Rolf Brandel · Mario Gottwald · Andreas Oehme (Hrsg.) Bildungsgrenzen überschreiten
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Rolf Brandel · Mario Gottwald · Andreas Oehme (Hrsg.) Bildungsgrenzen überschreiten
Rolf Brandel · Mario Gottwald Andreas Oehme (Hrsg.)
Bildungsgrenzen überschreiten Zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement in der Region
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Jens Ossadnik VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17591-1
Inhaltsverzeichnis
Teil I:
Das Leitvorhaben „Zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement“
Rolf Brandel / Mario Gottwald / Andrea Oehme Übergangsmanagement im Kontext Lebenslangen Lernens: Die Arbeit im Themennetz der Lernenden Regionen ........................................... 9 Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer Die Perspektive der Biographischen Übergangsszenarien .................................. 23 Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer Referenzmodell für ein regionales bedarfsorientiertes Übergangsmanagement ....................................................................................... 37 Teil II: Übergangsmanagement im Kindesalter – Vom Kindergarten in die Grundschule Elke Katharina Klaudy / Anika Torlümke Der Übergang Kindergarten – Grundschule: Entwicklungstrends und Projekte ........................................................................................................ 69 Sybille Stöbe-Blossey Kindergarten und Grundschule: Zum Management sektoraler Politikverflechtung ........................................................................................... 105 Elke Katharina Klaudy / Anika Torlümke Qualitätsmanagement im Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule. Ein Instrumentarium ................................................................... 129 Teil III: Übergangsmanagement für das Jugend-, junge Erwachsenen- und Erwachsenenalter Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer Herausforderungen im Übergang in Arbeit ...................................................... 145
Patricia Brinker / Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme Der Entwicklungsstand in der Praxis ................................................................ 155 Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer Ansätze zur Gestaltung eines regionalen bedarfsorientierten Übergangsmanagements ................................................................................... 187 Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer Ausblick auf zukünftige Gestaltungsmöglichkeiten – Handlungsempfehlungen .................................................................................. 203 Teil IV: Übergangsmanagement in einer älter werdenden Gesellschaft Mario Gottwald / Kornelius Knapp Das Bild der Älteren in Wirtschaft und Gesellschaft – Handlungsfelder zur Gestaltung eines zielgruppenorientierten Übergangsmanagements ................................................................................... 219 Thomas Freiling / Mario Gottwald Übergangsmanagement für Ältere als regionale Handlungsstrategie ............... 239 Mario Gottwald / Melanie Zschunke Etablierung eines betrieblichen Altersmanagements ........................................ 253 Thomas Freiling / Birgit Schulte Ausstiegsmanagement zur Flexibilisierung des Überganges in die Nacherwerbsphase .................................................................................. 275 Kornelius Knapp Strategien zur Aktivierung und Kontinuierung bürgerschaftlichen Engagements Älterer ........................................................................................ 297 Kornelius Knapp / Susanne Zirkler Möglichkeiten zur entgeltlichen Beschäftigung in der Nacherwerbsphase ............................................................................................ 315 Die Autorinnen und Autoren ............................................................................ 329
Teil I Das Leitvorhaben „Zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement“
Übergangsmanagement im Kontext Lebenslangen Lernens: Die Arbeit im Themennetz der Lernenden Regionen Rolf Brandel / Mario Gottwald / Andreas Oehme Warum Übergangsmanagement? „Übergänge“ oder auch „Transitionen“ sind heute ein entscheidendes Element in den Biographien der Menschen geworden. Eine grundlegende Rolle spielt dabei die Flexibilisierung von Erwerbsbiographien, die Übergänge von Phasen der Erwerbstätigkeit, der Arbeitslosigkeit, des Wechsels von Arbeitsplätzen, der Aus- und Weiterbildungen mit sich bringt. Verbunden damit sind die einstmalige Schnittstelle zwischen Schule und Ausbildung und der Weg ins Erwerbsleben zu einer zeitlich ausgedehnten Übergangsphase geworden, die ganz neue Bewältigungsherausforderungen enthält. Aber auch im Bereich der Forschung zu kindlichen Transitionsprozessen wird deutlich, dass Übergänge und ihre Gestaltung ein kritischer Faktor in der Bildungsbiographie sind, die mit einer massiven Umstrukturierung von Lebenszusammenhängen, beschleunigten Veränderungen und der Neugestaltung innerpsychischer Prozesse und Beziehungen zu anderen Personen einhergehen (vgl. Welzer 1993; Fthenakis 1999). Und nicht zuletzt entstehen mit dem demografischen Wandel und einer insgesamt „älter werdenden Gesellschaft“ in Zusammenhang mit gravierenden Wandlungsprozessen im Arbeitsleben sowie in den sozialen Strukturen Herausforderungen, Übergangsprozesse im Alter neu zu betrachten und zu gestalten. Mit diesen Entwicklungen geht ein theoretischer Perspektivwechsel vom Konzept der Statuspassagen (vgl. Heinz 1996) hin zum Konzept der Übergänge (vgl. Hagestad 1991; Stauber/Walther 2004) einher. Das Statuspassagenkonzept prägte bislang den Bereich der Sozialisations- und Bildungsforschung und fokussiert vor allem die bestimmten Passagen im Sinne von institutionalisierten Lebensphasen, die ein Mensch erreicht und in denen er sich auf die nächste Statuspassage vorbereitet. Die Übergänge von einer Passage zur anderen treten hier in den Hintergrund und werden nur als institutionalisierte Anschlüsse, besetzt mit den entsprechenden „Gatekeepern“, betrachtet (vgl. Stauber/Walther 2004). Dieses Konzept bezieht sich auf den Erwerb von Qualifikationen in den entsprechenden Bildungseinrichtungen und bringt zwangsläufig die Frage nach dem Gelingen oder Scheitern mit sich. Die Perspektive der Übergänge rückt demgegenüber den Aspekt der prinzipiellen biografischen Offenheit und damit die 9
Bewegung der Biografie in den Mittelpunkt (vgl. Sackmann/Wingens 2001). Entscheidender als der Statuspassagenerwerb werden nun die subjektive Bewältigung der Übergänge in biographischer Perspektive sowie die sozialen Prozesse zur Stärkung der Handlungsfähigkeit (agency). Dies spiegelt sich auch im Memorandum zum Lebenslangen Lernen der europäischen Kommission wider, die hier darauf hinweist, dass active citizenship und employability nur gemeinsam zu stärken seien (vgl. Europäische Kommission 2001). Diese Erkenntnisse bilden den Hintergrund dafür, dass Übergänge in das Zentrum der Betrachtung gestellt werden müssen, wenn es darum geht, auf der individuellen Ebene günstige Voraussetzungen für Bildungs- und Berufsbiographien zu schaffen und lebenslanges Lernen als Kernelement zivilgesellschaftlicher und regionaler Entwicklung zu verankern. Sowohl in der Praxis als auch in der theoretischen Diskussion hat sich diese Sichtweise in den letzten Jahren stark verbreitet. Insbesondere mit Hilfe verschiedener Bundes- und Landesprogramme sind an vielen Stellen bereits Projekte zur Unterstützung von verschiedenen Übergängen durchgeführt und entsprechende Modelle entwickelt worden – allen voran im Bereich des Übergangs Schule – Erwerbsleben. Allerdings fehlte bislang weitestgehend eine integrierte Sichtweise, die sich umfassend um die Strukturierung der verschiedenen Projekte und Unterstützungsangebote hin zu einer auf den Bedarf abgestimmten „Angebotslandschaft“ bemüht und die sich darüber hinaus mit der gesamten Kette lebenslangen Lernens und den damit verbundenen Schnittstellen befasst. Das Themennetz „Übergangsmanagement“ im Programm der Lernenden Regionen In diesem Buch werden die Ergebnisse einer mehrjährigen Entwicklungs- und Gestaltungsarbeit zusammengetragen, die sich eine detaillierte Definition der Anforderungen an ein Übergangsmanagement zum Ziel gesetzt hat. Den Rahmen dieser Entwicklungsarbeit bildete das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union geförderte Vorhaben „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“. Die Grundidee dieses Förderprogramms war es, Impulse zur Weiterentwicklung des Bildungssystems zu geben und Lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Dazu wurde der Aufbau regionaler Netzwerke gefördert, in denen Bildungsanbieter und Nachfrager über die Organisationsgrenzen verschiedener Träger und über bisher getrennte Bildungsbereiche hinweg dauerhaft zusammenarbeiten sollen. Das Programm „Lernende Regionen“ wurde im Jahr 2000 gestartet und nach und nach thematisch erweitert. Bis zum Abschluss im Jahre 2008 gab es insgesamt 72 Lernende Regionen. Diese waren einerseits selbst regionale Netz-
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werke, andererseits waren sie im Rahmen des Programms in Themennetzen organisiert, die sich jeweils mit bestimmten Fragestellungen der Gestaltung lebenslangen Lernens auseinandergesetzt haben. Im Themennetz „Übergangsmanagement“ waren dabei diejenigen Lernenden Regionen zusammengeschlossen, die schwerpunktmäßig am Aufbau eines Übergangsmanagements vor Ort arbeiteten und diese Erfahrungen in die gemeinsame Entwicklungsarbeit einbringen konnten. Insgesamt nahmen 18 Lernende Regionen an diesem Themennetz teil. Mit ihrer thematischen Netzwerksarbeit zum Übergangsmanagement verfolgten die Lernenden Regionen das Ziel, umfassende und integrierte Modelle zum Management von Übergängen in der Bildungs- und Berufsbiographie zu entwickeln und zu verbreiten. Aufbauend auf Erfahrungen durch eigene Projektarbeiten vor Ort, die von den Regionen eingebracht wurden, bestand die zentrale Herausforderung dieses Themennetzes darin, eine konzeptionelle Klammer für die Aktivitäten vor Ort zu finden und Aufgaben und Funktionen eines Übergangsmanagements herauszuarbeiten. In den Diskussionen der Lernenden Regionen standen zunächst Fragestellungen einzelner Übergangsbereiche im Mittelpunkt, die einen unmittelbaren Bezug zu den laufenden Projekten vor Ort aufwiesen. Die vornehmlich in einzelnen Übergangsfeldern begonnenen Projektarbeiten der Lernenden Regionen wurden durch das Themennetz zu einer ganzheitlichen und bereichsübergreifenden Perspektive geöffnet, so dass im Ergebnis Handlungsanleitungen und Gestaltungsfelder für ein umfassendes regionales Übergangsmanagement herausgearbeitet werden konnten. Dennoch ist zu konstatieren, dass auf der operativen Ebene eines Übergangsmanagements sehr unterschiedliche Problemkonstellationen und -schwerpunkte zu berücksichtigen sind, die eine differenzierte Betrachtung erfordern. In der Arbeit des Themennetzes war es daher stets erforderlich, sowohl Lösungen für spezifische Herausforderungen in einzelnen Übergangsfeldern zu suchen als auch gemeinsam mit Blick auf die übergreifenden strategischen Elemente zu arbeiten. Im Einzelnen wurden dazu die folgenden Übergangsbereiche näher betrachtet:
Kindergarten – Grundschule
Der Übergang Kindergarten – Grundschule als erste und maßgebliche Hürde für die Bewältigung der Herausforderungen eines lebenslangen Lernens ist gekennzeichnet durch eine strukturelle Trennung der beiden beteiligten Bildungsinstitutionen, die unterschiedlichen pädagogischen Konzepten folgen. Übergangsmanagement bedeutet daher hier vor allem, an langjährig gewachsenen institutionellen Strukturen anzusetzen, die gekennzeichnet sind durch scharfe strukturelle,
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institutionelle und mentale Trennungen zwischen Elementar- und Primarbereich. Um das Übergangsproblem Kindergarten – Grundschule gemeinsam zu lösen, sind strukturelle Ansätze erforderlich, die eine wechselseitige Auseinandersetzung mit den Bildungszielen und pädagogischen Praktiken in Kindergarten und Grundschule beinhalten und so eine bessere Anschlussfähigkeit zwischen beiden Einrichtungen für die Kinder ermöglichen.
Schule – Ausbildung – Erwerbsleben
Zur Unterstützung der Übergänge von der Schule in Ausbildung bzw. in Erwerbsarbeit wurden in den letzten Jahrzehnten eine unüberschaubare Fülle an Projekten, Maßnahmen und Netzwerken entwickelt. Mehrheitlich richten sich diese an die Zielgruppe der sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, bei denen ein „besonderer Förderbedarf“ bei der Integration in Ausbildung und den Erwerbsarbeitsmarkt konstatiert wird. Aufgrund der „gewachsenen“ Förderstrukturen fehlt heute eine Gesamtperspektive auf das Zusammenspiel der verschiedenen Angebote, in der eine transparente Übergangsstruktur regional ausgestaltet werden kann. Dabei kommt es nicht nur darauf an, die Aktivitäten allein auf benachteiligte Zielgruppen zu konzentrieren, sondern in einer umfassenden Sichtweise Beratungs- und Unterstützungsangebote für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Übergang in das Erwerbsleben zu schaffen und somit den konkreten Anforderungen in einer sich ausdifferenzierenden Bildungs- und Berufswelt besser gerecht zu werden.
Wiedereinstieg in das Bildungs- und Beschäftigungssystem
Weil viele Bildungs- und Berufsbiographien heute anstelle von durchgängigen Beschäftigungszeiten häufig von Unterbrechungen, Umwegen oder Sprüngen gekennzeichnet sind, kommt der Unterstützung eines Wiedereinstiegs immer höhere Bedeutung zu. Das Übergangsmanagement hat daher die Aufgabe, den gewünschten Wiedereinstieg zu unterstützen und geeignete Zugänge zur regionalen Arbeitswelt zu schaffen, durch die sich neue oder weiterführende biographische Perspektiven eröffnen. Auch in diesem Übergangsfeld zeigt sich, dass eine Fokussierung auf Strategien der beruflichen Wiedereingliederung, wie sie etwa im Zusammenhang mit den Hartz-Reformen etabliert wurden, nicht ausreichend ist. Vielmehr erscheinen gerade in diesem Übergangsfeld lokale Netzwerke für Bildung, Unterstützung und Beschäftigung notwendig zu sein, um eine aktivierende Gestaltung von Lebensphasen außerhalb von Vollzeiterwerbstätigkeiten zu ermöglichen und die Anschlussfähigkeit zwischen Biographie und Arbeitsmarkt herzustellen.
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Älter werdende Gesellschaft
Zur Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels wird es zukünftig wichtig sein, die Potenziale Älterer verstärkt zu nutzen. Unabhängig der unterschiedlichen Annahmen zur Entwicklung der Bevölkerung und des Erwerbsverhaltens wird es zu strukturellen Umschichtungen im Potenzial der Erwerbsbevölkerung von jüngeren auf ältere Beschäftigte kommen. Dies hat zur Folge, dass künftig verstärkt die erwerbswirtschaftlichen Ressourcen Älterer für Aufgaben genutzt werden müssen, für die bisher genügend jüngere Beschäftigte zur Verfügung standen. Zudem weitet sich die Lebensphase Alter aufgrund der längeren Lebenserwartung und des medizinischen Fortschritts zunehmend auch außerhalb des Erwerbslebens als aktiver Lebensabschnitt aus. Die nachhaltige Gestaltung des demografischen Wandels und der daraus resultierenden Übergangsprobleme Älterer beinhaltet demzufolge auch Fragen zur zivilgesellschaftlichen Teilhabe Älterer insgesamt. Anstelle der Entscheidung zwischen einer vollständigen Integration in den Arbeitsmarkt oder der vorzeitigen Verrentung sind also für Ältere alternative Formen des Übergangs in den Ruhestand im Anschluss an eine berufsaktive Phase zu entwickeln, um die Innovationspotenziale der älter werdenden Bevölkerung stärker als bisher nutzen zu können. Gerade für das Übergangsmanagement Älterer fehlen derzeit aber noch institutionelle Strukturen, um diese Aspekte berücksichtigen zu können. Diese gilt es beim Aufbau regionaler Netzwerke verstärkt in Betracht zu ziehen. Innerhalb des Themennetzes lagen zu den vorgenannten Bereichen eines Übergangsmanagements jeweils konkrete Projekterfahrungen vor. Die einzelnen Lernenden Regionen arbeiteten vor Ort in unterschiedlicher Weise an der Lösung von Übergangsproblemen, die sich einem der genannten Felder zuordnen ließen. Eine zentrale Erkenntnis der Netzwerkarbeit war jedoch, dass es darüber hinaus weitergehende Anregungen für ein besseres Management von Übergängen geben muss, in denen diese Bereiche aufeinander Bezug nehmend betrachtet und analysiert werden. Übergangsmanagement erfordert neben konkreten Projektschritten ein Gesamtkonzept, das auf die Bedürfnisse lebenslangen Lernens abgestimmt ist und die im biographischen Verlauf auftretenden Herausforderungen bei der Bewältigung von Übergängen aufgreift. Ein entscheidendes Ergebnis der Diskussionen im Themennetz war diesbezüglich, dass Übergangsmanagement in öffentlicher Verantwortung liegt. Insbesondere diese öffentliche Verantwortung näher zu definieren und konzeptionell zu fassen, war daher eine wesentliche Aufgabe des Themennetzes. Dabei galt es, auch Entwicklungen zu berücksichtigen, die quer zu den genannten Übergangsfeldern stehen und daher in einer solchen Gesamtkonzeption Eingang finden müssen. Hierzu gehört etwa die Erkenntnis, dass Übergänge in der Bildungs- und
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Berufsbiographie für das Individuum zwar in der Regel immer noch mit Übergängen zwischen verschiedenen Institutionen verbunden sind, dass sie aber immer stärker der individuellen biographischen Logik folgen und weitere, informelle und non-formale Lernorte eine zunehmende Bedeutung erhalten. Bei sich weiter ausdifferenzierenden Pfaden des Übergangs in der Bildungs- und Berufsbiographie kommt also der Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen und darüber hinausgehend eine öffnende Vernetzung dieser Institutionen in die Region hinein für das Management von Übergängen eine entscheidende Bedeutung zu. Zu diesem Buch In der Schlussphase der Programmförderung wurde das Themennetz von einem Leitvorhaben „Zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement“ unterstützt, dem drei wissenschaftliche Institutionen – das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim und das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung, Nürnberg – angehörten. Die Autorinnen und Autoren der nachfolgenden Beiträge waren jeweils Mitglieder dieser Institutionen und dokumentieren verschiedene Arbeitsansätze, die im Laufe der Themennetzarbeit gemeinsam mit den Lernenden Regionen entwickelt wurden. Hauptaugenmerk der Partner des Leitvorhabens „Zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement“, das ebenso im Kontext des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Sozialfonds der Europäischen Union geförderten Programms „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ stand und von diesem auch finanziert wurde, lag auf der Auswertung und Weiterentwicklung von Beispielen guter Praxis, die in den Lernenden Regionen entstanden waren. Damit sollte das Leitvorhaben zum einen den Transfer von Erfahrungen in Gang setzen, die in den Lernenden Regionen gesammelt wurden. Zum anderen konnte das Leitvorhaben weitere nationale und internationale (Praxis-)Erfahrungen einbringen, um für die Herausforderungen und Gestaltungsanforderungen des Übergangsmanagements neues Orientierungswissen zu generieren. Mit Hilfe der wissenschaftlichen Expertise gelang es somit, den sich auch auf strategische und normative Aspekte erstreckenden Diskussions- und Klärungsanspruch des Themennetzes zu erfüllen und im Ergebnis weitergehende Anforderungen an ein Übergangsmanagement zu beschreiben. Das vorliegende Buch dokumentiert nun die zentralen Ergebnisse, die in dieser Themennetzarbeit gemeinsam mit den Lernenden Regionen entwickelt wurden. Es stellt die aktuellen Herausforderungen eines Übergangsmanagements sowohl bezogen auf die jeweiligen Bereiche als auch in einer ganzheitlichen
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Perspektive dar und dokumentiert die in den Diskussionen der Lernenden Regionen mit Unterstützung des Leitvorhabens „Zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement“ entwickelten und schriftlich aufbereiteten Lösungsstrategien. In den beiden folgenden Beiträgen werden dazu zwei wesentliche Überlegungen aus der Netzwerkarbeit explizit herausgearbeitet: zum einen die biographieorientierte Sichtweise auf die Übergangsherausforderungen im Lebensverlauf und zum anderen die im Referenzmodell skizzierte Antwort eines am regionalen Bedarf orientierten Übergangsmanagement-Ansatzes. Die nachfolgenden Kapitel greifen dann die im Lebenszyklus auftretenden Übergangsbereiche auf und diskutieren Herausforderungen, Problemdimensionen sowie Lösungsvorschläge, die innerhalb wie außerhalb der Lernenden Regionen entwickelt und umgesetzt wurden. Dabei gilt perspektivisch, dass Lösungen für ein bestimmtes Übergangsfeld auch Anregungen für andere Bereiche geben und im Sinne eines regionalen Übergangsmanagements zu ganzheitlichen Lösungsansätzen verknüpft werden können. Ergebnisse der Netzwerkarbeit und des Leitvorhabens Im Folgenden wird nun zur ersten Orientierung eine knappe Zusammenfassung der vom Themennetz angestoßenen Diskussionen zu Fragen des Übergangsmanagements vorgenommen. Die weiterführenden Aspekte sind dann in den nachfolgenden Beiträgen detaillierter dargestellt. a.
Zugangsebenen zu einem regionalen Übergangsmanagement: Individuum, Organisation und Infrastruktur Das Thema Übergangsmanagement schließt zumindest drei Ebenen ein, die zu betrachten sind: Auf einer individuellen Ebene ist die alltägliche Bewältigung und Stärkung der Handlungsmächtigkeit (agency) und der professionelle Umgang mit Übergangssituationen von besonderem Interesse. Dabei gilt es, die heutige „Logik“ von Übergängen bei der Gestaltung von Unterstützungsangeboten zur Bewältigung von Übergängen zu beachten, um die Angebote tatsächlich passend zu den Bedarfen an Unterstützung im biographischen Übergang entwickeln zu können. Hierzu dient die Perspektive der biographischen Szenarien, die den Blick auf die individuellen Übergangsverläufe in ihrer Eigenlogik und auf die entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten (d.h. Szenarien) lenkt, die aus einer jeweiligen Biographie heraus erreichbar sind (vgl. den Beitrag „Die Perspektive der Biographischen Übergangsszenarien“).
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Individuum
Regionales Übergangs-
management
Institution
Abbildung 1:
Infrastruktur
Zugangsebenen zum regionalen Übergangsmanagement
Auf einer zweiten Ebene lassen sich die Organisationen beleuchten, die im Übergang in Arbeit eine Rolle spielen. Hier geht es zum einen um die Frage, wie Organisationen beschaffen sein müssen, um passende Unterstützungsangebote bereitstellen zu können. Auf diese Ebene zielten in den vergangenen Jahren viele steuerungspolitischen Interventionen bzw. reformerischen „Innovationen“. Der Fokus lag dabei auf einer Veränderung des Selbstverständnisses sozialer Organisationen hin zu einem unternehmerischen Denken bzw. „Unternehmergeist“ (etwa in der Sozialwirtschaft), zu erhöhter Flexibilität der Organisation, um auf wechselnde Anforderungen und Bedarfe reagieren zu können, und verbunden damit hin zu einer entsprechenden „Verschlankung“ und „Neuen Steuerung“. Im Kontext eines auf die Bedürfnisse der Zielgruppen zugeschnittenen Übergangsmanagements ist zudem die Öffnung für Beteiligung der Bürger vor Ort bzw. zur „Bürgerarbeit“ zentral. Dieser Aspekt ist in der Diskussion bisher eher vernachlässigt worden. Unter Finanzierungszwängen und marktwirtschaftlicher Orientierung sind die Organisationen zwar meist flexibler, aber kaum offener für die Bürger bzw. ihre Adressaten geworden (vgl. Olk 2007). Ehrenamtliche Arbeit ist im Zuge dessen mehr und mehr zur Ressource für die Träger geworden, nicht aber zu einer Form der Beteiligung der Bürger an der Entwicklung von Zielen, Arbeitsformen und Angeboten der Träger. Nicht zuletzt daraus resultiert eine wachsende Distanz zwischen den Menschen, die Unterstützungsange16
bote annehmen, und den Organisationen, die diese „durchführen“. Diese Distanz kann ebenfalls zur Folge haben, dass sich Unterstützungsangebote nicht am Bedarf orientieren. Hier könnte – im Sinne des Konzepts von „Bürgerarbeit“ – die direkte Beteiligung von Menschen auch bei der Entwicklung von Angeboten auf organisationaler Ebene, bei der Diskussion über Arbeitsweisen innerhalb einer Organisation bis hin zur Mitbestimmung bei der strategischen Ausrichtung der Arbeit dazu beitragen, dass Träger bzw. Organisationen im weiteren Sinne (d.h. Akteure im Übergangsmanagement) näher an den Bedürfnissen der Menschen und damit am Bedarf agieren. Nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Komplexität von Übergängen und einer entsprechend zunehmenden Anzahl von Akteuren, die dabei involviert sind, gilt inzwischen das Paradigma der Vernetzung der Organisationen als unverzichtbare Notwendigkeit. Allerdings wurde Vernetzung bislang überwiegend aus einer organisationalen Perspektive betrachtet, das heißt, es ging um die Frage, wie sich Organisationen untereinander am besten vernetzen könnten und welche Vorteile dies für sie bzw. für ihre Klientel hat. Zur weiteren „Vermittlung“ von Menschen, die ein bestimmtes Unterstützungsangebot in Anspruch nehmen, ist es aus Sicht der Organisation durchaus sinnvoll, Kooperationen mit anderen Einrichtungen einzugehen. Aus individueller Perspektive erweist sich eine solche organisationsbezogene Vernetzung allerdings dann als unzureichend, wenn die Kooperationen, über die eine Organisation verfügt, dennoch nicht die geeigneten Zugänge im Sinne des biographischen Übergangsverlaufs eröffnet. In diesen Fällen gerät ein organisationsbezogenes Netzwerk mit seiner eher sternförmigen Struktur an seine Grenzen und lässt es oftmals nicht zu, die biographisch sinnvollsten Ermöglichungskontexte zu eröffnen. Da es mit einer organisationsbezogenen Vernetzungslogik im Grunde ebenso viele Netzwerke in einer Region wie Akteure geben kann, braucht Übergangsmanagement eine dritte Ebene, nämlich die der sozialen Infrastruktur zur Unterstützung der Menschen bei der Bewältigung von Übergängen. Hierbei geht es nun um die Gesamtperspektive auf die Unterstützungsangebote, um ihr abgestimmtes Zusammenspiel in einer transparenten Struktur. Über die Kooperation und Vernetzung von Organisationen hinaus geht es dabei auch um die inhaltliche Abstimmung der unterschiedlichen Arbeits-, Lebens- und Bildungsorte und damit um deren Passungsverhältnis im Lebensverlauf. Für eine solche integrierte Sichtweise stehen zwei Klammern zur Verfügung: die Region und die Biographie. Es hat sich – nicht zuletzt in den Lernenden Regionen – in den letzten Jahren gezeigt, dass es kaum eine für alle Regionen einheitliche Lösung eines Übergangsmanagements geben kann. Dafür sind allein die Unterschiede hinsichtlich der über Jahre gewachsenen professionellen Strukturen, aber auch hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen
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zu sehr voneinander abweichend. Die Aufgabe für ein Übergangsmanagement besteht deshalb darin, in den Regionen „Angebotslandschaften“ auszugestalten bzw. „Dienstleistungsportfolios“ zu erarbeiten, die dem Bedarf der hier lebenden Menschen an Unterstützung, Beratung und Bildung in Übergangsphasen gerecht werden, wobei Übergangsphasen grundsätzlich als Bestandteil der (individuellen) Biographien zu verstehen sind. Es geht dabei also nicht einfach um die spezialisierte Kooperation zwischen unterschiedlichen Akteuren und nicht um singuläre Maßnahmen oder Entwicklungspartnerschaften zum Übergangsmanagement, sondern um die Ausgestaltung von integrierten Dienstleistungsportfolios in der Region. Dabei kann eine Strukturierung nach verschiedenen Lebensaltern oder Themenfeldern durchaus sinnvoll sein; entscheidend für die integrierte Sichtweise ist der grundlegende Bezugspunkt Region und der Bedarf an Dienstleistungen zur Unterstützung von Übergängen im biographischen Verlauf. Entsprechend dieser Klammern unterliegt das Übergangsmanagement durchaus unterschiedlichen regionalen Prägungen und wird ebenfalls stark durch die Zielgruppen bestimmt. Diese drei Ebenen bedingen sich gegenseitig in einem regionalen Übergangsmanagement. So wird die Ausgestaltung einer regionalen Infrastruktur immer auch Konsequenzen für die Organisationen und die konkrete Durchführung von Angeboten beinhalten und umgekehrt durch die einzelnen Organisationen mit bedingt sein. Sie wird auf die Logik der biographisierten Übergänge und individuellen Bewältigungsformen eingehen müssen, sie aber ebenso erweitern, unterstützen und damit verändern. Ebenso führt ein Zugang über die individuelle Ebene zu dem Erfordernis einer entsprechenden Gestaltung der Organisationen und der Ausgestaltung einer sozialen Infrastruktur, die eine bedarfsgerechte Unterstützung bzw. Stärkung der Handlungsfähigkeit im Übergang gewährleisten kann. Insgesamt wird damit deutlich, dass sich Regionales Übergangsmanagement weder auf eine individuelle Begleitung von Übergängen noch auf die Passungsverhältnisse zwischen den jeweiligen Institutionen reduzieren lässt. b. Das Referenzmodell Die Notwendigkeit, Übergangsmanagement als öffentliche Aufgabe zu definieren und einen Bezugspunkt zwischen Projektaktivitäten vor Ort und strategischen wie normativen Leitvorstellungen zu setzen, führte in den Überlegungen des Themennetzes zur Entwicklung eines Referenzmodells, das im Kapitel „Referenzmodell für ein regionales bedarfsorientiertes Übergangsmanagement“ näher beschrieben ist. Kernüberlegung des Referenzmodells ist es, mit Blick auf Praxiserfahrungen diejenigen strategischen Elemente zu definieren, die zur Erfüllung eines normativen Anspruchs zur bestmöglichen Unterstützung bei der Bewältigung von Übergängen erforderlich sind. Als solche strategischen Ele-
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mente haben sich aus der Diskussion im Themennetz die Felder Bedarfsanalyse, Bildungsmarketing, Qualitätssicherung und Institutionalisierung auf der regionalen Ebene herauskristallisiert. Die Festlegung dieser Elemente in einem integrierten Referenzmodell wurde intensiv auf mehreren Workshops des Themennetzes vertiefend erörtert. Für die praktische Arbeit der Lernenden Regionen wurden die Erfolgsbedingungen und -faktoren zum Erreichen dieser Modellvorstellungen in Handlungsempfehlungen zusammengefasst, die durch das Leitvorhaben als Hilfestellung bei der Implementierung von Modellbestandteilen ausformuliert wurden, so dass regionalen Akteuren Handreichungen für die Implementierung von Projekten und Strukturen des Übergangsmanagements zur Verfügung gestellt werden konnten. In die Handreichungen flossen insbesondere die Elemente eines nachhaltigen Übergangsmanagements sowie die Analyse von Erfolgsfaktoren und Problemfeldern in der Implementierung der Modellvorstellungen ein. Die Handreichungen sind in einem Online-Handbuch allen Interessierten unter der Adresse www.uebergangsmanagement.info zugänglich. c. Anforderungen an ein regionales Übergangsmanagement Die Diskussion des Referenzmodells hat gezeigt, dass viele in der Praxis noch ungelöste Probleme in mehreren Übergangsfeldern auftreten und dabei häufig die Frage nach dem geeigneten handelnden Akteur aufwerfen. So sind die unmittelbar von einem Übergangsfeld betroffenen Akteure zumeist nur dann zur Bewältigung der erkannten Schwierigkeiten in der Lage, wenn sie dazu von einer koordinierenden und moderierenden Instanz angeleitet werden. In den Projekten der Lernenden Regionen stellte sich daher oft die Frage, wie die erarbeiteten Erkenntnisse auch über die Zeit konkreter Projektbegleitungen hinaus gesichert werden könnten. Ohne eine koordinierende Instanz, welche die Aufgaben eines Übergangsmanagements in einer umfassenden systemischen Sichtweise in den Blick nimmt und Erfahrungen aus verschiedenen Feldern bündeln und auch für andere Bereiche nutzbar machen kann, wird, so eine zentrale Erkenntnis der gemeinsamen Netzwerkarbeit, Übergangsmanagement nicht erfolgreich etabliert werden können. Wenn nicht mehr bereichsbezogene institutionelle Kooperationen im Mittelpunkt des Übergangsmanagements stehen, sondern die bedarfsgerechte Ausgestaltung eines regionalen Portfolios geeigneter Lösungsstrategien an deren Stelle tritt, werden sich auch Unterstützungen für die bislang weniger offensichtlichen Übergangsprobleme finden lassen. Die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, Migration und Mobilität der Menschen, der demografische Wandel, die Pluralisierungen der Formen des sozialen Zusammenlebens oder auch Formen der sozialen Benachteiligung und Ausgrenzung bringen heute ganz neue Herausforde-
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rungen in Hinblick auf die Gestaltung von Übergängen mit sich. Allgemeingültige Antworten auf diese Herausforderungen lassen sich dazu nicht geben; vielmehr muss die Bildungslandschaft bzw. die Infrastruktur zur Unterstützung von Menschen im Übergang heute insgesamt stärker nach den Übergangsherausforderungen ausgerichtet werden, die sich vor Ort ergeben. Zentrale Gestaltungsvorgaben scheinen nicht mehr die adäquate Antwort auf die erforderlichen Anpassungsprozesse zu sein. Insofern hat sich der Ansatz der Lernenden Regionen, die Definition dessen, was Übergangsmanagement sein kann und zu leisten hat, in einem räumlich begrenzten Kontext vorzunehmen, durchaus bestätigt. Denn gerade in den Regionen zeigt sich die Spannung zwischen den Bildungsinstitutionen und den neuen sozialen Dynamiken und Übergängen, die das Leben der Menschen vor Ort prägen. Regionales Übergangsmanagement erweist sich damit als wichtiger Faktor, über den alle Akteure in einer Region in deren sozialen und ökonomischen Entwicklungsprozess eingebunden werden können. Und nur so können die gemeinsamen Herausforderungen, die alle Übergangsbereiche in ähnlicher Form betreffen, auch in eine gemeinsame Strategie münden. Daher muss Übergangsmanagement als zentrale Gestaltungsaufgabe in den Regionen begriffen werden; es ist eine wichtige Voraussetzung, um die Idee des Lebenslangen Lernens tatsächlich mit Leben zu füllen.
Literatur Europäische Kommission (2001): Memorandum über lebenslanges Lernen. SEK 1832. Brüssel Fthenakis, W.E. (1999): Transitionspsychologische Grundlagen des Übergangs zur Elternschaft. In: Fthenakis, W.E.; Eckert, M.; v. Block, M. für den Deutschen Familienverband (Hrsg.): Handbuch Elternbildung. Band 1. Opladen, S. 31-68 Hagestadt, G. (1991): Trends and Dilemmas in Life-course Research. An International Perspective. In: Heinz, W. R. (Hrsg.), Theoretical Advances in Life-course Research. Weinheim, S. 23-57 Heinz, W. (1996): Status Passages as Micro-Macro Linkages in Life Course Research. In: Weymann, A.; Heinz, W. (eds.): Society and Biography. Weinheim, S. 51-65 Olk, T. (2007): Zwischen Sozialmarkt und Bürgergesellschaft. Die Wohlfahrtsverbände im expandierenden Sozialstaat. In: Hering, S. (Hg.): Bürgerschaftlichkeit und Professionalität. Wirklichkeit und Zukunftsperspektiven sozialer Arbeit. Wiesbaden (Sozial ExtraSonderheft, 1), S. 33–40 Sackmann, R.; Wingens, M. (2001): Theoretische Konzepte des Lebenslaufs: Übergang, Sequenz und Verlauf. In: Sackmann, R.; Wingens, M. (Hrsg.): Strukturen des Lebenslaufs. Übergang – Sequenz – Verlauf. Weinheim und München, S. 17-48
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Stauber, B.; Walther, A. (2004): Übergangsforschung aus soziologischer Perspektive. In: Schumacher, E. (Hrsg.): Übergänge in Bildung und Ausbildung. Gesellschaftliche, subjektive und pädagogische Relevanzen. Bad Heilbrunn, S. 47-67 Welzer, H. (1993): Transitionen. Zur Sozialpsychologie biographischer Wandlungsprozesse. Tübingen
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Die Perspektive der Biographischen Übergangsszenarien Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer 1
Hinführung
Eine der entscheidenden Fragen beim „Management“ von Dienstleistungsangeboten zur Unterstützung von Übergängen ist, wie sich die Gestaltung eines regionalen Übergangsmanagements den Übergangssituationen der Adressatinnen und Adressaten bzw. der Bürgerinnen und Bürger entsprechend bestimmen lässt. Ausgangspunkt für Überlegungen hierzu sind die alltäglichen Bewältigungsherausforderungen und -formen der Menschen im Übergang. Im sozialpädagogischen Kontext meint (Lebens-)Bewältigung das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit in Lebenskonstellationen, die durch Brüche gekennzeichnet sind. Dieses Streben ist abhängig von der Lebenslage der Menschen, in welcher biographische und sozialstrukturelle Bedingungen miteinander verschränkt sind. Bildungs- und Lernprozesse können in diesem Zusammenhang wesentliche Bewältigungsformen darstellen, insofern sie dazu beitragen, die Handlungsfähigkeit der Menschen zu erweitern (vgl. Böhnisch/Schröer 2002, S. 199 und S. 207 f.). Die Perspektive der Bewältigung ermöglicht einen (analytisch offenen) Blick für das individuelle Handeln der Menschen im Übergang. Zugleich lässt sich über die Möglichkeiten und Grenzen dieses Handelns soziale Ungleichheit thematisieren, die sich in der gesellschaftlichen Sozial- und Chancenstruktur bzw. in der Dimension der verwehrten Zugänge zu Bildung, Erwerbsarbeit, politischer Teilhabe etc. zeigt. Damit folgt die Bewältigungsperspektive dem Konzept der Diversität, mit welchem Ungleichheit nicht aus der Differenz sozialer Gruppen, sondern aus den Bewältigungsproblemen der Menschen abgeleitet wird (vgl. Böhnisch/Schröer 2002, S. 201 und 2007, S. 253 ff.). Ausgehend von dieser theoretischen Rahmung durch das Konzept der Lebensbewältigung soll im Folgenden die Auseinandersetzung um die biographisierten Übergänge näher beleuchtet werden. Damit ist zunächst die Biographisierung der Übergänge angesprochen, wie sie sich mit der Entgrenzung der Arbeitsgesellschaft zunehmend empirisch zeigen lässt. Gleichzeitig wird auf einen theoretischen Ansatz eingegangen, der – die empirische Analyse in sich aufnehmend – für eine veränderte Blickrichtung auf die Übergänge im Lebensverlauf wirbt. Diese Blickrichtung ist wesentlich an die Perspektive der Bewältigung
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geknüpft. Schließlich lassen sich aus den Überlegungen Gestaltungshinweise für Unterstützungsangebote im Übergang ableiten.
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Die Biographisierung von Übergängen
In Folge des strukturellen Wandels der Arbeitsgesellschaft und von sozialen Entgrenzungsprozessen (vgl. z.B. Beck/Lau 2004; Kratzer 2003; Gottschall/Voß 2003) können die verschiedenen Institutionen wie Kindergarten, Schule, Ausbildung und Normalarbeitsverhältnis nicht mehr die Integration in die Erwerbsarbeitsgesellschaft gewährleisten, für die sie in der Nachkriegsphase konzipiert waren. Sowohl die Anschlüsse dieser Institutionen untereinander als auch ihre Fähigkeit, grundsätzlich alle Menschen gesellschaftlich zu integrieren, sind heute problematischer geworden. Ursprünglich war das institutionelle Bildungssystem darauf ausgelegt, Menschen innerhalb bestimmter systemischer Differenzierungen (wie z.B. über das dreigliedrige Schulsystem oder die Unterscheidung zwischen betrieblicher Ausbildung, Fachschulen und Hochschulen usw.) möglichst homogen zu sozialisieren. Das Bildungs- und Ausbildungssystem in Verzahnung mit dem Beschäftigungssystem strukturierte die individuellen Übergangsverläufe der Menschen. Lernen und Arbeiten der Menschen musste sich also in der Regel in die Bildungsinstitutionen einpassen, um eine gesellschaftliche Integration, die sich als arbeitsgesellschaftliche Integration darstellte, vollziehen zu können. Keinesfalls gestaltete sich die arbeitsgesellschaftliche Integration für alle Menschen gleich. Der institutionalisierte Lebenslauf konstituierte soziale Ungleichheit auch für den Lebensbereich Erwerbsarbeit. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wies Frauen bspw. (neben ihrer Erwerbstätigkeit) die Verantwortung für den familiären Reproduktionsbereich zu, ohne diese Tätigkeit im Sinne einer arbeitsgesellschaftlichen Integration als Arbeit anzuerkennen. Gemeinsam war allen lediglich der allgemeine Erreichbarkeitspol: die gesellschaftliche Integration über die Erwerbsarbeit. Heute sehen sich die Bildungsinstitutionen dagegen mit einer Heterogenität der Menschen konfrontiert, auf die sie kaum adäquat reagieren können. Die Dynamik des arbeitsgesellschaftlichen Wandels, der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und der sozialen Strukturen macht es immer schwieriger, Übergangswege institutionell zu strukturieren, sie innerhalb der Institutionen unabhängig von den individuellen Voraussetzungen zu planen. Bildungswege verlaufen heute oftmals brüchig und ein erheblicher Teil von Menschen wird zeitweilig oder gar dauerhaft aus dem Bildungs- und Erwerbsarbeitssystem ausgegrenzt. Die Bildungs- und Beschäftigungsverläufe der Menschen können somit immer
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weniger in den Bahnen verlaufen, die ursprünglich einmal in dem Zusammenspiel der Bildungsinstitutionen vorgezeichnet waren. Standardisierte Vorstellungen und Normen darüber, wie Übergänge „normalerweise“ verlaufen und aussehen sollten, bleiben bislang dennoch das Leitbild für Bildungsinstitutionen, für die zusätzlich ins Leben gerufenen „ergänzenden“ Maßnahmen und Programme wie für die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, sofern sie weiterhin auf eine institutionelle Perspektive setzt. Übergänge werden aus dieser Sicht allein als Übergänge von einer Institution in die nach systemischer Logik anschließende gesehen. Die Institutionen orientieren sich daran in ihrem Handeln nach wie vor, zumal ihre systemischen Bezüge genau nach diesem Leitbild aufgebaut sind. Auch die allermeisten Maßnahmen und Projekte, Beratungen und Kompetenzfeststellungsverfahren, die als Reaktion auf die Probleme im Übergang in Arbeit ins Leben gerufen wurden, waren bislang auf eine Integration in das Bildungs- bzw. Ausbildungssystem oder aber direkt in den Arbeitsmarkt hin angelegt. Die hier zugrunde liegende Idee war die eines Übergangs in den Bahnen der Institutionen, für den die Menschen – nun nicht mehr nur durch geeigneten Unterricht in Schule und Ausbildung, also dem Regelsystem, sondern nun mit ergänzenden pädagogischen und beratenden Angeboten – die nötigen Fähigkeiten, Qualifikationen und Kompetenzen erwerben sollen. Der Zielpunkt Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt galt (oft implizit) grundsätzlich als erreichbar. Zugleich macht jedoch eine Vielzahl von Menschen heute die Erfahrung, dass die institutionelle Übergangslogik in ihrem Leben nicht aufgeht und dass sie sich nicht mehr auf die institutionellen Übergangswege verlassen können. Zudem werden sie – insbesondere die Jugendlichen und jungen Erwachsenen und zunehmend auch die Erwachsenen – von sozial- bzw. arbeitsmarktpolitischer Seite permanent aufgefordert, eine eigenaktive, „selbstunternehmerische“ (im Sinne des „Arbeitskraftunternehmers“, vgl. Voß/Pongratz 1998) Handlungsperspektive einzunehmen. Diese Aufforderung bedeutet auf der anderen Seite, dass diejenigen, die bspw. keinen Arbeitsplatz finden, dieses Scheitern sich selbst zuschreiben müssen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch von einer Biographisierung sozialer Benachteiligung sprechen. Auch die starke Betonung des nonformalen und informellen Lernens in den bildungspolitischen Debatten lässt sich als deutliches Zeichen verstehen, sich nicht mehr allein auf die Institutionen und das hier verortete formelle Lernen zu verlassen. Angesichts der zunehmenden Entstandardisierung von Übergängen – nun auch im Kindesalter und im Alter – ist inzwischen deutlich geworden, dass die Bildungsinstitutionen nicht nur einer Ergänzung um Unterstützungsangebote bedürfen, sondern dass das Bildungssystem insgesamt geöffnet werden muss (vgl. BMFSFJ 2006), und zwar nicht nur für neue Kooperationen in den Regionen bzw. Sozialräumen, sondern
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auch für neue Möglichkeiten, Übergänge zu gestalten. Damit entsteht die Frage, nach welchen Prinzipien diese Angebote ausgerichtet werden müssen, um Menschen im Übergang bestmöglich zu unterstützen.
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Der Ansatz der biographischen Übergänge
Vor dem oben skizzierten Hintergrund, dass das Bildungssystem Lebens- und Bildungsverläufe immer weniger strukturieren und Übergänge von einer Lebensphase, Ausbildungsphase bzw. Erwerbsphase in eine andere immer weniger gewährleisten kann, haben sich mittlerweile zwei Diskussionen etabliert, die nicht nur, aber zunehmend auch in Bezug auf Übergänge geführt werden: zum einen die Diskussionen über Sozialräume und Regionen (vgl. z.B. Kessl u.a. 2005), zum anderen die Diskussion über biographische Verläufe und biographische Übergänge (vgl. z.B. Sackmann/Wingens 2001; Walther 2000; Walther u.a. 2002). Beide sind grundlegend für das Programm der Lernenden Regionen, das Unterstützungsangebote nicht nur in einen regionalen Kontext, sondern auch explizit in Bezug zum Begriff des lebenslangen Lernens setzt. Lebenslanges Lernen gilt dabei als Voraussetzung für die aktive Gestaltung der Übergänge im Lebensverlauf. Allerdings werden in den Auseinandersetzungen um das lebenslange Lernen auch normative Bezugspunkte benannt, die Franz Kolland (2008, S. 15) zu Recht als problematisch bezeichnet, weil mit ihnen weniger aus einer sozialen Gerechtigkeitsperspektive heraus argumentiert wird, sondern die Marktfähigkeit der Individuen zum Zielpunkt von Qualifizierung und Lernen gerät. Sobald das eigenaktive, selbstorganisierte Lernen in den Dienst für eine bessere Platzierung am Arbeitsmarkt gestellt wird, werden Lernprozesse nicht nach ihrem biographischen Sinn bewertet, sondern nach dem Verwertungserfolg am Markt. Erfolglosigkeit wird damit zum individuellen Problem, die Erfolglosen werden zu Benachteiligten oder Ausgegrenzten und als solche stigmatisiert, da der Markt an sich nicht über sozial gerechte Maßstäbe verfügt. Im Kontext sozialer Gerechtigkeit ist dagegen vielmehr der Zugang zu Bildung und lebenslangem Lernen relevant, um eine aktive Gestaltung der Übergänge für alle zu ermöglichen. Die Perspektive der biographischen bzw. biographisierten Übergänge geht davon aus, dass Lernen heute zunehmend an die Biographie – statt an die institutionellen Bildungswege – rückgebunden wird. Die Übergänge biographisieren sich, sie folgen einer eigenen Logik, nämlich der der individuellen Biographie. Der „rote Faden“ eines Übergangs aus der individuellen Perspektive ist also immer seltener die logische Abfolge verschiedener Bildungsinstitutionen, die nur an wenigen Stellen „Weichenentscheidungen“ zulassen bzw. erfordern, sondern 26
er besteht aus einer Abfolge von verschiedenen – formellen wie informellen – Lernprozessen, die im Rahmen verschiedener biographisch erreichbarer Lernoder auch Vermittlungskontexte möglich werden. Übergänge können bereits im Kindesalter entscheidend bspw. durch einen erzwungenen Wechsel des Wohnortes und damit der Kita oder Schule, die sich wiederum nach dem regionalen Angebot richten, beeinflusst werden. Der Übergang in Arbeit beinhaltet heute möglicherweise mehrere Orientierungs- und Umorientierungsphasen (wie Aupair- und Studienaufenthalte, FSJ und ÖSJ usw.), entscheidende Lernerfahrungen an nonformalen und informellen Lernorten, Vereinen oder Jugendclubs, Theatergruppen, in familiären Settings), Zeiten von Arbeitslosigkeit, Beschäftigungsmaßnahmen usw. In all diesen Kontexten können für den Übergang bedeutsame Erfahrungen und Lernprozesse ebenso verortet sein wie soziale Bezüge und Netzwerke, die für den weiteren Verlauf wichtig werden. Auch Übergänge im Alter beschränken sich heute nicht unbedingt auf den institutionell arrangierten Übertritt in den Ruhestand, sondern beinhalten verschiedenste regional und biographisch rückgebundene Lern- und Engagementformen. Die Perspektive der biographischen Übergänge und des biographisch rückgebundenen Lernens rückt die Biographien der Menschen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung um die Gestaltung von Unterstützungsangeboten im Übergang. Vor diesem Hintergrund geraten neben standardisierten Lebensverläufen beispielsweise auch eigensinnige und irritierende Bewältigungs- und Lernformen der Menschen in den Blick. Auch diese „anderen“ Bewältigungs- und Lernformen verweisen auf Handlungsmöglichkeiten sowie auf Grenzen und Begrenzungen von Handeln im Übergang, die sich thematisieren und gestaltend aufgreifen lassen. Als eigensinnig lassen sich beispielsweise spontane Bildungsprozesse beschreiben, wie sie Arnd-Michael Nohl (2006) in seiner Untersuchung herausgearbeitet hat. Anhand von biographischen Interviews rekonstruiert er Bildungsbzw. Transformationsprozesse, die sich durch Spontaneität und Ungeplantheit auszeichnen. Eigensinnig erscheinen die in den Transformationsprozess eingelassenen biographisch rückgebundenen Lernformen auch deshalb, weil sie im weiteren Verlauf die „Distanz der Reflexion“ (S. 7) in Bezug auf das Lernen als Bewältigungsform im Übergang vermissen lassen. Gegenstand der Untersuchung sind zehn Lebensgeschichten von Jugendlichen, Erwachsenen in der Lebensmitte und älteren Menschen: Die Jugendlichen beginnen mit unterschiedlichen spontanen Handlungspraktiken (des Musizierens, des Breakdance oder der Religion) beiläufig etwas Neues, das erst später Bedeutung und auch biographische Relevanz erhält. Für die Lebensmitte stehen drei Lebensgeschichten von Existenzgründerinnen und Existenzgründern im Alter von ca. 35 Jahren im Mittelpunkt, wobei die spontane Entdeckung einer neuen Praxis (Percussion, Grafik oder
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Puppenbauen) erst einmal keine wirtschaftliche Selbstständigkeit verfolgt. Die Seniorinnen begeistern sich für das Internet und entfalten darüber unverhofft neue Lebensorientierungen. Für die unterschiedlichen spontanen Bildungsprozesse lässt sich eine Abfolge von Phasen herausarbeiten (vgl. Nohl 2006, S. 267280), die eindrücklich zeigt, wie beiläufig und damit womöglich auch unerkannt und z.T. auch verkannt Bildung bzw. Transformation ihren Anfang nehmen kann: Auf eine Phase des ersten spontanen Handelns, in welcher eine spontane, nicht geplante Tätigkeit für die Person fremd und faszinierend zugleich ist, folgt eine Phase der unspezifischen Reflexion, in welcher der Person klar wird, dass sie die neue Handlungspraxis weiterverfolgen will, ohne ihr biographische Bedeutung zuzumessen. Daran schließt sich eine Phase des Erkundens und Lernens an, die sich weniger über zielgerichtetes Tun als über unterschiedliches Herantasten beschreiben lässt, da es keinen klaren Rahmen für das Lernen gibt. Im weiteren Verlauf spielen die Reaktionen aus dem unmittelbaren Umfeld eine Rolle. In dieser Phase der ersten gesellschaftlichen Bewährung erhält die neue Tätigkeit eine Bedeutung, die außerhalb der eigenen Person liegt. Während einer Phase des zweiten spontanen Handelns wird die neue Handlungspraxis zum zentralen Tätigkeitsbereich im Leben, innerhalb dessen sich neue Lebensorientierungen entfalten. Es folgt eine Phase zweiter gesellschaftlicher Bewährung, in welcher es mit Reaktionen des weiteren Umfeldes um eine generalisierte (allgemein anerkannte) Bedeutung der Handlungspraxis geht und schließlich die biographische Selbstreflexion, in welcher der spontan begonnenen Handlungspraxis (nachträglich) ein biographischer Sinn zugeschrieben wird. Die Eigensinnigkeit derartiger Bildungsprozesse zeigt, dass ein genaueres Hinsehen notwendig ist, um die Lern- und Handlungsformen der Menschen im Übergang zu erkennen, die biographisch Sinn machen und erreichbar sind. Ein ähnlich genaues Hinsehen ist auch bzgl. irritierender Handlungsformen notwendig. Irritationen können Handlungsformen auslösen, die sich nicht an den Erwartungen und Möglichkeiten eines standardisierten Lebensverlaufs orientieren, sondern Eigensinniges und Widersprüchliches zu Tage bringen. Auch hier zeigen sich verkannte Handlungsformen, die für die Gestaltung von Unterstützungsangeboten im Übergang relevant sind. Indem diese Handlungs- und Bewältigungsformen immer auch Ausdruck der Lebenslage der handelnden Menschen sind, verweisen sie nicht nur auf die biographische Ausgangslage der Handelnden, sondern auch auf die sozialstrukturellen Bedingungen. Wenn es zum einen darum geht, biographisch anschlussfähige Angebote zu machen, die sich an den individuellen Lernformen der Menschen im Übergang orientieren, geht es zum anderen darum, den biographischen Verweisungszusammenhang kritisch zu überschreiten, indem Grenzen von Handeln und soziale Ungleichheit thematisiert werden. 28
Insbesondere irritierende Handlungsformen sollten dazu einladen, im Sinne einer kritischen Perspektive genauer hinzusehen. Bei Fabrice Plomb (2007) lassen sich beispielsweise Interpretationen irritierender Handlungsformen Jugendlicher im Übergang in Arbeit finden, die Aufschluss über deren prekäre Lebenslage geben. Er beobachtet bei ihnen Handlungspraktiken, die „irritieren“ bzw. in ihrer scheinbaren Widersprüchlichkeit Fragen aufwerfen: Eine junge Frau kommt aus eigenem Antrieb in die Vermittlung, um Arbeit zu suchen. Sie spürt die Notwendigkeit arbeiten zu müssen, um unabhängig von den Eltern sein zu können. Die Anfrage ist diffus, weil sie eigentlich tanzen will, jedoch die Chancen auf ein Engagement gering sind und so „schleicht sich der empfindliche Teil eines gelebten Widerspruchs ein, die Angst, sich festzulegen, oder die Hoffnung, dem eigenen Bestreben einen Ausweg offenzuhalten“ (ebd., S. 59). Eine andere junge Frau will eigentlich eine sozialpädagogische Ausbildung machen, wofür sie ein Praktikum nachweisen muss, das sie nicht findet. Sie braucht eine Arbeit, um den Forderungen der Behörden nachzukommen, zögert jedoch die Entscheidung für ein (nicht-sozialpädagogisches) Arbeitsangebot heraus. „Sie lebt die Kluft zwischen dem, was in ihrem alltäglichen Leben (‚in ihrem Kopf‘) Platz einnimmt, als Ganzes aber nicht kenntlich wird, und dem was nur möglich wäre – nämlich eine Arbeit anzunehmen – mit einer jeden Tag zunehmenden Infragestellung ihres Einsatzes für den eigenen Zukunftsentwurf“ (ebd., S. 61). Ein junger Mann freut sich über die Möglichkeit einer festen Anstellung in einem Uhrmacherbetrieb. „Die Arbeit unterbricht die Monotonie [seiner] Tage und antwortet auf [sein] Bedürfnis ‚etwas zu tun‘, anerkannt zu werden, das Vertrauen eines Arbeitgebers zu genießen“ (ebd., S. 64). Nach ca. 10 Monaten erscheint er drei Tage lang nicht auf der Arbeit und gibt dem Arbeitgeber damit einen Grund, ihn zu entlassen. Dem Berater gegenüber äußert er Unzufriedenheit bzgl. des Jobs. Er sieht „keinen Sinn darin, weiter eine Arbeit zu tun, die nicht seinen Erwartungen entspricht: Man habe viel versprochen, aber man würde ständig nur fordern (insbesondere, dass man ‚flexibel‘ sein müsse)“ (Plomb 2007, S. 63). Neben anderen Aspekten wird in derartigen Beobachtungen der Aspekt der Chancenungleichheit deutlich, der sich nicht allein im knappen Arbeitsangebot zeigt, sondern vielmehr darin, inwiefern Jugendliche Möglichkeiten haben, den „Akkulturationsprozess“ (Schehr in Plomb 2007, S. 67) hin zur Integration der Arbeit in das Leben zu „meistern“: Wie sie in Bezug auf den Abstand zwischen ihren Wünschen und den Möglichkeiten, die ihnen der Arbeitsmarkt (die Bildungsinstitutionen) bietet, handeln; ob sie durch irritierende Handlungspraktiken abweichende und stigmatisierte Karrieren entwickeln; wie es ihnen gelingt, „der Unsicherheit einen Rahmen zu geben“ (ebd., S. 69).
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Zwischenresümee Dem Ansatz der biographischen Übergänge zufolge können Unterstützungsmaßnahmen und deren Struktur nicht einfach auf eine institutionelle Regelstruktur und eine Normalvorstellung von institutionellen Übergängen ausgerichtet sein, sondern müssen die biographischen Übergänge unterstützen und stärken. Diese verlaufen nun per Definition sehr unterschiedlich und sind nicht einfach im Sinne einer Bildungsstruktur typologisierbar, etwa nach bestimmten Zielgruppen; oder ähnliche Angebote, die der biographischen Übergangsperspektive gerecht werden, müssen ermöglichen, Unterstützung, Beratung bzw. Bildungsprozesse von der biographischen Ausgangslage der jeweiligen Menschen aus zu gestalten. Vor dem Hintergrund der hier aufgeworfenen Aspekte des biographischen Ansatzes bedeutet dies u.a. die Berücksichtigung eigensinniger (oftmals verdeckter) Bildungsprozesse als Merkmal der biographischen Ausgangslage sowie die Anerkennung „irritierender“ Handlungspraktiken als Hinweis auf sozialstrukturelle Bedingungen der biographischen Ausgangslage.
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Biographische Szenarien und Ermöglichungskontexte
Um auf die Gestaltungsebene des regionalen Übergangsmanagements zurückkommen zu können, bedarf es der Vergewisserung, dass der Ansatz der biographischen Übergänge nicht erst für die Durchführung konkreter Unterstützungsangebote relevant wird, sondern eine grundlegende Blickrichtung beschreibt, die Teil des normativen Zusammenhangs ist, der das Übergangsmanagement insgesamt bestimmt. Denn ein regionales Übergangsmanagement, das die Menschen im Übergang zum Ausgangs- und Zielpunkt hat, muss den biographischen Ansatz notwendigerweise bereits auf der strategischen Ebene des Übergangsmanagements berücksichtigen, als normatives Bestimmungsmerkmal der Bedarfsanalyse, der Bedarfsweckung, der Institutionalisierung sowie der Qualitätssicherung (vgl. Beitrag zum Referenzmodell). Welche grundlegenden Hinweise für die Gestaltung von Übergängen ergeben sich also aus dem biographischen Ansatz, wie er im vorangegangenen Abschnitt beschrieben worden und im Kontext einer entgrenzten Arbeitsgesellschaft zu sehen ist? In diesem Zusammenhang spielt der Begriff des biographischen Szenarios eine entscheidende und aufschlussreiche Rolle: Bei der Unterstützung im Übergang geht es um die Erarbeitung biographischer Szenarien, die für Möglichkeiten stehen, die die Handlungsfähigkeit der Menschen erweitern – man könnte auch von Handlungsmächtigkeit sprechen, um stärker auf die sozialen Spielräume zu verweisen, die Handlungsfähigkeit voraussetzt (vgl. Böhnisch/Schröer 2002, S. 30
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Ein solches Setting bleibt dann aus subjektiver Perspektive meist ohne Sinn im biographischen Kontext bzw. für eine weitere biographische Entwicklung. Vielfach wird es auch mit einem eigenen, biographisch relevanten Sinn besetzt, der allerdings nicht in Bezug zum Curriculum einer Bildungseinrichtung oder gar im Widerspruch zu ihm steht. Ausgehend von einem biographischen Szenario lassen sich in einem weiteren Schritt Ermöglichungsräume bzw. -kontexte (vgl. Reutlinger 2008) erschließen. Diese sind als (sozial-)pädagogisch wirksame Räume zu verstehen, die den Menschen die ihrem Szenario entsprechenden Lernprozesse ermöglichen und die nötigen Zugänge eröffnen. Ermöglichungsräume beschränken sich dabei nicht auf institutionelle Bildungs- und Unterstützungsangebote, sondern können aus einer Kombination von verschiedenen Angeboten wie auch nonformalen und informellen Kontexten bestehen. So kann es bei Übergängen im Kindesalter durchaus entscheidend sein, dass ein Kind den passenden peer-Kontext erhält bzw. den vertrauten behält, und dass dieser peer-Kontext viel eher informell herzustellen ist als im formellen Setting der Kita oder Schule, wo er aber ebenso wirksam ist. Im Jugendalter finden sich ebenfalls meist vielfältige Anknüpfungspunkte im nonformalen und informellen Bereich, die auch für einen Übergang in Arbeit relevant werden können, wenn das entsprechende formelle Setting (z.B. Beschäftigungsprojekt) darauf eingehen kann. Lernorte können solche Ermöglichungsräume (im Sinne einer Handlungsermächtigung) sein, indem sie ihre Angebote auf die biographischen Szenarien der Menschen im Übergang ausrichten. Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Biographie und Lernort als Ermöglichungsraum (vgl. Walther 2000; Walther u.a. 2006; Alheit 2003; Alheit u.a. 2003; Kreher/Oehme 2003; Oehme 2007) können aufzeigen, dass Lernorte dann für Menschen „produktiv“ werden, wenn sie konkrete Bewältigungsaufgaben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufnehmen und die Gestaltungspotenziale aus den biographischen Erfahrungen und den Sozialräumen einbeziehen, darüber eine biographische Relevanz herstellen und so Kompetenzentwicklungsprozesse ermöglichen. Angesichts der sehr unterschiedlichen biographischen Ausgangslagen der Menschen im Übergang und der damit verbundenen Bewältigungsaufgaben lässt sich die Ermöglichung von Lernprozessen nicht kausal auf den Lernort zurückführen. Die Flexibilität der Lernorte trägt deshalb entscheidend dazu bei, dass Lernprozesse für unterschiedliche Menschen möglich werden. So ließ sich nachweisen, dass Jugendinitiativen durch ihre Offenheit in Bezug auf biographische Bewältigungskonstellationen und auf daraus erwachsende Szenarien weit mehr als etwa einseitig auf Vermittlung in den Arbeitsmarkt ausgerichtete Beschäftigungsmaßnahmen ein Ermöglichungsraum für junge Menschen sind (vgl. Oehme 2007): Hier werden die Lernorte zu biographisch passenden Handlungsrahmen, indem sie sich mit 32
den Biographien mit entwickeln, das heißt, die Entwicklung der Lernorte ist eng verbunden mit der biographischen Entwicklung der jungen Erwachsenen. Auf diese Weise sind Lernorte kein feststehendes Setting mehr, das als Statuspassage für eine bestimmte Entwicklungsstufe dient, sondern sie sind biographischsozial-räumliche Lern- und Tätigkeitsstrukturen, die sich im Wechselspiel mit den Biographien und dem sozialen Umfeld der jungen Erwachsenen weiter entwickeln. Damit wird auch die Bedeutung von „Partizipation im Übergang“ (Walther u.a. 2006) deutlich. Dabei geht es jedoch nicht um eine nur formale Beteiligung (etwa im Sinne der „Eingliederungsvereinbarung“ von Job Centern), sondern um eine „echte“ Partizipation, die den Menschen die Erfahrung von Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit ermöglicht und ihre Motivation entsprechend positiv beeinflussen kann. Für die Gestaltung von Lernorten lassen sich damit verschiedene Erfolgskriterien für eine gelingende Partizipation ausmachen, so vor allem Wahlmöglichkeiten, Offenheit, Raum zum Einbringen eigener Interessen und Fähigkeiten, Vertrauen, Anerkennung und Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Verantwortung (vgl. ebd.). Die Beteiligung der Menschen an der Gestaltung der Angebote zur Unterstützung in Übergangsphasen sowie ihrer Übergänge selbst ist heute zu einem entscheidenden Faktor für die Passung zwischen Biographie und Angebot (Lernort) und somit für die Nachhaltigkeit der Übergänge geworden. Resümee Für das regionale zielgruppenorientierte Übergangsmanagement erhalten biographische Szenarien ihre Bedeutung nicht nur in Bezug auf individuelle Beratung und berufliche Orientierung, sondern gerade auch in Bezug auf die Gestaltung der Angebote und der Angebotsstruktur insgesamt. Denn diese muss flexibel, vielfältig und für Partizipationsprozesse offen genug sein, um tatsächlich die entsprechenden Bildungsprozesse, Orientierungs- und Vermittlungsprozesse zu ermöglichen. Die Angebote müssen also offen für vielfältige biographische Anknüpfungspunkte auch nonformaler und informeller Art sein. Zugleich müssen sie Entwicklungsschritte der Menschen nicht nur in einem systemischinstitutionellen Sinn, sondern gerade auch in einem individuell-biographischen Sinn fördern. Auf diese Weise wird auch die Spannung zwischen der institutionellen und der biographischen Orientierung erst wirklich thematisierbar; schließlich werden in jedem biographischen Szenario Institutionen eine wichtige Rolle einnehmen, und umgekehrt werden Unterstützungsangebote immer auch einer institutionellen Eigenlogik folgen müssen. Beide werden aber erst über einen Begriff wie dem des biographischen Szenarios miteinander in Bezug gebracht.
