Nr. 166
Begegnung auf Frossargon Sie kämpfen um Atlans Gunst -Farnathia und Ischtar, die Goldene Göttin von H. G. Ewer...
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Nr. 166
Begegnung auf Frossargon Sie kämpfen um Atlans Gunst -Farnathia und Ischtar, die Goldene Göttin von H. G. Ewers
Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v.Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Gegner hat der Im perator von Arkon besonders zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der nach der Aktivierung seines Extrahirns den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenom men hat und den Sturz des Usurpators anstrebt. Im Zuge dieser gegen Orbanaschol und seine Schergen gerichteten Unternehmun gen führen Atlan und seine Freunde und Kampfgefährten die Suche nach dem legen dären »Stein der Weisen«, dem Kleinod kosmischer Macht, hinter dem auch Orbana schols Leute her sind, mit aller Energie fort. Der Kristallprinz und seine Gefährten be mühen sich, den Vorteil, den Orbanaschols Beauftragter, der Blinde Sofgart, jüngst errungen hat, wieder wettzumachen. Doch sie haben Pech – für sie scheint sich die Spur des »Steins der Weisen« im Nichts zu verlieren. Da greift Atlan buchstäblich nach einem Strohhalm. Ein Planet wird angeflogen, den Fartuloon beiläufig erwähnt hat – und so kommt es zu der BEGEGNUNG AUF FROSSARGON …
Begegnung auf Frossargon
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz hat eine schicksalhafte Begegnung.
Ra - Ein Freund wird zum Rivalen.
Fartuloon - Atlans ältester Freund und Lehrmeister.
Vorry - Der Magnetier hält sich für einen Wächter am Tor zur Unterwelt.
Ischtar und Farnathia - Zwei Frauen kämpfen um Atlan.
Wie Gilgamesch die Königsmütze sich aufgesetzt, erhob zu Gilgameschs Schönheit ihre Augen die fürstliche Ischtar: »Komm, Gilgamesch! Du sollst mein Gatte sein! Schenk, o schenke mir deine Fülle! Du sollst mein Mann sein, ich will dein Weib sein!« Aus dem Gilgamesch-Epos, 6. Tafel
1. Ich steuerte das Beiboot nach Fartuloons Angaben durch die Atmosphäre Frossarg ons. In mir war alles wie abgestorben. Nur ein winziger Funke Hoffnung hatte sich gehal ten. Ich konnte es immer noch nicht recht fas sen, daß der Blinde Sofgart, ausgerechnet dieser grausame und skrupellose Söldner führer, der die schmutzige Arbeit für Orba naschol zu erledigen pflegte, daß dieser Schurke uns auf dem Weg zum Stein der Weisen weit abgehängt haben sollte. Aber ich durfte meine Augen nicht vor den Tatsachen verschließen, so bitter sie auch waren. Der Blinde Sofgart hatte vor uns den Dreißig-Planeten-Wall gefunden und seine Gefahren gemeistert. Die arkonidischen Wissenschaftler, denen wir dort begegnet waren, hatten uns getäuscht, indem sie uns vorlogen, sie wären der gescheiterte Rest ei ner Suchtruppe Orbanaschols, deren übrige Mitglieder alle umgekommen waren. In Wirklichkeit hatte der Blinde Sofgart sie, nachdem er alle Abenteuer und Gefah
ren des Dreißig-Planeten-Walls bestanden hatte, nur zu unserer Täuschung hilflos aus gesetzt, während er sich bereits auf dem Weg zur nächsten Etappe der großen Suche befand. Die Silberkugel, die Dovreen der Weise mir gab, wies uns schließlich das nächste Ziel. Aber auch dort war uns der Blinde Sof gart wieder zuvorgekommen – und auch am nächsten Ziel. Nachdem es dem Blinden Sofgart dann auch noch gelungen war, im Schwarzen Sy stem das Zentralorgan des Quaddin-Körpers an sich zu bringen und uns so gerissen zum Narren zu halten, daß wir dort kostbare Zeit und beinahe unsere Leben verloren, schien alles aus zu sein. Die Silberkugel konnte uns auch nicht mehr weiterhelfen. Nur der Blinde Sofgart kannte den weiteren Weg zum Stein der Weisen. Ich war verzweifelt, denn ich konn te mir vorstellen, was geschehen würde, wenn Orbanaschol sich in den Besitz dieses kosmischen Kleinods setzte. Er würde den Stein der Weisen nicht zum Nutzen des Großen Imperiums verwenden, sondern al lein dazu, seine persönliche Macht zu stär ken und alle die, die gegen ihn waren, zu vernichten. In dieser Lage war mir eingefallen, daß mein Pflegevater auf dem sechsten Planeten des Schwarzen Systems beim Anblick jener steinernen Kolosse mit den Dämonenfrat zen, die Prulths genannt wurden, sagte, er hätte früher einmal in einer Wüste des Pla neten Frossargon einen ähnlichen Koloß ge funden. Uns war klar gewesen, daß diese Tatsache für unsere Suche nach dem Stein der Weisen völlig bedeutungslos sein konn te, aber da es der einzige Hinweis auf eine mögliche weitere Spur war, hatten wir be
4 schlossen, nach Frossargon zu fliegen und nachzusehen. Und nun befanden wir uns im Landean flug auf den zweiten Planeten der gelben Sonne Tallyrangh. Frossargon war ein Planet, der den Ar konwelten in vieler Hinsicht glich – nur daß er nicht bewohnt war. Aber er war warm und nicht zu wasserreich, so daß seine Ober fläche nur zu einem guten Drittel von Wol ken verhangen war. »Dort ist es!« sagte Fartuloon und deutete schräg nach unten. Ich blickte in die angegebene Richtung und sah hinter einem dünnen Waldgürtel ei ne große Sand- und Steinwüste, die bis weit über den sichtbaren Horizont reichte. »In dieser Wüste?« fragte ich vorsichts halber. »Ungefähr eine halbe Gleiterflugstunde in der Wüste«, bestätigte mein Pflegevater, »und zwar in Richtung Norden. Dort habe ich die Steinfigur gesehen.« »Du kommst viel herum, wie?« fragte Farnathia, die hinter mir saß. Fartuloon lächelte verloren. »Ich bin schon auf vielen Welten gewe sen, von denen sich die meisten Arkoniden niemals etwas haben träumen lassen, Mäd chen«, antwortete er. »Es war immer schön, Neues zu sehen und Abenteuer zu bestehen, aber eines Tages, so denke ich, werde ich mich auf einen Planeten zurückziehen und mich ausruhen. Ich stelle es mir nämlich auch sehr schön vor, einmal nicht als ruhelo ser Wanderer zwischen den Sternen umher zufliegen und statt dessen eine feste Heim statt zu haben.« »Du wirst niemals eine Heimstatt finden, sondern irgendwo auf einem öden Planeten elend verrecken!« warf Vorry aus dem Hin tergrund ein. Ich lächelte verstohlen. Vorry, der Magnetier und Eisenfresser, den ich auf einer Welt des Dreißig-Plane ten-Walls aus der Gewalt der Torrelions be freit hatte, hatte in einem Hypnolehrgang zwar unsere Sprache und einiges über die ar
H. G. Ewers konidische Zivilisation gelernt, aber er drückte sich meist sehr kraß, oft sogar brutal aus. Ich wußte jedoch, daß er es niemals so meinte. Als ich einen Blick über die Schulter nach hinten warf, sah ich, daß sich das tonnenför mige, pechschwarze Wesen mit den vier ge schuppten Beinen und den beiden muskulö sen Armen auf einem Kontursessel rekelte. Der schwarze Schädel mit den faustdicken Augenwülsten drehte sich in meine Rich tung. Die beiden gelben Augen schauten mich undefinierbar an. Vorry war schon eine extrem exotische Erscheinung, eine geballte Ladung Energie und doch intelligent. Während ich hinsah, lehnte sich Vorry nach rechts – und die rechte Armlehne des Kontursessels brach mit scharfem Knacken ab. Vorry hob sie bedauernd hoch und mein te: »Hier taugt aber auch nichts etwas, At lan.« Ra, der Eingeborene von dem dritten Pla neten einer unbekannten Sonne, saß neben Vorry. Er seufzte und sagte: »Eines Tages wirst du unser Himmelsboot noch völlig demolieren, Vorry.« Vorry erwiderte: »Ich bin so schwach, daß ich zur Seite kippte. Aber dagegen läßt sich etwas tun.« Er riß seinen Mund auf und schob die Armlehne zwischen die beiden arkonitharten Knochenplatten, die sein Gebiß darstellten. Knackend, krachend und knirschend zer malmte er das Material, an dem sich ein Saurier die Zähne ausgebissen hätte. Es ent hielt genügend Metall, das er für seinen fremdartigen Stoffwechsel so dringend brauchte wie ein humanoides Wesen Eiweiß. »Er wird noch unser Beiboot auffressen«, bemerkte Fartuloon. Vorry hielt im Kauen inne und sagte mit vollem Mund: »Wenn ich dein Skarg zum Nachtisch ha ben könnte, wäre mein Hunger bis zur Rück kehr auf die KARRETON erst einmal ge
Begegnung auf Frossargon stillt, Dicker.« Unwillkürlich griff Fartuloon an sein Schwert, das er als Zauberschwert zu be zeichnen pflegte. »Untersteh dich, an mein Skarg zu gehen, du Vielfraß!« schimpfte er. »Es würde sich in deinem Bauch in einen Schwarm von Feuerdämonen verwandeln, die deine Einge weide zerfressen würden.« Ich lachte leise und erhöhte den Schub der Impulstriebwerke etwas. Das Beiboot schoß mit infernalischem Donnern über den dies seitigen Rand der Wüste. Unten stob eine Herde fremdartiger Tiere in wilder Panik auseinander. Bald würden wir am Ziel sein – dann mußte sich zeigen, ob der steinerne Dämon von Frossargon uns weiterhelfen würde.
* Da unser Beiboot erheblich schneller war als ein Fluggleiter, erreichten wir die von Fartuloon bezeichnete Stelle bereits nach zehn Minuten. Ich bremste das Boot ab, legte es auf die Backbordseite und flog eine enge Schleife, während wir alle nach unten blickten. »Wo ist es genau?« fragte ich meinen Pflegevater. Fartuloon kratzte sich im Genick. »Es muß direkt unter uns sein, mein Jun ge«, antwortete er. »Dort, der Felsen, der ei nem Icptchuan-Saurier gleicht, ist mein An haltspunkt. Rund dreißig Schritte nordwest lich dieses Felsens hatte ich den steinernen Dämon gesehen.« Ich drückte das Beiboot tiefer und flog in wenigen Metern Höhe genau über die betref fende Stelle hinweg. Diesmal sahen wir alle etwas. Aber es war nicht der steinerne Dämon, sondern eine kleine Mulde im Wüstensand. »Dort hat er gestanden!« rief Fartuloon aufgeregt. »Aber er steht nicht mehr dort«, meinte Farnathia. »Vielleicht hat ihn jemand weggeholt«,
5 warf Ra ein, der sich seit längerer Zeit nicht mehr auf die Zeichensprache beschränkte, sondern sich normal unterhielt. Ich sagte nichts dazu, sondern setzte end gültig zur Landung an. Meine Gedanken wa ren alles andere als freudig. Ich fühlte mich zutiefst deprimiert, denn ich konnte mir nicht denken, daß wir den steinernen Dämon noch irgendwo auf Frossargon finden wür den. Als das Boot aufsetzte, betätigte ich den Mechanismus der Schleuse, stieg aus dem Sitz und eilte nach draußen. »Halt!« sagte ich, als Vorry an mir vorbei sprang und auf die Mulde zueilen wollte. »Es könnte sein, daß Spuren vorhanden sind, die uns verraten, was mit dem Dämon ge schehen ist.« »Du denkst an den Blinden Sofgart«, sag te Fartuloon, der neben mich getreten war. »Ich muß an ihn denken«, erklärte ich. »Der Blinde Sofgart ist uns um einige Schritte voraus. Vielleicht hat ihn das Zen tralorgan des Quaddin-Körpers nach Fros sargon geführt, und er hat den steinernen Dämon geraubt.« Mein Pflegevater stieß eine Verwün schung aus. »Dann stecken wir endgültig in einer Sackgasse«, meinte er. »Atlan, ich schlage vor, wir starten wieder und fliegen mit der KARRETON nach Kraumon zurück. Von dort aus können wir einen Präventivschlag gegen Orbanaschol vorbereiten.« »Was versprichst du dir davon?« erkun digte sich Farnathia. »Den Tod des Diktators«, gab Fartuloon zurück. »Orbanaschol muß sterben, bevor er den Stein der Weisen bekommt und durch dessen Macht unschlagbar wird. Wir dürfen nicht länger warten.« Ich legte meinem Pflegevater die Hand auf den Unterarm und erwiderte: »Fartuloon, ich möchte nicht durch Mord an die Macht kommen, wie Orbanaschol es getan hat.« »Das wäre nicht das gleiche, Atlan«, er klärte Fartuloon. »Orbanaschol hat den
6 rechtmäßigen Imperator getötet. Das ist Mord. Aber wenn wir den unrechtmäßig herrschenden Tyrannen beseitigen, ist das eine Befreiungstat.« »Du magst recht haben«, erwiderte ich. »Aber es ist nicht die Methode, mit der ich an die Macht kommen möchte.« »Wie willst du dann an die Macht kom men, Kristallprinz!« wetterte der alte Bauch aufschneider. »Im offenen Kampf können wir Orbanaschol nicht besiegen, und hat er erst den Stein der Weisen, ist es sowieso aus.« »Ich kann nicht, Fartuloon«, erklärte ich. »Ich muß weitersuchen. Der Stein der Wei sen ist das einzige Mittel, mit dem wir Orba naschol besiegen können, ohne ihn durch ein Attentat zu beseitigen. Wir werden weitersu chen.« »Hier auf Frossargon?« fragte mein Pfle gevater und machte eine weitausholende Handbewegung. »Zuerst hier auf Frossargon, und wenn das nicht hilft, irgendwo anders«, antwortete ich. »Wir dürfen nicht so schnell aufgeben.« »Feuer und Schwefel!« fluchte Vorry. »Ihr seid verdammte Narren, und eure Ge beine werden in dieser Wüste verdorren. Wo soll ich hier überhaupt Eisen finden?« »Du hast ja erst vorhin gegessen, Vorry«, sagte Farnathia. Ich kümmerte mich nicht um den Disput, sondern ging mit Fartuloon langsam zu der Mulde. Davor blieben wir stehen und mu sterten die Umgebung. »Keine Fußspuren«, sagte mein Pflegeva ter. »Aber die Mulde ist sehr groß – relativ natürlich. Jedenfalls ist sie größer als der Sockel eines steinernen Dämons. Es kommt mir so vor, als wäre die Figur mit einem Traktorstrahl aus dem Sand geholt worden.« Also doch der Blinde Sofgart! dachte ich grimmig. Das ist nicht gesagt! raunte der Logiksek tor meines Extrahirns mir zu. Warum sollte der Blinde Sofgart den Dämon mitgenom men haben? Wenn die Figur einen Hinweis enthält, braucht man sie doch nur zu unter
H. G. Ewers suchen. Fartuloon blickte mich fragend an. »Was sagt dein siebter Sinn, mein Jun ge?« erkundigte er sich gespannt. Ich erzählte es ihm. »Dann dürfen wir noch hoffen«, meinte mein Pflegevater. »Vielleicht wurde der Dä mon nur an einen anderen Ort auf diesem Planeten gebracht. Ich schlage vor, wir fan gen direkt mit der Suche an.« Wortlos drehte ich mich um und ging zum Beiboot zurück. Ich wagte nicht, meine Hoffnungen laut zu äußern. Als meine Ge fährten ebenfalls wieder eingestiegen waren, startete ich.
* Als wir auf rund tausend Metern Höhe waren, blickte ich meinen Pflegevater an und fragte: »Wieviel von diesem Planeten kennst du, Bauchaufschneider?« »Nicht viel«, antwortete mein Pflegevater. »Ich war damals nur kurz auf Frossargon.« »Hm!« machte ich nachdenklich. Ich hielt es für denkbar, daß es auf diesem Planeten doch eine eingeborene Intelligenz gab, obwohl Fartuloon mir schon versichert hatte, Frossargon hätte niemals eine domi nierende Intelligenz hervorgebracht. Und wenn es auf Frossargon eine intelli gente Art gab, Wesen, die sich Gedanken über ihre Existenz und den Sinn des Lebens und Sterbens machten, dann war es durchaus möglich, daß sie den steinernen Dämon ge funden und verschleppt hatte; er mußte durchaus nicht mit einem Traktorstrahl aus dem Sand geholt worden sein, wie Fartuloon vermutete. Ich beobachtete die Landschaft unter uns sehr aufmerksam, um keine Anzeichen einer eventuellen intelligenten Art zu übersehen. Als ich das Beiboot über ein schmales Tal steuerte, entdeckte ich etwas, das meiner Spekulation neue Nahrung gab: eine Gruppe von Steinblöcken, die in einem Kreis aufge stellt waren.
Begegnung auf Frossargon Ich deutete nach unten, während ich gleichzeitig Fahrt wegnahm. »Siehst du das, Fartuloon?« fragte ich. »Das sieht nicht so aus, als wäre es auf na türliche Weise entstanden.« »Du könntest recht haben«, meinte mein Pflegevater, aber ich merkte, daß er skep tisch war. Dennoch flog ich eine Schleife und setzte zur Landung an. Das Beiboot landete unmit telbar neben dem Steinkreis auf einer Flä che, auf der feiner staubiger Sand lag. Staub wallte auf und nahm uns für einige Zeit die Sicht. Ich überprüfte meine Waffen und stieg aus. Fartuloon und Ra folgten mir; die anderen blieben an Bord zurück. Ich wollte sie nicht drängen, deshalb sagte ich nichts. Unsere Füße wirbelten ebenfalls Staub auf, als wir zu der Steingruppe gingen. Ich trat in den Kreis und blickte mich auf merksam um. Insgesamt sechs Steinblöcke standen im Sand. Einer war erheblich größer als die an deren, die in einem Kreis so aufgestellt wa ren, daß er sich innerhalb dieses Kreises be fand, allerdings nicht in der Mitte, sondern dicht am inneren Rand. »Das Tallyrangh-System besteht aus einer Sonne und fünf Planeten«, sagte Fartuloon nachdenklich. »Die Gruppierung könnte ei ne Andeutung dieser Gegebenheit sein. Was meint ihr?« Ra streckte den Arm aus und deutete auf einen der Steinblöcke, der zum Kreis gehör te. »Dort sind Zeichen«, erklärte er. Als ich genauer hinsah, entdeckte ich sie auch. Ra hatte eben die schärferen Augen und sah Dinge, die wir erst beim zweitenmal sahen. Ich trat dicht an den Block heran und ver suchte zu erkennen, um was für Zeichen es sich handelte. Zuerst nahm ich an, es wären die gleichen Zeichen, die wir auf einem Planeten des Schwarzen Systems in den Steinsockeln der
7 Dämonen gefunden hatten. Doch dann merkte ich, daß diese Zeichen ganz anders waren. Ich ging zum nächsten Stein und fand dort ähnliche Zeichen. Nein, genau genommen waren es die gleichen Zeichen wie in dem ersten, nur waren sie hier anders gruppiert, bedeuteten demnach auch etwas anderes. Nachdem ich mir alle Steine angesehen hatte, begab ich mich zu dem Stein, der höchstwahrscheinlich die Sonne Tallyrangh darstellen sollte. Auch in ihm befanden sich einige Zei chen. Ich setzte mich mit untergeschlagenen Beinen in den Sand und versuchte, einen Sinn aus den Zeichen herauszulesen, wäh rend Fartuloon das gleiche bei einem ande ren Stein versuchte. Plötzlich, es waren etwa zwanzig Minuten vergangen, sagte Ra hinter mir: »Ich glaube, ich weiß ungefähr, was die Zeichen bedeuten sollen, Atlan.« Ich wandte mich um und sah, daß Ra in der Haltung eines Götzenpriesters dastand und mit brennenden Augen auf den Sonnen stein blickte. »Und was bedeuten sie, Ra?« erkundigte ich mich gespannt. »Wesen, die ihr suchet wie wir, wisset, daß wir vom dritten Planeten dieser Sonne kamen, von innen gezählt!« sagte Ra mit dumpfer Stimme. »Wisset, daß wir kamen und sahen und daß wir erkannten, wo wir waren. Diese Welt ist eine gefährliche Welt, eine unheimliche Welt für alle Wesenheiten, die das Oberste nicht beherrschen. Auch wir beherrschen das Oberste nicht. Wir wurden mit Blindheit geschlagen und wären hier umgekommen, wenn uns der Herr der Wei ßen Saat nicht geholfen hätte. Aber wir sind verdammt. Kommt und schauet euch an, was aus uns geworden ist.« Verblüfft blickte ich den Barbaren an. »Das alles kannst du aus diesen Zeichen lesen, Ra?« fragte ich ungläubig. »Ich habe es gesehen«, erklärte Ra. »Ich glaube ihm, Atlan«, sagte Fartuloon,
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der zu uns gekommen war. »Als Kind einer primitiven Kultur ist Ra an das Lesen von Zeichen gewöhnt. Vielleicht gibt es auf sei nem Planeten auch Hinweise fremder Raum fahrer, die bestimmt in Form von einfachen Zeichen hinterlassen wurden, damit sie für Wesen verständlich wären, die keine Schrift sprache kennen.« Das leuchtete mir ein. »Diejenigen, die dieses steinerne Sonnen system aufstellten, kamen demnach vom dritten Planeten Tallyranghs«, sagte ich nachdenklich. »Und sie warnten alle, die nach ihnen hierher kamen, davor, sich lange auf Fros sargon aufzuhalten«, meinte mein Pflegeva ter. »Ich schlage vor, wir verlassen Frossar gon und fliegen zum dritten Planeten«, er klärte ich. »Vielleicht leben diese Wesen noch und können uns einen Hinweis darauf geben, wie wir die Spur zum Stein der Wei sen wiederfinden können.« »Kommt und schauet euch an, was aus uns geworden ist«, wiederholte Ra. Ich erhob mich und klopfte den Staub von meinem Raumanzug. »Also auf zum dritten Planeten!« sagte ich unternehmungslustig.
