Über den Tod hinaus von Timothy Stahl
Seven van Kees war kein Kind von Traurigkeit. Und sie machte keinen Unterschied,...
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Über den Tod hinaus von Timothy Stahl
Seven van Kees war kein Kind von Traurigkeit. Und sie machte keinen Unterschied, ob sie mit einem Mann oder einer Frau ins Bett stieg. Die »wahre Liebe« war jedoch nicht dabei. Bis sie Ryder Maguire traf. Seine Gegenwart verzauberte sie auf nie gekannte Weise. Daß tatsächlich Magie im Spiel war – Schwarze Magie! –, ahnte Seven nicht. Denn Maguire war tot, seit bereits anderthalb Jahren. Sein blendendes Aussehen war eine Maske, unter der das Grauen lauerte. Und sein Interesse an ihr diente nur einem Zweck. Als Seven die Wahrheit erkannte, war es zu spät. Etwas wuchs in ihr heran, und es würde sich nicht aufhalten lassen …
Was bisher geschah … Wie aus dem Nichts materialisiert sich am 28. September des Jahres 2000 an der Paddington Street in Sydney, Australien, ein mysteriöses Haus. Der Polizeipathologe Darren Secada dringt in das Gebäude ein und findet darin die Halbvampirin Lilith Eden. Sie schlief dort nach ihrem großen Kampf gegen die Mächte der Finsternis zwei Jahre lang. Nun hypnotisiert sie Secada, damit er ihr hilft, unterzutauchen, denn natürlich hat das Phänomen schon Polizei und Presse angelockt. Secada bringt sie in seine Wohnung, verfolgt von einem Polizisten und Seven van Kees, Reporterin beim Sydney Morning Herald. Letztere wird Zeuge, wie zwei unheimliche Gestalten in die Wohnung eindringen, den Polizisten niederschlagen – und von der Frau aus dem Haus, die sich plötzlich in eine Fledermaus verwandelt, zur Strecke gebracht werden. Es sind Vampire! Doch dies ist unmöglich – denn Lilith weiß, daß Gott selbst die Alte Rasse vom Antlitz der Erde getilgt hat! Darren stellt fest, daß diese Wesen seit Jahren tot sind; sie verschwanden damals aus ihren Gräbern. Und nun zerfallen sie nicht zu Staub, sondern setzen den aufgehaltenen Verwesungsprozeß fort. Was ist geschehen in den zwei Jahren, die Lilith schlief? Doch bevor sie sich um diese Frage kümmert, braucht sie ein Zuhause – das Haus in der Paddington Street. In dessen Kellergewölben hat sich eine monströse Bedrohung eingenistet: durch Magie mutierte Ratten, die viele der Polizisten töten. Lilith stellt sich der Gefahr. Es gelingt ihr nicht nur, die Ratten zu vernichten, sie gewinnt auch das (vorsichtige) Vertrauen des Einsatzleiters, Chefinspektor Chad Holloway. Durch ihn kommt sie an den Polizeichef von Sydney heran und »überzeugt« ihn hypnotisch, die Truppen abzuziehen. Bevor sie jedoch einziehen kann, muß sie es möblieren – kraft ihrer Gedanken formt das Haus die Einrichtung
aus dem Nichts. Dinge, die jedoch für Darren seltsam steril und unecht wirken … Lilith bleibt keine Zeit, Atem zu holen. Sie entdeckt über dem Sydneyer Zoo einen magischen Wirbel, und als sie das Phänomen untersuchen will, wird sie von Chimären – aus Körperteilen zusammengesetzen Tieren – angegriffen. Zwar bleibt sie Sieger in diesem Kampf, doch wer die Untat begangen hat, bleibt ungewiß. Sie findet nur noch einen Jungen vor, der den Verstand verloren hat, sowie einige von den Chimären getötete Drahtzieher. So erfährt sie auch nicht, daß diese den ausführenden Chirurgen mit einem kleinen Streifen Pergament, den er nur zu berühren brauchte, um ihnen zu Diensten zu sein, »zwangsverpflichtet« haben. Und daß sie einem höheren Ziel folgen, das sie mit der »Erfüllung der Zeichen« umschreiben …
»Na, was ist Ihr Problem, Sir?« Keb Moran schlug einen jovialen Ton an, während er das Glas auf der Theke nachfüllte, zum sechsten Mal innerhalb der vergangenen Stunde. Der Gast – zweifelsohne noch keine dreißig, aber mit tiefen Linien und dunklen Schatten im Gesicht wie von einem langen, harten Leben – leerte es in einem Zug. Er verzog die Lippen, aber er schien das beißende, brennende Gefühl zu genießen, als lenke es ihn von Schlimmerem ab. »Mein Problem?« fragte er dann. Sein schwaches Grinsen wirkte bemitleidenswert, fast kläglich. Wie gehetzt sah er sich um, und seine Stimme klang, als laste aller Weltschmerz auf ihm: »Vampire …« »Vampire?« Aus Keb Morans Stimme sprach kaum mehr als nüchternes Interesse, allenfalls gelindes Erstaunen noch. In den zwölf Jahren, die er sich nun schon als Barkeeper verdingte, hatte er sich die abstrusesten Geschichten anhören müssen, und es gab keinen menschlichen Abgrund, in den er noch nicht geschaut hatte. Wenn ihm dieser Typ jetzt also eine Story über Vampire aufs Auge drücken wollte – okay, nur zu. Keb lächelte dem Gast auf der anderen Seite der blankpolierten Teakholz-Theke zu, nicht wirklich aufmunternd, nur signalisierend, daß er zum Zuhören bereit war. Der andere nickte müde. Hinter der Maske aus falschem Alter, die ihm ein herbes Schicksal übergestreift haben mußte, verbarg sich ein Gesicht mit geradezu jungenhaften Zügen. Wieder schaute er mehr oder minder unauffällig nach allen Seiten. »Mmhmm«, machte er dann. Unter halbgeschlossenen Lidern hervor sah er Keb Moran an und nickte abermals. »Vampire. Sie sind mein Problem. Und vielleicht bald das Problem dieser ganzen Stadt!« Er vollführte eine umfassende Bewegung und wischte damit ums Haar sein Glas vom Tresen. Wie beiläufig und ohne richtig hinzuse-
hen fing Keb es auf und stellte es auf die Papierserviette zurück. »Tschuldigung«, murmelte der andere mit schwerer Zunge und faßte mit beiden Händen nach dem Glas. »Nichts passiert«, versicherte Keb Moran mit unverändertem Lächeln und wischte mit einem Tuch ein paar übergeschwappte Spritzer von der Theke. »Vampire also«, kam er dann auf das Thema zurück. »Yep«, schnappte der andere und zog die Lippen zwischen die Zähne. »Ich dachte immer, die gäb’s nur in Romanen und Filmen«, meinte Keb. »Dacht’ ich auch«, erklärte der Gast, »bis vor kurzem.« Er leerte sein Glas und bedeutete Moran, nachzuschenken. Erneut sah er über beide Schultern ins Halbdämmer der Kneipe. »Und was hat Sie vom Gegenteil überzeugt?« fragte der Barkeeper, während er das Glas bis zum Eichstrich füllte. Die Flasche stellte er in Reichweite ab. Der andere nahm einen winzigen Schluck und beließ den Stoff ein paar Sekunden lang auf seiner Zunge, ehe er ihn schluckte. Wie zuvor verzog er dabei das Gesicht, dann schloß er die Augen und legte den Kopf zurück, als müsse er nachdenken, bevor er antworten konnte. Keb Moran ließ derweil den Blick in die Runde schweifen. Nicht einmal die Hälfte der Tische und Nischen des »Captain Phillip’s« waren besetzt. Bis vor einigen Tagen war das noch anders gewesen, da war die Bar allnächtlich fast aus allen Nähten geplatzt. Jetzt allerdings, da die Olympischen Spiele in Sydney vorüber waren, hatten sich die Touristen und der ganze Troß, der das sportliche Großereignis organisiert hatte, aus der Stadt verabschiedet, und Ruhe war eingekehrt. Gleichgültig zuckte Moran die breiten Schultern. Die Olympiade hatte seiner Bar solche Umsätze beschert, daß er sich ein paar ruhi-
gere Nächte durchaus leisten konnte – und Keb Moran selbst hatte sie auch dringend nötig. Wie er das Geschäft von neuem beleben konnte, darüber würde er später nachdenken. Im Laufe seiner gastronomischen Karriere hatte er schon so manchen Laden auf Vordermann gebracht. Deshalb war ihm nicht bange, daß ihm dieses Mal nicht auch etwas einfallen würde … »Ich hab’ welche gesehen«, riß ihn die Stimme des zechfreudigen Thekengastes aus seinen Gedanken. »Bitte?« Moran blinzelte verwirrt. »Vampire«, erinnerte der andere. »Ich hab’ sie gesehen«, er deutete mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auf sein Gesicht, »mit eigenen Augen.« »Ach?« Der junge Mann mit den alten Zügen nickte wieder, sagte aber: »Sie glauben mir nicht, was?« Keb Moran flüchtete sich in ein unverbindliches Lächeln. »Nun – was würden Sie an meiner Stelle tun?« »Meinem Herrn und Schöpfer auf Knien dafür danken, daß ich noch keinem Vampir übern Weg laufen mußte«, erwiderte der andere, geradezu todernst und mit Leichenbittermiene. Und in seine eben noch trüben, wie von Nebel verschleierten Augen trat ein so unheimlich klarer und kalter Glanz, daß Keb Moran nur mit Mühe ein Frösteln unterdrücken konnte. »Aber«, fuhr der Gast mit leicht erhobener Hand fort, als wolle er den Keeper vorsorglich daran hindern, ihn zu unterbrechen, »Sie haben keinen Grund, dem lieben Gott zu danken. Leider nicht …« »Wie darf ich das verstehen?« fragte Keb Moran. Seine Stimme klang belegt. Tief in ihm keimte ein ungutes Gefühl. Noch war es nur vage Beunruhigung … Der andere rutschte etwas vor, stützte sich mit beiden Armen auf der Theke ab und winkte Moran in Verschwörermanier zu sich her-
an. Der zögerte kurz, dann beugte er sich dem anderen doch entgegen. »Weil es zu spät ist«, raunte ihm der Gast zu. »Zu spät?« echote Keb. Der andere nickte. »Wie meinen Sie das?« wollte Keb Moran noch einmal wissen. »Es ist einer hier.« »Wie? Es ist einer hier …? Was meinen Sie?« »Ein Vampir ist hier«, erklärte der andere rauh, »hier in Ihrer Kneipe.«
* Keb Moran zuckte unwillkürlich zurück. Einen Moment lang rechnete er ganz ernsthaft damit, daß der andere versuchen würde, ihn zu beißen! Nicht etwa, weil er ein Vampir war – nein, aber er mochte sich ja für einen solchen Blutsauger halten und seinem Gegenüber allein aus diesem Grund die Zähne in den Hals schlagen wollen. Ein Irrer! durchfuhr es Moran. Der Typ ist völlig von der Rolle …! Instinktiv fuhr sich Keb mit der Hand über die Kehle – und kam sich noch im selben Augenblick unsagbar albern, geradezu lächerlich vor. Nicht nur, weil der andere heiser, kaum hörbar kicherte, nachdem er sich auf seinen Hocker hatte zurücksinken lassen. Moran hätte sich dafür, daß er allen Ernstes geglaubt hatte, in Gefahr zu sein, sonstwohin treten (oder beißen) können. Solcherart vergessen hatte er sich sein Lebtag noch nicht. Alle Coolness – eine Begleiterscheinung seines Berufes, auf die er stolz war – war für zwei, drei Sekunden von ihm abgefallen, und er fühlte sich erbärmlich deswegen. »Meine Fresse!« stieß der seltsame Gast hervor. »Sie haben doch
nicht wirklich geglaubt, daß ich …!« Sein ausgestreckter Zeigefinger pendelte zwischen ihm und dem Mann hinter dem Tresen hin und her. Sein Grinsen war das eines Jungen, dem ein besonderer Streich geglückt war – aber es verschwand, in der nächsten Sekunde schon, wie ausgeknipst, und machte einer vollkommen ernsten Miene Platz. Keb Moran räusperte sich. Flüchtig schaute er sich um, aber der Zwischenfall schien unbemerkt geblieben zu sein, oder zumindest schenkte ihm niemand weitere Beachtung. Gut so … »Hören Sie, Sir«, wandte er sich dann halblaut an den Gast, der ihm immer suspekter wurde, »wenn Sie sich einen Scherz erlauben wollten, dann ist er Ihnen gelungen. Aber Sie werden sicher verstehen, daß ich Ihren Humor nicht ganz teile –« »Scherz?« Der andere verzog die Lippen. »Ich wünschte, es wäre einer. Wirklich. Aber es ist leider keiner. – Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt …« Einmal mehr sah er über die Schulter, diesmal allerdings in eine ganz bestimmte Richtung. Keb Moran folgte dem Blick seines speziellen Gastes, konnte jedoch nichts Bemerkenswertes entdecken. Nur zwei weitere Gäste, die an einem der hinteren Tische saßen: ein Pärchen offensichtlich, sie nicht mehr ganz so jung und frisch wie er. Dennoch waren die beiden weit entfernt von jenem Mutter-Sohn-Klischee, von dem Spötter gerne sprachen, wenn eine ältere Frau sich einen jüngeren Lover angelte. »Wovon reden Sie, verdammt?« entfuhr es Keb Moran ungehalten, und im Stillen schalt er sich dafür, daß er abermals die Selbstbeherrschung verloren hatte. »Unter Ihren Gästen«, erwiderte der andere ruhig, aber düster, »ist ein Vampir.« »Sie sind ja …«, wollte Moran auffahren. »Eine Vampirin, um genau zu sein«, ließ der andere sich nicht be-
irren. »Und Sie haben schon in die richtige Richtung gesehen.« Er warf einen bezeichnenden Blick in den hinteren Teil der Bar. »Sir«, Moran bemühte sich um einen neutralen Ton, »ich glaube, es wäre besser, wenn Sie das Lokal jetzt verlassen –« »Das werde ich«, nickte der andere gelassen, »o ja, das werde ich. – Aber erst«, er leerte sein Glas, in einem Zug, aber ohne Hast; eher wie jemand, der sich Mut antrinken wollte, »muß ich noch etwas erledigen.« Er rutschte vom Hocker. Dabei verschwand seine rechte Hand unter der Jacke. Als sie wieder zum Vorschein kam, umschlossen die Finger einen zollstarken, knapp unterarmlangen Holzpflock, dessen Ende zugespitzt war. »Damit kann man diese Kreaturen erledigen, wissen Sie?« erklärte er Keb Moran ruhig. Dann wandte er sich um und ging auf die Frau zu, die er für eine Vampirin hielt. Zweifelsohne, um sie zu pfählen!
* Drei, vier Sekunden lang war Keb Moran nicht imstande, auch nur den kleinen Finger zu rühren. Er kam sich vor, als sei er herausgelöst aus der Realität, aus dieser irrsinnigen Wirklichkeit, in der etwas ganz und gar Unwirkliches, völlig Verrücktes seinen Lauf nahm. Die kurze Zeitspanne schien sich endlos zu dehnen, verstrich quälend langsam, und Keb Moran glaubte alles um sich her geradezu widernatürlich deutlich zu sehen. Zudem schien sich sein Blickfeld auf unerklärliche Weise erweitert zu haben: Er überschaute das gesamte Geschehen in der Kneipe, ohne den Kopf drehen zu müssen – vielleicht aber war es schlicht so, daß er nicht merkte, wie seine Augen sich bewegten. Die ersten zwei, drei Schritte tat der übergeschnappte Fremde,
ohne daß jemand auch nur in seine Richtung schaute. Dann wurde jemand des Pfahles in seiner Hand gewahr und stieß seinen Tischnachbarn an, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Und schließlich wandten sich, nach und nach und wie im Zeitlupentempo, die Blicke aller Gäste dem zweifelsohne Geisteskranken zu. Dennoch konnte niemand auch nur vermuten, was der andere konkret im Schilde führte. Die Stimmen wurden lauter, übertönten die Musik aus der Konserve, und dann gellte der erste Schrei. Für Keb Moran war er so etwas wie ein Startschuß! Die Lähmung fiel von ihm ab, und er reagierte, kaum bewußt, eher instinktiv, reflexhaft. Im Gegenzug erstarrte das Szenario um ihn her. Die Menschen in der Kneipe schienen einzufrieren. Nur Keb Moran bewegte sich noch. Und der unheimliche Fremde! Der hatte mittlerweile sein Ziel fast erreicht, jene Frau, in der er eine Vampirin sah und die er mit seinem Pfahl töten wollte – oder erlösen, wie er selbst es wohl ausgedrückt hätte … Moran flankte über die Theke, annähernd so elegant und mühelos wie ein Olympionike. In all den Jahren, die er in der Gastronomie tätig war, hatte er Wert auf seine Gesundheit und Fitneß gelegt. Das zahlte sich in diesen Augenblicken aus. Sicher kam er auf der anderen Seite auf und stürmte dem anderen nach. Verdammt, warum passiert so was ausgerechnet mir und in meiner Bar? ging es ihm durch den Sinn. Vor ein paar Minuten noch hatte er gedacht, daß nichts ihn aus der Ruhe könnte – und plötzlich hatte er alle Hände voll zu tun, um eine unschuldige Frau vor einem selbsternannten Vampirjäger zu retten! Der Verrückte hatte den Tisch des Pärchens inzwischen erreicht. Gerade riß er die Faust mit dem Pfahl hoch, während er einen Stuhl, der ihm noch im Wege stand, kurzerhand beiseite schleuderte. Dabei brabbelte er irgend etwas Unverständliches.
Nach wie vor waren alle anderen Gäste des »Captain Phillip’s« erstarrt – sei es vor Schrecken oder abseitiger Neugierde darauf, was noch geschehen würde. Jedenfalls machte keiner von ihnen Anstalten, der Frau zu helfen. Von ihrem Begleiter abgesehen! Aber der reagierte zu spät, und sein Angriff beziehungsweise seine Abwehr kam zu langsam, zu unentschlossen. Zögerlich schlug er mit beiden Händen nach dem anderen, der den Hieben durch eine knappe Drehung auswich und dem jungen Mann – eher zufällig denn absichtlich – den Ellbogen ins Gesicht stieß. »Weg!« schrie der Typ mit dem Pfahl. »Ich will Ihnen doch nur helfen, Mann!« Die Frau wich zurück, ohne aufzustehen. Mitsamt ihres Stuhles rutschte sie nach hinten – und bot ihrem Angreifer damit ein noch perfekteres Ziel. Die Faust mit dem Pfahl raste herab. Auf die Brust der Frau zu. Keb Moran stieß sich ab, streckte sich im Sprung, reckte die Fäuste vor – Die Frau schrie auf! Dann prallte Moran gegen den anderen, riß ihn mit sich zu Boden und begrub ihn unter sich. Tisch und Stühle fielen polternd um, Glas ging splitternd zu Bruch. Eine Scherbe ritzte Keb Morans Wange. Seine linke Faust packte den Jackenkragen des anderen, seine rechte wühlte sich in dessen Haar. Ein kurzer Ruck, ein Stoß, und das Gesicht des Irren kollidierte hart mit dem Bretterboden, auf dem sich augenblicklich eine Pfütze sammelte, als Blut aus der lädierten Nase des anderen schoß. Keb Moran hatte nicht übel Lust, den durchgeknallten Kerl nach allen Regeln der Kunst zu vermöbeln. Aber er riß sich zusammen. Die Sache mußte so rasch wie möglich über die Bühne gehen, um das Aufsehen gering zu halten. Nichts war für einen Barbesitzer
schlimmer als schlechte Mundpropaganda … Rasch zerrte er den anderen auf die Beine, nahm ihn in einen Verwahrungsgriff und bugsierte ihn unsanft zum Ausgang. Jenseits der doppelflügeligen Schwingtür konnte Keb Moran dann doch nicht an sich halten – er verstärkte seinen Griff, bis die Schultergelenke des Unruhestifters vernehmlich knackten, und ein kräftiger Tritt beförderte ihn schließlich bis zur Bordsteinkante, wo er aufstöhnend in die Knie brach. Schon im Umdrehen begriffen, hielt Keb Moran noch einmal kurz inne. »Ach, bevor ich’s vergesse«, knurrte er, »Sie haben Lokalverbot bis ans Ende aller Tage, klar?« Und in Anlehnung an die Worte des anderen fügte er noch hinzu: »Und danken Sie Ihrem Herrn und Schöpfer auf Knien dafür, daß ich nicht die Polizei verständige!« Daß er damit auch in seinem Sinn handelte, verschwieg Moran. Denn auch Auftritte der uniformierten Gesetzeshüter warfen schlechtes Licht auf ein Lokal; der Grund spielte dabei gar keine Rolle … In der Bar waren bei Keb Morans Rückkehr bereits zwei Mitarbeiter dabei, die Spuren des unerfreulichen Zwischenfalls zu beseitigen. Moran verkündete lächelnd, um die Situation zu entspannen, daß die nächste Runde aufs Haus gehe, dann trat er zu dem Pärchen, daß der Irre belästigt hatte. »Es tut mir sehr leid, was da passiert ist«, entschuldigte er sich. »Was darf ich Ihnen bringen, damit Sie sich von dem Schrecken erholen?« Er schaute erst den Mann, dann die Frau an. Von nahem betrachtet wirkte sie noch unattraktiver als zuvor von der Theke aus: strähniges Haar, glanzlose Augen, fahler Teint. Moran fragte sich, was ihr gutaussehender Begleiter an dieser Frau wohl finden mochte. Na ja, vielleicht hatte sie Geld, und er spekulierte darauf, daß sie ihm einen
Teil davon vererbte – denn genau besehen sah sie geradezu sterbenskrank aus … Sie lächelte Keb Moran an, scheu wie ein Reh, aber sie wurde dadurch nicht schöner. Trotzdem rührte sich ob ihres Anblicks etwas in ihm – Mitleid … Ihre Zunge kroch wie ein unförmiger Wurm aus dem Mund und hinterließ einer Schnecke gleich eine glitzernde Spur auf den farblosen Lippen. »Wie wär’s«, sagte sie schließlich, »mit einer Bloody Marie?«
* »Großer Gott, was hab’ ich nur getan?« Darren Secada versuchte aufzustehen, aber ihm fehlten die Kraft und der wirkliche Wille dazu. So blieb er auf dem Gehweg vor dem »Captain Phillip’s« hocken, auch äußerlich ganz das Häuflein Elend, als das er sich innerlich fühlte. Seine Hand umklammerte den Holzpflock so fest, als handele es sich dabei um einen rettenden Anker, der ihn in dieser Welt hielt. Obwohl er sich andererseits gern daraus verabschiedet hätte – aus dem Wahnsinn, zu dem die Welt und sein Leben darin geworden waren. Binnen weniger Tage nur … … seit er Lilith Eden kannte. Mit ihr, der Halbvampirin, hatte es begonnen – und mit dem Haus. 333, Paddington Street. Dort hatte er Lilith gefunden. Und dort hatte Darrens Vater vor Jahren den Verstand verloren! Seither hielt sich Brian Secada für einen Vampir und fristete sein erbärmliches Dasein in einer Irrenanstalt. Und Darren befürchtete, daß mehr von seinem Vater in ihm steckte, als er angenommen hatte. Denn auch in ihm schien der Wahnsinn Nährboden zu finden. Um diese Vermutung zur Gewißheit
werden zu lassen, brauchte Darren nur auf seine Hand hinabzusehen, auf das, was er immer noch festhielt – den hölzernen Pfahl, mit dem er Vampiren den Garaus machen wollte! Darren stöhnte verzweifelt auf. Er kniete nach wie vor auf dem feuchten Bürgersteig, umflort von Nebelschwaden, die vom nahen Meer her trieben, den Kopf nach hinten gelegt, und er erweckte ganz den Eindruck, als flehe er stumm um göttlichen Beistand. Aber konnte Gott ihm helfen gegen das, was seit kurzem grausame Gewißheit für Darren war? Er wußte, daß es Vampire gab. Er wußte, daß in Sydney Tote aus ihren Gräbern auferstanden und zu gierigen Blutsaugern geworden waren. Eine Zeitlang hatte Darren geglaubt, er könne mit diesem furchtbaren Wissen fertigwerden. Wenn er es nur von der nüchternen Warte des Mediziners, der Wissenschaft aus betrachtete und untersuchte. Als Pathologe des Sydney Police Departments hatte Darren genau das versucht – und sich offenbar viel zu intensiv mit der Thematik befaßt, regelrecht hineinvertieft. Die Quittung dafür hatte er jetzt erhalten. Seine Nase schmerzte und blutete nach wie vor, und seine Schultergelenke schienen bei der geringsten Bewegung aufzukreischen, unhörbar für jeden anderen zwar, aber höllisch laut direkt in Secadas Kopf. Aber Darren verdammte den Schmerz nicht, im Gegenteil hieß er ihn fast willkommen, weil er ihm half, wieder zur Besinnung zu kommen. Beinahe kam es ihm schon vor, als sei nicht er in der Kneipe mit dem Pflock auf diese Frau losgegangen, sondern ein vollkommen Fremder. Der Gedanke an die Frau jedoch ließ Darren innehalten. Beklemmung stieg kalt in ihm hoch, kroch mit eisigen Klauen heraus aus jenen Winkeln seines Innersten, in die sie sich eben erst zurückgezo-
