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Günther Heger, Wilhelm Schmeisser (Hrsg.): Beiträge zum Innovationsmarketing Gesundheits- und Innovationsmanagement, hrsg. von Wilhelm Schmeisser ⋅ Ricarda B. Bouncken ⋅ Ulrich Demmig ⋅ Alexander Kantner ⋅ Dieter Krimphove ⋅ Oliver Schöffski ⋅ Thorsten Teichert, Band 4 ISBN 978-3-86618-156-4, Rainer Hampp Verlag, München u. Mering 2007, 307 S., € 27.80
Das Innovationsmanagement lässt sich in Bezug auf das Marketing auf vier Leitideen reduzieren, die in diesen Buch exemplarisch behandelt werden: • Initiierung, Planung und Durchsetzung von Innovationen sind konsequent an den Kundenbedürfnissen auszurichten. • Der Verkauf neuer Technologien, insbesondere von Produkten und Verfahren, setzt eine besondere Interaktion zwischen Forschung und Entwicklung, Produktion, Marketing und innovativen Anwendern voraus. • Mittels einer Innovationsprozess- bzw. Wertschöpfungskettenanalyse im Rahmen eines Innovationsmarketingcontrollings soll das Unternehmen in der Lage sein zu überprüfen, ob sich eine technologische Innovation rechnet. Dabei sind alle Risikofaktoren zu berücksichtigen. • Innovationsmarketing beruht auf verhaltenswissenschaftlichen Überlegungen der Adoption und Diffusion von Innovationen. Schlüsselwörter:
Innovationsmarketing, Kundenwertmanagement, Kundenperspektive im Rahmen des Berliner Balanced ScorecardAnsatzes, Kundenbezogene Marktforschung für Innovationen, Produktentwicklung in der Telekommunikationsindustrie, Hochschulmarketing, Innovationsmarketing für Gesundheitsdienstleistungen, Messen als Instrument des Innovationsmarketings
Professor Dr. Günther Heger ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der FHTW Berlin, Direktor des Kompetenzzentrums „Internationale Innovationsund Mittelstandsforschung“ Berlin, Forschungsschwerpunkte: Business-toBusiness-Marketing, Strategische Unternehmensplanung und -führung. Professor Dr. habil. Wilhelm Schmeisser ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der FHTW Berlin und an der Universität Duisburg tätig, Direktor des Kompetenzzentrums „Internationale Innovations- und Mittelstandsforschung“ Berlin, Direktor der Forschungsstelle „Europäisches Personalmanagement und Arbeitsrecht (EPAR)“ an der Universität Paderborn. www.mittelstandsforschung-berlin.de
Gesundheits- und Innovationsmanagement herausgegeben von Wilhelm Schmeisser ⋅ Ricarda B. Bouncken ⋅ Ulrich Demmig ⋅ Alexander Kantner ⋅ Dieter Krimphove ⋅ Oliver Schöffski ⋅ Thorsten Teichert
Band 4
Günther Heger Wilhelm Schmeisser (Hrsg.)
Beiträge zum Innovationsmarketing
Rainer Hampp Verlag
München und Mering 2007
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-86618-156-4 Gesundheits- und Innovationsmanagement: ISSN 1862-4855 1. Auflage, 2007 © 2007
Rainer Hampp Verlag Meringerzeller Str. 10
München und Mering D – 86415 Mering
www.Hampp-Verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen, Übersetzungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. ∞
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Vorwort der Herausgeber Die Schriftenreihe Gesundheits- und Innovationsmanagement liefert Lösungen für praktische und wissenschaftliche Problemstellungen des Managements von Gesundheitsunternehmen. Aufgezeigte Konzepte sind fundiert und auf der Basis empirischer Untersuchungen überprüft. Zudem liefert diese Reihe Managementansätze, die gezielt auf mathematisch-statistischen Verfahren beruhen. Forschung und Praxis sind zugleich Zielgruppe der Schriftenreihe. Die Schriftenreihe wendet sich an medizinische und wirtschaftswissenschaftliche Forschungseinrichtungen innerhalb und außerhalb von Fachhochschulen und Universitäten. Lösungen werden entwickelt für die Gesundheitswirtschaft mit ihren Krankenhäusern, RehaKliniken, Arztpraxen und Apotheken. Außerdem wendet sich die Reihe an Unternehmen der Pharmaindustrie, Biotechnologie und Medizintechnik sowie an die Versicherungswirtschaft. Schließlich werden fachinteressierte Studierende und Forschende sowie Manager/innen in Industrie, Verwaltung und Politik Lösungen und Gestaltungsansätze finden. Charakteristisch an der Reihe ist die betriebswirtschaftliche Perspektive, die eingenommen wird, um ein effektives und innovationsorientiertes Management im Gesundheitssektor zu fördern. Immer stärker nehmen innovative Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, Versicherungen und gesundheitsnahe sowie technologieorientierte Dienstleistungsunternehmen, Industrieunternehmen und mittelständische Technologieunternehmen diese Sicht ein. In der Schriftenreihe Gesundheits- und Innovationsmanagement erscheinen Beiträge und Arbeiten, die im Wesentlichen aus eigenen Forschungsprojekten oder einer Auftragsforschung entstanden sind. Dies gilt für Qualifizierungsarbeiten aus dem Hochschulbereich, für betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse von Kompetenzzentren bzw. (An-)Instituten sowie für Ergebnisse aus internationalen Kooperationsprojekten. Die einzelnen Bände der Reihe folgen bewusst keiner funktionalen, institutionellen oder paradigmenorientierten Sichtweise der Betriebswirtschaftslehre. Die Schriftenreihe gibt aber auch interdisziplinären „Grenzthemen“ eine Plattform, damit zukunftsweisende, betriebswirtschaftliche Problemstellungen ganzheitlich angesprochen werden, die dann neue, weitergehende wissenschaftliche Fragen und Antworten in der betriebswirtschaftlichen Forschung aufwerfen. Der vierte Band der Schriftenreihe setzt sich mit den wesentlichen Gründen eines Innovationsmarketings auseinander. Die potenziellen Anwender bekunden, dass sie oft Schwierigkeiten haben, das Nutzenpotenzial einer Innovation nachzuvollziehen. Gründe dafür liegen in der Komplexität der Technologien, hohen Innovationsgeschwindigkeiten und Unsicherheiten in der Nutzen- und Kostenbeurteilung. Technischer Fortschritt allein garantiert trotz eines Patentschutzes keinen Nutzen. Die Anwendung und Verwendung von Hochtechnologieprodukten erfolgt immer häufiger
als Systemelement, das in komplexen Prozessen oder Produkten integriert und daher erklärungsbedürftig ist, wenn der potenzielle Anwender seinen Nutzen erkennen will und soll. Der Anwender wird bei neuen Technologien, Produkten, Softwareanwendungen oder (Finanz-)Dienstleistungen immer auch mit neuen Risiken konfrontiert. Damit erhalten die großen innovativen Investitionsentscheidungen strategischen Charakter und es verwundert nicht, dass die Adoptionszeiten entsprechend zunehmen. Der vorliegende Band zeigt aus verschiedenen Blickwinkeln aktuelle Ansatzpunkte für das Innovationsmarketing. Berlin, Greifswald, Hamburg, Nürnberg, Mühlheim an der Ruhr, Paderborn Die Herausgeber
Diese Publikation wurde gefördert durch den Europäischen Sozialfonds und die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen des Landes Berlin.
Inhaltsverzeichnis I
Innovationsmarketing – Ein Überblick....................................................1
II Einführung in das Innovationsmarketing.........................................4 1
Einleitung..............................................................................................................4
2
Objekt-, subjekt- und prozessbezogene Dimension der Innovation...............5 2.1 Objektbezogene Dimension der Innovation .....................................................5 2.2 Subjektbezogene Dimension der Innovation....................................................8 2.3 Prozessbezogene Dimension der Innovation....................................................8
3
Was ist Innovationsmarketing? Begriffsdefinition und -abgrenzung ..........10
4
Die Produktinnovations-Erfolgsfaktorenforschung (PIEFF) als Informationsgrundlage des Innovationsmarketing ..................................11
5
Der CIA -Competitive Innovation Advantage- und Kundenorientierung als wichtigste Erfolgsfaktoren ..........................................................................13
6
Zusammenfassung .............................................................................................16
III Kundenbezogene Marktforschung für Innovationen - Ziele, Methoden & Erfolgseinfluss ...................................................................19 1
Einführung .........................................................................................................19
2
Ziele kundenbezogener Innovationsmarktforschung ....................................20 2.1 Minimierung von Fehlentscheidungen erster und zweiter Art.......................20 2.2 Adressierung spezifischer Informationsbedürfnisse.......................................22
3
Methoden kundenbezogener Innovationsmarktforschung ...........................23 3.1 Methoden-Systematisierung ...........................................................................23 3.2 Überblick zu innovativen Methoden ..............................................................24
4
Erfolgseinfluss kundenbezogener Innovationsmarktforschung (Metasynopse) ....................................................................................................27
5
Zusammenfassung .............................................................................................29
II
Inhaltsverzeichnis
IV Internetbasiertes Conjoint Measurement zur Analyse der Leistungsanforderungen bei innovativen Investitionsgütern .......36 1
Problemstellung .................................................................................................36
2
Methoden zur Analyse von Leistungsanforderungen ....................................37 2.1 Arten von Präferenzmodellen .........................................................................38 2.2 Mögliche Verknüpfungsfunktionen................................................................40 2.3 Die Präferenzmessung ....................................................................................41
3
2.3.1
Kompositionelle Verfahren....................................................................41
2.3.2
Dekompositionelle Verfahren................................................................42
Darstellung der Methode des Conjoint Measurements .................................42 3.1 Einsatzmöglichkeiten des Conjoint Measurements........................................43 3.2 Arten des Conjoint Measurements .................................................................45 3.3 Verfahrensschritte der Conjoint Analyse .......................................................49 3.4 Besondere Aspekte der internetbasierten Conjoint Analyse ..........................55 3.5 Besonderheiten des internetbasierten Conjoint Measurements bei Investitionsgütern ...........................................................................................59
4
Praxisbeispiel......................................................................................................61 4.1 Einleitung........................................................................................................61 4.2 Der Ablauf einer internetbasierten Conjoint Measurement Studie im Überblick ........................................................................................................62 4.3 Merkmale und Merkmalsausprägungen einer internetbasierten Adaptiven Conjoint Analyse ............................................................................................63 4.4 Ausgewählte Ergebnisse des Conjoint-Measurements mit der Adaptiven Conjoint Analyse ............................................................................................66
5
Fazit.....................................................................................................................73
V Bedeutung von Messen im Innovationsprozess bei technologischen Produktinnovationen ...................................................77 1
Einführung .........................................................................................................77
2
Konzeptionelle Grundlagen des Messemanagements bei der Vermarktung technologischer Innovationen ...................................................................79
3
Rolle der Messe im Innovationsprozess...........................................................85
III
4
Bedeutung der Mitarbeiterführung zur Erreichung der Messeziele ..........88
5
Zukünftige Bedeutung der Messe im Innovationsprozess.............................90
VI Nautilus - Die Vermarktung eines neuen Softwareproduktes ......94 1
Die Firma und das Produkt ..............................................................................94
2
Der Markt...........................................................................................................95
3
Herausforderung 2001 ......................................................................................96
4
Kommunikation .................................................................................................97 4.1 Zielgruppen.....................................................................................................98 4.2 Differenzierung und Positionierung ...............................................................99 4.2.1
Differenzierung durch das Produkt........................................................99
4.2.2
Differenzierung durch das Produktdesign ...........................................101
4.2.3
Differenzierung durch Serviceleistung ................................................101
4.3 Preismodell ...................................................................................................101 4.4 Kommunikation ............................................................................................101 4.4.1
Basisausstattung...................................................................................102
4.4.2
Produkt, Präsentation und Verpackung ...............................................102
4.4.3
Partnertreffen .......................................................................................102
4.4.4
Branchenproduktblätter........................................................................102
4.4.5
Pressearbeit ..........................................................................................102
4.4.6
Online- und Print-Konzeption .............................................................103
4.4.7
Kunden- und Partnernewsletter ...........................................................103
4.4.8
Werbematerial......................................................................................103
4.4.9
Messeauftritte.......................................................................................103
4.4.10 Freilizenzen..........................................................................................103 4.4.11 Sonstige Marketing-Aktivitäten...........................................................104 5
Erfahrungen aus dem Software-Vertrieb .....................................................104 5.1 Indirekter Vertrieb über Beratungspartner ...................................................107 5.2 Erfolgsfaktoren für den Vertrieb ..................................................................107
6
Fazit...................................................................................................................109
IV
Inhaltsverzeichnis
VII Digitales Fernsehen – Eine Analyse der Auswirkungen des technologischen Wandels auf die klassische Fernsehwerbung 111 1
Einleitung..........................................................................................................111
2
Untersuchungsgegenstand „Digitales Fernsehen“ .......................................112 2.1 Begriff des digitalen Fernsehens ..................................................................112 2.2 Digitale Fernsehübertragung ........................................................................112 2.3 Vorzüge der digitalen Fernsehtechnik..........................................................114 2.4 Angebote und Services im digitalen Fernsehen ...........................................115
3
Zukünftige Veränderungen auf dem deutschen Fernseh(werbe)markt infolge der Digitalisierung des Fernsehens....................................................118 3.1 Veränderungen für die Programmveranstalter durch eine Ausweitung des Programmangebots.................................................................................119 3.1.1
Spezialisierung des Programmangebots ..............................................119
3.1.2
Zunahme der Zuschauer-Fragmentierung............................................119
3.2 Veränderungen im Fernsehnutzungsverhalten der Rezipienten durch Video-On-Demand und digitale Festplattenrekorder...................................122 3.2.1
Zeitunabhängiger Fernsehkonsum.......................................................122
3.2.2
Erleichterung der Werbevermeidung...................................................123
3.3 Veränderungen für die Werbeindustrie/ Werbungtreibenden durch die neuen Interaktionsmöglichkeiten im digitalem Fernsehen ..........................125
4
3.3.1
Interaktive Werbung ............................................................................125
3.3.2
Dialogmarketing im Fernsehen............................................................130
Auswirkungen der Digitalisierung des Fernsehens auf die klassische Fernsehwerbung ..............................................................................................133 4.1 Ableitung der Arbeitshypothesen .................................................................133 4.2 Ergebnisse der Expertenbefragung...............................................................134 4.3 Zusammenfassende Beurteilung der Zukunftsaussichten der klassischen Fernsehwerbung im digitalen Fernsehen......................................................140
5
4.3.1
Chancen für die klassische Fernsehwerbung.......................................140
4.3.2
Risiken für die klassische Fernsehwerbung.........................................141
Fazit...................................................................................................................142
V
VIII Ein Beitrag zur Produktentwicklung in der Telekommunikat-ionsindustrie aus der Perspektive des Innovationsmarketing ...........................................................................149 1
Einleitung..........................................................................................................149
2
Innovationsmanagement in der Telekommunikationsindustrie .................149 2.1 Marktbedingungen........................................................................................149 2.2 Herausforderungen für das Innovationsmanagement...................................150
3
Produktentwicklung aus der Sicht des Innovationsmarketing ...................151
4
Die Bildung Block Methode: Ein methodischer Ansatz zur Unterstützung der Produktentwicklung in der Telekommunikationsindustrie..........153 4.1 Anforderungen aus der Perspektive des Innovationsmarketing ...................153 4.1.1
Gemeinsame Sprache...........................................................................153
4.1.2
Modularisierung...................................................................................154
4.1.3
Meta-Aggregation ................................................................................155
4.2 Vorgehensweise............................................................................................155 5
Einsatzmöglichkeiten des Building-Block-Ansatzes zur Produktentwicklung ......................................................................................................157 5.1 Informations- und Koordinationsfunktion....................................................157 5.2 Aktionsfunktion ............................................................................................159 5.3 Segmentierungsaspekt ..................................................................................161 5.4 Strategiefunktion...........................................................................................162
6
Schlusswort.......................................................................................................162
IX Service Engineering für Gesundheitsdienstleistungen..................165 1
Service Engineering als Wachstumschance ..................................................165
2
Gestaltungsdimensionen im Service Engineering und Kundenintegrationsmanagement ...................................................................166 2.1 Strategische Komponente der Kundenintegration........................................167 2.2 Operative Komponente von Kundenintegration...........................................168
3
2.2.1
Potentialmanagement...........................................................................168
2.2.2
Prozessmanagement.............................................................................169
2.2.3
Ergebnismanagement...........................................................................171
Phasenmodell für das Service Engineering...................................................172
VI
4
Inhaltsverzeichnis
Service Engineering für innovative Gesundheitsdienstleistungen..............174 4.1 Bedarf für innovative Gesundheitsdienstleistungen.....................................174 4.2 Gründe, Arten und Folgen der Zunahme an Erkrankungen .........................175 4.3 Zielgruppen für innovative Gesundheitsdienstleistungen ............................177 4.4 Service Engineering für Gesundheitsdienstleistungen – ein Ansatz in der Region...........................................................................................................181 4.5 Abschlussbetrachtung ...................................................................................185
X
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell für die Vermarktung von Gesundheitsdienstleistungen .......................190
1
Einführung .......................................................................................................190
2
Status der Leistungsbeziehung Gesundheitsdienstleister-Unternehmen...191 2.1 Marktchancen und -risiken für Gesundheitsdienstleistungen ......................191 2.2 Stärken und Schwächen................................................................................193 2.3 Anforderungen an die Gesundheitsagentur ..................................................195
3
Innovatives Geschäftsmodell – Gesundheitsagentur....................................197 3.1 Organisation der Leistungsbeziehung Gesundheitsdienstleister – Gesundheitsagentur – Unternehmen ............................................................197 3.1.1
Organisation der Beziehung Dienstleister – Gesundheitsagentur .......199
3.1.2
Organisation der Beziehung Gesundheitsagentur – Unternehmen......200
3.2 Leistungsinhalte des Gesundheitsagenten ....................................................201 3.2.1
Analyse des Ist-Zustands im Unternehmen .........................................201
3.2.2
Auswahl und Integration der Dienstleistungen....................................203
3.2.3
Ergebnisevaluation...............................................................................204
3.3 Erfolgsfaktor Netzwerkarbeit .......................................................................205 3.3.1
Anbieternetzwerk des Agenten ............................................................205
3.3.2
Abnehmernetzwerke eines Gesundheitsagenten..................................207
3.4 Vorteile für die Partner der Leistungsbeziehung..........................................207 3.4.1
Vorteile für den Gesundheitsagenten...................................................207
3.4.2
Vorteile für die Dienstleister................................................................208
3.4.3
Vorteile für die Unternehmen ..............................................................208
3.4.4
Vorteile für die Arbeitnehmer..............................................................209
3.5 Erfolgreiche Gesundheitsnetzwerke .............................................................209
VII
4
3.5.1
AOK Bayern ........................................................................................209
3.5.2
Netzwerk zwischen LBK Hamburg und 13 ambulanten Rehabilitationszentren..........................................................................211
Erfolgsausichten der Gesundheitsagentur ....................................................213
XI
Innovative Strategie der Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen durch Verknüpfung des hochschulseitigen Marke-tings mit unternehmensseitigem Personalmarketing ....216
1
Einleitung..........................................................................................................216
2
Hochschulmarketing als Instrument der strategischen Personalrekrutierung von Hochschulabsolventen ......................................................218 2.1 Konzept des Key-University-Managements.................................................222 2.2 Konzept der extended internal labour markets (EILMs)..............................223 2.3 Talentbindungsprogramme ...........................................................................224
3
Hochschulmarketing als Element der Profilbildung von Hochschulen ....224 3.1 Verbindung von internem und externem Hochschulmarketing in der Zielgruppe der zukünftigen, aktuellen und ehemaligen Studierenden.........226 3.2 Besonderheiten des Hochschulmarketings gegenüber der Zielgruppe der privaten Wirtschaft .......................................................................................228
4
3.2.1
Differenz der Zielsysteme zwischen Hochschule und privater Wirtschaft .............................................................................................228
3.2.2
Rekrutierung als organisationaler Beschaffungsprozess .....................229
3.2.3
Problem der Intransparenz von Hochschulleistungen .........................230
3.2.4
Differenz der Strukturen ......................................................................231
Kooperatives Hochschulmarketing................................................................231 4.1 Entwicklung eines Begriffs eines Kooperativen Hochschulmarketings.......232 4.2 Ziele eines Kooperativen Hochschulmarketings ..........................................233 4.3 Instrumente eines Kooperativen Hochschulmarketings ...............................235 4.3.1
Analyseinstrumente zur Identifizierung von Key Companies: ABC-/XYZ-Analyse.............................................................................235
4.3.2
Analyseinstrumente zur Identifizierung von Key Companies: Geschäftsbeziehungsportfolio ..............................................................236
4.4 Einsatz der marketingpolitischen Instrumente .............................................239 4.4.1
Individualisierte Betreuung im Rahmen eines Key-CompanyManagements .......................................................................................241
VIII
Inhaltsverzeichnis
4.4.2
Weitgehende Standardisierung der Betreuung von Unternehmen in der Anbahnungsphase ......................................................................241
5
Kooperatives Hochschulmarketing als Motor für die Entwicklung einer Employability-Orientierung der gesamten Hochschule.....................242
6
Zusammenfassung ...........................................................................................245
XII
Kundenwertanalyse am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens ..........................................................................................251
1
Kundenwertanalyse als Instrument zur Bewertung von Kundenbeziehungen ......................................................................................................251
2
Kundenwertanalyse und Kundenwertmanagement.....................................252 2.1 Bestimmungsfaktoren des Kundenwerts ......................................................253 2.2 Methoden zur Kundenwertmessung .............................................................254 2.3 Kundensegmentierung auf Grundlage von Kundenwerten ..........................255
3
Ergebnisse einer Kundenwertanalyse der Forschungs AG.........................257 3.1 Datenbasis.....................................................................................................259 3.1.1
Bestelldaten und Kundendaten ............................................................259
3.1.2
Kostendaten..........................................................................................259
3.2 Ermittlung und Beurteilung der Kundenprofitabilität ..................................260 3.2.1
Berechnung des Erfolgsbeitrages.........................................................260
3.2.2
Beurteilung der Kundenprofitabilität: Vergleich der prozentualen Umsatz- und Kundendeckungsbeitragsanteile pro Kunde...................260
3.2.3
Abschätzung der künftigen Profitabilität.............................................263
3.3 Kundenklassifikationen ................................................................................265 3.3.1
ABC-Analyse.......................................................................................265
3.3.2
Kundenportfolio...................................................................................267
3.4 Kundenentwicklung......................................................................................269 3.5 Schlussfolgerungen.......................................................................................270 4
Zusammenfassung ...........................................................................................271
IX
XIII Berliner Balanced Scorecard als ein Ansatz zur Steuerung einer Technologiemarketingstrategie: Zur Quantifizierung der Kundenperspektive im Rahmen der Innovationsprozesskette .......................................................................275 1
Vom Produkt- zum Kundendeckungsbeitrag ...............................................275 1.1 Zur Prozesskostenrechnung ..........................................................................276 1.2 Hierarchiestufen der Erlös- und Kostenpositionen.......................................279 1.3 Ermittlung eines differenzierteren Kundendeckungsbeitrages mittels der Prozesskostenrechnung ................................................................................280 1.4 Interpretation der Kundendeckungsbeiträge.................................................281
2
Vom Kundendeckungsbeitrag zum Kunden-Cash-Flow.............................282
3
Investitionsrechnerische Zusammenfassung zum Kundenwert .................284 3.1 Ermittlung des Kalkulationszinsfußes ..........................................................284 3.2 Einsatzmöglichkeiten des Kundenwertes und Interpretation der Ergebnisse.....................................................................................................285
4
Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive............................................286
5
Zur Verbindung von Shareholder Value und Berliner Balanced Scorecard ..........................................................................................................287
6
Schlussbetrachtung und Ausblick..................................................................288
Autorenverzeichnis Behnke, Anne-Christin, Dipl.-Kffr. (FH) ist Business Consultant in einer Berliner Unternehmensberatung. Hauptaufgabengebiet: Sanierung und Restrukturierung vorrangig in den Bereichen Marketing und Vertrieb mittelständischer Unternehmen. Erner, Michael, Dipl-Kfm., Dr. rer. soc. oec. studierte in Bonn, Köln und Paris Volks- und Betriebswirtschaftslehre und promovierte am Lehrstuhl für Strategische Unternehmensführung und Controlling in Klagenfurt. Während seiner Promotion arbeitete er als Berater der Kienbaum Management Consulting AG. Seit 1994 ist er bei der Deutschen Telekom durchgängig in Seniormanagementfunktionen, darunter als Vertriebscontroller und Key Account Manager sowie anschließend als Leiter Produktmanagement, Marketing Consultant sowie mehrfach als Leiter der Strategieabteilung, davon insgesamt mehr als 5 Jahre im Ausland tätig. Aktuell arbeitet er als Themenfeldleiter bei den „Deutsche Telekom Laboratories“ in Berlin mit Forschungsschwerpunkt im Bereich des Innovationsmanagement und -marketing. Frana, Michaela, Dipl.-Päd., Dipl.-Kffr. (FH) verantwortet die Arbeitsbereiche Career Service und Alumni Management an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Sie begann sich 1999 als Human Resources Consultant in einem Beratungsunternehmen mit den Themen Personal- und Hochschulmarketing zu beschäftigen. Der vorliegende Aufsatz ist Ergebnis ihrer Arbeitserfahrungen auf Unternehmens- und Hochschulseite sowie ihrer Diplomarbeit im Rahmen eines postgradualen BWL-Studiengangs. Heger, Günther, Prof. Dr. lehrt Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Direktor des Kompetenzzentrums Internationale Innovations- und Mittelstandsforschung, Berlin, Forschungsschwerpunkte: Business-to-Business-Marketing, Strategische Unternehmensplanung und -führung. Meier, Claudia war in zahlreichen mehrjährigen Softwareprojekten in der Bankenbranche tätig. Im Juni 2001 gründete sie Gedilan und leitet seitdem als Gesellschafterin und Geschäftsführerin das Software-Unternehmen. Aus ihrer intensiven Tätigkeit als Netzwerkerin in den verschiedensten Business Organisationen (SIBB, GfO, Bitkom, Berliner Wirtschaftsgespräche usw. verfügt Frau Meier über ein sehr umfangreiches Netzwerk. Darüber hinaus engagiert sich Frau Claudia Meier als Gründungsmitglied von Amt24, als Mitglied des SIBB und in der Regionalleitung der Gesellschaft für Organisation.
XI Pörner, Ronald, Prof. Dr. lehrt Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, insbesondere Marketing und Marktforschung Vor seiner akademischen Tätigkeit war er mehrere Jahre bei einer Tochtergesellschaft des MAN-Konzern im Marketing und Vertriebscontrolling aktiv. Danach wechselte er in den Bereich Transportation Systems der Siemens AG, wo er in leitender Position für die strategische Ausrichtung und das Marketing des Bereiches verantwortlich war. Er beschäftigt sich seither in zahlreichen Projekten und Veröffentlichungen mit der Bahnindustrie und dem Business-toBusiness-Marketing. Presse, Volker, cand. Ing. ist seit 2005 im Bereich des Innovationsmanagement und -marketing der Deutschen Telekom Laboratories (An-Institut der Technischen Universität Berlin) tätig. Er studiert Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Informations- und Kommunikationssysteme an der Technischen Universität Berlin und der University of Queensland, Australien. Derzeit promoviert er am Lehrstuhl Innovations- und Technologiemanagement von Prof. Dr. Hans Georg Gemünden, Technische Universität Berlin. Schmeisser, Wilhelm, Prof. Dr. lehrt Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, insbesondere Finanzierung/ Investition, (internationale) Unternehmensführung, Personalwirtschaft/ Organisation, Technologie-/ Innovationsmanagement und ist an der Universität Duisburg-Essen tätig. Zudem ist er Direktor des Kompetenzzentrums "Internationale Innovations- und Mittelstandsforschung" an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Direktor der Forschungsstelle "Europäisches Personalmanagement und Arbeitsrecht (EPAR)" an der Universität Paterborn. Schramm, Catrin, Dipl.-Ing., Dipl.-Kffr. (FH) war mehrere Jahre Leiterin eines Profit-Centers für Dienstleistungen im Bereich der Personalentwicklung. Als solche war sie u.a. verantwortlich für Vertrieb, Vertriebscontrolling und Marketing. Frau Schramm studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Simon, Dieta, Prof. Dr. lehrt Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin mit den Forschungsschwerpunkten Business-toBusiness-Marketing und Innovationsmanagement.
XII
Autorenverzeichnis
Sontag, Bernd, Dipl.-Kfm. vertritt zurzeit eine Professur für Marketing sowie Management von Kleinen und Mittleren Unternehmen im Studiengang Betriebswirtschaftslehre der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Neben der akademischen Tätigkeit führt er regelmäßig strategieorientierte Beratungsprojekte durch. Vor der wissenschaftlichen und beratenden Tätigkeit war er mehrere Jahre für die strategische Planung eines Bereichs der Siemens AG tätig. Anschließend leitete er den Vertrieb, die Unternehmensstrategie und stellvertretend das Marketing der S-Bahn Berlin GmbH. Steinhoff, Fee, Dr. ist Projektfeldmanagerin im Innovationsmanagement der Deutschen Telekom Laboratories (An-Institut der Technischen Universität Berlin). Im Anschluss an ihr Studium (Betriebswirtschaftslehre und Master of Business & Engineering) promovierte sie am Lehrstuhl Marketing von Prof. Dr. Volker Trommsdorff zum Thema Kundenorientierung bei hochgradigen Innovationen. Fee Steinhoff ist Lehrbeauftragte an der Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) und der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Trommsdorff, Volker, Prof. Dr. ist Inhaber des Lehrstuhls Marketing der Technischen Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte sind Konsumentenverhalten und Werbung, Innovationsmarketing und zukunftsanalytische Marktforschungsmethoden. Beratung mit den Schwerpunkten Innovationsmarketing, Markenführung und Kommunikationsmanagement. Werthmann, Sonja, Dipl.-Kffr. (FH) ist als Junior Produktmanagerin bei der Deutschrock Merchandising GmbH in Berlin tätig.
I
Innovationsmarketing – Ein Überblick
Günther Heger / Wilhelm Schmeisser Bei technologieorientierten Unternehmen ergeben sich regelmäßig neue Anforderungen an ihr Innovations- und Marketingmanagement. Dabei lässt sich das Innovationsmanagement in Bezug auf das Marketing1 auf vier Leitideen reduzieren: 1.
Initiierung, Planung und Durchsetzung von Innovationen sind konsequent an den Kundenbedürfnissen auszurichten.
2.
Der Verkauf neuer Technologien, insbesondere von Produkten und Verfahren, setzt eine besondere Interaktion zwischen Forschung und Entwicklung, Produktion, Marketing und innovativen Anwendern voraus.
3.
Mittels einer Innovationsprozess- bzw. Wertschöpfungskettenanalyse2 im Rahmen eines Innovationsmarketingcontrollings soll das Unternehmen in der Lage sein zu überprüfen, ob sich eine technologische Innovation rechnet. Dabei sind alle Risikofaktoren zu berücksichtigen.
4.
Innovationsmarketing beruht auf verhaltenswissenschaftlichen der Adoption und Diffusion von Innovationen.
Überlegungen
Die wesentlichen Gründe für ein Innovationsmarketing sind: •
Die potenziellen Anwender bekunden, dass sie oft Schwierigkeiten haben, das Nutzenpotenzial einer Innovation nachzuvollziehen. Gründe dafür liegen in der Komplexität der Technologien, hohen Innovationsgeschwindigkeiten und Unsicherheiten in der Nutzen- und Kostenbeurteilung.
•
Technischer Fortschritt allein garantiert trotz eines Patentschutzes keinen Nutzen. Die Anwendung und Verwendung von Hochtechnologieprodukten erfolgt immer häufiger als Systemelement, das in komplexen Prozessen oder Produkten integriert und daher erklärungsbedürftig ist, wenn der potenzielle Anwender seinen Nutzen erkennen will und soll.
•
Der Anwender wird bei neuen Technologien, Produkten, SoftwareAnwendungen oder (Finanz-)Dienstleistungen immer auch mit neuen Risiken konfrontiert. Damit erhalten die großen innovativen Investitionsentscheidungen strategischen Charakter und es verwundert nicht, dass die Adoptionszeiten entsprechend zunehmen.
1
Vgl. Trommsdorff, V./ Steinhoff, F.: Innovationsmarketing, München 2007. Vgl. Schmeisser W./ Kantner, A./ Geburtig, A./ Schindler, F.: Forschungs- und TechnologieControlling. Wie Unternehmen Innovationen operativ und strategisch steuern, Stuttgart 2006.
2
2
Heger / Schmeisser
•
Entwickler arbeiten oftmals vom (internationalen) Markt isoliert. Dies liegt daran, dass Kundenpräferenzen nicht systematisch und repräsentativ erhoben werden und dass die internen Informationsflüsse oft ungenügend organisiert sind.
•
Anwender haben Probleme, ihre Bedürfnisse zu artikulieren bzw. sinnvoll in ein Pflichten- und Lastenheft zu überführen. Sie kennen nur ihre Probleme, können daraus aber kein Profil ihrer Anforderungen an das innovative Produkt und die Technologie ableiten.
Zum State-of-the-Art, den aktuellen Diskussion und zu den Problemlösungsansätzen im Innovationsmarketing werden im vorliegenden Buch Beiträge geliefert. Nach diesem Überblick führen Fee Steinhoff/ Volker Trommsdorff grundlegend im zweiten Kapitel in das Innovationsmarketing ein. Aufbauend auf den Ergebnissen der Erfolgsfaktorenforschung bei Produktinnovationen wird als wesentliche Aufgabe des Innovationsmarketings die Schaffung von Kundenvorteilen durch Innovationen herausgearbeitet: Aufgabe des Innovationsmarketings ist die Schaffung und Durchsetzung neuer Leistungsangebote auf bestehenden und potenziellen Absatzmärkten. Wenn eine im Wettbewerb überlegene Leistung, die für die Kunden wichtig ist und deren Nutzenvorteil auch wahrgenommen wird, der wichtigste Erfolgsfaktor für innovative Produkte ist, dann hat die Erfassung der Kundenbedürfnisse und die Ausrichtung der Produktentwicklung an den Bedürfnissen zentrale Bedeutung. Fee Steinhoff gibt in diesem Sinne im dritten Kapitel einen Überblick über die Ziele und Methoden der Innovationsmarktforschung. Ronald Pörner/ Bernd Sontag zeigen im vierten Kapitel, wie mit Hilfe des Conjoint Measurement Präferenzstrukturen von einzelnen Nachfragern bzw. Marktsegmenten analysiert werden können. Praxisbezogen wird an einem Beispiel aus der Investitionsgüterindustrie die Abschätzung des relativen Einflusses wesentlicher Produkteigenschaften auf die Nutzenbewertung eines Produktes gezeigt. Aus der Perspektive des Messemanagements untersucht Günther Heger im fünften Kapitel das Potenzial von Messebeteiligungen zur Unterstützung von Innovationsprozessen. In der Konzeptionsphase kann die Messe als Informationsquelle genutzt werden; in der Forschungs- & Entwicklungsphase und der Markteinführungsphase dient die Messe der Überprüfung der Marktakzeptanz und der Überwindung von Marktwiderständen. Claudia Meier stellt im sechsten Kapitel am Beispiel einer innovativen SoftwareLösung für das Geschäftsprozessmanagement eine erfolgreiche Markteinführung vor. Eine Fülle praktischer Hinweise für effektive und effiziente Vertriebsarbeit im innovativen Software-Marketing wird gegeben. Technologische Veränderungen im Umfeld bewirken oft tiefgreifende Veränderungen in den betroffenen Branchen. Sonja Werthmann zeigt im siebten Kapitel am Beispiel der Digitalisierung des Fernsehens, wie die deutsche Fernsehlandschaft durch diese Technologie nachhaltig verändert wird und welche Chancen und Risiken für die klassische Fernsehwerbung bestehen.
Innovationsmarketing – Ein Überblick
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Michael Erner / Volker Presse beschäftigen sich im achten Kapitel mit der Neuproduktentwicklung in der Telekommunikationsindustrie. Sie legen einen branchenspezifisch entwickelten Ansatz zur methodischen Unterstützung der Entwicklung zugrunde und zeigen praktische Anwendungsmöglichkeiten aus der Perspektive des Innovationsmarketings. Innovative Dienstleistungen für die Gesundheitsbranche stehen im Mittelpunkt des neunten und zehnten Kapitels. Dieta Simon zeigt grundlegend die Gestaltungsdimensionen für innovative Dienstleistungen im Gesundheitsbereich und den Prozess des Service Engineering bzw. das Management innovativer Dienstleistungen. AnneChristin Behnke stellt in ihrem Beitrag ein innovatives Geschäftsmodell für die Vermarktung von Gesundheitsdienstleistungen vor: die Gesundheitsagentur. Im elften Kapitel zeigt Michaela Frana eine innovative Strategie der Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen. Entwickelt wird ein Modell des kooperativen Marketings, das das hochschulseitige Marketing mit dem unternehmensseitigen Personalmarketing verknüpft. Dabei wird das kooperative Marketing als Ansatzpunkt einer verstärkten Employability-Orientierung der Hochschulen verstanden. Die beiden Schlusskapitel fokussieren den Controllingaspekt. Catrin Schramm zeigt am Beispiel eines Biotechnologie-Unternehmens die praktische Umsetzung einer Kundenwertanalyse. Wilhelm Schmeisser stellt auf der Basis der Berliner Balanced Scorecard einen Ansatz zur Steuerung der Technologiemarketingstrategie vor. Im Rahmen der Innovationsprozesskette wird für die Kundenperspektive ein geschlossenes Kennzahlensystem entwickelt.
II
Einführung in das Innovationsmarketing1
Fee Steinhoff / Volker Trommsdorff
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Einleitung
Die Wirtschaft ist gegenwärtig einem enormen Innovationsdruck ausgesetzt. Neben immer wieder angeführten Argumente wie Globalisierung, Sättigungstendenzen in den Märkten und steigende Ansprüche der Zielkunden, ist ein Grund auch im rasanten technischen Fortschritt zu sehen: Ein an Breite und Tiefe nie da gewesener Strom neuer Technologien drängt zur Umsetzung in die Neuproduktentwicklung. So wird z.B. in den Entwicklungsabteilungen der Textilindustrie momentan fieberhaft an Kleidungsstücken der Zukunft, High-Tech Fashion, gearbeitet. Textilien werden mit Zusatzfunktionen ausgestattet, um sie zu „intelligenten“ Begleitern im Alltag zu machen. Bereits möglich ist das in die Jacke integrierte Mobiltelefon mit Internetzugang – mit Tastatur auf dem Ärmel, Mikrofon am Kragen und Lautsprechern in der Kapuze. So trugen z.B. bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften 2002 35 Journalisten eine Weste, auf die mit W-LAN für die Berichterstattung relevante Informationen übertragen wurden. Darüber hinaus wird an technisch verbesserten Textilien geforscht. So sollen im Gewebe integrierte Parafinkapseln die Muskeln kühlen: Erwärmt sich der Stoff, schmilzt das Parafin und nimmt die Wärmeenergie auf, kühlt sich der Stoff ab, verfestigen sich die Parafinkapseln wieder. Schließlich sollen Stoffe mit „eingebauter Intelligenz“ z.B. Medikamente wie Aspirin an die Haut weitergeben bzw. Geruchsmoleküle durch aufgetragene Cyclodextrine binden (TROMMSDORFF/STEINHOFF 2007; FAZ 2002). Diese und andere neue Technologien beinhalten Potenziale für grundlegenden Wandel der Textilindustrie. Kleidung kann so über gegenwärtige, physiologische und psychologische Elementarbedürfnisse (Kleidung zum Schutz von Klimaeinflüssen bzw. Ausdruck der Persönlichkeit) hinaus ganz neue, momentan noch nicht mit Kleidung assoziierte Funktionen bereitstellt. Ob die dazu erforderlichen Technologien (z.B. Cyclodextrine) jedoch erfüllen, was sie versprechen, muss sich noch herausstellen. Wichtig ist jedoch: Der technische Erfolg stellt nur eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für den Innovationserfolg dar. Letztlich entscheidend ist die Akzeptanz bei Kunden. So kann die technische Umsetzung der Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien in Kleidung noch so perfekt gelöst sein, wenn die Innovation nicht artikulierte bzw. latente Bedürfnisse der Zielkunden adressiert, wird sie langfristig im Markt scheitern. Elementarer Erfolgsfaktor ist ein hoher Kundennutzen und dessen erfolgreiche Kommunikation in die Zielgruppe. 1
Für eine ausführliche Darstellung der Aufgaben des Innovationsmarketing und der wichtigsten Werkzeuge zu ihrer effektiven und effizienten Lösung sei auf das praxisorientierte Lehrbuch Trommsdorff/Steinhoff (2007) “Innovationsmarketing“, Verlag Franz Vahlen GmbH München, verwiesen.
Einführung in das Innovationsmarketing
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Wir nennen diesen Schlüsselfaktor des Innovationsmarketing CIA - Competitive Innovation Advantage. Dieser Beitrag ist eine Einführung in das Innovationsmarketing. Dazu wird zunächst Innovation aus einer objekt-, subjekt- und prozessbezogenen Perspektive betrachtet sowie Innovationsmarketing definiert und abgegrenzt. Es folgt ein Überblick zur Produktinnovations-Erfolgsfaktorenforschung (PIEFF), deren Erkenntnisse eine wesentliche Informationsgrundlage des Innovationsmarketing darstellt. Abschließend wird der CIA als dominierender Erfolgsfaktor fokussiert. Dabei zeigt sich, dass sich wesentliche Bedingungen des CIA unter Kundenorientierung subsumieren lassen. Der CIA repräsentiert damit eigentlich einen Meta-Erfolgsfaktor, er ist nämlich nicht so sehr die Ursache, eher das Ergebnis von professionellem Innovationsmarketing.
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Objekt-, subjekt- und prozessbezogene Dimension der Innovation
Der Begriff Innovation lässt sich auf den Heiligen Augustin (um 400 nach Christus) zurückverfolgen. Er verwendete den kirchenlateinischen Begriff wenn er von Erneuerung oder Veränderung sprach. In Deutschland verbreitete sich der Begriff durch die deutsche Übersetzung des Buches ‚Business Cycles’ von Joseph SCHUMPETER (1939), in dem sich ein Kapitel ausführlich mit der ‚Theorie der Innovation’ beschäftigt (QUADBECK-SEEGER 1998). Das Innovationsphänomen wird in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen thematisiert, wobei bis dato kein einheitlicher, allgemein akzeptierter Innovationsbegriff vorliegt. HAUSCHILDT/SALOMO (2007) kommen auf der Basis einer Klassifikation vorhandener Definitionen zu der Schlussfolgerung, dass Innovationen qualitativ neuartige Produkte oder Verfahren sind, die sich gegenüber dem Status Quo merklich unterscheiden. Dieser Ansatz basiert auf dem wirtschaftswissenschaftlichen Theorem der Zweck-Mittel-Beziehung: Neue Mittel werden durch neue Technologien offeriert. Die Erfüllung neuer Zwecke wird durch die Nachfrage gewünscht bzw. gefordert. Innovation ist neuartige Zweck-Mittel-Kombination. Dabei reicht die reine Idee nicht aus: Innovation beinhaltet neben einer Idee/Erfindung (invention) auch deren Umsetzung (exploitation, ROBERTS 1988). Betriebswirtschaftlich betrachtet unterscheiden sich Innovationen von Inventionen durch einen marktwirtschaftlichen Verwertungsbzw. einen innerbetrieblichen Nutzungsaspekt. Zu einem tieferen Verständnis des Innovationsbegriffes werden im Folgenden die objekt-, subjekt- und prozessbezogene Dimension der Innovation vorgestellt. 2.1
Objektbezogene Dimension der Innovation
Die objektbezogene Dimension der Innovation beschäftigt sich mit der Frage: ‚Was ist neu?’. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur zum einen zwischen Produkt- und Prozessinnovationen (UTTERBACK/ABERNATHY 1975) unterschieden. Produktinnovationen sind ausgerichtet auf neue Lösungen von Kundenproblemen.
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Steinhoff / Trommsdorff
Sie offerieren eine Leistung, die neue Zwecke erfüllt oder vorhandene Zwecke auf eine neuartige Art und Weise löst. Prozessinnovationen bezeichnen neue Faktorkombinationen im innerbetrieblichen Leistungserstellungsprozess. Ziel ist eine Steigerung der Effizienz, indem die Produktion eines Gutes zu geringeren Kosten, einer verbesserten Qualität, schneller oder sicherer erfolgt. Aus der Perspektive des Marketing geht es primär um Produkt-Innovationen. Sie lassen sich aber oft nicht von entsprechenden Prozess-Innovationen loslösen: Eine Produkt-Innovation herzustellen, setzt vielleicht in der Fabrik des Herstellers eine Prozess-Innovation voraus. Andererseits stellt sich ein neues Produkt wie eine innovative Kommunikationsanlage nicht nur als Produkt-Innovation dar, sondern - beim Kunden - auch als Prozess-Innovation. Ein weiterer Aspekt der objektbezogenen Dimension ist die Frage nach der Induzierung der Innovation. Bei sogenannten Marktsoginnovationen (market pull) bilden Nachfragerbedürfnisse den Ausgangspunkt der Innovationstätigkeit des Anbieters, während Technologiedruckinnovationen (technology push) von technischen Neuerungen initiiert werden, für die dann Anwendungspotenziale gesucht werden (HAUSCHILDT/SALOMO 2007). Welche Innovationsart vorliegt, ist nicht immer leicht zu entscheiden: Waren Mobiltelefon, Personal Computer und das Internet, Sekundenkleber, Styropor und Schlagsahne aus der Spraydose, trübe Kontaktlinsen für Hühner gegen aggressives Verhalten im Hühnerstall Market-Pull- oder Technology-PushInnovationen? Die Innovationsforschung hat sich in den 1970er Jahren ausführlich mit der Frage der relativen Vorteilhaftigkeit dieser beiden Innovationsarten beschäftigt, wobei vorliegende Befunde widersprüchlich sind (siehe im Überblick ORIHATA/WATANABE 2000). Mittlerweile ist man sich in der Wissenschaft darüber einig, dass die Diskussion u.a. aufgrund erheblicher Schwierigkeiten der Einordnung einer Innovation als Marktsog- bzw. Technologiedruckinnovation wenig zielführend ist. (Erfolgs-) Relevant ist aus heutiger Sicht weniger die Frage der Induzierung der Innovation als die Frage, wie Technologie- und Marktpotenziale synergetisch in Einklang gebracht werden können (HERSTATT/LETTL 2004). Schließlich kann der Grad der Neuartigkeit einer Innovation als Aspekt der objektbezogenen Dimension der Innovation verstanden werden. Ein erster Ansatz zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Neuigkeitsgrad stellen Innovationstypologien dar. So können z.B. mit den bereits seit COOPER (1994) bekannten Neuartigkeitsdimensionen (1) Markt = Zweck = Funktion = Kundenproblem und (2) Technologie = Mittel = Problemlösung = technische Realisierung Innovationen in vier Felder eingeordnet werden (HAUSCHILDT/SALOMO 2007).
Einführung in das Innovationsmarketing
alt
Zweck
neu
Marktinnovation
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Radikale Innovation
z.B. Aspirin als H e rz-K reislaufP rophylaktikum z u r Vorbeugung gegen H e rzinfarkt
z.B . Stoßwellenlitothripsie zur Behandlung von N ierensteinen
Marginale Innovation
Technologie innovation
z.B. Aspirin jetzt m it V itam in C
z.B . Minim a l invasive Chirurgie
alt
neu M ittel
Abbildung 1: Produktinnovationsarten
Ist sowohl der Zweck als auch das Mittel vertraut (nicht neu), liegt allenfalls eine marginale Innovation vor. Die pharmazeutische Entwicklung eines neuen Migränemittels setzt als Technologieinnovation voraus, dass eine neue Molekülsubstanz gefunden wird, die spezifisch auf solche Schmerzen wirkt und möglichst wenig Nebenwirkungen hat. Die Positionierung von Aspirin als Herz-Kreislauf-Prophylaxe im Zuge der Entdeckung, dass die über hundert Jahre alte Substanz von Aspirin, ASS, Herz-Kreislauf-Krankheiten vorbeugen und als Infarkt-Therapie eingesetzt werden kann, ist dagegen eine Marktinnovation. Kombinierte Markt- und Technologieinnovationen heißen radikale Innovationen, weil hier „alles neu“ ist d.h. die Neuartigkeit besonders hoch ist. Die Neuartigkeit einer Innovation lässt sich nicht nur der Tatsache nach, sondern auch dem Grade nach bestimmen: Eine Innovation ist mehr oder weniger neuartig, hat einen „Innovationsgrad“ (product innovativeness) auf dem Kontinuum zwischen kleinster (inkrementaler) Veränderung und völliger (radikaler) Umwälzung (vgl. ausführlich HAUSCHILDT/SALOMO 2007). Davon abzugrenzen ist das Konstrukt der Unternehmensinnovativität (firm innovativeness). Hier ist das Untersuchungsobjekt nicht das Produkt/die Innovation, sondern die Neigung einer Organisation zur Übernahme bzw. zur Entwicklung von Innovationen (vgl. im Überblick SUBRAMANIAN 1996). Für ein institutionalisiertes Innovationsmanagement können die beiden extremen Innovationsgrade (inkremental und radikal) weitgehend ausgeklammert werden, denn inkrementale Innovationen können routinemäßig bearbeitet werden, radikale kommen selten vor und stellen dann extraordinäre Anforderungen an das Innovationsmanagement (siehe z.B. STEINHOFF 2006, KNACK 2006). Bedeutend für
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Steinhoff / Trommsdorff
ein professionell organisiertes Innovationsmarketing sind also vor allem Innovationen mittleren Grades. 2.2
Subjektbezogene Dimension der Innovation
Eine weitere Dimension der Innovation ist die Frage, für wen die Innovation neu ist. Neuartigkeit ist subjektiv: Je nach Perspektive kann eine Innovation als mehr oder weniger neuartig wahrgenommen werden. Eine Objektivierung des Neuigkeitsbegriffs kann durch die Frage nach der objektiven Erstmaligkeit der Innovation erfolgen: Handelt es sich um eine Welt-Neuartigkeit? Aus Managementperspektive ist die Objektivierung jedoch nicht zweckmäßig. Als Mannesmann mit der Marke D2 in den Funktelefonmarkt einstieg, gab es bereits Funktelefone. Für Mannesmann bestand die Innovation darin, mit einer für das Unternehmen neuen Technologie bisher nicht bediente Kundengruppen zu gewinnen. Aus Sicht des innovierenden Unternehmens ist es also unerheblich, ob die Innovation auch von anderen innovierenden Unternehmen als neuartig empfunden wird. Die subjektiv wahrgenommene Neuartigkeit führt zu unternehmensindividuellen Herausforderungen. Neben der Marktangebotsseite betrifft die Frage der Subjektivität auch die Nachfrageseite. So kann ein für das Unternehmen altes Produkt eine Innovation für bestimmte Kundensegmente sein. Diese wahrgenommene Neuartigkeit der Innovation hat einen entscheidenden Einfluss auf Informationsverarbeitungs- und Übernahmeprozesse der Zielkunden (BINSACK 2003). In der Innovationsforschung dominiert die subjektive Auffassung des Innovationsbegriffs. Das heißt, der Maßstab für die Einschätzung der Neuartigkeit liegt nicht innerhalb der Innovation selbst, sondern bei dem die Innovation subjektiv wahrnehmenden Individuum (Unternehmen bzw. Zielkunden). 2.3
Prozessbezogene Dimension der Innovation
Die prozessbezogene Dimension der Innovation zielt auf spezifische Charakteristika im Verlauf der Entstehung einer Innovation. Der Innovationsprozess lässt sich durch zeitliche Phasen charakterisieren und umfasst die Gesamtheit der Aktivitäten, die im Zusammenhang mit der Erschaffung und Einführung einer Innovation stehen. Das in Abbildung 2 dargestellte Modell beschreibt den Neuproduktplanungsprozess von der Problemerkenntnis bis zur Markteinführung und -durchsetzung idealtypisch zeitlich gestaffelt. Das Phasenmodell ist, wie jedes Modell, eine vereinfachte, idealisierte Abbildung der Realität, um das Wesentliche am Prozess hinter der Komplexität erkennen zu lassen. In der Realität ist der Prozess durch teilweise ineinander übergreifende, parallel laufende und rückkoppelnde, insgesamt komplex verflochtene, Teilprozesse mit Aufgaben der Analyse, Entscheidung, Durchführung und Kontrolle gekennzeichnet.
Einführung in das Innovationsmarketing
Marktinformation
Marktanalyse
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Innovationsphasen
Problemerkenntnis
Technikinformation
Technische Analyse
Marktkreativität 2
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AkzeptanzPositionieabschätzung rungsanalyse 3
Ideenfindung
Selektion Bewertung
Technische Technische Kreativität Machbarkeit
Markttests
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Marktbearbeitung + feedback 6
Strategische Operative Einführung Entwicklung Entwicklung Durchsetzung F&EControlling
Technischer Technisches Funktionstest Feedback
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 2: Die idealtypischen Phasen des Innovationsprozesses
Die (1) Problemerkenntnis kann sich unternehmensintern (Potenzial- und technische Analyse) oder von außen (Markt- und Umfeldanalyse) entwickeln. Zur (2) Ideenfindung ist (Markt- und/ oder technische) Kreativität gefragt, die durch Kreativitätstechniken gefördert werden kann. Zur Ideenfindung kommen außer internen Quellen auch externe Quellen in Frage, besonders Kunden. (3) Selektion und Bewertung bedeutet, dass vorliegende Innovationsideen auf potenziell erfolgreiche Ideen reduziert werden. Zur Abschätzung der technisch-wirtschaftlichen Machbarkeit (Feasibilitystudie), muss besonders sorgfältig ergründet werden, ob und wann die Innovation von Zielkunden akzeptiert wird. Im Rahmen der (4) Strategischen Entwicklung gilt es, Budgetvorgaben durch F&EControlling zu kontrollieren bzw. auf der Basis neuer Informationen anzupassen. Marktseitig soll die Positionierungsanalyse zeigen, wie Zielkunden die Innovation in Relation zu den Substitutionsprodukten wahrnehmen werden und somit, wie die Innovation positioniert werden sollte. In der Phase der (5) Operativen Entwicklung sollten neben technischen Funktionstests auch Markttests eingesetzt werden. So können Diskrepanzen zum Kundenbedarf und Akzeptanzbarrieren auch noch kurz vor Markteintritt beseitigt werden. Während der Phase (6) Einführung/ Durchsetzung ist der Marketing-Mix (Produkt-, Preis, Kommunikations- und Distributionspolitik) in Bezug auf die mit der Innovation verfolgten Strategie abzustimmen und umzusetzen. Eine besondere Rolle spielt hier die Marketingkommunikation: Erst wenn die Produktvorteile von Zielkunden wahrgenommen und als nutzbringend verstanden werden, kann sich die Innovation durchsetzen. Kontinuierliche Rückmeldungen aus dem Markt ermöglichen über reine Verkaufszahlen hinaus diagnostische Erfolgskontrollen und Anknüpfungspunkte für Verbesserungen bis hin zu Folgeinnovationen. Über den gesamten Innovationsprozess hinweg muss immer wieder der Erfolg des Projektes und des neuen Produktes im Markt in Frage gestellt werden, denn die Ver-
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Steinhoff / Trommsdorff
luste im Misserfolgsfall steigen mit der Entwicklungszeit progressiv. Stets möglichst frühe Entscheidungen über Weitermachen (GO) oder Abbrechen (NO) sind Herausforderungen entlang des Innovationsprozesses.
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Was ist Innovationsmarketing? Begriffsdefinition und -abgrenzung
Die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Innovationsmarketing verlangt zunächst eine Abgrenzung von verwandten Begriffen. Innovationsmanagement umfasst die Analysen, die daraus folgenden Entscheidungen und Kommunikationsaktivitäten über das Innovationsvorhaben sowie ihre Durchsetzung und Kontrolle. Das Management von Innovationsprojekten ist als Integration aller am Innovationsprozess beteiligten Funktionen und Bereiche zu verstehen und ist damit eine typische Querfunktion - quer zu den spezialisierten Funktionen - eines arbeitsteilig organisierten Unternehmens. Teilkomponenten des Innovationsmanagement sind das Forschungs- und Entwicklungs- (F&E-) Management, das Technologiemanagement sowie das Innovationsmarketing. F&E-Management steuert die für Innovationen erforderlichen technologischen Prozesse, nämlich Grundlagenforschung, Technologieentwicklung, (Produkt-)Vorentwicklung und (Produkt-)Entwicklung (BROCKHOFF 1999). Technologiemanagement ist Teil des F&E-Management. Es soll die technologische Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sichern. Dazu steuert es die technologischen Ressourcen, also nicht nur die Entwicklung neuer, sondern auch die Weiterentwicklung vorhandener Technologien. Im Rahmen der gegebenen Potenziale und ausgerichtet an den Marktchancen sind Technologien zu entwickeln oder zu erwerben und vorhandene Technologien zu verbessern (SPECHT et al. 2002). Innovationsmarketing umfasst alle marktorientierten Aufgaben des Innovationsmanagement, d.h. alle strategischen und operativen Entscheidungen für das Marketing neuer Produkte. Einerseits impliziert Innovationsmanagement Innovationsmarketing, da von der Situationsanalyse bis zur Begleitung des neuen Produkts im Markt zahlreiche analytische, strategische und dispositive Marketingaufgaben anfallen. Andererseits impliziert Marketing das Innovationsmarketing als Spezialaufgabe der Entdeckung, Konkretisierung und Umsetzung von Wettbewerbsvorteilen durch neue Produkte. Innovationsmarketing ist also insgesamt nicht dasselbe wie Innovationsmanagement, so wie Marketing nicht dasselbe ist wie Management. Die Aufgaben des Innovationsmarketing konzentrieren sich auf die Schaffung und Durchsetzung von potenziell und effektiv neuen Leistungsangeboten gegenüber bestehenden und potenziellen Absatzmärkten.
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Die Produktinnovations-Erfolgsfaktorenforschung (PIEFF) als Informationsgrundlage des Innovationsmarketing
Innovationsmarketing hat sich zu einem eigenständigen Gebiet der Marketingwissenschaft entwickelt. Die Gründe für die hohe Akzeptanz von Wissen und Methoden des Innovationsmarketing sind enorme Investitionen in neue Produkte einerseits und zahlreiche Misserfolge andererseits. So erwiesen sich in einer branchenübergreifenden empirischen Langzeitstudie über Produktinnovationen in 116 Unternehmen nur 0,6% der erhobenen 1919 Produktinnovationsideen als marktfähig und erfolgreich. Innovationsansätze durchlaufen einen spitzen Selektionstrichter: Nicht einmal 10% der Erstideen gelangten als Produkte in den Markt, davon eliminierte der Markt noch einmal ca. 70% als Flops. Von den im Markt verbliebenen Produkten brachten 46% Verlust, 33% keinen nennenswerten Gewinn und nur 21% (letztlich 0,6% - 11 von 1919) waren erfolgreich (BERTH 1993). Flopratenbefunde wie diese führten in der Praxis zu einem allgemeinen Problembewusstsein und in der Managementforschung zur Suche nach Gründen für Erfolg und Misserfolg neuer Produkte. Der wesentliche Antrieb bestand darin, dass ein großer Teil der Misserfolge vermeidbar wäre, wenn Entscheider mehr relevante, zuverlässige und bewährte Informationen hätten (bzw. nutzen würden (!), vgl. COOPER 19999), d.h. wenn die im Innovationsprozess vorherrschende „Bauch-Entscheidung“ durch eine praktisch wertvolle Theorie zumindest gestützt werden würde. Die Produktinnovations-Erfolgsfaktorenforschung, abgekürzt PIEFF, geht dem nach. Sie zielt darauf ab, Faktoren zu identifizieren, die einen signifikanten Einfluss auf den Erfolg einer Produktinnovation haben. Die PIEFF wurde in den 1960er Jahren begründet und ist bis heute kontinuierlich fortgesetzt worden. Der Forschungsbereich ist methodisch nicht normiert und umfasst eine Bandbreite empirischer Methoden von qualitativen Interviews bis hin zu standardisierten Umfragen In der Regel wird jeweils eine Stichprobe von Fällen auf Faktoren hin untersucht, die zwischen Erfolg und Misserfolg diskriminieren. Der heutige PIEFF-Stand basiert auf den Arbeiten vieler Forscher. Als frühe bedeutsame Studien gelten die ‚SAPPHO’-Studie (ROTHWELL et al. 1974), das ‚Stanford Innovation Project’ (MAIDIQUE/ZIRGER 1984) und das kontinuierlich weiterentwickelte ‚NewProd-Project’ von COOPER und seinem Forscherteam (z.B. COOPER/KLEINSCHMIDT 1993). Mittlerweile liegt eine große Anzahl an Befunden zu Innovations-Erfolgsfaktoren vor. Selbst bei Vernachlässigung der vielen Einzelstudien und bei Konzentration auf das Gemeinsame aus den Synopsen und Metaanalysen ist die Menge an PIEFF-Befunden schwer fassbar. Wenn man diese jedoch noch einmal qualitativ zu integrieren versucht, nämlich mit Blick auf die durchschlagenden Erkenntnisse, die sich mit verschiedenen Methoden und in unterschiedlichen Forschungskontexten immer wieder gezeigt haben, dann lassen sich drei Jahrzehnte PIEFF dennoch ziemlich klar zusammenfassen (vgl. Abb. 3). Diese „Meta-Synopse“ kann als derzeitiger Stand einer Theorie gelten, die allerdings kontinuierlich weiter zu entwickeln ist.
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... Unternehmensebene
• • • •
Vom Unternehmen beeinflussbar
Top-Management-Involvement Projektchampion, Promotor Projekt/Programm-Fit Integration und Einsatz F&E/Produktion/Marketing • Patentierungspolitik
Projektebene ...
• Marktgröße • Marktwachstum
ProduktInnovationsErfolgsfaktoren
• Ausgeprägter Wettbewerbsvorteil (CIA), Kundennutzen • Erfahrungen/Synergien F&E/Produktion • Qualität des Projektmanagement • Kundenanalyse und Kundenintegration • Qualität des Marketing • Marketingeinführungszeitpunkt
• Marktpotenzial • Wettbewerbsmenge
Vom Unternehmen kaum beeinflussbar
• Umfeldfaktoren • Wettbewerbsintensität
Quelle: Eigene Synopse der Metaanalysen zahlreicher Produktinnovations-Erfolgsfaktorenstudien, u.a. Lilien & Yoon 1989, Kotzbauer 1992, Montoya-Weiss/Calantone 1994, Melheritz 1999, Henard/Szymanski 2001
Abbildung 3: Produktinnovations-Erfolgsfaktoren nach 25 Jahren Forschung
Es zeigt sich, dass ein sehr großer Teil der Erfolgs-/Misserfolgsvarianz durch Faktoren verursacht wird, die in einem weiten Verständnis dem Marketing zugerechnet werden. Dazu gehören strategische und operative Marketingentscheidungen und die solchen Entscheidungen zugrunde liegenden Informationen aus der (Innovations-) Marktforschung. Jedenfalls sind das Faktoren, die mit dem Verhalten von Zielkunden und Wettbewerbern zu tun haben, in weit geringerem Maße sind es Faktoren der Technik selbst oder unternehmensinterne betriebswirtschaftliche Faktoren. Die Befunde der PIEFF stiften hohen Nutzen für das Innovationsmanagement, sind in der Vergangenheit jedoch auch kritisch diskutiert worden. Ausgangspunkt der Kritik ist die Tatsache, dass Befunde für gleiche bzw. ähnliche unabhängige Variablen hinsichtlich ihrer Einflussstärke teilweise erheblich voneinander abweichen (HENARD/SZYMANSKI 2001). Wesentliche Kritik gilt der Verwendung uneinheitlicher und schwacher Messmethoden sowie die Vernachlässigung von Kontextfaktoren (ERNST 2002; siehe zur Kritik an der PIEFF ausführlich STEINHOFF 2006). Dennoch kann ein Derivat der PIEFF-Synopsen (Metasynopse) ein grobes Raster für das Innovationsmarketing sein, kann universell zur Entscheidungsunterstützung verwendet werden und ist wissenschaftlich fundiert. So ist der Katalog als Checkliste nützlich, die jedes Innovationsprojekt begleiten sollte.
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Der CIA -Competitive Innovation Advantage- und Kundenorientierung als wichtigste Erfolgsfaktoren
Aus allen PIEFF-Analysen und Metaanalysen geht hervor, dass der dominierende Erfolgsfaktor das ist, was COPPER (1994) „product uniqueness and superiority” nennt, auch „relevanter Produktvorteil aus Sicht der Kunden“. In nur leicht unterschiedlichen Nuancen hat diese Eigenschaft eines Produktes viele Bezeichnungen: BACKHAUS (2003) nennt sie „Komparativer Konkurrenzvorteil – KKV“ (etwas redundant, denn ein Vorteil ist ja immer vergleichsweise besser, also „komparativ“), in der amerikanischen Literatur wird sie unter anderem „(Strategic) Competitive Advantage – SCA“ genannt, in der Marketingpraxis „Unique Selling Proposition - USP“. Um zu betonen, dass es uns um Vorteile durch Innovation geht und um diese Eigenschaft entsprechend präzise zu definieren, bezeichnen wir sie als „Competitive Innovation Advantage – CIA“. Der CIA hat fünf jeweils notwendige, aber jede für sich nicht hinreichende, Bedingungen: Verwandte Namen
•
•
•
Strategic Competitive Advantage SCA Unique Selling Proposition USP Komparativer KonkurrenzVorteil KKV
Definitionselemente
Häufige Fehler
1
Eine im Wettbewerb überlegene Leistung, …
•
Over-engineering, under-marketing
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die ein für Kunden wichtiges Nutzenmerkmal betrifft, ...
•
CIA wird nicht eindeutig bestimmt
3
•
das vom Kunden auch so wahrgenommen wird ...
Nichtkonzentration auf einen / wenige klare CIAs
4
von der Konkurrenz nicht leicht eingeholt werden kann
•
Objektiven Vorteil nicht übersetzt in Kundennutzen
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und im Umfeld wohl kaum außer Kraft gesetzt wird.
•
Zeitliche Erosion des CIA übersehen
Quelle: KKV nach Klaus Backhaus, eigene Ergänzung und Transfer in den Innovationskontext
Abbildung 4: Fünf Bedingungen des Competitive Innovation Advantage - CIA
Die in Abb. 4 dargestellte Definition des CIA basiert mit den Definitionselementen 1 bis 4 auf derjenigen des „Komparativen Konkurrenz-Vorteils“ KKV (BACKHAUS 2003). Im Innovationsmarketing nehmen Erfolgs- und Misserfolgseinflüsse zu, die über den Kundennutzen hinaus als andere Chancen und vor allem Risiken aus dem Umfeld kommen (z.B. regulatorische Entwicklungen im Pharmamarkt). Daher haben wir den KKV, abgesehen von seiner sprachlichen Problematik (ein Vorteil ist ja immer „komparativ“), um die Bedingung 5 – keine Konterkarierung aus dem Umfeld – erweitert.
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Der CIA erklärt in hohem Maße den Innovationserfolg. So zeigt eine Misserfolgsstudie von COOPER/CALANTONE (1981), dass 80% der untersuchten Flops einen oder mehrere Eigenschaften des CIA vermissen ließen. Innovationen mit einem CIA sind wesentlich wahrscheinlicher erfolgreich als Imitationen bzw. Innovationen mit geringem Vorteil, weil sie aus Zielkundensicht im Vergleich zum herkömmlichen (eigenen oder konkurrierenden) Produkt subjektiv vorteilhaft sind, relativ viel Nutzen stiften und gegenüber Wettbewerbsangeboten als qualitativ überlegen angesehen werden. Mit der Innovation muss also ein ausgeprägter Kundennutzen verbunden sein, der das Produkt als dem Wettbewerb überlegene Problemlösung erscheinen lässt. Diese wahrgenommene Einzigartigkeit ist gerade auch bei technisch hoch entwickelten Produktklassen entscheidend. Die Einzigartigkeit kann bei technischen Produkten z.B. durch eine Alleinstellung in einem Leistungsmerkmal (z.B. „einziger Schrittmotor mit 10-12% Ausfallrisiko“) erzielt werden. Entscheidend ist jedoch, dass das Merkmal für potenzielle Kunden kaufentscheidend ist und dass die Alleinstellung auch so wahrgenommen wird. Sie ist dann auch ausschlaggebend für das erzielbare Preisniveau. Die Wichtigkeit eines CIA für den Innovationserfolg steht damit außer Frage. In der Praxis besteht die Schwierigkeit nicht im Verständnis und in der Wertschätzung des Konzeptes, sondern in der Umsetzung. Warum ist das so? Eine Analyse der CIADefinitionselemente zeigt, dass der CIA zu einem großen Teil Ergebnis kundenorientierter Innovationsprozesse ist. Die Bedingungen 2 (ein für Kunden wichtiges Nutzenmerkmal) und 3 (Kundennutzen richtig kommunizieren) des CIA sind Faktoren der Kundenorientierung, nämlich einer intelligenten Marktforschung (2) und einer professionellen Kommunikation (3). Bedingung 4 (nicht leicht durch Wettbewerb zu imitieren) gehört teilweise auch noch zur Kundenorientierung, denn nur ein relativ kleiner Teil dieser Bedingung ist durch Patente und Gebrauchsmuster sicher zu stellen, meist wichtiger sind die Markteintrittsbarrieren in den Köpfen der (vom Innovator gewonnenen) Kunden. Diese werden überwiegend subjektiv aufgebaut, nämlich durch Vertrauen in die Geschäftsbeziehung bzw. starke Markierung oder durch subjektiv wahrgenommene (und natürlich z.T. durchaus real existierende) Wechselbarrieren (z.B. Softwarekompatibilität etc.). Somit sind zwei bis drei der fünf CIABedingungen unter Kundenorientierung zu subsumieren. Die Überwindung des Engpassfaktors Kundenorientierung bedeutet Informationsbedarf: Nur wer den Kunden kennt, kann seine Wünsche befriedigen. Im Bereich der strategischen Innovationsmarktforschung zeigt sich der gravierendste Beitrag zur Entwicklung des wissenschaftlich fundierten praktischen Innovationsmarketing. Vorbei ist der zumindest unbefriedigende, oft geradezu kontraproduktive Einsatz klassischer Befragungsmarktforschung, deren Karikatur die naive InnovationsAkzeptanzfrage ist: „würden Sie kaufen, wenn…“. Denn: Innovationsmarktforschung kann mit klassischen (Befragungs-) Methoden, die vornehmlich zur Stützung taktisch-operativer Entscheidungen angelegt sind, nicht funktionieren. Innovationen ad-
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ressieren oft Zukunftsbedürfnisse, derer sich Zielkunden (noch) nicht bewusst sind, bzw. die sie (noch) nicht artikulieren können. Zahlreiche, zum Teil spektakuläre Neuprodukt-Flops zeigen, wie schlecht strategische Entscheidungen mit konventionellen Methoden zu stützen sind. Ein Beispiel (vgl. TROMMSDORFF/STEINHOFF 2007): BASF entwickelte Blattfedern für LKW aus glasfaserverstärktem Kunststoff, die leichter als herkömmliche StahlBlattfedern waren und bei Überbeanspruchung nicht brachen, sondern nur einzelne Faserrisse aufwiesen. Zu Beginn der Produktentwicklung hatte man die Zielkunden (LKW-Hersteller) gefragt, ob sie die so beschriebenen besseren BASF-Blattfedern einbauen würden. Die Reaktionen waren positiv. Darauf begann BASF mit der aufwändigen Entwicklung. Als das Produkt marktreif entwickelt war, akzeptierte es kein Zielkunde. Die „selbstverständlich“ Stahl gewohnten Entwicklungsingenieure standen der neuen Technologie ablehnend gegenüber - entgegen den früheren Befragungsergebnissen. BASF hatte die wirtschaftlichen und psychologischen Akzeptanzbarrieren nicht gesehen bzw. unterschätzt. Die Innovationsforschung verfügt heute aber durchaus über „intelligente“ Methoden, die bereits in frühen Phasen eine Orientierung an den Zielkunden ermöglichen. Dazu gehört ein vielfältiges Instrumentarium aus qualitativen und multivariat-quantitativen Erhebungs- und Analyseverfahren: Einerseits informationstechnisch brillante, andererseits sozialpsychologisch intelligente Instrumente wie z.B. Szenariotechniken, empathische Beobachtungsmethoden, zukunftskonditionierte Akzeptanztests und auf Gültigkeit und Gehalt hin incentivierte Expertenbefragungstechniken (vgl. ausführlich TROMMSDORFF/STEINHOFF 2007). Hätte BASF z.B. frühzeitig visionäre Lead User aus der Nutzfahrzeugindustrie in den Produktentwicklungsprozess einbezogen, wären (1) differenziertere und verlässlichere „Marktforschungsergebnisse“ entstanden und (2) wäre bei diesen Schlüsselkunden wahrscheinlich auch ein Engagement für das Projekt ausgelöst wordem, so dass am Ende zumindest Lieferbeziehungen mit diesen etabliert wären, eventuell hätte so sogar der Durchbruch im Gesamtmarkt gelingen können. Das operative Detail des Innovationsmarketing ist also hoch komplex, so dass der Informationsbedarf deutlich über die Leistungen der PIEFF-Theorie hinausgeht. Die Kenntnis der allgemeinen Erfolgsfaktoren reicht als Informationsbasis für das Innovationsmarketing nicht aus. Der CIA als übergeordneter Erfolgsfaktor nimmt eine Schlüsselposition ein. Intelligente Innovationsmarktforschung muss projektspezifische Informationen, insbesondere über das zu erwartende Verhalten von Zielkunden, Partnern und Wettbewerbern, liefern. So wirklich gelebte Kundenorientierung im Innovationsprozess unterstützt die Realisierung eines Erfolg versprechenden CIA ganz wesentlich.
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Steinhoff / Trommsdorff
Zusammenfassung
Neue Technologien drängen zur Umsetzung in die Neuproduktentwicklung und lösen hohen Innovationsdruck auf die Wirtschaft aus. So beinhalten z.B. Kleidungsstücke der Zukunft (mit integrierten Informations- und Kommunikationsfunktionen bzw. bestehend aus „intelligenten“ Stoffen) hohes Potenzial für einen grundlegenden Wandel in der Textilindustrie. Bei allem technologischen Fortschritt ist letztlich die Akzeptanz beim Kunden Erfolg entscheidend. Die grundlegende Frage lautet: Besteht bei den Zielkunden überhaupt ein gegenwärtiges, latentes bzw. zumindest zukünftiges Bedürfnis für Kleidung mit „intelligenten“ Zusatzfunktionen? Genauer betrachtet: Lässt sich ein CIA etablieren d.h. (1) eine im Wettbewerb überlegende Leistung, die (2) ein für Kunden wichtiges Nutzenmerkmal betrifft, das (3) vom Kunden auch so wahrgenommen wird, (4) von der Konkurrenz nicht leicht eingeholt werden kann und (5) im Umfeld wohl kaum außer Kraft gesetzt wird? Letztlich zielt Innovationsmarketing auf eine frühzeitige, intelligente Beantwortung dieser Frage und eine konsequente Umsetzung im Markt. Mit anderen Worten: Der CIA ist Ergebnis von professionellem Innovationsmarketing.
Einführung in das Innovationsmarketing
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III
Kundenbezogene Marktforschung für Innovationen - Ziele, Methoden & Erfolgseinfluss1
Fee Steinhoff
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Einführung
Neue Produkte sind für Unternehmen zukunftsentscheidend. Entsprechend groß sind die Bemühungen der Wirtschaft, erfolgreich zu innovieren. So haben im Jahr 2004 60% der deutschen Industrieunternehmen mindestens ein Innovationsvorhaben abgeschlossen, 22% dieser Unternehmen konnten mindestens ein wirklich neues Produkt am Markt platzieren (ASCHHOFF et al. 2006). Aber: Die überwiegende Anzahl im Markt eingeführter Innovationen scheitert (BEVERLAND et al. 2006). Entsprechend groß ist das Bedürfnis von Wissenschaft und Praxis dem „Geheimnis des Erfolges“ auf die Spur zu kommen: Warum scheitert die eine Innovation, während die andere reüssiert? Die in den 60er Jahren begründete und kontinuierlich erweiterte Erfolgsfaktorenforschung hat übereinstimmend als wichtigsten Erfolgsfaktor den so genannten Competitive Innovation Advantage - CIA - (TROMMSDORFF/STEINHOFF 2007) identifiziert. Der CIA ist eine im Wettbewerb überlegende Leistung, die ein für Kunden wichtiges Nutzenmerkmal betrifft, das vom Kunden auch so wahrgenommen wird, von der Konkurrenz nicht leicht eingeholt werden kann und im Umfeld wohl kaum außer Kraft gesetzt wird. In manchen Studien erklärt der CIA bis zu 80% der Varianz von Erfolg und Misserfolg neuer Produkte (COOPER/CALANTONE 1981; vgl. ausführlich auch STEINHOFF/TROMMSDORFF in diesem Buch). Warum sind Innovationen mit einem CIA erfolgreicher als Imitationen bzw. marginale Innovationen? CIA-Innovationen sind vergleichsweise vorteilhaft und adressieren vor allem ein grundlegendes bewusstes oder unbewusstes Bedürfnis der Zielkunden. Das Erfordernis einer konsequenten Ausrichtung neuer Produkte an den Bedürfnissen der Zielkunden ist sowohl in der Unternehmenspraxis als auch in der wissenschaftlichen Forschung unbestritten (MASON/HARRIS 2005). Kaum ein Managementcredo hat in der Vergangenheit einen ähnlich hohen Verbreitungsgrad erlangt wie die Relevanz der Kundenorientierung (KLEINALTENKAMP 1996). Gleichzeitig tun sich Unternehmen jedoch schwer, den letztlich auf dem Konzept der Kundenorientierung basierenden Erfolgsfaktor CIA praktisch umzusetzen: Studien verweisen auf erhebliche Mängel bei der Implementierung von Kundenorientierung (MASON/HARRIS 2005; EKSTRÖM/KARLSSON 2001). „Gelebte“ Kundenorientierung verlangt vor allem die Generierung und Interpretation von Informationen. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, wie der Engpassfaktor Kun1
Für eine über die Innovationsmarktforschung hinausgehende Darstellung von Ansätzen und Methoden der Kundenorientierung im Innovationsprozess sei auf Steinhoff (2006) verwiesen.
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Steinhoff
denorientierung durch Innovationsmarktforschung überwunden werden kann. Dabei erfolgt eine Fokussierung auf kundenbezogene Informationen/ Innovationsmarkforschung: Wer sind die Zielkunden der Innovation und was sind ihre konkreten Bedürfnisse? Im Folgenden werden zunächst Ziele der kundenbezogenen Innovationsmarktforschung aufgezeigt, wobei zwischen dem übergeordneten Ziel der Minimierung von Fehlentscheidungen erster und zweiter Art (2.1) und der Adressierung spezifischer Informationsbedürfnisse (2.2) unterschieden wird. Im darauf folgenden Abschnitt 3 werden methodische Gestaltungsoptionen kundenbezogener Innovationsmarktforschung thematisiert. Dabei wird im Anschluss an eine Methoden-Systematisierung (3.1) ein Überblick zu innovativen Methoden gegeben (3.2). Anschließend wird mit Hilfe einer Metasynopse der Einfluss von Innovationsmarktforschung auf den Erfolg von Innovationen systematisch analysiert (4). Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung (5).
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Ziele kundenbezogener Innovationsmarktforschung
2.1
Minimierung von Fehlentscheidungen erster und zweiter Art
Innovationen sind mit einem komplexen Muster verschiedener Arten von Unsicherheiten konfrontiert (Markt-, Technologie und Ressourcenunsicherheiten sowie organisatorische Unsicherheiten; RICE et al. 2002). Die Generierung kundenbezogener Informationen adressiert im Schwerpunkt Marktunsicherheiten, die auf mangelnden Kenntnissen über den Markt und die Anforderungen der Kunden basieren (LEIFER et al. 2000; GESCHKA/EGGERT-KIPFSTUHL 1994). Grundsätzlich können Marktunsicherheiten zu zwei verschiedenen Arten von Fehlentscheidungen führen (ELIASHBERG et al. 1997; vgl. Abb. 1). Fehlentscheidungen erster Art stehen für den Fall, dass das Management in ein Innovationsprojekt (weiter) investiert, obwohl das zu erwartende Erfolgspotenzial als niedrig einzustufen ist. Die Folge ist eine enttäuschende Performance der Innovation im Markt. Bei einer hohen Abweichung von den Managementerwartungen handelt es sich um das klassische Verständnis eines Innovations-Misserfolges (Flop). Fehlentscheidungen erster Art können aufgrund der hohen Entwicklungs- und Vermarktungskosten von Innovationen den Unternehmenserfolg bzw. die Existenz eines Unternehmens erheblich gefährden.
Kundenbezogene Marktforschung für Unternehmen
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(Folge-) Investition in das Innovationsprojekt Investition
Nicht-Investition
Hoch
Erfolg der Innovation im Markt (folgerichtige Entscheidung)
Verpasste Erfolgsoption (Fehlentscheidung zweiter Art)
Niedrig
Misserfolg der Innovation im Markt (Fehlentscheidung erster Art)
Kein Misserfolg der Innovation im Markt (folgerichtige Entscheidung)
Erwartetes Marktpotenzial der Innovation
Abbildung 1: Fehlentscheidung erster und zweiter Art Quelle: In Anlehnung an Eliashberg et al. 1997, S. 217.
Im Verlauf von Innovationsprojekten kommt es oftmals zu einer ProjektWeiterverfolgung, obwohl vieles auf einen Misserfolg hin deutet (sog. „escalation commitment“ bzw. „too-much-invested-to-quit-syndrome“). Es wird dann von der optimalen Entscheidung eines Projektabbruches abgewichen, weil scheinbar ökonomische Gründe dagegen sprechen (z.B. „versunkende Kosten“ – die irrationale Beachtung von nicht mehr für die Projektweiterführung relevanten Kosten, die längst ausgegeben und nicht wieder zu gewinnen sind), aber auch nicht-ökonomische Gründe, z.B. emotionales Involvement, „Herzblut“, das Menschen mit dem Projekt verbinden (SCHMIDT/CALANTONE 1998). Die Bekämpfung entsprechender Phänomene verlangt vor allem, dass der Projekterfolg durch kontinuierliche Entscheidungen zur Projekt-Weiterverfolgung (GO) bzw. zum Abbruch (NO) aktiv in Frage gestellt wird. Fehlentscheidungen zweiter Art bedeuten, dass eine im Markt potenziell erfolgreiche Produktidee existiert, das Management in das entsprechende Innovationsprojekt jedoch nicht (weiter) investiert. Das heißt, das objektiv hohe Erfolgspotenzial wird nicht erkannt und die Option auf einen Markterfolg fälschlicherweise nicht wahrgenommen. Bei Fehlentscheidungen zweiter Art handelt es sich nicht um einen Misserfolg im klassischen Verständnis, aber aufgrund des potenziell hohen finanziellen Rückflusses von Innovationen ebenfalls um eine schwerwiegende ManagementFehlentscheidung (HAIMERL et al. 2001). Aus den Folgen von Fehlentscheidungen erster und zweiter Art lässt sich eine hohe Relevanz der Generierung von Informationen über Zielkunden und deren Bedürfnisse ableiten. Eine wesentliche Quelle der Informationsgenerierung stellen Aktivitäten der Innovationsmarktforschung dar (CORNISH 1997). Damit kann die Informationsbasis und so die Prognosegenauigkeit des erwarteten Marktpotenzials einer Innovation erheblich erhöht werden. Auf der Basis folgerichtiger Entscheidungen können potenziell erfolgreiche Innovationsprojekte möglichst effektiv weiterverfolgt und poten-
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Steinhoff
ziell misserfolgreiche Innovationsprojekte möglichst frühzeitig abgebrochen werden (ELIASHBERG et al. 1997). 2.2
Adressierung spezifischer Informationsbedürfnisse
Über das übergeordnete Ziel der Minimierung von Fehlentscheidungen erster und zweiter Art hinaus adressiert Innovationsmarktforschung i.d.R. unterschiedliche spezifische Informationsbedürfnisse innovierender Unternehmen. Ein wesentliches Untersuchungsziel stellt häufig die Identifikation potenzieller Kundengruppen dar (PLESCHAK/SABISCH 1996, S. 74). Viele Innovationen sind mittelinduziert, d.h. es handelt sich um Technologiedruckinnovationen. Da hier der Ausgangspunkt des Innovationsprojektes eine technische Invention ist, sind Anwendungspotenziale i.d.R. zunächst unbekannt (WEIBER et al. 1999, S. 104). In der Konsequenz ist häufig in frühen Phasen verhältnismäßig unklar, wer potenzielle Kunden der Innovation sein können. Innovationsmarktforschung kann genutzt werden, um Kundengruppen zu identifizieren, die potenziell Bedarf für die Innovation aufweisen. Ein weiteres, wesentliches Ziel der Innovationsmarktforschung ist die Identifikation von Kundenbedürfnissen (LICHTENTHALER et al. 2004). Man unterscheidet aktuelle, latente und zukünftige Bedürfnisse potenzieller Kunden. Während zukünftige Bedürfnisse gegenwärtig noch nicht existent sind (in Zukunft aber mit großer Wahrscheinlichkeit relevant werden), ist sowohl bei aktuellen als auch bei latenten Bedürfnissen eine Existenz heute schon gegeben. Aktuelle Bedürfnisse sind bereits artikuliert und bekannt, latente Bedürfnisse jedoch (relativ) unbewusst und damit nicht bzw. nicht ohne weiteres artikulierbar (KLEINSCHMIDT et al. 1996). Die Ermittlung von latenten und zukünftigen Bedürfnisse ist mit besonderen Herausforderungen verbunden, da sie ein besonders tiefgehendes, empathisches Verständnis der Zielkunden und der Rahmenbedingungen ihres Handelns verlangt (KÄRKKÄINEN et al. 2001). Darüber hinaus kann Innovationsmarktforschung zur Analyse von Akzeptanzbarrieren potenzieller Kunden beitragen. Die Akzeptanz einer Innovation ist eine Vorstufe der Übernahme, der sog. Adoption. Akzeptanz kann definiert werden als Ausdruck einer subjektiven Einstellung eines Individuums gegenüber einem Sachverhalt, die eine positive Bereitschaft bzw. ein Verhalten impliziert (HECKER 1997, S. 124). Innovationswiderstand ist eine spezielle Form des Menschen immanenten Widerstandes gegen Veränderung und basiert auf funktionalen bzw. psychologischen Barrieren (RAM/SHETH 1989). Insbesondere negative Emotionen wie Angst, Frustration und Enttäuschung können zu vorübergehenden oder dauerhaften Innovationswiderständen führen (BAGOZZI/LEE 1999). Je höher der Neuigkeitsgrad einer Innovation ist, desto wahrscheinlicher sind Widerstände und Ablehnungen seitens der Zielkunden. Eine frühzeitige Identifikation potenzieller Akzeptanzbarrieren ermöglicht konkrete Maßnahmen zu deren Reduktion. Nicht selten verändern Innovationen etablierte Marktstrukturen bzw. schaffen neue Märkte (AGGARWAL et al. 1998). Entsprechend kann die Abschätzung des Marktpotenzials und der Marktentwicklung vergleichsweise schwierig sein (DANNEELS
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2002). Ein potenzielles Ziel der Innovationsmarktforschung ist daher die Generierung geeigneter Informationen, die zu einer Abschätzung des Marktpotenzials beitragen (PLESCHAK/SABISCH 1996, S. 70). Ein weiteres Informationsdefizit bei Innovationen betrifft die Preisbereitschaft potenzieller Kunden. Die Preisbereitschaft basiert vor allem auf dem Nutzen, den eine Innovation dem Kunden bietet. Bei komplexen Innovationen ist der Nutzen für die Zielkunden teilweise schwer abzuschätzen. Die Ermittlung von Informationen zur Preisbereitschaft der Zielkunden stellt daher eine besondere Herausforderung dar (BERGSTEIN/ESTELAMI 2002).