2. Nachdem wir gestartet waren, gab Fartu loon eine kurze Nachricht an die KARRE TON ab und unterrichtete die Besatzung da von, daß wir dem dritten Planeten einen Be such abstatten wollten. Das Beiboot flog nur einfach lichtschnell, deshalb brauchten wir annähernd drei Stun den, um den Nachbarplaneten Frossargons zu erreichen. Ich steuerte unser Gefährt in einen weiten Orbit und schaltete die Meß- und Ortungssy steme ein. Als die Ergebnisse ausgewertet waren, wußten wir, daß der dritte Planet eine kalte Wasserwelt war. Die Pole waren stark ver eist, und auch die Meere waren zu einem
großen Teil voller Eisberge und treibender Eisschollen. Es gab keine echten Kontinen te, sondern nur eine Unzahl von Inseln und Inselchen. Wegen der niedrigen Temperaturen – sie erreichten an den Polen nur minus siebzehn Grad als höchstes der Gefühle am Äquator plus dreizehn Grad – verdunstete nur wenig Wasser. Es gab deshalb nur wenig Wolken und geringe Niederschläge, dafür aber um so mehr Nebel. Fartuloon gab dem Planeten den arkonidi schen Namen Than Ard, was Nebelwelt be deutete. Zu unserer Verwunderung konnten wir keine nennenswerten Energieemissionen an messen, nur einige verwaschene Ergebnisse wurden von den Energietastern hereingeholt. Sie ließen sich allerdings nicht lokalisieren. Es war, als läge der ganze Planet unter einer diffusen Energieaura. »Ich schlage vor, wir landen auf der größ ten Insel in Äquatornähe«, meinte Fartuloon. »Dort wird die Sicht wenigstens nicht von Nebel behindert – und es ist nicht gar so kalt.« »Von mir aus kannst du dir ruhig die Oh ren abfrieren, Dicker«, warf Vorry ein. »Habt ihr Tröpfe wenigstens Metall orten können, damit ich mich ein einziges Mal in meinem Leben ordentlich sattessen kann?« »Warum leckst du kein Eis?« gab Fartu loon ärgerlich zurück. Er wandte sich an mich. »Sollen wir den vorlauten Strolch nicht lieber am Nordpol aussetzen, Atlan?« Ich lächelte. »Von mir aus. Vielleicht redet er weniger dummes Zeug, wenn ihm die Zunge am Gaumen anfriert.« »Du bist ein Sadist, Atlan!« schimpfte der Eisenfresser. »Wenn ich erst wieder auf der KARRETON bin, werde ich zur Strafe die Triebwerke verspeisen.« »Damit würdest du dich nur selber stra fen«, erwiderte ich amüsiert. »Wenn die KARRETON nicht mehr fliegt, bist du ge nauso verloren wie wir. Du könntest das Schiff zwar nach und nach aufessen, aber
Begegnung auf Frossargon einmal geht auch der größte Vorrat zu Ende, und du würdest nackt im leeren Raum ste hen.« »Das möchtest du wohl, Atlan!« giftete sich Vorry. »Ha, ich habe einen Hunger, daß ich einen ganzen Planetenkern auf einmal verschlucken könnte.« »Falls Than Ard sich als unbewohnt er weist, überlassen wir dir den Kern dieses Planeten gern, Vorry«, sagte ich. »Du soll test nur daran denken, daß der glutflüssige Kern eines Planeten sehr heiß ist.« »Nichts wird so heiß gegessen, wie es ge kocht wird«, entgegnete Vorry. Ra lachte, denn dieser Spruch stammte von ihm, wie so manche Sprüche, die wir uns in der Zwischenzeit angeeignet hatten. Auf Ras Heimatwelt schienen die intelligen ten Bewohner sich an Sprüchen zu ergötzen. Ich hätte sie wirklich gern einmal kennenge lernt. Diese Barbaren mußten liebenswerte Geschöpfe sein – vorausgesetzt, man ließ sie nicht zu dicht an sich herankommen. Ich spielte die Ortungs- und Meßdaten noch einmal ab, um die planetarische Positi on der größten Äquatorinsel zu bestimmen. Bald hatte ich sie gefunden. Es handelte sich um eine Insel von zirka neunzig Kilometern Länge und durchschnitt lich dreißig Kilometer Breite. Ein bewalde tes Eiland mit zwei rund achthundert Meter hohen Bergen, auf deren Kuppen Schnee lag. Fartuloon und ich suchten eine verhältnis mäßig ebene und vegetationsarme Fläche zwischen den beiden Bergen als Landeplatz aus. Dann verließen wir den Orbit und dran gen in die Atmosphäre ein. Die Landung verlief ohne besondere Vor kommnisse. Ich schaltete die Triebwerke ab und aktivierte die Außenmikrophone. Diese empfindlichen Geräte übertrugen uns sogar noch das Rauschen der Brandungen von bei den Seiten der Insel in die Kabine. Doch sie übertrugen auch andere Geräusche, so bei spielsweise das Säuseln des Windes, das Ra scheln von Blättern und Zweigen, die Stim men von Tieren und die Bewegungen von
9 Lebewesen. Artikulierte Stimmen waren jedoch nicht darunter. Nachdem wir eine Probe der Atmosphäre genommen, analysiert und festgestellt hat ten, daß sie keine für uns schädlichen Bei mengungen enthielt, beschlossen wir, auszu steigen. Farnathia sollte im Beiboot bleiben und über Funk Kontakt zu uns halten. Das gefiel ihr zwar nicht, aber ich überzeugte sie da von, daß es sicherer für sie war. Sobald wir festgestellt hatten, daß uns von den Lebewe sen Than Ards keine Gefahr drohte, konnte sie außerdem nachkommen.
* Wir hatten die Helme geöffnet, als wir ausstiegen. Die Luft war zwar kühl, aber nicht kalt. Die Außenthermometer unserer Schutzanzüge zeigten eine Temperatur von plus zwölf Grad an. Der Boden war mit einer Art Gras be deckt, kein normales Gras, wie ich es von anderen Welten her kannte, sondern eine Decke aus dünnen, miteinander verfilzten, korkenzieherartig gedrehten Halmen von gelbbrauner Färbung. Das Zeug federte un ter unseren Füßen wie Schaumstoff. Wir schlugen die Richtung auf ein kleines Wäldchen ein, das westlich des Landeplat zes lag. Ein Tier mit sechs dünnen Beinen, mit einem ovalen Körper und einem schlan genähnlichen Hals stelzte ein paar Schritte zur Seite, als wir uns ihm näherten. Es schi en jedoch keine Furcht zu empfinden. Ich sah es mir genau an. Es war zweifellos ein Warmblüter, denn es trug einen dichten grauen Pelz. Sein Ge hirn konnte nicht sehr groß sein; der ganze Kopf hatte nur die Größe einer Männerfaust. Ra blickte das Geschöpf wachsam an. Er rechnete wohl mit einem Angriff. Aber das Tier verhielt sich passiv. Als wir vorbei wa ren, streckte es den Kopf nach unten und fraß von der grasartigen Vegetation. Die Bäume des Wäldchens hatten aus grö
10 ßerer Entfernung fast wie normale Bäume ausgesehen. Aus der Nähe sahen wir aller dings, daß auch sie einer bislang unbekann ten Art angehörten. Ihre hellgrauen Stämme waren korkenzieherartig gedreht und ragten durchschnittlich fünfzehn Meter hoch. Sie besaßen weder Äste noch Zweige, sondern nur zahlreiche knotenartige Verdickungen, aus denen lang herabwallende hellgrüne Fa serbüschel hingen. Die Büschel bewegten sich in dem leichten Wind, der von Nord nach Süd wehte. Es sah aus, als spielte der Wind mit den langen Haarmähnen von Tie ren oder Menschen. Der Boden dieses eigenartigen Waldes war von abgefallenen Fasern bedeckt, die je doch zum größten Teil nicht mehr grün wa ren, sondern sich goldgelb verfärbt hatten. Als Fartuloon mit dem Fuß an diese Bo dendecke stieß, knisterte und raschelte es laut – und plötzlich schlangen sich zahllose goldfarbene Fäden um seinen Fuß, ringelten sich über Knöchel und Waden empor. Mein Pflegevater stieß eine Verwün schung aus und zog sein Skarg. Mit der Klinge versuchte er, die Fasern abzustreifen. »Sie bohren sich durch die Stiefel!« lief er uns zu. Ich zog mein Vibratormesser, aber Vorry war schneller. Er riß die Fasern von Fartuloons Bein her ab. Ihm schienen sie nichts anhaben zu kön nen. Im Gegenteil, sie verfärbten sich blei grau, wenn er sie berührte. Endlich war Fartuloon seine Plagegeister los. Er setzte sich und zog seinen Stiefel aus. Ich sah, daß der Fuß und das Bein bis fast in Kniehöhe zahllose winzige rote Punkte auf wiesen. »Hoffentlich ist das nicht gefährlich«, sagte ich besorgt. »Wir sollten dein Bein mit einem Kosmobiotikum aus dem Beiboot be handeln.« Mein Pflegevater winkte ab. »So schlimm wird es nicht sein, mein Jun ge«, meinte er. »Die Fasern wollten offenbar mein Blut saugen. Komisch! Ich hatte ange
H. G. Ewers nommen, es handelte sich bei ihnen um so etwas wie abgefallenes Laub.« Das hatte ich auch zuerst angenommen. Aber man kann eben auf fremden Welten nicht vorsichtig genug sein. Das Gras war kein Gras, die Bäume waren keine Bäume, und ihr Laub war kein Laub – jedenfalls nicht in unserem Sinne. Das Leben basierte hier offenbar auf gänzlich anderen Voraussetzungen als auf anderen Welten. Dennoch muß es mit dem Leben von an deren Welten etwas Gemeinsames haben, sonst könnte es das Blut eines Fremden nicht als Nahrung verwenden! teilte mir mein Logiksektor mit. Vorry war unterdessen in den Wald einge drungen. Er wußte ja, daß das Pseudolaub ihm nichts anhaben konnte. Mit seinen kräf tigen Händen wühlte er es auf und sah zu, wie es sich bleigrau verfärbte. »Laß das Zeug in Ruhe, Vorry!« rief ich ihm zu. »Es sind Lebewesen, und sie können nichts dafür, daß sie anderes Leben zur Er nährung brauchen.« »Ich untersuche das Zeug nur«, gab Vorry zurück. Er fuhr fort, das Pseudolaub aufzuwühlen. Plötzlich bogen sich einige der korkenzie herartigen Stämme blitzschnell zu ihm her ab, umschlangen seinen Tonnenkörper und schnellten wieder hoch. Der Eisenfresser stieß einen Wutschrei aus, als er durch die Luft flog. Im nächsten Moment brach der Schrei ab – und Vorry war spurlos verschwunden. »Was war das?« schimpfte Fartuloon. »Ein Zauber«, sagte Ra. Ich zog meinen Detektor aus der Magnet halterung meines Gürtels und richtete den Meßkopf auf die Stelle, an der Vorry ver schwunden war. Die beiden Anzeigefelder wiesen nichts Außergewöhnliches aus, bis auf eine winzige Spur einer Strahlung, die nicht identifiziert werden konnte. Als ich es Fartuloon erzählt hatte, machte er ein nachdenkliches Gesicht. »Eine Strahlung, die vom Computer unse
Begegnung auf Frossargon rer Detektoren nicht identifiziert werden kann, dürfte es gar nicht geben, Atlan«, meinte er. »Es sei denn, diese Strahlung wä re nicht in unserem Universum entstanden.« »Vielleicht kam sie wirklich aus einem anderen Universum«, erwiderte ich. »Du kennst ja die Theorie, daß es unzählige Uni versen geben soll, die gleichzeitig im glei chen physikalischen Raum mit unserem exi stieren, aber zeitlich etwas verschoben.« Fartuloon zog seinen Stiefel wieder an, schob sein Skarg zurück und meinte: »Es ist eine Theorie, die ich für zutreffend halte, denn nur sie kann verschiedene Phä nomene erklären, die immer wieder auftre ten. Aber wenn Vorrys Verschwinden etwas damit zu tun hat, dürfte es sehr schwer sein, ihn zurückzuholen.« »Du denkst, er befindet sich in einem Par alleluniverum?« erkundigte ich mich. »Aber wie können diese Bäume …« Pseudobäume! erinnerte mich mein Lo giksektor. Diese Gebilde haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Bäumen, aber sie müssen ei ne völlig andere Lebensform sein. »Vielleicht die beherrschende Intelligenz dieses Planeten«, überlegte ich laut. Fartuloon runzelte die Stirn. »Du meinst, die Wesen, die auf Frossar gon die Steinblöcke aufstellten und ihre Zei chen darauf hinterließen, und die Bäume hier sind die gleichen?« fragte er verblüfft. »Wie sollen diese Bäume nach Frossargon gekommen sein – und wie konnten sie Zei chen in Steinblöcke schlagen, Atlan?« »Kommt und schauet euch an, was aus uns geworden ist«, sagte Ra feierlich. Fartuloon und ich blickten den Barbaren verwundert an, bis uns einfiel, daß er nur wiederholt hatte, was auf dem Stein gestan den hatte. »Was aus uns geworden ist!« wiederholte mein Pflegevater den letzten Teil des Satzes. »Ja, es wäre möglich, daß die früheren Intel ligenzen von Than Ard durch unbekannte Einflüsse verändert wurden, so daß sie heute wie Bäume aussehen. Aber wie sollen wir mit Bäumen Kontakt aufnehmen?«
11 »Es sind keine Bäume, du fetter Bauch aufschneider!« sagte ich in dem krampfhaf ten Versuch, zu scherzen. »Ich schlage vor, wir holen den Video-Projektor aus dem Bei boot und versuchen, uns den Pseudobäumen verständlich zu machen.« »Einverstanden«, erwiderte Fartuloon.
* Ich berichtete über Telekom an Farnathia, was geschehen war und bat sie, den VideoProjektor bereitzustellen. Sie war ganz blaß, als sie uns in der Schleuse empfing. »Seht euch bloß vor!« sagte sie. »Auf die sem Planeten lauern bestimmt noch andere Gefahren.« »Wir passen schon auf«, meinte Fartuloon beruhigend. »Komm, gib deinem Schatz den Projektor, damit wir zu den Bäumen spre chen können.« Farnathia reichte mir den Video-Pro jektor, der nicht größer als ein Handkoffer war. Sie hauchte mir einen Kuß auf die Wange. »Bitte, sei vorsichtig, Atlan!« flüsterte sie. »Ich werde auf mich aufpassen, Liebste«, versprach ich ihr und strich ihr zärtlich übers Haar. »Laß du nur keinen Fremden ins Boot, Farnathia.« »Ich werde mich hüten«, erwiderte Farna thia. Ich winkte ihr noch einmal zu, dann ging ich mit meinen Gefährten wieder zu dem Wäldchen – beziehungsweise zu der Gruppe von Lebewesen, die Ähnlichkeit mit einem Wäldchen hatte. Dort stellte ich den Video-Projektor auf. Ein Video-Projektor ist kein kompliziertes technisches Gerät. Er projiziert simultan Bil der und Sprachelemente, die man entweder mit Hilfe eines Kompositionscomputers ar rangierte oder dadurch, daß man sich den Transmihelm des Geräts über den Kopf stülpte und seine Gedanken »spielen« ließ. Ein solches Gerät kann natürlich nur dann einen sinnvollen Zweck erfüllen, wenn der
12 Partner in der Lage ist, optische und akusti sche Reize wahrzunehmen und geistig zu verarbeiten. Ob das auf die Pseudobäume zutraf, ließ sich nicht voraussagen. Wir mußten es eben versuchen. Ich schaltete das Gerät ein. Der Bild schirm war auf den Pseudowald gerichtet. Nach kurzem Überlegen verzichtete ich auf den Transmihelm und aktivierte statt dessen den Kompositionscomputer. Da ich lange nicht mit einem solchen Ge rät umgegangen war, benötigte ich einige Zeit, um es so zu bedienen, daß ein meiner Meinung nach brauchbares Bild auf dem Schirm entstand. Es war ein Bild, das den Sonnenstein auf Frossargon zeigte und die Zeichen darin an deutete. Dazu hatte ich eine einfache Ton folge komponiert, die für mein Empfinden eindrucksvoll war. Ra jedenfalls schien auch sehr beein druckt zu sein, was mir allerdings noch längst nicht verriet, ob es die Pseudobäume ebenfalls waren, wenn sie überhaupt in der Lage waren, Bilder und Töne wahrzuneh men. Fartuloon verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. Ich tat es ihm nach. Wir warteten rund zehn Minuten, ohne ei ne Reaktion der Pseudobäume zu erkennen. Rein zufällig warf ich danach einen Blick auf meinen Detektor, der wieder in der Ma gnethalterung steckte. Ich stutzte und zog ihn heraus. Auf den beiden Anzeigeschirmen waren wieder die Symbole für nicht identifizierba re Strahlung zu sehen. Mein Pflegevater überprüfte seinen De tektor ebenfalls. Mit sonderbarem Gesichts ausdruck blickte er anschließend zu mir her über. »Es scheint, als wäre das eine Art Ant wort«, meinte er. »Was hältst du davon, mein Junge?« »Eine Reaktion dürfte es jedenfalls sein«, antwortete ich. »Aber ich vermag nichts da mit anzufangen. Du vielleicht?«
H. G. Ewers »Ich auch nicht«, gab er zu. »Und Vorry dürfte sie ebenfalls wenig nützen. Ich fürch te, wir müssen deinen neuen Freund ab schreiben.« »Ich schreibe keinen Freund ab!« entgeg nete ich heftig. Fartuloon drehte die Handflächen vielsa gend nach oben, was soviel hieß, daß er sich keinen Rat wußte. Ich trat wieder zum Video-Projektor, zog die zusammengelegte Transmihaube aus ih rer Vertiefung und setzte sie auf. Dann drückte ich die Taste, die die Verbindung zwischen dem Gerät und der Haube herstell te. Diesmal versuchte ich, ein Bild Vorrys auf den Schirm zu bringen, indem ich inten siv an den Eisenfresser dachte. Auf dem kleinen Kontrollschirm sah ich, daß sich ein Bild eines Gnomen mit schwar zem Haarpelz und verschmitztem Gesichts ausdruck formte, also wahrscheinlich die Assoziation, die sich in meinem Gehirn beim Gedanken an den Eisenfresser bildete. Ich versuchte, dieses Bild zu korrigieren, was mir erst nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang. Danach transferierte ich das Bild des Ei senfressers in eine strahlende Aureole – und ließ es verschwinden. Wieder warteten wir gespannt auf eine Reaktion, und als sie kam, verschlug es mir fast die Sprache. Über den Wipfeln der Pseudobäume gab es eine lautlose schwache Entladung, dann sah ich plötzlich den Magnetier dort schwe ben. Er war etwas verschwommen abgebil det und schien zu pulsieren, und im nächsten Augenblick verschwand er wieder. Während Ra weiterhin wie gebannt auf die Stelle starrte, an der Vorry aufgetaucht und verschwunden war, blickten mein Pfle gevater und ich uns an. »Die Reaktion war deutlich und unmiß verständlich«, sagte Fartuloon schließlich. »Diese Pseudobäume sind tatsächlich die in telligente Lebensform von Than Ard. Sie ha ben deine Frage verstanden und dir geant
Begegnung auf Frossargon wortet.« »Aber die Antwort ist unbefriedigend«, erwiderte ich. »Sie haben mir nicht verraten, wie Vorry zurückgeholt werden kann. Sie haben nur gezeigt, wo er ist.« »Wenn Vorry nicht zu uns kommen kann, müssen wir zu ihm gehen«, warf Ra ein. Fartuloon lächelte. »Eine kluge Folgerung«, meinte er. »Aber wir können ja nicht dorthin gehen, von wo es keine Wiederkehr gibt. Wir müssen in un serem Universum bleiben, wenn wir den Stein der Weisen finden wollen.« »Und wenn der Weg zum Stein der Wei sen durch ein anderes Universum führt?« fragte ich. »Wir wissen es nicht«, erklärte mein Pfle gevater. »Darum dürfen wir kein Risiko ein gehen. Vorry würde das einsehen, wenn er uns hören könnte.« Als ich nichts darauf erwiderte, blickte er mich fragend an. Doch ich konnte immer noch nichts sagen, denn Fartuloon hatte sich vor meinen Augen auf geradezu unglaubli che Weise verändert. Er war auf zwei Drittel seiner bisherigen Größe geschrumpft, seine Haut hatte einen bläulichen Farbton angenommen, und über den Augen waren ihm zwei Gebilde ge wachsen, die wie die Fühler eines Insekts aussahen. »Was ist los?« fragte Fartuloon. »Warum starrt ihr mich so an? Bin ich ein Ungeheuer geworden?« »Du bist verzaubert worden«, stellte Ra fest. »Wie?« fragte mein Pflegevater, halb er schrocken, halb amüsiert. »Ra hat nicht ganz unrecht, Fartuloon«, erklärte ich. »Du hast dich verwandelt. Wahrscheinlich ist das eine Wirkung, die durch den Kontakt der Fasern hervorgerufen wurde.« Fartuloon betastete sich. Einen Spiegel führten wir leider nicht mit. Aber er merkte auch so, daß er sich verändert hatte. Vor al lem die fühlerähnlichen Gebilde bemerkte er.
13 »Verdammt, was ist das?« entfuhr es ihm. »Eine Metamorphose«, versuchte ich zu erklären. »Ich hoffe, es gibt sich von selber wieder. Ich muß dich schnellstens auf die KARRETON bringen. Vielleicht finden wir im Bordhospital ein Gegenmittel.« Fartuloon holte tief Luft. »Ich möchte vor allem wissen, was sich alles an mir verändert hat. Beschreibe es, Atlan!« sagte er. Ich tat, wie er geheißen. Danach beruhigte sich mein Pflegevater wieder etwas. »Daran sind nur die Fasern schuld«, meinte er. »Ich fürchte, daß wir im ganzen Bordhospital der KARRETON kein Gegen mittel finden werden. Atlan, wenn ich schon verunstaltet bin, dann ist alles gleich. Dann werde ich versuchen, Vorry zu folgen.« »Wir werden ihm beide folgen«, erklärte ich bestimmt. Ich unterrichtete Farnathia darüber, daß Fartuloon und ich ein Experiment durchfüh ren wollten. Falls wir verschwinden und nicht zurückkehren sollten, sollte Farnathia zusammen mit Ra auf die KARRETON zu rückkehren und dafür sorgen, daß das Schiff nach Kraumon flog. Alles andere bliebe dann ihr überlassen. Bevor Farnathia Einwände vorbringen konnte, schaltete ich das Flugaggregat mei nes Schutzanzugs ein und stieg auf. Fartu loon folgte mir. Wir schwebten über die Wipfel der Pseu dobäume und verharrten auf einer Stelle. Unter uns bewegten sich die Baumstäm me, als führe ein heftiger Windstoß durch den Pseudowald. Die langen Faserbündel richteten sich auf, wiesen in unsere Rich tung. Und plötzlich wurde es dunkel …
3. Schlagartig wurde es wieder hell. Ich blickte mich um und wich unwillkür lich zurück, als ich neben mir ein Wesen er blickte, das die Kreuzung aus einem Dra
14 chen und einem Gnomen hätte sein können. Das Wesen schien allerdings über meinen Anblick ebenfalls erschrocken zu sein, denn es wich auch zurück. Rings um uns erkannte ich eine Land schaft aus grauweißen Formen, die sich ständig veränderten. Keine der Formen war mir bekannt. Ich fühlte mich in ein fremdes Universum versetzt. Du bist in einem fremden Universum! raunte mir mein Logiksektor zu. Und du bist diesem Universum teilweiseangeglichen. Das Wort »angeglichen« löste eine unmit telbare Erkenntnis in mir aus. Ich wußte plötzlich, ohne daß ich nach begrifflich-logi schen Regeln, also diskursiv, hätte denken müssen, daß das Monstrum mir gegenüber Fartuloon war. »Fartuloon?« fragte ich. »Atlan?« kam es entgeistert zurück. »Junge, du siehst aus wie eine Kreuzung von Seifenblase und Schlammgeist!« »Wir wurden dem fremden Universum angepaßt«, erwiderte ich. »Der Pseudowald hat uns hierher befördert. Wir müssen sehen, was wir aus der veränderten Lage machen können.« Fartuloon blickte nach oben. »Jedenfalls ist es hell, und das bunte Rie senrad dort oben dürfte eine Sonne sein. Wir sind doch noch nicht völlig angepaßt, Atlan, sonst würden wir die Dinge in diesem Uni versum konkret sehen und nicht verändert.« Das leuchtete mir ein. Eine Sonne mußte auch in einem Paralleluniversum wie eine Sonne im Heimatuniversum aussehen, und die Oberflächenformationen eines Planeten mußten sich so wahrnehmen lassen, daß man sich dazwischen zweckgerichtet bewe gen konnte. Noch während ich das dachte, schien es einen Ruck zu geben – und plötzlich hatte die Landschaft sich verändert. Ich sah, daß der Boden aus einer in allen Farben des Spektrums leuchtenden Masse bestand, auf der sich hier und da Gebilde türmten, die an buntschillernde Seifenblasen erinnerten.