gen hatte. Diese Frau … Darren war … nein, er war nicht mehr davon überzeugt, daß sie tatsächlich eine Vampirin, eine Wiedergängerin war, auferstanden vom Tode und aus ihrem Grab zurückgekehrt ins Leben – oder etwa doch? Leiser Zweifel meldete sich in ihm, aber Darren erstickte das geisterhafte Wispern zwischen seinen Gedanken. Oder versuchte es zumindest … Am Morgen dieses Tages hatte es begonnen. Darren hatte die anstehende Obduktion, nur ein Routinefall, seinem Assistenten Jimmy Potts überlassen, während er selbst sich vor den Computer in seinem Büro gepflanzt hatte. Die Vernetzung mit sämtlichen Rechnern des Police Departments erlaubte ihm den Zugriff auf fast alle Daten; er konnte Informationen über jeden Fall abrufen, der aktenkundig geworden war. Darren hatte sich für eine ganz bestimmte Art von Fällen interessiert: Leichenraub. Unter diesem Stichwort wurden die Fälle zumindest offiziell geführt. Aber Secada wußte inzwischen, daß nicht alle Toten, die in Sydney verschwunden waren, »gestohlen« worden waren – wenigstens ein paar davon mußten sich ganz ohne fremdes Zutun (fast buchstäblich) aus dem Staub gemacht haben. Der Erklärung dafür wollte Darren auf die Spur kommen. Die Zahl der verschwundenen Leichen war größer, als Darren angenommen hatte. Er beschränkte sein Interesse auf die vergangenen beiden Jahre, aber selbst in diesem eingegrenzten Zeitraum waren geradezu erschreckend viele Tote »abhanden gekommen« – einige aus ihren Gräbern, andere aus Friedhofskapellen, wo sie vor der Beisetzung aufgebahrt gewesen waren, und ein paar auch aus den »Leichenkellern« von Krankenhäusern. Die Anzahl der weiblichen Leichname überwog. Der Grund lag
auf der Hand: Nekrophilie. Es gab offenbar mehr pervers veranlagte Männer, die sexuelle Befriedigung nur im Verkehr mit Toten erlangten, als ein gesunder Geist sich vorstellen konnte … Etliche der verschwundenen Frauenleichen waren laut der gespeicherten Berichte wieder aufgetaucht – mißbraucht, teils grausam verstümmelt … Aber eben nur etliche – nicht alle! Von den toten Männern, deren Verschwinden der Polizei gemeldet worden war, hatte man kaum eine Handvoll wiedergefunden. Darren studierte die entsprechenden Dateien geradezu akribisch, und endlos lange starrte er die digitalisierten Fotos der vermißten Toten an, bis sie sich gleichsam in sein Hirn eingebrannt hatten und dort quasi abgespeichert waren. Was er sich von seiner Aktion erhoffte, konnte Secada selbst nicht recht sagen. Vielleicht suchte er unbewußt nach einer Verbindung zwischen diesen Toten; aber wenn es sie gab, dann fand er sie nicht. Was auch daran liegen mochte, daß er nicht wußte, welche dieser Vermißten (wodurch auch immer) »vom Tode auferstanden« und welche »nur« geraubt worden waren. Ganz kurz hatte Darren Secada mit der Idee gespielt, die betreffenden Gräber beziehungsweise Leichenhallen überwachen zu lassen. Denn seinen bisherigen (und reichlich dürftigen) Erkenntnissen zufolge zogen sich die Auferstandenen dorthin zurück, wenn der Tod sie ein zweites und letztes Mal rief. Der Grund dafür war ihm indes ebenso wenig bekannt wie jener, der dieses zweite Sterben verursachte. Aber eine solche Überwachung hätte Darren als Gerichtsmediziner bei den Verantwortlichen kaum durchsetzen können, und eigentlich war sie nicht einmal zu rechtfertigen: Immerhin war kaum davon auszugehen, daß einem sterbenden Vampir wichtige Informationen über dessen Art und Wesen zu entlocken waren, und überdies konnte es Tage, Wochen oder noch länger dauern, bis sich der
nächste Wiedergänger zum Sterben zurückzog. Erfolgversprechender schien Darren eine andere Idee: Die vermißten Toten sollten zur Fahndung ausgeschrieben werden, mit Steckbriefen und dergleichen. Aber es war fraglich, ob man seitens der Obrigkeit selbst diese Maßnahme befürworten würde … Kurzum: Alles Suchen und Sinnieren hatte Darren Secada nicht viel mehr als Kopfschmerzen und rotumränderte Augen eingebracht – und ein Hirn voll kruder Gedanken, die hinter seiner Stirn schwirrten wie ein wütender Bienenschwarm und nach Betäubung verlangten. Ein abendlicher Spaziergang durch die Royal Botanic Gardens hatte Darren keine Linderung bescheren können. Allerdings hatte er in dieser Stunde jenen Pflock aus einem herumliegenden Ast geschnitzt – aus Langeweile, wie er sich eingeredet hatte, doch jetzt, nach seinem peinlichen Auftritt im »Captain Phillip’s« war er sich dessen nicht mehr so sicher: Vielleicht hatte ihn schon dabei unbemerkt jener Teufel gelenkt, der ihn in der Kneipe zu späterer Stunde dann geritten hatte. Ein Teufel, von dem auch sein Vater besessen gewesen sein mochte und der Brian Secada letztlich ins Verderben geführt hatte. Drohte nun ihm, Darren, ein ganz ähnliches Schicksal, nur mit umgekehrten Vorzeichen? Denn er hielt sich ja nicht für einen Vampir, sondern glaubte sie in anderen Menschen zu sehen! Aber – war es so? So erschreckend einfach? Diese Frau im »Captain Phillip’s« – Darren hatte ihr Gesicht schon einmal gesehen gehabt. Auf dem Monitor seines Computers. Als er die Bilder der verschwundenen Toten studierte! Er erinnerte sich nicht mehr daran, wie sie hieß – sein Namensgedächtnis war schon immer miserabel gewesen –, aber sie war darunter gewesen. Sicher. Ganz sicher? Nein. Oder doch …? Darren spürte schmerzhafte Verzweiflung in sich. Er wollte nicht
länger darüber nachdenken. Aber sein Hirn ließ sich nicht einfach abschalten. Es arbeitete wie eine außer Kontrolle geratene Maschine auf Hochtouren. Stöhnend rappelte er sich endlich auf und ging ein paar Schritte die schmale Seitenstraße hinab. Die Musik (eine eigenwillige Mixtur aus traditionellen Aboriginal-Klängen und hämmernden Beats, auf die die Sydneysider derzeit voll abfuhren), die gedämpft aus der Kneipe drang, wurde leiser und verstummte schließlich ganz. Darren Secada kam sich vor wie der einzige Mensch auf Erden. Wattiger Nebel verschluckte den Rest der Welt um ihn, legte sich salzig auf seine Lippen und trug schwachen Fischgeruch vom Pazifik heran. Die Gedanken schwirrten lautstark und geradezu spürbar wie chitingepanzerte Insekten hinter Darrens Stirn umher. Allein dieses imaginäre Geräusch und das widerliche Gefühl, das damit einherging, drohten ihn wahnsinnig zu machen. Und ein weiteres Geräusch, ein monotones Fiepen, sägte regelrecht an Darrens Nerven. Es dauerte eine Weile, bis er registrierte, daß es sein Mobiltelefon war, das da klingelte. Und als er es endlich aus der Tasche gezerrt und sich gemeldet hatte, brauchte Darren weitere Sekunden, ehe er begriff, wer ihn da anrief. »Seven?« echote er schließlich lahm. Im ersten Moment wußte er mit dem außergewöhnlichen Namen nichts anzufangen, obschon er durchaus vertraut klang. Nur das zugehörige Gesicht wollte ihm nicht einfallen. Dann aber schälte es sich vor seinem geistigen Auge wie aus Nebeln, und ein flüchtiges Lächeln erhellte seine Züge. »Seven van Kees!« rief er erfreut. Er erinnerte sich, die Reporterin des Sydney Morning Herald in der Paddington Street kennengelernt zu haben. Sie hatte, wie so viele andere Medienvertreter, über das
Auftauchen des unheimlichen Hauses berichtet, und irgendwie schienen sie einander sympathisch gewesen zu sein, trotz der nur kurzen Dauer ihrer Begegnung. »Sie … Sie wollen mich treffen?« fragte Darren. »Jetzt …?« Er wartete die Antwort ab, dann erwiderte er: »Na gut, meinetwegen. Ich komme hin.« Secada schaltete das Handy ab und steckte es ein. Er lächelte, beinahe verklärt schon. Er freute sich darauf, Seven van Kees wiederzusehen – darauf, einen normalen Menschen zu treffen! Daß die Stimme der Reporterin zittrig und tränenerstickt geklungen hatte, war Darren kaum bewußt geworden. Und ebensowenig stieß er sich an dem merkwürdigen Ort, den Seven für ihr nächtliches Treffen vorgeschlagen hatte … … den Friedhof neben der St. Mary’s Cathedral.
* Darren Secada hatte ein paar Blocks weit laufen müssen, ehe er ein Taxi entdeckte – dessen Fahrer auf sein Winken hin allerdings nicht angehalten hatte. So war es ihm noch drei weitere Male ergangen. Dann endlich hatte Darren die Blicke der Passanten richtig gedeutet, aus denen ihm Verwunderung, Mißtrauen und Furcht entgegenschlug. Sein Gesicht war noch immer blutverschmiert, und einen solchen Fahrgast lud sich kein Taxifahrer in seinen Wagen. Mit Spucke und Taschentuch gelang es Darren, sich zumindest notdürftig zu säubern, und schließlich stoppte ein Cabby für ihn. Während der Fahrt zur St. Mary’s Cathedral klärten sich Darrens Gedanken ein klein wenig. Die benebelnde Wirkung des Alkohols, mit dem er sich zu betäuben gehofft hatte, was aber eher ins Gegenteil umgeschlagen war, verflog zumindest ein bißchen, und der küh-
le Fahrtwind, der durchs Spaltbreit geöffnete Seitenfenster in sein Gesicht blies, tat ein Übriges dazu. Im Stillen ließ Secada das kurze Telefongespräch mit Seven van Kees noch einmal Revue passieren, und erst jetzt fiel ihm auf, wie merkwürdig, ja geradezu verzweifelt die Reporterin geklungen hatte, fast schon panisch eigentlich, wenn er es recht bedachte. Was mochte ihr passiert sein? Und warum rief sie gerade ihn an? Sie kannten sich doch kaum … Darren seufzte. Er würde es erfahren. Gleich. Jenseits der Windschutzscheibe schälten sich bereits die Konturen der neugotischen Kirche aus dem Niesel- und Nebeldunst, der in dieser Nacht wie ein Gazetuch über Sydney hing. »Die hat jetzt aber zu«, fühlte sich der Fahrer bemüßigt, Darren mitzuteilen, als dieser bezahlte und ausstieg. Der Graubärtige wies mit einer vagen Bewegung in Richtung der Kirche. Darren grinste. »Ich weiß. Will ja auch nicht dort hinein, sondern dahin.« Er zeigte zur Friedhofsmauer hin, die sich seitlich der Kirche erstreckte und im Nebeldunst verschwand. »Ach?« machte der Driver. »Um diese Zeit?« Er grinste spöttisch. »Geister suchen oder so was, he?« Darren wiegte den Kopf. »Eher ›so was‹.« »Verstehe schon«, meinte der Graubart. Sei froh, daß du’s nicht tust, dachte Darren und schlug die Tür zu. Das Taxi entfernte sich. Darren fühlte sich verloren vor der imposanten Kulisse der St. Mary’s Cathedral. Langsam drehte er sich um die eigene Achse, doch nirgends rührte sich etwas um ihn her, und keine Menschenseele ließ sich blicken. »Seven?« Der Name der Reporterin kam ihm so leise von den Lippen, daß er ihn selbst kaum verstand. Zögernd ging er in Richtung der Friedhofsmauer. Schmiedeeiserne Zinnen krönten sie, und aus dem gleichen Material bestand auch
das doppelt mannshohe Tor, das zu dieser Stunde verschlossen war, damit niemand die nächtliche Ruhe der Toten störte. Irgend jemand war von diesen Maßnahmen jedoch nicht aufzuhalten gewesen und offenbar über das Tor geklettert. An den Eisenspitzen dort oben flatterten zwei kleine Stücke Stoff! »Seven!« Diesmal rief Darren Secada den Namen der Reporterin laut genug, daß er sich irgendwo brach und als gespenstisches Echo zurückkehrte. Seven … ven … ven … Nur die Nacht antwortete auf Darrens Ruf, niemand sonst. Totenstille im ursprünglichsten Sinne herrschte ringsum, und Secada kam sich vor wie in einem Vakuum. Einen Moment lang überlegte er, ob Seven van Kees ihn vielleicht nur hatte verarschen wollen. Aber er verwarf den Gedanken so schnell, wie er ihm gekommen war. Nein, die Stimme der Reporterin hatte nicht geklungen, als erlaube sie sich einen Scherz. Sie steckte in Schwierigkeiten, das wußte Darren mit untrüglicher Sicherheit, und sie hatte gewiß einen guten Grund gehabt, ausgerechnet ihn anzurufen, um sich hier mit ihr zu treffen. Nur – wo steckte sie? Darren sah sich abermals um, und wie zufällig blieb sein Blick an der Kirche hängen. Ohne groß darüber nachzudenken, setzte er sich in Bewegung. Der Taxifahrer hatte zwar gesagt, die Kirche sei nachts verschlossen, aber Darren hatte da so ein Gefühl, etwas wie ein Instinkt, über den vielleicht nicht jeder Mensch verfügte, auf den er sich aber bisher noch immer hatte verlassen können. Mehr als einmal hatte ihn dieser »besondere Riecher« vor allem bei der Untersuchung von Mordopfern schon auf die richtige Spur gebracht. Secada erreichte das große Kirchenportal und drückte die klobige Klinke nieder. Knarrend, aber doch leicht schwang ein Flügel der Tür nach innen. Der Geruch von Weihrauch strömte Darren aus
dem Halbdunkel jenseits der Schwelle entgegen. Zögernd trat er ein, schloß die Tür hinter sich und ließ den Blick schweifen. Auf dem Altar am anderen Ende des Kirchenschiffs brannten Kerzen, ebenso in einem Seitengang, der zu einer weiteren Tür führte. Im Durchzug, der durch das Öffnen des Portals entstanden war, flackerten die Flammen sekundenlang, und bizarre Schatten tanzten über Wände und Bänke. Darren verharrte unwillkürlich, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Dann sah er sich gründlicher um. Ohne jedoch jemanden zu entdecken … … aber er hörte etwas. Ein geisterhaftes Flüstern wehte durch das Kirchenschiff, wispernd wie der Wind. »Seven?« rief Darren halblaut. Niemand antwortete ihm. Aber das unheimliche Flüstern hielt unverändert an. Es war Darren nicht möglich, einzelne Worte herauszufiltern, aber es klang, als – bete da jemand in einem Winkel, den er nicht einsehen konnte. Langsam ging Darren den Mittelgang zwischen den Bankreihen entlang, sich fortwährend nach allen Seiten umsehend. Nach einigen Schritten mengte sich etwas in den Geruch von altem Holz, Stein und Weihrauch – ein stechender Gestank wie von Erbrochenem. Und beim nächsten Schritt spürte Darren etwas Feuchtes, Schmieriges unter seiner Schuhsohle … »Verdammt!« entfuhr es ihm angewidert. »Wer kotzt denn –?« Weiter kam er nicht. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr! Er kreiselte herum – und entspannte sich: Sein eigener Schatten hatte ihn genarrt. So gut es ging, streifte er seinen Schuh an dem Läufer sauber, der
einen Teil des Bodens bedeckte. Das Wispern wurde lauter, je weiter Darren den Gang hinab ging, und schließlich vernahm er etwas anderes inmitten der unverständlichen Litanei: erstickte Laute … wie Schluchzen. »Seven!« wiederholte Darren, lauter diesmal, und jetzt verstummte das Flüstern. Für einen Moment jedenfalls. Dann setzte es wieder ein, häufiger unterbrochen allerdings von diesen schluchzenden Lauten. »Wo bist du?« fragte Darren. Seine Stimme hallte hohl und dumpf von den Wänden der Kirche wider. Er drehte sich im Kreis, versuchte die Schatten ringsum mit Blicken zu durchdringen – – und wieder war es sein besonderer Sinn, der ihn in den nächsten Quergang lotste. An dessen Ende erhob sich ein klobiges Etwas in der Dunkelheit, unmittelbar an der Wand. Ein Beichtstuhl. Und daraus drang das gespenstische Flüstern, das sich jetzt aus der Nähe anhörte wie das unbeholfene Beten eines verzweifelten Kindes. Darren trat an den Beichtstuhl heran, lauschte kurz und wollte dann den samtenen Vorhang auf der Seite wegziehen, wo sich Seven (Darren zweifelte nicht daran, daß es die Reporterin war) befinden mußte. Doch er entschied sich anders, aus dem Bauch heraus, und schlüpfte statt dessen in den engen Raum des Beichtstuhls, in dem normalerweise der Priester Platz nahm, um seinen Schäfchen zu lauschen und ihnen schließlich zu sagen, was sie tun mußten, auf daß ihnen ihre Sünden vergeben würden. Darren ließ sich auf der schmalen Bank nieder und öffnete die holzvergitterte Luke in der Wand, die die beiden Kabinen voneinander trennte. Dahinter sah er nur Dunkelheit – und einen schwach goldenen Schimmer … Das Flüstern verstummte wie abgeschnitten.
»Seven?« raunte Secada. »Darren?« Die Stimme klang zaghaft und zitterte, und selbst das eine Wort, das sie sprach, war kaum verständlich. »Ich bin hier.« Er versuchte so beruhigend wie möglich zu klingen. »Was ist geschehen?« »Darren, ich …«, setzte Seven an. Ihre Stimme brach ab, sie schluckte und schluchzte, dann endlich fuhr sie fort: »… ich habe … gesündigt.« »Sie haben …«, stieß Darren hervor, hielt inne und sagte dann: »Du hast … was?« Er fühlte sich hin und hergerissen. Was in Gottes Namen lief hier eigentlich ab? Sollte er Seven van Kees die Beichte abnehmen? Hatte sie ihn deshalb mitten in der Nacht hierher bestellt? Das war … absurd! Geradezu lächerlich! Andererseits aber – Darren wußte, spürte regelrecht – und möglicherweise war es wiederum dieser »Übersinn«, der ihm diese Gewißheit eingab –, daß mehr hinter dieser Sache steckte, sehr viel mehr, und daß Seven van Kees ihn nicht aus einer depressiven Laune heraus benachrichtigt hatte. »Was ist los?« hakte er nach. Seine eigene Stimme klang mit einemmal zittrig, vor Beunruhigung und keimender Furcht. »Was meinst du damit – du hast gesündigt?« »Darren, ich …« Seven schluchzte so heftig, daß es sich durch das Holz des Beichtstuhls auf Darren übertrug. Der bloße Laut schnitt ihm schmerzhaft in die Brust. Er wollte aufstehen, um zu Seven zu gehen. Um sie in die Arm zu nehmen, um irgend etwas zu tun und zu sagen – Aber ihre nächsten Worte lähmten ihn förmlich. Ließen ihn einfrieren. »Ich habe …«, sagte Seven van Kees stockend, »… mit einem Toten geschlafen!«
* Sevens Geschichte ergab für Darren Secada keinen Sinn – oder lag es nur daran, daß sie kaum imstande war, diese Geschichte zusammenhängend zu erzählen? Sie hatte einen Mann kennengelernt, der längst tot war? Und sie hatte ihn anziehend gefunden, solange er gelebt hatte? Denn gestorben war er erst, nachdem Seven mit ihm geschlafen hatte … Das war – »Irrsinn«, murmelte Darren, »purer Wahnsinn ist das alles!« Mit Seven im Schlepp lief er über den Friedhof, der zur St. Mary’s Cathedral gehörte. Nur ihrer beider Atem und das knirschende Geräusch ihrer Schritte auf den kiesbestreuten Wegen zwischen den Gräbern störte die Stille, die drückend wie ein tatsächliches Gewicht über ihnen lastete. Hierher hatte Seven, soweit Darren verstanden hatte, ihren unheimlichen Liebhaber verfolgt – bis zu seinem Grab. Dort sollte seine Leiche liegen – nicht unter der Erde allerdings, sondern hinter dem Grabstein, der seinen Namen trug.* Dieser Punkt in Sevens Geschichte war es, der Darren alarmierte, regelrecht in Aufruhr versetzte; etwas wie Fieber hielt ihn gepackt, trieb ihn voran, unbarmherzig. Auf dieses Ende der Geschichte nämlich vermochte sich Darren sehr wohl einen Reim zu machen – einen grausigen allerdings … »Wohin?« fragte er keuchend. Seven wies stumm nach schräg links. Darren lief in die angezeigte Richtung weiter, ohne die Hand der Reporterin loszulassen. Er wußte, daß er ihr Furchtbares antat, indem er sie quasi nötigte, zu dem Ort zurückzukehren, an dem sie *siehe VAMPIRA T53: »Chimären«
ihre entsetzliche Entdeckung gemacht hatte. Aber er wollte Gewißheit haben. Er mußte es mit eigenen Augen sehen, mußte ihn sehen, den Toten – und vielleicht würde er ihn wiedererkennen. Immerhin hatte er sich tags zuvor jedes einzelne Bild der vermißten Leichen eingeprägt … Seven blieb unvermittelt stehen, und Darren stoppte zwangsläufig mit ihr, weil seine Finger die ihren fest umschlossen hielten. »Dort drüben«, sagte sie leise und streckte den Arm aus, »das ist sein Grab.« Darren erkannte, welches sie meinte. Es war unscheinbarer, schmuckloser als die meisten anderen ringsum. »Du kannst hier auf mich warten, wenn –«, schlug er vor. Doch Seven schüttelte den Kopf. »Nein, schon gut. Ich komme mit.« Langsamer als zuvor gingen sie weiter und langten schließlich vor dem Grab an. Ryder Maguire stand auf dem Stein, und ein eigenartiger Spruch: Du wirst niemandem fehlen. »Und?« fragte Darren. Er klang fast enttäuscht. »Wo ist er?« Denn von einer Leiche war nichts zu sehen. »Dahinter«, sagte Seven. Darren trat um das Grab herum – und erstarrte, als ein Blick aus weitgeöffneten, glanzlosen Augen ihn traf! Der Tote kauerte hinter dem senkrecht stehenden Stein, in nahezu fötaler Haltung, den Kopf etwas zurückgelegt, so daß es aussah, als schaue er zu Darren auf. Nebel und Nieselregen hatten ein glitzerndes Netz aus feinen Tröpfchen über das wächserne Gesicht gewoben; fast erweckte der Tote den Anschein, als sei er weinend gestorben. Das Gesicht allerdings war Darren unbekannt. Es hatte sich nicht unter den Bildern der verschwundenen Leichen befunden, dessen war er sich sicher. Darrens Gedankenapparat lief an wie ein Computer, der vollkom-
men selbständig Informationen verknüpfte und Folgerungen daraus zog. Daß er den Toten nicht wiedererkannte, hieß zuerst einmal, daß er in den Polizeiakten nicht als vermißt geführt wurde. Wenn es sich aber bei dem Ryder Maguire, der hier vor Monaten beerdigt worden war, und dem Toten hinter dem Grabstein um ein- und dieselbe Person handelte, dann hieß das, daß Maguire unter anderen Umständen aus seinem Grab gekommen war – daß die Spuren seiner »Auferstehung« beseitigt worden waren! Stellte sich die Frage: von wem? Hatte er es selbst getan oder jemand anderes? Die Antwort darauf, das ahnte Darren, würde Licht in das Dunkel dieser höchst abstrusen Fälle bringen. Nur, diese Antwort ließ sich nicht finden. Darren sah noch nicht einmal einen Ansatz, dem er nachgehen konnte … Blieb immer noch die Möglichkeit, daß der Ryder Maguire, der sich Seven unter diesem Namen vorgestellt hatte, nicht mit dem hier Begrabenen identisch war. Das hielt Darren nach allem, was er bisher wußte, für sehr unwahrscheinlich, aber dieses Problem war immerhin eines, das sich lösen ließ: Eine Exhumierung würde Gewißheit bringen. Und die würde Darren veranlassen – nicht jetzt und sofort allerdings. Erst nachdem dieser Tote in seinem Obduktionssaal gelandet war – und das würde er. Im Police Department war eine Order ausgegeben worden, daß diese Fälle samt und sonders ihm »aufgetischt« wurden. Trotzdem wollte Secada vermeiden, daß er in direkten Zusammenhang mit diesem neuerlichen Leichenfund gebracht wurde. Das würde nur Fragen nach sich ziehen, die er nicht beantworten konnte – oder wollte … Deshalb verließ er den Friedhof mit Seven, ohne sich weiter mit dem Toten zu befassen. Ihre Frage, was er jetzt zu tun beabsichtige,
ließ er zunächst unbeantwortet. Erst jenseits der Friedhofsmauer und zwei Blocks von der St. Mary’s Cathedral entfernt zückte Darren sein Handy und rief die Einsatzzentrale der Polizei an. Anonym und knapp meldete er den Fund einer Leiche auf dem Friedhof, was ihm noch einen launigen Kommentar seitens des Telefondienstlers einbrachte. Darren konnte darüber nicht einmal grinsen und unterbrach die Verbindung, ehe sie zurückzuverfolgen war. »Ich verstehe nicht, warum du –«, setzte Seven van Kees verwirrt an. »Und ich verstehe nichts von dem, was hier vorgeht«, sagte Darren. Er ließ das Telefon in der Tasche verschwinden. »Aber genau das möchte ich niemandem erklären müssen – verstehst du?« »Äh … nein.« »Siehste.« Er lächelte freudlos. »Aber«, begann die Reporterin, »was soll jetzt geschehen? – Ich meine, wir müssen doch irgendwas tun, oder?« »Du«, sagte Darren betont und zeigte auf Seven, »wirst jetzt ins Bett gesteckt und schlafen.« »Und was machst du?« »Ich singe dir ein Gutenachtlied«, erklärte Darren und winkte dem nächsten Taxi.