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Literatur Alheit, P. (2003): „Biographizität“ als Schlüsselqualifikation. Plädoyer für transitorische Bildungsprozesse. In: ABWF/QUEM (Hrsg.): Weiterlernen – neu gedacht. Erfahrungen und Erkenntnisse. QUEM-report 78. Berlin, S. 7- 33 Alheit, P.; Dausien, B.; Kaiser, M.; Truschkat, I. (2003): Neue Formen (selbst) organisierten Lernens im sozialen Umfeld. Qualitative Analyse biographischer Lernprozesse in innovativen Lernmilieus. Quem-Materialien Nr. 43, Berlin Alheit, P. (1995): „Biographizität“ als Lernpotential: Konzeptionelle Überlegungen zum biographischen Ansatz in der Erwachsenenbildung. In: Krüger, H.-H.; Marotzki, W. (Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche Biographieforschung. Opladen, S. 276-307 Beck, U.; Lau, Ch. (Hrsg.) (2004): Entgrenzung und Entscheidung. Frankfurt a. M. BMFSFJ (Hrsg.) (2006): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin Böhnisch, L.; Schröer, W. (2002): Soziale Benachteiligung und Kompetenzentwicklung. In: ABWF (Hrsg.): Kompetenzentwicklung 2002. Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur. Münster, S. 199-227 Böhnisch, L.; Schröer, W. (2007): Politische Pädagogik. Eine problemorientierte Einführung. Weinheim Gottschall, K.; Voß, G. G. (Hrsg.) (2003): Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag. München und Mering Kessl, F.; Reutlinger, Ch.; Maurer, S.; Frey, O. (Hrsg.) (2005): Handbuch Sozialraum. Wiesbaden Kolland, F. (2008): Lebenslanges Lernen und soziale Ausgrenzung. In: Sozial Extra 2008, Heft 5/6, S. 15-17 Kratzer, N. (2003): Arbeitskraft in Entgrenzung. Grenzenlose Anforderungen, erweiterte Spielräume, begrenzte Ressourcen. Berlin Kreher, T.; Oehme, A. (2003): Individuelle Tätigkeits- und Lernverläufe sowie Unterstützungsformen zur Kompetenzentwicklung für aktive Arbeits- und Lebensgestaltung (Forschungsbericht). QUEM-Materialien 42, Berlin Nohl, A.-M. (2006): Bildung und Spontanität. Phasen biographischer Wandlungsprozesse in drei Lebensaltern. Empirische Rekonstruktionen und pragmatistische Reflexionen. Opladen Oehme, A. (2007): Übergänge in Arbeit. Kompetenzentwicklung, Aneignung und Bewältigung in der entgrenzten Arbeitsgesellschaft. Baltmannsweiler Plomb, F. (2007): Jugendliche – allergisch gegen Arbeit? In: Bourdieu, P. (Hrsg.): Lohn der Angst. Flexibilisierung und Kriminalisierung in der ‚neuen Arbeitsgesellschaft‘. Konstanz, S. 54-70 Reutlinger, C. (2008): Raum und soziale Entwicklung. Kritische Reflexion und neue Perspektiven für den sozialpädagogischen Diskurs. Weinheim Sackmann, R.; Wingens, M. (Hrsg.) (2001): Strukturen des Lebenslaufs. Übergang – Sequenz – Verlauf. Weinheim und München
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Sickendieck, U. (2007): Theorien und Konzepte beruflicher Beratung. In: Sickendieck, U.; Nestmann, F.; Engel, F.; Bamler, V. (Hrsg.): Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung. Tübingen, S. 53-100 Voß, G. G.; Pongratz, H. J. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 50 (1998), S. 131-158 Walther, A. (2000): Spielräume im Übergang in die Arbeit. Weinheim und München Walther, A. u.a. (2002): Misleading Trajectories? Integration Policies and Young Adults in Europe. Opladen Walther, A.; Du Bois-Reymond, M.; Biggart, A. (Hrsg.) (2006): Participation in transition. Motivation of young adults in Europe for learning and working. Frankfurt am Main
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Referenzmodell für ein regionales bedarfsorientiertes Übergangsmanagement Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer Um den Prozess der Gestaltung eines Übergangsmanagements innerhalb der einzelnen Regionen konzeptionell zu rahmen, ist im Themennetz „Neue Übergänge“ bzw. im Leitvorhaben Übergangsmanagement der Lernenden Regionen ein Referenzmodell für das Regionale Übergangsmanagement entwickelt worden. Das Modell dient als Rahmen für die Ausgestaltung einer sozialen Infrastruktur, die Menschen in den verschiedenen Übergangssituationen Angebote zur Unterstützung, Beratung, Bildung und Kompetenzentwicklung bietet. Da die Regionen in Bezug auf Bedarf, Rahmenbedingungen und Ausgangssituation sehr unterschiedlich sind, kann hier nur mit einem dynamischen Prozessmodell gearbeitet werden, das der jeweiligen Region wesentliche Gestaltungsspielräume zuweist. Dabei kann es sowohl für die Gestaltung eines regionalen Gesamtmanagements für sämtliche Lebensalter dienen als auch für das Management verschiedener Übergangsbereiche, die eher eigenständig, aber in Kooperation miteinander arbeiten. Auch dies muss nach dem derzeitigen Erkenntnisstand je nach den regionalen Voraussetzungen und Bedarfen entschieden werden. Ein Modell für Regionales Übergangsmanagement zur Unterstützung von Übergängen lässt sich aufgrund der damit verbundenen Herausforderungen sinnvollerweise aus dem Zugang des Neuen Regierens heraus bzw. in der Governance-Perspektive entwickeln. Mit dem Governance-Konzept ist eine übergreifende Perspektive möglich, in der staatliche, marktliche und zivilgesellschaftliche Elemente Einbindung in die Gestaltung regionalen Übergangsmanagements finden können (siehe Aufsatz „Übergangsmanagement für das Jugend-, junge Erwachsenen- und Erwachsenenalter“ in diesem Band). Grundsätzlich steht in bürgergesellschaftlichen Konzeptionen nicht die Spannung zwischen Bürger und Staat im Zentrum, sondern die Hervorbringung neuer Formen des Agierens, zu denen sich der Staat in Beziehung setzen muss. Ansatzpunkt aus bürgergesellschaftlicher Sicht ist dabei das strukturbildende Handeln von Einzelnen und Gruppen (vgl. Böhnisch/Schröer 2007, S. 274). Kern des „Neuen Regierens“, wie es auf europäischer Ebene ebenso wie in bundesdeutschen Debatten seit Ende des 20. Jahrhunderts verstärkt diskutiert wird, ist, Menschen und Organisationen stärker in die politischen Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Es geht um mehr Beteiligung der Bürger sowie deren Einbindung über
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eine Belebung demokratischer Strukturen. Ausdrücklich wird eine starke sozialpolitische Dimension mitgedacht: Es geht hier besonders um die Vernetzung sozialpolitischer und zivilgesellschaftlicher Programme und Projekte sowie erwerbswirtschaftlicher Ansätze. Ein wesentlicher Vorzug eines zivilgesellschaftlichen Ansatzes in Bezug auf ein Modell des Übergangsmanagements besteht darin, dass Prozesse des Übergangs in Arbeit stärker an die Bürger der Regionen zurückgebunden werden bzw. sich stärker an regionalen Bedarfen bzw. den Bedarfen der Bürger ausrichten können. Das Referenzmodell (siehe Abbildung) ist in drei Ebenen gegliedert: eine normative, eine strategische und eine operative Ebene. Die strategische Ebene fungiert als die eigentliche Management- oder Gestaltungsebene und umfasst wiederum 4 Module. 1
Die normative Ebene
Die normative Ebene umfasst die Legitimations- bzw. Begründungsebene für ein Modell des Regionalen Übergangsmanagements. Als Rahmung liegen die Theorien und empirischen Erkenntnisse zu Strukturwandel und Entgrenzung der Arbeitsgesellschaft zugrunde (vgl. z.B. Steinmetz 1997; Böhnisch/Schröer 2001; Kratzer 2003). Die normative Ebene beschreibt im Modell bildungspolitische Leitlinien, an denen sich das Regionale Übergangsmanagement orientiert. Diese ergeben sich aus dem theoretischen Diskurs über Übergänge sowie den konkreten Problemlagen in der Gestaltung und Steuerung von Übergangshilfen. Es geht hier um eine idealtypische Ausrichtung des Übergangsmanagements, die aus der Analyse der arbeitsgesellschaftlichen Umbrüche heraus bestimmt und die darüber legitimiert wird. Entsprechend lassen sich die vier Leitlinien Dienstleistungs- bzw. Bedarfsorientierung, Beteiligung, Vernetzung und Orientierung an regionalen Entwicklungsprozessen benennen und näher beschreiben. Dienstleistungs- bzw. Bedarfsorientierung Wenn man davon ausgeht, dass Übergangsmanagement eine soziale Infrastruktur gestalten soll, die den Bürgern in Übergangssituationen biographisch „passende“ Angebote zur Unterstützung, Bildung und Beratung machen kann, so muss sich dieses Übergangsmanagement systematisch am Bedarf in der Region orientieren. Die Angebote müssen entsprechend dieses Bedarfes entwickelt werden, das heißt, es müssen die Bedürfnisse der Menschen in der Region aufgegriffen werden.
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Dies setzt im Grunde eine systematische und beteiligungsoffene (Beteiligung selbst entspricht einer weiteren Leitlinie) Ermittlung des Bedarfs voraus, so dass keine Problemlagen bzw. Zielgruppen unberücksichtigt bleiben, etwa weil sie gerade nicht in der Aufmerksamkeit der medialen Öffentlichkeit stehen oder statistisch nicht erfasst werden. Grundsätzlich kann mit dem zivilgesellschaftlichen Zugang Bedarf nicht einfach von wenigen zentralen Akteuren – seien es Arbeitsagenturen, Behörden oder freie Träger – und aus deren institutioneller Perspektive und Logik heraus definiert werden. Die Bedürfnisse der Bürger, die in einen regionalen Bedarf übersetzt werden müssen, werden mit diesem Zugang zum Ausgangspunkt der Gestaltung regionalen Übergangsmanagements. Dies impliziert aufgrund der heutigen Entgrenzungsprozesse in Arbeit und Gesellschaft, dass sich eine solche soziale Infrastruktur an den Übergängen orientiert, wie sie sich in den Biographien der Bürger darstellen, statt wie bislang an versäulten institutionellen Strukturen. Die Aufgabe der Infrastruktur ist die Unterstützung von Menschen bei der Bewältigung von Übergängen. Diese folgen heute nicht mehr unbedingt den institutionellen Strukturen, weshalb eine Ausrichtung des Übergangsmanagements an diesen Strukturen aus der biographischen Perspektive oft nicht produktiv oder gar widersprüchlich ist. Die verschiedenen Angebote müssen also so strukturiert und miteinander vernetzt sein, dass sie Übergänge mit Bezug auf die Biographien der Menschen unterstützen können und nicht umgekehrt die Biographien der Menschen sich auf die Erfordernisse der verschiedenen Institutionen hin ausrichten müssen. Beteiligung Die zivilgesellschaftliche Perspektive ist ohne aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger nicht denkbar. Zugleich gilt dies für die Unterstützung – besonders in Bezug auf Bildung, Beratung und Vermittlung – in Übergängen, die gerade aus dem arbeitsmarktpolitischen Blickwinkel der letzten Jahre unter die Forderung der „Aktiven Beteiligung“, symbolisiert in der Formel des Förderns und Forderns, gestellt wurde. Soll das regionale Übergangsmanagement eine Infrastruktur gestalten, die den biographischen Übergängen der Bürger und deren Bedürfnissen darin gerecht wird, so muss es die Bürger an der Gestaltung dieser Infrastruktur beteiligen. Erst auf diese Weise können die Bürger tatsächlich aktiv „in eigener Sache“ werden und sich in den Unterstützungsangeboten „wiederfinden“. Erst über die Möglichkeiten der Beteiligung durch Formen des New Governance kann Übergangsmanagement Diskrepanzen zwischen den institutionellen Vermittlungslogiken und den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger abbauen, können die Konflikte zwischen der Bürgerperspektive und den verschiedenen Bildungsinstitutionen, Trägern und Verwaltungen bearbeitet werden. Umgekehrt wird die aktive Beteiligung bei der Gestaltung von Übergängen in 40
einem öffentlichen (und nicht nur individuellen) Sinne erst dann in einer Region etabliert, wenn diese Beteiligung ein grundlegender Bestandteil des Funktionierens des Übergangsmanagements in der Region wird. Vernetzung Die Tatsache, dass die Bildungsinstitutionen heute aus sich heraus, das heißt in ihrem eigenen Gefüge des „Bildungs-“ bzw. „Übergangssystems“, Übergänge nicht mehr in ausreichendem Maße gewährleisten können und im Zuge dessen sich die Übergänge biographisieren, macht die Perspektive der (Quer-)Vernetzung erforderlich. Die Bedarfe, die durch die verschiedenen Unterstützungsangebote aufgegriffen werden, liegen meist „quer“ zu den versäulten Zuständigkeitsstrukturen und zu den Bildungsinstitutionen. Sie entstehen ja entlang der Biographien der Bürgerinnen und Bürger, die immer weniger entlang der institutionellen Bildungspfade verlaufen. Um die verschiedenen Angebote dennoch zu einer Infrastruktur zu gestalten, die dem Bedarf entspricht, müssen die verschiedenen Angebote integriert, aufeinander bezogen und das „Angebotsportfolio“ einer Region transparent gemacht werden. Dies bedeutet, dass die Angebote einzelner Träger und Akteure untereinander vernetzt und im Rahmen einer Gesamtstruktur aufeinander abgestimmt sind. Vernetzung impliziert hier in hohem Maße einen längerfristigen und dynamischen Prozess. Sie bezieht sich zunächst auf verschiedene Themenbereiche, in denen eine Koordinierung und Ausgestaltung einer Unterstützungsstruktur nötig ist (etwa: Berufsorientierung, Förderung von benachteiligten Jugendlichen oder die bürgerschaftliche Einbindung älterer Menschen usw.). Sie bezieht sich aber in einer weiteren Perspektive auch auf lebensaltertypische Übergänge insgesamt. In einem weiteren Schritt kann es unter diesem Stichwort um die Abstimmung der Angebote in der Gesamtperspektive der verschiedenen Lebensalter gehen. Hier wäre zu prüfen, inwieweit es möglich ist, die bislang weitgehend getrennt voneinander agierenden Bereiche Kindheit, junges Erwachsenen- und Erwachsenenalter und die Übergänge im Alter stärker miteinander zu verbinden. Orientierung an regionalen Entwicklungsprozessen Die drei bisher aufgeführten Leitlinien führen zu einer vierten: Übergangsmanagement muss sich an den Entwicklungsprozessen der Region orientieren und auch auf diese Weise regional verankert werden. Auf der Ebene der Region zeigen sich einerseits die heutigen Übergangsproblematiken, die wohlgemerkt kaum regional, sondern viel eher gesamtgesellschaftlich verursacht sind; auf der Ebene der Regionen kommen auch die gesellschaftlichen Interventions- und Umgestaltungsversuche zusammen, hier vor allem die verschiedenen Programme samt Finanzierungen bzw. die verschiedenen Zuständigkeiten und Trägerschaften.
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Aus diesem Grund müssen auch Bedarf, Beteiligung und Vernetzung von der Region her definiert und organisiert werden. Die Region ist die zivilgesellschaftliche Gestaltungsebene von Übergangsmanagement, das damit immer in den Kontext der bestimmten Region eingebettet ist und von den Bürgerinnen und Bürgern der Region getragen und mitgestaltet wird. Da – aufgrund der Krise der Bildungsinstitutionen und deren System – Übergänge nicht mehr institutionell gewährleistet werden und Übergangsmanagement demnach nicht institutionell zu verorten ist, muss es in die regionalen Entwicklungslinien eingebunden werden, soll es keine „abstrakte Veranstaltung“ jenseits der Regionen und ihrer Bürgerinnen und Bürger werden. Mit Regionen sind nicht zwingend Verwaltungseinheiten im Rahmen von Landkreisgrenzen gemeint, auch wenn dies u. U. die einfachste Bestimmung ist. Einer Akteursperspektive entspricht es oft eher, von den Entwicklungsperspektiven der Räume sowie den Kommunikationszusammenhängen der Akteure auszugehen. Regionen sind dann als Räume zu definieren, die sich über die Vernetzung von Akteuren und Organisationen konstituieren, die ihre Handlungen und Ressourcen mit dem Ziel gemeinsamer Gestaltung regionaler Entwicklungen bündeln (vgl. Fürst 2002). Die Fokussierung der Region als eigentliche Ebene des Übergangsmanagements bedeutet jedoch keine Entlastung anderer politischer Ebenen. Auf Landesund Bundesebene steht nach wie vor die Aufgabe, eine politische Gesamtstrategie zur Gestaltung von Übergängen und zum Ausbau einer unterstützenden Infrastruktur zu erarbeiten. Übergangsmanagement kann und muss solche Infrastrukturen in den Regionen gestalten, aber es ist dabei immer auch auf abgestimmte Förderstrategien und politische Rahmungen angewiesen. Übergangsmanagement aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive des New Governance orientiert sich idealtypischerweise an diesen vier Leitlinien. Sie sind gewissermaßen die Komponenten, die dem Übergangsmanagement seine Form geben. An ihnen kann sich der Gestaltungsprozess einer sozialen Infrastruktur zur Unterstützung von Übergängen ausrichten, den das vorliegende Referenzmodell rahmen soll.
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Die strategische Ebene
Die strategische Ebene des Modells beschreibt die eigentliche Ebene des „Managements“ der verschiedenen Unterstützungsangebote zur Bewältigung von Übergängen in einer Region. Sie zielt auf die Gestaltung der weiter unten beschriebenen operativen Ebene ab, so dass diese zu einer sozialen Infrastruktur
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ausgestaltet ist, die dem Bedarf der Region bzw. ihrer Bürgerinnen und Bürger gerecht wird. Die Arbeit auf der strategischen Ebene bestimmt die operative Ebene in mehrfacher Hinsicht: Regionales Übergangsmanagement erhebt den Anspruch einer spezifischen und koordinierten Auswahl und Anwendung von Einzelinstrumenten in den Regionen. Über die normative Ebene als Begründungsrahmen und die strategischen Module als „Struktur- und Handlungsrahmen“ für Übergangsmanagement im Ganzen werden die Angebote systematisch auf den Bedarf in der Region bezogen und zu einer so weit als möglich integrierten Angebotsbzw. Infrastruktur gestaltet. Einerseits ist dabei zu bestimmen und auszuhandeln, welche Angebote nötig sind, um dem Bedarf in der Region gerecht zu werden. Es muss also festgelegt werden, inwieweit zum Beispiel bestimmte Beratungsstellen, Angebote zur Sprachförderung oder Projekte zu Berufsberatung in der Region sinnvoll sind, und es muss hier ausgehandelt werden, wie viele dieser Stellen und Projekte nötig sind, um den Bedarf zu decken, wo sie anzusiedeln sind usw. Dazu kommt auch der Stellenwert solcher Angebote beispielsweise in einem Stadtteil und ihre Bezüge zu anderen Angeboten dort, aber auch in der weiteren Infrastruktur. Die einzelnen Unterstützungsangebote sind also sowohl zueinander als auch zur Region in Beziehung zu setzen. Aus diesen Überlegungen wie auch aus den dynamischen Bedarfen resultieren zugleich Anforderungen an die Gestaltung der konkreten Angebote. Nicht nur die Gesamtstruktur, sondern auch die auf der operativen Ebene angesiedelten Instrumente und Angebote unterliegen einer ständigen Weiterentwicklung, je nach zu lösenden Aufgabenstellungen in den Regionen und dem regionalen Bedarf bzw. den Bedürfnissen der Menschen. Die Gestaltung der einzelnen Angebote ist zwar zu einem Großteil Sache der Professionellen vor Ort, die in diesen Angeboten arbeiten und die aus ihrer täglichen Arbeit heraus die Angebote weiterentwickeln. Andererseits ist aber die Ausgestaltung der Angebote auch verknüpft mit ihrer Bedeutung und Aufgabe in der regionalen Angebotsstruktur insgesamt, so dass hier Anforderungen auch von der strategischen Ebene her und im Wechselspiel mit der operativen Ebene formuliert werden müssen. Die strategische Ebene umfasst vier Module zur Gestaltung des regionalen Übergangsmanagements. Diese beschreiben die notwendigen Aspekte im Gestaltungsprozess einer sozialen Dienstleistungsstruktur mit den oben aufgeführten Kriterien. Im Einzelnen sind dies:
Bedarfsanalyse und Bestandsaufnahme Bildungsmarketing und Bedarfsweckung Regionale Institutionalisierung Qualitätssicherung und Professionalisierung
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Diese vier Module der strategischen Ebene sind nicht als zeitliche Abfolge zur Planung und „Implementierung“ des Übergangsmanagements in einer Region zu sehen. Übergangsmanagement beginnt in keiner Region von vorn, sondern baut immer schon auf einen bestimmten Stand auf. Auch wenn es als solches nicht benannt wird und womöglich nur marginal gesteuert ist, so sind doch in Deutschland vielfältige Maßnahmen und Angebote auf der operativen Ebene vorhanden, die es in einem weiteren Schritt zu strukturieren und auf den Bedarf abzustimmen gilt. Aber auch bei der Strukturierung sind bereits in vielen Regionen erste Schritte unternommen worden, die aufzugreifen, zu erweitern und zu systematisieren wären. Dabei ist es nicht entscheidend, von welchem Modul aus der Gestaltungsprozess in der Region angegangen wird. Eine Bedarfserhebung unter Beteiligung von Akteuren, Trägern und der Bürgerinnen und Bürger bewirkt zugleich eine Bedarfsweckung und umgekehrt; Qualitätssicherung kann nicht ohne Bezug zu Bedarf und Bestand betrieben werden bzw. hat auch wiederum Auswirkungen auf die Frage, wie das Übergangsmanagement institutionalisiert sein muss.
2.1 Beschreibungen zum strategischen Modul „Bedarfsanalyse/Bestandsaufnahme“ im Übergangsmanagement Das strategische Modul „Bedarfsanalyse/Bestandsaufnahme“ umfasst einerseits den Prozess und die Verfahren zur Erhebung des regionalen Bedarfs an Unterstützungsangeboten in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Andererseits geht es dabei um die Erhebung vorhandener Unterstützungsleistungen, d.h. um eine Bestandsaufnahme der Angebote in einer Region. Notwendig sind zudem ein gegenseitiger Abgleich von Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse und einhergehende Interpretations- und Aushandlungsprozesse mit allen Beteiligten. Dabei stehen die in diesem Modul zusammengefassten Prozesse immer in unmittelbarer Beziehung zu den übrigen Modulen. So ist Bedarfsanalyse jeweils eng mit der Bedarfsweckung verbunden. Beispielsweise werden im Rahmen von Befragungen auch stets Bedürfnisse geweckt. Im Zusammenspiel beider Module ist daher so etwas wie eine Vermittlung zwischen Analyse und Weckung von Bedarfen notwendig. Ebenso besteht eine enge Rückkopplung zum Modul „Qualitätssicherung und Professionalisierung“. So tragen Prozesse der Erfassung von Bedürfnissen, des Abgleichs mit Beständen und der entsprechenden Anpassung und Weiterentwicklung von Strukturen auch immer zu einer Entwicklung und Sicherung von Qualität bei. Zugleich sind in den Regionen allgemein anerkannte und etablierte sowie gemeinsam durchgeführte Bedarfsanalysen ein Beitrag zur Insti44
tutionalisierung von Übergangsmanagement im Sinne einer Verankerung in den regionalen Entwicklungsprozessen. Begründungen für die Notwendigkeit des Moduls Die Frage nach einer Bedarfsbezogenheit der Gestaltungsmaßnahmen in einer Region erweist sich als elementar für ein Regionales Übergangsmanagement, denn nur mit Hilfe von Bestands- und Bedarfsfeststellungen und entsprechender Anpassung können Hilfen zum Übergang in Arbeit in Rückbindung an den Bürger gestaltet und koordiniert werden. Bisher werden in Ansätzen des Übergangsmanagements Bedarfe und Bedürfnisse selten systematisch und umfassend erhoben. Vielmehr herrschen zwei Hauptstränge der Bedarfsermittlung vor: Zum einen ermitteln zentrale Akteure des Übergangsmanagements Bedarfe aus ihrer täglichen Arbeit heraus und führen zum Teil auch eigene (Teil-)Erhebungen durch, zum anderen werden Bedarfsbekundungen und -feststellungen seitens der Netzwerkakteure des Übergangsmanagements eingebracht und beschrieben. Bisweilen erfolgt auch eine zufällige Auswahl von Projekten etwa durch einen bestimmten „Aufhänger“ oder Anstoß. Zur Begründung der Notwendigkeit einer systematischen und umfassenden Bedarfsanalyse des Übergangsmanagements lassen sich verschiedene Argumentationslinien heranziehen, die zum Teil in enger Beziehung zueinander stehen: (1) Biographieaspekt: Mit der Frage nach Wünschen und Bedürfnissen des Einzelnen und der Anwendung von Modellen der Beteiligung gerät die biographische Perspektive der Menschen auf ihren Übergang in Arbeit ins Blickfeld. Jüngere Forschungen zeigen, dass die linearen Logiken des bestehenden Übergangssystems nicht mehr den tatsächlichen Verläufen entsprechen (vgl. z.B. Alheit 2002; Nohl 2006; Oehme 2007; Stauber/Pohl/Walther 2007). Vielmehr ist eine verstärkte Orientierung an den biographischen Logiken der Übergänge bzw. ein biographiebezogenes Denken erforderlich. Dies lässt eine stärkere Beteiligung der Menschen und die Orientierung an ihren Bedürfnissen unerlässlich erscheinen. Hiermit eng verbunden ist der Wissensaspekt: Definitionen, Erklärungen und Auslegungen der professionellen Akteure im Übergangsmanagement müssen durch lebensweltliches Wissen der Zielgruppen unterfüttert werden (vgl. Herrmann 1995, S. 153). Nur so lassen sich letztlich den biographischen Wegen angemessene Übergangshilfen konzipieren. (2) Demokratieaspekt: Beteiligung und Mitarbeit in der Gestaltung von Übergangsmanagement kann als Mittel zur Demokratisierung der Hilfen zum Übergang gesehen werden. Partizipationsrechte von Bürgerinnen und Bürgern sind ein zentrales Strukturprinzip demokratischer Systeme (vgl. Herrmann 1995, S. 148). Mit einem Mehr an Mitbestimmung und Einfluss von unten auf die Gestaltung von Übergängen lässt sich Demokratie erlebbar machen und strahlt mögli45
cherweise aus auf die Bereitschaft und Fähigkeit zu gesamtgesellschaftlicher Partizipation. (3) Wirksamkeitsaspekt: Die Wirksamkeit sozialer Dienstleistungen im Allgemeinen ist aufgrund ihres spezifischen (kommunikativen) Charakters an Akzeptanz und Mitwirkungsbereitschaft ihrer Zielgruppen gebunden (vgl. Herrmann 1995, S. 154). Eng verbunden mit der Annahme von Angeboten und Hilfen ist das Erleben von Selbstwirksamkeit der Einzelnen. Studien zu Übergängen im herkömmlichen System zeigen die wenig hilfreichen Wirkungen negativer Erfahrungen ohne Möglichkeiten der Beteiligung und Selbstbestimmung (vgl. z.B. Walther/Bois-Reymond/Biggart 2006). Beteiligungsorientierte Ansätze mit Erfahrungen von Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit können sich hier positiv auf die Motivation und Mitwirkungsbereitschaft auswirken und damit die Wirksamkeitswahrscheinlichkeit sozialer Dienstleistungen erhöhen. Vor dem Hintergrund von Hilfen, die eher selten systematisch an biographischen Verläufen und realen Bedürfnissen orientiert sind, wenig demokratischer Strukturen in der Planung und Gestaltung sowie zum Teil zweifelhafter Wirkungen von Hilfeleistungen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008) können systematisierte Prozesse der Bedarfs- und Beteiligungsorientierung im Übergangsmanagement als ein wichtiger und unhintergehbarer Rückkopplungsmodus an den Bürger und seine Bedürfnisse gesehen werden. Im Regionalen Übergangsmanagement aus zivilgesellschaftlicher Perspektive besteht eine zentrale Herausforderung darin, ein regionales Dienstleistungsportfolio zu gestalten, das sich systematisch an dem vorhandenen Bestand an Angeboten und den tatsächlichen Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger orientiert und fortlaufend angepasst wird. Prozessbeschreibungen Anknüpfungspunkt für ein bedarfsorientiertes Übergangsmanagement in den Regionen ist eine Erhebung des Bestandes an Angeboten und Dienstleistungen im Bereich der Hilfen zum Übergang in Arbeit. Häufig ist der Überblick über Art und Umfang von Angeboten vor Ort bereits verloren gegangen bzw. aufgrund von Parallelentwicklungen, ungeklärten Zuständigkeiten, mangelnder Absprache und Koordinierung kaum jemals hergestellt gewesen. Zudem existieren vielfach auch (meist eher nonformale und informelle) Kontexte, die wichtige Unterstützungsfunktionen im Übergang erfüllen, aber dies gar nicht explizit machen. Zu solchen Kontexten sollten sich professionelle Infrastrukturen in Bezug setzen, freilich ohne sie gleich in den Dienst des Übergangsmanagements zu stellen und mit zu professionalisieren. Ausgehend von einem Übergangsmanagement als Prozess kann die Bestandsaufnahme als gemeinsame Grundlage und Ausgangsbasis aller zu beteili46
genden Akteure gesehen werden. Bestandsaufnahmen erfolgen in Form empirischer Erhebungen. Elementar erscheinen Erhebungen zur Infrastruktur von Angeboten zur Übergangsgestaltung in einer Region. Dabei ist sowohl die Quantität als auch die Qualität der Angebote zu ermitteln. Hilfreich sind aber auch etwaige Erhebungen zu den sozialen Strukturen einer Region bzw. sozialräumliche Analysen. Aufgabe der Bestandsaufnahme ist also eine möglichst umfassende Analyse des Angebotsbestandes einer Region und des anschließenden Abgleichs mit Ergebnissen der Bedarfsermittlung, woran etwaige Lücken bzw. Angebotsdefizite festzustellen sind. Zugleich ist die Kenntnis der Gegebenheiten vor Ort und die Anknüpfung an diese notwendig, um die Ausrichtung zu verändernder oder neu zu entwickelnder Angebote bestimmen zu können. Dabei unterliegen Regionen und die in ihnen agierenden Akteure und Institutionen permanenten Veränderungsprozessen, so dass möglichst kontinuierliche Fortschreibungen der Bestandsaufnahmen erfolgen sollten. Konkret sind also Daten und erhobene Materialien regelmäßig zu überprüfen, zu korrigieren bzw. zu aktualisieren. Bezüglich der Bedarfserhebung ist zunächst zwischen Bedarfen und Bedürfnissen zu unterscheiden. Bedürfnisse können als individuelle Wünsche und Interessen aufgefasst werden. Bedürfnisse können über Verfahren wie Erhebungen, Sekundäranalysen oder Expertenverfahren ermittelt werden, sind aber direkter über Beteiligungsverfahren einzuholen (vgl. Jordan/Schone 2000, S. 185 f.). Beteiligung umfasst Möglichkeiten des Einbezugs der Zielgruppen, aber auch der Akteure, Träger, Angehörigen, interessierten Fachkräfte oder Bürgerinnen und Bürger einer Region. Aus anderen Entwicklungsansätzen, vor allem der Jugendhilfeplanung, ist eine Reihe von unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungsmodellen bekannt, die auch in die Gestaltung von Übergangsmanagement Eingang finden können (vgl. z.B. Jordan/Schone 2000, S. 519 ff.). Bezieht man den Bedürfnisbegriff auf Personengruppen, ist es notwendig, „von individuellen Bedürfnissen auf gruppenspezifische Bedürfnisse bzw. gesellschaftliche Bedürfnislagen zu abstrahieren“ (Herrmann 1998, S. 23, Hervorh. i.O.). Eine solche Verallgemeinerung des Konkreten impliziert jeweils eine Interpretation von Bedürfnissen. Auch die Ermittlung des Bedarfs beinhaltet Prozesse der Deutung und Abwägung, wenn man den Begriff als die „politische Verarbeitung von Bedürfnissen, […] als Eingrenzung von Bedürfnissen auf das aufgrund politischer Entscheidungen für erforderlich und gleichzeitig machbar Gehaltene“ (Merchel 1994, S. 128 f.) versteht. Bedürfnisermittlungen sind also eine wichtige Vorstufe innerhalb der Bedarfsermittlung. Im weiteren Verlauf werden die Bedürfnisse in eine fachliche bzw. fachpolitische Dimension, also Bedarfe übersetzt. Dabei sind neben den Erkenntnissen zu den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger und dem Be-
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stand an Angeboten auch weitere Aspekte in den Abwägungsprozess einzubeziehen, so zum Beispiel das Wissen von Akteuren bzw. Praktikern einer Region, Erkenntnisse aus Fachdiskussionen und theoretischen Diskursen usw. Zentrales Element im Zuge der Bedarfsermittlung bzw. Bedürfnisermittlung sind Verfahren der Beteiligung. Bezogen auf die Jugendhilfeplanung hielt Herrmann (1995) fest, „dass der reduktionistische Begriff der ‚Betroffenenbeteiligung‘ zugunsten eines normativen Konzepts ‚gelingender Partizipation‘ aufgegeben werden muss, mit der Konsequenz, dass die verschiedenen, stark heterogenen AdressatInnengruppen von sozialen Dienstleistungen und politischen Entscheidungen zum zentralen Bezugspunkt in allen Planungsschritten werden.“ (ebd., S. 143). Dieser Ansatz der gelingenden Partizipation kann für das Modell des Regionalen Übergangsmanagements aus zivilgesellschaftlicher Perspektive übernommen werden, denn auch hier gelten die einzelne Bürgerin/der einzelne Bürger und ihre/seine Bedürfnisse letztlich als nicht hintergehbare Legitimation für sämtliche Aktivitäten. Als essentielle Voraussetzungen für gelingende Partizipation bestimmt Herrmann Faktoren der Machtumverteilung, das Erlangen subjektiven Ausdrucksvermögens und das Bereitstellen objektiver Artikulationsräume. Der Begriff Artikulationsvermögen verweist bspw. auf Unterschiede in den Partizipationsmöglichkeiten, Artikulationsformen und Wissensbeständen. So müssen Bedürfnisse, um aufgegriffen werden zu können, verständlich artikuliert werden; dieses Ausdrucksvermögen ist aber nicht immer vorhanden bzw. zeigt sich sehr unterschiedlich. Hier muss zuvor geprüft werden, inwieweit Ausdrucksvermögen vorhanden ist oder womöglich erst entwickelt oder zur Entfaltung gebracht werden muss. Weiterhin erforderlich für gelingende Partizipation sind Orte, an denen Prozesse der Selbstvergewisserung der eigenen Bedürfnisse und Wünsche stattfinden können (vgl. ebd., S.143 ff.). Eine klare und eindeutige Trennung von Bestands- und Bedarfsermittlung ist nicht möglich und für die Umsetzung in die Praxis auch nicht erforderlich. So verweist die Analyse und Beurteilung des Bestandes zugleich auch immer auf Mängel und Lücken im Angebotssystem und damit auf mögliche Bedarfe. In der Durchführung der Analysen sind methodische Vorgehensweisen wie Interviews oder Befragungen für beide Teilschritte anwendbar bzw. können für beides Material liefern. Bestand und Bedarf müssen nun zueinander fortlaufend ins Verhältnis gesetzt und abgeglichen werden. Erst aus diesem Verhältnis lässt sich das Maß für die qualitative und quantitative Angemessenheit des Bestandes bestimmen (vgl. Jordan/Schone 2000, S. 177). Diese Angemessenheit resultiert letztlich aus den von den Bürgern und Bürgerinnen geäußerten und über Beteiligungsverfahren eingeholten Bedürfnissen. 48
2.2 Beschreibungen zum strategischen Modul „Bildungsmarketing/Bedarfsweckung“ im Übergangsmanagement Das Modul Bildungsmarketing/Bedarfsweckung umfasst die Kommunikationsprozesse, durch die Übergangsmanagement in der Region kommunikativ verankert wird, durch die es bekannt wird und über die nötige Beteiligungen hergestellt werden. Hierzu zählen die Sensibilisierung der verschiedenen Zielgruppen für das Thema, das Einbinden von Entscheidungsträgern und regionalen Schlüsselpersonen und das Abstimmen des Übergangsmanagements mit anderen thematisch verknüpften Entwicklungslinien der Region (etwa der Wirtschaftsentwicklung, der demographischen Entwicklung usw.). Zum Bildungsmarketing gehört ebenso die Kommunikation bzw. das „Sichtbarmachen“ von positiven Effekten und dem Nutzen bestimmter Aktivitäten für Region und Zielgruppen bzw. die Formulierung von politischem Handlungsbedarf. Das Modul Bildungsmarketing/Bedarfsweckung bildet mit seinem Hauptanliegen – der Bekanntmachung und Verbreitung von Wissen über die Möglichkeiten, aber auch Grenzen des Regionalen Übergangsmanagements – eine wichtige Grundlage für alle übrigen Prozesse im Rahmen des Modells. Zwar enthalten alle weiteren Module ebenso informative und kommunikative Elemente, deren Inhalte an sämtliche Beteiligte gerichtet sein können. Darüber hinaus erscheint aber ein durchdachtes und in sich geschlossenes Informations- und Marketingkonzept einschließlich des Aufbaus einer „Kommunikationsinfrastruktur“ innerhalb des Regionalen Übergangsmanagements als notwendig. Mit der Ausfüllung des Moduls „Bildungsmarketing/Bedarfsweckung“ geht es keineswegs nur um ein richtiges „in Szene setzen“ von Übergangshilfen und Bildungsaktivitäten. Zwar können Marketinginstrumente und -strategien bis hin zu „Events“ wie Lernfesten einiges tun, um erste Informationen zu liefern und Interesse zu wecken, neue Zielgruppen anzusprechen oder Kooperationen zwischen Trägern anzustoßen. Wichtiger aber erscheinen die darauf folgenden kommunikativen Prozesse im Sinne nachhaltiger Entwicklung:
In Bezug auf die Einzelnen ist dies vor allem die notwendigerweise folgende begleitete Auseinandersetzung mit Wünschen, Bedürfnissen, dem Machbaren und Möglichen sowie den erkennbaren Grenzen. Hier besteht eine enge Verbindung zu den Artikulationsräumen und Aushandlungsprozessen, die im Rahmen der Bedarfsanalyse notwendig sind. Bezogen auf einzelne Akteure heißt das, eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen zentralen Akteuren und wichtigen Schlüsselpersonen in Netzwerken herzustellen, unter Einschluss aller Konkurrenz- und Konfliktsituationen.
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Bezogen auf die Ebene der Region gilt es, permanente Überzeugungsarbeit innerhalb einer Region zu leisten und stetige kommunikative „Passungsarbeit“ sowie Konfliktmanagement in Hinblick auf die verschiedenen regionalen Entwicklungslinien (Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung usw.) zu leisten.
Regionales Übergangsmanagement aus zivilgesellschaftlicher Perspektive ist in verschiedener Hinsicht mit Konfliktfeldern konfrontiert. Zunächst bestehen häufig Konflikte der Träger untereinander, die bis zu einem gewissen Grad Konkurrenten sind. Zudem bestehen Konflikte zwischen den verschiedenen Säulen innerhalb der politischen und administrativen Strukturen (Bund und Länder; Bildungsministerium und Arbeits- oder Jugendministerium; Schulbehörde und Jugendamt usw.), die letztlich auf der regionalen Ebene „zusammentreffen“. Außerdem besteht ein grundlegender Konflikt zwischen der Orientierung an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger einerseits sowie den versäulten institutionellen Strukturen andererseits. Übergangsmanagement muss also gewissermaßen Elemente eines „Konfliktmanagements“ beinhalten. Dabei muss versucht werden, die unterschiedlichen Akteure im demokratischen Konflikt, aber kooperativ (d. h. mit dem Ziel eines regionalen Konsenses) auf eine gemeinsame soziale Perspektive zu beziehen (vgl. Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005, S. 266 f.). Konflikte können beispielsweise bearbeitet werden über kommunikative Prozesse und Umsetzungsformen wie die Schaffung regionaler Aushandlungsräume oder Möglichkeiten der Beteiligung. Begründungen für die Notwendigkeit des Moduls Ein bestimmtes planvolles Vorgehen hinsichtlich Bildungsmarketing und Bedarfsweckung ist zunächst angesichts häufig bestehender Informationsdefizite auf allen Seiten und wenig transparenter Strukturen in den Regionen erforderlich, etwa wenn es darum geht, Übergangswege oder neue Lernmöglichkeiten aufzuzeigen oder Transparenz über Beratungs- und Unterstützungsleistungen herzustellen. Mit dem Punkt der Sensibilisierung für Möglichkeiten und Chancen im Rahmen von Übergangsprozessen gilt es allerdings häufig, zunächst noch einen Schritt zurückzugehen. Hiermit ist eine Weckung von Bedarfen bzw. ein unterstützter Prozess der Auseinandersetzung mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen gemeint, der beispielsweise erst einmal damit beginnt, ein Bewusstsein für die persönliche Rolle und die eigenen Stärken in diesem gesamten „Findungsprozess“ zu schaffen. Marketing kann auch bedeuten, Erfolgserlebnisse zu kommunizieren und so beispielsweise die Stärken der Menschen aufzuzeigen.
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Damit verbunden ist aber immer auch die Verantwortung zur Vermittlung realistischer Chancen und tatsächlich erreichbarer Ziele. Dabei gilt es, die Übergänge offen zu halten und sie nicht ausschließlich von ihrem Ende her, etwa der erfolgreichen Einmündung auf dem Arbeitsmarkt und der gelungenen „Verwertung“ dessen, was man im Übergang gelernt hat, zu bewerten. Der Übergang ist bereits eine Tätigkeit bzw. besteht aus Tätigkeiten, die selbst schon Sinn in der biographischen Perspektive der Menschen haben müssen. Denn jede Planung von Übergängen auf ein bestimmtes Ziel hin wird durch die heutigen Entgrenzungs- und Strukturwandelprozesse von Arbeit und Gesellschaft höchst unsicher. Wenn die Übergänge immer nur auf das Ziel bezogen werden, wenn sie also nur dazu dienen sollen, ein späteres, aber unsicheres Ziel zu erreichen (etwa Integration in den Arbeitsmarkt), werden sie sinnlos und entwertet, wenn das Ziel so gar nicht eintritt. Insofern müssen Marketing- und Bedarfsweckungsprozesse auch auf subjektiv sinnvolle Tätigkeiten ausgerichtet werden. Dazu sollte auch zählen, Phasen des Ausprobierens, „Umentscheidungen“ und Neuorientierungen zuzulassen. Durch entsprechend ausgerichtetes Marketing können Bildungsinstitutionen für die biographischen Bedürfnisse geöffnet werden. Hier kann es im Zusammenhang mit Marketing und Bedarfsweckung auch darum gehen, Ermöglichungsräume in den Regionen zu schaffen, etwa indem eine Öffnung regionaler Übergangsstrukturen für neue Konzepte sozialer Unterstützung kommuniziert wird. Eine solche Entwicklung könnte durch die frühzeitige Einbindung von Entscheidungsträgern und regionalen Schlüsselpersonen in den kommunikativen Prozess des Übergangsmanagements gelingen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt im Rahmen der Marketing-Prozesse in den Regionen ist die Schaffung bzw. Stärkung eines Bewusststeins für die öffentliche Verantwortung. Hier gilt es, eine „regional hörbare“ Öffentlichkeit für das Thema Übergänge herzustellen. Dies kann auch über die Deutlichmachung von zu erwartenden Effekten und gegenseitigem Nutzen gelingen. Prozessbeschreibungen Übergangsmanagement aus zivilgesellschaftlicher Perspektive ist zu großen Teilen als kommunikativer Prozess zu verstehen. Marketing und Bedarfsweckung leisten hier die Herstellung von Beziehungen zu den Bürgerinnen und Bürgern selbst ebenso wie zu und zwischen den einzelnen Akteuren. Zudem trägt Marketing zu einer kommunikativen Verankerung von Übergangsmanagement in der Region bei und kann behilflich in Bezug auf die Synchronisation bzw. Abstimmung mit den weiteren regionalen Entwicklungslinien sein. Je nach Zielgruppe bzw. Zielebene sind zunächst die durch Marketing beabsichtigten Ziele zu klären, um dann entsprechende Vorgehensweisen und Instrumente zu benen-
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nen. Hierbei ist der enge Zusammenhang zu den Beteiligungsprozessen der Bedarfsanalyse zu beachten; beide Module sind in dieser Hinsicht kaum zu trennen. In Anlehnung an Marketing im klassischen Sinn lassen sich verschiedene Marketingprozesse und -instrumente unterscheiden, die zusammen den „Marketing-Mix“ ergeben. Wesentliches Element ist die Gestaltung von Kommunikationsprozessen, mit denen es darum geht, den verschiedenen Zielgruppen Informationen und Botschaften zukommen zu lassen, die letztlich Interesse an den einzelnen Dienstleistungen oder am Gestaltungsprozess des Übergangsmanagements im Ganzen hervorrufen oder aufrecht erhalten können. Hier gibt es verschiedene „klassische Kommunikationsinstrumente“, wie etwa Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, persönliche Ansprache usw. Insgesamt sollten sich Marketingprozesse an den Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger orientieren und ausrichten. Übergangsmanagement hat die Aufgabe, dem Bedarf entsprechende Angebote zu gestalten, die die Menschen von ihrem jeweiligen Ausgangspunkt abholen. Dabei geht es wesentlich auch darum, Menschen zu befähigen, ihre Interessen und Bedürfnisse auch wahrzunehmen. Hierzu können im Rahmen von Marketing Anstöße gegeben werden, etwa über positive Beispiele oder indem Erfolgserlebnisse öffentlich präsentiert werden. Bedarfsorientierung setzt Wissen über die Lebensbedingungen der Menschen voraus, die im Rahmen von Prozessen der Bedarfsanalysen (vgl. Modul 1) erhoben werden.
2.3 Beschreibungen zum strategischen Modul „Regionale Institutionalisierung“ im Übergangsmanagement Das Modul „Regionale Institutionalisierung“ im Modell des regionalen Übergangsmanagements richtet sich auf die Struktur, in der das Übergangsmanagement regional besteht und gesteuert wird. Institutionalisierung ist dabei nicht als Überführung in die Zuständigkeit bzw. die Gründung einer entsprechenden Institution zu verstehen, sondern als „Formgebung“ bzw. Struktursetzung des Übergangsmanagements in der Region. Es geht darum, das Übergangsmanagement regional zu institutionalisieren bzw. das Thema Übergänge zu bündeln und regional ins Spiel zu bringen. Zur Institutionalisierung zählen auch Fragen der Finanzierung und der Steuerung des Übergangsmanagements. Als Organisations- und Umsetzungsform bietet sich grundsätzlich ein Netzwerk verschiedener Akteure mit einer entsprechenden Netzwerkstruktur an. Mit der Institutionalisierung von Übergangsmanagement geht es um Strategien der Verstetigung, u.a. in Form der Entwicklung und regionalen Einbindung von Netzwerken und Kooperationen. Der Begriff der Institutionalisierung im hier 52
verwendeten Sinn beinhaltet sowohl eine statische als auch eine dynamische Perspektive. Zum einen geht es um eine Verfestigung und Bündelung von Handlungszusammenhängen im Themenfeld Übergänge, zum anderen geht es aber ebenso um die Schaffung eines keineswegs starren, vielmehr prozesshaften, beweglichen bzw. sich immer im Fluss befindlichen Handlungsrahmens in einer Region. In Bezug auf das Gesamtmodell von Übergangsmanagement ist Institutionalisierung mit den Teilelementen Finanzierung, Steuerung und Form der Organisation/Umsetzung wiederum eines von vier Modulen auf der strategischen Ebene des Modells. Die Beziehungen bzw. Spannungsverhältnisse zu den übrigen Modulen werden von Seiten der Institutionalisierung vor allem durch die Funktion der Rahmenbildung für Prozesse wie Bedarfsanalysen, Bedarfsweckung sowie Sicherung von Qualität bestimmt. Umgekehrt tragen all diese Prozesse bereits ihrerseits stückweise zu einer Institutionalisierung von Übergangsmanagement bei. Begründungen für die Notwendigkeit des Moduls Mit einer Institutionalisierung von Übergangsmanagement im hier gemeinten Sinn werden verschiedene wesentliche Funktionen erfüllt. Mit der Institutionalisierung des Übergangsmanagements geht es um die Auseinandersetzung um Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für das Thema Übergangsmanagement. Mit dem Institutionalisierungsprozess wird ein politisches Klima angestrebt, das Übergangsmanagement als sozialpolitische Aufgabe anerkennt. In diesem Rahmen kann es auch um Auseinandersetzungen gehen, die eine nachhaltige Finanzierung des Übergangsmanagements betreffen. Das Thema Übergänge rückt mit der Institutionalisierung stärker in die öffentliche Sphäre des Sozialen, so dass eine Entlastung des Einzelnen und der privaten Beziehungen erreicht werden kann (vgl. Böhnisch/Schröer 2002). Es gibt eine öffentliche Verantwortung für Regionales Übergangsmanagement, die entsprechend wahrgenommen werden muss. Aus einer New-GovernancePerspektive erscheint hierfür das Prinzip der Subsidiarität grundlegend: Dieses weist den öffentlichen Trägern (also etwa einer Kommune) eine übergeordnete Steuerungsverantwortung zu, räumt aber freien Trägern einen Vorrang bei der Umsetzung ein, wenn diese die Aufgabe ebenso gut oder besser erfüllen können. Dies bezieht sich sowohl auf die Netzwerkarbeit des Übergangsmanagements als solches als auch auf die Durchführung von einzelnen Angeboten. Hier ist also im Konkreten genau abzuwägen, welcher Träger die besten Voraussetzungen für welche Aufgabe hat. Über die Institutionalisierung des Übergangsmanagements lässt sich weiterhin die Integration unterschiedlicher Aktivitäten vorantreiben. Die bisherige
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Situation im Themenfeld Übergänge ist in vielen Regionen einerseits von großer Unübersichtlichkeit der Aktivitäten (besonders im Bereich des Übergangs Schule – Erwerbsleben) und andererseits von lückenhaften Angeboten geprägt. Durch Formen der Institutionalisierung werden verschiedene Akteure zusammengebracht, kann für eine bessere Abstimmung unter den Akteuren sowie für eine bessere Transparenz bezüglich der unterschiedlichen Aktivitäten gesorgt werden. Ein umfassenderer Blick als bisher ermöglicht darüber hinaus auch die Thematisierung grundlegender Fragen. Mit dem Institutionalisierungsprozess wird zudem die Entwicklung einer gemeinsamen Idee bezüglich des Übergangsmanagements ebenso wie die Austragung von Konflikten begünstigt. Neben der allgemeinen Idee gilt es, konkrete Handlungsziele und Perspektiven für das Übergangsmanagement zu formulieren. Es geht letztlich um die Etablierung eines allgemein anerkannten Auseinandersetzungsprozesses um das Thema Übergänge, der durch Prozesse der Institutionalisierung befördert werden kann. Mit der Institutionalisierung wird eine dauerhafte regionale Verankerung des Übergangsmanagements möglich. Mit der Form der Institutionalisierung wird letztlich entschieden, wie das Übergangsmanagement in die regionalen Entwicklungsprozesse integriert ist. Dabei geht es nicht mehr nur um den Raum zwischen den Institutionen, sondern um die Weiterentwicklung der Bildungslandschaft aus den Erfahrungen der Übergangsgestaltung. Übergangsmanagement ist letztlich eine regionale Gestaltungsaufgabe, die wesentlich über die Form ihrer Institutionalisierung bestimmt wird. Prozessbeschreibungen In Anbetracht der Vielfalt und Unterschiedlichkeit in den Regionen kann es keine als idealtypisch anzustrebende Form von Institutionalisierung geben; vielmehr sind Strukturen immer unter Einbezug der Gegebenheiten vor Ort und der regionalen Besonderheiten zu entwickeln. Damit ist an dieser Stelle vor allem auch der Blick auf bestehende Strukturen und regionale Zusammenhänge sowie besonders engagierte Akteure und Schlüsselpersonen gemeint. Mit der Institutionalisierung von Übergangsmanagement geht es zunächst um so etwas wie einen „Kristallisationskern“, von dem eine gewisse Verstetigung und Beständigkeit ausgehen kann. Wichtiges Merkmal der hier gemeinten Form von Institutionalisierung ist der offene Gestaltungsprozess. Das heißt zum einen, dass die Ergebnisse nicht klar vorbestimmt bzw. definiert sein können, zum anderen ist der Prozess offen für immer neue Beteiligung und Formen der Zusammenarbeit. Übergangsmanagement soll nicht zu einer neuen Institution werden, sondern als quer liegende Struktur verstanden werden, die ständig neue Felder und Bereiche einbezieht. Übergangsmanagement entspricht also einer reflexiven, dynamischen Kooperationsstruktur. Zugleich muss Übergangs54
management aber auch so sichtbar und fest in der Region institutionalisiert werden, dass alle regionalen Akteure und Bürgerinnen und Bürger, die etwas zum Thema beitragen wollen, sich in diese gemeinsame Strategie einpassen können. Hierfür ist es, als wesentlicher Gegensatz zu starr institutionalisierten Gebilden, notwendig, permanente Informations- und Überzeugungsarbeit zu leisten und unentwegte Partizipations- und Konsensfindungsprozesse (vgl. Modul 2: „Bildungsmarketing und Bedarfsweckung“) zu initiieren sowie die Kooperationsstruktur offen und zugewandt für neue Beteiligungen zu halten. Übergangsmanagement beinhaltet eine netzwerkbezogene Form der Institutionalisierung. Ein Netzwerk kann als Alternative zu markt- und hierarchieförmigen Organisations- und Umsetzungsformen gesehen werden. Dabei werden Netzwerke als Form der Koordination von Handlungen aufgefasst, die sich von den Tauschakten des Marktes und den durch Macht durchgesetzten Handlungen in hierarchischen Organisationen unterscheidet. Als besonders vorteilhaft wird die Vereinigung der Flexibilität marktförmiger Koordination mit der Verlässlichkeit von Organisationen angesehen (vgl. Weyer 2000, S. 5 ff.). Aus soziologischer Sicht sind Netzwerke genauer als eine eigenständige Form der Koordination von Interaktionen aufzufassen, deren Kern die vertrauensvolle Kooperation autonomer, aber wechselseitig voneinander abhängiger Akteure ist. Diese arbeiten unter Berücksichtigung der Interessen der Netzwerkpartner für einen bestimmten Zeitraum zusammen und können so ihre Interessen besser realisieren als durch nicht-koordiniertes Handeln (vgl. Weyer 2000, S. 11). Darüber hinaus werden im Regionalen Übergangsmanagement aber vor allem übergeordnete, der Region und ihren Bürgerinnen und Bürgern verpflichtete Ziele verfolgt. Eine Netzwerkdefinition wäre im Kontext der kooperativen Übergangsgestaltung aus zivilgesellschaftlicher Sicht zu erweitern. Netzwerke sind hier eher „Kooperationsstrukturen zwischen gleichberechtigten Partnern, in denen diese ihre Interessen und Ressourcen einbringen um zu einem übergeordneten Ziel und dessen Durchsetzung zu gelangen. ‚Übergeordnet’ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die beteiligten partikularen Gruppen und Organisationen ihre Eigeninteressen und Organisationsziele im Hintergrund lassen und sich auf dieses Gesamtziel – freilich aus ihrem Interessenspektrum heraus – einlassen“ (Böhnisch 2008, S. 45). Institutionalisierung in der Region beinhaltet die Schaffung von Netzwerkbeziehungen und vor allem einer nachhaltigen Netzwerkstruktur. Hierzu muss es gelingen, koordinierte und vertrauensvolle Kooperationen zwischen Organisationen und Bürgerinnen und Bürgern einer Region aufzubauen. Erfolgreiches Netzwerken ist von verschiedenen Bedingungen abhängig; in der Literatur werden unter anderem die Faktoren Selbstorganisation, Anschlussfähigkeit und Adressierbarkeit, Offenheit, Partnerschaft und Wissensaustausch, Netzwerkma-
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nagement und Identitätsbildung beschrieben (vgl. z.B. Baitsch/Müller 2001, S. 12-20). Übergangsmanagement benötigt weiterhin eine spezifische Form der Steuerung. Unter Steuerung kann man ganz allgemein die Einflussnahme auf bestimmte Prozesse nach im Vorfeld festgelegten Leitlinien bzw. Grundsätzen verstehen. Ein zu entwickelndes Steuerungsmodell des Übergangsmanagements im Zugang von New Governance bzw. des Neuen Regierens muss Elemente aus Markt, Staat und Zivilgesellschaft vereinen. Mit einer solchen „integrierenden“ Form der Steuerung müssen sowohl Kooperation und Vertrauen ermöglicht als auch Konkurrenzen und Konflikte ausgetragen werden können. Ein in diesem Sinne gestaltbares „weiches“ Steuerungsmodell wäre die Methode der offenen Koordinierung (oder auch Offene Methode der Koordination). Dieses Modell konzentriert sich in erster Linie auf einen an gemeinsamen Zielsetzungen orientierten Kommunikationsprozess (http://www.europa-digital. de/aktuell/fdw/omk.shtml). Ausgehend von einer öffentlichen Verantwortung für Übergangsmanagement würde sich die öffentliche Hand auf die Vorgabe von Leitlinien bzw. Zielvorgaben beschränken. Insofern besteht also eine Trennung der Ebenen der Steuerungs- und der Durchführungsverantwortung von Übergangsmanagement. Eine Steuerung durch einen öffentlichen (beispielsweise kommunalen) Träger darf die Durchführung bzw. Umsetzung durch freie Träger nicht ausschließen bzw. sollte sie im Sinne des Subsidiaritätsprinzips explizit einschließen. Aus dem Regionalmanagement sind seit längerem verschiedene Modelle bzw. Ansätze bekannt, wie eine Institutionalisierung von „regional Wichtigem“ erfolgen kann, etwa über Regionalkonferenzen, Regionale Entwicklungsagenturen oder Regionalforen (vgl. Fürst 1998). Auch aus anderen Zusammenhängen gibt es für die Institutionalisierung von Regionalem Übergangsmanagement nutzbare Vorlagen und Erkenntnisse zu konkreten Steuerungselementen wie Lenkungsausschüsse, Koordinationsgremien, regionale Steuerungsgruppen, Beiratsmodelle etc. Wesentlich erscheint vor allem, dass gemeinsam getragene Steuerungsstrukturen des Übergangsmanagements in der Region etabliert werden, die den Potenzialen und Ressourcen einer Region bzw. den Bürgerinnen und Bürgern einer Region gerecht werden. Regionales Übergangsmanagement bedarf zudem einer verlässlichen Finanzierungsgrundlage, die von vielen regionalen Akteuren als Mindestanforderung für ein dauerhaft bestehendes Übergangsmanagement gesehen wird. Mit einer Grundfinanzierung ergibt sich auch die notwendige Sicherheit für eine längerfristige Planung. Unabhängig von der politischen Umsetzung einer Regelfinanzierung wird Übergangsmanagement wohl immer auf einen bestimmten Finanzierungsmix zurückgreifen (müssen). Hier lassen sich verschiedene Finanzie56
rungsmodelle entwickeln, die je nach regionalen Gegebenheiten in unterschiedlichen Kombinationen Anwendung finden können.
2.4 Beschreibungen zum strategischen Modul „Qualitätssicherung/ Professionalisierung“ im Übergangsmanagement Das Modul Qualitätssicherung/Professionalisierung umfasst die fortlaufende Kontrolle und Sicherung der Qualität der einzelnen Unterstützungsangebote ebenso wie die des Übergangsmanagements im Ganzen. Ein weiterer Aspekt dieses Moduls betrifft die Professionalisierung von Regionalem Übergangsmanagement. Hierzu kann etwa die Sicherung oder Erweiterung des Fachwissens zum Themenfeld Übergänge in der Region – insbesondere des regional spezifischen – als ein Faktor zur Sicherung der Qualität und Professionalität des Übergangsmanagements beitragen. Ein enger Bezug zu den übrigen Modulen besteht insofern, als die sonstigen Prozesse im Rahmen Regionalen Übergangsmanagements (Bedarfsanalyse, Bedarfsweckung, Institutionalisierung) immer auch darauf abzielen, Qualität zu gewährleisten, etwa indem die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger erhoben und zugrunde gelegt werden oder ein gemeinsamer Blick auf Übergangsmanagement in der Region entwickelt wird. Dennoch bedarf es eines übergreifenden Qualitätssicherungssystems, das im Modell in Gestalt eines eigenständigen Moduls verankert ist, um Qualität systematisch und nach einem gemeinsamen Qualitätsverständnis in der Region zu gewährleisten und weiterzuentwickeln. Begründungen für die Notwendigkeit des Moduls Begründungen für die Notwendigkeit dieses Moduls zur Qualitätssicherung in einem Gesamtmodell von Regionalem Übergangsmanagement lassen sich zunächst aus dem Qualitätsbegriff selbst in Bezug auf soziale Dienstleistungen ableiten. Im Bereich sozialer Dienstleistungen kann unter Qualität die Eignung bzw. Angemessenheit von Angeboten verstanden werden, den Bedarf an solchen Dienstleistungen zu befriedigen und somit letztlich auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Grundlegende Bedürfnisse können im vorliegenden Kontext etwa der Wunsch nach „sinnstiftenden Tätigkeiten“ oder einem „sinnvollen Leben“, nach „Auskommen und Unabhängigkeit“ oder „sozialen Beziehungen“ sein. Für die Verwirklichung dieses Qualitätsverständnisses ist aus zivilgesellschaftlicher Sicht der Blick auf die Bürgerinnen und Bürger, die Wahrnehmung ihrer Lebenslagen und Bedürfnisse zentral, das heißt, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger bzw. die daraus abgeleiteten Bedarfe werden zum relevanten Bezugspunkt für ein qualitativ hochwertiges Übergangsmanage-
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ment. Mit qualitätssichernden Maßnahmen wird versucht zu erreichen, dass Unterstützungsangebote fortlaufend und dauerhaft bedarfsgerecht sind, womit eine an diesem Qualitätsverständnis ausgerichtete Qualitätssicherung von Übergangsmanagement also unmittelbar der Zielerreichung von Übergangsmanagement selbst dient. Häufiges Problem in den Regionen sind große Unterschiede in den Qualitätsverständnissen der einzelnen Akteure vor Ort. Ein systematisch durchgeführtes Qualitätsmanagement ermöglicht die Entwicklung einer vergleichbaren und teilbaren Vorstellung von qualitätsvollem Regionalem Übergangsmanagement. Es nimmt den regionalen Entwicklungsprozessen im Themenfeld Übergänge in Arbeit die gewisse Beliebigkeit ihrer Ausrichtung und verweist auf die Bürgerin/den Bürger als grundlegende Legitimation. Mit der Entwicklung von Qualitätskriterien als wichtigem Bestandteil von Übergangsmanagement lassen sich gemeinsame inhaltliche Vorstellungen entwickeln, an denen sich eine regionale Angebotslandschaft ausrichten kann (vgl. Lempp/Raithelhuber 2008, S. 280 ff.). Bestenfalls entwickelt sich in der Region ein gemeinsames Qualitätsverständnis auf der Basis gemeinsam erarbeiteter und kontinuierlich vertretener Ziele. In der jeweils regionenspezifischen Entwicklung und Ausrichtung trägt Qualitätssicherung wesentlich dazu bei, besondere Gegebenheiten und Problemlagen der Region einzubeziehen. Prozessbeschreibungen An dieser Stelle geht es darum, wie Qualität im Übergangsmanagement gesichert werden kann bzw. wie die entsprechenden Prozesse gestaltet werden müssen, um letztlich der normativen Ebene des Gesamtmodells zu entsprechen. Dabei kann, wie oben schon angedeutet, sowohl die Qualität der einzelnen Unterstützungsangebote als auch die Qualität des Regionalen Übergangsmanagements im Ganzen gemeint sein. Qualitätssicherung umfasst im Wesentlichen zwei Grundprozesse: die Entwicklung gemeinsam getragener Qualitätskriterien und -standards einschließlich ihrer Berücksichtigung und Umsetzung im täglichen Handeln sowie Verfahren und Methoden der laufenden Reflexion des „Qualitätsstandes“. Als Einstieg ist die Initiierung einer ersten unverbindlichen Qualitätsdiskussion in der Region zu empfehlen (Beschreibungen im Folgenden in Anlehnung an Meinhold 1998, S. 16-56). Diese kann zum Beispiel erste Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wünsche erkennbar machen. Zudem dient sie der Information und gegebenenfalls auch Motivation potenzieller Akteure. Orientierung in Anbetracht des komplexen Aufgabenfeldes der Qualitätssicherung von Übergangsmanagement kann eine Unterteilung der Abläufe bieten. Einer Aushandlung der Bereiche für die Entwicklung von Qualitätskriterien bzw. Qualitätsstandards schließen sich die Aushandlung von Qualitätskriterien bzw. Qualitätsstandards 58
sowie die Überprüfung der Qualität mit einhergehenden Aushandlungsprozessen an. Eine wichtige Unterscheidung ist zunächst, ob man Angebote oder Angebotsgruppen (z.B. alle Maßnahmen zur Berufsorientierung) auf der Ebene von Einzelmaßnahmen betrachtet (um diese dann z.B. zu vergleichen) oder das Zusammenwirken bzw. das Übergangsmanagement im Ganzen. Im Regionalen Übergangsmanagement sind hier das Zusammenspiel vieler verschiedener Akteure und Dienstleistungen sowie letztlich die Entwicklung und dauerhafte Etablierung einer bedarfsgerechten Angebotsstruktur entscheidend. In beiden Fällen geht es dann zunächst darum, sich auf die Bereiche zu konzentrieren, die letztlich für die zu erbringende Dienstleistung besonders relevant sind. Hiermit ist vor allem die stellvertretende Einnahme aller denkbarer Perspektiven hinsichtlich des Verständnisses von Qualität im Übergangsmanagement gemeint: das Hineinversetzen in die Qualitätserwartungen der Bürgerinnen und Bürger selbst, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den „dienstleistungserbringenden Organisationen“ der Region, zentraler Akteure in der Region, politischer und administrativer Entscheidungsträgerinnen und -träger, Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter usw. Diese Perspektivenerweiterung hin zu einer mehrdimensionalen Wahrnehmung von Qualitätsverständnissen kann im Vorfeld bereits zu ersten Aufschlüssen führen und gibt Anlass zu eigenem reflexivem Denken und Handeln. Qualität im Übergangsmanagement ist keine starre Größe, sondern ergibt sich aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Erwartungen. Entsprechend unterscheiden sich die Ziele in der Qualitätssicherung von Übergangsmanagement je nach Betrachtungsbereich und eingenommener Perspektive. Zur Sicherung von Qualität kann weiterhin die Bestimmung von Qualitätsstandards, -kriterien und -dimensionen hilfreich sein. Die begrifflichen Unterscheidungen in der einschlägigen Literatur zum Qualitätsthema sind weder trennscharf noch einheitlich. Kriterien können im Sinne guter Angebote, quasi als Leitmaximen der Gestaltung von Übergangshilfen verstanden werden. Standards können im Sinne von verbindlichen Regeln verstanden werden und sollten zu diesem Zweck möglichst präzise formuliert werden. Kriterien und Standards können zum Vergleich und zur Überprüfung einzelner Angebote genutzt werden, ebenso aber auch bezogen auf die Qualität der Zusammenarbeit und Steuerung oder der Qualität der Angebotslandschaft einer Region. Die Qualitätsstandards können entsprechend vorab bestimmter Kriterien aufgestellt werden.Als grundlegende Unterscheidung von Qualitätsdimensionen bietet sich die „klassische“ Unterteilung des amerikanischen Qualitätsforschers Donabedian (1982 nach Meinhold 1998, S. 26 ff.) in Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität an. Strukturqualität von Dienstleistungen meint die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, also etwa die Organisationsformen von Zusammenschlüssen,
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das Ausbildungsniveau von Akteuren oder Ressourcenverfügbarkeit. Prozessqualität bezieht sich auf konkretes Handeln im Verlauf. Ergebnisqualität fragt nach dem Grad der Zielerreichung bzw. den Ergebnissen der Zusammenarbeit. Instrumente für die Qualitätssicherung sind bspw. Befragungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von Bürgerinnen und Bürgern, von Akteuren der Region, Netzwerkanalysen bis hin zu Kennzahlensystemen wie die Balanced Score Card. Mit all diesen Instrumenten geht es letztlich immer darum, Strukturen, Prozesse und Ergebnisse beurteil- und vergleichbar und somit reflexiv überprüfbar zu machen. Generell kann die Qualitätssicherung im Übergangsmanagement von externer Seite oder intern im Sinne einer Selbstevaluation, etwa auf der Ebene einer Steuerungsgruppe, durchgeführt werden. An dieser Stelle sei auf die Unterscheidung von Qualitätssicherung, Evaluation und Selbstevaluation hingewiesen. Evaluation und Selbstevaluation sind zwei anwendbare Verfahren zur Überprüfung und Bewertung sozialer Dienstleistungen, Qualitätssicherung meint jedoch in begrifflicher Abgrenzung zum Evaluationskonzept den „prüfenden Blick“ in einem umfassenderen und kontinuierlicheren Sinn. Die Erweiterung ergibt sich vor allem aus den Aushandlungsprozessen über Verständnis, Kriterien und Standards von Qualität anhand der verschiedenen Dimensionen entweder direkt mit sämtlichen beteiligten Gruppen oder zumindest mit dem Blick auf diese (vgl. Meinhold 1998, S. 54). Untrennbar mit der Sicherung und Entwicklung von Qualität in der regionalen Angebotsstruktur verbunden sind Prozesse der Professionalisierung von Übergangsmanagement. Unter Professionalisierung von Übergangsmanagement kann eine fachliche und methodische Weiterentwicklung des Übergangsmanagements verstanden werden. Diese Entwicklung besteht aus vielen kleinen Bausteinen, die in der Summe zu einer Professionalisierung beitragen. Hierzu zählen u.a. die Verständigung über fachliche und persönliche Qualifikationsanforderungen an Akteure von Regionalem Übergangsmanagement (ausformuliert etwa in einem Professionsprofil eines „Intermediären Übergangsmanagers“) oder bestimmte Wissensstandards und Verfahrensstandards. Professionalisierung ist eng verbunden mit kommunikativen Prozessen in der Region und der Etablierung eines gemeinsamen Professionsverständnisses. Weiteres Element kann beispielsweise die Etablierung regionaler Fachkonferenzen zum Übergangsmanagement sein.