H. G. Ewers Das war aber offensichtlich noch immer ein Trugbild, denn als ich Fartuloon anblick te, sah er diesmal noch immer nicht wie ein Mensch aus, sondern wie ein Gespenst aus halbtransparentem Gallert. »Wie sehe ich aus?« erkundigte er sich. Ich erklärte es ihm. »Schon besser«, meinte er. »Du siehst nämlich genauso aus, mein Junge.« »Also hat unsere Adaption schon einen Fortschritt gemacht«, erwiderte ich. »Ich schlage vor, wir sammeln ein paar handfeste Erfahrungen. Das sollte die Adaption eigent lich beschleunigen.« Ich ging, ohne Fartuloons Antwort abzu warten, auf das nächste Gebilde aus Seifen blasen zu. Die einzelnen Blasen hatten einen Durchmesser von zirka einem halben Meter, und als ich eine von ihnen berührte, fühlte ich Wärme und ein schwaches Pulsieren. »Vielleicht eine Lebensform«, sagte Far tuloon, der ebenfalls eine Hand auf eine der Seifenblasen gelegt hatte. Wie zur Antwort lösten sich die über- und nebeneinander getürmten Seifenblasen von einander, schwärmten aus und kreisten uns ein. Ich hatte dabei allerdings nicht das Ge fühl, als bedrohten sie uns. Die blasenartigen Gebilde pulsierten sichtbar, als sie sich uns immer mehr näher ten. Es war, als wollten sie uns etwas mittei len. Und plötzlich kam der zweite Adaptions sprung! Die Gebilde blieben seifenblasenartig, aber ich konnte durch ihre Oberfläche hin durch pulsierende Organe erkennen. Beson ders interessierten mich die zahlreichen schwarzen glänzenden Flecken unmittelbar unter der Oberfläche. Ich hatte sofort den Eindruck, daß es sich um Sehorgane handel te. Fartuloon hatte sich ebenfalls verändert. Er war wieder Fartuloon. »Wie sehe ich aus?« fragte ich gespannt. »Wie früher auch«, stellte mein Pflegeva ter fest. »Demnach ist die Anpassung abge schlossen. Wahrscheinlich sehen wir jetzt
Begegnung auf Frossargon auch alles andere normal.« »Objektiv«, verbesserte ich ihn. »Eine objektive Wahrnehmung gibt es nicht«, belehrte er mich. »Jedes Lebewesen kann ein anderes Lebewesen immer nur so sehen, wie es seine spezifisch arteigenen und evolutionsbedingten Wahrnehmungsor gane zulassen und wie es die Zweckmäßig keit gebietet.« Ich fragte mich, ob die Kugelwesen unser Gespräch hören konnten. Ihre Haltung zeug te zwar von Aufmerksamkeit, aber diese konnte auch auf die rein optische Wahrneh mung gerichtet sein. Wie sollten wir zu einer Verständigung gelangen, falls die Kugelwesen vielleicht überhaupt meine akustische Verständigung kannten? Und wie sollten wir in diesem fremden Universum Vorry finden? Ich lauschte in mich hinein, wartete auf ein Zeichen meines Extrahirns. Doch es schwieg. Wahrscheinlich wußte es ebenfalls keinen Rat. »Könnt ihr mich hören?« fragte ich. Keine Reaktion. »Laß mich es einmal versuchen«, sagte Fartuloon. Er gestikulierte langsam und mit klaren Bewegungen, wie ich es oft bei ihm gesehen hatte, wenn er mit fremdartigen Intelligen zen Kontakt aufnahm. Doch auch darauf reagierten die Kugelwesen nicht. »Sie haben keine Gliedmaßen«, erklärte ich. »Deshalb können sie mit Gesten nichts anfangen.« »Soll ich vielleicht pulsieren?« gab Fartu loon ungeduldig zurück. Ich runzelte die Stirn. Gab es eine Möglichkeit, etwas zu tun, das dem Pulsieren der Kugelwesen glich? Und wieder kam mir die Erkenntnis intui tiv. Schweben! Die Kugelwesen bewegten sich fort, in dem sie schwebten. Da das außer dem Pul sieren ihre einzige – jedenfalls bisher er
15 kennbare – Möglichkeit war, sich zu bewe gen, hatten sie vielleicht auf dieser Basis ein Kommunikationssystem entwickelt. »Wir müssen schweben«, sagte ich zu meinem Pflegevater. »Durch schwebende Bewegungen auszudrücken versuchen, was uns bewegt.« »Eine Art Ausdruckstanz also«, meinte Fartuloon mit schwachem Lächeln. »Einverstanden, Atlan, versuchen wir es.« Wir schalteten unsere Flugaggregate, die wir nach dem Wechsel in dieses Universum desaktiviert hatten, wieder an und stiegen sehr langsam empor. Die Kugelwesen strebten auseinander, hielten wieder an und schienen zu warten. Fartuloon und ich bemühten uns, Aus druck in unser Schweben zu legen, mit unse ren Flugbewegungen anzudeuten, daß wir aus einem anderen Universum kamen und ein Wesen suchten, das vor uns in dieses Universum verschlagen worden war. Nach einiger Zeit hielten wir erschöpft in ne. Ich blickte die Kugelwesen an und stellte fest, daß zirka die Hälfte uns verlassen hatte. Die anderen Kugelwesen bildeten einen wei ten Kreis um uns und schwebten rhythmisch auf und nieder. »Sie haben uns verstanden!« sagte ich er leichtert. Fartuloon seufzte. »Zumindest wollen sie uns andeuten, daß sie glauben, begriffen zu haben, was wir wollen. Warten wir ab, was weiter ge schieht.«
* Wir warteten fast eine Stunde. Während dieser Zeit schwebten die Ku gelwesen unermüdlich auf und nieder. Sie schienen ebenfalls zu warten. Und plötzlich kehrte die Gruppe zurück, die uns verlassen hatte. Jedenfalls nahm ich an, daß es sich um diese Gruppe handelte, denn feststellen konnte ich das nicht. Für mich sahen diese
16 Lebewesen alle gleich aus. Die Ankömmlin ge konnten deshalb ebensogut von einer der anderen Kugelballungen stammen, die in der Nähe schwebten. Allerdings glaubte ich das nicht so recht, denn die anderen Gruppen hatten sich bisher nicht um uns gekümmert. Die Ankömmlinge reihten sich in den Kreis der anderen Kugelwesen ein und be teiligten sich an dem Schwebetanz. Dabei veränderten sie ihn allmählich. Die Gruppe formierte sich zu einer Pyramide – bis auf zwei Individuen, die außerhalb warteten und dann, als die Pyramide fertiggestellt war, zu ihrer Spitze schwebten und sich dort anhef teten. »Weißt du, was sie damit sagen wollen?« erkundigte sich Fartuloon. »Vielleicht wollten sie damit sagen, wir sollten es nicht auf die Spitze treiben«, ver suchte ich zu scherzen, denn mir gelang eine Deutung dieses Tanzes ebenfalls nicht. Die Kugelwesen schienen zu merken, daß wir sie nicht verstanden hatten. Sie lösten ih re Formation wieder auf, kreisten uns ein und bewegten sich immer schneller um uns herum. Dabei verlagerten sie den Kreis im mer weiter nach einer Seite, so daß wir uns mitbewegen mußten, wenn wir keine Kolli sion riskieren wollten. »Vielleicht sollen wir in eine bestimmte Richtung geschickt werden«, meinte Fartu loon. »Versuchen wir doch, ob das stimmt«, antwortete ich. Wir schalteten abermals unsere Flugag gregate an, starteten und schlugen die Rich tung ein, die die Kugelwesen uns anschei nend gewiesen hatten. Dabei überflogen wir ihren Kreis, weil wir sonst zu langsam vor angekommen wären. Leider achteten wir aus Unkenntnis nicht darauf, daß wir uns einer anderen Gruppe von Kugelwesen näherten. Wir merkten nur, daß »unsere« Gruppe plötzlich aufgeregt war, und als wir nur noch wenige Meter von der fremden Gruppe entfernt waren, löste sich »unsere« Gruppe auf und verschwand. Das ging so schnell, daß wir außerstande
H. G. Ewers waren, die einzelnen Kugelwesen der Grup pe länger als einige Sekunden mit den Au gen zu verfolgen. Wir drosselten die Flugaggregate, lande ten und schalteten sie ab. »Das war ein etwas plötzlicher Ab schied«, bemerkte Fartuloon verdrießlich. »Sind sie nun weggeflogen, weil wir uns in die richtige Richtung bewegten, oder haben wir irgend etwas falsch gemacht, Atlan?« Ich musterte die Gruppe, in deren Nähe wir gelandet waren. Die Kugelwesen zeigten offensichtlich Interesse an uns. Sie schweb ten zuerst nach allen Seiten auseinander, entfernten sich aber nicht weit, sondern kehrten zurück und bildeten eine weite Ku gelschale um uns. Die erste Gruppe zog sich zurück, weil sie annahm, ihr würdet der zweiten Gruppe den Vorzug geben! teilte mir der Logiksektor meines Extrahirns mit. Es kann allerdings auch andere Gründe dafür gegeben haben. Ich teilte es meinem Pflegevater mit. Fartuloon stöhnte. »Jetzt fängt der ganze Zirkus von vorn an!« entfuhr es ihm. »Wahrscheinlich müs sen wir alles wiederholen – und wir müssen diesmal achtgeben, daß wir nicht wieder ei ner anderen Gruppe zu nahe kommen.« Ich war auch nicht erfreut darüber, daß wir praktisch von vorn anfangen mußten. Aber bald zeigte sich, daß wir durch die Be gegnung mit der ersten Gruppe der Kugelwesen gelernt hatten. Wir wußten ungefähr, wie wir uns auszudrücken hatten – und die Verständigung klappte erheblich schneller als beim erstenmal. Auch aus dieser Gruppe von Kugelwesen entfernte sich etwa die Hälfte aller Individu en, während die anderen die Abwesenheit dadurch überbrückten, daß sie unermüdlich auf und nieder schwebten. Endlich kehrte die andere Hälfte zurück. Wieder bildete die Gruppe eine pyrami denförmige Formation – bis auf zwei Indivi duen, die außerhalb warteten und sich dann an die Spitze der Pyramide hefteten. »Vielleicht sollten wir ebenfalls dort anle
Begegnung auf Frossargon gen«, sagte Fartuloon. Wir verständigten uns durch einen kurzen Blick, dann aktivierten wir wieder unsere Flugaggregate und schwebten zu den beiden Kugelwesen, die sich an die Spitze der Pyra mide geheftet hatten. Plötzlich stieg die gesamte Pyramide senkrecht empor. Wir wurden angestoßen und schalteten unsere Antigravgeneratoren auf maximale Leistungsgabe, damit es kei nen harten Aufprall gab. Die Pyramide stieg höher und höher, wo bei sie uns praktisch vor sich her schob. Als die Luft zu dünn zum Atmen wurde, klappten Fartuloon und ich unsere Druckhel me zu und schalteten die Helmfunkgeräte ein. »Ich bin gespannt darauf, ob die Burschen ohne Raumschiffe oder Schutzanzüge Raumfahrt treiben wollen«, erklärte mein Pflegevater. »Es scheint so«, erwiderte ich, als mein Detektor nur noch Restspuren der Atmo sphäre anzeigte. Die Kugelwesen schienen sich im luftleeren Raum genauso wohl zu fühlen wie in der Atmosphäre dicht über der Oberfläche ihres Planeten. Ich fragte mich, ob sie uns vielleicht zu einem Nachbarplaneten bringen wollten, als voraus etwas Glitzerndes auftauchte. Als wir näher kamen, sah ich, daß es sich entweder um das Wrack eines Raumschiffs oder um eine Raumstation handeln mußte, die im Orbit um den Planeten der Kugelwe sen trieb. Es war ein skurriles Gebilde, scheinbar sinnlos aus fragmentarischen Bauteilen zu sammengefügt. Den mittleren Durchmesser dieses Gebildes schätzte ich auf drei Kilo meter. Das waren beachtliche Abmessungen. Die Kugelwesen luden uns auf einer klei nen Plattform des Gebildes ab und ver schwanden wieder in Richtung der Plane tenoberfläche. Als ich meinen Pflegevater etwas ratlos ansah, deutete er auf das Gebilde unter unse ren Füßen, was wohl heißen sollte, daß wir diese riesige technische Monstrosität durch
17 suchen sollten. Ich seufzte resignierend. »Also schön, fangen wir an!« erklärte ich.
* Zuerst suchten wir nach einem Eingang. Wir fanden ihn etwa eine halbe Stunde später, nachdem wir die Ein- und Ausbuch tungen des Gebildes lange Zeit vergeblich abgesucht hatten. Es handelte sich um ein sternförmiges Schott mit einem grünen Lichtfleck in der Mitte, das sich öffnete, als Fartuloon den Lichtfleck berührte. Eine kreisförmige Öff nung entstand. Das Licht unserer Helmscheinwerfer drang unsichtbar durch eine luftleere Schleusenkammer und zauberte am Innen schott helle Kreise. Wir stiegen ein und warteten. Tatsächlich schloß sich das Außenschott wieder. Die Decke strahlte plötzlich in ro tem Licht, und nach einer Weile zischte Luft in die Kammer. »Eine normale Sauerstoffatmosphäre«, sagte Fartuloon nach einem Blick auf seinen Detektor. »Etwas mehr Sauerstoff als auf den Arkonwelten, dafür weniger Stickstoff. Die Temperatur beträgt siebenundfünfzig Grad.« »Dann lassen wir die Helme lieber ge schlossen«, erwiderte ich. Auf den Arkon welten herrschten zwar auch hohe Tempera turen, aber siebenundfünfzig Grad waren doch etwas zuviel. »Eines scheint festzustehen«, meinte mein Pflegevater nachdenklich. »Die Erbauer der Station stammen nicht von dem Planeten der Kugelwesen, sonst hätten sie ihre Klimaan lage nicht auf so hohe Temperaturen einge stellt.« Das klang logisch, obwohl ich zur Zeit nichts damit anfangen konnte. Für mich war es interessanter, daß die Einrichtungen der Station, soweit wir das bisher festgestellt hatten, noch funktionierten. Es konnte also durchaus sein, daß die Station noch besetzt
18 war, was wiederum problematisch werden konnte. Vorerst aber ging es darum, überhaupt erst einmal in die Station einzudringen. Ich drückte den grünen Fleck, der auch am In nenschott vorhanden war. Wieder bildete sich eine kreisförmige Öffnung. Dahinter lag ein schnurgeradeaus führen der, von rotem Licht erhellter Gang mit sternförmigem Querschnitt. Nur der Boden war eben, und er floß langsam in zwei ent gegengesetzte Richtungen. Wir betraten das Fließband, das von der Schleuse ins Innere der Station führte und ließen uns davontragen. Es war ein angeneh mes Gefühl, voller Leichtigkeit und ohne Nebengeräusche. Nur das blutrote Licht störte ein wenig. Es beunruhigte mich, ob wohl ich mir sagte, daß die rote Färbung von den Erbauern sicher vorgesehen worden war, weil sie rotes Licht gewohnt waren. Aber als wir rund zwanzig Minuten laut los dahingeschwebt waren und sich immer noch kein Ende des Korridors anzeigte, ver wandelte sich die Unruhe in Besorgnis. »Wie lange kann es völlig geradeaus wei tergehen, ohne daß wir das andere Ende der Station erreichen?« fragte ich. »Das weiß ich auch nicht«, antwortete mein Pflegevater. »Eigentlich müßten wir schon am anderen Ende angelangt sein. Ich habe das Fortbewegungstempo abgeschätzt. Es dürfte bei sieben Kilometern in der Stun de liegen.« »Dann steigen wir irgendwo ab«, meinte ich. »Ich weiß nicht!« erwiderte Fartuloon. »Vielleicht sollten wir zuerst ausprobieren, wie lange es so weitergeht. Ich habe da einen bestimmten Verdacht.« »Von mir aus«, sagte ich. »Was für einen Verdacht hast du, alter Bauchaufschneider?« Aber Fartuloon schwieg sich aus. Da ich wußte, daß er sich niemals zu einer Antwort drängen ließ, die er nicht geben wollte, schwieg ich ebenfalls. Ich beobachtete aufmerksam die Wände,
H. G. Ewers in denen hier und da Öffnungen zu sehen waren, hinter denen andere Transportbänder vom Hauptkorridor wegführten. Aus allen Öffnungen fiel das gleiche rote Licht, wie es auch im Hauptkorridor herrschte. Aber nirgendwo regte sich etwas. Die Station schien unbesetzt zu sein, ob wohl die Beleuchtung, die Klimaanlage, die Fließbänder und die Schotte funktionierten. Irgendwie erschien mir das widersinnig. Um eine vollautomatische Station, die nicht für eine Besatzung vorgesehen war, konnte es sich deshalb nicht handeln, weil sich dann die Fließbänder erübrigt hätten. Abermals blickte ich auf meinen Arm band-Chronographen. Inzwischen glitten wir fast vierzig Minu ten auf dem Fließband dahin, ohne ans ande re Ende der Station gelangt zu sein. Wie war das möglich? Es ist dann möglich, wenn es ein soge nanntes Endlos-Fließband-System gibt, das spiralförmig immer wieder um die eigentli che Station herumführt! sagte mein Extra sinn. Bei künstlicher Schwerkraft spürt man davon nichts. »Wartest du darauf, daß wir unseren Aus gangspunkt wieder erreichen, Fartuloon?« fragte ich. Mein Pflegevater machte eine unkontrol lierte Bewegung und wäre beinahe gestürzt. »Woher weißt du …?« setzte er an, dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die vordere Druckhelmrundung. »Ich hatte dein Extrahirn ganz vergessen!« rief er. »Ja, natürlich hoffe ich, daß wir in der Nähe un seres Ausgangspunkts vorbeikommen.« »Davon dürften wir nichts merken, wenn der Hauptkorridor sich spiralförmig am das Innere der Station windet«, erklärte ich. »Deshalb schlage ich vor, wir steigen ab und dringen in einen Seitenkorridor ein. Ich habe nämlich keine Lust, tagelang um die Station zu kreisen.« »Einverstanden!« rief Fartuloon. »Die übernächste Öffnung rechts!« Rasch glitt die von Fartuloon bezeichnete Öffnung heran. Ich sprang von unserem
Begegnung auf Frossargon Band und landete mit den Füßen auf dem Fließband hinter der Öffnung. Fartuloon kam einen Moment später an. Wieder glitten wir vorwärts. Diesmal wurde es jedoch keine endlose Fahrt. Schon nach wenigen Minuten endete das Fließband vor einer Öffnung, hinter der eine Art Gewächshaus lag. Wir sprangen ab und traten in das Ge wächshaus ein. Es war riesig, eine Halle von mindestens achthundert Metern Durchmes ser und hundert Metern Höhe, und auf gel bem krümeligen Boden wuchsen die bizarr sten Gewächse, die ich je gesehen hatte. »Was sollen wir hier?« fragte mein Pfle gevater nach einem langen Rundblick. Das wußte ich auch nicht. Ich wußte nur, daß wir irgendwo anfan gen mußten zu suchen: nach Vorry, nach dem Geheimnis dieser Station – und nach ei nem Hinweis darauf, wie wir wieder in un ser eigenes Universum kommen sollten.
4. Langsam und vorsichtig drangen wir in den künstlich angelegten Dschungel ein. Unsere Vorsicht machte sich bezahlt, wie wir sehr bald feststellen konnten. Wir blieben stehen, als wir vor zwei selt samen Bäumen mit gummiartigen Stämmen und hellblauen Ästen mit quadratischem Querschnitt ankamen. »Irgendwie scheint eine Drohung von die sen beiden Bäumen auszugehen«, sagte ich über Helmtelekom. »Hm!« machte Fartuloon. »Die Bäume sehen merkwürdig aus, das gebe ich zu, aber bedrohlich …? Warnt dein Extrasinn dich?« »Ja, ich spüre Warnimpulse«, antwortete ich. »Dann umgehen wir die Bäume lieber«, meinte Fartuloon. In diesem Moment tauchten drei Lebewe sen auf, kleine buntgefiederte Tiere, die auf zwei hornhautbesetzten Beinen liefen und kurze Flügel besaßen, die offensichtlich nicht zum Fliegen geeignet waren.
19 Die Tiere stießen abgehackte Laute aus und rannten sehr flink zwischen den kleine ren Pflanzen hindurch. Gespannt beobachtete ich, daß sie genau auf die Lücke zwischen den beiden seltsa men Bäumen zuliefen. Das erste Tier kam unbelästigt durch, das zweite ebenfalls, und schon wollte ich meine Meinung über diese Bäume revidieren, als plötzlich zwei der knallgelben Früchte platzten und einen Schauer winziger, metallisch blitzender Sa men oder Sporen auf das dritte Tier schleu derten. Der Laufvogel rannte noch einige Schrit te, dann blieb er stehen, knickte ein, flatterte noch einmal mit den Flügeln und legte sich dann auf die Seite. Aus seinem Körper schossen glitzernde Fäden, eine ganze Menge, und woben sich um das offenbar tote Tier herum, bis es von einer Art Kokon eingehüllt war. Die ersten beiden Tiere liefen weiter. Mein Pflegevater blickte mich ernst an und sagte: »Ein Glück, daß es deinen Extrasinn gibt, sonst läge vielleicht einer von uns an der Stelle des Tieres. Diese Bäume sind gefähr lich.« Wir schlugen einen weiten Bogen um die se beiden Bäume. Als wir an einem Ge wächs vorbeikamen, das praktisch nur aus einer Blattrosette und einer riesigen irisie renden Blüte bestand, schossen zahlreiche klebrige Fäden aus der Blüte und schlangen sich blitzschnell um mich. Bevor ich reagieren konnte, war ich be wegungsunfähig. Fartuloon zog seinen Thermostrahler und zerstrahlte die Blüte, dann zog er sein Schwert und versuchte, die klebrigen Fäden zu zerschneiden. »Ich muß dir eine Hitzedusche geben, At lan«, sagte mein Pflegevater über Helmfunk. Er verstellte seinen Thermostrahler auf maximale Streuung und geringe Abgabelei stung, dann richtete er ihn auf mich und be strahlte mich einige Sekunden lang. Die Fäden reagierten erst, als die Hitze so
20 stark wurde, daß die Oberflächenbeschich tung meines Schutzanzugs Blasen warf. Dann verfärbten sie sich schwarz, schrumpf ten und fielen von mir ab. »Das ist ein ziemlich hartnäckiges Zeug«, meinte Fartuloon. »Wie geht es dir, mein Junge?« »Mir geht es gut«, antwortete ich. »Nur die Klimaanlage meines Schutzanzugs heult protestierend. Sie ist überlastet worden. Noch eine Minute länger, und ich hätte ge kocht.« »Am liebsten möchte ich diesen Dschun gel gleich wieder verlassen«, meinte Fartu loon. »Wer weiß, was für Gefahren noch auf uns lauern.« »Dort vorn ist ein Weg«, sagte ich. »Wenn wir ihn erreichen, kommen wir si cher besser voran.« Ich deutete nach vorn, wo hinter einem Strauch mit silbrig schimmernden Blättern ein schmaler Plattenweg zu sehen war. Mein Pflegevater runzelte die Stirn. »Bist du sicher, daß der Weg vorhin auch schon da war?« erkundigte er sich. »Ich ha be ihn nämlich vorher nicht gesehen.« »Sicher bin ich nicht«, antwortete ich. »Ich sah ihn auch erst jetzt. Aber jedenfalls ist er vorhanden.« Fartuloon brummte etwas vor sich hin, was ich nicht verstehen konnte. Er behielt beide Waffen in den Händen, und ich zog vorsichtshalber auch meinen Thermostrah ler. Als er den Busch mit den silbrig schim mernden Blättern erreichte, führte mein Pflegevater einen Schwertstreich gegen ihn. Es klirrte und klingelte so laut, daß Fartu loon erschrocken zurückwich. Zahlreiche silbrige Blätter fielen vom Strauch. Die, die auf den Plattenweg fielen, erzeugten ein Klimpern, wie es sonst nur Metallscheiben – beispielsweise Münzen – erzeugten. Fartuloon hob eines der Blätter vorsichtig mit zwei Fingerspitzen auf und musterte es. »Fühlt sich an wie Silber und hat auch un gefähr das Gewicht, als bestünde es aus Sil ber«, sagte er überrascht. »Davon stecke ich
H. G. Ewers mir mehr ein.« »Das würde ich nicht tun«, warnte ich. Aber mein Pflegevater hörte nicht auf mich. Er stopfte die Außentaschen seines Schutzanzugs voll Blätter. Ich tat es ihm nicht nach, obwohl ich dies mal keinen Warnimpuls meines Extrasinns spürte. Aber ich war vorsichtig geworden. Als in Fartuloons Außentaschen kein Platz mehr war, gingen wir weiter. Der Weg war tatsächlich ein Weg, und wir wurden nicht mehr angegriffen, während wir auf dem Plattenweg weitergingen. Unge hindert erreichten wir das andere Ende des Gewächshauses. Und plötzlich öffnete sich vor uns ein Tor. In der Öffnung erschien eine kugelförmi ge Energiesphäre, und in der Sphäre saß Vorry. Der Magnetier blickte uns – spöttisch, wie es mir schien – von oben herab an und sagte: »Willkommen in Engidus Reich! Ihr habt die Prüfungen bestanden und sollt zu Wäch tern der Unterweltspforte gemacht werden.« »Wir sind froh, daß du noch lebst, Vor ry«, erwiderte Fartuloon. »Lange haben wir nach dir gesucht. Aber was meinst du mit Engidus Reich?« »Ich bin Engidu, und das hier ist mein Reich«, antwortete der Magnetier. »Ihr aber seid meine auserwählten Diener. Folgt mir!« Fartuloon und ich wechselten einen Blick. Wir wußten beide noch nicht, wie wir uns Vorrys seltsames Verhalten erklären sollten. Aber wir verständigten uns, dem Magnetier vorerst zu folgen und zu versuchen, mehr über »Engidus Reich« zu erfahren.
