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vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (Hrsg.) Bildungsautonomie: Zwischen Regulierung und Eigenverantwortung
vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (Hrsg.)
Bildungsautonomie: Zwischen Regulierung und Eigenverantwortung Jahresgutachten 2010
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Herausgeber: vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Ansprechpartner: Dr. Christof Prechtl, Geschäftsführer Abteilung Bildung Wissenschaftliche Koordination: Prof. Dr. Dieter Lenzen, Universität Hamburg, Vorsitzender des Aktionsrats Bildung Dem Aktionsrat Bildung gehören an: Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld, Prof. Dr. Wilfried Bos, Prof. Dr. Bettina Hannover, Prof. Dr. Dieter Lenzen, Prof. Dr. Hans-Dieter Daniel, Prof. Dr. Manfred Prenzel, Prof. Dr. Ludger Wößmann Das Jahresgutachten wurde unterstützt vom VBM – Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie e. V. Projektleitung: Michael Lindemann Geschäftsstelle des Aktionsrats Bildung: Dr. Veronika Kron-Sperl, Julia Schmidt, Manuela Schrauder www.aktionsrat-bildung.de
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Redaktion: Geschäftsstelle des Aktionsrats Bildung, München Lektorat: Stefanie Laux Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Gesamtgestaltung und Satz: Knobling Design, München Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17149-4
Inhalt Vorwort
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Einleitung
9
1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.4 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.2 2.3 2.4 3 3.1 3.2
Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen Politischer Diskussionsstand Verfassungsrechtliche Aspekte einer Deregulierungspolitik im Bildungssystem Psychologische Voraussetzungen und Implikationen einer Deregulierung im Bildungssystem Die Grundprinzipien menschlicher Motivation: Selbstbestimmung, Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeit Verantwortung oder Rechenschaftspflicht Grenzen der Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme Vertrauen als Voraussetzung von Kooperation Boykott- oder Vermeidungsverhalten: psychologische Reaktanz Organisatorische Bedingungen einer Deregulierung im Bildungssystem Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung Geschichte und Status quo des Regulierungsdefizits Zuständigkeiten und Steuerungsebenen Finanzierung Standardsetzung und Qualitätssicherung Akademische Ausbildung des frühpädagogischen Personals Berücksichtigung spezieller Zielgruppen Familie und Familienbildung Exkurs: Steuerung und Regulierung des vorschulischen Bildungsbereichs in England Trends und zukünftiger Regulierungsbedarf Handlungsempfehlungen
13 13 16 23 23 26 27 28 30 32
39 39 39 41 45 47 48 49 50 52 53
3.3 3.4 3.5
Regulierung und Deregulierung in der Schule Geschichte und Status quo der Regulierung und Deregulierung Regulierung und Deregulierung auf verschiedenen Entscheidungsebenen des Schulsystems Nutzung und Wirkung von Autonomie Trends und zukünftiger Deregulierungsbedarf Handlungsempfehlungen
57 57 58 73 84 86
4 4.1 4.2
Nachregulierung in der Berufsausbildung Status quo des dualen Systems unter wachsendem Re-Regulierungsdruck Institutioneller Rahmen und Struktur der Berufsausbildung in Deutschland
89 89 91
5
Inhalt
4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.5
Entwicklung der Bedeutung der einzelnen Sektoren der Berufsausbildung Zunehmende Unsicherheiten beim Übergang in die berufliche Ausbildung Berufliche Schulen Status quo der Steuerung in ausgewählten Regelungsbereichen Fortgeschrittene Deregulierung Trends und wachsender Nachregulierungsbedarf Handlungsempfehlungen
5
Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich Geschichte und Status quo der Deregulierung Deregulierung der Landeshochschulgesetze und Föderalismusreform Erhebung zur Universitätsautonomie im Jahr 2009 Effekte der Deregulierung und zukünftiger Deregulierungs- und Regulierungsbedarf Handlungsempfehlungen
5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.3 6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.4 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung Geschichte und Status quo fehlender Regulierung Zur Ausdifferenzierung von Erwachsenen- und Weiterbildung Rechtliche Grundlagen Finanzierung Trägerstrukturen Personelle Ressourcen Regulierung im internationalen Kontext Trends und Regulierungsbedarf Qualitätssicherung Weitere Professionalisierung Handlungsempfehlungen Handlungsempfehlungen im Überblick Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich Regulierung und Deregulierung in der Schule Nachregulierung in der Berufsausbildung Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung
Literatur Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Verzeichnis der Mitglieder des AKTIONSRATSBILDUNG Verzeichnis der externen Experten
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92 94 98 99 100 102 103
107 107 108 112 119 121
123 123 123 125 126 128 130 131 133 134 136 137 139 139 140 142 144 145 147 165 167 169 171
Vorwort Wissen und Kreativität sind die Eintrittskarten in eine globalisierte Welt. Der beste Weg, den Herausforderungen einer sich verändernden Arbeitslandschaft zu begegnen und auch künftig im Wettbewerb zu bestehen, führt über Investitionen in die Bildung. Sie schafft die Voraussetzungen dafür, die Innovationskraft Deutschlands weiter zu stärken und die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts zu sichern. Damit dies gelingt, brauchen wir eine Bildungslandschaft, die das Wissen kommender Generationen sorgsam entwickelt und das Potenzial künftiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vollem Umfang auszuschöpfen vermag. Als Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft haben wir hier bereits vor Jahren Handlungsbedarf erkannt und mit der Studienreihe „Bildung neu denken“ ein Konzept für die Bildung der Zukunft entwickelt. Darin beleuchten wir bestehende Defizite des deutschen Bildungssystems, zeigen Lösungsstrategien auf und kalkulieren die Kosten und Umsetzbarkeit unserer Empfehlungen. Um unseren Forderungen nach einer umfassenden Bildungsreform noch mehr Gewicht zu verleihen, haben wir Ende 2005 den Aktionsrat Bildung ins Leben gerufen, dessen Ziel es ist, die Politik nachdrücklich zum Handeln aufzufordern. Im Jahr 2007 hat der Aktionsrat Bildung sein erstes Jahresgutachten zum Thema Bildungsgerechtigkeit vorgelegt. In seinem zweiten Gutachten im Jahr darauf hat sich das Gremium mit dem Zusammenhang zwischen Bildung und Globalisierung befasst, um schließlich in seinem dritten, 2009 veröffentlichten Gutachten die Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem zu analysieren. Jedes der drei Gutachten hat eine bundesweite Diskussion ausgelöst. Die Reaktionen aus Politik, Wirtschaft und der Fachwelt haben schnell gezeigt, dass der Aktionsrat die richtigen Fragen gestellt und die wunden Punkte im deutschen Bildungssystem aufgespürt hat. Damit die dringend notwendigen Reformen eingeleitet werden können, dürfen wir nicht nachlassen in unserem Bemühen, den angestrebten Kurswechsel in der Bildung weiter voranzutreiben. Deshalb gibt der Aktionsrat Bildung auch in seinem nun vorliegenden vierten Gutachten zur Bildungsautonomie den Verantwortlichen konkrete Empfehlungen an die Hand. Unser Bildungssystem ist gegenwärtig von zu viel Detailsteuerung gekennzeichnet. Um mehr Qualität und Effizienz zu erzielen, müssen wir Arbeits- und Lernbedingungen schaffen, die auf Autonomie und Eigenverantwortung basieren und die freie Entfaltung von Lehrenden und Lernenden ermöglichen. Sie sollten sowohl das Bedürfnis des Einzelnen berücksichtigen, mit dem Erwerb von Qualifikationen im Arbeitsalltag zu bestehen, als auch das Interesse der Gesellschaft wahren, einen gleichbleibend hohen Qualitätsstandard in der Bildung herzustellen. Der Abbau von überflüssigen und hemmenden Regelungen in den Bildungsinstitutionen hilft letztlich auch unserer Wirtschaft. Ich wünsche auch diesem Gutachten, dass es lebhafte Diskussionen anstößt, und danke den Mitgliedern des Aktionsrats Bildung ausdrücklich für ihre wertvolle und zukunftsweisende Arbeit. Randolf Rodenstock Präsident vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V.
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Einleitung Das öffentliche Bildungswesen nimmt wie das private Bildungswesen individuelle und gesellschaftliche Interessen wahr. Das individuelle Interesse besteht in dem Erwerb von Qualifikationen, die es den Absolventen des Systems erlauben, ihren Lebensunterhalt zu sichern und lebenstüchtig ihren Alltag zu meistern; das gesellschaftliche Interesse besteht darin, für die moralische, kulturelle und ökonomische Entwicklung der Gesellschaft bei ihren Mitgliedern einen Qualifikationsstand herzustellen, der dieser Gesellschaft eine Zukunftsfähigkeit sichert. Die beiden Interessen sind nicht von sich aus konvergent. Aus diesem Grund tendiert staatliche Gewalt dahin, die kollektiven Interessen zu Lasten der individuellen in den Vordergrund zu rücken. Durch die Epochen hindurch ist deshalb die Gestaltung des Bildungssystems mit restriktiven Regulierungen durchgesetzt worden, die sich teilweise explizit gegen die subjektiven und auch objektiven Interessen der handelnden Personen im Bildungssystem richteten und richten. Seit der Aufklärung ist indessen die Aufmerksamkeit dafür gewachsen, die individuellen Interessen der Teilnehmer des Bildungssystems zu stärken und Regulierungen in Frage zu stellen, die ihre Freiheit in womöglich unnötiger Weise einschränken. Dieser regulierungskritische Diskurs ist somit weit über 200 Jahre alt und ist mit ganz unterschiedlichen Prinzipien und Motiven geführt worden. Wurde zunächst die kirchliche Autorität bei der Definition von Lerninhalten problematisiert, und zwar seitens des aufgeklärten Staates, so kamen im weiteren Verlauf, auch unter dem Eindruck des Missbrauchs staatlicher Gewalt, massive Erziehungskritiken hinzu, die die Legitimität der Vorgabe staatlicher Bildungsziele in Frage stellten. Dieses war insbesondere an Epochenschwellen wie dem Übergang vom absolutistischen zum aufgeklärten Staat, von der agrarstaatlichen zur industriellen Formation des Staates, von der Monarchie zur Demokratie und von der Diktatur zum demokratischen Rechtsstaat der Fall. Regulierungskritik speist sich also aus der Idee der Stärkung bürgerlicher Freiheiten des Individuums gegen Obrigkeit, Kollektivismus und Bürokratie. Diese Diskursmotivation war indessen nicht ausreichend, um in der Geschichte der Bundesrepublik etwa die staatliche Regulierung des Bildungssystems zurückzudrängen. Hier ist im Gegenteil zur Kenntnis zu nehmen, dass insbesondere seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ein massiver Regulierungsschub einsetzte, der teilweise durchaus im Einklang mit den (wohlverstandenen) individuellen Interessen von einer Verrechtlichung begleitet war, die sich oftmals aus dem berechtigten Bemühen speiste, auch im Bildungssystem möglichst gleiche Ausgangsbedingungen herzustellen. Auf diese Weise wurde die – allerdings verfassungsrechtlich niemals abgesicherte – pädagogische Freiheit des Lehrers beziehungsweise des pädagogischen Personals sukzessive weiter eingeschränkt. Entsprechende Bemühungen, die so genannte pädagogische Freiheit über die bloße Methodenfreiheit hinaus auszudehnen, blieben erfolglos. Der Deregulierungsgedanke wurde erst wirksam, als in den 1990er Jahren unter dem Eindruck der internationalen Vergleichsuntersuchungen und des darin schlechten Abschneidens
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Einleitung
des deutschen Bildungssystems sowie unter dem Eindruck wachsender Haushaltsengpässe nach mehr Qualität und nach mehr Effizienz im Bildungssystem verlangt wurde. Diese Ereignisse machten den Weg frei für Diskussionen über eine notwendige Umsteuerung, über „Neue Steuerungsmodelle“ im Bildungssystem, die an die Stelle regulatorischer Top-downSteuerung im Detail eine direkte Ergebnissteuerung zu setzen versuchen. Ihr Grundgedanke besteht darin, die Prozessverantwortung im Bildungssystem zu dezentralisieren und die staatliche Aufsicht über das Bildungssystem auf die Ergebniskontrolle zu beschränken. Darin ist die Einsicht enthalten, dass die Schulaufsicht im Wesentlichen in der Absicherung qualitativ hochstehender Bildungseffekte bestehen muss und dass die Verantwortungsverlagerung auf untere Handlungsebenen im Sinne der Qualitätssicherung effektiver und im Sinne eines adäquaten Mitteleinsatzes effizienter sein kann. Im Zuge der Implementation neuer Steuerungsmodelle haben sich für den pädagogischen Alltag zum Teil massive Veränderungen ergeben. Diese Veränderungen finden ihren Niederschlag sowohl in psychologischen als auch in organisatorischen und nicht zuletzt in juristischen Dimensionen. So galt und gilt es, den Aussagegehalt und Sinn der Verfassungsnormen im Licht der jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit („Verfassungsrealität“) neu zu denken, bildungsorganisatorische Maßnahmen abzusichern, die ein adäquates AufwandErtrag-Verhältnis im gesellschaftlichen Interesse spiegeln, und im Sinne der individuellen Interessen Arbeits- und Lernbedingungen zu schaffen, die den psychischen Gegebenheiten im Zusammenhang von Autonomie und Verantwortung gerecht werden. Das erste Kapitel des vorliegenden Gutachtens widmet sich daher einer Dimensionierung des angemessenen Verhältnisses von Deregulierung und Regulierung im Bildungssystem und prüft die juristischen, psychologischen und organisatorischen Voraussetzungen und Notwendigkeiten für eine adäquate regulatorische Justierung des Bildungssystems. Dabei liegt die Einsicht nahe, dass auf der einen Seite ein Maximum an Handlungsfreiheit der neuzeitlichen Konzeption des Individuums entspricht, dass auf der anderen Seite dieses Prinzip für die Wahrnehmung der Interessen der Gesellschaft, also aller einzelnen Individuen, in ihrem Zusammenhang immer wieder eingeschränkt werden muss. Aus diesem Grunde kann das Ziel des Gutachtens nicht sein, einer wilden Deregulierung das Wort zu reden und das Bildungswesen gewissermaßen sich selbst zu überlassen und womöglich ein privatisiertes Bildungssystem zur Norm zu machen. Vielmehr müssen spezifische Formen der Regulation für jede einzelne Bildungsphase getroffen werden, die sowohl dem Entwicklungsstand und dem Alter der Lernenden als auch den spezifischen Qualifikationen des Unterrichts- und Erziehungspersonals gerecht werden. Dennoch sind positive Effekte einer verstärkten Deregulierung zu erwarten. In allen Bildungsphasen sollte die Regulierung auf das Notwendigste beschränkt sein sowie auf eine Prozessregulierung verzichtet und eine Effektregulierung angestrebt werden. Denn schließlich führt eine Effektregulierung zu mehr Qualität. Bei diesem Durchgang durch die einzelnen Phasen des Bildungssystems kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass aufgrund der teilweise historisch zufällig entstandenen Gegebenheiten im vorschulischen Bereich ein Regulierungsbedarf, insbesondere im Hinblick auf Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung, besteht und dass im allgemein bildenden Schulwesen eher umgekehrte Tendenzen zielführend sein dürften, während im Berufsbildungssystem eher ein Nachregulierungsbedarf, besonders im Hinblick auf die Über-
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Einleitung
gangsmaßnahmen, besteht. Der Hochschulbereich zeichnet sich demgegenüber durch eine fortgeschrittene Deregulierung aus, wenngleich Tendenzen etatistischer Politiker nicht zu verkennen sind, durch gezielte gesetzliche und politische Übergriffe einen „Rollback“ in Richtung auf mehr politische Vorgaben vorzubereiten. Der Weiterbildungsbereich schließlich entzieht sich seiner Freiwilligkeitsnatur nach weitgehenden Regulierungen. Da die Bedeutung der Weiterbildung vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft und der zunehmenden Verkürzung der Wissenszyklen aber steigt, müssen Teilnehmer des Weiterbildungssystems sicher sein, auf qualitativ kontrollierte Bildungsbedingungen zu stoßen, die ihre Beschäftigungsfähigkeit langfristig absichern helfen. Das Gutachten endet in gewohnter Form mit einer Sammlung von Handlungsempfehlungen an die Politik und möchte wie seine Vorgänger nicht nur eine Diskussionsanregung und eine integrierte Zusammenfassung von Erreichtem und zu Erreichendem sein, sondern auch mit seiner empirischen Fundierung und seinen klaren Erwartungsformulierungen durchaus Legitimationsdruck auf Bildungspolitik und Administration ausüben. Insgesamt ist mit dem produktiven Beginn der Deregulierungsdiskussion ein Weg aufgenommen worden, dessen Fortsetzung lohnenswert und dringend erforderlich ist. Insofern ist restaurativen Tendenzen im politischen Feld entgegenzuwirken, und es sind die handelnden Personen zu ermutigen und dabei zu stützen, individuelle Verantwortung zu übernehmen, wozu ihnen die organisatorischen Rahmenbedingungen bereitet werden müssen. Auch wenn es nachdenklich stimmen mag, dass die Durchsetzung individueller Freiheiten sich nicht aus der Umsetzung von Prinzipien historisch ergeben hat, sondern erst über den Umweg von Ressourcenknappheit und Qualitätsmängeln möglich wurde, so darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass das Hauptziel von Regulierung und Deregulierung darin besteht, die individuellen und gesellschaftlichen Interessen am Bildungssystem in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, einer Aufgabe, die unter sich teilweise epochal ändernden Rahmenbedingungen ständig neu bewältigt werden muss. Dieses ist deshalb bedeutsam, weil jedem unberechtigten Verdacht entgegengewirkt werden muss, neue Steuerungsmodelle dienten einer „Ökonomisierung des Bildungssystems“ im Sinne einer Auslieferung von Bildung an wirtschaftliche Interessen. Diese Befürchtung resultiert in der Regel aus einer Verwechslung des grundgesetzlichen Effizienzgebots beim Einsatz öffentlicher Mittel und im Bildungssystem mit der Funktionalisierung öffentlicher Bildung für partikulare Interessen der Wirtschaft. Letzterer erteilt der AKTIONSRATBILDUNG eine entschiedene Absage. Gleichzeitig teilt der AKTIONSRATBILDUNG die in jüngster Vergangenheit z. B. im Rahmen der Auseinandersetzungen über die Bologna-Reform im Hochschulbereich vorgetragene Erwartung einer angemessenen Beteiligung der Betroffenen an Entscheidungen im Bildungssystem aus grundsätzlichen Erwägungen und deshalb, weil eine Reform nur auf der Grundlage von Vertrauen gelingen kann, wozu auch Transparenz und Partizipation gehören. Da der bisherige Hochschulexperte des AKTIONSRATSBILDUNG, Prof. Dr. Detlef MüllerBöling, in den Ruhestand getreten ist, wurde ein neuer Experte für diesen Bereich, der Sozialpsychologe und Hochschulforscher Prof. Dr. Hans-Dieter Daniel, in das Gremium aufgenommen. Der AKTIONSRATBILDUNG legt wie im vergangenen Jahr parallel zum Erscheinen dieses Gutachtens eine Dokumentation vor, die den Autonomiegrad in den Schul- und Hochschulgesetzen in den einzelnen Bundesländern aufzeigt. Der AKTIONSRATBILDUNG hat sich zur Bearbeitung von weiteren Teilaspekten externer Expertise versichert. Ein be-
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Einleitung
sonderer Dank gilt Prof. Dr. Lutz Reuter, Prof. Dr. Hans-Günther Roßbach, Prof. Dr. Katharina Spieß und Prof. Dr. Rudolf Tippelt sowie Dr. Yvonne Anders, Dr. Sandra Buchholz, Dr. Dirk Hofäcker, Magdalena Kowoll und PD Dr. Bernhard Schmidt-Hertha. Dieser Dank umschließt auch die Mitarbeiter der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. sowie der Geschäftsstelle des AKTIONSRATSBILDUNG, namentlich Dr. Christof Prechtl, Michael Lindemann, Dr. Veronika Kron-Sperl, Julia Schmidt und Manuela Schrauder. Das Gutachten wäre nicht entstanden, wenn nicht die Bedingungen bestünden, die die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. den Mitgliedern des AKTIONSRATSBILDUNG bietet. Dieses ist umso bemerkenswerter, als die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. weder auf die Wahl des Gegenstandes noch auf die Art des Gutachtens und seine Inhalte irgendwelchen Einfluss nimmt. Für diese Art der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung im Hinblick auf die Zukunft des Bildungssystems und damit auf die Gesellschaft als Ganzes und auf die Lebensbedingungen jedes Einzelnen gebührt dem Präsidenten der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., Randolf Rodenstock, Anerkennung und Dank.
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1
Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
1.1
Politischer Diskussionsstand
Ein wesentlicher Auslöser der Deregulierungsdebatte waren Qualitätsdefizite, die die internationalen Schulvergleichsstudien „Third International Mathematics and Science Study“ (TIMSS) und „Programme for International Student Assessment“ (PISA) Ende der 1990er Jahre und zu Beginn des dritten Jahrtausends für Deutschland sichtbar gemacht hatten (vgl. Baumert/Bos/Waterman 1998; Baumert u. a. 2001). Auch für den Bereich der Hochschulen wurden mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit, Defizite in Forschung und Lehre, ineffizienter Ressourceneinsatz und eine mangelnde Orientierung an gesellschaftlichen Problemlagen oder Anforderungen des Arbeitsmarkts beklagt (vgl. z. B. Müller-Böling 1994; Bodenhöfer 2000). Die Veröffentlichungen lösten eine umfassende Diskussion über den Stellenwert der Bildung und ihre Qualität in Deutschland aus, in deren Folge verschiedene Maßnahmen zur Deregulierung implementiert wurden. Absicht der Deregulierung ist es, durch eine Verlagerung von Verantwortung auf dezentrale Ebenen die Möglichkeit des Wettbewerbs zwischen einzelnen, eigenverantwortlichen Einheiten zu schaffen. Dadurch sollen Qualität und Effizienz von Institutionen gesteigert werden. Ein weiterer Grund für Deregulierung liegt in der nur begrenzten Steuerbarkeit komplexer Prozesse. Staatliche Regulierung soll weitgehend ersetzt werden durch eine Delegation der Aufgaben auf die Ebenen, auf denen unmittelbare Verantwortung und auch die größte Kompetenz vorhanden sind (Subsidiaritätsprinzip). Dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zufolge liegt die Primärverantwortung für das Schulen und Hochschulen umfassende Bildungswesen bei den Bundesländern (so genannte Kulturhoheit der Länder). Dieser Ansatz ist jedoch mit der im Jahr 1948 – noch vor Konstituierung der Bundesrepublik (1949) – eingerichteten Kultusministerkonferenz (KMK) nur bedingt vereinbar. Denn durch diesen Zusammenschluss der Minister bzw. Senatoren der Länder, die für Bildung, Erziehung und Forschung sowie kulturelle Angelegenheiten zuständig sind und sich mit „Angelegenheiten der Kulturpolitik von überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung und der Vertretung gemeinsamer Anliegen“ (KMK 2005, S. 1) befassen, wird die Verantwortung für das Bildungswesen de facto wieder „nach oben“ auf die länderübergreifende Ebene delegiert. Durch das Einstimmigkeitsprinzip der KMK besteht zudem die Gefahr, dass reformbereite Bildungspolitiker an der Umsetzung ihrer Ideen durch weniger reformbereite gehindert werden. Die am 01.09.2006 in Kraft getretene Föderalismusreform änderte das Grundgesetz hinsichtlich der Beziehungen zwischen Bund und Ländern und machte die Bildungspolitik noch weiter gehend zur Ländersache, da die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes gestrichen worden ist. Deutliche Auswirkungen im Bildungsbereich hat die Föderalismusreform beispielsweise auf die Hochschulen. So wird das Hochschulrahmengesetz (HRG), das bisher den Ländern Rahmenvorgaben machte, nun auslaufen. Hochschulbau und Bildungsplanung gehen in die Verantwortung der Länder über, der Bund ist damit an einer Finanzierung des Hochschulbaus nicht mehr beteiligt. Allerdings wird der Bund auch nach Auslaufen des HRG weiterhin
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Kapitel 1
die Möglichkeit haben, Regelungen zur Hochschulzulassung und zu Hochschulabschlüssen zu erlassen (von denen die Länder jedoch abweichen dürfen). In der Forschungspolitik hatte sich über die Jahrzehnte ein Mischsystem herausgebildet. Die Helmholtz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft werden primär durch den Bund gefördert, die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam durch Bund und Länder. Den Bemühungen, auch die Hochschulen durch die Föderalismusreform vom Bundeseinfluss zu befreien, stellten sich insbesondere die finanzschwachen Bundesländer entgegen. Von 1975 bis Ende 2007 lag es in der Zuständigkeit der so genannten Bund-LänderKommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), Empfehlungen für alle den Bund und die Länder gemeinsam betreffenden Fragen der Forschungsförderung auszusprechen. Als Ergebnis der Föderalismusreform wurde die BLK im Jahre 2008 von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern als Nachfolgeorganisation abgelöst. Bund und Länder können hier nun bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb der Hochschulen zusammenwirken, wie auch bei der Förderung von Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen und von Forschungsbauten an Hochschulen sowie von Großgeräten. Bund und Länder wollen in der GWK ihre Zusammenarbeit weiter verstärken und ein koordiniertes Vorgehen in Fragen der nationalen, europäischen und internationalen Wissenschafts- und Forschungspolitik erreichen. Zu den Programmen und Projekten der GWK gehören unter anderem der Hochschulpakt sowie die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen. Die mit der Deregulierung einhergehende Veränderung in Steuerungsprinzipien lässt sich einerseits als ein Trend zur Subsidiarität und andererseits als eine Umorientierung von der Input- zur Output-Steuerung charakterisieren. Parallel zur Diskussion über die Verantwortung für die Bildungspolitik in Bund oder Ländern verlief die politische Debatte über die Vor- und Nachteile der Delegation von Verantwortung auf dezentrale Ebenen (Subsidiarität). Mit dem Ziel der Initiierung stärkerer Eigenverantwortung, der Einsicht, dass Probleme am besten dort gelöst werden, wo sie entstehen, nämlich vor Ort, und dem Bestreben, Wettbewerb zwischen Einrichtungen zu ermöglichen, wird den Schulen und Hochschulen in verschiedener Hinsicht stärkere Autonomie gewährt. Wenngleich die Befürworter einer weiter gehenden Selbstständigkeit von Bildungsinstitutionen nach und nach überzeugen konnten, sind jedoch große Unterschiede zwischen und innerhalb von Bundesländern und erste Anzeichen von Autonomierücknahme festzustellen. Die gewachsene Autonomie der Hochschulen zeigt sich darin, dass sie ihr Profil und ihre Ausrichtung weitgehend selbst bestimmen und ausgestalten können (z. B. Forschungsprofil, Studienangebot). Berufungen von Professoren* müssen in einigen Ländern nicht mehr vom Ministerium bzw. Senat ausgesprochen werden. Größere Gestaltungsspielräume zeigen sich auch in dem neuen Leitbild der „unternehmerisch tätigen“ Hochschule, z. B. im Hinblick auf Budget und Mittelvergabe, Unternehmensgründungen sowie Möglichkeit der Einbeziehung der Mittel Dritter in die Finanzierung der Hochschule und die Möglichkeit der Erhebung von Studiengebühren. *
Im Sinne eines besseren Leseflusses wird im gesamten Jahresgutachten auf die Verwendung beider Geschlechtsformen der Substantive verzichtet.
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
Die zunehmende Autonomie der Hochschulen ist Ausdruck eines veränderten Verständnisses des Verhältnisses zwischen Staat und Bildungsbereich. Der Staat nimmt sich zurück, gibt nur noch Rahmenbedingungen und politische Ziele vor und konzentriert sich auf eine strategische Steuerung. Die Hochschulen werden zu arbeitsteiligen Organisationen mit einem gestärkten Management und einer leistungsorientierten Mittelverteilung umgebaut und erhalten mehr operative Freiheiten. Erwartet wird eine schlankere, effizientere Organisation, die die Forschung stärkt und die Lehre in höherem Maße an den Interessen der Studierenden bzw. des Arbeitsmarkts ausrichtet. Die gewachsene Autonomie von Schulen zeigt sich darin, dass im Rahmen der einheitlichen Vorgaben auf der Ebene vieler Länder jeder Schule die Möglichkeit eingeräumt wird, ihr eigenes Profil zu entwickeln. Dieses ist in einem Schulprogramm zu beschreiben, das Besonderheiten im curricularen Angebot, z. B. Ausgestaltung der staatlichen Rahmenlehrpläne im Hinblick auf Lernziele, Inhaltsbereiche und Lernverfahren, oder in Aspekten der erzieherischen, didaktischen oder unterrichtsorganisatorischen Planung herausstellt. Weiter zeigt sich die zunehmende Autonomie von Schulen in größeren Spielräumen bei der Gestaltung organisatorischer, finanzieller und struktureller Prozesse. So können Schulen den zeitlichen Rahmen bei der Unterrichtsorganisation variieren (z. B. schulspezifische Stundentafeln), sie können ihren eigenen Personalbedarf und die Personalentwicklung – ausgerichtet am eigenen Schulprogramm – festlegen, die Schulleitung kann Personalführungsaufgaben selbstständig wahrnehmen und über die Verwendung der ihr zugewiesenen Mittel eigenverantwortlich entscheiden sowie selbst finanzielle Mittel einwerben. Deregulierung geht seit einigen Jahren in den Bereichen Schule und Hochschule mit einem Wechsel von der Input- zur Output-Steuerung einher: Der Staat reguliert nicht mehr die Angebotsseite (z. B. Studienangebote bzw. Lehrpläne), sondern konzentriert sich auf die Ergebnisse und Wirkungen von Bildung (z. B. Kompetenzerwerb). Mit dem Wechsel von der Input- zur Output-Steuerung geht die Notwendigkeit der Einführung von Systemen zur Qualitätssicherung einher: In dem Maße, in dem dezentrale Einheiten autonom und eigenverantwortlich handeln, müssen Qualitätssicherungsinstrumente gewährleisten, dass trotz unterschiedlicher zur Zielerreichung eingeschlagener Wege im Interesse der Lernenden vergleichbare Ergebnisse (Bildungs-Outcomes) resultieren. Auch die in der allgemeinen Verwaltung derzeit stattfindende Umsteuerung in Richtung auf eine Output-Orientierung („Neues Steuerungsmodell“) unterstützt die entsprechende Umorientierung des Schul- und Hochschulsystems. Nach dem Neuen Steuerungsmodell erfolgt Steuerung nicht mehr über die Zuweisung von Haushaltsmitteln, sondern über a) die Festlegung eines definierten Outputs, b) die Ausstattung von dezentralen Organisationseinheiten mit eigenen Budgets und mehr Ressourcenverantwortung und c) das so genannte „Kontraktmanagement“, die Zielvereinbarungen zur wechselseitigen verbindlichen Festlegung auf die Einhaltung von Absprachen. Die Output-Steuerung der Hochschulen zeigt sich in dem Ersatz von Rahmenprüfungsordnungen durch ein Akkreditierungssystem, mit dem die Qualität von Bildungs-Outcomes gesichert werden soll. Durch das Hochschulrahmengesetz waren die Länder in der Vergangenheit gemeinsam mit den Hochschulen für die Gewährleistung gleichwertiger und einander entsprechender Studien- und Prüfungsleistungen sowie Studienabschlüssen und damit auch
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Kapitel 1
für die Schaffung der Möglichkeit des Hochschulwechsels verantwortlich. Dazu koordinierten die Länder – gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) – bis zum Jahr 2002 die Ordnungen für Studium und Prüfungen durch so genannte Rahmenprüfungsordnungen, die durch die anschließende Beschlussfassung in KMK und HRK ihre Legitimation erhielten und von den jeweiligen Hochschulen in geltendes Prüfungsrecht übersetzt wurden. Ein weiteres Element der Output-Steuerung stellen Zielvereinbarungen der Länder mit einzelnen Universitäten (und innerhalb der Universitäten) dar. Die früher übliche Vorgabe von Zielen und die zentralistische Steuerung ihrer Verfolgung gingen mit der Notwendigkeit staatlicher Genehmigung respektive Überwachung sämtlicher Entscheidungen der Hochschule einher. Durch die Festlegung von Zielen unter Beteiligung beider Parteien ist demgegenüber eine rechenschaftspflichtige (Accountability-Prinzip) und autonom handelnde Hochschule entstanden. Auch die Output-Steuerung der Schulen zeigt sich darin, dass die Angebotsseite von Schule und Unterricht (Lehrpläne) weniger durch staatliche Vorgaben reguliert wird und stattdessen stärker die Ergebnisse und Wirkungen des Lehrens und Lernens fokussiert werden. Es geht nicht mehr vorrangig um konkrete Inhalte, die in der Schule vermittelt werden, sondern um Kompetenzen, die in Auseinandersetzung mit variablen Inhalten erworben werden können. Schulen und Lehrende haben somit mehr Autonomie bei der Auswahl und Vermittlung von Inhalten, gleichzeitig besteht aber der Bedarf einer größeren Einheitlichkeit und Verbindlichkeit hinsichtlich der Frage, welche Lernergebnisse (im Sinne von Kompetenzen) tatsächlich erzielt werden sollen. Deregulierung zeigt sich auch darin, dass neben öffentlich finanzierten Bildungsinstitutionen ein zunehmend breites Spektrum anderer Einrichtungen entsteht. Während die Dominanz nichtstaatlicher Träger bei Kindertageseinrichtungen mit 65,1 Prozent in Westdeutschland und 56,8 Prozent in Ostdeutschland konstant geblieben ist (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008), ist der Anteil an privaten Einrichtungen im Schul- und Hochschulbereich gering. So war die Hochschullandschaft in Deutschland lange Zeit durch ein fast ausschließliches Angebot an öffentlichen Einrichtungen charakterisiert. Sich am Vorbild einiger anderer Länder ausrichtend haben sich inzwischen zahlreiche privat oder teilprivat finanzierte Hochschulen etabliert. Im Wintersemester 2007/2008 waren es 89 private gegenüber 238 öffentlichen Hochschulen, mit knapp 83.000 Studierenden an privaten gegenüber gut 1,8 Mio. Studierenden an öffentlichen Hochschulen (vgl. HRK 2009). Damit sind Universitäten nicht mehr zwangsläufig Körperschaften öffentlichen Rechts, sondern teilweise Stiftungen oder Vereine.
1.2
Verfassungsrechtliche Aspekte einer Deregulierungspolitik im Bildungssystem
Kennzeichnend für das deutsche Verfassungsrecht ist die föderative Kompetenzordnung, wonach „die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben“ (Art. 30, 31, 70 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)) grundsätzlich den Ländern obliegt; dabei dürfen landesgesetzliche Regelungen dem Bundesrecht nicht widersprechen. Die Zuweisung politischer, legislativer und administrativer Aufgaben im Bildungs-
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
system an den Bund bedarf deshalb einer ausdrücklichen Bestimmung durch das Grundgesetz. Die Anzahl der hierzu getroffenen Regelungen ist klein und überschaubar. Es handelt sich um Art. 5 Abs. 3 GG (Wissenschaft, Forschung und Lehre), Art. 7 GG (Schulwesen), Art. 12 GG (Berufsfreiheit), Art. 74 Abs. 7, 11, 13 u. 33 GG (Regelung der öffentlichen Fürsorge, Regelung der Berufsbildung und Weiterbildung als akzessorischer Bereich des Rechts der Wirtschaft, Regelung der Ausbildungsbeihilfen und Forschungsförderung, Regelung der Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse) sowie Art. 91b GG (Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Wissenschafts- und Hochschulforschung und zur Durchführung von Bildungsvergleichsuntersuchungen). Die Zuständigkeiten des Bundes für die Bildungsplanung – auf deren Grundlage die Vereinbarung über die BLK die Finanzierung von Modellversuchen im Schulwesen ermöglichte – sowie für die Rahmengesetzgebung über das Hochschulsystem sind mit der Föderalismusreform von 2006 entfallen. An die Stelle der BLK ist die GWK getreten, die für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Förderung der wissenschaftlichen Forschung innerhalb und außerhalb der Hochschulen verantwortlich ist. Der Vollständigkeit halber sei Art. 140 GG (mit Verweis auf Art. 138 Weimarer Reichsverfahren (WRV)) erwähnt, der den Religionsgemeinschaften u. a. die Aufrechterhaltung ihrer Bildungseinrichtungen garantiert. Im Übrigen enthält das Grundgesetz keine Regelung über private (außerschulische) Bildungseinrichtungen mit der Folge, dass den politischen Akteuren weitestgehende Entscheidungsspielräume zwischen Regulierung und Deregulierung eingeräumt sind. Einer Lockerung der staatlichen Steuerung und möglichen Übertragung von Handlungskompetenzen an die Bildungseinrichtungen stehen die Bestimmungen des Grundgesetzes nicht entgegen, soweit das Demokratieprinzip (Festlegung der erforderlichen Grundsätze durch parlamentarisch beschlossenes Gesetz (Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt)) und das Rechtsstaatsprinzip (rechtlich geregelte Verfahren, Rechtsschutz, Beachtung der Grundrechte) beachtet werden. Das Gesagte gilt auch für die Zulassung und für das Handeln nichtstaatlicher Einrichtungen in diesen Bildungsbereichen. Im Hochschulsystem ist die Deregulierung Ausdruck der einstigen institutionellen Garantie der Universität und ihrer Autonomie durch Art. 5 Abs. 3 GG. Eine darüber hinausgehende Deregulierungspolitik im Hochschulsystem ist nur an die Verpflichtung des Staates gebunden, die Wesensmerkmale und Bedingungen freier Forschung und Lehre im institutionellen Wissenschaftsbetrieb zu gewährleisten. Für eine Politik der Deregulierung oder der Regulierung in den Bildungsteilsystemen Berufsbildung, Hochschulbildung und Weiterbildung setzt das Grundrecht der freien Berufswahl und des freien Zugangs zum Beruf (Art. 12 Abs. 1 GG) gewisse Schranken, die insbesondere die Zulassung zu den Ausbildungsgängen und das Prüfungswesen betreffen. Von der im Rahmen der Föderalismusreform eingeführten konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für die Hochschulzulassung und für die Abschlüsse hat der Bund bisher keinen Gebrauch gemacht. Aus der allgemeinen Verpflichtung des Staates zu effektivem und effizientem Handeln folgt für eine auf Deregulierung setzende Bildungspolitik die Aufgabe, für wirksame Mechanismen der Qualitätssicherung im Grundgesetz zu sorgen. Deren Zulässigkeit, die sich nach Landesrecht regelt, ist jedoch unstreitig. Neben den erwähnten Einzelregelungen haben die Verfassungsgrundsätze der Demokratie sowie des Rechts- und Sozialstaats (Art. 21 u. 79 Abs. 3 GG) erhebliche Bedeutung für das Bildungssystem. Was resultiert aus diesen Regelungen für die Frage nach möglichen Grenzen für das bildungspolitische Handeln der Länder bei einer eventuellen Deregulierung des Bildungssystems? In allen außerschulischen Bereichen lässt das Grundgesetz den politischen Akteuren
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Kapitel 1
weitestgehende Entscheidungsspielräume zwischen Regulierung und Deregulierung. Im Falle des Schulwesens sind differenziertere Aussagen über die Zulässigkeit und die Reichweite einer die Autonomie der Bildungseinrichtungen erweiternden Deregulierung erforderlich. Der Umstand, dass überhaupt nach verfassungsrechtlichen Grenzen der Schulautonomie in Art. 7 Abs. 1 GG gefragt werden muss, hängt mit der Entstehungsgeschichte des Artikels zusammen, d. h. mit der Forderung nach einer grundrechtlichen Garantie des Elternrechts und der Privatschulen, die während der Beratungen zum Grundgesetz 1948/1949 erhoben wurde. Der vom Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rats in erster Lesung angenommene Entwurf des Grundgesetzes im Jahr 1948 enthielt keine der Regelungen des späteren Art. 7 GG. Die Christlich Demokratische Union (CDU)/Christlich Soziale Union (CSU) und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) waren sich einig, dass nur die klassischen Grundrechte aufgenommen werden sollten. Aufgrund des massiven, von den Kirchen unterstützten Drängens einiger CDU/CSU-Ausschussmitglieder wurde jedoch gegen die Einwände der SPD ein vorläufiger Artikel „Elternrecht und Erziehung“ in den Entwurf aufgenommen, der auch das Recht auf Errichtung von Privatschulen vorsah. Die SPD vertrat die Position, dass diese Regelungen nicht in die Bundesverfassung gehörten, da der Bund für Kulturpolitik nicht zuständig sei. Nach mehrmonatigem Streit und angesichts der massiven Aufforderung der drei Alliierten, die Beratungen über das Grundgesetz umgehend abzuschließen, einigten sich die Ausschussmitglieder darauf, die schon in einem älteren Dokument zusammengefassten einschlägigen Artikel der WRV zu übernehmen. So wurden ohne weitere Beratung die Bestimmungen über das Elternrecht, die staatliche Schulaufsicht, den Religionsunterricht und die Privatschulen als Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 GG sowie die Artikel der WRV über Religion und Religionsgemeinschaften (Art. 136 – 139, 141 WRV) über einen Verweis in Art. 140 GG in den Entwurf des Grundgesetzes übernommen und vom Plenum des Parlamentarischen Rats am 08.05.1949 beschlossen (vgl. Apelt 1946; Parlamentarischer Rat 1948). Die entstehungsgeschichtlichen „Motive“ für das Privatschulverfassungsrecht waren eltern- und staatskirchenrechtlicher Art; ein weiteres Motiv der Entstehungsgeschichte galt dem innovativen Potenzial, das privaten Schulen unterstellt wurde und dem öffentlichen Schulwesen zugutekommen sollte. Zu keinem Zeitpunkt wurde der Anspruch auf Gleichrangigkeit der Privatschule mit der Staatsschule oder auf eine weitergehende Rolle der Kirchen erhoben. Dies kommt in der bis heute unveränderten Fassung von Art. 7 GG durch das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen staatlichen und privaten Schulen zum Ausdruck. Die Idee, die diesem Schulverfassungsverständnis zugrunde liegt, ist die „Schule für alle“: Ihre Aufgabe ist die gesellschaftliche Integration und die Erziehung zur Demokratie. Die öffentliche, weltanschaulich neutrale Schule soll die pluralistische Gesellschaft durch Integration der nachwachsenden Generationen zusammenhalten, was nur gelingen könne, wenn das Schulwesen als demokratisch und sozial gerecht, also offen für die unterschiedlichen individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse, gleiche Chancen vermittelnd und mitbestimmbar erlebt werde (vgl. Langenfeld 2001). Deshalb wird – vom Sonderfall konfessionell und weltanschaulich gebundener Schulen abgesehen – die Volks- bzw. die Grundschule als Schule für alle von Verfassungs wegen gegen private Konkurrenz besonders abgesichert: Art. 7 Abs. 5 GG bindet die Zulassung privater Volksschulen an ein durch die Schulverwaltung anzuerkennendes „besonderes pädagogisches Interesse“. Dabei muss es sich um „eine sinnvolle Alternative zum Bestehen des öffentlichen und privaten Schulangebots handeln, welche die pädagogi-
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sche Erfahrung bereichert und der Entwicklung des Schulsystems insgesamt zugute kommt“ (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 88, 40, 53). Diesen Vorrang der öffentlichen Grundschule unterstreicht Art. 7 Abs. 6 GG, der am Weimarer Verbot privater Vorschulen zur Vorbereitung auf den Besuch des Gymnasiums festhält. Je nachdem, ob eine Privatschule einer öffentlichen Schulform entspricht oder nicht, ist sie eine Ersatz- oder eine Ergänzungsschule. Ergänzungsschulen erweitern das öffentliche Schulangebot, jedoch kann an ihnen die Schulpflicht in der Regel nicht erfüllt werden. Ergänzungsschulen sind genehmigungsfrei und sind nur verpflichtet, die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Vorschriften z. B. zur Bausicherheit und zum Gesundheitsschutz zu beachten. Ersatzschulen hingegen unterliegen dem Genehmigungsvorbehalt von Art. 7 Abs. 4 GG; an genehmigten Ersatzschulen kann die Schulpflicht erfüllt werden. Durch einen besonderen Verwaltungsakt anerkannte Ersatzschulen können Zeugnisse vergeben, Abschlussprüfungen durchführen und Zertifikate ausstellen, die denen der staatlichen Schulen entsprechen. Private Ersatzschulen stehen in einem akzessorischen Verhältnis zu den staatlichen Schularten; folgerichtig ist die Dauer der Bildungsgänge an privaten Sekundarschulen von der Dauer der Grundschule abhängig, sofern das Schulrecht keine Ausnahmen zulässt. Private Ersatzschulen dürfen nicht in Bezug auf Lehrziele, Einrichtungen und Lehrerausbildung hinter den Anforderungen öffentlicher Schulen zurückstehen. Sie sind jedoch nicht unmittelbar an die staatlichen Lehrpläne, Stundentafeln, Schulbücher und Unterrichtsmethoden sowie die institutionellen Vorgaben z. B. für die Lehrer-Schüler-Relation oder die Schülerhöchstzahlen pro Klasse gebunden. Etwas anderes dürfte für unterrichtsfachliche Standards und zentrale staatliche Abschlussprüfungen gelten; dieser Fragenkreis ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. Schließlich folgt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aus dem Verbot der Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern eine Verpflichtung des Staates zur finanziellen Förderung privater Ersatzschulen „dem Grunde nach“; die Höhe der staatlichen Subventionen unterliegt innerhalb gewisser Grenzen dem politischen Ermessen. Die herrschende Auslegung von Art. 7 Abs. 1 GG folgt einer „Interpretationstradition“, der zufolge eine Neubestimmung der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft im Bildungssystem unterblieb, wie sie der liberaldemokratischen Verfassungsidee von der Trennung der staatlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Funktionsbereiche entsprochen hätte. In den Verfassungsdebatten 1919 wie 1949 ging es nur um die Garantien von Elternrecht, Religionsunterricht und Privatschulen als Ausnahmen von der weltanschaulich neutralen öffentlichen Schule und nicht um die Begründung der staatlichen Schulhoheit. Vielmehr wurde in Art. 144 WRV wie in Art. 7 GG nur vorausgesetzt, dass der Staat Ziele, Inhalte und Organisation des Schulwesens bestimmt. Der Grundsatz der Schulhoheit verpflichtet den Staat zwar, dies in effizienter, aber nicht in einer bestimmten Weise zu tun. Art. 7 GG gibt dem Schulwesen und der Schulpolitik der Bundesländer einen bundesverfassungsrechtlichen Rahmen, der aus Grundsätzen, Ordnungsregeln und grundrechtlichen Garantien besteht. Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates bzw. der Länder und ist der umfassenden Verantwortung des Staates, seiner politisch-rechtlichen Regelungskompetenz sowie seiner administrativen Leitung und Kontrolle unterstellt. Den Grundrechten der Eltern und Kinder (Art. 6 Abs. 2; Art. 2 Abs. 1 GG) wird für den Bereich des Schulwesens eine verfassungsimmanente Schranke gesetzt. Dies betrifft die Schulpflicht und die Begrenzung der Wahlmöglichkeiten auf die angebotenen Schularten, Bildungsgänge und Wahlpflichtfächer. Art. 7 Abs. 4 bis 6 GG enthält die Garantien und Bedingungen zur Geneh-
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migung von Privatschulen einschließlich der Sonderbestimmungen über die Zulassung privater Volksschulen.1 Im Übrigen sind die Länder in der Ausgestaltung ihres Schulrechts frei. Bei der Zuweisung der Selbstverwaltungsaufgaben an die Schulen darf sich das jeweilige Bundesland nach herrschender Meinung allerdings nicht der ihm übertragenen Aufgabe entziehen, die Aufsicht über das Schulwesen wahrzunehmen. Art. 7 Abs. 1 GG weist nicht nur Kompetenzen zu, sondern verpflichtet auch, diese umzusetzen. Der Aufsichtsbegriff im Grundgesetz unterscheidet sich vom Aufsichtsbegriff im Verwaltungsrecht; Schulaufsicht umfasst die Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens (vgl. Avenarius/Heckel 2000). Die herrschende Meinung stützt sich auf eine Definition des Bundesverfassungsgerichts: „Die Schulaufsicht im Sinne des Art. 7 Abs. 1 GG umfasst die Befugnisse des Staates zur Planung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulwesen zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Die organisatorische Gliederung der Schule und die strukturellen Festlegungen des Ausbildungssystems, das inhaltliche und didaktische Programm der Lernvorgänge und das Setzen der Lernziele sowie die Entscheidungen darüber, ob und wieweit diese Ziele von dem Schüler erreicht worden sind, gehören zu dem staatlichen Gestaltungsbereich“ (Entscheidung des BVerfGE 59, 360, 377). Das weitgefasste Schulaufsichtsverständnis, vor allem aber die Annahme, Gesetzgeber und Schulbehörden seien von Verfassungs wegen verpflichtet, diese Kompetenz auch wahrzunehmen, ist Gegenstand der Kritik. Nach dieser Auffassung kann der Staat durchaus seine fachaufsichtlichen Durchgriffsmöglichkeiten durch eine rechtsaufsichtliche Kontrolle des Gesetzesvollzugs ersetzen (vgl. Niehues/ Rux 2006). Diese Auffassung bestätigt der verfassungsgeschichtliche Exkurs ebenso wie eine genauere Analyse der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht entschied im Rahmen einer Prüfung der Reichweite des Elternrechts zugunsten umfassender staatlicher Kompetenzen im Sinne der Verfassungsdiskurse von 1919 und 1949. Über die Fragen, ob und in welchem Umfang der Staat von diesen Kompetenzen Gebrauch machen muss und welche Ebene im Staatsaufbau vom Parlament über das Kultusministerium, die regionale Schulaufsicht und die Gemeinde bis zur Einzelschule die staatlichen Aufgaben nach Art. 7 Abs. 1 GG wahrzunehmen hat, hatte es bislang nicht zu entscheiden. Unbestritten ist, dass die staatliche Schule, wenn ihr Aufgaben übertragen sind, staatliche Aufgaben ausführt. Über die verantwortliche Handlungsebene zu entscheiden, ist Sache des Staates. Staatliche Aufgaben können aber auch z. B. an Kammern oder Privatschulen übertragen werden.
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Seit den 1990er Jahren steigt die Zahl neu errichteter Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland. Bei den allgemein bildenden Schulen beträgt der Anteil der Privatschulen 8,5 Prozent, wobei in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern die beiden höchsten Werte mit 13,8 Prozent und 13,0 Prozent zu vermerken sind, während es in den Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit einem Anteil von 4,6 Prozent und 5,4 Prozent auffällig wenige Privatschulen gibt (vgl. Statistisches Bundesamt 2008). Im Schuljahr 2007/2008 gab es mit knapp 5.000 allgemein bildenden und beruflichen Privatschulen 53 Prozent mehr in Deutschland als noch im Schuljahr 1992/1993. Da vor der Wiedervereinigung Deutschlands im Osten nur sehr wenige private Schulen bestanden, ist der Zuwachs hier besonders stark – und dies trotz der drastisch sinkenden Geburtenzahlen. So reduzierte sich die Zahl der öffentlichen Schulen in den neuen Bundesländern von 2000 bis 2007 um 27,7 Prozent, die Anzahl der Privatschulen stieg jedoch im selben Zeitraum um 59,4 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2008). In Deutschland besuchten im Jahr 2007 rund 921.000 der zwölf Mio. Schüler eine Schule in freier Trägerschaft. Die meisten von ihnen waren an privaten Gymnasien (39,9 Prozent), gefolgt von Realschulen (16,8 Prozent), Freien Waldorfschulen (11,7 Prozent) und Grundschulen (11,0 Prozent; vgl. Statistisches Bundesamt 2008).
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Fraglich sind die Grenzen der Übertragbarkeit staatlicher Aufgaben auf die Einzelschule („Schulautonomie“) mit Blick auf zwei verfassungsrechtliche Leitprinzipien: Der Staat, der zum Besuch öffentlicher oder privater Schulen verpflichtet, muss von Verfassungs wegen für ein leistungsfähiges und sozial gerechtes Schulwesen sorgen und dabei sicherstellen, dass die Ziele und Inhalte der Schule den Grundsatz der weltanschaulichen und religiösen Neutralität nicht verletzen (Art. 20 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12, Art. 3 u. Art. 4 GG). Nach dem Demokratieprinzip müssen alle wesentlichen, d. h. insbesondere alle grundrechtlich relevanten Entscheidungen (z. B. im Schulwesen) vom Parlament getroffen werden. Der jeweilige Kultusminister ist als oberste Schulaufsichtsinstanz dem Landtag politisch rechenschaftspflichtig für das, was im Schulwesen geschieht (Art. 20 Abs. 1 u. 3, Art. 28 Abs. 1 GG).2 Dieser „Parlaments- oder Gesetzesvorbehalt“ dient der Transparenz staatlicher Regelungen und dem Grundrechtsschutz innerhalb der Bildungsstätten. Doch mit dem Verweis auf den Gesetzesvorbehalt bleibt noch völlig offen, in welchem Umfang das Parlament die staatlichen Schulen gesetzlich mit eigenständig wahrzunehmenden Aufgaben betrauen darf, die der Rechtsaufsicht des Ministers unterliegen und die das Parlament jederzeit revidieren kann. Die Grenzen der Schulautonomie sind vorläufig unbestimmt. Angesichts der Aufgaben öffentlich-rechtlicher Anstalten in anderen wichtigen Lebensbereichen spricht nichts dagegen, auch Schulen als rechtsfähige Anstalten zu etablieren und die Schulaufsicht auf die Rechtsaufsicht zu beschränken. Zwar läge es nahe, zur Beantwortung dieser Frage die gesetzliche Erweiterung der Hochschulautonomie heranzuziehen, doch stößt der Analogieversuch auf eine unterschiedliche verfassungsrechtliche bzw. verfassungsinterpretatorische Ausgangslage: Während Art. 7 Abs. 1 GG ein umfassendes staatliches Bestimmungsrecht unterlegt wird, gilt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht nur als Grundrecht der individuellen Wissenschaftsfreiheit, sondern auch als institutionelles Grundrecht der Universität mit den herkömmlichen Selbstverwaltungsrechten. Allerdings besteht eine Parallele darin, dass der Staat in beiden Bildungsbereichen von Verfassungs wegen verpflichtet ist, die Effizienz der Bildungsprozesse zu gewährleisten. Unbeschadet der rechtlichen Kontroverse haben die Landtage den Schulen Handlungsspielräume übertragen, die sie in die Lage versetzen, in verschiedenen Bereichen eigenverantwortlich zu handeln. Zwar unterliegt die Erziehungs- und Unterrichtsarbeit der Schulen der Fachaufsicht der Schulbehörden, die die recht- und die zweckmäßige Wahrnehmung der Aufgaben überprüfen könnten. Doch folgen aus dem gesetzlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule auch rechtlich relevante Freiräume: Die „pädagogische Eigenverantwortung der Schule“ und die „pädagogische Freiheit des Lehrers“ setzen der Schulaufsicht Grenzen. Explizit verpflichten die Landesschulgesetze die Schulbehörden, die pädagogische Eigenverantwortung der Schule und die pädagogische Freiheit der Lehrer zu beachten bzw. die Schulen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Rahmen der Selbstverwaltung zu unterstützen. Dies sind sehr weiche Rechtsbegriffe. Bislang hat kein Landtag den Vorschlag im Schulgesetzentwurf des Deutschen Juristentages (1981) aufgegriffen, die Arbeit der Schule und der Lehrkräfte nur einer rechtsaufsichtlichen Kontrolle durch die Schulbehörden zu 2
BVerfGE 93, 37, 70 (Urteil über die Reichweite der Mitbestimmung von Personalräten).
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unterwerfen. Insofern sind die Selbstverwaltung3 der Schule, die Mitwirkungsrechte der Eltern und Schüler sowie die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte zwar dem Grunde nach rechtlich gesichert, aber im Konfliktfalle nicht belastbar und in ihrer Reichweite unbestimmt. In dieser Unschärfe liegen Möglichkeiten, die längst genutzt werden und die auch in anderen Bereichen zum Verfassungswandel beitragen (vgl. Richter 1973). Die schon heute geltenden Selbstverwaltungsrechte der Schulen, betreffend Schulleiter, Konferenzen und einzelne Lehrer, beziehen sich auf die folgenden fünf Sachbereiche der Schulautonomie: pädagogisches Profil und pädagogische Arbeit der Schule („pädagogische Autonomie“), innere Ordnung und Verwaltung des Schulbetriebs einschließlich der Fürsorge für die Schüler („Organisations- und Verwaltungsautonomie“), Verantwortung für die Qualitätssicherung („Qualitätsautonomie“), Verausgabung des verfügbaren Schulbudgets („Finanzautonomie“), Personalauswahl und Personalentwicklung („Personalautonomie“). Hierzu einige Beispiele: Die Schulen werden verpflichtet, ein pädagogisches Profil in Schulprogrammen zu definieren und darauf ihre pädagogische Arbeit auszurichten. Sie überwachen die Schulpflicht und bedienen sich zu deren Durchsetzung der Unterstützung der Jugendämter und der Polizei. Sie nehmen hoheitliche Aufgaben wahr bei der Schüleraufnahme, bei der Durchführung von Prüfungen und bei der Beschlussfassung über Nichtversetzungen und Überweisungen an andere Schulen, bei der Verhängung von Ordnungsmaßnahmen sowie bei der Ausstellung von Zeugnissen und Zertifikaten. In einigen Bundesländern stellen die Schulträger den Schulen jährlich Globalbudgets oder in einzelne, ggf. deckungsfähige Titel gegliederte Haushaltsmittel zur Selbstbewirtschaftung („Budgetierung“) zur Verfügung, die teils alle, teils ausgewählte Sachaufgaben betreffen. Die Schulen können Rechtsgeschäfte mit Wirkung für den Schulträger oder sich selbst abschließen, ggf. klagen und verklagt werden. In unterschiedlicher Ausgestaltung haben die Schulen das Recht auf Beteiligung an den Verfahren der Schulleiterfindung bzw. -auswahl. Einige Schulgesetze räumen die Möglichkeit der Mitwirkung der Schulen an der Personalentwicklung (Stellenausschreibung) nach Maßgabe ihres pädagogischen Profils ein. Die Schulleiter sind zum Teil an der Auswahl der Lehrkräfte und in der Regel an der Auswahl des nichtpädagogischen Personals der Schule beteiligt, ggf. sogar allein verantwortlich. Die Lernmittelbeschaffung erfolgt durch die jeweiligen Fachkonferenzen der Schulen. Auf der Grundlage von Rahmencurricula bzw. fakultativen Vorgaben in den Lehrplänen entwickeln die Schulen schul- und fachspezifische Lehrpläne, die ein Abweichen von den Bestimmungen zu Stundentafeln und Unterrichtsdauer gestatten. Die Beispiele zeigen, dass die Rechtsform der nichtrechtsfähigen Anstalt der heutigen rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung der Aufgaben der Schule nicht mehr gerecht wird; Ansätze zur Änderung der Rechtsform sind zu beobachten. Wenn sich der Prozess der Umsteuerung der Schulpolitik durch Vereinbarung verbindlicher Ziele und Leistungen sowie durch effiziente Ergebniskontrollen fortsetzt, wird dies auch das Verständnis der Schulaufsicht im Sinne von Art. 7 Abs. 1 GG entsprechend verändern. Eine unüberwindbare Barriere gegen eine funktionale Ausweitung der Schulautonomie stellt dieser Artikel nicht dar. Der Rechts3
Im Landesschulrecht werden unterschiedliche Begriffe verwendet: Selbstständigkeit, Eigenständigkeit, (erweiterte) Selbstverantwortung, Eigenverantwortung, Selbstverwaltung.