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Die operative Ebene
Die operative Ebene umfasst letztlich die Umsetzungsebene der Inhalte von Übergangsmanagement. Hier sind die einzelnen Angebote verortet, die in der 60
Region existieren bzw. benötigt werden und die sich verschiedener Instrumente bedienen, um Übergänge zu unterstützen. Bis dato wurde eine Vielzahl derartiger Ansätze von Übergangsmanagement entwickelt und in den Regionen verwendet. Die Vielfalt reicht dabei von klassischen Beratungs- und Orientierungsangeboten über (Weiter-)Bildungsangebote bis hin zu Assistenz- bzw. Mentorensystemen. In den Regionen agieren hierzu viele verschiedene Träger (z.B. Arbeitsagenturen, Bildungsträger, Jugendhilfeträger, Schulen und sonstige Bildungsanbieter, Wirtschaftsvertreter wie Betriebe oder Handelskammern). Die Einzelinstrumente weisen vielfach ein hohes Entwicklungsniveau auf. Sie unterliegen auch selbst einer ständigen Weiterentwicklung, je nach zu lösenden Aufgabenstellungen in den Regionen und dem regionalen Bedarf bzw. den Bedürfnissen der Menschen. Außerdem werden unterschiedliche Instrumente im Übergangsmanagement je nach Lebensaltersbereich erforderlich sein. Versucht man zunächst die Menge der möglichen Instrumente in eine Struktur zu bringen, bietet sich die Darstellungsweise im Sinne eines Portfolios an. Da je nach Lebensalter unterschiedliche Instrumente im Übergangsmanagement erforderlich sind (im Übergang Kindergarten – Schule andere als im Übergang Schule in den Beruf und als im späteren Erwachsenenalter oder im Alter), soll im Folgenden von übergangsbereichsspezifischen Portfolios ausgegangen werden. In einem solchen Portfolio lassen sich dann jeweils die funktionale Dimension der Instrumentarien, die Dimension der Zielgruppen sowie die inhaltliche Ausprägung der Instrumente unterscheiden. Als Beispiel sei der Übergangsbereich Schule – Beruf angeführt: Hier können die Kategorien Information und Beratung, Berufswahl- und Lebensorientierung/Berufsvorbereitung, Lernförderung und Kompetenzentwicklung, Kompetenznachweis, Integrative Schulabschlüsse und Mentorensysteme unterschieden werden. Die hier zugeordneten Instrumente richten sich an die Zielgruppe der jungen Menschen. Weitere Zielebenen, auf die die Inhalte einzelner Instrumentarien abzielen, können aber auch Organisationen/Soziale Dienste/Professionelle, Eltern und sonstige Kontaktpersonen sein. Die inhaltliche Ausprägung der Instrumente ist eng mit der Ebene der Zielgruppen und der entsprechenden spezifischen Problem- bzw. Handlungsfelder verknüpft. Die folgende beispielhafte Darstellung enthält eine Fülle von Dienstleistungen, die im Rahmen der Lernenden Regionen in den Bereichen Schule – Erwerbsleben und Wiedereinstieg angeboten wurden. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll die Vielfalt der entstandenen Instrumente veranschaulichen:
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Instrumente im Bereich Übergang Schule-Erwerbsleben Zielgruppe
Information und Beratung
Jugendliche/ junge Erwachsene
Berufswahl- und Lebensorientierung, Berufsvorbereitung
Genderorientierte Berufswahlorientierung Jugendcamps zur Generierung von Berufswünschen Kompetenznachweis Schülerfirmen Assessmentverfahren zur KompeBerufswahlpass tenzfeststellung Betriebspraktika Verfahren zur Feststellung der Azubis berichten in Ausbildungsreife ihrer alten Schule Talentkompass, Profilpass Bewerbungstrainings/Betriebspraktika/ Betriebserkundungen Zukunftswerkstatt, Life/Work Planning Berufswegeplanung Hochschulorientierungswochen Unternehmensplanspiel Berufswahlfahrplan
Zielebene Organisationen/ Soziale Dienste/ Professionelle
Fortbildung für Lehrkräfte/Sozialpädagogen
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Regionale Anlaufstellen, Bildungsbüros Bildungsdatenbanken, Kataloge Bildungsmessen, Berufsmessen Online-Beratungsplattformen Lehrstellenatlas
Schulungen für AusbilderInnen Betriebserkundungen für LehrerInnen Lehrerinnenhandreichungen Berufswahlsiegel Bildungsmessen Unternehmensbefragungen Unternehmenspatenschaften Betriebliche Beratung/ Organisationsberatung
Lernförderung und Kompetenzentwicklung
Lern-Servicestellen Lernzentren/Kommunikationszentren/ Selbstlernzentren Wissens- und Kompetenzbörsen Lernnetzwerke Experimentier- und Lernwerkstätten Kompetenzagenturen Kurse zu Lernstrategien, Sozialkompetenz Case Management für Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf
Integrative Schulabschlüsse
Bachelor – Studiengang „Betriebswirtschaft KMU“ Integrativer Realschulabschluss mit Berufsfindung
Zielebene Eltern/Andere
Mentorensysteme
Ausbildungsund Berufspatenschaften Bildungslotsen für zugewanderte Menschen Ausbildungsassistenz „Mentoring alt/jung“
Schulische Lernservicepunkte Leitfadenentwicklung für Studien- und Berufswahlorientierung Bildungsmessen
Instrumente im Bereich Wiedereinstieg ins Erwerbsleben Zielgruppe Erwachsene
Qualifizierung / Weiterbildung
Teilqualifizierungen für An- und Ungelernte Einrichten von Anlauf Anpassungsqualifiziestellen rungen Bildungsbüros Bedarfsorientierte Qualifi Weiterbildungsberatung kation von Migranten Weiterbildungsdatenban- Frauen in Technikberufen ken Aufstiegsfortbildungen für Weiterbildungsmessen Frauen Angebote zur Überprü Seminare zur Existenzfung von Bewerbungsungründung terlagen Blended Learning zur Unterstützung bei berufQualifizierung während der licher Neuorientierung Elternzeit Ehrenamtskatalog IT-Qualifizierung Eltern-Kind-PC-Kurse Information und Beratung
Organisationen / Soziale Dienste / Professionelle
Andere
Weiterbildungsmessen Unternehmensbefragungen Organisationsberatung
Weiterbildungsmessen Ehrenamtskatalog
Kompetenzentwicklung Coaching Bewerbungstraining Kursmodule zur Stärkung der Persönlichkeit Kurse zur Verbesserung von Arbeitstechniken und Selbstorganisationsfähigkeiten Eingliederungsbegleitung von Migrantinnen und Migranten
Kompetenznachweis Kompetenzpass für Berufsrückkehr Kompetenzanalyse für Frauen Erstellung von Stärkenprofilen Dokumentation von formal und informell erworbenen Kompetenzen
Regionales Übergangsmanagement erhebt nun aber den Anspruch einer spezifischen und koordinierten Auswahl und Anwendung von Einzelinstrumenten in den Regionen. Über die normative Ebene als Begründungsrahmen und die strategischen Module als „Struktur- und Handlungsrahmen“ für Übergangsmanagement im Ganzen werden die Instrumente systematisch auf den Bedarf in der Region bezogen und zu einem integrierten „Dienstleistungsportfolio“ oder auch „Angebotsportfolio“ strukturiert. Wie können nun die notwendigen Entscheidungen über die Durchführung und das Zusammenspiel von Angeboten „im Sinne der Bürger“ herbeigeführt werden? Ein bedarfsgerechtes Angebotsportfolio kann nur über die Interpretations- und Aushandlungsprozesse aller zentralen Akteure gestaltet werden. Gemeinsam ist zu erörtern, welche Angebote und Dienstleistungen entweder erhal-
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ten, neu geschaffen bzw. implementiert und welche bestehenden Angebote verändert werden müssen. Um zur bedarfsgerechten Angebotslandschaft der Region zu gelangen, „greifen“ die strategischen Module der mittleren Ebene des Modells und sorgen für
eine Auswahl bedarfsgerechter Instrumente auf der Grundlage einer Bedarfsanalyse; Bedarfsweckung bzw. Marketing- und Kommunikationsprozesse; geeignete Formen der Institutionalisierung; Formen der Sicherung der Qualität und Professionalisierung sowohl von Einzelbausteinen als auch des Übergangsmanagements als Ganzem.
In stetig zusammenarbeitenden regionalen Arbeitskreisen werden im Verlauf durch die Akteure des Übergangsmanagements Instrumente und Angebote auf Angemessenheit und Qualität überprüft, angepasst und verändert bzw. ergänzt und erweitert. Hier ist dann auch der Ort des Austausches und der Abstimmung über die Teilnahme an spezifischen Förderprogrammen oder Projekten, um Unterversorgung, Überkapazitäten und Redundanzen in bestimmten Bereichen zu vermeiden.
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Teil II Übergangsmanagement im Kindesalter – Vom Kindergarten in die Grundschule
Der Übergang Kindergarten – Grundschule: Entwicklungstrends und Projekte Elke Katharina Klaudy / Anika Torlümke Der Übergang von der Kindertageseinrichtung1 in die Grundschule ist eine wichtige Etappe in der Entwicklung des Kindes. Im Bereich der Forschung zu kindlichen Übergangs- oder auch Transitionsprozessen wird deutlich, warum Übergänge und ihre Gestaltung auch kritische Faktoren in der Bildungs- und Berufsbiographie beinhalten können und warum das Individuum dabei einer Unterstützung bedarf: Als Transitionen werden „komplexe, ineinander übergehende und sich überblendende Wandlungsprozesse bezeichnet, wenn Lebenszusammenhänge eine massive Umstrukturierung erfahren (…). Charakteristisch dabei ist, dass die betreffenden Personen Phasen beschleunigter Veränderungen und eine besonders lernintensive Zeit durchmachen (…). Dabei kommt es zu einer Anhäufung unterschiedlicher Belastungsfaktoren, weil Anpassung und Veränderungen in vielen Bereichen geleistet werden müssen und innerpsychische Prozesse und Beziehungen zu anderen Personen neu gestaltet werden (…).“ (Griebel/Niesel 2005). Wilfried Griebel und Renate Niesel (2002) haben dazu eine Langzeitstudie veröffentlicht, bei der unter anderem mittels Kinder- und Elterninterviews der Übergangsprozess beleuchtet wurde. Wichtige Ergebnisse der Untersuchung sind, dass:
Kinder mit der Einschulung einen Identitätswandel erleben Kinder die Zeit der Einschulung vielfach mit Stress-Erfahrungen verbinden Kinder vielfach den Unterschied zwischen Kindertageseinrichtung und Schulen mit den Gegensatzpaaren „spielen“ und „lernen“ sowie „dürfen“ und „müssen“ charakterisieren Kinder Anstrengungen sowohl hinsichtlich der schulspezifischen Rollenerwartungen als auch auf der Beziehungsebene mit anderen Kindern oder der Lehrerin erleben
1
Da regional unterschiedliche Bezeichnungen gängig sind, werden in den folgenden Ausführungen die Begriffe Kindergarten, Kindertagesstätte, Kita und Kindertageseinrichtung in gleicher Bedeutung benutzt.
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Eltern die Einschulung ihrer Kinder mit Phasen von Ängstlichkeit im Hinblick auf Leistungserwartungen und sich verstärkende Selektion begleiten (vgl. Griebel/Niesel 2002).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die erfolgreiche Bewältigung dieses Übergangs im Bildungssystem durch das Kind günstige Voraussetzungen für die Bewältigung nachfolgender Übergänge schafft – und umgekehrt. Jedoch gehören gerade Kindertageseinrichtungen und Grundschulen in Deutschland traditionell verschiedenen Systemen an, die personell, curricular und strukturell voneinander getrennt sind und unterschiedlichen pädagogischen Konzepten folgen (vgl. Faust/Götz/Hacker/Rossbach 2004, S. 91). Dies macht die Gestaltung des Übergangs besonders schwierig (siehe auch dazu den Beitrag von Stöbe-Blossey zu „Kindergarten und Grundschule: Zum Management sektoraler Politikverflechtung“ in diesem Buch). Den vielen unterschiedlichen Problemanalysen steht ein Mangel an Forschung über Lösungsmöglichkeiten gegenüber. In diesem Kapitel soll zunächst ein kurzer Einblick in den Stand der Diskussion gegeben werden (1). Im Anschluss werden einige Beispiele guter Praxis, vor allem aus den „Lernenden Regionen“ dargestellt (2). Es folgen Ausführungen über die Entwicklungslinien in den Bundesländern (3) und über internationale Entwicklungstrends (4). Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung und einem Fazit (5).
1
Übergang Kindergarten – Grundschule: zum Stand der Diskussion
Gabriele Faust und Hans-Günther Rossbach bezeichnen das Thema „Übergang Kindergarten – Grundschule“ als einen „Dauerbrenner in der pädagogischen und bildungsreformerischen Diskussion“ (Faust/Götz/Hacker/Rossbach 2004, S. 91). Ausgehend von einer näheren Betrachtung der in der Literatur skizzierten Problemfelder an der Schnittstelle zwischen Elementar- und Primarbereich wird deutlich, dass Einigkeit darüber besteht, dass es sich um eine verstrickte Problemlage handelt. So verweisen beispielsweise Tassilo Knauf und Elke Schubert auf Grundlage der kritischen Auswertung der internationalen Vergleichsstudien PISA, TIMSS und IGLU vor allem auf folgende Problemsektoren:
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eine unangemessen scharfe strukturelle, institutionelle und mentale Trennung zwischen Elementar- und Primarbereich; ein Festhalten an einem traditionellen, stoffbezogenen Bildungsbegriffen in der Schule;
eine unterentwickelte, kaum Differenzierungs- und Individualisierungschancen nutzende Lernkultur im Primarbereich; ein Mangel an diagnostischer Kompetenz in beiden Institutionen; ein hohes Maß an Unsicherheit vieler Eltern im Hinblick auf die Möglichkeiten unterstützender Begleitung der Lern- und Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder (vgl. Knauf/Schubert 2005).
Lösungen des Übergangsproblems beim Wechsel vom Kindergarten zur Grundschule sind schwierig, solange sich jede Bildungseinrichtung ausschließlich auf die Durchführung ihres eigenen Bildungsauftrags stützt. Ohne strukturelle Lösungen gibt es für die professionellen Akteure nur wenig Veranlassung, sich mit den Bildungszielen und pädagogischen Praktiken in Kindertageseinrichtung und Grundschule wechselseitig so ernsthaft auseinander zu setzen, dass eine Anschlussfähigkeit zwischen beiden Einrichtungen für alle Kinder hergestellt wird (vgl. ebd.). Dies wird ebenso von Ursula Carle und Annette Samuel (2007) bestätigt, die auch auf Probleme und Schwierigkeiten bei der Entwicklung bildungsbezogener Kooperationen zwischen dem vorschulischen Bereich und den Grundschulen verweisen. (Carle/Samuel 2007). Dennoch ist festzustellen, dass viele Kindertageseinrichtungen und Grundschulen das Thema in den letzten Jahren aufgegriffen haben. Eine Befragung von Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen im Herbst 20062 ergab in Bezug auf Kooperationsformen mit der Grundschule folgendes Bild:
2
Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Landesprojekts „Familienzentrum NRW“ durch PädQUIS (Kooperationsinstitut der Freien Universität Berlin; Prof. Dr. Wolfgang Tietze) wurde unter Leitung von Dr. Sybille Stöbe-Blossey eine schriftliche Befragung von 1.100 Kindertageseinrichtungen durchgeführt. Zu den Befragungsergebnissen vgl. ausführlich Meyer-Ullrich/Schilling/Stöbe-Blossey 2008.
71
Besuche der Tagesstättenkinder in der zukünftigen Schule
94,1
Gespräche über einzelne „Schulkinder“
69,6
regelmäßige Gespräche auf der Leitungsebene (mehrmals im Jahr)
63,0
gemeinsame Konferenzen/Gespräche von Erzieherinnen und Erziehern mit Grundschullehrerinnen und -lehrern zum Übergang in die Schule
57,1
regelmäßige Gespräche zwischen Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern mit Erzieherinnen und Erziehern (mehrmals im Jahr)
46,9
obligatorische Gespräche über jedes „Schulkind“
39,9
Teilnahme von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern an Elternabenden der Einrichtung
29,0
gemeinsame Fortbildungen von pädagogischen Fachkräften der Kindergärten mit Lehrkräften der Grundschulen
22,1
keine Zusammenarbeit
1,3
(Anteil der diese Kooperationsform praktizierenden Einrichtungen in Prozent)
Auch bei einer Befragung von 80 Leitungskräften und Erzieherinnen sowie Erziehern aus Kindertageseinrichtungen, die das Institut Arbeit und Qualifikation im Herbst 2008 in den Bundesländern Bayern, Brandenburg und NordrheinWestfalen durchgeführt hat, zeigten die Ergebnisse, dass das Thema „Übergang Kindergarten – Grundschule“ für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kindertageseinrichtungen einen hohen Stellenwert hat (vgl. Stöbe-Blossey 2009). Die Befragten wurden gebeten, die Bedeutung des Themas auf einer Skala von 1 („völlig unwichtig“) bis 10 („das wichtigste Thema“) einzuschätzen. Eine Bewertung unterhalb von 5 kam nicht vor; die Einordnung in Stufe 5 und 6 fand sich jeweils zweimal; der Durchschnittswert lag bei 8. Alle Befragten berichteten von verschiedenen Aktivitäten, wie sie auch in der obigen Tabelle enthalten sind. Dass die entstandenen Aktivitäten von der Kommune im Sinne einer strukturierten Vernetzung unterstützt würden, scheint jedoch noch eher eine Ausnahme darzustellen. Aber selbst dort, wo die Kommune die Kooperation lediglich über punktuelle Arbeitskreise oder einzelne Fachtagungen fördert, wird dies als sehr hilfreich empfunden. Sehr positiv bewertet werden sowohl Gremien der Zusammenarbeit („Runde Tische“) als auch koordinierende Aktivitäten der Kommune, wie beispielsweise die Bereitstellung von Mustern für Kooperationsvereinbarungen für Kindergärten und Grundschulen. Der Wunsch nach einer 72
kommunalen Koordinierung, der in der Befragung zum Ausdruck kam, kann als Indikator dafür gewertet werden, dass der Ansatz der „Lernenden Regionen“, Übergangsmanagement nicht nur den einzelnen Institutionen zu überlassen, sondern als regionale Aufgabe zu begreifen, in die richtige Richtung weist.
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Beispiele guter Praxis
Einige „Lernende Regionen“ im Themennetz Übergangsmanagement haben die Anforderung einer regionalen (bzw. je nach Gebietszuschnitt der „Lernenden Region“ kommunalen) Koordinierung des Übergangsmanagements aufgegriffen und sich mit dem Schwerpunkt „Übergangsmanagement zwischen Kindertageseinrichtung und Grundschule“ befasst. Dabei wurden Projekte auf den Weg gebracht, die eine bessere Anschlussfähigkeit zwischen beiden Institutionen herstellen sollten. Weitere innovative Ansätze zum Übergang konnten im Rahmen von bundesweiten Modellprojekten erprobt werden. Ausgewählte Ansätze sind Gegenstand der folgenden Ausführungen: So konzentrieren sich im Projekt „Lernwelt Essen“ die Beteiligten auf die Entwicklung und regionale Einführung einer gemeinsamen Bildungsverantwortung von Kindertageseinrichtung und Schule. Neben einer Handreichung, die alle Erzieherinnen bzw. Erzieher und Lehrerinnen bzw. Lehrer zum Thema „Gemeinsame Bildungsverantwortung: Kindergarten und Grundschule als Orte für Bildung und Lernen“ erhielten, konnte eine für alle Vorschulkinder verbindliche Bildungsdokumentation eingeführt werden. Dieses für alle einheitliche Formular wird bei der Schulanmeldung über die Eltern an die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer weitergegeben. Eine Verbindlichkeit der Kooperation zwischen Kindertageseinrichtung und Grundschule wurde zum Beispiel auch durch einen gemeinsamen Kalender für ein Begegnungsjahr hergestellt. Aktionen beider Bildungseinrichtungen sowie gemeinsam geplante Veranstaltungen im Jahr vor dem Wechsel zur Schule werden hier notiert. Die Inhalte des Projekts wurden beginnend ab dem Schuljahr 2005/2006 in Essen flächendeckend umgesetzt und sichern somit sukzessive eine wachsende Kooperation von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen. Dies zeigt sich bspw. darin, dass jede Institution abwechselnd gemeinsame Weiterbildungsveranstaltungen oder Elternseminare (wie etwa die gesetzlich vorgeschriebenen gemeinschaftlichen Informationsveranstaltungen für alle Eltern vierjähriger Kinder) organisiert und durchführt. Zudem wurde ein System an gemeinsamen Fortbildungen und Fachtagungen für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer entwickelt. Anders als in Essen konnten in der „Lernenden Region Billenetz“ (Hamburg) Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen die Kooperati-
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on insbesondere zwischen den Kindertageseinrichtungen und Grundschulen dreier Stadtteile durch externe Moderation „anschieben“. Zu ihrem Arbeitsauftrag gehörten die Gestaltung der Zusammenarbeit von Kindergärten, Schulen, Jugendamt und Familien sowie eine nachgehende Unterstützung der Familien in ihrem Lebensumfeld zur Vermeidung von frühzeitiger Ausgrenzung der Kinder. Die Maßnahmen bestanden sowohl in unterrichtsbegleitenden Aktivitäten als auch in einer Unterstützung der Kinder außerhalb des Unterrichts. In wöchentlichen Teamgesprächen tauschten sich die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen mit den Lehrkräften aus und erarbeiteten gemeinsam Bildungs- und Entwicklungspläne für das einzelne Kind. Es galt, das Bildungsverständnis von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen zu thematisieren und pädagogische Konzepte in regionalen Netzwerken abzustimmen. Dazu wurden eine Reihe von Maßnahmen und Projekten auf den Weg gebracht: An fünf Grundschulen und zwölf Kindergärten der Region waren in drei Projektstadtteilen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen als „Übergangsmanager“ tätig. In der Rolle einer „intermediären Instanz“ wurde zudem ein Teil ihres Arbeitsplatzes in die Schule verlegt, damit die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zwischen schulischem, familiärem und sozialem Umfeld vermitteln konnten. Die Übergangsmanager berieten Pädagoginnen und Pädagogen der Schule und der Kindertageseinrichtungen, boten den Kindern bis zu deren achten Lebensjahr sowie ihren Eltern individuelle Unterstützung an und veranstalteten Workshops zu Schwerpunktthemen. Sie koordinierten die gemeinsame Arbeit mit allen Beteiligten. Beispiele für gemeinschaftliche Handlungsansätze sind:
gemeinsame Dokumentations- und Untersuchungskultur mittels eines abgesprochenen Verfahrens; gemeinsame Planung für ein „Begegnungsjahr“ mittels eines Kooperationskalenders; Elternbildungsangebote zur Förderung einer stärkeren Beteiligung der Eltern beim Übergangsprozess sowie zur Bearbeitung allgemeiner Erziehungsfragen; Bildung von regionalen runden Tischen zur Planung der gemeinsamen Gestaltung des Übergangs; Unterstützung des Übergangsprozesses durch eine gemeinsam von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen organisierte kooperative Vorschule für alle Kinder.
Während in Hamburg externe Übergangsmanagerinnen und Übergangsmanager die Ansprache der Beteiligten übernehmen, sollen in der „Lernenden Region 74
Osnabrück“ die Eltern durch Bildungsangebote verstärkt befähigt werden, den Übergang ihrer Kinder zu begleiten. Die Lernende Region Osnabrück baute zusammen mit ihren Netzwerkpartnern ein strukturiertes Übergangsmanagement mit verzahnten Maßnahmen auf. Ein Ergebnis dieser intensiven Zusammenarbeit ist das Konzept „Elternbildung“ mit dem Titel „Macht Euch stark für starke Kinder“. Dazu erfolgten Multiplikatoren-Qualifizierungen von Lehrerinnen bzw. Lehrern und Erzieherinnen bzw. Erziehern zur Förderung der Kommunikation und gemeinsamen Zielabsprache im Dreieck Familie – Kindertageseinrichtung – Schule. Die Zielsetzung zur Entwicklung von Elternkursen bestand darin, Eltern zu einem offenen Austausch über Themen wie Konflikte, Grenzen, Erziehungsmodelle und -strategien zu befähigen, um zum einen die Erziehungskompetenz zu stärken und zum anderen an ihren Stärken mit dem Ziel anzuknüpfen, Probleme zu lösen. Weitere Angebote waren eine gemeinsame Zielbestimmung von Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern und Eltern sowie Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen zur Erarbeitung von Strategien zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen allen Beteiligten. Die regionale Verankerung dieses Konzepts erfolgte durch die Qualifizierung von Kursleiterinnen und Kursleitern nach einem eigens dafür entwickelten und evaluierten Konzept zur Elternarbeit. Auf Grundlage der fünfjährigen Projekterfahrung in der Netzwerkarbeit hat die Lernende Region Osnabrück einen Antrag auf Förderung eines Instituts zur Schaffung vernetzter Strukturen für frühkindliche Bildung und Entwicklung an die Landesregierung Niedersachsen eingereicht. Der Antrag wurde positiv aufgenommen und so konnte durch finanzielle Unterstützung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur die Gründung eines entsprechenden Instituts auf den Weg gebracht werden. Die Zusammenarbeit mit der Universität Osnabrück war aufgrund bereits bestehender Forschungsbereiche sinnvoll. So konnte das landesweit vernetzte „Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung“ (nifbe) zum 01.01.2008 als Institut der Universität Osnabrück errichtet werden3. Das nifbe soll Forschung und Praxis landesweit miteinander vernetzen und so praxistaugliche Forschungsergebnisse erarbeiten. Auf verschiedenen Ebenen soll das Institut von der Grundlagenforschung über die Ausbildung bis zum Transfer in die Einrichtungen der Erwachsenen-, Eltern- und Familienbildung und vorschulischen Bildung die in Niedersachsen bestehende Infrastruktur nutzen sowie die vorhandenen Kompetenzen bündeln, verstärken und weiterentwickeln. 3
Siehe auch http://www.nifbe.de/
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Das Projekt PONTE4 geht von dem Ansatz aus, dass es beim Übergang Kindergarten – Schule primär nicht um die Herstellung der Schulfähigkeit von Kindern, sondern um die „Kindfähigkeit“ der Institutionen geht. Dazu werden beide Institutionen bei der Schaffung und Gestaltung von Lernsituationen dahingehend unterstützt, den Ansprüchen des Kindes sowie der Pädagogik beider Bildungsinstitutionen gleichermaßen zu entsprechen. Es ist ein Kooperationsprojekt der Internationalen Akademie (INA) für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie an der Freien Universität Berlin gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Eine zusätzliche Finanzierung erfolgt über Stiftungsgelder der Deutschen Bank Stiftung und der Vattenfall-Stiftung. Das Projekt wird durch lokale Partner in Projektregionen jeweils initiiert und mit diesen gemeinsam umgesetzt. Auf diese Weise ist inzwischen ein bundesweites Netzwerk verschiedener Partnerregionen entstanden, die gemeinsam in regionalen Projektverbünden zusammenarbeiten und von einer Projektgruppe der Freien Universität Berlin unterstützt werden. Projekte werden in Brandenburg, Berlin, Sachsen und Rheinland-Pfalz durchgeführt. Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer sollen bei einer engeren inhaltlichen Zusammenarbeit unterstützt werden. Ein wichtiges Ziel dabei ist, dass durch gegenseitige Hospitationen, moderierte Gesprächsrunden und Projekte mit Kindertageseinrichtungs- und Grundschulkindern die Erzieherinnen und Erzieher sowie die Lehrerinnen und Lehrer ihre Kompetenzen reflektieren und erweitern: Die Erzieherinnen und Erzieher können beispielsweise didaktische Kenntnisse in verschiedenen Lernbereichen erwerben, und die Lehrerinnen und Lehrer erfahren mehr über die Entwicklungs- und Lernwege jüngerer Kinder unter Berücksichtigung ihrer jeweils spezifischen Lebenssituationen. Zugleich geht es bei PONTE um konkrete Veränderungen der Praxis, die die Kooperationsformen zwischen Kindertageseinrichtungen und Grundschulen betreffen und unter anderem gemeinsame Fortbildungsaktivitäten für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer beinhalten. Die von den Projekten initiierten Kooperationen gehen über rein organisatorische Vereinbarungen hinaus und versuchen, ein gemeinsames Bildungs- und Lernverständnis zu etablieren. Dazu werden diese Kooperationen von externen Moderatorinnen und Moderatoren begleitet, die den Institutionen Hilfestellung bei der Ausarbeitung von Zielvereinbarungen und pädagogischen Kooperationsvorhaben geben. Auch die Schul- und Jugendämter sind in diese Kooperationsprozesse einbezogen.
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Siehe http://www.ina.fu-berlin.de/arbeitsbereiche/ise/home/ponte/
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Zudem wird ein fachlicher Input an die vor Ort tätigen Akteurinnen und Akteure gewährleistet. So finden zum Beispiel verschiedene Workshops zu kindlichen Entwicklungs- und Bildungsprozessen statt oder es werden Berichte von Expertinnen und Experten über aktuelle Konzepte des Schriftspracherwerbs oder der Pädagogik von naturwissenschaftlichen Phänomenen angeboten. Die so vor Ort konkret erfahrbaren Inhalte werden jeweils mit den Moderatorinnen und Moderatoren in den Einrichtungen reflektiert und im Rahmen des moderierten Dialogs auf mögliche praktische Umsetzungsschritte untersucht. Beispiele hierfür sind etwa die Einrichtung eines Experimentierzimmers in einer Grundschule, in denen Kinder verschiedener Altersstufen sowohl aus der Grundschule selbst als auch aus benachbarten Kindergärten Naturwissenschaften erfahrbar erleben können. Ein anderes Beispiel sind regelmäßige „Bewegungsstunden“, die für Grundschul- und Kindergartenkinder in einem Gebäude angeboten werden. Des Weiteren sind gemeinsame Diskussionsabende für Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern, bei denen unterschiedliche pädagogische Themen diskutiert werden, anzuführen. Das Projekt „Stärkung der Bildungs- und Erziehungsqualität in Kindertageseinrichtungen und Grundschule und Gestaltung des Übergangs – TransKiGs“5 hat die Verbesserung der Anschlussfähigkeit beider Institutionen zum Ziel. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt wird in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen in Form von Teilprojekten durchgeführt. Vor dem Hintergrund der jeweiligen Landesstruktur werden unterschiedliche Institutionen miteinander vernetzt. Brandenburg, als federführendes Land für TransKiGs, hat – über sein eigenes Landesprojekt hinaus – die Aufgabe der Koordination der Ländervorhaben sowie der Außendarstellung des Gesamtvorhabens. Die überregionale Koordinierung findet Unterstützung durch eine Koordinierungsstelle am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM). In Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle werden in einer überregionalen Lenkungsgruppe die Vorhaben der Länder vernetzt, gemeinsame Tagungen organisiert und die Kooperation innerhalb verschiedener Module des Projekts länderübergreifend organisiert. Gemeinsam ist allen Teilprojekten die Entwicklung und Erprobung neuer Formen der Bildung in Kindergärten und Grundschulen, die die individuelle Entwicklungsförderung jedes Kindes stärken und die Eltern in die Bildungsbegleitung ihrer Kinder einbeziehen. Dazu gehören
5
Siehe www.transkigs.de
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die Entwicklung einer gemeinsamen Bildungsphilosophie, die ihren Niederschlag in den Bildungskonzepten von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen findet; die Entwicklung und Erprobung von Strategien und Instrumenten zur Implementierung und Evaluation von Bildungskonzepten und Bildungsplänen in Kindergärten und Grundschulen sowie die Erarbeitung von Bedingungen für einen nachhaltigen Transfer; die Entwicklung von Strategien und Materialien zur Gestaltung von Übergangsprozessen sowie zur Multiplikatorenfortbildung für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer.
Über den länderübergreifenden Kooperationsverbund sollen bei Beachtung der föderalen Strukturen Elemente gemeinsamer Bildungs- und Erziehungskonzeptionen erarbeitet und ebenso vergleichbare Eckpunkte für die Ausgestaltung von Maßnahmen zur Gestaltung von Übergangsprozessen formuliert werden. Die Vorhaben der einzelnen Länder verbindet ein gemeinsamer Rahmen und ein gemeinsames Ziel, aber das Vorgehen und die konkreten Zielstellungen in den Ländern sind durchaus unterschiedlich. In TransKiGs NRW wird zum Beispiel die gesamte Bandbreite von loser Kooperation bis hin zu gemeinsamen Zielvereinbarungen, festgelegten Strukturen und gemeinsam entwickelten Materialien angeboten. Erwarten können die Verbünde, dass sie in der Entwicklung ihrer Kooperation unterstützt werden und bedarfsorientierte Fortbildungsangebote erhalten. Um Fortbildungen zu aktuellen Themen des Übergangs zu entwickeln, wurde der Bedarf bei den pädagogischen Fachkräften aus Kindertageseinrichtungen und Grundschulen für NordrheinWestfalen erhoben. Themen wie bspw. „Wie Kinder lernen: das Bildungsverständnis in Kindergarten und Grundschule in NRW“ und „Übergang vom Kindergarten in die Grundschule: Grundlagen und Ansätze zur Gestaltung des Übergangs“ traten dabei zentral hervor und bildeten die Grundlage für die Entwicklung von Fortbildungskonzepten, die regelmäßig im Rahmen von Fachtagen angeboten werden. Zeitgleich werden Strukturen auf den verschiedenen Ebenen aufgebaut, angefangen von regionalen Arbeitskreisen bis hin zur obersten Ebene, in der unter anderem Mitglieder der Verbände, der oberen Schulaufsicht, der Landesjugendämter und der Elternverbände vertreten sind. Ziel ist, durch die gemeinsame Arbeit von Jugendhilfe und Schule auf den verschiedenen strukturellen Ebenen Unterstützung für die Kooperationsverbünde bereitzustellen. Die Darstellung der Beispiele aus den „Lernenden Regionen“ zeigt, dass auf örtlicher Ebene erhebliche Handlungsspielräume zur Gestaltung des Übergangsmanagements bestehen. Die beiden Beispiele „PONTE“ und „TransKiGs“ weisen darüber hinaus darauf hin, dass es sinnvoll ist, wenn lokale Strukturen in 78
einen übergreifenden Rahmen eingebunden sind. Diese Feststellung legt die Frage nahe, wie dieser Rahmen im Regelfall – über Modellprojekte hinaus – ausgestaltet ist. Auf diese Thematik wird im folgenden Abschnitt eingegangen.
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Entwicklungslinien in den deutschen Bundesländern
Im föderalistischen System der Bundesrepublik Deutschland ist die Bildungspolitik Sache der Bundesländer. Dabei ist festzustellen, dass es in allen Bundesländern seit einigen Jahren Bestrebungen gibt, für die Gestaltung des Übergangs vom Kindergarten zur Grundschule mehr Verbindlichkeit herzustellen. Dazu gehören unterschiedliche Modellprojekte; dazu gehören aber auch Regelungen, die sowohl in die Gesetze über Kindertageseinrichtungen als auch in Schulgesetze eingefügt wurden (im Überblick vgl. auch Henry-Huthmacher 2005, S. 36 ff.)6.. Des Weiteren wurde die Übergangsthematik in zahlreichen Bildungsleitlinien für Kindergärten aufgegriffen. Alle diese Regelungen haben Auswirkungen auf die Arbeit in Kindergärten und Schulen und vor allem auf die Kooperation. Im Folgenden soll daher ein Überblick zu diesem Themenfeld gegeben werden. Dabei wird zunächst eine zusammenfassende Auswertung vorgestellt. Im Anschluss werden einige Beispiele, die sich in besonderem Maße auf eine integrierte Sichtweise beider Bildungsbereiche richten, gesondert vorgestellt.
3.1 Gesetze und Bildungsleitlinien – Zusammenfassende Auswertung Gesetzliche Regelungen zum Thema Übergang Kindergarten – Grundschule bzw. zur Kooperation zwischen den Institutionen sind bei der Mehrheit der Länder sowohl im jeweiligen Kindertagesstätten- als auch im Schulgesetz zu finden. In einigen Gesetzen für Kindertageseinrichtungen wird speziell eine „an dem Entwicklungsstand der Kinder orientierte Zusammenarbeit mit der Schule“ empfohlen, um den Übergang zu erleichtern und zu unterstützen. Typische Formulierungen zur Zusammenarbeit zwischen den Institutionen sind zum Beispiel: „Eine enge Kooperation mit den Institutionen des Elementarbereichs soll einen bestmöglichen Übergang der einzelnen Schülerinnen und Schüler in den schulischen Bildungsweg sichern.“ (Bremisches Schulgesetz, § 18, Abs. 2) oder „Kindertagesstätten arbeiten mit der Schule in Wahrnehmung einer gemeinsamen Verant6
Eine weitere detaillierte Übersicht über die Gesetze in den jeweiligen Bundesländern hat im Rahmen des Projekts „Übergangsmanagement“ Simone Menke im Jahr 2008 erstellt. (http://www.uebergangsmanagement.info/html/kindarbe.html)
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wortung für die beständige Förderung des Kindes und seinen Übergang in die Grundschule zusammen.“ (Kinderbildungsgesetz, Nordrhein-Westfalen, §14, Abs. 1). In einigen wenigen Landesgesetzen wird auch die Notwendigkeit einer konzeptionellen Abstimmung zwischen Kindergärten und Grundschulen thematisiert, so zum Beispiel im Bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz, Art. 15, Abs. 2: „Die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen und die Lehrkräfte an den Schulen sollen sich regelmäßig über ihre pädagogische Arbeit informieren und die pädagogischen Konzepte aufeinander abstimmen“. Allein in Baden-Württemberg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland enthalten die Schulgesetze keine diesbezüglichen Hinweise. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es jedoch eine Verwaltungsvorschrift zur Arbeit in der Grundschule, in der die Übergangsthematik aufgegriffen wird. Im hessischen Schulgesetz wird das Thema indirekt angesprochen („die Schulkonferenz entscheidet über Grundsätze der Zusammenarbeit mit anderen Schulen und außerschulischen Einrichtungen“; Hessisches Schulgesetz, §129, Abs. 7). In Hessen und in Baden-Württemberg gibt es darüber hinaus auch in den Gesetzen für Kindertageseinrichtungen keine Hinweise zum Thema Übergang Kindergarten – Grundschule bzw. zur Kooperation zwischen den Institutionen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Thema von Seiten der jeweiligen Länder nicht beachtet würde. In Hessen finden sich zum Beispiel sehr weit reichende und umfassende Aussagen zu dem Thema Übergang im Bildungsplan, der sich – anders als in den anderen Bundesländern mit Ausnahme von Thüringen – nicht nur an Kindergärten richtet, sondern die Altersgruppe der Null- bis Zehnjährigen umfasst. In Baden-Württemberg gibt es eine gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums und des Sozialministeriums über die Kooperation zwischen Tageseinrichtungen für Kinder und Grundschulen („VwV Kooperation Kindertageseinrichtungen – Grundschulen“ vom 14. Februar 2002), in der die Notwendigkeit und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Institutionen sehr viel ausführlicher erläutert wird, als dies in den Gesetzen für Kindertageseinrichtungen und Schulgesetzen der anderen Länder geschieht. So werden zum Beispiel als Ziele der Kooperation die Kenntnis und Berücksichtigung des individuellen Entwicklungsstandes und Förderbedarfs der Kinder sowie der pädagogischen Konzepte, Methoden und Arbeitsweisen der Tageseinrichtungen und der Schulen genannt. Als Felder der Zusammenarbeit ergeben sich daraus unter anderem der Austausch in Arbeitsgemeinschaften oder die Beratung der Eltern. Die Ausgestaltung der Kooperation soll in einem gemeinsamen Jahresplan abgestimmt werden; unterstützend können die Tageseinrichtungen und Grundschulen Kooperationsbeauftragte der staatlichen Schulämter heranziehen, zu deren Aufgaben beispielsweise die Entwicklung und Vertiefung der Koopera80
tionsvorhaben und die Mitwirkung an regionalen Arbeitskreisen gehören (vgl. Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums und des Sozialministeriums über die Kooperation zwischen Tageseinrichtungen für Kinder und Grundschulen). Gefordert wird außerdem die „konzeptionelle Abstimmung zwischen den pädagogischen Fachkräften in Tageseinrichtungen und Grundschulen“ (ebd.). Besonders in Grundschulverordnungen bzw. Lehr- oder Rahmenplänen (zum Beispiel Grundschulverordnung Brandenburg, Abschnitt 3, §15; Grundsatzerlass des Kultusministeriums zur Arbeit in der Grundschule, Niedersachsen, 3.6) oder auch in der Verwaltungsvorschrift Baden-Württembergs werden zusätzlich zu oben genannten Empfehlungen ausführlichere Gestaltungsmöglichkeiten der Zusammenarbeit bzw. Formen der Kooperation benannt. Insbesondere werden folgende Aspekte angesprochen:
regelmäßiger Dialog und Abstimmung zwischen den Kindergärten und Schulen; gegenseitige Informationen zwischen Schulen und Kindertageseinrichtungen über Ziele, Aufgaben, Arbeitsweisen und Organisationsformen der jeweiligen Bereiche; Austausch über pädagogische Grundlagen der Arbeit in Kindergärten und Schulen; gemeinsame Feiern und Veranstaltungen, Projekte gegenseitige Besuche und Hospitationen, Teilnahme an Besprechungen und Konferenzen; gemeinsame Elterngespräche und Informationsveranstaltungen; Besuch der Kinder aus Tageseinrichtungen in der Schule / Besuch der künftigen Klassenlehrerin/des künftigen Klassenlehrers in den Tageseinrichtungen / Besuch von Schulkindern in der Kindertageseinrichtung; gemeinsame Qualifizierungen/Fortbildungen des gesamten pädagogischen Personals; Übernahme von Anregungen aus dem Kindergarten und die Fortführung von Projekten; Benennung fester Ansprechpersonen in beiden Institutionen; verbindliche Vereinbarungen über die Verfahren und Inhalte der Zusammenarbeit.
Gemeinsame Qualifizierungen und Fortbildungen von pädagogischen Fachkräften und Lehrerinnen bzw. Lehrern werden in der Forschung zum Übergangsmanagement als besonders wichtig erachtet. In einigen Bundesländern wird diese Form der Zusammenarbeit und des Austauschs zwischen Kindergärten und
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Grundschulen auch in den gesetzlichen Regelungen konkret benannt: In BadenWürttemberg können laut gemeinsamer Verwaltungsvorschrift auch Erzieherinnen und Erzieher aus Tageseinrichtungen an den Fortbildungsveranstaltungen und Arbeitsgemeinschaften der Grundschullehrkräfte teilnehmen (Gemeinsame Verwaltungsvorschrift Baden-Württemberg, Punkt II, 1.2). Im bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz heißt es unter Art. 17 II: „Zur Qualifizierung des pädagogischen Personals sind geeignete Fortbildungsmaßnahmen sicherzustellen und zu fördern. […] Grundschullehrkräfte sollen im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten einbezogen werden.“ Auch das nordrhein-westfälische Kinderbildungsgesetz und das rheinland-pfälzische Kindertagesstättengesetz greifen gemeinsame Qualifizierungen als Kooperationsform auf:
„Zur Gestaltung des Übergangs vom Elementar- in den Primarbereich gehören […] insbesondere […] gemeinsame Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen“ (Kinderbildungsgesetz NRW, §14, Abs. 2). „Die Kindergärten arbeiten mit den Grundschulen zur Information und Abstimmung ihrer jeweiligen Bildungskonzepte zusammen. Hierzu werden geeignete Kooperationsformen wie Arbeitsgemeinschaften, gegenseitige Hospitationen und gemeinsame Fortbildungen zwischen Kindergärten und Grundschulen vereinbart.“ (Kindertagesstättengesetz Rheinland-Pfalz, §2a, Abs. 3).
Insgesamt ist festzuhalten, dass in nahezu allen Schulgesetzen und Gesetzen für Kindertageseinrichtungen ausdrücklich auf die Notwendigkeit von Austausch und Kooperation zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kindergärten und den Grundschullehrkräften hingewiesen wird. Diese Parallelität bedeutet aber keinesfalls, dass es einen allgemeinen Konsens oder gar eine bundeseinheitliche Linie zur Gestaltung des Übergangs, zur Vernetzung beider Institutionen oder zum Bildungsverständnis gäbe. Dies bestätigt auch die Expertise „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung – Wissenschaftliche Parameter zur Bestimmung der pädagogischen Fachkraft-Kind-Relation“ von Susanne Viernickel und Stefanie Schwarz. In der Expertise werden Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen zur Umsetzung des Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsanspruchs von Kindern von 0 bis 6 Jahren beschrieben und bewertet. Im Fokus steht dabei die Fachkraft-Kind-Relation vor dem Hintergrund der Aufgabenvielfalt der pädagogischen Fachkräfte. Die Bewertung erfolgte unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Zusammenhängen zwischen strukturellen Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrich82
tungen, der realisierten Qualität der pädagogischen Prozesse und kindlichen Entwicklungsparametern. Dazu wurden bundes- und landesrechtliche Vorgaben, wie Gesetzestexte und Bildungsprogramme, hinsichtlich ihrer Aussagen zu den fünf Dimensionen „Beobachtung und Dokumentation“, „Bildungsbereich Sprache und Sprachförderung“, „Zusammenarbeit mit Familien“, „Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Grundschule“ sowie „Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung“ analysiert und insgesamt 138 Anforderungen bzw. Tätigkeitsmerkmale in diesen Dimensionen identifiziert. Diejenigen Anforderungen, die in mindestens 75 Prozent aller Bundesländer an die Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern gestellt wurden, wurden schließlich als Konsens der Bundesländer bzw. als konsensfähige Anforderungen oder konsensfähige Qualitätsziele bezeichnet (vgl. Der Paritätische u.a. 2009, S. 29). In der Analysedimension „Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Grundschule“ wurden insgesamt 29 verschiedene Anforderungen an das sozialpädagogische Personal identifiziert. Diese wurden den vier Kategorien „Anforderungen an die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtung und Grundschule“, „Anforderungen an die Vorbereitung der Kinder auf den Übergang in die Grundschule“, „Anforderungen an die Zusammenarbeit mit den Eltern während des Übergangs in die Schule“ und „Anforderungen an die Vorund Nachbereitung des Übergangs gemeinsam mit der Grundschule“ zugeordnet und beschrieben. Die Analyse zeigte, dass jede der 29 identifizierten Anforderungen im Durchschnitt in mehr als sieben Bundesländern rechtlich festgeschrieben ist. Ein weitgehender Konsens findet sich jedoch nur bei zwei Anforderungen. So werden in 75 Prozent der Bundesländer Anforderungen benannt, die sich auf die Herstellung der Schulfähigkeit der Kinder beziehen, und in 13 der 16 Bundesländer (81 Prozent) wird die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte darin gesehen, die Kinder langfristig auf den Übergang vorzubereiten und sie während des Übergangs zu unterstützen (Der Paritätische u.a. 2009, S.41 ff.). Zusammenfassend zeigen auch die Ergebnisse der Expertise, dass in Deutschland zwischen den Bundesländern nur ein geringer Konsens über die Anforderungen und Ziele eines Übergangsmanagements besteht.
3.2 Beispiele für integrative Ansätze in einzelnen Bundesländern Wie bereits deutlich wurde, gibt es zur Orientierung der Einrichtungen in nahezu allen Bundesländern zahlreiche Bemühungen, den Übergang von der Kindertageseinrichtung zur Grundschule in den Gesetzen und Leitlinien zu thematisieren. Die vergleichende Gegenüberstellung der gesetzlichen Vorgaben und Regelungen sowie der pädagogischen Empfehlungen und Anregungen ergibt ein vielfäl-
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tiges, aber auch sehr unübersichtliches Bild. Sowohl im Umfang als auch inhaltlich sind große Unterschiede in der Behandlung der Übergangsthematik festzustellen. Es kann vermutet werden, dass Unsicherheiten über Zuständigkeiten und eine konkrete Umsetzung damit nur bedingt abgebaut werden. Integrierte Herangehensweisen mit gemeinsamen, an beide Institutionen gerichteten Dokumenten könnten daher eher zu einer stärkeren Verknüpfung der beiden Bildungsbereiche beitragen. Die Ansätze des Orientierungsrahmens in Brandenburg, die Bildungspläne in Hessen und Thüringen sowie das Baden-Württembergische „Bildungshaus 0-10“ gehen diesen Weg und formulieren sowie zeigen konkrete Handlungsschritte, wie gemeinsame Ziele zu erreichen sind: Die Diskussion um den „Gemeinsame(n) Orientierungsrahmen für die Bildung in Kindertagesbetreuung und Grundschule“, der durch das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg veröffentlicht wurde, verfolgt das Ziel, den „Grundsätzen elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung im Land Brandenburg“ und den „Rahmenlehrplänen für die Grundschule“ einen verbindenden gemeinsamen Rahmen zu geben. Gegenstand der Ausführungen ist die Schaffung von Verbindlichkeiten beider Bildungseinrichtungen bei der gemeinsamen Bildungsverantwortung beim Übergang vom Elementar- in den Primarbereich. Es geht um eine Verständigung über die Grundzüge einer gemeinsamen Bildungsphilosophie und über die gemeinsame Gestaltung gelingender Übergänge. Hervorzuheben sind auch die Bildungspläne Hessens und Thüringens: Anders als die Leitlinien der übrigen Länder richten sich diese Pläne ausdrücklich auf die Bildung und Erziehung von Kindern bis 10 Jahren (Hessen: „Bildungsund Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren“, Thüringen: „Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahren“). Mit dem Titel „Bildung von Anfang an“ erschien 2005 der Entwurf des hessischen Bildungs- und Erziehungsplans, der nach Erprobung, Evaluation und Überarbeitung im Dezember 2007 in seiner vorläufigen Endfassung veröffentlicht wurde. Hessen hat damit eine Vorreiterrolle übernommen. Zum ersten Mal wurde in Deutschland ein Bildungs- und Erziehungsplan vorgelegt, der die gesamte kindliche Entwicklung zwischen dem ersten und zehnten Lebensjahr umfasst. „Der Bildungs- und Erziehungsplan in Hessen richtet sich somit an alle Lernorte, an denen kindliche Bildungs- und Erziehungsprozesse stattfinden, und fokussiert konsequent auf das Kind und nicht auf die jeweilige Bildungsinstitution“ (Hessisches Sozialministerium/Hessisches Kultusministerium 2007, S. 12). Zudem soll sich vorschulische Bildungsarbeit institutionenübergreifend an bestimmten Prinzipien und einem ganzheitlichen Bildungsverständnis orientieren. Im hessischen Bildungs- und Erziehungsplan werden Kindertagesstätten und
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Grundschulen dazu aufgefordert, „die gleichen Grundsätze und Prinzipien anzuwenden, wenn es um Bildung und Erziehung von Kindern geht“ (ebd., S. 10). Auch im hessischen Schulgesetz wird darauf Bezug genommen: „Die Grundschule und der Kindergarten sorgen unter Wahrung ihres jeweils eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrags durch eine angemessene pädagogische Gestaltung des Übergangs für die Kontinuität von Erziehung und Bildung. Gegenseitige Information und Abstimmung über Ziele, Aufgaben Arbeitsweisen und Organisationsformen der jeweiligen Bereiche, wechselseitige Hospitationen sowie die Teilnahme von Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern an gemeinsamen Besprechungen, bei denen die Rahmenbedingungen, insbesondere der Stundenplan, der Dienstplan, die Ausstattung, die Klassen- oder Gruppenstärken und die schulrechtlichen Bestimmungen sowie die pädagogischen Grundlagen, insbesondere die Erziehungsziele, Lehrpläne, pädagogischen Konzeptionen, Lern- und Sozialformen, der Erziehungs- und Unterrichtsarbeit erörtert werden, fördern die Zusammenarbeit ebenso wie gemeinsame Veranstaltungen und Projekte. […] Die Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule erfolgt im Einvernehmen mit dem Träger des Kindergartens und im Rahmen der von der Schulkonferenz nach § 129 Nr. 7 des Hessischen Schulgesetzes beschlossenen Grundsätze.“ (Grundsatzerlass des Kultusministeriums zur Arbeit in der Grundschule - Hessisches Schulgesetz, Teil III). Die gemeinsamen, institutionenübergreifenden Grundsätze und Prinzipien sind Grundlage für die Fokussierung auf die individuellen Bildungsverläufe der Kinder: Statt einzelner Institutionen rückt die kindliche Bildungsbiographie in den Mittelpunkt (Hessisches Sozialministerium/Hessisches Kulturministerium 2007, S. 12). Dazu werden konkrete Aufgaben für die Pädagoginnen und Pädagogen beider Einrichtungen formuliert: Für die Erzieherinnen und Erzieher: Sie sollen Kinder und Eltern möglichst langfristig und angemessen auf den Übergang in die Grundschule vorbereiten, Informationen über das Schulprogramm sowie die geltenden Vorgaben für den Unterricht, zum Beispiel Rahmenplan bzw. Bildungsstandards, einholen, Anschlussfähigkeit gewährleisten, Kommunikation und Austausch mit der Schule suchen, Verständigung über „Schulfähigkeit“ des Kindes gemeinsam mit der Schule, den Eltern und dem Kind herstellen oder intensivieren, Austausch mit der Schule über den individuellen Förderbedarf, die Stärken und Schwächen der Kinder suchen. (vgl. ebd., S. 101)
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Für die Lehrerinnen und Lehrer: Lehrerinnen und Lehrer sollen mit Kindergärten kooperieren und auf den dort entwickelten Kompetenzen aufbauen, Informationen über pädagogische Konzeption und Schwerpunkte der Kindertageseinrichtung (zum Beispiel Stärkung von literacy) und seine Vorbereitungsarbeit auf die Schule einholen, Kommunikation und Austausch mit dem Kindergarten als gleichberechtigtem Partner mit eigenem Bildungsauftrag suchen, „Schulfähigkeit” des Kindes gemeinsam mit der Kindertageseinrichtung, den Eltern und dem Kind entwickeln, Austausch mit der Kindertageseinrichtung über den individuellen Förderbedarf, die Stärken und Schwächen der Kinder suchen, mit Eltern und Kindern über Erwartungen an die Schule sprechen, Informationen über Bedingungen in der Schule, Ablauf des Unterrichts geben, vorschulische Fördermaßnamen zum Erwerb der deutschen Sprache mit schulischen Vorlaufkursen bestmöglich abstimmen und den Besuch vorbereiten. (vgl. ebd.) Ganz ähnlich ist dieser Ansatz auch im Thüringer Bildungsplan für Kinder bis zehn Jahre zu finden: Der kindzentrierte Fokus des Bildungsplans lasse „das organisationstheoretische Denken in pädagogischen Institutionen hinter sich und überschreitet die inhaltlichen Grenzen bestimmter pädagogischer Ansätze“. Der Plan ist „institutionenübergreifend und konzeptneutral angelegt“ (Thüringer Kultusministerium 2008, S. 5). Für die Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer sei der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule ein pädagogisches Arbeitsfeld, in dem die Kooperation mit allen Beteiligten erforderlich ist. Sie sollen Kinder und Eltern bei der Entwicklung von Bewältigungsstrategien und neuer Alltagsroutinen unterstützen, indem sie für vielfältige Verknüpfungen und Austauschprozesse zwischen Kindergarten und Grundschule sorgen […] Zum gelingenden Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule trägt in besonderer Weise bei, dass Pädagoginnen und Pädagogen das Dilemma zwischen der Qualifikationsfunktion und der Selektionsfunktion von Schule professionell reflektieren und Entscheidungen im Sinne und zum Wohl des Kindes treffen. Hieraus folgt, dass der Übergang nicht allein auf Seiten der Kinder und ihrer Eltern, sondern auch auf Seiten der Schule und der Pädagoginnen und Pädagogen innere und äußere Umstrukturierungen und Entwicklungen verlangt. Denn es sei Aufgabe von Schule und Unterricht, passende Bildungsangebote für Kinder zu gestalten, statt darauf zu warten, dass Kinder in die Schule kommen, die zu den vorhandenen Angeboten passen. (vgl. ebd., S. 34 ff.) Mit dem Ansatz, einen Bildungsplan für Null- bis Zehnjährige zu entwickeln, ist, wie auch an einigen Formulierungen deutlich wird, der Anspruch verbunden, von der Bildungsbiographie des Kindes und nicht von der Perspektive der Institutionen auszugehen. Inwieweit diese Pläne zu einer Veränderung der
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Praxis in den jeweiligen Ländern sowie in den Institutionen und im Bewusstsein der Fachkräfte beitragen, wird sich in den kommenden Jahren zeigen müssen. Ein Modellprojekt in Baden-Württemberg7 geht insofern noch einen Schritt weiter, als eine Verknüpfung der beiden Institutionen angestrebt wird: Im „Bildungshaus 3–10“ gestalten Kindergarten und Grundschule wesentliche Teile ihres Bildungsangebots institutionsübergreifend und gemeinschaftlich, indem sie diese miteinander verzahnen. Die Angebote werden dauerhaft und regelmäßig von Lehrkräften und Fachkräften beider Institutionen gemeinsam vorbereitet und durchgeführt, stehen den Kindern mindestens im letzten Kindergartenjahr und im ersten Schuljahr gemeinsam zur Verfügung, finden in den Räumen beider Einrichtungen statt und decken Bildungsziele des Orientierungsplanes der Kindergärten und des Bildungsplanes der Grundschule ab. Die Bildungseinrichtungen bleiben in ihren Strukturen als Kindergarten bzw. Grundschule erhalten. Bei Bedarf regeln die Träger der Einrichtungen in vertraglicher Form die Rahmenbedingungen, die für eine Intensivierung des pädagogischen Verbunds Kindergarten und Grundschule förderlich und notwendig sind. Damit aus der Kooperation ein pädagogischer Verbund entstehen kann, finden gemeinsame Lern- und Spielzeiten in jahrgangsgemischten Gruppen statt und es werden Entwicklungsziele und -berichte in gemeinsamen pädagogischen Teams erarbeitet und auf die Arbeit mit den Kindern übertragen. Die Bildungsangebote des Bildungshauses sind dabei als integraler Bestandteil der Wochen- und Stundenpläne beider Einrichtungen verankert. Die Modelleinrichtungen werden in der siebenjährigen Erprobungsphase vom Land mit zusätzlichen Anrechnungsstunden unterstützt. Je teilnehmender Grundschulklasse werden drei zusätzliche Anrechnungsstunden ausgewiesen. Dafür stellt das Kultusministerium Mittel in Höhe von 3,71 Millionen Euro für Projekt- und Personalkosten zur Verfügung. Die Träger der Kindergärten sichern zu, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine gleichwertige Entlastung zu gewähren. Im Schuljahr 2008/2009 nahmen 23 Grundschulen und 31 Kindergärten an dem Modellprojekt teil. Nach einer Standorterweiterung zum Schuljahr 2009/2010 stieg die Teilnehmerzahl der Grundschulen auf 33, die der Kindergärten auf 45. Der Anspruch ist vielversprechend und greift die inhaltlichen Anforderungen auf, die in der Diskussion um Übergangsmanagement formuliert werden. Für die Debatte in Deutschland ist diese Herangehensweise gemeinsamer Bildungsleitlinien ebenso neu wir eine institutionalisierte Verknüpfung beider Einrichtungen. Umso interessanter ist es, in den nächsten Jahren zum einen die Erfahrun-
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siehe unter www.kultusportal-bw.de
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gen auszuwerten, und zum anderen einen Blick auf internationale Entwicklungen zu werfen. Letzteres ist Thema des folgenden Abschnitts.
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Internationale Entwicklungstrends
Als bedeutsamen Entwicklungsabschnitt für die betroffenen Kinder und deren Familien wird die Schuleingangsphase auch international bewertet (vgl. Griebel 2006; Fabian 2002). Nicht nur in Deutschland, sondern auch international besteht Einigkeit darüber, dass der Übergang vom Kindergarten in die Schule häufig sehr abrupt verläuft und den unterschiedlichen individuellen Entwicklungsund Lernständen der Kinder nicht gerecht wird. Im Zentrum der bildungspolitischen Diskussion stehen Überlegungen zur Vermeidung von frühen Bildungsbrüchen. Während in Deutschland das Thema „Übergang Kindergarten – Grundschule“ erst in den letzten Jahren deutlich an Aktualität gewonnen hat, zeigt der Blick auf einige andere Länder, dass diese bereits frühzeitig umfangreiche Reformbemühungen eingeleitet haben, die mit der Neubewertung von Bildung als zentrale gesellschaftliche Ressource im Zusammenhang stehen. So kam es teilweise zu einer Überprüfung der Bildungssysteme und zu einer Regulierung der Bildungsangebote vor dem Schuleintritt. In Schweden, England und auch in den Niederlanden bezogen sich Neudefinitionen der Bildungsverständnisse der Elementar- und Primarstufe überwiegend auf Lernkonzepte und Kooperationsaspekte sowie auf die institutionelle Verknüpfung der beteiligten Bildungsinstitutionen. Um- oder Neugestaltungen zielten zum einen auf eine möglichst harmonische und gleitende Übergangsgestaltung, zum anderen ging es auch verstärkt darum, insbesondere im Vorschulbereich die Aufgaben der Erziehung und Betreuung verstärkt um den Aspekt der Bildung zu erweitern und so für den gesamten frühkindlichen Bildungsbereich ein durchgängiges Lernkonzept einzuführen (vgl. OECD 2006, S. 13). Diese Tendenz ist insbesondere in Ländern zu beobachten, die bisher im Bereich der frühen Kindheit eher einen Betreuungs- als einen Bildungsansatz verfolgten, oder auch in Ländern, deren Vorschulkonzepte eher eine sozialpädagogische Ausrichtung aufweisen (vgl. OECD 2001 und 2006). In der wissenschaftlichen Diskussion zur Übergangsthematik werden unter anderem „Curriculare Abstimmungen zwischen dem Elementar- und Primarbereich“ und „Strukturelle Reformen für den Vorschul- und Grundschulbereich“ als Lösungsmöglichkeiten von Übergangsproblemen erörtert (vgl. Faust 2003).
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4.1 Curriculare Abstimmungen zwischen dem Elementar- und Primarbereich Bildungspläne und -richtlinien existieren mittlerweile in allen deutschen Bundesländern. Wie die Ausführungen im obigen Kapitel zu den Gesetzen und Bildungsleitlinien zeigen, fehlen jedoch meistens konkrete konsensfähige Aussagen zur Zielsetzung und Beschreibung der Übergänge, die als weitgehender Maßstab für eine vergleichbare Gestaltung von Übergängen in den verschiedenen Bundesländern zu betrachten wären. So zeigt sich, dass sich vielfältige Maßnahmen und (zum Teil regionale Projekte) auf einzelne oder mehrere Übergangsmaßnahmen beziehen, verbindliche Kriterien, die auch die Schnittstelle von Kindergarten und Grundschule beschreiben, sind hingegen seltener anzutreffen. Curriculare Verbindungen zwischen beiden Bildungsinstitutionen und damit eine Annäherung der Bildungsperspektiven von Kindergarten und Grundschulen sind in anderen Ländern bereits umgesetzt, wobei deren mögliche Ausprägungen im Folgenden an den Beispielen von Schweden und England vorgestellt werden. Schweden Mit deutlich geringerer Unterrichtszeit als in Deutschland waren die mit sieben Jahren eingeschulten schwedischen Kinder mit zehn Jahren „Gewinner“ des IGLU-Tests (vgl. Bos u.a. 2003, S. 100 ff.). Schweden ist ein Land mit einer Tradition von nicht-schulischen Vorschuleinrichtungen. Hier wurde versucht, eine gemeinsame Vision für das gesamte Bildungssystem und somit für Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder zu schaffen (vgl. Oberhuemer 2004, S. 156 ff.). Mit dem Schulgesetz (Skollagen 1985) wurde eine klare institutionelle Struktur mit verteilten Verantwortlichkeiten geschaffen, die sich an den gesamten Betreuungssektor für Kinder von einem bis zu zwölf Jahren richtet. Das Bildungssystem umfasst drei Curricula, die sich ergänzen und eine gemeinsame Sichtweise über Wissen, Entwicklung und Lernen beinhalten. Kinder besuchen ganztags eine allgemeine Ausbildung in einer Einheitsschule aus Vorschulklassen und Grundschule. Vor der Einschulung besteht die Möglichkeit des Besuchs der Vorschule.
Vorschulische Betreuung (förskoleverksamhet) wird in Form von Vorschulen (förskola), Familientagesstätten (familjedaghem) oder offenen Vorschulen (öppen förskola) ab dem ersten Lebensjahr angeboten. Im Alter von sechs Jahren kommen die Kinder in eine Vorschulklasse (Förskoleklass), wobei auch eine frühere Aufnahme möglich ist. Der Unterricht dient zur Vorbereitung auf die Grundschule und soll die Entwicklung und das Lernen des Kindes stimulieren. Das spielerische Ler-
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nen steht dabei im Vordergrund, um später einen nahtlosen Übergang in die Schule zu gewährleisten. Die Schulzeit besteht aus der neunjährigen, obligatorischen Grundschule (Grundskola) und dem dreijährigen Gymnasium (Gymnasieskola). Sie beginnt mit dem siebten Lebensjahr. Am Ende der Grundschule gibt es ein Abgangszeugnis, das der Bewerbung um einen Gymnasialplatz zugrunde liegt. Mit dem Ende der Grundschule endet auch die allgemeine Schulpflicht. (vgl. Menke 2009; Pramling Samuelsson 2004).
Die Vorschule untersteht dem Bildungsministerium als aufsichtsführende Behörde für die Vorschule und andere frühpädagogische Aktivitäten sowie für die Betreuung schulpflichtiger Kinder. Mit Inkrafttreten des ersten Curriculums „LPFÖ 98“ (Utbildningsdepartementet 1998) wurden der Vorschule als erste Stufe im primären schwedischen Bildungssystem die gleichen übergeordneten Ziele und ähnlichen Organisationselemente wie im Plan für die gesamte Pflichtschulzeit bis Klasse 9 zugrunde gelegt. Hier wird auch auf die Kooperation zwischen Vorschulen, der Grundschule und den Betreuungseinrichtungen für Schulkinder (zum Beispiel Freizeitheime und Familientagesstätten) eingegangen. Um die Kinder in jeder Beziehung in ihrer Entwicklung und beim zukünftigen Lernen zu unterstützen, soll das Personal der Vorschulklasse eine gute Zusammenarbeit mit der Grundschule und den Freizeitheimen pflegen. Die Vorgabe orientiert sich an dem Ziel, einen reibungslosen Übergang des Kindes zwischen diesen Schul- und Betreuungsformen zu ermöglichen. Die Kooperation soll sich an den nationalen und regionalen Zielen und den für die verschiedenen Aktivitäten zutreffenden Richtlinien orientieren. Diese sehen vor, dass das vorhandene Wissen und die Erfahrungen ausgetauscht werden sollen und dem Bedürfnis jedes Kindes nach Anregung und Unterstützung die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden ist. Um dieses zu gewährleisten, treffen sich die Leiterinnen und Leiter von Vor-, Grund- und weiterführender Schule regelmäßig und arbeiten fortlaufend an der pädagogischen Verzahnung der Bildungseinrichtungen, die sich an einem gemeinsamen Erziehungs- und Bildungsauftrag orientieren (vgl. Gisbert 2003, S. 87). Das schwedische Bildungs- und Betreuungssystem ist als ein zielorientiertes System zu verstehen, bei dem die Qualität auf lokaler Ebene zu sichern ist. Qualität wird dabei als das Maß definiert, in dem die national verankerten Ziele erreicht werden. Die Qualitätsarbeit wird als kontinuierliche Identifikation und Durchführung systematischer Verbesserungsmaßnahmen von Kommunen und Einrichtungen verstanden, um den nationalen Qualitätszielen näher zu kommen (vgl. Menke 2009; Pramling Samuelsson 2004).
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England Ein weiteres Beispiel für nationale Rahmen- und Zielvorgaben stellt die Anschlussfähigkeit des englischen Curriculums „Planning for Learning in the Foundation Stage“ (QCA/DfEE 2001) mit dem „National Curriculum“ für die Schule dar. In Großbritannien besteht Schulpflicht vom fünften bis zum 16. Lebensjahr. Davor haben die Eltern die Wahl zwischen der häuslichen Betreuung, der Krabbelgruppe (toddler group), einer Playgroup (etwa Kindergarten) oder einer „Nursery School“ (eine Art Vorschule). Mit fünf Jahren beginnt dann für alle Kinder die Schulpflicht an der „Primary School“ (Grundschule), die die Klassenstufen 1 bis 7 umfasst, und die oft noch einmal unterteilt ist in „Infant School“ und „Junior School“. Die Einschulung erfolgt in die „Infant School“ mit den Klassen 1 bis 3 und mit sieben Jahren erfolgt der Wechsel in die „Junior School“ mit den Klassen 4 bis 7. Die „Primary School“ unterliegt dem nationalen Curriculum mit insgesamt vier Schlüsselphasen (key stage). Der „Primary School“ sind key stage 1 und 2 zugeordnet. Nach der „Primary School“ wechseln die Schüler mit elf Jahren zur „Secondary School“, wobei es sich bis auf wenige Ausnahmen um Ganztagsschulen handelt. Ihnen sind die key stages 3 und 4 zugeordnet (vgl. BMBF 2007). Der landesweit verbindliche Lehrplan für den Pflichtschulbereich („National Curriculum“) ist ein wichtiges Merkmal des englischen Bildungssystems, mit dem Schwerpunkt des Rechts auf ein gleiches Bildungsangebot für alle. Neben Bildungsinhalten beinhaltet er die Festschreibung der Leistungsziele für die Schulen, die durch landesweite Messungen (assessments) jeweils am Ende der vier key stages und demnach im Alter von 7, 11, 14 und 16 Jahren überprüft werden. 1997 wurde zudem ein Benchmarking-System eingeführt, das auf Schlüsselmerkmalen der Schülerschaft basiert, um gerechtere Aussagen über die Leistungsfähigkeit von Schulen zu gewährleisten. Detaillierte Kriterienkataloge betonen die Wertschätzung der Zielbeschreibungen auf allen Ebenen des Bildungswesens (Bildungspolitik, Schulaufsicht, Schülerleistung, Unterrichtsqualität) (vgl. BMBF 2007, S. 44 ff.). Im Zusammenhang mit der Verbesserung der Schülerleistungen wird angenommen, dass die Betonung von Leistung und systemweiten Veränderungen, speziell das „National Curriculum“ zusammen mit landesweiten Leistungsmessungen, landesweiter Schulinspektion sowie der Schwerpunktsetzung auf die Unterstützung von Schulen mit schwacher Leistung, von ausschlaggebender Bedeutung für die Anhebung der Leistungsstandards sind (BMBF 2007, S. 48). Für den Vorschulbereich wurde mit einem Curriculum ein Entwicklungsprofil für Einrichtungen zur Betreuung von Drei- und Vierjährigen zur Beobachtung und Dokumentation der Lern- und Entwicklungsschritte eingeführt, dessen Lernziele Anschluss an das „National Curriculum“ der Schule haben. Neben den
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Ausführungen zu den pädagogischen Aufgaben der Einrichtungen zur Zusammenarbeit mit den Eltern und zu „Führung“ und „Planung“ enthält es detaillierte und in mehreren Stufen aufeinander aufbauende Zielvorgaben und Umsetzungsbeispiele für die sechs Lernbereiche „Personale, soziale und emotionale Entwicklung“, „Kommunikation, Sprache und Literacy“, „Mathematische Grundbildung“, „Wissen und Weltverständnis“, „Körperliche Entwicklung“ und „Kreative Entwicklung“ (vgl. Faust/Rossbach o.J.; Griebel o.J.). Die Anschlussfähigkeit von Bildungsinhalten wird so zur Selbstverständlichkeit und muss nicht mehr von jeder einzelnen Institution erarbeitet werden.