* Vorry schwebte uns in seiner Energie sphäre voraus bis zu einem weiteren Tor. Hinter diesem Tor aber leuchtete kein ro tes Licht wie sonst überall in der Station. Dahinter herrschte Finsternis, eine Finster nis, die hin und wieder von geisterhaften bläulichen Entladungen zerrissen wurde.
Begegnung auf Frossargon »Das ist die Pforte zur Unterwelt!« ver kündete Vorry. »Ihr werdet darüber wachen, daß das Böse nicht herüberkommt.« »Wenn es weiter nichts ist«, erwiderte Fartuloon. »Und nun höre mir einmal genau zu! Atlan und ich sind dir in dieses Univer sum gefolgt, weil wir dich nicht einem unge wissen Schicksal überlassen wollten. Aber du scheinst dich nicht einmal über unsere Ankunft zu freuen. Was ist los mit dir, Vor ry?« »Ich bin nicht Vorry, wer immer das sein mag«, entgegnete der Magnetier. »Ich bin Engidu, und ich kenne weder einen Atlan noch sonst jemanden.« »Aber ich bin Atlan!« rief ich und trat einen Schritt vor. »Erinnerst du dich nicht mehr an die Torrelions und daß ich dich aus ihrem Kerker befreit habe?« »Die Torrelions …?« sagte Vorry nach denklich. »Mir ist, als hätte ich diesen Na men schon einmal gehört. Doch das spielt keine Rolle. Ich habe eine halbe Ewigkeit auf jemanden gewartet, der das Wächteramt übernehmen kann. Nun seid ihr da. Das al lein ist wichtig.« »Das ist überhaupt nicht wichtig!« schrie ich erregt. »Wir gehören alle drei nicht in dieses Universum. Es ist nicht unser Univer sum. Wir müssen zurück, weil wir eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben. Weißt du denn nicht mehr, daß wir den Stein der Weisen suchen und daß wir ihn vor Orbana schol finden müssen, Vorry?« »Den Stein der Weisen?« echote Vorry. »Aber den hat Tragfos der Dritte schon vor über tausend Jahren gefunden. Er wollte ihn dazu benutzen, alleiniger Herrscher über das Universum zu werden. Ein Experiment von ihm öffnete die Pforte zur Unterwelt und ließ das Böse herüberkommen. Es verur sachte ein grauenhaftes Chaos, bevor es von mir zurückgetrieben wurde. Aber die Pforte hat sich nicht geschlossen, und so muß sie ständig bewacht werden, denn wenn das Bö se ein zweitesmal herüberkommt, wird es das Universum in ewige Finsternis versin ken lassen.«
21 Ich schluckte hörbar. In diesem Universum also war der Stein der Weisen schon gefunden worden, und zwar von einem Mann namens Tragfos. Es fiel mir nicht schwer, zu erkennen, daß Tragfos der Sofgart dieses Universums war. Wenn man den Namen von hinten nach vorn las, merkte man es. Und dieser Verbrecher hatte hier den Stein der Weisen gefunden. Aber es hatte ihm offenbar nichts genützt. Vielleicht war das ein gutes Omen für uns. Es konnte bedeuten, daß auch dem Sof gart unseres Universums, wenn er den Stein zuerst fand, der Besitz dieses kosmischen Kleinods kein Glück bringen würde – und Orbanaschol auch nicht. Es konnte aber auch bedeuten, daß der Blinde Sofgart und Orbanaschol mit Hilfe des Steines ebenfalls das Chaos über unser Universum bringen würden – falls sie ihn bekamen. Das aber durfte nicht sein. Wenn ich es nur Vorry erklären konnte. Aber der Magnetier hatte offenbar alle Erin nerungen an sein eigenes Universum verlo ren und war in eine Rolle hineingewachsen, die uns unwirklich vorkam. Die aber nicht unwirklicher ist als deine Rolle in deinem Universum! teilte mir der Logiksektor meines Extrahirns mit. Vorry erfüllt als Engidu eine lebenswichtige Funk tion für dieses Universum. »Ich schlage vor, wir gehen wieder, At lan«, sagte Fartuloon. »Ihr werdet nicht gehen!« rief Vorry-En gidu. Im nächsten Augenblick entstand hinter uns eine flimmernde Energiebarriere. »Wir werden nicht gehen, Vorry«, erklär te ich. »Jedenfalls nicht, bevor wir eine Möglichkeit gefunden haben, dieses Tor zur Unterwelt für immer zu schließen.« »Aber wir müssen zurück, Atlan!« sagte mein Pflegevater beschwörend. »Nein, Fartuloon«, entgegnete ich. »Wir haben eine moralische Verpflichtung den In telligenzen dieses Universums gegenüber, auch wenn wir uns unsere Aufgabe nicht
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ausgesucht haben. Wir können einfach nicht zulassen, daß dieses Universum in ewiger Finsternis versinkt.« »Aber das ist doch alles Unsinn, Aber glaube!« wetterte Fartuloon. »Tor zur Unter welt, pah! So etwas gibt es doch nur in Mär chen!« Ich lächelte. »Zauberei gibt es auch nur in Märchen«, erwiderte ich. »Dennoch nennst du dein Skarg Zauberschwert.« »Es ist ein Zauberschwert!« rief Fartu loon. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Er starrte zuerst Vorry, dann mich verblüfft an, dann zog er sein Schwert und hielt die Klin ge prüfend hoch. »Ich nehme alles zurück«, erklärte er. »Selbstverständlich gibt es Zauberei, auch wenn der Begriff ›Zauberei‹ nur für bisher wissenschaftlich nicht erklärbare Phänome ne steht, die dennoch ihren eigenen Geset zen gehorchen. So ähnlich wird es sich mit dem Tor zur Unterwelt verhalten.« »Ich freue mich über deine Einsicht«, sag te Vorry. »Und nun hütet das Tor gut. Ich komme bald wieder.« Er schwebte in seiner Sphäre davon. Fartuloon und ich sahen uns an, dann sag te mein Pflegevater grollend: »Wenn du mich jetzt auslachst, haue ich dir das Skarg um die Ohren, mein Junge!« »Ich kann zur Zeit gar nicht lachen«, er widerte ich. »Ich muß nämlich immer daran denken, was wir tun sollen, wenn aus dem Tor zur Unterwelt tatsächlich das Böse her vorquillt – wie immer es sich auch zeigen mag.«
* Uns war gar nicht wohl in unserer Haut, als wir vor dem Tor zur Unterwelt Wache standen. Vorry hatte zwar die Energiebarrie re hinter uns wieder desaktiviert, aber eine Flucht erschien uns nicht nur sinnlos, son dern auch indiskutabel. Ungefähr dreieinhalb Stunden waren ver
gangen, als die geisterhaft bläulichen Entla dungen in der Finsternis auf der anderen Seite des Tores plötzlich an Intensität zunah men. Ein wahres Feuerwerk tobte, ohne daß ein Laut zu hören gewesen wäre. Dann wurde es kalt, so schlagartig, daß ich das Gefühl hatte, eine imaginäre Faust aus Eis würde meinen nackten Körper um schließen und allmählich zusammenpressen. Ich rang mühsam nach Atem, während ich festzustellen versuchte, warum die Klimaan lage meines Schutzanzugs die Kälte nicht fernhielt. Plötzlich schob sich eine wesenlose fin stere Masse durch das Tor auf unsere Seite, eine formlose Ballung aus purem Nichts, in dem violette Bahnen aus Licht ihre Fäden woben. Fäden, die das verwüstete Gesicht des Blinden Sofgart nachzeichneten. »Fartuloon!« rief ich mit letzter Kraft. »Das Skarg! Benutze dein Skarg!« Langsam sank ich in die Knie. Ich sah, daß mein Pflegevater schwankte und vergeblich versuchte, eine Hand an den Schwertknauf zu bekommen, um den Skarg aus der Scheide zu ziehen. Er konnte die kältestarren Hände nicht mehr bewegen. Und immer deutlicher wurden die violet ten Konturen von des Blinden Sofgarts Ge sicht …! Ich kippte weiter nach vorn, stützte mich mit den Händen ab … Ich stützte mich mit den Händen ab! Also konnte ich die Hände noch einiger maßen bewegen, im Unterschied zu Fartu loon. Mühsam kroch ich auf Händen und Knien zu meinem Pflegevater, der völlig zu Eis er starrt schien. Ich erreichte ihn, zog mich an seinen Beinen hoch, faßte seinen Waffengurt und tastete mich nach seinem Schwert. Da war das Skarg! Ich zog das Schwert aus der Scheide. Beinahe hätte ich es nicht mehr geschafft, denn nun erstarrte auch mein Körper zu Eis. Als die Klinge durch die Luft schnitt, glaub te ich, einen tiefen Seufzer zu hören, dem
Begegnung auf Frossargon ein fürchterliches Geheul folgte. Von der Klinge des Schwertes ging ein seltsames Leuchten aus. Ich konnte es gera de noch mit einer letzten Anstrengung nach dem Schädel des Sofgart-Gespenstes wer fen. Ein schrecklicher Schrei ertönte, so laut und so grausig, daß ich glaubte, das Univer sum würde bersten. Plötzlich wich die Kälte von mir; die Star re meines Körpers wurde gebrochen. Ich sah noch, wie im Tor zur Unterwelt graue Schat ten wogten, dann brach ich zusammen. Als nach unbestimmbarer Zeit die Be wußtlosigkeit wich, wälzte ich mich auf die Seite. Ich sah Fartuloon, der ebenfalls gerade aus einer Ohnmacht erwacht war, denn er lag auch auf der Seite, und erst allmählich kehrte etwas Glanz in seine Augen zurück. Dann ertönte eine Stimme – Vorrys Stim me. »Ihr habt das Böse besiegt!« rief er aus. »Sehet, das Tor zur Unterwelt hat sich ge schlossen!« Ich richtete mich auf. Tatsächlich, das Tor, hinter dem in der Finsternis bläuliche Entladungen getobt hat ten, gab es nicht mehr. Aber ein Tor war dennoch vorhanden. Doch dahinter schimmerte fahles Licht, und in seinem Schein erblickte ich die un deutliche Gestalt eines Mannes, der neben dem Zerrbild eines Gerätes stand, das mir bekannt vorkam. »Ra!« stieß Fartuloon neben mir hervor. »Es ist Ra. Er steht neben dem VideoProjektor auf Than Ard.« »In unserem Universum?« fragte ich un gläubig. »Ja, in unserem Universum, Atlan, mein Freund«, sagte Vorry, und seine Stimme klang ungewohnt weich, gar nicht wie die eines Eisenfressers. »Ich erhielt meine Erin nerung zurück, als das Tor zur Unterwelt sich geschlossen hatte und das Tor in unser Universum an seine Stelle trat.« Die undeutliche Gestalt Ras schwenkte et
23 was. »Mein Skarg!« rief Fartuloon. »Wie kommt mein Skarg hinüber in unser Univer sum?« »Ich würde nicht zuviel verlangen«, er klärte ich. »Man kann nicht auf jede Frage eine Antwort bekommen. Geben wir uns da mit zufrieden, daß wir dieses Universum vor dem Bösen in der Gestalt des Blinden Sof gart – oder Tragfos, wie er hier hieß – geret tet und einen Weg zurück gefunden haben.« Ich wandte mich an Vorry. »Du kommst doch mit hinüber?« »Ja, Atlan«, antwortete der Magnetier. »Also, dann wollen wir gehen«, sagte mein Pflegevater mit belegter Stimme. »Mein Schwert ist ja schon vorausgegangen und hat uns den Weg gezeigt. Jetzt kann ich wieder hoffen, daß wir auch in unserem Uni versum den Blinden Sofgart besiegen wer den.« Ja! dachte ich. Wir werden siegen, denn wir haben schon einmal gesiegt. Ich wußte genau, daß dieser Gedanken gang der logischen Grundlage entbehrte, aber in diesem Augenblick bedeutete mir Logik nichts. »Gehen wir!« sagte ich.
5. Wir traten durch das Tor – und standen im nächsten Augenblick Ra gegenüber. Der Barbar blickte uns strahlend an. »Ihr seid wieder hier«, sagte er erleichtert. »Ich fürchtete schon, ich würde euch nie mals wiedersehen. Und Farnathia …« »Atlan!« erscholl ein Schrei im Empfän ger meines Helmfunkgeräts. »Ja, ich bin es, Farnathia«, sagte ich weich. »Es ist alles gut, und ich liebe dich.« »Ich dich auch, Atlan«, erwiderte Farna thia mit tränenerstickter Stimme. »Bleib im Boot!« befahl ich. »Wir kom men gleich.« Ich sah mich um und entdeckte, daß das Wäldchen, durch dessen hyperphysikalische Kräfte wir in ein anderes Universum ver
24 schlagen worden waren, nicht mehr existier te. An seiner Stelle bedeckte ein flacher Hü gel aus grauweißer krümeliger Substanz den Boden. »Was ist mit den Bäumen geschehen, Ra?« erkundigte ich mich. »Sie zerfielen vor ungefähr einer Stunde«, antwortete der Barbar. »Kurz nachdem die Götter ein großes Glücksgefühl über mich gesandt hatten.« »Das muß zum Zeitpunkt des Zusammen bruchs des Tores in die Unterwelt gewesen sein«, sagte Fartuloon. »Aber was soll der Unsinn mit dem großen Glücksgefühl, das angeblich die Götter schickten?« »Ich ahne etwas«, sagte ich leise. »Die Bäume – wahrscheinlich alle gleichartigen Bäume von Than Ard, haben auf irgendeine geheimnisvolle Weise mit dem anderen Uni versum in Verbindung gestanden. Wahr scheinlich litten sie unter der Drohung des Bösen, die über dem anderen Universum schwebte. Als die Drohung erlosch, muß für sie der Zwang zum Weiterleben erloschen sein. Sie starben glücklich, weil sie sterben durften.« Ich holte tief Luft. »Das mag sich so oder so ähnlich verhal ten haben, aber mein Gefühl sagt mir, daß ich der Wahrheit recht nahe gekommen bin. Als die Intelligenzen von Than Ard Frossar gon besuchten, erlitten sie ein Schicksal, das sie als Verdammnis bezeichneten. Sie kehr ten nach Than Ard zurück und wurden das, als was wir sie dann vorfanden. Sie hinter ließen auf Frossargon eine Botschaft, in der Hoffnung, daß irgendwann jemand kommen und sie erlösen würde. Nun hat sich ihre Hoffnung erfüllt.« »Und wir dürfen wieder hoffen«, sagte Fartuloon ernst. »Ich schlage vor, wir kehren schnellstens nach Frossargon zurück. Ich fühle, daß wir dort nicht nur den steinernen Dämon, sondern auch eine neue Spur zum Stein der Weisen finden werden.« Wir setzten uns in Bewegung, um zum Beiboot zu gehen. Unterwegs aber fielen wir in Trab, und als wir das Fahrzeug sahen,
H. G. Ewers rannten wir. Die Luftschleuse öffnete sich. Farnathia stand in der Öffnung. Sie fiel mir um den Hals, und wir küßten uns leiden schaftlich. Dann aber riß ich mich los und setzte mich hinter die Steuerung. Auch mei ne Gefährten nahmen ihre Plätze ein. Kurz nach dem Start rief Fartuloon die KARRETON an und teilte der Besatzung mit, daß wir wieder nach Frossargon flogen. Mehr sagte er nicht, was verständlich war, denn auch ich hätte das, was wir auf Than Ard und im anderen Universum erlebt hat ten, nicht beschreiben können – nicht jetzt. Dazu war ich noch viel zu aufgewühlt. Die Zeit bis zur Ankunft vor Frossargon wollte und wollte nicht vergehen. Wir alle fieberten der Landung auf diesem Planeten entgegen, obwohl keiner von uns hätte kon kret sagen können, was er sich dort erwarte te. In meinem Eifer verzichtete ich auf eine Umkreisung Frossargons und setzte statt dessen sofort zum Eintauchmanöver in die Atmosphäre an. Vielleicht wäre manches anders gekom men, wenn ich mich an die ungeschriebenen Regeln der Galaktonautik gehalten hätte. Aber ich war nicht in der psychischen Ver fassung, mich strikt an Regeln zu halten, die ich in unserem Fall für überflüssig hielt. Im merhin waren wir ja erst vor kurzem auf Frossargon gewesen. Das Beiboot tauchte in die Atmosphäre ein. Der Prallfeldschirm ionisierte die auf prallenden Luftmassen, und hinter dem Boot bildete sich ein Schlauch leuchtender Gase. Etwa tausend Meter über der Wüste, in der wir zuerst nach dem steinernen Dämon gesucht hatten, richtete ich das Boot wieder auf und ging zum Horizontalflug über. Die Geschwindigkeit hatte ich schon vorher ge drosselt. Im Zentrum der Wüste tobte ein Sand sturm, und ich zog unser Beiboot vorsichts halber höher und überflog das Sturmgebiet. Als wir hinter der Zone wieder hinabgin gen, erblickten wir den jenseitigen Rand der
Begegnung auf Frossargon Wüste – und noch etwas. In einer Talmulde stand ein riesiges, wie pures Gold schimmerndes Gebilde. Es sah aus wie zwei mit ihren Grundflächen ver bundene Pyramiden, und die Gesamthöhe mußte tausend Meter betragen. Eine Erinnerung durchfuhr mich. Ich hatte irgendwann schon einmal von einem sol chen Gebilde gehört. Bevor ich mich recht erinnern konnte, vernahm ich Ras Schrei. »Der Götterberg!« schrie der Barbar mit sich überschlagender Stimme. »Ischtar!« Plötzlich wußte ich, wo ich schon einmal von diesem Gebilde gehört hatte. Ra selbst hatte uns von dem Raumschiff, das einer Doppelpyramide glich, erzählt, von dem Raumschiff, mit dem die Varganin Ischtar auf seinem Heimatplaneten gelandet war. Ischtar und Ra hatten sich damals geliebt, und diese Liebe hatte einen gewaltigen Ein druck auf den Jäger gemacht. Ich brachte unser Beiboot auf einen Aus weichkurs, der hart nach Steuerbord führte. Auf keinen Fall wollte ich direkt dieses rie sige Schiff anfliegen. Die Besatzung konnte das für einen Angriff halten und dement sprechend reagieren. Aber als das Boot nach Steuerbord ab schwenkte, schrie Ra wild: »Nein, Atlan! Nicht fortfliegen! Ich muß zu Ischtar!« Bevor ich reagieren konnte, hatte er sich auf mich gestürzt, mich auf dem Konturses sel gezogen und sich selbst hinter die Kon trollen gesetzt. Das Beiboot kippte nach Backbord, voll führte eine Rolle über seine Längsachse und neigte dann den Bug steil nach unten. Ich versuchte, wieder an die Kontrollen zu gelangen. Ra blickte mich mit funkelnden Augen an und stieß mich zur Seite. »Hochziehen, du Narr!« schrie ich dem Barbaren zu. »Hochziehen, oder wir werden beim Aufprall zerschmettert. Was nützt dei ner Ischtar ein toter Ra! Laß mich an die Kontrollen!«
25 Ra schüttelte nur den Kopf und ließ seine Finger über den Kontrollen. Aber wenig stens zog er das Boot allmählich wieder hoch. Fartuloon stand an der anderen Seite Ras und blickte mich fragend an. Ich wußte, was mein Pflegevater dachte. Er überlegte, ob er den Barbaren mit einem Dagorgriff außer Gefecht setzen sollte. Ich machte eine verneinende Geste. Wenn Ra bewußtlos wurde und über den Kontrollschaltungen zusammenbrach, dann wurde die wahnwitzige Landung vielleicht erst dadurch zu einer Katastrophe. »Bugtriebwerk ein!« rief ich Ra zu. »Vollbremsung und Antigrav einsetzen, Mann!« Ra hatte wohl endlich eingesehen, daß seine Leidenschaft ihn unüberlegt hatte han deln lassen. Er versuchte sein Bestes, um das Boot wieder in den Griff zu bekommen und sanft zu landen. Doch er schaffte es nicht mehr. Das Beiboot knallte hart auf den Sand. Wir flogen durch die Kabine, dann spürte ich einen dumpfen Schlag gegen den Kopf – und dann nichts mehr …
* Das erste, was ich wieder spürte, waren hämmernde Kopfschmerzen. Ich konnte sie mir nicht erklären, vermochte aber wegen der Schmerzen nicht konzentriert zu denken. Ich öffnete die Augen, als ich ein Zischen hörte und gleich darauf etwas Kühles, Schmerzlinderndes an meinem Hinterkopf spürte. Ein großes schwarzes Gesicht hing über mir. Die Augen loderten in gelbem Feuer, und die Lippen verzogen sich zu einem Lä cheln. »Vorry!« flüsterte ich. »Es ist noch einmal gutgegangen, Atlan«, sagte der Magnetier. »Du hast eine Kopf wunde am Hinterkopf, eine Platzwunde. Ich habe sie mit Heilplasma besprüht.« Ich setzte mich auf, und Vorry half mir
26 dabei. Unter mir war gelbweißer Sand, und vor mir, in ungefähr hundertfünfzig Metern Ent fernung, sah ich ein Gebilde, das einer Dop pelpyramide glich und dessen Oberfläche im Schein der Sonne wie pures Gold glänzte. Ischtars Raumschiff! Plötzlich funktionierte mein Gedächtnis wieder. Ich erinnerte mich an unsere Erleb nisse auf Than Ard und den Rückflug nach Frossargon. Ich wußte wieder, daß wir Ischt ars Schiff – wenn es Ischtars Schiff war – entdeckten und daß Ra die Kontrolle über unser Beiboot an sich gerissen hatte. Die Landung war zu hart gewesen. »Farnathia?« fragte ich. »Sie ist besser weggekommen als du, At lan«, versicherte mir der Magnetier. »Sie war nur benommen. Ich habe euch alle aus dem Boot gebracht.« Farnathia erschien in meinem Blickfeld. Sie lächelte. »Ich bin froh, daß du wieder wach bist, Atlan«, sagte sie. »Das Boot ist allerdings hin. Ohne große Reparaturen wird es sich nicht mehr starten lassen.« »Was ist mit Fartuloon – und mit Ra, die sem verliebten Dummkopf?« erkundigte ich mich. »Ich habe mir das Nasenbein gebrochen!« grollte Fartuloons Stimme. Ich sah mich um und entdeckte meinen Pflegevater, der vor einem aus dem Sand ra genden halbzerfallenen Steinblock stand und ihn sinnend betrachtete. Etwa fünf Meter vor dem Steinblock war das Beiboot zum Still stand gekommen. »Und Ra ist noch bewußtlos«, erklärte Vorry. »Sein Glück!« sagte ich wütend. »Sonst könnte er sich einiges anhören!« »Es wäre sinnlos, hinterher zu schimp fen«, meinte Fartuloon philosophisch. »Ra hat seinen Denkzettel bekommen und wird daraus eine Lehre ziehen – oder auch nicht.« Er deutete auf den Felsblock. »Wichtiger ist, daß wir endlich einen Prulthstein gefunden haben, Atlan.«
H. G. Ewers Ich wollte aufspringen. Sofort führ mir ein stechender Schmerz durch den Schädel. Ich sank zurück. »Das ist ein steinerner Dämon?« fragte ich erregt. »Es ist – oder es war einer«, erklärte mein Pflegevater. »Er ist größtenteils zerfressen und zerfallen, deshalb habe ich ihn auch nicht gleich als Prulthstein erkannt.« Er blickte zu dem Doppelpyramiden schiff. »Merkwürdig ist nur, daß sich in dem Schiff nichts rührt. Es ist offenbar niemand drin.« Ein lautes Stöhnen erscholl, dann ein Schrei: »Ischtar!« Ich blickte in die Richtung, aus der die Laute gekommen waren, und sah den Barba ren, der sich taumelnd aufrichtete und faszi niert zu dem Schiff blickte. Im nächsten Moment setzte er sich in Richtung auf das Doppelraumschiff zu in Bewegung. »Halt!« rief ich ihm zu. »Bleib stehen, Ra!« »Ischtar!« schrie der Barbar und begann zu rennen. »Dieser verliebte Narr!« sagte Fartuloon. »Er hat völlig den Verstand verloren.« »Wir müssen ihn aufhalten«, erklärte ich. »Warum?« fragte mein Pflegevater mit ei gentümlichem Lächeln. »Was kann er jetzt schon anrichten – mit bloßen Händen? Laß ihn laufen und nach seiner Ischtar schreien. Es ist nur gut, wenn er ein wenig Dampf ab läßt.« Ich stand langsam auf. Diesmal blieben die starken Kopfschmerzen aus. Ra hatte unterdessen das Doppelpyrami denschiff erreicht und hämmerte mit den bloßen Fäusten wild gegen die Bodenschleu se. Doch nichts rührte sich. Das Schiff schi en tatsächlich ohne Besatzung zu sein. Ra heulte auf und rannte mit dem Schädel gegen die Schleuse. Benommen taumelte er zurück. Doch im nächsten Moment rannte er wieder gegen die Schleuse an, schlug mit
Begegnung auf Frossargon den Fäusten dagegen und versuchte, das Me tallplastik mit den Fingernägeln aufzukrat zen. Der arme Kerl tat mir leid. Er rannte gegen ein Raumschiff an, das offenbar unbesetzt war und das vielleicht gar nicht Ischtar gehörte. Es mußte zahlreiche Raumschiffe dieser Art geben; immerhin sollten die Varganen einst ein gewaltiges Sternenreich besessen haben. Wenn ich den Barbaren nicht bremste, rannte er sich entweder den Schädel ein oder er verlor endgültig den Verstand. Ich zog meinen Paralysator, stellte ihn auf mittlere Abgabeleistung, zielte auf Ra und drückte ab. Der Barbar erstarrte, versuchte sich umzu drehen, schaffte es aber nicht mehr. Stock steif kippte er um und stürzte in den Sand.
