OPIUM
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Thomas de Quincey
Bekenntnisse eines englischen Opiumessers Samuel Taylor Coleridge
Kublai Khan übersetzt von Anton Olander
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Thomas de Quincey
Bekenntnisse eines englischen Opiumessers Samuel Taylor Coleridge
Kublai Khan übersetzt von Anton Olander
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Men nu nægtet han. Han gjorde mange undskyldninger, sa at det bare var en ubetydelighet, en drøm uten begyndelse og ende, et vift av en forestilling under søvnen. Nei det kunde ikke engang gjengis i ord; man visste nok slike vage, farende fornemmelser som man bare kunde føle som en stråle og som så var brat borte igjen. Man kunde selv skjønne hvor dumt det hele var når drømmen foregik i en hvit skog av sølv .... Knut Hamsun, Mysterier Aber er schlug es ab. Er brachte viele Entschuldigungen vor, sagte, es sei nur unbedeutend, ein Traum ohne Anfang und Ende, nur ein Hauch einer Vorstellung im Schlafe. Nein, das könne mit Worten nicht wiedergegeben werden; es gäbe viele solch vager, flüchtiger Wahrnehmungen, die man nur wie Strahlen fühlen könne und die plötzlich wieder weg seien. Man könne verstehen, wie dumm das Ganze sei, wenn er sage, der Traum habe sich in einem weißen Wald aus Silber abgespielt… Knut Hamsun, Mysterien (deutsch von J. Sandmeier)
Vorbemerkung des Übersetzers Von den »Confessions of an English Opium Eater« des Thomas de Quincey gibt es zwei verschiedene Fassungen: Zum einen die erste, originale von 1821/22, die der vorliegenden Übersetzung zugrunde liegt*. Zum anderen eine vom Verfasser für eine Ausgabe seiner gesammelten Werke 1856 überarbeitete, auf dreifachen Umfang aufgeblähte zweite Fassung, vor der am ausdrücklichsten dieser selbst seine Leser warnt – nämlich, zeitig genug, bereits in der ersten Fassung (siehe in der vorliegenden Übersetzung die Passage ab »oder aber glaube es vorsichtshalber…«, auf Seite 125). Die ursprüngliche Fassung des Werkes wurde bereits zweimal† ins Deutsche übertragen. Es erschien dennoch sinnvoll, einen dritten Versuch zu wagen, weil die Ergebnisse der beiden anderen schon seit * In der von Alethea Hayter herausgegebenen Taschenbuchausgabe des Penguin-Verlags. † Zweimal, soweit dem diesmaligen Übersetzer bekannt: »Bekenntnisse eines Opiumessers«, aus dem Englischen übersetzt von Hedda und Arthur Müller-Bruck, Berlin 1902, und »Bekenntnisse eines englischen Opiumessers«, übertragen und eingeleitet von Walter Schmiele, Fulda 1947. Letztere Übersetzung wurde später in einer ergänzten Fassung nochmals aufgelegt: »Bekenntnisse eines englischen Opiumessers und andere Schriften«, Stuttgart 1962.
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langem nicht mehr im Buchhandel zu haben sind, außerdem seit dem ersten beinahe ein ganzes, seit dem zweiten Versuch fast ein halbes Jahrhundert vergangen ist. Und man muß leider sagen, daß die Daumenformel, wonach die maximale Lebensdauer einer literarischen Übersetzung sich für gewöhnlich auf etwa fünfzig Jahre beläuft, in diesen Fällen zum einen vollauf, zum anderen gleich doppelt erfüllt ist: Während sich De Quincey auf englisch nach nunmehr über einhundertundsiebzig Jahren zwar eigenartig liest, eigenartig jedoch schon immer sich gelesen hat, weil er nun eben ein Autor von ganz eigener Art ist und schon immer war und immer bleiben wird – kommen einem die bisherigen Übersetzungen eine wie die andere bekannt und vertraut und so ungemein alt vor wie am Montagnachmittag die dicke Zeitung vom gerade verstrichenen Sonntag. Einem gewissen Anspruch auf Authentizität entsprechend, schlichter ausgedrückt dem Wunsch, daß dieses deutsche Buch in seinem »look and feel« dem ihm zugrundeliegenden englischen so nahe komme als möglich, schien es in formaler Hinsicht angebracht, die in der Erstfassung des »Opiumessers« von 1821/22 unterdrückten Namen von Personen und Orten nicht, wie in den früheren Übersetzungen geschehen, anhand der revidierten Ausgabe von 1856 zu ergänzen. Das würde einen wesentlichen Zug des ursprünglich anonym erschienenen Werkes ausradieVI
ren, wäre aber ohne großen Gewinn: Den Lesern heutzutage und hierzulande bringt es einfach gar nichts, wenn da »Bangor« statt B— steht oder »Earl von Desart« statt von D— (und wenn es da nicht hieße: »Schauspieler sind die schlechtesten Vorleser von Allen. —— liest ganz schauerlich…«, sondern: »John Philip Kemble liest ganz schauerlich«, wären sie gar um die Möglichkeit gebracht, den Namen etwa eines Gert Westphal an dieser Stelle einzusetzen). Auf erklärende An- und Bemerkungen und gelehrte Appendizes konnte gleichfalls getrost verzichtet werden, weil die »Bekenntnisse« gut genug geschrieben sind, um sich auch den heutigen interessierten Lesern fast ausnahmslos aus sich selbst heraus zu erschließen* – problemloser womöglich als so manches von recht nüchternen Leuten unserer Tage verfertigte literarische Werk. Auf Schwierigkeiten dürften heutige Leser, sofern sie nicht dem Genuß einer humanistischen Schulbildung unterzogen wurden (parcere subiectis et debel* Um diesen Lesern auch hierbei den Griff zum Lexikon zu ersparen, soll eines dieser Fast, das der Maß- und Währungseinheiten, gleich vorweg abgehandelt sein: Ein englischer Fuß entspricht 30,479 cm, eine Rute (= 16½ Fuß) entspricht 5,0292 m, eine Meile (= 5 280 Fuß) entspricht 1,6093 km; ein Gran entspricht 0,0648 g, eine Unze (= 437½ Gran) entspricht 28,35 g; ein Pint entspricht 0,5679 %, ein Quart (= 2 Pints) entspricht 1,1359 %, eine Gallone (= 4 Quarts) entspricht 4,5435 %. Im alten britischen Währungssystem kamen zwölf Pence auf einen Shilling, zwanzig Shilling auf ein Pfund und einundzwanzig Shilling auf eine Guinee.
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lare superbos), höchstens bei den lateinischen und altgriechischen goldenen Worten stoßen, die De Quincey in erklecklicher Anzahl in seinen Text einstreut. Sie werden es dann zu schätzen wissen, daß der Übersetzer seine Pflicht auch hier tapfer zu versehen bestrebt gewesen ist – so diskret als möglich, ohne De Quincey in seiner Rolle als Belesenheitsshowmaster zu nahe zu treten, ohne aber auch die Leser im Ungewissen schweben zu lassen, die einen solchen Service schließlich von ihren Asterix-Heften her gewohnt sind – sind sie nicht? In ähnlicher Weise wurden die eingeschobenen Zitate aus der englischen Lyrik in der Originalsprache belassen und durch verhalten formtreue Inhaltsangaben in deutscher Sprache ergänzt. Dies auch deshalb, weil generell Lyrikübersetzungen entweder vollkommener Unfug sind oder aber zwar genial, doch unnütz, wenn sie nicht im unmittelbaren Abgleich mit der Vorlage gelesen werden. Daß sich die Übersetzung an die oder, besser gesagt, an eine deutsche Orthographie der Zeit der Niederschrift der »Confessions« hält, wird mancher nicht dem Streben nach Authentizität zugute halten, sondern dem Übersetzer als spleenige oder gar postmoderne Tollheit, als abgenutztes Spiel auf Originalinstrumenten à la Frans Brüggen anlasten. Bis auf das obszöne Geschmatz, das meist mit jenem soeben kursiv gesetzten Wort einhergeht, mag das vorerst VIII
auch angehen. Doch lese man sich erst einmal ein Stück weit in das Buch hinein, und wem da nicht auch selbst ein wenig spleenig zumute wird im Strudel der Zeiten, wenn ihm über kurz oder lang Wörter wie Industriezeitalter, Großstadtproletariat, Manchesterkapitalismus, Klassengesellschaft, Ausbildungsförderung, Jugendarbeitslosigkeit, Einstiegsdroge, Persönlichkeitsstruktur, Schwellenländer des fernen Ostens, Bevölkerungsexplosion, Traumdeutung, Rauschgift, Entzugserscheinungen, Psychoanalyse, Sucht haltlos im Kopf herumgehen, vertraute Wörter, die dieses Buch nicht kennt und gleichwohl ständig auf der Zunge zu führen scheint – die plötzlich sonderbar entrückt erscheinen angesichts der urwüchsigen Modernität der romantischen Lebens- und Gedankenwelt des Opiumessers, in der sich eingeschleifte Kategorisierungen wie »romantisch« und »modern« zu unerwarteten Bündnissen zusammenfinden und die gegeneinander aufgerichteten Bollwerke über den Haufen werfen, zu dem verwegenen Zweck, sich in herzlicher Verbundenheit und dabei in der ganzen hintergehaltenen Komplexität ihrer Besetzungen zu offenbaren und, leider auch, weiterer ein- oder auch dreidimensionaler Verwendung zu verschließen; wer nicht benommen wird von diesem ganz besonderen Dunst, in dem Opiumschwaden nur unter ferner liefen rangieren, dem aufgewirbelten Staub zweier Jahrhunderte, den Abgasen aus dem Zweitakter am IX
Herzen dieses Büchleins, wo ein Gemisch aus ewigem Alter und ewiger Jugend seine explosive Tätigkeit verrichtet; wer da nicht kirre wird vor Nachsinnen über Ferne und Nähe alter Zeiten, fremdes Verwandtes und verwandtes Fremdes, die Neuartigkeit heute altvertrauter, die Althergebrachtheit gegenwärtiger Sicht- und Denkweisen in der Vergangenheit… dem ist wohl überhaupt nicht zu helfen. Der wird sich auch von einem efeu- und epheuumrankten Wegweiser nach Art der altertümlichen Rechtschreibung dieser Übersetzung nicht auf eine ausschweifenden Reise durch die Zeiten mit unbestimmter Wiederkehr schicken lassen wollen. Zwei Abweichungen vom genannten Authentizitätsprinzip schienen statthaft: Zum einen diese Vorbemerkung, die sich damit bereits ihrem Ende nähert, und zum anderen, gleichsam zu deren symmetrischem Ausgleich, die Zugabe des Traumes von einem Gedicht cunnischer Zunge des Opiumessers Samuel Taylor Colderidge, »Kubla Khan« – in dem, nebenher gesagt, die ganze europäische Hochromantik quasi als Konzentrat enthalten ist. Dies steht, nebst einer versuchsweisen Verdeutschung, am Schluß des Bändchens – denn wie das Licht De Quinceys auf das Opium 256 Graustufen akkurat scheidet, so separiert das Coleridges es nach Zyan, Magenta und Gelb. Fwn£nta sunetoisi. X
ER S T ER T H EI L
An den Leser I CH T R E T E H I ER vor Dich, geneigter Leser,
hin mit dem Protocoll einer bemerkenswerthen Spanne meines Lebens, das sich meiner darauf hinverwandten Mühe gemäß, wie ich festens glaube, nicht nur als interessant erweisen wird, sondern auch als im hohen Maaße nutzbringend und lehrreich. In dieser Hoffnung zeichne ich es auf, und dies auch kann einzig Rechtfertigung mir seyn, daß ich mit jener feinen, ehrsamen Zurückhaltung breche, die uns für gewöhnlich von der öffentlichen Zurschaustellung unsrer Irrungen und Gebrechen abhält. Nichts läßt ja ein englisches Gemüth so sehr aufbegehren, wie das abgeschmackte Schauspiel, wenn ein Mensch sich mittels seiner sittlichen Schwären oder Narben unsrer Aufmerksamkeit aufdrängt, und jene »thunlichen Tuche« von ihnen reißt, in die sie vom Lauf der Zeit, der Nachsicht gegen menschliche Schwächen verhüllt wurden. Dem entsprechend stammen hier zu Lande allerhand »Bekenntnisse« (also dem Urtheil sich entziehnde 1
Bekenntnisse aus dem Stegreif) zumeist von anrüchigen Damen, Abentheurern oder Hochstaplern, und so müssen wir uns nach Beispielen für derartig anstößige Entwürdigung ihrer selbst durch Solche, die als im Einklange mit dem anständigen und selbstachtenden Theil der Gesellschaft stehend betrachtet werden dürfen, in der französischen Litteratur umschauen, oder unter jenem Theil der deutschen, wo sie an der fälschlichen und fehlerhaften Empfindlichkeit der französischen krankt. Ich bin mit solcher Gewalt von all dem angerührt, bin so nachdrücklich bemüht, mich tadellos von solcher Neigung zu erhalten, daß ich über Monate hinweg gezaudert habe an der Statthaftigkeit, ob denn dieser oder irgend ein andrer Theil meiner Geschichte vor das Auge der Öffentlichkeit gelangen dürfe, solange ich nicht verstorben wäre (aus vielerlei Gründen wird sie erst dann zur Gänze veröffentlicht werden), und nur indem ich einen sorgerfüllten Blick zurückgehn lasse, nach den Gründen für und wider diesen Schritt, nun da ich endlich mich entschlossen habe ihn zu thun, thue ich ihn jetzt. Schuld und Elend schrecken aus natürlichem Antrieb vor öffentlicher Kenntnißnahme zurück. Sie freien beide um das Für-sich-selbstSeyn, das Alleinseyn, und sogar wenn sie sich das 2
Grab erwählen, sondern sie sich manches Mal von der sonstigen Bevölkerung des Friedhofs ab, so als entsagten sie der ihnen zustehnden Geselligkeit in der großen Familie der Menschen, und wünschten (in der anrührenden Sprache des Herrn Wordsworth) – humbly to express – demüthig darzuthun A penitential loneliness. Reuevolle Einsamkeit.
Es ist gut so auf’s Ganze gesehn, und in unser aller Interesse, daß es so ist, und ich werde auch selbst nicht willentlich Misachtung solcher heilsamen Regungen kund thun oder durch Handeln oder Worte zu ihrer Schwächung beitragen. Da einerseits jedoch meine Selbstbezichtigungen nicht einem Schuldbekenntniß gleich kommen, so könnte andrerseits der Vortheil, der aus der Protocollirung von zu solch hohem Preis erkauften Erfahrungen für Andere erwüchse, selbst wenn sie es dann doch thäten, möglicher Weise jede Verletzung der eben von mir erwähnten Empfindungen mit großem Abstand aufwiegen, und einen Bruch der allgemeinen Regel rechtfertigen. Elend und Gebrechlichkeit sind nicht unbedingt an eine Schuld gebunden. Sie dringen hervor oder weichen zurück, die Schatten dieser 3
finstern Bruderschaft, im Verhältniß zu den muthmaaßlichen Beweggründen und Erwartungen des Verfehlenden sowie den erkennbaren oder verborgenen Linderungen, die die Verfehlung diesem einträgt, im Verhältniß der anfänglichen Mächtigkeit der Versuchung zu dem Grad an letztendlicher Ernsthaftigkeit, nach Thaten oder Auswirkungen bemessen, des dagegen aufgebrachten Widerstandes. Ich für mein Theil kann, ohne der Wahrheit oder der Mäßigkeit Abbruch zu thun behaupten, daß mein Leben im Großen und Ganzen das eines Philosophen gewesen ist. Von Geburt an war ich zu einem Geschöpfe des Intellects gemacht, und alle meine Ziele, all meine Freuden sind von jeher intellectueller Art im höchsten Sinne des Wortes gewesen, schon als ich noch zur Schule ging. Sollte Opiumessen Sinneslust bedeuten, und leider muß ich eingestehn, daß ich mit solcher Unmäßigkeit mich ihm ergeben habe, wie es von keinem Andern bislang überliefert* ist, so ist es darum nicht weniger wahr, daß ich mich des fesselnden Hingerissenwerdens davon mit religiösem Eifer erwehrt, und nach langem Kampf * »Bislang überliefert« sage ich, denn es giebt einen gefeierten Mann unsrer Tage, der, so Alles der Wahrheit entspricht, was über ihn berichtet wird, an Menge bei weitem mich übertroffen hat.
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erreicht habe, was ich niemals einem andern Menschen zugestanden werden hörte: Ich wand von mir fast bis auf’s letzte Glied die verfluchte Kette, in die ich gefesselt war. Eine solche Überwindung der eigenen Person dürfte billiger Weise jede Art, jeden Grad der Ausschweifung compensiren, in die diese sich begiebt. Dabei will ich gar nicht darauf pochen, daß in meinem Falle die Ausschweifung sehr wohl casuistisch in Zweifel gezogen werden kann, dahin gehend, ob unter diese Bezeichnung auch sämmtliche Handlungen, die bloßer Schmerzenslinderung dienen, gefaßt werden müssen, oder ob sie solchen vorbehalten bleiben sollte, die definitiven Lustgewinn zum Ziele haben. Schuld daher erkenne ich nicht an, und selbst wenn doch, es wäre gerade so gut möglich, daß ich mich auf das Bekennen entschiede, wie ich es gegenwärtig ausübe, in Anbetracht des Dienstes, den ich damit der Classe der Opiumesser als Ganzes erweise. Wer aber sind die ? Leider, Leser, muß ich sagen, eine wahrhaft zahlreiche Classe. Zu dieser Überzeugung gelangte ich vor einigen Jahren, als ich seiner Zeit ihre Zahl errechnete für Eine schmale Schicht der englischen Gesellschaft, die der durch Geistesgaben Ausgezeichneten oder der Stellung nach Herausragenden, die mir mittel- oder unmittelbar als Opiumesser 5
geläufig waren, als da wären beispielsweise der sprachmächtige und wolthätige ——, der verstorbene Decan von ——, Lord ——, der Philosoph Herr ——, und ein verstorbner Staatssekretär (der mir das Gefühl, das ihn zuerst zur Opiumeinnahme trieb, in genau den gleichen Worten beschrieb, wie der Decan von ——, nämlich: »daß er sich vorkam, als nagten Ratten ihm die Magenwände, schürften sie ihm ab«), und Herr ——, und viele Andere, kaum weniger bekannt, die aufzuzählen allzumüßig wäre. Nun, da sich innerhalb dieser Einen, vergleichsweise eng begränzten Classe schon solche Schaaren an Fallbeispielen finden ließen (und dies dazu noch nach dem Wissen Eines Nachforschenden allein), so lag der Schluß nahe, daß sich auf die gesammte englische Bevölkerung hochgerechnet, eine entsprechend hohe Ziffer ergäbe. Jedoch zweifelte ich an der Zutreffendheit dieser Schlußfolgerung, bis mir aber gewisse Thatsachen zur Kenntniß gelangten, die mich zufriedenstellend überzeugten, daß sie nicht unrichtig war. Zwei will ich erwähnen: Erstens, daß drei achtbare Droguisten aus weit aus einander gelegenen Stadttheilen Londons, von denen ich in letzter Zeit hier und da kleine Mengen Opiums kaufte, mir versicherten, daß die Zahl der Opiumesser aus Liebhaberei, wie ich sie bezeichnen möchte, zu dieser Zeit riesig ge6
wesen sey, und daß die Schwierigkeit, zwischen denen zu unterscheiden, die des Opiums aus Gewöhnung daran bedürfen, und denen, die es zur Umsetzung in die That eines Selbstmordvorhabens erwerben, täglich Zwiespalte und Streitereien ihnen eintrügen. Das galt nur für London. Zweitens jedoch, und dies wird wahrscheinlich den Leser mehr überraschen, erfuhr ich, als ich vor einigen Jahren durch Manchester reiste, von verschiedenen Cattunwollfabrikanten, daß ihre Arbeiterschaft sich mit rasanter Geschwindigkeit das Opiumessen angewöhne, und dies in einem solchen Maaße, daß an einem Sonnabend Nachmittage angesichts der für den Abend zu gewärtigenden Nachfrage Tabletten zu ein, zwei und drei Gran vorsorglich schon auf den Ladentischen der Droguerien ausgestreut lagen. Der unmittelbare Anlaß für diesen Umstand war das niedrige Niveau der Löhne, die es den Arbeitern zu dieser Zeit nicht verstatteten, sich dem Bier oder dem Branntweine zu ergeben. Man sollte annehmen, daß der Anstieg der Löhne dem ein Ende setzen würde. Da ich jedoch schwerlich bereit bin zu glauben, daß Jemand, der die göttlichen Vorzüglichkeiten des Opiums erst einmal gekostet hat, jemals wieder in den grobschlächtigen, vergänglichen Genuß von Alcohol zurückverfällt, so setze ich voraus, 7
That those eat now, who never ate before; Daß die nun essen, die zuvor nie aßen, And those who always ate, now eat the more. Und die schon immer aßen, um so mehr jetzt essen.
Es wird ja die Zaubermacht des Opiums selbst von medizinischen Fachautoren zugestanden, die allesamt ihm gänzlich feindlich gegenüberstehen. So faßt beispielsweise Awsiter, der Apotheker am Hospital von Greenwich, in seinem »Versuch über die Auswirkungen des Opiums« (veröffentlicht im Jahre 17 6 3), da wo er zu erklären sucht, warum Mead hinsichtlich der Eigenschaften dieser Drogue, ihrer Gegenmittel u. s. f. so wenig deutlich geworden ist, sich in die folgenden räthselhaften Worte (fwn£nta sunetoisi – zu den Weisen redend): »Vielleicht hielt er diese Angelegenheit für zu precär geartet, als daß sie gemein gemacht werde, und weil dann Viele sie willkürlich gebrauchen könnten, würde die nöthige Furchtsamkeit und Vorsicht, die sie von den weitreichenden Wirksamkeiten dieser Drogue fern hält, ihnen genommen. Ihr haften nämlich mannichfaltige Eigenschaften an, die, allgemein bekannt, ihren Gebrauch zur Gewohnheit werden, und eine stärkere Nachfrage, als selbst bei den Türken, bei uns darnach aufkommen ließen. Und so müßte am Ende dies Bekanntwerden«, fügt er hinzu, »sich als Unglück für Alle erweisen.« Ich pflichte 8
dieser Schlußfolgerung nicht als einer gänzlich unausweichlichen bei, doch werde ich gegen Ende meiner Bekenntnisse noch Gelegenheit haben, hierauf einzugehen, wenn ich dann mit der Moral meiner Geschichte vor den Leser hin trete.
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Vorangängige Bekenntnisse DI E S E vorangängigen Bekenntnisse, diese hinführende Berichterstattung von den jugendlichen Abentheuern, die den Grundstein legten zur Opiumesserei im weitern Lebensverlauf des Autors, allem Folgenden voranzustellen, erschien aus dreierlei Gründen angemessen: 1. Weil somit eine Frage, die sonst im Verlauf der Opiumbekenntnisse schmerzhaft sich aufdrängen müßte, vorweggenommen und hinreichend beantwortet wird – »Wie kam ein vernunftbegabtes Wesen dahin, sich unter das Joch eines solchen Elends zu beugen, freiwillig solch eine erniedrigende Gefangenschaft zu erdulden, sich selbst in solche siebenfache Kette zu legen?« – eine Frage, die, wird sie nicht irgend wo einsichtig aus der Welt geschaffen, auf Grund der Empörung über willentliche Narrheit, die sie sehr leicht nach sich ziehen kann, den Absichten des Autors in die Quere kommen muß, weil ein gewisser Grad an Mitempfinden allemal unabdinglich für ihn ist. 2. Weil somit ein Schlüssel zu manchen Theilen der weiträumigen Landschaften, in denen nach-
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her die Träume des Opiumessers siedelten, zur Verfügung gestellt wird. 3. Weil somit im Voraus ein nicht an den Gegenstand der Bekenntnisse gebundenes Interesse persönlicher Art für den Bekennenden selbst geschaffen wird, das mit Sicherheit das Interesse für die Bekenntnisse an sich steigert. Wenn ein Mensch, »dessen Rede von Ochsen geht«, zum Opiumesser wird, so wird er recht wahrscheinlich, wenn er nicht zum Träumen überhaupt zu trübe ist, von Ochsen träumen. In vorliegendem Falle hingegen trifft der Leser auf einen Opiumesser, welcher sich da rühmet, ein Philosoph zu seyn, und dessen Traumscheinbilder (im Wachen oder Schlaf, Tag- oder Nachtträume) werden dem entsprechend am ehesten zu demjenigen passen, der dessen Art gemäß Humani nihil a se alienum putat. Nichts Menschliches sich fremd hält.
Denn unter den Voraussetzungen, die mir unabdinglich dünken zur Aufrechterhaltung jeglichen Anspruchs auf den Titel Philosoph findet sich nicht nur die, daß dieser einen hinsichtlich seiner analytischen Functionen überlegenen Intellect besitze (wobei allerdings, was diesen Theil der Anforderungen betrifft, England seit einigen Generationen nur wenige Gestalten 11
aufweist, die ihn erheben könnten – zumindest kann ich keinen bekannten Candidaten für diese Ehrung ausmachen, den man mit allem Nachdruck einen gewandten Denker nennen könnte; Samuel Taylor Coleridge dabei ausgenommen, und in einer begränztern Abtheilung des Denkens den jüngst zu Ruhm gekommnen David Ricardo*), sondern auch, daß sein sittliches Vermögen so beschaffen sey, daß es ihm ein inneres Auge verleihe, ein Gespür für die Sichtungen und Geheimnisse unsrer menschlichen Natur, kurzum genau jenes Vermögen, das unter allen Menschengeschlechtern, die vom Anbeginn der Zeit an in das Leben auf diesem Planeten so * Eine dritte Ausnahme hätte noch hinzugefügt werden können, und der Grund, weßhalb ich sie nicht anführe, ist hauptsächlich der, daß der Autor, auf den ich anspiele, sich blos in seinen jugendlichen Bemühungen kurzfristig philosophischen Themen zugewandt hat. In seinen Mannjahren hat er sich, was sich angesichts der gegenwärtigen allgemeinen Geistesentwicklung in England gut verstehn, und durchaus verzeihen läßt, gänzlich auf die Litteratur und die schönen Künste verwandt. Hievon abgesehen frage ich mich aber, ob man ihn nicht eher als einen scharfen Denker ansehen sollte, denn als einen gewandten. Außerdem ist ihm für die Beherrschung philosophischer Gegenstände von großem Nachtheil, daß er offenkundig nie in den Genuß einer regelrechten akademischen Ausbildung gekommen ist. Er hat in seiner Jugend Plato nicht gelesen, was höchst wahrscheinlich nur auf sein misliches Geschick zurückzuführen ist, doch hat er als Erwachsener auch Kant nicht gelesen, was ihm als Fehler anzulasten ist.
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zu sagen ausschwärmten, unsern englischen Dichtern schon immer im höchsten Grade eigen war – am wenigsten aber den schottischen* Professoren. Ich bin oftmals befragt worden, wie ich zuerst dahin kam, regelmäßiger Opiumesser zu werden, und sehr zu Unrecht litt mein Ruf in meinem Bekanntenkreis unter der Auffassung, ich hätte mir all das Leid, das ich zu protocolliren habe, selbst eingetragen, indem ich über lange Zeit dies Laster zu dem ausschließlichen Zweck ausgeübt hätte, mir künstliche Zustände lustvoller Erregtheit zu verschaffen. So aber stellt sich mein Fall falsch dar. Wahr ist, daß ich fast zehn Jahre lang das Opium hier und da eingenommen habe um der unvergleichlichen Lust willen, die es mir verschaffte. Doch solange ich es unter diesem Augenmerk zu mir nahm, war ich geschützt vor allen üblen Folgen gegenständlicher Art durch die Nothwendigkeit, jedem einzelnen Rausche eine lange Pause folgen zu lassen, damit die freudigen Empfindungen beim nächsten neuerlich einträfen. Nicht um mir Lust zu verschaffen, begann ich das Opium als Bestandtheil meines täglichen Speisenzettels zu gebrauchen, vielmehr * Ich leugne jede Anspielung auf lebende Professoren, von denen ich überhaupt nur Einen kenne.