4.2 Strukturelle Reformen Strukturelle Reformen verfolgen im Gegensatz zu den curricularen Anschlussmöglichkeiten das Ziel, Abstimmungsprobleme zwischen den beiden Bildungsinstitutionen dadurch zu lösen, dass Kindertageseinrichtung und Grundschule entweder unter einem Dach stattfinden (wie in den Basisschulen der Niederlanden) oder dass einzelne Jahrgänge zu einer Übergangsinstitution verbunden werden, wie am Beispiel der Grund- und Basisschule im Kanton Zürich im Folgenden verdeutlicht wird. Basisschulen in den Niederlanden Durch das Gesetz zur Primarschulbildung (WBO) wurde 1985 das niederländische Bildungssystem umgebaut. Vor 1985 gab es in den Niederlanden Kindertageseinrichtungen (Kleuterschool), die von den Eltern wegen des pädagogischen und kindgerechten Klimas sehr geschätzt wurden. Die Grundschule hingegen geriet immer mehr in die Kritik, da sie als sehr „kopflastig“ empfunden wurde. Kritisiert wurde der festgelegte Lehrstoff, der das Unterrichtstempo bestimmte und die individuellen Bedürfnisse und Lernvoraussetzungen der Kinder nicht berücksichtigte. Darüber hinaus wurde der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule von vielen Kindern als Schock erlebt. Mit dem Gesetz zur Primarschulbildung wurden Kindertageseinrichtungen und Grundschulen zu einer einheitlichen allgemeinbildenden Schule, der „Basisschule“ für alle Kinder von vier bis zwölf Jahren, zusammengefasst. Die Primarstufe I integriert Kindergarten und Grundschule zu einer Ganztagsschule (Basisschule). Die ersten beiden Schuljahre der Primarbildung sind eine Art Vorschule, die die Kinder ab dem vierten Lebensjahr freiwillig besuchen können. Ab dem fünften Lebensjahr beginnt die Schulpflicht mit der Auswirkung, dass die Kinder in das laufende Schuljahr eingeschult werden. Für jüngere Kinder werden Betreuungsangebote in Spielgruppen (Peuterspeelzalen) und Kindertagesstätten 92
(Kinderdagverblijven) angeboten. Die neu geschaffene Basisschule (Basisonderwijs) umfasst acht, seit 2003 neun Jahrgänge. Dabei werden die ersten vier Schuljahre als Primarstufe I und die restlichen als Primarstufe II bezeichnet. Die Organisationsform des Schulanfangs ist jedoch aufgrund der Autonomie der Basisschule in den Niederlanden je nach Schularbeitsplan unterschiedlich. So werden die Vier- bis Fünfjährigen häufig in einer Gruppe unterrichtet und gehen dann mit sechs Jahren in die relativ altershomogene Gruppe der dritten Klasse. Hier beginnt der eigentliche Unterricht, der vergleichbar mit der ersten Schulklasse der Grundschule in Deutschland ist. Zum Abschluss der Primarschulzeit absolvieren die Schülerinnen und Schüler einen landesweit einheitlichen Test, dem so genannten CITO-Test (Centraal Instituut voor Toets Ontwikkeling – Zentrales Institut für Test-Entwicklung). Unter Berücksichtigung der Stärken und Schwächen der Kinder dient er als Entscheidungsgrundlage für eine persönliche Beratung durch die Lehrkräfte unter Einbeziehung der Eltern zur Wahl der weiterführenden Schule (Euregio o.J.). Grundsätzlich ist die Schule in den Niederlanden als Ganztagsunterricht organisiert. In der „Basisschule“ wird der Unterricht so gestaltet, dass die Schülerinnen und Schüler einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess, orientiert an ihren individuellen Lernfortschritten, durchlaufen. Er zielt auf die emotionale und kognitive Entwicklung ab, auf die Förderung der Kreativität sowie auf den Erwerb notwendiger Kenntnisse und sozialer, kultureller und körperlicher Fertigkeiten. Durch eine spielerische Vorbereitung auf den Unterricht soll die Integration in das Bildungssystem sanft erfolgen (vgl. Döbert u.a. 2002, S. 335 ff.). Grund-/Basisstufe: Unterricht in altersgemischten Grundstufenklassen – Ein Schulentwicklungsprojekt im Kanton Zürich „EDK-Ost 4 bis 8“ In verschiedenen Kantonen der Deutschschweiz und des Fürstentums Liechtenstein laufen seit dem Schuljahr 2004/2005 Schulversuche mit der Basis- oder der Grundstufe. Dieses Schulentwicklungsprojekt (2004 bis 2009) wurde bereits im Jahre 2002 von der Erziehungsdirektorenkonferenz der Ostschweiz (EDK-Ost) und des Fürstentums Liechtenstein lanciert. Bei der Erprobung handelt es sich um eine pädagogische und organisatorische Neukonzeption der Eingangsstufe. Die Kinder spielen und lernen in altersgemischten Klassen von je 20 bis 25 Kindern; sie werden von zwei Lehrpersonen mit einem Pensum von 36 Lektionen unterrichtet und gefördert, zwölf davon im Teamteaching (vgl. Stebler 2007; Medienmitteilung v. 19.06.2008). Ziel des Schulversuchs ist eine Neugestaltung des Schuleintritts, um angemessen auf heutige entwicklungspsychologische und pädagogische Erkenntnisse reagieren zu können. Seit 2004 erproben rund 160 Klassen in neun deutsch-
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schweizer Kantonen im Rahmen der Schulversuche zur Grund-/Basisstufe in zwei Modellen die Neugestaltung der Einschulung:
Die dreijährige Grundstufe fasst zwei Kindergartenjahre und die erste Klasse zusammen und sieht jahrgangsübergreifende Gruppen mit flexibler Verweildauer vor. In der vierjährigen Basisstufe werden die zwei Kindergartenjahre und die erste und zweite Klasse der Primarschule gemeinsam unterrichtet.
Diese Stufenzusammenlegung und die daraus entstehenden altersgemischten Klassen sowie die gemeinsame Verantwortung eines Teams von Lehrpersonen für eine Klasse sind die zentralen Pfeiler dieses Schulmodells. Die Schulversuche werden wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Im Zwischenbericht der formativen Evaluation zur Grund- und Basisstufe ziehen die Evaluatorinnen und Evaluatoren (vgl. Vogt u.a. 2008a) das Fazit, dass aufgrund der Ergebnisse der formativen Evaluation der Schulversuch positiv verläuft. Demnach werden die mit der Grund-/Basisstufe angestrebten Ziele (individualisierter Unterricht; Integration; fließender Übergang vom Lernen im Spiel zum schulischen Lernen; früherer, der individuellen Entwicklung gemäßer Beginn mit Lesen, Schreiben und Rechnen und pädagogische Kontinuität) anstelle des einschneidenden Wechsels zwischen Kindergarten und Schule teilweise bis vollständig erreicht (vgl. Vogt u.a. 2008a, S. 1). So können sich die Kinder in der Grund-/Basisstufe früher schulischen Lerninhalten zuwenden, ohne die Möglichkeit des Lernens im Spiel aufgeben zu müssen. Damit stellt der Eintritt in eine Grund-/Basissstufe für die vierjährigen Kinder in keiner Weise eine größere Belastung dar als der Eintritt in die Kindertageseinrichtung (vgl. Vogt u.a. 2008b, S. 15). Auch aus Sicht der Eltern wird der Eintritt in eine Grund-/Basisstufe von den Kindern nicht als größere Belastung erlebt als der Eintritt in den Kindergarten. Damit wird deutlich, dass der teilweise befürchtete frühe schulische Leistungsdruck nicht entsteht. Während der Übergang vom Kindergarten in die Schule teilweise als Bruch erlebt wird, ermöglicht die Grund-/Basisstufe einen sanfteren Einstieg ins schulische Lernen. Im Unterschied zum herkömmlichen Modell bleiben fast alle Kinder in der Grund-/Basisstufe und werden auch im Falle von besonderem Förderbedarf nicht in Sonderklassen oder Einführungsklassen separat beschult (vgl. Vogt u.a.2008a, S. 2). Insgesamt betrachtet erfreut sich die Grund-/Basisstufe einer hohen Akzeptanz bei den Eltern und den Lehrpersonen, die an dem Schulversuch beteiligt sind. So erleben 80 Prozent der Eltern, deren Kinder die Grund-/Basisstufe besuchen, diese als positiv und 90 Prozent der Lehrpersonen, die hier Erfahrungen sammeln konnten, stehen der Projektidee 94
befürwortend gegenüber (ebd., S. 2). Eine endgültige Bilanz ist jedoch noch nicht möglich, da die Entwicklungen noch weitere zwei Jahre erfasst werden sollen. Demnach muss der Schlussbericht der wissenschaftlichen Evaluation zur abschließenden Bewertung des Schulversuches im Jahre 2010 abgewartet werden.
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Zusammenfassung und Fazit
Zusammenfassend lassen sich die derzeitigen nationalen und internationalen Diskussionen um die Gestaltung vom Übergang von der Kindertageseinrichtung zur Grundschule grob in strukturelle Veränderungen, curriculare Abstimmungen und Maßnahmen zur individuellen Ausgestaltung von Zusammenarbeit zwischen den beiden Bildungsinstitutionen differenzieren. Faust und Rossbach (o.J.) bilanzieren, dass eine strukturelle Zusammenfassung von Elementar- und Primarbereich zu einer vermittelnden Institution wohl am aufwändigsten und darum wohl auch am schwierigsten zu realisieren sei, obwohl der Blick auf die internationalen Beispiele aus dem Kanton Zürich und den Niederlanden zeigt, dass gerade davon eine stimmige Lösung des Übergangsproblems zu erwarten ist. Die Übertragung von internationalen Beispielen auf den bundesdeutschen Bildungssektor erscheint jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig. Die Betrachtung der Entwicklung in den länderspezifischen Gesetzgebungen und Ausführungsbestimmungen Deutschlands (vgl. oben) zeigt zudem, dass es bislang nicht um eine grundsätzliche Veränderung der institutionellen Struktur mit dem Ziel eines anders aufgebauten Schulsystems und einer Integration von Elementar- und Primarbereich in oder zu einer Bildungsinstitution8 geht. Wenn institutionelle Verknüpfungen angestrebt werden, geschieht dies eher – wie im Beispiel Baden-Württemberg – unter Wahrung der institutionellen Autonomie beider Einrichtungen. Ob sich aus den mit solchen Modellprojekten verbundenen Erfahrungen weiterführende Schritte ergeben werden, wird sich zeigen müssen. Faust und Rossbach nehmen weiter an, dass curriculare Abstimmungen wie in Schweden und England möglicherweise an die Stelle einer strukturellen Neugliederung treten können, wobei dabei Konkretisierungen des kumulativen Lernens in den ersten beiden Bildungsstufen vorausgesetzt werden müssten (Faust/Rossbach o.J., S. 14). Dabei erscheint allerdings eine für alle Bundesländer einheitlich festgeschriebene curriculare Abstimmung der beiden Einrichtungen schon allein aufgrund der föderalistischen Bildungsstruktur Deutschlands 8
sichtbar zum Beispiel in den Niederlanden und im Kanton Zürich
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zum gegenwärtigen Zeitpunkt undenkbar. Die Beispiele der Bildungspläne aus Hessen und Thüringen sowie der gemeinsame Orientierungsrahmen aus Brandenburg zeigen jedoch, dass dies auf Landesebene durchaus möglich und Erfolg versprechend ist. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die gegenwärtigen Übergangsdiskussionen aller bundesdeutschen Länder sowie die vorgestellten Projekte aus den Lernenden Regionen Essen, Hamburg und Osnabrück9 und die Modellvorhaben PONTE und TransKiGs sich zum überwiegenden Teil mit Ideen und Maßnahmen zur Stärkung der individuellen Ausgestaltung der Kooperationsbeziehungen zwischen beiden Bildungsinstitutionen beschäftigen. Die inhaltlichen Schwerpunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen10. Gemeinsam und voneinander lernen Gemeinsame Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher bieten eine gute Möglichkeit, mehr Verständnis für die Situation und Sichtweise der jeweils anderen Bildungsinstitution aufzubringen. Neben der Vermittlung von fachlichen Inhalten fordern die vorgestellten Modelle auch die Durchführung von kooperativen Angeboten, Veranstaltungen und gemeinsamen Festen. Ziele sind dabei beispielsweise die Entwicklung, Erprobung und Transferierung eines gemeinsamen Übergangsmanagements von Kindertageseinrichtung und Schule. Im Idealfall könnte bspw. ein Kooperations- und Fortbildungssystem für die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Institutionen entwickelt und aufgebaut werden. Dieses sollte für einen möglichst großen Kreis von Teilnehmerinnen und Teilnehmern zugänglich sein und Räume für Begegnungen schaffen sowie zum Abbau von Schwellenängsten beitragen. Fachliche Grundlagen sollen angeboten und durch Vernetzung sowie Bereitstellung von Materialien Synergieeffekte ermöglicht werden. Institutionsübergreifende Netzwerke und Koordinierungsgruppen Für die Überwindung struktureller Hemmnisse ist es erforderlich, die Kommunikation der Beteiligten untereinander zu verbessern. Hierdurch wird die Bereitschaft erhöht, sich wechselseitig mit Bildungszielen und der pädagogischen Praxis der jeweils anderen Bildungsinstitution auseinanderzusetzen. In den dargestellten Ansätzen wurde vielfach der Hinweis auf eine Ausgestaltung von ge9
Vgl. dazu auch die zusammenfassenden Ausführungen zu den Ergebnissen aus dem Übergangsfeld Kindergarten – Grundschule der Lernenden Regionen in Klaudy/Torlümke 2008. 10 Kooperationsbemühungen sind sehr komplex und greifen ineinander über. Aus diesem Grund kann eine Trennschärfe hier nur bedingt gewährleistet werden.
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meinsamen Arbeitsgruppen gegeben, in denen Leitlinien erarbeitet oder verbindliche Standards vereinbart werden können. Zudem können gegenseitige Hospitationen, die wechselseitige Teilnahme an Besprechungen und Konferenzen und gemeinsame Diskussionsabende, bei denen unterschiedliche pädagogische Themen diskutiert werden, dazu beitragen, die eigenen Kompetenzen zu reflektieren und zu erweitern. Des Weiteren wurde empfohlen, „Übergangsmanagerinnen und Übergangsmanager“ zu benennen, damit die Kooperation durch eine externe Moderation organisiert und zusätzlich angetrieben werden kann. Zu ihren Arbeitsaufträgen würden dabei die Gestaltung der Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen, Schulen, Jugendamt und Familien sowie eine nachgehende Unterstützung der Familien zur Vermeidung von frühzeitiger Ausgrenzung der Kinder gehören. Einige untersuchte Modelle beziehen sich darüber hinaus auch auf den Hinweis, die Entwicklung, Durchführung und regionale Einführung einer gemeinsamen Bildungsphilosophie und -verantwortung durch Kindertageseinrichtung und Schule anzustoßen. Die Beteiligten entwickeln gemeinsame Ziele, stimmen sich ab über Aufgaben und Arbeitsweisen und klären Organisationsformen der jeweiligen Bereiche. So könnte zum Beispiel eine für alle Kindergärten verbindliche Bildungsdokumentation über die Eltern an die Schulen weitergegeben werden. Verbindlichkeiten zur Kooperation könnten zusätzlich auch durch einen gemeinsamen Kalender für ein Begegnungsjahr erreicht werden. Fachdidaktische Abstimmung der Institutionen Die häufig zu beobachtende Trennung der didaktischen Konzepte von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen führt dazu, dass die jeweiligen Lerninhalte und Themenstellungen nur selten anschlussfähig sind. Um Kindern den Übergang zu erleichtern und auch inhaltliche Anknüpfungspunkte zu finden, werden in einigen genannten Darstellungen gemeinsame Lernprojekte empfohlen, bei denen Kinder aus beiden Bildungsinstitutionen mit aufeinander aufbauenden Themenstellungen befasst werden. Das Spektrum dieser Konzepte könnte von ersten Lernerfahrungen mit dem PC über ein aufeinander aufbauendes Sprachprogramm bis hin zur Anwendung mathematischer Vorschulkonzepte reichen. Bei diesen Maßnahmen sollten die didaktischen Entwürfe von Kindergärten und Grundschule zueinander in enger Verbindung stehen und in einem gemeinsamen Bildungskonzept verankert werden. So können bspw. verschiedene Lern- und Pilotprojekte im naturwissenschaftlich-technischen Bereich in der Kindertageseinrichtung begonnen und in der Schule weitergeführt werden. Dieses Vorgehen erleichtert Kindern durch eine inhaltliche Kontinuität die Neuorientierung in der Schule.
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Angebote der gemeinsamen Elternbildung und -beratung Ein wesentlicher Part bei der Bewältigung des Übergangs ist von den Eltern zu leisten, damit sie ihre Kinder optimal in dieser Phase unterstützen können. Empfehlungen zur Schaffung spezieller Bildungsangebote zielen darauf ab, Eltern stärker zu befähigen, ihre unterstützende Rolle im Interesse ihrer Kinder besser wahrnehmen zu können und ihre Sensibilität für Übergangsherausforderungen, vor denen ihre Kinder stehen, zu erhöhen. In einigen untersuchten Beispielen wurden Forderungen an Fachpersonal aus Kindertageseinrichtungen und Schulen identifiziert, Elternbildungskonzepte und Qualifizierungslehrgänge zu konzipieren und anzubieten. Sie zielen auf eine zusätzliche Befähigung der Eltern in ihrer Rolle als „Übergangsmanager und Übergangsmanagerinnen“ ihrer Kinder und stärken gleichzeitig die Kooperationsfähigkeit der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Bildungsinstitutionen. Dieser Aspekt könnte um die Durchführung gemeinsamer Elterngespräche und Informationsveranstaltungen ergänzt werden. Die analysierten Projekte, Herangehensweisen und Leitlinien bestätigen die Notwendigkeit einer stärkeren Verantwortungsübernahme von Seiten beider Bildungsinstitutionen und der regionalen Verwaltung. Kooperation ist nur dann erfolgreich, wenn die handelnden Personen um die Bedingungen der Arbeit in der jeweils anderen Bildungseinrichtung wissen und über deren Bildungsziele sowie pädagogische Konzepte informiert sind. Die Herstellung einer verlässlichen Anschlussfähigkeit zwischen den Bildungssystemen darf nicht dem Zufall oder dem individuellen Engagement Einzelner überlassen bleiben. Vielmehr bedarf es lokaler Gestaltungskonzepte mit verbindlichen Strukturen, bei denen Politik und Verwaltung als Verantwortliche stärker in die Pflicht zu nehmen sind (vgl. den Beitrag von Stöbe-Blossey in diesem Band). Die Handlungsmöglichkeiten auf lokaler Ebene wiederum werden durch die Rahmenbedingungen im jeweiligen Bundesland beeinflusst. Die in allen Bundesländern verabschiedeten Bildungspläne oder Bildungsvereinbarungen für den Elementar- und Primarbereich bilden einen ersten Schritt für die Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen. Die Intensität, mit der sich die verschiedenen Bundesländer und Projekte mit dem Thema Übergang auseinandersetzen, ist, wie gezeigt werden konnte, dabei jedoch unterschiedlich ausgeprägt. Teilweise findet sich eine explizite Bezugnahme auf die Vorbereitung des Übergangs, teilweise wird eher das eigenständige Bildungsverständnis des Elementarbereichs hervorgehoben. Die gezielte curriculare Vernetzung oder gar die institutionelle Verknüpfung beider Einrichtungen stecken noch in den Anfängen.
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Der Aufbau von Kooperationsstrukturen, die Konzipierung und Durchführung gemeinsamer Aktivitäten sowie die Entwicklung gemeinsamer, kind- statt institutionenzentrierter pädagogischer Grundlagen stellen zweifellos Herausforderungen für die Fachkräfte in Grundschulen und Kindertageseinrichtungen dar. Angesichts dessen, dass den Letzteren – wenn auch in unterschiedlicher Form – die Aufgabe der Vorbereitung auf die Grundschule zugeschrieben wird, ist die Intensität, mit der das Aufgabenfeld „Übergangsmanagement“ bearbeitet werden muss, wahrscheinlich in den Kindergärten stärker ausgeprägt, zumal die Bildungsleitlinien hierzu mehr oder weniger konkrete Anforderungen formulieren. Ein Kernproblem liegt jedoch in den Ressourcen; insbesondere unzureichende mittelbare Arbeitszeiten11 (Verfügungszeiten) sind hinderlich für die Weiterentwicklung der Bildungsarbeit. Auch dies ist nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die unterschiedlichen Handlungsfelder in der frühkindlichen Bildung mehr Zeit als früher für „mittelbare“ Arbeitszeiten bindet – sei es auf dem Gebiet der Kooperation, bei der Vor- und Nachbereitung von Bildungsprojekten oder bei der Beobachtung und Dokumentation von Bildungsverläufen. Ein Schlüssel für die Weiterentwicklung der Bildungsarbeit im Elementarbereich liegt somit vor allem in der gezielten Berücksichtigung von „mittelbaren“ Arbeitszeiten – sowohl in der Gesetzgebung und finanziellen Förderung als auch in der internen Organisation und Dienstplangestaltung. Im Schulbereich sind zwar derartige „mittelbare Arbeitszeiten“ in weitaus stärkerem Maße im Stundenkontingent der Lehrerinnen und Lehrer berücksichtigt. Hier liegt der Engpass eher bei der Ausstattung der Leitungsfunktion. So wird aktuell in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ auf ein deutliches Missverhältnis zwischen der Entlastung von Grundschul-Rektorinnen und -Rektoren von Unterrichtsverpflichtungen einerseits und ihr wachsendes Aufgabenspektrum andererseits hingewiesen: „28 Stunden sollen Lehrer an Grundschulen in NRW unterrichten, der Rektor wird bei einer 200 Schüler zählenden Schule für 8 bis 10 Stunden freigestellt, um alle anfallenden Verwaltungs- und Leitungsaufgaben zu erledigen.“ (Schenk 2009) Gerade wenn es um die Initiierung von Kooperationen geht, sind jedoch in aller Regel die Leitungskräfte gefragt. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Grundschulen in einigen Fällen auch zurückhaltend auf Kooperationsanforderungen reagieren. Das Beispiel der Ressourcenprobleme in beiden Einrichtungen zeigt deutlich, dass die Förderung einer intensiven Kooperation nicht ausschließlich darin bestehen kann, Gesetzestexte zu ändern oder Leitlinien zu formulieren, um den 11
Die Expertise von Viernickel und Schwarz ergab, dass bei der Berechnung der Personalschlüssel in den Ländergesetzgebungen mittelbare Arbeitszeiten nur selten zusätzlich ausgewiesen werden (vgl. Der Paritätische u.a. 2009, S. 2).
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Übergang für die Kinder möglichst niederschwellig zu gestalten. Gemeinsame Aktivitäten, der Aufbau und Erhalt von Netzwerken sowie der Austausch und die Zusammenarbeit der Fachkräfte müssen geplant und organisiert werden. Zudem muss sich eine Kooperation auf Augenhöhe stetig entwickeln, indem die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Einrichtungen sich einander annähern, die gegenseitigen Kompetenzen zu schätzen lernen und dadurch zusammenwachsen. Dies alles benötigt einen nicht zu unterschätzenden zeitlichen Arbeitsanteil, der in den derzeitigen Diskussionen und Planungen nicht ausreichend Berücksichtigung findet. Wie gezeigt werden konnte, werden viele zusätzliche Kooperationsaufgaben für die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Einrichtungen formuliert, ohne gleichzeitig die dafür benötigten zeitlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Ohne eine entsprechend nachhaltig angelegte Ausweitung der mittelbaren Arbeitszeiten und der Zeitkontingente für Leitungsfunktionen können diese Aufgaben nicht zufrieden stellend erfüllt werden. Vielmehr ist zu vermuten, dass der Kooperationsauftrag von den Fachkräften (auch) als zusätzliche Belastungen empfunden und aus diesem Grund nicht als ausschließlich positive Aufgabe verinnerlicht wird. Die Herstellung eines angemessenen Verhältnisses von mittelbaren Arbeitszeiten und Anforderungen empfehlen auch Susanne Viernickel und Stefanie Schwarz. In ihrer Studie bilanzieren sie, dass bisher in den Bundesländern nur vereinzelt Bemühungen erkennbar sind, die Anforderungen aus den rechtlichen Ausführungen mit den zur Verfügung stehenden strukturellen Ressourcen in Relation zu setzen. Sie empfehlen eine Überprüfung der Angemessenheit der strukturellen Rahmenbedingungen im Verhältnis zu den Anforderungen in den Bildungsprogrammen in allen Bundesländern vorzunehmen und auf der Grundlage der Ergebnisse sowie eines bundesweiten Konsensprozesses angemessene Zeitkontingente für die mittelbare pädagogische Arbeit zu vereinbaren und in den Ländergesetzen festzuschreiben (vgl. Der Paritätische u.a. 2009, S. 47). Die hier vorgestellten Modellprojekte wären, ohne die Möglichkeit einer zusätzlichen Förderphase, kaum in der Lage gewesen, die exzellenten Ideen und Herangehensweisen zur Gestaltung eines niederschwelligen Übergangs auf den Weg zu bringen. Sie waren und sind allesamt bemüht, die Transferfähigkeit und Transparenz für die konkrete Ausgestaltung einer gelingenden Kooperation in diesen Prozessen zu gewährleisten. Konzepte zum Übergang und zur Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule existieren demnach durchaus und warten quasi nur darauf, übernommen und angewandt zu werden. Doch tritt in diesem Zusammenhang, neben den zeitlichen Ressourcenproblemen der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, noch ein weiteres Problem in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Auch die Koordinierung und Organisation solcher Ansätze muss gewährleistet werden. Selbst dann, wenn 100
geeignete Rahmenbedingungen zur curricularen und institutionellen Verknüpfung vorliegen, kann und muss dies letztlich „vor Ort“ geschehen. Daher liegt es nahe, an dieser Stelle den Anspruch zu formulieren, dass insbesondere die Kommune stärker Verantwortung übernehmen und die Aktivitäten der einzelnen Institutionen anregen, koordinieren und unterstützen sollte. Dabei besteht ihre Aufgabe darin, die soziale Infrastruktur dahingehend zu formen, dass die Anforderungen für gelingende Übergänge einerseits flächendeckend und andererseits nachhaltig bereitgestellt werden. Diese Herausforderung ist besonders an der ersten „Schwelle“ im Bildungssystem – am Übergang von der Kindertageseinrichtung zur Grundschule – besonders wichtig, betrifft jedoch auch alle weiteren Übergänge im Bildungsverlauf eines Kindes oder Erwachsenen. Zusammenfassend würde dies bedeuten, dass die kommunalen Aufgaben im Bereich der Koordinierung des Zusammenwirkens aller Beteiligten und der Steuerung im Sinne der positiven Gestaltung des Übergangsprozesses sowie der Schaffung einer Systematisierung von Kooperation und Vernetzung vor Ort liegen. Auf diese Weise kann die Basis für eine flächendeckende Realisierung von Kooperationsleistungen für die Übergangsgestaltung gebildet werden. Dabei stellen diese Aufträge durchaus eine große Herausforderung dar, die schwer ohne eine festgelegte Struktur erfüllbar ist. Aus diesem Grund wurde die Frage nach der Ausgestaltung der regionalen Verantwortung im Rahmen des Projektes „Übergangsmanagement“ der Lernenden Regionen aufgegriffen. Hier liegt die Bedeutung des Referenzmodells, das in Teil I dieses Bandes dargestellt wird. Es stellt Lösungsmöglichkeiten zur Strukturierung eines regionalen Übergangsmanagements der verschiedenen Bildungsbereiche dar und soll helfen, die Kommune in der Wahrnehmung ihrer Managementaufgaben dadurch zu unterstützen, dass der angestrebten regionalen Koordinierung eine Struktur gegeben wird. In dem Beitrag „Qualitätsmanagement im Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule. Ein Instrumentarium“ in diesem Buch wird näher auf die Bedeutung des Referenzmodells für diesen Übergangsbereich und auf ein operatives Instrument zur Umsetzung eingegangen.
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Kindergarten und Grundschule: Zum Management sektoraler Politikverflechtung Sybille Stöbe-Blossey Dem Übergang Kindergarten – Grundschule wird in der Debatte um lebenslanges Lernen im Allgemeinen und um die Entwicklung eines entsprechend unterstützenden Übergangsmanagements im Besonderen eine wachsende Bedeutung beigemessen, weil davon ausgegangen wird, dass dieser in der Biographie erste Übergang zwischen zwei Bildungsinstitutionen weitere Lernprozesse entscheidend beeinflusst. Dabei geht es nicht nur um den Übergang im engeren Sinne, also um den punktuellen Prozess der „Einschulung“, sondern darüber hinaus insgesamt um die Bildungskonzepte, die den Bildungsprozess eines Kindes bis zum Alter von etwa zehn Jahren strukturieren. Den Projekten zum Übergangsmanagement in den „Lernenden Regionen“ lag – explizit oder implizit – der Anspruch zugrunde, ein regionales Übergangsmanagement in diesem umfassenden Sinne zu installieren und durch eine übergangsbezogene Bildungssteuerung kontinuierliche Bildungsbiographien zu fördern. Wenn nun das regionale Übergangsmanagement auf die Unterstützung von Individuen bei (bildungs-) biographischen Übergängen abzielt, muss es die Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Institutionen in den Blick nehmen, denn biographische Übergänge sind in der Regel mit institutionellen Übergängen verknüpft. Schon allein deshalb kann Übergangsmanagement per definitionem nicht die Aufgabe einer einzelnen Institution sein, sondern erfordert Beiträge unterschiedlicher Akteure. Im Übergangsbereich Kindergarten – Schule betrifft dies vor allem die Institutionen „Schule“ und „Kindergarten“, aber auch die damit verbundenen politisch-administrativen Akteure, die Träger der Institutionen und verschiedene Einrichtungen der soziokulturellen Infrastruktur (beispielsweise auf dem Gebiet der Familienbildung und -beratung). Soll ein systematisches Übergangsmanagement eingeführt und nachhaltig abgesichert werden, müssen die potenziell beteiligten Akteure gemeinsame Aktivitäten entwickeln und umsetzen und ihr Handeln aufeinander abstimmen. Mit dem Referenzmodell zum regionalen Übergangsmanagement wurden diese Anforderungen aufgegriffen und die Verbindung von Bedarfsanalyse, regionaler Institutionalisierung, Bildungsmarketing und Qualitätssicherung als strategische Orientierung formuliert (vgl. den diesbezüglichen Beitrag in Teil I dieses Bandes). Betrachtet man diese vier Säulen, so wird einmal mehr deutlich, dass es sich bei der Entwicklung und Absicherung eines systematischen Über-
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gangsmanagements um eine komplexe Aufgabe handelt. Die Operationalisierung des Referenzmodells erfordert zunächst eine Analyse der Governance-Strukturen in den Politikfeldern, die für den jeweiligen Übergangsbereich eine Rolle spielen, denn diese Strukturen sind von entscheidender Bedeutung für die Möglichkeiten der Implementierung konkreter Maßnahmen. Aus diesem Grunde erfolgt nachstehend eine Auseinandersetzung mit den für den Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule relevanten GovernanceStrukturen (1). Dabei wird deutlich, dass ein Kernproblem in diesem Bereich darin besteht, dass die beiden zentralen Institutionen unterschiedlichen Politikfeldern zuzuordnen sind. Vor diesem Hintergrund werden Fragen sektoraler Politikverflechtung thematisiert (2) und auf dieser Grundlage Ansätze zur Förderung der Verknüpfung von Politikfeldern abgeleitet und diskutiert. Dabei geht es um die Potenziale von Netzwerken (3), die Funktion der Kommune (4) und mögliche Instrumente für eine politikfeldübergreifende Koordinierung (5).
1
Politikfeldbezogene Governance-Strukturen als Analyseansatz
Wenn es darum geht, die für den Übergang Kindergarten – Grundschule relevanten Governance-Strukturen zu analysieren, ist zunächst eine Klärung des Begriffs und seiner Verwendung notwendig. Der Governance-Begriff (vgl. Benz 2004) beschreibt
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zunächst in der Ökonomie Steuerungs- und Koordinationsstrukturen in und zwischen Unternehmen zwecks Verringerung der Transaktionskosten und beinhaltet somit eine Abgrenzung gegenüber einem Steuerungsverständnis, das ausschließlich den Markt einbezieht, in der Politikwissenschaft eine institutionelle Struktur, die Elemente von Markt, Hierarchie, Netzwerken und Gemeinschaften enthalten kann, und somit die Abkehr von einem ausschließlich staatszentrierten Steuerungsverständnis, die Realität des komplexen Regierens und kollektiven Handelns in Gesellschaften, in denen sich die Grenzen des Staates gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber der internationalen Umwelt längst aufgelöst haben, das Management von Interdependenzen im Sinne der Steuerung und Koordination interdependenter Handlungen.
Teilweise wird der Governance-Begriff normativ verwendet, bspw. als Gegenkonzept zum „Managerialismus“ des New Public Management (vgl. bspw. Jann/Wegrich 2004) oder als Synonym für nicht-hierarchische Steuerungsarrangements und eine Aufwertung sowohl der Zivilgesellschaft als auch der lokalen Ebene (vgl. bspw. Schwalb/Walk 2007). Dieser normativ geprägten Verwendung des Governance-Begriffs wird hier nicht gefolgt.12 Das Erkenntnisinteresse einer Governance-Analyse im Hinblick auf den Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule richtet sich auf die Beschreibung der Akteurskonstellationen, ihrer Koordinationsmechanismen und ihrer Leistungen. Governance-Strukturen stellen sich in unterschiedlichen Politikfeldern unterschiedlich dar, so dass das Erkenntnisinteresse letztlich im Kontext einer Politikfeldanalyse zu sehen ist. Ein Politikfeld konstituiert sich durch die Existenz von „besonderen (von anderen) abgrenzbaren (öffentlichen) Aufgaben und eine (gegenüber nicht dazugehörenden) politisch-administrativen und sonstigen Akteuren größere Kommunikationsdichte der Entscheidungsträger“ (Grunow 2003, S. 23). Legt man diese Definition zugrunde, so wird deutlich, dass ein Politikfeld „Bildungspolitik“ in Deutschland nicht existiert; die Elementar-, Schul-, Berufs-, Hochschul- und Weiterbildung sind von jeweils höchst unterschiedlichen Aufgabendefinitionen und gesetzlichen Grundlagen und höchst unterschiedlichen Akteurskonstellationen geprägt. Daher ist zwar mit der Forderung, den Übergang Kindergarten – Grundschule so zu gestalten, dass eine gute Grundlage für lebenslanges Lernen gelegt wird, zweifellos eine bildungspolitische Fragestellung angesprochen. Jedoch wird diese Fragestellung nicht etwa in einem Politikfeld „Bildungspolitik“ angesiedelt und bearbeitet. Die Elementarbildung – zentral verankert in der Institution „Kindergarten“ – und die Primarbildung in der Grundschule sind in Deutschland in zwei höchst unterschiedliche Politikfelder eingebunden, nämlich einerseits in die Jugendhilfe, andererseits in die Schulpolitik. Die Governance-Strukturen unterscheiden sich in diesen beiden Feldern erheblich voneinander. Übersicht 1 gibt einen Überblick über Akteure und Strukturen in beiden Politikfeldern.
12
Auch im „Handbuch Governance“ (Benz u.a. 2007a) wird für einen analytischen Gebrauch des Begriffs plädiert und dieses Begriffsverständnis von einem normativen Gebrauch (Governance als Modell „guten Regierens“) und einem darauf basierenden praktischen Konzept der „Regierungstechnik“ abgegrenzt (Benz u.a. 2007b, S. 14 f.).
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Übersicht 1:
Strukturen und Akteure in der Elementarbildung und der Primarbildung
Ebene
Elementarbildung
Primarbildung
Bund
Rahmengesetz (Kinderund Jugendhilfegesetz; KJHG)
keine Bundeskompetenzen
Länderkoordinierung
punktuelle Jugendministerkonferenzen (Austausch / Diskussion)
Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK): Empfehlungen mit vielfach hoher faktischer Bindungswirkung (bspw. Bildungsstandards)
Land
Ausführungsgesetze zum KJHG (Standards und Förderung von Kindertageseinrichtungen);
Schulpolitik als Kenkompetenz; Regelung von Schulstruktur, Unterrichtsinhalten, Personal, Schulaufsicht (so genannte „innere Schulangelegenheiten“);
Tendenzen: Pauschalierung der Förderung; Einführung von Bildungsleitlinien (mit unterschiedlicher Verbindlichkeit), Ansätze zur (meistens freiwilligen) Evaluierung
Kommune
Doppelrolle: a) Steuerungsverantwortung (örtlicher Träger der Jugendhilfe mit Verantwortung für die Gestaltung der Infrastruktur; Jugendhilfeplanung)
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Tendenzen: Schulautonomie, Einführung von verpflichtenden externen Evaluationen („Schulinspektion“), zentrale Prüfungen (Mechanismen prozeduraler Steuerung)
Schulträger; Zuständigkeit für Gebäude, Verwaltungspersonal usw. (so genannte „äußere Schulangelegenheiten“);
b) Träger von Kindertageseinrichtungen (Leistungserbringer)
Tendenz: aktivgestaltende Funktion; Entwicklung „lokaler Bildungslandschaften“
Institution
Kindertageseinrichtung in kommunaler oder freigemeinnütziger Trägerschaft (Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Vereine), selten in gewerblicher Trägerschaft; je nach Träger unterschiedliche Kompetenz der Einrichtung für Managementfunktionen
Schule (nichtrechtsfähige Anstalten des Schulträgers); verstärkt Übertragung von Managementfunktionen an die einzelne Schule
Wohlfahrtsverbände
Doppelrolle:
Partielle Dienstleistungen für Schulen (bspw. im Rahmen von Ganztagsangeboten)
a) Mitwirkung an der Steuerung (Mitgliedschaft in den Jugendhilfeausschüssen) b) Leistungserbringer (Träger von Einrichtungen) Qualifikation der Beschäftigten
hauptsächlich Erzieher/innen
hauptsächlich Lehrer/innen
Steuerungsmodell
subsidiär-korporatistisch
etatistisch-bürokratisch (Tendenz: prozeduralbürokratisch)
Es zeigt sich, dass das Schulsystem von hierarchischer Steuerung geprägt ist: „Der bislang vorherrschende Begriff der Steuerung im Bildungsbereich ist beinahe ausschließlich an den singulären und kompakten Staat geknüpft.“ (Kussau/Brüsemeister 2007, S. 24) Vor diesem Hintergrund ist die GovernancePerspektive von besonderem Interesse, denn sie begründet „eine Blickverände-
109
rung auf die Ko-Produktion von Leistungen“ und auf „politisch-administrative, pädagogische und zivilgesellschaftliche Beiträge“ (ebd.), auf die Bedeutung von Akteurskonstellationen und auf unterschiedliche Mechanismen der Handlungskoordination. In den letzten Jahren wurden verstärkt Mechanismen prozeduraler Steuerung eingeführt. Einerseits wird die Autonomie der einzelnen Schule erhöht, was über eine erweiterte Wahrnehmung von Eigenverantwortung zu erhöhter Qualität führen soll. Andererseits werden über die Einführung von Schulinspektionen, Bildungsstandards und zentralen Prüfungen die Pflicht zur Rechenschaftslegung und die Verantwortung für die erzielten Ergebnisse gestärkt. (vgl. bspw. Böttcher u.a. 2006; Böttcher/Kotthoff 2007; Döbert/Dedering 2008; Rürup 2007) Im Politikfeld Jugendhilfe gibt es hingegen mit der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips eine starke zivilgesellschaftliche, vor allem aber korporatistische Tradition. Der staatliche Steuerungsanspruch in diesem Bereich beschränkte sich lange weitgehend auf die Festlegung von Mindeststandards zur Vermeidung von Kindeswohlgefährdung in Kindertageseinrichtungen und auf die finanzielle Förderung der Einrichtungen nach bestimmten Richtlinien. Dass hier inzwischen über eine Steuerung unter bildungspolitischen Gesichtspunkten, über Bildungsleitlinien und über Evaluation diskutiert wird, stellt in Deutschland eine neue Entwicklung dar. Das Subsidiaritätsprinzip, die damit verbundene Mitwirkung der Verbände an der Steuerung und die Betonung der Trägerautonomie setzen staatlichen (und kommunalen) Steuerungsansprüchen nach wie vor enge Grenzen. So ist es sicher kein Zufall, dass im Hinblick auf Kindertageseinrichtungen zwar seit langem intensiv über Qualitätsmanagement diskutiert wird und zahlreiche Einzelinitiativen zu verzeichnen sind (vgl. Esch u.a. 2006), eine öffentliche Qualitätspolitik (Altgeld/Stöbe-Blossey 2009) jedoch fehlt, während im Schulbereich innerhalb von kürzester Zeit – zwischen 2004 und 2007 – in allen Bundesländern Verfahren der Fremdevaluation in Schulen eingeführt wurden (Döbert u.a. 2008). Deutliche Unterschiede gibt es zwischen beiden Feldern schließlich im Hinblick auf die Rolle der Kommune. In der Jugendhilfe zählt die Infrastrukturverantwortung traditionell zu den Kernbereichen kommunaler Selbstverwaltung, und die Kommune kann darüber hinaus über die Trägerschaft von Einrichtungen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Leistungen nehmen. Im Schulbereich hingegen sind die Kommunen formal zunächst nur für die „äußeren“ Schulangelegenheiten zuständig (Ausstattung von Schulen, Sachkosten, Verwaltungspersonal). Inzwischen ist allerdings ein Trend zu verzeichnen, dass Kommunen sich in zunehmendem Maße als Gestalter lokaler bzw. regionaler Bildungslandschaften verstehen. Trotz der Landeszuständigkeit können Kommunen hier umfassende Initiativen entfalten, denn nach dem Grundgesetz können sie 110
„alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung regeln“ (Art. 28 II GG). In der Praxis beziehen sich die Initiativen bspw. auf die Erstellung kommunaler Bildungsberichte, die Einrichtung von Bildungskonferenzen, den Aufbau von Bildungsbüros als kommunale Dienststellen mit Querschnittsaufgaben und die Initiierung von kooperativen Qualitätsentwicklungsprozessen für und mit Schulen. Der Deutsche Städtetag hat im November 2007 die „Aachener Erklärung“ verabschiedet, in der es heißt: „Die Städte sollten Bildung als zentrales Feld der Daseinsvorsorge noch stärker erkennen und ihre Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Leitbild des Engagements der Städte ist die kommunale Bildungslandschaft im Sinne eines vernetzten Systems von Erziehung, Bildung und Betreuung.“13 Mit dieser Formulierung wird nicht nur die Forderung nach kommunaler Gestaltung, sondern gleichzeitig nach einer Verknüpfung getrennter Politikfelder im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung von Erziehung, Bildung und Betreuung erhoben. Dieser Aspekt der Verknüpfung ist im Kontext des Übergangs Kindergarten – Grundschule von zentraler Bedeutung. Insofern soll im Folgenden der Frage nach den Mechanismen einer derartigen Verknüpfung nachgegangen werden. Dazu wird die politikwissenschaftliche Debatte zur Politikverflechtung aufgegriffen, die hierzu Erkenntnisse liefert.
2
Sektorale Politikverflechtung – Probleme und Potenziale
Politikfeldzuschnitte – dies zeigt sich am Beispiel des Übergangs Kindergarten – Grundschule – können zu einem Kernproblem der Politikgestaltung und PolitikImplementation werden, wenn Abgrenzungen zwischen den Akteuren, Ressortegoismen und unterschiedliche Steuerungslogiken nicht nur die Konsensfindung, sondern bereits die Kommunikation über mögliche Lösungen behindern. Bereits in den Neunzigerjahren wurde in der politikwissenschaftlichen Debatte zur Entwicklung der Policy-Forschung darauf hingewiesen, dass die Art und die Intensität der Verflechtungen zwischen Politikbereichen Einfluss darauf hat, „ob ein Problem thematisiert wird und welche Lösungsalternativen dafür zur Verfügung stehen“ (Grande/Schneider 1991, S. 461) und dass Verflechtungen daher einer größeren Beachtung bedürfen (Héritier 1993; zusammenfassend Bönker 2008, S. 313). Während es eine breite Auseinandersetzung mit Problemen vertikaler Politikverflechtung gibt, welche insbesondere im Hinblick auf den (deutschen) Föderalismus und das europäische Mehrebenen-System analysiert wird, bezeichnet Frank Bönker die sektorale Dimension, also die Interdependenzen zwischen 13
http://www.staedtetag.de/imperia/md/content/pressedien/2007/17.pdf
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Politikfeldern, als vernachlässigte Dimension der Politikverflechtung. Zwar habe es vor allem in der Planungsdebatte in den frühen Siebzigerjahren Ansätze zur Analyse von Koordinationsmechanismen innerhalb und zwischen Ministerien gegeben (Scharpf 1972; Mayntz/Scharpf 1975), jedoch seien diese Arbeiten nie zu einer „umfassenden Analyse der Verflechtung von Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen in verschiedenen Politikfeldern weiterentwickelt worden“ (Bönker 2008, S. 313). Bei der Analyse der Koordinationsmechanismen zwischen Ministerien wurde vor allem zwischen negativer und positiver Koordination unterschieden. Erstere betrifft die Berücksichtigung potenzieller Einwände anderer Akteure, Letztere die „simultane Problemverarbeitung für übergreifende Zusammenhänge“ (Scharpf 1972, S. 86). Die Potenziale positiver Koordination umschreibt Frank Bönker folgendermaßen: „Im Idealfall schließen sich also die von einem Problem betroffenen Akteure zusammen, überprüfen den gesamten Möglichkeitsraum und treffen eine den Gesamtnutzen maximierende Entscheidung.“ (Bönker 2008, S. 318) Hier wird deutlich, dass der Begriff der sektoralen Politikverflechtung mit einer normativen Komponente verbunden ist. Während die vertikale Politikverflechtung vorrangig als problematisch im Hinblick auf Entscheidungsblockaden analysiert wurde, ist die sektorale Verflechtung implizit eher positiv konnotiert. In der einschlägigen Debatte geht es nicht nur um die Beschreibung vorfindbarer Verflechtungen, sondern um einen als wünschenswert verstandenen Prozess. Dies bedeutet auch, dass der Begriff der sektoralen Politikverflechtung sowohl analytisch-deskriptiv (im Sinne einer Identifizierung und Beschreibung von Mechanismen sektoraler Verflechtung) als auch normativ (im Sinne von Bestrebungen nach einer inhaltlich als notwendig erachteten stärkeren Integration) verwendet wird. Um eine klare Unterscheidung zu gewährleisten, soll der Begriff der sektoralen Politikverflechtung im Folgenden analytisch-deskriptiv gebraucht werden; wenn es um die normative Perspektive geht, wird dies mit dem Begriff der „sektoralen Integration“ bezeichnet. Frank Bönker (2008, S. 320) stellt fest, dass die angestrebte positive Koordinierung vor allem unter zwei Voraussetzungen erreicht werden kann: Zum einen „dürfte es vor allem dann zu einer expliziten Abstimmung sektoraler Politiken kommen, wenn die betroffenen policy communities sich überlappen“. Diese Überlappung fehlt zum Thema Kindergarten – Grundschule weitgehend. Zum anderen sei eine abgestimmte Entscheidung wahrscheinlicher, wenn die Abstimmungsnotwendigkeiten offensichtlich sind, der Problemdruck groß ist und das Problem eine politikfeldübergreifende Aufmerksamkeit zu erhalten droht. Angesichts der mit dem PISA-Schock ausgelösten hohen öffentlichen Aufmerksamkeit für Bildungspolitik im Allgemeinen und (früh-) kindliche Bildung im 112
Besonderen dürfte damit für eine verbesserte Koordinierung im Bereich Kindergarten – Grundschule ein günstiges Zeitfenster gegeben sein. Da politische „Konjunkturen“ erfahrungsgemäß wechselhaft sind, kommt es umso mehr darauf an, dieses Zeitfenster zu nutzen. Frank Bönker (2008, S. 317) beschreibt schließlich die sektorale Politikverflechtung in drei Dimensionen, was sich für die nähere Analyse der Ausgangsbedingungen im Bereich Kindergarten – Grundschule nutzen lässt:
Politics-Dimension: Die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse verschiedener Politikfelder hängen zusammen. Solche gemeinsamen Prozesse ermöglichen nicht nur die Abstimmung, sondern auch das wechselseitige Lernen zwischen Politikfeldern, das Bönker als wichtigen Mechanismus sektoraler Integration identifiziert (ebd., S. 321). Ein solcher Zusammenhang fehlt im Bereich Kindergarten – Grundschule, wie der Überblick über die Governance-Strukturen gezeigt hat. Die Frage nach der Verknüpfung solcher Prozesse dürfe somit von entscheidender Bedeutung sein. Entsprechende Strukturen lassen sich am ehesten auf kommunaler Ebene vorfinden, wo zu vielen Themenbereichen Runde Tische eingerichtet und Kooperationsprojekte initiiert werden. Polity-Dimension: Eine Organisation ist in verschiedenen Politikfeldern tätig, wenn auch oft mit fachlich spezialisierten, einem Politikfeld zugeordneten Untereinheiten. Bezogen auf das Thema Kindergarten – Grundschule trifft diese Beschreibung am ehesten auf die Kommune zu; ansonsten ist keine Verflechtung auf der Polity-Ebene vorzufinden. Die kommunale Ebene dürfte somit für Integrationspotenziale sowohl in der Politics- als auch in der Politiy-Dimension von Bedeutung sein. Policy-Dimension: Zwischen Politikfeldern bestehen funktionale Interdependenzen, das heißt, die in einem Politikfeld getroffenen Maßnahmen haben Konsequenzen für das andere. Zweifellos hat die Gestaltung der Bildungsarbeit im Kindergarten Auswirkungen auf das Politikfeld Schule, denn sie beeinflusst die Voraussetzungen, mit denen Kinder in die Schule kommen. Umgekehrt werden im Politikfeld Schule – unter dem Stichwort „Schulfähigkeit“ – Anforderungen an die Arbeit im Elementarbereich formuliert. Negative Koordination zwischen den policies könnte hier beispielsweise bedeuten, dass Schule auf die Formulierung derartiger Anforderungen verzichtet. Dies hieße aber auch, dass die Ressourcen, die die Kinder aus der Kindergartenzeit mitbringen, nicht systematisch berücksichtigt werden könnten. Insofern zeigt sich schon an diesem Beispiel, dass im Sinne einer kontinuierlichen Bildungsbiographie eine positive Koordinierung eigentlich unverzichtbar ist.
113
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die sektorale Integration der Politikfelder „Jugendhilfe“ und „Schule“ auf den verschiedenen Ebenen gefördert werden kann. Der Blick auf die Politics-Dimension legt die Konsequenz nahe, Foren für gemeinsame Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und für gemeinsames Lernen zu schaffen; es geht also um die Bildung von Netzwerken. Wenn die Kommune die einzige übergreifende Institution auf der PolityEbene ist, stellt sich die Frage, wie sie Strukturen für eine möglichst effektive Wahrnehmung der Funktion sektoraler Integration schaffen kann. Im Hinblick auf die Policy-Ebene schließlich ist zu überlegen, wie vor dem Hintergrund unterschiedlicher Politikfelder ein Instrumentarium für eine gemeinsame Policy aussehen kann. Diese drei Fragen bilden den Hintergrund für die Themen der folgenden Abschnitte.
3
Netzwerke – Potenziale und Grenzen
Die Vernetzung regionaler Akteure stellt ein zentrales Element des Gesamtprogramms „Lernende Regionen“ dar. Letztlich ist es der Grundgedanke des Programms, über die Förderung von Netzwerken die Bedingungen für lebenslanges Lernen zu verbessern (BMBF 2008). Damit ordnet sich die bildungspolitische Strategie in eine Entwicklung ein, die auch in anderen Politikfeldern zu beobachten ist und die sich – etwas plakativ – folgendermaßen zusammenfassen lässt: „Netzwerke haben Konjunktur.“ Die bildungspolitische Debatte zum lebenslangen Lernen knüpft dabei vor allem an die sozialpolitische Diskussion an. Hier wurde in den letzten Jahren verstärkt auf die Komplexität und Interdependenz von Problemen hingewiesen (Schridde 2005). Jede einzelne Institution jedoch verfügt nur über eine begrenzte Problemwahrnehmung und ein durch formale Zuständigkeiten eingeschränktes Spektrum an Handlungsoptionen (Goos-Wille 2005); die Kommunikation zwischen den verschiedenen Produzenten der Dienstleistungen ist unzureichend – etwa zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, zwischen sozialem und Gesundheitssektor, zwischen Schule und Jugendhilfe, zwischen allgemeinen sozialen Diensten und Spezialdiensten (vgl. Dewe/Wohlfahrt 1991, S. 20f. mit weiteren Verweisen). Vernetzung soll nun zur Entwicklung von Lösungsansätzen für komplexe Probleme beitragen, die von einzelnen Institutionen nicht bewältigt werden können. Gerade wenn man Bildungspolitik nicht auf die Vermittlung einzelner Formalqualifikationen beschränkt, sondern umfassend als Förderung lebenslangen Lernens begreift, lässt sich diese Analyse übertragen. Umso mehr gilt dies für eine Perspektive, die Übergänge in den Mittelpunkt stellt und damit per se unterschiedliche Institutionen ins Blickfeld nimmt. Die zentrale 114
Bedeutung von Netzwerken im Kontext sektoraler Politikverflechtung wurde im letzten Abschnitt angesprochen. Angesichts der vielfältigen Funktionen, die der Vernetzung zugeschrieben werden, verwundert es nicht, dass Netzwerke, Kooperationsgremien, „runde Tische“, Stadtteil- und Regionalkonferenzen in den letzten Jahren geradezu wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. In nicht wenigen Fällen bleibt aber der Erfolg der Netzwerke weit hinter den Erwartungen zurück. Manchmal scheitert schon der Versuch des Aufbaus von Kooperation an Berührungsängsten zwischen verschiedenen Gruppen; manchmal gehen Kooperationsstrukturen nicht über unverbindliche Besprechungen hinaus oder erweisen sich als außer Stande, entstehende Konflikte zu lösen; in manchen Fällen dominieren Verteilungsfragen so stark, dass eine gemeinsame Bearbeitung von Sachfragen nicht mehr möglich ist; viele Beteiligte sind nicht zu einer ergebnisorientierten Durchführung von Sitzungen in der Lage, was die Unklarheit (oder das völlige Fehlen) von Vereinbarungen oder die Dominanz von persönlichen Konflikten zur Folge hat – in der Literatur ist die Rede von einem vielfach anzutreffenden „Kooperationsdilettantismus“ (Langnickel 1997, S. 8). Zu beachten ist weiterhin, dass Individuen, die in einem Netzwerk mitarbeiten, ihre Aktivitäten und Entscheidungen mit der eigenen Organisation rückkoppeln müssen; ihre Loyalität gilt eher der „Herkunftsorganisation“ als dem Netzwerk; zwischen der Arbeit im Netzwerk und in der eigenen Organisation können Spannungsfelder entstehen (v. Santen/Seckinger 2003, S. 427f.). Darüber hinaus können Ergebnisse der Netzwerkarbeit nur dann nachhaltig implementiert werden, wenn sie in den einzelnen Institutionen aufgegriffen und umgesetzt werden. Möglichkeiten zur Verbesserung der Effektivität und Effizienz von Netzwerkarbeit setzen – mit unterschiedlicher Gewichtung – an verschiedenen Aspekten der Kooperationsproblematik an (vgl. dazu auch v. Santen/Seckinger 2003, S. 424). Zur Überwindung des „Kooperationsdilettantismus“ wird in manchen Projekten die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen diskutiert und erprobt (vgl. Landesinstitut für Qualifizierung NRW 2003) – dies beginnt bei einfachen, eher „technischen“ Hilfestellungen zur effizienten Vorbereitung, Leitung und Moderation von Sitzungen und zur Ergebnissicherung. In anderen Zusammenhängen wird auf „systemisches Lernen“ (Willke 2001) oder „Aktionslernen“ verwiesen: Nicht Weiterbildungskurse werden als erfolgversprechend angesehen, sondern die Reflexion und Weiterentwicklung von Erfahrungen im Kooperationsprozess (Schridde 2005). Und nur im Laufe eines solchen Prozesses kann sich – auf der Basis positiver Erfahrungen – Vertrauen aufbauen, das wiederum eine Basis für die Weiterentwicklung der Kooperation ist. Es gibt Instrumente, die eine solche Vertrauensbildung befördern können. Dazu gehört die Vereinbarung gemeinsamer Ziele. Wenn gemeinsame Konzepte,
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Normen und Vorstellungen bestehen, gibt es einen Orientierungsrahmen, der eine lösungsorientierte Diskussion erleichtert. Als Grundlage dafür wiederum sind eine intensive (und ggf. wissenschaftlich unterstützte) Analyse des Problems und eine Verständigung über Positionen und Argumente für eine Lösung des Problems entscheidend (Scharpf 2000, S. 269f.). Insofern lohnt es sich durchaus, zu Beginn der Arbeit eines Netzwerkes Zeit darauf zu verwenden, einen solchen Rahmen zu entwickeln, der für die Beteiligten handlungsleitend werden kann. Dabei ist es hilfreich, wenn auf fundierte inhaltliche Vorgaben zurück gegriffen werden kann. Politics-Prozesse in Netzwerken sind somit nicht nur eine Voraussetzung für die Entwicklung gemeinsamer Policy, sondern es besteht eine Wechselwirkung: Ein Konsens über die Ziele einer (anzustrebenden) Policy erleichtert die konstruktive Gestaltung auf der Politics-Ebene. Schließlich zeigen Erfahrungen, dass Netzwerke langfristig in den seltensten Fällen als „Selbstläufer“ funktionieren – je komplexer die Aufgabe und je größer die Anzahl der beteiligten Akteure, desto weniger. Dabei geht es zum einen um die organisatorische Seite, also etwa die Sicherstellung der Sitzungsorganisation oder die Dokumentation von Beschlüssen. Wenn eine Projektförderung zur Verfügung steht, werden solche Funktionen oft durch externe Moderatoren übernommen; spätestens nach Projektende ist aber eine Überführung der Zuständigkeiten in Regelstrukturen erforderlich. Zum anderen muss jemand in der Lage sein, dass Netzwerk zusammenzuhalten und für ein gewisses Maß an Verbindlichkeit von Strukturen und Entscheidungen zu stehen. In vielen Fällen ist es die Kommune, die für eine solche Funktion der Koordinierung und Steuerung prädestiniert ist. Erstens ist die Kommune ein anerkannter Akteur, dessen Verantwortung für die Gestaltung der lokalen Lebensverhältnisse niemand bestreiten wird. Zweitens laufen in der Kommune die Zuständigkeiten für unterschiedliche Politikfelder zusammen. Dies betrifft nicht nur den Bereich Kindergarten – Grundschule, sondern letztlich alle Bereiche des Übergangsmanagements14, und bezogen auf das Thema Übergang Kindergarten – Grundschule sind nicht nur die beiden im Kern beteiligten Institutionen, sondern auch andere Beteiligte der soziokulturellen Infrastruktur berührt: Im Rahmen der Jugendhilfe haben die Kommunen nicht nur die Zuständigkeiten für die Kindertageseinrichtungen, sondern auch für die außerschulische Betreuung von Schulkindern, für Jugendfreizeitangebote, die Jugendberufshilfe und Einrichtungen der sozialen Infrastruktur (bspw. Beratungsstellen). Sie för14
Je nach Größe der Kommune und je nach landesrechtlichen Regelungen liegen Teile der im Folgenden angesprochenen Zuständigkeiten im Falle von kreisangehörigen Kommunen beim Kreis. Dennoch befassen sich in der Regel auch kleine Kommunen mit diesen Aufgaben, soweit sie ihren Ort betreffen, so dass Unterscheidungen im Detail hier außer Betracht bleiben können.
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dern die Weiterbildung in eigenen Institutionen (Volkshochschulen) und anderen Einrichtungen (bspw. Familienbildungsstätten). Sie betreiben eine kommunale Wirtschaftsförderung und häufig auch eine kommunale Beschäftigungspolitik. Im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften nach SGB II (oder auch als so genannte Optionskommunen in alleiniger Zuständigkeit) tragen sie Verantwortung nicht nur für die Grundsicherung, sondern auch für die Vermittlung von Arbeitsuchenden, die nicht (mehr) im Rechtskreis der Arbeitslosenversicherung betreut werden. Nicht zuletzt sind die Kommunen in die Umsetzung verschiedenster Förderprogramme von Europäischer Union, Bund und Ländern in der Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik eingebunden. Angesichts dessen ist es folgerichtig, dass zum Abschluss des Programms „Lernende Regionen“ eine Vertiefungsphase zum Thema „Kommunale Kooperationen“ durchgeführt wurde. Gerade vor dem Hintergrund der angestrebten Nachhaltigkeit der in den Lernenden Regionen entwickelten Vernetzung ging es hier nicht zuletzt darum, die kommunale Verantwortung für diese Netzwerke zu stärken und innerhalb der Kommune die dafür erforderlichen Strukturen zu etablieren. Umso dringender stellt sich die Frage, wie gut die Kommunen auf diese Funktion vorbereitet sind und welche Strukturen sie benötigen. Hier schließt sich der Kreis zur Polity-Ebene, die im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts steht.
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Zur Funktion der Kommune – Entwicklung und Strukturen
In deutschen Kommunen setzte mit Beginn der Neunzigerjahre eine intensive Reformdiskussion ein. Diese Debatte war geprägt durch eine Anknüpfung an internationale Trends unter dem Stichwort „New Public Management“ und stellte, wesentlich initiiert durch die Kommunale Gemeinschaftsstelle (KGSt), zunächst vor allem die Entwicklung „Neuer Steuerungsmodelle“ in der Kommunalverwaltung in den Mittelpunkt des Interesses (Banner 1991; vgl. auch KGSt 1991, 1992, 1993, 1995): Um die kommunalen Aufgaben stärker dienstleistungsorientiert und auch wirtschaftlicher zu erfüllen, sollten Organisationsstrukturen umgestaltet und zusammenhängende Aufgaben in Fachbereichen zusammengefasst werden. Idealtypisch sollte jeder Fachbereich ein Budget erhalten, das er möglichst weitgehend selbst bewirtschaften kann („dezentrale Ressourcenverantwortung“). Damit einher ging die Umgestaltung von Haushaltsplänen, die die Leistungen der Verwaltung („Produkte“) abbilden und das für ihre Erstellung notwendige Budget enthalten sollten („produktorientierter Haushaltsplan“). Zur Steuerung sollten betriebswirtschaftliche Instrumente (Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling) zum Einsatz kommen. Über Art, Umfang und Qualität der Leistungen sollten Zielvereinbarungen abgeschlossen werden („Kontraktmanagement“). Damit sollte die
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„inputorientierte Steuerung“ über den Einsatz von Ressourcen abgelöst werden durch eine „outputorientierte Steuerung“ über die Definition von Ergebnissen. Die praktische Entwicklung verlief in den einzelnen Kommunen höchst unterschiedlich15; insgesamt lässt sich aber festhalten, dass die Grundideen der neuen Steuerungsmodelle die kommunalen Verwaltungen in vielerlei Hinsicht geprägt haben. In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre begann sich der Blickwinkel zu erweitern: Zum einen wurde nun verstärkt betont, dass der Bürger nicht nur Kunde oder „Konsument“ kommunaler Dienstleistungen sei, sondern eine aktive Rolle bei der Gestaltung und Erbringung dieser Leistungen einnehmen könne und müsse; unter Rückgriff an die in den Siebziger- und Achtzigerjahren geführte Debatte um Bürgernähe der Verwaltung (Grunow 1988, Hegner 1978, Kaufmann 1979) wurde die „Bürgerkommune“ als Weiterentwicklung der „Dienstleistungskommune“ postuliert (Plamper 1998, S. 12 f.). Zum anderen trat die Kooperation der Verwaltung mit Akteuren des intermediären Sektors verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses. Im Rückblick sehen Werner Jann und Kai Wegrich (2004, S. 203 ff.) in der „Dominanz einer auf die internen administrativen Strukturen und Verfahren der Verwaltung konzentrierten Reformstrategie“ (ebd., S. 203) ein entscheidendes Defizit der Debatten um die neuen Steuerungsmodell und betonen die „Verflechtung zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen oder zwischen ‚Kernverwaltung’ und dem sich darum gruppierenden Umfeld staatlicher und halbstaatlicher Organisationen und auch Organisationen des 3. Sektors“ (ebd., S. 204): „Eine Konzentration auf Probleme der Binnensteuerung erscheint vor diesem Hintergrund unzureichend bzw. verfehlt eine zentrale Anforderung an moderne Verwaltung.“ (ebd., S. 204) In der kommunalen Praxis kann die angesprochene „Konjunktur von Netzwerken“ als ein Indikator dafür gewertet werden, dass inzwischen vielfach eine Abkehr von der Konzentration auf Probleme der Binnensteuerung stattgefunden hat. In der wissenschaftlichen Debatte schlägt sich die Reaktion auf diese Kritik darin nieder, dass Verwaltung aus der Perspektive des Governance-Ansatzes betrachtet wird. Auch hier schließt sich der Kreis: Bei der angesprochenen Anforderung nach einer Koordinierung und Steuerung von Netzwerk-Arbeit geht es letztlich um nichts anderes als um das Management von Interdependenzen und 15
Analysen zu Ergebnissen und Wirkungen der Verwaltungsmodernisierung zeigen, dass über 90 % der deutschen Kommunen in den Neunzigerjahren Maßnahmen der Verwaltungsmodernisierung durchgeführt haben, welche sich größtenteils am Leitbild der neuen Steuerungsmodelle orientierten (vgl. Bogumil/Grohs/Kuhlmann 2006; zur Bilanz der neuen Steuerungsmodelle ausführlich Bogumil u.a. 2007a und 2007b sowie Jann u.a. 2004). Allerdings wird im Rückblick auch – zu Recht – konstatiert, dass die Implementation „ebenso allgegenwärtig wie partiell“ (Bogumil/Jann/Nullmeier 2006, S. 13) ist.
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die „Koordination und Steuerung interdependenter Handlungen gesellschaftlicher Akteure“ (Benz 2004, S. 17). Die Arbeit in und mit Netzwerken ist also kein Ersatz für kommunale Koordinierung und Steuerung, sondern ein Instrument für das Management von Interdependenzen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Entwicklung der Debatten um Verwaltungsmodernisierung einige Grundlagen dafür geschaffen hat, dass Kommunen im Bereich des regionalen Übergangsmanagements eine Funktion der Koordinierung und Steuerung wahrnehmen können und wollen. Das Verständnis als Dienstleistungs- und als Bürgerkommune ebenso wie die Überwindung einer rein binnenstrukturell ausgerichteten Steuerungslogik sind als Faktoren zu betrachten, die sich positiv auf die Wahrnehmung dieser Funktion auswirken (können). Dies bedeutet allerdings nicht, dass Binnenstrukturen bedeutungslos geworden wären. Gerade wenn es, wie im Übergangsmanagement, um Querschnittsaufgaben geht, ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Aufgabenbereiche tangiert sind, die in einer Verwaltung arbeitsteilig wahrgenommen werden. Diese Arbeitsteilung einerseits und die für die Bearbeitung von Querschnittsaufgaben erforderliche integrierte Herangehensweise andererseits stellten schon immer ein Problem dar. Die dezentrale Ressourcenverantwortung mit ihrer Aufwertung der Verantwortlichkeit der einzelnen Fachbereiche hat diese Problematik tendenziell verstärkt: „Als eine nicht-intendierte Folge der Modernisierung sind häufig eine zunehmende Fragmentierung von Verantwortungsstrukturen und die Verstärkung von Ressortegoismen zu beobachten.“ (Bogumil u.a. 2008, S. 4f.) Die Voraussetzungen innerhalb einer Kommune zur Wahrnehmung ihrer zentralen Funktion im Kontext sektoraler Integration könnte sich damit zumindest in einigen Fällen auch verschlechtert haben. Die Frage nach Möglichkeiten der Institutionalisierung von Querschnittsaufgaben wird denn auch im Rahmen der Lernenden Regionen in der Vertiefungsphase zum Thema „Kommunale Kooperationen“ aufgeworfen. Jörg Bogumil, Maren Kohrsmeyer und Sascha Gerber (2008, S. 5 ff.) unterscheiden dafür unterschiedliche Möglichkeiten:
integrierte Ämter bzw. Fachbereiche mit einer Bündelung aller Zuständigkeiten für lebenslanges Lernen, Stabs- oder Koordinierungsstellen für lebenslanges Lernen als spezialisierte, ressortunabhängige Einheiten (wie etwa Gleichstellungsbeauftragte), Übertragung der Federführung an ein Ressort, Durchführung von (zeitlich begrenzten) ressortübergreifenden Projekten,
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Koordinationsgremien innerhalb der Verwaltung, Definition von Querschnittsaufgaben.
Für jede der Möglichkeiten werden spezifische Vor- und Nachteile benannt. Festzuhalten bleibt, dass angesichts der Breite und Heterogenität des Aufgabenfeldes die Zusammenführung der Zuständigkeiten in einem Fachbereich faktisch ausscheidet (es sei denn, dieser wäre so groß, dass er intern stark untergliedert sein müsste, was wiederum die angestrebte inhaltliche Integration konterkarieren würde). Für die Aufgabe ressortübergreifender Koordinierung gibt es keinen „Königsweg“ in der Aufbauorganisation; angesichts komplexer Zusammenhänge erfordert jede Organisationsform die Zusammenarbeit von Partnern aus unterschiedlichen Aufgabenbereichen und somit das Management von Schnittstellen. Letztlich ist die Kommune intern ebenso mit der Aufgabe des Managements von Interdependenzen konfrontiert wie bei der Koordinierung und Steuerung von Netzwerken mit externen Partnern – kommunale Governance muss sich nach innen und außen manifestieren. Einige wahrscheinlich zielführende Entwicklungen sind dennoch hervorzuheben. So schließt das Land Nordrhein-Westfalen – unter dem Stichwort „Weiterentwicklung der Schulqualität durch Kooperation“ (Wohlgemuth/Jenessen 2009, S. 115) – mit den Kreisen und Städten Kooperationsverträge über die Entwicklung regionaler Bildungsnetzwerke ab. Dabei werden der Aufbau regionaler Steuerungsinstanzen initiiert und die Personalausstattung von Bildungsbüros durch das Land gefördert. Angestrebt wird eine flächendeckende Umsetzung im gesamten Land (ebd., S. 115). Mit dieser Form der Förderung werden Gestaltungsansätze auf der Politics- und der Polity-Ebene miteinander verbunden, indem die Entwicklung von Netzwerken mit dem Aufbau von Strukturen (Bildungsbüros) verknüpft wird. Bezogen auf die soeben dargestellten Möglichkeiten ressortübergreifender Strukturen wird somit in dem Programm die Organisationsform einer Stabsbzw. Koordinierungsstelle gewählt. Im Vergleich zu der Etablierung von ressortübergreifenden Projekten, Koordinationsgremien und Querschnittsaufgaben (die letztlich an verwaltungsinternen Prozessen ansetzen, aber keine Veränderung auf der Politiy-Ebene mit sich bringen) dürfte diese Lösung den Vorteil haben, dass sie eine Institutionalisierung bedeutet und mit der Bereitstellung von speziell auf Integration ausgerichteten Ressourcen einhergeht. Die Einrichtung einer solchen Stelle signalisiert darüber hinaus eine politische Prioritätensetzung für das jeweilige Thema. Insofern kann vermutet werden, dass in einer solchen Struktur am ehesten Potenziale für eine Stärkung sektoraler Integration liegen. Einige Kommunen nutzen das Programm dazu, in ihrem Bildungsbüro Zuständigkeiten für den Elementarbereich und die Schulen zusammenzuführen und 120
damit die Integration zwischen beiden Bereichen zu stärken. Erleichtert werden derartige Lösungen zweifellos dann, wenn Jugendhilfe und Schule einem Dezernat zugeordnet sind und damit eine gemeinsame Führungsverantwortung besteht. Unabhängig davon wird der Erfolg von Bildungsbüros in den nächsten Jahren nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit es ihnen gelingen wird, eine anerkannte Koordinierungsfunktion zwischen Akteuren innerhalb und außerhalb der Kommunalverwaltung wahrzunehmen. Durch die Verknüpfung von Gestaltungsansätzen auf der Polity- und der Politics-Ebene lassen sich also mit einiger Wahrscheinlichkeit günstige Voraussetzungen für sektorale Integration schaffen. Um diese Potenziale für die Entwicklung integrierter Policy bestmöglich zu nutzen, stellt sich die Frage nach einem Orientierungsrahmen, der sowohl die Kooperationsprozesse strukturiert als auch inhaltliche Leitlinien für Qualitätsstandards bietet. Die Kommune – oder auch speziell die Koordinierungsstelle – benötigt somit Instrumente, mit denen sie die Prozesse zielorientiert gestalten kann – nach innen und nach außen. Unter diesem Gesichtspunkt bietet sich die Nutzung von Konzepten des Qualitätsmanagements an.