* Eine Weile herrschte Schweigen. Es war das Schweigen der Ratlosigkeit. Langsam ging ich zu Fartuloon, stellte mich neben ihn und musterte den Prulthstein – oder vielmehr das, was einmal ein Prulth stein gewesen war. Meinen Paralysator schob ich ins Gürtelhalfter zurück. Fartuloon wandte den Kopf und blickte mich an. In seinen Nasenlöchern klebte ge trocknetes Blut, und der Nasenrücken stand schief. »Wir werden deinen Riechkolben bald richten müssen«, sagte ich in dem vergebli chen Versuch, die Stimmung etwas aufzu lockern. Mein Pflegevater strich sich über die ge schwollene und bläulich verfärbte Nase. »Das hat noch Zeit«, erwiderte er leise. In seiner Stimme schwang Bitterkeit mit, als er fortfuhr: »Zuerst müssen wir zusehen, aus diesem Relikt etwas herauszulesen, das uns weiterhilft.« »Wie es mir scheint, ist mit dem alten Ding nicht viel anzufangen«, sagte ich. Noch während ich sprach, formte sich ein Gedanke in meinem Bewußtsein, wurde kla
27 rer und stand schließlich deutlich da. Ich blickte zu dem Doppelpyramiden schiff und erklärte: »Es scheint festzustehen, daß der Stein der Weisen irgendwann in grauer Vorzeit von den Varganen verborgen wurde, damit er später von einem Würdigen gefunden würde. Wäre es da nicht logisch, anzuneh men, daß wir eine Spur zu diesem Stein am ehesten in einem Raumschiff der Varganen finden könnten?« Mein Pflegevater leckte sich über die Lip pen. »Das klingt durchaus logisch«, antwortete er zögernd. »Aber dieses Schiff ist geschlos sen und vielleicht verlassen. Willst du war ten, ob die Besatzung zurückkehrt? Das kann Wochen dauern.« »Ich denke nicht daran, so lange zu war ten. Vielleicht würden wir überhaupt verge bens warten, Fartuloon. Nein, ich beabsichti ge, mit Gewalt in das Schiff einzudringen.« Fartuloons Gesicht verfärbte sich etwas. »Mit Gewalt?« erwiderte er. »Hast du denn eine Ahnung, was es in einem Varga nenraumschiff für Sicherheitsvorkehrungen gibt, mein Junge? Unter Umständen werden wir getötet, wenn wir gewaltsam eindrin gen.« »Ein gewisses Risiko läßt sich nicht ver meiden«, sagte ich entschlossen. »Wir wer den die Schleusenschotte zerschießen und sehen, was dabei herauskommt.« »Ihr braucht nicht zu schießen«, warf Vorry ein, der zu uns gekommen war. »Ich kann das Schiff aufknacken wie eine hohle Nuß.« Fartuloon lächelte. »Das wäre eine Möglichkeit, Vorry. Aber gegen eventuelle Fallensysteme dürftest auch du nicht gefeit sein.« »Aber nicht alle Fallen können auf mich tödlich wirken«, entgegnete der Magnetier. »Ich riskiere folglich weitaus weniger, als ihr riskieren würdet.« »Er hat recht«, sagte ich zu Fartuloon. »Dennoch bleibt es gefährlich, in das Raumschiff einer Rasse einbrechen zu wol
28 len, die während ihrer Blütezeit wahrschein lich mächtiger war als das Große Imperi um.« »Sie ist dennoch den Weg aller Kulturen gegangen«, meinte ich. »Den Weg empor – und dann den Weg abwärts. Wer sich gegen dieses Schicksal nicht zu schützen vermag, kann nicht perfekt gewesen sein.« »Perfektion hat es nie gegeben und wird es nie geben«, warf Fartuloon mit mattem Lächeln ein. »Es darf keine Perfektion ge ben, denn sie wäre das Ende jeglichen Fort schritts, das Ende aller Weiterentwicklung.« »Philosophie!« sagte Vorry verächtlich. »Ein Philosoph kann tausend Magnetfolien mit seinen Sprüchen vollschreiben, deshalb ändert sich am Lauf der Dinge doch nichts.« »Du bist ja selber ein Philosoph!« rief Farnathia erstaunt. Der Magnetier schnaubte wütend, dann blickte er mich auffordernd an. »Einverstanden, Vorry«, sagte ich. »Aber sei vorsichtig!« Vorry grunzte, zog seinen Schädel ein und stürmte los. Seine Füße wirbelten den Sand zu dichten Wolken auf, als er gleich ei nem prähistorischen Panzerwagen auf das Schiff zulief. Als er gegen die Bodenschleuse prallte, gab es einen dumpf krachenden Laut, dann war der Magnetier mitsamt dem Außen schott verschwunden. Aus der Schleusenkammer kamen knir schende und krachende Geräusche. Etwas barst mit lautem Knall, dann tauchte Vorry aus der Schleuse auf und rief: »Der Weg ist frei!« Ich blickte Farnathia an und sagte: »Du bleibst hier draußen und hältst Funk verbindung mit uns, Mädchen. Und paß bitte auf Ra auf. Wenn er sich wieder bewegen kann und sich wieder wie ein Wahnsinniger benimmt, paralysierst du ihn noch einmal.« »Ja, Atlan«, antwortete Farnathia. Ihre Augen wurden dunkel. »Aber paß auf dich auf. Ich möchte dich nicht verlieren.« Ich lachte. »Du verlierst mich nicht, Farnathia.«
H. G. Ewers »Ich werde über deinen Atlan wachen wie der Herr der Unterwelt über seine Dämo nen«, versicherte Fartuloon. »Du kannst un besorgt sein, Farnathia.« »Ich weiß, daß du es gut meinst, Fartu loon«, sagte Farnathia leise und wandte sich ab, um ihre Rührung zu verbergen. Mein Pflegevater und ich blickten uns an, dann zogen wir unsere Thermostrahler und gingen zum Schiff, an dem Vorry auf uns wartete.
6. Im Innern des Schiffes herrschte eine un heimliche, geradezu beklemmende Stille. Nachdem wir die aufgebrochene Schleuse passiert hatten, waren wir in eine Art Vor halle gekommen, in dessen Wandung sich die ovalen Öffnungen von sechs Antigrav schächten befanden. Es war dunkel, und oh ne unsere starken Atomlampen hätten wir nichts sehen können. »Die Schächte werden nicht aktiviert sein«, meinte Fartuloon mißmutig und ging auf eine der Öffnungen zu. Er streckte den Arm aus und hielt die Hand in den Schacht. »Nichts«, erklärte er. »Nicht die Spur ei nes Kraftfelds.« Ich mußte lächeln, obwohl die Situation eigentlich nicht danach war. »Dann wirst du deinen schwergewichti gen Körper eben selber bewegen müssen, al ter Bauchaufschneider«, erwiderte ich. »Bestimmt gibt es auch in einem Varganen schiff Nottreppen, so daß man bei Ausfall der Antigravlifte nach oben beziehungswei se unten gehen kann.« Ein reißendes Geräusch ließ mich herum fahren. Ich sah, daß Vorry ein Stück der Hallenwand mit den bloßen Händen abgerissen hatte und sich das Metallplastik zwischen die Knochenplatten des Mundes schob. Er kaute genüßlich, als handelte es sich um einen Brotfladen und nicht um ein Material, das sich sonst nur mit Atombrennern zer
Begegnung auf Frossargon kleinern ließ. »Beherrsche dich, bitte!« mahnte ich. »Womöglich spricht eine Sicherheitsschal tung auf dein Zerstörungswerk an, und wir geraten wegen deiner Freßgier alle in Ge fahr.« »Auch ich muß hin und wieder essen«, maulte der Magnetier. »Aber ich werde mich künftig zurückhalten.« »Hier ist eine Treppe!« rief Fartuloon. Vor ihm hatte sich eine Öffnung in der Wand gebildet. Dahinter lag eine Röhre, in der eine schmale Treppe sich an der Wand entlangschraubte. Eine senkrecht verlaufen de glatte Stange diente offenbar dazu, sich Halt zu verschaffen, während man die hals brecherische Treppe benutzte. »Sieht sehr schmackhaft aus«, meinte Vorry. »Nimm dich zusammen!« wies ich ihn zu recht. »Wir wollen mit dieser Treppe nach oben steigen und sie nicht deiner Naschsucht opfern. Wie kann eine Treppe überhaupt schmackhaft aussehen!« »Jedenfalls sieht sie für mich schmack hafter aus als die Schlangen, die ihr neulich gefressen habt«, entgegnete Vorry. »Das waren keine Schlangen, sondern Aale«, korrigierte ihn Fartuloon. »Auf jeden Fall war es ekelhaftes Ge würm«, erklärte Vorry hartnäckig. »Da be reitet das Verspeisen einer schönen glatten Treppe schon eher einen ästhetischen Ge nuß.« Er ließ den letzten Rest seines Wand stücks zwischen den Knochenplatten ver schwinden und zerkleinerte ihn mit schein bar mühelosen Kaubewegungen. Ich ging zu meinem Pflegevater, beugte mich in den Treppenschacht und leuchtete mit meiner Atomlampe hinauf. Der Schacht reichte weiter als der Licht kegel. Demnach durften wir hoffen, in ihm zu einer Zentrale zu gelangen, die es sicher lich auch auf einem Varganenschiff gab. »Gehen wir!« sagte ich. Fartuloon schob mich zurück, als ich die Treppe zuerst besteigen wollte.
29 »Ich werde vorangehen«, sagte er. »Schließlich habe ich Farnathia verspro chen, auf dich aufzupassen.« Bevor ich dagegen protestieren konnte, hatte er die Treppe betreten und griff nach der Haltestange. Indem er sich nach innen lehnte und ab stützte, stieg er die Stufen der seltsamen Treppe hinauf. Ich folgte ihm. Es war ein eigenartiges Gefühl, auf einer Treppe emporzusteigen, die sich an der senkrechten Wand eines Schachtes hinzog. Die linke Schulter schabte ständig an der Wand, während die rechte über einem Ab grund hing. Ohne die Haltestange wäre der Aufstieg ein halsbrecherisches Unterfangen gewesen. Ich erschrak, als ich etwa hundert Meter hoch war und im Schein meiner Atomlampe unter mir Vorry erblickte, der seinen Mund scheinbar spielerisch um die Haltestange schloß. »He!« rief ich. »Friß nicht unsere einzige Sicherheit auf, Vorry!« »Tue ich ja gar nicht«, gab der Magnetier zurück. »Ich habe nur einmal daran geleckt, um den Geschmack zu prüfen. Er ist hervor ragend. Wenn ihr nicht meine Freunde wärt, würde ich die Stange allmählich von unten nach oben verspeisen.« Ich beeilte mich, ihm zu folgen, damit er sich eventuell plötzlich auftauchenden Ge fahren nicht allein gegenübersah. Es blieb totenstill in dem Schiff. Nirgends brannte auch nur die kleinste Lampe, und kein Geräusch deutete darauf hin, daß im Schiff irgendeine Maschine arbeitete. Es war ein anstrengender Aufstieg. Anfangs zählte ich die Stufen, aber als ich bei tausendfünfhundert angekommen war und die Treppe immer noch kein Ende nahm, gab ich es wieder auf. Unter uns mußten schätzungsweise bereits fünfhundert Meter Abgrund liegen, als Far tuloon über mir einen Laut der Befriedigung hören ließ. »Was gibt es?« rief ich hinauf und richte
30 te meine Lampe nach oben, so daß der Lichtkegel meinen Pflegevater umspielte. »Hier ist das Ende der Kletterstange, mein Junge!« rief Fartuloon zurück. »Ich schätze, daß wir uns in der Mitte des Doppelpyrami denschiffs befinden. Durch eine ovale Öff nung sehe ich so etwas wie eine Halle.« »Dann geh hinein – aber vorsichtig!« sag te ich. »Kann ich nicht wenigstens ein Stück von der köstlichen Haltestange essen?« fragte Vorry von weiter unten. »Nein!« antwortete ich schroff. »Vielleicht müssen wir bei Gefahr die Stan ge hinabrutschen, dann wäre es sehr pein lich, wenn ein Stück fehlte.« »Von oben nach unten wäre taktisch klü ger«, warf Fartuloon ein. Mein Pflegevater befand sich ungefähr dreißig Meter über mir und stieg zügig em por. Sein fülliger Körper schien ihn nicht zu behindern, und in Wirklichkeit war diese Fülle ja nicht Fett, sondern trainiertes Mus kelfleisch. Über mir hörte ich, wie Fartuloon sich aus dem Schacht schwang. Ich kletterte ihm nach und leuchtete mit meinem Handschein werfer durch die Öffnung. Mein Pflegevater stand in einer kleinen Halle, die der Vorhalle am Fuß der Nottrep pe glich, was die Ausmaße anging. Anson sten unterschied sie sich allerdings sehr von ihr, denn die untere Vorhalle war trist und grau, diese jedoch strahlte im Schein der Lampen einen Schauer bunter Lichtkaska den aus, hervorgerufen durch ein Mosaik aus unzähligen bunten Edelsteinen, das Wände und Decke lückenlos bedeckte. Links und rechts befanden sich je zwei Öffnungen, die auf leere Korridore führten. Uns direkt gegenüber aber lag ein Tor, das aus massivem Gold zu bestehen schien, in die ein begnadeter Künstler ganze Szenen aus irgendwelchen Kriegen geritzt hatte – aus Kriegen, von denen wir nie etwas gehört hatten. »Ich denke, hinter dieser Tür finden wir etwas«, sagte Fartuloon mit belegter Stim
H. G. Ewers me. »Es fragt sich nur, was«, erwiderte ich. »Und wie es schmeckt«, ergänzte Vorry, der hinter mir aus dem Treppenschacht stieg.
* Zuerst sah es allerdings nicht so aus, als würden wir erfahren, was sich hinter dem goldenen Tor befand. Jedenfalls öffnete es sich nicht, als Fartuloon seine Hand auf die Stellen legte, unter denen sich erfahrungsge mäß die auf Körperwärme ansprechenden Schlösser befanden. Mein Pflegevater trat zwei Schritte zu rück, legte die Rechte auf den Knauf seines Skargs und meinte verdrießlich: »Wahrscheinlich ist es besonders gesi chert. Hast du den Kodeknacker bei dir, At lan?« Mit »Kodeknacker« meinte er natürlich den elektronischen Impulskodesucher, ein kleines Gerät mit extrem leistungsfähiger Elektronik, das vollautomatisch alle erre chenbaren Kodekombinationen in rascher Folge ausstrahlte, auf jede noch so schwache Reaktion eines Schlosses ansprach und bei nahe jeden Schloßimpulskode ermitteln konnte. Jedenfalls jeden, der mit einer Po sitronik oder Elektronik errechnet worden war. Ich zog das IKS-Gerät aus der Magnethal terung meines Waffengürtels und reichte es Fartuloon. Er schaltete es ein und preßte es gegen das goldene Tor. Wir hielten den Atem an und lauschten auf das charakteristische Klicken, mit dem sich die Entriegelung ei nes elektronischen Schlosses anzukündigen pflegte. Nach zirka fünf Minuten leuchtete in der Hülle des IKS-Geräts eine gelbe Lampe auf. »Negativ«, stellte mein Pflegevater lako nisch fest. Er reichte mir den Impulskodesucher zu rück, und ich verstaute ihn wieder an seinem Platz. Guter Rat war teuer, denn wenn das
Begegnung auf Frossargon IKS-Gerät uns nicht weiterhalf, gab es nur noch zwei Alternativen. Die eine hieß: rohe Gewalt. Vor ihrer Anwendung scheuten wir zu rück. Der Anblick des goldenen Tores flößte uns so etwas wie widerwilligen Respekt ein. Wir ahnten, daß es von einem »Zauber« um hüllt war, der durch rohe Gewalt zerstört werden würde. Die zweite Alternative konnten wir nicht anwenden, da wir sie nicht kannten. Viel leicht hätten wir sie mit Hilfe einer Hochlei stungspositronik ermitteln können, wie es sie an Bord der KARRETON gab, wenn wir nicht zu sehr daran gewöhnt gewesen wären, stets allein zu entscheiden und uns allein zu helfen. Das hatte uns oftmals das Leben ge rettet, es hatte sich aber auch zu einer psy chologischen Bremse entwickelt, die wir nicht so leicht zu lockern vermochten. »Vielleicht gibt es ein Kodewort, auf das die Öffnungsautomatik anspricht«, meinte Fartuloon nach einer Weile. Ich ließ den Lichtkegel meiner Atomlam pe über das Mosaik aus bunten Edelsteinen wandern und versuchte, aus ihm einen Sinn herauszulesen. »Was starrst du diese kalte Pracht an?« fragte mein Pflegevater ärgerlich. »Glaubst du im Ernst, dort die Lösung unseres Pro blems zu finden?« »Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es«, ant wortete ich. Mir war allerdings klar, daß sich diese Hoffnung nicht auf logischer Überlegung gründete, sondern rein emotio nell bedingt war. Andererseits – Hoffnungen und Träume waren die Vorstufen der Realität, und Ge fühle bedeuteten oft mehr als nüchterne Re chenoperationen … Nur halb nahm ich wahr, daß mein Pfle gevater sein Skarg zog und mit ihm über das goldene Tor strich. Unwillkürlich lächelte ich, denn das, was er tat, basierte auch nicht auf logischer Überlegung. Plötzlich stutzte ich. Der Lichtkegel meiner Atomlampe fiel auf eine Szene von vielen, die von dem Mo
31 saik dargestellt wurden. Ich sah eine Reliefwand, in der ein kreisrundes Loch klaffte, und hinter diesem Loch wogten graue und schwarze Wolken, die eine grauenhaft absto ßende Fratze bildeten, wenn man lange ge nug hinschaute. Davor aber; nur flüchtig skizziert schein bar, stand die Gestalt eines humanoiden We sens, das beide Arme in abwehrender Geste gegen die düsteren Wolken ausstreckte. Was mochte diese Szene wohl darstellen? Sie ist rein symbolischen Charakters! er klärte der Logiksektor meines Extrahirns. Eine symbolische Figur in symbolischer Ab wehrstellung vor einem symbolischen Tor, hinter dem das Böse lauert. »Das Böse!« flüsterte ich. »Das Böse, das hinter dem Tor zur Unterwelt lauert – und der Wächter, der verhindern soll, daß es her über kommt.« »Was faselst du da?« fragte Fartuloon. »Hat dir der Geist der Finsternis das Gehirn vernebelt?« Ich lächelte. »Nein, aber dir«, entgegnete ich. »Vielleicht habe ich die Lösung gefunden. Ich meine das Wort, mit dem man das gol dene Tor öffnen kann.« »Und wie heißt es?« fragte Fartuloon, diesmal ohne jede Ironie. Er schien am Ton meiner Worte gemerkt zu haben, daß es mir ernst war. »Engidu!« sagte ich laut. Die Edelsteine glühten in buntem Feuer auf. Lichtkaskaden sprühten durch die Halle. Das Motiv einer unbekannten Komposition erklang und brach ab. Als die Lichtkaskaden erloschen und sich unsere Augen an die relative Verfinsterung gewöhnt hatten, sahen wir, daß das goldene Tor weit offen stand. Und dahinter …! Ich hielt unwillkürlich den Atem an, als ich auf einem grüngoldenen Sockel in einer von bläulichem Licht erhellten Halle eine nackte Frauengestalt mit langen goldenen Haaren und bronzefarbener Haut sah, die leblos auf dem Sockel lag.
32
H. G. Ewers
Meine Erinnerung ließ mich nicht im Stich. Diese Frau war mir einmal geschildert worden, und zwar von Ra, dem Barbaren von dem dritten Planeten einer gelben Son ne. Und sie war fast noch schöner, als Ra sie in seiner Begeisterung hatte beschreiben können. »Ischtar!« sagte ich beinahe andächtig.
