OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 19 EINZEL- UND 11 DOPPELBÄNDEN
KRONE DES WESTENS Unter diese...
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OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 19 EINZEL- UND 11 DOPPELBÄNDEN
KRONE DES WESTENS Unter diesem Titel ist soeben der 15. Band der neuartigen Weltgeschichte erschienen. Dieser Band behandelt das achte nachchristliche Jahrhundert
Rasend breitet sich Allahs Flamme über die Länder' aus. An der Schwelle des 8. Jahrhunderts n. Chr. springt sie über die Meerenge nach Spanien. Die Süd- und Ostprovinzen des Römerreiches sind zusammengestürzt, kirchliche Streitigkeiten schwächen die Abwehrkraft der Christenheit. Da besinnt sich das Abendland auf die Krone von Rom, das Symbol seiner Einigkeit und Stärke. Die Träger der römischen Tradition, die Päpste, reichen das Zeichen der Kaiserwürde dem Mächtigsten des Westens: Karl dem Großen, dem König der Franken.
Auch dieser Band ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wiedei ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM 3.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher gesctilossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. Erschienen ist seit Dezember 1950 monatlich ein Band. Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX-MURNAU/MÜNCHEN
KLEINE
BIBLIOTHEK
DESWISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
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VERLAG SEBASTIAN LUX * MURNAU / MÜNCHEN
Am 21. Juli, einem Hochsommertag des Jahres 1780, fiel den Bewohnern der Rheingasse in Bonn das lebhafte, aber fast geräuschlose Treiben im Hause Nr. 934 auf. Es war in den Abendstunden. Männer und zwei Knaben trugen Notenpulte, Musikinstrumenteund Lorbeerbäume Beethovens Geburtshaus in die kleine Behausung. Sommerlich gekleidete Frauen kamen mit Blumen und belaubten Zweigen. Die beiden Jungen kannte man: der mit dem struppigen schwarzen Haarschopf war der neunjährige Ludwig van Beethoven; man nannte ihn den „Notenfuchs", weil sein Vater Sänger war und weil er selbst schon tüchtig auf dem Klavier zu hämmern verstand. Der andere war sein sechsjähriger Bruder Karl, dem meist der vierjährige Johann am Rockzipfel hing; doch der war nach dem ermüdend heißen Tag wohl schon zu Bett gelegt worden. So war es denn allen klar, daß in der Faimilie des Hoftenoristen Johann van Beethoven, der im Hause des alten Bäckermeisters Fischer zur Miete wohnte, ein Fest vorbereitet wurde. Was für eines, hätten sie leicht erfahren können; sie brauchten nur den Kalender zu Rate zu ziehen. Morgen war der Tag der heiligen Magdalena, der Geburts- und Namenstag der Mutter dieser Jungen. Madame Beethoven war am frühen Abend gebeten worden, schlafen zu gehen. Als der Nachtwächter dann die zehnte Abendstunde ausrief, wurde sie geweckt. Da war im Wohnzimmer alles für ein feierliches Ständchen bereit. Mutter Beethoven wurde zu einem Sessel geführt, der unter Lorbeerbäumen, Zweigen, Blumen und buntem Papier geschmückt stand. Johann van Beethoven und seine Freunde aus der Hofkapelle spielten ein fröhliches Divertimento; Ludwig begleitete eifrig auf dem Klavier, seine kleinen, dunkelbraunen Augen glänzten, 2
der Schweiß rann ihm übers Gesicht. Als der letzte Satz verklungen war, nahm die stille, bescheidene Frau gerührt die Glückwünsche entgegen. Dann wurde an der gedeckten Tafel nach Herzenslust gegessen und getrunken. Bis weit in den Morgen blieb die Gesellschaft beisammen, scherzte, sang und tanzte. Aber Mutter Beethoven sorgte dafür, daß man auf bloßen Strümpfen tanzte, um dem alten Bäckermeister und seiner empfindsamen Schwester Cäcdlia nicht die Nachtruhe zu stören. Den kleinen Ludwig hatte man rechtzeitig in seine Kammer geschickt. Schlafen konnte er freilich nicht. Er hatte das Gefühl, die Festfreude 'dieser Nacht so lange wie möglich auskosten zu müssen. Es geschah so selten, daß Vater und Mutter einträchtig waren, daß der Mutter eine ungetrübte Freude zuteil wurde und daß der Vater mit .seinen Freunden trank, ohne nachher zu fluchen, zu poltern und von der Mutter und ihm selbst Unmögliches zu verlangen. Warum konnte es nicht immer so sein? Warum gab'es keinen einzigen Tag in diesem Leben, den man bis zu Ende unbesorgt genießen durfte? Mochte der Himmel heiter, klar und sonnig scheinen, immer schwebte irgendwo ein unheimliches Wölkchen, und niemals war man sicher, daß nicht unversehens ein furchtbares Gewitter heraufzog, vor dem man sich nicht schirmen konnte. Darüber grübelte das neunjährige Kind in der Geburtstagsnacht der vielgeplagten Mutter. Ludwig war noch zu jung, um sich das Unheil, das über seinem Elternhause waltete, erklären zu können. Er fühlte nur, daß es an irgend etwas fehlte, an Besonnenheit, Friedlichkeit, gutem Willen. Während des Essens hatte er das Bildnis seines Großvaters Louis van Beethoven betrachtet, das über dem Klavier hing. Er erinnerte sich des ruhigen und gütigen alten Mannes, bei dem er als kleines Kind sich stets geborgen gefühlt hatte. Die Mutter hatte ihm später erzählt, der Großvater sei in jungen Jahren als Baßsänger von Antwerpen nach Bonn gekommen und habe es durch ernste Mühe und stete Arbeit bis zum flofkapellmeister gebracht. Solange Großvater lebte, hatte es nicht Not noch Unfrieden in der Familie gegeben. Und doch hatte er, der neben seiner Kapellmeistertätigkeit einen Weinhandel betrieb, das spätere Elend ein wenig mitverschuldet; denn durch dieses Geschäft war sein Sohn Johann auf den Geschmack am Trinken gekommen. Freilich, wer hätte das vorausahnen sollen? In dieser Sommernacht fragte sich Ludwig vergebens, wie es gekommen war, daß ihm bald nach dem Tode des Großvaters alle Freuden, wie sie andere Kinder als selbstverständlich genossen, fast 3
täglich vergällt wurden. Hörte der Vater von einem seiner Streiche oder entdeckte er ihn auf dem Speicher, wo er durch ein Fernrohr das Siebengebirge betrachtete, und das Treiben auf den fernen Straßen und die Schifferkähne auf dem Rhein, so wurde er jähzornig, schalt ihn einen „Duckmäuser" und prügelte ihn. Am merkwürdigsten war es ihm mit der Musik ergangen. Als Ludwig vier oder fünf Jahre alt war, hatte ihn immer wieder die Lust gepackt, Lieder und Melodien, die er gehört hatte, auf der Violine oder auf dem Klavier nachzuspielen. Kam aber der Vater darüber, so fuhr er ihn barsch an: „Was kratzest du da wieder für dummes Zeug zusammen!" Oder: „Was sprudelst du da auf dem Klavier herum?" Eines Tages aber hatte ihn der Vater überraschend ans Klavier gesetzt: „So, nun komm einmal her, Freundchen, jetzt wird's ernst!" Und dann hatte er Noten lernen und Griffe üben müssen, daß ihm Hören und Sehen verging. Tag für Tag mußte er nun heran. Unerbitt. lieh hetzte der Vater die Klavierschule mit ihm durch; oft saß dei Knabe ratlos weinend vor dem Instrument, und vor seinen Augen verschwammen ihm die Tasten. Aber noch schlimmer wurde es, als Johann van Beethoven seinen Zechkumpanen, den Sänger, Schauspieler und Klaviervirtuosen Tobias Pfeiffer in die Wohnung aufnahm und diesem den Unterricht übertrug. Da wurde es fast zur Regel, daß Ludwig, wenn die beiden um Mitternacht aus dem Wirts. haus heimkamen, unsanft aus tiefem Schlaf gerüttelt wurde und bis drei oder vier Uhr in der Frühe üben mußte. Es war fast ein Wunder, daß ihm dabei die Freude an der Musik nicht vergangen war. Daß Musikunterricht auch reines, stilles Vergnügen sein konnte, hatte er zum Glück bei dem greisen, gütigen Organisten van den Eeden erfahren, einem Freunde des Großvaters; durch ihn lernte er die Orgel lieben, die „Königin der Instrumente". Ein einziges Mal hatte der siebenjährige Ludwig in einem Konzertsaal zu Köln spielen dürfen, zusammen mit einer älteren Schülerin des Vaters. Dieser Tag, der 26. März 1778, blieb ihm unvergeßlich. Das Publikum war von dem Spiel der beiden Kinder begeistert gewesen. Aber die Hoffnung des Vaters, daß Ludwig nun ähnlich wie Wolfgang Amadeus Mozart als Wunderkind anerkannt werden würde, hatte sich nicht erfüllt. Seitdem hatte Johann van Beethoven seinem Sohn deutlich zu verstehen gegeben, daß er nun bestrebt sein müsse, auf andere Weise mit seiner musikalischen Begabung zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Aber wie sollte das geschehen? Da seine Stimme für den Dienst in der Hofkapelle nicht ausreichte, konnte er sich nicht vorstellen, auf welche Weise er mit 4
seinem unfertigen Klavier- oder Orgelspiel Geld verdienen sollte. Ludwig hatte fast ein wenig Mitleid mit dem Vater, dessen Einkommen als Hoftenorist kaum ausreichte, um die Familie zu ernähren und der deshalb solche Gedanken hegen mußte. Aber sollte denn die Kunst bloß Nutzen schaffen? Sollte sie nicht vielmehr Freude, Schönheit, Glück und Kraft bringen? Ludwig gingen manchmal, wunderbare Klänge durch den Sinn; sie waren nicht deutlich, er hätte sie nicht in Noten fassen können, aber er ahnte, daß solche Klänge über alle Not uiid Angst, allen Zweifel und alle Mutlosigkeit hinwegzuhelfen vermöchten. Wie gern hätte er davon etwas der Mutter mitgeteilt! Aber sie schien kaum hinzuhorchen, wenn er einmal spielte; sie war so in sich gekehrt und hatte immer ein schmerzliches Lächeln um den Mund. Sie dauerte Ludwig noch mehr als der Vater. Sie war wohl auch in dieser Nacht nicht recht glücklich, wenn sie auch den guten Willen, sie zu ehren, dankbar hinzunehmen schien.