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Qualitätsmanagement als Instrument der sektoralen Integration
Mit der Diskussion um die Modernisierung des öffentlichen Sektors ab Anfang der Neunzigerjahre wurde eine Hinwendung von einer Input- zu einer OutputSteuerung betont und anstelle der detaillierten Kontrolle der eingesetzten Ressourcen eine Steuerung über nachweisbare Leistungen und Ergebnisse postuliert. Damit hielten Grundgedanken des Qualitätsmanagements Einzug in öffentliche Dienstleistungen. Verfahren des Qualitätsmanagements sind in der Industrie entstanden. Bei der industriellen Fertigung sorgte zunächst allein die nachträgliche Kontrolle für die Qualität der hergestellten Produkte. Diese wurden grundsätzlich erst nach Fertigstellung geprüft und im Falle von Qualitätsmängeln vor einer Auslieferung an den Kunden aussortiert. Mit dem Ziel, die Ausschussquote zu senken, wurden dann umfassende Qualitätssicherungssysteme entwickelt, die ein vielfältiges Instrumentarium (Qualitätssicherungs-Handbücher) bereitstellten. Durch ihren Einsatz sollten die Voraussetzungen für die Produktion von Qualität im Produktionsprozess systematisch organisiert und sichergestellt werden (Qualitätsfähigkeit). Die DIN EN ISO 9000 ff. ist das wohl bekannteste Normenwerk für derartige Systeme. Sie beinhaltet Forderungen, die betriebliche Qualitätsmanagementsysteme aller Branchen erfüllen müssen. „Qualitätsfähigkeit“ ist hier definiert als
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die „Eignung einer Organisation oder ihrer Elemente (…), die Qualitätsforderung an diese Einheit zu erfüllen“ (DIN 55350-11, 1995-08, Nr. 9). Unternehmen können sich durch das Zertifikat einer unabhängigen und hierfür autorisierten Stelle bestätigen lassen, dass sie ein Qualitätssicherungssystem eingeführt haben und alles zur Erreichung der Qualitätsziele Notwendige tun und dokumentieren. Mit der Anforderung, Qualität nicht nachträglich, sondern im Prozess zu sichern, wurde es möglich, derartige Systeme auf Dienstleistungen zu übertragen. Eine nachträgliche Kontrolle wie bei materiellen Produkten ist bei Dienstleistungen nämlich prinzipiell nicht möglich. Da die Leistung im unmittelbaren Kundenkontakt „hergestellt“ wird, muss sie sofort der geforderten Qualität entsprechen, denn sie ist nicht nachträglich korrigierbar. Aufgrund dieser Eigenschaft von Dienstleistungen kommt hier der Sicherung von Qualitätsfähigkeit eine noch höhere Bedeutung zu, als dies bei der industriellen Produktion der Fall ist. Auch bei den Leistungen des Übergangsmanagements handelt es sich um Dienstleistungen. Angesichts der skizzierten Bedeutung von Prozessinnovation geht es darum, mit Hilfe eines Qualitätsmanagements die Qualitätsfähigkeit der an der Erstellung der Dienstleistung „Übergangsmanagement“ beteiligten Akteure zu sichern. Allerdings würde die Anwendung von Verfahren im Sinne der DIN ISO 9000 ff. hier zu kurz greifen: Übergangsmanagement ist nämlich kein eindeutig definiertes Produkt, über dessen Ausgestaltung allgemeiner Konsens bestehen würde. Dass ein Auto verlässliche Bremsen haben sollte, muss nicht weiter thematisiert werden; für die Qualitätssicherung reicht es aus, Verfahren zu definieren, die dazu führen, dass die Bremsen ordnungsgemäß hergestellt werden. Übergangsmanagement hingegen beinhaltet ein komplexes Dienstleistungsportfolio, das zudem relativ neu ist. Vor diesem Hintergrund reicht die Prozessorientierung, so wichtig sie auch ist, für die kommunale Governance nicht aus. Notwendig ist vielmehr die Verknüpfung mit einer inhaltlichen Orientierung über das, was ein „gutes“ Übergangsmanagement ausmacht. Die Schaffung von Konsens und Orientierung über Policy-Ziele wurde weiter oben als ein zentrales Element zur Förderung der Bildung und Stabilität von Netzwerken identifiziert. Eine Verknüpfung mit inhaltlichen Kriterien – und damit eine PolicyOrientierung – ist dem Qualitätsmanagement keineswegs fremd. Dies zeigt sich beispielsweise anhand einer Analyse von Qualitätskonzepten in der Kindertagesbetreuung, die das Institut Arbeit und Qualifikation im Auftrag der HansBöckler-Stiftung durchgeführt hat (Esch u.a. 2006). Als zentrales Ergebnis dieser Studie wurde eine Typisierung der Qualitätskonzepte vorgenommen. Die Konzepte lassen sich zunächst grob danach unterscheiden, ob sie vorrangig der (politisch-administrativen) Steuerung (insbesondere im Sinne einer Sicherung von Mindeststandards durch eine externe Überprüfung) dienen oder ob sie in erster 122
Line für die (interne) Organisationsentwicklung einer Einrichtung oder eines Trägers gedacht sind. Beide Ansätze schließen einander selbstverständlich nicht aus: So fördert einerseits die Auseinandersetzung mit den Anforderungen, die in Steuerungskonzepten formuliert werden, auch die Organisationsentwicklung der einzelnen Institution; andererseits kann eine Organisationsentwicklung dazu dienen, dass eine Institution sich auf die Erfüllung von in Steuerungskonzepten vorgegebenen Mindeststandards vorbereitet. Die Steuerungsverfahren lassen sich wiederum in zwei Kategorien einteilen – je nachdem, ob sie der Sicherung allgemeiner Standards (allgemeine Steuerungsverfahren) oder der Umsetzung eines bestimmten Konzepts dienen (konzeptgebundene Steuerungsverfahren). Auch bei den Organisationsentwicklungsverfahren lassen sich zwei Typen unterscheiden: Ein Teil der Verfahren orientiert sich an allgemeinen, branchenübergreifenden Verfahren (wie der DIN ISO 9000 ff.), ein anderer Teil bezieht sich ausschließlich auf fachspezifische Ansätze, das heißt, es wird inhaltlich definiert, was unter guter Qualität verstanden wird und was die Organisation erreichen soll. Hier zeigt sich also, dass mit Hilfe des Qualitätsmanagements höchst unterschiedliche Zielrichtungen verfolgt werden können. Von Interesse im Kontext des Übergangsmanagements ist zum einen der fachspezifische Ansatz: In einem ersten Schritt sind inhaltliche Kriterien dafür zu entwickeln, was ein „gutes“ Übergangsmanagement beinhalten muss, das heißt, wie die Qualität eines Übergangsmanagements zu definieren ist. Diese Kriterien können den einzelnen Institutionen – insbesondere dem Kindergarten und der Grundschule – als Orientierungsrahmen für die eigene Organisationsentwicklung dienen. Darüber hinaus können sie auch im Kontext der Bildung von Netzwerken genutzt werden, um den erforderlichen Konsens über die angestrebten Ziele zu schaffen. In einem zweiten Schritt müssen diese Kriterien in ein konzeptgebundenes Steuerungsverfahren eingebracht werden. Hierbei geht es um die Prozessinnovation, also um die Frage, wie die Fähigkeit der beteiligten Akteure zur „Herstellung“ der angestrebten Qualität im Übergangsmanagement gestärkt werden kann. Ein Instrumentarium zur Sicherung der Qualität des Übergangsmanagements muss also sowohl inhaltliche Dimensionen (Leistungen) als auch prozessorientierte Dimensionen (Strukturen) enthalten. Ein solches Instrumentarium wurde im Rahmen des Leitvorhabens Übergangsmanagement im Programm „Lernende Regionen“ für den Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule exemplarisch entwickelt (vgl. den anschließenden Beitrag von Klaudy/Torlümke in diesem Band). Das Instrument basiert auf den Erfahrungen einiger Kommunen und berücksichtigt zum einen Strukturmerkmale der Koordinierung und Vernetzung auf der lokalen Ebene und zum anderen Leistungen (pädagogische Aktivitäten) der
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Institutionen. Zu den Strukturbereichen gehören die Steuerung, die Finanzierung, die Professionalisierung und Personalentwicklung sowie Methoden zur Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse. Die Verantwortung für die Sicherung der erforderlichen Strukturen ist der Kommune zugeordnet. Die Leistungen, die auf dieser Grundlage von den einzelnen Institutionen zu erbringen sind, sind gegliedert in die Bereiche „Kommunikation zwischen Kindergarten und Grundschule“, „Maßnahmen und Projekte zur Vorbereitung und Begleitung des Übergangs“, „Projekte zur Bildung und Förderung von Kindern im Vorfeld der Einschulung“ und „Integration der Eltern in den Übergangsprozess“. In jedem Struktur- bzw. Leistungsbereich sind einige Kriterien aufgeführt, die für ein gelingendes System des Übergangsmanagements und der Verzahnung zwischen Elementar- und Primarbereich wichtig sind. Ein solches Instrumentarium kann die Grundlage für eine gemeinsame Policy im Rahmen sektoraler Integration bilden.
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Ausblick
Der Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule ist in Deutschland davon geprägt, dass beide Institutionen unterschiedlichen Politikfeldern angehören. Ohne eine gezielte Förderung sektoraler Integration wird es kaum möglich sein, Konzepte für ein Übergangsmanagement zu entwickeln und nachhaltig umzusetzen. Dem Ansatz der Lernenden Regionen entsprechend lenkt dieser Beitrag den Blick auf die Funktion von (lokalen bzw. regionalen) Netzwerken sowie auf Koordinierungspotenziale der Kommune und fragt nach geeigneten, auf örtlicher Ebene einzusetzenden Instrumenten. Nach den Erfahrungen aus den Projekten der Lernenden Regionen ist davon auszugehen, dass auf diese Weise erhebliche Verbesserungen im Übergangsmanagement erzielt werden können. Betrachtet man allerdings den umfassenden Anspruch einer übergangsbezogenen Bildungssteuerung, nicht nur den punktuellen Übergang, sondern eine kontinuierliche frühkindliche Bildungsbiographie zu unterstützen, darf nicht übersehen werden, dass bei einem kommunal- oder regionalgeprägten Ansatz Fragen offen bleiben. Ein Blick auf die Übersicht über die GovernanceStrukturen in beiden Politikfeldern zeigt, dass die Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung von Bildungskonzepten in erster Linie bei den Ländern liegt – im Politikfeld Schule in Form von verbindlichen Festlegungen der Curricula, im Hinblick auf die Kindertageseinrichtungen immerhin in Form von je nach Land unterschiedlich detaillierten Bildungsleitlinien. Wenn diese inhaltlichen Vorgaben unverbunden nebeneinander stehen oder sich sogar widersprechen, sieht sich das regionale Übergangsmanagement immer wieder mit der Aufgabe konfrontiert, Widersprüchlichkeiten ausgleichen zu müssen. Betrachtet man die Entwick124
lung in den einzelnen Bundesländern, so scheint die Aufgabe sektoraler Integration unterschiedlich intensiv beachtet zu werden (vgl. den Beitrag von Klaudy/Torlümke zu Entwicklungstrends und Projekten in diesem Band). So gibt es in einigen Fällen gemeinsame Bildungspläne für das Alter von der Geburt bis zum zehnten Lebensjahr (Hessen, Thüringen) oder einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für Kindergarten und Grundschule (Brandenburg). Über die regionale Ebene hinaus wird künftig zu fragen sein, wie und unter welchen Bedingungen sektorale Integration auf Landesebene gelingen kann, welche Instrumente sich hier als geeignet erweisen und inwieweit sich daraus verbesserte Rahmenbedingungen für das regionale Übergangsmanagement ergeben.
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Qualitätsmanagement im Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule. Ein Instrumentarium Elke Katharina Klaudy / Anika Torlümke Wenn es um den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule geht, steht das Kind im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, da die erfolgreiche Bewältigung die Kompetenzen für nachfolgende Übergänge schult und sich somit positiv auf das lebenslange Lernen auswirkt. Damit wird der Gestaltung von Übergängen eine hohe pädagogische Aufmerksamkeit zugeschrieben, bei der neben den Eltern die pädagogischen Fachkräfte aus den Kindergärten und die Lehrkräfte aus den Schulen in den Blickpunkt der Übergangsdiskussion rücken. Ihre Aufgabe besteht darin, durch Kooperation und Vernetzung förderliche Bedingungen für das Kind zu schaffen. Dabei geht es nicht alleine um den Tag der Einschulung, der zweifelsohne ein zentrales Ereignis im Leben eines Kindes darstellt. Vielmehr geht es darum, im Rahmen eines längeren Übergangsprozesses gute Voraussetzungen für das Kind zu schaffen, die mit dem Übergang verbundenen Veränderungen zu bewältigen. Neben den bereits erwähnten Akteuren wird der Kommune (vgl. den Beitrag von Stöbe-Blossey im gleichen Band) eine zentrale Rolle zugeschrieben. Durch die Wahrnehmung ihrer Managementfunktion kann sie das Zusammenwirken aller Beteiligten koordinieren und im Sinne der positiven Gestaltung des Übergangsprozesses steuern und mit einem Übergangsmanagement Voraussetzungen für eine Systematisierung von Kooperation und Vernetzung vor Ort schaffen. Auf diese Weise kann eine Basis für eine flächendeckende Realisierung von Kooperationsleistungen für die Übergangsgestaltung gebildet werden. In diesem Beitrag wird ein Instrument zum Qualitätsmanagement im Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule vorgestellt, das im Rahmen des Leitvorhabens Übergangsmanagement im Programm „Lernende Regionen“ entwickelt wurde. Einführend werden zunächst der Entstehungshintergrund (1) und der Aufbau des Instruments (2) erläutert. Im Anschluss erfolgt die Darstellung des Instruments (3). Abschließend folgen einige Anmerkungen zu möglichen Einsatzfeldern und zu Perspektiven für die weitere Entwicklung (4).
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1
Entstehungshintergrund und Aufbau
Da Erfahrungen darauf hinweisen, dass der langfristige Bestand von Netzwerken geeigneter Governance-Strukturen bedarf, wurde im Themennetz Übergangsmanagement der „Lernenden Regionen“ ein Referenzmodell entwickelt, das die Gestaltungsaufgaben für eine kommunale oder regionale Governance-Struktur konzeptionell darstellt (vgl. Stöbe-Blossey in diesem Band). Auf der stategischen Ebene besteht es aus den vier (miteinander verknüpften) Modulen „Bedarfsanalyse / Bestandsaufnahme“, „Qualitätssicherung / Monitoring / Professionalisierung“, „Bildungsmarketing / Bedarfsweckung“ und „Regionale Institutionalisierung“. Auf der operativen Ebene geht es darum, diese Module für den jeweiligen Übergangsbereich zu konkretisieren. Das in diesem Beitrag dargestellte Qualitätsmanagement-Instrument zum Übergang vom Kindergarten in die Grundschule setzt an der strategischen Ebene des Referenzmodells an und beinhaltet eine Möglichkeit der Operationalisierung des Modells für diesen Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule. Im Zusammenhang mit dem Übergang Kindergarten – Grundschule besteht die Aufgabe der Kommune bzw. einer Bildungsregion darin, durch Systematisierungs- und Steuerungsleistungen die soziale Infrastruktur – insbesondere der Bildungsinstitutionen Kindergarten und Grundschule – dahingehend zu formen, dass die Anforderungen für gelingende Übergänge einerseits flächendeckend und andererseits nachhaltig bereitgestellt werden. Demnach ist der Adressat des Instruments hauptsächlich die Kommune bzw. die Bildungsregion, die mit dem Instrument eine Unterstützung für die Wahrnehmung ihrer koordinierenden Funktion im Rahmen der Governance-Strukturen erhalten soll. Sie muss dafür in einem ersten Schritt bei der Prozessgestaltung ansetzen; auf dieser Grundlage können Leistungen entwickelt, implementiert und auf breiter Basis nachhaltig gesichert werden. Als Instrument zur Qualitätssicherung werden hier, im Sinne des fachspezifischen Ansatzes (vgl. den Beitrag von Stöbe-Blossey in diesem Band), inhaltliche Dimensionen bereitgestellt, die die Basis für ein „gutes“ Übergangsmanagement darstellen. Die Grundlage zur Entwicklung dieser Leistungen wurde von der Arbeitsgruppe „Kindergarten – Grundschule“ des Themennetzes erarbeitet. Von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden die unterschiedlichen und erprobten Übergangskonzepte hinsichtlich ihrer inhaltlichen Dimensionen (Leistungen) diskutiert und ein Konsens darüber hergestellt, welche Leistungen ein „gutes“ Übergangsmanagement bereitstellen muss. Der Maßstab für die Definition der in das Qualitätsmanagement-Instrument aufzunehmenden Leistungen
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wurde somit durch die Einschätzung von Expertinnen und Experten aus der Praxis16 hergestellt. Im Sinne eines konzeptgebundenen Steuerungsverfahrens wurde darüber hinaus über die Analyse der Praxisbeispiele gefragt, welche prozessorientierten Dimensionen (Strukturen) bereitgestellt werden müssen, um die Prozessinnovation der beteiligten Akteure zu stärken und zu erhalten. Damit basieren die prozessorientierten Dimensionen des Qualitätsmanagement-Instrumentes ebenfalls auf der Auswertung von Praxiserfahrungen aus dem Themennetz. Das Instrument berücksichtigt damit Strukturmerkmale des Übergangsmanagements auf der regionalen Steuerungsebene und Leistungsmerkmale auf der Ebene der kooperierenden Institutionen. Die Strukturen werden durch eine koordinierende Instanz (im Regelfall durch eine Kommune) organisiert. Die Leistungen sollten sich am örtlichen Gesamtkonzept orientieren und durch die Strukturen unterstützt werden, liegen aber in der Verantwortung des einzelnen Kindergartens und der einzelnen Grundschule.
2
Zum Aufbau des Instruments
Vor dem Hintergrund der dargestellten Überlegungen ist das Instrument in Strukturen und Leistungen und diese jeweils in vier Struktur- bzw. Leistungsbereiche gegliedert: Strukturen: 1. 2. 3. 4.
Steuerung Finanzierung Professionalisierung / Personalentwicklung Bestandsaufnahme / Bedarfsanalyse
Leistungen: 1. 2.
Kommunikation zwischen Kindergarten und Grundschule Maßnahmen und Projekte zur Vorbereitung und Begleitung des Übergangs
16
Auf wissenschaftliche Analysen über die Effekte unterschiedlicher Elemente des Übergangsmanagements konnte für die Bewertung leider nicht zurückgegriffen werden. Dazu wären längerfristig angelegte Untersuchungen notwendig, die mit Hilfe von Vergleichen mit Kontrollgruppen Informationen darüber liefern könnten, wie sich bestimmte Elemente des Übergangsmanagements auf die (Bildungs-)Biographie von Kindern auswirken.
131
3.
Projekte zur Bildung und Förderung von Kindern im Vorfeld der Einschulung Integration der Eltern in den Übergangsprozess
4.
Sowohl im Hinblick auf die Leistungen als auch auf die Strukturen zeigte die Diskussion zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der Arbeitsgruppe, dass es Merkmale gibt, die von allen Beteiligten als essentiell für ein gelingendes Übergangsmanagement eingestuft wurden. Andere Merkmale wurden zwar als nützlich, aber nicht in jedem Fall als notwendig angesehen und die Bewertung einzelner Merkmale verlief bis zum Schluss kontrovers. Konsens bestand zwischen den Beteiligten der Arbeitsgruppe jedoch darüber, dass ein Übergangsmanagement entsprechend der Gegebenheiten und Zielsetzung vor Ort durchaus unterschiedlich ausgestaltet sein kann und soll. Dabei sollte es aber einige grundlegende Kriterien erfüllen, die den Rahmen für die regionale Steuerung beschreiben. Aus diesem Grunde wird in dem Instrumentarium zwischen Basis- und Aufbaukriterien unterschieden:
Basiskriterien kennzeichnen solche Anforderungen, die als unentbehrlich für ein Übergangsmanagement angesehen werden und eine Mindestanforderung für ein gelingendes System darstellen. Aufbaukriterien bilden hingegen die Variationsbreite möglicher Angebotsformen und Entwicklungsmöglichkeiten ab. Angelehnt an die jeweilige Zielsetzung kann hier entweder eine Prioritätensetzung oder auch ein Austausch bzw. eine Ergänzung erfolgen.
Zur Erfüllung der oben dargelegten Anforderungen gliedert sich das Instrument in drei Ebenen:
132
Auf der Ebene 1 werden die unterschiedlichen Struktur- und Leistungsmerkmale gekennzeichnet. Auf der Ebene 2 werden die jeweiligen Basis- und Aufbaukriterien für ein Übergangsmanagement benannt. Die Ebene 3 dient der Konkretisierung der Basis- und Aufbaukriterien aus der Ebene 2 in Form von Umsetzungsschritten. Da die Umsetzungsschritte den regionalen Besonderheiten angepasst werden müssen, sind sie nicht Bestandteil der folgenden Darstellung des Instrumentariums. Ihre Formulierung soll hingegen vor Ort erfolgen.
Das folgende Beispiel dient der Veranschaulichung der Abfolge der drei erwähnten Ebenen: Ebene 1: Struktur- bzw. Leistungsbereich 1
Steuerung
Ebene 2: Kriterium 1.1 „Es besteht eine Lenkungsgruppe zur Entwicklung, Umsetzung und Fortschreibung eines Gesamtkonzepts zum Thema Übergangsmanagement Kindergarten – Grundschule, in der die wichtigsten Partner aus Schulen und Schulträgern, Kindergärten und verschiedenen Trägern“ Jugendhilfe(zum Beispiel Hilfen zu Erziehung), Schulaufsicht und Elternschaft vertreten sind.“ Ebene 3: Mögliche Umsetzungsschritte 1.1.1
Vertreterinnen und Vertreter der zu beteiligenden Akteure wurden eingeladen und haben ihre Bereitschaft zur Mitwirkung in der Lenkungsgruppe verbindlich erklärt.
1.1.2
Ein Verzeichnis von Namen, Institutionen, Adressen, Telefonnummern und E-Mail-Adressen der Mitglieder wurde angelegt.
1.1.3.
Die Arbeit der Lenkungsgruppe wird verantwortlich moderiert und protokolliert.
1.1.4
Die Akteure der Lenkungsgruppe koppeln die Arbeit in der Gruppe mit ihren Institutionen zurück.
1.1.5
…
1.1.6
…
Im Folgenden erfolgt die Darstellung des Qualitätsmanagement-Instruments bestehend aus den Ebenen 1 und 2. Wenn mit dem Instrument gearbeitet wird, besteht ein erstes Arbeitspaket darin, die einzelnen Kriterien den regionalen Anforderungen entsprechend zu konkretisieren und die Umsetzungsschritte zu formulieren.
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3
Das Qualitätsmanagement-Instrument zum Übergang Kindergarten – Grundschule
I. Strukturen 1
Steuerung
Um den Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule zu steuern, bedarf es verbindlicher Kommunikations- und Kooperationsstrukturen sowie verbindlicher Entscheidungen. Basiskriterien: 1.1 Es besteht eine Lenkungsgruppe zur Entwicklung, Umsetzung und Fortschreibung eines Gesamtkonzepts zum Thema Übergangsmanagement Kindergarten – Grundschule, in der die wichtigsten Partner aus Schulen und Schulträgern, Kindergärten und verschiedenen Trägern, Jugendhilfe (zum Beispiel Hilfen zu Erziehung), Schulaufsicht und Elternschaft vertreten sind. 1.2 Das Gesamtkonzept enthält alle managementrelevanten Aspekte und Teilkonzepte für ein regionales Übergangsmanagement. 1.3 Das Gesamtkonzept zum Übergangsmanagement basiert auf einem gemeinsamen Verständnis von kindlicher Entwicklung und von Bildung, Erziehung und Betreuung. 1.4 Die Arbeit mit dem Gesamtkonzept orientiert sich an der gemeinsamen Zielsetzung. 1.5 Das Konzept enthält Aussagen zur Einbeziehung der Eltern. 1.6 Das Konzept trifft Aussagen zur Einbeziehung von Familien mit Kindern, die keinen Kindergarten besuchen bzw. besucht haben. 1.7 Die Arbeit mit dem regionalen Gesamtkonzept ist mit allen Trägern von Kindertageseinrichtungen, den Schulträgern und der Schulaufsicht vereinbart. Aufbaukriterien: 1.8 Das Konzept ist eingebunden in eine Gesamtstrategie zum Lebenslangen Lernen. 1.9 Das Konzept ist verknüpft mit anderen bundesweiten, regionalen oder kommunalen Projekten der Bildung und Erziehung von Kindern. 1.10 Es gibt eine feste Zuständigkeit in der Kommunalverwaltung zum Thema „Übergangsmanagement“ aller Bildungsbereiche.
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1.11 In der Lenkungsgruppe sind weitere Akteure vertreten (zum Beispiel Gesundheit, Kultur, Familienbildungsstätten, Sport). 1.12 Es existiert ein Elternbildungskonzept zu Themen des Übergangs Kindergarten – Grundschule. 1.13 Es existiert ein regionaler Kooperationskalender. 1.14 Es existiert ein Konzept zum Bildungsmarketing. 2
Finanzierung
Um die Nachhaltigkeit der Angebote zum Übergangsmanagement sicherstellen zu können, muss eine verlässliche Finanzierung geschaffen werden. Die aufgeführten Aufbaukriterien dienen in diesem Sinne der zusätzlichen Finanzierung bzw. als Anschubfinanzierung. Basiskriterien: 2.1 Das Gesamtkonzept zum Übergang Kindergarten – Grundschule beinhaltet ein Finanzierungskonzept. 2.2 Die Entwicklung des Konzepts zum Übergang Kindergarten – Grundschule ist gesichert über regionale oder/und überregionale Entwicklungsprozesse und -projekte. 2.3 Die Entwicklung und Durchführung des Leistungsangebots ist durch eine Finanzierung über regionale oder/und überregionale Entwicklungsprozesse und -projekte gesichert. 2.4 Eine nachhaltige Finanzierung der Management- und Netzwerkarbeit ist gesichert durch eine Anbindung an regionale/überregionale Strukturen der öffentlichen Hand. Eine Beauftragung Dritter ist möglich. Aufbaukriterien: 2.5 In der Kommune werden Ressourcen zur Förderung von Übergangsmanagement gebündelt. 2.6 Die öffentliche Hand stellt den Einrichtungen Mittel zur Unterstützung der Kooperation zur Verfügung. 2.7 Die öffentliche Hand finanziert zusätzliche Projektinitiativen mit dem Ziel einer Überführung in Regelangebote. 2.8 Es gibt Förderstrukturen (Verein, Stiftung oder ähnliche), die sich um zusätzliche Ressourcen bemühen. 2.9 Es existieren strukturelle Voraussetzungen zum Umgang mit Unternehmen (Sponsoring). 2.10 Eine zusätzliche Finanzierung erfolgt über Beiträge (zum Beispiel Lehrgangsgebühren).
135
2.11 Eine zusätzliche Finanzierung erfolgt über Einnahmen (Verkauf von entwickelten Produkten/Instrumenten, zum Beispiel Fortbildungskonzepte, Handreichungen etc.). 3
Personalentwicklung/Professionalisierung
Dem Übergangsmanagement liegt ein Konzept zur gemeinsamen Fort- und Weiterbildung zugrunde. Basiskriterien: 3.1 Das Gesamtkonzept zum Übergang Kindergarten – Grundschule beinhaltet ein Konzept zur Personalentwicklung und Professionalisierung. 3.2 Die Lenkungsgruppe sorgt dafür, dass die Fort- und Weiterbildungsangebote verschiedener Träger koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. 3.3 Es finden regelmäßig Fort- und Weiterbildungen zu kooperationsrelevanten Themen (zum Beispiel Elternarbeit, Gestaltung von Übergängen usw.) statt. Aufbaukriterien: 3.4 Es gibt ein Konzept zu Personalentwicklungsgesprächen, die auch Fragestellungen des Übergangs thematisieren. 3.5 Die Fort- und Weiterbildungen zum Thema „Übergangsmanagement“ werden gemeinsam von Vertreterinnen und Vertretern der Kindergärten und Grundschulen besucht. 3.6 Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer werden für die Zeit der Weiterbildung vom Dienst freigestellt. 3.7 Es gibt Fortbildungen, an denen auch Eltern teilnehmen können. 3.8 Es gibt ein Konzept zu wechselseitigen Hospitationen in Kindergärten und Grundschulen, bei denen auch Systemkenntnisse der jeweils anderen Institution vermittelt werden.
136
4
Bestandsaufnahme/Bedarfsanalyse
Bestandsaufnahmen und Bedarfsanalysen bilden die Voraussetzung für eine passgenaue Angebotsgestaltung. Basiskriterien: 4.1 Bei der Entwicklung des Konzepts wird auf eine Sozialraumanalyse zurückgegriffen, die Daten der Jugendhilfeplanung, Schulentwicklungsplanung und Sozialraumentwicklung enthält. Sind entsprechende Daten bisher nicht vorhanden, werden sie von der Kommune neu generiert und zur Verfügung gestellt. 4.2 Zur Gestaltung des Konzepts werden Informationen zu den Bedürfnissen von Kindern, Eltern und anderen Akteuren von allen Kooperationspartnern eingeholt. 4.3 Die Angebote sind ausgerichtet an bestehenden gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel an Bildungsplänen und Schulgesetzen der Länder. Aufbaukriterium: 4.4 Es finden Recherchen statt von (regionalen, überregionalen und internationalen) erfolgreichen Modellen und Beispielen zum Thema Übergangsmanagement. II. Leistungen 5
Kooperation und Kommunikation zwischen Kindergarten und Grundschule
Kommunikation und Kooperationen – verbunden mit einer gleichberechtigten Teilhabe beider Institutionen – bilden die Grundlage für ein erfolgreiches Management von Übergängen. Basiskriterien: 5.1 Auf der Basis des Gesamtkonzepts entwickeln die einzelnen Kindergärten und Grundschulen gemeinsame Kooperationskonzepte, Kommunikationsformen und Leistungsangebote.
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5.2 Zur strukturell-organisatorischen Vorbereitung der Kooperation finden regelmäßige Koordinationstreffen zwischen Schul- und Kindergartenleitung bzw. zwischen den Kooperationsbeauftragten beider Institutionen statt. 5.3 Die Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule erfolgt auf der Basis von Informationen über formale Grundlagen für die pädagogische Arbeit der jeweiligen Institution (zum Beispiel Kita-Gesetz, Einrichtungskonzeption, Programm der Grundschule, Erlasse, Richtlinien und Verordnungen). 5.4 Es besteht ein Informationssystem, mit dem die Weitergabe von Informationen über einzelne Kinder von Kindergärten an die Grundschulen gewährleistet wird. 5.5 Zwischen den Kindergärten, Grundschulen und Elternvertreterinnen und -vertretern finden regelmäßig Besprechungen statt. 5.6 In Kindergärten und Grundschulen gibt es eine festgelegte Ansprechperson (Kooperationsbeauftragte bzw. Kooperationsbeauftragter) für Themen des Übergangs. 5.7 Lehrerinnen und Lehrer nehmen mindestens einmal jährlich an Elternabenden der Kindergärten zu Übergangsthemen teil. 5.8 Erzieherinnen und Erzieher nehmen mindestens einmal jährlich an Konferenzen der Grundschulen zu Übergangsthemen teil. 5.9 Lehrerinnen und Lehrer nehmen mindestens einmal jährlich an Teamsitzungen der Kindergärten zu Übergangsthemen teil. 5.10 Die unter 5.2 bis 5.9 genannten Kooperations- und Kommunikationsformen sind in einer schriftlichen Vereinbarung (zum Beispiel in einem Kooperationsvertrag) verbindlich festgelegt. Aufbaukriterien: 5.11 Vertreterinnen und Vertreter aus Kindergärten und Grundschulen bilden einen Qualitätszirkel, der regelmäßig zusammentrifft. 5.12 In regelmäßigen Abständen werden die Angebote für Kinder und Eltern auf ihre Wirksamkeit überprüft. 5.13 Es besteht ein Konzept zur Öffentlichkeitsarbeit.
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6
Maßnahmen und Projekte zur Vorbereitung und Begleitung des Übergangs
Die Eingewöhnung der Kinder in die Grundschule wird durch vorbereitende Projekte und Maßnahmen durch Kindergarten und Grundschule erleichtert. Basiskriterien: 6.1 In gemeinsamen Projekten (zum Beispiel Feste, Aktionen) erfahren zukünftige Schulkinder, wie das Schulleben aussieht. 6.2 Schulkinder und Lehrkräfte besuchen gemeinsam den Kindergarten und arbeiten an speziellen Themenfeldern (zum Beispiel Lesepaten/naturwissenschaftliche Projekte). 6.3 Es werden abgestimmte Maßnahmen (zum Beispiel gemeinsame Sprachförderung) durchgeführt. Aufbaukriterium: 6.4 Es besteht ein inhaltliches und methodisches Brückenkonzept zwischen Kindergarten und Grundschule (zum Beispiel Naturwissenschaften, Sprachförderung, Sozialkompetenz). 7
Bildung und Förderung von Kindern im Vorfeld der Einschulung
Kindergarten und Grundschule kooperieren mit dem Ziel der optimalen Unterstützung der Entwicklung des Kindes. Basiskriterien: 7.1 Die Förderung der Vorschulkinder orientiert sich (auch) an Bildungsanforderungen, die Kindergärten und Grundschulen gemeinsam formulieren. 7.2 Vor der Einschulung führen Kindergärten und Grundschulen gemeinsam ein Verfahren zur Einschätzung von Stärken und Förderbedarfen der künftigen Schulanfänger durch. 7.3 Bei der Erfassung und der Verwendung von Daten über einzelne Kinder werden die geltenden Regelungen des Datenschutzes berücksichtigt. Aufbaukriterien: 7.4 Kindergärten und Schulen stimmen bei Bedarf gezielte Förderbedarfe für einzelne Kinder miteinander ab. 7.5 In dem Kindergarten werden spezielle Förderangebote (zum Beispiel Sprachförderung, Psychomotorik usw.) bereitgestellt.
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8
Integration der Eltern in den Übergang
Die Eltern werden kontinuierlich in alle Belange der Entwicklung und Förderung und über den Übergang ihrer Kinder einbezogen. Sie erhalten Unterstützung, Beratung und Schulung durch Kindergarten und Grundschule. Basiskriterien: 8.1 Kindergarten und Grundschule informieren die Eltern über bestehende Elternbildungsangebote verschiedener Träger zum Thema Übergang Kindergarten – Grundschule. 8.2 Es werden Informationsveranstaltungen für Eltern künftiger Schulanfänger (gemeinsam von Lehrerinnen und Lehrern sowie Erzieherinnen und Erziehern) durchgeführt. 8.3 Im letzten Kindergartenjahr werden im Kindergarten Gespräche mit Eltern über ihre Kinder angeboten und durchgeführt. Aufbaukriterien: 8.4 Es gibt eine Eltern(bildungs-)Beratung zu Fragen rund um Kindergarten/Grundschule sowie weitere Angebote. 8.5 Auch Eltern von Kindern, die keinen Kindergarten besuchen, werden über Veranstaltungen und Elternbildungsangebote informiert und dazu eingeladen (zum Beispiel über Plakate im Sozialraum).
4
Einsatzfelder und Perspektiven
Als Qualitätsmanagement-Instrument für den Übergang Kindergarten – Grundschule dient das dargestellte Instrument als Leitfaden für ein regionales System zur Entwicklung und Sicherung von Qualität, welches die einzelnen Akteure als Orientierung zur Bewertung und Weiterentwicklung ihrer Kooperationsabläufe und ihrer Leistungen nutzen können. Betrachtet man die vier Säulen des Referenzmodells, so setzt das Instrument vor allem an den Elementen „Qualitätsmanagement“ und „regionale Institutionalisierung“ an. Es stellt ein anwendbares, auf Erkenntnissen über unterschiedliche Konzepte des Qualitätsmanagements (vgl. den Beitrag von Stöbe-Blossey in diesem Band, Abschnitt 5) basierendes Instrument dar. Im Hinblick auf die regionale Institutionalisierung werden Kriterien für geeignete Strukturen formuliert, die die kommunale Koordinierungsfunktion stärken und die Einbindung der relevanten Akteure fördern. Die beiden anderen Säulen des Referenzmodells, die Bedarfsanalyse und das Bildungsmarketing, wurden als abgeleitete Faktoren in das Instrument inte140
griert. Sie spielen im Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule eine andere Rolle als in anderen Übergangsbereichen. In anderen Übergangsbereichen – etwa bei Weiterbildungsangeboten zur Gestaltung von Übergängen in den Arbeitsmarkt – muss vielfach für die Beteiligung an Bildungsangeboten geworben werden, und der Bedarf ist sowohl von individuellen Qualifizierungserfordernissen als auch von Qualifikationsanforderungen der regionalen Wirtschaft beeinflusst. Im Übergangsbereich Kindergarten – Grundschule hingegen bestehen zunächst klare Grundlagen: Jedes Kind muss eine Grundschule besuchen, und was dort gelernt wird, ist in Curricula festgelegt. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die beiden Module „Bedarfsanalyse“ und „Bildungsmarketing“ in diesem Feld keinerlei Bedeutung hätten: Je nach den Bedingungen des Sozialraums unterscheiden sich die Bedürfnisse der Kinder und Familien im Hinblick auf die Begleitung ihres Übergangsprozesses erheblich; so haben beispielsweise Angebote der Sprachförderung je nach Zusammensetzung der Bevölkerung einen höchst unterschiedlichen Stellenwert. Daher muss die Bedarfsanalyse in die Entwicklung von Konzepten zum Übergangsmanagement Kindergarten – Grundschule in kleinräumiger Form, nämlich bezogen auf das Einzugsgebiet der beiden Institutionen, einbezogen werden. Aus diesem Grunde enthält das Qualitätsmanagement-Instrument den Bereich 4 „Bestandaufnahme/Bedarfsanalyse“, der die Anforderungen an Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse für den Bereich Kindergarten – Grundschule operationalisiert. Auch das Bildungsmarketing ist von Bedeutung. Zwar muss nicht für den Besuch der Grundschule geworben werden, wohl aber für die Mitwirkung der Eltern an der Begleitung der Bildungsprozesse ihrer Kinder. Deshalb enthält das Instrument nicht nur das Kriterium 1.14 (Konzept zum Bildungsmarketing), sondern darüber hinaus – querschnittsartig in verschiedenen Leistungs- und Strukturbereichen – Kriterien, die auf Angebote der Elternbildung und ganz allgemein auf die Einbeziehung der Eltern abzielen – beispielsweise 1.5 (Aussagen zur Einbeziehung der Eltern im Gesamtkonzept), 1.12 (Elternbildungskonzept) und 5.7 (Teilnahme von Lehrerinnen und Lehrern an Elternabenden). Der gesamte Leistungsbereich 8 schließlich richtet sich auf die Integration der Eltern in den Übergangsprozess und stellt somit ein zentrales Element von Bildungsmarketing dar. Insofern ordnet sich das Instrument in das Referenzmodell ein und stellt ein Beispiel dafür dar, wie die konzeptionellen Inhalte des Modells in unterschiedlichen Übergangsbereichen aufgegriffen werden können. Im Einzelnen kann das Instrument, je nach Bedarf, folgende Funktionen erfüllen:
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In Form eines (internen und/oder externen) Audits dient es zur Bestandsaufnahme der bereits vorhandenen Elemente eines kommunalen bzw. regionalen Übergangsmanagements. Mit seiner Hilfe lassen sich Ziele für die Entwicklung und Weiterentwicklung eines kommunalen bzw. regionalen Übergangsmanagements definieren. Kindergärten und Grundschulen können das Instrument (hier besonders die Leistungsbereiche) nutzen, um ihre Aktivitäten zu prüfen und weitere Schritte zu erarbeiten.
Idealtypisch würde ein kommunaler bzw. regionaler Prozess damit starten, dass ein Akteur – in der Regel wird dies eine Kommune sein – die Initiative ergreift und eine Lenkungsgruppe einrichtet. Diese würde in einem ersten Schritt anhand des Instruments im Rahmen eines extern moderierten oder intern organisierten Audits überprüfen, welche Strukturen und welche Leistungen vor Ort bereits vorhanden sind. Dabei bietet es sich an, die Grundschulen und Kindergärten einzubeziehen, um festzustellen, welche (wahrscheinlich innerhalb der Region oder Kommune sehr unterschiedlichen) Leistungen bereits erbracht werden. Bei der Überprüfung ist es sinnvoll, die dritte Ebene zu erarbeiten und festzustellen sowie zu dokumentieren, welche Umsetzungsschritte zu welchem Kriterium bereits vorhanden sind und welche weiteren Schritte eventuell notwendig sind, um das Kriterium erfüllen zu können. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Audits kann die Lenkungsgruppe auswerten, welche Kriterien (noch) nicht erfüllt sind und darauf aufbauend Prioritäten für die weitere Entwicklung definieren. Kindergärten und Grundschulen sollten kontinuierlich über diesen Prozess und über Zwischenergebnisse informiert werden, damit sie ihre eigenen Aktivitäten daran orientieren können. In einem weiteren Schritt ist es denkbar, die einzelnen Kindergärten und Grundschulen anhand der Kriterien aus den vier Leistungsbereichen zu auditieren und damit den einzelnen Institutionen ihren Entwicklungsstand zurückzuspiegeln und ihnen Anregungen für die weitere Arbeit zu geben. Das Instrument wurde, wie dargestellt, im Kontext der „Lernenden Regionen“ entwickelt, konnte aber in diesem Rahmen nicht mehr erprobt werden. Insofern gibt der vorliegende Beitrag ein Zwischenergebnis wieder. Zielführend für die Weiterentwicklung wäre ein Projekt, in dem mehrere Kommunen bzw. Regionen mit dem Instrument arbeiten und die Erfahrungen systematisch auswerten würden. Auf dieser Grundlage könnte das Instrument weiterentwickelt und mit Beispielen für Umsetzungsschritte und mit entsprechenden Materialien hinterlegt werden.
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Teil III Übergangsmanagement für das Jugend-, junge Erwachsenen- und Erwachsenenalter
Herausforderungen im Übergang in Arbeit Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer Die Grenzen zwischen einem Übergangsmanagement für Jugendliche und junge Erwachsene (im Übergang von der Schule ins Erwerbsleben) und einem Übergangsmanagement für Erwachsene (beim Wiedereinstieg ins Erwerbsleben) sind fließend. Am ehesten bestehen sie noch in Bezug auf die involvierten Institutionen, obwohl auch hier, wie die Praxis der Lernenden Regionen gezeigt hat, die Akteure oft in beiden Bereichen zugleich aktiv sind. Insbesondere in einer theoretischen Perspektive gibt es kaum Punkte, die nur für einen Bereich und nicht für den anderen gelten. Grund dafür ist vor allem das als „Entgrenzung von Jugend“ diskutierte Phänomen: Jugend ist heute kein geschützter Raum gegenüber der Erwachsenenphase mehr. Somit brechen einerseits gesellschaftliche Anforderungen für Erwachsene in die Jugendphase hinein (sich am Arbeitsmarkt zu positionieren), andererseits ist kaum noch ein allgemein gültiger Zeitpunkt in den Biographien auszumachen, an dem ein endgültiger Übertritt ins Erwachsenenalter stattfindet (markiert z.B. durch Familienbildung oder eine sichere und endgültige Platzierung am Arbeitsmarkt). Um dieser Tatsache zu entsprechen werden hier die Übergangsbereiche Schule – Erwerbsleben und Wiedereinstieg nicht getrennt voneinander behandelt. Die beschriebenen Thematiken lassen sich nur schwerpunktmäßig den Bereichen zuordnen, gelten aber prinzipiell für das Übergangsmanagement zwischen Jugend- und Erwachsenenalter insgesamt.
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Schwerpunkt im Übergang Schule – Erwerbsleben
1.1 Übergänge in Arbeit heute Das institutionalisierte Bildungs- und Ausbildungssystem mit seinen vorgezeichneten Schienensträngen, die die Heranwachsenden in Arbeit führen sollen, kann immer weniger den Übergang in Erwerbsarbeit gewährleisten, durch den es sich letztendlich legitimiert. In den gleichen Sog gerät das System der Ausbildungsund Beschäftigungshilfen, das als „Ausfallbürge“ für das Regelsystem konstruiert wurde: Trotz seiner sukzessiven Ausweitung lässt sich heute das Ausbildungs- und Beschäftigungsproblem weder auf gesellschaftlicher noch auf individueller Ebene grundsätzlich lösen. Immer mehr junge Menschen werden zeitwei145
lig oder dauerhaft gesellschaftlich freigesetzt. Damit wird die Funktion der Bildungs- und Übergangsstrukturen gegenwärtig von ihrem Ziel her, dem Übergang in Erwerbsarbeit, ausgehöhlt. In dem Maße, in dem das Übergangssystem Übergänge nicht mehr gewährleisten kann, verlieren die Bildungseinrichtungen und das System, das sie bilden, an Legitimität; das Lernen der Menschen wird aus seinen institutionellen Rahmungen freigesetzt. Der Übergang in Arbeit wird zu einer biographischen Aufgabe, die vielfach individuell bewältigt werden muss. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass sich gegenwärtig die Übergänge in Arbeit pluralisieren bzw. biographisieren. Im industriegesellschaftlichen Kontext ging man noch davon aus, dass Jugendliche in einer institutionell vorbestimmten Abfolge von relativ klar geregelten „Statuspassagen“ (vom Schüler zum Lehrling zum Arbeiter o.ä.) dauerhaft in Arbeit übergingen. Diese Statuspassagen waren natürlich je nach gesellschaftlicher Schicht und Berufsstand unterschiedliche, aber es war dem Modell nach eine gesellschaftlich geregelte Abfolge. Heute ergibt sich dagegen mit der institutionellen Freisetzung bei immer mehr Menschen ein individueller, eben biographisierter Übergang in Arbeit. Mit dem gegenwärtigen Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft ist die Bewältigung von Übergängen zu einer charakteristischen Herausforderung für die Lebensphase Jugend insgesamt geworden. In dieser Zeit muss der junge Mensch sich selbst in der Arbeitsgesellschaft platzieren und seinen Übergangspfad gestalten. Darum verwundert es kaum, dass immer mehr junge Menschen Bildungsinstitutionen aufsuchen, um die eigenen Kompetenzen zu entwickeln. Während z.B. vor dreißig Jahren nur für eine kleine Gruppe junger Menschen das dritte Lebensjahrzehnt – in erster Linie die Studierenden – durch den Besuch von Bildungsinstitutionen bestimmt war, befinden sich heute dagegen nahezu zwei Drittel der jungen Erwachsenen entweder immer noch oder bereits wieder in ganz unterschiedlichen Bildungs- oder Lernarrangements (vgl. Gangl 2004). In diesem Kontext können sich die jungen Menschen heute nur bedingt auf die formalen Instanzen verlassen. Ihre „Übergangspfade“ (vgl. Lex 1997) verweisen auf ein Geflecht aus ganz unterschiedlichen informellen und formellen Netzwerken, Bildungs- und Beratungsformen in der Region. In diesem Zusammenhang fällt zudem auf, dass heute immer weniger Berufe auch im Bereich der KMU sowie der so genannten. „Jedermannsarbeitsplätze“ (vgl. Arnold 2002) angesichts der Dynamik der ökonomischen Entwicklung „vererbt“ werden. Mit anderen Worten: Es verlaufen immer seltener die Berufskarrieren junger Frauen und Männer in den Beschäftigungssektoren ihrer Eltern, wodurch sich die familiäre Aushandlung von Berufswahlprozessen grundlegend verändert. Dies bedeutet auch, dass heute die Berufswegeplanung zunehmend biographisiert wird und
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gleichzeitig die alten „Statuspassagen“ und Selbstverständlichkeiten in der diesbezüglichen regionalen und intergenerationalen Verständigung aufbrechen.
1.2 Von der Qualifikation zur Kompetenzentwicklung Indem sich Lernen von der gesellschaftlich fixierten Abfolge von Statuspassagen losgelöst hat und die Übergänge in Arbeit eher einer biographischen Logik der Subjekte als einer institutionellen Logik der Bildungseinrichtungen folgen (siehe den Beitrag zur Perspektive der biographischen Szenarien), verändert sich auch das Lernen selbst. Deshalb kann man heute nicht mehr auf die gleiche Weise von einer beruflichen Qualifizierung und Bildung sprechen wie es noch vor 15 Jahren getan wurde. Aufgrund der vielen Probleme mit dem Qualifikationsbegriff und insbesondere der geringen „Halbwertszeit“ von beruflichem Wissen im gegenwärtigen dynamischen Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft gab es in den vergangenen Jahren eine breite Diskussion über den Kompetenzbegriff. Diese Diskussion ist nicht abgeschlossen, und eine eindeutige Bestimmung davon, was Kompetenzen sind, gibt es nicht. Deutlich wird in jedem Fall, dass die Veränderung der Arbeitsgesellschaft auch neue Lernformen hervorbringt, die wiederum nur mit einem neuen Lernbegriff verständlich umschrieben werden können. Kompetenzen wurden und werden oft als eine persönliche Eigenschaft – eine „Disposition“ – im Sinne von „Selbstorganisationsfähigkeit“ verstanden, die man im Laufe seiner Biographie erwirbt (vgl. insbesondere Erpenbeck/Heyse 1999). Nach dieser Annahme ist jemand vor allem dadurch kompetent, dass er/sie „sich“ bzw. seine/ihre Lernprozesse selbst organisieren kann, sobald dies im Arbeitsprozess erforderlich würde. Auf diese Weise kann man Kompetenzen als Eigenschaft verstehen, die jemanden auch in sich schnell wandelnden Kontexten, bei schnell veraltenden Wissensbeständen, bei fehlender Zeit zur Entwicklung von Routinen usw. – also in der heutigen Arbeitsgesellschaft – arbeitsund handlungsfähig machen. An diese Idee anschließend wurden und werden die verschiedensten Messinstrumente und Profilingverfahren entworfen, um Menschen in Hinblick auf ihre Kompetenzen bewerten zu können. Diese Vorstellung von Kompetenzentwicklung vernachlässigt jedoch nahezu vollständig die jeweiligen Handlungskontexte. Erst mit Blick auf die Kontexte zeigt sich, ob ein Mensch kompetent handeln kann oder nicht. Kompetenzen gehen letztlich aus einem komplexen Wechselspiel zwischen Mensch und seiner Umwelt hervor. Selbstorganisation ist deshalb besser als die Fähigkeit zu verstehen, in einer jeweiligen Situation Lösungen zu finden und Handlungsfähigkeit zu erlangen (vgl. Oehme 2004). Wenn man nun auf die Lernprozesse und somit auf Kompetenzentwicklung schaut, so muss zuerst danach gefragt werden, inwieweit 147
die Handlungskontexte überhaupt selbstorganisiertes Handeln ermöglichen oder gar fördern. Im Gegensatz zu einem Qualifikationsbegriff sind aus der Kompetenzperspektive also nicht die Individuen isoliert zu betrachten, sondern es ist nach der Form der Lernorte zu fragen, die Menschen bestimmte Kompetenzentwicklungen ermöglichen und andere nicht. Selbstorganisation muss praktisch ein Prinzip der Lernorte werden, die Kompetenzentwicklungsprozesse ermöglichen sollten. Dieser Sachverhalt wurde treffend als „Lernhaltigkeit“ der Lernorte bezeichnet (vgl. Kirchhöfer 2001). Weiterhin ist zu beachten, dass diese Entwicklungsprozesse viel offener sind und auch sein müssen als etwa der Qualifikationserwerb. Mit dem heutigen dynamischen Wandel der Arbeit lässt sich einerseits der zu erwartende Arbeitskräftebedarf und dessen spezifische Qualifikationsanforderungen nicht mehr ausreichend vorhersagen; andererseits sind auch die Lernziele selbst nicht mehr ohne weiteres objektiv als Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt zu bestimmen – nicht zuletzt deshalb nicht, weil eine gute Qualifikation zwar als bessere Voraussetzung auf dem Arbeitsmarkt gelten kann, umgekehrt aber der Arbeitsmarkt keinesfalls die Verwertung dieser Qualifikation garantiert. Dies zeigt nicht zuletzt der Anteil von Langzeitarbeitslosen, die über einen Berufsabschluss verfügen, der bei etwa 50 % liegt. Lernprozesse und -ziele ergeben sich unter diesen Bedingungen vielmehr aus den ganz konkreten Zusammenhängen heraus, in denen die jungen Leute jeweils stehen. Mit dem Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft und den dazugehörigen gesellschaftlichen Entgrenzungsprozessen geht auch der feste Bezugsrahmen in der Arbeitswelt verloren, in dem Lerninhalte objektiv als zielführend, richtig/falsch bzw. sinnvoll bestimmt werden konnten. Eine „objektive“ Bewertung von Kompetenzen wird damit ein Unterfangen, das in Konflikt mit der arbeitsgesellschaftlichen Realität steht. Die Kompetenzdiskussion hat dem entsprechend nicht die individuellen Defizite, sondern die spezifischen Stärken in den Mittelpunkt zu rücken (vgl. Böhnisch/Schröer 2002). Kompetenzentwicklung löst nun nicht einfach den Begriff der Qualifikation ab, sondern sie ist als ein neues Rahmenkonzept von Lernprozessen überhaupt zu verstehen: Fachliches Wissen und Können werden mit den neuen Entwicklungen nicht obsolet. Aber sie lassen sich offensichtlich immer weniger in der alten Form der beruflichen Qualifikation bündeln und anwenden; sie fließen eher als kleinteiligere Bausteine in die Lernverläufe der Menschen ein. Mit der Entgrenzung der Ausbildungs- und Übergangsstrukturen wird generell eine neue Organisation von Lernprozessen nötig, da nun Leben, Lernen und Arbeiten in geringerem Maße als bisher institutionell geordnet und aufeinander bezogen werden.
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Kompetenzentwicklung lässt sich in diesem Sinne am einfachsten als die Erweiterung der Handlungsoptionen von Jugendlichen in ihren jeweiligen Lebenslagen verstehen. Denn die entscheidende Frage ist, vor welchen Aufgaben sie alltäglich stehen und wie sie diese auf nachhaltige Weise bewältigen können – durch Lernprozesse ebenso wie durch Zugänge zu Bildungs- oder Beschäftigungskontexten, durch die sich eine Lebensperspektive konkretisiert. Die Lebenslagen sind zum einen durch die Handlungsressourcen (Netzwerke, Sozialräume, finanzielle Ressourcen usw.) bestimmt, zum anderen aber auch durch lebensweltliche Kommunikationsmuster und (moralische) Vorstellungen, Lebensentwürfe usw. So erweitert die Möglichkeit eines Auslandsaufenthaltes bildungsbürgerlichen Jugendlichen oftmals ihre Handlungsfähigkeit, weil es ihrem Lebensentwurf entspricht; für andere Jugendliche wiederum ist dies keine Option, weil sie bspw. viel stärker in familiäre Verpflichtungen eingebunden sind, die von ihnen erwartet werden. Dazu kommt, inwieweit dies alles sozialstaatlich akzeptiert ist: Jugendliche, die keine Arbeit haben, wohl aber z.B. einen Jugendclub selbstorganisiert betreiben, sind staatlich und im Allgemeinen in der Öffentlichkeit in ihrem Handeln weit weniger anerkannt als Jugendliche, die eine Lehre im Einzelhandel absolvieren und abends den selben Jugendclub besuchen. Mit anderen Worten ist das Repertoire an Möglichkeiten, auf welche Weise ein Mensch handlungsfähig bleiben kann bzw. auf welche Weise er seine Handlungsfähigkeit erweitern kann, durch seine jeweilige Lebenslage bedingt.
1.3 Unterstützungsangebote für den Übergang in Arbeit Als Reaktion auf die oben beschriebenen Problematiken beim Übergang in Arbeit entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten ein Bereich von Bildungs- und Beschäftigungshilfen, der im Wesentlichen neben dem „regulären“ Bildungsund Ausbildungssystem steht. Dieser Bereich wird aus den verschiedensten Förderungen (Programme des Bundes und der Länder, Projekte der Kommunen, der Arbeitsagenturen, Stiftungen usw.) finanziert. Ein wesentliches Kennzeichen dieses Bereiches ist die Ausrichtung auf Benachteiligte, was inzwischen erhebliche definitorische Probleme bereitet, da seit einigen Jahren etwa 40 % aller Jugendlichen, die die Schule verlassen und nicht studieren, in Projekte und Maßnahmen dieses Bereiches übergehen (s. Grafik). Hinzu kommt, dass inzwischen junge Menschen ohne und durchaus auch diejenigen mit Hauptschulabschluss bereits per se als Benachteiligte gelten müssen, da sie zu etwa 80 bzw. 50 % nach der Schule in Maßnahmen und Projekte einmünden, die diesem „Übergangssystem“ zuzurechnen sind (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 158). Damit wären heute etwa 36 % aller jungen Menschen benachtei149
ligt. Zum Vergleich: 1970 gingen etwa 68 % mit und ohne Hauptschulabschluss von der Schule, und zu diesem Zeitpunkt gab es – aufgrund der Struktur des Arbeitsmarktes – kein Übergangssystem und keine Diskussion über Benachteiligte (vgl. Solga 2006).
Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 9617
Entsprechend der zentralen Orientierung am dualen System der Berufsausbildung wurden Probleme beim Übergang in Arbeit in den vergangenen Jahren vor allem mit den Begriffen der ersten und zweiten Schwelle diskutiert. So konnte die empirische Berufsforschung zeigen, dass berufsbiographische ‚Sackgassen‘ in aller Regel ihren Ausgangspunkt im Übergang von der Schule in die Berufsausbildung haben (vgl. Alheit/Glaß 1986; Lex 1997). Entsprechend wurden Maßnahmen und außerbetriebliche Ausbildungen für Benachteiligte finanziert. Nicht zuletzt durch diese maßnahmenorientierte überbetriebliche Absicherung des Ausbildungsplatzangebots zur Behebung des ‚Staus’ an der 1. Schwelle rückte dann zunehmend auch die Problematik der beruflichen Eingliederung (2. Schwelle) junger Menschen nach der Ausbildung in den regulären Arbeitsmarkt 17
Als „Übergangssystem“ wird folgender Bereich definiert: Maßnahmen außerschulischer Träger und schulische Bildungsgänge, sofern sie keinen qualifizierenden Berufsabschluss anbieten, sind dem Übergangssystem zugeordnet. Hierunter fallen auch teilqualifizierende Angebote, die auf eine anschließende Ausbildung als erstes Jahr angerechnet werden können oder Voraussetzung zur Aufnahme einer vollqualifizierenden Ausbildung sind (vgl. ebd.)
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in den Vordergrund. Eine Reihe von Förder-, Forschungs- und Entwicklungsprogrammen (BQF, EQUAL, JobStarter, SWA, Kompetenzagenturen) versuchte darum, die Problematik der Arbeitslosigkeit junger Erwachsener nach der Ausbildung durch unterschiedliche Ansätze zu fassen und zu lösen. In ihrer Grundstruktur sollten diese Programme – allgemein gesprochen – gerade auch Netzwerke zum Übergang in Beschäftigung stärken, um die jungen Menschen nicht von einer Maßnahme in die nächste zu verschieben. Eine Entwicklung der letzten Jahre ist die Ausrichtung (auch innerhalb der oben genannten Programme) auf Maßnahmen zur Koordinierung des regionalen Angebots an qualifizierenden und beratenden Maßnahmen. Da diese in den meisten Fällen wiederum aus verschiedenen Programmen und Fördergebern finanziert wurden und oft von Trägern mit Eigeninteressen in den Regionen durchgeführt werden, handelt es sich dabei in der Mehrheit um Koordinierungen auf einem bestimmten Gebiet, so etwa für die Klientel der Kompetenzagenturen, um berufliche Orientierung an Schulen, die Koordination von Maßnahmen aus SGB VIII o.ä. Daher ist es keine Seltenheit, in Regionen mehrere Instanzen anzutreffen, die einen Anspruch auf koordinierende Tätigkeiten in der Region erheben. Inwieweit diese Aktivitäten untereinander verzahnt und abgestimmt sind, hängt von mehreren Faktoren ab, so etwa von der Lokalen Politik und Verwaltung, von der Zusammenarbeit unter Trägern oder von den Möglichkeiten, die verschiedene Finanzierungsprogramme geben oder nicht.
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Schwerpunkt beim Wiedereinstieg in das Erwerbsleben
2.1 Der Vielfalt gerecht werden Auch der Wiedereinstieg ins Bildungs- und Beschäftigungssystem wird zunehmend als eine regionale Aufgabe betrachtet. Dabei muss das Übergangsmanagement Anschlüsse an die regionale Arbeitswelt und Zivilgesellschaft schaffen, durch die sich neue biographische Perspektiven für die Menschen vor Ort eröffnen. Diese Aufgabe fordert die regionalen Angebote in ihrer Rolle als intermediärer Akteur heraus (vgl. Böhnisch/Schröer 2001). In diesem Zusammenhang ist gerade beim Wiedereinstieg in das Erwerbsleben der jeweils spezifische Umgang mit der Heterogenität der Zielgruppe von grundlegender Bedeutung. Im Kontext zunehmender Mobilität, der demographischen Entwicklungen und des Fachkräftemangels in der Wissensgesellschaft setzt sich auf internationaler Ebene zunehmend eine Perspektive durch, die Heterogenität nicht länger als Problem, sondern als Ressource begreift (z.B. Council of the European Union 2006; Unesco 2005 – Convention of Diversity). So heißt 151
es in einem bekannten Handbuch zur unternehmerischen Praxis in Bezug auf das Diversity-Management: „Die zentrale Botschaft lautet: Die Vielfältigkeit der Beschäftigten ist ein wichtiger und wird in naher Zukunft sogar ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein. Diversity-Management verspricht Kreativität und Flexibilität: Kompetenzen, die für Unternehmen, die im globalisierten Wettbewerb und Markt bestehen wollen, unerlässlich sind, und die daher gezielt gefördert und genutzt werden sollten und müssen“ (Haselier/Thiel 2005, S. 12). Ausdrücklich wird dabei nicht auf die besondere Verschiedenheit (etwa des kulturellen Hintergrundes) Bezug genommen, sondern die Aufmerksamkeit auf die Fähigkeiten der (nach Geschlecht, Kultur, Begabung oder Arten von Handicaps etc.) Verschiedenen gerichtet. Allerdings ist auch zu betonen, dass sich das regionale Ressourcenpotenzial nicht von selbst einstellt, sondern dass nach dem regionalen Dienstleistungsportfolio gefragt werden muss, durch das das Kompetenzen- und Ressourcenpotenzial von Heterogenität in den Regionen zum Tragen kommen kann. Entgegen der deutschen Diskussion, die in diesem Kontext eher danach fragt, wie aufgrund heterogener Lebenslagen und Lebensformen gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse durch Diskriminierung, mangelnde soziale Chancen, soziale Benachteiligung oder Rassismus verhindert werden können, zielt die internationale Diskussion dabei insbesondere auf die Frage nach den Bedingungen, die „social inclusiveness“ in den Regionen ermöglichen. Entsprechend werden Programme und Konzepte entwickelt, „(in) which participation with differences – rather than despite differences – is promoted“ (Jenson/ Papillon 2001). Heterogenität und die damit verbundenen Unterschiedlichkeiten sind dabei keine naturwüchsigen Phänomene, sondern werden in den Übergangsprozessen in jeweils spezifischen Kontexten hergestellt. Dieser Zugang zu Heterogenität ist für den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben von besonderer Relevanz. Der bisherige Zusammenhang von Heterogenität und Übergängen basiert weitgehend auf der Annahme einer vorgegebenen Heterogenität der Zielgruppen, auf die die Übergangsmaßnahmen reagieren sollen. Dabei werden die Konstruktionen von Heterogenität in und durch die Übergangsmaßnahmen und das -management übersehen. Aber gerade die regionalen Übergangsmaßnahmen beziehen sich nicht nur auf Bedingungen der Heterogenität, die die Menschen mitbringen, etwa durch unterschiedliche Herkunftsbedingungen oder die Lage als „allein erziehende“ Mutter. Sie sind selbst an der Herstellung von Heterogenität und an den in ihnen enthaltenen Übergangschancen mitbeteiligt. So sind die Formen des regionalen Übergangsmanagements immer auch mit einer bestimmten Form des DiversityManagements verbunden. Durch diesen Blickwinkel wird der Umgang mit der Vielfalt von Zugehörigkeiten, Lebenslagen und Formen individueller Lebensfüh-
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rung zu einem Qualitätsmaßstab des regionalen Übergangsmanagements gemacht. Hormel/Scherr (2004) weisen allerdings in diesem Zusammenhang zu Recht auf die Gefahr der Trivialisierung und Reduzierung von Diversity-Konzepten hin, wenn sie lediglich auf die Feststellung der Vervielfältigung von individuellen Lebensformen bezogen werden oder diese Vielfalt als allgemeines Ideal gepriesen wird. Mit Heterogenität sind vielmehr vielfältige Spannungsverhältnisse verbunden, die im regionalen Übergangsmanagement zu beachten sind. Gerade asymmetrisch konstruierte Unterschiede (z.B. zwischen durch ihre Kontextbedingungen „benachteiligten“ und „nicht benachteiligten“ Gruppen) deuten auf eine hierarchische Zuordnung von Unterschieden hin. Vielfalt und Unterschiede sind entsprechend in vielfältiger Weise auch weiterhin mit Fragen der Produktion und Reproduktion sozialer Ungleichheit verbunden. Sie sind an unterschiedliche symbolische, soziale, politische, rechtliche und ökonomische Bedeutungen und Konsequenzen von Differenzen geknüpft. Der Umgang mit Heterogenität kann deshalb nicht nur auf eine Forderung nach Beachtung, Toleranz und Anerkennung von Differenzen und ein Plädoyer für Vielfalt begrenzt bleiben. Der Umgang mit Heterogenität erfordert vielmehr (auch), die Strukturen und Prozesse durchschaubar zu machen, durch die Unterschiede im Wiedereinstieg in Erwerbsarbeit und im regionalen Übergangsmanagement konstruiert werden. Zu klären ist, wie sozial bedeutsame Differenzen hergestellt werden und als Mittel sozialer Benachteiligung, Ausgrenzung und ungleicher Bildungschancen verwendet werden. Diversity verlangt die Auseinandersetzung mit Klassifikationen, die Mitteilungen von Minderwertigkeit enthalten und für die Begründung von Benachteiligung und Ungleichheit herangezogen werden und Prozesse der Beteiligung verhindern (vgl. Hormel/Scherr 2004). Diversity ist damit ein Begriff, der im regionalen Übergangsmanagement vor allem dazu dient, zivilgesellschaftliche und soziale Rechte und Partizipationsmöglichkeiten von Minderheiten und/oder von Menschen, die von Benachteiligungen betroffen sind, einzufordern, ohne die Menschen selbst zu stigmatisieren. Sie ist zugleich ein Begriff, der den Blick auf die eigene Lebenspraxis und Lebensbewältigung der Menschen richtet und nicht auf die kategorisierbaren Unterschiede. Auf der europäischen Ebene (etwa in den einschlägigen Dokumenten der EU Kommission) hat sich deshalb immer mehr ein „horizontales“ statt „vertikales“ Verständnis von Diversität bzw. von Politiken der AntiDiskriminierung durchgesetzt (vgl. dazu Schulte 2006). Damit ist gemeint, dass die Verschiedenheit und die damit verbundenen Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und Kompetenzentwicklung (z.B. zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und so genannten Einheimischen, Frauen und Männer, Menschen mit 153
„special needs“ etc.) nicht als isolierte soziale Problemsäulen betrachtet werden sollen, sondern als Querschnittsthemen, die sehr unterschiedliche Kategorien der jeweils „Verschiedenen“ gleichermaßen betreffen. Die politische und pädagogische Herausforderung wird dabei nicht mehr primär in den Merkmalen einzelner Gruppen gesehen, die beachtet oder gefördert werden müssen, sondern es wird danach gefragt, wie in unterschiedlichen Kontexten Unterschiede hergestellt werden, welche Implikationen sich aus diesen Unterschieden im Hinblick auf Übergänge ergeben und ob und wie die Menschen sich in ihrer Unterschiedlichkeit an der Gestaltung der regionalen Übergangsstrukturen beteiligen können.
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Der Entwicklungsstand in der Praxis Patricia Brinker / Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme 1
Praxisbeispiele für den Übergangsbereich Schule – Erwerbsleben
Dienstleistungen, Maßnahmen, Projekte, Programme etc., die auf irgendeine Weise Gestaltungsfunktion in Bezug auf den Übergang von der Schule in das Erwerbsleben haben, finden sich gerade für diesen Übergangsbereich in großer Zahl (vgl. Bley/Rullmann 2006). Beispiele aus der Praxis, die sich um ein umfassendes Management der regionalen Gestaltungsaufgaben im Übergangsbereich Schule – Erwerbsleben bemühen, sind hingegen weniger stark bzw. oft nur in Ansätzen vertreten. Um diese Ansätze, die in Richtung eines regionalen Übergangsmanagements weisen, soll es im Folgenden gehen. Mit der eingeschränkten Auswahl von Beispielen – sowohl aus den Lernenden Regionen als auch aus dem weiteren In- und Ausland – sollen unterschiedliche Aspekte einer Praxis des Übergangsmanagements herausgestellt werden. Zu beachten ist dabei, dass hier immer nur ein Entwicklungsstand beschrieben wird, weil die Praxis einer großen Dynamik unterliegt. Die Praxis der Lernenden Region MIA lässt sich als Beispiel einer Angebotsgestaltung lesen, die auf die komplexe Situation der Region und dem daraus abgeleiteten Bedarf reagiert (1.1). Mit dem Beispiel der Lernenden Region Billenetz ist weniger die Ebene der konkreten Angebotsgestaltung angesprochen, sondern vielmehr ein umfassendes Konzept der Steuerung eines regionalen bedarfsorientierten Übergangsmanagements (1.2). Anders als in Hamburg, wo freie Träger wesentliche Steuerungsaufgaben des Übergangsmanagements übernehmen, setzt das Herforder Modell in der Entwicklung einer regionalen Bildungslandschaft auf die kommunale Verantwortung für ein regionales Bildungsmanagement, was u.a. wesentliche Umsetzungsaufgaben beinhaltet (1.3). Zwei Beispiele aus dem Ausland vermitteln anschaulich, wie die Entwicklung und Verbreitung allgemeiner Ansätze bzw. Leitsysteme (politische) Gestaltungsfunktion in Bezug auf den Übergang Schule – Erwerbsleben übernehmen (wollen) (1.4 und 1.5).
