämangiome, ggf. Amputation.
Zerebrovaskuläre Erkrankungen
17.6.1 Intrakranielle Gefäßanomalien Arteriovenöse Malformationen Definition. Kongenitale Fehlbildungen des Gefäßsystems in Form von arteriovenösen Kurzschlüssen (Shunts).
Therapie. Photokoagulation der retinalen Angiome;
Epidemiologie. Häufigkeit: 0,5% der Bevölkerung, bei
chirurgische Resektion der Hämangioblastome des Kleinhirns und der anderen Tumoren.
Kindern <10 Jahren sind AV-Malformationen die häufigste Ursache einer zerebralen Blutung oder eines Infarkts.
Klippel-Trénaunay-Syndrom (Angioosteohypertrophie) Definition. Neurokutane Erkrankung mit kapillären Malformationen, Hypertrophie von Knochen und Weichteilen und Varikosis. Symptomatik.
4 Hämangiome (Naevus flammeus) der unteren Extremität
Ätiopathogenese. AV-Malformationen können sowohl
zu einer zerebralen Blutung als auch zu einer Ischämie führen: 4 Im Gefäßkonvolut sind das arterielle und das venöse System direkt verbunden, es ist kein Kapillarbett zwischengeschaltet. Der Gefäßwiderstand ist gering, aufgrund der hohen Flussraten und des erhöhten intravaskulären Drucks ist die Blutungsgefahr erhöht. 4 Steal-Effekt: durch ein großes Shuntvolumen sind umgebende Gebiete unterversorgt, es resultiert eine chronische Ischämie mit neurologischen Symptomen und Rindenatrophie. Symptomatik. Manifestation selten vor dem 10. Lebensjahr: 4 Intrakranielle Blutungen (75%) 4 Zerebrale Krampfanfälle (15%) 4 Paresen 4 Intermittierende Paresen und Kopfschmerzen sind häufig Prodromi einer Blutung. 4 Blutungsrisiko: 2–3%/Jahr; nach der 1. Blutung verdoppelt sich das Risiko. Diagnostik. Bildgebung: MR-Angiographie, konventio-
nelle Angiographie, transkranielle Dopplersonographie.
. Abb. 17.6. Klippel-Trénaunay-Syndrom
> Bei einem fokalen neurologischen Defizit muss sofort eine Bildgebung des Schädels durchgeführt werden.
400
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
Therapie. Mikrochirurgische Exstirpation; Embolisierung, evtl. auch präoperativ bei großen Malformationen. Prognose. Mortalität der 1. Blutung: 10%; in 50% bleibende neurologische Schäden. Sonderform. Vena-Galeni-Malformation: arteriovenöse Gefäßfehlbildung der V. cerebri magna Galeni. Postnatal kommt es aufgrund des hohen Shuntvolumens zu einer kardialen Volumenbelastung, ferner bestehen Kopfschmerzen; progredienter Hydrocephalus internus bis hin zur Einklemmung; Diagnostik: MRT und Angiographie. Therapie: invasive Angiographie mit Embolisation.
Aneurysmen Definition. Umschriebene Ausweitungen von Arterien aufgund einer einer Schwäche der Tunica media und einer Verdünnung der Gefässwand. Epidemiologie.
4 Häufigkeit: 4% der Bevölkerung 4 Lokalisation meist an den Hirnbasisarterien, am Circulus arteriosus Willisii, in 85% im vorderen Anteil, meist an den Gabelungsstellen 4 In 20% bestehen multiple Aneurysmata, in 20% Riesenaneurysmata (>2,5 cm)
Diagnostik.
4 Bei Blutungsverdacht: MRT oder CT Schädel 4 MRT-Angiographie oder invasive Angiographie: Lokalisation und Morphologie des Aneurysmas Therapie.
4 Akut: Sicherung der Vitalfunktionen 4 Interventionell: 5 transvaskuläre Ballonembolisierung 5 Aneurysma-Coiling bei kleinen Aneurysmen <10 mm: Einbringen kleinerer, ablösbarer Platinspiralen in das Aneurysma 4 Operativ: 5 Rupturierte Aneurysmen sind eine absolute OP-Indikation 5 möglichst Frühoperation innerhalb von 48–72 h: Kraniotomie, Darstellung des Aneurysmas und Anbringen eines Aneurysma-Clips 5 Asymptomatische Aneurysmen werden in der Regel ab einer Größe von 0,8 cm operiert Prognose. Bei Blutung 30%ige Letalität, häufig blei-
bende neurologische Schäden;
Ätiopathogenese.
Kavernome
4 Familiär: für Familienangehörige besteht ein 4-fach erhöhtes Risiko 4 Posttraumatisch 4 Assoziiert mit Kollagenerkrankungen: z. B. EhlersDanlos, Marfan-Syndrom und Infektionen
Definition. Konvolut erweiterter, kavernöser, endothe-
Symptomatik.
17
(häufig Okulomotorius-Parese) oder HornerSyndrom (bei A. carotis interna-Aneurysma)
4 Asymptomatischer Typ 5 Häufigkeit: 2–3% der Bevölkerung 5 ab einer Größe von 0,8–1 cm besteht ein 1%iges Blutungsrisiko/Jahr 4 Hämorrhagischer Typ 5 Manifestation als hämorrhagischer Insult (Subarachnoidalblutung): plötzliche, stärkste Kopfschmerzen »Vernichtungskopfschmerz«, häufig okkzipital oder nuchal lokalisiert, Meningismus, Bewusstseinsstörung 5 Posthämorrhagisch z.T. Liquorzirkulationsstörungen und Hydrocephalus internus 5 am 3.–10. Tag nach der Blutung besteht die Gefahr der Entwicklung sekundärer Vasospasmen und ischämischer Insulte 4 Paralytischer Typ (10%) 5 durch den raumfordernden Effekt kommt es zur Kompression mit Hirnnervenausfällen
lialisierter Gefäßkanäle, die durch dünne Bindegewebssepten voneinander getrennt sind. Angiome Definition/Epidemiologie. Embryonale Fehlbildungstumore aufgrund mangelnder Differenzierung des embryonalen Gefäßplexus; häufig Verkalkungen und Hämosiderinablagerungen; Angiome sind die häufigsten intrakraniellen Fehlbildungen, sie treten auch im Rahmen neurokutaner Erkrankungen auf. Symptomatik.
4 Kopfschmerzen, neurologische Herdsymptome, z. B. zerebrale Krampfanfälle 4 Selten Blutungen 4 Häufig auch Zufallsbefund bei symptomfreien Patienten Diagnostik. Bildgebung: MRT, Angiographie. Therapie. Symptomatisch; operative Maßnahmen in der Regel nicht erforderlich.
401 17.6 · Zerebrovaskuläre Erkrankungen
17.6.2 Zerebrale Zirkulationsstörungen Gehirninfarkte Definition. Arterielle Durchblutungsstörung des Gehirns aufgrund von Gefäßverschlüssen mit vorübergehenden oder persistierenden neurologischen Ausfällen. Ätiopathogenese. Gehirninfarkte treten u. a. im Rah-
men von Systemerkrankungen auf, z. B.: 4 Kardiologische Erkrankungen (z. B. Arrhythmie, Kardiomyopathie) 4 Zerebrovaskuläre Fehlbildungen 4 Vaskulitiden, rheumatische Erkrankungen (z. B. Lupus erythematodes) 4 Gerinnungsstörungen 4 Infektionen (z. B. nach Varizelleninfektion) 4 Stoffwechselerkrankungen (z. B. Homozystinurie) 4 Traumata (v. a. im Halsbereich und intraoral) 4 Onkologische Erkrankungen (z. B. bei Tumorinvasion in das Gefäßsystem) Symptomatik. Plötzliche, neurologische Ausfallser-
scheinungen, je nach Lokalisation der Ischämie z. B. Hemiparesen oder Seh- oder Sprachstörungen. Diagnostik.
4 Symptomatik: 5 Die Art der Ausfallserscheinung erlaubt die topographische Zuordnung der Läsion in der Großhirnhemisphäre oder im Hirnstamm. 4 Bildgebung: 5 MRT: Nachweis eines Infarkgebiets 5 MR-Angiographie: Darstellung der Gehirngefäße 4 Ursachensuche: z. B. Echokardiographie, EKG: Ausschluss kardialer Emboliequellen; Gerinnungsuntersuchungen: Ausschluss Thrombophilie (Antithrombin III, Protein C, S, APC-Resistenz etc.).
17
Sinusvenen- und Hirnvenenthrombose Definition. Thrombose intrazerebraler venöser Gefäße, z. B. des Sinus sagittalis. Ätiopathogenese. Auftreten in 25% idiopathisch oder im Rahmen von Systemerkrankungen, z. B. 4 Dehydratation (häufig) 4 Infektionen, z. B. septische Thrombophlebitis bei Furunkeln im Mittelgesichtsbereich, Otitis media, Mastoiditis, Sinusitis 4 Hämatoonkologische Grunderkrankungen 4 Kardiologische Grunderkrankungen 4 Thrombophilie, z. B. APC-Resistenz, ATIII-Mangel, Protein-C- oder -S-Mangel 4 Posttraumatisch 4 Bei Fremdkörpern im Gefäßsystem, z. B. ZVK.
Die Thrombose führt zu einer venösen Abflussbehinderung mit zunehmender Hirndruckentwicklung, sekundär kann eine hämorrhagische Stauungsblutung auftreten. Symptomatik. Meist subakute, schleichende Entwicklung der Symptomatik: 4 Hirndrucksymptomatik: Kopfschmerzen, Nüchternerbrechen, Stauungspapille 4 Vigilanzstörung 4 Ggf. fokale neurologische Symptome bei sekundärer hämorrhagischer Infarzierung Diagnostik. Labor: D-Dimere ↑; Bildgebung: CT-Schä-
del: klassisch ist das »Empty-Delta«-Zeichen nach Kontrastmittelgabe mit Enhancement um den thrombosierten Sinus; MRT-Schädel; MR-Angiographie. Therapie.
4 Akut: Antikoagulation mit Heparin, ggf. Fibrinolyse 4 Kausal: Sanierung des Primärherdes (z. B. Mastoiditis), antibiotische Therapie
Therapie.
4 Ggf. kausale Therapie, Beseitigung der Ursachen 4 Medikamentöse Therapie: Antikoagulation mit Heparin, Cumarinen oder Acetylsalicylsäure; akut: ggf. systemische Fibrinolyse 4 Supportiv: Physiotherapie, Logopädie Prognose. Die Prognose ist abhängig von Ausdehnung und Lokalisation des Infarkts. Im Kindesalter: häufig komplette Ausheilung ohne Residuum, im Verlauf kann sich eine Epilepsie entwickeln.
Prognose. Gut; in 80% Heilung ohne Residuen; Letali-
tät <10%. Sonderform. Sinus-cavernosus-Thrombose: Thrombose des Sinus cavernosus, meist im Rahmen einer septischen Thrombose bei Orbitainfektion, Sinusitis oder Furunkel im Mittelgesichtsbereich mit den Leitsymtpomen Exophthalmus und Hirnnervenlähmung der Nn. II–VI.
402
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
17.6.3 Kopfschmerzen
Einteilung: 4 Idiopathische Kopfschmerzen: bei familiärer Disposition, Auslöser sind häufig psychische Belastung, Stress, Klimafaktoren, Alkohol, Schlafmangel oder Menstruation (prämenstruell). 4 Symptomatische Kopfschmerzen: im Rahmen neurologischer Grunderkrankungen oder Systemerkrankungen, z. B. im Rahmen von: – Intrakraniellen Raumforderungen (Hirntumore, Aneurysmen) – Subarachnoidalblutung – Hydrozephalus – Glaukom – Posttraumatisch – Dentalgie – Iatrogen: postpunktionell nach Lumbalpunktion, arzneimittelinduziert etc. 4 Weitere Kopfschmerzen: Spannungskopfschmerzen , Clusterkopfschmerzen, Trigeminusneuralgien (vgl. Lehrbücher der Pädiatrie).
Epidemiologie. Prävalenz: ca. 70% der Bevölkerung;
Spannungskopfschmerz (54%) und Migräne (38%) machen zusammen 92% der Kopfschmerzen aus. Migräne Definition. Periodisch rezidivierende Kopfschmerzen,
die häufig in Kombination mit fokal-neurologischen Symptomen (Aura) und/oder vegetativen Funktionsstörungen (Übelkeit, Erbrechen) einhergehen. Epidemiologie.
17
4 Häufigkeit: Kinder <7 Jahre: ca. 3%; postpubertär: Jungen: ca. 5%, Mädchen ca. 10%, häufigste Kopfschmerzen im Kindesalter. 4 In 70% familiäre Häufung; leidet ein Elternteil an Migräne, besteht für die Kinder ein 2- bis 4-fach erhöhtes Risiko. Ätiopathogenese. Vermutlich liegt eine vorüberge-
hende Störung der neuromuskulären Regulation zugrunde mit Freisetzung verschiedener vasoaktiver Substanzen (Serotonin, Substanz P, Prostaglandine). Typische Trigger-Faktoren sind: 5 Psychische Belastung, Erwartungsangst, Stress 5 Entlastungsreaktion (Wochenende) 5 Wetterumschwung, Föhn 5 Medikamente
5 Bestimmte Nahrungsmittel (z. B. Käse, Schokolade) 5 Schlafmangel 5 Menstruation 5 Hormonelle Kontrazeptiva 5 Dehydratation
Einteilung der Migräne 4 Einfache Migräne (ohne Aura) 4 Klassische Migräne (mit Aura), früher: »migraine accompagné« 4 Basilarismigräne 4 Ophthalmoplegische Migräne 4 Familiäre hemiplegische Migräne
Symptomatik. Beginn selten vor dem 5. Lebensjahr:
4 Einfache Migräne (ohne Aura): 5 Heftige Kopfschmerzen von pulsierendem-pochenden Charakter, die in der Regel 2–72 h anhalten. 5 Typischerweise frontal oder retroorbital lokalisiert. 5 Eingeschränkte Leistungsfähigkeit (Patienten müssen sich hinlegen). 5 Fakultativ vegetative Begleiterscheinungen: Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, Tachykardie, Blässe, Schweißausbrüche, Zittern, Gesichtsrötung, Tränenfluss, Diarrhoe. 4 Klassische Migräne (mit Aura): typische Prodromalphase vor dem Auftreten der Kopfschmerzen: 5 Reizbarkeit, Blässe 5 Flimmerskotome (Lichtblitze), Gesichtsfeldausfälle (homonyme Hemianopsie) 5 Parästhesien 5 Sprachstörungen 5 Die Prodromalsymptome klingen vollständig ab, die akute Kopfschmerzattacke folgt unmittelbar oder nach einem kurzem, symptomfreien Intervall. 4 Basilarismigräne: 5 Okzipitale Kopfschmerzen 5 Sensibilitätsstörungen, Ataxie, Schwindel 5 Bewusstseinsstörung 4 Ophthalmoplegische Migräne: 5 Homolaterale Okulomotoriuslähmung 4 Hemiplegische Migräne: 5 Kontralateral zu den Kopfschmerzen treten Sensibilitätsstörungen und motorische Paresen auf, bis hin zur Halbseitenlähmung, die z. T. noch Tage nach der Kopfschmerzattacke persistieren kann.
403 17.7 · Epilepsie und zerebrale Krampfanfälle
> Ein charakteristisches klinisches Merkmal bei Migräne ist die Besserung der anfallsartigen Kopfschmerzen nach dem Schlafen.
Diagnostik.
4 Anamnese: Familienanamnese, Schmerzcharakter, Begleitsymptomatik. 4 EEG: meist unauffällig, evtl. generalisierte unspezifische Dysrhythmie, bei Herdsymptomen im Anfall: Nachweis eines Fokus. 4 Evtl. Bildgebung: MRT/CT-Schädel zum Ausschluss einer Raumforderung.
. Tab. 17.12. Wichtigste Ursachen zerebraler Anfälle im Kindesalter Endogene Faktoren
4 Idiopathisch (auch genuin, häufigste Ursache) 4 Genetische Disposition
Exogene Faktoren
4 Perinatale Asphyxie 4 Intrakranielle Raumforderungen: Gehirntumoren, Hydrozephalus, Gehirndruck 4 Schädelhirntraumata 4 Operationen 4 Intrakranielle Blutungen 4 Infektionen 4 Intoxikation, Alkoholentzug 4 Akute Stoffwechselerkrankungen: Hypoglykämie 4 Iatrogen: peri-/postoperativ
Gelegenheitsanfälle
4 Extrazerebrale fieberhafte Infektionen 4 Infektionen des ZNS: Meningitis, Enzephalitis, Gehirnabszesse 4 Akute Stoffwechselstörungen und Intoxikationen: Hypoglykämie, Elektrolytstörungen, Urämie 4 Schädelhirntraumata 4 Gehirntumoren
Epilepsien
4 s. oben aufgrund endogener oder exogener Faktoren 4 Angeborene Stoffwechselstörungen: Neurolipidosen, Glykogenosen, Harnstoffzyklusstörungen, Biotinidasemangel, Vitamin-B12-Mangel 4 Fehlbildungen des ZNS: Migrationsstörungen 4 Neurokutane Erkrankungen: tuberöse Hirnsklerose, Sturge-Weber-Syndrom 4 Chromosomenanomalien 4 Hirnorganische Defektzustände: hypoxisch-ischämische Defekte, Blutungen, Infarkte
Therapie.
4 Akut: 5 Reizabschirmung im dunklen Raum: Ruhe, Schlaf 5 Antiemetika: z. B. Metoclopramid 5 Analgetika: Ibuprofen, Acetylsalicylsäure (sofortige Einnahme) 4 Dauerprophylaxe: 5 Indikation: mehrere Attacken/Monat mit langer Anfallsdauer, komplizierte Migräne 5 Allgemein: Entspannungstechniken (autogenes Training, Biofeedback), Vermeidung von Triggerfaktoren 5 Medikament 1. Wahl: β-Blocker (Propanolol) 17.7
Epilepsie und zerebrale Krampfanfälle
Definition.
4 Epileptischer Anfall: anfallsartige Funktionsstörung des Gehirns als Folge paroxysmaler, synchroner, exzessiver Entladung zerebraler Neuronenverbände. 4 Epilepsie: chronisch-rezidivierend auftretende zerebrale Anfälle.
17
Epidemiologie.
Ätiopathogenese.
4 Inzidenz: 20–50:100 000 Einwohner/Jahr, Prävalenz ca. 1% der Bevölkerung. 4 Jede 5. Person hat einmal im Leben einen zerebralen Krampfanfall. 4 Kinder von Patienten mit Epilepsie haben ein erhöhtes Risiko, ebenfalls eine Epilepsie zu entwickeln; auch bei symptomatischer Epilepsie besteht eine familiäre Häufung.
4 Abnorme Synchronisation von Neuronenverbänden aufgrund gesteigerter, zellulärer Exzitabilität durch ein verändertes Membranpotenzial. 4 Fehlende Begrenzung der Erregungsausbreitung; bei Ausbreitung über das gesamte Großhirn kommt es zum generalisierten Anfall. 4 Teilweise besteht ein Ungleichgewicht zwischen inhibitorischen (GABA und Glycin) und exzitatorischen Neurotransmittern (Acetylcholin und Glutamat). Einteilung. . Tab. 17.13.
404
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
. Tab. 17.13. Einteilung der Epilepsien Fokale Anfälle Einfache fokale Anfälle (ohne Bewusstseinsstörung)
4 4 4 4 4
Komplexe fokale Anfälle (mit Bewusstseinsstörung)
4 Initial ohne, dann mit Bewusstseinsstörung 4 Bereits initial mit Bewusstseinsstörung
Primär fokale, sekundär generalisierte Anfälle
4 Sekundär generalisierter Grand-Mal 4 Sekundär generalisierter Petit-Mal
Motorisch, Jackson-Anfälle Sensibel/sensorisch Sensomotorisch Vegetativ Psychisch
Generalisierte Anfälle Grand-Mal
4 Klassische tonisch-klonische Anfälle
Petit-Mal
4 Absencen 4 Atypische Absencen 4 Myoklonische Anfälle (Impulsiv-Petit Mal) 4 Astatische Anfälle 4 Klonische Anfälle 4 Tonische Anfälle 4 Atonische Anfälle Epilepsie-Syndrome: 4 West-Syndrom (früher: Blitz-Nick-Salaam Anfälle, BNS-Anfälle) 4 Myoklonisch-astatische Anfälle (Lennox-Gastaut-Syndrom)
Nicht klassifizierte Anfälle
4 Posttraumatische Anfälle 4 Reflexepilepsie 4 Gelegenheitsanfälle (Fieberkrämpfe, Intoxikationen, metabolische Störungen)
17.7.1 Fokale Epilepsien
fokal.
Optischen Sensationen: Farben, Blitze, Blindheit Akustischen Sensationen: Klingeln, Rauschen Olfaktorischen Sensationen: Gerüchen Gustatorischen Sensationen: Geschmacksveränderungen 5 Epigastrischen Sensationen: Druckgefühl im Oberbauch 4 Eine Aura bei Kindern präsentiert sich häufig als »komisches«, vom Bauch aufsteigendes Gefühl; Angst.
Ätiopathogenese.
Diagnostik.
4 Häufig finden sich morphologisch-strukturelle Korrelate im Gehirn, die Symptomatik des Anfalls ist abhängig von der Lokalisation des Fokus. 4 Jedes Gehirnareal kann Ausgangspunkt sein, häufig liegt der Fokus im Temporallappen.
4 EEG: herdförmige auftretende steile oder langsame Wellen oder Krampfpotenziale 4 MRT-Schädel: häufig morphologische Auffälligkeit nachweisbar
Definition. Epileptische Anfälle mit (komplex-fokal)
oder ohne (einfach-fokal) Bewusstseinsstörung aufgrund einer umschriebenen, fokalen Funktionsstörung des Gehirns, meist Ausdruck einer lokalisierten Gehirnschädigung. Epidemiologie. Häufigkeit: >50% der Epilepsien sind
17
5 5 5 5
Symptomatik.
4 Die motorischen Symptome sind meist unilateral. 4 Vor dem Anfall kommt es häufig zu einer Aura in Form von:
Einfach-fokale Anfälle mit motorischen Symptomen Definition.
Einfach-fokale Anfälle ohne Bewusstseinsverlust und mit motorischen Symptomen manifestieren sich als:
405 17.7 · Epilepsie und zerebrale Krampfanfälle
4 Inhibitorische bzw. akinetische Anfälle: plötzliche Unfähigkeit des Ausführens bestimmter Bewegungen. 4 Automatismen: plötzliches Auftreten unwillkürlicher Bewegungen, z. B. Treten, Schmatzen, Schlagen, Nesteln, Zupfen. 4 Jackson-Anfall: plötzliches Ausbreiten tonischer bzw. klonischer Zuckungen (motorische JacksonAnfälle) oder sensibler Symptome (sensible JacksonAnfälle) von einer Körperregion auf benachbarte Bezirke (March of Convulsion), meist von distal nach proximal, selten auch auf die gegenüberliegende Körperseite. Das Bewusstsein ist erhalten, sofern es nicht zu einer sekundären Generalisierung kommt. Einfach-fokale Anfälle mit sensorischen Symptomen Definition. Paroxysmal auftretende optische, akustische (Hyperakusis), gustatorische und olfaktorische Phänomene ohne Bewusstseinsverlust, selten isoliert aufretend. Einfach-fokale Anfälle mit sensiblen Symptomen Definition. Seltene Anfallsform mit paroxysmalem Auftreten von Parästhesien, Kribbeln, Brennen, Schmerzen oder Temperaturmissempfindungen im Bereich einer Extremität oder einer Gesichtshälfte bei erhaltenem Bewusstsein. Fokale Anfälle mit sensomotorischer Symptomatik (Rolando-Epilepsie, benigne kindliche Epilepsie) Definition. Gutartige, kindliche Epilepsie mit einseitiger sensomotorischer Symptomatik, v. a. im Bereich des Gesichtes, des Halses und/oder des Mundes ohne Bewusstseinsverlust. Epidemiologie.