* Der Morgen graute, als sie bei Seven van Kees’ Wohnung ankamen. »Ein bißchen spät – oder eher früh für ein Gutenachtlied, hm?« meinte Seven, während sie die Tür aufsperrte. Darren pfiff ein paar Takte des Klassikers Morning has broken. »Besser?« fragte er. »Passender jedenfalls«, spielte Seven auf Darrens falsche Tonlage an. Ein kleines Lächeln stahl sich in ihr abgespanntes Gesicht.
»Wow!« entfuhr es Darren, als er hinter der Reporterin die Wohnung betrat. »Hier wäre ja genug Platz, um ‘ne Runde Rugby zu spielen.« Seven lebte in einer Loft-Wohnung: hohe Decken, Zwischenetagen, die über Treppen zu erreichen waren, großzügige Raumabmessungen, wenig Wände, geschmackvolle Einrichtung. »Bist du sicher, daß du hier alleine wohnst?« fragte Darren. »Ich meine – könnte ja gut sein, daß sich irgendwo noch jemand versteckt, von dem du nicht mal weißt, oder?« Sevens Lächeln erlosch wie ausgeknipst. »Ja, inzwischen lebe ich alleine. – Meine Freundin ist über Nacht verschwunden, als ich … na ja, als ich Ryder hier anschleppte.«* »Freundin? Ausgezogen?« Darren lupfte eine Braue. »Aus … Eifersucht?« Seven hob die Schultern. »Und? – Ich bin eben experimentierfreudig, was Sex angeht.« »Ja, klar«, Darren nickte, »sonst hättest du es ja nicht auch mit diesem Ryder Maguire versucht, was?« Die Reporterin senkte den Blick, ihre Schultern fielen herab, als sei alle Kraft aus ihr gewichen. Darren trat rasch zu ihr und faßte sie am Arm. »Hey, tut mir leid, okay? War nicht so gemeint.« »Schon gut«, seufzte Seven. »Ich bin ja selbst schuld an dieser Scheiße. Irgendwann mußte mir so was einfach mal passieren. Vielleicht hab’ ich es nicht anders verdient …« »Nein«, sagte Darren. »Niemand hat so was verdient. – Nicht mal Ryder Maguire …« »Wie meinst du das?« Seven sah auf. Darren ging ein paar Schritte. »Kannst du für ein paar Minuten vergessen, daß du Reporterin bist?« fragte er dann scheinbar zusammenhangslos. *siehe VAMPIRA T52: »Die kalte Brut«
»Wenn’s sein muß«, meinte Seven. »Wenn ich dich darum bitte?« »Dann auf jeden Fall.« »Okay.« Darren nickte. Und dann erzählte er Seven, was er über die verschwundenen Leichen und ihr unheimliches Wiederauftauchen wußte. »O mein Gott …« Seven ließ sich in einen Sessel fallen. Die Spuren von Entsetzen, die sich ein wenig aus ihren Zügen zurückgezogen hatten, vertieften sich schlagartig von neuem. »Tja«, machte Darren, »die Sache stinkt zum Himmel – oder aus der Hölle …« Er hielt unvermittelt inne und sog schnuppernd die Luft ein. »Apropos …«, sagte er gedehnt. Suchend, wie witternd drehte er sich im Kreis. »Was ist?« fragte Seven verwundert. »Irgendwas – verzeih meine Direktheit – stinkt hier …«, fand Darren. Seven rümpfte die Nase, schnupperte gleichfalls. »Ich habe wohl lange nicht gelüftet«, meinte sie dann, stand auf und ging zu einer kleinen Schalttafel, die in die Wand eingelassen war. Mittels Knopfdruck ließen sich von hier aus die Fenster kippen. Doch Darren wehrte ab und hielt Seven auf. »Nein, nein«, sagte er rasch, »das ist was anderes …« Er nahm einen Geruch wahr, den er kannte. Der ihm vertraut war. Weil er fast täglich damit zu tun hatte … … und das er ihn hier, in Sevens Wohnung roch, beunruhigte den Pathologen zutiefst! Angespannt, lauernd wie ein Tier, das seiner Beute nachspürte, strich Darren Secada umher. Seven beobachtete ihn mit wachsendem Unbehagen. Vor einem großen Wandschrank blieb Darren schließlich stehen. »Was ist da drin?« wollte er wissen.
Seven zuckte die Achseln. »Nur Ramsch. Das meiste davon dürfte Leslie gehören, wenn sie es in der Zwischenzeit nicht abgeholt hat.« »Leslie? Ist das deine Freundin?« Die Reporterin nickte. »Leslie Bentwick.« »Ich glaube nicht, daß sie irgend etwas abgeholt hat«, murmelte Darren. In seiner Magengrube ballte sich etwas, das sich wie ein Eisklumpen mit fingerlangen Dornen anfühlte. Tief holte er Atem, hielt die Luft an. Dann öffnete er mit einem Ruck die massiven Türen des Schranks. Obwohl Darren nicht einatmete, roch er den Gestank, der ihm wie eine Woge entgegenschlug. Er kroch ihm gleichsam wie etwas Lebendes in die Nase. »Mein Gott, was –!« kreischte Seven hinter ihm auf. Darren kümmerte sich nicht darum, betrat statt dessen den begehbaren Schrank. Kartons und einige mit Plunder gefüllte Plastiksäcke stapelten sich darin. Von der Decke hing eine Schnur. Darren zog daran, und trübes Licht sickerte aus einer nackten Glühbirne. Die Helligkeit war kaum nennenswert, aber sie genügte, um Darrens Vermutung zu bestätigen. Zum zweiten Mal in dieser Nacht glotzten ihn tote Augen an! Aus dem bleichen Gesicht einer jungen Frau. Die Haut war sichtbar teigig, von bläulichen Leichenflecken überzogen. Darren erkannte unschwer, daß die Frau seit mehreren Tagen tot war. Und er war sich sicher, daß in ihren Adern kaum noch ein Tropfen Blut zu finden sein würde. Leslie Bentwick? Seven van Kees’ markerschütternd schriller Schrei machte auch diese Vermutung zur Gewißheit.
*
Sieht man am Haus doch gleich so deutlich, wes Sinnes der Herr sei. Johann Wolfgang von Goethe Stolz und Zufriedenheit waren für Lilith Eden endlich mehr als nur Worte. Sie war stolz. Auf ihr Schaffen und Tun. Und sie war zufrieden. Mit ihrem Leben. Denn endlich verdiente ihre Existenz diese Bezeichnung. Vorbei waren endlich die Zeiten des Zweifelns und Zauderns. Lilith war gereift in zweijährigem Schlaf, nachdem sie ihre große Schlacht – die größte Schlacht vielleicht, die auf Erden je geschlagen worden war! – ausgefochten hatte, wenn auch nur als Spielball zweier urgewaltiger Mächte, als Zünglein an der Waage zwischen Gut und Böse.* Für ihren Dienst in diesem Kampf um die Menschheit selbst war Lilith entlohnt worden – von Gott selbst! ER hatte sie in ihre Wiege zurückgebracht – 333, Paddington Street, Sydney –, und in tiefsten Schlaf versetzt, in dem nicht nur ihr Geist und Körper Heilung erfahren hatten, sondern auch ihr Ego gestärkt worden war. Lilith haderte nicht mehr mit ihrem Schicksal. Sie hatte keine Mühe mehr zu akzeptieren, daß sie ein Kind zweier Welten war, zur Hälfte nur menschlich, zur anderen Vampirin. Und ebenso leicht nahm sie hin, was dieses Dasein bedeutete und verlangte – – den Durst nach Blut. Es brachte sie nicht mehr in Gewissensnöte, Menschen zur Ader zu lassen. Statt dessen betrachtete Lilith dies als Preis, den sie ihr zu zahlen hatten – dafür, daß sie unter ihrem Schutz standen. Daß Lilith ihre übermenschliche Kraft und Macht zum Wohle dieser Welt einsetzte. Und es war nun einmal so, daß es nichts auf dieser Welt *siehe VAMPIRA T50: »Armageddon«
umsonst gab, für niemanden … Klassische Musik erfüllte das Haus in der Paddington Street. Obwohl nirgends ein Lautsprecher oder die Quelle der Klänge zu sehen war. Lilith selbst ließ sie entstehen, aus ihrer Erinnerung heraus, versetzt mit selbsterdachten Harmonien, die nicht immer wohltönender Art waren, aber insgesamt von ihrer Energie und ihrem gefestigten Willen kündeten. Dennoch, wirklich wohl, physisch stark fühlte sich Lilith momentan nicht. Der jüngst ausgefochtene Kampf gegen die mörderischen Chimären im Taronga-Zoo hatte Kraft gekostet *, die Lilith zwischenzeitlich noch nicht wieder hatte regenerieren können, nicht ganz jedenfalls. Und daß die Unkenntnis über die Ursache dieser Bedrohung sie unablässig zumindest unterbewußt beschäftigte, trug nicht eben dazu bei, Lilith zur nötigen Ruhe kommen zu lassen. Entspannung nämlich wäre ein Weg gewesen, wieder zu erstarken. Ein anderer war – Blut. Und dieser Weg war für Lilith der einfachere – und ein durchaus angenehmer … Unruhig strich sie durch das Haus, ihr Haus, in dem sie einst geboren worden war und das ihr jetzt endlich zum Domizil, zur Heimat geworden war. Lilith lebte nicht nur in, sondern – vielleicht in stärkerem Maße noch – mit ihm. Denn es war mehr als eine architektonische Anordnung von Stein, Holz und anderem Material. Dieses Haus … lebte. Auf ganz eigene, kaum beschreibbare und für jeden Normalsterblichen unvorstellbare Weise. Lilith vermochte es durch unsichtbare Bande zu beeinflussen. Es lag in der Macht ihres Geistes, das Aussehen des Hauses nach ihrem Gusto zu gestalten, und welche Möglichkeiten diese Verbindung noch offenbaren würde, mußte die Zeit zeigen. *siehe VAMPIRA T53: »Chimären«
Im Gegenzug ließ Lilith jedoch nicht unbedacht, daß diese Einflußnahme auch in anderer Richtung funktionieren mochte. Solange sie nicht alle Geheimnisse des Hauses kannte, galt es, Vorsicht walten zu lassen, gewappnet zu sein: Denn das Haus mochte durchaus imstande sein, sich Lilith nutzbar zu machen – zu welchen Zwecken auch immer … Sie trat an eines der Fenster im oberen Stockwerk. Damals, als Lilith zum ersten Mal in diesem Haus erwacht war, waren die Fenster nur Attrappen gewesen. Jetzt allerdings fiel der Blick ungehindert nach draußen, in die wirkliche Welt. Und Lilith sah, wonach ihr der Sinn stand. Auf dem angrenzenden Grundstück wusch ein Mann in Sporthose und Unterhemd sein Auto. Das konnte er später zu Ende bringen … Jetzt hatte er eine dringendere Aufgabe zu erfüllen. Denn seine schöne Nachbarin lud ihn zu sich ein! Die Halbvampirin öffnete die Tür in dem Moment, da der Mann von nebenan davor stehenblieb. Sie hatte ihn nicht gerufen, nicht mit Worten jedenfalls, und ihm nicht gewunken, herüberzukommen. Ihre Einladung war auf eine Weise erfolgt, der sich nur die allerwenigsten Menschen entziehen konnten. Ihr Wille war sein Wille geworden, und Lilith hatte schlicht gewollt, daß er zu ihr kam. Also hatte er selbst nichts anderes gewollt, und auf gleichem Wege hatte sie ihm suggeriert, sich unauffällig zu verhalten, um unbemerkt von etwaigen Zeugen zu bleiben. Wie ein Dieb hatte sich der Mann deshalb angeschlichen, und nun zerrte ihn Lilith förmlich über die Schwelle und schloß die Tür. »Hallo«, begrüßte sie ihren Gast. Solcherlei Floskeln wären nicht nötig gewesen, um Lilith tun zu lassen, was sie zu tun beabsichtigte, aber sie wollte den guten Ton nicht vernachlässigen – und zudem gefiel es ihr, das anstehende Mahl in aller Form zu zelebrieren. Na ja, vielleicht will ich auch nur mit dem Essen spielen, wie die Katze
mit der Maus, dachte sie und lächelte, für ihr Gegenüber wohl etwas unmotiviert. »Hallo …« Die Entgegnung kam zögernd, recht tonlos, und jenseits des stumpfen Glanzes im Blick des Mannes rührte sich etwas, das Lilith unschwer als keimende Verwirrung, von Furcht noch geschürt, identifizierte. Umgehend verstärkte sie ihren geistigen Griff, und der flackernde Funke tief in den Augen des anderen erlosch. Amüsiert bemerkte Lilith, daß der Mann noch das Polierleder, das er zum Autoputzen benutzt hatte, in der Hand hielt. Sie nahm es ihm ab und deponierte es auf einer Anrichte, die neben der Eingangstür stand – – und von der sie nicht wußte, ob der andere sie überhaupt sah! Denn im Grunde war nichts in diesem Haus real, nichts wirklich existent – nur für Lilith eben … Aber auch das bedeutete für Lilith kein Problem, an dem sie Anstoß genommen hätte. Immerhin war dies ihr Haus, und nur sie mußte hier leben und sich wohlfühlen. Einladend wies sie auf die Tür zum Kaminzimmer. »Kommen Sie …«, sagte sie und ließ das Ende des letzten Wortes so ausklingen, daß der andere nicht umhin konnte und seinen Namen nannte. »Dorn … Adrian, wenn Sie mögen.« »Natürlich, Adrian«, lächelte sie und stellte sich gleichfalls vor. »Lilith«, echote er. »Ein … seltsamer Name.« »Und keiner, den Sie sich lange merken sollten«, versetzte Lilith und konnte sicher sein, daß er ihren Namen vergessen haben würde, wenn er das Haus verließ. Wie er sich auch nicht mehr an den Besuch überhaupt würde erinnern können, wenn Lilith ihn aus ihrem Bann entließ … Im Kaminzimmer dirigierte sie ihren Gast auf ein zweisitziges Sofa. Meine Blutbank, dachte sie in fiebriger Vorfreude.
Adrians Unsicherheit entging ihr nicht. Er sah sich um, als habe er Schwierigkeiten, die Umgebung zu akzeptieren, und genau so war es wohl auch. Die Couch wie jedes andere Detail überanstrengten sein Wahrnehmungsvermögen – er glaubte zu sehen und wußte im gleichen Zuge, daß nichts von dem da war, was seine Augen ihm zeigen wollten … Lilith zog die Schlinge um seinen Geist noch etwas enger, schränkte Adrians Auffassung ein, und augenblicklich galt seine ungeteilte Aufmerksamkeit einzig ihr. Sein Blick hing geradezu hündisch ergeben an ihr. »Nun, mein Lieber«, gab sie sich leutselig und tat es doch nur, um die eigene Spannung noch zu erhöhen, indem sie sich zwang, die Finger und Zähne von ihm zu lassen – noch! –, »erzählen Sie mir von sich, hm?« »Äh … also«, begann er, mit schwerer Zunge, als sei er müde oder betrunken, »ich habe meine Auto gewa-« Lilith winkte ab. »Nein, ich meinte: Was tun Sie so – wenn Sie nicht Ihr Auto waschen beispielsweise?« »Schriftsteller. Ich schreibe … Romane.« »Ah, interessant«, tat Lilith beeindruckt. »Ich würde gerne mal eines Ihrer Werke lesen.« »Na ja«, druckste Dorn herum. »Ich bin nicht ganz sicher, ob Sie sich für solche … Themen interessieren.« »Das klingt ja, als würden Sie ganz schlimme Sachen schreiben«, kokettierte Lilith und drohte spielerisch mit dem Finger. »Es gibt Kritiker, die bezeichnen meine Bücher als …«, er stockte. »Schweinkram?« half Lilith aus. »So ungefähr.« »Oh, keine Sorge«, beruhigte ihn Lilith, dann gewann ihre Stimme einen rauhen, vibrierenden Unterton: »Ich bin beileibe nicht so brav, wie ich aussehe –« »Sie … Sie sehen nicht brav aus«, fand Dorn, »ganz bestimmt
nicht.« Er rückte nervös auf den imaginären Polstern hin und her. Die Brille war ihm fast bis zur Nasenspitze vorgerutscht, sein Blick ging über den Rand hinweg und tastete an Lilith auf und ab. »Sie scheinen mir aber auch kein Chorknabe zu sein«, tadelte sie. »Ich … ich verstehe nicht. Ich meine, was mache ich hier?« »Das Richtige«, versicherte Lilith erregt und so nah an seinem Ohr, daß sie sehen konnte, wie ihm die Gänsehaut auflief unter ihrem warmen Atem. Ihre Hand strich leicht über seinen Oberschenkel und höher, wo sie wie zufällig liegenblieb. Der Platz unter dem Stoff der Jogginghose wurde knapper. Lilith hatte nicht vor, Dorn zu verführen; zumindest nicht bis zum Äußersten. Lediglich sein Blut sollte in Wallung geraten. Und das tat es. Beinahe glaubte sie, es durch sein Aderwerk rauschen zu hören. Leicht öffnete sie die vollen Lippen. Die Zunge spitzte hervor und kitzelte die pochende Stelle an seinem Hals. Darob schien es fast, als wolle sich seine Schlagader durch die Haut ihrem Mund entgegendrücken. Für eine Sekunde packte sie unten fester zu. Dorn stöhnte auf. Bog den Kopf zurück. Schloß die Augen. Und Lilith biß zu! Nadelspitze Eckzähne ließen die Ader platzen wie eine überreife Frucht. Blut quoll aus feinen Wunden. Lippen stülpten sich darüber, auf daß kein Tropfen unnütz verfloß. Wärme überlief Liliths Zunge und – – dann zuckte sie zurück, so heftig, als habe sie sich verbrannt! Aber so war es nicht. Etwas hatte sie gestört, erschreckt. Jemand hatte … gesprochen! Nicht Dorn. Jemand – hinter ihr! »Oh, Verzeihung! – Mir scheint, ich störe … beim Essen?«
* Mit der Geschmeidigkeit einer gereizten Raubkatze fuhr die Halbvampirin herum – fauchend, mit gebleckten Fängen, die Finger wie Krallen geformt, zur Abwehr ebenso bereit wie zum Angriff. Dünne Blutfäden liefen von ihren Mundwinkeln übers Kinn. Instinktiv wollte Lilith sich vom Sofa abstoßen, springen, sich dem Unbekannten entgegenwerfen, noch ehe er irgend etwas tun oder auch nur sagen konnte. Aber statt dessen – tat sie nichts. Lilith erstarrte. Ihre Aggression erstarb, und Verwunderung trat an ihre Stelle. Maßloses Staunen. Lilith wußte nicht zu sagen, was oder wen sie zu sehen erwartet hatte. Ganz gewiß aber nicht einen Mann wie diesen. Der aussah, als sei er die Harmlosigkeit in Person … Er war von durchschnittlicher Größe und schien seltsam alterslos. Er mochte Vierzig sein, konnte aber ebenso gut das sechzigste Lebensjahr schon hinter sich haben. Sein Anzug saß tadellos, wirkte unauffällig und verlieh ihm etwas – Lilith fiel kein besserer Ausdruck ein – »Butlerhaftes« … Der Fremde stand stocksteif da, auf halbem Wege zwischen Tür und Sofa, die Hände beinahe verlegen übereinandergefaltet. »Verdammt, wer sind Sie? Und wie kommen Sie hier herein?« Sekundenlang hatte Lilith nichts anderes tun können, als den anderen anzustarren. Jetzt war es, als sei in ihr ein Ventil geplatzt, und die Fragen wollten nur so aus ihr hervorsprudeln. Mühsam hielt sie ihre Zunge im Zaum. Fast verlegen wies der Fremde über seine Schulter. »Durch die Tür natürlich«, sagte er. »Und ich bin hier, um –« »Durch die Tür«, äffte Lilith seinen distinguierten Ton nach. »Was Sie nicht sagen. – Das ist unmöglich! Ich habe –« »Oh«, unterbrach sie der andere. »Ja, Sie hatten – nun, gewisse Sicherheitsmaßnahmen getroffen, was die Tür betrifft. Das habe ich
gemerkt, ja …« Er rieb die Fingerkuppen seiner rechten Hand gegeneinander, als habe er sie sich angesengt. Und er lächelte, freundlich, unverbindlich. Womit er bei Lilith nur eines bewirkte: Er wurde ihr unheimlich. Mit jeder Sekunde, mit jedem Wort, das er sprach, ein bißchen mehr … Ein müdes Stöhnen und Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, ließen Lilith sich umdrehen. Dorn! Den hatte sie glatt vergessen. Sie sah ihn an – und er schrie auf! Mit der Hand fuhr er sich an den Hals, wo seine Finger die Bißwunde berührten, die bereits zu bluten aufgehört hatte, wohl aber noch zu ertasten war. »Großer Gott!« entfuhr es Dorn voller Entsetzen. Er konnte sich offenbar an alles erinnern, an jedes Detail. Und weil ihm die Erklärung fehlte, wie es zu all dem hatte kommen können, schockierte ihn die Erkenntnis um so mehr. Lilith zerbiß einen Fluch. Der überraschende Auftritt des (immer noch) Fremden hatte dazu geführt, daß sie sich nicht mehr auf die Kontrolle Dorns konzentriert hatte – und jetzt konnte er zumindest eins und eins (den Anblick ihres blutigen Mundes und den Schmerz an seinem Hals) zusammenzählen, wenn er dabei auch nicht unbedingt auf zwei kommen mochte; aber er ahnte wohl zumindest, was ihm da gerade widerfahren war. Daß er es schlicht nicht glauben konnte, machte die Angelegenheit nicht leichter verdaulich … Lilith verzichtete auf jegliche Sorgfalt. Brutal griff sie in Dorns Geist – und zermalmte förmlich, was sie an frischer Erinnerung fand. »Verschwinde!« fauchte sie dann, als der Schriftsteller sie nur noch blöde anstierte. Daß sie ihn so abfertigte und anschnauzte, tat Lilith schon in dem
Moment leid, da sie den Mund schloß. Sie würde sich später dafür entschuldigen und Dorn entschädigen. Großzügig, nach allen Regeln ihrer ganz eigenen Kunst … Unsicher wie ein Kind, das sich verirrt hatte, tapste Adrian Dorn hinaus. Der Fremde verabschiedete ihn mit einer angedeuteten Verbeugung, was den Schriftsteller nur noch mehr verwirrte … »So, und jetzt zu Ihnen«, zischte Lilith. Sie erhob sich und trat auf den anderen zu. »Ich bitte darum, ja«, erwiderte er. »Wer sind Sie?« wiederholte die Halbvampirin, als sie ihm auf Tuchfühlung nahe war. Das Lächeln schien ihm um die Mundwinkel gemeißelt zu sein. Es veränderte sich selbst dann kaum, wenn er sprach. »Oh, wie unhöflich von mir«, sagte er, und seine Betroffenheit wirkte einfach nur echt, nicht ein bißchen aufgesetzt. Er trat einen halben Schritt zurück, um Platz zu haben für seine Verbeugung. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle? – McNee ist mein Name, Fitzpatrick McNee. Altem schottischen Adel entstammend, den es vor Zeiten unter … nun, etwas unglücklichen Umständen auf den australischen Kontinent verschlagen hat …« Lilith konnte sich in etwa vorstellen, was McNee da mit blumigen Worten zu umschreiben versuchte: daß seine Vorfahren dereinst zu jenen Sträflingen gehört hatten, derer sich die britische Krone entledigt hatte, indem man sie nach Australien verschiffte und somit »entsorgte«. Sydney war ursprünglich, Ende des 18. Jahrhunderts, nämlich nichts anderes gewesen als eine Strafkolonie. »Fein, dann wäre das ja geklärt«, fiel sie McNee ins Wort. »Bleiben nur noch ungefähr drei Dutzend weitere Fragen.« Fitzpatrick McNee hob zaghaft den Finger, lächelnd natürlich. »Ich kann mir denken, welche davon für Sie am meisten von Interesse sein dürfte –« »Und die wäre?«
»Die Frage nach dem Grund meines Hierseins, nicht wahr?« »Helles Kerlchen«, nickte Lilith anerkennend. »Ich werde Sie Ihnen gerne beantworten. Lassen Sie mich dazu am besten –« Seine rechte Hand verschwand unter der linken Jackettseite. Lilith wich instinktiv einen Schritt zurück und nahm Abwehrstellung ein. McNee hielt erstaunt inne, dann vertiefte sich sein Lächeln. »Oh, Sie dachten, ich würde eine Waffe …?« Er schüttelte amüsiert den Kopf. »Nicht doch. Wie plump das wäre, nicht wahr?« »Und wie ungesund vor allem«, ergänzte Lilith. »Für Sie!« Seine Hand kam wieder zum Vorschein und reichte Lilith einen blütenweißen Briefumschlag. »Was ist das?« fragte sie. »Eine Einladung.« »Von wem?« »Von –«, McNee zögerte einen Moment lang, als suche er nach dem richtigen Wort,»– meinem Herrn.« Seine Miene drückte flüchtiges Bedauern aus, als müsse er sich für seine Wortwahl entschuldigen. »Aha«, machte Lilith. »Und was will er von mir, Ihr Herr?« »Sie näher kennenlernen«, antwortete Fitzpatrick McNee im Plauderton. »Ah ja? Und weshalb?« Lilith kam sich vor, als stehe sie neben sich, seltsam benebelt. Die Situation war so … unwirklich, grotesk geradezu. »Lassen Sie es mich so ausdrücken: Er weiß einiges über Sie – und möchte gern noch mehr erfahren.« Lilith hob überrascht die Brauen. »Er … weiß etwas über mich?« McNee nickte nur. »Interessant …«, murmelte Lilith. Und im Stillen fügte sie hinzu: … und beunruhigend!