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1.1 Stand des Übergangsmanagements in der Lernenden Region SachsenAnhalt: Mitteldeutsche Industrieregion im Aufbruch (MIA) Rahmendaten – zur Region Die Region definiert sich hauptsächlich über den Wirtschaftsraum, d.h. über die Mitteldeutsche Industrieregion mit den Chemiestandorten Wolfen-Bitterfeld, Leuna und Schkopau. Seit der Wende 1989 hat es eine enorme Abwanderung gegeben, die es zu stoppen gilt. Laut der Lernenden Region MIA ist das Hauptanliegen aller regionalen ‚professionellen’ Akteure, eine weitere Abwanderung zu verhindern bzw. den Jugendlichen aus der Region die Perspektiven aufzuzeigen, die real in der Region existieren. Diese werden in der Industrie gesehen, die sich inzwischen wieder angesiedelt hat, auch wenn es sich hier um einen Bruchteil der ehemaligen Arbeitsplätze handelt. Mittlerweile beklagen aber viele Betriebe der Region Fachkräftemangel, den es nach dem Ansatz der Lernenden Region möglichst aus der Region heraus zu decken gilt, auch um die Region zu entwickeln. In dieser Vermittlung zwischen dem Bedürfnis der Jugendlichen, in der Region zu bleiben und dem Bedarf der Industrie an Fachkräften sieht die LR ihre Hauptaufgabe des Übergangsmanagements. Als regionenspezifisch wird ein historisch bedingter Konflikt herausgestellt: Die Region des Südlichen Sachsen-Anhalts (Chemiedreieck) ist mittlerweile wieder ein moderner Industriestandort mit einer Vielzahl an Betrieben der Chemie-Branche und angrenzenden Bereichen und gilt als einer der Wirtschaftscluster in Sachsen-Anhalt. Dem gegenüber steht ein relativ negatives Image der Industrieberufe, das von einer „abgehängten Generation“ (den so genannten Wendeverlierern) weitergetragen wird. Diese ist nach der Wende weitgehend arbeitslos geworden und es meist bis heute geblieben; sie sind die Eltern der Schulabgänger von heute. Diese Generation wird weitgehend als von der regionalen Entwicklung abgekoppelt beschrieben, sie haben nicht an den neueren Wirtschaftsentwicklungen partizipiert und werden das absehbar auch nicht. Aufgrund dessen ist für viele Eltern die Industriearbeit entwertet, was eine Berufswahlorientierung ihrer Kinder, der heutigen Jugendlichen, in Richtung der ansässigen Wirtschaft erschwert. Konzept des Übergangsmanagements Im Mittelpunkt des Übergangsmanagements steht das QFC (gemeinnützige Tochtergesellschaft der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie), von dem aus weitere Akteure eingebunden und auch Inhalte gesetzt werden. Dazu sind bestehende institutionalisierte Formen zu nutzen wie der Bildungsbeirat der IG BCE Halle-Magdeburg sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) für Berufsbildung in naturwissenschaftlichen und umwelttechnischen Berufen. Bei156
de Vereinigungen wurden in 2007 unter maßgeblicher Beteiligung des QFC vor dem Hintergrund des Institutionalisierungsgedankens gegründet. Von einer ehemals beabsichtigten Gründung einer juristischen Person für einen eigenständigen Bereich „Übergangsmanagement“ wurde mittlerweile abgesehen. Es erwies sich als zu kompliziert, die Partner dazu zu bewegen; zudem erwies sich eine eigene Institution aber auch als zu starr für ein lebendiges Netzwerk. Die Arbeit sollte daher nicht in einen festen Rahmen mit festen Regeln und Beschränkungen gesetzt werden, sondern an Themen entlang lebendig gehalten werden. Die „Lernende Region“ plädiert für eine „selektive Zusammenarbeit“, an der dann auch entsprechend engagierte Leute beteiligt sind. Dabei wird als wichtig angesehen, Themen zu finden, in denen Personen, Unternehmen und Organisationen sich mit ihren jeweiligen Interessen wiederfinden. Der Bedarf der Region wird über die Partner in den Netzwerken bzw. nach den zugänglichen statistischen Erhebungen abgeschätzt. Nach Einschätzung der Lernenden Region MIA mangelt es den Jugendlichen an teilweise elementaren Informationen bezüglich der Berufswahl. Die Schulen übernähmen die Aufgabe der Erschließung von Perspektiven in den regional vertretenen Branchen für ihre Schüler nicht in ausreichendem Maße. Daher wird eine stärkere Verantwortung der Schule betont. Angemahnt wird auch mehr Ehrlichkeit und Realismus in der Darstellung von Arbeitsmöglichkeiten. Zudem seien die Jugendlichen heute meist durch Medien beeinflusst und nähmen ihre Berufsideen von dort, wobei die sich nicht auf die Region beziehen (jeder will Koch werden, weil die Kochsendungen „in“ sind). Umsetzungsebene Im Rahmen von Übergangsmanagement wurden vom QFC so genannte Zielgruppencoachings durchgeführt, vor allem in den Bereichen
Berufswahlorientierung Berufsvorbereitende Trainings Branchenspezifische Berufswahlorientierung Lehrerfortbildungen
Weiteres wesentliches Element im Bereich „Übergänge“ ist die Einführung des Berufswahl-Siegels Sachsen-Anhalt als Zertifikat an Schulen der MIA-Region. Das Berufswahlsiegel ist ein von der Bertelsmann Stiftung entwickeltes Verfahren. Die Lernende Region erhält von Bertelsmann die „Idee“ bzw. das Label und entwickelt das Know-how der Umsetzung und alle notwendigen Instrumentarien entsprechend der regionalen Gegebenheiten und der Schulpolitik des Landes Sachsen-Anhalt. 157
Das Berufswahlsiegel ist für die Lernende Region MIA die „Schlüsselgeschichte“ in Bezug auf Übergangsgestaltung in der Region, da es für alle Kooperationspartner das Thema mit der größten gemeinsamen Schnittmenge geworden ist und das Netzwerk darüber wesentlich erweitert werden konnte. Strategien zur Sicherung der Nachhaltigkeit Der Finanzierungsrahmen für das Übergangsmanagement in der Region MIA war und ist das Programm Lernende Regionen. Ohne diesen Rahmen wird es unter Umständen möglich sein, vom Träger selbst in geringem Umfang Personal zu finanzieren, um das bestehende Netzwerk weiter zu koordinieren. Allerdings ist damit nicht annähernd die bisherige Arbeit zu leisten. Das Thema Berufsorientierung wird mit großer Wahrscheinlichkeit weiter Gegenstand der Arbeit des Trägers bleiben, aber wohl mit anderen Programmen finanziert werden müssen und von daher auch anderen Programmlogiken verpflichtet sein.
1.2 Stand des Übergangsmanagements in der Lernenden Region Billenetz (Hamburg) Rahmen – zur Region In der Hansestadt Hamburg gibt es derzeit mehrere Stadtentwicklungsregionen, von denen die Elbinseln und der Entwicklungsraum Billstedt-Horn flächenmäßig die größten sind. Letzterer entspricht in etwa dem Gebiet des „Billenetzes“. Das Billenetz ist ein Bildungsnetzwerk im Hamburger Osten mit den Stadtteilen Billstedt, Hamm, Horn und Rothenburgsort entlang des Flusses Bille. In der Region liegen einige der früheren typischen Arbeiterviertel Hamburgs. Das Billenetz entstand auf Initiative von „Arbeit und Leben Hamburg e.V.“ im Jahr 2002 im Rahmen des Programms Lernende Regionen. Besonderheiten in der Verwaltungsstruktur und damit auch in den Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten vor Ort ergeben sich in Hamburg aus der Eigenschaft eines Stadtstaates: Das Land Hamburg ist gleichzeitig Bundesland und Kommune. Das Stadtgebiet ist in Bezirke mit jeweils eigenen Bezirksparlamenten unterteilt. Die Bezirke haben gegenüber den Landesbehörden nur begrenzte kommunale Hoheit. Ihre Parlamente, die Bezirksversammlungen, haben die Stellung von Verwaltungsausschüssen mit eingeschränkten Befugnissen. Im Bereich Übergangsmanagement finden sich zum einen spezifische in Hamburg stattfindende Aktivitäten und Projekte, zum anderen arbeiten hier einzelne herausragende starke Akteure vor Ort (z.B. „Das Rauhe Haus“). Diese beiden Faktoren hatten auch prägenden Einfluss auf die Gestalt und Ausrichtung des Übergangsmanagements im Rahmen der Billenetzarbeit. 158
Die Situation vor Projektbeginn der Lernenden Regionen bzw. vor dem Start des Billenetzes war in vielen Bereichen sozialer Dienstleistungen, etwa in der Jugendhilfe oder im Bereich der Arbeitsförderung, durch Einsparungen gekennzeichnet. Mit dem Programm Lernende Regionen ergaben sich Möglichkeiten der Finanzierung bereits bestehender Kooperationsansätze, aber auch der Umsetzung neuer Ideen. So gab es in Hamburg bspw. schon länger verschiedene Ansätze der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule, die nun in gesicherterem Rahmen intensiviert werden konnten. Gerade die charakteristische Schnittstellenarbeit im Übergangsmanagement erschien den Initiatoren des Billenetzes geeignet, um Bildungsproblematiken im sozialräumlichen Umfeld anzugehen und damit die Bildungschancen der Menschen aus der Region zu erhöhen. Aus dem auf Bildungsaktivitäten in der gesamten Lebensspanne ausgerichteten Ansatz der Lernenden Region hat sich die Arbeit im Billenetz im Laufe der Zeit auf das Thema Übergangsmanagement in den Bereichen Kindergarten-Schule und vor allem Schule – Beruf verdichtet. Hierzu kam es auch aufgrund einer notwendigen Auswahl von Handlungsfeldern im Rahmen der Förderung. Bedarfe werden seitens der Akteure des Billenetzes aber weiterhin viel breiter beobachtet (von ganz jung bis ganz alt) und im Rahmen anderer Förderprogramme teilweise aufgegriffen. Konzept zum Übergangsmanagement Das Problem, von dem die Lernende Region Billenetz ausgeht, ist der „bunte Flickenteppich an intransparenter Projektstruktur“, der auf der regionalen Ebene durch das Zusammenkommen verschiedenster Förderprogramme der EU, des Bundes und der Länder entstanden ist. So strukturiert diese Programme im Kontext der Fördergeber sein mögen, so unstrukturiert wirken sie nebeneinander in der Region; häufig arbeiten mehrere Akteure parallel in ähnlichen Themenfeldern, doch der Austausch über die Aktivitäten und Absprachen zwischen den Akteuren kommen aufgrund der Konkurrenzsituation und der Unübersichtlichkeit der Projektlandschaft oft zu kurz. Vor diesem Hintergrund ist es nicht einfach, in solchen Sozialräumen aus verschiedenen bundes- und europafinanzierten Förderlinien ein regionales Entwicklungskonzept zu entwerfen, und es entsteht die Frage, wie dieser Prozess gesteuert werden kann. Deshalb gehört die Beteiligung an der Entwicklung regionaler Steuerungsstrukturen zu den wichtigsten Aufgaben des Billenetzes. Alles in allem sind die Aktivitäten und Maßnahmen im Übergang Kita – Grundschule und besonders im Übergang Schule – Beruf auf eine Vielzahl von Akteuren verteilt. Ein Steuerungsgremium muss aus Sicht der Billenetz-Akteure idealerweise diese verschiedenen Akteure im Sozialraum und ihre jeweils unterschiedlichen Steuerungsebenen (Bezirk und Land) sowie Förder- und Projektli159
nien (bundes- und europafinanziert) und Trägerschaften (öffentliche und freie Träger) zusammenbringen. Organisation und Arbeit im Netzwerk Zum Billenetz zählen Einrichtungen aus dem klassischen Bildungsbereich, der Jugendhilfe, soziale und kulturelle Einrichtungen, Betriebe, Beschäftigungsgesellschaften und Stadtteilvereine. Die bestehende Koordinierungsstelle ist gewissermaßen der Netzwerkknoten des Billenetzes. Das Netzwerk sieht sich auch als Impulsgeber und Moderator regionaler Entwicklungsprozesse. In der Anfangsphase gab es folgendes Organisationsmodell des Billenetzes: Die Netzwerkakteure finden sich in einem Plenum zusammen und entscheiden über die zentralen Handlungsfelder und über eine Auswahl bzw. Schwerpunktbildung. In der Startphase gab es zu Beginn die Bereiche Sprachförderung, Schule – Wirtschaft, Jugendhilfe – Schule und das Thema Ehrenamt sowie informelles und selbstorganisiertes Lernen. Es wurden Themenarbeitskreise gebildet, die diese Schwerpunktthemen bearbeiten. Aus diesen heraus konnten einzelne Projekte vorgeschlagen und entwickelt werden. Das Netzwerkmanagement koordiniert diese Prozesse. Die Netzwerkpartner bilden außerdem eine Steuerungsgruppe, die mit dem Netzwerkmanagement zusammenarbeitet. Bei Bedarf werden Wissenschaft, externe Experten oder Behörden mit dazu geholt. Seit einiger Zeit entstehen auf der Ebene der Hamburger Politik und Verwaltung verschiedene Steuerungsansätze. So wurden auf Bezirksebene flächendeckend „Fachämter für Sozialraummanagement“ eingerichtet und auch auf Landesebene gibt es verschiedene Steuerungsansätze und Programme (z.B. das Programm „Lebenswerte Stadt Hamburg“ zur Verbindung von Bildung und Stadtteilentwicklung). Das Billenetz versucht, diese Ansätze im Sinne einer gewinnbringenden Zusammenarbeit zu nutzen und die beteiligten Akteure ins Gespräch zu bringen. Bezüglich der Zusammenarbeit mit der Landesebene ergeben sich allerdings in gewissem Rahmen hierarchische Probleme, wenn bestimmte Aktivitäten „von oben“ in der Region ohne vorherige Abstimmung der zentralen regionalen Akteure umgesetzt werden sollen. Gleichzeitig entsteht eine Überlagerung verschiedener Netzwerkstrukturen, die über die gleiche Region gezogen werden, aber unterschiedliche – und sich in Teilbereichen überschneidende – Zielsetzungen und Strategien verfolgen. So ist die Region des Billenetzes zu einem Großteil auch Entwicklungsgebiet in den Programmen „Aktive Stadtteilentwicklung“ und „Lebenswerte Stadt“. Die Netzwerkpartner des Billenetzes haben sich auch in diesem Rahmen engagiert und in Arbeitsgruppen themenbezogen organisiert. Diese – für die Region durchaus positive Entwicklung – stellt allerdings das Billenetz vor die Herausforderung, gleichzeitig noch seine eigenen Arbeitszusammenhänge, seinen eigenen 160
Netzwerkfokus – das Übergangsmanagement der Region – sowie seine Netzwerkstrategie der Entwicklung von Strukturen „von unten“ her aufrechtzuerhalten und nicht in anderen Netzwerken „aufzugehen“. Die Vision einer Regionalen Entwicklungsagentur Um Regionales Übergangs- und Bildungsmanagement zu etablieren, haben die Initiatoren des Billenetzes die Vision einer „regionalen Entwicklungsagentur“ entwickelt. Dahinter steht die Idee eines zentralen Netzwerkknotens, der eng mit den einschlägigen Behörden, Ämtern, kommunalen und freien Trägern interagiert. Wesentliche Aufgabe der Entwicklungsagentur ist der Aufbau von Kooperationsstrukturen vor Ort, in deren Zusammenhängen sich die Akteure einer Region zusammensetzen und Ideen für ihren Bezirk entwickeln. Diese Netzwerke müssen, um funktionieren zu können, allerdings auch mit entsprechender Legitimation und mit Ressourcen ausgestattet sein. Eine wichtige Aufgabe einer solchen Koordinierungsstelle ist neben der Netzwerkarbeit die Schaffung von Transparenz, Informationenbündelung und Informationenweitergabe. Die Billenetz-Akteure fassen das Aufgabenspektrum aber noch weiter, indem auch ganz zentral die Impulsgeber- und Moderationsfunktion der Entwicklungsagentur hervorgehoben werden. Impulsgebung kann als Anregungsprozess verstanden werden, innerhalb dessen überlegt wird, welche Konzepte und Ansätze es bereits gibt und was man in die Region „hineinholen“ könnte. Moderation umfasst die Zusammenführung der zu bestimmten Themen arbeitenden Akteure einer Region und die Initiierung der sozialräumlichen Diskussionen mit dem Ziel der Erreichung gemeinsamer Sicht- und Vorgehensweisen. Um effektiv agieren zu können, benötigt diese Entwicklungsagentur bestimmte Beratungs- und Entscheidungsbefugnisse, damit „wirkliche“ bzw. „echte“ regionale Entscheidungen getroffen werden können und man sich nicht darauf beschränkt, Landes- oder flächendeckende Programme, die zudem auf bestimmte Fachbereiche bezogen sind, „von oben her“ umzusetzen. Erst dadurch kann eine regionale Perspektive eingenommen werden. Die Agentur braucht außerdem eine Geschäftsordnung, über die die Netzwerkpartner verbindlich mit ins Netzwerk geholt und mit der Möglichkeit, Entscheidungen zu beeinflussen, ausgestattet werden können. Als positive Effekte einer solchen Entwicklungsagentur werden die Überwindung des „Ressortdenkens“ und das Durchbrechen der althergebrachten „versäulten“ Strukturen in Politik und Verwaltung erwartet. Das Schaffen querliegender Strukturen zur Versäulung überwindet die Arbeit in der Begrenztheit eines bestimmten Fachbereichs und schafft die Möglichkeit, die Arbeit in der Region nach den relevanten Themen zu strukturieren. Die Koordination, 161
Impulsgebung, Moderation dieser querliegenden Strukturen sowie die notwendige Abstimmung mit den Bedarfen, Interessen und Zielen in der Region stellen zusammenfassend die umfangreichen Aufgaben einer solchen Entwicklungsagentur dar. Diese sind letztlich aber wiederum nur die Vorarbeiten zur Konzipierung einer Angebotsstruktur sowie zur Erarbeitung von Umsetzungsempfehlungen, die ebenfalls durch die Agentur erfolgen könnten. Dabei ist eine solche Agentur durchaus als „Lobby der Region“ zu verstehen, deren Interessenbekundungen bei zentralen Entscheidungsbildungen starkes Gewicht haben sollten. Fraglich ist noch die Legitimation dieser Agentur. In den Augen der Billenetz-Akteure wird eine Legitimation durch die Kommune selbst in Form eines öffentlichen Auftrags benötigt. Außerdem müssen gemeinsam mit den Akteuren vor Ort durch Plenum und Steuerungsgruppen Strukturen geschaffen und über eine entsprechende Geschäftsordnung abgesichert werden, die eine demokratische Legitimation bzw. eine Kontrolle im Sozialraum gewährleisten. Es dürfe nicht passieren, dass es einen „Gatekeeper“ gibt, der die Fäden zieht und die Entscheidungen fällt. Für solch ein Modell braucht es einerseits Vertrauen, aber auch Abstimmung und Kontrolle vor Ort. Diese Vision konnte bisher in gewissen Teilen ihre Umsetzung im Rahmen der bestehenden Billenetz-Arbeit mit der regionalen Koordinierungsstelle, dem Billenetz-Büro finden. Die weiterführende Idee der Regionalen Entwicklungsagentur wurde konzeptionell weiterentwickelt und in einem Businessplan mit dem Zeithorizont bis 2012 festgeschrieben. 1.3 Praxisbeispiel: Regionales Bildungsbüro im Kreis Herford18 Rahmendaten zur Region Der Kreis Herford liegt im Regierungsbezirk Detmold, der mit der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) deckungsgleich ist. Der Kreis umfasst neun Städte und Gemeinden mit insgesamt ca. 255.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die Wirtschaft wird durch mittelständische Unternehmen geprägt, wobei die Küchenmöbelindustrie eine zentrale Rolle spielt. Die Arbeitslosenquote im Herforder Agenturbezirk lag im April 2007 bei 8,7 %. „Das Angebot an regulären Ausbildungsplätzen im Rahmen des dualen Systems ist im Kreis Herford relativ klein. Im Arbeitsagenturbezirk Herford wurden 2006 3.800 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen (BIBB-Erhebung 2006). Viele Jugendliche sind daher auf alternative Angebote am Übergang Schule – 18
Zur Erstellung des Praxisbeispiels wurden Internetseiten und Publikationen des Regionalen Bildungsbüros sowie eine Fallstudie des DJI herangezogen.
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Ausbildung/Beruf angewiesen. Dabei spielen die Berufskollegs eine zentrale Rolle. 10.000 Jugendliche besuchen an einem der neun Berufskollegs im Kreis Herford einen Bildungsgang der Berufsschule (ca. 5.900 Schülerinnen und Schüler), der Berufsfachschule (ca. 3.700), der Fachoberschule (ca. 250) oder der Fachschule (ca. 680)“ (Schaub 2007, S. 3.). Seit Mitte der 90er-Jahre verfolgt der Kreis Herford die Entwicklung einer regionalen Bildungslandschaft. Diese zielt auf eine vernetzte und abgestimmte Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungsinstitutionen in der Region und weist damit über die formal getrennten Zuständigkeiten der einzelnen Institutionen hinaus. Grundlage und Inhalt dieser Zusammenarbeit ist eine qualitative Bildungsplanung in der Region. Ausgehend von der individuellen Bildungslaufbahn der Bürgerinnen und Bürger im regionalen Kontext und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen und Verantwortlichkeiten der Akteure im Bildungsbereich sollen Bildungsangebote gestaltet und weiterentwickelt werden. In diesem Zusammenhang fanden im Rahmen des Landesmodellprojekts „Schule & Co“ (1997 bis 2002) erste Aktivitäten im Hinblick auf eine Weiterentwicklung der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit statt, wobei die Schulentwicklung auch im Hinblick auf die Berufskollegs (s.o.) die ursprüngliche und vorrangige Bestrebung darstellte. Unterstützungsleistungen für verschiedene Bildungsinstitutionen sollten dabei der nachhaltigen Strukturentwicklung dienen. Ergebnis und Teil der Strukturentwicklung ist das Regionale Bildungsbüro des Kreises Herford, das 1999 gegründet worden ist. Das Bildungsbüro wird von einer so genannten staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft in Gestalt von Städten und Gemeinden einerseits sowie Kreis und Regierungsbezirk andererseits getragen. „Entsprechend der Annahme, dass andere, effektivere Formen der Kooperation jenseits von Ressortgrenzen praktiziert werden müssen, werden die Funktionen der kommunalen Planung und Gewährleistung für schulische Dienstleistungen und ihre inhaltliche Weiterentwicklung wahrgenommen und in Kooperation mit der staatlichen Schulaufsicht abgesichert“ (http://www2.regionales-bildungsbuero.de/index.php/wir_ueber_uns/1). Das Regionale Bildungsbüro hat die Funktion der Steuerung und Vernetzung unterschiedlicher Aktivitäten der Bildungsinstitutionen, ohne dabei einen eigenständigen hierarchischen Status innezuhaben. Es versteht sich gegenüber den Akteuren des Bildungsbereichs als Unterstützungs- und Dienstleistungsagentur und macht ggf. selbstständig Bildungsangebote. Organisation einer regionalen Bildungslandschaft. Das Regionale Bildungsbüro „Vor dem Hintergrund des Aufbaus einer regionalen Bildungslandschaft und aufgrund des breiten Ansatzes der qualitativen Bildungsplanung ist das Regiona163
le Bildungsbüro in verschiedenen Handlungsfeldern tätig (Schulentwicklung, Übergang Schule – Beruf, frühkindliche Förderung, Weiterbildung u.a.). Diese sind eng miteinander verzahnt und werden permanent aufeinander bezogen, da sie im Sinne einer bestmöglichen Bildungsbiographie nicht voneinander getrennt betrachtet werden können“ (http://www2.regionales-bildungsbuero.de/index.php/ wir_ueber_uns/2_handlungsfelder_und_projekte). Organisationaler Ausdruck der Vernetzungsbemühungen im Hinblick auf eine qualitative Bildungsplanung und im Hinblick auf die Entwicklung einer bedarfsgerechten Bildungsangebotsgestaltung in der Region sind die Gremien und Foren, die das Bildungsbüro initiiert und begleitet. Dazu gehören neben einem Lenkungskreis und regionalen Leitungsteams vor allem das Regionale Bildungsforum und die Kommunalen Bildungsforen. Mit den Bildungsforen sollen unterschiedliche Beteiligungsprozesse etabliert werden. Das Regionale Bildungsforum setzt sich inhaltlich mit den (Weiter-)Entwicklungen im Bildungsbereich auseinander und leistet u.a. eine systematische Zusammenfassung aller Initiativen und Projekte. Das Forum richtet sich allgemein an die am Entwicklungsprozess Beteiligten. Die Kommunalen Bildungsforen richten sich an unterschiedliche Akteure, aber auch an Schülerinnen und Schüler und Eltern. Letztere werden bspw. über Schülerkongresse oder Elternforen in die Gestaltung der regionalen Bildungslandschaft – insbesondere in die Schulentwicklung – einbezogen. Im Bereich der beruflichen Bildung und Ausbildung soll das Netzwerk für Bildung und Ausbildung eine umfassende Kommunikations- und Kooperationsstruktur sichern helfen. Folgende Institutionen bzw. Organisationen arbeiten in diesem Netzwerk zusammen: Agentur für Arbeit, ARGE, Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Regionalagentur OWL, Bildungspartner vor Ort, wissenschaftlicher Sektor (Uni Bielefeld, Uni Münster) und die Bertelsmann Stiftung. In diesem Rahmen findet u.a. mit dem „Koordinierungsgespräch zwischen den Berufskollegs, der Agentur für Arbeit, der ARGE und dem Regionalen Bildungsbüro [...] eine kontinuierliche kapazitäts- und bedarfsorientierte Angebotsplanung für die Schülerinnen und Schüler statt, die ein qualifiziertes Alternativangebot zum Ausbildungsplatz bzw. zum vollzeitschulischen Ersatzangebot benötigen“ (http:/www2.regionalesbildungsburo.de/index.php/berufliche_bildung/netzwerk) Quellen: Homepage des Regionalen Bildungsbüros: http://www2.regionales-bildungsbuero.de
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Schaub, Günter: Lokales Übergangsmanagement Schule – Beruf. Fallstudien zu drei Standorten: der Kreis Herford, die Landeshauptstadt Stuttgart und der Schweizer Kanton Zürich. München 2007.
1.4 Die School-to-Work-Bewegung in den USA Ursprünge, Entwicklungen und Ziele Vor etwa 20 Jahren haben Schulen in ganz Amerika neuartige Programme eingeführt, um ihren Schülerinnen und Schülern den Übergang in Arbeit zu erleichtern. Diese Programme sind das Resultat einer angestrebten Bildungsreform. Die School-to-Work-(STW-)Bewegung begann Ende der 80er- und Anfang der 90erJahre und hatte ihren Höhepunkt Mitte der 90er-Jahre. Seit Beginn des neuen Jahrtausends geht sie wieder schrittweise zurück. Die einzelnen Programme der Schulen sind im Rahmen dieser STW-Bewegung entstanden. Die Ursprünge der Bewegung gehen auf zunehmende Bedenken über verschiedene langfristige Entwicklungen der amerikanischen Wirtschaft in den 80er-Jahren zurück:
Der starke Einbruch des Produktionswachstums in den USA (begann in den frühen 70ern) und daraus resultierend der verlangsamte Anstieg der Löhne. Das große Gefälle, das nach 1980 hinsichtlich der Löhne zwischen denjenigen mit und Personen ohne Collegeabschluss entstand, bzw. auch zwischen gelernten und un- oder angelernten Arbeitern. Langfristig gab es eine zunehmende Ungleichmäßigkeit der Familieneinkommen, was allerdings eher als ein Resultat der ersten beiden Punkte anzusehen ist.
Unter den vielen verschiedenen Erklärungsversuchen für diese Entwicklungen lässt sich ein Grundkonsens in der Meinung ausmachen, dass viele junge Arbeiterinnen und Arbeiter, hauptsächlich diejenigen, die keinen 4-jährigen Collegeabschluss erworben haben, keinen bedeutenden Wert für eine technologiebestimmte Welt haben. Durch die ansteigende Konkurrenz und Globalisierung wird es diesen jungen Menschen zusätzlich erschwert, ihren Platz in der Arbeitswelt zu finden. In Folge dessen gab es einige Untersuchungen, die Zweifel daran aufkommen ließen, dass das amerikanische Bildungssystem die notwendigen Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln kann, um in dieser Welt zu bestehen, ohne eine grundlegende Reform einzuleiten.
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Die STW-Bewegung kann als Antwort des Bildungswesens auf diese Entwicklungen gesehen werden. Die Bewegung versucht das schulische Erleben und die Übergänge in Arbeit für Jugendliche zu verbessern, indem die sekundäre Bildung arbeitsbezogener gestaltet wird. In den späten 80ern etablierten viele Kommunen, Staaten und NPOs STW-Programme, weshalb die Bewegung zu einer bedeutenden Kraft für den Wandel im Bildungswesen wurde. Sie wuchs sehr schnell und bereits 1992 hatten die meisten Highschools STW-Angebote. Die frühen Initiativen der STW-Bewegung wurden von darauf folgenden Aktivitäten auf Bundesebene Anfang der 90er-Jahre verstärkt. Die wichtigste war ein Gesetz, der School-to-Work Opportunities Act (STWOP) von 1994, das für STW-Programme finanzielle Mittel garantiert. Seit Mitte der 90er-Jahre gibt es einen Konsens über den Inhalt von STWProgrammen und es wurde ein Modellprogramm entwickelt. Dieses beinhaltet eine Kombination von schulischem Lernen, praktischer Ausbildung und Aktivitäten, die Schule und Arbeitswelt verbinden. Diese Angebote sollen für eine breite Masse an Schülerinnen und Schülern konzipiert sein und zu höheren akademischen Abschlüssen und besseren Resultaten auf dem Arbeitsmarkt führen. Weiterhin beinhaltet das Modell in die Schule integrierte, arbeitsbezogene Aktivitäten sowie schulische Aktivitäten in Betrieben bzw. der Arbeitswelt, bei denen sich die Schüler engagieren sollen. Diese Aktivitäten müssen aber auch eine direkte Wirkung auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler haben. Die theoretischen Annahmen, die den STW-Programmen zugrunde liegen, gehen davon aus, dass die Kombination von schulischem und betrieblichem Lernen den Erwerb von akademischem Wissen und berufsrelevanten Fähigkeiten deutlich erhöht. Untersuchungen konnten dies allerdings nur teilweise bestätigen. Ungewiss bleibt, ob diese Annahmen für die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler gelten. Aus diesen Gründen war es auch nie sehr sicher, ob STW-Programme in weiten Teilen Amerikas eingeführt werden bzw. ob eine Einführung die schulischen und beruflichen Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler bedeutend beeinflusst. Da die STW-Bewegung aus einer amerikaweiten Besorgnis über die Beschäftigungsfähigkeit Jugendlicher ohne College- oder Universitätsabschluss heraus entstand, konzentrierten sich die Programme zu Beginn auf diese Zielgruppe. Mitte der 90er-Jahre änderte sich das und die Programme sollten für alle Schülerinnen und Schüler geöffnet werden und für alle passen. Die meisten Schülerinnen und Schüler nehmen an den STW-Programmen teil, weil sie glauben, dadurch ihre Chancen auf Arbeit zu steigern.
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Der STWOA sah hauptsächlich vier Veränderungen im amerikanischen Bildungswesen vor: Lokale Partnerschaften zwischen Bildungsinstitutionen und Arbeitgebern sollten eine zentrale Rolle spielen. Diese Kooperationen sollten den Schulen helfen, ihre Abschlussschüler mit den notwendigen Fähigkeiten für die neue technologiebestimmte Wirtschaft auszustatten. Arbeitgeber sollten helfen, die Curricula zu verändern und Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten an einem Arbeitsplatz zu entwickeln und zu trainieren. Die Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler sollte sich verändern. Schülerinnen und Schüler sollten die Möglichkeit bekommen, etwas über Karrieremöglichkeiten zu lernen, eigene Ziele zu formulieren und sich mehr in „career majors“ zu engagieren. Letzteres sind Programme, die akademische und berufliche Anleitungen vereinen, in Verbindung mit arbeitsbasiertem Lernen. Mit einem stärkeren Fokus auf Karrierezielen und mehr Möglichkeiten in einem Arbeitskontext zu lernen, sollten die Schülerinnen und Schüler bessere Lernergebnisse erzielen, eine höhere Motivation haben, sich im akademischen Bereich verbessern und die Übergänge in Arbeit oder eine weitere Bildungsinstitution leichter handhaben können. Die Ideen und Methoden der STW-Bewegung sollten in das amerikanische Bildungssystem implementiert werden. Bundesweite STWStiftungen sollten eine Entwicklung von dauerhaften Strategien, Programmen, Curricula und Möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler einleiten, ebenso wie gemeinschaftliche Beziehungen, die die Phase der bundesweiten Förderung überdauern sollten.
Heute ist die STW-Bewegung keine treibende Kraft mehr für Reformen im amerikanischen Bildungswesen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass so etwas wie ein „ideales STW-System“ in einer bedeutenden Zahl von Highschools dauerhaft implementiert wird. Dafür gibt es verschiedene Gründe: veränderte wirtschaftliche Bedingungen, schwindende nationale Unterstützung und einen „Overhype“ von den Befürwortern. Rückblickend wird von den Evaluatoren festgestellt, dass ein STWProgramm niemals für alle Schüler passen kann, was auch sein großer Fehler war. Dennoch können fast alle Schülerinnen und Schüler von den Aktivitäten der STW-Bewegung profitieren. Für viele Schülerinnen und Schüler stellt ein STWProgramm eine Annäherung an den sekundären Bildungssektor dar, das anderen Optionen in seinen Möglichkeiten, die Schülerinnen und Schüler in das akademische Lernen einzubinden und für den Arbeitsmarkt vorzubereiten, weit überlegen ist. 167
Quellen: Stull & Sanders (Ed.) (2003): The school-to-work movement: origins and destinations. Praeger, Westport, Connecticut
1.5 Guidance in Education: a new guidance system in Denmark Ausgangslage Das dänische Kernland umfasst 43.094 km² (ohne Grönland und zugehörige Färöer) und hat auf diesem Gebiet etwa 5,45 Millionen Einwohner (2007). Der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer beträgt 8,5 %. Die Arbeitslosenquote in Dänemark ist eine der niedrigsten in der EU, im Dezember 2007 lag sie bei 3,1 %. Da Dänemark ein Flächenland ist und Teile der Bevölkerung auf Inseln und schwerer zugänglichen Gebieten des Landes wohnen, ist es eine große Herausforderung, ein einheitliches und flächendeckendes Leitsystem für den Übergang Schule – Beruf/Weiterbildung einzuführen. Seit April 2003 gibt es in Dänemark ein neues Gesetz hinsichtlich eines Leitsystems beim Übergang Schule – Erwerbsleben/Weiterbildung, das seit August 2004 in Kraft ist. Dieses neue Gesetz soll ein einfacheres und transparenteres Leitsystem hervorbringen, das einen leichten Zugang zu qualitativ hochwertigen Beratungsstellen garantiert. Hauptsächliche Zielgruppe sind junge Menschen bis 25 Jahre, aber auch Erwachsene, die an einem Programm höherer Bildung teilnehmen möchten. Das Gesetz hat 7 Hauptziele, die bei der Beratung zu beachten sind:
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Die Wahl des Bildungsweges und der Laufbahn sollen von größtmöglichem Nutzen für das Individuum und die Gesellschaft sein. Die Beratung soll insbesondere auf Personen, die spezielle Bedürfnisse bei der Beratung haben, ausgerichtet sein. Individuelle Interessen, Qualifikationen und Fähigkeiten sowie vorhergehende Bildung und Arbeitserfahrung sollen in den Beratungsprozess mit einbezogen werden. Ebenso gilt es, den zu erwartenden Bedarf an Fachkräften und selbstständigen Geschäftsleuten zu thematisieren. Die Anzahl der Abbrechenden und Personen, die von einem (Aus-)Bildungsprogramm in ein anderes wechseln, soll so stark wie möglich verringert werden. Die Fähigkeiten der einzelnen Personen, selbstständig die benötigten Informationen über Bildungswege, -institutionen und Karrieremöglichkeiten zu finden und nutzen zu können, sollen verbessert werden. Die hier-
bei frei gewordenen Kapazitäten können somit auf Personen angewendet werden, die besonderer Hilfestellung bedürfen. Die Beratung soll unabhängig von sektoralen und institutionellen Interessen sein. Die Qualität des dänischen Leitsystems soll erhöht werden, darin inbegriffen ist die Verbesserung der Qualifikationen und Kompetenzen der Beraterinnen und Berater.
Das neue Leitsystem beim Übergang Schule – Erwerbsleben Um die oben formulierten Ziele mit einem neuen Leitsystem zu erreichen, wurden auf regionaler und nationaler Ebene verschiedene Maßnahmen ergriffen. Das bedeutete zum einen den Aufbau flächendeckender Jugendberatungszentren (Youth Guidance Centres) und Regionaler Beratungszentren (Regional Guidance Centres) sowie die Einrichtung eines Nationalen Bildungsportals (www.ug.dk/). In ganz Dänemark gibt es 46 Jugendberatungszentren für junge Menschen bis 25 Jahren, deren Fokus auf dem Übergang Pflichtschule – weiterführende Bildung/Arbeitsmarkt liegt. Sie sind an den Schulen aktiv, die Lehrerinnen und Lehrer sind immer noch für die allgemeine Laufbahnberatung von Klasse 1 bis 10 zuständig. Die Zentren unterstützen in Form von Koordination, Inspiration und Weiterentwicklung. Der Übergang Pflichtschule – weiterführende Bildung fällt in die Zuständigkeit der Zentren, findet allerdings an den Schulen der Jugendlichen statt. Ab Klasse 6 führen die Kinder ein Logbuch über ihren Bildungsgang mit dem Ziel, dass die Schülerinnen und Schüler Selbstbewusstsein und Fähigkeiten entwickeln, um berufliche und laufbahnbezogene Entscheidungen zu treffen. Im Anschluss daran wird ein individueller Übergangsplan erstellt, der Vorhaben und Ziele für die Zeit nach der Pflichtschule beinhaltet. Weiterhin müssen die Jugendberatungszentren Kontakt zu unter 19-Jährigen herstellen, die weder im Bildungssystem noch im Arbeitsmarkt sind. Durch die Beratung sollen sie in eines der Systeme integriert werden. Weiterhin gibt es 7 Regionale Beratungszentren, in deren Zuständigkeit die Bereitstellung von Beratung hinsichtlich des Übergangs Sekundarstufe II – höhere Bildung und Information hinsichtlich der Qualität aller Programme höherer Bildung in Dänemark und hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeiten oder Professionen, in die diese Programme münden können. Die Hauptzielgruppen der regionalen Beratungszentren sind Schülerinnen und Schüler in Programmen der Sekundarstufe II und junge Menschen außerhalb des Bildungssystems, die ein Programm der höheren Bildung anstreben. Die regionalen Beratungszentren haben ihren Fokus auf dem Übergang der Sekundarstufe II in höhere Bildung. Sie organisieren ein breites Spektrum an Beratungsaktivitäten zum Thema Bildung und Ausbildung (z.B. Workshops, Semina169
re …) an den Schulen der Sekundarstufe II. Außerdem können junge Menschen die Zentren besuchen und anrufen, um Informationen zu bekommen oder Beratungstermine zu vereinbaren. Es finden auch regelmäßig Sprechstunden in neutraler Umgebung wie öffentlichen Bibliotheken statt. Dies soll dazu dienen, dass eine zu große geographische Distanz zum nächstgelegenen Zentrum nicht dazu führt, dass einige Personen keinen Zugang zu wichtigen Beratungsdiensten erhalten. Die Zentren werden vom Bildungsministerium finanziert, bei dem auch die Hauptzuständigkeit liegt. Die Zentren beschreiben ihre Tätigkeiten in jährlichen Berichten, die dem Bundesministerium zur Zustimmung vorgelegt werden. Die regionalen Zentren müssen ein System zur Qualitätssicherung einführen, das sich an den Leitlinien des Ministeriums orientiert. Auch die regionalen Beratungszentren müssen mit wichtigen Partnern der Region, mit Einrichtungen der Sekundarstufe II und der höheren Bildung, mit sozialen Partnern sowie mit Industrie und Handel zusammenarbeiten, um ein kohärentes Leitsystem und regelmäßigen Austausch an Erfahrungen, Wissen etc. sicherzustellen. Zudem zeichnet sich das Bildungsministerium für die Einrichtung und Führung eines Fachzentrums verantwortlich. Die Aufgaben eines solchen Zentrums sind die Wissensbündelung, Qualitätsentwicklung, Koordination der verschiedenen Beratungsarten, Initiation von Analysen, Umfragen und übergreifenden und der Weiterentwicklung dienender Aktivitäten. Darüber hinaus wurde 2003 vom Bildungsminister ein Nationales Forum (National Dialogue Forum) gegründet. Dieses soll einerseits der Entwicklung und Ausweitung der Beratungsqualität dienen und andererseits einen engen Dialog zwischen dem Minister und den relevanten Organisationen, Institutionen, Beraterverbänden und den Personen in leitenden Positionen im Leitsystem sicherstellen. Es gibt 3 bis 4 Treffen pro Jahr zum Austausch und zur Diskussion. Die Mitglieder werden für 2 oder 4 Jahre ernannt. Momentan besteht das Forum aus 11 Privatpersonen, 12 Vertreterinnen und Vertretern von Mitgliedsorganisationen und 5 Ministern. Quellen: Broschüre des Bildungsministeriums in Dänemark (Dezember 2004): http://pub.uvm.dk/2004/guidance/hel.pdf Die Reform des Leitsystems in Dänemark: http://eng.uvm.dk/guidance/ Offizielle Homepage von Dänemark: http://www.denmark.dk/en Gesetzesentwurf (Englische Version) vom 30. April 2003: eng.uvm.dk/guidance/guidance.doc Internetportal des dänischen Bildungsministeriums http://www.ug.dk/
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Praxisbeispiele für den Bereich Wiedereinstieg in das Erwerbsleben
Beschäftigt man sich mit der Praxis zum Thema Wiedereinstieg in das Erwerbsleben, stößt man im Rahmen nationaler Recherchen in erster Linie auf arbeitsmarkt-, bildungs- oder familienpolitische Programme und Maßnahmen, die, meist bezogen auf eine spezifische „Problemgruppe“, Hilfen zum Übergang in Arbeit anbieten. Dieses sind dann vorwiegend Angebote der Beratung, Qualifizierung oder Weiterbildung. Daneben gibt es einige Regelangebote von Akteuren bzw. Trägern einer Region, etwa Beratungen durch Arbeitsagenturen, die dann auch allgemeiner ausgerichtet sind. Übergangsmanagement im Bereich Wiedereinstieg suggeriert zunächst auf einer individuellen Ebene, dass es hierbei um Hilfen für Menschen geht, die bereits im Erwerbsleben gestanden haben und durch einen wie auch immer gearteten „Bruch“ – ob nun für kurze Zeit oder lang andauernd – aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Die konkreten Hilfen im Bereich Wiedereinstieg hängen ab von den Ursachen der Erwerbsunterbrechung, von damit zusammenhängenden Problemen und Bedarfslagen und von der individuellen Situation der Betroffenen. Die Hilfen richten sich daher meist an verschiedene Zielgruppen; dieses sind dann zum Beispiel Frauen und Männer nach Eltern- bzw. Familienzeiten, Langzeitarbeitslose oder Migrantinnen und Migranten. Es sind in der Vergangenheit zahlreiche Instrumente zur Unterstützung des Wiedereinstiegs entwickelt worden, von Abendkursen bis hin zu Integrationsprojekten. Regionales Übergangsmanagement im Sinne von Netzwerkmanagement ist jedoch auf einer übergeordneten Ebene angesiedelt. Es verlässt die Ebene der Betrachtung einzelner Maßnahmen. Vielmehr geht es um die systematische Entwicklung einer Angebotsstruktur, die die vorhandenen Projekte und Aktivitäten einer Region bündelt und koordiniert und Bedarfe und daraufhin Angebotslücken systematisch aufzeigt und durch gezielte Angebote schließen kann. Im Folgenden sollen exemplarisch sowohl Beispiele aus der Praxis der Lernenden Regionen als auch Beispiele im nationalen sowie internationalen Rahmen beschrieben werden. Soweit wie möglich wird dabei das Übergangsmanagement auf der infrastrukturellen Ebene in den Blick genommen. Im Rahmen des Programms der Lernenden Regionen ging es in diesem Übergangsbereich um den Wiedereinstieg erwachsener Menschen (allerdings erfahren auch viele Jugendliche und junge Erwachsene heute bereits Brüche, etwa zwischen Ausbildung und erstem Job oder insgesamt während der Zeit als Berufsanfänger, so dass man genau genommen auch bei ihnen bereits vielfach von einem Wiedereinstieg sprechen müsste). Entsprechende Aktivitäten in den Lernenden Regionen erfolgten vor allem in den Bereichen Weiterbildung, Qualifizierung (während und nach der Elternzeit und längeren Familienphasen, zur 171
Anpassung an neue Arbeitsmarkterfordernisse, s. Beispiel 2.1), Beratung und Begleitung sowie Vernetzung (z.B. in Anlaufstellen, Beispiel 2.2), Kompetenzanalyse und Information (z.B. Weiterbildungsmessen). Jenseits des Programms der Lernenden Regionen findet sich das Beispiel der Sozialen Betriebe, die sich dadurch auszeichnen, in innovativen Arbeitsfeldern die regionale Ökonomie zu erweitern (2.3). Im internationalen Rahmen lassen sich wiederum eher Ansätze für einzelne Unterstützungsinstrumente finden, die auch in Deutschland praktiziert werden, jedoch kaum auf eine Managementebene abzielen (2.4).
2.1 Übergangsmanagement im Bereich Wiedereinstieg im Vertiefungsprojekt „Übergänge und Brücken“ der Lernenden Region „Lernender Niederrhein“ Entstehungsgeschichte und zentrale Aktivitäten Die Region Lernender Niederrhein deckte in der Vertiefungsphase (August 2006 bis Dezember 2007) unter dem Projekttitel „Übergänge und Brücken“ neben dem Übergangsbereich Schule – Beruf das Übergangsfeld Elternzeit bzw. Familienphase und Beruf ab. Der Schwerpunkt des hier behandelten Wiedereinstiegsthemas lag also auf der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit der Wahl dieses Themas knüpften die Akteure der Lernenden Region an eigene vorangegangene Aktivitäten in diesem Feld an; die zentralen beteiligten Institutionen waren in Bezug auf Hilfen zum Wiedereinstieg schon lange aktiv. Als besonders dringlich wurde die Aufnahme der Thematik in das Tätigkeitsfeld der Lernenden Region vor allem auch deshalb erachtet, da in Nordrhein-Westfalen etwa zeitgleich bis dahin bewährte Strukturen auf diesem Feld abgebaut wurden. Mit der Weiterführung im Rahmen der Lernenden Regionen sollten wertvolle Erfahrungen und vorhandenes Know-how zum Thema gesichert werden. Das Thema Wiedereinstieg wurde von der Region Lernender Niederrhein und wird nun von den weiterführenden Akteuren mit Blick auf die Zielgruppe Eltern nach Familienzeiten behandelt. Dabei wurden und werden Mütter und Väter gleichermaßen angesprochen. Der Anteil teilnehmender Väter kann allerdings, zumindest während der Förderzeit der Lernenden Regionen, als marginal bezeichnet werden. Insgesamt sind die gesellschaftlichen Bedingungen noch immer so, dass in weitaus größerem Maße Frauen die unmittelbar Betroffenen im Konfliktfeld Arbeitswelt und Familienleben sind. In Bezug auf die Problemlagen der Zielgruppe ist noch einmal zu unterscheiden zwischen einer Rückkehr aus der Elternzeit, also der Jobaufnahme nach einer kürzeren Berufsunterbrechung, und dem Wiedereinstieg nach längerer Auszeit.
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Bei einer Rückkehr aus der gesetzlich definierten Elternzeit bestehen die Schwierigkeiten des Wiedereinstiegs weniger in möglichen Qualifikationsdefiziten. Diese lassen sich leicht ausgleichen. Die eigentlichen Probleme ergeben sich aus den hohen Anforderungen an Mobilität und zeitlicher Flexibilität im Arbeitsleben und den diesen Forderungen nicht entsprechenden Rahmenbedingungen für Eltern. Hier erweist sich das Vorhandensein von Kinderbetreuungsmöglichkeiten als zentrale Bedingung. Bei Elternteilen mit längeren Nichterwerbsphasen liegen die Probleme häufig auf der Ebene mangelnden Selbstvertrauens. Erworbene Kompetenzen aus der Familienzeit werden dabei häufig übersehen bzw. für nichtig erklärt. Bei diesen potenziellen Rückkehrerinnen und Rückkehrern gilt es zunächst, ihr Selbstbewusstsein wieder, bspw. über ihre Stärken im Sozialen, aufzubauen und Motivation für ein eigenständiges Tätigwerden zu erzeugen. Ziele der Lernenden Region bzw. der ihr nachfolgenden niederrheinischen Akteure im Feld der Hilfen zum Wiedereinstieg können in der Erhöhung der Erwerbsarbeit nach der Familienphase sowie einer Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung gesehen werden. Trotz des ausdrücklichen Einbezugs von Männern bzw. Vätern und der Schaffung geschlechtsneutraler Angebote ist dabei die Erhöhung der Frauenerwerbsquote weiterhin ein wichtiges Ziel. Dahinter steht das übergeordnete Ziel, die Potenziale der Berufsrückkehrerinnen stärker zu nutzen und ihnen neue Perspektiven und biographische Anknüpfungspunkte zu vermitteln. Die ehemalige Region Lernender Niederrhein verfolgte dabei einen Ansatz der Schaffung von Transparenz und Vernetzung zwischen allen beteiligten Akteuren und allen bestehenden Aktivitäten des Wiedereinstiegs nach Familienzeiten. Die Arbeit lässt sich als Vermittlungs- und Übersetzungsarbeit zwischen den möglichen Wiedereinsteigern und den Betrieben fassen. Ansprüche an die Ausgestaltung der Angebote waren ein sensibles und empathievolles Aufeinander zugehen sowie die Einnahme eines „bestimmten Blickes“ auf die Bedürfnisse und Kompetenzen der Zielgruppe. Dabei geht es vor allem auch darum, zu erfassen, welche Kompetenzen in der spezifischen Lebenslage vorhanden sind und diese für die Unternehmen zu übersetzen. In der Beratung ist ein wesentlicher Ansatz die Unterstützung zur Vernetzung der Frauen untereinander (also bspw. indem keine Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt, sondern die Selbstorganisation in diesem Bereich gefördert wird). Die konkrete Arbeit erfolgte in den drei Subregionen an verschiedenen Standpunkten und Anlaufstellen. Die Aktivitäten umfassten im Einzelnen die Bedarfsermittlung auf allen Seiten und Bündelung der bestehenden Angebote, die Vernetzungsarbeit, die Informations- und Beratungsarbeit sowie das Angebot von Schulungen und Weiterbildungen sowohl für Fach- und Führungskräfte aus Betrieben als auch für Berufsrückkehrer. In der Erfahrung zeigte sich immer wieder, dass Weiterbildung und Schulungen im „luftleeren Raum“ wenige Effekte 173
erzielen, sondern in vielen Fällen eine einhergehende intensive und nicht nur berufsbezogene, sondern ganzheitliche Beratung notwendig ist. Einen Zugang zu Menschen mit langen Auszeiten erhält man durch niedrigschwellige Angebote (z.B. durch Beratung). Die Bedeutung von Vätern im Gesamtprozess der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist seit langem bekannt. Ein eigenes Projekt hierzu („Väter und Karriere“) ist nach Ende der Lernenden Region in einem anderen Projektzusammenhang gestartet. Angesichts der gesellschaftlich und kulturell immer noch bestehenden hohen Hürden für Männer, am Familienleben teilzunehmen, versucht man hier Wege der besseren Vereinbarkeit von Vatersein und Beruf aufzuzeigen. Bedarfserhebung Zu unterscheiden sind zunächst die Weiterbildungsbedarfe, die sich an den Qualifikationsanforderungen der Unternehmen orientieren und die individuellen Bedürfnisse und Interessen der potenziellen Wiedereinsteiger. Am Anfang der Vertiefungsphase gab es eine umfangreiche Erhebung zum Thema „Rückkehr aus der Elternzeit“. Mit Unterstützung eines Marktforschungsinstituts wurden Unternehmen, Eltern und Experten aus der Weiterbildung befragt, um einen Überblick über die Problematiken und die Gesamtsituation von Berufsrückkehrern auf den Arbeitsmarkt zu erhalten. Die Befragungsergebnisse wurden als Grundlage für weitere Überlegungen zum Übergangsmanagement für Berufsrückkehrer in der Region genommen. Auf der Grundlage wurde im Rahmen der Netzwerkarbeit gemeinsam analysiert, welche Angebote sinnvoll und realisierbar sind. Eine derart umfassende Erhebung ist natürlich nicht in regelmäßigen Abständen möglich. Daher werden im Verlauf derzeit auf verschiedenen anderen Wegen Bedarfe ermittelt. So werden weiterhin Unternehmen nach ihrem Weiterbildungsbedarf befragt, bzw. berichten diese im Rahmen der bestehenden Netzwerkarbeit. Ein weiteres Vorgehen ist die Analyse von Anforderungsprofilen in Stellenanzeigen und die direkte Nachfrage in Unternehmen in konkreten Fällen bevorstehender Rückkehr aus der Elternzeit. Die Bedürfnisse der Zielgruppe werden, neben sporadisch wiederkehrenden Befragungen, im direkten Zusammentreffen und Austausch beobachtet und erfragt. Netzwerkarbeit Während der regulären Durchführungsphase der Lernenden Regionen (2003 bis 2006) wurde, ausgehend von ehemals vier initiierenden Institutionen, ein umfangreiches Netzwerk zur Bearbeitung von Übergangsmanagement und anderen Bildungsthemen in der Region aufgebaut. Zentrale Netzwerkpartner gründeten
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im Anschluss das „ForumBildung Niederrhein“, in dessen Rahmen die Netzwerkarbeit fortgeführt wird. Der weitere Erhalt und die Steuerung der Netzwerkaktivitäten speziell im Bereich Wiedereinstieg erfolgt derzeit durch einen der ehemaligen Initiatoren der Lernenden Regionen. Das „Institut für Maßnahmen zur Förderung der beruflichen und sozialen Eingliederung“ (IMBSE e.V.) sieht sich hier in der Verantwortung und repräsentiert das Thema Verbindung von Familie und Beruf in der Region. Das aktuell bestehende Netzwerk zum Wiedereinstieg, das „Kompetenznetzwerk Berufsrückkehr“, setzt sich aus 17 Weiterbildungsträgern der Lernenden Region zusammen. Hier kommt es zu regelmäßigen Treffen auf Ebene der Verantwortlichen bzw. Geschäftsführer. Das Kompetenznetzwerk versucht Bedarfe zu bündeln, der Zersplitterung durch Angebote „aus einer Hand“ entgegenzuwirken und insgesamt durch ein gemeinsames Auftreten an Stärke zu gewinnen. In der Netzwerkarbeit werden etwa Angebote abgestimmt und konkrete Vorgehensweisen entwickelt. Wert wird darauf gelegt, keine Standardangebote, sondern neue bedarfsgerechte Kombinationen und innovative Dienstleistungen anzubieten. Finanzierung Im Projektverlauf wurde verschiedentlich die Frage thematisiert, inwieweit Hilfen zum Wiedereinstieg auch ohne öffentliche Förderung bzw. Projektfinanzierung zu gewährleisten sind. Hier zeigte sich, dass Angebote im Bereich Weiterbildung und Qualifizierung noch am ehesten finanzierbar sind, hauptsächlich über Bildungsgutscheine der Arbeitsverwaltung, einen betrieblichen Anteil und einen Eigenanteil. In diesem Zusammenhang ist hoch anzusehen, dass die Frauen aus der Elternzeit in dieser Region grundsätzlich bereit sind, einen finanziellen Beitrag zu leisten. Dieser Anteil reicht allerdings bei Weitem nicht aus. Im Rahmen der Lernenden Regionen wurden hierzu Unternehmen der Region nach ihrer Bereitschaft befragt, Kosten für Qualifizierung und Weiterbildung zu übernehmen. Dahinter stand auch die Frage, ob sich Bedarfsbekundungen seitens der Unternehmen mit der Bereitschaft decken, auch finanziell einen Beitrag zu leisten. Allerdings zeigten sich hier Diskrepanzen, vor allem aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen in den immer noch vorhandenen geschlechtsspezifischen Arbeitsfeldern. Großer Bedarf wird von Unternehmen bzw. Arbeitgebern signalisiert, die in frauentypischen Beschäftigungsfeldern tätig sind, wie z.B. in den so genannten freien Berufen. Diese sind dann aber meist nicht in der Lage, große finanzielle Anteile zu übernehmen. Unternehmen hingegen, die bereits Fachkräftemangel beklagen, wie etwa in der Metallindustrie, wollen zwar Weiterbildung auch finanziell unterstützen, suchen dann in der Regel aber doch meist männliche Arbeitnehmer mit einschlägigen Qualifikatio175
nen. Ein weiteres zu finanzierendes Feld ist die Beratungsarbeit, die zwar zum Teil über die Arbeitsverwaltung abgedeckt ist, aber nicht in dem wünschenswerten Maße. Beratungsaktivitäten wurden meist über Projektfinanzierungen wie Lernende Regionen und über andere Projekte mitfinanziert. Insgesamt erscheinen für Übergangsmanagement im Bereich Wiedereinstieg vor allem eine verlässliche Finanzierung bzw. eine Regelfinanzierung und die damit verbundene Sicherung von Kontinuität von Wichtigkeit. Insbesondere in Flächenregionen mit weiten Entfernungen stellen feste Anlaufstellen an verschiedenen Orten eine Grundbedingung dar.
2.2. Stand des Übergangsmanagements in der Lernenden Region Münster/ Münsterland Entstehungsgeschichte und Zentrale Aktivitäten im Übergangsmanagement Träger der Lernenden Region Münster/Münsterland ist die Handwerkskammer Münster. Sie hat seit über. 10 Jahren eine eigene Projektabteilung (die auch für das Projekt Lernende Region zuständig ist), die relativ unabhängig agiert. Sie bietet aber auch selbst Bildungsmaßnahmen an und operiert als großer Bildungsträger im Feld, wird aber dennoch in den Netzwerken weniger als Konkurrent denn als Koordinator im Übergangsmanagement wahrgenommen. Eher waren andere – kleinere – Institutionen froh, dass die HK mit ihren Ressourcen die Koordination übernommen hat, da sie mehr Möglichkeiten hat, das Übergangsmanagement der Region auch nach der Programmförderung zu koordinieren. Die Übergangsschwerpunkte Schule – Beruf und Wiedereinstieg in die Arbeitswelt bestanden im Grunde von Anfang an, wurden im Verlauf des Projekts verdichtet und sind inzwischen die zentralen Pfeiler der Lernenden Region Münster/Münsterland mit der Anlaufstelle Schule – Beruf (Träger: Stadt Münster, Amt für Schule und Weiterbildung) und der Anlaufstelle Wiedereingliederung (bei Stadt Münster/VHS in Trägerschaft). Die zentrale Ausrichtung der Lernenden Region Münster/Münsterland sind die Vernetzung, Bündelung und Koordination der Aktivitäten verschiedener Träger in der Region, die sich in irgendeiner Weise dem Übergang von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie Erwachsenen widmen. Zwei Anlaufstellen (Schule – Beruf und Wiedereingliederung) stellen dabei ein breites Beratungsangebot zur Verfügung, bündeln die Angebote der verschiedenen Träger und spiegeln ihre Erfahrungen an die Akteure und Strukturen zurück.
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Netzwerkarbeit und Netzwerksteuerung Münster ist grundsätzlich eine gut vernetzte Region, in der Netzwerkarbeit Tradition hat. Dies erleichterte die Arbeit der Lernenden Region sicherlich erheblich, da man hier von einer Offenheit der Akteure ausgehen kann. Nun sollte eine vernetzte Struktur geschaffen werden, die allen Institutionen die Teilnahme ermöglicht und auch transparent macht. Zu Beginn der Arbeit wurden durchaus auch Konkurrenzen bzw. die Befürchtungen davor ausgemacht. Im Rahmen der Netzwerkarbeit wurde aber geklärt, dass es hier nicht um Konkurrenz geht, sondern um die Vernetzung und Steuerung der verschiedenen Teilbereiche des Übergangsmanagements. Das Netzwerk war dabei offen für neue Personen und Akteure. Zum Teil wurde auch eine externe Moderation in den Ausschüssen herangezogen, z.B. bei Finanzverhandlungen, bei denen sich alle einigen mussten. Die Steuerungsmechanismen des Netzwerks wurden im Laufe der Jahre entwickelt. Sie bestehen aus folgenden Ebenen:
Lenkungsausschuss (führende Vertreter der beteiligten Institutionen, Unternehmen usw.); geschäftsführender Ausschuss („Operative Ebene“; Vertreter der Teilprojekte; die Koordination hat die Handwerkskammer inne). Hier werden die Ideen geboren, formuliert und in den Lenkungsausschuss gegeben; hier werden auch Strukturen, Schnittmengen, Parallelstrukturen diskutiert. Durch dieses Gremium ist ein Austausch über Strukturen und Aufgabenbereiche entstanden, welcher besonders von der Arbeitsagentur und der ARGE inzwischen als hilfreich angesehen wird, weil nur so beispielsweise Überlappungen bei Programmen zwischen den einzelnen Maßnahmen der Institutionen besser zu strukturieren sind. Forum (in dem alle Partner vertreten und einbezogen sind); Arbeitskreise (Kommune, Kammern, Unternehmen, KMU, Universität, Bildungsträger). Hier arbeiten einzelne Vertreter von Institutionen direkt an Projekten.
Die Netzwerkarbeit wird von den Protagonisten vor allem als Arbeit an den Strukturen beschrieben, die nicht unbedingt öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt werden kann. Hier geht es eher um eine kleinschrittige, komplexe Arbeit. Für die Öffentlichkeitsarbeit sind eher konkrete Praxisprojekte geeignet, mit denen etwas „gezeigt“ werden kann. Der Erfolg der Netzwerkarbeit in dieser Region ist eher von den Personen abhängig, die Erfahrung in Projekt- und Netzwerkarbeit haben – besonders natürlich auf Seiten der Koordination.
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Bedarfsermittlung Die Bestimmung des Bedarfs in der Region erfolgte zum einen durch die Partner, die in ihren Zusammenkünften die Bedarfe aus ihrer Sicht, die sie im Verlauf ihrer Arbeit erworben haben, spiegelten. Zum anderen wurde der Bedarf der Adressaten über Projekte im Rahmen der Lernenden Region in das Netzwerk zurückgespiegelt, indem die gemachten Erfahrungen an alle weitergegeben und in den Lenkungsausschuss berichtet wurden. Die Weitergabe dieser Informationen geschieht u.a. über Veröffentlichungen. Die Bedarfsermittlung geschieht also aus den Maßnahmen heraus per „Bottum-up-Prinzip“ und wird dann über die Professionellen an das Netzwerk weitergegeben. Umsetzung des Übergangsmanagements in der Anlaufstelle für Wiedereingliederung Die Anlaufstelle wurde als Beratungsstelle für Menschen gegründet, die aus den verschiedensten Lebenssituationen heraus ins Berufsleben zurückkehren oder sich dort verändern wollen oder müssen. Die Problematiken, mit denen die Menschen kommen, sind höchst unterschiedlich: Sie kommen aus der Elternzeit und suchen Arbeit, sind arbeitslos, es sind Menschen in Arbeit, die beunruhigt oder beängstigt durch ihre Arbeitssituation sind (neuer Chef, fehlende Aufstiegsmöglichkeiten, Erschöpfung durch die berufliche Anforderung, anstehende betriebsbedingte Kündigung, bis hin zu Mobbingproblemen und der Grenze zu psychischen Erkrankungen durch die Arbeitssituation), Alleinerziehende, vorwiegend Frauen, die durch hohe Belastungen in Arbeit und Erziehung oder schwierige finanzielle Situationen am Rande ihrer Möglichkeiten angelangt sind, Schuldenproblematiken, Existenzsicherungsproblematiken. Sie können hier eine Erstberatung mit bis zu 4 kostenfreien Gesprächen in Anspruch nehmen, in denen Wege und Perspektiven erörtert werden. Die Beratungen sind so angelegt, dass sie den Ratsuchenden zunächst eine eigene Orientierung verschaffen sollen und die für die biographische Situation passenden weiteren Schritte aufgezeigt werden können. Die Beratung ist dabei grundsätzlich offen und an den Kunden orientiert. Sie ist also nicht vorrangig auf die Vermittlung in Arbeit ausgerichtet, sondern greift vielmehr die Bedürfnisse der Kunden auf und versucht, von da aus Perspektiven aufzuzeigen. Der Begriff „Wiedereingliederung“ ist daher aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unglücklich gewählt. Es geht weniger um eine Eingliederung als um die Beratung und Begleitung von Menschen in Übergangssituationen, die zunächst offen sind. Eine Besonderheit der Anlaufstelle ist die grundsätzliche Offenheit des Beratungsangebots für alle Menschen, auch wenn sie in Beschäftigung sind. Zugleich verweist inzwischen die Arbeitsagentur viele ihrer Kunden auf die Anlaufstelle, um ihnen eine qualitativ hochwertige Beratung zukommen zu lassen. 178
Ziel ist es, eine reine Maßnahme-Zuweisung (die oft genug vom MaßnahmeAngebot und nicht von der biographischen Situation her bestimmt wird) zu vermeiden, weil eine solche Art der Vermittlung und Zuweisung keine Passgenauigkeit zwischen Hilfe und Biographie herstellen kann. Wichtig ist das individuelle Eingehen auf die Problematiken und die Offenheit für viele Lösungsmöglichkeiten in der Beratung. Vorsichtig, das heißt, nur in Fällen, wo es wirklich Sinn macht, wird auch Kompetenzfeststellung angeboten. Grundsätzlich nimmt die Beratung nicht nur die Arbeitssituation, sondern die gesamte Lebenssituation in den Blick. Dementsprechend vielfältig sehen die weiterführenden Aktivitäten der Ratsuchenden aus: Therapie (etwa bei Mobbing), Bewerbungen, persönliche Veränderungen wie Wegzug, Kurse usw. Entlastend für die Ratsuchenden wirkt meist schon die Erfahrung, dass ihre Problematik Teil eines gesellschaftlichen Phänomens ist und sie nicht alleine dafür verantwortlich sind bzw. sich jemand dieser Problematik annimmt. Die Erfahrungen der Anlaufstelle zeigen, wie wichtig solche individuellen Ansätze in Übergangssituationen sind. Die individuellen Wege vom Ausgangspunkt der Beratung bis zur Bewältigung der Situation mit ihren Problematiken sind sehr verschieden, oft weit und kaum geradlinig. Der Erfolg der Beratung ist meist gerade davon abhängig, inwieweit es gelingt, neue Perspektiven und Möglichkeiten für die Ratsuchenden aufzuzeigen und die „Schmalspurlösungen“, auf die viele Menschen eingeengt sind bzw. werden, zu erweitern. Viele Menschen finden heute nicht die ausreichende Orientierung darüber, welche Handlungsmöglichkeiten ihnen in ihrer Situation tatsächlich offen stehen. So viele Möglichkeiten „objektiv“ bestehen mögen oder medial vermittelt werden – die Wahrnehmung der Menschen ist eher, dass sie diese Vielfalt gar nicht auf sich beziehen können und sich selbst mit ihrem eigenen Alltag nicht ins Verhältnis zu diesen Möglichkeiten setzen können. Die Anlaufstelle dient nicht nur der Beratung von Kunden, sondern ebenso der Vernetzung der Träger untereinander. So können deren Angebote über den zentralen Zugang der Anlaufstelle durch die Kunden – je nach Bedarf in der biographischen Situation – genutzt werden. Andere Träger bieten zum Teil im kleineren Bereich ebenfalls eine „vorgeschaltete“ Beratung an, aber alle diese Stellen sind inzwischen in das Netzwerk der Region eingebunden und ergänzen sich. Die Vernetzung der Stelle wird zudem aktiv dazu genutzt, die Erfahrungen aus den Gesprächen mit Rat suchenden Menschen in die Übergangsstrukturen (Träger, Geldgeber) zurückzuspiegeln und gestaltend Einfluss zu nehmen. Dabei wird auch auf ein „Umdrehen des Denkens“ – weg von der Maßnahmenorientierung, hin zur Orientierung am Kunden und seiner biographischen Situation – hingearbeitet. Dies schließt die Gespräche mit Auftrag- bzw. Geldgebern (vor179
rangig Arbeitsagentur, Arge) ein, um diese zu einer stärkeren Kundenorientierung zu bewegen. Zugleich ist die Anlaufstelle mit vielen Arbeitgebern vernetzt; diese nutzt sie nicht nur zur Kontaktvermittlung zwischen Rat suchenden Kunden und Unternehmen, sondern sie hat auch Grundsatzgespräche über die Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt mit den Arbeitgebern der Region geführt. Perspektiven Die Idee der Lernenden Region Münster/Münsterland ist, das Modell der vernetzten Anlaufstellen in verschiedenen Übergangsbereichen, in denen ja durchaus bereits Netzwerke und Angebote zur Unterstützung und Hilfe bestehen, schrittweise zu etablieren. Die Anlaufstelle fungiert dabei auch als Scharnier für verschiedene Träger und Akteure, die sich treffen, um sich gegenseitig kennen zu lernen, Profile zu schärfen und sich auch über Methoden auszutauschen. Auf diese Weise sollen die Mauern der Konkurrenz untereinander zu einem Teil überwunden und eine gemeinsame Strukturierung und Profilierung des Angebots in Gang gesetzt werden. Der Druck zur Refinanzierung jeglicher Arbeit wird als sehr hoch wahrgenommen. Hier entsteht eine Diskrepanz zwischen dem hohen Arbeits- und Zeitaufwand, der für neue Antragstellungen nötig ist, und der Unsicherheit und Diskontinuität der tragenden Arbeitsstellen. Hier zeigen auch in der Region Münster und Münsterland die Erfahrungen, dass sich Institutionen bestimmten Aufgaben auch ohne Refinanzierung über Projekte stellen können müssen, weil bestimmte Aufgaben (wie z.B. die Sicherung des Nachwuchses in der Region) im Prinzip keinen Projektcharakter haben, sondern eine verlässliche Struktur brauchen. Eine weitere wichtige Erfahrung in der Lernenden Region Münster/Münsterland ist, dass die „Förderstränge“ oft an der realen Entwicklung in den Regionen vorbeigehen. In den Programmen wird teilweise immer noch von Konzepten ausgegangen, die nicht die Entwicklungen in der Netzwerkarbeit der letzten Jahre berücksichtigen. Das zentrale Anliegen von Regionen wie Münster, die bereits auf Netzwerkstrukturen zurückgreifen können, ist nicht die Neuvernetzung der Region, wie es die Förderphilosophien verschiedener Programme derzeit vorsehen. Hier müssen vielmehr die vorhandenen Netzwerke zusammengeführt und optimiert werden. Auch dabei ist die Region zumindest teilweise auf öffentliche Förderungen angewiesen; um diese zu bekommen, muss sie allerdings ihre Problemlagen eher passend zu den Förderprogrammen als zur Realität definieren. Aus der bisherigen Netzwerkarbeit zum Übergangsmanagement hat sich in der Region die Vision entwickelt, als nächsten Schritt das jeweils lebensphasenbezogene Übergangsmanagement untereinander zu vernetzen und aufeinander abzustimmen. Zukünftig muss hier geklärt werden, welche Bedarfe und Aufgaben in den jeweiligen Übergängen – über die Lebensspanne hinweg – 180
bestehen und wie man ihnen in der Region gerecht werden kann. Bei einer solchen „Übergangsperspektive über die ganze Lebensspanne“ sieht man in Münster verschiedene Akteure für die jeweiligen Übergänge beteiligt, aber es sollte eine Gesamtperspektive entwickelt werden, so dass Bedarfe schneller erkannt und ausgeglichen werden können. Hier wird auch der Gedanke geäußert, dass für ein umfassendes Übergangsmanagement letztendlich auch die ausführenden (Bildungs-)Systeme verändert werden müssten.