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dazu, Schmerzen äußerster Heftigkeit zu lindern. In meinem achtundzwanzigsten Lebensjahre befiel mich eine zuhöchst schmerzhafte Magenreizung, wie ich sie zehn Jahre zuvor erstmals erlitten hatte, mit großer Heftigkeit erneut. Diese Reizung stammte in ihrem Ursprung aus den Tagen meiner frühen Jugend, als ich äußerste Hungerspein zu leiden hatte. Die sich anschließende Zeit der Hoffnung, des fülligen Glückes über (das war von meinem achtzehnten bis zum vierundzwanzigsten Lebensjahr) hatte sie still gehalten, war während der folgenden drei Jahre gelegentlich wieder aufgelebt. Nun fiel sie, unter widrigen Umständen, auf Grund einer allgemeinen Niedergeschlagenheit, mit solcher Gewalt wieder über mich her, daß kein Gegenmittel blieb, als Opium. Da die Leiden der Jugend, die anfänglich jene Zerrüttung meines Magens zur Folge hatten, sowie die sie begleitenden Umstände an und für sich von Interesse sind, will ich sie hier kurz nachzeichnen. Mein Vater starb, als ich ungefähr sieben Jahre alt war, und überließ mich der Obhut vierer Vormünder. Ich wurde auf verschiedene Schulen geschickt, bedeutende und minder bedeutende, und sehr früh zeichnete ich mich durch meine Leistungen auf dem Gebiete der classischen Sprachen aus, insbesondere aber durch 14
meine Kenntnisse des Griechischen. Mit dreizehn schrieb ich das Griechische mit Leichtigkeit, und als ich funfzehn zählte, reichte meine Beherrschung dieser Sprache so weit, daß ich nicht nur griechische Verse in lyrischen Metren verfaßte, sondern sogar Gespräche in ungehemmt fließendem Griechisch führen konnte – eine hohe Fertigkeit, die mir seither bei keinem Gelehrten meiner Epoche mehr begegnet ist, und die sich in meinem Falle der Thatsache verdankte, daß ich tagtäglich die Zeitungen in’s beste Griechisch, das ich ex tempore zu Stande brachte, hinüberlas. Die Nothwendigkeit, Gedächtniß und Erfindungsgabe nach allerlei umschreibenden Wendungen und deren Verknüpfungen als Entsprechungen für heutige Vorstellungen, Bilder, Bezüge u. s. f. zu durchstöbern, verlieh mir eine Wortgewandtheit, wie sie durch ödes Übersetzen von moralischen Abhandlungen und dergleichen niemals hätte hervorgerufen werden können. »Dieser Knabe«, sagte einer meiner Lehrherren, indem er die Aufmerksamkeit eines Fremden auf mich richtete, »dieser Knabe ist im Stande, eine bessere Ansprache vor einem athenischen Pöbel zu halten, als Sie oder ich vor einem englischen.« Der mich mit dieser Lobesrede pries, war ein Gelehrter, »und ein reifer und guter«, und von allen meinen Lehrern der einzige, den ich liebte 15
und hoch achtete. Zu meinem Unglück (und zur großen Empörung dieses würdigen Mannes, wie ich später erfuhr) wurde ich sodann in die Obhut eines Dummkopfes überführt, der ständig panisch war vor Angst, ich könnte seine Unbildung aufdecken, und schließlich in die eines achtbaren Gelehrten an der Spitze einer großen Schule uralter Gründung. Dieser Mann war vom —— College in Oxford an seine Position berufen worden, und er war ein kerngesunder, gutgebauter Gelehrter, jedoch derb, ungelenk und ungeschlacht, wie die Meisten, die ich an diesem College kennen lernte. Er stand für mich somit im zuhöchst unglücklichen Contrast zu meinem Lieblingslehrer und dessen ausgezeichneten Manieren eines Etonian, und er konnte darüber hinaus nicht die Armuth und Dürre seiner Verstandesgaben vor meiner prompten Aufmerksamkeit verbergen. Es kommt einen jungen Menschen schlecht an, wenn er seinen Erziehern, sey es an Wissen, sey’s an Geisteskräften, bei weitem überlegen, und sich dessen bewußt ist. Das aber war, zumindest was das Wissen anbelangte, nicht allein bei mir der Fall. Denn die zwei Knaben, aus denen sich nebst mir die erste Classe zusammensetzte, waren dem Rector im Griechischen überlegen, wenn sie auch keine gewandtern Gelehrten waren, als er, und erst recht nicht mehr, als er, 16
den Gracien zu opfern pflegten. Ich erinnere mich, daß wir Sophokles lasen, als ich neu eintrat, und es war uns, den gelehrigen Triumvirn der Oberprima, ein Gegenstand fortgesetzten Triumphes, unsern »Archididasculus« (so hörte er sich gern genannt werden) zu beobachten, wie er den Lehrstoff für die Stunde auswendig lernte, ehe er zu uns heraufkam, eine regelrechte Zündlinie auslegte mit Hülfe von Lexikon und Grammatik, um sämmtliche Schwierigkeiten, die er in den Chören vorfand, gleichsam in die Luft und in Stücke zu sprengen. Wir dagegen ließen uns nie dazu herab, unsre Bücher aufzuschlagen, bis zu dem Augenblick, da er oben eintraf, waren im Allgemeinen damit beschäftigt, Epigramme auf seine Perücke abzufassen oder andere, ähnlich gewichtige Dinge. Meine beiden Classenkameraden waren arm, und eine Zukunft an der Universität hing für sie von der Empfehlung des Rectors ab. Ich jedoch, der ich über ein kleines Vermögen von Vaters Seite her verfügte, und hievon mein Leben am College bestreiten konnte, ich wünschte sofort dorthin geschickt zu werden. Ich wurde in dieser Angelegenheit dringlich bei meinen Vormündern vorstellig, doch ohne jedes Ergebniß. Einer von ihnen, der mehr Vernunft besaß und bessere Kenntniß von der Welt, als die übrigen, lebte in einiger Entfernung, zwei von 17
den andern hatten alle Verfügungsgewalt in die Hände des vierten niedergelegt, und dieser vierte, mit dem ich zu verhandeln hatte, war ein achtbarer Mann auf seine Weise, jedoch hochfahrend, stur und unduldsam gegen Alles, was seinem Willen zuwider ging. Nach einer gewissen Anzahl von Briefen und persönlichen Unterredungen befand ich, daß ich mir von meinem Vormund nichts zu erhoffen hatte, nicht einmal einen Compromiß in der Sache. Was er verlangte, war bedingungslose Unterwerfung, und so verlegte ich mich auf andre Mittel und Wege. Der Sommer näherte sich mit raschen Schritten, es ging auf meinen siebzehnten Geburtstag zu. Von diesem Tage an, hatt’ ich mir im Innersten geschworen, sollte ich nicht mehr zu den Schulbuben gehören. Weil es mir vorrangig an Geld fehlte, schrieb ich einer Frau von hohem Stande, die, obgleich selbst noch jung, mich bereits als Kind gekannt, und zuletzt von großer Vornehmlichkeit mir gegenüber sich erzeigt hatte, ob sie mir wol fünf Guineen »leihen« möge. Mehr als eine Woche lang kam keine Antwort, ich begann an meiner Hoffnung zu verzweifeln; als schließlich ein Diener mir einen Großbrief mit einem Diadem auf dem Siegel aushändigte. Der Brief war freundlich und verbindlich abgefaßt, die schöne Absenderinn an die See gereist, und so war es zu 18
der Verzögerung gekommen. Sie hatte das Doppelte dessen beigelegt, was ich mir auserbeten hatte, und gab mir gutherziger Weise zu verstehen, daß, sollte ich es ihr niemals wieder zurückerstatten, sie nicht unweigerlich davon ruinirt würde. Nun denn, so war ich gerüstet für mein Unterfangen. Zehn Guineen, dazu ungefähr zwei, die ich von meinem Taschengeld zurückbehalten hatte, das schien mir auf unbegränzte Zeit ausreichend. Denn wenn in diesem frohgemuthen Alter keine ganz genau bestimmte Gränze die Kräfte sichtbar einschränkt, so lassen Hoffen und Freuen sie wahrhaft schrankenlos erscheinen. Es giebt da eine sehr wahre Bemerkung des Dr. Johnson (eine sehr gefühlvolle außerdem, was man nicht allzu oft von seinen Bemerkungen behaupten kann), daß man nie wissentlich etwas zum letzten Male thut (das meint das, was man lange Zeit zu thun gewohnt war) ohne eine Traurigkeit im Herzen. Diese Wahrheit erfuhr ich in ihrer Tiefe, als ich daran ging, —— zu verlassen, einen Ort, den ich nicht geliebt hatte, an dem ich nicht glücklich gewesen war. Am Abend, bevor ich —— verließ, hegte ich Kummer, als ich die altehrwürdig hochragende Aula vom Abendgottesdienste wiederhallen hörte, der zum letzten Male vor meinen Ohren abgehalten 19
wurde, und zur Nacht, als die Namen der Musterrolle nach aufgerufen wurden, der meine, wie üblich, zuerst, trat ich vor, verneigte mich im Vorübergehn vor dem Rector, der dabeistand, blickte ihm ernstgestimmt in’s Gesicht und dachte mir bei mir: »Er ist alt und kränklich, und ich werde ihn in dieser Welt nicht wiedersehen.« Ich hatte recht, ich sah ihn niemals wieder, werde ihn nie wiedersehen. Er sah selbstgefällig zurück zu mir, lächelte wolgesonnen, erwiederte meinen Gruß, oder besser gesagt mein Lebewol, und wir gingen, wenn er es auch nicht wußte, auf immer aus einander. Ich konnte ihn dem Verstande nach nicht achten, doch war er mir ausnahmslos freundlich begegnet, hatte mir vielerlei Annehmlichkeiten verstattet, und mich schmerzte der Gedanke an die Kümmerniß, die ich ihm verursachen würde. Der Morgen brach heran, der Morgen, der mich in die Welt frei setzen sollte, der meinem ganzen nachfolgenden Leben in vielen wichtigen Belangen seine Färbung verliehen hat. Ich logirte im Hause des Rectors, worin mir von meinem Eintritt an ein eigenes Zimmer, das mir als comfortabler Schlaf- und Arbeitsraum diente, überlassen gewesen war. Um halb vier Uhr stand ich auf, und blickte tiefbewegt nach den alten Thürmen von ——, die »in’s frühste Licht 20
gewandet« standen, und sich so eben mit dem strahlenden Glanze eines wolkenlosen Julimorgens tief zu röthen begannen. Ich war fest und unabbringlich in meinem Vorhaben, und doch aufgewühlt von Vorahndungen von unbestimmten Nöthen und Gefahren. Hätt’ ich den Orcan vorhersehn können, den ausgewachsnen Hagelsturm an Betreffnissen, die mich bald darauf befielen, ich hätte guten Grund gehabt, aufgewühlt zu seyn. Als anrührender Gegensatz hiezu bot sich der tiefe Morgenfriede dar, als Arznei gewisser Maaßen. Die Stille war grundsätzlicher, als die der Mitternacht. Die Stille eines Sommermorgens rührt mich stärker an, als alle andre Stille, weil das Licht um diese Zeit, stark und hell, wie zu andern Jahreszeiten am Mittag, sich von dem des Tages in der Vollendung scheinbar unterscheidet, hauptsächlich deßhalb, weil noch keine Menschen unterwegs sind. So scheint der Friede der Natur, der unschuldigen Geschöpfe Gottes tief und sicher, doch nur solange die Abwesenheit des Menschen, seines rastlosen unruhigen Geistes währt, und ihre Heiligkeit nicht stört. Ich kleidete mich an, nahm meinen Hut, meine Handschuhe, und verweilte noch ein wenig im Raume. Die verflossenen anderthalb Jahre lang war dies meine »gedankenvolle Citadelle« gewesen. Hier hatte 21
ich die Nächte Stund um Stunde lang gelesen und geforscht, und wenn ich auch in der That, ich, der ich für’s liebende, sanfte Empfinden gemacht war, im Laufe des Streits und fieberhaften Ringens mit meinen Vormündern zuletzt meinen heitren Frohsinn eingebüßt hatte, so hatte ich hier andererseits, hätte anders gar nicht können, als der leidenschaftlich den Büchern und geistigem Streben zugethane junge Mensch, der ich war, inmitten allgemeiner Niedergedrücktheit viele frohe Stunden ausgekostet. Ich weinte, wie ich den Blick umherwandern ließ, über Stuhl und Herd, Schreibtisch und all die andern langvertrauten Gegenstände. Zu gut wußte ich: Ich sehe sie zum letzten Male. Wie ich das hier niederschreibe, ist es achtzehn Jahre her, und doch sehe ich vor mir, in diesem Augenblick, in aller Deutlichkeit, als sey es gestern gewesen, Gesichtszüge und -ausdruck dort, wohin meine scheidenden Blicke zielten, auf dem Portrait der lieblichen ——, das über dem Kaminsims hing. So anmuthig waren Augen und Mund darauf, so viel Güte, solche göttliche Ruhe strahlte das Gesicht im Ganzen aus, daß ich wol tausend Mal die Feder, das Buch zur Seite gelegt hatte, um mir Trost daran einzuholen, wie der Gläubige vom Schutzheiligen. Während ich hierauf unverwandt blickte, verkündete die Uhr von —— 22
mit ihrem tiefen Tönen, daß es vier Uhr war. Ich trat an das Bild, küßte es, und ging dann hinaus, schloß hinter mir auf immer die Thür. * Anlässe zum Weinen und Anlässe zum Lachen sind im diesseitigen Leben so unentwirrbar einander untermischt, daß ich nicht ohne Heiterkeit dessen gedenken kann, was mir dann widerfuhr, was der Ausführung meines Planes beinahe ein sofortiges Ende gesetzt hätte. Ich besaß eine schwere, riesige Truhe, die nebst meinen Kleidern fast meine gesammte Bibliothek enthielt. Die Schwierigkeit nun bestand darin, diese zu einem Fuhrmann zu schaffen. Mein Raum befand sich in luftiger Höhe im Hause, und noch schlimmer war, daß die Treppe, die diesen Theil des Gebäudes mit dessen Rest verband, nur über eine Gallerie zu erreichen war, die an der Thür zum Zimmer des Rectors vorbei führte. Ich war der Liebling aller Bediensteten, und da ich gewiß seyn konnte, daß sie ein jeder mich decken und vertraulich handeln würden, theilte ich einem Burschen des Rectors von meiner Beklemmniß mit. Der Bursche gab mir seinen Eid darauf, daß er thun wollte, was immer ich wünschte, und als es an der Zeit war, lief er hoch, die Truhe herunter zu bringen. Dies ging, so fürchtete ich, über die 23
Kräfte eines jeglichen Menschen, jedoch der Bursche war einer Of Atlantean shoulders, fit to bear Mit Atlasschultern, zu tragen im Stande The weight of mightiest monarchies, Die Last mächtigster Königthümer,
und er hatte einen Rücken so weitgespannt, wie die Ebene von Salisbury. Daher bestand er darauf, die Truhe allein nach unten zu tragen, während ich am Fuße der untersten Treppenflucht bang dem Gange der Ereignisse entgegensah. Eine Zeit lang hörte ich ihn herabsteigen, mit langsamen, festen Schritten. Doch unglücklicher Weise, als er sich dem gefährlichen Abschnitte näherte, befiel ihn zittrige Furchtsamkeit, glitt ihm, wenige Schritte vor der Gallerie, der Fuß aus, fiel die machtvolle Last ihm von den Schultern, gewann von Stufe zu Stufe ihres Niederstürzens wachsende Stoßkraft, und als sie schließlich unten anlangte, fiel sie oder sprang vielmehr mit dem Geräusch von zwanzig Teufeln geraden Wegs gegen die Schlafzimmerthür des Archididasculus. Mein erster Gedanke war, daß Alles verloren war, meine einzige Chance, den Rückzug anzutreten, das Gepäck zu opfern. Indeß nach kurzem Nachdenken entschied ich, bei der Sache zu bleiben. Der Bursche befand sich in 24
äußerster Bange, um seiner selbst wie um meinetwillen, und trotzdem hatte das unglaublich Lachhafte des mislichen contretemps von seinem Hirne Besitz ergriffen, und ließ ihn in einen langen, klangvollen, lauten Lachgesang ausbrechen, daß wol selbst die Siebenschläfer davon aufgewacht wären. Angesichts derartig volltönender Lustigkeitsbezeigungen so dicht am Ohr der vor den Kopf gestoßnen Obrigkeit konnte ich nicht an mich halten, und fiel darein, weniger von dem mislichen Ungeschick, um nicht zu sagen der étourderie mit der Truhe hiezu bezwungen, sondern vielmehr von deren Auswirkungen auf den Burschen. Wir erwarteten Beide, daß nun selbstverständlich Dr. —— aus seinem Zimmer gestürmt käme, denn normaler Weise brauchte sich blos eine Maus zu regen, und er sprang hervor, wie eine englische Dogge aus ihrer Hütte. Doch sonderbar zu sagen, daß diesmal, als das Gelächter verstummt war, kein Geräusch, nicht einmal ein Rascheln aus dem Schlafzimmer drang. Dr. —— hatte eine schmerzhafte Beschwerniß, die ihn manches Mal wach hielt, die ihm wo möglich aber, so er dann welchen fand, um so tiefren Schlummer angedeihen ließ. Der Bursche schöpfte wachsenden Muth aus der Stille, nahm die Last wieder auf, und vollführte den restlichen Abstieg ohne Zwischenfälle. Ich wartete, bis ich 25
die Truhe, auf eine Schubkarre verstaut, den Weg zum Fuhrmanne einschlagen sah. Dann ging ich los, zu Fuß, »die Vorsehung zum Führer«. Im Arm trug ich ein Bündel, drin Wäsche-Utensilien, in der einen Hosentasche einen englischen Lieblingsdichter, ein Duodezbändchen mit ungefähr neun Dramen des Euripides in der andern. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, nach Westmorland zu gehen, theils aus Liebe, die ich zu diesem Landstrich hegte, theils aus andern persönlichen Gründen. Allein der Zufall gab meiner Wanderschaft eine andere Richtung, und ich lenkte meine Schritte in’s nördliche Wales. Nachdem ich eine Zeit lang in Denbighshire, Merionethshire und Caernarvonshire umhergewandert war, bezog ich Unterkunft in einem kleinen, saubern Haus in B—. Hier hätte ich in großer Annehmlichkeit viele Wochen lang bleiben können. Die Verpflegung in B— war billig, denn es gab auswärts kaum Märkte für den Productionsüberschuß dieser weitläufigen Landwirthschaftsregion. Aber ein Misgeschick, das wo möglich gar nicht zur Widrigkeit bestimmt war, trieb mich wieder hinaus auf Wanderschaft. Ich weiß nicht, ob mein Leser es schon einmal bemerkt hat, ich jedoch habe oftmals festgestellt, daß in England die stolzesten Menschen oder zumindest die, deren Stolz am offensten sich kund 26
thut, den Bischofsfamilien angehören. Adelige und ihre Kinder tragen schon in Form ihrer Titel sattsame Verkündigung ihres Ranges mit sich. Nein, mehr als das, allein schon ihre Namen, und dies gilt auch für viele Kinder unbetitelter Häuser, bedeuten dem englischen Ohr häufig hinreichende Hervorhebung hoher Geburt oder Abstammung. Sackville, Manners, Fitzroy, Paulet, Cavendish und Unmengen anderer, sie berichten ihre eigenen Geschichten. Solche Herrschaften finden somit von vorn herein überall das gehörige Gespür für ihre Ansprüche vor, außer bei denen, die kraft ihrer eigenen Unbekanntheit in Unkenntniß der Welt verharren: »Sie nicht kennen, das besagt, daß man selber unbekannt ist.« Ihre Umgangsformen nehmen die passenden Farbund Tonschattirungen an, und wenn sie es denn einmal für nöthig erachten, Jemandem zu einem Gespür für ihre Bedeutsamkeit zu verhelfen, so finden sie zugleich tausend Gelegenheiten zur Mäßigung und Milderung dieses Gespürs mittels höflicher Herabneigung. Mit den Bischofsfamilien verhält es sich anders. Bei ihnen ist Alles erbittertes Aufwärtsstreben, die eigenen Ansprüche bekannt zu machen. Der Antheil an Mitgliedern adeliger Familien unter den Inhabern der Bischofssitze ist zu keiner Zeit sehr groß, und so rasch folgt in diesen Ehrenstellungen der eine 27
Nachfolger dem andern, daß das Ohr der Öffentlichkeit selten Gelegenheit hat, mit ihnen vertraut zu werden, so es sie nicht gerade mit einer litterarischen Reputation in Verbindung bringen kann. Daher kommt es, daß Bischofskinder eine nüchterne Strenge und Zurückweisendheit an sich tragen, wie sie nicht allgemein anerkannte Ansprüche anzeigen, eine Art Noli-me-tangereManier, die sie angespannt jede allzu vertraute Annäherung fürchten, und mit der Empfindlichkeit von Gichtkranken bei jeder Berührung mit den gemeinen oÉ polloi zurückfahren läßt. Zweifellos wird ein gut bei Kräften befindlicher Verstand oder herausragende Wesensgüte Einen vor solchen Schwächen bewahren, doch wird die Wahrhaftigkeit meiner Darstellung im Allgemeinen anerkannt werden: Der Stolz, wenn schon nicht tiefer verwurzelt in solchen Familien, erscheint zumindest desto mehr an der Oberfläche ihrer Umgangsformen. Dieser Geist des Umgangs überträgt sich naturgemäß auf ihre Hausangestellten und andere von ihnen Abhängige. Nun war meine Wirthinn Zofe gewesen oder Amme in der Familie des Bischofs von ——, hatte sich erst kürzlich verheirathet und für den Rest ihres Lebens niedergelassen, wie solcherlei Leute das nennen. In einer Kleinstadt, wie B—, brachte es schon eine besondere Auszeichnung 28
mit sich, wenn Jemand bei einer Bischofsfamilie gewohnt hatte, und meine Wirthinn besaß in dieser Hinsicht noch ein Guttheil über die ihr anstehende Portion an dem vorerwähnten Stolz hinaus. Was »Excellenz« sagte, was »Excellenz« that, wie ungemein nützlich »Excellenz« im Parlament war, wie unentbehrlich in Oxford, das machte Tag um Tag die Hauptlast ihres Geredes aus. Ich ließ alles das ohne weiteres über mich ergehn, denn ich war zu gutmüthig, irgend wem in’s Gesicht zu lachen, und konnte der Geschwätzigkeit einer alten Magd große Nachsicht entgegenbringen. Jedoch mußte ich unvermeidlich in ihren Augen den Anschein ungenügender Beeindrucktheit von der Wichtigkeit des Bischofs erwecken, und vielleicht um mich für meine Gleichgültigkeit zu strafen, vielleicht nur zufällig, berichtete sie mir von einer Unterredung, die mich mittelbar zum Betroffenen hatte. Madame war im Bischofspalais gewesen, der Familie ihre Aufwartung zu machen. Nach dem Abendessen war sie in den Speisesaal gerufen worden. Als sie Bericht über ihr Wirthschaften bei sich zu Hause erstattete, kam sie dahin, zu erwähnen, daß sie ihre Zimmer vermiethet hatte. Daraufhin hatte der gute Bischof, wie es schien, die Gelegenheit genutzt, sie hinsichtlich der Auswahl ihrer Miether zur Vorsicht zu ermahnen. »Sie müssen 29
bedenken, Betty«, hatte er gesagt, »daß dieser Ort an der Hauptstraße nach Holyhead liegt, daß in Folge dessen Schaaren irischer Betrüger auf der Flucht vor ihren Schulden nach England, und Schaaren englischer Betrüger auf der Flucht vor ihren Schulden nach der Insel Man diesen Ort sehr wahrscheinlich in ihre Route mit einbeziehen.« Dieser Hinweis erging gewiß nicht ohne vernünftigen Grund, war aber doch eher geeignet, für Bettys allereigenstes Nachsinnen aufbewahrt, als nun ausgerechnet mir zugetragen zu werden. Was jedoch folgte, war um Einiges schlimmer. »Oh, Euer Excellenz«, hatte meine Wirthinn geantwortet, so wie sie mir die Angelegenheit schilderte, »ich glaube eigentlich nicht, daß dieser junge Mann ein Betrüger ist, denn –« – »Sie glauben eigentlich nicht, daß ich ein Betrüger bin?« sagte ich in empörter Aufwallung. »Für die Zukunft soll Ihnen die Mühe weiterer Gedanken hierüber erspart bleiben.« Und unverzüglich bereitete ich meine Abreise vor. Die gute Frau schien zu gewissen Zugeständnissen bereit, doch ein verächtliches hartes Wort, das ich, wie ich fürchte, über den gelehrten Würdenträger selbst fallen ließ, errege Empörung nun auch auf ihrer Seite, und so wurde eine Aussöhnung dann unmöglich. Ich war ausgesprochen verärgert, daß der Bischof auch nur im entferntesten Gründe 30
unterstellt hatte, einer Person zu mistrauen, die er nie gesehen hatte, und ich erwog, ihn meine Auffassung der Dinge auf Griechisch wissen zu lassen. Dies hätte in gewissem Maaße darauf hingedeutet, daß ich kein Betrüger war, und zugleich hätte es, so hoffte ich, den Bischof gezwungen, in selbiger Sprache zu antworten, und ich zweifelte nicht, daß in diesem Falle offenbar würde, daß ich zwar nicht so reich war, wie Seine Excellenz, aber der bessere Grieche. Ruhigeres Besinnen vertrieb jedoch diesen knabenhaften Plan aus meinem Sinn, denn ich zog in Betracht, daß der Bischof wol berechtigt war, einen alten Diener zu Rathe zu ziehen, und daß es nicht in seiner Absicht gewesen seyn konnte, daß sein Hinweis zu meinen Ohren käme, daß überdies dieselbe rauhe Art des Denkens, die das Fräulein Betty von dem Hinweis überhaupt mir hatte berichten lassen, diesen in einer Art eingefärbt haben konnte, die mehr ihren eigenen Vorstellungen entgegenkam, als den von dem würdigen Bischof thatsächlich gebrauchten Formulirungen. Ich verließ die Unterkunft noch zu derselben Stunde, und dies stellte sich als ein für mich sehr misgünstiges Geschehniß heraus. Da ich in der Folge gezwungen war, in Gasthäusern zu logiren, floß mir mein Geld sehr schnell dahin. Nach vierzehn Tagen mußte ich mich auf schmale Kost 31
einschränken, das heißt ich konnte mir nur mehr Eine Mahlzeit am Tag genehmigen. Andauernde körperliche Bewegung rief in meinem jugendlichen Magen einen kräftigen Appetit hervor, die Bergesluft that ein Übriges, und so begann ich alsbald sehr unter dieser rigiden Diät zu leiden, denn die einzige Speise, die ich zu bestellen wagen konnte, war Caffee oder Thee. Aber selbst hievon hatte ich alsbald abzurücken, worauf ich für die verbleibende Dauer meines Aufenthalts in Wales von Brombeeren, Hagebutten, Mehlbeeren und dergleichen lebte, sofern ich nicht, wie mitunter geschah, als Gegenleistung für kleine Dienste, die ich gelegentlich erbringen konnte, zum Essen eingeladen wurde. Hin und wieder verfaßte ich geschäftliche Briefe für den einen oder andern Häusler, der Verwandte in Liverpool etwa oder in London hatte. Häufiger schrieb ich Liebesbriefe an die Herzensblätter junger Frauen, die in Shrewsbury oder in andern Städten entlang der englischen Gränze als Hausbedienstete gearbeitet hatten. Bei allen derartigen Gelegenheiten stellte ich meine bescheidenen Freunde bestens zufrieden, und man trat mir immerzu mit Gastfreundschaft entgegen, und dies besonders einmal, nahe dem Dorf Llan-y-styndw (oder sonst so ein Name), in einem abgelegenen Theil von Merionethshire. Hier wurde ich ganze drei Tage lang 32
von einer Gruppe junger Geschwister mit liebevoller, brüderlicher Freundlichkeit beherbergt, die einen bis heute nicht verblaßten Eindruck in mein Herz gesetzt hat. Bei den zu jener Zeit in der Hütte Anwesenden handelte es sich um vier Schwestern und drei Brüder, Alle erwachsen und Alle von bemerkenswerth feiner und gewandter Sitte. Ich kann mich nicht erinnern, zuvor jemals oder seither wieder bei brittischem Landvolk, außer einmal oder zweimal in Westmorland und Devonshire, so viel Schönheit, so viel Wolerzogenheit und Anstand von Geburt an erlebt zu haben. Sie sprachen Englisch, was Einem sonst bei so vielen Mitgliedern Einer Familie nicht sehr häufig begegnet, zumal in Dörfern abseits der Hauptstraße. Hier schrieb ich, gleich nachdem ich mich vorgestellt hatte, einen Brief in der Sache eines Prisengeldes für einen der Brüder, der auf einem englischen Kriegsschiff gedient hatte, und im mehr Privaten zwei Liebesbriefe für zwei der Schwestern. Die Mädchen waren beide hübsch anzusehen, und eines war von außergewöhnlichem Liebreiz. Wie sie mir dictirten; besser gesagt, wie sie mir allgemeine Anweisungen gaben, bei all dem Gestotter und Rothwerden, da bedurfte ich keiner großen Durchdringungsgabe, zu entdecken, daß, was sie wünschten, Briefe waren so herzlich, als gerade 33
mit dem ihnen anständigen Jungfernstolz vereinbar. Ich brachte es dahin, meine Ausdrucksweise so weit zu mäßigen, daß beiden Regungen versöhnliche Befriedigung widerfuhr, und die Zwei waren davon, wie ich ihren Gedanken Ausdruck verliehen hatte, gerade so angethan, wie sie verwundert waren in ihrer Einfalt, daß ich ihnen so schnell dahintergekommen war. Der Anklang, den man bei den Frauen einer Familie findet, bestimmt im Allgemeinen den Grundton des ganzen Auskommens mit dieser. In vorliegendem Falle hatte ich mich meiner vertrauensvollen Sekretärspflichten zur allgemeinen Zufriedenheit entledigt, hatte vielleicht auch mit meiner Conversation gefallen, und so wurde ich mit solcher Herzlichkeit zum Verweilen gedrängt, daß ich kaum geneigt seyn konnte, mich zu widersetzen. Ich schlief bei den Brüdern, da das einzige freie Bett im Zimmer der jungen Damen stand, doch ansonsten traten die Geschwister mir mit einer Hochachtung entgegen, wie sie Einem mit einer so dünnen Brieftasche, wie der meinen damals, üblicher Weise kaum begegnet; gerade so, als wäre meine Bildung Beweises genug gewesen, daß ich von »edlem Blute« war. So wohnte ich drei Tage und den Guttheil eines vierten lang bei ihnen, und der unverminderten Freundlichkeit nach zu urtheilen, die sie mir erwiesen, würde ich 34
heute noch bei ihnen weilen, wenn sie nur an Möglichkeiten ihren Wünschen gleich gekommen wären. Jedoch am letzten Morgen, wie sie beim Frühstück saßen, erblickte ich in ihren Mienen, was auf eine bevorstehnde unangenehme Mittheilung hindeutete. Bald darauf erklärte mir einer der Gebrüder, daß seine Eltern am Tage vor meiner Ankunft zu einem Methodistentreffen nach Caernarvon gegangen waren, und daß sie für den heutigen Tag zurück erwartet wurden. »Und wenn sie vielleicht nicht so höflich sind, wie sie seyn sollten«, so möge ich es, bat er mich stellvertretend für alle Geschwister, nicht übel nehmen. Die Eltern kehrten heim, mit verschlossenen Gesichtern und »dym sassenach« (»kein Englisch«) zur Antwort auf Alles, was ich zu ihnen sprach. Ich sah den Stand der Dinge ein und ging, nachdem ich von meinen freundlichen und einnehmenden jungen Gastgebern herzlichen Abschied genommen hatte, meiner Wege. Denn obgleich sie zu den Eltern wärmstens für mich sprachen, obgleich sie oftmals das Benehmen der alten Leute entschuldigten, indem sie sagten, so sey das nun einmal »ihre Art«, so verstand ich doch wol, daß meine Talente zum Liebesbriefeschreiben bei zwei gestrengen walisischen Methodisten von mehr, als sechzig Jahren, mir eben so wenig als Empfehlung dienen konn35
ten, wie meine sapphischen oder alkäischen Verse auf Griechisch, und daß Gastfreundschaft, wie sie mir von meinen jungen Freunden mit solch großer Höflichkeit erzeigt worden war, in Verbindung mit dem harschen Betragen dieser alten Leute zur Mildthätigkeit gerathen mußte. Herr Shelley liegt bestimmt richtig mit seinen Vorstellungen über das Alter: Wenn ihm nicht allerlei starke Kräfte entgegenwirken, dann ist es ein armseliger Schädling und Verderber für Menschlichkeit und Wolgesonnenheit des Herzens. Wenig später gelangte ich, auf Wegen, die ich aus Platzmangel nicht schildern kann, nach London, und hier begann nun der letzte und durchaus schlimmere Abschnitt meiner langen Leiden – meiner Qualen, wie ich sie ohne Übertreibung nennen darf. Denn nun durchlitt ich, sechzehn ganze Wochen lang, Hungerspein aller Grade, schmerzhaft, wie sie nur je ein Mensch, der Solches überlebt hat, erduldet haben mag. Ich möchte die Empfindungen meiner Leser nicht unnöthiger Weise mit Einzelheiten dessen strapaciren, was ich durchlebte, denn derartiges kann Niemand, selbst in der Beschreibung, selbst wenn schwerstes Fehlverhalten oder eigenes Verschulden vorliegen, ohne ein mitfühlendes Erbarmen mit ansehen, das der wesenseigenen Güte des Herzens weh thut. Es soll damit ein Bewen36
den haben, zumindest hier und jetzt, daß ich erwähne, daß einige Brodkrume vom Frühstückstisch einer Person, die mich für krank erachtete, und meine tiefe Noth nicht ahndete, meine ganze unverläßliche, unregelmäßige Verpflegung darstellten. In der ersten Phase meiner Leiden, das heißt die ganze Zeit über in Wales und während der ersten zwei Monate in London, war ich obdachlos und schlief zumeist im Freien. Der frischen Luft, die mich fortwährend umgab, schreibe ich es zu, daß ich nicht in meinem Leid versank. Später, als dann kühlere und unbehaglichere Wetter aufkamen, als ich, bedingt durch das lange Fortdauern meiner Qualen, abzustumpfen begonnen hatte, da kam es mir zweifelsohne recht gelegen, daß dieselbe Person, die mir den Zugang zu ihrem Frühstückstisch gestattete, mich in einem großen, unbenutzten, in ihrem Besitz befindlichen Hause wohnen ließ. Unbenutzt nenne ich es, denn es gab darin keine Haushaltung, ja nicht einmal Meubles, abgesehn von einem Tisch und ein Paar Stühlen. Allerdings fand ich heraus, nachdem ich von meiner neuen Behausung Besitz ergriffen hatte, daß sie Einen Bewohner schon beherbergte, nämlich ein armes einsames Kind, zehn Jahre augenscheinlich alt; doch hatte der Hunger an ihr genagt, und derlei Entbehrungen lassen Kinder häufig älter aus37
sehn, als sie sind. Ich erfuhr von dem beklagenswerthen Mädchen, daß es vor meinem Hinzukommen bereits über längere Zeit hier gewohnt und geschlafen hatte. Sie brach in große Freude aus, als sie erfuhr, daß in Zukunft ich ihr in den Stunden der Dunkelheit Gesellschaft leisten würde. Das Haus war geräumig, und seiner Unmeublirtheit wegen schallte das Geräusch der Ratten Ehrfurcht gebietend durch das weitläufige Treppenhaus, die Eingangshalle, und das sich selbst überlaßne Kind hatte inmitten der körperlich wirklichen Übel der Kälte und, wie ich fürchte, des Hungers, auch noch Zeit gefunden, viel mehr noch, wie sich herausstellte, unter dem selbstgeschaffenen von Gespenstern zu leiden. Ich sagte ihr Schutz gegen Geister jeglicher Art zu, aber ach ! Andern Beistand konnt’ ich ihr nicht leisten. Wir lagerten auf dem Boden, mit einem Bündel schmutziger Gesetzespapiere als Kissen, und wir hatten nichts zur Decke als eine Art weiten Reiterumhang. Erst später entdeckten wir in einem Kämmerlein einen alten Sophaüberwurf, den Fetzen einer Wolldecke und andre Bruchstücke ähnlicher Gegenstände, die ein Weniges thaten, daß uns wärmer wurde. Um der Wärme willen und um vor ihrer Geisterfeindesschaar in Sicherheit zu gelangen, kroch das arme Kind dicht an mich heran. War ich nicht gerade 38
noch kränker, als für gewöhnlich schon, dann nahm ich sie in den Arm, so daß ihr meist leidlich warm war, und sie schlief, wenn ich nicht schlafen konnte. Ich schlief viel tagsüber während der letzten beiden Monate meiner Leiden, und döste oftmals und zu jeder Tages- und Nachtzeit vorübergehend ein. Doch mein Schlafen war mir entsetzlicher, als das Wachen, denn abgesehn von der Aufrührigkeit meiner Träume, die blos nicht ganz so furchtbar waren, wie die vom Opium hervorgerufenen, die ich später noch zu beschreiben haben werde, war mein Schlaf zudem nie mehr, als das, was man auf Englisch einen Hundsschlaf nennt, so daß ich mich selber aufstöhnen hörte, und häufig, wie mir schien, von meiner eignen Stimme plötzlich erwachte. Und es begann zu jener Zeit, sobald ich in Schlummer fiel, ein schreckliches Gefühl, das seither zu verschiedenen Zeiten meines Lebens wieder über mich gekommen ist, mich heim zu suchen, eine Art Zucken, ich weiß nicht, wo, aber offensichtlich in der Umgegend meines Magens, und um mich seiner zu entledigen war ich gezwungen, meine Füße mit ganzer Kraft von mir zu schleudern. Weil dies Gefühl aufkam, sobald ich einschlief, und weil ich, indem ich mich seiner entledigte, ständig erwachte, schlief ich dauernd blos der Erschöpfung halber, und durch fortgesetzten 39
Kräfteschwund schlief ich fortwährend ein, wie gesagt, und erwachte fortwährend wieder. Unterdessen stieß der Hausherr manchmal ganz plötzlich in aller Frühe zu uns, ein andermal nicht vor zehn Uhr, manchmal auch überhaupt nicht. Er lebte in ständiger Furcht vor dem Gerichtsvollzieher und schlief, indem er das Cromwellsche Verfahren perfectionirte, jede Nacht in einem andern Viertel Londons. Ich konnte beobachten, wie er durch ein eigenes Fenster ausnahmslos den Anschein jener begutachtete, die an die Hausthüre klopften, ehe er gestattete, daß sie ihnen geöffnet würde. Er frühstückte immer allein, und sein Zubrod zum Thee hätte ihm auch kaum erlaubt, die Einladung eines Zweiten zu wagen – kaum mehr, als die Menge an eßbarem matériel, die, im Großen und Ganzen aus wenig mehr als einem Wecken oder einigen Cakes bestehend, er auf dem Wege von seinem Schlafplatz eingekauft hatte. Hätte er aber trotzdem Gäste zu sich gebeten, dann hätten diese, wie ich einmal klug scherzend zu ihm bemerkte, im Verhältniß nicht etwa der Coexistenz, wie das die Metaphysiker nennen, sondern in dem der Succession zu einander stehen müssen (nicht etwa sitzen), und zwar in einem Verhältniß der Zeittheile zu einander, nicht in einem der Raumtheile. Wenn er frühstückte, fand ich mir im Allgemeinen einen 40
Grund, um ihn herum zu seyn, und mit dem Anschein höchsterlänglicher Gleichgültigkeit nahm ich an mich, was er an Reststückchen übrig ließ – und das war so manches Mal auch gar nichts. Indem ich dies that, raubte ich Keinem etwas, außer dem Manne selbst, der dadurch ab und zu genöthigt war, glaube ich, des Mittags noch einmal nach Cakes zu schicken. Was nämlich das arme Kind anging, so wurde sie niemals in sein Arbeitszimmer (wenn ich das, worin hauptsächlich Pergamente, juristische Schriftstücke und dergleichen lagerten, so nennen kann) eingelassen; so war es für sie das Blaubartzimmer im Hause, das verschlossen wurde, wenn er um etwa sechs Uhr zum Abendessen ausging, und das war dann für gewöhnlich sein Weggang für die Nacht. Ob das Mädchen eine uneheliche Tochter des Herrn —— war oder nur eine Dienerinn, ich konnte es nicht zur Gewißheit feststellen. Sie wußte dies auch selbst nicht. Doch ganz sicher war, daß sie, alles in allem, wie eine niedere Bedienstete behandelt wurde. Kaum daß Herr —— erschien, ging sie nach unten, reinigte ihm Schuhe, Mantel u. s. w. Nie, es sey denn, sie wurde mit einem Bothengang beauftragt, tauchte sie aus dem schauerlichen Tartarus der Räumlichkeiten von Küche u. s. w. in die Oberwelt auf, ehe nicht des Abends mein Klopfen zur Begrü41
