Aleister Crowley: Über Yoga Acht Vorlesungen
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ralph Tegtmeier
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Aleister Crowley: Über Yoga Acht Vorlesungen
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ralph Tegtmeier
Knaur®
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Deutsche Erstausgabe © 1989 by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Titel der Originalausgabe »Eight Lectures On Yoga« © by Aleister Crowley Umschlaggestaltung Manfred Waller Umschlagfoto Georg Meyer Satz Ludwig Auer, Donauwörth Druck und Bindung Ebner Ulm Printed in Germany 54321 ISBN 3-426-03969-9 Inhalt Einleitung...................................................................................3 Yoga für Yahoos ........................................................................7 Erste Vorlesung Grundprinzipien..........................................7 Zweite Vorlesung.................................................................17 Dritte Vorlesung ..................................................................28 Vierte Vorlesung..................................................................44 Yoga für Gelbbäuche ...............................................................62 Erste Vorlesung ...................................................................63 Zweite Vorlesung.................................................................79 Dritte Vorlesung ..................................................................97 Vierte Vorlesung................................................................108
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Einleitung Es ist inzwische n an die sechzig Jahre her, seit ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit Teil I von Buch 4 machte, Crowleys erstem kleinen Meisterwerk über den Yoga. Darin wurde das gesamte Thema gründlich entmystifiziert, und Crowley legte einige unumstößliche Grundsätze fest, ohne sich dabei jedoch zu dem üblichen Geschwafel jener zu versteigen, die es eigentlich besser wissen müssten. Tatsächlich ist dieses kleine Buch zu einem Klassiker geworden. Und sollten einige seiner überkritischen Gegner es noch nicht so sehen, so wird sich das im Laufe der Zeit zweifellos noch ändern. Es wurde um das Jahr 1911 geschrieben und in der Equinox angekündigt. Das vorliegende Büchlein über den Yoga ist späteren Ursprungs und basiert auf einer Vortragsreihe, die Crowley wahrscheinlich im Jahre 1939 in London hielt. Auch hier haben wir es mit einem Meisterwerk des Understatements zu tun, der Klarheit und des philosophischen Scharfsinns. Hier führt Crowley sein erklärtes Anliegen weiter, das ge samte Gebiet zu entmystifizieren, während er zugleich dem inneren Kern des Themas stets treu bleibt. Das erste Kapitel ist ein Meisterwerk philosophischer und psychologischer Erkenntnis. »Alle Erscheinungen, derer wir gewahr werden, finden in unserem Geist statt, daher brauchen wir auch nur den Geist selbst zu betrachten.« Dies ist nicht nur die Denkgrundlage des subjektiven Idealismus, auch viele Naturwissenschaftler unserer Zeit vertreten diesen Standpunkt. Um nur einen von ihnen zu erwähnen, genüge der Hinweis auf Sherringtons Man, on his Nature, in dem ein ganzes Kapitel dieser Erkenntnis gewidmet ist. Ferner gibt es da auch eine seiner Grundeinsichten, die, wie ich bekennen muß, eines meiner Hauptmotive war, mich 3
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Crowley im Jahre 1928 anzuschließen. »Es steht uns hier nicht an, der Frage nachzuge hen, wie es geschehen kann, daß manche Menschen dieses Recht der intimen Kenntnis der höchsten Realität von Geburt an besitzen, doch Blavatsky war der gleichen Überzeugung, daß nämlich die natürliche Anlage ein Anzeichen für den eingenommenen hohen Rang darstellt, nach dem der Schüler der Magie und des Yoga strebt. Er ist gewissermaßen ein werdender Künstler; und vielleicht ist es auch nicht allzu wahrscheinlich, daß seine Fähigkeiten in seiner gegenwärtigen Inkarnation in hinreichendem Ausmaße zu Automa tismen geworden sind, um ihm die Früchte seines Erfolgs zu bescheren. Und doch hat es zweifellos derlei Fälle gegeben, einige von ihnen sind mir persönlich bekannt.« Crowleys Schilderung nicht allein der mystischen Beußtseinszustände, sondern auch der verschiedenen Stufen oder »Glieder des Yoga« ist von überragender Qualität. Wenn er beispielsweise die erste Stufe des Yama behandelt, widerspricht er bereits einigen der besseren, sogenannten Autoritäten auf diesem Gebiet. Swami Vivekananda, dem sowohl Crowley als auch viele andere absoluten Respekt zollten, definiert Yama »als die innere Reinigung durch moralische Schulung als Vorbereitung auf den Yoga«. Crowley hingegen verwirft diese Definition. Wenn Pranayama beispielsweise Atemkontrolle ist — Prana meint die Vitalenergien, die durch die Atmung in Bewegung gesetzt werden, während Yama Beherrschung meint —, dann muß Yama doch wohl ganz offensichtlich in jedem Kontext als »Beherrschung« definiert oder übersetzt werden. Und ebendies hat Crowley getan. »Es wird uns daher nicht überraschen festzustellen«, schreibt er, »daß der vollkommen einfache Begriff Yama (oder Beherrschung) durch die verirrte und bösartige Raffinesse des frommen Hindus jeglichen Sinnes beraubt wurde.« Die Art, wie er diese schlichte Feststellung weiter beleuchtet, offenbart die ganze Spannbreite seines intellektuellen Erfassens des 4
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Yoga und auch seinen Sinn für Humor. Mit Sicherheit darf man ihn nicht ignorieren. Seine Weisheit ist viel zu groß und viel zu wichtig, um sie übersehen zu können. Jeder, der dies tut, tut es zu seinem eigenen Schaden! »Der Minderwertigkeitskomplex, der für die Frömmigkeit des frommen Menschen verantwortlich zeichnet, zwingt diesen auch dazu, diese Emanzipation als Vereinigung mit jenem gasförmigen Wirbeltier zu interpretieren, das er erfunden und Gott genannt hat.« Das ist sein Kommentar zur Definition des Yoga als Einswerdung. »Ach ja, und vergessen wir auch folgendes nicht. In einer untergeordneteren Bedeutung steht Venus für das Taktgefühl. Viele Probleme, mit denen der Yogi konfrontiert wird, lassen sich durch intellektuelle Manipulation nur mühsam handhaben. Sie unterwerfen sich nur der Anmut.« Ein typischer, aber gewohnt scharfsinniger Beitrag Crowleys! Wie auch der folgende: »Das Ergebnis des Ganzen wird sein, daß all jene unter Ihnen, die ihr Geld wert sind, mit größtem Entzücken vernehmen werden, daß ich Sie dazu auffordere, alle Regeln beiseite zu werfen und Ihre eigenen zu entdecken.« Die gleiche skeptische Annäherung finden wir auch beim Thema Niyama, wie natürlich auch bei allen anderen Untergliederungen des Yoga. In Vivekanandas Definition des Niyama finden wir ein weiteres Beispiel für jene Auffassung, wie sie Crowley entsetzte: »Die Tugenden der Reinlichkeit, der Zufriedenheit, der Strenge des Studiums und der Selbsthingabe an Gott.« Das mag zwar alles sehr gut klingen, doch handelt es sich dabei um eben jene Form von Moralisierung, die Crowley auszumerzen sucht. »Ich kann in dem Begriff Niyama allenfalls das Prinzip der >Tugend< wiederfinden! Gott steh' uns bei! Es bedeutet Tugend in ihrer ursprünglichen, etymologischen Wortbedeutung — die Eigenschaft der Gottheit. [...] Die Eigenschaften, die Niyama ausmachen, 5
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werden bei den meisten Menschen gar nicht von ihrem Selbstbewußtsein verstanden. Zwar sind es positive Kräfte, doch sind sie latent; ihre Entwicklung läßt sich nicht einfach quantitativ und von ihrer Effizienz her messen. Je höher wir vom Grobkörnigen zum Feinen steigen, vom Groben zum Subtilen, um so tiefer dringen wir in ein ne ues (auf den ersten Blick scheinbar unendliches) Gebiet ein.« Und so weiter und so fort. Vieles von dem, was Crowley zu sagen hat, mag auf den ersten Blick sehr prosaisch klingen, doch sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Andere seiner Kommentare sind unglaublich tiefgehend, sie verlangen nach sorgfältigem Studium, nach langer, intensiver Meditation und nach der tatsächlichen Anwendung der von ihm beschriebenen Methode, will man vollen Nutzen daraus ziehen. Dies ist bestimmt keine leichte Nachtlektüre. Das Werk markiert einen der Gipfelpunkte in Crowleys literarischer und mystischer Entwicklung, und es integriert alles, was wir von einem Menschen erwarten können, der mit den allermeisten technischen Formen spiritueller Übungen und Entwicklung experimentiert und sie gemeistert hat. Es liegt Humor darin, große Weisheit und sehr viel Praktisches, wie wir es nicht einmal in den Schriften der engagiertesten Praktiker dieser Kunst allzu häufig wiederfinden. All dies mag genügen, um darauf hinzuweisen, daß dieses Buch es nicht verdient hat, nach Art der modernen Kritiker und Rezensenten verächtlich gemacht zu werden. Man sollte es vielmehr respektieren, es wegen seiner Tiefgründigkeit genießen und nach ihm üben, und sei es auch nur um seines uneingeschränkten Rationalismus willen. Noch einmal muß ich wiederho len, daß mir kein Autor der Neuzeit bekannt ist, der sich dieses Themas auf solch außergewöhnliche Weise angenommen hätte. Man sollte sich nicht von Untertiteln wie »Yoga für Yahoos« oder »Yoga für Gelbbäuche« abschrecken lassen! Crowleys Humor ist von Sarkasmus gefärbt, er ist bissig. Selbst wenn seine Rede 6
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mit solch respektlosen Nebenbemerkungen wie »Nieder mit dem Papst!« oder »Zur Hölle mit den Erzbischöfen« gepfeffert ist, so wird doch deutlich, daß damit vor allem die wankelmütige Aufmerksamkeit seiner Zuhörer und seines gegenwärtigen Lesepublikums gefesselt werden soll. Arizona, im März 1985 Israel Regardie
Yoga für Yahoos Erste Vorlesung Grundprinzipien Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. Es ist mein Wille, das Gebiet des Yoga in klarverständ licher Sprache zu erklären, ohne dabei auf irgendwelche Fachausdrücke zurückzugreifen oder phantastische Hypothesen aufzustellen, damit diese große Wissenschaft in ihrer universalen Bedeutung gründlich verstanden werden möge, Denn wie alle großen Dinge ist auch sie sehr einfach; doch wie alle großen Dinge wird auch sie durch verwirrtes Denken verschleiert; und nur zu oft wird sie durch schurkische Machenschaften in Verruf ge bracht. 1Über Yoga ist mehr Unsinn geredet und geschrieben worden, als über irgend etwas anderes auf der Welt. Der größte Teil dieses von Scharlatanen geförderten Unsinns beruht auf der Vorstellung, daß der Yoga etwas Geheimnisvolles und Orientalisches an sich hätte. Das ist nicht der Fall. Erwarten Sie von mir nicht, daß ich Ihnen von Obelisken und Odalisken 7
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erzähle, von Rahat Loucoum, von Bulbuls oder irgendeinem anderen Hokuspokus der Yogakrämer. Ich bin zwar ordentlich, aber nicht geschmacklos. Es gibt überhaupt nichts, an dem etwas Geheimnisvolles oder Orientalisches wäre, wie jeder weiß, der einmal auf intelligente Weise etwas Zeit in den Erdteilen Asien oder Afrika verbracht hat. Ich beabsichtige, den am weitesten entfernten und am schwersten zu fassenden aller Götter anzurufen, damit er ein klares Licht auf dieses Thema werfe — das Licht des gesunden Menschenverstandes. 2 Alle Erscheinungen, derer wir gewahr werden, finden in unserem Geist statt, daher brauchen wir auch nur den Geist selbst zu betrachten; dieser ist eine unveränderlichere Größe im Menschen, als allgemein angenommen wird. Was man für diametrale Gegensätze hält, die durch kein Argument miteinander zu versöhnen zu sein scheinen, stellt sich in der Regel als Produkt sturer Angewohnheiten heraus, wie sie durch generationenlanges, systematisches und sektiererisches Training hervorgebracht wurden. 3 Daher müssen wir das Studium des Yoga damit beginnen, daß wir die Bedeutung des Wortes selbst betrachten. Es bedeutet »Vereinigung«, von derselben Sanskritwurzel abstammend wie das griechische Wort zeugma, das lateinische Wort jugum und das englische Wort yoke beziehungsweise das deutsche Joch (yeug = vereinen). Wenn eine Tänzerin dem Dienst in einem Tempel geweiht wird, haben ihre Angehörigen einen Yo ga zu feiern. Yoga kann also kurz mit »Teeschlacht« übersetzt werden, was zweifellos die Tatsache erklärt, daß alle, die in England Yoga studieren, nichts anderes tun, als über endlose Trankopfer von Lyons' zu ls. 2d. zu schwatzen. 4 Yoga bedeutet Vereinigung. Wie sollen wir das auffassen? Wie soll das Wort »Yoga« ein System der religiösen Schulung 8
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oder eine Beschreibung religiöser Erfahrung beinhalten? Nebenbei mag Ihnen auffallen, daß das Wort »Religion« tatsächlich mit Yoga gleichzusetzen ist. Es bedeutet ein »Zusammenbinden«. 5 Yoga bedeutet Vereinigung. Welche Elemente werden da vereint oder sollen vereint werden, wenn dieses Wort doch in seinem gewöhnlichen Sinne für ein in Hindustan weitverbreitetes Training gebraucht wird, dessen Ziel die Befreiung des einzelnen von den weniger angenehmen Seiten seines Lebens auf diesem Planeten ist? Ich sage Hindustan, aber in Wirklichkeit meine ich jeden beliebigen Ort auf der Erde; denn die Forschung hat gezeigt, daß sich in jedem Land ähnliche Methoden finden lassen, die ähnliche Ergebnisse hervorrufen. Die Einzelheiten unterscheiden sich, aber die Grundstruktur ist die gleiche. Denn alle Körper und daher auch alle Gemüter und Geister besitzen identische Formen. 6 Yoga bedeutet Vereinigung. Der Minderwertigkeitskomplex, der für die Frömmigkeit des frommen Menschen verantwortlich zeichnet, zwingt diesen auch dazu, diese Emanzipation als Vereinigung mit jenem gasförmigen Wirbeltier zu interpretieren, das er erfunden und Gott genannt hat. Seine Einbildungskraft hat auf den wolkigen Dunst seiner Ängste einen riesigen, verzerrten Schatten seiner selbst geworfen, und dementsprechend ist er auch verängstigt; und je mehr er vor ihm kriecht, desto mehr scheint sich die Erscheinung vorzubeugen, um ihn zu zermalmen. Leute mit solchen Ideen werden niemals anderswo enden als in Irrenhäusern und Kir chen. Durch dieses überwältigende Miasma der Furcht ist der gesamte Bereich des Yoga verschleiert worden. Man hat ein vollkommen einfaches Problem durch den abartigsten ethischen und abergläubischen Unsinn verkompliziert. Und 9
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doch offenbart sich die Wahrheit die ganze Zeit im Wort selbst. 7 Yoga bedeutet Vereinigung. Jetzt können wir der Frage nachgehen, was Yoga wirklich ist. Betrachten wir für einen Augenblick das Wesen des Bewußtseins, und streifen wir dabei flüchtig Wissenschaften wie die Mathematik, die Biologie und die Chemie. In der Mathematik ist die Formel a + b + c eine Trivialität. Schreibt man aber a + b + c = 0, so erhält man eine Gleichung, aus der die großartigsten Wahrheiten entwickelt werden können. In der Biologie teilt sich die Zelle endlos, wird aber niemals zu etwas anderem; vereinen wir aber Zellen mit entgegengesetzten Eigenschaften, männliche und weibliche, so ist dies der Grundstein für ein Gebäude, dessen höchste Spitze sich unerreichbar in den Himmel der Vorstellungskraft erhebt. Ähnlich in der Chemie. Das Atom an sich hat nur wenig beständige Eigenschaften, und keine davon ist sonderlich bedeutsam; doch sobald sich ein Element mit dem Objekt verbindet, nach dem es hungert, erhalten wir nicht nur das ekstatische Phänomen von Licht, Hitze und so weiter, sondern ein noch komplizierteres Gefüge, das zwar nur wenige oder gar keine Eigenschaften seiner Elemente aufweist, wohl aber dazu imstande ist, weitere Kombinationen bis zu Zusammensetzungen von erstaunlicher Erhabenheit einzugehen. Alle diese Kombinationen, diese Vereinigungen sind Yoga. 8 Yoga bedeutet Vereinigung. Wie sollen wir dieses Wort auf die Phänomene des Geistes anwenden? Was ist das erste Charakteristikum allen Denkens? Wie kam es überhaupt zur Geburt eines Gedankens? Nur dadurch, daß man zwischen ihm und dem Rest der Welt einen Unterschied machte. Der erste Lehrsatz, der Grundtyp aller Lehrsätze lautet: S = P. Es muß zwei Dinge — zwei verschiedene Dinge geben, deren Beziehung zueinander Wissen entwickelt. 10
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Yoga ist zuerst die Vereinigung von Subjekt und Objekt des Bewußtseins; des Sehers mit dem Gesehenen. 9 Nun ist an alledem nichts Seltsames oder gar Wunderbares. Das Studium des Yoga ist für den Durchschnittsmenschen sehr nützlich, und sei es auch nur, weil es ihn darüber nachzudenken anregt, von welchem Wesen die Welt, wie er sie zu kennen meint, sein mag. Betrachten wir einmal ein Stück Käse. Wir behaupten, daß es bestimmte Eige nschaften hat, Gestalt, Struktur, Farbe, Festigkeit, Gewicht, Geschmack, Geruch, Konsistenz und so weiter; Nachforschungen haben aber ergeben, daß all dies illusorisch ist. Wo sind diese Qualitäten? Nicht im Käse selbst, denn verschiedene Beobachter beschreiben ihn auf höchst unterschiedliche Weise. Nicht in uns selbst, denn ohne den Käse nehmen wir sie nicht wahr. Alle »materiellen Dinge«, alle Eindrücke sind Phantome. In Wirklichkeit besteht der Käse aus nichts anderem als einer Reihe elektrischer Ladungen. Man hat festgestellt, daß nicht einmal die fundamentalste Qualität von allem, die Masse, existiert. Das gilt auch für die Materie in unserem Gehirn, die teilweise verantwortlich für diese Wahrnehmungen ist. Was sind das also für Qualitäten, derer wir uns doch so sicher sind? Ohne unser Gehirn würden sie nicht existieren; ohne den Käse würden sie auch nicht existieren. Sie sind das Ergebnis der Vereinigung, also des Yoga, vom Sehenden und dem Gesehenen, von Subjekt und Objekt im Bewußtsein, wie der Philosoph es ausdrückt. Sie besitzen keine materielle Existenz; es sind nur Namen, die man den ekstatischen Ergebnissen dieser besonderen Form des Yoga verleiht. 10 Ich glaube, daß es für den Yogaschüler nichts Hilfreicheres gibt, als den obigen Lehrsatz fest in sein unterbewußtes Denken zu integrieren. Etwa neun Zehntel der Probleme, die wir dabei haben, die ses Thema richtig zu 11
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verstehen, beruhen auf diesem ganzen Gerede, daß der Yoga geheimnisvoll und orientalisch sei. Die Prinzipien des Yoga und seine spirituellen Ergebnisse beweisen sich in allem bewuß ten und unbewußten Geschehen. Das ist es, was im Buch des Gesetzes geschrieben steht: »Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen« — denn Liebe ist der Vereinigungsinstinkt und der Akt der Vereinigung. Doch kann dies nicht unterschiedslos geschehen, es muß »unter Willen« getan werden, also in Übereinstimmung mit dem Wesen der betroffenen Einheiten. Wasserstoff hat keine Liebe zu Wasserstoff; es liegt nicht in der Natur oder dem »wahren Willen« des Wasserstoffs, die Vereinigung mit einem Molekül seiner eigenen Art zu suchen. Fügen wir Wasserstoff zu Wasserstoff, so ändert sich an seiner Qualität nichts; nur seine Quantität hat sich verändert. Vielmehr sucht er die Erfahrung seiner eigenen Möglichkeiten durch die Vereinigung mit Atomen des entgegenge setzten Wesens zu finden, etwa mit Sauerstoff; mit diesem verbindet sich Wasserstoff in einer Explosion aus Licht, Hitze und Geräusch, um Wasser zu bilden. Das Endresultat ist völlig verschieden von jedem der Elemente, aus denen es sich zusammensetzt, und es besitzt eine andere Art von »wahrem Willen«, etwa sich - bei ähnlicher Freisetzung von Licht und Hitze mit Kalium zu vereinen, wobei das daraus entstehende »Atzkali« seinerseits eine völlig neue Reihe von Eigenschaften hat sowie einen weiteren, eigenen »wahren Willen«; die Eigenschaft oder den Willen nämlich, sich auf explosive Weise mit Säuren zu vereinen. Und so weiter. 11 Es mag einigen von Ihnen so vorkommen, als hätten diese Erklärungen dem Yoga den Bo den unter den Füßen weggezogen; als hätte ich ihn zu etwas völlig Alltäglichem zurechtgestutzt. Das war auch meine Absicht. Es hat keinen Sinn, sich vor dem Yoga zu fürchten, sich vom Yoga einschüchtern zu lassen, von ihm verwirrt und mystifiziert zu werden oder sich für den Yoga zu begeistern. Wenn wir über12
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haupt Fortschritte in seinem Studium machen wollen, brauchen wir dazu einen klaren Kopf und die unpersönliche Einstellung des Wissenschaftlers. Besonders wichtig ist es, uns selbst nicht mit orientalischen Phrasen zu verwirren. Wir müssen vielleicht einige Sans kritwörter gebrauchen, aber das nur, weil es keine englischen Entsprechungen dafür gibt, und weil jeder Versuch, sie zu übersetzen, uns mit den Assoziationen jener englischen Ausdrücke belasten würde, die wir dabei verwendeten. Aber es sind nur wenige Wörter dieser Art, und wenn die Definitionen, die ich Ihnen zu geben beabsichtige, sorgfältig studiert werden, dürften sie keine Schwierigkeiten mehr machen. 12 Nachdem nun verstanden wurde, daß der Yoga die Essenz aller Phänomene überhaupt ist, können wir nach der besonderen Bedeutung des Wortes hinsichtlich unserer beabsichtigten Untersuchung fragen, da der Vorgang selbst und seine Resultate jedem von uns vertraut sind; ja sie sind uns so sehr vertraut, daß es tatsächlich nichts anderes gibt, über das wir etwas wissen. Es ist das Wissen. Was ist es, was wir studieren werden, und warum sollten wir es überhaupt studieren? 13 Die Antwort ist sehr einfach. All dieser Yoga, den wir kennen und praktizieren, dieser Yoga, der jene ekstatischen Ereignisse zeitigt, die wir Phänomene oder Erscheinungen nennen, schließt in seinen spirituellen Auswirkungen auch sehr viel Unerfreuliches ein. Je länger wir dieses Welt all studieren, das unser Yoga hervorruft, je mehr wir unsere Erfahrungen sammeln und miteinander verbinden, desto näher kommen wir dem Verständnis dessen, was der Buddha als Grundeigenschaft aller zusammengesetzten Dinge definierte: Leid, Veränderung und das Fehlen jedes dauerhaften Prinzips. Wir kommen ständig den ersten beiden seiner »Edlen Wahrheiten« näher, wie er sie nannte. »Alles ist Leid«; und: »Die Ursache des 13
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Leids ist die Begierde.« Mit dem Wort »Begierde« meinte er genau dasselbe, was im soeben von mir zitierten Buch des Gesetzes unter »Liebe« verstanden wird. »Begierde« ist das Bedürfnis jeder Einheit, ihren Erfahrungshorizont dadurch zu erweitern, indem sie sich mit ihrem Gegenteil verbindet. 14 Es ist recht einfach, die ganze Reihe der Schlußfolgerungen aufzubauen, die zu der ersten »Edlen Wahrheit« führten. Jede Handlung der Liebe ist die Befriedigung eines bitteren Hungers, aber der Appetit wird durch seine Befriedigung nur noch heftiger; so können wir mit dem Prediger sagen: »Wer das Wissen vermehrt, der vermehrt das Leid.« Die Wurzel dieses ganzen Leids liegt in dem Gefühl der Unzulänglichkeit; das Bedürfnis, sich zu vereinen, sich in dem geliebten Gegenstand zu verlieren, ist der offenkundige Beweis für diese Tatsache, und es ist ebenso klar, daß die Befriedigung nur eine vorübergehende Erleichterung hervorbringt, weil der Vorgang sich unendlich ausdehnt. Der Durst wächst beim Trinken. Die einzig denkbare, vollständige Befriedigung wäre der Yoga des Atoms mit dem gesamten Universum. Das läßt sich leicht nachvollziehen und wurde immer wieder in den mystischen Philosophien des Westens wiederholt: Es gibt nur ein Ziel, nämlich die »Vereinigung mit Gott«. Natürlich verwenden wir das Wort »Gott« nur, weil wir im Aberglauben erzo gen wurden, während es die höheren Philosophen sowohl des Ostens als auch des Westens vorgezogen haben, von der Vereinigung mit dem Ganzen oder mit dem Absoluten zu sprechen. Noch mehr Aberglauben! 15 Also schön, es gibt überhaupt keine Schwierigkeit; denn jeder Gedanke in unserem Wesen, jede Zelle unseres Körpers, jedes Elektron und jedes Proton in unseren Atomen ist nichts als Yoga und das Produkt des Yoga. Alles, was wir tun müssen, um Befreiung, Befriedigung und alles, was wir wollen, zu erhalten, besteht darin, diese universale und unvermeidliche 14
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Vereinigung mit dem Absoluten selbst zu vollziehen. Vielleicht denken einige der intellektuell anspruchsvolleren Zuhörer nun, daß die Sache irgendeinen Haken haben muß. Sie haben vollkommen recht. 16 Der Haken ist einfach folgender: Jedes Element, aus dem wir uns zusammensetzen, ist tatsächlich dauernd damit beschäftigt, seine besonderen Bedürfnisse durch seinen eigenen, besonderen Yoga zu befriedigen; aber gerade aus diesem Grund wird es vollständig von seiner eigenen Funktion in Anspruch genommen, die es ganz selbstverständlich für den einzigen Sinn und Zweck seines Daseins hält. Wenn man beispielsweise eine an beiden Enden offene Glasröhre nimmt und sie über eine Biene an der Fensterscheibe stülpt, wird diese bis zur Erschöpfung und bis zum Tode weiterhin andauernd gegen das Fenster fliegen, anstatt durch das andere Ende der Röhre zu fliehen. Wir dürfen das notwendigerweise automatische Funktionieren unserer Elemente nicht mit dem wahren Willen verwechseln, der die richtige Bahn eines jeden Sterns ist. Der Mensch handelt überhaupt nur infolge unzähliger Generationen des Trainings als Einheit. Evolutionsprozesse haben eine hö here Form yogischen Handelns hervorgebracht, durch die es uns gelungen ist, das, was wir für persönliche Interessen halten, dem unterzuordnen, was wir unter Gemeinwohl verstehen. Wir sind Gemeinschaften; und unser Wohlbefinden hängt von der Weisheit unserer Ratsversammlungen ab und von der Disziplin, mit der ihre Entscheidungen durchgesetzt werden. Je komplexer wir sind, je höher wir auf der Evolutionsleiter stehen, um so komplexer und schwieriger ist auch die Aufgabe der Rechtsprechung und der Aufrechterhaltung der Ordnung. 17 In hochzivilisierten Gemeinschaften wie der unseren (lautes Gelächter) wird das Individuum unentwegt von Interessen- und Notwendigkeitskonflikten angegriffen; seine 15
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Individualität wird ständig durch den Zusammenstoß mit anderen Menschen angegriffen; und in sehr vielen Fällen ist es außerstande, diese Belastung dauerhaft zu ertragen. »Schizophrenie«, ein reizendes Wort, das vielleicht in Ihrem Wörterbuch fehlt, vielleicht aber auch nicht, ist ein außerordentlich weit verbreitetes Leiden. Es bedeutet die Spaltung des Geistes. In Extremfällen begegnet uns das Phänomen der vielfachen Persönlichkeit, Jekyll und Hyde, nur noch sehr viel radikaler. Im besten Fall ist es so, daß ein Mensch, wenn er »ich« sagt, sich damit nur auf eine vorübergehende Erscheinung bezieht. Sein »Ich« verändert sich bereits, noch während er das Wort ausspricht. Es wird jedoch — von der Philosophie abgesehen — immer seltener, daß wir einen Menschen mit eigenem Denken und eigenem Willen finden, selbst in diesem eingeschränkten Sinne. 18 Deshalb möchte ich, daß Sie das Wesen der Hindernisse erkennen, die der Vereinigung mit dem Absoluten im Weg stehen. Erstens weist der Yoga, den wir dauernd üben, keine unveränderlichen Resultate auf; dabei spielen Aufmerksamkeit, Nachforschung und Reflexion eine Rolle. Ich werde in einer späteren Untersuchung die dadurch verursachten Veränderungen in unserer Wahrnehmung behandeln, weil sie für unsere Wissenschaft vom Yoga von großer Bedeutung sind. Nehmen wir als Beispiel den klassischen Fall der beiden Männer, die sich in der Nacht in einem dichten Wald verlaufen haben. Der eine sagt zum anderen: »Der Hund, der da bellt, ist keine Heuschrecke. Das ist das Quietschen eines Karrens.« Oder auch: »Er glaubte, er hätte einen Bankangestellten aus dem Bus steigen sehen. Er sah wieder hin und stellte fest, daß es ein Nilpferd war.« Jeder, der sich einmal mit wissenschaftlicher Forschung befaßt hat, weiß schmerzlich genau, daß jede Beobachtung immer und immer wieder korrigiert werden muß. Das Bedürfnis nach Yoga ist so heftig, daß es uns blind macht. Ständig sind wir versucht, nur das zu 16