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
status der Schule als rechtsfähige Anstalt und die Begrenzung der Aufgaben der Schulaufsichtsbehörden auf die Rechtsaufsicht bedürften einer gesetzlichen Regelung, und auch die Übertragung von Aufgaben auf die Schulen in den fünf Autonomiebereichen wäre nur auf einer gesetzlichen Grundlage zulässig, deren Ausgestaltung auch auf dem Verordnungswege erfolgen könnte. Rechtsstaatliche Bedingung für eine Erweiterung der Schulautonomie sind nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Recht auf Bildung und Schulpflicht die Einführung und Praktizierung wirksamer Instrumente und Prozesse der Qualitäts- und Effizienzkontrolle.
1.3
Psychologische Voraussetzungen und Implikationen einer Deregulierung im Bildungssystem
Die vorangegangenen Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Status im Schulwesen weisen bereits auf die rechtlich relevanten Freiräume hin, die sich aus dem gesetzlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule ableiten. Diese neuen Handlungs- und Entscheidungsspielräume bedingen ein verstärktes Maß an selbstverantwortlichem Handeln der am Bildungssystem beteiligten Personen. Auf die Frage, welche wesentlichen psychologischen Voraussetzungen für die effektive Wahrnehmung dieser erweiterten Gestaltungsspielräume im Rahmen einer Deregulierung im Bildungssystem gegeben sein müssen, wird im Folgenden eingegangen. Deregulierung im Bildungssystem bedeutet den Abbau staatlicher Regelungen (Gesetze, Verordnungen, Richtlinien) und eine abnehmende Bedeutung zentraler Steuerung und Kontrolle. In dem Maße, in dem das Bildungssystem dereguliert wird, erhöht sich die Entscheidungs- und Wahlfreiheit der einzelnen beteiligten Institutionen und der in diesen Institutionen handelnden Personen auf untergeordneten, dezentralen Ebenen. Während also sowohl für das Individuum als auch für die Institution mehr Gestaltungsspielräume und Chancen für die Übernahme von Verantwortung geschaffen werden, sind die Interessen von Individuum und Institution nicht notwendigerweise identisch. Insofern kann die größere Verantwortung und die Zunahme an Verhaltensoptionen zwar für die Institution Vorteile, gleichzeitig aber für das Individuum auch neue Formen der Belastung mit sich bringen: Personen können sich überfordert fühlen und die geringere Möglichkeit, sich von Verantwortung oder der Übernahme von Aufgaben fernzuhalten, sowie die Abhängigkeit der eigenen Benefits von tatsächlich erbrachten Leistungen als eine Verschlechterung ihrer Arbeitssituation wahrnehmen. Für Deregulierungsprozesse sind besonders jene Potenziale wesentlich, die mit der Rücknahme von zentraler Steuerung und Kontrolle bei den am Bildungssystem beteiligten Personen freigesetzt werden können. Es geht um die Frage, wie aus psychologischer Sicht der vergrößerte Gestaltungsfreiraum für die Optimierung der Situation des Individuums, bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz der Institution, genutzt werden kann.
1.3.1
Die Grundprinzipien menschlicher Motivation: Selbstbestimmung, Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeit
Zentral für die Erklärung der mit Deregulierung einhergehenden psychologischen Potenziale sind die Grundprinzipien menschlicher Motivation. Motivation meint die Ausrichtung des mo-
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Kapitel 1
mentanen Lebensvollzugs auf positiv bewertete Zielzustände. Ryan und Deci (2000) haben in ihrer einflussreichen Selbstbestimmungstheorie die sozial-kontextuellen Bedingungen zu identifizieren versucht, die motiviertem Handeln zugrunde liegen. Sie unterscheiden dabei verschiedene Formen motivierten Verhaltens, die auf einem Kontinuum zwischen intrinsischer Motivation/Selbstdeterminiertheit auf der einen und Amotivation/Nichtselbstdeterminiertheit auf der anderen Seite verortet werden können. Selbstbestimmung ist eine intrinsische Form der Motivation, bei der das eigene Verhalten an persönlichen Wünschen und Zielen ausgerichtet und unabhängig von externen Belohnungen oder äußerem Druck verfolgt wird. Hingegen bedeutet Amotivation, dass die Person keinerlei Ziele verfolgt, sich als inkompetent und ohne Kontrollmöglichkeiten erlebt. Die Selbstbestimmungstheorie ist deshalb bedeutsam, weil sie aufzeigt, wie extrinsisch motivierte Verhaltensweisen durch Prozesse der Internalisation und Integration in selbstbestimmte Handlungen überführt werden können. Genauer gehen Ryan und Deci (2000) von drei angeborenen menschlichen psychologischen Bedürfnissen aus, nämlich dem Bedürfnis nach Kompetenz, sozialer Eingebundenheit und Autonomie. Wenn diese Bedürfnisse befriedigt sind, werden intrinsische Motivation, Selbstregulation und Wohlbefinden gefördert. In zahlreichen Untersuchungen, die unter Nutzung der Vorhersagen der Selbstbestimmungstheorie durchgeführt wurden, konnte für unterschiedlichste Anwendungsfelder (z. B. Gesundheit, Bildung und Erziehung, Arbeitswelt, Sport, Religion, Psychotherapie) gezeigt werden, dass Situationsfaktoren, die dazu beitragen, dass Menschen kompetent, autonom und sozial eingebunden handeln können, intrinsische Motivation und Selbstbestimmtheit fördern. Hingegen dominieren in Situationen, in denen sich Menschen als inkompetent erleben und in denen Handlungsspielräume und soziale Unterstützung fehlen, Amotivation oder extrinsische Motivation, und die Selbstbestimmtheit der Personen wird unterminiert (für einen Überblick siehe Ryan/Deci 2000). Die aus der Selbstbestimmungstheorie abgeleiteten Annahmen sind auch kompatibel mit den Ergebnissen der Forschung zum Thema „Kontrolle“. In der Psychologie spricht man von „Kontrolle“, wenn das Auftreten eines Ereignisses vom Handeln einer Person abhängig ist. Menschen reagieren auf objektive oder subjektive Nichtkontrolle mit reduzierter Aktivität und Motivation, Gefühlen von Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit, einer reduzierten Einsicht in Zusammenhänge zwischen eigenem Tun und dessen Wirkungen (so genannte gelernte Hilflosigkeit, vgl. Seligman 1975). Ob eine Situation als kontrollierbar oder nicht kontrollierbar wahrgenommen wird, ist maßgeblich davon bestimmt, auf welche subjektiven Ursachen die Person das Ereignis zurückführt (so genannte Attribution). Interindividuelle Unterschiede hinsichtlich der Einschätzung eigener Kontrollmöglichkeiten wurden von Rotter (1966) untersucht (so genannte Kontrollüberzeugung). Menschen mit internalen Kontrollüberzeugungen neigen dazu, das Auftreten eines Ereignisses als abhängig von eigenem Verhalten wahrzunehmen. Demgegenüber tendieren Menschen mit externalen Kontrollüberzeugungen dazu, die Ursache von Ereignissen in äußeren Umständen oder höheren Mächten, d. h. in Faktoren, die nicht unter ihrer Kontrolle sind, zu sehen. Eine internale Kontrollüberzeu-
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
gung ist prädiktiv für viele positive Anpassungsleistungen, wie z. B. präventives Gesundheitsverhalten, sportliche Aktivität, politische Partizipation, leistungsmotiviertes Verhalten, Gefühle von Selbstbestimmtheit und Optimismus (für einen Überblick siehe z. B. Ng/Sorensen/Eby 2006). Bandura (1986) hat das Konzept der Kontrollüberzeugungen weiter spezifiziert in das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartungen. Diese reflektieren das Urteil einer Person, inwieweit sie selbst eine bestimmte Handlung in dem jeweils relevanten Kontext erfolgreich ausführen kann. Während globale Selbstwirksamkeitserwartungen vor allem für die Anpassung der Person in neuen oder unerwarteten Situationen prädiktiv sind, können spezifische Selbstwirksamkeitserwartungen (z. B. Selbstwirksamkeit im Beruf, in Bezug auf Gesundheit, in Bezug auf soziale Beziehungen) besonders gut die Anpassung in den jeweils korrespondierenden Inhaltsdomänen vorhersagen. Für die psychologischen Bedingungen von Autonomie sind somit vor allem spezifische Selbstwirksamkeitserwartungen in Bezug auf die eigene berufliche Tätigkeit relevant. So betrachten beispielsweise Baumert und Kunter (2006) Selbstwirksamkeit als eine Facette professioneller Handlungskompetenz von Lehrern, nämlich als eine „wichtige Komponente der psychischen Regulationsfähigkeit im professionellen Handlungskontext von Lehrkräften“ (S. 503). Lehrkräfte mit hohen Selbstwirksamkeitserwartungen zeigen größeren Enthusiasmus für ihr Fach, stärkeres berufliches Engagement, höhere Berufszufriedenheit und sie können sich besser vor Belastungen wie Stress, Burnout oder Krankheit schützen (für einen Überblick siehe z. B. Schmitz/Schwarzer 2000; Usher/Pajares 2008). Implikationen für das Gelingen von Deregulierung. Zieht man die Erkenntnisse der psychologischen Forschung zu intrinsischer Motivation, Kontrolle, Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeit heran, um die psychologischen Auswirkungen von Deregulierungsprozessen zu beschreiben, so kann angenommen werden, dass durch das Wegfallen von Vorgaben, Regeln und Vorschriften und die Erweiterung des individuellen Handlungs- und Entscheidungsfreiraums dem menschlichen Grundbedürfnis nach Autonomie entsprochen werden kann. Die von Ryan und Deci (2000) identifizierten sozial-kontextuellen Faktoren, die zu intrinsischer Motivation, Selbstregulation und Wohlbefinden führen, sollten in dem Maße gegeben sein, wie zentrale Steuerung und Kontrolle durch Gestaltungsfreiheit und Verantwortung jedes Einzelnen ersetzt werden. Je stärker die an Bildung Beteiligten diese selbst gestalten können und sich selbst als Verursacher gewünschter Ergebnisse erleben, desto mehr können intrinsische Formen der Motivation gefördert und Gefühle von Nichtkontrolle vermieden werden. Dies sollte sich neben der persönlichen Identifikation mit den Zielen der jeweiligen Bildungsinstitution auch darin niederschlagen, dass sich die Person unabhängig von äußerer Kontrolle, Überwachung oder gar äußerem Zwang oder Druck engagiert. Weiter ist die Delegation von Verantwortung auf untergeordnete, dezentrale Ebenen die Voraussetzung für das Entstehen internaler Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeit. Die Betroffenen machen die Erfahrung, dass es von ihnen selbst abhängt, wie Bildungsprozesse gestaltet werden und zu welchen Ergebnissen sie führen. Ein zentralistisch gesteuertes System hingegen kann externale Kontrollüberzeugungen, d. h. die Vorstellung, dass Geschehnisse unabhängig vom eigenen Zutun sind und von einer „fremden, übergeordneten Macht“ gesteuert werden, befördern. Wie die psychologische Forschung gezeigt hat, führt dies zu Amotivation, d. h., die Personen engagieren sich nicht mehr und fühlen sich ausgeliefert, oder zu einer externalen Motivationslage, d. h., die Beteiligten verhalten sich so, dass
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sie nicht sanktioniert werden können. Sie machen sich aber die Ziele der jeweiligen Institution nicht zu eigen und übernehmen keine Verantwortung. Während also in deregulierten Systemen Autonomie für jeden Einzelnen eher gewährleistet ist als in regulierten, wachsen mit der Autonomie auch die Anforderungen an die Kompetenz jedes Einzelnen. Dies bedeutet, Deregulierungsmaßnahmen müssen begleitet werden von einer Analyse neuer Anforderungen, auf deren erfolgreiche Bewältigung die Akteure mit Unterstützungsmaßnahmen, z. B. in Form von Fort- und Weiterbildung, vorbereitet werden müssen. Weiter sollte soziale Eingebundenheit durch Formen kooperativer Zusammenarbeit gefördert werden.
1.3.2
Verantwortung oder Rechenschaftspflicht
Ein weiteres Merkmal von Deregulierung ist, dass die größere Eigenständigkeit und die Stärkung individueller Freiheiten und Entscheidungskompetenzen mit einer stärkeren Verantwortung jedes Einzelnen einhergehen. In der Psychologie existieren zwei Bedeutungen von Verantwortung: Verantwortung für andere oder die Gemeinschaft und Verantwortung für die eigenen Handlungen oder Unterlassungen und ihre Konsequenzen. Besonders die zweite Bedeutung von Verantwortung ist von Interesse: In deregulierten Systemen korrespondiert die Verantwortung der Beteiligten für die Konsequenzen ihres eigenen Handelns mit der Pflicht zur Rechenschaftslegung, oft auch mit dem englischsprachigen Begriff Accountability bezeichnet. Rechenschaftslegung stellt einen zentralen Aspekt der Steuerung in deregulierten Systemen dar und ist gleichbedeutend damit, dass das Individuum oder die betreffende Institution A gegenüber dem Individuum oder der Institution B verpflichtet ist, vergangene oder zukünftige Handlungen und Entscheidungen offenzulegen, sie zu rechtfertigen und im Falle von Fehlentwicklungen Sanktionen zu akzeptieren. Ein Beispiel ist die Verpflichtung von Schulen zur inneren Evaluation (Selbstevaluation zur Information und zur Rechtfertigung gegenüber der Schulinspektion). Ergänzend wird durch die Schulinspektion, die der Schule bestimmte Auflagen erteilen kann, eine externe Evaluation durchgeführt. Ein weiteres Beispiel sind Zielvereinbarungen (z. B. zwischen Hochschullehrenden und der Universitätsleitung), die ein zunehmend bedeutsames Steuerungsinstrument darstellen. Implikationen für das Gelingen von Deregulierung. Die psychologische Forschung zeigt, dass die Übernahme von Verantwortung für eigenes Handeln an verschiedene Voraussetzungen gebunden ist: Erstens müssen Willensfreiheit und Autonomie gegeben sein, d. h., die Person muss über verschiedene Handlungsoptionen verfügen (denn nur wenn die Person auch anders hätte handeln können, kann sie für die Konsequenzen der gezeigten Handlung verantwortlich gemacht werden). Zweitens muss die Person die Konsequenzen ihres Handelns (zumindest bedingt) vorhersagen können, d. h. die Fähigkeit zu einer bewussten Entscheidung haben. Drittens müssen die Ereignisse, für die eine Person Verantwortung übernehmen soll, beeinflussbar oder steuerbar sein, d. h., die Person muss (zumindest bedingt) Kontrolle über sie haben (für schicksalhafte Ereignisse kann niemand Verantwortung übernehmen). Und
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
viertens müssen Normen existieren, die definieren, welche Konsequenzen als positiv bzw. negativ zu bewerten sind. Gelingensbedingungen von Deregulierung sind somit, dass für jeden Einzelnen Handlungsoptionen oder Wahlfreiheiten geschaffen werden (Autonomie), Personen weitestmöglich aufgeklärt werden und somit als aufgeklärte Akteure handeln, die die Konsequenzen ihres Handelns abschätzen können, Personen Kontrolle haben, indem von ihrem eigenen Handeln abhängig gemacht wird, was tatsächlich geschieht, mit einer Pflicht zur Rechenschaftslegung die Voraussetzung dafür geschaffen wird, dass die Konsequenzen des Handelns jedes Einzelnen identifiziert und an vereinbarten Normen gemessen oder bewertet werden können.
1.3.3
Grenzen der Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme
Ein Dilemma besteht nun aber darin, dass nicht alle an Bildung Beteiligten auch in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen, d. h. die ihnen zugestandene Autonomie zu nutzen und für die Folgen eigenen Handelns einzustehen. Es stellt sich also die Frage, wie Menschen befähigt werden können, verantwortlich mit Autonomie und Entscheidungsspielräumen im deregulierten Bildungssystem umzugehen. Für Verantwortungsübernahme ist Wissen um mögliche Konsequenzen eigenen Handelns erforderlich. Dies bedeutet, nur in dem Maße, wie Menschen kompetent sind, Entscheidungen zu treffen hat, es auch Sinn, sie für ihre Entscheidungen verantwortlich zu machen. Der Weg, Menschen zur Verantwortungsfähigkeit zu führen, liegt somit in Aufklärung, Transparenz und kontinuierlichem Feedback, das sie in die Lage versetzt, ihr eigenes Verhalten kontinuierlich an geteilten Zielen auszurichten und gegebenenfalls zu justieren. So wird beispielsweise der Erfolg des System-Monitorings im Bildungsbereich maßgeblich davon abhängen, inwieweit es gelingt, seine Ergebnisse den Betroffenen in angemessener Form zu vermitteln. Dies zu erreichen ist eines der Ziele der Bildungsberichterstattung (z. B. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Solange es für Lehrer nicht transparent ist, auf welche Weise Ergebnisse der Evaluation ihrer Tätigkeit zustande kommen, kann nicht erwartet werden, dass sie für Konsequenzen ihres Handelns Verantwortung übernehmen – dass sie es nicht tun, ist sichtbar darin, dass Lehrkräfte typischerweise mangelnden Erfolg ihrer Schüler in Vergleichsarbeiten nicht auf ihre eigene Unterrichtstätigkeit, sondern auf den sozial schwachen Hintergrund der Kinder zurückführen (vgl. Kuper/Schneewind 2006). Ein weiteres Beispiel dafür, dass Aufklärung, Transparenz und Feedback unablässige Voraussetzungen für individuelle Verantwortungsübernahme sind, stellen die Entscheidungen von Eltern für eine Schule für ihr Kind dar. Eltern können nur dann verantwortungsvolle Wahlen treffen, wenn sie sich über die Leistungsfähigkeit einer Schule informieren können, also z. B. Schulprogramme oder Rankings über das Abschneiden verschiedener Schulen in Vergleichsarbeiten einsehen können. Ein ähnliches Beispiel stellen Übergangsentscheidungen im Bildungswesen dar. Bildungsaspirationen der Eltern für ihre Kinder sind stark von ihrem eigenen Bildungshintergrund abhängig: Eltern neigen dazu, für ihre Kinder dieselbe Ausbildungsform zu wählen, die sie selbst durchlaufen haben; Lehrer entscheiden hier vergleichsweise fortschrittlicher (vgl. Ditton 2007). Unsicherheit bei der Entscheidung zeigt sich
27
Kapitel 1
insbesondere bei Eltern mit Migrationshintergrund, die oft kein hinreichendes Wissen über das deutsche Bildungssystem haben. In diesen Fällen muss es darum gehen, Eltern über Struktur und Funktionsweise des Schulsystems aufzuklären und ihnen hinsichtlich der Frage, welche Entscheidungen sie für ihre Kinder treffen sollen, beratend zur Seite zu stehen. Implikationen für das Gelingen von Deregulierung. Deregulierte Systeme erfordern in besonderem Maße eine offene Informationspolitik, um weitestmögliche Transparenz für jeden Einzelnen zu gewährleisten. Weiter müssen umfassende Feedbacksysteme etabliert und kontinuierlich eingesetzt werden, durch die der Einzelne über die Ergebnisse seines Handelns informiert wird. Bei der Gestaltung von Feedback sollten die Erkenntnisse der psychologischen Forschung über soziale Vergleichsprozesse Berücksichtigung finden: Werden durch das Feedback vor allem Vergleiche mit anderen Personen ausgelöst (z. B. „Hat mein Kollege besser oder schlechter abgeschnitten als ich selbst?“), so kann es motivational ungünstige Konsequenzen haben, nämlich zu einer Leistungszielorientierung führen (z. B. in der die Person nur noch danach strebt, eigene Defizite und Inkompetenzen vor anderen zu verbergen). Günstiger ist ein Feedback, das zum Vergleich mit der eigenen Person anregt, also z. B. Vergleiche zwischen eigenen Leistungen zu verschiedenen Zeitpunkten oder bei der Bewältigung verschiedener Aufgaben (z. B. Vergleich der eigenen Leistungsrückmeldungen in verschiedenen Schuljahren, zwischen verschiedenen Klassen oder Fächern). Durch diese Art des Vergleichens wird eine Lernzielorientierung begünstigt, in der Menschen nach einer tatsächlichen Verbesserung eigener Leistungen streben, unabhängig davon, wie sie dabei „auf andere wirken“ (vgl. Dweck 1986). Weiter sollte bei der Gestaltung von Feedback berücksichtigt werden, dass dieses nicht die intrinsische Motivation des Betroffenen untergräbt. Intrinsische Motivation ist dadurch definiert, dass die Person ohne äußeren Druck handelt, also eigene Ziele verfolgt. Eine solche Motivlage kann durch Rückmeldungen unterminiert werden, die von den Betroffenen als Sanktion – oder auch als Belohnung – erlebt werden: Der Zweck ihres Handelns liegt nun nicht mehr im Erreichen eines persönlich angestrebten Ziels, sondern im Vermeiden von sozialer Sanktionierung oder im Erzielen von sozialer Anerkennung. Feedback, das mit intrinsischer Motivation kompatibel ist, sollte beispielsweise eine Information darüber sein, was Schüler tatsächlich hinzugelernt haben – im Unterschied zu einer Information, inwieweit der jeweilige Lehrer relativ zu anderen in seiner Schule gut oder schlecht abgeschnitten hat.
1.3.4
Vertrauen als Voraussetzung von Kooperation
Die Transparenz von Entscheidungsprozessen, das Bereitstellen von Informationen und die Gewährleistung kontinuierlichen Feedbacks mit dem Ziel der Aufklärung sind jedoch nicht hinreichend für eine Verantwortungsübernahme aller am Bildungssystem Beteiligten. Denn erfahrungsgemäß werden solcherlei Informationen vorzugsweise nur von denjenigen Personen genutzt, die schon vergleichsweise viel Wissen und Kompetenz haben. Dies bedeutet, es müssen flankierend Maßnahmen etabliert werden, die begünstigen, dass die Hilfestellung zur verantwortungsvollen Wahrnehmung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen auch tatsächlich in Anspruch genommen wird. Voraussetzung dafür ist, dass Vertrauen geschaffen wird.
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
Vertrauen bedeutet in der Psychologie, dass eine Person oder Institution einen positiven Ausgang der Interaktion mit einer anderen Person oder Institution erwartet (positive Erwartung), obwohl sie mögliche negative oder opportunistische Verhaltensweisen des anderen nicht vollständig überwachen bzw. kontrollieren kann oder will (Verletzbarkeit). Deregulierung im Bildungswesen bedeutet, dass den auf dezentralen Ebenen tätigen Personen mehr Vertrauen entgegengebracht wird. Gegenüber ihnen besteht eine positive Erwartung, dass sie kooperieren werden. Der Staat macht sich in gewisser Weise abhängig davon, dass das Angebot tatsächlich angenommen und durch kooperatives Handeln realisiert wird, indem er auf Kontrollmaßnahmen weitestgehend verzichtet. Warum Menschen oder Institutionen überhaupt auf Kontrolle zugunsten von Vertrauen verzichten, liegt einerseits darin begründet, dass Kontrolle nicht immer möglich ist (z. B. Vertrauen des unheilbar Kranken in den Arzt), aber auch darin, dass Vertrauen mit zahlreichen positiven Konsequenzen verbunden ist, die mit Kontrolle nicht erzielt werden können. Genauer haben McEvily, Perrone und Zaheer (2003) spezifiziert, auf welche Weise sich Vertrauen innerhalb von Organisationen günstig auswirkt: nämlich durch „structuring“ und „mobilizing“. „Structuring“ meint die Entwicklung, die Aufrechterhaltung und die Modifikation eines Systems von relativen Positionen und Verbindungen zwischen Akteuren innerhalb einer Organisation. Durch Vertrauen verändern sich diese Relationen dahingehend, dass bestimmte Personen an Einfluss gewinnen und andere diesen verlieren. Durch „mobilizing“ werden die Akteure der Organisation dazu motiviert, selbst zu gemeinschaftlichen Zielen etwas beizutragen. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass es eine größere Offenheit und eine Beschleunigung im Austausch von Informationen und Wissen gibt und dass Kooperation oder gemeinsames Problemlösen befördert werden. Durch die positive Erwartung, dass alle Akteure dieselben Ziele verfolgen, werden Commitment und Identifikation mit der Organisation gestärkt und eine Handlungsheuristik etabliert, die es allen Beteiligten ermöglicht, kognitive Ressourcen zu sparen, die anderenfalls für Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen verbraucht würden. Entscheidungsprozesse oder Verhandlungen werden effektiviert und vereinfacht, weil es leichter ist, relevante Informationen zu erhalten, und weil davon ausgegangen wird, dass die Akteure ihr Wissen nicht gegeneinander verwenden. Somit können Verhaltensweisen und Routinen etabliert werden, die sich, unter der Voraussetzung, dass alle kooperieren, als besonders effektiv erweisen (beispielsweise Verzicht auf Kontrollmaßnahmen wie z. B. Arbeitszeitenüberwachung oder die Absicherung, dass andere Personen vertrauliche Informationen nicht weitergeben können). Implikationen für das Gelingen von Deregulierung. Das deregulierte Bildungssystem setzt ein höheres Vertrauen in die Akteure auf dezentralen Ebenen, weil der Staat auf Überwachungsmaßnahmen weitestgehend verzichtet. Dies bedeutet, es wird auf eine positive Erwartung wechselseitiger Kooperation gesetzt. Mit verantwortungsbereiten, selbstbestimmt handelnden Partnern ist zwar eine wichtige Voraussetzung für eine solche Kooperation geschaffen, jedoch stellt Vertrauen in das System (so genanntes Systemvertrauen) auch auf Seiten der auf dezentraler Ebene handelnden Personen eine weitere wesentliche Voraussetzung für Kooperation dar. Insbesondere bei solchen Personen muss Vertrauen gegenüber dem System erzeugt werden, die von sich aus wenig nach Transparenz und Aufklärung fragen. Somit stellt sich die Frage, wie Vertrauen erzeugt werden kann.
29
Kapitel 1
Die psychologische Forschung zeigt, dass Vertrauen gefördert wird durch: Informationsweitergabe (siehe Aufklärung und Transparenz), Wahrnehmung von Unterstützung (z. B. glauben Eltern oder Lehrer, dass Vergleichsarbeiten dem Zweck der Förderung oder der Selektion dienen?), Wahrnehmung von prozeduraler Fairness (d. h., Entscheidungsprozesse führen zu fairen – und möglicherweise sogar für die eigene Person nachteiligen – Ergebnissen) und distributiver Fairness (d. h., man selbst erhält im Vergleich zu anderen bestimmte Ergebnisse, wie z. B. Gehalt, im gleichen Input- bzw. Output-Verhältnis. Gelingt es beispielsweise, Eltern die Übergangsempfehlung für ihr Kind als fair zu vermitteln?), Beteiligung an Entscheidungsprozessen (z. B. wird die Auswahl curricularer Inhalte den Lehrenden vorgegeben (Input-Orientierung) oder dürfen sie selbst Inhalte wählen, die zu bestimmten Ergebnissen führen (Output-Orientierung)), Verlässlichkeit (d. h. Einhalten von getroffenen Vereinbarungen wie z. B. Zielvereinbarungen), Vertrauenswürdigkeit. Vertrauenswürdigkeit ist dabei definiert als „es wert zu sein“, dass einem Vertrauen entgegengebracht wird. Während Vertrauen eine Erwartung betrifft, also auf den antizipierten Intentionen, Motiven und Kompetenzen der betreffenden Person oder Institution beruht, bezieht sich Vertrauenswürdigkeit auf bereits gezeigte Intentionen, Motive und Kompetenzen. So ist beispielsweise Vertrauenswürdigkeit wesentlich davon bestimmt, welche Intentionen die jeweilige Person oder Institution verfolgt: Handelt die Partei uneigennützig, wirkt sie vertrauenswürdiger, als wenn sie eigene Interessen zu verfolgen scheint. Das Bildungssystem sollte demnach für die Beteiligten in dem Maße vertrauenswürdig sein, in dem deutlich gemacht wird, dass mit Deregulierung im Bildungswesen Ziele verfolgt werden, die von allen geteilt werden, nämlich insbesondere die Verbesserung der Qualität von Bildungs-Outcomes für jeden Einzelnen. Wenn beispielsweise Lehrer in Vergleichsarbeiten nicht das Ziel der Verbesserung von Bildungs-Outcomes für die Lernenden sehen, sondern in erster Linie eine Kontrolle der Qualität ihrer eigenen Arbeit, so wird Kooperation durch Boykott- oder Vermeidungsverhalten ersetzt.
1.3.5
Boykott- oder Vermeidungsverhalten: psychologische Reaktanz
Schließlich ist das mit Deregulierung einhergehende Schaffen von neuen Handlungs- und Entscheidungsspielräumen auch dadurch psychologisch gerechtfertigt, dass Menschen Auflagen, Ge- und Verbote meist als Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit erleben und darauf mit Reaktanz reagieren (vgl. Brehm 1972): Immer dann, wenn Menschen eine Freiheit bedroht oder eliminiert sehen, reagieren sie emotional erregt und sind bestrebt, den Freiheitsspielraum wiederherzustellen. Wenn also beispielsweise Hochschullehrende von der Universitätsleitung die Anweisung bekommen, dass sie sich durch ihre Studierenden evaluieren lassen sollen, so kann dies Reaktanz in Form von Verweigerung, Boykott oder Hintertreiben der Vorschrift auslösen. Reaktanz verhindert Kooperation, denn sie ist gleichbedeutend damit, dass Menschen ihre Einstellungen und ihr Verhalten genau entgegengesetzt zu der Richtung ändern, in die der intendierte Einfluss weist. Weiter entstehen Feindseligkeit und aggressive
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
Verhaltenstendenzen denjenigen gegenüber, die für die Einschränkung der Freiheit verantwortlich gemacht werden. Implikationen für das Gelingen von Deregulierung. Deregulierung geht mit der Erweiterung von Freiheiten des Einzelnen einher und sollte somit Reaktanzphänomene weniger wahrscheinlich machen. Allerdings kann die mit der Deregulierung einhergehende Notwendigkeit zur Rechenschaftslegung als Freiheitseinengung wahrgenommen werden und entsprechendes Boykottverhalten auslösen. Entscheidend dafür, ob solche Verweigerungshaltungen entstehen, ist somit die Frage, wie die Notwendigkeit solcher Maßnahmen begründet wird: Gelingt es, dass derjenige, der diese Maßnahmen einfordert (z. B. die Schulinspektion), als vertrauenswürdig wahrgenommen wird – also als eine Instanz, die dieselben Interessen verfolgt wie die Lehrer als Rezipienten der Maßnahmen –, oder gelingt es, die Maßnahme als den Zielen der Rezipienten zuträglich darzustellen (z. B. als Hilfe, den eigenen Unterricht zu optimieren)? Entsprechend sollten Forderungen nach Rechenschaftslegungen kein reaktantes Verhalten auslösen. Sollen Deregulierungsprozesse gelingen, dann müssen insbesondere folgende Konstellationen gewährleistet sein: Handelnde Personen im Bildungssystem (Lehrer, Schulleiter etc.) müssen sich selbst als Verursacher gewünschter Ergebnisse erleben können. Verantwortung muss auf untere, dezentrale Ebenen verlagert werden, um die Motivation zu steigern. Die Übernahme von Verantwortung ist nur möglich, wenn die handelnden Personen über Handlungsoptionen verfügen, wenn sie die Fähigkeit zu einer bewussten Entscheidung haben, wenn die Prozesse im Bildungssystem auch tatsächlich von den handelnden Personen beeinflusst werden können und wenn anerkannte Normen für die Ziele der Prozessbeeinflussung vorliegen. Handelnde Personen müssen einer Rechenschaftspflicht unterliegen, die den Personen selbst als dienlich erscheint. Feedback und Transparenz von Leistungen sollen eher einen Vergleich von Leistungen derselben Person im Zeitverlauf offenlegen (Leistungsveränderungen) als von verschiedenen Personen untereinander. Handelnde Personen auf unterschiedlichen Ebenen (z. B. Staat, Lehrer) müssen wechselseitiges Vertrauen zueinander entwickeln, wozu u. a. gehört, dass die handelnden Personen Unterstützung, Fairness, Beteiligung, Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit erfahren. Die oben diskutierten psychologischen Voraussetzungen einer Deregulierung im Bildungssystem, die sich aus einer Verlagerung von Verantwortung auf untergeordnete, dezentrale Ebenen speisen, stehen in engem Zusammenhang mit jenen Bedingungen, die aus organisationstheoretischer Sicht für eine optimale Passung von Regulierung und Deregulierung unverzichtbar sind.
31
Kapitel 1
1.4
Organisatorische Bedingungen einer Deregulierung im Bildungssystem
Die Organisationstheorie modelliert Probleme und Lösungen, die bei der Organisation von Systemeinheiten auftreten können. Daraus lassen sich Aussagen ableiten, unter welchen Bedingungen Autonomie von Bildungseinrichtungen zu guten Ergebnissen führen kann und welche regulierenden Rahmenbedingungen dafür gegeben sein müssen. In der Organisationstheorie werden sowohl positive als auch negative Aspekte einer gesteigerten Bildungsautonomie aufgegriffen. Die positiven Aspekte entstehen dadurch, dass die einzelnen Bildungseinrichtungen in den meisten Entscheidungsfeldern häufig eindeutige Wissensvorsprünge gegenüber zentraleren Einheiten haben. So können beispielsweise Lehrer und Schulleiter vor Ort meist am besten einschätzen, wie die jeweiligen Schüler optimal gefördert werden können. Gleichzeitig werden in der Organisationstheorie aber auch negative Aspekte der Autonomie diskutiert. Diese ergeben sich daraus, dass Autonomie prinzipiell die Möglichkeit opportunistischen Verhaltens eröffnet: Die autonomen Einheiten verfolgen ihr eigenes, vielfach vom Gesamtziel abweichendes Interesse. Zur Verdeutlichung dieses Aspekts lässt sich die Organisation des Bildungsprozesses als ein Netz von Prinzipal-Agenten-Beziehungen modellieren, in denen ein Prinzipal (z. B. Eltern) einen Agenten (z. B. einen Schulleiter) damit beauftragt, eine Leistung (die Bildung des Kindes) für den Prinzipal durchzuführen. Unter den beiden Bedingungen, dass der Agent eine vom Prinzipal abweichende Interessenlage hat (z. B. möglichst geringer Arbeitsaufwand) und dass keine perfekten Informationen über das Verhalten des Agenten vorliegen, führt eine solche Delegation von Aufgaben zu suboptimalen Ergebnissen (vgl. Laffont/Martimort 2002). Weichen die Interessen des Agenten nämlich von denen des Prinzipals ab und bestehen asymmetrische Informationen darüber, was der Agent tatsächlich leistet, so kann der Agent seine eigenen Interessen anstatt der des Prinzipals verfolgen, ohne dass der Prinzipal dies feststellen und sanktionieren kann. Diese grundlegende Problematik existiert in jeder Organisationseinheit, und sie besteht prinzipiell bei öffentlicher wie bei privater Bereitstellung. Accountability-Systeme können dieses Problem der unvollständigen Überprüfung („Monitoring“) der Handlungen der Agenten im Bildungssystem ein Stück weit verringern und so als regulierendes Element zum besseren Funktionieren eines Systems beitragen, das den Agenten ein hohes Maß an Autonomie ermöglicht. So erzeugen beispielsweise zentrale Prüfungen Informationen über die Leistungen der einzelnen Schüler relativ zur gesamten Schülerpopulation. Dadurch verringern sie die der Prinzipal-Agenten-Beziehung inhärenten Monitoring-Probleme und erzeugen Anreize, die die Interessen des Agenten stärker mit den Interessen des Prinzipals und damit mit den Zielen des Bildungssystems in Einklang bringen. Dazu ist es wichtig, dass nicht nur einzelne Bildungsergebnisse abgebildet werden, wenn es sich um ein multidimensionales Bildungsergebnis handelt (vgl. Holmstrom/Milgrom 1991). Gerade im öffentlichen Sektor wird das Monitoring-Problem noch durch die Tatsache verstärkt, dass oftmals mehrere Prinzipale mit mehreren Zielvorstellungen aktiv sind (vgl. Dixit 2002). Insgesamt sind solche Accountability-Maßnahmen eine Möglichkeit für den Staat, durch entsprechende Regulierung zur Qualitätssteigerung im Bildungssystem beizutragen. Am Beispiel zentraler Abschlussprüfungen im allgemein bildenden Schulsystem als einer Accountability-Maßnahme lassen sich verschiedene Wirkungskanäle modellieren, die zu die-
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
sem Ergebnis führen (vgl. Bishop/Wößmann 2004 für eine formaltheoretische Modellierung dieser Zusammenhänge und Wößmann 2008 für einen Überblick über empirische Evidenz). Erstens machen zentrale Abschlussprüfungen den Leistungsstand der Schüler für Eltern, Lehrer, potenzielle Arbeitgeber und weiterführende Bildungseinrichtungen sichtbar und damit vergleichbar. Die Noten des Abschlusszeugnisses haben etwa für potenzielle Arbeitgeber eine wesentlich größere Signalwirkung bezüglich der tatsächlichen Bildungsleistungen eines Bewerbers, wenn die Noten durch externe Prüfung eine weitgehende Vergleichbarkeit aufweisen. Dadurch erhöhen sich die externen Belohnungen für Lernanstrengungen der Schüler. Der Anreiz zu lernen steigt, wenn bessere Leistungen belohnt werden. Folglich erhöht das regulierende Element zentraler Prüfungen die Schülerleistungen. Zweitens machen es zentrale Abschlussprüfungen unmöglich, dass durch kollektiven Mitschülerdruck die Standards des Unterrichts gesenkt werden, ohne dass dies die durchschnittliche Benotung der Klasse senken würde. Drittens eröffnen zentrale Abschlussprüfungen den Eltern und Schulleitungen, inwieweit die Lehrkräfte eine erfolgreiche Wissensvermittlung leisten. Damit entstehen auch für die Lehrkräfte verstärkte Anreize, den Schülern möglichst viel des erwarteten Stoffs beizubringen. Ein Aspekt dessen besteht auch darin, dass zentrale Abschlussprüfungen es verhindern, dass ganze Wissensgebiete in einzelnen Klassen ohne Konsequenzen für die Benotung ausgelassen werden können. Gleichzeitig sind regulierende Rahmenbedingungen solcher Accountability-Maßnahmen die Vorbedingung dafür, dass sich Autonomie der einzelnen Bildungseinrichtungen in Prozess- und Personalentscheidungen positiv auswirken kann. Dieser Zusammenhang lässt sich wiederum leicht am Beispiel der Schule verdeutlichen. Schulautonomie oder die Dezentralisierung von Entscheidungsmacht ist eine Form der Delegation einer Aufgabe eines Prinzipals, der die Wissenserzeugung im Schulsystem erreichen will, auf Agenten, nämlich die Schulen. Wenn dabei unterschiedliche Interessen und asymmetrische Information zusammenkommen, bestehen für die Agenten Anreize und Möglichkeiten zu opportunistischem Verhalten, ohne dass ein solches Verhalten festgestellt und sanktioniert werden könnte. Dies wäre aber machbar durch Accountability-Maßnahmen in Form von Zentralprüfungen. Diese können durch die Bereitstellung von Informationen über die erzielten Leistungen die Informationsasymmetrie zumindest teilweise überwinden und opportunistisches Verhalten verhindern, wodurch positive Effekte von Schulautonomie aufgrund lokaler Wissensvorsprünge dezentraler Entscheidungsträger überwiegen können. Exemplarisch für den Schulbereich stellt Abbildung 1 die entsprechenden Leistungswirkungen von Organisationsautonomie für verschiedene Entscheidungsbereiche dar. Die Entscheidungsbereiche lassen sich dabei durch das Bestehen oder Nichtbestehen von Anreizen für opportunistisches Verhalten und durch das Bestehen oder Nichtbestehen von lokalen Wissensvorsprüngen charakterisieren. Für Entscheidungsbereiche, in denen keine Anreize für opportunistisches Verhalten existieren, da keine Interessendivergenz zwischen Agenten und Prinzipal besteht, hängt die Leistungswirkung von Schulautonomie nicht von Zentralprüfungen ab (vgl. Wößmann 2005 für Details).
33
Kapitel 1
+ Autonomie ist leistungssteigernd – Autonomie ist leistungsmindernd 0 Kein Leistungsunterschied zwischen autonomer und zentraler Entscheidung
Anreize für opportunistisches Verhalten
Nein
Ja
Lokaler Wissensvorsprung
Lokaler Wissensvorsprung
Nein
Ja
Nein
Ja
0
+
Zentralprüfungen
Zentralprüfungen
Unabhängig von Zentralprüfungen
Nein
Ja
Nein
Ja
–
0
–
+
Abbildung 1: Auswirkungen von Autonomie auf Bildungsergebnisse in Abhängigkeit von externer Ergebnisregulierung am Beispiel der Schule (vgl. Wößmann 2005) Anmerkung: „Anreize für opportunistisches Verhalten“ und „lokaler Wissensvorsprung“ sind Merkmale des jeweiligen Entscheidungsbereichs, der autonom oder nicht autonom organisiert werden kann.
In Entscheidungsbereichen, in denen aufgrund divergierender Interessen Anreize für opportunistisches Verhalten bestehen, in denen es aber keinen lokalen Wissensvorsprung und deshalb keine Vorteile dezentraler Entscheidungsfindung gibt, muss zwischen Systemen mit und ohne Accountability-Maßnahmen unterschieden werden. Gibt es in dem Schulsystem keine Accountability etwa durch Zentralprüfungen, so wirkt sich Schulautonomie in diesen Entscheidungsbereichen negativ aus, weil die dezentrale Entscheidung zu opportunistischem Handeln führt. Gibt es demgegenüber Accountability, entstehen keine negativen Auswirkungen lokalen, opportunistischen Handelns und damit keine Leistungsunterschiede zwischen Schulautonomie und zentraler Entscheidung. In Entscheidungsbereichen, die sowohl durch Anreize für opportunistisches Verhalten als auch durch lokale Wissensvorteile gekennzeichnet sind, werden durch Accountability wiederum die Nachteile opportunistischen Verhaltens aufgehoben, so dass die lokalen Wissensvorteile insgesamt zu einem positiven Leistungseffekt der Schulautonomie führen können. Ist aber keine Accountability gegeben, so stehen den lokalen Wissensvorteilen die Nachteile opportunistischen Verhaltens gegenüber, und für den Gesamteffekt der Schulautonomie kommt es auf die relative Größe dieser beiden Teileffekte an. Empirische Ergebnisse legen nahe,
34
Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
dass der negative Opportunismuseffekt den positiven Wissenseffekt häufig zu übersteigen scheint (vgl. Kapitel 3.3). Dann drehen zentrale Prüfungen einen ursprünglich negativen Leistungseffekt von Schulautonomie gänzlich in einen positiven Effekt um. In diesen Fällen können Accountability-Maßnahmen geradezu eine Voraussetzung für ein gutes Funktionieren von ansonsten eher dezentral organisierten Schulsystemen sein, da sie leistungsfördernde Anreizwirkungen und damit Verhaltensänderungen aller Beteiligten hervorrufen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Autonomisierungsmaßnahmen für sich genommen häufig nicht zu positiven Leistungseffekten führen (vgl. Weiß 1998). Schulautonomie kann es ganz allgemein durchaus für öffentliche Schulen geben. Eine gesteigerte Form der Autonomie besteht, wenn die Schulträgerschaft aus der staatlichen Hand gegeben wird. Dabei ist es aus organisationstheoretischer Sicht wichtig, bei der Rolle von Staat und Markt zwischen Trägerschaft und Finanzierung der Schulen zu unterscheiden (vgl. Wößmann 2009). Auf der Seite der Trägerschaft gibt es viele Argumente für eine private Trägerschaft (vgl. z. B. Chubb/Moe 1990; Hanushek u. a. 1994; Bishop/Wößmann 2004). Private Trägerschaft kann zu einem effizienteren Schulsystem – bessere Ergebnisse bei gegebenem Mitteleinsatz – führen, weil Marktkräfte Anreize generieren, die Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen und leistungsfördernde Qualitätsinnovationen durchzuführen. Dabei kann der Staat als Prinzipal durch entsprechende Verträge mit den privaten Trägern als Agenten sicherstellen, dass bestimmte vom Staat erwünschte Anforderungen erfüllt werden (vgl. Shleifer 1998). Bildungsinstitutionen in freier Trägerschaft schaffen Alternativen im Bildungssystem. Auf einen spezifischen Aspekt des Wettbewerbs unter unterschiedlichen Bildungsanbietern machen Besley und Ghatak (2005) aufmerksam. Wenn Mitarbeiter durch spezifische Missionen motiviert sind, kann ein Matching zwischen den spezifischen Missionen von Prinzipalen (Bildungsträgern) und Agenten (Mitarbeitern) die Leistungsfähigkeit des Systems erhöhen. Gleichzeitig kann dadurch allerdings auch die Gefahr der bürokratischen Resistenz gegen Innovationen steigen. Ganz allgemein haben Eltern die Möglichkeit, die aus ihrer Sicht beste Alternative für ihre Kinder zu wählen, wenn verschiedene Schulen um die Gunst der Eltern konkurrieren. Schlechte Schulen verlieren dann ihre Schüler. Dies schafft Anreize, möglichst hohe schulische Qualitätsstandards anzubieten. Dazu ist aber – ganz im Gegensatz zur Trägerschaft – bei der Finanzierung der Staat gefragt. Denn wenn sich aufgrund von hohem Schulgeld nur wenige den Besuch von Privatschulen leisten können, entsteht kaum Wettbewerb, weil die meisten Eltern keine Alternative haben. Sind viele Familien in Bezug auf ihren Zugang zum Kreditmarkt beschränkt, dann kann es bei privater Bildungsfinanzierung zu suboptimaler Bildungsinvestition kommen (vgl. z. B. Gradstein/Justman/Meier 2004). Öffentliche Finanzierung kann diese Kreditbeschränkungen abschwächen und damit zu mehr Wahlfreiheit im System führen, was Anreize für die Schulen schafft (vgl. Wößmann 2009). Erst wenn durch staatliche Finanzierung alle Schüler unabhängig von ihrem Hintergrund die gleichen Wahlmöglichkeiten haben, entsteht ein Wettbewerb der Schulen um die besten Konzepte, der allen Schülern zugutekommt. Im Spannungsverhältnis von Regulierung und Eigenverantwortung kommt es also auf eine ausgewogene Rolle von Staat und Markt an, in der der Staat die notwendigen Rahmenbedingungen setzt und zumindest bei der Grundlagenbildung die Finanzierung übernimmt, die Trägerschaft und Wahlentscheidungen aber der Privatinitiative von Bildungsträgern und Eltern überlässt. Um zu qualitativ hochwertigen Ergebnissen zu gelangen, sollte das
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Kapitel 1
Bildungssystem die Akteure durch Accountability-Maßnahmen für ihr Tun verantwortlich machen, etwa indem es vorgegebene Standards extern überprüft und grundlegend Transparenz von Angebot und Qualität schafft. Gleichzeitig sollte es den Bildungseinrichtungen überlassen werden, auf welchem Wege sie diese Standards am besten erreichen können. Zudem sollte der Staat die allgemeine Bildung finanzieren, die Aufgabe der Leitung der Bildungseinrichtungen aber in weitem Maße dem privaten Sektor übertragen, da die Kombination von privater Trägerschaft mit öffentlicher Finanzierung durch Wahlfreiheit und Wettbewerb die besten Bildungsergebnisse hervorbringt (vgl. Kapitel 3.3). Solche institutionellen Rahmenbedingungen schaffen aus Sicht der Organisationstheorie Anreize für alle Beteiligten, möglichst gute Bildungsleistungen hervorzurufen, indem sie leistungsförderndes und -behinderndes Verhalten mit entsprechenden Konsequenzen verbinden und damit die Beteiligten für ihr Tun selbst verantwortlich machen. Das schon aus psychologischen Gründen indizierte Ziel, individuelle Interessen zu wahren, beispielsweise durch eine höhere Entscheidungs- und Wahlfreiheit, kann durch den Hinweis auf gesellschaftliche Interessen ergänzt werden. Durch die zunehmende Komplexität von Bedingungen und Einflussfaktoren in Bildungseinrichtungen lassen sich Bildungsprozesse immer weniger steuern. Interessant wird unter diesem Gesichtspunkt die Idee der Subsidiarität – die Delegation der Aufgaben auf die Ebene, auf der die Herausforderungen und damit der Handlungsbedarf entstehen und entsprechend die größte Kompetenz zu ihrer Lösung vorhanden ist. Auch die Steigerung von Wettbewerb, wie sie durch Deregulierung hervorgerufen wird, soll die Qualität und Effizienz von Bildungsprozessen erhöhen. Diesen Argumenten für eine größtmögliche Deregulierung stehen weitere Forderungen an das Bildungssystem gegenüber: Zunächst bedarf es bestimmter Regulierungen, um Ausbildungsstandards zu vereinheitlichen, so dass die Anerkennung von (Aus-)Bildungsabschlüssen sichergestellt und u. a. der Wechsel in ein anderes Bundesland erleichtert ist. Weiterhin stehen Bildungsinstitutionen in der Pflicht, die Qualität und damit ein gutes Ergebnis ihrer Bildungsmaßnahmen (z. B. Unterricht) sicherzustellen und für alle zugänglich zu machen. Diesem Ziel können möglicherweise unterschiedliche Interessenlagen und asymmetrische Informationen zwischen Agent und Prinzipal im Weg stehen. Neben psychologischen Voraussetzungen werden bestimmte Bedingungen auch aus organisationstheoretischer Sicht benötigt, um ein optimales Maß an Deregulierung und Regulierung zu erreichen: Analyse der neuen Anforderungen an die Bildungsakteure durch Deregulierungsmaßnahmen und Einleitung der entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen (z. B. Weiterbildung). Einführung bzw. Ausweitung von Formen kooperativer Zusammenarbeit, um die soziale Eingebundenheit zu fördern. Verwendung und Präsentation der Rechenschaftslegung als Unterstützung für den Akteur (z. B. Rückmeldung über seine Arbeit). Schaffung von Handlungsoptionen und Wahlfreiheiten für jeden Einzelnen. Offene Informationspolitik, um Transparenz und Aufklärung für jeden Einzelnen zu gewährleisten. Umfassende Feedbacksysteme für kontinuierliches Feedback, das die Menschen in die Lage versetzt, ihr eigenes Verhalten kontinuierlich an geteilten Zielen auszurichten und ggf. zu justieren.
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Regulierung und Deregulierung von Bildungssystemen
Prozedurale und distributive Fairness, Beteiligung an Entscheidungsprozessen (Partizipation), Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit, um „Systemvertrauen“ zu schaffen. Zielvereinbarungen zwischen Bildungseinrichtung und Staat (Kommune, Land oder Bund) sowie zwischen Leitung der Bildungseinrichtung und Mitarbeitern etc. Rechenschaftspflicht der Bildungseinrichtung und damit der Bildungsakteure (Accountability). Prüfung und Kontrolle vorgegebener Standards, wobei der Weg zur Erreichung dieser Standards offengelassen wird. Auf dem Weg zu einer „Bildungsautonomie mit Verstand“ ist auf die Bedingungen von Seiten der Bildungsakteure, der Gesellschaft und der Organisation zu achten, um eine sinnvolle Deregulierung oder Re-Regulierung zu ermöglichen. Die Rahmenbedingungen für diese Veränderungen können jedoch nur über organisatorische Maßnahmen beeinflusst werden. Der Fokus liegt daher auf der Organisation, Steuerung und Verantwortungsverteilung in der jeweiligen Bildungsinstitution. Die Bildungsinstitutionen in den einzelnen Phasen unterscheiden sich im Ausmaß von Regulierung bzw. Deregulierung und in den Zielen, denen man sich durch eine Veränderung der Steuerung annähern möchte. Aus diesem Grund werden die allgemeinen Bedingungen spezifisch an die Bildungsphasen angepasst und entsprechender Handlungsbedarf kann erst im Abgleich mit den Voraussetzungen der Bildungsphasen bzw. -institutionen ermittelt werden.
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2
Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
2.1
Geschichte und Status quo des Regulierungsdefizits
2.1.1
Zuständigkeiten und Steuerungsebenen
Unterschiedliche Verantwortungen und mehrere Einflussebenen kennzeichnen die Gesamtstruktur der öffentlich verantworteten Kinderbetreuung, die „sich einer klaren Vorstellung von Gestaltung, Steuerung oder Struktur widersetzt“ (Diskowski 2009, S. 93). Historisch bedingt gibt es zwar eine Vielzahl von Verantwortlichkeiten und handelnden Akteuren, dennoch ist die Steuerung stark unterentwickelt (vgl. Diskowski 2008, 2009 oder ökonomische Analysen wie z. B. Spieß 2008a, 2008b, 2009a, 2009b). Diese Steuerungsdefizite hängen auch mit der Herkunft der Kindertagesbetreuung aus der Fürsorge zusammen, bei der es primär darum ging, eine Hilfe für Familien bereitzustellen, die ihre Erziehungsaufgabe nicht hinreichend erfüllen konnten. Im Jugendwohlfahrtsgesetz – entstanden 1922/1924 als Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, 1953 zum Jugendwohlfahrtsgesetz novelliert und gültig bis 1990 – kam Kindertagesbetreuung als eigenständige Aufgabe kaum vor. Die Aufgabe der Jugendämter war hier die der Anregung, Förderung und gegebenenfalls Schaffung von Einrichtungen zur Pflege und Erziehung von Säuglingen, Kleinkindern und Kindern im schulpflichtigen Alter außerhalb der Schule. Die Einrichtungen unterlagen der Heimaufsicht. Nähere Bestimmungen zur Kindertagesbetreuung gab es nicht. Im Grunde wirken diese unzureichenden Bestimmungen auch heute noch nach. „Finanzausstattung, Verantwortungsstrukturen, Ausbildung und Bezahlung der Fachkräfte – womöglich alle heute beklagten Entwicklungshemmnisse sind Erbschaft dieser Herkunft aus der Fürsorge. Wo nur den Bedürftigen, den Mühseligen und Beladenen geholfen und die Unzulänglichkeiten der Familien auszugleichen waren, hatte sich der Staat weitgehend zurückgehalten und die Verantwortung, die Zuständigkeit und die fachliche Kompetenz der Wohlfahrt und ihren Organisationen überlassen“ (Diskowski 2009, S. 94). Die Aufgabe des Staates beschränkte sich auf finanzielle Förderung und Begleitung der eigenverantwortlichen Arbeit der (freien) Träger durch Modellprojekte, Veröffentlichungen und Fachveranstaltungen sowie durch die Sicherung von Minimalvoraussetzungen durch das Erfordernis einer Betriebserlaubnis (Sozialgesetzbuch (SGB) VIII, § 45). Finanzielle Förderung bedeutet hier, dass der Staat eine Maßnahme unterstützt, für die der Träger der Maßnahme die inhaltliche und auch finanzielle Verantwortung hat. Der Staat erwartet dabei eine gewisse Eigenleistung des Trägers und überlässt gleichsam im Gegenzug die Aufgabenerfüllung dem Träger. Die genannte Erteilung einer Betriebserlaubnis kann nicht als ein effektives Steuerungsinstrument betrachtet werden, da hier kaum pädagogische Standards zugrunde gelegt werden, sondern vielmehr Vorgaben aus dem allgemeinen Baurecht, dem allgemeinen Brandschutz oder Gesundheits- und Hygienebestimmungen für Gemeinschaftseinrichtungen zum Tragen kommen. Nicht in allen Bundesländern gibt es z. B. gegenwärtig verbindliche Personal- oder Raumstandards für die pädagogische Arbeit. Insgesamt aber gewinnen im Zusammenhang mit der hohen öffentlichen Bedeutung – die dem vorschulischen Bereich seit einigen Jahren
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Kapitel 2
zukommt – Steuerungsfragen an Relevanz. Nicht zuletzt sind die zwischen 2002 und 2006 erarbeiteten und veröffentlichten Bildungspläne der Länder ein Ausdruck davon (vgl. Kapitel 2.1.3). Im Kontext der verschiedenen Steuerungsebenen kommt den Eltern grundsätzlich eine starke Rechtsposition zu (vgl. Diskowski 2009). Durch den Betreuungsvertrag mit dem Träger einer Kindertageseinrichtung übertragen sie zeitlich befristet ihr gemäß Art. 6 GG verbrieftes Erziehungsrecht. Einen eigenständigen Bildungsauftrag – unabhängig von den Eltern – von Träger, Kommune oder Staat gibt es somit nicht. Allerdings ist fraglich, ob tatsächlich der Einfluss der Eltern ihrer Rechtsposition entspricht. Die kommunalen und freien – privatgemeinnützigen – Träger von Kindertageseinrichtungen bilden die nächste Steuerungsebene. Sie streben in den letzten Jahren im Zuge der Qualitäts- und Bildungsdebatte stärker eine pädagogische Profilbildung an. Als Nächstes folgen die staatlichen Steuerungsebenen Gemeinde, Landkreis, Bundesland und Bund. Die Gemeinde ist laut aller Ländergesetze an der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen beteiligt und übt damit auch einen faktischen Einfluss auf die Gestaltung des Angebots aus (vgl. Kapitel 2.1.2). Die Gesamtzuständigkeit der Jugendhilfe liegt beim Landkreis bzw. bei der kreisfreien Stadt und dem jeweiligen Jugendamt. Diesem obliegt zwar keine fachliche Aufsicht über die Einrichtungen, deren Träger es nicht ist; gleichwohl ergibt sich eine Steuerungswirkung in Verbindung mit der Finanzierung der Einrichtungen und eine Einflussnahme über Beratung, Information und Fortbildungsangebote. Das jeweilige Bundesland setzt wesentliche Strukturen der öffentlich geförderten Kinderbetreuung, indem es durch Ländergesetze das „Nähere“ des Kinder- und Jugendhilfegesetzes definiert und auf den gleichartigen Ausbau von Einrichtungen und Angeboten hinwirkt. Weiterhin nehmen die Länder durch Förderung von Modellprojekten, Veröffentlichungen, Fortbildungsmaßnahmen und neuerdings Bildungsplänen fachlichen Einfluss. Auf Bundesebene sind im Achten Buch des SGB – Kinder- und Jugendhilfe – die Leistungen im Rahmen der frühpädagogischen Einrichtungen als zum System der Kinder- und Jugendhilfe gehörig definiert. Für diesen Bereich hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichartiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Neben dieser rechtlich eingeschränkten Rolle des Bundes hat die faktische Bedeutung des Bundes allerdings zugenommen bzw. können weitere Steuerungsmöglichkeiten entstehen. Mit dem am 01.01.2009 in Kraft getretenen Kinderförderungsgesetz (KiFöG) beteiligt sich der Bund mit insgesamt vier Mrd. Euro am Ausbau des Betreuungsangebots für Kinder unter drei Jahren (vgl. Kapitel 2.1.2). Fachlichen Einfluss nimmt der Bund auch durch die Förderung von Bundesinitiativen wie z. B. der Nationalen Qualitätsinitiative oder weiteren Modellprojekten (vgl. Kapitel 2.1.3).4
4
In jüngster Vergangenheit hat der Bund das „Aktionsprogramm Kindertagespflege“ ins Leben gerufen, in dem es u. a. auch um Qualitätsstandards im Bereich der Kindertagespflege geht.