3
Methoden kundenbezogener Innovationsmarktforschung
Eine wesentliche Gestaltungsoption der Innovationsmarktforschung betrifft die Auswahl einzusetzender Methoden (ALAM 2006). Aufgrund der häufig hohen Informationsdefizite verlangen Innovationsprojekte i.d.R. einen vergleichsweise breiten Untersuchungsfokus (DANNEELS 2002, S. 1106) und den Einsatz unterschiedlicher Methoden (LAß 2002, S. 1314). Der Einfluss von Innovationsmarktforschung erstreckt sich dabei auf alle Phasen des Innovationsprozesses, beginnend von der Untersuchung allgemeiner Kundenentwicklungen, über die Ideenfindung und -selektion bis hin zur Markteinführung (PLESCHAK/SABISCH 1996, S. 70; LYNN 1993, S. 13). 3.1
Methoden-Systematisierung
Methoden der Innovationsmarktforschung lassen sich anhand verschiedener Beschreibungsdeterminanten systematisieren. Zunächst kann zwischen Primär- und Sekundärmarktforschung differenziert werden (LAß 2002, S. 1323). Während bei der Primärmarktforschung neue, originäre Daten generiert werden, basiert Sekundärmarktforschung auf bereits vorhandenem Datenmaterial (BEREKOVEN et al. 2006). Eine Form der Sekundärmarktforschung ist z.B. die Auswertung von Literatur bzw. von Datenbanken, die spezielle Informationen über den potenziellen Markt der Innovation liefern. Darüber hinaus können erste Hinweise auf unerfüllte Kundenbedürfnisse z.B. aus vorhandenen Kundenanfragen und -beschwerden generiert werden (HERSTATT 1991, S. 60). Für viele spezifische Informationsbedürfnisse im Innovationsprozess reichen jedoch Sekundärquellen nicht aus und es muss auf Primärmarktforschung zurückgegriffen werden (PLESCHAK/SABISCH 1996, S. 72 f.). Als primäranalytische Basismethoden stehen die Befragung, die Beobachtung und das Experiment zur Verfügung (BEREKOVEN et al. 2006). Nach dem Erhebungsansatz wird zwischen qualitativ und quantitativ ausgerichteten Untersuchungsmethoden unterschieden (BEREKOVEN et al. 2006). Gewöhnlich werden mit dem Begriff der qualitativen Forschung Methoden verbunden, die subjektive Daten auf der Basis kleiner Fallzahlen generieren (z.B. Tiefeninterview, Gruppendiskussion). Im Gegensatz dazu wird mit quantitativen Forschungsmethoden die Generierung objektiver Daten auf der Basis größerer Stichproben assoziiert (z.B. schriftliche Befragung; KEPPER 1994). Inhaltlich betrachtet, beschäftigt sich die quantitative Forschung tendenziell mit Fragen wie z.B. ‚was?’, ‚wie oft?’ und ‚wie viel?’, wäh-
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Steinhoff
rend die qualitative Forschung versucht, Motive und Hintergrundinformationen durch Fragen wie z.B. ‚warum?’, ‚wie?’ und ‚weshalb?’ zu generieren (PERRY et al. 2004, S. 203). Eine einheitliche Abgrenzung zwischen qualitativen und quantitativen Marktforschungsmethoden liegt bis dato jedoch nicht vor (vgl. ausführlich KEPPER 1994, S. 5 f.). Neben der Unterscheidung zwischen primärer/sekundärer und qualitativer/quantitativer Innovationsmarktforschung kann auch zwischen geplanten und ungeplanten Aktivitäten differenziert werden. Die Generierung von kundenbezogenen Informationen muss nicht immer auf einer formal, geplanten Methode basieren, sondern kann auch informal, ad hoc erfolgen (WOODRUFF 1997, S. 143). Gerade im Investitionsgüterbereich werden häufig intensive, persönliche Kundengespräche innerhalb des Tagesgeschäftes genutzt, um Informationen über unerfüllte Kundenbedürfnisse zu generieren (STRUMANN 1997, S. 153). Die Erhebungsquelle bezieht sich auf die Frage, woher die Marktinformationen generiert werden (BEREKOVEN et al. 2006). Im Kontext der Kundenorientierung nehmen Kunden eine Schlüsselposition ein. So gehen KLEINSCHMIDT et al. (1996, S. 107) z.B. davon aus, dass der Innovationsbedarf sich am besten beim Kunden direkt identifizieren und evaluieren lässt. Wichtige Quellen von kundenbezogenen Informationen sind auch interne Mitarbeiter (z.B. Mitarbeiter im Kundenkontakt) und Experten (DAVIS/MOE 1997, S. 351). Marktinformationen können darüber hinaus auch auf der Basis von Marktstudien/ Situationsanalysen generiert werden, die Marktdaten aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen verdichten (KLEINSCHMIDT et al. 1996, S. 138). Schließlich wird in der Literatur häufig zwischen traditionellen und innovativen Methoden der Innovationsmarktforschung unterschieden. Unter traditionellen Methoden werden i.d.R. standardisierte Techniken wie z.B. großzahlige, schriftliche Befragungsmethoden bzw. quantitative Prognosemodelle verstanden (Z.B. NOORI et al. 1999a, S. 546). Viele Autoren vertreten die Meinung, dass traditionelle Marktforschungsmethoden für Innovationen eines vergleichsweise hohen Neuigkeitsgrades nicht bzw. nur bedingt geeignet sind (z.B. VERHEES/MEULENBERG 2004, S. 141). Zwei Merkmale traditioneller Methoden stehen im Zentrum der Kritik: (1) Traditionelle Methoden sind zu oberflächlich und zu stark vergangenheitsorientiert, um latente und zukünftige Kundenbedürfnisse zu identifizieren (z.B. EKSTRÖM/KARLSSON 2001, S. 7) und (2) Traditionelle Methoden sind zu stark auf die Bewertung von Lösungen ausgelegt. Dabei unterliegen sie der Prämisse, dass Respondenten über ausreichendes Produktwissen verfügen, um Funktionen und Präferenzen ad hoc valide einschätzen zu können (z.B. KATZ 2004, S. 168 f.). Daran angelehnt wird in der Literatur häufig der Einsatz innovativer Methoden verlangt. 3.2
Überblick zu innovativen Methoden
In der Literatur angeführte, innovative Methoden der Innovationsmarktforschung lassen sich in vier Kategorien einordnen. Die folgende Tabelle fasst pro Kategorie die
Kundenbezogene Marktforschung für Unternehmen
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wesentlichen Aspekte jeweils einer prototypischen Methode zusammen und verweist auf verwandte Methoden. Methode/ Verwandte Methoden
Beispiel/ Quelle Beschreibung der Methode
Qualitative/ explorative Methoden
Beispiel: Kundenidealisiertes Design (Fokusgruppe) Quellen: MAGIDSON 2004; CICCANTELLI/MAGIDSON 1993 -
Verwandte Methoden: Future-oriented Focus Groups (SAMLI 1996); Looking glass method (DURGEE et al. 1998); Projektive Techniken (ZALTMAN 1997); Rollenspiele (HAIMERL et al. 2001)
Ethnografische Methoden, insbesondere Empathisches Design Verwandte Methoden: Day-in-the-life-visits (MRAZEK et al. 1995); Gemba-Research (RONNEY et al. 2000); Customer Visits (MCQUARRIE 1995)
-
-
Beispiel: Empathisches Design Quelle: LEONARD/RAYPORT 1995 -
-
Simulationsmethoden, insbesondere Information Acceleration Verwandte Methoden: Virtual Concept Testing, Information Pump (DAHAN/ HAUSER 2002); Virtual Shopping (BURKE 1996)
Prinzip: Aktuelle oder potenzielle Kunden designen ihr ideales Produkt im Rahmen einer Fokusgruppe, ohne die technische Machbarkeit zu beachten. Schritte: 1. Moderator erklärt, dass das entsprechende Produkt über Nacht zerstört wurde und die Probanden die Chance haben, etwas völlig Neues zu kreieren; 2. Brainstorming zu Anforderungen an das ideale Produkt; 3. Iterative Präzisierung und Ausarbeitung in Kleingruppen mit anschließenden Diskussionen Vorteile: Sehr frühzeitige Kundeneinbindung; Ermittlung von verborgenen Kundenbedürfnissen durch Kreativitätstechniken Probleme: Güte hängt von den Fähigkeiten des Moderators ab; Gefahr von Konflikten in der Gruppe; technische Machbarkeit muss im Nachhinein sichergestellt werden
Prinzip: Crossfunktionale Beobachtung aktueller und potenzieller Kunden in ihrer natürlichen Umgebung zur Erfassung von Informationen über Nutzungsimpuls und Produktanwendung, Zweckentfremdung, Umfeldbedingungen, Produktanpassungen, Produktwirkung und unausgesprochene Kundenbedürfnisse Schritte: 1. Planung; 2. Beobachtung und Datenerfassung; 3. Reflexion und Analyse; 4. Brainstorming zur Lösungsentwicklung; 5. Entwurf von Prototypen Vorteile: Kombination des impliziten Wissens der Kunden mit dem technischen Wissen der F&E-Mitarbeiter; Methode umgeht Probleme der Artikulation von latenten Bedürfnissen; Ziel ist ein besonders tiefes Kundenverständnis Nachteile: Relativ zeit- und kostenaufwändig; verlangt neues Marktforschungsverständnis; anthropologisches Know How nötig
Beispiel: Information Acceleration Quellen: URBAN et al. 1997; 1996 -
-
Prinzip: Marktpotenzial-Prognosen auf der Basis einer Zukunftskonditionierung und Informationsvermittlung mit Hilfe von interaktiven und multimedialen Computer-Simulationen Schritte: 1. Erstellung von Zukunftsszenarien und Produktinformationen; 2. Zukunftskonditionierung und computerbasierter, interaktiver Informationsabruf durch die Probanden; 3. Schrittweise Erfassung von Wahrnehmungen, Präferenzen und Kaufwahrscheinlichkeiten; 4. Abschätzung des Marktpotenzials und der Umsatzentwicklung Vorteile: Präferenzmessung basierend auf einem für die Zukunft realitätsnäheren Entscheidungsumfeld; frühzeitige Potenzialabschätzung vor Prototyperstellung; erfolgreich getestet für verschiedene Produktgruppen Nachteile: Validität ist abhängig von der Treffgenauigkeit/Professionalität der eingesetzten Szenarien; persönliches Umfeld kann nicht abgebildet werden; zeit- und kostenaufwändig, Zukunft kann nur bedingt simuliert werden
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Intensive Zusammenarbeit mit ausgewählten Kunden, insbesondere Lead Usern
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Beispiel: Lead User Methode Quellen: LÜTHJE/HERSTATT 2004; LILIEN et al. 2002; VON HIPPEL 1986 -
Verwandte Methoden: Toolkits for User Innovation (VON HIPPEL/ KATZ 2002)
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Prinzip: Einbindung von Kunden, die innovative Bedürfnisse und eine hohe Motivation haben Schritte: 1. Bildung eines crossfunktionalen Teams und Festlegung des Suchfeldes; 2. Trendprognose: Identifikation und Analyse von Technologieund Markttrends; 3. Identifikation von Lead Usern: Screening bzw. Networking-Ansatz; 4. Lead User Workshop: Entwicklung von Produktkonzepten; 5. Bewertung und Transfer auf die Bedürfnisse des Gesamtmarktes Vorteile: Generierung von Informationen über zukünftige Bedürfnisse; Einbindung von Kunden in den Lösungsprozess; führt tendenziell zu einem hohen Innovationsgrad; erfolgreiche in Investitions- und Konsumgütermärkten Nachteile: Identifikation von Lead Usern kann schwierig sein; Einsatz ist zeitaufwändig; Gefahr der Nischenorientierung
Tabelle 1: Innovative Methoden kundenbezogener Innovationsmarktforschung
Es zeigt sich, dass viele Autoren im Kontext von Innovationen den Einsatz qualitativer, explorativer Methoden fordern. Dazu gehören z.B. Tiefeninterviews sowie verschiedene Arten von Fokusgruppen/ Kundenworkshops wie z.B. das kundenidealisierte Design, projektive Techniken, Rollenspiele und die Looking glass-Methode, bei der Ideen für neue Produktkonzepte im Rahmen von Kundendiskussionen abgeleitet werden (DURGEE et al. 1998). Ebenfalls qualitativ ausgerichtete, ethnografische Methoden zielen auf ein möglichst ganzheitliches und tiefes Kundenverständnis durch die Beobachtung von Zielkunden in ihrer natürlichen Umgebung. Im Vordergrund steht die Identifikation schwer artikulierbarer, latenter Kundenbedürfnisse (PERRY et al. 2004). Neben der bekanntesten Methode, dem Empathischen Design, stehen die auf ähnlichen Prinzipien beruhenden Methoden Day-in-the-life-visits bzw. die aus Japan stammende Gemba-Research zur Verfügung. Darüber hinaus zählen auch sog. Customer Visits, bei denen ein crossfunktionales Team durch systematische Kundenbesuche in die Welt der Kunden eintaucht, zu den ethnografischen Methoden (EKSTRÖM/KARLSSON 2001). Darüber hinaus wird in der Literatur im Kontext von Innovationen auf Simulationsmethoden, insbesondere die am Massachussets Institute of Technology entwickelte Information Acceleration-Methode, verwiesen. Information Acceleration setzt an dem Problem an, dass eine valide Beurteilung und Adoption von besonders neuartigen Innovationen Lernprozesse verlangt (BINSACK 2003, S. 289). Ziel der Methode ist es, Lernprozesse zu beschleunigen, indem vor einer Präferenzmessung umfangreiche Informationen zur Innovation und zu zukünftigen Rahmenbedingungen bereitgestellt werden. Einem ähnlichen Prinzip unterliegen weitere virtuelle Methoden wie z.B. Information Pump, eine virtuelle Fokusgruppe, in der Lerneffekte durch Mund-zuMund-Propaganda simuliert werden (DAHAN/HAUSER 2002). Eine weitere, im Kontext innovativer Methoden angeführte Option der Informationsgenerierung ist die Lead User-Methode. Die Methode zielt darauf ab, nicht ein möglichst repräsentatives Abbild der Grundgesamtheit zu generieren, sondern nur ganz bestimmte, innovative Kunden in den Innovationsprozess einzubinden (VON HIPPEL
Kundenbezogene Marktforschung für Unternehmen
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1986). Die sog. Toolkits for User Innovation stellen einen verwandten Ansatz dar.
Dabei handelt es sich um benutzerfreundliche Design Tools/Werkzeuge, die es ermöglichen, dass Kunden ihre eigenen Produktinnovationen entwickeln. Indem Kunden verstärkt am Entwicklungsprozess teilnehmen, werden Transferkosten von schwer zu übertragenden, kundenbezogenen Informationen gesenkt (VON HIPPEL/KATZ 2002). Insgesamt betrachtet zeichnen sich innovative im Vergleich zu traditionellen Methoden der Innovationsmarktforschung durch ein tieferes Verständnis der Kunden, ihrer Bedürfnisse und Verwendungssituationen aus. Methoden wie z.B. das Empathische Design stützen sich obendrein nicht nur darauf, was Kunden sagen, sondern auch, wie sie sich verhalten. Bei Simulationsmethoden erfolgt eine umfangreiche Wissensvermittlung, um den Adoptionsprozess möglichst realitätsnah zu simulieren. Trotz der Chancen innovativer Methoden kommen sie in der Praxis bis dato erst verhältnismäßig selten zum Einsatz (HERSTATT/LETTL 2004, S. 171).
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Erfolgseinfluss kundenbezogener Innovationsmarktforschung (Metasynopse)
Wie bereits in der Einführung dargestellt wurde, zielt die so genannte Erfolgsfaktorenforschung darauf ab, Faktoren zu ermitteln, die zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen Innovationsprojekten differenzieren. Bis heute liegt eine kaum überschaubare Anzahl an Beiträgen vor. Qualitative Synopsen bzw. quantitative Metaanalysen identifizieren Faktoren, die sich über viele Studien hinweg als erfolgskritisch herausgestellt haben (SCHLAAK 1999). Im Folgenden wird eine ‚Metasynopse’ zu Erfolgsfaktoren im Kontext kundenbezogener Innovationsmarktforschung durchgeführt. Basis sind zehn Synopsen und zwei Metaanalysen aus der Literatur, die in der Anzahl integrierter Studien variieren und z.T. auch inhaltlich unterschiedlich fokussiert sind (vgl. Tab. 2). Grundsätzlich kann zwischen prozess-, produkt- und marktbezogenen Erfolgsfaktoren unterschieden werden (HENARD/SZYMANSKI 2001, S. 364). Prozessbezogene Erfolgsfaktoren beziehen sich auf Aktivitäten entlang des Innovationsprozesses, produktbezogene Erfolgsfaktoren betreffen das Ergebnis des Innovationsprozesses, das entwickelte Produkt, während marktbezogene Erfolgsfaktoren auf exogene Merkmale des anvisierten Marktes Bezug nehmen. Um die Komplexität zu reduzieren, sind in der dargestellten Tabelle 2 ähnliche Begriffe in Annahme eines übereinstimmenden Sinnverständnisses der Autoren kategorisiert worden.
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1. Prozessbezogene Erfolgsfaktoren Durchführung von Marktforschungsaktivitäten
LETTL 2004, S. 37; ERNST 2002, S. 9; LÜTHJE 2000, S. 12; MELHERITZ 1999, S. 176; RÜDIGER 1997, S. 15; BALACHANDRA/FRIAR 1997, S. 280
Einsatz Marktforschungsressourcen
ERNST 2002, S. 24; LÜTHJE 2000, S. 11; RÜDIGER 1997, S. 15
Vorentwicklungsfertigkeiten (inkl. Durchführung von Marktstudien)
ERNST 2002, S. 9; HENARD/SZYMANSKI 2001, S. 368 (r = .46); RÜDIGER 1997, S. 15; MONTOYA-W EISS/ CALANTONE 1994, S. 408 (r = .29); KOTZBAUER 1992a, S. 18
Frühe qualitative Studien
LETTL 2004, S. 37; LÜTHJE 2000, S. 11
Güte/Qualität der Marktforschung
VAN DER PANNE et
Tiefes Verständnis der Kundenbedürfnisse
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al. 2003, S. 324; ERNST 2002, S. 9
2. Produktbezogene Erfolgsfaktoren Produktvorteil/ -überlegenheit
HENARD/SZYMANSKI 2001, S. 368 (r = .48); LÜTHJE 2000, S. 12; MELHERITZ 1999, S. 175; BALACHANDRA/ FRIAR 1997, S. 280; RÜDIGER 1997, S. 15; BROWN/EISENHARDT 1995, S. 350; MONTOYA-WEISS/CALANTONE 1994, S. 408 (r = .36); KOTZBAUER 1992a, S. 18; LILIEN/YOON 1989, S. 4
Fit zwischen Produkteigenschaften und Kundenbedürfnissen
HENARD/SZYMANSKI 2001, S. 368 (r = .50); BALACHANDRA/FRIAR 1997, S. 280; RÜDIGER 1997, S. 15; LILIEN/YOON 1989, S. 5
3. Marktbezogener Erfolgsfaktor Marktpotenzial
LETTL 2004, S. 37; HENARD/SZYMANSKI 2001, S. 368 (r = .54); LÜTHJE 2000, S. 11; MELHERITZ 1999, S. 178; BALACHANDRA/FRIAR 1997, S. 280; RÜDIGER 1997, S. 15; BROWN/ EISENHARDT 1995, S. 350; MONTOYAWEISS/CALANTONE 1994, S. 408 (r = .24); KOTZBAUER 1992a, S. 18; LILIEN/YOON 1989, S. 5
r = korrigierter mittlerer Korrelationskoeffizient; FOKUS DER BEITRÄGE: AUTOR/EN (ANZAHL INTEGRIERTER STUDIEN): Metaanalysen: HENARD/SZYMANSKI 2001 (41); MONTOYA-WEISS/CALANTONE 1994 (47) SYNOPSEN: LETTL 2004 (14), VAN DER PANNE et al. 2003 (43); ERNST 2002 (57); LÜTHJE 2000 (33), MELHERITZ 1999 (14); BALACHANDRA/FRIAR 1997 (19); RÜDIGER 1997 (26); BROWN/EISENHARDT 1995 (k.A.); KOTZBAUER 1992a (20); LILIEN/YOON 1989 (17)
Tabelle 2: Befunde zur Innovationsmarktforschung in der Erfolgsfaktorenforschung
Im Bereich der prozessbezogenen Erfolgsfaktoren zeigt sich, dass die Faktoren Durchführung von Marktforschungsaktivitäten, Einsatz von Marktforschungsressourcen und Vorentwicklungsfertigkeiten erfolgsrelevant sind. Zusätzlich haben sich in der Vergangenheit die Durchführung früher qualitativer Studien, Marktforschung ho-
Kundenbezogene Marktforschung für Unternehmen
29
her Güte/Qualität und das Vorliegen eines tiefen Verständnisses der Kundenbedürfnisse als relevant herausgestellt. Darüber hinaus manifestiert sich Innovationsmarktforschung in produkt- und marktbezogenen Erfolgsfaktoren. Die Faktoren Produktvorteil/überlegenheit und Fit zwischen den Produkteigenschaften und Kundenbedürfnissen stellen letztlich Konsequenzen kundenorientierter Marktforschung dar (z.B. CAMPBELL/COOPER 1999, S. 512 f.). Da die Anwendungsmöglichkeiten einer Innovation und die Anzahl und Größe potenzieller Kundensegmente abgeschätzt werden können, steht auch das Marktpotenzial als marktbezogener Erfolgsfaktor in einem engen Verhältnis zur Innovationsmarktforschung. Insgesamt betrachtet bestätigen vorliegende Synopsen und Metaanalysen die Vorteilhaftigkeit kundenbezogener Marktforschung für Innovationen. Gleichzeitig muss jedoch auch auf Grenzen der Erfolgsfaktorenforschung aufmerksam gemacht werden: Kritikpunkte betreffen u.a. eine mangelnde theoretische Untermauerung, die Verwendung z.T. uneinheitlicher und schwacher Messmethoden sowie die Vernachlässigung von Kontextfaktoren (ERNST 2002). Aus der vorliegenden Kongruenz der Ergebnisse kann jedoch zusammenfassend eine hohe Allgemeingültigkeit des Erfolgsfaktors „Kundenbezogene Marktforschung für Innovationen“ abgeleitet werden.
5
Zusammenfassung
Kundenorientierung ist zu einem allgemeinen Management-Credo geworden. Wie aber lässt sich Kundenorientierung im Innovationsprozess konkret umsetzen? Die Marketing- und Innovationsliteratur erkennt klar die Relevanz der Ermittlung und Erfüllung von Kundenbedürfnissen, Möglichkeiten der Implementierung bleiben jedoch häufig aus bzw. tendenziell diffus. Durch die Fokussierung konkreter Ziele, Methoden und Erfolgseinflüsse kundenbezogener Marktforschung für Innovationen hat der vorliegende Beitrag zu einer Reduzierung dieses Forschungsdefizits beigetragen. Konkret konnte gezeigt werden, dass kundenbezogene Marktforschung neben der Minimierung von Fehlentscheidungen erster und zweiter Art häufig unterschiedliche, spezifische Informationsbedürfnisse des Innovators wie z.B. Identifikation potenzieller Kundengruppen und ihrer Bedürfnisse sowie Analyse von Akzeptanzbarrieren adressiert. Anschließend wurden Methoden kundenbezogener Innovationsmarktforschung fokussiert: Aufbauend auf einer allgemeinen Methoden-Systematisierung wurde ein Überblick zu innovativen Methoden wie z.B. das Empathische Design und den Lead-User-Ansatz gegeben. Mit Hilfe einer Metasynopse konnte abschließend gezeigt werden, dass kundenbezogene Innovationsmarktforschung einen wesentlichen Erfolgsfaktor von Innovationsprojekten darstellt.
30
Steinhoff
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IV
Internetbasiertes Conjoint Measurement zur Analyse der Leistungsanforderungen bei innovativen Investitionsgütern
Ronald Pörner/ Bernd Sontag „It's difficult to create products that customers want without understanding what they really need.” Michael Schrage1
1
Problemstellung
Sowohl die Produktinnovation, als auch die Erneuerung oder Veränderung bestehender Produkte kann für Unternehmen, gerade aufgrund der Komplexität der Produkte des Investitionsgüterbereiches, riskant sein. Neue oder veränderte Produkte scheitern aus unterschiedlichen Gründen2: 1.
hohe Kosten3
2.
großer Zeitbedarf für die Entwicklung neuer Produkte
3.
Risiken der späteren kommerziellen Auswertung4
4.
unvorhersehbare Verzögerungen bei der Entwicklung und der Realisierung5
1
Schrage, Michael (2006). Vgl. Kotler, Philip et al. (2003), S. 675 f. 2004 hat sich bereits abgezeichnet, dass die Entwicklungskosten des Riesenflugzeugs A380 um 1,45 Milliarden Euro oder fast 14% höher liegen werden als geplant war. Damit ist von Entwicklungskosten in einer Höhe von insgesamt rund 12 Milliarden Euro auszugehen; vgl. http://www.faz.net/s/RubC8BA5576CDEE4A05AF8DFEC92E288D64/Doc~E9ADEDC 10CDFB4C6AB18F347FF9E9F733~ATpl~Ecommon~Scontent.html, Stand : 31.08.2006. Pharmafirmen sind besonders abhängig von der regelmäßigen Markteinführung neuer Medikamente. Dabei muss es schnell gehen, denn die Pharmaforschung ist teuer. Nach Meinung von Branchenexperten, kostet die marktreife Entwicklung eines einzigen Medikaments im Durchschnitt rund 550 Mio. €. Allerdings schafft anschließend nur eine von 5000 neuen Substanzen den Weg in die Apotheke. Läuft dann das Patent aus, dringen die Generikahersteller mit Produktalternativen in den Markt ein. Innerhalb weniger Monate kann anschließend der Absatz um bis zu 80% einbrechen; vgl. http://www.manager-magazin.de/geld/geldanlage/ 0,2828,380512-3,00.html, Stand: 31.08.2006. Aufgrund der Verzögerungen beim Bau und der Auslieferung das A380 erwartet der Mutterkonzern EADS zwischen 2007 und 2010 jedes Jahr etwa 500 Mio. € weniger Ertrag vor Zinsen und Steuern (Ebit). Nicht eingerechnet in diese Prognose sind mögliche Abbestellungen von Aufträgen. Allein 2008 werden die Cash-Flow-Ausfälle wahrscheinlich auf mehr als 1 Mrd. € steigen; vgl. http://www.handelsblatt.com/news/Default.aspx?_p=200038&_t=ft&_b =1092896&grid_id=1203358, Stand: 31.08.2006.
2 3
4
5
Internetbasiertes Conjoint Measurement
5.
37
das Verhältnis von Erfolgen und Misserfolgen.6
Dennoch sind Unternehmen, die ihre Produkte kontinuierlich erneuern, weniger angreifbar und verletzbar durch neue Wettbewerber.7 Auch der häufig wahrzunehmende Preisverfall ist in der Regel nicht auf fehlende Preisdisziplin der Hersteller zurückzuführen, sondern auf Differenzierungsprobleme im Leistungsangebot.8 Berücksichtig werden sollte, dass die Leistungskomponente von Industriegütern aus Sicht der Kunden in der Regel relativ gut messbar und die Kaufentscheidung rationaler geprägt ist, so dass auch besondere Anforderungen an die Preissetzung bestehen. Der Kaufentscheidung geht häufig eine intensive Informationssuche voraus, bei der Preise und wahrgenommene Leistungsangebote miteinander verglichen werden. Aufgrund des wahrgenommenen Preisleistungsverhältnisses wird anschließend die Kaufentscheidung getroffen.9 Wie sich dieses wahrgenommene Preisleistungsverhältnis zusammensetzt, d.h. welche Nutzenaspekte einer Leistung durch den Kunden in welcher Form gewichtet und bewertet werden ist aus Sicht des Unternehmens eine zentrale Fragestellung bei der Produktentwicklung. Es gilt also herauszufinden, wie sich kundenseitig Präferenzen entwickeln und im Kaufakt manifestieren. Das heißt, letztendlich muss es das Ziel der Unternehmen sein, die oben beschriebenen Risiken zu minimieren und eine auf die jeweiligen Nutzenvorstellungen der Kunden gerichtete Produktentwicklung, mit einer entsprechend ebenfalls nutzenorientierten Preisbestimmung, zu verwirklichen.
2
Methoden zur Analyse von Leistungsanforderungen
Jede umsetzungsinduzierte Erfassung von Leistungsanforderungen von Produkten der Investitionsgüterindustrie hat eine marktgerechte Produktentwicklung zum Ziel.10 Dabei ist die Generierung eines höheren komparativen Nettonutzens, der auf Kundenseite durch einen Abgleich der subjektiv wahrgenommenen und bewerteten Leistungsattribute mit dem Preis entsteht, anzustreben.11
6
7 8 9 10 11
Neben den hohen „Flop-Raten“, Kotler et al. Sprechen von 80% der Neueinführungen bei Endverbrauchern und 33% bei industriellen Vorprodukten (vgl. Kotler et al. [2003: 676]), kann auch ein ursprünglich gut in den Markt eingeführtes Produkt aufgrund technischer Mängel nur kurzfristig am Markt bestehen. So hatte Siemens Transportation Systems mit dem Straßenbahn-Modell Combinoso große Probleme, dass diese offenbar nicht einmal mit nachträglichen Verbesserungen zu retten sind. Der Schaden geht in die Millionen; vgl. http://www.eisenbahn-webkatalog.de/news/index.php?newsid=764, Stand: 31.08.2006 Vgl. Kotler, Philip et al. (2003), S. 676. Vgl. Backhaus, Klaus (2003), S. 456. Vgl. Backhaus, Klaus (2003), S. 456. Vgl. Ahrens, Gritt (2000), S. 6. Vgl. Meffert, Heribert (2000), S. 542.
38
Pörner / Sontag
Auf der Anbieterseite werden zur Bestimmung des wahrgenommenen Preisleistungsverhältnisses beispielsweise direkte Kosten-Nutzen-Analysen oder indirekte Verfahren des Conjoint Measurement eingesetzt.12 Bei der Kosten-Nutzen-Analyse wird aus dem Preis und einem Leistungsindex eine Verhältniszahl gebildet, die den Preis pro Leistungseinheit repräsentiert.13 In der Regel sind allerdings die zu erfassenden Leistungen durch eine Multiattributivität gekennzeichnet, die es notwendig macht, mehrere Leistungsmerkmale in den Index aufzunehmen. Um diese Komplexität zu beherrschen, werden häufig Nutzwertanalysen eingesetzt, bei denen die für eine Beurteilung relevanten Merkmale14 aufgelistet und bewertet werden.15 Neben diesen Methoden existieren weitere Präferenzmodelle, die im Folgenden kurz charakterisiert werden sollen. 2.1
Arten von Präferenzmodellen
Generell ist der Ausgangspunkt nutzenorientierter Preisleistungsbestimmungen die Annahme, dass der Konsument „bei jedem Kauf eine mehr oder weniger umfassende Abwägung (trade-off) zwischen dem zu zahlenden Preis (negative Komponente eines Kaufaktes) und seinem individuellen Nutzen aus der Inanspruchnahme der zu erwerbenden Leistung (positive Komponente des Kaufaktes) vornimmt.“16 Damit liegt den multiattributiven Präferenzmodellen die Annahme zugrunde, dass Kunden ihre Präferenzen durch die Diskriminierung von Produktalternativen anhand der jeweils wahrgenommenen Produkteigenschaften bilden. „Bei der Präferenzbildung auf Eigenschaftsebene wird davon ausgegangen, dass die Konsumentenpräferenzen durch Nutzenfunktionen bestimmt werden, die die Wertigkeit unterschiedlicher Ausprägungen einer Produkteigenschaft (Teilnutzenwerte) zum Ausdruck bringen.“17 Zu berücksichtigen sind darüber hinaus Wahrnehmungsverzerrungen, die auftreten, wenn Konsumenten bestimmte Produkteigenschaften subjektiv anders Wahrnehmen, als es den objektiven Gegebenheiten entspricht. Eine Messung dieser subjektiven Wahrnehmung der Produktleistung in unterschiedlichen Zielgruppen ist daher für die Festlegung eines angemessenen Preisleistungsverhältnisses, neben der unterschiedlichen, subjektiven Präferenzattribuierung von Produktleistungen, erforderlich.18
12 13 14
15 16 17 18
Vgl. Backhaus, Klaus (2003), S. 456. Beispielsweise lässt sich bei Mieträumen ein Preis in €/m2 angeben. In den folgenden Ausführungen werden die Begriffe Merkmale und Eigenschaften sowie Merkmalsausprägungen und Eigenschaftsausprägungen synonym verwandt. Vgl. Backhaus, Klaus (2003), S. 457. Meffert, Heribert (2000), S. 542. Brzoska, Lars (2003), S. 38 f. Vgl. Meffert, Heribert (2000), S. 543.
Internetbasiertes Conjoint Measurement
39
Der Prozess der Präferenzbildung lässt sich dabei formal durch mehrdimensionale Einstellungs- und Präferenzmodelle wie dem Vektor-, Idealpunkt- oder Teilnutzenwertmodell darstellen.19 Bei diesen merkmalsspezifischen Nutzenfunktionen wird jeder Ausprägung eines Merkmals ein bestimmter Nutzenwert zugeordnet sowie einzelne Teilnutzen berechnet.20 Vektormodell
Ideal- bzw. Antiidealpunktmodell
Teilnutzen
Teilnutzen
Teilnutzenmodell Teilnutzen
x
x x x
Eigenschaft
Eigenschaft
Eigenschaft
Abbildung 1: Funktionsverläufe grundlegender Präferenzmodelle21
Beim Idealvektormodell verhält sich eine Nutzenänderung proportional zur Änderung der Merkmalsausprägung, d.h. je höher bzw. niedriger die Merkmalsausprägung aufällt, desto höher ist der Nutzen.22 Dabei unterstellt das Modell einen linearen Zsammenhang zwischen der jeweiligen Ausprägung und dem dazugehörigen Nutzen. Beispielsweise besteht die Annahme, dass, je preiswerter ein Produkt ist, dies umso besser für den Kunden ist.23 Das Idealpunktmodell geht von einer perfekten, d.h. idealen, Merkmalsausprägung aus, so dass jede positive wie auch negative Veränderung der Ausprägung zu einem niedrigeren Teilpräferenzwert führt.24
19 20 21
22 23 24
Vgl. Backhaus, Klaus (2003), S. 457. Vgl. Inderst, Florian (2000), S. 3. Brzoska, Lars (2003), S. 40, vgl. auch die ursprüngliche und ähnlich gestaltete Darstellung von Green, Paul E./ Srinivasan, V. im Rahmen ihrer grundlegenden Arbeit zur CoinjointAnalyse [1978: 106]; diese findet sich beispielsweise auch bei Inderst [2000: 3] und Meffert [2000: 544]. Vgl. Inderst, Florian (2000), S. 4. Vgl. von Thaden, Christian (2002), S. 12. Vgl. Inderst, Florian (2000), S. 4.
40
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Dagegen ist das Teilnutzenmodell völlig flexibel aufgebaut und nimmt keinen bestimmten Funktionsverlauf an. Für jede Ausprägung ermittelt sich ein individueller Teilnutzenwert.25 Für die aus Kundensicht wichtigen Leistungseigenschaften ist das geeignete Präferenzmodell zu bestimmen, bevor der jeweilige Teilnutzen beim Konsumenten erhoben wird26, wobei berücksichtigt werden sollte, dass das Idealvektor- und das Idealpunktmodell als Spezialfälle im Teilnutzenmodell enthalten sind.27 Darüber hinaus weisen die Teilnutzenmodelle die höchste Modellflexibilität auf, da die Teilnutzenwerte der einzelnen Merkmalsausprägungen bei diesen Modellen keinem ex ante definierten Funktionszusammenhang folgen müssen. Vielmehr kann jede diskrete Merkmalsausprägung einen beliebigen Teilnutzenwert annehmen, so dass Einschränkungen durch Monotoniebedingungen wie beim Vektor- bzw. Idealpunktmodell nicht gegeben sind. Dies ist bei nominal skalierten Produkteigenschaften von Bedeutung, da in diesem Fall das Teilnutzenmodell die einzig zulässige Funktionsspezifikation darstellt. Ein Nachteil des Teilnutzenmodells besteht allerdings in der Beschränkung der Nutzenschätzung auf die in der Datenerhebung ex ante berücksichtigten Merkmalsausprägungen28 und der Notwendigkeit, dass bei diesem Modell mehr Parameter bestimmt werden müssen, als bei den beiden anderen Modellen.29 2.2
Mögliche Verknüpfungsfunktionen
Um die Nutzenbeiträge einzelner Merkmale in Beziehung zum Gesamtnutzen einer Produktvariante zu setzen, ist zu entscheiden, ob die Verknüpfungsfunktion nichtkompensatorisch oder kompensatorisch modelliert werden soll.30 Bei nicht-kompensatorischen Modellen wird der Teilnutzenwert nur eines einzigen Merkmals zur Erklärung des Gesamtnutzens herangezogen. Wird dabei der konjunktive Ansatz verfolgt, wird das Merkmal gewählt, das die Wünsche des Befragten am wenigsten erfüllt bzw. einen kritischen Minimumwert erreicht hat. Beim disjunkten Ansatz wird entsprechend jenes Merkmal verwendet, dessen Ausprägung den Wünschen des Entscheiders am meisten entspricht. Beim lexikographischen Ansatz werden die Merkmale einzeln, nacheinander entsprechend ihrer jeweiligen Wichtigkeit für den Befragten herangezogen. Lässt sich aus dem aus Kundensicht wichtigsten
25 26 27 28
29 30
Vgl. Inderst, Florian (2000), S. 4. Vgl. Meffert, Heribert (2000), S. 544. Vgl. von Thaden, Christian (2002), S. 13; Inderst, Florian (2000), S. 4. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 40., vgl. auch die Ausführungen von Green, Paul E. / Srinivasan, V. (1978) bzgl. des Vergleichs unterschiedlicher Präferenzmodelle. Vgl. von Thaden, Christian (2002), S.13. Vgl. Inderst, Florian (2000), S. 4.
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Merkmal keine eindeutige Präferenz ableiten, wird das nächst wichtigste Merkmal herangezogen.31 Bei den kompensatorischen Modellen werden alle Merkmale zur Bewertung herangezogen. Der Gesamtnutzen ergibt sich dabei aus der Aggregation der Teilnutzenwerte. In der Regel kommen hier Verfahren wie das Conjoint Measurement zum Einsatz, bei denen die Teilpräferenzen additiv zu einer Gesamtpräferenz zusammengefügt werden, wobei negative Merkmalsausprägungen durch positive kompensiert werden können.32 2.3
Die Präferenzmessung
2.3.1 Kompositionelle Verfahren Bei der Präferenzmessung mittels kompositioneller Verfahren, z.B. im Rahmen von Befragungen (auch self-explicated approaches genannt33), werden konsumentenseitige Beurteilungen einzelner Produkteigenschaften bzw. Merkmalsausprägungen sowie deren Bedeutungsgewichte für die Präferenzbildung separat erhoben und anschließend mit der vorab definierten Verknüpfungsfunktion zu einer Gesamtbewertung zusammengefasst (komponiert). Je nach Gesamtbewertung können alternative Produktkonzepte in eine Präferenzordnung gebracht werden, die Aussagen über das potenzielle Entscheidungsverhalten von Konsumenten zulässt.34 Die Vorteile der kompositionellen Verfahren der Präferenzmessung bestehen in der einfachen Anwendbarkeit bzw. geringen Verfahrenskomplexität, der Möglichkeit, viele Merkmale und Ausprägungen zu verwenden sowie in einer relativ kostengünstigen Durchführbarkeit. Kritisch ist die geringe Realitätsnähe der kompositionellen Verfahren, da hier jedes Merkmal einzeln für sich bewertet wird und damit die in der Realität stattfindende ganzheitliche Bewertung eines Produktes nicht erfolgt. Den Probanden wird eine Unabhängigkeit der Produkteigenschaften suggeriert, die sie in eine ungewohnte, eben nicht ganzheitliche, Beurteilungssituation zwingt. Dieser Mangel an Realitätsnähe kann teilweise zu falschen Prognosen des Entscheidungsverhaltens führen. Darüber hinaus neigen die Befragten im Rahmen kompositioneller Verfahren zu einer Überbewertung vergleichsweise unwichtiger Produkteigenschaften („Anspruchsinflation“), da kein Abwägen von Vor- und Nachteilen zwischen Produkten bzw. Produkteigenschaften (Trade-Off) erforderlich ist.35 Darüber hinaus kommt eine prinzipbedingte und entscheidende Schwäche kompositioneller Modelle hinzu: Bei diesen Modellen besteht keine Möglichkeit, eine Fehlspe31 32 33 34 35
Vgl. Inderst, Florian (2000), S. 4 f. Vgl. Inderst, Florian (2000), S. 5. Vgl. von Thaden, Christian (2002), S. 5. Vgl. Grunberg, Bastian (2003), S. 143; vgl. auch Brzoska, Lars (2003), S. 51 f. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 52, vgl. auch Inderst, Florian (2000), S. 5 f., von Thaden, Christian (2002), S. 6.
42
Pörner / Sontag
zifikation des Modells durch einen schlechten „Fit“ zu erkennen, wie das bei dekompositionellen Verfahren möglich ist. Die Ergebnisse kompositioneller Modelle müssen daher immer unkritisch als „wahr“ angenommen werden. 36 2.3.2 Dekompositionelle Verfahren Aufgrund der genannten Probleme mit den kompositionellen Verfahren, ermitteln die dekompositionellen Verfahren den präferenzbildenden Beitrag einzelner Produkteigenschaften sowie Merkmalsausprägungen aus ganzheitlich erhobenen Leistungsbündeln. Den Probanden werden anstelle von einzelnen Merkmalen vollständige Produkte bzw. Produktkonzepte vorgelegt, die sich aus mehreren Merkmalen mit unterschiedlichen Ausprägungen zusammensetzen. Die dekompositionellen Verfahren führen dementsprechend eine Zerlegung (Dekomposition) einer globalen Bewertung eines Produktes oder Produktkonzepts in Einzelbewertungen durch.37 „Durch die Erhebung von Konsumentenurteilen bezüglich ganzheitlicher Produkte oder Produktkonzepte wird eine Entscheidungssituation geschaffen, die eine stärkere Annäherung an das reale Entscheidungsverhalten von Konsumenten ermöglicht als die Erhebung eigenschaftsbezogener Einzelurteile. Weiterhin wird durch die ganzheitliche Beurteilung das Problem der Anspruchsinflation umgangen sowie von der Beurteilungsunabhängigkeit der Produkteigenschaften abstrahiert. Allerdings kann bei dekompositionellen Verfahren auch die Gefahr einer kognitiven Überforderung der Befragten auftreten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine hohe Produktkomplexität aufgrund einer Vielzahl entscheidungsrelevanter und gleichzeitig zu beurteilender Produkteigenschaften vorliegt.“38 Die Conjoint Analyse wird zu den dekompositionellen Verfahren gezählt und im folgenden Kapitel etwas genauer untersucht.39
3
Darstellung der Methode des Conjoint Measurements
„Unter Conjoint Analyse (synonym: Verbundmessung, Conjoint Measurement) sind all diejenigen dekompositionellen Analyseverfahren zu subsumieren, welche aus den
36 37
38 39
Vgl. von Thaden, Christian (2002), S. 6 f. Vgl. Grunberg, Bastian (2003), S. 143 f., vgl. auch Inderst, Florian (2000), S. 6., Brzoska, Lars (2003), S. 53. Brzoska, Lars (2003), S. 54. In einigen (aktuelleren) Publikationen wird noch eine dritte Form der Präferenzmessung, so genannte „hybride Methoden“, beschrieben. Dabei handelt es sich um eine Mischform zwischen den kompositionellen und den dekompositionellen Verfahren. Diese Verfahren zeichnen sich durch eine hohe Komplexität aus, die in der Regel nur durch den Einsatz von Computern in der Befragungssituation gelöst werden können. Computergestützte Conjoint Analysen, wie die in Kapitel 4 beschriebene Adaptive Conjoint Analysis (ACA) werden daher inzwischen teilweise zu den hybriden Formen der Präferenzmessung gezählt. Vgl. auch HenselBörner (2000).
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globalen Präferenzurteilen eines Individuums für eine Menge von multiattributiv beschriebenen produktpolitischen Alternativen bzw. Teststimuli die Parameter eines vorher spezifizierten Präferenzmodells schätzen.“40 Der Gesamtnutzen der angebotenen Leistung setzt sich dabei additiv aus den Nutzen der Komponenten (auch Teilnutzenwerte genannt) zusammen.41 Der Beginn des Conjoint Measurements geht zurück auf Luce und Tukey und das Jahr 1964. 1971 haben Green / Rao die Methode in Bezug auf die Analyse des Konsumentenverhaltens eingesetzt.42 Seit 1979 wird das Conjoint Measurement auch in der deutschsprachigen Marketingliteratur diskutiert. Aufgrund der umfangreichen wissenschaftlichen Behandlung sowie häufigen praktischen Nutzung hat es sich zu einem bedeutenden Marktforschungsinstrument zur Messung von Präferenzen und zur Simulation von Kaufentscheidungen entwickelt.43 Dabei weist die Conjoint Analyse den bedeutenden Vorteil auf, dass das zugrunde liegende Erhebungsdesign und die damit verbundene spezifische Befragung zu ganzheitlich präsentierten Untersuchungsobjekten eine weitgehend realitätsnahe Abbildung des Entscheidungsverhaltens der befragten Personen zulässt.44 3.1
Einsatzmöglichkeiten des Conjoint Measurements
Im Rahmen der Conjoint Analyse werden die produkteigenschaftsspezifischen Teilnutzenwerte ermittelt, so dass die Präferenzstrukturen von einzelnen Probanden bzw. Probandengruppen offen gelegt werden. „Durch dieses Verfahren wird ein marktforschendes Unternehmen in die Lage versetzt, das Zustandekommen von Konsumentenpräferenzen zu erklären und Aussagen über die Bedeutung von Produktänderungen im Hinblick auf die Änderung der Konsumentenpräferenzen treffen zu können.“45 Daher ist eines der wichtigsten Anwendungsgebiete der Conjoint Analyse die Neuproduktplanung, da das Verfahren eine Antwort auf die Frage, wie ein neues oder verändertes Produkt gestaltet werden soll, um den Bedürfnissen des Marktes zu entsprechen, liefert.46 Entsprechend häufig wird diese Methode vor allem in den USA im Rahmen der Neuproduktentwicklung eingesetzt (siehe Abbildung 2). Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Methode des Conjoint Measurements zur Ermittlung der Kundenpräferenzen in den 1980er Jahren etwa 400 mal pro Jahr kommerziell eingesetzt wurde. In den 1990er Jahren ist die Popularität dieser Methode weiter angestie-
40 41 42 43 44 45 46
Meyer, Jens Wilhem (2003), S. 171. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 565. Vgl. Green, Paul E./ Srinivasan, V. (1978), S. 103. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 73. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 5 f. Brzoska, Lars (2003), S. 99. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 565.
44
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gen, so dass die Anzahl der kommerziellen Anwendungen bei über 1000 pro Jahr gelegen haben dürfte.47 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% Preispolitik
MarktKonkurrenz- Repositionie Kommunikat DistributionsNeuproduktsegmentieru analyse rung ions-politik entwicklung politik ng
Europa (1986-1991)
46%
36%
29%
22%
13%
2%
USA (1981-1985)
38%
47%
33%
40%
33%
18%
5%
Abbildung 2: Anwendungsbereiche kommerzieller Conjoint Analysen48
Stadie hat im Rahmen seiner explorativen Studie unterschiedliche Testmethoden auf ihre Adäquanz zur Marktforschung bei technologischen Basisinnovationen hin untersucht (siehe Abbildung 3). Im Ergebnis kommt er zu dem Schluss, dass sich die conjoint-analytischen Verfahren besonders als methodische Grundlage von Innovationstests49 eignen, da sich mit ihrer Hilfe unterschiedliche Merkmalskombinationen und damit verschiedene Ausgestaltungsalternativen eines Neuproduktkonzeptes abtesten lassen.50
47 48
49
50
Vgl. Sattler, Henrik/ Hensel-Börner, Susanne (2000), S. 122. Brzoska, Lars (2004), die Darstellung wurde von Brzoska im Rahmen eines Vortags erstellt und basiert auf den Daten von Wittink, D./ Vriens, M./ Burhenne, W. (1994), S. 44. Stadie bezeichnet in seiner Arbeit diese Innovationstests als „Marktlabore“, bei denen sowohl die Produkte, als auch das Kaufverhalten simuliert wird. Stadie, Ekkehard (1998), S. 35.
45
Testmarkt
Eignung zur Marktpotenzialschätzung
-
-
+
O
+
-
Eignung zur Marktsegmentierung
-
O
+
O
+
+
Nicht-Notwendigkeit realer Produkte/Prototypen
+
-
-
-
-
+
Simulation des Kaufverhaltens
-
O
-
-
+
+
Realitätsnähe
-
O
+
+
O
-
Pilotprojekt
Produkttest
Bewertung
Konzepttest
Kriterium
Simulatoren
Experiment
Innovationstest (ConjointMeasuruement)
Internetbasiertes Conjoint Measurement
Abbildung 3: Vergleich unterschiedlicher Testmethoden auf ihre Adäquanz für die Marktforschung bei technologischen Basisinnovationen51
Wie aus der Abbildung 3 zu ersehen ist, weist Stadie auf die vergleichsweise geringere Realitätsnähe der Conjoint Analyse hin. Danach basiert das Verfahren in der Regel auf hypothetischen Stimuli, die überwiegend textlich beschrieben werden. Gerade bei technischen Basisinnovationen ist dies aus Sicht von Stadie allerdings problematisch, da die Probanden über keinerlei Nutzungserfahrung verfügen und daher die Innovation auf der Basis hypothetischer verbaler Beschreibungen häufig nicht beurteilen können.52 Setzt man das Conjoint Measurement für die Untersuchung von innovativen oder weiterzuentwickelnden Investitionsgütern ein und befragt in diesem Zusammenhang Experten, die mit der Nutzung und den Problemen der zumindest aktuell gängigen (Alt-)Anlagen und (Alt-)Geräten vertraut sind, haben wir die Erfahrung gemacht, dass dieser Einwand in der Regel nicht zutrifft.53 3.2
Arten des Conjoint Measurements
Die Untersuchungsmethoden des Conjoint Measurement werden in der Regel in Vollprofilmethoden (Full-Profile) und Teilprofilmethoden (auch Trade-Off-Ansätze genannt) unterschieden.54 Die etwas neueren, computerunterstützen Methoden verknüpfen häufiger kompositionelle (self-explicated) und dekompositionielle Verfahren und werden daher auch als hybride Verfahren bezeichnet. Die einzelnen Ansätze unterscheiden sich vor allem im Hinblick auf die Erhebung der Präferenzurteile.55 Bei der klassischen oder traditionellen Conjoint Analyse bilden die Probanden eine Rangreihe bezüglich der Vorziehenswürdigkeit einzelner Objektalternativen. Dieses 51 52 53 54 55
Vgl. Stadie, Ekkehard (1998), S. 29. Vgl. Stadie, Ekkehard (1998), S. 28. Näheres dazu im Kapitel 4. Vgl. von Thaden, Christian (2002), S. 14. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 611.
46
Pörner / Sontag
geschieht häufig indem den Probanden Kärtchen mit unterschiedlichen Kombinationen der Ausprägungen aller Produktmerkmale (Full-Profile) zur Rangreihung vorgelegt werden. Dieser Prozess soll die Entscheidungssituation nachempfinden, wobei der Proband in der realen Kaufsituation anschließend die Entscheidung trifft, ob er das am stärksten präferierte Objekt kauft oder nicht. „Dies kann aber auch bedeuten, dass ggf. keine, also auch nicht die am stärksten präferierte Alternative, gekauft wird. Dieser zweite Teil des Auswahlprozesses, der dem Ergebnis des realen Wahlaktes entspricht, wird im Modell der traditionellen Conjoint Analyse nicht betrachtet. Der Nicht-Käufer existiert nicht.“56 Daher ist beim Einsatz der traditionellen Conjoint Analyse tendenziell von einer Überschätzung des Marktpotenzials auszugehen, da keine Möglichkeit besteht, alle Produkt- oder Leistungsvariationen abzulehnen. „Insbesondere für echte Innovationen folgt daraus eine geringe Eignung der traditionellen Conjoint-Analyse zur Marktpotenzialbestimmung.“57 Kontinuierliche Weiterentwicklungen der traditionellen Conjoint Analyse sollten diese und weitere Schwächen reduzieren (siehe auch Abbildung 4). Die Choice Based Conjoint Analyse (CBC) sowie die Adaptive Conjoint Analyse (ACA) haben sich unter den neueren Varianten der Conjoint Analyse auch in der Praxis besonders durchgesetzt.
56 57
Stadie, Ekkehard (1998), S. 56 f. Stadie, Ekkehard (1998), S. 57.
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47
Untersuchungsansätze der Conjoint-Analyse Trade-Off
Nur Full-Profile
Self-Explicate d und Full-Pro file Full-Profile
Klassische Conjoint (Individual Analyse)
Klassische Conjoint (Individual Analyse)
Kontinuierliche Variablen
OLS Regression
MONANOVA Kruskal (1965)
Pekelman & Sen (1979)
PREFMAP Caroll (1973)
Bretton-Clark: Herman (1988)
LINMAP Shocker & Srinivasan (1977)
Krishnamurthi & Wittink (1989)
OLS Regression z.B. Software MDS(X)
Bretton -Clark BMPD, Bretton-Clark, I ntelligent Marketing Systems MDS(X)
Constrained Attribut e Levels
Partial aggregierte Modelle
Componential Order Constraints Segmentation Green & Srinivasan, DeSarbo Jain & (1979) Malhorta (1983) Optimal Scalling Hagert y (1985)
Choice Based Conjoint (Aggregierte Analyse)
Limit Conjoint
Komplettes Set an FullProfilen
Teilmenge an FullProfilen
Multinominal Logit Louviere & Woodworth (1983)
OLS Regression Hahn & Voeth (1997)
Bayesian Cat tin, Gelfand & Danes (1983)
HybridModelle Green, Goldberg & Montemayor (1981)
Hahn (1997) Backhaus, Voeth & Hahn (1998)
Cluster Analyse Kamakura (1988)
Monotonic Constraints van der Lans & Heiser (1990)
Partielle Profile (Subs et)
Adaptive Conjoint Analysis Johnson (1987)
Green (1984)
Voeth & Hahn (1998)
Intelligent Marketing System, Sawtoot h
COSMOS (Infratest Burke)
Sawtooth
Abbildung 4: Untersuchungsansätze der Conjoint Analyse58
Die Choice Based Conjoint Analyse (CBC) hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie greift den grundlegenden Gedanken der Conjoint Analyse auf und lässt die Probanden im Sinne einer Full-Profile-Methode ganzheitlich beschriebene Produktprofile relativ zueinander beurteilen. Dabei besteht die Beurteilungsaufgabe nicht in der Erstellung eines Rankings oder Ratings der Stimuli59, sondern in der Auswahl eines Produktes bzw. einer Merkmalskombination, die anschließend mit Hilfe der diskreten Entscheidungsanalyse ausgewertet werden. Konkret bedeutet dies, dass aus dem vollständigen Design bestimmte Teilmengen an Stimuli (so genannte „Choice-Sets“) gebildet werden, hinsichtlich derer die Probanden jeweils entscheiden müssen, ob sie eine – und ggf. welche – oder auch keine der präsentierten Produktalternativen zu kaufen bereit sind.60 Dadurch wird die Möglichkeit eines Nicht-Kaufes explizit berücksichtigt.61 Da die auszuwählenden Produkte mit 58
59
60 61
Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 612, die graue Hinterlegung erfolgte bei der Orginalquelle und stellt die aus ihrer Sicht wichtigen und in ihren Ausführungen behandelten ConjointVerfahren dar. Als Stimulus wird in diesem Zusammenhang eine Kombination von Merkmalsausprägungen verstanden, die den Probanden zur Beurteilung vorgelegt wird, vgl. auch Backhaus et al. (2000), S. 571. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 118. Vgl. Stadie, Ekkehard (1998), S. 60.
48
Pörner / Sontag
allen Merkmalen dargestellt werden und in der Regel mehrere Produkte parallel zur Entscheidung vorgelegt werden, stellt die Choice Based Conjoint Analyse hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit der Probanden. Daher dauern die Interviews in der Regel länger als bei anderen Conjoint Measurement Methoden. Der Hauptvorteil der Choice Based Conjoint Analyse besteht in der großen Ähnlichkeit der Befragungssituation zu einer tatsächlichen Kaufentscheidungssituation. Dadurch lassen sich Prognosen bezüglich der Marktanteile direkt, d.h. einstufig, aus der Erhebung ableiten.62 Ähnlich wie die Limited Conjoint Analyse versucht die Choice Based Conjoint Analyse, die Schwäche der traditionellen Conjoint Analyse bzgl. der Schätzung der Marktanteile und Marktpotenziale zu beheben.63 Da allerdings nur eine geringe Anzahl von Auswahlentscheidungen je Proband durchgeführt wird, ist keine Berechnung individueller Nutzenwerte möglich, so dass sie streng genommen nicht als Individualanalyse bezeichnet werden darf.64 Die Adaptive Conjoint Analyse (ACA) ist eine ausschließlich computerunterstützt zu nutzende Variante des Conjoint Measurements. Im Sinne einer hybriden Methode werden dekompositionelle und kompositionelle Befragungstechniken miteinander verknüpft. Die Datenerhebung findet auf der individuellen Ebene statt.65 In der Regel werden den Probanden in vier Phasen66 unterschiedliche Fragestellungen angeboten. Nach einer ersten Vorauswahl der einzelnen Merkmalsausprägungen, erfolgt in Form einer kompositionellen Befragung die Überprüfung der Wichtigkeiten der Merkmalsausprägungen. In der zentralen, dritten Phase werden adaptiv und dekompositionell Paarvergleiche zwischen unterschiedlichen Subsets von Merkmalen und Merkmalsausprägungen zur Bewertung angeboten. Die Adaptivität des Verfahrens resultiert aus der simultanen Verarbeitung der Eingabedaten durch einen Rechner, der entsprechend der Antworten des Probanden die weiteren Fragen individuell auf den Probanden zuschneidet und so die Präferenzstruktur nachzeichnet.67 Die vierte Phase dient der Präferenzbestimmung mit Hilfe einer Rekalibrierung der Einzelkonzepte aus der kompositionellen und dekompositionellen Phase.68 Da den Probanden in keiner Phase alle Merkmale gleichzeitig präsentiert werden, handelt es sich bei der Adaptiven Conjoint Analyse nicht um eine Full-Profile-Methode. Der Vorteil der A-
62 63 64 65 66
67 68
Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 61. Vgl. Stadie, Ekkehard (1998), S. 57. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 613. Vgl. von Thaden, Christian (2002), S. 41. In der Praxis wird häufig noch eine fünfte Phase angehängt, die eine Reihe von begleitenden Strukturfragen enthält, um die Antworten bzw. Wichtigkeiten und Teilnutzenwerte besser gruppieren und zuordnen zu können. Vgl. von Thaden, Christian (2002), S. 42. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 614.
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daptiven Conjoint Analyse besteht in der Möglichkeit, sehr viele Merkmale zu prüfen, ohne dass die Probanden zeitlich und kognitiv überlastet werden.69 3.3
Verfahrensschritte der Conjoint Analyse
Backhaus et al. beschreiben folgende Schritte zur Planung und Durchführung einer Conjoint Analyse70: 1.
Bestimmung der Merkmale und Merkmalsausprägungen
2.
Entwicklung des Erhebungsdesign incl. Auswahl des Präferenzstrukturmodells und der Methode der Datensammlung
3.
Präsentation und Bewertung der Stimuli
4.
Schätzung der Nutzenwerte
5.
Aggregation der Nutzenwerte.71
1.
Bestimmung der Merkmale und Merkmalsausprägungen
Die Auswahl der Merkmale und die Festlegung ihrer jeweiligen Ausprägungen ist eine der wichtigsten Voraussetzung für einen erfolgversprechenden Einsatz der Conjoint Analyse72, da hierdurch die Qualität der Abbildung des Kaufentscheidungsverhaltens nach allgemeiner Meinung besonders stark beeinflusst wird.73 Nach Backhaus et al. sollten bei der Auswahl der Merkmale und Merkmalsausprägungen folgende Aspekte berücksichtigt werden74: •
Die Merkmale sollten aus der Sicht der Kunden im Rahmen der Kaufentscheidung von zentraler Bedeutung sein. Empirische Studien haben dabei eine positive Korrelation zwischen der Wichtigkeit von Produkteigenschaften und deren Ausprägungsanzahl (Level-Effekt) nachgewiesen.75
•
Die Merkmale sollten durch die Hersteller beeinflussbar sein. Dies ist beispielsweise in der Regel bei Parametern der Produktgestaltung der Fall.
•
Die untersuchten Merkmale sollten aufgrund der additiven Präferenzstruktur voneinander unabhängig sein. Dieses Kriterium stellt aus unserer Erfahrung teilweise eine große Herausforderung dar, da bei komplexen Investitionsgütern
69
Vgl. Stadie, Ekkehard (1998), S. 59, von Thaden, Christian (2002), S. 43. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 568. In früheren Arbeiten hatten Backhaus et al. die Schritte vier und fünf zu einem Schritt „Parameterschätzung“ zusammengefasst. Vgl. Poscharsky, Nikolaus (1997), S. 101 f. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 78. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 569 f. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 78.
70 71
72 73 74 75
50
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und bei der Analyse einer größeren Anzahl von Merkmalen die Unabhängigkeit intensiv zu prüfen ist. •
Die untersuchten Merkmalsausprägungen sollten vom herstellenden Unternehmen realisiert werden können. Merkmale oder Merkmalsausprägungen, die sich durch den Hersteller nicht beeinflussen lassen, sollten nicht in den Katalog der untersuchten Merkmale aufgenommen werden.
•
Im Rahmen einer conjoint-analytischen Betrachtung sollten die Merkmalsausprägungen in einer kompensatorischen Beziehung76 zueinander stehen, d.h. die Verschlechterung eines Merkmals kann durch die Verbesserung eines anderen Merkmals kompensiert werden, so dass sich beispielsweise der Gesamtnutzen nur unwesentlich verändert.
•
Ebenso sollten keine Merkmale oder Merkmalsausprägungen untersucht werden, die K.O.-Kriterien darstellen.
•
Es sollten nicht zu viele Merkmale und Ausprägungen einbezogen werden, weil der Befragungsaufwand exponentiell mit der Anzahl an Ausprägungen wächst. Die gleichzeitige Beurteilung einer Vielzahl unterschiedlicher Produkteigenschaften und Ausprägungen kann ab einem bestimmten Grad zu einer Informationsüberlastung („Information-Overload“) der Probanden führen. Gleichwohl lässt die entsprechende Software bei der Adaptiven Conjoint Analyse inzwischen eine Bewertung von bis zu 30 Merkmalen mit jeweils neun Ausprägungen zu. Dieser Umfang würde bei den Probanden allerdings zu einer Anwendung von vereinfachten Beurteilungskriterien führen, woraus ein negativer Einfluss auf die Validität der Ergebnisse resultieren kann.77
Zusätzlich zu diesen Kriterien führt Meyer noch folgende weitere Aspekte auf, die ebenfalls bei der Festlegung der Merkmale und Merkmalsausprägungen beachtet werden sollten78: •
Da die relative Wichtigkeit eines Produktmerkmals ceteris paribus mit steigender Anzahl vorgegebener Ausprägungen zunimmt (so genannter Bandbreiteneffekt), sollten möglichst gleich viele Ausprägungen je Merkmal in das Erhebungsdesign einfließen.
•
Die Merkmalsausprägungen sollten auch diejenigen der Konkurrenzprodukte bzw. -leistungen umfassen, um den Präferenzwert von Konkurrenzprodukten ebenfalls abschätzen zu können.“79
76 77 78 79
Vgl. auch die Ausführung in Kapitel 2.2. Brzoska, Lars (2003), S. 78 f. Vgl. Meyer, Jens Wilhelm (2003), S. 171. Vgl. Meyer, Jens Wilhelm (2003), S. 172.
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2.
51
Wahl des Präferenzstrukturmodells, der Methode der Datensammlung und des Erhebungsdesigns
Nach der Festlegung der Merkmale und ihrer Ausprägungen ist das Präferenzstrukturmodell, das den Zusammenhang zwischen den Merkmalsausprägungen und dem aus ihnen resultierenden Nutzen abbildet, festzulegen. Hier kommen die in Kapitel 2.1 beschriebenen Modelle, d.h. das Idealvektor-, Idealpunkt- und Teilnutzenwertmodell, in Frage.80 Anschließend ist die Form der Datensammlung festzulegen. Hier lassen sich die in Kapitel 3.2 beschriebenen Methoden, die Zwei-Faktoren-Methode (Trade-OffMethode) und die Profilmethode unterscheiden.81 Die Zwei-Faktoren-Methode basiert dabei auf so genannten Trade-Off-Matrizen, die alle Ausprägungskombinationen von jeweils zwei Produkteigenschaften beinhalten. Die Aufgabe der Probanden besteht darin, für jede dieser paarweisen Kombinationen ein Präferenzurteil abzugeben, so dass jede Matrix über eine vollständige Präferenzrangfolge verfügt. Zur Gestaltung eines Stimulus bei der Profilmethode werden nicht nur zwei, sondern alle in der Conjoint Analyse berücksichtigten Merkmale herangezogen. Aus der Kombination jeweils einer Ausprägung aller Merkmale werden ganzheitliche Produktprofile erstellt, die von den Probanden wiederum einer vollständigen Beurteilung zu unterziehen und in eine Präferenzrangfolge zu bringen sind.82 Matrix A Eigenschaft 1 Ausprägung 1
Stimulus … Stimulus 2
Ausprägung 3
Ausprägung 3 Ausprägung 1 Ausprägung 2 Ausprägung 3
Eigenschaft 2
Auspr. 1
Stimulus 1 Eigenschaft 1: Eigenschaft 2: Eigenschaft 3: Eigenschaft 4:
Ausprägung 2
Auspr. 2
Auspr. 3
Profilmethode
Zwei-Faktor-Methode
Abbildung 5: Alternative Gestaltungsmöglichkeiten der Stimuli83
80 81 82 83
Vgl. Grunberg, Bastian (2003), S. 150. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 571 f, ebenso Grunberg, Bastian (2003), S. 150 f. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 82 f. Brzoska, Lars (2003), S. 83.
52
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Die Auswahl zwischen beiden Methoden sollte aufgrund der Ansprüche an die Probanden, des Realitätsbezugs sowie des Zeitaufwands getroffen werden.84 In der praktischen Anwendung spielt die Zwei-Faktoren-Methode allerdings so gut wie keine Rolle mehr. Auch Green / Srinivasan haben bereits 1978 ausgeführt, dass die Profilmethode realistischere Beschreibungen der Produkte liefert.85 Die Hypothese, dass die Profilmethode der Trade-Off-Methode vorzuziehen ist, wurde mittlerweile durch diverse empirische Untersuchungen bestätigt.86 Bei der Festlegung des Umfangs des Erhebungsdesigns sollte die Informationsüberlastung der Probanden berücksichtigt werden, die relativ schnell bei der Nutzung der Profilmethode eintritt.87 Daher sollte gegebenenfalls über eine Reduktion des Erhebungsdesigns nachgedacht werden, auch wenn damit ein geringer Informationsverlust verbunden ist.88 Bei der Reduzierung wird das vollständige Design zumeist auf eine Teilmenge der Stimuli systematisch reduziert und ein so genanntes fraktioniertes faktorielles Design gebildet, das zur Beurteilung vorgelegt wird. Das fraktionierte faktorielle Design ist derart zu konstruieren, dass es eine weitgehend repräsentative Teilmenge aller möglichen Ausprägungskombinationen darstellt und gleichzeitig der Unabhängigkeit der Produkteigenschaften Rechnung trägt.89 Um die Befragten bei einer großen Anzahl von Merkmalen und Ausprägungen zu entlasten, wurde mit der Adaptiven Conjoint Analyse ein computergestütztes Verfahren entwickelt, das eine Reduzierung der Anzahl zu beurteilender Stimuli ermöglicht.90 3.
Präsentation und Bewertung der Stimuli
Im Rahmen der vorrangig angewendeten Profilmethode stehen grundlegend die Möglichkeiten verbaler, visueller, multimedialer und physischer Präsentationsformen zur Verfügung.91 Die am häufigsten eingesetzte Präsentationsform ist die verbale Beschreibung eines Stimulus (z.B. mit Hilfe einer Karte). Da jedoch auch die physische Gestalt oder die Geometrie eines Produktes kaufrelevant sein kann, fällt die Beurteilung leichter, wenn die Stimulipräsentation zusätzlich durch Entwürfe bzw. Zeichnungen unterstützt wird. Bei überwiegend verbaler Präsentation der Stimuli unterstellt man, dass die Präferenz fast ausschließlich von den objektiv wahrnehmbaren Eigenschaften des
84 85 86 87 88 89 90 91
Vgl. Backhaus et al. (2000), S. 573. Vgl. Green, Paul E./ Srinivasan, V. (1978), S. 108. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 83. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 574. Vgl. Grunberg, Bastian (2003), S. 151. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 84. Vgl. Meyer, Jens Wilhem (2003), S. 173 f. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 85.
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Produktes beeinflusst wird. Diese Annahme trifft vor allem auf langlebige Wirtschaftsgüter zu.92 Berücksichtigt werden sollte bei dieser Präsentationsform die Gefahr verzerrter Schätzungen durch einen so genannten Positionseffekt. Der Positionseffekt kennzeichnet die Problematik, dass Probanden dazu tendieren, der erstgenannten Produkteigenschaft eine höhere Bedeutung beizumessen als den folgenden Produkteigenschaften.93 Die bisherigen Untersuchungen der Stimuluspräsentation in Conjoint Analysen weisen auf keine Überlegenheit einer speziellen Präsentationsform hin.94 Im Rahmen der Darstellung der internetbasierten Version der Conjoint Analyse (Kapitel 3.4) werden wir auch auf diesen Aspekt noch genauer eingehen. Die eingesetzte Bewertungsskala bestimmt, auf welche Weise die Probanden ihre Präferenzen in einer Conjoint Analyse zum Ausdruck bringen. Dabei lassen sich generell metrische Skalen (Rating-Skala, Konstant-Summen-Skala, Dollar-Metrik, gewichteter Paarvergleich) sowie Verfahren nichtmetrischer Skalierung (Ranking, ordinale Paarvergleiche) unterscheiden.95 Unter den nichtmetrischen Erhebungen von Präferenzurteilen stellt das RankingVerfahren die wichtigste Variante im Rahmen des Conjoint Measurements dar. Hier haben die Probanden, analog eines Kaufentscheidungsprozesses, die Stimuli des zumeist fraktionierten faktoriellen Designs in eine Rangordnung zu bringen.96 Nachteilig kann sich beim Ranking eine hohe Anzahl gleichzeitig zu beurteilender Stimuli auswirken, da möglicherweise die kognitive Belastbarkeit der Probanden überschritten wird. Zur besseren Handhabung der Komplexität kommen in der Regel bei der Rangreihung bestimmte Sortiertechniken zur Anwendung. Alternativ können auch paarweise Vergleiche von Stimuli durchgeführt werden, bei denen die Probanden mit nur jeweils zwei Stimuli gleichzeitig konfrontiert werden und die ebenso wie das Ranking-Verfahren Präferenzurteile auf ordinalem Datenniveau liefern.97 Während früher nichtmetrische Bewertungsskalen häufiger angewandt wurden, haben metrische Skalen, besonders das Rating-Verfahren, in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Hierbei müssen die Probanden die Stimuli entsprechend dem jeweils wahrgenommenen Gesamtnutzen auf einer vorgegebenen metrischen Skala beurteilen, die nicht auf einfache Punktwerte beschränkt sein muss, sondern bspw. auch Kaufwahrscheinlichkeiten wiedergeben kann.98 Generell sind bei metrischen Bewertungsverfahren die Probanden aufgefordert, die Stimuli zusätzlich mit 92 93 94 95
96 97 98
Vgl. Meyer, Jens Wilhelm (2003), S. 175. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 85 f. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 87. Vgl. Grunberg, Bastian (2003), S. 152 f., vgl. auch Brzoska, Lars (2003), S. 87, Meyer, Jens Wilhelm (2003), S. 175. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 578. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 88. Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 88.
54
Pörner / Sontag
Punkten zu bewerten. Der zentrale Vorteil dieser Bewertung liegt in der Aufhebung der Annahme, dass die Nutzenunterschiede zwischen den gerangreihten Stimuli jeweils gleich hoch (äquidistant) sind. Somit lassen sich auch Nutzengräben oder Nutzenkonzentrationen erheben und in die abschließende Schätzung der Parameter der individuellen Nutzenfunktionen integrieren.99 4.
Schätzung der Nutzenwerte
Auf Basis der empirisch ermittelten Rangdaten einer Menge von Stimuli werden mit Hilfe der Conjoint Analyse Teilnutzenwerte für alle Merkmalsausprägungen ermittelt. Das im Rahmen der Conjoint Analyse überwiegend verwendete additive Modell besagt, dass die Summe der Teilnutzen den Gesamtnutzen ergibt.100 Die Schätzung der Teilnutzenwerte für jeden einzelnen Befragten erfolgt dabei derart, dass die resultierenden Gesamtnutzenwerte möglichst exakt den empirischen (Präferenz-)Urteilen der Befragten entsprechen. Hierbei sind die metrischen Verfahren, wie die KleinsteQuadrate-Schätzung (OLS) von den nichtmetrischen Verfahren, wie LINMAP, MONANOVA oder PREFMAP zu unterscheiden. Aus diesen so bestimmten Teilnutzenwerten lassen sich die so genannten relativen Wichtigkeiten errechnen, die sich aus der Differenz zwischen dem höchsten und niedrigsten Teilnutzenwert eines Merkmals im Verhältnis zur Summe dieser Differenzen über alle Merkmale errechnen lassen. Interpretiert werden können die relativen Wichtigkeiten der Merkmale dann in Beziehung zur Gesamtheit aller Wichtigkeiten.101 5.
Aggregation der Nutzenwerte
Um die bis zu diesem Schritt ermittelten Individualanalysen, d.h. die Nutzenstruktur der einzelnen Probanden, mit einander vergleichbar und gruppierbar zu machen, ist eine Normierung der Daten erforderlich. Die Normierung sollte sicherstellen, dass die errechneten Teilnutzenwerte für alle Probanden jeweils auf dem gleichen Nullpunkt und den gleichen Skaleneinheiten basieren. Bei der Ermittlung des Nullpunktes wird diejenige Merkmalsausprägung, die den geringsten Nutzenbeitrag liefert auf Null gesetzt.102
99 100 101 102
Vgl. Grunberg, Bastian (2003), S. 152 f. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 579. Vgl. Grunberg, Bastian (2003), S: 153 f. Vgl. Backhaus, Klaus et al. (2000), S. 588.
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55
Abschließend bietet die folgende Darstellung einen Überblick über die einzelnen Verfahrensschritte und einige wesentliche Ausgestaltungsformen: Verfahrensschritt 1
2
3 4
Ausgestaltungsformen
Festlegung von Eigenschaften Anforderungen an Merkmale bzw. Ausprägungen und Ausprägungen • Beeinflussbarkeit • Keine Ausschlusskriterien • Kompensatorische Beziehung • Unabhängigkeit • Begrenztheit • Realisierbarkeit • Relevanz Präferenzstrukturmodell • Idealpunktmodell • Idealvektormodell • Teilnutzenwertmodell Methode der Datensammlung • Zwei-Faktor-Methode • Profilmethode Auswahl des Erhebungsde• Vollständiges Design signs • Reduziertes Design
5
Präsentation der Stimuli
6
Bewertung der Stimuli
7
Schätzung der Nutzenwerte
• • • • • •
8
Aggregation der Nutzenwerte
• •
Visuelle Darstellung Verbale Darstellung Metrische Skalen Odinalskalen Kleinste-Quadrate-Schätzung (OLS), nur bei metrischen Daten LINMAP, MONANOVA, PREFMAP bei ordinalskalierten Daten Individualanalyse Gemeinsame Conjoint Analyse
Abbildung 6: Verfahrensschritte der Conjoint Analyse103
3.4
Besondere Aspekte der internetbasierten Conjoint Analyse
Bis etwa zum Jahr 2000 wurde im Rahmen des Einsatzes der Adaptiven Conjoint Analyse vor allem die Methode des Computer Aided Interviews (CAPI) genutzt. Bei diesen persönlich-computergestützten Erhebungsformen werden die Fragen an einem Bildschirm dargestellt und die Antworten entsprechend direkt im Rechner erfasst. Darüber hinaus kann der Befragungsablauf durch den Rechner gesteuert werden. Bei der internetbasierten Befragung ist dagegen kein Interviewer mehr anwesend. Der
103
Grunberg (2003), S. 147; Die Darstellung geht auf einige Ausführungen von Backhaus zurück. Die von Green / Srinivasan ursprünglich vorgeschlagene sechsstufige Vorgehensweise wurde von einer Reihe von Autoren weiter differenziert. So wurde von Perry eine siebenstufige Vorgehensweise vorgeschlagen. Vgl. Stadie, (1998), S. 37 f.
56
Pörner / Sontag
Proband bearbeitet die Fragen online an seinem Computer.104 Die folgende Darstellung zeigt einen groben Überblick über mögliche Befragungsmethoden im Rahmen des Einsatzes der Conjoint Analyse105: personal
visual
computeraided
non-computeraided
computeraided personal interview (CAPI)
personal paper-and-pencil-task
acoustic non-personal
visual acoustic
(personal interview) disk-by-mail DBM, online-interview
traditional mail survey
computeraided telephone-interview (CATI)
telephone-interview
Abbildung 7: Methods of collecting multiattributive judgements in conjoint analysis. (Visual methods use verbal descriptions or pictures).106
Auch die Marktforschung unterliegt in den letzten Jahren einem zunehmenden Zeitund Kostendruck. Während persönlich-computergestützte Erhebungsformen in der Regel, vor allem durch die persönliche Befragung der Probanden, sehr zeitaufwendig sowie durch die Schulung der Interviewer sowie die notwendige Hard- und Softwareausstattung kostenintensiv sind, schaffen gerade in diesen Punkten die internetbasierten Befragungsmethoden Abhilfe. Damit bieten die internetbasierten Erhebungsmethoden deutliche Zeit- und Kostenvorteile gegenüber den persönlichcomputergestützten Verfahren.107 Neben diesen beiden Vorteilen stellt aber selbstverständlich die Qualität der gewonnenen Daten einen entscheidenden Faktor bei der Bewertung einer Erhebungsmethode dar.108 Vor- und Nachteile zwischen der persönlich-computergestützen sowie der internetbasierten Erhebungsmethode ergeben sich nach Brusch und Baier vor allem in Bezug auf folgende Aspekte109: •
Anonymität der Befragung110,
•
Asynchronität der Befragung,
•
Bereitstellung von Incentives,
104 105 106
107 108 109 110
Vgl. Brusch, Michael/ Baier, Daniel (2005), S. 161. Vgl. Melles, Torsten et al. (2000), S. 2. Melles, Torsten et al. (2000), S. 2., farbliche Unterlegung und textliche Heraushebung hinzugefügt, um die in dieser Arbeit dargestellt Methode herauszuheben. Vgl. Brusch, Michael/ Baier, Daniel (2005), S. 161, vgl. auch Toubia, Olivier (2001), S. 2. Vgl. Brusch, Michael/ Baier, Daniel (2005), S. 161. Vgl. Brusch, Michael/ Baier, Daniel (2005), S. 162. Vgl. Moskowitz, Howard/ Beckley, Jacqueline (2002), S. 3 weisen ebenfalls darauf hin, dass bei internetbasierten Befragungen nicht hundertprozentig sichergestellt ist, wer an der Befragung tatsächlich teilnimmt.
Internetbasiertes Conjoint Measurement
•
Erreichbarkeit spezieller Zielgruppen,
•
Flexibilität bei der Stimulipräsentation,
•
Länge des Fragebogens,
•
Repräsentativität der Befragung,
•
Selbstauswahl und Eigeninitiative der Befragten111,
•
Vorhandensein des Drop-Out-Phänomens,
•
Wirtschaftlichkeit der Befragung,
•
Zeitaufwand für die Auswertung der erhobenen Daten sowie
•
zeitliche und räumliche Flexibilität der Befragung.
57
Dabei weisen Brusch und Baier darauf hin, dass diese Liste an Kriterien nicht vollständig ist. So ließen sich Aspekte wie der Interviewerbias, die Antwortbereitschaft bei sensiblen Fragen, die fehlende Rückfragemöglichkeit, die mangelnde Kontrolle über die Probandenidentität, etc. anfügen, die in diesem Fall allerdings unter anderem dem Punkt Anonymität zugeordnet wurden.112 Melles et al. beschreiben einige Schwierigkeiten bei einem Vergleich unterschiedlicher Befragungsmethoden, da eine Reihe von Faktoren interagieren. Beispielsweise nutzt die Adaptive Conjoint Analyse ein adaptives Design, das die Fragestellungen während der Befragung verändert. Die Antworten bei dieser Erhebungsform sind relativ schwer mit denen einer statischen Fragebogenstruktur vergleichbar.113 Im Ergebnis ihrer empirischen Untersuchung kommen Melles et al. allerdings zu folgender Aussage: „The overall conclusion that can be drawn from the results is the general suitability of Internet conjoint analysis to measure preferences in a reliable and valid manner.“114 Auf individueller Ebene waren die Ergebnisse etwas schlechter als bei persönlichen Interviews, da die Probanden gegebenenfalls einen etwas geringeren kognitiven Einsatz bei einer internetbasierten Befragung zeigen. Aus den Ergebnissen ihrer Studie leiten sie weiter ab, dass der Einsatz der internetbasierten Conjoint Analyse von den persönlichen Eigenschaften der Probanden sowie von der Aufgabe bzw. der Anzahl der Merkmale abhängt. Je größer die Anzahl der Merkmale, desto größer ist die Anzahl der notwendigen, zu beantwortenden Paarvergleiche. Dieser Umstand könnte die Motivation der Probanden verringern und ist damit ein wichtiger Faktor, der bezüglich der Reliabilität einer internetbasierten Conjoint Analyse zu beachten
111
112 113 114
Vgl. Moskowitz, Howard/ Beckley, Jacqueline (2002), S. 3, hier weisen sie darauf hin, dass eine Selbstselektion bzgl. des Zeitpunkts und des Ortes stattfindet, an dem die Probanden tatsächlich teilnehmen Vgl. Brusch, Michael/ Baier, Daniel (2005), S. 162. Vgl. Melles, Torsten et al. (2000), S. 2. Melles, Torsten et al. (2000), S. 6.
58
Pörner / Sontag
ist.115 Moskowitz und Beckley haben im Rahmen ihrer Mega-Studie116 dargelegt, dass die internetbasierte Conjoint Analyse zu einer sehr hohen Validität und damit Qualität der Daten führt.117 Ebenso haben Brusch und Baier in einer vergleichenden empirischen Studie keine markanten Unterschiede in der Validität der Ergebnisse der persönlich-computergestützten sowie der internetbasierten Befragung, hier in Form der Adaptiven Conjoint Analyse durchgeführt, ermitteln können.118 Abgleitet aus diesen Studien, kann von einer hohen Validität der Ergebnisse internetbasierter Conjoint Analysen ausgegangen werden. Dies immer unter der Voraussetzung, dass bei der Auswahl der Probanden methodisch sauber gearbeitet und die notwendige Repräsentativität gewährleistet ist. Darüber hinaus sind die Anforderungen bezüglich der Objektivität, Validität und Reliabilität der Messwerte unbedingt zu beachten. Ernst und Sattler weisen weiter darauf hin, dass neben den generellen Vorteilen der Datenerhebung im Internet, wie der Verminderung des Interviewerbias, der Reduktion von Interviewkosten durch den hohen Externalisierungsgrad der Befragten und der relativ leichten Gewinnung großer internationaler Stichproben, ein weiterer Vorteil in der Möglichkeit einer multimedialen Präsentation der Produkte bzw. Produkteigenschaften bestehen könnte.119 Neben der bei traditionellen Conjoint Analysen üblichen schriftlichen Kurzbeschreibung können im Internet auch Bilder, Bildsequenzen und akustische Elemente in die Präsentation integriert werden.120 Ihre empirische Studie zeigte allerdings eine hohe Übereinstimmung der gemessenen Validitätskriterien, mit Ausnahme der Bedeutungsgewichte einiger spezifischer Produkteigenschaften, zwischen der traditionellen schriftlichen Präsentation und der multimedialen Präsentation von Produktmerkmalen.121 Aus Kosten-, Zeit- und Flexibilitätsgesichtspunkten sollte die multimediale Darstellungsform daher nur dann eingesetzt werden, wenn erhebliche Wahrnehmungsunterschiede zu erwarten sind. Dies ist beispielsweise bei komplexen Produkten oder Leistungen der Fall, die durch eine verbale Kurzbeschreibung nur unzureichend erklärt werden können.122 Abschließend sollte aus unserer Sicht die technische Komponente bei der Wahl des Internets als Befragungsmedium nicht vernachlässigt werden. Nicht alle potenziellen Probanden verfügen über einen Internetanschluss. Hier könnten unter Umständen 115 116
117 118 119 120 121 122
Vgl. Melles, Torsten et al. (2000), S. 7, vgl. Auch Toubia, Olivier (2001), S. 17. Im Rahmen der Studie von Moskowitz / Beckley haben 3715 Probanden an 21 kombinierten Conjoint Measurement Studien teilgenommen. Vgl. Moskowitz, Howard/ Beckley, Jacqueline (2002), S. 10. Vgl. Brusch, Michael/ Baier, Daniel (2005), S. 165. Ernst, Olaf/ Sattler, Henrik (2000), S. 2. Vgl. Ernst, Olaf/ Sattler, Henrik (2000), S. 20. Vgl. Ernst, Olaf/ Sattler, Henrik (2000), S. 20. Vgl. Ernst, Olaf/ Sattler, Henrik (2000), S. 20.
Internetbasiertes Conjoint Measurement
59
Probleme in Bezug auf die Repräsentativität der Ergebnisse entstehen, was dann in der weiteren Ausgestaltung des Untersuchungsdesigns unbedingt zu berücksichtigen ist. Auch das Alter der Hard- und Software sowie die Verwendung unterschiedlicher Browser kann gegebenenfalls zu Schwierigkeiten führen. Bei Verwendung der internetbasierten Conjoint Analyse empfehlen wir daher, sich bereits im Vorfeld auf technische Probleme einzustellen und wenn möglich, einen Spezialisten für diese Fragestellungen, zumindest während der Phase der Feldarbeit, als Ansprechpartner bereitzuhalten. 3.5
Besonderheiten des internetbasierten Conjoint Measurements bei Investitionsgütern
Die in der Literatur aufgeführten Beispiele für den Einsatz der Methode des Conjoint Measurements beziehen sich in der Regel auf Konsumgüter und reichen von unterschiedlichen Margarine Sorten bis hin zu Weckern. Melles und Holling haben die Einsatzbereiche des Conjoint Measurements in Deutschland bis 1998 zusammengestellt: Produkt-/ Servicebereiche
Cattin & Wittink
Wittink & Cattin
Wittink et al.
Melles & Holling
USA
USA
Europa
Deutschland
Firmen
Firmen
Firmen
Firmen / Hochschulen
1971-1980
1981-1985
1986-1991
1993-1998
Konsumgüter
61
59
54
62
Industriegüter
20
18
17
40
finanzielle Dienstleistungen
8
9
14
23
andere Dienstleistungen
9
9
13
54
andere Produkte
3
5
2
16
Abbildung 8: Produkt- und Servicebereiche, in denen die CA zum Einsatz kommt
Wittink und seine Mitarbeiter ließen keine Mehrfachnennungen zu gewichteten die Angaben anhand der durchgeführten Projekte. In der vorliegenden Studie [gemeint ist jene von Melles & Holling A. d. Verf.] wurden Mehrfachantworten zugelassen und keine Gewichtung vorgenommen.123 Bezüglich der Abbildung 8 kommen Melles und Holling zu dem Schluss, dass Konsumgüter zwar wie bisher die wichtigste Objektkategorie im Rahmen von Conjoint Measurement Studien darstellen, der Dienstleistungssektor in den letzten Jahren allerdings deutlich an Bedeutung gewonnen hat.124 Keinerlei Beachtung findet die ebenfalls erkennbare Zunahme des Einsatzes von Conjoint Analysen im Bereich der
123 124
Vgl. Melles, Torsten/ Holling, Heinz (1998), S. 5. Vgl. Melles, Torsten/ Holling, Heinz (1998), S. 5.
60
Pörner / Sontag
Industriegüter.125 Diese erhalten im Rahmen der Betrachtung des Conjoint Measurement bisher wenig Aufmerksamkeit. Daher wollen wir hier einige aus unserer Sicht wichtige Besonderheiten beim Einsatz der internetbasierten Conjoint Measurement Methode bei Industriegütern aufzeigen, um im nächsten Kapitel anhand eines Praxisbeispiels näher auf den Einsatz dieses Instruments bei Industriegütern einzugehen. Zur Bewertung von in der Regel komplexen Investitionsgütern sollte eine repräsentative Auswahl an Experten gewonnen werden. Dies hat folgende Auswirkungen: Es ist meist eine Vorauswahl der potenziellen Probanden zu treffen, deren Namen vor Beginn einer Studie vorliegen sollten. Bei diesen Probanden ist davon auszugehen, dass sie ein großes Verständnis des Investitionsgutes besitzen und daher Leistungsänderungen, die im Rahmen des Conjoint Measurements für innovative oder weiterzuentwickelnde Investitionsgüter abgefragt werden, einschätzen können. Aufgrund ihrer Kenntnisse, ist eine verbale Befragungsform, trotz der Komplexität der Systeme, häufig ausreichend. Reicht dies nicht aus, so können relativ leicht Bilder, Bildsequenzen oder ähnliches ergänzend eingespielt werden. Es ist bei diesen Experten von einem hohen Involvement auszugehen, da es sich bei den befragten Themen um zumindest Teilbereiche ihre Arbeitsgebiete handelt. Unsere Erfahrungen zeigen daher, dass der Anteil der Abbrecher unter den Experten bei einer Conjoint Measurement Befragungen im Rahmen der Untersuchung von Investitionsgütern bei unter 5% liegt. Trotz des hohen Involvements sollte aber beachtet werden, dass auch im Bereich der Investitionsgüter die Befragung nicht zu lang dauert. Eine Grenze bei der durchschnittlichen Bearbeitungszeit sollte unserer Meinung nach bei maximal 30 Minuten gezogen werden. Da im Vorfeld eine genau Auswahl der potenziellen Teilnehmer an der Conjoint Measurement Studie erfolgt, diese persönlich angesprochen werden und anschließend ein individuelles Passwort für eine Teilnahme an der internetbasierten Conjoint Measurement Studie erhalten, sind Mehrfachteilnahmen auszuschließen. Ebenso ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine andere Person als die Zielperson an der Studie teilnimmt, aufgrund des hohen, notwendigen, technischen Expertenwissens, sehr gering. Bei speziellen Investitionsgütern ist die Grundgesamtheit der potenziell zu befragenden Experten häufig relativ klein. Daher ermöglicht es die internetbasierte Version des Conjoint Measurements, in relativ kurzer Zeit und zu angemessenen Kosten eine, auch internationale, Totalerhebung durchzuführen. Hierbei ist es möglich, dass dieselbe Conjoint Analyse parallel in mehreren Sprachen durchgeführt wird. Bei der Auswertung können die Daten zu einer Gesamtauswertung aggregiert werden. Sollten im letzten Teil der Conjoint Analyse noch Struktur- oder auch Nutzungsdaten abgefragt worden sein, lassen sich die Ergebnisse auch unternehmens- und nutzungsspezifisch auswerten.
125
Die Begriffe Industriegüter und Investitionsgüter werden im Rahmen der Arbeit synonym verwendet.
Internetbasiertes Conjoint Measurement
4
Praxisbeispiel
4.1
Einleitung
61
Im Rahmen des nachfolgend dargestellten Praxisbeispiels wurde die Adaptive Conjoint Analyse eingesetzt. Als Besonderheit wurde eine internetbasierte Form gewählt, bei der alle Probanden über ein persönliches Login eine Internetseite besuchen und dort an der Conjoint Analyse teilnehmen. Im Folgenden soll verdeutlicht werden, in welchen Schritten und mit welchen Ergebnissen diese internetbasierte Conjoint Measurement Studie auch für komplexe Anlagen erfolgreich durchgeführt werden kann. Konkret ging es darum, im Zusammenhang mit einer notwendigen technischen Weiterentwicklung von Stellwerken für Bahnen die wichtigsten Kundenanforderungen bzw. Nutzenpräferenzen zu identifizieren. Auf Basis dieser identifizierten Kundenanforderungen bzw. Nutzenpräferenzen erfolgte die Weiterentwicklung der Stellwerke sowie die Erarbeitung einer die Ergebnisse des Conjoint Measurements berücksichtigende Marketingstrategie. Auftraggeber der Conjoint Measurement Studie war ein führender Hersteller von Stellwerken, für den die markt- bzw. kundenorientierte Entwicklung von Anlagen und Systemen von immanenter Bedeutung war und ist, um nicht an den Bedürfnissen und Wünschen des Marktes vorbei zu entwickeln. Zu Beginn einer jeden Conjoint Analyse ist, wie im Vorfeld bei jeder Datenerhebung, festzulegen, ob eine Voll- oder eine Teilerhebung durchgeführt werden soll. Die Repräsentativität der Stichprobe stellt dabei eine wesentliche Voraussetzung für die Übertragbarkeit der Conjoint-Ergebnisse auf das reale Entscheidungsverhalten der Grundgesamtheit dar.126 Im aktuellen Beispiel befanden sich in der gemeinsam mit dem Auftraggeber landesspezifisch festgelegten Grundgesamtheit 39 Bahnunternehmen, die für die Durchführung ihrer betrieblichen Aufgaben Stellwerke benötigen. Innerhalb dieser Grundgesamtheit wurden 50 Experten identifiziert, die für die Studie gewonnen werden sollten. Es lag also nahe, dass man sich für eine Befragung aller Personen entschieden hat (Totalerhebung). Stellwerke sind Anlagen, die die Weichen und Signale im Bahnbetrieb steuern, die Gleisbelegung festlegen und überwachen, sowie ganze, so genannte „Zugfahrstraßen“ über komplexe Weichensysteme sicherstellen. Dabei ist die Stellwerkstechnik einem kontinuierlichen Weiterentwicklungsprozess unterworfen, insbesondere nachdem die Elektronik die alten Relaisstellwerke nahezu komplett abgelöst hat.
126
Vgl. Brzoska, Lars (2003), S.77.
62
4.2
Pörner / Sontag
Der Ablauf einer internetbasierten Conjoint Measurement Studie im Überblick
Der hier dargestellte Projektablauf erweitert die in Kapitel 3.3 aus eher theoretischer Sicht erläuterte Vorgehensweise einer Conjoint Analyse um einige in der praktischen Umsetzung wichtige Schritte, damit ein solches Conjoint Measurement Projekt gelingt: 1.
Die exakte Definition der Zielbetreiber und der aussagefähigen und kompetenten Zielpersonen, die an der Untersuchung teilnehmen sollen, stellt eine wesentliche Voraussetzung dar. Es wurden 39 Betreiberunternehmen ausgewählt, die um die Teilnahme an der Conjoint Measurement Studie gebeten wurden. Hinsichtlich der Zielpersonen wurde in Abstimmung mit dem Auftraggeber ein genaues Anforderungsprofil erarbeitet. Dies ist unabdingbar, um zu zuverlässigen Ergebnissen für Unternehmensbefragungen zu kommen. Dabei wurde darauf geachtet, dass die ausgewählten Personen (technische) Entscheider im Rahmen eines Buying-Centers des jeweiligen Unternehmens waren und somit direkt auch in zukünftige Kaufentscheidungen involviert sind. In dieser Studie kam es vor, dass vereinzelt zwei Zielpersonen benannt wurden, die dann auch um Mitwirkung gebeten wurden. Gelingt es, mehrere Personen eines Unternehmens zu einer Teilnahme zu gewinnen, lässt sich gegebenenfalls ansatzweise die Meinungspluralität der Buying-Center reflektieren.
2.
Aufgrund der intensiven Branchenkenntnisse konnten die Autoren eine Reihe von möglichen Merkmalen vorbereiten, die im Rahmen der Conjoint Measurement Studie untersucht werden sollten. Anschließend wurden diese Merkmale und Merkmalsausprägungen intensiv mit den Experten des beauftragenden Unternehmens diskutiert, ergänzt und geändert.
3.
Anschließend erfolgte die Konstruktion / Modellierung des Erhebungsdesign auf Basis der Adaptiven Conjoint Analyse (siehe Kapitel 3.3).
4.
Danach wurden die Zugangsvoraussetzungen für die Teilnehmer der internetbasierten Adaptiven Conjoint Analyse mit beschränktem Zugang vorbereitet.Besondere Bedeutung hat aus unserer Sicht ein vorab durchzuführender Pretest, um das Untersuchungsdesigns und hier vor allem die Merkmale und Merkmalsausprägungen, die Verständlichkeit und die generelle Handhabbarkeit incl. der benötigten Bearbeitungszeit zu überprüfen. Erforderlichenfalls sollten entsprechende Anpassungen des Untersuchungsdesgins durchgeführt werden.
6.
Um eine möglichst hohe Ausschöpfung der Grundgesamtheit zu erreichen, ist es hilfreich, wenn die Vertriebsabteilungen des Auftraggebers über den Start der Feldarbeit informiert werden, so dass sie gegebenenfalls ihre Kunden auf die anstehende Befragung aufmerksam machen können.