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sehen und zu hören, was wir sehen und hören wollen. 19 Wenn wir also den völligen und endgültigen Yoga mit dem Absoluten vollziehen wollen, ist es unsere Pflicht, jedes Element unseres Wesens zu beherrschen, es gegen jeden inneren und äußeren Krieg zu schützen, jede Fähigkeit aufs höchste zu steigern, uns im Wissen und der Kraft und Macht aufs äußerste zu schulen; damit wir im richtigen Augenblick vollkommen dazu in der Lage sein können, uns in die Flamme der Ekstase zu stürzen, die aus dem Abgrund der Vernichtung emporlodert. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen. Zweite Vorlesung Yama 1 Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. Sterne und Placentale Amnioten! Und ihr Bewohner der zehntausend Welten! Der Schluß unserer Untersuchungen der vergange nen Woche lautete, daß der ultimate Yoga, der die Befreiung gibt, die das Gefühl des Getrenntseins vernichtet, welche die Wurzel aller Begierde ist, durch die Konzentration jedes Elements unseres Seins herzustellen ist und durch seine Vernichtung in engster Verglühung mit dem Universum selbst. Ich möchte hier am Rande bemerken, daß eine der Schwierigkeiten darin besteht, daß alle Elemente des Yogis in exaktem Verhältnis zu seinem Fortschritt größer werden, und zwar durch ebendiesen Fortschritt selbst. Es hat jedoch keinen Sinn, über unsere Brücken schreiten zu wollen, bevor wir sie erreicht haben, und wir werden feststellen, daß die Festlegung genauer wissenschaftlicher Prinzipien, die auf allgemeiner Erfahrung beruhen, dazu führen wird, daß sie uns auf jeder Etappe der 17
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Reise treue Dienste leisten werden. 2 Als ich mich erstmals an die Untersuchung des Yoga wagte, war ich glücklicherweise in den Grundprinzipien der modernen Wissenschaft gründlich geschult. Ich erkannte sofort, daß wir, wollten wir die Sache überhaupt mit gesundem Menschenverstand angehen (denn die Wissenschft ist nichts anderes als geschulter, gesunder Menschenverstand), als erstes ein vergleichendes Studium der verschiedenen Systeme der Mystik absolvieren müßten. Es war sofort erkennbar, daß die verschiedenen Systeme auf der ganzen Welt identisch waren. Sie wurden lediglich von sektiererischen Theorien verschleiert. Die Methoden waren auf der ganzen Welt dieselben; dies wurde durch religiöse Vorurteile und regionale Gebräuche verdeckt. Aber in ihrer Essenz waren sie - identisch miteinander! Dieses schlichte Prinzip erwies sich als durchaus hinreichend, um diese Materie von den außergewöhnlichen Kompliziertheiten zu lösen, die ihre Artikulation verwirrt hatten. 3 Als es darum ging, die Angelegenheit auf eine schlichte Analyseformel zu bringen, erhob sich die Frage: Welche Ausdrücke sollen wir dafür gebrauchen? Die mystischen Lehren Europas sind ein hoffnungsloses Durcheinander; die Theorie hat die Methode vollständig überlagert. Das chinesische System ist vielleicht das erhabenste und schlichteste; aber wenn man nicht als Chinese geboren ist, stellt das Verständnis der Symbole tatsächlich eine unüberwindliche Schwierigkeit dar. Das buddhistische System ist in mancherlei Hinsicht wohl das vollständigste, zugleich ist es aber auch das dunkelste und am schwersten zu verstehende. Seine Begriffe sind übermäßig lang und lassen sich nur schwer einprägen; und, allgemein gesagt, sieht man dabei den Wald vor Bäumen nicht mehr. So überladen es durch Hinzufügungen aller Art zwar auch sein mag, ist es doch verhältnismäßig einfach, aus 18
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dem indischen System eine Methode abzuleiten, die frei von unnötigen und unerwünschten Assoziationen ist und dem europäischen Denken verständlich und annehmbar erscheint. Mit diesem System und seiner Deutung möchte ich Sie nun konfrontieren. 4 Das große klassische Werk der Sanskritliteratur sind die Aphorismen des Patanjali. Er ist wenigstens barmherzig in seiner Kürze, und man braucht nur neunzig oder fünfundneunzig Prozent seines Werks als Phantastereien eines verwirrten Hirns abzutun. Was danach übrigbleibt, ist vierundzwanzigkarätiges Gold. Dieses möchte ich Ihnen jetzt vorlegen. 5 Es wird gesagt, daß der Yoga acht Glieder habe. Warum gerade »Glieder«, das weiß ich auch nic ht. Aber ich habe diese Einteilung der Bequemlichkeit halber übernommen, und wir können unser Thema recht zufriedenstellend abhandeln, indem wir unsere Bemerkungen nach dem folgenden achtgliedrigen Schema ordnen. 6 Diese Gliederungen sind: 1. Yama
4. Pranayama
7. Dhyana
2. Niyama
5. Pratyahara
8. Samadhi
3. Asana
6. Dharana
Jeder Versuch, diese Worte zu übersetzen, führt uns in einen hoffnungslosen Sumpf der Mißverständnisse. Was wir aber tun können, ist, uns der Reihe nach mit jedem einzelnen zu befassen, wobei wir zu Anfang eine Art Definition oder Beschreibung festlegen, die es uns ermöglicht, eine annähernd vollständige Vorstellung davon zu bekommen, was gemeint ist. Folglich fange ich mit einer Schilderung von Yama an. Lauschen Sie! Bedenken Sie! Transzendieren Sie! 19
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7 Yama ist jenes der acht Glieder des Yoga, das sich am leichtesten definieren läßt, und es entspricht ziemlich genau unserem Wort »Beherrschung«. Wenn ich Ihnen nun verrate, daß einige es mit »Moral« übersetzt haben, werden Sie über diese Enthüllung der hirnlosen Niederträchtigkeit des Menschen bestürzt und entsetzt sein. Das Wort »Beherrschung« unterscheidet sich nicht sonderlich von dem Wort »Hemmung«, wie es die Biologen gebrauchen. Eine Urzelle wie die Amöbe ist in gewissem Sinne völlig frei, in einem anderen Sinne dagegen vollkommen passiv. Alle ihre Teile sind gleich. Jeder Teil ihrer Oberfläche kann Nahrung aufnehmen. Wenn man sie in zwei Hälften schneidet, erhält man eben zwei vollkommene Amöben statt einer. Wie weit ist dieser Zustand doch auf der Stufenleiter der Evolution von dem der »Seekoffermorde« entfernt! Organismen, die sich durch eine Spezialisierung ihrer Strukturkomponenten weiterentwickelten, haben dies nicht so sehr durch Erwerb neuer Fähigkeiten getan, als vielmehr durch die Einschränkung eines Teils ihrer allgemeinen Kräfte. So ist der Spezialist in der Harley Street eigentlich nur ein gewöhnlicher Arzt, der sagt: »Ich will nicht hinausgehen, um Kranke zu besuchen; ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht.« Was nun für einzelne Zellen gilt, gilt auch für alle potentiell bereits differenzierten Organe. Muskelkraft beruht auf der Festigkeit der Knochen wie auch darauf, daß die Gelenke sich weigern, sich in einer anderen als der ihnen bestimmten Richtung zu bewegen. Je fester der Drehpunkt, um so wirkungsvoller der Hebel. Das gleiche gilt für Fragen der Moral. Diese Fragen sind an sich vollkommen einfach; doch durch die dunklen Machenschaften von Priestern und Anwälten wurden sie völlig entstellt. Bei keinem dieser Probleme geht es in irgendeinem 20
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abstrakten Sinne um richtig oder falsch. Es ist absurd zu behaupten, daß es für Chlor »recht« sei, sich begeistert mit Wasserstoff zu verbinden und nur sehr mürrisch mit Sauerstoff. Es ist keine Tugendhaftigkeit der Hydra, daß sie hermaphroditisch ist, ebensowenig ist es bei einem Ellenbogen Widerspenstigkeit, daß er sich nicht frei nach allen Richtungen bewegt. Jeder, der seine eigene Aufgabe kennt, hat nur die Pflicht, ebendiese Aufgabe zu erfüllen. Jeder, der eine Funktion hat, hat nur dieser Funktion gegenüber eine Verpflichtung, nämlich dafür zu sorgen, daß sie sich uneingeschränkt erfüllt. Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. 8 Es wird uns daher nicht überraschen festzustellen, daß der vollkommen einfache Begriff Yama durch die verirrte und bösartige Raffinesse des frommen Hindus jeglichen Sinnes beraubt wurde. Er hat das Wort »Beherrschung« so ausgelegt, als bedeute es Unterwerfung unter bestimmte Vorschriften. Unter der Überschrift Yama sind eine ganze Menge Verbote zusammengefaßt, die für eine bestimmte Art von Leuten, an die der Lehrer gedacht haben mag, vielleicht recht notwendig waren, die aber auf sinnlose Weise verallgemeinert wurden. Jeder kennt das Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch für Juden und Mohammedaner. Das hat überhaupt nichts mit Yama oder abstrakter Rechtschaffenheit zu tun. Dieses Verbot entstand vielmehr, weil in den östlichen Ländern Schweinefleisch mit Trichinen durchsetzt war, die jenen Menschen den Tod brachten, die Schweinefleisch verzehrten, das nur ungenügend gekocht war. Es hatte keinen Zweck, das den Naturvölkern erzählen zu wollen. Wenn die Gier sie überkam, wären sie dem Gebot der Hygiene ohnehin nicht gefolgt. Dieses Verbot mußte also zu einem allgemeingültigen Gesetz ge macht werden, das durch die Autorität der religiösen Weihe gestützt wurde. Man war nicht aufgeklärt ge nug, um an die Möglichkeit der Trichinose zu glauben; vor Jehova und 21
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Jehannum aber fürchtete man sich, und auf die gleiche Weise erfahren wir in der Rubrik »Yama«, daß der angehende Yogi »beharrlich darin bleiben muß, keine Geschenke anzunehmen«, was nur bedeutet, daß Sie, sollte Ihnen jemand eine Zigarette oder einen Schluck Wasser anbieten, seine heimtückischen Annäherungsversuche nach viktorianischer Manier zurückweisen müssen. Derartiger Unsinn ist es, der die Wissenschaft vom Yoga in Verruf gebracht hat. Es ist aber kein Unsinn, wenn man die Klasse von Menschen bedenkt, für die diese Vorschrift formuliert und verbreitet wurde; denn wie später noch gezeigt werden wird, geht der Konzentration des Geistes die Beherrschung des Geistes voraus, was die Ruhe des Geistes bedeutet. Und der Geist des Hindu ist so geartet, daß er, wenn man einem Mann auch nur den geringfügigsten Gegenstand anbietet, dieses Geschehen als einen Markstein in seinem Leben betrachtet. So etwas bringt ihn für Jahre aus der Fassung. Im Osten kann eine unwillkürlich und gedankenlos erwiesene Freundlichkeit gegenüber einem Eingeborenen diesen mit Leib und Seele für den Rest seines Lebens an einen fesseln. Mit anderen Worten, es bringt ihn aus der Fassung; und als angehender Yogi muß er dies daher ablehnen. Doch selbst die Ablehnung wird ihn ziemlich aus der Fassung bringen, weshalb er in seiner Ablehnung auch »gefestigt« werden muß. Das heißt, daß er durch gewohnheitsmäßige Ab lehnung psychologisch eine derart starke Schutzhaltung aufbaut, daß er die Versuchung tatsächlich ohne Zucken und Zittern, ja sogar ohne die leiseste Überlegung abweisen kann. Sie werden sicherlich einsehen, daß es tatsächlich eines absoluten Gesetzes bedarf, um dieses Resultat zu erzielen. Es ist ihm offensichtlich unmöglich, zwischen dem zu unterscheiden, was er annehmen darf, und was nicht; er ist einfach nur in ein sokratisches Dilemma verwickelt; verfiele er aber ins andere Extrem und nähme er alles an, so würde sein Gemüt durch die Last der 22
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Verantwortung für die Dinge, die er annahm, ebenso verwirrt werden. Alle diese Überlegungen lassen sich hingegen nicht auf das Gemüt des Durchschnittseuropäers anwenden. Wenn mir jemand 200 000 Pfund gibt, so schenke ich dem nicht einmal Beachtung. Es ist doch ein solch alltäglicher Vorgang. Stellen Sie mich ruhig einmal auf die Probe! 9 Es gibt viele andere Vorschriften, von denen jede für sich daraufhin zu überprüfen ist, ob sie sich auf den Yoga im allgemeinen bezieht und ob sie dies zum Vorteil des Schülers tut. Dabei müssen wir insbesondere all jene Erwägungen ausschließen, die nur auf phantastischen Theorien vo m Universum aufbauen oder auf den Zufälligkeiten von Rasse oder Klima. So war es beispielsweise in der Zeit des verstorbenen Maharadscha von Kaschmir in seinem ganzen Herrschaftsbereich verboten, Mahsir-Fische zu fangen; denn als er noch ein Kind war, hatte er sich einmal über das Geländer einer Brücke über den Jhilam bei Srinagar gelehnt und dabei unvorsichtigerweise den Mund aufgemacht, so daß ein Mahsir seine Seele verschlingen konnte. Für einen Sahib — einen Mlecha hätte es sich niemals geschickt, diesen Mahsir zu fangen. Diese Geschichte ist tatsächlich typisch für neunzig Prozent der Vorschriften, die normalerweise unter der Überschrift Yama aufgelistet werden. Der Rest beruht zum größten Teil auf örtlichen und klimatischen Besonderheiten und mag auf Ihren eigenen Fall anwendbar sein oder auch nicht. Andererseits gibt es jede Menge guter Regeln, die noch nie einem Yogalehrer eingefallen sind, weil diese Lehrer nie die Bedingungen vorhersahen, unter denen viele Menschen heutzutage leben. Weder dem Buddha noch Pantanjali oder Mansur el- Hallaj ist es eingefallen, ihren Schülern zu raten, nie in einer Etagenwohnung ihre Übungen zu machen, in der nebenan ein Radio steht. 23
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Das Ergebnis von allem wird sein, daß all jene unter Ihnen, die ihr Geld wert sind, mit größtem Entzücken vernehmen werden, daß ich Sie dazu auffordere, alle Regeln beiseite zu werfen und Ihre eigenen zu ent decken. Sir Richard Burton sagte: »Jener lebt und stirbt am edelsten, der sich seine Regeln selber macht und sich an diese Regeln hält.« 10 Das muß natürlich jeder Wissenschaftler bei jedem Experiment tun. Das ist es ja gerade, was ein Experiment überhaupt ausmacht. Der andere Menschentypus hat nur schlechte Angewohnheiten. Wenn man ein neues Land erforscht, weiß man noch nicht, welche Bedingungen man dort vorfinden wird; dann muß man diese Bedingungen durch die Methode des Versuchs und des Irrtums meistern. Wir fangen an, in die Stratosphäre einzudringen, und wir müssen unsere Maschinen auf alle möglichen Fälle vorbereiten, die wir gar nicht alle vorhersehen können. Einmal mehr möchte ich mit Donnerstimme verkünden, daß die Frage nach Recht oder Unrecht bei unseren Problemen gar nicht auftaucht. Aber in der Stratosphäre ist es »recht«, wenn ein Mensch in einen druckunempfindlichen, elektrisch beheizten Anzug mit Sauerstoffvorrat eingeschlossen wird, während es »unrecht« für ihn wäre, diesen Anzug beim Drei-Meilen-Lauf des Sommersportfests von Tanezrouft zu tragen. Dies ist die Grube, in die bisher alle großen Religions lehrer gestürzt sind, und ich bin sicher, daß Sie mich alle begierig in der Hoffnung beobachten, daß ich dasselbe tun werde. Aber nein! Es gibt einen Grund satz, der uns durch alle Konflikte bringt, die sich um unser Verhalten ranken, weil er vollkommen hart und vollkommen elastisch ist: »Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz.« Also: Es hat nicht den geringsten Zweck, zu kommen und mich damit zu plagen. Vollkommene Meisterschaft im 24
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Geigenspiel in sechs leichten Brieflektionen! Würde ich das Herz haben, Sie abzuweisen? Aber Yama ist anders. Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. Das ist Yama. Ihr Ziel ist es, Yoga zu vollziehen. Ihr wahrer Wille ist der Vollzug der Ehe mit dem Universum, und Ihr ethischer Kodex muß unentwegt präzise den Bedingungen Ihres Experiments angepaßt werden. Selbst wenn Sie Ihren Kodex entdeckt haben, werden Sie ihn im Laufe Ihres Fortschreitens anpassen müssen; »Forme ihn näher ans Bedürfnis des Herzens.« — Omar Khayyam. Auf gleiche Weise müssen die Regeln des Alltagslebens bei einer Himalaja-Expedition, wie sie das Alltagsleben in den Tälern von Sikkim oder dem oberen Indus bestimmen, abgeändert werden, wenn man schließlich den Gletscher erreicht hat. Aber ganz allgemein und mit größter Vorsicht ausgedrückt, ist es möglich, auf die Art dessen hinzuweisen, was voraussichtlich schlecht für Sie wäre. Alles, was den Körper schwach macht, was den Geist erschöpft, stört oder reizt, ist abzulehnen. Sie werden sicherlich im Laufe Ihres Fortschritts die Entdeckung machen, daß es einige Bedingungen gibt, die in Ihren persönlichen Verhältnissen nicht ausgemerzt werden können; dann müssen Sie einen Weg finden, mit ihnen auf solche Weise umzugehen, daß sie möglichst wenig stören. Und dann werden Sie feststellen, daß Sie das Hindernis des Yama nicht überwinden und ein für alle Mal aus Ihrem Geiste verbannen können. Bedingungen, die für den Anfänger günstig waren, stellen für den Adepten vielleicht eine unerträgliche Beeinträchtigung dar, während wiederum andere Dinge, die anfangs nur wenig bedeuteten, später zu äußerst ernsten Hindernissen werden. Ein weiterer Punkt ist der, daß im Laufe der Schulung ganz unerwartete Probleme auftreten. Die Frage des unterbewußten Denkens kann vom Durchschnittsmenschen, der seinem 25
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täglichen Geschäft nachgeht, fast wie ein Witz beiseite geschoben werden; sie wird jedoch zu einer sehr ernstzunehmenden Schwierigkeit, wenn Sie erst einmal die Entdeckung machen, daß die innere Ruhe durch eine Art des Denkens gestört wird, deren Existenz Sie vorher nicht vermutet haben und deren Quelle Sie sich nicht vorstellen können. Andererseits ist auch die Grundlage selbst nicht vollkommen; es wird immer wieder Fehler und Schwächen geben, und wer am Ende siegt, das ist derjenige, der es fertigbringt, mit einer defekten Maschine weiterzumachen. Es ist die tatsächliche Belastung durch die Arbeit, die die Defekte hervorbringt; und es verlangt ein sehr scharfes Urteil, um mit den sich wandelnden Bedingungen des Lebens fertigzuwerden. Dann wird bald klar, daß die Formel »Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz« nichts mit »Tue, wie dir beliebt« zu tun hat. Es ist viel schwieriger, dem Gesetz von Thelema zu folgen, als sich sklavisch einer Reihe starrer Regeln zu unterwerfen. Im Sinne der Erleichterung von einer Last besteht die ganze Befreiung eigentlich nur in jenem Unterschied, der das Leben vom Tod verschieden macht. Einer Reihe von Regeln zu gehorchen heißt, die ganze Verantwortung für das eigene Verhalten auf irgend einen altersschwachen Bodhisattva abzuschieben, der es Ihnen sehr übelnähme, könnte er Sie dabei sehen, und der Ihnen einen unzweideutigen Denkzettel verpassen dürfte, wenn Sie so töricht sein sollten zu glauben, man könne den Schwierigkeiten des Forschern durch eine Reihe von Übereinkünften aus dem Weg gehen, die wenig oder gar nichts mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun haben. In der Tat furchtbar sind die Hindernisse, die wir durch den einfachen Schritt aufbauten, unsere Fes sein zu zerschmettern. Die Analogie vom Sieg über die Luft paßt hier ausgezeichnet. 26
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Was dem Fußgänger zu schaffen macht, macht uns überhaupt nicht zu schaffen. Aber um ein neues Element zu beherrschen, muß unser Yama aus eben jener biologischen Anpassung und der Anpassung unserer Fähigkeiten an diese Be dingungen bestehen, wie auch aus dem sich daraus ergebenden Erfolg innerhalb dieser Bedingungen, die im Hinblick auf die planetarische Evolution von Herbert Spencer formuliert und nun verallgemeinert wurden, um alle Seinszustände durch das Gesetz von Thelema zu erfassen. Aber lassen Sie mich nun auch meine Empörung entfesseln. Meine Aufgabe — die Einführung des Gesetzes von Thelema — ist eine höchst entmutigende Sache. Nur in den seltensten Fällen findet man jemanden, der überhaupt eine Vorstellung vom Thema der Freiheit hat. Denn das Gesetz von Thelema ist das Gesetz der Freiheit, und deshalb stehen allen Leuten sämtliche Haare zu Berge wie die Stacheln des aufgeregten Stachelschweines; sie schreien auf wie eine entwur zelte Alraune und fliehen den verfluchten Ort voller Grauen. Denn: Die Ausübung der Freiheit bedeutet, daß man für sich selbst denken muß, und die natürliche Trägheit der Menschheit verlangt nach fix und fertiger Religion und Ethik. So lächerlich oder schändlich eine Theorie oder Praxis auch sein mag, man wird sich lieber darein fügen, als sie zu prüfen. Manchmal ist es Hakenschwingen oder Sati, manchmal Konsubstantiation. Es ist egal, in welchem Glauben man erzogen wurde, solange man nur gut erzogen wurde. Man will sich nicht deswegen belästigen lassen. Die alte Schulkrawatte des Ehemaligen trägt den Sieg davon. Nie ahnt man, welche Bedeutung das Krawattenmuster besitzt: der Breite Pfeil. Sie erinnern sich sicherlich an Dr. Alexandre Manette in A Tale of Two Cities. Er war viele Jahre Gefangener in der Bastille, und um nicht wahnsinnig zu werden, hatte er sich die Erlaubnis eingeholt, Schuhe zu ma chen. Als er freigelassen wurde, reagierte er mit Abscheu. Man mußte sich ihm mit äußerster Vorsicht nähern; 27
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blieb seine Tür unverschlossen, überfiel ihn die Todesangst; er arbeitete an seinen Schuhen in dem Wahn, daß sie nicht rechtzeitig fertig würden — Schuhe, die niemand haben wollte. Charles Dickens lebte zu einer Zeit und in einem Land, in dem ein solcher Geisteszustand als abnorm und sogar beklagenswert erschien, heute aber ist er für fünfundneun-zig Prozent der Bewohner Englands charakteristisch. Dinge, über die man in der Zeit Königin Victorias offen sprechen konnte, sind heute absolut tabu; denn unterbewußt weiß jeder, daß eine auch noch so leichte Berührung mit diesen Dingen bedeutet, die Gefahr heraufzubeschwören, die Katastrophe ihrer Fäulnis auf sich zu laden. Es wird nicht viele Yogis in England geben, denn nur einige wenige werden den Mut aufbringen, auch nur das erste der acht Glieder des Yoga anzupacken: Yama. Ich glaube nicht, daß irgend etwas das Land retten wird, außer Krieg und Revolution; wenn jene, die überleben wollen, wieder für sich selbst denken und handeln müssen, ihren verzweifelten Nöten gemäß, und nicht nach irgendeinem morschen Maßstab der Konvention. Ja sogar die Geschicklichkeit des Arbeiters ist innerhalb einer Generation fast untergegangen! Vor vierzig Jahren gab es wenig, was ein Mann nicht mit einem Klappmesser und eine Frau nicht mit einer Haarnadel hätte machen können. Heute dage gen muß man für jede Kleinigkeit ein besonderes Werkzeug haben. Wenn Sie Yogis werden wollen, werden Sie sich schon bewegen müssen. Lege! Judica! Tace! Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen. Dritte Vorlesung Niyama 28
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Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. 1 Das Thema meiner dritten Vorlesung ist Niyama. Niyama? Hm! Die Unzulänglichkeit selbst der erhabensten Versuche, diese elenden Sanskrit-Wörter zu übersetzen, wird daran gleich auf entzückende Weise veranschaulicht. Ich kann in dem Begriff Niyama allenfalls das Prinzip der »Tugend« wiederfinden! Gott steh' uns bei! Es bedeutet Tugend in ihrer ursprünglichen etymologischen Wortbedeutung — die Eigenschaft des Menschtums; sinngemäß daher also die Eigenschaft der Gottheit. Aber da wir Yama hier als »Beherrschung« übersetzen, stellen wir fest, daß unsere beiden eigenen Vokabeln einander ganz und gar nicht auf gleiche Weise verwandt sind wie die Wörter im ursprünglichen Sanskrit; denn im Sanskrit ergibt die Vorsilbe »ni« die Bedeutung, daß alles von oben nach unten und von rückwärts nach vorwärts gekehrt wird — wie Sie es ausdrücken würden, Hysteron Proteron —, wobei gleichzeitig eine Wirkung transzendentaler Erhabenheit hervorgerufen wird. Ich muß feststellen, daß ich nicht einmal damit anfangen kann, an eine passende Definition zu denken, obwohl ich im Geiste ganz genau weiß, was die Hindus damit meinen. Wenn man sich über eine genügende Anzahl von Jahren in das orientalische Denken vertieft, entwickelt man eine geistig-spirituelle Auffassungsgabe, die sich unmöglich in Worten ausdrücken läßt, wie sie auf die Gegenstände intellektueller Auffassung anwendbar sind; daher ist es viel besser, wenn wir uns mit den Worten begnügen, wie sie dastehen, um dafür richtig zur Sache zu kommen, wenn es um die praktischen Schritte geht, die man tun muß, um diese einleitenden Übungen zu meistern. 2 Es wird dem aufmerksamen Hörer kaum entgangen sein, daß ich in meinen vorhergehenden Vorlesungen ein Maximum an Redeschwall mit einem Minimum an Information verbunden habe; das ist alles Teil meiner Schulung für mein 29
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politisches Amt als Kabinettsminister. Was aber tatsächlich zaghaft aus meinem mentalen Nebel zum Vorschein gelangt, ist die Tatsache, daß Yama im großen und ganzen in seinen Wirkungen meist negativ ist. Wir zwingen damit dem vorhandenen Energiestrom Beschränkungen auf, ganz so, wie man einen Wasserfall in Turbinen zwingt, um die natürliche Schwerkraft des Stromes zu beherrschen und zu lenken. 3 Vielleicht wäre es gut, wenn ich vor dem endgültigen Abschied vom Thema Yama einige der praktischen Schlußfolgerungen aufzählte, die sich aus unserer Prämisse ergeben, daß nichts zugelassen werden darf, was die Schönheit und die Harmonie des Geistes schwächen oder zerstören könnte. Gesellschaftliches Leben jedweder Art stellt jeden ernstzunehmenden Yoga absolut außer Frage; das häusliche Leben läßt sich nicht einmal mit den elementaren Übungen auch nur im geringsten verbinden. Zweifellos werden viele von Ihnen sagen: »Das ist ja ganz schön für ihn; soll er das für sich doch behaupten; was mich angeht, so führe ich mein Heim und mein Geschäft so, daß alles läuft wie auf Kugellagern.« Das Echo gibt Antwort... 4 Bevor Sie tatsächlich mit Yogaübungen anfangen, können Sie sich unmöglich vorstellen, was alles zur Störung werden kann. Die meisten von Ihnen leben in dem Glauben, daß sie völlig stillsitzen können; Sie weisen mich darauf hin, was Künstlermodelle doch über fünfunddreißig Minuten lang aushallen können. Sie können es aber nicht. Sie beachten das Ticken der Uhr nicht; vielleicht wissen Sie nicht einmal, ob im Zimmer eine Schreibmaschine betätigt wird; vielleicht können Sie sogar bei einem Luftangriff noch friedlich durchschlafen. Das hat nichts damit zu tun. Sobald Sie mit den Übungen anfangen, werden Sie, sofern Sie sie richtig ausführen, feststellen, daß Sie Töne hören, die Sie nie in Ihrem Leben zuvor gehört haben. Sie werden hypersensitiv. Sie spüren die 30
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Luft auf Ihrer Haut etwa ebenso stark, wie Sie vorher eine Faust im Gesicht gespürt hätten. 5 Bis zu einem gewissen Grad wird diese Tatsache Ihnen allen zweifellos bekannt sein. Wahrscheinlich haben die meisten von Ihnen irgendwann schon einmal einen Ausflug in das gemacht, was groteskerweise als die »Stille der Nacht« bekannt ist, und Sie werden unendlich winzige Lichtbewegungen in der Dunkelheit bemerkt haben, flüchtige Töne in der Stille. Die werden Sie vielleicht beruhigt und Ihnen Freude gemacht haben; nie wird Ihnen eingefallen sein, daß jede dieser Veränderungen wie ein Schmerz empfunden werden könnte. Doch genau dies geschieht schon in den allerersten Monaten der Yogapraxis, und deshalb ist es am besten, sich noch vor Beginn vorzubereiten, indem man dafür sorgt, daß das Leben frei von den gröberen Störungsursachen bleibt. Das praktische Problem des Yama besteht also in hohem Ausmaße in der Beantwortung der Frage: »Wie soll ich mich an die Arbeit machen?« Und wenn man sich dann auf die theoretisch besten Bedingungen eingerichtet hat, muß man mit jedem neuen Problem, das sich zeigt, fertig werden, so gut es geht. 6 Jetzt sind wir schon eher dazu in der Lage, die Bedeutung von Niyama, von Tugend, zu überle gen. Die Eigenschaften, die Niyama ausmachen, werden bei den meisten Menschen gar nicht von ihrem Selbstbewußtsein verstanden. Zwar sind es positive Kräfte, doch sind sie latent; ihre Entwicklung läßt sich nicht einfach quantitativ und von ihrer Effizienz her messen. Je höher wir vom Grobkörnigen zum Feinen steigen, vom Groben zum Subtilen, um so tiefer dringen wir in ein neues (auf den ersten Blick scheinbar unendliches) Gebiet ein. Es ist völlig unmöglich, Ihnen zu erklären, was ich damit meine; könnte ich es, wüßten Sie es bereits. Wie kann man einem Menschen, der noch nie Schlittschuh gelaufen ist, das Wesen des Vergnügens 31
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erklären, auf dem Eis eine schwierige Figur zu ziehen? Er trägt zwar den ganzen Apparat ge brauchsfertig in sich, aber nur die praktische Erfahrung, die praktische Erfahrung allein läßt ihm das Ergebnis dieses Gebrauchs bewußt werden. 7 Gleichzeitig kann es in einer allgemeinen Darstellung des Yoga von Nutzen sein, eine Vorstellung von den Funktionen zu geben, die die Grenzen des beschränkten Erkenntnisvermögens und unseres intellektuellen Verstands überschreiten, und auch davon, worauf diese Funktionen beruhen. Ich habe bei allen Arten des Denkens festgestellt, daß es sehr zweckmäßig ist, eine Art Abakus zu gebrauchen. Die schematische Darstellung des Universums, wie sie die Astrologie und der kabbalistische Lebens baum geben, ist außerordentlich wertvoll, vor allem, wenn sie durch die Heilige Kabbala vertieft und erweitert wird. Dieser Lebensbaum ist für unendliche Verzweigungen empfänglich, und es ist in unserem Zusammenhang nicht erforderlich, seine Feinheiten zu untersuchen. Es genügt für unsere einleitenden Be trachtungen, wenn wir unsere Erläuterungen mit dem Bild vom Sonnensystem veranschaulichen, wie es die Astrologie lehrt. Ich bin mir nicht sicher, ob der Durchschnittsstudent sich der Tatsache bewußt ist, daß die Namen der Planeten im allgemeinen auf den philosophischen Konzepten der griechischen und römischen Götter beruhen. Hoffen wir das Beste und machen wir weiter!