An einem milden Märzabend des Jahres 1783 pochte ein kleiner stämmiger Bursche von etwa dreizehn Jahren zu später Stunde an die Haustür der Hofrätin von Breuning auf dem Marktplatz in Bonn. Kaum hatte man ihm geöffnet, stürzte er aufgelöst in die Wohnstube, schüttelte das regennasse, wirre schwarze Haar und fragte .atemlos: „Ist Gerhard da? Ich muß ihn sprechen." Die jung verwitwete Hofrätin hatte sich längst daran gewöhnt, daß der junge Musikant Ludwig van Beethoven, der nun schon fast Kind im Hause war, sich um die üblichen Besuchszeiten nicht kümmerte. Diesmal ließen sein Aussehen und seine Fassungslosigkeit darauf schließen, daß etwas Besonderes vorgefallen war. „Setz dich erst einmal und beruhige dich!", sagte Frau von Breuning und ließ Gerhard Wegeier aus seiner Studierstuhe herunterholen. Wegeier, ein Medizinstudent, dem die Hofrätin das Studium ermöglichte und den sie mütterlich betreute, hatte auch Ludwig, seinen Freund, in dieses Haus eingeführt. Als Wegeier das Zimmer betrat, schwenkte er eine Zeitschrift in der Hand, erschrak aber vor dem wilden Ausdruck in den Zügen des Freundes und wurde sofort sehr ernst. Ludwig berichtete: Er sei in einen Straßenskandal geraten, den der vom Wein verwirrte Vater verursacht habe. Mit unendlicher Mühe habe er den Vater beschwichtigt und die Polizeiwache durch Bitten und Flehen dazu gebracht, von der Verhaftung abzusehen und keine Anzeige zu erstatten. Dann 5
sei er mit dem Vater nach Hause gegangen, aber die Mutter habe sich vor Scham und Schande in ihre Kammer gesperrt. So müsse er hier sein Herz erleichtern. „Ja, es ist gut, daß du gekommen bist!", sagte Frau von Breuning nachdenklich. „Freilich, hier kann niemand helfen. Du mußt danach trachten, die Zügel der Familie, die deinem Vater entglitten sind, so früh wie möglich in deine Hände zu nehmen— deiner armen Mutter und deinen Brüdern zuliebe." „Ludwig, du wirst es können!", rief Gerhard Wegeier aus überzeugtem Herzen. „Hast du das ,Magazin der Musik' gelesen?" Beethoven schüttelte den Kopf: „Ich weiß nicht, was du meinst!", er. widerte er. Wegeier schlug die Zeitschrift auf, und die gelbbraune Gesichtsfarbe des jungen Beethoven, dem man wegen seines südländischen Aussehens den Spitznamen „Der Spangol", „Der Spanier", gegeben hatte, überzog sich mit einer tiefen Röte, während er las: „Ludwig van Beethoven, Sohn des Tenoristen Johann van Beethoven, ein Knabe von 13 Jahren und von vielversprechendem Talent. Er spielt sehr fertig und mit Kraft das Klavier, liest sehr gut vom Blatt, und um alles in einem zu sagen: er spielt größtenteils das wohltemperierte Klavier von Sebastian Bach, welches ihm Herr Neefe unter die Hände gegeben. Wer diese Sammlung von Präludien und Fugen durch alle Töne kennt . . ., wird wissen, was das bedeutet. Herr Neefe hat ihm auch — einige Anleitung zum Generalbaß gegeben. Jetzt übt er ihn in der Komposition, und zu seiner Ermunterung hat er neun Variationen von ihm fürs Klavier über einen Marsch stechen lassen. Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, daß er reisen könnte. Er würde gewiß ein zweiter Wolfgang Amadeus Mozart werden, wenn er so fortschritte, wie er angefangen." Beethoven blickte auf und sah die erwartungsvollen Gesichter um sich, auf denen die helle Freude lag. „Das ist ja . . .", sagte er, aber dann konnte er nicht weiter sprechen, die Tränen standen ihm in den Augen. Verwunden war das bittere Erlebnis mit dem Vater: mochte er seine dumpfen Freuden genießen, wenn er sich zu anderen nicht aufschwingen konnte, wenn er nur die Mutter in Frieden ließ! Mußte er, Ludwig, nicht trotz allem glücklich sein: daß in einer Zeitschrift, die bei allen Musikern etwas galt, solche Hoffnungen auf ihn gesetzt wurden; daß so gute, vornehme und gebildete Menschen, wie sie in diesem Hause wohnten, ihn ihrer Freundschaft für würdig erachteten, obwohl seine Manieren, wie er einsah, nicht die besten waren; daß er in Christian Gottlob Neefe einen Lehrer gefunden hatte, der ihn in
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eine ebenso strenge und gründliche wie liebevolle und vielfältig anregende Schule nahm! Neefe war ein Mann, der sich durch sein hohes Können als Dirigent und Theaterkomponist, wie auch durch seine liebenswürdig kluge Art dem Kölner Kurfürsten Max Friedrich unentbehrlich zu machen wußte. Er war, nachdem er bei dem Thomaskantor und Singspielkomponisten Johann Adam Hiller studiert hatte, als Musikdirektor 1779 nach Bonn gekommen. Der Kurfürst hatte ihn, als 1782 der alte Hoforganist van den Eeden gestorben war, zu dessen Nachfolger bestimmt. Neefes Doppelbeschäftigung kam auch Ludwig zugute. Häufig vertrat er den Lehrer sowohl an der Orgel wie bei der Einstudierung von Opern, utid bezahlte mit solchen Diensten den Unterricht. Niemand anderem als Neefe verdankte er auch den Hinweis in Cramers „Magazin der Musik". Dieser umsichtige Lehrer, der Ludwigs Kompositionen mit unnachsichtiger Strenge Christian Gottlieb Neefe zu kritisieren pflegte, erbot sich, noch in diesem Jahre 1783 für die Drucklegung der drei Klaviersonaten zu sorgen, die der jugendliche Tondichter dem Kurfürsten gewidmet hatte. Schon war dem Dreizehnjährigen auch eine feste Anstellung als Hilfsorganist und Hofmusiker und ein Gehalt in Aussicht gestellt worden, da starb im Frühjahr 1784 der Kölner Kurfürst, und sein Nachfolger Max Franz, ein Sohn der Kaiserin Maria Theresia, beschränkte zunächst die bis dahin unverhältnismäßig üppigen Aus. gaben des Hofes auf das Notwendigste. Neefe, der vorläufig nur noch das Organistenamt versah, benötigte keinen Stellvertreter mehr. Aber Ludwigs Sorgen um die nächste Zukunft wurden bald zerstreut. Der neue Kurfürst, ein hochherziger Förderer der Wissenschaften und Künste, der auch persönlich gern musizierte — er war ein vorzüglicher Bratschist —, ließ sich die Hofkapelle (insgesamt 35 Musiker, darunter zehn Sänger) besonders angelegen sein und stellte den jungen Beethoven unter Ernennung zum Hoforganisten mit einem Gehalt von 150 Gulden ein. Auch dies geschah zweifellos auf Betreiben des stets um sein Fortkommen besorgten Neefe. Er war ein Mann, der künstlerischen Spürsinn und geistigen Weitblick mit menschlicher Größe verband und der von sich sagen konnte: „Ich 7
verehre die Religion des Herzens, liebe alle Menschen, hasse di< Bosheit." „Werde ich einst ein großer Mann", So schrieb ihm Beethoven später aus vollem Herzen, „so haben auch Sie teil daran." Neefe war es auch, der den Sechzehnjährigen im Frühjahr 1787 zu einer Reise nach Wien ermutigte, die freilich unter einem unglücklichen Stern stand. Wohl fand er bald durch Vermittlung des Kaisers Joseph den Zugang zu Mozart. Wohl erhielt er auch gleichsam die Weihe des großen Wiener Meisters durch dessen Wort: „Auf den gebt acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen!" Aber die Sorge um seinen todkranken Vater bedrückte Mozart in jenen Tagen zu sehr, als daß er sich dem vielversprechenden Jüngling ganz hätte aufschließen können. Er gab ihm zwar bereitwillig einige Anleitungen, doch bevor er in nähere Berührung mit ihm kam, wurde Ludwig durch drängende Briefe ins Elternhaus zurückgerufen. Die Mutter war schwer erkrankt und starb kurze Zeit nach der Heimkehr des Sohnes, am 17. Juli 1787. Der Vater verlor nun völlig den Halt, er wurde zwei Jahre später seines Dienstes in der Hof kapeile enthoben und entmUndigt. Die Sorge für die Familie lag nun wirklich, wie es Frau von Breuning vorausgesehen hatte, ganz auf Ludwigs Schultern. Der Kurfürst gewährte großzügig die weitere Zahlung des Gehalts Johann van Beethovens. Zusammen mit den Einnahmen Ludwigs, der einige Schüler gewonnen hatte, reichte es gerade hin, die Familie zu ernähren und den beiden jüngeren Brüdern eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Johann ging beim Hofapotheker in die Lehre, während Karl Musiker werden sollte; seine Begabung reichte indes nicht aus. er wechselte bald den Beruf und wurde Kassierer.