ßung ihre zitternden Schrittchen an die Hausthüre rief. Von ihrem Thun den Tag über weiß ich wenig, nur was ich ihren eigenen Berichten in der Nacht entnehmen konnte, denn so wie die Geschäftsstunden begonnen hatten, wurde meine Anwesenheit sichtlich verzichtbar, und ich ging daher zumeist fort, saß im Park oder sonst wo, bis die Nacht hereinbrach. Doch wer oder was war bei all dem der Hausbesitzer selbst ? Leser, er war einer jener irregulär in den niedern Gefilden der Juristerei Thätigen, die – wie soll ich sagen – die sich aus Gründen der Bedachtsamkeit oder aus Nothwendigkeit voll und ganz das luxurieuse Laster eines allzu feinfühligen Gewissens versagen (eine Umschreibung, die sich erheblich kürzer fassen ließe, doch überlasse ich das dem Geschmack des Lesers). Auf vielerlei Lebenswegen fällt Einem ein Gewissen theurer zur Last, als eine Frau oder ein Automobil, und gerade so, wie man vom »Stillegen« seines Wagens redet, hatte mein Freund, der Herr ——, vermuthe ich, sein Gewissen vorübergehend »stillgelegt«, in der Absicht zweifelsohne, es wieder in Betrieb zu nehmen, sobald er es sich leisten konnte. Das innere Wirthschaften im Alltag eines solchen Menschen gäbe ein befremdliches Bild ab, könnte ich mir erlauben, auf seine Kosten den Leser zu belustigen. Selbst im engen 42
Rahmen meiner begränzten Möglichkeiten zur Beobachtung dessen, was vor sich ging, sah ich viele Scenen Londoner Intrigirens, verwickelter Schiebereien, »Kreis und Beikreis, Umlaufbahn in der Umlaufbahn«, die mich noch heute schmunzeln machen – und über die ich damals schmunzelte, meinem ganzen Elend zum Trotz. Doch ließ mich meine Lage zu jener Zeit kaum Eigenschaften des Herrn —— kennen lernen, außer solchen, die ihm zur Ehre gereichten, und ich muß von seinem eigenthümlichen Karakter Alles vergessen, außer daß er sich mir gegenüber hülfsbereit zeigte und großzügig, soweit es in seinen Kräften stand. Mit denen zwar war es nicht eben weit her, doch wohnte ich miethfrei, wie die Ratten auch, und so, wie Dr. Johnson an einer Stelle vermerkt, daß er gerade einmal in seinem Leben so viel Spalierobst zur freien Verfügung hatte, wie er nur eben essen konnte, so lasse man mich dankbar seyn, daß ich dieses eine Mal eine Auswahl an Zimmern in einem Londoner Herrenhaus hatte so groß, wie ich sie mir nur wünschen konnte. Mit Ausnahme des Blaubartzimmers, von dem das arme Kind glaubte, daß es darin spukte, standen uns alle andern Räume zur Verfügung, vom Dachboden bis hin zum Keller. »Die ganze Welt lag uns zu Füßen«, und wir schlugen unser Zelt 43
für die Nacht auf an welchem Orte immer wir wollten. Ich habe das Haus bereits als ein weiträumiges beschrieben. Es befindet sich in augenfälliger Lage, in einer wolbekannten Gegend von London. Ich bezweifle nicht, daß viele meiner Leser binnen Stunden, nachdem sie dies gelesen haben, es passiren werden. Was mich selbst anbelangt, so statte ich ihm, wann immer Geschäfte mich nach London führen, einen Besuch ab. Just in der heutigen Nacht, am 15. August 1821, meinem Geburtstag, ungefähr um zehn, habe ich auf meinem Abendspazirgang meine Schritte dorthin gelenkt, Oxford Street hinunter, um einen Blick darauf zu werfen. Es wird jetzt von einer ehrbaren Familie bewohnt, und ich konnte im Lichte des vordern Wohnzimmers eine häusliche Runde beobachten, wahrscheinlich zum Thee versammelt, und ganz offensichtlich frohgestimmt und heiter – wundersamer Contrast zu der Dunkelheit, Kälte, Stille, Verlassenheit eben dieses Hauses achtzehn Jahre früher, als darin nächtens ein darbender Scholar hauste und ein ausgesetztes Kind. Ich habe übrigens in spätern Jahren vergebens versucht, das Kind wieder aufzuspüren. Sie war, von der Lage abgesehen, in der sie sich befand, nicht, was man ein interessantes Kind nennen wollte, weder besonders hübsch, noch von schneller Auffassungsgabe noch von 44
sonderlich erfreulichen Manieren. Aber Gott sey’s gepriesen, selbst in jenen Jahren bedurfte ich nicht schönender Romanzuthaten, um mir meine Zuneigungen abzugewinnen. Die ganz gewöhnliche menschliche Natur, in ihrem allerbescheidensten Hausgewand, genügte mir. Ich liebte das Kind, denn sie war meine Elendsgenossinn. Wenn sie noch lebt, ist sie nun wahrscheinlich Mutter, hat eigene Kinder, doch konnte ich sie, wie gesagt, nicht wieder aufspüren. Ich bedaure das. Doch gab es zu jeder Zeit einen andern Menschen, den ich mit ungleich tieferm Ernst seither wieder aufzufinden bestrebt gewesen bin, und mit ungleich tieferer Trauer ob meines Miserfolges. Dieser Mensch war eine junge Frau, eine aus der Classe jener Unglücklichen, die von ihren Einkünften aus der Prostitution leben. Ich empfinde nicht Schaam, habe hiezu auch nicht Grund, einzugestehen, daß ich damals mit vielen in solch mislicher Lage befindlichen Frauen auf freundschaftlich vertrautem Fuße stand. Der Leser muß über dieses Eingeständniß gar nicht das Gesicht verziehn, noch muß er sich daran stören. Ich brauche meine classisch bewanderten Leser nicht an das alte lateinische Sprichwort »Sine Cerere« u. s. f. erinnern, denn allein der Stand meiner Financen damals legt nahe, daß meine Verbindungen zu diesen Frauen nicht un45
züchtiger Art gewesen seyn können. Thatsache ist, daß ich zu keiner Zeit meines Lebens ein Mensch gewesen bin, der sich befleckt meint, wenn er irgend ein Geschöpf mit menschlicher Gestalt berührt oder sich ihm nähert. Ganz im Gegentheil, es war mir mein Stolz von frühster Jugend an, mit allen Menschen, die mir das Schicksal in den Weg werfen mochte, Männern, Frauen, Kindern, vertraulich nach sokratischplatonischer Art zu verkehren, eine Verfahrensart, wie sie der Kennerschaft der menschlichen Natur und allen aufrechten Regungen urverwandt ist und einer Offenheit im Zwischenmenschlichen, die Einem so gut zu Gesichte steht, will man für einen Philosophen gehalten werden. Der nämlich darf nicht mit den gleichen Augen sehen, wie der arme Beschränkte, der sich da Mann von Welt schimpft, und ganz von kleinkarirten, selbstgefälligen Standes- und Bildungsdünkeln erfüllt ist. Vielmehr muß der Philosoph sich selbst als allbetreffliches Wesen betrachten, als im gleichen Verhältniß zu Obern wie zu Untern stehend, zu Gebildeten wie zu Ungebildeten, zu Schuldigern wie zu Unschuldigen. Da ich zu jener Zeit aus Noth Peripatetiker war, ein Wandelgänger, umherstreifender Stadtstreicher in den Straßen, so gerieth ich naturgemäß des häufigern an jene andern Peripatetikerinnen, die 46
man fachgerecht als Strich- oder auch Straßenmädchen bezeichnet. Viele dieser Frauen hatten gelegentlich Partei für mich ergriffen gegen Hauswächter, die mich von Treppen, auf denen ich saß, vertreiben wollten. Eine aber unter ihnen, um derentwillen ich die ganze Angelegenheit überhaupt aufgebracht habe – aber nein doch ! Ich werde doch dich nicht, dich Edelsinnige, Ann ——, unter diese Frauen classificiren. Laß mich ein sachteres Wort, wenn es denn eines giebt, für den Stand derer finden, deren Großherzigkeit und Mitgefühl, deren Diensten an mir in der Noth, als ich von aller Welt verlassen stand, ich’s zu danken habe, daß ich noch am Leben bin. – Viele Wochen lang war ich Nachts gemeinschaftlich mit diesem armen, freundlosen Mädchen Oxford Street auf und ab gelaufen, hatte mit ihr auf Treppenstufen, unter Säulenvordächern Rast gemacht. Ihr Alter war mit Sicherheit geringer, als das meine, und ihren Erzählungen nach hatte sie ihr sechzehntes Lebensjahr noch nicht vollendet. Durch Fragen, wie sie mein Interesse für sie mich an sie stellen ließ, hatte ich nach und nach ihre schlichte Geschichte beisammen. Ihr Fall war einer, wie er oftmals vorkam (dies anzunehmen bekam ich später Anlaß), und einer, in dem bei flexiblerer Gestaltung des socialen Netzes in London durchaus inner47
halb des bestehenden Gesetzesrahmens schützend und wieder gut machend hätte eingegriffen werden können. Doch der Strom der Londoner Armengelder fließt in Kanälen, die, obgleich gewaltig und tief, dennoch lautlos sich unter der Erde befinden, kaum sichtbar, schwer zugänglich für heimathlos Umherziehnde, und man kann nicht leugnen, daß die Londoner Gesellschaft, ihrem äußern Anschein nach wie in ihrem innern Gefüge, hart, grausam und abstoßend ist. Jedenfalls sah ich, daß das ihr Zugestoßne zum Theil wieder gut gemacht hätte werden können, und ich drängte ihr gegenüber häufig ernstlich darauf, daß sie ihre Beschwernisse einem Ombudsmann vortrüge. Ich versicherte ihr, daß sie so ohne jeden Beistand, wie sie war, unmittelbar auf Gehör stoßen würde, und daß die englische Gerichtbarkeit, die ohne Ansehen der Person urtheilte, sie schnell und umfassend sühnen würde bei dem brutalen Verbrecher, der ihr das kleine Besitzthum geraubt hatte. Sie versprach mir oftmals, daß sie es so thun wollte, doch Mal um Mal schob sie’s hinaus, die von mir dargelegten Schritte zu unternehmen. Sie war scheu und niedergedrückt in einem Maaße, das zeigte, wie sehr von Kummer ihr junges Herz durchdrungen war. Auch dachte sie vielleicht zu Recht, daß selbst der aufrechteste Richter, der gerechteste 48
Gerichtshof nichts ausrichten konnte, die ihr zugefügten Frevelthaten aus der Welt zu schaffen. Trotzdem wäre wo möglich doch noch etwas geschehen, denn wir hatten schließlich vereinbart, unglücklicher Weise nur gerade dann, als ich sie zum vorletzten Male gesehen haben sollte, daß wir den nächsten oder übernächsten Tag gemeinsam zu einem Ombudsman gehen und ich für sie dort vorsprechen würde. Doch war’s beschieden, daß ich diesen kleinen Dienst niemals ihr erweisen sollte. Unterdessen leistete sie mir einen andern Dienst, einen höhern, als ich ihn jemals ihr hätte vergelten können, nämlich diesen: Eines Nachts, als wir schleppend Oxford Street entlangschritten, nach einem Tag, an dem ich mich über das gewöhnliche Maaß hinaus kränklich und schwächlich gefühlt hatte, da bat ich sie, mit mir auf den Soho Square hinüber zu gehen. Dort angelangt, ließen wir uns auf der Treppe eines Hauses nieder, an dem ich selbst heute noch nicht ohne schmerzhaften Stich in die Seele vorübergehen kann, und nicht ohne eine Aufwallung von Ehrfurcht vor diesem unglücklichen Mädchen, wenn ich der noblen That gedenke, die sie sodann vollbrachte. Wir saßen da, ich hatte den Kopf an ihren Busen gelegt; da wurde mir plötzlich ganz übel, und unvermittelt entsank ich ihren Armen, fiel rücklings auf die Treppen49
stufen. Aus dem, was ich hiebei empfand, erwuchs mir in lebhaftester Weise die Überzeugung, daß ich, wenn mir nicht von irgend einem kräftigenden Mittel Anregung zu neuem Leben widerführe, entweder auf der Stelle sterben, oder aber wenigstens in so tiefe Erschöpfung sinken würde, daß unter meinen so freundlosen Umständen alsbald keine Hoffnung mehr bestünde, daß ich jemals wieder daraus hervorkäme. In diesem schicksalsschweren Augenblick geschah es, daß meine arme, schutzlose Begleiterinn, der selber kaum je Anderes, als Erniedrigung in dieser Welt begegnet war, ihre rettende Hand nach mir ausstreckte. Indem sie erschrocken aufschrie, doch ohne einen Moment zu zagen, rannte sie los, zur Oxford Street, und schneller, als man sich’s irgend hätte vorstellen können, kehrte sie zu mir zurück, ein Glas gewürzten Port-Weins in Händen, der eine sofortig kräftigende Wirkung auf meinen leeren Magen ausübte – jede feste Nahrung hätte der zu jenem Zeitpuncte zurückgewiesen. Das freigiebige Mädchen, es hatte ohne Murren aus ihrer eigenen bescheidenen Casse für das Glas bezahlt zu einer Zeit, nie soll es vergessen seyn, zu der sie selbst kaum genug besaß, das bloße Lebensnothwendige für sich zu kaufen, zu der sie auch keinerlei Anlaß haben konnte, von mir zu erwarten, daß ich’s ihr je zurückerstatten 50
würde. Oh jugendliche Wolthäterinn ! Wie oft habe ich mir in nachfolgenden Jahren, wenn ich an einsamer Stelle stand, und deiner mit schmerzerfülltem Herzen voll der Liebe gedachte, wie oft hab’ ich mir gewünscht, daß so, wie in frühern Zeiten, da man glaubte, daß eines Vaters Fluch eine übernatürliche Kraft inne wohne, die ihn sein Ziel unentkömmlich finden und in Erfüllung gehen lasse, daß so auch den Fürbitten eines vor Dankbarkeit überquellenden Herzens besonderes Vorrecht verliehen sey, die himmlische Macht eingegeben, dich zu jagen, dir nachzusetzen, aufzulauern, dich einzuholen, dich bis in’s Dunkel der Mitte eines Londoner Bordells, ja wenn möglich bis in’s Grabesdunkel zu verfolgen, um dort dich mit verbürgter Bothschaft des Friedens, der Vergebung und letztendlicher Versöhnung aufzuerwecken. Ich weine nicht oft. Nicht nur, daß meine Gedanken über mit den menschlichen Hauptanliegen in Zusammenhang stehenden Sachverhalten täglich, nein stündlich in Tiefen tausend Faden »für Thränen zu tief« eindringen, nicht nur, weil die Strenge meiner Denkgewohnheiten gegen die Regungen steht, die Thränen hervorrufen – und die nothwendiger Weise denen fehlen, die, durch ihren Leichtsinn für gewöhnlich gegen alle trauervolle Nachdenklichkeit gefeit, auf Grund 51
eben dieses Leichtsinns unfähig sind, ihr bei einem gelegentlichen Aufkommen solcher Regungen zu widerstehen – sondern auch, weil ich glaube, daß alle Köpfe, die so tief, wie ich, in derartige Sachverhalte eingedrungen sind, zu ihrer Beruhigung frühzeitig einen Glauben an ein Sichausgleichen menschlichen Leidens in der Zukunft, an einen darin eingemeißelten geheimen Sinn hegen und pflegen müssen, um sich vor völliger Verzweiflung zu bewahren. Aus diesem Grunde bin ich von jeher frohen Muths und weine, wie gesagt, nicht oft. Aber es giebt Regungen, die, wenn auch nicht tiefer oder leidenschaftlicher, so doch zarter sind, als andere, und wenn ich heut zu Tage im Traumeslicht der Laternen von Oxford Street umhergehe, die Leierkastenweisen höre, die vor Jahren mich und meine liebste Gefährtinn (wie ich sie auf immer nennen muß) trösteten, so vergieße ich Thränen, und sinne bei mir nach über die räthselhafte Schicksalsfügung, die uns so plötzlich und einschneidend für immer von einander trennte. Wie das vor sich ging, erfährt der Leser in dem nun noch verbleibenden Abschnitt dieses hinführenden Berichtes. Bald nach der Zeit des zuletzt von mir protocollirten Ereignisses traf ich, in der Albemarle Street, einen Herrn aus der Hofhaltung Seiner 52
Majestät, des verstorbenen Königs. Dieser Herr hatte zu verschiedenen Gelegenheiten die Gastfreundschaft meiner Familie genossen, und er sprach mich an wegen der starken Ähnlichkeit, die mit dieser mich verband. Ich versuchte keine Ausflüchte, beantwortete seine Fragen wahrheitsgetreu, und nachdem er mir sein Ehrenwort gegeben hatte, daß er mich nicht an meine Vormünder verriethe, gab ich ihm meinen Anwaltsfreund als Adresse an. Den folgenden Tag erhielt ich eine Banknote über zehn Pfund von ihm. Der Brief, worin sie enthalten, wurde zusammen mit andern, geschäftlichen Briefen dem Anwalt überbracht, doch obgleich dessen Blicke, sein ganzes Verhalten dabei ersichtlich machten, daß er den Inhalt des Umschlags erahndete, gab er ihn anstandslos ehrlich an mich weiter. Dies Geschenk bringt mich, wegen des besondern Zwecks, zu dem es verwandt wurde, darauf, von dem zu sprechen, was mich nach London gezogen hatte, und was ich vom Tage meiner Ankunft an bis zu dem meiner Abreise dort prakticirte, um ein Wort aus der Sprache der Jurisprudenz zu gebrauchen. Es wird meine Leser verwundern, daß ich in einem so gewaltigen Mikrokosmos, wie der Stadt London, nicht irgend eine Möglichkeit fand, mein Absinken in äußerste Armuth abzuwenden. 53
Auch werden sie bemerken, daß zumindest zwei Einkommensquellen mir offen standen, nämlich entweder Freunde meiner Familie um Beistand anzugehen, oder meine jugendlichen Gaben und Fertigkeiten in irgend einer Weise zu Quellen geldlicher Einkünfte auszugestalten. Was ersteres anbelangt, so darf ich anmerken, daß das, was ich vor allen sonstigen Übeln am meisten fürchtete, die Möglichkeit war, wieder meinen Vormündern unterstellt zu werden, und ich zweifelte nicht, daß diese alle von Gesetzes wegen ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gegen mich aufgewandt hätten, das Äußerste wahr zu machen, mich nämlich zwangsweise wieder der Schule zuzuführen, die ich verlassen hatte. Dies hätte in meinen Augen eine Entehrung bedeutet, selbst wenn ich mich aus freien Stücken darein gefügt hätte, und es hätte unweigerlich, wenn man mich unter muthwilliger Misachtung meiner Wünsche, meinen Bestrebungen zum Hohn dazu genöthigt hätte, eine Herabwürdigung bedeutet schlimmer, als der Tod, und mit meinem Tode hätte sie auch ihr Ende gefunden. Ich unterließ es daher vorsichtiger Weise selbst in jenen Umkreisen um Hülfe nachzusuchen, in denen ich sie gewiß erhalten hätte – aber mit dem Risico, meine Vormünder mit Hinweisen zu versorgen, wo sie mich wiederzufinden hätten. Was nun London im Be54
sondern anbelangt, so hatte zwar mein Vater zu Lebzeiten viele Freunde hier gehabt, aber weil seit seinem Tode zehn Jahre verstrichen waren, erinnerte ich mich nur Weniger unter ihnen mit Namen, und weil ich London zuvor niemals gesehen hatte, außer für ein Paar Stunden einmal, wußte ich selbst von diesen Wenigen die Wohnorte nicht. So blieb mir, theils auf Grund solcher Schwierigkeiten, viel mehr jedoch wegen der erwähnten ungeheuern Furcht, die ich hegte, dieser Weg, zu Hülfestellungen zu gelangen, zur Gänze versperrt. Was den andern Weg betrifft, so neige ich nun halbwegs dazu, mich mit meinem Leser darüber zu verwundern, daß ich ihn übersah. Als Corrector für griechische Druckfahnen, wenn schon nicht auf andere Weise, hätte ich ohne Zweifel meine geringen Bedürfnisse hinreichend decken können. Ein Amt, wie dieses, hätte ich mit solch beispielhafter Pünctlichkeit und Zuverlässigkeit versehen können, daß ich alsbald das Vertrauen meiner Arbeitgeber für mich gewonnen hätte. Doch darf man nicht vergessen, daß ich zu allererst einmal ein Empfehlungsschreiben für einen namhaften Verleger benöthigt hätte, und ich hatte nicht die Möglichkeiten, an ein solches zu gelangen. Aber um die Wahrheit zu sagen, es war mir nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen, an littera55
rische Arbeiten als möglichen Broderwerb zu denken. Mir war nie ein anderer Weg, ausreichend schnell zu Geld zu gelangen, in den Sinn gekommen, als der, es mir im Vertrauen auf meine Anrechte und Aussichten für die Zukunft auszuborgen. Diesen Weg suchte ich mit allen Mitteln einzuschlagen, und hiebei wandte ich mich unter anderm an einen Juden Namens D—*. Ich stellte mich ihm, wie auch andern inserirenden Geldverleihern (von denen manche, wie ich glaube, ebenfalls Juden waren), mit einer Darlegung meiner zu erwartenden Einkünfte * An denselben Juden wandte ich mich übrigens etwa achtzehn Monate später wiederum, in derselben Angelegenheit, und da ich zu dieser Zeit von einem namhaften College kam, hatte ich das große Glück, auf ein ernsthaftes Interesse für meine Vorschläge bei ihm zu stoßen. Meine Noth rührte nicht von irgend welchen Extravagancen oder jugendlichen Thorheiten her (über so etwas war ich durch meine Gewohnheiten und die Art meiner Freuden weit erhaben), sondern schlicht von der gemeinen Böswilligkeit meines Vormunds, der, als er sich nicht länger im Stande sah, mich am Besuch der Universität zu verhindern, als Zeichen seiner frommen Natur zum Abschied sich geweigert hatte, einen Cheque über irgend eine Summe zu unterschreiben, die auch nur einen Shilling über das hinausging, was mir in meiner Schulzeit zugestanden worden war, also ein hundert Pfund jährlich. Davon konnte man zu meiner Zeit kaum einmal sein Leben am College bestreiten, und unmöglich konnte das Jemand, der, wenn er auch über die nichtswürdige Pose deutlich zur Schau gestellter Verachtung des Geldes erhaben war und ohne kostspieligen Geschmack, so doch im
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vor, von deren Richtigkeit sie sich alle per Einsicht in das Testament meines Vaters beim Gerichtscollegium überzeugten. Die darin als zweiter Sohn von —— aufgeführte Person hatte all die Ansprüche (wenn nicht noch mehr), die ich angegeben hatte. Doch blieb noch Eine Frage unbeantwortet, und die stand den Juden ziemlich deutlich in’s Gesicht geschrieben, nämlich: War diese Person ich ? Solcher Zweifel war mir nie vor den Sinn gekommen. Ich hatte eher gefürchtet, daß ich, wenn meine jüdischen Freunde mich scharf genug musterten, nur zu gut als diese Person erkannt würde, und daß ihnen dabei irgend Übermaaß seinen Dienern vertraute, und keine Freude an den Feinheiten sorgsamsten Wirthschaftens fand. Daher gerieth ich bald in Verlegenheiten und gelangte schließlich, nach äußerst umfänglichen Verhandlungen mit dem Juden (die in manchen Theilen, hätte ich die Muße, sie zu berichten, Einiges zur Belustigung meiner Leser beitragen könnten), in den Besitz der erbetenen Summe – unter der »ordentlichen« Bedingung, daß ich dem Juden siebzehneinhalb Prozent jährlich an Zinsen auf den gesammten geliehenen Betrag entrichtete. Israel seinerseits begnügte sich großzügiger Weise damit, nur ganze neunzig Guineen von besagtem Geld zurückzunehmen, und zwar wegen einer Anwaltsrechung (für welche Leistungen, und wem gegenüber und wann erbracht, ob bei der Belagerung Jerusalems oder beim zweiten Tempelbau oder bei irgend einer frühern Gelegenheit, das konnte ich bislang nicht enthüllen). Ich habe vergessen, wie viele Ruthen die Rechnung der Länge nach mißt, doch bewahre ich sie in meinem Schatzkästlein mit Curiositäten aus der Natur auf, und ich glaube, ich werde sie eines Tages einmal dem Brittischen Museum schenken.
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welche Pläne durch den Kopf gehen müßten, mich in eine Falle zu verstricken, und an meine Vormünder zu verkaufen. Es war mir ausgesprochen befremdlich, mein eigenes Selbst, materialiter betrachtet (wie ich es ausdrückte, denn ich sah so etwas gerne mit logischer Accuratesse unterschieden) angeklagt oder zumindest verdächtigt zu sehen, daß es, formaliter betrachtet, mein eigenes Selbst zu seyn vorgäbe. Um die Zweifelnden zufrieden zu stellen, steuerte ich den einzigen Curs, der mir ansteuerbar war. Zur Zeit meines Aufenthalts in Wales hatte ich verschiedentlich Briefe von meinen jungen Freunden erhalten. Diese legte ich vor, denn ich trug sie immerzu in der Tasche bei mir. Sie waren in dieser Zeit beinahe das Einzige, was mir von meinen Besitzthümern verblieben war, von den Kleidern abgesehn, die ich am Leibe trug, fast das Einzige, dessen ich mich nicht auf die eine oder andere Weise entledigt hatte. Die meisten dieser Briefe stammten vom Earl von ——, der zu jener Zeit mein bedeutendster, vielmehr mein einziger Freund und Vertrauter war, und waren in Eton abgeschickt. Auch von seinem Vater besaß ich einige, dem Marquis von ——, der, obgleich er sich fast ausschließlich agrarwirthschaftlichen Angelegenheiten widmete, ebenfalls in Eton gewesen war, und sich, so gut ein Gelehrter, wie ein 58
Aristocrat einer zu seyn braucht, eine Vorliebe für das Studium des classischen Alterthums bewahrt hatte und für junge Gelehrte. So hatte er mit mir correspondirt, seit ich funfzehn gewesen, sey es über bedeutende Verbesserungen, die er seit meinem Besuche dortselbst in den Grafschaften M— und S— durchgeführt hatte, oder noch durchzuführen gedachte, sey es über die Verdienste eines lateinischen Dichters, und manchmal schlug er mir auch Themen vor, zu denen er mich gern Gedichte schreiben sehen wollte. Nachdem er die Briefe gelesen hatte, erklärte sich einer meiner jüdischen Freunde bereit, mir gegen persönliche Gewährleistung zwei bis drei hundert Pfund zu leihen, vorausgesetzt ich konnte den jungen Earl, der im Übrigen nicht älter war, als ich, überreden, daß er für die Rückzahlung zum Zeitpunct unsrer Volljährigkeit bürge. Das eigentliche Ziel des Juden hiebei, wie ich nun vermuthe, war nicht der durchaus vernachlässigbare Gewinn, den er sich durch mich erwarten konnte, sondern die Anknüpfung einer Verbindung zu meinem adeligen Freund, dessen enorme Perspectiven ihm durchaus bekannt waren. Um diesen Vorschlag von Seiten des Juden in die That umzusetzen, machte ich mich bereit, nach Eton zu gehen, etwa acht oder neun Tage, nachdem ich die zehn Pfund erhalten 59
hatte. Fast drei Pfund davon hatte ich meinem Freund, dem Geldverleiher ausgehändigt, auf seine Betheuerung hin, daß zur Vorbereitung der Schriftsachen während meiner Abwesenheit von London Gebührenmarken gekauft werden müßten. Im Innersten war ich überzeugt, daß er log, doch wollte ich ihm keine Möglichkeit gewähren, von ihm verursachte Verzögerungen mir anzulasten. Einen geringen Betrag hatte ich als wolverdiente Gegenleistung für die unmeublirte Unterkunft meinem Freund, dem Anwalt übergeben (der in dieser Function auch mit den Geldverleihern in Verbindung stand). Um die funfzehn Shilling hatte ich auf eine gleichwol bescheidene Instandsetzung meiner Garderobe verwandt. Von dem Restbetrage gab ich Ann ein Viertel, in der Absicht, nach meiner Rückkehr alles eventuell Verbleibende mit ihr zu theilen. Als soweit Alles geregelt war, ging ich los, in Annens Begleitung, kurz nach sechs Uhr, an einem dunklen Winterabend, in Richtung Piccadilly, da ich vorhatte, bis Salt Hill mit einer nach Bath oder Bristol gehenden Postkutsche zu fahren. Unser Pfad führte uns durch einen Stadttheil, der nun gänzlich verschwunden ist, so daß ich seine vormaligen Umrisse nicht mehr zu reconstruiren vermag. Ich glaube, Swallow Street hieß die Straße. Weil wir aber noch reichlich Zeit 60
hatten, schweiften wir hievon nach der Linken ab, so daß wir schließlich am Golden Square anlangten. Dort ließen wir uns nieder, nahe der Ecke Sherrard Street, weil wir unsern Abschied von einander nicht im Gefunkel und Gedröhne von Piccadilly nehmen wollten. Ich hatte Ann schon eine Weile zuvor von meinen Plänen berichtet, und nun versicherte ich ihr abermals, daß sie an meinem Glück Theil haben sollte, wenn mir denn eines erblühte, und daß ich nie wieder von ihr ginge, wäre ich nur erst im Stande, sie zu beschützen. So gedachte ich vollstens es zu halten, aus Neigung so gut, wie aus Pflichtgefühl, denn ganz zu schweigen, daß schon aus Dankbarkeit ihr gegenüber mein Leben lang ich in ihrer Schuld stehen mußte, liebte ich sie innig wie eine blutsverwandte Schwester, und ob ihrer gänzlichen Niedergeschlagenheit in diesem Augenblick mit vor Mitleid versiebenfachter Zärte. Am meisten Grund zur Niedergeschlagenheit hatte eigentlich ich, der ich meine Lebensretterinn verlassen sollte; doch in Anbetracht meiner schweren gesundheitlichen Angeschlagenheit war ich lieber guten Muths und voller Hoffnung. Sie dagegen, die Abschied nahm von Jemandem, der kaum über die Mittel verfügte, ihr dienlich zu seyn, außer mit Wolwollen und Brüderlichkeit, sie war tieftraurig, und als ich sie zum Abschied schließ61
lich küßte, schlang sie mir ihre Arme um den Hals, weinte und sprach kein Wort. Ich hoffte, nach längstens einer Woche zurück zu seyn, und vereinbarte mit ihr, daß sie in fünf Tagen und von da an allabendlich um sechs Uhr am untern Ende von Great Titchfield Street auf mich warten sollte. Hier war gewohnheitsmäßig der sichere Hafen, so zu sagen, unsrer Zusammenkünfte gewesen, damit wir uns nicht in dem großen Mittelländischen Meer von Oxford Street verpaßten. Diese Vorsichtsmaaßnahme traf ich, nebst andern, und nur Eines vergaß ich – entweder hatte sie ihn mir nie mitgetheilt, oder ich hatte ihn als nebensächlich wieder vergessen, nämlich ihren Nachnamen. Es ist durchaus üblich bei Mädchen niedern Standes in solch unglücklicher Lage, sich nicht, wie Romanleserinnen höhern Standes, als Miss Douglass, Miss Montague u. s. w. zu tituliren, sondern nur mit dem Vornamen, Mary, Jane, Frances u. s. f. Jetzt hätte ich Ann nach ihrem Nachnamen fragen müssen, denn der war das sicherste Mittel, sie nachher wieder aufzufinden. Doch war’s nun einmal, wie es war, ich hatte keinen Grund anzunehmen, daß sich unser Wiedersehn im Gefolge einer kurzen Unterbrechung schwieriger oder weniger gewiß gestalten sollte, als all die Wochen vorher über, und so hatte ich’s nicht einen Augenblick 62
lang für nothwendig erachtet oder mir für unsere Unterredung zum Abschied vorgemerkt. Am Ende war mein ganzes Bestreben, sie aufzumuntern, hoffen zu machen, auch, ihr einzubleuen, daß sie sich unbedingt eine Arznei gegen heftigen Husten und Heiserkeit beschaffte, worunter sie litt, und ich vergaß es völlig, bis es zu spät war, sie zurückzurufen. Es war acht Uhr vorbei, als ich am Caffeehaus Gloucester ankam. Die Postkutsche nach Bristol war gerade im Abfahren begriffen, und ich stieg außen auf. Das beständig leichte Fortkommen* der Kutsche ließ mich alsbald einschlafen. Es ist einiger Maaßen bemerkenswerth, daß ich ausgerechnet draußen auf einer Postkutsche zum ersten Mal seit Monaten in den Genuß sanften und erfrischenden Schlafes kam – auf einem Lager, wie ich’s heut zu Tage reichlich unbehaglich fände. Mit diesem Schlaf war ein kleines Vorkommniß verbunden, das, wie Hunderte andere zu dieser Zeit, mir vor Augen führen half, wie leicht ein Mensch, der sich nie in großer Noth befand, sein Leben durchleben kann, ohne, zumindest an eigener Person, etwas von der potentiel* Die Postverbindung nach Bristol ist die bestausgestattete im Lande, dank den beiden Vorzügen einer ungewöhnlich guten Straße und besonderer Haushaltszuschüsse der Kaufleute von Bristol.
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len Güte des menschlichen Herzens zu erfahren – oder, wie ich seufzend hinzufügen muß, von dessen potentieller Bösigkeit. Es ist ein so dicker Vorhang aus Conventionen vor die eigentlichen Antlitze der menschlichen Karaktere gezogen, daß für den gewöhnlichen Betrachter ihre beiden Extreme, mitsammt ihren unendlichen Variantenreihen, die sie zwischen sich einschließen, vollständig in einander verwirrt, und die ungeheuerlich umfänglichen Vielzahlen ihrer jeweilig stimmigen Zusammenklänge auf das magere Strichgerüst der Tonleiter, des Alphabets vereinzelter Klänge, reducirt sind. Folgendes geschah: Auf den ersten vier, fünf Meilen hinter London fiel ich meinem Mitpassagier auf dem Dach dadurch lästig, daß ich, wenn gelegentlich die Kutsche einen Schwenker nach seiner Seite that, gegen ihn hinfiel. Ich wäre vor Schwäche gewiß hinabgestürzt, wäre die Straße weniger gleichund ebenmäßig gewesen. Er beschwerte sich auf das heftigste über diese Belästigungen, wie es unter solchen Umständen wol die Meisten gethan hätten. Jedoch brachte er seine Beschwerde auf unwirschere Weise vor, als der Anlaß zu rechtfertigen schien, und wäre ich in diesem Augenblick von ihm gegangen, so hätte ich seiner (wenn ich es überhaupt für werth befunden hätte, weiter noch an ihn zu denken) als eines ruppigen, wenn 64
nicht gar groben Burschen gedacht. Allein ich war mir bewußt, daß ich ihm einigen Anlaß zur Beschwerde geliefert hatte, und so entschuldigte ich mich bei ihm und versicherte, daß ich thun wollte, was ich konnte, zu vermeiden, daß ich im weitern nochmals einschliefe. Gleichzeitig erklärte ich ihm, in so knapper Form, als möglich, daß ich krank sey, und in schwacher Verfassung nach längerm Leiden, mir jedoch gegenwärtig keinen Platz im Wageninnern leisten könne. Das Verhalten des Mannes änderte sich, nachdem er diese Erklärung vernommen hatte, schlagartig, und als ich das nächste Mal, vom Lärm und Licht von Hounslow, für kurze Zeit erwachte (denn meinen Wünschen und Anstrengungen zum Trotz war ich innerhalb zweier Minuten nach dem Gespräch mit dem Manne wiederum eingeschlafen), da fand ich seinen Arm um mich gelegt, zum Schutz, daß ich nicht hinabfiele. Den Rest der Fahrt über betrug er sich mir gegenüber mit der Sanftmuth einer Frau, so daß ich am Ende beinah in seinen Armen lag, und dies war um so großmüthiger, als er nicht wissen konnte, daß ich nicht den ganzen Weg bis nach Bath oder nach Bristol fahren wollte. Leider aber muß ich sagen, fuhr ich dann doch weiter, als ich beabsichtigt hatte, denn mein Schlaf war von so begnadeter Erholsamkeit, daß ich, nachdem wir Hounslow 65
verlassen hatten, auf ein plötzliches Anhalten (wahrscheinlich an einer Poststation) der Kutsche hin wieder zur Gänze erwacht, die Auskunft erhielt, man habe Maidenhead erreicht – sechs oder sieben Meilen, denke ich, hinter Salt Hill. Hier stieg ich ab, und während der halben Minute, die die Kutsche halten blieb, suchte mich mein freundschaftlicher Begleiter (der dem flüchtigen Eindruck nach zu urtheilen, den ich auf Piccadilly von ihm erhascht hatte, der Butler eines Edelmanns zu seyn schien oder Jemand in ähnlicher Position) zu bewegen, daß ich mich unverzüglich zu Bett begäbe. Ich sagte es ihm zu, ohne daß ich solches vorgehabt hätte. Statt dessen machte ich mich, es muß gegen Mitternacht gewesen seyn, sogleich zu Fuß auf den Weg. Mein Vorankommen, besser gesagt mein Zurückgelangen ging zuhöchst schleppend von Statten. Noch bevor ich in Slough in den Feldweg nach Eton einbog, hörte ich eine Uhr in einer Hütte vier schlagen. Die frische Luft, der Schlaf hatten mich erquickt, und dennoch war ich müde. Ich erinnere mich eines Gedankens (eines recht nahe liegenden, den schon ein altrömischer Dichter recht schön formulirt hat), der mir einigen Trost in diesen Augenblicken meiner Armuth spendete. Eine Weile zuvor war auf der Hounslower Heide oder in ihrer Umgebung ein 66
Mord verübt worden. Ich denke, ich gehe ganz gewiß nicht fehl, wenn ich sage, daß der Name des Ermordeten Steele lautete, und daß er der Eigenthümer einer nahe gelegenen Lavendelplantage gewesen war. Jeder weitere Schritt brachte mich der Heide näher, und selbstredend kam mir in den Sinn, daß ich und der fluchbeladne Mörder, so wir in dieser Nacht Beide unterwegs waren, ohne es zu ahnden einander mit jedem Augenblick ein Stück näher in der Dunkelheit hätten kommen können. Wie würde mir doch die Furcht davor, man könnte mir den Hals abschnüren, sagte ich mir, den Hals zuschnüren, wäre ich nicht, der ich bin, kaum mehr, als vogelfrei – Lord of my learning and no land beside – Gelernter Fürst, und ohne Land ansonsten –
sondern als Erbe von 70 0 0 0 Pfund jährlich allgemein bekannt, wie mein Freund, der Lord ——, wenn gleich es nicht wahrscheinlich war, daß dieser je in meine Lage käme. Wie dem auch sey, in ihrem Kern bleibt die Feststellung wahr: Viel Macht und Besitz machen den Menschen beschämend todesängstlich. Ich bin überzeugt, daß viele der tapfersten Abentheurer, die das Glück arm und somit im vollsten Genuß ihres natürlichen Muthes belassen hat, daß die, würde 67
ihnen in dem Augenblick, da sie in die Schlacht ziehen wollen, die Nachricht hinterbracht, daß zu Haus in England unerwarteter Weise ein Erbtheil von 5 0 0 0 0 Pfund im Jahr an sie gefallen sey, eine deutliche Abneigung gegen die miteins ungleich schärfer zischenden Kugeln bei sich aufkommen spüren würden* – und es deutlich schwieriger geworden, vollkommene Gleichgültigkeit und Selbstbeherrschung aufzubringen. So ist’s denn wahr, was ein kluger Mann, der das Schicksal von seinen beiden Seiten aus eigener Erfahrung kennt, vom Reichthum und seinen Folgen sagt: To slacken virtue, and abate her edge, Des scharfen Mannes Kraft erschlafft, Than tempt her to do aught may merit praise. Und nichts mehr reizt ihn, ruhmreich der Versuchung zu erliegen. Paradise Regained. Das wiedererlangte Paradies.
Ich gerathe in Verzug mit meinem Gegenstand, denn für mich selbst ist es ungeheuer interessant, mich an jene Zeit zurück zu erinnern. Doch soll * Mancher wird hier einwenden, daß es heut zu Tage wie auch im Laufe unserer ganzen Geschichte oftmals gerade die Höchstgestellten und die Reichsten waren, die trotzig den Gefahren des Schlachtfeldes in’s Auge sahen. Das ist wahr, doch geht es hier um etwas Anderes. Durch lange Gewöhnung daran hat nämlich die Macht ihre Wirksamkeit und Zugkraft bei diesen Leute eingebüßt.