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8 Der Planet Saturn, der die Anatomie darstellt, ist das Skelett: Es ist eine starre Struktur, auf die der übrige Körper 33
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aufbaut. Welchen moralischen Eigenschaften entspricht das? Die erste Tugend an einem Knochen ist seine Härte, seine Widerstandsfähigkeit gegen Druck. Und so stellen wir in Niyama fest, daß wir in unserem Verhalten äußerste Einfachheit pfle gen sollten; wir brauchen Unempfindlichkeit; wir brauchen Durchhaltevermögen; wir brauchen Geduld. Für jeden, der den Yoga nicht praktiziert hat, ist es einfach unmöglich zu verstehen, was Langeweile heißt. Ich habe Yogis gekannt, Männer, die noch heiliger waren als ich (nein! nein!), die, um der unerträglichen Langeweile zu entgehen, ihre Zuflucht doch tatsächlich bei Trinkgelagen suchten! Es ist eine physiolo gische Langeweile, die dabei zur schärfsten Qual wird. Die Spannung wird zum Krampf; nichts erscheint einem mehr wichtiger, als dem selbstauferlegten Zwang zu entfliehen. Doch jedes Übel trägt sein eigenes Heilmittel in sich. Eine weitere Eigenschaft des Saturn ist die Melancho lie; Saturn steht für das Leid des Universums; es ist die Trance des Leids, die einen dazu bewegt, sich an das Werk der Befreiung zu machen. Das ist die energiespendende Kraft des Gesetzes; es ist die Unbeugsamkeit der Tatsache, daß alles Leid ist, die uns an diese Arbeit gehen und uns auf dem Pfad beharren läßt. 9 Der nächste Planet ist Jupiter. Dieser Planet ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Saturn. Erstellt die Ausdehnung dar, so wie Saturn die Zusammenziehung darstellt; er ist die universale Liebe, die selbstlose Liebe, deren Gegenstand nichts Geringeres als das Universum selbst sein kann. Damit werden die Kräfte des Saturn gestärkt, wenn Sie voll Schmerz darniederliegen; der Erfolg ist kein Selbstzweck, sondern er dient dem Ganzen; man mag zwar das eigene Scheitern hinnehmen, des Universums aber kann man nicht unwürdig sein. Jupiter stellt auch das vitale, schöpferische, geniale Element des Kosmos dar. Er hat Ganymed und Hebe als Becherträger. Es liegt eine gewaltige und unvorstellbare Freude 34
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im Großen Werk; und es ist die Erlangung der Trance der Freude oder sogar nur das intellektuelle Ahnen dieser Trance, was dem Yogi die Sicherheit gibt, daß sein Werk sich lohnt. Jupiter verarbeitet Erfahrungen; Jupiter ist der Herr der Lebenskräfte; Jupiter verwandelt grobe Materie in himmlische Nahrung. 10 Der nächste Planet ist Mars. Mars steht für das Muskelsystem; er ist die niedrigste Form der Energie, und in Niyama ist dies ganz wörtlich als die Tugend oder Fähigkeit aufzufassen, mit den physischen Schwierigkeiten des Werks zu ringen und sie zu überwinden. Praktisch gesehen bedeutet das: »Schon ein wenig mehr kann unendlich viel bedeuten; ein wenig weniger, und schon trennen uns Welten!« Ganz gleich, wie lange man Wasser bei 99° C unter normalern atmosphärischem Druck hält, es wird nicht kochen. Wahrscheinlich wird man mich verdächtigen, daß ich hier Schleichwerbung für irgendeine bestimmte Benzinmarke machen will, wenn ich über das gewisse Extra spreche, das den anderen fehlt, aber ich versichere Ihnen, daß ich nicht dafür bezahlt werde. Nehmen wir das Beispiel des Pranayama, ein Thema, mit dem ich mich in einer späteren Vorlesung beschäftigen will. Nehmen wir an, daß Sie Ihren Atem soweit beherrschen, daß Ihr Zyklus des Einatmens, des Atemanhaltens und des Ausatmens genau eine Minute dauert. Das ist für die meisten Menschen schon eine ganz ordentliche Leistung, aber vielleicht reicht es nicht aus, um Ihren Fortschritt zu beschleunigen, vielleicht tut es das aber doch. Niemand kann es Ihnen sagen, bis Sie es lange genug ausprobiert haben (und niemand kann Ihnen sagen, wie lange »lange genug« sein mag), bis die Glocken zu läuten anfangen. Es kann sein, daß die Phänomene sofort beginnen würden, wenn Sie Ihre sechzig Sekunden auf vierundsechzig steigerten. Das mag ganz gut und schön klingen, aber da Sie mit den sechzig Sekunden Ihre Lungen 35
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schon fast zum Platzen gebracht haben, brauchen sie noch diese zusätzliche Energie, um es zu schaffen. Das ist nur ein Beispiel für die Schwierigkeit, die bei jeder Übung auftritt. Mars ist zudem die flammende Energie der Leidenschaft, er ist die männliche Eigenschaft in ihrem niedrigsten Sinne; er ist der Mut, der zum Berserker wird, und ich scheue mich nicht Ihnen zu sagen, daß für mich zumindest eine der Hemmungen, mit denen ich am häufigsten zu kämpfen hatte, die Furcht war, ich würde wahnsinnig. Das war besonders dann der Fall, als diese Phänomene aufzutreten begannen, die, wenn man sie mit ruhigem Blut niederschrieb, tatsächlich dem Wahnsinn glichen. Und das Niyama des Mars ist die gnadenlose Wut, die über Schrammen Witze macht, während man an seinen eigenen Wunden stirbt. »... der grimmige Lord Colonsay streckte ihn zu Boden, und lachte im Todesschmerz, daß seine Klinge den tödlichen Stoß so heftig erwidert.« 11 Der nächste Himmelskörper ist die Mitte aller, die Sonne. Die Sonne ist das Herz des Systems; sie bringt alles in Harmonie, verleiht allem Kraft, ordnet alles. Sie ist der Mut und die Energie, die die Quelle aller geringeren Formen der Bewegung ist, und deshalb ruht sie in sich selbst. Die anderen sind Planeten; sie aber ist ein Stern. Von ihr kommen alle Planeten; um sie bewegen sie sich, nach ihr streben sie alle. Diese Zentralisation der Fähigkeiten, ihre Beherrschung, ihr Antrieb sind es, die das Niyama der Sonne bilden. Sie ist nicht nur das Herz, sondern auch das Hirn des Systems; aber sie ist nicht das denkende Hirn, denn in ihr ist alles Denken in die Schönheit und Harmonie geordneter Bewegung aufgelöst. 12 Der nächste Planet ist die Venus. Bei ihr kommen wir zum ersten Mal mit einem Teil unserer Natur in Berührung, der nicht etwa deswegen weniger Quintessenz ist, weil er durch 36
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unsere bisherige Beschäftigung mit den aktiveren Eigenschaften unbeachtet blieb. Die Venus ist dem Jupiter ähnlich, aber auf einer niedrigeren Stufe, da sie zu ihm fast ebenso steht, wie der Mars zum Saturn. Dem Wesen nach ist sie der Sonne eng verwandt und kann als Externalisierung ihres Einflusses auf Schönheit und Harmonie verstanden werden. Venus ist Isis, die Große Mutter; Venus ist die Natur selbst; Venus ist die Summe aller Möglichkeiten. Das der Venus entsprechende Niyama ist eines der wichtigsten und am schwierigsten zu erreichende. Ich sagte »die Summe aller Möglichkeiten«, und ich möchte Sie bitten, in Gedanken zu dem zurückzukehren, was ich vorher über die Definition des Großen Werks selbst sagte, über das Ziel des Yogi, die Ehe zwischen dem, was er ist, mit dem, was er nicht ist, zu vollziehen, um nach diesem Vollzug schließlich zu erkennen, daß das, was er ist, und das, was er nicht ist, identisch wird. Deshalb können wir bei unserem Yoga auch nicht aussuchen und wählen. Im Buch des Gesetzes, Kapitel I, Vers 22, steht geschrieben: »Machet bei euch keinen Unterschied zwischen einem Ding und einem anderen Ding, denn davon kommet Schmerz.« Venus stellt die ekstatische Annahme aller möglichen Erfahrung dar und das transzendente Aufnehmen jeder besonderen Erfahrung in die eigene. Ach ja, und vergessen wir auch folgendes nicht: In einer untergeordneteren Bedeutung steht Venus für das Taktgefühl. Viele Probleme, mit denen der Yogi konfrontiert wird, lassen sich durch intellektuelle Manipulation nur mühsam handhaben. Sie unterwerfen sich nur der Anmut. 13 Unser nächster Planet ist Merkur, und die Niyamas, die ihm entsprechen, sind so unzählig und mannigfaltig wie seine eigenen Qualitäten. Merkur ist das Wort, der Logos im Höchsten; er ist der direkte Vermittler zwischen den Gegensätzen. Er ist Elektrizität, das Lebensband schlechthin, 37
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der yogische Prozeß selbst, sein Mittel, sein Ende. Und doch steht er selbst allen Dingen indifferent gegenüber, so wie es dem elektrischen Strom gleichgültig ist, welche Botschaften man mit seiner Hilfe übermitteln mag. Das dem Merkur in seinen höchsten Formen entsprechende Niyama läßt sich aus dem, was ich bereits ge sagt habe, unschwer ableiten, aber in der Technik des Yoga steht er für die Verfeinerung der Methodik, die sich allen Problemen unendlich anzupassen vermag, aber nur, weil er von erhabener Indifferenz ist. Er ist die Gewandtheit und der Einfallsreichtum, die uns bei unseren Schwierigkeiten helfen; er ist das mechanische System, die Symbolik, die dem menschlichen Geist des Yogi dazu verhilft, das, was kommt, zu erkennen. An dieser Stelle muß bemerkt werden, daß Merkur wegen seiner völligen Indifferenz gegenüber allem (und dieser Gedanke ist, wenn wir ihn nur weit genug ausführen, lediglich ein Kernpunkt aller Weisheit) völlig unzuverlässig ist. Eine der unergründlichsten, schrecklichen Gefahren des Weges besteht darin, daß man Merkur vertrauen muß, und daß man dennoch, wenn man ihm vertraut, sicher sein darf, getäuscht zu werden. Ich kann dies nur — sofern überhaupt möglich — mit dem Hinweis erklären, daß alle Wahrheit relativ und damit Lüge ist. In gewissem Sinne ist Merkur der große Feind; Merkur ist der Geist, und eben diesen Geist zu besiegen sind wir angetreten. 14 Der letzte der sieben heiligen Planeten ist der Mond. Der Mond steht für die Gesamtheit unseres weiblichen Teils, er ist das passive Prinzip, das sich doch sehr deutlich von jenem der Venus unterscheidet, denn der Mond entspricht der Sonne ebenso, wie die Venus dem Mars entspricht. Er ist auf viel unverfälschtere Weise passiv als die Venus, und obwohl die Venus so universal ist, ist auch der Mond in einem anderen Sinne universal. Der Mond ist das Höchste und das Tiefste; der Mond ist das Streben, die Verbindung zwischen Mensch und 38
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Gott; er ist die höchste Reinheit: Isis die Jungfrau, Isis die jungfräuliche Mutter. Aber am anderen Ende der Skala wird er zu einem Symbol der Sinne selbst, zum bloßen Instrument, zur Wahrnehmung der Phänomene, unfähig, zu unterscheiden, unfähig, zu wählen. Das dem Einfluß des Mondes entsprechende Niyama, das erste von allen, ist diese Qualität des Strebens, die positive Reinheit, die jede Vereinigung mit etwas ablehnt, das weniger ist als das Ganze. In der griechischen Mythologie ist Artemis, die Mondgöttin, eine Jungfrau; sie hat sich nur Pan hingegeben. Darin steckt eine besondere Lehre: Wenn der Yogi Fortschritte macht, werden im Aspiranten magische Kräfte (von den Lehrern Siddhis genannt) manifest; wenn er auch nur die geringste — oder auch die größte — dieser Kräfte annimmt, ist er verloren. l5 Am gegenüberliegenden Ende der Skala des MondNiyama liegen die phantastischen Ent wicklungsmöglichkeiten des Empfindungsvermögens, die den Yogi beunruhigen. Sie sind eine große Hilfe und Ermutigung, zugleich aber sind sie auch unerträgliche Hindernisse. Dies sind die größten Hindernisse, die sich dem Menschen in den Weg stellen, der durch Jahrhunderte der Evolution darauf trainiert ist, sein ganzes Bewußtsein ausschließlich durch die Wahrnehmung der Sinne zu erhalten. Und sie treffen uns am schwersten, weil sie sich ganz unmittelbar störend auf die Technik unserer Arbeit auswirken. Ständig erlangen wir neue Kräfte, uns selbst zum Trotz, und jedesmal, wenn dies geschieht, müssen wir eine weitere Methode erfinden, um ihre Bösartigkeit zunichte zu machen. Aber wie bereits zuvor, besteht das Heilmittel aus demselben Stoff wie die Krankheit; es ist die unerschütterliche Reinheit des Strebens, die uns befähigt, alle diese Schwierigkeiten zu überwinden. Der Mond ist die letzte Rettung unserer Arbeit. Er ist die Kenntnis und das Zwiegespräch mit dem heiligen Schutzengel, die uns dazu befähigen, zu allen Zeiten und auf jedwede Weise zu siegen, je 39
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nachdem, wie die Bedürfnisse des Augenblicks es erfordern mögen. 16 Es gibt noch zwei weitere Planeten, die nicht zu den heiligen sieben gezählt werden. Ich will nicht behaupten, daß sie den Alten bekannt waren und absichtlich geheimgehalten wurden, wenn auch vieles in ihren Schriften darauf hindeutet, daß dies der Fall gewesen sein könnte. Ich meine den Planeten Herschel oder Uranus und den Neptun. Was immer die Alten gewußt haben mögen, eines ist immerhin gewiß, daß sie in ihrem System Lücken offenließen, die von diesen beiden Planeten und dem erst kürzlich entdeckten Pluto ausgefüllt wurden. Sie füllen diese Lücken genauso aus, wie die in den vergangenen fünfzig Jahren neuentdeckten chemischen Elemente die Lücken in Mendeljeffs Tafel des Perioditätsgesetzes füllen. 17 Herschel stellt die höchste Form des Wahren Willens dar, und es erscheint nur natürlich und recht, daß er nicht in die Reihe der sieben heiligen Planeten gestellt wird, weil der Wahre Wille die Sphäre ist, die über sie hinausgeht. »Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern.« Herschel bestimmt die Bahn des Sterns, Ihres Sterns. Doch Herschel ist dynamisch; Herschel ist explosiv; astrologisch gesprochen bewegt Herschel sich nicht in einer Bahn, er folgt seinem eigenen Weg. So ist das Niyama, das diesem Planeten entspricht, einzig und allein die Entdeckung des Wahren Willens. Dieses Wissen ist geheim und zuhöchst heilig. Jeder von Ihnen muß die Wirkung und die Qualität des Herschel in sich integrieren. Das ist die wichtigste Aufgabe des Yogi, denn bevor er sie nicht vollendet hat, kann er überhaupt nicht wissen, wer er ist oder wohin er geht. 18 Noch ferner und noch schwerer faßbar ist der Einfluß Neptuns. Hier haben wir es mit einem Niyama von unendlicher Zartheit und Zerbrechlichkeit zu tun, mit einer spirituellen 40
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Intuition, die weit, weit über jede menschliche Eigenschaft hinausgeht. Hier ist alles Phantasie, und in dieser Welt sind unendliche Freuden und unendliche Gefahren. Das Wahre Niyama des Neptun ist die Einbildungskraft, die Vorahnung um das Wesen des grenzenlosen Lichts. Er hat noch eine weitere Funktion. Der Yogi, der den Einfluß Neptuns erkennt und auf ihn eingestellt ist, wird Sinn für Humor haben, der auch den größten Schutz für den Yogi darstellt. Neptun befindet sich sozusagen in vorderster Linie; er muß sich den Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten anpassen, und wenn der Neuling fragt: »Wer hat denn dieses Loch da gemacht?«, muß er, ohne zu lächeln, antworten: »Mäuse.« Pluto ist der äußerste Vorposten; von ihm zu sprechen ist nicht weise... Nach dieser sibyllinisch finsteren Andeutung könnte ein wahrhaft Wagemutiger mich sehr wohl fragen: Warum ist es nicht weise, von Pluto zu sprechen? Die Antwort ist sehr tiefgründig: Weil man nicht das geringste über ihn weiß. Außerdem spielt es ohnehin kaum eine Rolle; für einen Abend haben wir bestimmt genug von Niyama gehabt. l9 Jetzt ist es angebracht, kurz zusammenzufassen, was wir über Yama und Niyama erfahren haben. In gewissem Sinne sind sie die moralischen, logischen Vorbereitungen für die Technik des eigent lichen Yoga. Sie sind die strategischen Entscheidungen, im Gegensatz zu den taktischen, die der Aspirant treffen muß, ehe er sich an etwas Ernsteres wagt als die Fünffingerübungen, wie wir sie nennen könnten: des Anfängers Drill der Stellungen, der Atemübungen und der Konzentration, von denen die Oberflächlichen vertrauensvoll annehmen, daß allein diese die große Wissenschaft und Kunst ausmachen. Wir haben gesehen, daß es überheblich und unzweckmäßig wäre, für das, was wir vorhaben, starre Regeln festzulegen. Vielmehr geht es darum, daß wir alles so einrichten, um ungehindert das tun zu können, was notwendig 41
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oder ratsam werden könnte. Dabei müssen wir vorsorglich die Entwicklungsmöglichkeit übersinnlicher Kräfte miteinbeziehen, die es uns ermöglichen, unsere Vorhaben so auszuführen, wie sie sich im veränderlichen Bioskop der Ereignisse ausbilden. Wenn jemand von mir einen ungefähren, sofort durchführbaren Plan haben will, dann sage ich: Nun, wenn Sie unbedingt in England bleiben müssen, dann können Sie es mit etwas Glück vielleicht in eine m einsamen Landhäuschen fertigbringen, das abseits vom Verkehr liegt, wenn Sie der Dienste eines Gesellschafters gewiß sind, der genügend geschult ist, um mit jenen Notfallsituationen fertigzuwerden, die höchstwahrscheinlich eintreten werden. Ein disziplinierter Mensch könnte es zur Not auch in einer Suite im Claridge's schaffen. Doch dagegen läßt sich einwenden, daß man mit unsichtbaren Kräften zu rechnen hat. Wenn man erst einmal angefangen hat, geschehen plötzlich die unmöglichsten Dinge. Es ist eigentlich nicht wirklich zufriedenstellend, ernstlich mit Yoga zu beginnen, solange man nicht in einem Land lebt, in dem das Klima verläßlich ist und die Luft nicht durch den Gestank der Zivilisation verpestet wird. Es ist außerordentlich wichtig, wichtiger als alles andere, ein Land zu finden, wo die Bewohner den Lebensstil der Yogis kennen, wo sie ihren Übungen wohlwollend gegenüberstehen, den Aspiranten respektvoll behandeln und ihm auf unaufdringliche Weise helfen und ihn beschützen. Unter solchen Umständen bedeutet die Meisterung von Yama und Niyama kein solch ernstes Problem. 20 Jenseits all dieser praktischen Einzelheiten gibt es aber auch etwas, was man nur schwer betonen kann, ohne eben jene geheimnisvollen Mutmaßungen anzustellen, die wir eigentlich von Anfang an vermeiden wollten. Ich kann bedauerlicherweise nur sagen, daß diese besondere Tatsache Ihnen schon bald ins Gesicht springen wird, wenn Sie erst einmal angefangen haben, und ich sehe deshalb auch nicht ein, 42
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weshalb wir uns um die geheimnisvollen Mutmaßungen, die der Hinnahme dieser Tatsache zugrunde liegen, mehr kümmern sollten, als um ein mindestens ebenso geheimnisvolles und unergründliches Faktum: jeglicher Gegenstand einer jeglichen Sinneswahrnehmung. Gemeint ist folgende Tatsache: Daß man ein Gefühl dafür bekommt — ein gänzlich irrationales Gefühl —, daß ein gegebener Ort oder eine gegebene Methode im Sinne ihres Zwecks richtig oder falsch sind. Dieses Gefühl ist so sicher wie der Instinkt des Fechters, wenn er eine noch unerprobte Waffe aufnimmt; entweder liegt sie gut in der Hand oder nicht. Man kann es nicht erklären, ebensowenig aber kann man es bestreiten. 21 Ich habe Yama und Niyama recht ausführlich behandelt, weil ihre Bedeutung bisher stark unterschätzt und ihr Wesen völlig mißverstanden wurde. Es sind eindeutig magische Übungen, die kaum die Spur eines mystischen Beigeschmacks haben. Der Vorteil für uns hier ist der, daß wir uns recht nützlich auf diese Weise üben und entwickeln können in einem Land, in dem die Technik des Yoga praktisch so gut wie unmöglich zu betreiben ist. Nebenbei bemerkt ist das wirkliche Land — das heißt, die Bedingungen —, in das man zufälligerweise hineingeboren wurde, das einzige, in dem Yama und Niyama geübt werden können. Man kann seinem Karma nicht aus dem Weg gehen. Man muß sich das Recht verdienen, sich dem Yoga richtig hinzugeben, indem man dafür sorgt, daß diese Hingabe ein notwendiger Schritt zur Erfüllung des eigenen Wahren Willens wird. In Hindustan darf man nicht eher ein »Sanyasi« werden — ein Einsiedler —, bevor man nicht seine Pflichten ge genüber seiner Umwelt erfüllt hat — also bis man dem Kaiser gegeben hat, was des Kaisers ist, bevor man Gott gibt, was Gottes ist. Wehe der Siebenmonatsfrühgeburt, die da glaubt, aus den Zufälligkeiten der Geburt Vorteil schlagen zu können und die dem Ruf der Pflicht spottet, die sich fortschleicht, um in China eine kahle 43
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Mauer anzustarren! Yama und Niyama sind nur deshalb die kritischsten Stadien des Yoga, weil man sie nicht in der Begrifflichkeit eines Lehrplans für Knabenschulen aus drücken kann. Und ebensowenig können Schuljungentricks den Aspiranten hinreichend von den Pflichten des Mannesalters entbinden. Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. Freut euch, wirkliche Männer, daß dem so ist! Denn soviel kann wenigstens gesagt werden, daß auf diesem Weg Ergebnisse erzielt werden können, die den Aspiranten nicht nur für das eigentliche Gefecht geeignet machen, sondern ihn in Kategorien bis dahin nicht für möglich gehaltener Phänomene einführen, deren Auswirkungen seinen Geist auf jenen schrecklichen Schock seines eigenen, gänzlichen Sturzes vorbereiten, der das erste kritische Resultat der Yoga-Praktiken kennzeichnet. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen. Vierte Vorlesung Asana und Pranayama Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. 1 Letzte Woche konnten wir in dem Gefühl fortge hen, daß der schwerste Teil der Arbeit geschafft war. Wir haben unsere schlechten Angewohnheiten, unsere schlechten Ehefrauen und unser schlechtes Wetter abgeschüttelt. Wir sitzen behaglich in der Sonne und niemand stört uns. Wir haben nichts zu tun als unsere Arbeit. In einer solch glücklichen Lage können wir nützlicherweise eine Stunde einschieben, in der wir unseren nächsten Schritt bedenken wollen. Erinnern wir uns zuerst daran, was wir als Quintessenz unserer Aufgabe festlegten. Es war die 44
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Vernichtung des Geteiltseins. »Mach mir Platz«, ruft der persische Dichter, dessen Namen ich vergessen habe, den Fitzgerald übersetzte, es war nicht Omar Khayyam, »mach mir Platz auf diesem Diwan, der nicht Platz für zwei hat« — eine bemerkenswert prophetische Definition des Luxusappartements. Wir wollen das Subjekt und das Objekt des Bewußtseins in der Ekstase vereinen, die, wie wir später feststellen werden, sehr bald in den erhabeneren Zustand des Gleichmuts übergeht, und dann wollen wir die Partei des erstgenannten und die Partei des zweitgenannten vernichten. Daraus ergeben sich offensicht lich weitere Parteispaltungen — man könnte fast von Cocktailpartys sprechen —, die sich ständig vermehren, bis wir die Unendlichkeit erreichen und diese vernichten, wodurch wir unser ursprüngliches Nichts wiedererlangen. Aber ist das mit dem ursprünglichen Nichts wirklich identisch? Ja — und nein! Nein! Nein! Tausendmal nein! Denn indem wir alle Möglichkeiten jenes ursprünglichen Nichts, sich auf positive Weise zu manifestieren, erfüllt haben, haben wir damit zugleich alle seine Möglichkeiten vernichtet, jemals wieder Unheil zu stiften. Da unsere Aufgabe also höchst einfach ist, bedürfen wir auch nicht des Beistands eines Haufens verlauster Rishis und Sanyasis. Wir werden uns nicht an eine Schar mottenzerfressener Arahats und betelkauender Bodhisattvas um Hilfe wenden. »Wir verlassen uns nicht auf Jungfrau oder Taube; unsere Methode ist Wissenschaft, unser Ziel ist Religion.« Unser von der auf Beobachtung fußenden Erfahrung geleiteter Menschenverstand mag genügen. 2 Wir haben gesehen, daß der yogische Prozeß in jeder 45
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Erscheinung des Daseins implizit ist. Alles, was wir zu tun haben, ist, ihn bewußt auf den Vorgang des Denkens auszudehnen. Wir haben gesehen, daß das Denken nicht ohne ständige Veränderung existieren kann; alles, was wir zu tun haben, ist, zu verhindern, daß eine Veränderung eintritt. Alle Veränderung wird durch Zeit und Raum und andere Katego rien bedingt; jeder bestehende Gegenstand muß sich mittels eines Systems von Koordinatenachsen beschreiben lassen können. Auf der Terrasse des Cafes des Deux Magots war es einmal erforderlich, die gesamte Yogalehre in möglichst wenigen Worten zu verkünden, »mit Freudengeschrei und der Stimme des Erzengels und mit der Trompete Gottes«. Der erste Brief des Paulus an die Thessaloniker, 4. Kapitel, 16. Vers. Also tat ich es. »Sitz still. Hör auf zu denken. Halt den Mund. Hinaus mit dir!« Die ersten beiden dieser Unterweisungen umfassen die ganze Yogatechnik. Die beiden letzten sind von einer Sublimität, die auf dieser elementaren Stufe zu erörtern nicht angemessen wäre. Die Aufforderung »Sitz still« soll die Beschränkung aller körperlichen Reize umfassen, die imstande sind, das Bewußtsein in Bewegung zu setzen. Die Aufforderung »Hör auf zu denken« ist die Erweiterung dieser Beschränkung auf alle geistigen Reize. Es ist unnötig, an dieser Stelle darüber zu diskutieren, ob das letztere ohne das erstere überhaupt existieren kann. Immerhin ist klar, daß viele geistige Prozesse durch körperliche Vorgänge entstehen; so werden wir wenigstens einen gewissen Teil der Strecke zurücklegen, sobald wir dem Körper Einhalt geboten haben. 3 Lassen Sie mich für einen Augenblick abschweifen und ein Mißverständnis wegwischen, das mit Sicherheit jeden angelsächsischen Geist befällt. Unge fähr das übelste Erbe der 46
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entmännlichten Schule der Mystiker ist die abscheuliche Gedankenverwirrung, die aus der Vorstellung entspringt, daß körperliche Funktionen und Gelüste eine moralische Bedeutung hätten. Das ist eine Verwechslung der Ebenen. Es gibt keine wirkliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Die einzige Frage, die sich erhebt, ist die nach der Eignung hinsichtlich irgendeines Vorhabens. Der ganz moralische und religiöse Plunder der Jahrhunderte muß erst für immer verabschiedet werden, ehe man den Yoga angeht. Sie werden nur zu bald feststellen, was es bedeutet, Unrecht zu tun; unserer eigenen These nach ist jedes Tun unrecht. Jedes Tun ist nur insofern relativ richtig, als es uns dabei helfen kann, dem gesamten Vorgang des Handelns ein Ende zu machen. Diese relativ nützlichen Handlungen sind folglich jene, die der Beherrschung oder »Tugend« dienen. Man hat sie ohne Rücksicht auf Aufwand und Kosten in gewaltigem Umfang und auf hochkomplizierte Weise klassifiziert; das geht sogar so weit, daß allein schon das Studium der Begrifflichkeit der verschiedenen Systeme nur zu einem Ergebnis führen kann: Es vernebelt Ihnen für den ganzen Rest Ihrer Inkarna tion das Gehirn. 4 Ich werde es mit einer Vereinfachung versuchen. Die Hauptüberschriften lauten: a) Asana, gewöhnlich mit »Körperhaltung« übersetzt, b) Pranayama, übersetzt.
gewöhnlich
mit
»Atemkontrolle«
Diese Übersetzungen sind, wie gewöhnlich, vollkommen falsch und unzulänglich. Das wahre Ziel von Asana ist die Beherrschung des Muskelsystems, des bewußten wie des unbewußten, damit keinerlei Botschaft vom Körper zum Geist gelangen kann. Asana hat mit dem statischen Aspekt des 47
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Körpers zu tun. Pranayama ist tatsächlich die Beherrschung des dynamischen Aspekts des Körpers. Darin steckt eine kleine Paradoxie. Das Ziel des Yogaprozesses besteht darin, alle Prozesse, einschließlich des Yogaprozesses selbst, zum Stillstand zu bringen. Doch es genügt dem Yogi nicht, sich zu erschießen, denn damit würde er die Beherrschung verlieren und die schmerzerzeugenden Energien freisetzen. Wir können uns nicht auf eine metaphysische Debatte darüber einlassen, was es eigentlich ist, was da beherrscht, sonst werden wir noch, ehe wir uns versehen, von Hypothesen über die Seele in den Wahnsinn getrieben. 5 Vergessen wir also diesen ganzen Mist und ent scheiden wir uns, was zu tun ist. Wir haben gesehen, daß es nur die Freisetzung unerwünschter Ele mente zur Folge hätte, wollten wir existierenden Prozessen durch einen Akt der Gewalt ein Ende machen. Wenn wir in Dartmoor Frieden haben wollen, öffnen wir nicht die Gefängnistüren. Statt dessen entwickeln wir Routine. Was ist Routine? Routine ist Rhythmus. Wenn Sie einschlafen wollen, stellen Sie alle unregelmäßigen, unerwarteten Geräusche ab. Dann brauchen Sie ein Wiegenlied. Sie zählen Schafe, die durch ein Tor laufen, oder Wähler in einem Wahllokal. Wenn Sie sich erst einmal daran gewöhnt haben, wirkt auch die Regelmäßigkeit eines Zugs oder Dampfschiffs beruhigend. Mit den existierenden Funktionen des Körpers müssen wir dergestalt verfahren, daß sie bei allmählich zunehmender Verlangsamung so regelmäßig werden, daß wir uns ihrer Tätigkeit nicht mehr bewußt sind. 6 Befassen wir uns zuerst mit der Frage nach Asana. Man könnte meinen, daß nichts beruhigender wirken müßte als das Schaukeln oder eine sanfte Massage. In gewissem Sinne und bis zu einem bestimmten Punkt ist es auch so. Doch kann die 48
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Tätigkeit nicht fortgesetzt werden, weil die Müdigkeit die Oberhand gewinnt, und früher oder später wehrt sich der Körper dagegen, indem er einschläft. Deshalb müssen wir uns von Anfang an vornehmen, den Körperrhythmus auf ein Minimum zu beschränken. 7 Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es sich vom philosophischen Standpunkt aus verteidigen, ob es sich vom logischen rechtfertigen läßt, für die Prinzipien des Asana, wie sie uns in unserer Praxis begegnen, einzutreten. Wir müssen uns von unseren gedank lichen Kettenreaktionen lösen, uns der Empirik des Experiments zuwenden und darauf vertrauen, dass wir eines Tages dazu in der Lage sein werden, vom beobachteten Tatbestand aus rückwärts schreitend eine zusammenhängende Metaphysik zu entwickeln. Tatsache ist, daß der Körper durch Stillsitzen im ganz gewöhnlichen wörtlichen Sinn schließlich auf den beschwörenden Ruf des großen Mahatma Harry Lauder reagiert: »Hör auf zu kitzeln, Jock!« 8 Wenn wir uns den Einzelheiten des Asana nähern, stehe n wir sofort vor dem Misthaufen der Hindu-Pedanterie. Ständig nähern wir uns der traditionellen Geisteshaltung der verblichenen Königin Victoria. Die einzigen Arten von Asana, die auch nur ein flüchtiges Interesse verdienen, sind jene, von denen ich überhaupt nicht sprechen werde, weil sie zu dem hohen Niveau des Yoga, wie ich ihn dieser distinguierten Hörerschaft hier darstelle, nicht im geringsten passen. Ich müßte vor Scham erröten, täte ich etwas anderes. Und überhaupt — wer will schon etwas über diese albernen Stellungen wissen? Wenn die Sache irgendeinen Spaß in sich birgt, dann ist es der, sie zu entlarven. Ich muß zugeben, daß es eine gewisse Befriedigung verschaffen kann, wenn man sich mit einem Problem wie jenem herumplagt, Hinterkopf und Schultern gegen Hinterkopf und Schultern eines anderen 49
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Beteiligten zu versetzen*, aber das ist meiner Meinung nach vor allem Eitelkeit und hat, wie ich schon erwähnte, nicht das geringste mit dem zu tun, wovon wir hier sprechen wollen. *
Natürlich in coitu; Anm. d. Hrsg.