7.
Wichtig ist darüber hinaus eine direkte Information der Bahnbetreiber und der Zielpersonen über den Inhalt und die Durchführung der Studie.
Internetbasiertes Conjoint Measurement
63
8.
Anschließend wurde die web-basierte Feldarbeit mit telefonischer und e-mailUnterstützung zur Bewertung der Nutzenpräferenzen durchgeführt.
9.
Daraufhin erfolgte die Berechnung der Teilnutzenswerte für die einzelnen Merkmalsausprägungen.
10. Nach Abschluss der Feldarbeit wurden die individuellen Präferenzen der Teilnehmer ermittelt. Zur besseren Handhabbarkeit der Ergebnisse im Rahmen einer anstehenden Produktentwicklung und Marktbearbeitung wurde eine Zusammenfassung der individuellen Teilnutzenswerte zu einem Gesamtbild mit entsprechenden Empfehlungen für den Auftraggeber erstellt (Aggregation der Nutzenwerte). 11. Abschließend wurde eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Conjoint Measurements, die den Zielpersonen als „Belohnung“ zugeschickt wurde, erarbeitet. Es gelang den Verfassern, 44 Experten (88% Ausschöpfung) aus 31 Bahnunternehmen (79% Ausschöpfung) für die Teilnahme an der internetbasierten Conjoint Measurement Studie zu gewinnen, ein bemerkenswertes Ergebnis. Diese extrem hohen Ausschöpfungsquoten sind sicher ein Ergebnis der systematischen Vorbereitung der Studie und der Bequemlichkeit der Durchführung für die Probanden, die aus der Anwendung der internetbasierten Adaptiven Conjoint Analyse resultiert, insbesondere im Vergleich mit der traditionellen Conjoint Analyse. Ein weiterer Grund für die vergleichsweise hohe Beteiligung besteht darin, dass bisher eine Vielzahl von ConjointStudien zu Produkten, die ein habitualisiertes oder impulsives Kaufverhalten vermuten lassen, d.h. bei denen es sich um Low-Involvement-Käufe handelt, durchgeführt wurden. Dabei weist die Literatur zum Conjoint Measurement darauf hin, dass die Ergebnisse von den zugrunde liegenden Kaufentscheidungstypen bzw. dem zugrunde liegenden Involvement beeinflusst werden. Aufgrund der Vorgehensweise bei einer Conjoint Analyse ist von einer hohen kognitiven Steuerung der Probanden auszugehen, so dass die Methode besonders gut für extensive Kaufentscheidungen (HighInvolvement-Käufe), wie sie Experten von Buying-Centern im Rahmen der Beschaffung von Investitionsgütern tätigen, geeignet ist.127 Wir werden im Folgenden etwas näher auf die Merkmale und Merkmalsausprägungen der Adaptiven Conjoint Analyse und vor allem auf ausgewählte Ergebnisse des Projektes eingehen. 4.3
Merkmale und Merkmalsausprägungen einer internetbasierten Adaptiven Conjoint Analyse
Die im Rahmen der Software der Adaptiven Conjoint Analyse angebotene maximale Auswertung von 30 Merkmalen mit jeweils 9 Ausprägungen ist aus unserer Erfahrung in der Praxis nicht durchführbar. Im vorliegenden Beispiel sind wir aus unserer Sicht bereits an die physischen und kognitiven Grenzen der Probanden gegangen, in127
Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 80.
64
Pörner / Sontag
dem wir eine maximale Anzahl der Merkmale von 10 sowie der eine maximale Anzahl der Ausprägungen von sechs zugelassen haben. Damit war die Komplexität für die Probanden gerade noch beherrschbar. Grundlage der internetbasierten Conjoint Measurement Studie waren also 10 Merkmale mit insgesamt 35 frei kombinierbaren Merkmalsausprägungen eines Stellwerks (insgesamt 209.952 Kombinationsmöglichkeiten), die auf Basis der Ergebnisse einer ausführlichen Vorstudie incl. eines Pretests gebildet wurden. Im Rahmen des Prestests zeigte sich bereits, dass die Probanden eine Bearbeitungszeit von 20 bis 30 Minuten benötigten.128 Längere Bearbeitungszeiten sind kaum akzeptabel und führen zu einer Verschlechterung der Validität der Angaben sowie einer höheren Abbruchquote. Im Einzelnen handelte es sich um die folgenden Merkmale und Merkmalsausprägungen, die entsprechend der in Kapitel 3.3 aufgeführten Aspekte gebildet wurden: 1.
Lieferfristen a) 24 Monate Lieferfrist (ab Auftragsvergabe) b) 18 Monate Lieferfrist (ab Auftragsvergabe) c) 12 Monate Lieferfrist (ab Auftragsvergabe)
2.
Funktionalitäten für "Bedienen und Anzeigen" a) Volles Anzeige- und Meldespektrum mit Notbedienung (vollständige Bedienung) zentral b) Volles Anzeige- und Meldespektrum mit Notbedienung (vollständige Be dienung) - vor Ort c) Anzeige und Bedienung ohne Notbedienung (keine kritische Bedienung) zentral d) Anzeige und Bedienung ohne Notbedienung (keine kritische Bedienung) vor Ort e) reine Anzeige (Übersichtsbild) - zentral f) reine Anzeige (Übersichtsbild) - vor Ort
3.
Investitionsalternativen a) Investition in eine neue Stellwerkstechnologie erfolgt, wenn die Übernahme einer zunächst ausschließlich im Ausland erprobten Technologie möglich ist. b) Investition in eine neue Stellwerkstechnologie erfolgt, wenn Referenzen bei der „XYZ“ bestehen.
128
Vgl. Toubia, Olivier (2001), S. 53, Toubia spricht in diesem Zusammenhang von Wear out effects. Gerade bei der Nutzung des Internets als Medium werden von den Probanden keine langen Fragebögen toleriert.
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65
c) Investition in eine neue Stellwerkstechnologie erfolgt, wenn Referenzen bei Privatbahnen mit einer anderen Spurweite bestehen. d) Investition in eine neue Stellwerkstechnologie erfolgt, wenn fundierte Referenzen bei Privatbahnen mit gleicher Spurweite bestehen. 4.
Autonomiezeiten der von einem Stellwerk angesteuerten Weichen a) über 60 Minuten Autonomiezeit der Weichen b) 1 - 60 Minuten Autonomiezeit der Weichen c) keine Autonomiezeit der Weichen
5.
Autonomiezeiten der von einem Stellwerk angesteuerten Signale a) über 60 Minuten Autonomiezeit der Signale b) 1 - 60 Minuten Autonomiezeit der Signale c) keine Autonomiezeit der Signale
6.
Autonomiezeiten der von einem Stellwerk angesteuerten Bahnübergänge a) über 60 Minuten Autonomiezeit der Bahnübergänge b) 1 - 60 Minuten Autonomiezeit der Bahnübergänge c) keine Autonomiezeit der Bahnübergänge
7.
Funktionalitäten der technischen Zugsicherung/-beeinflussung a) linienförmige Zugbeeinflussung b) punkt-linienförmige Zugbeeinflussung c) punktförmige Zugbeeinflussung d) ohne technische Zugbeeinflussung
8.
Aspekte der Zuverlässigkeit a) Zuverlässigkeit: MTBF 1 Jahr (d.h. ein signifikanter Totalausfall des Stellwerks jedes Jahr) b) Zuverlässigkeit: MTBF 3 Jahre (d.h. ein signifikanter Totalausfall des Stellwerks alle 3 Jahre) c) Zuverlässigkeit: MTBF 5 Jahre (d.h. ein signifikanter Totalausfall des Stellwerks alle 5 Jahre)
9.
Serviceleistungen a) Full-Service (Austausch und Instandhaltung vor Ort, Leistung nach Aufwand oder pauschal im Rahmen eines Servicevertrages) b) Austauschmodulservice (Eine umfassende Lagerhaltung des Lieferanten ermöglicht die sofortige Lieferung eines funktionstüchtigen Ersatzmoduls).
66
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c) Ausschließlich Ersatzteilservice (Keine umfassende Lagerhaltung, defekte Module werden vom Lieferanten repariert und zurückgesandt). 10.
Rangierfunktionalität a) gesicherte Rangierstraßen mit Zwergsignalen b) mit Rangiersignalen (Sammelsignalen) c) ohne Rangiersignale
Das Erhebungsdesign der Adaptiven Conjoint Analyse ist durch die genutzte Software vorgegeben und basiert auf der Bewertung partieller Subsets von Merkmalen und Merkmalsausprägungen, die teilnehmerindividuell simultan zur Beantwortung der Fragen gebildet werden. Die Präsentation und Bewertung der Stimuli erfolgt im Rahmen der internetbasierten Adaptiven Conjoint Analyse in verbaler Form sowie unter anderem mit Hilfe eines metrisch-skalierten Rating-Verfahrens. 4.4
Ausgewählte Ergebnisse des Conjoint-Measurements mit der Adaptiven Conjoint Analyse
Zunächst berechneten wir die Wichtigkeiten der Merkmale aggregiert über alle Organisationen hinweg (siehe Abbildung 9). Aus dieser Darstellung lassen sich Hinweise auf jene Merkmale ableiten, die für die Probanden eine hohe bzw. geringe Bedeutung haben. In unserem Beispiel zeigte sich, dass keines der Merkmale eine außerordentlich dominante Bedeutung hatte. Etwas weniger wichtig war das Merkmal eins. Alle anderen lagen in einer relativ engen Spanne zusammen. Dies lässt darauf schließen, dass die gewählten Merkmale im realen Kaufentscheidungsprozess eine wesentliche, kompensatorische Rolle spielen.
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67
M e rk m a l 1 M e rkm a l 2 M e rk m a l 3 M e rk m a l 4 M e rk m a l 5 M e rk m a l 6 M e rk m a l 7 M e rk m a l 8 M e rk m a l 9 M e rk m a l 1 0 4%
5%
6%
7%
8%
9%
10%
11%
12%
13%
Abbildung 9: Wichtigkeit der Merkmale über alle Organisationen
Diese Aussage ist hilfreich, um sich einen Gesamtüberblick über die generelle Bedeutung der untersuchten Merkmale zu verschaffen. Bei der Ansprache von Organisationen, die nicht an der Untersuchung teilgenommen haben, können diese Aussagen als wichtige Anknüpfungspunkte verwandt werden. Allerdings hat auch die vorliegende Studie bestätigt, dass es immer auch Organisationen gibt, die nicht dem generellen Trend folgen. Bei der Gesamtauswertung ist bei der Interpretation zu beachten, dass sich gegensätzliche Einschätzungen der Organisationen „herausmitteln“, so dass ein Durchschnittswert der Wichtigkeiten über alle befragten Probanden bzw. Organisationen dargestellt ist. Daher ist es bei einer gezielten Ansprache einer Organisation immer notwendig, die organisationsspezifischen Wichtigkeiten zu berücksichtigen! Dasselbe gilt für die Darstellung der aggregierten Teilnutzenwerte der Merkmalsausprägungen des weiter zu entwickelnden Stellwerks, die in Abbildung 10 zu sehen sind. Alle Teilnutzenwerte mit einem Ausschlag nach links senken den empfundenen Nutzen, alle Merkmalsausprägungen mit einem Ausschlag nach rechts steigern ihn. Anders ausgedrückt: negative Teilnutzenswerte senken die Kaufwahrscheinlichkeit des weiter entwickelten Stellwerks, positive erhöhen diese. Die hier berechneten Teilnutzenwerte sind eine Mittelung der individuellen, reskalierten und zentrierten Teilnutzenswerte. Die Reskalierung erfolgte so, dass die Summe der Teilnutzenswerte pro Merkmal gleich Null ist (Zentrierung) und die Summe aller Spannweiten pro Attribut den Wert 1000 ergibt (Normierung). Es zeigt sich, dass die Merkmalsausprägungen „2a“, „9c“ und „10c“ aus Sicht der Kunden den höchsten Nutzen stiften, eine technische Weiterentwicklung der Stellwerke sowie eine Anpassung der Zusatzleistungen bezüglich dieser Merkmalsausprägungen ist entsprechend anzustreben.
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Merkmalsausprägung 1a Merkmalsausprägung 1b Merkmalsausprägung 1c Merkmalsausprägung 2a Merkmalsausprägung 2b Merkmalsausprägung 2c Merkmalsausprägung 2d Merkmalsausprägung 2e Merkmalsausprägung 2f Merkmalsausprägung 3a Merkmalsausprägung 3b Merkmalsausprägung 3c Merkmalsausprägung 3d Merkmalsausprägung 4a Merkmalsausprägung 4b Merkmalsausprägung 4c Merkmalsausprägung 5a Merkmalsausprägung 5b Merkmalsausprägung 5c Merkmalsausprägung 6a Merkmalsausprägung 6b Merkmalsausprägung 6c Merkmalsausprägung 7a Merkmalsausprägung 7b Merkmalsausprägung 7c Merkmalsausprägung 7d Merkmalsausprägung 8a Merkmalsausprägung 8b Merkmalsausprägung 8c Merkmalsausprägung 9a Merkmalsausprägung 9b Merkmalsausprägung 9c Merkmalsausprägung 10a Merkmalsausprägung 10b Merkmalsausprägung 10c -60
-40
-20
0
20
40
60
Abbildung 10: Die Teilnutzenwerte der Merkmalsausprägungen über alle Organisationen
Um einen Überblick über die Wünsche der anvisierten Kunden in Bezug auf ein Merkmal und seine Ausprägungen zu erhalten, werden bei der im folgenden dargestellten Auswertung (siehe Abbildung 11) die unterschiedlichen Wünsche aller Kunden bezogen auf ein Merkmal im Vergleich dargestellt. Diese Darstellung gibt Aufschluss über die generellen Anforderungen und Trends aller an der Conjoint Analyse teilnehmenden Unternehmen bezogen auf die einzelnen Merkmalsausprägungen. Ebenso lassen sich die teilnehmenden Organisationen entsprechend der Bewertung der einzelnen Merkmalsausprägungen clustern, um Teilsegmente des Marktes bilden zu können. Diese Informationen sind bei der Ansprache der Organisationen sowie der
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Entwicklung der Stellwerke bzw. Spezifikation der Anforderungen hilfreich und lassen sich auch auf Unternehmen der gleichen Branche übertragen, die nicht an der Befragung teilgenommen haben. Es zeigt sich beispielsweise, dass die technische Entwicklung einer Merkmalsausprägung „1a“ für die Kunden „E“, „V“ und „R“ von relativ hoher Bedeutung ist, hingegen ein Angebot der Merkmalsausprägung „1c“ bzw. „1b“ bei diesen Organisationen sogar den Gesamtnutzen eines Angebotes reduzieren würde. Kunden
Die Länge der Kurve gibt an, wie stark das Vorliegen dieser Ausprägung sich auf die Akzeptanz der Stellwerkskonfiguration auswirkt. Negative Werte verschlechtern die Akzeptanz, positive erhöhen diese. Ein direkter Rückschluss auf eine quantitative Erhöhung oder Verringerung der Kaufwahrscheinlich-keit ist jedoch nicht möglich.
Wichtig: Achten Sie bei der Beurteilung der dargestellten Ergebnisse auf die Skalierung. Beispielsweise geht die Skala beim Merkmal „Rangierfunktionalität“ bis +/100. Demgegenüber liegen die Werte bei der Skala für „Bedienen und Anzeigen“ zwischen +/- 150.
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z AA AB AC
-100
Merkmalsausprägung 1a
Merkmalsausprägung 1b
Merkmalsausprägung 1c -50
Dieser Wert stellt den Mittelwert der Einschätzungen aller am Conjoint Measurement beteiligten Teilnehmer einer Organisation dar.
0
50
100
Ein Merkmal wird als um so wichtiger angesehen, je größer die Spannweite der Kurve für die Teilnutzenwerte innerhalb eines Merkmals ist.
Abbildung 11: Auswertung der Ergebnisse für ein Merkmal und dessen Ausprägungen über alle befragten Organisation
Eine andere Form der Auswertung der Conjoint Measurement Ergebnisse stellt die Abbildung 12 dar. Hier werden die Teilnutzenswerte für jede teilnehmende Organisation einzeln gegenübergestellt (sofern eine entsprechende Zustimmung der Unternehmen vorliegt). Geht man von der so genannten First-Choice-Regel aus, bedeutet dies, dass sich bei der Transformation von Nutzenwerten in Produktwahlentscheidungen der Kunde regelmäßig für das Produkt mit dem höchsten Gesamtnutzenwert unter allen angebotenen Produktalternativen entscheidet.129 Gehen die Kunden nach 129
Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 100.
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dem ökonomischen Prinzip vor, wonach sie bei der Beschaffung von Gütern als Nutzenmaximierer auftreten und unter gegebenen Budgetrestriktionen das Produkt mit der höchsten Nutzenstiftung auswählen, so erscheint die Anwendung der FirstChoice-Regel plausibel. Die First-Choice-Regel wird dann empfohlen, wenn die Kunden aufgrund eines hohen wahrgenommenen Risikos bei der Kaufentscheidung hoch involviert sind, da davon ausgegangen wird, dass die Nutzenwerte der angebotenen Produktalternativen in einem langen und aufwendigen (extensiven) Entscheidungsprozess sehr genau gegeneinander abgewogen und auch Produkte mit einem nur marginal höheren Nutzen treffsicher erkannt und gewählt werden.130 Diese Annahme ist gerade bei der organisationalen Beschaffung von Investitionsgütern gegeben, so dass sich aus dem in Abbildung 12a und 12b dargestellten Überblick der einzelnen Bewertungen der Merkmalsausprägungen je Organisation additiv jene positiven Merkmalsausprägungen ablesen lassen, die den höchsten Gesamtnutzen für diese Organisation ergeben. Dies setzt allerdings voraus, dass die befragten Organisationen auch einer unternehmensspezifischen Auswertung ausdrücklich zugestimmt haben. Wie zu erkennen ist, kristallisieren sich einige Merkmalsausprägungen als besonders nutzenstiftend heraus, andere werden hingegen von den einzelnen Organisationen abgelehnt und würden die Kaufentscheidung negativ beeinflussen. Bei einer akquisitorischen Ansprache der jeweiligen Kunden gibt diese Auswertung wichtige Hinweise auf jene Nutzenaspekte, die für die einzelne Organisation besonders wichtig sind und für die eine höhere Zahlungsbereitschaft besteht. Damit kommt diese Auswertung vor allem bei einer kundenspezifischen Angebotsoptimierung zum Tragen. Für das Beispielunternehmen „H“ stiften vor allem die Merkmalsausprägung „2a“ und „9c“ einen hohen Teilnutzen. Für das Beispielunternehmen „E“ ist ebenfalls die Merkmalsausprägung „9c“ immanent, darüber hinaus aber auch Ausprägung „1a“.
130
Vgl. Brzoska, Lars (2003), S. 101.
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Merkmalsausprägung 1a Merkmalsausprägung 1b Merkmalsausprägung 1c Merkmalsausprägung 2a Merkmalsausprägung 2b Merkmalsausprägung 2c Merkmalsausprägung 2d Merkmalsausprägung 2e
Kunde H
Merkmalsausprägung 2 f Merkmalsausprägung 3a Merkmalsausprägung 3b Merkmalsausprägung 3c Merkmalsausprägung 3d Merkmalsausprägung 4a Merkmalsausprägung 4b Merkmalsausprägung 4c Merkmalsausprägung 5a Merkmalsausprägung 5b Merkmalsausprägung 5c Merkmalsausprägung 6a Merkmalsausprägung 6b Merkmalsausprägung 6c Merkmalsausprägung 7a Merkmalsausprägung 7b Merkmalsausprägung 7c Merkmalsausprägung 7d Merkmalsausprägung 8a Merkmalsausprägung 8b Merkmalsausprägung 8c Merkmalsausprägung 9a Merkmalsausprägung 9b Merkmalsausprägung 9c Merkmalsausprägung 10a Merkmalsausprägung 10b Merkmalsausprägung 10c -120 -100 -80 -60 -40 -20
0
20
40
60
80 100 120
Abbildung 12a: Auswertung der Ergebnisse für alle Merkmale und deren Ausprägungen für Kunde H
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Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung Merkmalsausprägung
1a 1b 1c 2a 2b 2c 2d 2e 2f 3a 3b 3c 3d 4a 4b 4c 5a 5b 5c 6a 6b 6c 7a 7b 7c 7d 8a 8b 8c 9a 9b 9c 10a 10b 10c
Kunde E
-120 -100 -80 -60 -40 -20
0
20
40
60
80 100 120
Abbildung 12b: Auswertung der Ergebnisse für alle Merkmale und deren Ausprägungen für Kunde E
Diese Art der Auswertung kann für alle befragten Organisationen durchgeführt werden, so dass schnell deutlich wird, welche Lösungen vom Anbieter tatsächlich erwartet bzw. nicht erwartet werden.
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5
73
Fazit
Die Methode des Conjoint Measurements hat sich als ein robustes Verfahren zur Abschätzung des relativen Einflusses wesentlicher Produkteigenschaften auf die Nutzenbeurteilung eines Produktes erwiesen.131 So liegt im Ergebnis der von uns durchgeführten Conjoint Measurement Studie für Stellwerke ein hoch repräsentatives und valides Bild über die Wünsche und Anforderungen der Zielkunden an ein weiterzuentwickelndes Stellwerk vor, an dem sich der Hersteller orientieren und entsprechende Festlegungen in sein Pflichtenheft für die eigenen Entwicklungsabteilungen aufnehmen kann. Das Dilemma der „Anspruchsinflation“, das bei den kompositionellen Verfahren zur Befragung von Kunden sehr häufig auftritt und dem Hersteller letztlich kaum weiterhilft, wird mit dieser Methode vermieden. Es hat sich schließlich gezeigt, dass die Präferenzbefragung mit Hilfe der internetbasierten Adaptiven Conjoint Analyse besonders geeignet ist, um Aufschluss über den relativen Einfluss verschiedener Produkteigenschaften zu erhalten und damit Anregungen für eine Neugestaltung beziehungsweise eine innovative Produktneuentwicklung von Investitionsgütern zu generieren.132
131 132
Vgl. auch die Ergebnisse von Teichert, Thorsten (2001), S. 301. Vgl. auch Teichert, Thorsten (2001), S. 301.
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Pörner / Sontag
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Pörner / Sontag
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V
Bedeutung von Messen im Innovationsprozess bei technologischen Produktinnovationen
Günther Heger
1
Einführung
Innovationen sind die notwendige Voraussetzung für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Sie bieten Ansatzpunkte, sich vom Wettbewerb differenzieren und überlegene Problemlösungen anbieten zu können. Bei der Vermarktung technologischer Innovationen muss jedoch mit Kaufwiderständen gerechnet werden. Dies kann daher rühren, dass die Vorteilspotenziale der mit Innovationen verbundenen Neuerungen für die Nachfragerseite keine unmittelbare Evidenz aufweisen, sondern erst einer entsprechenden Informationsvermittlung bedürfen, oder dass die Umsetzung von Innovationen beim Nachfrager mit der Notwendigkeit von Verhaltensänderungen verbunden ist (vgl. Weiber, Kollmann, Pohl, 2006, S. 156). Die Besonderheiten des Beschaffungsverhaltens bei technologischen Innovationen können in drei Punkten zusammengefasst werden (vgl. Weiber, Kollmann, Pohl, 2006, S. 161 ff.): •
Hohe Kaufunsicherheit: Nachfrager verfügen aufgrund der Neuartigkeit einer technologischen Innovation oft nur über geringe Erfahrungen und eingeschränktes Beurteilungs-Know-how. Da Erprobung und Beurteilung der Vorteilspotenziale der Innovation erschwert sind, wird ein erhebliches Beschaffungsrisiko wahrgenommen.
•
Schwierigkeit der Technologiebeurteilung: Technologiespezifische Faktoren wie hohe Komplexität, oft verbunden mit einer schwierigen Kommunizierbarkeit, und die Problematik der Abschätzbarkeit der Vorteilhaftigkeit und der Kompatibilität technologischer Innovationen mit vorhanden Potenzialen und Prozessen führen zu Schwierigkeiten der Technologiebeurteilung auf der Nachfragerseite.
•
Problem des Kaufentscheidungsszeitpunktes: Weiter wird durch marktspezifische Faktoren auf technologiegetriebenen Märkten die Entscheidung für den Kaufzeitpunkt zunehmend problematisch. Beispielsweise können kurze Produktlebenszyklen, starke Preiserosion sowie ein fehlendes dominantes Design zu Marktsituationen führen, in denen eine Verschiebung des Kaufs in die Zukunft vorteilhaft sein kann, wenn dann günstigere Konditionen bzw. bessere Leistungen möglich sind.
Insgesamt führen die hohe Kaufunsicherheit, die Schwierigkeiten in der Technologiebeurteilung sowie das Problem der Entscheidung über den Kaufzeitpunkt zu einer verstärkten Risikowahrnehmung der Nachfrager bei der Technologiebeschaffung. Die Informationsdefizite, die auf der Nachfragerseite bei der Entscheidung über techno-
78
Heger
logische Innovationen bestehen, erfordern anbieterseits besondere auf die Reduktion des wahrgenommen Risikos bezogene Maßnahmen. Beispielhaft seien Referenznachweise durch Pilotanwender, Funktionsnachweise durch Simulationsstudien, Abbau des Informationsdefizits durch Fachvorträge und Schulungen, Wirtschaftlichkeitsberechungen und Vorlage von neutralen Gutachten zur Vorteilhaftigkeit von Innovationen genannt (vgl. Weiber, Kollmann, Pohl, 2006, S. 183). Im Prozess der Generierung und Verbreitung technologischer Innovationen hat die Messepolitik als integrierendes Marketinginstrument eine besondere Bedeutung. Die Technologienachfrager sehen die Messe in der Initiierungsphase von innovativen Beschaffungsprozessen oft als eine zentrale Informationsmöglichkeit, sich Markttransparenz über technologische Entwicklungen zu verschaffen (vgl. Backhaus, 2003, S. 84 ff.). Dies kann aus einer transaktionskostentheoretischen Perspektive damit begründet werden, dass Messen immer dann Potenziale zur Senkung von Transaktionskosten anbieten, wenn auf einem Markt Bedingungen gegeben sind, die auf hohe Anbahnungs- und Vereinbarungskosten hinweisen (vgl. Fließ, 1994, S. 119 ff.). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn: •
auf Anbieter- und Nachfragerseite Informationsdefizite bestehen,
•
die Güter auf dem Markt wenig homogen sind, also z.B. einen hohen Spezifitäts- und Komplexitätsgrad aufweisen, und wenn es sich im innovative Leistungen mit entsprechend hohem wahrgenommenen Risiko handelt,
•
die Zahl der Anbieter bzw. Nachfrager auf einem Markt groß ist und diese nicht leicht erreicht und identifizierte werden können und
•
sich die Märkte dynamisch entwickeln.
Bei der Vermarktung technologischer Innovationen sind diese Bedingungen häufig gegeben. Die hohe Bedeutung der Messebeteiligung innerhalb der Marketingaktivitäten zeigt sich auch in der Praxis. In einer vom Ausstellungs- und Messeausschuss der Deutschen Wirtschaft (AUMA) herausgegebenen Untersuchung (vgl. AUMA, 2004, S. 23) nehmen Messen und Ausstellungen in der Einschätzung ausstellender Unternehmen den Spitzenplatz ein. Der Anteil des Messebudgets am Gesamtkommunikationsetat liegt in den letzen Jahren stabil bei fast 40% und über zwei Drittel der im Exportgeschäft tätigen Aussteller beurteilen die Beteiligung an deutschen internationalen Messen als sehr wichtig oder wichtig für die Stärkung des Auslandsgeschäfts. Konkret ergibt sich der hohe Stellenwert der Messebeteiligung für technologieorientierte Unternehmen daraus, dass auf der Messe eine Reihe von Marketingzielen in besonderer Weise erreicht werden können: •
Messen ermöglichen durch die raum-zeitliche Konzentration des Marktes in der relativ kurzen Zeit der Messedauer eine Vielzahl persönlicher Kontakte mit
Bedeutung von Messen im Innovationsprozess
79
hoher Kontaktqualität zu Kunden mit bestehender Geschäftsbeziehung aber auch vor allem zu neuen potenziellen Kunden. •
Die persönliche Interaktion auf der Messe ermöglicht es, ein persönliches Vertrauensverhältnis zu pflegen und aufzubauen. Vor allem bei hoher Markttintransparenz beim Nachfrager, bei kundenindividueller Leistungserstellung und zunehmenden Dienstleistungsanteilen wird das Vertrauensverhältnis zunehmend zum Wettbewerbsfaktor.
•
Bei Produktinnovationen bietet die Messe die Möglichkeit, das Produkt selbst in Betrieb vorzuführen. Die Möglichkeit zur Objektbesichtigung wird vom Nachfrager als wichtig für die Risikoreduktion empfunden.
•
Auch kann bei Produktinnovationen auf der Messe relativ gut die Akzeptanz bei potenziellen Nachfragern getestet werden. Auch Hinweise auf bislang nicht berücksichtigte Anwendungsfelder beim Kunden können gewonnen werden.
•
Über den konkreten Produktbezug hinaus bietet die Messe insgesamt gute Möglichkeiten der Informationsgewinnung. Dies betrifft vor allem Informationen über Entwicklungen im Nachfrager- und Konkurrenzverhalten. Dazu kommt, dass sich Messen immer mehr zu Kommunikationsplattformen einer Branche entwickeln, die über die unmittelbaren Anbieter-NachfragerInteraktionen hinausreichen. So versteht sich beispielsweise die CeBIT auch als Forum für die Darstellung und Diskussion zukünftiger, vor allem technischer Entwicklungsprozesse.
Den dargestellten Nutzenaspekten der Messe, die besonders im Vermarktungsprozess technologischer Innovationen bedeutsam sind, stehen jedoch die relativ hohen Kosten einer Messebeteiligung gegenüber. Dies erfordert zunehmend, die Effektivität und Effizienz einer Messebeteiligung kritisch zu prüfen.
2
Konzeptionelle Grundlagen des Messemanagements bei der Vermarktung technologischer Innovationen
Eine erfolgreiche Einbindung der Messe in den Innovationsprozess technologischer Innovationen setzt ein systematisches Messemanagement voraus. Abb. 1 gibt einen Überblick über den Managementprozess einer Messebeteiligung (vgl. zum Prozessablauf auch Meffert, 2003, S. 143; Fließ, 2006, S. 646).
80
Heger
M e s s e s p e z ifische Situationsanalyse
V e r h a lten der W ettbewerber
Nachfrager-/ B e s u c h e rverhalte n
S tärken/ Schwächen des e igenen U n ternehm e n s
R e c h tliche, technologische, w irtschaftliche U m w e lt
K o n z e p tio n e lle M e s s e p l a n u n g M e s s e z iele
Messes e lektion
Messebeteilig u n g s strategie
Messeetat
M e s s e d u r c h f ü h r u n g s k o n z e p t ion Standpersonal
S t a n dkonzeption
Exponatewahl
K o m m u n ikationspolitik
Durchführung der Maßnahmen M e s s e e r folgskontrolle
Abbildung 1: Messemanagementprozess
Aufbauend auf einer umfassenden messespezifischen Situationsanalyse sind eine Reihe von Entscheidungen zu treffen, die teils aufeinander aufbauen, teils in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander stehen. Die konzeptionelle Planung einer Messebeteiligung erfordert Entscheidungen über die Messeziele, die Auswahl von Messen, die Messebeteiligungsstrategie und den Messeetat. In der Durchführungskonzeption ist der Personaleinsatz und die Personalführung zu planen, ebenso wie die das Standkonzept, die Exponatewahl und die Kommunikationspolitik vor, auf und nach der Messe. Nach der Maßnahmendurchführung hat die Messeerfolgskontrolle die Aufgabe festzustellen, ob die Ziele der Messebeteiligung erreicht wurden. Dabei stellt sich unter dem Effektivitätsaspekt die Frage, in welchem Ausmaß die Zielgruppen des Ausstellers erreicht wurden, unter dem Gesichtspunkt der Effizienz werden die Messekosten zu den Nutzengrößen ins Verhältnis gesetzt. Grundlage eines erfolgreichen Einsatzes der Messe bei der Einführung technologischer Innovationen sind exakt formulierte, mit den Unternehmens- und Marketingzielen in Einklang stehende Messeziele. Dabei kommen der Zielformulierung vier Funktionen zu (vgl. Meffert, Ueding, 1996, S. 30; Bruhn, 2005, S. 155):
Bedeutung von Messen im Innovationsprozess
81
•
Entscheidungs- und Steuerungsfunktion: Messeziele bilden den Orientierungsrahmen für den Einsatz des Marktinginstrumentariums auf der Messe. Es ist eine Kombination der Instrumente zu wählen, die am besten zur Zielereichung beiträgt. Ziele stellen also Bewertungskriterien zur Verfügung.
•
Koordinationsfunktion: Ziele ermöglichen die Verhaltensabstimmung zwischen einzelnen Bereichen des ausstellenden Unternehmens. Verschiedene Marketing- und Messeaktivitäten können durch übergeordnete Zielformulierungen koordiniert werden.
•
Motivationsfunktion: Zielvorgaben dienen der Motivation der Mitarbeiter auf dem Messestand zur Leistungserbringung. Gelingt es, die gesetzten Ziele zu erreichen, werden Erfolgserlebnisse vermittelt, die die Mitarbeiterzufriedenheit steigern und Ansporn für zukünftige Aufgaben sein können.
•
Kontrollfunktion: Schließlich bilden die Messeziele den Maßstab für die Bewertung der Messeergebnisse und sind Voraussetzung für Schlussfolgerungen für zukünftige Aktivitäten. Ohne Zielformulierung kann der Erfolg einer Messebeteiligung nicht festgestellt werden.
Damit die Messeziele ihre Funktionen erfüllen können, müssen sie operational bzw. messbar formuliert werden. Neben der Festlegung des Zielinhalts, des Zielausmaßes und des Zeitbezugs kommt sowohl dem Objektbezug, d.h. für welche Produkte bzw. Leistungsbereiche des Unternehmens die Ziele Gültigkeit haben sollen, als auch dem Segmentbezug, d.h. bei welchen Ziel- bzw. Besuchergruppen die Ziele erreicht werden sollen, besondere Bedeutung zu. Dabei ist eine ausschließlich aus ausstellerspezifischen Zielsetzungen abgeleitete Konzeption der Messebeteiligung nicht ausreichend. Voraussetzung einer erfolgreichen Messebeteiligung ist die Erfüllung der Erwartungshaltung der Messebesucher durch eine entsprechende Ausstellerleistung. Dies bedeutet, dass überprüft werden muss, ob die Ausstellerzielsetzungen komplementär zu den Besucherzielsetzungen sind. Der Nutzen einer Messebeteilung wird dabei um so höher ausfallen, je mehr die ausstellerspezifischen Zielsetzungen mit den Besucherzielsetzungen übereinstimmen (vgl. Meffert, 2003, S. 1150 f.). Der Messeerfolg wird zwar durch eine Reihe weiterer Einflussfaktoren bestimmt, der Fit der Aussteller- und Besucherzielsetzungen ist jedoch die notwendige Voraussetzung für den Erfolg. Will das Unternehmen die Messe zur Markeinführung von Innovationen nutzen, wird dies daher nur in den Fällen erfolgversprechend sein, in denen der innovationsbezogene Informationsaustausch sowohl auf Anbieter- als auch auf Besucherseite von hoher Priorität ist. Auf der Besucherseite zeigt eine repräsentative Untersuchung des Messe- und Ausstellungsausschusses der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) eine große Bandbreite der Besucherziele (vgl. Abb. 2).
82
Heger
0%
10%
20%
30%
40%
50% 48%
Informationen über Neuheiten 41%
Allgemeine Marktorientierung Weiterbildung, Wissenerweiterung
34%
Erfahrungs-, Informationsaustausch
29%
Pflege von Geschäftskontakten
26%
Anbahnung von Geschäftskontakten
23% 18%
Konkurrenzbeobachtung Vorbereitung von Entscheidungen
17%
Einflussnahme auf Produktentwicklungen Vertragsabschluss, Kauf
60%
12% 7%
Repräsentative Untersuchung im Auftrag des AUMA auf der Basis von 4.219 Interviews auf 49 deutschen Messen, Mehrfachnennungen möglich
Abbildung 2: Besucherziele auf der Messe Quelle: Vgl. AUMA, 2004, S. 22.
Die Ziele des Messebesuchs variieren sachlich (z.B. Konkurrenzbeobachtung, Weiterbildung) und unterscheiden sich nach ihrem Bezug zu den Phasen des Kaufprozesses. Deutlich wird, dass die messespezifischen Besucherziele neben allgemeinen Marktinformationen (Ziele „Allgemeine Marktorientierung“, „Weiterbildung“) vor allem in der Initiierungsphase von Kaufprozessen einen Schwerpunkt haben: 48% der Messebesucher wollen sich über Neuheiten informieren, 29% erwarten Informationsund Erfahrungsaustausch und 12% wollen auf der Messe Einfluss auf Produktentwicklungen nehmen. Dagegen werden Besucherziele, die der Entscheidungsphase und der Pflege von Geschäftsbeziehungen zuzuordnen sind, deutlich weniger genannt. In ähnlicher Weise verfolgen auch die Aussteller auf einer Messe unterschiedliche Ziele. Nach dem Zielinhalt können die Ziele in Marktbearbeitungs-, Informationsgewinnungs- und Motivationsziele unterschieden werden (vgl. Heger, 2005, S. 18 ff.). Eine zentrale Stelle nehmen bei ausstellenden Unternehmen oft die Marktbearbeitungsziele ein. Diese können nach einem Stufenleiterkonzept der Messewirkung hierarchisch geordnet werden in Kontakt-, Beeinflussungs- und handlungsbezogene Ziele. Da Messen raum-zeitliche Konzentrate von Märkten sind, bieten sich auf Messen oft auch günstige Möglichkeiten zur Gewinnung von Marktinformationen. Dabei
Bedeutung von Messen im Innovationsprozess
83
sind die Informationsziele nicht nur absatzmarktbezogen, sondern können sich auch auf Konkurrenten, Beschaffungs- bzw. Arbeitsmärkte oder auf Distributionspartner richten. Schließlich verfolgen Aussteller auch Motivationsziele. Aus der Perspektive des internen Marketings sollen die eigenen Mitarbeiter durch die Messeteilnahme zu einem zielgerichteten Handeln motiviert werden. Abb. 3 zeigt den Zielkatalog von Ausstellerzielen.
Marktbearbeitungsziele
Kontaktziele
Beeinflussungsziele
handlungsbezogene Ziele
-
persönliche Kontaktaufnahme zu potenziellen Kunden persönliche Kontaktaufnahme zu bekannten Kunden/ Beziehungspflege Kundenkontakte durch unpersönliche Kommunikation persönliche / unpersönliche Kontakte zu Mitgliedern weiterer Zielgruppen (z.B. Verbände, öffentl. Hand, Mitarbeiter, Absatzmittler/-helfer)
-
Erhöhung des Bekanntheitsgrades des Unternehmens Erhöhung des Bekanntheitsgrades von Produkten und Leistungen Darstellung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens Darstellung der Produkt-/ Leistungskompetenz Demonstration von Produktverbesserungen und Anwendungsvorteilen Imageveränderung/ Einstellungsänderung bezüglich des Unternehmens, der Produkte, der Verfahren
-
Verkaufsabschlüsse (Absatzmenge, Ordervolumen) Verkaufsanbahnung für das Nachmessegeschäft (Terminvereinbarung, Anforderung von Angeboten durch Kunden) handlungsbezogene Ziele gegenüber den sonstigen Zielgruppen (z.B. Gewinnung von Distributionspartnern, Presseberichterstattung)
Motivationsziele
Informationsziele
-
absatzmarktbezogen
-
Kennenlernen neuer Anwendungsfelder für vorhandene Problemlösungen Kennenlernen von Trends bei Kundenpräferenzen Überprüfung der Marktreife von Produkten und Leistungen
konkurrenzbezogen
-
Information über neue Konkurrenten Beobachtung bekannter Konkurrenten
beschaffungsmarktbezogen
-
Information über neue Lieferanten Erfahrungsaustausch mit Lieferanten
distributionsbezogen
-
Information über neue Absatzmittler und -helfer Information über neue Vertriebswege
arbeitsmarktbezogen
-
Information über Arbeitsmarktentwicklung Information über potenzielle Mitarbeiter
Motivation der eigenen Mitarbeiter
Abbildung 3: Messezielkatalog Quelle: Heger, 2005, S. 21.
Die praktische Relevanz der ausstellerseitigen Messeziele zeigt Abb. 4. Die empirische Untersuchung des Messe- und Ausstellungsausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) macht deutlich, dass Messen von den ausstellenden Unternehmen vor
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Heger
allem zur Erreichung von Marktbearbeitungszielen als geeignet angesehen werden. 85% der Unternehmen sehen die Funktion der Messe in einer Steigerung der Bekanntheit des Unternehmens bzw. in der Imagepflege. Daneben sehen aber auch viele Unternehmen die Messe als geeignetes Instrument zur Produkteinführung: 60% der Unternehmen nutzen die Messe zur Vorstellung neuer Produkte und jeweils 50% geben an, die Messe zur Erreichung absatzmarktbezogener Informationsziele einzusetzen. Dabei stehen Informationsaustausch und -sammlung sowie das Erkennen von Kundenwünschen im Vordergrund. 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Steigerung der Bekanntheit des Unternehmens/Imagepflege 70%
Neukundenwerbung
70%
63%
Demonstration von Marktpräsenz
60%
Einführung/Vorstellung neuer Produkte
58%
Steigerung der Bekanntheit von Produkten Informationsaustausch/-sammlung
50%
Erkennen von Kundenwünschen
50%
Verkaufs-/Vertragsabschluss
90% 85%
Auffrischung bestehender Kundenkontakte
Beeinflussen von Kundenentscheidungen
80%
33%
29%
Untersuchung im Auftrag des AUMA auf der Basis von 1.105 befragten Unternehmen, Mehrfachnennungen möglich
Abbildung 4: Funktionen der Messe aus Ausstellerperspektive Quelle: Vgl. AUMA, 2004, S. 11.
Die Analyse der Aussteller- und Besucherziele macht deutlich, dass die Messe für Technologieanbieter und -nachfrager im Grundsatz als Marktveranstaltung sehr interessant ist. Aufgrund der großen Spannweite der Ausstellererwartungen und Besucherziele kann eine Übereinstimmung jedoch nicht von vornherein als gegeben angenommen werden. Für Unternehmen, die die Messe gezielt zur Markteinführung technologischer Innovationen einsetzen wollen, ergeben sich daraus besondere Anforderungen an die Messeplanung. Zur Sicherstellung der Effektivität der Messebeteiligung ist vor allem festzustellen, ob die anvisierten Zielgruppen des Ausstellers auf der Messe erreicht werden können und ob Komplementarität zwischen Ausstellerund Besuchererwartungen vorliegt. Dazu sind folgende Fragen zu beantworten:
Bedeutung von Messen im Innovationsprozess
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•
In welchen Phasen des Innovationsprozesses soll die Messe genutzt werden?
•
Welche phasenspezifischen Ziele werden bei der Einführung technologischer Innovationen auf der Messe verfolgt?
•
Welche Ziele verfolgen die Messebesucher?
•
Gibt es Besuchersegmente, deren Erwartungshaltung mit den Ausstellerzielen übereinstimmt?
•
Wie ist die Attraktivität der Segmente in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu beurteilen?
•
Welche besonderen Anstrengungen unternimmt die Messegesellschaft, um speziell die an innovativen Problemlösungen interessierten Besucher anzusprechen und ein entsprechend attraktives Umfeld zu bieten?
3
Rolle der Messe im Innovationsprozess
Der Innovationsprozess bei der Neuproduktentwicklung kann von der Idee bis zur Markteinführung in verschiedene Phasen eingeteilt werden (vgl. hierzu Kleinschmidt, Geschka, Cooper, 1996, S. 51 ff.; Weiber, Kollmann, Pohl, 2006, S. 108 ff.; Hauschild, 2004, S. 24 f.; Ernst, 2005, S. 250 ff.). Abb. 5 zeigt den sachlogischen Ablauf des Innovationsprozesses.
Konzeptionsphase
• • •
Generierung von Produktideen Bewertung der Ideen Selektion von Ideen
Forschungs- und Entwicklungsphase
• • •
Festlegung der F&E-Ziele Durchführung der F&E-Arbeiten Rückkopplung mit den Markterfordernissen
Markteinführungsphase
• • •
Markterprobung Entscheidung über die Markteinführung Markteinführung
Abbildung 5: Phasenschema des Innovationsprozesses
In der Konzeptionsphase werden Innovationsideen generiert und bewertet. Die Selektion der Ideen, die in der Forschungs- und Entwicklungsphase weiter verfolgt werden
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Heger
sollen, kann z.B. anhand unternehmensstrategischer und rechtlicher Kriterien, der technologischen Potenziale der Idee, deren Marktrelevanz und Wirtschaftlichkeit erfolgen. In der Forschungs- und Entwicklungsphase erfolgt die konkrete Produktentwicklung bzw. die Invention. Die Forschungs- und Entwicklungsziele werden definiert und die eigentliche Entwicklungsarbeit wird geleistet. Neben der technischen Entwicklung wird in dieser Phase auch die Markteinführung vorbereitet. Zur Absicherung einer marktorientierten Entwicklung werden detaillierte Markt- und Wirtschaftlichkeitsanalysen durchgeführt. Besondere Bedeutung kommt dem realen oder virtuellen Prototypenbau zu. Die Prototypenherstellung in den einzelnen Entwicklungsphasen ermöglicht ein frühzeitiges Kundenfeedback und bildet die Grundlage für eine Integration des Nachfragers in den Entwicklungsprozess. Nach der Produktfreigabe am Ende der Forschungs- und Entwicklungsprozesses wird in der Markteinführungsphase abschließend die Marktfähigkeit einer Entwicklung getestet. Es erfolgen Markt- und Produktionstests. Wird die Marktfähigkeit bestätigt, erfolgt die Einführung des Produktes auf dem Markt. Aus der Invention wird mit dieser Entscheidung eine Produktinnovation. Dabei kann in einer weiten Abgrenzung des Innovationsprozesses auch die erstmalige Ausbreitung bzw. der Erstkauf durch Nachfrager mit einbezogen werden (vgl. Gerpott, 2005, S. 50). Die Beiträge der Messebeteiligung zur Unterstützung der Phasen des Innovationsprozesses sind in Abb. 6 zusammengestellt. Phasen des Innovationsprozesses
R o lle d e r M e s s e
K o n z e p tio n s p h a s e
F o r s c h u n g s- u n d Entwicklungsphase
M a rkteinführungsphase
Abbildung 6: Beiträge der Messe im Innovationsprozess
Ideengeber
Überprüfung der M a r k ta k z e p t a n z
Ü b e r w in d u n g v o n M a r k t w id e r s t ä n d e n
Bedeutung von Messen im Innovationsprozess
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In der Konzeptionsphase soll das Ideenpotenzial möglichst umfassend ausgeschöpft werden. Der Messe kommt in dieser Phase die Rolle einer externen Informationsquelle zu. Im direkten Austausch mit bestehenden und potenziellen Kunden können Problemstellungen der Kunden analysiert und erste Ansatzpunkte für Lösungsmöglichkeiten analysiert werden. Die gewonnenen Informationen liefern gleichzeitig Kriterien für die Ideenselektion. Über die direkten Kundenkontakte hinaus bietet die Messe aber auch insgesamt ein interessantes Umfeld für die Ideengenerierung. Anregungen können dabei sowohl von gezeigten Neuheiten der Konkurrenten als auch von branchenfremden Unternehmen ausgehen. In der Forschungs- und Entwicklungsphase bietet die Messe die Möglichkeit zur Überprüfung der Marktakzeptanz von Produktideen. Mit Hilfe von Prototypen oder Studien kann die Invention potenziellen Nachfragern vorgestellt und vor der Markteinführung getestet werden. Die Messe bietet die Möglichkeit, in relativ kurzer Zeit eine große Anzahl von Nachfragern anzusprechen und die Reaktionen auf den vorgestellten Problemlösungsansatz zu erfassen. Dabei interessiert vor allem, ob der vorgestellte Prototyp bzw. der Lösungsansatz von den Nachfragern auch tatsächlich als relevant zur Problemlösung eingeschätzt wird und ob Bereitschaft besteht, sich mit der Produktidee auseinanderzusetzen. Die Analyse der Nachfragerreaktionen hilft dabei, frühzeitig Anpassungen an die Kundenbedürfnisse vorzunehmen und nicht marktgerechte Entwicklungen zu vermeiden. Um zu verhindern, dass Neuerungen vorzeitig allgemein bekannt werden, können Prototypen auch in räumlich abgeschlossenen Bereichen auf dem Messestand einer ausgewählten Zielgruppe präsentiert werden. Sowohl in der Konzeptionsphase als auch in der Forschungs- und Entwicklungsphase ist es von herausragender Bedeutung, besonders diejenigen Nachfrager in den Innovationsprozess zu integrieren, bei denen erwartet werden kann, dass sie Produktideen liefern können und dass sie bereit sind, den Innovationsprozess aktiv zu unterstützen. Diese Gruppe von Nachfragern wird nach v. Hippel als Lead-User (vgl. v. Hippel, 1986) bezeichnet. Lead-User sind Innovatoren, die früher als die Masse der Kunden ein Bewusstsein für bestimmte Problemstellungen haben und zum Teil auch selbst Anstrengungen unternehmen, Lösungen zu entwickeln. Ihr Interesse, an der Entwicklung technologischer Produktinnovationen mitzuwirken, rührt damit auch daher, dass sie selbst von innovativen Problemlösungen stark profitieren. Dazu kommt, dass Lead-User oft auch Meinungsführereigenschaft haben und in Communities zusammengeschlossen sind und damit eine wichtige Rolle in der Marktkommunikation einnehmen (vgl. zur Bedeutung von Communities bei der Informationsverbreitung Heger, 2003, S. 935 ff.). Bei der Festlegung der Messeziele ist diese Zielgruppe daher in besonderer Weise zu berücksichtigen. In der Markteinführungsphase kann die Messe zunächst zur abschließenden Überprüfung der konkreten Absatzchancen einer Invention eingesetzt werden. Gegenüber der Forschungs- und Entwicklungsphase liegt nun eine abgeschlossene Invention vor, die auf Marktakzeptanz überprüft wird. Erfolgt die Freigabe für die Markteinführung, hat die Messe die Aufgabe, den Adoptionsprozess, der den Übernahme- bzw. den
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Heger
Kaufprozess einer Produktinnovation beim einzelnen Nachfrager beschreibt, und den zeitlichen Ausbreitungsverlauf einer Innovation, die Diffusion, zu beeinflussen (zur begrifflichen Abgrenzung vgl. Weiber, Kollmann, Pohl, 2006, S. 157, 173). Dabei kommt es vor allem darauf an, die Produktinnovation bekannt zu machen, Interesse zu wecken, Wissen zu vermitteln, Einstellungen zu verändern und Handlungen (z.B. Anforderung von Angeboten, Durchführung von Versuchen, Kaufentscheidungen) auszulösen. Als Zielgruppe sind hier die Innovatoren und Meinungsführer von besonderem Interesse. Zur Überwindung der Kaufwiderstände und insbesondere zur Reduktion des von potenziellen Nachfragern wahrgenommenen Beschaffungsrisikos bietet die Messe eine Vielfalt von Ansatzpunkten. Folgende Beispiele sollen dies verdeutlichen. •
Die Nutzenbeiträge der Innovation können in einer persönlichen Interaktionssituation verdeutlicht und die Vorteile am realen Produkt bzw. am Modell oder auf Schautafeln demonstriert werden.
•
Die Anbieterpotenziale lassen sich durch Informationen, z.B. über Patente, verdeutlichen.
•
Referenznachweise können kommuniziert werden.
•
Kontakte zwischen Interessenten und Pilotanwendern können hergestellt werden.
•
Kontakte zu potenziellen Kunden können hergestellt und darüber hinaus auch bislang unberücksichtigte Anwendungsfelder für das innovative Lösungskonzept kennengelernt werden.
•
Bei Verbundmessen können auf Diskussionsforen und Kongressen, die parallel zur Messe stattfinden, Vorträge zur Produktinnovation gehalten werden.
4
Bedeutung der Mitarbeiterführung zur Erreichung der Messeziele
Damit die Messe ihrer Rolle im Innovationsprozess gerecht werden kann, müssen im Messemanagementprozess die besonderen Aufgaben der Messe bei der Generierung und Verbreitung von Innovationen berücksichtigt werden. Hier soll insbesondere die Bedeutung der Mitarbeiterführung für eine erfolgreiche Messebeteiligung herausgestellt werden, da der Erfolg auf der Messe wesentlich von der Qualität und Quantität der persönlichen Kontakte zwischen Ausstellern und Besuchern abhängt. Nur mit einem gut zusammengesetzten, gut vorbereiteten und motivieren Messeteam ist das Unternehmen in der Lage, den Innovationsprozess erfolgreich durch die Messebeteiligung zu unterstützen. Deutlichen Handlungsbedarf für die Verbesserung der persönlichen Kommunikation auf der Messe zeigen empirische Untersuchungen (vgl. Clausen, 2000, S. 189):
Bedeutung von Messen im Innovationsprozess
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•
Bis zu 70% der Fachbesucher auf Investitionsgütermessen werden nicht vom Standpersonal angesprochen.
•
Nur ca. 20% der Fachbesucher sind mit der Qualität der geführten Messegespräche zufrieden.
•
Über 25% der Standmitarbeiter warten, vom Besucher angesprochen zu werden und verzichten darauf, selbst aktiv zu werden.
Um das Verhalten der Standmitarbeiter zielorientiert auszurichten, kommt der Führungsfunktion des Standleiters zentrale Bedeutung zu. Hier stehen dem Standleiter im Vorfeld der Messe und auf der Messe insbesondere fünf Instrumente zur Verfügung (vgl. Abb. 7): Kommunikation der Messeziele, Schulung der Standmitarbeiter, Integration der Mitarbeiter in die Messevorbereitung, Coaching der Mitarbeiter und Anreizsysteme (vgl. hierzu Heger, 2003, S. 986 ff.; Heger, 2005a, S. 29 ff.; Heger, 2005b, S. 865 ff.). Instrumente der Mitarbeiterführung auf der Messe
Kommunikation der Messeziele
Schulung der Standmitarbeiter
Integration der Standmitarbeiter
Coaching der Standmitarbeiter
Anreizsysteme
Abbildung 7: Führungsinstrumente auf der Messe
Zur Vorbereitung der Messe sind die Mitarbeiter über die Messeziele zu informieren. Dies können je nach Aufgabengebiet des Mitarbeiters persönliche Zielvorgaben sein oder es werden Ziele für das Messeteam insgesamt vorgegeben. Die Ziele sollen so formuliert werden, dass sie zwar herausfordern, nicht aber überfordern. Nur wenn die Ziele operational festgelegt sind, kann der Grad der Zielerreichung überprüft und eine Bewertung des Messeauftritts vorgenommen werden. Klare Zielvorgaben wirken motivierend auf die Standmitarbeiter; erreichte Messeziele vermitteln Erfolgserlebnisse, was eine Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit bewirken und Ansporn für zukünftige Aufgaben sein kann. Damit die Messebeteiligung wirksam Innovationsprozesse unterstützen kann, kommt es vor allem darauf an, die Rolle der Messe im Innovationsprozess zu bestimmen, die daraus abgeleiteten Messeziele möglichst schriftliche und mit hohem Verbindlichkeitsgrad festzulegen und die vereinbarten Ziele frühzeitig zu kommunizieren, um den Mitarbeitern die Möglichkeit zu einer umfassenden Vorbereitung zu geben. Vor dem Messeauftritt kommt einer Mitarbeiterschulung hohe Bedeutung zu: Die Messeziele und die Strategien zur Zielereichung können kommuniziert und Produktund Verhaltensschulungen durchgeführt werden. Während die Produkt- und Angebotsschulung einen festen Platz im Messetraining hat, kommt die Verhaltensschulung
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oft zu kurz. Dabei kann gerade durch ein Verhaltenstraining dazu beigetragen werden, dass die knappe Kontaktzeit auch effizient für die definierten Zielgruppen genutzt wird (vgl. Huckemann/ ter Weiler, 2003, S. 182 ff.). Die Standmitarbeiter sollen z.B. lernen, wie Besucher frühzeitig kategorisiert werden können, wann und wie Besucher anzusprechen sind, wie die Gespräche zu dokumentieren sind und wie man sich als Mitglied des Standteams zu verhalten hat. Auch eine frühzeitige Integration der Standmitarbeiter in den Messeplanungsprozess fördert die Motivation und stellt zudem sicher, dass das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeiter genutzt werden können (vgl. Clausen, 2000, S. 190 ff.). Ansatzpunkt für eine Mitarbeiterintegration liegen vor allem in der Messeauswahl, der Festlegung der Messeziele und -strategien und in der Zielgruppendefinition. Weiter kann durch ein auf die besondere Messesituation abgestimmtes Coaching die Leistungsfähigkeit der Standmitarbeiter gesteigert werden. Das Coaching kann dabei durch einen externen Berater oder intern durch entsprechend qualifizierte Trainer (z.B. Standleiter) durchgeführt werden. Der Coach nimmt beobachtend z.B. an einer Interaktionssituation eines Standmitarbeiters mit einem Besucher teil und gibt im Anschluss in einem Auswertungsgespräch Hilfestellung, wie zukünftige Situationen besser bewältigt werden können. Neben dem Einzel-Coaching kann sich das Coaching auch auf die Betreuung des Messeteams beziehen. Dabei werden Vorbereitung und Feedback auf der Messe häufig in tägliche Morgen- bzw. Abendbesprechungen integriert. Während die Morgenbesprechung die Mitarbeiter zu einem zielorientierten Verhalten während des Messetages motivieren soll, bietet die Abendbesprechung Gelegenheit zur Analyse des Tagesgeschehens, um Probleme und Schwachpunkte aufzudecken und zu besprechen. Schließlich kann auch ein messespezifisch aufgebautes Anreizsystem zur Motivation und zum zielorientierten Handeln beitragen. Dazu sind folgende Fragen zu beantworten: Sollen die Anreize auf den einzelnen Mitarbeiter oder auf das ganze Messeteam bezogen werden? Welche Bemessungsgrundlage soll gewählt werden (z.B. Anzahl der Kontakte, Qualität der Kontakte, Anzahl der vereinbarten Termine, Umfang und Qualität der erhaltenen Informationen)? Welcher Art soll der Anreiz sein (Belohnung, z.B. Geld-, Sachprämien, Incentives)? Welcher funktionale Zusammenhang soll zwischen Bemessungsgrundlage und Belohnung bestehen? Ist der Zusammenhang auch für die Mitarbeiter nachvollziehbar?
5
Zukünftige Bedeutung der Messe im Innovationsprozess
Die Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Messe einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung des Innovationsprozesses leisten kann. Voraussetzungen sind übereinstimmende innovationsorientierte Ausstellerziele und Besuchererwartungen sowie eine systematische Ausrichtung der Messeaktivitäten auf die Phasen des Innovationsprozesses.
Bedeutung von Messen im Innovationsprozess
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Aktuell wird die Messebeteilung jedoch von einer Reihe von Unternehmen zunehmend kritisch hinterfragt. Als Gründe werden rückläufige Besucherzahlen, zunehmende Gefahr von Streuverlusten durch unscharfe Messeprofile und ein sich verschlechterndes Kosten/Nutzen-Verhältnis genannt. Als alternative Handlungsmöglichkeit zur Markbearbeitung werden vor allem Events thematisiert, die in Form von Firmenveranstaltungen, Roadshows oder Hausmessen durchgeführt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Effektivität spricht für Events vor allem die Vermeidung von Streuverlusten. Liegt das Augenmerk dagegen auf neuen Kontakten, relativiert sich unter Umständen das Bild. Hier bietet die Messe oft bessere Möglichkeiten, mit potenziellen, bisher nicht bekannten Kunden bzw. Anwendern in Kontakt zu treten. Auch sind Messen oft terminlich leichter durch die Zielgruppen zu besuchen. Unter Effizienzgesichtspunkten müssen die Kosten der Instrumente zu den Zielgruppenkontakten ins Verhältnis gesetzt werden. Eine rein quantitative Betrachtung greift jedoch zu kurz. Die Kontaktqualität, die sich im Grad der Aufmerksamkeit und der Interaktionsintensität und -dauer ausdrückt, wird bei Eventkontakten oft deutlich höher eingeschätzt: Die Gespräche mit der Zielgruppe können länger, intensiver und stärker konzentriert auf das eigene Innovationsprojekt geführt werden. Zusammenfassend betrachtet liegen die Vorteile von Events in tendenziell höheren Kontaktqualitäten und geringeren Streuverlusten. Messen dagegen eröffnen im Innovationsprozess die Möglichkeit zur Leistungsdarstellung im direkten Konkurrenzvergleich und haben Vorteile beim Erreichen von Neukunden und bislang nicht bekannten Anwendern und Ideengebern.
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VI
Nautilus - Die Vermarktung eines neuen Softwareproduktes
Claudia Meier
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Die Firma und das Produkt
Gedilan wurde 1999 als Unternehmensberatung in Paderborn gegründet. Die Firma beschäftigt zur Zeit 25 Mitarbeiter, der Firmensitz ist in Berlin. Die Unternehmensgruppe Gedilan versteht sich als Softwarehaus im Bereich Business Processmanagement (BPM/GPM) und ist Hersteller der Software Nautilus. Gedilan wurde im Jahr 2005 von Deloitte Technology durch Aufnahme in die „Fast 50“ als eines der am schnellsten wachsenden Technologieunternehmen Deutschlands ausgezeichnet. Die Firma verfügt heute über ein sehr großes, belastbares Beratungs- und Technologiepartnernetzwerk und hat viele zufriedene Referenzkunden. Die erstmalige Entwicklung von Nautilus geht auf ein Bielefelder Beratungsunternehmen im Jahr 1996 zurück. Im Rahmen von Beratungsprojekten wurde damals ein relativ kleines Softwaretool entwickelt, dass die Einführung neuer Software in Unternehmen unterstützte. Durch finanzielle Probleme der Bielefelder Herstellerfirma im Zuge des Zusammenbruchs des Neuen Marktes, konnte Gedilan 2001 die Rechte an Nautilus erwerben. Mit Hilfe der Software Nautilus werden die Arbeitsabläufe und Prozesse von Unternehmen modelliert, analysiert, optimiert und laufend aktualisiert. Anschließend werden sie im Intranet der Kunden allen Mitarbeitern komfortabel und eingängig zur Verfügung gestellt. Nautilus wird von Unternehmen eingesetzt, die ihre Prozesse dokumentieren müssen oder komplexe IT- oder Veränderungsprojekte durchführen und dafür Transparenz über ihre eigenen Prozesse benötigen. Das können Projekte wie Fusionen, Outsourcing-Projekte oder große Software-Einführungen sein. Sehr oft wird Nautilus im Rahmen der Einführung von ERP- und Workflow-Systemen genutzt und danach in den Dauerbetrieb übernommen. Weitere Nutzungsmöglichkeiten sind Themen wie ITIL, Qualitätsmanagement, Basel II, Balanced Scorecard oder Prozesskostenrechnung. Nautilus bedient sich dabei einer eigenen Methode, die eine klare Systematik in der Prozesserfassung ermöglicht. Dadurch wird die Komplexität einer Organisation sehr stark reduziert, ohne dass relevante Informationen verloren gehen oder dass Widersprüche auftreten. Nautilus hat bereits heute über 300 Installationen bei Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen z.B. Berliner Stadtreinigung, Tengelmann, Makromarkt, Charité, Deutsches Herzzentrum Berlin, HVB, Siegfried Ltd., Haufe Medien Gruppe usw. Die Software lässt sich branchenübergreifend bei Unternehmen und öffentlichen Institutionen ab ca. 50 Mitarbeiter platzieren. In Einzelfällen kaufen auch kleinere Unternehmen die Software, wenn sie komplexe Geschäftsprozesse haben oder einem hohen Dokumentationsdruck unterliegen.
Nautilus – Die Vermarktung eines neuen Softwareproduktes
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Gedilan definiert sich selbst als „Product Company“. Nach Firmenauffassung reicht es nicht aus, ein Stück Software erstellt zu haben und dieses am Markt anzubieten, um sich als Product Company bezeichnen zu können. Gedilan bietet daher zusätzlich zur Software auch Schulungen, Wartungsverträge und Implementierungsberatung in Form von Projektcoaching für Nautilusprojekte an. Weiterhin steht den Kunden neben umfangreicher, schriftlicher Dokumentation eine Hotline zur Verfügung, die technische Fragen zu Nautilus beantwortet. Das Produkt wird laufend weiterentwickelt. Zur Cebit 2007 ist die Präsentation des neuen Release 5.0 mit erweiterten Funktionalitäten und Einsatzmöglichkeiten geplant. Weiterhin bestehen enge Forschungskooperationen zur Universität Stuttgart, der Humboldt Universität zu Berlin und zum Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) Berlin.
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Der Markt
Im Zuge der Umorientierung von Unternehmen auf die Kernprozesse sowie zunehmenden Anforderungen im Bereich der Dokumentation, z.B. im Rahmen von Qualitätsmanagementprojekten, steigt seit Ende der 90iger Jahre auch der Bedarf an BPMSoftware. Aktuell erlebt der Markt für Business-Process-Management-Tools einen Boom. Laut einer Studie von Gartner Research wird das Marktwachstum des BPMMarktes auf über 30% jährlich geschätzt. Einer der Hauptgründe, der die Nachfrage nach GPM Software vorantreibt, ist der wachsende Kosten- und Optimierungsdruck, unter dem die Unternehmen stehen. Beschleunigt wird dieser Prozess durch das Umdenken im Management. Vor allem Führungskräfte, die in den letzten 10 Jahren ihren Abschluss absolviert haben, haben im Studium gelernt, dass die Prozessorientierung der Schlüssel für ein effizientes und flexibles Unternehmen ist. Ein weiterer Treiber sind alle monolithischen Standardsoftwareprodukte, von denen heutzutage verlangt wird, dass sie prozessorientiert arbeiten können. Diese Systeme benötigen jetzt Werkzeuge und Hilfsmittel wie Nautilus, um den Ansprüchen der Kunden auch zukünftig gerecht zu werden. Der Markt von Gedilan besteht als Markt für Geschäftsprozess-ManagementSoftware (GPM-Software) aus Lizenzerlösen sowie aus produktnahen Dienstleistungen wie z.B. Implementierung und Schulung. Dieser Markt ist innerhalb der angrenzenden Märkte für Prozessberatung von Unternehmensberatungen und dem seit Jahren stark wachsenden Markt für Prozess-Steuerungs-Software entstanden. Folgendes Schaubild verdeutlicht die sich überlagernden Märkte im Überblick.
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Meier
BPM - Markt
GeschäftsprozessManagement-Software inkl. produktnaher Dienstleistungen IT-/ Klassische Prozessberatung
Prozess-SteuerungsSoftware ERP EAI W F
Abbildung 1: Übersicht überlagerte Märkte
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Herausforderung 2001
Als 2001 die Software Nautilus erworben werden konnte, bestanden für das Unternehmen Gedilan die folgenden Herausforderungen: Das Produkt Nautilus schaffen Bei der Bewertung des gekauften Nautilus wurde sehr schnell klar, dass es noch einmal neu erstellt werden musste. Die Idee war zwar genial, aber die Software war nicht dokumentiert, historisch gewachsen bezüglich der Funktionalitäten und technologisch veraltet. Eine Kommunikationsstrategie entwickeln und umsetzen Um eine Software als Standardprodukt erfolgreich vermarkten zu können, musste eine professionelle Kommunikationsstrategie entwickelt werden, um eine Marke schaffen zu können. Das geeignete Vertriebskonzept finden und umsetzen Da Gedilan bis 2001 nur Beratungsgeschäft durchgeführt und kein eigenes Produkt vertrieben hatte, musste herausgefunden werden, wie eine Software wie Nautilus am sinnvollsten und besten verkauft werden kann. Die Finanzierung sicherstellen Um die Software zu erstellen, war es nötig, genug Geld für Entwicklung und Marketing zu beschaffen, um deren Kosten decken zu können, ohne die Firma zu gefährden. Erträge aus den Softwareverkäufen wurden erst für ca. 2 Jahre nach Beginn der Programmierung erwartet, da die Software erst erstellt und ausgiebig getestet werden musste.
Nautilus – Die Vermarktung eines neuen Softwareproduktes
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Im Herbst 2001 gab es in Deutschland kein Risikokapital mehr, zumindest nicht für Softwarefirmen, weil es die Zeit der sterbenden New Economy war. Diese Finanzierungsform gab es also quasi nicht. Ein alternativer Weg musste gefunden werden. Der Umbau der Firma Gedilan war im Sommer 2001 eine Beratungsgesellschaft. Bei den durchgeführten Projekten handelte es sich zum größten Teil um große Veränderungsprojekte in der Bankenwelt. Alle Mitarbeiter hatten entsprechende Profile. Es gab damals keine Softwareentwickler, kein Marketing-Know-how, keine Vertriebsmitarbeiter, keine Supportmitarbeiter und keine Softwaretrainer. Das heißt, passend zum Fertigstellungsgrad der Software mussten neue Ressourcen gefunden und ausgebildet, Bankberater abgebaut oder vorhandene Mitarbeiter für eines der neuen Aufgabengebiete umgeschult werden. Im Kontext dieses Buches werden nur die Herausforderungen bezüglich Kommunikation und Vertrieb näher beschrieben. Alle anderen Herausforderungen wurden ebenfalls erfolgreich gemeistert, entgegen allen Widrigkeiten, aber das soll hier kein Thema sein.
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Kommunikation
Am Anfang aller Marketingaktivitäten stand die Auswahl einer geeigneten externen Agentur. Als Softwareanbieter ist es immer problematisch einen Marketingpartner zu finden, der die Firma und vor allem den schwierigen Markt versteht. Es wurden viele Gespräche mit möglichen Agenturen geführt, bis eine kleine kreative Agentur gefunden wurde, deren Inhaber in seiner frühen Berufslaufbahn IT-Projekte geleitet hatte und somit den Markt und die Kunden sehr genau kannte und die Sprache der Firma auf Anhieb verstand. Wichtig bei dieser Auswahl war auch, neben der fachlichen Qualifikation und den Referenzkunden der Agentur, die Größe der Agentur und die Chemie zwischen den zusammenarbeitenden Personen. Für eine kleine Firma ist es nicht ratsam, sich eine sehr große Marketingagentur zu suchen, da dort die Gefahr besteht, nicht die optimale Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese Marketingagentur erstellte im ersten Schritt eine Kommunikationstrategie gemeinsam mit der Geschäftsführung. Dazu wurden jeweils ein Interview mit jedem einzelnen Gesellschafter geführt und mehrere Gespräche mit der für Marketing verantwortlichen Geschäftsführerin. Themen dieser Interviews waren der Markt, die Zielkunden, die Vorstellungen, welche Zukunftsorientierung die Firma hat usw. Das erstellte Kommunikationskonzept, in dem der Name, die Bildmarke, die Zielkunden, das Preismodell usw. festgelegt wurde, wurde dann mit der Geschäftsführung abgestimmt. Bei der Umsetzung des Konzeptes wurde zu allererst die Beibehaltung des Namens „Nautilus“ beschlossen, eine neue Bildmarke und das CI entworfen. Das Preismodell wurde intensiv diskutiert, da es erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Kun-
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Meier
den hat. Bei der Erarbeitung eines Preismodells wurde verstärkt die Leistung der Software, die Konkurrenz und die Strategie berücksichtigt. Der Preis sollte den Wert von Nautilus widerspiegeln, dass Produkt sollte aber auch nicht zu teuer im Markt positioniert sein. Generell ist es in der Software-Branche schwer, ein Produkterlebnis zu schaffen. Viele Firmen aus der Konsumgüterindustrie stylen ihre Produktverpackungen überdimensional groß, um die fehlende Greifbarkeit der Software zu kompensieren. Nautilus sollte hier einen anderen Weg gehen. Nautilus als Investitionsgut sollte dem User beim Gebrauch der Software das erwünschte Produkterlebnis schaffen. Es sollte ein einmaliges Nautilus entwickelt werden, bei dem Design und Funktionalität eine Einheit bilden. Für das Unternehmen war es leicht, ein technisches Whitepaper zu erstellen; dieses war aber schwer zu begreifen. Die Marketingagentur schaffte es, die Software Nautilus zum Leben zu erwecken. Sie entwickelte eine Kommunikationsstrategie für die Software, fasste die Unique Selling Points in Worte und entwickelte ein Logo, das auf plakative Art und Weise die Eigenschaften von Nautilus wiedergibt. 4.1
Zielgruppen
Obgleich Nautilus branchenunabhängig einsetzbar ist, wurde die primäre Zielgruppe beschrieben durch die Größe der Unternehmen und die anfangs anzusprechenden Branchen. Gedilan hat sich dabei auf Branchen konzentriert in denen große Umbruchsituationen vorherrschten. Eine geeignete Typisierung der Zielgruppen erfolgte im Rahmen der Planung nach der Unternehmensgröße des Kunden, dem sich daraus abgeleiteten Bedarf an Softwarelizenzen und dem Umfang der in Anspruch genommenen Beratungsleistungen (Projektcoaching, Schulung, sonstige Nautilusberatungen). Der Vertrieb stand im Zuge des wachsenden Interessenkreises vor der Aufgabe, die wirklichen Entscheider herauszukristallisieren und diesen verstärkt die Möglichkeiten der Software aufzuzeigen. Erschwerend kam bei der Akquise die Tatsache hinzu, dass jeder Entscheider nicht nur im Wesen unterschiedlich ist, sondern dass Einflüsse der Unternehmensgröße und Branche ebenso zu berücksichtigen waren. Gedilan machte die Erfahrung, dass in der Regel mehrere Abteilungen, Fachentscheider und kaufmännische Entscheider von der Software überzeugt werden müssen. Die Entscheider finden sich in Positionen wie Projektleiter in Organisations- oder ITProjekten, Leiter von Fachabteilungen, IT-Leiter und der Geschäftsführung wieder. In mittelständischen Unternehmen sind die Entscheider meistens die Geschäftsführer. In Konzernen durchläuft der Entscheidungsprozess mehrere Abteilungen. Innerhalb des Konzernbereichs fällt die IT- und Organisationsabteilung Entscheidungen, ob die Software den technischen Aspekten genügt, das Controlling beurteilt finanzielle Aspekte wie z.B. die Total Cost of Ownership und letztlich entscheidet offiziell der Bereichsleiter, welche Software im Unternehmen implementiert wird. Beim Vertrieb der
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Software hatte sich schnell gezeigt, dass es sinnvoll ist, die Argumentationen je nach Entscheiderzielgruppe zu variieren. Fachabteilungen können mit dem der „intuitiven Benutzerführung und den schnellen Ergebnissen“ für Nautilus begeistert werden. IT-Abteilungen interessieren sich mehr für die neueste Technologie in Form von „vollständiger Realisierung von Nautilus in „.NET“ oder dem „BPEL Export für die Anbindung an Workflowsysteme“. Entscheider auf Managementebene sowie Projektleiter können mit den „konsistenten Modellinhalten sowie den umfangreichen Auswertungsmöglichkeiten“ für Nautilus gewonnen werden. Im Zuge des Erfolgs der Software traute sich das Unternehmen zunehmend, gezielt Presse und Meinungsbildner anzusprechen. Das Unternehmen lieferte ihnen eine interessante Story, um die Werte und Vorstellungen gemäß den definierten Zielgruppen zu transportieren. 4.2
Differenzierung und Positionierung
Bei der Differenzierung und Positionierung der Marke Nautilus ging es darum, Unterschiede herauszustellen und effektiv zu kommunizieren. Gedilan legte für diese Zwecke die wichtigsten Unterschiede der Software zu Konkurrenzprodukten fest. Bei der Auswahl der Argumente achtete Gedilan darauf, dass die Unterschiede potenziellen Käufern einen Zusatznutzen bringen, nicht von anderen Unternehmen angeboten werden, schwierig nachzuahmen und kommunizierbar sind. Ziel der Positionierung der Marke Nautilus war es, die besonderen Merkmale im Bewusstsein der Käufer möglichst langfristig zuzuordnen. Gedilan differenziert sich über das Produkt und dessen unique selling points. Die Differenzierung über die Serviceleistungen ist als untergeordnet zu betrachten, da diese vom Produkt ausgeht. In der Praxis hat es sich gezeigt, dass es ein langwieriger Prozess gemeinsam mit der Marketingagentur war, die USP’s von Nautilus herauszuarbeiten und eindeutig zu kommunizieren. 4.2.1 Differenzierung durch das Produkt Das Produkt differenziert sich durch die folgenden unique selling points: Neueste Technologie Nautilus ist eine durch Microsoft zertifizierte Software, Verwendung von Microsoft .NET als Entwicklungsplattform, Schnittstellen im XML- und BPEL-Format, Visio 2003 Integration. Einfache Bedienung Windows konforme GUI, Drag & Drop, Explorerstruktur, benutzerorientierte Ergonomie, Microsoft Visio für Prozessgrafiken.
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Schnelle Ergebnisse Automatische Generierung von Grafiken, zentrales Daten-Repository, automatische Layoutfunktionalität. Konsistente Modelle Semantik- und Methoden-Überprüfung, eindeutige Schnittstellendefinition, klares Beziehungsmodell. Ansprechende Darstellungen Grafisch ansprechende Prozessabläufe, anpassbar an das CI des Unternehmens, ergonomisches HTML-Modell.
Abbildung 2: Screenshot der Nautilus – Software
Das Vorhandensein von zwei Explorer-Bereichen dient der Modellierung. Die Ablauf- und Aufbauorganisation lässt sich mittels Drag and Drop, d.h. durch das Ziehen von Elementen mit der Maus aus dem Element-Explorer in den Ablauf-Explorer, modellieren. Der Element-Explorer beinhaltet alle im aktuellen Modell enthaltenen Elemente, gruppiert nach Elementtypen. Der Ablauf-Explorer zeigt die Ablaufstruktur des aktuellen Modells, repräsentiert durch eine ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK). Der grafisch dargestellte Geschäftsprozess heißt hier „Vertrieb“. Die im Ablauf-Explorer grün dargestellten Funktionen „Anfrage annehmen“, „Angebot erstel-
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len“, „Auftrag anlegen“ und „Vorgang archivieren“ werden im rechten Fenster in der Notation einer EPK grafisch dargestellt. 4.2.2 Differenzierung durch das Produktdesign Im Programm selbst sind die Farben und Formen verwendet worden, die auch in den Kommunikationsmitteln zu finden sind. Es wirkt frisch, modern, ehrlich und bei all dem sind die Arbeitsergebnisse strukturierter und klarer erkennbar als bei Konkurrenzprodukten. Es wurde ein Nautilus entwickelt, bei dem Design und Funktionalität eine Einheit bilden. 4.2.3 Differenzierung durch Serviceleistung Kundenorientierung war und ist bei Gedilan sehr wichtig. Angefangen vom Empfang zieht sich dies durch den Vertrieb, die Schulungen, die Entwicklung und den Support. Nautilus Schulung heißt, dass Gedilan die Mitarbeiter der Kunden darin schult, die Software fachgerecht und effizient anzuwenden. Die hohe Qualität der Anwenderschulung sorgt dafür, dass der Nautilus Kunde den erwarteten Nutzen erzielt und sich bei zukünftigem Bedarf erneut an Gedilan wendet. Das Entwicklerteam von Gedilan sorgt ständig mit Funktionsverbesserungen der Software und entsprechenden Updates für effizienteres Arbeiten des Kunden. Bei Problemen mit der Anwendung steht dem Kunden jederzeit ein dienstleistungsorientierter und gut ausgebildeter Support zur Verfügung. 4.3
Preismodell
Die Preisbildung der Software stellte ein Problem dar, da sie erstmalig vorgenommen werden musste. Das Produkt wurde neu entwickelt und musste in einen neuen Absatzweg eingeführt werden. Der deutschsprachige Raum als Zielmarkt floss ebenso wie die zu analysierenden Konkurrenzangebote und Konkurrenzpreise in die Preisentscheidung mit ein. Das Unternehmen wählte bei der strategischen Positionierung im Preis-QualitätsWettbewerb eine leistungsfähige Position aus. Nautilus Käufer sollten bei höchster Qualität nur einen mittleren Preis zahlen müssen. Das Unternehmen beschloss, langfristig betrachtet, die Qualitätsführerschaft im BPM Markt anzustreben. Exzellente Managementleistungen sorgten dafür, dass die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung sowie den ausgezeichneten Service nicht das Preismodell aushebelten. 4.4
Kommunikation
Das Kommunikationskonzept folgte der Zielstellung, die Marke Nautilus im Bewusstsein der Kunden fest zu verankern. Der Kunde soll das Gefühl haben, eine verlässliche Software zu kaufen, die stets auf dem aktuellen Stand der Technik ist und die sich individuell an seine Bedürfnisse anpassen lässt. Daher wurde im Marketingkonzept auf Kommunikationsmaßnahmen in Form der direkten Kundenansprache,
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Kundenbindung und auch der Ansprache über Messen, Kongresse und qualifizierte Beiträge in Fachzeitschriften besonderer Wert gelegt. Die wichtigsten und preiswertesten Kommunikationsmittel waren für Gedilan das Direkt-Marketing und das Internet. Ziel der Kommunikationsstrategie war es, den Vertrieb zu flankieren und die Marke „Nautilus“ weiter auszubauen. Die Durchführung des strukturierten Marketings stellte aus Sicht von Gedilan eine wesentliche Voraussetzung dar, um im Markt das Bild eines verlässlichen und etablierten Partners rund um die Prozessmodellierung und – steuerung zu festigen. Heute genießt die Marke „Nautilus“ einen hohen Bekanntheitsgrad und ist in ihrer Wort- und Bildmarke in Fach- und Entscheiderkreisen bekannt und etabliert. Im Marketingplan wurde genau festgelegt, wann welche der folgenden Instrumente in welchem Zusammenspiel zum Einsatz kommen: 4.4.1 Basisausstattung Als Basisausstattung zur Produktpräsentation wurden erstellt: Briefpapier, Kurzbrief, Postkarte, Logo-Motive, Faxvorlage, E-Mail-Vorlage, Visitenkarten, DokumentenMappe, PowerPoint-Präsentation und Produkt-Broschüren. 4.4.2 Produkt, Präsentation und Verpackung Gedilan entwickelte eine Demo-CD für Interessierte. Diese Demo-CD wird meist in Verbindung mit einer Werbemappe und Werbebroschüre als Reaktion auf Internetanfragen versandt. Sie enthält einen ablaufenden Film, in dem der Kunde durch die Software geführt wird. Diese CD wurde von professionellen Sprechern vertont. 4.4.3 Partnertreffen Im Jahr 2005 fand erstmals das Nautilus-Partner-Treffen statt. Hierzu wurden alle Beratungspartner sowie ausgewählte Technologie-Partner zu einem zweitägigen Forum eingeladen. Aktuelle Produktneuheiten wurden präsentiert und regten zu einem intensiven Gedankenaustausch an. 4.4.4 Branchenproduktblätter Durch die Erstellung von branchenspezifischen Präsentationen sollten insbesondere Partner, aber auch der Direktvertrieb, regelmäßig mit aktuellen Unterlagen versorgt werden. Dadurch fiel die gezielte Ansprache von Entscheidungsträgern z.B. durch Mailings oder auch Telefon-Akquise leichter. 4.4.5 Pressearbeit Bei Einführung der Software fehlten Gedilan noch die nötigen finanziellen Mittel für eine gezielte Pressearbeit. Seit jüngster Zeit kümmert sich ein externer Fachmann um die gezielte Platzierung von hochwertigen Artikeln. Schwerpunkt bildet hierbei vor allem die Platzierung von Artikeln in Fachzeitschriften, Interviews mit wichtigen Entscheidern von Kunden sowie eine professionelle Begleitung der Messeauftritte von Gedilan.
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4.4.6 Online- und Print-Konzeption Dieser Bereich war für das Wachstum der Firma von größter Bedeutung. Die externe Marketingagentur gestaltete und entwickelte seit 2003 den Bereich Online- und PrintKonzeption und prägte mit ihren Repräsentationsmaterialien erfolgreich das Erscheinungsbild der Marke „Nautilus“. Die Leistungen der Marketing-Agentur begannen mit der professionellen Gestaltung der Homepage sowie des generellen Corporate-Designs. Die regelmäßige Pflege der Online-Inhalte, das Suchmaschinenmarketing sowie die Erstellung und der Versand eines regelmäßigen Newsletters halfen bei der Kundenansprache. Aufgrund der guten Präsentation im Internet erfolgten über diesen Weg zahlreiche Kunden-Erstkontakte. Der Internet-Auftritt enthält neben Produkt-Informationen und Hinweisen auf aktuelle Veranstaltungen auch Informationen zu Partnern, Beispielmodellen sowie Referenzen. 4.4.7 Kunden- und Partnernewsletter In regelmäßigen Abständen werden die Kunden und Partner mit Newslettern in elektronischer Form versorgt. In diesen wird von Kunden und Forschungsprojekten berichtet, gerne auch von den Partnerfirmen, die Projekte mit Nautilus durchgeführt haben. 4.4.8 Werbematerial Präsentationsmappen, Broschüren. Auf Give-Aways wie z.B. Kugelschreibern, Briefklammern, Papiertüten, Weihnachtskarten etc. wurde bisher bewusst verzichtet. 4.4.9 Messeauftritte Nautilus wurde erstmals im Herbst 2003 auf einer Roadshow präsentiert. Aus Kostengründen ist Gedilan in den Folgejahren nur auf wenige ausgewählte Messen gefahren. Mit steigendem Umsatz baut Gedilan seine Messe-Präsenz beständig aus. Inzwischen ist Gedilan regelmäßig auf allen entscheidenden IT-Messen wie z.B. CeBIT, Systems, IT-Profits vertreten. Neben diesen übergreifenden IT-Messen ist Gedilan auch regelmäßig auf Fachtagungen zum Thema Geschäftsprozessoptimierung und auf Branchenmessen, wie z.B. Medica, Moderner Staat, KomCom. Seit Anfang 2005 werden auch bereits Veranstaltungen in Österreich und der Schweiz besucht. Wenn es die Veranstaltung erlaubt, ist Gedilan auf all diesen Veranstaltungen jeweils mit einem Stand und einem Vortrag vertreten. 4.4.10 Freilizenzen Ein zusätzliches zukunftsorientiertes Instrument zur Steigerung des Bekanntheitsgrades lag in der Vergabe von Freilizenzen. Gedilan vergibt an Hochschulen, Studenten sowie studentische Unternehmensberatungen Freilizenzen. Somit wird eine hohe Bekanntheit vor allem bei Absolventen erreicht, die nach ihrem Studium eine Anstellung in Unternehmensberatungen oder bei Endkunden finden.
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4.4.11 Sonstige Marketing-Aktivitäten Sonstige Marketing-Aktivitäten sind z.B. Verbandsarbeit, Anzeigenschaltung- soweit diese PR unterstützend sind. Bei der Umsetzung der gesamten Marketingstrategie wurde großen Wert auf das „Wie“ der Umsetzung gelegt. Aufgaben, die Gedilan sich noch nicht zutraute, wurden mit Unterstützung der Agentur bearbeitet. Die Strategie diente auch als Orientierungsfaden für die tägliche Arbeit und half, dass Premium Denken bei den Mitarbeitern einzuprägen. Es galt dabei immer das Motto: „Wir führen im Marketing Aktivitäten nur professionell durch. Wenn wir es professionell noch nicht können, dann unterlassen wir es“.