2.3 Praxisbeispiel: Soziale Betriebe Besondere Formen von Betrieben wie Soziale Betriebe (oder zum Beispiel auch Integrationsfirmen) richten sich an so genannte Problemgruppen des Arbeitsmarktes (oder auch „Schwervermittelbare“), also solche Personen, denen aufgrund bestimmter bestehender oder ihnen zugeschriebener Merkmale der Zugang zum Erwerbsleben weitestgehend versperrt ist. Dies sind etwa Langzeitarbeitslose oder Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Soziale Betriebe sind kein Beispiel für ein Management von Übergängen im Sinne der Gestaltung und Steuerung von Angebotslandschaften, sondern können jeweils nur einen gewissen Beitrag zum Regionalen Übergangsmanagement im Hinblick auf die Schaffung und Erweiterung regionaler Beschäftigungskontexte leisten. Sie können in dieser Hinsicht aber wesentlich dazu beisteuern, „Ermöglichungsräume“ und damit auch Formen der Anerkennung und Weiterentwicklung für Menschen zu schaffen. Zudem fördern sie die Entwicklung regionaler Bildungs- und Beschäftigungsstrukturen und bergen hier erhebliche Potenziale hinsichtlich der lokalen Beschäftigungsentwicklung, gekoppelt mit Effekten für Gemeinwesen und Regionalentwicklung. Die bisher praktizierten Modelle dieser besonderen Betriebsformen lassen einen wesentlichen Unterschied zwischen den Sozialen Betrieben (einschließlich Frauenbetriebe) und Integrationsfirmen erkennen. Die Gründungen Sozialer Betriebe basierten auf Modellprojekten verschiedener Bundesländer mit einem befristeten Förderzeitraum von etwa 5 Jahren. Hier wurden zwar zunächst Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose geschaffen, aber mit dem grundsätzlichen Ziel des Transfers in ungeförderte Beschäftigung. Angestrebt wurden keine langfristigen sozialen Unternehmungen, sondern entweder die Integration der Beschäftigten in normale Betriebe oder aber die Überführung der Sozialen Betriebe in eigenständige Unternehmen (vgl. Birkhölzer/Kramer 2002, S. 6). Im Gegensatz dazu dienen Integrationsfirmen grundsätzlich der Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung. Sie können auf verschiedene, auch konti-
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nuierlich verfügbare, Elemente der Förderung zurückgreifen und sind zudem seit 2001 gesetzlich festgeschrieben. Die Förderung Sozialer Betriebe als Arbeitsmarktinstrument ist in verschiedenen Bundesländern (u.a. Berlin, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen) erprobt worden. Man versteht darunter Betriebe zur Beschäftigung und Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen, basierend auf einem einheitlichen Förderkonzept. Die Betriebe sehen sich als Bestandteil des allgemeinen Arbeitsmarktes und arbeiten erwerbswirtschaftlich orientiert. Sie bieten längerfristige Arbeitsverhältnisse unter realistischen Arbeitsbedingungen an. Durch erworbene Arbeitserfahrung und gegebenenfalls Qualifizierung soll aber auch der Übergang in nichtgeförderte Arbeitsverhältnisse unterstützt werden (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1996, S. 10 ff.). Betont wird häufig (vor allem von Seiten der Förderung) die besonders marktnahe und marktorientierte Form der Betriebe, bei denen der Transfergedanke zentral ist. Die Zielsetzung ist also zunächst eine doppelte: Etablierung am Markt zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten einhergehend mit Betreuungsund Qualifizierungsangeboten zur Unterstützung des Übergangs. Je nach Fördervorschriften des jeweiligen Landes müssen mehrheitlich Langzeitarbeitslose beschäftigt werden. Im Vorfeld der Förderungen werden Geschäftsideen und Betriebskonzepte auf ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit überprüft (vgl. ebd.). Soziale Betriebe waren beispielweise in Niedersachsen bereits seit 1991 ein Element der Arbeitsmarktpolitik mit dem Ziel der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen oder sonstigen „Problemgruppen“ in das Erwerbsleben. Als Zielsetzung des entsprechenden niedersächsischen Förderprogramms wurde hervorgehoben, dass auf direktem Wege längerfristige Beschäftigungsmöglichkeiten hergestellt werden sollten. „Ausgangspunkt muss dabei sein, dass einerseits an dem Leistungsvermögen der Arbeitslosen angeknüpft wird und andererseits die Marktbedingungen Berücksichtigung finden“ (Kleine 1994 zit. n. Linhart 2003, S. 25). Soziale Betriebe unterscheiden sich von den üblichen Instrumenten und Modellen zur Integration in den Arbeitsmarkt unter anderem in folgenden Punkten (vgl. Linhart 2003, S. 23):
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durch die Kooperation von verschiedenen politischen Bereichen (Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Bildung, Wirtschafts- und Strukturpolitik); durch eine längerfristig angelegte Förderung, die institutionelle und individuelle Förderung verbindet; durch die Verbindung von Qualifizierung und Beschäftigung;
durch die eigenständige Gründung der Betriebe und die häufige Wahl der Rechtsform „GmbH“ sowie Wahl eines Firmennamens (Abgrenzung zu Beschäftigungsinitiativen); durch das Ziel der zunehmenden Erwirtschaftung der eigenen Kosten.
Perspektiven Das Modell der Sozialen Frauenbetriebe (vgl. Linhart 2003) kann abschließend als Beispiel im Bereich des Managements von Wiedereinstiegen angesehen werden, allerdings weniger im Sinne des Transfergedankens in nichtgeförderte Betriebe, sondern in Richtung der Schaffung von Dauerarbeitsplätzen. Hiermit können Gelegenheiten geschaffen werden, vorhandene Befähigungen „zeigen“ und anwenden zu können. Es wäre ein entscheidender Schritt zur Anerkennung und Weiterentwicklung vorhandener Kompetenzen von Menschen im Übergang, den Blick des Übergangsmanagements für solche Gelegenheitsstrukturen und „Ermöglichungsräume“ zu öffnen. Aktuell scheint es jedoch keine laufenden Förderprogramme für Soziale Betriebe zu geben.
2.4 Ansätze im internationalen Rahmen Im internationalen Kontext lassen sich Wiedereingliederungsprogramme für verschiedene Zielgruppen finden, allerdings beinhalten fast alle ausschließlich die üblichen Beratungs- und Unterstützungsangebote, die auch in Deutschland bekannt und verbreitet sind. Dennoch sollen im Folgenden einige Projekte aus verschiedenen Staaten vorgestellt werden, um die verschiedenen Zielgruppen der Wiedereingliederungsprogramme deutlich zu machen. Das „Parents Return to Work Program“ ist ein Programm zum Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit in Australien. Die Initiative der Südaustralischen Regierung begann im Januar 2005. Das Programm richtet sich an arbeitslose Eltern, die nach einer Betreuungszeit ihres/er Kindes/er von mindestens 2 Jahren, in denen sie nicht mehr als 4 Monate gearbeitet haben, in den Beruf zurückkehren möchten. Es bietet ein Bildungsguthaben bis zu 1200 $ AUS, die innerhalb von 12 Monaten für Weiter- und Fortbildungen genutzt werden. Diese Weiter- und Fortbildungskurse müssen die für die Arbeit notwendigen Fähigkeiten sowie die zukünftigen Berufsaussichten verbessern und die Teilnehmenden auf den beruflichen Wiedereinstieg vorbereiten. Zudem kann das Bildungsguthaben nur bei bestimmten Anbietern eingelöst werden. Hierzu zählen private Bildungseinrichtungen und Colleges. Das Guthaben kann auch für das erste Jahr eines Universitätsstudiums genutzt werden.
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In Schottland gibt es das „Mark & Start Lone Parents Return to Work Programme“, ein Programm für Alleinerziehende mit mindestens einem Kind unter 17 Jahren, die wieder in die Berufstätigkeit zurück möchten. One Parent Families Scottland bietet in Zusammenarbeit mit Marks & Spencer einen dreitägigen Arbeitsworkshop an, an den sich ein zweiwöchiges Praktikum in einem Marks & Spencer Geschäft anschließt. Die Kosten für die Kinderbetreuung werden übernommen und es gibt die Möglichkeit einer Ausbildungsvergütung. Die Teilnehmenden werden während des Programms unterstützt, es wird ein Plan zur weiteren Vorgehensweise mit und für sie erstellt und abschließend wird ihnen, wenn gewünscht, eine Beurteilung geschrieben. Zwei Drittel der Teilnehmenden finden innerhalb von 13 Wochen nach Beendigung des Programms eine Anstellung. In der Schweiz gibt es ein Programm, das sich speziell an Berufsrückkehrerinnen richtet. Der Verein WEFA (Wiedereinstieg für Frauen in die Arbeitswelt) bietet Kurs- und Beratungsangebote für Wiedereinsteigerinnen an. Diese sollen die Handlungskompetenz von Wiedereinsteigerinnen fördern, mit dem Ziel einer nachhaltigen, kompetenzorientierten Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Es werden bspw. Kurse zu den folgenden Themen angeboten: Zurück in den Beruf – Standortbestimmung für Familienfrauen, ich positioniere mich – Kompetenz-Management nach CH-Q, Trennung und Scheidung – so gestalte ich meine Zukunft, Wiedereinstieg Pflege, Wiedereinstieg kaufmännischer Bereich und Wiedereinstieg Verkauf. Die Kurse müssen allerdings selbst finanziert werden. Für Gefängnisinsassen, die aus der Haft entlassen werden, gibt es Wiedereingliederungsprogramme; diese betreffen auch die Arbeitswelt. Die „Prisoners Re-entry Working Group“ in Boston, Massachusetts bietet bspw. umfassende Beratungsangebote an und arbeitet mit verschiedenen Einrichtungen zusammen. Unter anderem werden hier verschiedene Angebote zur (Weiter-)Bildung und Workshops zum Wiedereinstieg in die Arbeitswelt gemacht sowie Hilfe beim Zusammenstellen und Verfassen der Bewerbungsunterlagen angeboten. Für Personen und deren Familien, die aus dem Militärdienst zurück in ihre Heimat kehren und wieder in die Arbeitswelt einsteigen möchten, hat die USamerikanische Regierung das Programm „return2work“ ins Leben gerufen. Das Projekt startete 1998 und bietet den Rückkehrern Hilfe bei der Suche nach Arbeit und (Weiter-)Bildungsmöglichkeiten sowie Unterstützung durch weitere Beratungsangebote. Die Initiative fungiert zudem als eine Art Arbeitsvermittlungsagentur für ehemalige Armeeangehörige. Arbeitgeber können ihre freien Stellen melden und die Organisation versucht, passende Arbeitnehmer aus ihrer Datei zu vermitteln. Die Arbeitnehmer können sich mit ihrem Profil bei „return2work“ melden, um die Arbeitsvermittlungsdatei aufgenommen zu werden.
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Am häufigsten sind Programme für Personen, die nach längerer Krankheit oder einem Arbeitsunfall in das Arbeitsleben zurückkehren möchten, zu finden. Als Beispiel seien hier die „Return to work“-Programme der Provinz British Columbia und das „Labour Market Re-Entry“-Programm der Provinz Ontario in Kanada genannt. Diese werden direkt von den Firmen eingeführt und beabsichtigen den betreffenden Mitarbeiter so früh wie möglich in das Unternehmen zurückzuführen. Falls der Mitarbeiter nicht auf seiner früheren Position eingesetzt werden kann, wird er an einer anderen Stelle im Unternehmen eingesetzt. Zudem erhält der Mitarbeiter medizinische Förderung und Begleitung durch einen Arzt sowie Unterstützung bei der Arbeit und Weiterbildung. Die Arbeit wird hier als ein Teil der Therapie angesehen, mit dem Ziel die Personen schnellstmöglich, aber gesund und sicher wieder in eine normale Vollzeitstelle zu bringen. Für jede Person wird ein individueller Zeitplan erstellt, in dem die Zeitpunkte festgehalten werden, wann die Person, wie viel arbeiten und welche Arbeit sie verrichten kann. Außerdem wird eine Arbeitsvermittlung angeboten für den Fall, dass der Mitarbeiter nicht mehr in seinem alten Betrieb unterkommen kann. Quellen: Elternzeit (Australien) http://www.returntowork.sa.gov.au/parents.php Elternzeit (Schottland) http://www.opfs.org.uk/aboutus/projects/marksandstart.html Elternzeit (Schweiz) http://www.wefa.ch/de/200_angebote/index.php?n2=Ziele%20und%20Arbeitsweise Haftaufenthalt (USA) http://www.exoffenderresources.org/content.php?id=6 Nach Militärdienst http://www.return2work.org/ Längere Krankheit / Arbeitsunfälle (Kanada) http://www.wsib.on.ca/wsib/wsibsite.nsf/Public/LabourMarketReentry http://www.worksafebc.com/claims/rehab_and_rtw/default.asp
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Ansätze zur Gestaltung eines regionalen bedarfsorientierten Übergangsmanagements Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer Die angeführten Praxisbeispiele – insbesondere diejenigen, die im Programm der Lernenden Region verortet sind – leiten zu der zentralen Aufgabe über, einen theoretischen Zugang (und daran anschließend ein entsprechendes Rahmenmodell, vgl. den Beitrag zum Referenzmodell) für ein regionales und bedarfsorientiertes Übergangsmanagement zu entwickeln. Bisher hat sich hier, z.T. gefördert durch verschiedene Programme (Kompetenzagenturen, Lernende Regionen, BQF) eine Praxis entwickelt, die mehr oder weniger explizit und umfassend die Vernetzung verschiedener sozialer Dienstleistungsangebote und die transparente Ausgestaltung einer regionalen Infrastruktur zur Unterstützung von Menschen im Übergang zum Ziel hat. Eine theoretische Aufarbeitung und Rahmung dieser Entwicklungen gibt es allerdings bislang nur in Anfängen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2007; Lex u.a. 2006; Weinheimer Initiative 2007; Kruse u.a. 2009). Aus diesen Gründen wurde im Leitvorhaben Übergangsmanagement schwerpunktmäßig an einem theoretischen Zugang gearbeitet, der sich auf die eigentliche Managementebene bezieht. Es geht hierbei also nicht zuerst um einzelne Projekte, auch wenn diese eine Vernetzungsperspektive beinhalten sollten. Vielmehr soll hier die Infrastruktur in einer Region insgesamt in den Blick genommen werden. Diese Ebene der Infrastruktur zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bei der Bewältigung von Übergängen wird im Folgenden anhand von drei Thesen entwickelt, die einerseits den Gang der Entwicklung des Themas Übergangsmanagement skizzieren, andererseits auch eine theoretische Weiterentwicklung nachzeichnen. 1. These: Weil mit der Krise des Bildungssystems die Übergänge im biographischen Verlauf nicht mehr institutionell gewährleistet werden können, werden flexible Unterstützungsangebote für die Bürgerinnen und Bürger zur Bewältigung von Übergängen notwendig In der Reaktion auf die Krise der Bildungsinstitutionen entstand eine Diskussion um Übergänge (vgl. im Überblick Walther 2000, 2002) und es wurden mit Hilfe staatlicher und kommunaler Finanzierungsprogramme verschiedene Modellprojekte, Maßnahmen und Dienstleistungsangebote (wie Beratungen, Weiterbil187
dungsmöglichkeiten, Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen usw.) geschaffen, die im weitesten Sinne Menschen bei der Bewältigung der Übergänge unterstützen sollen. Der „Kernbereich“ ist dabei immer noch der Übergang in Arbeit im jungen Erwachsenenalter, der besonders durch die verschiedensten arbeitsmarktpolitischen Programme öffentlich gefördert wird. In diesem Bereich wurden zu allererst und stetig wachsend verschiedenste Maßnahmen entwickelt, die heute im Prinzip flächendeckend in allen Regionen Deutschlands Jugendliche und junge Erwachsene bei der Bewältigung der Übergänge in Arbeit unterstützen sollen. Ausgehend von einer Fokussierung auf sozial Benachteiligte hat sich dieser Sektor inzwischen stark ausgeweitet. Aber auch Probleme in den anderen Lebensaltern, so beim Eintritt in die Schule, beim Einstieg bzw. Wiedereinstieg in Arbeit im Erwachsenenalter sowie bei der Gestaltung der Erwerbs- und Nacherwerbsphase im Alter sind inzwischen Thema geworden. Mit den verschiedenen Programm- und Projektfinanzierungen bis hin zu Regelförderungen sind in den letzten Jahren, quasi unter der Leitmaxime „Innovation durch Wettbewerb“, verschiedenste Unterstützungsinstrumente entwickelt worden, die z.T. durchaus als kreativ bzw. „innovativ“ zu bezeichnen sind (vgl. Beitrag zum Referenzmodell). Mit diesen Förderungen sind in den Regionen – je nach Trägerinteressen, Förderzielen von Bund, Ländern und Kommunen oder auch dem Engagement einzelner Personen vor Ort – ein mehr oder weniger breites Angebot an Projekten, Maßnahmen, Weiterbildungsangeboten, Beratungsangeboten usw. entstanden, das aus den verschiedensten (Modell-)Programmen und Regelförderungen finanziert wird. Diese Instrumente sind jedoch zu allererst auf den Einzelfall bzw. auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten – so bei verschiedenen Coachingformen, Beratungsansätzen, Bildungsangeboten usw. Erst danach folgen einige Ansätze, die in irgendeiner Form geeignet sind, in die Region auszustrahlen – so etwa Bildungsmessen, Verbundprojekte oder Fortbildungsprogramme für Lehrkräfte. Vernetzungen gehen im Markt meist von dem „Unternehmen“ bzw. eben von Trägern aus und sind quasi sternförmig mit dem Bezugspunkt einer Organisation angelegt. Damit kann es so viele Netzwerke wie Akteure in einer Region geben, die sich zwar überlappen, aber untereinander nicht unbedingt koordiniert sind. Diese Koordination bzw. Vernetzung der Netzwerke ist weit mehr für die Region als für den einzelnen Träger vorteilhaft. Bereits auf der überregionalen Ebene der finanziellen Förderung sind die verschiedenen Programme nur ungenügend aufeinander abgestimmt; in den Regionen kommen nun aber die verschiedensten Förderphilosophien mehrerer Ministerien sowie die Förderungen von Bund, Ländern und Kommunen und auch Stiftungen zusammen. Dazu gesellen sich Aktivitäten der Wirtschaftsakteure wie Gewerkschaften, Handwerkskammern und IHKs. All diese Projekte und Maß188
nahmen sind auf der Ebene der Regionen höchstens in Anfängen strukturiert und koordiniert. Denn die Strukturierung der Angebote ist im Prinzip einem „QuasiMarkt“ überlassen worden: Träger der Region können sich auf die ausgeschriebenen Förderprogramme bzw. um kommunale Mittel bewerben und bekommen – je nach Marktlage, d.h. je nach konkurrierenden Mitbietern, der Güte und dem Preis des Konzepts bzw. den zur Verteilung freigegebenen Geldern – Mittel für entsprechende Maßnahmen zugewiesen (oder auch nicht). Die Organisationen der Wirtschaft agieren meist eigenständig, d.h. unabhängig von öffentlichen Programmvorgaben, wenn auch an ähnlichen Philosophien orientiert. Dabei verfolgen sie naturgemäß in der Regel die Interessen der von ihnen vertretenen Betriebe, das heißt sie versuchen, die geeigneten Lehrlinge für Ausbildungsplätze zu „filtern“ bzw. Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Das Marktmodell Man kann sich Übergangsmanagement als marktförmig organisiert denken. Ähnlich den Marktmechanismen der freien Wirtschaft gibt es Anbieter und „Käufer“ von Dienstleistungen bzw. ein Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage. Es herrschen Bedingungen des Wettbewerbs bzw. der Konkurrenz – obgleich es im Bereich sozialer Dienste kein „reines“ Marktsystem, sondern im Grunde nur Wettbewerb auf der Anbieterseite gibt. Eine Steuerung erfolgt über die zentralen Marktakteure, d.h. diejenigen, die die Anbieter (i.d.R. Träger) finanzieren. Das sind hier kaum die „Kunden“, die die Angebote nutzen, da sie nur selten über eigene Mittel verfügen, sondern die öffentlichen (Bund, Länder, Kommunen, Arbeitsagenturen), teilweise auch privaten Finanzgeber (bspw. Stiftungen), die einen Bedarf sehen und diesen teilweise auch selbst definieren. Einen besonderen Fall des Marktmodells stellt die Leitidee vieler Arbeitsagenturen dar: Hier wird im Prinzip der Bedarf definiert als die Maßnahmen, die von der Agentur vor Ort als notwendig zur (Wieder-)Eingliederung ihrer „Kunden“ in den Arbeitsmarkt erachtet werden. Der Bedarf auf Seiten der „Kunden“ kommt zustande, wenn eine Leistung „nachgefragt“ wird, das heißt, wenn Menschen – in der Regel nach der Feststellung durch eben dieses Amt – bspw. eine Weiterbildung benötigen, um den Anforderungen des Arbeitsmarktes zu genügen, Beratung nachfragen oder wenn etwa Jugendliche einen Ausbildungsplatz oder äquivalente Perspektiven suchen. „Mehr Markt“ wird hier einerseits durch die freiere Auswahl unter den Trägern, die eine bestimmte Maßnahme anbieten (Beratung, Computerkurs usw.), oder durch die „Kunden“ etabliert (z.B. über Bildungsgutscheine); andererseits sorgt die Arbeitsagentur durch ihre Ausschreibungspraxis, die schließlich über die Mittelzuweisung bzw. Anerkennung von Maßnahmenträgern entscheidet, für 189
Wettbewerb unter den Bildungsträgern. Zudem ist zu bedenken, dass dieser Markt stark durch gesetzliche Vorschriften (SGB II, III, VIII) geregelt ist und diese Regelungen die Hilfesuchenden nicht als Marktkunden, sondern als Antragsteller für Hilfeleistungen ansehen. Sowohl Angebot als auch Nachfrage wird in diesem Modell also über einige wenige zentrale Akteure und deren Bedarfsdefinitionen gesteuert. Eine Marktsituation im eigentlichen Sinne kann hier nicht zustande kommen, weil diejenigen, die die Leistungen über ihre eigene Kaufkraft und ihre eigene Entscheidung nachfragen müssten, entweder kaum über Kaufkraft verfügen oder aber nicht frei auf dem Markt agieren können. Der „Kunde“ des Job Centers steht im Allgemeinen in einer (insbesondere finanziell bedingten) Zwangssituation, in der er kaum aus vielen Angeboten frei wählen und nur unter Sanktionen darauf verzichten kann, eine Maßnahme in Anspruch zu nehmen. Denn ein Einkommen lässt sich normalerweise nur über eine Erwerbsarbeit erzielen, und Menschen werden in der Regel nur zu Kunden der Arbeitsagentur, wenn bzw. weil sie gerade keinen Zugang zu dieser Erwerbsarbeit haben. Der so genannte „Kunde“ kann also nicht als gleichberechtigter Marktteilnehmer auftreten und durch sein Wahlverhalten den Markt regulieren. Die freie Wahl und Entscheidung für oder gegen ein Produkt bzw. eine Dienstleistung, das/die auf dem Markt angeboten wird, ist jedoch konstitutiv für das Funktionieren eines Marktes. Nur wenn die „Kunden“ ausreichend Mittel und Entscheidungsgewalt in der eigenen Hand hätten, könnte man tatsächlich von einem Markt sprechen. Ohne diese eigenen Mittel werden sie im Marktmodell – zumindest, wenn man dabei von einer in erster Linie ökonomischen Orientierung ausgeht – tendenziell zum Objekt in dem Spiel zwischen den Finanzierern, die an ihnen den Bedarf definieren, und den Anbietern, die mit ihnen ihre Maßnahmen durchführen und darüber ihr „betriebliches“ Einkommen erzielen. Das Marktmodell im Übergangsmanagement hat daher die Besonderheit, dass diejenigen, die als Kunden bezeichnet werden, nicht als Kunden auftreten, sondern als Hilfesuchende; die Kundenfunktion übernehmen in gewisser Weise die öffentlichen Auftraggeber bzw. Finanzierer von Maßnahmen. Aus deren Sicht wiederum übernehmen die Träger als Durchführer von Projekten und Maßnahmen eigentlich die Rolle, die in der Industrie als Lieferant bezeichnet würde und die in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Auftraggeber und Finanzierer steht. Die Hilfesuchenden sind auf dem Markt der Übergangshilfen lediglich der Gegenstand des Tauschhandels, ähnlich der Maschine, die ein Lieferant nach entsprechendem Auftrag für einen Großkonzern herstellt und gegen Zahlung liefert.
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Die „Steuerung“ der Dienstleistungs- und Unterstützungsangebote über den Markt bringt inzwischen auch Probleme mit sich: Der Markt deckt in der Regel – gerade aufgrund der Tatsache, dass die hilfesuchenden Bürgerinnen und Bürger nicht die Funktion der Kunden im Markt erfüllen können, sondern dies die finanzierenden Stellen übernehmen – den Bedarf der Bürger in der Region nicht systematisch genug ab und produziert tendenziell unübersichtliche Strukturen. In Ballungsräumen liefern sich bspw. an „lukrativen“ bzw. im Brennpunkt stehenden Themen und Orten die Träger hohe Konkurrenz, während zu anderen Themen oder an anderen Orten keinerlei Angebote existieren. So bieten an manchen Schulen mehrere Träger gleichzeitig konkurrierende Berufsorientierungskurse an, während an anderen Schulen nichts dergleichen läuft. Auch lässt sich beobachten, dass sich in Ostdeutschland die Bemühungen häufig auf junge Erwachsene mit höheren Schulabschlüssen konzentrieren, um wenigstens diese in der Region zu halten, während die Haupt- oder gar Förderschüler als ohnehin kaum bzw. nur mit sehr hohem Aufwand vermittelbar gelten und somit erst nachrangig zur Zielgruppe eines regional orientierten Übergangsmanagements werden. Auch die nötige Qualität der Angebote ist nicht durchgängig gegeben und schwer zu kontrollieren, da die „Kunden“ zu wenig Entscheidungsmacht haben und die Kontrolle von Seiten der Finanzierer durchgeführt werden müsste, die wiederum mit der Alltagspraxis der Angebote wenig in Berührung kommen und die subjektive Perspektive der Hilfesuchenden, die die eigentliche Kundenperspektive wäre, nicht systematisch berücksichtigen (können). Das Problem besteht also heute nicht in einem grundsätzlichen Mangel an „innovativen“ Instrumenten zur Unterstützung bei Übergängen, d.h. an „Ideen“, auf welche Weise man Übergänge unterstützen kann. Diese wurden in den letzten Jahren mit einer Reihe von Modellprojekten reichlich entwickelt. In einigen Bereichen ist eine mittlerweile kaum zu überblickende Fülle von Einzelinstrumenten entstanden. Die wesentliche Herausforderung besteht vielmehr darin, diese verschiedenen Instrumente systematisch auf den konkreten Bedarf in der Region zu beziehen, sie zu einem integrierten „Dienstleistungsportfolio“ zu strukturieren und so eine transparente, nachhaltige, verlässliche Infrastruktur an Unterstützungsangeboten zu gestalten, die systematisch den Bedarf der Region deckt, soweit dies mit den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln möglich ist. Dieser Stand leitet über zu einer zweiten These und „Entwicklungsstufe“ des Übergangsmanagements:
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2. These: Der Bildungsmarkt, der mehrheitlich von überregionalen Förderlinien gespeist wird, muss nach regionalen/sozialräumlichen Gesichtspunkten bzw. Bedarfen gestaltet werden Die zweite These geht davon aus, dass die Probleme, an denen Übergangsmanagement derzeit arbeitet, aus dem „wilden“ Markt entstehen, der sich auf der Ebene der Regionen auftut und der vor allem nach Markt-, Projekt- und Programmlogiken funktioniert. Ohne ein – explizites oder implizites – Übergangsmanagement entsteht in den Regionen ein unkoordiniertes Angebot an Maßnahmen und Unterstützungsangeboten, das in seiner Gesamtheit nicht systematisch auf den regionalen Bedarf abgestimmt ist, sich eher nur punktuell und zufällig an den Entwicklungen der Region sowie den biographischen Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger orientiert. Die Kommunen haben hier bisher notdürftig gesteuert, indem sie „Lücken“ im Angebot vor Ort zu schließen und eigene kommunale Interessen über eigene Projektfinanzierungen einzubringen versuchten. Sie haben also meist nur als ein weiterer Marktakteur auf der Nachfrageseite agiert und darüber den Markt zu steuern versucht, ohne ihn selbst zu regulieren. Inzwischen sehen jedoch die Kommunen (ebenso wie Bund und Länder als Finanzierer der Maßnahmen), dass der Markt keine adäquate Struktur ergibt: Er funktioniert nicht flächendeckend und produziert zugleich Parallelstrukturen und -förderungen, die Aufgabenbereiche verschwimmen zusehends und weder die Bürger noch die Experten selbst haben einen vollständigen Überblick, welche Angebote und Netzwerke vor Ort tatsächlich agieren, ganz zu schweigen von ihren Ergebnissen. Insbesondere die öffentlichen Akteure wie Bund, Länder und Kommunen wollen daher den „wilden“ Markt regulieren, strukturieren, transparent machen, Lücken wie Doppelförderungen von Parallelstrukturen abbauen und sich und dem Bürger Orientierung verschaffen. Das Regionalentwicklungsmodell Übergangsmanagement kann im Gegensatz zum Marktmodell auch als Teil von Regionalentwicklung und -planung verstanden werden, so wie es in der Sozialplanung angedacht und z.T. auch gesetzlich verankert ist. In dieser Perspektive orientiert es sich an den aktuellen regionalen Entwicklungsprozessen, wird also etwa zum Bestandteil der regionalen Bildungs- und Sozialplanung. In Kooperation mit der bestehenden Regionalplanung erfolgt eine strukturierte Bedarfserhebung. Möglichst unter Beteiligung aller entsprechenden Akteure (Jugendliche bzw. Bürger im weiteren Sinne, Betriebe, Träger etc.) werden Planungsprozesse gestaltet. Hierzu können verschiedenste Formen und Verfahren der Bürgerbeteiligung eingesetzt werden (z.B. regionale Zukunftswerkstätten). 192
Das Regionalentwicklungsmodell baut auf die regionale Politik als zentralen Akteur. Ihr obliegt es, die Planungsprozesse zu steuern und die Beteiligungen der Akteure bzw. der Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Die Steuerung des Übergangsmanagements ist hier grundsätzlich eine regionalpolitische Angelegenheit, was jedoch nicht automatisch gleichzusetzen ist mit der kommunalen Verwaltung jeglicher Maßnahmen im Übergangsmanagement. Hier sind mehrere politische Beteiligungsformen denkbar, je nachdem, welche Akteure in den Regionen jeweils mit dem Thema beschäftigt sind. Grundsätzlich ist in diesem Modell jedoch die Kommunalpolitik verantwortlich dafür, dass Übergangsmanagement – d.h. das Management bzw. die Abstimmung der einzelnen Unterstützungsangebote – existiert und entsprechend dem politischen Willen der Region ausgeführt wird. Im Regionalentwicklungsmodell steht Übergangsmanagement tendenziell in dem größeren Zusammenhang der Regionalentwicklung insgesamt. Unterstützungsangebote im Übergang in Arbeit stehen ja in vielfältigem Bezug zur lokalen Wirtschaft, zu nonformalen Angeboten wie Vereinen und Kirchen, zu weiteren öffentlichen Aufgaben wie der Gesundheitsversorgung und der sozialen Infrastruktur jenseits von Übergängen. Übergangsmanagement kann also im Kontext dieses Modells ein Faktor der Entwicklung von Regionen sein und in eine entsprechende Gesamtstrategie einbezogen werden. Dies kann bspw. damit beginnen, indem bei der Entwicklung regionaler Leitbilder Übergangsmanagement berücksichtigt wird. Von Bundes- und Länderebene aus gibt es dazu derzeit besonders im Bereich des Übergangs Schule – Beruf Ansätze, etwa mit dem neuen Programm des Lokalen Übergangsmanagements für benachteiligte Jugendliche, durch das Programm der Kompetenzagenturen oder bei der Einführung von Qualitätsstandards bei der Berufsorientierung an Schulen (OLOV in Hessen). Diese Programme zielen auf das „Management“ von Übergängen innerhalb eines definierten Förderbereichs oder Arbeitsfeldes ab. Aus der (biographischen) Perspektive der Menschen und aus Sicht der Regionen können diese bestimmten Förderbereiche oder professionellen Arbeitsfelder jedoch nur einzelne Elemente im Übergang sein. Die Berufsorientierung an Schulen ist bspw. nur ein Teil des Spektrums an beruflicher Orientierung, das derzeit existiert, und sie wird nicht das Bildungs- und Ausbildungsplatzangebot beeinflussen; das Case-Management und die Kompetenzfeststellung der Kompetenzagenturen bezieht sich i.d.R. nur auf sog. benachteiligte Jugendliche und erreicht andere Gruppen nicht bzw. steht diesen überhaupt nicht offen. Zudem ist hier kaum eine gestaltende Funktion der Agenturen vorgesehen. Sie beziehen sich bestenfalls auf ein vorhandenes Netz von Trägern bzw. Maßnahmen, in die sie Jugendliche vermitteln (im schlechteren Fall werden Jugend193
liche in die Großmaßnahmen des eigenen Trägers bzw. der anderen „Platzhirsche“ vermittelt, ohne dass die komplette Palette der Unterstützungsangebote in der Region genutzt wird). Eine umfassende Perspektive auf die heutigen Übergangsproblematiken, wie sie sich in den Regionen darstellen, steht damit bis heute aus. Auch eine Perspektive auf die Übergänge im Lebensverlauf insgesamt – vom Kindes- über das Jugend- und junge Erwachsenenalter bis ins Alter hinein – ist bislang nicht konzeptualisiert worden und wird nur in wenigen Regionen überhaupt angestrebt. Alle bis hierher beschriebenen Probleme greift die prominent gewordene „Weinheimer Initiative“ für „Lokale Verantwortungsgemeinschaften“ auf, die ebenfalls vom Übergang in Arbeit im Jugend- und jungen Erwachsenenalter ausgeht, die anderen Übergangsbereiche aber tendenziell mitdenkt. Deren Grundthese ist, dass nur eine zentrale Stelle in Verantwortung der Kommune das Problem des wilden, auf regionaler Ebene intransparenten und unsystematischen Marktes lösen kann. In jedem Fall muss es in der Region eine Instanz (ob Institution oder Netzwerk sei dahingestellt) geben, die die Frage der Koordinierung des Marktes an Maßnahmen und Projekten zur Unterstützung der Menschen in Übergängen im Blick behält und allgemein anerkanntermaßen die Verantwortung, Macht und Möglichkeit hat, tatsächlich zu regulieren. Ohne diese Stelle in kommunaler Verantwortung, so die These, können die einzelnen Unterstützungsmaßnahmen nicht in eine systematische, transparente Gesamtstruktur gebracht werden, die auf den regionalen Bedarf abgestimmt ist, die die Lücken im Angebot des Marktes schließt und die Parallelstrukturen in der Förderlandschaft abbaut. 3. These: Der Markt einerseits und die institutionelle Versäulung von Hilfeangeboten andererseits folgen verschiedenen Ausrichtungen und Interessen, die vielfach in Konflikt zueinander und zur Orientierung an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger in der Region stehen In der Praxis der Lernenden Regionen liegt jedoch noch eine weitere Herausforderung: Übergangsmanagement muss schließlich nicht einfach eine gut organisierte Struktur abgeben, sondern auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger eingehen, muss den Problemlagen im biographischen Verlauf und den dynamischen Entwicklungen in den Regionen entsprechen. Übergangsmanagement kann aus dieser Perspektive nicht zu einer administrativen Aufgabe, quasi eine weitere Säule im Verwaltungssystem werden, sondern es beinhaltet immer auch die Sichtbarmachung von Problemfeldern vom Bürger aus durch Formen des Neuen Regierens, und zwar gegenüber der Politik wie den Trägern und Projekten gleichermaßen. Übergangsmanagement ist daher nicht nur eine Erweiterung der 194
Bildungsangebote des „regulären“ Bildungs- und Ausbildungssystems (These 1) sowie die Regulierung des Marktes und Strukturierung entsprechend den regionalen Bedarfen (These 2), sondern es ist auch eine Form der Irritation der versäulten Verwaltungs- und Zuständigkeitsstrukturen, die den Bedarf tendenziell eher in ihrer institutionellen bzw. sogar administrativen Sicht definieren statt von den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger ausgehend, und die dem entsprechend nur bedingt diesen Bedürfnissen gerecht werden. New Governance- bzw. intermediäres Netzwerkmodell Übergangsmanagement wird in dieser modellhaften Perspektive im Sinne von „New Governance“ („Neues Regieren“) gedacht. In Anlehnung an einen allgemeinen Definitionsvorschlag der Vereinten Nationen wird Governance als Ausübung ökonomischer, politischer und administrativer Autorität in Bezug auf die Steuerung bzw. das Management sämtlicher Angelegenheiten eines Gemeinwesens verstanden (UNDP 1994, siehe hierzu auch Adam 2000; Seyfried 2005, S. 60 ff.). „Es geht um die komplexen Mechanismen, Verfahren, Beziehungen und Institutionen, durch die Bürger und Gruppen ihre Interessen artikulieren, ihre Rechte und Pflichten wahrnehmen und ihre Konflikte beilegen. Governance umfasst sämtliche Methoden – gute wie schlechte –, die Gesellschaften nutzen, um Macht zu verteilen und öffentliche Ressourcen und Probleme zu steuern (managen)“ (Adam 2000). Das Governance-Konzept setzt dabei an der wachsenden Interdependenz und Interaktion von staatlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Elementen an. Das Konzept schließt alle drei Sektoren ein, betrachtet die Beziehungen untereinander und zielt auf eine optimale Balance im Sinne des Nutzens für die Gesellschaft (vgl. Seyfried 2005, S. 60). „In diesem Verständnis umfasst der Staat die politischen Institutionen und die Einrichtungen des öffentlichen Sektors, der Markt umschließt die privaten Unternehmen, die Gewerkschaften, die Arbeitnehmer sowie andere Akteure des privaten Sektors (Kammern, Verbände, usw.), während unter der Zivilgesellschaft die formellen und informellen Beziehungen zusammengefasst werden, die zwischen den Individuen, sozialen Gruppen und dem Staat vermitteln“ (ebd., S. 61). Dabei werden jeweils unterschiedliche „Modi von Governance“ verfolgt: Steuerung erfolgt im staatlichen Bereich über gesetzliche Regelungen und Hierarchien, im Markt über Wettbewerb, Angebot und Nachfrage und im zivilgesellschaftlichen Bereich über die Prinzipien von Solidarität und gegenseitiger Hilfe (vgl. ebd., S. 63). „Neues Regieren“ oder „Gutes Regieren“ beinhaltet nun die Auffassung einer besonders effektiven und demokratischen Steuerungsstruktur, ist also die Verwendung des Governance-Begriffes im normativen Sinn. „Good 195
Governance“ oder „New Governance“ entstammt ursprünglich dem Weißbuch der Europäischen Kommission „Europäisches Regieren“ von 2001. Darin wurden das Zusammenwirken der Institutionen auf EU-Ebene resümiert, eine zunehmende Bürgerferne konstatiert und entsprechend Vorstellungen über Verbesserungen geäußert. So wurde etwa gefordert, politische Entscheidungsfindungen zu öffnen und Menschen und Organisationen verstärkt in die politische Gestaltung einzubinden (vgl. Europäische Kommission 2001, S. 4) sowie weniger Eingriffe „von oben“ vorzunehmen und klassische Politikinstrumente durch nichtgesetzgeberische Maßnahmen zu ergänzen (vgl. Europäische Kommission 2001, S. 5). Den Rahmen dazu sollten „Grundsätze guten Regierens“ darstellen, die im Einzelnen als Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz benannt werden. Hervorgehoben wurde im Weißbuch die Forderung nach Beteiligung der Zivilgesellschaft an politischen Entscheidungsprozessen. „Die Zivilgesellschaft spielt [dabei] insofern eine wichtige Rolle, als sie den Belangen der Bürger eine Stimme verleiht und Dienste erbringt, die den Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenkommen“ (ebd., S. 19). Die Bürger sollen über die demokratischen Strukturen auf regionaler und kommunaler Ebene einbezogen werden (vgl. ebd., S. 16). Berechtigterweise ist am New Governance-Konzept (und der bürgergesellschaftlichen Idee im Allgemeinen) vielfältige Kritik geübt worden, die nicht unbeachtet bleiben kann. Befürchtet wurde angesichts der Krise von Arbeitsgesellschaft und Sozialstaat ein „Ersatzprogramm“ für ehemalige wohlfahrtsstaatliche Aspekte. Zudem wurde die Idee sehr stark programmatisch benutzt und instrumentalisiert. Und unübersehbar dominiert im politischen Diskurs zur Neubestimmung des Verhältnisses von formellen und informellen sowie lokalen und überregionalen Strukturen die ökonomistische Perspektive. Bei aller Kritik ist der bürgergesellschaftliche Diskurs und sein Insistieren auf die Rechte des einzelnen Menschen notwendig, denn es geht hier vor allem auch um Handlungsermächtigung in der Perspektive von Freiheit und Autonomie bzw. um eine Vision vom autonomen Menschsein. Die bürgerrechtliche Adressaten-Perspektive ist auch der Punkt, an dem der Diskurs um eine „echte“ regionale Vernetzung der sozialen Dienste und Projekte ansetzen könnte. „Echt“ sind Vernetzungen dann, wenn sich Organisationen und Gruppen im demokratischen Konflikt, aber kooperativ (d. h. mit dem Ziel eines regionalen Konsenses) auf eine gemeinsame soziale Perspektive beziehen, die ihr organisationales oder gruppenbezogenes Eigeninteresse wesentlich übersteigt. Anders formuliert geht es darum, dass sich Angebote nicht in ihrer Eigenlogik verselbstständigen dür-
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fen, sondern vielmehr an den Bürger und dessen Bedürfnisse rückgebunden werden müssen. Die These 3 folgt nicht allein aus den derzeitigen Bemühungen von Bund, Ländern und Kommunen, das Problem administrativ zu lösen. Sie ist auch schon eine Antwort auf die Probleme, die der Markt mit sich bringt. Denn der wilde Markt ist ja nicht „nur“ wild, sondern in einem bestimmten Sinne strukturiert: Wie die Programme und Förderungen, wie viele Fachleute und professionelle Praktiker orientiert sich natürlich der Markt inhaltlich an der alten institutionellen Versäulung: Kindergarten, Schule, Ausbildung, Jugendhilfe, Wirtschaft usw. Dazu kommt die Versäulung der Finanzgeber: Bildungsministerium, Wirtschaftsministerium, Jugendministerium, Bund, Länder, Kommune. Die Programmfinanzierungen werden wiederum über verschiedenste Träger abgewickelt, von denen man annehmen muss, dass sie mehrheitlich in erster Linie sich selbst stabilisieren müssen und erst nachgeordnet auf die Bedürfnisse der Region bzw. der Menschen eingehen können. Denn um Finanzierungen zu bekommen, muss man zunächst – oft natürlich vordergründig – die Bedingungen erfüllen, die durch die Finanzierungsprogramme vorgeschrieben werden; erst darin bzw. danach lassen sich die Bedürfnisse der Adressaten oder Bürger berücksichtigen. Die Maßnahmen, die dieser Markt hervorbringt, sind also nicht nur nicht automatisch nach regionalen Gesichtspunkten strukturiert, sondern sie sind auch nicht per se bürgernah, sondern folgen weiterhin der institutionellen, versäulten Logik. Diese wiederum geht auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger nicht in ausreichendem Maße ein, wie bereits mit These 1 festgestellt. Mehr noch, die Bedarfs- bzw. Dienstleistungsorientierung steht oftmals in Konflikt mit der versäulten Zuständigkeitsstruktur bzw. mit den Interessen der beteiligten Institutionen (Finanzgeber aus Bund und Ländern) und auch der einzelnen Träger, die Angebote durchführen. Was unter den gegebenen Bedingungen des Marktes aus der institutionellen Perspektive gut und effizient ist, muss aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger längst nicht ihren Bedürfnissen entsprechen. Dieses Problem wird nun aber keinesfalls automatisch durch eine kommunale Koordinierung und Verantwortung des Übergangsmanagements gelöst. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass dadurch die Versäulung und Bürgerferne noch mehr festgezurrt wird, wenn auch nun flächendeckend, transparent und koordiniert. Eine „bedarfsgerechte Angebotsstruktur“ wird von Seiten der Kommune nicht unbedingt als „biographieorientierte Struktur“ interpretiert, die sich nach den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger richtet, sondern viel eher von einer systemisch-funktionalen Seite her als reibungsloser Durchsatz („Übergang“) von einer Institution in die nächste, von einer Zuständigkeit in die andere, die Ausfallzeiten, Warteschleifen und damit anderweitigen Unterstützungsbedarf und Kosten reduziert. Aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive besteht also 197
auch die Gefahr, dass in erster Linie fiskalische Effizienzkriterien innerhalb eines versäulten Systems von Zuständigkeiten entscheidend für die Ausrichtung der regionalen Angebotsstruktur werden. Mit These 3 wird der Aspekt deutlich, dass sowohl die versäulten Zuständigkeitsstrukturen als auch die einzelnen beteiligten – und z.T. von diesen Zuständigkeiten ebenfalls abhängigen – Institutionen heute nicht ausreichend auf die verschiedenen, so stark biographisch geprägten Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger eingehen können. Aufgrund dessen entsteht, so die These, tendenziell eine Aufkündigung der Loyalität der Bürger und eine politische Spannung, auf die reagiert werden muss. Die adäquate Reaktion darauf ist das Aufbrechen der Versäulung durch ständig neue Irritationen vom Bürger aus. Nur so können die Institutionen dazu gebracht werden, sich stärker auf die Bürger mit ihren Bedürfnissen einzulassen. Diese Irritation ist aber eine Form des Neuen Regierens und kann nicht der Kommune bzw. einer Institution selbst aufgetragen werden, denn diese ist als Verwaltungsstruktur zum Teil selbst der Gegenstand der Irritation. In diesem Fall müsste sich die Verwaltung in ihrer eigenen Funktionslogik reflektieren, hinterfragen und gegebenenfalls selbst zu Veränderungen zwingen, um nahe am Bedarf der Region und ihrer Bürger zu bleiben. Übergangsmanagement braucht also – so die Schlussfolgerung – immer wieder Akteure in den Regionen, die nur den Prinzipien der Bürger, d.h. den Prinzipien des Neuen Regierens verpflichtet sind und immer wieder die Institutionen und Verwaltungen in ihrer Eigenlogik und Versäulung irritieren, um den Bedarf der Bürger in diese institutionellen Strukturen einzubringen. Das in These 1 dargestellte Problem, dass in der entgrenzten Arbeitsgesellschaft die Institutionen Übergänge nicht mehr aus sich heraus herstellen können, wäre in diesem Zusammenhang zu erweitern: Übergänge können in der entgrenzten Arbeitsgesellschaft nicht ausschließlich institutionell hergestellt werden, sie lassen sich gar nicht in eine institutionelle Form pressen. Die Institutionen können immer nur versuchen, auf die Bedürfnisse der Bürger zu reagieren, ihnen Hilfestellungen in der „biographischen Organisation“ von Übergängen zu geben. Aus dieser Perspektive heraus müsste der Bedarf definiert und die Unterstützungsangebote strukturiert werden. Aber da man annehmen muss, dass dieser Bedarf ein dynamischer ist und die Bedürfnisse sehr individuell (biographisch strukturiert) sind, gibt es einen grundlegenden Konflikt zwischen den versäulten Zuständigkeitsstrukturen der Verwaltung und denjenigen Akteuren, die sich eher dem zivilgesellschaftlichen Auftrag des Neuen Regierens verpflichtet sehen. Übergangsmanagement ist deshalb zu weiten Teilen auch Konfliktmanagement. Zum einen bestehen die verschiedenen Konflikte der Träger untereinander, die bis zu einem gewissen Grad Konkurrenten sind; zum Zweiten bestehen Kon198
flikte zwischen den verschiedenen Säulen innerhalb der politischen und administrativen Strukturen (Bund zu Länder; Bildungsministerium zu Arbeits- oder Jugendministerium; Schulbehörde zu Jugendamt usw.), die oft auf regionaler Ebene zusammenkommen; zum Dritten besteht der Konflikt zwischen der Orientierung an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger einerseits sowie den versäulten institutionellen Strukturen wie auch den Marktmechanismen andererseits. Letzterer ist für ein bedarfsorientiertes regionales Übergangsmanagement der entscheidende. Denn Übergangsmanagement hat in dieser Orientierung nicht die Aufgabe, den wilden und unübersichtlichen Markt entsprechend den Versäulungen zu strukturieren, sondern es soll dies entsprechend den Bedarfen in der Region bzw. den Bedürfnissen der Bürger tun. Deshalb steht ein regionales Übergangsmanagement, das sich am Bedarf orientiert, nicht nur zum Markt, sondern auch zu den (versäulten) Institutionen in Spannung und muss sie im Auftrag des Neuen Regierens immer wieder irritieren, um sich nicht zu weit vom Bürger zu entfernen und seine Loyalität zu verlieren. Aus der Governance-Perspektive beinhaltet Übergangsmanagement also einen reflexiven Managementbegriff, mit dem in der Ausgestaltung von Übergängen die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger und regionale Entwicklungen als unentwegte Irritation aufgenommen werden und mit einem umfassenden (Rück-)Blick aufs „Große und Ganze“ überprüft werden. Es verweist auf Notwendigkeiten und Herausforderungen, die u.a. ein Aufbrechen althergebrachter Strukturen erforderlich machen und Akteure mit unterschiedlichen Funktionsund Handlungslogiken vereinen müssen. Zudem wirft der New-GovernanceBegriff, indem er von der einseitigen staatlichen (Regierungs-)Verantwortung abweicht, Fragen der Legitimation regionaler Entscheidungen auf. Ein zentrales Problem ist dabei, dass nicht bestimmt ist, nach welchen Kriterien diese Akteure bzw. Bürger zur Beteiligung kommen und „mitregieren“, das heißt: Wer Akteur wird und wer nicht, welche Belange vertreten werden und welche nicht. Hier besteht die Gefahr, dass „kommunikationsstarke“ bzw. mit finanzieller oder politischer Macht ausgestattete Akteure bzw. Bürger auch über mehr Kommunikations- und Gestaltungsmacht verfügen und entsprechend andere Stimmen übertönen (vgl. z.B. Munch 2003). Dabei handelt es sich im Prinzip um einen Konflikt, der thematisiert werden muss, um demokratisch ausgehandelt werden zu können. Mit einer Ressort- und Institutionen-übergreifenden Perspektive rückt automatisch der demokratische Konflikt der verschiedenen Akteure ins Blickfeld. Übergangsmanagement beinhaltet daher immer auch die Entwicklung von konstruktiven Auseinandersetzungsformen, mit denen Konflikte unter den verschiedenen Akteuren einer Region auf demokratische Weise ausgehandelt und gelöst werden können: „Die Aktivierung der Gesellschaft belebt gleichzeitig ein hohes 199
Potenzial an Störungen. [...] Dies impliziert perspektivisch ein hohes Konfliktpotenzial, eröffnet so aber auch Entwicklungsprozesse... Eine ‚Kultur der Auseinandersetzung‘, bestehend aus den Dimensionen Konflikt, Dialog und Aushandlung, ist als ein dynamischer Prozess zu verstehen, der fortlaufend stattfindet. [...] Die Konkretisierung von Zielen ist Teil des dynamischen Prozesses, in dessen Verlauf sich die unterschiedlichen Akteure über Vorhaben und Realisierungen kommunikativ verständigen müssen und diese auch verändern können. Dieser Prozess kann nicht sicher gesteuert, sondern lediglich moderiert und strukturiert werden“ (Rätz-Heinisch 2007, S. 48). Diese Kultur der Auseinandersetzung beschränkt sich nicht auf die regionale Ebene, sondern sie braucht die demokratische Anerkennung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger und staatlich hergestellte soziale Sicherheiten. Im Kontext des Übergangsmanagements kann es deshalb keineswegs um ein Ersetzen des Sozialstaates gehen, sondern um eine neue Verknüpfung bzw. neue Kombination von (Sozial)Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Grundpfeiler hierfür sind (soziale) Bürgerrechte und eine starke Sozialpolitik. Auch in dieser Perspektive geht es um eine Form der Regionalpolitik, wobei aber die Kommunalpolitik nicht in der alleinigen Verantwortung steht. Das New-Governance-Modell legt einen Teil der politischen Gewalt in die Verantwortung der „Bürger“, die dezentral mitregieren (sollen). Damit wird die Beteiligung der Bürger ein entscheidendes Merkmal des regionalen Übergangsmanagements. Ohne die bürgergesellschaftliche Perspektive können die politischen Programmatiken der Stärkung der Zivilgesellschaft (New Governance) sowie der Förderung von Eigenverantwortlichkeit beim Übergang in Arbeit (Fördern und Fordern), die im Kontext des Übergangsmanagements entscheidend wirken, kaum eingelöst werden. Die hier diskutierten Modelle und ihre zugehörigen Ausgangsthesen können die bisher in der Praxis existierenden infrastrukturellen Zugänge zu einem regionalen Übergangsmanagement beschreiben und strukturieren. In der Praxis sind selbstverständlich Mischformen mit Schwerpunkten auf dem einen oder anderen Modell zu finden. Die beschriebenen Modelle sind daher Aspekte der Praxis (wie der zugehörigen Diskussionen). Das Modell des Neuen Regierens kann dabei die entscheidenden Aspekte des Übergangsmanagements, die sich auch in der Praxis der Lernenden Regionen herausgebildet haben, vereinen. Aus diesem Grund soll das bürgerschaftliche Modell des Neuen Regierens – angereichert mit den Erkenntnissen aus den beiden anderen Modellen – als zentraler Zugang zu einem regionalen bedarfsorientierten Übergangsmanagement zugrunde gelegt werden. Das im Rahmen des Leitvorhabens entwickelte „Referenzmodell Regionales bedarfsorientiertes Übergangsmanagement“ (vgl. den Beitrag zum Referenzmodell) schließt unmittelbar an die hier dargestellte Grundlegung an. Mit der 200
Formulierung normativer Leitlinien werden die Herausforderungen der Regulierung, Strukturierung und Bedürfnis- bzw. Bedarfsorientierung, die sich entlang der theoretischen Aufarbeitung und Weiterentwicklung zum Übergangsmanagement zentral zeigen, systematisch aufgegriffen. Die Ausformulierung einer strategischen Ebene im Referenzmodell verweist auf zu bearbeitende Fragestellungen in Bezug auf die Gestaltung des Übergangsmanagements, die sich in den hier dargestellten Thesen zur theoretischen Aufarbeitung erst andeuten. Schließlich werden mit dem Referenzmodell Hinweise auf eine Umsetzungsebene gegeben. Richtungsweisend für alle drei Ebenen des Referenzmodells ist die Governance-Perspektive, wie sie in Bezug auf die anderen Perspektiven bzw. Thesen argumentativ erarbeitet wurde und als Zugewinn erscheint.
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Ausblick auf zukünftige Gestaltungsmöglichkeiten – Handlungsempfehlungen Claudia Muche / Tabea Noack / Andreas Oehme / Wolfgang Schröer 1
Schwerpunkte im Übergang Schule – Erwerbsleben
1.1 Übergangsmanagement ist eine dauerhafte Aufgabe im Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft Mit einer gesellschaftstheoretischen Verortung und einem Blick auf die zurückliegenden Entwicklungen wird deutlich, dass Übergangsmanagement keine Aufgabe ist, der nur eine Überbrückungsfunktion für zeitlich begrenzte Probleme zukommt. Weder wird es nach einmaliger Anschubfinanzierung und Modellbildung dauerhaft so in den Regionen verankert sein, dass keine weiteren Mittel und Anstrengungen zur Aufrechterhaltung einer bedarfsorientierten Koordinierung der Angebote nötig wären. Noch kann die Übergangsproblematik sich quasi von selbst, etwa durch einen demographischen Wandel lösen. Die sozialwissenschaftlichen Versuche zur Gesellschaftsanalyse gehen übereinstimmend von einem tiefgreifenden Strukturwandel bzw. einer Entgrenzung der Arbeitsgesellschaft aus, womit sich auch die Struktur der Übergänge in Arbeit wandelt. Kennzeichnend hierfür ist eine große Dynamik in den Ausbildungs- und Arbeitsmärkten, die eine Lösung der Übergangsproblematik durch die Implementierung statischer Strukturen und Zielstellungen unmöglich macht. Übergänge verschiedenster Art sind inzwischen zur gesellschaftlichen und für viele auch zur biographischen Normalität geworden, und die Integration in Bildungseinrichtungen bzw. in Erwerbsarbeit erweist sich als immer weniger dauerhaft. Damit wird die Unterstützung von Menschen in Übergängen und die bedarfsorientierte Koordinierung und Strukturierung der entsprechenden Angebote ebenfalls zu einer dauerhaften, dynamischen Aufgabe.
1.2 Übergangsmanagement muss sich an der Gestaltungslogik der biographischen Übergänge orientieren In den Programmen für Maßnahmen am Übergang von der Schule in die Arbeitswelt standen in den letzten Jahren vor allem die Kooperationen der Netz203
werkpartner im Mittelpunkt, aber es wurde kaum die jugendaltersspezifische Gestaltungslogik der Übergangsphase Schule – Erwerbsleben beachtet. Gerade aber in dieser Übergangsphase sollten bildungs- und beschäftigungsorientierte Ermöglichungskontexte entstehen, in denen schulische Angebote, Betriebe, zivilgesellschaftliche Akteure und jugendliches Experimentierverhalten neu miteinander abgestimmt werden (vgl. Blickwede u.a. 2006). Deshalb bedarf es einer Gestaltung der regionalen Übergangslandschaft insgesamt, die die Begrenzungen durch Zuständigkeiten und Programme zugunsten einer regionalen Transparenz und Bedarfsorientierung im Sinne der Gestaltungslogik heutiger biographisierter Übergänge überwindet. Bisher wird die Praxis nach wie vor zu stark von den Interessen und Erfordernissen der jeweiligen Institutionen und Akteure bestimmt. Der eigentliche Gegenstand von Übergangsmanagement ist jedoch die Strukturierung von Angeboten zur Unterstützung von Übergängen. Entsprechend sind auch die Übergänge in ihrer empirischen Realität in die Gestaltung einer solchen unterstützenden Infrastruktur mit einzubeziehen. Die Orientierung an Zielgruppen bzw. an deren Bedarf impliziert bereits eine solche Ausrichtung der unterstützenden Infrastruktur an den biographischen Übergangsverläufen; es fehlt hier jedoch bislang die explizite und systematische Umsetzung einer solchen Orientierung.
1.3 Übergangsmanagement muss auf die Gestaltung einer regionalen „Übergangskultur“ unter Anerkennung relevanter informeller und nonformaler Lern- und Vermittlungsformen abzielen Untersuchungen zur Relevanz verschiedener Unterstützungs- und Lernkontexte für junge Menschen in Übergangssituationen kommen immer wieder zu dem Schluss, dass Verbände, Vereine, kirchliche Gruppen sowie informelle Kontexte wie Elternhaus, Peergroups, jugendkulturelle Aktivitäten (Jugendclubs usw.) eine wichtige Rolle im Übergang spielen (vgl. Kreher/Lehmann/Seyfarth 2006; Oehme 2007; Wahler/Tully/Preiß 2004, Pohl u.a. 2006, vgl. auch die Ergebnisse aus dem Programm „Lernkultur Kompetenzentwicklung“ des BMBF, Bereich „Lernen im sozialen Umfeld“). Die Orientierung auf Übergänge allein von einer Institution zur nächsten (etwa von Schule in Lehre) hat dazu beigetragen, die Bedeutung dieser Kontexte auszublenden. Übergangsmanagement sollte diese Verkürzung nicht wiederholen und nicht einseitig auf die Kooperation verschiedener Bildungseinrichtungen und auf großen Akteuren wie den Argen ausgerichtet werden. Die Aufgabe besteht darüber hinaus in der Gestaltung einer regionalen „Übergangskultur“, die die wichtigen nonformalen und informellen Kontexte anerkennt. Entscheidend dabei ist, dass hier auch deren Eigenlogiken akzeptiert 204
werden; andernfalls wird es eher zur Abschottung als zur Einbeziehung kommen. Das entscheidende Mittel hierbei ist die Ermöglichung von Beteiligung und Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger. Erst wenn diese den Eindruck gewinnen können, dass ihre Mitwirkung und Mitsprache gefragt und gebraucht wird, können sie ihre Potenziale mit einbringen und zu einer breiten Unterstützungskultur beitragen.
1.4 Ziel von Übergangsmanagement ist die Entwicklung einer sozialen Infrastruktur zur Unterstützung von Menschen in Übergangssituationen, die keine Benachteiligungen produziert Die empirischen Daten zu Übergängen in Arbeit führen zu dem Schluss, dass das Übergangsmanagement nicht nur auf die so genannten benachteiligten Zielgruppen gerichtet sein kann. Dies wird zum einen deutlich, wenn man die Jugendforschung der vergangenen zwanzig Jahre betrachtet. Hier wird die Bedeutung von Arbeit und Beruf als bedeutsame biographische Dimension für alle Jugendlichen herausgestellt (vgl. z.B. Hornstein 1985, 1999; Baethge u.a. 1988; Ferchhoff/Neubauer 1989; Fend 1991; Heinz 1995; Hurrelmann 1994; Jugend 2000). Zum anderen ist bei einer Übergangsquote von 40 % der Jugendlichen in Maßnahmen der Bildungs- und Beschäftigungshilfen, die zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss führen, und bei einem auch nicht annähernd ausgeglichenen Angebots-Nachfrageverhältnis bei „regulären“ Lehrstellen (betrieblich und vollzeitschulisch; vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 100) nicht mehr begründbar, eben dieses „Übergangssystem“ auf Benachteiligte zuzuschneiden. Der Bildungsbericht 2008 sowie vorherige Studien (Baethge/Solga/Wieck 2007) sowie das DJI-Übergangspanel, vgl. Reißig u.a. 2008) zeigen eindrücklich auf, welche Bedeutung inzwischen das so genannte „Übergangssystem“ im Übergang von der Schule ins Erwerbsleben hat. Mit diesen Ergebnissen wird ebenfalls deutlich, dass sich die Schwierigkeiten bei Übergängen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter nicht mehr an individuellen Problemen der Heranwachsenden festmachen lassen. So ist inzwischen die Gruppe der Hauptschüler pauschal zu einer stigmatisierten Problemgruppe geworden; zugleich sind aber selbst Realschüler und auch noch junge Leute mit Abitur zu Teilen auf öffentlich geförderte „Zwischenlösungen“ angewiesen. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass das Übergangssystem selbst eine stigmatisierende Wirkung auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer solcher Maßnahmen hat (vgl. Solga 2004; 2006). Dies zeigt nicht zuletzt der enorme und stetig gewachsene Anteil der so genannten „Altbewerber“ an den Bewerbungen um eine Lehrstelle. 205
Die historisch gewachsene, bislang relativ streng aufrechterhaltene Unterscheidung zwischen einem Regelsystem und einem daneben bestehenden „Übergangssystem“ produziert inzwischen die Benachteiligung, die ursprünglich damit aufgehoben werden sollte. Dies liegt insbesondere darin begründet, dass die Kriterien für den Zugang zu den Maßnahmen des Übergangssystems über individuelle Benachteiligung definiert werden und dass diese Maßnahmen als Ort für Bildung, Kompetenzentwicklung und Beschäftigung gesellschaftlich weder wirklich anerkannt noch legitimiert sind. Die Logik der heutigen Übergänge im Jugend- und jungen Erwachsenenalter erfordert demgegenüber einen prinzipiellen Zugang zu Unterstützungsangeboten bei der Bewältigung des Übergangs in das Erwerbsleben. Hier ist das Programm der Lernenden Regionen einen ersten Schritt gegangen, indem es die Unterstützungsangebote auf den Hintergrund des Lebenslangen Lernens bezog. Viele Entwicklungen in den einzelnen Regionen wären in ihrer Breite sonst nicht denkbar gewesen. Hinter diesen Schritt sollten zukünftige Bemühungen zum Auf- und Ausbau eines regionalen Übergangsmanagements nicht zurückfallen. Allerdings ist hierbei auch ein Richtungswechsel bei der Förderung der einzelnen Unterstützungsangebote nötig, um diese selbst zu entstigmatisieren.
1.5 Übergangsmanagement ist eine dynamische, integrierte Kooperationsstruktur in öffentlicher Verantwortung Die Kooperationen und Vernetzungsperspektiven im Bereich der Übergänge in Arbeit reichten in den letzten Jahren selten über einzelne professionelle Aufgabenbereiche und Zuständigkeitsstrukturen hinaus. Selbst in den Regionen, die ein Übergangsmanagement aufbauen, bezieht sich dieses oft nur auf Teilbereiche wie die berufliche Orientierung an Schulen, Qualifizierungsmaßnahmen, Beratung und Coaching, Vermittlung in Ausbildung usw. Aufgrund der derzeitigen ausgeprägten Aktivitäten im Feld der Berufsorientierung (BO) konzentrieren sich z.B. koordinierende Ansätze oft darauf, Curricula zur BO für Schulen zu erarbeiten und zu vereinheitlichen, Projekte zur BO und ihre Träger gegenseitig abzustimmen usw. So ist bereits zu beobachten, dass sich eigene „Koordinationssysteme“ zu solchen Aufgabenbereichen herausbilden, die kaum in Zusammenhang mit Aktivitäten stehen, die im Sinne des biographischen Übergangs angrenzen. So ist es nur von sehr begrenzter Reichweite, das Arbeitsgebiet der beruflichen Orientierung, Maßnahmen der Berufsvorbereitung (etwa der BA), Angebote der Berufskollegs, außerbetriebliche Ausbildungsangebote oder betriebliche Lehrlingsakquisen getrennt voneinander zu koordinieren.