9 Der Wert der verschiedenen, von den Lehrern des Yoga empfohlenen Stellungen hängt weitgehend von der HinduAnatomie ab und von den mystischen Theorien über die heilkräftigen und wunderwirkenden Eigenschaften, die man verschiedenen Teilen des Körpers zuschreibt. Wenn Sie beispielsweise den Nerv Udana beherrschen, können Sie auf dem Wasser gehen. Doch wer will schon auf dem Wasser gehen? Schwimmen macht viel mehr Spaß. (Ich sehe hier einmal von Haien, Stechrochen, Tintenfischen, Zitteraalen und Piranhas ab. Ebenso von Touristen, badenden Schönheiten und Mr. Lansbury.) Oder man lasse das Wasser statt dessen gefrieren und tanze darauf! Ein großer Teil der Bemühungen der Hindus scheint darin zu bestehen, möglichst den allerschwierigsten Weg zu dem am wenigsten wünschenswerten Ziel zu finden. 10 Wenn man mit dem Versuch beginnt, sich selbst zu verknoten, wird man feststellen, daß manche Stellungen sehr viel schwieriger sind als andere; aber das ist erst der Anfang. Egal, welche Stellung es ist, wenn man sie nur lange genug beibehält, bekommt man einen Krampf. Ich habe die genaue Statistik vergessen, aber es heißt, daß die Muskelanstrengung, die ein Mann macht, wenn er friedlich im Bett schläft, ausreicht, um stündlich vierzehn Elefanten in die Stratosphäre zu heben. Jedenfalls erinnere ich mich daran, daß es etwas ist, was schwer zu glauben ist, und sei es nur, weil ich es selbst nicht glaubte. 11 Warum sollten wir uns also damit abplagen, eine besonders heilige Stellung zu wählen? Zunächst wollen wir 50
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eine feste und bequeme Stellung. Vor allem wollen wir dazu in der Lage sein, in dieser Stellung Pranayama zu machen, falls wir überhaupt die Stufe erreichen sollten, es mit dieser Übung zu versuchen. Deshalb können wir, grob gesagt, die Wunschb edingungen für diese Stellung folgenderma ßen formulieren: 1) Wir müssen im richtigen Gleichgewicht sein. 2) Die Arme müssen frei bleiben. Bei einigen PranayamaPraktiken werden sie benötigt. 3) Unser Atmungsapparat muß so unbehindert wie möglich bleiben. Wenn Sie nun diese Punkte im Auge behalten und sich nicht durch völlig belanglose Vorstellungen ablenken lassen, wie beispielsweise durch die Einbildung, durch eine Stellung heiliger zu werden, die der Überlieferung zufolge zu einer Gottheit oder zu einem heiligen Mann paßt, und wenn Sie sich von dem puritanischen Greuel fernhalten, daß alles für Sie gut ist, wenn es Ihnen nur weh genug tut, dann sollten Sie dazu in der Lage sein, nach ein paar Versuchen selbst eine Stellung herauszufinden, die diesen Bedingungen entspricht. Das wäre mir sehr viel lieber, als wenn Sie zu mir kämen, um in mir irgendeine Hokuspokus-Autorität zu suchen. Ich bin kein Pukka Sahib - nicht einmal aus Poona —, der der Öffentlichkeit mit abge hackten »Ähems« seinen Humbug aufzwingt. Es wäre mir lieber, wenn Sie die Sache allein »verkehrt« machten, um aus Ihren Irrtümern zu lernen, als wenn Sie es »richtig« vom Lehrer lernten und dabei Ihre Initiative und überhaupt jede Fähigkeit, etwas zu lernen, lahmlegten. Es ist jedoch vo llkommen in Ordnung, daß Sie eine Vorstellung davon bekommen, was geschieht, wenn Sie sich zum Üben hinsetzen. 51
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l2 Lassen Sie mich einen Augenblick abschweifen und auf das zurückgreifen, was ich in meinem Leitfaden der Magie über die Formel IAO sagte. Diese Formel umfaßt alles Lernen. Man beginnt mit einem wunderschönen Gefühl, wie es ein Kind bei einem neuen Spielzeug hat; es wird einem langweilig und man versucht es zu zerschlagen. Wenn man aber ein kluges Kind ist, nimmt man die Haltung eines Wissenschaftlers dazu ein und zerschlägt es eben nicht. Man überwindet das Stadium der Langeweile und erhebt sich aus der Höllenqual zur Auferstehung, wenn aus dem Spielzeug ein Gott geworden ist, der Ihnen seine innersten Geheimnisse erklärt hat und zu einem lebendigen Teil Ihres Lebens geworden ist. Dann gibt es nicht mehr diese kruden, wilden Reaktionen auf Freude und Schmerz. Man hat das neue Wissen innerlich aufgenommen. 13 So ist es auch bei Asana. Die gewählte Stellung zieht Sie an; Sie schnurren vor Selbstzufriedenheit. Wie gescheit Sie doch gewesen sind! Wie ausgezeichnet diese Stellung sich doch allen Bedingungen anpaßt! Sie zerschmelzen fast vor sentimentaler Wonne. Ich habe Schüler gekannt, die sich dann tatsächlich dazu verleiten ließen, einen freundlichen Gedanken für ihren Lehrer übrigzuhaben! Es ist ganz klar, daß dabei etwas nicht stimmt. Zum Glück ist die Zeit, der große Heiler, wie immer an der Arbeit; die Zeit kennt keine Wochenenden; die Zeit bleibt nicht stehen, um sich zu bewundern; die Zeit macht einfach weiter. Es dauert nicht lang, dann vergißt man alle Annehmlichkeiten der Dinge, und es wäre gar nicht höflich, wollte ich Ihnen auch nur eine Vorstellung von dem geben, was Sie dann über den Lehrer denken werden.
14 Vielleicht bemerken Sie als erstes, daß der Wunsch entsteht, die Stellung unbewußt zu verändern, obwohl Sie doch in der augenscheinlich bequemsten Haltung angefangen haben. 52
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Wenn Sie beispielsweise in der »Gottesstellung« mit geschlossenen Knien sitzen, könnten Sie nach wenigen Minuten feststellen, daß die Knie sich allmählich auseinanderbewegt haben, ohne daß Sie es bemerkten. Freud würde Ihnen dazu zweifellos mitteilen, daß dies von einer instinktiven Verschlimmerung kindlichen Sexualverhaltens herrühre. Ich hoffe, daß mich hie r niemand mit derart übelkeiterregendem Unsinn belästigen wird. 15 Wenn man eine Stellung also beibehalten will, ist es erforderlich, darauf aufzupassen. Das bedeutet: Man wird sich seines Körpers auf eine Weise bewußt, der man sich nicht bewußt ist, solange man in bestimmte, Konzentration erfordernde Gedankengänge vertieft oder auch nur mit rein körperlicher Aktivität, wie etwa beim Laufen, beschäftigt ist. Das mag zunächst paradox klingen, aber heftige körperliche Tätigkeit konzentriert die Aufmerksamkeit nicht etwa auf den Körper, sie läßt ihn vielmehr verschwinden. Das liegt daran, daß körperliche Bewegung ihren eigenen Rhythmus hat; und Rhythmus führt uns, wie ich schon sagte, bereits die halbe Strecke hinauf zum Gipfel des Schweigens. Also gut; in der vergleichsweisen Stille des Körpers wird sich der Übende ganz leiser Töne bewußt werden, die ihn im gewöhnlichen Leben nicht störten. Zumindest dann nicht, wenn sein Geist mit interessanten Dingen beschäftigt war. Man fängt an, sich unruhig hin- und herzubewegen, es beginnt zu jucken, man fängt an zu husten. Möglicherweise spielt einem die Atmung Streiche. Alle diese Symptome müssen unterdrückt werden. Dies zu bewerkstelligen ist außerordentlich schwierig, und wie alle anderen Formen der Unterdrückung führt es zu einer schrecklichen Übertreibung der Phänomene, die man eigentlich damit unterdrücken will. 16 Es gibt eine ganze Menge kleiner Tricks, die den meisten 53
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Wissenschaftlern aus ihrer Studienzeit bekannt sind. Einige davon sind für den Yoga von großer Wichtigkeit. Beispielsweise kann man in der Regel einen sehr viel stärkeren Mann in Sachen Ausdauer schlagen, etwa wenn man mit ausgestrecktem Arm ein Gewicht halten soll. Denkt man dabei an den eigenen Arm, wird man wahrscheinlich schon nach einer Minute müde; konzentriert man dagegen die Gedanken auf etwas anderes, kann man es fünf oder zehn Minuten lang aushaken oder noch länger. Es ist eine Frage von aktiv und passiv; wenn Asana anfängt einen zu ärgern, muß man es zur Antwort seinerseits ärgern, indem man dem passiven Gedanken an Linderung der Irritiertheit und Störung den aktiven Gedanken gegenüberstellt, die winzigen Mus kelbewegungen zu beherrschen. 17 Nun glaube ich allerdings nicht, daß es irgendwelche starren Regeln dafür gibt, die Ihne n nützen würden. Es gibt unzählige kleine Tricks, die Sie versuchen könnten; nur ist es wie bei der Wahl der Körperstellung eher besser, wenn man seine eigenen Tricks erfindet. Ich will nur einen erwähnen: Man rollt die Zunge zum Zäpfchen zurück und dreht die Augen gleichzeitig auf einen gedachten Punkt auf der Stirnmitte. Mit dieser Praxis werden alle möglichen Heiligkeiten und unzählige Überlieferungen äußerst verehrungswürdiger Gottheiten verbunden. Bitte vergessen Sie diesen ganzen Unsinn! Der Vorteil dieses Tricks besteht lediglich darin, daß Ihre Aufmerksamkeit dazu gezwungen wird, die unbequeme Stellung beizubehalten. Man spürt viel früher eine Entkrampfung, als dies bei anderen Methoden der Fall wäre; und dadurch zeigen wir dem restlichen Körper auch, daß es keinen Zweck hat, uns mit seiner Reizbarkeit zu stören. Aber es gibt dafür keine allgemeingültigen Regeln. Ich sagte bereits, daß es keine gibt, und es gibt auch tatsächlich keine. Nur eine: Der menschliche Geist ist so faul und so 54
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nichtsnutzig, daß es schon einem regelrechten Instinkt gleichkommt, irgendeine Ausrede zu suchen, um sich vor harter Arbeit zu drücken. Diese Tricks können helfen oder hinderlich sein; es ist an Ihnen, herauszufinden, welche davon gut und welche schlecht sind, das Warum und das Was und alle anderen Fragen. Am Ende läuft alles auf dasselbe hinaus. Auf Dauer gibt es nur einen Weg, den Körper zur Ruhe zu bringen, und das ist, ihn stillzuhalten. Beharrlichkeit führt zum Ziel. l8 Die Reizungen steigern sich zu höchster Qual. Jeder Versuch, sie zu lindern, macht den Wert der Übungen zunichte. Ganz besonders muß ich den Aspiranten vor dem Rationalisieren warnen. (Ich habe tatsächlich Leute gekannt, die geistig so hoffnungslos unterbelichtet waren, daß sie mit Vernunftgründen argumentierten.) Sie dachten: »Ach, diese Stellung ist für mich doch nicht so geeignet, wie ich dachte. Ich habe die Ibisstellung verpfuscht; jetzt werde ich es einfach einmal mit der Drachenstellung versuchen.« Aber der Ibis hat seinen Job nur deswegen behalten und hat seine Göttlichkeit nur dadurch erlangt, daß er jahrhundertelang auf einem Bein stand. Wenn man zum Drachen geht, wird er einen verschlingen. l9 Es rührt von der Perversität der menschlichen Natur her, daß die schärfste Pein immer dann zu kommen scheint, wenn der Erfolg nur noch eine Haaresbreite entfernt ist. Denken Sie an Gallipoli! Ich neige zu der Annahme, daß es eine Art Symptom dafür sein könnte, daß man dem kritischen Punkt nahe ist, wenn die Qual unerträglich wird. Vermutlich werden Sie sich nun fragen, was man unter »unerträglich« verstehen soll. Barsch antworte ich: »Stellen Sie es selbst fest!« Aber ich kann Ihnen eine Vorstellung von dem geben, was letztlich doch nicht allzu schlimm ist, indem ich Ihnen mitteile, daß es mich in den letzten Monaten meiner eigenen Arbeit oft zehn Minuten kostete, um nach Beendigung der Übung mein linkes 55
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Bein wieder zu strecken. Ich nahm meinen Fußknöchel in beide Hände und machte ihn millimeterweise wieder geschmeidig. 20 An diesem Punkt fängt plötzlich das Orchester an zu spielen. Mit einem Mal hört der Schmerz auf. Ein unaussprechliches Gefühl der Erleichterung durchflutet den Yogi — beachten Sie, daß ich Sie jetzt nicht mehr »Student« oder »Aspirant« nenne —, und er wird eine sehr sonderbare Tatsache bemerken. Nicht nur, daß diese Stellung ihm Schmerzen verur sachte, sondern daß alle anderen körperlichen Gefühle, die er je erlebt hat, im Kern Schmerz sind, und daß er sie nur dadurch ertragen hat, indem er ständig vom einen zum anderen wechselte. Jetzt ist er beruhigt, denn zum ersten Mal in seinem Leben ist er sich seines Körpers tatsächlich nicht mehr bewußt. Das Leben war ein endloses Leiden; und jetzt ist — soweit es diese besondere Asana betrifft — die Qual vorbei. Ich habe das Gefühl, daß es mir nicht gelungen ist, den Vorgang in seiner ganzen Bedeutsamkeit zu vermitteln. Tatsache ist, daß Worte dafür gänzlich unge eignet sind. Es ist einfach unmöglich, das vollständige und rohe Erwachen aus einem lebenslangen, ununterbrochenen Alptraum körperlichen Unbehagens zu beschreiben. 21 Die Resultate und das Meistern von Asana werden nicht nur bei der Beherrschung des Yoga von Nutzen sein, sondern auch in den gewöhnlichsten Angelegenheiten des Alltagslebens. Man braucht zu jeder beliebigen Zeit, wenn man ermüdet ist, nur seine Asana einzunehmen, und schon fühlt man sich völlig ausgeruht. Es ist, als ob die Erlangung dieser Meisterschaft alle Möglichkeiten körperlichen Schmerzes überwunden hätte, die in dieser besonderen Stellung liegen. Die Lehren der Physiologie widersprechen dieser Hypothese nicht. Die Beherrschung von Asana fördert die Ausdauer. Wenn 56
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man beständig in Übung bleibt, wird sich erweisen, daß ungefähr zehn Minuten in dieser Stellung uns ebensoviel Erfrischung bescheren wie ein guter Nachtschlaf. Soviel über das Hindernis, das der statische Aspekt des Körpers bereitet. Nun wollen wir unsere Aufmerksamkeit der Beherrschung seiner Dynamik zuwenden. 22 Es ist immer erfreulich, sich einem Thema wie Pranayama zuzuwenden. Pranayama bedeutet Beherrschung der Kraft. Es ist ein verallgemeinerter Ausdruck. Im System der Hindus gibt es eine ganze Menge subtiler Unterscheidungen der verschiedenen Körperenergien, die alle ihre eigenen Bezeichnungen und Eigenschaften haben. Ich habe nicht vor, mich mit ihrer Vielfalt zu befassen. Nur zwei davon haben größere praktische Bedeutung im Leben. Die eine kann der Öffentlichkeit eines solch verfaulten Landes wie diesem nicht mitgeteilt werden, die andere ist die bekannte »Beherrschung des Atems«. Das bedeutet einfach, daß man sich eine Stoppuhr besorgt und einen Zyklus des Ein- und Ausatmens wählt. Beides sollte so vollständig wie möglich durchgeführt werden. Das Muskelsystem muß sehr ange strengt werden, um das Ausdehnen und Zusammenziehen der Lunge unterstützen zu können. Wenn man diesen Vorgang langsam und regelmäßig durchführen kann, beispielsweise 30 Sekunden ausatmen und 15 Sekunden einatmen, dann kann man ein paar Sekunden dazwischenschieben, während derer der Atem innerhalb oder außerhalb der Lungen ange halten wird. (Übrigens heißt es, daß das Ausatmen doppelt so lange dauern sollte wie das Einatmen, weil das schnelle Ausatmen der Theorie nach einen Kraftverlust bewirken könnte. Ich glaube, daß daran etwas Wahres ist.) 23 Es gibt auch andere Übunge n. So kann man beispielsweise die Atmung so schnell und so flach wie möglich machen. Jede 57
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gute Übung wird ihre eigenen Phänomene hervorbringen, aber in Übereinstimmung mit der Grundthese dieser Vorträge sollte wohl klar sein, daß die richtige Übung darauf hinarbeitet, den Atem so lange wie möglich anzuhalten, weil dies dem Zustand der völligen Ruhigstellung des Körperapparats am nächsten kommt. Natürlich bringen wir ihn nicht zum Stillstand; wir tun nichts dergleichen. Aber wenigstens reden wir uns auf diese Weise ein, daß wir es täten, und am wichtigsten dabei ist, daß man der Tradition zufolge eines der höchsten Resultate des Yoga erzielt, wenn man den Geist auch nur zwölf Sekunden lang still halten kann. Es ist eine gesicherte Tatsache, daß der Geist dazu neigt, seine boshaften Machenschaften für eine beträchtliche Weile zu unterlassen, wenn man einen Atemzyklus von 20 Sekunden Ausatmung, 10 Sekunden Einatmung und 30 Sekunden Atemanhalten praktiziert. Ist dieser Zyklus erst einmal zur Gewohnheit geworden, erkennt man instinktiv den Augenblick, in dem man sich plötzlich in den mentalen Akt der Konzentration hineinstürzen kann. Mit anderen Worten, durch Asana und Pranayama haben wir einen Zustand erreicht, in dem es uns — wenn auch nur für wenige Sekunden — möglich ist, den eigentlichen Yoga zu versuchen, woran man vorher durch die ablenkende Tätigkeit des Atemund Muskelsystems verhindert war. 24 Und nun? Ja, Pranayama könnte als nettes, sau-beres Vergnügen beschrieben werden. Noch bevor Sie es lange gemacht haben, werden mit einiger Sicherheit verschiedenste Dinge geschehen, die Ihnen zwar, wie ich zu meinem Bedauern feststellen muß, einigen Spaß bereiten mögen, die zugleich aber den Tod des Yoga bedeuten. Die klassischen körperlichen Phänomene des Pranayama werden gewöhnlich in vier Gruppen eingeteilt: 1. Schweiß: Das ist nicht der gewöhnliche Schweiß, wie er 58
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durch heftige Bewegung entsteht. Dieser Schweiß besitzt seltsame Eigenschaften, doch werde ich Ihnen diese nicht verraten, weil es für Sie wesentlich besser ist, die Übungen selbst auszuführen, selbst Erfahrungen zu machen und mir dann darüber zu berichten. Dann werden Sie auch wissen, daß Sie echte Resultate erzielt haben, denn wenn ich Ihnen jetzt einige verriete, würden Sie sich diese wahrscheinlich nur einbilden. 2. Automatische Starre: Der Körper gelangt durch Krampf zum Stillstand. Das ist vollkommen normal und vorhersehbar. Es ist üblich, dergleichen mit einem Hund zu tun. Den gibt man unter eine Glasglocke, pumpt Sauerstoffoder Kohlensäure oder dergleichen hinein, und der Hund wird steif. Man kann ihn herausnehmen und an einem Bein herumschleudern, als wäre er gefroren. Es ist zwar nicht ganz dasselbe, kommt der Sache aber nahe. 25 Wissenschaftlern ist die Forschung erheblich erschwert, weil sie dazu ausgebildet wurden, das Unmeßbare zu ignorieren. Alle Phänomene besitzen gewisse subtile Eigenschaften, die sich im Augenblick allen rein wissenschaftlichen Untersuchungsme thoden entziehen. Wir können Naturprozesse im La bor zwar imitieren, doch ist diese Nachahmung nicht immer mit dem Original genau identisch. So versuchte beispielsweise Professor J.B. S. Haldane einige der Experimente, die in The Equinox zum Thema Pranayama vorgeschlagen wurden, und kam dabei fast ums Leben. Er erkannte den Unterschied zwischen dem Experiment mit dem Hund und jenen Phänome nen nicht, die als Höhepunkt einer sanften Vorge hensweise eintreten. Es ist der Unterschied zwischen der Beschwingtheit, die das langsame Nippen an einem 26er Clos Vougeot erzeugt, und dem Wahnsinn des Kornschnapssaufens. Ebenso töricht ist der Glaube, daß es gesünder sei, Kokain zu schnupfen als Cocablätter zu kauen. 59
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Aber Kokain sei doch chemisch rein, lautet der Einwurf! Kokain sei doch der eigentliche Wirkstoff! Wir wollen doch diese widerlichen Blätter nicht haben, in denen unsere geheiligte Droge mit einem Haufen Pflanzenkram vermischt ist, der sich der Analyse weitgehend entzieht und aus diesem Grund unmöglich irgendeinen Nutzen haben könnte! Diese automatische Starre oder »shukshma khumbakham« kann nicht nur als das bloße Eintreten körperlicher Starre erklärt werden. Das ist lediglich das gröbere Symptom. 26 Für die dritte Gruppe ist »bucharisiddhi« kennzeichnend: »Die Fähigkeit, wie ein Frosch umherzuhüpfen« wäre eine ungefähre Übersetzung für dieses faszinierende Wort. Es ist ein sehr außerge wöhnliches Phänomen. Man sitzt fest auf dem Boden und wird plötzlich hin- und herbewegt, ungefähr so, wie trockenes Laub von einem leisen Windhauch umhergeweht wird. So etwas geschieht wirklich; geistig bleibt man dabei völlig normal und kann sich selbst beobachten. Die natürliche Erklärung dafür lautet, daß die Mus keln sehr rasche, kurze Zuckungen vollführen, ohne daß man sich dessen bewußt wird. Das Beispiel vom Hund, der ähnliche Zuckungen vollführt, ist eine hilfreiche Veranschaulichung. Dagegen läßt sich einwenden, daß das Denken doch vollkommen normal zu sein scheint. Dabei gibt es jedoch einen besonderen Punkt des Bewußtseins, nämlich das Gefühl eines beinahe völligen Gewichtsverlusts. Dies wird sich, nebenbei bemerkt, für den ausgebildeten Psychiater recht beunruhigend anhören, denn bestimmte Formen des Irrsinns kennen ein ähnliches Gefühl. 27 Das vierte Stadium ist die Levitation. Die Hindus behaupten, daß das »Umherhüpfen wie ein Frosch« einen tatsächlichen Gewichtsverlust bedeutet und es nur deshalb zu lateralen Sprüngen kommt, weil man den Vorgang noch nicht vervollkommnet hat. Wäre man absolut ausgeglichen, be60
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haupten sie, würde man sich ganz ruhig in die Luft erheben. Von alledem weiß ich nichts. Ich habe es nie gesche hen sehen. Andererseits habe ich auch das Gefühl gehabt, als ob es geschehen könnte, und bei mindestens drei Gelegenheiten haben verhältnismäßig zuverlässige Leute ausgesagt, daß sie gesehen hätten, wie es mit mir geschah. Ich glaube nicht, daß dies etwas beweist. 28 Diese Übungen, Asana und Pranayama, sind bis zu einem gewissen Grade mechanischer Natur, und bis zu diesem Grade ist es für einen Menschen von außergewöhnlicher Willenskraft mit viel Muße und ohne Behinderung gerade noch möglich, einen guten Teil der gröbsten Yogaarbeit auch in England zu absolvieren. Doch würde ich ihm raten, sehr streng bei der rein körperlichen Vorbereitung zu bleiben und auf keinen Fall Übungen der eige ntlichen Konzentration zu versuchen, ehe er nicht dazu imstande ist, eine passende Umgebung herzustellen. Doch soll er sich nicht einbilden, daß ich mit diesem sehr ungewöhnlichen Fall von Nachsicht irgendwelche Nachlässigkeiten unterstützen will. Wenn er sich beispielsweise dazu entschließt, zweimal täglich eine Viertelstunde Asana zu praktizieren, um dieses Pensum auf viermal täglich eine Stunde zu steigern (und die Pranayama übung in entsprechendem Verhältnis), dann muß er auch dabei bleiben — es darf keinen Cocktailpartys, Fußballspielen oder Begräbnissen na her Verwandter gestattet werden, diese tägliche Routine zu unterbrechen. Die Disziplin ist entscheidend, die Aneignung der gewohnheitsmäßigen Kontrolle ist sehr viel wichtiger, als jeder bloße Erfolg der Übungen an sich. Es wäre mir lieber, daß Sie die von Ihnen festgesetzte volle Stunde lang herumzappeln, als daß Sie neunundfünfzig Minuten stillsitzen. Der Grund dafür wird erst klar, wenn wir zur Betrachtung des fortgeschrittenen Yogas kommen, ein Thema, das in einer zweiten Reihe von vier Vorträgen erschöpfend behandelt werden soll. Das soll aber 61
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nur auf besonderes Verlangen geschehen, und ich hoffe ernsthaft, daß nichts dergleichen passieren wird. 29 Bevor ich eine Danksagung an den Vortragenden für seine außerordentlich brillante Darlegung dieses höchst schwierigen Themas beantrage, möchte ich ein paar Worte über Mantra Yoga hinzufügen, weil dieser tatsächlich ein Zweig des Pranayama ist, und zwar einer, den man in diesem Land recht gründlich üben kann. In Buch IV, Teil I, habe ich ihn mit Beispielen hinreichend ausführlich beschrieben. An dieser Stelle brauche ich nur darauf hinzuweisen, daß eine beständige Anwendung bei Tag und Nacht — ohne auch nur einen Augenblick der Pause einzulegen — die wahrscheinlich nützlichste Methode sein dürfte, um den Gedankenstrom für die Annahme rhythmischer Form vorzubereiten, und Rhythmus ist das große Heilmittel gegen Unregelmäßigkeit. Ist er erst einmal hergestellt, wird keine Störung ihn behindern. Er neigt von Natur aus dazu, langsamer zu werden wie ein Pendel, bis die Zeit stillsteht und die Aufeinanderfolge der Eindrücke, die unsere intellektuelle Wahrnehmung des Universums ausmacht, durch eine Form des Bewußtseins (oder, wenn Sie das vorziehen sollten, des Unbewußtseins, obwohl keins von beiden Ihnen auch nur die leiseste Vorstellung davon zu vermitteln mag, was eigentlich gemeint ist) abgelöst wird, das völlig ohne Bedingtheit ist und daher die perfekte Vollendung des Yoga darstellt. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.