5
Erfahrungen aus dem Software-Vertrieb
Da 2001 nicht genügend Vertriebler bei Gedilan arbeiteten und gerade der Vertrieb bei dem gewählten Geschäftsmodell einen maßgeblichen Anteil an der Expansion trägt, waren für die Zukunft weitere Vertriebsmitarbeiter notwendig. Es folgten aber auch Überlegungen, den Vertrieb über das zukünftige Partnernetz, Technologiepartner (OEM-Versionen), externe Vertriebsprofis, Call-Center oder sogar Großhändler abzuwickeln. Zu jeder dieser Überlegungen gab es Versuche. Zur Zeit findet der größte Teil über den eigenen Direktvertrieb statt. Die Bedeutung des Vertriebs ist gerade im undurchsichtigen Software-Markt höher als in vielen anderen Branchen. Für den Kunden ist es meist sehr schwer, sich einen möglichst sachlich neutralen Überblick zu verschaffen. Neben teuren Standardprogrammen gibt es oft viele kleine gute und preiswerte Alternativen am Markt. Gerade diese kleinen Firmen müssen sich mit guten Marketing- und Vertriebstrategien gegen die „Standards“ bei Kunden durchsetzen. Somit ist die operative Umsetzung der Vertriebsstrategie sehr entscheidend für den Unternehmenserfolg. Der Verkauf von Nautilus stellte die Vertriebsmitarbeiter vor viele Herausforderungen. Die Erfahrungen zwangen die Mitarbeiter zu ständiger Weiterentwicklung der Vertriebsstrategie. Die größten Verkäufe generiert Gedilan im Internet. Gerade das Suchmaschinenmarketing löst den größten Anteil der Internetanfragen aus. Sinkende Bedeutung als Ursprung für Verkäufe sind hier noch GPM-Konferenzen, Empfehlungen, Kaltakquisition, persönliche Kontakte, Messen, Studien und Pressearbeit beizumessen. Der Entscheidungsprozess im Softwareverkauf ist in der Regel von längerer Natur. Die Akquisitionszeit von Nautilus beträgt im Durchschnitt 52 Tage von der Anfrage bis zum Kauf. Dieser ermittelte Wert ist im Softwaregeschäft als „sehr gut“ zu bewerten. Es gibt natürlich auch statistische Ausreißer; Kunden, die innerhalb von 2 Stunden kaufen oder für ihre Entscheidung 2 Jahre brauchen. Eine mögliche Begründung für die kurze Verkaufszeit von Nautilus könnte der Umstand sein, dass Nautilus eine unkritische Software darstellt. Unkritisch bedeutet, dass
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ein Ausfall des Programms nicht das Tagesgeschäft eines Unternehmens gefährden würde. Das Preismodell scheint für ernsthafte Interessenten keine wirkliche Hürde darzustellen, das Preis-Leistungs-Verhältnis wird von den Kunden als angemessen angesehen. Anfangs wurden von Gedilan lediglich Broschüren und Demo-CD´s zum Kunden geschickt und nicht nachtelefoniert, wenn es sich um eine Internetanfrage handelte. Nach kurzer Zeit wurde klar, dass das nicht ausreicht. Bis ein Kauf erzielt wird, muss ein Vertriebler mindestens 10 Telefonate geführt und eine Präsentation der Software gehalten haben. Es sind zahlreiche Kontaktaufnahmen und regelmäßiges Telefonieren notwendig, bis ein Erfolg erzielt wird. Es reicht leider nicht aus, den potentiellen Käufer mit Infomaterial auszustatten und davon auszugehen, dass der Interessent sich von selbst meldet, weil das Produkt gut ist. Die Gefahr besteht, dass ein sicher geglaubter Käufer im letzten Augenblick abspringt und das Konkurrenzprodukt erwirbt, da die Konkurrenz telefonischen Kontakt mit den Interessenten aufgenommen hat und so eine Beziehung aufbauen konnte. Potenzielle Kunden die ihr Interesse an Nautilus bekunden, haben meistens ein bald anstehendes Projekt als Anlass zur Anfrage. Nautilus wird nicht für zukünftige Projekte gekauft. Erst wenn in Unternehmen ein konkretes Veränderungsprojekt geplant ist, wird die benötigte Software eingekauft. Sehr oft werden dadurch aus Anfragen sogenannte „Schieber“, das Projekt wird vertagt, also auch der Softwarekauf, teilweise über Jahre immer wieder neu jeweils um ein halbes Jahr. In der Softwarebranche ist es von enormem Vorteil, wenn ein Vertriebler gute Kenntnisse von der zu vertreibenden Software hat. Ein erfolgreicher Vertriebler wird von technischen Entscheidern eher wahrgenommen und akzeptiert, wenn er über ausreichend technisches Know-how bezüglich seines Produkts und der Branche verfügt. Die erfolgreichsten Nautilus-Vertriebler haben Projekterfahrung in Organisationsund IT-Einführungsprojekten, Vertriebserfahrung oder teilweise auch eine professionelle Vertriebsausbildung. Beim Kunden vor Ort ist es in vielen Situationen hilfreich, wenn der Vertriebsmitarbeiter seine Projektkenntnisse in die Projekte beim Kunden gezielt einbringen kann. Auf diese Art und Weise wird dem Kunden in einer Praxissituation sofort der Nutzengewinn der Software verdeutlicht. Hat der Vertriebsmitarbeiter Erfahrung in ähnlichen Projekten bzw. Situationen gesammelt, so kann er sehr viel glaubwürdiger argumentieren, als wenn er noch nie in Projekten mitgewirkt hat. Es ist sehr schwer, geeignete Vertriebler für Software zu finden. Viele Vertriebsmitarbeiter können sich aus der Natur der Sache heraus selbst am besten verkaufen. Für eine unerfahrene Firma ist es im vornherein sehr schwer zu bewerten, wie gut ein neuer Mitarbeiter wirklich ist. Unterschätzt wurde am Anfang auch die benötigte Disziplin für den Vertrieb. Es ist ein harter Job und erfordert viel Selbstkontrolle. Oft ist es notwendig, sich zu zwingen seine Telefonliste abzuarbeiten und hartnäckig zubleiben. Auf gar keinen Fall darf die Konkurrenz unterschätzt werden. Wenn der Ver-
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triebsmitarbeiter selbst nicht telefoniert, so kann er sich sicher sein, dass es die Konkurrenz tut. In Großkonzernen gehen bei der Auswahl der Software auch „politische“ Gründe in die Entscheidung ein. Sobald Gedilan merkt, dass in einem großen Unternehmen irrationale Tendenzen den Entscheidungsprozess in die Länge ziehen, zieht Gedilan sich vom potenziellen Kunden zurück, da diese Prozesse sehr viel Kraft und Zeit erfordern, um trotzdem eine Software zu platzieren. In großen Unternehmen müssen viele Entscheider überzeugt werden. In der Regel ist nicht nur der IT-Leiter involviert sondern auch der IT-Einkauf, der Projektleiter, die Projektmitarbeiter und somit späteren Anwender der Software, bei kleineren Mittelständlern der Geschäftsführer und in Großkonzernen gelegentlich sogar der Betriebsrat. Wenn es nicht gelingt, bei der Präsentation alle Entscheider zusammenzubringen, zieht sich der Entscheidungsprozess erheblich in die Länge und die Wahrscheinlichkeit des Verkaufs sinkt ebenfalls erheblich. Eine weitere Schwierigkeit im Vertrieb ist der gezielte Einsatz der eigenen Vertriebsressourcen. Von Anfang an sollte man versuchen herauszufinden, ob bei einem neuen Interessenten wirklich ein Bedarf besteht oder ob der Anfragende nur „interessiert“ ist. Anfragen lösen viel Arbeit im Unternehmen aus, auch wenn kein konkreter Bedarf beziehungsweise kein Budget beim Kunden vorhanden ist. Wichtig für erfolgreichen Vertrieb ist auch, dass möglichst schnell herausgefunden wird, wer der eigentliche Entscheider mit dem Budget im Unternehmen ist. Ansprechpartner die einem gegenüber anfangs sofort explizit betonen, dass Sie der Entscheider sind, überschätzen ihre eigentliche Position oft und sind nur so genannte Entscheidungsvorbereiter. Die formale Unterschrift trifft dann in der Regel ein übergeordneter Mitarbeiter. Im Vertriebsprozess ist es nicht zu unterschätzen, wenn zwischen Kunden und Vertriebler die Chemie nicht stimmt. Ist dies der Fall, so müssen umgehend die Vertriebler ausgetauscht werden. Aus Erfahrungen im Nautilusvertrieb wurden durch den Wechsel der Vertriebsperson oftmals Vertriebserfolge beträchtlich beschleunigt oder überhaupt erst ermöglicht. Wobei ein Austausch der Vertriebsperson nur ratsam ist, wenn der Vertriebsprozess nicht optimal läuft. Stimmt die Chemie und der Verkauf verläuft bisher optimal, dann sollte ein Wechsel der handelnden Personen unbedingt vermieden werden, weil es immer eine Abbruchgefahr des Vorgangs mit sich bringt. Gedilan hatte in den ersten zwei Jahren nach Gründung mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass die Firma als „nicht sicher“ galt. Besonders erschwerend kam hinzu, dass die New Economy gerade zusammengebrochen war. Die Kunden hatten miterlebt, dass auch bekannte Softwarefirmen sehr schnell vom Markt verschwunden waren, so dass sehr oft Diskussionen von den Kunden angefangen wurden, wie lange es uns denn noch geben würde, wie der Support sichergestellt wird, wenn es Schwierigkeiten geben würde usw. Als Gegenmaßnahme begannen die Vertriebsmitarbeiter der Gedilan gezielt auf die Microsoft Partnerschaft hinzuweisen. Für die Kunden brachte
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dies die nötigte Sicherheit, um zu kaufen. Heute ist das kein Thema mehr und der Hinweis auf Microsoft nicht mehr notwendig. Inzwischen sind vielfältige Erfahrungen über die verschiedenen Märkte vorhanden, in denen Nautilus verkauft wird. Jeder dieser Märkte hat ein anderes Tempo zu entscheiden, es gibt teilweise andere Entscheidungsstrukturen und Spielregeln. Einige Märkte (Branchen, Regionen) sind geschlossene Märkte, ein neuer Player kommt nur in diese Märkte, wenn er einen der anderen dort für sich begeistern kann. Bezüglich Geschäftsprozessoptimierung haben die Branchen unterschiedliche Reifegrade. So ist Prozessoptimierung in der Automobilbranche eine Selbstverständlichkeit und gehört zum Tagesgeschäft, dort sind also aus Nautilussicht nur Toolablösungen möglich, wohingegen in der Behördenwelt Prozessoptimierung erst ganz am Anfang steht und nur in wenigen innovativen Kommunen tatsächlich bereits praktiziert wird. 5.1
Indirekter Vertrieb über Beratungspartner
Insgesamt kann Gedilan auf über 50 Partnerunternehmen aus dem Bereich der Beratung zurückgreifen. Das Beratungspartnernetz wurde in den Jahren 2004 und 2005 verstärkt aufgebaut. Ziel war es, möglichst viele Projekte in allen Branchen zu allen relevanten Themen begleiten zu können. Die Beratungspartner verfügen über mehr als 100 von Gedilan ausgebildete Nautilus-Berater, so dass an Gedilan gerichtete Projekt-Anfragen schnell und zur Zufriedenheit der Kunden realisiert werden können. Die Beratungsfirmen haben entweder Themen- oder Branchenschwerpunkte, nach denen sie ausgewählt wurden. So gibt es zum Beispiel Themen wie QM, ITIL, Balanced Scorecard, Prozesskostenrechnung, Facility-Management und Branchen wie Gesundheit, Logistik, Öffentliche Hand, Maschinenbau, Automotive, Banken, Energieversorger etc. Die Beratungspartner wurden auch nach ihrer Größe und ihrem Auftreten ausgewählt. Heute ist es ein bunter Strauß von Beratungspartnern in den verschiedensten Größen, so dass im Regelfall immer der passende Partner für jeden Kunden gefunden wird. Es wird nicht mehr aktiv nach neuen Beratungspartnern gesucht, da das bestehende Netz ausreichend zur Projektabwicklung ist. Durch Mundpropaganda und das Marketing von Gedilan werden dennoch regelmäßig neue Unternehmensberatungen auf Nautilus aufmerksam, so dass das Beratungspartnernetz auch zukünftig weiter wächst. Das Beratungspartnernetz führt keinen aktiven Vertrieb durch. Dennoch leistet es einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Indem die Projektarbeit mit Nautilus durchgeführt wird, begeistern die Beratungspartner ihre Kunden, die sich anschließend Nautilus kaufen. 5.2
Erfolgsfaktoren für den Vertrieb
Ein gutes Produkt erleichtert den Vertrieb immens, es ermöglicht insbesondere, dass der Vertriebsmitarbeiter sich absolut mit dem Werkzeug identifizieren kann und im Vertrieb mit leuchtenden Augen vom Produkt schwärmen kann, sich aber auch absolut darauf verlassen kann, dass die Kunden nach dem Kauf hochzufrieden sind. Damit
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wird der Vertriebsmitarbeiter in seinem Auftreten sehr selbstbewusst und glaubwürdig. Es ist zwar auch möglich, dass ein guter Vertriebsmitarbeiter eine schlechte oder veraltete Software verkauft, aber es wird ihm anzumerken sein, dass er nicht richtig von der Software überzeugt ist. Außerdem macht es Spaß, eine Software zu verkaufen, von der der Verkäufer weiß, dass es momentan eines der besten Produkte am Markt ist und keine rationalen Gründe dem Verkauf entgegenstehen. Eine wichtige Voraussetzung ist die Basisausstattung für den Vertrieb bzw. das Handwerkzeug. Ein funktionierender Vertrieb benötigt zum Beispiel einen Raum, in dem ungestört telefoniert werden kann und auch Stundengespräche in Ruhe absolviert werden können. Vielen Vertriebsmitarbeitern hilft es auch, wenn sie bei wichtigen Kundentelefonaten laufen können, um sich zu konzentrieren. Weiterhin wird eine gute Telefonanlage benötigt, ein sehr gutes CRM-System, das bewusst ausgewählt und mit Kundenschlüsselungen versehen werden muss. Hier rechnet sich ein hohes Anfangsinvestment insbesondere in die möglichen Auswertungen und die Übersichtlichkeit der Bedienung in kürzester Zeit. Die Datenqualität jedes einzelnen Vertriebsvorgangs muss oberste Priorität bei allen Mitarbeitern haben, da der Inhalt des CRMSystems die Zukunft des Unternehmens darstellt. Ansonsten benötigt ein guter Vertriebsmitarbeiter natürlich Visitenkarten, für Kundenbesuche angemessene Kleidung, ein adäquates Auto, um potenzielle Kunden mitnehmen zu können etc. Nicht zu vernachlässigen ist, dass ein erfolgreicher Vertrieb absolut abhängig von der exzellenten Zuarbeit der Marketingabteilung ist. Ohne Zuarbeiten des Marketings würden nicht genügend Leads entstehen, die Vertriebsmitarbeiter müssten noch sehr viel mehr kommunizieren und Überzeugungsarbeit leisten, die von einem professionellen Marketing bereits beantwortet werden kann. Umgekehrt ist das Marketing auf Anregungen des Vertriebs aus dem Markt angewiesen. Deswegen ist eine enge Verzahnung beider Teams sehr wichtig. Neue Vertriebler begehen anfangs oft den Fehler, zu viele bzw. alle Leads weiterzuverfolgen. So dass auch nicht nur qualifizierte Leads mit konkretem Bedarf bearbeitet werden, sondern auch Schieber mit der gleichen Intensität wie aktueller Bedarf und auch der, der nur interessiert ist, bekommt genau so viel Aufmerksamkeit, wie ein Kunde, der bereits unterschriftsreif ist. Dadurch entstehen so genannte Leadberge, die irgendwann nicht mehr zu bewältigen sind und in Wahrheit auch gar nicht alle Leads enthalten. Diese Berge lähmen und lenken einen von den wichtigen Dingen, die heute zu tun, wären ab. Es ist in der Regel ein Lernprozess bei jedem einzelnen Vertriebler, dass es erstens sinnvoll ist, ganz früh im Vertriebsprozess den konkreten Bedarf von den Interessierten zu trennen und dass bewusstes Loslassen bestimmter Leads Kräfte freisetzt für die konkret anstehenden Verkäufe. Ein erfolgreicher Vertriebler weiß, dass es Stimmungslagen gibt, in denen er einfach nicht zum Hörer greifen darf, um Kunden anzurufen. In diesen Situationen ist es ratsam, die schon immer vor sich hergeschobenen Aufräum- und Erfassungsaufgaben zu bewältigen und auf den Stimmungswechsel zu warten, der es einem ermöglicht, wieder gut und erfolgreich zu telefonieren. Bei den meisten Vertriebsmitarbeitern findet
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sich sowieso eine Tendenz zum „himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt sein“, so dass ein einzelner Kundenanruf, von einem zufriedenen Bestandskunden oder eine frische Internetanfrage sofort wieder Hochstimmung auslöst und die nächsten 10 Kundentelefonate wunderbar werden, weil sie Spaß machen. Solche Hochstimmungen müssen unbedingt ausgenutzt werden. Diese Zeiten dürfen nicht für Aufräumarbeiten, interne Abstimmungsgespäche, Reisekostenabrechnungen etc. genutzt werden. Ein Fehler, den viele neue Vertriebsmitarbeiter machen, ist es, sich zu viele Telefonate vorzunehmen. Je nach Intensität der Telefonate kann es durchaus sein, dass ein Vertriebsmitarbeiter manche Tage schon nach drei Telefonaten völlig kraftlos ist. Stehen an so einem Tag aber noch weitere 27 Telefonate auf der Aktivitätenliste, bildet sich sofort ein Gefühl der Unzufriedenheit und am nächsten Tag stehen 57 utopische Telefonate auf dem Plan. Bleibt der Erfolg beim Vertrieb aus, so ist es sehr wichtig, absolut ruhig und gelassen zu bleiben. Kunden spüren es, wenn ein Vertriebsmitarbeiter unter existenziellem Druck steht und kaufen erst recht nicht bei ihm ein. Ruhe, Geduld und der Glaube an das Glück, dass in einer Minute das Telefon klingelt und ein Kunde kaufen will, den man längst abgeschrieben hat, gehört neben Disziplin und einer Jetzt-erst-rechtEinstellung zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren eines guten Vertriebs. Diese Ruhe und Gelassenheit stellt sich aber bei den meisten Vertriebsmitarbeitern mit der wachsenden Erfahrung von selbst ein. Wichtig ist es für einen guten Vertriebsleiter oder guten Geschäftsführer, nicht unnötigen Druck bei jungen Mitarbeitern aufzubauen, der diese dann unter schädlichen Druck bringt.
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Fazit
Im Nachhinein betrachtet sind alle Herausforderungen erstaunlich gut gemeistert worden. Das Produkt ist fertig und löst bei den Kunden Begeisterung aus. Die Kommunikationsstrategie scheint gut gewesen zu sein, sonst wäre der Bekanntheitsgrad der Marke heute nicht so groß. Der Vertrieb ist erfolgreich. Die Finanzierung ist gesichert. Und der Umbau von der Beratungsgesellschaft zur Softwarefirma war im April 2005 vollzogen. Gedilan gehört heute zu den 50 schnellstwachsenden Technologiefirmen in Deutschland und Nautilus hat sich einen Namen im Geschäftsprozessmanagement geschaffen. Dieser Erfolgsweg war jedoch keineswegs immer geradlinig. In regelmäßigen Abständen musste die Strategie angepasst, das Preismodell geändert, die geplanten Funktionen der Software über den Haufen geworfen und viele Krisen gemeistert werden. Es gab Versuche mit externen Vertriebsmitarbeitern, die als gescheitert betrachtet werden dürfen. Es wurden Fehler beim Einführen des CRM-Systems gemacht. Die Vertriebsaufwände wurden unterschätzt und insbesondere im Vertrieb war das Coaching durch einen Business Angel absolut notwendig.
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Gelungen ist die Markteinführung von Nautilus durch eine Mischung von Faktoren; herauszuheben wäre vielleicht, dass die Gesellschafter sehr offen für Rat von außen waren und oft aktiv professionelle Hilfe eingeholt haben, da das Bewusstsein vorhanden war, das Neuland betreten wurde und eine große Bereitschaft zum Lernen und Neugier auf etwas Neues vorhanden war. Wichtig war aber vor allem der Zusammenhalt und die Motivation der Kernmannschaft, die gemeinsame Vision mit Nautilus zu erreichen. Ohne diese hartnäckige Jetzt-erst-recht-Einstellung der Kernmannschaft wäre der Erfolg in der heutigen Form sicher nicht erreicht worden.
VII Digitales Fernsehen – Eine Analyse der Auswirkungen des technologischen Wandels auf die klassische Fernsehwerbung Sonja Werthmann
1
Einleitung
Betrachtet man die weltweiten Entwicklungstrends in den verschiedenen Bereichen Telekommunikation, Informationstechnologie und Medien, so fällt auf, dass sich diese Branchen seit einiger Zeit in einem tiefgreifenden Wandel befinden und die Grenzen zwischen den einzelnen Sektoren langsam aufzuweichen bzw. zu verwischen scheinen. (Medien-)Unternehmen schließen sich zusammen, Wertschöpfungsketten aus den genannten Branchen verbinden sich, Märkte nähern sich gegenseitig an, verschmelzen teilweise miteinander und bilden eigenständige neue Märkte mit innovativen Produkten und Angeboten.1 Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wodurch diese Entwicklungen bedingt und angetrieben werden, d.h. was der Auslöser für die so genannte Medienkonvergenz ist. Es ist unter anderem die vielfach thematisierte Digitalisierung. Mit ihr wird der Prozess der Umwandlung beliebiger analoger Signale in digitale Form bezeichnet.2 Sie gilt „als technologische Basis für die Annäherung der Medien-, Telekommunikations- und IT-Industrie – der Konvergenz.“3 Dabei hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten gezeigt, dass das Phänomen der Digitalisierung nicht alle Industrien zur gleichen Zeit, in der selben Form und im gleichen Ausmaß trifft, da die jeweiligen Marktbedürfnisse und die Technologieverfügbarkeit unterschiedlich sind bzw. waren.4 Auch die Bedeutung und die Auswirkungen der Digitalisierung sind nicht für alle betroffenen Branchen dieselben. Einige Industrien erleben durch die Digitalisierung beträchtliche Wachstumsschübe und können davon erheblich profitieren. Für andere Branchen, wie beispielsweise die Musikindustrie, stellte die Digitalisierung zumindest anfänglich eine Bedrohung für die bestehenden Geschäftsmodelle dar, was die gesamte Industrie in eine Krise stürzte. Vor diesem Hintergrund bleibt es abzuwarten, wie die Marktteilnehmer der deutschen Fernsehindustrie auf die Digitalisierung mit ihren neuen technischen Möglichkeiten und den Auswirkungen auf die bestehenden Geschäftsmodelle, wie die Fernsehwerbung als Programmfinanzierungsform, zukünftig reagieren werden. Denn eins steht bereits seit einigen Jahren fest: Die Digitalisierung macht vor der Fernsehindustrie nicht halt, sondern ist ganz im Gegenteil, z.B. in Form von digitalen Aufnahme-, 1 2 3 4
Vgl. Friedrichsen/ Friedrichsen (2004), S. 7; Hamm/ Hart (2001), S. 17. Vgl. Siemens Communications Lexicon (2006). Friedrichsen (2004), S. 89; vgl. Hamm, Hart (2001), S. 17. Vgl. Ziemer (1994), S. V.
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Werthmann
Bearbeitungs- und nun auch Übertragungsverfahren schon seit längerem präsent und bringt möglicherweise große Chancen, aber auch Risiken für die einzelnen Fernsehmarktteilnehmer.5 Das „digitale Fernsehen“, das in der Vergangenheit mehr oder weniger regelmäßig in der Öffentlichkeit und in der Fachpresse thematisiert wurde, aber aus verschiedenen Gründen bis heute noch nicht wirklich im Bewusstsein der Menschen und vor allem nicht in den circa 36 Mio. deutschen Fernsehhaushalten präsent ist, soll im Zusammenhang mit seiner Bedeutung für den deutschen Fernsehmarkt und speziell für die klassische Fernsehwerbung der thematische Schwerpunkt der nachfolgenden Untersuchung sein.
2
Untersuchungsgegenstand „Digitales Fernsehen“
2.1
Begriff des digitalen Fernsehens
„Der Begriff „Digitales Fernsehen“ bezeichnet die digitale Übertragung von TVSignalen [...]“6 mithilfe des einheitlichen digitalen Fernsehübertragungsstandards Digital Video Broadcasting (DVB).7 Dabei werden die Fernsehsignale nicht wie beim herkömmlichen analogen Fernsehen in Form von elektromagnetischen Wellen übertragen, sondern digital in Form von Bits. Das bedeutet, die TV-Signale liegen nach der Umwandlung, der so genannten „Digitalisierung“ in einer geordneten Folge von binären Zahlen, also zweiwertigen Zeichen (0 und 1) für die Übertragung vor und werden so übermittelt.8 Bei der Digitalisierung des Fernsehens handelt es sich demnach „um eine technische Veränderung der Übertragung von Fernsehsignalen […]“9 gegenüber dem herkömmlichen analogen Fernsehen. Das heißt, das digitale und das analoge Fernsehen unterscheiden sich in erster Linie durch die technisch unterschiedliche Art und Weise der Übertragung (digital versus analog) bei Nutzung derselben Übertragungswege (Kabel, Satellit, Terrestrik), wobei für die digitale Übertragung noch weitere Übertragungswege zur Verfügung stehen bzw. zukünftig existieren werden. 2.2
Digitale Fernsehübertragung
Aufgrund der äußerst hohen Datenrate digitalisierter Fernsehsignale wird für ihre Übertragung eine sehr große Übertragungsbandbreite benötigt, die die analogen Ü-
5 6 7
8 9
Vgl. Ziemer (1994), S. 1. Friedrichsen (2004), S. 89. Im internationalen Sprachgebrauch werden hierfür auch die Begriffe „Digital Television Broadcasting“ (DTVB) oder „Digital Television“ (DTV) verwendet. Vgl. Zervos (2003), S. 143. Volpers/ Herkströter/ Schnier (1998), S. 33.
Digitales Fernsehen – Eine Analyse der Auswirkungen des technologischen Wandels
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bertragungswege nicht bieten können.10 Um eine Übertragung der digitalen Signale dennoch zu ermöglichen, muss der Bandbreitenbedarf der Signale reduziert bzw. die Übertragungsbandbreite der Übertragungswege erhöht werden. Dies wird im Rahmen des digitalen Fernsehens mit Hilfe geeigneter Kompressionsverfahren wie z.B. Moving Pictures Experts Group (MPEG) realisiert.11 Hierbei werden Informationen aus einem Datenpaket, die sich zwischen einem und dem nächsten Bild nicht verändern oder die für die menschlichen Sinnesorgane ohnehin nicht wahrnehmbar sind, extrahiert und gar nicht erst übertragen.12 Durch diese Datenreduktion kann die Frequenzökonomie der Übertragungswege optimiert und so der Bandbreitenbedarf für die digitale Übertragung deutlich vermindert werden.13 Daraus folgt, dass alle Übertragungswege effizienter betrieben und insgesamt die Kosten der Fernsehübertragung gesenkt werden können.14 Weitere Vorteile, die sich aus der digitalen Fernsehübertragung und damit zusammenhängend aus der Datenreduktion ergeben, werden in Abschnitt 2.3 näher erläutert. Informationsquellen
TV/ Video
Signalbearbeitung
Übertragung
Empfang
Daten
Terrestrische Sender
Breitbandverteilnetz
Satellit
Telefon
Antenne
Kabelanschluss
Satellitenempfang
Telefonanschluss
Digital/ Analog-Wandlung, Entschlüsselung, Decodierung
TV-Gerät
PC-TV o. TV-PC
(Multimedia) PC
Abbildung 1: Digitales Fernsehen - Schematische Darstellung Quelle: Darstellung in Anlehnung an Schrape (1995), S. 10.
10 11 12 13 14
Kommunikation
Analog/ Digital-Wandlung, Datenreduktion/ kompression, Verschlüsselung, Transport-Datenstrom
Signalaufbereitung
Endgeräte/ Nutzung
Audio
Vgl. Schrape (1995), S. 7. Vgl. Schenk/ Döbler/ Stark (2002), S. 27. Vgl. Schrape (1995), S. 12. Vgl. Schenk/ Döbler/ Stark (2002), S. 27. Vgl. Garling (1997), S. 53.
Telefon
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In Abbildung 1 wird schematisch dargestellt, wie das digitale Fernsehen bzw. die digitale Fernsehübertragung technisch funktioniert. Zu Beginn werden die Ausgangssignale im Rahmen des Signalbearbeitungsprozesses digitalisiert, reduziert und komprimiert sowie gegebenenfalls noch verschlüsselt. Im Anschluss daran werden die Signale und Datenströme durch so genannte Multiplex-Verfahren zu TransportDatenströmen zusammengefasst, über die verschiedenen Übertragungswege übermittelt und von entsprechenden Geräten empfangen. Danach wird der Signalbearbeitungsprozess bis auf die Datenreduktion wieder umgekehrt durchgeführt und die Daten für die Darstellung auf den jeweiligen Empfangsgeräten aufbereitet.15 Durch die digitale Übertragung der Fernsehsignale werden die bisherigen Fernsehempfangsgeräte, die nur für den Empfang analoger Signale vorgesehen sind, für den Fernsehempfang unbrauchbar16 bzw. es werden zur weiteren Nutzung Zusatzgeräte, so genannte (Digital-)Decoder, nötig, die die digitalen Signale wieder in Analoge umwandeln. Decoder sind Geräte, die die digitalen Daten für den Fernseher oder andere Ausgabegeräte darstellbar machen und entweder als Beistellgerät (Set-Top-Box (STB)) existieren oder bereits im Endgerät eingebaut sind.17 Grundsätzlich kann das digitale Fernsehen mit Hilfe eines geeigneten DigitalDecoders auf vielen verschiedenen Endgeräten empfangen werden. Dabei muss es sich nicht immer zwangsläufig um einen Fernseher im Wohnbereich des Nutzers handeln. Zukünftig wird der Empfang von Fernsehprogrammen mittels z.B. der digitalen terrestrischen Fernsehübertragung (Digital Video Broadcasting Terrestrial DVB-T) auch mobil bzw. portabel z.B. auf Pocket-PCs, Notebooks oder Handys möglich sein. Des Weiteren kann auch, mit entsprechender Einsteckkarte, digitales Fernsehen auf dem Computer empfangen werden.18 2.3
Vorzüge der digitalen Fernsehtechnik
Das durch die Datenreduktion und -kompression geschaffene neue bzw. zusätzliche Potential an Übertragungskapazitäten stellt den wesentlichen Vorteil der digitalen Fernsehtechnik gegenüber der analogen Technik dar und es existieren hierfür verschiedene Verwendungsmöglichkeiten:19 1.
Übertragung einer höheren Bildqualität wie z.B. HDTV (High Definition Television)
2.
Übertragung einer besseren Tonqualität wie z.B. Dolby Digital
15 16 17 18 19
Vgl. Schrape (1995), S. 8 f. Vgl. Friedrichsen (2004), S. 7. Vgl. Zervos (2003), S. 51. Vgl. Ziemer (2003), S. 245 f. Vgl. Zervos (2003), S. 39.
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3.
Ausweitung des Programmangebots durch Vervielfachung der übertragenen Kanäle. Aufgrund der höheren Übertragungskapazität können beispielsweise in einem gewöhnlichen analogen Fernsehkanal, auf dem bisher ein analoges Programm übertragen worden ist, mehrere digitale Programme mit gleichem Qualitätsstandard gesendet werden.20
4.
Verbesserung der Interaktionsmöglichkeiten21, da durch Datenreduktion und kompression frei gewordene Übertragungskapazitäten zur Einrichtung von vollwertigen Rückkanälen ohne Medienbruch genutzt werden können.22 Diese bidirektionalen Kommunikationsverbindungen ermöglichen den Informationsfluss vom Empfänger zum Sender und damit „die aktive und direkte Teilnahme des Zuschauers bei Sendungen […]“23, d.h. die Interaktion. In diesem Zusammenhang spricht man auch von inter-aktivem Fernsehen (iTV – interactive Television, oder iDTV – Interactive Digital Television), was neben dem digitalen Fernsehen nicht eine neue Fernsehform darstellt, sondern ein Bestandteil davon bzw. eine Erweiterung des Fernsehangebots ist.24 Digitales interaktives Fernsehen ist eine Fernsehnutzungsform, bei der über Rückkanäle eine Wechselwirkung bzw. Wechselbeziehung zum Beispiel in Form eines Dialogs zwischen dem Sender und dem Rezipienten realisiert werden kann.25 „Interaktives Fernsehen ist die indirekte Kommunikation mit einem anonymen oder personifizierten Kommunikator auf dialogischer Basis“.26 Durch diese Möglichkeit der Wechselbeziehung unterscheidet sich das interaktive Fernsehen vom traditionellen Fernsehen, welches sich dadurch auszeichnet, dass hierbei eine eindeutige Trennung zwischen Sender und Empfänger vorliegt und darüber hinaus ein Transfer von Informationen/ Daten etc. ausschließlich in einer Richtung stattfindet.27
Wie diese Interaktivität im digitalen Fernsehen aussehen könnte und welche neuen (Angebots-)Möglichkeiten sich durch die Rückkanäle ohne Medienbruch ergeben, wird im folgenden Abschnitt dargestellt. 2.4
Angebote und Services im digitalen Fernsehen
Einen großen Teil des Angebots im digitalen Fernsehen werden die traditionellen TVProgrammangebote ausmachen, wie sie aus dem herkömmlichen analogen Fernsehen
20 21 22 23 24 25 26 27
Vgl. Schrape (1995), S. 7. Vgl. Friedrichsen (2004), S. 90. Vgl. Schrape (1995), S. 7. ARD-Digital (2006). Vgl. Stipp (2001), S. 369. Vgl. Garling (1997), S. 13. Garling (1997), S. 24. Vgl. Woldt (2004), S. 301.
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bekannt sind. Sie unterscheiden sich davon im Prinzip lediglich in der Art der Übertragung. Zu diesem traditionellen TV-Programmangeboten gehören die bestehenden (Voll-)Programme sowie voraussichtlich eine große Anzahl neuer Spartenprogramme (themenspezifische Programme, z.B. Angler-Kanal, Comedy-Kanal). Neben den bereits heute bestehenden TV-Programmen und den durch die Digitalisierung neu hinzukommenden Programmen, ermöglicht die Digitalisierung des Fernsehens auch eine Reihe neuer, überwiegend interaktiver Dienste und Angebote.28 Dazu zählen u.a. die so genannten Abrufdienste bzw. On-Demand-Dienste unter den im Zusammenhang mit dem digitalen Fernsehen die Bereitstellung von Informationen jeglicher Art für den Abruf durch Nutzer zu beliebigen Zeitpunkten verstanden wird.29 On-Demand-Services ermöglichen es dem Konsumenten über einen einfachen Rückkanal, Spielfilme (Video-on-Demand (VoD)), Informationen (News-on-Demand) und andere übertragbare Inhalte (Education-, Audio-, Games-, Product-on-Demand etc.) wie zum Beispiel auch Werbung (Advertising-on-Demand) auszuwählen und selbständig den Zeitpunkt zu bestimmen, wann er den Film bzw. die bestellten Inhalte anschauen möchte.30 Neben dem beschriebenen herkömmlichen TV-Programmangebot und den Abrufdiensten wird es im digitalen Fernsehen zusätzlich Informationsdienste geben. Beispiele für diese Informationsdienste, die durch die digitale Fernsehübertragung ermöglicht werden, sind Folgende:31 •
Digitaler Videotext: Der digitale Videotext (synonym für Teletext und Fernsehtext) entspricht im Prinzip dem heutigen, analogen Videotext, bei dem Nachrichten und Informationen zusammen mit dem Sendesignal übertragen werden und von den Zuschauern bei Bedarf über die Fernbedienung abgerufen werden können. Unterschied des digitalen Videotextes gegenüber dem analogen Videotextes ist, dass hierbei die Übertragung bzw. Darstellung von Grafiken, Bildern und auch Tönen möglich ist. Optisch wird sich der digitale Videotext dadurch vermutlich sehr dem Internet annähern.32 Dadurch könnte der Videotext an ganz neuer Bedeutung gewinnen und vielseitigere Einsatzmöglichkeiten z.B. als Werbeplattform erfahren.33
•
Basis-Navigatoren und elektronische Programmführer (EPG): Da herkömmliche Programmzeitschriften (in Papierform) die zukünftige Angebotsvielfalt im
28 29 30 31 32 33
Vgl. Schenk/ Döbler/ Stark (2002), S. 15. Vgl. IT-Wissen (2006). Vgl. Heinemann (1997), S. 205 f. Vgl. DigiFiSH (2005), S. 73. Vgl. Schenk/ Döbler/ Stark (2002), S. 41. Vgl. DigiFiSH (2005), S. 74.
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digitalen Fernsehen vom Umfang her kaum noch übersichtlich werden abbilden können, wird zurzeit an alternativen (elektronischen) Wegen zur Darstellungen des Programmangebots in Form von bildschirmgestützten BasisNavigatoren (Anwender-Software auf der Set-Top-Box) und elektronischen Programmführern (Electronic Program Guide – EPG) gearbeitet. Diese stellen das Programmangebot inklusive von Zusatzinformationen rund um die Programmauswahl in elektronischer Form auf dem Fernsehbildschirm dar.34 •
Zusatzinformationen zum laufenden Programm: Ebenfalls zu den Informationsdiensten des digitalen Fernsehens gehören die Zusatzinformationen zum laufenden Programm (z.B. zu Sportveranstaltungen, Wahlen, Wissenschaftssendungen etc.), die im digitalen Fernsehen zukünftig vom Zuschauer direkt ohne Medienbruch auf dem Fernseher abgerufen werden können. Dieses Angebot ist mit dem heutigen Informationsangebot vieler Programmveranstalter im Internet rund um ihre Sendungen zu vergleichen.35
Zu den zuvor aufgeführten Angeboten des digitalen Fernsehens werden auch (Tele-) Kommunikationsdienste gehören. Dazu zählen allgemein Services wie z.B. „Chats“ oder „Communities“, wie sie auch schon in Form von SMS- oder Video-Chats im analogen Fernsehen realisiert und angeboten werden. Im digitalen Fernsehen können diese Angebote aufgrund des Vorhandenseins größerer Übertragungskapazitäten noch erweitert werden, indem zusätzlich zu der Übermittlung von Textnachrichten auch Bilder und Töne versendet werden können.36 Beispiele für die neuen, zusätzlichen Kommunikationsdienste im digitalen Fernsehen sind Datentransfers, Bildtelefon, Videokonferenz, E-Mail, SMS und andere. Hierdurch entstehen sowohl für die Anbieter solcher Kommunikationsdienste als auch für die Fernsehsender neue Umsatzmöglichkeiten.37 Ein weiterer Bestandteil des Angebotsspektrums des digitalen Fernsehens werden Abstimmungsmöglichkeiten und Spiele sein. Dabei sind Abstimmungsmöglichkeiten (Votings) per Telefon oder Short Message Service (SMS) für den Zuschauer aus dem analogen Fernsehen bereits durch Sendungen wie z.B. „Wetten das…?“ (ZDF) oder auch „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) bekannt. Im digitalen Fernsehen könnte diese Abstimmungen bei Vorhandensein eines vollwertigen integrierten Rückkanals direkt über die Fernbedienung, d.h. ohne Medienbruch, vom Zuschauer vorgenommen werden. Eine wirkliche Neuerung im digitalen Fernsehen gegenüber dem Angebot im analogen Fernsehen stellen die angebotenen Spiele dar. Der Zuschauer soll zukünftig per Fernbedienung aus einem ständig wechselnden Angebot Spiele aussuchen und auf 34 35 36 37
Vgl. Ziemer (2003), S. 259. Vgl. DigiFiSH (2005), S. 75. Vgl. DigiFiSH (2005), S. 76. Vgl. Schrape (1995), S. 38.
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eine spezielle Videospielkonsole bzw. auf die Set-Top-Box kostenlos oder gegen Entgelt herunterladen können.38 Auch das Spielen gegen oder mit anderen Nutzern ist im digitalen Fernsehen technisch realisierbar und stellt eine wirkliche Innovation im Fernsehbereich dar.39 Zusätzlich zu den Abruf-, Informations-, und (Tele-)Kommunikationsdiensten können im digitalen Fernsehen auch Multimedia-Dienste angeboten werden. Das Angebot des digitalen Fernsehens in dieser Rubrik ist sehr vielfältig und hat mit der herkömmlichen passiven Unterhaltungsfunktion des traditionellen Fernsehens kaum mehr etwas zu tun. Vielmehr ähneln diese Angebote dem Informations- und Dienstleistungsangebot des Internets. Beispiele der Multimedia-Dienste des digitalen Fernsehens sind: •
das so genannte Home-Banking bzw. Financial Home Service (Bankgeschäfte am Fernseher),
•
das interaktive Home-Shopping (Kunde kann sich Waren in einem virtuellen Katalog präsentieren lassen, aussuchen und per integrierten Rückkanal bestellen),
•
Home-Booking (beinhaltet sämtliche Buchungsvorgänge wie Reisen, Bahnund Flug-, Konzert-, Kinotickets usw.)40 und das
•
interaktive Lernen am Fernseher.41
Gründe dafür, dass die aufgeführten theoretisch möglichen Angebote des digitalen Fernsehens bisher in Deutschland kaum bekannt sind bzw. tatsächlich angeboten werden, liegen zum einen in der bisher noch nicht ausgereiften Technik, die oftmals noch zu teuer ist, und zum anderen in dem Umstand, dass man sich bisher nicht auf einheitliche technische Standards einigen konnte. Des Weiteren sind die gesetzlichen Regelungen in Deutschland z.B. bezüglich des Digital Rights Management (DRM) im Zusammenhang mit Video-on-Demand-Angebot noch unklar.42
3
Zukünftige Veränderungen auf dem deutschen Fernseh(werbe)markt infolge der Digitalisierung des Fernsehens
Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln grundlegende Informationen zu dem Untersuchungsgegenstand „digitales Fernsehen“ vermittelt wurden, wird im Folgenden zunächst der Stand der Forschung zu den zukünftig möglichen Veränderungen auf dem deutschen Fernseh(werbe)markt infolge der Digitalisierung des Fern38 39 40 41 42
Vgl. Schrape (1995), S. 35. Vgl. weiterführend Schenk/ Döbler/ Stark (2002), S. 41. Vgl. Heinemann (1997b), S. 39. Vgl. Schenk/ Döbler/ Stark (2002), S. 42 f. Vgl. Stipp (2001), S. 370.
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sehens dargestellt. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen werden im Anschluss daran Arbeitshypothesen abgeleitet, die anhand von Experteninterviews überprüft werden. 3.1
Veränderungen für die Programmveranstalter durch eine Ausweitung des Programmangebots
Durch die digitalisierungsbedingte Ausweitung der Übertragungskapazitäten, können insgesamt die Kosten der Fernsehübertragung reduziert werden43, wodurch die Markteintrittsbarrieren für neue, zusätzliche Programmanbieter sinken. Dies wird voraussichtlich in einer Ausweitung des Programmangebots und damit in einem wachsenden Wettbewerb unter den Programmanbietern resultieren.44 3.1.1 Spezialisierung des Programmangebots Dabei wird es gemäß BECKERT45 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einer Ausweitung des Vollprogramms kommen, bei dem alle Bereiche wie Sport, Nachrichten, Unterhaltung, Shows etc. auf einem Sender untergebracht sind wie z.B. bei ARD, ZDF, ProSieben, Sat.1, RTL usw., sondern es wird eine Spezialisierung des Programmangebots geben. Das bedeutet, es werden wahrscheinlich von den Programmveranstaltern für diverse Themenbereiche wie z.B. Comedy, Sport, Kunst, Erotik usw. jeweils eigene Kanäle eingeführt und somit werden vermehrt Spartenprogramme bzw. so genannte „Special-Interest-Programme“ auf dem zukünftigen Fernsehmarkt in Deutschland existieren.46 Hierdurch wird das Medium Fernsehen insgesamt eine erhebliche Individualisierung erfahren.47 Dieses Konzept der spezialisierteren Programmausrichtung trifft insbesondere auf die Special-Interest-Kanäle zu, wobei sich hierdurch für die klassische Fernsehwerbung neue Möglichkeiten einer im Vergleich zur Werbung im analogen Fernsehen gezielteren, d.h. streuverlustärmeren und damit effizienteren Zielgruppenansprache ergeben.48 Ein Beispiel hierfür wäre die Schaltung eines klassischen Werbespots z.B. für ein Küchengerät auf einem Koch-Kanal. 3.1.2 Zunahme der Zuschauer-Fragmentierung Neben dieser Individualisierungstendenz des Mediums Fernsehen hinsichtlich der Zuschaueransprache durch die Spezialisierung des Programmangebots im Zusammenhang mit der Digitalisierung wird in den entsprechenden Fachkreisen und in der dazugehörigen Presse eine weitere mögliche Folge der Programmausweitung thematisiert: Eine Zunahmen der Zuschauer-Fragmentierung, wie es sie auf dem deutschen 43 44 45 46 47 48
Vgl. Zervos (2003), S. 39. Vgl. Heinemann (1997b), S. 88. Vgl. Beckert (2004), S. 118. Vgl. Beckert (2004), S. 118., Hamm/ Hart (2001), S. 37. Vgl. Beckert (2004), S. 118. Vgl. Eck (2005), S. 25., Renner (2004), S. 221.
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Fernsehmarkt schon einmal Mitte der 1980er Jahre durch die Programmausweitung in Form des zusätzlichen Angebots der privaten Programmveranstalter gab49 und wie sie in den vergangenen Jahren in sehr extremer Form auf dem britischen Fernsehmarkt zu beobachten war, der in Europa hinsichtlich der Digitalisierung des Fernsehens am weitesten entwickelt ist.50 Eine Zunahme der Zuschauer-Fragmentierung bedeutet, dass die Fernsehnutzung bzw. die Anzahl der Fernsehzuschauer sich durch eine Programmausweitung auf eine wachsende Anzahl von angebotenen Programmen verteilt51 und dadurch die bestehende, endliche Menge der Fernsehzuschauer in immer kleiner werdende Teilmengen zerfällt.52 Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie die Fernsehzuschauer mit einer solchen Ausweitung des Programmangebots umgehen, d.h. ob und inwiefern sie dieses überhaupt nutzen. Gemäß den Ergebnissen des durch die Audience Research Methods Group initiierten internationalen Forschungsprojekts „Trends in digital television and challenges for audience measurement: recent developments and market implications“53 wird der einzelne Fernsehzuschauer mit der digitalisierungsbedingten Programmausweitung in der Form umgehen, dass er sich im Wesentlichen auf sein persönliches Relevant Set von Programmen konzentriert und das übrige Programmangebot ignoriert. Das bedeutet: Trotz des wesentlich größeren Programmangebots wird sich die Größe des individuellen Relevant Set nur bedingt bzw. wenn überhaupt, dann in eher geringerem Ausmaß, ändern. Die von der Audience Research Group abgeleitete These in diesem Zusammenhang lautet, dass eine Ausweitung des Programmangebots nicht auch zwangsläufig eine vermehrte Programmnutzung seitens der Fernsehzuschauer bedinge. Nichtsdestoweniger werde die Zuschauer-Fragmentierung aber durch die digitalisierungsbedingte Programmausweitung dennoch zunehmen, da die individuelle Programmauswahl der Zuschauer im digitalen Fernsehen von Person zu Person jeweils sehr unterschiedlich sein könne bzw. sein werde.54 Folge dieser Zunahme der Zuschauer-Fragmentierung ist, dass die durchschnittliche Reichweite der einzelnen Sender, die auch als Indikator für die ZuschauerFragmentierung dient, sinkt.55 Es gilt: „[…] wenn das Programmangebot sehr viel stärker zunimmt als die Rezipientennachfrage, dann muss die durchschnittliche Nut-
49 50 51 52 53 54 55
Vgl. Hasebrink (2001), S. 95. Vgl. weiterführend Franz (2003), S. 466. Vgl. Hasebrink (2001), S. 96., Franz (2003), S. 466. Vgl. Hasebrink (2001), S. 99. Vgl. weiterführend Franz (2003), S. 463 ff. Vgl. Franz (2003), S. 466. Vgl. Müller (2004), S. 32., Hamm/ Hart (2001), S. 37.
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zung des durchschnittlichen Programms (durchschnittliche Nutzungsquote) kontinuierlich abnehmen.“56 57
Programmnachfrage pro Zeiteinheit in Zeiteinheiten
Durchschnittliche Reichweite = Programmangebot pro Zeiteinheit in Zeiteinheiten
Die Konsequenzen für die klassische Fernsehwerbung aus den sinkenden Reichweiten sind offensichtlich: Diese Entwicklung wird auch gleichzeitig die WerbeblockReichweiten der Sender negativ beeinflussen.58 Das heißt, durch die sinkenden Werbeblock-Reichweiten können im Vergleich zu heute nicht mehr so viele Menschen gleichzeitig erreicht werden, wodurch die Effizienz des einzelnen Werbeblocks abnimmt.59 Dadurch werden die Werbeeinahmen der Sender sinken, da die angebotene Leistung an die Werbungtreibenden schlechter wird.60 Eine stark fragmentierte Fernsehlandschaft stellt im Zusammenhang mit der Programmausweitung im digitalen Fernsehen eine weitere Herausforderung für die Fernsehwerbeforschung und damit auch für die Werbungtreibenden und Programmveranstalter werbefinanzierter Programme dar, weil unter diesen Bedingungen die Fernsehnutzung nicht mehr mit der heute gewohnten Präzision gemessen werden kann. Dies ist ein schwerwiegendes Problem, da sie für ihre Arbeit im Zusammenhang mit der Fernsehwerbung (z.B. für die Ermittlung der Werbepreise) auf eine möglichst vollständige, repräsentative und detaillierte Messung der Fernsehnutzung bzw. auf präzise und reliable Daten z.B. hinsichtlich der Reichweiten angewiesen sind.61 Eine weiter fortschreitende Fragmentierung würde für sie bedeuten, dass eine Optimierung eines Werbespots auf Grundlage von Werbeblock-Reichweiten aus statistischer Perspektive nur noch für eine handvoll größerer Sender Sinn macht. Um in einer stark fragmentierten Fernsehlandschaft, wie sie z.B. in Großbritannien bereits besteht, dennoch detaillierte und reliable Daten zur Fernsehnutzung bereitstellen zu können, müssten die zur Messung der Fernsehnutzung verwendeten Fernsehpanels um ein Vielfaches vergrößert werden. Dies wäre allerdings nur mit unverhältnismäßig hohen Investitionen realisierbar62, weshalb es in Zukunft durchaus möglich sein könnte, dass die Fernsehnutzungsdaten weniger detailliert sein werden als heute.
56 57 58 59 60 61 62
Heinrich (2002), S. 459. Vgl. Heinrich (2002), S. 459. Vgl. Ecke (2005), S. 15. Vgl. Heinemann (1997b), S. 89. Vgl. Heinemann (1997b), S. 88. Vgl. Franz (2003), S. 467. Vgl. Müller (2004), S. 34 f.
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3.2
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Veränderungen im Fernsehnutzungsverhalten der Rezipienten durch Video-On-Demand und digitale Festplattenrekorder
Die neuen Angebote und Dienste des digitalen Fernsehens werden voraussichtlich zum Teil erhebliche Auswirkungen auf das bisherige Fernsehnutzungsverhalten der Fernsehzuschauer haben. Im Speziellen ist hier das Angebot der On-Demand-Dienste (Abrufdienste, siehe Abschnitt 2.4) gemeint. Zusammen mit den neuartigen digitalen Speichermedien mit integrierter Festplatte wie digitalen Videorekordern (DVR bzw. PVR – Digital/ Personal Videorecorder) haben sie das Potential, das bisherige Fernsehkonsumverhalten bzw. die Fernsehnutzungsgewohnheiten der deutschen Fernsehzuschauer nachhaltig zu verändern.63 3.2.1 Zeitunabhängiger Fernsehkonsum Durch die On-Demand-Dienste beispielsweise könnte das Medium Fernsehen von einem Push- zum Pull-Medium werden. „Nicht das Programm wird zum potentiellen Nutzer transportiert und dort genutzt […], sondern der Nutzer holt sich das Programm, das er möchte, zu dem Zeitpunkt, an dem er es möchte.“64 Das bedeutet, dass der Fernsehzuschauer künftig sowohl zeitlich als auch inhaltlich nicht mehr an das laufende Fernsehprogrammangebot gebunden wäre. Er wird zu seinem eigenen Programmdirektor, indem er entscheidet, zu welchem Zeitpunkt er welchen Inhalt sehen möchte.65 Diese durch die On-Demand-Dienste entstehende neue Unabhängigkeit des Fernsehzuschauers bei der Fernsehnutzung wird zusätzlich noch durch die Optionen der digitalen Speichermedien wie digitale Videorekorder erweitert. Sie zeichnen sich gegenüber den herkömmlichen (analogen) Videorekordern unter anderem dadurch aus, dass sie über eine integrierte Festplatte verfügen, die die Videokassetten als Speichermedium überflüssig machen, da auf ihr durchschnittlich zwischen 40 und 120 Stunden Fernsehen aufgezeichnet und gespeichert werden können.66 Dadurch kann im Vergleich zu der Aufnahmepraxis mit analogen Videorekordern relativ einfach eine individuelle Programmbibliothek in nahezu makelloser Qualität67 zusammengestellt werden, die dem Nutzer zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung steht.68 Darüber hinaus verfügen die DVRs über die so genannte „Time-Shift-Funktion“, die es dem Nutzer ermöglicht, eine Sendung zeitversetzt zu sehen. Das heißt, er kann beispielsweise einen Film, der um 20:15 begonnen hat, aufnehmen und parallel zur Aufnahme später, z.B. um 20:30, mit dem Anschauen der Aufzeichnung des Films
63 64 65 66 67 68
Vgl. Franz (2003), S. 468. Hasebrink (2001), S. 59. Vgl. Hasebrink (2001), S. 58. Vgl. Hasebrink (2001), S. 58. Vgl. Ecke (2005), S. 15. Vgl. Franz (2003), S. 468.
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von Anfang an beginnen, während die Aufnahme weiterläuft. Die Time-ShiftFunktion ermöglicht also das gleichzeitige und zeitversetzte Aufzeichnen und Abspielen ein und derselben Sendung.69 Insgesamt wird dem Nutzer durch die DVRFunktionen ein programm- und zeitunabhängiger bzw. zeitversetzter Fernsehkonsum ermöglicht, was bedeutet, dass er nicht mehr im herkömmlichen Maße auf das Programmangebot der werbefinanzierten privaten Programmveranstalter angewiesen ist.70 3.2.2 Erleichterung der Werbevermeidung Zusätzlich zu der zeitlichen Souveränität und Flexibilität, die DVRs dem Nutzer bieten, ermöglichen sie zudem auf sehr einfache und bequeme Art und Weise – im Gegensatz zu ihren analogen Vorgängern – das Ausblenden von Werbung („AdSkipping“) durch „Vorspulen“ bzw. „Herausschneiden“, weshalb sie oftmals als „Killerapplikationen“ für das herkömmliche Fernsehen bzw. die traditionelle Art der Fernsehnutzung und die klassische Fernsehwerbung bezeichnet werden.71 Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind, 1.
Ob und in welchem Ausmaß sich das Fernsehverhalten der Rezipienten durch die neuen Dienste im digitalen Fernsehen und die neuen digitalen Speichermedien zukünftig ändern wird und
2.
Welche Auswirkungen dieses veränderte Fernsehnutzungsverhalten auf das werbefinanzierte Free-TV-Programm und damit gleichzeitig auch auf die klassische Fernsehwerbung hat.
Das heißt, es muss zunächst überhaupt einmal die Bereitschaft bzw. Motivation der Rezipienten festgestellt werden, die technischen Möglichkeiten des zeitunabhängigen Fernsehkonsums und in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Werbeausblendung zu nutzen. Hierüber existieren in Deutschland bisher allerdings nur wenige empirische Befunde und diese sind in ihren Aussagen sehr gegensätzlich, wie die folgenden Ausführungen zeigen. Eine Studie, die sich mit der Thematik der Auswirkungen der DVRs auf das Nutzungsverhalten der Rezipienten beschäftigte, wurde im August/ September 2005 im Auftrag von „moreTV“ von dem Marktforschungsinstitut TNS Infratest durchgeführt und anlässlich der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2005 präsentiert. Die Studie ergab Folgendes:72 •
69 70 71 72
Der Fernsehkonsum der Nutzer steigt durch den DVR-Besitz insgesamt an, allerdings zu Lasten des klassischen, linearen Fernsehkonsums. Das heißt, es
Vgl. Uehlecke (2005). Vgl. Franz (2003), S. 468., Renner (2004), S. 222. Vgl. Stipp (2001), S. 372., Franz (2003), S. 468., McGougan (2004), S. 545. Vgl. Ecke (2005), S. 14 f.
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wird vermehrt so genanntes „non-lineares Fernsehen“, also zeitversetztes/ zeitunabgängiges Fernsehen konsumiert, bei dem die Fernsehwerbung oft ausgeblendet wird. •
Die Werbevermeidungsmöglichkeiten werden regelmäßig genutzt, sogar mit steigender Tendenz im Laufe der Nutzungszeit.
•
Hauptnutzungsmotive des DVRs sind zeitliche Souveränität/ Flexibilität und die Möglichkeit, Werbung zu vermeiden.
•
Als Folge daraus ergibt sich, bei entsprechend großer Verbreitung der DVRs, ein negativer Einfluss auf die Reichweite von klassischen Werbeblöcken.
Ähnliche Ergebnisse spiegeln sich auch in ersten Erfahrungen bezüglich der Nutzungsgewohnheiten der DVR-Besitzer und der damit verbundenen Veränderung des Fernsehkonsums aus den USA wieder. In der von FRANZ in dem Artikel „Digitales Fernsehen – Herausforderung für TV-Forschung und TV-Werbung“ (MEDIA PERSPEKTIVEN, Ausgabe 10/2003) besprochenen Studie wurden 11000 so genannte „Early-Adopter“-Haushalte beobachtet, die über einen DVR der Marke „TiVo“ verfügten. Rund zwei Drittel dieser DVR-Haushalte nahmen die Möglichkeit des zeitversetzten Fernsehens in Anspruch und drei Viertel von diesen Personen nutzten auch die entsprechende Technik, um die Werbeblöcke auszublenden. Die Entwicklung geht allgemein sogar so weit, dass tendenziell nur noch Nachrichten und ausgewählte Ereignisse, wie z.B. Preisverleihungen oder Sportveranstaltungen tatsächlich live gesehen werden.73 Die 2005 im Auftrag von SevenOne Media und IP Deutschland vom Kölner Marktforschungsinstitut IFM durchgeführte tiefenpsychologische Studie „Festplattenrekorder – die neue Fernsehrevolution?“74 kommt im Bezug auf die zuvor beschriebenen Untersuchungen zu einem gegensätzlichen Ergebnis, nämlich dass die Bedrohung für die klassische Fernsehwerbung durch die DVRs allgemein überschätzt würde. •
Funktionen wie „Time-Shift“ (zeitversetztes Fernsehen) würden nach anfänglicher Euphorie nur gelegentlich in Anspruch genommen und nach 2-3 Monaten würde der DVR oftmals wie ein herkömmlicher Videorekorder genutzt, nämlich fast gar nicht.75 Als Grund dafür wird die „Macht der TV-Fesselung“ bzw. der Wunsch nach passiver Unterhaltung gesehen.76
•
Obwohl die Werbevermeidungsmöglichkeiten zu den Hauptanschaffungsmotiven der Nutzer zählen, würden sie nur gelegentlich eingesetzt. Allerdings bestehe bei den Formattypen „Fesselndes Heimkino“ und „Anspruchsserien“ im
73 74 75 76
Vgl. Franz (2003), S. 468. Vgl. SevenOne Media/ IP Deutschland (2005). Vgl. Wirkstoff TV (2006). Vgl. SevenOne Media/ IP Deutschland (2005), S. 20.
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Gegensatz zu „Daily Soaps“ (Serien) oder „Boulevard-Magazinen“ eine große Webevermeidungsgefahr seitens der Rezipienten.77 •
Die normale Fernsehnutzung, also der lineare Fernsehkonsum, würde von den Möglichkeiten des DVRs nicht grundlegend verändert werden. Das heißt, die Festplattenrekorder würden nicht zu einer Revolution der Fernsehgewohnheiten führen, sondern lediglich durch das Gefühl der größeren (Programm-)Unabhängigkeit zu einer anderen, besseren Einstellung gegenüber dem TV.78
Dieses Ergebnis bzw. die Kernaussage der Studie, dass der Werbeträger Fernsehen durch die neue Technologie und die Funktionen der DVRs nicht signifikant in seiner Funktion und Wirkungsweise negativ beeinflusst wird, müssen jedoch in diesem Zusammenhang mit einem gewissen Vorbehalt betrachtet werden. Die Auftraggeber der Studie sind die Werbezeitvermarkter der beiden größten Medienkonzerne für privates, werbefinanziertes TV, dessen Haupteinnahmequelle zumindest momentan die Fernsehwerbung ist. Dadurch könnte die Objektivität beeinträchtigt sein. Mit Ausnahme der Ergebnisse der aufgeführten Studien von SevenOne Media und IP Deutschland, wird ein mögliches Zukunftsszenario für die Fernsehnutzung aufgezeigt, in dem es für die klassische Fernsehwerbung aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Werbeblock-Reichweiten durch die erleichterten Werbevermeidungsmöglichkeiten sowie den verminderten linearen Fernsehkonsum schwer wird und was die Werbungtreibenden vor eine große Herausforderung stellt. 3.3
Veränderungen für die Werbeindustrie/ Werbungtreibenden durch die neuen Interaktionsmöglichkeiten im digitalem Fernsehen
Die durch die Datenreduktion und -kompression zusätzlich geschaffenen Übertragungskapazitäten im digitalen Fernsehen könnten u.a. für die Einrichtung integrierter Rückkanäle genutzt werden79, die eine Interaktion mit den Rezipienten ohne Medienbruch ermöglichen.80 Diese neuen Interaktionsmöglichkeiten eröffnen eine Reihe neuer Werbegestaltungsoptionen für den Werbeträger Fernsehen, die sich die Werbezeitvermarkter/ Sender bzw. die Werbungtreibenden zunutze machen könnten.81 3.3.1 Interaktive Werbung Eine dieser neuen Möglichkeiten für die Werbungtreibenden ist, den klassischen Werbespot um Interaktionsoptionen für den Rezipienten zu ergänzen. Das heißt, den
77 78 79 80 81
Vgl. SevenOne Media/ IP Deutschland (2005), S. 19. Vgl. SevenOne Media/ IP Deutschland (2005), S. 20. Vgl. Schrape (1995), S. 7. Vgl. ARD-Digital (2006). Vgl. Heinemann (1997b), S. 47.
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Fernsehzuschauern interaktive Werbung zu präsentieren. Gemäß GLEICH82 zählen zu interaktiver Werbung „alle Werbeaktivitäten, die Konsumenten dazu aufrufen, mit den Werbungtreibenden zu kommunizieren.“83 Dies könnte gemäß HEINEMANN84 bei einem klassischen 30-Sekünder wie folgt aussehen.85 Zur Aktivierung des Rezipienten wird zunächst die Werbebotschaft bzw. das Produkt wie in einem herkömmlichen, nicht interaktiven Werbespot präsentiert. Bei einem Autowerbespot beispielsweise sieht man eine Person im Auto sitzen und umherfahren. Das ganze ist eventuell von Musik untermalt, und gegebenenfalls werden dem Zuschauer Produktinformationen in unterschiedlicher Form (verbal und/ oder visuell) mitgeteilt. Am Ende oder über die gesamte Dauer des Spots ist auf dem Bildschirm ein virtueller „Red Button“ wie in Abbildung 2 eingeblendet, der dem Rezipienten eine Interaktionsmöglichkeit signalisiert und von ihm über seine Fernbedienung angesteuert werden kann.
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Abbildung 2: Werbespot mit "Red Button" Quelle: Eigene Darstellung. Bildquelle: URL: http://www.volkswagen.de.
Durch das Aktivieren dieses Buttons gelangt der Zuschauer auf eine so genannte „Dedicated Advertiser Location“ (DAL), die man sich ähnlich einer Website des Werbetreibenden bzw. des in dem interaktiven Spot beworbenen Produkt vorstellen 82 83 84 85
Vgl. Gleich (2005b), S. 37. Gleich (2005b), S. 37. Vgl. Heinemann (1997b), S. 137 f. Vgl. weiterführend Heinemann (1997b), S. 137 f.
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kann.86 Das heißt, in dem beschriebenen Werbespot könnte der Autohersteller hierüber dem potentiellen Kunden beispielsweise die Möglichkeit bieten, • zusätzliche Produktinformationen (z.B. Farben, Ausstattungsvarianten, Finanzierungsmöglichkeiten für das Auto etc.) zu beziehen, • einen Termin für eine Probefahrt bei einem nahe gelegenen Händler zu vereinbaren • das Wunschauto virtuell am Bildschirm zu entwerfen • •
und/ oder direkt über den Fernseher, d.h. also ohne Medienbruch und ohne Zeitverzögerung mit dem Anbieter z.B. in Form von Bildtelefonie oder E-Mail in Kontakt zu treten sowie das Auto direkt zu bestellen.
Die Frage in diesen Zusammenhang ist, inwiefern die Rezipienten in einem „leanback“-Medium wie dem Fernsehen dazu bereit sind, mit dem Programmveranstalter bzw. Werbungtreibenden zu interagieren und welche Bedeutung bzw. Auswirkung die Interaktionsmöglichkeit für die Nutzer im Werbekontext beispielsweise hinsichtlich der Werbewirkung hat. Diesbezüglich existieren bisher nur wenige empirische Untersuchungen.87 Dies trifft insbesondere auf Deutschland zu, da hier die technische Entwicklung hinsichtlich des digitalen interaktiven Fernsehens noch vergleichsweise ganz am Anfang steht und zumindest bisher keine interaktiven Werbeformen existieren, die eine integrierte Rückkanaltechnik nutzen. Dies ist in Großbritannien mit dem in Europa am weitesten entwickelten Markt für interaktives Fernsehen anders. Hier gibt es bereits einige empirische Untersuchungen.88 Eines dieser Forschungsprojekte89, dessen Ergebnisse GLEICH in dem Artikel „Interaktive Werbung“ (MEDIA PERSPEKTIVEN Ausgabe 01/2005) vorstellt, beschäftigt sich beispielsweise mit der Frage, wie die Konsumenten in Großbritannien mit dem digitalen Fernsehen und in diesem Zusammenhang mit der interaktiven Werbung, umgehen bzw. inwiefern sie zur Interaktion bereit sind. Einige Ergebnisse dieser Untersuchung sind, •
dass circa jeder zweite Nutzer, der eine Form von interaktiver Werbung gesehen hat, auch die Interaktionsmöglichkeit in Form des „Red Button“ in Anspruch nahm;
86
Vgl. Franz (2003), S. 469. Vgl. Gleich (2005b), S. 37. Vgl. Gleich (2005b), S. 37. „The interactive consumer“ (2003), repräsentative Nutzerbefragung, durchgeführt vom British Market Research Bureau (vgl. weiterführend Gleich [2005b], S. 39 f.).
87 88 89
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•
dass 62% der Nutzer ihre Erfahrungen mit interaktiver Werbung als positiv beurteilen. Diejenigen, die nicht auf die Interaktionsmöglichkeiten der Werbung reagieren, nannten mangelndes Interesse an dem beworbenen Produkt als Hauptgrund dafür;
•
dass die Einstellung zu interaktiver Werbung recht positiv ist. So gaben 80% der Befragten an, dass sie interaktive Werbung für innovativ und für eine bequeme Möglichkeit hielten, Informationen zu bekommen. 40% finden interaktive Werbung nützlich und 35% sagten, sie würde Spaß machen;
•
dass je länger der Werbespot dauert, desto höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass der „Red Button“ betätigt wird, d.h. die Interaktionsmöglichkeit durch den Rezipienten in Anspruch genommen wird;
•
dass es für den Erfolg eines interaktiven Spots wichtig ist, die Rezipienten durch die Interaktionsmöglichkeiten nicht durch zu viele Reize kognitiv zu überfordern.
Erste Erkenntnisse bezüglich der Interaktionsbereitschaft der Fernsehzuschauer in Deutschland lieferte ein in Kooperation der ProSiebenSat.1 Media AG, Betty TV AG und der Serviceplan-Agenturgruppe im September/ Oktober 2004 durchgeführter und vom Marktforschungsinstitut NFO Infratest begeleiteter Feldtest, bei dem die BettyTechnologie90 als ein mögliches Realisierungskonzept für Interaktion im digitalen interaktiven Fernsehen getestet wurde. Ergebnisse dieser Untersuchung sind:91 •
Die durchschnittliche Teilnahmequote für alle interaktiven Angebote bei den 1000 Testpersonen liegt bei 41%;
•
Zu den bei den Nutzern beliebtesten und damit erfolgreichsten interaktiven Anwendungen gehören Sammelspiele (virtuelle Meilen/ Punkte) mit einer Teilnahmequote von 56,6%, Wissens-Quiz-Fragen 55,7%, Rate- und Reaktionsspiele 48,9% bzw. 48,6% sowie Votings mit 42,9% Teilnahmequote;
•
Die Teilnahmequoten bei redaktionellen und werblichen interaktiven Angeboten sind mit 41,2% und 40,7% fast gleich, was bedeutet;
•
dass Interaktionsmöglichkeiten von den Rezipienten dann genutzt werden, wenn die redaktionellen und werblichen Angebote attraktiv/ unterhaltend sind;
•
Die Technik ist ein weiteres Kriterium, das die Nutzung der Interaktionsoptionen beeinflusst. Sie muss einfach, preiswert und sicher sein.
90
„Die Betty-Technologie ist ein völlig neues Konzept für interaktives Fernsehen. […] Über einen drahtlosen Rückkanal zur Telefonbuchse eröffnet Betty den Zuschauern die Möglichkeit, Mehrwertdienste wie Gaming, Voting oder Shopping zu nutzen und Informationen abzurufen“ (Betty TV [2006]). Vgl. Betty TV (2006).
91
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Die Ergebnisse der beiden angeführten Studien zeigen, dass es offensichtlich bei einem Teil der Zuschauer durchaus eine Bereitschaft zur Interaktion gibt – auch im Werbekontext – und dass diese Interaktionsbereitschaft durch die Faktoren „Unterhaltungswert des interaktiven Angebots“, „Attraktivität des beworbenen Produktes“ und „einfach und sicher zu bedienende sowie preiswerte Technik“ beeinflusst wird. Die Bedeutung dieser relativ positiven bzw. für die Zukunft zuversichtlich stimmenden Ergebnisse hinsichtlich der Interaktionsbereitschaft der Rezipienten ist für die klassische Fernsehwerbung sehr groß, da sich daraus Vorteile für die Werbungtreibenden ergeben könnten.92 Dazu zählt z.B. eine Verbesserung der Werbewirkung des klassischen Werbespots durch ein höheres Involvement beim Rezipienten durch dessen aktive Einbeziehung in die (Werbe-)Kommunikation.93 Der Rezipient empfängt die Werbebotschaften im digitalen interaktiven Fernsehen nicht mehr einfach nur passiv, sondern ist durch die Interaktionsmöglichkeiten aktiv in den Kommunikationsprozess eingebunden, wodurch er in der Rezeptionssituation ein höheres Involvement als bei der passiven Rezeption aufweist.94 Diese Aktiviertheit ist Voraussetzung für eine gezielte Beeinflussung des Rezipienten, da sie dazu führt, dass der Rezipient sich der Werbebotschaft selbst zuwendet.95 Hierdurch und durch die gezieltere Kundenansprache erhofft man sich eine höhere Informationsqualität, eine stärkere Kundenbindung und damit eine effizientere Werbekommunikation.96 Dass die Werbewirkung bei interaktiver Werbung im Vergleich zu nicht interaktiver Werbung besser sein kann, wurde bereits in verschiedenen Untersuchungen zu dieser Thematik in Großbritannien belegt. Ergebnis einer dieser Untersuchungen97 war beispielsweise, dass ein erhöhter Grad der Interaktivität im Werbekontext allgemein, also sowohl im Internet als auch im interaktiven Fernsehen, zu besseren Erinnerungswerten führt. Des Weiteren ergab die Untersuchung, dass Involvement bei interaktiver Werbung höher ist als bei nicht interaktiver Werbung und dass in diesem Zusammenhang der Informationsgehalt der Werbespots bezüglich der beworbenen Produkte von den Rezipienten höher bzw. besser bewertet wurde.98 In Großbritannien gibt es bereits seit einigen Jahren interaktive Werbespots im Fernsehen. Allein der britische Sender „Sky“ hat seit März 2000 über 550 interaktive Kampagnen für über 200 verschiedene Produkte/ Marken ausgestrahlt.99 Einer dieser 92 93 94 95 96 97 98 99
Vgl. Heinemann (1997b), S. 88. Vgl. Gleich (2005b), S. 37. Vgl. Heinemann (1997b), S. 104. Vgl. Meffert (2000), S. 111. Vgl. Gleich (2005b), S. 37. Vgl. weiterführend Gleich (2005b), S. 39. Vgl. Gleich (2005b), S. 39. Vgl. weiterführend SkyInteractive (2006).
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interaktiven Spots war für den neuen Volvo S40. Untersuchungen zur Werbewirkung des Spots ergaben folgendes:100 •
Die ungestützte Markenbekanntheit bei den Sehern des Spots, die den „Red Button“ aktiviert, also interagiert haben, lag sechs Mal so hoch, wie bei den Rezipienten, die die Interaktionsmöglichkeit nicht genutzt haben;
•
Die ungestützte Werbeerinnerung lag 14 Mal höher;
•
Die Kaufbereitschaft der interagierenden Rezipienten war zehn Mal so hoch, wie die der passiven Seher des Spots.
Die Ergebnisse der beiden aufgeführten Untersuchungen aus Großbritannien zu den Chancen, die sich aus den Interaktionsmöglichkeiten mit den Rezipienten für die Werbungtreibenden ergeben, zeigen, dass hier ein großes Potential für die klassische Fernsehwerbung und die Werbungtreibenden liegt. Es bleibt allerdings in diesem Zusammenhang abzuwarten, inwiefern, d.h. wann und wie bzw. ob sich diese Chancen auch für den deutschen Fernsehmarkt realisieren lassen. 3.3.2 Dialogmarketing im Fernsehen Wenn der Rezipient auf das Interaktionsangebot des Werbungtreibenden eingeht, stellt dies die Grundlage für den Aufbau eines Dialogs, d.h. einen wechselseitigen Austausch von Informationen101 zwischen Werbungtreibenden und Rezipienten, dar und somit auch für den Einsatz von Dialogmarketing-Maßnahmen.102 Das bedeutet, die Ansprache der Rezipienten mittels des interaktiven Werbespots als Massenkommunikationsinstrument dient für den Werbungtreibenden als erster Schritt für die Anbahnung einer individualisierten (Marketing-)Kommunikation mit dem Rezipienten auf dialogischer Basis.103 Zu dem Bereich des so genannten „Dialogmarketings“ gehören in diesem Zusammenhang alle werblichen Maßnahmen eines Werbungtreibenden, die einen zielgerichteten Austausch von Informationen zwischen ihm und seiner Zielgruppe beinhalten, wobei „sich die Teilnehmer durch die Berücksichtigung der Aktion des jeweils anderen sowie durch den ständigen Rollenwechsel von Sender in Rezipient und von Rezipient in Sender gegenseitig beeinflussen.“104 Hierunter fallen also alle Arten von Werbung, bei denen der Konsument auf Grundlage von Zielgruppendaten, die dem Werbungtreibenden durch vorherige Interaktion vorliegen, individuell angesprochen wird und bei denen der Konsument auf die Ansprache durch den Werbungtrei-
100 101 102 103 104
Vgl. weiterführend SkyInteractive (2006b). Vgl. Hermann (1996), S. 307. Vgl. Heinemann (1997b), S. 95 ff. Vgl. Heinemann (1997b), S. 99. Heinemann (1997b), S. 127.
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131
benden reagieren kann. Dialogmarketing ist somit im Gegensatz zur herkömmlichen klassischen Fernsehwerbung ein Instrument der Individualkommunikation.105 Die technische Voraussetzung für eine solche individualisierte Form der Rezipientenansprache durch den Werbungtreibenden im digitalen interaktiven Fernsehen ist, dass jedes Fernsehgerät über eine Kennummer/ Adresse (I-TV-Adresse) verfügt, damit es vom Sender erkannt wird. Dies ist für die direkte Ansprach eines Rezipienten zwingend notwendig, um zu wissen, wo bzw. von wem beispielsweise ein Video-onDemand-Film abgerufen wurde.106 Zeigt ein Zuschauer Interesse an einem Produkt, das in einem interaktiven Werbespot beworben wird, indem er den „Red Button“ aktiviert, so wird bei dieser Interaktion die Kennnummer seines Fernsehgerätes/ Anschlusses an den Sender bzw. Werbungtreibenden automatisch weitergeleitet.107 Das heißt, die interaktiven Bewegungen des Zuschauers können durch so genannte „LogFiles“ (Protokolldateien) gespeichert werden108, so wie dies aus dem Online-Bereich bekannt ist, und aus diesen persönlichen Nutzerdaten können wiederum Rückschlüsse auf die Lebens- und Konsumgewohnheiten des jeweiligen Rezipienten getroffen werden.“109 Auf Grundlage dieses so genannten „Zuschauer-Trackings“ können von den Werbungtreibenden für die einzelnen Rezipienten persönliche Werbeprofile erstellt werden, die zukünftig eine gezielte und individualisierte Ansprache des Rezipienten ermöglichen. Dabei gilt: Je genauer die Interessen und Kaufabsichten der Zuschauer bestimmt werden können, d.h. je mehr individuelle Informationen über den jeweiligen Rezipienten vorliegen, desto höher ist sein Kundenwert für den Programmanbieter und damit auch für die Werbungtreibenden.110 Ein Beispiel für eine individualisierte Kundenansprache im digitalen interaktiven Fernsehen ist in folgender Abbildung dargestellt.
105 106 107 108 109 110
Vgl. Heinemann (1997b), S. 100. Vgl. Heinemann (1997b), S. 129. Vgl. Heinemann (1997b), S. 130. Vgl. Heinemann (1997b), S. 137. Heinemann (1997b), S. 87. Vgl. Heinemann (1997b), S. 140 f.
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Zielgruppe 1
Polo VW Imagespot
Zielgruppe 2
Beetle
„Red Button“ Zielgruppe 3
Sharan
Abbildung 3: Beispiel für individualisierte Kundenansprache im digitalen Fernsehen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Malgara (2006), S. 35.
Sowohl das ältere Paar, das junge Paar, also auch die Großfamilie sehen denselben Imagespot für VW. Allerdings unterscheiden sich die hinter dem Interaktionsangebot verborgenen Produktinformationen. Für jede Zielgruppe ist ein individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Produktinformationsangebot hinterlegt, das von ihnen abgerufen werden kann. So werden beispielsweise dem älteren Ehepaar Produktinformationen zum neuen „Polo“ offeriert, das jüngere Paar hat die Möglichkeit an einem Gewinnspiel für den neuen „Beetle“ teilzunehmen, und die Großfamilie bekommt eine Probefahrt für den neuen „Sharan“ angeboten. Laut Aussage von Florian Haller, Chef der Münchner Serviceplan-Gruppe111, werden die Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Fernsehen die Kommunikation mit dem Rezipienten revolutionieren. „Aus der Einbahnwerbung wird eine Zwei-WegeKommunikation, und die Massenkommunikation wird wieder stärker individualisiert.“112 Hieraus ergibt sich eine Reihe von Vorteilen für die Werbungtreibenden bzw. die klassische Fernsehwerbung, die im Folgenden dargestellt werden. Ein Vorteil der dialogischen (Marketing-)Kommunikation ist, dass durch diese individualisierte Form der Rezipientenansprache eine höhere Werbeeffizienz erreicht werden kann, da sie gezielter ist, d.h. weniger Streuverluste dabei entstehen und dies zu Kosten- und Zeitersparnissen für die Werbekunden führt.113 Darüber hinaus können durch das Wissen aus vorhergegangenen Dialogen um die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Rezipienten Cross-Selling-Potentiale ausgenutzt werden. Das
111 112 113
Vgl. weiterführend Serviceplan (2006). Feldmeier (2005b), S. 18. Vgl. Heinemann (1997b), S. 113.
Digitales Fernsehen – Eine Analyse der Auswirkungen des technologischen Wandels
133
heißt, die bereits bestehenden Beziehungen zu den Rezipienten können von den Werbungtreibenden genutzt werden, um weitere Produkte und/ oder Dienstleistungen an sie zu verkaufen. Dabei ist der Aufwand hierfür im Vergleich zur Akquisition eines Neukunden wesentlich geringer und der Nutzen damit um so größer.114 Ein weiterer Vorteil, der sich für die Werbungtreibenden aus der dialogischen Kommunikation mit dem Rezipienten bzw. ganz allgemein aus den Interaktionsmöglichkeiten im digitalen interaktiven Fernsehen ergibt, ist die verbesserte Möglichkeit zur Messung des konkreten Erfolgs einer Werbekampagne, d.h. eine verbesserte Werbeerfolgskontrolle, da der Erfolg den einzelnen Aktionen direkt zugeordnet werden kann.115 Durch den Grad der Nutzungsintensität der Interaktionsmöglichkeiten durch den Rezipienten (Response-Rate) verfügt der Werbungtreibende über eine direkte Rückmeldung (Feedback) bezüglich der Wirkungsstärke des jeweiligen Spots. Das heißt, durch interaktive Werbeformen kann der tatsächliche Werbeerfolg wesentlich präziser bestimmt werden, als das durch das herkömmliche Bewertungskriterium, die Werbeblock-Reichweite bzw. die Zuschauerquote, möglich war.116 Als Ersatz für die Quote bzw. für den sich auf dieser Datenbasis errechnenden TKP als Mess- bzw. Bewertungsinstrument für die Werbungtreibenden wären leistungsorientierte Abrechnungsmodelle denkbar, wie z.B „Cost per Click“, „Cost per Lead“ und „Cost per Order“117, wie sie bereits aus dem Online-Bereich bekannt sind.118 Dadurch würden die Abrechnungsmodelle für Fernsehwerbung schneller und insgesamt präziser werden.119 Dies wäre voraussichtlich sehr im Sinne der Werbekunden, die vor allem in Zeiten knapper Werbebudgets sehr an einem unmittelbaren Nachweis des Return on Investment (RoI) ihrer Werbemaßnahmen interessiert sind.120
4
Auswirkungen der Digitalisierung des Fernsehens auf die klassische Fernsehwerbung
4.1
Ableitung der Arbeitshypothesen
Nachdem im vorangegangenen Abschnitt der Stand der Forschung bezüglich der möglichen Veränderungen auf dem deutschen Fernseh(werbe)markt infolge der Digitalisierung des Fernsehens dargestellt worden ist, werden im Folgenden auf Basis der Ergebnisse der Untersuchungen Arbeitshypothesen abgeleitet:
114 115 116 117 118 119 120
Vgl. Heinemann (1997b), S. 113. Vgl. Feldmeier (2005b), S. 19. Heinemann (1997b), S. 113. Vgl. Franz (2003), S. 469. Vgl. Feldmeier (2005), S. 22. Vgl. Stadik (2005), S. 27. Vgl. Feldmeier (2005), S. 22. Vgl. Feldmeier (2005), S. 22.
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Arbeitshypothese 1: Eine Spezialisierung des Fernsehprogramms in Form eines größeren Angebots an Special-Interest-Kanälen im Zusammenhang mit der digitalisierungsbedingten Programmausweitung stellt eine Chance für die klassische Fernsehwerbung dar, weil hierdurch den Werbungtreibenden eine streuverlustärmere und damit effizientere Zielgruppenansprache ermöglicht wird. Arbeitshypothese 2: Eine Ausweitung des Programms im digitalen Fernsehen führt zu einer Zunahme der Zuschauer-Fragmentierung auf dem deutschen Fernsehmarkt, was ein Risiko bzw. einen Nachteil für die klassische Fernsehwerbung darstellt, da hierdurch die durchschnittlichen Werbeblock-Reichweiten der Sender sinken werden und dadurch die Werbeeffizienz des einzelnen Werbeblocks negativ beeinflusst wird. Arbeitshypothese 3: Die Möglichkeit des zeitunabhängigen bzw. zeitversetzten Fernsehkonsums durch das VoD-Angebot und DVRs stellt eine Gefahr für die klassische Fernsehwerbung dar, da hierdurch der lineare Fernsehkonsum insgesamt sinkt, wodurch die Werbeblock-Reichweiten der einzelnen Sender negativ beeinflusst werden. Arbeitshypothese 4: Die Möglichkeit des zeitunabhängigen bzw. zeitversetzten Fernsehkonsums durch das VoD-Angebot und DVRs stellt eine Gefahr für die klassische Fernsehwerbung dar, da hierdurch vermehrt Werbung von den Rezipienten vermieden wird. Arbeitshypothese 5: Die neuen Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Fernsehen bedeuten eine Chance für die klassische Fernsehwerbung, da durch die Interaktivität der Rezipienten deren Involvement gesteigert werden kann und dies wiederum einen positiven Effekt auf die Werbewirkung hat. Arbeitshypothese 6: Die neuen Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Fernsehen sind eine Chance für die klassische Fernsehwerbung, da hierdurch der Einsatz von Dialogmarketing-Instrumenten für die werbliche Kommunikation mit dem Rezipienten ermöglicht wird, wodurch die Werbeeffizienz durch eine streuverlustärmere, da präzisere Zielgruppenansprache verbessert werden kann. Arbeitshypothese 7: Die Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Fernsehen stellen eine Chance für die klassische Fernsehwerbung bzw. für das Medium Fernsehen als klassischen Werbeträger dar, da hierdurch verbesserte Möglichkeiten der Werbeerfolgsmessung gegeben sind und somit die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem nichtklassischen Werbeträgermedium Internet verbessert werden kann. 4.2
Ergebnisse der Expertenbefragung
Um Prognosen über die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens der zuvor aus den Informationen der Fachliteratur abgeleiteten Arbeitshypothesen bezüglich der möglichen Chancen und Risiken der Digitalisierung des Fernsehens für die klassische Fernsehwerbung zu fundieren bzw. zusätzlich zu belegen, wurden sechs Experten aus den Bereichen „Werbezeitvermarktung“, „Media-Agentur“, „Medienunternehmen“, „Media-Consulting“ und „Medienwissenschaft bzw. -forschung“ interviewt und mit den einzelnen Arbeitshypothesen konfrontiert.
Digitales Fernsehen – Eine Analyse der Auswirkungen des technologischen Wandels
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Die befragten Experten der Werbezeitvermarktung sind in führenden Positionen aus den Bereichen „Produktmanagement“ bzw. „Verkauf“ Sonderwerbeformen, der Experte aus dem Bereich „Media-Agentur“ ist Gründer und Geschäftsführer einer Media-Agentur und der Interviewpartner aus dem Medienunternehmen leitet die Abteilung „Digitale Medien“. Der Befragte aus dem Beratungs-Bereich ist Senior Consultant im Segment der digitalen Wirtschaft. Bei dem Experten aus dem wissenschaftlichen Bereich handelt es sich um einen Professor der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Medienmanagement. Die Befragung fand in Form von telefonischen Interviews im Zeitraum Mai bis Juli 2006 statt. Die Ergebnisse dieser Expertenbefragung werden im Folgenden erläutert. Ergebnisse zu Arbeitshypothese 1: Eine Spezialisierung des Fernsehprogramms in Form eines größeren Angebots an Special-Interest-Kanälen im Zusammenhang mit der digitalisierungsbedingten Programmausweitung stellt eine Chance für die klassische Fernsehwerbung dar, weil hierdurch den Werbungtreibenden eine streuverlustärmere und damit effizientere Zielgruppenansprache ermöglicht wird. Bezüglich dieser Behauptung sind sich die befragten Experten einig. Sie teilen die Auffassung, dass durch die Spezialisierung des Programmangebots im digitalen Fernsehen in Form der Special-Interest-Kanäle eine präzisere Zielgruppenansprache mit geringeren Streuverlusten möglich ist. Allerdings bewerten sie die Möglichkeit der gezielteren Kundenansprache nicht übermäßig hoch. Das heißt, sie sehen darin zwar eine Chance für die Werbungtreibenden, aber keine mit einer all zu großer Bedeutung, zumindest momentan. Diese eher verhaltene Einstellung wird von den Experten damit begründet, dass Werbung auf Special-Interest-Sendern mit vergleichsweise geringen Reichweiten nur für bestimmte Produkte, so genannten Special-Interest-Produkten, wie z.B. speziellen japanischen Küchenmessern wirklich interessant ist. Laut Aussage des befragten Experten aus dem Media-Agentur-Bereich gilt im Werbemedium Fernsehen immer die Regel Quantität vor Qualität. Das heißt, innerhalb von kurzer Zeit sollen möglichst viele Menschen erreicht werden, um möglichst schnell eine große Markenbekanntheit aufzubauen. Dabei spielt die Zielgruppengenauigkeit der Ansprache zunächst eine sekundäre Rolle. Das gilt vor allem für die in der Regel im Fernsehen beworbenen reichweitenorientierten Produkte wie Waschmittel. Bei solchen so genannten General-Interest-Produkten ist es laut Expertenaussage für den Werbungtreibenden letztlich immer effizienter, auf einem großen General-Interest-Sender zu werben. Das Fazit, das aus diesen Aussagen gezogen werden kann, ist, dass die Spezialisierung des Programms in Form der Special-Interest-Sender eine gewisse Chance für die Werbungtreibenden darstellt. Die Werbung auf solchen Sendern ist allerdings eher für Special-Interest-Produkte geeignet und weniger für reichweiten-orientierte Produkte, für die schnell eine breite Markenbekanntheit aufgebaut werden soll. In diesem Zusammenhang bleibt abzuwarten, wie sich die Reichweiten dieser Special-Interest-
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Sender zukünftig im digitalen Fernsehen entwickeln werden. Es gilt: Je größer die Reichweite, desto interessanter ist ein Sender für den Werbungtreibenden. Ergebnisse zu Arbeitshypothese 2: Eine Ausweitung des Programms im digitalen Fernsehen führt zu einer Zunahme der Zuschauer-Fragmentierung auf dem deutschen Fernsehmarkt, was ein Risiko bzw. ein Nachteil für die klassische Fernsehwerbung darstellt, da hierdurch die durchschnittlichen Werbeblock-Reichweiten der Sender sinken werden und dadurch die Werbeeffizienz des einzelnen Werbeblocks negativ beeinflusst wird. Dieser Annahme wurde von der Mehrheit der Experten widersprochen. Das heißt, sie rechnen für Deutschland mit keiner so bedeutenden Fragmentierung durch die Digitalisierung des Fernsehens und der damit verbundenen Programmausweitung, dass dies signifikante Auswirkungen auf die Werbeblock-Reichweiten hätte. Laut der Aussage des befragten Experten aus dem Bereich der Werbezeitvermarktung haben wir in Deutschland schon heute eine Multi-Channel-Fernsehlandschaft, also einen relativ hohen Fragmentierungsgrad und daher nicht dieselbe Ausgangssituation wie beispielsweise auf dem britischen Fernsehmarkt, wo es bei der Einführung des digitalen Fernsehens nur fünf frei empfangbare Programme gab. Das bedeutet, dass zumindest die großen Sender wie ProSieben, Sat.1, RTL und VOX nur mit geringfügigen Marktanteils- bzw. Reichweiteneinbußen durch die Fragmentierung rechnen müssen. Die Experten aus den Bereichen Media-Agentur und Medienwissenschaft äußerte diesbezüglich eine andere Auffassung. Sie sind sich sicher, dass es durch die Digitalisierung zu einer signifikanten Fragmentierung und Verspartung des Programmangebots kommen wird, wodurch es immer weniger Sendungen mit großer Reichweite geben wird. Ihrer Meinung nach werde die Fragmentierung definitiv Auswirkungen auf die klassische Fernsehwerbung haben, da mit der Fragmentierung eine Personalisierung, d.h. also eine Spezialisierung des Programms einhergehe, die eine entsprechende Anpassung der Werbemaßnahmen erfordere. Fazit hieraus ist, dass die der Arbeitshypothese zugrunde liegende Annahme einer zunehmenden Zuschauer-Fragmentierung zweifelhaft ist, da diese laut Meinung der meisten Experten nicht in signifikantem Maße stattfinden werde, so dass daraus ein ernstzunehmendes Risiko für die klassische Fernsehwerbung resultieren könnte. Die großen Sender würden laut Expertenaussage ihre Stellung als „Leuchttürme der Medienlandschaft“ auch im digitalen Fernsehzeitalter behaupten können und die Wertigkeit eines Werbeblocks auf einem solchen Sender nähme durch die Fragmentierung eher weiter zu, da nur auf den großen Sendern unter solchen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch verhältnismäßig große Reichweiten erzielt werden könnten. Ergebnisse zu Arbeitshypothese 3: Die Möglichkeit des zeitunabhängigen bzw. zeitversetzten Fernsehkonsums durch das VoD-Angebot und DVRs stellt eine Gefahr für die klassische Fernsehwerbung dar, da
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hierdurch der lineare Fernsehkonsum insgesamt sinkt, wodurch die WerbeblockReichweiten der einzelnen Sender negativ beeinflusst werden. Wie schon bei Arbeitshypothese 2 gibt es auch bei dieser Arbeitshypothese eine gewisse Uneinigkeit hinsichtlich der Expertenmeinungen. Es zeichnet sich wieder ein Unterschied zwischen der Meinung der Vertreter der Werbezeitvermarkter und der Experten aus dem Media-Agentur-, Consulting- und Forschungs-Bereich ab. Erstere widersprechen der Aussage der Arbeitshypothese, dass die Möglichkeit des zeitunabhängigen Fernsehkonsums eine Gefahr für die klassische Fernsehwerbung darstellt, da hierdurch der lineare Fernsehkonsum sinkt. Sie sind der Meinung, dass die Auswirkungen von digitalen Videorekordern und dem VoD-Angebot im digitalen Fernsehen auf das Fernsehkonsumverhalten der Rezipienten maßlos überschätzt würden, und berufen sich dabei auf die Ergebnisse der in Abschnitt 3.2 erläuterten Untersuchung „Festplattenrekorder – die neue Fernsehrevolution?“, welche von ihnen initiiert worden ist. Das, was die Rezipienten tatsächlich mit den digitalen Videorekordern aufnehmen und zeitversetzt bzw. zeitunabhängig konsumieren würden, sei laut Aussage der Werbezeitvermarkter ein zusätzlicher Fernsehkonsum. Das heißt, er könne zu der „normalen“ Fernsehnutzungszeit des linearen Fernsehkonsums hinzugerechnet werden, so dass durch die Möglichkeit des zeitversetzten bzw. zeitunabhängigen Fernsehkonsums insgesamt die Fernsehnutzung steige und nicht der zeitversetzten Fernsehkonsum zu Lasten des linearen Free-TV geht. Die befragten Vertreter aus den Bereichen Media-Agentur, Beratung und Forschung/ Wissenschaft sehen diese Einschätzung sehr kritisch und weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Ergebnisse der Untersuchung, auf die sich die Werbezeitvermarkter berufen, vorsichtig zu bewerten seien, da man hierbei nicht von einer ausreichenden Objektivität bei der Auswertung ausgehen könne, weil es dabei um den Fortbestand der Hauptfinanzierungsquelle der Initiatoren gehe. Im Gegensatz zu den Experten aus dem Bereich der Werbevermarktung gehen sie davon aus, dass es durch die Möglichkeit des zeitversetzten und zeitunabhängigen Fernsehkonsums sehr wohl zu signifikanten Veränderungen in den Fernsehsehgewohnheiten der Rezipienten in Form eines verringerten Konsums von linearem Fernsehen kommen wird, was wiederum zu sinkenden Reichweiten der Sender führen werde. Es gibt also zwei gegensätzliche Positionen zu der Aussage der Arbeitshypothese. Diese gegensätzlichen Sichtweisen haben offensichtlich mit den unterschiedlichen Bereichen zu tun, aus denen die Experten kommen. Die Vertreter aus dem MediaAgentur-, Consulting- und Forschungs-Bereich stimmen der Aussage der Arbeitshypothese zu, während die Vertreter aus dem Bereich der Werbezeitvermarktung, die ein unmittelbares finanzielles Interesse an dem Fortbestand der Fernsehwerbung haben, der Aussage widersprechen. Ein eindeutiges Fazit ist deshalb nicht zu ziehen.