In dieser Zeit bahnte sich eine unerwartet glückliehe Wendung im Leben Ludwig van Beethoven« an. Voraus ging ihr allerdings eine Zeit niederdrückender Jugendschwermut, der inneren Zerrissenheit des Zweifels und der Unzufriedenheit mit sich selbst. Lange trauerte er der Mutter nach und plagte sich mit Selbstvorwürfen, weil er de stillen, in sich verschlossenen Dulderin nicht mehr Trost und Freuden hatte bereiten können. Die heftigen Szenen mit dem Vater, der zunehmend der Trunksucht verfiel, die unerträglichen häuslichen Zustände, die ihn zu einem Antrag auf Maßregelung des Vaters gezwungen hatten, — das alles hatte seiner empfindlichen Seele schwer heilbare Wunden beigebracht. Die ergebnislose Wiener Reise 8
und das Gefühl, daß bei der jetzigen, unbedeutenden Tätigkeit seine eigentlichen Kräfte brach liegen mußten, verdüsterten sein Gemüt. Und nicht zuletzt ließ ihn seine schwankende Gesundheit befürchten, daß er das Lungenleiden der Mutter geerbt haben könnte. Verschiedene Umstände trugen dazu bei, daß diese trübe Stimmung sich wie mit einem Schlage aufhellte. Beethoven hat die folgenden drei oider vier Jahre stets als die glücklichsten seines Lebens empfunden. Äußerer und innerer Aufschwung trafen, wie so oft, zusammen. Die Freundschaft mit der Familie von Breuning lebte neu und in wunderbar verstärktem Maße auf. Er hielt sieh mehr in ihrem Hause als daheim auf, wo ihn das dumpfe Dahinleben des Vaters immer wieder bekümmerte. Die Ausflüge, die er mit den Breunings und mit Gerhard Wegeier in die schöne Landschaft des Mittelrheins unternahm, munterten ihn auf und erweckten oder steigerten seinen Natursinn. Die Hofrätin ersetzte ihm immer mehr die Mutter; er fand bei ihr ein außergewöhnliches Verständnis für seine „Dichtungen", wie er seine Kompositionen zeitlebens zu nennen liebte, aber auch für die Ausbrüche seiner Ungebärdigkeit, seiner Launen, seines heftig sich äußernden Ärgers an sich selbst und an anderen. Fr habe wieder einmal seinen „Raptus", sagte sie dann, und diesen Ausdruck für sein aus tiefer Versunkenheit mitunter jäh aufschießendes Temperament hat Beethoven später selbst oft genug angewendet. Die mütterliche Freundin brachte den Ungeschlachten auch behutsam dazu, sich den feinen Sitten ihres Gesellschaftskreises anzupassen, was seiner etwas herrisch unbekümmerten Figenwiilligkeit zu allen Lebenszeiten schwer gefallen ist. Das Glück dieser Zeit machte aber vor allem die schöne, echte Jugendliebe zu der wenig jüngeren Fleonore von Breuning aus. Daß es keine flüchtige Liebschaft des Übergangsalters war, sondern eine tiefe, reine, sein ganzes Wesen und Schaffen beschwingende Herzensempfindung, das bezeugen die innigen Briefe, die er 1793 aus Wien an sie richtete. Es wird berichtet, daß Beethoven noch in seiner letzten Lebenszeit die Silhouette seines Bonner „Lorchens" mit Wehmut befrachtet habe. Wegeier, dem Beethoven über allen Wandel der Verhältnisse hinweg dankbare Freundschaft bewahrte, schreibt über das Haus Breuning in seinen Erinnerungen: „Hier fühlte Beethoven sich frei, hier bewegte er sich mit Leichtigkeit. Alles wirkte zusammen, um ihn heiter zu stimmen und seinen Geist zu entwickeln." Wie bewe.gt waren diese Jahre! Durch Frau von Breuning lernte Beethoven den Grafen Ferdinand Ernst Waldstein kennen, der als Mitbruder im Hoch- und Deoitschmeisterorden mit dem Kurfürsten 9
eng befreundet war. Ein hervorragender Musikkenner, erfaßte er alsbald den Genius des schaffenden jungen Künstlers und förderte ihn in großzügiger Weise durch das Geschenk eines Flügels, durch Geldzuwendungen, die er, um seine Empfindlichkeit zu schonen, für Gratifikationen des Kurfürsten ausgab, aber auch durch musikalische Anregungen. Der freundschaftliche Umgang mit dem Grafen hob das Ansehen des jugendlichen Organisten beträchtlich. Waldsteins Eintragung in Beethovens Stammbuch bei dessen zweiten Abreise Schattenriß nach Wien zeugt von seltenem Weitblick: des Knaben Beethoven er sagte dem jungen Freunde voraus, sein Schaffen werde einst das Endglied der großen Wiener Schule darstellen. Auch einige andere Umstände waren der Förderung und rechten Lenkung von Beethovens Schaffenstrieb in dieser Zeit günstig. Im Herbst 1788 gründete der Kurfürst eine neue Oper. So lernte der bildungsbeflissene junge Künstler — als Bratschist im Theaterorchester — nicht nur vielfältige Beispiele des zeitgenössischen Opernschaffens kennen, sondern konnte sich auch vier Jahre hindurch mit den Grundzügen der Vokal- und Instrumentaltechnik vertraut machen. Eine stattliche Reihe von jugendfrischen Klavier- und Kammermusikwerken, vor allem mannigfache Variationen über Themen von Mozart und anderen Meistern der Zeit, Lieder und Gelegenheitskantaten sind aus diesen Anregungen hervorgegangen. Gleichzeitig wurde Beethoven, der die Lücken seiner Schulbildung auszufüllen trachtete, zusammen mit seinem hervorragenden jungen Kapellmeister Anton Reiche zum Philosophiiestudium an der Bonner Universität zugelassen.. Im Herbst 1791 hielt der Kurfürst Max Franz in Mergentheim eine Versammlung des Hoch- und Deutschmeisterordens ab, dessen Großmeister er war. Die Hofkapelle begleitete ihn und gab von Ende August bis Ende Oktober in Mergentheim Konzerte. Schon die Reise rheinaufwärts bis Mainz war für den bald einundzwanzigjährigen Ludwig van Beethoven ein beglückendes Erlebnis. Die romantische Schönheit der hohen Rheinufer mit ihren Wäldern, Weinbergen und Burgen begeisterte ihn. In Aschaffenburg besuchte er mit seinen Freunden einen als Klavierspieler weithin angesehenen Kapell10
meister namens Sterkel. Sterkel trug ihm eine eigene Sonate vor und äußerte dann den Wunsch, ein Variationswerk Beethoven«, dessen gedruckte Noten er erworben hatte, von dem Komponisten selbst zu hören. Er konnte jedoch sein Exemplar nicht finden. Da Beethoven sich weigerte, ohne Noten zu spielen, ließ Sterkel durchblicken, er zweifle, ob der Komponist sein schwierige« Werk selbst zu spielen vermöchte. Da setzte sich Beethoven ans Klavier und spielte nicht nur mit „brillanter Leichtigkeit", wie einer der Mitreisenden berichtete, die Variationen, sondern fügte aus dem Stegreif zwei oder drei weitere hinzu. Sterkel war verblüfft und voll des Lobes. In Mergentheim feierte Beethoven dann am Klavier die ersten großen Triumphe vor einer auswärtigen Zuhörerschaft.
Im Hause des Herrn von Klüpfell, des Sekretärs der russischen Gesandtschaft in Wien, wohnte ein zwölfjähriges Fräulein von Kissow aus Reval, das, als Klavierspielerin ungewöhnlich talentiert, von ihren Eltern nach Wien geschickt worden war, um sich hier ausbilden zu lassen. Zu einer Zeit, als noch kaum jemand in Wien von den Kompositionen des absonderlichen jungen Rheinländers etwas wissen wollte, bemühte sich dieses Kind mit einer seltsamen und ausdauernden Vorliebe um Beethovens Sonaten. Es blieb nicht aus, daß Beethoven sieh zu Klüpfells Hause hingezogen fühlte, als er im November 1792 zum zweiten Male den Boden der österreichischen Hauptstadt betrat. Joseph Haydn, d e r wenige Monate vorher auf der Rückreise von London sich in Bonn aufgehalten und eine der Kantaten des jungen Kollegen kennengelernt hatte, war von dessen Begabung so überrascht gewesen, daß er ihm einen längeren Studienaufenthalt in Wien mit den freundlichsten Farben ausmalte. Der Kurfürst hatte dem aufstrebenden jungen Musiker unbeschränkten Urlaub gewährt und eine ansehnliche Unterstützung zugesagt; als Beethovens Vater wenige Wochen nach der Abreise des Sohnes starb, versprach er, auch für die beiden anderen Söhne vorerst durch Weiterzahlung der Hälfte des väterlichen Gehalts zu sorgen. Aber die Zuversicht, mit der Ludwig van Beethoven ebenso lernbegierig wie schaffensfreudig in diesen neuen Lebensabschnitt eingetreten war, wurde durch die Zeitumstände bald bitter enttäuscht. Der Kurfürst, dessen Lande von der vorrückenden französischen Revolutionsarmee bedrängt und schließ'.