4 Häufigste fokale Epilepsie im Kindesalter, Häufigkeit ca. 10–25% aller Epilepsien im Kindesalter. 4 m>w=2:1. Ätiopathogenese. Idiopathisch; genetische Prädispostion (familiäre Häufung). Symptomatik. Auftreten häufig aus dem Schlaf heraus (kurz nach dem Einschlafen oder frühmorgens): 4 Einseitige Sensibilitätsstörungen meist im Gesichts- und Mundbereich, die sich zu tonisch-klonischen Krampfanfällen (hemifaziale Kloni, Myokloni) entwickeln. 4 Sprachstörungen, häufig Hypersalivation, gelegentlich Gurgeln.
17
4 Bewusstsein meist erhalten, Generalisierung möglich. Diagnostik. EEG: pathognomonisch sind zentrotemporal lokalisierte »Sharp-wave-Komplexe« bzw. »Rolando-spikes«. Therapie. Mittel der 1. Wahl: Sultiam (Ospolot). Prognose. Gut, meist Spontanremission vor der Puber-
tät. Komplex-fokale Anfälle (psychomotorische Anfälle, Temporallappenepilepsie, komplexer Partialanfälle) Definition. Komplex-fokale Anfälle mit Ursprung im Temporallappen oder der benachbarten Gehirnregion und typischer Symptomatik: 4 Aura 4 Bewussteinstrübung 4 Stereotype Bewegungen (Zupfen, Nesteln oder orale Automatismen) und 4 begleitende vegetative Störungen (Tachykardie, Blässe, Rötung). Epidemiologie/Ätiopathogenese. Insgesamt häufiges Vorkommen; zugrunde liegt meist eine organisch bedingte Funktionsstörung im Temporallappen, z. B. durch eine perinatale Schädigung, Gehirntumoren oder Ammonshornsklerose. Symptomatik. Komplex-fokale Anfälle laufen in 3 Stadien ab: 1. Aura: epigastrische Missempfindungen, »komisches Gefühl«, Wärmegefühl, Beklemmung, Übelkeit, Schwindel, »Déja-vue-Erlebnisse«, Angst, Störung der Sinneswahrnehmung, Dysmorphopsie = verzerrte Größenwahrnehmung, Geruchssensationen. 2. Anfall: 5 Bewusststeinstrübung für 1–2 min, allerdings weniger tief als bei Absencen, die Patienten sind nicht ansprechbar, Dämmerzustand. 5 Stereotype Bewegungen: orale Automatismen (Schmatzen, Schlucken), Grunzen, Lecken der Lippen, Nesteln, Zupfen, Sprechen, Lachen oder repetitive Handlungsabläufe: Hin- und Herräumen von Gegenständen. 5 Patienten fallen in der Regel nicht hin. 5 Begleitend vegetative Störungen: Blässe, Gesichtsrötung, Schwitzen, Speichelfluss, Harndrang.
406
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
3. Reorientierung: 5 Langsames Erwachen und Reorientierung. 5 Amnesie für die Zeit des Anfalls.
4 Grand-Mal Anfälle auch als sekundäre Generalisierung von fokalen Krampfanfällen möglich. 4 Triggerfaktoren: Flickerlicht, Schlafentzug oder Alkoholkonsum können einen Anfall auslösen.
Diagnostik.
4 Anamnese 4 EEG: temporaler Herdbefund, paroxysmale Dysrhythmie, hohe Deltawellen, scharfe Abläufe über der Temporalregion, spikes oder sharp waves. Therapie.
4 Mittel der 1. Wahl: Carbamazepin bzw. Oxcarbamazepin, allerdings eingeschränktes Ansprechen, meist keine Anfallsfreiheit. 4 Operativ: ggf. Epilepsiechirurgie. Prognose. Zurückhaltend; z. T. mit Verhaltensstörungen, Wesensveränderungen und Intelligenzminderung assoziiert.
17.7.2 Generalisierte Anfälle Grand-Mal-Anfälle Definition. Generalisierte, tonisch-klonische Krampfanfälle mit blitzartigem Beginn ohne Aura, mit Bewusstseinsverlust und typischem Anfallsablauf: 4 z. T. vorausgehende Prodromi 4 Initialschrei 4 Tonische Phase (Überstrecken) 4 dann klonische Phase (rhythmische Zuckungen) 4 anschließend Terminalschlaf > Grand-Mal ist ein Symptom, keine Krankheitseinheit.
Einteilung der Grand-mal-Anfälle
17
4 Schlaf-Epilepsie: Anfälle während des Schlafs 4 Aufwach-Epilepsie: Anfälle während der Aufwachphase, typisch bei der idiopathischen Epilepsie 4 Diffuse Epilepsie: zu verschiedenen Tageszeiten auftretend
Symptomatik.
4 Beginn: 5 Häufig Initialschrei (durch mechanische Kontraktion der Atemmuskulatur bei fast geschlossener Stimmritze) mit plötzlichem Bewusstseinsverlust. 5 Dann Tonuserhöhung der gesamten Muskulatur (Patienten stürzen zu Boden). 4 Tonisch-klonisches Stadium: 5 Überstrecken der Extremitäten 5 Opisthotone Körperhaltung 5 Hypersalivation, Schaumpilz vor dem Mund 5 Augen geöffnet und nach oben verdreht, lichtstarre, weite Pupillen 5 Häufig Apnoe und Zyanose 5 Im Verlauf symmetrische, rhythmische Muskelzuckungen an allen 4 Extremitäten 5 Fakultativ: Einnässen oder Einkoten 4 Postiktal: 5 Erschlaffen, Verwirrtheit, Erschöpfung, Terminalschlaf 5 Für die Zeit des Anfalls besteht Amnesie. Diagnostik.
4 Klinik, Anamnese 4 EEG: während des Anfalls: Krampfspitzen, α- und β-Wellen, rhythmische Verlangsamung, im Intervall z. T. intermittierende Spike-wave-Komplexe. 4 Labor: keine spezifischen Veränderungen, CK ↑, direkt postiktal: Prolaktin und Kortisol ↑↑ (Stresshormone). ! Bei jeder Erstmanifestation eines Grand-Mal-Anfalls muss eine radiologische Untersuchung zum Ausschluss einer intrakraniellen Raumforderung erfolgen.
Therapie. Mittel der 1. Wahl: Lamotrigen, Valproat,
Oxcarbamazepin. Komplikationen.
Epidemiologie/Ätiopathogenese.
4 Grand-Mal Anfälle sind die häufigste Manifestation von Krampfanfällen. 4 Häufig genuin (idiopatisch, ohne fassbare Ursache); genetische Disposition. 4 Auch symptomatisch im Rahmen von SHT, Tumoren, Infektionen u. a.
4 4 4 4
Zungenbiss Schädelhirntrauma oder Frakturen bei Sturz Aspirationspneumonie Todd-Paralyse: postiktal persistierende Paresen
407 17.7 · Epilepsie und zerebrale Krampfanfälle
17
Prognose.
Diagnostik.
4 Spontanes Sistieren der Anfälle in >90% der Fälle. 4 Ungünstige Prognose bei prolongierten Anfällen mit Hypoxie oder gleichzeitigem Bestehen weiterer Anfallsformen.
4 Anamnese: Befragung von Eltern, Lehrern 4 EEG: pathognomonisch sind iktuale, synchrone 3/s Spike-Wave-Komplexe und hohe Amplituden
! Ein Status epilepticus ist ein kontinuierlicher Anfall von >30 minütiger Dauer oder ein rasches Aufeinanderfolgen von Anfällen, ohne dass der Patient zwischenzeitlich das Bewusstsein erlangt. Ein Status epilepticus ist lebensbedrohlich. Selten tritt auch ein nichtkonvulsiver Status auf, z. B. bei Lennox-Gastaut-Syndrom oder Absence-Epilepsie oder ein partieller Status epilepticus. Therapie: Prüfung der Vitalfunktionen, ab einem Anfall >3 min medikamentöse Therapie mit Diazepam, Chloralhydrat oder Clonazepam.
Therapie. Mittel der 1. Wahl: Valproinsäure; 2. Wahl:
Petit-Mal Absencen (Pyknoleptischer Petit-Mal) Definition. Wenige Sekunden andauernde Anfälle mit plötzlichem Bewusstseinsverlust. Die Patienten sind nicht ansprechbar, wahren eine aufrechte Körperhaltung und haben typischerweise einen starren, leeren Blick. Als Pyknolepsie (pyknos = dicht) wird eine Häufung von Absencen (bis zu 100-mal/Tag) bezeichnet.
Ethosuximid, Lamotrigen. Prognose.
4 Häufig spontanes Sistieren der Anfälle vor oder während der Pubertät. 4 Übergang in andere Anfallsformen möglich. 4 Meist Anfallsfreiheit unter medikamentöser Therapie. Impulsiv Petit-Mal – myoklonische Epilepsie des Jugendalters Definition. Anfälle mit myoklonischen, bilateral synchronen Schleuderbewegungen insbesondere von Schultern und Armen. Epidemiologie/Ätiologie.
4 Typische Epilepsieform des Heranwachsenden; Beginn im 10.–20. Lebensjahr. 4 Häufig idiopathisch. 4 z. T. genetisch bedingt, familiäre Häufung.
Epidemiologie.
Symptomatik.
4 Manifestationsalter: Mädchen im Schulalter; im Kleinkindesalter m>w 4 Häufigkeit 8–10:100 000 Kindern
4 Auftreten häufig morgens nach dem Aufstehen, z. B. Wegschleudern der Zahnbürste, Umstoßen der Kaffetasse. 4 Trigger: Schlafentzug, Hyperventilation, Flackerlicht. 4 Keine Bewusstseinsstörung, kein Tonusverlust.
Symptomatik.
4 Plötzliches Unterbrechen der Tätigkeit. 4 Starrer, leerer Blick, Augen halb geöffnet, Bulbi z. T. nach oben gerichtet. 4 Patienten sind nicht ansprechbar. 4 z. T. rhythmische Zuckungen von Armen und Schultern, Automatismen (Schlucken, Lecken, Kauen, Zupfen, Nesteln). 4 z. T. vegetative Symptome: Blässe, Hautrötung. 4 Amnesie für die Zeit der Absence.
Diagnostik. Anamnese, Klinik; EEG: pathognomonisch sind Polyspike-Wave-Komplexe. Therapie. Mittel der 1. Wahl: Valproat, Lamotrigen; prophylaktische Meidung von Triggerfaktoren. Prognose. Gut; jedoch Assoziation mit anderen An-
fallsformen. Komplikationen.
4 Absence-Status (Status pyknolepticus): dichtes Aufeinanderfolgen von Absencen ohne Wiedererlangen des Bewusstseins zwischen den Anfällen, Dämmerzustand, sterotype Handlungen, Kopfnicken nach hinten. 4 Entwicklung anderer Epilepsieformen möglich (Mischepilepsie).
Epilepsie-Syndrome West-Syndrom (früher: Blitz-Nick-Salaam Krämpfe, BNS) Definition. Epilepsiesyndrom mit typischer Klinik und schlechter Prognose. Epidemiologie/Ätiopathogenese.
4 Beginn zwischen dem 2. und 8. Lebensmonat; m>w.
408
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
4 Häufig sekundär bei Gehirnmissbildungen, prä-, peri- oder postnataler Gehirnschädigung oder degenerativen Erkrankungen (z. B. tuberöse Sklerose). 4 z. T. idiopathisch.
Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS, myoklonischastastische Epilepsie fokaler Genese) Definition. Kindliche Epilepsie mit Beugemyoklonien und plötzlichem Tonusverlust mit Sturz zu Boden.
Symptomatik.
4 Manifestationsgipfel: 2.–7. Lebensjahr; m>w. 4 Häufig idiopathisch oder Folge einer prä- oder perinatalen Gehirnschädigung, z. T. Entwicklung aus einem West-Syndrom.
Epidemiologie/Ätiologie.
4 Blitz-Krampf: blitzartige Rumpfbeugung nach vorne, gleichzeitig werden die Arme nach vorne oder nach oben geworfen (nur Bruchteile von Sekunden andauernd). 4 Nick-Krampf: Beugebewegung des Kopfs ohne Beteiligung der Extremitäten (nur Bruchteile von Sekunden andauernd). 4 Salaam-Krampf: kurze tonische Beugung von Kopf, Rumpf und Armen im Sitzen, etwas langsamer ablaufend als Blitz-Nick-Krämpfe. Zusammenbringen der Hände vor dem Oberkörper (orientalischer Gruß namensgebend). 4 Das Bewusstsein ist getrübt. 4 Typischerweise treten die Krampfanfälle in Serien auf, die sich immer wieder über mehrere Minuten lang wiederholen. 4 Häufig Schreien während bzw. zwischen den Anfällen. 4 Postiktaler Erschöpfungszustand. Diagnostik.
4 Anamnese: Gehirnschädigung; typisches klinisches Bild. 4 EEG: schwerste Veränderungen im Sinne einer Hypsarrhythmie: hohe, irreguläre, langsame Wellen mit multifokal oder generalisierten polymorphen hypersynchronen Potenzialen. 4 Bildgebung: MRT-Schädel: Suche nach morphologischen Veränderungen. Therapie.
17
4 Insgesamt schlecht therapierbar, Mittel der Wahl: Valproat, Topiramat, Kortikosteroide. 4 Bei morphologischen Veränderungen ggf. chirurgische Sanierung.
Symptomatik. »Buntes Bild« unterschiedlicher Anfalls-
muster: myoklonische, tonische oder astatische Anfälle. Diagnostik. Anamnese, Klinik; EEG: multifokale Sharp
Waves mit sekundärer Generalisierung. Therapie. Schwierig; Mittel der 1. Wahl: Valproat, La-
motrigen. Prognose. Ungünstig; häufig Therapieresistenz, in der Regel keine normale Entwicklung.
17.7.3 Nicht klassifizierte Anfälle Posttraumatische Epilepsie Definition. Epilepsie aufgrund morphologischer Veränderungen des Gehirns nach Schädelhirntrauma. Frühanfälle treten innerhalb von einer Woche nach SHT auf u. a. bei Blutungen, Hypoxie oder Infektion. Spätanfälle treten eine Woche nach dem Ereignis auf, u. a. aufgrund narbiger Veränderungen. Reflexepilepsie Definition. Epilepsie, die durch verschiedene Reize aus-
gelöst wird, z. B. durch photogene Reize: intermittierende Lichtreize, Fahren durch eine Baumallee, Fernsehen, Flickerlicht oder durch audiogene Reize, z. B. Musik. Gelegenheitsanfälle Definition/Epidemiologie. Zerebrale Krampfanfälle,
Prognose.
4 Häufig Therapieresistenz. 4 Ungünstig, meist Entwicklungsretardierung oder -rückschritte, nur in seltenen Fällen normale Entwicklung. 4 BNS-Krämpfe sistieren zwar meist im Kleinkindesalter, jedoch meist Übergang in eine andere Epilepsieform.
die als Reaktion auf eine das Gehirn direkt oder indirekt betreffende Störung auftreten, z. B. bei Alkoholkonsum, Fieber, Hypoglykämie oder Gehirntumor. > Jeder 5. Mensch hat einmal in seinem Leben einen Krampfanfall.
Fieberkrampf Definition. Tonisch-klonische Krampfanfälle, die häufig im Rahmen eines fieberhaften Infekts auftreten.
409 17.7 · Epilepsie und zerebrale Krampfanfälle
Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 5% aller Kinder im Alter von 6 Monaten bis 5 Jahren; häufigste Form der zerebralen Krampfanfälle. ! Fieberkrämpfe treten meist innerhalb der ersten 24 h nach Beginn eines fieberhaften Infekts auf. Epileptische Anfälle, die >24 h nach Beginn eines fieberhaften Infekts auftreten, können Hinweis auf eine Enzephalitis sein.
17
. Tab. 17.14. Prognostisch ungünstige Kriterien bei Fieberkrampf – »komplizierter Fieberkrampf« 4 Familiäre Belastung 4 Zerebrale Vorschädigung 4 Fokale Anfälle oder/und neurologische Herdsymptome nach dem Anfall 4 >4 Rezidive 4 >2 Anfälle innerhalb von 24 h 4 >15-minütiges Anhalten der Krämpfe
Ätiopathogenese.
4 Auslöser: ansteigendes Fieber, z. B. im Rahmen einer Atemwegsinfektion, bei Otitis, Masern, Exanthema subitum oder nach Impfung. 4 Familiäre Häufung. 4 Gehäuftes Auftreten bei zerebraler Vorschädigung. Symptomatik.
4 Meist generalisierte, symmetrische, tonisch-klonische Anfälle. 4 Selten fokale Anfälle. 4 z. T. postiktale Paresen. 4 Fieberkrämpfe dauern häufig länger als afebrile Anfälle: meistens spontanes Sistieren nach <5 min. Diagnostik.
4 Klinik 4 Labor: BB, Differenzial-BB, CRP, Glukose, Elektrolyte zum Ausschluss anderer Ursachen. 4 Bei Säuglingen im 1. Lebensjahr und bei allen Kindern mit Meningismus muss zum Ausschluss einer Meningitis eine Lumbalpunktion erfolgen. Differenzialdiagnostik. Symptomatische Krampfanfälle; beginnende Epilepsie. Therapie.
4 Die Krampfanfälle sistieren meist spontan. 4 Aufklärung der Eltern über das Wiederholungsrisiko. 4 Rechtzeitige Fiebersenkung (<38,5°C, Effekt nicht sicher nachgewiesen). 4 Rezeptierung von Diazepam rektal als Bedarfsmedikation zur Krampfunterbrechung bei Krampfanfällen >3 min.
Neugeborenenkrämpfe Benigne familiäre Neugeborenenkrämpfe Definition. Benigne, autosomal-dominant vererbte, klonische, apnoische oder tonische Krampfanfälle in den ersten Lebenstagen, häufig am 5. Lebenstag beginnend (5th-day fits). Die Anfälle sistieren meist spontan. Benigne nicht-familiäre Neugeborenenkrämpfe 7 Kap. 3
17.7.4 Grundzüge der Epilepsiebehandlung Grundsätzlich gilt (. Tab. 17.15, . Tab. 17.16): 4 Die Dosisanpassung der Medikamente sollte schrittweise erfolgen. 4 Verteilung auf 3 Einzeldosen bei Medikamenten mit kurzer Halbwertszeit (z. B. Carbamazepin, Valproat, Primidon) oder Verwendung von Retardpräparaten. 4 Grundsätzlich zunächst Versuch einer Monotherapie. 4 Bei Therapieresistenz: Einführen eines neuen Medikaments zunächst unter Beibehalten, später unter Ausschleichen des alten Medikaments. 4 Bei Therapieresistenz ggf. Kombination von synergistischen Medikamenten (>3 Medikamente in der Regel nicht sinnvoll). 4 Auslassversuch der Medikamente nach 2–5 Jahren Anfallsfreiheit. Überwachung der Medikation: 4 Anfallskalender 4 In regelmäßigen Abständen Bestimmung des Medikamentenspiegels 4 EEG-Kontrollen
Prognose.
4 In der Regel gut. 4 Wiederholte Rezidive bis zum 5. Lebensjahr möglich. 4 Entwicklung einer Epilepsie in ca. 5%, bei komplizierten Fieberkrämpfen in ca. 10% (. Tab. 17.14).
. Tab. 17.15. Grundprinzipien der Epilepsiebehandlung
1. Wahl
Fokale Epilepsien
Generalisierte Epilepsien
Carbamazepin/ Oxcarbamazepin Sultiam
Valproat Lamotrigen
410
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
. Tab. 17.16. Medikamentöse Therapie bestimmter Epilepsieformen (Auswahl) 1. Wahl
2. Wahl
Grand Mal
Valproat
Lamotrigen, Topiramat
Absencen
Valproat
Lamotrigen, Ethosuximid
Pyknolepsie
Valproat
Ethosuximid
Myoklonischeastatische Anfälle
Valproat
Lamotrigen, Ethosuximid
West-Syndrom
Vigabatrin
Valproat, Topiramat, Kortikoide
Lennox-GastautSyndrom
Valproat
Lamotrigen, Topiramat, Kortikoide
Idiopathische Epilepsie
Sultiam
Valproat
Pavor nocturnus Definition. Nächtliches Aufschrecken in einem Angstzustand. Symptomatik.
4 Plötzliches Aufschrecken aus dem Schlaf heraus: Angst, Unruhe, Schreien bei insgesamt schläfrigem Bewusstseinszustand. 4 Auftreten häufig vor Mitternacht. 4 Für das Ereignis besteht Amnesie. Therapie. Aufwecken des Kindes, um den Angstzustand zu durchbrechen
17.8
Entzündliche Erkrankungen des ZNS
17.8.1 Meningitis Nichtmedikamentöse Therapie: 4 Epilepsiechirurgie. 4 Ketogene Diät: Fett: Eiweiß/Kohlenhydrate im Verhältnis 4:1. 4 Allgemein: geregelte Lebensführung, Meidung körperlicher und geistiger Überanstrengung, ausreichend Schlaf, regelmäßige Medikamenteneinnahme. 17.7.5 Anfallsartige Krankheitsbilder
Definition. Entzündung der Gehirnhäute aufgrund einer Infektion mit Bakterien, Viren, Parasiten, Pilzen oder Protozoen.
Bakterielle Meningitis Epidemiologie. Inzidenz in Deutschland: 30–40: 100 000 Einwohner/Jahr; ca. ein Drittel der Patienten sind Kinder <5 Jahren. Ätiopathogenese. . Tab. 17.17. Pathogenese.
Affektkrämpfe Definition. Ein emotionaler Anlass, z. B. eine Trotzreaktion bei Wunschverweigerung, verursacht heftiges Schreien, es kommt zum Atemstillstand in Exspiration mit Zyanose und plötzlichem Bewusstseinsverlust. In schweren Fällen folgt eine tonische Starre.
4 Hämatogene Infektion: bei Bakteriämie oder Sepsis, häufig bei Neugeborenen. 4 Fortgeleitete Infektionen: bei Sinusitis, Mastoiditis, Otitis, häufig bei älteren Kindern.
Ätiopathogenese. Affektbedingte Hypoxie infolge
. Tab. 17.17. Häufige Erreger der bakteriellen Meningitis je nach Lebensalter
eines vasovagalen Reflexes.
17
Symptomatik. Affektkrämpfe sind klinisch häufig
schlecht von zerebralen Krampfanfällen zu unterscheiden. Therapie.
4 Reizauslösung: kaltes Wasser, kleiner Klaps. 4 Prophylaktisch sollte jede übertriebene Fürsorge vermieden werden. Sonderform. Schmerzbedingtes »Wegbleiben« bei
Schreck oder Schmerz, kein einleitendes Schreien.