* »Ischtar?« fragte Fartuloon verblüfft. Ich trat durch das geöffnete Tor und bis dicht vor den Sockel. »Sie muß es sein«, antwortete ich. »Siehst du den makellosen Glanz ihres vollendet ge bauten Körpers? Siehst du das lang herab wallende goldene Haupthaar, die schlanken Fesseln und edlen Züge des Gesichts? Das kann nur Ischtar, die Goldene Göttin, sein!« Fartuloon grinste. »Dich hat es aber ganz schön erwischt, mein Junge«, erklärte er. »Du bist ja direkt poetisch geworden. Hat der Anblick deinen Geist umnebelt?« Ich schluckte. Angesichts dieser vollendeten Schönheit auf dem Sockel kamen mir Fartuloons Wor te wie Obszönitäten vor. »Schweig!« fuhr ich ihn an. »Wenn du schon keinen Sinn für Schönheit hast, dann behalte wenigstens deine primitiven Gedan ken für dich!« Mein Pflegevater starrte mich mit offe nem Mund an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Ich spürte, wie der Zorn in mir aufwallte, wollte ihn unterdrücken, wurde aber von ihm übermannt. Ich stürzte mich auf Fartuloon und hieb ihm die geballte Faust mit aller Kraft ins Ge sicht. Aber mein Pflegevater war ein zu erfahre ner Kämpfer, als daß er sich durch einen un gestümen Angriff hätte ausschalten lassen. Er ging mit meinem Schlag mit und nahm ihm dadurch die Kraft. Dann packte er mei
nen Unterarm – und plötzlich wirbelte ich durch die Luft. Hinter dem Sockel setzte ich zu einer har ten Landung an. Doch auch ich war durch eine gute Schule gegangen, durch Fartuloons Schule nämlich. Ich landete auf allen vieren, schnellte mich sofort wieder hoch und wollte mich abermals auf meinen Pflegevater stürzen, als sich der Logiksektor meines Extrahirns mel dete. Du kopfloser Narr! raunte er mir ein dringlich zu. Der Anblick des Weibes hat dir tatsächlich den Verstand geraubt. Beherr sche dich! Ich blieb halbgeduckt stehen, dann reckte ich mich und atmete ein paarmal tief durch. Langsam entspannten sich Geist und Körper. Mit verlegenem Lächeln blickte ich zu Fartuloon hinüber, zuckte mit den Schultern und sagte: »Entschuldige bitte, Fartuloon. Ich fürch te, ich habe mich sehr dumm benommen.« Mein Pflegevater grinste. »Vergiß es, mein Sohn!« sagte er. »Du bist noch zu jung, um beim Anblick eines Phänomens immer daran zu denken, daß Er scheinung und Wesen zwei Dinge einer Sa che sind, die sich oftmals wie Feuer und Wasser unterscheiden. Überlegen wir ge meinsam, ob das tatsächlich Ischtar ist und was wir unternehmen sollen. Einverstan den?« »Einverstanden«, antwortete ich. »Danke, Fartuloon.« Er winkte ab, trat ebenfalls an den Sockel und streckte die Hand nach Ischtar aus. Es sah aus, als wollte er sie unsittlich berühren, und ich mußte mich beherrschen, um nicht abermals durchzudrehen. Aber zirka einen halben Meter vor Ischtar stieß Fartuloons Hand gegen ein unsichtbares Hindernis. Mein Pflegevater drehte sich halb nach mir um und lächelte wissend. »Heißsporn!« sagte er nur. Aber es ge nügte, um mich zu beschämen. »Es war doch zu erwarten gewesen, daß sie von einer Energieglocke geschützt wird, wenn sie
Begegnung auf Frossargon schon nichts anhat, oder?« »Hm!« brummte ich verlegen. »Entweder ist sie tot oder sie schläft«, stellte Fartuloon nachdenklich fest. »Sie kann nicht tot sein!« begehrte ich auf. Rasch setzte ich hinzu: »So lebendig, wie sie aussieht.« »Das dürfte sich feststellen lassen«, mein te Fartuloon. »Atlan, bitte beherrsche dich! Du darfst nicht den Kopf verlieren, nur weil Ischtar körperlich schön ist. Wichtiger als alle äußerliche Schönheit ist die Schönheit der Seele – und die siehst du nicht auf den ersten Blick.« »Ja, schon gut«, erwiderte ich tonlos. »Wie sollen wir feststellen, ob Ischtar noch lebt?« Mein Pflegevater deutete auf eine Reihe von kubisch geschliffenen bunten Edelstei nen unterhalb der Sockeloberkante. »Ich nehme an, es handelt sich um Schalttasten«, meinte er. »Bald werden wir wissen, ob meine Annahme zutreffend ist.« Er drückte wahllos, wie es schien, die Edelsteine. Sie gaben knackend nach und ra steten ein. Über dem Sockel – beziehungsweise über Ischtar – leuchtete die bis dahin unsichtbare Energieglocke in einem blauweißen, blen denden Feuer auf, dann erlosch sie. Im nächsten Augenblick sprangen alle Schalttasten wieder in die Ausgangsstellung zurück. Wie gebannt starrte ich auf Ischtars Ge sicht, versuchte, eine Regung in den eben mäßigen Zügen zu finden, eine Bewegung der Lippen oder Augenlider zu erspähen. Plötzlich hob sich ihre Brust. Ich atmete geräuschvoll ein und erntete wiederum einen wissenden Blick meines Pflegevaters. Ischtars Lippen öffneten sich, dann atmete sie ruhig aus. Ihre Lider flatterten. Ischtar öffnete die Augen. Ihr Gesicht be lebte sich. Langsam richtete sie sich auf. Ih re Pupillen weiteten sich ein wenig, als sie Fartuloon, Vorry und mich erblickte, dann runzelte Ischtar die Stirn – unwillig, wie es
33 mir vorkam. Im nächsten Augenblick drückte ihre zar te rechte Hand auf einige Tasten am Rand des Sockels, die wir vorher nicht entdeckt hatten. Eine unheimlich klingende Tonfolge hall te durch das ganze Schiff. Meine Gefährten und ich waren unfähig, uns zu bewegen. Wir standen da, als wären wir hypnotisiert wor den. Kurz darauf erklang ein lautes Stampfen. Roboter tauchten wie hingezaubert am ande ren Ende der Halle auf. Ihre Energiewaffen richteten sich drohend auf uns. Ich spürte, wie sich Zorn in mir regte. Wir hatten Ischtar erweckt, ohne dabei Hintergedanken zu hegen oder uns gegen sie abzusichern – und sie stellte keine Fragen, sondern ließ uns sofort durch ihre Roboter mit tödlichen Waffen bedrohen. Es sah ganz so aus, als hätten wir uns blindlings in unser Verderben gestürzt.
7. Wir hatten etwa zehn Minuten lang unbe weglich vor Ischtar gestanden, als weitere Roboter erschienen. Die Kampfmaschinen schleppten Farna thia und den paralysierten Ra herein. Als Ischtar den Barbaren sah, wölbten sich ihre Brauen. Von diesem Augenblick an war ich völlig sicher, daß diese wunderschöne Frau tat sächlich Ischtar war, die mit Ra auf dessen Heimatplaneten eine Romanze gehabt hatte. Vorher hatte ich es zwar angenommen, aber noch keinen Beweis gehabt. Wieder glitten Ischtars Finger über die Tasten am Sockelrand. Die Roboter stellten Ra aufrecht hin und stützten ihn. Eine ovale goldfarbene Maschine schwebte summend heran, verharrte vor dem Barbaren und preß te eine Tentakelarmendung an seinen Nacken. Etwas zischte. Ich nahm an, daß es sich um das Zischen einer Hochdruckinjektionspistole handelte.
34 Kurz darauf seufzte Ra laut auf. Die Roboter ließen ihn los. Ra taumelte, dann wandte er sich Ischtar zu, die er ja trotz seiner Lähmung schon vor her gesehen haben mußte. Das Gesicht des Wilden strahlte entzückt. Langsam sank er in die Knie und hob die Hände zu Ischtar empor. Ischtar lächelte ihm zu, dann blickte sie mich an. Ihre Augen kamen mir vor wie un ergründliche Bergseen, in denen ich zu ver sinken drohte. Leichter Schwindel erfaßte mich. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Farnathias Blick zwischen mir und Ischtar wechselte. In ihre Augen trat ein Funkeln, das ich nur als Ausdruck der Eifersucht deu ten konnte. »Atlan, Kristallprinz von Arkon!« Ich hörte die Worte, aber erst Sekunden später erfaßte ich, daß Ischtar gesprochen hatte – zu mir gesprochen hatte. Ihre Stimme hatte so rein, so sanft und doch so kraftvoll geklungen, daß ich von einem süßen Schau er erfaßt wurde. Aber woher kannte sie meinen Namen? Woher wußte Ischtar, daß ich Kristallprinz des Großen Imperiums war? Telepathie! teilte mir mein Logiksektor mit. Sie kann es nur durch telepathische Sondierung erfahren haben. Ich blickte sie fest an, hielt ihren Blick mit meinem fest. »Ja, ich bin Atlan!« erklärte ich. Gerade noch rechtzeitig fiel mir meine gute Erzie hung ein. Ich legte die Hand aufs Herz, neig te den Kopf und sagte: »Sie haben in mir einen Bewunderer gefunden, der Ihnen sein Herz zu Füßen legt, Göttin des Lichts. Bitte, verfügen Sie über mich.« Von Farnathia kam ein verächtliches Schnaufen. Ich achtete nicht weiter darauf. Ischtar warf Farnathia einen spöttischen Seitenblick zu, dann sah sie mich wieder voll an. Diesmal war ihr Lächeln ausgespro chen verführerisch. »Ich danke dir, Atlan«, sagte sie. »Bitte, nenne mich Ischtar, denn so ist mein Name. Wie kommt ihr auf diesen Planeten und in
H. G. Ewers mein Schiff, Atlan?« Ich nahm die Hand vom Herzen, richtete mich wieder auf und antwortete: »Meine Freunde und ich sind auf der Su che nach dem Stein der Weisen. Er soll uns helfen, den Mörder und Diktator Orbana schol, der zur Zeit über das Große Imperium herrscht, zu stürzen und mich in das Amt des Imperators einzusetzen, das mir zusteht. Unsere Suche führte uns hierher. Aber die Helfer Orbanaschols sind uns ein gutes Stück voraus. Wir hofften, in diesem Schiff einen Hinweis zu finden, der es uns gestat tet, unsere Suche fortzusetzen und vor Orba naschols Helfern das Ziel zu erreichen.« »Vielleicht kann ich dir helfen, Atlan«, erwiderte Ischtar. »Aber dazu muß ich mit dir allein sein.« Ihr Blick glitt über meine Gefährten hin weg. »Ihr anderen verlaßt mein Schiff!« befahl sie. Von Ra kam ein Stöhnen. Als ich zu dem Barbaren blickte, sah ich, daß er sich aufgerichtet hatte und mit fun kelnden Augen abwechselnd auf mich und Ischtar starrte. »Ischtar!« entrang es sich seiner Kehle. Es klang wie der Schrei eines tödlich ver wundeten Tieres. »Ischtar! Du weist mich von dir? Ich liebe dich!« Ischtars Augen verschleierten sich für einen Augenblick, dann wurden sie hart und abweisend. »Auch du mußt mein Schiff verlassen!« sagte sie. Ra stürzte vor, wollte Ischtars Knie um klammern, aber zwei Roboter packten ihn und rissen ihn fort. »Ischtar!« schrie er wild und bäumte sich auf. Vergebens, denn die Kräfte der Roboter waren seinen weit überlegen. »Atlan!« flüsterte Farnathia. Ich blickte mein Mädchen an und sah, daß Tränen in Farnathias Augen standen. Ich wollte etwas sagen, wollte sie meiner Liebe versichern, doch meine Kehle war wie zuge schnürt.
Begegnung auf Frossargon »Ich glaube, ich bekomme Appetit auf Roboter«, sagte Vorry grollend. »Soll ich diese Ansammlungen von schmackhaftem Metallplastik ein bißchen anfressen, Atlan?« Ich schaute wieder Ischtar an. Sie erwi derte meinen Blick ruhig, als wüßte sie, daß ich nichts tun würde, was ihr hätte schaden können. »Erlaubst du es mir?« fragte Vorry. »Nein!« sagte ich fest. »Kommt, gehen wir!« sagte Fartuloon. »Nein!« brüllte Ra. »Ischtar, ich liebe dich! Wie kannst du mich fortschicken und mit diesem Arkoniden allein bleiben wol len?« Ischtar machte eine Handbewegung, und die beiden Roboter, die den Barbaren fest hielten, schleiften ihn zum Tor. »Atlan, das wirst du mir büßen!« schrie Ra. »Ich werde dich über einem Feuer rö sten, bis du um Gnade winselst. Aber ich werde keine Gnade kennen. Du bist schon so gut wie tot, du verdammter arroganter Arko nide!« Ich verstand Ra, aber ich sagte kein Wort. Ich sagte auch nichts, als Vorry, Fartuloon und Farnathia die Halle verließen. Die Ro boter zerrten Ra durch das Tor. Noch einmal hörte ich seine wilden Drohungen, dann schloß sich das goldene Tor. Ischtar und ich waren allein.
* Ischtar schenkte mir ein vielversprechen des Lächeln, dann erhob sie sich und glitt von ihrem Sockel, jede Bewegung ein göttli ches Wesen. Sie war atemberaubend schön, und sie schämte sich ihrer Nacktheit nicht. Völlig ungezwungen und doch würdevoll bewegte sie sich auf mich zu, ergriff meine Hand und führte mich zu einer Tür, die sich im Hinter grund der Halle geöffnet hatte. Als wir durch die Tür traten, standen wir in einem großen, in rosa Licht getauchten Raum, der von einem riesigen weichen La ger beherrscht wurde. Die Wände waren von
35 golden glänzenden Spiegeln bedeckt, und auf dem Boden lag ein rosa getönter weicher Teppichboden, in dem unsere Füße bis fast an die Knöchel versanken. Ischtar wandte sich mir zu. Dabei führte sie meine Hand so, daß sie ihre Brust streif te. Ich atmete schwer, aber ich zwang mich dazu, nicht ihren Körper anzusehen, sondern nur in ihr Gesicht zu schauen. »Atlan!« flüsterte Ischtar, und das Wort war wie eine zärtliche Liebkosung. Wieder erschauerte ich. »Atlan!« wiederholte Ischtar. »Sehr lange habe ich auf einen Mann wie dich gewartet, auf einen Mann, der würdig ist, mit mir einen Sohn zu zeugen.« Sie wollte mich an sich ziehen, doch ich wich zurück. »Warum sträubst du dich?« fragte Ischtar lächelnd. »Gefalle ich dir nicht?« »Doch, du gefällst mir sehr«, sagte ich tonlos. »Aber …« Ischtars Fingerspitzen glitten über meine Lippen und verschlossen sie. »Wenn ich dir gefalle, gibt es kein Aber, Atlan«, erklärte sie. »Glaube mir, ich kann dich glücklich machen. Ich weiß mehr von der Liebe als du dir vorstellen kannst. Wir werden einen Sohn zeugen, der das Erbgut der Varganen in die ferne Zukunft weitertra gen soll. Atlan, ich kenne das Geheimnis des ewi gen Lebens, und ich werde es unserem Sohn übermitteln. Unser Sohn wird Chapat hei ßen.« Wieder wollte sie mich an sich ziehen. Ih re halbgeöffneten Lippen glänzten ver lockend, und ihre unergründlichen Augen glitzerten. Ich stöhnte auf und entwand mich ihrem Griff. »Ich darf es nicht tun, Ischtar!« stieß ich hervor. »Ra ist mein treuer Freund und Ge fährte. Er hat es nicht verdient, daß wir ihn betrügen. Und Farnathia hat es auch nicht verdient, daß ich sie betrüge. Wir lieben uns.« »Was weißt du schon von der Liebe, mein
36 Atlan«, flüsterte Ischtar. Sie kam näher zu mir; ihre Finger nestelten am Magnetsaum meines Schutzanzugs. »Du wirst nach mir noch viele Frauen lieben, und jedesmal wirst du das gleiche tiefe Gefühl für sie empfin den, denn du bist zwar ein harter Kämpfer, aber auch ein einsamer Mann, der die Liebe so notwendig braucht wie die Blumen das Licht und das Wasser. Wehre dich nicht ge gen die Liebe, Atlan.« Ihre Worte drangen wie Tautropfen in meine Seele und weichten meinen Wider stand auf. Ich fühlte, wie sich ein starkes physisches Begehren in mir regte. Eine rein körperliche Reaktion! raunte der Logiksektor meines Extrahirns mir zu. Du kannst sie niederzwingen, wenn du willst. Ich holte tief Luft, und als Ischtar wieder nach mir griff, wandte ich mich um und wollte den Raum durch die Tür verlassen, durch die wir hereingekommen waren. Aber die Tür hatte sich wieder geschlos sen und widerstand meinen verzweifelten Versuchen, sie zu öffnen. »Atlan!« flüsterte Ischtar. Ich drehte mich um, lehnte mich mit dem Rücken gegen die Tür und legte die Hand flächen auf das kühle Metallplastik. In die sen Augenblicken fühlte ich mich wie ein in die Enge getriebenes Tier. Dennoch brachte ich es nicht fertig, Ischt ar zu bitten, mich gehen zu lassen. Farnathia, hilf mir! dachte ich. Aber Farnathia konnte mir nicht helfen. Sie war ausgesperrt. Ich mußte zusehen, wie ich allein mit der Situation fertig wurde. Doch der Gedanke an Farnathia und an Ra, meinen treuen Freund, gab mir die Kraft, den Reizen der Goldenen Göttin zu widerstehen. Ich erlangte meine Selbstsi cherheit zurück. Meine Gestalt straffte sich. Als Ischtar erneut auf mich zukam, fühlte ich mich in der Lage, sie zurückzuweisen. Ich setzte zum Sprechen an, doch die Worte, die ich mir zurechtgelegt hatte, kamen nicht über meine Lippen. Etwas hatte sich verändert. Ischtars Augen waren schon zuvor wie
H. G. Ewers tiefe, unergründliche Bergseen gewesen, aber nun verwandelten sie sich in Tore, hin ter denen das Versprechen des Paradieses leuchtete. Ich vergaß, was ich hatte sagen wollen. Mein Ich versank in den Augen der Varga nin, und als ihre Finger mich berührten und den Magnetsaum meines Schutzanzugs öff neten, wehrte ich sie nicht ab. Ich zog Ischtar in meine Arme und küßte sie leidenschaftlich. Eng umschlungen, taumelten wir auf das breite Lager zu, sanken darauf nieder – und versanken in den Wogen der entfesselten Leidenschaften …
8. Draußen in der Wüste glühte die Sonne noch einmal auf, dann tauchte sie hinter den Wolken unter, die sich am westlichen Hori zont zusammengeballt hatten. Finsternis schlug über dem Doppelpyra midenschiff zusammen – und über den vier Personen, die vor dem Schiff standen. Ra, der Barbar vom dritten Planeten einer gelben Sonne, irgendwo in einem Seitenarm der Galaxis, ballte die Fäuste und versuchte, die Dunkelheit mit den Augen zu durchdrin gen. Er wollte wissen, ob die Bodenschleuse des Raumschiffs wieder geschlossen worden war. Eine Zeitlang hatten Roboter daran ge arbeitet, aber dann waren die Geräusche ver stummt. Doch auch Ras scharfe Augen vermoch ten die Finsternis nicht zu durchdringen. Sie sahen nichts – bis die Sterne am Himmel er schienen. Ihr milder Schein ließ die Umrisse des Schiffes erkennen und spiegelte sich auf seiner goldfarbenen Hülle. Ra hörte ein Schluchzen neben sich. Ohne hinzusehen, wußte er, daß es Farna thia war, die da weinte. Sie konnte sich wohl ebenso gut wie er vorstellen, was sich hinter den goldenen Wänden des Varganenschiffs abspielte. Eifersucht marterte Ra.
Begegnung auf Frossargon Er fühlte sich verraten, verraten von der Geliebten und von dem Mann, den er noch bis vor kurzem für seinen Freund gehalten hatte. Und den er nun haßte. Ra blickte sich nach Fartuloon und Vorry um. Die beiden so unterschiedlichen Wesen standen in etwa fünfzig Metern Entfernung neben dem schwerbeschädigten Beiboot und flüsterten miteinander. Sie achteten zur Zeit weder auf ihn noch auf Farnathia. Ra faßte einen Entschluß. Er kannte sich mit Ischtars Schiff aus, denn er hatte eine kurze, glückliche Zeit zu sammen mit Ischtar darin gelebt, hatte es durchstreift und sich mit seinen Anlagen vertraut gemacht. Ra wußte es nicht, aber er vermutete, daß Ischtar sich Ersatz für den riesigen Him melsstier beschafft hatte, den Ischtar auf Ras Heimatplaneten tötete, als er im Begriff ge wesen war, Ra zu zertrampeln. Vielleicht einen zweiten Himmelsstier – oder ein anderes großes, wildes Tier … Ra blickte sich nach Farnathia um. Das Mädchen weinte noch immer. Sie achtete nicht auf ihre Umgebung. Erneut schaute der Barbar zu Fartuloon und Vorry hinüber. Auch sie beachteten ihn nicht. Fast lautlos schlich Ra davon, auf das Schiff zu, das sich gleich einem goldenen Berg in den Nachthimmel reckte. Er blickte immer wieder zu Fartuloon und Vorry hin über und war erleichtert, als er merkte, daß sie ihn noch immer nicht sahen. Er wollte um jeden Preis unbemerkt blei ben, denn er fürchtete, daß Fartuloon und Vorry nicht zulassen würden, daß er heim lich ins Schiff zurückkehrte. Sie hatten die Drohungen gehört, die er gegen Atlan aus gestoßen hatte, und sie würden sicherlich dem Arkoniden helfen. Als Ra die Bodenschleuse erreichte, sah er, daß sie weder verschlossen war noch von Robotern bewacht wurde. Er atmete auf. Sein Gesicht glühte vor Eifer – und die Au gen glitzerten vor Haß.
37 Leise schlich der Barbar in das Schiff. Er kam in die Vorhalle, in der sich die Öffnungen der Antigravlifte befanden. Im Unterschied zum ersten Eindringen war die Halle diesmal erleuchtet. Doch kein Roboter ließ sich blicken. Ra ging zum ersten Liftschacht und steck te den Kopf durch die Öffnung. Hastig zog er ihn wieder zurück, denn von oben schwebten drei Roboter herab. Rasch lief Ra zur nächsten Öffnung. Er wußte, daß die Roboter bald unten sein wür den, und dann mußten sie ihn entdecken. Ein Blick in den nächsten Liftschacht überzeugte ihn davon, daß er leer war. Ha stig schwang sich der Barbar hinein, stieß sich ab und schwebte in dem Antigravfeld sanft nach oben. Er hatte etwa die Hälfte der Strecke zu rückgelegt, als er von unten ein dumpfes Poltern vernahm. Die Roboter waren aus dem anderen Schacht gestiegen. Ra fürchtete, sie könnten in seinen Lift schacht spähen und ihn entdecken. Deshalb schwang er sich bei der nächsten Öffnung hinaus. Er kam in einen Korridor, in dem zwei gegenläufige Transportbänder in Be trieb waren. Ohne zu zögern, vertraute der Barbar sich dem Transportband an, das nach links führ te. Er glaubte, diese Sektion des Schiffes zu kennen. Als er nach kurzer Zeit ein Schott mit dem rotleuchtenden Symbol des vargani schen Kriegsgotts erblickte, wußte er, daß er diese Sektion kannte. Er sprang vom Band und trat vor die Tür. Dahinter befand sich, wie er sich erinner te, eines der Ausrüstungsmagazine des Var ganenschiffs. Ra streckte die Hand aus und legte sie auf die Stelle der Tür, hinter der er den Öff nungsmechanismus wußte. Lautlos glitten die beiden Schotthälften auseinander. Ra trat durch die Öffnung, wartete, bis das Schott sich hinter ihm wieder geschlos sen hatte, und blickte sich danach um. Er sah einen rechteckigen Raum mit sechs
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H. G. Ewers
Reihen geschlossener, metallisch glänzender Schränke, die bis an die Decke reichten. Als er den ersten Schrank öffnete, fand er darin, säuberlich in Kraftfelder eingebettet, sieben varganische Kampfanzüge mitsamt goldfar benen Helmen, aus denen jeweils ein halb transparenter Kamm ragte. Die Anzüge paßten ihm nicht, das wußte Ra. Deshalb versuchte er erst gar nicht, einen überzustreifen. Dafür nahm er einen der Helme, die ihm noch unbekannt waren. Behutsam setzte er ihn sich auf. Verwirrt lauschte er den Impulsen, die plötzlich in sein Bewußtsein drangen. Im nächsten Moment riß er sich den Helm vom Kopf und schleuderte ihn zornbebend auf den Boden. Er hatte die Gedanken von Ischtar und At lan empfangen – und erkannt, welche Stür me der Leidenschaft sie durchtobten. Zitternd vor Eifersucht und Haß trat Ra nach dem Helm, dann wandte er sich um und verließ fluchtartig den Raum, in dem seine Gefühle den Todesstoß erhalten hatten.