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lieh besetzt wurden, mußte 1792 vorübergehend und 1794 endgültig seiner Herrschaft entsagen und fliehen. Damit fielen alle seine Zahlungen fort, und dem Aufenthalt in Wien war eigentlich die Grundlage entzogen. Hätte Beethoven nicht bei dem Fürsten Lichnowsky freie Unterkunft gefunden, wäre ihm nicht auch von dem russischen Gesandten, dem Grafen Rasumowsky, einige Unterstützung zuteil geworden, so hätte er in diesem Augenblick weder in der kriegsverwirrten Heimat noch in der Fremde Fuß fassen können. Wenn dieser kaum mittelgroße junge Mann, der einen durch seine Dürftigkeit in den Adelshäusern besonders auffallenden Anzug trug, seinen großen, pockennarbigen Kopf mit dem strähnigen schwarzen Haar durch die Tür von Klüpfells Salon steckte, um sich erst einmal zu vergewissern, ob niemand da sei, dessen Anwesenheit ihm nicht paßte, so schrak das Fräulein von Kissow jedesmal ein wenig zurück vor seinem unmanierlichen Gebaren und seiner derben rheinischen Aussprache. Wie sorgfältig waren die beiden Komponisten, die sie kannte, Haydn und Salieri, nach der Mode gekleidet, mit Haarbeutel, Seidenstrümpfen und Schuhen! Und sie waren liebenswürdig und gefällig, während Beethoven stolz, ja überheblich schien und sich sogar von seinen Gastgebern lange bitten ließ, bevor er spielte. Aber seine Musik hatte sie unentwegt gern, und wenn einer solche Klavier- , Sachen schreiben konnte, so steckte doch vielleicht unter der rauhen Schale ein zarter und empfindlicher Kern. Das Fräulein von Kissow war sehr traurig, als Beethoven das Haus von Klüpfell, wo er so manches Mal zu aller Entzücken stundenlang auf dem Klavier phantasiert hatte, von einem Tag zum anderen zu meiden begann. Das I aber war so gekommen! Eines Abends hatte der Komponist Franz 1 Krommer sein jüngstes Werk vorgetragen. Beethoven hatte anfangs auf dem Sofa gesessen und zugehört, war dann ungeduldig aufge- j standen und hatte in Noten geblättert, ohne dem Spiel noch die I geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Herr von Klüpfell hatte ihm | sagen lassen, daß sich das nicht zieme für einen jungen Mann, der : noch nichts sei. Da war Beethoven ohne ein Wort gegangen und hatte j sich nicht wieder sehen lassen. Nun, auch der Fürst Lichnowsky hatte seine Not mit dem eigenwillig stolzen jungen Künstler. Zwar, von sich selber dachte Beethoven, wie alle wahrhaft Großen, demütig, und oft quälte ihn das Empfinden, in seiner Musik nur unzulänglich ausgesagt zu haben, was seine Seele so tief bewegte. Es bedrückte ihn auch, daß ihm der Unterricht bei den Wiener Meistern, die er verehrte, nicht in dem erhofften Maße geholfen hatte, dem drangvollen inneren Klingen 12
die rechte äußere Form zu geben. Mozart war nicht mehr unter den Lebenden, als Beethoven zum zweitenmal nach Wien kam. Joseph Haydn wollte einen Haydn-Schüler aus ihm machen, der seine Kornpositionsart fortentwickeln sollte; für das eigenwillige Genie des jungen Rheinländers brachte er nicht das nötige Verständnis auf. Johann Georg Albrechtsberger, der als Musiktheoretiker hoch angesehene Kapellmeister des Stephansdoms, an den er sich dann wandte, schien ihm bei der Unterweisung zu trocken und schwunglos, und der italienische Opernkomponist Salieri, von dem .ex sich eine gründliche Einführung in die dramatische Musik versprochen hatte, beschränkte seinen Unterricht auf Gesangskoinposdtion. Trotz alledem war Beethoven sich seines inneren Ranges als Künstler bewußt, bestärkt vor allem durch seine unerwarteten Erfolge als Klavierspieler; schon ein J a h r nach seiner Ankunft in Wien galt er als unbestrittener Meister am Pianoforte. Einige Jahre später trat ein anderer vielgefeierter Klaviervirtuose in Wien auf, Johann Nepomuk Hummel, und bald bildete sich um beide je eine Gruppe begeisterter Anhänger, die einander heftig befehdeten. Der bekannte Musikpädagoge Karl Czerny, der in «.einer Jugend beide Spieler hörte und rückblickend später verglich, nannte Hummels Vortrag ein Muster der höchsten Reinheit und Deutlichkeit, der anmutigsten Eleganz und Zartheit, während Beethovens Spiel sich durch eine ungeheure Kraft, Charakteristik, unerhörte Bravour und Geläufigkeit ausge. zeichnet habe. Czerny, der längere Zeit Beethovens Schüler war, berichtet auch, dieser habe ihm einmal gesagt: „Ich habe niemals daran gedacht, für den Ruf und die Ehre zu schreiben. Was ich auf dem Herzen habe, muß heraus, und darum schreibe ich." Damals stärkte sich in ihm das Vertrauen zu seiner Schöpferkraft immer wieder durch die Eingebungsfülle und die tiefe Wirkung seiner Improvisationen. Dieser innere Rang des Künstlers dünkte ihm dem äußeren Rang des Adels nicht nachzustehen. So stellte er sich mit seinen adligen Gönnern durchaus auf gleichen Fuß. Um die Gebote der gesellschaftlichen Etikette kümmerte er sich herzlich wenig. Die Musikfreudigkeit des damaligen Wiener Adels sicherte ihm nichtsdestoweniger dessen hohe Achtung. Der Fürst Lichnowsky, bei dem er wohnte und der ihm ein Jahresgehalt von 600 Gulden aussetzte, fand sich äußerst verständnisvoll mit seinen Schrullen, seinem gelegentlichen „Raptus" und seinem Sinn für Unabhängigkeit ab. „Soll ich täglich um halb vier zum Mittagessen zu Hause sein, mich besser anziehen, mich rasieren lassen usw. — Das halt' ich nicht aus!" Lieber gin.g er ins 13
Gasthaus. Sobald er dazu in der Lage war, bezog er eine eigene Wohnung. Später mietete er deren gar zwei oder drei, um sich freier bewegen zu können oder vor ungebetenen Besuchern sicher zu sein. Als er einmal von der Umgebung des Erzherzogs Rudolph, der sein Schüler war, auf gewisse Formfehler aufmerksam gemacht wurde, wandte er sich ärgerlich an den Erzherzog selbst und erklärte ihm, er habe gewiß die gebührende Ehrfurcht vor der Person des Fürsten, aber die strenge Beobachtung aller möglichen Vorschriften, die man ihm täglich mache, sei seine Sache nicht. Da befahl der junge Erzherzog mit nachsichtigem Lächeln seinen Leuten, Beethoven künftig in Ruhe zu lassen, er sei nun einmal so.
Gleichwohl war Beethoven in den Kreisen der vornehmen Wiener Gesellschaft gern gesehen. Man schätzte ihn vor allem als Klavierspieler. Seine Kompositionen mit ihren ungewohnten, kühnen Neuerungen schienen sich jedoch zu schroff von der Überlieferung abzuheben, als daß sie unter den Wienern, die von Mozarts Erbe und Haydns immer noch ungebrochenem Schaffen zehrten, viele geneigte Ohren hätten finden können. Beethoven täuschte sich darüber nicht und hielt mit der Veröffentlichung seiner Werke lange zurück. Sein opus 1, drei dem Fürsten Lichnowsky gewidmete Trios, erschien erst 1795. Im stillen arbeitete er unermüdlich an Klaviersonaten, Kammermusikwerken (Trios, Quartetten, einem Sextett), auch schon an symphonischen Versuchen, ebenso an Liedern und an einem Oratorium „Christus am Olberg", das 1800 vollendet wurde. Im gleichen Jahre schrieb er an den Dichter seines berühmten Liedes „Adelaide", Friedrich Matthisson, im Vollgefühl seiner wachsenden Kräfte: „Mein größter Wunsch ist befriedigt, wenn Ihnen die musikalische Komposition Ihrer himmlischen Adelaide nicht ganz mißfällt und wenn Sie dadurch bewogen werden, bald wieder ein ähnliches Gedicht zu schaffen und, fänden Sie meine Bitte nicht unbescheiden, es mir sogleich zu schicken, und ich will dann alle meine Kräfte aufbieten, Ihrer schönen Poesie nahezukommen." Noch zwei bedeutende Ereignisse brachte ihm das Jahr 1800: die erste Aufführung seiner 1. Symphonie in C-dur, die in mehrjähriger Arbeit langsam gewachsen war: ein jugendfrisches Werk, voll jener Anmut, die aus den Werken seiner Lehrer Mozart und Haydn ihm in die Seele geklungen war, aber auch voll starker Ansätze seiner unver14
kennbar eigenartigen Rhythmik und Harmonik; und als zweites der Auftrag, für ein Tanzspiel „Die Geschöpfe des Prometheus" die Balettmusik zu schreiben. Damit fand Beethoven den ersten Zugang zu der Welt des Theaters, zu der er sich seit seiner jugendlichen Mitwirkung im Bonner Opernorchester hingezogen fühlte . Die künstlerischen und gesellschaftlichen Erfolge der Jahre etwa zwischen 1795 und 1801 gewannen Beethoven einen Freundeskreis von jungenMusikem und musikf reudigen Laien, in dem er sich wohl fühlte und dem er vieles verdankte. Dazu gehörten vor allem die vier Spieler des Quartetts, das im Dienste des Grafen Rasumowsky stand. Sie waren alle knapp zwanzig Jahre alt, zwei von ihnen haben sich später einen Titelseite zu Beethovens Opus 1 vom weithin bekannten Namen gemacht: Jahre 1795 Ignaz Schuppanzigh, der Leiter des Quartetts, als Geiger und Franz Weiß als Bratschist. Mit diesen ihm freundschaftlich aufgeschlossenen Künstlern konnte Beethoven nach Herzenslust seine kammermusikalischen und, als sie später den Stamm eines Orchesters bildeten, auch seine symphonischen Schöpfungen erproben. Auch der Kreis der adligen Gönner erweiterte sich: dem Fürsten Karl Lichnowsky standen an tätiger Hilfsbereitschaft sein Bruder Moritz, der Freiherr Ignaz von Gleichenstein und der Graf Franz Brunswick nicht nach. Gute Freunde wurden ihm auch der Geiger Krumpholz, der Cellist Zmeskall von Domanovecz und sogar sein Rivale Hummel. Wie herzerfrischend der Ton in diesem Kreise war, zeigt ein Briefchen Beethovens an Zmeskall aus dem Jahre 1798, in dem es heißt: „Übrigens verbitte ich mir ins künftige, mir meinen frohen Mut, den ich zuweilen habe, nicht zu nehmen; denn gestern durch Ihr Zmeskall-Domanoveczisches Geschwätz bin ich ganz traurig geworden. Hol Sie der Teufel, ich mag nichts von Ihrer ganzen Moral wissen. K r a f t ist die Moral der Menschen, die sich vor anderem auszeichnen, und sie ist auch die meinige . . ." Auch die Anziehungskraft auf seine alten Bonner Freunde hatte nicht nachgelassen: sowohl Gerhard Wegeier wie die drei Söhne der Hofrätin von Breuning kamen nach Wien. Schließlich stellten sich auch seine beiden Brüder Karl und Johann ein, und er sorgte dafür, daß f'e Unterkommen und Beschäftigung fanden. 15
Wohl das innigste Verhältnis hatte Beethoven in diesen Jahren zu dem fast gleichaltrigen kurländischen Theologiestudenten Karl Amenda, der im Hause der Witwe Mozarts verkehrte und ein vorzüglicher Geiger war. Es waren für Beethoven Standen ungetrübter Freude, in denen er mit ihm zusammen musizierte. Wenn sie sich abends trennten, kam es vor, daß immer wieder der eine den anderen heimbegleitete und sie drei oder viermal den Weg zwischen ihren Wohnungen zurücklegten. Einmal traf Amenda den Freund im Zustand tiefer Niedergeschlagenheit an und erfuhr nach einigem Drängen den Grund: Beethoven war in Geldverlegenheit und konnte die Miete nicht zahlen. Amenda sann einen Augenblick nach. „Wir wollen doch sehen, ob da nicht zu helfen ist", sagte er, suchte ein Thema (es war die Melodie zu Goethes „Freudvoll und leidvoll") und nahm Beethoven das Versprechen ab, in drei Standen mit den Variationen begonnen zu haben. Als er nach dieser Zeit wiederkam, saß Beethoven mürrisch und in sich versunken noch auf demselben Fleck. Ob er begonnen habe, fragte der Freund; Beethoven wies mit einer Kopfbewegung auf ein Notenblatt: „Da ist der Wisch!" Amenda ging damit zum Hauswirt und versicherte ihm, für dieses Papier werde ihm die Verlagsbuchhandlung ein schönes Stück Geld zahlen, das vielleicht mehr als die Miete ausmache. Der Hauswirt lachte ihn aus, doch Amenda wußte ihn zu überreden, den Versuch zu machen. Und siehe da! Als er zurückkam, schien er nicht unzufrieden; denn er fragte, ob er nicht auch künftig solche Zettel haben könne. Um aber der Geldnot gründlicher abzuhelfen, riet Amenda dem Freund, eine Konzertreise durch Italien zu unternehmen. Nur wenn er mitkomme, war Beethovens Antwort. Die Reise war beschlossen und bis in alle Einzelheiten vorbereitet, als Amenda durch die Nachricht vom Tode seines Bruders nach Kurland zurückgerufen wurde. Der Abschiedsschmerz nahm Beethoven die Lust und den Mut, allein zu reisen; an Mut hätte es nicht fehlen dürfen, denn die im Jahre vorher unternommene Konzertreise nach Prag und Berlin war von einzigartigen Erfolgen begleitet gewesen. Ein Prager Komponist schrieb damals unter dem Eindruck seines Klavierspiels: „Ich fühlte mich in meinem Innersten so tief gebeugt, daß ich mehrere Tage mein Klavier nicht berührte und nur die unvertilgbare Liebe zur Kunst es über mich vermochte, meine Wallfahrten zum Klavier fortzusetzen." Er wußte Beethovens Tondichtungen zm würdigen und sie von denen des geliebten Mozarts in einem vielleicht nicht zutreffenden, doch immerhin bemerkenswerten Bilde abzuheben: „Wenn verglichen sein soll, so denke ich mir Mozarts Geist als eine Sonne, die leuchtet und 16
erwärmt, ohne ihre gesetzmäßige Bahn zu verlassen; Beethoven nenne ich einen Kometen, der kühne Bahnen bezeichnet, ohne sich einem System unterzuordnen, und dessen Erscheinen zu allerlei abergläubischen Deutungen Anlaß gibt."