In jedem Falle aber eine Sache, der sie besser nachgehen sollte …
* Seven van Kees kannte nicht alle Mitarbeiter des Sydney Police Departments. Auf einige allerdings war sie im Rahmen ihrer Reportertätigkeit für den Sydney Morning Herald getroffen. Und die wiederum hatten Seven van Kees nicht nur von ihrer angenehmen Seite kennengelernt – und sie gerade deswegen nicht vergessen. Zweien davon saß Seven jetzt gegenüber. In einem Raum, der irgendwann mal als Schuhkarton genutzt worden sein mochte, so winzig war er. Fensterlos. Stickig. Und das Licht einer altersschwachen Leuchtstoffröhre ließ die Gesichter der Anwesenden krank aussehen – und machte vielleicht auch krank. Seven fühlte sich jedenfalls so schlecht wie nie zuvor in ihrem Leben, das reich war an allen nur denkbaren Tiefen … Susan Darnall und Tucker Crain machten keinen Hehl daraus, daß sie Seven van Kees nicht mochten. Ihre Mienen und der Ton in den Fragen, mit denen sie die Reporterin abwechselnd bombardierten, ließen keinen Zweifel daran, daß es sie geradezu diabolisch freute, den Spieß einmal umdrehen zu können. Denn bislang war stets Seven es gewesen, die Darnall und Crain (und eine Menge anderer Kollegen) mit unangenehmen Fragen gelöchert hatte, immer hartnäckig und unnachgiebig, oft unhöflich, bisweilen unverschämt. Und Seven van Kees’ Artikel waren meist mit Zynismen gespickte Anprangerungen angeblich unprofessioneller Polizeiarbeit. Nur wenn das Police Department unleugbare Erfolge vorzuweisen hatte, hielt sich van Kees in dieser Hinsicht zurück. Lobende oder auch nur wohlwollende Töne schlug sie auch dann nicht an; in diesen Berichten beschränkte sie sich lediglich auf eine nüchterne, sachliche Schreibe. Aber diese Zurückhaltung war wohl eher Moe Mar-
xx, dem Chefredakteur der Zeitung, zuzuschreiben, der vor der Veröffentlichung vorhandene Seitenhiebe, von Seven eingestreut, vor Drucklegung noch strich … Kurzum, aus all diesen Gründen durfte sich Seven jetzt fühlen wie eine Maus, die von zwei Katzen in eine Ecke gedrängt worden war. Es hätte sie nicht einmal wirklich überrascht, wäre Susan Darnall und Tucker Crain der Geifer von den Lippen getropft. Andererseits, es wäre ihr wohl um kaum einen Deut besser gegangen, wäre sie von den Beamten mit Samthandschuhen angefaßt worden. Seven war ohnedies am Ende, physisch wie psychisch erledigt. Was sie in der vergangenen Nacht und seitdem erlebt hatte, war nicht zu verkraften, nicht in dieser Kürze der Zeit zumindest. Insofern war das harte Verhör im Grunde nicht mehr als ein Tiefschlag unter vielen, und er konnte Seven nur deshalb nicht umwerfen, weil sie längst darnieder lag … »Großartige Geschichte«, meinte Tucker Crain gerade. Die unangenehm schrille Stimme des kleinwüchsigen, terrierhaften Mannes troff vor Häme. »Sie sollten sie für ihre Zeitung aufschreiben, van Kees. – Möglicherweise würde Moe Marxx Sie dann endlich feuern!« »Würde Ihnen so passen, wie?« Die eigene Stimme kam Seven fremd vor. Es war, als höre sie jemand anderem zu. »Ich sage Ihnen, worüber ich als nächstes schreiben werde – über Ihre Verhörmethoden, Crain. Und Sie«, Seven wandte den Kopf um eine Winzigkeit, damit sie Darnall ansehen konnte. Die Bewegung kostete sie beinahe mehr Kraft, als sie noch aufzubringen imstande war, »werde ich in der Story gleichfalls bedenken – aber nicht mit Rosen. Mal sehen, wer seinen Job länger behält, hm?« »Machen Sie sich nicht lächerlich, van Kees.« Susan Darnall verschränkte die Arme und sah auf die Reporterin herab wie auf eine Laus, die sie nur deshalb nicht zerquetschte, weil sie zu faul zum Bücken war. »Was glauben Sie, mit welcher Andacht uns Ihre Kollegen von anderen Zeitungen zuhören würden, wenn wir die Ge-
schichte, die Sie hier zum Besten geben, hinausposaunen? Und was diese Kollegen aus dieser Story machen würden? – Blatthohe Schlagzeilen, Süße! Weil sie damit eine Breitseite gegen den allmächtigen und stets untadeligen Sydney Morning Herald abfeuern könnten. So sieht’s aus.« Dieser Schuß vor den Bug hatte gesessen. Seven schwieg. Zum einen, weil sie klug genug war, um zu wissen, daß sie sich für den Moment besser keine Provokationen mehr erlauben sollte; zum anderen fehlten ihr schlicht Energie und Konzentration für einen schlagfertigen Konter. Trotzdem, wie die Konkurrenz auf dem Printmedienmarkt sich das Maul zerreißen würde, wenn ihre Geschichte publik wurde, konnte sich Seven nur allzu lebhaft vorstellen. SMH-Reporterin treibt es mit Toten! Oder: SMH beschäftigt perverse Spinnerin! Nun ja, zumindest das würde sich in diesem Fall erledigt haben. Denn ihren Job beim Herald wäre sie dann schneller los, als sie ihr berüchtigtes Kürzel svk unter einen Artikel tippen konnte … »Okay«, seufzte Seven ergeben, »Sie hatte Ihren Spaß. – Wo soll ich unterschreiben?« »Unterschreiben?« wiederholte Darnall. Sie gab sich den Anschein von Begriffsstutzigkeit oder wenigstens Schwerhörigkeit. »Das Protokoll meiner Aussage«, präzisierte Seven. »Alles zu seiner Zeit«, erklärte Tucker Crain behäbig, warf seiner Partnerin einen Blick zu, wartete deren knappes Nicken ab – und begann das endlose und ewig gleiche Fragespiel von neuem. Und Seven blieb nichts anderes übrig, als mitzuspielen. Sie beschränkte sich auf kurze Angaben, antwortete nach Möglichkeit nur mit Ja oder Nein. Denn es war unschwer zu durchschauen, was die beiden Polizisten vorhatten: Sie wollten ihr »Opfer« aus dem Konzept bringen, verwirren, in Widersprüche verstricken. Aber Seven war selbst Profi genug, um auf entsprechende Manöver nicht
hereinzufallen. Sie blieb stur bei ihrer Geschichte, bei der Wahrheit, so abwegig die – selbst in ihren Ohren – auch klingen mochte. Ja, der Mann hatte sich ihr als Ryder Maguire vorgestellt. Nein, er hatte keine besonderen Angaben zu seiner Person gemacht. Ja, er hatte die erste Nacht nach ihrem Kennenlernen in ihrer, Sevens, Wohnung verbracht. Nein, Leslie Bentwick hatte sie in dieser Nacht nicht mehr gesehen. Ja, am nächsten Morgen war Leslie verschwunden gewesen. Nein, sie hatte sich darüber nicht den Kopf zerbrochen, weil sie angenommen hatte, Leslie habe sie aus Eifersucht verlassen … Und so ging das Hin und Her weiter, bis zu der Frage, warum sie Ryder Maguire nachgelaufen sei, als er ihre Wohnung verließ, »nachdem er Sie durchgevögelt hatte« (O-Ton Susan Darnall). Seven maß die Polizistin ruhig von oben bis unten, dann wanderte ihr Blick an der bulligen Gestalt wieder hinauf, über die farblosen Lippen und den dunklen Damenbart hinweg, um sich schließlich in den wässrigen Augen Susan Darnalls zu verankern. »Ich weiß, daß Sie das kaum werden nachvollziehen können«, sagte Seven dann ungerührt, »aber ich bin es nicht gewohnt, daß die Kerle eilends aus meinem Bett flüchten, nachdem ich sie gefickt habe.« Ihr Lächeln währte den Bruchteil einer Sekunde, und ihr knapper Augenaufschlag war trotz der dunklen Ringe darunter absolut filmreif. Susan Darnall – vielleicht die einzige Frau, die bis unmittelbar vor ihrer Geburt noch männlich gewesen war und durch eine Mißlaune der Natur ihr bestes Stück nicht mit ans Licht der Welt hatte nehmen können – verzog keine Miene und ließ die Reporterin nicht einen Moment lang aus den Augen. Selbst als sie sprach, schien ihre Gesichtsmuskulatur unberührt davon. »Noch Fragen an das Püppchen, Crain?« »Nope.«
»Sie bleiben in der Stadt. Sie halten sich zu unserer Verfügung. Klar?« Etwas Kaltes kroch von Darnall zu Seven herüber und schlug ihr Zähne und Krallen aus Eis tief in die Brust. Seven nickte stumm. »Raus.« Darnall mußte nicht schreien, nicht einmal laut werden. Die Schärfe in ihrem Ton genügte vollauf, um Seven von dem unbequemen Stuhl regelrecht aufspringen zu lassen. Ohne ein weiteres Wort ging sie aus dem engen Raum, mußte an sich halten, um nicht zu rennen. Als sie durch die Flure des Police Departments ging, hatte Seven das Gefühl, von Blicken förmlich aufgespießt zu werden, wie ein Insekt, das man eingehend studieren wollte. Ihr war (obwohl sie es nicht glaubte, weil es um Gottes willen nicht so sein durfte, bitte, bitte nur das nicht!), als wisse jeder einzelne hier, wer sie war – und vor allem, was sie getan hatte … mit wem getan hatte! Sex mit einem Toten. Mit einem Vampir! »Lieber Gott, hilf mir, weck mich auf, tu irgendwas …!« floß es fast lautlos von ihren Lippen. Aber die Wirklichkeit entließ sie nicht aus ihrem Griff. Und die Vergangenheit hing ihr an. Wie ein substanter Schatten von unmöglichem Gewicht, der neben aller Erschöpfung zusätzlich von ihren kaum noch nennenswerten Kräften zehrte. Als Seven der kalten Helligkeit und der sterilen Atmosphäre des Polizeigebäudes endlich entkam, hoffte sie, daß sie sich gleich ein wenig besser fühlen würde, aber so war es nicht. Im Gegenteil brannte das Tageslicht so schmerzhaft auf ihren Netzhäuten, als schmorten sie über ihren Augäpfeln wie Plastikfolie im Feuer zusammen, und die Mattigkeit in ihren Gliedern wurde zu Blei. Mühsam wie eine gehbehinderte Greisin schleppte sie sich zum Parkplatz, wo ihr pinkfarbener Beetle Asgard stand. Schwer wie ein Sack Kohlen fiel Seven endlich in den Sitz.
Und überlegte. Wohin wollte sie eigentlich? Nach Hause bestimmt nicht! Nicht in diese Wohnung, in der es nach Tod stank, in mehrerlei Hinsicht. Zum Verlagsgebäude des Sydney Morning Herald? Moe Marxx würde ihr den Kopf abreißen, nachdem sie ihren Job in den vergangenen Tagen so sträflich vernachlässigt hatte. Und Seven fühlte sich momentan ganz und gar nicht in der Verfassung, ihm die Stirn zu bieten wie sonst. Damit schied auch der SMH als Ziel aus. Nur, wohin dann? Sie brauchte jemanden, der sie verstand, mit dem sie über alles reden konnte. Jemanden, der ihr half. Jemanden wie – – Darren Secada. Vielleicht war er schon daheim. Wenn nicht, konnte sie vor dem Haus auf ihn warten. Alles war besser als heimzugehen. Denn daheim würde sie sich dort nicht mehr fühlen … Seven fuhr los. Und hätte jemand gesehen, wie sie das tat, wäre sie womöglich der erste Mensch in der Geschichte Sydneys gewesen, der auf dem Parkplatz des Police Departments einen Strafzettel wegen unverantwortlicher Fahrweise bekam …
* Darren Secada kam sich vor, als habe ihn ein Monster von Wolkenkratzergröße durchgekaut, verschluckt und ausgeschissen. Er fühlte sich sterbenselend. Müde, erschöpft, zerschlagen. Kein Wunder … Nachdem sie Leslie Bentwicks Leiche in Seven van Kees’ Wohnung gefunden hatten, war ihm nichts anderes übriggeblieben, als die Kollegen vom Police Department zu verständigen. Und die Jungs hatten Darren durch die Mühle gedreht (und ein
paar Zimmer weiter war Seven van Kees vermutlich das gleiche Schicksal beschieden gewesen). Daß er die Nacht zuvor durchgemacht hatte, war seiner Kondition alles andere denn zuträglich gewesen. Entsprechend leicht hatten sie ihn zermürben können. Was freilich nichts daran geändert hatte, daß Darren ihnen nur das erzählen konnte, was er wußte. Und das war letzten Endes doch erbärmlich wenig. Das wiederum hatte die Jungs vom Department alles andere denn glücklich gemacht, nicht einmal zufrieden gestimmt. Verständlicherweise. Aber das war ein Problem, das Darren nicht groß zu kümmern brauchte. Immerhin stand er gewissermaßen unter dem Schutz von höchster Stelle. Boyd Scone, der Polizeipräsident selbst, hielt quasi seine Hand über Darren Secada und dessen Tun. Lilith Eden hatte da ein wenig nachgeholfen. Über die Art und Weise, auf die es zu dieser Protektion gekommen war, war Darren zwar nicht gerade glücklich, aber er akzeptierte es, notgedrungen. Er wäre ein Narr gewesen, hätte er es nicht getan. Weil er sich andernfalls nach einem neuen Job hätte umsehen müssen … jedenfalls, die Kollegen hatten ihn gehen lassen, nachdem er ihre Fragen nach bestem Gewissen beantwortet und die Ereignisse geschildert hatte. Und jetzt saß Darren am Schreibtisch seines kleinen Büros im Gerichtsmedizinischen Institut und wünschte sich nichts sehnlicher als ein Bett – oder besser noch: ein Bett, das auf einer kleinen Insel am anderen Ende der Welt stand! Jenseits der über und über mit Röntgenbildern und Obduktionsfotos beklebten Wände warteten zwei Tote darauf, daß Darren Secada sich ihrer annahm. Ryder Maguire. Und Leslie Bentwick. Aber Darren fühlte nicht das allergeringste Fünkchen Lust, diese Aufgabe anzugehen. Weil er wußte, was die Untersuchungen erge-
ben würden: nichts. Nichts Neues jedenfalls. Er würde lediglich feststellen, daß Ryder Maguire schon vor Monaten gestorben war, sein Leichnam aber nicht in dem Maße verwest war, wie er es hätte sein müssen. Und er würde in Leslie Bentwicks Körper kaum noch Blut finden, weil Ryder Maguire es ihr ausgesaugt hatte. Das würde er mit etwas Glück sogar beweisen können, wenn er Reste von Leslies Blut in Maguires Speiseröhre oder Verdauungstrakt fand. Darren selbst brauchte diesen Beweis nicht, er wußte, daß es so war. Leslie Bentwick war nicht aus ihrer gemeinsamen Wohnung mit Seven van Kees ausgezogen – sie hatte in jener Nacht Besuch von Ryder Maguire bekommen, von einem Vampir, und der hatte sie zur Ader gelassen und umgebracht. Nur nutzte Darren dieses Wissen nichts. Es brachte ihn um keinen Deut weiter. Weil es ihm nichts über die Hintergründe und Ursachen dieser gräßlichen Angelegenheit verriet, und es lieferte ihm keine Anhaltspunkte, was dagegen zu unternehmen wäre. Das hieß, etwas gab es in dieser Sache doch, das Darren stutzig machte: Warum hatte Ryder Maguire sich das Blut von Leslie Bentwick geholt – und Seven van Kees unberührt gelassen, zumindest in dieser Hinsicht? Weshalb hatte er Leslie getötet und Seven am Leben gelassen? Stechender Schmerz quälte Darren, als würde ihm eine Nadel in die Nasenwurzel gestoßen. Wie immer, wenn er über einem schwierigen Problem brütete. Mit Daumen und Zeigefinger massierte er die betreffende Stelle, ohne – ebenfalls wie immer – Linderung zu finden. Maguire hatte mit Seven geschlafen. Auch mit Leslie Bentwick? Darüber konnte die Obduktion Aufschluß bringen, möglicherweise. Wenn sich Spermaspuren an beziehungsweise in der Leiche finden ließen. Darren spann den Gedanken weiter.
Wenn er davon ausging, daß Maguire nicht mit Leslie ins Bett gestiegen war, dann mochte das ein Hinweis sein – nur, worauf wies er hin? Gab es geschmackliche Unterschiede zwischen verschiedenen Blutgruppen? Unsinn! Oder …? Je intensiver Darren nachsann, desto stärker wurde der Schmerz zwischen seinen Augen. Aber er wollte jetzt nicht aufhören, darüber nachzudenken. Er hatte das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Er durfte ihn jetzt nicht verlassen. Maguire, der Vampir, hatte also mit Seven geschlafen. Ihrer Schilderung zufolge nicht in der ersten Nacht, sondern erst später. Warum hatte er sich damit soviel Zeit gelassen? Weil er danach gestorben war! Die Antwort fiel wie ein Fremdkörper in Darrens Gedankennetz, von irgendwoher, aus dem Nichts, wie es schien. Was für eine großartige Todesursache, ging es Darren durch den Sinn. Er hat sich sozusagen totgef… Das konnte eine Erklärung dafür sein, weshalb Maguire nicht mit Leslie Bentwick geschlafen hatte. Warum nicht mit ihr, warum gerade mit Seven? Weil sie – Eine Sekunde lang hatte Darren das untrügliche Gefühl, den richtigen Faden in diesem Gewirr in der Hand zu halten. Endlich! Er brauchte nur noch daran ziehen und dann – Weg. Der Faden entglitt ihm, wie ein Stück nasser Seife oder als würde er ihm von jemandem aus den Fingern gezogen. »Verdammt!« zischte er wütend. Er versuchte auf den Punkt zurückzukommen, aber er fand ihn nicht mehr. Er war untergegangen, verschwunden im Durcheinander seines Denkens, das die Müdigkeit zusätzlich noch wie in einen Kokon spann, der vom puren Willen nicht zu durchdringen war. Nicht heute jedenfalls … Darren sah auf die Uhr und beschloß, den Feierabend heute etwas
vorzuverlegen. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, noch kurz bei Seven van Kees vorbeizuschauen, um zu sehen, wie sie die schrecklichen Ereignisse verkraftet hatte. Er sorgte sich um die Reporterin, ohne zu wissen, weshalb. Schließlich kannte er sie kaum. Und warum sie sich in ihrer Notlage gerade an ihn gewandt hatte, wußte Darren noch immer nicht. Es hatte sich keine Gelegenheit ergeben, um sie danach zu fragen. Vielleicht konnte er zumindest diesen Grund jetzt in Erfahrung bringen. Darren hatte das drängende Bedürfnis nach Antworten – und wenn er sie schon nicht auf die großen Fragen fand, dann wollte er wenigstens die nebensächlichen gelöst wissen. Über die Auskunft erfuhr Darren die Telefonnummern von Seven van Kees, die ihres Handys, ihres Wohnungsanschlusses und die des Sydney Morning Heralds. Die Reporterin war jedoch unter keiner davon zu erreichen. Darren hinterließ auf ihrem Anrufbeantworter eine kurze Nachricht, daß sie sich bei ihm melden sollte, wenn ihr nach Gesellschaft zumute war. Gesellschaft … Danach verlangte auch ihn jetzt, aller Erschöpfung zum Trotz. Darren hatte keine Lust, nach Hause zu fahren, wo er nur allein sein würde – allein mit seinen kruden Gedanken. Die Aussicht darauf erschreckte ihn geradezu. Die einzige Alternative allerdings auch. Dennoch entschied er sich dafür. Für einen Besuch in der Paddington Street.
* Zur gleichen Zeit Lautstarkes Knurren riß Seven aus ihrer Lethargie. Erschrocken sah sie auf, ihr trüber Blick klärte sich, als würde ein Kameraobjektiv scharfgestellt – und als sie erkannte, daß ihr Beetle zwei der drei
Fahrspuren beanspruchte, fühlte sie sich einen Moment lang sogar hellwach! Rasch zog sie den Wagen nach rechts, einen Tick zu hastig, so daß die Räder über den Seitenstreifen rumpelten und den Bordstein touchierten. Um sie her hob ein mehrstimmiges Hupkonzert an. Seven ignorierte es entgegen aller sonstigen Gepflogenheit, drehte das Lenkrad etwas, dann war sie endlich wieder »auf Kurs«. Ein ebenso gefährliches wie verantwortungsloses Verhalten war es, das sie da an den Tag legte. Eigentlich hätte sie das Auto stehenlassen und ein Taxi nehmen sollen – »Ist ja nicht mehr weit«, sagte sie zu sich selbst – und gähnte … Das Knurren wiederholte sich, und diesmal ging es mit krampfartigem Schmerz einher, der Seven die Eingeweide zusammenzog. Hunger? Möglich. Sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, nicht einmal daran gedacht, weil sie ohnehin keinen Bissen hinuntergebracht hätte. Auch jetzt verstärkte der Gedanke an alles Eßbare eher die Übelkeit, als daß er ihren Hunger noch schürte. Vielleicht würde sich Darrens Gesellschaft als appetitanregend erweisen … Sie lächelte. Müde. Verträumt … Träumend! Der Bus kam scheinbar aus dem Nichts! Riesig wuchs er vor der Schnauze des VW Beetle auf, wie ein Berg aus bunten Metall und Glas. Und er wuchs und wuchs, unaufhörlich, bis Seven nichts anderes mehr sah als diesen verdammten Bus und Gesichter hinter den Seitenfenstern, in unterschiedlichen Panikstadien verzerrt. Habe ich eine rote Ampel übersehen? Die Vorfahrt mißachtet? schoß es Seven wie brennende Pfeile durch den Kopf. Und: Warum denke ich jetzt darüber nach? Warum TUE ich nicht irgendwas? Weil es zu spät war.
Die Anzeige auf der digitalen Werbefläche an der Längsseite des Busses wechselte in dem Moment, als das Feld Sevens Blickfeld zur Gänze einnahm. Ein Bestattungsunternehmen versprach »Himmlische Ruhe« und das »Paradies unter Erden« … Noch im selben Augenblick zerbrach die Welt um Seven splitternd, barst kreischend auseinander. Binnen einer einzigen Sekunde. Dann … Ruhe, Stille. Tief wie die des Todes.