40
Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
2.1.2
Finanzierung
Insgesamt ist der frühkindliche Bildungsbereich in Deutschland durch eine relative Unterfinanzierung charakterisiert. OECD-Statistiken weisen aus, dass für die Bildung und Betreuung von Kindern im Elementarbereich (Dreijährige und Ältere) im deutschen Durchschnitt jährlich 5.683 US-Dollar pro Kind ausgegeben werden und für Kinder in der Sekundarstufe (insgesamt) 7.548 US-Dollar pro Schüler (vgl. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 2009a, S. 223; OECD 2009b). Es kann demnach im Bereich der frühkindlichen Förderung im Vergleich zum Sekundarbereich von einer Unterfinanzierung gesprochen werden. Dieser Unterschied ist im OECD-Durchschnitt noch gravierender: Im Elementarbereich liegen die jährlichen Ausgaben pro Kind bei 5.260 US-Dollar, im Sekundarbereich bei 8.006 US-Dollar (siehe Abbildung 2). Hinzu kommt, dass die Betreuung der unter dreijährigen Kinder nicht erfasst ist, für die in vielen OECD-Staaten, wie auch in Deutschland, wenig ausgegeben wird. Im deutschen System teilen sich Länder und Kommunen die Finanzierungsverantwortung für den frühkindlichen Bereich, bei deutlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern und Kommunen. Der Anteil der Nettoausgaben für den vorschulischen Bildungsbereich schwankt erheblich: Mit einem Anteil von 2,8 Prozent an den Nettoausgaben der staatlichen und kommunalen Haushalte liegt Bayern mit seinen Ausgaben für die vorschulische Förderung am unteren Rand, während Sachsen mit 6,3 Prozent den höchsten Anteil aufweist (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009, Tabelle 22). Insgesamt übernehmen Länder, Kommunen, freie Träger und – über Elternbeiträge – Eltern einen Teil der Finanzierung, wobei die Finanzierungsanteile der verschiedenen Finanzierungsträger zwischen den Bundesländern und Kommunen unterschiedlich sind. Sachsen weist mit einem Anteil von nahezu 36 Prozent den höchsten Landesanteil an der Finanzierung aus. Hessen liegt mit 67 Prozent beim kommunalen Finanzierungsanteil vorne, während die freien Träger im Saarland mit acht Prozent den höchsten Finanzierungsanteil aller Träger übernehmen. Mit nahezu 23 Prozent ist der Finanzierungsanteil, der über Elternbeiträge abgedeckt wird, in Mecklenburg-Vorpommern vergleichsweise hoch (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009, Tabelle 23). Bisher war der Bund an der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen nicht direkt beteiligt.5 Dies änderte sich 2009 mit dem KiFöG. Allerdings sind die Bundesanteile nur bedingt nachweisbar. Lediglich die Mittel, die der Bund im Rahmen des Sondervermögens zur Unterstützung der Investitionskosten ausgibt, sind zweckgebunden. Die anderen Bundesmittel zur Unterstützung des Ausbaus der Betreuung für unter dreijährige Kinder sind hingegen nicht zweckgebunden. Hier handelt es sich um die implizite Unterstützung im Bereich der Betriebskosten. Sie kommt den Ländern im Rahmen einer geänderten Umsatzsteuerverteilung zugute und fließt – sofern die Länder die Mittel entsprechend verwenden – letztlich in die Finanzierungsanteile der Länder und Kommunen mit ein. Die Länder müssen aber ihre höheren Umsatzsteueranteile nicht rechtlich zwingend in den Ausbau von Kindertageseinrichtungen investieren; gleichwohl haben sie sich dazu politisch verpflichtet. Letztlich ist es 5
Mit der Einführung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) im Jahr 2005 konnte erstmals von einer indirekten Bundesbeteiligung gesprochen werden. Die Regelungen des TAG ermöglichten es den Ländern, Mittel, die ihnen durch Einsparungen aus der Hartz-IV-Gesetzgebung entstanden, an die Kommunen zum Ausbau der Betreuungsinfrastrukturen weiterzugeben. Allerdings war diese Regelung weder verbindlich noch nachhaltig.
41
Kapitel 2
Elementarbereich (Dreijährige und Ältere)
Sekundarbereich insgesamt
Australien Österreich Belgien Kanada1, 2, 3 Tschechische Republik Dänemark Finnland Frankreich Deutschland Ungarn2 Island Irland
OECD-Länder
Italien2 Japan Korea Luxemburg2, 3 Mexiko Niederlande Neuseeland Norwegen Polen2 Portugal2 Slowakische Republik Spanien Schweden Schweiz2 Türkei2, 3 Vereinigtes Königreich Vereinigte Staaten OECD-Durchschnitt EU19-Durchschnitt
0
2.000
4.000
6.000
8.000
10.000 12.000 14.000 16.000 18.000 20.000
Bildungsausgaben in US-Dollar 1
Referenzjahr 2005.
2
Nur öffentliche Bildungseinrichtungen.
3
Keine Daten zum Elementarbereich vorhanden. Für Griechenland keine Daten
Abbildung 2: Jährliche Ausgaben für Bildungseinrichtungen pro Kind im Elementarbereich und pro Schüler im Sekundarbereich (2006; in US-Dollar, kaufbereinigt mittels KKP für das BIP; vgl. OECD 2009a,b; eigene Darstellung)
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Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
im gegenwärtigen System nach wie vor eine Frage der politischen Prioritätenfestsetzung, ob diese Mittel für den Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur verwendet werden. Steuerungspolitisch bemerkenswert ist außerdem, dass nicht alle Bundesmittel über das Jahr 2013 hinaus gesichert sind. Von besonderem Interesse ist die Steuerungswirkung der öffentlichen Förderung. In Deutschland hat die so genannte Objektförderung eine lange Tradition, d. h., den freien Trägern kommen öffentliche Fördermittel zu, ohne dass diese einen direkten „Subjektbezug“ aufweisen. In den letzten Jahren wurde die Objektfinanzierung in vielen Ländern durch eine subjektbezogene Komponente erweitert, indem nur belegte Plätze in Kindertageseinrichtungen gefördert wurden. Gegenwärtig findet in zwei Bundesländern (Berlin und Hamburg) eine direkte Subjektförderung statt, d. h., die öffentliche Förderung erfolgt über zweckgebundene Transfers direkt an die Familien (vgl. Kapitel 2.3). Andere Bundesländer haben Mischmodelle implementiert, die eine starke Subjektorientierung aufweisen. Aus steuerungspolitischer Perspektive können solche Instrumente sehr viel stärker dazu genutzt werden, eine Bedarfssteuerung durchzuführen. Über sie ist es grundsätzlich möglich, sich stärker an den Präferenzen der Nachfrager bzw. den Bedarfen der Familien, d. h. der Kinder und ihrer Eltern, zu orientieren (vgl. z. B. Spieß 2009a). Im Kontext von Steuerungsfragen wird im politischen Raum immer wieder diskutiert, Elternbeiträge für Kindertageseinrichtungen abzuschaffen, um mehr Kindern – speziell solchen aus einkommensschwachen Familien – den Zugang zu Kindertageseinrichtungen zu ermöglichen. Dementsprechend war 2008 in fünf von 16 Bundesländern der Besuch von Kindertageseinrichtungen im letzten Jahr vor der Schulpflicht gebührenfrei. Empirische Befunde stützen allerdings solche Überlegungen nicht. Zum einen besuchen im letzten Vorschuljahr fast alle Kinder eine Kindertageseinrichtung (vgl. Deutsches Jugendinstitut (DJI)/ Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik 2008). Zum anderen zahlen Familien mit geringem Einkommen bereits heute keine oder nur geringe Beiträge. In nahezu allen Bundesländern sind einkommensgestaffelte Elternbeiträge die Regel.6 In Härtefällen müssen häufig überhaupt keine Gebühren gezahlt werden oder sie werden von anderen öffentlichen Stellen übernommen. Insgesamt zahlen nach Berechnungen von Fuchs-Rechlin (2008) neun Prozent der Familien keine Beiträge. Es ist somit nicht zu erwarten, dass insbesondere einkommensschwache Gruppen, die in jüngeren Jahren in Kindertageseinrichtungen unterrepräsentiert sind (vgl. Kapitel 2.1.5), diese wegen der Einführung von gebührenfreien Kindertageseinrichtungen eher nutzen. Konzeptionell spricht dagegen einiges für eine gebührenfreie vorschulische Bildung für alle Kinder, entsprechend der Argumentation für eine gebührenfreie Schulbildung. Ökonomisch betrachtet sind „positive externe Effekte“ zu erwarten, die analog der Schulbildung für eine kostenfreie Bereitstellung sprechen können. Allerdings wirft es die Frage auf, ob beispielsweise im Falle von zwei erwerbstätigen Elternteilen ein Ganztagsplatz gebührenfrei zur Verfügung stehen sollte, während bei anderen familialen Erwerbskonstellationen ein geringerer Betreuungsumfang gefördert wird. Eine Subventionierung der Erwerbstätigkeit beider Elternteile im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe ist systemfremd.7 Im Fazit könnte dies für den vorschulischen Bereich bedeuten, dass nur ein bestimmter Förderum6
7
Lediglich in vier Bundesländern wird nur eine Empfehlung zur Staffelung der Elternbeiträge gegeben, d. h., dort ist eine Staffelung nicht verpflichtend (vgl. DJI/Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik 2008, Tabelle 10.3). Eine solche Förderung sollte vielmehr im Rahmen der Steuergesetzgebung erfolgen. Im gegenwärtigen deutschen System erfolgt dies über die bereits existierende Möglichkeit einer Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten.
43
Kapitel 2
fang gebührenfrei gestellt wird. Es liegt allerdings auch auf der Hand, dass eine Trennung des erwerbsbedingten Mehrbedarfs von einer kindlichen Förderung nur eingeschränkt möglich ist. Eine solche Trennung muss letztlich politisch entsprechend den jeweiligen Familien- und Erwerbskontexten gesetzt werden. In den letzten Jahren wechselten Hamburg (2003)8 und Berlin (2006) von einer Objektförderung zu einer Subjektförderung (Gutscheinsystem). Während es in Hamburg bei der Umstellung anfänglich Schwierigkeiten und heftige Kritik gab (vgl. Falck 2004; Bange 2009),9 verlief die Umstellung in Berlin ohne erwähnenswerte politische Diskussionen (vgl. Nachmann 2009). Der Umstieg wurde lange vorbereitet: In einem ersten Schritt wurde das Finanzierungssystem so umgestaltet, dass es sich zuerst an Plätzen und nicht mehr an Einrichtungen orientierte. Bis dahin war die Kindertageseinrichtung das Finanzierungsobjekt und bekam eine Zuwendung als festes Budget für eine vorher vereinbarte Platzzahl, die in der Kita zur Verfügung stand. In einem Zwischenschritt wurde vereinbart, dass die Zahlung nach Abrechnung der tatsächlich in diesem Jahr belegten Plätze erfolgte. Mit dem endgültigen Umstieg auf eine reine Subjektförderung entstand eine direkte Verbindung zwischen Finanzierungsaufwand und tatsächlicher Inanspruchnahme. Es wurde ein Anmeldeverfahren mit einer Bedarfsfeststellung eingeführt und differenzierte Nutzungszeiten wurden unterschieden. Damit entstand ein nachfrageorientiertes System mit dem Ziel einer zeitnahen, transparenten und leistungsorientierten Förderung. Mit dem Wechsel auf ein Gutscheinsystem haben alle Familien freie Wahl ihrer Einrichtungen, und zwar auch über die Bezirksgrenzen hinweg. Dies war im alten Finanzierungs- und Steuerungssystem, insbesondere, was kommunale Einrichtungen anging, nicht der Fall. Mit der Festlegung der neuen Finanzierungsvereinbarung zwischen den Trägern und dem Land wurde auch eine neue Qualitätsentwicklungsvereinbarung verabschiedet. Über Evaluationsprozesse ist es vorgesehen die Qualität zu vereinheitlichen. Von Bedeutung dabei ist, dass eine Nichterfüllung Auswirkungen auf die Finanzierung der Einrichtungen hat. Für die Träger ist die Einführung der Kita-Gutscheine mit einem höheren Risiko verbunden, weil auch unterjährig sehr genaue und direkte Abrechnungen aller einzelnen Verträge mit den Familien möglich sind. Dies verlangt von den Einrichtungen ein gutes Vertragsmanagement und von den Trägern eine sehr zielgenaue Personalplanung. Der Beratungsaufwand bei den Trägern hat sich dadurch erhöht. Der Kontakt mit den Eltern wird auch im Sinne einer „Kundenbindung“ intensiviert. Nach Einschätzung der zuständigen Berliner Senatsverwaltung führt die größere Wahlfreiheit der Eltern zu einem verstärkten Qualitätsbewusstsein der Einrichtung bis hin zu ihrer Profilbildung und Angebotsgestaltung. Dieses System der Subjektförderung muss möglichst bald in allen Ländern zur Regel werden.
8
9
Aufgrund der Bedarfskriterien sind einige Familien in Hamburg nicht „gutscheinberechtigt“. Dabei handelt es sich vielfach um Familien in sozialen Brennpunkten. Um diese Familien dennoch zu fördern, wurden in Hamburg so genannte Eltern-KindZentren eingerichtet. Dort erhalten insbesondere sozial benachteiligte Kinder eine niedrigschwellige Unterstützung und in gewissem Umfang auch Betreuungsangebote. Die anfänglichen Schwierigkeiten waren allerdings nicht mit dem Gutscheinsystem an sich verbunden, sondern maßgeblich durch die damit verbundene Kürzung öffentlicher Mittel verursacht.
44
Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
2.1.3
Standardsetzung und Qualitätssicherung
Im Allgemeinen wirkt sich der Besuch einer frühpädagogischen Einrichtung positiv auf die kindliche Entwicklung und Schulkarriere aus (vgl. Roßbach 2005; Roßbach/Kluczniok/Kuger 2008). Die Qualität der pädagogischen Förderprozesse ist in den meisten Untersuchungen konsistent positiv mit besseren Ausprägungen in verschiedenen Maßen des kognitiven bzw. leistungsbezogenen Bereichs verbunden.10 Im Hinblick auf längerfristige Auswirkungen auf die Schulkarriere ist allerdings nicht ein Einrichtungsbesuch als solcher von Bedeutung; positive Auswirkungen gehen nur von einer hohen Qualität der pädagogischen Förderprozesse in einer Kindertageseinrichtung aus (vgl. Sammons u. a. 2008). Was die Qualität von Strukturmerkmalen betrifft, finden sich in internationalen Untersuchungen Hinweise darauf, dass eine günstigere kindliche Entwicklung mit kleineren Gruppen, einem besseren Betreuer-KindSchlüssel und einem höheren Qualifikationsniveau der Betreuungsperson verbunden ist. An den Besuch einer Kindertageseinrichtung werden weiterhin besondere Erwartungen im Hinblick auf die Förderung von Kindern aus benachteiligten Familien – gegenwärtig speziell von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund – gestellt. Die Forschungslage zu kompensatorischen Effekten ist allerdings nicht einheitlich (vgl. Roßbach 2005; Roßbach/Kluczniok/ Kuger 2008). Einige Untersuchungen zeigen, dass sich der Besuch einer Kindertageseinrichtung für alle Kinder gleichermaßen positiv auswirkt, sich aber keine kompensatorischen Effekte zeigen. Andererseits weisen hochqualitative – und kostenintensive – Modellprojekte aus den USA aus den 1960er Jahren auf langfristige positive Auswirkungen für Kinder aus benachteiligten Familien hin. Effekte eines frühkindlichen Besuchs von Kindertageseinrichtungen können somit in jedem Fall nachgewiesen werden. Von daher sollte einer selektiven Nutzung von frühkindlichen Förderangeboten entgegengewirkt werden, da ansonsten frühkindliche Kompetenzunterschiede bei benachteiligten und nicht benachteiligten Kindern entstehen oder sich noch weiter vergrößern können. Wenn darüber hinaus echte kompensatorische Wirkungen bei Kindern aus benachteiligten Familien erzielt werden sollen, so lässt sich vor dem Hintergrund des bisherigen Forschungsstands die vorsichtige Hypothese formulieren, dass sie sich mit dem Regelangebot an Kindertagesbetreuung kaum erreichen lassen. Hierfür sind offensichtlich aufwändigere und kostenintensivere Interventionen erforderlich, die auf die jeweiligen Zielgruppen abgestimmt sein müssen. Da sich in verschiedenen Untersuchungen in Deutschland im Durchschnitt nur eine mittelmäßige Qualität der Einrichtungen zeigt (vgl. z. B. Tietze 1998; Kuger/Kluczniok 2008), besteht ein deutlicher Bedarf an einer umfangreichen Qualitätsentwicklung. Steuerung kann hier grundsätzlich über Standardsetzungen in drei Bereichen stattfinden: Regulierungen können zum einen über die Bereitstellung von Inputs in Form von Rahmenbedingungen wie z. B. Gruppengrößen, Erzieherin-Kind-Relationen oder Raumgrößen, durch die Bereitstellung von pädagogischen Handlungsorientierungen in Bildungs-, Erziehungs-, Orientierungsplänen oder durch speziell ausgebildetes Fachpersonal geschehen. Auf einer zweiten Ebene kann Steuerung unmittelbar an der pädagogischen Praxis vor Ort ansetzen. Schließlich kann die 10
Im Hinblick auf den sozial-emotionalen Bereich scheinen sich ein Beginn des Besuchs einer Kindertageseinrichtung in einem sehr frühen Lebensalter und ein hoher zeitlicher Umfang möglicherweise negativ auszuwirken und das Problemverhalten von Kindern zu erhöhen (vgl. Roßbach 2005). Insgesamt ist dieser Effekt aber als klein einzuschätzen: Er schwächt sich über die Zeit ab, betrifft nur eine kleine Gruppe und kein Problemverhalten im klinischen Bereich.
45
Kapitel 2
öffentlich geförderte Kinderbetreuung auch über Outcome-Standards gesteuert werden, d. h. über Vorgaben dazu, welchen Entwicklungsstand ein Kind am Ende seiner vorschulischen Zeit erreicht haben sollte. Outcome-Standards werden gegenwärtig in der Frühpädagogik zum Teil vehement abgelehnt (vgl. Jugendministerkonferenz/Kultusministerkonferenz 2004). Im Folgenden wird deshalb nur auf die Input- und Prozess-Steuerung eingegangen (zur Ausbildung des Fachpersonals vgl. Kapitel 2.1.4). Pädagogisch legitimierte Standards zu politisch-administrativ regulierbaren Strukturmerkmalen sind teilweise in landesgesetzlichen, teilweise in anderen rechtlichen Regelungen festgelegt. Sie unterscheiden sich zwischen den Bundesländern; in acht der Bundesländer bestehen z. B. keine Regelungen zur maximalen Gruppengröße (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009, Indikator 14A). Länderübergreifende Standards sind nicht vorhanden. Andererseits gibt es pädagogisch und empirisch gut begründbare Standards zu Strukturmerkmalen (vgl. z. B. zur Diskussion über ein Gütesiegel Tietze/Förster 2005; Viernickel/Schwarz 2009). Empirische Untersuchungen belegen die Bedeutung dieser Strukturmerkmale für die Ausgestaltung der pädagogischen Prozesse (vgl. Tietze 1998; Tietze/Roßbach/Grenner 2005; Kuger/ Kluczniok 2008), so dass Überlegungen zu einer länderübergreifenden Vereinheitlichung und Standardsetzung aus fachlichen Gründen dringend erforderlich sind. In dem kurzen Zeitraum zwischen 2002 und 2006 wurden bundeslandspezifische – und damit zum Teil sehr unterschiedliche – Bildungs-, Erziehungs- oder Orientierungspläne erarbeitet und veröffentlicht. Mit diesen Bildungsplänen und dem von Jugendminister- und Kultusministerkonferenz (2004) gleichlautend beschlossenen gemeinsamen Rahmen für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen wurde eine bedeutende und zumindest für die westlichen Länder neue Entwicklung eingeleitet und ein Steuerungs-Input bereitgestellt, der noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre (vgl. ausführlicher Diskowski 2008). Normiert werden in den Bildungsplänen Bildungsprozesse in den Einrichtungen und nicht Leistungsstandards, die ein Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen soll. Alle Bildungspläne beinhalten Angaben zu verschiedenen Inhalts-, Förder- oder Bildungsbereichen (z. B. Sprache, Naturbegegnung, Sachwissen, Umgang mit Zahlen und Persönlichkeitsentwicklung). Ein zentrales Ziel der Bildungspläne ist, zu mehr Verbindlichkeit in der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen beizutragen. Allerdings gibt es noch offene Fragen: In der einen Grundfigur soll Verbindlichkeit durch Konsens oder einen Vertrag zwischen dem jeweiligen Land und den Dachorganisationen der Träger von Kindergärten erreicht werden. Die Dachorganisationen erklären in dem Vertrag, ihren Einfluss auf ihre Mitglieder im Hinblick auf eine Erfüllung der Bildungspläne auszuüben. Allerdings kann ein solcher Vertrag nicht die Umsetzung der Bildungspläne garantieren, da die lokalen Träger der Einrichtungen autonom sind. In der anderen Grundfigur kann die Gewährung von öffentlichen Zuschüssen von der Erfüllung bestimmter Aufgaben abhängig gemacht werden, d. h., finanzielle Unterstützungen kommen nur den Einrichtungen zu, die den jeweiligen Bildungsplan des Landes umsetzen. Inwieweit die Bildungspläne tatsächlich einen verbessernden und normierenden Einfluss auf die Praxis ausüben, bleibt abzuwarten. Allerdings darf nicht zu viel erhofft werden, da zum einen solche Bildungspläne im Konzert von verschiedenen Steuerungsinstrumenten nur ein Element sind und zum anderen ohne systematische empirische Evaluationen der Umsetzungen der Bildungspläne in die Praxis dieser Steuerungs-Input leicht verloren gehen kann. Zudem stellt sich die Frage, ob nicht über den gemeinsamen Rahmen von Jugend- und Kultusministerkonferenz (2004) hinausgehend Überlegungen zu einem bundeseinheitlichen Bildungs-
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Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
plan – zusammen mit einer klaren Spezifizierung des Bildungsauftrags der Kindertageseinrichtungen – verfolgt werden müssten, um die gegebenen länderspezifischen Unterschiede zu vermeiden (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009, Indikator 9). In einem solchen bundesweiten Bildungsplan sollten dann auch Mindeststandards für eine gute pädagogische Qualität festgehalten werden. Einen weiteren Versuch, sich bundesweit auf einen Satz von einheitlichen Qualitätskriterien für Kindertageseinrichtungen zu einigen, stellte die von 2000 bis 2003 durchgeführte und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) initiierte „Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder“ dar, in der in verschiedenen Projekten Kriterien für eine gute Qualität entwickelt wurden. Allerdings wurde letztlich keine einheitliche Standardsetzung erreicht, da für den Bereich der Kindertagesstätten nicht nur ein Kriterienkatalog, sondern von verschiedenen beteiligten Projekten je unterschiedliche, den jeweiligen Positionen entsprechende Kataloge entwickelt wurden (vgl. Diskowski 2009). Zudem wurde versäumt, aufbauend auf diesen unterschiedlichen Positionen einen Konsens von Mindeststandards herbeizuführen. Hierbei hätte der Bund eine moderierende Rolle einnehmen können. Allerdings muss dies nicht bedeuten, dass die existierenden Ansätze nicht künftig in Hinblick auf gemeinsame Mindeststandards zusammengeführt bzw. synthetisiert werden sollten. Auf der Prozessebene der Steuerung gibt es gegenwärtig eine – zum Teil unübersichtliche – Vielzahl von Qualitätsentwicklungsmaßnahmen (vgl. Tietze 1998; Roux 2006). Ein besonderes Problem ist, dass Eltern vielfach keine ausreichende Kenntnis der pädagogischen Qualität besitzen, die ihr Kind in einer Kindertageseinrichtung erfährt, und somit als nicht voll informierte Kunden betrachtet werden müssen. Zudem überschätzen Eltern – besonders Eltern mit niedrigem Bildungshintergrund – in der Regel die pädagogische Qualität einer Einrichtung (vgl. Mocan 2007). Ökonomisch gesprochen liegt hier ein asymmetrisches Informationsverhältnis vor, dem bildungspolitisch begegnet werden muss. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist es zentral, dass pädagogisch gute Einrichtungen von den Eltern gewählt werden, da nur dann hohe „Renditen“ im frühkindlichen Bereich erzielt werden können. Einen Ansatz, für die Nachfrager den Qualitätsstand nach außen sichtbar zu dokumentieren und darüber Qualitätsentwicklung nach einem vereinheitlichten Maßstab zu initiieren, stellt die Entwicklung eines nationalen Gütesiegels dar (vgl. z. B. Spieß/Tietze 2002). Ein solches Gütesiegel sollte die Nachfrager über die Einhaltung von Mindeststandards und darüber hinaus über Zusatzangebote informieren. Allerdings setzt es einen Konsens hinsichtlich pädagogischer Qualitätsmindeststandards voraus, dessen Herstellung letztlich von der Politik mit angestoßen und moderiert werden muss. Ein Gütesiegel für eine Einrichtung sollte nur befristet vergeben und immer wieder überprüft werden.
2.1.4
Akademische Ausbildung des frühpädagogischen Personals
Die Diskussion um eine Akademisierung des Fachpersonals im Bereich der Kindertageseinrichtungen wird nicht zuletzt geleitet von der Annahme, dass gut ausgebildetes Fachpersonal weniger Vorgaben für eine qualitativ hochstehende Arbeit in den Einrichtungen benötigt. Hier wird generell ein Defizit gesehen, da die bisherige Ausbildung des Fachpersonals in Deutschland auf der Ebene von Fachschulen bzw. Fachakademien, also unterhalb der Hochschul-
47
Kapitel 2
ebene, stattfindet (vgl. vbw 2008). Dieses formal niedrige Ausbildungsniveau wurde und wird vielfach kritisiert, u. a. weil sich dadurch ein niedriger beruflicher Status der Fachkräfte ergibt, weil in dieser Ausbildung eine Auseinandersetzung mit theoretischem, abstraktem und wissenschaftlich gesichertem Wissen fehlt bzw. zu gering ausgeprägt ist und weil die Komplexität der Erwartungen an frühkindliche Bildungsförderung bei zunehmend heterogenen Ausgangslagen der Kinder gestiegen ist und diese Erwartungen auf dem bisherigen Ausbildungsniveau nicht erfüllt werden können (vgl. Viernickel 2008). Forschungsbelege verweisen zudem auf die Bedeutung eines umfangreichen, fundierten und theoretischen Fachwissens in den einzelnen Förderbereichen und eines grundlegenden fachdidaktischen Wissens über bereichsspezifische Lernprozesse von kleinen Kindern (vgl. Sylva u. a. 2004) sowie auf die Notwendigkeit von diagnostischen Kompetenzen des pädagogischen Personals, die im Zuge einer Akademisierung gefördert werden sollten (vgl. Prenzel/Gogolin/Krüger 2007). Im Ausmaß der Akademisierung gibt es gegenwärtig erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. In Hamburg haben zwölf Prozent des pädagogischen Personals einen Hochschulabschluss, während dies im Saarland lediglich für 1,3 Prozent zutrifft (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009, Indikator 11). Seit dem Start der ersten frühpädagogischen Bachelor-Studiengänge in Berlin, Freiburg und Emden im Jahr 2004 hat es in Deutschland eine rasante und unübersichtliche Entwicklung gegeben. Viernickel (2008) zählt für März 2008 über 55 Standorte mit knapp 60 umgesetzten oder in Planung befindlichen Studiengängen im frühpädagogischen Bereich. Die Vielfalt in struktureller und inhaltlicher Hinsicht ist enorm. Insgesamt ist hier ein unübersichtliches Feld entstanden, das deutlich der Idee einer gewissen Standardisierung der Ausbildung widerspricht. Um divergierende Qualifikationen zu vermeiden, werden eine gewisse Vereinheitlichung und gleiche Mindeststandards für die Qualifizierung erforderlich, die allerdings gegenwärtig noch nicht absehbar sind. Unter Steuerungsgesichtspunkten wirft eine Umstellung der Ausbildung des Fachpersonals auf Hochschulniveau verschiedene Fragen auf: Was geschieht mit den bisherigen Ausbildungen zur Kinderpflegerin und zur Erzieherin? Was geschieht mit den bestehenden Fachschulen bzw. Fachakademien und ihren Kompetenzen? Zieht eine Hochschulausbildung eine neue Klientel an? Gibt es die institutionellen, curricularen und personellen Ressourcen an Fachhochschulen, pädagogischen Hochschulen und Universitäten, um den erforderlichen Bedarf an fachlich einschlägigen Dozenten abdecken zu können? Wie sieht es zukünftig mit der Vergütung des frühpädagogischen Fachpersonals aus? Die sachliche Beantwortung all dieser Fragen setzt eine umfangreiche Begleitung durch Forschung und Evaluation voraus. Eine „Ad hoc“-Implementierung von Studiengängen, wie sie derzeit teilweise stattfindet, ist der pädagogischen Qualität der frühkindlichen Bildung wenig dienlich.
2.1.5
Berücksichtigung spezieller Zielgruppen
Hinsichtlich der Nutzung von Kindertageseinrichtungen gibt es deutliche Unterschiede. Zum einen sind regionale Unterschiede festzustellen, die dem grundgesetzlich verankerten Auftrag der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse entgegenstehen. Zum anderen sind starke soziodemografisch und sozioökonomisch bedingte Unterschiede festzustellen. Kinder aus einkommensschwachen oder auch depravierten Haushalten sind vor allem in den früheren Jahren in Kindertageseinrichtungen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit vertreten (vgl. Fuchs
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Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
2005; Kreyenfeld 2007). Wird das Konzept der Einkommensstärke verwendet, so zeigt sich, dass sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland Kinder aus einkommensschwachen Haushalten eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit als andere Kinder haben, eine Kindertageseinrichtung zu nutzen. Im Westen verringert sich diese Wahrscheinlichkeit um etwas mehr als fünf Prozent, wenn das Kind in einer einkommensschwachen Familie lebt, im Osten sogar um nahezu zehn Prozent. Kinder, bei denen beide Elternteile einen Migrationshintergrund aufweisen, haben im Westen eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit, eine Kindertageseinrichtung zu besuchen. Mit einer um fast zwölf Prozent verringerten Wahrscheinlichkeit gegenüber Kindern ohne Migrationshintergrund ist dieser Effekt sehr hoch. Jene Kinder, von deren Eltern nur einer über einen Migrationshintergrund verfügt, weisen dagegen keine signifikant niedrigere Nutzungswahrscheinlichkeit als Kinder ohne Migrationshintergrund auf (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009, Indikator 5A). Kindertageseinrichtungen sollen in Deutschland grundsätzlich für alle Kinder offen sein. Die skizzierten Nutzungsdisparitäten werfen deshalb Steuerungsfragen auf. Mit dem gesetzlich verankerten Rechtsanspruch für Kinder von drei Jahren und älter muss jedem Kind ein halbtägiges Förderangebot in einer Kindertageseinrichtung zu Verfügung stehen. Für 2013 ist ein Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung ab dem zweiten Lebensjahr geplant. Mit diesen Regelungen kann allerdings nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass alle Kinder in gleichem Umfang entsprechende Förderangebote nutzen. Deshalb werden auch künftig sozioökonomisch bedingte Unterschiede zu erwarten sein. Diese können den Präferenzen der Familien entsprechen, müssen es aber nicht. Es spricht einiges dafür, dass andere angebots- und nachfragebedingte Faktoren eine Bedeutung haben. Sofern es sich dabei auch um fehlende Informationen über frühkindliche Bildungsprozesse handelt oder Familien keinen Zugang zu entsprechenden Angeboten erhalten, spricht vieles für eine fehlende zielgruppenspezifische Ausrichtung des deutschen Systems. Darüber hinaus ist aber auch zu diskutieren, inwiefern in dem Spannungsfeld zwischen einer Vorverlegung der Schulpflicht und einer besseren Information über die Bedeutung einer pädagogisch hochwertigen frühen Förderung benachteiligte Zielgruppen besser erreicht werden können. Im Sinne einer positiven Diskriminierung kann über gezielte finanzielle Anreize diskutiert werden. Dementsprechende Ansätze im Rahmen einer Subjektfinanzierung sind denkbar.
2.1.6
Familie und Familienbildung
Frühkindliche Bildungsprozesse sind dann besonders erfolgreich, wenn die Familien miteinbezogen werden. Pädagogisch ambitionierte Bildungsprogramme, die weltweit Erfolge insbesondere bei Kindern aus benachteiligten Familien zeigen, sind darauf hin ausgerichtet. So ist z. B. dem Perry Preschool Program eine enge Elternarbeit immanent: Eltern werden in das Programm mit einem eigens auf sie zugeschnittenen Programmteil eingebunden, und es erfolgen viele Elterngespräche und Hausbesuche (vgl. Schweinhart u. a. 2005). Einzel-Evaluationen und Meta-Analysen zeigen, dass solche kombinierten Programme, die institutionelle Förderung der Kinder mit intensivem Einbezug von Eltern verbinden, in kurzfristiger wie auch in langfristiger Perspektive bessere Effekte auf den Schulerfolg und die spätere Lebensführung haben als Programme mit nur institutioneller oder nur familiärer Förderung (vgl. z. B. die Meta-Analyse von Gorey 2001).
49
Kapitel 2
Die Integration der Familien in die Arbeit der Kindertageseinrichtungen ist letztlich auch deren gesetzlicher Auftrag (vgl. Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), §§ 16, 22, 22a). Kindertageseinrichtungen sollen Erziehung und Bildung in der Familie durch ihre Arbeit unterstützen. Diese als „Familienbildung“ verstandene Aufgabe ist bisher stark im Hintergrund geblieben und wurde teilweise auf eigene Institutionen verlagert. Familienbildungsträger und Kindertageseinrichtungen sind häufig parallele „Veranstaltungen“. Sie könnten in einem neuen Verständnis von Kindertageseinrichtungen stärker zusammengeführt werden und verhindern, dass zwei Strukturen nebeneinander existieren, die nur wenig aufeinander bezogen sind. Kindertageseinrichtungen sollten damit über ihre klassischen Bildungs- und Betreuungsprogramme hinaus auch Möglichkeiten der Elternbildung und der Elternarbeit anbieten, von denen insbesondere Kinder aus benachteiligten Familien profitieren können. Familienzentren (vgl. Stöbe-Blossey/Mierau/Tietze 2008), Eltern-Kind-Zentren bzw. Dienstleistungszentren für Familien könnten darüber hinaus zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen, wenn sie zusätzliche Angebote schaffen, die Eltern zeitlich entlasten. Dabei ist z. B. an eine Vermittlung von Tagesmüttern im Krankheitsfalle der Kinder oder an kindliche Förderangebote (im sprachlichen wie auch motorischen Bereich) zu denken. Allerdings werden diese Ansätze nur dann erfolgreich sein, wenn sie nicht zu Qualitätseinbußen im bisherigen „Kerngeschäft“ von Kindertageseinrichtungen führen. Zusätzliche finanzielle Ressourcen sind für eine entsprechende Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen notwendig.
2.2
Exkurs: Steuerung und Regulierung des vorschulischen Bildungsbereichs in England
In England richtet sich vorschulische Betreuung, Erziehung und Bildung an Kinder von null bis fünf Jahren. Der Besuch einer vorschulischen Einrichtung ist freiwillig, mit fünf Jahren werden die Kinder schulpflichtig. Charakteristisch für das vorschulische Betreuungs- und Bildungssystem in England ist eine Vielzahl von Angebotsformen und Trägern. Neben staatlichen und kommunalen Einrichtungen existieren verschiedene private Angebote der Kinderbetreuung. Während 1970/1971 lediglich 21 Prozent der Kinder unter fünf Jahren eine Betreuungseinrichtung besuchten, lag der Anteil 2007/2008 bereits bei 64 Prozent und in der Altersgruppe der Vierjährigen sogar bei nahezu 100 Prozent. Seit 2004 haben alle Drei- bis Fünfjährigen in England einen Anspruch auf einen kostenlosen Teilzeitplatz in Einrichtungen des frühen Lernens. Sämtliche Bereiche des staatlichen Bildungswesens werden auf zentraler Ebene gesteuert. Die Verantwortung für die Vorschulerziehung liegt dabei in den Händen des Familienund Bildungsministeriums (Department for Children, Schools and Families (DCSF)). Alle Einrichtungen, unabhängig von ihrer Trägerschaft, müssen sich den National Standards verpflichten, die 14 zentrale Aspekte regeln (z. B. Räumlichkeiten, Essen, Verhalten der Betreuungspersonen gegenüber den Kindern etc.), die für alle Mitarbeiter in allen Kinderbetreuungseinrichtungen Geltung haben. Seit 2000 gibt es einen nationalen Bildungsplan für dreibis fünfjährige Kinder, der in dem nationalen „Foundation Stage Curriculum“ festgelegt ist. Der „Education Act“ aus dem Jahr 2002 verpflichtet alle staatlich geförderten vorschulischen Einrichtungen und Schulen zur Umsetzung des Curriculums.
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Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
Qualitätssicherung durch Inspektionen. Neben dem DCSF spielt das Office for Standards in Education (OFSTED) eine zentrale Rolle in der Steuerung und Regulierung des Bildungsbereichs in England. Es handelt sich hierbei um eine nichtministerielle, unabhängige Behörde der Regierung zur Verbesserung der Leistungsstandards und der Bildungsqualität. OFSTED führt regelmäßige Inspektionen der vorschulischen Einrichtungen und Schulen durch und erstellt hierzu ein umfangreiches Berichtswesen. Es werden verschiedene Erhebungsmethoden genutzt, um festzustellen, welche Bereiche sich durch hohe Qualität auszeichnen und wo Verbesserungsbedarf besteht. Neben der Inspektion hat die OFSTED eine unabhängige beratende Funktion bei der Entwicklung von Bildungsstrategien und -standards, evaluiert Schulbehörden, Weiterbildungs- und Fortbildungsangebote für Pädagogen sowie private Einrichtungen. Entwicklungstendenzen – das Regierungsprogramm „Sure Start“. Das Regierungsprogramm „Sure Start“ wurde im Jahr 1999 zur Bekämpfung von Kinderarmut, sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung initiiert, da man von der bis zu diesem Zeitraum im angelsächsischen Raum weit verbreiteten Auffassung abrückte, dass die Verantwortung für Vorschulkinder ausschließlich in die Hände der Eltern gehöre (vgl. Cohen u. a. 2004; Alhusen/ Clarke-Stewart/Miner 2006; Melhuish 2006a). Ziele des Programms waren der Ausbau der Betreuungseinrichtungen für alle Kinder, Gesundheitsförderung für Kleinkinder, Unterstützung ihrer emotionalen Entwicklung sowie die Unterstützung der Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben und im Hinblick auf die Verbesserung ihrer Erwerbssituation. Kernelement des Programms war die Einrichtung der „Early Excellence Centres“, die frühkindliche Bildung, Tagesbetreuung, Gesundheitsfürsorge und Familienhilfen aus einer Hand anbieten. Zu ihrem Angebot gehören Informationen und Dienstleistungen zu Kinderbetreuung und -bildung, Informationen zu Finanzierungsmöglichkeiten für Kinderbetreuung, Früherkennungsmaßnahmen bei Kindern mit erhöhtem Förderbedarf und Weiterbildungskurse für Eltern. Die Angebote der Kinderzentren richten sich an Eltern, Familien, Tagesmütter, Babysitter und Kommunen. Zentral ist der Netzwerkgedanke; die Zentren arbeiten eng mit anderen Einrichtungen wie den Grundschulen, Kindergärten oder Jobcentern zusammen. Das frühkindliche Erziehungskonzept wird als eines der innovativsten bezeichnet. Im Rahmen von „Sure Start“ wurden Serviceeinrichtungen bedarfsorientiert in benachteiligten Gebieten eingerichtet. Das übergeordnete Prinzip liegt in der Steuerung durch die Kommunen im Rahmen von lokalen Partnerschaften. Während es keine Vorschriften über die Modalitäten der Diensterbringung gibt, existiert ein Pflichtenkatalog für die lokalen Programme, der sowohl bestimmte Ziele als auch zu erbringende Schlüsseldienste festlegt. Die englische Regierung hat zwischen 1997 und 2006 über 20 Mrd. Pfund in Maßnahmen für Vorschulkinder und Kinderbetreuung investiert. Bis zum Jahr 2006 wurden 524 lokale „Sure Start“-Programme initiiert und 836 Zentren geschaffen (vgl. Deven 2006). Die „Early Excellence Centres“ werden sukzessive in so genannte „Children’s Centres“ umgewandelt, in denen der integrierende Charakter von Kinderbetreuung und Unterstützung von Familien noch stärker betont wird. Es ist geplant, dass bis zum Jahr 2010 die Versorgung jeder Kommune mit einem „Children’s Centre“ sichergestellt ist. Das Armutsniveau konnte gedrosselt werden und es wurden wichtige Neuerungen ausgelöst, die die Zusammenarbeit zwischen Dienststellen und Ministerien bei gemeinsamen Verantwortungen für Dienste zugunsten von Kindern im Vorschulalter betreffen. Das Programm „Sure Start“ unterliegt einem fortlaufendem System des Monitorings und der systematischen wissenschaftlichen Evaluation (vgl. Melhuish 2006b).
51
Kapitel 2
2.3
Trends und zukünftiger Regulierungsbedarf
Der Bereich der frühkindlichen Bildung ist in Deutschland durch ein regional stark divergierendes Angebot geprägt; dies betrifft insbesondere den Bereich der Bildung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren sowie ganztägige Angebote für Kinder im Kindergartenalter. Da davon auszugehen ist, dass diese Unterschiede nicht allein in verschiedenen Bedarfen begründet sind, sollten sie über zusätzliche öffentliche Mittel verringert werden. Es muss sichergestellt werden, dass zusätzliche Mittel tatsächlich diesem Bildungsbereich zukommen. Entsprechende Steuerungsinstrumente sind zu implementieren. Darüber hinaus ist das System der frühkindlichen Bildung in Deutschland durch sozioökonomisch bedingte Differenzen in seiner Nutzung gekennzeichnet. Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus einkommensschwachen Familien nehmen insbesondere in frühen Jahren frühkindliche Bildungsangebote mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als die entsprechenden Vergleichsgruppen wahr. Spätere Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem sind somit schon frühkindlich angelegt. Da verstärkt Anstrengungen unternommen werden müssen, allen Kindern frühkindliche Bildungsangebote zukommen zu lassen, bedarf es einer Reregulierung. Eine stärkere Zielgruppenorientierung ist notwendig, die so ausgestaltet sein muss, dass Kinder unabhängig von ihrem elterlichen Hintergrund gemeinsam Kindertageseinrichtungen besuchen können. Wenn es Deutschland nicht gelingt, bereits im frühkindlichen Bereich Kindern aller Bevölkerungsgruppen eine pädagogisch gute Betreuung angedeihen zu lassen, müssen später zusätzliche öffentliche Ressourcen mobilisiert werden. Damit würde Deutschland Ressourcen verschwenden, die anderweitig benötigt werden. Qualitätsstandards im Bereich der frühkindlichen Bildung divergieren in Deutschland massiv zwischen den einzelnen Regionen und teilweise auch abhängig vom Träger. Das System kann nicht durch eine vergleichbare Standardsetzung charakterisiert werden und ist nicht durch Einheitlichkeit gekennzeichnet. Diese heterogenen Strukturen, die auch in den stark unterschiedlichen Bildungsplänen zum Ausdruck kommen, sollten stärker vereinheitlicht werden. Einheitliche Mindeststandards könnten zu einem homogeneren System der frühkindlichen Bildung in Deutschland beitragen. Derartige Zentralisierungstendenzen sollten jedoch ihrerseits wiederum auf einem möglichst breiten korporatistischen Konsens aller betroffenen Parteien beruhen, die in die Erarbeitung zentraler Standards und Bildungsinhalte angemessen eingebunden werden müssen. Darüber hinaus sollten Bemühungen zur Verbesserung der pädagogischen Qualität in den Einrichtungen forschungsbasiert und weniger „ad hoc“ erfolgen. Eine Regulierung pädagogischer Qualität und eine entsprechende Wirkungsforschung muss sich fundierter Instrumente bedienen, die breit erforscht und erprobt sind. Nur dann können sehr früh tatsächliche Förder- und Forderbedarfe bei Kindern erkannt werden. Auch im Hinblick auf Verbesserungen der Ausbildung des pädagogischen Fachpersonals sollte eine größere Homogenität im deutschen System erreicht werden. Gegenwärtig ist das System durch eine Vielfalt von unterschiedlich strukturierten Ausbildungsgängen gekennzeichnet, die weitgehend ungeordnet nebeneinander existieren und unter Beteiligung aller Akteure besser abgestimmt werden sollten.
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Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
Der Erfolg frühkindlicher Bildung hängt mehr als alle anderen Bildungsbereiche von der Integration der Familien in die Bildungsprozesse ab. Deshalb ist eine Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen hin zu Zentren, die stärker als bisher die Familien mit ihren spezifischen Bedarfen integrieren, angebracht. Eine Reregulierung in diesem Sinne sollte zusätzliche öffentliche Ressourcen an eine solche Weiterentwicklung binden.
2.4
Handlungsempfehlungen
Die voranstehenden Ausführungen haben Steuerungsdefizite im Bereich der öffentlich geförderten Kinderbetreuung aufgezeigt, die die Erfüllung der Funktionen von Kindertageseinrichtungen (optimale Förderung aller Kinder, Ausgleich sozial bedingter Disparitäten, Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit etc.) beeinträchtigen. Aus Sicht des AKTIONSRATSBILDUNG lässt sich eine Reihe von Handlungsempfehlungen für den Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich ableiten, die im Folgenden dargestellt werden. Bund mit mehr Verantwortung in zentralen Regelungsbereichen. Da auch der Bund einen erheblichen Nutzen aus der öffentlich geförderten Kinderbetreuung zieht, sollte er sich zum einen an der Finanzierung im Bereich der Bildung, Erziehung und Betreuung der unter Dreijährigen (stärker) beteiligen. Zum anderen sollte auch über eine Bundesbeteiligung bei der öffentlichen Kinderbetreuung von Kindern über drei Jahren nachgedacht werden. Es wird empfohlen, alle Bundesmittel zweckgebunden zu vergeben, z. B. in Form von zweckgebundenen Transfers (vgl. BMFSFJ 2008; Spieß 2008a, 2008b, 2009a). Eine Form könnten Bildungsgutscheine sein, wie es bereits 2007 angeregt wurde (vgl. z. B. Emundts 2007). Eine dauerhaft angelegte Beteiligung des Bundes an der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen könnte über dieses Finanzierungsmittel gesichert werden, da zumindest die Verwendung der Bundesmittel nicht von der politischen Prioritätensetzung der Länder und Kommunen abhängig wäre. Die Bundesmittel könnten als Bundesleistung direkt und zweckgebunden den Nachfragern einer frühkindlichen Förderung, d. h. den Eltern, zukommen. Dieser Weg hat darüber hinaus den Vorteil, dass er nahezu die einzige verfassungskonforme Möglichkeit dafür darstellt, wie sich der Bund explizit an den Betriebskosten für Kindertageseinrichtungen beteiligen kann (vgl. z. B. Richter 2007). Zweckgebundene Transfers an die Nachfrager haben darüber hinaus den Vorteil, dass mit ihnen Steuerungswirkungen verbunden sein können (vgl. z. B. Spieß 2009a). Dies kann vor dem Hintergrund einer größeren anzustrebenden Zielgruppenorientierung zusätzlich sinnvoll sein. Des Weiteren sollten über den gemeinsamen Rahmen der KMK hinausgehend Überlegungen zu einem bundeseinheitlichen Bildungsplan erfolgen. Solch ein länderübergreifender Bildungsplan, in dem u. a. verbindliche Vorgaben für alle Einrichtungen aller (öffentlich finanzierten) Träger enthalten sind, sollte einen für alle Einrichtungen, Träger und pädagogischen Richtungen gemeinsamen Kern beschreiben. Im Zuge dessen ist die Entwicklung länderübergreifender Standards bezüglich pädagogischer Handlungsorientierungen und Rahmenbedingungen wie der Erzieherin-KindRelation (Input-Standards) unumstößlich. Die Einführung nationaler Qualitätsstandards kann dazu beitragen, auch für Eltern Instrumente zu entwickeln, die ihnen eine Einschätzung der pädagogischen Qualität einer Einrichtung ermöglichen. Dabei wäre z. B. an ein nationales Gütesiegel oder auch andere
53
Kapitel 2
„Rating-Instrumente“ zu denken. Nur so können Eltern verantwortungsbewusste Entscheidungen für die Bildung, Erziehung und Betreuung ihrer Kinder treffen und darüber hinaus für die Bedeutung einer hohen pädagogischen Qualität sensibilisiert werden, sofern sie dies nicht ohnehin schon sind. Länder als intermediäre Instanzen. Zur Sicherstellung einer Mindestqualität für Kindertageseinrichtungen wird empfohlen, die länderspezifischen Bildungspläne weiterzuentwickeln und ihre Verbindlichkeit zu erhöhen. In diesem Kontext ist zudem die Weiterentwicklung von pädagogischen Konzepten gefordert, um alle Kinder optimal zu fördern und sozial bedingte Disparitäten zu reduzieren. Dabei sollte vor allem auch daran gearbeitet werden, im Rahmen eines allgemeinen pädagogischen Angebots für alle Kinder spezifische Ergänzungen für Kinder aus benachteiligten Familien und/oder mit Migrationshintergrund zu entwickeln. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass gut ausgebildetes Fachpersonal weniger Vorgaben für eine qualitativ hochstehende Arbeit in den Kindertageseinrichtungen benötigt, wird empfohlen, die Akademisierung des frühpädagogischen Personals weiter voranzutreiben. Zumindest sollten die Personen in Leitungspositionen in den Einrichtungen akademisch ausgebildet sein. Insofern sind die an vielen Hochschulen in den letzten Jahren entstandenen Studiengänge zu begrüßen. Allerdings ist hier ein unübersichtliches und unkoordiniertes Feld zu konstatieren, das dringend einer gewissen Vereinheitlichung und Sicherung von Mindeststandards bedarf. In diesem Sinn sollte durch eine wissenschaftliche Institution ein Kerncurriculum entwickelt werden, das gleichwohl den Hochschulen Profilbildungen ermöglicht. Nicht vergessen werden darf dabei, dass nur dann ein attraktives Berufsfeld entsteht, wenn mit der Akademisierung auch eine entsprechende Vergütung einhergeht. Über die Sicherstellung einer Mindestqualität hinaus sollten für Kindertageseinrichtungen positive finanzielle Anreize zu weiteren Qualitätsverbesserungen bestehen. Ein bestimmter Anteil der öffentlichen Fördermittel könnte daran gekoppelt sein, dass eine pädagogische Qualität angeboten wird, die über die Mindestqualität hinausgeht. Dies würde bedeuten, dass Einrichtungen, die besonders hohes Engagement für ihre pädagogische Qualität zeigen, auch finanziell belohnt würden. Träger und Kommune in der Verantwortung vor Ort. Im Sinne einer größeren Zielgruppenorientierung sollten zusätzliche finanzielle Mittel gezielter als bisher eingesetzt werden. Dabei muss das Ziel sein, frühe Selektionsprozesse des Bildungssystems zu vermeiden. Durch unterschiedliche Maßnahmen sollten insbesondere Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien und Kinder mit Migrationshintergrund früher in die Kindertagesbetreuung integriert werden. Durch eine größere Subjektorientierung bei der Vergabe öffentlicher Mittel könnten diese Gruppen besonders gefördert werden. In jedem Fall dürfen Bedarfskriterien für eine Förderung nicht allein die Erwerbstätigkeit oder die Ausbildung von Eltern oder deren Erwerbssuche berücksichtigen, sondern sollten – wie es in einigen Bundesländern bereits praktiziert wird – z. B. auch den Migrationsstatus oder die sozioökonomische Situation der Familie umschließen. Den Einrichtungen könnten im Falle einer positiven Diskriminierung so beispielsweise mehr öffentliche Mittel zukommen. Darüber hinaus sollten Familien über die Fördermöglichkeiten deutscher Kindertageseinrichtungen besser informiert werden. Hier ist besonders die kommunale Ebene gefragt: Auf lokaler Ebene muss die Kinder- und Jugendhilfe ansetzen, um allen Familien die Chancen einer frühkindlichen Betreuung deutlich zu machen.
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Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich: Standardisierung, Qualifizierung und Finanzierung
Darüber hinaus sollte sich die öffentlich verantwortete Kindertagesbetreuung in Deutschland weiter öffnen und breite Förderangebote auch externer Anbieter integrieren. Eine Entwicklung hin zu Eltern-Kind- oder Familienzentren kann Investitionen in die frühkindliche Bildung noch rentabler und nachhaltiger machen, da die Familien und nicht das Kind alleine als Adressat des Bildungsauftrags gelten. Damit können Kindertageseinrichtungen auch zu einer offensiven Kinder- und Jugendhilfe im sozialen Nahraum beitragen (vgl. dazu auch die entsprechende Empfehlung des Bundesjugendkuratoriums 2008). Die entsprechenden Zentren sollten ihre pädagogische Qualität für Eltern erkennbar „vermarkten“. Externe Institutionen als Qualitätsgutachter. Bei der Entwicklung und Qualitätssicherung einheitlicher Mindeststandards sollten unabhängige und wissenschaftsgetragene Institutionen beteiligt sein. Eine solche Institution selbst muss einen staatlichen Auftrag erhalten, um den sie sich in einem regelmäßigen Wettbewerbsverfahren immer wieder bemühen muss. Ein längerfristiges Ziel sollte die Entwicklung von einheitlichen Outcome-Standards im frühkindlichen Bereich sein, z. B. im Hinblick auf für die folgende Schulkarriere förderliche Kenntnisse in der deutschen Sprache. Allerdings sind hier kurzschlüssige Maßnahmen wenig zielführend. Vielmehr ist damit ein umfangreiches Forschungsprogramm angesprochen: Zum einen muss identifiziert werden, welche Vorläuferfähigkeiten am Ende der vorschulischen Zeit in welcher Weise für wen in Bezug auf die folgende Schulkarriere prädiktiv sind. Zum anderen müssen die entsprechenden diagnostischen Instrumente entwickelt und erprobt werden, um diese Vorläuferfähigkeiten valide zu erfassen. Verstärkte Beteiligung der Wirtschaft an den Kosten der Kinderbetreuung und/ oder Ausbau von betrieblichen Kinderbetreuungseinrichtungen. Neben den öffentlichen Akteuren können auch private Akteure ihre Finanzierungsanteile in diesem Bereich steigern. Dabei ist auch an eine stärkere Beteiligung der Wirtschaft an den Kosten der Kinderbetreuung zu denken. Vielfache Beispiele zeigen, welche Möglichkeiten einer betrieblichen Förderung in diesem Bereich bestehen (vgl. dazu auch das bundesweite Förderprogramm „Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung“11).
11
Vgl. http://www.erfolgsfaktor-familie.de/ (Stand: 18.09.2009).
55
3
Regulierung und Deregulierung in der Schule
3.1
Geschichte und Status quo der Regulierung und Deregulierung
Dem Thema der erweiterten schulischen Selbstständigkeit kommt eine große Bedeutung innerhalb bildungspolitischer Debatten um die schulische Qualitätsentwicklung zu. Dabei ist die Verlagerung von Kompetenzen auf die Schulebene kein neues Thema (vgl. Pfeiffer 2004). Unter dem Begriff der „Schulautonomie“ werden seit einigen Jahren zahlreiche Reformbemühungen subsumiert, die letztlich allesamt die Frage der Reorganisation der Schule und des Schulsystems zum Thema haben. Im Rahmen eines grundlegenden Systemwechsels hin zu einer verstärkten Steuerung durch Bildungsstandards, zentralen Abschlussprüfungen oder der Definition von Qualitätsindikatoren erscheint die zunehmende Freigabe der Prozesse zur Erreichung dieser Ziele unbedingt erforderlich. Damit verbunden ist eine deutliche Aufmerksamkeit gegenüber den Leistungen der einzelnen Schule und den Kompetenzen der Schüler. Die ersten systematischen und öffentlichen Überlegungen zur Erweiterung schulischer Handlungskompetenzen wurden 1951 in Tübingen von führenden Vertretern der Universitäten und höheren Schulen angestellt. Die entworfene Resolution wurde jedoch in fast allen Ländern als undurchführbar bewertet. Obwohl der Deutsche Ausschuss für das Erziehungsund Bildungswesen die Forderungen aufgegriffen und die Errichtung von Modellschulen empfohlen hat, blieben bahnbrechende Entwicklungen aus. Im Jahr 1954 erschien der viel beachtete Aufsatz von Hellmut Becker „Die verwaltete Schule“ (vgl. Becker 1954). Hinter den Überlegungen Beckers steht die von der Reformpädagogik vertretene und heute anerkannte Überzeugung, dass das Wesen der Erziehung und Unterrichtung Autonomie verlange. Im Jahr 1973 veröffentlichte der Deutsche Bildungsrat Empfehlungen zum Thema Selbstständigkeit von Schule und zur Neuorientierung der Bildungsverwaltung unter dem Titel „Verstärkte Selbständigkeit der Schule und Partizipation der Lehrer, Schüler und Eltern“, die zum damaligen Zeitpunkt allerdings ebenfalls wenig Wirksamkeit entfalteten (vgl. Deutscher Bildungsrat 1973). Das demokratische Bildungsziel der Selbstbestimmung wurde auch mit dem 1981 aufgesetzten Schulgesetzentwurf der Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentags verfolgt. Es wurden Mitwirkungsorgane in den Schulen etabliert, jedoch ohne dass sie wesentlichen Einfluss auf den elementaren Bereich des Schullebens, den Unterricht, ausüben konnten. Die 1995 veröffentlichte Denkschrift der Bildungskommission Nordrhein-Westfalen (NRW) beinhaltet insofern eine Weiterentwicklung der früheren Orientierung auf eine Demokratisierung der Schule, als dass sie die Stärkung der Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Schule durch eine Teilautonomie aufgreift (vgl. Bildungskommission NRW 1995). Sie hält die pädagogische Freiheit nur in Verbindung mit Entscheidungskompetenzen im Bereich der Organisation, des Personals und der Finanzen für realisierbar. Seit Beginn der 1990er Jahre wird die Autonomiediskussion verstärkt in den Kontext einer Verwaltungsreform gestellt, die das Verhältnis von Schuladministration, Schulaufsicht, Schulträger und Schule neu zu bestimmen sucht. Im Zuge von Konzepten des New Public Management, organisationstheoretisch fundierten Ansätzen der Bürokratiekritik sowie
57
Kapitel 3
neueren Konzepten des Managements und der Personalentwicklung (vgl. Wenzel 2004) wurden Schulen zur Profilbildung und individuellen Konzeptentwicklung veranlasst. Damit einher geht die Umstrukturierung und Neudefinition der Aufgaben von Schulaufsicht und Schulträger. Die ersten Planungspapiere zur Dezentralisierung von Kompetenzen legten die Schulministerien in Bremen, Hamburg und Hessen vor. Die Definition dessen, was unter einer erweiterten schulischen Selbstständigkeit zu verstehen ist, gestaltet sich durch die Einbettung in ein grundlegendes bildungspolitisches Reformkonzept, das sämtliche Ebenen des Schulsystems tangiert, als äußerst schwierig. Eine Definition bietet sich anhand der Bereiche an, die in den Konzepten und Schulgesetzen der Bundesländer Eingang finden. Die Erweiterung der Handlungsspielräume kann differenziert betrachtet werden in schulorganisatorischer, personeller, finanzieller, pädagogischer und unterrichtsorganisatorischer Hinsicht. Verschiedene Instrumente der Makrosteuerung ergeben die „jeweils länderspezifische Educational Governance des Bildungswesens“ (Fend 2008, S. 39). Inhaltliche Vorgaben sowie die Formulierung von Zielen und wünschenswerten Kompetenzen – die Programmsteuerung –, bilden den Kern der Makroplanung im Bildungswesen (vgl. Fend 2008). Diese Vorgaben sind in Lehrplänen, in Lehrbüchern, durch Abschlussnormen und neuerdings auch durch Bildungsstandards festgeschrieben. Makrostrukturen der Planung von Lernzeiten und Lernwegen in Form von Schulformen, Fächern, Stundentafeln und Jahrgangsklassen sowie von Prüfungsformen, die Eingangsbedingungen und Abschlüsse von Bildungsgängen regulieren, verleihen der inhaltlichen Programmplanung Stabilität (vgl. Fend 2008). Als Instrumente der Qualitätssicherung und zur Wahrnehmung der Verantwortung der Aufsicht und Qualitätskontrolle des Staates werden „in vielen Bundesländern zur Unterstützung der Schulen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Rahmen verstärkter Selbstständigkeit neue Einrichtungen gegründet, oft als Schulinspektion bezeichnet“ (Füssel 2009, S. 229). Nach wie vor ist die Schulaufsicht jene Instanz, der Überprüfungsbefugnisse zustehen, verändert wurden in den letzten Jahren die Verfahren der externen Evaluation (vgl. Füssel 2009). Die ressourcenbezogene Qualitätssicherung erfolgt Input-gesteuert und soll somit ebenfalls zur Entwicklung eines flächendeckenden, gleichwertigen Bildungsangebots beitragen (vgl. Fend 2008). Fend nennt darüber hinaus Instrumente des Personalmanagements im Sinne von Rekrutierung, Ausbildung und Fortbildung als Element der spezifischen Konfiguration der Makrosteuerung des Bildungswesens.