Lebensalter
Erreger
Neugeborene
E. coli Streptokokken der Gruppe B Listeria monocytogenes (aus dem Geburtskanal)
Kinder und Jugendliche
Haemophilus influenzae Neisseria meningitides Streptococcus pneumoniae
Erwachsene
Neisseria meningitidis Streptococcus pneumoniae Staphylococcus aureus
411 17.8 · Entzündliche Erkrankungen des ZNS
4 Direkte Infektion: offenes Schädel-Hirn-Trauma, Liquorfisteln, ventrikuloperitoneale Shuntsysteme. Symptomatik. Die Symptomatik ist abhängig vom Alter des Kindes: 4 Neugeborene: 5 Häufig unspezifische Symptome: Apnoe, blassgraues Hautkolorit, Trinkschwäche; 7 Kap. 3 4 Säuglinge: 5 Fieber, Erbrechen 5 Berührungsempfindlichkeit 5 Schrilles Schreien 5 Gespannte Fontanelle 5 Vermehrtes Schlafbedürfnis 4 Kinder >1. Lebensjahr: 5 Fieber, Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit (Übersicht) 5 Erbrechen, Lichtscheu (Photophobie) 5 Evtl. Bewusstseinsstörungen 5 Evtl. Krampfanfälle
Klinische Zeichen einer meningealen Reizung 4 Meningismus: schmerzhafter Widerstand bei Kopfbeugung, »Nackensteifigkeit« 4 Brudzinski-Zeichen: reflektorische Hüftgelenks- und Kniebeugung bei passiver Beugung des Kopfs 4 Kernig-Zeichen: sehr schmerzhafte passive Streckung des Kniegelenks bei gebeugtem Hüftgelenk 4 Lasègue-Zeichen: schmerzbedingte Hemmung des passiven Anhebens des gestreckten Beins 4 »Kniekuss-Zeichen«: schmerzbedingte Unfähigkeit, den Kopf bis zu den Knien zu beugen
17
Diagnostik.
4 Klinik (abhängig vom Lebensalter) 4 Labor: BB, Diff-BB, CRP, Blutkultur 4 Liquorpunktion (. Tab. 17.18): 5 Bestimmung von Zellzahl, Zellart, Eiweiß und Glukose 5 Kultureller Erregernachweis und Resistenztestung 5 PCR: direkter Erregernachweis ! Bei Verdacht auf Hirndruck muss vor einer Liquorpunktion eine Stauungspapille (die jedoch selbst bei Hirndruck nur in 30% nachweisbar ist) ausgeschlossen werden oder eine Bildgebung des Schädels erfolgen (MRT oder CT), da eine Liquorpunktion bei Hirndruck zu einem lebensbedrohlichen Einklemmungssyndrom führen kann.
Komplikationen. Hydrozephalus (akut oder chronisch durch Verwachsungen), Hygrome, Abszesse, septische Sinusvenenthrombose, Waterhouse-Friderichsen-Syndrom bei Meningokokkensepsis (7 Kap. 7), Hörschäden, zerebrale Krampfanfälle, psychomotorische Retardierung. Therapie.
4 Sofortige Klinikeinweisung, Isolation 4 Überwachung 4 Nach Abnahme des Erregermaterials sofortige i. v.Antibiose über mindestens 10–14 Tage: 5 Neugeborene: z. B. Kombinationstherapie aus Cephalosporin, Ampicillin und Aminoglykosid. 5 Ältere Kinder: z. B. Monotherapie mit Cephalosporinen, z. B. Cefotaxim i. v. 5 Anpassung der Therapie nach Erhalt des Antibiogramms. 4 Therapiekontrolle: 5 Lumbalpunktion bei hoher Zellzahl vor Absetzen der Antibiotika 5 CRP-Kontrollen
. Tab. 17.18. Liquorbefunde bei Meningitiden Normal
Bakterielle Meningitis
Virale Menigitis
Tuberkulöse Meningitis
Aussehen
klar
trübe bis eitrig
klar
klar, z. T. typische »Spinngewebsgerinsel«
Zellzahl/μl
0–4/μl
>1 000/μl bis >10 000/μl
20–1 000/μl
>100/μl
Zellart
mononukleär
granulozytär
mononukleär
mononukleär und granulozytär
Eiweiß (mg/dl)
<50 mg/dl
erhöht
leicht erhöht
mäßig erhöht
Glukose
2/3 der Blutglukose
erniedrigt
normal
stark erniedrigt
412
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
4 4–6 Wochen nach Erkrankungsbeginn: Hörprüfung 4 Supportiv ggf. Dexamethason i. v. > Die Abnahme des Erregermaterials muss vor Beginn der antibiotischen Therapie erfolgen, da die Erreger nach Therapiebeginn häufig nicht mehr nachweisbar sind.
Prävention.
4 Impfung gegen Haemophilus influenza Typ B. 4 Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C (bei Reisen ins Ausland), gegen die in Deutschland häufig vorkommende Serogruppe B gibt es derzeit keinen Impfstoff. 4 Impfung gegen Pneumokokken (ab 2. Lebensmonat) seit 2006 allgemeine Impfempfehlung 4 Kontaktpersonen von Patienten mit Meningokokkenmeningitis und Haemophilus influenza Meningitis müssen zügig eine Chemoprophylaxe mit Rifampicin p. o. erhalten. ! Rifampicin führt zur Orange-Färbung von Körperflüssigkeiten und Kontaktlinsen.
Prognose. Letalität: bis zu 20%; in ca. 25% bleibende
neurologische Schäden: Hörminderung (v. a. nach Pneumokokkeninfektion), Intelligenzminderung, zerebrale Krampfanfälle. Virale Meningitis Definition. Virale Infektion der Meningen mit: 4 Primär neurotropen Viren: Varizella-Zoster-Viren, Arboviren, Polioviren, Herpes-simplex-Viren 4 Nicht primär neurotropen Viren: ECHO-, Coxsackie A- und B-, CMV-, Adeno-, Masern-, MumpsViren, EBV, HIV 4 Am häufigsten ist eine Infektion mit ECHO- und Coxsackie-Viren. Symptomatik.
17
4 Plötzlicher Beginn mit Fieber, Erbrechen, Kopfschmerzen. 4 Deutlich mildere Symptomatik als bei der bakteriellen Meningitis, schwerere Krankheitsverläufe sind Hinweis auf eine Enzephalitis. Diagnostik.
4 Labor: BB: lymphozytäres Blutbild als Zeichen einer viralen Infektion; Serologie: ggf. Nachweis viraler Antikörper gegen Enteroviren, Mumps, FSME oder Borrelien 4 Lumbalpunktion: . Tab. 17.18 4 Virusisolierung: aus Liquor, Stuhl, Rachenspülwasser
Therapie. Symptomatisch: Bettruhe, Flüssigkeit, Anti-
pyrese. Prognose. Gut, in der Regel folgenloses Ausheilen. Komplikationen. Meningoenzephalitis. ! Eine Neuroborreliose kann das Bild einer viralen Meningitis imitieren, muss aber mit Ceftriaxon i. v. behandelt werden. Daher bei Verdacht auf virale Meningitis immer auch Mitbestimmung der Borrelien-Antikörper.
17.8.2 Enzephalitis und Myelitis Definition.
4 Enzephalitis: Entzündung des Gehirns 4 Myelitis: Entzündung des Rückenmarks Epidemiologie. Häufigkeit: ca. 20:100 000 Einwohner. Ätiopathogenese. Die Infektion erfolgt hämatogen
oder durch direktes Eindringen der Erreger. Häufige Erreger sind: 4 Masern-, Mumps-, Varizella zoster-, Herpes simplex-, Zytomegalie-, Influenza- und Enteroviren 4 Mykoplasmen 4 Bei immundefizienten Patienten Pilze 4 In Risikogebieten FSME Symptomatik.
4 Akuter Beginn mit Fieber, Erbrechen, Kopfschmerzen und zerebralen Krampfanfällen. 4 Meist rasche Progredienz: fluktuierende Bewusstseinstrübung bis zum Koma. 4 z. T. zerebelläre Symptome, schlaffe Paresen und Blasen-Mastdarmstörungen. 4 Selten organisches Psychosyndrom. 4 Häufig auch symptomarmer, schleichender Verlauf. Diagnostik.
4 Serologie: Nachweis von Virusantikörpern; Liquor: . Tab. 17.18. 4 EEG: generalisierte oder fokale Verlangsamung der Grundaktivität. 4 Ophthalmologische Untersuchung: Papillenschwellung (Stauungspapille) bei Gehirnödem. 4 Bildgebung: MRT: Darstellung der enzephalitische Herde, Gehirnödem.
413 17.8 · Entzündliche Erkrankungen des ZNS
Therapie.
4 Symptomatisch: Bettruhe, Analgetika, Antipyretika. 4 Evtl. Kortikoide, Antikonvulsiva. 4 Bei Verdacht auf Herpes-Enzephalitis: Aciclovir i. v. 4 Bei Verdacht auf Zytomegalie-Enzephalitis: Ganciclovir i. v. ! Die Herpesenzephalitis ist eine meist temporal lokalisierte Enzephalitis aufgrund einer Infektion mit HSV 1 (bei Neugeborenen auch HSV 2) mit fulminanten, häufig letalen Verläufen oder Defektheilung. Jede akut auftretende Enzephalitis sollte daher bis zum Beweis des Gegenteils mit Aciclovir i. v. behandelt werden.
Prognose.
4 Ungünstig, Regeneration erst nach Wochen. 4 Postenzephalitisches Syndrom: 5 Delirantes Bild mit schwerer psychomotorischer Unruhe 5 In >50% Defektheilung, z. B. Paresen, Krampfanfälle, häufig persistierende Teilleistungsschwäche oder Verhaltensstörung. Prophylaxe. Impfung gegen FSME, Poliomyelitis, Masern, Mumps, Röteln, bei Reisen nach Asien gegen Japanische Enzephalitis.
17.8.3 Hirnabszess
17
Therapie. Chirurgisch: Abszessdrainage, bei abgekapselten Prozess Abszessentfernung, Herdsanierung, i. v. antibiotische Therapie.
17.8.4 Parainfektiöse und immunologische
ZNS Erkrankungen Akute zerebelläre Ataxie Definition. Postinfektiöse Ataxie nach Virusinfekt, meist nach Varizelleninfektion. Epidemiologie. Häufigkeit 1:4 000; häufigste parain-
fektiöse Erkrankung des ZNS; Häufigkeitsgipfel: Kleinkindesalter. Symptomatik. Einige Tage nach Virusinfektion kommt es plötzlich zu Ataxie, Nystagmus, Dysarthrie und muskulärer Hypotonie. Die Diagnose ist eine Ausschlussdiagnose. Therapie/Prognose. Symptomatisch; die Prognose ist
gut, die Rückbildung der Symptomatik kann jedoch Wochen bis Monate dauern. Multiple Sklerose – Enzephalomyelitis disseminata Definition. Chronische, in Schüben verlaufende Erkrankung mit Demyelinisierung der weißen Substanz des Gehirns und des Rückenmarks. Epidemiologie.
Definition. Intrakranielle Abszesse. Ätiopathogenese.
4 Häufige Erreger sind Staphylokokken, Streptokokken und Pneumokokken. 4 Ursächlich sind septische Infektionen bei Osteomyelitis, Endokarditis, Tuberkulose oder Salmonellose (insbesondere des Säuglings) oder 4 fortgeleitete Infektionen aus dem HNO-Bereich bei Sinusitis, Otitis, Mastoiditis oder bei offenem Schädelhirntrauma. Symptomatik.
4 Rasch progrediente, meningitische Symptomatik: Kopfschmerzen, Übelkeit, Bewusstseinstrübung, Fieber. 4 Neurologische Herdsymptome: Krampfanfälle, Hemiparesen, z. T. Hirndruckzeichen. Diagnostik. Bildgebung: MRT, CT.
4 In Deutschland: Inzidenz 80–100:100 000/Jahr, ca. 200 Neuerkrankungen im Kindesalter/Jahr. 4 Manifestationsgipfel zwischen 25 und 40 Jahren, in 5% Erkrankungsbeginn vor dem 16. Lebensjahr. 4 w>m=2–3:1. 4 Betroffen ist v. a. die weiße Bevölkerung auf der nördlichen Halbkugel und in Australien, Farbige in den USA. Ätiopathogenese. Ursache unbekannt, es gibt verschie-
dene Hypothesen: 4 Autoimmunprozess gegen Myelinantigene 4 Genetische Disposition (in 10% familiäre Häufung, 15% erhöhtes Risiko bei Erkrankung eines Verwandten). 4 Virale Infektion, slow-virus-Genese, evtl. EBV, HHV-6 oder bakterielle Genese. Entzündliche Demyelinisierung (Entmarkung) der weißen Substanz in Gehirn und Rückenmark an mul-
414
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
tiplen Stellen, Beginn oft periventrikulär. Ersatz durch narbiges Gewebe, z. T. auch axonale Schädigung. Symptomatik. Es gibt verschiedene Verlaufsformen der MS: 4 Schubförmiger Verlauf mit kompletter Remission 4 Schubfömiger Verlauf mit inkompletter Remission 4 Chronisch progredienter Verlauf ohne Remissionen (prognostisch ungünstig)
Die MS kann symptomfrei verlaufen, meist ist sie jedoch symptomatisch in Abhängigkeit von der Lokalisation der Demyelinisierungsherde: Frühsymptome: 4 Sehstörungen: Neuritis nervi optici (NNO), Augenmuskelparesen: Doppelbilder, Nystagmus, Retrobulbärneuritis, temporale Abblassung der Papille 4 Sensibilitätsstörungen: Hypästhesien, Parästhesien, Erlöschen der Bauchhautreflexe Im Verlauf: 4 Hirnnervenstörungen: Sprechstörungen, Trigeminusneuralgien, Hypakusis, Geschmacksstörungen 4 Kopfschmerzen, Erbrechen, Missempfindungen, Schwindel 4 Muskelschwäche, Ataxie, Dysmetrie, spastische Paresen, gestörte Feinmotorik 4 Blasen-/Mastdarmstörungen 4 Psychische Störungen: Dysphorie, inadäquate Euphorie, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, emotionale Labilität Diagnostik.
17
4 Anamnese: frühere Schübe, evtl. ignorierte Symptome 4 Labor: zum Ausschluss von Differenzualdiagnosen Bestimmung von Immunglobulinen, Autoantikörpern, Virusserologie, Borrelien, evtl. Stoffwechselscreening 4 Lumbalpunktion: klarer Liquor, Pleozytose, Eiweiß normal oder ↑, Nachweis einer intrathekalen IgGSynthese, Nachweis oligoklonaler Banden in 60%, Schrankenstörung
4 Bildgebung: MRT-Schädel (nativ und mit Kontrastmittel), Nachweis entzündlicher Herde, v. a. periventrikulär und im Bereich des Corpus callosum 4 Ophtalmologische Untersuchungen: NNO, Augenmuskellähmungen, Farbsehstörungen? 4 Evozierte Potenziale: VEP, AEP, SSEP, MEP verlangsamt 4 Evtl. EEG: Allgemeinveränderungen 4 Evtl. Abdomen-Sonographie: Blasenentleerungsstörung? Diagnosekriterien nach McDonald (vgl. Lehrbücher der Neurologie). Therapie.
4 Keine kausale Therapie möglich. 4 Im akuten Schub: hochdosierte Glukokortikoide i. v. über 3 Tage. 4 Bei häufigen Schüben Langzeittherapie: β-Interferone, evtl. Glatirameracetat, Azathioprin (für Kinder noch keine generelle Empfehlung). 4 Symptomatische Therapie: Vemeidung von Belastungssituationen, psychosoziale Therapie, Physiotherapie, Behandlung orthopädischer Folgeprobleme, Einmalkatheterisieren bei Blasenentleerungsstörungen, regelmäßige Nachsorgetermine alle 6– 12 Monate. 17.9
Verletzungen
17.9.1 Schädelhirntrauma Definition. Schädelhirntrauma mit Schädel- oder Gesichtsfraktur und/oder epiduralen, subduralen oder intrazerebralen Blutungen. Ätiopathogenese.
4 Typische Verletzungsform im Kindesalter sind Stürze von Wickelkommoden, aus dem Hochbett oder aus Babytragen und Schütteltraumen. 4 Bei älteren Kindern sind v. a. Verkehrsunfälle und Sportunfälle relevant. Einteilung. . Tab. 17.19.
. Tab. 17.19. Schädelhirntrauma: Einteilung nach der allgemeinen und neurologischen Symptomatik Schwere
Gradeinteilung
Dauer der Bewusstseinsstörung
Leichtes Schädelhirntrauma
I (Commotio cerebri)
kurzzeitig (bis 4 Tage)
Mittelschweres Schädelhirntrauma
II (Contusio cerebri)
bis 3 Wochen
Schweres Schädelhirntrauma
III (Contusio cerebri)
3 Wochen
17
415 17.9 · Verletzungen
4 Commotio cerebri: Gehirnerschütterung ohne oder mit nur geringen morphologischen Veränderungen des Gehirns 4 Contusio cerebri: Hirnprellung mit morphologischer Gewebsschädigung: Rindenprellungsherden 4 Compressio cerebri: Hirnquetschung, -kompression durch Blutungen 4 Geschlossenes Schädelhirntrauma: ohne Schädeleröffnung 4 Offenes Schädelhirntrauma: mit Verletzung der Dura mater
. Tab. 17.20. Glasgow-Koma-Scale (GCS) zur Beurteilung des Ausmaßes einer Bewusstseinsstörung Punkte Augen öffnen
Körpermotorik
Ätiopathogenese. Bei Säuglingen und Kleinkindern
sind die Schädelnähte noch offen und der Schädelknochen weicher, der Schädel ist bis zu einem gewissen Grad verformbar. Beschleunigungs-, Rotations- oder Verzögerungstraumen führen zu »Coup«- (Stoßherd durch Anprall) und »Contre-Coup«-Herden (Gegenstoßherd: gegenüber liegender Rindenprellungsherd).
Verbale Reaktion
Symptomatik.
4 Leichtes Schädelhirntrauma (. Tab. 17.20): 5 Benommenheit bis kurzzeitige Bewusstlosigkeit, retrograde Amnesie 5 Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel 4 Schweres Schädelhirntrauma: 5 Primäre Bewusstlosigkeit 5 Neurologische Herdsymptome in Abhängigkeit von Lokalisation und Ausmass der Gewebeschädigung (zerbrale Anfälle, Lähmungen etc.) 5 Bei Schädelbasisfraktur: Blut-/Liquoraustritt aus Nase/Ohren, Monokel- oder Brillenhämatom ! Bei schwerem Schädelhirntrauma besteht die Gefahr einer intrakraniellen Drucksteigerung mit Minderperfusion von Gehirngewebe und Gefahr der Einklemmung des Hirnstamms.
Spontan
4
Auf Ansprechen
3
Auf Schmerzreiz
2
Kein Augen öffnen
1
Adäquate Bewegung auf Aufforderung
6
Gezielte Abwehr auf Schmerzreize
5
Ungezielte Beugung der Extremitäten auf Schmerzreize
4
Armbeugung und Beinstreckung auf Schmerzreize
3
Streckung der Extremitäten auf Schmerzreize
2
Keine (auch nicht auf Schmerzreize)
1
Patient orientiert und beantwortet Fragen
5
Patient desorientiert, aber beantwortet Fragen
4
Inadäquate verbale Antwort auf Ansprechen
3
Unverständliche Sprache
2
Keine
1
Bemerkung: bei Kindern, insbesondere Kleinkindern müssen die Reaktionen an die Fähigkeiten der Altersgruppe angepasst werden
5 Bei Säuglingen Sonographie des Schädels: Mittellinienverlagerung, Blutung? 5 CT-Schädel oder MRT bei Verdacht auf Blutung, Gehirnödem und Schädelbasisfraktur. 5 Ggf. Röntgenuntersuchung des Schädels bei Frakturverdacht.
Diagnostik.
Therapie.
4 Anamnese, klinische Untersuchung, Hirnnervenprüfung, bei schweren Traumen Bestimmung der Glasgow Coma Scale und Dokumentation. 4 Ophthalmologische Untersuchungen: Stauungspapille, Blutungen. 4 Bildgebung: 5 Sonographie-Abdomen und Röntgen-Thorax zum Ausschluss weiterer Verletzungen.
4 Leichtes und moderates Schädelhirntrauma: 5 Stationäre Überwachung während der ersten 24–48 h 5 Regelmäßige Überwachung von Kreislauf, Atmung und Pupillenreaktion 4 Schweres SHT: 5 Sicherung der Vitalparameter 5 Intubation und Beatmung, Schocktherapie
416
Kapitel 17 · Erkrankungen des Nervensystems
5 Ggf. chirurgische Hebung von Kalottenimpressionen oder Ausräumung von epi- oder subduralen Hämatomen 5 Schmerztherapie 5 Rehabilitation
Prognose.
4 Leichtes und moderates SHT: sehr gute Prognose. 4 Schweres SHT: häufig letal oder neurologische Residualsymptome (Lähmungen, Verhaltensstörungen, posttraumatische Epilepsie).
17.9.2 Intrakranielle Blutungen . Tab. 17.21. Intrakranielle Blutungen Blutung
Charakteristik
Symptomatik
Therapie
Epiduralhämatom
Blutung zwischen Schädelknochen und Dura mater durch Einriss der A. meningea media
Oft mehrstündiges, weitgehend symptomfreies Intervall, dann zunehmende Bewusstseinstrübung, neurologische Herdzeichen, Krampfanfälle Schwere Hirndruckzeichen, Atemstörung
Bei raumforderndem Effekt sofortige operative Entlastung.
Subduralhämatom
Hämatom zwischen Dura mater und Gehirnoberfläche durch Einriss von Brückenvenen.
Akutes Subduralhämatom: uncharakteristische Allgemeinsymptome: Erbrechen, Kopfschmerzen. Chronisches Subduralhämatom: Hirndrucksymptome: Makrozephalie, gespannte Fontanelle, ggf. Nahtsprengung, Krampfanfälle, Stauungspapille.
Größere Subduralhämatome: operative Ausräumung. Chronische Subduralhämatome: rezidivierende Punktionen, ggf. Anlage von Shuntsystemen.
Subarachnoidalblutung
Blutung im Subarachnoidalraum, häufig bei Gefäßdysplasien oder hämorrhagischer Diathese.
Plötzlich einsetzende heftigste Kopfschmerzen Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Meningismus Bewusstseinstrübung bis Koma Im Verlauf neurologische Herdsymptome
Operation oder Abwarten je nach Lokalisation und Art der Blutungsquelle.
Intrazerebrale Blutung
Blutung innerhalb des Parenchyms des Gehirns, häufig auch sekundär in Kombination mit subduralen oder epiduralen Hämatomen.
Je nach Lokalisation und Ausdehnung: Kopfschmerzen, Hirndrucksymptomatik Bewusstseinstrübung bis Koma, neurologische Herdsymptome
Operation oder Abwarten, je nach Lokalisation und Ausdehnung.
17.10
17
Gehirntumoren
7 Kap. 10.5.
18 18 Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch
418
Kapitel 18 · Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch
Einteilung.
4 Seelische Vernachlässigung oder Misshandlung 4 Körperliche Vernachlässigung oder Misshandlung 4 Sexuelle Gewalt (sexueller Übergriff, sexueller Missbrauch) Definition.