* Mit einem Fluch auf den Lippen schlug Darren Secada auf den Lenkrandkranz seines Geländewagens! Wie immer ließ er während der Fahrt den Polizeifunk mitlaufen. Vor längerem hatte ihm dieses »Lauschen« einmal einen Hinweis geliefert, der ihn in der Folge auf die Lösung eines bis dahin unlösbar scheinenden Falles gebracht hatte. Zwar war es in dem Funkgespräch der Kollegen um eine andere Sache gegangen, aber es hatte eine Parallele gegeben, auf die Darren dadurch aufmerksam geworden war. Seitdem war ihm das Mithören des Funkverkehrs zur Gewohnheit geworden. Heute fand Darren in den Meldungen keine Antworten auf irgendwelche Fragen (obwohl er alles mögliche darum gegeben hätte …), sondern nur einen Grund zum Ärgern: Die Innenstadt von Sydney lag nach einem schweren Verkehrsunfall praktisch lahm, die naheliegenden Umgehungsstraßen waren bereits verstopft. Ausgerechnet heute, da ihm jeder Meter, den er fahren mußte, eine Qual bedeutete … »Shit!« knirschte Darren. Während er per Knopfdruck den digitalen Stadtplan von Sydney auf den Armaturenmonitor lud, suchte Darrens Blick jenseits der
Windschutzscheibe nach einem markanten Punkt und fand die St. James Church. Über das im Lenkrad integrierte Touch-Kontrollfeld bewegte er den Pfeil auf dem Stadtplan zu der Kirche, dann gab er sein Ziel ein: Paddington Street. Die ersten der vom Bordcomputer vorgeschlagenen Routen ließ Darren mit »Ignore« verschwinden, weil sie laut Polizeifunk schon dicht waren. Die fünfte Strecke schließlich schlug einen Bogen, der Darren weit genug schien, um noch nicht überlastet zu sein. Seine Hoffnung erfüllte sich zumindest teilweise. Zwar hatten sich außer ihm auch schon andere Fahrer für diesen Weg entschieden, aber immerhin noch wenig genug, daß der Verkehr floß, wenn auch zäh. Als Secada endlich in die Paddington Street einbiegen konnte, streckte die Dämmerung bereits ihre Schattenfinger nach Sydney aus, ein blauschwarzes Wolkentuch im Schlepp, das sich binnen der nächsten halben Stunde über die Stadt breiten würde. Keine gute Zeit, um hierher zu kommen, dachte Darren und fröstelte unwillkürlich. Das Haus bot schon bei Tag einen unheimlichen Anblick. Bei Dunkelheit wirkte es geradezu bedrohlich. Und im Zwielicht des Abends … lebendig. Als kröchen die Schattenkreaturen aus verborgenen Löchern hervor, kaum daß der letzte Sonnenstrahl ihr Versteck berührt hatte. Und dann sammelten sie sich rund um das Haus 333, Paddington Street, und vollführten Tänze wie in einem düsteren Ritual. »Du spinnst ja …«, sprach Darren mit sich selbst, aber zu überzeugen vermochte er sich nicht. Er stellte den Wagen am Straßenrand ab, nicht direkt vor dem Anwesen 333, sondern ein Haus weiter. Aus alter Gewohnheit … Wie oft war er hiergewesen, nachdem er seinen Vater im Bitterblue Asylum (In der Irrenanstalt! flüsterte ein gemeines Stimmchen das häßliche Wort, das Darren nach Möglichkeit selbst in Gedanken
vermied) ausfindig gemacht hatte? Fast täglich in der ersten Zeit. Hunderte von Male insgesamt. Damals war das Grundstück noch leer gewesen, das Haus, in dem Brian Secada den Verstand verloren hatte, nicht vorhanden – oder »nur« unsichtbar …? Darren mußte sich eingestehen, daß er allen Nachforschungen zum Trotz so wenig über das Haus wußte, um nicht einmal diese Frage beantworten zu können. Letztlich war sie auch nicht von Bedeutung. So wie alle früheren Fragen, die sich um das grausame Schicksal seines Vaters rankten, unwichtig geworden waren. Es gab neue Fragen. Und auch darauf keine Antworten. Noch. Irgendwann würde Lilith sie ihm verraten müssen. Bald. Er würde darauf pochen, mit allem Nachdruck. Warum nicht heute? Darren stieg aus. Der Entschluß, Antworten von Lilith zu verlangen, half ihm, jene imaginäre, aber doch gewaltige Hemmschwelle zu überwinden, die nach wie vor zwischen ihm und dem Haus lag. Er hatte einen Grund, hineinzugehen, einen guten Grund … gut genug jedenfalls, um das unangenehme Gefühl, das ihm das Haus einflößte, zumindest erträglich zu machen. Trotzdem lief Darren wie gegen einen unsichtbaren Widerstand an, als er auf das Haus zuging. Und als er endlich vor der Tür anlangte, war es ihm, als liege ein Marsch von mehreren Meilen hinter ihm. Mit der Faust klopfte er gegen das Holz, zaghafter als beabsichtigt. Dennoch hallte das Echo drinnen dumpf von den Wänden wider wie ferner Glockenschlag. Das Echo verklang, und nichts rührte sich. War Lilith … ausgeflogen? Ein schwaches Grinsen huschte über Darrens Gesicht. Es erlosch schlagartig, als er seine Hand auf dem schweren Türknauf sah!
Unbewußt hatte er danach gegriffen, und alles in ihm sträubte sich dagegen, die Tür zu öffnen und das Haus allein zu betreten –! Und doch tat er es. Gegen seinen Willen. Als zöge das Haus ihn zu sich hinein in seinen Schlund, in – Dunkelheit. Von grauschwarzen Schatten erfüllt. Die Tür schlug zu mit einem Geräusch wie nahender Donner. Und es wurde Licht. Wobei Darren nicht sicher war (im Grunde seines Herzens war er sogar davon überzeugt, daß es nicht so war!), ob die Helligkeit, die um ihn her aufglomm, etwas mit normalem Licht zu tun hatte. Denn es gab keine Lampen. Keine zumindest, die Helligkeit gespendet hätten. Wie jedes andere Teil der Einrichtung des Hauses waren auch die Lampen lediglich … Staffage. Nicht wirklich existent. Lilith hatte all das geschaffen, auf welche Weise auch immer, und in ihren besonderen Augen mochte es real sein. Darren aber ging dieses »Besondere« ab. Sein Blick entlarvte das Mobiliar und jedes der phantasievollen Accessoires als Attrappe. Auf ihn wirkte alles requisitenhaft, als sei es für ein Bühnenstück hergestellt, kunstfertig zwar, aber doch nicht echt. Was wie Holz aussah, war kein Holz, sondern nur etwas nahezu täuschend Ähnliches. Und vor allem – die Kraft der Farben fehlte. Zwar nahm Darren das Innere des Hauses nicht wie eine Schwarzweißaufnahme wahr, aber das Bild, das sich ihm bot, tendierte schon in diese Richtung … Der Anblick war in etwa dem eines alten Spielfilmes vergleichbar, dessen Farben im Laufe der Zeit verblaßt waren und heute seltsam falsch wirkten. Das Licht … Darren versuchte herauszufinden, wo es herkam. Ohne Erfolg. Aus der Luft selbst, wie es schien, aber diese Erklärung war so absurd, daß er keine Lust hatte, sie weiter zu ergründen, um sie letzt-
lich auch zu verstehen. Im ungünstigen Fall mochte ein solcher Versuch darin gipfeln, daß er die Zelle neben seinem Vater beziehen würde … »Lilith?« Darren hatte rufen wollen, dann aber doch nur geflüstert. Trotzdem schallte seine Stimme durchs Haus! Strich geisterhaft an den Wänden entlang, träge, aber unaufhaltsam, bis in jedes Zimmer. Gott, wie er dieses Haus haßte … Als wolle es ihn foppen, zog es ihn ein paar Schritte weiter. Quasi ohne sein Zutun durchquerte Darren die Eingangshalle, ging an dem (scheinbar!) aus Stein gehauenen, sich umarmenden Paar (das, wie Darren wußte, Liliths Eltern darstellte) vorüber, bis zur Treppe. Die Hand auf dem Geländer, sah Darren die Stufen hinauf und dort links und rechts ein Stückweit in die abführenden Flure hinein. Auch dort blieb alles still, nichts rührte sich. Der Versuchung, die Treppe hinaufzugehen, widerstand Darren. Ein Blick auf die Stufen ließ ihn Abstand davon nehmen. Denn auch sie schienen ihm wie alles andere aus Pappmaché oder etwas in der Art, Trittfestigkeit nur vorgaukelnd. Noch einmal rief er nach der Hausherrin, noch einmal flüsterten die Wände mit seiner Stimme, und wieder wurde ihm nicht geantwortet. Darren wandte sich um und wollte zur Tür gehen. Er kam bis zur Hälfte des Weges dorthin. Dann stoppte ihn ein Ruf. Eine vertraute Stimme, die fragend seinen Namen nannte. »Darren?« »Lilith?« Er drehte sich um, dann einmal um sich selbst, sah überallhin und fand Lilith nirgends. Wohl aber fand er heraus, wer ihn angesprochen hatte – oder vielmehr: was … »Bleib, Darren.«
… die Statue! Das steinerne Abbild von Liliths Mutter sprach mit der Stimme ihrer Tochter!
* Seven van Kees erwachte und wußte, daß sie nicht lange bewußtlos gewesen sein konnte. Um sie herum knirschte noch Glas, das sich in Stücken aus den Fensterrahmen ihres Beetle löste, und Metall knarrte, als versuchten unsichtbare Hände es in seine ursprüngliche Form zurückzubiegen. Der Schmerz meldete sich erst, nachdem Seven diese Feststellungen getroffen hatte. Aber er war weit weniger schlimm, als sie es nach dem kaum gebremsten Aufprall befürchtet hatte. Ihre Stirn tat weh, ebenso der Nacken. Der angelegte Sicherheitsgurt hatte sie vermutlich vor ärgeren Verletzungen bewahrt. Feuchte Wärme lief ihr übers Gesicht. Unbewußt wollte Seven mit den Fingern danach tasten, doch unmittelbar bevor sie die Nässe berührte, hielt sie inne – Nein! Sie wußte, worum es sich bei der feuchten Spur in ihrem Gesicht handelte, natürlich, aber sie wollte es nicht sehen – weil sie kein Blut sehen konnte. Weder ihr eigenes, noch fremdes – Unsinn! Du mußt … »Was?« machte Seven verwirrt. Diese Stimme, die sich da tonlos in ihren Gedanken gemeldet hatte … war nicht ihre »eigene«, nicht die ihrer Gedanken. Sie klang, obwohl lautlos, anders, fremd. Andere Stimmen wurden laut, lenkten Seven ab, brandeten auf sie zu wie Meeresrauschen. Die Zeugen des Unfalls mußten sich von ihrem Schrecken erholt haben und begannen jetzt zu reagieren, kamen näher. Und Seven hörte Schmerzenslaute: Stöhnen, Wimmern, schwache
Rufe … Die Leute im Bus! durchfuhr es sie. Einige davon schien es bei dem Zusammenstoß schlimmer erwischt zu haben als sie selbst … Automatisch löste Seven den Sicherheitsgurt und stieg aus ihrem Beetle – oder wollte es zumindest tun. Aber der Türrahmen hatte sich verzogen, die Tür selbst klemmte. Ein Schatten tauchte neben Seven auf. Jemand, ein großer, kräftiger Mann, griff draußen nach dem Türgriff, zog und zerrte daran. Der Wagen begann zu schaukeln, dann endlich ließ sich die Tür öffnen, und Seven schob sich hinaus. »Danke«, murmelte sie ihrem Helfer matt zu. »Sind Sie okay?« fragte der. »Ja, ja«, wehrte die Reporterin weitere Fürsorge ab. Erst jetzt wurde ihr das Ausmaß des Schadens bewußt – und die Tatsache, wieviel Glück im Unglück ihr beschieden gewesen war! Der pinkfarbene Beetle Asgard besaß nur noch Schrottwert, ohne Zweifel. Er hatte sich förmlich in die Flanke des Busses gebohrt, und dabei war die Schnauze des Wagens um die Hälfte geschrumpft. Daß es den Motorblock nicht in die Fahrgastzelle gedrückt hatte, kam einem mittleren Wunder gleich – aber vielleicht war es auch nur ein Verdienst der Konstrukteure bei VW … Die Gewalt des Aufpralls hatte den Wagen insgesamt verformt, als hätten zerstörungswütige Riesen damit gespielt. Die Beifahrerseite des Beetle war de facto nicht mehr vorhanden. Hätte Seven auf diesem Platz jemanden mitgenommen, hätte dieser Unfall auf jeden Fall ein Todesopfer gefordert – Als wäre dieser Gedanke ein Signal, hob Seven den Blick, um zum Bus hinzusehen. War dort einer der Insassen ums Leben gekommen? Lieber Gott, bitte nicht …! flehte sie stumm. Sirenengeheul wurde in der Ferne laut, kam rasch näher. Menschen liefen umher, scheinbar ziellos. Und Seven tappte zwischen
ihnen einher und kam sich vor, als gehöre sie nicht dazu. Als sei dies nicht länger ihre Realität. Wie ein Geist fühlte sie sich, nicht von dieser Welt, nicht wirklich existent. Und wiederum schien von ihren Gedanken etwas wie ein Zeichen auszugehen, ein auslösender Impuls. Denn schlagartig fiel ihr alles ein, was in den vergangenen Stunden, in der vorigen Nacht geschehen war – und sie ertappte sich bei dem entsetzlichen Wunsch, der Unfall hätte ihr Leben gekostet! Dann wäre alles vorbei, alle Probleme wären gelöst, aller Ekel vor sich selbst bedeutungslos … Wage es nicht …! Seven erstarrte. Stierte ins Leere. Da war sie wieder gewesen! Jene Stimme, die fremd in ihrem Kopf flüsterte. Und verstummte, als sei nichts gewesen. Seven ging weiter. Sie umrundete den Bus, während erste Polizeiwagen am Unfallort eintrafen, gefolgt von Rettungsfahrzeugen. Nur Sekunden später entfaltete sich hektische Betriebsamkeit uniformierter Helfer. Aus den offenstehenden Türen des Busses drang ein Gemisch unterschiedlicher Laute, das in seiner Gesamtheit geradezu beängstigend klang. Zögernd langte Seven nach einem Haltegriff neben einer mittleren Tür und zog sich hoch. Der Mittelgang zwischen den Doppelsitzen war von Glassplittern übersät, als habe ein Juwelier seinen kompletten Diamantenbestand achtlos hingestreut. Die Fenster des Busses waren bei dem Zusammenstoß aus den Rahmen geplatzt, die Seitenwand dort eingedrückt, wo sich darunter der Beetle ins Blech gebohrt hatte. Die Mehrzahl der Insassen schien weitgehend unverletzt, von ein paar blauen Flecken vielleicht abgesehen. Einige hatten sich, als sie von ihren Sitzen gestürzt waren, allerdings Wunden zugezogen, und auch das splitternde Glas mochte seinen Teil dazu beigetragen haben.
Seven sah – Blut. In Gesichtern, auf Armen und Händen. Und sie wartete darauf, daß etwas wie eine kalte Faust von ihrem Bauch her unweigerlich in der Kehle hochstieß und alles mit sich emporriß, was sich in ihrem Magen befand. Übelkeit ließ Sevens Knie zittern. Schwäche wollte sie vollends überkommen, und schon glaubte sie, nicht länger stehenbleiben zu können. Sie wollte sich einfach fallen lassen, die Augen schließen, um das Blut nicht mehr sehen zu müssen – – aber sie ging statt dessen weiter in den Bus hinein. Weil sie es tun mußte! Neben einer älteren Frau blieb Seven stehen. Als könne die Reporterin ihren Hals nicht mehr bewegen, mußte sie hinabsehen, auf die Verletzte, die im Gang kniete und sich stöhnend an einer Sitzbank abstützte. Eine breite Wunde klaffte in der Stirn der Frau, einem grinsenden Mund gleich, rot geschminkt und blutigen Speichel ausspuckend. Spätestens jetzt hätten Seven die Sinne schwinden müssen. So war es immer gewesen. Seit frühester Kindheit, seit sie damals ihren Vater – Seven kniete nieder. Neben der Frau, den Blick unverwandt auf die blutende Kopfverletzung gerichtet. Gallebitterer Geschmack sammelte sich in ihrem Mund, beißend, furchtbar. Alles in ihrer Mundhöhle schien sich zu verkrampfen. Schwach metallischer Geruch, kupferartig und warm, stieg ihr von der Wunde her in die Nase. Seven spannte jeden Muskel, wollte aufstehen, sich abwenden, wegrennen – Aber sie blieb knien. Und streckte einen Finger nach der Wunde aus. Tauchte die Spitze in das Blut. Die verletzte Frau mochte glauben, Seven wolle das Blut aus ihrem Gesicht wischen. Ihr Blick drückte Schmerz und Dankbarkeit aus.
Und dann nur noch Erschrecken – Entsetzen! Als Seven den Finger wegnahm, an ihre eigenen Lippen führte – und ableckte! Die Fassungslosigkeit, der Schrecken in den Augen der Frau schien auf Seven überzuspringen. Regelrecht überwältigt fühlte sie sich davon, und endlich durfte alles geschehen, was bislang auf unmögliche Weise, von irgend etwas Fremdem unterdrückt worden war. Seven übergab sich. Blutiges Rot füllte wallend wie Sturmwogen ihr gesamtes Blickfeld aus. Und wurde dann zu tiefer Schwärze, in der Seven van Kees entkräftet versank. Ihr letzter Gedanke war: Nie mehr auftauchen, niemals mehr …! Und das Letzte, was sie hörte, jene andere Stimme: Du mußt! Und du WIRST …
* Vorher Lilith Eden versuchte die Fahrt zu genießen. Aber es wollte ihr nicht recht gelingen. Sie war beunruhigt, ihre Sicherheit und Coolness waren nur zur Schau getragen. Ihre Gedanken eilten voraus und stießen doch nur ins Leere, weil die Halbvampirin nicht die geringste Ahnung hatte, was sie eigentlich erwartete – – im Hause von Max Beaderstadt. Er war derjenige, der sie auf diese ungewöhnliche Weise zu sich eingeladen hatte. Max Beaderstadt, Milliardär. Exzentriker. Herr über ein weltweit verzweigtes Firmennetz. Ein lebendes Mysterium … Wobei es durchaus Stimmen gab, die letzteres bezweifelten – zumindest den Zusatz »lebend«.
Denn tatsächlich hatte sich Max Beaderstadt seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt, jedenfalls nicht offiziell, und daraus waren der menschlichen Natur gemäß eine ganze Reihe abstruser Gerüchte entstanden; sie reichten von »unheilbarer Krankheit«, unter der Beaderstadt angeblich litt, bis hin eben zu seinem Tod, der lediglich von Familien- und Unternehmensseite nicht bestätigt worden war. Andere wiederum wollten wissen, daß der alte Beaderstadt sich hatte einfrieren lassen, um die Zeit zu überdauern, bis die Unsterblichkeit »erfunden« war; und Teil dieses Gerüchtes war, daß in geheimen Labors der Beaderstadt Industries an genau dieser Erfindung gebastelt wurde … Lilith konnte nichts anderes tun, als sich überraschen zu lassen. Sie hatte die mysteriöse Einladung nicht einfach ausschlagen können. Die Tatsache, daß Max Beaderstadt (oder wer auch immer unter seinem Namen firmierte) von ihrer Existenz wußte, machte es notwendig, ihm gegenüberzutreten. Schon um herauszufinden, wie gut er sie kannte und was er im Detail über sie wußte. Fitzpatrick McNee lenkte den riesigen Rolls Royce durch Sydney, in Richtung Innenstadt. Wie ein Schiff auf ruhiger See glitt die Limousine dahin, und Lilith wünschte sich, sie hätte das Wohlgefühl, in den federweichen Lederpolstern zu sitzen, intensiver auskosten können. Aber sie saß leider wie auf glühenden Kohlen … Ihre Versuche, Einzelheiten zu erfahren, umging McNee stoisch lächelnd und mit leeren Phrasen, bis sie es aufgab. Der Rest der Fahrt verlief schweigend, in nahezu vollkommener Stille, denn der Verkehrslärm drang ebenso wenig in das Fahrzeuginnere wie das Motorengeräusch des Wagens selbst. Lilith hing weiter ihren Gedanken nach. Sie dachte darüber nach, was sie noch über Max Beaderstadt wußte – und nach menschlichem Ermessen doch nicht wissen konnte, denn im Grunde genommen war sie bislang kaum mehr als ein Gast auf dieser Welt gewe-
sen! Nach dem ersten (und vorzeitigen) Erwachen in ihrem Geburtshaus an der Paddington Street hatte Lilith zwar jede Sprache dieser Welt sprechen und verstehen, jede Schrift schreiben und entziffern können, aber die Realität als solche war ihr noch fremd gewesen. Zwar hatte sie über jede nur denkbare Information verfügen können, aber die Fähigkeit, bestehende Zusammenhänge zu erkennen oder neue zu knüpfen, hatte ihr weitgehend gefehlt. Daraus hatte damals eine gewisse Naivität resultiert, die sie der fehlenden Reife wegen nie ganz losgeworden war. Die beiden Jahre, die sie jetzt schlafend in ihrem Haus zugebracht hatte, hatten dieses Manko indes beseitigt. Jetzt endlich fühlte sich Lilith, als habe sie schon immer wirklich gelebt, sie wußte und kannte, was jeder Mensch wußte und kannte – und noch ein bißchen mehr! Deshalb wußte sie auch, wer Max Beaderstadt war. Weil – zumindest in Sydney, vielleicht auch in ganz Australien – jedes Kind wußte, wer und was Max Beaderstadt war: eine Legende, ein moderner Heiliger, eine Kultfigur, ein Übermensch … Beaderstadt hatte einen Sohn, Armand. Ein Schönling war er, ein Playboy, ein Lebemann. Hätten die Gerüchte gestimmt, daß Beaderstadt senior nicht mehr lebte, wäre der Junior der denkbar ungeeignetste Nachfolger in der Firmenleitung gewesen. Er schien sich nur darauf zu verstehen, wie man Geld ausgab, nicht aber, wie man es hereinholte. »Er ist ein Sammler.« »Was?« Lilith schreckte auf. Fitzpatrick McNees Worte hatten sie aus ihren Gedanken gerissen. »Mister Beaderstadt«, lächelte McNee über die Schulter. Daß er Liliths Abbild im Rückspiegel nur verschwommen sehen konnte, weil das Glas ihr vampirisches Erbe schlicht leugnete, schien ihn weder zu wundern noch zu stören. Offenbar wußte selbst er mehr über sie,
als für Lilith gut sein konnte. »Was ist mit ihm?« Lilith begriff noch immer nicht ganz, zudem überraschte sie die plötzliche Auskunftsbereitschaft des Fahrers, Dieners und was auch sonst noch in Personalunion. »Er ist ein Sammler«, wiederholte McNee geduldig. »Mein Herr sammelt … schöne Dinge.« »Ach ja?« machte Lilith. Was wollte ihr der andere damit sagen? »Ich dachte, das könnte unter Umständen Ihre Frage nach dem Grund seiner Einladung beantworten.« Lilith schwieg. Weil sie verstand, was McNees Andeutung bedeutete, oder zumindest bedeuten konnte. Schöne Dinge … Das hieß also, vielleicht, daß Max Beaderstadt ein … Ding in ihr sah. Lilith zuckte die Schultern. Na gut, immerhin ein schönes Ding … »Wir sind da.« Wieder gelang es Fitzpatrick McNee, Lilith zu überraschen. Vielleicht lag es auch daran, daß sie nicht das Gefühl hatte, zu fahren, sich von der Stelle zu bewegen. Der Rolls Royce glitt förmlich dahin, lautlos und ohne die geringste Schwankung. McNee wies mit dem Kinn nach vorne. Wo der sogenannte Beaderstadt-Tower aus dem Häusermeer der Sydneyer City aufragte und alles überragte. So groß, so erhaben, so düster, daß er selbst die untergehende Sonne zu verdunkeln schien …
* Von außen wirkte der Beaderstadt-Tower ganz anders als die Residenzen vergleichbarer Firmenzentralen. Er war kein sichtbares Zeichen des High-Tech-Zeitalters, kein Bau aus spiegelndem Glas und Stahl. Dieses Gebäude sah auf ganz eigene Weise alt aus. Als stehe es
schon seit Jahrhunderten. Über und über mit Fresken und architektonischen Schnörkeln versehen, mit Nischen und Winkeln in der Fassade, in denen, von unten kaum zu erkennen, groteske Steinfiguren kauerten. Und der Stein, aus dem das vielstöckige Hochhaus bestand, war dunkel, fast schwarz, als hätten ihm Jahrzehnte mit Schmutz und Umweltgiften zugesetzt. Im Innern fand dieser Eindruck zu Liliths Erstaunen jedoch keine Fortsetzung. Allein Max Beaderstadts privates Parkdeck, unterirdisch gelegen, war groß und modern genug, um einer mittelständischen Firma als Sitz zu dienen! Und die hier geparkte Fahrzeugflotte genügte, um die Garagen der gesamten High Society von Sydney zu füllen. Jeder einzelne Wagen mußte mehr gekostet haben, als einer Durchschnittsfamilie jährlich an Einkommen zur Verfügung stand. Fitzpatrick McNee öffnete den Schlag und bedeutete Lilith höflich, aus dem Fond zu steigen. Sie tat es langsam, weil ihr Blick unentwegt hierhin und dorthin eilte, denn überall gab es neue, beeindruckende Details zu entdecken. Schon diese Garage war elektronisch abgesichert wie eine Festung. Zumindest glaubte Lilith, daß die diversen elektronischen Anlagen, die sie sah, diesem Zwecke dienten. Wortlos forderte McNee sie auf, ihm zu folgen. Nach ihm trat sie in die Liftkabine, deren Tür zuvor in den holzvertäfelten Wänden kaum aufgefallen war. McNee aktivierte mittels Codecard und Handabdruck die Schalttafel und drückte dann eine der Tasten, die einander glichen und nicht gekennzeichnet waren. Lilith sah nur, daß es einer der Knöpfe im mittleren Teil der Tafel war, obwohl sie erwartet hätte, daß McNee den obersten bediente. Schließlich ging sie davon aus, daß Beaderstadt ganz oben in diesem Gebäude residierte. Was auch der Fall war, wie Lilith feststellte, als die Tür lautlos wieder aufglitt. Daß die Kabine sich bewegt hatte, war ihr nicht ein-
mal bewußt geworden – keine Geräusche, nicht die geringste Erschütterung. Wie auf Wolken waren sie hinaufgefahren … … und einen Moment lang war Lilith felsenfest davon überzeugt, daß sie im Himmel gelandet waren! Im Freien, hoch über den Dächern der Stadt! Ein Schritt aus der Kabine, und man mußte ins Nichts stürzen! Ihren Irrtum erkannte Lilith erst, als Fitzpatrick McNee diesen Schritt tat – und nicht fiel. Weil er auf entspiegeltem Sicherheitsglas stand. Aus dem gleichen Material waren auch die Wände gefertigt. Der kleine Raum, der jenseits der Lifttür lag, mußte wie ein Adlerhorst an einer Seite des Beaderstadt-Towers kleben. »Hübsch, nicht?« lächelte McNee und machte gleichzeitig eine einladende Bewegung, ihm weiter zu folgen. »Für Schwindelfreie, sicher«, meinte Lilith. »Ich bin sicher, daß Sie es sind.« Ein amüsiert-wissender Unterton schwang in McNees Stimme mit. Ein gläserner Gang führte um den Liftaufbau herum und mündete in die obere Etage des Gebäudes. Wieder geriet Lilith ins Staunen. Denn um sie herum beherrschte nicht High-Tech, nicht allermodernste Elektronik das Bild, eher fühlte sich Lilith in ein höchstherrschaftliches Anwesen im westeuropäischen Stil versetzt, wie in ein Märchenschloß geradezu! Prunk herrschte vor, ohne die Grenze zum Kitsch zu überschreiten. Edelste Hölzer, teuerste Teppiche überall, Gold und Marmor. Werke alter Meister, zweifelsohne samt und sonders Originale. Und dies war noch nicht einmal das Allerheiligste von Max Beaderstadt! Dorthin wurde Lilith jetzt von Fitzpatrick McNee geführt. Eine Tür, die keine war, »öffnete« sich – tatsächlich war es eine holografische Projektion, die auf irgendeinen Impuls hin erlosch. McNee ließ Lilith den Vortritt – und die fürchtete zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit, abzustürzen!