3.2
Regulierung und Deregulierung auf verschiedenen Entscheidungsebenen des Schulsystems
Zur Erläuterung des Stands der Regulierung und Deregulierung auf den Ebenen „Schulorganisation“, „Personal“, „Finanzen“ und „Unterricht“ sind unter anderem die Ergebnisse einer Befragung der Schulleitungen in Deutschland im Rahmen der Leistungsstudien „Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung“ (IGLU) 2006 und TIMSS 2007 zum Themenbereich „Auto-
58
Regulierung und Deregulierung in der Schule
nomie und Schule“ hinzuzuziehen (vgl. Bos u. a. 2007; Bos u. a. 2008). Für eine internationale Perspektive sind weiterhin die Schulleiterbefragungen der PISA-Erhebung im Jahr 2006 bedeutsam, in denen untersucht wurde, zu welchem Anteil bestimmte Akteure auf verschiedenen Ebenen des Bildungswesens an Entscheidungen, die die Schule betreffen, beteiligt sind.12 Als Unsicherheitsfaktor der Ergebnisse wird auf die mögliche Interpretationsspannweite der Fragestellungen auf Seiten der Rektoren hingewiesen (vgl. OECD 2007) und auf eine etwaige Subjektivität der Antworten. Schulorganisation. In schulorganisatorischer Hinsicht sind zunächst die seit den 1970er Jahren eingeführten Regelungen zur Mitwirkung und Mitbestimmung von verschiedenen Interessengruppen wie Lehrern, Schülern und Eltern zu nennen, durch die die Gremienverfassungen wie die Schulkonferenz geregelt sind. Für eine verstärkt geforderte und praktizierte Zusammenarbeit der Lehrkräfte in Teams oder Steuergruppen wurden in der Regel keine gesetzlichen Bestimmungen getroffen. Eine Neuerung stellt ebenfalls die Einführung schulischer Personalräte dar. In Hamburg gibt es seit 2007 schulische Personalräte, in denen pädagogische und nichtpädagogische Mitarbeiter vertreten sind. Weiterhin wurden in manchen Bundesländern Schulvorstände eingeführt, die über die Ziele und auch die Wege zu deren Erreichung entscheiden. Die Erweiterung der Angebote für die Schüler und z. T. die Öffnung der Schulen nach außen zeigt sich u. a. durch die eigenständige Kooperation der Schulen mit außerschulischen Einrichtungen. Auf die Frage, wie eine solche Zusammenarbeit organisiert wird, konnten die Schulleitungen bei TIMSS 2007 auf einer Skala zwischen 1 („trifft gar nicht zu“) und 4 („trifft genau zu“) antworten (siehe Abbildung 3). Die größte Zustimmung der Schulleitungen erhält die Aussage, dass sich die eigene Schule von sich aus an außerschulische Institutionen wendet (M=3,3). An zweiter Stelle sind es nach Meinung der Schulleitungen einzelne Lehrer, welche die Zusammenarbeit initiieren (M=3,2). An letzter Stelle sehen die Schulleitungen die Eltern in der aktiven Gestaltung der Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen (M=2,3).
Unsere Schule wendet sich von sich aus an außerschulische Einrichtungen. Einzelne Lehrkräfte initiieren und organisieren die Zusammenarbeit. Einzelne Elternteile initiieren die Zusammenarbeit. Eltern gestalten die Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen aktiv mit.
1
2
3
4
Abbildung 3: Einschätzung der Schulleitungen bezüglich der Organisation der Kooperation von Schulen mit außerschulischen Einrichtungen (Datenquelle: TIMSS 2007; eigene Berechnungen)
12
Die Daten für die einzelnen Länder sind im Internet unter http://dx.doi.org/10.1787/142127877152 verfügbar.
59
Kapitel 3
Fast alle Bundesländer verpflichten die Schulen oder fordern sie zumindest auf, ein eigenes Schul- und Unterrichtsprofil zu entwickeln und dieses in einem Schulprogramm festzuschreiben. Avenarius u. a. (2003) stellen in diesem Zusammenhang fest: „Die Schule hat also nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu selbstständigem pädagogischen Tun“ (Avenarius u. a. 2003, S. 159). Eine eigenständige pädagogische Entwicklungsperspektive aufzuzeigen ist ein übergeordnetes Ziel zur Einräumung erweiterter Handlungskompetenzen. Die Befragung der Schulleitungen bei IGLU 2006 zeigt deren Einschätzung in Bezug auf die Einführung von Schulprogrammen (siehe Abbildung 4). Danach verfügen deutschlandweit lediglich 51,9 Prozent der Schulen über ein solches Programm mit pädagogisch-konzeptioneller Darstellung, einer Zielsetzung, Maßnahmen und einer Evaluation. 11,9 Prozent entwickelten in der Vergangenheit zumindest ein Schulkonzept mit pädagogisch-konzeptioneller Darstellung und einer Zielsetzung, 7,5 Prozent ein Leitbild und 13,7 Prozent ein Schulprofil. Dagegen besitzen 12,6 Prozent der Schulen kein Entwicklungspapier. Schulprofil (mit Schwerpunktsetzungen, Traditionen und Besonderheiten) Leitbild (pädagogisches Grundverständnis) Schulkonzept (pädagogisch-konzeptionelle Darstellung, Zielsetzung) Schulprogramm (pädagogisch-konzeptionelle Darstellung, Zielsetzung, Maßnahmen, Evaluation) Ein anderes Entwicklungspapier, und zwar: „...“ Kein Entwicklungspapier vorhanden
0
10
20
30
40
50
60
Prozent
Abbildung 4: Einschätzung der Schulleitungen bezüglich der Einführung von Schulprogrammen (Angaben in Prozent; Datenquelle: IGLU 2006; eigene Berechnungen)
Personal. Die Auswahl und Einstellung von Lehrern, deren Entlohnung und Möglichkeiten der Beförderung bzw. der Höhergruppierung unterstehen immer noch starker Regulierung, die sich unter anderem durch das Beamtenrecht erklären lässt. Die Aufgaben eines Dienstvorgesetzten der Lehrkräfte können jedoch in immer mehr Bundesländern, so in Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, auf die Schulleitung übertragen werden. In Bayern hat die Dienstvorgesetztenfunktion der Schulleitung schon eine längere Tradition. Wichtige Elemente der Dienstvorgesetztenfunktion sind die Beurteilung und Einstellung von Lehrern. Die Dienstvorgesetzten können im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben ebenso beamten-, tarif- und vergütungsrechtliche Entscheidungen treffen. Tabelle 1 veranschaulicht die Antworten der Schulleitungen bei IGLU 2006 auf die Frage, wer in ihrer Schule Verantwortung für personalbezogene Aufgaben trägt. 97 Prozent der Rektoren geben an, dass ihre Schule nicht für die Festlegung der Anfangsgehälter der Lehrkräfte verantwortlich ist. Zudem sehen 96,5 Prozent der Schulleitungen das Entlassen von Lehrkräften und 92,5 Prozent der Schulleitungen die Entscheidung über Beförderung bzw.
60
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Höhergruppierung nicht im Verantwortungsbereich ihrer Schule. Lediglich bei der Einstellung von Lehrkräften geben 20,3 Prozent der Schulleitungen an, dass dieser personalspezifische Bereich dem Verantwortungsbereich der Schulleitung obliegt. Dennoch zeigt sich, dass 83,5 Prozent der Schulleitungen auch die Rekrutierung von Lehrkräften nicht im Entscheidungsbereich der Schule sehen. Tabelle 1: Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich personalspezifischer Handlungsbereiche innerhalb der Schule und der Verantwortung für sie (Angaben in Prozent, Mehrfachantworten möglich; Datenquelle: IGLU 2006; eigene Berechnungen) Nicht im Verantwortungsbereich der Schule
Gremium der Schule, z. B. Schulkonferenz
Schulleitung
Fachkonferenz
Lehrkraft, Lehrerkonferenz
Einstellung von Lehrkräften
83,5
9,7
20,3
0,2
3,3
Entlassung von Lehrkräften
96,5
0,8
2,2
0,1
0,2
Festlegung der Anfangsgehälter der Lehrkräfte
97,0
0,8
0,1
–
0,01
Entscheidung über Beförderungen/Höhergruppierungen von Lehrkräften
92,5
0,8
9,4
–
0,1
Die Einstellung von Lehrern wird in der Regel von einer schulischen Kommission begleitet. In einem schulbezogenen Ausschreibungsverfahren erfolgt die Festlegung des Anforderungsprofils für die zu besetzende Stelle. Durch den Grundsatz der Bestenauslese sind der eigenständigen Auswahl von lehrendem Personal Grenzen gesetzt. Avenarius u. a. (2003) stellen eine Beteiligung der Schulen an der Zuweisung der Lehrkräfte für die Bundesländer Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fest. Außerdem wird die schulbezogene Ausschreibung sowie die Auswahl der Lehrkräfte und des sonstigen schulischen Personals im Stadtstaat Berlin von der Schule vollzogen. Laut der Schulleiterbefragung der PISA-Erhebung im Jahr 2006 besuchen lediglich 15 Prozent der deutschen Schüler Schulen, die selbstständig über die Einstellung von Lehrkräften entscheiden können. Im OECD-Durchschnitt sind es hingegen 59 Prozent. Hinsichtlich der Möglichkeit deutscher Schulen, Lehrkräfte zu entlassen, zeichnet sich die eingeschränkte Selbstständigkeit im personellen Bereich noch deutlicher ab. Während in einigen osteuropäischen Ländern wie Ungarn oder Bulgarien über 90 Prozent der Schüler nach Angaben ihrer Schulleitung eine Schule besuchen, die unmittelbaren Einfluss auf die Entlassung von Lehrkräften hat, sind es in Deutschland gerade einmal sieben Prozent (OECD-Durchschnitt 50 Prozent, siehe Abbildung 5).
61
Kapitel 3
Nur die Schule trägt Entscheidungsverantwortung
Sowohl die Schule als auch der Staat tragen Entscheidungsverantwortung
Nur der Staat trägt Entscheidungsverantwortung Einstellung von Lehrkräften
Entlassung von Lehrkräften
Festlegung der Anfangsgehälter der Lehrkräfte
Australien Österreich Belgien Kanada Tschech. Rep. Dänemark Finnland Deutschland Griechenland Ungarn Island Irland Italien Japan Korea Luxemburg Mexiko Niederlande Neuseeland Norwegen Polen Portugal Slowakische Republik Spanien Schweden Schweiz Türkei Vereinigtes Königreich Vereinigte Staaten OECD-Durchschnitt Argentinien Aserbaidschan Brasilien Bulgarien Chile Kolumbien Kroatien Estland Hongkong (China) Indonesien Israel Jordanien Kirgisistan Lettland Litauen Macau (China) Montenegro Katar Rumänien Russische Föderation Serbien Slowenien Chinesisch Taipeh Thailand Tunesien Uruguay
0
50
100 0
50
100 0
50
Prozent
Abbildung 5: Einschätzung der Schulleitungen bei PISA 2006 bezüglich des Einflusses der Schulen auf Personalentscheidungen (Angaben in Prozent; vgl. OECD 2007)
62
100
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Nur die Schule trägt Entscheidungsverantwortung
Sowohl die Schule als auch der Staat tragen Entscheidungsverantwortung
Nur der Staat trägt Entscheidungsverantwortung Entscheidungen über Gehaltserhöhungen von Lehrkräften
Festlegung des Schulbudgets
Entscheidung über die Verwendung des Budgets innerhalb der Schule
Australien Österreich Belgien Kanada Tschech. Rep. Dänemark Finnland Deutschland Griechenland Ungarn Island Irland Italien Japan Korea Luxemburg Mexiko Niederlande Neuseeland Norwegen Polen Portugal Slowakische Republik Spanien Schweden Schweiz Türkei Vereinigtes Königreich Vereinigte Staaten OECD-Durchschnitt Argentinien Aserbaidschan Brasilien Bulgarien Chile Kolumbien Kroatien Estland Hongkong (China) Indonesien Israel Jordanien Kirgisistan Lettland Litauen Macau (China) Montenegro Katar Rumänien Russische Föderation Serbien Slowenien Chinesisch Taipeh Thailand Tunesien Uruguay
0
50
100 0
50
100 0
50
100
Prozent
Abbildung 5 (Fortsetzung): Einschätzung der Schulleitungen bei PISA 2006 bezüglich des Einflusses der Schulen auf Personalentscheidungen (Angaben in Prozent; vgl. OECD 2007)
63
Kapitel 3
Finanzen. Schulträger sind durch die Landesgesetzgebung der meisten Länder aufgefordert, den Schulen Entscheidungsbefugnisse für die Verwendung von Sachmitteln zu ermöglichen. Diesbezüglich sind folgende Regelungen üblich: Einnahmen oder Ausgabenminderungen, die eine Schule erzielt, verbleiben ihr; nicht verbrauchte Mittel können in nachfolgende Haushaltsjahre übertragen werden. Unter gewissen Voraussetzungen ist die Einwerbung von Zuwendungen Dritter erlaubt und verschiedene Ausgabearten wie beispielsweise Aufwendungen für Lehrmittel und für Büromaterial sind deckungsfähig, d. h., Minderausgaben in einer Haushaltsposition dürfen für Mehrausgaben in einer anderen verwendet werden. Weniger üblich ist die Personalkostenbudgetierung, wie sie derzeit in Berlin zwecks Reduzierung von Unterrichtsausfall praktiziert wird. Niedersachsens Schulen können ebenso wie Schulen in Hessen Schulgirokonten führen. In Hamburg beispielsweise verfügen die Schulen über ein Fortbildungsbudget. Tabelle 2 stellt die Einschätzungen der Schulleitungen bei IGLU 2006 hinsichtlich der Frage dar, wer die Verantwortung für die sachmittelspezifischen Handlungsbereiche trägt. Bezüglich der Festlegung des Schulbudgets geben 82,6 Prozent der Rektoren an, dass dieses Aufgabenfeld nicht dem Verantwortungsbereich der Schulen unterliegt. 10,1 Prozent der Schulleitungen geben an, dass den Gremien die Verantwortung für diesen Bereich obliegt, während 9,4 Prozent der Schulleitungen angeben, dass die Schulleitung die Verantwortung für diesen Bereich trägt. Ein anderes Bild zeigt sich bei den Entscheidungen über die Verwendung des Budgets innerhalb der Schule. Nach Angaben der Schulleitungen kann über den Einsatz des bereitgestellten Schulbudgets in nahezu allen Schulen frei verfügt werden. So geben 55,4 Prozent der Schulleitungen an, dass hier ein schulinternes Gremium die Verantwortung trägt, 47,3 Prozent sehen sich dabei selbst in der Verantwortung und 38,4 Prozent sprechen die Entscheidung über die Verwendung des Schulbudgets den Lehrkräften zu. 17,8 Prozent der Schulleitungen geben an, dass Fachkonferenzen in diesem Handlungsbereich die Verantwortung tragen. Tabelle 2: Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich sachmittelspezifischer Handlungsbereiche innerhalb der Schule und der Verantwortung für sie (Angaben in Prozent, Mehrfachantworten möglich; Datenquelle: IGLU 2006; eigene Berechnungen)
Festlegung des Schulbudgets Entscheidung über die Verwendung des Budgets innerhalb der Schule
Nicht im Verantwortungsbereich der Schule
Gremium der Schule, z. B. Schulkonferenz
Schulleitung
Fachkonferenz
Lehrkraft, Lehrerkonferenz
82,6
10,1
9,4
0,7
2,0
3,1
55,4
47,3
17,8
38,4
Dies steht im Gegensatz zur Einschätzung des ersten Bildungsberichts für Deutschland aus dem Jahr 2003 für den Bereich der finanziellen Selbstständigkeit: „Gemessen an der Bedeutung und dem Umfang der Aufgaben, ist der finanzielle Spielraum deutscher Schulen allerdings gering. Im Vergleich zur ökonomischen Potenz sich selbst verwaltender Schulen
64
Regulierung und Deregulierung in der Schule
im europäischen Ausland sind die deutschen Schulen geradezu Leichtgewichte“ (Avenarius u. a. 2003, S. 160). Bezüglich der Quellen der aufgebrachten Mittel (Personal- und Sachaufwand) für die Schule zeigt sich, dass – nach Einschätzung der Schulleitungen bei IGLU 2006 – durchschnittlich 92,1 Prozent der Mittel aus öffentlichen Haushalten bezogen werden, während 5,2 Prozent aus Spenden stammen. Im Durchschnitt 3,2 Prozent der Mittel entstammen anderen Quellen, wie zum Beispiel Schulträgern oder Schulvereinen (siehe Abbildung 6). Nur 1,2 Prozent werden aus dem Schulgeld bezogen, das Eltern entrichten. Öffentliche Haushalte (Land, Kommune) Schulgeld, das von den Eltern entrichtet wird Spenden von Förderern, Geld aus Stiftungen, Sponsoring, Elternspenden etc. Andere Quellen, z. B. privater Schulträger, Schulverein
1,2 5,2
92,1
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
3,2
100
Prozent
Abbildung 6: Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich der Quellen der Mittel für den Personal- und Sachaufwand der Schulen (Angaben in Prozent; Datenquelle: IGLU 2006; eigene Berechnungen)
Unterricht. Im Vergleich zu den bisher vorgestellten Ebenen zeigt sich in pädagogischer und unterrichtsorganisatorischer Hinsicht eine deutliche Verlagerung der Verantwortung auf die Lehrkräfte. Nach Einschätzungen der Schulleitungen bei IGLU 2006 unterliegen Lehrkräften insbesondere folgende Verantwortungsbereiche (siehe Tabelle 3): Festlegung von Kriterien für die Schülerbeurteilung (69,2 Prozent), Wahl der verwendeten Lehrbücher (54,3 Prozent), Entscheidungen über außerunterrichtliche Angebote (53,8 Prozent), Entscheidungen über das Förderangebot (51,0 Prozent), Bestimmung des Lehrstoffs (46,2 Prozent). Hinsichtlich der Festlegung von Kriterien zur Schülerbeurteilung liegt der Verantwortungsgrad deutscher Schulen leicht unter dem OECD-Durchschnitt. Während die Schulleiterbefragung von PISA 2006 ergab, dass 55 Prozent der Schüler in Deutschland eine Schule besuchen, die laut Selbstauskunft der Schulleitungen die alleinige Verantwortung für diesen Bereich trägt, sind es im OECD-Durchschnitt 63 Prozent. 78,5 Prozent der Schulleitungen geben bei IGLU 2006 an, dass die Verantwortlichkeit für die Aufnahme von Schülern in die Schulen bei ihnen selbst liegt. Demgegenüber geben 61,5 Prozent der Schulleitungen an, dass Entscheidungen über das Fächerangebot nicht im Verantwortungsbereich der Schule liegen.
65
Kapitel 3
Tabelle 3: Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich unterrichtsspezifischer Handlungsbereiche innerhalb der Schule und der Verantwortung für sie (Angaben in Prozent, Mehrfachantworten möglich; Datenquelle: IGLU 2006; eigene Berechnungen)
Nicht im Verantwortungsbereich der Schule
Gremium der Schule, z. B. Schulkonferenz
Schulleitung
Fachkonferenz
Lehrkraft, Lehrerkonferenz
3,2
23,1
14,5
33,4
69,2
17,7
1,8
78,5
0,9
9,3
0,2
35,0
11,2
48,2
54,3
Bestimmung des Lehrstoffs
33,5
11,7
9,0
37,0
46,2
Entscheidung über das Fächerangebot
61,5
14,1
18,1
3,4
17,2
Entscheidung über das Förderangebot
15,0
17,1
45,9
15,1
51,0
Entscheidung über außerunterrichtliche Angebote
14,9
31,7
36,8
4,9
53,8
Festlegung von Kriterien für die Schülerbeurteilung Aufnahme von Schülern in die Schule Wahl der verwendeten Lehrbücher
In Anlehnung an Rürup (2007) ist jedoch eine weitere Verlagerung von Entscheidungsmöglichkeiten zu Lerninhalten, zur Leistungsbewertung, zur Lerngruppenorganisation und zur zeitlichen Organisation von Unterricht auf die Einzelschule denkbar. Eine diesbezügliche Vorreiterrolle nimmt das Land Niedersachsen ein, das in vielfältigen Erlassen für die einzelnen Schulformen die Einführung von Stundentafeln, Freiheiten hinsichtlich der Unterrichts- und Arbeitsformen, eine epochale Anordnung des Unterrichts und Freiheiten bei der Wahl von Lernkontrollen oder der Dauer von Unterrichtsstunden regelt. Mecklenburg-Vorpommern plant hingegen für das Schuljahr 2009/2010 die Einführung von Stundentafeln.
66
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Nur die Schule trägt Entscheidungsverantwortung
Sowohl die Schule als auch der Staat tragen Entscheidungsverantwortung
Nur der Staat trägt Entscheidungsverantwortung Festlegung von Disziplinarmaßnahmen für Schüler
Festlegung von Kriterien für die Schülerbeurteilung
Entscheidung über die Aufnahme von Schülern in die Schule
50
50
Australien Österreich Belgien Kanada Tschech. Rep. Dänemark Finnland Deutschland Griechenland Ungarn Island Irland Italien Japan Korea Luxemburg Mexiko Niederlande Neuseeland Norwegen Polen Portugal Slowakische Republik Spanien Schweden Schweiz Türkei Vereinigtes Königreich Vereinigte Staaten OECD-Durchschnitt Argentinien Aserbaidschan Brasilien Bulgarien Chile Kolumbien Kroatien Estland Hongkong (China) Indonesien Israel Jordanien Kirgisistan Lettland Litauen Macau (China) Montenegro Katar Rumänien Russische Föderation Serbien Slowenien Chinesisch Taipeh Thailand Tunesien Uruguay
0
50
100 0
100 0
100
Prozent
Abbildung 7: Einschätzung der Schulleitungen bei PISA 2006 bezüglich des Einflusses der Schulen auf schüler- und unterrichtsbezogene Entscheidungsprozesse (Angaben in Prozent; vgl. OECD 2007)
67
Kapitel 3
Nur die Schule trägt Entscheidungsverantwortung
Sowohl die Schule als auch der Staat tragen Entscheidungsverantwortung
Nur der Staat trägt Entscheidungsverantwortung Wahl der verwendeten Lehrbücher
Festlegung des Lehrstoffs
Entscheidung über das Kursangebot
50
50
Australien Österreich Belgien Kanada Tschech. Rep. Dänemark Finnland Deutschland Griechenland Ungarn Island Irland Italien Japan Korea Luxemburg Mexiko Niederlande Neuseeland Norwegen Polen Portugal Slowakische Republik Spanien Schweden Schweiz Türkei Vereinigtes Königreich Vereinigte Staaten OECD-Durchschnitt Argentinien Aserbaidschan Brasilien Bulgarien Chile Kolumbien Kroatien Estland Hongkong (China) Indonesien Israel Jordanien Kirgisistan Lettland Litauen Macau (China) Montenegro Katar Rumänien Russische Föderation Serbien Slowenien Chinesisch Taipeh Thailand Tunesien Uruguay
0
50
100 0
100 0
Prozent
Abbildung 7 (Fortsetzung): Einschätzung der Schulleitungen bei PISA 2006 bezüglich des Einflusses der Schulen auf schüler- und unterrichtsbezogene Entscheidungsprozesse (Angaben in Prozent; vgl. OECD 2007)
68
100
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Abbildung 7 stellt anhand des Datensatzes von PISA 2006 die Anteile des Einflusses von Schulen auf Entscheidungsprozesse im Bereich der Festlegung von Disziplinarmaßnahmen, der Festlegung von Kriterien für die Schülerbeurteilung, der Entscheidungen über die Aufnahme von Schülern in die Schule, der Wahl der verwendeten Lehrbücher, der Festlegung des Lehrstoffs und der Entscheidung über das Kursangebot dar. Bei den Prozentwerten handelt es sich um die Prozentsätze in Bezug auf 15-jährige Schüler an Schulen, deren Leitung das Ausmaß an Entscheidungsverantwortung in den betreffenden Bereichen angab. Im Hinblick auf den Bereich der Festlegung von Disziplinarmaßnahmen für Schüler besuchen laut Angaben der Schulleitung im OECD-Durchschnitt 82 Prozent der 15-Jährigen Schulen, die die alleinige Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich innehaben. In Deutschland wird ein ebenso großer Prozentteil der 15-Jährigen (82 Prozent) an Schulen unterrichtet, die die alleinige Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich tragen. Den größten Prozentsatz an Schülern, die Schulen mit einer alleinigen Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich besuchen, weist Japan mit 99 Prozent auf, wohingegen die Türkei mit 35 Prozent Schülern, die an Schulen mit einer alleinigen Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich unterrichtet werden, den geringsten Prozentsatz aufweist. Bezüglich der Festlegung von Kriterien für die Schülerbeurteilung werden den Angaben der Schulleitungen zufolge im OECD-Durchschnitt 63 Prozent der 15-jährigen Schüler an Schulen unterrichtet, die die alleinige Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich innehaben, während es in Deutschland ca. 55 Prozent der 15-jährigen Schüler sind, die Schulen mit der alleinigen Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich besuchen. Die Niederlande und Macau (China) weisen von allen berichtenden Ländern den größten Prozentsatz an Schülern (99 Prozent) auf, die an Schulen mit der alleinigen Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich unterrichtet werden. Luxemburg zeigt dagegen mit knappen fünf Prozent den geringsten Prozentsatz an Schülern auf, die Schulen mit einer alleinigen Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich besuchen. Hinsichtlich der Entscheidungen über die Aufnahme von Schülern in die Schule besuchen im OECD-Durchschnitt nach Angaben der Schulleitungen 74 Prozent der 15-Jährigen Schulen, denen die alleinige Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich obliegt, während in Deutschland 77 Prozent der 15-Jährigen in Schulen unterrichtet werden, die die alleinige Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich innehaben. Auch in diesem Bereich verfügt Japan von allen berichtenden Ländern über den größten Prozentsatz an Schülern (99 Prozent), die Schulen mit einer alleinigen Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich besuchen. Von allen dargestellten Ländern weist Serbien dabei den geringsten Prozentsatz an Schülern auf, die Schulen besuchen, die über die alleinige Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich verfügen. Im Hinblick auf die Wahl der verwendeten Lehrbücher besuchen im OECD-Durchschnitt 80 Prozent der Schüler Schulen, die eine alleinige Entscheidungsverantwortung aufweisen. In Irland, Dänemark, Niederlande, Neuseeland und Macau (China) werden 100 Prozent der Schüler an Schulen unterrichtet, die über eine alleinige Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich verfügen. In Deutschland besuchen 79 Prozent der Schüler Schulen, die die alleinige Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich aufweisen. In Tunesien besuchen dagegen null Prozent der Schüler Schulen, die eine alleinige oder anteilige Entscheidungsverantwortung für die Auswahl der verwendeten Lehrbücher innehaben. Bezüglich der Entscheidungen über die Festlegung des Lehrstoffs, der in der Schule
69
Kapitel 3
vermittelt werden soll, werden im OECD-Durchschnitt nach Angaben der Schulleitungen 43 Prozent der Schüler an Schulen unterrichtet, denen die alleinige Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich obliegt, während in Deutschland sogar nur 23 Prozent der Schüler Schulen besuchen, die über die alleinige Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich verfügen. In diesem Bereich ergeben nur die Antworten aus den asiatischen Staaten Japan, Korea, Macau (China) und Thailand sowie aus Polen, dass über 90 Prozent der Schüler an Schulen unterrichtet werden, die über eine hohe Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich verfügen. Schüler in Griechenland und Luxemburg besuchen dagegen Schulen, die keinen oder nur einen anteiligen Einfluss bei dieser Entscheidung innehaben. Im Hinblick auf die Entscheidungen über die Festlegung der Kursangebote in den Schulen werden laut Angaben der Schulleiter im OECD-Durchschnitt 51 Prozent und in Deutschland sogar 79 Prozent der 15-Jährigen an Schulen unterrichtet, die die alleinige Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich aufweisen. Dagegen besuchen über 90 Prozent der Schüler in den Staaten Japan, Macau (China), Hongkong und Neuseeland Schulen, die die alleinige Entscheidungsverantwortung in diesem Bereich aufweisen. In Luxemburg und Tunesien liegt nach Angaben der Schulleitungen der Prozentsatz an Schülern, die in Schulen unterrichtet werden, die allein ein hohes Maß an Entscheidungsverantwortung für diesen Bereich haben, bei null. Bei der konkreten Umsetzung von Autonomie in der Gestaltung des Unterrichts zeigt sich bei den in IGLU 2006 abgefragten Items noch eher Zurückhaltung. In Abbildung 8 werden Initiativen und Regelungen der Schulen im Hinblick auf den Leseunterricht aus Sicht der Schulleitung dargestellt. Nur 21,2 Prozent der Schulen verfügen über individuelle Richtlinien hinsichtlich der Koordination des Leseunterrichts unter den Lehrkräften. In 29,5 Prozent der Schulen wurde ein eigenes schriftliches Elaborat des Lehrplans für das Lesen ausgearbeitet. Eigens organisierte Fortbildungsprogramme im Hinblick auf die Qualität des Leseunterrichts stehen den Lehrern in 36,3 Prozent der Schulen zur Verfügung und 85,3 Prozent der Schulen führen immerhin informelle Initiativen, z. B. Bücherclubs, durch, um Schüler zum Lesen zu ermuntern. Ja
Eine eigene schriftliche Ausarbeitung des Lehrplans für das Lesen, nach dem an dieser Schule unterrichtet werden soll
29,5
70,5
Informelle Initiativen, um Schüler zum Lesen zu ermuntern (z. B. Bücherclubs etc.)
85,3
Von der Schule organisierte Fortbildungsprogramme für Lehrer mit dem Ziel, die Qualität des Leseunterrichts zu verbessern
14,7
36,3
Eigene Richtlinien darüber, wie der Leseunterricht unter den Lehrkräften koordiniert werden soll
63,7
21,2
0
10
78,8
20
30
40
50
60
70
80
Prozent
Abbildung 8: Aussagen der Schulleitungen zu Initiativen und Regelungen der Schulen in Bezug auf den Leseunterricht (Angaben in Prozent; Datenquelle: IGLU 2006; eigene Berechnungen)
70
Nein
90
100
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Abbildung 9 verdeutlicht das durchschnittliche Ausmaß an Kooperation der Lehrkräfte untereinander, aufgeteilt nach inhaltlichen Bereichen. Die Schulleitungen konnten die Kooperationsinhalte dabei auf einer vierstufigen Skala von 1 („trifft gar nicht zu“) bis 4 („trifft genau zu“) einschätzen. Es wird deutlich, dass die Zusammenarbeit der Lehrkräfte bezüglich der gemeinsamen Planung von Unterrichtseinheiten oder Projekten (M=3,2) sowie die gemeinsame Förderung von lernschwachen Schülern (M=3,2) im Mittel am stärksten ausgeprägt ist. Die gemeinsame Durchführung von Unterrichtsstunden (M=1,9) sowie die gegenseitige Unterrichtsbeobachtung (M=1,8) wird dagegen selten bis gar nicht praktiziert.
Vorbereitung einzelner Unterrichtsstunden Gemeinsame Planung ganzer Unterrichtseinheiten oder Projekte Fachübergreifende Behandlung von Unterrichtsthemen Gemeinsame Durchführung von Unterrichtsstunden Einführung und Erprobung neuer Unterrichtsideen und Methoden Gegenseitige Unterrichtsbeobachtung Gegenseitige Abstimmung des Umgangs mit Hausaufgaben Fachübergreifende Diskussion von Schülerleistungen Begleitung und Beratung neuer Lehrkräfte Gemeinsame Förderung von lernschwachen Schülern Gesamtmittelwert
1
2
3
4
Abbildung 9: Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich Kooperationsinhalten der Lehrkräfte (vgl. Bos u. a. 2009)
Rechenschaftspflicht und Qualitätssicherung in der Schule. Die mit dem Wechsel von der Input- zur Output-Steuerung erforderlich gewordenen Systeme zur Rechenschaftspflicht und Qualitätssicherung zeigen sich für die Schulen in der Einführung von Bildungsstandards, die von der KMK im Mai 2002 verabschiedet wurden (zunächst für den mittleren Schulabschluss und den Hauptschulabschluss nach Klasse 9; im Jahr 2006 für die Primarstufe). Bildungsstandards sind Leistungsstandards, die jene fachbezogenen Kompetenzen beschreiben, die Schüler bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem jeweiligen Bildungsgang erreicht haben sollen. Die Standards sind für alle 16 Bundesländer verbindlich. Sie können als Grundlage für die Evaluation von Bildungs-Outcomes dienen, da ihre Erreichung mit Hilfe von Testaufgaben (auf der Grundlage von Kompetenzmodellen) operationalisiert und überprüft werden kann. Ob die Bildungsstandards erreicht werden, wird im Rahmen der im Juni 2006 verabschiedeten „Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring“ regelmäßig überprüft. Diesem Zweck dient unter anderem die für jeden Schüler verpflichtende Teilnahme an Vergleichsarbeiten, durch deren Ergebnisse die relativen Leistungsstände der einzelnen Schulen beschrieben werden können. Anhand von standardbezogenen Tests sollen in Zukunft auch
71
Kapitel 3
die Leistungsvergleiche zwischen den Bundesländern durchgeführt werden. Inwieweit die Bildungsstandards tatsächlich erreicht werden, wird in einer regelmäßigen gemeinsamen Bildungsberichterstattung von Bund und Ländern dokumentiert. Gerade im Hinblick auf Ländervergleiche stellt sich die Frage, wo der Cut-off-Wert für die Erreichung bzw. Unterschreitung von Bildungsstandards gesetzt werden soll (so genannte Mindeststandards: Minimalniveau der Bildungsstandards, das alle Schüler erreichen müssen). Neben den länderübergreifenden Qualitätssicherungsmaßnahmen der KMK existieren weitere länderspezifische Maßnahmen. Zu diesen gehören neben der Implementierung der KMK-Bildungsstandards im Unterricht (z. B. durch entsprechende Ausrichtung der Rahmenlehrpläne) die Entwicklung von Handlungs- und Orientierungsrahmen zur Schulqualität (zur Festlegung von Merkmalen und Messkriterien schulischer Qualität), die Teilnahme an den landesweiten Vergleichsarbeiten, die Einführung zentraler Abschlussprüfungen (mittlerer Schulabschluss, Zentralabitur) und die Einführung von Schulprogrammen. In einer Reihe von Ländern wird, etwa dem Beispiel der Niederlande folgend, jede einzelne Schule in regelmäßigen Abständen durch die Schulinspektion besucht und evaluiert. Damit erhält die herkömmliche Schulaufsicht neue Funktionen, etwa die, Ergebnisse der Schulinspektionen sowie der regionalen und überregionalen Leistungsmessungen in eine angemessene Steuerung einzelner Schulen oder des Schulsystems im Gesamten zu übersetzen. Zu den länderübergreifenden Qualitätssicherungsstrategien gehört weiterhin die Beteiligung an internationalen Schulleistungsuntersuchungen (PISA, TIMSS, IGLU). Der internationale Vergleich im Rahmen von PISA 2009 wird erstmals mit einem auf die Bildungsstandards bezogenen Ländervergleich gekoppelt werden. In Analogie zur Einführung von Bildungsstandards für das Lernen von Schülern wird die Etablierung von Standards für die Ausbildung von Lehrern angestrebt. Mit diesem Ziel hat die KMK eine Expertise erstellen lassen, mithilfe derer Standards für Lehrerbildung und Möglichkeiten der Überprüfung der Einhaltung dieser Standards entwickelt werden sollten (vgl. Terhart 2002). Als Kritik an den schulischen Qualitätssicherungsinstrumenten wird vorgebracht, dass durch landesweite Vergleichsarbeiten oder zentrale Prüfungen keine „fairen Vergleiche“ geschaffen werden: Schulen arbeiten unter extrem verschiedenen Bedingungen und mit einer sehr unterschiedlich zusammengesetzten Schülerschaft, so dass ungleiche Chancen bestehen, vereinheitlichten Bewertungsstandards zu entsprechen. Weiter wird kritisch ins Feld geführt, dass die Qualität einer Bildungseinrichtung sich besser am Arbeitsmarkt, auf den die Absolventen entlassen werden, direkt bewähren sollte. Bei der Schulleiterbefragung von IGLU 2006 wurde der Stellenwert bestimmter Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung an der jeweiligen Schule relativ positiv bewertet. Den Schulleitungen stand dabei eine vierstufige Skala von 1 („unwichtig“) bis 4 („sehr wichtig“) zur Verfügung (siehe Abbildung 10). Sie geben im Durchschnitt an, dass die Diskussion über die aktuellen Probleme der Schule, ihre Ursachen und mögliche Verbesserungsvorschläge am wichtigsten sind (M=3,6). Des Weiteren wird von ihnen die gemeinsame Vereinbarung von Entwicklungsprioritäten für die Schule als wichtig angesehen (M=3,4). Der Einsatz von eben erwähnten standardisierten Leistungstests und die schriftliche Festlegung von Leistungsstandards und Qualitätsindikatoren werden mit einem Mittelwert von 2,8–2,9 als tendenziell wichtig erachtet, wenn auch weniger deutlich als die beiden zuvor genannten Maßnahmen.
72
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Gemeinsame Vereinbarung von Entwicklungsprioritäten für die Schule Diskussion über die aktuellen Probleme der Schule, ihre Ursachen und mögliche Verbesserungsvorschläge Einsatz von standardisierten Leistungstests zur Überprüfung der erreichten Schülerkompetenzen Schriftliche Festlegung von Leistungsstandards, die an dieser Schule in verschiedenen Bereichen von den Schülern erreicht werden sollen Festlegung von Qualitätsindikatoren, deren Messung künftig Auskunft über die Erreichung der Ziele der Schule gibt Erstellung eines Medienkonzepts Gesamtmittelwert
1
2
3
4
Abbildung 10: Einschätzung der Schulleitungen zum Stellenwert der Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung in den Schulen (Datenquelle: IGLU 2006; eigene Berechnungen)
Für die Schulen zeigt sich die Internationalisierung der Vergleichsperspektive in der Beteiligung an internationalen Schulleistungsuntersuchungen (PISA, TIMSS, IGLU). Hiermit werden Bund und Länder der neuen Anforderung gerecht, „auf Grund von Vereinbarungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und in diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen“ zusammenzuwirken (Neufassung von Artikel 91 b Absatz 2 GG nach der Föderalismusreform). Obwohl mit der oben beschriebenen Qualitätssicherung schulischer Bildung in Deutschland Verantwortung und Pflicht zur Rechenschaftslegung für jede einzelne Schule und jede einzelne Lehrperson deutlich verstärkt worden sind, zeigt der internationale Vergleich, dass die Maßnahmen hinter den in anderen Ländern (z. B. England, USA) praktizierten deutlich zurückbleiben. Hier sind Schulen sehr viel weiter gehend rechenschaftspflichtig, da das Nichterreichen bestimmter Mindeststandards definierte Maßnahmen (z. B. Sanktionen für die Schulen, Förderinterventionen für die Lernenden) nach sich zieht. Derzeit treffen Schritte zur Qualitätssicherung in Deutschland insbesondere bei Lehrern auf eine geringe Akzeptanz – so dass eine weitere Verschärfung der Pflicht zur Rechenschaftslegung derzeit nicht empfehlenswert erscheint.
3.3
Nutzung und Wirkung von Autonomie
Verbreitung und Nutzung von Autonomie. Der Bericht „Bildung auf einen Blick“ der OECD aus dem Jahr 2008 zeigt anhand des Sekundarbereichs, auf welchen Ebenen des Bildungssystems Entscheidungen getroffen werden. Deutschland wird als eines der Länder herausgehoben, für das die Bundesregierung (central government) insgesamt weniger als zehn Prozent der bildungspolitischen Entscheidungen trifft. Dieses Ergebnis erscheint vor dem Hintergrund der Länderhoheit in der Bildungspolitik nicht verwunderlich. Ebenso wie in Österreich, Frankreich, Island und Norwegen sei die Entscheidungsfindung stärker auf verschiedene
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Kapitel 3
Ebenen verteilt (vgl. OECD 2008). Während die bildungspolitische Entscheidungsfindung zwischen den Erhebungszeitpunkten 2003 und 2007 in fast der Hälfte aller untersuchten Länder vermehrt dezentralisiert wurde, ist für Deutschland nahezu keine Veränderung hinsichtlich einer Verlagerung von Entscheidungskompetenzen festzustellen (vgl. OECD 2008). Rürup (2007) kommt in Folge der Aufbereitung aller als schulautonomiebezogen identifizierten Veränderungen im Schulrecht sämtlicher Bundesländer im Zeitraum von Oktober 1990 bis Dezember 2004 zu dem Schluss, dass „von einer grundsätzlichen bundesweiten Integration der Schulautonomieentwicklungen in den Ländern ausgegangen werden kann: Deutlich differenzierte und miteinander konkurrierende regionale oder parteibezogene Konzepte von ‚Schulautonomie‘ waren nicht aufzufinden“ (Rürup 2007, S. 313). Auch in dem ersten Ergebnisband zu PISA 2000 ist der ermittelte Indexwert für Schulautonomie in Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Mitgliedsstaaten unterdurchschnittlich ausgeprägt (vgl. OECD 2001). Fend kommt in seinen Ausführungen „Schule gestalten“ zu nachfolgender Konklusion: Kernmerkmal des deutschen Bildungswesens sind die staatliche Verantwortung und die Einbindung ihrer Träger in eine hierarchisch gestaltete Beamtenstruktur. Es ist verfahrensorientiert und sämtliche Vorgänge sind hochgradig verrechtlicht. Die Autonomie der Schulen ist somit eingeschränkt und ihre Möglichkeiten, sich zu profilieren, halten sich in Grenzen (vgl. Fend 2008). Allerdings stellt Rürup (2007) für den Zeitraum von Oktober 1990 bis Dezember 2004 in Deutschland einen Anstieg politischen Engagements im Bereich neuer Steuerungsansätze fest. Neue Gestaltungsfreiheiten der Einzelschulen lassen sich für diesen Zeitraum vorwiegend in unterrichtsfernen Entscheidungsfeldern der Personal- und Sachmittelbewirtschaftung identifizieren (vgl. Rürup 2007, S. 198ff.). Die Selbstständigkeit der Schule wird sich jedoch daran messen lassen müssen, über welche Handlungskompetenzen diese im Kernbereich, dem Unterricht, verfügt. Erst durch die Gestaltung der schulbezogenen Stundentafeln, Curricula und Erziehungskonzepte erhält die einzelne Schule ein eigenes pädagogisches Konzept und Profil. Wenngleich durch eine verstärkte Kompetenzorientierung in den Lehrplänen Lerninhalte weniger detailliert vorgegeben und somit Freiräume hinsichtlich der Auswahl von Themen oder der Stundenrichtwerte eröffnet werden, sind die Entscheidungsspielräume bei der Stundentafel sowie der Leistungsbewertung als relativ gering einzuschätzen. Der Umgang mit ebensolchen Freiheiten wurde lediglich in Modellprojekten erprobt, ihre uneingeschränkte und weitreichende Übertragung auf sämtliche Schulen blieb aus. Allerdings werden die Schulen – auch durch eine entsprechende Formulierung in den Schulgesetzgebungen – zu selbstständigem und eigenverantwortlichem Handeln aufgefordert. Der Einfluss einer solchen Symbolik ist nicht zu unterschätzen; mit den Orientierungsvorgaben kann jedoch auch leicht politische Handlungs- und Innovationsfähigkeit aufgezeigt werden, ohne dass daraus konkrete Handlungszwänge folgen (vgl. Rürup 2007, S. 229). In einem weiteren Schritt ist zu bewerten, inwiefern die Schulen vorhandene Handlungsspielräume faktisch nutzen. Insgesamt ist auch hier eine deutliche Zurückhaltung erkennbar, obwohl deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Schulen bestehen. Folgt man der These, dass Schulen zur Nutzung der Freiheiten Kompetenzen der Selbststeuerung benötigen, wird der Erfolg des Konzepts erweiterter Selbstständigkeit auch daran festzumachen sein, inwiefern die Kollegien in die Lage versetzt werden, mit den Freiheiten adäquat umzuge-
74
Regulierung und Deregulierung in der Schule
hen. Kontraproduktiv für das zur Ausgestaltung der schulischen Selbstständigkeit erforderliche Engagement und die Schulentwicklungsarbeit innerhalb der einzelnen Schulen wirkt die gleichzeitige Einräumung von Freiheiten und Übertragung von Aufgaben ohne jegliche Entlastung. Eine neue Konfiguration des Bildungswesens – wie durch die Einführung von Lernstandserhebungen, zentralen Abschlussprüfungen und anderen Elementen von Controlling und Rechenschaftslegung auf der einen Seite sowie Einräumung von Freiheiten und Übertragung von Verantwortung zur Prozessgestaltung auf der anderen Seite – muss auf Konsistenz geprüft werden. Wird ein Glied in der Kette ausgelassen oder falsch konstruiert, können unvorhergesehene negative Effekte entstehen (vgl. Fend 2008). Outcomes von Schulen. Da die Auswirkungen von Autonomie auf die Leistungsfähigkeit der Schule, also letztlich die Outcomes, wesentlich sind, wurden bereits mehrere Studien zu diesem Zusammenhang durchgeführt. Auch der Zusammenhang zwischen Leseleistung und dezentraler Steuerung wurde empirisch überprüft. In einer Studie von Maslowski, Scheerens und Luyten (2007), die hier als Ausgangspunkt für eigene Analysen mit Daten aus IGLU 2006 dient, wurde basierend auf dem Datensatz von PISA 2000 überprüft, inwiefern die Annahme eines Zusammenhangs von Schulautonomie und Schulleistung empirisch gestützt werden kann. Zu diesem Zweck wurden bei Maslowski, Scheerens und Luyten (2007) vier Bereiche der Autonomie und der internalen Dezentralisierung betrachtet: Personalmanagement (z. B. das Einstellen von Lehrern), finanzielle Ressourcen (z. B. die Zuweisung des Schulbudgets), Schülerpolitik (z. B. Entscheidungen über die Disziplinarpolitik) und Curriculum (z. B. die Bestimmung über die Lehrinhalte). Diese Studie wurde anhand des Datensatzes der Studie IGLU 2006 und der nationalen Erweiterung IGLU-E 2006, bei der die Leseleistungen von Kindern am Ende der vierten Jahrgangsstufe getestet wurden und zusätzlich mithilfe von Schüler-, Lehrer-, Schulleiter- und Elternfragebögen relevante Rahmenbedingungen des Lesenlernens in Schule und Elternhaus erfasst wurden, repliziert. Wie bei der Analyse von Maslowski und Kollegen (2007) wurden Mehrebenenmodelle mit Leseleistung als abhängiger Variablen berechnet, wobei die geclusterte Datenstruktur berücksichtigt wurde. Differenziert wurde hier zwischen Individual- und Schul- bzw. Klassenebene. Auf Individualebene wurden, neben der Leseleistung als abhängiger Variablen, entsprechend den vorliegenden Analysen mit PISA 2000-Daten folgende Variablen als Kontrollvariablen berücksichtigt: Geschlecht, Alter, elterlicher HISEI (Highest International Socio-Economic Index of Occupational Status) und Migrationshintergrund der Schüler. Auf Schulebene wurde für die Analysen auf Grundlage des IGLU 2006-Datensatzes neben den vier von Maslowski, Scheerens und Luyten (2007) betrachteten Bereichen der Autonomie und Dezentralisierung (Personalmanagement, Schülerpolitik, finanzielle Ressourcen und Curriculum) ein fünfter Bereich gebildet, der als außerunterrichtliches Förderangebot bezeichnet wurde. Inhaltlich geht es hier um Entscheidungen über das Fächerangebot und über außerunterrichtliche Angebote der Schulen. Für die Indexbildung wurden in einem weiteren Schritt diejenigen Items aus der Itembatterie des Schulleiterfragebogens ausgeschlossen, die aufgrund administrativer Restriktionen keine Varianz erwarten ließen. Es handelte sich dabei um die Entlassung von Lehrkräften, die Festlegung der Anfangsgehälter der Lehrkräfte und die Entscheidung über das Fächerangebot.
75
Kapitel 3
Zusätzlich wurden in Anlehnung an die Studie von Maslowski, Scheerens und Luyten (2007) folgende Variablen als Kontrollvariablen auf Schulebene hinzugenommen: Schüleranzahl pro Klasse, Urbanisierungsgrad des Ortes, an dem sich die Schule befindet (dummykodiert: ländliche Region, vorstädtische Region, Referenzkategorie: städtische Region), und der HISEI im Klassenmittel. Auf Klassenebene ergaben sich drei signifikant negative Zusammenhänge zwischen einer erweiterten Autonomie und der Leseleistung der Schüler. Demnach zeigten Schüler an Schulen mit einem höheren Ausmaß an Autonomie im Personalmanagement, im Curriculum und im außerunterrichtlichen Förderangebot im Mittel eine geringere Leseleistung als Schüler an Schulen mit weniger Autonomie in diesen Bereichen. Eine erhöhte Autonomie im Bereich der Schülerpolitik und finanzieller Ressourcen hing nicht signifikant mit der Leseleistung der Schüler zusammen. Ebenso wiesen alle Bereiche erhöhter Dezentralisierung keinen signifikanten Zusammenhang mit der Leseleistung auf. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Schüler an Schulen mit einer vergleichsweise hohen Autonomie im Bereich von Personalmanagement, Curriculum sowie außerunterrichtlichen Förderangeboten eine geringere Leseleistung als Schüler an Schulen mit geringerer Autonomie in diesen Bereichen aufwiesen. Die Dezentralisierung in den verschiedenen Bereichen zeigte keinen Effekt. Diese Ergebnisse könnten nahelegen, auf eine Autonomisierung der Schulen eher zu verzichten. Anzumerken ist aber, dass es sich bei der Einschätzung des Ausmaßes an Autonomie und Dezentralisierung in den fünf unterschiedenen Bereichen um Einschätzungen einzelner Schulleitungen handelt, die subjektiv sind. Weitere Forschungsbemühungen in diesem Gebiet könnten sich entsprechend auf einen anderen Weg der Bestimmung des Ausmaßes der Schulautonomie und Dezentralisierung richten. Andererseits können diese Ergebnisse aber auch als mögliche Hinweise darauf gedeutet werden, dass es den Schulleitungen und Kollegien in Deutschland noch nicht gelingt, effektiv mit erhöhter Autonomie umzugehen und diese optimal zu nutzen. Offensichtlich gelingt es nicht, die Freiräume erweiterter Autonomie zur Verbesserung des Kerngeschäfts, des Fachunterrichts, zu nutzen. Ähnliche Befunde finden sich z. B. auch in der Ganztagsschulforschung (vgl. Bos/Klieme/Radisch 2006). Auch hier gelingt es bisher nicht, die neuen Möglichkeiten zur Verbesserung des Unterrichts und zur besseren Förderung von Schülern auszuschöpfen. D. h. aber in der Folge, dass strukturelle Veränderungen, wie größere Autonomie, ihre pädagogische Wirksamkeit ohne intensive begleitende Schulentwicklungsmaßnahmen nur unzureichend erfüllen. Aus diesem Grund sollte auch die Schulentwicklungsforschung hinsichtlich des Themas der Schulautonomie deutlich ausgebaut werden. Inspektion und Leistung. In einem ähnlichen Licht müssen die Erfahrungen mit unterschiedlichen Formen der Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen bzw. der Selbstständigkeit von Schule in den USA gesehen werden. Leithwood und Menzies (1998a) haben beispielsweise eine umfängliche Übersicht über Forschungsarbeiten zur Implementation von Site-Based-Management (SBM) in den USA vorgelegt, wo bereits seit den 1970er Jahren Erfahrungen gesammelt worden sind. Zum besseren Verständnis der dort referierten Befunde ist zunächst auf eine von den Autoren vorgenommene Differenzierung des Begriffs hinzuweisen, die drei Konzepte von SBM unterscheidet (vgl. Leithwood/Menzies 1998a, S. 234):
76
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Administrative Control SBM: Die Entscheidungsbefugnisse in den Bereichen Personal, Curriculum und Budget werden dem „central district“ oder „board“ zugewiesen. Dies würde im deutschen Schulsystem am ehesten der lokalen Ebene der Kreise und kreisfreien Städte entsprechen. Diese Form des SBM soll zu einer besonders effektiven Nutzung der vorhandenen Ressourcen führen, wobei von einer dezentralisierten Zentrale ausgegangen wird, also einer zentralen Einrichtung in den jeweiligen Regionen. Dieser Ansatz fokussiert stärker Elemente einer Verwaltungsreform als Aspekte einer Reform des Unterrichts. Professional Control SBM: In dieser Variante wird die Entscheidungskompetenz auf die Ebene der Lehrkräfte verlagert. Protagonisten dieser Variante argumentieren, dass die pädagogisch verantwortlichen Personen vor Ort über das geeignete Wissen verfügen, um Entscheidungen im Sinne der Schüler zu treffen. Ressourcen würden – so die Argumentation – auf diesem Wege effektiver, gemessen an pädagogischen Kriterien, eingesetzt. Personalentscheidungen, wie etwa die Einstellung von neuen Lehrkräften, sind allerdings nur gelegentlich in dieses Konzept integriert worden. Community Control SBM: Dies ist in gewisser Weise eine radikal demokratische Form der Entscheidungsverlagerung auf gewählte Bürger einer Kommune (vergleichbar einem ehrenamtlichen Aufsichtsrat oder Beirat mit Entscheidungsbefugnissen; ähnliche Formen finden sich beispielsweise auch in der Schweiz). Diese Form setzt die in den Kommunen vertretenen Werte über diejenigen, die von Lehrkräften oder Administratoren eingebracht werden. Die Kommune entscheidet gemeinsam über die Bildungsinhalte und die weiteren Rahmenbedingungen von Schulbildung. Ihre Meta-Analyse von über 80 Studien endet mit einem eher ernüchternden Kommentar hinsichtlich der Wirksamkeit von SBM: “However, evidence from our review of research on the forms and effects of SBM suggests not only that each of these levers may be inadequate for the purpose but that even in combination they do not seem to have the power to create significantly more productive school organizations. Results of the present review of implementation obstacles and strategies helps to clarify why this is the case and what might be done about it” (Leithwood/Menzies 1998a, S. 277). In einer weiteren Veröffentlichung legen die beiden Autoren in Bezug auf belegbare Effekte folgende fünf Befunde vor (vgl. Leithwood/Menzies 1998b): Es lässt sich kein eindeutiger Wirkzusammenhang zwischen SBM und Schülerleistungen feststellen. Der geringste Effekt wird der Form des Administrative Control SBM zugeschrieben. Die größten Effekte auf die Entwicklung der Schule finden sich bei Formen des Community Control SBM. Diese Form erfordert zudem die größten Anpassungsleistungen von Lehrkräften und Schulleitungen. Die Unterrichtspraxis wird bei Formen des Professional Control SBM am stärksten beeinflusst. Entsprechend ist bei diesem Konzept die Wahrscheinlichkeit am größten, dass Schülerleistungen positiv beeinflusst werden. Professional Control SBM führt in vielen der beobachteten Fälle zu einer Steigerung der Rechenschaftspflicht und somit der Verantwortung gegenüber den Eltern.
77
Kapitel 3
Der nicht eindeutige Zusammenhang zwischen Schulautonomie und Schülerleistungen könnte wiederum zum Teil in der besprochenen Komplementarität mit Accountability-Maßnahmen begründet sein, die hier nicht berücksichtigt wird. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass in Deutschland zumeist Mischformen aus Administrative Control SBM und Professional Control SBM diskutiert werden. Eine radikale Einbeziehung von „Nichtprofessionellen“, die über die eher geringen Befugnisse von Eltern im Rahmen der Schulkonferenz hinausgeht, ist derzeit kein zentraler Bestandteil der Überlegungen. Freie Trägerschaft bei öffentlicher Finanzierung. Umfassende Analysen der internationalen Vergleichsstudien – seien es TIMSS oder die verschiedenen PISA-Studien – belegen eindeutig und wiederholt, dass Schulsysteme, die mehr Schulen in nichtöffentlicher Trägerschaft haben, bessere Schülerleistungen erzielen (vgl. etwa Wößmann 2009; Wößmann u. a. 2009). Demgegenüber belegen die Ergebnisse auf der Seite der Finanzierung, dass öffentliche Finanzierung zu besseren Ergebnissen führt. Dies gilt ganz besonders, wenn sie privat geleitete Schulen finanziert (vgl. Wößmann 2009). Die positiven Ergebnisse von der Kombination aus privater Trägerschaft mit öffentlicher Finanzierung sind in Abbildung 11 für eine internationale Analyse der PISA-2003-Ergebnisse dargestellt: Länder, die relativ hohe Anteile privater Schulträgerschaft mit relativ hohen Anteilen staatlicher Finanzierung verbinden, schneiden am besten ab, während Länder mit rein staatlicher Trägerschaft und relativ großer privater Finanzierung systematisch am schlechtesten abschneiden.
80 Punktdifferenz in Mathematik (relativ zur niedrigsten Kategorie)
70
70,9
60 50 40
33,9
30 36,9
20 10
Hoch
0,0
(z. B. Schweden, 100 Prozent)
0 Niedrig (z. B. Norwegen, 1 Prozent)
Niedrig Hoch
Anteil staatlicher Finanzierung
(z. B. Türkei, 55 Prozent)
(z. B. Irland, 61 Prozent)
Anteil privater Trägerschaft
Abbildung 11: Private Trägerschaft, öffentliche Finanzierung und PISA-Leistungen (basierend auf Wößmann u. a. 2009) Anmerkung: Leistungsunterschied im Verhältnis zur niedrigsten Ergebniskategorie, nach Herausrechnung zahlreicher weiterer Einflussfaktoren. Basierend auf einer internationalen multiplen Regression auf Schülerebene anhand der PISA-2003-Mikrodaten. Die angegebenen Länder und Prozentwerte entsprechen jeweils den drittniedrigsten und -höchsten Werten unter den Teilnehmerländern.