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mein Leser im weitern keine Ursache mehr zur Beschwerde haben. Denn nun eile ich, zu Ende damit zu kommen. Auf der Straße zwischen Slough und Eton schlief ich ein. Ich erwachte wieder, als gerade der Morgen heraufdämmerte, von der Stimme eines Mannes, der über mir stehend, mich musterte. Ich weiß nicht, wer er war, ein Bursche von üblem Aussehn, doch darum nicht unbedingt einer mit üblen Absichten, und selbst wenn, so wird er sich bestimmt gedacht haben, daß Niemand, der im Winter im Freien nächtigt, werth seyn kann, ausgeraubt zu werden. Mit dieser Schlußfolgerung, wie ich ihm versichern möchte, für den Fall, daß er sich unter meinen Lesern befindet, irrte er bezüglich meiner. Er bemerkte kurz irgend etwas, und ging weiter. Ich war ihm wegen der Störung nicht böse, denn sie ermöglichte mir, durch Eton zu gelangen, ehe Alles erwacht war. Die Nacht war drückend und unheilschwer gewesen; doch war gegen Morgen nun leichter Frost aufgekommen, waren die Erde, die Bäume reifbedeckt. Ich huschte ungesehen durch Eton hindurch. In einem kleinem Gasthaus in Windsor wusch ich mich, und richtete meine Kleider her so gut, wie möglich. Gegen acht Uhr machte ich mich auf den Weg zu Pote’s Buchhandlung. Dabei traf ich zwei Schul69
jungen, von denen ich mir einige Auskünfte einholte. Da sich ein Etonian immer wie ein Gentleman benimmt, antworteten sie mir trotz meiner schäbigen Aufmachung in höflicher Weise. Mein Freund, Lord ——, war fort, hatte an die Universität von —— gewechselt. Ibi omnis effusus labor – hier waren alle weitern Anstrengungen umsonst. Ich hatte zwar noch andere Freunde in Eton, doch stellt man sich in der Noth nicht unbedingt gern vor Alle die hin, die zu Zeiten des Wolstands diese Bezeichnung trugen. Ich sann rasch nach; dann fragte ich nach dem Earl von D—, dem ich ohne Bedenken unter allen Umständen entgegengetreten wäre, obwol meine Bekanntschaft mit ihm nicht so eng war, wie mit Andern. Dieser hielt sich noch in Eton auf, wenn er auch, glaube ich, im Begriffe war, nach Cambridge abzureisen. Ihn suchte ich auf, wurde freundlich empfangen, und auf ein Frühstück eingeladen. Hier lasse man mich einen Augenblick inne halten, damit ich meinen Leser von falschen Schlußfolgerungen abhalten kann. Denn man darf nicht annehmen, ich hätte, nur weil ich hier und da Gelegenheit hatte, von diversen adeligen Freunden zu sprechen, auch selbst irgend welche Ansprüche auf Rang und blaublütige Namen. Ich danke Gott, daß dem nicht so ist. Ich bin 70
Sohn eines gewöhnlichen englischen Kaufmanns, der Zeit seines Lebens sehr geschätzt war für seine Lauterkeit, und sich stark zu litterarischen Dingen hingezogen fühlte, der sich, anonym, sogar selbst schriftstellerisch bethätigte. Hätte er länger gelebt, er wäre gewiß sehr reich geworden. Doch als er frühzeitig verstarb, hinterließ er nicht mehr, als 30 0 0 0 Pfund, vertheilt auf sieben Erbberechtigte. Meiner Mutter zu Ehren darf ich sagen, daß sie sogar noch begabter war. Obschon sie keinerlei Anspruch auf den ehrenhaften Titel einer Litteratinn erhob, möchte ich sie eine Frau des Geistes nennen (was viele Litteratinnen nicht sind). Sollten jemals ihre gesammelten Briefe veröffentlicht werden, so glaube ich, daß alle Welt darin solche geballte, ja männliche Kraft vorfände, ein Englisch so frisch und flott, voll geschickter Wendungen, wie selten sonst in unsrer Muttersprache – die von Lady M. W. Montagu gerade einmal ausgenommen. So viel zu meiner Ahnenschaft. Eine ehrenvollere habe ich nicht, und ich danke Gott aufrichtig dafür, weil meiner Ansicht nach eine Position, die Einen zu sehr über die übrigen Geschöpfe erhebt, den geistigen und sittlichen Qualitäten der Persönlichkeit nicht eben förderlich ist. Lord D— ließ ein großartiges Frühstück für mich auftragen. Großartig war es; in meinen 71
Augen aber gleich noch dreimal so großartig, denn es war seit Monaten meine erste richtige Mahlzeit, der erste »gut gedeckte Tisch«, woran ich saß. Doch eigenartiger Weise konnte ich kaum etwas essen. An dem Tag, an dem ich meine Zehn-Pfund-Note erhalten hatte, war ich zum Bäcker gelaufen und hatte etliche Wecken gekauft. Denselben Laden hatte ich zuvor zwei Monate oder sechs Wochen lang mit so inbrünstiger Begierde gemustert, daß es mich nun fast beschämt, mich daran zu erinnern. Ich hatte an die Geschichte vom Otway gedacht, der sich todt gefressen hatte, und gefürchtet, daß es gefährlich werden könnte, wenn ich zu schnell äße. Aber es hatte kein Grund zur Sorge bestanden, denn mein Appetit war sehr gering gewesen, und mir war schlecht geworden, ehe ich die Hälfte von dem Gekauften aufgegessen hatte. Noch Wochen danach machten mir, wenn ich verzehrte, was an eine Mahlzeit heranreichte, derartige Folgen zu schaffen, oder aber ich gab zum Theil wieder von mir, was ich zu mir nahm, so die Übelkeit ausblieb, manchmal zusammen mit Magensäure, manchmal sofort und ohne. Am Tisch von Lord D— nun fühlte ich mich in keinster Weise besser, als sonst, und ich hatte inmitten all der Überreichlichkeiten keinen Appetit. Unglücklicher Weise verlangte mich aber immerzu gierig nach 72
Wein. Daher beschrieb ich Lord D— meine Lage, und berichtete ihm kurz von meinen Leiden der letzten Zeit, woraufhin er mir sein tiefempfundnes Mitgefühl ausdrückte, und Wein bringen ließ. Dieser verschaffte mir vorübergehende Empfindungen von Lust und Erleichterung, und ich ließ es mir nicht entgehen, Wein zu trinken, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot – ich verehrte den Wein damals so, wie ich später das Opium verehren sollte. Allerdings bin ich überzeugt, daß die Zugethanheit dem Weine gegenüber zur Verschlimmerung meines Zustands beitrug, denn mein Magen wurde davon offenbar nur um so verstimmter, und hätte wol bei besserer Ernährung schneller und wahrscheinlich umfassender wieder zu Kräften gefunden. Ich hoffe, es war nicht die Liebe zum Wein, die mich länger, als nöthig, bei meinem Freund in Eton hielt. Ich redete mir damals ein, daß es ein Widerstreben war, Lord D— um den besondern Gefallen zu bitten, um dessentwillen ich nach Eton gekommen, da mir bewußt war, daß ich hiezu keine genügende Berechtigung hatte. Doch war ich nicht Willens, meine Reise umsonst unternommen zu haben – und fragte dann doch. Lord D—s Gutmüthigkeit war ohne Gränzen, und hat sich mir gegenüber wol eher nach dem Mitleid für meine Lage und seinem Wissen um meine Vertrautheit 73
mit einigen seiner Verwandten, als nach übermäßig genauen Nachforschungen betreffs des Ausmaaßes meiner unmittelbaren Anrechte bemessen; und doch konnte er dieser Bitte nicht Folge leisten. Er räumte ein, daß er keine Händel mit Geldverleihern treiben wollte, und daß er fürchtete, eine solche Transaction könnte seinen Geschäftspartnern zu Ohren kommen. Darüber hinaus bezweifelte er, ob seine Unterschrift meinen nichtchristlichen Freunden genügen würde, da seine Aussichten viel enger begränzt waren, als die von Lord ——. Doch wollte er mich, wie es schien, nicht durch eine gänzliche Weigerung kränken, und versprach nach kurzem Nachsinnen, seine Bürgschaft zu geben, unter gewissen Bedingungen, die er mir darlegte. Lord D— war damals noch keine achtzehn Jahre alt, und doch habe ich oft seither bezweifelt, wenn ich an seine Vernunft und Bedachtsamkeit zurückdachte, die bei dieser Gelegenheit mit einer so ausnehmend gesitteten Höflichkeit gepaart waren (einer Höflichkeit, die bei ihm mit der Anmuth jugendlicher Redlichkeit einherschritt), ob ein erfahrener Politiker, und sey es der diplomatisch versirteste von allen, sich unter diesen Umständen besser hätte schlagen können. Den Meisten kann man mit solchen Angelegenheiten gar nicht kommen, ohne daß sie Einen mit so un74
verhüllt jeder Hoffnung auf Gnade beraubenden Blicken bedenken, als sähe man einem Saracenen in’s Gesicht. Mit neuem Muth erfüllt durch dieses Versprechen, das nicht ganz an das Beste heranreichte, doch weit von dem Schlimmsten entfernt war, was ich mir für möglich ausgemalt hatte, kehrte ich mit einer Kutsche von Windsor nach London zurück, drei Tage, nachdem ich von dort abgefahren war. Und nun komme ich an’s Ende meiner Geschichte. Die Juden waren nicht mit den Bedingungen des Lord D— einverstanden. Ob sie sich schließlich noch in sie gefügt hätten, blos Zeit schinden wollten für nothwendige Nachforschungen, ich weiß es nicht; doch kam Verzögerung auf Verzögerung, die Zeit verstrich, die geringen Überbleibsel meiner Banknote waren so eben dahin geschmolzen, und es war abzusehen, daß ich in mein voriges Elend zurückverfallen würde, ehe das Geschäft zu einem Ende gebracht wäre. Doch bot sich in dieser Crisis mehr oder weniger zufällig eine Gelegenheit zur Aussöhnung mit meinen Freunden. Ich ging in aller Eile fort aus London, in einen weit entfernten Theil Englands, besuchte einige Zeit darauf die Universität, und erst viele Monate später kam ich wieder dahin, die Stätten zu besuchen, die mir so innig verbunden geworden waren, und es bis 75
heute geblieben sind, als die des Großtheils meiner Leiden in der Jugend. Was unterdessen war aus Ann geworden ? Für sie habe ich mir meine abschließenden Worte aufgespart. Unsrer Abmachung gemäß suchte ich jeden Tag nach ihr, wartete Nacht um Nacht auf sie, solang ich noch in London weilte, an der Ecke von Titchfield Street. Ich fragte Jeden, der sie hätte kennen können, nach ihr, und in den letzten Stunden meines Aufenthalts in London unternahm ich Alles, was an Möglichkeiten, sie aufzuspüren, nach meinen Kenntnissen der Stadt sich mir darbot, und in meiner begränzten Macht stand. Ich kannte nicht die Straße, in der sie gewohnt hatte, aber das Haus, und ich erinnerte mich schließlich, daß sie mir von Mishandlungen durch ihren Zimmerwirth erzählt hatte, was nahe legte, daß sie die Wohnung aufgegeben hatte, ehe wir uns trennten. Sie hatte wenig Bekannte, und die meisten dachten überdies, daß meine Fragen von Beweggründen herrührten, die sie lachen machten oder gleichgültig. Andere wähnten, ich jagte einem Mädchen nach, das mich einiger Kleinigkeiten beraubt hatte, und so waren sie natürlich wenig geneigt, in durchaus entschuldbarer Weise, mir Auskünfte über sie zu ertheilen, wenn sie dann überhaupt welche zu ertheilen hatten. Am Ende, dem Tag, 76
an dem ich aus London abreiste, ließ ich bei der einzigen Person, von der ich, weil sie uns ein- oder zweimal Gesellschaft geleistet hatte, sicher wußte, daß sie Ann vom Sehen her kannte, als letzte Zuflucht in der Verzweiflung eine Adresse in —— in ——shire zurück, wo meine Familie zu jener Zeit wohnte. Aber ich habe bis auf den heutigen Tag nie und nicht Eine Sylbe über sie erfahren. Das ist mir, bei all den andern Kümmernissen, wie sie einem Jeden im Leben begegnen, das schlimmste Unglück gewesen. Wenn sie da noch gelebt hat, sind wir zweifellos manchmal genau zur gleichen Zeit im labyrinthisch riesenhaften London ein Jeder auf der Suche nach dem Andern gewesen, wo möglich nur einige wenige Fuß von einander weg, die uns trennten, nicht mehr, als das, in einer von Londons Straßen, aber wie oft wächst das schließlich sich aus zu einer Trennung für die Ewigkeit ! Einige Jahre lang hoffte ich, sie sey am Leben, und ich darf wol sagen, daß ich im von Schönrednerei freien, eigentlichen Sinn des Wortes Myriade in die Gesichter vieler, vieler Zehntausender Frauen gesehen habe in der Hoffnung, dabei auf sie zu stoßen. Ich würde sie unter Tausenden wieder erkennen, sähe ich sie nur Einen Moment lang, denn zwar war sie nicht schön, hatte aber einen sanften Gesichtsausdruck und 77
eine ganz eigene, graciöse Art, den Kopf zu halten. Wie gesagt, ich suchte sie, und hoffte. So ging es lange Jahre; doch jetzt hätte ich Angst, ihr zu begegnen, und der Husten, der mir beim Abschied von ihr Sorgen bereitete, der ist nun mein Trost. Ich sehne mich nun nicht länger, sie zu sehen, sondern gedenke glücklicher ihrer als Einer, die lange schon im Grabe ruht, in einem Magdalenengrab, will ich hoffen, hinweggerafft, ehe die ihr angethanen Leiden und Grausamkeiten ihr reines Wesen verhüllen und entstellen konnten, ehe rücksichtslose Verbrecher die Zerstörung vollenden konnten, die sie begonnen.
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Z W EI T ER T H EI L WOLAN Oxford Street, Stiefmutter mit versteinertem Herzen, die du die Waisen seufzen hörst und der Kinder Thränen trinkst, so ließest du mich endlich ziehn. So war schließlich die Zeit gekommen, da ich nicht mehr deine nimmerendenden Häuserfluchten peingeplagt entlangirren, nicht in Hungerkrämpfen befangen mehr träumen sollte und wachen. Viele, allzu Viele folgten zweifelsohne in meiner und Annens Fußstapfen uns nach, Erben unsrer Schrecken, und andere Waise, als Ann, haben dort geseufzt, anderer Kinder Thränen sind vergossen worden, und du, Oxford Street, du hast seither ohne Zweifel vom Aufstöhnen endlos vieler Herzen wiedergeklungen. Aber für mich schien der Sturm, den ich durchlebt hatte, Unterpfand einer langen Schönwetter-Periode zu seyn, schienen die frühzeitigen Leiden, die ich dargebracht hatte, als ein Lösegeld für viele folgende Jahre hingenommen, als Preis für lang anhaltende Ausgenommenheit von aller Noth, und wenn ich nachmals wiederum durch London zog, als gedankenverlorner Einsamer, wie ich es oftmals that, dann ging ich zumeist in Ruhe und in Seelenfrieden. Und wenn es
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auch wahr ist, daß die Schrecknisse meiner ersten Zeit in London tiefe Wurzeln in meine körperliche Verfassung geschlagen hatten, so daß sie nachher wieder sprossen, und neuerlich erblühten und sich zu einem giftenden Blätterwerk auswuchsen, das mir meine letztvergangnen Jahre überschattet und verdüstert hat, so traf doch dieser zweite Leidesansturm auf eine erstarkte Gelassenheit, auf die Verfügungsmöglichkeiten eines gereifteren Geistes und die Linderungen mitfühlender Zuneigung – so tief und zart ! Dadurch aber waren, all diesen Linderungen zum Trotz, weit entfernt von einander gelegene Jahre durch die unterschwelligen Bande gleichwurzelnder Leiden mit einander verknüpft. Ich sehe es als ein Beispiel für die Kurzsichtigkeit menschlichen Sehnens an, daß oftmals in den Mondesnächten meines ersten trauervollen Londoner Aufenthalts es mir ein Trost war (wenn es dafür denn zu halten war), von Oxford Street aus hinanzuschauen nach den Feldern und den Wäldern durch jede der Alleeen, die eine nach der andern das Herz von Marylebone durchdringen. Das, sagte ich mir, indem ich meine Augen die weitreichenden Ausblicke, die theils erleuchtet, theils im Schatten lagen, entlangwandern ließ, »das ist der Weg nach Norden, und somit der nach ——, und hätte ich Flügel, wie die Taube, so 82
wäre das die Richtung, die ich nach Trost zu suchen flöge.« So sprach ich, und so wünschte ich’s mir in meiner Verblendung. Doch war es ganz genau in jener nördlichen Gegend, in genau jenem Thale, genau dem Haus sogar, wohin meine irrigen Wünsche zielten, wo dann die Wiedergeburt meiner Leiden eingesetzt hat, und sie von neuem die Veste des Lebens und der Hoffnung zu belagern drohten. Genau dort war es, wo ich Jahre lang von Gesichten so häßlich, von Gespenstergestalten so schauerlich verfolgt wurde, wie sie nur je das Bett eines Orestes heim suchten. Doch war ich noch unglücklicher, als er, denn der Schlaf, der erlösend und wieder aufrichtend über uns Alle kommt, und über ihn im Besondern, als seegensreicher* Balsam für das wunde Herz, gehetzte Hirn, der suchte mich als meine bitterste Geißel auf. So blind war ich in meinem Sehnen, aber wenn ein Schleier hängt zwischen Jemandes Trübsichtigkeit und den Schrecknissen, die diesen Menschen zukünftig erwarten, so verbirgt derselbe Schleier auch die zugehörigen Linderungen. So standen Schmerzen und Kümmernissen, wie ich sie nicht erwartet hatte, Tröstungen gegenüber, die ich mir nicht erhofft hätte. Ich, der ich an Orestes’ Nöthen Theil hatte (aus* filon Épnou qelghtron ôpikouzon nodou – freundlich beschwichtigender Schlaf, der der Krankheit abhülft.
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genommen nur sein aufgewühltes Gewissen), hatte darum auch Antheil an seinem ganzen Halt: Meine Eumeniden befanden sich, wie die seinen, zu Füßen meines Bettes, und starrten durch die Vorhänge mich an, doch an meiner Bettstatt Seite wachte, brachte sich um ihren eignen Schlaf, mir die schweren Nachtwachen über Gesellschaft zu leisten, saß Meine Elektra. Ja du, geliebte M., theure Gefährtinn meiner nachmaligen Jahre, du warst meine Elektra ! Du ließest nicht zu, daß eine Griechenschwester ein englisches Eheweib übertrumpfte, weder an Adel der Gesinnung noch an Duldsamkeit in leidensvoller Zuneigung. Denn du zaudertest nicht, dich den Freundschaftspflichten zu ergeben, unter fürsorgliche Dienerschaft* in tiefster Zuneigung dich zu beugen, Jahr um Jahr mir den krankhaften Thau aus der Stirne zu wischen, und den vom Fieber ausgedörrten trocknen Lippen Erfrischung zu verschaffen, selbst dann nicht, als dein eigener friedevoller Schlummer nach langem Mitleiden angesteckt vom Schauspiel war meines scheußlichen Wettstreits mit Trugbildern und feindseligen Schattengestalten, das mir oft gebot: »Schlafe niemals wieder !« – nicht einmal dann hast du geklagt, kein Murren geäußert, * ¡du doulenma – freudige Sclavenschaft. Euripides, »Orestes«.
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nicht dein engelhaftes Lächeln mir verwehrt, und wie Elektra in der Vergangenheit so ungebrochen thatest du mir der Liebe halber deine Dienste. Denn zwar war die eine Griechinn und Tochter des Gebieters der Menschen*, doch weinte sie gleichfalls manchmal, und verbarg das Gesicht im Gewande†. Allein diese Nöthe sind ausgestanden, und du wirst dieses Protocoll einer Zeit so schmerzensreich für uns Beide wie eine Fabel lesen von irgend einem scheußlichen Traum, der nicht wiederkehren kann. Unterdessen bin ich wieder in London, und wieder laufe ich die Häuserreihen von Oxford Street ab in der Nacht, und oftmals, wenn Befürchtungen mich bedrücken, die auszuhalten ich all meiner Weltklugheit und des Trostes deiner Gegenwart bedarf, ich mir aber in’s Gedächtniß rufe, daß uns drei hundert Mei* ¢naz ¢ndrwn Agamemnwn. † —mma qeis' ôiow peplwn. Der Gelehrte wird wissen, daß ich mich diesen ganzen Abschnitt hindurch auf die Anfangsscenen des »Orestes« beziehe – eine der schönsten Darstellungen der Liebe in der Familie, die sich finden läßt, selbst unter den Dramen des Euripides. Für den englischen Leser wird man vielleicht hinzufügen müssen, daß die Ausgangssituation des Dramas die ist, daß ein Bruder einzig von seiner Schwester umsorgt wird zu einer Zeit, da er von seinem gequälten Gewissen dämonisch besessen ist (oder, in der Mythologie des Stücks, von Furien heim gesucht), sich in unmittelbarer Gefahr durch Feinde befindet und von denen, die sich seine Freunde nannten, verlassen oder gering geachtet steht.
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len trennen und drei schlimme lange Monate – sehe ich die Straßen hinan, die von Oxford Street nach Norden abgehn, in solchen Mondesnächten, und gedenke der angstvollen Ausrufe meiner Jugendtage – und erinnere mich, daß du nun in demselben Thal allein dich aufhälst, als die Herrinn desselben Hauses, nach dem mein Herz sich in seiner Blindheit wandte neunzehn Jahre zuvor, und dann denke ich mir, daß die Eingebungen meines Herzens, blind, wie sie auch waren, und in alle Winde zerstreut am Ende, doch auf eine fernere Zeit bezüglich gewesen seyn mögen und gerechtfertigt, läse man sie in anderer Bedeutung – und könnte ich mir verstatten, wieder in das ohnmächtige Wünschen meiner Kindheit zurückzusinken, so würde ich wiederum mir sagen, blickte ich nach Norden: »O daß ich Flügel, wie die Taube, hätte –«, und wie sehr mit Recht auf die Güte deines erbarmenden Wesens bauend, könnte ich dem die andere Hälfte meines damaligen Ausrufs hinterherschicken: »– wäre das die Richtung, die ich nach Trost zu suchen flöge.«
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Die Opiumlüste E S I S T so lange her, daß ich zum ersten Male
Opium nahm, daß ich das Datum wol vergessen hätte, handelte es sich um ein bedeutungsloses Vorkommniß in meinem Leben. Aber die allerhauptsächlichsten Ereignisse kann man gar nicht vergessen, und dieses Eine muß ich, auf Grund damit verbundener Umstände, deren ich mich entsinne, in den Herbst des Jahres 18 04 datiren. Zu dieser Jahreszeit war ich in London, war erstmalig nach meinem Eintritt in’s College wieder hieher gekommen. Und auf die folgende Weise wurde ich mit dem Opium bekannt: Von früher Jugend an war ich gewohnt gewesen, mir den Kopf mindestens einmal täglich in kaltem Wasser zu waschen. Auf einmal überkamen mich Zahnschmerzen. Ich schrieb sie meiner Vernachlässigung dieser Praxis zu, die in einer Unterbrechung umständehalber derselben begründet gewesen war; sprang aus dem Bett, tauchte den Kopf in eine Schale kalten Wassers, und mit hievon noch nassem Haar legte ich mich schlafen. Am nächsten Morgen, ich brauche es kaum mehr hinzuzufügen, erwachte ich mit unerträglichen 87
rheumatischen Schmerzen im Kopf und im Gesicht, die die folgenden zwanzig Tage über kaum nachließen. Am einundzwanzigsten Tage, glaube ich, war es und an einem Sonntag, da ging ich hinaus auf die Straße, mehr um vor meinen Qualen davonzulaufen, als zu irgend einem bestimmten Zweck. Zufällig traf ich einen Bekannten vom College, und der empfahl mir Opium – Opium ! Fürchterlicher Wirkstoff unvorstellbarer Lust, unausdenklicher Leiden ! Ich hatte davon gehört, so wie ich auch vom Manna oder von der Ambrosia gehört hatte, mehr aber nicht. Wie nichtsbedeutend mir das damals klang ! Was für feierliche Accorde es nun in meinem Herzen anschlägt, in meinem erschütterten, von traurigen und glücklichen Erinnerungen erbebenden Herzen ! Komme ich auf einen Augenblick darauf zurück, dann fühle ich geheimnißvolle Bedeutsamkeit allem anhaften, was mit meiner ersten Offenbarung vom Paradies der Opiumesser in Verbindung steht, jedem geringsten Umstand des Ortes, der Zeit sowie der Person (so sie überhaupt von menschlicher Natur war). Es war an einem feuchten, tristen Sonntag Nachmittag, und diese unsere Erde hat nichts Trübsinnigeres zu bieten, als einen regnerischen Londoner Sonntag. Mein Nachhauseweg führte mich durch Oxford Street, und in der Nähe des stately Pantheon, wie Herr 88
Wordsworth es sachdienlich benannt hat, jenes prächtigen Festgebäudes erblickte ich eine Droguenhandlung. Der Droguist, Liturg himmlischer Lustbarkeiten ohne eigenes Wissen ! – der sah dümmlich und gelangweilt drein, gleichsam im Einklang mit dem regnerischen Sonntag, gerade so, wie man erwartet hätte, daß so ein sterblicher Droguist an einem Sonntag dreinschaut, und als ich nach der Opiumlösung ihn fragte, gab er sie mir, wie jeder andre Mensch es wol gethan hätte, und gab mir über dies noch als Wechselgeld auf meinen Shilling zurück, was aussah, wie ein wirklicher, kupferner, halber Penny, entnommen einer wirklichen hölzernen Schublade. Solchen für sein Menschseyn plaidirenden Anhaltspuncten zum Trotz schwebt er mir dennoch seither als eine glückbringende Vision vom unsterblichen Droguisten vor, eines in besonderer Mission, nämlich meinetwegen auf die Erde gesandten. Und meine Betrachtungsweise seiner Person findet sich dadurch bestätigt, daß ich während meines folgenden Aufenthalts in London in der Nähe des prachtvollen Pantheons wieder nach ihm suchte, ihn jedoch nicht fand. Und so kam es mir, der ich seinen Namen nicht wußte (wenn er denn einen hatte), vor, als sey er aus Oxford Street entschwunden, und nicht, als ob er in irgend einer sonstigen greifbaren Weise verzogen 89
wäre. Der Leser mag ihn sich als einen sublunaren Droguisten denken, und nichts darüber hinaus, und das war er vielleicht auch. Ich glaube es aber besser, glaube, daß er sich in Luft aufgelöst* und verflüchtigt hat, und bin mit nichten Willens, irgend welches vergängliches Andenken mit der Stunde, der Stelle, dem Geschöpfe zu verknüpfen, die mich mit der Himmelsdrogue zuerst haben bekannt werden lassen. Man darf mit Recht annehmen, daß ich, zu Hause angelangt, nicht Einen Augenblick verstreichen ließ, die verordnete Menge einzunehmen. Ich befand mich nothwendiger Weise in gänzlicher Unkenntniß der den Eingeweihten vorbehaltnen hohen Kunst der Opiumeinnahme, und ich nahm, was ich nahm, unter jeder erdenk* Das Sich-in-Luft-Auflösen als Methode, von der Bühne des Lebens abzugehn, scheint im siebzehnten Jahrhundert durchaus geläufig gewesen, jedoch damals als besondres Vorrecht königlicher Geblüter angesehn worden zu seyn, das einem Droguisten in keinster Weise zustünde. Um das Jahr 16 8 6 herum nämlich giebt ein Dichter mit einem recht ominösen Namen (dem er ansonsten platter Dings gerecht wurde), ein gewisser Herr Flatman, als er vom Tode Charles’ I I. spricht, seinem Erstaunen Ausdruck, daß ein Fürst eine so absonderliche That, wie die des Sterbens, vollbringen sollte. Er sagt nämlich: Kings should disdain to die, and only disappear. Ein König muß das Sterben schmähn, und schlicht verschwinden. Er sollte in’s Jenseits, meint das, entfleuchen.
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lichen Einschränkung zu mir. Doch nahm ich es, und binnen Einer Stunde – oh Himmel, welche Wendung ! Welch eine Erhebung aus tiefsten Tiefen des Inwendigsten ! Welche Offenbarung von der Welt in mir selbst ! Daß meine Schmerzen geschwunden waren, war nun nur eine Nebensächlichkeit für mich, denn diese eine negative Wirkung ging restlos auf in der Riesenhaftigkeit jener positiven Auswirkungen, die mir da bereitet wurden, in dem Schlund göttlichen Genusses, der so nun plötzlich mir aufgethan war. Hier war es, das Allheilmittel Panakäa, die lindernde Arznei farmakon nªwenqej für alles menschliche Leiden, hier lag in seiner Gänze enthüllt das Geheimniß der Glückseligkeit, um das die Philosophen so viele Epochen lang Streit geführt hatten. Das Glück gab es für einen Penny zu kaufen, man konnte es in der Westentasche mit sich führen, die Ekstase ließ sich pintweise in Flaschen mitnahmegerecht abfüllen, und der Seelenfriede konnte in Galloneneinheiten mit der Post versandt werden. Doch wird der Leser denken, wenn ich so rede, ich würde Späße treiben. Ich kann ihm aber versichern, daß Keiner lange zu spaßen hat, wenn er’s mit dem Opium zu thun. Selbst die Lüste, die es verschafft, zeigen ein feierlichernstes Gesicht, und der Opiumesser kann auch im höchsten Glück sich nicht in der Rolle des Al91
legro darbieten, denn sogar dann spricht und denkt er so, wie es Il Penseroso geziemt. Nichts desto weniger habe ich eine durchaus verwerfliche Art an mir, manchmal mitten im eigenen Elend zu scherzen, und wenn mich nicht mächtigere Regungen davon abhalten, so fürchte ich, werde ich mich dieser Ungehörigkeit auch im Laufe dieser Annalen von Freud und Leiden schuldig machen. Der Leser muß in dieser Hinsicht ein wenig nachsichtig gegen die Schwächen meiner Natur seyn, und ich werde, wenn man mir ein Paar derartige Ausrutscher gestattet, ansonsten streben, so ernst, ja so zum Einschlafen ernsthaft zu seyn, wie es dem Thema Opium angemessen ist, so gänzlich gar nicht quicklebendig, wie es wirklich ist, und so einschläfernd, wie man fälschlicher Weise behauptet, daß es wäre. Zuerst also einige Worte zu seinen Auswirkungen im Körperlichen. Denn was alles bisher hiezu Geschriebene angeht, ob es nun von Türkeireisenden stammt (die ihr Privileg auf’s Lügen als ein Vorrecht aus unvordenklicher Zeit für sich beanspruchen dürfen), oder von Medizin-Professoren, die ex cathedra schreiben, so habe ich hiezu nur eine einzige Kritik vorzubringen, die aber in aller Deutlichkeit: Lügen, Lügen, Lügen ! Ich erinnere mich, wie ich einmal an einem Bücherstand vorbeikam, und die folgenden Worte aus 92
dem aufgeschlagnen Buche eines Satirikers aufschnappte: »Zu dieser Zeit gelangte ich zu der Überzeugung, daß die Londoner Zeitungen mindestens zweimal in der Woche die Wahrheit schreiben, und zwar Dienstags und Samstags, denn wenn an diesen beiden Tagen die ›Gazette‹ erscheint, so kann man ihr getrost Alles glauben – was in der Liste mit den Bankerotten steht.« In ähnlicher Weise will ich keineswegs bestreiten, daß der Welt so manche Wahrheit vom Opium verkündet wurde. So konnte wiederholt von wissenschaftlicher Seite her bestätigt werden, daß es von dunkelbrauner Färbung sey. Hiefür, man höre, bürge ich. Zweitens, daß es ziemlich theuer sey, wofür ich ebenfalls bürge: Zu meiner Zeit hat ein Pfund ostindischen Opiums drei Guineen gekostet, türkisches acht. Und drittens, daß man, so man eine ordentliche Portion davon aufißt, höchst wahrscheinlich – und das ist für einen Menschen von regelmäßigen Gewohnheiten besonders verdrießlich – stirbt.* Diese gewichtigen * Hieran scheinen allerdings die Gelehrten in letzter Zeit Zweifel zu hegen, denn in einem Raubdruck von Buchans »Hausmedizin«, den ich einmal in den Händen einer Bauersfrau sah, die ihn zum Wole ihrer Gesundheit studirte, hatte man den Doctor sagen lassen: »Man sey ganz besonders darauf bedacht, niemals mehr, als fünfundzwanzig Unzen Laudanum auf einmal zu sich zu nehmen« – die wahre Lesart lautete höchst wahrscheinlich »fünfundzwanzig Tropfen«, was man als ungefähr einem Gran Rohopium entsprechend ansieht.