Hinter der »Tür« schien der Fußboden einfach aufzuhören. Die Wände fielen meterweit ab, gut und gerne drei Stockwerke tief. Und diese waren über und über bedeckt mit … Büchern. Lilith zweifelte nicht daran, daß sie sich in der größten Bibliothek der Welt befand! Und aus einem unbestimmbaren Gefühl heraus ebenso wenig daran, daß kaum ein Mensch von dieser Sammlung wußte … Auf den zweiten Blick und nachdem sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte, stellte Lilith fest, daß hinter der Holo-Tür eine gläserne Galerie den Raum umlief. Und darunter lagen weitere, jeweils auf Etagenhöhe. In den Wänden, die aus Büchern »gemauert« schienen, gab es Durchgänge, die in dahinter liegende Räumlichkeiten führen mußten. Die Halbvampirin ließ den Blick bis auf den Grund dieser »Arena« hinabwandern und hatte den Eindruck, in ein Museum zu schauen. Skulpturen, undefinierbare Artefakte, Schatullen jeglicher Größe und gläserne Vitrinen reihten sich dort unten aneinander. Und über allem lag der Geruch von Alter, von etwas Erhabenem und Großem, von etwas, in dessen bloßer Gegenwart jeder Mensch sich winzig und bedeutungslos fühlen mußte. Selbst Lilith wurde davon beschlichen, obschon sie mehr erlebt und Geheimnisse geschaut hatte als vermutlich die allermeisten anderen … Wesen dieser Welt. Sie erschauerte. Und erstarrte inmitten des Schauders! Ihr kam der irrsinnige Gedanke, daß die Gänsehaut niemals mehr weichen würde – weil sie diese Stimme, den Ton darin, das Gefühl, das sie auslöste, nie mehr vergessen zu können meinte. »Willkommen in meinem bescheidenen Reich, Teuerste und Liebste!«
*
»Hören Sie, Mister, es tut mir leid, aber mir ist weder bekannt, daß mit der Klimaanlage in diesem Haus etwas nicht in Ordnung ist, noch liegt mir eine Ankündigung des Wartungsdienstes vor. Ich muß Sie bitten –« Der dunkelhäutige Mann in der gläsernen Portiersloge sah auf und versuchte Alec Mongrain mit energischem Blick und stoischer Mimik Respekt abzunötigen, verstummte aber, als Mongrain lässig abwinkte und dabei noch lächelte. »Sir«, sagte er dann, »was glauben Sie, wie leid es mir erst täte, wenn Sie Ihren Job verlieren, hm?« »Was soll das heißen?« begehrte der Uniformierte auf. »Daß Max Beaderstadt ziemlich sauer sein wird, wenn es ihm da oben«, Mongrain zeigte mit dem Finger deckenwärts, »zu heiß wird, weil Sie Ihren Job nicht richtig machen!« »Moment mal, was kann denn ich dafür –?« »Lassen Sie mich meinen Job tun, und Sie werden Ihren behalten, okay?« Mongrain klopfte auf das Blech seines Werkzeugkastens, den er zuvor lautstark auf dem schmalen Sims vor der Glasscheibe abgestellt hatte. »Sie wollen mir allen Ernstes weismachen«, erwiderte der Pförtner, »daß Sie irgendwie Einfluß nehmen könnten auf Max Beaderstadt? Woher wollen Sie überhaupt wissen, daß er –?« »– noch lebt?« grinste Alec Mongrain. »Weil ich ihn neulich getroffen habe. Als die Klimaanlage in seinem Strandhaus, drüben bei Farm Cove, im Arsch war. Ich hab’ das Baby geschaukelt, und Mister Beaderstadt war hocherfreut. – Und jetzt raten Sie, warum ausgerechnet ich hier bin, schnell und unbürokratisch, he?« Mongrain bleckte die Zähne. Der Wachmann senkte den Blick, murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und studierte zum dritten oder vierten Mal die Liste, auf der die angemeldeten Besucher des Beaderstadt-Towers auf-
geführt waren. »Na ja«, meinte er nach einer Weile und ein wenig kleinlaut, »wenn das so ist, dann sollte ich vielleicht mal eine Ausnahme –« »Das sollten Sie«, fiel ihm Mongrain ins Wort, »vor allem, wenn Sie an Ihre Frau und Kinder denken. Was würden die sagen, wenn Daddy seinen Job verliert? – Das ist doch Ihre Familie?« Mongrain wies flüchtig auf eine Fotografie, die in einem billigen Rahmen auf dem Schreibtisch des Pförtners stand. »Ja«, erwiderte der und lächelte. Er nahm das Bild in die Hand und wollte es Mongrain hindrehen. »Hier, das ist meine Frau, Emily. Und das ist unsere älteste Tochter, Jessica. Hat voriges Jahr mit dem Studium angefangen …« »Fein, und sie alle können weiterhin auf Ihren Daddy stolz sein, weil Daddy ein kluger Mann ist«, behauptete Mongrain und gab sich erfolgreich Mühe, seine Gereiztheit ob der Betulichkeit des Pförtners nicht anmerken zu lassen. Jetzt nur nicht den Kredit verspielen, den er gerade gewonnen hatte! »Haben Sie Kinder?« wollte der andere wissen. Mongrain zögerte kurz, nickte dann. »Ja. Zwei. Junge und Mädchen. Und die beiden warten schon darauf, daß ihr Daddy nach Hause kommt …« Er sah bezeichnet und doch wie zufällig auf seine Uhr. Der Mann im »Aquarium« sprang regelrecht auf. »Oh, tut mir leid. Ich halte Sie auf mit meinem Gerede, verzeihen Sie.« »Schon gut«, winkte Mongrain ab, »auf die Minute kommt’s nicht an.« Der Wachmann griff nach einem der Telefonhörer seiner Anlage. Alec Mongrain sah es mit plötzlicher Beunruhigung. »Hören Sie, Sir«, beeilte er sich zu sagen, darauf bedacht, nicht alarmiert zu klingen, »geben Sie mir einfach den Schlüssel, ich kenne den Weg. War schon mal hier. Sie müssen nicht –« Sein Finger wies auf die Telefonanlage.
Der Pförtner schüttelte bedauernd den Kopf. »Sorry, Vorschrift ist Vorschrift«, sagte er. »Jeder Handwerker, der in dieses Gebäude kommt, muß von einem Security-Mann begleitet werden.« Er sprach in den Hörer, dann legte er auf. Nur ein paar Sekunden später tauchte im Hintergrund der riesigen Eingangshalle des Beaderstadt-Towers ein uniformierter und bewaffneter Mann auf und kam auf die Pförtnerloge zu. »Zur Steuerungseinheit der Klimaanlage?« fragte er Alec Mongrain grußlos. Der nickte nur. »Hier lang.« Mongrain folgte dem Sicherheitsbeamten durch eine unscheinbare Tür und Betonstufen in die mehrstöckige Kellertiefe des Gebäudes. Der Uniformierte gab ein paar Kommentare über die Räumlichkeiten und deren Bedeutung ab, als veranstalte er eine Führung. »Hier ist es«, sagte er schließlich und hielt Mongrain eine schwere Metalltür auf, deren elektronisches Schloß er zuvor mit einem Zahlencode geöffnet hatte. Im Beaderstadt-Tower waren vermutlich nicht einmal die Toilettentüren »einfach so« zu öffnen … Bis jetzt jedenfalls, dachte Mongrain und verkniff sich ein Lächeln. Er trat in den Raum hinter der Tür. »Wußte gar nicht, daß mit dem Teil was nicht stimmt«, meinte der Sicherheitsmann, der ihm folgte. »Dafür gibt’s ja uns, nicht wahr?« »Stimmt auch wieder.« Mongrain stellte seinen Werkzeugkasten ab, bückte sich und klappte ihn auf. »Mir scheint«, sagte er zu dem Uniformierten, ohne ihn allerdings anzusehen, »Sie tun Ihren Job ein bißchen nachlässig, wie?« »Was meinen Sie damit?« Mongrain zuckte die Schultern, weiter in seiner Ausrüstung wüh-
lend. »Hätten Sie meinen Kasten nicht untersuchen müssen, bevor wir hier runter sind? – Könnte ja eine Waffe drin sein, oder ‘ne Bombe. Oder beides, nicht?« Der andere lachte leise auf. »Ach was. So einer sind Sie nicht. Dafür hab’ ich ‘nen Blick, glauben Sie mir.« »Idiot«, sagte Alec Mongrain nur. Und erschoß ihn. Dann legte er die schallgedämpfte Pistole in den Blechkasten zurück und verließ den Raum. Die Klimaanlage des Beaderstadt-Towers interessierte ihn nämlich nicht die Bohne. Etwas anderes hatte es ihm angetan – das elektronische Herz des Sicherheitssystems, das den Bau gegen jedwede Angriffe schützte und nahezu jeden Winkel darin überwachte. Noch … Die Bombe tickte schon – in Alec Mongrains Werkzeugkasten. Explodieren würde sie anderswo …
* Die Situation war seltsam unwirklich. Absurd. Und wäre das Szenario ein anderes, weniger beeindruckend, weniger bedrohlich, wäre alles nur lächerlich gewesen. So aber war Lilith nicht zum Lachen zumute, nicht einmal zum Lächeln. Sie fühlte sich … hilflos. Verloren. Klein und nichtig. Obwohl Max Beaderstadt nichts tat, was all dies gerechtfertigt hätte. Er war einfach, und das genügte. Seine pure Präsenz hatte etwas Raumfüllendes, drückte Dominanz aus, schien über jeden und alles ihren Schatten zu werfen. Dabei war Max Beaderstadt als bloße Person nicht einmal sonderlich ehrfurchtgebietend: von durchschnittlicher Größe für einen Mann seines Alters (60, schätzte Lilith, vielleicht aber auch 70 …),
schlank an der Grenze zum Hageren und wenig kräftig. Sein Gesicht war schmal, die Augen darin eher klein, und sein graues Haar begann dünn zu werden. Allenfalls sein Bart war ungewöhnlich zu nennen: Links und rechts des Kinns sproß er, zwei gebogenen Hörnern gleich, deren Spitzen nach unten wiesen. Nicht einmal seine Kleidung war besonders auffallend; teuer und maßgeschneidert, gewiß, aber nicht wirklich extravagant. Trotzdem schien um ihn herum buchstäblich alles zu ersticken, wenn er atmete. Als sauge er allein allen Sauerstoff ein, nicht weil er ihn brauchte, sondern weil er ihm gehörte. Wie alles hier. Dieses »alles hier« trug wohl nicht unerheblich zu Beaderstadts Wirkung bei. Hatte Lilith draußen angesichts der gewaltigen Bibliothek und des musealen Raumes darunter schon die Luft angehalten, fühlte sie sich jetzt, da Beaderstadt sie in einen der Säle gebeten hatte, schier erschlagen! Wären sie nicht sorgsam arrangiert worden, hätten sich hier die Kunstobjekte, die archäologischen Fundstücke und die obskuren … Dinge förmlich gestapelt. In seiner Ordnung jedoch wirkte der Raum weder überladen noch chaotisch, nicht einmal wirklich voll. Trotzdem, jeder Blick offenbarte Neues, spürbar Altes und Unbezahlbares. Nicht zuletzt dieses Gedankens wegen war Lilith sicher, daß Beaderstadt nicht alle dieser Sachen bezahlt oder auch nur auf legalem Wege in seinen Besitz gebracht haben konnte … Er sammelt schöne Dinge, erinnerte sie sich der Worte Fitzpatrick McNees, den Beaderstadt vorhin mit einem Wink fortgeschickt hatte. Nun, über Schönheit ließ sich streiten, und Lilith teilte Beaderstadts Auffassung nicht. Denn etliches von dem, was er allein in diesem Raum von der Ausdehnung eines Veranstaltungssaals mittlerer Größe zusammengetragen hatte, fand Lilith schlicht häßlich, man-
ches gar abstoßend und unheimlich. Die monströsen Skulpturen etwa, deren Vorbilder in der Hölle beheimatet sein mußten und deren ungleich größere »Kameraden« draußen, jenseits der deckenhohen Fenster, an der Fassade zu sehen waren, geduckt, wie zum Sprung in die Tiefe bereit … »Ich bin sicher, daß ich Sie Stunden hier zubringen lassen könnte, und Sie hätten noch immer nicht alles gesehen«, meldete sich endlich Max Beaderstadt wieder zu Wort. Lilith wandte sich zu ihm um, versuchte gelassen zu wirken, was ihr allerdings schwerfiel, und meinte: »Aber deshalb bin ich ja ohnehin nicht hier, oder?« »Nicht nur.« »Weshalb noch?« Beaderstadt lächelte harmlos und wies mit vager Geste um sich. »Weil ein Mann, der alles hat, immer noch sucht«, sagte er. »Kein Mann bekommt alles, was er will.« »Nun, sicher nicht jeder Mann …«, schränkte er ein. Beaderstadt wies einladend auf den langen Tisch, der festlich gedeckt war für zwei Personen; die Speisen, die noch unter Silberhauben verborgen waren, hätten aber sicher für eine drei- oder viermal so große Gesellschaft gereicht. »Darf ich bitten?« Max Beaderstadt rückte einen der beiden hochlehnigen Stühle zurück. Lilith setzte sich und zeigte auf den Tisch. »Ist das der Grund, aus dem ich hier bin? Um mit Ihnen zu essen?« Es gelang ihr, milde Ironie in ihren Ton zu legen. Beaderstadt nahm ihr gegenüber Platz. »Ein weiterer Grund.« Wie aus dem Nichts erschien Fitzpatrick McNee und erwies sich als exzellenter Kellner. Lilith aß ein paar kleine Bissen. Sie machte sich nichts aus dieser Art von Nahrung. Aber es schadete ihr auch nicht, und so spielte sie Beaderstadts noch immer undurchsichtiges Spiel eben weiter mit.
Er hatte nicht annähernd die Hälfte seiner ohnedies winzigen Vorspeisenportion (Salat aus Wachtelbrüstchen, vermutete Lilith; in kulinarischer Hinsicht war sie reichlich unbeschlagen …) verspeist, als er Messer und Gabel beiseite legte. McNee entfernte den Teller und das benutzte Besteck. Lilith hörte gleichfalls zu essen auf, und auch bei ihr trug McNee stumm ab. »Ist der gemütliche Teil jetzt zu Ende?« fragte Lilith provozierend, als Beaderstadt auch nach einer Minute nichts gesagt hatte und sie nur ansah. »Im Gegenteil …« »Dann mal los.« »Wie darf ich das verstehen?« Der Milliardär wirkte ehrlich pikiert. »Was wollen Sie von mir, Mister Beaderstadt?« fragte Lilith geradeheraus. Ihr Gegenüber tupfte sich mit der Stoffserviette sorgsam die Lippen ab, dann lehnte er sich zurück, die Hände flach auf dem Tisch haltend. »Von Ihnen … nichts«, antwortete er schließlich betont. »Sondern?« »Sie.« Lilith lächelte kühl. »Ich gebe die Frage von eben zurück: Wie darf ich das verstehen?« Sie imitierte selbst Beaderstadts unangenehm berührten Ton. »Wie ich es gesagt habe«, erwiderte er. »Sie sind es, die ich will.« »Ich verstehe immer noch nicht … Soll das – eine Art Heiratsantrag sein?« Beaderstadt verzog die Lippen zu einem mokanten Lächeln, wiegte kaum merklich den Kopf und sagte dann: »In der Tat, Ihre Wortwahl trifft die Sache, beinahe jedenfalls.« »Und Sie wollen den Bräutigam spielen?« Lilith verstand sich
selbst kaum noch. Warum machte sie noch mit? Die Situation wurde mit jedem Wort absurder! Und unheimlicher … Beaderstadt gestattete sich ein knappes Lachen. »O nein«, er hob die Hand, »nicht ich.« »Sondern?« »Mein Sohn.«
* Vier, fünf Sekunden lang fehlten Lilith einfach nur die Worte. »Sie … Sie sind ja verrückt!« brachte sie dann endlich hervor. Es klang wie ein Keuchen oder ein Stoßseufzer. Max Beaderstadt verzog sein Gesicht, als müsse er ernsthaft darüber nachdenken, und er kam sogar zu einem Entschluß: »Nein, das sehe ich nicht so, durchaus nicht.« Der Punkt war erreicht. Der Punkt, an dem Lilith die Nase voll hatte von diesem Spielchen! Sie stand auf, ging ohne sonderliche Eile um den Tisch herum und blieb neben Beaderstadt stehen. Er sah zu ihr auf, fragend und lächelnd in einem. Sie packte blitzartig die Lehne seines Stuhls und drückte sie nach hinten, so daß Beaderstadt den Boden unter den Füßen verlor. Und damit gelang es ihr endlich, ihn aus der Ruhe zu bringen. Wenigstens für einen Augenblick entgleisten seine Gesichtszüge und drückten statt stoischer Gelassenheit und unterschwelligem Amüsement bloßes Erschrecken aus. »So, und nun reden wir beide endlich mal Tacheles!« verlangte Lilith und stellte den Stuhl samt Beaderstadt wieder auf. »Wie Sie wollen, nur zu.« Er machte eine auffordernde Handbewegung. »Woher kennen Sie mich?« schoß Lilith die erste Frage ab. Beaderstadt antwortete nicht gleich. In aller Seelenruhe stand er auf, trat an die Zimmerbar und schenkte sich einen Cognac ein, der
mit Sicherheit älter als er selbst war. Während er die bernsteinfarbene Flüssigkeit in dem riesenhaften Glas kreisen ließ, wandte er sich wieder nach Lilith um. »Es gibt und geschieht kaum etwas in dieser Stadt, das mir verborgen bliebe«, sagte er. »Das beantwortet meine Frage nicht.« Beaderstadt nippte an seinem Glas und lächelte Lilith über den Rand hinweg zu. »Sie hatten in jüngster Zeit den einen oder anderen beeindruckenden, sagen wir mal …«, er schien nach dem richtigen Wort zu suchen, »… Auftritt.« Diese Antwort ließ Lilith erstarren. Hatte sie nicht alles Mögliche unternommen, um ihr Auftauchen, ihre Existenz geheimzuhalten? Sicher doch! Und sie war der Überzeugung gewesen, daß sie ausreichende Maßnahmen getroffen hatte, indem sie etwa die Journalisten und den Polizeipräsidenten hypnotisch beeinflußt hatte … Andererseits, hatte sie wirklich geglaubt, daß Max Beaderstadt sie irgendwo zufällig gesehen hatte und sie nur deshalb näher kennenlernen wollte? Nun, sie hätte es vielleicht gerne geglaubt, aber sie hatte es eben nicht getan. Zudem gab es da ja noch die Aussage Fitzpatrick McNees, der ihr verraten hatte, daß »sein Herr einiges über sie wisse und mehr erfahren wolle« … Lilith mußte davon ausgehen, daß Beaderstadt Bescheid wußte. Es galt jetzt herauszufinden, wie genau er das tat – und vor allem, was er mit seinem Wissen anzufangen gedachte! »Was verstehen Sie unter einem ›Auftritt‹?« fragte sie lauernd. Beaderstadt schlenderte durch die Reihen seiner obskuren Sammlung, gemütlich, ganz in der Manier eines normalen Museumsbesuchers. Hier und da blieb er stehen, besah sich interessiert einzelne Stücke, als habe er sie nie zuvor gesehen. Und er schwieg. Eine ganze Weile lang. Lilith öffnete den Mund, um nachzuhaken, und erst dieser winzi-
ge Laut schien für Max Beaderstadt Anlaß zu sein, ihr zu antworten. »Unter einem … Auftritt verstehe ich beispielsweise das, was sie im Taronga-Zoo getan haben.« »Sie wissen –?« entfuhr es Lilith, fast erschrocken. Er nickte. »Natürlich.« »Aber wie … Ich meine, woher …?« Beaderstadt sah zwischen zwei Skulpturen zu ihr hin, lächelnd. »Wie ich Ihnen sagte: Es geschieht nicht viel in dieser Stadt, was ich nicht erfahre – oder mit eigenen Augen sehe.« »Soll das heißen, daß Sie zugesehen haben, als ich im Zoo mit diesen –?« Lilith stockte. »– als Sie gegen die Chimären gekämpft haben?« Beaderstadt zögerte kurz. »So in etwa, ja.« »Dann wissen Sie also … was ich bin, oder vielmehr: wozu ich fähig bin!« Lilith ließ die letzten Worte absichtlich wie eine Drohung klingen. »In der Tat. Und ich gebe gerne zu, daß es mich über die Maßen beeindruckt hat. – Sie sind genau das, wonach ich unwissentlich all die Zeit gesucht habe. Na, ich sollte wohl besser sagen: wonach wir gesucht haben.« »Wer ist wir?« wollte Lilith wissen. »Sie und Ihr Söhnchen?« Beaderstadts Stimme kam wie aus dem Nichts. Er war irgendwo in der Weite des Saales inmitten seiner Sammlung verschwunden. »Er. Ich. Und einige weitere, sagen wir, gute Freunde. Gleichgesinnte. Kluge Menschen. Klüger als das Gros dessen, was sich noch Weltbevölkerung nennen darf.« Seine Betonung beunruhigte Lilith, obwohl sie nicht im geringsten verstand, wovon er eigentlich sprach. »Was haben Sie gegen die Weltbevölkerung?« »Wie kommen Sie darauf, daß ich etwas gegen die … Menschen haben könnte?« »Es klang so.«
»Sie irren sich. – Es ist wohl eher so, daß die Welt als Ganzes mir nicht gefällt. Deshalb habe ich ihr den Rücken gekehrt und mich zurückgezogen. Wozu sollte ich auch noch hinausgehen«, wie ein Geist trat er aus den Schatten des Raumes, »wenn ich doch alles Interessante und Wichtige dieser Welt zu mir holen kann? – Und alles Schöne.« Er trat auf Lilith zu. Sie wich ihm nicht aus, auch dann nicht, als er die Hand hob und die Finger nach ihrem Gesicht ausstreckte. Aber er berührte es nicht, fuhr seine Form und Linien lediglich aus der Distanz nach, als sei es zu kostbar, um es anzufassen – wie eine der wertvollsten Stücke seiner Sammlung, das jede Berührung von Menschenhand entweihen würde. Stur hielt Lilith auch dem Blick seiner eisgrauen Augen stand. Und plötzlich fragte sie sich, warum sie es nicht längst versucht hatte! Augenblicklich tastete sich mit geistigen Fühlern nach Max Beaderstadt, in seinen Kopf, nach seinem Geist – und ins Leere? Das Staunen in ihrem Blick amüsierte ihn. Sein Lächeln war spöttisch. »Netter Versuch«, sagte er rauh, »aber auch ein unnötiger. – Fragen Sie, und ich werde aus freien Stücken antworten, so gut es mir möglich ist. Nach … bestem Gewissen, sozusagen.« Wieder dieses Lächeln. »Fein«, erwiderte Lilith. »Dann setzen wir unser kleines Verhör eben fort. – Weshalb bin ich das, wonach Sie, oder Sie und Ihre Freunde, gesucht haben?« »Können Sie sich das nicht denken?« entgegnete er. »Würde ich sonst fragen?« »Natürlich nicht, verzeihen Sie. – Nun, Sie sind eine … Chimäre. Und mehr noch«, er hob die Hand, als Lilith einhaken wollte, und sie schwieg ob seiner bloßen Geste, »Sie sind die stärkste von allen, vielleicht die eine! – Die Weissagung erfüllt sich, Stück um Stück …«
»Welche Weissa-?« setzte Lilith an, aber sie sollte nie dazu kommen, die Frage zu beenden. »Herr!« Fitzpatrick McNee stürmte herein, bar aller Distinguiertheit. Er war unübersehbar aufgeregt, aufgelöst geradezu. Und allein die Tatsache, daß er es wagte, Beaderstadt auf diese Weise zu stören, war untrügliches Zeichen dafür, daß etwas außerordentlich Beunruhigendes, Besorgniserregendes geschehen sein mußte. Dennoch knurrte Beaderstadt unwillig, als er sich nach McNee umdrehte, und seinem Blick wohnte erstmals, seit Lilith ihm begegnet war, ein mühelos erkennbarer Ausdruck inne: maßloser Zorn. »Was erlauben Sie sich?« schnauzte er. »Herr, verzeihen Sie«, stieß McNee schweratmend hervor. »Es war unabdingbar, daß ich …« »Reden Sie, verdammt!« McNee schluckte. »Die Alarmanlage, Herr, unser Sicherheits- und Überwachungssystem …« »Was ist damit?« Ein Funke glomm in Beaderstadts Augen auf und wuchs zu einem Flackern, das Mißtrauen und aufkeimende Sorge verriet. »Ausgefallen, Herr. Sabotiert!« »Sabotiert?« »Eine Sprengladung. Sie wurde im Keller an der zentralen Steuereinheit angebracht und –« – weiter kam Fitzpatrick McNee mit seiner Erklärung nicht. Die zwei, drei Worte, die er noch sagte, gingen unter in infernalischem Lärm, mit dem die kunstvoll gefertigten Saalfenster, die jeder Kirche zur Ehre gereicht hätten, zu Bruch gingen! Und inmitten des flirrenden und klirrenden Scherbenregens drangen Gestalten ein, die geflügelten schwarzen Dämonen gleichsahen!