Im Jahre 1801 schien Ludwig van Beethoven, einunddreißdg Jahre alt, sich die Grundlagen für eine ihm zusagende Einrichtung seines Lehens unid eine volle, freie Entfaltung Steiner künstlerischen Persönlichkeit gesichert zu haben. In der Hochstimmung über das gleichsam vor ihm liegende „Gelobte Land" beflügelte ihn zugleich die tiefe Neigung zu einem „lieben, zauberischen Mädchen", das ihm zum erstenmal das Glück einer reinen Harmonie zwischen Mann und Frau vor die Seele stellte. Es war seine Schülerin, die Comtesse Giulietta Guicciardi, der er die Sonate in cis-moll vom Jahre 1801 gewidmet hat. Mag Beethoven manchmal, wie seine Freunde'verständnisvoll und ehrerbietig berichten, in der Liebe geirrt und sich von Strohfeuern haben narren lassen, in diesem Falle war es gewiß ein echtes Licht, von dem sein ganzes Wesen erleuchtet wurde, durchdrungen von jener hohen Auffassung, der die Liebe Gnade, Schenken und Veredelung des Lebens, nicht „alles verlangen" bedeutet. Es besteht vielleicht ein unergründlicher innerer Zusammenhang zwischen dem unglücklichen Ausgang dieser Liebe — die Liebenden trennte ein unüberwindliches Hindernis, das uns unbekannt ist — und den ersten Anzeichen jenes schwersten Schicksalsschlages, der einen Musiker treffen kann: der Erkrankung und Trübung seines Gehörs. Er selbst spürte sie lange, bevor sie den Freunden bemerkbar wurden; er suchte verzweifelt Heilung bei verschiedenen Ärzten, durch Bäder und beruhigende Landaufenthalte, vor allem in Baden bei Wien, aber auch in Döbling und Heiligenstadt Sein Schüler Ferdinand Ries, der zum Unterricht dorthin kam, erzählt von dem tiefen, mitleidsvollen Schrecken, der ihn befiel, als er den ersten Beweis von der Abnahme des Gehörs seines Lehrers erhielt. Eines Tages forderte ihn Beethoven wie gewöhnlich vor der Unterrichtsstunde zu einem Spaziergang durch die schöne Landschaft auf. Als Ries ihn unterwegs auf einen Hirten aufmerksam machte, der im Walde anmutig auf einer aus Fliederholz geschnitzten Flöte blies, nahm er bestürzt wahr, daß Beethoven die Töne nicht hörte. Sogleich versicherte er, daß auch er sie nicht vernehme. Beethoven, so berichtet 17
Ries, sei dann lange auffallend still und finster gewesen. — Das war im Jahre 1800. Ein Jahr später schrieb Beethoven an Karl Amenda mach Kurland: „O wie glücklich wäre ich jetzt, wenn ich mein vollkommenes Gehör hätte! Dann eilte ich zu Dir, aber so von allem muß ich zurückbleiben, meine schönsten Jahre werden dahinfliegen, ohne alles das zu wirken, was mir mein Talent und meine Kraft geheißen hätten . . . Ja, Amenda, wenn nach einem halben Jahr mein Übel unheilbar wird, dann mache ich Anspruch auf Dich, dann mußt Du alles verlassen und zu mir kommen. Ich reise dann (bei meinem Spiel und Komposition macht mir mein Übel noch am wenigsten, nur am meisten im Umgang), und Du mußt mein Begleiter sein." Als alles vergebens war, was er — trotz der Resignation, die aus diesem Briefe spricht, immer wieder auf Heilung hoffend — gegen das Leiden unternommen hatte, brach Beethoven innerlich zusammen. Fürchterliche Dämonen, so schien es ihm, hatten sich gegen ihn verschworen, um seine Lebens- und Schaffensfreude zu vernichten. Sein Stolz drohte ihnen zu erliegen. Er war nahe daran, seinem Leben selbst ein Ende zu machen. In dieser Stimmung schrieb er am 6. Oktober 1802 das ergreifende „Heiligenstädter Testament" mit der Überschrift „Für meine Brüder", eine Rechtfertigung seiner inneren Zurückgezogenheit, deren wesentlichen Inhalt schon die ersten Sätze enthalten: „O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht tut ihr mir; ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet. Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens; selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenket Gerhard Wegeier nur, daß seit sechs Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung, gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Überblick eines dauernden Übels (dessen Heilung vielleicht Jahre dauern oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen, lebhaften Temperamente geboren, ßelbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen." Es muß uns wie ein Wunder erscheinen, daß Beethoven aus dieser unvorstellbaren Qual, dieser nahezu vernichtenden Enttäuschung und Niedergeschlagenheit sich in kurzer Zeit wieder erhob, daß er 18
aus den tiefsten Quellen seines Genius neue Hoffnung schöpfte und die Kraft gewann, dem Schicksal trotzend „in den Rachen zu greifen". Es war, als sammelte sich seine ganze Schaffenskraft im Gefühl ihrer Gefährdung durch das fortschreitende Leiden: der Tondichter stieg gerade in den jetzt folgenden Jahren zu den strahlendsten Höhen seiner Kunst auf. Nach der zweiten Symphonie, die am 3. April 1803 aufgeführt wurde und eine im Hinblick auf seinen inneren Zustand unwahrscheinliche Heiterkeit umd Lebensfreude ausstrahlt, entwarf er die dritte, mit der Beethoven sowohl dem Inhalt wie der Form der Symphonie ein völlig neues Gepräge gab. Sie hebt sich von der zweiten Symphonie ab wie ein mächtiger, ernster Eichbaum von einem leuchtend blühenden Ginsterstrauch. Angeregt wurde Beethoven zu 'diesem Werk durch den gewaltigen Eindruck, den die Persönlichkeit Bonapartes lange Zeit auf ihn machte; mit vielen Zeitgenossen erhoffte er damals noch von dem ersten Konsul der Französischen Republik, daß er mit seiner starken Hand ein demokratisches Zeitalter in ganz Europa heraufführen werde. Schon 1798 war Beethoven nicht abgeneigt gewesen, auf Anregung des kunstverständigen Generals Bernadotte, der damals in Wien weilte und von seiner Musik angetan war, ein Werk zur Verherrlichung Napoleons zu schreiben. Aber die „Eroica" — diesen Titel, „Heldenlied", hat die Symphonie später angenommen — wuchs über den ursprünglichen Anlaß weit hinaus zu einem musikalischen Lobpreis der frei sich entfaltenden Persönlichkeit, die gegen Widerstände nach einem Ideal handelt und schicksalhaft leidet. Nicht das Leben, sondern das Wesen eines Helden wird dargestellt, und nicht so, daß jeder Ton etwas „zu bedeuten" hätte, das man gleichsam entziffern müßte, um den Sinn zu verstehen, sondern auf eine Weise, die unser Inneres nur durch das Gehör ergreift. Jeder Musikfreund kennt das bewegte Heldenthema des ersten Satzes, den erhabenen Trauermarsch, das neuartige, großangelegte Scherzo und den in strenger Form gewaltig dahinstürmenden Schlußsatz. Da zum Ausdruck dessen, was ihm hier vorschwebte, das bisherige Orchester nicht genügte, erweiterte es Beethoven und vertiefte vor allem die Klangfarbe jedes einzelnen Instrumentes; ihre Stimmen behandelte er individuell, so daß jede durch freie Selbstentfaltung der Gemeinschaft in der „Republik der Töne" dient. Lange lag auf der fertigen Partitur ein Titelblatt, auf dem nichts stand als ganz oben: „Buonaparte", und ganz unten: „Luigi van Beethoven". Als «ein Schüler Ferdinand Ries die Nachricht brachte, daß Bonaparte sich habe zum Kaiser Napoleon aus19
rufen lassen, zerriß Beethoven das Titelblatt, warf es auf den Fußboden und sagte: „Ist der auch nichts anderes als ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher als alle anderen stellen, ein Tyrann werden!" — Die erste Aufführung dieser Symphonie fand am 3. Januar 1805 in privatem Kreise statt.