4 Seelische Vernachlässigung: von Vernachlässigung und Deprivation spricht man, wenn ein Kind von seiner näheren Umgebung zu wenig emotionale Zuwendung oder einen Mangel an Pflege, Anregung oder Schutz erfährt. 4 Körperliche Vernachlässigung: unzureichende Ernährung und mangelhafte körperliche Pflege des Kindes mit Gefährdung von Gedeihen und Entwicklung. Häufig soziale Isolation der Familie, mangelnde Krisenbewältigung und elterliche Inkompetenz. 4 Körperliche Misshandlung (non accidental injury, früher: battered child syndrome): Verletzungen durch Schläge oder andere Gewalteinwirkung. > Dringender Verdacht auf Kindesmisshandlung besteht bei: 4 multiplen Hämatomen an ungewöhnlichen Körperpartien 4 radiologisch nachgewiesenen Frakturen unterschiedlichen Alters 4 wenn von Eltern unglaubwürdige Verletzungsursachen oder verharmlosende Erklärungen vorgebracht werden.
Epidemiologie. Hohe Dunkelziffer; in Deutschland ca. 1700 gemeldete Fälle/Jahr; v. a. Kinder <4 Jahren betroffen. Klinik.
18
4 Körperliche Befunde: 5 Hautveränderungen: Narben, Striemen, Hämatome, Abdrücke von Gegenständen, Würgemale am Hals, Bissverletzungen 5 Hämatome an ungewöhnlichen Stellen: Gesicht, behaarte Kopfhaut, oberer Rücken, Gesäß, Einblutungen in die Konjunktiven 5 Brandverletzungen (Zigarette), am Gesäß (Herdplatte) oder strumpfförmig an beiden Füßen (heißes Bad) 5 Frakturen (Schädel, Extremitäten, Rippen), Nebeneinander von mehreren Frakturen unterschiedlichen Alters 5 Schmerzhafte Bindegewebsschwellungen 5 Schädelhirntraumata 5 Subdurale Hämatome, Retinablutungen
5 Bei stumpfen Bauchtraumen: Leber- oder Milzrupturen 5 Unterernährung 5 Verletzungen im Genital- und Analbereich 5 Ungewöhnliche, nicht erklärbare körperliche Befunde 5 Schwangerschaften, genitale Infektionen 4 Psychische Befunde: 5 Auffällige Verhaltensmuster: Weglaufen, Suizidversuche, sexualisiertes Verhalten 5 Ängstlichkeit, Übervorsichtigkeit, eingeschränkte soziale Interaktion 5 Fehlendes Schutzsuchen bei den Eltern 5 Überanpassung, Überfreundlichkeit, auch Distanzlosigkeit 5 Autoaggression oder Aggression gegen Gleichaltrige 5 Teilnahmslosigkeit > Als Todesursache misshandelter Kinder stehen Kopfverletzungen mit subduralen Hämatomen und Ventrikelblutungen an erster Stelle.
Sonderformen.
4 Schütteltraumata (durch heftiges Schütteln der Kinder verursacht) führen zu: 5 Verletzungen der Halswirbelsäule 5 Subduralblutungen durch Brückenvenenabrisse, multiplen Schädelverletzungen, intrazerebralen Blutungen (Augenhintergrunduntersuchung!) 5 Bewusstseinsstörungen, Krampfanfällen, Blindheit, bleibenden Gehirnschäden 4 Münchhausen by proxy: v. a. von Müttern (infolge einer psychischen Störung) verursachte Erkrankungen, z. B. durch Verabreichung von Medikamenten (z. B. Insulin, Diuretika), durch Vergiftungen oder durch rezidivierende Infektionen (z. B. Wundheilungsstörungen), auch Vortäuschen von Symptomen oder Befunden. Diagnostik.
4 4 4 4
Anamnese, Gespräch mit Patienten und Familie Dokumentation, Photodokumentation Sorgfältige körperliche Untersuchung Labor: BB, Gerinnung (Ausschluss Differenzialdiagnosen s. unten) 4 Ophthalmologie: Funduskopie? 4 Bildgebung: 5 Röntgenaufnahme des Schädels 5 Radiologischer »Skelettstatus« 5 Ältere Kinder: Skelettszintigraphie 5 Sonographie-Abdomen
419 18 · Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch
4 Bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch: gynäkologische Untersuchung 4 Einschaltung der Behörden (Jugenamt), evtl. Inobhutnahme: gesetzlich vorgeschriebene Herausnahme des Kindes aus seiner Familie und Unterbringung in einer Einrichtung zum Schutz des Kindes bei akuter Gefährdung. 4 Einschaltung des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes. ! 4 4 4
Radiologisch verdächtige Befunde sind: subperiostale Verkalkungen Absprengung im Metaphysenbereich Spiralfrakturen an Röhrenknochen
> Eine detaillierte Dokumentation, inkl. Photodokumentation, ist bei Verdacht auf Kindesmisshandlung essenziell.
18
Klinik.
4 Häufig stammen die Täter aus dem familiären Umfeld: Väter, Stiefväter, Brüder oder Bekannte der Familie (nur in 12% der Fälle sind die Täter Fremde). 4 Häufig werden Kinder und Jugendlich zum Verschweigen der sexuellen Handlung unter Strafoder sogar Tötungsandrohung verpflichtet. 4 z. T. Verletzungen in Genital- oder Analbereich 4 z. T. Genitalinfektionen, häufig verschleppte Infektionen z. B. persistierender vaginaler Ausfluss, nässende Wunden, Ekzeme 4 z. T. sexually transmitted diseases: Hepatitis B, HIV 4 Schwere psychische Folgeerscheinungen, häufig erst nach Jahren, Manifestation als Persönlichkeitsstörungen, Probleme bei der Partnersuche bis hin zu Suizidversuchen
Differenzialdiagnostik.
Diagnostik.
4 4 4 4
4 Nachweis von Spermien bis zu 12 h nach dem Samenerguss möglich. 4 Mit Spezialmethoden (molekulargenetische Untersuchungen) kann Spermaflüssigkeit unter Umständen noch nach Tagen, Wochen oder Monaten nachgewiesen werden.
Leukämie (Knochenschmerzen, Hämatome) Gerinnungsstörung (Hämatome) Glutarazidurie Typ I (subdurale Hygrome) Rachitis, Osteogenesis imperfecta, metaphysäre Skelettdysplasien
Sexueller Missbrauch Definition. Sexuelle Handlungen an Kindern, die der sexuellen Befriedigung von Erwachsenen (oder Jugendlichen) dienen. Beteiligung von Kindern an sexuellen Aktivitäten, die sie nicht oder nicht völlig verstehen und denen sie nicht verantwortlich zustimmen können.
Therapie.
4 Akute Intervention: Entfernung des Kindes aus der Gefahrenzone 4 Evtl. unter einem Vorwand Klinikeinweisung zum Schutz des Kindes, Deeskalation 4 Erstellung eines Hilfsplans in Zusammenarbeit Psychologen, Kinder- und Jugendpsychiatern, Sozialpädagogen, Erziehern und Ärzten 4 Benachrichtigung der zuständigen Behörden (u. a. Jugendamt), ggf. Inobhutnahme
19 19
Wichtige psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen
19.1
Essstörungen
19.1.1
Anorexia nervosa
19.2
Störungen der Ausscheidungsfunktionen – 422
19.2.1 19.2.2
Enuresis – 422 Enkopresis – 422
19.3
Bewegungsstereotypien
19.4
Störungen des Sprechablaufs – 423
19.4.1 19.4.2
Sprachentwicklungsstörungen – 423 Sprechstörungen – 423
19.5
Teilleistungsstörungen
19.5.1
Lese-Rechtschreibschwäche (Legasthenie) – 424
19.6
Tic-Störungen – 424
19.7
Hyperkinetisches Syndrom (HKS)
19.8
Tiefgreifende Entwicklungsstörungen – 425
19.8.1
Frühkindlicher Autismus
– 421 – 421
– 423
– 424
– 425
– 425
421 19.1 · Essstörungen
19.1
Essstörungen
19.1.1 Anorexia nervosa Definition. Absichtlich herbeigeführter Gewichtsverlust durch Hungern (restriktive Form) oder durch Hungern und die Einnahme von Laxanzien (aktive Form), einhergehend mit einer ausgeprägten KörperschemaStörung.
19
. Tab. 19.1. Diagnosekriterien Anorexia nervosa nach ICD 10 Tatsächliches Körpergewicht liegt mindestens 15% unter dem zu erwartenden Gewicht oder Body-Mass-Index ≤17,5. Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch: 4 selbstinduziertes Erbrechen 4 selbstinduziertes Abführen 4 übertriebende körperliche Aktivität 4 Gebrauch von Appetitzüglern und/oder Diuretika
Epidemiologie.
Körperschema-Störung
4 Häufigkeit bei Frauen: ca. 0,5‒1% 4 Beginn der Erkrankung meist zwischen 10. und 18. Lebensjahr 4 Gehäuft in der sozialen Mittel- und Oberschicht auftretend 4 w:m ca. 10:1
Endokrine Störung der Hypothalamus-Hypophysenachse: bei Frauen Amenorrhoe, bei Männern Libido- und Potenzverlust
Ätiopathogenese. Zugrunde liegt eine Kombination aus:
4 Genetischen Faktoren (Serotonin 5HT2A-Rezeptor-Gen) 4 Familienstörung: Bindung- und Beziehungsstörung, gestörter Loslösungsprozess 4 Ablehnung der weiblichen Geschlechtsrolle 4 Ungleichgewicht der Östrogen- und Leptinkonzentration 4 Leistungsorientiertheit, niedriges Selbstwertgefühl 4 Kulturelle Faktoren (Schönheitsideal) 4 Häufig Komorbidität mit anderen psychischen Störungen: z. B. Zwangs- oder Angststörung, Depression Klinik.
4 Restriktives Diäthalten oder völlige Nahrungsverweigerung 4 Extreme Gewichtabnahme, das durchschnittliche Gewicht beträgt etwa 45% des Ausgangsgewichts 4 BMI <10. Perzentile, meist <3. Perzentile 4 Gewichtsphobie: trotz ausgeprägtem Untergewicht besteht die tief verwurzelte Überzeugung, zu dick zu sein. 4 Auffälliges Essverhalten: Zerpflücken der Nahrung, äußerst langsames Essen, Stochern 4 Exzessives Sport treiben 4 Krankheitsverleugnung 4 Sozialer Rückzug 4 Endokrinologische Folgen: Frauen: Amenorrhoe; Männer: Libido oder Potenzverlust; Plasmakortisol ↑ ohne physiologische Tagesschwankungen, Gonadotropine ↓ 4 Organische Symptome: 5 Bradykardie, Hypotonie 5 Lanugobehaarung, Ödeme, Haarausfall
Verzögerte oder gestörte Pubertätsentwicklung
5 Obstipation 5 Pseudoatrophie des Gehirns ! Eine fortgeschrittene Anorexia nerviosa kann zu lebensbedrohlichen Elektrolytverschiebungen und Herzrhythmusstörungen führen. Häufig besteht begleitend eine depressive Verstimmung mit Suizidalität.
Diagnostik.
4 Klinisches Bild, ausführliche Anamnese 4 Konsil der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Diagnosebestätigung) 4 Labor: evtl. erhöhte Transaminasen, Leukopenie, Hypokaliämie 4 EKG: zum Ausschluss von Herzrhythmusstörungen Differenzialdiagnostik.
4 Andere Essstörungen, . Tab. 19.2 4 Organische Erkrankungen: Tumoren, Magendarmerkrankungen, Hyperthyreose, Diabetes mellitus 4 Heißhungerattacken bei bestimmten EpilepsieFormen 4 Schizophrene Psychosen, affektive Störungen, Zwangsstörungen Therapie.
4 Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie) 4 Ernährungsberatung, Gewichtsrehabilitation, falls unter stationären Bedingungen in kinder- und jugendpsychiatrischer Klinik keine Gewichtszunahme: Sondenernährung 4 Stationäre Aufnahme bei ausgeprägtem (>25%) Gewichtsverlust, Suizidalität, rapidem Gewichtsverlust, Komorbidität, Scheitern ambulanter Behandlungsversuche
422
Kapitel 19 · Wichtige psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen
. Tab. 19.2. Weitere Essstörungen Störung
Symptomatik
Pica
Essen ungenießbarer, zum Essen nicht geeigneter Substanzen oder Gegenstände, z. B. Abfälle, Schmutz, Kot, Sand
Rumination
Bewusstes Heraufwürgen von Nahrung, erneutes Kauen und Schlucken oder Ausspucken
Bulimie
Permanente Beschäftigung mit dem Essen, rezidivierende Heißhungerattacken mit Aufnahme großer Mengen hochkalorischer Nahrung in kurzer Zeit, gefolgt von zunächst selbst-induziertem Erbrechen, das später reflexhaft abläuft. Zwischen den Attacken versuchen die Patienten, eine strenge Diät einzuhalten; krankhafte Furcht, zu dick zu werden; in der Anamese häufig Anorexie
4 Therapie organischer Folgen: Elektrolytverschiebung, Bradykardie, Herzrhythmusstörungen 4 Ggf. Soziotherapie (betreutes Wohnen) 4 Bei Komorbidität (Depression, Zwangserkrankungen, Ängsten): ggf. Einsatz von Neuroleptika und Antidepressiva 4 Einbeziehung der Familie, ggf. Familientherapie > Die Therapie der Anorexia nervosa gestaltet sich v. a. aufgrund der mangelnden Kranheitseinsicht häufig schwierig: vordringliches Therapieziel ist die Gewichtzunahme des Patienten, in schweren Fällen muss die Ernährung per Sonde oder parenteral erfolgen.
Prognose. Letalität 5‒15%; Heilung in 68‒83%; chroni-
scher Verlauf in ca. 20%. 19.2
Störungen der Ausscheidungsfunktionen
19.2.1 Enuresis 7 Kap. 14.
19
19.2.2 Enkopresis
4 Primäre Enkopresis: Kind war noch nie sauber. 4 Sekundäre Enkopresis: Kind war bereits für ca. 6 Monate sauber. 4 Überlaufenkopresis: Zurückhalten von Stuhl im Enddarm und sekundäre Ausbildung eines Megakolons, es kommt zum »Überlaufen« von dünnerem Stuhl an den harten Stuhlballen vorbei, auch retentive Obstipation genannt. 7 Kap. 13. 4 Nicht-retentive Enkopresis: unzureichende Darmkontrolle ohne Obstipation aufgrund von unzureichendem Toilettentraining oder unzureichendem Ansprechen auf Toilettentraining. Epidemiologie.
4 Wesentlich seltener als Enuresis, in 25% gemeinsam mit einer Enuresis auftretend. 4 m:w=3:1. Ätiopathogenese.
4 4 4 4 4
Darmmotilitätsstörungen Obstipation Wahrnehmungsstörungen Familiäre und soziale Faktoren Assoziiert mit psychischen Erkrankungen: Zwangsstörung, Schizophrenie, Depression, ADHS, geistige Behinderung, akute Belastungsreaktion, etc.
Klinik.
4 Die Symptomatik ist variabel von seltenen, voluminöse Stuhlentleerungen bis hin zu täglichen Schmierstühlen in der Unterwäsche. 4 Bei Obstipation und Retention größerer Stuhlmengen ggf. abdominelle Beschwerden. Differenzialdiagnose. Organische Störungen: Morbus Hirschsprung, Analfissuren, neurologische Erkrankungen (Spina bifida etc.). Therapie.
4 Verhaltenstherapie: Toilettentraining, Verstärkersysteme, Ernährungsberatung, Schulung bzgl. hygienischer Maßnahmen, Übungen zur verbesserten Körperwahrnehmung 4 Aufklärung, Reduktion der psychischen Belastung, Reduktion von Angst und Schuldgefühlen 4 Ballaststoffreiche Diät, ggfs. abführende Maßnahmen, viel Flüssigkeit 4 Elterntraining
Definition. Wiederholte, unwillkürliche oder willkürli-
Prognose. Gut, die Symptomatik sistiert meist bis zum
che Entleerung von Stuhl in die Wäsche oder an andere Stellen nach dem 4. Lebensjahr ohne organische Ursache.
16. Lebensjahr.
423 19.4 · Störungen des Sprechablaufs
19.3
Bewegungsstereotypien
Definition. Wiederholte, stereotype Bewegungsmuster,
die nicht auf eine neurologische Erkrankung zurückzuführen sind. Epidemiologie.
4 Häufigkeit motorischer Stereotypien im Säuglingsund frühen Kindesalter: 15‒20% bis zum 3. Lebensjahr, danach selten. 4 m>w Ätiopathogenese.
4 Häufig bei vernachlässigten Kindern oder bei Kindern mit Intelligenzminderung und tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (Autismus) 4 Häufig Ausdruck von Unter- oder Überstimulation 4 Verstärkung durch Langeweile, Müdigkeit, Isolation Klinik. Typische Stereotypien sind:
4 Körper- oder Kopfschaukeln, Kopf- und Körperjaktationen (am häufigsten) 4 Haarezupfen, Haaredrehen 4 Fingerschnippen, Händeklatschen, -wedeln 4 Augenbohren 4 Schlagen oder Beißen bestimmter Körperregionen 4 Nägelkauen oder Abreißen von Nägeln, Haaren, Wimpern Differenzialdiagnosen.
4 4 4 4 4
Tics Zwangsstörungen Epilepsie Psychosen Entwicklungsstörungen, Zerebralparesen
19
4 Expressive Störung: 5 Später Sprechbeginn, für das Alter zu geringer Wortschatz, eingeschränkte Verständlichkeit, zu kurze Satzlänge, z. B. Ein- bis Zweiwortäußerungen mit 36 Monaten oder nur einfache Hauptsätze mit 6‒7 Jahren 5 Häufig falsche Wortstellung im Satz, Schwierigkeiten beim Gebrauch grammatikalischer Wortformen z. B. von Plural, Vergangenheitsformen u. ä. 4 Rezeptive Störung: 5 Kein altersentsprechendes Verständnis der gesprochenen Sprache 5 Fehlendes oder nicht zuverlässiges Befolgen von Anweisungen 5 Jüngere Kinder sprechen nicht oder nur einzelne Wörter Ätiopathogenese.
4 Neurologische Erkrankungen 4 Anatomische Ursache (z. B. Lippen-Kiefer-Gaumenspalte) 4 Hörstörungen, Sehstörungen 4 Familiäre Sprachschwäche 4 Soziale Deprivation, mangelnde Anregung Therapie.
4 Aufklärung und Beratung 4 Aufbau und Erweiterung der Kommunikation 4 Logopädische Therapie mit Versuch der Verbesserung des Sprachverständnisses, der Verständlichkeit der gesprochenen Sprache und der Ausdrucksfähigkeit 19.4.2 Sprechstörungen
Therapie.
Stottern
4 Abwehr einer Gefährdung oder einer bleibenden gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Selbstschädigung 4 Verhaltenstherapie, Milieutherapie (Verbesserung des sozialen Umfelds) 4 Evtl. Neuroleptikatherapie
Definition. Häufige Unterbrechung des Redeflusses mit Wiederholung von Lauten oder Wortteilen. Epidemiologie. Häufigkeit: 5% bei Jungen im Alter von
5 Jahren; 2% bei Mädchen. Ätiopathogenese.
19.4
Störungen des Sprechablaufs
19.4.1 Sprachentwicklungsstörungen Definition. Sprachentwicklungsstörung: Man unter-
scheidet zwischen expressiven und rezeptiven Sprachentwicklungsstörungen:
4 Kombination aus genetischen, psychischen und hirnorganischen Ursachen 4 Das Ausmaß der Sprechstörung ist abhängig vom Grad der emotionalen Belastung durch die Sprechsituation.
424
Kapitel 19 · Wichtige psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen
Klinik.
Prognose. Nur ca. 20‒25% aller Kinder erlernen eine
4 Klonisches Stottern: Wiederholung beim Sprechbeginn 4 Tonisches Stottern: Blockierungen beim Sprechablauf 4 Kombinierte Formen
normale Rechtschreibung, die Lesegeschwindigkeit bleibt häufig beeinträchtigt.
Therapie.
Definition. Plötzlich auftretende, unwillkürliche, kurze und unregelmäßige, meist heftige Bewegungen (motorische Form) oder vokale Äußerungen oder Laute (verbale Form), auch gemischte Formen. Gilles-de-la-Tourette-Syndrom: Sonderform der Tic-Störung mit multiplen motorischen und mindestens einem vokalen Tic.
4 Elternberatung 4 Logopädische Therapie: Besserung der Sprechstörung 4 Abbau sozialer Ängste, psychische Stabilisierung, Verhaltenstherapie
19.6
Tic-Störungen
Prognose. Spontanremission (ca. 40% bis zum 10. Le-
bensjahr), in 30% deutliche Besserung der Symptomatik, in 30% kaum Besserung 19.5
Teilleistungsstörungen
19.5.1 Lese-Rechtschreibschwäche
(Legasthenie) Definition. Störung der Lesefähigkeit (Lesegeschwin-
digkeit, Leseverständnis) und der Rechtschreibung, die nicht Folge einer Erkrankung, eines mangelnden Schulbesuchs oder einer Intelligenzminderung sind. Ätiopathogenese/Epidemiologie.
4 Genetische Faktoren 4 Visuelle und auditive Wahrnehmungsstörung, gestörte Sprachwahrnehmung und -verarbeitung 4 Häufigkeit ca. 5%; m:w 2:1
19
Einteilung der Tic-Störungen 4 Motorische Tics: – Einfach motorische Tics: z. B. Blinzeln, Zucken im Gesicht, Grimassieren – Komplex motorische Tics: z. B. Hüpfen 4 Verbale Tics: – Einfach verbale Tics: z. B. Räuspern, Grunzen – Komplex verbale Tics: z. B. Sätze, Worte, Schimpfworte – Echolalie: zwanghaftes Nachsprechen – Koprolalie: zwanghaftes Aussprechen von Fäkalworten – Palilalie: zwanghafte Satzwiederholungen 4 Vorübergehende Tic-Störung: Symptomatik <1 Jahr anhaltend 4 Chronische Tic-Störung: Symptomatik >1 Jahr anhaltend
Klinik.
Epidemiologie.
4 Leseleistung und/oder Rechtschreibleistung unterdurchschnittlich im Bezug auf Klassenstufe und Intelligenz 4 Sprachentwicklungsstörung im Vorschulalter (60%) 4 Häufig mit anderen Störungen assoziiert, z. B. Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität 4 Im Verlauf kann es zu emotionaler Belastung, zu Störungen im Lernverhalten, psychosomatischen Symptomen und depressiver Verstimmung kommen.
4 Häufigkeit: 5‒15% der Kinder; m:w=ca. 4:1 4 Manifestationsgipfel ca. 7. Lebensjahr
Therapie.
Symptomatik.
4 Systematische Sprachförderung, schulische Förderung 4 Psychotherapeutische Unterstützung, Elternberatung und -training
4 Häufig vorausgehende »Aura«, im Sinne eines Gefühls der sensorischen Anspannung, dann motorische und/oder verbale Tics. 4 Tics können z. T. unterdrückt werden, aber nicht grundsätzlich verhindert.
Ätiopathogenese.
4 Familiäre Häufung 4 Psychogene Hypothesen, z. B. übermäßige Hemmung des Kindes führt zu überschießenden Durchbruchshandlungen 4 Ungleichgewicht verschiedener Neurotransmittersysteme, Dysfunktion dopaminerger Systeme
425 19.8 · Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
4 Gehäuftes Auftreten bei Anspannung, selten im Schlaf. 4 Häufig Komorbidität: ADHS, Lernstörungen, Depression, Zwangsstörungen. Diagnostik. Klinik, Anamnese. Therapie.
4 Milde Formen: Psychotherapie (Verhaltenstherapie) 4 Schwere Formen: medikamentöse Therapie mit Tiaprid (D2-Rezeptorantagonist), evtl. Neuroleptika oder Antidepressiva Prognose.