*
Daß der Eindruck täuschte, daß es sich bei den Eindringlingen, die da auf so spektakulärem Wege in Max Beaderstadts Allerheiligstes vorstießen, nur um Menschen handelte, begriff Lilith, als die Schwarzgekleideten ihre »Flügel« ablegten. Dabei handelte es sich um kompakt gebaute Drachenflieger, deren Stoffbespannung ebenfalls schwarz war. Das Ganze dauerte zwei, allenfalls drei Sekunden, und dann war auch schon ein halbes Dutzend Waffenmündungen auf Max Beaderstadt, Fitzpatrick McNee und Lilith Eden gerichtet. Wie auf ein geheimes Zeichen hin hoben sie alle drei die Hände. Stille senkte sich über den Raum, durchbrochen nur von dem Knirschen der Glassplitter unter den Sohlen der Eindringlinge. »Meine Herren, womit kann ich Ihnen behilflich sein?« Max Beaderstadts Ruhe klang nicht die Spur aufgesetzt. Sie war zweifelsohne vollkommen echt. Er schien nicht im mindesten zu fürchten, daß ihm etwas geschehen könnte. Die Waffen ließen ihn so kalt wie der Stahl, aus dem sie gefertigt waren. Lilith fragte sich, woher er diese Zuversicht nahm – und was sie noch alles nicht über diesen Mann wußte. Automatisch ging sie selbst davon aus, daß die Typen es auf Beaderstadts Sammlung abgesehen hatten. Daß sie den »Luftweg« genommen hatten, um hier einzudringen, war für Lilith nachvollziehbar: So mußten sie sich lediglich den Weg durch das Gebäude abwärts freikämpfen – oder freischießen. Schließlich schleppten sie die Waffen wohl kaum mit sich herum, um nur ihre Hände zu beschäftigen … Daß Beaderstadt an all dem zu zweifeln schien, war für Lilith nur ein weiterer Grund, sich zu wundern. »Wo ist sie? Wo hältst du sie versteckt, Scheißkerl?« Es war wegen der Masken nicht möglich zu erkennen, wer von den anderen gesprochen hatte – wäre derjenige nicht im nächsten Moment zwei Schritte vorgetreten, um Max Beaderstadt ins Visier
seiner Automatikwaffe zu nehmen. »Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Sie mir verrieten, wovon Sie sprechen«, meinte Beaderstadt, nach wie vor ungerührt. »Das weißt du ganz genau!« »Bedaure …« Ein Schuß krachte! Tönerne Scherben klirrten, als hinter Beaderstadt etwas zersprang. Er verzog schmerzhaft das Gesicht, aber sicher nicht deshalb, weil die Kugel sengend heiß an seiner Schläfe vorübergestrichen war. Der Verlust eines (wenn auch nur geringen) Teils seiner Sammlung tat ihm viel mehr weh. »Also?« schrie der Schütze ungehalten. Beaderstadt hob die Schultern. »Ich weiß wirklich nicht, was –« Der andere griff mit einer Hand nach seiner Maske und zog sie vom Gesicht. Der Mann kam Lilith vage bekannt vor, und Fitzpatrick McNee nannte seinen Namen, der ihr im Hinterkopf herumspukte. »Hamilton Ordway!« Hamilton Ordway. Lilith wußte, wer er war. Ebenfalls Inhaber etlicher Firmen, wenn auch um ein paar Nummern kleiner als jenes Netz, über das Max Beaderstadt gebot. Und auch ihm hing ein ganz eigener Ruf an: Seine Kontakte und Verstrickungen mit der Unterwelt waren unleugbar, wenn auch nie bewiesen worden. »Mister Ordway!« Beaderstadt gab sich erfreut und überrascht zugleich. »Was verschafft mir die Ehre …?« Wieder fiel ein Schuß. Und wieder ging etwas zu Bruch. »Red’ nicht blöd herum, Drecksack! – Antworte endlich, bevor ich den ganzen Müll hier in Stücke schieße!« verlangte Hamilton Ordway. »Wo hast du sie versteckt? Was hast du mit ihr gemacht?« »Grundgütiger, von wem sprechen Sie nur?« Beaderstadt wirkte jetzt doch beunruhigt, wenn auch sicher nur aus Sorge um seine Sammlung.
»Janice!« »Ihre Tochter?« »Natürlich von Janice, meiner Tochter! – Sie hat sich mit Ihrem mißratenen Sohn herumgetrieben, und seitdem ist sie verschwunden!« keifte Ordway. Beaderstadt nickte und schüttelte den Kopf in einem. »Ich verstehe diese Aufregung nicht, Mister Ordway – Wie ich Ihnen bereits ausrichten ließ, unternimmt Ihre Tochter mit meinem Sohn eine Tour auf unserer Yacht. Sie kreuzen vor der Ostküste. Wo genau sie sich im Moment aufhalten, kann ich natürlich auch nicht –« »Bullshit!« wurde er von Ordway unterbrochen. »Ich habe die verdammte Küste absuchen lassen. Ich habe eine kleine Armee auf Ihre Yacht angesetzt, Beaderstadt, und das Scheißding ist nirgends zu finden! – Also, zum letzten Mal: Wo ist meine Tochter?« »Nehmen Sie endlich Vernunft an, Mann. Ich weiß nicht –« Ordway grinste böse. »Vielleicht hilft es deiner Erinnerung auf die Sprünge, wenn ich deiner Tussi die Knie kaputtschieße, was meinst du?« Er schwenkte den Lauf seiner Waffe in Liliths Richtung. »Das versuch mal ruhig, Kleiner«, provozierte sie ihn und trat einen Schritt vor. »Immer doch«, erwiderte er. Und drückte ab! Pling! Pling …?
* Lilith verkniff sich einen Schrei, obwohl es höllisch wehtat! Die Wucht des Kugelaufschlags genügte, um ihr Bein wegknicken zu lassen. Ins Fleisch gedrungen war das Geschoß allerdings nicht. Der Symbiont hatte es abgefangen!
Lilith hatte ihrem wandelbaren Kleidungsstück »befohlen«, den Stoff einer kugelsicheren Weste nachzubilden. Und der Symbiont hatte erstklassige Arbeit geleistet. Die Kugel war abgeprallt und zu Boden geklirrt. »Kommst dir cool vor, he?« knurrte Hamilton Ordway, nachdem er seine Verwunderung weggesteckt hatte. Er hob die Waffe etwas an. »Mal sehen, ob dein Schädel auch kugelfest ist, Babe.« »Nenn mich nicht Babe«, zischte Lilith. »Okay, wie wär’s statt dessen mit … Matschbirne?« Sein Finger krümmte sich um den Abzug. »Ordway …« Beaderstadt sprach den Namen, ruhig, fast leise aus. »Spar dir die Mühe, alter Mann«, sagte Hamilton Ordway. »Spuck endlich aus, wo Janice steckt!« Sein Finger bewegte den Abzug bis zum Druckpunkt. »Drehen Sie sich um, Ordway«, verlangte Beaderstadt. Der andere grinste hämisch. »Laß dir einen neueren Trick einfallen.« Irgend etwas … geschah. Lag in der Luft wie statisches Knistern, und doch ganz anders, unbeschreiblich. Lilith wußte nicht, was es war, aber sie spürte es, und es entsetzte sie – – als sie die Folgen sah! Vielleicht war es der Ausdruck in ihren Augen, der Hamilton Ordway dazu bewegte, doch einen Blick hinter sich zu werfen. Als es bereits zu spät war. Obschon es mehr als fraglich war, ob er etwas hätte unternehmen können, wenn er Beaderstadts Aufforderung unmittelbar Folge geleistet hätte … In die Nacht vor den zerbrochenen Fenstern des Raumes geriet Bewegung. Es sah aus, als würden Teile der Dunkelheit lebendig. Als würden Schatten gerinnen und Substanz gewinnen, Kontur und Form.
Aber so war es nicht. In Wahrheit war – – erwachten die steinernen Figuren auf den Simsen zwischen den Fenstern zum Leben! Und kamen herein.
* Monströs war das Wort, das die Kreaturen am treffendsten beschrieb! Keines sah dem anderen gleich, aber alle waren sie entsetzlich anzuschauen. Zähnestarrend die aufgerissenen Mäuler, riesig ihre Körper. Schuppig war das eine, fellbewachsen ein anderes, das dritte geflügelt und mit peitschendem Schwanz, der in diesem Moment den ersten der Schwarzgekleideten buchstäblich von den Beinen fegte – und zum Fenster hinaus! Brüllend verschwand der Mann in der Tiefe. Die immer noch aus Stein bestehenden Gargoyles bewegten sich auf unmögliche Weise geschmeidig, aber jede Regung ging einher mit knirschenden und mahlenden Geräuschen, wie sie vor langer Zeit einmal in wasser- oder windbetriebenen Mühlen zu hören gewesen sein mochten. Schüsse fielen. Querschläger sirrten kreuz und quer durch den Raum. Die steinernen Ungeheuer waren so nicht zu stoppen. Ein weiterer Mann starb, aufgespießt von Klauen aus Stein, den sein Blut dunkel färbte. Das Monster hob die Pranke, schüttelte sie wie unwillig, und das Opfer wirbelte davon, schlug irgendwo auf und riß Teile der Sammlung um. Eines der Ungeheuer setzte mit einem Sprung über die verbliebenen vier Eindringlinge hinweg, als diese zum Ausgang hin flüchten wollten, und verwehrte ihnen den Weg. Lilith schüttelte endlich das lähmende Entsetzen ab. Ein rascher
Blick galt Beaderstadt und McNee. Die beiden beobachteten das grauenvolle Drama so ungerührt, als seien sie Zuschauer eines Rennens auf einer Pferderennbahn, bei dem sie nicht gewettet hatten. Es mußte sie nicht großartig interessieren … Ein markerschütternder Schrei ließ Lilith herumfahren. Ein weiterer Toter. Er fiel ihr direkt vor die Füße. Sie sprang über ihn hinweg, zwischen den angststarren Männern hindurch, auf die beiden hinter ihnen stehenden Monster zu. Sie hatte keine Ahnung, wie sie den steinernen Kreaturen beikommen sollte. Erst einmal mochte es genügen, deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Vielleicht bekamen die drei verbliebenen Männer dadurch eine Chance zur Flucht. Lilith machte nicht den Fehler, vor den Ungeheuern stehenzubleiben. Sie passierte die Steinriesen, denen sie nicht einmal bis zur Brust reichte, orientierte sich in Richtung der glaslosen Fensteröffnungen, die vom Boden bis zur Decke gingen. Eine Idee keimte in ihr. Wahnwitzig, notgeboren eben. Aber vielleicht umsetzbar. Tatsächlich drehten sich die beiden Gargoyles zu ihr um. Lilith gab sich den Anschein, sie angreifen zu wollen. Der Linke der beiden Kolosse stapfte auf sie zu, beugte sich vor, streckte die Klauen nach ihr aus, blitzschnell. Lilith blieb stehen, tat, als suche sie nach einem Ausweg, tänzelte dann unmerklich zurück. Der Gegner glich ihren Rückzug umgehend aus. Lilith spürte die Leere, die bodenlose Tiefe hinter sich. Kein Grund, sich zu ängstigen, nicht für sie. Sie täuschte eine Bewegung zur Seite hin an, provozierte den Gargoyle, sich auf sie zu werfen – und der Steinerne fiel auf die Finte herein! Lilith warf sich zur anderen Seite. Der Riese torkelte schwerfällig über sie hinweg. Lilith streckte die
Füße nach ihm aus, hakte sie zwischen die seinen, brachte ihn vollends ins Stolpern und zu Fall – – und die Kreatur fiel. Lautlos kippte sie aus der Fensteröffnung und raste in die Tiefe. Die Aktion hatte nur wenige Sekunden beansprucht, und gewonnen hatte Lilith damit noch gar nichts. Ein Gegner weniger, das war alles. Zwei blieben noch. Der Zweite würde auf den Trick, der seinen »Bruder« außer Gefecht gesetzt hatte, nicht hereinfallen. Lilith änderte ihre Taktik. Und verwandelte sich! Als Fledermaus stieg sie auf und peitschte sich dem Steingiganten entgegen, für den es im ersten Augenblick aussehen mußte, als sei Lilith spurlos verschwunden. Erst als sie ihm ihre ledernen Schwingen in die Visage klatschte, wurde er wieder auf sie aufmerksam. Ob er registrierte, daß es sich bei diesem Gegner immer noch um den gleichen handelte, war fraglich. Er hob die säulenartigen Arme, schlug nach dem geflügelten Angreifer, ohne ihn zu erwischen. Lilith vollführte einen wilden Flug, raste in die Höhe, ließ sich fallen, traktierte den Gargoyle, wohlwissend, daß sie ihn nicht verletzen konnte, weder mit bloßen Händen noch in ihrer Fledermausgestalt. Aber das hatte sie auch gar nicht vor. Sie wollte die Kreatur nur aus dem Konzept bringen – und lenken. Tatsächlich gelang es ihr, ihn auf die Fensterwand zuzutreiben, derweil er wie blind und unkontrolliert nach ihr schlug wie nach einer lästigen Fliege. Bis er selbst die Fliege machte. Ohne Rückflugticket. Noch bevor Lilith auf dem Boden aufsetzte, verwandelte sie sich zurück. Als sei sie von irgendwo herabgesprungen, kam sie federnd auf – und mußte feststellen, daß der dritte Gargoyle zwischenzeitlich einen weiteren Mann getötet hatte.
»Verdammt, es reicht!« knurrte sie und stürmte auf den Steinernen zu. Die beiden verbliebenen Männer, Hamilton Ordway war einer von ihnen, hatten sich in die Tiefe des Saales zurückgezogen, nachdem ihnen der Weg zum Ausgang versperrt war. Max Beaderstadt und Fitzpatrick McNee waren gleichfalls verschwunden, aber sicher nicht geflohen. Erst als Lilith sich dem Gargoyle näherte, stellte sie fest, daß der sich nicht mehr rührte. Er stand nicht einfach nur da und wartete ab, nein, er war wieder erstarrt, nur Stein, tot und unbeweglich. Gehetzt schaute sich Lilith um, versuchte zwischen den Stücken der Sammlung hindurch und weiter in den Saal hineinzusehen. Ein Verdacht keimte in ihr, und als zwei Schüsse krachten, wußte sie instinktiv, was geschehen war. Dort vorne bewegte sich etwas. Jemand kam. Max Beaderstadt trat aus dem bizarren »Wald« hervor, in der rechten Hand eine Waffe, die er einem der Toten abgenommen haben mußte. Jetzt warf er sie achtlos zu Boden. »Sie haben die beiden –?« Lilith stockte. »Natürlich«, erwiderte Beaderstadt leichthin. »Sollte ich denn zulassen, daß er«, er wies auf den verbliebenen Gargoyle, »hier alles niedertrampelt? Die Objekte sind durch die Bank unersetzlich!« »Großer Gott, Sie Irrer –!« fuhr Lilith auf, hielt dann inne, sah sich aus den Augenwinkeln um. »Wo ist –?« setzte sie an. »– McNee?« fiel ihr Beaderstadt ins Wort. Sein Blick ging an Lilith vorüber. »Ich bin hier, Madam.« Sie hörte Beaderstadts Allround-Faktotum hinter sich. Aber sie bekam Fitzpatrick McNee nicht zu Gesicht. Weil ein mörderischer Schlag auf den Schädel für Lilith alle Lichter löschte.
* Als Seven van Kees die Augen aufschlug, war sie überzeugt davon, nach wie vor zu schlafen. Und zu träumen. Davon, daß sie in einem fremden Bett lag, in einem hellen Raum, in dem es nach Desinfektionsmitteln roch. Daß sie den Schmerz der Injektionsnadel spürte, die in ihrem Arm steckte und über einen dünnen Schlauch mit einer Infusionsflasche verbunden war, machte Seven stutzig. Und als die Tür aufging und eine Frau in Schwesterntracht hereinkam, begann sie zu glauben, daß sie sich tatsächlich in einem Krankenhaus befand. »Was … was ist geschehen?« fragte Seven die Schwester. Deren Gesicht hing bleich und groß wie der Vollmond über ihr – ein Eindruck, der auf die Wirkung der Infusion zurückzuführen sein mochte –, und jetzt lächelte der Mond, ganz so, wie sie es sich als kleines Mädchen oft gewünscht hatte, wenn sie in ihrem Bett lag, nachdem ihr Vater … Der Mond war immer etwas Erfreuliches für sie gewesen, damals. Sein Licht hatte ihr Trost gespendet, wenn – »Oh, Sie sind wach?« drang die Stimme der Schwester in ihre Gedanken und erlöste Seven von diesen Erinnerungen, die alt waren, aber nie vergessen. »Nein, ich rede im Schlaf, wissen Sie?« »Wach und witzig. Solche Patienten sind mir die liebsten. – Wie geht’s uns?« »Mir beschissen. – Und Ihnen?« »Bitte?« »Sie wollten doch wissen, wie es uns geht, oder?« »Oh«, machte die Schwester. »Ich … ich verstehe.« Sie schien mit einemmal aus irgendeinem Grund beunruhigt, oder betroffen we-
nigstens. Mit kleinen, nervösen Bewegungen zupfte sie Sevens Bettlaken zurecht, dann verschwand sie in Richtung der Tür. »Ich schicke den Doktor zu Ihnen, ja?« Noch bevor Seven etwas erwidern konnte, war die weiße Gestalt aus dem Zimmer. Die Reporterin richtete sich ein wenig auf und merkte rasch, daß selbst diese im Grunde lächerliche Anstrengung ihre Kräfte beinahe überstieg. Als sie endlich so weit hochgerutscht war, daß ihr Rücken Halt am Kopfende des Bettes fand, war sie außer Atem. Und während sie mühsam um Luft rang, öffnete sich die Tür abermals, und eine weitere Gestalt in Weiß trat ein. Seven sah sie wie durch Nebel auf sich zukommen. Erst als sie neben dem Bett stehenblieb, identifizierte sie den neuen Besucher als erstaunlich jungen Mann im Arztkittel. »Junge, was meinen Sie, was los ist, wenn jemand merkt, daß Sie hier Doktor spielen?« spöttelte Seven ihrer Erschöpfung zum Trotz. Der junge Mann lachte herzhaft. »So gefällt mir das. Es geht Ihnen offensichtlich besser, als die Untersuchungsergebnisse uns weismachen wollen.« »Was denn? Sie sind wirklich der Doc hier?« Der andere nickte. »Und älter, als Sie denken.« »Na toll. Verraten Sie mir, in welchem Jungbrunnen Sie baden. Ich leiste Ihnen Gesellschaft.« »Verlockende Aussicht«, gestand der Arzt. »Reden wir darüber, wenn Sie wieder auf dem Damm sind, einverstanden? Und Sie sollten vorher vielleicht besser Ihren Mann um Erlaubnis fragen.« »Welchen Mann?« »Na, dann Ihren Freund, Ihren Lebensgefährten.« »Fehlanzeige. Ich bin frei und ungebunden. Wir können sofort los.« Seven streckte die Arme aus. »Wenn Sie mich tragen …« Sie lächelte verunglückt. »Ach so«, machte der Arzt. Er schien aus irgendeinem Grund et-
was verlegen, überging es dann aber mit einem Schulterzucken. »Sie sollten versuchen, noch ein bißchen zu schlafen, ja?« »Wollen Sie mir nicht sagen, wie es mir geht? Ist das nicht Ihr Job?« fragte Seven. Natürlich wußte sie selbst am besten, wie es ihr ging. Sie wollte nur nicht alleine sein. Jede Minute, in der ihr jemand Gesellschaft leistete, schien ihr kostbar. Weil alles und jeder sie ablenkte von den unerträglichen Erinnerungen, die in ihr aufstiegen. »Ja, natürlich, entschuldigen Sie meine Nachlässigkeit«, sagte der Doktor lächelnd. »Also – es geht Ihnen den Umständen entsprechend. Zufrieden?« »Nein. Ich möchte, daß es mir spitzenmäßig geht.« »Morgen vielleicht. Oder übermorgen. – Im Ernst, es besteht kein Grund zur Sorge. Sie hatten irrsinniges Glück, wissen Sie das?« Mann, hast du ‘ne Ahnung! dachte Seven. »In Ordnung, ruhen Sie sich aus. Mehr können wir auch nicht für Sie tun.« Seven nickte stumm. Der Arzt drehte sich um, ging zur Tür und blieb noch einmal stehen. Das schienen alle Ärzte zu tun: an der Tür stehenbleiben, um noch etwas Bedeutsames loszuwerden. »Oh, fast hätte ich es vergessen …«, sagte er. »Dem Baby geht es auch gut.« Er zwinkerte Seven zu. Die schnellte förmlich in die Höhe. »Dem Baby?« echote sie. »Welchem Baby?« Ihre Stimme wurde schrill. »Na … Ihrem Baby. – Oder wußten Sie das gar nicht?« Er schien verwirrt. »Was weiß ich nicht, verdammt noch mal?« Seven begriff nicht. Wollte nicht begreifen! Der Arzt lächelte freundlich, zufrieden und glücklich, eine gute Nachricht übermitteln zu können, die beste, die eine junge Frau bekommen konnte.
»Sie sind schwanger!«
* Als Liliths Lider sich flatternd wie Schmetterlingsflügel hoben, wußte sie nicht, wieviel Zeit vergangen war. Aber sie wußte, was geschehen war! Schlagartig sozusagen. Der pochende Schmerz in ihrem Kopf erinnerte sie nachdrücklich daran. »Elende Bastarde«, knirschte sie. Dann endlich sah sie sich um – und erschauerte. Sie befand sich nicht mehr in Max Beaderstadts Residenz, offensichtlich nicht einmal mehr in dem Hochhaus – – sondern unzweifelhaft in … einer Kirche? Anscheinend war mehr Zeit vergangen, als Lilith bislang angenommen hatte. Viel Zeit. Es war nicht zu übersehen, daß die Kirche, wo immer sie auch lag, seit langem nicht mehr benutzt wurde, zumindest nicht für Gottesdienste. Staub und Dreck sammelten sich überall, in den Reihen der Bänke klafften Lücken, und christliche Symbole waren nirgends mehr zu entdecken. Worüber die Halbvampirin nicht ganz unglücklich war … All dies erfaßte Lilith mit einem raschen Blick, eher beiläufig. Ihr Hauptaugenmerk galt … den anderen! Denn sie war nicht allein hier. Sie sah Max Beaderstadt und seinen Vasallen Fitzpatrick McNee, daneben einen jungen Mann, in dem sie Beaderstadts Sohn Armand vermutete, und ein Mädchen, etwas jünger noch als Beaderstadt junior, knapp über Zwanzig, höchstens. Janice Ordway? Gut möglich, nach allem, was Lilith mitbekommen hatte. Was längst nicht bedeutete, daß irgend etwas davon auch Sinn machte!
»Oh, unser Gast weilt auch geistig wieder unter uns! Wie schön.« Max Beaderstadt klatschte in die Hände und kam auf Lilith zu. Sie hatten sie, als sie bewußtlos gewesen war, kurzerhand auf eine Bank gesetzt. »Schätze, Sie schulden mir eine Menge Erklärungen«, schnauzte Lilith unwirsch und stand auf. Beaderstadts Lächeln drückte Bedauern aus. »Ich fürchte, unser Plauderstündchen ist längst vorüber. Wären wir nicht gestört worden, hätte ich Ihnen mehr erzählen können, aber so –« Er breitete die Arme aus. »Jetzt stehen andere Dinge an, wichtigere, und ich wäre ein Lügner, würde ich sagen, daß es mir leid tut. Dazu habe ich zu lange darauf gewartet.« »Worauf?« »Auf Sie, meine Liebe. Auf Ihr … Erscheinen.« Lilith konnte nicht länger an sich halten. Und sie sah auch keinen Grund dazu. Mit einem Schritt war sie bei Beaderstadt. Ihre Hand drehte sich in seinen Hemdkragen und hätte ihm eigentlich die Luft abschnüren müssen, aber er lächelte nur. Na gut, sollte er nur, solange er noch konnte … »Schluß mit dem Geschwätz!« fuhr Lilith ihn an. »Was war das für eine Show, die Sie da mit diesen Steintypen abgezogen haben?« »Beeindruckend, nicht wahr?« Lilith spannte die Muskeln, dann riß sie Beaderstadt mit einem Ruck hoch und schleuderte ihn von sich. Krachend schlug er zwischen zwei Bankreihen auf. »Wie war das?« rief sie. »Beeindruckend?« »Nicht schlecht«, antwortete Beaderstadt im Aufstehen. Er schnippte imaginäre Stäubchen von seiner Kleidung. »Aber nicht Ihr bester Trick, nicht wahr?« Er lächelte. »Ich kann Ihnen gerne noch ein paar andere zeigen«, drohte sie und ging auf Beaderstadt zu.
»Das sollten Sie besser lassen«, warnte der Milliardär, in dem Ton, in dem man mit einem ungehorsamen Kind sprach. »Wer sollte mich daran hindern?« »Ich!« Fitzpatrick McNee hatte gerufen. Lilith drehte sich um und fragte noch in der Bewegung: »Wie das?« »Weil ich sie sonst erschieße«, erwiderte McNee ruhig. In seinem Arm zitterte das Mädchen, dem er eine Pistole gegen die Schläfe drückte.