* Im Korridor angekommen, lehnte sich Ra mit der Stirn gegen die kühle Wand. Tränen strömten über sein Gesicht, während er die Fäuste abwechselnd ballte und öffnete. Es dauerte lange, bis er sich halbwegs be ruhigt hatte. Er stieß sich von der Wand ab und schaute um sich. Den Schmerz über den Verlust des geliebten Weibes spürte er nicht mehr; er war vom schrankenlosen Haß auf seinen Nebenbuhler verdrängt worden. Nach einer Weile stieg Ra wieder auf das Transportband und ließ sich forttragen. Vor der Öffnung eines Antigravschachts sprang er wieder herunter. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß der Liftschacht leer war, schwang Ra sich hinein und stieß sich so ab, daß er in der künstlich erzeugten Schwerelosigkeit nach unten sank. Acht Etagen tiefer verließ Ra den Anti gravlift wieder. Diesmal befand er sich in ei
nem schmalen, aber hohen Korridor ohne Transportbänder. Das gelbe Licht, das hier herrschte, kam aus transparenten Panzerplat ten an der Decke. An den Wänden befanden sich die Öffnungen von Ventilen, aus denen Gase und Flüssigkeiten gesprüht werden konnten. In regelmäßigen Abständen waren schmale Nischen in die Wände eingelassen. In ihnen befanden sich Schaltungen, mit de nen die Nischen unter einen Energieschirm gelegt werden konnten. Ra verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Er wußte, daß er sich in der gesuchten Sektion befand. Im nächsten Moment zuckte er zusam men. Laute Schritte hallten durch den Korridor. Schnell schlüpfte der Barbar in eine Wandnische und verhielt sich still. Kurz darauf hörte er, daß es zwei Roboter waren, die die Geräusche verursachten. An einem Nebengeräusch erkannte Ra, daß die Roboter eine Antigravplattform mitführten. Als sie stehenblieben, hielt er unwillkür lich den Atem an. Etwas klapperte, dann dröhnte es laut. Es klang, als wäre ein schwerer Gegenstand gegen eine Stahlwand geprallt. Wieder klapperte etwas. Ein Schott öffne te sich mit schwachem Zischen. Wumm! Wieder prallte ein schwerer Gegenstand gegen Metall. Am Geräusch erkannte Ra, daß es kein lebloser Gegenstand sein konnte, sondern ein schwerer Tierkörper sein mußte. Wahrscheinlich eines der wilden Tiere Ischtars, und offenbar wurde es von den Ro botern gefüttert. Ein lautes Stampfen, Schnauben und Grunzen erscholl. Abermals klapperte etwas, dann schloß sich ein Schott. Die Schritte der Roboter entfernten sich. Ra atmete auf. Wenn die Roboter ihn entdeckt hätten, wäre sein Plan zunichte gemacht worden – dabei befand er sich unmittelbar vor dem Ziel. Als die Schritte der Roboter abbrachen –
Begegnung auf Frossargon offenbar, weil die Maschinen in einen Anti gravschacht gestiegen waren –, wagte sich der Barbar aus seinem Versteck heraus. Eine Handvoll verschütteten Futterbreis auf dem Boden verriet ihm, wo sich das Schott befand, hinter dem das Tier gefan gengehalten wurde. Ra ging zu der Stelle und blieb stehen. Sein Blick glitt suchend über die Korridorwand. Er wußte aus eigener schlimmer Erfah rung, daß sich die wilden Tiere Ischtars nicht ohne weiteres beherrschen ließen. Da zu gehörte ein Impulsgeber, mit dem man seine Steuerbefehle direkt ins Gehirn des Tieres schicken konnte. Einmal hatte Ra gesehen, wie Ischtar ein solches Gerät aus einer getarnten Öffnung der Korridorwand nahm. Doch er wußte die Stelle nicht mehr genau. Er brauchte eine halbe Stunde, bis er sie schließlich durch Abtasten der Wand gefun den hatte. Sekunden später hielt er den klei nen Impulsgeber in der Hand und musterte die Sensormulden auf seiner Oberfläche. Seine Handflächen wurden feucht. Ein falscher Impuls, und das Tier stürzte sich auf ihn, und er hatte keine Ahnung, welche Schaltung welche Reaktion hervor rief. Doch der Haß auf Atlan siegte über alle Bedenken und Befürchtungen. Ra ging zu der Stelle, an der die Roboter das Futter verschüttet hatten, und legte eine Hand auf die Wandung. Zischend öffnete sich ein Schott. Ra sprang erschrocken zurück, als ein rie siges schwarzes Ungeheuer schnaubend auf ihn losstürmte und gegen armdicke Gitter stäbe prallte. Ein mächtiger langgestreckter Schädel mit kurzem Rüssel und armlangen messerscharfen Hauern preßte sich zwischen die Stäbe. Schaumiger Geifer flog in schmutziggelben Flocken auf den Korridor. Als er den ersten Schreck überwunden hatte, erkannte Ra, daß es sich bei dem schwarzen Untier um einen gigantischen Eber handelte, ein Tier von fast sechs Me
39 tern Länge, zweieinhalb Metern Höhe und dem Gewicht eines kleinen Mammuts. Auf dem Rücken des Ebers sah Ra das gleiche Gestell, das auch auf dem Rücken des Himmelsstiers gewesen war, eine Art Sattel mit Griffen zum Festhalten. Der Eber zog sich auf die andere Seite seines Käfigs zurück, drehte wieder um und rannte erneut gegen die Gitterstäbe an. Er prallte mit solcher Wucht dagegen, daß Ra fürchtete, die Stäbe könnten nachgeben. Rasch drückte der Barbar auf einen Schal ter des Impulsgebers. Der Eber stierte ihn aus blutunterlaufenen Augen tückisch an und zog sich, rückwärts gehend, zurück. In der Mitte seines Käfigs blieb er stehen. Ra lächelte triumphierend. »Du gehorchst mir!« sagte er zu dem Tier. »Ich bin dein Gebieter, du schwarzer Gesel le.« Er drückte auf einen anderen Knopf. Im nächsten Augenblick schoß der riesige Eber, als wäre er katapultiert worden, durch die Luft und krachte gegen das Gitter. Sofort drückte Ra den nächsten Knopf. Der Eber wich zurück, schüttelte den mächtigen Schädel und trabte anschließend im Kreis durch seinen Käfig. Ra merkte sich den Knopf, den er nicht drücken durfte, dann probierte er den näch sten Knopf aus, und so weiter, bis er genau Bescheid wußte, welche Reaktionen er durch das Drücken eines bestimmten Knop fes hervorrufen konnte. »Du wirst meine Rache sein!« flüsterte er und betätigte den Schalter neben dem Schott, der die Gitterwand des Käfigs an ei ner Stelle öffnete.
* Mit Hilfe des Impulsgebers hatte sich der gigantische Eber in ein handzahmes Tier verwandelt. Dennoch schwitzte Ra jedesmal, wenn das Tier ihm zu nahe kam. Es gehörte kein böser Wille dazu, ihn zu töten, nicht bei den
40 Körperkräften des Ebers. Er brauchte ihn nur versehentlich an die Gitterstäbe zu schieben, und schon würden seine Knochen brechen. »Ich werde dich Gullinbursti nennen«, sagte Ra zu dem Eber. »Nach dem von den Zwergen geschaffenen Eber, auf dem Frey über das Land reitet, wenn das Fest der Al ben anbricht.« Das Riesentier grunzte und stieß ihm den nassen Rüssel ins Gesicht. Ra überschlug sich einmal und blieb auf dem Rücken lie gen. Er schüttelte benommen den Kopf, dann lachte er und sprang auf. »Deine Stärke wird Atlans Tod sein«, sagte er und spie Blut aus. »Ich werde frohlocken, wenn seine Knochen unter dei nen Hufen zermalmt werden und sein Blut den Sand der verfluchten Wüste tränkt. Da nach werde ich ihm das Herz herausschnei den, über einem Feuer rösten und essen, und alles, was Ischtar entweihte, wird im Feuer verbrennen.« Er ging zu einem Schaltkasten, entfernte die Panzerplatte, die die Schaltungen ab deckte, und drückte mehrere Knöpfe ein. Als der gesamte Käfig nach einer schwa chen Erschütterung langsam abwärts glitt, scharrte der Eber nervös mit den Hufen. Er beruhigte sich jedoch wieder, nachdem Ra auf einen Knopf seines Impulsgebers ge drückt hatte. Nach einer Weile kam der Käfig mit ei nem Ruck zum Stillstand. Außerhalb der Gitterstäbe befand sich ein großes Schleusenschott, und daneben waren zwei Monitorbildschirme in die Wand ein gelassen. Ra musterte die Schirme. Sie zeigten die Umgebung des Doppelpy ramidenschiffs aus verschiedenen Blickwin keln. So klar wie am hellen Tag waren Far nathia, Fartuloon und Vorry zu sehen – und die Bodenschleuse des Schiffes. Die drei Personen standen dicht beisam men und beratschlagten offenbar. Mehrmals deutete Fartuloon dabei auf die Boden schleuse des Schiffes.
H. G. Ewers Nach einiger Zeit setzte sich der Magne tier in Bewegung. Er zog immer größer wer dende Kreise, dann blieb er stehen und rief seinen Gefährten etwas zu. »Er hat meine Spur entdeckt!« grollte Ra. Fartuloon und Farnathia eilten zu Vorry und bückten sich. Danach berieten sie wie der. Plötzlich stob Vorry in Richtung der Bo denschleuse davon. Aber kurz bevor er sie erreichte, flimmer te die Luft davor. Der Magnetier prallte ge gen ein unsichtbares Hindernis, entmateriali sierte und wurde zirka tausend Schritt ent fernt in der Wüste wiederverstofflicht. Ras Gesicht verzog sich zu einem scha denfrohen Grinsen. »Niemand wird meine Pläne noch durch kreuzen können«, flüsterte er fanatisch. Er wurde fast wahnsinnig bei dem Gedan ken daran, was Atlan und Ischtar gerade trei ben mochten. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn und auf den Nacken, und sein Atem ging keuchend. Als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, ging er wie in Trance zu dem Eber, stieg in die Seilschlaufe, die am Sattel befe stigt war, und schwang sich auf den Rücken des Tieres. Seine Finger spielten nervös mit den Knöpfen eines zweiten Steuergeräts, das allerdings nur dazu diente, die Käfigschleuse zu öffnen oder zu schließen. Er würde dieses Gerät nur einmal brauchen. Endlich, nach langer Zeit des Wartens, tauchte auf dem Monitor, der die Boden schleuse zeigte, Atlans Gestalt auf. Der Arkonide kam durch die Schleusen kammer auf die äußere Öffnung zu, hielt sich am Rand fest und spähte hinaus. Ras Augen loderten drohend. Atlan wartete eine Weile, und als der Energieschirm außerhalb der Bodenschleuse zusammenbrach, trat er ins Freie. Im gleichen Augenblick drückte im Käfig Ra auf den Schaltknopf, der die Käfig schleuse fernsteuertechnisch öffnete. Klir rend hob sich eine Gitterwand des Käfigs; dahinter glitten die beiden Hälften des inne
Begegnung auf Frossargon ren Schleusenschotts auseinander. Ra drückte einen bestimmten Knopf des Impulsgebers. Der Eber grunzte, stemmte die Hufe in den Boden und stürmte los. Rund zehn Me ter weiter vorn öffnete sich das Außenschott der Schleuse. Das Tier jagte durch die tunnelartig ge formte Schleusenkammer. Als es ins Freie sprang, stieß Ra einen gellenden Schrei aus. Er sah Atlan zirka dreißig Meter vor sich. Der Arkonide drehte sich überrascht um – doch da war der Eber bereits über ihm und ritt ihn nieder. Die Hufe des Riesentiers zer trümmerten seine Knochen und ließen seine Schädelkapsel bersten. Leblos sank Atlan in den Sand. Langsam breitete sich eine Blutlache um ihn aus. Der Eber mit Ra aber jagte davon und verschwand in der Nacht …
9. Ich spürte, daß ich im Sterben lag. Meine Augen sahen nichts mehr, meine Ohren hör ten nichts mehr, und ich fühlte nichts mehr. Für eine gewisse Zeit mußte ich in tiefer Ohnmacht gelegen haben. Als ich wieder zu mir kam, erinnerte ich mich überdeutlich an einen gigantischen Eber mit Ra auf dem Rücken, der mich niedergeritten hatte. Meine Verletzungen mußten tödlich sein, deshalb wunderte ich mich, daß ich keine Schmerzen hatte. Ich konnte sogar wieder sehen und hören – und zwar klarer als je zu vor. Mein erster Blick galt dem Varganen schiff – nicht, weil es mich am meisten in teressierte, sondern weil ich mich nicht be wegen konnte und so lag, daß sich das Schiff zufällig in meinem Blickfeld befand. Ich sah die Bodenschleuse – und ich sah Ischtar, die aus der Schleusenöffnung stürm te. Ich erkannte sie sofort, obwohl sie nicht mehr nackt war, sondern einen silbrig schimmernden Kampfanzug mit einem ho hen Helm trug.
41 Ischtar lief in meine Richtung. Offenbar wollte sie mir helfen. Doch da hörte ich auch Schritte von der anderen Seite. Es waren die Schritte einer weiblichen Person, und ich konnte mir den ken, daß Farnathia ebenfalls zu mir eilte. Zwei Frauen, die dem Mann, den sie bei de liebten, in seiner letzten Stunde beistehen wollten. Plötzlich verstummten Farnathias Schrit te, und auch Ischtar blieb stehen. »Er ist tot – und das ist deine Schuld!« hörte ich Farnathia rufen. »Unser gemeinsames Kind wird leben!« rief Ischtar zurück. Typisch Weib! dachte ich. Gleich wird sie noch mit Einzelheiten unseres Beisammen seins prahlen, um ihre Konkurrentin noch tiefer zu demütigen. »Oh nein!« schrie Farnathia. »Weder du noch dein Bastard werden leben!« Ein Energiestrahl fauchte so dicht über mich hinweg, daß er mir die Ohren verseng te. Dort, wo eben noch Ischtar gestanden hatte, breitete sich ein Glutball aus. Verflüs sigter Sand spritzte umher. Ich konnte es nicht fassen. Farnathia, meine sonst so sanftmütige Farnathia, hatte auf ihre Nebenbuhlerin ge schossen und sie getötet. Die Eifersucht schien eine reißende Bestie aus ihr gemacht zu haben. Ich wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Jemand lachte schrill. Nur mit Mühe er kannte ich Ischtars Stimme. Sie war also doch nicht tot. Im nächsten Augenblick sah ich Ischtar. Sie tauchte hinter einer Bodenwelle auf und hielt einen im Sternenlicht glänzenden Ge genstand in der Hand. Dann fauchte abermals ein Energiestrahl über mich hinweg. Ich fühlte die Gluthitze der Entladung auf meinem Rücken. Wieder wollte ich schreien, und wieder brachte ich keinen Ton heraus. War Farnathia tot? Meine Augen füllten sich mit Tränen.
42 Aber ein neuer Blasterschuß, diesmal wieder in Ischtars Richtung, bewies mir, daß Farna thia noch lebte und weiterhin Ischtar nach dem Leben trachtete. Die beiden mußten den Verstand verloren haben. Da beschossen sie sich gegenseitig, und dabei riskierten sie, den Mann zu töten, den sie liebten. Aber sie hielten mich offenbar beide für tot. Wenn ich mich nur bemerkbar machen könnte, wenn ich ihnen irgendwie zeigen könnte, daß ich noch lebte und daß sie kei nen Grund hatten, sich zu bekämpfen, weil jede der anderen die Schuld an meinem Tod gab! Doch ich konnte mich nicht rühren. Offenbar war mein Rückgrat zertrümmert. Aber das war mir eigentlich egal. Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen, aber ich wollte nicht kurz vor dem Tod miterleben müssen, wie sich Farnathia und Ischtar ge genseitig umbrachten. Warum griffen Fartuloon und Vorry nicht ein? Warum trennten sie die beiden hysteri schen Frauen nicht? Ich begriff es nicht. Ra und der wilde Eber werden sie in Atem halten! meldete sich der Logiksektor meines Extrahirns. Mein Extrahirn funktionierte also noch, obwohl ich das Gefühl hatte, meine Schädel kapsel sei geborsten. Eigentlich war es ein Wunder, daß ich noch klar denken konnte. Ich sah, wie Ischtar sich hinter den stei nernen Dämon zurückzog. Farnathia tauchte plötzlich in meinem Blickfeld auf. Sie rann te an mir vorbei, warf sich hinter eine Bo denwelle und feuerte erneut auf ihre Rivalin. Ischtar erwiderte das Feuer, aber sie traf ebenso wenig wie Farnathia. Vielleicht woll te sie nicht treffen, denn sie mußte eigentlich eine gute Kämpferin sein, wenn ich bedach te, daß sie seit langer Zeit allein durch die Galaxis streifte und sich bestimmt vieler Ge fahren hatte erwehren müssen. Doch irgend wann mußte eine der beiden Frauen getrof fen werden. Das war unvermeidlich, wenn sie weiter aufeinander schossen. Sobald eine
H. G. Ewers von beiden in ernste Bedrängnis geriet, wür de sie keinerlei Rücksichten mehr nehmen. Verzweifelt bemühte ich mich, meine Glie der zu bewegen oder wenigstens zu schrei en. Als ich spürte, daß meine rechte Hand sich krümmte, stöhnte ich erleichtert auf – und ich stöhnte laut. Farnathia schoß förmlich aus ihrer Deckung hoch und blickte in meine Rich tung. Aber ich vermochte mich nicht noch ein mal zu bewegen und konnte auch keinen Ton mehr aus meiner Kehle bringen. Farnathia duckte sich, streckte die Rechte mit dem Blaster vor und belegte Ischtars Deckung mit Dauerfeuer. Der Prulthstein glühte auf und zerplatzte in einem Funkenre gen. Abermals sprang Farnathia auf. Sie rannte geduckt nach rechts, um näher an ihre Riva lin heranzukommen. Da fuhr ein greller Blitz herüber. Er traf Farnathia in die linke Hüfte. Mit einem er stickten Schrei brach sie zusammen. Ihr Bla ster flog durch die Luft, und ihr Körper krümmte sich im Sand. Ich war starr vor Entsetzen. Farnathia, meine Farnathia, war getroffen, vielleicht tödlich getroffen. Wie sollte ich weiterleben ohne sie? Du wirst ebenfalls sterben! erklärte mein Logiksektor gefühllos. Es interessierte mich nicht mehr. Ich hatte nur noch ein Bestreben: meiner Farnathia zu helfen, wenn das noch möglich war. Und mit einemmal konnte ich mich wie der bewegen, zwar nicht normal, aber ich war nicht mehr zur absoluten Passivität ver urteilt. Millimeter um Millimeter schob ich mich durch den Sand, krallte mich mit den Fin gern in den Boden, stemmte die Füße in den Sand. Mehrmals fiel mein Kopf vornüber, und ich bekam Sand in den Mund, in die Na se und in die Augen. Es störte mich nicht. Ich kroch selbst dann weiter, als mein Körper plötzlich vom Schmerz durchflutet wurde. Ich biß mir die Lippen blutig,
Begegnung auf Frossargon schluckte Blut und Sand und Schweiß und zog und schob mich weiter vorwärts, auf meine Farnathia zu. Als ich sie endlich erreichte und einen Blick in ihr wachsbleiches verfallendes Ge sicht warf, wußte ich, daß ich eine Sterbende vor mir hatte. Ich tastete nach Farnathias Hand. Tränen strömten mir übers Gesicht, vermischten sich mit Blut, Sand und Schweiß. Ein Rö cheln entrang sich meiner Kehle – und plötzlich konnte ich wieder sprechen, wenn auch nur leise. »Farnathia!« sagte ich. »Bitte, meine Far nathia, verzeih mir!« An ihren Augen erkannte ich, daß sie mich hörte. Aber sie antwortete nicht. Nur ihr schwaches röchelndes Atmen war zu hö ren. »Farnathia!« flehte ich. »Wir werden bei de sterben. Laß mich nicht von dir gehen, ohne mir zu verzeihen. Es … es tut mir leid, Farnathia. Ich wollte es nicht.« Doch auch diesmal erhielt ich keine Ant wort. Vielleicht konnte Farnathia mich nicht verstehen. Ich drückte ihre Hand so stark, wie es meine schwindenden Kräfte erlaubten. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich Gegendruck zu verspüren, aber als ich fragend in Farnathias Augen schaute, sah ich, wie sie sich mit einem trüben Film über zogen. Gleichzeitig erschlaffte ihre Hand in meiner. Farnathia war tot. Ich schluchzte laut auf. Mein Gesicht fiel in den Sand, dann wurde es schwarz um mich.