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Feststellungen sind insgesammt und jede für sich wahr, das kann ich nicht in Abrede stellen, und die Wahrheit war von jeher etwas Löbliches, und wird es immer bleiben. Doch denke ich, daß mit diesen drei Theoremen der Wissensschatz auch schon ausgeschöpft ist, den die Menschheit bislang zum Thema Opium angehäuft hat. Und darum, werthe Doctores, weil hier noch Raum für weitere Entdeckungen zu seyn scheint, treten Sie zur Seite, erlauben Sie mir, vorzutreten, und meine Vorlesung in dieser Sache abzuhalten. Erstens also sind Alle, die das Opium irgend wie erwähnen, ob ausführlich oder nur nebenbei, der Auffassung, die sie allerdings kaum belegen, sondern vielmehr für gegeben hinnehmen, daß es Trunkenheit verursache oder verursachen könne. Nun, Leser, sey meo periculo und zu vollsten Lasten meines Risicos versichert, daß dies niemals der Fall gewesen ist noch seyn kann, durch welche Mengen an Opium auch immer. Was Opiumlösungen (die man im Allgemeinen als Laudanum bezeichnet) betrifft, so könnte eine solche bestimmt Jemanden betrunken machen, wenn er es denn zu Wege brächte, genügend davon einzunehmen – aber nur deßhalb, weil darin so viel reiner Alcohol enthalten ist, nicht weil sie so viel Opium enthielte. Rohopium dagegen, so erkläre ich unnachgiebig, ist in keiner Weise ge94
eignet, den Körper in irgend einen Zustand zu versetzen, der dem vom Alcohol erzeugten irgend wie ähnelte, und es ist dazu nicht nur dem Grade, sondern auch der Art und Weise seiner Wirkung nach ungeeignet, denn hierin unterscheidet es sich vom Alcohol nicht allein quantitativ, sondern auch qualitativ völlig. Die Lust, wie sie der Wein verschafft, ist immerzu im Ansteigen begriffen; sie strebt einem Höhepunct zu, und fällt wieder ab, nachdem sie diesen erreicht hat. Die vom Opium hergerufene Lustempfindung aber, nachdem sie einmal zur Entfaltung gekommen ist, verbleibt für acht oder zehn Stunden auf Einer Stufe. Erstere ist acut, um auf eine technische Unterscheidung der Medizin zurückzugreifen, zweitere chronisch. Die eine ist eine Flamme, die andre ein beständiges, gleichmäßiges Glühen. Der Hauptunterschied jedoch besteht darin, daß der Wein die geistigen Capacitäten durch einander bringt, das Opium hingegen (wenn es in angemessener Weise eingenommen wird) hochrangige Ordnung, Gesetzmäßigkeit und Harmonie unter ihnen stiftet. Der Wein beraubt den Menschen seiner Herrschaft über sich selbst, das Opium bestärkt diese in hohem Maaße. Der Wein rührt die Urtheilsfähigkeit auf, umnebelt sie, und er läßt den Trinkenden mit abnormer Aufgewecktheit und übersteigerter Leb95
haftigkeit verachten und bewundern, hassen und lieben. Das Opium dagegen bringt allen Instancen, thätigen wie duldenden, Ausgleich und Stille, und hinsichtlich der Gemüthsbeschaffenheit und der sittlichen Empfindungen im Allgemeinen verleiht es schlicht die Art von lebendiger Wärme, die die Urtheilsfähigkeit so schätzt, und die wahrscheinlich jeder Körperverfassung von voreiszeitlicher Urgesundheit anhaftet. So läßt das Opium beispielsweise, genau so, wie der Wein, das Herz, Wolwollen und Zuneigungen anwachsen, mit dem bedeutsamen Unterschied aber, daß mit der unvermittelten Entfaltung herzlich freundschaftlicher Regungen in der Trunkenheit immer eine mehr oder weniger ausgeprägte Schwermuth einhergeht, die dem Außenstehenden jene in abstoßender Weise offenbart. Da schütteln sich die Leute die Hände, schwören sich ewige Brüderschaft, vergießen Thränen, kein Sterblicher weiß, wie so, und ganz eindeutig hat das niedere Gefühl die Oberhand. Die aber dem Opium eigene gesteigerte Gutmüthigkeit ist nicht ein Anfall wie von einem Fieber, sondern eine Wiederherstellung des gesunden Geisteszustands, wie er nach Aufhebung sämmtlicher tief sitzender, schmerzlicher, im Widerstreit mit und im Gegensatz zu den ursprünglich guten und gerechten Regungen des 96
Herzens befindlicher Ärgernisse von selbst sich einstellte. Es stimmt, daß sogar der Wein, bis zu einem gewissen Grade und bei gewissen Menschen, den Verstand recht erhaben und beständig macht. Ich, der ich nie ein großer Weintrinker gewesen bin, fand nach einem halben Dutzend Gläsern häufig meine Fähigkeiten zu ihrem Vortheil verändert, ein klareres, eindringlicheres Bewußtsein, ein Gefühl, als wäre mein Kopf ponderibus librata suis, als hielten sich die Gewichte darin die Wage unter einander. Sicherlich ist es völlig abwegig, wenn der englische Volksmund sagt, Jemand gebrauche den Schnaps zur Tarnung, denn ganz im Gegentheil dient den Meisten zur Tarnung ihre Nüchternheit, und erst wenn sie trinken, kommt es dahin, daß sie (wie ein alter Herr im Athenäus sagt) òanto›j õmfanÖzousiu oätinej eäsÖn – daß sie ihr wahres Karakterbild offenbaren, und das kann man ganz bestimmt nicht Tarnung nennen. Dennoch, der Wein führt den Menschen durchweg an den Rand des Absonderlichen und der Auffälligkeit, und von einem gewissen Punct an macht er unvermeidlich die Geistesenergien unstet und zerstreut sie. Das Opium aber scheint immerzu das vordem Erregte in die Ruhe zu bringen und Zerrissenes zusammenzufügen. Kurz und mit Einem Wort gesagt, der Betrunkene oder zur Trunkenheit Neigende 97
befindet sich, und fühlt sich so auch, in einer Lage, in der der blos menschliche und allzu oft der thierische Theil seines Wesens zur Machtübernahme sich aufgerufen fühlt, während der Opiumesser (ich spreche von denen, die nicht an irgend einer Krankheit leiden oder unter sonstigen abseitigen Auswirkungen des Opiums) dessen göttlichern Antheil als den Alles überragenden empfindet, das heißt seine sittlichen Neigungen befinden sich in einem Zustande unumwölkter Stille, und über allem strahlt das herrliche Licht des Verstandes. Dies ist die Lehre der Kirche der Wahrheit vom Opium, als deren einziges Mitglied und Alpha und Omega ich selbst mich anerkenne. Sodann aber muß man sich in’s Gedächtniß rufen, daß ich auf Grund umfänglicher und eingehender eigener Erfahrungen spreche, wo hingegen bei den meisten der kenntnißlosen* Autoren, die sich in irgend einer Weise mit dem Opium befaßt ha* Der riesige Haufe von Reisenden und dergleichen beweist schon durch seine Dummheit, daß er niemals mit dem Opium in Berührung gekommen ist. Vor Einem muß ich meine Leser ganz besonders warnen: Vor dem äußerst geschickten Verfasser des Anastasius. Dieser Herr, der so geistreich ist, daß man ihn für einen Opiumesser halten könnte, macht es durch schwer wiegende Fehldeutungen in Bezug auf die Wirkungen der Drogue (auf den Seiten 215 bis 217 im ersten Band) unmöglich, ihn als solchen anzusehn. Sie müßten ihm selber, wenn er sich’s genauer betrachtete, als solche erscheinen, denn einmal ab-
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ben, sogar bei der Mehrzahl derer, die ausdrücklich über die Materia medica geschrieben haben, wegen der Abscheu, in der sie sich hiebei ergehen, kein Zweifel bestehen kann, daß ihre Versuchserfahrungen mit seinen Wirkweisen gleich Null sind. Trotzdem möchte ich in aller Offenheit einräumen, daß ich Einer Person begegnet bin, die einige Anschauung dafür bot, daß es auch trunken machen kann, und so meinen Unglauben in’s Wanken brachte. Es handelte sich um einen Chirurgen, der selbst im großen Umfange Opium consumirt hatte. Es kam dahin, daß ich zu ihm sagte, seine Feinde würfen ihm vor (wie ich gehört hatte), er rede Unfug über die Politik, und daß diese Freunde ihn entschuldigten, indem sie anführten, daß er sich fortwährend in einem Zustande der Berauschtheit durch das Opium befände. Nun sey der Anklagegrund, sagte ich, nicht prima facie, also dem ersten Anschein nach belegt, und somit nothwendiger Weise unhaltgesehn von den verbreiteten Irrthümern, die ich im Text abgehandelt habe, und die er, nebst andern, in ihrer Gänze übernimmt, wird er wol selbst einräumen, daß ein alter Herr »mit einem schneeweißen Bart«, der »reichliche Mengen Opiums« verzehrt, und dennoch im Stande ist, einen sowol äußert ernst gemeinten, wie auch als solchen verstandenen Rathschlag zu ertheilen, welche üblen Folgen diese Praxis doch habe, kaum als Beweis wird herhalten können dafür, daß das Opium entweder zum frühzeitigen Tode führt, oder zur Einlieferung in’s Irrenhaus. Doch verstehe ich für mein Theil den alten Herrn
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bar, doch der Vertheidigungsgrund sey ersteres sehr wol. Zu meiner Überraschung versicherte er mir jedoch, daß sowol seine Feinde, als auch seine Freunde sich im Recht befänden. »Ich bestehe darauf«, sagte er, »daß ich in der That Unfug rede, und des weitern bestehe ich darauf, daß ich nicht aus Princip Unfug rede, oder weil ich mir Vortheile davon verspräche, sondern einzig und allein«, sprach er, und wiederholte es noch zweimal, »sondern einzig und allein, einzig und allein deßhalb, weil ich vom Opium trunken bin, und das täglich.« Ich erwiederte, daß ich in Anbetracht solch glaubwürdiger Zeugenaussagen sowie in Erwägung der Thatsache, daß bei allen drei betroffenen Parteien Einigkeit bestehe, von weitern Einwendungen gegen die von Seiten seiner Feinde vorgebrachten Anschuldigungen absehen wolle, jedoch Einspruch erheben müsse gegen das zur Vertheidigung Angeführte. Er fuhr und seine Beweggründe. Es wird so seyn, daß er sich in das »kleine goldene Gefäßchen zur Verwahrung der verderblichen Drogue«, das Anastasius bei sich trug, verliebt hatte, und es ihm als der sicherste und gangbarste Weg, seiner habhaft zu werden, in den Sinn kam, dessen Besitzer eine solche Furcht einzujagen, daß er den Verstand verlöre (der im Übrigen nicht einer von den stabilsten gewesen ist). Diese Ergänzung wirft ein neues Licht auf den Vorfall, und macht eine viel bessere Geschichte daraus, denn die Rede des alten Herrn ist, als arzneikundlicher Vortrag betrachtet, hochgradig abwegig, als Eulenspiegelei am Anastasius jedoch liest sie sich ganz famos.
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fort, die Angelegenheit aus einander zu setzen, und legte seine Gründe dar, doch mir schien es unhöflich, ein Streitgespäch weiter zu führen, das davon hätte ausgehen müssen, daß Jemand sich in einer auf seinen Beruf bezogenen Angelegenheit irrte, und so drängte ich selbst dann nicht weiter auf ihn ein, als sich im weitern Gesprächsverlauf Gelegenheit zum Widerspruch zu bieten schien – ganz zu schweigen, daß Einer, der Unfug redet, und sey es auch ohne daß er sich »Vortheile davon verspräche«, nicht unbedingt der angenehmste Discussionspartner ist, ob nun als Opponent oder als Respondent. Ich gestehe allerdings ein, daß die Autorität eines Arztes, zumal eines anerkannter Maaßen guten, gewichtig gegen mein Vorurtheil zu stehen scheint, doch muß ich mich hiebei auf meine Erfahrung berufen, die mit 7 0 0 0 Tropfen am Tag größer war, als seine umfänglichste; und wenn ich auch schlecht unterstellen konnte, einem Mediziner könnten die karakteristischen Symptome der Trunkenheit durch Alcohol nicht geläufig seyn, so kam es mir doch in den Sinn, daß er vielleicht einem Irrthum wider die Logik folgte, indem er das Wort Trunkenheit allzu freimüthig gebrauchte, und es verallgemeinernd auf alle Varianten nervlicher Erregtheit ausdehnte, statt es auf eine bestimmte Art der Erregtheit mit 101
einer ganz bestimmten Diagnostik einzugränzen. Ich habe höchst persönlich Leute von sich behaupten hören, der grüne Thee habe sie betrunken gemacht, und ein Medizinstudent in London, für dessen Fachwissen ich nur den größten Respect empfinden kann, versicherte mir kürzlich, daß ein Patient, während er von einer Krankheit genas, von einem Beefsteak betrunken worden sey. Nachdem ich mich so lange mit dem ersten und meistbegangnen Irrthum in Sachen Opium beschäftigt habe, will ich nun in aller Kürze noch einen zweiten und einen dritten vermerken. Diese sind, daß die vom Opium bewirkte Geisteserhebung nothwendiger Weise von einer entsprechenden Niedergeschlagenheit gefolgt würde, und daß die natürliche und sogar sofortige Folge des Opiumgenusses seelische wie geistige Erstarrung und Erlahmung wäre. Für den ersten dieser Irrthümer soll mein schlichtes Nein genügen. Ich versichere meinem Leser, daß über zehn Jahre hinweg, in denen ich das Opium in zeitlichen Abständen genoß, der Tag nach einem solchen Rausche durchweg ein ungewöhnlich frohgemuther Tag gewesen ist. Was die Erstarrung anbelangt, von der behauptet wird, sie folge oder vielmehr (wenn wir den zahlreichen Abbildungen von türkischen 10 2
Opiumessern Glauben schenken wollen) sie begleite die Praxis des Opiumessens, so leugne ich auch diese. Gewiß, das Opium wird der Sparte der Narkotica zugeordnet, und es mag letztendlich auch gewisse derartige Auswirkungen haben können. Aber die vorrangigen Wirkungen des Opiums auf den Menschen sind immer und im höchsten Maaße an- und erregender Art. Bei mir hielt in der Zeit nach meinem Eintritt in den heiligen Orden der Opiumesser dieses erste Stadium immer bis zu acht Stunden lang an. Es muß daher dem Opiumesser selbst als Fehler angelastet werden, wenn er die Verabreichung der Dosis (um es medizinisch auszudrücken) zeitlich nicht so abpaßt, daß sich das gesammte Gewicht des narkotisirenden Einflusses des Opiums auf seinen Schlaf niederschlagen kann. Die türkischen Opiumesser scheinen, wie so viele Reiterstatuen, thöricht genug zu seyn, sich auf hölzerne Balken zu stützen, die so dumm sind, wie sie selbst. Doch damit der Leser beurtheilen kann, in welchem Grade das Opium dazu neigt, einen Engländer mit Dummheit zu schlagen, will ich (indem ich nicht argumentativ, sondern illustrativ in dieser Frage verfahre) beschreiben, auf welche Weise ich häufig meine Opiumabende in London in der Zeit von 18 04 bis 1812 verbrachte. Man wird ersehen können, daß mich das Opium zumindest 10 3
nicht dazu gebracht hat, die Einsamkeit zu suchen, und noch viel weniger dazu, der Unthätigkeit zu fröhnen oder der Erstarrtheit des In-sichselbst-Gekehrtseyns, wie man es den Türken zuschreibt. Ich erstatte diesen Bericht auf die Gefahr hin, daß man mich zu einem irre redenden Schwärmer und Träumer abstempelt, aber das bekümmert mich wenig. Ich muß meinen Leser dringlich ersuchen, sich bewußt zu machen, daß ich ein sehr arbeitsamer Student war, alle sonstige Zeit auf nüchternste Studien zubrachte, und gewiß so gut, wie Andere auch, ein Recht auf gelegentliche Erholung hatte, die ich mir aber selten gönnte. Der verstorbene Duke von —— pflegte zu sagen: »Nächsten Freitag beabsichtige ich mich, so Gott will, zu betrinken.« In ähnlicher Weise pflegte ich im Voraus festzulegen, wie viele Male innerhalb einer bestimmten Zeit und wann ich einen Opiumexceß feiern würde. Dies geschah selten häufiger, als einmal alle drei Wochen, denn zu dieser Zeit hätte ich nicht wagen können, mir jeden Tag (wie ich es später that) »ein Glas Laudanum-Punsch, lauwarm und ohne Zucker« zu genehmigen. Nein, wie gesagt, ich trank zu dieser Zeit selten häufiger als einmal alle drei Wochen Laudanum. Dies geschah gewöhnlich Dienstag oder Samstag Nachts, aus dem folgenden 104
Grunde: An diesen Tagen sang die Grassini in der Oper, und ihre Stimme war mir erfreulicher, als Alles, was ich je zuvor gehört hatte. Ich weiß nicht, wie es gegenwärtig um das Opernhaus steht, denn seit sieben oder acht Jahren habe ich nicht mehr in seinen Hallen geweilt; doch zu jener Zeit war es bei weitem der angenehmste öffentlich zugängliche Ort in ganz London, einen erholsamen Abend darin zu verbringen. Um fünf Shilling kam man auf die Gallerie, wo man viel weniger Belästigungen ausgesetzt war, als im Parquett. Das Orchester hob sich in seiner melodischen Eleganz wolthuend von allen andern in England ab, deren Zusammensetzung, wie ich eingestehe, meinem Ohr auf Grund des Übergewichts der metallischklingenden Instrumente und wegen der unumschränkten Gewaltherrschaft der Geige nicht hinnehmbar ist. Die Chöre waren göttlich anzuhören, und wenn dann die Grassini, wie sie’s oftmals that, zu einem Zwischenspiel auftrat, und ihre leidenschaftliche Seele ergoß als Andromache an Hektors Grab u. s. w. – da frage ich mich, ob auch nur Einer von den Türken, die das Paradies der Opiumesser zu irgend einer Zeit betraten, darin jemals auch nur halb so große Lust, wie ich, empfunden hat. Doch thu’ ich den Barbaren schon zu viel der Ehre an, wenn ich sie an die eines Engländers heranrei10 5
chender Lustempfindungen des Verstandes fähig erachte. Die Musik nämlich ist eine Verstandesoder Sinneslust, je nach Temperament dessen, der sie hört. Und im Übrigen entsinne ich mich, abgesehen von der sehr schönen Fantasia hierüber in »Was ihr wollt«*, nur einer einzigen adäquaten Äußerung in der ganzen Litteratur zum Thema Musik. Diese stammt von Sir T. Brown, aus seiner »Religio Medici†«, und obgleich sie vor allem ihrer Erhabenheit wegen Erwähnung verdient, hat sie auch philosophischen Werth in so fern, als sie auf die wahrhaftige Wirkungstheorie der Musik hindeutet. Die Meisten begehen den * Shakespeare, Twelfth Night, erster Act, erste Scene, der Herzog von Illyrien: If music be the food of love, play on, So die Musik der Liebe Futter giebt, spielt weiter, Give me excess of it, that, surfeiting, Gebt mir davon im Übermaaß, damit dem The appetite may sicken and so die. Appetit zu viel und schlecht wird und ein Ende. That strain again ! It had a dying fall; Noch einmal die Passage ! Sie verströmte sich so tief, O, it came o’er my ear like the sweet south Oh, überkam mein Ohr so, wie der süße Südwind, That breathes upon a bank of violets, Der über Veilchenreihen hinbläst † Ich habe das Buch im Augenblick nicht zur Hand, als daß ich nachschlagen könnte, doch glaube ich, daß der Abschnitt so beginnt: »Und selbst die derbe Wirthshausmusik, die den Einen fröhlich, den Andern rasend macht, wirkt in mir Anwandlungen tiefer Verehrung«, u. s. w.
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Fehler anzunehmen, sie stünden über das Ohr mit der Musik in Verbindung, und ihrem Wirken somit ausschließlich passiv gegenüber. Dem ist aber nicht so; vielmehr werden die Lustempfindungen hiebei erst durch die formende Thätigkeit des Geistes an Hand des über das Ohr stofflich Wahrgenommenen und auf dieses hin erstellt. Daher rührt es, daß sich Menschen mit gleich gutem Gehör in dieser Hinsicht so sehr von einander unterscheiden. Nun bewirkt das Opium eine Vermehrung der geistigen Activität im Allgemeinen, und somit nothwendiger Weise auch deren Einer Erscheinungsform, die uns befähigt, Stealing and giving odour ! Enough, no more; Und Duft sich nimmt und Duft verleiht ! Schluß, ’Tis not so sweet now as it was before. genug, Es ist so annehmlich nicht mehr, als noch beim ersten O spirit of love, how quick and fresh art thou ! Mal. Der ganze Liebesspuk, der ist so lustig aufgeregt, That, notwithstanding thy capacity Daß ungeachtet seines oceanischen FassungsvermöReceiveth as the sea, nought enters there, gens Nichts hinein gelangt, von welcher Tiefe der BedeutOf what validity and pitch soe’er, samkeit, Von welcher Höhe der Gestimmtheit es auch seyn mag, But falls into abatement and low price Was nicht binnen einer einzigen Minute jeden Wert Even in a minute. So full of shapes is fancy, verlöre Und zum Schleuderpreis zu haben wäre. Ich hab’ mir da was in den Kopf gesetzt, That it alone is high fantastical. Und weiß nicht mehr, wo er mir steht davon.
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den vom Sinnesapparat bereit gestellten Rohstoff Klang zum Endproduct Verstandeslust weiter zu verarbeiten. Doch, wie sagte ein Freund von mir: »Eine musikalische Tonfolge ist für mich, wie eine Ansammlung von arabischen Schriftzeichen: Ich kann ihr keine Gedanken zuordnen.« Guter Mann, Gedanken ! Die sind hier gar nicht gefragt. Denn im vorliegenden Fall steht den verfügbaren Gedanken auf ihrer ganzen möglichen Bandbreite die Sprache entsprechender Gefühlsregungen zur Seite. Doch ist das eine Angelegenheit, die meinen jetzigen Zwecken fremd ist. Es genügt, festzustellen, daß ein Chorgesang oder dergleichen von feingefügter Harmonie, einer buntbemalten Wandbespannung gleich, mein vergangenes Leben zur Gänze vor mich hin ausgebreitet hat – aber nicht, wie vom Gedächtniß erinnert, sondern so, als wäre es gegenwärtig und in der Musik verkörpert gewesen, und es schmerzte mich nicht, daran zu denken; es waren die Einzelheiten des Geschehenen fortgenommen oder zu einem verschwommenen Auszug daraus vermengt, und die Leidenschaften waren vergeistigt und hoch erhaben gemacht – und alles das war für fünf Shilling zu haben. Zusätzlich zur Musik auf der Bühne, im Orchestergraben hatte ich in den Pausen überall um mich herum noch die Musik der italiänischen 108
Sprache im Munde italiänischer Damen, denn die Gallerie war für gewöhnlich voll von Italiänern, und ich lauschte ihnen mit einer Lust, wie sie der Reisende Weld in Kanada fühlte, als er da lag, und dem süßen Gekicher der Indianerfrauen lauschte. Je weniger man eine Sprache versteht, desto feiner empfindet man den Wol- oder aber Misklang in ihr, und in dieser Hinsicht war mir darum von Vortheil, daß ich über so geringe Kenntnisse des Italiänischen verfügte, es gerade einmal ein wenig lesen, überhaupt nicht sprechen konnte, und nicht ein Zehntel von dem verstand, was ich dort reden hörte. Dies waren meine Opernlüste. Doch hatte ich andere Lust, die, weil sie nur Samstag Abends zu haben war, gelegentlich mit meiner Liebe zur Oper in’s Gehege kam, denn zu dieser Zeit wurden die Opern regelmäßig Dienstags und Samstags gegeben. Ich fürchte, ich werde mich in dieser Angelegenheit recht bedeckt halten müssen, jedoch auch nicht mehr, wie ich meinem Leser versichern kann, als etwa Marinus in seiner Schrift über das Leben des Proclus oder andere Biographen und Autobiographen von gutem Ansehen sich bedeckt gehalten haben. Diese Lust, wie gesagt, war nur Samstag Abends zu haben. Wie so aber galt mir der Samstag Abend mehr, als die andern Abende ? Ich hatte keine Arbeit, von 109
der ich mich hätte erholen müssen, keinen Lohn, den ich hätte ausbezahlt bekommen können. Was brauchte ich also viel Aufhebens um den Samstag Abend machen, statt einfach nur pflichtschuldig hinzugehn, und die Grassini hören ? Wirklich, Leser, der Du so überaus logisch raisonnirst, deine Fragen sind unbeantwortlich. Und doch war es immer und ist auch heute noch so, daß ich, während Andere ihre Regungen in andere Kanäle zwingen, und die Meisten dazu neigen, ihr Interesse an den Betreffnissen der Armen in der Hauptsache durch Antheilnahme für deren Sorgen und Nöthe beweisen, das sie in der einen oder andern Form zum Ausdruck bringen, daß ich hingegen mein Interesse lieber durch Theilnahme an ihren Verlustirungen ausdrücke. Von den Leiden der Armuth hatte ich zuletzt zu viel gesehen, als daß ich daran hätte zurückdenken wollen. Die Zerstreuungen der Armen aber, ihre Tröstungen geistiger Art, wie sie sich von harter körperlicher Arbeit erholen, dies Alles kann nie und nimmer bedrückend mit anzusehen seyn. Nun ist der Samstag Abend die Zeit, wo vor allem und mit periodischer Regelmäßigkeit Ruhe bei den Armen einkehrt. Darin sind sich selbst die einander feindlichsten Secten einig, und erkennen ein gemeinsames Band der Brüderlichkeit an, und fast die gesammte Christenheit ruht sich 110
dann von ihrer Arbeit aus. Es ist dies eine zu weiterer Ruhe überleitende Ruhe, die durch einen ganzen Tag und zwei Nächte von der Rückkehr zu harter Arbeit geschieden ist. Darum kommt es mir an Samstag Abenden stets so vor, als wäre ich selber gleichfalls von einem Joch gestrenger Mühn befreit, würde meinen Lohn in Empfang nehmen, und könnte mir genüßlich nun etwas Erholung gönnen. Um deßhalb Zeuge des Schauspiels zu seyn, mit dem ich so gänzlich mitfühlte, um so viel, wie möglich, davon mitzubekommen, zog ich oftmals Samstag Abends los, nachdem ich Opium genommen hatte, ohne viel der Richtung oder der Entfernung zu achten, ging auf den Märkten umher und überall dort in London, wo am Samstag Abend die Armen verkehrten, um ihren Lohn auszugeben. So manchen Familienverband, aus Mann und Frau bestehend und einem oder zwei von ihren Kindern manchmal, konnt’ ich belauschen, wie sie da standen, sich über Mittel oder Wege beriethen oder über ihre Finanzkraft oder die Preise der Haushaltswaaren. Allmählich wurde ich mit ihren Wünschen und Schwierigkeiten und Ansichten vertraut. Manchmal ließ sich ein unzufriedenes Murren hören, doch weit häufiger gaben ihre Gesichter und ihre Worte der Geduld, der Zuversicht und ruhiger Gelassenheit Ausdruck. Im All111
gemeinen muß ich sagen, daß zumindest in dieser Hinsicht die Armen mehr Lebensweisheit besitzen, als die Reichen, daß sie viel eher bereit sind, ohne den Kopf hängen zu lassen sich unter das zu beugen, was sie als unabhülfliche Übel oder nicht wieder gut zu machende Verluste ansehen. Wann immer sich mir die Gelegenheit bot, wann immer ich mich, ohne aufdringlich zu erscheinen, zu den Grüppchen gesellen konnte, that ich’s, und steuerte meine Ansicht bei zu dem, was da gesprochen wurde, und zwar erfuhr ich nicht jedes Mal die gerechte Würdigung hiefür, aber immer doch Nachsicht. Wenn die Löhne ein wenig gestiegen waren oder wahrscheinlich bald steigen würden oder wenn der Preis für den Viertellaib um ein Weniges fiel oder wenn berichtet wurde, daß Zwiebeln und Butter wahrscheinlich bald billiger würden, dann war ich froh, jedoch wenn das Gegentheil der Fall war, diente mir das Opium zu einiger Tröstung. Das Opium nämlich ist im Stande (so wie die Biene, die das Ihrige ohne Unterschied der Rose wie der Kaminasche abgewinnt), jegliche Regung sich unterthan und Einem Generalschlüssel gefügig zu machen. Manche meiner Wanderungen führten mich nach weit fort, denn der Opiumesser ist sich zu glücklich, um dem Fortgang der Zeit Beachtung zu schenken. Manchmal geschah es mir bei meinen 112
Versuchen, nach der Heimath zu steuern, wenn ich hiezu nach seemännischer Verfahrensart das Auge auf den Polarstern geheftet hielt, und ehrgeizig nach einer Nordwestpassage suchte, daß ich am Ende, statt sämmtliche Landspitzen und -zungen umschifft zu haben, noch einmal so weit auf die offene See hinaus gesegelt war, daß ich mich unvermittelt mit verwickelten Problemen der Straßenführung, mit änigmatischen Einfahrten, mit Sphingenräthseln gewisse Sackgassen betreffend confrontirt sah, wie sie wol, denke ich mir, so manchen Pförtner um den letzten Rest an Wagemuth, so manchen Droschkenkutscher um das letzte Bischen Hirn hätten bringen müssen. Fast hätt’ ich manches Mal glauben wollen, ich müsse der Erstentdecker einer dieser Terrae ignoticae seyn, und ich fragte mich, ob sie wol alle schon in den neusten Stadtplänen von London eingezeichnet wären. Doch ich habe für all das in spätern Jahren, die da noch ferne lagen, einen hohen Preis bezahlen müssen, als dann das menschliche Gesicht seine Schreckensherrschaft über meine Träume ausübte, die Wirrnisse meiner Wege durch London zu mir zurückkehrten und meinen Schlaf heim suchten, sittliche Irrungen, Geistesverwirrung, die die Vernunft durch einander brachten, und das Gewissen bange und reumüthig machten. 113
Ich habe somit gezeigt, daß das Opium nicht nothwendiger Weise Unthätigkeit oder Erstarrung hervorruft, daß es mich ganz im Gegentheil häufig auf die Märkte, in die Theater führte. Doch will ich in aller Offenheit hinzufügen, daß Märkte und Theater nicht die angemessenen Aufenthaltsorte für den Opiumesser sind, wenn der sich in dem höchst göttlichen Zustande befindet, der sich aus seiner Vergnügung herleitet. In diesem nämlich werden ihm Menschenansammlungen zur Bedrückung, Musik sogar, zu sinnlich und zu grob. Er sucht naturgemäß die Einsamkeit und die Stille als unabdingliche Voraussetzungen für jene Trancezustände, tiefsten Träumereien, die Krönung sind und Vollendung all dessen, was das Opium für das menschliche Wesen zu wirken vermag. Ich, der ich daran kranke, daß ich zu viel Tiefsinn treibe, und zu wenig beobachte, und der ich auf meinen Eintritt in’s College hin beinahe tiefer Melancholie anheim gefallen wäre, weil ich zu viel über das Elend nachbrütete, das ich in London erlebt hatte, ich war mir hinreichend der Neigungen meiner eigenen Gedanken bewußt, so daß ich Alles thun konnte, ihnen entgegenzuwirken. Wie man von denen sagt, die einmal die furchtbaren Orakel in der Höhle des Trophonius geschaut, sie könnten im Leben keine Freude mehr fühlen, so 114
war’s mit mir, und ich suchte mein Heilmittel, indem ich mich in menschliche Gesellschaft zwang, und meinen Verstand über wissenschaftlichen Dingen in fortgesetzter Thätigkeit erhielt. Hätte ich diese Heilmittel nicht gehabt, ich wäre mit Sicherheit hypochondrisch und melancholisch geworden. In spätern Jahren allerdings, als meine Zuversicht vollends wieder hergestellt war, habe ich meiner natürlichen Neigung zum Leben in Einsamkeit nachgegeben, und wenn ich Opium genommen hatte, verfiel ich oftmals zu dieser Zeit in’s Träumen. Mehr als einmal widerfuhr mir dann, wenn ich in Sommernächten am offenen Fenster eines Zimmers saß, von dem aus ich über’s Meer eine Meile weg von mir schauen konnte, und den Ausblick über die große Stadt L— in ungefähr gleicher Entfernung hatte, daß ich von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, ohne mich zu bewegen, so da saß, ohne daß ich mich hätte bewegen wollen. Man wird mich des Mysticismus, des Böhmeïsmus, des Quietismus u. s. f. bezichtigen, doch das soll mich nicht schrecken. Sir H. Vane der Jüngere war einer unsrer klügsten Männer, und meine Leser mögen selber prüfen, ob er in seinen philosophischen Werken auch nur halb so unmystisch ist, wie ich. So sage ich’s denn, daß es mir oft in den Sinn kam, daß jene Scene an und für 115
sich gewisser Maaßen typisch war für das, was sich in solchen Träumereien abspielte. Die Stadt L— stand dabei für die Erde, die ihre Sorgen und Beschwernisse hinter sich gelassen, jedoch nicht aus den Augen verloren, und nicht gänzlich vergessen hatte. Das Meer in seiner immerwährend sachten Aufgewühltheit, der gurren Stille, die über ihm lag, mochte gut und gerne für die Seele stehen und für die Stimmung, die darin ihr Scepter schwang und wiederum schwingen machte. Denn es schien mir, als stünde ich zum ersten Male abgesondert, abgehoben vom Aufruhr des Lebens, als sey das Lärmen, das Fiebern, das Kämpfen aufgehoben, als sey Ruhe vor den verborgenen Bürden des Herzens verfügt worden, ein Schabbath der Rast, ein Ausruhn von den Mühen des Menschseyns. Hier waren die Hoffnungen, die dem Lebenspfad erblühen, versöhnt mit dem Frieden, der sich im Grabe findet, hier war der Verstand in Regung und so wenig matt, wie der Himmel, und doch war für alles Ängstigen Eine alcyonesische Stille vorhanden, eine Stille, die nicht von Trägheit herrührte, sondern von gewaltigem Widerstreit an Stärke einander gleich kommender Gegensätze, ewiges Thätigseyn, ewiges Ausruhn, hervorgebracht schien. Oh, gerechtes und zartes, gewaltiges Opium ! Das du den Herzen der Armen wie der Reichen 116
gleicher Maaßen, den nieverheilenden Wunden, den »Schicksalsschlägen, die zur Rebellion aufreizen«, lindernden Balsam bringst ! Beredtes Opium, das mit deiner Alles vermögenden Zungenfertigkeit du dem Zorn die Zwecke abspenstig machst, dem Schuldigen für Eine Nacht das Hoffen seiner Jugend wieder giebst und vom Blut gereinigte Hände, dem Stolzen, daß er für kurze Zeit vergißt Wrongs unredress’d, and insults unavenged, Unvergoltnes Unrecht, ungerächte Schmähungen,
das du zum Triumph der duldenden Unschuldigen die falschen Zeugen vor das Tribunal der Träume beorderst, das du die Meineide offen legst, und die ungerechten Richtersprüche aufhebst – du erbaust an der Dunkelheit Busen aus Trugbildern des Gehirns Tempel und Städte, kunstvoller, als die eines Phidias oder Praxiteles, prunkvoller, als Babylon oder das hundertthorige Theben, und »mit der Herrschaftslosigkeit des Traums im Schlafe« rufst du längst in Gruften ruhende Gracien in’s Sonnenlicht zurück, und Antlitze Verwandter, von der »Entehrung durch das Grab« gereinigt. Du allein bringst den Menschen solche Gaben dar, und du besitzest den Schlüssel zum Paradies, oh gerechtes und zartes, gewaltiges Opium ! 117
Einführung in die Opiumleiden G EN EI G T ER und, wie ich hoffe, nachsichtiger
Leser (denn alle meine Leser müssen nachsichtige Leser seyn, sonst, fürchte ich, werde ich sie zu sehr choquiren, um auf ihre Geneigtheit zählen zu können), der Du mir so weit gefolgt bist – laß mich Dich nun bitten, ungefähr acht Jahre weiter zu ziehen, das heißt vom Jahr 18 04 (als, wie gesagt, meine Bekanntschaft mit dem Opium ihren Anfang nahm) in’s Jahr 1812. Die Studienzeit ist nun vorüber und vorbei, beinahe vergessen, die Studentenmütze drückt nicht mehr meine Schläfen – wenn es sie überhaupt noch giebt, so drückt sie nun die von einem jungen Studiosus, der, will ich hoffen, so glücklich ist, wie ich damals, und so leidenschaftlich dem Wissen zugethan. Meine Robe, möchte ich behaupten, befindet sich wol in demselben Zustande, wie viele Tausend hervorragende Bücher in der Bodleyanischen Bibliothek zu Oxford, will sagen, daß zu eingehender Durcharbeitung ein eifriges Völkchen von Motten und Würmern damit befaßt ist. Jedenfalls das Einzige, was ich von ihrem Lebenswege sicher weiß, ist, daß sie in die großen 118
Asservatenkammern des Irgendwo entschwunden ist, so wie alle jene Theetassen, Theedöschen, Theekannen und -kessel u. s. f. dorthin entschwanden (ganz zu schweigen von noch viel zerbrechlichern Gefäßen, Gläsern, Caraffen, Wärmflaschen u. s. w.), an die als einstmals in meinem Besitze befindlich mich jenen ähnelnde Theetassen u. s. w. der heutigen Generation gelegentlich gemahnen, und von deren Verschwinden und letztendlichem Schicksal ich, wie ich vermuthe, gleich den meisten Robenträgern von Oxford sowie auch von Cambridge nur eine auf zuhöchst zweifelhafte Vermuthungen sich stützende Historie anzugeben wüßte. Die fürchterliche Cappellenglocke, die mit ihrem höchst unwillkommnen Bimmeln tagtäglich um sechs Uhr zur Morgenmesse rief, schreckt mich nun nicht mehr aus dem Schlafe. Der Pförtner, der den Strang zog, über dessen anmuthige Nase (bronzen mit kupfernen Einlegearbeiten) ich zur Vergeltung beim Ankleiden zahlreiche griechische Epigramme schrieb, der ist todt und belästigt nun Niemanden mehr, und ich, der ich, wie so viele Andere, unter seinen glöcknerischen Neigungen zu leiden hatte, bin nun einvernehmlich dahin gekommen, seine Irrungen ihm nachzusehn und zu vergeben. Selbst der Glocke stehe ich wolwollend gegenüber. Ich vermuthe, daß sie dreimal täglich 119
läutet, wie ehedem, zweifelsohne in grausamer Weise dabei viele werthe Herrschaften verärgert, und den Seelenfrieden ihnen stört. Doch was mich betrifft, nun, im Jahre 1812, so achte ich ihrer verrätherischen Stimme nicht mehr (verrätherisch nenne ich sie, denn in einer Art höherer Gemeinheit sprach sie in süßen, silbernen Tönen gerade so, als wollte sie Einen zum Stelldichein locken). Ihr Geräusch dringt nicht mehr bis zu mir durch, und kann gar nicht, selbst wenn der Wind so günstig wehte, wie es sich der Glocke böser Wille nur wünschen könnte, denn ich bin zwei hundert und funfzig Meilen weit davon entfernt im tiefsten Gebirge eingegraben. Was ich inmitten der Berge mache ? Opium nehmen. Jaja, und sonst ? Nun, Leser, im Jahr 1812, in dem wir somit angelangt sind, habe ich, wie schon in den vorangegangnen Jahren, vorwiegend die deutsche Metaphysik studirt, die Schriften Kants, Fichtes, Schellings u. s. f. Und wie und auf welche Art und Weise lebe ich ? Kurz gesagt, zu welcher Art von Leuten, welchem Menschenschlage hat man mich zu rechnen ? Ich wohne derzeit, das heißt 1812 in einer Hütte, zusammen mit einer einzelnen, weiblichen Dienstperson (honi soit qui mal y pense), die bei meinen Nachbarn unter der Bezeichnung »Haushälterinn« durchgeht. Und als Gelehrter, als gebildeter 12 0
Mensch und in diesem Sinne als ein Gentleman darf ich’s mir wol verstatten, mich als ein unwürdiges Mitglied jeder gränzenlosen Körperschaft so genannter Gentlemen zu classificiren. Zum Theil vielleicht aus dem angeführten Grunde, zum Theil weil ich in keiner ersichtlichen Weise einem Berufe oder Geschäft nachgehe, kann man mit einigem Recht davon ausgehen, daß ich von meinem Privatvermögen lebe. So halten’s damit meine Nachbarn, und wie es die englische Höflichkeit unsrer Tage gebietet, titulirt man dem zu Folge mich auf Briefen und dergleichen zumeist als Esquire, obwol ich, wie ich fürchte, wenn es nach den gestrengen Auslegungen der Wappenherolde gehen soll, nur wenig Anspruch auf diese hohe Ehre erheben kann. Jawol, nach Einschätzung der Allgemeinheit bin ich X. Y. Z., Esq., doch bin ich kein Friedensrichter und stehe auch nicht im Auftrage, als Custos Rotulorum des Reiches Schriftrollen zu hüten. Bin ich verheirathet ? Noch nicht. Und nehme ich noch immer Opium ? An Samstag Abenden. Und habe ich es wol immerzu genommen, ohne zu erröthen, seit jenem »regnerischen Sonntag« und dem »prachtvollen Pantheon« und dem »glückbringenden Droguisten« von 18 04 ? Ja, durchaus. Und wie befindet sich meine Gesundheit nach all dem Opiumessen ? Kurz gefragt, wie geht es mir ? 121
Nun, durchaus leidlich, besten Dank, Leser, oder wie die Ärzte in ihren Bulletins zu vermelden pflegen, »den Umständen entsprechend gut«. Ich habe mich, wagte ich, die schlichte Wahrheit zu sagen, obgleich ich, um den Theorien der Mediziner zu genügen, krank seyn müßte, nie in meinem Leben besser befunden, als jetzt, im Frühling 1812, und ich hoffe aufrichtig, daß die Menge an Bordelaiser oder Port-Wein oder »ausgesuchtem Madeira«, die Du, guter Leser, aller Wahrscheinlichkeit nach jemals über einen Achtjahreszeitraum zu Dir genommen hast oder in Zukunft noch über einen solchen hinweg einzunehmen gedenkst, solange Dein Leben währt, Deine Gesundheit so wenig aus dem Loth bringen werde, wie meine aus dem Loth gebracht wurde von all dem Opium, das ich in den acht Jahren von 18 04 bis 1812 einnahm. Hieran magst Du wiederum ersehen, wie gefährlich es ist, sich medizinischen Rathschlag beim »Anastasius« einzuholen – in theologischen oder juristischen oder was weiß ich für Angelegenheiten mag er ein verläßlicher Rathgeber seyn, aber nicht in medizinischen. Nein, viel besser befragt man Dr. Buchan, wie ich es that, denn nie habe ich des werthen Herrn treffliche Empfehlung vergessen, und war immer »ganz besonders darauf bedacht, niemals mehr, als fünfundzwanzig Unzen Laudanum auf ein12 2
mal zu nehmen«. Dieser Mäßigkeit und bedächtigen Verwendung des Gegenstands darf ich wol zuschreiben, daß ich zumindest bislang die schreckliche Rache, die das Opium für die bereit hält, die seine Milde misbrauchen, weder kenne, noch erahnde. Dabei darf man aber nicht vergessen, daß ich bis jetzt nur ein GelegenheitsOpiumesser war. Selbst achtjährige Erfahrung, mit der einzigen Einschränkung, daß ich zwischen den einzelnen Räuschen ausreichend viel Zeit verstreichen ließ, hat nicht genügt, das Opium zu einem nothwendigen Bestandtheil meines alltäglichen Speisenzettels werden zu lassen. Doch bricht nun eine andere Zeit an. Komm, Leser, nun bitte weiter mit mir, in’s Jahr 1813. Im Sommer des Jahres, das wir so eben verlassen haben, hatte meine körperliche Gesundheit sehr unter seelischen Belastungen in Verbindung mit einem äußerst beklagenswerthen Ereigniß gelitten. Da dieses Ereigniß in keinster Weise mit dem zu thun hat, wovon ich als Nächstes berichten will, außer durch die körperliche Erkrankung, die es hervorrief, brauche ich nicht weiter darauf einzugehn. Ob diese Krankheit von 1812 etwas mit der von 1813 zu thun gehabt hatte, weiß ich nicht; jedenfalls befiel mich in letzterem Jahr eine zuhöchst entsetzliche Magenreizung, die in jeder Hinsicht der glich, die mir in meiner Jugend 12 3
so viel Leid verursacht hatte, und sie ging mit einem Wiederaufleben der alten Träume einher. Man kann sagen, daß dies die Stelle meiner Erzählung ist, von der, was die Rechtfertigung meiner selbst betrifft, alles Weitere abhängt. Und hiebei befinde ich mich in einer überaus schwierigen Zwangslage: Entweder würde ich einerseits die Geduld meines Lesers über Gebühr beanspruchen, wenn ich meine Krankheit und mein Ankämpfen dagegen so eingehend beschriebe, daß meine Unfähigkeit, noch länger mit dem von der Magenreizung verursachten fortwährenden Leiden zu ringen, hinreichend deutlich würde – oder aber ich würde andererseits, wenn ich über diese entscheidende Stelle meiner Geschichte hinweghuschte, den Vortheil preis geben, einen stärkern Eindruck beim Leser hinterlassen zu haben, und mich der falschen Vorstellung ausliefern, ich wäre leichthin nach und nach, wie ein ganz zügelloser Mensch, vom ersten in’s letzte Stadium der Opiumesserei abgeglitten (eine Vorstellung, zu der bei den meisten Lesern, in Folge meiner bisherigen Eingeständnisse, eine unterschwellige Bereitschaft bestehen dürfte). Dies sind die Stühle, zwischen denen ich sitze, und der erste von den beiden ist geeignet, daß man damit jede noch so geduldige Leserschaar auf die Hörner nehmen, und durch 12 4
die Luft wirbeln könnte, selbst wenn sie sechzehn Reihen stark stünden und ständig neue Mannschaften von hinten nachrückten – folglich ist hieran nicht zu denken. Es bleibt mir nichts Anderes übrig, als zu behaupten, was meinen Zwecken nöthig ist. Und laß mich so viel Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen für das, was ich behaupte, guter Leser, als hätte ich es auf Kosten Deiner und meiner Geduld nachgewiesen. Sey nicht so ungnädig, mich in Deinem Ansehn sinken zu lassen wegen meiner Nachgiebigkeit und Werthschätzung Deinem Wolergehen gegenüber. Nein, glaube mir Alles, was ich Dich zu glauben ersuche, gestehe es mir zu und sey so gut, und glaube mir, daß ich nicht länger widerstehen konnte, oder aber glaube es vorsichtshalber – denn wenn Du mir nicht glaubst, dann werde ich Dich glauben machen und Dich erzittern lassen in der nächsten, überarbeiteten und erweiterten Ausgabe meiner Opiumbekenntnisse, und à force d’ennuyer werde ich dann eine solche Gähnsucht über alle meine Leser bringen, daß sie hernach schlicht nie wieder den Muth zusammenbrächten, irgend eine Behauptung in Zweifel zu ziehen, die ich aufzustellen für richtig erachte. So laß es mich denn wiederholen: Ich behaupte, daß ich zu der Zeit, da ich täglich Opium zu nehmen begann, nicht anders konnte. Ob ich 12 5
es später dann nicht hätte bewerkstelligen können, diese Gewohnheit wieder zu durchbrechen, auch wenn mir alle Anstrengungen hiezu nutzlos erschienen, und ob nicht viele der ungezählten Anstrengungen, die ich in der That unternahm, viel consequenter hätten durchgeführt werden können, ob mein allmähliches Zurückerobern verlornen Terrains nicht sehr viel nachdrücklicher hätte betrieben werden können – dies alles sind Fragen, auf die ich nicht eingehen möchte. Wo möglich könnte ich mildernde Umstände geltend machen, jedoch – aber soll ich aufrichtig sprechen ? Ich gestehe, es ist eine beständig lauernde Schwäche von mir, ich bin übertrieben eudämonistisch veranlagt. Ich strebe zu sehr nach Zuständen des Glücks sowol für mich, wie für Andere; ich kann dem Unglück, sey es meinem eigenen, sey’s dem Andrer, nicht fest genug in’s Gesicht sehen, und ich verfüge über nur begränzte Fähigkeiten, Schmerzen in der Gegenwart um etwaigen Lohns zum Ausgleich in der Zukunft willen zu ertragen. Bei mancherlei Dingen bin ich einer Meinung mit den Herren vom Baumwollhandel* in Manchester, wenn es * Ein schöner Zeitungssaal, den mir einige Herren aus Manchester höflichst zur Verfügung stellten, als ich durch ihre Stadt reiste, nennt sich, glaube ich, »Die Vorhalle«. Hieraus folgerte ich, der ich in Manchester fremd bin, daß die Abon-
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darum geht, die stoische Philosopie drauf anzuwenden, aber nicht bei dieser. Hier nehme ich mir die Freiheit des Eklektikers heraus, mich nach einer zuvorkommenden und nachsichtigen Secte umzuschauen, die eher geneigt ist, sich zu dem Opiumesser in seinem schwächlichen Zustande herabzulassen, nach einer Secte, in der sich »liebenswürdige Leute« finden, wie Chaucer sagt, »die die Absolution ertheilen«, und Milde walten lassen bei den Bußen, die sie auferlegen, angesichts der Anstrengungen, die die Enthaltsamkeit einem armen Sünder, wie mir, abverlangt. Ich kann in meiner schlechten nervlichen Verfassung einen unmenschlichen Moralisten so wenig aushalten, wie ungekochtes Opium. Jedenfalls muß Jemand, der mich anweist, schwere Fracht der Entsagung und Kasteiung auf eine Kreuzfahrt sittlicher Besserung auszusenden, mir hinreichend einsichtig machen, daß die Angelegenheit eine hoffnungsvolle ist. Man kann nicht erwarten, daß ich in meinem Alter, da ich nun sechsunddreißig Jahre zähle, noch über große Kraftreserven verfügte. Ich halte sie gerade eben einmal für ausreichend nenten sich als Gefolgsleute des Zenon ausweisen wollten, der schließlich in einer Vorhalle sto£, wie man sagt, die Philosophie der Stoa begründete. Jedoch hat man mir mittlerweile glaubhaft versichert, daß dies ein Irrthum sey.