4 Vorübergehende Tic-Störung: gute Prognose 4 Chronische Tic-Störung: z. T. protrahierte Verläufe, die Symptomatik nimmt im Verlauf jedoch eher ab. 4 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom: häufig chronischer Verlauf
Therapie. Interdisziplinäre Betreuung: 4 Psychotherapie: Verhaltenstherapie, Familientherapie 4 Medikamentöse Therapie: Stimulanzien (z. B. Methylphenidat, Dextroamphetamin) und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (z. B. Atomoxetin) ! Tranquilizer oder Barbiturate sind bei ADHS kontraindiziert.
Prognose.
4 Meist Rückbildung der Symptome mit zunehmendem Alter 4 Jedoch hohe Rate an Komorbidität: Substanzmissbrauch, Dissozialität, Delinquenz, Persönlichkeitsstörungen, Depression, Suizidalität 4 Erhöhte Unfallrate 4 Medikamentöse Therapie: kurzzeitiger Erfolg in 80‒85%, langfristiger Erfolg in 75% 19.8
19.7
Hyperkinetisches Syndrom (HKS)
Synonym. ADHS: attention deficit hyperactivity disor-
der; Aufmerksamkeitsdefizit mit oder ohne Hyperaktivitätsstörung.
19
Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
19.8.1 Frühkindlicher Autismus Synonym. Kanner-Syndrom, infantiler Autismus, pervasive developmental disorder (PDD).
Definition. Erkrankung mit den Leitsymptomen einge-
schränkte Aufmerksamkeitsfähigkeit, motorische Hyperaktivität, gesteigerte Impulsivität und Erregbarkeit oder Irritierbarkeit.
Definition. Tiefgreifende Entwicklungsstörung von
Sprache, Empathie und Interessen mit einer ausgeprägten Störung des interpersonellen Kontakts.
Epidemiologie.
Epidemiologie.
4 Häufigkeit: ca. 3% der Schulkinder 4 Beginn häufig < 6. Lebensjahr, m:w: ca. 3:1
4 Häufigkeit: ca. 4‒5:10 000 Kinder; m:w=ca. 3:1 4 Manifestation vor dem 3. Lebensjahr
Ätiopathogenese.
Ätiopathogenese.
4 Genetische Faktoren, familiäre Häufung 4 Hirnfunktionsstörungen und gestörte Impulskontrollsteuerung
4 Genetisch bedingt, familiäre Häufung: Geschwister von autistischen Patienten haben 60- bis 100-fach erhöhtes Risiko. 4 Strukturelle und funktionelle Gehirnveränderungen: in 30% mit Epilepsie assoziiert, häufig Intelligenzminderung.
Symptomatik.
4 Kleinkinder: ständiges Rennen, unfähig still zu sitzen, ständig auf dem Sprung 4 Schulkinder: unruhig, zappelig, Schlafstörung, so genannte »Träumer« 4 Jugendalter: stimmungslabil, impulsiv, geringe Frustrationstoleranz 4 Lernstörung, Ablenkbarkeit, häufig auch Dyskalkulie 4 Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu Dissozialität und Delinquenz
Symptomatik.
4 Abkapseln von der Umgebung 4 Kontaktaufnahme mit der Umgebung nur über ritualisierte Wege möglich 4 Soziale Aktivitäten auf ein Minimum reduziert 4 Fehlen von Empathie, Mitleid, Fähigkeit zu interpersonellen Kommunikation 4 Starke Selbstbezogenheit, Affektarmut
426
Kapitel 19 · Wichtige psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen
. Tab. 19.3. Weitere Formen tiefgreifender Entwicklungsstörungen Definition
Symptomatik
AspergerSyndrom
Extremvariante einer schizoiden Persönlichkeit
4 4 4 4 4
Beziehungsstörungen (weniger ausgeprägt als bei Autisten) Spezialinteressen Stereotype Aktivitäten Sprachfähigkeit erhalten Nicht selten überdurchschnittliche Intelligenz
Rett-Syndrom
Angeborene, neurodegenerative Erkrankungen bei Mädchen im Kleinkindesalter
4 4 4 4 4 4 4
Stereotype, »waschende« Handbewegungen Autistische Verhaltensmuster Verlust bereits erworbener motorischer und sprachlicher Fähigkeiten Minderwuchs, Mikrozephalie Muskuläre Atrophie, Skoliose Ataxie, Spastik Zunehmende Pflegebedürftigkeit, Tod spätestens im 4. Lebensjahrzehnt
4 Vermeiden bzw. Nicht-Vorhandensein von Blickkontakt, keine Mimik 4 Gestörte Sprachentwicklung: affektarme, unproduktive Sprache, Echolalie, Neologismen, bizzare Verknüpfungen, pronominale Umkehr (»du« statt »ich«) 4 Intensive Bindung an Gegenstände (z. B. Ball, Stofftier) 4 Stereotype Verhaltensmuster, z. B. monotones Drehen und Wenden von Gegenständen 4 Ausgeprägte Veränderungsangst im Bezug auf neue Situationen 4 Häufig autoaggressive und destruktive Verhaltensweisen Diagnostik. Anamnese; Symptomatik; Fremdbeurtei-
lungsskalen. Differenzialdiagnostik.
4 Andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen:
4 4 4 4 4 4
Fragiles X-Syndrom Sprachstörungen (Aphasie) Umschriebene Entwicklungsstörungen Intelligenzminderung Zwangsstörungen infantile, schizophrene Psychosen
Therapie.
4 Aufklärung der Eltern über die Behandlungsziele 4 Verhaltenstherapie und Aufbau sozialer Kompetenzen 4 Bei begabteren autistischen Patienten kognitive Verhaltensmodifikationen 4 Förderung der Selbständigkeit im Alltagsbereich 4 Verbesserung der sozialen Fertigkeiten und der Kommunikationsfähigkeiten durch Aktivitäten mit Gleichaltrigen 4 Sprachlicher Aufbau gemäß der Einsicht in die soziale Bedeutung sprachlicher Elemente 4 Förderung des Sprachverständnisses
. Tab. 19.3
4 Demenzsyndrome
19
Prognose. Schlecht, chronischer Verlauf.
20 20 Unfälle und akzidentelle Vergiftungen 20.1 Verbrühungen und Verbrennungen – 428 20.2 Ertrinkungsunfälle 20.3 Verätzungen
– 430
20.4 Vergiftungen
– 430
– 429
20.5 Fremdkörperingestion
– 433
20.6 »Sudden infant death« und »apparent life threatening event« – 433
428
Kapitel 20 · Unfälle und akzidentelle Vergiftungen
Epidemiologie.
4 Häufigkeit: pro Jahr in Deutschland 2 Mio. Unfälle bei Kindern <14 Jahren, pro Jahr unfallbedingt ca. 1 000 kindliche Todesfälle, ca. 2 000 Kinder haben bleibende Schäden. 4 50% der tödlichen Unfälle im Kindesalter ereignen sich im Straßenverkehr, 50% im häuslichen Bereich und in der Freizeit (. Tab. 20.1).
4 Verbrennung: Berühren von heißen Gegenständen (Herdplatte, Bügeleisen), Spielen am Feuer oder beim Grillen. > Bei Verbrennungen und Verbrühungen muss auch immer auch an Kindesmissbrauch gedacht werden.
Einteilung. . Tab. 20.2. . Tab. 20.1. Beispiele typischer Unfallmechanismen je nach Alter
Klinik. . Tab. 20.2.
Alter
Unfallmechanismen
Säuglingsalter
4 Sturz von der Wickelkommode oder aus der Tragetasche 4 Ersticken unter der Bettdecke 4 Versehentliches Erdrosseln, z. B. mit einer Halskette oder einem Schal
! Schockgefahr besteht im Kindesalter bei Hitzeschäden, die >10% der Körperoberfläche betragen.
Kleinkindesalter
4 Vergiftungen/Ingestionen 4 Verbrühungen und Verbrennungen 4 Sturz vom Hochbett oder anderen hohen Gegenständen
Schulalter
4 4 4 4
20.1
Sportunfälle Verkehrsunfälle Verbrennungen Stromunfälle
Verbrühungen und Verbrennungen
Definition. Thermische Schädigung der Haut durch Verbrühung mit heißen Flüssigkeiten oder Verbrennung an heissen Gegenständen oder Feuer. Ätiopathogenese. Typische Unfallmechanismen sind
bei: 4 Verbrühungen: das Herabziehen einer heißen Tasse oder eines Kochtopfes; Verbrühung in zu heißem Badewasser.
Therapie. Notfallversorgung – Erste Hilfe:
1. Grundmaßnahmen: 5 Entfernung des Patienten aus der Gefahrenzone. 5 Überprüfung der Vitalparameter (Atmung, Kreislauf, Bewusstsein). 5 Kühlen mit kaltem Wasser, nicht zu kalt, da sonst die Gefahr der Entwicklung einer Hypothermie besteht. 5 Steriles Abdecken. 2. Abschätzen des Verbrennungsausmaßes: 5 Die Handfläche des Patienten einschließlich der Finger entspricht ca. 1% der Körperoberfläche. 5 Bei Erwachsenen gilt die »Neunerregel« (vgl. Lehrbücher Intensivmedizin). 5 Schocktherapie 5 Volumenzufuhr 3. Schmerzstillung 5 Pethidin, Metamizol, Piritramid oder Ketamin i. v. 4. Ggf. Intubation 5. Ausschluss von Begleitverletzungen, z. B. Kohlenmonoxidintoxikationen, Rauchvergiftung
. Tab. 20.2. Gradeinteilung bei Verbrennung und Verbrühung Grad
Verletzte Struktur
Klinik
Ätiologie
I
Epidermis
Trockenes Erythem, Schmerzen, Heilung ohne Narben
Sonnenbrand
IIa
Epidermis und Dermis
Feuchtes Erythem, Blasenbildung, schmerzhaft, Heilung ohne Narben
Heißes Wasser
IIb
Epidermis und Dermis
Feuchtes Erythem, Blasenbildung, weißlicher Wundgrund, schmerzhaft, Heilung mit Narben
Heißes Wasser
III
Epidermis, Dermis und subkutanes Fettgewebe (Hautanhangsgebilde)
Keine Blasenbildung, blass-weiße Nekrose, wenig schmerzhaft, Heilung mit Narben
Feuer
IV
Epidermis, Dermis, Subkutis, Muskulatur und andere tiefe Strukturen beteiligt
Schwarz, trockene Nekrosen, lederartig, nicht schmerzhaft, Heilung mit Narben
Feuer
20
429 20.2 · Ertrinkungsunfälle
Stationäre Einweisung ab 4 >5% betroffener Körperoberfläche 4 Drittgradige Verbrennungen, auch wenn <5% der Körperoberfläche betroffen sind. 4 Alle Kleinkinder Einweisung in ein Verbrennungszentrum ab: 4 >10% betroffener Körperoberfläche 4 Problematischer Lokalisation der Verbrennung (z. B. Gesicht)
4 Nierenversagen durch Hypovolämie und Myoglobinurie 4 Schockleber 4 Gastrointestinale Komplikationen: paralytischer Ileus, Ulkusbildung, Stressblutungen 4 Hypovolämischer Schock 4 Gehirnödem 4 Akutes Nierenversagen, ARDS, Schockleber, DIC 20.2
Stationäre Therapie: 4 Überwachung 4 Analgesie, i. v. Infusionstherapie, angepasst an die Elektrolyt- und Volumensituation 4 Azidoseausgleich ab pH <7,20 4 Ggf. Transfusion von Erythrozytenkonzentrat 4 Bei Verdacht auf Infektion zügige antibiotische Therapie 4 Parenterale Ernährung, zügig enterale Ernährung aufbauen 4 Tetanusschutz überprüfen und ggf. komplettieren 4 Physiotherapie Lokalbehandlung: 4 Entfernung von Blasenresten, geschlossene Blasen an Händen und Füssen werden belassen. 4 Wundreinigung mit Kompressen, die in Antiseptika getränkt sind. 4 Ggf. Exzision und Transplantation ab Grad IIb– III. Im Verlauf: 4 Narbenbehandlung: evtl. Kompressionsbehandlung, Schienung. 4 Korrekturoperationen, frühestens nach 2 Jahren, ggf. erst nach der Pubertät. Komplikationen. Verbrennungen oder Verbrühungen führen zu einer erhöhten Kapillarpermeabilität mit Flüssigkeitsverschiebung aus dem Intra- in den Extravasalraum. Bei ausgeprägten Verbrühungen oder Verbrennungen kann es zu Hypovolämie, Schock und Multiorganversagen kommen, zusätzlich besteht durch die offenen Wundflächen ein hohes Infektionsrisiko mit der Gefahr der Entwicklung einer Sepsis. Die so genannte »Verbrennungskrankheit« beinhaltet: 4 Wundinfektion, Sepsis, DIC (disseminierte intravasale Gerinnung) 4 Gehirnödem 4 ARDS, Schocklunge, respiratorische Insuffizienz 4 Herzversagen, Lungenödem
20
Ertrinkungsunfälle
Epidemiologie. Zweithäufigste Ursache für tödliche
Unfälle im Kindesalter; m>w; Risikofaktoren sind Sonnenbäder und reichliche Mahlzeiten. Ätiopathogenese. Kinder können u. a. in folgenden »Gewässern« ertrinken: Badewanne, Zierteiche, Schwimmbecken, »Kinderbecken« oder Naturgewässer. Primäres Ertrinken: zunächst kommt es zum »Tauchreflex«: reflektorischer Laryngospasmus mit Apnoe, Hypoxämie, Kreislaufzentralisation und Minderperfusion von Haut und Gastrointestinaltrakt. Nach einiger Zeit löst sich der Laryngospasmus und Wasser dringt in die Lunge ein, es kommt zu Hypervolämie, Elektrolytverschiebungen und zur Zestörung von Surfactant und Pneumozyten. Heftige Bewegungen steigern den O2-Verbrauch und verstärken die Hypoxämie. Sekundäres Ertrinken: Eindringen von hypotonem Wasser (Süßwasser) in den Kreislauf mit Hyponatriämie und Hypervolämie, die nach 24–30 h zum Lungenödem und zum sekundären Ertrinken führt. Bei Eindringen von hypertonem Salzwasser in die Lunge entzieht dieses den Alveolen sofort das Wasser und führt schon primär zu einem Lungenödem. Es kommt zu einem hypoxiebedingtem Kreislaufstillstand und zu Hypothermie. Die Hypothermie verbessert die Aussicht auf Reanimation wesentlich, allerdings kann <30°C Kammerflimmern auftreten. > Bei Hypothermie sind die Kreislaufsituation des Patienten und die Erfolgsaussichten einer Reanimation schlecht einschätzbar, daher muss die Reanimation über mindestens 1 h durchgeführt werden.
Therapie.
4 Bergung des Unfallopfers 4 Atmung: Atemwege freimachen, Beatmen, ggf. Intubieren, wiederholtes Absaugen 4 Kardiale Reanimation
430
Kapitel 20 · Unfälle und akzidentelle Vergiftungen
4 Wärmekonservierung: Patienten abtrocknen, nasse Kleidung entfernen, Decken, Isolationsfolien 4 Transport in die Klinik 4 Temperatur: extrakorporale Wiedererwärmung ab einer Körpertemperatur <28°C 4 Überdruckbeatmung mit PEEP (positiv endexspiratorischer Druck) 4 Hirnödembehandlung ! Auch bei »Bagatell-Ertrinkungsunfällen« und gutem Allgemeinzustand der Kinder ist eine stationäre Überwachung indiziert, da Lungenschäden und ARDS bis zu 14 h nach den Unfällen noch auftreten können.
Prognose. Abhängig von Ausmaß und Dauer der
Hypoxämie; eine Hypothermie verbessert die Überlebenschancen der Kinder. 20.3
Verätzungen
oder Ernährung über eine PEG/Magensonde, Antazida, Prednison i. v., antibiotische Therapie i. v., nach 1–4 Wochen Kontrollendoskopie ! Bei Ingestion von Säuren oder Laugen darf kein Erbrechen ausgelöst werden, da die Gefahr einer erneuten Verätzung besteht durch die erneute Passage der ätzenden Substanz.
20.4
Vergiftungen
Definition.
4 Ingestion: orale Einnahme eines potenziell gefährlichen Stoffs 4 Intoxikation: Vergiftung durch Aufnahme (z. B. Inhalation oder transdermale Aufnahme) eines giftigen Stoffs. Epidemiologie. In Deutschland: ca. 200 000 Ingestions-
unfälle/Jahr. Ätiopathogenese.
4 Laugen: WC-Reiniger, Natronlauge, Ammoniak, Abflussreiniger, Somat 4 Säuren: Essigreiniger, Salzsäure > Säureverätzungen führen zu Koagulationsnekrosen, Laugenverätzungen führen zu den gefährlicheren Kolliquidationsnekrosen. 4 Koagulationsnekrose: »Gerinnungsnekrose« mit Denaturierung von Proteinen und »strukturierter Nekrose« (die Gewebestruktur bleibt zunächst noch erhalten). 4 Kolliquidationsnekrose: »Erweichungsnekrose« mit Verflüssigung der nekrotischen Zellen und strukturlosem Gewebe.
Diagnostik.
4 Inspektion Pharynx: fehlende Ätzspuren schließen eine Verätzung nicht aus. Das volle Ausmaß, insbesondere einer Laugenverätzung ist erst nach 12 h zu beurteilen, zudem können auch tiefer liegende Verätzungen vorliegen. 4 Röntgen-Thorax: Aspiration?, Röntgen-Abdomen a. p. und Linksseitenlage: Perforation? Therapie.
20
4 Nüchtern lassen, i. v.-Zugang, Analgesie 4 Schockbehandlung 4 Bei Verdacht auf Verätzung: Ranitidin i. v., bei hoher Wahrscheinlichkeit einer Ingestion frühzeitig Prednisolon i. v. 4 Endoskopie innerhalb von 12–24 h und je nach Ausmaß: Ranitidin i. v., parenterale Ernährung
Klinik.
4 Zügig nach Ingestion des Gifts kommt es zu Übelkeit, Erbrechen, Verwirrung, Somnolenz, Ataxie, Hypotonie, Krampfanfällen, Koma und Herzkreislaufstillstand. 4 Bei einigen Substanzen treten die Vergiftungserscheinungen erst nach einem symptomfreien Intervall auf, insbesondere bei Intoxikation mit chlorierten Kohlenwasserstoffen, Eisen, Schwermetallen, Äthylenglykol, Paracetamol, Paraquat (Schneckenkorn) und Knollenblätterpilzen. Diagnostik. Wichtigste anamnestische Informationen:
4 Wer? (Name, Alter, Gewicht) 4 Was? (Substanz? Behälter, Verpackung mitbringen) 4 Wann? (Uhrzeit?) 4 Wie viel? (maximal bzw. minimal) 4 Wie? (p. o., inhalativ, kutan) Wichtig ist die Giftasservation zur toxikologischen Untersuchung > Bei allen Vergiftungen muss Rücksprache mit der Vergiftungszentrale gehalten und dies dokumentiert werden. Therapeutische Maßnahmen müssen gezielt und in Abhängigkeit von der zugeführten Substanz und der Dosis ausgewählt werden.
431 20.4 · Vergiftungen
Therapie.
4 Je nach Substanz ggfs. Applikation eines Antidots . Tab. 20.3. 4 Reduktion der Giftabsorption durch 5 Induziertes Erbrechen: – Mechanische Stimulation der Rachenhinterwand (nur bei erhaltendem Bewusstsein und älteren Kindern) oder – Auslösen von Erbrechen mit Ipecacuana Sirup, Nachtrinken lassen mit mindestens 200 ml Tee oder Saft – Asservierung von Erbrochenem zur toxikologischen Untersuchung ! Induziertes Erbrechen ist kontraindiziert bei: 4 Ingestion von Säuren oder Laugen 4 Ingestion von schäumenden Substanzen (z. B. Spülmittel) 4 Ingestion von Kohlenwasserstoffen (Inhalation) 4 Bewusstlosigkeit 4 Krampfanfällen (Aspirationsgefahr) 4 Säuglingen <6 Monate
5 Magenspülung: – Heute nur noch selten durchgeführt, da wenig effektiv und Gefahr der Hyperhydratation, nur bei lebensbedrohlicher Intoxikation indiziert, nur sinnvoll innerhalb von 1 h nach Ingestionsereignis. – Legen einer großlumigen Magensonde, Aspiration und Spülung mit 0,9% NaCl-Lösung, Applikation von Aktivkohle.
5
5
5
5
20
– Bei Bewusstlosigkeit nur nach vorheriger Intubation durchführen. Orthograde Darmspülung: – Bei lebensbedrohlichen Intoxikationen mit Substanzen, die nicht an Aktivkohle binden – Spülung mit Polyethylenglykol-Elektrolytlösung (PEG) Aktivkohle – Aktivkohle absorbiert verschiedenste Gifte, pulverförmig auflösen und trinken lassen – Zusätzlich: Gabe von Glaubersalz (Natriumsulfat) zur Beschleunigung der Darmpassage – Bei Schwermetallvergiftung ist Aktivkohle kontraindiziert Forcierte Diurese: – Bei Kindern fast nie indiziert, da die Gefahr einer Elektrolytentgleisung und Überwässerung besteht. Dialyse, Hämofiltation, Austauschtransfusion: – Nur bei wasserlöslichen Substanzen indiziert, insgesamt selten durchgeführt, wenn die Giftentfernung auf anderem Wege nicht möglich ist.
Die wichtigsten Vergiftungen sind in . Tab. 20.3 zusammengefasst.
. Tab. 20.3. Vergiftungen Substanz
Symptome/Veränderungen
Therapie
Besonderheit
Alkohol
Erbrechen, Schwindel, Benommenheit, Bewusstseinsstörung
4 Bei wachem Kind: Magenspülung innerhalb von 45 min 4 Bei bewusstlosem Patienten: Intubation, Magenentleerung, Glukose i. v., ab 2‰ evtl. Hämodialyse
Hypoglykämiegefahr
Acetylsalicylsäure
Agitation, Tachykardie, Koma, metabolische Azidose bzw. Alkalose, Hypoatriämie
4 Erbrechen induzieren 4 Kohle/Glaubersalz
In schweren Fällen: Hämodialyse, -filtration
Anticholinergika (Atropin, Tollkirsche, Antiemetika)
Anticholinerges Syndrom: Mydriasis, Tachykardie, trockene Schleimhäute, Harnverhalt, rotes Gesicht, Temperaturerhöhung, Halluzinationen, Delir
4 Magenspülung, 4 Antidot: Physostigmin i. v.
Benzin (Motoröl, Möbelpolitur, Lösungsmittel etc.)