In der gleichen Zeiit entstanden das Tripelkonzert für Klavier, Violine, Cello und Orchester, eine originelle Form des Konzerts für einen kleinen Instrumentalverein, dem das große Orchester gegenübersteht; ferner einige Lieder wie das Lied «An die Hoffnung", mehrere Klaviersonaten, die Violinsonate in A-dur, bekannt als Kreutzer-iSonate, weil sie später dem bedeutenden Geiger Rudolph Kreutzer gewidmet wurde, und drei Quartette. .Petzt schien sich Beethoven auch die Welt der Bühne zu öffnen. Schikaneder, der sich als Textdichter Mozarts nicht immer von der rühmlichsten Seite gezeigt hatte, jetzt Direktor des Theaters an der Wien, räumte ihm eine Wohnung im Theater ein mit dem Auftrag, eine Oper für ihn zu komponieren. Es kam nicht dazu, weil das Theater bald in die Hände eines Barons Braun überging. Braun erneuerte indes die Abmachung mit Beethoven und betraute seinen künstlerischen Mitarbeiter Joseph Sonnleithner mit der Abfassung des Textbuches. Er wählte ein Motiv, das wenige Jahre vorher sowohl in einer französischen wie in einer italienischen Oper — beide mit dem Titel „Leonore" — behandelt worden war: Sieg der Liebe über die Gewalt, Befreiung eines zu Unrecht, aus Eigennutz des Gewalthabers Eingekerkerten und von tödlicher Gefahr Bedrohten durch die tapfere Klugheit und unerschütterliche Treue seiner Gattin. Zur Unterscheidung besonders von der italienischen Oper, die 1804 auch in Dresden aufgeführt wurde, erhielt das Werk den Titel „Fidelio", obwohl Beethoven selbst, vielleicht im Gedanken an Eleonore von Breuning, wiederholt auf dem Titel „Leonore" bestand. Nachdem die Partitur im Sommer 1805 vollendet war, fand die Uraufführung am 20. November des gleichen Jahres unter äußerst ungünstigen Umständen statt. Die Zuhörer waren fast ausschließlich französische Offiziere und Soldaten; denn kurz vorher war Napoleon in Wien eingezogen, und die Wiener mieden daher vorerst das Theater. Der schwere Ernst dieses musikalischen Bühnenwerks sagte 20 L.
den Franzosen wenig zu, und so wurde es nur mit schwachem Beifall aufgenommen. Freilich fand es bei zwei weiteren Aufführungen in dieser ersten Form auch bei den Wienern wenig Anklang, so daß es vom Spielplan abgesetzt werden mußte. Beethovens Freunde, die von der Bedeutung der Oper überzeugt und von der Wirkung enttäuscht waren, fanden sich im Hause des Fürsten Lichnowsky zu einer Beratung mit ihm zusammen. Es waren u. a. Stephan von Breuning, der Tenorist Röckel, der Bassist Meier, ein Schwager Mozarts, der Theaterdichter Treitsehke und der Kapellmeister Clement. Nach sechsstündigem Zureden erklärte sich Beethoven endlich zu einer Umarbeitung bereit, durch die das Werk von drei Akten auf zwei.gebracht und in den Dialogen und einigen Gesangspartien gekürzt wurde. Bei der Wiederaufnahme in den Spielplan im März 1806 fand es zwar günstigere Kritik, aber der Kassenerfolg war so gering, daß Beethoven verärgert die Partitur zurückzog und den Mut verlor, sich mit weiteren Opernplänen ernsthaft zu befassen. Erst im Jahre 1814 wurde „Fidelio", nach einer erneuten textlichen und musikalischen Überarbeitung wieder aufgeführt, diesmal mit überraschendem Erfolg; von da an stand es in schneller Folge in den Spielplänen aller bedeutenden deutschen und bald auch europäischen Bühnen. Nach dem Mißerfolg des „Fidelio" im Jahre 1806 wandte sich Beethoven mit erhöhtem Eifer wieder dem rein instrumentalen Schaffen und der Liedkomposition zu. Die vierte, fünfte und sechste Symphonie entstanden innerhalb der nächsten zwei Jahre, daneben das Klavierkonzert in G-dur, die C-dur-Messe, die ein neuer Gönner, Fürst Esterhazy, in Auftrag gab, die Coriolan-Ouvertüre, die Chorphantasie, mehrere Klaviersonaten und eine Anzahl Lieder. Im Jahre 1807 wurde in Wien die 4. Symphonie aufgeführt, ein schwärmeirischheiteres Werk von großzügiger Klarheit und Leichtigkeit der Gestaltung, ,das in merkwürdigem Gegensatz zur Eröica-«Symphonie steht, und in Eisenstadt die C-dur-Messe. Einen Gipfel öffentlicher Anerkennung aber erreichte Beethoven mit dem großen Konzert, der sogenannten „Akademie", am 22. Dezember 1808. Schon die A b nahmebereitschaft der Hörer war ungewöhnlich; denn es wurde eine außerordentliche Fülle neuer Beethoven-Werke geboten: die 5. und die 6. Symphonie, das G-dur-Klavierkonzert, das Gloria und das Sanctus aus der C-dur-Messe und die Chorphantasie. Das anmutig-lyrische Klavierkonzert und die beiden Symphonien (in C-moll und F-dur) gehören auch heute noch zu den volkstümlichsten Schöpfungen Beethovens. Man hat sowohl die fünfte, die „Schicksalssymphonie", wie die sechste, die „Pastorale", besonders 21
Ankündigung von Beethovens Akademie vom 2. April 1808 I häufig mit außermusikalischen Begriffen zu „erklären" versucht. Die Sprache, die zur Erklärung dienen «oll, kann jedoch höchstens Gleichnisse für den musikalischen Ausdruck finden. Nur in diesem Sinne betrachtet sich Beethoven als Tondichter. Wenn er in der C-inollSymphonie den Kampf des Menschen um die freie Entfaltung seines Wesens und seiner Schaffenskraft gegen das Schicksal musikalisch gestaltet, wenn die vier Sätze von den Grundstimmungen „Kampf", „Hoffnung", „Zweifel", „Sieg" getragen sind, wenn er den unvergleichlichen Anfang de« Werkes mit seinen vier Fortissimo-Schlägen als ein „Pochen des Schicksals an die Pforte" empfindet, so will dies alles nur als Gleichnis für musikalisch-seelische Vorgänge verstanden werden. Das Gleiche gilt für die Bezeichnung der vier Sätze der Pastorale: „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande", „Szene am Bach", „Lustiges Zusammensein der Landleute" (in das „Gewitter und Sturm" einbrechen) und „Hirtengesang, frohe dankbare Gefühle nach dem Sturm". Bei dieser einzigartigen Naturmusik, für deren Aufführung Beethoven selbst die Anweisung gegeben hat: „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei", denkt man unwillkürlich an ein Wort des Dichters Alfred Mombert: „Ich bin die Musik der Welt, und wenn Musik einschlafen könnte, ja, dann schlief ich ein."
In den Lebensumständen und menschlichen Beziehungen Beethoven« waren inzwischen manche Veränderungen vor sich gegangen. Von dem Fürsten Lichnowsky hatte er sich nach einem Vorfall auf 22
dessen Schloß Grätz bei Troppau im Jähre 1806 zurückgezogen. Der Fürst hatte Offizieren der französischen Besatzungsarmee, die bei ihm zu Gast waren, in Aussicht gestellt, daß sie den berühmten Komponisten auf dem Klavier hören würden. Da einer von ihnen Beethovens Stolz verletzt hatte, weigerte er sich. Der Fürst wurde zornig und ausfallend. Da packte Beethoven seine Sachen und floh bei Nacht und Regen nach Troppau. Von dort schrieb er in der ersten Entrüstung an Lichnowsky einen äußerst schroffen Brief, in dem die Worte standen: „Fürst! Was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben. Beethoven gibt's nur einen!" Der Häuslichkeit Beethovens tat nun unter diesen Umständen Hilfe dringend not. Die meisten der zahlreichen Besucher von nah und fern sind sich in der Schilderung erschreckender oder gar abstoßender Unordnung in seiner Wohnung einig. Seine häuslichen Angelegenheiten hat Beethoven zeitlebens nicht recht zu regeln verstanden. Immer wieder in tiefer Sammlung, ja Entrückung seinem Schaffen hingegeben, beachtete er die äußere Umgebung kaum und fand nicht die Zeit, seinen Sinn für eine harmonische Einrichtung und für Behaglichkeit zu entwickeln. Seine Schwerhörigkeit machte ihn mißtrauisch und unwirsch gegen Diener oder Hausgehilfinnen, so daß sie ihm immer wieder davonliefen und er nicht selten ohne Bedienung war. Seine persönlichen Bedürfnisse waren gering; wenn er Blutwurst mit Kartoffeln essen, einen Krug Regensburger Bier trinken und eine Pfeife Tabak rauchen konnte, waren sie befriedigt. Im übrigen ließ er's in seiner Wohnung drunter und drüber gehen, und es sah dann so darin aus, wie einer der Besucher — und ähnlich berichten viele — sie schildert: „Seine Wohnung bestand, glaube ich, nur aus zwei Räumen. Der erste enthielt einen geschlossenen Alkoven mit seinem Bett, war aber so klein und dunkel, daß er in dem zweiten Zimmer oder dem Salon seine Toilette machen mußte. Stellen Sie sich das Unsauberste und Unordentlichste vor: Wasserlachen bedeckten den Boden, ein ziemlich alter Flügel, auf dem der Staub mit Blättern voll geschriebener oder gedruckter Noten um den Platz stritt. Daneben ein kleiner Tisch aus Nußbaumholz, der daran gewöhnt war, daß das Schreibzeug darauf oft umgeworfen wurde. Eine Menge Federn voll eingetrockneter Tinte, neben welchen die sprichwörtlichen Gasthoffedern ausgezeichnet gewesen wären. Die Stühle hatten fast alle Strohsitze und waren mit Kleidungsstücken und Tellern voller Reste vom Abendessen des vorhergehenden Tages bedeckt." Und doch ging von dem Urheber dieser Unordnung ein 23
solcher Hauch von Größe aus, diaß die Besucher gern über alle äußeren Mängel hinwegsahen. Sie scheuten auch nicht die Schwierig. keiten des Gesprächs mit 'dem immer schwächer hörenden Meister: sie mußten ihren Anteil daran entweder laut und deutlich sprechen oder — was in späteren Jahren die Regel wurde — in sogenannte „Konversationishefte" schreiben, die zum Teil noch erhalten sind. Es fehlte auch oft am Geld«. Beethoven beklagte sich vielfach darüber, daß er nicht die Freiheit habe, ohne Rücksicht auf die Wünsche der Verleger und die Gunst des Publikums zu schaffen. Neben- und Gelegenheitswerke erbrachten ihm den Lebensunterhalt, während seine großen Schöpfungen ohne Ertrag blieben. Nach den Erfahrungen der langen Jahre, die er nun schon in Wien lebte, konnte er kaum auf ein wirklich gesichertes Auskommen in dieser Stadt hoffen. Da bot ihm im Spätherbst 1808 König Jerome von Westfalen, Napoleons jüngster Bruder, eine hoch bezahlte Stellung als Kapellmeister an seinem Hof in Kassel an. Trotz einiger Bedenken, die ihm das Bewußtsein zunehmender Schwerhörigkeit und die Abneigung gegen Napoleon einflößten, schien er geneigt, diesem Ruf zu folgen. Da taten sich in Wien drei adlige Mäzene zusammen, die ihm gemeinsam ein Jahresgehalt von 4000 Gulden aussetzten: Erzherzog Rudolph und die Fürsten Kinsky und Lobkowitz. Mit einer gewissen Erleichterung ging Beethoven auf die daran geknüpfte Bedingung ein und verpflichtete sich, als ständigen Wohnsitz nur Wien oder eine andere Stadt Österreichs zu wählen. Allerdings hat er um die Auszahlung dieser vertraglich garantierten Pension später mehrfach prozessieren müssen.