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für die geistigen Aufgaben, die ich hier zu bewältigen habe, und darum darf Niemand erwarten, er könnte mir mit ein Paar harten Worten so viel Furcht einflößen, daß ich irgend einen Theil davon auf eine moralische Abentheuerfahrt verschiffte. Ob verzweifelt oder nicht, jedenfalls war das Ergebniß des Kampfes von 1813 das erwähnte, und von diesem Zeitpunct an hat der Leser mich definitiv als regelmäßigen Opiumesser anzusehen, den man, wenn man ihn fragt, ob er wol an irgend einem bestimmten Tage Opium genommen habe oder nicht, genau so gut fragen könnte, ob seine Lungen die Athmung ausgeübt hätten, oder das Herz seiner Function genügt. Du, Leser, weißt nun, was ich bin, und Du bist Dir nunmehr im Klaren darüber, daß kein alter Herr »mit einem schneeweißen Bart« mich je wird überreden können, ihm das »kleine goldene Gefäßchen zur Verwahrung der verderblichen Drogue« auszuhändigen. Nein. Ich verkündige es Allen, seyen sie nun Moralisten oder Chirurgen, was immer auch ihre Ansprüche und Fähigkeiten in ihren jeweiligen Thätigkeitsbereichen seyn mögen, daß sie nicht auf meine Fürrede hoffen brauchen, wenn sie auf wild entschlossene Vorwürfe für einen Fastenmonat Ramadan der Enthaltsamkeit vom Opium sinnen. Wenn das nun zwi12 8
schen uns zur Gänze abgeklärt ist, so wollen wir im weitern vor dem Winde segeln. Wol denn, Leser, erhebe Dich bitte aus dem Jahr 1813, wo wir die ganze Zeit herumgesessen und umhergelungert haben, und geh um drei weitere Jahre vorwärts. Zieh nun hoch den Vorhang, und Du wirst mich in ganz neuem Lichte schauen. Wenn irgend Einer, sey er arm oder reich, sagte, er wolle uns erzählen, welcher Tag der glücklichste in seinem Leben gewesen sey, und wie so das und weßhalb, dann würden wir Alle, nehme ich an, ausrufen: Hört, hört ! Denn es dürfte dem Klugen sehr schwer fallen, den glücklichsten Tag anzugeben, weil ein Ereigniß, das eine so herausragende Position in Jemandes Lebenserinnerungen einnehmen könnte, oder eines, von dem gesagt werden dürfte, es habe an einem einzelnen Tage ein besondres Glücksgefühl bewirkt, eigentlich von länger anhaltender Art seyn sollte, so daß es (sieht man von Unfällen ab) dasselbe Glücksgefühl oder ein nicht merklich geringeres auch im weitern, und zwar über viele Jahre hinweg, bewirkt haben sollte. Das glücklichste Jahrfünft freilich zu bezeigen, selbst das glücklichste einzelne Jahr noch darf wol Jedermann gestattet werden, ohne daß er der Klugheit zuwider handelte. In meinem Falle, Leser, war dies das Jahr, das wir nun erreicht haben, wenn 12 9
schon es, wie ich gestehe, gleichsam eingeschaltet zwischen Jahren von finstrerer Art stand. Es war ein Jahr von brillantem Wasser (um mit den Juwelieren zu sprechen), eingearbeitet, so zu sagen, in die Düsterniß des Opiums und weitab auf einer Insel frei von dessen bitterschwarzen Wolken gelegen. So befremdlich es klingen mag, ich war kurze Zeit zuvor auf einmal und ohne nennenswerthe Anstrengung von 32 0 Gran Opium (das heißt acht tausend* Tropfen Laudanum) täglich auf vierzig Gran oder ein Achtel der Menge herunter gekommen. Unverzüglich und wie durch Zauberei zog die Wolke tiefsten Trübsinns, die auf meinem Hirn gelastet hatte gleich schwarzen Dünsten, wie ich sie von Bergesgipfeln habe wegtreiben sehen, innerhalb Eines Tages, innerhalb von vierundzwanzig Stunden (nucqhmeron) hinfort, ging dahin mit ihren finstern Fahnen, wie * Ich rechne hier mit fünfundzwanzig Tropfen Laudanum als Einem Gran Opium entsprechend, was, wie ich glaube, die verbreitete Schätzweise ist. Da man allerdings die Mengen beider als veränderlich ansehen darf (Rohopium schwankt sehr im Grade seiner Wirkung, die Lösung noch mehr), gehe ich davon aus, daß bei einer derartigen Umrechnung keine beliebige Genauigkeit zu erlangen ist. Und gerade so, wie das Opium in seiner Wirkung, schwanken Theelöffel in der Größe. Kleine Exemplare fassen ungefähr hundert Tropfen, so daß 8 0 0 0 Tropfen ungefähr achtzig Theelöffeln entsprechen. Der Leser ersieht, wie accurat ich mich innerhalb von Dr. Buchans großzügiger Maaßgabe bewege.
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ein gestrandetes Schiff von einer Springfluth miteins fortgeschwemmt – That moveth altogether, if it move at all. Die sich überhaupt bewegt, so sie sich überhaupt bewegt.
So war ich denn nun wieder glücklich, nahm nur noch tausend Tropfen Laudanum am Tag, und – oh, wie wurde mir – ein letzter Frühling war angebrochen, den Schlußstein der Jugendzeit zu setzen. Mein Gehirn versah seinen Dienst so gesund, als nur je zuvor, ich las Kant und verstand ihn wieder oder vermeinte es zumindest. Wieder erstreckten sich meine Lustempfindungen auf Alles, was um mich war, und wenn irgend wer, der in Oxford oder Cambridge oder auch nirgend wo gewesen war, sich bei mir, in meiner bescheidenen Hütte eingefunden hätte, ich hätte ihn willkommen geheißen mit einem Empfang so üppig, wie ihn ein Mittelloser nur zu bieten vermag. Was immer sonst dem Weisen zum Glücke gefehlt hätte – vom Laudanum hätte ich ihm, in einer goldenen Tasse, so viel gereicht, wie er nur gewollt hätte. Übrigens, da ich gerade vom Laudanum-Spendiren rede, hiezu fällt mir ein kleines Ereigniß jener Zeit ein, das ich, unbedeutend, wie es war, erwähnen will, weil der Leser ihm alsbald in meinen Träumen wieder begegnen wird, worin 131
es auf schrecklichere Weise, als sich ausdenken läßt, seinen Niederschlag fand. Eines Tages klopfte ein Malaye an meine Thür. Welcher Art von geschäftlichen Verrichtungen ein Malaye inmitten der Gebirge Englands nachgehen mochte, vermag ich nicht zu errathen; doch wo möglich war er auf dem Wege nach einem Seehafen ungefähr vierzig Meilen weit weg. Die Dienerinn, die ihm die Thür öffnete, war ein junges Mädchen, geboren und aufgewachsen im Gebirge, die noch nie ein asiatisches Gewand irgend einer Art zu Gesicht bekommen hatte, und der Turban des »zweifelhaften Gastes« verwunderte sie nicht wenig. Es stellte sich heraus, daß seine Fertigkeiten im Englischen gerade so weit reichten, wie die ihren im Malayischen, und so schien eine unüberwindliche Kluft jeglichem Austausch der Gedanken zwischengeschoben – wenn solche denn auf einer der beiden Seiten vorhanden waren. In ihrer Verlegenheit erinnerte sich das Mädchen der vielgerühmten Gelehrtheit ihres Herrn (und zweifellos traute sie mir Kenntnisse aller Sprachen der Erde zu, nebst einiger des Mondes wo möglich), und sie kam zu mir und gab zu verstehen, daß unten eine Art Dämon stehe, den meine Kunst, wie sie unverkennbar glaubte, aus dem Hause hexen könnte. Ich ging nicht gleich hinunter, doch als ich es dann that, ergriff 132
das Gruppenbild, das sich mir darbot, wenn es auch nur vom Zufall und nicht sonderlich kunstfertig arrangirt war, meine Blicke und meine Vorstellungskraft in einer Weise, wie es keine von den statuarischen Posen, die man in den Balletstücken an der Oper so darstellt, je vermocht hatte. Da stand also dort in der Küche meiner Hütte, die aber mit ihrem von Abnutzung und Alterung gedunkelten Holz an den Wänden einer in Eiche getäfelten, ländlichen Eintrittshalle gleich sah, der Malaye, sein Turban, die weiten, schmutzigweißen Hosen gegen das dunkle Täfelwerk abgehoben. Er hatte sich näher an das Mädchen hin positionirt, als diese gut zu heißen schien, wenn in ihr auch die angeborne Unerschrockenheit der Bergbewohnerinn mit schlichter Angst rang, die ihr, indem sie die Tigerkatze vor sich anstarrte, in’s Gesicht geschrieben stand. Es hätte sich kein eindringlicheres Bild denken lassen – das schöne englische Gesicht des Mädchens in seiner ganzen Anmuth, dazu ihre stolze aufrechte Haltung, und auf der andern Seite die scheußlich blaßgelbe Haut des Malayen, von der Meerluft gleichsam emaillirt oder in Mahagoni fournirt, seine gefährlichen, kleinen, ruhelosen Augen, seine schmalen Lippen, seine sclavischen Gesten und Ehrfurchtsbezeigungen. Von dem bedrohlich wild dreinblickenden Malayen halb 13 3
verdeckt stand ein kleines Kind aus einer der Hütten in der Nachbarschaft, das mit ihm hereingeschlüpft und so eben im Begriffe war, den Kopf zu wenden und zu dem Turban und den lodernden Augen darunter hinaufzustarren, während es, um Schutz nachsuchend, mit einer Hand nach dem Kleid der jungen Frau griff. Meine Kenntnisse der fern- und östlichen Sprachen sind nicht eben ausgesprochen umfassend, beschränken sich vielmehr auf ganze zwei Vocabeln, die ich beim Anastasius gelernt hatte: Auf das arabische zum einen, zum andern das türkische Wort für diverse und mitunter opiumhaltige Pasten – Nu½½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ joÍ beziehungsweise macun. Und da ich weder ein malayisches Wörterbuch besaß, noch gar Adelungs »Mithridates oder Allgemeine Sprachlehre mit dem Vater Unser als Sprachproben in beinahe 50 0 Sprachen und Mundarten«, der mir vielleicht zu einigen Wendungen hätte verhelfen können, wandte ich mich mit einigen Zeilen aus der Ilias an den Malayen, in der Überlegung, daß das Griechische, unter allen mir zur Verfügung stehenden Sprachen hinsichtlich der geographischen Länge einer fernöstlichen zunächst kam. Er bezeigte mir in zutiefst unterwürfiger Weise seinen Respect, und antwortete mir auf, wie ich annehme, Malayisch. So blieb mein Ruf bei meinen 134
Nachbarn unbeschadet, denn der Malaye hatte die Möglichkeiten nicht, das Geheimniß zu verrathen. Er legte sich für ungefähr eine Stunde auf den Boden nieder und ging dann daran, seine Reise fortzusetzen. Beim Abschied schenkte ich ihm ein Stück Opium. Ich nahm an, daß ihm als Orientalen das Opium wol vertraut seyn müsse, und sein Gesichtsausdruck überzeugte mich, daß dies in der That der Fall war. Dennoch überkam mich eine gewisse Verwunderung, als ich ihn unvermittelt die Hand zum Mund erheben, und das ganze Stück, in drei Klumpen zertheilt, ratzeputz (wie die Schulkinder sagen) und auf einmal runterschlucken sah. Die Menge hätte ausgereicht, drei Dragoner mitsammt ihren Pferden umzubringen, und ich empfand einige Besorgniß um die arme Creatur, aber was konnte ich thun ? Ich hatte ihm das Opium aus Mitleid für sein einsames Daseyn geschenkt, weil ich mir ausgerechnet hatte, daß es, so er zu Fuß von London angereist war, fast drei Wochen her seyn mußte, seit er zuletzt Gelegenheit zum Gedankenaustausch mit einem menschlichen Wesen gehabt hatte. Ich konnte doch wol kaum beabsichtigen, ihn im Verstoß gegen die Regeln der Gastfreundschaft fest zu halten, mit einem Brechmittel abzufüllen, und die furchtbare Vorstellung in ihm zu erwecken, man wolle ihn nunmehr irgend 13 5
einem englischen Götzen opfern. Nein, dem war eindeutig nicht abzuhelfen; er nahm seinen Abschied und mir war einige Tage lang bange. Da ich jedoch nie seither von einem irgend wo todt aufgefundenen Malayen gehört habe, bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß er wol an’s Opium gewöhnt* war, und ich ihm somit den beabsichtigten Dienst erwiesen hatte, indem ich ihm eine Nacht der Erlösung von den Leiden der Wanderschaft verschaffte. Diesen Vorfall zu erwähnen bin ich abgeschweift, weil der Malaye (theils wegen des hübschen Stillebens, in dem er mitgewirkt hatte, theils wegen der Sorge, die ich mit seinem Bilde einige Tage lang verband) sich in der Folge an * Das allerdings ist keine unabdingliche Schlußfolgerung, denn die Bandbreite unterschiedlicher Auswirkungen des Opiums auf unterschiedliche Constitutionen ist unendlich. Ein Londoner Polizeirichter (Harriot in seinen »Lebenskämpfen«, dritte Auflage, Band I I I, Seite 3 91) berichtet, er habe, als er zum erstenmal Laudanum gegen seine Gicht versuchte, vierzig Tropfen genommen, in der folgenden Nacht sechzig, in der fünften Nacht achtzig Tropfen, ohne irgend welche Folgen, und dies zudem in fortgeschrittenem Alter. Ich bin jedoch im Besitze einer Anekdote von einem Landarzt, die den Fall des Herrn Harriot zu einer Nichtigkeit schrumpfen läßt. Ich werde sie in meiner geplanten medizinischen Abhandlung über das Opium wiedergeben (die ich veröffentlichen werde, wenn die Chirurgenkammer bereit ist, mich für die Erleuchtung ihres in dieser Hinsicht umnachteten Verstandes zu bezahlen) – die Geschichte ist aber bei weitem zu gut, um gratis veröffentlicht zu werden.
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meine Träume geheftet hat, und andere Malayen mit sich gebracht, übler noch, als er selber, die über mich herfielen in Raserei*, und mich in eine Welt aus lauter Noth verbrachten. Doch um von dieser Episode weg und wieder auf mein Schaltjahr des Glückes zu kommen: Wie ich bereits sagte, würden wir, wenn es um etwas für uns Alle so Wichtiges, wie das Glück geht, mit großer Lust eines Jeden Erkundungen und Erfahrungen lauschen, und wenn es selbst nur die eines hergelaufnen Pflügerburschen wären, bei dem man nicht annehmen kann, daß er je schon mit seiner Schar besonders tief in so schlecht spurende Gründe, wie die der menschlichen Leiden und Lüste eingedrungen wäre, oder daß er seine Forschungen nach besonders aufgeklärten Richtschnuren vollzogen hätte. Ich aber, der ich das Glück mit Löffeln gegessen habe, in flüssiger wie in fester Form, gekocht und ungekocht, ostindisches wie türkisches, der ich meine Erkundungen in dieser interessanten Sache mittels einer Art galvanischen Batterie vorgenommen, und mir zum Wole der Menschheit das Gift von 8 0 0 0 Tropfen Laudanum täglich so zu sagen * Vgl. die Berichte so gut wie aller Asienreisenden und -fahrer von Malayen, die sich nach der Opiumeinnahme in Ausschreitungen des Irrsinns begeben, oder solchen, die sich in völliger Verzweiflung ergehen, weil sie Pech im Spiel hatten.
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eingeimpft habe (so wie sich aus dem nämlichen Grunde ein französischer Arzt kürzlich den Krebs eingeimpft hat, ein englischer vor zwanzig Jahren die Pest, und ein dritter, ich weiß nicht welcher Nationalität, die Tollwuth) – ich muß sicherlich (wie man zugeben wird) wissen, was das Glück ist, wenn es denn überhaupt Einer weiß. Und darum werde ich hier eine Analyse des Glückes erbringen, und ich werde dies nicht in didaktischer Weise thun, sondern werde sie, weil das die interessanteste Art ihrer Übermittlung ist, verpacken und einwickeln in die bildhafte Darstellung eines Abends, wie ich ihn so oftmals während meines Schaltjahres zubrachte, als das Laudanum, wenn gleich täglich eingenommen, mir nichts als ein Elixir der Lust war. Wenn dies gethan ist, werde ich das Thema Glück in seiner Gänze hinter mir lassen, und zu einem völlig andern übergehen – den Opiumleiden. Denke Dir, Leser, eine Hütte, die in einem Thal steht, achtzehn Meilen von jeglicher Stadt entfernt – kein weiträumiges Thal, sondern eines von etwa zwei Meilen Länge und einer Dreiviertelmeile Breite im Durchschnitt, was nämlich den Vortheil mit sich bringt, daß alle Familien, die innerhalb seiner Umgränzungen hausen, so zu sagen Einen größern Haushalt bilden, und Deinem Auge persönlich vertraut, von mehr oder 13 8
weniger großem Belang für Deine Zuneigungen sind. Laß die Berge richtige Berge seyn, zwischen drei und vier tausend Fuß hoch, und die Hütte eine richtige Hütte und nicht (wie ein humoriger Autor einmal sagte) »eine Hütte mit zwiefacher Wagenremise«. Ja, denke Dir (denn ich muß den thatsächlichen Verhältnissen treu bleiben) eine weiße Hütte, eingewachsen von blühenden Büschen, die so gewählt sind, daß sich in zeitlicher Abfolge an den Wänden, in Ansammlungen um die Fenster herum all die Frühlings-, Sommerund Herbstmonate lang Blüthen entfalten – die Mayrosen ganz zu Anfang, und am Ende dann der Jasmin. Denke Dir jedoch nicht, daß es Frühling sey oder Sommer oder Herbst – sondern denk’ Dir einen Winter, so gestreng, wie Du nur kannst. Das ist ein überaus wichtiger Sachverhalt in der Wissenschaft vom Glück, und mich verwundert es, wenn ich sehe, wie den Leuten das entgeht, wie sie’s für einen Anlaß halten, sich glücklich zu schätzen, wenn der Winter scheidet oder wenn absehbar ist, daß der nahende Winter wahrscheinlich wol kein harter Winter werden wird. Ich hingegen reiche alljährlich meine Bittschrift ein um so viel Schnee, Hagel, Frost und Sturm von der einen oder andern Art, wie der Himmel uns überhaupt nur gewähren kann. Ganz bestimmt weiß Jeder um die göttliche Lust, 13 9
die eine Feuerstelle im Winter zu verschaffen vermag: Kerzenlicht um vier Uhr Nachmittags, wolig warme Kaminvorleger, Thee, eine hübsche Theebereiterinn, geschloßne Fensterläden, die Vorhänge, die in weiten Schwüngen über den Boden streichen, und von draußen unterdessen ist das Toben von Wind und Regen vernehmlich – And the doors and windows seem to call, Sie ächzen und krächzen, die Thüren und Fenster, As heav’n and earth would together mell; Der Himmel, die Erde ein großes Gemenge – Yet the least entrance find they none at all; Daß indeß all dem der Eintritt verwehrt bleibt, Whence sweeter grows our rest secure in massy hall. Versüßt uns die Ruhe im Schutze der starken Gemäuer. Castle of Indolence Schloß des Müßiggangs
Alle diese Zuthaten meiner Beschreibung eines Winterabends sind gewiß jedem in höhern Breiten Geborenen vertraut. Und es ist offensichtlich, daß zur Herstellung dieser Leckereien, wie zu der von Eiscreme, eine recht niedrige Umgebungstemperatur von Nöthen ist. Dies sind Früchte, die ohne stürmisches oder sonst wie unerfreuliches Wetter nicht reifen. Ich bin nicht ganz speciell auf Schnee, auf strengen Frost eingeschossen, wie man so sagt, oder auf einen so starken Wind, daß man (wie Herr —— sagt) »sich 14 0
mit dem Rücken, wie gegen einen Pfosten, dagegen lehnen kann«. Mir reicht sogar schon Regen, vorausgesetzt, es regnet in Strömen. Irgend etwas dieser Art benöthige ich aber schon, und wenn ich das nicht bekomme, halte ich mich für in gewisser Weise hintergangen; denn wie so sollte ich angehalten seyn, theuer für den Winter zu bezahlen, für Kohlen, für Kerzen, und mit diversen Entbehrung, wie sie der Winter selbst hohen Herrn abfordert, wenn ich dafür nicht in den Genuß der Vorzüge des Productes komme ? Nein, für mein Geld beding’ ich mir schon einen kanadischen Winter aus oder einen russischen – dort oben ist ja ein Jeder nur der Nebeninhaber, nebst dem Nordwind, der vollen Besitzrechte an seinen eigenen Ohren. Ich bin in dieser Sache so sehr Epicureer, daß ich die Winternächte nach der Sonnenwende schon nicht mehr recht genießen kann, weil sie dann so weit heruntergekommen sind, schauderhafte Neigungen zur Frühlingshaftigkeit zu zeigen. Nein, so eine Nacht muß durch eine dicke Wand aus andern dunklen Nächten von jeglicher Rückkehr des Lichtes und des Sonnenscheins abgetrennt seyn. Darum hat in der Zeit von den letzten Octoberwochen bis Heiligabend das Glück Saison, und meiner Ansicht nach zieht es mit dem Theetablett in’s Zimmer ein. Obwol von denen belächelt, die von 141
Natur aus, oder in Folge ausgiebigen Weingenusses ein grobgeknüpftes Nervencostüme haben, und für ein solch feines Stimulans nicht empfänglich sind, wird der Thee dennoch immer das liebste Getränk des Verstandesmenschen seyn. Ich für mein Theil würde mich an die Seite des Dr. Johnson in einem »Gegenseitigen Vernichtungskrieg« (bellum internecinum) gestellt haben gegen Jonas Hanway oder jeden andern Ungläubigen, der da den Thee schmähen wollte. Aber um mir die Mühen allzu vieler Beschreibung durch Worte zu ersparen, führe ich hier einen Maler ein, und gebe ihm Anweisungen für den Rest des Bildes. Maler mögen weiße Hütten im Allgemeinen nicht, so diese nicht ein gutes Stück verwittert sind, doch weil der Leser ohnehin bereits ersehen konnte, daß es um eine Winternacht geht, sind die Dienste meines Malers nur für das Innere des Hauses noch von Nöthen. Male mir also ein Zimmer, siebzehn auf zwölf Fuß im Grundriß, nicht mehr, als siebeneinhalb Fuß hoch. Dieses Zimmer, Leser, wird in meiner Familie recht ehrgeizig das Wohnzimmer genannt, doch ist es bestimmt, »doppelte Schuld zu zahlen«, und wird deßhalb angemeßner auch als die Bibliothek bezeichnet. Es trifft sich nämlich, daß Bücher das einzige Besitzthum sind, woran ich reicher bin, als meine Nachbarn. Ich habe 142
ungefähr fünf tausend davon, die ich seit meinem achtzehnten Lebensjahr allmählich angesammelt habe. Darum, Maler, mache so gut du kannst, daß es so viele, wie möglich, in dem Zimmer davon gebe. Mache es von Büchern bevölkert, und male mir darüber hinaus noch ein ordentliches Feuer, Meubles einfach und schlicht, wie es der bescheidenen Hütte eines Gelehrten ziemt. Und in die Nähe des Feuers male mir einen Theetisch, und weil ganz bestimmt kein Lebewesen in einer so stürmischen Nacht zu Besuch kommen wird, stelle nur zwei Tassen und Untertassen auf das Tablett. Wenn du so etwas symbolisch malen kannst oder sonst wie, dann male mir eine unerschöpfliche Theekanne – unerschöpflich a parte ante und a parte post, denn für gewöhnlich trinke ich von acht Uhr Abends bis um vier Uhr Morgens Thee. Und weil es recht unerfreulich ist, den Thee zu bereiten oder ihn sich selber einzugießen, male mir eine liebliche junge Frau, die mit am Tische sitzt. Male ihr Arme wie die der Aurora, und ein Lächeln wie das der Hebe – aber nein, liebste M., laß mich selbst im Scherz nicht vermuthen lassen, deine Gaben, meine Hütte mit Licht zu tränken, ruhten auf Gründen so vergänglich, wie denen bloßer äußrer Schönheit, oder die Zauberkraft deines engelsgleichen Lächelns könnte der Ver14 3
fügungsgewalt eines irdischen Bleistifts unterstellt seyn. Geh also, mein guter Maler, zu etwas in eines solchen Macht Stehendem über, zu dem Gegenstand, der nun wol an der Reihe seyn dürfte, zu mir selbst: Ein Bildniß des Opiumessers, neben ihm auf dem Tisch befindlich das »kleine goldene Gefäßchen zur Verwahrung der verderblichen Drogue«. Was das Opium betrifft, so hätte ich nichts dagegen einzuwenden, ein Bild davon zu Gesicht zu bekommen, wenn ich lieber auch das Original sähe. Wenn du möchtest, darfst du es malen, doch setze ich dich in Kenntniß, daß kein »kleines Gefäßchen«, selbst 1816 nicht, meinen Zwecken genügt hätte, da ich mich weit weg vom »prachtvollen Pantheon« und sämmtlichen Droguisten (sterblichen und sonstigen) befand. Nein, du darfst sehr wol auch das thatsächliche Behältniß malen, das nicht aus Gold, sondern aus Glas war, und einer Weincaraffe so weit, als möglich, ähnelte. Dort darfst du ein Quart rubinfarbenen Laudanums hinein thun. Das, und ein deutsches Buch von der Metaphysik daneben, wird zur Genüge bezeugen, daß ich selbst nicht weit bin – doch was das anbelangt, verweigere ich mich. Ich gebe zu, daß naturgemäß eigentlich ich den Vordergrund des Bildes einnehmen sollte, daß ich als Held des Stückes oder, wenn dir das lieber ist, als der Ver144
brecher vor der Schranke des Gerichts körperlich im Saal präsent seyn sollte. Das scheint vernünftig, aber wie so sollte ich in dieser Sache ein Geständniß vor einem Maler ablegen ? Weßhalb überhaupt gestehn ? Wenn die Allgemeinheit (der ich meine Bekenntnisse vertraulich und ganz privat in’s Ohr flüstere, und nicht irgend einem Maler) sich wo möglich ganz zufällig ein gefälliges eigenes Bild vom Äußern des Opiumessers gemacht hat, wenn sie ihm romantischer Weise eine elegante Erscheinung, ein hübsches Gesicht zugeschrieben hat – warum sollte ich ihr eine so erfreuliche Fehlannahme, erfreulich für die Allgemeinheit, wie für mich, in barbarischer Weise zernichten ? Nein, male mich, wenn überhaupt, ganz nach deiner eigenen Phantasie, und weil eines Malers Phantasie vor schönen Schöpfungen überborden sollte, trage ich somit in jedem Fall meinen Gewinnst davon. Und damit, Leser, hätten wir meine Verfaßtheit, so wie es um 1816 bis 17 damit stand, in aller Eile decimalclassificirt. Bis in die Mitte des letzteren Jahres, möchte ich sagen, war ich ein glücklicher Mensch, und die Bestandtheile dieses Glückes war ich bemüht vor Dir darzulegen, in obenstehnder Entwurfszeichnung von der Bibliothek eines Gelehrten in einer Hütte inmitten der Berge an einem stürmischen Winterabend. 14 5
Aber nun heißt es, Abschied nehmen – Abschied auf lange Zeit, vom Glück – vom Winter, vom Sommer – vom Lachen, vom Lächeln – vom Seelenfrieden, vom Hoffen und geruhsamen Träumen, von den geseegneten Tröstungen des Schlafens. Ich bin von all dem jetzt seit über dreieinhalb Jahren fortgenommen, bin nun bei einer Iliade des Unglücks angekommen, habe zu protocolliren
DI E OPI UM L EI DEN – as when some great painter dips – wie wenn ein großer Maler seinen Pinsel His pencil in the gloom of earthquake and eclipse. In die Düsterniß von Erdbeben und Eklipse tunkt. Shelley’s “Revolt of Islam” Shelley, Der Aufruhr des Islam
Leser, der Du mich so weit begleitet hast, ich muß Dich um Deine Aufmerksamkeit bitten für einige kurze erklärende Bemerkungen, drei Dinge betreffend: 1. Aus verschiedenerlei Gründen konnte ich die Notizen für diesen Theil meines Berichts nicht in eine regelrecht zusammenhängende Form fassen. Ich gebe sie so zusammenhanglos wieder, wie ich sie vorgefunden oder aus dem Gedächtniß heraus aufgezeichnet habe. Aus manchen der Notizen 14 6
geht das Datum von selbst hervor, andre habe ich datirt, wieder andere sind undatirt. Wann immer es meinen Absichten entgegenkam, sie aus ihrer natürlichen oder chronologischen Anordnung herauszunehmen und umzustellen, zögerte ich nicht, so zu verfahren. Manchmal rede ich im Präsens, manchmal in der Vergangenheit. Nur einige wenige der Notizen sind genau zu der Zeit verfaßt, auf die sie sich beziehen, doch das kann ihrer Verläßlichkeit kaum Abbruch thun, da meine Eindrücke von einer Art gewesen sind, daß sie mir nie mehr aus dem Gedächtniß entschwinden können. Vieles habe ich fortgelassen. Ich konnte mich nicht ohne Anstrengung zu der Mühe zwingen, mich der ganzen Bürde der Schrecken, die mir auf dem Hirn lastet, zu erinnern oder sie zu einer geregelten Erzählung zusammenzufügen. Dies bringe ich auf der einen Seite zu meiner Entschuldigung vor, andrerseits, daß ich nun in London bin, und ein ganz hülfloser Mensch, der nicht einmal seine eigenen Papiere ohne den Beistand Dritter ordnen kann, und ich bin den Händen fern, die für gewöhnlich mir die Assistentendienste einer Schreibkraft versehen. 2. Du wirst Dir vielleicht denken, daß ich allzu vertrauensselig und mittheilsam bin, was meine Privatgeschichte anbelangt. Dem mag so seyn. Doch so, wie ich schreibe, denke ich eher laut, 147
und folge meinen Launen, als daß ich viel überlegte, wer mir da lauscht, und wenn ich inne hielte, um nachzusinnen, was dieser oder jener Person zu sagen schicklich wäre, käme ich rasch in’s Zweifeln, ob überhaupt irgend etwas davon schicklich sey. Im Grunde verhält es sich so, daß ich mich in eine funfzehn oder zwanzig Jahre von der Jetztzeit entfernte Zukunft versetze, und annehme, daß ich für jene schreibe, die sich dann für mich interessiren. Und da ich mir das Protocoll einer Zeit wünsche, deren Geschichte Keiner außer mir in ihrer Gänze kennen kann, verfertige ich es so vollständig, wie ich es vermag vermittels der Anstrengungen, die ich gegenwärtig aufbringen kann, denn ich weiß nicht, ob ich jemals wieder hiezu die Zeit finden werde. 3. Es wird Dir oftmals in den Sinn kommen, zu fragen, warum ich mich nicht von den Schrecken des Opiums losgemacht habe, indem ich davon abließ oder weniger nahm. Hiezu muß ich kurze Antwort stehen: Man kann unterstellen, daß ich mich leichtfertig den Berückungen des Opiums ergab, jedoch unterstellen kann man nicht, daß irgend Jemand sich von dessen Schrecknissen verzaubern ließe. Der Leser darf sich darum gewiß seyn, daß ich ungezählte Versuche unternahm, die Dosis zu reduciren. Dem füge ich noch hinzu, daß diejenigen, die die aus diesen Ver14 8