Yoga für Gelbbäuche
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Erste Vorlesung Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. 1 Wir wollen heute abend damit anfangen, die Grundlagen zu rekapitulieren, die ich in meinen ersten vier Vorträgen behandelt habe. Ich sagte Ihnen, daß Yoga Vereinigung bedeute und daß diese Vereinigung die Ursache aller Phänomene sei. Be wußtsein entsteht aus der Verbindung eines mysteriö sen Reizes mit einem mysteriösen Sensorium. Die Art des Yoga, die Gegenstand dieser Betrachtungen war, ist nur eine Erweiterung davon, die Vereinigung des SelbstBewußtseins mit dem Universum. Wir sprachen von den acht Gliedern des Yoga und behandelten jene vier davon, die sich auf die Schulung des Körpers und auf seine Erfahrungen beziehen. Die übrigen vier behandeln das mentale Training und seine Erfahrungen und sollen daher zum Thema der nun folgenden Bemerkungen werden. 2 Bevor wir uns genauer damit beschäftigen, wäre es meiner Meinung nach nützlich, die Formel des Yoga von dem aus zu betrachten, was man den mathematischen oder magischen Standpunkt nennen könnte. Diese Formel ist in meinem Schulungswerk der Magie, Kapitel III, beschrieben; es ist die Formel des Tetragrammatons. Diese Formel umfaßt das gesamte Universum magischer Operationen. Das Wort, das gewöhnlich »Jehovah« ausgesprochen wird, wird als der »Unaussprechliche Name« bezeichnet; es wird behauptet, daß seine Schwingungen bei richtiger Aus sprache das Universum vernichten würden; und wenn wir die tiefergehende Interpretation nehmen, stimmt das tatsächlich. Tetragrammaton bezieht seinen Namen von den vier Buchstaben des Worts: Yod, He, Vau, He. Man vergleicht diese Buchstaben mit der Familie: Yod, der Vater; He, die 63
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Mutter; Vau, der Sohn; und schließlich He, die Tochter. (Beim Schreiben wird sie manchmal von ihrer Mutter dadurch unterschieden, daß man in den Buchstaben einen kleinen Punkt einfügt.) Die Buchstaben werden auch auf die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde bezogen. Ich kann noch weitergehen und feststellen, daß alle möglichen existie renden Dinge zur größeren Bequemlichkeit bestimmter Operationen mit einem oder mehreren dieser Ele mente in Beziehung gesetzt werden können. Doch diese vier Buchstaben, die in gewissem Sinne zwar das ewige Rahmengerüst darstellen, sind nicht, wie man zu sagen pflegt, ursprünglich. Wenn wir beispielsweise Tetragrammaton auf dem Lebensbaum anordnen, auf die zehn Sephiroth oder Zahlen, dann schließen wir die erste Sephira dabei nicht mit ein. Yod wird auf die zweite Sephira bezogen, He auf die dritte, Vau auf die Gruppe 4 bis 9 und das End-He auf die zehnte. Von Nr. l wird gesagt, daß sie von dem obersten Punkt des Yod symbolisiert wird. Nur in Nr. 10 finden wir das manifestierte Universum, das somit als Ergebnis des Yoga der anderen Kräfte beschrieben wird, der ersten drei Buchstaben des Namens, der aktiven Elemente Feuer, Wasser und Luft. (Das sind die drei »Mutterbuchstaben« des he bräischen Alphabets.) Das letzte Element, Erde, wird für gewöhnlich als eine Art Festigung der drei anderen betrachtet; doch das ist eine etwas unbefriedigende Sichtweise, denn wenn wir die Wirklichkeit des Universums überhaupt zugeben, befinden wir uns auch schon philosophisch im Chaos. Das soll uns im Augenblick jedoch nicht beschäftigen. 3 Wenn wir diese Symbole auf den Yoga anwenden, stellen wir fest, daß Feuer den Yogi darstellt und Wasser den Gegenstand seiner Meditation. (Wenn Sie wollen, können Sie diese Entsprechungen auch umkehren. Das macht niemandem etwas aus, außer dem Metaphysiker. Und selbst den kümmert es herzlich wenig!) 64
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Das Yod und das He verbinden sich, Vater und Mut ter vereinen sich, um einen Sohn zu zeugen, Vau. Dieser Sohn ist der exaltierte Bewußtseinszustand, der durch die Vereinigung von Subjekt und Objekt entsteht. Dieser Bewußtseinszustand wird in der Hindu-Terminologie Samadhi genannt. Er hat viele Varianten, deren Sublimität sich konstant steigert; aber es ist der Gattungsname, der diese Vereinigung in sich einschließt, welcher der eigentliche Gegenstand des Yoga ist. An dieser Stelle sollten wir an das arme kleine End-He denken, das die Ekstase — soll ich Orgasmus sagen? — und ihre völlige Absorption darstellt: den Ausgleich, der sie aufhebt. Es fällt mir außerordentlich schwer, mich auszudrücken. Es handelt sich um eine jener Vorstellungen, die als Ergebnis beständiger Meditation sehr tief in meinen Geist eingegraben sind, und ich habe das Gefühl völliger Ohnmacht, wenn ich sage, daß die beste Übersetzung für den Buchstaben End-He sein würde: »Ekstase, die sich ins Schweigen erhebt.« Die Moral daraus: Meditieren Sie selbst und arbeiten Sie es selbst heraus! Im Endeffekt gibt es doch keinen anderen Weg. 4 Da wir den Yoga vom streng wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachten, halte ich es für sehr wichtig, die Genauigkeit der Analogie zu betonen, die zwischen dem yogischen und dem sexuellen Vorgang besteht. Wenn Sie den Lebensbaum betrachten, sehen Sie, daß sich die Zahl Eins an der Spitze in die Zahlen Zwei und Drei teilt, in die Polarität von Vater und Mutter, und daß ihre Vereinigung die Komplexität des Sohnes hervorbringt, der Vau-Gruppe, während die ganze Figur ihre Einfachheit in der einzelnen Sephira des End-He, in der Tochter, wiedergewinnt. Es ist das gleiche wie in der Biologie. Das Spermato-zoon und das Ei sind biologisch die Teilung einer nicht manifestierten Einzelzelle, die in ihrer Funktion sehr schlicht ist, obwohl sie in latenter Form in sich sämtliche Möglichkeiten der ursprünglichen Einzelzelle birgt. Ihre Vereinigung ergibt die 65
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Manifestation dieser Eigenschaften im Kind. Ihre Potenttale drükken sich in Zeit und Raum aus und entwickeln sich, während mit dem Akt der Vereinigung zugleich die Ekstase einhergeht, die das natürliche Ergebnis des Bewußtseins von ihrer Vernichtung ist, die notwendige Vorbedingung für die Zeugung ihres Kindes. 5 Es wäre ein leichtes, diese These durch Analogien zu belegen, wie wir sie aus den menschlichen Erfahrungen des Entstehens von Leidenschaft, des sie begleitenden Hungers, der intensiven Erlösung und der Freude durch die Erfüllung kennen. Statt dessen denke ich lieber an die Tatsache, daß alle wahre Religion die künstlerische, die dramatische Darstellung des sexuellen Prozesses gewesen ist, und zwar nicht nur wegen der Nützlichkeit dieses Kults für das Stammesleben, sondern als Schleier für die tiefere Bedeutung, die ich Ihnen heute abend erklären will. Ich bin der Meinung, daß jede Lebenserfahrung als Symbol der Wahren Erfahrung des tieferen Lebens angesehen werden sollte. Im Eid eines Meisters des Tempels findet sich die Klausel: »Ich will jedes Phänomen als eine besondere Mitteilung Gottes an meine Seele betrachten.« Es steht uns nicht an, den Großen Orden dafür zu kritisieren, daß er seine Vorstellung in Worten aus drückt, die von einer Person mit durchschnittlicher Intelligenz mühelos verstanden werden können. Wir sollten das, was der Satz an Metaphysischem enthält, beiseite schieben und seine naheliegendste Bedeutung erfassen. Jeder Akt soll also ein Akt des Yoga sein. Und das führt uns unmittelbar zu der Frage, die wir bis jetzt aufgeschoben haben -- zur Frage nach der Konzentration. 6 Konzentration! Die sexuelle Analogie kann uns immer noch Dienste leisten. Erinnern Sie sich an den Abbe bei 66
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Browning? Als er dazu aufgefordert wurde, am Liebeshof den Vorsitz zu übernehmen, verlieh er jener Frau den Preis, deren Erwählter der Verehrung gänzlich unwürdig war, und zwar mit folgender, bewunderungswürdiger Begründung: »Die Liebe, die sich auf einen, und nur auf einen allein bezieht erscheint furchtbar gleich dem, was vielleicht Gottes Vorzug gewinnt.« Es ist eine landläufige Redensart und unter bestimmten Bedingungen (wie man sie unter den verdorbenen Angelsachsen ständig vorfindet) auch eine Art Witz, daß Liebende Wahnsinnige sind. Alles, worüber sie verfügen können, wird in den Dienst ihrer Leidenschaft gezwängt; jede Art von Opfer, jede Art von Demütigung, jede Art von Unbequemlichkeit — sie alle zählen überhaupt nicht. Jede Energie wird beansprucht und verzerrt, jede Energie wird auf das eine, das einzige Ziel gerichtet. Der Schmerz einer flüchtigen Trennung erscheint unerträglich; die Freude der Vereinigung unmöglich zu beschreiben, ja kaum möglich zu ertragen! 7 Und das ist es gerade, was der Yogi tun muß. Sämtliche Bücher — die zwar in allen Punkten voneinander abweichen, sich aber in dieser Dummheit einig sind — belehren ihn, daß er dieses aufgeben muß und jenes, manchmal aus vernünftigen Gründen, häufiger jedoch aus Gründen des Vorurteils und des Aberglaubens. Im fortgeschrittenen Stadium muß man gerade jene Tugenden aufgeben, die eine n überhaupt soweit gebracht haben! Jede Vorstellung ist, als Vorstellung betrachtet, reiner Ballast, totes Gewicht, Gift; doch es ist völlig falsch, darin einen Akt des Opfers zu sehen. Es geht nicht im geringsten darum, sich irgend etwas zu versagen, was man haben will. Der Vorgang besteht vielmehr darin, daß man lernt, das loszulassen, wonach man zu verlangen meinte, als man sich 67
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noch in der Dunkelheit vor dem Sonnenaufgang der Entdeckung des wahren Gegenstands seiner Leidenschaft befand. Passen Sie also gut auf! Die Konzentration hat unsere moralischen Verpflichtungen auf ihre einfachsten Bedingungen beschränkt: Es gibt einen einzigen Standard, an dem alles gemessen werden muß. Zur Hölle mit dem Papst! Wenn Hummer ä la Newburg unsere Verdauung beeinträchtigt — und eine gute Verdauung ist für unser Üben notwendig —, dann essen wir eben keinen Hummer ä la Newburg. Bevor man das nicht richtig begriffen hat, wird der Yogi immerfort durch die Sophistereien religiöser und moralischer Fanatiker abgelenkt werden. Zur Hölle mit den Erzbischöfen! 8 Sie werden schnell einsehen, daß es sorgfältiger Planung bedarf, wenn man einen solchen Weg gehen will. Sie müssen sich Ihr Leben auf beträchtlich lange Sicht im voraus zurechtlegen, soweit dies menschenmöglich ist. Ein Versagen auf diesem Gebiet der strategischen Anfangsdisposition hat zur Folge, daß man den Feldzug einfach nicht durchführen kann. Mit Sicherheit werden unvorhergesehene Zufälligkeiten eintreten, deshalb besteht eine unserer Vorsichtsmaßnahmen darin, eine gewisse Kraftreserve zu ha ben, die man unerwarteten Angriffen entgegensetzen kann. Das ist natürlich nur die Konzentration im Alltagsleben, und es ist die Gewöhnung an eine solche Konzentration, die uns auf die sehr viel schwierigere Aufgabe der tieferen Konzentration der Yogapraxis vorbereitet. Für jene, die einen Vorbereitungskurs durchlaufen, gibt es nichts Besseres, als die in The Equinox empfohlenen Übungen auszuführen, solange sie immer noch ein mehr oder weniger gewöhnliches Leben führen. Es sollte --ja es muß — einen festgelegten Ablauf von Handlungen geben, die darauf abzielen, den Studierenden an das Große Werk zu erinnern.
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9 Der Klassiker auf diesem Gebiet ist Liber Astarte vel Berylli, das Buch von der Hingabe an eine bestimmte Gottheit. Dieses Buch ist über jedes Lob erha ben, denn es behandelt das ganze Thema in allen Einzelheiten in einer makellos brillanten Sprachlichkeit. Seine Praxis ist an sich schon ausreichend, um den Verehrenden auf eine hohe Stufe zu führen. Das ist nur etwas für wenige. Doch sollte jeder Studierende es sich zur Pflicht machen, viermal am Tag die Sonne zu grüßen (wie es im Liber Resh empfohlen wird), und er sollte den Mond bei seinem Erscheinen mit dem Mantra Gayatri grüßen. Am besten ist es, das Mantra sofort zu sprechen, wenn man den Mond erblickt, darauf zu achten, ob die Aufmerksamkeit schwankt, und das Mantra so lange zu wiederholen, bis sie stabilisiert ist. Er sollte auch fleißig Liber 111 vel Jugorum üben. Das Wesentliche dieser Übung besteht darin, daß man einen vertrauten Gedanken, ein Wort oder eine Geste auswählt, die während des Tages öfter automatisch wiederkehren, um sich jedesmal, wenn dies geschieht, mit einem geeigneten Gegenstand scharf in Handge lenk oder Unterarm zu schneiden. Es gibt auc h eine weitere Praktik, die mir sehr nützlich erscheint, wann immer ich durch die Straßen einer christlichen Stadt gehe — die Praktik nämlich, mit der vorgeschriebenen ausholenden und nach unten ge richteten Armbewegung und den Worten Apo pantos kakodaimonos jeden zu exorzieren, der geistliche Kleidung trägt. Alle diese Übungen helfen bei der Konzentration und dienen auch dazu, unsere Aufmerksamkeit wachzuhalten. Sie stellen eine unschätzbare Vorbereitungsübung für das ungeheure Werk echter Konzentration dar, wenn es nämlich darum geht, sich den feinen und immer feiner werdenden Gemütsbewegungen zu widmen. l0 Jetzt können wir zur Betrachtung der Yoga-Übungen an sich übergehen. Ich gehe davon aus, daß Sie sich in den 69
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vierzehn Tagen, die seit meinem letzten Vortrag vergangen sind, alle in Asana und Pranayama vollkommen ausgebildet haben; daß Sie täglich eine bis zum Rand mit Schwefelsäure gefüllte Untertasse zwölf Stunden lang ohne Zwischenfall auf dem Kopf balancieren, daß Sie alle geschäftig herumhüpfen wie die Frösche, wenn Sie gerade nicht damit beschäftigt sind, in der Luft zu schweben; und daß Ihr Mantra so regelmäßig ist wie Ihr Herzschlag. Die vier verbleibenden Glieder des Yoga sind Pratya-hara, Dharana, Dhyana und Samadhi. Ich will alle vier auf einmal definieren, da jedes dieser Glieder bis zu einem gewissen Grade das auf sie folgende erklärt. Pratyahara könnte man grob als Innenschau bezeichnen, es meint aber auch einen bestimmten Typus psychologischer Erfahrung. Man kann beispielsweise plötzlich, wie es Sir Humphrey Davy tat, zu der Überzeugung gelangen, daß das Universum aus schließlich aus Vorstellungen zusammengesetzt ist; oder Sie gelangen vielleicht zu dem unmittelbaren Gefühl, daß Sie keine Nase besitzen, wie es den besten von uns passieren kann, wenn wir uns auf unsere Nasenspitze konzentrieren. 11 Dharana ist die eigentliche Meditation, nicht aber jene Art von Meditation, die aus tiefschürfender Betrachtung des Gegenstandes mit dem Ziel besteht, ihn zu erklären oder umfassender zu begreifen, sondern die tatsächliche Beschränkung des Be wußtseins auf einen einzelnen, zu diesem Zweck ge wählten vorgestellten Gegenstand. Diese beiden Glieder des Yoga sind also in gewissem Sinne die beiden Methoden, die der Yogi mental anwendet. Denn noch lange nachdem man in Samadhi Erfolg erlangt hat, muß man die ausgedehntesten Forschungsreisen in die hintersten Winkel des Geistes unternehmen. 12 Das Wort Dhyana läßt sich schwer definieren. Viele Autoren gebrauchen es in ganz widersprüchlicher 70
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Bedeutung. Diese Frage wird in Teil I meines Buch IV recht ausführlich behandelt. Ich will anführen, was ich zum Schluß darüber gesagt habe: »Versuchen wir eine endgültige Definition. Dhyana gleicht Samadhi in vielerlei Hinsicht. Dabei findet eine Vereinigung des Ego mit dem Nicht-Ego statt, und es kommt zu einem Verlust des Gefühls für Zeit, Raum und Kausalität. Die Dualität jeglicher Form wird vernichtet. Die Vorstellung von der Zeit schließt die zweier, aufeinanderfolgender Dinge ein, die des Raums, zweier, nichtkoinzidierender Dinge, die der Kausalität, zweier, miteinander verbundener Dinge.« Samadhi läßt sich dagegen in gewisser Hinsicht sehr leicht definieren. Dabei hilft uns die Etymologie, unterstützt von der Beharrlichkeit der religiösen Tradition. »Sam« ist im Sanskrit eine Vorsilbe, die sich im Griechischen ohne einen Bedeutungswandel zur Vorsilbe »syn« entwickelte, etwa das »syn« in »Synopsis«, »Synthese«, »Syndrom«. Es bedeutet »zusammen mit«. 13 »Adhi« ist ebenfalls durch viele Jahrhunderte und Sprachen überliefert. Es ist eines der ältesten Worte der menschlichen Sprache; es stammt aus jener Zeit, da jeder Laut eine bestimmte Bedeutung hatte, eine Bedeutung, die von der Muskelbewegung nahegelegt wurde, die man machte, um den Laut hervorzubringen. So bedeutete der Buchstabe D ursprünglich »Vater«; so wurde der Urvater, der gestorben war und zu einem »Gott« gemacht wurde, »Ad« genannt. Dieser Name gelangte unverändert nach Ägypten, wie man im Buch des Gesetzes sieht. Das Sans kritwort »Adhi« wurde gewöhnlich mit »Herr« übersetzt. In der syrischen Form finden wir es verdoppelt zu »Hadad«. Sie werden sich an Ben Hadad, den König von Syrien, erinnern. Das hebräische Wort für »Herr« ist Adon oder Adonai. Adonai, mein Herr, wird dauernd in der Bibel gebraucht, um den Namen Jehova an Stellen zu ersetzen, wo er zu heilig war, um genannt zu werden, oder aus anderen Gründen, die niederzuschreiben 71
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unzulässig war. Durch die rosenkreuzerische Tradition hat Adonai auch die Bedeutung »Heiliger Schutzengel« erha lten und ist damit zum Gegenstand der Anbetung oder der Konzentration geworden. Es ist dasselbe; Anbetung — englisch »worship« -- ist »worth ship« und bedeutet Würdigkeit; und alles außer dem auserwählten Gegenstand ist natürlich ein unwürdiger Gegenstand. 14 Da Dhyana auch den Zustand der Aufhebung der Geteiltheit darstellt, ist es ein wenig schwie rig, es von Samadhi zu unterscheiden. In Teil I des Buch IV habe ich geschrieben: »Die dhyanischen Zustände widersprechen denen des normalen Denkens, aber im Samadhi sind sie viel aus geprägter als in Dhyana. Und während es bei Dhyana wie eine einfache Vereinigung zweier Dinge erscheint, hat es bei ersterem den Anschein, als ob alle Dinge aufeinander zustürzten und sich vereinigten. Man könnte sagen, daß diese Qualität in Dhyana noch latent war, daß dem existierenden Einen die nichtexistierende Vielheit gegenübersteht; im Samadhi sind die Vielen und das Eine in einer Vereinigung der Existenz mit der Nicht-Existenz verbunden. Diese Definition entstammt nicht der Überlegung, sondern dem Gedächtnis.« 15 Aber das wurde 1911 geschrieben, und seitdem habe ich ausgedehnte Erfahrungen gesammelt. Heute neige ich zu der Feststellung, daß Dhyana sich zu Samadhi eher verhält wie das in einem früheren Vortrag erwähnte froschähnliche Herumhüpfen zur Levitation. Mit anderen Worten, Dhyana ist eine unausgeglichene oder unreine Annäherung an Samadhi. Subjekt und Objekt vereinigen sich und lösen sich auf, sobald die Ekstase sich zur Indifferenz erhebt, und so weiter, aber immer ist da noch irgendeine Vorstellung in diesem neuen Bewußtsein. So gesehen wäre also Dhyana eher mit einer Explosion von nachlässig ge mischtem Schießpulver zu 72
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vergleichen; das meiste verpufft mit einem Knall, aber es bleiben noch Überreste der ursprünglichen Mischung übrig. Diese Betrachtungen haben an sich keine große Be deutung, weil alle drei eigentlichen Meditationszustände in dem Wort Samyama zusammengefaßt sind. Sie können sich diesen Begriff ganz gut selbst übersetzen, da Sie bereits wissen, daß »sam« die Bedeutung »zusammen« hat, während »Yama« »Beherrschung« bedeutet. Es stellt das Verschmelzen unbedeutender, individueller Akte der Beherrschung zu einer einzigen Geste dar, ziemlich genau so, wie alle einzelnen Zellen, Knochen, Venen, Schlagadern, Nerven, Mus keln des Arms und so weiter sich in unbewußter Übereinstimmung zu einem einzigen Schlag verbinden. l6 Nun ist die Praktik des Pratyahara genaugenommen Innenschau, während die Praktik des Dharana genaugenommen die Beschränkung des Denkens auf einen einzigen gedachten Gegenstand ist. Ersteres ist eine Bewegung des Geistes, letzteres ein Aufhören aller Bewegung. Und man wird höchstwahrscheinlich keinen großen Erfolg mit Pratyahara haben, ehe man nicht beträchtlichen Fortschritt in Dhyana gemacht hat, denn unter Innenschau verstehen wir das Erforschen der unteren Schichten des Bewußtseins, die sich erst offenbaren, nachdem wir ein gutes Stück vorangekommen sind und Zustände wahrnehmen können, die der normalen intellektuellen Auffassung völlig fremd sind. Das erste Gesetz des normalen Denkens lautet A ist A: Es ist das Gesetz der Identität, wie es genannt wird. So können wir das Universum in A und Nicht-A unterteilen; ein drittes ist nicht möglich. Nun wird der Yogi wahrscheinlich gleich zu Anfang der Meditationsübungen als unmittelbare Erfahrung das Bewußtsein erleben, daß diese Gesetze nicht in irgendeinem endgültigen Sinn wahr sind. Er hat eine Welt erreicht, in der intellektuelle Konzepte keine Gültigkeit mehr haben; zwar 73
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bleiben sie für die gewohnlichen Lebensangelegenheiten wahr, doch die normalen Denkgesetze werden als rein mechanisch erkannt. Ein Kodex der Konventionen. Wer höhere Mathematik und Metaphysik studiert, bekommt oft eine gewisse Ahnung von diesen Tatsachen. Er muß irrationale Konzepte verwenden, um mit größerer Bequemlichkeit ihre rationale Erforschung zu betreiben. Zum Beispiel ist die Quadratwurzel von 2 oder auch die Quadratwurzel von minus l von sich aus nicht begreifbar; sie gehört zu einer Denkweise, die über die Erfindung des primitiven Menschen, alles an den Fingern abzuzählen, hinausführt. 17 Daher ist es ganz gut, wenn der Studierende mit den Dharana-Praktiken anfängt. Tut er das, wird er als Nebenprodukt einige Erfahrungen des Pratyahara erhalten, und er wird sich außerdem eine beachtliche Einsicht in die Methode der Pratyaharaübungen aneignen. Zuerst mag es vielleicht scheinen, als läge Pratyahara gar nicht auf dem Hauptweg zum Meistern des Yoga. Dem ist aber nicht so, denn es befähigt ihn dazu, mit den neuen Bedingungen fertigzuwerden, die durch die Erlangung von Dhyana und Samadhi im Geist entstehen. Jetzt kann ich die elementaren Übungen beschreiben. Man sollte mit sehr kurzen Zeitabschnitten beginnen; es ist von äußerster Wichtigkeit, sein Werkzeug nicht zu überanstrengen; der Geist muß sehr langsam ge schult werden. Am Anfang war ich oft mit ein oder zwei Minuten zufrieden; drei oder vier solcher Zeitabschnitte, zwei- oder dreimal am Tag. In den allerersten Stadien der Gesamtpraxis ist es noch nicht erforderlich, mit Asana sehr weit gekommen zu sein, weil alles, was man aus den ersten Übungen gewinnen kann, in Wirklichkeit nur eine Vorahnung ihrer Schwierigkeiten ist. l8 Ich fing damit an, mir einen einfarbigen, geo-metrischen Gegenstand vorzunehmen, beispielsweise ein gelbes Viereck. Ich will die offiziellen Instruktionen in The Equinox 74
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hier zitieren: »Dharana — Gedankenbeherrschung. 1. Zwinge den Geist, sich auf einen einzigen gedachten Gegenstand zu konzentrieren. Dafür sind die fünf Tattwas nützlich; diese sind: ein schwarzes Oval, eine blaue Scheibe, eine silberne Mondsichel, ein gelbes Viereck, ein rotes Dreieck. 2. Gehe zu Verbindungen einzelner Gegenstände über; z. B. ein schwarzes Oval in einem gelben Viereck und so weiter. 3. Gehe zu einfachen, beweglichen Gegenständen über, beispielsweise zu einem schwingenden Pendel, einem sich drehenden Rad und so weiter. Vermeide lebende Dinge. 4. Gehe zu Verbindungen beweglicher Gegenstände über, z. B. ein sich hebender und senkender Kolben bei gleichzeitig schwingendem Pendel. Die Beziehung zwischen den beiden Bewegungen sollte in verschiedenen Experimenten verändert werden. (Oder sogar ein System von Schwungrädern, exzentrischen Scheiben und Regulatoren.) 5. Während dieser Übungen muß der Geist absolut auf den gewählten Gegenstand beschränkt bleiben; kein anderer Gedanke darf in das Bewußtsein eindringen. Die sich bewegenden Systeme müssen regelmäßig und harmonisch sein. 6. Notiere sorgfältig die Dauer des Experiments sowie Zahl und Art der eindringenden Gedanken; ebenso die Neigung des Gegenstandes selbst, von der für ihn ausgewählten Bahn abzuweichen, wie auch alle anderen Erscheinungen, die sich zeigen mögen. Vermeide Überanstrengung; das ist sehr wichtig. 75
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7. Gehe dazu über, dir lebende Dinge vorzustellen; etwa einen Menschen, vorzugsweise einen, der dir bekannt ist und den du achtest. 8. In den Pausen zwischen diesen Experimenten kannst du versuchen, dir die Gegenstände der anderen Sinne vorzustellen und dich darauf zu konzentrieren. Versuche beispielsweise, dir den Geschmack von Schokolade, den Duft von Rosen, das Gefühl von Samt, das Geräusch eines Wasserfalls oder das Ticken einer Uhr vorzustellen. 9. Versuche schließlich, alle Objekte aller Sinne auszuschließen und alle Gedanken daran zu hindern, in deinem Geist aufzusteigen. Wenn du das Gefühl hast, daß du in diesen Übungen einigen Erfolg erzielt hast, melde dich zur Prüfung, und solltest du sie bestehen, werden dir kompliziertere und schwierigere Übungen vorgeschrieben werden.« 19 Nun sind eines der interessantesten und störendsten Merkmale der ersten Experimente die dazwischentretenden Gedanken. Da ist zuerst das schlechte Benehmen des Gegenstandes, auf den man sich konzentriert; er verändert Farbe und Größe und Stellung, er verliert seine Form. Und eine der Hauptschwierigkeiten bei der Übung besteht darin, daß es sehr viel Geschicklichkeit und Erfahrung bedarf, um wirklich wach für das zu werden, was dort geschieht. Man kann ziemlich lange vor sich hin tagträumen, bevor man überhaupt bemerkt, daß die Gedanken abgeschweift sind. Deshalb bestehe ich auch so streng auf den oben beschriebenen Übungen, weil sie Wachheit und Wachsamkeit fördern. Es wird Ihnen natürlich klar sein, daß man sich notwend igerweise in der allerbesten Verfassung und im günstigsten geistigen Zustand befinden muß, wenn man überhaupt vorwärts kommen will. Doch wenn Sie erst ein wenig Übung im Entdecken und Zählen der Unterbrechungen Ihrer Konzentration haben, werden Sie 76
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feststellen, daß sie an sich nützlich sind, weil ihr Wesen selbst ein Symptom Ihres Fortschritts ist. 20 Unterbrechungen werden folgendermaßen eingeteilt: Erstens körperliche Empfindungen; sie sollten durch Asana überwunden worden sein. Zweitens Unterbrechunge n, die durch Ereignisse unmittelbar vor der Meditation ausgelöst worden zu sein scheinen: ihre Lebhaftigkeit wird gewaltig. Nur durch diese Übung versteht man, wieviel tatsächlich von den Sinnen wahrgenommen wird, ohne daß der Geist sich dessen bewußt wird. Drittens gibt es eine Klasse von Unterbrechungen, die dem Träumen oder »Tagträumen« verwandt sind. Sie sind sehr heimtückisch — man kann sehr lange träumen, ohne überhaupt zu bemerken, daß man abge schweift ist. Viertens gibt es eine sehr hochwertige Art von Unterbrechungen, die eine Art Abschweifen der Kontrolle selbst sind. Man denkt: »Wie gut ich das doch mache!« Oder vielleicht, daß es ein ganz guter Gedanke wäre, auf einer verlassenen Insel oder in einem schalldichten Haus zu sein oder an einem Wasserfall zu sitzen. Doch das sind nur geringfügige Abweichungen von der Wachsamkeit an sich. Eine fünfte Klasse von Unterbrechungen scheint keine erkennbar geistigen Ursprünge zu haben. Sie können sogar die Form tatsächlicher Halluzinationen annehmen, meistens akustischer Art. Natürlich sind solche Halluzinationen selten und werden auch als solche erkannt. Sonst sollte der Studierende besser einen Arzt aufsuchen. Die natürliche Art besteht aus vereinzelten Sätzen oder Satzfetzen, die ganz deutlich in einer erkennbar menschlichen Stimme vernommen werden, die nicht die eigene Stimme des Schülers oder 77