78
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Ein gutes Beispiel für ein System öffentlich finanzierter Schulen in privater Trägerschaft bieten die Niederlande. Dort besuchen drei Viertel aller Schüler privat geleitete Schulen (oftmals in kirchlicher Trägerschaft), die alle die gleiche staatliche Finanzierung erhalten wie die öffentlich geleiteten Schulen. Damit können die Niederlande als mögliches Modell für die Kombination aus öffentlicher (Pro-Kopf-)Finanzierung und verbreiteter privater Trägerschaft mit elterlicher Wahlfreiheit gelten (vgl. hierzu und zum Folgenden Patrinos 2002). In den Niederlanden besteht für die Eltern grundsätzlich die Freiheit, die Schule für ihre Kinder selbst zu wählen. Es gibt keine festgelegten Einzugsgebiete (Schulsprengel). So können die meisten Eltern zwischen mehreren Schulen auswählen. Diese Wahlfreiheit ist letztlich durch die gleichmäßige öffentliche Finanzierung aller Schulen in Abhängigkeit von der Anzahl der Schüler, die sich für eine Schule entscheiden, sichergestellt. Die schulische Wahlfreiheit ist in der niederländischen Verfassung festgeschrieben. Gleichzeitig besteht die Freiheit, Schulen zu gründen, den Unterricht in den Schulen zu organisieren und ihre grundlegenden Prinzipien zu bestimmen. So haben viele Schulen ein eigenes Schulprofil entwickelt. Gleichwohl unterstehen alle Schulen der öffentlichen Schulaufsicht, und alle Schüler müssen sich den nationalen Abschlussprüfungen unterziehen. So wird eine Einheitlichkeit der Lehrziele und -standards sichergestellt. In Tageszeitungen werden die Ergebnisse der Prüfungen veröffentlicht, und das Schulinspektorat veröffentlicht detaillierte Berichte über die inspizierten Schulen. So werden der Öffentlichkeit Informationen über die Schulen bereitgestellt, die eine informierte Wahl ermöglichen. Externe Leistungsmessung und Leistungsstände. Sekundäranalysen sowohl des Bundesländer- als auch des internationalen Vergleichs von Schülerleistungen im Rahmen von TIMSS und PISA belegen, dass Schülerleistungen dort wesentlich besser sind, wo es vergleichbare Prüfungen der verschiedenen Abschlüsse wie das Zentralabitur gibt (vgl. Wößmann 2007, 2008). Anhand der internationalen PISA-2003-Daten konnte belegt werden, dass eine Reihe weiterer Accountability-Maßnahmen in starkem Zusammenhang mit den erreichten Schülerleistungen steht (vgl. Wößmann u. a. 2009). Dazu gehört etwa eine weitere primär auf Schüler abzielende Maßnahme, nämlich die Nutzung von Prüfungen für Versetzungsentscheidungen. Aber auch auf Lehrer abzielende Maßnahmen wie das interne Monitoring von Unterrichtsstunden durch die Schulleitung und das externe Monitoring von Unterrichtsstunden durch Schulinspektoren wirken sich positiv auf die Schülerleistungen aus. Schließlich zeigen auch primär auf Schulen abzielende Maßnahmen wie die Nutzung von Prüfungen zum Schulvergleich in Bezug auf regionale oder nationale Leistungen positive Effekte auf die Leistungen der Schüler. Darüber hinaus belegen die internationalen Leistungsvergleiche, dass – zumindest solange externe Prüfungen vorliegen – die Schüler dort signifikant mehr lernen, wo Lehrer und Schulen mehr Selbstständigkeit haben (vgl. Wößmann 2006). Dies ist vor allem in Personalfragen und in Fragen des Tagesgeschäfts der Fall. Auch dort, wo Schulen selber über den Einkauf von Materialien entscheiden und Lehrer die Ressourcenanschaffung beeinflussen können, lernen Schüler mehr. Insbesondere legen verschiedene internationale Studien anhand mehrerer TIMSS- und PISA-Tests nahe, dass eine deutliche Komplementarität zwischen Accountability-Maßnahmen und Schulautonomie besteht (vgl. Wößmann 2008). Externe Prüfungen führen nämlich nicht nur zu wesentlich höheren Schülerleistungen, sondern auch dazu, dass sich Schul-
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Kapitel 3
Punktdifferenz in Mathematik (relativ zur niedrigsten Kategorie)
autonomie wesentlich positiver auf die erzielten Bildungsleistungen auswirkt. Abbildung 12 stellt als ein solches Beispiel die Komplementarität von zentralen Abschlussprüfungen mit Schulautonomie im Entscheidungsbereich der Kursinhalte anhand der PISA-2003-Daten dar. Während Schulautonomie in Bezug auf Kursinhalte in Schulsystemen ohne zentrale Abschlussprüfungen keinen positiven Effekt – und in PISA 2000 sogar einen signifikant negativen – hat, weist sie in Systemen mit zentralen Abschlussprüfungen einen positiven Effekt auf.
1H
Zentralprüfung
5LPU
5LPU 1H
Schulautonomie in Bezug auf Kursinhalte
Abbildung 12: Externe Prüfungen, Schulautonomie und PISA-Leistungen (basierend auf Wößmann u. a. 2009) Anmerkung: Leistungsunterschied im Verhältnis zur niedrigsten Ergebniskategorie, nach Herausrechnung zahlreicher weiterer Einflussfaktoren. Basierend auf einer internationalen multiplen Regression auf Schülerebene anhand der PISA-2003-Mikrodaten.
Ähnliche Fälle, in denen Accountability-Maßnahmen einen negativen Autonomieeffekt in einen positiven Effekt umwandeln, sind etwa für Schulautonomie in Bezug auf Bestandteile der Lehrergehälter sowie für den Lehrereinfluss auf die Finanzierung der Lehrmittel belegt (vgl. dazu auch die Diskussion der neuen Steuerungsmodelle im Jahresgutachten 2007 des AKTIONSRATSBILDUNG, vbw 2007). Modellprojekte für Schulautonomie in Deutschland. Der Gestaltungswille der Bildungspolitik in Deutschland ist erkennbar durch die Vielzahl von Reformansätzen zur Dezentralisierung, zur Qualitätsentwicklung und zur Leistungskontrolle. Der Reformmonitor des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) stellt die Reform- und Innovationsfähigkeit jedes Bundeslandes in den Schwerpunkten „Bildungspolitische Ziele“, „Strategien und Instrumente der Qualitätssicherung“, „System-/Personalmanagement“, „Schulkultur“ sowie „Lehren und Lernen“ dar. Bezüglich Bildungsstandards, Evaluation und Schulautonomie befinden sich viele Bundesländer auf dem richtigen Weg. Allerdings haben offenbar einige Länder noch Schwierigkeiten, „die Dezentralisierung von Verantwortung im Schulsystem in Richtung einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Schule konsequent durchzudeklinieren“ (iwd 2008, S. 28).
80
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Die einzelnen Projekte in den Bundesländern sind in ihrer Schwerpunktsetzung überaus unterschiedlich: So sind beispielsweise in dem Schulversuch „MODUS 21“ des Bundeslandes Bayern die Schwerpunkte Qualität von Unterricht und Erziehung, Personalmanagement und Personalführung, inner- und außerschulische Partnerschaften sowie Sachmittelverantwortung vordergründig und es wird den teilnehmenden Schulen eine weitere Fokussierung überlassen. Rheinland-Pfalz hingegen strebt mit dem Modellversuch „Projekt Erweiterte Selbstständigkeit“ (PES) eine Qualitätsentwicklung durch Aktivitäten in der Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung, gute Unterrichtsversorgung, mehr Verantwortung für inhaltliche, organisatorische, personelle und finanzielle Gestaltung der schulischen Entwicklungsprozesse, Vermeidung von temporärem Unterrichtsausfall durch die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Schulen, Vertretungsregulierung und Lehrkräfteeinsatz sowie Vertretungsbudget zur Regulierung kurzfristigen Vertretungsbedarfs an. Auch das Pendant zu schulischer Selbstständigkeit, die externe Evaluation und Rechenschaftslegung, wird im Rahmen von Modellprojekten wie „Externe Evaluation im Team – EVIT“ in Schleswig-Holstein erprobt. Schleswig-Holstein hat als erstes Bundesland im Jahr 2004 flächendeckend die externe Evaluation von Schulen im Team eingeführt. Auch in der Reichweite der Modellversuche unterscheiden sich die Bundesländer: Während Baden-Württemberg mit dem Konzept „Operativ eigenständige Schule“ die beruflichen Schulen in den Blick nimmt, waren im Modellvorhaben „Selbstständige Schule“ in NordrheinWestfalen bis zum Schuljahr 2008/2009 278 Schulen aller Schulformen vertreten. Fast alle Bundesländer verpflichten die Schulen oder fordern sie zumindest auf, ein eigenes Schul- und Unterrichtsprofil zu entwickeln und dieses in einem Schulprogramm festzuschreiben. In einer zusammenfassenden Einschätzung stellt Rürup (2007) die Länder Niedersachsen, Brandenburg, Hessen, Berlin und Bremen als diejenigen Länder mit dem größten Engagement bzw. mit einer Vorreiterrolle hinsichtlich der Idee „Schulautonomie“ heraus (vgl. Rürup 2007, 267ff.). Länder, die infolge eines Einbezugs der Datenlage bis Ende 2004 als zurückhaltend agierend eingestuft wurden (Saarland, Baden-Württemberg, Thüringen), beschreiten den Weg einer erweiterten schulischen Selbstständigkeit kontinuierlich. „Selbstständige Schule“ in Nordrhein-Westfalen: Im Sommer 2008 endete der bundesweit größte Modellversuch zur Erprobung von mehr Autonomie – die „Selbstständige Schule“ mit dem Projektziel einer Verbesserung der Qualität schulischer Arbeit, insbesondere des Unterrichts, durch eine qualitätsorientierte Selbststeuerung der Schulen und durch die Entwicklung regionaler Bildungslandschaften. In einem Zeitraum von sechs Jahren (August 2002 bis Juli 2008) wurde mit 278 nordrhein-westfälischen Modellschulen aller Schulformen in 19 Regionen mehr Selbstständigkeit erprobt. Das Modellvorhaben kann als Teil einer bildungspolitischen Steuerungsstrategie verstanden werden, die im Kontext der Steuerungsdiskussion unter Stichworten wie New Public Management oder Modernisierung des öffentlichen Sektors verfolgt wird (vgl. Schedler/Proeller 2003; Jann u. a. 2004; Bieker 2006). Zentrales Element dieser Strategie ist die Dezentralisierung der staatlichen Steuerung im Bildungswesen in fünf unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Bezogen auf die drei Varianten des SBM, lässt sich das Modellvorhaben als Mischform eines Professional Control SBM und Administrative Control SBM (s. o.) auffassen, wobei durch die rechtlichen Bestimmungen insbesondere Aspekte des Professional Control SBM bedient worden sind.
81
Kapitel 3
Traditionelle Steuerungsstruktur Schulministerium
Veränderte Steuerungsstruktur des Modellvorhabens Schulministerium
Bertelsmann Stiftung
Projektvorstand
Weisung Projektleitung Schulaufsicht
Schulträger
Weisung Regionale Steuergruppe
Schulaufsicht
Schulträger
Weisung Weisung Schulen
Weisung
Projektschulen einer Region
Abbildung 13: Steuerungsstrukturen des Schulsystems und des Modellvorhabens im Vergleich
Das Modellvorhaben setzt einerseits durch den Zielbereich „Qualitätsorientierte Selbststeuerung“ auf die Stärkung der Einzelschule als Organisation. Hierzu zählt eine deutliche Erweiterung der Entscheidungsbefugnisse der Schulleitung im Personalbereich sowie in Fragen der Budgetierung. Zudem ist jede Schule im Modellvorhaben angehalten eine Steuergruppe einzurichten, die die Funktion eines mittleren Managements einnehmen soll. Andererseits wird durch den Zielbereich „Entwicklung regionaler Bildungslandschaften“ eine Neuorientierung in der Tätigkeit und Zusammenarbeit von Schulaufsicht und Schulträger unter dem Schlagwort der kommunalen Verantwortungsgemeinschaft angestrebt. Vertreter der Schulaufsicht, des Schulträgers und der Schulleitungen bilden die „Regionale Steuergruppe“, die das zentrale strategische Gremium regionaler Schulentwicklung sein soll (siehe Abbildung 13). Nach sechsjähriger Erprobungszeit liegen einige verdichtete Erfahrungen bezüglich des Umgangs der Schulen mit mehr Selbstständigkeit in den fünf verschiedenen Arbeitsfeldern vor (vgl. Holtappels/Klemm/Rolff 2008a, 2008b). Im ersten Arbeitsfeld „Personalmittelbewirtschaftung“ (seit 2004 „Personalmanagement“) entscheidet jede Schule im Rahmen des Stellenplans selbst über die Besetzung ihrer Stellen. Dabei steht ihr ein Personalmittelbudget zur Verfügung. Die Schulleitungen stellen Personal ein, das zum Profil der Schule passt, und übernehmen Dienstvorgesetztenfunktionen. Bei den Untersuchungen in diesem Bereich zeichnet sich folgendes Bild ab: Personalmanagement wird von Schulen noch überwiegend als Personalentwicklung betrachtet, die im Wesentlichen durch Fortbildungen realisiert wird. Immerhin finden nach Auskunft der Schulleitungen jedoch in 79 Prozent der selbstständigen Schulen Mitarbeitergespräche statt. Die im Modellvorhaben insgesamt bereitgestellten Freiräume in der Personalbewirtschaftung werden von fast 90 Prozent der Befragten als gewinnbringend für die Schulen erlebt. Der zweite Bereich „Sachmittelbewirtschaftung“ definiert sich wie folgt: Über die Verwendung des Sachmittelbudgets kann jede Projektschule entsprechend den Schwerpunktsetzungen ihres Schulprogramms entscheiden. Das Modellvorhaben will erreichen, dass sich dieses Budget zukünftig aus Landes- und Schulträgermitteln oder auch Drittmitteln (z. B.
82
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Fördergelder) zusammensetzt. Tatsächlich standen hier die Einrichtung von Schulgirokonten (87 Prozent aller befragten Schulen), die Übertragbarkeit von Mitteln (84 Prozent aller befragten Schulen) und auch die Deckungsfähigkeit (68 Prozent aller befragten Schulen) im Vordergrund. Auch in diesem Arbeitsbereich sahen die Schulleitungen durch die erweiterten Handlungsmöglichkeiten eine deutliche Verbesserung. Im dritten Arbeitsfeld „Unterrichtsorganisation und Unterrichtsgestaltung“ erhalten die Schulen und Lehrkräfte einen weiten Freiraum, um den organisatorischen Rahmen ihrer pädagogischen Arbeit deutlich zu verändern, beispielsweise durch die Abschaffung des Sitzenbleibens in den unteren Jahrgangsstufen, die Reduzierung der Klassenarbeitsfrequenz oder die Zusammenlegung von Lerngruppen unterschiedlicher Jahrgänge. Auch bei der Leistungsbewertung und den Leistungsbescheinigungen sind neue Wege möglich. Abschluss- und Abgangszeugnisse bleiben davon jedoch unberührt, um die Vergleichbarkeit und Anerkennung der Zeugnisse zu gewährleisten. Insgesamt wurden diese Möglichkeiten jedoch nur von wenigen Schulen genutzt. Laut Definition von „Innere Organisation und Mitwirkung“, dem vierten Arbeitsfeld, kann Schulentwicklung nur gemeinsam gelingen. In vielen Bereichen arbeiten engagierte Menschen verantwortungsvoll mit, um so die Schulleitung unterstützen zu können. Kollegien, Schülerschaft und Eltern gestalten zum Beispiel in Gremien ihre Schule aktiv mit oder bringen sich in einzelnen Projektbereichen ein. Ein Lehrerkollegium, das in Teams arbeitet, ist entscheidend – gerade, wenn fachübergreifend unterrichtet wird. Diese Auslotung des Verhältnisses von Schulleitung, Steuergruppe und Lehrerrat wurde in einer gesonderten Studie untersucht (vgl. Diekenbrock/Schröder 2007). Der Lehrerrat hat sich dabei als beratendes und kontrollierendes Gremium herauskristallisiert, das im Sinne eines Co-Managements agiert und dabei vor allem die Interessen des Kollegiums im Blick hat, beispielsweise bei Entscheidungen der Schulleitung, die mittelbar oder unmittelbar Folgen für die Arbeit des Kollegiums haben. Der fünfte Bereich „Qualitätssicherung und Rechenschaftslegung“ bedeutet professionelles, eigenverantwortliches Arbeiten, bei dem neue pädagogische Konzepte und Maßnahmen für alle transparent gestaltet werden. Qualität zu sichern und zu entwickeln heißt, Erfolge und noch bestehende Defizite detailliert aufzuzeigen und bewusst zu machen – zum Beispiel durch systematisierte Formen der Selbstevaluation, durch ein internes und externes Berichtswesen oder auch durch die Institutionalisierung eines „Evaluationsberaters“. Hierbei konnte eine insgesamt positive Bilanz gezogen werden. Beispielsweise stieg die kontinuierliche Erfahrung mit Verfahren der Selbstevaluation zwischen 2003 und 2007 von 17 Prozent auf 44 Prozent an. Trotz dieser zum Teil positiven Entwicklungen sei aber auch darauf hingewiesen, dass die in der wissenschaftlichen Begleitforschung eingesetzten Tests zur Kontrolle der Leistungsentwicklung keine nachweisbaren Effekte von mehr Selbstständigkeit auf die Entwicklung von Kompetenzen bei Schülern im Bereich Lesen und Mathematik erbracht haben. Die Begleitforschung zum Modellvorhaben „Selbstständige Schule“ konnte zeigen, dass die Nutzung verwaltungstechnischer Freiräume (Personal, Budget) offensichtlich deutlich leichter ist als der Gebrauch pädagogischer Spielräume. Dies muss insgesamt zu der Frage führen, wie Schulen bestehende Handlungsspielräume nutzen, aber auch Grenzen eigener Handlungsfähigkeit überschreiten können. Dies ist weniger eine Frage nach der Erweiterung rechtlicher Rahmenbedingungen als vielmehr nach Wegen, die es ermöglichen, sowohl das Potenzial organisationalen Lernens als auch jenes für eine professionsbezogene Weiterentwicklung individueller Kompetenzen auszuschöpfen.
83
Kapitel 3
Netzwerke. Selbstständigkeit zu gewähren ist allein offensichtlich nicht hinreichend, insbesondere nicht, um Leistungen der Schüler zu verbessern. Vielmehr gilt es zum einen, die jeweiligen Konzepte und deren Gewährungsräume zu analysieren, und zum anderen, das Nutzungsverhalten in Rechnung zu stellen. International wie national werden aktuell Netzwerke zwischen Bildungseinrichtungen und insbesondere horizontale wie vertikale Verknüpfungen zwischen Schulen als Strategie anerkannt, um das Ziel einer Entwicklung der Einzelschule und der in ihr tätigen Personen zu realisieren (vgl. Chrispeels/Harris 2006; Berkemeyer u. a. 2009). Netzwerke bieten den Vorteil, über vielerlei Eigenschaften zu verfügen, die für die anstehenden Aufgaben wertvoll sind. Hierzu zählt z. B. ihre Multifunktionalität: Netzwerke koordinieren sich und die in ihnen aktiven Akteure, verknüpfen soziales Kapital, bringen unterschiedliches Wissen zusammen und sind universell einsetzbar. Solche und ähnliche Erfahrungen werden aktuell im Projekt „Schulen im Team – Unterricht gemeinsam entwickeln“ dokumentiert und empirisch untermauert. Insgesamt scheinen Netzwerke eine geeignete Form zu sein, Einzelschulentwicklung zu betreiben und dabei trotzdem notwendige Koordinierungsprozesse zu berücksichtigen. Eigenständige Schulen sind vernetzte Schulen, damit eigene Stärken unter Einbeziehung aller verfügbaren Ressourcen in Gänze zum Tragen kommen können. Die Handlungsfelder und Maßnahmen im Bereich schulischer Selbstständigkeit erfordern allesamt Schulentwicklungsprozesse, die Nutzung der Handlungsspielräume sowie die Lernfähigkeit einer Schule; einige Modellvorhaben kommen über den Status eines Schulentwicklungsprojekts jedoch nicht hinaus (z. B. PROFIL-Q in Sachsen). So liegt der Verdacht nahe, dass Modelle teilweise eine Ausweichmöglichkeit darstellen und eine Alibifunktion erfüllen, um eine flächendeckende Reform nicht durchzuführen. Ein weiterer Aspekt, der sich aus dem Modellcharakter ergibt, ist, dass sich reformträge Schulen an Innovationen, Projekten und Modellen nicht beteiligen, sondern jene Schulen, die in ihrer schulischen Entwicklung ohnehin voraus sind. Das Implementieren von Modellversuchen zur Erweiterung der Autonomie kann erst dann zu einer Deregulierung des Schulwesens beitragen, wenn positive Ansätze der Modelle nach entsprechender Evaluation auch in die Fläche getragen werden.
3.4
Trends und zukünftiger Deregulierungsbedarf
Der anhaltende Trend zur Einrichtung von Schulen in freier Trägerschaft kann als Element wachsender Deregulierung verstanden werden, wenngleich auch hier klare staatliche Vorgaben existieren. Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen ist im Grundgesetz verbürgt und der Staat ist verpflichtet, die Gründung dieser Schulen zu unterstützen. Obwohl die Bedingungen für die Einrichtung solcher Schulen zwischen den Ländern unterschiedlich ausfallen, wird in allen Ländern ein Großteil der Kosten für das Lehrpersonal übernommen. Schulen in freier Trägerschaft, die einen anerkannten Abschluss wie z. B. das Abitur vergeben wollen und deren Schüler deshalb auch mit dem Besuch der Schule ihrer Schulpflicht nachkommen, brauchen eine staatliche Anerkennung und sind somit auch der staatlichen Aufsicht unterworfen. Das gestiegene Interesse an Privatschulen kann als Ausdruck subjektiv empfundener Mängel der öffentlichen Schulen, aber auch als ein wandelndes Verständnis von Bildungsangeboten interpretiert werden: Bildungsinstitutionen werden von Eltern, Schülern oder Studierenden als miteinander im Wettbewerb stehend und somit in ihrer Qualität unterscheidbar wahrgenommen. Der Nachfrager von Bildung empfindet sich also stärker als
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Regulierung und Deregulierung in der Schule
„Kunde“, der selbstverantwortlich zwischen verschiedenen Angeboten wählt, d. h. eigene Erwartungen und Ansprüche an die Bildungsinstitution heranträgt, aber auch bereit ist, in die Inanspruchnahme von Bildungsangeboten finanziell zu investieren. Ein interessanter politischer Vorschlag, der viele der zuvor diskutierten Aspekte aufgreift, ist das Konzept der so genannten „Bürgerschule“, das der Paritätische Wohlfahrtsverband in Berlin entwickelt hat. In dem Konzept ist ein System angelegt, das staatliche Finanzierung mit nichtstaatlicher Trägerschaft, höherer Schulautonomie und Wahlfreiheit der Eltern verbindet. Es sieht Wahlfreiheit für alle durch Bildungsgutscheine13 und mehr Autonomie für die Schulen durch eine Herauslösung aus den öffentlichen Organisationsstrukturen vor (vgl. Paritätischer Wohlfahrtsverband/Landesverband Berlin 2007). Gemäß dem Vorschlag würden öffentlich- oder privatrechtliche Stiftungen und gemeinnützige Organisationsstrukturen die Trägerschaft der Bürgerschulen übernehmen. Dabei wird diesen Schulen weitgehende Autonomie eingeräumt. Zu den Verantwortungsbereichen, die vollständig oder teilweise auf die einzelnen Schulen übertragen werden sollen, gehören Budgetplanung, Sachmittelbewirtschaftung, Personalverantwortung, Besoldung und Unterrichtsgestaltung. Die Rolle des Staates wird in diesem System der Bürgerschulen neu bestimmt. Dabei wird die öffentliche Verantwortung des Staates für das Bildungswesen nicht in Zweifel gezogen. Aber statt die einzelnen Schulen zu managen, konzentriert sich der Staat darauf, Ziele in Form von Bildungsstandards vorzugeben und deren Erreichung zu evaluieren. Dadurch soll sowohl die Qualität als auch die soziale Offenheit der Schulen gesichert werden. In dem Modell der Bürgerschulen beschränkt sich der Staat darauf, Rahmenbedingungen, Ziele und Erfolgskontrollen zu setzen. Die operative Umsetzung überlässt er den jeweiligen Einheiten. Dadurch wird eine schnelle und passgenaue Reaktion auf Herausforderungen und Probleme erzielt. Die Bildungsqualität wird durch die Vergabe von Standards und die Messung von Lernergebnissen (Output-Steuerung) gesichert. Dies kann auch über die Einführung von nationalen und externen Abschlussprüfungen erfolgen, z. B. Zentralabitur, um die Einheitlichkeit der Lehrziele und -standards sicherzustellen. Eine Rechenschaftspflicht der Schule gegenüber einem übergeordneten Organ muss gewährleistet sein, um Willkür und unterschiedliche Leistungs- und Qualitätsniveaus in den Schulen zu verhindern. Mithilfe des Gutscheinmodells könnte die Entscheidungsmacht der Eltern erweitert werden, da sie die Schule, die öffentlich nach ihren Erfolgen und Misserfolgen bewertet wird, für ihr Kind frei auswählen können. Zudem sollten freie Schulen auf das Erheben zusätzlicher Schulgelder verzichten und – bei Überschreitung der kurzfristigen Kapazitätsgrenze – über die Zulassung der Schüler per Mikrozensus – und nicht nach Leistungsfähigkeit oder Hintergrund – entscheiden, um Kindern aus allen Bevölkerungsschichten die gleichen Zugangschancen auf freie Schulen zu gewähren und somit Segregation zu vermeiden. So wird sichergestellt, dass sich nicht nur Eltern mit hohen Einkommen den Besuch von Privatschulen für ihre Kinder leisten können, wie es in der derzeitigen „Flucht in die Privatschulen“ der Fall ist. Durch die neue Finanzierungsform erhalten auch Eltern mit niedrigen Einkommen Wahlfreiheit für ihre Kinder. So entsteht zwischen den Schulen ein produktiver Wettbewerb, der die Entscheidungsmöglichkeiten der Eltern stärkt. Bei allgemeiner staatlicher Finanzierung der Schulen 13
Statt die Bildungsausgaben direkt an die Bildungsanbieter zu überweisen, gibt der Staat Gutscheine an die Bildungsnachfrager aus, die frei unter den Bildungsanbietern wählen und dort die Bildung mit dem Gutschein „einkaufen“ können.
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Kapitel 3
führen nichtöffentlich geleitete Schulen durch Wettbewerb zu einem höheren Leistungsniveau für alle Schüler – gerade auch für diejenigen, die im derzeitigen System benachteiligt sind. Dabei sind es gerade auch die öffentlichen Schulen, die besser abschneiden, wenn sie mit privaten Schulen konkurrieren müssen. Durch diese Veränderung der Zuständigkeiten wird die selbstständige Schule auch zur verantwortlichen Schule.
3.5
Handlungsempfehlungen
Der AKTIONSRATBILDUNG sieht folgende neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten für die Hauptakteure in einer eigenverantwortlich agierenden Schule vor: Länder verantwortlich für Grundstrukturen und -finanzierung. Zur adäquaten finanziellen, technischen und personellen Ausstattung der selbstständigen Schule werden den Schulen Globalbudgets für die Erledigung ausgabenrelevanter Alltagsgeschäfte zur Verfügung gestellt. Das bedeutet, dass die laufenden Kosten über einen Etat gedeckt werden, den der Schulträger und mit Blick auf personelle Ausgaben das Land den Schulen zur Verfügung stellt. Die Höhe des Globalbudgets sollte in Form einer Pro-Kopf-Finanzierung erfolgen (siehe Bildungsgutscheine). Dabei müssen jedoch Einflussfaktoren bezüglich des Förderbedarfs der Schüler, wie Anzahl der Schüler aus finanzschwachen Haushalten oder Schüler mit Migrationshintergrund, miteinbezogen werden. Im Zuge einer schulischen Verwaltungsautonomie sollte das Schulgesetz die Rechtsform der rechtsfähigen Anstalt und die Möglichkeit des Abschlusses von Ziel- und Leistungsvereinbarungen in den verschiedenen Autonomiebereichen vorsehen. Bildungspläne, die sich an bundesweit festgelegten Bildungsstandards orientieren, müssen erarbeitet bzw. weiterentwickelt werden. Neben der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte, die auf ein erhöhtes Maß an Verantwortung vorbereiten sollen, fallen auch die Festlegung der notwendigen Ausbildung und der Kompetenzen der Schulleitung in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Insgesamt sollten Änderungen im Dienst- und Beamtenrecht vorgenommen werden, um flexiblere Auswahlverfahren für das gesamte schulische Personal, leistungsabhängige Bezahlung, aber auch Sanktionsmöglichkeiten zuzulassen. Schulrat als unabhängiges Berufungs- und Kontrollgremium. Dem Schulrat wird die Aufgabe der Wahl und Ernennung der Schulleitung über die beste Eignung, Befähigung und Leistung übertragen. Die Schulleitung wird auf Zeit berufen und die Qualität im Management durch regelmäßige Evaluation sichergestellt. Schulaufsicht als schulischer Prozessbegleiter. Die ursprüngliche Funktion der Schulaufsicht als Fach- und Dienstaufsicht sollte zukünftig stärker in eine Beraterrolle übergehen. Als Verbindungsorgan zwischen Landesregierung und Schule kommt der Schulaufsicht eine unterstützende Tätigkeit in allen schulischen Belangen zu, da den Schulen möglichst alle inneren Angelegenheiten zur selbstständigen Wahrnehmung übertragen werden. Lediglich in besonderen grundrechtsrelevanten Angelegenheiten sollte eine Mitwirkung der Schulaufsicht vorgesehen werden.
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Regulierung und Deregulierung in der Schule
Externe Evaluatoren als Qualitätsgutachter. Ergebnisorientierte Evaluationen, verbunden mit neuen Erfolgsmessungs- und Beurteilungskonzepten auf der Basis nationaler Bildungsstandards sowie interner und externer Evaluation, stellen eine Notwendigkeit dar, um die Qualität und den Erfolg der Bildungsleistungen der Einzelschule zu erfassen und zu vergleichen. Im Zuge dessen muss die regelmäßige Überprüfung der Einhaltung der Bildungsstandards mit standardisierten Instrumenten und Schulbesuchen unbedingt gewährleistet sein. Die externe Evaluation sollte jedoch durch systematische Formen der Selbstevaluation ergänzt werden. Dabei sind die externen Experten in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass Überschneidungen von innerschulischen Entwicklungen mit Verfahrensvorgaben von außen vermieden werden, um Doppelarbeit, Misstrauen und Unverständnis zu verhindern. Insgesamt sollte die Arbeit der Evaluatoren transparent gestaltet sein, was eine Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse der einzelnen Schulen unter der Voraussetzung einer freien Schulwahl bedeutet. Pädagogisches Personal als Hauptverantwortlicher. Die Entwicklung eines eigenen Schul- und Unterrichtsprofils und die Festschreibung in einem Schulprogramm mit einer pädagogisch-konzeptionellen Darstellung, Zielsetzung, Maßnahmen und Evaluation durch die Schulakteure (Schulleitung, Lehrer, Eltern, Schüler, weiteres Schulpersonal) stehen im Vordergrund bei der Entwicklung hin zu einer selbstständig agierenden Schule. Allgemein ist eine weitere Verlagerung von Entscheidungsmöglichkeiten bezüglich Lerninhalten, Leistungsbewertung, Lerngruppenorganisation und zeitlicher Organisation von Unterricht auf die Einzelschule empfehlenswert. Konkret sollten Freiheiten hinsichtlich der Unterrichts- und Arbeitsformen, der Wahl der Lernkontrollen und der Dauer von Unterrichtsstunden ermöglicht werden. Ein steigender Einfluss der Schule ist weiterhin bezüglich der Kriterien zur Schülerbeurteilung, der Entscheidungen über das Fächerangebot und der Bestimmung des Lehrstoffs wünschenswert. Zudem sollten alle öffentlichen Schulen über die Ausgabe ihres Globalbudgets eigenständig entscheiden können und berechtigt sein, Ergänzungsmittel (Spenden, Sponsoring) einzuwerben. Die Schulleitung mit Dienstvorgesetztenfunktion trägt die Gesamtverantwortung für die Schule. Ihre Personalverantwortung sollte auf folgende Bereiche ausgeweitet werden: Sie ist für die Personalauswahl, Einstellung, Beförderung, Kündigung und Personalbeurteilungen zuständig und kann Bonuszahlungen für Lehrkräfte mit zusätzlichen, zeitlich befristeten Aufgaben vergeben oder zur Überbrückung von Unterrichtsausfällen eigenständig Ersatz- sowie Zusatzpersonal einstellen. Als Dienstvorgesetzte sollte die Schulleitung auch regelmäßige Mitarbeitergespräche führen, um mit gemeinsam entwickelten Zielvereinbarungen positive Entwicklungen anzustreben. Die Verantwortung für das Globalbudget wird ebenso auf die Schulleitung übertragen, die Schulakteure, z. B. die Lehrer, erhalten bei der Ausgabenverteilung Mitspracherecht. Mit der schulischen Eigenbewirtschaftung geht eine Rechenschaftspflicht einher, die durch Instrumente wie die Kosten- und Leistungsrechnung bzw. die eigenständige Kontoführung sowie ein kaufmännisches Rechnungswesen operationalisiert wird. Die Schulleitung sollte in einer Delegationsstruktur nach innen (Schule) führen und als Vertragspartner nach außen (Ministerium/Schulträger) agieren, wobei sie durch eine neu zu schaffende Funktion des „Schulkanzlers“ unterstützt werden müsste.
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Kapitel 3
Somit gewinnt die Funktion der Schulleitung an Bedeutung: Sie benötigt spezifische Führungsqualitäten sowohl im Management mit den Modulen des unternehmerischen Denkens und Handelns als auch in der Personalentwicklung und -führung. Dazu gehören umfassende Kompetenzen in den Personal-, Organisations-, Finanz- und pädagogischen Bereichen und in der Schulentwicklung sowie Kenntnisse der öffentlichen Wirtschaft, die durch Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen kontinuierlich weiterentwickelt werden sollten. Lehrern als Hauptverantwortlichen im Lerngeschehen sollten erweiterte Freiräume in der Organisation eines schülergerechten Unterrichts eingeräumt werden, z. B. um Kooperationsmodelle zur Abstimmung des Unterrichts etablieren bzw. weiterentwickeln zu können. Eine wesentliche Maßnahme in der Lehrerfortbildung und der inneren Schulentwicklung ist die Teambildung von Lehrkräften und Schulleitung mit Unterstützung durch Förderlehrer, Schulpsychologen, Jugendsozialarbeiter etc. und die Einbindung außerschulischer Partner. Im Zuge dessen wäre eine Beteiligung der Lehrkräfte an Veränderungsprozessen zur Akzeptanz- und Teamförderung unabdingbar. Außerdem sollte die Einflussnahme von Lehrern auf die zunehmende Öffnung der Schulen und deren stärkere Einbindung in einen regionalen Bildungsdialog, auf die veränderten organisatorischen Rahmenbedingungen und auf die intensiven Kooperationen mit dem Umfeld (z. B. Industrie, Handwerk, Gewerkschaften, Eltern, Verbände, Vereine, Kinder- und Jugendhilfeträger) erweitert werden. Dabei scheint die Partizipation der Eltern und Schüler, z. B. in Gremien oder in einzelnen Projektbereichen, für Schulen mit mehr Autonomie empfehlenswert. Bei höherer Selbstständigkeit von Schulen steigt auch die Bedeutung von Vernetzung und Austausch zwischen verschiedenen Bildungseinrichtungen und Schulformen.
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4
Nachregulierung in der Berufsausbildung
4.1
Status quo des dualen Systems unter wachsendem Re-Regulierungsdruck
Die Art, wie die berufliche Ausbildung in Deutschland organisiert und reguliert ist, gilt als ein Erfolgsmodell. Im internationalen Vergleich wird das deutsche System beruflicher Ausbildung, insbesondere sein duales Moment, als besonders leistungsfähig wahrgenommen und sein Beitrag zur Integration nachwachsender Generationen in den Arbeitsmarkt wird als weit überdurchschnittlich bewertet (vgl. Blossfeld/Stockmann 1999; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). So zeigt sich, dass keines der in anderen modernen Ländern existierenden Berufsausbildungssysteme auch nur ähnlich erfolgreich ist (in Bezug auf Jugendarbeitslosigkeit und Chancen der jungen Generation auf Integration in das Beschäftigungssystem) und einem derart großen Anteil der Bevölkerung bzw. eines Jahrgangs zu einem berufsbefähigenden Abschluss verhilft (vgl. Schmidt 2000; Descy/Tessaring 2001; Baethge 2008). Grundlage für die hohe Anerkennung und den Erfolg des deutschen Berufsausbildungssystems ist die Tatsache, dass es – anders als die Berufsausbildungssysteme anderer moderner Gesellschaften – die Kombination schulischer und praktischer beruflicher Qualifizierung in weiten Teilen fest institutionalisiert, insbesondere im dualen Ausbildungssystem. Anders als in anderen Ländern wird in Deutschland somit nicht einseitig entweder auf eine Vermittlung beruflicher Kenntnisse in rein schulischer Form gesetzt oder auf eine ausschließlich praktische Ausbildung in einem Betrieb – etwa ohne ein größeres Berufsbildungskonzept im Hintergrund – vertraut. So findet sich gerade in liberalen angelsächsischen Ländern ein stark dereguliertes Berufsausbildungssystem, das die Vermittlung beruflicher Qualifikationen weitestgehend auf das praktische Lernen am Arbeitsplatz beschränkt (das so genannte „Training on the Job“). Das staatliche Bildungssystem konzentriert sich in diesen Ländern auf den Erwerb einer sehr basalen Allgemeinbildung; die Vermittlung spezifischer beruflicher Fähigkeiten ist hingegen kaum festgeschrieben und wird quasi komplett den Arbeitsorganisationen und damit dem Markt überlassen. Als Folge sind die beruflichen Qualifikationen in diesen Ländern häufig sehr betriebsspezifisch. Demgegenüber setzen andere Länder bei der Aneignung beruflichen Wissens auf das andere Extrem, nämlich auf ein staatlich-bürokratisches Ausbildungssystem, das nahezu ausschließlich auf die schulische Vermittlung beruflich relevanten Wissens im Rahmen staatlicher Bildungsinstitutionen vertraut. Dieses System findet sich beispielsweise in Frankreich oder auch in Schweden (vgl. Blossfeld/Stockmann 1999). Im Gegensatz zum praktisch orientierten System des „Training on the Job“ vermitteln diese Systeme zwar umfassendere und betriebsunabhängige berufliche Kenntnisse, diese sind aber vor allem theoretischer Art. Die Absolventen verfügen in diesen Ländern nach Ausbildungsabschluss also in der Regel nur unzureichend über Berufspraxis und Arbeitsmarkterfahrung. Der zweite wichtige Grund für den Erfolg des deutschen Berufsausbildungssystems liegt in seinem weitgehend korporatistisch ausgerichteten Steuerungsmodell, in dem bereits bei der Ausgründung sowie der konkreten Ausgestaltung von Ausbildungsberufen die verschiedenen Akteure (Gesetzgeber, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen) beteiligt sind. Entsprechend sind erworbene berufliche Zertifikate bundesweit anerkannt und haben eine klare Signalwirkung am Arbeitsmarkt, da die Ausbildungsinhalte standardisiert sind und so Arbeitgeber darauf vertrauen können, dass potenzielle Arbeitnehmer nach
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Kapitel 4
erfolgreichem Absolvieren einer bestimmten beruflichen Ausbildung über fundierte und umfassende Kenntnisse in diesem Beruf verfügen. Durch diese Form der Regulierung wird das deutsche Berufsausbildungssystem den verschiedenen Interessen und Bedürfnissen am Arbeitsmarkt gerecht. So gilt das fachliche Qualifikationsniveau der deutschen Arbeitnehmer im internationalen Vergleich insgesamt als überdurchschnittlich und ist bedeutsam für die hoch spezialisierte Qualitätsproduktion der deutschen Wirtschaft und hiesiger Unternehmen (vgl. Streeck 1991; Soskice 1999). Zudem ermöglicht das deutsche Ausbildungssystem eine schnelle und genaue Auswahl von neuen Arbeitskräften, da der Informationsgehalt erworbener und bundesweit anerkannter Berufszertifikate sehr hoch eingeschätzt wird: Arbeitgeber fühlen sich in der Lage, die Qualifikationen und Kenntnisse von Bewerbern und mögliche Einsatzfelder potenzieller Arbeitnehmer eindeutig zu bewerten. Auch zeigen sich für die Arbeitnehmer insgesamt deutliche Vorteile des beruflichen Ausbildungssystems Deutschlands, da es ihnen eine größere Unabhängigkeit von spezifischen Arbeitgebern ermöglicht, beispielsweise dadurch, dass die Integration nachwachsender Generationen in den Arbeitsmarkt – anders als in den stark theoretisch orientierten Ausbildungssystemen – vergleichsweise rasch und reibungslos verläuft (vgl. Scherer 2004, 2005; Blossfeld u. a. 2008; Buchholz 2008; Buchholz/Kurz 2008). Trotz dieser insgesamt positiven Bewertung zeigt sich seit ein bis zwei Jahrzehnten, dass das deutsche Berufsausbildungssystem mit seinen derzeitigen Regulierungen zunehmend an seine Grenzen gerät und eine Nachregulierung in bestimmten Bereichen nicht mehr aufschiebbar ist. Da es dem deutschen Berufsausbildungssystem seit einigen Jahren immer weniger gelingt, den Bedarf und die Nachfrage nach einer voll berufsqualifizierenden Ausbildung erfolgreich abzudecken, sind Reformen in diesem Bereich dringend notwendig. Derzeit entfallen fast 40 Prozent der Neuzugänge im deutschen Ausbildungssystem auf das so genannte Übergangssystem (vgl. z. B. Ulrich 2008), das vor allem jene Jugendlichen auffängt, denen es nicht gelungen ist, einen Ausbildungsplatz in einem Betrieb zu finden. Maßnahmen im Übergangssystem haben zum Ziel, diesen Jugendlichen verbesserte schulische Basisqualifikationen zu vermitteln und damit ihre zukünftigen Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu erhöhen. Es handelt sich hierbei also um „(Aus-)Bildungsangebote, die unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung liegen bzw. zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss führen, sondern auf eine Verbesserung der individuellen Kompetenzen von Jugendlichen zur Aufnahme einer Ausbildung oder Beschäftigung zielen und zum Teil das Nachholen eines allgemein bildenden Schulabschlusses ermöglichen“ (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 79). Der Erfolg dieser Übergangsmaßnahmen scheint jedoch äußerst fraglich, da nur einem kleineren Prozentsatz der Jugendlichen nach Teilnahme an solchen berufsvorbereitenden Maßnahmen der Übergang in ein reguläres, voll qualifizierendes Ausbildungsverhältnis gelingt (vgl. Baethge 2008). Für viele Jugendliche mit und ohne Hauptschulabschluss wird das Übergangssystem deswegen zu einer Sackgasse. Das deutsche Berufsausbildungssystem versagt also zunehmend darin, einem relativ großen Anteil von Personen einen berufsbefähigenden Abschluss zu vermitteln oder zumindest die Aussicht auf einen solchen zu ermöglichen. Mit Blick auf die anstehenden und nicht mehr aufzuhaltenden demografischen Wandlungsprozesse, die auch am Arbeitsmarkt nicht vorübergehen, scheint dieses systematische Brachlegen von Humankapitalressourcen in Deutschland nicht mehr haltbar. Künftig wird die Zahl der Schulabgänger, die eine Ausbildung antreten können, stark zurückgehen (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2008). Das Berufsaus-
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Nachregulierung in der Berufsausbildung
bildungssystem muss sich also darauf vorbereiten, die Humankapitalressourcen für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft nachhaltiger und effizienter zu sichern.
4.2
Institutioneller Rahmen und Struktur der Berufsausbildung in Deutschland
In Deutschland existieren grundsätzlich zwei verschiedene Formen der Berufsausbildung, für die sich Jugendliche – von der Wahl eines Studiums abgesehen – nach Vollendung ihrer Schulpflicht entscheiden und bewerben können: eine Ausbildung in vollzeitschulischen Ausbildungssystemen oder eine Ausbildung im so genannten dualen System. Es ist ein deutsches Spezifikum, dass sich die Phase der beruflichen Ausbildung grundsätzlich weitestgehend auf die Jugendphase beschränkt, d. h. die Zeit unmittelbar nach der Absolvierung eines schulischen Abschlusses. Das duale System bildet für anerkannte Ausbildungsberufe nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder der Handwerksordnung (HwO) aus. Auch wenn der betriebliche, praktische Teil im dualen System eher dominiert, findet die Ausbildung doch nach bundeseinheitlich standardisierten und definierten Inhalten und Qualifikationsprofilen statt (vgl. Baethge 2008). Bei der Gestaltung der Ausbildungsberufe und -inhalte im dualen System sind sowohl politische Vertreter und der Gesetzgeber auf Landes- und Bundesebene als auch Arbeitgeberverbände sowie Gewerkschaften beteiligt. Die Kontrolle der betrieblichen Durchführung von beruflichen Ausbildungen obliegt den Kammern oder anderen zuständigen Institutionen. Insgesamt wird durch diese Regulierung der dualen Ausbildung eine betriebsübergreifende, standardisierte und bundesweit anerkannte berufliche Ausbildung in Deutschland ermöglicht. Anders als im dualen Ausbildungssystem erfolgt die Ausbildung im Schulberufssystem in berufsbildenden (Vollzeit-)Schulen. Obgleich hier der Praxisbezug und die Einbindung in den betrieblichen Berufsalltag deutlich geringer ausgeprägt sind als im dualen Ausbildungssystem, arbeiten auch diese Schulen mit Unternehmen oder Betrieben zusammen und haben eine deutlich stärkere berufspraktische Ausrichtung als die Schulberufssysteme anderer Länder. Wie in der dualen Ausbildung handelt es sich auch bei den Ausbildungsberufen des Schulberufssystems um gesetzlich anerkannte Berufe. Sowohl die berufliche Ausbildung im dualen System als auch die Ausbildung im Schulberufssystem zeichnen sich durch einen hohen Grad an Standardisierung aus (vgl. Blossfeld/ Stockmann 1999). Für beide Bereiche existiert eine Reihe bundeseinheitlich festgelegter Rahmenbedingungen, Leistungskriterien und Curricula. Der erfolgreiche Abschluss einer beruflichen Ausbildung wird durch standardisierte Zertifikate dokumentiert, die ihrerseits vielfach die notwendige Grundlage für eine spätere Anstellung bilden. Weiterhin wird das deutsche Berufsausbildungssystem als vergleichsweise stark differenziert charakterisiert, in dem viele verschiedene Berufe unterschieden werden (vgl. Blossfeld/Stockmann 1999). So werden gegenwärtig beispielsweise im dualen Ausbildungssystem 348 anerkannte Ausbildungsberufe angeboten (Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 2009a, Stand 01.08.2008). Diese hohe Zahl an Berufen ergibt sich in Deutschland vor allem dadurch, dass innerhalb eines einzelnen Berufes noch einmal zwischen verschiedenen Abschlüssen unterschieden wird. So wird der Beruf des Kaufmanns bzw. der Kauffrau in Deutschland in 28 verschiedene kaufmännische Fachrichtungen unterteilt, die jeweils einen eigenen Ausbildungsberuf darstellen – beispielsweise
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Kapitel 4
Kaufmann bzw. Kauffrau für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen, für Versicherungen und Finanzen, im Einzelhandel etc. Neben den beiden berufsqualifizierenden Systemen gibt es in Deutschland zudem das so genannte Übergangssystem. Neben noch nicht ausbildungsbereiten Jugendlichen finden sich im Übergangssystem auch diejenigen, denen es nicht gelungen ist, im Schulberufssystem oder im dualen System eine Ausbildung zu finden. Übergangssysteme haben ihrer institutionellen Definition nach zum Ziel, die Kompetenzen der Jugendlichen zu verbessern und damit ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu erhöhen. Institutionell findet sich im Übergangssystem eine große Vielzahl von Angeboten unterschiedlicher Träger. So reichen die Angebote von Berufs- und Berufsfachschulen bis zu freien Trägern und Betrieben (vgl. Kutscha 2004). Einen bedeutenden Teil des Übergangssystems machen aber auch die von der Bundesagentur für Arbeit finanzierten Maßnahmen zur Berufsvorbereitung aus (vgl. Baethge 2008).
4.2.1
Entwicklung der Bedeutung der einzelnen Sektoren der Berufsausbildung
Betrachtet man anteilmäßig die Bedeutung der verschiedenen Berufsausbildungswege, so zeigt sich, dass trotz der im Zuge der Bildungsexpansion gestiegenen Zahl an Studienanfängern (vgl. z. B. Blossfeld 1985; Geißler 2002) sowie wachsender Probleme bei der Qualifizierung bestimmter sozialer Gruppen (vgl. 4.2.2) die Mehrheit der jungen Erwachsenen nach dem allgemein bildenden Schulabschluss auch heute noch die berufliche Qualifikation über eine Lehre im dualen Ausbildungssystem erwirbt (vgl. z. B. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008; Baethge 2008; BIBB 2009b). Der Erwerb einer Ausbildung über das (Vollzeit-) Schulberufssystem ist deutlich seltener als der Erwerb einer beruflichen Qualifikation im Rahmen des dualen Ausbildungssystems. Vergleicht man beispielsweise die Neuzugänge in das Schulberufssystem mit denen in das duale System, so zeigt sich, dass im Jahr 2006 knapp sieben von zehn qualifizierenden Berufsausbildungen über eine duale Ausbildung angestrebt wurden und nicht über das Schulberufssystem. Diese Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das duale Ausbildungssystem – obgleich es weiterhin der wichtigste Pfad zur Vermittlung beruflicher Qualifikationen in nachwachsenden Generationen in Deutschland ist – in den vergangenen Jahren an Relevanz eingebüßt hat und sich Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit zeigen (siehe Abbildung 14 und 15 sowie Tabelle 4). Fanden 1995 noch knapp 51 Prozent der Neuzugänge zum beruflichen Ausbildungssystem über eine Ausbildung im dualen System statt, waren es 2006 nur noch knapp 43 Prozent. Damit ist innerhalb von nur elf Jahren die Bedeutung des dualen Systems um fast acht Prozentpunkte gesunken (siehe Abbildung 14).
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Nachregulierung in der Berufsausbildung
Duales System
Schulberufssystem
Übergangssystem
100 31,9
Prozent
80
60
37,8
39,9
14,4
14,3
41,6
42,7
40,3
40,5
39,7
15,4
16,2
16,9
16,9
16,8
45,8
43,0
41,1
42,8
42,6
43,5
2001
2002
2003
2004
2005
2006
16,9
40 51,2
47,8
20
0 1995
2000
Jahr
Abbildung 14: Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems in Prozent (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008; eigene Darstellung)
Ausbildungsangebote im dualen System
Davon besetzte Plätze
Davon unbesetzte Plätze
800.000
Ausbildungsangebote
700.000 600.000 500.000 400.000 300.000 200.000 100.000 0 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Jahr
Abbildung 15: Voll qualifizierende Berufsbildungsangebote im dualen Ausbildungssystem (vgl. Ulrich 2008; eigene Darstellung)
93
Kapitel 4
Tabelle 4: Ausbildungsrückgang im dualen System zwischen 1992 und 2006 (vgl. Ulrich 2008; eigene Darstellung)
Rückgang (in Zahl der verlorenen Plätze) Ausbildungsangebote im dualen System (gesamt) Davon besetzte Plätze Davon unbesetzte Plätze
Relativer Rückgang (in Prozent)
-130.285
-18,0
-19.062
-3,2
-111.223
-87,8
Der zunehmende Druck im beruflichen, insbesondere im dualen Ausbildungssystem hat sich vor allem auf bereits im Bildungssystem benachteiligte Jugendliche ausgewirkt, die immer mehr Probleme haben, einen regulären Berufsausbildungsplatz zu finden. So zeigt sich, dass vor allem Schulabgänger mit Hochschul- oder Fachhochschulreife ihren Anteil im dualen Ausbildungssystem in den vergangenen Jahren sichern konnten. Jugendliche ohne Hauptschulabschluss haben in der Regel in Deutschland kaum noch eine Chance auf einen regulären Ausbildungsplatz – ob im dualen System oder Schulberufssystem. Nur knapp 20 Prozent von ihnen fanden im Jahr 2006 einen Ausbildungsplatz im dualen System und weniger als ein Prozent besetzte einen Platz im vollqualifizierenden Schulberufssystem (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). Für die kommenden Jahre ist angesichts weniger umfangreicher nachrückender Geburtskohorten von Ausbildungsplatzbewerbern zu erwarten, dass sich das relative Verhältnis von Arbeitsplatzangebot und -nachfrage schrittweise verbessern wird. Grundsätzlich stellt sich jedoch auch dann die Frage, inwiefern die dem Ausbildungsmarkt zur Verfügung stehenden Bewerber die für die Aufnahme einer Ausbildung notwendige Qualifikation bzw. Ausbildungsreife aufweisen und somit die zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze de facto adäquat besetzen können.
4.2.2
Zunehmende Unsicherheiten beim Übergang in die berufliche Ausbildung
Insgesamt ist das Übergangssystem ein sehr wenig regulierter Bereich des deutschen Ausbildungssystems, insbesondere wenn man es mit den klar strukturierten und bundesweit anerkannten Ausbildungsangeboten im dualen Ausbildungssystem und im Schulberufssystem vergleicht. Das Übergangssystem ist durch eine sehr große Heterogenität von Maßnahmen gekennzeichnet, in dem sich alle möglichen (Aus-)Bildungsprogramme finden, die nicht dem dualen Ausbildungssystem oder dem Schulberufssystem zugeordnet werden können. Es handelt sich bei diesem System somit um eine Residualkategorie, in der sich Bildungsinstitutionen mit sehr verschiedenen Bildungsaufträgen, pädagogischen Konzepten, Angebotsformen, -zeiträumen sowie Zugangsvoraussetzungen finden und deren Zuständigkeiten sehr unterschiedlich geregelt sind. So finden sich im Übergangssystem schulische Programme, aber auch Maßnahmen, die erste praktische berufliche Erfahrungen vermitteln (für eine Übersicht siehe Tabelle 5 oder auch Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). Allen diesen Programmen ist gemeinsam, dass sie zu keinem anerkannten und berufsqualifizierenden Abschluss führen. Somit hat die seit Jahren andauernde Ausweitung des
94
Nachregulierung in der Berufsausbildung
Übergangssystems dazu beigetragen, dass in nachwachsenden Generationen die berufliche Gering- bzw. Nichtqualifizierung kontinuierlich gestiegen ist. Den größten Anteil am Übergangssystem stellen die Berufsfachschulen, die der Erfüllung der Berufsschulpflicht dienen oder den Erwerb von Realschulabschluss oder Fachschulreife ermöglichen. Sie unterstehen – wie andere Schulen auch – den Kultusministerien und ihre Steuerung findet vor allem auf Ebene der Bundesländer statt (vgl. Kapitel 4.3). Den zweitgrößten Anteil nehmen die unterschiedlichen berufsvorbereitenden Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit ein (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). Dieser Bereich des Übergangssystems ist in den vergangenen Jahren am drastischsten gestiegen: So hat sich die Zahl der Teilnehmer an berufsvorbereitenden Maßnahmen zwischen 1995 und 2004 von rund 67.500 auf ca. 116.500 erhöht (vgl. Baethge/Solga/Wieck 2007). Dies entspricht einer Steigerung von knapp 73 Prozent in nur neun Jahren. Neben diesen wichtigsten Übergangsmaßnahmen gibt es aber noch eine Reihe anderer Maßnahmen im Übergangssystem, in dem sich wiederum ganz andere Akteure als Schnittstelle zwischen dem allgemeinen Bildungssystem und dem Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt beteiligen. So sind gerade auf kommunaler Ebene auch Jugendämter involviert, die jungen Menschen, die in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sozialpädagogische Hilfen anbieten und in Kooperation mit den Schulen Präventivmaßnahmen gegen Ausbildungslosigkeit unternehmen. Weiterhin existieren auch Stiftungen, Landesprogramme etc., die versuchen, Jugendlichen in prekären Situationen den Eintritt in den Ausbildungsmarkt zu erleichtern (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008a). Tabelle 5: Verteilung der Neuzugänge auf die verschiedenen Maßnahmen des Übergangssystems im Jahr 2008 (Anzahl der Plätze und relativer Anteil am Übergangssystem; vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008; eigene Darstellung)
Anzahl
Anteil in Prozent
Berufsfachschulen, die keinen beruflichen Abschluss vermitteln
Art der Maßnahme
188.230
37,4
Berufsvorbereitende Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit
110.778
22,0
Berufsschulen – Schüler ohne Ausbildungsvertrag
83.126
16,5
Schulisches Berufsvorbereitungsjahr (BVJ)
50.001
9,9
Schulisches Berufsgrundbildungsjahr (BGJ), Vollzeit
36.612
7,3
Betriebliche Einstiegsqualifizierung (EQ)
22.793
4,5
Sonstige schulische Bildungsgänge Übergangssystem insgesamt
11.861
2,4
503.401
100,0
95
Kapitel 4
Eine Sonderrolle innerhalb der angebotenen Maßnahmen nimmt die Einstiegsqualifizierung Jugendlicher (EQJ) ein, deren relative Bedeutung an den Übergangsmaßnahmen mit knapp fünf Prozent jedoch vergleichsweise gering ist. Diese Maßnahme entsprang einem Sonderprogramm der Bundesregierung als Teil des Nationalen Ausbildungspakts und ist auf einen befristeten Zeitraum (01.10.2004 – 31.12.2010) beschränkt. Insgesamt ist das Übergangssystem geprägt von einer großen Vielfalt an Akteuren, die indirekt oder direkt an der Qualifizierung der Jugendlichen beteiligt sind. Anders als in den beiden vollwertigen qualifizierenden Berufsausbildungssystemen Deutschlands fehlt im Übergangssystem jedoch eine klare und fest institutionalisierte Regulierung des Ausbildungsangebots und der Ausbildungsinhalte sowie ein koordinierter Einbezug der verschiedenen Arbeitsmarktakteure und eine Absprache zwischen diesen. Die unterschiedlichen Träger sind nicht – wie es im dualen Ausbildungssystem oder dem Schulberufssystem üblich und klar festgelegt ist – zu einer Zusammenarbeit verpflichtet (beispielsweise um Ausbildungsinhalte und Curricula abzustimmen). Zum Teil überschneiden sich sogar die Aufgabenbereiche der unterschiedlichen Träger. So betont die Bundesagentur für Arbeit, dass Berufsvorbereitung eigentlich eine Aufgabe des Bildungssystems sei (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008b). Trotzdem engagiert sie sich in berufsvorbereitenden Maßnahmen, die sich seit Jahrzehnten durch den „Charakter eines stabilen Provisoriums“ auszeichnen (Bertelsmann Stiftung 2008b, S. 16). Besonders problematisch werden diese Überschneidungen und die mangelnde Definition von Zuständigkeiten und Zielrichtungen, wenn es zu so genannten „Maßnahmenkarrieren“ kommt. Häufig verlaufen diese „Karrieren“ von Angeboten des Kultusministeriums (z. B. um einen Schulabschluss nachzuholen) über eine berufsvorbereitende Maßnahme der Bundesagentur bis hin zu einer Arbeitsgelegenheit (1-Euro-Job) und im schlimmsten Fall zur Arbeitslosigkeit. Durch die unterschiedliche Zuständigkeit für die einzelnen Maßnahmen mangelt es häufig an Koordination und inhaltlicher Abstimmung. Die berufsvorbereitenden Maßnahmen werden häufig als Schleife genutzt, wodurch ein besonders heterogener Teilnehmerkreis aus Jugendlichen entsteht, die nicht ihren Bedürfnissen entsprechend gezielt gefördert werden können (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008b). Dieser Mangel an Regulierung und institutionalisierter Koordinierung sowie Standardisierung der Ausbildung im Übergangssystem stellt sich zunehmend als sehr problematisch dar. Ursprünglich waren Bildungsangebote im Übergangssystem mit einer ungenügenden Ausbildungsreife der teilnehmenden Jugendlichen begründet, die deshalb auf den Beruf bzw. die Berufsausbildung zusätzlich vorbereitet werden müssen. Diese „Problemwahrnehmung“ des Übergangssystems findet sich nach wie vor in einer Reihe von Studien (vgl. Beicht/Friedrich/ Ulrich 2007) sowie in der Wahrnehmung von Bildungsexperten (vgl. Ulrich/Ehrenthal 2007). Im Licht aktueller Forschungsergebnisse scheint diese Wahrnehmung jedoch nicht (mehr) uneingeschränkt gültig. Vergleicht man die inzwischen immens hohe Zahl der Zugänge im Übergangssystem mit der Zahl der Jugendlichen, die heute die Schule tatsächlich nur noch mit maximal einem Hauptschulabschluss verlässt, so scheint es mehr als fragwürdig, dass sich im Übergangssystem lediglich Jugendliche befinden, die noch nicht berufs- bzw. ausbildungsbereit sind (vgl. z. B. Baethge/Solga/Wieck 2007). Ein weiterer Hinweis dafür, dass sich im Übergangssystem bei Weitem nicht nur Jugendliche finden, die (noch) nicht für den Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt qualifiziert sind, ist, dass auch in den Bundesländern, denen laut PISA ein leistungsfähigerer Hauptschulabschluss attestiert wird, das Übergangssystem heute eine entscheidende Rolle im Ausbildungsmarkt spielt (vgl. Baethge/Solga/Wieck 2007).