* Als Ra mit dem Eber davonjagte, schleu derte Fartuloon sein Bergseil nach dem Tier. Die Schlinge des Seils verfing sich in ei nem Hinterbein des Ebers. Fartuloon wurde umgerissen und mitgeschleift. Verbissen hielt er sich am Seil fest. Er wollte nicht los
43 lassen, denn er rechnete damit, daß Ra um kehren und den Eber veranlassen würde, At lan den Rest zu geben. Doch der Eber hielt weder an noch drehte er um. Fartuloon wurde zuerst durch Sand und später über Schotter geschleift. Er krümmte den Rücken, um zu vermeiden, daß sein ungeschützter Schädel gegen die Steine prallte. Doch seine Hände konnte er nicht schützen. Sie wurden blutig gerissen. Droben im Sattel brüllte Ra wie ein Ver rückter. Fartuloon begriff erst nach einer Weile, daß der Barbar versuchte, das Tier anzuhal ten. Vermutlich war es ihm durchgegangen. Fartuloon wußte aus dem früheren Bericht Ras, daß die Tiere Ischtars mit Hilfe eines Impulsgebers gesteuert wurden. Wahr scheinlich hatte Ra zuerst einen Impulsgeber benutzt und ihn dann bei dem wilden Ritt verloren. Als Fartuloon einen Blick nach vorn warf, sah er im Sternenlicht eine Steinbarriere auf tauchen. Er erschrak. Wenn er gegen die Steinbarriere ge schleudert wurde, war er verloren. Dann würde er Atlan auch nicht mehr helfen kön nen. Er ließ das Seil los, rutschte noch ein Stück über den Schotter, drehte sich dreimal um die eigene Achse und blieb liegen. Das Blut rann über seine zerschundenen Hände, und sein Rücken schmerzte, als wäre eine Herde Saurier darüber gestampft. Plötzlich huschte etwas vorüber, das an nähernd einer schwarzen Tonne glich. Vorry! Der Magnetier erreichte den tobenden Eber in dem Augenblick, in dem Ra aus dem Sattel geschleudert wurde. Wenn Vorry ihn nicht mit seinen kräftigen Armen aufgefan gen hätte, wäre sein Körper beim Aufprall auf die Steine zerschmettert worden. Aber Vorry erhielt keine Zeit, sich länger um den Barbaren zu kümmern. Der Eber machte wutschnaubend kehrt und ging den Magnetier an. Seine armlangen
44 Hauer hielt er gesenkt, und hinter ihm spritz ten faustgroße Steine hoch. Vorry hüpfte drei Meter zur Seite. Der Eber stürmte ins Leere. Da hüpfte Vorry zu rück und warf sich gegen die Flanke des Riesentiers. Beide Wesen überschlugen sich und stürzten auf die Steine. Sie kamen zur gleichen Zeit wieder hoch. Sofort griff das Tier an. Vorry packte einen Hauer. Wahrscheinlich wollte er den Eber aus dem Gleichgewicht bringen. Doch die Wucht des massigen Tierkör pers war auch für den Eisenfresser zu stark. Vorry wurde hochgewirbelt, flog ungefähr dreißig Meter weit durch die Luft und stürz te so schwer auf die Steinbarriere, daß Fartu loon annehmen mußte, er wäre tot oder zu mindest so schwer verletzt, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Der Eber wirbelte herum und ging den Magnetier abermals an, wohl um ihm den Rest zu geben. Aber er hatte Vorry noch nicht erreicht, da stand der kleine tonnenförmige Kerl auf. Er hielt einen großen Felsbrocken in beiden Händen und schleuderte ihn mit aller Kraft nach dem Tier. Dann sprang er zur Seite. Der Felsbrocken, so groß wie der Schädel des Tieres, prallte gegen den Kopf des Ebers. Es krachte und knirschte, als wäre er gegen massiven Fels geprallt. Doch der Wurf blieb nicht ohne Wirkung. Der Eber knickte in den Vorderbeinen ein, strauchelte und richtete sich mit wüten dem Schnauben wieder auf. Vorry hatte unterdessen einen zweiten Felsbrocken aufgehoben, und als das Tier wieder auf ihn losstürmte, warf er ihn eben falls. Aber diesmal wich der Eber dem Fels block aus, warf sich herum und jagte auf den Magnetier zu. Der schwarze Tonnenkörper wurde unter stampfenden Hufen begraben. Fartuloon zweifelte nicht mehr daran, daß Vorry verloren war, als der Eber plötzlich hochschnellte, taumelte und umfiel. Hinter ihm verhob sich Vorry. Er hielt in jeder
H. G. Ewers Hand einen Hauer. »Mistvieh!« brüllte er. Er rannte auf den Eber zu, der im letzten Moment wieder hochsprang und flüchtete. Vorry jagte hinterher. Der Eber hatte sich verausgabt, denn er lief nicht fort, sondern schlug nur immer wieder Haken, um seinen Verfolger nicht an sich herankommen zu lassen. Allmählich wurden seine Bewegungen langsamer. Und dann stellte er sich noch einmal zum Kampf. Beide Wesen prallten frontal zusammen, wirbelten umeinander, daß die Steinbrocken nur so umherflogen – und dann war es vor bei. Der Eber brach zusammen, legte sich auf die Seite, und seine Hinterbeine zuckten konvulsivisch im Todeskampf. Dann lag er still. Nur ein Zittern lief noch durch seinen Riesenkörper. Fartuloon rappelte sich mühsam hoch. Die Wunden an seinen Händen bluteten inzwischen nicht mehr, aber er fühlte sich wie zerschlagen. Taumelnd ging er auf die Stelle zu, an der Vorry den Barbaren nieder gelegt hatte. Er kam in dem Augenblick dort an, als Ra aus einer Ohnmacht erwachte. Der Barbar blickte sich zuerst verständnislos um, dann sprang er auf und stürzte sich auf Fartuloon. Fartuloon wurde von dem ungestümen Angriff überrascht. Er erhielt einen Faust schlag gegen die Schläfe und ging in die Knie. Undeutlich sah er, wie Ra einen Stein auf hob und damit ausholte. Er warf sich zur Seite, und der Stein verfehlte ihn. Im nächsten Moment riß Fartuloon seinen Paralysator aus dem Gürtelhalfter, zielte und drückte ab. Ra brach zusammen. Vorry näherte sich langsam. Er schien Mühe zu haben, sich zu bewegen. Vor dem paralysierten Ra blieb er stehen, blickte zu Fartuloon und meinte: »Das Monstrum war ein verdammt harter Brocken, Dicker. Was ist es eigentlich für
Begegnung auf Frossargon ein Wesen?« »Ein Eber«, antwortete Fartuloon. »Ein abnormal großer Eber. Was tun wir mit Ra? Wir können ihn doch nicht in der Wüste lie gen lassen.« »Ich trage ihn zum Schiff zurück«, erklär te Vorry. »Bist du nicht zu erschöpft?« erkundigte sich Fartuloon. »Das sieht nur so aus«, erwiderte der Ma gnetier. »Der Kampf mit dem Eber hat mich zwar etwas mitgenommen, aber ich erhole mich schnell.« Er bückte sich und lud sich den Barbaren auf die Arme. »Es kann losgehen!« sagte er. Fartuloon schob seinen Paralysator ins Gürtelhalfter zurück und prüfte die Schal tungen seines Flugaggregats durch. Wie er befürchtet hatte, reagierte das Gerät nicht. Es mußte beschädigt worden sein, als Fartu loon über den Boden geschleift worden war. »Geh voraus, Vorry«, sagte er. »Sieh zu, daß du etwas für Atlan tun kannst. Er muß schwerverletzt sein. Ich komme nach.« »Einverstanden«, antwortete Vorry und setzte sich in Bewegung. Er raste davon, und wenige Sekunden später hatte die Dunkelheit ihn und Ra ver schluckt. Fartuloon seufzte und setzte sich langsam in Bewegung. Später fiel er in einen leichten Trab. Die Sorge um Atlan trieb ihn voran.
* Als ich zu mir kam, hob ich den Kopf. Der Anblick meiner toten Farnathia zerriß mir fast das Herz. Doch dann sah ich Ischtar, und der Zorn verdrängte den Schmerz über den Verlust der Freundin. Die Varganin stand wenige Schritte von mir entfernt. Sie war in eine Energieaura gehüllt, offenbar einen Schutzschirm. »Ich verfluche dich!« sagte ich mit brü chiger Stimme. »Du bist schuld daran, daß dieses Mädchen sterben mußte, das ich zur Frau nehmen wollte. Wenn ich könnte, wür
45 de ich dich umbringen.« In Ischtars Gesicht zuckte es. »Ich verstehe, daß du mich jetzt haßt und verachtest, Atlan«, sagte sie leise. »Aber ich habe den Tod deiner Freundin nicht gewollt. Wenn sie in ihrer maßlosen Eifersucht nicht den Verstand verloren hätte, würde sie noch leben.« »Wenn du sie nicht zur Eifersucht getrie ben hättest, würde sie ebenfalls noch leben«, erwiderte ich. »Und auch ich brauchte nicht zu sterben.« »Du wirst nicht sterben, Atlan«, erklärte Ischtar. »Und ich werde unseren Sohn trotz allem zur Welt bringen. Und ich werde dafür sorgen, daß du wieder gesund wirst.« »Irrtum!« erwiderte ich. »Meine Verlet zungen sind tödlich. Auch du kannst mir nicht mehr helfen, du Schlange!« »Deine Verletzungen sind tödlich, Atlan«, sagte Ischtar. »Aber ich verfüge über Mittel, auch solche Verletzungen wieder zu heilen. Danach werde ich dir helfen, die verlorene Spur zum Stein der Weisen wiederzufin den.« Sie wandte sich ab und ging davon. Wenig später tauchten mehrere Roboter auf. Sie hoben mich behutsam auf eine Anti gravplattform. Hochdruckinjektionsdüsen zischten. Mir war, als entfernte sich die Welt weit von mir, dennoch konnte ich alles wahrnehmen, was um mich herum vorging. Die Antigravplattform setzte sich in Be wegung und schwebte auf das Schiff zu, das riesig und golden unter dem Sternenhimmel von Frossargon stand. Hinter mir blieb Farnathias sterbliche Hülle zurück. Ich blickte zu den Sternen auf und fragte mich, ob Farnathias Geist wohl dorthin un terwegs war, ob er dort warten würde, bis mein Geist eines Tages nachkam – wenn es stimmte, daß der Geist den Tod überdauerte. Wenn es tatsächlich stimmte, dann war es vielleicht besser, ich starb bald, damit ich wieder mit Farnathia vereint war. Ich wollte ohne sie nicht mehr leben. Doch dann erinnerte ich mich an das Ver
46 sprechen, das Ischtar mir gegeben hatte. Danach werde ich dir helfen, die verlore ne Spur zum Stein der Weisen wiederzufin den … Der Stein der Weisen, ich hatte tatsäch lich nicht mehr an ihn gedacht. Er war mir seit Farnathias Tod so unwichtig erschienen, ein Phantom, nach dem zu jagen es sich nicht lohnte, weil es so vergänglich war wie alles im Universum. Nur die Liebe war ewig. Das stimmt! pflichtete mir der Logiksek tor meines Extrahirns bei. Aber du hast kein Recht, deine Liebe nur auf eine Person zu beschränken. Der Kristallprinz des Großen Imperiums muß seine Liebe auf alle Bürger des Imperiums ausdehnen, auf alle Arkoni den und auch auf alle nichtarkonidischen Völker, die im Einflußbereich des Großen Imperiums leben. Darum darfst du über der Trauer um Farnathia nicht das Ziel aus den Augen verlieren, das du dir gemeinsam mit deinen Freunden gesetzt hast: den Stein der Weisen zu finden und mit seiner Hilfe die Macht Orbanaschols zu brechen. Ich lauschte der inneren Stimme nach und erkannte, daß sie recht hatte. Ich hatte eine Verpflichtung, die größer und stärker war als ein Einzelschicksal, grö ßer und stärker als mein Schmerz über den Verlust Farnathias – und wichtiger als mein persönliches Schicksal. Wenn Farnathia noch lebte, sie hätte mir sicher beigepflichtet. Ich handelte also auch in ihrem Sinn, wenn ich die Pflicht annahm, die dem Kristallprinzen des Großen Imperi ums auferlegt war. Die Antigravplattform, auf der ich lag, wurde von den Robotern durch die Boden schleuse des Varganenschiffs bugsiert und in einen Antigravlift geschoben. Langsam schwebten wir nach oben. Danach kam der Anblick eines langen, hell erleuchteten Korridors, eines Saales mit grellen Deckenlampen, das Surren, Blitzen und Klappern von Instrumenten und Ma schinen. Ich merkte, wie mein Schutzanzug aufge
H. G. Ewers schnitten wurde, wie blitzende Instrumente zielsicher zupackten, meine Fleischwunden behandelten, meine gebrochenen Knochen richteten. Dann strahlte über mir ein grünlicher Scheinwerfer auf, badete mich in seinem Licht. Die Roboter und Instrumente ver schwanden aus meinem Blickfeld. Ich fühlte mich trotz einer schweren Mat tigkeit plötzlich viel wohler – und dann sank ich in einen tiefen Schlaf …
10. Als ich erwachte, war das grüne Licht er loschen. Der Saal lag in mattem rosafarbe nen Licht, und von irgendwoher erklang ei ne wohltuende Melodie. Ich wollte mich aufrichten, verzichtete aber darauf, als ich mich an die schweren Verletzungen erinnerte, die der Eber mir zu gefügt hatte. Wenn ich zu früh aufstand, konnte ich mir unter Umständen schweren Schaden zufügen. »Du bist geheilt, Erhabener!« sagte eine schlecht modulierte Stimme. Ein Roboter trat in mein Blickfeld, eine humanoid geformte Maschine mit grüngol dener Außenhülle und rötlich glühenden Au genzellen. »Ich bin geheilt?« fragte ich zweifelnd. »Aber ich war schwer verletzt, und ich kann noch nicht lange hier sein.« »Lange genug, um die Verletzungen zu heilen, Erhabener«, antwortete der Roboter. »Du mußt dich noch etwas schonen, aber es werden keine Schäden zurückbleiben. Meine Herrin bittet dich durch mich, mir zu folgen, Erhabener.« »Deine Herrin?« entfuhr es mir. »Ischtar?« Der Roboter ging nicht darauf ein, son dern fragte nur: »Bist du bereit, Erhabener?« Ich setzte mich vorsichtig auf, ohne Schmerzen zu verspüren. Als ich an meinen Kopf faßte, fühlte ich mit den Fingerspitzen unter dem Haar einige hauchdünne Linien,
Begegnung auf Frossargon wahrscheinlich die verheilten Bruchstellen. Es grenzte an ein Wunder, daß mein ge borstener Schädel wieder zusammenge wachsen war und daß mein Gehirn keine Schäden behalten hatte. Es mußte doch ebenfalls verletzt gewesen sein. Aber das Wunder war geschehen, also hatte ich es zu akzeptieren. Langsam schwang ich die Beine von dem Metallplastiktisch, auf dem ich gelegen hat te, setzte sie auf den Boden und stand ganz auf. Ich spürte nicht einmal ein Schwindel gefühl, als ich wieder auf eigenen Füßen stand. Ein wenig matt war ich noch, aber das war auch alles. »Bringe mich zu deiner Herrin!« befahl ich dem Roboter. Die Maschine wandte sich um und ging zu einem Schott, das sich vor ihr öffnete. Ich folgte ihr mit gemischten Gefühlen. Würde ich es ertragen können, Ischtar ge genüberzustehen, der Ischtar, die mich mit hypnotischen Mitteln zur Liebe gezwungen und meine Farnathia getötet hatte? Du mußt deine Gefühle besser kontrollie ren! raunte mir der Logiksektor meines Ex trahirns zu. Denke daran, daß nur Ischtar dir behilflich sein kann, die Spur zum Stein der Weisen wiederzufinden! Ich riß mich gewaltsam zusammen. Dennoch mußte ich immer wieder an Far nathia denken, während ich hinter dem Ro boter durch Korridore ging, durch Antigrav schächte schwebte und in immer höhere Re gionen des Varganenschiff es kam. Meine Farnathia, die mir durch viele Ge fahren gefolgt war, die ich aus den Klauen des Blinden Sofgart befreit hatte und die mir Halt gegeben hatte, wenn ich nahe daran ge wesen war, zu verzweifeln – meine Farna thia lebte nicht mehr. Als der Roboter vor einem großen Schott anhielt und sagte: »Hier ist es, Erhabener!« Da konnte ich nicht mehr. Ich lehnte mich gegen die Wand und erwiderte: »Sage deiner Herrin, ich kann sie nicht se hen. Die Wunde ist noch zu frisch.«
47 »Aber deine Wunden sind geheilt, Erha bener«, entgegnete der Roboter. »Ich meinte nicht die Wunden an meinem Körper, sondern die Wunde an meiner Seele, du seelenlose Maschine!« sagte ich matt. Die Augenzellen des Roboters blickten mich an und leuchteten stärker. »Verstanden, Erhabener«, erklärte er. Ich bezweifelte allerdings, daß er mich wirklich verstanden hatte. »Meine Herrin wurde von deinem Wunsch unterrichtet und respektiert ihn. Eine unmittelbare Begegnung wird nicht stattfinden. Bitte, folge mir.« Ich atmete auf. Wenigstens besaß Ischtar soviel Feinge fühl, um meine psychische Situation zu ver stehen. Plötzlich verspürte ich so etwas wie den ersten zaghaften Ansatz von Sympathie Ischtar gegenüber. Die Varganin war eigent lich nicht schlecht. Sie hatte einen Mann ge sucht, mit dem sie einen Sohn zeugen woll te, aber durfte ich ihr das zum Vorwurf ma chen! Ich folgte dem Roboter, als das Schott sich öffnete. Als ich durch die Öffnung trat, sah ich, daß ich mich in einer Art Observatorium be fand. An der nach außen gewölbten Decke einer Halle erkannte ich einen Ausschnitt der Galaxis, funkelnde Sterne, leuchtende und dunkle Gasnebel und ein zerfasertes milchig schimmerndes Band, das sich quer durch den Sternenhimmel zog. Was mir aber sofort ins Auge fiel, war ein riesiger Komet mit mächtigem Schweif, der in der Nähe einer bestimmten Sternkonstel lation stand. Obwohl ich wußte, daß Kome ten ebenso profane Gebilde waren wie Aste roiden, ging für mich ein unerklärlicher Zau ber von diesem wunderschönen Kometen aus. Irgendwo war ein Knacken, dann hörte ich Ischtars Stimme. »Folge der Spur des Kometen Glaathan, dann wirst du den Vorsprung deiner Gegner wettmachen, Atlan!« sagte Ischtars Stimme. »Ich hoffe sehr, daß wir uns unter einem
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besseren Stern noch einmal begegnen. Du wirst deinen – unseren – Sohn in dieser Zeit niemals treffen, aber in ferner Zukunft wirst du ihm begegnen und Entscheidungen tref fen müssen, die dir sehr schwerfallen. Dann denke immer daran, daß Chapat das Produkt unserer Liebe ist. Und nun, verlasse mein Schiff, Atlan, Geliebter! Meine Roboter werden inzwischen das Beiboot repariert ha ben. Viel Glück auf allen deinen Wegen, At lan!« Als die Stimme verhallt war, stand ich lange Zeit da und starrte mit brennenden Augen auf die Projektion des Kometen Glaathan. Aber ich dachte in dieser Zeit nicht an den Kometen und daran, daß er uns zum Stein der Weisen führen sollte, sondern an meinen noch ungeborenen Sohn, der aus einer so un gewöhnlichen Verbindung hervorgehen würde. Ischtar hatte gesagt, ich würde ihm erst in ferner Zukunft begegnen. Wie konnte sie das gemeint haben? Meine Lebensspanne war begrenzt und reichte gewiß nicht in eine ferne Zukunft hinein. Ich konnte Chapat also nur dann in ferner Zukunft begegnen, wenn ich mittels Zeitreise in diese Zukunft gelangte. Aber woher wollte Ischtar das wissen? Langsam wandte ich mich um. Der Robo ter ging mir wieder voraus. Er führte mich zu einem der Hauptlifte und ließ mich den Rest des Weges allein gehen.
* Als ich die Bodenschleuse verließ, fiel mein erster Blick auf ein frisches Grab. Es war mit den Überresten des Prulthsteins be deckt. Meine Knie wurden weich. Das konnte nur Farnathias Grab sein. Ich sah Fartuloon und Vorry vor dem Grab stehen. Sie blickten mir mit ernsten Gesichtern entgegen. Dann sah ich Ra. Der Barbar mußte eben noch bewußtlos
gewesen sein, denn als ich ihn erblickte, lag er im Sand. Im nächsten Augenblick rappelte er sich hoch, sah mich und stieß einen Wutschrei aus. Er stürzte sich auf mich. In seinen Augen loderte ungezügelter Haß. Ich wich seinem ersten Schlag aus, doch dann rammte er mir seinen Kopf in den Leib. Wir gingen zu Boden, und Ra um klammerte meinen Hals mit seinen kräftigen Händen. »Verräter!« stieß er keuchend hervor. »Du hast mir meine Ischtar genommen. Dafür bringe ich dich um.« Ich merkte, wie mir die Luft knapp wur de. Dennoch brachte ich es nicht fertig, mich gegen Ra zu wehren. Ich hatte, wenn auch gegen meinen Willen, seine geliebte Ischtar besessen. Für ihn mußte das der Schändung eines Heiligtums gleichkommen. Wie hätte ich mich da gegen ihn wehren können! Aber Fartuloon und Vorry hatten nicht die gleichen Hemmungen wie ich. Sie eilten herbei, packten Ras Arme und rissen den Barbaren von mir weg. Ra trat aus, spuckte, biß und kratzte. Er war von Sinnen und stieß wüste Drohungen gegen mich und auch gegen meine Freunde aus. Plötzlich schallte eine laute Stimme über die Wüste – Ischtars Stimme. »Ra!« rief sie. Der Wilde erstarrte. Aus blutunterlaufe nen Augen blickte er zum Schiff. »Ischtar!« schrie er. »Wenn du zu mir kommen willst, Ra, dann folge den beiden Robotern, die ich aus geschickt habe!« sagte Ischtars Stimme. »Sie werden dich zu mir führen.« Ra stöhnte laut, dann erwiderte er: »Ich komme, Ischtar!« »Laßt ihn los!« sagte ich zu Fartuloon und Vorry. Meine Gefährten ließen den Barbaren los. Ra traf keine neuen Anstalten, sich auf mich zu stürzen. Er schien mich völlig vergessen zu haben. Wie in Trance ging er den beiden
Begegnung auf Frossargon Robotern entgegen, die vom Doppelpyrami denschiff herüberkamen. Dann verschwand er hinter ihnen in der Bodenschleuse. Fartuloon blickte mich an. »Wie ich sehe, sind deine Wunden ge heilt, mein Junge«, sagte er ernst. »Jedenfalls keine körperlichen Wunden. Glaube mir, auch die Wunden deiner Seele werden heilen. Es wird nur etwas länger dauern. Du mußt nach vorn blicken, Atlan, mußt deine Aufgabe erfüllen, den Stein der Weisen zu finden.« »Wenn wir nur wüßten, wo wir ihn su chen sollen«, warf der Magnetier ein. »Ich weiß es«, sagte ich. »Ischtar hat mir den Weg gewiesen. Wir müssen der Spur des Kometen Glaathan folgen, dann werden wir den Vorsprung unserer Gegenspieler wettmachen.« »Der Komet Glaathan …!« sagte Fartu loon sinnend. Ich hörte allerdings gar nicht mehr hin. Langsam ging ich hinüber zu dem Grab, in dem meine Farnathia ruhte. Ich kniete nie der, legte die Hände auf die Überreste des Prulthsteins und dachte an die schweren und an die schönen Zeiten, die Farnathia und ich gemeinsam durchlebt hatten. Es war ein Abschied, denn ich wußte, daß ich von nun an meinen Weg allein gehen mußte. Allein? Nein, nicht allein, denn ich hatte meine Freunde, die mir immer treu zur Seite stehen würden. Einen Freund, Ra, hatte ich zwar verloren, aber Fartuloon und Vorry waren mir geblieben. Ich mußte viele Stunden vor Farnathias letzter Ruhestätte gekniet haben, denn als ei ne schwere Hand sich auf meine Schulter legte und ich aufblickte, sah ich, daß die Sonne, die vorher im Zenit gestanden hatte, inzwischen dicht über dem westlichen Hori zont hing. Es war Vorry, der mir eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. »Ra kommt zurück«, sagte der Magnetier. Ich blickte zum Schiff.
49 Ra war eben erst durch die Bodenschleuse gekommen – aber das war nicht mehr der Ra, wie ich ihn noch vor Stunden gesehen hatte. Der Barbar war völlig verwandelt. Sein Gesicht glühte, die Augen leuchteten und seine Brust war förmlich vor Stolz ge schwellt. Er ging wie ein Betrunkener. Er ist trunken vor Glück! wisperte mir mein Logiksektor zu. Wahrscheinlich hat Ischtar ihm erzählt, daß sie nur ihn wirklich liebt. Beim Erzählen wird es nicht geblieben sein! dachte ich. Sie wird ihm ihre Liebe be wiesen haben. Dann kann er wieder dein Freund sein! erklärte der Logiksektor meines Extrahirns. Ra stolperte und wäre beinahe gestürzt. Immerhin kam er dadurch wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich sah, daß Fartuloon in der Nähe stand, auf sein Skarg gestützt, und daß er den Bar baren mit verstehendem Lächeln beobachte te. Langsam ging ich Ra entgegen. Als er mich sah, überzog sich sein Gesicht mit der Röte der Verlegenheit. »Verzeih mir, Atlan!« stammelte er. »Ich …« »Vergiß es!« erwiderte ich und hielt ihm die Hand hin. »Wir sind Freunde!« Ra atmete erleichtert auf und drückte mei ne Hand. »Ja, und wir wollen Freunde bleiben, At lan!« sagte er. Fartuloon gesellte sich zu uns und meinte: »Die Roboter Ischtars haben unser Bei boot repariert. Wir können sofort starten, wenn wir wollen.« »Ja, starten wir«, erwiderte ich. Wir gingen zu unserem Boot. Es sah wie der aus wie neu. Ischtars Roboter hatten gute Arbeit geleistet. Aber bevor wir einsteigen konnten, ertön te ein Rauschen. Wir blickten uns um und sahen, wie das Raumschiff Ischtars sich beinahe lautlos er hob und senkrecht emporschwebte. Als es
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50 unseren Blicken entschwunden war, wand ten wir uns wieder unserem Beiboot zu. Meine Gefährten stiegen vor mir ein. Ich blieb bis zuletzt draußen und blickte auf Far nathias Grab, dann wandte ich mich ent schlossen ab und stieg hinter meinen Ge fährten ins Boot. Ich wußte, ich würde Farnathia niemals vergessen, aber ich wußte auch, daß die Er innerung an sie mich nicht mehr daran hin dern konnte, den Blick in die Zukunft zu richten. Der Stein der Weisen war dank Ischtars
Hilfe wieder in greifbare Nähe gerückt. Be stimmt würden wir noch schwere Gefahren zu bestehen haben, bevor wir ihn erreichten, aber ich war zuversichtlich, daß wir es schließlich doch schaffen würden. Dann würde Farnathias Tod vielleicht doch noch einen Sinn bekommen …
E N D E
ENDE