Einem neuen hohen Aufschwung von Beethovens Schaffenskraft in diesen Jahren — etwa von 1810 bis 1813 — verdanken wir die siebente Symphonie in A-dur, die rhythmisch wunderbar beschwingte „Apothese des Tanzes", wie sie Richard Wagner genannt hat, die achte Symphonie in F-dur, ein Werk starker, klarer und gelassener Überwindung alles Schmerzlichen im ruhig gelockerten Ausdruck befreiender Heiterkeit, das formvollendete und seelenvolle Klavierkonzert in Es-dur, das B-dur-Trio, die dem Erzherzog Rudolph gewidmete Violin-Sonate op. 9—6, mehrere Klaviersonaten und 24
zwei Quartette. Die Entwürfe und Vorstudien der in so kurzer Zeit hintereinander entstandenen Werke reichten allerdings teilweise weit zurück. Als Beethoven einmal nach seiner Schaffensweise gefragt wurde, antwortete er: „Ich trage meine Gedanken lange, oft sehr lange mit mir herum, ehe ich sie niederschreibe. — Es graut mir vor'm Anfang. Bin ich -drin, so geht's schon. — Ich verändere manches, verwerfe und versuche aufs neue so lange, bis ich damit zufrieden bin; dann beginnt in meinem Kopfe die Verarbeitung in die Breite, in die Enge, Höhe und Tiefe, und da ich mir bewußt bin, was ich will, so verläßt mich die zugrunde liegende Idee niemals, sie steigt, sie wächst empor, ich höre und sehe das Bild in seiner ganzen Ausdehnung wie in einem Gusse vor meinem Geist 'Stehen." Längere Zeit trug sich Beethoven mit dem Plan, ähnlich wie im Dezember 1808 seine wesentlichen neuen Werke in einem großen Akademie-Konzert aufzuführen. Zu seiner tiefen Verstimmung scheiterten diese Bemühungen daran, daß ihm kein geeigneter Saal zur Verfügung gestellt wurde. Schon dachte er daran, dieses Konzert in England zu veranstalten. Diese Erwägung machte sich der MusikMechaniker Mälzel, der Erfinder des Metronoms, zunutze. Er überredete Beethoven, für einen neuerfundenen Musikapparat, das Panharmonikon, eine „Schlachtmusik" zur Feier von Wellingtons Sieg bei Vittoria zu schreiben, die gewiß das Geld für eine gemeinsame Englandreise eintragen würde. Als der Meister die Komposition entworfen hatte, schien sie ihm reizvoll genug, sie zu instrumentieren. Fast alle namhaften Musiker Wiens, darunter Salieri, Schuppanzigh, Spohr, Romberg, Meyesrbeer, Hummel und Moscheies machten sich einen Spaß daraus, bei der Aufführung in einem Wohltätigkeitskonzert am 8. Dezember 1813 mitzuwirken. Das Konzert mußte dreimal wiederholt werden. Der Geldertrag war unerwartet groß. Mit einem Schlag war Beethoven der Liebling des Wiener Publikums. Er wurde bei allen möglichen Gelegenheiten gefeiert. Ein Wermutstropfen fiel für ihn nur dadurch in den Freudenbecher, daß er beim Dirigieren der 7. Symphonie infolge seines Gehörleidens an einer pianissimo-Stelle des ersten Satzes aus dem Takte ^ geriet; glücklicherweise bemerkte es das Publikum nicht. Eine Folge seines plötzlich gehobenen Ansehens war die Wiederaufnahme des „Fidelio" in den Spielplan des Hoftheaters, eine andere die Verleihung des Ehrenbürgerrechts durch den Magistrat der Stadt Wien. Zu einem der feierlichsten Konzerte seines Lebens gestaltete sich dann die Aufführung der 7. Symphonie, der Schlachtmusik und der 25
Kantate „Der glorreiche Augenblick" vor den Fürsten, Diplomaten und anderen Teilnehmern des Wiener Kongresses am 29. November 1814. Wenige Wochen später trat Beethoven noch einmal vor den Fürsten des Kongresses auf: bei einem Hofkonzert im Rittersaal der Wiener Hofburg begleitete er den Gesang seines Liedes „Adelaide" und des Kanons aus dem „Fidelio". Die russische Kaiserin empfing ihn in Audienz. Künstler wie Carl Maria von Weber, Rossini, Ferdinand Hiller, Marschner, der zwölfjährige Franz Liszt, Diplomaten, hohe Beamte, Verleger und andere namhafte Persönlichkeiten, die nach Wien kamen, hielten es für ihre Ehrenpflicht, einen Besuch bei ihm zu machen. In diesem Augenblick pochte wiederum, zunächst unbemerkt, das Schicksal an die Pforte. Ahnungsvoll schrieb Beethoven schon im Jahre 1814 den Satz nieder: „Wenn ich mich noch so hoch erhoben finde, wenn ich mich in glücklichen Augenblicken in meiner Kunstsphäre befinde-, so ziehen mich die Erdengeister wieder herab." Am 15. November starb Beethovens Bruder, Karl van Beethoven, der Kassierer. Zum Vormund seines einzigen Sohnes Karl hatte er testamentarisch ursprünglich allein seinen Bruder Ludwig bestimmt. In einem Nachtrag beteiligte er indes auch seine Frau Johanna an der Vormundschaft. Dieser Nachtrag wurde für Beethoven zu einer Quelle jahrelanger Verdrießlichkeiten. Da er den Einfluß der leichtfertigen und unzuverlässigen Mutter als schädlich erkannte, kämpfte er mit erbitterter Zähigkeit um das Recht auf alleinige Erziehung des Neffen. Wiederholt entschieden die Gerichte gegen ihn. Johanna van Beethoven wehrte sich begreiflicherweise dagegen, daß ihr der Junge völlig entzogen werden sollte, scheute aber dabei — eine „Königin derNacht", wie sie derSchwager nannte, — keine Lügen und Ränke. Beethoven nahm die Pflichten der Vormundschaft überaus ernst und sah eine hohe Aufgabe darin, den Neffen zu einem gebildeten und tüchtigen Menschen zu erziehen, eine Aufgabe, für die er erhebliche Mittel aufwendete und schwerwiegende Opfer brachte. Die Streitigkeiten und Prozesse zehrten an seinen Kräften, seine Schaffensfreude erlosch zeitweilig fast ganz, nur wenige Sonaten und Lieder ent•^ standen in diesen Jahren: die Ouvertüre zur „Weihe des Hauses" (komponiert anläßlich der Eröffnung des neuen Wiener Josephstädter Theaters) und die ersten Skizzen für eine Symphonie. Erst als der Spruch eine« Berufungsgerichtes im April 1820 seine alleinige Vor; mundschaft über den Neffen endgültig bestätigte und der Mutter das Recht auf Einrede versagte, fand Beethoven wieder die innere Ruhe zum künstlerischen Schaffen. 26
Nun wandte er sich zweien seiner gewaltigsten Werke zu: der „Missa solemmis" und der neunten Symphonie. Die Messe war geplant für die feierliche Erhebung seines früheren Schülers, des Erzherzogs Rudolph, zum Erzbischof von Olmütz im Jahre 1820; sie wurde jedoch erst drei Jahre später vollendet. „Höheres gibt es nicht, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht verbreiten", schrieb Beethoven im August 1823 dem Erzbischof im Gedanken an dessen hohes Amt, aber auch wohl im Gedanken an sein Werk. Mit der „Missa soleimnis", seinem größten Gesangswerk, nähert sich Beethoven in der Tat der Gottheit. Sie ist der vollkommene Ausdrvick seines Glaubens, seiner Religion, die nicht dem Irdischen abgekehrt ist, sondern in ihm den Spiegel des Überirdischen erschaut und in der Harmonie von beiden das Wunder der göttlichen Offenbarung erkennt. Das Rühmen der Herrlichkeit und der Güte Gottes im „Gloria" und im „Benedictus", die Sehnsucht nach innerem Frieden im „Dona nobis pacem" sind neben dem Glaubensbekenntnis, dem „Credo", das man „eine der erhabensten Kunsttaiten" genannt hat, die das Christentum überhaupt hervorgebracht habe, die Höhepunkte dieses Werkes. — Daneben steht die höchste Verklärung des Irdischen, des wesentlichen Lebens, in der neunten Symphonie Ludwig van Beethovens. Sie ist ein Riesenwerk, auch dem äußeren Umfang nach, ein Werk, das mit der Einbeziehung der menschlichen Stimme die Regel der symphonischen Form durchbricht. Aber es gibt nach einem Wort Beethovens „in der Kunst keine Regel, die nicht durch eine höhere aufgehoben werden könnte." In dem ersten Satz, einem abgründig bewegten Allegro, und in dem zweiten, der im Gegensatz zu der üblichen Folge ein Scherzo ist, wird der Kampf mit dem Schicksal und mit den Dämonen gleichsam rückblickend und überwindend — auch die Hoffnung auf ein gewaltsam erkämpftes äußeres Glück überwindend — nacherlebt. Selbstverständlich ist dieser Gehalt, wie bei den früheren Symphonien, nur in der musikalischen Gesamtidee zu ergründen, nicht Takt für Takt gedanklich zu deuten. So empfindet man den dritten Satz, das weitgespannte „Adagio molto e cantabile", als die Einkehr des Menschen zu sich selbst, zu seinem wahren, seelischen Glück und Frieden, und daraus erwächst dann der letzte Satz mit dem verinnerlicht jubelnden Solo- und Chorgesang von Schillers Ode „An die Freude": „Seid umschlungen, Millionen!" Einige Zeit nach der ersten Aufführung äußerte Beet27