Benzingeruch in der Ausatemluft, Schwindel, Kopfschmerzen, Erbrechen, Krämpfe, Koma, ggf. Aspiration mit toxischem Lungenödem
4 Kein Erbrechen auslösen, keine Magenspülung durchführen 4 Parrafinöl, Glaubersalz oder Aktivkohle
432
Kapitel 20 · Unfälle und akzidentelle Vergiftungen
. Tab. 20.3 (Fortsetzung)
20
Substanz
Symptome/Veränderungen
Therapie
Besonderheit
Cyanid/Blausäure (Bittermandeln, Verbrennung von Kunststoffen, NitroprussidNatrium-Infusion)
»Gesunde«, rosige Hautfarbe, Geruch nach Bittermandeln, Hyperventilation, Krämpfe, Opisthotonus, Atem- und Herzstillstand
4 Intubation, Beatmung 4 Magenspülung 4 Sofortige Applikation von 4-DMAP i. v., anschließend Natriumthiosulfat i. v.
Cyanid hemmt die Cytochromoxidase
Digitalis (Medikamente, Fingerhut, Orleander)
Gastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen; ZNS: Sehstörungen (Farbensehen), Halluzinationen, Krampfanfälle, kardial: Herzrhythmusstörungen (AV-Block, Bradykardien, Kammerflimmern)
4 4 4 4 4
Bei Niereninsuffizienz, Kortikoidtherapie oder Kaliummangel ist eine Digitalisintoxikation auch bei normaler Dosierung möglich
Insektizide (Alkylphosphate)
Cholinerges Syndrom: Miosis, Bradykardie, Hypotonie, Bronchospasmus, Hypersalivation, Schwitzen, Erbrechen, Inkontinenz, Krämpfe, Koma
4 Magenspülung, Kohle/Glaubersalz 4 Hämoperfusion 4 Antidot: Atropin i. v., dann Obidoxim i. v.
Kohlenmonoxid (Auspuffgase, Kohleheizung)
Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Rauschzustände, Bewusstlosigkeit, Krämpfe, Atemnot, -lähmung, kirschrote Hautfarbe, metabolische Azidose
4 Patienten an die frische Luft bringen 4 Sauerstoffgabe, 100% O2 (Hyperventilation) 4 Therapie der Azidose und des Gehinödems 4 ggf. Intubation und Beatmung
Nikotin
Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Schwitzen, Tachykardie, Blässe
4 Erbrechen induzieren 4 bei Symptomen Magenspülung
Neuroleptika (Haloperidol), Antihistaminika, Metoclopramid (Paspertin)
Extrapyramidales Syndrom: Torticollis, Schlund- und Zungenkrämpfe bei erhaltenem Bewusstsein
4 Antidot: Biperidin (Akineton) i. v.
Opiate (z. B. Morphin, Pethidin, Codein etc.)
Opiatsyndrom: Miosis, Halluzinationen, Koma, Atemdepression, spastische Obstipation, Pyloruskonstriktion, Harnverhalt, Übelkeit, Erbrechen, Singultus
4 Akuter Harnverhalt: Blasenkatheter 4 Antidot: Naloxon (Narcanti) i. v.
Paracetamol
Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Schwitzen; nach symptomfreien Intervall (12–36 h): Leberschädigung mit Blutungen, Nierenversagen, Enzephalopathie
4 Erbrechen induzieren 4 Kohle/Glaubersalz 4 Antidot: Fluimucil (N-Acetylcystein) i. v. oder Methionin
Tenside (Waschpulver, Duschgel, Schampoo)
Schäumen des Speichels und des Mageninhalts
Simeticon p. o.
Intensivmedizinische Überwachung Magenspülung nach Atropingabe Bilanz Ausgleich der Hypokaliämie Ggf. Lidocain (Tachykardie), Phenytoin (VES), Defibrillation 4 Bei therapierefraktärer Rhythmusstörung: Digitalis-Antidot (DigoxinAntikörper) i. v.
CO hat eine ca. 170mal höhere Affinität zu Hb und einer stabilere Bindung an Hb und führt durch Verdrängung zur Hypoxie
433 20.6 · »Sudden infant death« und »apparent life threatening event«
20.5
Fremdkörperingestion
Definition. Verschlucken eines Fremdkörpers. Therapie.
4 Bei den meisten Gegenständen kann abgewartet werden, bis der Fremdkörper ausgeschieden wird. 4 Jede Stuhlportion muss durchgesiebt werden, da der Fremdkörper häufig von außen nicht sichtbar ist. 4 Röntgen Abdomen a. p. zur Lokalisation röntgendichter Fremdkörper, falls kein Fremdkörper nachweisbar ist Ausschluss einer Fremdkörperaspiration: Röntgen/Thorax seitlich, Husten in der Anamnese? 4 Endoskopische Entfernung des Fremdkörpers bei Lokalisation in der Lunge oder im Ösophagus (Narben), bei Knopfbatterien und evtl. bei sehr spitzen Gegenständen. 20.6
20
»Sudden infant death« und »apparent life threatening event«
Sudden infant death (SIDS, plötzlicher Kindstod) Definition. Plötzlicher Tod eines Säuglings oder Kleinkindes im Schlaf ohne erklärliche Ursache. Epidemiologie.
4 Inzidenz 2‰: häufigste Todesursache im Säuglingsalter 4 Maximum 3.–6. Lebensmonat, selten vor Ende des ersten Lebensmonats, selten nach dem 1. Lebensjahr. 4 Häufiger in den Wintermonaten. Ätiopathogenese. Noch nicht eindeutig geklärt, vermutlich multifaktorielle Genese: Instabilität der autonomen, zentralen Regulation lebenswichtiger Funktionen (endogenes Risiko) und destabilisierende Triggerfaktoren (externes Risiko), die im Schlaf zu Hypoxämie führen.
4 Bauchlage im Schlaf, Überwärmung, weiche Bettunterlage 4 Nikotin- und Drogenabusus während der Schwangerschaft und/oder in der Umgebung des Kindes 4 Psychosozialer Stress (verminderte Zuwendung, Vernachlässigung) 4 Junge Mutter, kurze Schwangerschaftsintervalle
Differenzialdiagnose.
4 Zerebrale Erkrankungen: Blutungen, Entzündungen, Tumore, Infektionen, Krampfanfälle 4 Atemwegserkrankungen: Bronchiolitis, RSV-Infektionen 4 Kardiovaskuläre Erkrankungen: Herzfehler, QTVerlängerung, Kardiomyopathien 4 Gastrointestinale Erkrankungen: Gastroenteritis, GÖRK 4 Infektionen: Sepsis 4 Elektrolytentgleisungen, Hypoglykämie 4 Stoffwechselstörungen: Betaoxidationsstörungen, Organazidopathien 4 Unfälle: Strangulation, Ersticken 4 Kindstötung, -misshandlung Therapie.
4 Versuch des Aufweckens, bei Misslingen: kardiopulmonale Reanimation 4 Bei Misslingen der Reanimation: Ursachensuche, Anamnese, körperliche Untersuchung, Blutkulturen, Röntgenuntersuchungen, Gewebsasservierungen (Haut, Muskel, Urin, Liquor), detaillierte Dokumentation 4 Obduktion, möglichst mit Zustimmung der Eltern, sonst gerichtlich 4 Detaillierte Untersuchung der Geschwister, Monitorüberwachung im ersten Lebensjahr, Einweisung der Eltern in die Reanimation
Risikofaktoren für SIDS 4 Ehemalige Frühgeborene, bronchopulmonale Dysplasie 4 Männliches Geschlecht 4 Apnoen in der Anamnese 4 Peripartale Asphyxie 4 Zustand nach ALTE (apparent life threatening event) 4 Geschwisterkind mit SIDS (5-fach erhöhtes Wiederholungsrisiko) 6
Prävention. > Prävention des plötzlichen Kindstodes 4 Schlafen in Rückenlage, im eigenen Bett, im Schlafsack 4 Keine zusätzlichen Tücher, Kopfkissen, Kuscheltiere im Bett, keine Federbetten 4 Vermeidung von Überwärmung: Raumtemperatur 18–20°C, keine Mütze im Bett, Gitterbett, feste Matratze 4 Rauchfreie Umgebung
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Kapitel 20 · Unfälle und akzidentelle Vergiftungen
Apparent life threatening event (ALTE) Definition. »Nearly missed SIDS«: akuter Zustand, für den Beobachtenden sehr erschreckend, mit: 4 Blässe, Apnoe, Zyanose 4 Muskulärer Hypotonie 4 Bradykardie 4 Patienten nicht erweckbar Epidemiologie.
4 Häufigkeit: 2% der nicht-SIDS-Säuglinge, 5% der SIDS-Säuglinge 4 Nach ALTE besteht ein 10- bis 40-fach erhöhtes Risiko für SIDS.
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Diagnostik. Zum Ausschluss anderer Ursachen muss u. a. folgende Diagnostik durchgeführt werden: 4 Labor: BB, Diff, BGA, Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin, Leberwerte, CRP, BZ, Immunglobuline, IgE, Ammoniak, Laktat, Blutkulturen, evtl. Lumbalpunktion 4 Urin: Status, Kultur, Ketonkörper, organische Säuren und Aminosäuren 4 Röntgen-Thorax, Schädel-Sonographie, EKG, EEG, evtl. MRT
435
A
Sachverzeichnis Im Druck fett hervorgehoben sind Seiten, auf denen das Stichwort ausführlich dargestellt ist. . verweist auf eine Abbildung.
A AB0-Erythroblastose 36 ABCD-Kriterien 362 Absence-Status 407 Abszess, intrakranieller 413 Achalasie 14, 272 Achondroplasie 89, 337 Acne – comedonica 374 – conglobata 374, 375 – fulminans 375 – infantum 374 – juvenilis 374 – neonatorum 374 – papulopustulosa 374 – vulgaris 374, 375 Acrodermatitis chronica atrophicans 119 ACTH-Test 98 Adaptation, postnatale 20 Addison-Krise 98 Adenosin-Desaminase-Mangel 384 Adenovirusinfektion 131 Adhäsions-Protein-Mangel 146 ADH-Sekretion, inadäquate 88 ADH-Test 317 Adipositas 56 – alimentäre 57, 91 – hirnorganische 56 – monogenetische 56 Adiposogigantismus 91 Adoleszentenkyphose 341, 342 Adrenarche 100 adrenogenitales Syndrom 98, 99 Adrenoleukodystrophie, X-chromosomale 384 Affektkrampf 410 Agammaglobulinämie 142, 143 Agranulozytose 145 – Typ Kostmann 146 Ahornsirupkrankheit 65 AIDS 128, 129 Akanthozyten 303, 304. Aktivkohle 431 Alagille-Syndrom 287 Albers-Schönberg-Erkrankung 338 Albinismus, okulokutaner 64 Albright-Osteodystrophie 95 Albright-Syndrom 350 Aldosteron 96
Alkalose 335 – metabolische 335 – respiratorische 335 Alkaptonurie 64 Alkoholembryopathie 16, 16. Alkoholvergiftung 431 Allergie – Arzneimittel 150 – Definition 142, 147 – Insektengift 149 – Latex 150 – Nahrungsmittel 149 allergische Reaktion 148, 149 Alport-Syndrom 181, 314 ALTE 434 Altershaut 361 Alveolitis, exogen allergische 254 Amelie 340 Aminosäurenstoffwechsel 62–69 – Neugeborenenscreening 62 Aminosäurentransportdefekte, renale 69 Amnionabschnürung 340 Amöbenruhr 135 Ampicillin-Exanthem 150 Amyloidose 155 Analatresie 267, 268, 268. Anämie – Ätiologie 165 – autoimmunhämolytische 174, 175 – chronisch-hämolytische 172, 173 – aplastische – – erworbene 178 – – kongenitale 177 – – schwere 178 – hämolytische – – bei Enzymdefekten 173, 174 – – bei Membrandefekten 173 – – chronische 172, 173 – – erworbene 165 – – hereditäre 165 – hypoplastische, kongenitale 172 – hyporegenerative 172 – immunhämolytische 174 – isoimmunhämolytische 175 – makrozytäre 166 – mikrozytäre 165, 166 – neonatale 32 – normozytäre 166 – perniziöse 170 – renale 327 – siderochrestische 170
Anastomose, kavopulmonale 217 Aneurysma 400 Aneurysma-Coiling 400 Anezephalus 378 Anfall – 7 a. Epilepsie – akinetischer 405 – einfach-fokaler 404, 405 – epileptischer 403 – fokaler 404, 405 – generalisierter 404, 406 – hypoxämischer 213, 214 – inhibitorischer 405 – komplex-fokaler 404, 406 – psychomotorischer 405 Angelman-Syndrom 10 Angina – follicularis sive lacunaris 240 – Plaut-Vincenti 241 – retronasalis 240 – tonsillaris 107, 240 – ulceromembranacea 241 Angiom 400 Angioödem, hereditäres 147, 150 Angioosteohypertrophie 399 Anorexia nervosa 421 Antibiotikatherapie, empirische 113 Anti-D-Prophylaxe 35 Antikörper, antinukleäre 156 Antikörpermangelsyndrom 142 Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom 185 α1-Antitrypsinmangel 290 Aortenbogen – doppelter 222 – Fehlbildungen 221, 222 – unterbrochener 222 Aorteninsuffizienz 219, 220 Aortenisthmusstenose 221 Aortenstenose 218, 219 APECED-Syndrom 95 APGAR 2 Apgar-Index 20, 21 aplastische Krise 172 Apnoe – Frühgeborene 28 – gemischte 28 – obstruktive 28 – primäre 28 – sekundäre 28 – zentrale 28 Apoplex 401
436
Sachverzeichnis
apparent life threatening event 434 Appendizitis 278 Argininbernsteinsäurekrankheit 68 Arnold-Chiari-Malformation 379 Arthritis – juvenile chronische 151, 153, 154 – postinfektiöse 157 – septische 161 – systemische 155–157 Arthropathie, hämophile 182 Arthus-Reaktion 148 Arzneimittelexanthem 371, 372 Arzneimittelunverträglichkeit 150 Asperger-Syndrom 426 Aspergillose 136, 137 – allergische bronchopulmonale 248 Asphyxie, neonatale 21 Asthma bronchiale 250–253, 280 – Differenzialdiagnose 253 – Stufentherapieplan 253 Asthmaanfall, akuter 250, 252 Astrozytom 195 Ataxia teleangiectatica 145 Ataxie 382 – akute zerebelläre 413 Atelektase 257 Atemnotsyndrom, Frühgeborene 24 13C-Atemtest 279 Atemwegsinfekt 236, 237 Atmungskettendefekte 383, 384 Atopie 250 Aufmerksamkeitsdefizit 425 Aufwach-Epilepsie 406 Aura 403–405 Auspitz-Phänomen 374 Austauschtransfusion 431 Autismus, frühkindlicher 425, 426 Autoimmunerkrankungen 151–153 Autoimmunhepatitis, chronische 292 Autoimmunität 142 Autoimmunthrombozytopenie 180 AV-Block 228, 229. – kongenitaler 227 AV-Septumdefekt 212 Azidose 335 – metabolische 327, 335 – Neugeborene 24 – renal-tubuläre 319 – respiratorische 335
B Babinski-Reflex 382 Bakteriämie 113 Bakteriurie, asymptomatische 323 Balanitis 330, 367, 136
Ballondilatation, perkutane 219 Barlow-Zeichen 343 Barrett-Ösophagus 271 Bartter-Syndrom 318 Basilarismigräne 402 Basophilie 180 Bauchschmerz 263, 264 – funktioneller 269 Bauchwanddefekt 38, 269 Bauer-Reaktion 4 Becherknochen 353, 353. Beckenniere 296, 296. Beckenschiefstand 342 Beckwith-Wiedemann-Syndrom 91 Befeuchter-Lunge 254 Beikost 54, 55 Beinachsenfehler 346 Beinlängendifferenz 340 Belastungssyndrom, sternokostales 341 Bell-Phänomen 395 Beratung, genetische 8 Bernard-Soulier-Syndrom 180, 181 Bewegungsstereotypien 423 BH4-Belastungstest 63 Bienenstich 240 Bilirubinenzephalopathie 36 Bilirubinstein 287 Biotin-Mangel 58 Blähatmung 23 Blalock-Taussig-Anastomose 214 Bland-White-Garland-Syndrom 222 Blasenekstrophie 329 Blastogenese 16 Bleistiftstuhl 274 Blind-loop-Syndrom 266 Blitz-Krampf 408 Blitz-Nick-Salaam-Krampf 407 Blizzard-Syndrom 95 Blutbildung 164 Blutgerinnung 182 Blutung – gastrointestinale 264 – intrakranielle 416 – intrazerebrale 416 – peranale 264 BMI 55 Borreliose 119, 120 Botulismus 118, 119 Bradykardie, Neugeborene 24 Bronchialstenose 235, 236 Bronchialtoilette 248 Bronchiektasie 247, 248 Bronchiolitis 237, 246 Bronchitis 236 – akute 245, 246 – chronische 247 – obstruktive 237, 246 – rezidivierende 247
Bronchodilatation 252 Bronchopneumonie 255, 255. Brudzinski-Zeichen 411 Bulimie 422 Bulla repens 365 Burkitt-Lymphom 194 B-Zell/T-Zell-Defekte, kombinierte 144 B-Zell-Defekt 142, 143 B-Zell-Lymphom 194
C C1-Esterase-Inhibitor-Defekt 147 Café-au-lait-Fleck 362, 396, 396. Calcitonin 352 Candidainfektion, Neugeborene 47 Candida-Infektionen 135, 136 Caput succedaneum 22 Carbamylphosphat-Synthetase-IMangel 68 Carboxylasemangel, multipler 66 Caroli-Syndrom 286 Cauda-Syndrom 379 CDG-Syndrom 384 Chaddock-Reflex 382 Cheilitis sicca 370 Chlamydien 256 Choanalatresie 32, 235 Cholangiopankreatikographie, extrahepatische retrograde 286 Cholangitis, primär sklerosierernde 292 Choledochuszyste 286 Cholelithiasis 287, 288 Cholestase 286 – extrahepatische 34 – intrahepatische 34 – progrediente 248 Cholesterin 77 Cholesterinstein 287 Cholezystitis 287 Cholezystolithiasis 249 Chondrodystrophie 347 Chorea minor Sydenham 160 Chorea 382 Chromosomenaberrationen – gonosomale 11 – numerische 8 – strukturelle 10 Chromosomenanalyse 8 Chylomikronämie, familiäre 78 Chylomikronen 77 Chylothorax 259 Citrullinämie 68 Clusterkopfschmerz 402 Codman-Dreieck 200 Colitis ulcerosa 283, 284, 284.