* An Max Beaderstadts Seite ging Lilith in Richtung des Altarraumes, schweigend, lammfromm. Sie hatte eingesehen, daß die anderen momentan die besseren Karten hatten, wenn sie auch das Spiel als solches noch immer nicht durchschaute. Die wenigen Informationen, die sie kannte, paßten nicht zusammen, ergaben nicht einmal den kleinsten Teil eines Bildes. Ihr blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Irgendwann mußte sich ihr zwangsläufig eine Gelegenheit bieten, um reagieren zu können. Irgendwann … Lilith seufzte lautlos. Sie wurde das Gefühl nicht los, daß irgendwann zu spät sein würde. Und wußte doch nicht einmal, wofür es zu spät sein würde … Vorne angekommen, blieb Lilith stehen, sah von einem zum anderen. McNee war mit dem Mädchen zurückgewichen, außerhalb ihrer Reichweite, professionell. Mist! dachte sie. »Und jetzt?« Ihr Blick blieb an Beaderstadt senior hängen. »Ich darf Ihnen meinen Sohn vorstellen – Armand.« Er zeigte auf
den jungen Mann, der kaum Ähnlichkeit mit seinem Erzeuger aufwies. Armand Beaderstadt war ein Typ, dem Frauen auf der Straße nachschauten, auch ohne zu wissen, daß er das war, was man eine gute Partie nannte: dunkler Naturteint, markantes Gesicht, kräftig, sehnig … Er neigte leicht den Kopf, beinahe huldvoll. Sein Lächeln glich dem seines Vaters, fiel Lilith auf. »Ach ja«, meinte sie, »mein Bräutigam.« Armand Beaderstadt sah von ihr zu seinem Vater, etwas verwirrt, fragend. »Sie mißversteht die Situation. Noch …«, erklärte Max Beaderstadt. »Dann erklären Sie mir die Situation«, verlangte Lilith. »Wie wär’s mit der Methode learning by doing?« meinte Max Beaderstadt und wies um sich. Lilith folgte der Geste mit Blicken. An den kahlen Wänden entdeckte sie kryptische Zeichen, die keiner ihr bekannten Schrift entstammten – und sie kannte jede Schrift dieser Welt, ob noch gebräuchlich oder längst vergangen. Sie suchte nach vertrauten Details, fand keine; lediglich, daß sich die fremdartigen Symbole auch am Boden wiederfanden, gespiegelt allerdings, fiel ihr auf. »Was soll das?« fragte sie nach einer Weile. »Sie werden es verstehen, wenn Sie nur tun, was ich Ihnen sage«, versprach Max Beaderstadt. »Und das wäre?« »Legen Sie Ihre … Kleidung ab, bitte.« »Ich soll was tun?« Lilith glaubte sich verhört zu haben. »Wenn Sie sich bitte ausziehen und dann auf den Altar legen würden«, präzisierte Beaderstadt. Er deutete einladend auf die leere Fläche des hölzernen Blocks, der an der Stirnseite des Altarraumes stand, gleichfalls mit jenen unbekannten Zeichen versehen.
»Sie ticken ja wohl nicht richtig …« Selbst wenn Lilith seiner Aufforderung hätte nachkommen wollen, hätte sie es schlicht nicht gekonnt. Weil sie den Symbionten nicht einfach ausziehen konnte! Der lebende Stoff war gleichsam mit ihr verwachsen. Sie konnte ihm nur befehlen, sich zusammenzuziehen, zu einem schnurdünnen Gürtel etwa; aber ganz ablegen konnte sie ihn nicht. Aber das hatte sie ja ohnehin nicht vor … Beaderstadt registrierte ihre Weigerung. »Sie sollten sich und uns die Sache nicht unnötig erschweren«, sagte er. »Wollen Sie mich zwingen?« fragte sie. »Wird McNee gleich wieder drohen, das Mädchen zu erschießen?« Der Milliardär schüttelte den Kopf. »Das wird nicht nötig sein. – Außerdem brauchen wir Janice noch für … unser Ritual.« Janice! Also doch! Hamilton Ordway hatte recht gehabt mit seinem Verdacht, daß Beaderstadt etwas mit dem Verschwinden seiner Tochter zu tun hatte. Aber wozu Beaderstadt das Mädchen auch brauchen mochte, Lilith ging davon aus, daß Janice Ordway einfach nur das Pech gehabt hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Ebenso gut hätte es wohl jedes andere Mädchen treffen können, das Armand Beaderstadts Charme erlegen wäre … »Was für ein Ritual?« wollte Lilith wissen. Langsam schien sie dem Kern des Geheimnisses näher zu kommen. »Die Vermählung«, erinnerte Beaderstadt, »die Vereinigung meines Sohnes mit Ihnen, Teuerste.« »Was ist, wenn ich mich weigere?« »Dann werden wir ein wenig Überzeugungsarbeit leisten müssen.« Max Beaderstadt klatschte abermals in die Hände, in auffallendem Rhythmus. Das Geräusch hallte noch von den Wänden wider, als sich an den Längsseiten des Kirchenschiffs Türen öffneten, die früher einmal in
irgendwelche Nebenräume, eine Sakristei oder ähnliches geführt hatten. Jetzt traten Menschen daraus hervor. Viele Menschen! Über ein Dutzend, überschlug Lilith. »Was sind das für Leute?« fragte sie beunruhigt. »Gleichgesinnte«, erwiderte Beaderstadt, »die unser Ziel teilen.« Er wandte sich den anderen zu. »Freunde«, rief er gönnerhaft, »unser Gast, von dem ich euch erzählt habe, ist noch unentschlossen. Wärt ihr so freundlich, Ihre Entschlußfreude ein wenig zu fördern?« Geschlossen kamen die Menschen, Männer und Frauen verschiedenen Alters, auf Lilith zu. Stumm. Drohend. Aber doch nur Menschen … Sie stürzten sich auf Lilith, schlugen auf sie ein. Und zum zweiten Mal in dieser Nacht verlor sie die Besinnung.
* Sie hoben Lilith hoch und legten ihren schlaffen Leib auf dem Altar ab. Max Beaderstadt wandte sich seinem Sohn zu. »Du weißt, welche Ehre dir zuteil wird?« fragte er. Armand nickte. Sein Blick wich nicht von Lilith. »Ja, das weiß ich. Und ich danke dir dafür, Vater.« »Du wirst der Mächtigste sein unter uns, etwas Besonderes, Einmaliges!« Beaderstadts Stimme schwoll an. »Aber du wirst nie vergessen, wessen Wort du zu folgen hast?« »Deinem, Vater.« »So sei es. – Zieh dich aus, mein Sohn.« Schweigend legte Armand seine Kleider ab. Derweil wandte sich Beaderstadt an seine anderen Getreuen, seine Freunde, wie er sie nannte, die soviel gemein hatten mit ihm – und
wenigen anderen in aller Welt … »Bereitet die Chimäre vor«, forderte er sie auf. Schweigend schlossen die Männer und Frauen den Kreis um den Altar enger und machten sich daran, Lilith von ihrer Kleidung zu befreien. Erfolglos … Der schwarze Stoff schien mit der alabasterhellen Haut verwachsen, ließ sich nicht lösen, entzog sich wieder und wieder den zugreifenden Fingern. »Herr«, meldete sich einer, »es geht nicht.« »Was soll das heißen?« erwiderte Beaderstadt ungeduldig und drängte sich durch den Ring an den Rand des Altars. Er faßte selbst nach Liliths Kleidung, versuchte seine Finger darunter zu schieben und mußte gleichfalls passen. »Nun, es gibt kein Problem, das ein Max Beaderstadt nicht lösen könnte.« Er lächelte über sein Wortspiel, während er unter seine Jacke griff und etwas hervorholte – einen … Dolch. Einen jedoch von besonderer Art! Neben der Hauptklinge besaß die Waffe noch mehrere zackige Dornen, allesamt rasiermesserscharf und aus einem Material gefertigt, das wie Knochen schimmerte. Ein uraltes Fundstück. Geheimnisvolle Sagen woben sich darum, um seine Herkunft und die Dinge, die damit vollbracht worden sein sollten … Beaderstadt setzte die Waffe an, und dann drückte er sie in Liliths Brusthöhe unter den Rand des Symbionten – – der sich wie zäher Teer von der Haut löste!
* Tausende winziger Zähne, mit Widerhaken versehen, zerreißen mein Fleisch! Schmerz, wie kein Mensch ihn je kennengelernt hat, tobt in mir! Schmerz, den auch ich nicht verkraften kann! Der Symbiont, meiner Mutter Erbe, wird mir entrissen! Vom Leib ge-
schält! Getrennt wird, was untrennbar ist! Was nur der Tod lösen kann. Mein Tod … »Halt! Aufhören!«
* »Halt! Aufhören!« Die Stimme hallte durch die Kirche. Ihr Echo brach sich dutzendfach an den Wänden und erweckte den Eindruck, als wären Beaderstadt und seine Getreuen umzingelt. Aber es war nur ein einzelner Mann, der sie aufhalten wollte. Und es gelang ihm. Für den Moment wenigstens. Die Szenerie erstarrte. Fitzpatrick McNee reagierte als erster! Mit Janice Ordway im Arm drehte er sich in die Richtung, aus der die Stimme ursprünglich gekommen war, vom Portal her. Er bedrohte das Mädchen mit der Waffe und wollte es als Deckung mißbrauchen. Er beendete die Bewegung nicht. Ein Schuß peitschte! McNee schrie gepreßt auf und stürzte nach hinten. Die Kugel hatte seine Schulter durchschlagen. Ein geradezu meisterhafter Schuß! Darren Secada staunte über sich selbst.
* »Halt! Aufhören!« Die Stimme hallte nicht nur von den Wänden, sondern auch in Lilith wider. Klang vertraut, wohltuend. Weckte Kraft, aus der Widerstand erwuchs.
Sie bezwang den Schmerz, der in jeder einzelnen Zelle ihres Körpers brannte, ignorierte ihn, öffnete die Augen, stemmte sich hoch. Schlug um sich. Und brüllte tierhaft auf in neuem Schmerz, als der Symbiont seine Zähne wieder in ihr Fleisch grub! Lilith kanalisierte das Feuer, das in ihr lohte. Nutzte es. Und überließ ihren Körper der dadurch gewonnenen, übermächtigen Kraft. Körper wirbelten unter ihren Hieben zur Seite, Schreie tobten wie Sturm aus tiefster Hölle um sie her. Blut floß. Knochen brachen. Menschen würden sterben … Ihre Peiniger verdienten den Tod! Lilith wütete weiter. Bis jene Stimme abermals aufklang. Entsetzt diesmal, panisch – und doch hörbar zum Äußersten entschlossen! »Stopp! Hör auf, verdammt! Laß es!« Lilith erstarrte. Drehte sich um. Sah Darren Secada – – und in die Mündung einer Pistole, die er beidhändig auf sie richtete! »Hör auf«, warnte er düster, »oder ich schieße.« Und Darren schoß! Nicht auf Lilith allerdings. Er feuerte Warnschüsse ab, mit denen er die anderen zurückdrängte, damit er mit Lilith und Janice Ordway die Kirche unbehelligt verlassen konnte. Natürlich hätte er die Kollegen vom Department verständigen und um Unterstützung bitten sollen, vor Minuten schon. Aber er hatte es nicht getan. Darren Secada erkannte sich selbst kaum wieder. Was war nur aus ihm geworden? Rechtschaffen war er gewesen, ein bißchen seltsam vielleicht, aber verantwortungsbewußt. Ein guter Bürger, ein guter Mann … Und jetzt?
Verhielt er sich wie ein Verbrecher. Wie jemand, der etwas zu verbergen hatte. Weil er etwas zu verbergen hatte! Lilith Eden beispielsweise … »Scheiße, warum tu ich das alles?« Lilith antwortete ihm nicht. Darren prügelte den Geländewagen förmlich über die alte Straße, die von der Kirche außerhalb Sydneys zurück in die Stadt führte. »Wie hast du mich gefunden?« fragte Lilith nach langem Schweigen. Sie fuhren längst wieder durch belebte Gegend. »Dumme Frage«, antwortete Darren. »Du hast mir ja eine Nachricht hinterlassen.« Er grinste freudlos. »Deine Mutter hat sie mir ausgerichtet.« »Es war das Haus, nicht meine Mutter«, wandte Lilith ein. »Aber ich hatte nur den Namen Max Beaderstadt genannt …« »Dessen Adresse kennt ja wohl jeder in der Stadt«, erklärte Darren. »Und als ich zum Beaderstadt-Tower kam und zwei zertrümmerte Steinfiguren und einen Toten auf der Straße fand, war ich mir ziemlich sicher, daß du nicht weit sein konntest …« »Und dann?« Darren hob die Schultern. »Bin ich Beaderstadts Limousine gefolgt, als sie mit einem Affenzahn aus der Tiefgarage raste – auf gut Glück, sozusagen. Zu deinem Glück …!« »Danke«, flüsterte Lilith. »Spar’s dir. – Kümmere dich lieber um die Kleine. Die hat deine Art von Trost bitter nötig …« Lilith drehte sich nach hinten und strich aus Janice Ordways Gedächtnis, was sie in Beaderstadts Gewalt gesehen und erlebt hatte. Erst danach fiel ihr ein, daß es wahrscheinlich hilfreich gewesen wäre, zuvor ein wenig in Janices Gedanken und Erinnerungen zu »stöbern«. Sie hätte sicher einiges über Beaderstadt und dessen nach wie vor undurchsichtige Umtriebe erfahren. Und daß sie ihn und seine mysteriöse Bande wiedersehen würde, daran zweifelte Lilith
nicht; schon weil sie es sein würde, die den Kontakt suchen würde! Aber die Chance war vertan … Lilith seufzte. Sie war eben auch nur ein Mensch. Zur Hälfte wenigstens …
* Später … Per Knopfdruck schloß Darren Secada die große Schublade. Leslie Bentwicks Leichnam verschwand im »Kühlschrank«. Darren hatte die Obduktion der Toten abgeschlossen. Und seine Annahme bestätigt gefunden: Leslie Bentwick hatte unmittelbar vor ihrem gewaltsamen Tod keinen Geschlechtsverkehr gehabt. Also hatte Ryder Maguire nicht mit ihr geschlafen – sondern »nur« ihr Blut gesoffen. Als Todesursache attestierte er Genickbruch. Aber das war für Darren selbst kaum von Belang, lediglich für den Untersuchungsbericht von Bedeutung. Er streifte die klebrigen Einweghandschuhe ab und warf sie im Vorbeigehen zielsicher in den Abfalleimer. »Nehmen Sie sich jetzt endlich diesen Burschen da vor?« fragte Jimmy Potts, als er in den OP der Pathologie zurückkehrte. Sein schlaksiger Assistent mit dem Dreitagesmilchbart wies zu dem Tisch hin, auf dem immer noch Ryder Maguire lag. »Der Kerl setzt ja schon Schimmel an, so lange liegt er da herum …« »Kümmer dich um deinen Kram, Kleiner«, murrte Darren unwirsch. »Oh, Herr Doktor hatten letzte Nacht eine Horde Läuse zu Gast, die dero Gnaden über die Leber zu trampeln geruhten.« Jimmy machte eine besänftigende Geste. »Schon gut, schon klar …« Er vertiefte sich wieder in seine Arbeit.
Beinahe beneidete Darren den jungen Burschen darum, daß er eine normale Leiche obduzieren durfte … Er blieb neben dem toten Maguire stehen und sah auf den fleckigen Leichnam hinab. Lange und reglos. Als warte er darauf, daß der Kalte zu reden anfing. Und im Grunde schien ihm das nicht einmal so furchtbar abwegig, nach allem … Darren hörte Schritte. Sie kamen näher. Aber als sei ihm selbst diese Bewegung zu mühsam, drehte er sich nicht um. Bis Jimmy Potts ein atemloses »Wow!« hören ließ. Und Seven van Kees zu ihm sagte: »Darren? – Ich muß mit dir reden …«
* Sie saßen in Darrens beengtem Kellerbüro. »Du bist was?« Darren stellte die Frage schon zum zweiten Mal, entgeisterter noch als zuvor. Und Seven sagte zum dritten Mal: »Ich bin schwanger.« Dann setzte sie hinzu: »Von … Ryder Maguire.« »Aber … das ist unmöglich!« rief Darren. »Ich meine … wenn du von ihm schwanger bist, dann kannst du das jetzt noch nicht wissen! Es ist doch erst ein paar Tage her, mein Gott!« »Er ist der Vater dieses … Kindes.« Sie spie das Wort wie etwas Ekliges aus. »Woher weißt du das? Könnte es nicht sein, daß –«, meinte Darren und geriet ins Stocken. »Daß ich ‘rumbumse und mich nicht daran erinnern kann?« versetzte Seven bissig. »Willst du das sagen?« »Nein, das nicht. Aber könnte es nicht sein, daß ein anderer … na ja, eben in Frage kommt?« Seven schüttelte den Kopf. »O Gott …«, stöhnte Darren. Er ließ sich schwer in seinen knarzen-
den Sessel fallen. »Das bedeutet ja, daß …« Er brachte es nicht über die Lippen. »… ich das Balg eines Vampirs in mir trage. Genau das bedeutet es«, sprach Seven die schreckliche Wahrheit aus. Ihre Ruhe erschreckte Darren fast mehr als diese Wahrheit … »Aber, ich meine«, sagte er nach einer Weile, »was kann das in der Konsequenz bedeuten?« »Ich weiß es nicht«, Seven zuckte die Achseln, »aber ich bin hier, um dich zu bitten, mir zu helfen.« Darren sah sie verwirrt an. Dann glaubte er zu wissen, worauf Seven anspielte. »Hör mal«, sagte er, »ich möchte dir helfen, und ich werde es tun, so gut ich kann. – Aber ich bin kein Frauenarzt. Ich schnipple nur an Toten herum, das ist was ganz anderes …« Seven brachte ein winziges Lächeln zustande. »So habe ich das auch nicht gemeint. – Ich möchte, daß du … etwas anderes für mich tust.« »Und das wäre?« Seven atmete tief durch. »Untersuche Ryder Maguires Sperma!«
* Tote aufzuschneiden und ihnen in den Eingeweiden herumzuwühlen, das war etwas, das viele Leute schon für abartig hielten. Aber das war eine Sache, und sie war bisweilen eben notwendig. Aber einer Leiche die Hoden aufzuschlitzen, das war eine ganz andere, und die empfand selbst Darren Secada als pervers. Und trotzdem tat er es … Die normale Dienstzeit war längst vorbei. Darren hatte diese Angelegenheit ganz bewußt hinausgeschoben. Jimmy Potts mußte ja nicht alles wissen, und Darrens Ruf im Police Department war schon übel genug; da wollte er sich nicht auch noch nachsagen las-
sen, daß er toten Männern an die – Na ja … Im Gegensatz zu sonst ging Darren in diesem Fall überaus ungeschickt zu Werke. Weil er so etwas nie zuvor gemacht hatte, nicht einmal während des Studiums, und da hatten sie eine Menge absonderlicher Dinge tun müssen, die sich in der Praxis nie wiederholen würden. Aber schließlich schaffte er es doch. Mit dem Skalpell durchtrennte er die Samenleiter, dann nahm er Ryder Maguires Hoden mit spitzen Fingern und legte sie in eine Nierenschale. Darren stöhnte dabei unter imaginärem Schmerz, der sich genauso anfühlte, als sei ihm mit einem spitzen Stöckelschuh in die Weichteile getreten worden. Die höllisch scharfe Klinge zerlegte die dunklen, grob eiförmigen Gebilde … … und beide Male machte Darren die gleiche, unmögliche Feststellung. »Das … das gibt’s doch gar nicht«, flüsterte er fassungslos. Aber jeder Irrtum war ausgeschlossen. Ryder Maguire besaß keine Spermien mehr! Es war, als habe er seinen »letzten Schuß« in Seven van Kees »investiert«! Epilog Wolken, deren Farbe Lilith aus irgendeinem Grund an Auberginen erinnerte, türmten sich am jenseitigen Horizont, höher und immer höher, als wachse dort ein bizarres Gebirge, das Sydney auf ewig überschatten würde. Vergeblich suchte Lilith Eden im Beobachten des faszinierenden Naturschauspiels Ablenkung von den drückenden Problemen und Rätseln, die binnen der kurzen Zeit seit ihrem abermaligen Erwachen schon Teil ihres Lebens geworden waren. Nichts war vorbei gewesen, als sie den Teufel am Tunnel durch
die Zeit vernichtend geschlagen hatte. Lediglich eine neue Runde im ewigen Kampf war eingeläutet worden. Aber Lilith fühlte sich der Herausforderung gewachsen, mehr denn je, obschon sie die neuen Gefahren noch nicht einmal annähernd abzuschätzen wußte. Immerhin hatte sie die ersten bereits gemeistert, zugegeben mit etwas Glück auch, aber in erster Linie doch mit Kraft und Verstand. Lilith fühlte sich stark wie nie. Gott sei Dank … Zugleich aber ahnte sie – und die Erkenntnis traf sie just in diesem Moment, da sie an einem der oberen Fenster ihres Hauses an der Paddington Street stand und draußen der erste Blitz den finsteren Himmel zerriß –, daß die größte aller Gefahren womöglich in eben dieser Zuversicht lag, von der sie ganz und gar erfüllt war. Denn diese Sicherheit mochte sich leicht als trügerisch erweisen oder sie zum Leichtsinn verführen, dazu, sich selbst zu überschätzen. Vorsicht war angeraten, mußte weiterhin ihr oberstes Gebot sein. Dennoch, Lilith war nicht bange vor der Zukunft. Weil sie wußte, daß sie sie nicht allein würde meistern müssen. Sie hatte Verbündete. Freunde vielleicht … Chad Holloway etwa, den bärbeißigen Chefinspektor vom Sydney Police Department. Mit seiner Hilfe, seinen Verbindungen konnte Lilith den ebenso mysteriösen wie furchtbaren Ereignissen auf den Grund gehen. Dem Auftauchen der Chimären im Taronga-Zoo etwa, oder der Rolle, die Max Beaderstadt und seine seltsamen Gefolgsleute spielten. Wer waren sie? Welche Ziele verfolgten sie? Auf all diese Fragen wollte Lilith Antworten, und Chad Holloway konnte ihr bei der Suche danach vielleicht behilflich sein. Ganz bewußt vermied Lilith den Begriff »von Nutzen sein« … Sie wollte niemanden benutzen! Nicht mehr. Auch Darren Secada nicht. Ihn am allerwenigsten. Der Gedanke an Darren bescherte Lilith einen Gefühlsaufruhr, wie
sie es lange nicht mehr erlebt hatte. Sie mochte ihn, und mehr als nur das. Den Grund dafür zu benennen, war Lilith nicht möglich. Sein adrettes Äußeres spielte dabei allenfalls eine untergeordnete Rolle. Sie spürte ein ganz besonderes Band zwischen sich und ihm, und daß Darren dieses Gefühl offenbar nicht teilte, tat Lilith auf eine Weise weh, die nicht das Geringste mit Schmerzen im herkömmlichen Sinne gemein hatte. Denn dieser Art von Schmerz stand Lilith hilflos gegenüber. Und er vertiefte sich noch, ganz so, als würde eine rostige Klinge in eine entzündende Wunde gedreht, als Lilith daran dachte, wie sie und Darren nach diesen noch immer rätselhaften Vorfällen in jener Kirche auseinandergegangen waren: schweigend beinahe. Jedes überflüssige Wort schien sich Darren tunlichst verkniffen zu haben … … weil sie, Lilith, ihm suspekt war, noch immer, und mehr noch: Sie schien ihn geradezu abzustoßen! Was sie tat, und vor allem, wie sie es tat, war Darren Secada ganz offensichtlich zuwider. Kurzum, es war Liliths ureigene Natur, die Darren nicht zu ertragen imstande war. Nicht jetzt, und schon gar nicht auf Dauer. Lilith fragte sich, was sie daran ändern konnte. Und kam nur zu einer niederschmetternden Einsicht: nichts. Denn an ihrem Wesen etwas zu ändern hätte bedeutet, einem Gegner gegenüberzutreten, den nicht einmal sie besiegen konnte – – sich selbst. Und doch, es mußte einen Weg geben, der sie zu Darren führen konnte. An dessen Ende sie sein Vertrauen und ein bißchen mehr noch gewinnen durfte. Aber Lilith fand ihn nicht. Nicht in dieser Nacht … Mit einem Seufzen wandte sich Lilith vom Fenster ab, als erste schwere Tropfen wie kleine Geschosse gegen die Scheibe schlugen. Vielleicht würde die Welt morgen anders aussehen. Das Licht eines neuen Tages mochte Dinge erhellen, die jetzt noch im Dunkel lagen.
Vielleicht … Vielleicht auch nicht. Lilith entsann sich des Gefühls, das sie eben noch beherrscht hatte: dem von Stärke und Selbstsicherheit. Wie zerbrechlich und leicht vergänglich alle Dinge dieser Welt doch waren … ENDE
Die dritte Weissagung von Adrian Doyle Von den Menschen weitgehend unbemerkt, geschehen mysteriöse, erschreckende Dinge. Unglücksfälle, deren wahre Bedeutung man verkennt. Naturphänomene, die nicht natürlichen Ursprungs sind. Erscheinungen, die keiner zu deuten vermag … Doch all dies hat einen Sinn, wurde vor vielen Jahren von Kindeshand in drei Prophezeiungen niedergeschrieben. Die beiden ersten haben sich bereits bewahrheitet. Die dritte steht nun, kurz vor dem Millenium, vor ihrer Erfüllung! Folgen Sie uns in die Vergangenheit – zum Ursprung und Geheimnis der dritten Weissagung!