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irgendeines Menschen ist, den er kennt. Ein ähnliches Phänomen wird von Funkern beobachtet, die solche Nachrichten »atmosphärische Störungen« nennen. Es gibt eine weitere Art von Unterbrechung, die das erwünschte Resultat selbst ist. 21 Ich habe bereits darauf hingewiesen, wie langweilig diese Übungen werden, wie groß die Bestürzung, wie beständig die Enttäuschung. Lange vor dem Eintritt von Dhyana gibt es eine ganze Anzahl geringerer Resultate, die den Zusammenbruch der intellektuellen Beschränktheit andeuten. Sie dürfen nicht beunruhigt sein, wenn diese Resultate Ihnen das Gefühl geben, als würde Ihrem Verstand der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Das, was man wirklich dabei lernt, so wie man beim Asana lernt, daß der normale Körper selbst nichts als das Vehikel des Schmerzes ist, ist die Tatsache, daß der normale Geist selbst wahnsinnig ist; er ist wahnsinnig nach seinem eigenen Maßstab. Man braucht nur ein solch einfaches und elementares Werk wie Professor Joads Guide to Philosophy zu lesen, um zu erfahren, daß jedes Argument, wird es nur weit genug ausgeführt, schließlich in einem Begriffswiderspruch endet. Es gibt Dutzende von Möglichkeiten, um, wenn man mit »a ist a« beginnt, schließlich bei »a ist nicht a« zu enden. Der Geist reagiert gegen diese Schlußfolgerung; er betäubt sich gegen diese selbst zugefügte Wunde, und er verweist die Philosophie in die Kategorie paradoxer Kunstkniffe. Doch das ist eine feige und schändliche Art der Stellungnahme. Der Yogi muß sich der Tatsache stellen, daß wir alle tobende Wahnsinnige sind; daß geistige Gesundheit, sofern es sie überhaupt gibt, in einem geistigen Zustand existiert, der frei ist von den Verstandesregeln, wie sie in Elementarschulen gelehrt werden. Daher verabschiede ich mich für heute abend mit der eindringlichen, persönlichen Empfehlung, ganz unge hindert 78
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zur Klagemauer zu kommen und sich in sinnlosem Gefasel zu ergehen. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen. Zweite Vorlesung Herr Vorsitzender. Königliche Hoheit, Euer Gnaden, meine Lords, meine Damen und Herren. Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. 1 In meinem letzten Vortrag führte ich Sie in den Sumpf der Täuschung; ich erstickte Sie im Schlamm der Täuschung; ich brachte Sie zum Dür sten in der Wüste der Täuschung; ich ließ Sie umherirren im Dschungel der Täuschung, eine Beute aller Ungeheuer, die Gedanken sind. Es wurde mir bewußt, daß es an mir war, etwas dagegen zu tun. Unentwegt haben wir über mysteriöse Wesenheiten debattiert, als wüßten wir irgend etwas über sie, und immer wieder hat sich bei genauerer Untersuchung herausgestellt, daß dem nicht so war. 2 Wissen an sich ist unmöglich, denn wenn wir den einfachsten Lehrsatz des Wissens nehmen: s = t, müssen wir s und t eine Bedeutung verleihen, wenn unsere Behauptung verständlich sein soll. (Ich sage nichts darüber, ob sie wahr ist!) Und das schließt die Definition ein. Nun sagt uns der ursprüngliche Lehr satz der Identität a = a gar nichts, wenn das zweite a uns nicht weitere Informationen über das erste a gibt. Deshalb werden wir sagen, daß a = bc ist. Statt einer Unbekannten haben wir nun zwei Unbekannte; wir haben b als de, c als fg. Jetzt haben wir vier Unbekannte und bald werden wir das Alphabet durch ha ben. Wenn wir z definieren sollen, müssen wir zurückkehren und einen der anderen Buchstaben benutzen, so daß alle unsere Schlußfolgerungen sich nur im Kreis bewegen. 79
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3 Jede Feststellung, die wir machen, ist nachweislich bedeutungslos. Und doch meinen wir etwas, wenn wir sagen, daß eine Katze vier Beine hat. Und wir wissen alle, was wir damit meinen, wenn wir es sagen. Wir billigen die Behauptung entweder oder lehnen sie aufgrund unserer Erfahrung ab. Doch diese Erfahrung ist nicht intellektueller Natur, wie oben klargelegt wurde. Sie ist eine Sache der unmittelbaren Intuition. Vielleicht haben wir keine Berechtigung für diese Intuition, aber gleichzeitig erschüttert jedes intellektuelle Argument, das sie umstößt, nicht im geringsten unsere Überzeugung. 4 Die daraus zu ziehende Schlußfolgerung lautet, daß das Werkzeug des Geistes nicht intellektuell, nicht rational ist. Logik ist nur zerstörerisch, ein selbstzerstörendes Spielzeug. Dieses Spielzeug ist jedoch in manchem auch lehrreich, auch wenn die Resultate seiner Anwendung der Prüfung nicht standhalten mögen. Also stellen wir eine Unterklausel auf, daß jene Soriten, die die Logik vernichten, verboten sind, und ziehen weiterhin in willkürlich bestimmten Grenzen unsere Schlüsse. Aufgrund dieser Bedingungen können wir fortfahren, das Wesen unserer Grundvorstellungen zu untersuchen; das ist auch notwendig, denn seit wir damit anfingen, das Wesen der Resultate der Meditation zu durchdenken, werden unsere Vorstellungen von dem, was dem Gedanken zugrunde liegt, auf ganz andere Weise bestimmt. Nicht durch intellektuelle Analyse, die, wie wir gesehen haben, keine Überzeugungskraft hat, sondern durch Erleuchtung, die wirkliche Überzeugung übermittelt. Darum wollen wir dazu übergehen, die Elemente unseres normalen Denkens zu untersuchen. 5 Ich brauche kaum das mathematische Theorem zu wiederholen, das Sie sich zweifellos alle zu Herzen genommen haben, als Sie Einsteins Relativitätstheorie kritisierten. Ich möchte Sie nur an das einfachste Element dieses Theorems erinnern, an die Tatsache nämlich, daß man, will man 80
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überhaupt etwas beschreiben, vier Maße dazu braucht. Es muß soundso weit östlich oder westlich, soundso weit nördlich oder südlich, soundsoweit oberhalb oder unterha lb eines Normalpunktes sein, und es muß sich dort nach oder vor einem Normalmoment befinden. Das sind die drei Dimensionen des Raums und die eine Dimension der Zeit. 6 Was verstehen wir nun unter Raum? Henri Poincare, einer der größten Mathematiker der le tzten Generation, war der Meinung, daß die Vorstellung vom Raum von einem Irrsinnigen erfunden wurde, in dem phantastischen (und offensichtlich sinn- und ziellosen) Bemühen, sich die Erfahrung seiner Muskelbewegungen zu erklären. Lange vorher hat Kant uns mitgeteilt, daß der Raum subjektiv sei, eine notwendige Bedingung des Denkens; und wenn dem auch jedermann zustimmen muß, ist es doch klar, daß es uns nicht viel darüber sagt. 7 Betrachten wir nun unseren Geist und sehen wir nach, welche Vorstellung wir uns vom Raum bilden können, sofern das überhaupt möglich ist. Der Raum ist offensichtlich ein Konünuum. Zwischen seinen Teilen kann es keinen Unterschied geben, denn er ist ganz und gar wo. Er ist reiner Hintergrund, der Spielraum der Möglichkeiten, eine Bedingung für Qualität und somit für alles Bewußtsein. Daher ist er an sich vollkommen leer. Stimmt das, Sir? 8 Nun wollen wir annehmen, daß wir eine dieser Möglichkeiten erfüllen wollen. Das einfachste, das wir uns vornehmen können, ist ein Punkt, und man sagt uns, daß ein Punkt weder Einzelteile noch Größe hat, sondern nur eine Position. Aber solange nur ein Punkt vorhanden ist, bedeutet die Lage überhaupt nichts. Bis jetzt wurde noch keine Möglichkeit für eine positive Feststellung geschaffen. Wir wollen uns daher zwei Punkte vornehmen, und aus diesen 81
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ergibt sich für uns die Vorstellung einer Linie. Unser Euklid sagt uns, daß eine Linie eine Länge hat, aber keine Breite. Solange aber nur zwei Punkte vorhanden sind, bedeutet Länge an sich nichts; allenfalls bedeutet sie Getrenntsein. Alles, was wir von zwei Punkten sagen können, ist, daß es eben zwei sind. 9 Nun nehmen wir einen dritten Punkt hinzu und gelangen endlich zu einer positiveren Vorstellung. Erstens haben wir eine ebene Fläche, obwohl das an sich immer noch nichts bedeutet, so wie die Länge nichts bedeutet, wenn es nur zwei Punkte gibt. Aber die Einführung des dritten Punkts hat unseren Vorstellungen von Länge eine Bedeutung gegeben. Wir können sagen, daß die Linie AB länger ist als die Linie BC, und wir können auch die Konzeption des Winkels einführen. 10 Ein vierter Punkt vermittelt uns die Vorstellung von einem festen Körper, vorausgesetzt, daß er sich nicht in der ursprünglichen Ebene befindet. Doch wie schon zuvor, sagt er nichts über den festen Körper als solchen aus, weil kein anderer fester Körper da ist, mit dem er verglichen werden könnte. Wir stellen weiter fest, daß er an sich in Wirklichkeit auch kein fester Körper ist, sondern nur eine spontane Form der Illusion. Wir können nichts beobachten oder uns auch nur einbilden, wenn wir für diesen Zweck nicht über die Dimension der Zeit verfügen. 11 Was ist also Zeit? Ein Phantasiegebilde, genauso unbedeutend wie der Raum, doch die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen einem Ding und einem anderen kann nur auf eine Weise geschehen anstatt auf drei verschiedene Weisen. Phänomene in der Zeit vergleichen wir miteinander durch die Vorstellung ihrer Aufeinanderfolge. 12 Nun wird Ihnen allen vollkommen klar sein, daß dies alles Unsinn ist. Um uns auch nur den einfachsten Gegenstand 82
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vorzustellen, müssen wir unentwegt Bilder dazu erfinden, die man sogar im stolzen Augenblick ihrer Erfindung als unwirklich erkennt. Wie sollen wir aus dieser Welt der Phantasmagorien jemals ins gewöhnliche Universum des Sinns gelangen? Dazu bedarf es einer Vielzahl weiterer Akte der Einbildungskraft. Wir müssen unsere mathematischen Konzepte mit drei Ideen ausstatten, die die Hindu-Philosophen als Sät, Chit und Ananda bezeichnen und die gewöhnlich als Sein, Wissen und Glückseligkeit übersetzt werden. Tatsächlich bedeutet dies: Sät, die Neigung, einen Gegenstand als wirklich anzusehen; Chit, die Neigung, so zu tun, als sei er ein Gegenstand des Wissens; und Ananda, die Neigung, uns vorzustellen, daß wir von ihm berührt würden. 13 Erst nachdem wir den Gegenstand mit diesen eingebildeten Eigenschaften ausgestattet haben, von denen jede nicht nur eine vollständige Illusion bedeutet, sondern ein absurder, irrationaler und selbstwidersprüchlicher Begriff ist, erreichen wir auch nur den einfachsten Gegenstand der Erfahrung. Und dieser muß natürlich andauernd multipliziert werden. Sonst bliebe unsere Erfahrung auf einen einzigen Gegenstand beschränkt, der nicht beschreibungsfähig ist. 14 Wir müssen uns auch eine Art göttlicher Macht über unsere Alptraumschöpfung zuerkennen, damit wir die verschiedenen Objekte unserer Erfahrung auf alle möglichen verschiedenen Weisen miteinander vergleichen können. Übrigens wird diese letzte Arbeit der Vervielfältigung der Gegenstände offensichtlich ungültig, weil schließlich das, womit wir anfingen, absolutes' Nichts war. Irgendwie ist es uns gelungen, daraus nicht nur eins, sondern viele zu erhalten; dennoch aber ist unser Vorgehen der notwendigen Operation unserer intellektue llen Maschine ge folgt. Da diese Maschine die einzige ist, die wir besitzen, müssen unsere Argumente im einen oder anderen Sinne mit dem Wesen dieser Maschine 83
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übereinstimmen. Welcher Maschine? Das ist ein vollkommen wirklicher Gegenstand. Sie enthält unzählige Teile, Kräfte und Fähigkeiten. Und die sind ebenso ein Alptraum wie das äußere Universum, das sie erschaffen hat. Potzblitz, Sir, Patanjali hat recht! 15 Wie kommen wir nun über diese Schwierigkeit hinweg, daß etwas aus dem Nichts kommen soll? Nur dadurch, daß wir uns fragen, was wir unter Nichts verstehen. Dann werden wir feststellen, daß diese Vorstellung für das normale Denken völlig unfaßbar ist. Denn wenn Nichts Nichts sein soll, muß es auf jede mögliche Weise Nichts sein. (Natürlich ist jede dieser Weisen an sich ein gedachtes Etwas, und davon gibt es AlephZero — eine transfinite Zahl.) Wenn wir beispielsweise behaupten, daß das Nichts ein viereckiges Dreieck ist, so müssen wir erst ein viereckiges Dreieck erfinden, um das sagen zu können. Doch nehmen wir ein einfacheres Beispiel. Wir wissen, was wir meinen, wenn wir sagen: »Es sind Katzen im Zimmer.« Wir wissen, was wir meinen, wenn wir sagen: »Es sind keine Katzen im Zimmer.« Aber wenn wir sagen: »Keine Katzen sind nicht im Zimmer«, so meinen wir offensichtlich, daß einige Katzen doch im Zimmer sind. Diese Bemerkung soll keine Reflektion über dieses erlauchte Publikum sein. 16 Wenn also Nichts tatsächlich das absolute Nichts sein soll, so meinen wir damit, daß Nichts nicht in die Kategorie der Existenz gehört. Zu sagen, daß das absolute Nichts existiert, ist gleichbedeutend mit der Feststellung, daß alles existiert, was existiert, und die hebräischen Weisen der alten Zeit hielten diese Tatsache fest, indem sie ihr den Titel der erhabensten Idee der Wirklichkeit gaben (jenseits ihres Stammesgottes Jehova, der, wie wir zuvor gezeigt haben, bestenfalls nur der Yoga der vier Elemente ist — der Demiourgos) Eheieh-AsherEheieh: Ich bin, der ich bin.
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17 Wenn in alledem überhaupt irgendein Sinn lie-gen sollte, dürfen wir damit rechnen, auf der ganzen Welt ein fast identisches Denksystem vorzufinden. Nichts an dieser Theogonie ist ausschließlich he bräisch. Beispielsweise finden wir in den Lehren des Zoroaster und der Neuplatoniker ganz ähnliche Vo rstellungen. Wir haben ein Pleroma, die Leere, einen Hintergrund aller Möglichkeiten, und es wird von einem erhabenen Lichtgott ausgefüllt, von dem sich ihrerseits die sieben Archonten ableiten, die sehr ge nau den sieben planetaren Gottheiten Aratron, Be thor, Phaleg und den anderen entsprechen. Diese setzen ihrerseits einen Demiurgen ein, um die Materie zu erschaffen; und dieser Demiurg ist Jehova. Nicht viel anders sind die Vorstellungen des griechischen Altertums und der Neuplatoniker. Die terminologischen Unterschiede stellen sich bei näherer Prüfung als nicht viel größer heraus als die Unterschiede örtlich bedingter Denkgevvohnheiten. Aber sie alle gehen auf die noch viel ältere Kosmogonie der alten Ägypter zurück, wo wir Nuit, den Raum, und Hadit, den Standpunkt, haben. Diese erfahren die Vereinigung und bringen so Heru-Ra-Ha hervor, der die Vorstellung von Ra-Hoor-Khuit und Hoor-paar-Kraat vereint. Sie sind dieselben Zwillinge Vau und End-He, die wir schon kennen. Hier liegt offenbar der Ursprung des Lebensbaumsystems. 18 Wir sind durch rein intellektuelle Prüfung zu diesem System gelangt, und es läßt sich kritisieren; worauf ich Ihre Aufmerksamkeit jedoch heute abend richten möchte, ist die Tatsache, daß es sehr genau einem jener großen Bewußtseinszustände ent spricht, die die Erfahrung des Samadhi widerspiegeln. Es gibt eine Vision besonderen Charakters, die für mein inneres Leben von hervorragender Bedeutung war, und auf die in meinen Magischen Tagebüchern dauernd Bezug genommen wird. Soviel ich weiß, gibt es nirgendwo eine ausführliche Beschreibung dieser Vision, und 85
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ich war überrascht, als ich beim Durchsehen meiner Niederschriften feststellte, daß ich selbst keinen klaren Bericht darüber gegeben hatte. Der Grund dafür liegt offenbar darin, daß diese Vision ein solch notwendiger Teil meiner selbst ist, daß ich es unbewußt für Allgemeingut halte, genauso wie man davon ausgeht, daß jedermann weiß, daß man zwei Lungen hat und folglich davon absieht, diese Tatsache direkt zu erwähnen, obwohl man vielleicht oft genug darauf anspielt. Es erscheint äußerst wesentlich, diese Vision so genau wie möglich zu beschreiben in Anbetracht der Schwie rigkeit, die die Sprache bietet, wie auch der Tatsache, daß die Phänomene logische Widersprüche enthielten, weil die Zustände des Bewußtseins andere waren, als man sie normalerweise hat. Die Vision entwickelte sich allmählich. Sie wiederholte sich bei so vielen Gelegenheiten, daß ich nicht imstande bin zu sagen, ab wann man sie vollständig nennen konnte. Ihr Beginn ist mir jedoch noch sehr klar in Erinnerung. 19 Ich befand mich auf einem Großen Magischen Exerzitium in einem kleinen Landhaus mit Blick auf den Lake Pasquaney in New Hampshire. Ich verlor das Bewußtsein von allem außer einem universalen Raum, in dem es unzählige helle Punkte gab, und ich erkannte, daß dies eine physische Darstellung des Universums als das war, was ich als seine essentielle Struktur bezeichnen würde. Ich rief aus: »Das Nichts mit Funkeln!« Ich konzentrierte mich auf diese Vision, mit dem Ergebnis, daß der leere Raum, der ihr Hauptelement gewesen war, an Bedeutung verlor. Der Raum schien zu flammen, doch waren die strahlenden Punkte nicht durcheinander, und daraufhin vervollständigte ich meinen Satz mit dem Ausruf: »Aber was für Funkeln! « 20 Die nächste Stufe dieser Vision führte zu einer Identifizierung der flammenden Punkte mit den Sternen des 86
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Firmaments, mit Ideen, Seelen usw. Ich bemerkte auch, daß jeder Stern mit jedem anderen durch einen Lichtstrahl verbunden war. In der Welt der Ideen besaß jeder Gedanke eine notwendige Verbindung mit jedem anderen Gedanken; jede dieser Verbindungen ist natürlich an sich schon ein Gedanke; jeder dieser Strahlen ist selbst ein Stern. Hier stellt sich die erste logische Schwierigkeit ein. Der Seher hat eine direkte Wahrnehmung unendlicher Reihen. Logischerweise müßte es also so scheinen, als sei der ganze Raum mit einem homogenen Lichtglanz erfüllt. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Raum ist vollständig gefüllt, doch die Monaden, die ihn erfüllen, sind vollkommen voneinander getrennt. Der ge wöhnliche Leser könnte wohl ausrufen, daß solche Behauptungen Symptome geistiger Verwirrung seien. Der Gegenstand verlangt aber mehr als eine oberflächliche Prüfung. Ich kann nicht mehr tun, als den Kritiker an Bertrand Russells Einleitung zur mathematischen Philosophie zu verweisen, wo die obige Position gründlich gerechtfertigt wird, wie auch gewisse andere Positionen, die noch folgen sollen. Ich möchte, daß Sie insbesondere die erstaunliche Schlußidentifikation dieses kosmischen Erlebnisses mit dem Nervensystem beachten, wie es der Anatom beschreibt. 2l An diesem Punkt tun wir gut daran, noch ein- mal in Betracht zu ziehen, was wir das objektive Universum nennen und was wir als unsere subjektive Erfahrung bezeichnen. Was ist die Natur? Immanuel Kant, der ein epochemachendes System des subjektiven Idealismus begründete, ist vielleicht der erste Philosoph, der klar aufzeigte, daß Raum, Zeit, Kausalität (kurzum alle Bedingungen des Daseins) tatsächlich nichts als Bedingungen des Denkens sind. Ich habe versucht, es einfacher auszudrücken, indem ich alle möglichen Prädikate als ebensolche Dimensionen bezeichnete. Um einen Gegenstand richtig zu beschreiben, genügt es nicht, seine Position im Raum-Zeit-Kontinuum zu bestimmen, wir müssen auch danach 87
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fragen, wo er in allen Kategorien und Maßstäben steht, welche Wertigkeiten er in allen Arten der Möglichkeiten hat. Was wissen wir über ihn hinsichtlich seiner grünen Farbe, seiner Härte, seiner Beweglichkeit und so weiter; und dann stellen wir fest, daß das, was wir für eine Beschreibung des Gegenstandes hielten, in Wirklichkeit nichts dergleichen ist. 22 Alles, was wir aufzeichneten, ist das Verhalten unserer Instrumente. Was haben uns unsere Teleskope, Spektroskope und Waagen gesagt? Und diese sind wiederum vom Verhalten unserer Sinne abhängig; denn die Wirklichkeit unserer Instrumente, unserer Sinnesorgane, bedarf ebensosehr der Beschreibung und Beweisführung wie die abseitigsten Phänomene. Und wir sehen uns zu der Schlußfolge rung gezwungen, daß alles, was wir wahrnehmen, von uns nur wahrgenommen wird, weil wir die Neigung haben, es so wahrzunehmen. Und wir werden feststellen, daß wir auf der vierten Stufe der großen buddhistischen Praxis, Mahasatipatthana, dieser Tatsache unmittelbar und sofort gewahr werden, statt sie aus den Fängen dieser nicht endenwollenden Soriten, die uns plagen, zu reißen! Kant selbst drückte es auf seine Art folgendermaßen aus: »Die Gesetze der Natur sind die Gesetze unseres eigenen Gemüts.« Warum? Es ist nicht der Inhalt des Geistes selbst, wie wir erkennen können, sondern nur seine Struktur. Aber Kant geht nicht so weit. Er wäre außerordentlich erschrocken, wenn ihm jemals der Gedanke gekommen wäre, daß die letzte Grenze seiner Soriten lautete: »Die Vernunft selbst ist die einzige Wirklichkeit.« Bei weiterer Prüfung erweist sich sogar diese allerletzte Wahrheit als sinnlos. Sie gleicht der wohlbekannten ZirkelschlußDefinition eines obszönen Buchs, die da lautet: Ein Buch, das gewisse Vorstellungen im Gemüt jener Art von Personen weckt, in der solche Vorstellungen durch diese Art von Bücher angeregt werden. 88
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23 Ich stelle fest, daß mein vortrefflicher Vorsitzender bemüht ist, ein Gähnen zu unterdrücken und es in ein Lächeln zu verwandeln, und er wird mir vergeben, wenn ich sage, daß ich den Effekt etwas unheildrohend finde. Aber er hat durchaus das Recht, in dieser Hinsicht etwas herablassend zu sein. Hier handelt es sich in der Tat um »alte, liebe Paradoxien, um Hausfrauen in Bierlokalen zu amüsie ren«. Seit Beginn der Philosophie ist es immer ein beliebtes Spiel gewesen, zu beweisen, daß Axiome absurd sind. Natürlich sind Sie alle jetzt sehr verärgert über mich, daß ich mich einem so einfältigen Zeitvertreib hingebe, zumal ich doch mit einem Gelöbnis begann, daß ich alle diese Themen vom nüchternen, wissenschaftlichen Standpunkt aus behandeln wolle. Verzeihen Sie, wenn ich mit diesen glänzenden Seidenfäden des Gedankengewebes spielte! Ich habe doch nur versucht, es Ihnen auf sanfte Weise beizubringen. Jetzt werde ich mit einer Bewegung meiner lilienweißen Hand diesen ganzen zarten, mit dünnem Häutchen bedeckten Stoff, »ein Stoff, wie der, aus dem man Träume macht«, hinwegfegen. Wir werden uns an die mo derne Wissenschaft heranmachen. 24 Als allgemeiner Lesestoff gibt es keine bessere Einführung als The Basis of Modern Science von meinem alten, geschätzten Freund, dem verstorbenen J. W. N. Sullivan. Ich will Sie nicht allzu lange mit Zitaten aus diesem bewundernswerten Buch aufhalten. Es wäre mir viel lieber, Sie besorgten es sich und läsen es selbst; Sie könnten Ihre Zeit kaum besser nutzen. Doch verweilen wir einige Augenblicke bei seinen Bemerkungen über das Problem der Geometrie. Unsere Vorstellungen vom Raum als subjektive Wesenheit sind durch die Entdeckung vollkommen über den Haufen geworfen worden, daß die auf der euklidischen Geometrie beruhenden Gleichungen Newtons nicht imstande sind, die 89
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Phänomene der Schwerkraft zu erklären. Wir denken instinktiv an eine gerade Linie; irgendwie ist das axiomatisch. Aber wir müssen erfahren, daß sie im objektiven Universum gar nicht existiert. Wir müssen eine andere Geometrie nehmen: Riemanns Geometrie, die eine der Krümmungsgeometrien ist. (Es gibt natürlich ebenso viele Systeme der Geometrie wie es absurde Axiome gibt, auf denen man sie aufbauen kann. Drei Linien erge ben eine Ellipse; man kann weiterhin eine Geometrie aufbauen, die solange korrekt ist, solange sie auch kohärent bleibt. Und das Ergebnis ist weder richtig noch falsch; die einzige Frage lautet: Welches ist das geeignetste System, um Phänomene zu beschreiben? Wir fanden die Vorstellung der Gravitation unbeholfen, also wendeten wir uns an Riemann.) Das bedeutet, daß die Phänomene nicht vor einem Hintergrund stattfinden, der eine flache Oberfläche ist; die Oberfläche selbst ist gekrümmt. Was wir für eine gerade Linie gehalten haben, existiert überhaupt nicht. Und das kann man sich fast unmöglich vorstellen; jedenfalls ist es für mich fast unmöglich, es mir vorzustellen. Man kommt dem ganzen noch am nächsten, wenn man versucht, sich vorzustellen, daß man selbst eine Spiegelung auf einem polierten Türknauf ist. 25 Ich schäme mich fast für die Welt, daß ich Ihnen mitteilen muß, daß ich im Jahre 1900, vier Jahre vor Einsteins welterschütternder Schrift, den Raum als »endlich, aber grenzenlos« beschrieben habe, was in allgemeiner Begrifflichkeit genau die Be schreibung ist, die er in eher mathematischen Einzelheilen wiedergab.* Sie werden sofort bemerken, daß diese drei Wörter tatsächlich eine gekrümmte Geometrie beschreiben; eine Kugel ist beispielsweise ein endlicher Gegenstand, und doch kann man auf ihrer Oberfläche in jede Richtung gehen, ohne jemals an ein Ende zu gelangen. * Tannhäuser, geschrieben in Mexico O. F., August 1900. Siehe auch mein Berashith, im April 1901 in Delhi 90
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geschrieben. Ich sagte weiter oben, daß Riemanns Geometrie nicht völlig ausreicht, um die Phänomene der Natur zu erklären. Wir müssen in verschiedenen Teilen des Kontinuums verschiedene Arten vo n Krümmungen postulieren. Und selbst dann sind wir noch nicht glücklich! 26 Nun eine Stelle aus Sullivan! »Die Geometrie ist so allgemein, daß sie verschiedene Grade der Krümmungen in verschiedenen Teilen der Raum- Zeit zuläßt. Dieser Krümmung verdanken wir die Gravitationswirkungen. Die Krümmung der Raum-Zeit ist daher am auffälligsten in der Umgebung großer Massen zu beobachten, denn hier sind die Gravitationswirkungen am ausgeprägtesten. Wenn wir Materie als etwas Fundamentales betrachten, können wir sagen, daß es das Vorhandensein von Materie ist, was die Krümmung der RaumZeit bewirkt. Doch es gibt auch eine andere Schule, der zufolge die Materie auf der Krümmung der Raum-Zeit beruht. Wir gehen also von einem fundamentalen Raum-Zeit-Kontinuum aus, das für unsere Sinne auf eine Weise manifest ist, die wir Materie nennen. Für beide Sichtweisen gibt es starke Argumente. Doch ob sich die Materie nun aus den geometrischen Besonderheiten des Raum- Zeit-Kontinuums ableiten läßt oder nicht, auf jeden Fall gilt es als feststehende wissenschaftliche Tatsache, daß die Gravitation sich tatsächlich daraus ableitet. Das ist offensichtlich eine sehr große Leistung, doch läßt sie eine zweite große Klasse von Phänomenen gänzlich unberührt, nämlich die elektromagnetischen Phänomene. In diesem Raum-Zeit-Kontinuum Einsteins erscheinen die elektromagnetischen Kräfte als gänzlich fremdartig. Die Gravitation ist gewissermaßen in der Riemannschen Geometrie aufgegangen, und die Vorstellung von einer Kraft wurde, was die Gravit ationsphänomene anbelangt, ausgelöscht. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß es sich dabei um Manifestationen 91
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der geometrischen Besonderheiten des Raum- Zeit-Kontinuums handelt. Und es läßt sich auch die Unmöglichkeit nachweisen, sie zu irgend etwas in Riemanns Geometrie in Verbindung zu setzen. Es kann gezeigt werden, daß die Gravitation mit bestimmten geometrischen Besonderheiten einer Riemannschen Raum- Zeit übereinstimmt. Aber die elektromagnetischen Kräfte bleiben völlig außerhalb dieses Schemas.« 27 Hier ist der große Sumpf, in den die mathematische Physik ihre Anhänger geführt hat. Hier haben wir zwei Klassen von Phänomenen, die alle Teil einer einheitlichen Physik sind. Und doch sind die Gleichungen, welche die eine Klasse beschreiben und erklären, mit denen der anderen Klasse unvereinbar! Dabei handelt es sich keineswegs um Philosophie, sondern um Tatsachen. Es nützt nichts, von der Annahme auszugehen, daß das Universum aus Partikeln besteht. Eine solche Hypothese unterliegt zwar einer Klasse von Phänomenen, erweist sich aber als Unsinn, wenn man sie auf die elektromagnetischen Gleichungen anwendet, die nun einmal darauf beharren, daß wir das Konzept der Partikel mit jenem der Welle vertauschen. Hier kommt noch ein »Welsh rabbit« zum Abend essen! »Einsteins endliches Universum ist so beschaffen, daß sein Radius von der darin enthaltenen Materiemenge abhängt. Sollte mehr Materie erschaffen werden, würde der Umfang des Universums zunehmen. Würde Materie vernichtet, so würde der Umfang des Raums abnehmen. Ohne Materie würde der Raum gar nicht existieren. So hängt die bloße Existenz des Raums, von seinen metrischen Eigenschaften abgesehen, vom Vorhandensein der Materie ab. Mittels die ser Auffassung wird es möglich, alle Bewegungen einschließlich der Rotation als ausschließlich relativ anzusehen.« Wohin jetzt, Jungs? 92