437 Sachverzeichnis
common variable immunodeficiency 143 Commotio cerebri 414, 415 Compound-Nävus 362 Compressio cerebri 415 Condylomata acuminata 364 congenital disorder of glykosylation 384, 385 Conn-Syndrom 99, 100, 100. Contusio cerebri 414, 415 Cooley-Anämie 168 Coombs-Test 175 – indirekter 35 Cor pulmonale, chronisches 248 Cornelia-de-Lange-Syndrom 89 Coxa valga et antetorta 343 Coxitis fugax 346 Coxsackie-Virusinfektion 132, 133 Cranium bifidum 378 Cri-du-chat-Syndrom 10, 89 Crigler-Najar-Syndrom 290 Cushing-Syndrom 99 Cutis hyperelastica 361 Cystinose 68 Cystinstein 322
D Dalrympe-Zeichen 93 Dandy-Walker-Syndrom 380 Darm, irritabler 270 Darmspülung, orthograde 431 Dawn-Phänomen 76 Degeneration, hepatolentikuläre 291 Dehydratation 275, 331, 332 – hypertone 332, 333 – hypotone 332 – isotone 332 Deletion 10 Dellwarze 364, 365, 365. Dennie-Morgan-Zeichen 370 Dent-Erkrankung 318 Dermatitis – atopica 369, 370 – exfoliativa neonatorum 366 – seborrhoides 369, 369. Dermatomyositis 152, 153, 153. Dermographismus, weißer 370 DeToni-Debré-Fanconi-Syndrom 68, 69, 319, 320 Dexamethasonhemmtest 99 Diabetes – insipidus 88 – – nephrogener 317 – – zentraler 317 – mellitus 74–77 – – Diagnostik 75
– – Einteilung 74 – – Symptomatik 75 – – Therapie 75, 76 – – Typ I 75, 151 Diagnostik, genetische 8 Dialyse 328, 431 Diamond-Blackfan-Anämie 172 Diarrhö 116–118, 264 DiGeorge-Syndrom 10, 95, 143, 144 Dihydroadeninstein 322 Diphtherie 109 Diphtherie-Impfung 137 Diplegie 382 Disomie – maternale 11 – paternale 11 – uniparenterale 11 Dissoziation, albumino-zytologische 394 distales intestinales Obstruktionssyndrom 248 Diurese, forcierte 431 DNA-Sequenzierung 8 Doppelniere 296, 296. Doppelniere 297 Double Inlet Ventricle 217 Double-bubble-Phänomen 266 Douglas-Schmerz 278 Down-Syndrom 8, 9, 9., 89 Drehmann-Zeichen 346 Dreimonatskolik 270 Dreitagefieber 122 Drogenabhängigkeit, maternale 50 Dubin-Johnson-Syndrom 290 Dubowitz-Syndrom 177 Ductus arteriosus Botalli, persistierender 25, 209 Dünndarmduplikatur 266 Duodenalatresie 266, 267, 267. Durchfall 7 Diarrhö Dysfunktion, minimale zerebrale 383 Dysgenesie, retikuläre 177 Dyskeratosis congenita 178 Dysmelie 339, 339. Dysostose 338, 339 – kraniale 338, 339 Dysostosis – cleidocranialis 338 – craniofacialis 338, 339 Dysplasia cleidocranialis 338 Dysplasie – bronchopulmonale 26, 258 – ektodermale 361 – kleidokraniale 338 Dysraphie 378 – kraniale 378 – lumbale 378 Dysregulation, orthostatische 232
A–E
Dystonie 381 Dystopie, gekreuzte 296, 296. Dystrophie – 7 a. Muskeldystrophie – Curschmann-Steinert 388 – fortschreitende 55, 56, 56. – myotone 14, 388, 389 Dystrophinopathie 386
E Echinokokkose 277, 278 Echolalie 424 ECHO-Virusinfektion 133 Edwards-Syndrom 9 Ehlers-Danlos-Syndrom 181, 187, 361 Einklemmungssyndrom 381 Einstellreflex, oraler 4 Eisenmangelanämie 167, 168, 168. Eisenmenger-Reaktion 211 Eisenverteilungsstörung 170 Eisenverwertungsstörung 170 Ekstrophiekomplex 329 Ekthyma 366, 367 Ektromelie 340 Ekzema herpeticatum Kaposi 125 Ellipotzytose, hereditäre 173 Embryogenese 16 Embryopathie 16 Emphysem 7 Lungenemphysem Endocarditis lenta 224 Endokarditis – akute 224 – bakterielle 224, 225 – subakute 224 Endokarditisprophylaxe 225 Enkopresis 422 Enterobiasis 276 Enterokolitis – antibiotika-assoziierte 119 – nekrotisierende 39 Enteropathie, glutensensitive 280, 281 Enterothorax 30 Enterovirus-Infektion 131–133 Enthesitis 155 Entwicklung – Meilensteine 5 – motorische 5 Entwicklungsverzögerung 102 Entzugssymptomatik, neonatale 50 Enuresis 324, 325 Enzephalitis 412, 413 – Varizellen-bedingte 124 Enzephalomyelitis – disseminata 413 – progressive 119
438
Sachverzeichnis
Enzephalopathie – hypoxisch-ischämische 22 – mitochondriale 13 Enzephalozele 378 Eosinophilie 179 Ependymom 195, 197 Ephelide 362 Epidermolysis bullosa heredetaria 360, 360., 361 Epididymitis 126 Epiduralhämatom 416 Epiglottitis, akute 243, 245 Epikutantest 148 Epilepsie 403–410 – 7 a. Anfall – diffuse 406 – fokale 404, 409 – generalisierte 409 – idiopathische 410 – myoklonisch-astatische 408 – posttraumatische 408 – Therapie 409, 410 Epilepsie-Syndrom 407, 408 Epiphysiolysis capitis femoris 345, 346 Epispadie 329 Epstein-Barr-Virusinfektion 126, 127 Erblähmung 22, 23. Erbrechen 263 – acetonämisches 263 – atonisches 263 – Hämatin 264 – induziertes 431 Ernährung – Kleinkinder 55 – Säugling 52–54 Ertrinken – primäres 429 – sekundäres 429 Ertrinkungsunfall 429 Erysipel 108, 367 Erythema – anulare – – marginatum 160 – exsudativum multiforme 372 – infectiosum 123, 123. – migrans 119, 120. – nodosum 283, 283., 372, 373 Erythroblastopenie, transitorische 172 Erythrodermia ichthyosiformis congenita vullosa 359 Erythropoese, fetale 32 Erythrozyten, fetale 32 Erythrozytenindizes 166 Erythrozytose 178, 179 Escherichia coli, enterohämorrhagische 315 Essstörungen 421
Ewing-Sarkom 200, 201, 201. Exanthem, virusbedingtes 120 Exanthema subitum 122 Exostose, osteokartilaginäre 349 Exsikkose 332 Extrasystolie 229, 230
F Facies myopathica 389 Faktor-V-Leiden 185 Fallfuß 389 Fallot-Tetralogie 213 Fanconi-Anämie 177, 178 Farmer-Lunge 254 Favus 368 Fazialisparese 395, 395. – periphere 22, 395 – zentrale 395 Feigwarze 364 Feminisierung, testikuläre 105 Femurdefekt, proximaler fokaler 340 Fetopathia diabetica 48, 49 Fetopathie 16 Fettsäureoxidation, mitochondriale, Störungen 67, 68 Fettstoffwechselstörungen 77–79 Feuermal 363 Fibrom, histiozytäres 350 Fibrose, zystische 14, 248–250, 249. Fibulahypoplasie 340 Fieber, rheumatisches 108, 151, 159, 160 Fieberkrampf 408, 409 Filtrationsrate, glomeruläre 326, 327 Flachrücken 341 floppy infant 384, 389, 392 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung 8 Fluoridprophylaxe 2 Folgenahrung 54 Folsäuremangel 170, 171 Folsäureprophylaxe, perikonzeptionelle 380 Fontan-Operation 217 Fragiles-X-Syndrom 13 Fremdkörper – Ingestion 433 – Luftwege 245 – Nase 237, 238 Frühgeborene 24, 25 – Apnoe 28 – Atemnotsyndrom 24 – Gehirnblutung 27 Frühsommer-Meningoenzephalitis 134, 135 Fruktoseintoleranz, hereditäre 74 Fruktosemalabsorptin 285
Fruktosestoffwechselstörungen 73, 74 FSME 134, 135 Furunkel 366 Fußdeformitäten 347
G Gain-of-function-Mutation 86 Galaktorrhoe 87 Galaktosämie 2, 72 Galaktosestoffwechselstörungen 72, 73 Galant-Reflex 4 Gallengangsatresie, extrahepatische 287 Gallengangshypoplasie 287 Gallenstein 287, 288 Gallenwege, Mündungsanomalie 286 Gallenwegserkrankungen 286–288 Gangliosidose 80 Gardener-Syndrom 286 Gastoenteritis, Escherichia-coli-assoziierte 117 Gastritis 278, 279 – Ätiologie 279 Gastroenteritis, akute 275, 276 gastroösophageale Refluxkrankheit 271 Gastroschisis 38, 39. Geburtsgeschwulst 22 Geburtstrauma 22 Gedeihstörung 55 Gefäßnävus 363 Gehirnblutung, Frühgeborene 27 Gehirninfarkt 401 Gelegenheitsanfall 408 genomic imprinting 11 Gerinnungsstörungen 182–184 – disseminierte intravaskuläre 37 Gigantismus 87 Gilbert-Meulengracht-Syndrom 290 Gingvostomatitis herpetica 125 Gitelman-Syndrom 318 Glabella-Reflex 4 Glasgow Coma Scale 415 Glasknochenkrankheit 337, 338. Gleithernie 269 Gleithoden 330 Gliatumor 197, 198 Gliedergürtelmuskeldystrophie 387 Gliedmaßenfehlbildungen 339, 340 Gliom – Chiasma optici 198 – Nervus opticus 198 Globoidzell-Leukodystrophie 81
439 Sachverzeichnis
Glomerulonephritis – akute postinfektiöse 309, 310 – membranoproliferative 313 – membranöse 313 – rapid-progressive 312, 313 Glomerulopathie 303–314 – chronische 313 Glomerulosklerose, fokal-segmentale 313 Glottisstenose 32 Glukose-6-Phosphat-DehydrogenaseMangel 15, 174 Glukose-Galaktose-Malabsorption 285 Glukosurie, renale 316, 317 Glukozerebrosidose 81 Glykogenose 70–72 – Typ I 70, 71, 73 – Typ II 72, 73 – Typ III 73 – Typ IX 73 – Typ VI 73 Gnomwaden 385 Golgi-Apparat, Erkrankungen 384, 385 Goodpasture-Syndrom 151, 312 Gordon-Reflex 382 Gowers-Manöver 386 Graefe-Zeichen 93 Grand-Mal-Anfall 404, 406 Granulomatose, progressiv-septische 146 Granulozytopenie 179 Greifreflex 4 Großwuchs 91 Guillain-Barré-Syndrom 393, 394 Gürtelrose 124, 125 Gynäkomastie 101
H H2-Atemtest 284 Hackenfuß 348 Haemophilus-influenzae-Infektion 111, 112 Haemophilus-influenzae-Impfung 137 Halo-Nävus 362 Halslymphknoten-Tuberkulose 114 Halsstellreflex 4 Haltungstest, nach Matthias 341 Hämangiom 363, 363. Hamartom, subependymales 397 Hämatinerbrechen 264 Hämaturie 303–305 – benigne familiäre 313, 314 Hamman-Rich-Syndrom 258 Hämofiltration 431
Hämoglobin 164 – Normwerte 32 Hämolyse – mechanisch bedingte 174 – toxisch bedingte 174 hämolytisch-urämisches Syndrom 174, 314, 315 Hämophilie A 15, 182, 183 Hämophilie B 183 Hämosiderose 169 Hand-Fuß-Mund-Krankheit 133 Hand-Fuß-Syndrom 176 Harninkontinenz, funktionelle 324 Harnröhrenklappe 301 Harntransportstörungen 298–301 Harnwegsinfektion 323, 324 Harrison-Furche 352 Hashimoto-Thyreoiditis 93, 151 Hauterkrankungen – bakterielle 365, 366 – erbliche 359–363 – parasitäre 368 – virale 364, 365 Hautkandidose 135 HDL-Cholesterin 77 HDL-Mangel, familiärer 79 Helicobacter-pylori-Infektion 278, 279 Helminthose 276, 277 Hemifontan-Operation 217 Hemiparese, spastische 382 Hemiplegie 382 Hemmkörperhämophilie 183 Hepatitis 288–290 – A 288 – B 288, 289 – – Impfung 137 – – Neugeborene 43, 44 – C 288, 289 – D 288, 289 – E 288, 289 – fulminante 44 – G 288, 289 – Neugeborene 290 Hepatoblastom 204 Hepatomegalie 71, 71. hepatozelluläres Karzinom 204 Hermansky-Pudlack-Syndrom 181 Hermaphroditismus, verus 104 Hernia/Hernie 268, 269 – fixierte 269 – inguinalis 268 – inkarzerierte 273 – paraösophageale 269 – umbilicalis 268 Herpangina 133 Herpes simplex – genitalis 126 – labialis 125 – Zoster 124, 125
E–H
Herpesenzephalitis 413 – nekrotisierende 125 Herpes-simplex-Infektion 125 – konnatale 42 – perinatale 42 Hertoghe-Zeichen 370 Herxheimer-Reaktion 119 Herzbuckel 223 Herzfehler, angeborene 208–221 – komplexe 216, 217 – mit Links-Rechts-Shunt 208–212 – ohne Shunt 217–222 – Rechts-Links-Shunt 212–216 Herzgeräusch, akzidentelles 232 Herzinsuffizienz 208 Herzrhythmusstörungen 227–231 – bradykarde 228 – tachykarde 229–231 Heteroglykanose 82 Heteroplasmie 13 HHH-Syndrom 68 Hiluslymphknoten-Tuberkulose 114 Himbeerzunge 108 Hirnabszess 413 Hirnblutung 7 Gehirnblutung Hirnsklerose – herdförmige 397 – tuberöse 397, 398, 398. Hirnstammgliom 197 Hirntumoren 196 Hirnvenenthrombose 401 Histiozytose 205 HIV-Infektion 128, 129 – Therapie 129 – vertikale 129 HLA-B27 156 Hockstellung 213 – Trommelschlegelfinger 214, 214. Hoden, Lageanomalien 330 Hodenektopie 330 Hodenhochstand 103, 104 Hodentorsion 331 Hodgkin-Lymphom 195 Hohlrundrücken 341 Homozystinurie 67, 91, 181, 185 Hormon – adrenokortikotropes 86 – Follikel-stimulierendes 86 – hypophysäres 86 – luteinisierendes 86 – melanozytenstimulierendes 86 – somatotropes 86 – Thyreoidea-stimulierendes 86 Hufeisenniere 296, 296. Hüftdysplasie, angeborene 343, 344, 344. Hüfterkrankungen 343–346 Hüftkopfnekrose, juvenile 344 Huntington-Krankheit 14
440
Sachverzeichnis
Hydrocephalus – communicans 380 – externus 380 – hypersecretorius 380 – internus 380 – occlusus 380 Hydrops fetalis 35 Hydrothorax 259 Hydrozele 330 Hydrozephalus 380, 381 – angeborener 380 – erworbener 380 Hymenalatresie 331 Hyperaktivität 425 Hyperaldosteronismus, sekundärer 100 Hyperbilirubinämi – indirekte 34 – Neugeborene 33 Hypercholesterinämie, familiäre 79 Hyperglycinämie, nicht-ketotische 69 Hyperglykämie 75 Hyperhydratation 333, 334 Hyperkaliämie 334, 355, 356 Hyperkalzämie – akute 96 – Differenzialdiagnostik 96 Hyperkeratose, epidermolytische 359 Hyperkyphose 341 Hyperlipoproteinämie 77, 78, 79., 307 – familiär kombinierte 78 – primäre 78 – sekundäre 78 Hypermagnesiämie 357 Hyperoxalurie 69 – primäre 322, 323 Hyperoxietest 31 Hyperparathyreoidismus 95, 96 – sekundärer 327 Hyperphenylalaninämie 63 Hyperphosphatasie – isolierte 356 – persistierende 356 – transitorische 356 Hypersplenismus 180 Hyperthermie, maligne 391 Hyperthyreose 92, 93, 148 Hypertonie – arterielle 320, 321, 327 – neonatale 21, 22 – – persistierende 31 – pulmonale 248 Hypertriglyzeridämie, familiäre 78 Hypertyrosinämie 63, 64 Hyperviskositätssyndrom 33 Hypervitaminose 59, 60 – A 59 – D 60
Hypoaldosteronismus 98, 99 Hypobetalipoproteinämie, familiäre 79 Hypogammaglobulinämie, transitorische 142 Hypoglykämie 70, 75 – neonatale 49 Hypogonadismus 103 – primärer 102, 103 – sekundärer 102, 103 – tertiärer 102 Hypokaliämie 334 Hypokalzämie 356 – akute 95 – neonatale 49 Hypokortisolismus 98 Hypolipoproteinämie 79 Hypomagnesiämie 356, 357 Hypoparathyreoidismus 95 Hypophosphatasie 355 Hypophyse – Hormone 86 – Portalkreislauf 85, 85. Hypophysenvorderlappeninsuffzienz 86 Hypospadie 328, 329, 329. Hypothyreose 92 Hypsarrhythmie 408
I Ichthyosis – congenita 359 – vulgaris 359, 360 – X-chromosomal-rezessive 359 Ichthyosis-Hand 370 Icterus – gravis 34 – praecox 34 – prolongatus 34 IgA-Glomerulonephritis 310, 311 IgA-Mangel, selektiver 143 IgG-Mangel 143 IgG-Wärmeantikörper 174, 175 IgM-Kälteantikörper 174, 175 Ikterus – pathologischer 34 – physiologischer 33 Ileitis terminalis 282 Ileumpouch 284 Ileus 272, 273 – mechanischer 273 – paralytischer 273 Immigrantenrachitis 353 Immundefekt – angeborener 142–147 – Definition 142
– erworbener 147 – schwerer kombinierter 144 Immunhämolyse 148 Immunsystem – humorales 142 – zelluläres 142 Immunthrombozytopenie 180 Impetigo – bullosa 46 – contagiosa – – großblasige staphylogene 365 – – kleinblasige streptogene 366 – neonatorum 46 Impetigo-Nephritis 366 Impfkalender 139 Impfung 137–140 – Kontraindikationen 138 – unerwünschte Wirkungen 138 Infektanfälligkeit, vermehrte 307 Infektionen, konnatale 40 Influenza 130 Insektengiftallergie 149 Insulin 74 Insulinmangel 75 Insulintherapie 76 Invaginatin 273, 274 Isovalerianazidämie 66
J Jaktation 423 Jarisch-Herxheimer-Reaktion 113 Jodmangelstruma 94
K Kaiser-Fleischer-Kornealring 291 Kala-Azar 135 Kaliumhaushalt, Störungen 334 Kallmann-Syndrom 103 Kalziummangelrachitis 354 Kalziumoxalatstein 321 Kalziumphosphatstein 321 Kalziumstoffwechsel 351 Kammerflattern 231 Kammerflimmern 231 Kandidasepsis 136, 367 Kandidose 135, 136, 367 Kanner-Syndrom 425 Kardiomyopathie 222–224 – dilatative 223 – hypertrophe 223, 224 – restriktive 224 Karenztest 148 Kartagener-Syndrom 239
441 Sachverzeichnis
Karyogramm 8 Karzinoidtumor 206 Karzinom, hepatozelluläres 204 Katzenauge, amaurotisches 199 Katzenschrei-Syndrom 10, 89 Kavernom 400 Kawasaki-Syndrom 186, 187, 187. Kearns-Sayre-Syndrom 13 Kehlkopftumoren 243 Keilwirbel 341 Keimzelltumoren 198, 199, 204 Keloid 375 Kephalhämatom 22 Keratoconjunctivitis – epidemica 131 – herpetica 125 Keratosis pilaris 370 Kernig-Zeichen 411 Kernikterus 36 Kerzentropfen-Phänomen 374 Ketoazidose 75 Keuchhusten 109, 110 Kiebitzei-Nävus 362 Kindesmissbrauch 418, 419 Kindesmisshandlung 418, 419 Kindstod, plötzlicher 433 Klarzellsarkom 203 Klavikulafraktur 22 Kleinhirnastrozytom 197 Kleinhirnwurm, Dyskinesie 380 Kleinwuchs – intrauteriner 90 – primärer 89 – renaler 327 – sekundärer 89 – Ursachen 90 Kletterfuß 348 Klinefelter-Syndrom 12 Klippel-Feil-Syndrom 339 Klippel-Trénaunay-Syndrom 363, 399, 399. Kloakenekstrophie 329 Klumpfuß 348 Klumphand 340 Knick-Senk-Fuß 348 Kniegelenkserkrankungen 346, 347 Kniekuss-Zeichen 411 Knochenbrüchigkeit 337 Knochenfibrom, nichtossifizierendes 350 Knochentumoren 349–351 – maligne 200, 201 Knochenzyste, solitäre juvenile 350 Koagulationsnekrose 430 Koagulopathie, neonatale 36, 37 Koenen-Tumor 398 Kohlenhydratstoffwechselstörungen 70–76 Kohlenmonoxidvergiftung 432
Kolliquidationsnekrose 430 Kolon, irritables 269, 270 Kolostrum 52 Koma – hyperosmolares 77 – ketoazidotisches 77 Komplementdefekt 147 Konjunktivitis – follikuläre 131 – Neugeborene 47 47,XYY-Konstitution 13 Kontaktdermatitis 371, 371. Kontaktekzem 371 Konus-Syndrom 379 Kopfjaktation 423 Kopfschmerz 402, 403 – idiopathischer 402 – symptomatischer 402 Koplik-Flecken 121 Koprolalie 424 Kornzweig-Bassen-Syndrom 79 Körperjaktation 423 Kortikalisdefekt, fibröser 350 Kortisol 96 Kostmann-Syndrom 177 Krabbler-Diarrhoe 270 Krampfanfall – Neugeborene 48 – zerebraler 403 Kraniopharnygeom 194, 198, 198. Kraniosynostose 338, 339 Kraniotabes 352 Kreislauf – enterohepatischer 33 – fetaler 20 – – persistierender 31 – postnataler 20 Kreislaufdysregulation 232 Krise – aplastische 172 – myasthene 391 Kuchenniere 296, 296. Kugelzellanämie 173 Kuhmilcheiweißallergie 280 Kurzdarmsyndrom 285 Kussmaul-Atmung 335 Kussmaul-Zeichen 227 Kwashiorkor 56 Kyphose 340
L Labiensynechie 331 Labyrinthstellreflex 4 Lagophthalmus 395 Lähmung, periodische – dyskaliämische 389, 390
H–L
– hyperkaliämische 389, 390 – hypokaliämische 389, 390 Laktasemangel 284 Laktosemaldigestion 284, 284 Landau-Reflex 4 Längensollgewicht 55 Langerhanszell-Histiozytose 205 Lanz-Punkt 278 Lappenpneumonie 255 Laryngitis 243 – subglottische 244 Laryngomalazie 32, 235 Laryngotrachobronchitis, maligne, stenosierende 247 Lasègue-Zeichen 411 Latexallergie 150 Laurence-Moon-Bardet-Biedl-Syndorm 57 LDL-Cholesterin 77 Lebensmittelvergiftung 116, 118 Lebererkrankungen 288–292 Lebertumoren 204, 292 Legasthenie 424 Legg-Calvé-Perthes-Erkrankung 344, 347 Leishmaniose 135 Leistenhernie 268, 269 Lendenwulst 342 Lennox-Gastaut-Syndrom 408, 410 Lentigo 362 Lesch-Nyhan-Syndrom 384 Lese-Rechtschreibschwäche 424 Leukämie 190–193 – akute lymphatische 190, 191 – akute myeloische 191, 192 – chronisch myeloische 192 Leukodystrophie, metachromatische 81 Leukokorie 199 Leukomalazie, periventrikuläre 28 LHRH-Test 101, 102 Lichtempfindlichkeit 361 Linksherzsyndrom, hypoplastisches 217 Links-Rechts-Shunt 208–211 Listeriose 44, 45 Littré-Hernie 268 Long-Ganong-Levine-Syndrom 228 Long-QT-Syndrom 227 Lordose 340 Loss-of-function-Mutation 86 Louis-Bar-Syndrom 145 Lowe-Syndrom 318, 319 Low-output-Syndrom 227 Lungenabszess 257, 258 Lungenaplasie 236 Lungenemphysem 257 Lungenemphysem, kongenitales lobäres 236
442
Sachverzeichnis
Lungenerkrankungen, Neugeborene 28–32 Lungenfibrose 258 – idiopathische progressive 258 Lungenhämosiderose, idiopathische 258 Lungenhypoplasie 30, 236 Lungensequestration 236 Lungentuberkulose 114 Lungentumoren 258 Lungenvenenfehlmündung – partielle 210 – totale 216 Lupus erythematodes – disseminatus 154 – systemischer 148, 151, 152, 312 Lupussyndrom, neonatales 152 Lyell-Syndrom 366 Lyme-Arthritis 119 Lyme-Borreliose 119, 120, 120. Lyme-Neuroborreliose 119 Lymphadenosis cutis benigna 119 Lymphknotensyndrom, mukokutanes 186 Lymphogranulomatose 195 Lymphohistiozytose, hämophagozytische 205, 206 Lymphom – großzelliges anaplastisches 194 – kleinzelliges 194 – lymphoblastisches 194 – malignes 193, 193. Lymphozytenfragilitätstest 178 lysosomale Erkrankungen 383
M Magenspülung 431 Magnesiumhaushalt 351 Magnetreflex 4 Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie 286 Makrohämaturie 303 Malabsorption 284 Malassezia furfur 367 Maldescensus testis 103, 104, 330 Maldigestion 284 Malformation, arteriovenöse 399, 400 Malrotation 266 Marasmus 56 Marfan-Syndrom 14 Marmorknochenkrankheit 338 Martin-Bell-Syndrom 13 Masern 120, 121 Masernenzephalitis 121 Masernimpfung 137 Mastoiditis 242
May-Hegglin-Anomalie 180 MCAD-Mangel 67 McBurney-Punkt 278 Meckel-Divertikel 267 Mediastinitis, akute 260 medullary cystic disease 303 Medulloblastom 195, 197, 197. Megakolon, sekundäres 274 Megaureter 298. Meilensteine, Entwicklung 5 Mekoniumaspirationssyndrom 29 Mekoniumileus 38, 273 Mekoniumpfropfsyndrom 38 Meläna 264 MELAS 13 Menarche 100 Meningismus 411 Meningitis 410, 411 – bakterielle 410, 411 – Neugeborene 46 – seröse 126 – tuberkulöse 411 – virale 411, 412 Meningoenzephalitis 126, 412 Meningokokken-Impfung 138 Meningokokken-Infektion 112 Meningomyelozele 379 Meningoradikulitis Bannwarth 119 Meningozele 379 MERRF 13 Merseburg-Trias 92 Methämoglobinämie 176, 177 Methylmalonazidämie 66 Methylmalonazidurie 171 Meyer-Weigert-Regel 296 Mickymaus-Erythrozyten 303 Migräne 402 – familiäre hemiplegische 402 – ophthalmologische 402 Mikroangiopathie, thrombotische 314 Mikrodeletion 10 Mikrohämaturie 314 Mikrokolon, kongenitales 274 Mikrosporie 368 Miktionszystourethrographie 299 Milchschorf 370 Miliartuberkulose 114, 116. Miller-Fisher-Syndrom 394 Milzsequestrations-Krise 176 Mirkohämaturie 303 Missbrauch, sexueller 419 Misshandlung, körperliche 418 mitochondriale Erkrankungen 383, 384 Mitralatresie 216 Mitralvitien 220 Mittellappensyndrom 257 Mittelmeerfieber, familiäres 161
Moebius-Zeichen 93 Möller-Barlow-Krankheit 57 Molluscum contagiosum 364, 365, 365. Monarthritis 154 Mondkind 361 Mongolenfleck 362 Mononucleosis infectiosa 126, 127, 127. Monoplegie 382 Morbus – Addison 97 – Basedow 93, 148, 151 – Becker-Kiener 386, 387 – Bourneville-Pringle 397 – Brocq 359 – Calvé-Legg-Perthes-Waldenström 344, 347 – Crohn 281–283, 282. – Crouzon 338 – Cushing 87, 99 – Duchenne 386, 387, 387. – Gaucher 81 – haemolyticus neonatorum 35 – haemorrhagicus neonatorum 36, 37 – Hirschsprung 274 – Hurler 83 – Kienböck 347 – Köhler 347 – Krabbe 81, 394 – Larsen-Johansson 347 – Little 381 – Niemann-Pick 80 – Osgood-Schlatter 347 – Panner 347 – Perthes 344, 345 – Rendu-Osler 187 – Sandhoff 80 – Scheie 83 – Scheuermann 341, 342, 347 – Schönlein-Henoch 185, 186, 186. – Still 156, 157 – Tay-Sachs 80 – Vogel 347 – Wilson 181, 291 Moro-Reflex 4 Motilitätsstörungen 271 Motoneuronerkrankungen 392, 393 Mukolipidose 83 Mukopolysaccharidose 82, 83 Mukoviszidose 14, 248–250, 249. Multiple Sklerose 7 Sklerose, multiple Mumps 126 Mumps-Impfung 138 Münchhausen-by-proxy-Syndrom 418 Mundsoor 135, 135., 367 Muskelatrophie, spinale 14, 392, 393
443 Sachverzeichnis
Muskeldystrophie 385–387 – autosomal-dominante 387 – autosomal-rezessive 387 – Becker-Kiener 386, 387 – Duchenne 386, 387, 387. – Emery-Dreifuss 386 – fazioskapulohumerale 387 – kongenitale 387 – Typ Duchenne 15 – X-chromosomale 386 Myalgia epidemica 133 myasthene Krise 391 Myasthenia gravis 151, 390, 391 Myasthenie – kongenitale 391 – Neugeborene 391 Myelitis 412, 413 Myelomeningozele – geschlossene 379 – offene 379 Myelose, funikuläre 171 Mykoplasmen 256 Myokarditis, akute 225, 226 Myoklonus-Epilepsie 13 Myopathie, funktionelle 390, 391 Myotonia congenita – Becker 388 – Thomsen 388 Myotonie 387, 388 – paradoxe 388
N Nackenreflex – asymmetrisch-tonischer 4 – symmetrisch-tonischer 4 Naevus – 7 a. Nävus – flammeus 363 – fuscocoeruleus 362 – spilus 362 – coeruleus 362 – sebaceus 363 Nahrung, hypoallergene 54 Nahrungsmittelallergie 149, 279, 280 Nahrungsmittelgastroenteritis, akute 117 Nahrungsresorption, gestörte 55 Narbenhernie 268 Nase, Fremdkörper 237, 238 Nasenfurunkel 237 Nasopharynxkarzinom 206 Nävus – 7 a. Naevus – epidermaler 363 – epithelialer 363
– melanozytärer 362 – – kongenitaler 362 Nävuszellnävus 361, 362 – dermaler 362 – junktionaler 362 Nebennierenerkrankungen 96, 97 Nebenniereninsuffizienz 97 Nebennierenkarzinom 206 Nebennierenrindeninsuffizienz – akute 98 – chronische 98 – primäre 97 – sekundäre 97 – tertiäre 97 Nekrolyse, toxische epidermale 372 Nephritis, tubulointerstitielle 315, 316 nephritisches Syndrom 309 Nephroblastom 202, 203, 203. Nephrokalzinose 321, 322 Nephrom, kongenitales mesoblastisches 204 Nephronophthise 303 nephrotisches Syndrom 307, 308, 308. Neugeborene – Bluterkrankungen 32–37 – gastrointestinale Erkrankungen 37–39 – Hyperbilirubinämie 33 – Konjunktivitis 47 – Lungenerkrankungen 28–32 – metabolische Erkrankungen 48, 49 – Normwerte 20 – persistierende pulmonale Hypertonie 31 – Reanimation 23, 24 – Struma 94 – Temperaturregulation 20 Neugeborenenhepatitis 290 Neugeborenenkrampf 48, 409 Neugeborenenmyasthenie 391 Neugeborenen-Screening 2 Neugeborenensepsis 45, 46 Neuner-Regel 428 Neurinom 396 Neuroblastom 202 Neuroborreliose 119 Neurodermitis 280 Neurofibrom, plexiformes 396 Neurofibromatose 362, 396, 397 – Typ I 396, 396. Neurofibromatose– Typ II 397 neurometabolische Erkrankungen 383 Neuropathie – erworbene 393, 394 – hereditäre 393 Neutropenie 145, 179 – chronisch-benigne 146
L–O
– erworbene 179 – kongenitale 177, 179 Neutrophilie 179 Niacin-Mangel 58 Nick-Krampf 408 Niere – Formanomalie 296 – Fusionsanomalie 296 – gekreuzte Dystopie 296, 296. – Lageanomalien 296 Nierenagenesie 298 Nierendysplasie 298 – multizystische 298, 302, 303 Nierenerkrankungen 294–331 – zystische 301–303 – – autosomal-dominante polyzystische 302 – – autosomal-rezessive polyzystische 302 Nierenersatztherapie 328 Nierenhypoplasie 297 Niereninsuffizienz – akute 325, 326 – chronische 326, 327 Nierentransplantation 328 Nierentumoren 202, 203 Nierenvenenthrombose 185, 328 Nikolski-Phänomen 47, 366 Nikotinvergiftung 432 Noduli rheumatici 160, 160. Non-Hodgkin-Lymphom 193, 194 Non-Rotation 266 Noonan-Syndrom 89 Norwood-Operation 217
O Obstipation 264, 265 – funktionelle 270 Oligoarthritis 154, 155, 158 Oligomeganephronie 297 Oligosaccharidose 83 Omphalitis 47 Omphalozele 38, 269 Opiatsyndrom 432 Opisthotonus 111 Oppenheim-Reflex 382 Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom 202 Orchitis 126 Organoazidurie 65, 66 Organogenese 16 Ornithin-transcarbamylase-Mangel 68 Ornithose 256 Orotazidurie, hereditäre 384 Ösophagusatresie 265, 265., 266, 266.