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Ergebnisse zu Arbeitshypothese 4: Die Möglichkeit des zeitunabhängigen bzw. zeitversetzten Fernsehkonsums durch das VoD-Angebot und DVRs stellt eine Gefahr für die klassische Fernsehwerbung dar, da hierdurch vermehrt Werbung von den Rezipienten vermieden wird. Wie zu erwarten, sind die Auffassungen bezüglich dieser Arbeitshypothese auch wieder unterschiedlich. Während die Experten aus dem Bereich der Werbezeitvermarkter der Meinung sind, dass ein Großteil der Fernsehkonsumenten in Deutschland eigentlich ganz gerne Werbung sieht und daher nicht übermäßig von den neuen technischen Möglichkeiten zur Werbevermeidung, die die digitalen Videorekorder ihnen böten, Gebrauch machen werden, sind die Experten aus dem Media-Agentur, Consultingund Forschungs-Bereich gegensätzlicher Meinung. Ihrer Meinung nach verliere die klassische Fernsehwerbung durch diese neuen Möglichkeiten, die die Rezipienten unabhängiger machten, ihre Existenzberechtigung. Gemäß ihrer Einschätzung werden die Rezipienten durchaus die Funktionen zur Werbevermeidung nutzen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben und das mit mitunter dramatische Folgen für die Werbewirtschaft. Dabei berufen sie sich auf Untersuchungen zur Nutzung der Werbevermeidungsmöglichkeiten digitaler Videorekorder wie „TiVo“ aus den USA, die dieses Verhalten eindeutig gezeigt hätten. Allerdings sagt sie auch, dass die Bereitschaft der Rezipienten zur Werbevermeidung ganz eindeutig von dem Unterhaltungswert der Werbung abhänge. Das heißt, Werbung wird nicht zwangsläufig und immer von den Rezipienten ausgeblendet. Wenn sie gut gemacht ist, d.h. wenn sie unterhaltend ist, sind die Leute durchaus bereit, Werbung zu rezipieren. In diesem Punkt sind sich alle befragten Experten einig und auch darüber, dass die Werbewirtschaft sich hinsichtlich der Gestaltung und Platzierung der Webespots weiterentwickeln müsse, um den Rezipienten weniger Anlass zu Werbevermeidung zu geben. Fazit daraus ist, dass sich die Arbeitshypothese zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig widerlegen, aber auch nicht belegen lässt. Ergebnisse zu Arbeitshypothese 5: Die neuen Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Fernsehen bieten eine Chance für die klassische Fernsehwerbung, da durch die Interaktivität der Rezipienten deren Involvement gesteigert werden kann und dies wiederum einen positiven Effekt auf die Werbewirkung hat. Bezüglich der Aussage dieser Arbeitshypothese sind sich alle befragten Experten einig. Sie stimmen alle zu, dass die Interaktionsmöglichkeiten im digitalen interaktiven Fernsehen eine große Chance für die Werbungtreibenden und die klassische Fernsehwerbung durch eine verbesserte Werbewirkung darstellt. Laut der Aussage der befragten Experten wird ein Spot, der den Konsumenten interessiert und durch die Interaktionsmöglichkeiten aktiv beschäftigt, ganz anders wahrgenommen als ein herkömmlicher Spot, der „nur“ passiv rezipiert wird. In dem Mo-
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ment, in dem eine Interaktion stattfindet, liegt auch gleichzeitig ein gewisses Involvement bei dem Rezipienten vor, was eine bessere Wahrnehmung des Spots in Form einer verbesserten Werbewirkung zur Folge hat. Das Fazit hieraus ist eindeutig. Durch die Möglichkeit der Interaktion mit dem Rezipienten im digitalen Fernsehen können die Werbungtreibenden dem Problem der oftmals schlechten Werbewirkung von Spots entgegenwirken. Bedingung hierfür sei allerdings laut Meinung des befragten Experten aus dem Bereich der Medienforschung, dass der bisher traditionell passive Fernsehzuschauer zu einem aktiven gemacht werde. Die Fernsehzuschauer müssten erst spielerisch zur Interaktion „erzogen“ bzw. daran gewöhnt werden, bevor sie mit interaktiver Werbung konfrontiert würden. Außerdem sei es für den Erfolg von interaktiver Werbung wichtiger denn je, dass die Werbemaßnahmen so zielgerichtet wie möglich sind. Es gilt: Ohne Interesse des Rezipienten an dem beworbenen Produkt, kommt es auch nicht zur Interaktion mit dem Werbungtreibenden. Ergebnisse zu Arbeitshypothese 6: Die neuen Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Fernsehen sind eine Chance für die klassische Fernsehwerbung, da hierdurch der Einsatz von DialogmarketingInstrumenten für die werbliche Kommunikation mit dem Rezipienten ermöglicht wird, wodurch die Werbeeffizienz durch eine streuverlustärmere, da präzisere Zielgruppenansprache verbessert werden kann. Die Aussagen der befragten Experten zu dieser Behauptung sind sehr eindeutig. Sie sind sich alle darüber einig, dass in den Dialogmarketing-Möglichkeiten, die sich für die Werbungtreibenden im digitalen interaktiven Fernsehen ergeben, die größten bzw. bedeutendsten Chancen für die klassische Fernsehwerbung liegen. Laut Aussage des Experten aus dem Media-Agentur-Bereich stellen diese neuen Dialogmarketing-Möglichkeiten einen Quantensprung für die Fernsehwerbung in Bezug auf die Attraktivität des Fernsehens als Werbemedium dar. Der Experten aus dem Bereich der Werbezeitvermarktung sagt dazu, dass durch die Möglichkeit, des „Targeten“ (englisch to target= (ab)zielen), d.h. des gezielten Nachvollziehen des Interaktionsverhaltens der Rezipienten und des Ziehens von Rückschlüsse auf deren Bedürfnisse und Wünsche, eine streuverlustärmere und sehr direkte Zielgruppenansprache ermöglicht wird. Hierdurch könne der einzige Nachteil des Werbemediums Fernsehen im Vergleich zu anderen Werbemedien behoben werden. Außerdem könne dadurch die Werbeeffizienz sehr verbessert werden, da mit einem Rezipienten, der sich auf den Dialog mit dem Werbungtreibenden in Form von Interaktion einlässt, im Anschluss an den ersten Kontakt wesentlich kostengünstiger durch direkte Ansprache kommuniziert werden könne. Trotz der großen Euphorie der befragten Experten bezüglich der neuen Chancen für die Fernsehwerbung durch die Möglichkeit einer direkten und individuellen Zielgruppen- bzw. Zielpersonenansprache gibt einer der Experten dabei eines zu bedenken. Fernsehen sei traditionell eine Gemeinschaftsaktivität. Das heißt, es sitzt in der
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Regel nicht nur eine Person vor dem Fernseher, sondern es sitzen mehrere davor, obendrein noch häufig verschiedenen Geschlechts, Alters etc. Aus diesem Grund dürfe die Individualisierung der Rezipientenansprache nicht zu weit gehen. Auch das Fazit, das sich aus diesen Ausführungen ableiten lässt, ist sehr eindeutig. Dadurch dass sich das Medium Fernsehen in Zukunft die Vorzüge der dialogischen Marketing-Kommunikation zunutze machen kann, wird seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber den anderen Werbemedien im Intermediavergleich verbessert, was angesichts des angesprochenen wachsenden Wettbewerbsdrucks durch den OnlineBereich vorteilhaft ist. Ergebnisse zu Arbeitshypothese 7: Die Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Fernsehen stellen eine Chance für die klassische Fernsehwerbung bzw. für das Medium Fernsehen als klassischen Werbeträger dar, da hierdurch verbesserte Möglichkeiten der Werbeerfolgsmessung gegeben sind und somit die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem nicht-klassischen Werbeträgermedium Internet verbessert werden kann. Dieser Behauptung wird von den befragten Experten eindeutig zugestimmt. Laut Aussage der Experten erfährt das Werbemedium Fernsehen durch die Möglichkeit der direkten Reaktion einen enormen Aufschwung bezüglich seiner Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Werbemedien und hier insbesondere gegenüber dem Online-Bereich. Der Vorteil liege unter anderem darin, dass durch die Interaktionsmöglichkeiten der Werbungtreibende die Möglichkeit bekomme, die exakte Responseleistung eines Spots zu bestimmen. Laut Aussage des Vertreters des Werbezeitvermarkter-Bereichs ist der Werbungtreibende somit nicht mehr ausschließlich auf die Daten der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) angewiesen, sondern kann den Erfolg eines Spots anhand von generierten „Leads“ bzw. Bestellungen messen, genauso wie es im Internet der Fall ist. Durch diese Möglichkeit der genauen Bestimmung des Return on Investments könne eventuell die Erosion der Werbebudgets zugunsten des Internets aufgehalten werden. Wie auch schon bei der Arbeitshypothese 6 ist das Fazit hieraus eine Verbesserung der Wettbewerbsstellung, die das Medium Fernsehen durch die Interaktionsmöglichkeiten des digitalen Fernsehens erfährt. 4.3
Zusammenfassende Beurteilung der Zukunftsaussichten der klassischen Fernsehwerbung im digitalen Fernsehen
4.3.1 Chancen für die klassische Fernsehwerbung Die Chancen, die sich zukünftig für die klassische Fernsehwerbung aus der Digitalisierung des Fernsehens ergeben könnten, überwiegen eindeutig gegenüber den Risiken und resultieren vor allem aus den Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Fernsehen. Wie in Tabelle 1 abgebildet, könnte dadurch •
die Zielgruppenansprache effizienter gestaltet werden
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•
die Werbewirkung verbessert und
•
der Werbeerfolg direkt bestimmt werden.
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Die Realisierung all dieser aufgeführten Chancen für die klassische Fernsehwerbung, bezüglich derer sowohl in der Fachpresse als auch unter den befragten Experten Einigkeit besteht, hängt laut Aussage des Experten aus dem Bereich der Medienwissenschaft/ Forschung von folgenden Faktoren ab: •
Erlangung von Marktreife der für eine Interaktion ohne Medienbruch benötigten Technik
•
Einigung auf einheitliche technische Standards im Zusammenhang mit den interaktiven Anwendungen im digitalen Fernsehen
•
Bereitschaft der Rezipienten zur Interaktion, auch im Werbekontext.
4.3.2 Risiken für die klassische Fernsehwerbung Potentielle Risiken, wie in Tabelle 1 abgebildet, die sich aus der Digitalisierung des Fernsehens in Deutschland ergeben könnten, resultieren vor allem aus dem VoDAngebot und den neuen technischen Möglichkeiten digitaler Festplattenrekorder im digitalen Fernsehen, die es ermöglichen •
Zeitunabhängig bzw. zeitversetzt TV zu konsumieren und
•
Werbung technisch sehr einfach zu vermeiden.
Bezüglich der tatsächlichen Bedrohung, die von diesen technischen Entwicklungen ausgeht bzw. zukünftig ausgehen könnte, herrscht in den entsprechenden Fachkreisen Uneinigkeit. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da für die privaten Programmveranstalter die Fernsehwerbung die Hauptfinanzierungsquelle ist und sie ein großes finanzielles Interesse daran haben, dass die werbungtreibende Wirtschaft auch in Zukunft das Medium Fernsehen als Werbeträger nutzt. Im Gegensatz dazu sind die Vertreter aus dem Media-Agentur; Consulting- und Forschungs-Bereich davon finanziell nicht unmittelbar betroffen, weswegen sie die zukünftige Entwicklung der klassischen Fernsehwerbung etwas neutraler betrachten und dementsprechend beurteilen. Insgesamt sind die Experten sich darüber einig, dass, wenn von den verbesserten Werbevermeidungsmöglichkeiten der DVRs etc. eine potentielle Gefahr ausgehen sollte, diese in erster Linie durch eine Verbesserung der Qualität der klassischen Fernsehwerbung hinsichtlich der Kriterien „Unterhaltungs- und Informationswert“ eingedämmt werden könne. Laut Aussage der Experten muss den Rezipienten von Anfang an möglichst wenig Anlass zur Werbevermeidung gegeben werden. Das bedeutet: 1.
dass die Werbung den Unterhaltungsansprüchen der Rezipienten an das Fernsehen genügen muss und
2.
dass sie für den jeweiligen Rezipienten inhaltlich möglichst relevant sein sollte, so dass sie einen Informationswert für den Rezipienten hat.
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Zu den Zukunftsaussichten des klassischen 30-sekündigen Werbespots im digitalen Fernsehen bleibt an dieser Stelle zusammenfassend zu sagen, dass die Digitalisierung des Fernsehens ein enormes Chancenpotential, aber auch gewisse Risiken für die klassische Fernsehwerbung mit sich bringt. Welche dieser Chancen letztendlich von den Werbungtreibenden realisiert werden können und welche Risiken möglicherweise wirklich eintreten, kann heute noch nicht eindeutig gesagt werden, sondern hängt von der Entwicklung auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren ab. Für alle interviewten Experten steht jedoch schon heute fest, dass es den klassischen 30-Sekünder noch lange geben wird und dass die Digitalisierung nicht das Aus für die klassische Fernsehwerbung bedeutet, so wie es zurzeit oftmals in der Presse prophezeit wird. Wahrscheinlicher ist es, so die einstimmige Meinung der Experten, dass sich der klassische Werbespot durch die Interaktionsmöglichkeiten weiterentwickelt und es zusätzlich vermehrt Werbeformen geben wird, die mehr in das eigentliche Programm integriert sind. Chancen für die klassische Fernsehwerbung
Risiken für die klassische Fernsehwerbung
1. Effizientere Zielgruppenansprache durch:
1. Sinkende Werbeblock-Reichweiten durch:
•
Spezialisierung des Programm-angebots (Special-Interest-Kanäle)
•
Zunahme der Zuschauer-Fragmentierung
•
Interaktion mit Rezipienten auf dialogischer Basis (Dialogmarketing)
•
vermehrten zeitunabhängigen Fernsehkonsum (VoD und DVR)
2. Verbesserte Werbewirkung durch: •
höheres Involvement der Rezipienten durch (inter)aktive Werberezeption
2. Vermehrte Werbevermeidung durch: •
technische Möglichkeiten der digitalen Festplattenrekorder
3. Verbesserte Messbarkeit des Werbeerfolgs durch: •
Bestimmung des Interaktiongrades (Response-Rate) der Rezipienten
Tabelle 1: Überblick über die zukünftigen Chancen und Risiken für die klassische Fernsehwerbung im digitalen Fernsehen
5
Fazit
Die Digitalisierung des Fernsehens wird die deutsche Fernsehlandschaft nachhaltig verändern, so wie sie es auch schon in diversen anderen Branchen wie z.B. der Musikbranche getan hat. Allerdings wird dies nicht von heute auf morgen geschehen, sondern in einem langsam voranschreitenden Prozess. Wie schnell dieser Umstel-
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lungsprozess vonstatten geht, hängt vor allem von der Akzeptanz bzw. Reaktanz der Nutzer gegenüber den Innovationen ab.121 Von den Veränderungen durch die Einführung des digitalen Fernsehens werden alle beteiligten Marktakteure des Fernsehwerbemarktes gleichermaßen betroffen sein. Für die Rezipienten bedeutet die Digitalisierung in erster Linie wesentlich mehr Programme und Zusatzdienste bei gleichzeitig höherer Bildqualität und insgesamt mehr Freiheit, was die Programmauswahl angeht. Da das zusätzliche Programmangebot nicht vollständig aus Werbeeinnahmen finanziert werden kann, müssen sich die deutschen Fernsehzuschauer zukünftig darauf einstellen, vermehrt für Fernsehinhalte und Services im Fernsehen zu zahlen.122 Die Programmveranstalter profitieren von der Digitalisierung durch zusätzliche Übertragungskapazitäten und insgesamt geringere Kosten für die Fernsehübertragung. Allerdings wird sich der Wettbewerb um die Zuschauer und vor allem um die Werbezeitbuchungen der Werbungtreibenden drastisch verschärfen.123 Es müssen neue, zusätzliche Finanzierungsquellen für die angebotenen Inhalte und Services gefunden werden, da das Werbewachstum begrenzt ist.124 Auch hinsichtlich der Qualität des angebotenen Programminhalts müssen die Bemühungen dahingehen, den Geschmack der Fernsehzuschauer genauer zu treffen und ihren Bedürfnissen besser gerecht zu werden. Nur durch gute, ansprechende Programminhalte können die Zuschauer an die Sender gebunden werden und somit hohe Einschaltquoten als Voraussetzung für hohe Werbebuchungen erzielt werden.125 „Will die TV-Branche aus dem Schicksal der Musikwirtschaft lernen, bleibt den Sendern […] nichts anderes übrig, als die neuen Technologien zu umarmen und das Geschäftsmodell grundlegend zu ändern.“126 Für die Werbungtreibenden überwiegen die Chancen, die die Digitalisierung des Fernsehens mit sich bringen, eindeutig gegenüber den Risiken. Es besteht dadurch ein großes Potential hinsichtlich der Verbesserung der Werbewirkung, der Werbeeffizienz und der Werbeerfolgsmessung, was angesichts der aktuellen Probleme der klassischen Fernsehwerbung sehr wichtig ist. Durch die Digitalisierung werden aber auch die Werbevermeidungsmöglichkeiten für die Rezipienten verbessert, bei denen jetzt schon eine Reaktanz gegenüber der Fernsehwerbung zu beobachten ist. Die Werbungtreibenden müssen dieser Problematik aktiv begegnen, indem sie die Werbung sowohl inhaltlich/ gestalterisch als auch in Bezug auf die Platzierung im Programm mehr an den Interessen und Bedürfnissen der Fernsehzuschauer ausrichten. Wer die
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Vgl. Friedrichsen (2004), S. 22. Vgl. Hamm/ Hart (2001), S. 40. Vgl. Hamm/ Hart (2001), S. 39. Vgl. Renner (2004), S. 220. Vgl. Friedrichsen/ Lindner (2004), S. 291. Renner (2004), S. 227.
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Wahl hat, entscheidet sich in der Regel für Qualität,127 d.h. dem Fernsehzuschauer muss in Zukunft ein guter Grund gegeben werden, Werbung bewusst zu konsumieren.128 Hier ist die Kreativität der Werbungtreibenden und Werbezeitvermarkter gefragt. Die neuen technischen Möglichkeiten des digitalen interaktiven Fernsehens bieten ihnen das nötige Werkzeug dazu.
127 128
Vgl. Rota (2004), S. 66. Renner (2004), S. 225.
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VIII Ein Beitrag zur Produktentwicklung in der Telekommunikationsindustrie aus der Perspektive des Innovationsmarketing Michael Erner / Volker Presse
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Einleitung
Innovationen werden in einem dynamischen, komplexen sowie meist unstrukturierten Umfeld unter hoher Unsicherheit entwickelt. Das Innovationsmanagement hat in diesem Kontext die Aufgabe, die Entwicklung von Innovationen in einen geplanten, kontrollierbaren und strukturierten Prozess einzubetten. In diesem Sinne definiert Hauschildt Innovationsmanagement als dispositive Gestaltung von Innovationsprozessen. Darunter fällt die Definition von Strategien und Zielen, das Treffen von Entscheidungen, das Bestimmen und Beeinflussen von Informationsflüssen, das Herstellen und Gestalten von sozialen Beziehungen sowie die Realisierung der getroffenen Entscheidungen (Hauschildt, 2004). Innerhalb des Innovationsmanagement hat sich seit mehreren Jahren das Innovationsmarketing als eigenständiger Bereich etabliert, dessen Aufgabe es ist, durch die Abbildung der Marktperspektive, insbesondere der Kundenanforderungen und -bedürfnisse, den Innovationsprozess marktorientiert zu gestalten. Das Innovationsmarketing beschreibt dementsprechend den Teil des Innovationsmanagement, der sich sowohl strategisch als auch operativ mit allen marktorientierten Aufgaben beschäftigt (Trommsdorff & Steinhoff, 2006). Der folgende Beitrag untersucht die Neuproduktentwicklung aus der Sicht des Innovationsmarketing in der Telekommunikationsindustrie. Dabei wird ein branchenspezifisch entwickelter Ansatz zur methodischen Unterstützung der Produktentwicklung zugrunde gelegt, dessen Konzeption auf der Basis eines, aus dem Kontext des Innovationsmanagement abgeleiteten Anforderungsprofils, aufgezeigt wird. Im Anschluss daran werden die Anwendungsmöglichkeiten aus der Perspektive des Innovationsmarketing dargelegt, wobei sowohl auf Technology-Push- als auch auf Market-PullInnovationen eingegangen wird.
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Innovationsmanagement in der Telekommunikationsindustrie
2.1
Marktbedingungen
Die Informations- und Telekommunikationsbranche (ITK) ist eine am Marktvolumen gemessen, große, stark wachsende und hoch profitable Branche und hat daher positive Vorzeichen für die Zukunft. Im Gegensatz zum allgemeinen Branchentrend ergibt sich für die einzelnen Markteilnehmer eine Vielzahl von Herausforderungen. Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes führte in den letzten Jahren zu einer deutlichen Steigerung des Wettbewerbs und damit zu einer tiefgreifenden Än-
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Erner / Presse
derung des gesamten Marktumfeldes. Insbesondere die folgenden Entwicklungen sind erkennbar: •
Zum einen existiert ein enormer Preisverfall für Telekommunikationsprodukte (jährlich bis zu 8%), der zusätzlich durch einen strukturellen Preiswandel, weg von den Verbindungspreisen hin zu einem dienste- bzw. serviceorientierten Pricing, verstärkt wird.
•
Darüber hinaus drängen neue, zunehmend branchenfremde Anbieter und damit auch neue Technologien und Dienste in den Telekommunikationsmarkt.
•
Ein weiterer Faktor ist die Konvergenz von ehemals getrennten Märkten zu einem neuen gemeinsamen Markt. Als Beispiele lassen sich hier Internet-TV (IPTV)1 und „Video on demand“2 anführen. Die klassischen Telekommunikationsanbieter verlassen dabei ihren originären Markt und strömen ebenso wie eine Reihe weiterer, branchenfremder Anbieter, insbesondere Content-Provider wie z.B. Fernsehsender, Filmverleiher und Produktionsstudios, in den neu entstehenden Markt.
Diese Entwicklungen führen für die einzelnen Marktteilnehmern schließlich zu einem enormen Innovationsdruck. Dieser wird einerseits durch das Wegbrechen von Umsätzen sowie andererseits durch die technologische Weiterentwicklung erzeugt. Zusätzlich zum Erfordernis nach Innovationen, entsteht vor allem in den sich neu entwickelnden, konvergenten Märkten eine große Unsicherheit bzgl. der eingesetzten Technologien und der relevanten Kunden- und Produktanforderungen. Die aufgezeigten Rahmenbedingungen für Innovationen verdeutlichen noch einmal die Notwendigkeit eines eigenständigen Innovationsmanagement für die Unternehmen der Telekommunikationsindustrie. 2.2
Herausforderungen für das Innovationsmanagement
Neben den externen, ist das Innovationsmanagement ebenso mit zahlreichen internen Herausforderungen entlang des Innovationsprozesses konfrontiert. Der Innovationsprozess setzt sich, wie in Abb. 1 dargestellt, aus drei aufeinanderfolgenden Phasen zusammen: Dem „Front-end of innovation“, dem „New product and process development“ und der abschließenden Kommerzialisierungsphase (Koen et al., 2001).
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IPTV (Internet Protocol TeleVision) steht für das Angebot von Film- und Fernsehen über das Internet Protokoll (IP). Der Benutzer kann damit über seine Internetverbindung auch Fernsehsender empfangen. Video on Demand ist ein Dienst, der es dem Nutzer erlaubt, Videofilme nach Bedarf individuell anzuschauen. Dafür kann der Nutzer auf eine Bibliothek von Filmen zugreifen und diese individuell auswählen.
Ein Beitrag zur Produktentwicklung in der Telekommunikationsindustrie
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Abbildung 1: Innovationsprozess nach Koen et al.
Während die erste Phase vielfach unstrukturiert abläuft und eine große Planungsunsicherheit herrscht, steigt in den weiteren Prozessschritten der Strukturierungsgrad und die Prognosesicherheit der Innovationen. Des Weiteren sind in den verschieden Phasen, Personen aus unterschiedlichen Disziplinen mit der Innovationsentwicklung betraut. Anfänglich befassen sich hauptsächlich Ingenieure mit der Erforschung und Entwicklung von Telekommunikationsprodukten, im späteren Verlauf werden zunehmend weitere, insbesondere Marketingmitarbeiter in den Prozess einbezogen. Die hohe Interdependenz und die daraus resultierende Komplexität der Dienste verlangsamen den Innovationsprozess, so dass die Entwicklungszeit von neuartigen Produkten bis zu 10 Jahre betragen kann. Das Innovationsmanagement muss daher insbesondere folgende Problemfelder lösen: •
Unstrukturiertheit und Planungsunsicherheit von Innovationen
•
Kommunikationsbarrieren zwischen Personen unterschiedlicher Communities (Wenger, 1999)
•
Eine sich permanent ändernde Markt- und Technologieumgebung (Markham, 2002)
Die aufgezeigten Bereiche stellen gleichsam die Herausforderungen für die Produktentwicklung im Telekommunikationsumfeld dar.
3
Produktentwicklung aus der Sicht des Innovationsmarketing
Zu den Kernaufgaben des Innovationsmarketing gehört die Neuproduktentwicklung mit dem Ziel der Etablierung neuer Produkte innerhalb von bereits existierenden Absatzmärkten sowie der Entwicklung innovativer Produktkategorien zur Erschließung
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Erner / Presse
neuer Märkte. Dabei wird insbesondere radikalen Innovationen die Eigenschaft zugesprochen, neue Märkte zu schaffen (Trommsdorff & Steinhoff, 2006). Grundsätzlich existieren, wie in Abb. 2 dargestellt, zwei komplementäre Konzepte zur Innovationsausrichtung eines Unternehmens. Auf der einen Seite kann technologischer Fortschritt zu neuen Lösungsmöglichkeiten oder sogenannten „BreakthroughInnovation“ (Trommsdorff & Steinhoff, 2006) führen, für die erst Kundenbedürfnisse gesucht oder sogar neue Märkte erschlossen werden müssen. Auf der anderen Seite können unbefriedigte Kundenprobleme die Entwicklung von neuen Problemlösungen anregen. Im Allgemeinen spricht man bei marktinduzierten Innovationen von Market-Pull und bei technologiegetriebenen Innovationen von Technology-Push (Chidamber & Kon, 1994). Diese beiden Innovationskonzepte stellen gleichsam den Handlungsrahmen für das Innovationsmarketing dar und lassen sich grundsätzlich nach Aufwand, Innovationsgrad, Markt- und Technologieunsicherheit sowie Zeithorizont unterscheiden. Während Market-Pull-Innovationen häufig inkrementelle Verbesserungen von vorhandenen Produkten sind, weisen Technology-PushInnovationen einen hohen Innovationsgrad und einen langfristigen Zeithorizont auf. Im Gegensatz zum Technology-Push haben die marktinduzierten Innovationen eine geringe Marktunsicherheit und aufgrund ihrer größeren Marktorientierung auch eine deutlich kürzere Markteinführungsdauer (Lender, 1991). „Technology Push“ und „Market Pull“ existieren in der Praxis meistens parallel zueinander und überlappen sich insbesondere in der Phase der Neuproduktentwicklung. In diesem Überschneidungsbereich muss das Innovationsmarketing diese beiden unterschiedlichen Formen der Innovation unterstützen und ist damit vor eine besondere Herausforderung gestellt.
Ein Beitrag zur Produktentwicklung in der Telekommunikationsindustrie
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Abbildung 2: Schnittstelle zwischen Technology-Push- und Market-Pull-Innovationen
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Die Bildung Block Methode: Ein methodischer Ansatz zur Unterstützung der Produktentwicklung in der Telekommunikationsindustrie
4.1
Anforderungen aus der Perspektive des Innovationsmarketing
Aus den oben dargestellten Rahmenbedingungen für das Innovationsmanagement im Telekommunikationsumfeld sollen folgende Anforderungen an die Organisation und Verarbeitung der Projektergebnisse im Rahmen des Produktentwicklungsprozesses aus der Sicht des Innovationsmarketing abgeleitet werden: 4.1.1 Gemeinsame Sprache Die Notwendigkeit der Entwicklung einer gemeinsamen, sprachlichen und terminologischen Basis ist im Wesentlichen in den beiden folgenden Aspekten begründet: •
Eine Vielzahl Personen verschiedenster Disziplinen beschäftigt sich in der Telekommunikation mit der Neuproduktentwicklung. Während anfänglich vor allem Ingenieure mit der Entwicklung von Produkten betraut sind, werden, wie oben dargestellt, gegen Ende der Entwicklungsphase vermehrt Nichttechniker in den Prozess einbezogen. Dementsprechend müssen einerseits die Techniker dem Produktmanagement die Möglichkeiten und Neuheiten der Entwicklung ebenso erklären wie umgekehrt die Produktmanager den Technikern marktrelevante Anforderungen vermitteln müssen. Dies setzt die Entwicklung einer gemeinsamen sprachlichen und terminologischen Basis voraus.
•
Weiterhin muss ein Ansatz zur Produktentwicklung sowohl den TechnologyPush- als auch den Market-Pull-Ansatz, also eine technikgetriebene ebenso wie
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eine marktinduzierte Vorgehensweise unterstützen. Projektergebnisse müssen dementsprechend aus beiden Blickrichtungen, der Seite der Technik ebenso wie der des Marketing zugänglich, interpretierbar und verarbeitbar sein, was durch eine einheitliche Sprache ermöglicht bzw. gefördert wird. Eine gemeinsame Terminologie erleichtert wie hier aufgezeigt, die Kommunikation der unterschiedlichen am Produktentwicklungsprozess beteiligten Stakeholder ebenso wie die unterschiedlichen Bewegungsrichtungen des Innovationsprozesses (Hawes, 1991). 4.1.2 Modularisierung Die Forderung nach Modularisierung ergibt sich aus einer Reihe von im Folgenden dargelegten Aspekten: •
Bei Innovationsprojekten im Telekommunikationsumfeld ist die lange „time to market“ ein kritischer Faktor.3 So werden häufig, wie das eben schon erwähnte Beispiel IPTV exemplarisch belegt, Innovationsprojekte mit einem so großen zeitlichen Vorlauf zur Vermarktung definiert und gestartet, dass das genaue „Marktziel“, insbesondere Marktpotential und Verwendungsmöglichkeiten noch weitestgehend unerforscht sind. Andererseits sind Unternehmen jedoch gezwungen, den Innovationsprozess entsprechend frühzeitig, auch ohne genaue Kenntnis über Markterfolg und Erfolgschancen, zu initiieren und voranzutreiben, wenn sie bei Innovationsthemen eine führende Rolle einnehmen wollen. Dies trifft insbesondere auf Technology Push Innovation zu. Die Modularisierung ist i.d.S. insbesondere eine Methode, die Flexibilität des Produktentwicklungsprozesses zu fördern.
•
Die beschriebene Unsicherheit und Dynamik des betrachteten Marktes erfordert neben der flexiblen Projektgestaltung die flexible Organisation der Projektergebnisse. Insbesondere Produktmanager müssen die Möglichkeit haben, die Neuproduktgestaltung kurzfristig nach den Vorgaben des Marktes zu gestalten bzw. anzupassen und die letztendliche Produktentwicklung noch auf die Marktbedürfnisse einzustellen. Die Modularisierung ist i.d.S. insbesondere eine Methode Projektergebnisse flexibel zu kombinieren.
•
Die Komplexität der Produktlösung, die insbesondere durch den beschriebenen Konvergenztrend verstärkt wird, muss reduziert werden, um Nichtprojektmitarbeitern den Zugang zu den jeweils relevanten Projektresultaten zu ermöglichen. Die Modularisierung erlaubt die isolierte Betrachtung von Projektergebnissen, losgelöst vom Projektkontext.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen wird deutlich, wie die Modularisierung den Innovations- und speziell den Produktentwicklungsprozess zu flexibilisieren und so3
Time-to-market beschreibt die Zeitspanne von Beginn der Produktentwicklung bis hin zur Markteinführung (Baumgarten & Risse, 2001)
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mit Komplexität sowie Unsicherheit zu reduzieren im Stande ist. Sie unterstützt dabei insbesondere die flexible und selektive Auswahl sowie Weiterverarbeitung der Projektergebnisse. 4.1.3 Meta-Aggregation Die zuvor beschriebenen Anforderungen hinsichtlich der Entwicklung einer gemeinsamen Sprache sowie der Modularisierung, führen in ihrer Konsequenz letztlich zur Forderung nach der Neuaggregation des vorhandenen Wissens. Zum einen, um den häufig aus technischen Zusammenhängen entnommenen Modulen eine marktorientierte Struktur zu geben, zum anderen, um die unendliche Vielzahl der entstehenden Module in leicht und allgemein verständlicher Weise zusammen zu fassen (Hawes, 1991). 4.2
Vorgehensweise
Als Ergebnis aus den oben dargelegten Anforderungen zur methodischen Unterstützung des Produktentwicklungsprozesses wurde der unten dargestellte Ansatz zur Organisation und Verarbeitung von Projektergebnissen entwickelt, der als Lösung eine flexible, modularisierte Metasprache vorschlägt, die im folgenden als BuildingBlock-Methode bezeichnet werden soll. Die Umsetzung der Building-Block-Methode vollzieht sich in zwei Schritten: Zunächst werden die Projektergebnisse aus ihrem technischen und projektspezifischen Umfeld herausgelöst. In einem zweiten Schritt werden sie in eine neue MetaAggregation überführt. Dazu wird die im Folgenden detailliert beschriebene und in Abb. 3 dargestellte Vorgehensweise angewendet. Im ersten Schritt soll Transparenz über den Inhalt und die Ergebnisse von Projekten erreicht werden. Typischerweise besteht die Zielsetzung von Projekten in der Lösung spezifischer Probleme. Dementsprechend sind die Projektergebnisse in Bezug auf die zu lösende Fragestellung organisiert und strukturiert. Zunächst müssen die Projektergebnisse daher identifiziert, strukturiert und kodifiziert werden, um sie für eine Weiterverwendung in anderer Form zu organisieren.
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Abbildung 3: Grundidee des Building Block Ansatzes
Ziel ist es, eine komplette Übersicht über alle im Rahmen des Projektes generierten technischen sowie auch nicht-technischen Projektergebnisse zu erstellen und damit deren „Überleben“ zu sichern (Probst, Raub & Romhardt, 1999). Das beinhaltet auch Wissensinhalte, die zwar zum Erreichen eines Projektergebnisses notwendig sind, deren Erfassung für den erfolgreichen Abschluss eines Projekts aber nicht zwangsläufig erforderlich ist. Gerade dieses Wissen stellt häufig eine kostbare Ressource für weitere Projekte dar. So wurde beispielweise im Rahmen des Innovationsprojektes für IPTV eine Marktstudie über Akzeptanz, Sehgewohnheiten und potentielle Anforderungen an das Fernsehen der Zukunft durchgeführt. Dieses Marktwissen ging schließlich in die Marktpotentialanalyse sowie in den Business Case ein. Teile der Studie konnten darüber hinaus in dem parallel laufenden Projekt „Mobile TV“ (Fernsehen auf dem Mobiltelefon) verwendet werden. Ohne eine explizite Erfassung dieses Wissens hätte es nicht für weitere Projekte - auch in thematisch anderen Bereichen eingesetzt werden und dadurch etwaige redundante Arbeiten und damit Kosten sparen können. Dazu müssen die Projektinhalte und -ergebnisse zunächst auf Modulebene beschrieben werden. Dabei geht es nicht darum, prozessuales Wissen wie Informationen über Zeit-, Arbeits- oder Budgetpläne aufzunehmen, sondern Wissensmodule als inhaltliches Ergebnis der Projektarbeit zu erfassen und darzustellen. Unter einem Modul versteht man in diesem Sinn ein detailliertes, aus der konkreten Projektlogik herausgelöstes, eigenständiges Projektergebnis z.B. in Form eines Teils einer Software oder eines Dokumentes. Die Identifizierung von Modulen dient der neutralen Isolierung einzelner Projektergebnisse und verlässt die für Projekte sonst übliche problem- bzw. lösungsorientierte Wissensorganisation (Probst, Raub & Romhardt, 1999).
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Im zweiten Schritt erfolgt die Zuordnung aller Module zu einem Building Block. Unter einem Building Block versteht man branchenbezogene, übergreifende Begriffe für Fachgebiete wie z.B. „Dienstequalität“, „Konvergenz“ oder „Personalisierung“, die als Fachtermini allgemein anerkannt sind und sowohl von technischem als auch nicht-technischem Personal im Bereich der ITK-Branche verstanden und verwendet werden. Ziel der Zuordnung ist die Identifizierung der fachlichen Bereiche, in denen das jeweilige Modul einen Mehrwert zu schaffen im Stande ist. Zur weiteren Unterscheidung ist es möglich, Unterbegriffe der Building Blocks wie beispielsweise „terminal handover“ und „session handover“4 als Unterbegriff für Konvergenz einzuführen.
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Einsatzmöglichkeiten des Building-Block-Ansatzes zur Produktentwicklung
Vor dem Hintergrund der Eingangs dargestellten Problematik im Innovationsmanagement soll im Folgenden der Building-Block-Ansatz hinsichtlich seines Beitrags zur Produktentwicklung vorgestellt werden. Die Einsatzmöglichkeiten werden in Bezug auf die für die Problemstellung zielführenden, konstituierenden Merkmale des Marketingmanagement-Ansatzes, d.h. Informations-, Strategie-, Aktions-, Segmentierungs-, und den Koordinationsaspekt (Meffert, 2000) aufgezeigt. Im Rahmen der Problemstellung liegt der Fokus auf den sachlogischen Managementfunktionen, so dass die Verhaltens- und Führungsaspekte weitestgehend ausgeklammert bleiben. Dabei sollen beispielhaft zwei praktische Anwendungsfälle für Technology-Pushund Market-Pull-Innovationen dargestellt werden. 5.1
Informations- und Koordinationsfunktion
Innovationsmarketing hat, wie oben ausgeführt, hinsichtlich der Informationsfunktion die Aufgabe, Marktinformationen zu generieren, in Produktanforderungen umzusetzen und in den Produktentwicklungsprozess einzubringen. Über die Informationsfunktion hinaus, gewährleistet es die Marktorientierung und marktorientierte Koordination des gesamten Innovationsprozesses. Insbesondere bei Market-PullInnovationen haben Produktmanager aufgrund der kurzen „Time to market“ häufig bereits klare Vorstellungen über die erforderliche Produktlösung und suchen lediglich noch nach der geeigneten technischen Realisierungsmöglichkeit. Ein Produktmanager, der eine „Video on Demand“ Lösung entwickelt, muss zunächst die erforderli4
Unter einem Terminal Handover versteht man den allgemein bekannten Fall, dass ein Endgerät von einer Zugangszelle zur nächsten wechselt. Das bedeutet, der Nutzer kann mit dem gleichen Endgerät in verschiedenen Zellen und oder Netzen aktiv sein. Beim Session Handover wechselt die sog. Sitzung, z.B. ein Telefongespräch das Endgerät. Ein Nutzer überträgt beispielsweise unterbrechungsfrei ein Telefongespräch von seinem Autotelefon auf sein Mobiltelefon.
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chen allgemeinen und spezifischen Kundenfunktionalitäten identifizieren und definieren. Im genannten Fall wären dies z.B. Funktionalitäten wie das Vorhandensein einer Nutzerschnittstelle, Authentifizierungs- und Bezahlmechanismen sowie Funktionalitäten zur Bedienung des Videos. (Vgl. hierzu Abb. 4) Im nächsten Schritt muss er untersuchen, wie er diese Funktionalitäten bereitstellen kann. Neben der Möglichkeit des Kaufs oder der Eigenentwicklung („Make or Buy“ Entscheidung) besteht weiterhin die Möglichkeit auf technische Lösungen bereits abgeschlossener Innovationsprojekte zurückzugreifen. Mit Hilfe der Strukturierung der Projektergebnisse in Building Blocks und Modulen ist der Produktmanager in der Lage, die für das Produkt relevanten Informationen bzw. Funktionalitäten einfach zu suchen und damit schnell zu erhalten. Häufig werden technische Projekte auf der Basis von „Use Cases“ entwickelt. „Use Cases“ beschreiben die für eine Anwendung aus Nutzersicht notwendigen Funktionalitäten und die entsprechenden technischen Lösungsmodule (Kruchten, 1999). Eine Zuordnung von Modulen zu „Use Cases“ über die Building Blocks hinaus bringt daher noch weitere Vorteile beim Identifizieren von Projektergebnissen. Der Building Block Ansatz hat in der hier beschriebenen Weise ein Informations- und Koordinationsfunktion sowohl hinsichtlich der Abstimmung zwischen Technik und Marketing als auch zwischen verschiedenen Projekten. Er stellt damit eine Methode dar, um die Interaktion zwischen Technikern und Marketingpersonal entlang des Innovationsprozesses zu unterstützten. Insbesondere bei Technology-Push-Innovationen wirkt das Innovationsmarketing aufgrund des zeitlichen Vorlaufs verstärkt auf die Klassifizierung und Generierung der Building Blocks ein, worauf im Folgenden im Rahmen der Aktionsfunktion noch näher eingegangen wird. Von besonderer Bedeutung sind die Building Blocks bei der Informations- und Koordinationsfunktion in ihrer Eigenschaft als funktionsbereichsübergreifende Metasprache sowie hinsichtlich ihrer komplexitätsreduzierenden Funktion.
Ein Beitrag zur Produktentwicklung in der Telekommunikationsindustrie
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Abbildung 4: Verknüpfung von Technologie und Markt
5.2
Aktionsfunktion
Kern des Innovationsmarketing ist die Entwicklung bzw. Gestaltung von Produkten. Eine Möglichkeit der Unsicherheit hinsichtlich der Markt- und Kundenanforderungen sowie der Komplexität der Produkte zu begegnen, wird, wie zuvor dargestellt, in der Flexibilisierung, die mit Hilfe der Modularisierung erreicht werden kann, gesehen. Über die zuvor beschriebene Informationsfunktion hinaus, dient das Konzept der Building Blocks in der Produktentwicklung als Baukasten für eine komplexe Gesamtlösung (Meyer & Lehnerd, 1997). In den Baukästen befinden sich die einzelnen Bausteine (Module), die, wie in Abb. 5 dargestellt, zum Bau von Produktlösungen verwendet werden können. Module sind dabei als funktionale Elemente anzusehen. Während bei Market-Pull-Innovationen Module häufig lediglich identifiziert, und in eine Gesamtlösung integriert werden, kommt dem Innovationsmarketing im Rahmen von Technology-Push-Innovationen insbesondere die Aufgabe zu, die Gestaltung von Modulen und Building Blocks aus marktorientierter Sicht zu beeinflussen und zu prägen. So gibt es beispielweise aus technischer Sicht unendlich viele Aspekte der Konvergenz. Dem Innovationsmarketing obliegt die Aufgabe, auf der Basis der Markttrends
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und -anforderungen, geeignete Module und Building Blocks zu definieren bzw. deren Entwicklung zu initiieren. In einem ersten Schritt müssen dazu die Kundenanforderungen identifiziert und hinsichtlich der resultierenden Produktanforderungen verdichtet werden. Neben der Zuordnung zu Building Blocks zum Zwecke der Wissensorganisation und -sicherung mit dem Ziel der weiteren Verarbeitung, können Module auch direkt im Hinblick auf die produktorientierte Verwendung zu Produkt- bzw. Servicefunktionalitäten aggregiert werden. In der Telekommunikationsbranche spricht man dann allgemein von „Enablern“. Ein „Enabler“ ist eine Art technologischer Produktbaustein, der bestimmte Funktionalitäten ermöglicht, die wiederum Teil einer Gesamtproduktlösung sind. Hierunter werden im genannten Konvergenzbeispiel häufig die Dimensionen „eine Rechnung“, „eine Rufnummer“ oder „eine E-Mail-Adresse“ subsumiert. Es muss jedoch hier darauf hingewiesen werden, dass Module bzw. Modulaggregationen nur unter bestimmten Bedingungen den Charakter von „technologischen Produktbausteinen“ haben. Häufig sind sie wie zuvor dargestellt, lediglich Wissensinhalte bzw. logische Funktionseinheiten, die noch weiter verarbeitet werden müssen.5 So können beispielsweise beim Technology Push aus den gerade genannten Konvergenzdimensionen Konvergenz-Enabler definiert werden, die zu einem späteren Zeitpunkt, wenn klare Markt- und Produktanforderungen vorliegen, beliebig kombiniert werden (Majchrzak, Cooper & Neece, 2004). Obige Ausführungen haben aufgezeigt, dass die Building Block Methode im Kontext der Produktgestaltung insbesondere durch die Modularisierung und zweckgeeignete Rekombination der Module sowohl Technology-Push- als auch Market-PullInnovationen bei der Produktentwicklung unterstützen.
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In der Automobilindustrie wird häufig eine sog. Modul- oder Plattformstrategie verfolgt. Die dort angesprochenen technischen Module sind einfach miteinander kombinierbar und dienen vor allem der Kosteneinsparung. Im Gegensatz dazu sind die in diesem Beitrag angesprochenen logischen Module nicht ohne zusätzlichen Implementierungsaufwand kombinierbar.
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Abbildung 5: Methodisches Vorgehen bei der Rekombination von Modulen
5.3
Segmentierungsaspekt
Der Segmentierungsaspekt behandelt im klassischen Sinne, die Einteilung des Marktes in spezifische Kundengruppen bzw. Segmente. Neben sozioökonomischen und demographischen Attributen (Bogner & Kury, 2004) gibt es eine Vielzahl weiterer, telekommunikationsspezifischer Unterscheidungskriterien wie die Ausstattung mit technischen Geräten, die Erfahrung mit ITK-Produkten oder das Nutzungsverhalten von Diensten. Das Innovationsmarketing muss hierbei auf der einen Seite die Produktentwicklung darin unterstützen, die segmentspezifisch geforderten Funktionalitäten anzubieten und auf der anderen Seite für Produkte die passenden Kundensegmente auszuwählen. Der Building-Block Ansatz liefert aufgrund seiner modularen Beschaffenheit genau die Flexibilität, die für eine segmentspezifische Produktentwicklung notwendig ist. So können mit Hilfe der Bausteinlogik leicht verschiedene Varianten eines Dienstes entwickelt werden, in dem Funktionalitäten einfach hinzuaddiert oder weggelassen werden können. In der Telekommunikation ist diese Art der Produktvariation (Badke-Schaub & Frankenberger, 2003) weit verbreitet. So verfügen Premium- und sogenannte „Businessprodukte“ regelmäßig über mehr und leistungsfähigere Produktfeatures. Die Building Block Methode ist im Rahmen der Segmentfunktion insbesondere hinsichtlich der Realisierung von Produktvariationen auf der Basis der flexiblen Modullogik von Bedeutung.
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5.4
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Strategiefunktion
Die Building Blocks haben eine hohe Relevanz für die strategische Planung und vor allem bei der Ableitung der Innovationsstrategie. Die Aufteilung der Projektergebnisse in Module und deren Zuordnung zu Building-Blocks ermöglicht z.B. eine Portfolioanalyse der Stärken und Schwächen (Porter, 1998) der gesamten Innovationsaktivitäten und dient daher als strategisches Steuerungsinstrument. Das Innovationsmarketing kann durch den Abgleich von vorhandenem technologischem Know-how und den zu erwartenden Markt- und Kundentrends potentielle Innovationslücken aufzeigen und die Entwicklung dementsprechend anpassen. Neben den Building Blocks dienen auch die Enabler als Steuerungsinstrument für die Produktentwicklung, wobei sie durch entsprechende Gestaltung und Anpassung die gesamte Entwicklung beeinflussen können. Die Operationalisierung der Innovationsstrategie durch die Initialisierung und Definition von Innovationsprojekten nimmt maßgeblich Einfluss auf die strategische Produktentwicklung. Sie kann mit Hilfe einer markt- und kundenkompatiblen Vorgabe der Baukästen (Building Blocks) und Enabler unterstützt und erleichtert erreicht werden. Technology-Push-Innovationen entwickeln somit in eine marktrelevante Struktur hinein, was eine Vereinfachung der Vermarktung solcher Innovationen zur Folge hat.
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Schlusswort
Der ITK-Markt bietet einerseits aufgrund seines Volumens und seiner Entwicklungsmöglichkeiten eine Vielzahl an Chancen, stellt die Unternehmen aber andererseits vor immense Herausforderungen. Starker Preisverfall, permanent neu aufkommende Technologien und Konvergenztendenzen treiben die Marktdynamik und erhöhen die Unsicherheit bei gleichzeitigem Innovationsdruck und stellen somit ein äußerst schwieriges Umfeld für das Innovationsmanagement sowie eine besondere Herausforderung für die Produktentwicklung dar. Auf der Basis eines aus diesem Kontext abgeleiteten Anforderungsprofils wurde ein Ansatz zur Organisation und Weiterverarbeitung der Projektergebnisse im Rahmen des Produktentwicklungsprozesses konzipiert. Dieser beruht auf einer flexiblen, modularisierten Metasprache, die hier als Building-Block-Methode bezeichnet wird. Schließlich wurde anhand der wesentlichen Marketingmanagementfunktionen aufgezeigt, wie die Produktentwicklung durch die Building-Block-Methode sowohl bei Technology-Push als auch bei Market-Pull-Innovationen erfolgreich eingesetzt werden kann. Dabei unterstützt der Ansatz das Auffinden von Produktmodulen ebenso wie deren Rekombination im Rahmen der Produktentwicklung sowie schließlich die strategische Analyse durch ein Gegenüberstellen von Markterfordernissen und technologischen Kompetenzen. Durch seinen allgemein verständlichen Charakter unterstützt er die marktgerichtete Koordination des gesamten Innovations- und Produktentwicklungsprozesses und wird zu einem unabkömmlichen Tool des Innovationsmarketing.
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IX
Service Engineering für Gesundheitsdienstleistungen
Dieta Simon
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Service Engineering als Wachstumschance
Globalisierung und Beschleunigung des Wettbewerbs sowie beinahe unbeschränkter Zugang zu relevanten Produktionsfaktoren inklusive neuen Technologien bewirken eine zunehmende Angleichung materieller Erzeugnisse im Hinblick auf technische, funktionelle und qualitative Eigenschaften bis hin zu Gleichwertigkeit in Design und Image. Immer mehr Unternehmen verlegen ihre Angebotsdifferenzierung in den Bereich kompatibler Dienstleistungen. Angesichts ihrer mehrdimensionalen Gestaltungsmöglichkeiten werden Dienstleistungen ebenso wie Produkte begrifflich als „Bündel nutzenstiftender Eigenschaften“ oder auch als „Problemlösungen“ bezeichnet (vgl. Hermann/ Huber 2000). Dienstleistungen heterogenen Charakters bieten Kunden somit ein wachsendes Angebot attraktiver Problemlösungen, indem sie beispielsweise die Implementierung, Überwachung, Wartung, Reparatur und Instandhaltung von Geräten, Maschinen und Anlagen unterstützen, komplette Wertschöpfungsprozesse in Unternehmen optimieren oder sie erzeugen autonom eigenständigen Nutzen für Kunden, indem sie in Form von Beratungsleistungen dazu beitragen, die Buchhaltung zu straffen oder in Form einer medizinischen Behandlung, Patienten zu heilen. Unabhängig davon, ob Dienstleistungen einen engen Bezug zu materiellen Erzeugnissen haben oder ein separates Geschäft darstellen, sie nehmen einen wachsenden Stellenwert in der Umsatzgenerierung und Zukunftssicherung von Unternehmen ein, denn sie tragen entscheidend dazu bei, eine führende Marktposition zu erreichen oder auszubauen und zusätzliche Ertrags- und Wachstumspotentiale zu erschließen. Aus Wettbewerbsgründen sind Anbieter von Dienstleistungen ebenso wie Anbieter materieller Erzeugnisse gezwungen, ihre Angebotspalette fortlaufend aktiv durch Innovationen zu modifizieren. Innovationsmanagement für Dienstleistungen, lange vernachlässigt, gewinnt an strategischer Relevanz. Auch wenn in der Vergangenheit gelegentlich zufällig entstandene Innovationen beachtliche Markterfolge erlangt haben, belegen Studien, dass Innovationen für nachhaltigen Markterfolg systematisch geplant und gestaltet werden müssen (vgl. Benkenstein 1998). Zu prüfen ist daher, ob und wie bewährte Konzepte, Vorgehensmodelle, Methoden und Werkzeuge des produkt- und prozessbezogenen Innovationsmanagements für das Management innovativer Dienstleistungen anzuwenden sind. Für das Management innovativer Dienstleistungen setzt sich in der Fachliteratur der Begriff „Service Engineering“ durch (vgl. Bullinger/ Scheer 2006).
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Gestaltungsdimensionen im Service Engineering und Kundenintegrationsmanagement
Innovationsmanagement lässt sich als Kombination strategischer und operativer Entscheidungen und Maßnahmen beschreiben, mit der Aufgabe, neue Problemlösungen mit erkennbarem Mehrwert für Kunden zu entwickeln und am Markt zu platzieren. Mit Dienstleistungsinnovationen sind somit Neuentwicklungen von Leistungen gemeint, keine Differenzierungen oder Variationen vorhandener Angebote (vgl. Zahn/ Weidler 1995). Analytisch werden Dienstleistungen aus drei Perspektiven betrachtet: aus der Potential-, Prozess- und Ergebnisperspektive. In allen drei Dimensionen sind Leistungen zur Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen gestaltbar. Diese Sichtweise ist auch für innovative Dienstleistungen beizubehalten (vgl. Maleri 1998; Bullinger/ Schreiner 2006), zusätzlich sollte jedoch der Aspekt der Kundenintegration besonders beachtet werden. Denn das wichtigste Merkmal von Dienstleistungen ist, dass der Kunde zwangsläufig an ihrer Erstellung beteiligt ist. Die Leistungserbringung durch den Anbieter und die Nutzung durch den Kunden fallen inhaltlich und zeitlich zusammen, bezeichnet als „Uno-Actu“ Prinzip. Der Kunde nimmt damit wesentlich Einfluss auf die Qualität der Leistung. Die Integration des Kunden in den Leistungsprozess hat für das Innovationsmanagement von Dienstleistungen sowohl strategische als auch operative Bedeutung. Innovationen können technologie- oder kundengetrieben sein (vgl. Specht 2002). Autonom entwickelte neue Technologien können Produkte funktionell und strukturell verbessern oder Problemlösungen ganz neuartigen Charakters hervorbringen; auch Dienstleistungsinnovationen können aus neuen technologischen Entwicklungen resultieren, wie sich beispielhaft an der Vielzahl komplexer Service- und Beratungsleistungen zeigen lässt, die im Zuge der industriellen Anwendung von Miniaturisierungstechnologien in EDV-Systemen, Informations- und Kommunikationssystemen und dem Internet entstanden sind. Die Anwendungsreife neuer Technologien forciert somit Produkt-, Prozess- und Dienstleistungsinnovationen in Form des Technologie Push, der neue Lösungen in den Markt drückt. Auf der anderen Seite resultieren neue Problemlösungen aus neuen Bedürfnissen der Kunden. Veränderte Anwendungserfordernisse induzieren neuartige Bedarfe bei Kunden. In Form des Market Pull werden so bedarfsorientierte technologisch basierte innovative Lösungen induziert. Neue Kundenbedürfnisse können folglich ebenfalls Leistungsinnovationen initiieren. Exemplarisch ist auf die computergestützte Überwachung von Herzschrittmachern u.ä. hinzuweisen, deren automatische Kontrolle über eine kompetente Systemzentrale die Träger dieser Implantate beruhigt. Bei den meisten Innovationen ist es erforderlich, Technologie- und Anwendungsbezug zu einem harmonischen Fit zusammenzuführen, auch wenn anwendungsreife neue Technologien häufig erst neuartige Nutzungsmöglichkeiten sichtbar machen helfen. Zwischen beiden Innovationstreibern ist eine Wechselwirkung zu konstatie-
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ren. Als Beispiel hierfür kann die industrielle Anwendungsreife der Mikroelektronik dienen, die Voraussetzung für die Entwicklung von Computern war, die zunächst nur die mechanische Schreibmaschine ersetzten. Weit über diesen traditionellen Anwendungsbereich hinaus erschlossen Computer in der Folge jedoch fast unbegrenzte neue Nutzungsfelder. Computer werden inzwischen bekanntlich zum Rechnen, Zeichnen, Konstruieren, Kommunizieren, Datenverarbeiten, Maschinensteuern, Fernsehen etc. eingesetzt. Trotz der impulsgebenden Funktion neuer Technologien ist davon auszugehen, dass bei Leistungsinnovationen ein überzeugender und erkennbarer neuartiger Kundennutzen die wesentlichste Erfolgsvoraussetzung darstellt, da er letztlich die breite Marktakzeptanz einer neuen Dienstleistung bestimmt. Daher ist der frühzeitigen Zusammenarbeit mit fortschrittlichen Kunden für die Entwicklung und Gestaltung von Leistungsinnovationen herausragendes Gewicht beizumessen. Kundenintegration umfasst somit eine strategische und eine operative Komponente: 2.1
Strategische Komponente der Kundenintegration
Besteht in der frühzeitigen Einbindung aufgeschlossener Kunden in die Innovationsplanung. Schon am Findungs- und Designprozess einer innovativen Dienstleistung sind problemorientierte Kunden möglichst ex-ante, also vor der eigentlichen Erbringung der Dienstleistung am Markt, intensiv zu beteiligen. Indem Kunden zu einem sehr frühen Zeitpunkt inhaltlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der neuen Leistung nehmen, werden im Vorfeld die wichtigsten Voraussetzungen für die Marktakzeptanz geschaffen, die letztlich der Prüfstein nachhaltiger Marktfähigkeit ist. Entscheidend und in der praktischen Umsetzung nicht immer einfach ist daher zunächst die Identifizierung und Gewinnung von experimentierfreudigen Nutzern, den Lead Usern (vgl. v. Hippel 2005). Lead User haben drei herausragende Funktionen im Innovationsprozess: •
sie weisen früher als andere Kunden auf zukünftige Problembedarfe hin
•
sie haben in der Regel schon selbst mit neuen Lösungsmöglichkeiten experimentiert und
•
sie profitieren von den neuen Lösungen sichtbar.
Lead User können folglich in Innovationsprozessen die unterstützende Rolle von Promotoren, Förderern der Innovation, übernehmen und erkennbare Widerstände bereits zu Beginn der konzeptionellen Entwicklungsarbeiten identifizieren und aus dem Weg räumen helfen (vgl. Witte 1998). Innovationsvorhaben sind immer politischer Natur, denn sie tangieren in der Regel Interessen von Mitarbeitern und Führungskräften (vgl. Zahn/ Weidler 1995). Innovationsmanagement wird daher zurecht auch als Management von Widerständen bezeichnet (vgl. Hauschildt 1993, S. 95 f.), denn Neuerungen finden nicht immer sofort Akzeptanz bei Mitarbeitern und Nutzern. In zahlreichen Studien wurde belegt, dass Innovationen häufig zunächst abgelehnt werden und zu Konflikten einerseits zwischen dem Streben nach Veränderungen und
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verbesserten Lösungen sowie andererseits dem Wunsch nach Erhaltung des Bekannten und Vertrauten führen. Widerstände können auf psychologischen Barrieren basieren und sich als Wissens- oder Wollensbarrieren manifestieren. Wissensbarrieren gelten als informations- und qualifikationsbedingt und lassen sich durch entsprechende Aufklärungs- und Schulungsmaßnahmen abbauen. Wollensbarrieren sind Ausdruck von Ängsten vor Verschlechterungen der Situation. Ihnen kann durch Beteiligung, Einbindung und Kompensationsmaßnahmen, die psychologische Sicherheit vermitteln, entgegengewirkt werden (vgl. Zahn/ Weidler 1995). Eine frühe Beteiligung potentieller Kunden gibt somit auch Hinweise auf eventuell notwendige Akzeptanzförderungsmaßnahmen. Dies scheint insbesondere für innovative Dienstleistungen relevant, da sie von Nutzern und Kunden gravierende Denk-, Einstellungs- und Verhaltensänderungen fordern. 2.2
Operative Komponente von Kundenintegration
Manifestiert sich darin, dass der Kunde in seinem Integrationsbeitrag im Leistungserstellungsprozess systematisch geführt wird, denn während der eigentlichen Leistungserbringung bestimmt der Kunde als externer Faktor Verlauf und Qualität des Erstellungsprozesses und damit auch das Ergebnis mit. Dabei können die benannten Willens- und Wollensbarrieren negativ wirksam werden und zu einer Leistungsbeeinträchtigung führen. Selten wird der Kunde in seinem eigenen Leistungsbeitrag die Ursache für einen nicht zufriedenstellenden Leistungsprozess und ein Leistungsergebnis, das nicht seinen Erwartungen entspricht, sehen. Letztlich ist die Kundenzufriedenheit Voraussetzung für Wiederkauf. Daher ist durch den Leistungserbringer sicherzustellen, dass die Integration des Kunden methodisch und systematisch gelingt, also so gesteuert und unterstützt wird, dass der Kunde qualifiziert und motiviert den Prozess mitgestaltet und schließlich mit der Qualität von Leistungsprozess, Leistungsergebnis und den für ihn erfahrbaren Leistungspotentialen, insbesondere dem Verhalten und Agieren der Anbietermitarbeiter, zufrieden ist. Hierfür sind die bekannten methodischen Instrumente zur Kundenintegration wie Netzplantechniken oder Blueprints einzusetzen. 2.2.1 Potentialmanagement Um eine innovative Dienstleistung in hoher Qualität und Effizienz anbieten zu können, müssen Unternehmen über attraktive, wettbewerbsüberlegene Ressourcen oder Potentiale verfügen. Dazu gehören an erster Stelle speziell qualifizierte und motivierte Mitarbeiter, hochwertige Räume, moderne technische Ausstattungen wie Maschinen, Geräte, intelligente Informations- und Kommunikationssysteme etc., die nach neuartiger Ablauflogistik im Leistungserstellungsprozess zu innovativen Lösungen kombiniert werden. Zu den internen Voraussetzungen der Anbieter zählen auch flexible Organisationsstrukturen und ein engagiertes Management, das den Mitarbeitern die erforderlichen Gestaltungsspielräume für kreatives Arbeiten lässt und sich selbst in der Rolle von Moderatoren und Change Agenten der Veränderungsprozesse sieht (vgl. Picot/ Reichwald/ Wigand 2002, S. 453 f.). Konstruktive Beziehungen zu inno-
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vativen Kunden, den Lead Usern, gehören ebenso dazu wie zu leistungsfähigen und kreativen Kooperationspartnern sowie Experten mit Markt-, Anwendungs- und Technologiekompetenz, die Anregungen für innovative Problemlösungen geben können. Neben der inhaltlichen Generierung der Dienstleistungsinnovation aus ihren Potentialen müssen Anbieterunternehmen auch den quantitativen Bedarf für die innovative Dienstleistung abschätzen. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist die Leistungserbringung in einem kontinuierlichen Einsatzfluss so zu organisieren, dass eine gleichmäßige Auslastung der vorgehaltenen Kapazitäten möglich ist. Hierfür brauchen die Anbieter klar strukturierte und zugleich flexible modellierbare Geschäftsprozesse, denn die Leistungen sind in der Regel auf den Bedarf eines spezifischen Kunden anzupassen. Um sowohl die qualitative als auch die quantitative Kombination der Potentiale effizient zu gestalten, ist methodisches Handwerkszeug, also Methoden zur Planung, Realisierung und Steuerung von ziel- und ergebnisorientiertem Ressourceneinsatz, erforderlich. Zuvörderst sollte das Marktpotential zuverlässig abgeschätzt werden, um daran den eigenen Ressourceneinsatz für Angebotsgestaltung und Marktbearbeitung zu orientieren. 2.2.2 Prozessmanagement Dienstleistungen werden im Unterschied zu Sachgütern in interaktiven Prozessen zwischen Anbieter und Abnehmern realisiert, die in Form des „externen Faktors“ entweder persönlich in Gestalt von Mitarbeitern oder zur Verfügung gestellter Objekte beteiligt sind (vgl. Maleri 1998). Weder kann eine Autoreparatur ohne das Auto als Objekt des Kunden noch eine komplexe medizinische Beratungsleistung ohne direkten Kontakt zwischen Patient und Arzt erfolgen. Weil erstens der Bedarf kundenspezifisch ist und zweitens das konkrete Verhalten einzelner Kunden in der direkten Interaktion sehr unterschiedlich sein kann, müssen Dienstleistungen flexibel auf die Besonderheiten des jeweiligen Kunden angepasst werden können (s.o.). Daraus ergibt sich als Hauptproblem der Prozessgestaltung die Sicherstellung einer gleichbleibenden Qualität von Dienstleistungen. Eine identische erbrachte Leistung kann durch die Mitarbeit des Kunden ganz unterschiedliche Qualität erlangen (s.o.) und zudem von Kunden sehr unterschiedlich bewertet werden. Durch die Mitarbeit des Kunden unterliegt jeder Dienstleistungsprozess daher einem doppelten Risiko: •
einem Leistungsrisiko basierend auf Verhaltensdifferenzen zwischen beiden Prozessbeteiligten, und
•
einem Bewertungsrisiko basierend auf Bewertungsdifferenzen. Beides kann zu Unzufriedenheit der Kunden führen.
Zentrales Gestaltungselement im Leistungsprozess ist daher eine möglichst verständigungsorientierte Kommunikation sowie ein transparenter Prozessverlauf. Treten Probleme in der Kommunikation auf, Irritationen oder Störungen zwischen den Geschäftspartnern als Folge unklarer Aufgabenteilung und von Wissens- und/ oder Wollensbarrieren, können Qualität, Verlauf und Ergebnis der Leistungserbringung negativ beeinträchtigt werden. Dies gilt besonders für innovative Dienstleistungen, für die
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zu Beginn der Konzipierung häufig ungenaue oder unterschiedliche Qualitätsvorstellungen beider Partner bestehen. Der Erfolg der innovativen Dienstleistung wird wesentlich durch die frühzeitig entstehende Zusammenarbeit und das sich entwickelnde Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern mitbestimmt. Dienstleistungen werden als Vertrauensgüter bezeichnet, weil der Kunde sich auf Geschäfte einlässt, deren Qualität er infolge der Immaterialität der Leistung erst nach der Leistungserbringung beurteilen kann, in Abhängigkeit vom Neuigkeitsgrad häufig selbst dann nicht, weil eine Vergleichsmöglichkeit fehlt und die Komplexität zu groß ist. Grundlage kooperativer Kundenintegration ist daher zwangsläufig der offene Kommunikationsprozess zwischen allen Beteiligten. Unterliegt der Informationsaustausch bei der Konzipierung und/ oder Realisierung der Dienstleistungsinnovation störenden Einflüssen, leiden Leistungs- und Ergebnisqualität und damit letztendlich auch die Kundenzufriedenheit. Leistungs- und Kommunikationsprozess müssen folglich so gestaltet werden, dass sowohl eine effiziente Problemlösung im Hinblick auf Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung erreicht wird und zugleich auch eine soziale Vertrauensbeziehung entsteht, die einen Konsens ermöglicht. Problemlösungs- und Beziehungsebene müssen miteinander kompatibel sein. Daher erfordert der innovative Leistungserstellungsprozess selber kommunikative Moderation und organisatorische Gestaltung durch Einsatz systematischer Methoden und Instrumente des Qualitäts- und Projektmanagements, so dass der Prozess zugleich transparent und effizient für Kunden und für Anbieter ist. Nur wenn jeder Auftrag als Projekt gemanagt wird, ist sicherzustellen, dass die neue Leistung zu marktfähigen Kosten, einer vertretbaren Kosten-/ Nutzenrelation, und zur Zufriedenheit des Kunden realisiert wird. Dabei muß der Nutzen, den eine innovative Leistung dem Kunden stiftet, für ihn klar erkennbar und erfahrbar sein und er muß darüber hinaus kommunikativ verdeutlicht werden, um Zahlungsbereitschaft zu erzeugen. Bei all dem darf der Prozess nicht zu komplex werden, denn die Leistung muß zu einem Preis erbracht werden können, der Zahlungsfähigkeit durch den Kunden ermöglicht - bei gleichzeitigem Gewinn für den Anbieter. Unter strategischen Wettbewerbsgesichtspunkten müssen innovative Leistungsprozesse somit zugleich hohen Qualitäts- und Effizienzansprüchen genügen. Da dies vor allem mit den eingesetzten Ressourcen und ihrer ökonomischen Kombination im Leistungsprozess zusammenhängt, unterliegen innovative Dienstleistungen hohen Managementanforderungen (vgl. Simon/ Hofer 2004). Schließlich sind innovative Dienstleistungen spezifischen Wettbewerbszwängen im Hinblick auf den Markteinführungszeitpunkt ausgesetzt, denn sie errichten in der Regel niedrige Markteintrittsbarrieren. Im Unterschied zu materiellen Produkten, für deren Entwicklung, Herstellung und Vertrieb hohe Investitionen und langfristige Vorlaufzeiten erforderlich sind, die als strategische Markteintrittsbarrieren Nachahmer eine gewisse Zeitlang abwehren, erfordern innovative Dienstleistungen häufig geringere personelle, technische und räumliche Ausstattungsinvestitionen für Entwicklung und Produktionsanlagen sowie geringeren Aufwand zur Einrichtung. Neu-
Service Engineering für Gesundheitsdienstleistungen
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artige Leistungen lassen sich folglich leichter und schneller kopieren, derzeit gut zu beobachten bei Bank- und Finanzdienstleistungen. Innovative Dienstleistungen brauchen daher von Anbeginn an ein überzeugendes Vermarktungskonzept, das schon in ihrer Konzeptionsphase vertrauensvolle Kundenbeziehungen entstehen lässt, und den Anbieter bei der Positionierung im Hinblick auf Einzigartigkeit und Reputation nachhaltig unterstützt, um ihn damit möglichst lange vor schnellen Nachahmern zu schützen. In den Leistungserstellungsprozess sind somit Elemente zu integrieren, die frühzeitig Vertrauen und Kundenbindung als Wechselbarriere erzeugen. 2.2.3 Ergebnismanagement Wichtigster Kaufgrund jeder Leistung ist für den Kunden das Leistungsergebnis: das Auto fährt nach der Reparatur wieder störungsfrei, das Unternehmen kann nach einer Beratung das EDV- System in allen Funktionen perfekt bedienen. Aufgrund der hohen Spezifität und der Kundenbeteiligung ist es im Einzelfall oft schwierig und sehr aufwändig, das erwartete Ergebnis einer innovativen Beratungsleistung im Hinblick auf Inhalt, Umfang und Qualität exakt vorab zu formulieren. Wie genau dies gelingt, hängt vom Grad der Standardisierungsmöglichkeit einer Leistung ab. Ein innovativer Wartungsscheck für das Bremssystem im Auto ist standardisierbar und folglich auch in seinen inhaltlichen, qualitativen und zeitlichen Wirkungsstrukturen genau definierbar. Demgegenüber lässt sich die Ergebnisqualität einer innovativen Gesundheitsdienstleistung weniger präzise formulieren, beispielsweise die Beschaffenheit der Hautstruktur nach einer medizinischen Gesichtsbehandlung. Kompensierbar sind Unschärfen im Ergebnis durch einen gut organisierten und für den Kunden nachvollziehbaren und transparenten Leistungsprozess sowie kompetente Leistungserbringer einschließlich hochwertiger gerätetechnischer Ausrüstung und Ausstattung. Im Hinblick auf die Entwicklung und Gestaltung innovativer Dienstleistungen muß von Anfang an mit dem Kunden über die erreichbare Ergebnisqualität gesprochen werden, um Kundenerwartungen erfüllen und Kundenzufriedenheit sichern zu können. Je weniger eindeutig sich das angestrebte Ergebnis vorweg definieren lässt, um so wichtiger sind Vereinbarungen über den Charakter der Prozessgestaltung und über substitutive Bewertungskriterien. Auch die eingesetzten Potentiale, z.B. die Mitarbeiterkompetenzen und die Qualität der räumlichen und technischen Ausstattung, müssen in der Kundenkommunikation als Qualitätsmerkmale herausgestellt werden. Für die Erlangung langfristiger Kundenzufriedenheit hat die Implementierung von Qualitätsmanagement gerade bei Dienstleistungsinnovationen herausragendes Gewicht (vgl. Benkenstein/ Güthoff 1998). Kurz zusammengefasst müsste Service Engineering im Kern drei Aufgaben bewältigen: •
die Innovationen sind strategisch zu planen und auf Marktfähigkeit zu prüfen
•
die potentiellen Kunden sind an der Konzipierung frühzeitig zu beteiligen und ihre Mitwirkung an der integrativen Leistungserstellung selber ist systematisch zu organisieren
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•
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die Leistungspotentiale sind kreativ zu einem effizienten Leistungsprozess zu kombinieren, der für den Kunden im Ergebnis einen neuartigen Nutzen erzeugt.
In Orientierung an den skizzierten zentralen Handlungsfeldern des Service Engineering wird nachfolgend ein Vorgehensmodell für das Innovationsmanagement von Gesundheitsdienstleistungen vorgestellt und erörtert, welche methodischen Instrumente sich für die Gestaltung eignen.
3
Phasenmodell für das Service Engineering
Die Kernaufgaben des Innovationsmanagements für Dienstleistungen, systematische Planung, Realisierung und Steuerung von neuartigen Problemlösungen, lässt sich in einem phasenbezogenen Gestaltungsmodell zusammenfassen (vgl. Schneider u.a. 2006). Danach besteht der Innovationsprozess aus einer Abfolge verschiedener Phasen, die jedoch nur gedanklich als sequentielle Vorgehensschritte modelliert sind, während sie im Prozess der Realisierung in einem Unternehmen komplex vernetzt und untereinander zirkulär verwoben sind. Jede Phase soll von Anbeginn an kundenund marktorientiert gestaltet werden. Im Modell sind folgende Phasen unterscheidbar: 1. Phase der Ideengewinnung In engem Bezug zu innovativen Kunden und Partnern werden Ideen gesammelt und Vorschläge für neue Leistungsangebote entwickelt. Hierbei sind zunächst sämtliche Ideen zugelassen, weil die Umsetzung von Ideen in tragfähige Konzepte weniger aufwändig ist als bei materiellen Produkten (vgl. Benkenstein 1998, S. 700). Eingesetzt werden hierfür die bewährten Methoden von Innovationsworkshops, Gruppenund Einzelinterviews, Lead User Analysen, Messeauswertungen, Kreativtechniken. 2. Phase der Ideenprüfung und –auswahl Für die aussichtsreichsten Ideen werden Marktuntersuchungen, Machbarkeits- und Kostenanalysen durchgeführt und die erfolgsträchtigen werden für die Realisierung ausgewählt. Dabei kommen Methoden der Nutzwertanalyse, Risikoanalyse, Checklisten etc. zur Anwendung. 3. Phase Design In der Designphase werden grobe Konzepte für die Ausgestaltung der Problemlösungen entworfen. Möglichst exakt wird der Nutzen für den Kunden definiert und festgelegt, wer genau der Kunde, d.h. die Zielgruppe sein soll. Dann wird umrissen, aus welchen Bestandteilen oder Teilleistungen die Gesamtleistung zusammengesetzt sein soll. Definiert wird auch die Beteiligung des Kunden am Leistungserstellungsprozess. Potentielle Kunden und Lead User werden identifiziert und in die Konzeptformulierung eingebunden. In Form eines Lastenheftes (Leistungsbeschreibung) werden sämtliche Kundenanforderungen festgehalten. Aus Marketingsicht gehört in diese Phase der interne Know-how-Transfer im Anbieterunternehmen. Mitarbeiter, die an der
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Feinplanung der innovativen Leistung mitwirken und diese am Markt realisieren sollen, werden durch Schulungen und Workshops für die neuen Aufgaben motiviert und qualifiziert. 4. Phase Entwicklung Nach dem Grobkonzept entsteht das Feinkonzept. Es enthält eine detaillierte Leistungsbeschreibung und Festlegungen aller Rahmenbedingungen zur Ausführung der Leistung. In Form eines Pflichtenheftes werden dazu sämtliche Aktivitäten der Teilleistungen in ihrer logischen und zeitlichen Abfolge sowie die Bedingungen ihrer Ausführung beschrieben, die erforderlich sind, um den gewünschten Kundennutzen zu erzeugen. Es wird dargelegt, wie welche Teilleistungen von welchem Mitarbeitertyp erbracht werden, welche Qualifikationen die Mitarbeiter haben müssen, welche technischen Ausrüstungen, Methoden u.ä. sie dabei einsetzen müssen, welche Qualitätsausprägungen erreicht werden sollen, wie der Leistungsfortschritt für den Kunden dokumentiert werden soll, welche Teilleistungen oder Aktivitäten der Kunde durchführen soll bzw. mit welchen Anteilen er in die jeweiligen Leistungsschritte eingebunden ist, welche Integrationsinstrumente dabei verwendet werden, welche Informationen der Kunde zu welcher Zeit im Prozess der Leistungsvorbereitung und Leistungserstellung liefern soll, zu welchem Ergebnis die Leistung schließlich führt, d.h. welcher Wert und Nutzen für den Kunden entsteht. Im Rahmen eines „VorfeldMarketing“ gehört in diese Phase die Einbindung von innovativen Kunden, die über Gruppendiskussionen, Interviews u.ä. den Anwendungsnutzen der Leistung schärfen helfen. Erarbeitet werden somit eine genaue Leistungsbeschreibung im Hinblick auf Umfang, Qualität, Dauer und Kosten sowie eine detaillierte Festlegung des Ablaufes der Leistungserbringung einschließlich des erwarteten Ergebnisses. Eingesetzt werden hierfür Planungsmethoden des Projektmanagements. 5. Phase Implementierung und Test In Orientierung am Feinkonzept werden im Unternehmen Organisationseinheiten gebildet, die sachlichen und technischen Einrichtungen und Geräte, das methodische Handwerkszeug beschafft, Geschäftsprozesse und Abläufe verbindlich organisiert und in Anweisungen/ Handlungsregelungen/ Handbüchern dokumentiert, Aufgaben an die Mitarbeiter verteilt, die den innovativen Leistungsprozess durchführen. Nötigenfalls werden weitere Mitarbeiterqualifizierungen für die Anwendung bestimmten Methoden und Instrumente durchgeführt. Die Implementierung schafft die faktischen Voraussetzungen dafür, dass die innovative Leistung tatsächlich an einen Kunden verkauft werden kann. Vor dem Ernstfall wird für innovative Kunden die neue Leistung exemplarisch erstellt. Hierbei werden der logistische Ablauf und sämtliche Einsatzfaktoren zur Leistungserbringung überprüft und eventuell modifiziert. Das Pilot-Marketing hat in dieser Phase die Aufgabe, den Kundennutzen zu demonstrieren und kommunikativ aufzubereiten.
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6. Phase Markteinführung Nach der erfolgreichen Erprobung kann die innovative Dienstleistung am Markt angeboten und für die ersten Kunden realisiert werden. Erforderliche kommunikative Markteinführungsmaßnahmen im Sinne eines Breitenmarketing informieren rechtzeitig über die neue Leistung am Markt. Hierfür können Messen, Tagungen, Veröffentlichungen, Werbemittel u.ä. eingesetzt werden. Aus zahlreichen empirischen Studien ist bekannt, dass vor allem kleine und mittelständische Unternehmen bei der Anwendung komplexer Vorgehensmodelle in der Praxis große Probleme haben (vgl. Schneider u.a. 2006). Sollen auch kleine Unternehmen mit begrenzten Ressourcen ein systematisches Gestaltungskonzept für die Entwicklung innovativer Leistungen anwenden, dann lassen sich die Phasen auf drei konzentrieren, die in der Regel gut zu überschauen sind: •
eine Planungs- und Vorbereitungsphase, in der Ideen und Konzeption der innovativen Leistung entstehen,
•
eine Umsetzungsphase, in der sämtliche Voraussetzungen für die Realisierung geschaffen werden
•
und eine Implementierungsphase, in der die Markteinführung beginnt.
Nachfolgend soll in Anlehnung an die konzeptionellen Überlegungen das Innovationsmanagement in einem konkreten Anwendungsbereich skizziert werden. Ausgewählt werden innovative Leistungen im Gesundheitssektor.
4
Service Engineering für innovative Gesundheitsdienstleistungen
4.1
Bedarf für innovative Gesundheitsdienstleistungen
Die Gesunderhaltung der Bevölkerung ist ein zentrales Anliegen jeder Gesellschaft, denn nicht nur Lebensglück und Leistungsfähigkeit des einzelnen Menschen, sondern auch Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Gesellschaft insgesamt hängen von ihr ab. Aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation gilt ein Mensch dann als gesund, wenn er weder eine Krankheit noch ein Gebrechen hat und sich darüber hinaus körperlich, geistig und sozial vollständig wohl fühlt (vgl. Behnke 2006). Gemessen an diesem umfassenden Gesundheitsbegriff, der von den meisten Industrieländern als richtungsweisend anerkannt ist, ist für die deutsche Bevölkerung festzustellen, dass sie immer kränker wird. Gesundheitsdienstleistungen gewinnen daher in Zukunft herausragende Bedeutung. Sie sind nicht nur erforderlich für das Wiederherstellen der Gesundheit im Krankheitsfall, sie dienen vor allem dazu, das Auftreten von Krankheiten, Beschädigungen, Verschleiß u.ä. präventiv möglichst zu verhindern oder auf einen sehr späten Zeitpunkt im Lebensalter des Menschen zu verschieben. Gesundheitsdienstleistungen umfassen, weil sie ganz unterschiedliche Bedarfe befriedigen müssen, ein komplexes Bündel vielfältiger Leistungsarten. Wie wichtig der Gesundheitssektor inzwischen
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auch für die Volkswirtschaft ist, zeigt die Tatsache, dass hier direkt und indirekt mehr als 4,2 Millionen Menschen beschäftigt sind und in Deutschland über 300 Milliarden Euro, fast 11% des Bruttoinlandproduktes, für Gesundheit aufgewendet werden (vgl. Garber 2004, S. 138). Der Gesundheitssektor ist bereits jetzt die größte Wirtschaftsbranche und nur die Amerikaner geben noch mehr Geld für Gesundheit aus. Nachfolgend werden vor allem präventive Gesundheitsdienstleistungen betrachtet. 4.2
Gründe, Arten und Folgen der Zunahme an Erkrankungen
Die Ursachen für das Ansteigen von Krankheiten und in der Folge Arbeitsunfähigkeit und Lebensbeeinträchtigungen sind unterschiedlich verteilt: neben genetischen Faktoren der Erbanlagen spielen Umwelteinflüsse, Lebens- und Konsumgewohnheiten aber auch Arbeitsbedingungen und schließlich das Lebensalter eine wesentliche Rolle für das Gesundbleiben und Wohlbefinden der Menschen. Aus einer Vielzahl von Studien der Arbeits- und Gesundheitsforschung ist bekannt, dass die komplexen und dynamischen Arbeits- und Lebensbedingungen im Informationszeitalter dazu beitragen, Menschen krank zu machen. Belegt sind detaillierte Zusammenhänge zwischen spezifischen arbeitsbedingten Belastungen und gesundheitsbeeinträchtigenden Effekten (vgl. Uhlig/ Wülser 2005). Auch die schädigende Wirkung moderner Lebensführung mit falscher Ernährung, fortlaufender Überforderung durch zu viele unterschiedliche Anforderungen, Wünsche und Aufgaben gleichzeitig, zu wenig körperlicher Bewegung bei gleichzeitiger multipler psychischer Beanspruchung ist wiederholt für fast alle Altersgruppen nachgewiesen (vgl. Meggeneder u.a. 2005). Einfluss auf den Anstieg von Krankheiten hat auch die demographische Entwicklung, denn die Bevölkerung in Industrieländern wird im Durchschnitt kränker, weil Menschen immer älter werden. So liegen die durchschnittlichen Lebenserwartungen für Frauen in Deutschland derzeit bei 81, für Männer bei 75 Jahren. Erwartet wird ein weiterer Anstieg. Erkrankungsschwerpunkte in Deutschland sind ausführlich dokumentiert: •
fast 2 Millionen Menschen leiden an Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems; auf diese Erkrankungsart entfallen 45% aller Todesfälle, das entspricht 16% = 35,4 Milliarden Euro aller Kosten des deutschen Gesundheitswesens im Jahre 2002
•
fünf Millionen Menschen leiden an Diabetes zuzüglich ca. zwei Millionen unentdeckter Fälle – mit insgesamt drastisch steigender Tendenz vor allem bei Kindern und Jugendlichen als Folge falscher Ernährung und mangelnder Bewegung. Für das Jahr 2030 erwarten Prognosen, wenn vorher keine drastischen Maßnahmen ergriffen werden, dass 10 Millionen Menschen erkrankt sein werden. Experten sehen allein in den ansteigenden Kosten für langjährige teure Insulinbehandlung der chronisch Erkrankten mit vielen Fällen der Frühinvalidität eine Zeitbombe für die Explosion der Gesundheitskosten
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•
mehrere Millionen Menschen leiden an Suchtkrankheiten (Alkohol) mit einer Vielzahl gesundheitlicher Störungen und chronischer Folgeerkrankungen
•
mehrere Millionen Menschen sind psychisch krank; psychische Erkrankungen umfassen bereits 10% aller Krankheiten und verursachten 2002 Kosten in Höhe von 22,4 Milliarden Euro (vgl. Behnke 2006).
Insgesamt fielen in Deutschland im Jahr 2002 fast 224 Milliarden Euro Gesundheitskosten an. Mehr als die Hälfte davon wurden für Erkrankungen von Herz-/Kreislauf, der Verdauungsorgane, des Muskel- und Skelettsystems sowie der Psyche ausgegeben. Alle diese Krankheiten weisen eine steigende Tendenz auf. Gravierend ist auch die Zunahme bei den arbeitsbedingten Erkrankungen, die in psychische und physische Belastungen unterteilt werden. Mit zunehmender Automatisierung industrieller Produktionsprozesse und der Verringerung körperlicher Beanspruchung zeigen sich in den letzten Jahren deutliche Verschiebungen weg von physischen Belastungsarten bedingt durch Lärm, Staub, Hitze etc. hin zu psychischen wie Stress, Arbeitsplatzunsicherheit, Überforderung, Mobbing etc. Kompatibel mit dieser Verlagerung ist der Anstieg gesundheitlicher Probleme psychischer Art (vgl. Uhlig/ Wülser 2005, S. 75 f.). Interessant ist, dass sich diese Krankheiten nicht nur auf einfache Arbeiter und Angestellte verteilen, sondern zunehmend auch Führungskräfte betroffen sind. Untersuchungen zufolge basierten in Deutschland schon 1998, also vor gut acht Jahren •
29% aller Arbeitsunfähigkeitsfälle auf körperlichen Belastungen,
•
31% auf psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, die relativ und absolut zunehmen;
•
Schätzungen zufolge sind insgesamt 30% aller Erkrankungen direkt auf Arbeitseinflüsse rückführbar (vgl. Uhlig/ Wülser 2005).
Die drastische Zunahme von Gesundheitsbeeinträchtigungen verursacht für die Gesellschaft und vor allem die Unternehmen erhebliche Kosten. So schätzt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin für 2003 insgesamt •
508,6 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage,
•
die Produktionsausfallkosten von 44,76 Milliarden Euro sowie
•
Ausfall an Bruttowertschöpfungskosten in Höhe von insgesamt 70,75 Milliarden Euro erzeugten (vgl. Uhlig/ Wülser 2005, S. 21).
Eine Herausforderung dieser hier nur fragmentarisch skizzierten Entwicklung für Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen ist die Tatsache, dass sich viele dieser Krankheiten durch präventive Maßnahmen vermeiden oder in ein sehr spätes Lebensalter verschieben lassen. Hier setzen die strategischen Überlegungen zur Entwicklung innovativer Gesundheitsdienstleistungen an.
Service Engineering für Gesundheitsdienstleistungen
4.3
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Zielgruppen für innovative Gesundheitsdienstleistungen
Unabhängig von den verschiedenen Ursachen für die Zunahme an Erkrankungen in der Bevölkerung ist davon auszugehen, dass lebenslange Gesundheit und Wohlbefinden sowohl im Interesse •
der einzelnen Menschen, deren Lebensglück und Berufschancen von ihr mitgeprägt werden,
•
der Unternehmen, die leistungsfähige, zufriedene und gesunde Mitarbeiter haben möchten sowie
•
der Gesellschaft sind, deren derzeitige soziale Sicherungssysteme die insgesamt drastisch ansteigenden Kosten für Krankheit zukünftig kaum noch verkraften können.
Obgleich der Gesetzgeber fortlaufend durch unterschiedliche Schutzgesetze (Arbeitsschutz, Umweltschutz, Lärmschutz, Arbeitssicherheit etc.) versucht, schädliche Einwirkungen in den Lebens- und Arbeitsräumen der Menschen abzubauen oder sie wenigstens stark einzudämmen, und auch Unternehmen sich bemühen, im Rahmen ihrer technologischen und strukturellen Reorganisationsprozesse häufig über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehend und diesen vorauseilend, die Arbeitsbedingungen so zu modifizieren, dass negative Einflüsse auf die Gesundheit der Beschäftigten minimiert werden, scheint der Anstieg der Volkskrankheiten durch diese Maßnahmen allein nicht aufzuhalten sein. Angesichts der dramatischen Zunahme von Krankheiten und ihren Folgekosten wird es nötig sein, auf mehreren Ebenen zugleich - angefangen bei Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen bis hin zu konkreten Präventionsmaßnahmen - zusätzlich tätig zu werden. Für Anbieter von präventiven innovativen Gesundheitsdienstleistungen erschließen sich hier riesige Marktchancen, denn Gesundheitsdienstleistungen, die dazu beitragen, Menschen vor Krankheiten präventiv zu schützen, treffen auf einen wachsenden Bedarf. Die Frage für Anbieter ist allerdings, wie aus dem identifizierbaren Bedarf eine entsprechende Nachfrage generiert und stimuliert werden kann. Gesundheitsdienstleistungen lassen sich im Hinblick auf mögliche Zielgruppen zunächst grob in zwei Bereiche unterteilen: •
Leistungen zur Wiederherstellung von Gesundheit – bezeichnet nachfolgend als „Ex-post- Leistungen“. Zielgruppen sind hier bereits Erkrankte.
•
Leistungen zur vorbeugenden Verhinderung frühzeitiger Erkrankungen und Beschädigungen präventiven Charakters – bezeichnet als „Ex-ante- Leistungen“. Zielgruppe sind hier Gesunde.