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28 »Die heutige Physik neigt dazu, das Universum in Begriffen mathematischer Relationen zwischen unvorstellbaren Wesenheiten zu beschreiben.« Wir haben uns sehr weit von Lord Kelvins allzuoft und allzu unfair zitierter Behauptung entfernt, daß er sich nichts vorstellen könne, von dem er nicht ein mechanisches Modell konstruieren könnte. Die Viktorianer neigten wirklich ein wenig dazu, Dr. Johnsons grobes, blödes Fußstampfen nachzuahmen, als die Ideen des Bischofs Berkeley bis zur Oberfläche der vom Trunk aufgeweichten grauen Zellen dieser dummen, gefühllosen Menschen drangen. 29 Sehen Sie, ich bitte Sie, über die Mühe nachzudenken, die wir uns gemacht haben, um die Entfernung der Fixsterne zu berechnen, und auf Professor G. N. Lewis zu hören, der »daraufhinweist, daß zwei Atome, die durch einen Lichtstrahl miteinander verbunden sind, als in tatsächlicher physischer Berührung stehend betrachtet werden könnten. Der >Zwischenraum< zwischen beiden Enden eines Lichtstrahls beträgt der Relativitätstheorie zufolge null, und Professor Lewis weist daraufhin, daß man diese Tatsache ernstnehmen sollte. Dieser Theorie zufolge wird das Licht überhaupt nicht verbreitet. Diese Idee stimmt mit dem Prinzip überein, daß man nur die der Beobachtung möglichen Faktoren dazu gebrauchen sollte, um eine wissenschaftliche Theorie aufzustellen, denn wir können niemals die Bewegung von Licht im leeren Raum beobachten. Wir bemerken Licht immer erst, wenn es auf Materie trifft. Licht, das nie Materie begegnet, ist rein hypothetisch. Wenn wir diese Hypothese nicht aufstellen, gibt es auch keinen leeren Raum. Professor Lewis' Theorie "zufolge kommt unser Auge bei der Beobachtung eines entfernten Sterns in eine tatsächliche physische Berührung mit diesem Stern, so wie unser Finger mit einem Tisch in Berührung kommt, wenn wir darauf drücken.« 30 Und dachten Sie nicht alle, daß meine Argilmente sich nur 93
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im Kreise drehten? Ich hoffe jedenfalls, daß Sie das taten, denn ich habe mir die größte Mühe gegeben, es Ihnen mitzuteilen. Doch in Mr. Sullivans Buch geht es nicht um Argumente, es geht um Fakten. Er sprach über menschliche Werte. Er fragte, ob die Wissenschaft sie möglicherweise erkennen könnte. Da kommt er nun, der große Anführer! Hurra, Kameraden, hurra! »Aber obwohl reine Materialisten vermutlich schon immer selten waren, blieb doch die vom humanistischen Standpunkt aus wichtige Tatsache bestehen, daß die Wissenschaft es nicht für notwendig erachtete, in ihre Beschreibung des Universums auch Wertungen einzuschließen. Denn es schien, daß die Wissenschaft trotz dieser Auslassung ein geschlossenes System bildete. Wenn Werte einen integralen Bestand teil der Wirklichkeit bilden, so scheint es sonderbar, daß die Wissenschaft imstande sein sollte, eine folgerichtige Beschreibung der Phänomene zu geben, die dieselben ignoriert. Heutzutage begegnet man dieser Schwierigkeit auf zweierlei Weise. Einerseits wird darauf hingewiesen, daß die Wissenschaft durch den Kunstgriff der Kreisdefinition stets nur in ihrem eigenen Bereich bleibt, das heißt, daß die Abstraktionen, mit denen sie anfängt, auch alles sind, wovon sie jemals spricht. Sie sucht keine neuen Berührungspunkte mit der Wirklichkeit und begegnet daher auch niemals möglicherweise störenden Faktoren. Diese Sehweise ist von der Relativitätstheorie abgeleitet, besonders von der Form der Darstellung, wie sie Eddington übernommen hat. Diese Theorie bildet einen geschlossenen Kreis. Die wichtigsten Begriffe der Theorie, >Punktereignisse<, >Potentiale<, >Materie< (und so weiter — es sind ihrer zehn) liegen an verschiedenen Punkten auf dem Umfang des Kreises. Wir können an jedem beliebigen Punkt anfangen und um den Kreis herumgehen, wir können also aus irgendeiner dieser Bezeichnungen die anderen ableiten. Die grundlegenden 94
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Begriffe der Theorie definieren sich gegenseitig. Im Verlaufe dieser Übung leiten wir die Naturgesetze ab, die von der Physik erforscht werden. An einem bestimmten Punkt in der Kette der Ableitungen, beispielsweise bei >Materie<, urteilen wir, daß wir über etwas sprechen, das eine objektive, konkrete Verkörperung unserer Ab straktionen ist. Doch die Materie, wie sie in der Physik vorkommt, ist nicht mehr als ein besonderer Satz von Abstraktionen, und unsere daraus folgernden Vernunftschlüsse haben es nur mit diesen Abstraktionen zu tun. Andere Charakteristiken, die die objektive Realität möglicherweise besitzt, finden niemals Eingang in unser Schema. Doch jener Satz von Abstraktionen, den man in der Relativitätstheorie Materie nennt, scheint das Ganze unserer wissenschaftlichen Kenntnis der Materie nicht zu erschöpfen. Denn es bleiben noch die Quantenphänomene.« Ah! »Da lassen wir sie, da lassen wir sie fernab von dort, wo ihre dunklen Verwandten umherschweifen — Verwandten umherschweifen im Scharlachfieber, Scharlachfieber, Scharlachfiebergenesungsheim.« 3l So sind wir nun wie kein Geringerer als der ritterliche Gentleman, Seine Gnaden der Höchst Ehrwürdige Erzbischof von Canterbury, der kürzlich im Rundfunk auf alle Zeiten all die Ungläubigen verfluchte, die sich anmaßten, die Möglichkeit zu bezweifeln, daß der Teufel in Schweine fahren könnte, dem Drachen Wissenschaft entgegengetreten und haben gesiegt. Wir haben gesehen, daß das Ergebnis stets dasselbe ist, wie wir dem Problem des Geistes auch zu Leibe rücken mögen, ob vom herkömmlichen, spirituellen Standpunkt aus oder von der gegenüberliegenden Ecke des 95
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Materialismus kommend. Noch ein letztes Zitat von Mr. Sullivan: »Das Universum könnte sich letzten Endes als irrational erweisen. Vielleicht muß man das Abenteuer Wissenschaft aufgeben.« Aber das ist ja auch nur alles, was er von Wissenschaft versteht, die treue kleine Seele! Wir hingegen geben nicht auf. »Du hast gelogen, d'Ormea, ich bereue nichts!« Die Ergebnisse des Experiments sind immer noch gültig für die Erfahrung, und die Tatsache, daß das Universum sich bei näherer Befragung als unverständlich herausstellt, dient nur dazu, unsere Urüberzeugung zu verstärken, daß die Erfahrung selbst Wirklichkeit ist. 32 So können wir uns fragen, ob es nicht möglich ist, Erfahrungen einer höheren Art zu machen, die Fähigkeit des Geistes zu entdecken und zu entwickeln, die über die Analyse hinausgehen kann, kraft ihrer eigenen, selbstverständlichen Sicherheit gegen alles Denken gefeit. In der Sprache der »Großen Weißen Bruderschaft« (die zu vertreten ich hier bin) überschreitet man den Abyssus. »Verlaßt das arme, alte gestrandete Wrack« — Ruach — »und rudert ans Ufer« von Neschamah. Denn es heißt, daß über dem Abyssus — wie Sie noch feststellen werden, wenn Sie den Anhang von Nr. 5 des ersten Bandes von The Equinox studieren - ein Begriff nur insoweit wahr ist, als er in sich seinen eigenen Widerspruch enthält. 33 Solche Geisteszustände sind es, die die wirklich wichtigen Ergebnisse von Samyama ergeben, und diese Ergebnisse können nicht durch philosophische Spekulation vernichtet werden, weil sie nicht für die Analyse empfänglich sind, weil sie nicht aus zusammengesetzten Teilen bestehen, weil sie gerade kraft ihrer Unvernunft — »certum est quia inepturn!« — existieren. Sie können nicht ausgedrückt werden, denn sie 96
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stehen über dem Wissen. Bis zu einem gewissen Grade können wir unsere Erfahrung anderen mitteilen, die mit dieser Erfahrung in geringerem Ausmaß durch die ästhetische Methode vertraut sind. Und all das erklärt, warum das ganze gute Werk über Yoga, Alchimie, Magie und das übrige - nicht dogmatisch, sondern symbolisch das Wort Gottes an den Menschen - in Poesie und Kunst dargestellt wird. In meinemnächsten Vortrag werde ich versuchen, etwas tiefer in die Technik einzudringen, wie man diese Resultate erhält, und ich will auch eine ausführ lichere Auskunft darüber geben, was sich im Laufe der vorbereitenden Übungen wahrscheinlich ereignen wird. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen. Dritte Vorlesung Liebe Kinder! Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. 1 Sie werden sich daran erinnern, daß unser Studium des Yoga uns in der vorigen Woche zu den Kirchenvätern geführt hat. Wir sahen, daß ihre Philosophie und Wissenschaft, indem sie einen unabhängigen Weg einschlug, uns zu dem berühmten Ausruf Tertullians führte: »certum est quia ineptum!« Wie recht die Kirche doch hatte, die Autorität der Vernunft abzulehnen! 2 Wir sind beinahe versucht, für einen Augenblick der Frage nachzugehen, was die Kirche eigentlich unter »Glauben« versteht. Paulus sagt uns, daß der Glaube »der wesentliche Bestandteil der Dinge ist, auf die wir hoffen; die augenscheinliche Gewißheit von Dingen, die wir nicht sehen«. Dann glaube ich nicht, daß wir uns unter diesem Wort Glauben vorstellen sollen, was dieser ausschweifende, fettbäuchige 97
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Philister Martin Luther behauptete. Der Glaube, von dem er spricht, ist alles andere als wesentlich, und was die augenscheinliche Gewißheit angeht, so ist sie nichts als die Kraft, wie der Schuljunge einmal sagte, das zu glauben, von dem wir wissen, daß es nicht wahr ist. Wenn das Wort überhaupt eine vernünftige Bedeutung haben soll, muß Glaube Erfahrung bedeuten, und diese Auffassung stimmt genau mit der Schluß folgerung überein, zu der wir in meinem letzten Vortrag gelangten. Nichts kann uns etwas nützen, wenn es nicht eine, durch keinerlei Kritik zu erschütternde Gewißheit ist; und es gibt im ganzen Universum nur eins, das diese Bedingung erfüllt, nämlich die direkte Erfahrung spiritueller Wahrheit. Hier, und nur hier allein finden wir einen Standpunkt, auf dem die großen religiösen Geister aller Zeiten und aller Himmelsstriche übereinstimmen. Es steht notwendigerweise über dem Dogma, weil das Dogma aus einer Sammlung intellektueller Behauptungen besteht, von denen jede, wie auch ihr Gegenteil, leicht bestritten und über den Haufen geworfen werden kann. 3 Sie wissen wahrscheinlich, daß in der Gesellschaft Jesu die Bewerber geschult werden, über alle diese hochkontroversen Dinge zu debattieren. Dort veranlaßt man einen jungen Mann dazu, jede beliebige schreckliche Lästerung zu beweisen, die ihm gerade einfällt. Und je schockierter der junge Mann ist, um so besser die Schulung seines Geistes, und um so besser wird er der Gesellschaft schließlich dienen; doch nur dann, wenn sein Geist vollkommen das Vertrauen in die Richtigkeit seines eigenen Denkens verloren hat oder sogar in die Möglichkeit, daß er jemals recht haben könnte. 4 Auf seine oberflächliche Art behauptet der Ratio nalist immer, daß diese Schulung das Leugnen der Denkfreiheit bedeute. Im Gegenteil, es ist die einzige Möglichkeit, diese Freiheit zu erlangen. In derselben Gesellschaft beruht die 98
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Schulung des Gehorsams auf einem ganz ähnlichen Prinzip. Der Priester hat zu tun, was seine Oberen ihm befehlen — perinde ac cadaver. Die Protestanten stellen das immer so hin, als sei dies die empörendste und unerträglichste Tyrannei. »Dem armen Teufel«, sagen sie, »wird sein eigener Wille ausgeprügelt.« Das ist blanker Unsinn. Indem er seinen Willen durch die Übung heiligen Gehorsams verleugnet, ist sein Wille ungeheuer stark geworden, so stark sogar, daß keiner seiner natürlichen Instinkte, Wünsche oder Gewohnheiten noch dazwischentreten kann. Er hat seinen Willen von allen diesen Hemmungen befreit. Er ist eine perfekte Funktion der Maschine des Ordens. Im Ordensgeneral ist die Macht aller dieser Einzelwillen konzentriert, so wie im menschlichen Körper jede Zelle auf ihre besondere Art vollständig dem konzentrierten Willen des Orga nismus gewidmet sein sollte. 5 Mit anderen Worten, die Gesellschaft Jesu hat eine vollkommene Nachbildung des Grundskeletts der ursprünglichen Schöpfung erschaffen, den lebenden Menschen. Sie hat sich in die göttlich eingesetzte Ordnung der Dinge eingefügt, und deshalb sehen wir, daß dieser Bund, der zahlenmäßig nie von Bedeutung war, dennoch einen der größten Einflüsse auf die Entwicklung Europas gehabt hat. Das hat nicht immer perfekt funktioniert, doch das war nicht die Schuld des Systems; und selbst dann war die Leistung dieser Gesellschaft ganz außerordentlich. Und mit am bemerkenswertesten daran ist, daß ihre größten und wichtigsten Leistungen im Bereich der Wissenschaft und der Philosophie lagen. Auf dem Gebiet der Religion hat sie nichts geleistet; das heißt, wo sie sich mit Religion beschäftigte, hat sie nur Schaden angerichtet. Welch ein Fehler! Und warum? Aus dem einfachen Grund, weil sie dazu in der Lage war, die Religion nicht zu beachten. Alle diese Fragen wurden durch den Papst entschieden oder durch die Kirchenkonzile, deshalb konnte die Gesellschaft sich von den verwik-kelten Fragen der Religion 99
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ebenso freimachen, wie der Novize vollkommen von seinen moralischen Verpflichtungen befreit wird, indem er seine persönlichen Phantasien im Willen des Oberen aufgehen läßt. 6 Ich möchte hier erwähnen, daß die geistigen Exerzitien des heiligen Ignatius ihrem Wesen nach wirklich bewunderungswürdige Yogaübungen sind. Gewiß, sie besitzen einen Anflug von magischer Technik und wurden ausgedacht, um einem dogmatischen Ziel zu dienen. Das war aber notwendig, und es war darüber hinaus auch gute Magie, weil der ursprüngliche Wille des Ordensgründers dahinging, als Gegenmittel gegen die Reformation eine Kriegsmaschine zu erschaffen. Es war sehr klug von ihm, einen Plan zu entwickeln, der, unabhängig von seinen abstrakten Vorzügen als Philosophie, diesem einen Zweck am wirkungsvollsten dienen würde. Das einzige Problem bestand darin, daß dieser Zweck nicht von hinreichend kosmischer Spannbreite war, um auch inneren Kräften Widerstand leisten zu können. Als die Mitglieder mittels dieser Übungen die höheren Ebenen erreicht hatten, mußten sie feststellen, daß der ur sprüngliche Zweck der Gesellschaft ihren Kräften nicht wirklich entsprach; sie verfügten gewissermaßen über eine überstarke Maschine. Törichterweise griffen sie in die geistigen Sphären der anderen Autoritäten ein, die zu unterstützen sie ursprünglich gegründet worden waren, und so erleben wir es, daß sie sich tatsächlich mit dem Papst herumstreiten, während es ihnen seltsamerweise nicht gelingt, sich des Papsttums selbst zu bemächtigen. Da ihre Bemühungen auf diese Weise durchkreuzt und ihre Ziele verwirrt wurden, verdoppelten sie die Inbrunst ihrer Übungen. Es ist einer der charakteristischen Züge aller geistlichen Übungen, daß sie, wenn sie aufrichtigen Herzens und wirkungsvoll durchgeführt werden, unentwegt zu höheren Ebenen führen, wo alle dogmatischen Überlegungen, alle intellektuellen Begriffe ungültig werden. Daher überrascht es eigentlich auch nicht, daß man den Ordensgeneral und seinen 100
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engsten Anhängerkreis für Atheisten gehalten hat. Sollte das stimmen, wäre es nur ein Anzeichen dafür, daß sie durch ihre Inanspruchnahme durch die weltliche Politik korrumpiert wurden, da diese nur auf atheistischer Grundlage betrieben werden kann; es wäre eine gedankenlose Heuchelei, etwas anderes zu behaupten und sie sollte ausschließlich dem Außenministerium vorbehalten bleiben. Vielleicht wäre es vernünftiger, anzunehmen, daß die Führer des Ordens tatsächlich die höchsten Gipfel spirituellen Wissens und spiritueller Freiheit erklommen haben, und es ist durchaus denkbar, daß ihre Einstellung am besten als pantheistisch oder gnostisch zu bezeichnen wäre. 7 Diese Überlegungen sollten für uns jetzt von größtem Nutzen sein, da wir dazu übergehen, die Ergebnisse der Yogaübungen detaillierter zu besprechen. Gewiß, zwischen den ekstatischen Ausbrüchen der großen Mystiker in der ganzen Welt gibt es eine große Ähnlichkeit. Jene, die sich mit diesem Thema befaßt haben, haben oft entsprechende Vergleiche angestellt. Ich will Sie nur mit einem einzigen Beispiel aufhalten: »Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz.« Was ist das für eine Ermahnung? Es ist eine Verallgemeinerung von Augustinus' »Liebe und tue, was du willst«. Doch im Buch des Gesetzes gibt es — damit der Hörer keinen Anfall von Antinomismus bekommt -eine weitere Erklärung: »Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.« 8 Doch eigentlich geht es darum, daß es keinen Zweck hat, die Ergebnisse des Yoga diskutieren zu wollen, ob es nun der Yoga jener Art ist, wie ihn Lao-Tse, Patanjali oder der heilige Ignatius von Loyola empfehlen, denn unser erstes Postulat lautete ja, daß über diese Dinge nicht gesproche n werden kann. Sich ihretwegen streiten zu wollen, führt zum Sturz in die »Grube des Weil«, um eben dort mit den Hunden der Vernunft 101
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umzukommen. Der einzige Nutzen einer Beschreibung unserer Erfahrungen besteht infolgedessen darin, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich eine schwache Vorstellung von dem zu machen, was mit ihnen geschehen wird, wenn sie in der Yogapraxis Erfolg haben. In den Psalmen sagt David: »Ich hasse den Gedanken, aber dein Gesetz liebe ich wohl.« Der heilige Paulus sagt: »Der Geist der Fleischlichkeit ist der Feind Gottes.« Man könnte beinahe behaupten, daß das Wesentliche der Briefe des Paulus ein Kampf gegen den Geist ist: »Wir kämpfen nicht gegen Fleisch und Blut« — Sie wissen, wie es weitergeht — ich kann unmöglich alles zitieren — Eph. vi., 12. 9 Ich glaube, es ist Paulus, der den Satan — seine Bezeichnung des Feindes, weil er die Sprachge schichte des Wortes nicht kannte — als Fürsten der Mächte der Luft beschreibt, das heißt des Ruach, des Intellekts. Wir dürfen dabei nie vergessen, daß es die Vision auf der Straße nach Damaskus war, die die Bekehrung des Paulus bewirkte. Es ist besonders bedeutsam, daß er drei Jahre in der Wüste Arabiens verschwand, ehe er als Apostel zu den »Ungläubigen« kam. Paulus war ein gelehrter Rabbiner; er war der Lieblingsschüler des besten Interpreten der hebräischen Gesetze, und in einem einzigen Augenblick seiner Vision wurden alle seine Argumente mit einem Schlag zunichte gemacht! 10 Es wird uns nicht mitgeteilt, daß Paulus damals irgend etwas sagte; statt dessen setzte er seine Reise schweigend fort. Das ist die große Lehre: nicht die Ergebnisse besprechen. Jene unter Ihnen, die ein Exemplar von The Equinox of the Gods besitzen, waren vielleicht sehr überrascht über die ungewöhnliche Ermahnung im Kommentar: das Verbot jeglicher Dis kussion des Buchs. Ich selbst habe diese Ermahnung ursprünglich auch nicht verstanden; heute verstehe ich sie. 102
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11 Nun wollen wir uns mit einigen der Phäno mene beschäftigen, die während der Praxis des Pratyahara vorkommen. Ganz zu Anfang meiner Klausur in Kandy hatte ich versucht, mich dadurch zu konzentrieren, daß ich meine Augen schräg auf meine Nasenspitze richtete. Das ist nebenbei bemerkt keine gute Übung, weil sie die Augen schnell überanstrengt. Doch was geschah, war, daß ich in der Nacht erwachte; meine Hand berührte eine Nase; ich schloß daraus sofort, daß jemand im Zimmer sei. Doch keineswegs: Das dachte ich nur, weil meine Nase aus meinem Betrachtungsfeld verschwunden war, ein Effekt meiner Konzentration darauf. 12 Das gleiche geschieht bei entsprechender Konzentration auf jeden beliebigen Gegenstand. Merkwürdigerweise ist dies mit dem Phänomen der Unsichtbarkeit verknüpft. Wenn der Geist so tief in sich selbst versunken ist, daß er seiner selbst und seiner Umgebung nicht mehr gewahr wird, besteht eines der üblichsten Ergebnisse darin, daß der Körper für andere Leute unsichtbar wird. Ich glaube nicht, daß er auch auf einem Foto verschwinden würde, obwohl ich keinen Beweis dafür habe; aber mir ist es bei unzähligen Gelegenheiten passiert. Als ich aul Sizilien war, kam es fast täglich vor. 13 Einige von uns pflegten zu einer sehr schönen Sandbucht hinunterzugehen, aus der phantastisch geformte kleine Felsinselchen herausragten; sie wird von Klippen umrahmt, die mit den Juwelen des Meereslebens überkrustet sind. Der Weg führte über einen kahlen Hügel; bis auf ein paar hundert Yards Weinberg gab es keinerlei Deckung — nein, nicht einmal für ein Kaninchen. Aber es kam oft vor, daß einer aus der Gruppe sich nach mir umdrehte, um mit mir zu sprechen, und mich nicht sehen konnte. Ich habe das oft erlebt, wenn ich diktierte, dann schien mein Stuhl leer zu sein. 103
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Übrigens kann diese Fähigkeit, die, wie ich glaube, in der Regel unbewußt ausgeübt wird, zu einer tatsächlichen magischen Kraft werden. 14 Einmal geschah es, daß eine große, aufgeregte Menschenmenge nach mir suchte, und zwar nicht eben in freundlichster Absicht; aber ich hatte ein Gefühl der Leichtigkeit, der Geisterhaftigkeit, als wäre ich ein Schatten, der sich geräuschlos durch die Straße bewegte; und tatsächlich gab keiner der Leute, die nach mir suchten, auch nur den geringsten Hinweis darauf, daß er sich meiner Gegenwart bewußt geworden war. Zu diesem Vorfall findet sich in einem der Evangelien eine sonderbare Parallele, wo wir lesen: »Sie hoben Steine auf, um ihn zu steinigen, aber er schritt durch ihre Mitte und ging seiner Wege.« 15 Die Sache mit dem Pratyahara hat noch eine andere Seite, die man als das genaue Gegenteil dessen bezeichnen kann, was wir soeben besprochen haben. Wenn man seine Aufmerksamkeit auf einen Körperteil in der Absicht konzentriert, ihn zu erforschen, dem Geist also, wie ich vermute, sehr enge Grenzen setzt, innerhalb derer er sich bewegen kann, konzentriert sich das gesamte Bewußtsein in diesem kleinen Teil. Das übte ich viel während meiner Klausur am Lake Pasquaney. Gewöhnlich nahm ich mir einen Finger oder eine Zehe vor und identifizierte mein Be wußtsein mit den kleinen Bewegungen, die ich ihnen zu machen erlaubte. Es wäre fruchtlos, dieses Experiment allzu detailliert zu besprechen. Ich kann nur feststellen, daß man keine Vorstellung von dem schieren Wunder und Entzücken dieses endlos bebenden Orgasmus hat, bevor man nicht die Kraft dazu erlangt hat. 104
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16 Wenn ich mich recht erinnere, waren diese Übungen und ihr Resultat einer der Hauptfaktoren, die es mir später ermöglichten, das zu erlangen, was man die Trance des Staunens nennt, die zum Grad eines Meisters des Tempels gehört und eine Art vollständige Erkenntnis des Organismus des Universums ist sowie eine ekstatische Verehrung seines Wunders. Diese Trance steht viel höher als die Vision der Glückseligkeit, denn in letzterer ist stets das Herz — das Phren — beteiligt; in ersterer dagegen ist es das Nous, die göttliche Intelligenz des Menschen, während das Herz nur das Zentrum der intellektuellen und moralischen Kräfte ist. l7 Solange Sie sich jedoch mit dem Physischen beschäftigen, werden Sie auch nur auf dieser Ebene Ergebnisse erzielen; und die Hauptwirkung dieser Konzentrationen auf kleine Körperteile ist das Verstehen oder besser die Wertschätzung des sinnlichen Vergnügens. Dies ist jedoch unendlich verfeinert, auf köstliche Weise intensiv. Oft ist es möglich, sich eine Technik anzueignen, durch die der ge schickte Künstler diese Freude in einer anderen Person hervorrufen kann. Wenn wir uns beispielsweise drei beliebige Quadratzoll Haut vornehmen, so können wir durch extrem sanfte Berührung im Patienten sämtliche Empfindungen der Freude hervorrufen, derer diese Person fähig ist. Ich weiß, daß das eine sehr außergewöhnliche Behauptung ist, doch läßt sie sich sehr leicht beweisen. Meine einzige Befürchtung ist die, daß die Sachkundigen sich von dem Lohn hinreißen lassen könnten, anstatt den eigentlichen Wert der Lehre zu begreifen, der darin besteht, daß die groben Sinnesfreuden absolut wertlos sind. Soweit diese Praktik überhaupt nützlich ist, sollte sie als erster Schritt zur Befreiung von der Faszination körperlicher Begierden verstanden werden, von den selbstzerstörenden Empfindungen, von der Gier nach Vergnügen. 105
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l8 Ich denke, dies ist eine gute Gelegenheit für eine kleine Abschweifung zugunsten des Mahasatipatthana. Diese Übung wurde vom Buddha ganz besonders empfohlen, und es ist die einzige, von der er so respektvoll spricht. Er sagte seinen Schülern, daß sie, wenn sie nur dabeiblieben, mit ihr früher oder später zum höchsten Ziel gelangen würden. Die Übung besteht aus einer Analyse des Universums in der Terminologie des Bewußtseins. Man fängt mit irgendeiner ganz einfachen und regelmäßigen Körperbewegung an, beispielsweise mit den Bewegungen des Körpers beim Gehen oder mit den Bewegungen der Lunge beim Atmen. Unentwegt nimmt man Notiz von dem, was dabei geschieht: »Ich atme aus; ich atme ein; ich halte die Luft an«, je nachdem, was gerade zutrifft. Ohne jede Vorwarnung wird man plötzlich von dem Schock der Entdeckung erschreckt, daß das, was man gedacht hat, gar nicht wahr ist. Man hat gar kein Recht, zu sagen: »Ich atme ein.« Alles, was man tatsächlich weiß, ist, daß eingeatmet wird. 19 Also ändert man seine Feststellung und sagt: »Es wird eingeatmet; es wird ausgeatmet«, und so weiter. Und wenn man ausdauernd übt, erlebt man schon bald eine weitere Erschütterung. Man hat kein Recht zu sagen, daß geatmet wird. Alles, was man darüber weiß, ist, daß es eine entsprechende Empfindung gibt. Wieder ändert man die Vorstellung der eigenen Beobachtung, und eines Tages macht man schließlich die Entdeckung, daß die Empfindung verschwunden ist. Alles, was man weiß, ist, daß es die Wahrnehmung einer Empfindung des Ein- oder Ausatmens gibt. Fährt man damit fort, stellt sich einmal mehr heraus, daß auch dies eine Illusion ist. Man stellt fest, daß die Neigung vorhanden ist, eine Empfindung der natürlichen Erscheinungen zu haben. 20 Diese erwähnten Stufen lassen sich intellektuell leicht assimilieren; man stimmt ihnen sofort zu, sobald man sie entdeckt, aber bei der »Neigung« ist das nicht der Fall, 106
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zumindest war es bei mir nicht so. Es dauerte sehr lange, bis ich begriff, was mit »Neigung« gemeint war. Um Ihnen dabei zu helfen, das zu verstehen, möchte ich ein gutes Beispiel wählen. Eine Uhr beispielsweise tut weiter nichts, als die Zeit anzugeben. Sie ist so konstruiert, daß dies alles ist, was wir von ihr wissen können. Wir können darüber streiten, ob sie die richtige Zeit angibt, aber das hat überhaupt nichts zu bedeuten, wenn wir nicht beispielsweise auch wissen, ob die Uhr auf elektrischem Wege von einer Sternwarte kontrolliert wird, wo der Astronom zufällig bei geistiger Gesundheit ist, in welchem Teil der Welt die Uhr sich befindet, und so weiter. 21 Ich erinnere mich an jene Gelegenheit in Teng-Yueh, gerade innerhalb der chinesischen Grenze in Yünan. Dem Konsulat wurde jeden Mittag die Uhrzeit aus Peking telegrafie rt. Das war eine hervorragende Idee, weil Elektrizität praktisch ohne Zeitverzögerung wirkt. Das Unglück war nur, sofern es tatsächlich ein Unglück war, was ich bezweifle, daß die Telegramme von einem Ort namens Yung Chang aus weitergeleitet werden mußten. Die dortigen Beamten waren so vernünftig, die meiste Zeit Opium zu rauchen, so daß gelegentlich ein ganzer Stoß Telegramme auf einmal eintraf, etwa ein Dutzend oder so in einem Bündel, die meldeten, daß es in Peking an verschiedenen Tagen Mittagszeit sei! Ebenso sind alle groben Phänomene, alle Empfindungen und Wahrnehmungen Illusion. Alles, was man wirklich darüber aussagen konnte, war, daß bei irgendeinem Wahnsinnigen in Peking die Neigung vorhanden war, den Leuten in Teng-Yueh mitzuteilen, wie spät es sei. 22 Doch selbst dieses Vierte Skandha ist noch nicht der Schluß. Im Laufe der Übung erweist auch das sich als Illusion, und es bleibt einem nichts anderes zurück als das bloße Bewußtsein, daß eine solche Neigung vorhanden ist.
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Ich kann Ihnen nicht sehr viel darüber sagen, weil ich die Sache selbst noch nicht gründlich studiert habe, aber ich bezweifle sehr, ob das Wort »Bewußtsein« überhaupt irgendeine Bedeutung als Übersetzung des Worts Vinnanam hat. Ich glaube, eine bessere Übersetzung wäre »Erfahrung« in dem Sinne, in dem wir es bisher angewendet haben, als die direkte Wirklichkeit hinter allem Beobachten und noch darüber hinaus. 23 Ich hoffe, Sie werden erkennen, wie schwierig es ist, eine vernünftige Beschreibung dieser Phänomene zu geben, und wäre sie noch so zögerlich, ganz zu schweigen von ihrer richtigen Klassifizierung. Sie haben eine merkwürdige Art, ineinander zu verlaufen. Das ist, wie ich glaube, einer der Gründe dafür, warum es unmöglich gewesen ist, überhaupt irgendwelche befriedigende Literatur über den Yoga zu finden. Je größer der eigene Fortschritt, um so weniger weiß man und um so mehr versteht man. Der Effekt ist nur ein zusätzlicher Beweis für das, was ich schon die ganze Zeit sage: Daß es sehr wenig nützt, über Dinge zu reden; was gefordert wird, das ist die beständige Hingabe an die Praxis. Liebe ist das Gesetz. Liebe unter Willen.