96
Nachregulierung in der Berufsausbildung
Ein bedeutender Anteil durchaus ausbildungsfähiger und ausbildungsbereiter Jugendlicher befindet sich somit im Übergangssystem, ohne dass eine gezielte und adäquate Förderung oder eine berufliche Qualifizierung stattfinden. Die vergleichsweise lange Inanspruchnahme von Maßnahmen des Übergangssystems von durchschnittlich 1,4 Jahren (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008a) verweist nicht allein auf Defizite in der Ausbildungsfähigkeit der Zielgruppe oder auf das Missverhältnis von Schulabgängerzahlen und Ausbildungsangebot (vgl. Beicht/Friedrich/Ulrich 2007). Vielmehr zeigt sich hieran auch, dass es den Programmen im Übergangssystem an Effizienz fehlt und es einer großen Zahl der Jugendlichen trotz der Teilnahme an einer dieser Maßnahmen nicht gelingt, in eine reguläre berufliche Ausbildung zu wechseln (vgl. z. B. Baethge/Solga/Wieck 2007). Übergangsmaßnahmen stellen dementsprechend oft eine „Warteschleife“ dar, so dass es dem Übergangssystem letztlich bisher nicht möglich war, die wachsenden Probleme am regulären Ausbildungsmarkt zu kompensieren oder aufzufangen. Durch das Wachsen des Übergangssystems kommt es sogar zu einem immer größer werdenden Bewerberrückstau, der die Situation am Ausbildungsmarkt zusätzlich verschlechtert. Insbesondere für „Altbewerber“, die eine oder mehrere Schleifen des Übergangssystems durchlaufen haben, verschlechtern sich die Berufseinstiegschancen kumulativ (vgl. Beicht/Friedrich/Ulrich 2007). Dies gilt auch für die berufs- bzw. arbeitsmarktnahen Programme, die von der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden. Untersuchungen zeigen, dass nicht einmal jeder dritte Teilnehmer eines solchen Programms in ein reguläres Ausbildungsverhältnis vermittelt werden kann (vgl. Baethge 2008). Im ungünstigsten Fall sind die Maßnahmen im Übergangssystem also nicht nur eine Wartschleife für die betroffenen Jugendlichen, sondern das Übergangssystem entpuppt sich für sie als Sackgasse, in der es bestimmte Personengruppen mit Maßnahmenkarrieren gibt, denen der Übergang in den regulären Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt nicht gelingt (vgl. z. B. Baethge/Solga/Wieck 2007). Diese Entwicklung hat bedeutsame negative Auswirkungen auf die psychische Befindlichkeit und persönliche Entwicklung junger Bildungsabgänger. So machen viele Jugendliche durch die lange Verweildauer im Übergangssystem „noch vor dem Einstieg in Beruf und Arbeit die Erfahrung, dass sie nicht gebraucht werden“ (Euler 2005, S. 205). Darüber hinaus lassen sich infolge wachsender beruflicher Unzufriedenheit negative Auswirkungen auf Lebenszufriedenheit und Gesundheit erwarten (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008a). Neben diesen negativen Konsequenzen für das Individuum werden zudem auch auf volkswirtschaftlicher Ebene tiefgreifende monetäre Kosten einer unzureichenden Qualifizierung von Jugendlichen im Übergangssystem vermutet. Eine hierzu kürzlich von der Bertelsmann Stiftung (2008a) aufgestellte Modellrechnung unterscheidet diesbezüglich zwischen den einerseits durch die Qualifizierungsmaßnahmen selbst entstehenden direkten Kosten und den indirekten Kosten, die sich etwa durch die geringere Produktivität unzureichend qualifizierter Jugendlicher, deren erhöhte Arbeitslosigkeitsrisiken sowie daraus möglicherweise resultierende externe Effekte (erhöhte Kriminalität, höhere Gesundheitskosten) ergeben. Darüber hinaus könnten bei einer besseren nachträglichen beruflichen Qualifizierung von bislang Geringqualifizierten zusätzliche volkswirtschaftliche Wertschöpfungspotenziale erschlossen werden. Die von der Bertelsmann Stiftung erstellte Modellrechnung der Einspareffekte durch die Vermeidung direkter und indirekter Kosten sowie die Nutzung zusätzlicher durch Nachqualifizierung entstehender Wertschöpfungspotenziale erwartet selbst im Falle eines konservativen Berechnungsszenarios
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Kapitel 4
für den Zeitraum von 2007 bis 2015 Einsparpotenziale in Höhe von bis zu 33,4 Mrd. Euro.14 Es gilt dabei zu beachten, dass die Modellrechnung der Bertelsmann Stiftung den durch den demografischen Wandel bedingten Rückgang an Ausbildungsplatzbewerbern bereits berücksichtigt. Es reicht somit für eine finanziell effiziente Gestaltung der beruflichen Ausbildung in Deutschland keinesfalls aus, sich ausschließlich auf die „demografische Entlastung“ durch die langfristig rückläufige Anzahl potenzieller Ausbildungsplatzbewerber zu verlassen. Auch für diesen Fall entstehen durch die unzureichende Weiterqualifikation von Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen im Übergangssystem dem deutschen Bildungssystem umfassende monetäre Kosten und das vorhandene Humankapital wird nicht adäquat ausgeschöpft. Eine grundlegende Reform der Strukturen des beruflichen Ausbildungssystems erscheint somit auch aus volkswirtschaftlicher Sicht zwingend notwendig. Grundlagen einer solchen Reform werden in Kapitel 4.5 dargestellt.
4.3
Berufliche Schulen
Während das Übergangssystem eher einen Nachregulierungsbedarf aufweist, gilt dies nicht für die Berufsschulen im Rahmen der dualen Berufsausbildung, für die Schulen des Gesundheitswesens, Berufsfachschulen und länderspezifische Fachschulen (z. B. Fachakademien, Wirtschaftsschulen, Fachoberschulen, Berufsoberschulen). In diesem Bereich erscheinen Deregulierungen zweckmäßig, wie sie in den zurückliegenden Jahren auch zahlreich beschrieben wurden. Um auf die hohe Innovationsgeschwindigkeit, den raschen technologischen Wandel und den exponentiell ansteigenden Wissenszuwachs angemessen reagieren zu können, erscheint es notwendig, die Eigenständigkeit und Gestaltungsfähigkeit beruflicher Schulen zu stärken (vgl. Becker/Spöttl 2009). Um Aufgaben in der Region besser erfüllen zu können, benötigen berufliche Schulen in Zukunft größere finanzielle, personelle und inhaltliche Handlungsspielräume. Berufliche Schulen sollen in die Lage versetzt werden, sich selbst weiterentwickeln zu können. Dabei besteht die Erwartung, dass situationsbezogene Entscheidungen vor Ort und eine flexiblere Organisation des Unterrichts zu einer Leistungsverbesserung und zu einem höheren Allokationserfolg der Schüler führen. Durch pädagogische, finanzielle und personelle Handlungsspielräume wird die Eigenverantwortung von Schulleitern und Lehrkräften gestärkt und auf Problemstellungen kann angemessener, passgenauer sowie zügiger reagiert werden (vgl. BDA 2004). Überholt ist der Gedanke, dass mithilfe einer Detailsteuerung über Lehrpläne, Verordnungen und Erlasse die Erfüllung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags gewährleistet werden kann. Die Forderung nach mehr Autonomie wird auch mit den zunehmenden finanziellen Restriktionen des öffentlichen Bereichs in Verbindung gebracht. Erwartet werden demnach Einsparungen durch die Übertragung von 14
Die „konservative“ Berechnungsvariante geht von einer Senkung der Anzahl der Schulabgänger mit Bedarf an Integrationshilfen und ihrer durchschnittlichen Verweildauer im Übergangssystem um 25 Prozent und einer Erhöhung der Quote eines nachträglichen Erwerbs eines Berufsabschlusses durch heute Geringqualifizierte um 2,5 Prozent aus. Die „mittlere“ Variante (Senkung von Zugang und Verweildauer um ein Drittel, Erhöhung nachträglicher Berufsabschlüsse um fünf Prozent) identifiziert Einsparpotenziale von 50,8 Mrd. Euro, das „optimistische“ Szenario (Senkung von Zugang und Verweildauer um die Hälfte, Erhöhung nachträglicher Berufsabschlüsse um zehn Prozent) sagt sogar Einsparmöglichkeiten von 84,2 Mrd. Euro voraus.
98
Nachregulierung in der Berufsausbildung
administrativen und budgetären Verwaltungsaufgaben auf die Schulen (vgl. Kuhlee 2005). Die Förderung von Autonomie an beruflichen Schulen verläuft über eine Übertragung von Verantwortung von den Ministerien an die Schulen in folgenden Kernbereichen: Steuerung der beruflichen Schulen, Bildungsprozesse und -ergebnisse, Personal, Finanzierung, Qualitätsentwicklung (vgl. Becker/Spöttl 2009). Da die Steuerung der beruflichen Schulen bei den Kultusministerien liegt, bestehen bundesländerspezifische Unterschiede in den Regelungsbereichen. Gleichzeitig wurden in allen Bundesländern Projektversuche zur Erhöhung der Autonomie an beruflichen Schulen gestartet.
4.3.1
Status quo der Steuerung in ausgewählten Regelungsbereichen
Die Steuerung der berufsbildenden Schulen unterliegt einem „klassischen Steuerungsmodell“ (Becker/Spöttl 2009, S. 160) mit einer Verantwortungsverteilung auf mehreren Ebenen. Dabei obliegt die oberste Verantwortung für die berufsbildenden Schulen – aufgrund der föderal gesteuerten Bildungspolitik – den Kultusministerien der Bundesländer, die durch Gesetze, Verordnungen und Erlasse beispielsweise die Schulordnung für die jeweiligen Berufsfachschulen regulieren. Als übergreifendes Gremium fungiert die KMK, der Zusammenschluss aller 16 Bundesländer, in dem die Länder ihre Verantwortung für das Staatsganze auf dem Weg der Selbstkoordination wahrnehmen und in Belangen, die von länderübergreifender Bedeutung sind, für das notwendige Maß an Gemeinsamkeit in Bildung, Wissenschaft und Kultur sorgen (http://www.bildungsserver.de/zeigen.html?seite=479). Die Steuerung der Schulorganisation und Verwaltung übernimmt der Schulträger und sorgt für ein ausreichendes Bildungsangebot. Steuerungsorgane sind die Schul-, Lehrer-, Abteilungs- und Fachkonferenz (vgl. Becker/ Spöttl 2009). Die Zuständigkeit für die operative Steuerung der Schule hat die Schulleitung und für die Steuerung auf der Unterrichtsebene ist die Lehrkraft verantwortlich (vgl. Becker/ Spöttl 2009). Bildungsprozesse und -ergebnisse. Die berufsbildenden Schulen tragen Bildungsverantwortung in Bezug auf die Umsetzung von Bildungsplänen (vgl. Becker/Spöttl 2009). In Berufsschulen erfolgt die Vermittlung der Abschlussqualifikation auf der Grundlage der Ausbildungsordnung und des Rahmenlehrplans, die Ziele und Inhalte der Berufsausbildung regeln (vgl. KMK 2007). Dabei werden die Methoden des Unterrichts in den Rahmenlehrplänen nicht unmittelbar festgelegt (vgl. KMK 2007) und gewähren damit den Lehrkräften ein gewisses Maß an Autonomie. Personal und Finanzen. Die Zuständigkeit für das Personal, d. h. die Auswahl und Einstellung der Lehrkräfte, liegt in landeshoheitlicher Verantwortung. Auch die Personalkostenbudgetierung wird in der Regel von den Kultusministerien koordiniert (vgl. Becker/ Spöttl 2009). Bremen stellt dabei eine Ausnahme dar: Im Projekt „Weiterentwicklung beruf-
99
Kapitel 4
licher Schulen zu Regionalen Berufsbildungszentren“ (ReBiz) wurden die Personalkostenbudgetierung und die Dienstvorgesetztenfunktion auf die Schulleiter übertragen. Der Modellversuch kann als Auslöser für die schulgesetzliche Novellierung im Jahr 2005 gewertet werden. In dieser Gesetzesänderung wurde auch die Dienstvorgesetztenfunktion des Schulleiters eingeführt. Die Sachmittelbudgetierung und die Betriebskosten (einschließlich des dazugehörigen administrativen Personals) liegen in der Verantwortung des Schulträgers. Qualitätsentwicklung. Fast alle Bundesländer praktizieren ein verbindlich eingeführtes oder in der Erprobungsphase laufendes System der externen Evaluation bzw. der Schulinspektion. Von Seiten der Bildungspolitik bzw. der Bildungsadministration wird für die externe Evaluation bzw. Schulinspektion fast durchgehend ein Turnus von drei bis fünf Jahren genannt. Der Forderung nach weitgehender Unabhängigkeit der Evaluatoren wurde von Seiten der Bildungsadministration sehr unterschiedlich entsprochen (vgl. Zöller 2009). Kritisch zu bewerten ist die Einführung der externen Evaluation, da diese durch Top-down-Prozesse entschieden und durchgesetzt wurde. Auch aus diesem Grunde existieren lediglich zurückhaltende Aussagen zu innerschulischer Akzeptanz dieses Verfahrens (vgl. Zöller 2009). Als Ergänzung zu einer externen Evaluation oder Schulinspektion wird von allen Bundesländern die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Selbstevaluation von Schulen befürwortet. Ein systematisches modellgestütztes Gesamtsystem interner und externer Evaluation für das berufliche Schulwesen findet sich in einigen Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen).
4.3.2
Fortgeschrittene Deregulierung
Die Entwicklung der beruflichen Schulen hin zu mehr Autonomie in den oben genannten Regelungsbereichen ist im Gegensatz zu den allgemein bildenden Schulen bereits weit fortgeschritten. Da alle Länder eine Weiterentwicklung berufsbildender Schulen als Partner in regionalen Berufsbildungsnetzwerken befürwortet haben, werden in allen Bundesländern Reformen zur Erhöhung der Selbstständigkeit berufsbildender Schulen in Form von Initiativen, Projekten oder Schulversuchen eingeleitet und wird eine Verantwortungsverlagerung von den Ministerien an die Schulen angestrebt. Die angestoßenen Reformansätze zur Weiterentwicklung berufsbildender Schulen können als Maßnahmen zur Optimierung der staatlichen Verantwortung einerseits und einer deutlichen Rücknahme staatlicher Zuständigkeiten andererseits charakterisiert werden. Trotz der direkten Abhängigkeit der Schulen von den Ministerien besteht ein hoher Innovationswille einzelner Schulen, der häufig in Zusammenarbeit mit dem Schulleiter in Form von Initiativen vor Ort realisiert wird. So unterschiedlich diese Reformansätze auch sein können, haben sie alle zum Ziel, die Potenziale der Schulen für erfolgreiche regionale Partnerschaften zu nutzen und die Qualität des Unterrichts zu erhöhen und abzusichern (vgl. BLK 2006). Auf der instrumentellen Ebene können Maßnahmen zur Erhöhung der Selbstständigkeit durch Erlasse und Verordnungen flankiert werden. Gegenwärtig können berufliche Schulen als nicht rechtsfähige Einrichtungen des öffentlichen Rechts ihr Wissen und Können nur eingeschränkt in den Dienst der jeweiligen Region stellen. Allerdings werden häufig Schulversuche mit Projektcharakter versehen und dienen der Erprobung von neuen Ansätzen der Schulentwicklung – ohne Veränderung bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen.
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Nachregulierung in der Berufsausbildung
Profil 21 – Berufliche Schulen in Eigenverantwortung in Bayern. Das Bundesland Bayern erprobt seit dem Schuljahr 2006/2007 im Rahmen des Schulversuchs „Profil 21 – Berufliche Schulen in Eigenverantwortung“ mit einer Laufzeit von fünf Jahren, wie viel Eigenverantwortung für die beruflichen Schulen sinnvoll ist. Dem Modellversuch liegt das in der Schweiz entwickelte System „Qualität durch Evaluation und Entwicklung“ (Q2E) zugrunde. In diesem Projekt, das vom bayerischen Kultusministerium und von der Stiftung Bildungspakt Bayern initiiert wurde, nehmen 18 bayerische berufliche Schulen aller sieben Schularten teil. Ziel ist, die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der beruflichen Schulen vor dem Hintergrund eines engen Bezugs zur Wirtschafts- und Arbeitswelt zu erhöhen sowie die Entwicklung und Erprobung von Reformmaßnahmen voranzutreiben, die deutlich über den zurzeit gültigen Rahmen von Schulordnungen und Bekanntmachungen des Ministeriums hinausgehen. Die Weiterentwicklung und Erprobung von Reformmaßnahmen in den Bereichen Organisationsentwicklung (z. B. Vereinfachung von Verwaltungsabläufen, Erprobung eines umfassenden Qualitätsmanagementsystems), Unterrichtsentwicklung (z. B. neue Formen der Leistungserhebung), Personalentwicklung (z. B. neue Karrieremodelle und neue Führungsstrukturen), Finanzverantwortung (z. B. Budgetierung von Sachmitteln) und Bildungsverantwortung (z. B. Angebot von Fortbildungen in der Region) stehen im Mittelpunkt des Schulversuchs. Die teilnehmenden Schulen werden veranlasst, eigene Teilprojekte in den oben genannten Bereichen vorzuschlagen, die sie im Rahmen von Profil 21 umsetzen wollen. Nicht alle Bereiche müssen abgedeckt werden. Vielmehr werden die einzelnen Maßnahmen an die spezielle Ausbildungssituation der jeweiligen Schule eigenverantwortlich angepasst. Einen sehr wichtigen Baustein stellt im Rahmen der Organisationsentwicklung das umfassende Qualitätsmanagementsystem für alle beruflichen Schulen in Bayern dar. Weiterentwicklung der beruflichen Schulen zu Regionalen Berufsbildungszentren (RBZ) in Schleswig-Holstein. Das Bundesland Schleswig-Holstein verfolgt mit dem Projekt „Weiterentwicklung der beruflichen Schulen zu Regionalen Berufsbildungszentren (RBZ)“ ein sehr weit reichendes Konzept zur Erhöhung der Schulautonomie. Ausschlaggebend war die Entscheidung, die Rechtsform der beruflichen Schulen in Anstalten des öffentlichen Rechts zu verändern mit den Zielen, die hoheitlichen Aufgaben wahrzunehmen und gleichzeitig rechtlich und wirtschaftlich selbstständig zu sein. Die Konzeptstudie greift grundlegende Elemente auf, die sich auf Veränderungen des pädagogischen Konzepts und der inneren Struktur, auf Personalentwicklung und Rechtsstellung sowie auf betriebswirtschaftliche Steuerung beziehen. Es wird eine Entwicklung der berufsbildenden Schulen zu regionalen Berufsbildungszentren angestrebt, die eigenverantwortlich handeln sowie rechtlich und wirtschaftlich selbstständig sind. Um den staatlichen Bildungsauftrag zu erfüllen, sollen Lernprozesse so gestaltet werden, dass sie selbstbestimmtes und eigenverantwortlich gestaltetes Lernen fördern und dass die Gestaltungsräume für die Lehrkräfte im Hinblick auf offene Lernprozesse genutzt werden. Regionale Berufsbildungszentren treten als Dienstleistungsunternehmen in Partnerschaft mit Bildungsträgern und Unternehmen in der Region auf und betreiben Aus-, Fort- und Weiterbildung. Entscheidungen und Verantwortung werden in einer dezentralen Führungsstruktur zusammengeführt. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass die Schulen über ein Globalbudget verfügen, das sich aus der Schülerzahl ergibt. „Zusätzliche Mittel können durch die Vermietung von Klassenräumen, Laboren, Werkstätten und Räumen, durch die Bereitstellung von Personal für Dritte sowie durch Beteiligung an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen
101
Kapitel 4
und die Durchführung eigener Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erwirtschaftet werden“ (http://www.rbz.lernnetz.de/content/k-rbz04.php).
4.4
Trends und wachsender Nachregulierungsbedarf
Welche Konsequenzen lassen sich aus den skizzierten Entwicklungen im beruflichen Ausbildungssystem in Deutschland für die zukünftige Regulierung dieses Bildungsbereichs ziehen? In den vergangenen Jahren zeigten sich zunehmende Erosionstendenzen des deutschen Erfolgsmodells: Neben den insgesamt gut funktionierenden, gut regulierten Berufsausbildungssystemen – dem dualen und dem Schulberufssystem – hat sich zunehmend ein wenig reguliertes Parallelsystem im beruflichen Ausbildungssektor herausgebildet: das Übergangssystem. Das große Manko und Problem des Übergangssystems besteht darin, dass es – im Gegensatz zum dualen System bzw. zum Schulberufssystem – kein klares Leitbild, keine klare Struktur und keinen eindeutigen Bildungsauftrag aufweist. Im Gegenteil: Es handelt sich hier um ein System mit sehr heterogenen Maßnahmen, in dem letztlich all diejenigen Programme zusammengefasst sind, die nicht den beiden regulären Ausbildungssektoren zugerechnet werden können. Das Übergangssystem ist immer weniger in der Lage, die zunehmenden Probleme am regulären Ausbildungsmarkt zu kompensieren oder hierzu eine sinnvolle, unterstützende Alternative anzubieten. Vielmehr werden im regulären Ausbildungsmarkt nicht erfolgreiche Jugendliche im Übergangssystem „aufbewahrt“. Ein weiteres Manko des Übergangssystems stellt die Tatsache dar, dass die im Rahmen der Absolvierung von Maßnahmen erworbenen Kenntnisse und Qualifikationen nicht durch eine vergleichbare Standardisierung und Einheitlichkeit gekennzeichnet sind wie etwa jene des dualen Systems oder des Schulberufssystems. Somit fehlt den Teilnehmern des Übergangssystems oftmals auch nach der erfolgreichen Absolvierung der Maßnahmen eine klare Zusatzqualifizierung mit transparentem Signalwert am Arbeitsmarkt. Es bedarf einer Regulierung dieses Bereichs. Das Übergangssystem selbst ist nicht in der Lage und bisher auch nicht darauf ausgerichtet, Defizite in den Humankapitalressourcen für den deutschen Arbeitsmarkt zu beheben. Durch die in den vergangenen Jahren starke Expansion des nicht einheitlich regulierten Übergangssystems läuft Deutschland damit letztlich Gefahr, ein großes Potenzial an Arbeitskräften systematisch brachliegen zu lassen. Neben den damit verbundenen individuellen Nachteilen für betroffene Jugendliche entsteht hierdurch ein langfristiger volkswirtschaftlicher Schaden. Bei einer Fortschreibung der bisherigen Entwicklungen werden in Deutschland mit Blick auf die auch am Arbeitsmarkt nicht vorbeigehende demografische Entwicklung mittel- und langfristig qualifizierte junge Arbeitskräfte fehlen. Es ist somit eine wichtige Aufgabe des beruflichen Ausbildungssystems, sich bereits jetzt durch eine bessere Regulierung, die die verschiedenen Akteure mit einbezieht, hierauf einzustellen und dem entgegenzuwirken. Die Problematik des Mangels an adäquat qualifizierten Fachkräften verschärft sich zudem auch vor dem Hintergrund eines immer rapideren technologischen Wandels auf globalisierten Arbeits- und Produktmärkten (vgl. vbw 2008). Vor diesem Hintergrund büßt das auf umfangreicher Standardisierung und Differenzierung beruhende duale System der
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Nachregulierung in der Berufsausbildung
beruflichen Ausbildung in Deutschland zunehmend seine große Stärke ein, Absolventen mit den an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes angepassten Qualifikationen auszustatten. Die weitgehende Konzentration der beruflichen Ausbildung auf die späte Jugendphase und die noch vergleichsweise geringe Verbreitung lebenslangen Lernens in Deutschland bieten nur begrenzte Möglichkeiten zur späteren Anpassung von Qualifikationen im Zuge der Erwerbskarriere. Absolventen der beruflichen Ausbildung in Deutschland sehen sich entsprechend unter den Bedingungen des rapiden technologischen Wandels vielfach einem wachsenden Dequalifizierungsrisiko gegenüber. Die im deutschen System ausgeprägte Standardisierung einer Vielzahl unterschiedlicher beruflicher Abschlüsse sowie die geringe Bedeutung lebenslangen Lernens tragen im Zusammenspiel dazu bei, dass Individuen frühzeitig auf spezifische, sich wechselseitig ausschließende berufliche „Laufbahnen“ festgelegt werden und eine berufliche Umorientierung in späteren Phasen der Erwerbskarriere schwer möglich ist.
4.5
Handlungsempfehlungen
Der Schlüssel zur Reformierung des deutschen Ausbildungssystems liegt daher in einer differenzierten Nachregulierung des Übergangssystems sowie in einer Stärkung der beruflichen Ausbildung. Insbesondere im Bereich des Übergangssystems ist eine systematische Reformierung der bislang weitgehend ungeordneten Einzelmaßnahmen notwendig. Dabei muss vor allem der gegenwärtig sehr heterogenen Klientel des gegenwärtigen Übergangssystems angemessen Rechnung getragen werden. Grundsätzlich ausbildungsbereite und -fähige Jugendliche ohne Ausbildungsplatz müssten nach Möglichkeit direkt in beruflich qualifizierende Programme integriert werden. Die Förderung der eigentlichen Kerngruppe des Übergangssystems, die noch nicht ausbildungsfähigen Jugendlichen, sollte hingegen in einer deutlich systematischeren und einheitlicheren Form erfolgen. Reformen sollten hier an die positiven Aspekte der etablierten beruflichen Ausbildungssysteme anknüpfen und eine umfassende, bundesländerübergreifende Standardisierung von spezifischen Bildungsinhalten anstreben, die eine Anschlussfähigkeit der im Übergangssystem erworbenen Qualifikationen und Kenntnisse sicherstellen, ihren Signalwert erhöhen und damit ihre Integration in die primäre berufliche Ausbildung befördern. Derartige Zentralisierungstendenzen sollten jedoch – analog zur Ausbildung im dualen System bzw. dem Schulberufssystem – ihrerseits wiederum auf einem möglichst breiten korporatistischen Konsens der am beruflichen Ausbildungsmarkt vertretenen Parteien beruhen, die in die Erarbeitung zentraler Standards und Leitlinien angemessen eingebunden werden müssen. Gleichzeitig muss im Sinne einer Flexibilisierung beruflicher Laufbahnen und einer Erhöhung der Mobilität eine Vereinfachung bzw. Entdifferenzierung der gegenwärtig hochgradig komplexen Vielschichtigkeit der Ausbildungsberufe angestrebt werden, die größere Durchlässigkeiten sowohl zwischen einzelnen Berufsfeldern als auch über den Lebenslauf hinweg erlaubt. Durch die Länderhoheit muss eine Weiterentwicklung der berufsbildenden Schulen hin zu eigenständig agierenden Schulen von den jeweiligen Bundesländern angestoßen werden. Aus diesem Grund kann es zu Reformen in den Bundesländern mit sehr unterschiedlicher Schwerpunktsetzung kommen. Ziel ist es, die Reformmaßnahmen, die sich als sinnvoll und praktikabel erwiesen haben, flächendeckend für alle beruflichen Schulen einzuführen. Die
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Kapitel 4
Modellversuche im berufsbildenden Bereich sollen mithilfe von Qualitätsmanagementsystemen evaluiert werden. Auf Basis der vorangegangenen Ausführungen lässt sich aus Sicht des AKTIONSRATSBILDUNG eine Reihe von Handlungsempfehlungen für die Gestaltung des deutschen Ausbildungssystems im Spannungsfeld von Regulierung und Deregulierung ableiten, die im Folgenden kurz dargestellt werden: Bildungs- und Arbeitsmarktakteure in der Verantwortung. Zweifelsohne müssen Reformen der beruflichen Ausbildung in Deutschland in ein breiteres bildungspolitisches Rahmenkonzept eingebunden werden. So müssen bereits die vorgelagerten Phasen der beruflichen Bildung sicherstellen, dass auch Bildungsabgänger mit einem niedrigen schulischen Abschluss grundlegende Kompetenzen und Kenntnisse für die Aufnahme einer Ausbildung aufweisen. Zentrale Kernpunkte stellen hier etwa die Förderung benachteiligter Gruppen im deutschen Bildungssystem (etwa sozial schwache Schüler oder Migranten), die Vermittlung individueller sozialer Kompetenzen sowie die individuelle Begleitung junger Menschen bei der Berufswahl bereits in späten Phasen der schulischen Ausbildung dar. Hier könnte der verstärkte Einbezug von Unternehmen und Betrieben in die Begleitung von Berufswahlprozessen, etwa durch Hospitanzen, Praktika oder Informationsveranstaltungen an Schulen, einen wesentlichen Aspekt einer individuell bewussten und fähigkeitsorientierten Berufswahl darstellen. Förderung ausbildungsbereiter Jugendlicher und Fortentwicklung der Berufsstruktur. Abgesehen von den oben angesprochenen Einstiegsqualifizierungsmaßnahmen sollten ausbildungsbereite Jugendliche ohne Ausbildungsplatz nicht in Maßnahmen des Übergangssystems entsendet werden, da diese ihren Bedarfen nicht gerecht werden. Stattdessen wäre eine verstärkte Integration in den primären Ausbildungsmarkt anzustreben, etwa durch die Ausweitung des Schulberufssystems, die staatliche Subventionierung eines umfassenderen Angebots an beruflichen Ausbildungsplätzen oder die Etablierung eines auf bundeseinheitlicher Standardisierung beruhenden Teilqualifizierungssystems. Durch die Verringerung der Zugänge in das Übergangssystem könnte zudem eine weitere finanzielle Entlastung öffentlicher Bildungsetats erreicht werden, die an anderer Stelle, etwa bei der Förderung spezifischer benachteiligter Adressatengruppen im Übergangssystem, investiert werden könnten. Gleichzeitig bedürfen auch die Strukturen der beruflichen Ausbildung im dualen System (bzw. analog im Schulberufssystem) einer systematischen Weiterentwicklung. Durch eine Öffnung der Berufsbilder wäre es möglich, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt flexibler und schneller an wirtschaftsstrukturelle und technologische Veränderungen anpasst. Ziel zukünftiger Reformen der beruflichen Ausbildung muss es somit sein, den ausgesprochen hohen Grad der Ausdifferenzierung von Berufen im dualen System zu verringern. Neuorganisation und optimierte Zielsetzung des Übergangssystems. Die Optimierung und Neuorganisation des Übergangssystems sind zentrale Herausforderungen, damit junge Menschen erfolgreicher und zügiger in qualifizierende Bildungsgänge im dualen System bzw. im Schulberufssystem integriert werden. Die Auswirkungen auf die unterschiedlichen Gruppen von Jugendlichen sowie die Effektivität und Effizienz des Übergangssystems insgesamt sind
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Nachregulierung in der Berufsausbildung
genauer zu prüfen. Vor allem muss das Übergangssystem seinen Status als nicht integriertes Residualsystem der beruflichen Ausbildung verlieren und an die erfolgreich existierenden Ausbildungssysteme der dualen Ausbildung und des Schulberufssystems angegliedert werden. Insbesondere sollten die Maßnahmen des Übergangssystems ihren Fokus auf die Zielgruppe noch nicht ausbildungsbereiter und -fähiger Jugendlicher ausrichten. Je nach Bedarf und Situation des Jugendlichen sollen das Nachholen eines Schulabschlusses ermöglicht und/oder in transparenter, von potenziellen Arbeitgebern nachvollziehbarer Weise erste ausbildungsrelevante Kenntnisse und Qualifikationen vermittelt werden. Neben diesen beiden Funktionen des Übergangssystems sollten auch sozialpädagogische Maßnahmen zur Förderung jener Jugendlichen ausgebaut werden, die als beruflich nicht integrierbar gelten. Diese Maßnahmen sollten beispielsweise die Vermittlung basaler Verhaltensweisen und Umgangsformen beinhalten, die ein Jugendlicher für seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wie auch speziell im „Arbeitsalltag“ benötigt. Die Überwindung der resignativen Einstellung vieler Jugendlicher, die Entwicklung der Bereitschaft zur Lebensplanung sowie die Förderung der Motivation, eine Berufsausbildung bzw. eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen, sollen weitere Ziele dieser Maßnahmen sein. Anzustreben wäre weiterhin – in Anlehnung an die erfolgreiche Qualitätssicherung in der beruflichen Ausbildung – eine Neuordnung der gegenwärtig ausgesprochen heterogenen Maßnahmenstruktur des Übergangssystems zugunsten einer reduzierten Anzahl an standardisierten, inhaltlich klar definierten Teilmaßnahmen. Ein exemplarisches Modell stellt hier etwa die Einstiegsqualifizierung Jugendlicher (EQJ) dar, die durch die Verbindung einer theoretischen Ausbildung mit praktischem Lernen am Arbeitsplatz grundlegende Vorzüge des dualen Systems bzw. der schulberuflichen Ausbildung aufgreift und jenen Jugendlichen den Weg in die Ausbildung ebnet, die aufgrund formaler Kriterien keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Die hohe Vermittlungsquote von 60 Prozent spricht für den Allokationserfolg dieser Maßnahme. Wenngleich sich derartige Maßnahmen aufgrund der Heterogenität der im Übergangssystem vertretenen Individuen sicherlich nicht für alle Personengruppen eignen, können sich zukünftige betriebliche Einstiegshilfen an diesem erfolgreichen Konzept orientieren.
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5
Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
5.1
Geschichte und Status quo der Deregulierung
Zu den internationalen Auffälligkeiten des deutschen Hochschulsystems zählen die dominante Rolle des Staates und unterentwickelte institutionelle Steuerungsmöglichkeiten (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 101). Aus der Sicht des Auslandes ist der Autonomiegrad der deutschen Universitäten vergleichsweise niedrig. In der geringen Autonomie und in der Unterfinanzierung werden die Hauptursachen für Leistungs- und Funktionsdefizite und für die schlechte Platzierung deutscher Universitäten in globalen Universitätsrankings gesehen (vgl. Aghion u. a. 2009). In der Vergangenheit bezog sich die Hochschulautonomie in Deutschland ausschließlich auf akademische Entscheidungen (z. B. Genehmigung von Studien- und Prüfungsordnungen, Kooptation von Fakultätsmitgliedern). Verwaltung und Wirtschaftsführung – und damit wesentliche Teile der operativen Steuerung – wurden demgegenüber als staatliche Aufgaben angesehen. In diesem aus der preußischen Wissenschaftsverwaltung stammenden Steuerungsmodell war die Selbstverwaltung mit Rektor und Senat sowie Dekan und Fakultät auf die akademischen Angelegenheiten beschränkt; der Kanzler als Repräsentant der Landesregierung in der Hochschule war zuständig für die Wirtschaftsverwaltung, das Personal, den Haushalt und die Infrastruktur. Zentrale Aspekte der wissenschaftlichen Leistungserbringung wurden staatlich reguliert, insbesondere die Zulassung zum Hochschulstudium, das Studienangebot und die Berufung von Professoren. Gegen dieses Modell der bürokratischen Hochschulsteuerung entstand Anfang der 1980er Jahre eine Reformbewegung, die eine Deregulierung des Hochschulwesens propagierte und für eine Stärkung des institutionellen Wettbewerbs eintrat (vgl. Wissenschaftsrat 1985). Wettbewerb wurde dabei als geeignetes Mittel angesehen, die Qualität und Effizienz von Forschung und Lehre an den Hochschulen zu steigern. Komplementär wurde gefordert, die Autonomie der Hochschulen zu stärken (vgl. Alewell 1993). Die VolkswagenStiftung und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft griffen diese Forderung auf und unterstützten die Strukturreform innerhalb der Hochschulen durch ihre Förderprogramme „Leistungsfähigkeit durch Eigenverantwortung“ und „Hochschulen im Wettbewerb“. Die Idee der „entfesselten Hochschule“ diente dem im Jahr 1994 von der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz gegründeten Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) als Leitmotiv für die Initiierung von Organisationsentwicklungsprojekten (vgl. Müller-Böling 2000), die die Hochschulen dabei unterstützen, ihre Ressourcen, ihr Personal, ihre Organisation und ihre Leitungsstruktur autonom zu entwickeln. Nach Brinckmann (1998) waren die Hochschulen in Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren in ein Netz von Regeln, Verfahren und Abhängigkeiten eingebunden, das notwendigen Wandel nur unzureichend ermöglichte und zu einem vielfach beklagten Reformstau führte. Eine lähmende Staatsbürokratie und fehlende Innovationsbereitschaft seitens der Hochschulen ließen Anfang der 1990er Jahre den damaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrats urteilen, dass die Universitäten im Kern verrottet seien (vgl. Simon 1991). Auch für das CHE waren die Hochschulen in Deutschland seinerzeit in ein Geflecht von staatlichen Regu-
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Kapitel 5
lierungen, hochschulpolitischen Blockaden und innerer Entscheidungsohnmacht eingebunden, das sie bis zur Bewegungsunfähigkeit einschnürte (vgl. Müller-Böling 2000). Ausbildungsinhalte und Studienabschlüsse waren beispielsweise in Prüfungs- und Studienordnungen geregelt, die den Vorgaben von bundesweit verbindlichen Rahmenprüfungsordnungen entsprechen mussten, die der Einzelhochschule keinen Spielraum für die Profilierung ihres Studienangebots ließen. Quantität und Qualität der aufzunehmenden Studierenden konnte die Hochschule selbst kaum beeinflussen, was vielfach ein institutionelles Desinteresse am individuellen Studienverlauf und Studienerfolg zur Folge hatte, ablesbar beispielsweise an der hohen durchschnittlichen Studiendauer und den zahlreichen Studienabbrechern. Für die Forschung – neben der Lehre die zweite Kernaufgabe der Universität – war kein eigenes Budget vorgesehen, sondern die hierfür zur Verfügung stehende Grundausstattung war im Etat für Lehre integriert. Der staatliche Leistungsauftrag in Forschung und Lehre war alles in allem diffus. Für die Hochschule gab es so gut wie keine Anreize für mehr Effizienz und Effektivität, da weder eine Kostentransparenz noch eine leistungsorientierte Mittelzuweisung existierten und eine Übertragung nicht verausgabter Mittel in das nächste Haushaltsjahr in den Landeshaushaltsordnungen nicht vorgesehen war. Einnahmen, die die Hochschulen erzielten, flossen in den Staatshaushalt (mit Ausnahme von Einnahmen aus der Drittmittelforschung). Personal und Budget standen Rektoren oder Präsidenten als Instrumente für die Ausübung der Leitungsfunktion nicht zur Verfügung, sondern wurden vielfach als „fremdgesteuerte Begrenzung“ erfahren (vgl. Brinckmann 1998).
5.1.1
Deregulierung der Landeshochschulgesetze und Föderalismusreform
Mit einer Novelle zum Hochschulrahmengesetz (HRG) machte der Bund im Jahr 1998 den Weg frei für eine Deregulierung der Landeshochschulgesetze. Mit dem Verzicht auf Vorgaben für Organisation und Leitung der Hochschulen eröffnete der Bund den Ländern die Möglichkeit, mit weniger gesetzlichen Regulierungen die Freiräume für die Hochschulen zur selbstverantwortlichen Steuerung und Profilbildung deutlich zu stärken und damit den notwendigen Hochschulreformen in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Folgenreich war auch die im selben Jahr unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung über die Harmonisierung der Architektur des Europäischen Hochschulsystems“, die so genannte Sorbonne-Deklaration, die die Grundlage für die im Juni 1999 von insgesamt 29 Staaten verabschiedete „Bologna-Erklärung zum Europäischen Hochschulraum“ bildete. Zwischenzeitlich haben sich 46 Länder der Bologna-Erklärung angeschlossen. Ziele der Erklärung sind das gemeinsame Vorgehen der europäischen Länder bei der Neustrukturierung von Hochschulstudiengängen und die Anerkennung von Studienleistungen über nationale Grenzen hinweg. Damit soll internationaler Wettbewerb zwischen Hochschulen ermöglicht werden. Dazu wurden Maßnahmen konzipiert, die die Mobilität von Absolventen erleichtern und die Struktur der Ausbildungsgänge optimieren sollten, wie die Einführung eines einheitlichen Leistungspunktesystems (European Credit Transfer System), die Einführung von zweigestuften Studiengängen mit Bachelor(BA)- und Master(MA)Abschluss und die Entwicklung von Qualitätssicherungssystemen für die Hochschullehre. Die Vereinheitlichung von Studiengängen, im Besonderen die Aufgabe des bewährten und auch international anerkannten Diplomstudiums in Deutschland, wurde und wird durchaus
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Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
kritisch diskutiert. Im Zuge der Globalisierung verstärkt sich jedoch die Notwendigkeit des internationalen Austauschs von Studierenden und Wissenschaftlern und der Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Denn die Anforderungen an Hochschulabsolventen werden nicht mehr in erster Linie durch nationale Berufsbilder und Arbeitsmärkte bestimmt. Derzeit ist allerdings nicht klar, ob die Vorteile der Standardisierung gegenüber den etwaigen Nachteilen des Verlassens der bewährten Ausbildungsgänge und der Aufgabe von möglichen Wettbewerbsvorteilen, die durchaus auch in der Einzigartigkeit nationaler Bildungsabschlüsse bestehen können, überwiegen. Mit dem Ziel der Qualitätssicherung von Bildungs-Outcomes beauftragt und überwacht der Akkreditierungsrat seit 2002 Agenturen, die die neu konzipierten BA- und MA-Studiengänge an deutschen Hochschulen akkreditieren dürfen. Befürworter des Akkreditierungssystems gehen neben der Qualitätssicherung des Studienangebots davon aus, dass eine Orientierungshilfe für Studierende geboten wird. Die Kritiker dieses Systems sehen neben dem bürokratischen Aufwand und den für die Hochschulen hohen Kosten die Möglichkeit eingeschränkt, dass sich neue individuelle Bildungsangebote unter Umständen überraschend am Markt durchsetzen könnten. Ein weiterer Nachteil liegt in der Gefahr, dass die Akkreditierungsinstitutionen selbst übermächtig werden, dabei aber durchaus inkompetent sein können: Eine fehlerhaft arbeitende Akkreditierungsbehörde hätte dramatische flächendeckende Wirkungen – während die Einführung eines mangelhaften Studiengangs in ihren Wirkungen auf die jeweilige Universität beschränkt bliebe. In der Folge der HRG-Novelle haben die Bundesländer (mit Ausnahme von Berlin) ihre Landeshochschulgesetze verändert. Um festzustellen, in welchen Bereichen den Hochschulen die größten Handlungsspielräume eingeräumt werden, hat der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft auf Anregung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) einen Vergleich der zwischen 1998 und 2001 novellierten Landeshochschulgesetze vorgenommen und im Jahr 2002 unter dem Titel „Qualität durch Wettbewerb und Autonomie“ publiziert. Aus der Fülle der in den Landeshochschulgesetzen geregelten Gegenstände wählte der Stifterverband für seine vergleichende Analyse die folgenden neun Regelungsbereiche aus, die für den Leitgedanken „Qualität und Leistung durch Wettbewerb und Hochschulautonomie“ von besonderer Bedeutung sind: Rechtsform der Hochschule, Zusammenwirken von Staat und Hochschule, Haushaltswirtschaft, Personalwesen, Leitungsstrukturen, Entscheidungskompetenzen, Gremien und Verfahrenswege, Flexibilisierung der Hochschulzulassung, Studium und Lehre, Qualitätsentwicklung/Evaluation, Forschung. Den oben genannten gesetzlichen Regelungsbereichen hat der Stifterverband in den gemeinsam mit der Heinz Nixdorf Stiftung im Jahr 2008 publizierten „Leitlinien für die deregulierte Hochschule“ (vgl. Erhardt/Meyer-Guckel/Winde 2008) den Bereich „Bau- und Immobilienmanagement“ hinzugefügt.
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Kapitel 5
Für die gesetzlichen Regelungsbereiche hat der Stifterverband Leitbilder entwickelt, die der vergleichenden Analyse zugrunde gelegt wurden. Ein die Autonomie und den Wettbewerb förderndes Hochschulgesetz kann demnach wie folgt charakterisiert werden: Das Gesetz lässt für Hochschulen unterschiedliche Rechtsformen zu. Das Zusammenwirken von Staat und Universität ist so gestaltet, dass im Sinne einer strategie- und zielorientierten Führung die Hochschule Zielvereinbarungen oder Hochschulverträge mit dem Land abschließt, die Leistungsvereinbarungen und Globalhaushalte enthalten. Staat und Hochschule vereinbaren ein Berichtswesen zur Kontrolle der Zielerreichung. Die Hochschule wählt eigenverantwortlich ihre Organisations-, Leitungs- und Entscheidungsstruktur. Sie stellt sicher, dass die gewählte Binnenstruktur eine strategische Hochschulplanung und -steuerung ermöglicht und Entscheidung und Verantwortung auf persönlicher Ebene miteinander verbunden sind. Sieht die Organisationsstruktur einen Hochschulrat vor, dann verfügt er nicht nur über Beratungs-, sondern auch über Entscheidungsbefugnisse. Die operative Verantwortung liegt bei der Hochschulleitung. Der Rektor bzw. Präsident verfügt über eine Richtlinienkompetenz, er hat die Rechtsaufsicht und ein Weisungsrecht in grundsätzlichen Lehr- und Prüfungsangelegenheiten. Die Wahl und Bestellung der Leitungspersonen sind doppelt legitimiert (Hochschulleitung durch Senat und Hochschulrat, Fakultätsleitung durch Fakultät und Hochschulleitung). Die Hochschulleitung ist Dienstherr und Arbeitgeber des gesamten Personals und ist verantwortlich für die Berufung von Professoren. Die Vergütung an der Hochschule erfolgt leistungs- und erfolgsabhängig. Der Staat ermöglicht die gegenseitige Deckungsfähigkeit zwischen allen Ausgabenarten, die Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln und eine Bildung von Rücklagen. Die Hochschule ist berechtigt, externe Finanzierungsquellen zu erschließen; die erzielten Einnahmen stehen ihr zur Erledigung ihrer Aufgaben zur Verfügung. Die Hochschule ist Eigentümerin ihrer Liegenschaften und übt die Bauherrenverantwortung aus. Sie hat ein kaufmännisches Rechnungswesen, eine Kosten- und Leistungsrechnung sowie eine Vermögensrechnung eingeführt und leitet daraus Kennziffern für die interne Steuerung ab. Über die Einrichtung von Studiengängen entscheidet die Hochschule selbst; die Überprüfung der Qualität der Studiengänge ist jedoch gesetzlich vorgegeben. Die Hochschule hat das Recht zur Auswahl der Studierenden und entscheidet selbst, wie viele Studienanfänger aufgenommen und wie die Studierenden ausgewählt werden. Das Hochschulgesetz enthält keine die Forschungsfreiheit einschränkenden Bestimmungen, beispielsweise eine Priorisierung von Forschungsvorhaben nach Herkunft der Mittel. Die Hochschule sichert durch adäquate Verfahren die Qualität von Forschung und Lehre und die Kernaufgaben unterstützende Strukturen und Prozesse und legt Rechenschaft über die Verwendung ihrer Mittel und die von ihr erzielten Erfolge ab. Der Vergleich zwischen den 1999 und 2001 novellierten Landeshochschulgesetzen zeigte, dass einige Bundesländer die Deregulierung rascher eingeleitet haben als andere. Insbesondere Niedersachsen, Hessen, Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg haben ihren Hochschulen nach der HRG-Novelle von 1998 mehr Autonomie und Selbststeuerung eingeräumt. In manchen Regelungsbereichen entsprachen viele Landeshochschulgesetze dem Leitbild des Stifterverbandes (z. B. in den Bereichen „Zusammenwirken von Staat und Hochschule“ und „Haushaltswirtschaft“), in anderen Bereichen wichen die Regelungen fast aller Gesetze deutlich vom Leitbild einer deregulierten und autonomen Hochschule ab, weil
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Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
bundesgesetzliche Regelungen eine weiter gehende Autonomie der Hochschulen verhinderten, insbesondere bei der Flexibilisierung der Hochschulzulassung und der Erhebung von Studienbeiträgen. Bundestag und Bundesrat nahmen im Jahr 2003 Beratungen über die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung auf. Nach den Wahlen im September 2005 verständigte man sich auf eine neue Kompetenzverteilung im Bereich der Bildungs- und Hochschulpolitik. Es wurde eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf die Länder vereinbart und die Rahmengesetzgebung des Bundes im Bereich Hochschulpolitik entfiel. Sämtliche Regelungsbereiche der Hochschulpolitik fallen seither in die konkurrierende Gesetzgebung der Länder – mit zwei Ausnahmen: Hochschulzugang und Hochschulabschlüsse können bundesweit geregelt werden. Allerdings haben die Länder auch in diesen beiden Bereichen ein Abweichungsrecht. Wenn sie mit einer Regelung des Bundes nicht einverstanden sind, können sie eigenes Landesrecht schaffen. Im Bereich des Hochschulzugangs wurde die Notwendigkeit bundesweit einheitlicher Regelungen auch sofort deutlich. Nachdem Hochschulen verschiedentlich darauf gedrängt hatten, ihre Studierenden selbst auswählen zu können, vergibt die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) seit dem Wintersemester 2005/2006 in den zulassungsbeschränkten Fächern nur noch 20 Prozent der Studienplätze nach der Abiturnote. Weitere 20 Prozent werden nach Wartezeiten der Bewerber zugeteilt, die restlichen 60 Prozent der Studienplätze eigenständig durch die Hochschulen vergeben. Das neue Zulassungsverfahren führte zu Mehrfachbewerbungen und Doppeleinschreibungen; schätzungsweise 20 Prozent der Studienplätze blieben in den zulassungsbeschränkten Fächern unbesetzt. BMBF, KMK und HRK einigten sich im Jahr 2009 darauf, ab dem Wintersemester 2009/2010 die Bewerbung um einen Studienplatz deutschlandweit wieder zu vereinheitlichen. Die ZVS wird im Auftrag der Hochschulen die Bewerbungen der Studienanfänger annehmen und die administrativen Schritte des Auswahlverfahrens übernehmen. Sie gleicht Bewerberprofile und Anforderungen der Universitäten ab und versucht die Studienanwärter gemäß ihrer Wunschliste zu verteilen. Weiterhin bundesweit – durch den Akkreditierungsrat (gemeinsam mit HRK und KMK) – wurden in den Jahren 2007 und 2008 Beschlüsse zu Kriterien und Verfahren der so genannten Systemakkreditierung gefasst. Bei der Systemakkreditierung (im Unterschied zur Programmakkreditierung) geht es nicht mehr um die Akkreditierung einzelner Studiengänge, sondern um die Zertifizierung der jeweiligen Hochschule als Bildungs- und Managementsystem. Dabei kommt es darauf an, dass die Entscheidungssysteme und -abläufe so gestaltet sind, dass sie quasi direkt zu guten Ergebnissen führen (Qualitätsmessungen, Qualitätsrückmeldungen und entsprechende Rückkopplungen); d. h., es muss ein sich selbst regulierendes System implementiert sein. Der Nachteil der Systemakkreditierung liegt in dem sehr großen – wenn auch seltener zu leistenden – Aufwand und in einer gewissen Beschränkung der Flexibilität, weil das System auf unvorhersehbare Vorkommnisse unter Umständen nicht mit einer Neuanpassung reagieren darf. Die Länder haben die durch die Stärkung der eigenen Kompetenz gegebene Möglichkeit einer eigenen hochschulpolitischen Profilierung genutzt und vielfach bereits neue Hochschulgesetze erlassen. Bisher haben allerdings nur wenige Bundesländer ihre neuen Freiräume verwendet, um den Hochschulen größtmögliche Autonomie zu gewähren. Seit 2006 fällt beispielsweise die Einführung und Gestaltung von Studiengebühren in die Kompetenz der einzelnen Länder. Derzeit haben sechs Länder gesetzliche Grundlagen für die Erhebung
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Kapitel 5
von Studiengebühren geschaffen; Nordrhein-Westfalen und das Saarland stellen es der einzelnen Hochschule frei, solche zu erheben oder nicht.
5.1.2
Erhebung zur Universitätsautonomie im Jahr 2009
Um den aktuellen Stand der Deregulierung in den einzelnen Bundesländern zu erheben, wurden die neun Regelungsbereiche, die für den Leitgedanken „Qualität und Leistung durch Wettbewerb und Hochschulautonomie“ von besonderer Bedeutung sind, in einer Untersuchung für dieses Gutachten in einen Fragebogen übersetzt, der im Sommer 2009 an die Rektoren und Präsidenten der 80 staatlichen Universitäten in Deutschland übermittelt wurde. Die Universitätsleitungen wurden gebeten, eine Reihe von Fragen zu den einzelnen Regelungsbereichen zu beantworten und anzugeben, welchen Grad an Autonomie die eigene Universität durch Deregulierung bisher erreicht hat, welche Effekte bisher durch Deregulierung erzielt wurden und in welchen Bereichen für die eigene Universität in den nächsten Jahren der größte Deregulierungs- respektive Regulierungsbedarf gesehen wird. An der Erhebung zur Universitätsautonomie, die Anfang September 2009 abgeschlossen wurde, beteiligten sich 40 Universitätsleitungen. Dies entspricht einem Rücklauf von 50 Prozent. Mit Ausnahme von zwei Bundesländern haben Universitäten aller Länder und des Bundes (gemeint sind Universitäten der Bundeswehr und die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer als Bund-Länder-Einrichtung) an der Erhebung teilgenommen. Elf der 40 antwortenden Universitäten haben in den letzten zehn Jahren eine andere Rechtsform erhalten. Vier Universitäten sind heute Stiftungen des öffentlichen Rechts, die große Mehrheit wurde Körperschaft des öffentlichen Rechts. Darunter befinden sich acht Universitäten, die Körperschaft des öffentlichen Rechts und staatliche Einrichtung sind. Die Ergebnisse der Erhebung zeigen, dass der Autonomiegrad der Universitäten in den letzten zehn Jahren vor allem durch Deregulierung erhöht wurde. Von den antwortenden Universitätsleitungen haben 85 bis 87 Prozent angegeben, dass der Autonomiegrad der Universität in den letzten zehn Jahren in den folgenden Regelungsbereichen sehr stark oder stark erhöht worden ist (siehe Abbildung 16): Haushaltswirtschaft, Personal- und Berufungswesen, Organisations-, Leitungs- und Entscheidungsstrukturen, Zusammenwirken von Staat und Universität.
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Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
Haushaltswirtschaft Personal- und Berufungswesen Organisations-, Leitungs- und Entscheidungsstrukturen Zusammenwirken von Staat und Universität Flexibilisierung der Hochschulzulassung Qualitätsentwicklung und -sicherung Studium und Lehre Forschung Bau- und Immobilienmanagement
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Abbildung 16: Zustimmung (in Prozent) zu der Aussage: „Alles in allem wurde der Autonomiegrad der Universität in den letzten Jahren im Regelungsbereich … stark bzw. sehr stark erhöht.“
Drei von vier Universitäten berichteten, dass die Hochschulzulassung stark flexibilisiert wurde und der Autonomiegrad in den Bereichen „Qualitätsentwicklung und -sicherung“ und „Studium und Lehre“ stark bis sehr stark erhöht wurde. In den Bereichen „Forschung“ und „Bau- und Immobilienmanagement“ ist der Autonomiegrad bei etwa der Hälfte der Universitäten unverändert belassen worden. Bei 14 Prozent der Universitäten wurde die Autonomie im Bereich „Bau- und Immobilienmanagement“ in den letzten zehn Jahren stark bzw. sehr stark verringert. Heute liegt die Initiative für die Entwicklungsplanung fast ausnahmslos bei der Universität. Nahezu jede Universität hat einen Universitätsrat (oder ein vergleichbares Leitungsorgan), dem Entscheidungsbefugnisse zu Lasten des Ministeriums übertragen wurden (siehe Abbildung 17). Die Universitätsleitung ist in der Regel für alle operativen Entscheidungen verantwortlich. Der Rektor respektive Präsident verfügt über eine Richtlinienkompetenz und bei zwei von drei Universitäten obliegt ihm die Rechtsaufsicht.
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Kapitel 5
Die Universität hat einen Universitätsrat (oder ein vergleichbares Leitungsorgan). Die Universitätsleitung ist zuständig für die Stellen- und Mittelverteilung und ist verantwortlich für alle operativen Entscheidungen. Die Universitätsleitung stützt sich auf eine doppelte Legitimation (Einbindung von Universitätsrat und Senat). Falls die Universität einen Universitätsrat hat: Der Universitätsrat hat Beratungs- und Entscheidungsbefugnisse, die ihm zu Lasten der Entscheidungsbefugnisse des Ministeriums übertragen wurden. Der Rektor/Präsident verfügt über eine Richtlinienkompetenz. Die Wahl der Dekane ist doppelt legitimiert (Einbindung von Fakultät/Fachbereich und Universitätsleitung). Die Zuständigkeit für die Verteilung von Sach- und Personalmitteln liegt beim Dekan . Dem Rektor/Präsidenten obliegt die Rechtsaufsicht. Der Rektor/Präsident hat ein Weisungsrecht in Lehr- und Prüfungsangelegenheiten. Die Binnengliederung der Universität ist nicht genehmigungspflichtig.