Sämtliche Wiederherstellungsleistungen (Ex-post) von Gesundheit werden in Deutschland durch das öffentliche Gesundheitssystem, bestehend aus Ärzten, Kliniken, Apotheken, Pharmazeutischen Unternehmen, diversen Spezialeinrichtungen etc. auf hohem Niveau erbracht. Die Kosten für das Gesundheitssystem in Deutschland
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werden durch ein gesetzlich reguliertes Umlagesystem (Solidarsystem) in Form von Mitgliederbeiträgen der Krankenkassen und Versicherungen finanziert. Schon seit Jahren ist erkennbar, dass die drastischen Kostensteigerungen der Gesundheitsversorgung die den einzelnen Haushalten zumutbaren Mitgliederbeiträgen davon laufen. Im Rahmen der andauernden Gesundheitsreformen und unabhängig von jedem neuen konkreten Reformmodell der Finanzierung zeichnet sich ein deutlicher Trend ab, eine zunehmende Anzahl von Leistungen aus dem verbindlichen Leistungskatalog der Kassen auszugliedern und ihre Finanzierung an den einzelnen zu delegieren. Angesichts des drastischen Anstiegs der Kosten für sich ausbreitende Volkskrankheiten wie Diabetes sind Experten sich einig über die Notwendigkeit, zukünftig aus Finanzierungs- und Kostengründen den Katalog für zwingende Leistungen noch enger zu fassen. Damit ist eine Wanderungsbewegung absehbar mit der Folge, dass sich schrittweise immer mehr Leistungen in den präventiven Bereich, für den jeder einzelne selbst verantwortlich ist, verlagern werden. Selbst wenn dieser Prozess sich sehr langsam vollziehen wird, aufzuhalten sein wird er angesichts der demographischen Entwicklung nicht. Grundsätzlich anders stellt sich die Situation der Ex-Ante-Leistungen dar. Präventive Gesundheitsdienstleistungen werden schon lange von einer großen Vielzahl unterschiedlicher Leistungserbringer (Fitness-Studios, Sportclubs, Bewegungstherapeuten etc.) angeboten. Eine Reihe der Ex-Ante-Leistungen wurden bislang sogar ebenfalls durch das Solidarsystem finanziert. Allerdings beteiligten sich die Kassen an vielen dieser Leistungen nur anteilig und unter Vorbehalt. Dazu gehören beispielsweise Leistungen aus den Naturheilverfahren (z.B. Hypnose, Akupunktur), Schutzimpfungen (z.B. Typhus, Tetanus) und Präventionsmaßnahmen (Bewegung, Ernährung) (vgl. Behnke 2006). Der für die Zukunft erwartete Kostenanstieg im Bereich der ernsten Volkskrankheiten wird dazu führen, das zeigt die anhaltenden Diskussionen um die Gesundheitsreform, dass immer weniger Geld für Maßnahmen präventiven Charakters verfügbar sein wird, obgleich ihre Relevanz allseits anerkannt wird. Andere europäische Länder sind bereits jetzt Vorbild für Gesundheitssysteme restriktiveren Charakters. Damit stellt sich die Frage nach der Verantwortung für die Gesundheitsdienstleistungen präventiven Charakters für viele Menschen neu: Wollen sie in Zukunft nicht auf vorbeugende Maßnahmen zur Gesunderhaltung verzichten, Maßnahmen, die bislang die Kassen noch ganz oder anteilig finanzierten, müssen die Menschen künftig individuell dafür zahlen. Das gilt darüber hinaus tendenziell für alle Leistungen, die gesunde Menschen auch jetzt schon in Anspruch nehmen können, um präventiv für ihre Gesundheit zu sorgen. Angesichts des prognostizierten Kostenanstiegs im Gesundheitssystem, spätestens seit Einführung der 10 Euro-Praxisgebühr, und der breiten öffentlichen Diskussion in sämtlichen Medien, Parteien und Interessensverbänden über zukünftige Finanzierungsmöglichkeiten wäre anzunehmen, dass sich ein neues öffentliches und privates Bewusstsein über die Relevanz von Gesundheit herausbildet. Allein die bekannten
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Tatsachen müssten immer mehr Bürgern die Notwendigkeit vor Augen führen, dass in Zukunft jeder einzelne selbst mehr Verantwortung für seine Gesundheit und für eine gesunderhaltende Lebensweise übernehmen muß und einen zusätzlichen Teil seiner Zeit und seines Einkommens für die eigene Gesunderhaltung aufwenden muß. Gesundheitsvorsorge statt Ferienreise, forderte kürzlich der Bundesdeutsche Finanzminister von den Bürgern. Öffentlichkeit und Gewerkschaftsverbände haben umgehend widersprochen. Setzen sich jedoch die skizzierten Entwicklungen ungebrochen fort, wird sich die Kostensituation in wenigen Jahren so zuspitzen, dass die aktuelle Ministerforderung harmlos erscheinen wird. Einige Indizien weisen bereits jetzt darauf hin, dass in Teilen der Bevölkerung ein neues Gesundheits- und Präventionsbewusstsein entsteht. Eine repräsentative Befragung in Deutschland zur Gesundheitsvorsorge mit Hilfe von Selbstmedikation und Sport ergab, dass die Selbstmedikation in den zehn Jahren zwischen 1995 bis 2005 von 12,4% auf 59,3% gestiegen ist, fast 52% der Befragten betreiben Sport zur Gesundheitsförderung und Krankheitsvorbeugung. Hieraus ist zu schließen, dass ungefähr die Hälfte der Bevölkerung die Eigenverantwortung für die Gesundheit erkannt und angenommen hat. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes sind aber 49% der deutschen Bevölkerung übergewichtig, stark übergewichtig 14% der Männer, 12% der Frauen. Eine deutliche Zunahme der Übergewichtigen ist vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu finden. Übergewicht ist zwar keine Krankheit, trägt aber zu vielen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei und fördert mittelfristig die Entstehung chronischer Erkrankungen wie Diabetes durch Überlastungen. Die generelle Zunahme der Volkskrankheiten wurde vorab verdeutlicht. Diese Zahlen zeigen nicht, ob es die Übergewichtigen sind, die sich bereits freiwillig sportlich betätigen oder ob es die nicht Übergewichtigen sind, die gerade, weil sie Sport treiben, keine gesundheitsbeeinträchtigenden Gewichtsprobleme haben. Interpretierbar sind diese Daten in jedem Fall in zweierlei Hinsicht: Etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung hat die Notwendigkeit erkannt, durch das eigene Verhalten – Ernährung, Bewegung, Lebensgewohnheiten u.ä. – für ihre Gesunderhaltung zu sorgen. Dieser Teil wird unterstützt durch Medien, Parteien, Unternehmen, Aufklärungsinstitutionen, die regelmäßig über die Relevanz von gesunder Ernährung, viel Bewegung etc. informieren. Menschen dieser Gruppe nehmen offenbar freiwillig präventive Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch, die von der in den letzten Jahren deutlich angestiegene Zahl von Sportvereinen, Fitnessstudios und Wellnesseinrichtungen angeboten werden. Dieser aktive Bevölkerungsteil ist also bereits Zielgruppe für Gesundheitsdienstleistungen präventiven Charakters. Diese Gruppe wird auch künftig mit innovativen Angeboten ansprechbar sein, zumal anzunehmen ist, dass eine gesunde und sportliche Lebensführung nicht nur als wohltuend für die Gesundheit empfunden wird, sondern darüber hinaus bereichernd für das soziale Wohlbefinden der Menschen. Allein die Zunahme anregender Berichte und Anzeigen in Zeitschriften und Medien sowie das wachsende Angebot eigenständiger
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Magazine der großen Zeitungsverlage für Wellness und Gesundheit spiegeln die Dynamik und Vielfalt der präventiven Angebotsentwicklung wider. Ein etwa gleich großer Teil der Bevölkerung mag von den skizzierten Entwicklungen gehört haben. Verhaltensänderungen und Maßnahmen zur eigenverantwortlichen Gesundheitsvorsorge haben diese Menschen bislang nicht ergriffen. Da auch ihnen ein grundsätzliches Interesse an Gesundheit unterstellt werden muss, sind gerade sie als neue Zielgruppe für innovative Leistungsanbieter relevant. Allerdings werden für ihre Ansprache und Motivation weitaus größere Anstrengungen und spezifische Anreize erforderlich sein, denn hier sind Bedarfe innovativen Charakters zu konstatieren. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Betrachtung für Anbieter präventiver innovativer Gesundheitsdienstleistungen im Hinblick auf die Bestimmung ihrer Zielgruppen? Sowohl die Aktiven als auch die bislang Passiven bieten Marktperspektiven. Für die erste Gruppe wäre detailliert zu analysieren, für welche neuen Leistungsangebote Kunden und potentielle Kunden zusätzlich zu begeistern wären und wie groß das jeweilige Absatzpotential einzuschätzen ist. Hierfür wäre das vorab skizzierte Vorgehen zum Service Engineering anwendbar. Relevanter für die Unternehmen, die Gesellschaft und die jeweils betroffenen einzelnen Menschen ist allerdings die zweite Gruppe derjenigen, die sich bislang offenbar überhaupt nicht angesprochen fühlt beim Thema eigenverantwortlicher Gesundheitsprävention. Da diese Gruppe potentiell als Verursacher der wachsenden Gesundheitskosten einzustufen ist, erscheint ihre Einbindung in präventives Gesundheitsmanagement vordringlich. Die große Frage ist, wie Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen erreichbar sind? Ein Ansatz des Innovationsmanagements dazu könnte sein, diese Gruppe nicht als Einzelne oder Vereinzelte, sondern als Mitglieder gesellschaftlicher Institutionen anzusprechen, die ein begründbares Interesse daran haben, die Leistungsfähigkeit der bislang Ignoranten vorbeugend zu erhalten. Angesprochen sind damit vor allem Unternehmen und Organisationen, in denen diese Menschen als Mitarbeiter berufstätig sind. Dass sich Wirtschaftsinstitutionen allein aus Kostengründen für die Gesundheit ihrer Mitglieder interessieren, ist angesichts der oben aufgezeigten finanziellen Schäden im Grundsatz vorausgesetzt. Zusätzlich ist anzuknüpfen an neuere theoretische Überlegungen und Managementkonzepte zum „Work-life-balance“ (vgl. Bischof-Jäggi 2005). Diese Ansätze gehen davon aus, dass Unternehmen ein grundsätzliches strategisches Interesse an der Gesunderhaltung ihrer Mitglieder haben, weil Gesundheit Voraussetzung für Kreativität und Leistungsfähigkeit ist. Dazu müssen Lebensführung in Familie und Freizeit mit dem Leistungsverhalten im Arbeitsprozess in ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander gebracht werden. Der Mitarbeiter und sein familiäres und persönliches Umfeld sind in die Karriere-, Berufs- und Lebensplanungen zu integrieren. Nur wenn Arbeits- und Lebensrhythmen im harmonischen Einklang miteinander stehen,
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bleiben Menschen lebenslang leistungs- und entwicklungsfähig. Dies wird vor allem auch deshalb wichtiger, weil der Gesetzgeber bereits jetzt das Renteneintrittsalter angehoben hat und die Menschen, Frauen und Männer, zukünftig noch länger berufstätig sein sollen. Entscheidend für Anbieter innovativer Gesundheitsdienstleistungen ist, dass die noch im Dornröschenschlaf dämmernde Zielgruppe der noch nicht aktiven Menschen im Unternehmen ansprechbar und erreichbar ist. Werden die bislang passiven Menschen erst einmal für präventive Maßnahmen gewonnen, dann ist davon auszugehen, dass ihre Aktivierung zusätzliche positive Stimulans- und Multiplikationseffekte auch in ihrem privaten Umfeld auslösen wird, indem Familienangehörige, Freunde, Bekannte ebenfalls zur Leistungsinanspruchnahme angeregt werden. Tatsächlich sind in jedem Unternehmen vermutlich beide Zielgruppen vertreten und spezielle Maßnahmen könnten von beiden in Anspruch genommen werden. Entscheidend ist aber die Tatsache, dass die noch nicht Aktiven in einem systematischen Motivations- und Aufklärungsprozess und durch Abbau von psychologischen Barrieren zur Teilnahme an Präventionsmaßnahmen angeregt werden müssen. Weil diese Gruppe bislang nicht auf am Markt präsentierte Angebote reagiert hat, ist davon auszugehen, dass innovative Angebote erst auf ihre spezielle Bedarfs- und Motivlage zugeschnitten entwickelt werden müssen, um Akzeptanz zu finden. In der Erschließung dieser Zielgruppe besteht die eigentliche Herausforderung für das Innovationsmanagement von Gesundheitsdienstleistungen. 4.4
Service Engineering für Gesundheitsdienstleistungen – ein Ansatz in der Region
Menschen, die an präventiven Gesundheitsmaßnahmen teilnehmen, möchten, wie alle Kunden, bequeme Einkaufsmöglichkeiten haben. Dazu müssen das Fitnessstudio, die Rückenschule oder die Ernährungsberatung nicht zu weit entfernt vom Arbeitsplatz oder Wohnort entfernt liegen und verkehrstechnisch komfortabel erreichbar sein. Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen sollten sich daher strategisch auf das nahegelegene Umfeld ihrer Region konzentrieren. Exemplarische Strukturanalysen zeigen, dass Anbieter von präventiven Gesundheitsdienstleistungen eher kleine bis mittlere Unternehmen sind. Wollen sie aktiv werden in der Entwicklung innovativer Leistungsangebote für die skizzierte Zielgruppe der noch Ignoranten mit ihrer erwartbar sehr heterogenen Bedürfnisstruktur wäre eine Kooperation mehrerer kleiner Anbieter sinnvoll, um aus den jeweils begrenzten Potentialen neuartige Leistungskombinationen zu kreieren. Dazu wird im nachfolgenden Artikel das Modell einer Gesundheitsagentur vorgestellt.1
1
Siehe dazu: Kapitel X: Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell für die Vermarktung von Gesundheitsdienstleistungen (Dip.-Kffr. (FH) Anne-Christin Behnke).
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In Orientierung am vorab beschriebenen Phasenmodell wird folgendes Vorgehen für die Entwicklung eines innovativen Leistungsangebotes vorgeschlagen. Zielgruppe sind Unternehmen einer Region und ihre bislang nicht aktiven Mitarbeiter in der Gesundheitsprävention. Besonders engagierte Unternehmen und ihre aktiven Mitarbeiter sind dabei als „Lead User“ in der Rolle von Partnern für die gemeinsame Identifizierung, Umsetzung und Verbreitung der innovativen Angebote einzubinden. Im konkreten Entwicklungsprozess ist dem Phasenschema des Innovationsmanagements zu folgen. Dabei sind die beiden zentralen Erfolgsfaktoren im Auge zu behalten: •
die frühzeitige Einbindung von Kunden
•
Abbau von Innovationsbarrieren, Aufbau von Akzeptanz und Vertrauen sowie
•
die Klärung der Rahmenbedingungen, insbesondere die Kostenträgerschaft.
1. Phase Ideengewinnung Die erste Aufgabe eines regionalen Anbieterverbundes von Gesundheitsdienstleistungen wäre es, zunächst den unmittelbaren Bedarf von Unternehmen ihrer Nachbarschaft zu erkunden. Dazu nehmen sie zunächst Kontakt zu kulturell und sozial aufgeschlossenen Unternehmen ihrer Region auf und verdeutlichen die Zielsetzung ihres Angebotes. Es ist davon auszugehen, dass gerade in kleineren Unternehmen Informationen und Wissen über die betriebswirtschaftliche Relevanz und den Nutzen präventiven Gesundheitsmanagements vollständig fehlen (Kriener 2005, S.185 f.). Gemeinsam mit potentiellen Kundenunternehmen analysieren sie Nutzen und Bedarf an gesundheitsförderlichen präventiven Maßnahmen. Sie untersuchen Mitarbeiterstrukturen, Arbeitsbelastungen, Fehl- und Ausfallzeiten, die betrieblichen Kosten. Anbieter identifizieren dabei Unternehmen und Personen, die die Rolle von Gesundheitspromotoren übernehmen können. Gemeinsam mit ihnen erarbeiten sie Ansatzpunkte zur Verbesserung des Gesundheitsbewusstseins und zur Entwicklung von Anreizen für die Beteiligung an gesundheitsförderlichen Maßnahmen für Mitarbeiter. Gesundheitsprävention hat auch soziale und psychische Komponenten. Möglicherweise sind zunächst Mitarbeiter auch damit zu gewinnen, dass die Teilnahme an Sportveranstaltungen oder einem Diät-Kochkurs Spaß macht und den sozialen Kontakt im Unternehmen verbessert. Um generell das Gesundheitsbewusstsein zu fördern ist es darüber hinaus sinnvoll, zusätzliche Partner aus dem Kiez kommunikativ einzubinden. Anzusprechen sind Nachbarschaftseinrichtungen, Schulen, Krankenkassen, Versicherungsträger, Medien etc. Mit den Unternehmen ist als erstes abzustimmen, wie die Mitarbeiter für die Maßnahmen zu gewinnen sind. Der Aufwand dafür wird erheblich sein, weil die bislang nicht Aktiven nur durch persönliche Ansprache zu gewinnen sein werden. Im Rahmen von Kreativ-Workshops, Einzel- und Gruppeninterviews sowie Diskussionen erarbeiten Anbieter und Abnehmer gemeinsam Ideen und Vorschläge für
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innovative gesundheitsförderliche präventive Aktivitäten. Der Kundennutzen muß für den einzelnen Mitarbeiter und das Unternehmen im Mittelpunkt stehen. Orientierungsgebend sollte hierbei die Definition der WHO wirken, der zufolge Gesundheit und Wohlbefinden körperliche, psychische und soziale Komponenten beinhaltet. Für die Mitarbeiter, die an diesen Initiierungsmaßnahmen teilnehmen ist unabdingbar, dass die jeweiligen Geschäftsleitungen der Unternehmen diese Aktivitäten uneingeschränkt unterstützen. In diese Anregungsphase sind auch externe Experten, beispielsweise Ärzte, Ernährungsberater oder Sportlehrer einzubinden. 2. Phase der Ideenprüfung und -auswahl Nach grober Bedarfsabschätzung, Bestimmung des Marktpotentials sowie der Machbarkeit der Vorschläge durch die Anbieterkooperation sind zunächst ein bis zwei Ideen für die Realisierung auszuwählen. Für diese sind genaue Kostenanalysen zu erstellen, um zu verdeutlichen, mit welchen Kosten die anbietenden und abnehmenden Unternehmen bzw. der einzelne Mitarbeiter rechnen muß. Einzubeziehen sind hier Experten aus Versicherungen und Krankenkassen, um Vergleiche herzustellen und eventuelle Beteiligungsmöglichkeiten abzuprüfen. 3. Phase Design In dieser Phase entwerfen die Anbieter ein Grobkonzept für die innovativen Leistungen und vor allem die Akzeptanzförderung bei den potentiellen Teilnehmern. Sie definieren die einzelnen Aktivitäten, ihren zeitlichen Umfang und ihre Dauer, grobe Ausstattungserfordernisse und beschreiben die Mitwirkungsart des Kunden (der Mitarbeiter) sowie schließlich die angestrebten Ergebnisse (Kundennutzen). Im Hinblick auf die Potentialanalyse der Leistungserbringer sind hier die internen Voraussetzungen der Anbieterkooperative zu überprüfen und nötigenfalls Qualifizierungsmaßnahmen für die Mitarbeiter (Vertrauensaufbau) sowie Beschaffungsmaßnahmen für erforderliche Ausrüstungen und Sportgeräte vorzusehen. Alle Anforderungen sind im Lastenheft niederzulegen. 4. Phase Entwicklung Nachdem die Rahmendaten festgelegt sind wird das Feinkonzept erstellt, d.h. die neuen Leistungsarten werden inhaltlich, vom zeitlichen und organisatorischen Ablauf her und im Hinblick auf personelle Ausstattung sowie gerätetechnische Ausrüstung und Hilfsmittel beschrieben. Unter den Partnern der Anbieterkooperation wird abgestimmt, wer an der Leistungserbringung mit welchen Umfängen beteiligt ist, wo sie tatsächlich durchgeführt wird etc. An diesen Detailfestlegungen werden die potentiellen Kunden beteiligt, indem bestimmte Übungsabfolgen beispielsweise aus einem gymnastischen Programm durchgespielt und auf Akzeptanz und Eignung für die Zielgruppe der eher sportlich Ungeübten geprüft werden. Am Ende der Phase sollte ein detailliertes Arbeitsprogramm für die Durchführung der neuen Leistungsarten existieren. Dazu gehören auch Rückkoppelungen mit den Unternehmen darüber, ob und in welcher Weise die Teilnahme der Mitarbeiter an diesen Maßnahmen
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zertifiziert und von den Unternehmen „honoriert“ wird. Unternehmen können beispielsweise einen freiwilligen „Gesundheitspass“ einführen, mit dem die Mitarbeiter Präventionspunkte sammeln können, die sie dann zur Teilnahme an einer Verlosung qualifizieren. Auch über Partnerschaften im Umfeld wäre an dieser Stelle nachzudenken; so könnten Reisebüros, die sich an den Präventionsmaßnahmen beteiligen, anderen Kundenunternehmen einen Rabatt auf Reisen gewähren, die der Gesundheitsvorsorge dienen. Sportgeschäfte könnten Mitarbeitern aus Beteiligungsunternehmen Rabatt auf Sportkleidung anbieten oder Sammelbestellungen für bestimmte Ausrüstungen für die Teilnehmer organisieren. Schließlich ist in einem Kommunikationskonzept festzulegen, wie die potentiellen Kunden, Unternehmen und ihre Mitarbeiter, für die Teilnahme gewonnen werden können. Auch wenn es leistungsintensiv ist, sollten für die Erstaufschließung der Unternehmen zunächst persönliche Ansprachemöglichkeiten eingesetzt und entsprechende Innovationsworkshops durchgeführt werden. Denkbar wäre auch die Kooperation mit einer Hochschule, so dass Studentengruppen bei der Planung, Durchführung und Auswertung der Workshops Unterstützung geben und selber interessante Praxiserfahrung machen können. 5. Phase Implementierung und Test Die Partnerunternehmen der Anbietergemeinschaft bereiten nun alles vor, um mit den Maßnahmen beginnen zu können. Hierzu gehört, dass sie die neuen Maßnahmen in ihre bestehenden Leistungsprogramme inhaltlich, zeitlich und logistisch störungsfrei integrieren. Besonders bei neuen Maßnahmen ist es unverzichtbar, dass die Mitarbeiter der Leistungserbringer selber qualifiziert und motiviert sind und sämtliche Rahmenbedingungen wie technische Ausstattung, angenehme Atmosphäre etc. stimmig sind. Für die Kunden – Unternehmen und ihre Mitarbeiter - müssen die Bedingungen ihrer Teilnahme ganz eindeutig definiert sein. Es muß geklärt sein, ob die Maßnahmen ganz oder teilweise während der Arbeitszeit stattfinden, welchen Finanzierungsanteil das Unternehmen und welchen der Mitarbeiter leisten muß, welche Unterstützung eventuell die Kassen übernehmen. Bestandteil der Maßnahmen sollte auch ein Feed-back-System sein mittels dessen die Maßnahmen prozessbegleitend evaluiert und verbessert werden können. Mit einer ausgewählten Mitarbeitergruppe eines Unternehmen wird exemplarisch eine innovative Maßnahme durchgeführt und mit den Teilnehmern gemeinsam ausgewertet. Das Pilot-Marketing in dieser Phase verdeutlicht den Kundennutzen: z.B. die Teilnahme tut nicht nur körperlich gut, sondern auch sozial und psychisch: der Kontakt zu den Kollegen bessert sich, das Vertrauen in die eigenen Stärken wächst, trotz Korpulenz und fortgeschrittenen Alters wird die Beweglichkeit gesteigert und der Rücken geschont.
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6. Phase der Markteinführung Jetzt steht die neue Maßnahme in allen Programmankündigungen der Anbieter. Durch spezielle Informations- und Motivationsveranstaltungen werden weitere Unternehmen und ihre Mitarbeiter zur Teilnahme angeregt. Dazu dienen Vorträge oder Demonstrationen, die dazu ermutigen, auf die Seite der Aktiven im Selbstmanagement von Gesundheitsprävention und Wohlergehen überzuwechseln. Die Kommunikationsmaßnahmen können auch eingebunden sein in betriebliche oder regionale Veranstaltungen (z.B. Vorführung auf einem Sommer- oder Straßenfest). 4.5
Abschlussbetrachtung
Innovationsmanagement wird auch als Management von Widerständen gegen Veränderungen und Neuerungen bezeichnet. Innovationswiderstände treten häufig bei Anwendung neuer Technologien auf, wenn Kunden und/oder Mitarbeitern der Vorteil neuer technologischer Lösungen nicht einsichtig ist und Ängste vorherrschen, weil mögliche Folgen nicht überschaubar sind. Vor einer ganz ähnlichen Situation stehen Anbieter innovativer Leistungen zur Gesundheitsprävention bei benannter Zielgruppe der Ignoranten oder Noch-Passiven. Die größte Barriere für die Umsetzung einer Konzeption von betrieblicher Gesundheitsprävention liegt nach den Erfahrungen des Innovationsmanagements in der Akzeptanz einerseits der Unternehmen, die zunächst angesprochen werden müssen und sicher Ängste vor zusätzlichen Kosten haben, andererseits ihrer Mitarbeiter, die als eigentliche Zielgruppe zu sehen sind. Kernproblem sind dabei aus betrieblicher Sicht vermutlich Freistellungsund/oder Finanzierungsfragen. Unternehmensleitungen können argumentieren, dass Mitarbeiter sich selber um ihre Gesunderhaltung kümmern müssen. Da Unternehmen aber, wie dargelegt, mit den hohen Kosten für Arbeitsunfähigkeit ihrer Mitarbeiter belastet werden, liegt es im Interesse der Unternehmen, hier in Zukunft eindeutig mehr präventive Verantwortung zu übernehmen. Dabei können Unternehmen ihre Mitarbeiter zur Beteiligung nur ermuntern, indem sie besondere Anreize setzen und zumindest einen Teil der Kosten übernehmen, zumindest so lange, bis sich das allgemeine Präventionsbewusstsein weiter entwickelt hat. Insofern liegt der Hauptschwerpunkt auch in der Praxis auf der Aufgabe, zunächst aufgeschlossene Unternehmen als Kunden (Lead User) und Partner zu gewinnen, die dann Vorbildfunktion für andere übernehmen. Bereits jetzt aktive Mitarbeiter werden die noch passiven begeistern helfen. Ermutigende Vorbilder sind in der Praxis bereits jetzt eine ganze Reihe zu finden, auch wenn sich häufig die Maßnahmen vornehmlich auf Führungskräfte konzentrieren. So wird in der Zeitschrift „Capital“ vom September 2006 berichtet, dass zahlreiche Unternehmen ihren Führungskräften erfolgreich Check-ups und anschließende Betreuung durch einen Gesundheitscoach anbieten (vgl. Capital 2006, S. 68 f.). Andere Unternehmen haben erkannt, dass sie durch Anwendung der „Work-LifeBalance“ Konzepte, die ein Gleichgewicht zwischen Arbeit, Freizeit und Familie anstreben, Kreativität und Eigeninitiative ihrer Mitarbeiter und damit letztlich die
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Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens steigern können. So bietet die Firma 3M den Mitarbeitern nicht nur Arbeitszeit-Teilzeitmodelle an, sondern hat auch in ihrer Zentrale in Neuss ein eigenes Fittnesscenter eingerichtet, in dem sich die Mitarbeiter unter fachlicher Anleitung sportlich betätigen können. Mit einer deutlich unter dem Durchschnitt liegenden Abwesenheitsquote von nur 2,2% sieht sich das Unternehmen trotzt der dadurch entstehenden Kosten auf dem richtigen Weg (vgl. SZ vom 4.9.2006, S. 18). Aber nicht nur große Unternehmen, sondern auch kleine und mittelständische haben mit der Gesundheitsprävention begonnen. Sie organisieren sich in Form von Netzwerken und führen branchenspezifische Trainingsmaßnahmen durch (vgl. Meggeneder/ Pelster/ Sochert 2005). Alle diese Beispiele zeigen, dass sich Anbietern präventiver Gesundheitsdienstleistungen riesige Marktchancen eröffnen, vorausgesetzt sie erkennen diese Chancen rechtzeitig und beginnen mit dem Innovationsmanagement. Nach den Erkenntnissen der Lead User Forschung sind zuerst vor allem die Unternehmen anzusprechen, die selber schon auf diesem Gebiet experimentiert und von erfolgreichen Lösungen Vorteile haben. Diese in ihrem regionalen Umfeld zu identifizieren, wird die erste Aufgabe einer Anbietergemeinschaft sein.
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Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell für die Vermarktung von Gesundheitsdienstleistungen
Anne-Christin Behnke
1
Einführung
Die wachsende Bedeutung der Gesundheitswirtschaft und deren Anerkennung als Wirtschaftsmotor1 der Zukunft, verlangt ein leistungsfähiges Marketing sowohl für Gesundheitsprodukte als auch für Gesundheitsdienstleistungen. Im Zentrum dieses Beitrages steht die Entwicklung eines Geschäftsmodells zur Vermarktung von Gesundheitsdienstleistungen der bisherigen Randbereiche der Gesundheitswirtschaft, die präventiver Gesundheitsvorsorge und der Steigerung der Lebensqualität dienen. Dazu gehören beispielsweise das Training im Fitnessstudio, die Behandlung in Wellnesscentern sowie Dienstleistungen aus dem Bereich Ernährungsberatung, Rauchentwöhnung oder Stressbewältigung. Für jeden einzelnen Menschen wird es zunehmend wichtiger, die eigene Gesundheit zu stärken und damit die Leistungsfähigkeit in Beruf und Alltag zu erhalten oder gar zu verbessern. Gleichzeitig besteht ein wachsendes Interesse an der Steigerung der Lebensqualität. Gesunde Menschen sind leistungsfähiger, motivierter und im beruflichen Leben produktiver. Dieser Umstand steigert die Aufmerksamkeit der Unternehmen als Arbeitgeber auf die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter. Folglich ist davon auszugehen, dass Unternehmen in der Zukunft einen gesteigerten Stellenwert als „Abnehmer“ von Dienstleistungen aus der Gesundheitswirtschaft einnehmen werden. Vor diesem Hintergrund müssen Gesundheitsdienstleister überlegen, wie sie mit Hilfe eines geeigneten Geschäftsmodells diesen neuen Marktpartner aktiv und insbesondere unternehmensgerecht zur Abnahme ihrer Gesundheitsdienstleistungen bewegen können. Gerade in den medizinischen Randbereichen Wellness, Sport und Freizeit, Gesundheitstourismus und Ernährung2 existieren eine Vielzahl Anbieter mit hochwertigen, innovativen Produkten und Dienstleistungen. Es mangelt derzeit an der Vernetzung der Marktteilnehmer.3 Dieses von Grönemeyer aufgeworfene Marketingdefizit im Bereich Gesundheitsdienstleistungen liefert die Basis für den innovativen Ansatz, dass das Geschäftsmodell „Gesundheitsagentur“ die Funktion eines Netzwerkzentrums übernehmen soll. Die Gesundheitsagentur soll in der Zukunft die Schnittstelle zwischen Angebot und Nachfrage von Gesundheitsdienstleistungen darstellen und als zentrale Aufgabe die Vermarktung der Gesundheitsdienstleistungen übernehmen. Nur
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Grönemeyer, D.H.W. (2005), S. 10. Lohmann, H. (2004) S. 38; Konzeption und Darstellung: Institut Arbeit und Technik IAT. Grönemeyer, D.H.W. (2005), S. 3.
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
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so können insbesondere kleine und mittlere Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen ihren Absatz langfristig sichern und erhöhen.
2
Status der Leistungsbeziehung Gesundheitsdienstleister Unternehmen
Der Überblick über den Status der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Gesundheitsdienstleistern zeigt die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Geschäftsmodells Gesundheitsagentur auf. 2.1
Marktchancen und -risiken für Gesundheitsdienstleistungen
Der Markt der Gesundheitsdienstleistungen stellt, insbesondere in Bezug auf den Marktpartner Unternehmen, hohe Anforderungen an die Anbieter. Er bietet Chancen, birgt aber gleichzeitig Risiken. Gesundheitsdienstleister stehen diesen Bedingungen mit Stärken und Schwächen gegenüber. Eine erste Aufgabe besteht darin, externe Bedingungen und interne Ressourcen der Dienstleister zu analysieren, um zunächst die Defizite aber auch die Übereinstimmungen innerhalb der Leistungsbeziehung Gesundheitsdienstleister - Unternehmen klar hervorzuheben. Externer Faktor
Chancen •
Gesellschaftliche Trends
• • • •
Sozialpolitik & Gesetze
Marktpotenziale
Individuelle Nachfrage (Mensch = Arbeitnehmer)
Unternehmensnachfrage
• • •
gesetzliche Bestimmungen zum Gesundheits- und Arbeitschutz zunehmende private Finanzierung von Leistungen im Zuge der Gesundheitsreform als Chance! – Markt regelt den Wettbewerb nicht der Staat Präventionsgesetz durch Regierung in 2004
• • • •
Ausgaben für Gesundheitsleistungen sehr hoch Gesundheitssektor wird als Konjunkturtreiber angesehen Umsätze in gesundheitsrelevanten Randbereichen steigen Schutz vor Krankheit und Folgekosten gewinnt an Bedeutung - Prävention
•
Gesundheit als Grundbedürfnis, Bedürfnis nach höherer Lebensqualität wächst, Volkskrankheiten nehmen zu, Zunahme der Volkskrankheiten
•
hohe Kosten durch Krankenstand und verminderte Leistungsfähigkeit wirken den Unternehmenszielen entgegen (Unternehmensziele = Nachfragetreiber) abgeleitete Nachfrage, da Unternehmensziele über die Individualziele erreicht werden Unternehmen bündeln finanzielle Reserven Verschärfung des Wettbewerbs kann durch Unternehmen nicht verhindert werden, aber die Leistungsfähigkeit des eigenen Unternehmens ist beeinflussbar
• • •
Wissenschaft & Forschung
wachsendes Bewusstsein für Gesundheit und Lebensqualität – gesteigerter Bedarf Alterspyramide - Ältere werden länger und mehr krank gesund sein ist modern und Gesundheit wird mit Erfolg verbunden Fitness, Sportlichkeit, Wellness und gesunde Ernährung sowie aktive Entspannung stehen hoch im Kurs Trend/ Zwang zur Eigeninitiative bezüglich Gesundheit
• •
positiver Zusammenhang zwischen Therapie- und Rehamaßnahmen und der Inanspruchnahme von Fitness- und Wellnessangeboten Erfolg von Gesundheitsleistungen in Unternehmen durch Studien bewiesen
Abbildung 1: Chancen der Gesundheitsdienstleister im bestehenden Markt
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Externer Faktor
Risiken •
Sozialpolitik & Gesetze
• • • •
Markt
•
• Individuelle Nachfrage (Mensch = Arbeitnehmer)
• • •
Unternehmensnachfrage (Mensch = Arbeitnehmer)
• • •
zunehmende private Finanzierung von Gesundheitsleistungen im Zuge der Gesundheitsreform Leistungen werden nur aus Kostensicht und nach Einsparungspotenzialen betrachtet staatliche Reglementierung von Leistungen und Anbietern Wettbewerb um gleich bleibendes oder sinkendes Haushaltseinkommen Unternehmen wollen Kosten reduzieren und scheuen Investitionen allgemeiner Konsumrückgang hoher Anteil an KMU in der Zielgruppe Unternehmen, geringere Finanzkraft, Gefahr eines negativen Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen Unkenntnis über Inhalte, Potenziale und Wirksamkeit von Gesundheitsdienstleistungen Ignoranz gegenüber Notwendigkeit (keine Symptome = keine Nachfrage) terminliche, finanzielle Barrieren verhindern Inanspruchnahme Unkenntnis über Inhalte, Potenziale und Wirksamkeit von Gesundheitsdienstleistungen Ignoranz gegenüber Notwendigkeit Investitionshemmungen, zeitliche, finanzielle, personelle Barrieren verhindern Integration der Gesundheitsdienstleistungen in Unternehmen Wirksamkeit tritt erst mittel- oder langfristig ein
Abbildung 2: Risiken für Gesundheitsdienstleister im bestehenden Markt
Die Analyse der Chancen und Risiken zeigt, unter welchen Bedingungen Gesundheitsdienstleistungen, vor allem die der privaten Finanzierung (Prävention und Dienstleistungen zur Steigerung der Lebensqualität), an Unternehmen abgesetzt werden müssen. Insbesondere die Marktrisiken stellen hohe Anforderungen an die Leistungsfähigkeit innovativer Geschäftsmodelle. Positive Trends (Marktschancen) wie gesunde Ernährung, die Modernität gesunder Lebensweisen, der Drang nach höherer Lebensqualität, aber auch Faktoren wie die steigende Belastung der Unternehmen durch Krankenstandskosten und Produktivitätseinbußen durch Leistungsschwächen anwesender Mitarbeiter, sowie die nachgewiesene positive Wirkung von betrieblicher Gesundheitsförderung stärken die Position der Gesundheitsdienstleister. Dem entgegen stehen Marktrisiken, wie zunehmende private Finanzierung von Gesundheitsdienstleistungen. Hier muss das Risiko als Chance begriffen werden, denn private Finanzierung bedeutet nicht zwingend einen Nachteil für den Anbieter. Der Leistungsempfänger muss sein privates Geld ausgeben und identifiziert sich stärker mit der Leistung. Er möchte das beste Angebot für sein Geld erhalten und bezieht in die Auswahl auch Dienstleistungen mit ein, die vorher nicht finanziert und folglich nicht als Alternative betrachtet wurden. Er muss allein finanzieren und ist nicht mehr an eine Budgetierung oder Reglementierung durch Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften gebunden. Vor allem gegenüber den Unternehmen als Abnehmer müssen Potenziale, wie Produktivitätssteigerung sowie Erhalt und Erhöhung der Leistungsfähigkeit ganz klar kommuniziert werden. Unkenntnis über Vorteile und Notwendigkeit der Nutzung, aber auch zeitliche und geografische Abnahmehindernisse müssen überwunden werden. Gesundheitsdienstleister müssen sich in Zukunft darauf einrich-
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
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ten, insbesondere die Effizienz und Effektivität ihrer Leistungen für Unternehmen und Arbeitnehmer deutlich zum Ausdruck zu bringen. Zusätzlich müssen Unternehmen durch die Gesundheitsdienstleister für Gesundheitsprobleme sensibilisiert werden. Nur so wird die Bereitschaft zur Abnahme und Integration von Gesundheitsdienstleistungen in Unternehmen erreicht. Ein spezielles Problem der Unternehmensnachfrage ist der große Anteil von kleinen und mittelständischen Unternehmen von rund 66% der deutschen Unternehmen (zwischen 1 und 250 Mitarbeitern). Die Kleinstunternehmen (1-9 Beschäftigte) nehmen 34%, die Kleinunternehmen rund 19% (10 bis 49 Beschäftigte) und 13% nehmen die Mittel-Unternehmen (50 bis 249 Beschäftigte) aller deutschen Unternehmen ein.4 Insbesondere Kleinstunternehmen sind durch eine geringere Finanzkraft gekennzeichnet, sodass die Abnahme von Gesundheitsdienstleistungen durch finanzielle Barrieren verhindert wird. Zu dem entsteht durch die geringe Beschäftigtenzahl häufig ein negatives Kosten-NutzenVerhältnis bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen. Auch darauf müssen Gesundheitsdienstleister reagieren, denn der Mittelstand erweist sich, durch seinen hohen Anteil an allen deutschen Unternehmen, als wichtige Zielgruppe. 2.2
Stärken und Schwächen
Stärken • • •
• • • • • •
hohe Vielfalt an Handlungsfeldern interne Faktoren (Wissen um Verfahren, Geräte etc.) Potenziale der Gesundheitsdienstleistungen (Produktivitätsgewinne durch Kostensenkung des Krankenstands, Erhöhung der Leistungsfähigkeit, Motivation der Arbeitnehmer siehe Kapitel 3) Dienstleitungen sind sowohl angenehm (Lebensqualität) als auch nützlich (Gesundheit = Leistungsfähigkeit) Möglichkeit der Schaffung von sozialen Kontakten und Unterhaltungswerten vernetzte Dienstleistung ist möglich (Heilen und Vorbeugen gleichzeitig ist möglich) mehrere Personen können gleichzeitig bedient werden, Motivation für „Zuschauer“ Krankenkassen fördern betriebliches Engagement für Gesundheit der Arbeitnehmer Bei Abnahme entsteht Win-Win-Situation für beide Partner der Leistungsbeziehung
Schwächen • • • •
• •
verteiltes Wissen viele Spezialisten, die aber nicht vernetzt sind ökonomisches Fachwissen fehlt Potenziale der Leistungen bezüglich Unternehmen werden nicht deutlich gemacht, kein Nachweis ökonomischer Vorteile Einseitige Betreuung auf speziellen Gebieten (entweder Fitness oder Wellness oder soziale Beratung) kein ökonomisches Angebot für KMU (negatives Kosten-Nutzen-Verhältnis durch geringe Betriebsgröße und geringere Finanzmittel)
Abbildung 3: Stärken und Schwächen der Gesundheitsdienstleister
4
Meggeneder, O./ Pelster, K./ Sochert, R. (2005), S. 11.
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Auf der Seite der Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen fehlt es an unternehmensspezifischen Leistungsangeboten (unternehmensspezifisches Angebotsbündel). Die Lösung verschiedener Probleme in einem Unternehmen aus einer Hand ist derzeit nicht möglich, denn das Wissen der Gesundheitsdienstleister ist auf viele einzelne Anbieter verteilt. Die Unternehmen müssen zur Inanspruchnahme eines vielfältigen Leistungsspektrums im schlechtesten Fall ebenso viele Gesundheitsdienstleister ansprechen und Vertragsverhandlungen führen, wie Probleme oder Risikobereiche im Unternehmen vorliegen. Das kostet Zeit und Personal. Die gleiche Konsequenz entsteht durch die Spezialisierung der Gesundheitsdienstleister. Eine umfassende, ganzheitliche Betreuung durch ein Dienstleistungsunternehmen ist nicht möglich. Sollten Unternehmen trotz dieser Schwäche, die Dienstleistungen verschiedener Anbieter in Anspruch nehmen, kommt es zu Koordinationsproblemen zwischen den einzelnen Leistungserbringern. Speziell in der Zusammenarbeit mit Unternehmen als Vertragspartner, ist es notwendig, deren spezifischen Ziele und Bedarfe zu erkennen. Nur so können adäquate Problemlösungen für diesen Abnehmer entwickelt und verkauft werden. Voraussetzung für eine effektive Leistungsbeziehung ist folglich betriebswirtschaftliches Wissen auf der Dienstleisterseite. Fehlt es, wird die Kommunikation der Leistungspartner, durch fehlendes Verdeutlichen von betriebswirtschaftlichen Potenzialen und vermindertem Verständnis für Unternehmensziele seitens der Gesundheitsdienstleister, gestört. Ein zufriedenstellendes Leistungsergebnis wird nicht gewährleistet oder die Dienstleistung wird nicht abgenommen. Diese fachliche Eignung wird nicht für alle Dienstleister ausgeschlossen. Sie gehört jedoch nicht zum gängigen Know-how eines Heilpraktikers oder Fitnesstrainers. Defizite in der betriebswirtschaftlichen Qualifikation behindern die Zusammenarbeit zwischen Dienstleistern und Unternehmen. Unkenntnis über Potenziale der Gesundheitsdienstleistungen in Unternehmen verhindert die Sensibilisierung für die Notwendigkeit der Inanspruchnahme und damit den Dienstleistungsabsatz. Viele kleine und mittelständische Unternehmen haben aufgrund geringer finanzieller Ressourcen nicht die Möglichkeit, das Dienstleistungsangebot wahrzunehmen. Die geringe Beschäftigtenanzahl führt bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen zu einem negativen Kosten-Nutzen-Verhältnis. Beide Umstände stellen Abnahmebarrieren dar, die durch die Gesundheitsdienstleister aktuell nicht überwunden werden. Ökonomisches Anbieten in Form von Sammlung und Zusammenführung (lokal, zeitlich) des möglicherweise identischen Bedarfs oder Budgetzusammenführung verschiedener „kleiner“ Unternehmen durch Gesundheitsdienstleister fehlen. Ebenso deutlich, wie die Defizite, stellen sich die Übereinstimmungen der aktuellen Zusammenarbeit dar. Die Gesundheitsdienstleister sind durch relevantes Wissen und Vorhalten der internen Faktoren (z.B. körperliche, geistige Fähigkeiten oder Technik) grundsätzlich in der Lage, auf die vielen verschiedenen Probleme in Unternehmen einzugehen. Es ist ihnen möglich, durch ihre Leistungen die Unternehmensziele (Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Produktivität, oder Senkung von Krankenstand und Kosten) zu unterstützen. Während der Mitarbeiter seine Gesundheit fördert, seine Lebensqualität steigert, soziale Kontakte knüpft und sich unterhält, trainiert er seine Kondition und erhöht seine
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
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Leistungsfähigkeit für das Unternehmen. Die Nutzung der Gesundheitsdienstleistungen ist für die Arbeitnehmer gleichsam angenehm und nützlich, sodass Unternehmen sowohl Leistung steigern, aber auch die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber intensivieren können. Gerade in der Zusammenarbeit der Gesundheitsdienstleister mit Unternehmen werden zeitgleich viele Personen erreicht und sonst eher unmotivierte Zuschauer durch die Gruppe zum Mitmachen animiert. 2.3
Anforderungen an die Gesundheitsagentur
Die vorhergehende Analyse hat sowohl Schwachstellen aber auch kompatible Bereiche in der Zusammenarbeit von Unternehmen als potenzielle Kunden und Gesundheitsdienstleistern aufgedeckt. Folgende Defizite konnten identifiziert und müssen durch innovative Geschäftsmodelle in der Zukunft verringert bzw. abgebaut werden. •
Viele verschiedene gesundheitsrelevante Tätigkeitsbereiche in Unternehmen durch ein optimales, spezifisches Leistungsbündel abdecken und Abnahmekooperationen für KMU aufbauen (Innovation durch spezifische Leistung und ökonomisches Anbieten).
•
Leistungsinhalte und deren Wirkung müssen unternehmensrelevant aufgearbeitet und kommuniziert werden. Das Potenzial zur Erreichung der Unternehmensziele ist ein klarer Kundenvorteil. Die Unternehmensziele müssen in den Mittelpunkt gestellt und die individuellen Ziele der Mitarbeiter als Teilziel und Erfolgsfaktor dargestellt werden (unternehmensspezifisches Marketing).
•
Ausgleich des Informationsdefizits seitens der Unternehmen über Nutzen und Vorteile der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen. Das gelingt z.B. durch die Gegenüberstellung von hohen unproduktiven Kosten (Krankenstand, verminderte Leistungsfähigkeit) und dem geringerem Preis einer Investition in die Arbeitnehmergesundheit (unternehmensgerechte Aufklärung und ökonomische Darstellung).
•
Die unterschiedliche Spezialisierung der Dienstleister stößt auf Unternehmen denen die Zeit oder das Personal, sich detailliert mit vielen verschiedenen Anbietern auseinanderzusetzen. Sie erwarten schnelle, ganzheitliche Informationen und Lösungen. Daraus folgt die Aufgabe, das verteilte Wissen vor der Weitergabe zu bündeln.
•
Die betriebliche Gesundheitsförderung (Probleme sowie Potenziale) umfasst verschiedenste Bedarfe an Gesundheitsdienstleistungen. Daher gehört zur ganzheitlichen Betreuung der Aufbau eines ausgedehnten Dienstleisternetzwerks mit einer hohen Angebotsbreite.
•
Die Nachfrage vieler kleiner Unternehmen muss durch ökonomisches Anbieten zusammengefasst und bearbeitet werden (Aufbau von Abnahmenetzwerken).
•
Um Bedürfnisse und Ziele der Unternehmen zu verstehen und Programme bestmöglich zusammenzustellen, muss ein Anbieter in der Lage sein, eine Ana-
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lyse des Unternehmens (Krankenstand, Leistungsfähigkeit, Bereiche gesundheitlicher Risiken), die Planung und Durchführung sowie die Kontrolle der Gesundheitsdienstleistungen unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte (Kosten und Nutzen) auszuführen. Dabei müssen Effektivität und Effizienz von Gesundheitsdienstleistungen ständig hervorgehoben werden. Das trifft speziell für Leistungen zu, deren Wirkung mittel- bis langfristig eintritt (Ökonomisches Verständnis). •
Private Finanzierung bedeutet nicht die Verweigerung der Leistungsabnahme. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Abnehmer sich stärker für die Dienstleistungsinhalte aber insbesondere für deren Nutzenpotenzial interessiert. Er wird sich nicht mehr mit ihm auferlegten, durch Krankenkassen finanzierten Leistungen zufrieden geben. Leistungen mit Kundenvorteilen und qualitativ hochwertigen Ergebnissen werden abgenommen und schaffen neue Nachfrage (Marktrisiken müssen von den Anbietern als Chance verstanden werden).
•
Fehlt den Unternehmen die personelle Voraussetzung zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen, muss er dieses Defizit ausgleichen. Ein Beispiel wäre die Übernahme des In-House-Marketings beim Kunden. Darunter fällt die Kommunikation von Leistungen, die der Arbeitgeber zur Verfügung stellt oder deren Nutzungsvoraussetzung gegenüber den Arbeitnehmern (Leistungsempfängern) (Dienstleister ist Mitarbeiter).
•
Dienstleister müssen den Unternehmen besonders mit einer Betreuung vor Ort entgegenkommen. So fällt die Integration der Leistung leichter und der Leistungsabnehmer erhält einen Zusatznutzen. Der Leistungserbringer stellt seine Flexibilität unter Beweis (Abbau geografischer Hindernisse).
Neben dem Ausgleich der Defizite müssen bestehende Übereinstimmungen der Leistungsbeziehung verstärkt und klar herausgestellt werden. •
Auf der Seite der Unternehmen besteht ein ganz klarer Bedarf, besonders an präventiven Gesundheitsdienstleistungen. Anbieter müssen diesen Bedarf durch Entwicklung und Anpassung ihrer Geschäftsprozesse bzw. Dienstleistungsangebote bedienen.
•
Für Unternehmen steht z.B. die Steigerung der Produktivität in Aussicht. Für die Anbieter eröffnen sich große Potenziale der Absatzsteigerung und stärkeren Auslastung ihrer Kapazitäten mit daraus folgender eigener Effizienzsteigerung und letztlich der Sicherung ihrer eigenen Existenz. Für beide Beteiligte kann eine stabile Verbindung entstehen, die dauerhaft Vorteile erbringt (Win-WinSituation).
•
Einer Vielzahl unterschiedlicher Probleme in Unternehmen, steht eine ebensogroße Anzahl darauf ausgerichteter Leistungsangebote gegenüber. Beides muss praktisch „nur noch“ aufeinander abgestimmt werden (unternehmensspezifisches Angebot).
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
•
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Es besteht ein wachsendes individuelles Interesse an Gesundheit und der damit verbundenen Lebensqualität. Gesundheit ist nicht nur eine Freizeitbeschäftigung, sie wird zunehmend zu einem Lebenskonzept. Für Einzelne fehlt vielleicht nur ein Anstoß und die Möglichkeit, eine gesunde Lebensweise in den Alltag bzw. Arbeitstag zu integrieren. Unternehmen müssen möglicherweise nur wenig zur Nutzung der Angebote motivieren (gesellschaftliche Trends verstärken als Basis für die Absatzsteigerung über Unternehmen).
Ein innovatives Geschäftsmodell muss die identifizierten Schwächen abbauen und gleichzeitig die Chancen aus bestehenden Übereinstimmungen nutzbar machen.
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Innovatives Geschäftsmodell – Gesundheitsagentur
3.1
Organisation der Leistungsbeziehung Gesundheitsdienstleister – Gesundheitsagentur – Unternehmen
Im Folgenden wird die Funktionsweise und die Struktur eines möglichen Geschäftsmodells aufgezeigt. Vertrieb über eine Gesundheitsagentur
Gesundheitsagentur
Anbieternetzwerk
Potenzielle Nachfrager
ArbeitsArbeits-/ Organisationspsychologe ErgonomieErgonomie- oder Ernä Ernährungsberater FitnessFitness- / Wellnesscenter sonstige Anbieter
Handelsunternehmen einzeln oder als Abnehmernetzwerk
Bauunternehmen Automobilzulieferer sonstige Unternehmen
Abbildung 4: Modell der Leistungsbeziehung
Der Vertrieb von Gesundheitsdienstleistungen mittels einer Gesundheitsagentur kann in zwei Teilbeziehungen gegliedert werden. Es besteht sowohl eine Leistungsbeziehung zwischen den jeweiligen Dienstleistern und der Gesundheitsagentur, als auch zwischen der Gesundheitsagentur und dem Unternehmen. Innerhalb der Zusammenarbeit kommen den einzelnen Partnern verschiedene Funktionen und Aufgaben zu.
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Behnke
Das wesentliche Merkmal dieser Leistungsbeziehung ist der Handel mit Leistungsversprechen durch den Gesundheitsagenten, welches im Rahmen eines Vertragsabschlusses erfolgt und die Zusicherung der Leistungserbringung zu einem späteren Termin beinhaltet. Die Leistungserbringung erfolgt durch die einzelnen oder kombinierten Gesundheitsdienstleister. Der Gesundheitsagent (Co-Producer) übernimmt bei der Kundenbetreuung einen wichtigen Teil der gesamten Dienstleistung. Leistungsempfänger bleibt der Arbeitnehmer als Mitglied des Unternehmens. Leistungsträger (Finanzierung der Inanspruchnahme) kann sowohl das Unternehmen aber auch der Arbeitnehmer selbst sein. Es wäre ebenso denkbar, die Leistungsträgerschaft aus Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu kombinieren. Die folgende Abbildung zeigt die optimale Eignung des Modells zur Vermarktung von Gesundheitsdienstleistungen und basiert auf den vorab herausgestellten Anforderungen an die Gesundheitsagentur Defizite - & Kompatibilität
Ist das Modell für die Zusammenarbeit Dienstleister – Unternehmen geeignet ?
P
Dienstleister
Interessen der Unternehmen stehen im Vordergrund – Mitarbeitergesundheit als Erfolgsfaktor Aufklärung der Unternehmen über Potenziale Bündelung von Wissen Netzwerkaufbau ökonomisches Fachwissen Risiken als Chancen wahrgenommen ökonomisches Anbieten, unternehmensspezifische Leistung Integration des Dienstleisters im Unternehmen Abbau von geografischen Hindernissen
Co-Producer
P findet statt -
über den CoProducer
P findet statt P P P P
-
über den CoProducer
findet findet findet findet
statt statt statt statt
P findet statt
P findet statt
P findet statt
P findet statt
P findet statt P findet statt durch Kombination der Netzwerkpartner
Bedarfsdeckung der Unternehmen
P findet statt
Win-Win für Dienstleister, Unternehmen und Co-Producer
P findet statt
P findet statt
unternehmensspezifische Leistungskombination
- über den CoProducer
P findet statt durch Kombination der Netzwerkpartner
Trendnutzung
P wird genutzt
P wird genutzt
Abbildung 5: Kompatibilität und Defizite der Leistungsbeziehung Gesundheitsdienstleister - Unternehmen
Diese Form der Vertriebsorganisation erfüllt alle Kriterien des Kontrollbogens, nicht zuletzt durch die Arbeits- bzw. Aufgabenteilung zwischen einer großen Anzahl verschiedener Gesundheitsdienstleister und dem Dienstleistungsvermittler. Durch die Arbeit des Vermittlers ist die unternehmensspezifische Aufklärung über Potenziale
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
199
von Gesundheitsdienstleistungen ohne die Vernachlässigung der individuellen Gesundheitspotenziale gewährleistet. Der Konkurrenzgedanke wird durch den Vermittler ausgeschaltet, denn er sorgt für die Intensivierung der einzelnen Dienstleisterstärken und für den Ausgleich der Schwächen, durch den Aufbau eines Angebotsnetzwerkes aus unterschiedlichen Gesundheitsdienstleistern und der Bündelung von verteiltem Spezialwissen mit dem Zentrum Gesundheitsagentur. Dieses Netzwerk kann eine umfassende, ganzheitliche Betreuung auf dem Gebiet der Prävention und der Steigerung der Lebensqualität leisten und die Probleme der Unternehmen zu deren Zufriedenheit lösen. Der Co-Producer (Gesundheitsagent) kann im Rahmen der optimalen Leistungskombination und Beratung in Unternehmensprozesse, wie Gesundheitsmanagement, integriert werden. Durch den Co-Producer wird betriebswirtschaftliches Fachwissen in das Netzwerk und so in den Dienstleistungsvertrieb integriert. Das ermöglicht das intensive Eingehen auf betriebswirtschaftliche Probleme und Fragen. Insbesondere die Netzwerkarbeit bildet die Grundlage für das Angebot einer spezifischen Gesundheitsdienstleistung - die passgenaue Abstimmung von Dienstleistungen unterschiedlicher Fachgebiete zur optimalen Betreuung von Unternehmen und Mitarbeitern. Die ausschließliche Konzentration des Vermittlers auf Vertriebs- und Beratungsaufgaben ermöglicht zusätzlich die Vernetzung von Abnehmern. Dieser Umstand zahlt sich vor allem für KMU`s aus, die durch geringe Betriebsgröße und geringere Finanzkraft diese Art der betrieblichen Gesundheitsförderung häufig nur schwer in Anspruch nehmen können. Der Vermittler kann in Beratungsgesprächen Probleme und speziellen Nachfragen sammeln und ebenfalls bündeln. Dadurch können beispielsweise die Mitarbeiter von 10 verschiedenen Unternehmen mit weitgehend identischen Problemen (z.B. durch Branchengleichheit verursacht) eine oder mehrere Dienstleistungen nachfragen, ohne das Entstehen eines negativen KostenNutzen-Verhältnisses durch zu geringe Teilnehmerzahlen und ohne den Fahrtweg zu vielen verschiedenen Orten. Es entsteht eine Preisvergünstigung pro Teilnehmer durch „Massenabnahme“. Diese Arbeitsweise fällt unter den Aspekt ökonomischen Anbietens und wird durch dieses Geschäftsmodell umgesetzt., sodass für KMU`s die Abnahme von Gesundheitsdienstleistungen erst ermöglicht bzw. attraktiv wird. Der Dienstleistungsabsatz wird unter Einsatz relativ geringerer Produktionskosten erhöht. Stärken und Schwächen der Dienstleistungsanbieter werden durch das Netzwerk intensiviert bzw. ausgeglichen und führen zur Erreichung der Unternehmensziele der Nachfrager und der Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen. 3.1.1 Organisation der Beziehung Dienstleister - Gesundheitsagentur Die Leistungsbeziehung zwischen den Gesundheitsdienstleistern und der Gesundheitsagentur basiert auf dem Recht der Agentur (des Agenten), im Namen der Dienstleister ein Versprechen über die Leistungserbringung abzugeben. Darüber hinaus wird die Agentur beratende Tätigkeiten übernehmen, die einen wichtigen Bestandteil der gesamten Dienstleistung ausmachen. So kommt es zu einer Beteiligung des Gesundheitsagenten an der eigentlichen Leistungserstellung. Die Hauptaufgaben des Gesundheitsagenten sind der Absatz der Gesundheitsdienstleistungen (Verkauf),
200
Behnke
die Abgabe des Leistungsversprechens in Form eines Vertrages im Namen der Gesundheitsdienstleister, die Erbringung der Beratungsleistung zur Dienstleistungskombination sowie der Aufbau von Abnehmernetz und Anbieternetzwerken. Die Agentur schließt Dienstleistungsverträge (zweiseitige Willenserklärungen zum Abschluss eines Geschäftes) zwischen dem Anbieter und dem Abnehmer der Gesundheitsdienstungen ab, jedoch ohne die Leistungsansprüche vorher zu kaufen. Der Agent wird die Dienstleistung (-en) ausschließlich vermitteln, ähnlich wie bei Versicherungsmaklern. Ein praktisches Beispiel hierfür ist die Vermittlung eines Arbeitspsychologen, durch den Agenten. Vorab wurde dem Agenten durch den Psychologen das Recht gewährt, Termine für psychologische Betreuung mit dem Ziel der Stressbewältigung, den Umfang der Leistung sowie die Risikobereiche im Unternehmen zu definieren und das Leistungsversprechen im Namen des Dienstleisters abzugeben. Die Gesundheitsdienstleister nutzen die Agentur, um den Absatz ihrer Dienstleistungen zu steigern, Bestandskunden sowie potenzielle Kunden zu informieren und neue Kunden zu gewinnen, geografische oder zeitliche Hindernisse der Gesundheitsdienstleister zu überwinden, das eigene Dienstleistungssortiment mit dem anderer Anbieter zu kombinieren und um Teilleistungen (Beratung, Verkauf) auszulagern. Um einen optimalen Nutzen aus der Leistungsbeziehung zu erhalten, muss der Dienstleister seinem Co-Producer sein internes Wissen zur Verfügung stellen. Das Wissen setzt sich zusammen aus Informationen zu Verfahren, Abläufen, Terminen und Wettbewerbsvorteilen. Die Kontakte zwischen Agentur, Dienstleister und Endkunden bestehen parallel und schließen sich nicht aus. Ein weiteres wesentliches Merkmal dieser Teilbeziehung ist die Möglichkeit des Agenten, eine große Anzahl verschiedenster Gesundheitsdienstleister in das Agenturprogramm aufzunehmen. Es entsteht ein Netzwerk aus Anbietern, dessen Zentrum bzw. dessen Schnittstelle die Agentur ist. 3.1.2 Organisation der Beziehung Gesundheitsagentur - Unternehmen Bei der Zusammenarbeit mit den Unternehmen übernimmt der Agent einen Teil der eigentlichen Dienstleistung. Er berät die Kunden zu den Dienstleistungsinhalten, zur optimalen Dienstleistungskombination und schließt in Vertretung die Dienstleistungsverträge ab, sodass ihm ebenfalls die Rolle eines Dienstleisters zukommt. Die Inhalte von Beratung und Betreuung in der Abwicklung werden später eingehend erläutert. Tatsächlicher Empfänger der Gesundheitsdienstleistung ist der Arbeitnehmer. Die Leistungsträgerschaft (Kostenträgerschaft) könnte sowohl von Arbeitnehmer als auch vom Arbeitgeber angetreten werden. Ebenso ist eine kombinierte Leistungsträgerschaft möglich. Der Agent ist bei der Betreuung nicht nur auf ein Unternehmen konzentriert. Er stellt seine Leistungsangebote einer Vielzahl von unterschiedlichen Unternehmen zu Verfügung. Verschiedene Kompetenzträger mit unterschiedlichen Intentionen innerhalb der Kundenunternehmen, die eine Entscheidung für die Dienstleistungsabnahme treffen, sind ebenfalls Beteiligte der Leistungsbeziehung. Die folgende Abbildung soll einen kurzen Überblick über ein beispielhaftes Buying-Center geben.
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
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Abbildung 6: Beispiel eines Buying-Centers für Gesundheitsdienstleistungen in Unternehmen
Die Intentionen bei Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen sind bei den eventuellen Entscheidungsträgern jeweils andere. Der Betriebsarzt betrachtet die Angebote unter medizinischem Nutzen. Der Betriebsrat setzt sich für die Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer ein, z.B. Steigerung des Wohlbefindens oder Verbesserung des Gesundheitszustandes. Während das Management und auch die Unternehmensführung Ziele, wie Image- und Produktivitätssteigerung oder auch Leistungsmotivation, verfolgt. Auf alle diese Blickwinkel muss ein Gesundheitsagent eingehen und in der jeweiligen Sprache der Partner sprechen können, um Missverständnisse und Unsicherheit aus dem Weg zu räumen. 3.2
Leistungsinhalte des Gesundheitsagenten
Die wesentlichen Leistungsinhalte des Gesundheitsagenten beginnen mit der Unternehmensanalyse auf Risikobereiche und dem Ist-Zustand der Mitarbeitergesundheit. Anschließend werden von ihm und dem Buying Center (Entscheidungsträger) Ziele und Dienstleistungsalternativen zur Zielerreichung definiert. Es ist möglich, den Gesundheitsagenten bei der innerbetrieblichen Umsetzung zu beteiligen. Außerdem werden durch den Agenten zu bestimmten Zeitpunkten Erfolgskontrollen durchgeführt. Damit ergibt sich die Möglichkeit, Erfolg zu messen oder bei Bedarf die Dienstleistungskombination neu anzupassen. 3.2.1 Analyse des Ist-Zustands im Unternehmen Die Abbildung Bestandsanalyse im Unternehmen zeigt die wesentlichen Analysefelder innerhalb der Unternehmen. Das Unternehmen wird als System verstanden und nicht punktuell untersucht.
202
Behnke
B e s t a n d s a n a l y s e im U n t e r n e h m e n U n ternehm enskontext
vorhandene Daten
A r b e its o r g a n is a tio n / T ä tig k e its s tru k t u r
§ § §
§
A lte r, G e s c h l e c h t , T ä tig k e it d e r A r b e i t n e h m e r
§
§
h ä u fig e K r a n k h e its a rte n o d e r S y m p to m e
§
A r b e i t s u n f ä h i g k e its f ä lle und –dauer
§ § §
§
F ä lle v o n L a n g z e it - o d e r K u r z z e ite r k r a n k u n g e n
B e t e ilig t e
§
V e r g l e i c h m i t ä h n lic h e n U n te r n e h m e n (B r a n c h e , G r ö ß e , t e c h n o lo g is c h e r S tand)
a m s t ä r k s te n b e tro ffe n e Bereiche oder A r b e itn e h m e r
§
B u d g e tre s trik tio n e n s e ite n s d e r U n te r n e h m e n s fü h r u n g
V e rgleich innerhalb der B r a n c h e u n d im B u n d e s v e rgleich
§ §
G e s u n d h e its b e ric h t
U n te r n e h m e n s g r ö ß e B r a n c h e n z u g e h ö rig k e it t e c h n o lo g is c h e r E n t w ic k l u n g s s t a n d
§
v o r h a n d e n e In s tru m e n te d e r G e s u n d h e its fö r d e r u n g
§
g e p la n t e Z ie lg r u p p e n i m U n te r n e h m e n
§ §
§
E m issionen im A rbeitsum feld T ä t i g k e it K o n t e x t d e r T ä tig k e ite n S t e l l u n g in n e r h a lb d e r G ruppe
§
In n e r - u n d a u ß erbetriebliches s o z ia le s U m f e ld
§ §
V e r h a lte n d e r M ita r b e ite r …
…
Abbildung 7: Bestandsanalyse im Unternehmen
Bei der Kontextanalyse geht es insbesondere um die Einordnung der Unternehmensmerkmale wie Größe, Branchenzugehörigkeit oder technologischer Entwicklungsstand. Ein Vergleich mit anderen Unternehmen oder dem Bundesdurchschnitt liefert aussagekräftige Ergebnisse. Unternehmen der gleichen Branche und des gleichen Entwicklungsstandes stimmen häufig hinsichtlich der Risikofaktoren überein, sodass die Analyse von vornherein speziell auf Schwachstellen ausgerichtet werden kann. Ebenso wichtig ist die Dokumentation bereits vorhandener Instrumente betrieblicher Gesundheitsförderung. Damit bietet sich unter anderem die Möglichkeit den Nutzen vorhandener Maßnahmen auszubauen, oder deren Versagen erkennbar zu machen. Die Kontextanalyse dient ebenfalls zur Dokumentation der Interessengruppen, der Zielgruppen und eventueller Restriktionen hinsichtlich des Budgets für Gesundheitsdienstleistungen. Eventuelle Budgetbeschränkungen betreffen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Deshalb besteht für den Gesundheitsagenten eine besondere Aufgabe darin, kleine und mittelständische Unternehmen im Hinblick auf Schwachstellen und Problemen zu vergleichen und identische Bedarfe zusammenzufassen. Damit ermöglicht der Agent diesen Unternehmen eine kooperative Nutzung des Dienstleistungsangebots. Die einzelnen „kleinen“ Budgets in einem solchen Abnehmernetzwerk ergeben in Summe eine stärkere Finanzkraft, sodass für KMU`s die Kosten-Nutzen-Analyse positiv ausfällt. Die elektronische Datenerfassung liefert dem Gesundheitsagenten eine weitere Möglichkeit, den Gesundheitsstatus eines Unternehmens festzuhalten. Grundlage für die Auswertung der Daten sind Indikatoren, wie der Krankenstand, die häufigsten Krankheiten, Krankheitskosten (direkt durch Produktivitätsverlust und indirekt durch Eratzpersonal oder Mehrarbeit Anwesender), Dauer der Arbeitsunfähigkeit, oder auch die Klärung der am meisten betroffenen Unternehmensbereiche. Datenschutzproble-
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
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me überwindet der Gesundheitsagent durch anonymisierte Fragebögen oder vertrauliche Gesprächsrunden in Arbeitsgruppen. Auch diese Informationen vergleicht der Agent mit denen anderer Unternehmen und des Bundesdurchschnitts. Eine weitere Analysegrundlage stellen Gesundheitsberichte dar, die Daten über den gesundheitlichen Zustand und dessen Ursache der anwesenden Mitarbeiter verzeichnen. Das bietet die Möglichkeit, sowohl positive Entwicklungen aufzuzeigen, als auch potenzielle Fehlzeiten festzustellen und durch Prävention zu verhindern. Ein Vorteil der elektronisch erfassten Daten ist die Möglichkeit der Aufarbeitung und Nutzung unter verschiedenen Aspekten oder der Langzeitbetrachtung. Das dritte Analysefeld befasst sich mit Inhalten, Strukturen und dem Kontext der Arbeitsorganisation. In dieses Untersuchungsfeld fallen beispielsweise Emissionen im Tätigkeitsumfeld wie Luftverschmutzung, Lärm, Hitze oder Gefahr durch Chemikalien und Arbeitsinhalte. In den Tätigkeitskontext fallen Einflussfaktoren, wie Zeitdruck, Konflikte innerhalb der Arbeitsgruppe, Über- oder Unterforderung des Mitarbeiters, Nacht- und Schichtarbeit oder auch Tätigkeitsentlohnung, Pausenregeln und Probleme im außerbetrieblichen Leben. An dieser Stelle bietet sich an, das Verhalten der Mitarbeiter innerhalb des Arbeitsprozesses zu dokumentieren, oder auch vertrauliche Gespräche mit den Arbeitsgruppen zu führen. Im Ergebnis der Analyse stehen die Dokumentation von Risikobereichen und Risikomitarbeitern in Unternehmen, die Unterstreichung bereits vorhandener Fehlzeiten und Leistungsdefizite, die Festlegung von Interventionsfeldern, Ressourcenklärung (Budgets, vorhandene positive Strukturen) und die Sensibilisierung für Probleme bei den Entscheidern. Die eingehende Analyse stellt eine zusätzliche Argumentationsgrundlage für den Verkauf der Gesundheitsdienstleistungen dar. Im Analyseanschluss werden Ziele definiert, sodass ein späterer Soll-Ist-Vergleich und damit eine Erfolgskontrolle durchführbar sind.5 3.2.2 Auswahl und Integration der Dienstleistungen Die vorab festgelegten Ziele und Risikobereiche dienen als Richtgröße für die Auswahl der zu vermittelnden Dienstleistungsangebote. Die Risikobereiche entscheiden über die Inhalte der Dienstleistungen. Wurden z.B. vermehrt Erkrankungen durch Überbelastung der Wirbelsäule identifiziert, geraten Dienstleister wie Rückenschulen oder auch Fitnessstudios in engere Wahl. Wenn Risiken durch erhöhte Blutfettwerte, Übergewicht oder Nahrungsmittelallergien auftreten, sind Ernährungsberater oder auch Heilpraktiker potenzielle Partner für die Unternehmen. Es ist davon auszugehen, dass in den Unternehmen verschiedene Problembereiche erkannt werden, deshalb muss der Agent eine unternehmensspezifische Kombination unterschiedlicher Dienstleister vorschlagen. Für die Inanspruchnahme verschiedener Dienstleistungen müssen unter Umständen zeitliche oder räumliche Voraussetzungen geschaffen werden (Arbeitspausen für Rückentraining, Räume für Ernährungsberatung). Ein ebenso
5
Ulich, E. (2005), S. 147 ff.
204
Behnke
wichtiger Teil der Schaffung von Leistungsvoraussetzungen ist die Motivation der Mitarbeiter, die Angebote wahrzunehmen. Erfolgt seitens des Unternehmens eine finanzielle Begrenzung, muss die Kombination der Leistungen innerhalb des Budgets vorgenommen werden. Eine Budgetrestriktion aber auch ein negatives Kosten-Nutzenverhältnis (z.B. bei zu geringer Leistungsempfängeranzahl in einzelnen Unternehmen) kann durch den Aufbau Abnehmernetzwerks auf der Basis weitgehend identischer Bedarfe aufgelöst werden. So können z.B. Kleinstunternehmen der gleichen Branche oder mit gleichen Problemen in einer Region, ein Dienstleistungsangebot gemeinsam nutzen und ihre finanziellen Ressourcen schonen. Unter Umständen wird eine grundsätzliche Leistungsabnahme erst durch ein Abnehmernetzwerk möglich (ökonomisches Anbieten). In der Bewertungs- und Auswahlphase verschiedener Dienstleistungsalternativen muss der Agent u.U. eine Moderatorenfunktion für die verschiedenen Gesprächsteilnehmer in einem Unternehmen einnehmen, sodass alle Interessen gewahrt werden und die Umsetzung nicht an Blockaden seitens Einzelner scheitert.6 Ist die Auswahl einer Kombination erfolgt, kann eine weitere Beteiligung des Agenten in die Umsetzung der Maßnahmen festgelegt werden (Koordination von zeitlichen Abläufen oder des unternehmensinternen Marketings für Leistungsabnahme). Danach kommt es zum Abschluss des Vertrages zwischen Dienstleistungsanbieter und Unternehmen durch den Agenten. Nach der Auswahl einer Leistungskombination beginnt die aktive Zusammenarbeit des Agenten mit den entsprechenden Dienstleistern. Die Dienstleister erhalten relevante Informationen hinsichtlich des Kunden (Kontaktdaten, gewählte Leistungsinhalte und Ziele, Informationen zum Unternehmen, Terminwünsche und Teilnehmeranzahlen u.s.w.). 3.2.3 Ergebnisevaluation Der Einsatz von Gesundheitsdienstleistungen stellt einen Erfolgsfaktor zur Erreichung der Unternehmensziele dar. Daher besteht seitens der Unternehmen das Interesse, die Erfolge durch die Abnahme der Leistungen zu dokumentieren und zu kontrollieren. Dabei entsteht sowohl die Möglichkeit, die Entscheidung über Abnahme positiv zu untermauern als auch nachträgliche Anpassungen oder Erweiterungen der Leistungen vorzunehmen. Für den Agenten bestehen unterschiedliche Alternativen, Erfolge festzustellen und zu präsentieren. Dabei können die Daten und Methoden der ersten Unternehmensanalyse verwendet werden. Für Unternehmen kommt es in erster Linie auf eine höhere Leistungsfähigkeit, die Steigerung der Faktorproduktivität sowie die Senkung von Kosten an. Die Wirkung der Gesundheitsdienstleistungen ist je nach Art kurz- bis langfristig festzustellen. Personenbezogene Leistungen sind kurzbis mittelfristig festzustellen, umweltbezogene Leistungen zeigen dagegen eine eher 6
Vgl. Rosenbrock, R. (1996), S. 19 ff.
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
205
mittel- bis langfristige Wirkung.7 Um nicht das „Endergebnis“ abwarten zu müssen, können mittels verschiedener Instrumente Zwischenergebnisse belegt werden (Befragungen, Gruppen- oder Einzelgespräche, Fragebögen). Auch hier dienen die Zahlen und Fakten der elektronischen Datenerfassung als Grundlage zur Auswertung von Indikatoren wie Krankenstand, Krankheitskosten oder Fehlzeiten sowie von Produktivitätskennziffern (Leistungseinheiten pro Stunde, akquirierte Neukunden etc.). Der Vergleich zwischen dem Ist-Zustand vor Einsatz der Gesundheitsdienstleistungen und den aktuellen Zahlen kann Veränderungen zeigen und Erfolg nachweisen. 3.3
Erfolgsfaktor Netzwerkarbeit
Das Geschäftsmodell einer Gesundheitsagentur stellt an die Person des Agenten viele unterschiedliche Anforderungen, die sich aus der Organisation der Leistungsbeziehung, aus den Leistungsinhalten sowie aus den abgeleiteten Defiziten und Übereinstimmungen der Zusammenarbeit von Unternehmen mit Gesundheitsdienstleistern ergeben. Seine Leistung muss die Marktpartner Dienstleister und Unternehmen dauerhaft überzeugen und zusammenführen. Er muss ein ganzes Bündel verschiedener Fähigkeiten besitzen und in der Lage sein, externe Bedingungen zu nutzen oder zu schaffen, die eine optimale Erfüllung seiner Aufgaben ermöglichen. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die Gestaltung der Netzwerkarbeit der Gesundheitsagenten. 3.3.1 Anbieternetzwerk des Agenten Ein funktionsfähiges Anbieternetzwerk stellt die zentrale Grundlage für eine umfassende Betreuung der Unternehmen dar. Der Agent muss potenzielle Marktpartner (Gesundheitsdienstleister) aus verschiedenen Gesundheitsbereichen mit unterschiedlichen Fähigkeiten kennen, zu einer Zusammenarbeit motivieren sowie deren Leistungen kundenspezifisch und sinnvoll kombinieren und koordinieren, damit dem Kunden der größtmögliche Nutzen entsteht. Ein solches Netzwerk besteht nicht von allein, es muss aufgebaut, gestaltet und permanent gepflegt werden. Kenntnisse über die Beschaffenheit und die Leistungsmöglichkeiten des Anbietermarktes stellen die Basis zum Aufbau eines funktionsfähigen Netzwerks dar. Dabei geht es nicht um detailliertes Wissen über Verfahrenweisen und -techniken. Wichtiger ist ein genauer Überblick über Potenziale, Leistungsvoraussetzungen und Konditionen der einzelnen Anbieter. Potenzielle Partner müssen identifiziert und für die Einbindung in das Netzwerk festgelegt werden. Dazu gehört nicht nur eine Zusammenstellung verschiedener Spezialisten, sondern auch der Vergleich mehrerer Dienstleister eines Fachgebietes nach bestimmten Kriterien, wie Kundenzufriedenheit und persönliche Empfehlungen, technische Ausstattung, Preise sowie Übereinstimmung in menschlichen oder persönlichen Einstellungen. Je nach geografischer Größe des Zielmarktes ist es unter Umständen notwendig, mehrere Dienstleister des gleichen Fachgebietes an unterschiedlichen Orten in das Netzwerk 7
Vgl. Ulich, E. (2005), S. 28.
206
Behnke
zu integrieren. Während der Errichtung müssen zukünftige Geschäftspartner zur Zusammenarbeit motiviert werden. Die Aufgabe des Agenten besteht vor allem in der deutlichen und verständlichen Kommunikation der Potenziale und Synergieeffekte dieser Form einer Zusammenarbeit. Dazu gehört es auch, Informationen über die Idee, bereits vorhandene Nachfrager und über Verfahrensweisen weiterzugeben. So wird nicht nur das Anbieterinteresse an einer Netzwerkmitgliedschaft geweckt, sondern Unsicherheiten auf Seiten der erwünschten Netzwerkpartner verringert. Die Abbildung -Beispiel eines Netzwerkes- zeigt aus einer Vielzahl von Möglichkeiten ein praktisches Netzwerkbeispiel. B e ispiel eines Netzwerks Ern ährungsE r g o n o m ie -
berater
berater
Typ-
R ückens c h u le
A r b e its -
G e s u n d h e its a g e n t u r
berater
W e lln e s s center
psychologe
M o tiva tio n s F itn e s s -
tra i n e r
studio
Abbildung 8: Beispielnetzwerk von Gesundheitsdienstleistern der bisherigen medizinischen Randgebiete
Es ist deutlich zu erkennen, dass die einzelnen Partner miteinander verbunden sind. Ebenso sichtbar ist, dass die Gesundheitsagentur im Zentrum als einzige Schnittstelle zwischen allen Beteiligten auftritt. Nur der Agent kann alle gezeigten Dienstleister mit einander vernetzen. Ist ein solches interdisziplinäres Netz gebildet, muss es durch den Agenten weiterentwickelt und erhalten werden. Dazu ist es notwendig, das Leistungsversprechen gegenüber den Partnern mit hoher Qualität einzuhalten. Darunter fällt ein konstanter Absatz der übertragenen Rechte aber auch deren Absatzsteigerung. Der Agent muss dem Netzwerk Stabilität verleihen, sodass hochwertige Beteiligte vom Ausstieg abgehalten werden. Hierzu können regelmäßige Netzwerktreffen arrangiert werden, innerhalb derer Gespräche über innovative Angebote, Erfahrungen und Erfolge stattfinden. So garantiert der Agent Transparenz, Aktualität und Vertrauenswürdigkeit in der Zusammenarbeit. Gegebenfalls müssen Partner aus verschiedenen Gründen aus-
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
207
getauscht werden. Das dient dem Erhalt einer hohen Netzwerkqualität und Dauerhaftigkeit durch Erfolg. Zum Erhalt gehören nicht nur der Austausch und die Motivation zum Verbleib der Partner. Genauso wichtig ist es, neue Partner mit innovativen Dienstleistungen für das Netzwerk zu gewinnen. Gefährliche Lock-In-Effekte können so vermieden werden. Netzwerkarbeit heißt Aufbau, Erhalt und Erweiterung des Netzwerkes immer unter dem Aspekt einer optimalen Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Kundenanforderungen. 3.3.2 Abnehmernetzwerke eines Gesundheitsagenten Gerade in der Zusammenarbeit mit Kunden aus dem Bereich KMU bestehen zum einen Probleme durch geringe finanzielle Ressourcen aber auch durch negative KostenNutzen-Verhältnisse bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen. Der Agent muss gegenüber diesen Unternehmen einen Weg aufzeigen, der diese Hindernisse umgeht. Ziel ist die Aufstockung des einzelnen Unternehmensbudgets und die Schaffung eines positiven Kosten-Nutzenverhältnisses. Die Zielgruppe KMU steht bei der Abnahme von Gesundheitsdienstleistungen durch den Gesundheitsagenten besonders im Zentrum und darf nicht ignoriert werden. Diese Förderung geschieht durch den Aufbau verschiedener Abnehmernetzwerke. Die Mitglieder (KMU) haben eine wesentliche Gemeinsamkeit – den identischen (oder weitgehend identischen) Bedarf, der durch den Agenten bei der Unternehmensanalyse des Gesundheitszustands ermittelt wurde. Die Aufgabe des Gesundheitsagenten ist es, das Interesse der verschiedenen Unternehmen an Gesundheitsdienstleistungen zusammenzuführen. Das bedeutet, die gemeinsame Nutzung vorzuschlagen und so zu koordinieren, dass terminliche oder geografische Barrieren überwunden werden. Die Dienstleistung(-en) werden gemeinsam genutzt und finanziert und damit das Risiko der Kostenträgerschaft verteilt bzw. das Gesamtbudget und die Teilnehmerzahl erhöht. Es kommt ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis bei gleichzeitiger Schonung der einzelnen finanziellen Ressourcen zustande. 3.4
Vorteile für die Partner der Leistungsbeziehung
3.4.1 Vorteile für den Gesundheitsagenten Der Gesundheitsagent (Gesundheitsagentur) kann durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen und durch die Netzwerkarbeit verschiedene Potenziale ausschöpfen. Der Kunde Unternehmen verfügt über eine größere Finanzkraft als der einzelne Mensch, die Verkaufsargumente (Krankenstand in Tagen, Kosten des Krankenstands etc.) für die Abnahme der Dienstleistungen sind quantifizierbar und damit entsprechend deutlich kommunizierbar. Das erhöht die Chancen eines Vertragsabschlusses. Die relativ geringen „Produktionskosten“ der Vertragsanbahnung stehen einem großen Umsatzpotenzial gegenüber. Durch die Vernetzung von Kunden (KMU) bezüglich der Leistungsabnahme ist eine Senkung der Dienstleistungspreise für das einzelne Unternehmen generierbar. Die Vielzahl der Leistungsempfänger bietet eine Vielzahl an persönlichen Weiterempfehlungen auf einmal. Der Agent kann sich auf zusätzliche Ver-
208
Behnke
kaufsargumente (betriebswirtschaftliche Potenziale wie Produktivitätssteigerung, Imageverbesserung etc.) außerhalb der Gesundheitspotenziale stützen. Dem Gesundheitsagenten entstehen aufgrund der hohen Verschiedenartigkeit der Netzwerkpartner keine Spezialisierungsnachteile. 3.4.2 Vorteile für die Dienstleister Die Vorteile aus der Leistungsbeziehung „Gesundheitsagentur – Dienstleister“ sind denen der Agentur sehr ähnlich. Für die Dienstleister eröffnet sich eine weitere, örtlich flexible Vertriebsmöglichkeit ohne zusätzliche fixe Kosten (Lohn, Raum, Fahrzeug), denn die Agentur erhält nur eine Provision, ist ein rechtlich selbständiges Unternehmen und wird nur bei Erfolg entlohnt. Außerdem wird mit relativ geringen Produktionskosten der Dienstleistung eine hohe Anzahl an Leistungsempfängern erreicht. Durch die Netzwerkpartner erhöht sich die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Dienstleisters. Jedes Mitglied stellt seine Stärken zur Verfügung, kann die der anderen nutzen, vor allem aber eigenen Defizite (Raum, Leistungsinhalte etc.) ausgleichen. In Unternehmen können bereits bestehende Kommunikationskanäle genutzt werden. Die Gesundheitsdienstleister verfügen durch den Agenten über betriebswirtschaftliches Wissen und sprechen durch den Agenten in der Sprache der Unternehmen. Auch Dienstleister umgehen Spezialisierungsnachteile. Durch die gemeinschaftliche Anbieterschaft können diverse Probleme eines relativ großen Unternehmens gelöst und ganzheitlich betreut werden. Sie fallen nicht aufgrund der geringen Größe, relativ geringer oder sehr spezieller Leistungskraft aus einer Ausschreibung heraus. Die Gesundheitsdienstleister können auf der anderen Seite eine Vielzahl kleiner Unternehmen bedienen, die durch den Agenten zur Abnahmekooperation vereint wurden. Das erhöht die potenzielle Abnehmeranzahl unter dem Aspekt der Finanzkraft. 3.4.3 Vorteile für die Unternehmen In diesem Kapitel werden die Vorteile der Abnehmer (Unternehmen) erläutert. Es geht insbesondere um die Vorteile durch die Netzwerkarbeit des Agenten. Durch das Dienstleisternetzwerk ist eine umfassende Versorgung bzw. Lösung diverser Unternehmensprobleme möglich. Die Aufgabe der optimalen Leistungskombination wird auf den Agenten übertragen, sodass Kundenressourcen (Zeit, Personal) geschont werden. Das betriebswirtschaftliche Wissen des Agenten Inanspruchnahme relevanter Gesundheitsdienstleistungen oder Dienstleistungskombinationen. Gerade KMU`s können durch den Agenten zu einem Abnehmernetzwerk geformt werden. Ihnen wird so die Abnahme teurer aber bedarfsgerechter Leistungen ermöglicht. Die betroffenen Unternehmen müssen keine eigene Netzwerkarbeit leisten. Das ist die Aufgabe des Agenten. Arbeitnehmer nutzen die Programme. Positive Erfahrungen werden innerhalb des Unternehmens besprochen und sonst „unmotivierte Zuschauer“ durch die Gruppe zum Mitmachen animiert. Die soziale Unterstützung durch Kollegen motiviert alle Teilnehmer zusätzlich. Gemeinsame Erfolge der Arbeitnehmer bilden die Grundlage für kontinuierliche Nutzung, Gesundheitsförderung und Erreichung der Unternehmensziele (Mitarbeitermotivation, Produktivitätssteigerung, Krankheitskos-
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
209
tensenkung etc.). Große Unternehmen und Netzwerke kleiner Unternehmen können Preisvorteile generieren. 3.4.4 Vorteile für die Arbeitnehmer Arbeitnehmer können das Angebot verschiedener Dienstleister mit Rückhalt des Arbeitgebers nutzen. Das Unternehmen stellt entweder finanzielle Budgets, arbeitsnahe Räumlichkeiten oder Zeitbudgets innerhalb des Arbeitstages zur Verfügung. Finanzielle, geografische oder terminliche Abnahmebarrieren der Arbeitnehmer werden ausgeschaltet. Arbeitnehmer nutzen sowohl Gesundheitsförderung, steigern die eigene Lebensqualität und die Identifikation mit dem Arbeitgeber. Sie erhalten die Möglichkeit der Intensivierung sozialer Beziehungen und des Genusses von Gesundheitspflege. Durch die vorherige Analyse durch den Agenten erhält der Arbeitnehmer ein auf seine Bedürfnisse abgestimmtes Leistungsprogramm. 3.5
Erfolgreiche Gesundheitsnetzwerke
3.5.1 AOK Bayern Die überwiegend stehenden, bewegungsmonotonen Tätigkeiten und deren Folgekrankheiten der Friseure veranlassten die AOK Bayern zum Aufbau eines institutionellen Netzwerks in der Region Erding mit den Partnern AOK Bayern, Friseurinnung Erding und einer Berufschule für Friseurhandwerk. Über die Vereinigung der Institutionen in einem Netzwerk werden die Bündelung von Wissen und Ressourcen, sowie die zentrale Versorgung der Friseurbetriebe mit präventiven Gesundheitsdienstleistungen gewährleistet. Die AOK stellt Trainer zur Verfügung und die Berufschule die Räumlichkeiten für die Betreuung. Zielgruppe dieser Partnerschaft sind die Mitarbeiter bzw. die Friseurunternehmen der Region um Erding. Die Betriebe zählen meist weniger als zehn Mitarbeiter und sind von einem hohen Krankenstand betroffen. Etwa 17 Tage jährlich werden pro Angestellten durch Erkrankungen von Muskeln und Skelett ausgelöst. Diese Probleme sind in den Friseurbetrieben dieser Region weitgehend identisch.8 Aufgrund der geringen Betriebsgröße der einzelnen Unternehmen ist ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen kaum möglich. Ziel des Netzwerkes musste daher die Entwicklung einer betriebsübergreifenden Lösung für Gesundheitsprävention sein, mit der Möglichkeit gerade diese Kleinstunternehmen der Region zu versorgen. In der Konsequenz wurden nicht nur Anbieter vernetzt sondern auch die Friseurbetriebe Erdings, um ihnen die Nutzung präventiver Gesundheitsdienstleistungen zugänglich zu machen.
8
Vgl. Meggeneder/ Pelster/ Sochert (2005), S. 57 ff.
210
Behnke
AOK Bayern - Beispiel eines Netzwerks Ziel Zielder derVernetzung Vernetzung
Ergebnisse Ergebnisse
§§ressourcenschonendes ressourcenschonendes
Umsetzunginineinzelnen einzelnen §§Umsetzung
Vorgehen Vorgehenbeim beimArbeiten Arbeiten
Belastungs-
§§Verringerung Verringerungder der
Analyse und vermittlung
Krankheiten Krankheitenim imMuskelMuskel-und und Skelettbereich Skelettbereich
von Ausgleichübungen
§§Primärprävention Primärprävention
Betriebengelang gelangam am Betrieben besten unter Mitwirkung besten unter Mitwirkung derInhabern Inhabernund und der Fachlehrer Fachlehrer
Ausdehnungdes des §§Ausdehnung
Projektesauf aufandere andere Projektes Regionen Regionen
AOK Bayern Friseurinnung Erding Friseurberufschule Erding Wissen über WirbelsäulenFunktion vermitteln
Ein Jahr lang Auffrischung des Erlernten
Abbildung 9: Erfolgreiches Netzwerk der AOK Bayern
Die Abbildung zeigt sowohl die Ziele, die Aufgaben und die positiven Ergebnisse dieser institutionellen Kooperation. Das Ziel bestand darin, in Zukunft ein die körperlichen Ressourcen schonendes Verhalten der Friseurlehrlinge während der Ausübung ihrer Tätigkeit zu ermöglichen, um gegen Wirbelsäulen- und Muskelschädigung vorzubeugen. Dazu war es notwendig, die regelmäßige und vor allem sehr monotone Belastung der Friseure (ständiges Anwinkeln und Hochhalten der Arme) zu analysieren. Um eine präventive oder regenerative Wirkung zu erlangen, wurde Wissen über die Wirbelsäulenfunktion an die Betroffenen oder potenziell Geschädigten weitergegeben. Zusätzlich wurden Ausgleichübungen zusammengestellt und mit den zukünftigen Friseuren eingeübt. Zur Festigung, zur individuellen Beratung und zur Steigerung der Effektivität der Übungen, führte die Berufschule so genannte „RefreshingEinheiten“ über ein Jahr durch. Im Ergebnis stehen positive Effekte, wie die individuelle Erkenntnis der Wirksamkeit der erlernten Körperbewegungen, die Umsetzung während der Arbeit unter Mitwirkung der Unternehmensinhaber und Fachlehrer (in Refreshing-Einheiten), regelmäßig jährliche Wiederholung und Ausweitung des Projekts seit 1997, vor allem aber das Ermöglichen von Gesundheitsförderung kleinster Unternehmen. Bei einem Vergleich des AOK Bayern - Netzwerkes mit dem Modell der Gesundheitsagentur sind folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Es geht in beiden um betriebliche Gesundheitsförderung durch die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Kunden sind Arbeitnehmer und Unternehmen. Die Abnehmer werden auf der Basis des identischen Bedarfs vernetzt und verfolgen das Unternehmensziel - Senkung des Krankenstands - und das Individualziel - Förderung des Wohlbefindens. Die AOK übernimmt die Rolle des Agenten und bündelt das Wissen sowie infrastrukturelle (Räumlichkeiten, organisatorische Struk-
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
211
turen) und personelle Voraussetzungen der Friseurinnung und der Berufschule. Die Gesundheitsagentur unterscheidet sich durch die Netzwerkpartner vom AOK Bayern - Netzwerk. Während die AOK Bayern zwei institutionelle Partner wählte, kommen die Netzwerkmitglieder (Gesundheitsdienstleister) der Gesundheitsagentur aus der Privatwirtschaft. Des Weiteren unterscheiden sich die Netzwerke in den Inhalten der Gesundheitsförderung. Das AOK Netzwerk beschränkt das Programm auf Muskelund Skelettkrankheiten. Die Gesundheitsagentur soll auftretende und potenzielle Symptome aller Kategorien bedienen können. Beide Leistungsmodelle basieren auf dem Aufbau von Netzwerken (Abnehmer- und Anbieternetzwerke), auf Bündelung von Spezialwissen und Ressourcen sowie auf der zentralen Versorgung von Unternehmen mit Gesundheitsdienstleistungen. Trotz der Unterschiede hinsichtlich der Netzwerkpartner liefert das AOK Bayern – Netzwerk ein positives Beispiel. Der Erfolg dieses Netzwerkes bestätigt die Annahme, dass auch das Modell Gesundheitsagentur positive Ergebnisse hervorbringen kann. 3.5.2 Netzwerk zwischen LBK Hamburg und 13 ambulanten Rehabilitationszentren Auslöser für dieses Netzwerk zwischen 13 Rehazentren in Hamburg, Schenefeld, Norderstedt und Pinneberg war die, durch den LBK Hamburg nachgewiesene, steigende Nachfrage nach hochwertigen Fitness- und Wellnessangeboten.9 Hamburger Beispiel eines Netzwerks Erwartungen Erwartungender der
§§Kunden Kundenan anDienstDienstleister leister
erhaltende
Maßnahmen
§§Wohnortnähe Wohnortnähe
Maßnahmen
Gesundheitfördern fördern §§Gesundheit Leistungsfähigkeit §§Leistungsfähigkeit Krankheit §§Krankheit
GmbH
§§hohe hoheQualität Qualität
Dienstleistungen Dienstleistungen
steigern steigern
Hamburg vital
§§Arbeitsplatznähe Arbeitsplatznähe §§hoher hoherStandard Standard
gesundheits-
präventive
Zieleder der Ziele
vorbeugen vorbeugen
aktive
entspannende
Fitness
Wellness
nachErkrankung Erkrankung §§nach
wiederfitfitwerden werden wieder und bleiben und bleiben
Abbildung 10: Erfolgreiches Netzwerk - Hamburg Vital GmbH
Im Herbst 2003 starteten die teilnehmenden Rehabilitationszentren und der LBK Hamburg mit dem Aufbau des Netzwerkes, unter der Maßgabe des LBK Hamburg ein neues Geschäftsfeld im Bereich Gesundheit zu entwickeln, welches den Kunden9
Vgl. Lohmann, H. (2004), S. 60.