Vierte Vorlesung Gruß den Söhnen des Morgens! Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. 1 Ich möchte heute abend damit anfangen, sehr kurz all das zu wiederholen, was in den drei vorhergehenden Vorträgen 108
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gesagt wurde, und das wäre um einiges leichter, wenn ich nicht alles, was ich gesagt habe, vollständig vergessen hätte. Aber ich erinnere mich schwach, daß das allgemeine Thema der Vortragsreihe die mentalen Übungen des Yogis waren. Die wirklich bemerkenswerte Erscheinung war, daß ich es unmöglich fand, sie alle gründlich zu behandeln, ohne dabei zuerst die Ontologie zu streifen; zweitens die gewöhnliche Wissenschaft und drittens die hohe Magie der wahren Eingeweihten des Lichts. 2 Wir haben festgestellt, daß sowohl die Ontologie als auch die Wissenschaft zu einem identischen Patt gekommen waren, als sie der Frage der Wirklichkeit von ganz verschiedenen Standpunkten aus nachgingen und ihre Forschungen mit gänzlich unterschiedlichen Methoden betrieben. Und die allgemeine Schlußfolgerung daraus lautete, daß in keiner intellektuellen Auffassung jedweder Art irgendeine Realität enthalten sein kann, daß die einzige Realität in einer unmittelbaren Erfahrung einer Art liegen muß, die über die Reichweite des kritischen Apparats unseres Denkens hinausgeht. Den Gesetzen der Vernunft kann sie nicht unterworfen sein; von den Fesseln der elementaren Mathematik läßt sie sich nicht binden; nur transfmite und irrationale Konzepte können in diesem Bereich möglicherweise eine Vorahnung der Wahrheit, beispielsweise im Paradoxon der Identität der Widersprüche, offenbaren. Wir haben ferner festgestellt, daß jene Bewußtseinszustände, die durch die Praxis des Yoga entstehen, zu Recht als Trancen bezeichnet werden, weil sie tatsächlich über die Bedingungen des normalen Denkens hinausgehen. 3 An diesem Punkt erkennen wir, wie sich der Pfad des Yoga, der gerade (und in gewissem Sinne unfruchtbar) ist, fast unmerklich mit dem der Magie vereint, den man mit dem bacchantischen Tanz oder den Orgien des Pan vergleichen 109
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kann. Das deutet darauf hin, daß der Yoga schlußendlich eine Verfeinerung der Philosophie ist, so wie die Magie eine Verfeinerung der Wissenschaft ist. Der Weg zur Aus söhnung zwischen diesen beiden unteren Elementen des Denkens, kraft ihrer Neigung, sich in diese höhergeordneten Zustände jenseits des Denkens zu erhe ben, in dem die beiden eins geworden sind, steht nun offen. Und das ist natürlich Magie; und das ist natür lich Yoga. 4 Jetzt können wir uns überlegen, ob angesichts der schlußendlichen Identifikation dieser beiden Ele mente auf ihrer höchsten Ebene in ihren niederen Elementen vielleicht etwas enthalten sein könnte, das praktischer ist als reine Sympathie — ich meine gegenseitige Unterstützung. Ich denke gern daran, daß der Pfad des Weisen immer ebener und kürzer geworden ist, als er es war, als ich ihn zuerst beschritt; gerade aus diesem Grunde, weil nämlich die alten Widersprüche zwische n Magie und Yoga gänzlich aufgelöst wurden. Sie alle wissen, was Yoga ist. Yoga bedeutet Vereinigung. Und Sie alle wissen, daß man sie dadurch zuwege bringt, indem man den Lärm der intellektuellen Kesselfabrik abstellt und es dem Schweigen des Sternenlichts gestattet, ans Ohr zu dringen. Es ist die Be freiung des Erhabenen von der Sklaverei des alltäglichen Selbstausdrucks der Natur. 5 Was also ist Magie? Magie ist die Wissenschaft und die Kunst, Veränderungen in Übereinstimmung mit dem Willen herbeizuführen. Wie erreichen wir das? Indem wir den Willen bis zu dem Punkt erheben, wo er zum Meister der Lage geworden ist. Und wie tun wir das? Indem wir jeden Gedanken, jedes Wort und jede Handlung so anordnen, daß die Aufmerksamkeit unentwegt auf den gewählten Gegenstand gerichtet bleibt. 6 Nehmen wir an, ich wollte die »Intelligenz« des Jupiter 110
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anrufen. Meiner Arbeit lege ich die Korrespondenzen des Jupiter zugrunde. Ich baue meine Mathematik auf der Zahl 4 und den ihr untergeordne ten Zahlen 16, 34, 136 auf. Ich verwende das Quadrat oder den Rhombus. Zu meinem heiligen Tier wähle ich den Adler oder ein anderes, das dem Jupiter heilig ist. Als Duftstoff verwende ich Safran — als Trank opfer irgendein Opiumpräparat oder einen großzügigen und doch süßen und starken Wein wie den Port. Als magische Waffe benutze ich das Zepter; tatsächlich wähle ich unentwegt für jede Handlung meine Werkzeuge so aus, daß ich andauernd an meinen Willen erinnert werde, den Jupiter anzurufen. Ich zwinge sogar jeden Gegenstand dazu! Ich extrahiere die Jupiterelemente aus allen komplizierten Phänomenen, die mich umgeben. Wenn ich meinen Teppich betrachte, sind die blauen und purpurfarbenen Stellen die Farben, die sich als Licht von einem abgenutzten und unbestimmten Hintergrund abheben. Und so führe ich mein tägliches Leben weiter, nutze jeden Augenblick meiner Zeit zur Selbstermahnung, Jupiter im Auge zu behalten. Der Geist reagiert sehr schnell auf diese Schulung; schon bald verwirft er automatisch alles als unwirklich, was nicht Jupiter ist. Alles andere entgeht der Aufmerksamkeit. Und wenn die Zeit für die Invokationszeremonie gekommen ist, die ich mit aller Hingabe und Gründlichkeit vorbereitet habe, bin ich schnell entflammt. Ich bin auf Jupiter eingestimmt, ich bin von Jupiter durchdrungen, ich werde von Jupiter absorbiert, ich werde in den Himmel Jupiters erhoben und lenke seine Donnerkeile. Hebe und Ganymed bringen mir Wein. Die Königin der Götter sitzt zu meiner Seite auf dem Thron, und die schönsten Mädchen der Erde sind meine Gespielinnen. 7 Was ist dies nun alles anderes, als auf eine beschränkte (und wenn ich so sagen darf, romantische) Art zu tun, was der Yogi mit seiner wissenschaftlich vollständigeren, doch auf strengere Weise schwierigeren Methode tut? Und hier liegt der 111
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Vorteil der Magie darin, daß der Vorgang der Initiation spontan und gewissermaßen automatisch abläuft. Man kann in der bescheidensten Weise mit der Evokation irgend eines einfachen Elementargeistes beginnen; doch im Verlaufe der Operation wird man dazu gezwungen sein, sich mit höheren Wesenheiten zu befassen, um Erfolg zu haben. Der Ehrgeiz wächst, wie jeder andere Organismus auch, durch das, wovon er sich ernährt. Schon bald wird man zum Großen Werk selbst ge führt, man wird dazu geführt, die Kenntnis des heiligen Schutzengels und den Verkehr mit ihm zu erlangen, und dieser Ehrgeiz ruft seinerseits automatisch weitere Schwierigkeiten hervor, deren Überwindung neue Kräfte verleiht. Im Buch der Dreißig Aethyre, das gewöhnlich The Vision and the Voice genannt wird, wird es .nach und nach immer schwieriger, in die jeweiligen Aethyre einzudringen. Tatsächlich wurde das Eindringen nur durch die Einweihung ermöglicht, die von dem jeweiligen Engel des betreffenden Aethyrs vollzogen wurde. In diesem Buch wurde die folgende weitere Identifikation mit dem Yoga festge halten. Zeitweise wurde die Konzentration, die für das Verweilen im Aethyr erforderlich war, so intensiv, daß es zu eindeutigen Samadhi-Ergebnissen kam. Daran erkennen wir also, daß die Erhebung des Geistes mittels magischer Praktiken — man könnte sagen, diesen zum Trotze — zu denselben Ergebnissen führt, wie sie beim reinen Yoga vorkommen. Ich denke, ich sollte Ihnen etwas mehr über diese Visionen erzählen. Die Methode zu ihrer Erlangung bestand darin, daß ich einen großen Topas nahm, in den die Rose mit dem Kreuz und den neunundvierzig Blättern schön eingraviert waren, und dieser Topas war in ein hölzernes Kreuz aus rotgefärbtem Eichenholz eingelassen. In Erinnerung an Dr. Dees berühmten Shewstone nannte ich meinen Stein ebenso. Ich nahm ihn in die Hand und begann, in der henochischen oder Engelssprache den Ruf der Dreißig Aethyre zu rezitieren, wobei ich jedesmal 112
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den für den jeweiligen Aethyr angemessenen besonderen Namen verwendete. Das ging alles ganz gut, bis ich, glaube ich, zum siebzehnten gelangte; dann gab mir der Engel, der in den höheren oder ferneren Aethyren Schwierigkeiten vorhersah, folgende Anweisung. Ich sollte ein Kapitel aus dem Koran rezitieren, das von den Mohammedanern das »Kapitel der Einheit« ge nannt wird: »Qol: Hua Allahu achad; Allahu assamad; lam yalid walam yulad; walam yakun lahu kufwan achad.« Das sollte ich aufsagen und mich nach jedem Absatz zur Erde neigen, eintausendundeinmal täglich, während ich im großen östlichen Erg der Sahara hinter meinem Kamel herging. Ich glaube nicht, daß irgend jemand bestreiten will, daß es sich dabei um eine sehr gute Übung handelte; wichtig ist mir aber eigent lich, daß es ganz bestimmt sehr guter Yoga war. Aus dem, was ich in früheren Vorträgen gesagt habe, werden Sie.alle erkennen, daß diese Praktik sämtliche Bedingungen der Frühstufen des Yoga erfüllt, weshalb es auch nicht verwunderlich ist, daß sie meinen Geist in einen solchen Zustand versetzte, daß ich den Ruf der Dreiß ig Aethyre weitaus müheloser und wirkungsvoller vollziehen konnte als zuvor. 8 Will ich damit etwa sagen, daß der Yoga lediglich die Dienerin der Magie ist, oder daß die Magie keine höhere Funktion hat, als den Yoga zu ergänzen? Keineswegs. Es ist das Zusammenarbeiten von Liebenden; das ist hier als Symbol der Tatsache selbst ge meint. Die Praktiken des Yoga sind für den Erfolg in der Magie geradezu lebenswichtig — jedenfalls kann ich aus eigener Erfahrung sagen, daß es für meinen magischen Erfolg einen ungeheuren Unterschied machte, als ich durch den harten Drill des Yoga den Boden vorbereitet hatte. Aber — ich bin mir auch völlig sicher, daß ich im Yoga niemals in solch kurzer Zeit Erfolg erzielt hätte, wenn ich nicht die vorhergehenden drei Jahre mit dem täglichen Üben magischer Methoden verbracht hätte. 113
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9 Ich kann sogar so weit gehen zu behaupten, daß ich, kurz bevor ich ernsthaft mit dem Yoga anfing, unter dem Druck der Umstände beinahe eine Yogimethode erfunden hatte, um damit Magie zu praktizieren. Ich war daran gewöhnt gewesen, in einem wundervoll konstruierten, eigenen Tempel mit kompletter magischer Ausrüstung zu arbeiten. Nun fand ich mich an Bord eines Schiffs wieder oder in irgend einem dunklen Schlafzimmer in Mexico City, oder ich schlief neben meinem Pferd zwischen dem Zuckerrohr in einsamen tropischen Tälern oder lag mit meinem Rucksack als Kopfkissen auf kahlen vulkanischen Höhen. Ich mußte meine magischen Gerätschaften ersetzen. So nahm ich als Altar den Tisch neben meinem Bett oder Steine, die ich aufeinandergehäuft hatte. Meine Kerze oder meine Berglaterne waren mein Licht. Mein Eispickel diente als Stab, meine Trinkflasche als Kelch, meine Machete als Schwert, und ein Chapati oder ein Beutel Salz als Pentakel der Kunst! Die Gewohnhe it machte mich schon bald mit diesen primitiven Ersatzmitteln vertraut. Ich hege aber den Verdacht, daß es die Isolation und die körperliche Anstrengung selbst waren, die mir dabei halfen, meine magischen Operationen immer mehr und mehr in Körper und Geist zu integrieren, als ich mich wenige Monate später dabei wiederfand, wie ich die Formel des Neophyten (die in meinem Aufsatz Magick zu finden ist) voll und ganz ohne jedes äußere Gerät ausführte. 10 Die Pocken über alle diese formalistischen ari-sehen Weisen! Wenn man nicht gerade äußerst pedantisch sein will, ist es ziemlich albern, zu behaup ten, daß diese Form des Rituals, die mir zuerst durch äußere und schließlich durch innere Umstände aufgezwungen wurde, etwas anderes war als eine neue Form von Asana, Pranayama, Mantra-Yoga und Pratyahara von nahezu vollkommener Art; und daher überrascht es auch nicht, daß die magische Exaltierung durch solche Zeremonien in jeder Hinsicht dem Samyama ebenbürtig war. 114
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Andererseits war die Yogaschulung eine hervorragende Hilfe für die endgültige Konzentration des Willens, der die magische Ekstase hervorruft. 11 Das ist also Realität: direkte Erfahrung. Wie unterscheidet sie sich von der üblichen Alltags erfahrung der Sinneswahrnehmung, die sich so leicht vom ersten Windstoß der intellektuellen Analyse erschüttern läßt? Nun, um vor allem auf vernünftige Weise zu antworten, der Unterschied besteht einfach darin, daß der Eindruck um so tiefer ist, je weniger leicht er sich erschüttern läßt. Männer von Vernunft und Bildung sind stets bereit zuzugeben, daß sie sich vielleicht in der Qualität ihrer Beobachtung irgendwelcher Erscheinungen geirrt haben könnten, und Menschen, die noch ein Stückchen fortgeschrittener sind, gelangen fast mit Sicherheit zu einer gelassenen Art der Spekulation darüber, ob die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung vielleicht nicht nur bloße Schatten auf einer Leinwand sind. Ich nehme meine Brille ab. Jetzt kann ich mein Manuskript nicht mehr lesen. Ich hatte zweierlei Linsenpaare, ein natür liches, ein künstliches. Hätte ich durch ein Teleskop der alten Sorte geblickt, hätte ich dreierlei Linsenpaare haben müssen, davon zwei künstliche. Setze ich nun die Brille eines anderen auf, erhalte ich eine andere Form von Verschwommenheit. Mit der Veränderung meiner Augenlinsen im Laufe meines Lebens teilt mein Sehen mir unterschiedliche Dinge mit. Der springende Punkt ist der, daß wir völlig unfäbig sind, zu beurteilen, was am Sehen wahr ist. Warum setze ich dann zum Lesen die Brille auf? Nur weil die besondere Art der Illusion, die durch dieses Aufsetzen hervorgerufen wird, eine ist, die es mir ermöglicht, ein vorher festgelegtes System von Hieroglyphen in einer besonderen Weise zu deuten, von der ich mir zufällig einbilde, daß ich sie haben will. Sie sagt mir nicht 115
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das geringste über den Gegenstand meiner Betrachtung -über das, was ich Papier und Tinte nenne. Welches ist nun der Traum? Die klare, lesbare Druckschrift oder das unentzifferbare Verschwommene? 12 Auf alle Fälle aber macht jeder Mensch, der überhaupt geistig gesund ist, einen Unterschied zwischen den Erfahrungen des Alltagslebens und den Erfahrungen im Traum. Es ist wahr, daß Träume manchmal so lebhaft sind und daß ihr Charakter so durchgehend gleich ist, daß Menschen sich tatsächlich einbilden zu glauben, daß Orte, die sie wiederholt im Traum gesehen haben, Orte seien, die sie in einem wachen Leben gekannt haben. Doch sind sie vollkommen fähig, diese Illusion mit Hilfe des Gedächtnisses einer Kritik zu unterziehen und sie gestehen die Täuschung ein. Nun, auf die gleiche Weise sind die Phänomene der hohen Magie und des Samadhi authentisch und verleihen eine innere Gewiß heit, die sich zur Erfahrung des Wachzustands so verhält wie dieser zum Traum. Doch davon abgesehen bleibt Erfahrung eben Erfahrung; und die wirkliche Garantie, die wir für die Erlangung der Realität haben, ist ihre Rangstufe in der Hierarchie des Geistes. 13 Stellen wir uns für einen Augenblick die Frage, was dem Urteil des wachen Geistes zufolge das Charakteristische der Traumeindrücke ist. Manche Träume sind so gewaltig, daß sie uns sogar im Wachzustand von ihrer Wirklichkeit überzeugen. Warum kritisieren wir sie dann und lassen sie fallen? Weil ihr Inhalt unzusammenhängend ist, weil die Ordnung der Natur, der sie angehören, sich nicht richtig mit jener Art Erfahrung deckt, die — in gewissem Sinne -zusammenhängt. Warum kritisieren wir die Realität des wachen Erlebens? Aus genau den gleichen Gründen. Weil sie in gewissen Punkten nicht mit unserem tiefen, instinktiven Bewußtsein um die Struktur des Geistes übereinstimmen. Neigung! Zufällig sind wir eben ein 116
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Tier dieser Art. 14 Das Ergebnis ist, daß wir die Erfahrung des Wachzustands innerhalb bestimmter Grenzen hinnehmen. Wenigstens tun wir dies so weit, daß wir unser Handeln auf dem Glauben aufbauen, daß sie, wenn auch vom philosophischen Standpunkt aus nicht wirklich, immerhin wirklich genug ist, um unsere Handlungsweise darauf aufzubauen. Was ist die letzte praktische Probe für die Überzeugung? Daß sie nämlich unser Verhaltenskodex ist. Ich setze diese Brille auf, um zu lesen. Ich bin mir ganz sicher, daß die verschwommene Oberfläche klar wird, wenn ich das tue. Natürlich kann ich mich irren. Vielleicht habe ich aus Versehen die Brille eines anderen aufgenommen. Vielleicht erblinde ich, bevor ich sie richtig aufgesetzt bekomme. Selbst solches Vertrauen hat seine Grenzen; aber es ist ein wirkliches Vertrauen, und hier liegt die Erklärung dafür, warum wir mit dem Geschäft des Lebens weitermachen. Wenn wir darüber nachdenken, erkennen wir, daß es alle Arten von Fallstricken gibt, daß es unmöglich ist, irgendeinen Lehrsatz aufzustellen, der philosophisch unangreifbar wäre, oder sogar irgendeinen, bei dem das auch nur vom praktischen Standpunkt aus der Fall wäre. Wir gestehen uns selbst ein, daß es alle möglichen Fallstricke gibt; aber wir gehen dennoch das Risiko ein und verfahren nach den allgemeinen Prinzipien, die unsere Naturerfahrung uns eingeprägt hat. Natürlich läßt sich ganz leicht beweisen, daß Erfahrung unmöglich ist. Schon unser Bewußtsein eines Phänomens ist niemals das Ding an sich, sondern nur sein hieroglyphisches Symbol. Unsere Lage gleicht in etwa der eines Mannes mit einem temperamentvollen Auto: er hat eine vage Theorie, daß es nach allgemeinen Grundsätzen fahren sollte, aber er weiß nicht sicher, wie es sich unter bestimmten Umständen verhalten wird. Nun steht die Erfahrung der Magie und des Yoga weit über alleclem. Die Möglichkeit, andere Erfahrungstypen zu kritisieren, beruht auf der Möglichkeit, 117
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unsere Eindrücke in angemessenen Begriffen wiederzugeben. Das aber ist bei den Ergebnissen der Magie und des Yoga überhaupt nicht der Fall. Wie wir bereits gesehen haben, ist jeder Versuch, ihre Ergebnisse in ge wöhnlicher Sprache auszudrücken, zum Scheitern verurteilt. Wo der Held des Abenteuers durch eine religiöse Theorie gefesselt ist, da erhalten wir das schale und salbungsvolle Kielwasser von Leuten wie Johannes vom Kreuz. Alle christlichen Mystiker können über denselben Kamm geschoren werden. Ihre abscheuliche Religion zwingt sie zu allen möglichen Arten der Sentimentalität; und die Theorie von der Erbsünde entkräftet ihre ganze Position, weil sie statt der edlen und inspirierenden Trance des Leides nichts haben als das elende, feige und selbstsüchtige Gefühl der Schuld, was sie dazu antreiben kann, das Werk auf sich zu nehmen. 15 Ich denke, wir können jeden Anspruch, den irgendein Christ, auf welche Art des spirituellen Virus auch immer, erhebt, ganz aus unseren Gedanken streichen, als bloße krankhafte Reflexion, als äffische Imitation der wahren Ekstasen und Trancen. Alle Ausdrücke für die echte Sache müssen am Cha rakter dieser Sache teilhaben, und deshalb ist auch nur jene Sprache statthaft, die selbst aus dem Kanon gewöhnlicher Reden losgelöst ist, genau wie die Trance nicht durch die Gesetze des gewöhnlichen Be wußtseins gebunden ist. Mit anderen Worten: Die einzige geeignete Übertragung geschieht auf den Gebieten der Dichtung, der Kunst und der Musik. 16 Ürüft man die höchste Poesie im Licht des gesunden Menschenverstands, kann man sie nur als Mist bezeichnen; und tatsächlich läßt sie sich auf diese Weise überhaupt nicht prüfen, weil in der Poesie etwas ist, das nicht in den Worten selbst liegt, das nicht in den durch die Worte angedeuteten Bildern liegt. 118
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»O windbewegter Stern, der seitwärts hoch zum Himmel geweht wird!« Wahre Poesie ist an sich ein magischer Zauber, ein Schlüssel zum Unaussprechlichen. Auf dem Gebiet der Musik ist diese These so augenfällig, daß sie kaum der Erwähnung bedarf. Musik hat keinerlei ausgesprochenen intellektuellen Inhalt, und die einzige Probe der Musik ist ihre Macht, die Seele zu erheben. So ist es offensichtlich, daß der Komponist selbst versucht, in wahrnehmbarer Form solche sublimen Erfahrungen auszudrücken, wie sie von jenen erlangt werden, die die Magie und den Yoga so üben, wie es sein sollte. 17 Das gleiche gilt für die bildende Kunst, aber offensichtlich in viel geringerem Grade; und alle, die die Kunst verstehen und lieben, sind sich sehr wohl bewußt, daß klassische Malerei und Bildhauerei nur selten imstande sind, diese transzendenten Orgasmen der Ekstase hervorzurufen, wie es die höheren Künste können. Man bleibt an den Eindruck des Auges gebunden; man wird zur Betrachtung eines statischen Gegenstands zurückgezogen. Und diese Tatsache wurde in neuerer Zeit von Malern so gut verstanden, daß sie versucht haben, eine Kunst innerhalb der Kunst zu schaffen, und dies ist die wahre Erklärung für Bewegungen wie den Surrealismus. Ich möchte Ihnen nachdrücklich mitteilen, daß der Künstler in Wirklichkeit ein viel höheres Wesen als der Yogi oder der Magier ist. Er kann dieselbe Antwort geben, wie sie Paulus dem Centurio gab, der sich seiner römischen Bürgerschaft rühmte: »Diese Freiheit habe ich mir mit einer hohen Summe erkauft«; und Paulus befingerte seine alte Schulkrawatte und höhnte dabei: »Aber ich bin frei geboren.« l8 Es steht uns hier nicht an, zu beurteilen, woher es kommt, daß bestimmte Menschen von Geburt an dieses Recht auf Vertrautheit mit der höchsten Wirklichkeit besitzen. Aber Blavatsky war derselben Meinung, daß nämlich die natürliche Begabung ein Zeichen für den Erwerb jenes Rangs in der 119
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geistigen Hierarchie ist, nach der der Schüler der Magie und des Yoga strebt. Er ist gewissermaßen ein werdender Künstler; und vielleicht ist es unwahrscheinlich, daß seine Gaben in seiner gegenwärtigen Inkarnation hinreichend automatisch geworden sind, um die Früchte seiner Erlangung hervorzubringen. Und doch hat es zweifellos solche Fälle gegeben, und ich selbst habe so etwas erlebt. 19 Ich könnte Ihnen den Fall jenes Mannes - eines sehr mäßigen und haltlosen Dichters — nennen, der eine Zeitlang sehr eifrig die vorgeschriebenen ma gischen Übungen machte. Er hatte sehr viel Glück und erlangte bewundernswerte Ergebnisse. Kaum war das geschehen, ergossen sich auch Ströme himmlischen Lichts und der Energie in seine Poesie. Er brachte Meisterwerke hervor. Und dann gab er seine Magie auf, weil ihn die Aufgabe erschreckte, vor die ihn der weitere Fortschritt stellte. Das Ergebnis war, daß der Wert seiner Poesie in den Keller sank, bis sie nur noch nasses Löschpapier war. 20 Lassen Sie mich Ihnen auch von einem Mann erzählen, der fast ein Analphabet war, ein Mann aus Lancashire, der seit seinem neunten Le bensjahr in einer Mühle gearbeitet hatte. Jahrelang hatte er bei den »Theoschofeln« gelernt, doch ohne Ergebnis. Dann korrespondierte er eine Weile mit mir: er erzielte immer noch keine Resultate. Er suchte mich in Sizilien auf. Eines Tages, als wir zum Baden gingen, blieben wir einen Augenblick am Rande der Klippe stehen, die zu der kleinen Felsenbucht mit ihrem wunderbar glatten Sandstrand führte. Ich machte irgendeine beiläufige Bemerkung — ich konnte mich nie wieder daran erinnern, was ich genau sagte, und er konnte es auch nicht —, doch plötzlich jagte er den kleinen steilen Pfad wie eine Bergziege hinunter, warf den Mantel ab und stürzte sich ins Wasser. Als er zurückkam, hatte sein ganzer Körper zu strahlen begonnen. Ich sah, daß er eine 120
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Woche lang allein bleiben mußte, um seine Erfahrung abzurunden, also brachte ich ihn am Rande eines Bachs in einem Bergsteigerzelt in einer ruhigen Kuhle unter Bäumen mit breitem Laubdach unter. Von Zeit zu Zeit schickte er mir sein magisches Tagebuch, Visionen über Visionen von erstaunlicher Tiefe und Pracht. Ich freute mich so sehr über das, was er erreicht hatte, daß ich diese Tagebücher einem anerkannten Literatur kritiker zeigte, der damals bei mir zu Besuch war. Als ich einige Stunden später in die Abtei zurückkehrte, kam er mit flammender Erregung auf mich zugestürzt. »Wissen Sie, was das ist?« rief er. Ich antwortete beiläufig, daß es viele gute Visionen wären. »Ach, was interessieren mich Ihre Visionen«, rief er, »haben Sie denn den Stil nicht bemerkt? Das ist der reinste John Bunyan!« So war es auch. 21 Aber das führt alles zu nichts. Es gibt nur eins, was jeder auf einem Pfad zu tun hat, und das besteht darin, sich des nächsten Schrittes zu versichern. Und die Tatsache, die uns alle trösten kann, ist die, daß alle Menschen die Fähigkeit haben, zum Ziel zu gelangen, jeder seiner oder ihrer gegenwärtigen Stellung entsprechend.Was die Fähigkeit zur Betrachtung auf der Astralebene angeht, habe ich beispielsweise das Privileg gehabt, im Laufe meines Lebens viele hundert Leute zu trainieren, und nur ungefähr ein Dutzend von ihnen war unfähig zum Erfolg. In einem Fall lag es daran, daß der Mann bereits über alle einführenden Übungen hinausgelangt war; sein Geist nahm sofort den formlosen Zustand an, der alle Bilder, alles Denken transzendiert. Andere Fehlschläge geschahen wegen dummen Menschen, die unfähig zu jedwedem Experiment waren. Sie waren nur eine Masse aus intellektuellem Stolz und Vorurteilen, und ich schickte sie mit dem Hinweis weg, sie sollten doch lieber zu Jane Austen gehen. Aber der Durchschnittsmann und die Durchschnittsfrau kommen sehr gut voran, und damit meine ich nicht nur die 121
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Gebildeten. Es ist vielmehr eine notorische Tatsache, daß bei vielen primitiven Rassen der Menschheit sich seltsame Kräfte aller Art zu einer erstaunlich schillernden Blüte entwickeln. 22 Daher geht es für jeden von uns um folgendes: Vor allem müssen wir erst einmal unsere jetzige Position bestimmen; zweitens müssen wir unsere ge eignete Richtung bestimmen und drittens müssen wir uns entsprechend verhalten.Für mich geht es auch darum, eine Vorgehensme thode zu beschreiben, die hinreichend flexibel ist, um jedem Menschen nützlich zu sein. Das habe ich versucht, indem ich die beiden Pfade der Magie und des Yoga miteinander verband. Wenn wir die einleitenden Übungen durchführen, jeder nach seiner Fähigkeit, dann wird das Ergebnis mit Sicherheit die Erlangung einer gewissen Technik sein. Und das wird sehr viel leichter werden, je mehr wir vorankommen, besonders wenn wir stets im Auge behalten, daß wir zwischen den beiden Methoden keinen Unterschied machen sollten, als handle es sich dabei um einander widersprechende Schulen, sondern daß wir die eine dazu benutzen sollten, um der anderen zu helfen, wo es erforderlich ist. 23 Natürlich weiß keiner besser als ich, daß einem zwar niemand die Arbeit abnehmen kann, daß es aber — in einem sehr beschränkten Grad — möglich ist, sich die Erfahrungen anderer Menschen zunutze zu machen, und der Große Orden, dem zu dienen ich die Ehre habe, hat dafür, wie Sie wohl bestätigen wür den, einen sehr zufriedenstellenden und praktisch orientierten Lehrplan aufgestellt. 24 Mindestens drei Monate erwartet man von Ihnen, daß Sie sich mit dem Studium einiger Klassiker auf diesem Gebiet beschäftigen. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, Sie zu instruieren, sondern Sie mit den Grundlagen vertraut zu machen und vor allem zu verhindern, daß Sie zu der Auffas122
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sung gelangen, daß es in Sachen Meinung irgend etwas Richtiges oder Falsches geben kann. Sie müssen eine Prüfung absolvieren, deren Ziel es ist, sicherzustellen, daß Ihr Geist auf diesem Gebiet auf sicherem Boden steht; danach werden Sie Proband. Ihre Lektüre wird Ihnen einige Hinweise gegeben haben, für welche Gebiete Sie wahrscheinlich geeignet sind, und Sie suchen sich Praktiken aus, die Ihnen vielversprechend erscheinen. Mit diesen fahren Sie fort und zeichnen sorgfältig auf, was Sie tun und welche Ergebnisse dabei herauskommen. Nach elf Monaten unterbreiten Sie Ihrem Oberen einen Bericht; seine Aufgabe ist es, Sie zu korrigieren, wo Sie geirrt haben, und Sie besonders dort zu ermutigen, wo Sie einen Mißerfolg erzielt zu haben glauben. 25 Ich sage das, weil eines der häufigsten Probleme darin besteht, daß Menschen, die ganz ausgezeichnete Arbeit leisten, diese oft aufgeben, weil sie plötzlich merken, daß die Natur nicht das ist, wofür sie sie gehalten hatten. Aber das ist die beste Probe für die Wirklichkeit jeder Erfahrung. Solche, die mit Ihrer Vorstellung übereinstimmen, die Ihnen schmeicheln, sind wahrscheinlich Illusionen. So werden Sie zum Neophyten und machen* sich an die Aufgaben eines Zelators. In diesem System gibt es noch weitere Grade, aber die Grundprinzipien sind stets dieselben - die Grundsätze wissenschaftlichen Studiums und wissenschaftlicher Forschung. 26 Wir hören dort auf, wo wir angefangen haben. Das Rad hat einen vollen Kreis beschrieben.« Wir sollten die Erfahrung der Vergangenheit benut zen, um die Erfahrung der Zukunft zu bestimmen, und je mehr diese Erfahrung quantitativ zunimmt, um so mehr steigert sich auch ihre Qualität. Und der Pfad ist sicher. Und das Ende ist gewiß. Denn das Ende ist der Pfad. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.
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