hoven im vertrauten Freundeskreise, er fürchte, mit 4er Einführung von Singstimmen in die Symphonie einen Mißgriff getan zu haben, und trage sich mit der Absicht, diesen Teil durch einen Instrumentalsatz zu ersetzen. Er konnte sich aber dann doch zu einem so tiefen Eingriff in das einmal abgeschlossene Werk nicht entschließen. Beide Werke sollten eigentlich in Berlin uraufgeführt werden, doch gab Beethoven schließlich einer Bittschrift von dreißig Wiener Verehrern nach und veranstaltete das denkwürdige Konzert am 7. Mai 1824 im Kärtnertor-Theater, in dem die 9. Symphonie und ein größerer Teil der „Missa solemnis" zutm erstenmal erklangen. Man garantierte ihm zwar eine gewisse Summe, im übrigen trug er persönlich das Risiko und mußte sich auch selbst um die Beschaffung des Saale« und des Orchesters mühen. Es gab einen wahren Beifallssturm, aber der umjubelte Komponist hörte ihn nicht, man mußte ihm jedesmal ein Zeichen geben, wenn es an der Zeit war, sich vor dem Publikum dankend zu verneigen. Seine Ertaubung war so sehr fortgeschritten, daß er schon seit Jabren nicht mehr öffentlich Klavier spielte und seit 1822 auch das Dirigieren aufgab. Es muß bei den letzten Versuchen, seine Konzerte selbst zu leiten, ein erschütternder Anblick gewesen sein, wenn man ihn nötigte, den Taktstock niederzulegen, weil er nur Verwirrung stiftete, oder wenn hinter dem
Beethovens Notenschrift zum Schlußchor der 9. Symphonie („Freude schöner Götterfunken") 28
unsicher dirigierenden Komponisten ein anderer Kapellmeister stand, auf dessen Zeichen das Orchester allein achtete. Aber die Schwerhörigkeit war es nicht allein, was sein Gemüt bedrückte, es plagten ihn zunehmend auch andere Krankheiten, Rheumatismus, Augenentzündung und Gelbsucht, erste Anzeichen eines langwierigen Leberleidens, das schließlich seinen Tod herbeiführte. In den letzten Lebensjahren fühlte er sich nur noch im Sommer einigermaßen wohl, wenn er in der schönen Umgebung Wiens weilte. Da entwarf er dann seine letzten bedeutenden Arbeiten, fünf Streichquartette in Es-dur, a-moll, B-dur, cis-moll und F-dur, Kammermusikwerke von beinahe 6chon überirdisch gelöster Heiterkeit und höchster Vergeistigung des Klanges. Im Winter fand er nur noch die Kraft, diese Entwürfe auszuführen. „Ich habe noch vieles schreiben wollen", sagte er in dieser Zeit einmal, „die zehnte Symphonie, auch ein Requiem wollte ich komponieren und die Musik zu Faust. Nun, dazu komme ich nicht mehr, und überhaupt, solange ich krank bin, arbeite ich nichts mehr."
Zu spät hatten sich die äußeren Lebensumstände Beethovens gebessert. Seine Einnahmen waren zwar unregelmäßig, reichten aber für seine täglichen Bedürfnisse und für die nicht geringen seine« Neffen hin; ja, er konnte dem Neffen durch Ersparnisse ein ansehnliches Erbgut sichern. Im Oktober 1825 zog er in eine neue, seine letzte Wohnung am Alservorstädter Glazis, das sogenannte „Schwarzspanierhaus"; dazu bestimmte ihn vor allem der Umstand, daß sein Bonner Jugendfreund Stephan von Breuning in unmittelbarer Nachbarschaft wohnte. In dessen Familienkreis verbrachte Beethoven die glücklichsten Stunden seiner • letzten Lebenszeit. Stephans Sohn, Gerhard von Breuning, der ihm mit besonderer Liebe anhing und die schwere Zeit des Krankenlagers durch rührende Pflege erleichterte, berichtet darüber in «einem Erinnerungsbuch „Aus dem Schwarzspanierhaus". Auch zwei andere junge Männer, die in den letzten Jahren fast täglich um ihn waren, leisteten ihm in der treuen Ergebenheit von „Jüngern", die sich durch keine Laune des Meisters beirren ließen, wertvolle Freundschaftsdienste. Der eine war Anton Schindler, ein Student der Rechte, der 1822 zur Musik überwechselte, der andere Karl Holz, ein junger Kassenbeamter und zweitem Geiger im Schuppanzighschen Quartett. Schindler war unermüdlich für ihn tätig, ob er nun geringe häusliche Dienste verrichtete oder Korrek29
turen las; ihm verdanken wir auch eine der ersten gehaltvollen Biographien Beethovens, in der er freilich zu Unrecht alles verschwieg, was als Schwäche de« Meisters hätte ausgelegt werden können. Holz beriet ihn aufs beste in finanziellen Angelegenheiten und munterte- ihn gern durch derbe Spaße und Wortspiele auf. Derjenige aber, den er am meisten liebte, und für den er die größten Opfer brachte, kümmerte sich am wenigsten um ihn: sein Neffe Karl. Die väterlichen Gefühle, die das Bewußtsein seiner Verantwortung für den Jungen in Beethoven erweckte — er redete ihn in Briefen als seinen „lieben Sohn" an und unterschrieb: „Dein treuer Vater" —, wurden aufs bitterste enttäuscht. Schon als Junge schämte sich Karl, mit dem absonderlichen und nicht nach modischem Geschmack gekleideten Oheim auszugehen. Er brachte auch später keinen Funken eines herzlichen Gefühls für ihn auf. Alle Maßnahmen, die Beethoven traf, um ihm die besten Berufsmöglichkeiten zu erschließen —• der Besuch hervorragender Privatschulen und anschließend der Universität —, scheiterten weniger an der mangelnden Begabung des Neffen als an seiner inneren Unstetheit, Unlust und Leichtfertigkeit. Nachdem er von d e r Universität zum Polytechnikum übergegangen war, erkundigte sich Beethoven eines Tages dort nach seiner Leistung und seinem Betragen. Der befragte Lehrer hat später die tiefe Betrübnis geschildert, in die Beethoven verfiel, als er die Antwort erhielt: „Ich habe Ihnen nichts Gutes mitzuteilen." Kurze Zeit darauf versuchte Karl, sich durch Pistolenschüsse selbst zu töten; die Furcht vor dem bevorstehenden Examen, vor den Vorwürfen des Oheims und vor allem vor der Entdeckung heimlich aufgenommener Schulden hatte dem Haltlosen das Leben verleidet. Von der Erschütterung durch diese Kunde hat sich Beethoven nicht wieder erholen können. Sein bis dahin trotz allem noch ungebeugter Gesundung«-, Lebens- und Schaffenswille war gebrochen. Er versöhnte sich zwar mit dem bald genesenden Neffen und gab dessen Wunsch nach, nunmehr die militärische Laufbahn einzuschlagen. Ja, er reiste zu Karls und auch seiner eigenen Erholung im Herbst 1826 mit ihm auf das Gut seines Bruders Johann in Gneixendorf bei Krems. Allein er ahnte selbst, daß dies das letzte Aufflackern seiner Lebensgeister war. Auf der Rückfahrt von Gneixendorf auf einem offenen Milchwagen zog er sich eine Lungenentzündung zu. Kaum hatte er sie überstanden, warf ihn das nunmehr voll ausbrechende Leberleiden nieder. Standhaft ertrug er vier schwere Operationen. Am 19. Februar 1827 schrieb er dem Jugendfreunde Gerhard Wegeier: „Mit der Genesung, wenn ich es so nennen darf, 30
geht es noch sehr langsam . . . Ich gedulde mich und denke: alles Üble führt manchmal etwas Gutes herbei." Einige Lichtblicke fielen noch auf sein Sterbelager, die uns fast symbolhaft vorkommen: das Geschenk einer vierzigbändigen Händel-Ausgabe, die ihm ein englischer Harfenfabrikant schickte, der um Beethovens besondere Verehrung für idiesen Meister wußte, die Ehrengabe von 100 Pfund Sterling, die ihm die Londoner Philharmonische Gesellschaft spendete, und die Freude an einer Anzahl von Kompositionen des bisher von ihm verkannten Franz Schubert, die ihm Schindler verschaffte. In den Armen eines Freundes von Schubert, Anselm Hüttenbrenner, ist Ludwig van Beethoven am Nachmittag des 26. März 1827 während eines Frühjahrsgewitters entschlafen; die beiden getreuen Pfleger, Gerhard von Breuninig und Anton Schindler, waren gerade für kurze Zeit fortgegangen, um eine Grabstelle zu suchen. Den lebenden Meister hatten die Wiener in seiner letzten, leidenden Einsamkeit kaum noch gekannt; dem Toten gaben ihrer über zwanzigtausend am 29. März das letzte Geleit. An der Pforte des Friedhofs sprach der große Schauspieler des Burgtheaters, Heinrich Anschütz, die von Franz Grillparzer abgefaßte Trauerrede. „. . . Muse des Lieds und des Saitenspiels: stellt euch rings um sein Grab und bestreut's mit Lorbeeren! Ein Künstler war er, aber auch ein Mensch, Mensch in jedem, im höchsten Sinne. Weil er von der Welt sich abschloß, nannten sie ihn feindselig, und weil er der Empfindung aus dem Wege ging, gefühllos. Ach, wer sich hart weiß, der flieht nicht! Die feinsten Spitzen sind es, die am leichtesten sich abstumpfen und biegen oder brechen. Das Übermaß der Empfindung weicht der Empfindung aus! Er floh die Welt, weil er in dem ganzen Bereich seine« liebenden Gemüts keine Waffe fand, sich ihr zu widersetzen. Er entzog sich den Menschen, nachdem er ihnen alles gegeben und nichts dafür empfangen hatte. Er blieb einsam, weil er kein zweites Ich fand. Aber bis an sein Grab bewahrte er ein menschliches Herz allen Menschen, ein väterliches den Seinen, Glut und Blut der ganzen Welt." Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
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