212
Behnke
erwartungen gerecht wird und zielgerecht ausgestattet ist.10 Die 13 Partner bieten Leistungen von Fitnesstrainings, Wellnessbehandlungen sowie präventive und gesundheitserhaltende Maßnahmen an. Die Wohn- und Arbeitsplatznähe wird durch die Verteilung der Netzwerkpartner an 13 verschiedenen Orten in und um Hamburg gewährleistet. Mit der Betreuung durch Fachärzte, Diplomsportlehrer oder auch Masseure werden die von den Kunden erwünschte, hohe Qualität und der erwartete, hohe Standard sichergestellt. Das wiederum ist ein wesentliches Kriterium für die Mitgliedschaft und den Verbleib der Partner im Netzwerk.11 Die Hamburg Vital GmbH übernimmt innerhalb des Netzwerkes Funktionen wie Einziehung der Mitgliedsbeiträge und Abrechnung gegenüber den Partnern, Vertragsvergabe an die Kunden und Netzwerkpartner, flächendeckende Angebotsentwicklung und Erweiterung der Angebote (z.B. Betriebsgesundheit, Ernährungsprogramme) sowie die Außenkommunikation und Vermarktung der Programm, die Kundengewinnung und Qualitätssicherung im Netzwerk. Zielgruppe des Netzwerkes sind die „[…] nicht mehr ganz Gesunden[…]“12. Die Kernzielgruppe sind Menschen, die in den umliegenden Krankenhäusern behandelt wurden. Die Netzwerkpartner bieten insbesondere für die Kernzielgruppe die Möglichkeit einer integrierten Gesundheitsversorgung, innerhalb derer eine enge Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern im Bereich Rehabilitation und Gesundheitserhalt nach einer stationären Behandlung erfolgt. Dieses Netzwerk bündelt Spezialwissen verschiedener Rehabilitationszentren und Krankenhäuser. Außerdem werden Räumlichkeiten, Personal und medizinisches Gerät vernetzt. So wird nicht nur das Wohlbefinden von Patienten und „noch Gesunden“ gesteigert, sondern gleichzeitig die Effektivität der medizinischen Behandlung erhöht und die Notwendigkeit einer erneuten Behandlung vermieden.13 Der Erfolg dieses Netzwerkes zeigt sich durch stark gesunkene Gesamtbehandlungskosten pro Krankheitsfall (bis zu 40% niedriger als im Krankenhaus), sinkende Kosten auf der Seite der Krankenhäuser (durch Leistungs-Out-Sourcing) und sinkende Kosten für Krankenkassen und andere Leistungsträger (z.B. Berufsgenossenschaften).14 Dieses Beispiel zeigt den Erfolg von Netzwerken im Bereich Gesundheitsdienstleistungen. Das Ziel der umfassenden Betreuung der Kunden, einer integrierten Versorgung, der Schaffung und Nutzung von Synergieeffekten durch die Bündelung von Dienstleistungen und verteiltem Wissen wird erreicht. Das Hamburger Netzwerk mit
10 11 12 13 14
Vgl. Lohmann, H. (2004), S. 61. Vgl. Lohmann, H. (2004), S. 61. Vgl. Lohmann, H. (2004), S. 64. Vgl. Lohmann, H. (2004), S. 65. Vgl. Lohmann, H. (2004), S. 66.
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
213
dem Mittelpunkt Hamburg Vital GmbH unterstreicht die Erfolgsaussichten des Modells „Gesundheitsagentur“.
4
Erfolgsausichten der Gesundheitsagentur
Die Gesundheitsagentur hält durch den Gesundheitsagenten betriebswirtschaftliches Wissen und Managementerfahrungen vor und vermag die Potenziale der Gesundheitsdienstleistungen ökonomisch, auf Unternehmensanforderungen gerichtet, darzustellen. Sie kann durch unternehmensspezifische Kommunikation der Dienstleistungspotenziale das Interesse der Unternehmen gewinnen, bündelt Wissen und Leistungen der Gesundheitsdienstleister und kann finanzielle, personelle, geografische und zeitliche Hindernisse abbauen. Sie ermöglicht unternehmensspezifische Zusammenstellung von Gesundheitsleistungen zur ganzheitlichen Betreuung aller Unternehmensbereiche, ist innovativ durch die spezifische Dienstleistung „Dienstleistungsbündelung“ und ökonomisches Anbieten (Anbieter-/ Abnehmernetzwerke) und versorgt Unternehmen effizient mit effektiven Gesundheitsdienstleistungen. Mit der Unterstützung eines solchen leistungsfähigen Partners sind Unternehmen nun in der Lage ihren Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen zu identifizieren und durch Integration von Gesundheitsdienstleistungen zu decken. Sie stärken den Produktionsfaktor „Human Kapital“ und schaffen die Voraussetzung für eine maximale Leistungsfähigkeit. Die Basis einer erfolgreichen Gesundheitsagentur ist die Orientierung an der Nachfrage der Unternehmen. Die Bündelung vieler verschiedener Gesundheitsspezialisten innerhalb eines Netzwerks mit dem Zentrum „Gesundheitsagentur“ und die Möglichkeit ökonomischen Anbietens stellen eine innovative und vor allem unternehmensspezifisch ausgerichtete Versorgungsalternative mit Gesundheitsdienstleistungen dar. Dabei geht es vor allem um die Förderung der Gesundheit durch Angebote für Stressbewältigung, Bewegung, Erholung und Kommunikation. Potenziale und Inhalte werden unternehmensgerecht kommuniziert und dargestellt. Unternehmen und ihre Mitarbeiter werden effizient mit effektiven Gesundheitsdienstleistungen versorgt. Vorreiter in Sachen Aufbau von Gesundheitsnetzwerken sind die praktischen Beispiele in Hamburg und Bayern. Diese Netzwerke agieren bereits erfolgreich am Markt und unterstreichen die Erfolgsaussichten einer Gesundheitsagentur. Dietrich H.W. Grönemeyer sagt „Innovative Produkte entstehen in großer Fülle, an innovativen Therapien mangelt es nicht. Schwach entwickelt ist immer noch die Vernetzung aller Marktteilnehmer.“15 Das Konzept „Gesundheitsagentur“ ist ein Weg der optimalen Vernetzung der Nachfrager „Menschen“ und „Unternehmen“ mit den Anbietern vor allem vorbeugender, Lebensqualität steigernder Gesundheitsdienstleistungen und stellt einen „lange überfälligen Schritt“16 zur Gesundheitsgesellschaft dar. 15 16
Grönemeyer, H.W. (2005), S. 3. Grönemeyer, H.W. (2005), S. 3.
214
Behnke
In Zukunft versetzt die Gesundheitsagentur Unternehmen in die Lage, einen Teil der Verantwortung für die Gesundheit (Körper, Seele, Geist) und die Steigerung der Lebensqualität ihrer Mitarbeiter bei gleichzeitiger Wahrnehmung eigener ökonomischer Interessen zu übernehmen.
Die Gesundheitsagentur als innovatives Geschäftsmodell
215
Literaturverzeichnis Amon-Glassl, Ulrike (2003): Betriebliche Gesundheitsförderung Pausenprogramme am Arbeitsplatz, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main. Badura, Bernhard/ Hehlmann, Theodor (Hrsg.) (2006): Betriebliche Gesundheitspolitik. Der Weg zur gesunden Organisation, Springer-Verlag, Berlin. Badura, Bernhard/ Schellschmidt, Henner/ Vetter, Christian (Hrsg.) (2006): Fehlzeiten-Report 2005. Arbeitsplatzunsicherheit und Gesundheit, SpringerVerlag, Berlin Heidelberg 2006. Bögle, Reinhard/ Lüthi, Roland (2000): Erfolgsfaktor Gesundheit, Verlag Paul Haupt Bern, Stuttgart, Wien. Grönemeyer, Dietrich H.W. (2001): Medizin in Deutschland Standort mit Zukunft, ABW Wissenschaftsverlag GmbH, Berlin. Grönemeyer, Dietrich H.W. (2005): „Gesundheitswirtschaft Die Zukunft für Deutschland, ABW Wissenschaftsverlag GmbH, Berlin. Kreis, Julia/ Bödeker, Wolfgang (2003): Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention, (IGA-Report 3) 1. Auflage, Hrsg. BKK Bundesverband, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG), Berufsgenossenschaftliches Institut Arbeit und Gesundheit (BGAG). Lohmann, Heinz/ Wehkamp, Karl-Heinz (Hrsg.) (2004): Vision Gesundheit Band 5, Innovationsfaktor Gesundheitswirtschaft: Die Branche mit Zukunft, Verlag: WIKOM GmbH, Wegscheid. Münch, Eckhard/ Walter, Uta/ Badura, Bernhard (2003): Führungsaufgabe Gesundheitsmanagement, Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Verlag Edition Sigma, Berlin. Nieder, Peter/ Susen, Britta (Hrsg.), (1997): Betriebliche Gesundheitsförderung – Konzepte und Erfahrungen bei der Realisierung, Verlag Paul Haupt, Bern, Stuttgart, Wien. Rosenbrock, Rolf (1996): Arbeit und Gesundheit Elemente Perspektiven betrieblicher Gesundheitsförderung, Veröffentlichungsreihe der Arbeitsgruppe Public Health Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Berlin. Seidel-Kwem, Brunhilde/ Ludwig, Ute-Andrea/ Finsterbusch, Jürgen (Hrsg.), (2004): Medizin – Menschen – Marken – Marketing für die Gesundheitswirtschaft, Verlag: WIKOM GmbH, Wegscheid. Ulich, Eberhard/ Wülser, Marc (2005): Gesundheitsmanagement in Unternehmen, 2. überarbeitete Auflage, Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden.
XI
Innovative Strategie der Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen durch Verknüpfung des hochschulseitigen Marketings mit unternehmensseitigem Personalmarketing
Michaela Frana
1
Einleitung
Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (vgl. IAB 2005) nutzen rund 42% aller Unternehmen zur Besetzung von Arbeitsplätzen neben anderen Suchwegen auch persönliche Kontakte. Dieser Wert ist im Jahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr um 17% gestiegen. Da deutsche staatliche Hochschulen zukünftig verstärkt am Erfolg ihrer Absolventen gemessen werden, reicht es nicht mehr aus, bei der Curriculaentwicklung auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes zu reagieren, vielmehr müssen Hochschulen Studierende und Absolventen genauso bei ihrer Platzierung auf dem Arbeitsmarkt unterstützen. Wenn Unternehmen verstärkt über persönliche Kontakte rekrutieren, könnte dies für Hochschulen bedeuten, zunächst die Rekrutierungsvorgehensweise beispielsweise durch Gespräche mit Unternehmen zu analysieren, Studierenden und Absolventen transparent zu machen sowie hochschulseitig Kontakte und Kooperationen zu Unternehmen aufzubauen, um die persönlichen Kontakte zwischen Studierenden und Unternehmen zu fördern. Gleichzeitig gehört dazu die Vermittlung von Kompetenzen, die Studierenden und Absolventen helfen, auf diese eher informellen Rekrutierungsstrategien mit ebenfalls eher informellen Bewerbungsstrategien reagieren zu können (z.B. Initiativbewerbungen oder berufliches Networking). Bei Studierenden und Absolventen – und genau diese sollen hier betrachtet werden – erfolgt die Rekrutierung auf der Basis persönlicher Kontakte i.d.R. über Praktika, Werkstudententätigkeiten, praxisnahe Abschlussarbeiten, aber auch Messegespräche, Unternehmensvorträge oder die Empfehlung durch Professoren. Wenn Unternehmen ihrerseits die Rekrutierung von Hochschulabsolventen durch den Aufbau persönlicher Kontakte zu ausgewählten Hochschulen und Studierenden systematisch betreiben, wird hierfür der Begriff des Hochschulmarketings verwendet. Diese Aktivitäten bieten Hochschulen wiederum vielfältige Anknüpfungspunkte für den wechselseitigen Aufbau von Kooperationen zur Unterstützung der Studierenden bei ihrem Übergang in den Arbeitsmarkt. Zur Beschreibung dieser wechselseitig ausgerichteten Marketing-Bestrebungen wird der Begriff des Kooperativen Hochschulmarketings entwickelt. Unter Kooperativem Hochschulmarketing wird die Entwicklung und Umsetzung einer Marketingstrategie der Hochschule verstanden, die sich auf die Hochschulmarketing-Strategien der Unternehmen bezieht, diese aufgreift und zur Weiterentwicklung beiträgt. Mit dieser Strategie können Hochschulen und Unternehmen das Ziel verfolgen, wechselseitige tragfähige Kooperationen aufzubauen. Außerdem stellt dieser Ansatz Transparenz
Kooperatives Hochschulmarketing
217
über mögliche Ansatzpunkte für wechselseitige Kooperationen und deren Steuerung dar. Als Instrumente kommen dabei einerseits das Relationship-Marketing und andererseits die Strategie der Kundenintegration zum Einsatz. Der Begriff des Kooperativen Hochschulmarketings bedient sich bewußt der doppelten Verwendung des Begriffes Hochschulmarketing (vgl. Abbildung 1): •
Hochschulmarketing der Unternehmen beschreibt das auf die Zielgruppe von Studierenden und Absolventen gerichtete Personalmarketing und deren Rekrutierung,
•
Hochschulmarketing der Hochschule beschreibt die Entwicklung einer Marketingstrategie der Hochschule – hier gerichtet auf die Zielgruppe rekrutierender Unternehmen. Marketing hilft der Hochschule, ihre Leistungen und Angebote zielgruppenspezifisch auszurichten.
Abbildung 1: Verbindung von hochschulseitigen und unternehmensseitigen HochschulmarketingStrategien zu einem Kooperativen Hochschulmarketing
Mit den rekrutierenden Unternehmen wird eine spezielle Zielgruppe des hochschulseitigen Marketings herausgegriffen, die bisher in der deutschen Hochschulmarketing-Forschung vernachlässigt wurde. Obwohl Alewell bereits vor fast 30 Jahren auf die Notwendigkeit eines „kooperative[n] Austausch[s]“ (Alewell 1977: 269) zwischen Hochschulen und Unternehmen hingewiesen hat, in dem die „Vermittlung besonders qualifizierter Nachwuchskräfte“ (ebd.) Bestandteil zumeist nichtmonetärer Austauschprozesse ist, verwundert die Forschungssituation keinesfalls, sondern lässt sich mit der bis in die 1990er Jahre fehlenden Output-Orientierung der staatlichen Hochschulen sowie mit der überhaupt sehr zurückhaltenden Rezeption des Marketinggedankens in der staatlichen Hochschullandschaft begründen.
218
Frana
Das zu entwickelnde Kooperative Hochschulmarketing stellt dabei die Wechselseitigkeit der Interessen von Hochschulen und Unternehmen sowie die mögliche komplementäre Ausrichtung ihrer Strategien in den Mittelpunkt: •
Unternehmen verfolgen mit ihren Hochschulmarketingstrategien das Ziel, qualifizierten Fach- und Führungsnachwuchs für das Unternehmen zu beschaffen. Das Unternehmen agiert also auf seinem Beschaffungsmarkt. Eine der Strategien ist es dabei, persönliche Kontakte zu Studierenden und Hochschulen aufzubauen.
•
Hochschulen verfolgen mit ihren auf rekrutierende Unternehmen bezogenen Hochschulmarketingstrategien das Ziel, ihre Studierenden und Absolventen auf dem Arbeitsmarkt zu platzieren. Die Hochschule agiert also auf ihrem Absatzmarkt. Eine der Strategien ist es dabei, den Studierenden und Absolventen den Zugang zu persönlichen Kontakten zu erleichtern.
Diese Vorgehensweise liegt zwar auf der Hand, allerdings funktioniert Kooperatives Hochschulmarketing keinesfalls automatisch, sondern die Anschlussfähigkeit zwischen den Strategien der Unternehmen und Hochschulen muss durch die Investition in ein systematisches Relationship-Marketing hergestellt werden. Dies ist einerseits dadurch zu begründen, dass Profit-Unternehmen und die Hochschule als Non-ProfitEinrichtung über unterschiedliche Strukturen und unterschiedliche Zielsysteme verfügen und andererseits die Anforderungsprofile der Unternehmen nicht automatisch mit den Qualifikationen und Kompetenzen der Studierenden und Absolventen überein stimmen. Basis der Entwicklung eines Kooperativen Hochschulmarketings bilden deshalb die Strategien des unternehmensseitigen Hochschulmarketings, weil Unternehmen ihrerseits bereits spätestens seit dem Ausrufen des ‚War for Talent’ durch die Unternehmensberatung McKinsey ihrerseits ihre Personalmarketing-Aktivitäten auf Hochschulen und Studierende ausrichten. Kooperatives Hochschulmarketing knüpft an die vorhandenen Strategien und Konzepte an.
2
Hochschulmarketing als Instrument der strategischen Personalrekrutierung von Hochschulabsolventen
Der Begriff des Hochschulmarketings aus Unternehmenssicht bezeichnet die Rekrutierung von Nachwuchskräften, konkret Studierenden und Hochschulabsolventen, durch direkte Kontakte zu Studierenden und Hochschulen als „Element eines strategischen, zielgruppen- und imageorientierten Personalmarketing-Konzepts“ (Schmidt 2004: 29). Mit diesem werden folgende Ziele verfolgt (vgl. Schmidt 2004: 29 f., Moll 1992: 23): •
Profilierungs- und Imagefunktion: Aufbau, Pflege und Kommunikation eines positiven Arbeitgeberimages an den relevanten Arbeitsmärkten,
Kooperatives Hochschulmarketing
219
•
Akquisitions- und Rekrutierungsfunktion: Interessieren und Gewinnung potenzieller Mitarbeiter für das Unternehmen,
•
Motivationsfunktion: Motivation, Entwicklung und Förderung vorhandener Mitarbeiter durch entsprechende Gestaltung des personalpolitischen Instrumentariums sowie Aufbau, Pflege und Kommunikation einer Corporate Identity.
Die beiden erstgenannten Funktionen sind in ihrer Zielrichtung nach außen (externes Hochschulmarketing), die letztgenannte Funktion nach innen (internes Hochschulmarketing) gerichtet. Bezogen auf ein zu entwickelndes Konzept eines Kooperativen Hochschulmarketings sind die beiden ersten Funktionen zu betrachten, da sich diese auf die Hochschule bzw. die Studierenden und Absolventen richten. Mit dem Aufbau eines strategischen Hochschulmarketings verfolgen Unternehmen das Ziel, ihren externen Personalbedarf an Hochschulabsolventen zu decken. Gleichzeitig wird das Ziel der (mittelfristigen) Kostensenkung bei der Personalbeschaffung verfolgt, denn nach Moll (ebd.: 41) verursachen Hochschulmarketing-Aktivitäten zwar höhere Einstiegskosten, senken aber mittel- und längerfristig die Gesamtkosten der Personalbeschaffung durch verbesserte Bewerberselektion und frühzeitige Unternehmensbindung. Der Prozess der Hochschulmarketing-Kommunikation kann als geschichtetes Modell (vgl. Abbildung 2) dargestellt werden.
Abbildung 2: Drei-Schichten-Modell der Kommunikation Quelle: In Erweiterung von Schmidt 2004: 31, zit. n. Wiltinger/ Hermann 1999: 176.
220
Frana
Abbildung 2 verdeutlicht, wie stark Unternehmen in ihren HochschulmarketingStrategien die Instrumente des Relationship-Marketings einsetzen und den Beziehungsaufbau in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen. In der ersten Schicht verfolgen Unternehmen vor allem das Ziel, ihr Unternehmensimage bei der gesamten Zielgruppe aufzubauen und zu pflegen. In der zweiten Schicht richten sich die Aktivitäten auf bereits identifizierte Zielgruppen, bei denen durch die Kommunikation von Attraktivitätspotenzialen Arbeitgeberpräferenzen hergestellt werden sollen. Die dritte Schicht ist durch individuelle Kommunikation geprägt. Verschiedene individuelle Angebote (Praktika, Talentbindungsprogramme etc.) sollen dazu beitragen, bedarfsdeckend qualifizierte Bewerbungen auszulösen.1 Im Laufe dieses Prozesses verschiebt sich der Ort der Kommunikation von der Hochschule (auf der ersten Schicht) in das Unternehmen (auf der dritten Schicht). Entsprechend konzentrieren sich Unternehmen in ihrem externen Hochschulmarketing auf beide Zielgruppen – einerseits die Hochschulen als Ganzes und andererseits die individuellen Studierenden. Konkret versuchen Unternehmen besonders jene Studierenden zu erreichen und an sich zu binden, die über das Potential verfügen, im Zuge ihrer beruflichen Laufbahn Positionen mit hohen Führungs- und/ oder Fachanforderungen zu übernehmen. Auf der strukturellen Ebene sind Zielgruppe vor allem jene Hochschulen, die eine hohe Prozentzahl dieses Personenkreises ausbilden. Die in Tabelle 1 dargestellten Maßnahmen können im Rahmen einer Hochschulmarketing-Strategie zum Einsatz kommen.
1
Firmenkontakte jeglicher Art haben bei 57% der Studierenden großen und 32% sogar einen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung, sich später bei einem Unternehmen zu bewerben (vgl. Moll 1992: 75).
Kooperatives Hochschulmarketing
Ort
Einzelmaßnahmen •
Maßnahmen in der Hochschule
Individualität
Hochschulmessen Aushänge und Unternehmensinformationen Anzeigen in Hochschulpublikationen
Gesamte Zielgruppe
Firmenpräsentationen Wettbewerbe und Förderpreise Gastreferenten und Lehrbeauftragte
Je nach Ausgestaltung gesamte Zielgruppe oder Selektion Selektive Kommunikation mit bestimmten Teilgruppen
•
Persönliche Kontakte und Zusammenarbeit mit den Lehrstühlen Ehemaligen-Kontaktpflege2 Zusammenarbeit mit Studenteninitiativen Workshops und Unternehmensplanspiele Vergabe von Forschungs- und Projektaufträgen Sponsoring
•
Stipendien
Individuelle Kommunikation
•
Praktika Betreuung wissenschaftlicher Arbeiten Werkstudententätigkeit Zusammenarbeit mit studentischen Unternehmensberatungen Talentbindungsprogramme Exkursionen und Unternehmens-präsentationen Industriesemester für Professoren
Je nach Ausgestaltung selektive bzw. individuelle Kommunikation
•
Maßnahmen im Unternehmen
221
• • • • • • • • •
• • • • • •
Tabelle 1: Überblick über Maßnahmen des Hochschulmarketings Quelle: In Anlehnung an Schmidt 2004, 36 f.
Wenn Hochschulen mit Unternehmen kooperative Strukturen aufbauen wollen, dann können sie auf Strategien von Unternehmen zurück greifen, mit denen diese ihrerseits bereits eine längerfristige und strategisch ausgerichtete Zusammenarbeit mit Hochschulen bzw. mit ausgewählten Studierenden anstreben. Dabei handelt es sich um das •
„Key-University-Management“ (Moll 1992),
•
die „extended internal labour markets EILMs“ (Lam 2002)
•
sowie Talentbindungsprogramme (z.B. Groß-Heitfeld 1999).
Diese verschiedenen Strategien entsprechen dem vorn vorgestellten Schichtenmodell der Hochschulmarketing-Kommunikation. Dabei ist die Strategie des KeyUniversity-Managements auf eine Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität und sich daraus entwickelnde selektive oder auch individuelle Kommunikation mit potenziel2
In einigen Unternehmen werden die neuen Mitarbeiter dazu angehalten, den Kontakt zu ihrer ehemaligen Hochschule zu pflegen.
222
Frana
len Bewerbern (erste bis dritte Schicht) gerichtet. Selektive und sich daraus entwickelnde individuelle Kommunikation (dritte Schicht), in der Regel direkt im Unternehmen, ist Ziel der EILMs-Strategie. Eine individuelle Kommunikation mit potenziellen Bewerbern (ausschließlich dritte Schicht) streben Unternehmen mit der Entwicklung von Talentbindungsprogrammen an. 2.1
Konzept des Key-University-Managements
Der Begriff des Key-University-Managements ist in Anlehnung an den Begriff des Key-Account-Managements im Industriegütermarketing zu verstehen. Dabei prägen „einzelne (bedeutsame) Kunden [in diesem Fall Hochschulen], über die Einzeltransaktion [die einmalige Rekrutierung] hinausgehend - also in einer Geschäftsbeziehung stehend [...] -, das Verhaltensprogramm des Anbieters“ (Backhaus 2003: 307). Konkret bauen Unternehmen (Geschäfts-)Beziehungen zu sogenannten Schlüsselhochschulen auf, auf welche die Hochschulmarketingaktivitäten besonders konzentriert werden. Dabei tritt „ein Manager oder Projektverantwortlicher [quasi als KeyAccount-Manager] gegenüber den Ansprechpartnern (Professoren, Dozenten, Assistenten, Hochschulgruppen) an vorher definierten Universitäten auf[...] und [koordiniert] alle Aktivitäten an diesen Hochschulen“ (Moll 1992: 37). Erfolgreiches Key-University-Management setzt einerseits die langfristige und strategische Planung sowie die kontinuierliche Durchführung der HochschulmarketingMaßnahmen voraus, andererseits ebenso die langfristig angelegten intensiven Kontakte durch einen möglichst längere Zeit konstanten Unternehmensrepräsentanten. Basis ist die Segmentierung der möglichen Zielhochschulen. Die in Tabelle 2 dargestellten Kriterien können bei der Definition von Zielhochschulen berücksichtigt werden: Kriterien zur Definition von Zielhochschulen Marktpotenzial
Wettbewerbssituation
Ressourcen-Fit
• • • • • • • • • • • • • •
Renommee der Hochschule Quantität der Studierenden breite Zielgruppenabdeckung durchschnittliche Qualität der Studierenden und Absolventen Vorliegen spezifischer, für das Unternehmen interessanter Studienrichtungen und Spezialisierungen Praxisbezug der Studiengänge Internationalität der Ausbildung Anzahl konkurrierender Unternehmen ‚Stärke’ der Wettbewerber an der Hochschule, (Wahrnehmung einer Verbundenheit der Hochschule mit einzelnen Unternehmen) Eintrittsbarrieren für Wettbewerber geografische Nähe bereits bestehende Kontakte zu Professoren und/ oder Lehrstühlen bestehende erste Kooperationskontakte mittelfristige Finanzierbarkeit
Tabelle 2: Kriterien zur Definition von Zielhochschulen Quelle: Schmidt 2004: 37, Höllmüller/ Schaefer 2002: 26 ff.
Kooperatives Hochschulmarketing
223
Unternehmen richten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf jene Hochschulen, an denen chancenreicher zukünftiger technischer und kaufmännischer Fach- und Führungsnachwuchs besonders konzentriert zu finden ist. Letztlich verfolgen Unternehmen mit dem Instrument des Key-UniversityManagements das Ziel eines signifikanten Vorsprungs gegenüber Wettbewerbern am Arbeitsmarkt. Neben der ständigen Präsenz an der Hochschule kann dies z.B. durch die Mitgliedschaft in Hochschulgremien sowie enge persönliche Kontakte zu Entscheidungsträgern der Hochschule besonders verdeutlicht werden. Vor allem bei der Einbeziehung von Unternehmen in die Hochschulentwicklung (z.B. durch Gremienarbeit) entstehen Marketingnetzwerke (vgl. Kotler/ Bliemel 2001: 19). Unternehmen und Hochschule gehen dann in der Wahrnehmung ihrer Zielgruppen eine Verbindung ein und treten gemeinsam auf ihren Märkten auf. 2.2
Konzept der extended internal labour markets (EILMs)
Mit dem Begriff extended internal labour markets wird die Schaffung von sozialen Netzwerken bezeichnet, mit denen das Ziel verfolgt werden soll, Personen zu rekrutieren, die bereits im persönlichen Kontakt mit dem Unternehmen stehen. Die Initiative geht dabei von den Unternehmen aus. Die Auswahl der integrierten Hochschulen folgt denselben Kriterien wie für die Auswahl von Key Universities. Die EILMs sind deshalb in Abgrenzung zum Key-University-Konzept zu betrachten, weil die Basis der Zusammenarbeit hier in gemeinsamen Forschungsvorhaben besteht, und die Zusammenarbeit von Hochschulen mit Unternehmen im Bereich Forschung bereits eine lange Tradition hat, deren Potentiale für die Rekrutierung aber längst nicht ausgeschöpft werden. Lam (2002) beschreibt die Strategie britischer High-Tec-Unternehmen, in ihre EILMs auch Universitäten einzuschließen: “'Strategic partnerships' with universities now constitute a core element of the company's external knowledge networks” (Lam 2002: 19). Diese Unternehmen verbinden Innovationsstrategien, dabei vor allem die schnellere Übertragung von entstehendem Wissen, mit Human Resources und Arbeitsorganisation. Basis der Zusammenarbeit stellen gemeinsame Forschungsprojekte dar. Der Aufbau der sozialen Netzwerke durch EILMs hat von Unternehmensseite wichtige Funktionen: •
Rekrutierungskanal: Durch die Zusammenarbeit in Projekten erhält das Unternehmen zuverlässigere Informationen über die Qualifikation von Absolventen als über einen formalen Bewerbungsprozess und stellt sich zudem als potenzieller Arbeitgeber vor.
•
Informelles Ausbildungssystem: Mittels gemeinsamer Forschungsprojekte, der Durchführung von Seminaren sowie der Bereitstellung von Praktikumsplätzen können Unternehmen versuchen, durch ihren eigenen Beitrag die Ausbildungsinhalte zu beeinflussen.
224
Frana
Als Mechanismus für ein nachhaltiges grenzüberschreitendes Wissensnetzwerk: Die EILMs ermöglichen Unternehmen Zugang zu externen Ressourcen, die im Unternehmen nicht vorhanden sind, ohne diese komplett integrieren zu müssen. 2.3
Talentbindungsprogramme
Mit der Einrichtung von Talentbindungsprogrammen richten Unternehmen ihre Hochschulmarketing-Kommunikation auf einzelne Studierende, die zu den gesuchten Zielgruppen des Unternehmens gehören und die im Rahmen dieser Bindungsprogramme die Möglichkeit erhalten, sich intensiver mit dem jeweiligen Unternehmen auseinander zu setzen. Dazu gehören Praktikumprogramme, die Betreuung von Abschlussarbeiten oder auch die Einladung zu Workshops. Gleichzeitig soll der Kontakt zu anderen Unternehmen verhindert werden. Für diese Programme werden Studierende in der Regel nach einem ersten erfolgreich absolvierten Praktikum von den jeweiligen Vorgesetzten empfohlen und ausgewählt (vgl. Schmidt 2004: 48 f.). Mit Talentbindungsprogrammen sollen qualitative Effekte mit geringem Streuverlust und effizientem Ressourceneinsatz erzielt werden. Im Laufe der Zugehörigkeit wird die Entwicklung der Mitglieder evaluiert und aufgrund dieser Auswertung ihre Zahl mit jeder Intensitätsstufe geringer. Im Optimalfall befinden sich auf der Ebene der Studierenden in der Studienabschlussphase nur noch Studierende im Pool, die bereits die Auswahlkriterien des Unternehmens an Berufseinsteiger erfüllen. Damit wird ein entscheidender Teil des Auswahlprozesses bereits der eigentlichen Rekrutierung vorgelagert.
3
Hochschulmarketing als Element der Profilbildung von Hochschulen
In der deutschen Hochschulmarketing-Literatur (vgl. u.a. Topf 1986, Hermeier 1992, Trogele 1997) ist kein eigenständiger Hochschulmarketingansatz zu finden. Vielmehr bedient sich diese der Instrumentarien des Dienstleistungs- und Non-ProfitMarketings. Die Rekurrierung auf das Dienstleistungsmarketing (vgl. Meffert/ Bruhn 2003) wird begründet durch die Immaterialität der erbrachten Hauptleistung, der Lehre, und der Notwendigkeit der Integration des externen Faktors, des Studierenden, in die Leistungserstellung (vgl. u.a. Hermeier 1992: 80 ff.). Die Bezeichnung staatlicher Hochschulen als Non-Profit-Organisation liegt wegen der fehlenden Gewinnorientierung nahe (vgl. ebd.: 63 ff., Kotler/ Andreasen 1987). Bezüglich der Begriffsbestimmung folgt der Aufsatz Kotler: „Marketing is the analysis, planning, implementation, and control of carefully formulated programs designed to bring about voluntary exchanges of values with target markets to achieve institutional objectives. Marketing involves designing the institution’s offerings to meet the target markets’ needs and desires, and using effective pricing, communication, and distribution to inform, motivate, and service these markets” (Kotler/ Fox 1995: 6).
Kooperatives Hochschulmarketing
225
Voraussetzung für die erfolgreiche Initiierung einer Austauschbeziehung ist, dass beide Parteien jeweils über Tauschwerte verfügen, die für die andere Partei einen ‚Wert’ darstellen. Dabei kann es sich, neben Geld, um physische Güter, Dienstleistungen, Verhaltenskonstanz oder -änderung, Informationen, Kontakte, Ideen oder auch zeitliche Zuwendung (z. B. Mitarbeit, Unterstützung) handeln (vgl. Hermeier 1992: 63 ff.). Wenn Hochschulen also mit rekrutierenden Unternehmen in eine Austauschbeziehung treten wollen, wird von den Hochschulen die Entwicklung einer Marketingstrategie gefordert, die dazu führt, das Leistungsangebot der Hochschule so zu entwickeln, dass es den Bedürfnissen und Wünschen sowie Veränderungen der Bedürfnisse und Wünsche der rekrutierenden Unternehmen entspricht. Da sich die zu entwickelnde Hochschulmarketingstrategie primär auf Kundengewinnung und vor allem Kundenbindung ausrichtet (Entwicklung nachhaltiger Kontakte zu rekrutierenden Unternehmen), werden die Instrumente des Relationship-Marketings und der Kundenintegration im Zentrum des zu entwickelnden Kooperativen Hochschulmarketings stehen. Relationship-Marketing ersetzt dabei nicht den klassischen Marketingmix (product, price, place, promotion), sondern strukturiert die Marketinginstrumente auf einer zweiten Dimension entlang der Phasen des Kundenbeziehungslebenszyklus aus Kundengewinnung (Anbahnung, Sozialisation), Kundenbindung (Wachstum, Reife) und Kundenrückgewinnung neu (vgl. Tabelle 5). Das Relationship-Marketing zum Aufbau derartiger Kundenbindungen umfasst „alle Aktivitäten, die [eine Hochschule] gezielt einsetzt, um jeden einzelnen [ihrer] Kunden besser kennenzulernen, wertzuschätzen, zu seiner Zufriedenheit zu bedienen und mit ihm zusammen zu arbeiten“ (Kotler/ Bliemel 2001: 86). Die Zufriedenheit jedes einzelnen Kunden bildet die Grundlage seiner Bindung an die Hochschule. Eine Marketingstrategie der Hochschule muss sich adäquat der Personalmarketingstrategie der Unternehmen gleichermaßen auf interne und externe Zielgruppen richten. Dabei zielt das interne Hochschulmarketing auf die Akteure in der Hochschule selbst – von Mitarbeitern bis zu Studierenden. Das externe Marketing richtet sich sowohl auf den Beschaffungs- als auch den Absatzmarkt (vgl. Abbildung 3).
226
Frana
Finanzmittel Studierende
Hochschule
Personal
Lehre (Absolventen) Forschung
u.a.
Weiterbildung und weitere Leistungen
Beschaffungsmarkt
Absatzmarkt
Abbildung 3: Märkte und Zielgruppen der Hochschule Quelle: Vgl. Trogele 1997: 7.
Kooperatives Hochschulmarketing ist primär auf den Absatzmarkt der Hochschule gerichtet – die Absolventen sollen in den Unternehmen platziert werden. Allerdings darf die Dependenz des internen und externen Marketings nicht außer Acht gelassen werden: So bewegen sich die Studierenden als ‚zukünftige Studierende’ auf dem Beschaffungsmarkt, als „aktuelle Studierende“ innerhalb der Hochschule und als ‚Absolventen’ auf dem Absatzmarkt. Wenn sie als Alumni aus ihrer Position in einem Unternehmen aktuellen Studierenden Arbeits- und Praktikumsplätze zur Verfügung stellen, werden sie zur betrachteten Zielgruppe rekrutierender Unternehmen. 3.1
Verbindung von internem und externem Hochschulmarketing in der Zielgruppe der zukünftigen, aktuellen und ehemaligen Studierenden
Bei der Darstellung der Hochschulmarketingstrategien der Unternehmen wurde deutlich, dass sich die Aktivitäten der Unternehmen sowohl auf die Hochschule als Ganzes richten (z.B. Key Universities), gleichzeitig aber sowohl die Definition einer Hochschule als Key University als auch die Bindung einzelner Studierender durch Talentbindungsprogramme von der Qualifikation einzelner Studierender bestimmt wird. Letztlich ist die Hochschule nur dann für Unternehmen interessant, wenn sie Studierende ausbildet, die von Unternehmen gesucht werden. Diese Unterscheidung ist deshalb elementar, weil es sich bei der Hochschule um eine Dienstleistungseinrichtung handelt und sich Dienstleistungsunternehmen dadurch auszeichnen, dass „der Mensch [in diesem Fall der Studierende], an dem sich die Leistungsfähigkeit konkretisiert, stets ein externer, also außerhalb des Verfügungsbereichs des Dienstleistungsanbieters befindlicher Faktor ist“ (Meffert/ Bruhn 2003: 62). Das heißt, der Ruf der Hochschule wird entscheidend durch die Qualität der Absolventen geprägt, ohne dass die Hochschule selbst die Leistungen und Qualifikationen ihrer Studierenden vollständig beeinflussen könnte. Damit wird der Studierende zu einem limitierenden Faktor bezogen auf die Entwicklung eines Hochschulmarke tings und der Marketingzielstellungen (vgl. Abbildung 4).
Kooperatives Hochschulmarketing
227
Abbildung 4: Zentrale Bedeutung der Hochschulzielgruppe der Studierenden
In ihrer Marketingkommunikation hat die Hochschule deshalb nicht nur ihre Angebote in Lehre und Forschung transparent zu machen, sondern in Form des Ergebnisses ihrer Dienstleistung, dem ausgebildeten Absolventen, ein doppeltes Leistungsversprechen abzugeben. Produktpolitik muss damit sowohl die Leistungsfähigkeit der Hochschule als auch die Leistungsfähigkeit der Absolventen verdeutlichen. Eine Hochschule, die ihre Absolventen erfolgreich beim Übergang in das Berufsleben unterstützt, muss sich also in der Entwicklung ihrer Curricula an den Anforderungen der Unternehmen ausrichten, und dieser Fakt ist mittlerweile sogar in der Prüfung des Aspekts der ‚Berufsbefähigung’ im Akkreditierungsverfahren von Studiengängen (vgl. BDA 2004) institutionalisiert. Ein Prüfungskriterium ist dabei u. a. die Einbeziehung der Unternehmen in die Konzeption der neuen Studiengänge – und damit die Integration von Kunden in die Leistungserstellung. Auf Ebene des Individuums ist jeder einzelne Studierende gefordert, sein Studium und Studierverhalten an dem von Unternehmen präferierten Absolventenprofil auszurichten. Damit verfügen die Unternehmen letztlich über eine doppelte Verhandlungsmacht. Deshalb versuchen Hochschulen ihrerseits, den Berufserfolg ihrer Absolventen zu beeinflussen. Welche Instrumente sie dazu einsetzen, soll am Beispiel
228
Frana
des Anforderungsprofils eines High Potentials verdeutlicht werden (vgl. Tabelle 3, vgl. Simon/ Wiltinger/ Sebastian 1995: 88, zit. n. Scholz 1999: 30, vgl. Eggers/ Ahlers 1999: 39). Dieses greift die wichtigsten Anforderungen von Unternehmen an ihren Fach- und Führungsnachwuchs auf. Anforderungsprofil eines High Potentials
Mögliche Reaktion der Hochschule auf die Anforderungen der Unternehmen
Examensnote
• • •
Studiendauer
Studierbarkeit innerhalb der Regelstudienzeit
Auslandserfahrung
Verpflichtendes Auslandspraktikum oder -studium
Praktika bei High-Performance- • Organisationen •
Studierendenauswahl Betreuung (Professoren, Tutoren, Mentoren) Zwischenprüfungen
Bereitstellung von Praktikumsplätzen Präsenz entsprechender Unternehmen an der Hochschule
Studienortwechsel
Verpflichtendes Auslandsstudium
Praktische Erfahrungen
Verpflichtende Praktika
Kaufmännische Ausbildung
Studierendenauswahl
Karriereerwartung
Vorstellen von Karrieremöglichkeiten in verschiedenen Branchen
Alter
Studierendenauswahl
Soziale Kompetenzen
• •
Seminarangebote, Bearbeiten von Fallstudien, Fördern von Teamarbeit und interdisziplinärer Zusammenarbeit etc. Studierendenauswahl
Tabelle 3: Mögliche Reaktion der Hochschule auf die Anforderungen der Unternehmen.
3.2
Besonderheiten des Hochschulmarketings gegenüber der Zielgruppe der privaten Wirtschaft
Die Zielgruppe der privaten Wirtschaft tritt sowohl auf dem Absatz- als auch auf dem Beschaffungsmarkt auf. Auf dem Beschaffungsmarkt agiert die Wirtschaft als Sponsorin und Spenderin bei der Beschaffung privater Geldmittel. Auf dem Absatzmarkt agiert sie sowohl als Nutzerin von Lehrleistungen (Rekrutierung von Absolventen und Praktikanten) als auch von Forschungs- und Weiterbildungsdienstleistungen. Der vorliegende Text beschränkt sich im Folgenden auf den Absatzmarkt. Wenn Hochschulen mit Unternehmen kooperative Beziehungen eingehen wollen, dann sind die unterschiedlichen Zielsysteme von Hochschulen und Unternehmen zu betrachten. 3.2.1 Differenz der Zielsysteme zwischen Hochschule und privater Wirtschaft Erfolgreiche Kooperationen von Non-Profit-Einrichtungen mit profitorientierten Unternehmen setzen voraus, dass die jeweils unterschiedlichen Zielsysteme berücksichtigt und damit erreichbar gemacht werden. Während beispielsweise (staatliche) Hochschulen primär strategische (Aus-)Bildungsziele verfolgen, zielen Unternehmen auf die Maximierung des Aktienwertes bzw. Unternehmensgewinnes. Ebenso unter-
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schiedlich sind die Zeithorizonte, in denen die beiden Seiten Erfolge erwarten. Während der Zeithorizont bei Hochschulen rund drei bis fünf Jahre beträgt, erwarten Unternehmen sowohl beim Eingehen von Forschungskooperationen als auch bei der Zusammenarbeit im Rahmen von Key-University-Strategien bereits innerhalb von ein bis zwei Jahren Ertrag für das investierte Kapital (vgl. Abhari 2001, Wucknitz 1995). Gleichzeitig darf der Einfluss der Konjunkturlage auf die Rekrutierungsaktivitäten der Unternehmen nicht übersehen werden, denn je nach Konjunkturlage treffen viele Absolventen auf wenige Arbeitgeber oder wenige Absolventen auf viele Arbeitgeber. Während die Hochschulen kontinuierlich Interesse am ‚Absatz’ ihrer Absolventen haben, haben die Unternehmen besonders in konjunkturstarken Zeiten Interesse an der Rekrutierung von Hochschulabsolventen, oder sie konzentrieren ihre Aktivitäten auf ausgewählte Studiengänge bzw. verschärfen ihre Anforderungen an zu rekrutierende Absolventen. 3.2.2 Rekrutierung als organisationaler Beschaffungsprozess Der Prozess der Rekrutierung von Hochschulabsolventen ist als organisationaler Beschaffungsprozess zu verstehen. Dabei handelt es sich um einen „multipersonale[n] Problemlösungs- und Entscheidungsprozess, der durch aktives Informationsverhalten und durch Interaktionen gekennzeichnet ist“ (Backhaus 2003: 63). Die konkrete Ausprägung des Beschaffungsverhaltens wird von der konkreten Beschaffungssituation (im betrachteten Fall der Rekrutierung von Hochschulabsolventen), der Höhe der Investition und letztlich der Erfahrung mit der Beschaffungssituation bestimmt. Der Beschaffungsprozess durchläuft verschiedene Phasen, in denen unterschiedliche Nachfragerprobleme im Vordergrund stehen. Entsprechend dieser Phasen muss die Hochschule ihr Angebot und ihre Informationspolitik phasengenau ausrichten. Das Modell von Backhaus/ Günter unterscheidet beispielsweise folgende Phasen (vgl. ebd.: 70): •
Voranfragephase (mit Definition des Personalbedarfs und Prüfung grundsätzlicher Rekrutierungsmöglichkeiten),
•
Angebotserstellungsphase von Hochschulseite (Wie kann die Hochschule ein Unternehmen bei seiner Rekrutierung unterstützen?),
•
Kundenverhandlungsphase (mit Beurteilung möglicher Rekrutierungskanäle) sowie
•
der Abwicklungs- und Gewährleistungsphase (mit Realisierung und Nachbereitung).
Die Zufriedenheit des Nachfragers mit dem Ablauf jeder einzelnen Phase und letztlich der Realisierung des Projekts entscheiden über später ablaufende Prozesse, sei es die Wiederholung einer Beschaffungssituation oder auch die Weiterempfehlung. Darüber hinaus ist das Beschaffungsverhalten von Organisationen durch seine Multipersonalität gekennzeichnet, d. h. in der Regel sind mehrere Personen auf Nachfra-
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gerseite in den Beschaffungsprozess involviert (vgl. Webster/ Wind 1972: 78 ff., zit. n. ebd.: 76 und Bonoma vgl. 1982: 113, zit. n. ebd.: 77). Dies können neben den Rekrutern auch Fachverantwortliche sein, die z.B. bereits über Kontakte zu einzelnen Professoren verfügen oder auch Praktikanten oder Alumni, die als Multiplikatoren für die Hochschule wirken und einen Entscheidungsprozess für die Rekrutierung an einer bestimmten Hochschule mit beeinflussen. Bei der Initiierung von Unternehmens-Kooperationen ist auf das rollenbedingte sowie individuelle Informationsverhalten sowie die Erfahrung der beteiligten Personen mit dem Hochschulmarketing zu achten. Wenn noch keine Erfahrungen vorhanden sind, muss sich die Hochschule auf einen entsprechend umfassenden Informationsbedarf inklusive der notwendigen Kapazitäten einstellen. Verkauf oder Absatz an Unternehmen, auch wenn er nicht-monetär ist, erfordert einen hohen Anteil an persönlichem Kontakt und persönlicher Verhandlung. Wenn bereits auf Erfahrungen aus der Rekrutierung an anderen Hochschulen oder anderer Personenkreise zurück gegriffen werden kann, dann entsteht ein neuer Informationsbedarf – allerdings nicht in demselben Umfang. Dies gilt auch für die Umstellung auf die gestufte Studienstruktur der Bachelor- und Master-Studiengänge. Hier entsteht auch bei erfahrenen Unternehmen wieder neuer Informationsbedarf. Bei über Jahre identischen Rekrutierungswegen kann das Unternehmen auf ein umfangreiches Erfahrungspotenzial zurückgreifen und die Beschaffungsprozesse können punktuell oder komplett standardisiert ablaufen. 3.2.3 Problem der Intransparenz von Hochschulleistungen Auf das Problem der Intransparenz der Hochschulleistungen haben Lüdecke/ Beckmann (2001: 116 f.) hingewiesen. Die Autoren stellten in einer Studie die durchschnittlichen Notenniveaus der Absolventen wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge aller relevanten deutschen Universitäten und Privathochschulen gegenüber und ließen sie von personalpolitisch verantwortlichen Managern einschätzen. Dabei deckten sie zum Teil eine gravierende Differenz auf. Diese Differenz macht eine subjektive Bewertung von Abschlussnoten deutlich, die offenbar teilweise lediglich auf Vermutungen darüber beruht, wie leicht oder schwer diese Note zu erringen war. Ohne auf die Studie detaillierter einzugehen, sei darauf hingewiesen, dass von 59 betrachteten Hochschulen nur bei 15 Hochschulen eine Übereinstimmung zwischen den tatsächlichen Notenniveaus und der Einschätzung der Notenniveaus durch die Personalmanager bestand. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie der Berlin Partner GmbH (vgl. 2005: 18). Diese bezieht sich zwar auf die Forschungskooperation, das Fazit kann aber auch auf das Thema Rekrutierung übertragen werden: Danach wünschen sich 90% der Unternehmen, dass die Forschungseinrichtungen stärker auf die Unternehmen zugehen. Bei mehr als 70% ist dieser Wunsch damit zu begründen, da ihnen das Leistungsangebot nicht transparent erscheint (vgl. ebd.: 10).
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3.2.4 Differenz der Strukturen Bedingt durch die im Vergleich zu Wirtschaftsunternehmen große Autonomie einzelner Hochschulstrukturen „ist es möglich, dass Individuen, Institute und Fachbereiche autonom Informationen abgeben und möglicherweise eigene Marketinganstrengungen unternehmen [...], indem sie sich direkt an ihre Austauschpartner wenden (Topf 1986: 46 f.). Aus diesem Grund muss das interne Marketing der Hochschule u. a. auf eine Harmonisierung von Marketingbestrebungen zielen, damit Unternehmen nicht ohne Rücksprache und Informationsaustausch von mehreren Ansprechpartnern in der Hochschule kontaktiert werden. Darüber hinaus ist es für Unternehmen als Außenstehende ohnehin schwierig, bei der Recherche nach Ansprechpartnern die große Zahl der von Hochschule zu Hochschule differierenden Untergliederungen und Begrifflichkeiten zu durchschauen – sei es Fachbereich, Institut, Lehrstuhl, Studiengang, Öffentlichkeitsarbeit, Hochschulleitung, Studienberatung, Career Center oder Transferstelle. Eine Befragung von Hermeier (1992: 236) ergab, dass sich aus diesem Grund „die Manager [...] vor allem einen kompetenten und für alle Kooperationsfelder zuständigen Ansprechpartner an der Hochschule wünschten. Die komplexe Struktur und die teilweise sehr bürokratischen Abläufe in der Hochschule wurden als Hinderungsgrund für eine intensivere und systematischere Zusammenarbeit mit der Hochschule genannt“. Aus diesem Grund verfolgen die Hochschulen neben dezentralen Aktivitäten der Zusammenarbeit mit Unternehmen durch einzelne Professoren oder Lehrstühle auch zentrale, institutionalisierte Strategien der Kooperation mit Unternehmen beispielsweise durch die Einrichtung von Stellen für den Wissens- und Technologietransfer sowie den Career Service. Zentrale Aufgabe des Wissens- und Technologietransfers ist die Förderung des Austauschs von Wissen und Technologien. Dazu gehört auch die Vermittlung von Kontakten zwischen Unternehmen und einzelnen Professoren oder Lehrstühlen. CareerService-Einrichtungen zielen auf die Studierenden und Absolventen und unterstützen diese bei ihrem Übergang in das Berufsleben. Kooperatives Hochschulmarketing erfordert durch die Verbindung von EILMs und der Rekrutierung eine Vernetzung beider Aktivitäten. Unternehmen, mit denen bereits eine Forschungskooperation besteht können für die Bereitstellung von Praktikumsplätzen und Unternehmen, die an der Hochschule rekrutieren, können für gemeinsame Forschungsprojekte gewonnen werden. Letztlich führt beides für Studierende und Absolventen dazu, persönliche Kontakte zum Arbeitsmarkt zu gewinnen.
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Bei der Entwicklung von Hochschul-Unternehmens-Kooperationen an der Schnittstelle zwischen Placement und Rekrutierung geht die Initiative in der Regel zunächst von den Unternehmen aus, da zumindest ein latenter Personalbedarf herrschen muss. Grundlegende Voraussetzung ist dazu die Bereitschaft von Unternehmen, zur Befrie-
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digung ihres Personalbedarfs tragfähige Kontakte zu Hochschulen aufbauen zu wollen und diese als durchaus nicht nur einseitig zu verstehen. Bezogen auf das Kooperative Hochschulmarketing ist besonders die Entwicklung von „Marketingnetzwerk[en]“ (Kotler/ Bliemel 2001: 19) zu betrachten, da Kooperatives Hochschulmarketing zum Aufbau derartiger Netze betragen kann und diese letztlich das Wesen des Wettbewerbs selbst verändern. Wettbewerb findet dann nicht mehr nur auf der Basis von Austauschprozessen statt, sondern es stehen „[g]anze Marketingnetzwerke [...] im Wettbewerb untereinander“, den die einzelne Hochschule „im besseren Netzwerk gewinnt“ (ebd.). Zur Netzwerkbildung hat das strategische Marketing die Aufgabe, langfristig zufriedenstellende Beziehungen zu den Zielgruppen aufzubauen, aufrecht zu erhalten und zu verstärken und dies mit dem Ziel einer sich gegenseitig bevorzugenden geschäftlichen Zusammenarbeit. Die mittels Kooperativem Hochschulmarketings zu entwickelnden HochschulUnternehmens-Kooperationen stellen Beispiele für vertikale Kooperationen dar. Sie ermöglichen einer Hochschule, auch in einem sehr stark kompetitiven und dynamischen Wettbewerbsumfeld Wettbewerbsvorteile aufzubauen, da Netzwerke nicht kurzfristig kopiert werden können und auf das Image der Hochschule selbst und gleichzeitig auch den Wettbewerb in der Hochschullandschaft Einfluss nehmen. Die Hochschule tritt in diesem dann nicht mehr einzeln, sondern in ihrem Netzwerk auf. 4.1 Entwicklung eines Begriffs eines Kooperativen Hochschulmarketings Basierend auf der Parallelisierung der beiden komplementär zu denkenden Hochschulmarketing-Strategien -des unternehmensseitigen sowie hochschulseitigen Hochschulmarketings- soll unter Kooperativem Hochschulmarketing ein strategischer Managementprozess verstanden werden, der sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Implementierung und des Controllings umfasst, die der Initiierung, Stabilisierung und Intensivierung von kooperativen Geschäftsbeziehungen zwischen Hochschulen und rekrutierenden Unternehmen dienen. Kooperatives Hochschulmarketing ist dabei auf die Nutzung der komplementären Potentiale des hochschulseitigen und unternehmensseitigen Hochschulmarketings ausgerichtet. Es erfordert die konsequente Ausrichtung des Leistungsangebots der Hochschule auf die Bedürfnisse, Wünsche und die auf die Hochschule gerichteten Strategien des Zielmarktes. Gleichzeitig erfordert erfolgreiches kooperatives Hochschulmarkt auch von den Unternehmen, ihr Hochschulmarketing auf die Wünsche und Bedürfnisse der Hochschule auszurichten. Auf der Basis einer Hochschulmarketingstrategie werden die Instrumente des Relationship-Marketings und der Kundenintegration eingesetzt, um die Hochschule auch auf der operativen Ebene für Netzwerkbeziehungen anschluss- und integrationsfähig zu machen. Mittels Kooperativen Hochschulmarketings werden rekrutierende Unternehmen derart in die Leistungserstellung der Hochschule integriert, dass sowohl die Hochschule
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als auch die beteiligten Unternehmen damit ihre Wettbewerbsposition in einem Wettbewerb der Netzwerke erfolgreich ausbauen können. 4.2
Ziele eines Kooperativen Hochschulmarketings
Mit dem Aufbau und dem Management von Kooperationen verfolgen Unternehmen und Hochschulen das strategische Oberziel, langfristige Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Die Konkretisierung der Unterziele erfolgt auf der Basis externer und interner strategischer Analysen. Dabei erfordert der Erfolg einer Kooperation nicht, dass beide Seiten identische Ziele verfolgen, die Ziele müssen aber komplementär sein. Diese Voraussetzung ist mit dem komplementären Interesse der Hochschulen an dem erfolgreichen Berufseinstieg ihrer Absolventen und Rekrutierungsinteresse der Unternehmen erfüllt. Mit dem Aufbau kooperativer Beziehungen zu Unternehmen auf dem Absatzmarkt kann die Hochschule beispielhaft die in Tabelle 4 dargestellten Unterziele verfolgen. Die in der Tabelle zusammen gestellten Informationen verdeutlichen darüber hinaus, an welchen Punkten sich die komplementären Ansätze aufeinander beziehen müssen, um ihr Potential tatsächlich zu entfalten.
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Mögliche Ziele eines Kooperativen Hochschulmarketings
(Quasi-) Kostenvorteile
Zeitvorteile
Zugang zu Know-how
Qualitätsvorteile
Strategische Ziele
Operative Ziele
Hochschulziele
Unternehmensziele
Erhöhung der Kundenbindung
Bindung von Unternehmen, Studierenden und Absolventen
Bindung von Hochschulen und ausgewählten Studierenden
Erweitertes Leistungsangebot
Angebot von Placement-Services
Imagegewinne
• Aufbau, Pflege und Kommunikation • Berücksichtigung von eines positiven UnternehmensArbeitgeberimages Kooperationen bei der Akkreditierung • Übertragung eines positiven Hochschulimages auf das • Hochschule, die in Unternehmen Marketing-Netzwerken agiert • Unternehmen, das • Hochschule, die soziale Verantwortung gegenüber jungen Verantwortung gegenüber Menschen trägt den Studierenden und Absolventen trägt
Zugang zu Informationen/ Gewinnung von Know-how
• Informationen zu Anforderungen der Unternehmen • Informationen über zu besetzende Stellen • Gewinnung von Know-how durch die verstärkte Einbeziehung von Unternehmen in die Leistungserstellung • Information über Rekrutierungsprozesse
• Interessierung und Gewinnung potenzieller Mitarbeiter
Realisierung von Zeitersparnissen
• Verkürzung der Bewerbungszeit für Praktikumsplätze und Berufseinstiegsstellen
• Verkürzung der Besetzungszeit für Praktikumsplätze und Berufseinstiegsstellen
Nutzung der Absatzmärkte
• Steigerung der Nachfrage nach Absolventen • Erschließung neuer Unternehmenskontakte durch Weiterempfehlung
• Senkung der Personalbeschaffungs- und Einarbeitungskosten • Pflege des eigenen Netzwerkes z.B. durch Weiterempfehlung
Zugang zu Kapital
• Einwerben von Spendengeldern
Tabelle 4: Hochschul- und unternehmensseitige Ziele, die mit der Implementierung eines Kooperativen Hochschulmarketings verbunden sein können
Die Entwicklung eines strategischen Hochschulmarketings erfordert, die vielgestaltigen Ziele in Beziehung zur Mission, Vision sowie dem strategischen Hauptziel der Hochschule zu setzen und zu gewichten. Dabei sind vor allem die Mehrstufigkeit der Märkte und die Verhaltensinterdependenzen der Zielgruppen der Unternehmen und Studierenden auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten sowie der Übergang der Studierenden (als Absolventen) in die Zielgruppe der Unternehmen zu berücksichtigen.
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Instrumente eines Kooperativen Hochschulmarketings
Kooperatives Hochschulmarketing basiert auf einem auf den einzelnen Kunden abgestimmten Relationship-Marketing-Mix, der dabei stets auf das Stadium im Kundenbeziehungslebenszyklus zu beziehen ist. Zusätzlich ist es erforderlich, die wichtigsten Unternehmens-Partner als ‚externen Faktor’ in die Produktentwicklung sowie in die Dienstleistungsproduktion selbst einzubeziehen. Im Investitionsgütermarketing wird dieser Prozess mit dem Begriff der Kundenintegration beschrieben, er kann aber gleichfalls auf das Dienstleistungsmarketing übertragen werden (vgl. Sydow 2000). Kundenintegration erfordert die intensive Zusammenarbeit „mit Kunden, zumindest mit auswählten Kunden (insbes[onderne] Key Accounts [...]) in einzelnen oder allen Phasen des Leistungserstellungsprozesses“ (ebd.: 27). Das heisst, Unternehmen können einerseits in die Planung und Erstellung der Hochschulleistungen einbezogen werden, andererseits erfordert Kundenintegration aber auch ein Management der ausgewählten Geschäftsbeziehungen. In Anlehnung an das Konzept des Key-Account-Managements und komplementär zum Key-University-Management können Hochschulen dazu ein KeyCompany-Management entwickeln. Dazu sind Key Companies zu identifizieren. Diese können auf Basis von Entscheidungen in folgenden Bereichen ausgewählt werden (vgl. Bonoma/ Shapiro 1983, zit. n. Kotler/ Bliemel 2001: 446): •
demografische Variablen (u.a. hinsichtlich Branche, Unternehmensgröße, Standort, Nachfragehäufigkeit, bestehenden vs. neuen Kontakten),
•
Beschaffungskonzepte der rekrutierenden Unternehmen (u.a. hinsichtlich bestehenden vs. besonders attraktiven Kunden),
•
situationsbedingte Faktoren (u.a. hinsichtlich umfangreicheren Anforderungen vs. kleineren Aufträgen, z.B. Organisierung von Rekrutierungsveranstaltungen in der Hochschule vs. Veröffentlichung einer Stellenanzeige) sowie
•
personengebundene Eigenschaften (u.a. hinsichtlich der Rekrutierungstreue, z.B. regelmäßige Rekrutierung von einem Praktikanten, Rekrutierung durch Alumni oder andere strategisch wichtige Teilzielgruppen).
Diese Variablen sind nach der Wichtigkeit zu definieren. Dazu können Analyseinstrumente beitragen. Anwendung finden können beispielsweise die ABC- in Kombination mit der XYZ-Analyse sowie das Geschäftsbeziehungsportfolio nach Plinke (vgl. 1997: 149). 4.3.1 Analyseinstrumente zur Identifizierung von Key Companies: ABC-/XYZAnalyse Da Hochschulen verlässliche Unternehmenspartnerschaften benötigen, kann die ABC-Analyse dazu beitragen, den Markt möglicher Unternehmenskooperationen nach der Zahl der an einer Hochschule veröffentlichten Stellenangebote zu segmentieren. Denn ähnlich, wie sich Unternehmen in ihrer Zusammenarbeit u. a. auf Hoch-
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schulen konzentrieren, von denen sie besonders erfolgreich rekrutieren, sollten Hochschulen sehr an einer Zusammenarbeit mit Unternehmen interessiert sein, wo besonders viele Absolventen Arbeitsplätze finden. Das lässt auf die Passgenauigkeit der Ausbildung an der jeweiligen Hochschule aber auch die Passgenauigkeit der Hochschul- und Unternehmenskulturen schließen – beides sind wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kooperation. Wegen der Bedeutung verpflichtender Praxisbestandteile sowie des Schreibens von Abschlussarbeiten in Unternehmen sollte auch die Zahl derartiger Angebote berücksichtigt werden. Zur Bewertung des Absolventenerfolgs kann ein Quotient aus eingestellten Studierenden und Absolventen der betrachteten Hochschule sowie der Gesamtzahl der rekrutierten Hochschulabsolventen in einer Zeiteinheit gebildet werden. Diese Ergebnisse führen zu einer Rangordnung entsprechend einer ABC-Analyse (vgl. ebd.: 129). Die XYZ-Analyse klassifiziert die Unternehmen danach, inwieweit der jeweilige Bedarf an Praktikanten, Diplomanden und Absolventen voraus gesagt werden kann (vgl. ebd.: 77). Dabei können die Unternehmen unterschieden werden in X-Unternehmen mit regelmäßiger Rekrutierung, Y-Unternehmen mit trendmäßigen oder saisonalen Schwankungen unterliegender Rekrutierung und Z-Unternehmen mit unregelmäßiger Rekrutierung. Die Kombination von ABC- und XYZ-Analyse führt bereits zu neun Segmenten, die nach der Wichtigkeit von Unternehmen sowie deren unterschiedlichem Nachfrageverhalten differenzieren. Die Segmentierung auf Basis der kombinierten ABC-/XYZ-Analyse gibt einen ersten Hinweis auf Unternehmen, auf die sich eine Hochschule in ihrer Marketingstrategie besonders konzentrieren kann. Allerdings ist diese Analyse vergangenheitsorientiert. Gleichzeitig werden aus hochschulstrategischer Sicht vor allem demografische oder auch personenbezogene Kriterien nicht ausreichend gewogen, die bei der Entwicklung von Unternehmens-Kooperationen eine wichtige Rolle spielen können. Das Geschäftsbeziehungsportfolio zur Segmentierung nach der wechselseitigen Bedeutung kann dazu dienen, gewünschte Entwicklungen von Kooperationen zu steuern. 4.3.2 Analyseinstrumente zur Identifizierung von Key Companies: Geschäftsbeziehungsportfolio Nach dem Verständnis des Geschäftsbeziehungsmanagements richtet ein Unternehmen seine Aktivitäten vorrangig auf solche Partner, die über eine kritische Ressource verfügen, die die Wettbewerbsfähigkeit und damit das Überleben nachhaltig beeinflusst. Der Aufbau kooperativer Beziehungen zu Unternehmen erfordert symmetrische Geschäftsbeziehungen. Das heißt, eine Hochschule kann ihrerseits die Entwicklung einer Kooperation mit bestimmten Unternehmen als Ziel definieren (etwa weil sie einen Schwerpunkt in einer bestimmten Branche setzen will), wenn das Unternehmen der Hochschule nicht ebenso Bedeutung beimisst, wird das Unternehmen nicht bereit sein, in den Aufbau einer Geschäftsbeziehung zu investieren. Ansatzpunkt für den Aufbau derartiger Geschäftsbeziehungen ist stets das RekrutierungsInteresse in mindestens einem an der Hochschule ausgebildeten Studiengang. „Die Bedeutung eines Kunden ist [dabei] nicht absolut zu definieren, sondern sie ergibt
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sich letztlich aus zwei Umständen: der Fähigkeit des Lieferanten, den Erwerb der benötigten Ressourcen zu steuern und der Problemlösungs-Situation, in der sich der Anbieter befindet (ebd.: 123).“
Abbildung 5: Portfolio der Geschäftsbeziehungen Quelle: In Anlehnung an Plinke 1997: 149.
Das Geschäftsbeziehungsportfolio (vgl. ebd.: 147 f., vgl. Abbildung 5) verdeutlicht die wechselseitige Bedeutung beider Geschäftspartner sowie die Chancen und den Grad der Gefährdung einer Geschäftsbeziehung: Je schwächer die Position, desto größer die Substitutionsgefahr. Damit macht das Geschäftsbeziehungsportfolio deutlich, dass gerade die gefährdeten Beziehungen, die einen hohen Nutzen haben, Gegenstand eines spezifischen Geschäftsbeziehungsmanagements sein sollten. Durch Fragebögen oder Interviews kann dazu der aktuelle Stellenwert einer Geschäftsbeziehung erhoben sowie Potentiale für die Entwicklung der Geschäftsbeziehung aufgedeckt werden. Da beide Dimensionen sowohl den Wert als auch die Abhängigkeit (Beherrschbarkeit) erfassen, sind bestehende Beziehungen auf der Diagonalen ‚I - E - A’ symmetrisch. So verdeutlicht die Ansiedelung einer bestehenden Geschäftsbeziehung im Feld ‚A’, dass beide Seiten der Geschäftsbeziehung hohen Nutzen zuschreiben und beide mehr oder weniger voneinander abhängig sind. In der Konsequenz werden beide Seiten in ein Relationship-Management investieren. Dies nimmt dann die Form eines „Kooperationsmanagement[s]“ (ebd.: 149) an, „weil beide Seiten ein gleichgerichtetes Interesse an einer zuverlässigen und funktionierenden Geschäftsbeziehung haben“ (ebd.). Ausgewählte Unternehmensbeziehungen zu ‚A’-Beziehungen zu entwickeln, ist Aufgabe des Kooperativen Hochschulmarketings.
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Bedeutsam für die Entwicklung von Kooperationen ist zudem das Feld ‚F’. Dort sind Unternehmen positioniert, die für die Hochschule eine große Bedeutung haben. Die Hochschule „wird in dieser Situation alles tun müssen, um den Kunden, der geringe Bedeutung empfindet, zu mehr Aufmerksamkeit und Interesse [...] zu führen“ (ebd.). Dies kann sie dadurch tun, indem sie dem Unternehmen „Ressourcen in Aussicht stellt, die bedeutender [...] sind als das, was [das Unternehmen] bisher erhielt“ (ebd.). Es ist dabei aber nochmals zu betonen, dass Voraussetzung immer das Rekrutierungsinteresse des Unternehmens in mindestens einem Studiengang ist. Die Anwendung des Geschäftsbeziehungsportfolios verdeutlicht auch die Beziehung des Hochschulmarketings der Hochschule zu dem Hochschulmarketing des Unternehmens. Wenn ein Unternehmen eine Hochschule seinerseits als Key University definiert hat, dann bildet dies eine gute Grundlage, auch aus Hochschulsicht die Geschäftsbeziehung zu diesem Unternehmen zu entwickeln. Gleichzeitig macht das Geschäftsbeziehungsportfolio strategisch bedeutsame Unternehmenskontakte – zum Beispiel zu kleinen und mittleren Unternehmen - steuerbar. Denn ähnlich wie sich die Hochschulmarketing-Bestrebungen der Unternehmen sowohl auf die Hochschule als auch auf die einzelnen Studierenden und Absolventen richten, ist die Fragen der Bedeutung eines Unternehmens ebenfalls nicht nur aus Hochschulsicht zu betrachten. Die Unternehmen müssen genauso für die einzelnen Studierenden/Absolventen über Bedeutung verfügen – für diese muss das Unternehmen als Arbeitgeber hinreichend interessant sein. Die Entwicklung dieser Bedeutung ist grundsätzlich Aufgabe der Unternehmen im Rahmen ihres externen Hochschulmarketings. Da aber häufig kleinere Unternehmen nicht über Kompetenz und Kapazitäten für eine Positionierung als attraktiver Arbeitgeber verfügen, muss eine Hochschule, die z. B. dem Segment der KMU Bedeutung beimisst, diese unterstützen, ihren Wert bei der Zielgruppe zu verbessern. Hier verbindet sich das Kooperative Hochschulmarketing mit dem übergreifenden Konzept der Förderung der Employability der Studierenden und Absolventen (vgl. Abs. 5). So kann die Hochschule dazu beitragen, Studierende über die spezifischen Anforderungen und Chancen in kleinen und mittleren Unternehmen zu informieren, Studierende zu selektieren, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur kleine Unternehmen bevorzugen und geeignete Angebote für diese Gruppe zu entwickeln – zum Beispiel in Zusammenarbeit mit einem Verband als Interessensvertreter derartiger Unternehmen. Ein solches Vorgehen ist stets als Investment zu verstehen, das zumindest personelle Ressourcen erfordert. „Medium-size and smaller firms typically do not have personnel who can spare time necessary to take a proactive approach to developing a relationship with a business school” (Henke/ Peacock/ York 2001: 24). Die Beispiele haben gezeigt, dass das Geschäftsbeziehungsportfolio ständig kontrolliert werden muss. Dazu sind Soll-Positionen für konkrete Geschäftsbeziehungen zu definieren sowie (ungeplante) Wanderungen im Zeitablauf zu beobachten und steuern.
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Die Entwicklung der Positionierung der einzelnen Geschäftsbeziehung kann auch auf Unternehmen gerichtet sein, zu denen es bereits noch gar keinen Kontakt bzw. noch keinen Rekrutierungs-Kontakt gibt. Auch hier ist das Kontaktmanagement gefordert, die augenscheinliche Bedeutung der Hochschule für das Unternehmen zum Ausgangspunkt der Akquisitionsbemühungen zu machen. Da die Kooperation zwischen Hochschule und Unternehmen ein von persönlichen Beziehungen dominiertes Geschäft ist, sollte der Einstieg im Optimalfall in eine solche Zusammenarbeit über einen bereits bestehenden Kontakt erfolgen. Vor dem Hintergrund der möglichen Beteiligten an dem organisationalen Beschaffungsprozess Rekrutierung, muss sich ein bestehender Kontakt nicht ausschließlich auf den Rekruter konzentrieren. Bestehende Kontakte zwischen Professoren oder dem Forschungs- und Technologietransfer zu Fachabteilungen können genauso eine Kooperation initiieren oder beeinflussen, wie in dem Unternehmen tätige Alumni, Diplomanden oder Praktikanten. Als Key Companies können nun z.B. sämtliche Unternehmen in der Position ‚A’ definiert werden, aber auch Unternehmen, die in Richtung des Feldes ‚A’ entwickelt werden sollen. Zielunternehmen werden anhand der dargestellten Kriterien identifiziert und mittels eines Relationship-Managements von einem Ansprechpartner gemanagt. 4.4
Einsatz der marketingpolitischen Instrumente
Die in der Tabelle 5 dargestellten Instrumente des Relationship-Managements können zur Anbahnung und Entwicklung von Geschäftsbeziehungen und Kooperationen mit Unternehmen zum Einsatz kommen. Im Sinne der Prozessorientierung des Kooperativen Hochschulmarketings werden diese Instrumente grundsätzlich allen Unternehmen zur Verfügung gestellt. Unterschieden wird in der Anbahnungsphase im Einsatz persönlicher Kommunikation, die bei Unternehmen, die als besonders bedeutend einschätzt, bereits in der Akquisephase zielgerichtet zur Anwendung kommt.
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Anbahnung
Wachstum
Reife
Erreichen einer • Abstimmen indivi- • Verstärkung der hohen KundenzufrieWechselbarrieren duell vereinbarter denheit, um die durch noch engere Ziele und Inhalte Unternehmen zu Bindung des der Kundenbeeiner wiederholten Unternehmens an die ziehung (z.B. ERekrutierung zu Hochschule vents, motivieren. (Marketing-Netzwerk). Vorträge). • Akquise für weitere • Effizienzsteigerung. Services (z.B. Forschungsaufträge).
• Gleichbleibende • Kundenintegration • Leistungsbündelung. • Serviceangebote Mitarbeiter im Un(z. B. Einbeziehung • Leistungsstandarvor und nach der ternehmensvon Unternehmen in Rekrutierung (z.B. disierung. kontakt. Beratung, Erfolgsdie Entwicklung messung). neuer Studien• Ggf. Vermittlung gänge, Präsenz in von Kontakten in • Standardisierung Beiräten, Hochdie Studiengänge. der Leistungen schulorganen). (z.B. Vereinheitli• Schriftliche Befrachung von Abläugung zur Zufrie- • Value Added Serfen, Unterstützung vices (z.B. Vorausdenheit mit Serdurch EDV-Syswahl bzw. Empfehvice und Nachteme). lung geeigneter Stufrage weiterer dierender / Absol• IndividualisierungsLeistungen. venten). potenzial (z.B. Vorträge). • Transparenz über • Schulungen und • ‚Club’ der rekrutie- • Weiterhin Nutzen der Events zur FördeInstrumente Studiengänge, Sturenden Unternehrung des persönder Wachstumsphase dieninhalte, Anmen, regelmäßige lichen Kontakts ergänzt um Exklusivsprechpartner, LeisEinladungen zum sowie zur Inkommunikation. tungen. fachlichen formation über akAustausch mit • Nutzen von Alumni, tuelle Trends. Professoren und Diplomanden, Prakdem Hochschultikanten als Multipli- • Versendung eines management. katoren. Newsletters. • Präsentation dieser • Direct Mailings an • EmpfehlungsUnternehmen als Unternehmen, die management Partner der erstmalig Kontakt ‚Bring a business Hochschule. suchen. partner’ (richtet sich v. a. an klei- • Weiterhin Nutzen • Tag der offenen Tür der Instrumente der nere Unternehfür Unternehmen Sozialisatimen, die in Netzonsphase. werken agieren)
Distribution
Leistung
Überzeugung von Unternehmen, Kontakt zur Hochschule aufzunehmen und direkt an der Hochschule zu rekrutieren.
Sozialisation
Kommunikation
Aufgaben
Merkmale
Zentrales Medium Internet, E-Mail (Telefon).
Ergänzend persön- Ergänzend persönliche Ergänzend persönliche liche Kommunikation. Kommunikation. Kommunikation.
Tabelle 5: Instrumente des Relationship-Marketings für die Phasen Kundengewinnung und Kundenbindung Quelle: In Anlehnung an Bruhn 2001, S. 145.
Die dargestellten Instrumente verdeutlichen, dass im Mittelpunkt des Kooperativen Hochschulmarketings die Entwicklung von Beziehungen steht und die Hochschule in
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ausgewählte Beziehungen investiert. Parallel dazu wird es aber eine Vielzahl von Unternehmen geben, die Studierende und Absolventen der Hochschule rekrutieren, zu denen aber kein exklusives Verhältnis aufgebaut wird. Deren Betreuung sollte stark standardisiert ablaufen. Zentral sind dabei eine Jobbörse sowie transparente Hochschul-Informationen im Internet. 4.4.1 Individualisierte Betreuung im Rahmen eines Key-Company-Managements Für Unternehmen, die in dem zu entwickelnden Kooperativen Hochschulmarketing eine Schlüsselstellung einnehmen sollen, werden entsprechend ihrer Position im Kundenbeziehungslebenszyklus auf der Basis dieser Kundenbindungsinstrumente in persönlichen Gesprächen individuelle Programme entwickelt und deren wechselseitiger Erfolg regelmäßig kontrolliert. Diese Programme können dann einerseits individualisierte Elemente (z.B. Mitgliedschaft im Kuratorium) aber auch standardisierte Elemente (z.B. Aushang von Stellenangeboten) enthalten. Jedes einzelne Schlüsselunternehmen wird von einem festen Ansprechpartner als zentraler Kontakt hinsichtlich der gesamten Geschäftsbeziehung betreut. Je nach geplanten Aktivitäten können zusätzliche Personen (z.B. Professoren oder Forschungsmanager) in die Betreuung einbezogen werden. Key Companies sollten mit der Hochschule eine besondere Verbindung (z.B. als Partner der Hochschule) eingehen und in der jeweiligen externen und internen Kommunikation Partnerstatus erhalten. In dieser gemeinsamen Wahrnehmung als Marketingnetzwerk können beide Partner nun entlang der gesamten Wertschöpfungskette synergetisch agieren. Dies kann die Integration des Unternehmens in die Leistungserstellung genauso betreffen wie die gemeinsame Werbung um besonders motivierte Studienanfänger auf dem Beschaffungsmarkt. 4.4.2 Weitgehende Standardisierung der Betreuung von Unternehmen in der Anbahnungsphase Aus Effizienzgründen sollten die Instrumente in der Anbahnungsphase weitgehend standardisiert und auf elektronischem Weg verfügbar sein. Wegen der stark persönlichen Komponente des Rekrutierungsprozesses muss aber auch in dieser Phase ein persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Das Basismedium ist eine kundenorientierte Website mit einer Online-Jobbörse, in die die Unternehmen selbständig ihre Stellenangebote eingeben können. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen werden durch die Bereitstellung einer Jobbörse ermutigt, direkt an der Hochschule zu rekrutieren (vgl. Maguire o. J.: 54 f.). Darüber hinaus sollte die Website (und sämtliche weiteren Informationsmaterialien) Transparenz bezüglich der Hochschulangebote und Kontaktpersonen herstellen. Bei der Konzeption der Website muss dabei von dem Rekrutierungsprozess in den Unternehmen ausgegangen werden. Folgende Informationen sind bereit zu halten (vgl. Universities UK 2002): •
angebotene Studiengänge mit Vertiefungen,
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•
zentrale / dezentrale Ansprechpartner,
•
Verfügbarkeit der Studierenden und Absolventen sowie Dauer von Praktikum und Abschlussarbeit,
•
Lebensläufe verfügbarer Absolventen,
•
FAQs zum Thema Rekrutierung,
•
Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Hochschule,
•
Bereitstellung von Checklisten und Mustern für Stellenausschreibungen,
•
Möglichkeit zur Bestellung eines Newsletters,
•
Präsentation innovativer Produktideen für ausgewählte Segmente,
•
Hinweise auf Veranstaltungen für Unternehmen.
Diese Plattform bietet auch in der Weiterentwicklung des Geschäftsprozesses stets die Grundlage des Rekrutierungsprozesses, der durch weitere Instrumente ergänzt und unterstützt werden kann.
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Kooperatives Hochschulmarketing als Motor für die Entwicklung einer Employability-Orientierung der gesamten Hochschule
Um Unternehmen in die Leistungserstellung einbeziehen zu können, ist es aus Sicht der Hochschule notwendig, den Unternehmen Ansatzpunkte darzustellen, wo diese sich in der Hochschule engagieren können. Unternehmen wiederum können diese Ansatzpunkte für ihr Unternehmen nur dann erfolgreich nutzen, wenn sie ihrerseits bereits sind, mit einem mittelfristigen Planungshorizont in die Verhandlung über eine Hochschul-Unternehmens-Kooperation einzusteigen. Gerade der Bologna-Prozess mit neu konzipierten Studiengängen, die auch unter den Gesichtspunkten einer Employability-Orientierung diskutiert und entwickelt werden, können verschiedene Ansatzpunkte transparent gemacht werden, wo Unternehmen in die Leistungserstellung der Hochschule kooperativ einbezogen werden können (s. Abbildung 6). Letztlich führt konsequent zu Ende gedachtes Kooperatives Hochschulmarketing zu einer auf die gesamte Hochschule gerichtete EmployabilityOrientierung, einer Orientierung an der nachhaltigen Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen. Dabei greift die Employability-Orientierung zudem eine zentrale Entwicklung in der gegenwärtigen deutschen Hochschullandschaft auf: die Hinwendung zum Thema der Absolventenbindung. Dies deshalb, weil der Begriff der Employability
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nicht nur den Berufseinstieg nach dem Studium, sondern die Kompetenz zur lebenslangen Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit umfasst.3 Eine Employability-Orientierung der Hochschule erfordert, den Zusammenhang von Studium und Beschäftigung, die Anforderungen des Beschäftigungssystems und die Entwicklung von relevanten Fähigkeiten und Kompetenzen als konstitutiven Bestandteil eines Ausbildung und Beruf umfassenden Gesamtbildungskonzepts zu betrachten, das das Studium in ein Kontinuum mit dem späteren berufsbegleitenden lebenslangen Lernen stellt (vgl. Richter o. J.: 2 f.). Im Rahmen des vorgestellten Konzepts eines Kooperativen Hochschulmarketings soll Employability die Vermittlung von Kompetenzen in folgenden Bereichen umfassen: •
„enabling them to manage their careers,
•
preparing them for lifelong learning, and
•
providing continuing professional development” (Harvey/ Locke/ Morley 2002: 4).
Die Betrachtung des Prozesses der Employability-Entwicklung (vgl. Abbildung 6) verdeutlicht sehr gut, an welchen Stellen Partnerunternehmen diesen Prozess und diese Zielstellung unterstützen können. S u b ject area
E m p loyability developm ent o p p o r t u n itie s
HEI
G r a d u a te
E x tra -c u rric u lar e x p e rie n c e s
engagement • • •
e m p l o y a b ility a t t r i b u t e s s e lf- p r o m o tio n a l s k i l l s w illin g n e s s t o d e v e l o p
r e f le c tio n E m p loyability a r tic u l a t i o n
E m p loyer
R e c ruitm e n t process
External factors
E m p loym ent
Abbildung 6: Modell der Employability-Entwicklung bei Studierenden und Absolventen Quelle: In Erweiterung von Harvey / Locke / Morley 2002, S. 18.
3
In Großbritannien wird das Konzept der Employability als zentrales Konzept der Hochschulausbildung etwa seit 1997 breit diskutiert und durch sehr vielfältige Aktivitäten in den Hochschulen umgesetzt (vgl. dazu u.a. Harvey / Locke / Morley 2002).
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Engagement: Das Engagement von Partnerunternehmen und Alumni ist gefordert, um gemeinsam mit der Hochschule Strategien festzulegen, wie die Entwicklung der Employability gefördert werden kann. Auf der Umsetzungsebene stellen Unternehmen Praktikumsplätze oder Fallstudien zur Bearbeitung in einzelnen Studiengängen zur Verfügung, Alumni berichten in Gesprächen von ihren Berufserfahrungen etc. Reflexion: Der Erwerb von Reflexionskompetenz erfordert z.B. die Auswertung von Lernprozessen in den Unternehmen durch eine engere Verbindung von berufspraktischen Erfahrungen und Studienprozess. „Although retrospective reflection on work experience can be meaningful, a well-planned experience, with ongoing and built-in real-time reflection, linked to identifiable outcomes, is likely to optimise the learning potential” (ebd.: 37). Feedbackgespräche in den Unternehmen können den Lernprozess zusätzlich unterstützen. Dies erfordert eine stärkere Einbindung der Praxiserfahrungen in den Studienprozess. Ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung von Reflexionsfähigkeit ist die Fähigkeit, sich mit Anforderungen (z.B. von Unternehmen) auseinander zu setzen und daraus Schlussfolgerungen für das eigene Tun zu ziehen. Diese Fähigkeit fördert den Willen zum Weiterlernen und selbständigen Lernen. Dazu ist es wichtig, die Anforderungen der Unternehmen und die Wege dahin, die geforderten Kompetenzen erfolgreich erwerben zu können, transparent darzustellen (z.B. durch die Einbeziehung von Erfahrungen der Alumni). Selbst-Präsentation: Die Reflexion über eigene Kompetenzen und Fähigkeiten ist bereits eine wichtige Voraussetzung für den Bewerbungsprozess. Die Fähigkeit, den Bewerbungsprozess erfolgreich zu bewältigen, können Unternehmen durch Bewerbungstrainings unterstützen. Darüber hinaus sollte die Hochschule die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen, wie Selbst-Präsentation, in die Studiengänge integrieren. Praxisnahe Fallstudien mit anschließender Präsentation vor Unternehmensvertretern können ergänzend zum Einsatz kommen. Die Verbindung von Kooperativem Hochschulmarketing mit der Umsetzung des Employability-Konzept hat auch wieder eine Rückwirkung auf die Entwicklung von Unternehmenspartnerschaften: •
Erstens bietet das Employability-Konzept Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, sich an der Hochschule zu engagieren und präsent zu sein. Dies fördert vor allem auch einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren für erfolgreiche Kooperationen, den persönlichen Kontakt. Dies führt zum Ausgangspunkt zurück, sich überhaupt mit dem Aufbau von Hochschul-Unternehmens-Kooperationen zu beschäftigen – dem Trend, dass Unternehmen verstärkt auf der Basis persönlicher Kontakte rekrutieren.
•
Zweitens entsprechen die Fähigkeiten, z.B. zur selbständigen Weiterentwicklung oder auch Präsentationskompetenz, den Anforderungen der Unternehmen an Absolventen. In der Konsequenz werden sich Absolventen erfolgreicher auf den jeweiligen Arbeitsmärkten bewegen.
Kooperatives Hochschulmarketing
6
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Zusammenfassung
“There needs to be a total …institutional strategy for industry partnerships, not the piecemeal approach that is currently being done on a department and college basis” (Business-Higher Education Forum 2001: 71). Kooperatives Hochschulmarketing ist die auf die Nutzung der komplementären Potentiale des hochschul- und unternehmensseitigen Hochschulmarketings ausgerichtete Hochschulmarketingstrategie und schließt an die etablierten und bereits auf Wechselseitigkeit ausgerichteten Personalmarketing-Strategien der Unternehmen an. Es erfordert allerdings die strategisch basierte, konsequente Ausrichtung der Lehre und des gesamten Leistungsangebots der Hochschule auf die Bedürfnisse und Wünsche der Zielgruppe rekrutierender Unternehmen. Um die Hochschule für derartige Kooperationen anschlussfähig zu machen, kommen Instrumente des strategischen Managements sowie des Relationship-Marketings und der Kundenintegration zur Anwendung. Erfolgreiches Kooperatives Hochschulmarketing führt zur Etablierung eines Marketing-Netzwerkes und soll sowohl der Hochschule als auch den beteiligten Unternehmen ermöglichen, sich Wettbewerbsvorteile zu erschließen. Mit Kooperativem Hochschulmarketing wird der wahrgenommenen Intransparenz der Hochschul-Leistungen begegnet, die häufig eine unternehmensseitig initiierte Kontaktaufnahme erschwert oder verhindert. Kooperatives Hochschulmarketing umfasst die gesamte Hochschule und kann nicht parallel zu ihrer Hauptleistung, der Lehre, entwickelt werden. Eine Integration des Marketing-Konzepts und der zu entwickelnden Hochschul-UnternehmensKooperationen in die Lehre kann durch eine Ausrichtung am Konzept der Employability erreicht werden, denn dieses stellt die Verbindung von Studium und Beschäftigung, die Anforderungen des Beschäftigungssystems und die Entwicklung von relevanten Fähigkeiten und Kompetenzen in den Gesamtzusammenhang eines Studium und Beruf umfassenden Bildungskonzepts. Die vielfältigen Möglichkeiten von Unternehmen und Alumni, sich im Rahmen des Employability-Konzepts an der Hochschule zu engagieren, greift das zentrale Ziel des unternehmensseitigen Hochschulmarketings auf, frühzeitig Kontakte zu qualifizierten Studierenden aufzubauen. Gleichfalls führt dieses innovative Konzept an den Ausgangspunkt dieser Arbeit zurück: Hochschulen stehen vor der Aufgabe, auf die veränderten Rekrutierungsstrategien von Unternehmen mittels der aktiven Förderung persönlicher Kontakte der Studierenden und Absolventen zu potentiellen Arbeitgebern zu reagieren.
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XII Kundenwertanalyse am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens 1
Kundenwertanalyse als Instrument zur Bewertung von Kundenbeziehungen
Catrin Schramm „Für erfolgreiche Marktteilnehmer ist es heutzutage nahezu selbstverständlich, die Unternehmensführung markt- bzw. kundenorientiert auszurichten. Wer nicht den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, sie frühzeitig erkennt und besser als die Konkurrenz zu erfüllen weiß, wird im zunehmenden Wettbewerb langfristig unterlegen sein.“ (Weber/ Lissautzki 2004, S. 7) Kundenwertbestimmung geht von der Annahme aus, dass nicht alle Kunden gleichartig im Hinblick auf ihr Verhalten (z.B. ihre Bestellfrequenz und Bestellvolumen), ihre Bedürfnisse (z.B. ihr Leistungs- und Betreuungsbedarf) und ihre Profitabilität sind. Eine Kundenbewertung auf kunden-individueller Ebene, die Analyse der kundenindividuellen Kundenwerte und die daraus resultierende Bildung von Kundensegmenten dienen der Festlegung strategischer Marketing- und Vertriebsziele sowie der Verteilung von Budgets auf die ermittelten Kunden bzw. Kundengruppen. Die Ermittlung von Kundenwerten soll helfen, Ressourcen und Budgets auf solche Kunden zu konzentrieren, die einen positiven Erfolgsbeitrag für das Unternehmen generieren. Kundenwerte stellen die Grundlage für ein wertorientiertes Kundenmanagement dar. Die Entwicklung des Kundenstammes mit Fokus auf den Kundenwert mündet in einem Kundenwertmanagement. Der Kundenwert übernimmt die Funktion, den Erfolg des Kundenmanagements zu messen. Kundenwerte beschreiben die Attraktivität eines Kunden zum gegenwärtigen Zeitpunkt. In erster Linie ermittelt man, mit welchen Kunden wie viel Umsatz erwirtschaftet wurde und welche Kosten und Aufwände durch den Kunden verursacht wurden. Zusätzlich berücksichtigt man, welche weichen Faktoren, wie das Empfehlungsoder das Informationsverhalten, den Kundenwert beeinflussen. In einem weiter gefassten Verständnis wird bei der Ermittlung des Kundenwerts auch der zukünftig erwartete Erfolgsbeitrag einbezogen. Am praktischen Beispiel der Forschungs AG wird ein Kundenstamm analysiert. Es wird überprüft, ob sich Kunden anhand von Kundenwerten zu Gruppen zusammenfassen lassen, für die dann eine jeweils eigene Marktbearbeitung sinnvoll erscheint. Die Forschungs AG ist ein Genomik Anbieter, der als Dienstleister und Lieferant vorwiegend für Kunden aus dem Forschungs- und Entwicklungsbereich tätig ist. Für die Erstellung eines Marketing- und Vertriebskonzepts auf Basis von Kundenwerten hat die Forschungs AG Kundendaten ihrer deutschen Kunden aus dem Zeitraum Januar 2004 bis Juni 2006 zugänglich gemacht.