suchen sich ergebenden Qualen mit ansehen mußten, die Ersten waren, die mich ersuchten, davon abzusehen, und nicht ich selbst. Doch hätte ich die Dosis nicht um täglich einen Tropfen reduciren können oder, indem ich Wasser zufügte, jeden Tropfen auf das Zwei- oder Dreifache strecken ? Es hätte dann fast sechs Jahre lang gedauert, tausend auf das Doppelte gestreckte Tropfen abzubauen, und auf diese Weise wäre es bestimmt nicht gelungen. Das allerdings ist ein verbreiteter Irrthum jener, die nichts vom Opium aus praktischer Erfahrung wissen. An die, die über solche Erfahrung verfügen, richte ich die Frage, ob diese nicht ausnahmslos zeigt, daß es sich bis zu einem gewissen Puncte mit Leichtigkeit und sogar mit Lust reduciren läßt; daß eine Reducirung über diesen Punct hinaus aber heftigste Leiden nach sich zieht. Jaja, sagt da gedankenlos so Mancher, der nicht weiß, wovon er redet, dann leidet man eben ein Paar Tage lang unter Depressionen und Niedergeschlagenheit. Ich antworte: Nein, keine Spur von einer Niedergeschlagenheit, ganz im Gegentheil ist man in vegetativer Hinsicht sogar richtig aufgekratzt, und um den Kreislauf, die ganze Gesundheit steht es besser. Darin gründet nicht das Leid, das auch mit dem, wie es der Weinentzug verursacht, nichts gemein hat. Es 149
besteht vielmehr in einer unsäglichen Magenreizung (die ganz sicher nicht viel mit Depressionen gemein hat), begleitet von heftigen Schweißausbrüchen und Regungen, deren Beschreibung ich nicht unternehmen will, ohne mehr Platz dafür zur Verfügung zu haben. Ich gehe nun in medias res, und komme vorweg gleich zu einem Bericht, man könnte sagen, aus der Hoch-Zeit meiner Opiumleiden, über ihre lähmenden Auswirkungen auf die Verstandeskräfte. * Meine Studien sind nun seit langem unterbrochen. Ich kann nur ganz lustlos für mich selber lesen, halte es kaum einen Augenblick lang durch. Doch lese ich gelegentlich Andern zu ihrer Lust vor, denn zum Vorlesen habe ich ein Talent. Im umgangssprachlichen Gebrauche des Wortes Talent für eine oberflächliche und schmucke Fertigkeit ist es beinah das einzige, das ich besitze, und wenn ich früher jemals eine Eitelkeit mit irgend einer meiner Gaben oder Fertigkeiten verknüpft habe, dann war es diese, denn ich hatte beobachtet, daß keine Fertigkeit so selten ist. Schauspieler sind die schlechtesten Vorleser von Allen. —— liest ganz schauerlich, und die Frau ——, die so gefeiert wird, kann nichts, außer dramatischen 15 0
Dichtungen gut lesen, aber Milton kann sie nicht so lesen, daß man es aushält. Die Leute lesen die Lyrik entweder ohne jede Leidenschaft, oder aber sie verstoßen gegen die Wesensmäßigkeit, und lesen nicht, wie Gelehrte. Wenn ich mich in letzter Zeit überhaupt durch irgend Etwas in einem Buche bewegt fühlte, dann waren das die grandiosen Trauerreden des Samson Agonistes oder die großen Harmonien in den Satanischen Reden des »Wiedererlangten Paradieses«, wenn ich sie laut für mich selbst las. Manchmal kommt eine junge Dame auf eine Tasse Thee zu uns, und auf ihr Verlangen hin und das von M. lese ich den Beiden dann Gedichte von W— vor. (W. ist übrigens der einzige Dichter, den ich je getroffen habe, der seine eigenen Gedichte vortragen kann – oft liest er wirklich bewundernswerth.) Fast zwei Jahre lang habe ich, glaube ich, überhaupt nur Ein Buch gelesen, und um eine große Dankesschuld seinem Verfasser gegenüber abzutragen, muß ich es erwähnen. Die ganz hohen und leidenschaftlichen Dichter lese ich, wie gesagt, noch immer gelegentlich und schnäppchenweise. Doch meine wahre Berufung war es, wie ich sehr gut wußte, meinen analytischen Verstand zu üben. Nun müssen analytische Studien mehrheitlich fortwährend, nicht anfallweise plötzlich, in bruchstückhaften Anstrengungen 151
betrieben werden. Die Mathematik beispielsweise, die Verstandesphilosophie u. s. f., all das wurde mir unerträglich, ich schreckte zurück davor, und fühlte dabei eine kindlich ohnmächtige Schwäche, die mir um so mehr Angst machte, indem sie mich an die Zeit gemahnte, da ich mit Wonne Stunden lang und immer wieder damit gerungen hatte, und darüber hinaus noch, weil ich es mir zur ausschließlichen Lebensaufgabe gemacht, meine ganze Verstandeskraft und -frucht und -blüthe Einem Werke gewidmet hatte, es mühevoll allmählich kunstreich zu verfertigen, dem ich den Titel eines unvollendeten Werkes von Spinoza hatte geben wollen: De Emendatione Humani Intellectus – Über die Läuterung der menschlichen Einsehungskraft. Nun lag es weggeschlossen, eingefroren, wie eine jener überdimensionirten Brücken oder Wasserleitungen in Spanien, die die Fähigkeiten ihrer Architekten überstiegen, und statt daß es wenigstens der Nachwelt erhalten bliebe als Denkmal meines Wünschens, meines Ehrgeizes und meines ganz der Erhabenheit des Menschen gewidmeten arbeitsreichen Lebens, der Art entsprechend, ein so großes Ziel zu verfolgen, für die mich der Herr am besten ausgestattet hatte, würde es wol viel eher als ein Gedenkstein da stehen für meine Kinder, an zerschlagene Hoffnungen gemahnend, an 152
durchkreuzte Anstrengungen, an sinnlos angehäuftes Baumaterial, an Grundmauern, die niemals einen Überbau tragen sollten – an Schmerz und Ruin des Architekten. Vor lauter Unglück hatte ich, um mich zu zerstreuen, meine Aufmerksamkeit der politischen Ökonomie zugewandt. Mein Geist, der zuvor so rastlos voll hyänenhaftem Thatendrang gewesen war, konnte nicht, wie ich annehme, in völlige Lethargie versinken (und kann es wol nicht, solange ich lebe), und die politische Ökonomie bietet Einem in solcher Lage, obwol sie eine vorwiegend organische Wissenschaft ist (das heißt, daß jeder Theil auf’s Ganze, und eben so wiederum das Ganze auf die einzelnen Theile wirkt), dennoch den Vortheil, daß jeder ihrer verschiedenen Bestandtheile auch einzeln für sich betrachtet werden kann. So völlig erschöpft auch meine Kräfte zu jener Zeit waren, so konnte ich dennoch mein Wissen nicht vergessen, und mein Verstand war zu viele Jahre lang mit den tiefen Denkern zu vertraut gewesen, mit der Logik, den Großmeistern des Wissens, als daß er sich nicht der totalen Kraftlosigkeit eines Großtheils der zeitgenössischen Ökonomenschaar bewußt gewesen wäre. 1811 war ich dahin gekommen, in unzähligen Büchern und Bücherchen Einblicke in vielerlei Zweige der Ökonomie zu nehmen, und 153
nun las mir M., wenn ich sie darum bat, manchmal das eine oder andere Capitel aus jüngern Werken vor oder einzelne Passagen aus den Parlamentsdebatten. Ich ersah, daß diese zumeist den Abschaum und den Bodensatz zugleich des menschlichen Geistes darstellten, und daß Jeder, der im Kopf gesund war und geübt, die Logik mit gelehrter Wendigkeit zu brauchen, die ganze zeitgenössische akademische Ökonomie mit Daumen und Zeigefinger hätte ergreifen und erdrosseln können zwischen Himmel und Erde oder ihre Schleimpilzköpfe mit dem Donnerschlag eines Damenfächers zu Staub zerstoßen. 1819 schließlich ließ mir ein Freund aus Edinburgh das Buch des Herrn Ricardo zukommen, und indem ich mich auf meine eigene prophetische Vorahndung von der Ankunft auf Erden eines Gesetzgebers für diese Wissenschaft bezog, rief ich, noch ehe ich mit dem ersten Capitel zu Ende war, aus (2. Samuel 12,7): »Du bist der Mann!« Neugierde und Verwunderung waren lange in mir erstorbene Regungen, und doch wunderte ich mich abermals, verwunderte mich darüber, daß ich einmal wieder zu der Anstrengung des Lesens angereizt worden war, und noch viel mehr wunderte ich mich über das Buch. War dieses tiefgreifende Werk wirklich in England, im neunzehnten Jahrhundert geschrieben worden ? War es möglich ? 154
Ich hatte angenommen, das Denken* sey in England ausgestorben. Konnte es wahr seyn, daß ein Engländer, den noch nicht einmal akademische Ehren umlaubten, auf dem Kaufmanns- und Regirungspflichten lasteten, an ein Ziel gelangt war, auf das sich sämmtliche Universitäten Europas ein ganzes Jahrhundert des Denkens lang nicht einmal um Haaresbreite hinbewegt hatten ? Alle andern Autoren waren unter den ungeheuren Massen an Facten und Quellen erschlagen und begraben worden – Herr Ricardo war von der Erkenntniß a priori selbst ausgegangen, und zu Gesetzen gelangt, die als erste einen Lichtstrahl in das unfügsame Chaos des vorhandenen Datenmaterials warfen, und er hatte eine vormalige Anhäufung von zauderlichem Gerede zu einer regelrechten und umfassenden Wissenschaft zusammengefügt, die nun erstmals auf dauerhaften Grundfesten ruhte. So vermochte ein einziges Werk von tiefer Verständigkeit mir Lust und Thatendurst ein* Der Leser muß sich erinnern, was ich hier unter Denken verstehe, sonst wäre dies hier sehr anmaaßend formulirt. England ist in der letzten Zeit reich im Übermaaß an vortrefflichen Denkern gewesen – auf dem Sector des schöpferischen und des combinatorischen Denkens. An tapfren Denkern auf analytischen Pfaden herrscht jedoch bedauerlicher Mangel. Ein sehr bekannter Schotte hat kürzlich verkündet, er müsse gar mit der Mathematik Schluß machen, aus Mangel an äußerer Ermuthigung.
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zuflößen, wie ich sie so Jahre lang nicht mehr gekannt hatte – es brachte mich sogar dazu, daß ich wieder schrieb, oder zumindest dictirte, was M. für mich niederschrieb. Einige wichtige Wahrheiten schienen mir dem »höchst unentkömmlichen Auge« des Herrn Ricardo entgangen zu seyn, und da diese zum größten Theil von einer Art waren, wie ich sie kürzer und eleganter durch algebraische Symbole zum Ausdruck bringen oder bildhaft machen konnte, als in der umständlichen und plumpen Ökonomensprache üblich, so hätte wol das Ganze nicht einmal ein Taschenbuch gefüllt. Und so kurz und bündig, mit M. als meiner Schreibkraft, unfähig selbst zu dieser Zeit zu jeglicher Anstrengung, zeichnete ich meine »Prolegomena für alle politökonomischen Systeme der Zukunft« auf. Ich hoffe, man wird sie nicht nach Opium riechen finden – aber für die Meisten ist ja die Sache an sich schon Opiats genug. Diese Regsamkeit war, wie sich im weitern zeigte, so beständig, wie ein Blitz, nämlich gar nicht. Ich plante die Veröffentlichung meines Werkes, und in einer Druckerei jener Provinz, ungefähr achtzehn Meilen weit weg, wurden die Vorbereitungen für den Druck getroffen. Ein zusätzlicher Setzer wurde extra einige Tage lang dafür in Bezahlung genommen, das Werk wurde 15 6
sogar zweimal vorangezeigt; und ich war in gewisser Weise moralisch verpflichtet, mein Vorhaben zu Ende zu führen. Doch mußte ich ein Vorwort schreiben und eine Widmung, die besonders glanzvoll ausfallen und Herrn Ricardo gelten sollte. Ich fand mich völlig außer Stande, all dies zu bewerkstelligen. Die Vorbereitungen wurden abgeblasen, der Setzer entlassen, und meine »Prolegomena« ruhen nun friedvoll an der Seite ihres älteren und würdigern Bruders. Ich habe somit die Lähmung meines Verstandes bildhaft beschrieben, und was ich gesagt habe, gilt mehr oder minder für jeden Abschnitt der vier Jahre, in denen ich dem Circenzauber des Opiums unterlag. Wären da nicht Elend und Schmerzen gewesen, man könnte sehr wol sagen, ich hätte mich im Zustand eines Schlafenden befunden. Selten konnte ich mich überwinden, einen Brief zu schreiben. Einige wenige Worte zur Antwort auf die, die ich erhielt, waren das Äußerste, was ich zu Wege brachte, und oft selbst das erst nach Wochen oder gar Monaten, die der Brief auf meinem Schreibtisch gelegen hatte. Ohne M.s Hülfe wären wol alle Aufzeichnungen über bezahlte oder aber noch nicht bezahlte Rechnungen unweigerlich dahin gewesen, und meine gesammte häusliche Ökonomie, was auch immer mit der politischen wurde, wäre in un157
umkehrbarer Verwirrung aufgegangen. Ich werde auf diesen Aspect der Angelegenheit nachher nicht wieder eingehen, jedoch ist das einer, den schließlich der Opiumesser für bedrückender und quälender befinden wird, als irgend einen andern, wegen des Gefühls der Schwäche und Unfähigkeit auf Grund der aus der Verschleppung und Vernachlässigung der täglich zu verrichtenden Pflichten unmittelbar sich ergebenden Schwierigkeiten sowie der Reue, die dem Nachdenklichen und Gewissenhaften häufig noch stechender im Geiste sitzen muß, als diese Übel. Der Opiumesser verliert Nichts von seinem sittlichen Empfinden oder seinem Ehrgeiz, er wünscht und verlangt so ernstlich, wie je zuvor, darnach, zu verwirklichen, was er für möglich hält, fühlt sich dazu in die Pflicht genommen, allein seine geistige Einschätzung des Möglichen übersteigt unendlich seine thatsächlichen Kräfte nicht nur zur Durchführung, sondern auch schon zur Inangriffnahme. Incubus und Alptraum lasten auf ihm, wie er da liegt, wie er daliegt und all das vor sich sieht, was er gerne vollbrächte, gerade so, wie Einer, der von einer Krankheit genesend ans Bett gefesselt in tötlicher Öde liegt und mit ansehen muß, wie einem zärtlichst geliebtem Menschen Unrecht oder Gewalt widerfährt, der den Fluch verflucht, der ihn fest ge158
zurrt, unbeweglich hält, Einer, der sein Leben gäbe, könnte er sich blos erheben und losgehen – aber er ist so ohnmächtig, wie ein kleines Kind, und kann nicht einmal aufzustehn versuchen. Ich gehe nun zu dem über, was das Hauptthema zum Schluß dieser Bekenntnisse ausmacht, zur Geschichte und Berichterstattung von dem, was sich in meinen Träumen ereignete. Diese nämlich waren unmittelbar Grund und Anlaß meiner schmerzlichsten Leiden. Das erste, was mich darauf schließen ließ, daß eine bedeutsame Veränderung mit diesem Theil meines Körperhaushalts vor sich ging, war das Wiederaufleben einer Überreiztheit der Augen, wie sie im Allgemeinen in der Kindheit oder bei nervöser Überspanntheit auftritt. Ich weiß nicht, ob dem Leser geläufig ist, daß viele Kinder, wahrscheinlich die meisten, im Stande sind, alle möglichen Trugbilder so zu sagen in die Dunkelheit zu malen. Bei manchen beruht das ganz einfach auf einem Defect der Augenmotorik, andere hingegen können sie zur Gänze oder theilweise willentlich fortschicken oder herbeirufen, oder, wie es einmal ein Kind ausdrückte, das ich in dieser Sache befragte: »Ich kann ihnen sagen, sie sollen gehen, und dann gehen sie, aber manchmal kommen sie, wenn ich ihnen gar nicht gesagt habe, daß sie kommen sollen.« Worauf ich ihm 159
sagte, daß es eine beinahe so unumschränkte Befehlsgewalt über diese Erscheinungen habe, wie ein südamerikanischer Präsident über seine Generäle. – Mitte 1817 war es wol, daß sich diese Fähigkeit zu einer echten Belastung für mich auswuchs. Wenn ich Nachts wachend im Bette lag, dann zogen ungeheuerlich prunkvolle Trauerzüge vorüber und Banderolen endloser Geschichten, die meinen Regungen so traurig feierlich schienen, als rührten sie von einer Zeit vor Ödipus und Priamos, vor Tyros und vor Memphis her. Und zugleich vollzog sich in meinen Träumen eine entsprechende Wandlung. Plötzlich schien sich mir in meinem Gehirn ein Theater aufzuthun in voller Beleuchtung, worin nächtliche Schauspiele von mehr, denn irdischer Pracht gegeben wurden. Und die folgenden vier Sachverhalte dürfen als bemerkenswerth für diese Zeit erwähnt werden: 1. Daß zugleich mit dem Sichverstärken der schöpferischen Überreiztheit meiner Augen Übereinstimmungen zwischen den Wach- und Traumzuständen des Gehirns in gewissen Dingen sich einzustellen schienen – daß Alles, was ich kraft meines Willens in der Dunkelheit erscheinen machte und nachzeichnete, sehr wahrscheinlich sich auf meine Träume übertrug, so daß ich Furcht bekam, mich in dieser Fähigkeit 16 0
zu üben. Denn so, wie dem Midas, der Alles zu Gold verwandelte, der aber vom Gold dann um seine Hoffnungen und die Befriedigung seiner menschlichen Bedürfnisse gebracht wurde, so formte sich mir alles irgend wie sichtlich Darstellbare, woran ich in der Dunkelheit dachte, sofort zu Trugbildern meiner Augen. Und waren sie erst einmal in den blassen Farben der Einbildung vorgezeichnet, so brachte eine scharfe Chemicalie meiner Träume, wie bei einer Schrift in sympathetischer Tinte, eben so unumgänglich eine derart unerträgliche Farbenpracht zum Vorschein, daß es mir das Herz abschnürte. 2. Diese und andere Veränderungen in meinen Träumen gingen mit einer tiefwurzelnden Angst einher und einer Düsterniß und Schwermüthigkeit, wie sie Worte in keiner Weise übermitteln können. Ich schien Nacht um Nacht in Schluchten und sonnlose Schlünde einzugehen, nicht bildhaft in sie ein-, sondern wirklich in sie hinein zu gehen, in Tiefen über Tiefen, in denen keine Hoffnung mehr auf ein Wiederhervorkommen zu bestehen schien, und wenn ich wieder erwacht war, so fühlte ich mich in der That, wie nicht wieder hervorgekommen. Ich halte mich hierüber nicht auf, denn an die andauernde Düsterniß, die mit diesen abgründigen Schauspielen sich verband, die sich zuletzt zu völliger Fin161
sterniß, wie von selbstmörderischer Verzweiflung, verdichtete, reichen Worte nicht, können nicht, heran. 3. Sowol mein Räumlichkeitsempfinden, als am Ende auch mein Zeitgefühl waren in gewaltiger Weise verändert. Gebäude, Landschaften u. s. f. stellten sich mir in Ausmaaßen dar, wie sie das Auge in seiner physischen Beschaffenheit nicht aufzunehmen vermag. Der Raum schwoll an, und weitete sich zu unaussprechlich endloser Ausdehnung. Jedoch irritirte mich das nicht so sehr, wie die ungeheuerliche Längung der Zeit. Ich schien manchmal siebzig oder hundert Jahre in Einer Nacht durchlebt zu haben, nein, mehr noch, als das, ich fühlte Regungen, wie sie für eine Jahrmillion zu stehen schienen, die in dieser Zeit verstrichen war, oder aber für eine Zeitdauer, die sammt und sonders alles menschlich Erfahrbare überstieg. 4. Winzigste Vorkommnisse meiner Kindheit, längst vergeßne Vorgänge späterer Jahre kehrten oftmals wieder. Man kann nicht sagen, ich hätte mich ihrer erinnert, denn hätte man mir davon erzählt, nachdem ich erwacht war, ich wäre nicht in der Lage gewesen, sie als zu meinen bisherigen Erfahrungen gehörig anzuerkennen. Aber so, wie sie mir in Träumen wie auch in Einbildungen in ihre sämmtlichen schnellvergeß16 2
lichen Umstände und begleitenden Regungen gekleidet darvorgestellt waren, erkannte ich sie auf der Stelle wieder. Eine nahe Verwandte erzählte mir einmal, sie sey als Kind in einen Fluß gestürzt, habe sich schon auf der Schwelle zum Tode befunden, hätte da nicht Hülfe sie im entscheidenden Moment erreicht, und dabei habe sie einen Augenblick lang ihr ganzes Leben, jedes kleinste Vorkommniß, holographisch Alles zugleich vor sich hingebreitet gesehen, und eben so plötzlich hatte sie die Befähigung in sich entwickelt, das Ganze und jeden Theil davon zu verstehen. Ich kann das auf Grund einiger meiner Opiumerfahrungen glauben, habe gar selbiges zweimal in Büchern unsrer Zeit bestätigt gefunden, und dabei eine Bemerkung, von deren Gültigkeit ich überzeugt bin, daß nämlich das große Schuldbuch, von dem in der Schrift die Rede ist, in Wahrheit das Gedächtniß eines jeden Einzelnen selbst sey. Zumindest dessen bin ich mir gewiß, daß dem Gehirn so etwas, wie ein Vergessen, gar nicht möglich ist. Es mögen und werden auch tausend Zufälle wie ein Schleier zwischen unser gegenwärtiges Bewußtseyn und die geheimen Aufzeichnungen im Gedächtniß sich ziehen, aber Zufälle derselben Art werden diesen Schleier auch wieder fortreißen. Doch ob verschleiert oder unverschleiert, es bleiben die Aufzeichnungen 16 3
trotzdem für immer dort, gerade so, wie die Sterne sich zwar vor dem Aufkommen des Tageslichts zurückzuziehen scheinen, während wir doch Alle wissen, daß in Wirklichkeit dieses Licht nur wie ein Schleier über sie gelegt ist, und sie darauf warten, wieder enthüllt zu werden, wenn dann das Tageslicht, das sie verbirgt, sich zurückgezogen hat. Nachdem ich also diese vier Umstände, durch die sich meine Träume spürbar von denen eines Gesunden unterschieden, vermerkt habe, will ich nun ein Beispiel zur Illustration des ersten citiren, und dann noch andere, an die ich mich erinnere, entweder in chronologischer Reihenfolge, oder in irgend einer andern, die ihnen als Bildern stärkere Wirkung beim Leser verleiht. Ich bin in meiner Jugend und immerzu seither zu gelegentlicher Zerstreuung ein großer Leser des Livius gewesen, den ich, wie ich gestehe, hinsichtlich des Styls wie auch des Stoffes jedem andern römischen Geschichtsschreiber vorziehe. Und oftmals habe ich zwei Wörter, die bei ihm so häufig sind, als zuhöchst feierlich und schrecklich lautend und als die Würde des römischen Volkes mit allem Nachdruck wiederspiegelnd empfunden: Consul Romanus – insbesondere dann, wenn sie den Consul in seiner militairischen Function bezeichneten. Ich will damit sagen, daß die Wör164
ter König, Sultan, Statthalter u. s. f., wie auch alle andern Titel jener, die die Würde eines ganzen großen Volkes verkörpern, solche Macht nicht über meine Ehrfurchtsempfindungen ausübten. Auch habe ich mich, obgleich ich nicht sehr viel Geschichte lese, in eingehender Auseinandersetzung mit Einem Abschnitt der englischen Historie, nämlich dem der Parlamentskriege, vertraut gemacht, hiezu hingezogen von der sittlichen Größe mancher Gestalten jener Tage und von den vielen interessanten Biographien, die diese bewegten Zeiten überdauert haben. Diese beiden Theile meiner leichtern Lectüre, die mich oftmals mit Stoff zum Nachdenken versorgt hatten, versorgten mich nunmehr mit Stoff für meine Träume. Oftmals sah ich, nachdem ich im Wachen eine Art Probe hiefür in die blanke Dunkelheit gemalt hatte, eine Ansammlung von Damen, und eine Festlichkeit wo möglich, und Tänze. Und ich hörte, wie gesagt wurde oder wie ich zu mir selber sagte: »Das sind englische Damen aus der unglücklichen Zeit Charles’ I. Das sind die Frauen und Töchter derer, die friedliche Zusammenkunft hielten, an denselben Tischen saßen, und durch Heirath oder Blutsbande mit einander verbunden waren, und doch lächelten sie von einem bestimmten Tage an im August 1642 einander nicht mehr an, 16 5
und wenn sie sich noch trafen, dann auf dem Schlachtfeld, und bei Marston Moor, bei Newbury oder bei Naseby durchtrennten sie sämmtliche Liebesbande mit dem grausamen Säbel, und wuschen fort das Gedächtniß alter Freundschaft mit Blut.« Die Damen tanzten und sahen so liebreizend aus, wie der Hofstaat Georges IV., und doch wußte ich genau, sogar im Traum, daß sie fast zwei Jahrhunderte lang im Grabe gelegen hatten. Dieser Festumzug löste sich ein jedes Mal auf einmal auf, und dann waren auf ein Händeklatschen hin die Laute Consul Romanus zu vernehmen in einer Weise, daß das Herz erbebte, und gleich darauf kam im farbprächtigen Kriegsmantel Paulus oder Marius herbeigefegt, umgeben von einem Trupp Centurionen, an einen Speer die blutrothe Tunica gehißt, und hinter drein das Kriegsgeschrei der römischen Legionen: »Alála ! Alála !« Als ich vor vielen Jahren Piranesis antichità romanese oder »Ansichten von den Alterthümern Roms« durchsah, beschrieb mir Herr Coleridge, der mit zugegen war, eine Reihe von Stichen des nämlichen Künstlers, genannt seine »Träume«, worin die Schauplätze von dessen Rauschbildern während eines Fiebers abgebildet sind. Einige von ihnen (ich beschreibe sie aus der bloßen Erinnerung an die Erzählung des Herrn Coleridge) 16 6
stellten riesige gothische Hallen dar, in denen auf dem Boden alle Arten von Maschinen und Geräthschaften standen, Räder, Cabel, Flaschenzüge, Hebel, Schleudern und dergleichen, als Ausdruck für das Wirken gewaltiger Kräfte und die Überwindung von Widerständen. Auf einer schmalen, dicht an’s Mauerwerk gedrängten Treppe tastete sich Piranesi selbst nach daroben, und folgte man der Treppe ein Stückchen fürderhin, erkannte man, daß sie ganz abrupt aufhörte, ohne eine Balustrade oder derartiges am Ende, daß sie somit demjenigen, der ihren höchsten Punct erklommen hatte, keinen einzigen weitern Schritt mehr gestattete, außer in die Tiefen dort unten. Man nimmt also an, daß, was immer mit dem armen Piranesi noch passiren wird, hier zumindest seine Mühen das eine oder andere Ende finden werden. Doch läßt man seine Augen höher gehn, dann erblickt man eine zweite, noch höhere Treppenflucht, auf der wiederum Piranesi zu sehen ist, der diesmal just am Rande des Abgrunds steht. Man lasse wiederum die Augen höher gehen, und wieder sieht man eine noch luftigere Treppenflucht, und wiederum müht sich Piranesi in seinem Hochhinauswollen dort ab u. s. w., bis sich die endlos unvollendeten Treppen mitsammt Piranesi in den düstern Höhen der Halle verlieren. 167
Mit gleichem Vermögen zu endlosem Wachsthum und Sichwiederholen in der Fortpflanzung nahm die Architektur meiner Träume ihren Fortgang. Im frühsten Stadium meiner Krankheit war das Gepränge meiner Träume in der That vorwiegend architektonischer Art, und ich schaute solchen Prunk von großen Städten und Pallästen, wie sie kein wachendes Auge je schaute, außer in den Wolken. Ich citire hiezu von einem großen Dichter unsrer Zeit einen Theil von einem Abschnitt, der als eine in den Wolken wirklich wahrgenommene Erscheinung beschreibt, was ich in vielfältig ähnlicher Weise häufig im Schlafe erblickte: The appearance, instantaneously disclosed, Die Erscheinung that sich ganz urplötzlich auf, Was of a mighty city – boldly say Die einer ganz gewaltig großen Stadt – frei heraus A wilderness of building, sinking far gesagt Ein wüstes Häusermeer, das sich in die Weite verlor And self-withdrawn into a wondrous depth, Und wunderlich tief in sich selbst zurückgezogen Far sinking into splendour – without end ! Mit hellem Glanz in der Weite sich verlor – und kein Fabric it seem’d of diamond, and of gold, Ende. Das Ganze schien aus Diamanten und aus Gold With alabaster domes, and silver spires, gewoben, Mit Alabasterkuppeln und silbernen Thurmspitzen And blazing terrace upon terrace, high versehen Und mit Einer strahlende Terrasse über der andern strahlenden Terrasse, bis nach hoch
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Uplifted; here, serene pavilions bright Droben. Heiter waren heitre Zelte hier In avenues disposed; there towers begirt An den Durchgangsstraßen ab-, dort Thürme aufgestellt, With battlements that on their restless fronts Von Brüstungen umgürtet, an deren nimmermüden Bore stars – illumination of all gems ! Vorderseiten Sternlein applicirt waren – ein buntes Bilderbuch mit sämmtlichen Edelsteinen. By earthly nature had the effect been wrought Die Natur auf der Erde hatte diese Effecte Upon the dark materials of the storm Auf die dunklen Tuche des Sturmes gestickt, Now pacified: on them, and on the coves, Der inzwischen ganz friedlich geworden war, auf sie, und auf die Schlupfwinkel And mountain-steeps and summits, whereunto Und steilen Berge und Bergesgipfel, auf die sich The vapours had receded, – taking there Die Dünste niedergelassen hatten, um dort Their station under a cerulean sky, &c. &c. Einen Zwischenstopp unter einem himmelblauen Himmel einzulegen u. s. w. u. s. f.