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Abbildung 17: Zustimmung (in Prozent) zu der jeweiligen Aussage zum Regelungsbereich „Organisations-, Leitungs- und Entscheidungsstrukturen“
Drei von vier Universitäten gaben an, dass das Gesetz eine globale Mittelzuweisung vorsieht. Die Zuständigkeit für die Mittelverteilung innerhalb der Universität liegt bei allen antwortenden Universitäten bei der Universitätsleitung bzw. dem Universitätsrat (siehe Abbildung 18). Im Bereich der Haushaltswirtschaft bestätigten fast alle Universitäten, dass die gegenseitige Deckungsfähigkeit zwischen Ausgabenarten gewährleistet ist und die Möglichkeit der Übertragung von Haushaltsmitteln und der Rücklagenbildung besteht. Das Rechnungswesen ist in fast allen Fällen so gestaltet, dass es Informationen zur Kontrolle und Steuerung bietet. Nahezu alle Universitäten erschließen sich neue Finanzierungsquellen durch Forschungs- und Wissenstransfer, Einwerbung von Spenden und Sponsoringmitteln und/oder durch wirtschaftliche Aktivitäten. Drei von vier Universitäten haben ein steuerungsorientiertes Berichtswesen eingeführt.
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Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
Die Zuständigkeit für die Mittelverteilung innerhalb der Universität liegt bei der Universitätsleitung/dem Universitätsrat. Die gegenseitige Deckungsfähigkeit zwischen Ausgabenarten ist gewährleistet. Es besteht die Möglichkeit der Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln. Die Universität erschließt sich neue Finanzierungsquellen durch Forschungs- und Wissenstransfer und/oder Einwerbung von Spenden und Sponsoringmitteln und/oder wirtschaftliche Aktivitäten. Das Rechnungswesen ist an der Universität so gestaltet, dass es Informationen zur Kontrolle und Steuerung bietet. Falls die Universität Studienbeiträge erhebt: Die Universität entscheidet autonom über die Verwendung von Studienbeiträgen. Die Universität weist ihren dezentralen Einrichtungen die Budgetmittel zu eigener Bewirtschaftung zu. Es besteht die Möglichkeit der Rücklagenbildung. Das Controlling an meiner Universität wird durch eine Kostenund Leistungsrechnung unterstützt. Die Universität hat einen Strategiefonds eingerichtet, um die Umsetzung ihrer Entwicklungsplanung finanziell zu unterlegen. Die Anerkennung von An-Instituten erfolgt durch die Universität ohne Beteiligung des Ministeriums. Das Gesetz sieht für die Universität eine globale Mittelzuweisung vor. Die Feststellung des Universitätshaushalts erfolgt durch ein Universitätsorgan. Die Mittelverteilung des Landes orientiert sich an den Aufgaben, Zielen und Ergebnissen der Universität. Die Finanzverantwortung ist in der Universität dezentralisiert. Die Höhe der Haushaltsmittel wird im Rahmen von Hochschulverträgen, Ziel- und Leistungsvereinbarungen geregelt. Falls die Universität Studienbeiträge erhebt: Die Universität entscheidet autonom über die Höhe von Studienbeiträgen. Das Gesetz gewährt eine mehrjährige Planungssicherheit. Der Haushalts- oder Wirtschaftsplan der Universität ist nicht Teil des Landeshaushalts. Im Staatshaushalt sind keine verbindlichen Stellenpläne für die Universität ausgebracht. Die Universität entscheidet selbst über die Erhebung oder Nichterhebung von Studienbeiträgen. Für die Anstellung von Beamten legt die Universität den Stellenplan selbst fest.
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Abbildung 18: Zustimmung (in Prozent) zu der jeweiligen Aussage zum Regelungsbereich „Haushaltswirtschaft“
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Kapitel 5
Die Universitäten verfügen heute über eine hohe Personalautonomie. Mit Ausnahme von zwei Universitäten liegt die Verantwortung für Berufungen bei einem Leitungsorgan der Universität (Universitätsleitung oder Universitätsrat) (siehe Abbildung 19). Bei 80 Prozent der Universitäten legt die Universitätsleitung das Anfangsgehalt der Professoren selbst fest und alle antwortenden Universitäten verhandeln mit diesen leistungs- bzw. erfolgsbezogene Gehaltsbestandteile.
Die Universitätsleitung verhandelt leistungs- bzw. erfolgsbezogene Gehaltsbestandteile mit den Professoren. Die Verantwortung für Berufungen liegt bei einem Leitungsorgan der Universität (Universitätsleitung oder Universitätsrat). Über die Einrichtung von Tenure-Track-Verfahren entscheidet die Universität selbst. Die Universität legt das Anfangsgehalt der Professoren selbst fest. In die Berufungskommissionen werden in aller Regel unabhängige Wissenschaftler anderer Universitäten gewählt. Der Leiter der Universität ist Dienstvorgesetzter des gesamten Personals (einschließlich der Professoren). Die Universität ist Dienstherr und Arbeitgeber. Im Bereich der Professorenbesoldung verzichtet das Land auf den Vergaberahmen.
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Abbildung 19: Zustimmung (in Prozent) zu der jeweiligen Aussage zum Regelungsbereich „Personal- und Berufungswesen“
85 Prozent der antwortenden Universitäten machen von ihrem Recht zur Auswahl von Studierenden Gebrauch; zwei Drittel wenden ein spezielles Eignungsfeststellungsverfahren an. Etwa die Hälfte der befragten Universitäten kann neue Studiengänge ohne Zustimmung des Ministeriums einführen; sieben von zehn Universitäten können Prüfungs- und Studienordnungen ohne Zustimmung des Ministeriums genehmigen. Entscheidungen über Forschungsschwerpunkte können alle Universitäten ohne Zustimmung des Ministeriums treffen. Alle oder nahezu alle Universitäten führen Selbst- und/oder Fremdevaluationen durch und verbinden die Evaluationsergebnisse mit Konsequenzen und Anreizen zur Qualitätsverbesserung. Mit Ausnahme von zwei Universitäten führen alle Qualitätsüberprüfungsverfahren (Akkreditierung) für neue Studiengänge durch. Weitgehend unverändert belassen wurde der Grad der Universitätsautonomie im Bereich „Bau- und Immobilienmanagement“. Nur vereinzelt ist die Universität Eigentümerin ihrer Liegenschaften und übt die Bauherrenverantwortung aus. An über der Hälfte der befragten Universitäten ist die Binnengliederung weiterhin genehmigungspflichtig. Auch gibt lediglich die Hälfte der antwortenden Universitäten an, Dienstherr und Arbeitgeber des gesamten Personals zu sein. Weniger als 50 Prozent der Rektoren/Präsidenten verfügen über ein Weisungsrecht in Lehr- und Prüfungsangelegenheiten und weniger als die Hälfte der Universitäten kann
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Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
über die Einführung neuer Studiengänge ohne Zustimmung des Ministeriums entscheiden. Zwei Drittel der Universitäten können die Lehrleistung bisher nicht durch Gesamtdeputate individuell festlegen. Im Bereich der Professorenbesoldung ist die Autonomie und damit zusammenhängend die Wettbewerbsfähigkeit noch immer vergleichsweise gering, weil kaum ein Land auf den Vergaberahmen verzichtet hat. Vier von fünf Universitäten können weder für die Anstellung von Beamten den Stellenplan selbst festlegen noch über die Erhebung oder Nichterhebung von Studienbeiträgen autonom entscheiden. Insgesamt war über die Hälfte der Universitätsleitungen der Meinung, dass Hochschulgesetz und Zielvereinbarungen eine (zu) hohe Regelungsdichte aufweisen und Aufgabenbereiche, die durch Zielvereinbarungen geregelt sind, für die Dauer der Vereinbarung nicht der Fachaufsicht entzogen sind; auch böten die Zielvereinbarungen keine mehrjährige Planungssicherheit. In einzelnen Fällen kämen die Zielvereinbarungen einer Zielverordnung gleich. Auf die Frage „Welchen Grad an Autonomie hat Ihre Universität durch Deregulierung bisher insgesamt erreicht?“ haben die Rektoren bzw. Präsidenten wie folgt geantwortet: Neun Prozent der Universitäten verfügen über eine geringe Autonomie, 46 Prozent über eine mittlere und 43 Prozent über eine hohe Autonomie. Nach der Selbsteinschätzung ihrer Rektoren bzw. Präsidenten weisen die folgenden 16 Universitäten eine hohe Autonomie auf: Baden-Württemberg: Universität Stuttgart, Bremen: Universität Bremen, Hamburg: Universität Hamburg, Hessen: Technische Universität Darmstadt, Justus-Liebig-Universität Gießen, Niedersachsen: Georg-August-Universität Göttingen, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Nordrhein-Westfalen: Universität Bielefeld, Ruhr-Universität Bochum, Technische Universität Dortmund, Universität Duisburg-Essen, Deutsche Sporthochschule Köln, Schleswig-Holstein: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Thüringen: Universität Erfurt, Saarland: Universität des Saarlandes, Bund und Länder: Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Lediglich eine Universität in Deutschland hat bisher einen sehr hohen Autonomiegrad erreicht: die Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Die Goethe-Universität wurde mit Wirkung vom 01.01.2008 als Hochschule des Landes Hessen in eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts umgewandelt (vgl. die Neufassung des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) in der Fassung vom 05.11.2007). Die Goethe-Universität möchte ihre Position als eine der führenden Forschungsuniversitäten in Deutschland ausbauen und zu einer Universität mit Weltgeltung werden. Um wirklich signifikante Verbesserungen ihrer Leistungen zu erreichen, hat sie die Rechtsform einer Stiftungsuniversität angestrebt, die die bisherige Struktur als „Körperschaft des öffentlichen Rechts und staatliche Einrichtung“ ablöst. Mit der Umwandlung in eine Stiftungsuniversität strebt sie folgende Ziele an (http://www.stiftungsuni. uni-frankfurt.de/index.html): deutliche Erhöhung der Autonomie durch den Abbau staatlicher Detailsteuerung und damit eine Stärkung der Fähigkeit, selbst Entwicklungsziele zu setzen und diese zu realisieren, mehr Flexibilität und schnellere Entscheidungen bei strukturellen Problemen, beim opera-
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Kapitel 5
tiven Geschäft, bei der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter und beim Bau und bei der Verwaltung der Liegenschaften, höhere Wirtschaftlichkeit, stärkere Verankerung der Universität in Stadt, Region, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Engagement Privater an der Universität und damit Erhöhung ihrer Ressourcen, Aufbau eines Stiftungskapitals. Als Stiftung des öffentlichen Rechts mit einer körperschaftlichen Organisationsstruktur hat die Goethe-Universität einen zu Lasten des Ministeriums gestärkten Hochschulrat eingerichtet, der beispielsweise bei der Bestellung der Mitglieder des Präsidiums mitwirkt (die Bestellung ist doppelt legitimiert), ein Initiativrecht insbesondere zu Fragen der Hochschulentwicklung hat sowie eine Kontrollfunktion in akademischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ausübt. Die Fachaufsicht wurde durch das Ministerium zugunsten der Rechtsaufsicht beschränkt und zahlreiche Genehmigungs- und Zustimmungsvorbehalte wurden abgeschafft. Die Stiftungsuniversität kann viele Bereiche wie beispielsweise Auswahl von Studierenden, Berufung und Vergütung von Professoren, Umfang der Lehrverpflichtung, Organisationsstruktur, Qualitätssicherung etc. in eigener Regie gestalten. Sie kann Unternehmen in privatrechtlicher Form gründen und sich an Unternehmen beteiligen. Das gesamte Personal ist bei der Stiftungsuniversität, die Dienstherrenfähigkeit besitzt, beschäftigt. Der Präsident ist Dienstvorgesetzter des gesamten Personals (einschließlich der Professoren) und übt die Rechtsaufsicht aus. Das Eigentum an allen von der Universität genutzten Grundstücken und sonstigen vermögenswerten Rechten ist auf die Universität übergegangen, die sie eigenständig verwaltet (Übertragung der Bauherreneigenschaft). Zustiftungen Privater sind möglich und werden angestrebt. Einnahmen, die der Goethe-Universität von Dritten zufließen, stehen ihr zur Erfüllung ihrer Aufgaben uneingeschränkt zur Verfügung. Die Universität wurde von den Bestimmungen der Landeshaushaltsordnung mit Ausnahme der Rechnungsprüfung durch den Landesrechnungshof freigestellt. Die Wirtschaftsführung und das Rechnungswesen richten sich nach kaufmännischen Grundsätzen. Das Rechnungswesen muss eine Kostenund Leistungsrechnung umfassen, die die Bildung von Kennzahlen für die Budgetberechnung und hochschulübergreifende Zwecke ermöglicht. Ertragsüberschüsse verbleiben der Universität zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Das Land hat sich gesetzlich zur Zahlung eines jährlichen Zuschusses, der der GoetheUniversität global zugeführt wird, und zur Zahlung der Zuwendungen für Bau-, Bauunterhaltungs- und Geräteinvestitionen verpflichtet. Gesetzlich und vertraglich wurde festgehalten, dass die Einwerbung aller Mittel Dritter nicht zur Reduzierung der Landesmittel oder zur Erhöhung der Kapazitäten führen kann. Die von der Universität zu erbringenden Gegenleistungen werden in Zielvereinbarungen festgelegt, die – wie das Hochschulgesetz – eine geringe Regelungsdichte aufweisen. Die Goethe-Universität entspricht damit weitgehend dem Leitbild einer deregulierten Hochschule des Stifterverbandes. Sie weicht lediglich in folgenden Bereichen von diesem Leitbild ab: Die Finanzverantwortung ist in der Goethe-Universität nicht dezentralisiert und sie weist ihren dezentralen Einrichtungen die Budgetmittel bisher nicht zu eigener Bewirtschaftung zu. Die Universität kann nicht selbst über die Erhebung oder Nichterhebung von Studienbeiträgen sowie über die Höhe und die Verwendung dieser Beiträge entscheiden.
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Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
Das Gesetz über die Stiftungsuniversität orientiert sich grundsätzlich am Geist des im Jahr 2005 in Kraft getretenen „Gesetzes zur organisatorischen Fortentwicklung der Technischen Universität Darmstadt“ (TUD-Gesetz). Mit diesem Gesetz wurde die Eigenverantwortung der TU Darmstadt gestärkt und es wurden ihr innerhalb der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts weitestmögliche Gestaltungsspielräume gewährt, um neue Entscheidungs- und Leitungsstrukturen modellhaft zu erproben. Das bis zum 31.12.2009 befristete TUD-Gesetz sieht vor, dass die mit der modellhaft erprobten Deregulierung gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zur Weiterentwicklung des hessischen Hochschulwesens genutzt werden. Diese wurden zudem einer umfassenden Evaluation unterzogen. Das überaus positive Ergebnis der externen Evaluation des Gesetzes rechtfertigt nach Ansicht der hessischen Landesregierung eine weitgehende Übernahme von Regelungen des TUD-Gesetzes in ein neues HHG, das zum 01.01.2010 in Kraft treten soll. Der Gesetzesentwurf der Landesregierung für das HHG vom 04.09.2009 sieht nach dem Vorbild der TU Darmstadt an allen Hochschulen folgende Elemente zur Stärkung der Hochschulautonomie vor: Deregulierung der Vorgaben zur Binnenstruktur der Hochschule, Übertragung des Berufungsrechts auf die Hochschule, selbstständige Ausführung des Haushaltsplans, Erleichterung der Beteiligung an Gesellschaften, Übertragung von Finanzmitteln für die bauliche Instandhaltung zur eigenverantwortlichen Verwendung durch die Hochschule, Möglichkeit der Übertragung von weiteren Bauvorhaben an die Hochschule, Mitwirkung des Hochschulrats bei der Wahl des Präsidiums, Zustimmung des Hochschulrats zur Struktur- und Entwicklungsplanung der Hochschule, Flexibilisierung und Deregulierung des Personalrechts. Das TUD-Gesetz soll neben dem HHG erhalten und fortentwickelt werden. Die Autonomie der TU Darmstadt soll weiter gestärkt werden, indem ihr die Dienstherrenfähigkeit und Grundstücke des Landes übertragen werden und sie weitere der für die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main geltenden Regelungen übernimmt (z. B. Festsetzung der Studienkapazitäten). Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main ist von Seiten des Gesetzgebers mit einem Maß an Autonomie ausgestattet worden, über das zurzeit keine andere staatliche Universität in Deutschland verfügt.
5.2
Effekte der Deregulierung und zukünftiger Deregulierungs- und Regulierungsbedarf
Nach der Novelle des HRG von 1998, mit der der Bund den Weg für eine Deregulierung der Landeshochschulgesetze freigemacht hatte, und insbesondere nach der Verabschiedung der Föderalismusreform im Jahr 2006, hat eine Reihe von Ländern ihren Universitäten mehr Autonomie eingeräumt. Die Rolle des Staates ist heute weniger dominant als vor 20 Jahren. Die institutionellen Steuerungsmöglichkeiten, insbesondere in den Bereichen Entwicklungsplanung, Haushalt und Personal, sind deutlich gestärkt worden und dürften heute an den meisten Universitäten nicht mehr als „fremdgesteuerte Begrenzung“ erfahren werden (vgl. Brinckmann 1998).
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Kapitel 5
Mit der von der Bundesregierung im Jahr 2007 beschlossenen (allerdings noch nicht in Kraft getretenen) Aufhebung des HRG zieht sich der Bund aus der Hochschulgesetzgebung zurück und setzt seine „Politik der Freiheit und Autonomie für die Hochschulen“ (vgl. Schavan 2007) fort. Mit der geplanten Aufhebung des HRG möchte der Bund die Länder darin unterstützen, die Hochschulen aus der staatlichen Detailsteuerung zu entlassen. Gleichzeitig führt er im Einvernehmen mit den Ländern neue Steuerungselemente ein, wie beispielsweise die Exzellenzinitiative und den Hochschulpakt. Einige Bundesländer, in denen die Universitäten bisher noch nicht über einen hohen Grad an Autonomie verfügen, haben angekündigt, dass die neuen Landesgesetze und -verordnungen den Hochschulen in Zukunft flexiblere Handlungsspielräume, mehr Eigenverantwortung und größere Autonomie einräumen werden. Sie folgen damit einer Entwicklung, die in anderen europäischen Ländern schon früher eingesetzt hat und zum Teil über den Grad der in Deutschland bisher von einzelnen Universitäten erreichten Autonomie hinausgeht. In der Schweiz sind die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich und die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne bereits seit 1991 autonome öffentlich-rechtliche Institutionen des Bundes mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl. Bundesgesetz über die Eidgenössischen Technischen Hochschulen vom 04.10.2001). In Schweden wurden die staatlichen Universitäten Chalmers und Jönköping 1994 in Stiftungen des öffentlichen Rechts umgewandelt und weitgehend von staatlicher Regulierung befreit (vgl. Chalmers University of Technology Foundation 2004). In Finnland hat das Parlament im Jahr 2009 eine umfassende Universitätsreform beschlossen (vgl. Aarrevaara/Dobson/Elander 2009). Die finnischen Universitäten werden zu Institutionen mit eigener Rechtspersönlichkeit und erhalten Eigentumsrechte an ihren Liegenschaften. Die Universitäten werden wählen können, ob sie zukünftig Institutionen des öffentlichen Rechts oder Stiftungsuniversitäten nach Privatrecht sein möchten. In Helsinki soll aus dem Zusammenschluss von drei bisher staatlichen Hochschulen eine neue Universität mit Weltgeltung entstehen. Mit der Rechtsform einer stiftungsfinanzierten Universität nach privatem Recht erhält die neue Universität Aalto ein Höchstmaß an Finanz-, Organisations- und Personalautonomie. Durch Deregulierung wurden an den deutschen Universitäten zahlreiche positive Effekte erzielt. Neun von zehn Rektoren bzw. Präsidenten berichteten in der Erhebung zur Universitätsautonomie von beschleunigten Entscheidungsprozessen (insbesondere bei Berufungsverfahren) und einer größeren Flexibilität, Wissenschaftsnähe und Sachgerechtigkeit bei finanziellen, personellen und organisatorischen Entscheidungen. Dies hat sich nach Meinung von 75 Prozent aller Befragten positiv auf die Profilentwicklung, den universitätsinternen Wettbewerb und die interuniversitäre Wettbewerbsfähigkeit ausgewirkt. Dies wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ganz ähnlich beurteilt: Die Ergebnisse ihres FörderRankings zeigen, dass die Hochschulen in Deutschland zunehmend gut für den nationalen und internationalen Wettbewerb in Wissenschaft und Forschung gerüstet sind. „Vielen von ihnen sei es in den vergangenen Jahren gelungen, ihre Forschungsprofile zu schärfen und klare fachliche Schwerpunkte zu setzen“ (DFG 2009). Lediglich die Hälfte der Rektoren bzw. Präsidenten ist der Meinung, dass Deregulierung auch zu einer größeren Kosteneffizienz geführt hat. Eine vertiefte Analyse der Befragungsdaten zeigt, dass die positiven Effekte der Deregulierung umso ausgeprägter sind, je höher der Grad der Autonomie ist, den die jeweilige Universität bisher erreicht hat.
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Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
In ihren Fragebogenkommentaren betonen die Rektoren bzw. Präsidenten, dass Deregulierung die Voraussetzung für eine effektive Selbststeuerung und für die Übernahme von Entscheidungsverantwortung sei. Die erheblich erweiterten Handlungsspielräume für Leitungsorgane (Verlagerung von strategischen Entscheidungskompetenzen an die Hochschule, Globalhaushalt, Berufungsrecht) hätten sich positiv auf die Leistungsmotivation in Rektorat und Verwaltung ausgewirkt. Die Universitätsautonomie hat vielfach ihre Grenzen, wenn übergeordnete Interessen des Landes tangiert sind. Nicht alle gesetzlichen Aufgabenbereiche werden durch Zielvereinbarungen geregelt, sondern zum Teil auch durch Verordnungen des Ministers. Gelegentlich werden die früheren gesetzlichen Regelungen durch direkte politische Einflussnahme ersetzt. Die Übertragung von Kompetenzen auf die Hochschule durch das Land geht vielfach nicht mit einer Übernahme der entsprechenden personellen Ressourcen einher. Die Universitätsleitungen befinden sich in einer häufig wenig angenehmen „Sandwich-Position“, da die richtige Balance zwischen operativer Führung, die vom Hochschulrat erwartet wird, und Partizipation, die von den Universitätsangehörigen beansprucht wird, gefunden werden muss. Die erweiterten Handlungsspielräume werden in den dezentralen Einrichtungen oft (noch) nicht genutzt, weil es an Motivation (Eingruppierung nach Stellenplan) und an den erforderlichen Kompetenzen und Personalentwicklungsmaßnahmen mangelt. Die staatliche Regulierung wird mancherorts durch zeitaufwändige interne Regulierungsprozesse ersetzt, beispielsweise in Form einer Vielzahl von Kommissionen, die sich mit der Verwendung von Studienbeiträgen befassen. Die finanziellen Spielräume sind gering, solange die Hochschulen keine Möglichkeit besitzen, am Markt wirtschaftlich frei aufzutreten und beispielsweise Immobilien zu verkaufen oder Kredite aufzunehmen.
5.3
Handlungsempfehlungen
Alles in allem sehen die Hochschulleitungen für ihre eigene Universität in den nächsten Jahren weiterhin mehr Deregulierungs- als Regulierungsbedarf. Der größte Regulierungsbedarf wird bei den Finanzen gesehen. Erforderlich seien mehrjährige Finanzzusagen seitens der Länder und verbindliche Zusagen zum Mittelaufwuchs insbesondere im Baubereich (Sanierungsund Neubaubedarf). Als weiteres Desiderat werden klare leistungs- und belastungsorientierte Mittelverteilungsmodelle innerhalb und zwischen den Ländern (z. B. Geld folgt Studierenden) genannt. Ferner besteht mancherorts ein Bedarf für eine Regelung, mit der die Universitätsleitung bei Konflikten mit dem Hochschulrat an das Ministerium appellieren kann. Aus Sicht des AKTIONSRATSBILDUNG sollte die Politik der Hochschulautonomie auf Bundes- und Landesebene fortgeführt werden und ein weiterer Abbau staatlicher Detailsteuerung beispielsweise in Form von Genehmigungs- und Zustimmungsvorbehalten erfolgen. Die Regelungsdichte von Hochschulgesetzen und Zielvereinbarungen soll weiter reduziert werden (das nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ umfasst über 100 Seiten); Aufgabenbereiche, die durch Zielvereinbarungen geregelt sind, sollen für die Dauer der Vereinbarung der Fachaufsicht entzogen sein.
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Kapitel 5
Als Rechtsform sollen die Hochschulen zwischen „Körperschaft des öffentlichen Rechts und staatliche Einrichtung“, „Körperschaft des öffentlichen Rechts“, „Stiftung des öffentlichen Rechts“ und „Stiftung nach Privatrecht“ wählen können. Die Universitätsautonomie kann weiter gestärkt werden, indem die Vorgaben zur Binnenstruktur der Hochschule dereguliert werden. Für eine effiziente Hochschulsteuerung werden ein umfassender und mehrjähriger Globalhaushalt, die Bildung von freien Rücklagen sowie der Aufbau eines Stiftungsvermögens als notwendig erachtet. Hierfür müssen die Rahmenbedingungen für das Engagement Privater an der Universität verbessert werden. Die Universitäten sollen die Möglichkeit erhalten, sich neue Finanzierungsquellen durch Forschungs- und Wissenstransfer (z. B. durch Patentverwertungen oder Weiterbildung), Einwerbung von Spenden und Sponsoringmitteln (z. B. durch Alumni-Vereinigung) und durch wirtschaftliche Aktivitäten (z. B. durch Liquiditätsmanagement, Gründung von Dienstleistungsunternehmen) erschließen zu können. Ferner sollen den Hochschulen Eigentumsrechte an den Liegenschaften übertragen werden, einschließlich des Rechts, Liegenschaften zu errichten, zu verändern und zu veräußern. Im Bereich der Professorenbesoldung muss im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Vergaberahmen abgeschafft oder zumindest erweitert werden. Für eine flexible Gestaltung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeitenden sollen Stellenpläne aufgehoben, das Personalrecht dereguliert und ein Angebot an Personalentwicklungsmaßnahmen geschaffen werden. Der Universitätspräsident soll Dienstvorgesetzter des gesamten Personals sein. Über die Einführung und Abschaffung von Studiengängen soll die Hochschule ohne Zustimmung des Ministeriums entscheiden und die Studienkapazitäten selbst festsetzen können. Die Lehrleistung soll durch die Universitätsleitung durch Gesamtdeputate individuell festgelegt werden können. Mit der Übertragung von Zuständigkeiten auf die Hochschule durch das Land müssen auch die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen von den Ministerien an die Hochschule verlagert werden. Rechenschaftslegung und Qualitätsmanagement müssen so gestaltet werden, dass Überregulierung und Bürokratisierung vermieden werden.
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Maßvolle Regulierung in der Erwachsenenund Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung
Der Weiterbildungssektor gehört zu den Bildungsbereichen, die am wenigsten staatlich reguliert sind. Diese Feststellung ist ambivalent zu bewerten: Einerseits ist die dadurch mögliche Pluralität von Trägern, Einrichtungen, Angebotsformen und Bildungszielen bildungspolitisch gewollt und angesichts der unterschiedlichen Aufgaben der Erwachsenen- und Weiterbildung sowie mit Blick auf die Heterogenität der Teilnehmer und Adressaten auch notwendig. Andererseits werden immer wieder die dadurch gegebene Unverbindlichkeit und Unübersichtlichkeit sowie die im internationalen Vergleich zu geringe Beteiligung an der Weiterbildung auf einen Mangel an Regulierung zurückgeführt.
6.1
Geschichte und Status quo fehlender Regulierung
6.1.1
Zur Ausdifferenzierung von Erwachsenen- und Weiterbildung
Verschiedene strukturelle Phänomene, die den Weiterbildungsbereich bis heute prägen, haben historische Wurzeln. Zum Beispiel die rechtlich verankerte Pluralität der Weiterbildung, wie sie sich insbesondere in den Trägerstrukturen und somit auf institutioneller Ebene zeigt. Die Wurzeln dieser Vielfalt sind weniger in den aktuellen Rechtsnormen zu suchen – diese wurden eher an die historisch gewachsene Pluralität angepasst – als in den historischen Anfängen der Erwachsenenbildung. Die im 18. Jahrhundert mit den ersten Lesegesellschaften verbundene Idee des gebildeten und mündigen Bürgers hat bis heute Bestand, wobei sich parallel hierzu die durch die Industrialisierung notwendig gewordene berufliche Anpassungsfortbildung zunehmend ausdifferenzierte. So standen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die allgemeine und politische Erwachsenenbildung einerseits, die von kirchlichen Trägern, den neu gegründeten Volkshochschulen und verschiedenen Bildungsvereinen getragen wurde, und die berufliche Weiterbildung andererseits, wie sie u. a. von arbeitgebernahen Trägern geleistet wurde, nebeneinander, flankiert von gewerkschaftlichen Trägern, die sich auf den Bereich der politischen Weiterbildung konzentrierten. Diese Pluralität erfuhr nach dem Zweiten Weltkrieg durch die starke Expansion und Ausdifferenzierung des gesamten Weiterbildungssektors und ihre rechtliche Verankerung eine zusätzliche Dynamik, die bis heute anhält. Es wird zwischen beruflicher, allgemeiner und politischer Erwachsenenbildung differenziert, die sich nicht nur in ihren Inhalten unterscheiden, sondern unter ganz unterschiedlichen institutionellen, finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen agieren. Mit diesen differenzierten Aufträgen wendet sich die Erwachsenen- und Weiterbildung an verschiedene soziale Gruppen, die sowohl in ihren Bildungsabschlüssen, finanziellen Möglichkeiten und beruflichen Positionen als auch in ihren Lebensstilen, Einstellungen und Bildungsinteressen das gesamte Spektrum sozialer Heterogenität und Ungleichheit widerspiegeln. Wie verschiedene Studien zur Teilnehmer- und Adressatenforschung im Bereich der Weiterbildung zeigen, sind Bildungsziele, -interessen und -barrieren in hohem Maße von der
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Kapitel 6
individuellen Lebenslage (vgl. z. B. Baethge/Baethge-Kinsky 2004; Rosenbladt/Bilger 2008), vorangegangenen Bildungserfahrungen (vgl. z. B. Strzelewicz/Raapke/Schulenberg 1966; Tippelt u. a. 2009a) und dem Herkunftsmilieu geprägt (vgl. z. B. Tippelt u. a. 2003; Barz/ Tippelt 2004). Aus dieser sozialen Differenzierung resultieren in der Moderne die sehr unterschiedlichen Anforderungen an die Erwachsenen- und Weiterbildung, die durch ein breites Spektrum von Angeboten, unterschiedlich qualifizierte Lehrende und eine plurale Trägerlandschaft der an sie gerichteten heterogenen Nachfrage begegnet. Eine enge Regulierung des Weiterbildungssektors, der zunehmend marktförmige Strukturen aufweist (vgl. Tippelt/ Eckert/Barz 1996), ist schon deshalb schwer zu realisieren. Dennoch gibt es – zumindest für Teilbereiche des Weiterbildungsmarkts – regulierende Vorgaben, die sich zum Teil aus steuerungspolitischen Interventionen, zum Teil aber auch aus einer marktwirtschaftlichen Dynamik heraus entwickelt haben. Tatsache allerdings ist, dass die geringe Regulierung der Weiterbildung im internationalen Vergleich mit niedrigen Teilnehmerquoten einhergeht (vgl. OECD 2008). Berufliche Weiterbildung
Allgemeine Weiterbildung
35 30
Prozent
25 20 15 10 5 0 1979
1982
1985
1988
1991
1994
1997
2000
2003
2007
Jahr
Abbildung 20: Weiterbildungsbeteiligung im Zeitverlauf (vgl. Rosenbladt/Bilger 2008)
Repräsentative Daten zur Partizipation an den Angeboten der Erwachsenen- und Weiterbildung werden erst seit den 1970er Jahren in regelmäßigen Abständen erfasst, insbesondere durch das Berichtssystem Weiterbildung (vgl. Rosenbladt/Bilger 2008). Dabei zeigt sich bis Ende des 20. Jahrhunderts ein kontinuierlicher Anstieg der Teilnahme an allgemeiner und beruflicher Weiterbildung, der seit der Jahrtausendwende stagniert (siehe Abbildung 20). Aktuell nehmen etwa 43 Prozent der 19- bis 64-Jährigen innerhalb eines Jahres an beruflicher und/oder allgemeiner Weiterbildung teil. Das Grundrecht auf Weiterbildung im Sinne eines Individualrechts wurde durch den Deutschen Bildungsrat Anfang der 1970er Jahre eingefordert: „Allen Staatsbürgern soll es möglich sein, den gleichen Anspruch auf Bildung in verschiedenen Formen oder auf verschiedenen Anspruchsebenen zu realisieren. Schule, Berufsbildung und Weiterbildung stehen damit vor neuen Aufgaben“ (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 30). Seither haben rechtliche Regelungen zur Weiterbildung zwar quantitativ zugenommen, es ist aber von einer Diversifikation relevanter Rechtsnormen und nicht von einer einheitlichen Regulierung auszugehen.
124
Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung
Der vom Deutschen Bildungsrat formulierte Anspruch ist in der Weiterbildung bis heute nicht erfüllt.
6.1.2
Rechtliche Grundlagen
Auch wenn bis heute kein Weiterbildungsgesetz auf Bundesebene vorliegt und aufgrund der föderalistischen Struktur in Deutschland wohl auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, dass sich daran etwas ändert, gibt es doch eine Fülle von Gesetzen und rechtlichen Normen, die für den Weiterbildungsbereich relevant sind. Von einer Regulierung kann dabei am ehesten auf Landesebene gesprochen werden, wo in den meisten Bundesländern eigene Weiterbildungsgesetze den rechtlichen Rahmen für den Sektor der quartären Bildung vorgeben. Diese sind in ihrer relativ unspezifischen Formulierung zwar weniger als regulierendes Instrument zu verstehen, bringen aber das staatliche und öffentliche Interesse an funktions- und leistungsfähigen Weiterbildungsstrukturen und in Teilen das Interesse an einer Ordnung der Pluralität und Heterogenität von Trägern zum Ausdruck (vgl. Kuhlenkamp 1997; Nuissl 2009). Die in den Weiterbildungsgesetzen festgehaltenen Regulierungen beziehen sich auf die Aspekte Programmatik, Organisation, Finanzierung und Qualität, sind aber überwiegend „weich formuliert und Ausdruck eines allgemeinen Konsenses“ (Grotlüschen/Haberzeth/Krug 2009, S. 359). Die wesentliche Bedeutung der Weiterbildungsgesetze der Länder resultiert daraus, dass sie die Weiterbildung als eigenständigen Bildungssektor festschreiben, die Pluralität von Trägern, Einrichtungen und Angeboten rechtlich verankern, die Bedingungen für eine staatliche Förderung von Einrichtungen und Angeboten festlegen, wobei der Umfang dieser Förderung allerdings an die Haushaltslage des jeweiligen Landes gebunden ist, und schließlich zusätzlich auch Aspekte der Qualitätssicherung in den Weiterbildungsgesetzen verankert wurden (vgl. auch Rohlmann 1999). Für die institutionelle Ausgestaltung der Weiterbildung sind einige zentrale Ordnungsgrundsätze von besonderer Bedeutung (vgl. Nuissl 2009; Tippelt/Schmidt in Druck), die überwiegend in den Weiterbildungsgesetzen der Länder geregelt werden: das Subsidiaritätsprinzip, das freien Trägern den Vorrang gegenüber staatlichen Angeboten einräumt, der Träger- und Angebotspluralismus, der den vielseitigen Aufgaben der Erwachsenenbildung sowie den Bedarfen unterschiedlicher Adressatengruppen Rechnung trägt, die Flächendeckung, die auch die Versorgung ländlicher Regionen mit entsprechenden Angebotsstrukturen sicherstellen soll, die öffentliche Verantwortung für den Weiterbildungssektor, die schließlich auch die Finanzierung einbezieht, und die Allgemeinzugänglichkeit der Angebote sowie die Freiwilligkeit der Teilnahme, wobei beide Voraussetzungen nur für den öffentlich geförderten Bereich der Weiterbildung Verbindlichkeit haben.
125
Kapitel 6
Die Wirkung dieser Gesetze – insbesondere vor dem Hintergrund seit Mitte der 1990er Jahre rückläufiger staatlicher Bezuschussung – wird ambivalent beurteilt und schwankt zwischen der Proklamation des allmählichen Rückzugs des Staates aus dem Weiterbildungssektor und der Würdigung des Bemühens um die Sicherstellung einer kontinuierlichen Planung und Angebotsstruktur (vgl. Grotlüschen/Haberzeth/Krug 2009). Wesentlich präziser hinsichtlich der in ihnen festgelegten Ansprüche auf Förderung und die Schaffung von Angeboten sind zahlreiche andere Gesetzestexte, die den Weiterbildungsbereich unmittelbar berühren. Neben den Bildungsurlaubsgesetzen auf Landesebene gehören dazu bundesrechtliche Bestimmungen, wie sie in den Sozialgesetzbüchern, im Berufsbildungsgesetz, im Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, im Fernunterrichtsschutzgesetz und im Zuwanderungsgesetz verankert sind. Die in diesen Normen festgelegten Regulierungen beziehen sich – im Gegensatz zu den Weiterbildungsgesetzen – meist nicht auf die zu schaffenden Strukturen, sondern sichern Rechtsansprüche verschiedener Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihrer Weiterbildungsmöglichkeiten, ihrer Freistellung während der Arbeitszeit zu Bildungszwecken und ihrer Ansprüche auf finanzielle Förderung sowie die qualitative Ausgestaltung spezifischer Weiterbildungsprogramme. Eine Sonderstellung nimmt dabei das 2004 verabschiedete Zuwanderungsgesetz ein, indem es neben der Teilnahmeberechtigung auch eine Teilnahmeverpflichtung festschreibt (vgl. Nuissl 2009). In jüngster Zeit werden auch europäische Richtlinien und Gesetzesvorgaben für die nationale Weiterbildungslandschaft zunehmend relevant. Insbesondere die im Vertrag von Lissabon festgelegten Ziele einer stärkeren Kooperation der Mitgliedsstaaten in Bildungsfragen und der Förderung von Mobilität durch die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen tangieren auch den Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung. Gerade die berufliche Weiterbildung ist von den im Lissabon-Vertrag festgehaltenen Vereinbarungen betroffen, da der Bereich der beruflichen Bildung insgesamt im Fokus europäischer Bildungspolitik steht. Insbesondere die Anerkennung auch informell erworbener Kompetenzen wird im Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) und im darauf bezogenen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) aktuell gefordert und umgesetzt. Darüber hinaus wirken europäische Richtlinien zur Qualifizierung einzelner Berufsgruppen sowie allgemeine Vorgaben zur Bildungsfinanzierung auch in den Weiterbildungssektor hinein, ebenso wie die Förderprogramme auf EU-Ebene (vgl. Grotlüschen/ Haberzeth/Krug 2009).
6.1.3
Finanzierung
Entsprechend den bereits angesprochenen Rechtsgrundlagen der Weiterbildung ist der Staat hinsichtlich der Finanzierung von Weiterbildung vor allem dann gefordert, wenn die marktwirtschaftliche Dynamik von Angebot und Nachfrage eine flächendeckende Versorgung oder das Vorhandensein von Angeboten für alle Bevölkerungsgruppen nicht sicherstellen kann. Wenn z. B. aufgrund einer schwer absehbaren Weiterbildungsrendite die Bereitschaft oder Fähigkeit zur Kostenübernahme auf Seiten der Bildungsinteressenten oder der Arbeitgeber nicht gegeben, gleichzeitig die Aufrechterhaltung eines entsprechenden Angebots aber gemäß den beschriebenen Prinzipien als geboten anzusehen ist, so ist die öffentliche Hand zur (Mit-)Finanzierung entsprechender Angebote verpflichtet. Umgekehrt hält sich der Staat als Finanzier insbesondere dann zurück, wenn der Erwerb unmittelbar beruflich verwertbarer
126
Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung
Kompetenzen in der Anpassungsfortbildung (bei Technik, Arbeitsorganisation oder Produktinnovation) im Vordergrund steht (vgl. Weiß 2009). Staatliche Weiterbildungsfinanzierung kann an verschiedenen Punkten ansetzen und auf eine Reihe von Instrumenten zurückgreifen. Zunächst lassen sich direkte und indirekte Formen der Weiterbildungsfinanzierung differenzieren. Die direkte Form der Weiterbildungsfinanzierung bezieht sich auf die unmittelbare Teilnahme an oder Durchführung von einem bestimmten Programm oder einer konkreten Maßnahme. Die indirekte Form fördert eine inhaltsunabhängige Weiterbildungsteilnahme. Wichtige Formen indirekter Weiterbildungsförderung sind auf Bundesebene das Meister-BAföG, das so genannte „Bildungssparen“ sowie die Begabtenförderung und auf Ebene der Länder und Kommunen die Förderung von Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Beispiele für eine direkte Förderung sind Forschungsund Entwicklungsprogramme auf Bundes- oder europäischer Ebene (z. B. Lernende Regionen, Lernen vor Ort, Perspektive Berufsabschluss, Hauptschulabschluss) oder die Förderung von konkreten Bildungsangeboten durch die Arbeitsagenturen der Länder. Alternativ lassen sich Finanzierungsformen auch nach dem Anteil öffentlicher Gelder an den Gesamtkosten unterscheiden oder nach den Empfängern staatlicher Zuschüsse (Teilnehmer, Einrichtungen oder Träger). Betrachtet man konkrete Angebote – insbesondere der außerberuflichen Erwachsenenbildung –, so dominiert eine Mischfinanzierung aus staatlichen Zuschüssen, Teilnehmerbeiträgen und weiteren Quellen (z. B. Spenden), wobei der Anteil öffentlicher Mittel an den Gesamtkosten seit Jahren permanent rückläufig ist (derzeit 13 Prozent) und auch innerhalb des Bildungsetats nur eine randständige Rolle spielt (vgl. Weiß 2009). Nachdem die staatliche Förderung auf Angebotsebene an konkrete Voraussetzungen gebunden ist – wie die Offenheit des Angebots oder die Freiwilligkeit der Teilnahme (vgl. Nuissl 2009) –, verliert die öffentliche Hand mit der Reduzierung der Zuschüsse auch zunehmend regulativen Einfluss auf diese Aspekte der Angebotsgestaltung. Mit anderen Worten geht die zunehmende Dominanz marktwirtschaftlicher Prinzipien im Weiterbildungssektor mit einer forcierten Deregulierung einher. Die für die Weiterbildungsförderung verausgabten öffentlichen Mittel stammen aus dem Bundeshaushalt (Modellförderung), den Landeshaushalten (Etatisierung der Weiterbildung) sowie den kommunalen Haushalten (Institutionen- und Projektförderung), aber auch von der Europäischen Union sowie in nicht unerheblichem Umfang von der Bundesagentur für Arbeit. Entsprechend haben sozial- und arbeitspolitische Initiativen – wie die Hartz-Reformen – auch starke Auswirkungen auf den quartären Bildungssektor. Konkret haben die Hartz-Reformen zu einer Reduzierung längerfristiger Bildungsmaßnahmen und einem Ausbau kurzfristiger Trainings sowie vermehrten betrieblichen Wiedereingliederungsmaßnahmen geführt. Darüber hinaus wurde eine Akkreditierungspflicht für Lehrgänge und Anbieter eingeführt, eine teilnehmerorientierte Finanzierung über ein Gutscheinsystem (SGB III, § 77, Absatz 4) etabliert und die überregionale Ausschreibung von Bildungsmaßnahmen geregelt (vgl. Weiß 2009). Die Akkreditierungspflicht, deren Einführung bereits 2004 von der Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens gefordert wurde, legt für die über SGB III finanzierten Weiterbildungsangebote fest, dass die jeweiligen Programme bzw. die verantwortlichen Träger bestimmten Qualitätskriterien genügen müssen. Diese Kriterien beziehen sich u. a. auf die Ausbildung der Lehrkräfte, die Teilnahmebedingungen, die Zertifizierung der Teilnahme sowie das Vorhandensein eines Qualitätssicherungssystems auf Seiten des jeweiligen Trägers (vgl. SGB III, § 84f.). Für die Akkreditierung von Trägern und Programmen ist grund-
127
Kapitel 6
sätzlich die Agentur für Arbeit zuständig. Sie kann diese Aufgabe aber auch an eine andere „fachkundige Stelle“ (SGB III, § 84) delegieren. Durchlaufen Träger bzw. Programme diese Qualitätsüberprüfung erfolgreich, so können Arbeitsuchende von der Agentur für Arbeit vergebene Bildungsgutscheine für diese Angebote einlösen. Der Bildungsgutschein gilt als Zusicherung der Kostenübernahme durch die Agentur für Arbeit auch für eine längerfristige Maßnahme und wird von den zuständigen Arbeitsvermittlern an Arbeitsuchende vergeben. Dabei bietet das Kriterium der „Notwendigkeit einer Weiterbildung“ einen erheblichen Ermessensspielraum für eine eher großzügige oder eher restriktive Vergabe von Bildungsgutscheinen, wobei gerade in Zeiten angespannter kommunaler Haushalte eine hohe Zurückhaltung bei der Vergabe zu erwarten ist (vgl. auch Kühnlein 2006). Im Bereich der Weiterbildungsangebote für Arbeitsuchende wird in besonderem Maße deutlich, was für den gesamten Weiterbildungssektor symptomatisch ist: Staatliche Steuerung und Regulierung erfolgten hier weniger gezielt und bildungspolitisch intendiert denn als Beiprodukt von Initiativen in anderen politischen Feldern (z. B. Sozial-, Wirtschafts-, Umwelt- oder Migrationspolitik), deren Auswirkungen sich mehr oder weniger drastisch in der Weiterbildungslandschaft niederschlagen oder die neue Regulierungen im Bereich der Weiterbildung erforderlich machen. Unter anderem zur Reduzierung dieser indirekten Kosten sind Formen so genannter arbeitsplatznaher informeller Weiterbildung in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus betrieblicher Personalentwicklung geraten. Diese Form der Weiterbildung eröffnet neue Möglichkeiten des Lernens, z. B. durch eine lernförderliche Gestaltung des Arbeitsplatzes (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 2004), impliziert aber auch klare Begrenzungen und eigene Probleme, denn die lernförderlichsten Arbeitsplätze haben vor allem Personen mit hohem Bildungsniveau und guter beruflicher Position (siehe z. B. Garrick 1998). Wünschenswert ist daher eine Verknüpfung informeller und organisierter Weiterbildungsformen, da nachhaltiges informelles Lernen von institutionalisierten Weiterbildungsphasen profitiert und andererseits auch die Institutionen der Weiterbildung die in informellen Lernprozessen aufgebauten Kompetenzen bei ihren Veranstaltungen nutzen können (vgl. Tippelt 2004). Informelles Lernen ist kaum Regulierungen unterworfen. Die Verteilung der Weiterbildungskosten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist zunehmend Gegenstand tariflicher Vereinbarungen und individueller Absprachen in Form von Zielvereinbarungsgesprächen. Mit Blick auf die Regulierung des Weiterbildungssektors ist davon auszugehen, dass die Arbeitgeber in erheblichem Maß Einfluss auf Weiterbildungsinhalte, aber auch auf die Organisation von Bildungsangeboten nehmen und im Bereich der beruflichen Weiterbildung inzwischen selbst als wichtigster Anbieter auftreten (vgl. Rosenbladt/Bilger 2008).
6.1.4
Trägerstrukturen
Schätzungen auf der Basis empirischer Studien gehen von ca. 30.000 rechtlich selbstständigen Weiterbildungsinstitutionen aus, die insgesamt über 150.000 fest angestellte Mitarbeiter und über 600.000 freie Mitarbeiter beschäftigen (vgl. Nuissl/Pehl 2000). Vor diesem Hintergrund und verbunden mit den sehr unterschiedlichen Anforderungen an Weiterbildungsangebote durch unterschiedliche Zielgruppen prägt ein heute kaum mehr zu überschauendes Feld von Akteuren die bundesdeutsche Weiterbildungslandschaft, die sich allerdings in fünf Gruppen einordnen lassen (vgl. Tippelt/Eckert/Barz 1996):
128
Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung
Eine erste Weiterbildungsstruktur bilden die etablierten Institutionen der Weiterbildung, wie die verbandsnahen, öffentlichen, gewerkschaftlichen oder kirchlichen Weiterbildungsträger. In diesem öffentlich subventionierten Bereich, zu dem auch die Angebote der Landeszentralen gehören, zeigt sich ein Trend der wachsenden finanziellen Anteile der Teilnehmer. Dieser Weiterbildungsbereich ist primär durch die beschriebenen Ordnungsgrundsätze der Weiterbildung und die daran gekoppelten staatlichen Zuschüsse reguliert, wobei sich innerhalb dieser Richtlinien die Bildungsanbieter weitgehend dereguliert letztlich auch an der Nachfrage orientieren. Unternehmensnahe Weiterbildungsträger und -institutionen wie Arbeitgeberverbände, Handwerksorganisationen und insbesondere die externalen und internalen Weiterbildungsangebote der Betriebe lassen sich als zweite Weiterbildungsstruktur zusammenfassen. Die schnellen organisatorischen und technischen Veränderungen in der Arbeitswelt bedingen die massiven Anstrengungen der Betriebe im Bereich der Weiterbildung und zielen auf die Vermittlung von Fach-, Methoden-, Sozial- und Individualkompetenzen. Zielgruppen sind alle Arbeitnehmergruppen – vom Arbeiter bis zum Führungspersonal. Besonders verschiedene Formen des non-formalen und situierten Lernens direkt am Arbeitsplatz haben in den letzten Jahren hier verstärkt an Bedeutung gewonnen. Regulierungen ergeben sich in diesem Bereich eher indirekt durch die jeweiligen Interessen der Träger und deren Kerngeschäft. Selbsthilfegruppen und Initiativen, die häufig aus Vereinen und Bürgerbewegungen hervorgegangen sind, können als eigenständige dritte Weiterbildungsstruktur bezeichnet werden. Diese auf bürgerschaftlichem Engagement und freiwilligen, auch ehrenamtlichen Dienstleistungen im Bildungsbereich beruhenden Initiativen arbeiten mit den Institutionen der Weiterbildung häufig eng zusammen und leisten dennoch einen eigenständigen Beitrag im Kontext des lebenslangen Lernens. In dieser Eigenständigkeit sind sie von Rahmenvorgaben und regulierenden Einflüssen kaum betroffen, sondern beruhen gänzlich auf dem freiwilligen zivilgesellschaftlichen Engagement der Akteure. Eine vierte Weiterbildungsstruktur konzentriert sich auf die berufliche Fortbildung des Führungspersonals im primären, sekundären und tertiären Sektor und wird durch die wissenschaftliche Weiterbildung der Universitäten und Hochschulen getragen. Diese gesetzlich verankerten und sich primär an Hochschulabsolventen richtenden wissenschaftlichen Formen der beruflichen Fortbildung etablieren sich allerdings wegen anderer Aufgaben des Hochschulsystems nur langsam. Insbesondere das Hochschulrahmengesetz, in dem auch die Zuständigkeit der Hochschulen für die wissenschaftliche Weiterbildung festgelegt ist, sowie die spezifischen Hochschulgesetze der Länder bilden einen Rahmen, der im weitesten Sinne als regulierend bezeichnet werden kann, aber den Hochschulen dennoch freie Hand in der Ausgestaltung und auch im Umfang der Angebote lässt (vgl. Arbeitsstab Forum Bildung 2001). Auch hier haben Nachfragestrukturen zahlungsbereiter Zielgruppen und Unternehmen einen nachhaltigen Einfluss auf die Angebotsgestaltung. Schließlich sind private Bildungsunternehmen und kommerzielle Anbieter, die als kleine ökonomische Einheiten eine fünfte Weiterbildungsstruktur bilden, in großer Vielzahl existent. Sie können relativ schnell auf neue Weiterbildungsinteressen reagieren und konzentrieren sich vorrangig auf die rentablen Segmente der Weiterbildungsnachfrage, da sie selten auf öffentliche Subventionen zurückgreifen können. Sie sind grundlegenden gewerberechtlichen Vorgaben unterworfen, orientieren sich darüber hinaus aber primär an marktwirtschaftlichen Prinzipien und sind daher überwiegend nachfrageorientiert sowie relativ unabhängig von bildungspolitischen Vorgaben.
129
Kapitel 6
Die unterschiedlichen Weiterbildungsstrukturen sind jeweils eigenen Regulierungen unterworfen, wobei die Orientierung an der Nachfrage von Adressatengruppen insgesamt als wichtigstes „Regulativ“ dominiert. Somit bestimmen marktwirtschaftliche Prinzipien weitaus stärker die Angebotsstrukturen im quartären Bildungssektor als staatliche Vorgaben. Allerdings wirken legislative Initiativen indirekt auf die Weiterbildung, wenn sie Einfluss auf die Nachfrage nehmen (z. B. Bildungssparen) oder wenn sie Vorgaben für die Anerkennung von Bildungsprozessen enthalten, wie im sich etablierenden Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) und im deutschen Pendant (DQR).
6.1.5
Personelle Ressourcen
Jenseits der Debatte um Qualitätssicherung in der Weiterbildung und um die Professionalisierung der in diesem Bildungsbereich Tätigen sind bislang keine Initiativen oder Vorstöße staatlicherseits erkennbar, die in Richtung einer Etablierung von Mindeststandards oder einer anderen Form der Regulierung des Zugangs zum Tätigkeitsfeld der Weiterbildner gehen. Mit dieser Situation bildet Deutschland keineswegs eine Ausnahme innerhalb Europas, sondern viele europäische Länder sind in einer ähnlich unübersichtlichen und diversifizierten Lage hinsichtlich der Qualifikationen des Weiterbildungspersonals. Dies ist umso bedenklicher, als gerade das pädagogische Personal aus Perspektive der Teilnehmenden zu den zentralen Qualitätsmerkmalen von Weiterbildung gehört und insbesondere für eher bildungsferne Gruppen ein ganz wesentliches Kriterium für die Bewertung von Bildungsangeboten darstellt (vgl. Tippelt/v. Hippel 2007; v. Hippel/Tippelt 2009). Bemühungen um eine Förderung der Professionalisierung im Weiterbildungssektor durch die Qualifizierung der Programm- und Angebotsplaner sowie der Lehrenden scheinen insbesondere deshalb so schwierig, weil viele der in diesem Bereich Tätigen als Honorarkräfte oder Ehrenamtliche arbeiten und lediglich etwa 14 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in der Weiterbildung sozialversicherungspflichtig sind (vgl. Wirtschaft- und Sozialforschung 2005). So kommen aktuell auf 11.125 hauptberuflich im Weiterbildungssektor Tätige über 241.000 neben- und freiberufliche sowie ehrenamtliche Mitarbeiter. Gerade die Realisierung von Bildungsangeboten liegt sowohl in der beruflichen wie in der allgemeinen Weiterbildung überwiegend in der Hand von Honorarkräften, die zwar häufig über einen akademischen Abschluss, jedoch nur zu etwa zwei Dritteln über eine pädagogische (Zusatz-)Qualifikation verfügen (vgl. Kraft/Seitter/Kollewe 2009). Die Heterogenität der Beschäftigten, die sich in unübersichtlichen und bisweilen diffusen Qualifizierungswegen niederschlägt, stellt eine große Herausforderung für die Professionalisierungsbestrebungen im Weiterbildungssektor dar und unterscheidet diesen Bildungsbereich deutlich von anderen. Eine weitere – erst in den letzten Jahren angegangene – Aufgabe auf dem Weg zur Professionalisierung sind die Erfassung der Aufgabenfelder und Tätigkeitsprofile der in Weiterbildung Tätigen und daran anknüpfend die Ableitung der zu deren Bewältigung erforderlichen Kompetenzen (vgl. v. Hippel/Fuchs/Tippelt 2008; v. Hippel/Reich/Tippelt 2008; Kraft 2009). Dabei sollte auf die Fähigkeit zum Anschluss an europäische Initiativen (z. B. den EQR) geachtet werden und Entwicklungen in anderen europäischen Ländern können als Orientierung dienen.
130
Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung
Insgesamt erweisen sich die rechtlichen Regelungen auf europäischer sowie Bundesund Landesebene vor allem insofern als „weich regulierend“, als sie für die Finanzierung bzw. finanzielle Förderung von Angeboten und Institutionen Rahmenvorgaben formulieren. Viele der Träger und Akteure nehmen diese staatliche Unterstützung in Anspruch und stellen sich entsprechend auf die damit in Verbindung stehenden Vorgaben ein. Dennoch kann hier kaum von einer direkten Regulierung gesprochen werden, wie sie in anderen Bildungsbereichen vorliegt. Darüber hinaus ist ein stagnierender Einfluss staatlicher Vorgaben zu vermuten, angesichts tendenziell rückläufiger staatlicher Investitionen im quartären Bildungssektor.