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2
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Kundenwertanalyse und Kundenwertmanagement
Wertorientiertes Kundenmanagement umfasst abhängig von deren Wertbeitrag die Managementaufgaben Planung, Steuerung und Kontrolle im Hinblick auf Selektion, Aufbau, Gestaltung und Erhaltung bzw. Beendigung der Geschäftsbeziehungen zu bestimmten Kunden bzw. Kundengruppen. Bei der praktischen Umsetzung lassen sich die Aufgaben in Bereiche des analytischen, des strategischen und des operativen Kundenwertmanagements einteilen (vgl. Bruhn et al 2006, S. 29 ff.). Die Zielsetzung des wertorientierten Kundenmanagements besteht in der Steigerung des Werts der gesamten Kundenbasis, indem man ausgewählte Bestandskunden bindet, Neukunden gezielt auswählt und die Wertigkeit bestehender Kunden steigert (Büschken et al. 2006, S. 10). Fehler im Kundenwertmanagement finden sich demzufolge im Bereich der Kundenakquisition, der Kundenbindung und der Kundenwertgenerierung (Helm/ Günter 2006, S. 24 ff.). Eine Kundenwertentwicklung ist grundsätzlich von der Marken- und Anbieterpräferenz, der Zufriedenheit und den wahrgenommenen Wechselkosten auf Seiten des Kunden bestimmt. Daneben hängt sie von der Art der Nachfrage in einem Markt ab, d.h. von Bedarfszyklen oder dem Bedarf an zusätzlichen bzw. komplementären Gütern (Büschken et al. 2006, S. 23 f.). Zur monetären Kundenwertsteigerung, bieten sich drei Instrumente an: Cross-Selling, Up-Selling und Steigerung des Share-ofWallet. Den Einsatz dieser Instrumente sollte man nicht kategorisch auf die fokussierte Kundengruppe beschränken. Entwicklungsfähigen und weniger wertvollen Kunden sollte man die Nutzung höherwertiger Angebote generell nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer schlechteren Kundenkategorie verwehren. Aufbauend auf den Ergebnissen der Kundenwertanalyse erarbeitet man eine Strategie für die wertorientierte Bearbeitung ausgewählter Kunden bzw. Kundengruppen. Die Bewertung und Klassifikation von Kunden nach ihrer Wertigkeit ermöglicht es, nicht alle Kunden einheitlich zu behandeln. Dies setzt voraus, dass man Kundenwerte und Kundenbindungseigenschaften kennt. In der Regel ist die Vorgehensweise bei der Erstellung der Kundenwertstrategie zweistufig. Man nutzt die Ergebnisse der Kundenklassifizierung, indem man bestimmte Kunden bzw. Kundengruppen für die weitere Bearbeitung auswählt. Nach Festlegung der Strategie ist das Marketing-Budget aufzuteilen. MarketingMittel sollten insbesondere für die zielgerichtete Bearbeitung der fokussierten Kunden bzw. Kundengruppen aufgewendet werden. Dabei sind die Maßnahmen und die finanziellen Mittel insbesondere für Kunden mit hohen tatsächlichen oder erwarteten Erfolgsbeiträgen abzustimmen. Eine kundengruppenspezifische Bearbeitung ist grundsätzlich auf allen Ebenen der Marktbearbeitung möglich. Hinsichtlich der anfallenden Kosten lassen sich eine kundengruppenspezifische Kommunikations- oder Preispolitik vergleichsweise kostengünstig realisieren. Aufwändiger wird die Entwicklung und Positionierung segmentspezifischer Marken. Soll ein zusätzlicher Vertriebskanal für jedes Segment etabliert und/oder für jedes Segment eine spezifische
Kundenwertanalyse am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens
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Produktvariante entwickelt werden, sind für die segmentspezifische Ansprache vergleichsweise hohe Kosten zu planen (Homburg et al. 2006, S. 39). Für die Steigerung der Kundenbindung kommen ausgewählte Instrumente der Kommunikations-, Preis-, Leistungs- und Vertriebspolitik in Betracht. Cornelsen (2000, S. 288) zeigt mögliche Ansatzpunkte für Marketing- und Vertriebsinstrumente zur Steigerung des Kundenwertes. Eine systematisch durchgeführte Kundenbewertung erlaubt es, von Vertriebsmitarbeitern subjektiv oder aus dem Bauch heraus getroffene Entscheidungen bei der Kundenbearbeitung zu objektivieren und somit eine einseitige und ggf. wirtschaftlich unbegründete Bevorzugung von Kunden zu vermeiden. Weiterhin lassen sich viel versprechende, bislang unbeachtete Kundenbeziehungen aufdecken und in den Mittelpunkt zukünftiger Vertriebsaktivitäten rücken. Anhand der ermittelten Kundenwerte lässt sich die Kundenentwicklung gezielter planen, z.B. im Hinblick auf Cross- und Up-Selling-Aktivitäten. Kundenwerte geben Anhaltspunkte, welche Schwerpunkte bei der Kundenakquisition zu setzen sind. Die Art und Frequenz von Kundenbesuchen und die Gewährung von Kaufanreizen wie Rabatte, Boni oder sonstige Incentives lassen sich objektiver steuern. Kundenwerte sollen somit die Prioritätensetzung im Vertrieb erleichtern. Trotz ihres geringen Wertbeitrages zum Unternehmenserfolg ist auch der Umgang mit weniger profitablen Kunden professionell zu gestalten. Ein weniger wertvoll gruppierter Kunde kann ein zukünftig wertvoller Kunde sein. Es ist daher sein Entwicklungs- und ggf. sein strategisches Potenzial zu überprüfen. Austrittstrategien sind so zu gestalten, dass ein weniger wertvoller Kunde sich nicht als offensichtlich wertloser Kunde schlecht behandelt fühlt und negative word-of-mouth-Kommunikation betreibt. Das schädigte ein Unternehmen weit mehr, als es der Wegfall des Umsatzes durch den Kunden zunächst vermuten ließe (Weber/ Lissautzki 2004, S. 42 f.). 2.1
Bestimmungsfaktoren des Kundenwerts
Der Wert eines Kunden für ein Unternehmen bemisst sich nicht allein an dem bereits realisierten oder erwarteten Umsatz- bzw. Erfolgsbeitrag. Neben dem monetären Kundenwert, der aus Faktoren wie Umsatz, Deckungsbeitrag, zukünftigem CashFlows oder Customer Lifetime Value besteht, existieren weitere immaterielle teilweise monetarisierbare Wertkomponenten wie der Informationswert, der strategische Wert sowie der Customer-Lifetime-Potenzialwert (Winkelmann 2005, S. 285 ff. und Cornelsen 2000, S. 30 f. bzw. 199 ff.). Tomczak und Rudolf-Sipötz (2003, S. 132 ff.) untergliedern die Bestimmungsfaktoren des Kundenwerts einerseits in Faktoren, die das Marktpotenzial des Kunden ausmachen und andererseits in Faktoren, die sein Ressourcenpotenzial charakterisieren. Das Marktpotenzial drückt realisierte und zukünftig erwartete Verkaufserfolge einer Kundenbeziehung aus. Das Marktpotenzial umfasst alle monetären bzw. monetarisierbaren Größen wie das Ertrags-, Entwicklungs-, Cross-Buying und Loyalitätspo-
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tenzial. Dem Ressourcenpotenzial eines Kunden sind alle Eigenschaften zugeordnet, die einen indirekten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Indirekte Erfolgsbeiträge ergeben sich aus dem Verständnis des Kunden als Unternehmensressource. Die Ressourcenpotenziale bestehen aus dem Referenz-, Informations-, Kooperations- und Synergiepotenzial des Kunden. 2.2
Methoden zur Kundenwertmessung
Für die Kundenwertermittlung werden in der Literatur unterschiedliche Verfahren vorgeschlagen. Es kommen qualitative und quantitative Verfahren in Betracht. Monetäre Kundenbewertungsverfahren beurteilen den Kundenwert anhand von Umsätzen, erwarteten Umsätzen, realisierten und/oder erwarteten Kundendeckungsbeiträgen. Nicht-monetäre Modelle berücksichtigen Größen wie das Referenzpotenzial und/oder- verhalten, das Informationspotenzial und/oder- verhalten, das Kooperationspotenzial oder das Synergiepotenzial. Einen ausführlichen Überblick über die gängigsten Methoden und ihre Kritik findet man beispielsweise bei Helm und Günter (2006, S. 15 ff.). Ermittlung des Kundendeckungsbeitrags Kunden-Bruttoerlöse pro Periode - Erlösschmälerungen (Rabatte, Boni) = Kundennettoerlöse pro Periode - Kosten der vom Kunden bezogenen Produkte (variable Stückkosten lt. Produktkalkulation * Kaufmenge) = Kundendeckungsbeitrag I - Eindeutig kundenbezogene Auftragskosten (z.B. Vorrichtungen, Versandkosten etc.) = Kundendeckungsbeitrag II - Eindeutig kundenbezogene Besuchskosten (z.B. Kosten der Anreise zum Kunden) - sonstige relative Einzelkosten pro Periode z.B. Gehalt des speziell zuständigen Key-Account-Managers; Engineering-Hilfen; MailingKosten; Zinsen auf Forderungsaußenstände) = Kundendeckungsbeitrag III
Abbildung 1: Grundaufbau einer Kundendeckungsbeitragsrechung Quelle: Helm/ Günter 2006, S. 21.
Das Erfolgspotenzial eines einzelnen Kunden lässt sich anhand der Kundenprofitabilität bestimmen. Hierzu eignet sich in besonderer Weise die kundenbezogene Deckungsbeitragsrechnung und die Customer Lifetime Berechnung. Der Kundendeckungsbeitrag berechnet sich nach dem in Abbildung 1 dargestellten Schema.
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Die so genannte RFM- oder auch RFMR-Methode (Recency-Frequency-MonetaryRatio-Methode) ist der Urtypus der für die Kundenbewertung eingesetzten ScoringModelle. Mit diesem Modell wird die Kundenwertigkeit eines einzelnen Kunden anhand seines vergangenen Bestellverhaltens gemessen. Je kürzer der zeitliche Abstand zur letzten Transaktion (Recency), je häufiger der Kunde in der vergangenen Periode Waren bezogen hat (Frequency) und je höher der durch den Kunden ausgelöste Umsatz waren (Monetary Ratio), desto wahrscheinlicher ist eine Transaktion in der Zukunft desto höher ist sein aktueller sowie zukünftiger Erfolgsbeitrag und desto höher fällt sein RFMR-Wert aus. Wie bei Scoring-Verfahren üblich werden diese Dimensionen bepunktet, gewichtet und in einer einzelnen Kennzahl verdichtet. Die Erweiterung des Modells über diese Grundkriterien hinaus ist möglich (Bruhn 2004, S. 420). Ein Beispiel für ein Berechungsschema des RFMR-Wertes zeigt Cornelsen (2000, S. 150). Je höher der RFMR-Wert ausfällt, desto höher ist die wahrscheinliche zukünftige Attraktivität des Kunden. Die RFMR-Methode wurde in den 1930er Jahren in den USA zur Bewertung von Kunden im Versandhandelsgeschäft entwickelt (Homburg et al. 2006, S. 186). In empirischen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass Kunden desto stärker auf ein Mailing reagieren, •
je kürzer ihre letzte Bestellung zurücklag,
•
je häufiger sie Waren geordert haben und
•
je höher der mit ihnen generierte Umsatz war (Cornelsen 2000, S. 150).
Für Direktmarketing- und Versandhandelsbranchen ist ein Einfluss dieser Kunden auf die langfristige Kundenprofitabilität nachgewiesen (Weber/ Lissautzki 2004, S. 14). Kritisch wird angemerkt, dass die Höhe der Werte von der Art und der Gewichtung der hinterlegten Kriterien abhängt (zur Kritik s. Cornelsen 2000, S. 151 f.). 2.3
Kundensegmentierung auf Grundlage von Kundenwerten
Die Kundensegmentierung soll die Entscheidung über die Intensität der zukünftigen Gestaltung der Kundenbeziehung erlauben. Im Investitionsgütergeschäft kann aufgrund der vergleichsweise überschaubaren Kundenanzahl oftmals bereits auf Einzelkundenbasis über die Wertigkeit der zukünftigen Geschäftsbeziehung entschieden werden. Übersteigt die Kundenzahl eine im Einzelfall festzulegende kritische Größe, ist die strategische Bestimmung über die zukünftige Gestaltung der Geschäftsbeziehung mittels Kundensegmenten sinnvoll (Weber/ Lissautzki 2004, S. 31). Die Bildung von Segmenten in Business-to-Business-Märkten soll dazu dienen, die Grundlage für unterschiedliche Intensitätsstufen in der Kundenbearbeitung zu legen (Narayandas 2005, S. 40). Die Bildung von Segmenten sollte grundsätzlich systematisch und über einen längeren Zeitablauf konstant nach den gleichen Kriterien erfolgen, um eine Vergleichbarkeit im Zeitablauf zu gewährleisten. Da grundsätzlich eine Segmentierung anhand diverser Kriterien vorgenommen werden kann, ist individuell zu entscheiden, welche
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Schramm
Segmentierung für ein Unternehmen die passende darstellt. Die Segmentierungskriterien sollen so ausgewählt werden, dass sie messbar sind und mit den Aspekten des Kaufverhaltens und den Besonderheiten des Geschäftsmodells in Beziehung stehen. Die Segmente selbst sollten direkt adressierbar sein. Weiterhin sollten die gebildeten Segmente weder zu groß noch zu klein sein. Sind die Segmente zu groß, besteht die Gefahr des Segment-of-One-Marketing. Sind die Segmente zu klein, übersteigen die Kosten für die Segmentierung und die Kosten für segmentspezifischen Marketingund Vertriebsmaßnahmen schnell den Nutzen, d. h. die Segmentgröße muss wirtschaftlich sein. Idealerweise spiegelt sich in der Vertriebsstruktur die Segmentierungsstruktur wider. Die ABC-Analyse dient dazu, die Kunden gemäß ihres Umsatzes oder Erfolgsbeitrages in eine Rangreihe zu bringen und somit Kunden zu priorisieren. Die Bildung von Segmenten in Form von A, B oder C-Kunden richtet sich nach dem kumulierten Umsatz bzw. Erfolgsbeitrag. Die Einteilung der Klassen ist grundsätzlich frei wählbar. Häufig wird die Klassifikation so angelegt, dass alle mit A klassifizierten Kunden insgesamt 80% zum Umsatz bzw. Erfolgsbeitrag des Unternehmens beitragen, alle BKunden zu weiteren 15% und alle C Kunden zusammen nur einen Beitrag von 5% liefern. Vergleicht man die Positionswerte der Kunden in der ABC-Analyse nach Umsatz mit den Positionswerten nach Deckungsbeitrag ergeben sich häufig Unterschiede. Umsatzstarke Kunden müssen nicht zugleich profitstarke Kunden sein, da umsatzstarken Kunden vielfach höhere monetäre Zugeständnisse gemacht werden als umsatzschwächeren Kunden. Die ABC-Analyse ist zugleich ein Kontrollinstrument für die Veränderung der Kundenstruktur im Zeitablauf. Es lässt sich ablesen, ob der Anteil der A und B Kunden auf Kosten der C-Kunden gesteigert werden kann (Helm/ Günter 2006, S. 15). Portfoliomodelle erlauben eine Kundenpriorisierung. Anhand von Portfolio-Modellen gruppiert man Kunden in Kategorien. Kundenportfolios bilden die Grundlage für Normstrategien der Kundenbearbeitung, deren praktische Anwendung im Einzelfall allerdings kritisch hinterfragt werden sollte (Helm/ Günter 2006, S. 20). Positiv ist bei den Portfolio-Modellen, dass die Darstellung der Kunden und ihrer Wertigkeit sehr gefällig ist. Als Nachteile sind zu nennen, dass die Kriterien nur sehr aufwändig zu ermitteln sind, ab einer gewissen Kundenanzahl das Portfolio unübersichtlich wird und die Modelle keine direkte Aussage über die Profitabilität des Kunden ermöglichen (Homburg et al. 2006, S. 200). Eines von mehreren in der Literatur diskutierten Modellen für die Klassifikation von Kunden ist das Pyramidenmodell (Helm/ Günter 2006, S. 16 f.). Nach dem Pyramidenmodell lässt sich der Kundenstamm eines Anbieters in insgesamt vier Schichten aufteilen (Abbildung 2). Die Kunden werden anhand ihrer Profitabilität den Schichten Platin, Gold, Eisen oder Blei zugeordnet. An der Spitze der Pyramide befindet sich dabei die kleinste und profitabelste Kundengruppe, die so genannten Platinkunden. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus „Heavy-Usern“, die als in hohem Maße gebundene Kunden eingestuft werden kön-
Kundenwertanalyse am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens
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nen. Platinkunden zeichnen sich durch ein großes Interesse an Produktinnovationen aus, verhalten sich wenig preissensibel und sind mit den Leistungen des Anbieters außerordentlich zufrieden. Die Mehrzahl der Kunden ordnet man der so genannten Eisengruppe zu. Eisenkunden fragen jeweils nur geringe Mengen nach und gelten als wenig gebunden. Aus Anbietersicht sind sie wenig profitabel. Die aus Anbietersicht problematischsten Kunden stellen die Bleikunden dar. Bei Bleikunden übersteigen die Kosten der Kundenbearbeitung die Erlöse. In einigen Fällen sprechen z.B. Referenzgründe oder ein zukünftig stärker erwartetes Umsatzvolumen dafür, die Kundenbeziehung, ggf. vorläufig, aufrechtzuerhalten.
Zunahm e der
P la tin kunden
Kundenp rofitabilität
G o ld k u n d e n
E ise n k u n d en
B le ik u n d
Abbildung 2: Die Kundenpyramide Quelle: Helm/ Günter 2006, S. 17.
3
Ergebnisse einer Kundenwertanalyse der Forschungs AG
Die Forschungs AG ist weltweit tätiger Anbieter von Genomik-Produkten und Dienstleistungen für akademische Forschungsinstitute und Pharmaunternehmen in Life-Science Märkten. Im internationalen Vergleich ist die Forschungs AG ein wichtiger Wettbewerber, im europäischen Vergleich hat die Forschungs AG eine herausragende Marktstellung. Weltweit wurden 2005 in der gesamten Biotechnologie-Branche mehr als 60 Mrd. US $ umgesetzt (Ernst & Young 2006a). Die Branche existiert seit 30 Jahren. Der größte Biotechnologie-Markt befindet sich im Gründerland der Biotechnologie, den USA. Im Raum der Europäischen Union ist Großbritannien der wichtigste Teilmarkt, gefolgt von Deutschland. Die Forschungs AG bewegt sich aus einer vergleichsweise starken Marktposition heraus in einem mittelmäßig attraktiven Markt. Die Wettbewerbslage ist durch fallende Preise gekennzeichnet, Wettbewerber versuchen durch niedrigere Preise Marktanteile zu gewinnen. Das Leistungsangebot der Forschungs AG ist in zwei Geschäftsbereichen organisiert: der Geschäftsbereich Genomic Systems (GS) produziert
258
Schramm
künstliche Genabschnitte und der Geschäftsbereich Genomic Informatics (GI) erbringt bioinformatische Dienstleistungen. Hauptumsatz- und Erfolgsträger ist der Geschäftsbereich Genomic Systems. Mit der Leistungs- und der Produktqualität sind die Kunden laut der Ergebnisse einer 2005 hausintern durchgeführten Kundenbefragung außerordentlich zufrieden. Die Forschungs AG lebt von ihrem guten Ruf. Die Forschungs AG möchte sich positiv von ihren Wettbewerbern unterscheiden, dadurch dass sie: •
schnell und zuverlässig liefert,
•
individuelle Kundenaufträge schnell und zuverlässig abarbeitet,
•
sehr gute Produktqualität zu annehmbaren Preisen liefert und
•
Kunden gut betreut.
Die Forschungs AG vertreibt ihre Produkte und Leistungen hauptsächlich direkt über das Internet mittels eines eigenen besonders bedienderfreundlichen E-CommerceSystems. Der Absatz der Produkte und Leistungen der Forschungs AG ist stark abhängig von der Anzahl gentechnischer Experimente, die in staatlichen Forschungsinstitutionen durchgeführt werden. Der Markt der Forschungs AG leitet sich in erster Linie aus Forschungs- Entwicklungsaktivitäten von Forschungsinstituten und Biotechnologieunternehmen mit gentechnischem Schwerpunkt ab (Grundlagenforschung und Entwicklung von Therapeutika). Daher ist das Ausmaß staatlicher Forschungsförderung für den Unternehmenserfolg von erheblicher Bedeutung. Kunden des Geschäftsbereichs Genomic Informatics benötigen technologisch bedingt Leistungen des Geschäftsbereichs Genomic Systems. Daher besteht bei allen Kunden des Geschäftsbereichs Genomic Informatics ein Cross-Selling-Potenzial. Es werden Kundenstruktur, Kundenprofitabilität und das Entwicklungspotenzial der Kunden der Forschungs AG untersucht. Anhand der ermittelten Kundenwerte wird eine Kundenklassifikation vorgenommen. Hinsichtlich der Kundenstruktur wird geprütft: •
ob sich Besteller zu logischen Kunden zusammenfassen lassen und
•
wie der Großkundenanteil im Vergleich ausfällt.
Hinsichtlich der Kundenprofitabilität wird ermittelt: •
Welche Kunden welchen Erfolgsbeitrag geleistet haben,
•
welche Kunden wahrscheinlich zum zukünftigen Erfolg des Unternehmens beitragen.
Hinsichtlich des Entwicklungspotenzials wird untersucht:
Kundenwertanalyse am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens
3.1
259
•
ob ein Cross-Selling-Potenzial besteht und
•
wie man es im Hinblick auf die mögliche Kundenwertentwicklung beurteilt. Datenbasis
3.1.1 Bestelldaten und Kundendaten Für die Kundenwertanalyse liegen Daten aus dem Zeitraum Januar 2004 bis Juni 2006 von rund 2.000 Bestellern der Forschungs AG vor. Es werden ausschließlich Geschäftsvorgänge aus den Geschäftsbereichen Genomic Systems und Genomic Informatics untersucht. Jede Produkt- bzw. Leistungsbestellung wird hierbei in einem Datensatz als eine Bestellung nach dem Kriterium „bestellte Produktkategorie“ ausgewiesen. Für die Untersuchung liegen insgesamt 155.591 Datensätze vor. Für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics werden jeweils Umsätze laut Listenpreis, Rechnungspreis und Rabatte ermittelt. Für jede Bestellung sind die Nummer des Bestellers, die Nummer des Rechnungsempfängers, die Auftragsnummer, die Rechnungsnummer, das Bestelldatum und Versand- bzw. Datum der Leistungserstellung ausgewiesen. Für jede Bestellung liegen Name und Postadresse des Rechnungsempfängers sowie Name und Postadresse des Bestellers (sowie ggf. E-Mailadresse) vor. Eine Aufgabe im Rahmen der Untersuchung besteht darin, den Kunden auf logischer Ebene zu definieren. Insgesamt können 676 unterschiedliche Kunden identifiziert werden. 3.1.2 Kostendaten Für die Produkte des Geschäftsbereichs Genomic Systems liegen Angaben über produzierte Mengen, Personal- und Materialaufwendungen vor. Für den Untersuchungszeitraum Januar 2004 bis Juni 2006 werden variable Stückkosten berechnet aus Angaben über Personal- und Materialkosten sowie produzierten Mengen. Für die Leistungen des Geschäftsbereichs Genomic Informatics werden für den gesamten Untersuchungszeitraum Stückkosten auf Basis konzerninterner Verrechnungspreise festgelegt. Die Werte sind festgelegte Prozentwerte des Listenpreises. Rabatte werden auf diese Verrechnungspreise aufgeschlagen. Die Stückkostenwerte aus Leistungen des Geschäftsbereichs Genomic Informatics berücksichtigen somit auch Abschreibungen, Vertriebs- und Managementkosten und sind dadurch, verglichen mit den Werten für Genomic Systems Produkte, übergewichtet. Kostenangaben zu Abschreibungen, Vertrieb und Managementkosten werden aufgrund uneinheitlicher Berechnungsverfahren in keiner der nachfolgenden Untersuchungen berücksichtigt.
260
3.2
Schramm
Ermittlung und Beurteilung der Kundenprofitabilität
3.2.1 Berechnung des Erfolgsbeitrages Um zu überprüfen, welchen Erfolgsbeitrag die einzelnen Kunden geleistet haben, wird die Kundendeckungsbeitragsrechnung als Methode ausgewählt. Für die deutschen Kunden der Forschungs AG wird der Kundendeckungsbeitrag (KDB) I wie in Abbildung 1 beschrieben, halbjahresweise für den Untersuchungszeitraum 01/2004 bis 06/2006 und über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg jeweils für alle Produkte ermittelt. Getrennt für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics wird der Kundendeckungsbeitrag über den gesamten Zeitraum hinweg bestimmt. Der Kundendeckungsbeitrag über alle Kunden und den gesamten Untersuchungszeitraum (genannt Gesamtkundendeckungsbeitrag) dient der Gesamtbeurteilung der Kunden. Die Ermittlung der Kundendeckungsbeiträge nach Geschäftsbereichen soll eine Beurteilung der Kundenstruktur innerhalb der Geschäftsbereiche erlauben. Für die Berechung der Kundendeckungsbeiträge werden zunächst für jede Bestellung alle Frachtkostenerlöse zum Bestellwert nach Listenpreis aufsummiert. Von diesem Betrag wird danach der Wert aller direkt gewährten Rabatte abgezogen. Anschließend wird das Produkt aus den variablen Stückkosten und der kalkulierten Kaufmenge subtrahiert. Für jede Sendung werden kalkulatorische Versandkosten in Höhe von 3 Euro pro Lieferung angesetzt, die abschließend abgezogen werden. In ihnen sind Verpackungskosten und Versandkosten berücksichtigt. Der Gesamtkundendeckungsbeitrag wird in dieser Untersuchung alternativ zum Customer Lifetime Value berechnet, für dessen Ermittlung kunden-spezifische Marketing- und Vertriebskosten sowie Sondereinzelkosten der Fertigung fehlen. Eine Ermittlung des Kundendeckungsbeitrags II und III sowie eine Kundendeckungsbeitragsrechnung unter Einbeziehung von Prozesskosten kann nicht vorgenommen werden. Für die Berechnung des Kundendeckungsbeitrags II fehlen Angaben über Sondereinzelkosten der Fertigung, die durch Spezialanforderungen des Kunden bei Produktion, Transport oder Verpackung hervorgerufen werden. Für die Berechnung des Kundendeckungsbeitrags III fehlen Angaben über eindeutig kundenbezogene Besuchskosten sowie sonstige relative Einzelkosten. Beispielsweise war eine anteilige Ermittlung der Mailingkosten unmöglich. Angaben zum zeitlichen Aufwand bei der Erstellung und der Nachbearbeitung durch das Servicecenter lagen nicht vor. 3.2.2 Beurteilung der Kundenprofitabilität: Vergleich der prozentualen Umsatzund Kundendeckungsbeitragsanteile pro Kunde Ein umsatzstarker Kunde muss nicht automatisch ein ergebnisstarker Kunde sein. Eine Analyse des Umsatzes laut Listenpreis im Verhältnis zum Deckungsbeitrag pro Kunde soll einen Einblick in die Kundenprofitabilität bringen. Das Verhältnis wird grafisch dargestellt (Abbildung 3). Bei einem idealen Kunden ist das Verhältnis
Kundenwertanalyse am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens
261
gleich, d.h. der Kunde steuert einen gleich hohen Umsatz- und Kundendeckungsbeitragsanteil bei. Kunden, deren Kundendeckungsbeitragsanteil im Verhältnis größer ist als ihr Umsatzanteil, liegen oberhalb der Winkelhalbierenden, die das ausgewogene Verhältnis widerspiegelt. Schlechte Kunden liegen unterhalb der Geraden. Auffällig sind die drei mit Abstand umsatzstärksten Kunden (siehe Abbildung 3 Kreis). Gemeinsam erreichen diese Kunden 8,8% des gesamten Umsatzes und 8,2% des kumulierten Deckungsbeitrages. Einer der drei Kunden liegt oberhalb der Geraden und zeigt damit eine überdurchschnittliche Profitabilität. Kundenprofitabilität
GS GI
3,5
K-02 K-01
KDB Anteile pro Kunde (%)
3 2,5
K-03
2 1,5 1 0,5 0 0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
3,5
Umsatzanteile (Listpreis) pro Kunde (%)
Abbildung 3: Prozentuale Umsatzanteile laut Listenpreis pro Kunde im Verhältnis zu prozentualen Kundendeckungsbeitragsanteilen für den Zeitraum 01/2004 bis 06/2006 der Gechäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics
262
Schramm
GS
Kundenprofitabilität
GI
KDB Anteile pro Kunde (%)
0,75
0,5
0,25
0 0
0,25
0,5
0,75
Umsatzanteile (Listpreis) pro Kunde (%)
Abbildung 4: Prozentuale Umsatzanteile laut Listenpreis pro Kunde im Verhältnis zu prozentualen Kundendeckungsbeitragsanteilen für den Zeitraum 01/2004 bis 06/2006 der Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics; Ausschnitt
Der zweite Kunde hat ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Umsatz und Deckungsbeitrag. Der dritte Kunde liegt weit unterhalb der Geraden und weist somit einen schwächeren Anteil am Deckungsbeitrag auf. Der Verlust jedes dieser drei Platinkunden hätte erhebliche Umsatz und Deckungsbeitragseinbußen zur Folge und sollte möglichst vermieden werden. Weiterhin fällt in Abbildung 3 auf, dass kein einziger Genomic Informatics Kunde (graue Dreiecke) mehr als 0,7% zum Umsatz des Unternehmens beiträgt und dass die überwiegende Mehrheit aller Kunden in dem Bereich 0 bis 0,75% Umsatz- respektive Deckungsbeitrag (Abbildung 3 Kasten) wieder zu finden sind. Um diese große Gruppe der Kunden etwas genauer zu analysieren, ist in Abbildung 4 der Bereich als Ausschnitt vergrößert darstellt. In Abbildung 4 fällt auf, dass die Genomic Informatics Kunden insgesamt ein schlechteres Verhältnis von Umsatz zu Deckungsbeitrag aufweisen. Die Ursache liegt in der unterschiedlichen Berechnung des Deckungsbeitrages für die zwei Geschäftsbereiche. Die Profitabilität der Kunden zwischen den beiden Geschäftsbereichen ist dadurch nur bedingt vergleichbar. Da es sich in dieser Analyse um kumulierte Anteile handelt, wird das schlechtere Verhältnis der Genomic Informatics Kunden durch ein überdurchschnittlich gutes Umsatz-Deckungsbeitragsverhältnis der Genomic Systems Kunden kompensiert. Dadurch ist die große Anzahl an Genomic Systems Kunden oberhalb der Geraden zu erklären. Dennoch lassen sich profitable von weniger profitablen Kundengruppen trennen. Als ein mögliches Vorgehen ist in Abbildung 4 ein Schwankungskorridor
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263
von plus/ minus 0,05% (graue Linien) um die Winkelhalbierende gelegt. Außerhalb des Schwankungskorridors befinden sich Kunden, denen verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. 3.2.3 Abschätzung der künftigen Profitabilität Die Forschungs AG vertreibt ihre Produkte und Leistungen nahezu ausschließlich über das Internet im Direktvertrieb. Zur Abschätzung der künftigen Profitabilität wird das im Versandhandel auf Wirksamkeit getestete RFMR-Modell ausgewählt (Cornelsen 2000, S. 150) und angepasst. RFMR-Werte werden getrennt für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics über den Untersuchungszeitraum hinweg berechnet, um eine Aussage hinsichtlich der wahrscheinlichen zukünftigen Profitabilität eines Kunden treffen zu können. Bei Berechnung der RFMR-Werte wird das Berechnungsschema aus Abbildung 5 zugrunde gelegt. Aufgrund der hohen Bestellfrequenz wird der Multiplikator 3 gewählt, um den Faktor gegenüber den übrigen nicht überzugewichten. Trotz des geringer angesetzten Multiplikators bleibt die Kaufhäufigkeit der entscheidende Faktor in diesem Modell. Die Kategorien des Faktors „durchschnittlicher Umsatz der letzten drei Käufe“ orientieren sich an der Verteilung der durchschnittlichen Umsätze. Sie werden anhand von Schwellenwerten kategorisiert. Kunden, die einen geringen durchschnittlichen Umsatz pro Bestellung auslösen, erhalten einen geringeren Punktwert als Kunden, die einen hohen durchschnittlichen Bestellwert aufweisen. In der Untersuchung erhält die Mehrheit der Kunden einen geringen Punktwert (bis 150 €). Neun Prozent der Kunden werden sehr gut bepunktet (> 2.400 €) (Abbildung 7). Da die Forschungs AG keine Gewährleistung für den Erfolg der Leistung garantiert (Genomic Informatics) und keine Waren zurücknimmt (Genomic Systems), entfällt der in der Literatur genannte Faktor „Anzahl der Retouren“ bei der Berechung des RFMR-Wertes. Faktoren Startwert Letztes Kaufdatum
25 Punkte Bis 3 Bis 6 Monate Monate + 40 + 25 Punkte Punkte
Häufigkeit der Käufe in den letzten drei Monaten Durchschnittlicher Umsatz der letzen drei Käufe
Bis 12 Bis 18 Bis 24 Monate Monate Monate + 15 +5 -5 Punkte Punkte Punkte
Früher - 15 Punkte
Zahl der Aufträge multipliziert mit dem Faktor 3 Bis 150 € +5 Punkte
Bis 300 € + 15 Punkte
Bis 600 € + 25 Punkte
Bis Bis 1.200 € 2.400 € + 35 + 40 Punkte Punkte
Abbildung 5: Angaben zur Berechung der RFMR-Werte
Über 2.400 € + 45 Punkte
264
Schramm
Es kann gezeigt werden, dass mehr als 50% der Kunden innerhalb der letzten drei Monate und mehr als 75% aller Kunden innerhalb der letzten zwölf Monate des Untersuchungszeitraums bestellt haben (Abbildung 6). Kategorien des letzten Kaufdatums
60
Kunden (%)
50 40 30 20 10 0 3
6
12
18
24
29
letztes Kaufdatum (Monate vergangen)
Abbildung 6: Verteilung der Kunden nach dem Kriterium „letztes Kaufdatum in Monaten“ für den Zeitraum 01/2004 bis 06/2006 Kategorien kumulierter Umsätze der letzten drei Bestellungen
60
Kunden (%)
50 40 30 20 10 0 150
300
600
1200
2400
>2400
Umsätze kumuliert (€)
Abbildung 7: Verteilung der Kunden nach der Kategorie „Durchschnittlicher Umsatz der letzten drei Monate“ im Zeitraum 01/2004 bis 06/2006
Alle Kunden werden anhand ihres RFMR-Wertes in eine Rangreihe gebracht. Ein hier ermittelter hoher RFMR-Wert deutet darauf hin, dass Kunden einen hohen Um-
Kundenwertanalyse am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens
265
satzbeitrag durch die letzten drei Käufe aufweisen und/oder im Zeitraum der vergangenen drei Monate oft bestellt haben. Kunden mit hohen RFMR-Werten wird eine hohe Wiederkaufwahrscheinlichkeit zugesprochen. Sie werden als wertvollere Kunden angesehen und es wird ihnen ein größerer Einfluss auf die zukünftige Profitabilität unterstellt als Kunden mit einem niedrigeren RFMR-Wert. Um das erwartete zukünftige Bestellverhalten mit der Profitabilität des Kunden aus der Vergangenheit in Beziehung zu setzen, werden die RFMR-Werte gegen die Kundendeckungsbeiträge aufgetragen. Die Kunden anhand beider Werte in einem Kundenportfolio klassifiziert (vergl. 3.3.2). 3.3
Kundenklassifikationen
3.3.1 ABC-Analyse Ausgangspunkt der ABC-Analyse ist der prozentuale Kundendeckungsbeitragsanteil sowie der prozentuale Anteil jedes Kunden am Gesamtkundenstamm. Die Kundenliste wird absteigend nach Kundendeckungsbeitrag sortiert und die prozentualen Kundendeckungsbeiträge sowie die prozentualen Kundenanteile werden kumuliert. Aus einer grafischen Darstellung dieser Werte kann abgelesen werden, welchen prozentualen Anteil Kunden bei einem bestimmten kumulierten Kundendeckungsbeitragsanteil ausmachen. Abbildung 8 zeigt diese Grafik für alle Kunden und über beide Geschäftsbereiche (Kundendeckungsbeitragsanteile: schwarze Punkte). Zur Klassifikation der Kunden werden folgende Gruppen gebildet: Kunden der Kategorie A generieren einen kumulierten Kundendeckungsbeitragsanteil bis ~80%, Kunden der Kategorie B einen kumulierten Kundendeckungsbeitragsanteil bis ~95% und C-Kunden den verbleibenden Kundendeckungsbeitragsanteil (Abbildung 8 gestrichelte schwarze Linien). Der Anteil der A-Kunden beträgt 14,4%, der Anteil der B-Kunden 14,7% und der Anteil der C-Kunden 70,9%.
266
Schramm
KDB
ABC Analyse 90 80 70 60
(%)
Anteil Deckungsbeitrag kumuliert
100
50 40 30 20 10 0 -10
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Anteil Kunden kumuliert (%)
Abbildung 8: ABC-Analyse nach Kundendeckungsbeitrag laut Listenpreis für den Zeitraum 01/2004 bis 06/2006
Eine ABC-Analyse, getrennt für die Geschäftsbereiche Genomic Informatics und Genomic Systems, macht die unterschiedliche Kundenstruktur der Geschäftsbereiche deutlich. In Abbildung 9 ist eine ABC-Analyse auf der Basis von Kundendeckungsbeiträgen getrennt für Genomic Informatics (graue Punkte) und Genomic Systems (schwarze Punkte) aufgetragen. Im Geschäftsbereich Genomic Informatics verläuft die Kurve für den kumulierten Kundendeckungsbeitragsanteil deutlich flacher als der Graph für den Geschäftsbereich Genomic Systems. Vergleicht man die Werte der Forschungs AG mit den Standardwerten (80/20-Regel), so ergibt sich eine höhere Großkundenabhängigkeit im Geschäftsbereich Genomic Systems und eine niedrigere Großkundenabhängigkeit im Geschäftsbereich Genomic Informatics als in der Literatur beschrieben (Tabelle 1). Beachtet man, dass im Geschäftsbereich Genomic Systems zudem mehr als 2/3 der Kunden zu den C-Kunden gerechnet werden, bedeutet dies eine verschärfte Abhängigkeit von wenigen großen Kunden. Im Geschäftsbereich Genomic Informatics ist diese Verteilung ausgewogener. Man sieht einen im Vergleich stärkeren BKundenbereich. Berücksichtigt man, dass 3/4 des Umsatzes mit Produkten aus dem Geschäftsbereich Genomic Systems getätigt werden, zeigt sich wieder, wie stark das Unternehmen von den wenigen großen Kunden des Geschäftsbereichs Genomic Systems abhängt.
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267
Anteil Deckungsbeitrag kumuliert (%)
ABC-Analyse nach Deckungsbeitrag 100 90 80 70 GS
C-Kunden-Bereich
60 50
GI
40 30 20 10 0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
A-Kunden-Bereich B-Kunden-Bereich Anteil Kunden kumuliert (%)
Abbildung 9: ABC-Analyse nach Kundendeckungsbeitrag für den Zeitraum 01/2004 bis 06/2006 getrennt für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics ABC-Analyse Kundendeckungsbeitrag GS Kumulierter KDB-Anteil
Kundenanteil
ABC-Analyse Kundendeckungsbeitrag GI Kumulierter KDB-Anteil
Kundenanteil
A-Kunden
0,0% - 80%
14,9% (97)
0,0% - 80%
26,3% (64)
B-Kunden
80,1% - 95%
17,4% (113)
80,1% - 95%
21,4% (52)
C-Kunden
95,1% - 100%
67,7% (440)
95,1% - 100%
52,3% (127)
Tabelle 1: Verhältnis der Kundenklassen nach Umsatzanteil (in Prozent) und Kundenanteil (in Prozent und absoluten Zahlen) für eine ABC-Betrachtung nach Kundenumsatz getrennt für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics von 01/2004 bis 06/2006
3.3.2 Kundenportfolio Die ermittelten RFMR-Werte werden gegen die prozentualen Kundendeckungsbeiträge für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics getrennt aufgetragen (Abbildung 10). Auf diese Weise können Kunden in einem Kundenportfolio gruppiert werden. Grundsätzlich fällt in Abbildung 10 auf, dass mit steigendem Deckungsbeitrag der RFMR-Wert ebenfalls ansteigt. Dies bedeutet in letzter Konsequenz, dass alle Kunden mit hohem Anteil am Deckungsbeitrag in den letzten drei Monaten Kaufaktivitäten von größerem Umfang gezeigt haben.
268
Schramm
Die drei Platinkunden aus Abbildung 3 sind in Abbildung 10 leicht wieder zu finden (gepunkteter Kreis). Es fällt auf, dass der Kunde mit dem höchsten Deckungsbeitrag (Abbildung 10 links oben im Kreis, oberhalb der Geraden in Abbildung 3) einen im Verhältnis sehr schlechten RFMR-Wert aufweist. Der mittlere Kunde aus Abbildung 3 ist auch in der Kundenportfolioanalyse in mittlerer Position zu finden. Der Kunde mit dem schlechtesten der drei Deckungsbeiträge weist den höchsten RFMR-Wert auf. Dies bedeutet, der beste Kunde scheint am stärksten abwanderungsgefährdet zu sein, da er nur wenige Bestellungen getätigt hat oder aber der Bestellwert in den letzten drei Monaten vergleichsweise gering war. Abbildung 11 zeigt einen Ausschnitt, um einen detaillierten Blick auf die Kunden mit geringerem Deckungsbeitrag zu erlangen. Durch die Berechung lassen sich die Kunden in vier Segmente aufteilen. In Kunden mit hohem RFMR-Wert und hohem Kundendeckungsbeitrag (Abbildung 11 Q-1 gewertet als Goldkunden), mit niedrigem RFMR-Wert und hohem Deckungsbeitrag (Abbildung 11 Q-4, gewertet als Risikokunden), sowie in Kunden mit hohem RFMR-Wert und geringem Deckungsbeitrag (Abbildung 11 Q-2, gewertet als Potenzialkunden) und schließlich in die Kundengruppe mit niedrigem RFMR-Wert und niedrigem Kundendeckungswert (Abbildung 11 Q-3, gewertet als Blei- und Eisenkunden). Diese Analyse hilft, eine spezifische Kundenbearbeitungsstrategie zu formulieren. GS
Kundendeckungsbeitrag (%)
Kundenportfolio
GI
K-03
3
K-01
2,5 K-02
2 1,5
Risikokunden
1
Gold- und Platinkunden
0,5
Potenzialkunden 0 0
100
Blei- und Eisenkunden
200
300
400
500
RFMR-Wert
Abbildung 10: Kundenportfolio: RFMR-Werte und Kundendeckungsbeiträge getrennt für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics von 01/2004 bis 06/2006
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269
GS
Kundendeckungsbeitrag (%)
Kundenportfolio (Ausschnitt)
GI
1 Q-4
Q-1
Q-3
Q-2
0,75
0,5
0,25
0 0
50
100
150
200
250
300
RFMR-Wert
Abbildung 11: Kundenportfolio (Ausschnitt): RFMR-Werte und Kundendeckungsbeiträge getrennt für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics von 01/2004 bis 06/2006
Die Kundengruppe aus Q-1 repräsentiert den idealtypischen Kunden mit hohen Deckungsbeiträgen und einer hohen Wiederkaufwahrscheinlichkeit. Diese Kundengruppe gilt es durch gezielte Maßnahmen zu halten bzw. auszubauen. Q-4 Kunden gelten als gefährdet, da bei hohem Deckungsbeitrag die Wiederkaufwahrscheinlichkeit gering ist. Dieser Kundengruppe sollte der Vertrieb erhöhte Aufmerksamkeit schenken. Gegebenenfalls sind spezielle Maßnahmen zur Erhöhung der Wiederkaufwahrscheinlichkeit einzuleiten. Q-2 Kunden sollten dahin gehend bearbeitet werden, dass ihr Deckungsbeitrag steigt, um so eine höhere Anzahl an Q-1 Kunden zu erzielen. Q-3 Kunden schließlich sind von geringerer Bedeutung, da in dieser Gruppe sowohl Deckungsbeitrag als auch die Wiederkaufwahrscheinlichkeit gering ist. Marketingmaßnahmen für diese Gruppe wären im Verhältnis zum erzielbaren Nutzen ineffektiv. 3.4
Kundenentwicklung
Um die Entwicklung des Kundenwertes im Zeitverlauf zu beurteilen, wird das CrossSelling-Potenzial ermittelt. Bei allen Kunden, die Leistungen aus dem Geschäftsbereich Genomic Informatics nachfragen aber keine Produkte aus dem Geschäftsbereich Genomic Systems beziehen, liegt grundsätzlich ein Bedarf an Genomic Systems Produkten vor. Das Cross-Selling-Potenzial wird bestimmt, indem geprüft wird, welche Kunden Leistungen aus dem Geschäftsbereich Genomic Informatics nachfragen und ob sie bereits Produkte aus dem Geschäftsbereich Genomic Systems beziehen. 433 der insgesamt 676 Kunden bestellen ausschließlich Produkte des Geschäftsbereiches Genomic Systems, 26 Kunden bestellen ausschließlich im Geschäftsbereich Genomic Informatics und 217 Kunden bestellen in beiden Bereichen.
270
Schramm
89% der Genomic Informatics Kunden kaufen bereits Genomic Systems Produkte. Lediglich 33% der Genomic Systems Kunden beziehen Genomic Informatics Leistungen. Es ist davon auszugehen, dass das Cross-Selling-Potenzial grundsätzlich bei reinen Genomic Informatics Kunden stärker ausgeprägt ist als bei reinen Genomic Systems Kunden (Abbildung 12). GI GS
Cross-Selling-Anteil Genomic Systems und Genomic Informatics 100
[Anteil Cross-Selling in %]
90
89,3
80
66,6
70 60 50
33,4
40 30 20
10,7
10 0 Cross Selling
Kein Cross Selling
Abbildung 12: Cross-Selling Anteil im Untersuchungszeitraum 01/2004 bis 06/2006 für die Geschäftsbereiche Genomic Systems und Genomic Informatics
3.5
Schlussfolgerungen
Der Verlust eines umsatzstarken Kunden schlägt sich deutlich im Ergebnis nieder und kann durch B- und C-Kunden nur schwer kompensiert werden. Um A-Kunden zu halten und zu binden sind Wechselbarrieren zu etablieren. Dies gilt für alle A-Kunden. Es kann eine kleinere Gruppe stärkerer B-Kunden identifiziert werden, die aber mengenmäßig kaum ins Gewicht fällt. Bei B1-Kunden ist die Kundenzufriedenheit zu gewährleisten. Der Anteil an C-Kunden ist insgesamt hoch. Nach vorliegender Datenbasis tragen die C-Kunden mehrheitlich positiv zum Ergebnis bei. Würde man die Kostendatenbasis erweitern und dann die Kunden auf Basis eines Kundendeckungsbeitrags II bzw. III oder unter Einbeziehung von Prozesskosten vergleichen und C-Kunden weisen negative Werte auf, wäre die Beendigung der Geschäftsbeziehung anzuraten. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse bei der Betrachtung des Kundendeckungsbeitrags I sollte das Geschäft mit den C-Kunden grundsätzlich aufrechterhalten werden. C-Kunden machen 70% der Kunden aus, tragen aber nur 5% zum Umsatz bei. Es lohnt sich daher nicht, diesen Kunden besondere Betreuung oder Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ein entsprechender Vermerk ist im Datenbanksystem zu hinterlegen. Da die Produktionsprozesskosten, hervorgerufen durch die automatische Be-
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271
stellung, die voll automatische Produktion bis hin zur automatisierten Rechungslegung als gering einzuschätzen sind, sollte ein Geschäftsverhältnis bei guter Zahlungsmoral dieser Kunden aufrechterhalten werden. Diese Kundengruppe trägt dazu bei, den Verwenderkreis zu vergrößern und den Bekanntheitsgrad des Unternehmens zu erhöhen. Gelingt es im Zeitverlauf, B-Kunden weiter zu stärken, kann über einen Abbau des C-Kundengeschäfts zu einem späteren Zeitpunkt nachgedacht werden. Nur 11% der Genomic Informatics Kunden beziehen keine Genomic Systems Produkte von der Forschungs AG. Diese Kunden sollten vom Außendienst verstärkt über die Qualität der Genomic Systems Produkte informiert werden. Parallel ist über die Website über das Genomic Systems Angebot der Forschungs AG zu informieren. Zeigen die Kunden nur wenig Interesse, sind beispielsweise gesonderte Rabattkonditionen anzubieten.
4
Zusammenfassung
Es wurde das Konzept der monetären Kundenbewertung auf häufig bestellte, individuell und automatisiert gefertigte Industriegüter und Dienstleitungen angewendet. Hierfür werden Kundendaten einer ausreichend großen Stichprobe verwendet. In der vorliegenden Untersuchung können aufgrund der Datenlage Kundendeckungsbeiträge auf der Basis der variablen Stückkosten und direkten sowie indirekten Rabatte bestimmt werden. Es zeigt sich, dass diese Angaben bereits erste Schlüsse über das Ausmaß der Kundenprofitabilität zulassen. Eine vollständige Berücksichtigung aller kundenbezogenen Kosten, also insbesondere kundenbezogener Vertriebskosten würde sicher die Qualität der Aussagen erhöhen und eine genauere Beurteilung der Wertigkeit eines Kunden erlauben. Besonders gut geeignet scheint hierfür die Kundendeckungsbeitragsberechnung unter Berücksichtigung von Prozesskosten zu sein. Mittels des Kundendeckungsbeitrags-Umsatzverhältnisses und der Festlegung von Toleranzbereichen lassen sich auffällige Kunden sehr schnell identifizieren. Überdurchschnittlich profitable und unterdurchschnittlich starke Kunden befinden sich außerhalb des Toleranzkorridors und sind potenziell gesondert zu bearbeiten. Die ABC-Analyse nach Kundendeckungsbeitrag zeigt deutlich, dass der Erfolg des Unternehmens von wenigen großen Kunden abhängt. Für die Kundenanalyse werden Kundenstrukturdaten, Kundenwertigkeiten und zukünftige Wiederkaufwahrscheinlichkeiten herangezogen. Es konnte gezeigt werden, dass sich auf der Grundlage von Kundendeckungsbeiträgen und Wiederkaufwahrscheinlichkeiten auffällige Kunden identifizieren und Kunden zu Kundengruppen klassifizieren lassen. Mittels ABC-Methode konnte herausgefunden werden, dass der Anteil der B-Kunden weniger ins Gewicht fällt als zu Beginn der Untersuchung vermutet. Der Vergleich von RFMR-Werten und Kundendeckungsbeiträgen gibt Hinweise, welche Kunden wertvoll aber abwanderungsgefährdet sind, welche Kunden stabil
272
Schramm
zum Erfolg beitragen und welche Kunden ggf. entwicklungsfähig sind. Der Vergleich zeigt auch welche Kunden weniger attraktiv sind, da sie selten bestellen und weniger profitabel sind. Die Analysen liefern wertvolle Hinweise für die spezifische Bearbeitung ganzer Kundengruppen. Im Einzelfall ist bei extremen Entscheidungen wie der Gewährung von Rabatten außerhalb der Rabattkorridore eine individuelle Prüfung des Kunden geboten. Die Forschungs AG wird bei Kunden als zuverlässiger Anbieter qualitativ guter Produkte eingeschätzt. Die Kunden der Forschungs AG bestellen regelmäßig und häufig. Die Kundenanalyse ergab, dass die Forschungs AG insgesamt von wenigen großen Kunden abhängig ist. Für eine weitere Untersuchung wird empfohlen, die Kundendeckungsbeiträge unter Einbeziehung von Prozesskosten zu berechnen, um noch genauere Aussagen treffen zu können.
Kundenwertanalyse am Beispiel eines Biotechnologieunternehmens
273
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Schramm
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XIII Berliner Balanced Scorecard als ein Ansatz zur Steuerung einer Technologiemarketingstrategie: Zur Quantifizierung der Kundenperspektive im Rahmen der Innovationsprozesskette Wilhelm Schmeisser Unternehmen gehen mehr und mehr dazu über, produkt- durch kundenorientierte Innovationsatrategien zu ersetzen bzw. zu ergänzen. Vor diesem Hintergrund gewinnen die Quantifizierungen der Kundenbeziehungen im Rahmen der Berliner Balanced Scorecard1 als Implementierungsinstrument von Innovationsstrategien und als Ergänzung zu den klassischen Produkterfolgsrechnungen zunehmend an Bedeutung. Mit Hilfe der Kundendeckungsbeitragsrechnung können dem Kostenträger „Kunde“ sowohl Einzelkosten als auch mit Hilfe der Prozesskostenrechnung bislang meist nur prozentual aufgeschlüsselte Gemeinkosten (z.B. Vertrieb, Marketing und Auftragsabwicklung), durch die Verwendung von zusätzlichen Bezugsgrößen, zielgerichteter zugeordnet werden. Auf diese Weise ist es möglich die Profitabilität der Kunden zu beurteilen. Die Kenntnis der Profitabilität einzelner Kunden bietet sowohl Ansatzpunkte für Kostensenkungsmaßnahmen als auch die Möglichkeit ein besseres Kunden- und Ertragsmanagement zu betreiben, um so letztlich die Profitabilität des gesamten Unternehmens zu steigern. Im Folgenden wird anstatt vom Produktdeckungsbeitrag von einem Kundendeckungsbeitrag ausgegangen, der letztlich in einen Kunden-Cash-Flow überführt wird. Im Weiteren wird auf die investitionsrechnerische Ermittlung eines Kundenwertes eingegangen sowie dessen Rolle bei der Steigerung des Unternehmenswertes und/ oder des Marktwertes im Rahmen einer Quantifizierung einer Balanced Scorecard.2
1
Vom Produkt- zum Kundendeckungsbeitrag
Auf die produktbezogene Kalkulation wird das Management eines Unternehmens nicht verzichten können, da die zu planenden, zu steuernden und zu kontrollierenden Prozesse zuerst am Produkt bzw. an der zu erbringenden Dienstleistung festgemacht werden. Für betriebsinterne Vorgänge sind die Produktkosten vorrangig relevant, solange keine kundenindividuellen Auftragswünsche zu berücksichtigen sind, die den betreffenden Produkten direkt zugerechnet werden können. Die folgende Abbildung soll einen groben schematischen Überblick zum Ablauf der Ermittlung eines Kun1
2
Vgl. Schmeisser, W./ Schindler, F./ Clausen, L./ Lukowsky, M./ Görlitz, B.: Einführung in den Berliner Balanced Scorecard Ansatz. München und Mering 2006; zur Innovationsprozesskette siehe Schmeisser, W./Kantner,A. /Geburtig, A./Schindler, F.: Forschungs- und Technologie-Controlling. Stuttgart 2006. Vgl. Schmeisser,W./ Schindler, F., DStR(2004) 44, S. 1891 ff. und Schmeisser,W./ Schindler, F., (2005), DStR, S. 1459 ff.
276
Schmeisser
dendeckungsbeitrages geben, indem zunächst die produktbezogene Kalkulation durchgeführt wird und darauf aufbauend die Besonderheiten der kundenbezogenen Kalkulation herausgestellt werden. Produktkalkulation
-
Umsatzerlöse Erlösschmälerungen variable Kosten
=
Produktdeckungsbeitrag I
-
Kundenkalkulation
-
Produktdeckungsbeitrag I Kunden-Einzelkosten
= -
Kundendeckungsbeitrag I Kunden-Gemeinkosten (soweit variabel bezüglich Kundenzahl)
=
Kundendeckungsbeitrag II
Abbildung 1: Produkt- versus Kundenkalkulation (Periodenrechnung) Quelle: Vgl. Schirmeister, R./ Kreuz, C. (2003), S. 338.
Die hier aufgeführten „Kunden-Gemeinkosten“ werden mittels der Prozesskostenrechnung differenzierter aufgeschlüsselt und somit verursachungsgerechter zugeordnet. Auf diese Art und Weise ist es möglich, die Aussagefähigkeit des Kundendeckungsbeitrages wesentlich zu erhöhen. 1.1
Zur Prozesskostenrechnung
Die Prozesskostenrechnung stellt einen Ansatz dar, mit dessen Hilfe die Kosten der indirekten Unternehmensbereiche besser geplant und gesteuert bzw. auf die Produkte oder Leistungen verteilt werden können. Die in den Kostenstellen des Unternehmens abgewickelten Aufgaben werden in prozessbezogene Aktivitäten zerlegt. Diesen Aktivitäten werden die Kosten in Abhängigkeit von so genannten Kostentreibern (Cost Drivers) zugeordnet und daraus Prozesskostensätze ermittelt.3 Prozesskostensatz =
Prozesskosten = Kosten je Prozessgröße Prozessmenge
Beispiel:4 Prozess „Material beschaffen und lagern“ Prozesskosten = 7 605 000 € Prozessgröße = Auslagerungsprozess Prozessmenge = 650 000 € Setzt man diese Daten in obige Formel ein ergibt sich:
3
4
Vgl. Coenenberg, A.G., (1999), S. 225 ff. und Michel, R./ Torspecken, H.-D./ Jandt, J., (2004), S. 266 ff. Vgl. Coenenberg, A.G., (1999), S. 230.
BBSC als ein Ansatz zur Steuerung einer Technologiemarketingstrategie
Prozesskostensatz =
277
7605000 = 11,70 je Auslagerungsprozess 650000
Die Prozesskostenrechnung spiegelt die Inanspruchnahme der betrieblichen Ressourcen wider und bietet so die Möglichkeit eine verursachungsgerechtere Kostenzuordnung als die Zuschlagskalkulation, bei der die Gemeinkosten nur in Abhängigkeit von der Höhe einer wertmäßigen Zuschlagsbasis über proportionale Prozentzuschläge verrechnet werden. Das zentrale Problem bei der Ermittlung prozessbezogener Kostendaten besteht darin, dass die hier betrachteten Prozesse in der Regel abteilungsund damit kostenstellenübergreifend ablaufen. Die herkömmliche, nach Kostenstellen gegliederte Kostenrechnung kann diese Daten daher nicht direkt erheben. Die prozessbezogene Verrechnung erfolgt meist in zwei Stufen. Die übergeordnete Betrachtungsebene bilden die Hauptprozesse. Darunter versteht man in der Prozesskostenrechnung eine Kette homogener Aktivitäten, die demselben Kosteneinflussfaktor unterliegen und für die Prozesskosten ermittelt werden sollen. Die Hauptprozesse sind in der Regel abteilungsübergreifende Aktivitäten.5 Die untergeordnete Ebene wird von Aktivitäten gebildet, die in einer Kostenstelle ausgeführt werden und evtl. eigene Kostentreiber haben. In den einzelnen Kostenstellen erfolgt zunächst eine Tätigkeitsanalyse, in der die einzelnen Aktivitäten analysiert und ihre Kosten ermittelt werden. Dabei werden die angefallenen Kosten in leistungsmengeninduzierte (lmi) und leistungsmengenneutrale (lmn) Kosten unterschieden. Leistungsmengeninduzierte Kosten sind bezüglich der betrachteten Kostentreiber variabel, leistungsmengenneutrale Kosten sind bezüglich der Kostentreiber fixe Kosten. Über Schlüsselgrößen werden anschließend die leistungsmengenneutralen Kosten den leistungsmengeninduzierten Kosten zugerechnet. Zur Schlüsselung dieser Kosten wird folgender Umlagesatz verwendet:6 Umlagesatz =
Prozesskosten (lmn) x 100 = X % Prozesskosten (lmi)
Anschließend werden die so ermittelten Kosten der einzelnen Aktivitäten zu den Kosten der Hauptprozesse verdichtet. Dabei wird in der Regel unterstellt, dass zwischen dem Kostentreiber des Hauptprozesses und den Kostentreibern der einzelnen Aktivitäten konstante, proportionale Beziehungen bestehen. Bildet die Anzahl der Durchführungen den Kostentreiber, so bedeutet dies, dass für jede Durchführung des Hauptprozesses stets die gleiche Anzahl von Durchführungen der einzelnen Aktivitäten erforderlich ist.7 Die von der Prozesskostenrechnung ermittelten Kosten der ein-
5
6 7
Vgl. Coenenberg, A.G., (1999), S. 225 ff. und Michel, R./ Torspecken, H.-D./ Jandt, J. (2004), S. 266 ff. Vgl. Coenenberg, A.G., (1999), S. 232. Vgl. Michel, R./ Torspecken, H.-D./ Jandt, J., (2004), S. 272 ff.
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Schmeisser
zelnen Aktivitäten können im Rahmen des Prozessdesigns benutzt werden, um unterschiedliche Gestaltungsvarianten für die (Haupt-)Prozesse kostenmäßig zu bewerten. Die Daten der Prozesskostenrechnung können jedoch auch benutzt werden, um die Effizienz laufender Prozesse zu überwachen. Dazu werden die angefallenen Kosten auf die Anzahl von Einheiten des Kostentreibers verteilt, die der Kapazität des jeweiligen Bereiches entsprechen. Ist die tatsächliche Auslastung kleiner als die Kapazität, so wird damit nur ein Teil der Kosten den tatsächlichen Aktivitäten des Bereiches zugerechnet. Die verbleibenden Kosten stellen Kosten der bereitgestellten, aber nicht genutzten Kapazität dar. Da es meist leichter ist, Kapazitäten auf- als abzubauen, sollte ein hoher Anteil an Kosten für ungenutzte Kapazitäten ein Anlass sein, darüber nachzudenken, wie die freien Kapazitäten produktiver genutzt werden könnten. In einem zweiten Ansatz werden die gesamten Kosten auf die tatsächliche Anzahl von Durchführungen des Prozesses (bzw. den tatsächlichen Wert des Kostentreibers) verteilt.8 Da die Kosten eine Inputgröße und die Prozessmenge eine Outputgröße darstellen, kann der so ermittelte Kostensatz (bzw. genauer dessen Kehrwert) auch als Maß für die Produktivität des Prozesses angesehen werden und lässt sich mit folgender Formel berechnen. Prozesskostensatz =
Prozesskosten Input 1 = = Prozessmenge Output Produktivität
Strategische Informationsvorteile der Effekte der Prozesskostenrechnung: Bei der Prozesskostenrechnung sind folgende Effekte9 zu beobachten: - Allokationseffekt, - Komplexitätseffekt und - Degressionseffekt. Der Allokationseffekt beschreibt die genaue Zurechnung der Gemeinkosten indirekter Leistungsbereiche nach Maßgabe der Inanspruchnahme der betrieblichen Ressourcen auf die Erzeugniseinheiten/ Dienstleistungseinheiten. Der Komplexitätseffekt umschreibt die Berücksichtigung der Vielschichtigkeit des Produktionsprozesses und des Variantenreichtums einzelner Erzeugnisse als Einflussgrößen im Rahmen der Kalkulation. Der Degressionseffekt der Prozesskostenrechnung zeigt im Gegensatz zu den traditionellen Verfahren der Zuschlags- und Bezugsgrößenkalkulation, dass die fixen Gemeinkosten pro Einheit mit steigender Stückzahl sinken.
8 9
Vgl. Michel, R./ Torspecken, H.-D./ Jandt, J., (2004), S. 288 ff. Vgl. Coenenberg, A.G., (1999), S. 235-238.
BBSC als ein Ansatz zur Steuerung einer Technologiemarketingstrategie
1.2
279
Hierarchiestufen der Erlös- und Kostenpositionen
In diesem Abschnitt werden die verschiedenen Hierarchiestufen dargestellt, auf denen die Kosten- und Erlöspositionen erfasst werden sollen, z.B. Produkte, Aufträge, Kunden, Marktsegmente und Unternehmen. Auf jeder Stufe werden die relevanten Kosten erfasst, wobei diese hinsichtlich ihrer Abbaufähigkeit innerhalb des Betrachtungszeitraumes unterschieden werden sollten, um entscheidungsrelevante Kosteninformationen bereitzustellen. Folgende Abbildung verdeutlicht den Ablauf grafisch: Bezugsobjekt Organisatorische Leistungsbereitschaft
Unternehmen
Marktsegment
Marktsegment
Kunde
Kunde A
Auftrag
Auftrag 1
Produkt
Produkt X
Marktsegment
Kunde B
Auftrag 2
Produkt Y
Auftrag 3
Produkt Z
Abbildung 2: Kostenhierarchie
Die Kosten der Produktebene liegen in den meisten Unternehmen (Deckungsbeitragsrechnung) vor und verursachen keinen zusätzlichen Aufwand. Die auftragsbezogenen Kosten werden vorrangig durch die Anzahl der bearbeiteten Aufträge, den Auftragswert, die Versandkosten und die Anzahl der auftragsnotwendigen Angebote bestimmt. Auf der Kundenebene fallen Kosten an, die durch kundenspezifische Produktanpassungen, kundenindividuelle Serviceleistungen, Rabattvereinbarungen sowie Lieferkonditionen determiniert sind. Des Weiteren entstehen Kosten für die Akquisition (z.B. Einführungsangebote, Werbegeschenke, Kundenbesuche), Kundenbetreuung (z.B. Datenpflege, Mahnwesen, Bonitätsprüfung, Kundendienst) und für die Aufrechterhaltung der Kundenbeziehung. Im Bereich der Marktsegmente entstehen Kosten, die sich zwar nicht dem einzelnen Kunden aber einem Marktsegment verursachungsgerecht zuordnen lassen, wie Werbekosten bestimmter Marktsegmente.
280
Schmeisser
Auf der obersten Stufe der Hierarchie werden Kosten erfasst, die bisher keiner Ebene verursachungsgerecht zugeordnet werden konnten. Hier handelt es sich vorrangig um Bereitschaftskosten, wie Kosten der Personal- und Controllingabteilung, der Unternehmensleitung sowie Miete bzw. Abschreibungen auf das Betriebsgebäude. 1.3
Ermittlung eines differenzierteren Kundendeckungsbeitrages mittels der Prozesskostenrechnung
Nachdem die relevanten Kosten der einzelnen Hierarchiestufen erfasst wurden, kann der Kundendeckungsbeitrag für einen vorher definierten Zeitraum ermittelt werden. Zunächst werden die Umsatzerlöse, die mit einem Kunden im Betrachtungszeitraum erzielt wurden, erfasst. Im Anschluss werden die Erlösschmälerungen (z.B. Rabatte, Skonto) abgezogen, um die Nettoerlöse zu erhalten. Im nächsten Schritt werden stufenweise die verschiedenen Kostenpositionen von den Nettoerlösen subtrahiert. Folgende Abbildung soll die Vorgehensweise näher erläutern. Kundenkalkulation mittels Prozesskostenrechnung -
Umsatzerlöse Kunde Erlösschmälerungen Kunde
=
Nettoerlöse Kunde -
Nettoerlöse Kunde Produkteinzelkosten Auftragseinzelkosten Kundeneinzelkosten
= -
Kundendeckungsbeitrag I Produktprozesskosten Auftragsprozesskosten Kundenprozesskosten
=
Kundendeckungsbeitrag II
Abbildung 3: Ermittlung des Kundendeckungsbeitrages
Zur Ermittlung des Kundendeckungsbeitrages I werden zunächst die kundenspezifischen Einzelkosten der Bezugsgrößen Produkt (Standard-Herstellkosten sowie ggf. Kosten für kundenspezifische Produktanpassungen), Auftrag und Kunde von den Nettoerlösen des Kunden abgezogen. Hier werden sowohl die variablen als auch fixen (Einzel-)Kosten, die durch die Kundenbeziehung verursacht wurden, berücksichtigt. Um den Kundendeckungsbeitrag II zu ermitteln, werden vom Kundendeckungsbeitrag I die Prozesskosten der Hierarchieebenen Produkt, Auftrag und Kunde subtrahiert. An dieser Stelle bringt man ebenfalls die „Kosten nicht benötigter Kapazitäten“ in Abzug, die daraus resultieren, dass der Prozesskostensatz für die Bezugsobjekte mit der bei den gegebenen Ressourcen maximal möglichen Prozessmenge berechnet wird und nicht mit der budgetierten oder der tatsächlich durchgeführten Prozessmenge. Diese Kosten sollen jedoch nur in Ansatz gebracht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen „Kosten nicht benötigter Kapazität“ und Bezugsobjekt (Produkt, Kunde, Auftrag, Marktsegment) erkennbar ist. Als Kosten nicht
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281
benötigter Kapazität werden jene Kosten bezeichnet, die sich durch teilausgelastete Ressourcen ergeben, und sie können mit folgender Formel berechnet werden: Kosten nicht benötigter Kapazität = Prozesskostensatz * (maximal mögliche Prozessmenge – tatsächlich durchgeführte Prozessmenge) 1.4
Interpretation der Kundendeckungsbeiträge
Da in den Kundendeckungsbeitrag I nur die Kostenpositionen einfließen, die sich als Einzelkosten erfassen lassen, zeigt dieser Deckungsbeitrag unmittelbar an, welcher Teil des Erfolges im Betrachtungszeitraum ohne die Kundenbeziehung nicht zustande gekommen wäre. Durch die fehlende Schlüsselung von Gemeinkosten reflektiert der Kundendeckungsbeitrag I die Kundenprofitabilität und bietet somit eine gute Entscheidungshilfe bei der Zusammensetzung eines rentablen Kundenstammes. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die Einzelkostenpositionen unter Umständen fixe (Einzel-)Kostenpositionen enthalten können (z.B. das Gehalt eines Key-AccountManagers, der einen Großkunden betreut), die im Betrachtungszeitraum nicht abbaubar sind. Der Kundendeckungsbeitrag II ergibt sich nach Abzug der über die Prozesskostenrechnung dem Kunden zugerechneten Gemeinkosten. Ein Teil dieser Gemeinkosten, wie Gehälter im indirekten Bereich (Fakturierung, Mahnwesen, Kundendienst, Auftragsbearbeitung, etc.), ist selbst bei Auflösung der Geschäftsbeziehung zu einem Kunden nicht abbaufähig. Somit ist der Kundendeckungsbeitrag II vor allem als Indikator für die kundenspezifische Beanspruchung von Unternehmensressourcen zu interpretieren. Der Kundendeckungsbeitrag II lässt erkennen, welche Kunden bzw. Kundengruppen die Unternehmensressourcen stärker beanspruchen als dies durch das erzielte Umsatzvolumen gerechtfertigt ist. Somit kann der Kundendeckungsbeitrag II zur Unterstützung der strategischen Planung herangezogen werden, da mit seiner Hilfe Ansatzpunkte zur Rentabilitätssteigerung erkennbar werden. Die Profitabilität eines Kunden verändert sich über den gesamten Zyklus der Kundenbeziehung. Zu Beginn einer Geschäftsbeziehung, z.B. bedingt durch hohe Akquisitionskosten, können die Kosten die erzielten Umsätze übersteigen. In späteren Phasen der Geschäftsbeziehung kehrt sich dieses Verhältnis idealtypisch um und es werden in der Regel Gewinne erzielt.10 Wird bei der Interpretation der Kundendeckungsbeiträge nicht berücksichtigt in welcher (Lebens-)Phase sich die Kundenbeziehung befindet, kann dies zu Fehlentscheidungen führen, wie der voreiligen Beendigung einer Kundenbeziehung auf Grund negativer Deckungsbeiträge. Bei der Interpretation der Kundendeckungsbeiträge ist zu beachten, ob die Daten mit historischen Erlös- und Kostenpositionen oder mit zukünftig geplanten ermittelt wurden. Vergangenheitsdaten lassen im Prinzip keine Extrapolation auf die zukünftige 10
Vgl. Andon, Paul/ Baxter, Jane/Bradley, Graham, (2003), S. 301 ff. und Franz, Klaus-Peter (2003), S. 445 ff.
282
Schmeisser
Kundenrentabilität zu, da sowohl das Nachfrageverhalten der einzelnen Kunden als auch ihre Beanspruchung der Unternehmensressourcen, das Wettbewerbsumfeld und das Produktionsprogramm des Unternehmens sich im Zeitablauf verändern können. Insofern sollten bei der Interpretation von Kundendeckungsbeiträgen ergänzend Marktforschungsdaten und -analysen, wie das zukünftige Nachfrageverhalten, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die kundenspezifische Nachfrage nach neu auf den Markt kommenden Produkten miteinbezogen werden.
2
Vom Kundendeckungsbeitrag zum Kunden-Cash-Flow
Die Ermittlung des Kundendeckungsbeitrags basiert auf vergangenheitsorientierten Daten des Rechnungswesens, die jedoch nicht alle liquiditätsrelevanten Aspekte berücksichtigen. Von Interesse sind jedoch erfolgswirtschaftliche Aspekte, die in Kategorien wie Aufwand und Ertrag sowie Kosten und Leistungen erfasst werden. Daher bietet es sich an, die benötigten Plandaten aus den Erfolgsgrößen des internen Rechnungswesens abzuleiten, indem das Ermittlungsschema des Kundendeckungsbeitrages aufgegriffen wird und man sich auf seine liquiditätswirksamen Komponenten konzentriert. Erlöse (korrigiert um die Erlösschmälerungen) sind ohnehin zahlungswirksam, bei Kosten gilt dies nicht uneingeschränkt. Daher müssen rein wertmäßige Kostenbestandteile, wie Abschreibungen, auf ihre originäre Zahlung (z.B. Anschaffungsausgaben) zurückgeführt werden. Für einen bestimmten Planungshorizont (z.B. Jahr, Monat) können so erhebliche Differenzen zwischen wertmäßigen und zahlungswirksamen Kosten entstehen.11 In der folgenden Abbildung wird die detaillierte Ermittlung des Kunden-Cash-Flows übersichtlich dargestellt und im Anschluss ausführlich beschrieben.
11
Vgl. Schirmeister, R./ Kreuz, C, (2003), S. 344 f.
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283
Kunden-Cashflow-Kalkulation -
Umsatzerlöse Kunde Erlösschmälerungen Kunde
=
Nettoerlöse Kunde +
Nettoerlöse Kunde Materialkosten Variable Fertigungskosten Variable Vertriebskosten Zahlungsunwirksame variable Kosten
= +
Pagatorischer Produktdeckungsbeitrag Abschreibungen auf Sachanlagen Laufende Marketingkosten Zahlungsunwirksame Kundeneinzelkosten
= +
Pagatorischer Kundendeckungsbeitrag I Materialgemeinkosten Fertigungsgemeinkosten Personalgemeinkosten Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten Produktwerbung Zahlungsunwirksame Kundengemeinkosten
= -
Pagatorischer Kundendeckungsbeitrag II Investitionsbedingte Zahlungen
=
Kunden-Cash-Flow
Abbildung 4: Vom Kundendeckungsbeitrag zum Kunden-Cash-Flow Quelle: In Anlehnung an Schirmeister, R./ Kreuz, C., (2003), S. 345.
Um den Kunden-Cash-Flow zu erhalten werden zunächst von den Nettoerlösen alle variablen und fixen Kosten subtrahiert sowie vorhandene zahlungsunwirksame Kosten, die bereits innerhalb der entsprechenden Kostenart abgezogen wurden, durch Addition eliminiert. So enthalten die fixen Kundeneinzelkosten beispielsweise Abschreibungen auf Sachanlagen, die, wenn sie in der entsprechenden Periode keine Auszahlungen bewirken, mit der Zeile „zahlungsunwirksame Kundeneinzelkosten“ neutralisiert werden. Zahlungsunwirksame Kundengemeinkosten könnten bspw. kalkulatorische Eigenkapitalzinsen sein. Letztlich sind noch die investitionsbedingten Zahlungen abzuziehen, sofern die originäre Zahlung in den Zeitraum der interessierenden Geschäftsbeziehung fällt.12 Weiterhin sollte bei der Ermittlung des KundenCash-Flow darauf geachtet werden, dass kein zeitliches Auseinanderfallen von Einzahlungen und Erträgen vorliegt, wie bei Zielverkäufen oder Kundenanzahlungen. Bei Zielverkäufen ist der Einzahlungsüberschuss geringer als der Cash-Flow, liegen hingegen Anzahlungen von Kunden vor verhält es sich umgekehrt. Auch das Auseinanderfallen von Auszahlungen und Aufwand, wie bei Einkäufen auf Ziel, Anzah-
12
Vgl. Schirmeister, R./ Kreuz, C., (2003), S. 344 f.
284
Schmeisser
lungen an Lieferanten etc., muss beachtet werden. Bei Anzahlungen an Lieferanten ist der Einnahmenüberschuss wiederum geringer als der Cash Flow.13
3
Investitionsrechnerische Zusammenfassung zum Kundenwert
Die ermittelten periodenbezogenen Kunden-Cash-Flows bilden die Zahlungsreihe für die Investitionsrechnung. Um den Wert einer Kundenbeziehung zu ermitteln, wird auf ein Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung, die Kapitalwertmethode, zurückgegriffen. Die Kapitalwertmethode ermittelt den Barwert, dabei werden die zukünftigen Kunden-Cash-Flows bzw. die Differenz der zukünftigen Ein- und Auszahlungen, mit einem Kalkulationszinsfuß auf den jetzigen Zeitpunkt abgezinst.14 Diese Methode bietet sich vorrangig im Business-to-Business-Bereich an, d.h. wenn langfristige Geschäftsbeziehungen vorliegen und das Unternehmen die zukünftigen Ein- und Auszahlungen gut prognostizieren kann. Außerdem ist dieses Verfahren für annähernd sichere Werte geeignet, also die Geschäftsbeziehungen vertraglich fundiert sind, wie bei Versicherungsunternehmen oder Zeitungsverlagen. Die Formel zur Berechnung des Kundenwertes (KW) lässt sich wie folgt darstellen: KW = e0 – a0 + (e1 – a1) * (1 + i)-1 + (e2 – a2) * (1 + i)-2 + …. + (en – an) * (1 + i)-n Eine weitere Berechnungsmöglichkeit bietet die Verwendung des in Abbildung 4 ermittelten „Pagatorischen Kundendeckungsbeitrages“ (PKDB): KW = -I0 + PKDB0 + PKDB1 * (1 + i)-1 + PKDB2 * (1 + i)-2 + …. + PKDBn * (1 + i)-n mit: et: prognostizierte kundenspezifische Einzahlungen in der Periode t at: prognostizierte kundenspezifische Auszahlungen in der Periode t i : Kalkulationszinsfuß t : Periode (t = 0, 1, 2,...,n) n: Dauer der Geschäftsbeziehung Im Folgenden wird auf die Bestimmung des Kalkulationszinsfußes näher eingegangen. 3.1
Ermittlung des Kalkulationszinsfußes
Zur Berechnung des Kapitalwertes einer Geschäftsbeziehung sind die prognostizierten Cash-Flows mit einem geeigneten Kalkulationszinsfuß zu diskontieren. Da der Kundenwert einen Teil der Kapitalwerte eines Unternehmens darstellt, bietet es sich an, auf die Verfahren der Unternehmensbewertung sowie der Bewertung von Investitionsprojekten zurückzugreifen. Um die Anforderungen der Kapitalgeber zu erfüllen, 13 14
Vgl. Perridon, L./ Steiner, M., (2003), S. 564 f. Vgl. Perridon, L./ Steiner, M., (2003), S. 61.
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kann als Mindestverzinsung der Gesamtkapitalkostensatz (WACC) verwendet werden. Der Eigenkapitalkostensatz lässt sich auf Basis des Kapitalmarktmodells (CAPM) bestimmen, dessen Zielsetzung es ist, für jede Kapitalanlage eine risikoadjustierte Renditeforderung zu bestimmen.15 Die Eigenkapitalkosten setzen sich wie folgt zusammen: § Eigenkapitalkosten = Risikofreier Zinssatz + Risikoprämie des Eigenkapitals § Risikofreier Satz = „Realer“ Zinssatz + erwartete Inflationsrate § Risikoprämie = Beta * (Erwartete Marktrendite – risikofreier Zinssatz) Die Risikoprämie des Marktes repräsentiert die zusätzliche Vergütung, die Investoren fordern, um ins Unternehmen zu investieren anstatt in eine „sichere“ Anlage.16 Zur Bestimmung des Fremdkapitalkostensatzes wird auf den Durchschnitt aller Fremdkapitalkosten, die während des Planungszeitraumes durch Kundenbeziehungen verursacht sind, zurückgegriffen. 3.2
Einsatzmöglichkeiten des Kundenwertes und Interpretation der Ergebnisse
Je nachdem, wie hoch die erwarteten Kunden-Cash-Flows sind, stellt ein aggregierter Kundenwert einen erheblichen Teil des Unternehmenswertes dar. Sofern sich die Unternehmensleitung das Ziel der Unternehmenswertsteigerung gesetzt hat, bietet sich der Einsatz des prospektiven Kundenwertes als Maß zur Definition von Leistungszielen und zur Kontrolle der Zielerreichung an. Besonders im Marketingbereich kann der Einsatz des prospektiven Kundenwertes die strategischen Entscheidungen dahingehend unterstützen, dass die möglichen Auswirkungen auf ihre positive Beeinflussung des Kundenwertes hin geprüft werden um so die Unternehmensressourcen wertsteigernd einzusetzen. Analoge Einsatzmöglichkeiten bieten sich bei der Auswahl neuer Zielgruppen, dem Umgang mit bestehenden Kunden, der Entwicklung neuer Produkte sowie der Implementierung neuer Marketingstrategien. Durch den direkten Zusammenhang zwischen Unternehmens- und Kundenwert kann die Vorteilhaftigkeit strategischer Entscheidungen aus Sicht der Kapitalgeber bzw. Investoren unmittelbar überprüft werden. Sofern der Kundenwert mit Hilfe der Prozesskostenrechnung ermittelt wurde, kann anhand der vorliegenden Daten eine Bewertung eines Kunden durch die von ihm verursachten Kosten erfolgen und so die Basis für die Optimierung des gesamten Kundenstammes geschaffen werden. Ferner sind Informationen für eine kontinuierliche Optimierung der Geschäftsprozesse ableitbar. Dies setzt allerdings voraus, dass alle
15 16
Vgl. Perridon, L./ Steiner, M., (2003), S. 119 ff. Vgl. Rappaport, A., (1999), S. 46 f.
286
Schmeisser
relevanten Leistungen (auch die des Overhead-Bereichs, wie Vertrieb, Fertigungsplanung, Disposition, Einkauf, etc.) kunden- und prozessspezifisch erfasst, kostenrechnerisch bewertet und verrechnet werden.
4
Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive Shareholder Value
Finanzen
Mitarbeiter
Kunden
(Prognostizierter) Kunden-Cash-Flow
Kundendeckungsbeitrag
Umsatz
-
-
Geschäftsprozesse
WACC
*
Investitionen
Erlösschmälerungen
Rabatte
Skonti
+
Kundeneinzelkosten
Zahlungsunwirksame Kosten
-
Kundengemeinkosten
Materialkosten
Materialgemeinkosten
Variable Fertigungskosten
Fertigungsgemeinkosten
Variable Vertriebskosten
Personalgemeinkosten Verwaltungsund Vertriebsgemeinkosten Produktwerbung
Abbildung 5: Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive
Die Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive zeigt die Ermittlung des Kundendeckungsbeitrages. Zuerst werden vom Umsatz eventuell angefallene Erlösschmälerungen abgezogen, dann subtrahiert man alle kundenspezifischen Einzelkosten sowie Gemeinkosten um den Kundendeckungsbeitrag zu erhalten. Um den Kunden-CashFlow zu erhalten wird der Kundendeckungsbeitrag um mögliche kundenrelevante
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Investitionen gekürzt sowie um zahlungsunwirksame Kundenkosten erhöht. Der Kunden-Cash-Flow kann dann als Wertgröße eines Geschäftsfeldes in die Berechnung des Shareholder Value einfließen.
5
Zur Verbindung von Shareholder Value und Berliner Balanced Scorecard
Die Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive stellt die Verbindung zwischen den BSC-Perspektiven und dem geschaffenen Shareholder Value dar. Betrachtet man die einzelnen Perspektiven der BSC als Geschäftsfelder eines Unternehmens wird deutlich, dass die Summe der prognostizierten Cash-Flows die Berechnungsbasis für den Shareholder Value darstellen, der sich nach Rappaport wie folgt zusammensetzt: Barwert prognostizierter betrieblicher Cash-Flows +
Barwert des Restwertes
+
Marktwert börsengehandelter Wertpapiere
=
Unternehmenswert
-
Marktwert des Fremdkapitals
=
Shareholder Value
Abbildung 6: Berechnung des Shareholder Value nach Rappaport Quelle: Vgl. Rappaport, A. (1999), S. 40.
Die alleinige Berechnung des Shareholder Value17 bringt einem Unternehmen noch keine Wertsteigerung. Vielmehr gilt es mit Hilfe der Balanced Scorecard den Prozess der Strategiefindung, Strategieformulierung und Strategieumsetzung18 aktiv und systematisch zu gestalten, um so Strategien erfolgreich umzusetzen und auf diese Weise den Unternehmenswert zu steigern. Das setzt voraus, dass die Effekte strategischer Entscheidungen auf den Unternehmenswert quantitativ dargestellt werden. Durch die Ermittlung quantitativer Größen für jede Perspektive, hier anhand der Kundenperspektive dargestellt, lassen sich explizit die wertsteigernden bzw. wertvernichtenden Faktoren des Shareholder Value identifizieren. Sobald der Problembereich identifiziert ist, kann durch detaillierte Ursachenforschung innerhalb der entsprechenden Kennzahlenhierarchie, über die wertbeeinflussenden (Kosten)-Faktoren Abhilfe geschaffen werden.
17 18
Vgl. Schmeisser, W./ Dittmann, M., (2004), S. 1 ff. Vgl. Schmeisser, W./ Tiedt, A./ Schindler, F., (2004) und Schmeisser, W./ Meyer, A./ Waldhart, T., (2005).
288
6
Schmeisser
Schlussbetrachtung und Ausblick
Die Balanced Scorecard als ganzheitliches Managementsystem ermöglicht den gleichzeitigen und ausgeglichenen Einsatz von monetären und nichtmonetären Kennzahlen und Indikatoren, deren Anwendung zu einem umfassenden Steuerungs- und Kontrollsystem für die Unternehmensleitung führt. Einer der wichtigsten Aspekte der Balanced Scorecard ist die „Kommunikation der Strategie“, so dass die formulierten Strategien in konkrete Vorstellungen und Maßnahmen übersetzt werden können. Das Controlling mit der Balanced Scorecard ist umso effizienter, je mehr es gelingt, zwischen den Perspektiven Relationen aufzubauen und die in der Literatur bemängelte fehlende Verknüpfung zu beheben. An dieser Stelle setzt der Ansatz von Schmeisser an, der mit Techniken und Instrumenten des internen und externen Rechnungswesens die Perspektiven abbildet als auch rechnerisch verknüpft. Durch die Verbindung des Shareholder-Value-Ansatzes mit dem Konzept der Balanced Scorecard wird nicht nur um die Shareholder Value-Kennzahl ergänzt, sondern zu einem vollständigen Wertmodell erweitert. Dadurch wird die Integration des Shareholder Value-Gedankens in alle Perspektiven der Balanced Scorecard ermöglicht und somit eine konsequente Ausrichtung aller Aktivitäten auf die finanzielle Wertsteigerung des Unternehmens erreicht. Das Unternehmen stellt die wertbestimmenden Bereiche in den Vordergrund. Die eigentlich wertschaffenden Bereiche (z.B. Mitarbeiter, Kunden) werden unmittelbar in die finanzielle Bewertung einbezogen. Ziel des Beitrages war es, für die Kundenperspektive ein geschlossenes Kennzahlensystem zu entwickeln und somit die Quantifizierbarkeit von Kundenbeziehungen darzustellen. Mit Techniken und Instrumenten des internen und externen Rechnungswesens sowie Methoden der Finanzmathematik wurde ein „Kundenwert“ ermittelt, der letztlich Wertbestandteil des gesamten Unternehmenswertes ist. Durch die Extrapolation der aggregierten, diskontierten Kundenwerte werden sowohl das Zukunftspotenzial der Geschäftsbeziehungen als auch die Überlebenschancen eines Unternehmens erkennbar. Ferner bietet die Aufspaltung des Kundenwertes in seine kundenspezifischen Ertrags- und Kostenbestandteile die Möglichkeit der detaillierten Ursachenforschung und Problembeseitigung. Auf diese Weise kann die Kennzahlenhierarchie, angepasst auf die Belange eines Unternehmens, einer Branche, etc. konsequent zur Analyse, Planung und Steuerung verwendet werden. Eine alleinige Erfolgsmessung mit „klassischen“ Kennzahlen reicht heute nicht mehr aus. Die aktuellen Publikationen zeigen, dass weitere „neue“ Kennzahlen, die z.B. die Qualifikationen der Mitarbeiter oder deren Wertschöpfung messen, im Fokus des Interesses stehen und einen weiteren Beitrag notwendig machen. Gerade die so genannten Intangible Assets, wie Mitarbeiterpotenziale und Kundenwert, sind es, die die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens ausmachen. Insofern sind für die Zukunft eine adäquate Abbildung dieser Werte im Berichtswesen sowie die konsequente Berücksichtigung bei Unternehmensplanung und -steuerung dringend geboten.
BBSC als ein Ansatz zur Steuerung einer Technologiemarketingstrategie
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Literaturverzeichnis Schmeisser, W.: Zur Genese neuer Geschäfte in der Industrieunternehmung. Ein multikontextualer Erklärungsansatz für technische Innovationen, Aachen 1997. Schmeisser, W./ Tiedt, A./ Schindler, F.: Neuerer Ansatz zur Quantifizierung der Berliner Balanced Scorecard – unter besonderer Berücksichtigung der Dynamisierung des Ansatzes von Smeisser, München und Mering 2004. Schmeisser, W./ Kantner, A./Geburtig, A./Schindler, F.: Forschungs- und Technologie-Controlling, Wie Unternehmen Innovationen operativ und strategisch steuern, Stuttgart 2006. Schmeisser, W./ Schindler, F./ Clausen, L./ Lukowski, M./ Görlitz, B.: Einführung in den Berliner Balanced Scorecard Ansatz. Ein Weg zur Wetorientierten Performancemessung für Unternehmen, München und Mering 2006. Schmeisser, W./ Clermont, A./ Hummel, Th. R./ Krimphove, D. (Hrsg.): Einführung in die finanz- und kapitalmarktorientierte Personalwirtschaft, München und Mering 2007. Trommsdorff, V./ Steinhoff, F.: Innovationsmarketing, München 2007.
Gesundheits- und Innovationsmanagement herausgegeben von Wilhelm Schmeisser ⋅ Ricarda B. Bouncken ⋅ Ulrich Demmig ⋅ Alexander Kantner ⋅ Dieter Krimphove ⋅ Oliver Schöffski ⋅ Thorsten Teichert Band 1 Wilhelm Schmeisser, Gunnar Tröger: Balanced Scorecard als strategisches und operatives Management- und Controllinginstrument im Krankenhaus ISBN 3-86618-073-X / ISBN 978-3-86618-073-4, München und Mering 2006, 112 S., € 17.80
Die nähere Ausgestaltung des Gesundheitssystems wird wettbewerbs- und kostenorientierter durch die Gesundheitsreformen werden. Das technisch und medizinisch Mögliche und Machbare steht dabei im Spannungsverhältnis zu den einzelnen Wünschen und Bedürfnissen der Patienten und Angehörigen. Die Veränderungen im Gesundheitswesen lösen einen Wettbewerb zwischen Krankenhäusern aus. Eine Verbesserung der strategischen Position eines einzelnen Krankenhauses kann nur u.a. mit dem Einsatz passender betriebswirtschaftlicher Methoden erreicht werden. Gerade hier wirkt das Managementinstrument Balanced Scorecard prädestinierend und unterstützend. Anhand eines Fallbeispiels zeigt das Buch wie gesundheitsfördernde Strategien, Qualitätsmanagement und Balanced Scorecard im Krankenhaus rechenbar stimmig in ein Controllingkonzept integriert werden können.
Band 2 Wilhelm Schmeisser, Silvia Protze: Qualitätsmanagement in der stationären Rehabilitation ISBN 3-86618-074-8 / ISBN 978-3-86618-074-1, München und Mering 2006, 121 S., € 17.80
Angesichts der zunehmenden Anzahl chronischer Erkrankungen und einem immer größer werdenden Anteil älterer Versicherter kann von einem steigenden Bedarf an die Rehabilitationsleistungen ausgegangen werden. Andererseits ist die Rehabilitation wie die gesamte medizinische Versorgung in Deutschland zunehmend dem Kostendruck durch einen gesetzlich begrenzten Gesundheitsetat ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund wächst im Rahmen eines stärkeren und immer mehr geforderten Wettbewerbs das Interesse der Klinikbetreiber und Kostenträger an Maßnahmen der Qualitätssicherung als notwendige Vorstufe einer betriebswirtschaftlich geführten Reha-Klinik.
Band 3 Ricarda B. Bouncken, Andreas Golze: Management und Führung von Kooperationen. Theorie, Empirie und Gestaltung für Biotechnologieunternehmen ISBN 978-3-86618-113-7, Rainer Hampp Verlag, München u. Mering 2007, 172 S., € 19.80
In vielen Branchen werden Kooperationen zunehmend genutzt, um Spezialisierungsvorteile zu realisieren, Risiken zu teilen, Kapazitäten zu vergrößern und dabei innovativer und wettbewerbsfähiger zu sein. Dennoch ist das Management von Kooperationen oft noch ein Mysterium. Dieses Buch erarbeitet Gestaltungsempfehlungen für unterschiedliche Ebenen des Kooperationsmanagements. Im Zentrum stehen die Grundlagen der Zusammenarbeit, Partnerwahl und Konstitution der Kooperation, Strategisches Management von Kooperationen, Projektmanagement bei Kooperationen, die Bewältigung von interkulturellen Aspekten, Management von Wissen und Lernen, Benchmarking, Kooperationscontrolling sowie letztlich die Reorganisation und der Wandel von Kooperationen. Die Empfehlungen basieren auf einer umfangreichen empirischen Studie in der Biotechnologiebranche. Diese innovative, kooperationsintensive und zudem sehr dynamische Branche eignet sich sehr gut Referenzbranche. Durch die empirische Untersuchung konnten unterschiedliche Formen des Kooperationsmanagement im Hinblick auf ihre Erfolgswirkung untersucht werden. So liefert dieses Buch mit einer gezielten Verbindung von theoretischen Überlegungen und empirischen Ergebnissen einen Beitrag zu einem tieferen Verständnis und einer verbesserten Gestaltung von Kooperationen.