444
Sachverzeichnis
Ösophagusmanometrie 272 Osteitis fibrosa generalisata 96 Osteochondrom 349, 350 Osteochondrosis dissecans 347 Osteogenesis imperfecta 89, 337, 338. Osteoidosteom 350 Osteomalazie 352 Osteomyelitis 348, 349 – akute hämatogene 348 – chronische 349 Osteopathie, renale 327, 353 Osteopetrosis 338 Osteosarkom 200, 201. Ostium-primum-Defekt 210 Ostium-secundum-Defekt 210 Otitis – exsudativa 242 – externa 241 – media – – acuta 241, 242 – – chronica 242 – – purulenta 242 Overlap-Syndrom 154 Oxalose 69 Oxyuriasis 276, 277
P Palilalie 424 Panenzephalitis, subakut sklerosierende 121 Pankolitis 283 Pankrasinsuffizienz, exokrine 293 Pankreasfibrose 248 Pankreasinsuffizienz 248 Pankreatitis – akute 292 – chronische 293 – hereditäre 293 – rezidivierende 248 – sekundäre 293 Pantothensäure-Mangel 58 Panzerherz 227 Panzytopenie 177 Papillom 363 Parainfluenza 130, 131 Paramyotonia congenita Eulenburg 388 Paraphimose 330 Parathormon 94, 351 Parotitis epidemica 126 Parvovirus-B19-Infektion 44 Pätau-Syndrom 9, 10 Paukenerguss 242 Pectus excavatum 347, 348 Pedikulose 368
Pemphigus neonatorum 46, 47 Pendelhoden 330 Penicillinallergie 150 Pericarditis – exsudativa 226 – sicca 226 Perikarditis 114, 226, 227 Perikard-Reiben 226 Peritonealdialyse 328 Perodaktylie 340 Peromelie 340 peroxisomale Erkrankungen 384 Pertussis 109, 110 Pertussis-Impfung 137 Petit-Mal-Anfall 404, 407 Petrussa-Index 21 Peutz-Jeghers-Syndrom 286 Pfannendysplasie 343 PFC-Syndrom 31 Pfeiffer-Drüsenfieber 126, 127, 127. Phagozytosedefekt 145, 146 Phakomatose 363 Pharyngitis 236 – streptokokkenbedingte 107 Phenylketonurie 2, 14, 62, 63 – maternale 63 Phimose 329 Phokomelie 340 Phosphatdiabetes 15 Phosphatstoffwechsel 351 Pica 422 Pierre-Robin-Syndrom 32 Pilzinfektionen 135–137 Pilzpneumonie 257 pink fallot 213 Pityriasis versicolor 367 Pleuraempyem 258 Pleuritis – exsudativa 114 – purulenta 258 – sicca 258 Pleuritis 114 Plexuslähmung – obere 22, 23, 23. – untere 23 Pneumocystis jirovecii 256 Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie 135 Pneumokokken-Impfung 138 Pneumomediastinum 260 Pneumonie 236, 254–257 – atypische 256 – Erreger 31 – Erregerspektrum 255 – idiopathische interstitielle 258 – neonatale 30, 31 Pneumoperikard 260 Pneumothorax 259 – asymptomatischer 259 – iatrogener 259
– Neugeborene 29 – traumatischer 259 Polioenzephalitis 132 Poliomyelitis 132 Poliomyelitis-Impfung 137 Polyarthritis 154 – seronegative 155, 158 – seropositive 155, 158 Polydaktylie 340 Polydipsie 317 Polyglobulie 33, 178, 179 Polymerasekettenreaktion 8 Polymyositis 153 Polyneuropathie, chronische inflammatorische demyelinisierende 394 Polyp, juveniler 285 Polyposis, familiäre adenomatöse 285, 286 Polyspike-Wave-Komplex 407 Polyurie 317, 327 Polyzythämie, neonatale 33 Portoenterostomie, nach Kasai 287 Postkardiotomie-Syndrom 226 Postpoliomyelitissyndrom 132 Poststreptokokkenglomerulonephritis 108 Prader-Willi-Syndrom 10, 89 Pränataldiagnostik 8 Prick-Test 148 Prolaktin 86 Propionazidämie 66 Proteinurie 304, 305 – isolierte 305. – orthostatische 304 Proteohormone 85 Protozoeninfektionen 135 Provokationstest 148 Prune-Belly-Syndrom 301 Pseudohermaphroditismus 104 – femininus 98, 105 – masculinus 104 Pseudohypoaldosteronismus 99 Pseudohypoparathyreoidismus 95 Pseudokrupp 130, 243 Pseudopubertas praecox 98, 101 – heterosexuelle 101 Psoaszeichen 278 Psoriasis – geographica 373 – guttata 373 – nummularis 373 – puncatata 373 – vulgaris 373, 373. Psoriasisarthritis 155, 158 Pubarche 100 Pubertas – praecox 87, 101 – – vera 101 – tarda 102
445 Sachverzeichnis
Pubertätsentwicklung 6 – Störungen 100–102 Pubertätsgynäkomastie 102 Pulmonalatresie 214 Pulmonalinsuffizienz 218 Pulmonalstenose – subvalvuläre 217 – supravalvuläre 217 – valvuläre 217 Pulpitis sicca 370 Pulsus paradoxus 227 Purinstoffwechsel, Störungen 384 Purpura – abdominalis 185 – cerebralis 186 – fulminans 186 – necroticans 186 – rheumatica 185 – Schönlein-Henoch 185, 186, 186., 311, 311., 312 Pyelonephritis 323 Pyknolepsie 407, 410 Pylorotomie nach Weber-Ramstedt 272 Pylorushypertrophie 272 Pyodermie 365, 366 Pyopneumothorax 258 Pyramidenbahnzeichen 382 Pyrimidinstoffwechsel, Störungen 384 Pyruvatdehydrogenasemangel 384 Pyruvatkinasemangel 174
Q Quadratschädel 352
R Rachenmandelhyperplasie 240 Rachitis 352 – antiepileptische Erkrankungen 353 – gastrointestinale Erkrankungen 353 – hepatobiliäre Erkrankungen 353 – Immigranten 353 – kalzipenische 352 – Kalziummangel 354 – phosphopenische 354 – Vitamin-D-abhängige 354 – Vitamin-D-Mangel 352, 353 – Vitamin-D-resistente hypophosphatämische 15 Reanimation, Neugeborene 23, 24 Reflexe 4 Reflexepilepsie 408 Reflux, vesikoureterorenaler 299, 300, 300.
Refluxkrankheit, gastroösophageale 271 Refsum-Krankheit 81, 82 Regurgitatin 263 Rehydratation 276 Rektusdiastase 268 Respiratory-snycytial-Virusinfektion 131 Retentio testis 330 Retinoblastom 199 Retinopathia praematurorum 26, 27 Retropharyngealabszess 239 Rett-Syndrom 15, 426 Reye-Syndrom 291 Rhabdoidtumor 203 Rhabdomyosarkom 199, 200 Rh-Erythroblastose 35 Rhinitis 236 – allergica 149, 280 Rhinoconjunctivitis allergica 149 Rhinopharyngitis – akute 238 – chronische 238 Rhizomelia chondrodysplasia punctata 384 Rhythmusstörungen 7 Herzrhythmusstörungen Richter-Hernie 269 Riesenwuchs 340 Riesenzellnävus, kongenitaler 362 Rinderbandwurm 277 Ringelröteln 123, 123. Rippenbuckel 342 Risus sardonicus 111 Robertson-Translokation 10 Rolando-Epilepsie 405 Rosenkranz, rachitischer 352 Roser-Ortolani-Zeichen 343 Ross-Operation 219 Rotavirus-Infektion 133, 134 Röteln 121, 122, 122. Röteln-Impfung 138 Röteln-Infektion, konnatale 40, 41 Rotor-Syndrom 290 Rovsing-Zeichen 278 Rückenmarktumoren 199 Rumination 263, 422 Rundrücken 341 – fixierter 341 Russel-Silver-Syndrom 89
S Saccharose-Isomaltase-Mangel 285 Salaam-Krampf 408 Salmonellose 116 Salzverlusttubulopathie 318
O–S
Sängerknötchen 243 Säuglingsbotulismus 119 Säuglingsernährung 52–54 Säuglingsnahrung 54 Saugreflex 4 Säure-Basen-Haushalt, Störungen 335 Scapulae alatae 386 Schädelhirntrauma 414, 415 – geschlossenes 415 – offenes 415 Schaltenbrand-Reflex 4 Scharlach 107, 108, 108. Schellong-Test 232 Scherenphänomen 346 Schiefhals, muskulärer 343 Schilddrüsenaplasie 92 Schilddrüsenektopie 92 Schilddrüsenhypoplasie 92 Schilddrüsenkarzinom 206 Schilling-Test 171 Schlaf-Epilepsie 406 Schlaganfall 401 Schmorl-Knötchen 341 Schock 232, 233 – anaphylaktischer 148, 151 – hypovolämischer 233 – kardiogener 233 – septischer 113 Schönlein-Henoch-Nephritis 186 Schreiknötchen 243 Schreitreaktion 4 Schütteltrauma 418 Schwartz-Bartter-Syndrom 88 Schweinebandwurm 277 Schweißtest 249, 293 Seckel-Syndrom 177 Segmentpneumonie 255 Seitenstrangangina 241 Sepsis 113 – neonatale 45, 46 Seromukotympanon 242 Serumkrankheit 148 Sharp-Syndrom 154 Shprintzen-Syndrom 10 Shuntvitien – azyanotische 208, 209 – zyanotische 212, 213, 213. Shwachman-Diamond-Syndrom 177, 178, 293 Sichelfuß 348 Sichelzellerkrankung 175, 176, 176. Sick-Sinus-Syndrom 228 SIDS 433 Siebener-Syndrom 344 Simpson-Test 391 Sinus-cavernosus-Thrombose 401 Sinusitis 238, 239 – akute eitrige 238, 239 Sinusvenenthrombose 185, 401
446
Sachverzeichnis
Sinus-venosus-Defekt 210 SIRS 45 Sjögren-Syndrom 154 Skabies 368 Skelettanomalien 337–339 Skelett-Tuberkulose 115 Sklerodermie 154 Sklerose – multiple 413, 414 – tuberöse 7 Hirnsklerose, tuberose Skoliose 340, 342 – myopathische 342 – neuropathische 342 – osteopathische 342 Skorbut, infantiler 57 Smith-Lemli-Opitz-Syndrom 80 Sommersprossen 362 Somogyi-Phänomen 77 Sotos-Syndrom 91 Spaltfuß 340 Spalthand 340 Spannungspneumothorax 29, 259, 260 Spastik 381 Sphärozytose, hereditäre 173 Sphingolipidose 80 Sphingomyelinose 80 Spieghel-Hernie 268 Spike-Wave-Komplex 407 Spina bifida 378 – aperta 378 – cystica 378, 379 – occulta 378 Spondylolisthese 342, 343 Spondylolyse 342, 343 Spontanpneumothorax 259 Sprachentwicklung 5 Sprachentwicklungsstörung 423 Sprechstörung 423, 424 Standardimpfung 139 Staphylodermie 365, 366 Staphylokokkengastroenteritis 117 Status – asthmaticus 252 – epilepticus 407 – pyknolepticus 407 Steal-Effekt 399 Steigreaktion 4 Stellwag-Zeichen 93 Stenokardie 232 Stenose, glottische 32 Steppergang 389 Sternenhimmel 124 Steroidhormone 85 Steroidsynthese 97, 97. Sterolstoffwechselstörungen 80 Steven-Johnson-Syndrom 372 Stillen 52, 53
Stomatitis 367 – aphthosa 125 Stottern 423, 424 Streptodermie 366 Streptokokken, Einteilung 107 Streptokokkeninfektion 107 Streptokokkenpharyngitis 107 Strophulus infantum 368, 369 Struma 94, 94. Sturge-Weber-Syndrom 363, 398 Stützreaktion 4 Subarachnoidalblutung 416 Subduralhämatom 416 sudden infant death 433 Sulfatidose 81 Sunburst-Phänomen 200 Syndaktylie 340 Syndrom – adrenogenitales 98, 99 – cholinerges 432 – der verbrühten Haut 372 – extrapyramidales 432 – hämolytisch-urämisches 174, 314, 315 – hyperkinetisches 425 – myotones 387–392 – nephritisches 309 – nephrotisches 307, 308, 308. – – idiopathisches 307 – – kongenitales 309 – – Rezidiv 308 – – steroidsensibles 309 – okulo-zerebro-renales 318 – postenteritisches 276 – postenzephalitisches 413 – velokardiofaziales 10 – zerebrohepatorenales 384
T Tachykardie – fetale 230 – supraventrikuläre 230 – ventrikuläre 231 Tachypnoe, transitorische 28, 29 Taenia – saginata 277 – solium 277 Talgdrüsennävus 363 Teerstuhl 264 Teilleistungsstörung 424 Teleangiektasia hereditaria 187 Temperaturregulation, Neugeborene 20 Temporallappenepilepsie 405 Tensilon-Test 391 Tetanus 110, 111
Tetanus-Impfung 137 Tethered Cord 379, 380 Tetrahydrobiopterinmangel 63 Tetraplegie 382 Thalassaemia – intermedia 169 – major 168 – minor 169 Thalassämie 168, 169, 169. Thelarche 100 – prämature 102 Thrombasthenie Glanzmann-Naegelie 181 Thrombophilie 185 Thrombozytopathie 181, 182 – angeborene 181 Thrombozytopenie 180, 181 – amegakaryozytäre 177 – mit fehlendem Radius 177, 180 – neonatale 36 – Ursachen 180 Thrombozytose 181 Thymushyperplasie 260 Tibiahypoplasie 340 Tic-Störung 424, 425 Tinea – capitis 368 – corporis 367, 368 – manum et pedum 368 Todd-Paralyse 406 Tollwut 134 Tonsillitis – catarrhalis 240 – rezidivierende 241 Tonsillopharyngitis 108 TORCH-Infektion 40 Torsade-de-pointes-Tachykardie 227 Torticollis 343 Toxoplasmose 40, 135 Trachealstenose 235, 236 Tracheitis 236 – akute 245, 246 Tracheomalazie 32, 235 Transferrinmangel 170 Translokation 10 Transposition der großen Arterien 214, 215 Tremenonreduktion 164 Tricherbrust 347, 347 Trichophyteninfektion 135, 135. Triglyzeride 77 Trikuspidalatresie 216 Triple-X-Konstitution 12 Trisomie – 13 9, 10, 89 – 18 9, 89 – 21 8, 9, 9. Truncus arteriosus communis 215, 216
447 Sachverzeichnis
Tuberkulinreaktion 148 Tuberkulose 114, 115 – gastrointestinale 114 – generalisierte 114 – urogenitale 115 Tubulopathie 316–320 – hereditäre 316 – sekundäre 316 Tumorlysesyndrom 189, 190 Tüpfelnagel 374 Typhus abdominalis 116, 117 T-Zell-Defekte 143, 144
U Überempfindlichkeitsreaktion 148 Übergewicht 56, 57 Überlaufenkopresis 265, 422 Ullrich-Turner-Syndrom 11, 12, 12., 89 Unterernährung 56 Untergewicht 55 Ureterabgangsstenose 298, 298. Ureterkinking 298 Ureterstenose, terminale 298., 299 Urethralklappe 301, 301. Urolithiasis 321, 322 Urtikaria 150
V VACTERL-Assoziation 265 Valproinsäure 17 Varizella-Zoster-Infektion, Neugeborene 42, 43 Varizellen 123, 124, 124. Varizellenenzephalitis 124 Varizellen-Impfung 137 Vaskulitis 185, 186 Vasopathie 185, 186 Vena-Galeni-Malformation 400 Ventrikelseptumdefekt 211 Verätzung 430 Verbrauchskoagulopathie 183, 184 Verbrennung 428, 429 Verbrühung 428, 429 Vererbung – autosomal-dominante 13, 14 – autosomal-rezessive 14 – multifaktorielle 15 – polygene 15 – X-chromosomal-dominante 15 – X-chromosomal-rezessive 14, 15 Vergiftung 430–432
Vernachlässigung – körperliche 418 – seelische 418 Verrucae – planae juveniles 364 – plantares 364 – vulgares 364 Vierer-Zeichen 345 Viruspapillom 363 Vitamin D 351 Vitamin-A-Mangel 59 Vitamin-B1-Mangel 58, 394 Vitamin-B2-Mangel 58, 394 Vitamin-B6-Mangel 58 Vitamin-B9-Mangel 57 Vitamin-B12-Mangel 170, 171 Vitamin-C-Mangel 57 Vitamin-D-Mangel 59 Vitamin-D-Mangel-Rachitis 352, 353, 353. Vitamin-D-Prophylaxe 2 Vitamin-K-Mangel 36, 37, 59, 184 Vitaminmangel 57–59 Vogelhalter-Lunge 254 Volvulus 38, 273 Von-Hippel-Lindau-Erkrankung 398, 399 Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom 183 Vorbeugetest 341, 342 Vorhofflattern 230, 231 Vorhofflimmern 230, 231 Vorhofseptumdefekt 210 Vorschiebeversuch 341 Vorsorgeuntersuchungen 2, 4 Vulvovaginitis 136, 367
W Wachstumshormon 86 Wachstumshormonmangel 87 Wachstumsstörungen 89–91 Warfarin 17 Warm-up-Phänomen 388 Warze 364 Wasserhaushalt, Störungen 331–334 Waterhouse-Friderichsen-Syndrom 112, 112. Weichteilsarkome 199, 200 Wespenstich 240 West-Syndrom 407, 410 wet lung 28, 29 white spots 398 Wilms-Tumor 202, 203, 203. Wilson-Mikity-Snydrom 258 Windeldermatitis 135, 367, 369 Windpocken 123, 124, 124.
S–Z
Wirbelsäulenerkrankungen 340–343 Wirbelsäulenhaltung 340 Wiskott-Aldrich-Syndrom 145, 180 Wolff-Parkinson-White-Syndrom 227, 228, 228. WPW-Syndrom 227, 228
X Xanthinstein 322 Xanthinurie 384 Xanthom 79. Xeroderma pigmentosum 361
Z Zellweger-Syndrom 384 Zerebralparese – ataktische 382 – dyskinetische 382 – infantile 381, 382 Ziliendyskinesie 239 Zirrhose, biliäre 248 Zöliakie 280, 281 Zwerchfellhernie 30, 269 Zyanose 212, 213, 213. Zystitis 323 Zystizerkose 277 Zytomegalie 41, 42 Zytomegalie-Virusinfektion 133