Jener hohe Umstand – “battlements that on their restless fronts bore stars” – könnte aus meinen architektonischen Träumen übernommen seyn, denn derartiges kam häufig darin vor. – Von Dryden wird uns berichtet, und von Füßli in neuerer Zeit, daß sie’s für Rechtens hielten, rohes Fleisch zu essen, um sich prachtvolle Träume zu verschaffen. Da wäre es doch solchen Zwecken noch viel dienlicher gewesen, Opium zu essen, 16 9
wobei bislang, soweit ich mich entsinne, von keinem Dichter bekannt wäre, daß er dies gethan hätte, mit Ausnahme des Dramatikers Shadwell, und in der Antike steht, wie ich glaube, Homer zu Recht in dem Rufe, des Opiums Vorzüge gekannt zu haben. Meinen Architekturen folgten Träume von Seeen und von weit sich erstreckenden silbernen Wassern, und diese verfolgten mich so inständig, daß ich fürchtete (obwol das einem Mediziner vielleicht albern erscheinen mag), eine Art Wassersucht oder eine Neigung hiezu meines Gehirns könnte sich auf diese Weise objectiviren, um ein Wort aus der Metaphysik zu gebrauchen; es könne sich das fühlende Organ zum Object seiner selbst projiciren. Zwei Monate lang litt ich schwer im Innern meines Kopfes, an einem Körpertheil, der bis dahin so völlig frei und unangefochten von jedem Anzeichen von Kränklichkeit gewesen war (physisch wolgemerkt), daß ich davon zu sagen pflegte, wie der letzte Lord Orford von seinem Magen, er werde wahrscheinlich meine sonstige Person überleben. Ich hatte bis dahin nie auch nur eine Migräne gehabt oder irgend welche andern Schmerzen, nicht im geringsten, außer den rheumatischen Beschwerden, die ich mir durch meine eigene Narrheit eingetragen hatte. Trotzdem überstand ich diesen Anfall, 17 0
wenn ich wol auch irgend etwas sehr Gefährlichem sehr nahe gewesen bin. Die Wasser veränderten nun ihr Aussehen. Aus durchsichtigen Seeen, die wie Spiegel strahlten, wurden Meere und Oceane, und dann vollzog sich ein ungeheurer Wechsel, der sich wie eine Schriftrolle langsam entfaltete über viele Monate hinweg, lang anhaltende Folter verhieß, der mich dann nicht wieder verließ, bis schließlich mein Fall an sein Ende gelangt war. Bis dahin hatte sich das menschliche Gesicht oftmals in meine Träume gemengt, jedoch nicht als ein Despot, auch nicht mit specieller Ermächtigung zur Folter. Nun aber begann sich das, was ich die Gewaltherrschaft des Gesichtes genannt habe, zu entfalten. Wo möglich waren hiefür gewisse Bestandtheile meines Lebens in London verantwortlich. Sey es, wie es sey, nun war es dahin gekommen, daß auf den wogenden Wassern des Oceans das menschliche Gesicht in Erscheinung trat. Das Meer schien von unzähligen Gesichtern gepflastert, von flehenden, zürnenden, verzweifelten Gesichtern, die zu Tausenden hochschwappten, zu Zehntausenden, in Myriaden, ganze Generationen, Jahrhunderte – ich wurde endlos durch einander gewirbelt – mein Hirn hinund hergeworfen – und schwappte im Ocean mit. 171
May 1818. Der Malaye war mir ein furchtbarer Feind monatelang. Nacht für Nacht wurde ich seinethalben in asiatische Gefilde verbracht. Ich weiß nicht, ob Andere, was das angeht, meine Regungen theilen, doch oftmals dachte ich mir, daß ich wol irre würde, wäre ich gezwungen, England zu verlassen, und in China zu leben, inmitten chinesischer Sitten und Lebensweisen und Landschaften. Die Gründe meines Grauens liegen tief, und manche darunter habe ich sicherlich mit Andern gemein. Südasien allenthalben ist der Wohnplatz Furcht gebietender Vorstellungen und gedanklicher Verknüpfungen. Schon daß hier die Wiege der menschlichen Rasse stand, reichte hin, daß es mit trüben ehrfürchtigen Regungen verbunden wäre. Doch giebt es mehr Ursachen. Keiner kann behaupten, aller wilder, barbarischer, sprunghafter Aberglaube Afrikas oder anders wo umherziehnder Stämme rührte ihn in derselben Weise an, wie ihn die urzeitlichen, großentworfenen, grausamen und feingefügten Religionen Hindostans u. s. f. anrühren. Die schiere Althergebrachtheit alles Asiatischen, der Einrichtungen, Vergangenheiten, Glaubensrichtungen u. s. f. beeindruckt derart, daß für mich das ungeheure Alter der Rassen und Namen aller Jugendlichkeit der Indi17 2
viduen die Wirksamkeit nimmt. Ein junger Chinese kommt mir wie ein wieder hergestellter Voreiszeitlicher vor. Sogar Engländer, obgleich sie ohne jede Kenntniß solcher Einrichtungen aufgewachsen sind, können nicht anders, als vor der mystischen Erhabenheit der Kasten erschaudern, die aus einander strömten, und sich nie wieder vermengten über solch unausdenkliche Zeiträume hinweg, und eben so wenig kann irgend Einer anders, als ehrfürchtig, Namen, wie den des Euphrat oder des Ganges, vernehmen. Viel zu solchen Regungen trägt bei, daß Südasien schon seit Jahrtausenden der Theil der Erde ist, der am meisten vor menschlichem Leben schwirrt, daß es die große officina gentium, die Menschenfabrik ist. Der Mensch ist ein Unkraut in diesen Gefilden. Und die riesigen Reiche, in die die Alles übersteigende Bevölkerung Asiens immerzu wieder geschleudert wurde, verleihen den mit sämmtlichen fernöstlichen Namen und Vorstellungen verknüpften Empfindungen zusätzliche Erhabenheit. An China schrecken mich, noch mehr, als Alles, was es mit dem übrigen Asien gemein hat, die Lebensweisen und Sitten und eine Sperre aus völliger Abscheu und Mitfühllosigkeit, errichtet zwischen uns von Regungen, die tiefer reichen, als ich dringen kann. Ich könnte eher mit Wahnsinnigen zusammen17 3
hausen oder mit stumpfem Gethier. In all das, und mehr, als ich sagen kann und Zeit zu sagen habe, muß der Leser sich einfügen, ehe er die unvorstellbaren Schrecknisse wird erfassen können, die diese Träume aus östlichen Bilderwelten und mythologischen Folterungen über und in mich brachten. Unter allverbindendem Empfinden von tropischer Hitze und senkrecht einfallendem Sonnenlicht führte ich alle Geschöpfe, Vögel, Vieh, Reptilien, alle Bäume und Gewächse, Gebräuche und Erscheinungen, die sich in tropischen Regionen finden, zusammen, und versammelte sie sämmtlich in China oder Indien. Auf Grund verwandter Regungen unterstellte ich alsbald Ägypten und all seine Gottheiten demselben Gesetz. Ich wurde angestarrt, angeheult, angegrinst, angeklappert von Affen, von Sittichen, von Cacadus. Ich rannte in Pagoden, und war auf Jahrhunderte an höchster Spitze oder in geheimen Sälen fest gesetzt. Ich war der Götze, ich war der Priester, ich wurde verehrt, ich wurde geopfert. Ich floh vor Brahmas Zorn durch alle Wälder Afrikas, Wischnu haßte mich, Schiwa lag mir auf der Lauer. Ganz unvermittelt stieß ich auf Isis und Osiris; ich hätte eine That begangen, sagten sie, die den Ibis und das Krokodill erzittern machte. Ich wurde begraben auf tausend Jahr’ in steinernen Särgen mit Mumien und 174
Sphingen in engen Kammern am Herzen ewiger Pyramiden. Ich wurde geküßt mit geschwürigen Küssen von Krokodillen, wurde in einer Wirrniß aus lauter unsagbarem Schleimzeug zwischen Nilschlamm und Schilf gelegt. Ich übermittle so dem Leser einen schmalen Auszug aus meinen Orientträumen, die mich immerzu mit solcher Verwunderung angesichts der ungeheuerhaften Vorgänge erfüllten, daß das Grauen eine Zeit lang in schierem Erstaunen aufzugehen schien. Früher oder später brachen dann Regungen wieder herein, die das Erstaunen aufschluckten, und nicht so sehr in Schrecken, als vielmehr in Haß und Ekel mich zurückließen vor dem, was ich sah. Über jeder Ausgestaltung, jeder Bedrohung, jeder Bestrafung, jeder trüben, aussichtslosen Kerkerhaft hing eine Ahndung von Ewigkeit und Endlosigkeit, die mich in Bedrücktheit wie von Wahnsinn trieb. Einzig und allein in diese Träume, mit einer oder zwei nebensächlichen Ausnahmen, drangen Umstände körperlichen Grauens ein. Alles zuvor waren sittliche oder geistige Schrecken gewesen. Hier aber waren ihre Hauptverursacher häßliche Vögel oder Schlangen oder Krokodille, letzteres ganz besonders. Das verfluchte Krokodill wurde mir zum Gegenstand von mehr Grauen, als fast der ganze Rest. Ich wurde gezwungen, mit ihm 17 5
zu hausen, und das auf Jahrhunderte, wie es fast immer der Fall war in meinen Träumen. Manchmal entkam ich, und fand mich in chinesischen Häusern wieder mit Bambustischen und dergleichen. Alsbald wurden sämmtliche Tisch- und Sophabeine u. s. w. zum Leben angestachelt, und der widerwärtige Krokodillskopf mit seinen lauernden Augen sah aber tausend Mal vervielfältigt nach mir, und ich stand angeekelt und hingerissen da. Und so oft ging das scheußliche Reptil in meinen Träumen um, daß viele Male ganz genau der gleiche Traum auf ganz genau die gleiche Weise unterbrochen wurde. Ich hörte sanfte Stimmen zu mir reden (ich höre Alles, wenn ich schlafe), und erwachte sogleich. Es war heller Mittag, und meine Kinder standen Hand in Hand zur Seite meines Bettes, waren gekommen, mir ihre bunten Schuh zu zeigen oder ihre neuen Röcke, oder um mir ihre Ausgehkleider vorzuführen. Ich betheure, daß der Übergang vom verdammten Krokodill und andern unsagbaren Unthieren und Misgeburten meiner Träume zum Anblick unschuldiger menschlicher Wesen und von Kindlichkeit so furchtbar war, daß ich bei der gewaltigen, plötzlichen Umwendung des Geistes weinte, und es nicht hindern konnte, als ich ihre Gesichter küßte. 17 6
Juni 1819. Ich hatte oftmals zu verschiedenen Zeiten meines Lebens Gelegenheit, festzustellen, daß der Tod eines geliebten Menschen und Todesbetrachtungen ganz allgemein, caeteris paribus, im Sommer mehr anrühren, als zu jeder andern Jahreszeit. Und die Gründe hiefür sind, wie ich meine, diese drei: Erstens, daß die sichtbaren Himmel im Sommer vielfach höher erscheinen, entfernter und (wenn man mir den sprachlichen Ausrutscher verzeiht) unumgränzter, und daß die Wolken, nach denen in der Hauptsache das Auge die Entfernung zu dem über unser aller Köpfe aufgespannten blauen Zeltdach ermißt, im Sommer geräumiger sind und gewichtiger, und in weitaus großrangigern und höher thürmenden Haufen angesammelt. Zweitens sind dann das Licht und die Erscheinung der niedergehenden und der versinkenden Sonne weit eher zu Schriftschnitten dem Wesen nach und zu Lettern im Einzelnen alles Ewigen geeignet. Drittens schließlich, und das ist der Hauptgrund, drängt die übermüthige und ausschweifende Verschwenderei des Lebens den Geist naturgemäß mit mehr Kraft zu dem gegentheiligen Gedanken an den Tod und an die winterliche Fruchtlosigkeit des Grabes. Man kann nämlich, wann immer zwei Gedanken durch ein Gesetz des Gegensatzes 177
in’s Verhältniß zu einander gestellt sind, und sie gleichsam vermittels gegenseitiger Abstoßung in’s Daseyn treten, ganz allgemein beobachten, daß diese sich gern wechselseitig nahe legen. Aus diesen Gründen kann ich unmöglich den Gedanken an den Tod von mir weisen, wenn ich an nimmerendenden Sommertagen allein meiner Wege gehe, und jeder Todesfall im Besondern, wenn er ihn auch nicht stärker anrührt, sucht doch meinen Geist zumindest sturer und nachhaltiger heim zu dieser Jahreszeit. Dieser Umstand, nebst einem geringfügigen Vorfall, den ich hier fortlasse, gab wo möglich unmittelbaren Anlaß zu dem folgenden Traum, der allerdings immer schon in meinem Geiste vorveranlagt gewesen seyn muß. Aber einmal aufgebracht, verließ er mich nicht wieder und spaltete sich in tausend aberwitzige Abwandlungen, die sich ganz plötzlich oft wieder vereinten, und zu dem ursprünglichen Traum zusammenfügten. Ich vermeinte, es sey Sonntag Morgen im May, es sey Ostersonntag und noch sehr früh am Morgen. Ich stand, wie mir schien, an der Thür zu meiner Hütte. Rechts vor mir erstreckte sich das Bild, daß sich thatsächlich von diesem Standort aus vor das Auge rufen ließ, jedoch, wie üblich, von den Traumeskräften erhaben und feierlich gemacht. Dort befanden sich dieselben Berge, zu 178
ihren Füßen dasselbe liebliche Thal, doch die Berge waren zu mehr, als alpiner Höhe erhoben und zwischen ihnen viel größere Zwischenräume mit Weiden und Waldwiesen. Die Hecken waren reich mit weißen Rosen bestückt, und es war kein Lebewesen zu sehen, außer daß auf dem grünen Kirchhof Rinder in aller Ruhe ausgestreckt auf den sattgrünen Gräbern lagen, und das ganz besonders um das Grab herum von einem Kind, das ich zärtlich geliebt hatte, gerade so, wie ich sie thatsächlich gesehen hatte kurz vor Sonnenaufgang in demselben Sommer, in dem das Kind gestorben war. Ich blickte fest auf das vertraute Bild, und sprach, wie ich meinte, laut zu mir selbst: »Da fehlt aber noch eine Menge Sonnenaufgang, und es ist Ostersonntag, und das ist der Tag, an dem man die Erstlingsfrüchte der Auferstehung feiert. Ich werde hinausziehen, die alten Nöthe sollen heute vergessen seyn, denn die Luft ist ruhig und kühl, und die Hügel sind hoch und erstrecken sich weit in den Himmel, und die Lichtungen im Walde sind so still, wie der Kirchhof, und mit dem Thau kann ich mir das Fieber aus der Stirne waschen, und dann werde ich nicht länger unglücklich seyn.« Und ich wandte mich um, wie um mein Gartenthor zu öffnen, und gleich darauf bot sich mir zur Linken ein weitaus anderes Bild, das aber die Traumeskräfte versöh179
nend in Einklang mit dem vorigen gebracht hatten. Das Bild war ein fernöstliches, und da war auch Ostersonntag und sehr früher Morgen. Und in riesiger Entfernung waren als Flecke auf dem Horizont Thurmzwiebeln und Kuppeln einer großen Stadt zu sehen – eine Vorstellung, bleich und undinglich, die ich vielleicht als Kind von irgend einer Abbildung von Jerusalem behalten hatte. Und jetzt, einen Bogenschuß von mir weg auf einem Stein und von judäischen Palmen beschattet, saß dort eine Frau, und ich sah hin, und es war – Ann ! Sie hielt ihre Augen ernstlich auf mich gerichtet, und ich sprach zu ihr nach einiger Zeit: »So habe ich dich dann endlich doch gefunden.« Ich wartete, doch sie antwortete mir mit keinem Wort. Ihr Gesicht war dasselbe, wie zu der Zeit, zu der ich sie zuletzt gesehen hatte, und doch wiederum sehr davon verschieden. Siebzehn Jahre zuvor, als das Laternenlicht auf ihr Gesicht gefallen war, als ich zum letzten Male hatte ihre Lippen geküßt (Lippen, Ann, die für mich nicht befleckt waren), da hatten ihre Augen Thränen verströmt. Die Thränen waren nun weggewischt; sie erschien schöner, als zu jener Zeit, doch sonst in allem die Selbe und nicht älter. Sie blickte sehr ruhig, trug jedoch ungewohnte Feierlichkeit im Ausdruck, und nun starrte ich mit einiger Furchtsamkeit zu ihr hin, jedoch 18 0
plötzlich verschwamm mir ihr Angesicht, und wie ich mich zu den Bergen umwandte, erblickte ich Dünste, die sich zwischen uns wälzten. Einen Augenblick später war Alles verschwunden, dicke Dunkelheit zog herbei, und so wie ich einmal mit den Augen gezwinkert hatte, war ich fort von den Bergen, und ging, im Laternenlicht von Oxford Street, wieder zusammen mit Ann – gerade so, wie wir siebzehn Jahre zuvor mit einander gegangen, als wir Beide Kinder gewesen. Zum Abschluß führe ich ein Beispiel anderer Wesensart an, von 182 0. Der Traum setzte ein mit einer Musik, die ich oft nun in Träumen hörte, mit einer Musik der Vorbereitung und erwachenden Erwartung, mit einer Musik ähnlich der Eröffnung der Händelschen Krönungs-Hymnen, die auch, wie diese, das Empfinden eines riesigen Aufmarsches vermittelte – endlos vorbeiziehnder Reiterreihen – Stechschritt zahlloser Armeeen. Der Morgen eines gewaltigen Tages war angebrochen – eines Tages der Umkehr und letztendlicher Hoffnung für das Menschenwesen, der sodann undurchblickliche Verfinsterung erlitt, und in äußerster Furchtbarkeit sich dahinschleppte. Irgend wo, ich wußte nicht, wo – irgend wie, ich wußte nicht, wie – von irgend wem, ich wußte nicht, wem – 181
ging eine Schlacht, ein Kampf, eine Todesqual vor sich – entwickelte sich wie ein großentworfenes Theater- oder Musikstück, und mein Mitfühlen mit all dem war um so untragbarer wegen meiner Verwirrung über Ort, Grund, Wesen und möglichen Ausgang. Ich hatte, wie meistens im Traume (wo man sich nothwendiger Weise selbst an den Mittelpunct aller Bewegung setzt), die Macht, und hatte doch die Macht nicht, hierüber zu entscheiden. Ich hatte die Macht, konnte ich mich erheben, es zu wollen, und hatte doch wieder die Macht nicht, denn zwanzigfaches atlantisches Gewicht lastete auf mir und die Bedrückung unsühnbarer Schuld. »Tiefer, als je ein Loth gelangt«, lag ich unthätig. Dann vertiefte sich, wie Chorgesang, die Leidenschaft. Ein bedeutenderes Interesse stand auf dem Spiel, eine gewichtigere Sache, als sie je zuvor das Schwert verfochten oder die Trompete verkündet hatte. Dann ertönten miteins Warnsignale, Hin- und Hergehetze, Bangen unzähliger Flüchtender, ich weiß nicht, ob von der gerechten Sache oder von der bösen her – Dunkel und Lichter – Sturm und Gesichter von Menschen – und schließlich, mit einer Ahndung, daß Alles verloren sey, weibliche Formen und die Züge, die mir so viel werth waren, wie die ganze Welt, aber nur ein Augenblick genehmigt – und Händeklatschen, und 182
herzzerreißendes Scheiden, und dann – Abschied für immer ! Und mit einem Seufzen, wie die Höllenhöhlen seufzten, da die blutschänderische Mutter den verabscheuten Namen des Todes aussprach, klangen wieder die Laute – Abschied für immer – und wieder und wiederum hallend – Abschied für immer ! Und ich erwachte unter Kämpfen und rief laut aus: »Ich will nie wieder schlafen !« Jedoch ich bin nun aufgerufen, einen Bericht zu endigen, der sich bereits zu widervernünftiger Länge ausgedehnt hat. Innerhalb geräumigerer Bande hätte der von mir verwandte rohe Stoff wo möglich besser zur Entfaltung gebracht werden können, und viel von dem, was ich davon nicht verwendet habe, hätte vielleicht wirkungsvoll hinzugefügt werden können. Vielleicht ist aber auch genug dargebracht. Mir bleibt nun noch etwas darüber zu sagen, wie dieser Widerstreit der Schrecken schließlich zur Umkehr gebracht wurde. Dem Leser ist (von einem Abschnitt in der Nähe des Anfangs der Einführung zum ersten Theil her) schon bekannt, daß der Opiumesser, auf die eine oder andre Weise, »von sich die verfluchte Kette wand fast bis auf’s letzte Glied, in die er gefesselt war«. Mit welchen Mitteln ? Auch hievon noch, wie ursprünglich vorgesehen, 18 3
zu berichten, hätte bei weitem mehr Raum erfordert, als hier zur Verfügung steht. Es trifft sich gut, daß nun ein so zwingender Grund zur Kürze vorliegt, denn bei gereifterer Betrachtung des Falles muß ich sagen, daß es mir überaus zuwider gewesen wäre, durch solcherlei wenig anrührende Einzelheiten dem Eindruck der Erzählung an sich, als eines Appells an die Achtsamkeit und das Gewissen des bislang noch unentschiedenen Opiumessers, Schaden zuzufügen – oder gar (wenn das auch eine recht zweitrangige Überlegung ist) ihre dichterische Wirkung zu schmälern. Das Interesse des bedächtig urtheilenden Lesers wird sich nicht so sehr auf den von den Zaubern Hingerißnen richten, sondern auf das, was da hinreißt und verzaubert, selbst. Nicht der Opiumesser, sondern das Opium ist in Wahrheit Held dieser Geschichte und der Mittelpunct, um den das Interesse gerechter Maaßen kreist. Ziel war es, aufzuzeigen, in welch herrlicher Weise des Opium Lüste wie Leiden wirkt, und wenn das vollbracht ist, ist die Handlung des Stückes abgeschlossen. Aber weil Manche, allen gegentheiligen Regelungen zum Trotz, dennoch auf der Frage bestehn werden, was aus dem Opiumesser geworden sey, und wie er sich nun befinde, antworte ich hierauf das Folgende: Dem Leser ist bekannt, 184
daß das Opium lange aufgehört hat, seine Herrschaft auf das Herbeizaubern von Lüsten zu gründen, und daß es einzig auf Grund der Qualen, die mit dem Versuch verbunden sind, ihm abzuschwören, diese noch aufrecht erhält. Weil Einem aber andere Qualen erwachsen, keine geringeren, wie man sich denken kann, wenn man einem solchen Tyrannen nicht abschwört, blieb nur zwischen zwei gleich großen Übeln zu wählen – und da hätte man sich eben so gut dasjenige aussuchen können, das immerhin die Aussicht auf eine Wiederkehr des Glückes mit sich brachte, so schreckensträchtig es an sich auch seyn mochte. Das scheint so zu stimmen, aber die bloße Logik verlieh dem Autor nicht die Kraft, darnach auch zu handeln. Jedoch steuerte das Leben des Autors und mithin das anderer Geschöpfe, die ihm viel kostbarer waren und ihm immer bei weitem kostbarer bleiben werden, als das eigene Leben, selbst da dieses nun wieder ein glückliches ist, auf einen kritischen Punct hin. Ich erkannte, daß ich sterben mußte, wenn ich weiterhin Opium nähme. Darum beschloß ich, wenn es also seyn mußte, daß ich lieber sterben wollte, indem ich mich seiner entledigte. Wie viel ich zu dieser Zeit nahm, kann ich nicht sagen, denn das Opium, das ich damals gebrauchte, hatte ein Freund für mich gekauft, der sich nach18 5
her weigerte, mich dafür bezahlen zu lassen. So konnte ich nicht mit Sicherheit feststellen, welche Menge ich innerhalb eines Jahres verbraucht hatte. Ich weiß jedoch gewiß, daß ich es sehr unregelmäßig einnahm, und zwischen etwa funfzig oder sechzig Gran und hundertfunfzig Gran am Tage schwankte. Meine erste Aufgabe war, auf vierzig, auf dreißig, und, so schnell ich konnte, auf zwölf Gran herunter zu kommen. Ich siegte auf ganzer Linie. Denke aber nicht, Leser, daß meine Leiden damit zu Ende waren, aber denke Dir mich auch nicht als in Niedergeschlagenheit da sitzend. Denk’ Dir mich als einen selbst nach vier Monaten noch immer Aufgewühlten, sich Windenden, Zitternden, Bebenden, Erschütterten, der sich in ganz ähnlicher Lage, wie ein Gefolterter befindet – die Qualen dieses Zustands entnehme ich der anrührenden Erzählung hievon, die ein gänzlich unschuldig Leidender* aus der Zeit James’ I. hinterlassen hat. Unterdessen brachte mir keine Arznei irgend eine Besserung ein; Eine ausgenommen, die mir ein Arzt aus Edinburgh von hervorragendem Rufe verschrieb, nämlich ein mit Salmiacgeist * William Lithgow, dessen Buch (»Die Reisen –« u. s. f.) pedantisch und schlecht geschrieben ist. Doch der Bericht von seinen Leiden auf der Streckbank in Malaga ist von überwältigender Eindringlichheit.
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versetzter Baldrianauszug. Ich habe darum nicht viel Medizinisches von meinem Freiheitskampfe zu berichten, und selbst das Wenige, das ein in der Medizin so völlig Unbewanderter, wie ich, hinbekommen könnte, führte wahrscheinlich nur zu falschen Schlußfolgerungen. Jedenfalls ist es an dieser Stelle fehl am Platze. Die Moral der Geschichte richtet sich an den Opiumesser, und ist daher nothwendiger Weise in ihrer Gültigkeit beschränkt. Wenn sie ihn das Fürchten und das Zittern lehrt, ist schon genug bewirkt. Doch könnte er sagen, daß der Ausgang meines Falles zumindest ein Indicium sey, daß man sich dem Opium selbst nach siebzehnjährigem Gebrauche und achtjährigem Misbrauch noch entziehen könne, und daß er selber vielleicht mehr Kraft für diese Anstrengung aufbringen könnte, oder mit einer stärkren Constitution, als meiner, das gleiche Ergebniß mit weniger erzielen. Das mag stimmen. Ich werde mich nicht erdreisten, die Leistungen Anderer an meinen eigenen zu messen, wünsche ihm vom Herzen mehr Kraft, wünsche ihm gleichen Erfolg. Trotzdem hatte ich Beweggründe außerhalb meiner selbst, die ihm unglücklicher Weise vielleicht abgehen könnten, und die trugen mir gewissenhafte Unterstützung ein, wie sie bloßes Eigeninteresse einem vom Opium geschwächten Geist vielleicht nicht eintrüge. 187
Jeremy Taylor vermuthet, daß es so schmerzhaft sey, geboren zu werden, wie zu sterben. Ich halte das für wahrscheinlich, und in der ganzen Zeit, in der ich meine Opiumdosis reducirte, litt ich die Qualen eines Menschen, der aus der einen Daseinsweise in eine andere übergeht. Am Ende stand nicht der Tod, sondern eine Art körperlicher Wiedergeburt, und ich darf hinzufügen, daß sich seither immer wieder einmal eine mehr, als jugendliche Heiterkeit in meine Seele eingefunden hat, wenn auch unter der Drangsal von Schwierigkeiten, die ich, weniger zuversichtlich, Pech genannt hätte. Jedoch Ein Andenken an meinen vormaligen Zustand ist mir noch geblieben. Meine Träume sind noch nicht vollkommen ruhig. Das furchtbare Tosen und Toben des Sturms ist noch nicht gänzlich darin verebbt, und die Legionen, die in ihnen lagerten, ziehen zwar ab, sind aber noch nicht alle fort. Mein Schlaf ist immer noch voller Aufruhr, und, gleich den Thoren zum Paradies im Angesicht unsrer ersten Vorfahren, als sie von Ferne darnach zurücksahen, noch immer (wie in Miltons gewaltigem Vers) With dreadful faces throng’d and fiery arms. Umschaart von Scheusalsfratzen und flammenden Armen.
Kubla Khan: Or, a Vision in a Dream. A Fragment. The following fragment is here published at the request of a poet of great and deserved celebrity, and, as far as the Author’s own opinions are concerned, rather as a psychological curiosity, than on the ground of any supposed poetic merits. In the summer of the year 1797, the Author, then in ill health, had retired to a lonely farmhouse between Porlock and Linton, on the Exmoor confines of Somerset and Devonshire. In consequence of a slight indisposition, an anodyne had been prescribed, from the effects of which he fell asleep in his chair at the moment that he was reading the following sentence, or words of the same substance, in “Purchas’s Pilgrimage”: “Here the Khan Kubla commanded a palace to be built, and a stately garden thereunto. And thus ten miles of fertile ground were inclosed with a wall.” The Author continued for about three hours in a profound sleep, at least of the external senses, during which time he has the most vivid confidence, that he could not have composed less than from two to three hundred lines; if that indeed can be called composition in which all the images rose up before him as things, with a parallel production of the correspondent expressions, without any sensation or consciousness of effort. On awaking he appeared to himself to have a distinct recolletion of the whole, and taking his pen, ink, and paper, instantly and eagerly 192
Kublai Khan – oder: Ein Schaubild im Traum. Bruchstück. Das folgende Bruchstück wird auf Ersuchen eines Dichters von großer und verdienter Berühmtheit hier veröffentlicht und zwar, was die Sichtweisen des Verfassers angeht, mehr als eine seelenforscherische Kuriosität denn aus Gründen vermeintlicher dichterischer Qualitäten. Im Sommer des Jahres 1797 hatte sich der Verfasser, damals bei schlechter Gesundheit befindlich, in ein einsames, zwischen Porlock und Linton im Exmoorgebiet an der Grenze zwischen Somerset und Devonshire gelegenes Bauernhaus zurückgezogen. Im Gefolge einer leichten Unpäßlichkeit war ihm ein Schmerzmittel verordnet worden, dessen Einwirkung ihn auf seinem Stuhl in Schlaf fallen ließ in dem Augenblick, da er den folgenden Satz, oder Worte von ebensolchem Gehalt, in »Purchas’ Pilgerfahrt« las: »Hier, befahl der Khan Kublai, solle ein Palast erbaut werden und ein prächtiger Garten überdies. Und so wurden zehn Meilen fruchtbaren Grundes mit einer Mauer umschlossen.« Der Verfasser verbrachte etwa drei Stunden lang in fortdauernd tiefem Schlafe, der Wahrnehmung nach außen hin zumindest, und ist sich in lebhaftester Weise gewiß, daß er in dieser Zeit mindestens zwei- bis dreihundert Verse gedichtet hat – wenn man das Dichten nennen kann, wie da sämtliche bildhaften Vorstellungen als Dinge vor ihm aufkamen und parallel hierzu, ohne irgendein wissentliches Verspüren von Anstrengung, die Hervorbringung der zugehörigen Worte stattfand. Auf sein Erwachen hin schien es ihm, als verfügte er über deutliche Erinnerung an das Ganze, und er nahm seinen Füller, Tinte und Papier zur Hand und schrieb auf der Stelle und eifrig bemüht die Verse nieder, die hier fest193
wrote down the lines that are here preserved. At this moment he was unfortunately called out by a person on business from Porlock, and detained by him above an hour, and on his return to his room, found, to his no small surprise and mortification, that though he still retained some vague and dim recollection of the general purport of the vision, yet, with the exception of some eight or ten scattered lines and images, all the rest had passed away like the images on the surface of a stream into which a stone has been cast, but, alas ! without the after restoration of the latter ! Then all the charm Is broken – all the phantom-world so fair Vanishes, and a thousand circlets spread, And each mis-shape the other. Stay awhile, Poor youth ! who scarcely dar’st lift up thine eyes – The stream will soon renew its smoothness, soon The visions will return ! And lo, he stays, And soon the fragments dim of lovely forms Come trembling back, unite, and now once more The pool becomes a mirror. Yet from the still surviving recollections in his mind, the Author has frequently purposed to finish for himself what had been originally, as it were, given to him. Sameron adion asw: but the tomorrow is yet to come. In Xanadu did Kubla Khan A stately pleasure-dome decree: 194
gehalten sind. In diesem Augenblick wurde er unglücklicherweise zu Geschäften hinausgerufen von jemandem aus Porlock, über eine Stunde lang sodann von ihm aufgehalten, und auf seine Rückkehr in sein Zimmer hin befand er, zu seiner nicht geringen Überraschung und Bekümmernis, daß er zwar noch immer etliche ungefähre und trübe Erinnerung an das Schaubild im großen und im ganzen zurückbehalten hatte, daß aber, mit Ausnahme von acht oder zehn ungefähr verstreuten Versen und Bildermustern, der ganze Rest dahingegangen war wie die Muster auf einem Bachlauf, in den man einen Stein hat fallenlassen, aber ach – ohne daß es sich wie dieser nachher wieder glatt zusammenfügte! Dann ist der ganze Zauber Gebrochen – die ganze ach so schöne Geisterwesenwelt Verschwindet, und tausend kleine Kreise breiten sich aus Und ein jeder deformiert den anderen. Verweile noch, Du armer Jüngling, der du kaum die Augen heben wagst – Bald zeigt sich der Bach in alter Glätte wieder, bald werden Die Schaubilder wiederkehren ! Und siehe, er bleibt, Gestalten Und alsbald kommen die trüben Bruchstücke liebreizender Schütter zurück, vereinigen sich, und nun wird noch einmal Das Bächlein zum Spiegel. Doch hat aufgrund der noch immer in seinem Gedächtnis fortlebenden Erinnerungen der Verfasser oftmals beabsichtigt, für sich selbst zu Ende zu führen, was ihm ursprünglich gleichsam geschenkt worden war. Sameron adion asw – morgen singe ich dann ein gefälligeres Lied – aber dies Morgen muß erst noch kommen. In Xanadu ordnete Kublai Khan Den Bau einer prachtvollen Lustkuppel an, 195
Where Alph, the sacred river, ran Through caverns measureless to man Down to a sunless sea. So twice five miles of fertile ground With walls and towers were girdled round: And there were gardens bright with sinuous rills, Where blossomed many an incense-bearing tree; And here were forests ancient as the hills, Enfolding sunny spots of greenery. But oh ! that deep romantic chasm which slanted Down the green hill athwart a cedarn cover ! A savage place ! As holy and enchanted As e’er beneath a waning moon was haunted By woman wailing for her demon-lover ! And from this chasm, with ceaseless turmoil seething, As if this earth in fast thick pants were breathing, A mighty fountain momently was forced: Amid whose swift half-intermitted burst Huge fragments vaulted like rebounding hail, Or chaffy grain beneath the thresher’s flail: And ’mid these dancing rocks at once and ever It flung up momently the sacred river. Five miles meandering with a mazy motion Through wood and dale the sacred river ran, Then reached the caverns measureless to man, And sank in tumult to a lifeless ocean: And ’mid this tumult Kubla heard from far Ancestral voices prophesying war ! The shadow of the dome of pleasure Floated midway on the waves; Where was heard the mingled measure From the fountain and the caves. 19 6
Dort wo der Alph, der geheiligte Fluß, Grotten durchfloß ohne Menschenmaß Einem nachtschwarzen Weltmeer entgegen. So wurden dann fünf und fünf Meilen fruchtbaren Grundes In Mauern und Türme rundum gefaßt, Und Gärten voll Heiterkeit verschlungener Bäche, An denen Bäume in fülliger Blüte Düfte verströmten, Und Wälder unvordenklichen Bestandes, Die sonnige Flecke von Laubgrün umschlossen. Aber ah ! die tiefe, die zeitlose Kluft, die den grünen Hügel Hinunter quer durch ein Dickicht aus Zedern sich zog ! Ein verwegener Ort! So heilig und so zauberhaft, Wie nur je ihn unterm schwindenden Mond Ein Weib bespukte, um nach dem Geistergeliebten zu heulen ! Und aus dieser Kluft, furchtbar brausend pausenlos, Als keuchte hier die ganze Welt schwer, schnell, in Stößen, Ward augenblickweis ein Springquell gewaltsam geschleudert, Dessen hälftig ausgesetzten raschen Sprudel Gewaltige Trümmer wie hüpfender Hagel durchschossen, Wie das spreuige Korn, wenn der Flegel es drischt – Und inmitten der tanzenden Felsen schleuderte er hoch hinauf Augenblickweise dann und wann den geheiligten Fluß. Fünf Meilen in Mäandern verstrickter Bewegung lang Durchfloß Wald und Tal der geheiligte Fluß, Gelangte dann an jene Grotten ohne Menschenmaß Und ging in lauter Aufruhr ein in einen unbelebten Ozean: Und inmitten des Aufruhrs vernahm von ferne der Khan Vorväterstimmen, die Krieg prophezeiten ! Der Schatten der Kuppel der Lust Trieb obenauf inmitten der Wellen, Wo der Grotten und des Springquells Vermischter Takt vernehmlich war. 197
It was a miracle of rare device, A sunny pleasure-dome with caves of ice ! A damsel with a dulcimer In a vision once I saw: It was an Abyssinian maid, And on her dulcimer she played, Singing of Mount Abora. Could I revive within me Her symphony and song To such a deep delight ’twould win me, That with music loud and long, I would build that dome in air, That sunny dome ! Those caves of ice ! And all who heard should see them there, And all should cry, Beware ! Beware ! His flashing eyes, his floating hair ! Weave a circle round him thrice, And close your eyes with holy dread, For he on honey-dew hath fed, And drunk the milk of Paradise.
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Es war ein Wunder von gar seltener Art – Eine sonnige Lustkuppel mit Höhlen aus Eis ! In einem Schaubild schaute ich einst Eine Jungfer mit einem Saitenspiel. Es war ein äthiopisches Mädchen, Und auf ihrem Saitenspiel spielte sie Und sang vom Berge Abora. Könnt ich zu neuem Leben erwecken in mir Diesen Einklang ihres Gesanges, Zu solch tiefer Erfreutheit würd ich getragen, Daß mit ausschweifender Tondichtung Ich diese Kuppel in Luft würde bauen. Diese sonnige Kuppel ! Diese Grotten aus Eis! Und alle, so sie mich vernähmen, schauten sie dort, Und alle riefen sie: Nehmt euch in acht! Seine lodernden Augen, sein wehendes Haar ! Webet um ihn einen dreifachen Kreis Und schließt eure Augen in heiliger Furcht: Der nämlich hat sich von Honigtau genährt Und von der Paradiesesmilch getrunken.
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Thomas de Quincey B EK EN N T N I SS E EI N E S ENG L I S CH EN OPI UM E SS ER S Samuel Taylor Coleridge KUB LAI K HAN Übersetzt von Anton Olander. Beitrag OPI UM zu einem Lexikon von der Ganzen Welt. Internet-Ausgabe vom 6. Juni 1997. Herausgegeben in der transient mismatch press: www.he.net/~tmp Gesetzt aus der Monotype Scotch Roman und der Gill Sans. »Monotype Scotch Roman basiert«, so der Hersteller, »auf Schriften, die von Richard Austin zu Beginn des 19. Jahrhunderts für die Schriftgießereien Wilson in Glasgow und für William Miller & Co in Edinburgh geschnitten wurden. Diese Schriften wurden schnell auch außerhalb Schottlands sehr beliebt und wurden bald ›Scotch‹ genannt.« Printed in Cyberspace.
»Ich aber, der ich das Glück mit Löffeln gegessen habe, in flüssiger wie in fester Form, gekocht und ungekocht, ostindisches wie türkisches, der ich meine Erkundungen in dieser interessanten Sache mittels einer Art galvanischen Batterie vorgenommen, und mir zum Wole der Menschheit das Gift von 8 000 Tropfen Laudanum täglich so zu sagen eingeimpft habe (so wie sich aus dem nämlichen Grunde ein französischer Arzt kürzlich den Krebs eingeimpft hat, ein englischer vor zwanzig Jahren die Pest und ein dritter, ich weiß nicht welcher Nationalität, die Tollwuth) – ich muß sicherlich (wie man zugeben wird) wissen, was das Glück ist, wenn es denn überhaupt Einer weiß.«