6.2
Regulierung im internationalen Kontext
Öffentliche und private Verantwortung. Die teils sehr unverbindlich formulierte und teils eher fragmentarisch geregelte rechtliche Stellung des quartären Bildungsbereichs war wiederholt Gegenstand von Diskussionen und ist bis heute in mehreren Bereichen unbefriedigend. Gerade der zunehmende staatliche Rückzug aus der Weiterbildungsfinanzierung bei gleichzeitig steigendem Bedarf hat deutlich gemacht, dass der bindende Charakter der entsprechenden Landesgesetze nicht ausgeprägt genug ist und hier rechtliche Regelungen erforderlich wären, die die Aufgaben und Pflichten von Bund, Ländern und Kommunen deutlicher abstecken. Eine bundeseinheitliche Regelung – wie sie in der Vergangenheit wiederholt gefordert wurde – scheint angesichts der aktuellen Föderalismusdebatte auf absehbare Zeit kaum realisierbar. Allerdings wären eine Erweiterung der Weiterbildungsgesetze auf Landesebene und eine rechtliche Regulierung der Qualifizierung des pädagogischen Personals in den Weiterbildungseinrichtungen dringend notwendig, um die Qualität der Weiterbildung dauerhaft zu sichern. Außerdem könnten klarere Verpflichtungen zur Weiterbildungsfinanzierung die Verantwortung der Länder für den Weiterbildungssektor stärken. Der überwiegende Teil der Weiterbildungskosten in Deutschland (ca. 87 Prozent) wird nicht von staatlicher Seite getragen, sondern von Privatpersonen und Unternehmen. Die Bereitschaft der Weiterbildungsteilnehmer, selbst zur Finanzierung beizutragen, differiert erheblich in Abhängigkeit von ihrer sozioökonomischen Lage (vgl. Rosenbladt/Bilger 2008) sowie von ihrer Bildung und ihrem sozialen Milieu (vgl. Barz/Tippelt 2004). Gerade sozial schwache Gruppen sind daher bei der Finanzierung der eigenen Weiterbildung auf die Unterstützung staatlicher Förderprogramme oder des Arbeitgebers angewiesen (vgl. Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens 2004; Schmidt 2009). Finanzielle Aspekte erweisen sich als eine von mehreren Teilnahmebarrieren (vgl. Tippelt u. a. 2009a), die insbesondere finanzschwache bildungswillige Erwachsene von der Realisierung geplanter Weiterbildungsteilnahmen abhält. Es lässt sich aber festhalten, dass mit steigenden Anteilen der Teilnehmer an der Weiterbildungsfinanzierung auch ihr Einfluss auf die Angebotsgestaltung wächst. Insofern ist einerseits eine weiterhin ausgeglichene Weiterbildungsfinanzierung anzustreben, die die Mitsprache der Adressaten bei der Angebotsgestaltung sichert, indem sich diese – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – auch an der Finanzierung von Weiterbildung beteiligen. Andererseits ist die öffentliche Hand gefordert, durch ein verstärktes finanzielles Engagement nicht nur für die Aufrechterhaltung eines breiten Angebots in der beruflichen und insbesondere der allgemeinen und politischen Erwachsenenbildung zu sorgen, sondern auch (wieder) mehr Einfluss auf die
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Kapitel 6
Schaffung von Angeboten für bildungsferne Zielgruppen zu nehmen. Auch die Qualitätssicherung im Weiterbildungssektor wird durch die Konkurrenz der Anbieter zwar kontinuierlich angeregt, bedarf aber vor dem Hintergrund hoher Standards der öffentlich kontrollierten Steuerung (vgl. Meisel 2008). In der beruflichen Weiterbildung sind die Arbeitgeber weiterhin in der Pflicht. Von Arbeitgebern wird vielfach die Bedeutung von Weiterbildung zur Sicherung der Innovationsfähigkeit von Unternehmen und zur Bindung von Mitarbeitern betont, dennoch stagnieren die diesbezüglichen Ausgaben der Betriebe in Deutschland und sind im europäischen Vergleich eher unterdurchschnittlich. Aus bildungsökonomischer Perspektive lässt sich eine Verteilung der Weiterbildungskosten auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem beidseitigen Nutzen rechtfertigen, wobei die Beiträge der Arbeitgeber auch indirekte Kosten – wie den Ausfall von Arbeitskraft während der Zeit der Weiterbildung – umfassen (vgl. Weiß 2009). Die rechtlichen Regelungen zur Beteiligung der Arbeitgeber an der Weiterbildungsfinanzierung – wie sie bislang v. a. auf der Ebene von tarifvertraglichen Vereinbarungen existieren – sind allein offensichtlich noch nicht ausreichend, um im internationalen Wettbewerb um Knowhow und qualifizierte Mitarbeiter konkurrenzfähig zu bleiben. Hier wären rechtlich bindende Vereinbarungen auf europäischer Ebene anzustreben, die den Anspruch von Arbeitnehmern auf Weiterbildung und berufliche Weiterentwicklung festlegen und gleichzeitig faire Modelle der Kofinanzierung zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und staatlichen Stellen festschreiben. Europäischer und nationaler Qualifikationsrahmen. Neue Formen der Modularisierung von Weiterbildung und der Anerkennung von bereits erbrachten Lernleistungen – wie sie durch den 2006 verabschiedeten Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) erstmals auf europäischer Ebene umfassend in Angriff genommen werden (vgl. Sellin 2007) – sollen die Wiederaufnahme von Bildungsgängen und das Fortsetzen von Bildungsaktivitäten erleichtern (vgl. Arbeitsstab Forum Bildung 2001). Gerade für Personen mit bildungsbiografischen Brüchen und bildungsbenachteiligte Gruppen können diese Möglichkeiten der Anerkennung auch informell erworbener Kompetenzen motivierend wirken und den Wiedereinstieg in formale und non-formale Bildungsprozesse erleichtern (vgl. Arbeitsstab Forum Bildung 2004). Mit dem EQR wird die im gesamten Bildungssektor in den letzten Jahren begonnene Umstellung von einer Input- hin zu einer Output-Steuerung vorangetrieben, was für alle Bereiche des Bildungssystems – und durch den EQR insbesondere für die berufliche Bildung und Weiterbildung – künftig einschneidende Konsequenzen hat. Der EQR beschreibt im Kern acht Qualifikationsstufen und zielt auf eine Förderung der Mobilität innerhalb eines Bildungssystems und zwischen den Bildungssystemen verschiedener Länder durch die Zuordnung nationaler Abschlüsse und Bildungsaktivitäten zu europäischen Qualifikationsniveaus (vgl. Sellin 2007). Dieser Qualifikationsrahmen selbst hat zwar nur den Charakter einer Empfehlung an die Mitgliedsländer der EU, es deutet sich aber bereits an, dass er in verschiedenen Ländern und auch in Deutschland in nationale Qualifikationsrahmen umgesetzt werden wird (vgl. Hanf/Rein 2007; Deißinger 2008). Für die Weiterbildung hat dies deshalb sehr nachhaltige Auswirkungen, weil sie nun einerseits – neben der Wissensvermittlung – auch die Zertifizierung von Kompetenzen im Blick haben muss und diese evtl. auch selbst umsetzen kann. Dies ist wiederum mit Akkreditierungsverfahren und dadurch mit einer neuen Form der Regulierung verbunden (vgl. Koob 2008). Andererseits erfährt die Weiterbildung eine Aufwertung, wenn auch non-formal erworbene Kompetenzen zu anerkannten Bildungszertifikaten führen können und Erwachsenen-
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Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung
bildungseinrichtungen für ihre Teilnehmer so neue Möglichkeiten der Bildungswege eröffnen. Wenngleich die konsequente Umsetzung des Europäischen in einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) komplex ist und dem noch zahlreiche Widerstände entgegenstehen (vgl. Deißinger 2008) – nicht zuletzt fehlen noch die wissenschaftlich klare Kompetenzmessung und eine belastbare Diagnostik –, so sind bereits erste Auswirkungen im Weiterbildungsbereich spürbar, denn der Zertifizierung informell erworbener Kompetenzen wird bereits jetzt eine steigende Relevanz eingeräumt. In Zukunft ist eine Veränderung zu erwarten, die die Vermittlung zertifizierbarer Kompetenzen insbesondere in der beruflichen Weiterbildung vorsieht, d. h., Weiterbildungsprogramme werden sich neu an den noch zu entwickelnden Verfahren der Kompetenzmessung und -zertifizierung ausrichten, wenn sich die Träger entsprechend darauf einstellen. Diese neue Form der Steuerung von Bildungsbereichen wirkt in der Weiterbildung wiederum nur indirekt regulierend, aber – so ist zu vermuten – nicht weniger einschneidend als für andere Bereiche des Bildungssystems. Es bestehen Befürchtungen, dass Bildungsziele auf ökonomisch verwertbare Kompetenzen reduziert werden könnten (vgl. Koob 2008) und dass mit einer Ausrichtung am EQR der Bildungssektor an Effizienzkriterien gebunden wird (vgl. Hanf/Rein 2007), die in der allgemeinen und politischen Erwachsenenbildung noch schwerer als in der beruflichen Weiterbildung zu definieren sind. Gleichzeitig gilt es, darauf hinzuweisen, dass im außereuropäischen Ausland (z. B. im australischen Bildungssystem) seit längerem Erfahrungen mit entsprechenden Kompetenzrahmen existieren, deren Umsetzung aber in Abhängigkeit von anderen Innovationsfeldern im Weiterbildungsbereich zu sehen ist. Zentral ist in diesem Kontext die Frage nach der Sicherung und Weiterentwicklung von Qualität in der Erwachsenenbildung, die sich sowohl auf die Prozessqualität (Personal, Organisation) und die Produktqualität (Angebote) als auch auf die Ergebnisqualität (Output und Outcome in der Weiterbildung) bezieht.
6.3
Trends und Regulierungsbedarf
Im Vergleich zu anderen Bereichen des Bildungssystems ist die Erwachsenen- und Weiterbildung sicherlich als ein wenig reguliertes Feld zu bezeichnen. In keinem anderen Bildungssektor herrscht eine vergleichbare Vielfalt von Angeboten oder Fülle von Trägern und Einrichtungen. Was in anderen Bildungsbereichen aber zu größten Problemen führen würde – nämlich das scheinbar kaum reglementierte Wirken der Kräfte des Markts –, ist für die Entwicklung des quartären Bildungssektors zumindest in manchen Bereichen offensichtlich funktional. Vor dem Hintergrund sozialstrukturell bestimmter, gender- und milieuorientierter, aber auch branchen- und betriebsspezifischer heterogener Erwartungen, Anforderungen und Ziele, die von Seiten der Zielgruppen an die Erwachsenen- und Weiterbildung herangetragen werden, sind die Möglichkeiten und die Reichweite staatlicher Steuerung derzeit begrenzt. Sie beschränken sich in vielen Bereichen der Erwachsenen- und Weiterbildung auf die Sicherung einer breiten Angebotspalette, der Förderung von Weiterbildungsteilnahme insgesamt und bildungsferner Gruppen insbesondere. Darüber hinaus existieren lediglich für berufliche Fortbildungen öffentlich anerkannte, mit den Sozialpartnern abgestimmte, verbindliche Curricula, die sich output-orientiert auf die jeweils zu erreichenden Lernziele und die zu vermittelnden Kompetenzen konzentrieren. Im internationalen Vergleich führt dies – das muss kritisch resümiert werden – aber nicht zu voll befriedigenden Ergebnissen.
133
Kapitel 6
Die überwiegende Freiheit der Anbieter hinsichtlich Inhalt, Gestaltung und Adressaten ihrer Angebote kann im Hinblick auf die faktische Diversifizierung der Nachfrage aber nur so lange als funktional erachtet werden, wie öffentlich und staatlich sichergestellt ist, dass auch Bildungsprogramme und Themen, die für die Lernenden keine unmittelbare Rendite versprechen, angeboten und unterstützt werden. Dies gilt insbesondere für den Bereich der kulturellen, politischen und allgemeinen Bildung. Normativ ist festzuhalten, dass soziale Kohäsion, demokratische Partizipation und kulturelle Innovation als Ziele der Bildungsprozesse über die Lebensspanne gleich bedeutsam sind wie berufliche Qualifikation und dass sich entsprechende Bildungsprogramme häufig wechselseitig bedingen. Darüber hinaus obliegt es der öffentlichen Hand, die Weiterbildungsteilnahme – nicht zuletzt durch staatliche Bezuschussung – auf breiter Basis zu fördern und adäquate Angebote insbesondere für bildungsferne oder sozial schwache Gruppen sicherzustellen. Über das SGB II wird Weiterbildung zudem zu einem wesentlichen arbeitsmarktpolitischen Instrument und zu einer der wichtigsten Strategien beruflicher Reintegration. Jenseits staatlicher Steuerung reguliert sich der Weiterbildungsbereich durch die Vernetzung von Akteuren und im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage in Teilen selbst. Die Spezialisierung von Anbietern, die Ausrichtung an ausdifferenzierten Zielgruppen, die Lernerzentrierung der Angebote sowie die Etablierung einer kontinuierlichen Qualitätssicherung gehören zu den wesentlichen Ergebnissen der Netzwerk- und Marktorientierung. Allerdings bedarf es staatlicher Regulierung unbedingt dann, wenn die eingangs genannten Ordnungsgrundsätze gefährdet sind.
6.3.1
Qualitätssicherung
Die aktuellen Herausforderungen, die sich in Form der dargestellten strukturellen Veränderungen und der zunehmenden Konkurrenz auf dem Weiterbildungsmarkt an die Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung stellen, führen auch zu einer zunehmenden Relevanz wettbewerbsbestimmender Faktoren. Dazu gehört – neben der Profilbildung der Weiterbildungsanbieter durch eine Ausrichtung auf spezifische Zielgruppen und Marktsegmente sowie der Zertifizierung von internen Qualitätssicherungssystemen – auch die Kooperation mit anderen Akteuren. Aufgaben wie die Weiterbildungsberatung, das Weiterbildungsmarketing und Dozentenfortbildungen sowie Fragen der Raumnutzung machen Kooperationen auch zwischen Weiterbildungsträgern zunehmend notwendig. Darüber hinaus ermöglicht erst die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren aus verschiedenen Bereichen des Bildungssystems und mit Vertretern der Wirtschaft auf regionaler Ebene eine Vernetzung von Anbietern und Akteuren, die Synergien der sich ergänzenden Bildungsinstitutionen schafft. Die vielfältigen Formen horizontaler und vertikaler Kooperation – erprobt im EU-geförderten und von 2001 bis 2008 bundesweit durchgeführten Modellprojekt „Lernende Regionen“ (vgl. Emminghaus/Tippelt 2009) – tragen zur Vermeidung dysfunktionaler Konkurrenz bei. Dennoch sind Konflikte zwischen den Organisationen angesichts ihrer Pluralität praktisch unvermeidbar und erfordern ein interorganisationales Kompetenzmanagement, das die Milderung entsprechender Konfliktsituationen sowie die Verbesserung von Kooperationsstrukturen nachhaltig etabliert. Darüber hinaus können Strukturen regionaler Vernetzung auch einen wesentlichen Beitrag zur Akzeptanz von Weiterbildung in der Bevölkerung leisten und inhaltliche Bezüge der be-
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Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung
teiligten Träger in interorganisationalen und „lose vernetzten“ Programmen und Projekten herstellen (vgl. Geldermann u. a. 2000). Das von der EU und vom Bund geförderte Programm „Lernende Regionen“ entfaltete zwar keine unmittelbar regulierende Funktion, aber durch die gezielte Unterstützung von regionalen Netzwerken wurden die Weiterbildungslandschaft und das jeweilige regionale Angebotsspektrum nachhaltig beeinflusst. Das diesem Programm zugrunde liegende Konzept ist an das Prinzip der lernenden Organisationen angelehnt und basiert auf dem Grundgedanken der Bündelung der Potenziale regionaler Akteure zugunsten einer umfassenden Regionalentwicklung als selbstorganisierter und selbstreflexiver „Bottomup-Prozess“ (vgl. Tippelt u. a. 2009b). Die wichtigsten Regulative für den Weiterbildungsbereich gehen derzeit von den Bildungsnachfragern aus. Durch die erwähnte Profilbildung und gezieltes Marketing können Weiterbildungsanbieter sich auf spezifische Anforderungen und Bedarfe einstellen und ihre Marktpotenziale verändern. Marketing in diesem Sinne versteht sich als Ausrichtung von Planungs- und Entscheidungsprozessen am Kundennutzen sowie an den Anforderungen der Nachfrage. Die hierfür grundlegenden Strategien der Marktdurchdringung und -ausschöpfung, der Marktausweitung, der Erschließung von Marktlücken und der Diversifikation von Angeboten dienen der Neugewinnung und Bindung von Teilnehmern (vgl. Möller 2002). Die Gestaltung zentraler didaktischer Handlungsfelder (der Programm-, Kommunikations-, Preisund Distributionsplanung), bezogen auf diese Strategien (vgl. Barz/Tippelt 2004), prägt die Weiterbildungslandschaft gegenwärtig vermutlich stärker als die derzeit nur schwach regulierenden rechtlichen Vorgaben. Zusätzlich haben sich in den letzten Jahren durch den Druck eines immer unübersichtlicher gewordenen Weiterbildungsmarkts und im Wettbewerb um die Bildungsteilnehmer bzw. „Kunden“ Qualitätssicherungssysteme im Weiterbildungssektor zunehmend etabliert (vgl. Meisel 2008). Einerseits wurde dabei auf allgemeine Qualitätsmanagementmodelle zurückgegriffen, wie sie aus anderen Wirtschaftsbereichen vorlagen (z. B. International Organization for Standardization (ISO); European Foundation for Quality Management (EFQM)), andererseits wurden neue, spezifisch auf den Weiterbildungssektor abgestimmte Qualitätssicherungssysteme entwickelt (wie z. B. Lernerorientierte Qualitätstestierung in der Weiterbildung (LQW), vgl. Zech 2006). Die Modelle der Qualitätssicherung haben Maßnahmen zur Entwicklung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität hervorgebracht, insbesondere werden die fachlichen und didaktischen Qualifikationen des Bildungspersonals oder die Bildungsberatung vor Ort geprüft und es wurden Maßnahmen der internen und externen Evaluation in Planungsprozesse integriert (vgl. Kuwan 2004). Insbesondere Evaluationen sind zentraler Bestandteil vieler Qualitätsmanagementsysteme, wobei einerseits z. B. das weit verbreitete Modell der EFQM primär auf Maßnahmen der Selbstevaluation setzt (vgl. Zollondz 2002), andererseits die Träger sich auch externen Evaluationen, wie sie z. B. durch die Stiftung Bildungstest (vgl. Töpper 2002; Gnahs 2004) an sie herangetragen werden, nicht verschließen können. Qualitätssicherung beschränkt sich in diesem Sinne nicht auf interne Initiativen und die Zertifizierung der Träger oder Einrichtungen nach vorgegebenen Standards, sondern geht einher mit einer parallelen Beurteilung von Einrichtungen und Angeboten von außen. Beides trägt zur Transparenz des Weiterbildungsmarkts bei und kann insofern auch als Regulierung beschrieben werden: Weiterbildungsanbieter können sich im Wettbewerb um Marktanteile diesen Formen der Qualitätssicherung nicht dauerhaft verschließen.
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Kapitel 6
6.3.2
Weitere Professionalisierung
Ein zentraler Aspekt von Qualitätssicherung und praktisch allen in der Weiterbildung gängigen Qualitätsmanagementmodellen ist das pädagogische und nichtpädagogische Personal in den Weiterbildungseinrichtungen. Dieser Teilbereich von Qualitätsentwicklungsprozessen knüpft an die seit den 1970er Jahren in Gang gekommene Diskussion um die Professionalisierung in der Weiterbildung (vgl. Arnold 1984) an, wurde bislang aber in keinem Qualitätsmanagementmodell so weit konkretisiert, dass sich daraus klar umrissene Kompetenzen oder Mindestqualifikationen der in der Weiterbildung Tätigen ableiten ließen (vgl. Kraft/Seitter/ Kollewe 2009). Zur Weiterentwicklung der Qualität pädagogischen Handelns in der Erwachsenen- und Weiterbildung lassen sich zwei unterschiedliche Ansatzpunkte identifizieren. Unter dem Stichwort Professionalisierung wird eine systematische Weiterentwicklung und Strukturierung erwachsenenpädagogischer Berufe diskutiert, während mit Professionalität das kompetente Handeln der in der Weiterbildung Tätigen angesprochen wird und Verbesserungen in diesem Bereich anvisiert werden. Um letztlich – im Sinne einer Professionalisierung in der Weiterbildung – zu strukturierten Qualifizierungsprogrammen zu gelangen oder – mit dem Ziel einer Verbesserung der Professionalität – adäquate Fortbildungen für das vorhandene und künftige Personal anbieten zu können, bedarf es der Erfassung vorhandener Qualifikationen inklusive der Zertifizierung informell erworbener Kompetenzen (vgl. Kraft/Seitter/Kollewe 2009). Um eine systematische Fortbildung von Weiterbildnern voranzutreiben, sind nicht nur eine Erfassung und ein Abgleich von Ist- und Soll-Zuständen hinsichtlich von Kompetenzprofilen zielführend, sondern auch die subjektiv formulierten Fortbildungsbedarfe der Betroffenen sind in den Blick zu nehmen, wie das aktuelle Forschungsprojekt des Rats der Weiterbildung „KomWeit“15 (vgl. v. Hippel/Tippelt 2009) herausarbeitet. Gerade weil die Qualifizierung der in der Weiterbildung Tätigen – sowie viele andere Aspekte des quartären Bildungssektors – kaum durch staatliche Vorgaben reguliert ist und entsprechende Aktivitäten primär auf den Initiativen einzelner Einrichtungen und Träger sowie auf der meist freiwilligen Inanspruchnahme entsprechender Fortbildungsangebote durch die Weiterbildner beruhen, sind gerade die Bildungsinteressen und Fortbildungsmotive der in der Erwachsenen- und Weiterbildung Tätigen von wesentlicher Bedeutung. Nach einer Studie von Gieseke (2005) liegen die Schwerpunkte der Fortbildungsinteressen der hauptberuflichen Weiterbildner in den Themenfeldern „selbstgesteuertes Lernen“, „erwachsenenpädagogische Prinzipien“, „Lernverhalten und Motivation von Teilnehmern“ und „Theorien zur Berufs- und Weiterbildungsentwicklung“. Ebenfalls für einen großen Teil der Befragten wichtig sind die Themen „Öffentlichkeitsarbeit“, „Organisations- und Personalentwicklung“ sowie „Moderation/Präsentation“ und „allgemeine Methodenkenntnisse“. Die aktuelle KomWeit-Studie beschreibt auf der Basis qualitativer und quantitativer Befunde dagegen Fortbildungsbedarfe aus Expertensicht und differenziert zwischen drei Gruppen. Entsprechend unterschiedlich verteilen sich die von den Experten als wesentlich beschriebenen Fortbildungsthemen (vgl. v. Hippel/Tippelt 2009): Das hauptamtliche pädagogische Personal, für das „Angebotsentwicklung“, „Zielgruppenorientierung“ und „Projektmanagement“ von den befragten Experten als wesentliche Fort15
BMBF-Projekt von 2007 bis 2009 zur „Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung und Verbesserung der Chancengerechtigkeit durch Kompetenzförderung von WeiterbildnerInnen“ unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Tippelt.
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Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung: Qualität, Qualifikation und Beteiligung
bildungsthemen beschrieben werden, bildet die erste Gruppe von in der Weiterbildung Tätigen (Mesoebene A). Von der zweiten Gruppe, dem administrativen Personal oder Verwaltungspersonal, werden die Schwerpunkte in den Themenfeldern „Projekt-, Qualitäts- und Beschwerdemanagement“, „Administration“, „Controlling“ sowie „soziale und personale Kompetenzentwicklung“ gesehen (Mesoebene B). Dozenten und Kursleiter wollen insbesondere mit Fortbildungsangeboten im Bereich „Didaktik/Methodik“, „Teilnehmermotivation“, „fachliche und soziale Kompetenz“, aber auch „Konfliktmanagement“ und „Teilnehmerorientierung“ geschult werden (Mikroebene). Bislang gibt es weder verbindliche Vorgaben noch institutionenübergreifende Empfehlungen für die Fortbildung der genannten Gruppen von in der Weiterbildung Tätigen. Sinnvoll wäre ein Kerncurriculum, das die wichtigsten Inhalte und Standards träger- und institutionenübergreifend definiert. Derzeit greifen lediglich institutions- und organisationsinterne Regelungen. Auch im Bereich des Personals ist also bislang keine Regulierung – weder von staatlicher Seite noch von interorganisationalen Netzwerken – wirksam. Es gibt jedoch im Zuge der zunehmend wichtiger werdenden Bemühungen um strukturierte Qualitätsentwicklungsprogramme und entsprechende Zertifizierungen Anlass zur Annahme, dass durch diese Maßnahmen zukünftig auch die Fortbildung des pädagogischen Personals an Bedeutung gewinnen wird. Derzeit dominieren klar deregulierte Handlungsstrategien in Bezug auf die Professionalisierung der in der Weiterbildung Tätigen.
6.4
Handlungsempfehlungen
Die EU als übergreifender Qualitätsgarant. Nachhaltige Qualitätssicherung von Weiterbildungsmaßnahmen soll durch vergleichbare Qualitätsmanagementsysteme, aber auch durch Teilnahme an internationalen Large-Scale-Assessment-Studien (z. B. PIAAC) erreicht werden. Zur Förderung der internationalen Kooperation von Weiterbildungsträgern ist eine konsequente Fortführung bzw. der Ausbau der europäischen Förderprogramme wünschenswert. Durch eine konsequente Umsetzung der im EQR festgelegten Kompetenzstandards – also einer Adaption des DQR – soll die internationale Vergleichbarkeit der in der Weiterbildung vermittelten fachlichen und personalen Kompetenzen erhöht werden. Der Bund mit mehr Verantwortung. Dringende kompensatorische Aufgaben der Weiterbildung wie z. B. Nachholen von Schulabschlüssen (z. B. Haupt-, Realschulabschluss, Abitur) sowie Alphabetisierungskurse sollten durch eine nachhaltige staatliche Förderung sichergestellt werden. Der Ausbau sozialintegrativer Maßnahmen für bildungsferne und sozial benachteiligte Gruppen sollte durch nationale Förderprogramme ermöglicht werden, wobei die Evaluation der Prozesse und Konsequenzen dieser Programme dabei nicht vernachlässigt werden darf. Der Weiterbildungsbedarf muss flächendeckend analysiert werden und im Zuge dessen müssen die Synergien durch Vernetzungsinitiativen von Weiterbildungsträgern dauerhaft staatlich gestützt werden. Dabei soll mittels Forschung zum lebenslangen Lernen und Weiterbildungsstatistiken die Struktur-, Angebots- und Nachfrageentwicklung unter eine dauerhafte Beobachtung gestellt werden. Angesichts der großen Bedeutung bürgerschaftlichen
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Kapitel 6
und ehrenamtlichen Engagements ist es die Aufgabe des Staats, Fortbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit zivilgesellschaftlichen Initiativen (z. B. soziales und medizinisch-pflegerisches Engagement) zu unterstützen und zu fördern. Verstärkte Regulierung durch die Länder. In den Landesgesetzen sollten abgestimmte Mindeststandards für die finanzielle Förderung der Weiterbildung festgelegt werden. Zudem sollten durch Regelungen der KMK länder- und trägerübergreifende Qualitätsstandards von Weiterbildungsmaßnahmen sichergestellt werden. Dabei ist auch eine trägerübergreifende Qualifizierung des Personals (teilzeitbeschäftigte Dozenten, pädagogisch-administratives Personal und hauptamtliche Programmplaner) unabdingbar für die Vermittlung organisatorischen, inhaltlichen und pädagogischen Wissens. Kooperationen mit Hochschulen und Universitäten (wissenschaftliche Weiterbildung) könnten hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Mithilfe von trägerübergreifender und unabhängiger Weiterbildungsberatung sollten die Transparenz des Markts und die Weiterbildungsbeteiligung unter Rückgriff auf die existierenden Datenbanken erhöht werden, wobei allgemeine, politische und berufliche Weiterbildung mit einzubeziehen wären. Vernetzte und qualifizierte Weiterbildungsträger. Eine kommunale und regionale Vernetzung von Weiterbildungsträgern untereinander, aber auch mit anderen Bildungsträgern und sozialen Einrichtungen ist erstrebenswert. Die Vergabe von öffentlichen Mitteln sollte sich angesichts der Heterogenität und Pluralität der Weiterbildungslandschaft nur auf qualitätszertifizierte Träger beschränken.
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7
Handlungsempfehlungen im Überblick
7.1
Regulierungsbedarf im vorschulischen Bereich
Der gesamte vorschulische Bereich ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl unterschiedlicher Verantwortungen, zahlreiche Einflussebenen und eine Reihe von Akteuren – er ist demnach als unübersichtlich und in der Gesamtheit als unstrukturiert zu charakterisieren. Fehlende Standards, regionale Unterschiede in der Verbindlichkeit der Bildungspläne und eine daraus resultierende divergente Qualität der Kindertageseinrichtungen in Deutschland sind negative Folgeerscheinungen. Für diese frühe Bildungsphase sieht der AKTIONSRATBILDUNG den Bedarf einer deutlich stärkeren Regulierung. Maßnahmen: Bund mit mehr Verantwortung in zentralen Regelungsbereichen Langfristige Entwicklung und Etablierung von gemeinsamen Standards, die in den Bildungsplänen der Länder verbindlich geregelt sind, finanzielle Beteiligung an der öffentlich geförderten Kinderbetreuung durch eine zweckgebundene Vergabe aller Bundesmittel (z. B. in Form von Bildungsgutscheinen zur Steigerung der Wahlmöglichkeiten der Eltern) mit den Zielen, die Steuerungswirkung durch den Bund zu erhöhen und die dauerhaft angelegte Beteiligung des Bundes an der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen zu sichern, da die Verwendung der Bundesmittel unabhängig von der politischen Prioritätensetzung der Länder und Kommunen erfolgt. Einführung eines nationalen Gütesiegels, das die Einhaltung von Mindeststandards garantiert und die Qualität der jeweiligen Kindertageseinrichtung transparent ausweist, umfangreiche Qualitätsentwicklung und Regulierung durch Input-Standards (Rahmenbedingungen für die Erzieher-Kind-Relation, Bereitstellung von pädagogischen Handlungsorientierungen in Bildungs-, Erziehungs- und Orientierungsplänen etc.), Eröffnung der Diskussion um Vor- und Nachteile von Outcome-Standards (Vorgaben zum Entwicklungsstand des Kindes nach Beendigung der Vorschulzeit etc.). Länder als intermediäre Instanzen Weiterentwicklung der länderspezifischen Ergänzung und Spezifizierung der Bildungspläne, Erhöhung ihrer Verbindlichkeit und Sicherstellung einer Mindestqualität für Kindertageseinrichtungen durch finanzielle Anreize zu weiteren Qualitätsverbesserungen, z. B. durch Koppelung eines bestimmten Anteils der öffentlichen Fördermittel an eine pädagogische Qualität, die deutlich über die Mindestqualität hinausgeht, Subjektfinanzierung bei der Vergabe öffentlicher Mittel zur früheren Eingliederung von sozial benachteiligten Kindern und von Kindern mit Migrationshintergrund in die Kindertagesbetreuung, Weiterentwicklung der Ausbildung des frühpädagogischen Personals im Sinne einer Akademisierung (für Einrichtungsleitung zwingend), auch vor dem Hintergrund, dass gut ausgebildetes Fachpersonal weniger Vorgaben für eine qualitativ hochwertige Arbeit benötigt,
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Kapitel 7
wissenschaftlich begleiteten Entwicklung eines Kerncurriculums zur Vermittlung notwendiger Qualifikationen und Kompetenzen, das den Akademien und Hochschulen Profilbildungen ermöglicht und Begleitung und Evaluation der zu etablierenden Studiengänge. Träger und Kommunen in der Verantwortung vor Ort Verantwortung für die Erfüllung der Bildungspläne und Standards sowie regelmäßige Durchführung von Evaluationen, Förderung der Transparenz der pädagogischen Qualität, Angebote der Elternbildung und Elternarbeit (z. B. durch den Ausbau der Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren), Ausbau des Informationsangebots an Familien und Erhöhung der Transparenz über Fördermöglichkeiten der Kindertageseinrichtungen, Einbezug der Kinder- und Jugendhilfe, um allen Familien die Chance einer frühkindlichen Betreuung näherzubringen. Externe Institutionen als Qualitätsgutachter Etablierung von Institutionen zur Qualitätssicherung im Sinne unabhängiger, wissenschaftsgetragener Institutionen, Ergänzung der Input-Steuerung durch die langfristige Entwicklung einheitlicher OutcomeStandards (z. B. im Hinblick auf Kenntnisse in der deutschen Sprache), systematische empirische Evaluationen der Umsetzung der Bildungspläne, Forschungsprogramme zur Entwicklung und Erprobung von diagnostischen Instrumenten zu ihrer validen Erfassung. Verstärkte Beteiligung der Wirtschaft an den Kosten der Kinderbetreuung und/oder Ausbau von betrieblichen Kinderbetreuungseinrichtungen Stärkere Beteiligung der Wirtschaft an den Kosten der Kinderbetreuung (vgl. dazu auch das bundesweite Förderprogramm „Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung“), breite Förderangebote privat-gewerblicher und betrieblicher Anbieter, um die öffentlich verantwortete Kindertagesbetreuung in Deutschland weiter zu öffnen.
7.2
Regulierung und Deregulierung in der Schule
Im OECD-Vergleich zeigt sich, dass die Stärke der Autonomie von Schulen bei Personalund Unterrichtsentscheidungen in Deutschland im Mittelfeld verortet werden kann. Das Autonomieausmaß in den Regelungsbereichen Schulorganisation, Personal, Finanzen und Unterricht ist an deutschen Schulen (nach Angaben der Schulleitungen) unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Stärkung der Autonomie an Schulen sollte weiter vorangetrieben werden, da ein positiver Effekt von Schulautonomie auf die erzielten Leistungen der Schüler durch internationale Leistungsvergleichsstudien attestiert werden kann, mit der Bedingung, dass externe Prüfungen zur Leistungsmessung eingesetzt und die Einzelschulen zu einer Rechenschaftslegung verpflichtet werden. Darüber hinaus existieren empirische Belege derart, dass in nicht
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Handlungsempfehlungen im Überblick
öffentlich geleiteten Schulen bei öffentlicher Finanzierung die höchsten Bildungseffekte zu erwarten sind. Im Schulbereich wird Reformbedarf im Sinne einer Deregulierung mit der gleichzeitigen Einführung von Accountability-Maßnahmen gesehen. Eine selbstständige Schule verlangt auch nach veränderten Verantwortlichkeiten und neuen Aufgaben der Hauptakteure. Maßnahmen: Länder verantwortlich für Grundstrukturen und Finanzierung Weitere Beteiligung an Schulleistungsstudien zur Qualitätssicherung des deutschen Schulsystems im Sinne einer Vergleichbarkeit (auch zwischen den Ländern), Transparenz und Optimierung, Einführung von vergleichbaren Prüfungen (Zentralabitur), Förderung von Schulen in privater Trägerschaft bei öffentlicher Finanzierung, Zuständigkeit für eine adäquate finanzielle, technische und personelle Ausstattung der selbstständigen Schule, eigenständige Entscheidung aller öffentlichen Schulen über die Verwendung ihres (nach Schülerzahl berechneten) Globalbudgets, Weiterentwicklung von Bildungsplänen, die sich an bundesweit festgelegten Bildungsstandards orientieren, Umsetzung der Standards für die Lehrerausbildung und Schaffen von Überprüfungsmöglichkeiten für deren Einhaltung, Änderungen im Dienst- und Beamtenrecht für flexiblere Verfahren der Auswahl des gesamten schulischen Personals und für leistungsabhängige Bezahlung. Schulrat als unabhängiges Berufungs- und Kontrollgremium Wahl und Ernennung der Schulleitung, Berufung der Schulleitung auf Zeit und Sicherstellung der Qualität im Management durch regelmäßige Evaluation. Schulaufsicht als schulischer Prozessbegleiter Schulaufsicht als Verbindungsorgan zwischen Landesregierung und Schule, Überführung der ursprünglichen Funktion der Schulaufsicht als Fach- und Dienstaufsicht in eine Beraterrolle. Externe Evaluatoren als Qualitätsgutachter Ergebnisorientierung, verbunden mit neuen Erfolgsmessungs- und Beurteilungskonzepten, die auf Basis nationaler Bildungsstandards sowie interner und externer Evaluation die Qualität und den Erfolg der Bildungsleistungen der Einzelschule erfassen und vergleichen, Qualitätssicherung durch Schulinspektion, Transparenz durch Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse der einzelnen Schulen und freie Schulwahl durch die Eltern bzw. Schüler. Pädagogisches Personal als Hauptverantwortlicher Entwicklung eines eigenen Schul- und Unterrichtsprofils und die Festschreibung in einem Schulprogramm mit einer pädagogisch-konzeptionellen Darstellung, Zielsetzung,
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Kapitel 7
Maßnahmen und Evaluation durch die Schulakteure (Schulleitung, Lehrer, Eltern, Schüler und weiteres Schulpersonal), Förderung von Weiterbildungsangeboten an Schulen durch verschiedene Anreize (z. B. finanzieller Art), Schulleitung im Sinne eines Bildungsmanagements: Gesamtverantwortung für die Einzelschule, Ausdehnung der Personalverantwortung für das eingesetzte pädagogische Personal, d. h., Entscheidungsfreiheit über Personalauswahl, Einstellungen, Beförderungen, Kündigungen, Personalbeurteilungen und Bonuszahlungen für die Lehrer, die zusätzliche Aufgaben zeitlich befristet übernehmen können, Rechenschaftspflicht im Zuge der Eigenbewirtschaftung, die durch eine Kosten- und Leistungsrechnung sowie ein kaufmännisches Rechnungswesen operationalisiert wird, Ausbau des Kompetenzprofils: Die Schulleitung benötigt spezifische Führungsqualitäten im Management. Die Schulleitung verfügt über pädagogische Kompetenzen, aber auch über solche in den Bereichen Personal, Organisation, Finanzen, Schulentwicklung und öffentliche Wirtschaft. Die Schulleitung nimmt an kontinuierlichen Fortbildungsveranstaltungen zur Entwicklung und Stärkung von Führungsqualitäten teil. Lehrer als Hauptverantwortliche im Lerngeschehen: erweiterte Freiräume bei der Organisation eines schülergerechten Unterrichts mit internem Monitoring von Unterrichtsstunden durch die Schulleitung und externem Monitoring durch die Schulinspektion, Teambildung unter Einbindung außerschulischer Partner als wesentliche Maßnahme in der Lehrerfortbildung und der inneren Schulentwicklung, enge Kooperation zwischen Haupt- und Berufsschulen zur zeitnahen Unterstützung von Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag, Unterstützung des Teams der Lehrkräfte und der Schulleitung durch Förderlehrer, Schulpsychologen, Jugendsozialarbeiter etc. Eltern und Schüler als unabhängige Wähler: Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten von Eltern- und Schülervertretern in Schulforen, Schulwahlfreiheit der Eltern auf der Grundlage des Gutscheinmodells, Verzicht der freien Schulen auf das Erheben zusätzlicher Schulgelder – bei öffentlicher Vollfinanzierung –, um Kindern aus allen Bevölkerungsschichten die gleichen Zugangschancen zu den freien Schulen zu gewähren.
7.3
Nachregulierung in der Berufsausbildung
Trotz einer generell positiven Bewertung des deutschen Berufsausbildungssystems kristallisiert sich auch hier an mehreren Stellen Reformbedarf heraus. Dieser betrifft besonders das Übergangssystem, in das jene Jugendlichen einmünden, die keinen direkten Einstieg in eine Berufsausbildung erreicht haben. Dem Übergangssystem mangelt es an einer klaren und fest institutionalisierten, standardisierten Regulierung des Ausbildungsangebots und der Ausbildungsinhalte, an einem
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Handlungsempfehlungen im Überblick
koordinierten Einbezug der verschiedenen Arbeitsmarktakteure und an einer Absprache zwischen diesen. Aus diesem Grund bietet es für potenzielle Ausbildungsbetriebe kaum die für eine Einschätzung der Bewerber dringend notwendige „Signalwirkung“ bezüglich der in ihm erworbenen Qualifikationen. Vielen Jugendlichen bietet das Übergangssystem entsprechend nicht die gewünschte Qualifizierungschance, sondern etabliert sich für sie vielmehr als „Warteschleife“ oder sogar als „Sackgasse“. Darüber hinaus gelangen auch immer mehr durchaus ausbildungsfähige und -bereite Jugendliche in dieses System, ohne dass eine adäquate Förderung stattfindet. Reformbedarf besteht jedoch nicht nur im Übergangssystem, sondern auch im stark standardisierten und differenzierten dualen System, das die Jugendlichen langfristig auf sich wechselseitig ausschließende berufliche Laufbahnen festlegt und nur wenige Möglichkeiten eines Berufswechsels im Lauf der weiteren Erwerbskarriere zulässt. Es wird eine systematische Reformierung der derzeit ungeordneten Einzelmaßnahmen des Übergangssystems empfohlen. Eine umfassende, bundesländerübergreifende Standardisierung von spezifischen Bildungsinhalten sollte angestrebt werden, wodurch eine Anschlussfähigkeit der im Übergangssystem erworbenen Qualifikationen und Kenntnisse sichergestellt werden könnte. Derartige Zentralisierungstendenzen sollten jedoch – analog zur Ausbildung im dualen System bzw. im Schulberufssystem – auf einem möglichst breiten korporatistischen Konsens der am beruflichen Ausbildungsmarkt vertretenen Parteien beruhen, die in die Erarbeitung zentraler Standards und Leitlinien angemessen eingebunden werden müssten. Gleichzeitig muss im Zuge der Flexibilisierung beruflicher Laufbahnen eine Vereinfachung bzw. Entdifferenzierung der gegenwärtig hochgradig komplexen Berufsstruktur angestrebt werden, die größere Durchlässigkeiten sowohl zwischen einzelnen Berufsfeldern als auch über den Lebenslauf hinweg erlaubt. Maßnahmen: Bildungs- und Arbeitsmarktakteure in der Verantwortung Sicherstellen grundlegender Kompetenzen und Kenntnisse für die Aufnahme einer Ausbildung und Förderung benachteiligter Gruppen (z. B. sozial schwache Schüler oder Schüler mit Migrationshintergrund) in den vorgelagerten Bildungsphasen, Vermittlung sozialer Kompetenzen und individuelle Begleitung bei der Berufswahl in späten Phasen der schulischen Ausbildung, verstärkter Einbezug von Betrieben in die Begleitung von Berufswahlprozessen, z. B. durch Hospitanzen, Praktika oder Informationsveranstaltungen an Schulen. Förderung ausbildungsbereiter Jugendlicher und Fortentwicklung der Berufsstruktur Verstärkte Integration ausbildungsbereiter Jugendlicher ohne Ausbildungsplatz in den primären Ausbildungsmarkt, z. B. durch die Ausweitung des Schulberufssystems, eine umfassendere staatliche Subventionierung beruflicher Ausbildungsplätze und/oder die Etablierung eines auf bundeseinheitlicher Standardisierung beruhenden Teilqualifizierungssystems, Entlastung öffentlicher Bildungsetats durch die Verringerung der Zugänge in das Übergangssystem und verstärkte Investition in die Förderung benachteiligter Adressatengruppen im Übergangssystem,
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Kapitel 7
systematische Weiterentwicklung der Ausbildungsstruktur im dualen System bzw. im Schulberufssystem durch eine Öffnung der Berufsbilder und eine Verringerung des hohen Grads an Ausdifferenzierung von Berufen. Neuorganisation und optimierte Zielsetzung des Übergangssystems Angliederung des Übergangssystems an das duale Ausbildungs- und das Schulberufssystem anstelle eines nicht integrierten Residualsystems der beruflichen Ausbildung, Fokus der Maßnahmen des Übergangssystems auf die Gruppe der noch nicht ausbildungsbereiten und -fähigen Jugendlichen, Förderung des Nachholens eines Schulabschlusses bis zum Erwerb erster ausbildungsrelevanter Kenntnisse und Qualifikationen in transparenter und von potenziellen Arbeitgebern nachvollziehbarer Weise, Ausbau sozialpädagogischer Maßnahmen zur Förderung der beruflich nicht integrierbaren Jugendlichen, Neuordnung der heterogenen Maßnahmenstruktur des Übergangssystems hin zu einer reduzierten Anzahl an standardisierten, inhaltlich klar definierten Qualifikationsmaßnahmen, Ausbau von erfolgreichen betrieblichen Einstiegshilfen wie beispielsweise der Einstiegsqualifizierung Jugendlicher (EQJ).
7.4
Fortgeschrittene Deregulierung und ihre Weiterentwicklung im Hochschulbereich
Relativ zu anderen Bildungsinstitutionen weisen die Hochschulen einen hohen Grad an Deregulierung auf. Insbesondere mit der Verabschiedung der Föderalismusreform im Jahr 2006 sind institutionelle Steuerungsmöglichkeiten deutlich gestärkt worden. Nicht zuletzt durch die beschlossene (allerdings noch nicht in Kraft getretene) Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes zieht sich der Bund aus der Hochschulgesetzgebung endgültig zurück und räumt den Hochschulen mehr Eigenverantwortung ein. Im europäischen Vergleich allerdings ist die Autonomie an den deutschen Hochschulen eher gering. Die für dieses Jahresgutachten durchgeführte Befragung der Hochschulleitungen zur Universitätsautonomie ergab, dass sich die Autonomie an den Hochschulen durch eine Deregulierung in den Bereichen Haushaltswirtschaft, Personal- und Berufungswesen sowie Organisations-, Leitungs- und Entscheidungsstrukturen und durch ein verbessertes Zusammenwirken von Staat und Hochschule in den letzten Jahren deutlich erhöht hat. Deregulierungsbedarf wird von den Universitätsleitungen insbesondere im Finanzbereich für die eigene Hochschule noch gesehen. Hier scheinen klare leistungs- und belastungsorientierte Mittelverteilungsmodelle innerhalb und zwischen den Ländern unverzichtbar. Insbesondere der Sanierungsund Neubaubedarf der Hochschulen erfordert mehrjährige Finanzzusagen seitens der Länder und verbindliche Zusagen zum Mittelaufwuchs. Um die Autonomie an den Universitäten weiterhin zu stärken und zu fördern, werden ein weiterer Abbau staatlicher Detailsteuerung sowie eine Erweiterung der Gestaltungs- und Handlungsspielräume der Hochschulen empfohlen. Dabei wird darauf zu achten sein, dass das Vertrauen der Hochschulmitglieder in die Hochschulautonomie durch hinreichende Formen der Partizipation stabilisiert wird; anders würden die Reformen ins Leere laufen und ihre Ziele verfehlen, zu denen auch die Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre gehört.
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Handlungsempfehlungen im Überblick
Maßnahmen: Die Universität als autonome und selbstgesteuerte Bildungseinrichtung mit folgenden Rechten, Aufgaben und Handlungsspielräumen Vollständige Übertragung der Dienstherreneigenschaft, Aufhebung starrer Stellenpläne, Abschaffung (oder zumindest Erweiterung) des Vergaberahmens bei der Professorenbesoldung, Honorierung hervorragender Leistungen (eigenständiger Tarifvertrag für die Wissenschaft), Entscheidung über die Einführung und Abschaffung von Studiengängen, Abschaffung der Staatsexamina, Wegfall der Kapazitätsverordnung (KapVO), Aufbau eines Stiftungsvermögens und Bildung von freien Rücklagen, Bauherreneigenschaft und Eigentumsrechte für Liegenschaften (einschließlich des Rechts auf Errichtung, Veränderung und Veräußerung von Liegenschaften).
7.5
Maßvolle Regulierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung
Die Erwachsenen- und Weiterbildung unterliegt nur einer geringen staatlichen Regulierung und ist wie kein anderer Bildungssektor von einem breiten Angebotsspektrum sowie einer großen Pluralität von Trägern und Einrichtungen geprägt. Obgleich dieses Profil bildungspolitische Interessen widerspiegelt und sich aus den unterschiedlichen Aufgaben und der Heterogenität der Teilnehmer und Adressaten speist, bewirkt die geringe staatliche Steuerung ein großes Maß an Unverbindlichkeit und Unübersichtlichkeit dieses Bildungsbereichs, der im internationalen Vergleich eine zu geringe Nachfrage verzeichnet. Die große Diversität von Erwartungen, Anforderungen und Zielen der Zielgruppen der Erwachsenen- und Weiterbildung bringt aktuell eine deutliche Einschränkung der Möglichkeiten und Reichweite staatlicher Steuerung mit sich. Mit den Hauptintentionen, die Weiterbildungsstrukturen in Deutschland transparenter zu gestalten, Vernetzungen zu fördern, die Weiterbildungsteilnahme zu erhöhen und eine hohe Qualität zu gewährleisten, wird in dieser Bildungsphase ein Regulierungsbedarf gesehen. Maßnahmen: Die EU als übergreifender Qualitätsgarant Größere internationale Vergleichbarkeit der in der Weiterbildung vermittelten fachlichen und personalen Kompetenzen durch konsequente Umsetzung der im Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) festgelegten Kompetenzstandards, konsequente Fortführung der europäischen Förderprogramme zur Verstärkung der internationalen Kooperation von Weiterbildungsträgern, Gewährleistung der Qualität durch vergleichbare Qualitätsmanagementsysteme, aber auch durch Teilnahme an internationalen Large-Scale-Assessment-Studies (z. B. PIAAC), kontinuierliche Evaluation aller nationalen und internationalen Förderprogramme in ihren Prozessen und Konsequenzen.
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Kapitel 7
Der Bund mit mehr Verantwortung Wahrnehmung von kompensatorischen Aufgaben der Weiterbildung, wie z. B. Möglichkeiten zum Nachholen von Schulabschlüssen oder Sicherstellung von Alphabetisierungskursen durch eine nachhaltige staatliche Förderung, Ausbau sozialintegrativer Maßnahmen für bildungsferne und sozial benachteiligte Gruppen durch europäische und nationale Förderprogramme, flächendeckende Analyse des Weiterbildungsbedarfs bei dauerhafter staatlicher Unterstützung der Synergien durch Vernetzungsinitiativen von Weiterbildungsträgern, Ausbau der Forschung zum lebenslangen Lernen sowie der Weiterbildungsstatistik zur Dauerbeobachtung der Struktur-, Angebots- und Nachfrageentwicklung, Unterstützung und Förderung von Fortbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit zivilgesellschaftlichen Initiativen (z. B. soziales, medizinisch-pflegerisches Engagement) angesichts der großen Bedeutung bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagements. Verstärkte Regulierung durch die Länder Festlegung von Mindeststandards für die finanzielle Förderung der Weiterbildung in den Landesgesetzen, Sicherstellung von länder- und trägerübergreifenden Qualitätsstandards durch Regelungen der Kultusministerkonferenz, Erhöhung der Transparenz des Markts und der Weiterbildungsbeteiligung durch trägerübergreifende und unabhängige Weiterbildungsberatung unter Rückgriff auf die existierenden Datenbanken – hierbei Einbeziehung allgemeiner, politischer und beruflicher Weiterbildung, Vermittlung von organisatorischem, inhaltlichem und pädagogischem Wissen durch trägerübergreifende Qualifizierung des Personals (teilzeitbeschäftigte Dozenten, pädagogisch-administratives Personal und hauptamtliche Programmplaner), eventuell in Kooperation mit Hochschulen (wissenschaftliche Weiterbildung). Vernetzte und qualifizierte Weiterbildungsträger Dauerhafte Vernetzung von kommunalen und regionalen Weiterbildungsträgern untereinander, aber auch mit anderen Bildungsträgern und sozialen Einrichtungen, Vergabe öffentlicher Mittel nur an qualitätszertifizierte Träger, angesichts der Heterogenität und Pluralität der Weiterbildungslandschaft.
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2:
Abbildung 3:
Abbildung 4: Abbildung 5:
Abbildung 5: (Fortsetzung) Abbildung 6:
Abbildung 7:
Abbildung 7: (Fortsetzung) Abbildung 8:
Abbildung 9: Abbildung 10:
Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15:
Auswirkungen von Autonomie auf Bildungsergebnisse in Abhängigkeit von externer Ergebnisregulierung am Beispiel der Schule Jährliche Ausgaben für Bildungseinrichtungen pro Kind im Elementarbereich und pro Schüler im Sekundarbereich (2006; in US-Dollar, kaufbereinigt mittels KKP für das BIP) Einschätzung der Schulleitungen bezüglich der Organisation der Kooperation von Schulen mit außerschulischen Einrichtungen (Datenquelle: TIMSS 2007) Einschätzung der Schulleitungen bezüglich der Einführung von Schulprogrammen (Angaben in Prozent; Datenquelle: IGLU 2006) Einschätzung der Schulleitungen bei PISA 2006 bezüglich des Einflusses der Schulen auf Personalentscheidungen (Angaben in Prozent) Einschätzung der Schulleitungen bei PISA 2006 bezüglich des Einflusses der Schulen auf Personalentscheidungen (Angaben in Prozent) Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich der Quellen der Mittel für den Personal- und Sachaufwand der Schulen (Angaben in Prozent; Datenquelle: IGLU 2006) Einschätzung der Schulleitungen bei PISA 2006 bezüglich des Einflusses der Schulen auf schüler- und unterrichtsbezogene Entscheidungsprozesse (Angaben in Prozent) Einschätzung der Schulleitungen bei PISA 2006 bezüglich des Einflusses der Schulen auf schüler- und unterrichtsbezogene Entscheidungsprozesse (Angaben in Prozent) Aussagen der Schulleitungen zu Initiativen und Regelungen der Schulen in Bezug auf den Leseunterricht (Angaben in Prozent; Datenquelle: IGLU 2006) Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich Kooperationsinhalten der Lehrkräfte Einschätzung der Schulleitungen zum Stellenwert der Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung in den Schulen (Datenquelle: IGLU 2006) Private Trägerschaft, öffentliche Finanzierung und PISA-Leistungen Externe Prüfungen, Schulautonomie und PISA-Leistungen Steuerungsstrukturen des Schulsystems und des Modellvorhabens im Vergleich Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems in Prozent Voll qualifizierende Berufsbildungsangebote im dualen Ausbildungssystem
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59 60
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63
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70 71
73 78 80 82 93 93
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 16: Zustimmung (in Prozent) zu der Aussage: „Alles in allem wurde der Autonomiegrad der Universität in den letzten Jahren im Regelungsbereich … stark bzw. sehr stark erhöht.“ Abbildung 17: Zustimmung (in Prozent) zu der jeweiligen Aussage zum Regelungsbereich „Organisations-, Leitungs- und Entscheidungsstrukturen“ Abbildung 18: Zustimmung (in Prozent) zu der jeweiligen Aussage zum Regelungsbereich „Haushaltswirtschaft“ Abbildung 19: Zustimmung (in Prozent) zu der jeweiligen Aussage zum Regelungsbereich „Personal- und Berufungswesen“ Abbildung 20: Weiterbildungsbeteiligung im Zeitverlauf
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113 114 115 116 124
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich personalspezifischer Handlungsbereiche innerhalb der Schule und der Verantwortung für sie (Angaben in Prozent, Mehrfachantworten möglich; Datenquelle: IGLU 2006) Tabelle 2: Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich sachmittelspezifischer Handlungsbereiche innerhalb der Schule und der Verantwortung für sie (Angaben in Prozent, Mehrfachantworten möglich; Datenquelle: IGLU 2006) Tabelle 3: Einschätzung der Schulleitungen hinsichtlich unterrichtsspezifischer Handlungsbereiche innerhalb der Schule und der Verantwortung für sie (Angaben in Prozent, Mehrfachantworten möglich; Datenquelle: IGLU 2006) Tabelle 4: Ausbildungsrückgang im dualen System zwischen 1992 und 2006 Tabelle 5: Verteilung der Neuzugänge auf die verschiedenen Maßnahmen des Übergangssystems im Jahr 2008 (Anzahl der Plätze und relativer Anteil am Übergangssystem)
61
64
66 94
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Verzeichnis der Mitglieder des AKTIONSRATSBILDUNG Blossfeld, Hans-Peter, Prof. Dr. rer. pol., geb. 1954, Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie I an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Leiter des Staatsinstituts für Familienforschung, geschäftsführender Direktor des Instituts für bildungswissenschaftliche Längsschnittforschung (INBIL), Leiter des Nationalen Bildungspanels (NEPS), Mitglied der interdisziplinären DFG-Forschergruppe „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Formation von Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter“ (BiKS). Arbeitsschwerpunkte: Bildungssoziologie, Globalisierungsforschung, Soziologie des internationalen Vergleichs, Sozialstrukturanalyse, Soziologie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, Familiensoziologie, Soziologie des Arbeitsmarkts, Längsschnittmethoden. Bos, Wilfried, Prof. Dr. phil., geb. 1953, Universitätsprofessor für Bildungsforschung und Qualitätssicherung an der Technischen Universität Dortmund im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Soziologie, Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS), Nationaler Projektmanager für IGLU/PIRLS 2001 und 2006, TIMSS 2007, PIRLS/TIMSS 2011, wissenschaftlicher Leiter von KESS. Arbeitsschwerpunkte: Empirische Forschungsmethoden, Qualitätssicherung im Bildungswesen, Internationale Bildungsforschung, Evaluation, Pädagogische Chinaforschung. Daniel, Hans-Dieter, Prof. Dr. rer. soc., geb. 1955, Universitätsprofessor für Sozialpsychologie und Hochschulforschung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und Leiter der Evaluationsstelle der Universität Zürich, Vorsitzender des Kuratoriums des Zentrums für Wissenschaftsmanagement e. V. Speyer und des „Scientific Evaluation Board“ der Universität Wien, Mitglied der ASIIN-Akkreditierungskommission für Qualitätssicherungssysteme/Qualitätsmanagement und der Akkreditierungskommission der Evaluationsagentur Baden-Württemberg (evalag), Mitglied des Beraterkreises der Zentralen Evaluations- und Akkreditierungsagentur Hannover (ZEvA) und des internationalen Beraterkreises der Hochschulrektorenkonferenz (Bonn) für das Audit „Internationalisierung der Hochschulen“. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschafts- und Hochschulforschung, Evaluationsforschung, Methoden der empirischen Sozialforschung. Hannover, Bettina, Prof. Dr. phil., geb. 1959, Universitätsprofessorin für Schul- und Unterrichtsforschung an der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Selbst und Identität, Geschlecht, Migration, Kulturvergleich.
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Verzeichnis der Mitglieder des AKTIONSRATSBILDUNG
Lenzen, Dieter, Prof. Dr. phil., geb. 1947, Präsident der Universität Hamburg, von 2003 bis 2010 Präsident der Freien Universität Berlin, seit 2007 Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, Vorsitzender des AKTIONSRATSBILDUNG, Universitätsprofessor für Philosophie der Erziehung am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie an der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Bildungsforschung, Bildungspolitik. Prenzel, Manfred, Prof. Dr. phil., geb. 1952, Susanne Klatten-Stiftungslehrstuhl für Empirische Bildungsforschung und Gründungsdekan der School of Education der Technischen Universität München, bis 2009 Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN), Nationaler Projektmanager für PISA 2003, 2006 und 2012, Mitglied der internationalen PISA Science Expert Group. Arbeitsschwerpunkte: Lehr-Lernforschung mit Schwerpunkten Unterrichtsmuster, Lernprozesse, Kompetenz- und Interessenentwicklung, Bildungsmonitoring und internationale Leistungsvergleiche, Qualitätsentwicklung und Lehrerprofessionalität. Wößmann, Ludger, Prof. Dr. sc. pol., geb. 1973, Universitätsprofessor für Bildungsökonomie an der volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, Bereichsleiter Humankapital und Innovation am ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Koordinator des Europäischen Expertennetzwerks Bildungsökonomik (EENEE). Arbeitsschwerpunkte: Bildungsökonomik, insbesondere mikroökonometrische Analysen von Effizienz und Chancengleichheit im Schulsystem anhand verschiedener internationaler Schülerleistungstests.
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Verzeichnis der externen Experten Reuter, Lutz, Prof. Dr. jur., geb. 1943, Professor für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Bildungspolitikforschung und Bildungsrecht, Präsident der Universität Flensburg, zuvor Vizepräsident der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, Vorsitzender des Beirats der Deutschen Gesellschaft für Bildungsverwaltung, Mitglied der Akkreditierungskommission der Akkreditierungsagentur ACQUIN, Mitglied des Universitätsrats des Landes Schleswig-Holstein. Arbeitsschwerpunkte: Migrationsforschung, Bildungspolitik und Bildungsrecht, Vergleichende Bildungsforschung. Roßbach, Hans-Günther, Prof. Dr. phil., geb. 1951, Inhaber des Lehrstuhls für Elementarund Familienpädagogik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Sprecher der DFG-Forschergruppe „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter“ (BiKS), wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs „Kindergarten der Zukunft in Bayern – KiDZ“. Arbeitsschwerpunkte: Qualitätsfeststellung in Institutionen der Früherziehung, Curricularentwicklung/Bildungsfragen im Kindergarten, Übergang vom Elementar- in den Primarbereich, Längsschnittanalysen der Auswirkungen frühkindlicher Betreuungen, internationale Vergleichsuntersuchungen, Unterrichtsqualität in der Grundschule. Spieß, C. Katharina, Prof. Dr. soc., geb. 1966, Universitätsprofessorin für Familien- und Bildungsökonomie an der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Forschungsdirektorin „Bildung“ am DIW Berlin und Mitglied der Längsschnittstudie „Sozio-oekonomisches Panel“ (SOEP), u. a. Mitglied des Forums „Frühkindliche Bildung“ beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), des wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim BMFSFJ, des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) sowie des Berliner Beirats für Familienfragen. Arbeitsschwerpunkte: Familien- und Bildungsökonomie im Bereich der frühen Kindheit, Kosten-Nutzen-Analysen, Längsschnittanalysen im frühkindlichen Bereich. Tippelt, Rudolf, Prof. Dr. phil., geb. 1951, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft; ausgewählte aktuell laufende Projekte: Pädagogische Erwerbsarbeit im System des lebenslangen Lernens (PAELL), Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung und Verbesserung der Chancengerechtigkeit durch Kompetenzförderung von WeiterbildnerInnen (KomWeit), Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken, Bildungsverhalten und -interessen Älterer (EdAge). Arbeitsschwerpunkte: Bildungs- und Übergangsforschung, Weiterbildung/Erwachsenenbildung, Bildungsprozesse über die Lebensspanne, Übergang von Bildung in Beschäftigung, Fortbildung des pädagogischen Personals.
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