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Ebenso ist nach wie vor zu beobachten, dass sich Aktivitäten und deren Koordinierung nur an der ersten Schwelle ausrichten, ohne etwa den Übergang in Arbeit insgesamt, d.h. von der Schule ins Erwerbsleben in der ganzen Spanne in den Blick zu bekommen. Hier ist die Gefahr groß, dass junge Erwachsene, sobald sie aus dem „Problembereich“ der U25 altersmäßig heraustreten, nicht mehr als Zielgruppe von Übergangsmanagement wahrgenommen werden. Angesichts von etwa 20 % Ausbildungsabbrüchen, von durchaus nicht unproblematischen Übergängen an der zweiten Schwelle und der immer seltener werdenden dauerhaften Integration in Arbeit birgt ein solch verkürzter Blick jedoch erhebliche Gefahren in Hinblick auf die gesellschaftliche Integration von Heranwachsenden. Diese Problematik setzt sich nahtlos fort in der Herausforderung, Übergangsmanagement nicht nur auf Jugend zu beschränken, sondern für verschiedene Lebensphasen, so ganz besonders für Erwachsene aufzubauen und diese Bereiche miteinander zu verknüpfen. Beide Übergangsmanagementbereiche müssen in den Regionen in Kooperation treten, da eine Trennung zwischen erster und zweiter Schwelle sowie der Weiterbildung der heutigen Übergangsproblematik nicht mehr entspricht. Damit ist nicht gemeint, dass Übergangsmanagement in einer Region in einer quasi totalen Perspektive die Unterstützungsangebote für sämtliche Lebensphasen in eine einzige integrierte Struktur bringen muss. Dies erscheint angesichts der Komplexität und der Eigenlogiken der verschiedenen Akteure schwer umsetzbar. Vielmehr sollten verschiedene Übergangsmanagementbereiche je nach Sinn miteinander kooperieren, um sich inhaltlich so abzustimmen, dass Widersprüchlichkeiten abgebaut werden und eine regionale Gesamtstrategie entwickelt werden kann. Solche Kooperationsbezüge können durchaus auch temporär sein, je nachdem, wie es der regionale Bedarf an Unterstützungsleistungen erfordert. Verankert werden kann Übergangsmanagement in der GovernancePerspektive durch eine Koppelung an bestehende (oder neu zu entwickelnde) intermediäre Strukturen in der Region. Zentrale Leitlinien sind in diesem Sinne die Vernetzung der institutionellen Akteure, die Einbindung von regionalen Schlüsselpersonen sowie informeller Akteure, die Orientierung an regionalen Entwicklungsprozessen ebenso wie Bedarfs- und Beteiligungsorientierung. So könnten dann den demokratischen Konflikt aktivierende Zwischenwelten entstehen, damit sie eigene Einflusszonen schaffen und die Institutionen in andere als die tradierten Vernetzungen zwingen können. Auf diesem Weg könnte soziale Gerechtigkeit, gegen den Trend sozialstaatlicher Aushöhlung, zum neuen Antrieb einer ökonomisch-sozial ausbalancierten Regionalentwicklung werden. Die konkrete Steuerung kann dann etwa über regionale Arbeitskreise, „Themennetz207
werke“ oder Entwicklungsagenturen erfolgen; als besonders wichtig erscheinen hier die inhaltlich übergreifenden Arbeitsstrukturen. Vor dem Hintergrund des zivilgesellschaftlichen Zugangs ist die Ebene des Managements als reflexive und dynamische Kooperationsstruktur zu verstehen, in der die am Übergangsmanagement beteiligten Akteure, d.h. Bürgerinnen und Bürger, freie und öffentliche Träger, allgemeinbildende und berufliche Schulen, Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen, Arbeitsagenturen, Verwaltungen und Politik u.v.a. entsprechend den themenspezifischen Herausforderungen zusammenarbeiten. Diese Kooperationsstruktur liegt also quer zu institutionellen Versäulungen und ist offen für die bürgerschaftliche Handlungsperspektive (Bürgerarbeit), für neue Handlungsfelder und Bereiche, je nach regionalem Bedarf. Gleichzeitig zeigte die Arbeit der Lernenden Regionen, dass Übergangsmanagement mit einer öffentlichen (Steuerungs-)Verantwortung verknüpft ist. Diese kann im Übergangsbereich Schule – Erwerbsleben bspw. über die Kommunen wahrgenommen werden, wobei sie im Sinne des Subsidiaritätsprinzips einer solchen Verantwortung nur dann selbst nachkommen müssten, wenn dies nicht ausreichend von anderen Akteuren gewährleistet wird. Aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen in den Regionen ist es für einen breitflächigen Aufbau von Übergangsmanagement grundsätzlich nicht sinnvoll, die Koordinierungsaufgabe generell nur einem Akteur zuzuschreiben. Ebenso denkbar wäre auch die Etablierung einer Koordinierungsstruktur auf Länderebene, die in den Regionen präsent ist und die jeweils dort wirkenden zivilgesellschaftlichen Akteure und Netzwerke einbezieht. Die Steuerungsverantwortung hat jedoch nicht die Durchführungsverantwortung zur Folge. Sie muss lediglich – bspw. über die kommunikative Erarbeitung von Leitlinien – den Rahmen setzen, um den Ausgestaltungsprozess einer regionalen Dienstleistungsstruktur „offen“ zu koordinieren (in Anlehnung an die Methode der Offenen Koordinierung). Dieser Koordinierungsrahmen muss also den verschiedenen Akteuren genug Handlungs- und Gestaltungsspielräume zur Verfügung stellen, damit sie ihrer zivilgesellschaftlichen Rolle gerecht werden und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger Dienstleistungen zur Unterstützung von Übergängen entwerfen, umsetzen und strukturieren können.
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Schwerpunkte im Übergangsbereich Wiedereinstieg ins Erwerbsleben
2.1 Heterogene Zielgruppe Das Thema Wiedereinstieg in die Arbeitswelt wird häufig auf die Beratung, Qualifizierung und Begleitung zum Wiedereinstieg nach Elternzeiten und Erzie208
hungsphasen sowie Pflegezeiten Angehöriger fokussiert. Besonders diese Problematik ist nach wie vor eine geschlechtsspezifische; nur Elternzeiten werden aufgrund neuerer familienpolitischer Maßnahmen mehr und mehr von Männern in Anspruch genommen. Deshalb besteht hier ein Bedarf an Angeboten, die sich besonders an den Bedürfnissen von Frauen ausrichten. Weitere Schwerpunkte liegen auf der Begleitung und Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten und von gering Qualifizierten. Insbesondere bei der Gruppe der Migrantinnen und Migranten besteht eine Herausforderung darin, geeignete (oft informelle) Zugänge zu finden und die sehr unterschiedlichen Fähigkeiten und Qualifikationen, die sie oftmals mitbringen, zu würdigen und zu nutzen. Bereits diese drei Hauptzielgruppen sind aufgrund völlig unterschiedlicher biographischer Verläufe und Erfahrungen in sich, aber auch im Verhältnis zueinander höchst heterogen, wenngleich sie sich teilweise auch überschneiden. Grundsätzlich wäre das Übergangsmanagement im Erwachsenenalter jedoch auch zu öffnen für weitere Zielgruppen und Themen: So sind hier bspw. Projekte und Angebote zur Rehabilitation und Resozialisierung nach Straffälligkeit bislang nicht explizit am Regionalen Übergangsmanagement beteiligt worden. Ähnliches gilt für spezielle Unterstützungsangebote nach längeren Krankheiten, im Kontext psychiatrischer Behandlungen und für die Angebote für Menschen mit Behinderung, die zum Teil thematisch eng mit Fragen des Übergangs in Arbeit verbunden sind. Vor dem Hintergrund der Diskussion um Diversity erscheint es jedoch notwendig, den Blick weniger auf die Problemlagen bestimmter Zielgruppen zu richten als auf das zivilgesellschaftliche Klima im regionalen Übergangsmanagement und damit auf die wahrgenommene und erfahrene soziale Beteiligungsund Unterstützungskultur. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie in den alltäglichen Gesprächen und Angebotsstrukturen der regionalen Dienstleistungen Heterogenität wahrgenommen, Übergangsprozesse ermöglicht und von den Menschen eine Stärkung ihrer Beschäftigungs- und Handlungsfähigkeit (agency) erfahren wird. Dieser Blickwinkel müsste im Querschnitt in das regionale Übergangsmanagement eingehen, um Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen nicht zu reproduzieren und die Stigmatisierungen zu umgehen, die derzeit häufig mit Unterstützungsangeboten verbunden sind, die auf bestimmte Ziel- bzw. Problemgruppen zugeschnitten werden.
2.2 Verhältnis zwischen Bildungsberatung und Übergangsmanagement Dem Programm der Lernenden Regionen liegt der Ansatz der Vernetzung, Bündelung und Koordination regionaler Bildungs- und Unterstützungsangebote zu209
grunde, und zwar quer durch die verschiedenen Themennetze. Auch verschiedene andere Bund- und Länderprogramme verfolgen das Ziel, regionale Netzwerke von Bildungs- und Beschäftigungsangeboten aufzubauen, um über eine entsprechende Beratung die regionalen Angebote bedarfsbezogen zugänglich zu machen. Um hier neue Dopplungen und Konkurrenzen auf der Steuerebene zu vermeiden, sollten die begrifflichen Instrumentarien zueinander ins Verhältnis gesetzt und auf Überschneidungen geprüft werden. So ist auch innerhalb des Programms der Lernenden Regionen die Bedeutung von Bildungsberatung und Übergangsmanagement füreinander nicht systematisch geklärt worden. Einerseits ist Beratung ein „Instrument“ unter vielen im regionalen Übergangsmanagement, andererseits kann von Seiten der Bildungsberatung keine regionale Bildungsinfrastruktur entwickelt werden, auf die sie eigentlich verwiesen ist, um Menschen in den Regionen systematisch konkrete Angebote machen zu können. Die Gestaltung einer solchen Infrastruktur ist wiederum die originäre Aufgabe des Übergangsmanagements. Das regionale Übergangsmanagement bezieht sich in dem Verständnis, wie es im Rahmen des Programms der Lernenden Regionen entwickelt wurde, in einem umfassenden Sinne auf die regionale Bildungslandschaft. Es vernetzt und strukturiert die verschiedenen Bildungs-, Weiterbildungs- und Beratungsangebote einer Region und ist verantwortlich für die Abstimmung dieser Angebote auf den regionalen Bedarf. Auf eine solche vernetzte, transparente regionale Infrastruktur ist andererseits die Bildungsberatung angewiesen, um Menschen nicht nur kompetent beraten zu können, sondern ihnen auch Zugänge zu Bildungsangeboten in der Region zu schaffen, die auf die spezifische biographische Situation der zu Beratenden passt. Mit ihren offenen Beratungsangeboten kann die Bildungsberatung so etwas wie eine zentrale Anlaufstelle für Menschen in der Region sein, die in ihrer biographischen Situation Beratung und Zugang zu – formellen wie nonformalen und informellen – Unterstützungs-, Bildungs-, Weiterbildungs- und Beschäftigungsangeboten in der Region suchen. Damit ist sie zugleich auch nahe an den Bedürfnissen der Menschen in der Region und verfügt über ein großes Detailwissen zur Abstimmung dieser Angebote auf den Bedarf in der Region. Während also die Bildungsberatung den Menschen vor dem Hintergrund einer professionellen Beratung zielgerichtet Zugänge zu Bildungs- und Unterstützungsmöglichkeiten in der Region verschafft, gestaltet das Übergangsmanagement die regionale Infrastruktur eben dieser Angebote systematisch und transparent entsprechend dem regionalen Bedarf. Aus Sicht des Übergangsmanagements erhält die offene Beratung somit eine zentrale Bedeutung in Bezug auf die Zugänge der Zielgruppen zu den entsprechenden Angeboten. Darüber hinaus erhält sie eine „voice-function“ in Bezug auf die bedarfsgerechte Gestaltung der regio210
nalen Bildungs- und Unterstützungsinfrastruktur (vgl. das Praxisbeispiel der LR Münster). Die Bildungsberatung mit ihren Beratungsstellen wird durch das Übergangsmanagement in die Regionen hinein vernetzt und verankert, so dass sie ihre Beratung auf eine bedarfsbezogene und transparente Angebotsstruktur beziehen kann. Erst in diesem Zusammenspiel kann gewährleistet werden, dass Menschen in Übergängen und mit Beratungs- und Orientierungsbedarf Zugänge zu den Angeboten erhalten, die ihnen in ihrer biographischen Situation tatsächlich eine Weiterentwicklung ermöglichen.
2.3 Regionale Ökonomie als Anerkennungs- und Beschäftigungsstruktur Da es bei der Organisation des regionalen Dienstleistungsangebotes für die Zielgruppe der Erwachsenen in Übergängen (zumindest bislang) keinen „Königsweg“ gibt, gilt es, die Akteure nicht in einem defensiven Verständnis als „Maßnahmeträger“, sondern als lokale und regionale Impulsgeber zu betrachten, die den Auftrag zur Gestaltung eines Übergangsmanagements haben (vgl. Emirbayer/Mische 1998; Arnold/Böhnisch/Schröer 2005). Als weiterer Schwerpunkt kristallisiert sich damit die Öffnung zur regionalen Ökonomie und zu regionalen Engagementstrukturen heraus. Dabei ist der Fokus über den sog. dritten Sektor hinaus zu öffnen und die Belange von Umwelt, Beschäftigung und Bildung sowie eine Gemeinwesenorientierung in eine produktive Kombination zu führen (vgl. Nuissl u.a. 2006). So spielt z.B. auch die Einbeziehung von ethnisch strukturierten Netzwerken und Ökonomien (ethnic business und ethnic enterprise) in das Übergangsmanagement eine wichtige Rolle für den Wiedereinstieg von Erwachsenen mit Migrationshintergrund (vgl. Haberfeller 2000). Hierbei sind Strategien der Beschäftigungsförderung herauszuarbeiten, die mit der Wirtschafts- und Umweltförderung verbunden sind, um aus der Ecke einer nachrangigen Nischenpolitik heraustreten und nachhaltige Strukturen aufbauen zu können. Regionale Ökonomien sind also nicht nur als erster Arbeitsmarkt und auch nicht nur als „Dritter Sektor“ zu verstehen, sondern in einem viel weiteren Sinne als Beschäftigungsstruktur, die ein Surplus für die Region erbringen kann. Hier nur Formen von Erwerbsarbeit anzuerkennen, verstellt den Blick gerade auf diejenigen Beschäftigungs- und Engagementstrukturen in den Regionen, an die Menschen im Übergang anknüpfen können oder in denen sie bereits verankert sind. Hier haben gerade Erwachsene, die meist über vielfältige Arbeitserfahrungen oder gar Qualifikationen verfügen bzw. in den verschiedensten Feldern Kompetenzen entwickelt haben, die aktuell auf den regionalen Arbeitsmärkten nicht anerkannt und gefragt sind, oft hoch entwickelte Potenziale einzubringen. 211
Diese kommen allerdings erst zur Entfaltung, wenn sie auch anerkannt werden und Gelegenheiten geschaffen werden, sie zu „zeigen“ und anzuwenden. Es wäre ein entscheidender Schritt zur Anerkennung und Weiterentwicklung vorhandener Kompetenzen von Menschen im Übergang, den Blick des Übergangsmanagements für solche Gelegenheitsstrukturen und „Ermöglichungsräume“ zu öffnen und sie als Potenziale der Entwicklung regionaler Bildungs- und Beschäftigungsstrukturen – in Kopplung mit Regionalentwicklung insgesamt – anzuerkennen. Für das Übergangsmanagement in den Regionen wird es dabei – über den Anspruch des bisherigen Fokus der Lernenden Regionen hinaus – aber nicht nur entscheidend sein, wie es gelingt, lokale Netzwerke für Bildung, Unterstützung und Beschäftigung zu entwickeln. Denn es ist ebenfalls das zivilgesellschaftliche Klima vor Ort, das den Charakter des Übergangsmanagements prägt (vgl. Enquête-Kommission 2002). Diese Perspektive bedeutet, dass z.B. die Herausforderung des Wiedereinstiegs ins Bildungs- und Beschäftigungssystem nicht mehr allein durch die Schaffung von einzelnen Maßnahmen oder als Problem einzelner Institutionen und spezieller Einrichtungen gesehen werden kann. Besonders deutlich wird dies auch im Kontext des Wiedereinstiegs von Frauen nach der Elternzeit (vgl. Gerhardt/Kniju/Weckert 2003, Feider 2006). Gerade hier scheint eine Vernetzung in der Region mit den Betrieben bzw. der Betriebe untereinander mehr als notwendig. Insgesamt ist darum zu fragen, wie und wodurch das Übergangsmanagement regional charakterisiert ist und wo soziale Ermöglichungsräume für bestimmte Zielgruppen gestaltet werden können. In den regionalen Übergangsstrukturen müssen darum beschäftigungsorientierte Ermöglichungskontexte ausgemacht werden, in denen das Arbeits- und Bildungssystem, die Zivilgesellschaft und die biographischen Konstellationen der betroffenen Menschen neu aufeinander bezogen werden. In einem Modellprojekt zu regionalen Übergangsstrukturen wurden darum drei thematische Felder erarbeitet, an denen sich „bemessen“ lässt, ob ein Übergangsmanagement soziale Ermöglichungskontexte in dieser Perspektive darstellt (vgl. Blickwede u.a. 2006): Im Vordergrund steht der Grad der Beteiligung der Menschen an der Gestaltung der regionalen Übergangsstrukturen. Zudem gilt es zu überprüfen, inwieweit Angebote in die regionale Ökonomie und Beteiligungsstrukturen auf den unterschiedlichen Ebenen integriert sind. Schließlich gilt es zu betrachten, wodurch und wie eine beschäftigungsorientierte Vernetzung der Dienste realisiert wird und ob sich diese in die Region öffnet und Teil der regionalen Infrastruktur ist. Hier erscheint als grundlegend, inwieweit das regionale Dienstleistungs- bzw. Unterstützungsangebot insgesamt so genannte Agency-Strukturen etabliert, durch die die Menschen beim Wiedereinstieg ins Bildungs- und Beschäftigungssystem in ihrer Handlungs- und Beschäftigungsfähigkeit gestärkt werden. 212
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Teil IV Übergangsmanagement in einer älter werdenden Gesellschaft
Das Bild der Älteren in Wirtschaft und Gesellschaft – Handlungsfelder zur Gestaltung eines zielgruppenorientierten Übergangsmanagements Mario Gottwald / Kornelius Knapp 1
Herausforderungen des demografischen Wandels
Der Alterungsprozess wirft vielfältige Fragen sowohl in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung als auch auf das gesellschaftliche Zusammenleben auf. Exemplarisch sei hier verwiesen auf Themen wie Rentenversicherung, Gesundheitsversorgung, Steuern, Arbeitskosten oder Bildung (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2004). Die Debatten der letzten Jahre in Deutschland zu den Auswirkungen der demografischen Entwicklung bezogen sich vor allem auf das Thema „Fachkräftemangel“. Ebenso im Kontext deutscher und europäischer Vorstellungen von Standortpolitik hat der politische Umgang mit den demografischen Herausforderungen einen zentralen Stellenwert. Die Europäische Union hat sich im Jahr 2000 in Lissabon das Ziel gesetzt, „(…) bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“ (vgl. Europäischer Rat 2001). Im Rahmen dieser Zielsetzungen sind die Mitgliedsstaaten der EU auch dazu aufgefordert, Strategien eines aktiven Alterns zu entwickeln, die eine höhere Erwerbsbeteiligung der älteren Beschäftigten ermöglichen und sicherstellen (vgl. Europäischer Rat 2002). Aktives Altern soll es den Menschen ermöglichen, ihr körperliches, soziales und geistiges Potenzial auszuschöpfen und möglichst lange selbstständig und unabhängig zu bleiben sowie aktiv am Gesellschaftsleben teilzunehmen (vgl. INSM 2008, WHO 2002). Vor dem Hintergrund der aktuellen demografischen Entwicklungstrends ergeben sich drei bevölkerungspolitische Problemfelder:
Bis zum Jahr 2020 wird die Alterung des Erwerbspersonenpotenzials die zentrale Herausforderung darstellen und nicht deren Schrumpfung (vgl. Bellmann/Kistler/Wahse 2007, S. 1). Dies hat zur Folge, dass künftig verstärkt Ältere als Leistungsträger für Aufgaben im Betrieb fungieren müssen, für die bisher jüngere Beschäftigte vorgesehen waren. Der derzeitige Anteil nicht mehr erwerbstätiger Älterer liegt bei 30 Prozent der Gesamtbevölkerung und wird sich bis 2020 auf 40 Prozent er219
höhen (vgl. Fuchs/Weber 2007, S. 5). Handlungsbedarf besteht vor allem aufgrund der langfristig alternden Erwerbsbevölkerung sowie aufgrund der Verschiebung des Austritts aus dem Erwerbsleben ins höhere Lebensalter. Zudem weitet sich die „Lebensphase Alter“ aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung als aktiver Lebensabschnitt auch auf die Nacherwerbsphase aus. Die nachhaltige Gestaltung des demografischen Wandels beinhaltet demzufolge auch Fragen zur zivilgesellschaftlichen Teilhabe Älterer insgesamt. Hierzu sind sowohl für berufliche als auch außerberufliche Alterskarrieren Modelle und Umsetzungsstrategien zu erforschen und zu verbreiten (vgl. Stahl/Schreiber 2008).
Die Phase des Übergangs von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase gewinnt zum einen quantitativ an Bedeutung, da sich die Zahl der Personen, die davon betroffen sein werden, ausweitet. Zugleich verändern sich im Vergleich zu früheren Jahren die Bedingungen vor und nach dieser Lebenszäsur. Mit den skizzierten quantitativen Entwicklungstrends zum demografischen Wandel geht eine qualitative Veränderung des Lebensabschnitts „Alter “19 einher. Menschen altern heute anders als in der Vergangenheit. Hierfür gibt es zunächst biologische Gründe: Ein größerer Teil dieser Lebensphase wird in Gesundheit verbracht. Dies bedeutet, dass Selbstständigkeit und Aktivität im Alter länger erhalten bleiben. Um dem Rechnung zu tragen, wird in der gerontologischen Forschung zwischen dem „jungen Alter (ca. 60-85 Jahre)“, das grundsätzlich durch Gesundheit und weitgehende Selbstständigkeit charakterisiert ist und dem „alten Alter (ab etwa 85 Jahren)“, in dem die Anfälligkeit für Erkrankungen stark zunimmt, unterschieden (vgl. Kruse 2006a). Längst ist klar, dass Ältere in Zukunft eine veränderte Rolle in der Gesellschaft einnehmen werden und auch einnehmen müssen – reformpolitische Bemühungen wie die Abschaffung der Frühverrentungsmöglichkeiten und die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre sind erste Antworten hierauf. Auch die Bereitschaft des Einzelnen, lebenslang zu lernen, gewinnt vor diesem Hintergrund an Bedeutung. Angesichts des demografischen Wandels 19
Zunächst stellt sich die Frage, wer als „älter“ bezeichnet wird. Wenn im Folgenden von „Älteren“ die Rede ist, so sind damit nicht die Personen mit einer bestimmten psychischen oder physischen Verfassung gemeint, sondern solche, die sich unmittelbar vor dem Übergang in die Nacherwerbsphase befinden oder diesen bereits vollzogen haben. Häufig wird in diesem Zusammenhang deshalb nicht mehr von älteren oder alten Menschen gesprochen, sondern von Menschen in der „zweiten Lebenshälfte“. Die Sichtweise wird auch nachfolgend zugrunde gelegt.
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wird es für Betriebe in den nächsten Jahren zunehmend darum gehen, Ältere zu qualifizieren. „Potenziale Älterer nutzen“ ist in diesem Kontext eine viel zitierte Formel, welche aber nicht nur bedeutet, Gesundheit und Motivation für den Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund der Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu erhalten und zu fördern. Bezogen auf die Gestaltung der Übergangsprozesse vom Beruf in die Nacherwerbsphase geht es auch verstärkt um die Neubestimmung von Arbeit jenseits der „Normalarbeit“, z.B. im Nonprofit-Bereich (Versorgungsarbeit, Eigenarbeit, bürgerschaftliches Engagement und Aktivität im dritten Sektor). Dies schließt die Auseinandersetzung mit individuellen Bildungsfragen in Bezug auf die Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsprozesse im Alter mit ein. Insgesamt geht es darum, die Integration Älterer in unsere Gesellschaft zu verbessern und ein neues Altersbild zu prägen, welches Ältere als erfahren und kompetent betrachtet. Die gesellschaftliche Neuverhandlung der Altersphase rückt somit die Potenziale des Alters und das Postulat des Lebenslangen Lernens in den Vordergrund. Mit dem vorliegenden Beitrag sollen die damit verbundenen Herausforderungen ausgehend von der Debatte zur Veränderbarkeit von Altersbildern und deren Bedeutung für aktives Altern diskutiert und Handlungsbedarf sowie Lösungsstrategien zur Gestaltung des Übergangs von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase aufgezeigt werden.
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Existenz unterschiedlicher Altersbilder
Häufig wird betont, dass das gegenwärtig vorherrschende Altersbild weder dem Handeln und Leben der Älteren noch den gesellschaftlichen Interessen hinsichtlich des Engagements Älterer entspricht (vgl. Schöpf 2007, S. 10 ff.; Lehner 2005, S. 31 ff.; BMFSFJ 2001, S. 65). Ältere Menschen sind in der Regel bis weit über das Alter von 75 Jahren aktiv und übernehmen im sozialen und wirtschaftlichen Umfeld wichtige und unterstützende Aufgaben wahr, z. B. von der Betreuung von Kleinkindern bis zur fachlichen Begleitung von Existenzgründern. Sie widerlegen durch ihre Aktivitäten das vorherrschende Defizitmodell des Alters. Der Fokus auf Defizite führt dazu, dass vielfältige Kompetenzen Älterer übersehen und nicht genutzt werden. Der Eintritt in die Rentenphase stellt keineswegs mehr einen Übergang in eine Ruhephase dar, sondern in eine mitunter mehrere Jahrzehnte dauernde aktive Lebensphase. Schließlich liegt in Deutschland die fernere Lebenserwartung der heute 65-Jährigen bei 17,9 Jahren (vgl. BMFSFJ 2007, S. 15). Während also die Menschen in der Vergangenheit in der Regel bis zum Erreichen der Leistungsgrenze arbeiten mussten, ermöglicht die 221
gestiegene Lebenserwartung eine längere Nacherwerbsphase, in der physische und psychische Beeinträchtigungen erst spät eine Rolle spielen (vgl. Künemund 2007, S. 12; Kruse 2006, S. 10). Das Bild von der „gelungenen, kontinuierlichen Erwerbsbiografie“ mit einem darauf folgenden „verdienten Ruhestand“ hat, wenn es als Norm gesetzt ist, beträchtliche Auswirkungen, obwohl sie praktisch nie Normalität war (vgl. Bolder 2004). Dies hat Auswirkungen auf die Bereitschaft der Älteren, noch Tätigkeitswechsel und dafür erforderliche Lernprozesse in der letzten Phase des Berufslebens vorzunehmen. Vor allem in der zweiten Hälfte der Erwerbsbiografie werden Tätigkeitswechsel im eigenen Unternehmen nur noch selten aktiv von Seiten der Beschäftigten betrieben, obwohl es dafür keinen sachlichen Grund gibt. Systematische Tätigkeitswechsel erhalten die Motivation und fördern die Bereitschaft, Veränderungen zu bewältigen (vgl. Wolff/Spieß/Mohr 2001). Das Bild von einer „gelungenen Erwerbsbiografie“ birgt aber noch weitere Facetten in sich. Es geht aus von einer durchgängigen, sich ohne Unterbrechungen vollziehenden Erwerbstätigkeit mit dem Leistungshöhepunkt im vierten und fünften Lebensjahrzehnt sowie einem anschließenden „cooling-out“-Prozess und gleitendem Übergang in einen „verdienten Ruhestand“. Passend hierzu wurden in Übereinstimmung von Sozialpartnern und Politik in der Vergangenheit Frühverrentungsmodelle realisiert, um jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Chancen auf eine Beschäftigung zu eröffnen und Möglichkeiten der Verjüngung des Personalbestandes von Betrieben anzubieten (vgl. Künemund 2007, S. 14 f.). Möglichkeiten des vorgezogenen Ausstiegs aus dem Erwerbsleben wurden von den Beschäftigten vielfach begrüßt und sind heute zur Normalperspektive erwachsen. Ein Großteil der Beschäftigten wünscht sich einen Berufsausstieg vor Eintritt des gesetzlichen Renteneintrittsalters oder eine Reduktion der Arbeitszeit in den letzten Berufsjahren zur Minderung bestehender Belastungen (vgl. Ehrenbrusthoff/Teuffel 2006, S. 9). Modelle der Flexibilisierung des Renteneintritts wie die Altersteilzeitregelung wurden demzufolge in erster Linie als Möglichkeit zum früheren Berufsausstieg genutzt (vgl. Kohli 2000, S. 18). In der Nacherwerbsphase lässt das in Deutschland existente Altersbild nur wenige von Vielfalt geprägte Rollen zu. Bilder von physischen und psychischen Defiziten sowie von einer zurückgezogenen Lebensweise wirken sich hemmend auf die Aktivitätsmotivation Älterer aus. Wenn von Älteren keine aktive Rolle in der Gesellschaft erwartet wird, wundert es nicht, wenn die Beteiligung der Älteren bei gesellschaftlicher und gemeinnütziger Aktivität geringer ist als bei Jüngeren (vgl. BMFSFJ 2005b, S. 67). Der Rückzug aus der gesellschaftlichen Teilhabe lässt sich als Folge eines negativen Altersbildes verstehen. Wenn Ältere für gesellschaftliche Aufgaben dringend benötigt werden (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 378 ff. und S. 388), müssen ihre Kompetenzen und Fähigkeiten anerkannt wer222
den und ihre Einbindung in gesellschaftliche und soziale Prozesse erkennbar voranschreiten. Die Ansprüche an nacherwerbliche Aktivitäten Älterer wandeln sich. Viele Ältere wollen nicht mehr nur den Ruhestand genießen, sondern aktiv sein und dadurch Anerkennung finden; sei es durch Formen nachberuflicher Erwerbsarbeit oder bürgerschaftlichen Engagements. Das Erlernen von Kenntnissen zur Nutzung neuer Technologien wie Computer und Internet gehört zu weit verbreiteten Interessen Älterer. Zur Ausübung solcher Aktivitäten wird aber auch eine professionelle Unterstützung seitens der Älteren erwartet, z.B. bei der Wahrnehmung familiärer Betreuungsaufgaben, der Bewältigung von Krisen in der Partnerschaft aufgrund veränderter Lebenssituationen oder bei der alltäglichen Lebensführung.
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Kennzeichen eines kompetenzorientierten Altersbildes
Wenn die Kompetenzen älterer Menschen betont werden, liegt der Fokus auf einer positiven Bewertung und Wertschätzung der Leistungen Älterer und ermöglicht ihnen ein differenziertes und selbstbestimmtes Leben anstelle eines reduzierten und zurückgezogenen Lebens (vgl. Backes u. a. 2004, S. 10 f.). Wird die Orientierung an den Kompetenzen nicht als eine Überzeichnung verstanden, die auch diejenigen zur Aktivität zwingt, die nicht mehr können, bietet sie Chancen für ein aktives Altern, das sowohl den Älteren selbst als auch der gesamten Gesellschaft zugute kommt (vgl. BMFSFJ 2001, S. 65 ff.). Die Kommission des fünfen Altenberichts der Bundesregierung weist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und den damit verbundenen Herausforderungen fünf Leitbilder zur Entwicklung, Aufrechterhaltung und Nutzung von Potenzialen der Älteren aus (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 53 f.; Kruse/Schmitt 2005, S. 12 f.). Sie sind Bestandteile eines kompetenzorientierten Altersbildes und beziehen sich dabei auf die Rolle der Älteren sowohl in der Erwerbs- als auch in der Nacherwerbsphase, wie im Folgenden anlehnend an die Ausführungen des fünfen Altenberichts aufgezeigt wird. Die Leitlinien zeigen auf normativer Ebene den Legitimations- und Begründungsrahmen zur Gestaltung von Übergängen in der zweiten Lebenshälfte auf.
3.1 Kompetenzorientierte Ansprache Älterer Angesichts der vielfältigen beruflichen und außerberuflichen Bedarfe an Tätigkeiten der Älteren einerseits und deren Leistungsbereitschaft und -fähigkeit andererseits erscheint die verstärkte Verknüpfung von beiden Dimensionen zu 223
einem neuen Altersbild längst überfällig. Dadurch kommt die gesellschaftliche Solidarität zum Ausdruck, die der Altenbericht in doppelter Weise einfordert. Dies bezieht sich zum einen auf die gesellschaftliche Ansprache, Einbindung und Unterstützung der Älteren und zum anderen auf die Berücksichtigung von Kompetenzen der Älteren in Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre Erfahrungen und Fähigkeiten werden von Betrieben und gemeinnützigen Einrichtungen, von Projekten und Initiativen sowie dem sozialen Umfeld benötigt. Um die Motivation Älterer zu einem verstärkten Engagement zu fördern, gilt es, sie als aktive Mitglieder anzusprechen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2007, S. 14). Dazu sind verstärkt kreative Wege erforderlich, um die Motivation z. B. für bürgerschaftliches Engagement zu erhöhen.
3.2 Betrachtung Älterer als Leistungsträger Die Innovationskraft der Unternehmen hängt stark von den Qualifikationen und Kompetenzen der Mitarbeiter ab. Analysen der wichtigsten Wachstumsfaktoren lassen erkennen, dass in den meisten OECD-Staaten im letzten Jahrzehnt mindestens die Hälfte des Wirtschaftswachstums auf den Anstieg der Arbeitsproduktivität zurückzuführen ist (vgl. Bildung in Deutschland 2006). Sowohl in Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs als auch schwieriger wirtschaftlicher Entwicklungen sind Betriebe auf die gezielte Nutzung ihrer Mitarbeiterpotenziale angewiesen. Die Möglichkeit, ihre Bestandsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontinuierlich und bis ins Alter hinein auf hohem Niveau weiterzubilden, scheitert jedoch an unzureichenden Ressourcen oder mangelndem Know-how der Betriebe. Die anstehende Verlängerung des Berufslebens hat zur Folge, dass künftig Personen als Leistungsträger im Betrieb fungieren müssen, deren ursprüngliche formale Ausbildung bis zu 40 Jahren zurückliegt. Es müssen daher Wege gefunden werden, wie Weiterbildung so mit dem Berufsleben verbunden werden kann, dass die Potenziale und Bildungsressourcen älterer Menschen effektiver genutzt werden können und demnach nicht nur junge Arbeitskräfte, sondern insbesondere auch Ältere als Quelle von Innovationen angesehen werden können. Im Sinne eines lebenszyklusbasierten Ansatzes entstehen im besten Fall Qualifikationslücken erst gar nicht (vgl. Zimmermann 2008). Über den Beruf hinaus können die kreativen Fähigkeiten der Älteren auch in der Nacherwerbsphase eine beachtliche Rolle spielen. Für Projekte und Initiativen insbesondere im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements spielen dann die vielfältigen Kompetenzen und Erfahrungen eine zunehmend wichtige Rolle und ermöglichen damit die fruchtbare Verbindung von Kompetenzangebot und Kompetenzbedarf.
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3.3 Nachhaltigkeit und Generationensolidarität Die Stärkung, Einbindung und Nutzung der Potenziale Älterer können nicht isoliert betrachtet werden. Es ist erforderlich, stets den gesamten gesellschaftlichen Kontext im Blick zu haben. Für den langfristigen Erhalt der Generationensolidarität ist die Sorge um die nachwachsende Generation von entscheidender Bedeutung. Eine Kernaufgabe muss es sein, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu realisieren und zwar unter Einbindung der Potenziale Älterer. Ihre Ressourcen und Kompetenzen sind bei der Betreuung und Bildung der nachwachsenden Generationen von Bedeutung. Erforderlich ist es, Formen zu schaffen, die gezielt auf das Erfahrungswissen Älterer zurückgreifen. Hier sind Ansätze denkbar, bei denen Ältere z.B. in Form einer ehrenamtlichen Berufseinstiegshilfe Jugendliche mit besonderem Förderbedarf darin unterstützen, den Übergang von der Schule in den Beruf erfolgreich zu bewältigen oder die Betreuung kleiner Kinder berufstätiger Eltern zu übernehmen. Aber nicht nur mit Blick auf die nachfolgende Generation ist die Rolle der Älteren in der Zivilgesellschaft zu stärken. Es gilt insgesamt, die Aktivierung aller zum bürgerschaftlichen Engagement auszubauen, um im Sinne einer Nachhaltigkeit und Generationensolidarität zur Lösung der Herausforderungen durch die Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung beizutragen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2007, S. 4). Die demografische Entwicklung bringt zusätzliche Veränderungen hervor: Zunehmend werden mit der Baby-Boomer-Generation Altersgruppen in den Ruhestand gehen, die im Vergleich zu früheren Alterskohorten ein hohes Bildungs- und Qualifikationsniveau aufweisen. Dies ist verbunden mit einer zu erwartenden höheren Bildungsnachfrage Älterer und einer erhöhten Bereitschaft zum freiwilligen Engagement. Durch ein freiwilliges Engagement wird die nachberufliche Lebensphase mit Aktivitäten gefüllt, die vom Einzelnen als wertvoll erlebt und von der Gesellschaft als sinnvoll bewertet werden. Betätigungsfelder für die Freiwilligen sind u. a. Schulen, Familien, Vereine, Stadtteilzentren, Pflegeeinrichtungen und Hospize. Trotz der erkennbaren positiven Entwicklungstrends und hohen Engagementraten gilt das vorhandene Potenzial zur Freiwilligenarbeit Älterer und zur bürgerschaftlichen Beteiligung keineswegs als ausgeschöpft. Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys zeigen, dass Ältere ihr ehrenamtliches Engagement noch weiter ausweiten, wenn sich ihnen interessante Aufgabenbereiche bieten (vgl. BMFSFJ 2005b, S. 322 ff.).
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3.4 Lebenslanges Lernen Zur aktiven gesellschaftlichen Teilhabe sind ein hohes Bildungsniveau und die aktive Lernbereitschaft entscheidend. Im beruflichen und nachberuflichen Kontext korreliert die Bildungsbereitschaft hochgradig mit dem Ausmaß an Aktivität (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 212). Eine kontinuierliche Teilhabe an Prozessen des Lebenslangen Lernens stellt somit sicher, dass man auch im Alter weiterhin am gesellschaftlichen Leben aktiv teilnehmen kann. Zur Förderung der beruflichen Aktivität in der zweiten Lebenshälfte müssen daher Betriebe ältere Beschäftigte verstärkt als Leistungsträger erkennen und fördern, damit es nicht zu Demotivation und Lernentwöhnung kommt (vgl. Geldermann 2005; Rump/Eilers 2007). Die Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit bis ins Alter hinein erfordert bei den Betrieben und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Umdenken z. B. hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsorganisation, Gesundheitsprävention und der Weiterbildungsaktivitäten. Aktuell zeichnet sich ein Trend zur Höherqualifizierung und zur Bereitschaft, sich lebenslang weiterzubilden, auch bei den Älteren ab (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 54). Dies birgt nicht nur große Chancen für eine längerfristigere Beschäftigungsfähigkeit, sondern auch für eine erhöhte Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement in der Nacherwerbsphase. Studien belegen die positiven Effekte von geistiger und (angemessener) körperlicher Beschäftigung auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Alter, wie z.B. ein langsameres Fortschreiten demenzieller Erkrankungen (vgl. Kruse 2008; Grimm/Spring/Dietz 2007). Neben der Erhöhung von Lebensqualität aus individueller Sicht ergeben sich durch präventive Aktivierungsmaßnahmen, also auch Chancen zur Kostensenkung in den Sozial- und Gesundheitssystemen.
3.5 Prävention Kurative Strategien zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit zeichnen sich dadurch aus, dass sie Fehler und Defizite zu beheben suchen. Wo Schäden auftreten, sind diese zu beseitigen. Entgegen diesem defizitorientierten Blick ist Prävention darauf ausgerichtet, Strukturen zu entwickeln, die die vorhandenen Potenziale erhält und ausbaut. Einem kompetenzorientierten Altersbild entsprechend gilt es, präventive Aspekte des Gesundheitsschutzes und der Erhaltung der Leistungsfähigkeit vor allem während der Berufsbiografie zu stärken. Auch wenn aufgrund verbesserter Arbeitsbedingungen die Zahlen rückläufig sind, geben immer noch 27 Prozent der Beschäftigten in der EU-25 an, dass sie ihre Gesundheit durch die Arbeitstätigkeit gefährdet sehen (vgl. Europäische Stiftung 2007, S. 6). Präventive Gesundheitsmaßnahmen auf betrieblicher Ebene sind besonders in Berufen 226
nötig, in denen hohe Arbeitsbelastungen und geringe Entwicklungsmöglichkeiten eine Tätigkeit bis zum Erreichen des gesetzlich vorgesehenen Rentenalters erschweren. Ziel einzelner Aktivitäten des betrieblichen Gesundheitsmanagements muss es deshalb sein, ältere Beschäftigte gesund und beruflich aktiv zu halten. Dies wird durch Beratungs- und Weiterbildungsaktivitäten unterstützt. Gefährdungen in den Arbeitsprozessen sind zudem weiter zu reduzieren. Dabei sind die Maßnahmen (z. B. Rückenschulen, Ausgleichsgymnastik) nicht speziell an Ältere, sondern im Sinne der präventiven Strategie grundsätzlich an alle Beschäftigten unabhängig vom Lebensalter zu richten. Neben den betrieblichen Gestaltungsanforderungen ist Prävention immer auch eine Frage des individuellen Handelns. Hier gilt, dass die Beschäftigten auch selbst stärker Verantwortung übernehmen müssen, z.B. indem sie dafür Sorge tragen, sich körperlich fit zu halten und sich gesund zu ernähren. Studien zeigen, dass nur ein integrales Zusammenspiel von beiden Seiten, von Verhaltensprävention auf Seiten der Individuen und Verhältnisprävention in der Arbeitsumgebung, die Gesundheit nachhaltig erhalten und so die Leistungsfähigkeit bis ins Alter – auch über das Renteneintrittsalter hinweg – sichern kann (vgl. Kruse 2008, S. 24 ff.; Ilmarinen/Tempel 2003).
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Gestaltungsanforderungen an ein Übergangsmanagement für Ältere
Die Verfolgung der skizzierten Zielsetzungen in Anlehnung an die Leitbilder des fünften Altenberichts ist in vielerlei Hinsicht an ein Neuarrangement der Übergangsprozesse im Alter gekoppelt. Diesem sind kompensatorisch und präventiv ausgerichtete Strategien zu unterlegen. Gleichzeitig macht es die Einbeziehung von in diesem Bereich eher randständig aktiven Akteuren sowie deren Vernetzung notwendig. Die Tatsache, dass sich mit dem Altern zunehmend Lebenslagen insbesondere vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Lebensverläufe und Erwerbsbiografien ausdifferenzieren, hat zur Folge, dass bei den Älteren die Art der Kompetenzen und die Bereitschaft zum Engagement sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. So entwickeln sich Lernfähigkeit, Weiterbildungsbeteiligung und Weiterbildungsmotivation sowie die darauf bezogene betriebliche Personalentwicklungspolitik bereits zu Beginn des letzten Drittels der Erwerbstätigkeitsphase (ab einem Alter von etwa 45 Jahren) innerhalb der Zielgruppe unterschiedlich (vgl. Bosch/Schief 2005). Wichtig ist deshalb eine individualisierte Betrachtung der Entwicklungsverläufe und der Übergänge in der zweiten Lebenshälfte, denn diese vollziehen sich auf einer weitgehend nicht standardisierbaren Weise. Die Wahrnehmung des Älterwerdens, die Statuswechsel im Zusammenhang mit der Familiengründung, die Phasen der Nichterwerbstätigkeit bis hin zum Über227
gang in die Nacherwerbsphase sind individualisierte Ereignisse, die deshalb auch als solche bearbeitet werden müssen. Das „Ende der Normalbiografie“ fordert von den Individuen zudem eine größere Orientierungsleistung. Ein wichtiges Angebot zur Gestaltung dieser Lebensphase muss deshalb in Informations- und Beratungsleistungen bestehen. Bei der Konzeption von Unterstützungsangeboten im Rahmen eines Übergangsmanagements ist zu betonen, dass diese nur als Ergänzung zu den individuellen Handlungsstrategien wirken können. Gerade auch mit Blick auf die beiden vorgenannten Anforderungen können diese für Menschen in der zweiten Lebenshälfte nur dann funktionieren, wenn sie sich als „Hilfe zur Selbsthilfe“ verstehen. Trotz der sich wandelnden Rahmenbedingungen und den sich abzeichnenden Herausforderungen einer alternden Gesellschaft geraten jedoch die Übergänge in der zweiten Lebenshälfte aus dem Blickfeld eines institutionalisierten Übergangsmanagements. Während in den letzten Jahren viele strukturbildende Ansätze zum Übergangsmanagement für Jugendliche an der ersten und zweiten Schwelle entwickelt wurden, stellt Übergangsmanagement für Ältere unter strukturellen, konzeptionellen und gestalterischen Aspekten noch entwicklungspolitisches Neuland dar. Im Übergangsbereich einer älter werdenden Gesellschaft ist es das Ziel, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Menschen ermöglichen, ihr körperliches, soziales und geistiges Potenzial auszuschöpfen und möglichst lange selbstständig und unabhängig im Alter zu leben. Die Förderung aktiven Alterns darf somit nicht ausschließlich produktivitätsorientiert sein, sondern muss auch die Bedeutung von sozialer Teilhabe, Partizipation und gesellschaftlicher Inklusion betonen. Gekoppelt an biografische Veränderungsprozesse in der zweiten Lebenshälfte, die vom Einzelnen bewältigt werden müssen, lassen sich drei charakterisierende Handlungsfelder ableiten, die spezifische Merkmale und Anforderungen für ein aktives Altern identifizieren und Richtschnur für den anstehenden Entwicklungs- und Innovationsbedarf für ein zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement sind: Die Erwerbsphase im Alter, der Übergang von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase sowie die nachberufliche Lebensphase. 4.1 Erwerbsphase im Alter20 Eine differenzierte Betrachtung des Übergangsmanagements für Ältere ist auf Seiten der Nachfrage am Arbeitsmarkt sowie in Bezug auf die Einstellung der 20
Detaillierte Beschreibung dieses Handlungsfeldes siehe Beitrag „Etablierung eines betrieblichen Altersmanagements“ in diesem Band.
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Personalverantwortlichen in Betrieben gegenüber Älteren (vgl. Gottwald/Keck 2008) erforderlich. Bereits hier wird die herausgehobene Bedeutung sichtbar, die Betrieben und ihren Verbänden beim Neuarrangement zukommt. Dies wird in den Verbänden meist wahrgenommen (vgl. DIHK 2005; iwd 2005), in vielen Betrieben aber – auch im internationalen Vergleich – noch nicht in ausreichendem Maße (vgl. Bosch/Schief 2005; Bosch 2005). Die Benachteiligung Älterer auf dem Arbeitsmarkt hat viel zu tun mit dem betrieblichen Umgang mit dieser Personengruppe. Dabei ist in der Regel nicht böser Wille bei den Führungskräften und Personalern am Werk. Wie viele Befragungen zeigen, schätzen diese ihre älteren Beschäftigten (vgl. Stößel 2007). Sie praktizieren allerdings eine Personaleinsatz- und Personalentwicklungspolitik, die auf Dauer zu Dequalifizierung, Demotivierung und Leistungsminderung bei vielen Beschäftigten führt. Diese Personalpolitik ist mehrheitlich auf die Attraktion aktueller Qualifikationen aus dem Bildungssystem und ihrer produktiven Nutzung, aber nicht auf deren Erhaltung ausgerichtet, von punktuellen Weiterbildungsmaßnahmen und einzelnen Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einmal abgesehen (vgl. Bellmann/Kistler/Wahse 2007). Die Möglichkeit, Personal, das nicht mehr die Anforderungen erfüllt, in einen vorzeitigen Ruhestand zu schicken, machte diese Praxis in der Vergangenheit plausibel. Eine Differenzierung der Personalarbeit, die den Bedürfnissen und Stärken verschiedener Gruppen im Betrieb Rechnung trägt, war demzufolge bisher nicht nötig. Viele Betriebe werden aber zukünftig durch die demografische Entwicklung auf ein im Schnitt älteres und häufig durch Fehler der Vergangenheit weniger leistungsfähiges Arbeitskräfteangebot angewiesen sein. Aus der Perspektive eines Übergangsmanagements gilt es daher zu fragen, wie die Phase vor dem Ruhestand für Betriebe und Beschäftigte gewinnbringend gestaltet werden kann. Hier ist die Umsetzung des Lebenslangen Lernens von zentraler Bedeutung. Die Beschäftigungsfähigkeit in den betroffenen Altersgruppen ist eng vom Qualifikationsniveau abhängig. Studien belegen, dass die Bereitschaft der Erwerbstätigen zunimmt, verstärkt in die eigene Weiterbildung zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit im Alter zu investieren (vgl. von Rothkirch 2005; Bertelsmann Stiftung 2006). Die Mehrzahl wünscht sich dabei allerdings auch Unterstützung durch den Arbeitgeber. Aber nicht allein die Qualifikation ist aus individueller Sicht für die letzten Arbeitsjahre von Bedeutung, sondern auch psycho-soziale Komponenten wie Wertschätzung und gesundheitserhaltende Aspekte sowie die Bereitstellung geeigneter Arbeitsplätze. Um ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit auch zukünftig sichern zu können, werden Betriebe dafür Sorge tragen müssen, dass ihre Beschäftigten flexibel bleiben und bis zum Renteneintritt produktiv und kreativ zusammen arbeiten. Auf personalwirtschaftlicher Ebene müssen daher Wege gefunden werden, wie Weiterbildung so mit dem Berufsleben verbunden werden kann, dass 229
die Potenziale und Bildungsressourcen älterer Menschen zukünftig effektiver genutzt werden können. Dabei gilt es, Konzepte zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit bis ins Alter hinein zu entwickeln und zudem im Sinne eines präventiven und lebenszyklusbasierten Personalmanagementansatzes dafür Sorge zu tragen, dass Qualifikationslücken gar nicht erst entstehen. Um die Bereitschaft und Fähigkeit zu arbeiten bis ins Alter zu erhalten, sind alters- und alternsgerechte Formen der Arbeitsorganisation einzuführen. Die Orientierung an dem Konzept der Work-Life-Balance aus dem Kontext der Altersbiografien heraus wirkt zusätzlich stabilisierend. Besonderer Entwicklungs- und Unterstützungsbedarf besteht vor allem bei kleinen und mittleren Betrieben. 4.2 Übergang in die Nacherwerbsphase21 Problematisch ist mit Blick auf den Übergang Älterer von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase, dass die Gestaltung bislang sehr einseitig erfolgt: Mit Blick auf das Modell der Altersteilzeit war es bislang vor allem üblich, einfach eine Phase als aktives und die nächste Phase als passives Element der Altersteilzeit zu definieren. Dies stellt jedoch letztlich nichts anderes als eine versteckte Form des Vorruhestands dar. Erheblich sinnvoller ist ein stufenweises Ausscheiden. Noch sinnvoller erscheint die Erstellung von Aufgabenbeschreibungen, bei denen die besonderen Kompetenzen der Älteren stärker zum Tragen kommen – beispielsweise neben dem Erfahrungswissen eine höhere Loyalität und Arbeitsdisziplin als bei Jüngeren (vgl. Gottwald/Keck 2008, S. 98). Dies bedeutet eben nicht die Schaffung von Schonarbeitsplätzen, die mit der beschriebenen Dequalifizierung einhergehen, sondern die Gestaltung anspruchsvoller Tätigkeiten, die eine Wertschätzung gegenüber den besonderen Kompetenzen der Älteren zutage fördern. Dies würde den zwar wissenschaftlich immer wieder belegten, aber in der Praxis bislang nur unzureichend greifenden Paradigmenwechsel weg vom Defizitmodell des Alterns hin zum Kompetenzmodell tatsächlich mit Leben füllen. Zugleich würde es aber zu einer neuen Kultur des Profitierens von den besonderen Kompetenzen der Älteren führen, die im Rahmen des Übergangs in die Rente und im Zuge der Förderung des nachberuflichen Engagements und der bürgerschaftlichen Beteiligung genutzt werden könnte. Profitieren würden von einem solchen Engagement neben dem Einzelnen und der Gesellschaft an sich vor allem Betriebe, Wohlfahrtsverbände sowie Bildungsträger.
21
Detaillierte Beschreibung dieses Handlungsfeldes siehe Beitrag „Ausstiegsmanagement zur Flexibilisierung des Überganges in die Nacherwerbsphase“ in diesem Band.
230
Das Ausstiegsmanagement als Teil einer lebenslauforientierten Personalentwicklung ist gegenwärtig in der Forschungslandschaft zu wenig berücksichtigt. Zentrales Thema in diesem Handlungsfeld ist daher die Analyse und Gestaltung von Austrittsmodellen, die den Verlust des Organisationsgedächtnisses von Betrieben verhindern sollen. Die Kosten verlorenen Wissens sind kaum bezifferbar und erreichen eine Größenordnung, die insbesondere Großbetriebe bewegen lassen, eine Vielfalt an Konzepten zur Gestaltung der Wissensweitergabe unter Berücksichtigung vorhandener Kompetenzen Älterer zu entwickeln (vgl. Voelpel/Leibold/Früchtenich 2007). Viele kleinere und mittlere Betriebe haben aber die erforderlichen Ressourcen zur Entwicklung und Implementierung derartiger Konzepte nicht. Im Fokus stehen daher praktikable Ansätze zur Gestaltung eines schrittweisen Übergangs in die Nacherwerbsphase. Bisherige Forschungsergebnisse, die neben der Perspektive der Betriebe die Perspektive der Älteren berücksichtigen, lassen den Schluss zu, den Übergang stärker zu flexibilisieren und damit einen Lebensweltbezug zum Individuum herzustellen. Zudem sind Anforderungen an die arbeits- und sozialrechtlichen Grundlagen eines flexibilisierten Ausstiegs erkennbar, um Fragen der Finanzierung z. B. eines vorzeitigen Ausstiegs aufzugreifen. 4.3 Nachberufliche Lebensphase22 Das gelingende Gestalten des Übergangs von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase impliziert von sich aus keine besondere Lebensweise nach dem Beruf. Während andere Übergänge im Lebensverlauf dadurch charakterisiert sind, dass die Einmündung in eine neue Lebensweise als Schüler oder als Berufstätiger mit festen Rollenbildern verbunden ist, die sich relativ eindeutig beschreiben lassen, lässt sich Ähnliches für die Nacherwerbsphase nicht konstatieren. Diese zeichnet sich demgegenüber als relativ unbestimmt aus. Bislang liegt es am Einzelnen selbst, einen neuen Lebensentwurf für die aktive Gestaltung der nachberuflichen Lebensphase zu entwickeln. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand lassen sich hierzu drei Aktivitätsbereiche in der Nacherwerbsphase unterscheiden:
Betriebe können davon profitieren, wenn ein ehemaliger Beschäftigter in der Nacherwerbsphase sein Wissen weiterhin zur Verfügung stellt und damit die berufliche Rolle in veränderter Form weiterführt. Auf betrieb-
22
Detaillierte Beschreibung dieses Handlungsfeldes siehe Beitrag „Strategien zur Aktivierung und Kontinuierung bürgerschaftlichen Engagements Älterer“ und „Möglichkeiten zur entgeltlichen Beschäftigung in der Nacherwerbsphase“ in diesem Band.
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5
licher Ebene sind daher Modelle und Strukturen zu generieren, die derartige Beschäftigungsformen ermöglichen und den Einzelnen dabei motivieren, dem Betrieb sein Wissen und seine Erfahrungen zur Verfügung zu stellen. Bürgerschaftliches Engagement wird im Rahmen der demografischen Entwicklung an Relevanz gewinnen. Damit Interessierten der Zugang leichter fällt, bedarf es stabiler Netzwerke und erkennbarer Zugänge. Bisherige Strukturen erreichen potenzielle Ehrenamtliche in der zweiten Lebenshälfte nur unzureichend. Drittens werden im Zuge der wachsenden Altersarmut vermehrt Selbstständige und Geringverdienende noch mehr als bisher auch nach dem Renteneintrittsalter einer entgeltlichen Tätigkeit nachgehen müssen. Um eine Weiterbeschäftigung in der Nacherwerbsphase zu ermöglichen, sind entsprechende Modelle zu entwickeln.
Ausblick und Handlungsbedarf
Unabhängig davon, ob die Prozesse des Überganges eher positiv oder eher negativ von den Betroffenen wahrgenommen werden, kommt einer Unterstützung des Einzelnen durch ein Übergangsmanagement in dieser Phase eine zentrale Bedeutung zu. Dessen Aufgabe besteht darin, den Prozess der Übertragung neuer sozialer Rollen in dem Sinne zu begleiten, dass sie sowohl von den Älteren selbst als auch von der Gesellschaft als „sinnstiftend“ und „produktiv“ gedeutet werden. Forschungs- und Entwicklungsbedarf besteht in Bezug auf die Entwicklung eines differenzierten Altersbildes, das hervorhebt, was Ältere für die Gesellschaft leisten können und welche Möglichkeiten sich daraus für die Nutzung der sowohl wirtschaftlichen als auch zivilgesellschaftlichen Potenziale aktiver Bürgerinnen und Bürger auch jenseits des Erwerbslebens ergeben. Dabei sind die Ansprüche und Bedürfnisse der Älteren selbst im Wandel begriffen: Bedingt durch Veränderungen der Erwerbs- und Rentenphasen und dem zunehmend diffuseren Übergang von der einen Lebenssituation zur anderen beim Ausstieg aus dem Berufsleben, ergeben sich differenzierte Optionen und Notwendigkeiten für die Älteren, die ihnen selbst zum Teil nur unzureichend klar sind. Beispiele hierzu bestehen auf mehreren Ebenen:
232
Der Wechsel eines älteren Beschäftigten auf einen weniger belastenden Arbeitsplatz ist in Betrieben nach wie vor nicht systematisch vorgesehen und meist mit Status- und Einkommensverlusten verbunden. Wenn gesundheitliche Einschränkungen zunehmen, bleibt häufig nur der Über-
gang in die frühzeitige Rentenphase (Frührente). Die Folgen sind – in Abhängigkeit der zuvor ausgeübten Tätigkeit – ein Verlust von Leistungsträgern für die Betriebe sowie an Einkommen und Perspektive für den Einzelnen. Dem Renteneintritt geht heute häufig eine Phase der Arbeitslosigkeit voraus, die sinkendes Einkommen und sinkende Rentenbezüge zur Folge hat. Die Chancen, mit 60 noch eine Anstellung zu finden, sind gering. Mit zunehmender Desintegration Älterer in das Beschäftigungssystem steigt das Risiko prekärer Altersbiografien, einhergehend mit einer steigenden Belastung der sozialen Sicherungssysteme. Vor oder neben dem Rentenbezug werden vielfach Teilzeit- (auch geringfügige) Tätigkeiten ausgeübt. Diese entsprechen oft nicht der Qualifikation der Beschäftigten. Die Ausübung einfacher Tätigkeiten von höher Qualifizierten führt zu einer unzureichenden Ausschöpfung wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Potenziale Älterer. Die Gruppe der nicht mehr Erwerbstätigen wird zunehmend heterogener. Neben einkommensschwachen und gesundheitlich eingeschränkten Personen, die der Fürsorge bedürfen, müssen auch die Bedürfnisse einer wachsenden Zahl aktiver, gut ausgebildeter und zahlungskräftiger Seniorinnen und Senioren berücksichtigt werden.
Die Folgen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind vielfältig und bedeuten
für Unternehmen, dass sie ihre Personalpolitik im Hinblick auf eine längere Beschäftigungsfähigkeit neu ausrichten müssen; für Kommunen, dass ihre Attraktivität als Standort zunehmend auch davon abhängt, welche Lebensbedingungen sie als integrierte Lebensräume bieten – die auch die Bedarfe der Seniorinnen und Senioren entsprechend berücksichtigen, von den Wohnverhältnissen über den öffentlichen Personennahverkehr bis hin zu Bildungsangeboten; für Dienstleister wie Banken, Versicherungen, aber auch Vereine und Bildungsträger, dass sie ihre Angebote und Produkte stärker auf Ältere und ihre Bedarfe ausrichten müssen.
Diese Bedarfslagen zu bündeln und mit der Angebotsebene besser zu vernetzen, ist die Aufgabe eines regionalen Übergangsmanagements, das eine sinnvolle Gestaltung sozialräumlicher Infrastruktur oder kommunaler Alten- und Seniorenpolitik flankiert und unterstützt. Zwischen programmatischen Verlautbarungen, die seit Jahren den demografischen Handlungsbedarf anmahnen, und der Realität demografisch-orientierten Handelns auf regionaler Ebene klafft derzeit 233
noch immer eine große Lücke. Problemlösungen vor Ort durch bildungsbereichsübergreifende Vernetzung voranzutreiben, hängt also wesentlich davon ab, inwieweit es gelingt, Übergangsmanagement für Ältere als zentrales Entwicklungsthema in den Regionen zu verankern und im Sinne von New-GovernanceModellen dauerhaft zu etablieren.
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Übergangsmanagement für Ältere als regionale Handlungsstrategie Thomas Freiling / Mario Gottwald 1
Anforderungen an die Gestaltung eines regionalen Übergangsmanagements für Ältere
Mit Blick auf den nationalen Forschungs- und Entwicklungsstand zeigt sich, dass es in Bezug auf die Handlungsfelder eines zielgruppenorientierten Übergangsmanagements für Ältere an fest etablierten Unterstützungsstrukturen, Finanzierungsgrundlagen sowie klar definierten institutionellen Zuständigkeiten auf der administrativen Entscheiderebene mangelt. Zentraler Handlungsbedarf besteht in einer regionalen, nachhaltig strukturierten, bildungsbereichsübergreifenden Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Damit wird entwicklungspolitisches Neuland betreten. Eine institutionelle Verankerung entsprechender Umsetzungsstrukturen und Finanzierungsmodelle ist erst noch zu finden. In Deutschland sind mit den Lernenden Regionen hierfür regionale Netzwerke entstanden, die Politikfelder verknüpfen, den Informationsfluss über Institutionengrenzen hinweg organisieren, „kurze Wege“ zwischen relevanten Akteuren sicherstellen und institutionelle Anlaufstellen zur Steuerung des Übergangsmanagements aufbauen. In den letzten zwei Jahren des BMBF-Förderprogramms „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ konzentrierte sich die Arbeit der im Themennetz „Übergangsmanagement“ arbeitenden Akteure auf die Entwicklung eines lernbiografischen Übergangsmanagements durch integrierte Dienstleistungsportfolios, die strukturbildend auf der regionalen Entscheiderebene wirken. Dabei wurde deutlich, dass nachhaltige Strukturen zum Übergangsmanagement nur dann möglich sind, wenn es gelingt, dieses in regionalen Entwicklungsprozessen nachhaltig zu verankern23. Die Entwicklung hierfür notwendiger Handlungsstrategien zur Gestaltung des Übergangsmanagements ist Ergebnis der gemeinsamen Arbeit des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb) mit den Lernenden Regionen im Themennetz Übergangsmanagement zum Übergangsbereich „älter werdende Gesellschaft“.
23
Weiterführende Informationen unter www.uebergangsmanagement.info (abgerufen am 29.09.2008)
239
Dabei erfolgt eine Fokussierung auf die im Referenzmodell beschriebenen Anforderungen an die Gestaltung eines regionalen Übergangsmanagements auf der strategischen Ebene (siehe Ausführungen in Kapitel „Referenzmodell für ein regionales bedarfsorientiertes Übergangsmanagement“ in diesem Band). Hierzu gilt es zu beachten, dass es aufgrund regionalspezifischer Unterschiede keine Blaupause zur Gestaltung eines solchen geben kann. Jede Region muss selbst ein eigenes, auf die jeweiligen regionalen Bedarfe bezogenes Portfolio von Maßnahmen entwickeln und anbieten. Ein solches Übergangsmanagement für Ältere muss dabei als ein mehrdimensionaler Ansatz einer demografischen Entwicklungsplanung in der Region begriffen und umgesetzt werden. Regionale Entwicklungskonzepte stellen dabei die Handlungsbasis für gemeinsame Problemlagen und regionale Interessen dar. Entsprechend zu entwickelnde Ansätze müssen die demografiepolitischen Ziele und Handlungsschwerpunkte für die Region identifizieren und als integrale Handlungsstrategie unter Einbindung der unterschiedlichen Politikfelder zusammenführen.
2
Regionale Gestaltung des demografischen Wandels
Die Verschiebung der Altersstruktur in Deutschland wirkt sich unterschiedlich auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen aus, tangiert jedoch tendenziell alle Lebensbereiche und Politikfelder.
2.1 Demografische Entwicklungen in den Regionen Die sowohl aufgrund unterschiedlicher sozialer und ökonomischer Bedingungen sehr heterogenen Regionen und Kommunen in Deutschland zeigen unterschiedliche Ausgangslagen und – zum Teil zeitversetzte – Entwicklungen im Rahmen des demografischen Wandels, z.B. in Folge von Migrationsbewegungen. Übergreifend ist jedoch die Alterung der Bevölkerung aufgrund des Rückgangs der Geburtenraten und der steigenden Lebenserwartung. Die so genannten BabyBoomer, die geburtenstarken 60er-Jahrgänge, werden sich noch bis zum Jahr 2020 in den Bereich des höheren Erwerbsalters (55 bis 64 Jahre) schieben. Mit ihrem Eintritt in die Nacherwerbsphase wird sich dann die Zahl der Pensionäre schlagartig und die Zahl der Hochaltrigen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung sukzessive erhöhen (vgl. Statistisches Bundesamt 2006). Das Fehlen nachrückender jüngerer Jahrgänge wird teilweise kompensiert durch den längeren Verbleib im Erwerbsleben, der mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters angestrebt ist. Beachtlich ist dabei die unterschiedliche Dynamik des Rückgangs 240
der unter 20-Jährigen und der Alterung der Bevölkerung in den Regionen. Während vor allem die strukturschwachen und ländlich geprägten Gebiete wie Mecklenburg-Vorpommern, Ostthüringen oder Nordhessen langfristig große Bevölkerungsverluste aufweisen werden, verzeichnen prosperierende Wirtschaftsregionen und Ballungsräume eine positive Bevölkerungsentwicklung (vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2006; Prognos AG 2007). Die Zuwanderung nach Deutschland hat hingegen keinen wesentlichen Einfluss auf die Größe und Altersstruktur der Bevölkerung gehabt (vgl. Bellmann u. a. 2007). Anzeichen der Folgen hinsichtlich der Änderung der Altersstruktur sind bereits heute erkennbar. Auswirkungen bestehen nicht nur für Unternehmen und die wirtschaftsnahen Akteure, sondern auch für Regionen insgesamt. Dies stellt Anforderungen an die Gestaltung alternsgerechter Arbeitsbedingungen, der Organisation von Arbeit und von Weiterbildungsmöglichkeiten im Sinne des Lebenslangen Lernens sowie der aktiven Teilhabe Älterer in der Nacherwerbsphase (vgl. Stahl/Schreiber 2008).
2.2 Strukturelle Verortung und regionale Wahrnehmung des demografischen Wandels Die Gestaltung der demografischen Entwicklung ist v. a. Aufgabe der Bundesländer und Kommunen. In jedem Bundesland und in den als „Region“ definierten Räumen sind für die Entwicklung regionalspezifischer Übergangssysteme unterschiedliche Voraussetzungen in der Regionalentwicklungspolitik sowie bei den beteiligten Entscheidungsträgern vorzufinden. Wie in Abbildung 1 dargestellt, verzahnen regionale Entwicklungsprozesse im Kontext des Übergangsmanagements für Ältere nicht nur die unterschiedlichen Aktionsebenen der einzelnen Verwaltungsbezirke wie Landkreise oder Kommunen, sondern auch unterschiedliche Politikbereiche und Institutionen. Hierdurch werden Strategien möglich, die unterschiedliche Felder der Bildungs-, Sozial-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Familienpolitik unter Bezugnahme auf demografische Entwicklungsfragen zusammenführt. Bisher sind solche integrierten Konzepte zur Bewältigung des demografischen Wandels noch kaum Bestandteil von Regionalentwicklungsprozessen. Sie enthalten aber auf programmatischer und struktureller Ebene Möglichkeiten zur Verknüpfung von bildungspolitischen Innovationszielen mit sozial- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen. Allerdings gibt es bisher kaum Anzeichen dafür, dass den Akteuren die spezifischen regionalen Ausprägungen des demografischen Wandels hinreichend bekannt sind. Soll die Programmatik von der Bewältigung des demografischen Wandels in den regionalen Lebens- und Ar241
beitswelten ankommen, dann muss dort erst noch eine Analyse der altersstrukturellen Bedingungen vorgenommen und mit den regionalen Entwicklungszielen abgestimmt werden (vgl. Börsch-Supan/Wilke 2007).
Strukturelle Verortung des Übergangsmanagements
Richtlinienkompetenz des Bundes
Länder
Kommunen
Einbindung von:
Ökonomischen, sozialen, kulturellen, räumlichen, wirtschaftlichen, gesetzlichen Aspekten
Politikbereiche:
Bildungspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftspolitik, Familienpolitik
Institutionen:
Stakeholder, freie Träger, Kirchen, Vereine, Verbände, Bildungsträger, Unternehmen, gemeinnützige Einrichtungen
Verschränkung regionaler Entwicklungskonzepte und Übergangsmanagement für Ältere Abbildung 1:
Strukturelle Verortung des Übergangsmanagements
Die bisherige Wahrnehmung des demografischen Handlungsbedarfs fokussiert eher die Zielgruppe der Jugendlichen und deren Übergang in Beschäftigung. Wie die Problemkreise des demografischen Wandels derzeit bei den Akteuren „ankommen“, verdeutlicht die folgende Darstellung nach unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen:
242
Kommunale Verwaltungsebene: Zuständige regionale oder lokale Ämter und Behörden im Bereich der Wirtschaftsförderung und auch Regionalmanager registrieren in erster Linie Zu- und Abwanderungen von Unternehmen und Bevölkerung und formulieren daraus einen wirtschaftspolitischen Förderbedarf. Auf der anderen Seite sind Arbeitsagenturen, ARGEN und Sozialämter seit längerem mit dem Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit von älteren Erwerbspersonen befasst, allerdings nur mit eingeschränktem Erfolg. Die Notwendigkeit von neuartigen Instrumenten zur Reintegration von älteren Langzeitarbeitslosen ins regionale Beschäftigungssystem ist erkannt. Eine andere Frage ist es jedoch, ob z. B. Eingliederungszuschüsse oder Weiterbildungsförderung für Ältere so greifen, dass damit nachhaltig regionalspezifische Problemlagen für Ältere auf der Suche nach adäquaten Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten gelöst werden können. Für Fragen zur Gestaltung eines regionalen Übergangsmanagements sind die genannten Institutionen und Akteure der regionalen Arbeitsmarktpolitik mit ihrer Expertise, den Fördermöglichkeiten und -instrumentarien sowie ihren Netzwerken unverzichtbare Bündnispartner. Wirtschaftsebene: Aktuell sehen v. a. Unternehmensverbände und Sozialpartner demografisch begründeten Handlungsbedarf. Auch die Kammern nehmen sich im Regionalkontext den demografischen Auswirkungen auf einzel- und überbetrieblicher Ebene an. Hier besteht ein Konsens darüber, dass auf einzelbetrieblicher Ebene ein handlungsbereites, demografisches Problembewusstsein erst noch zu entwickeln ist. Zu wenig Unternehmen kennen die Altersstruktur ihrer Belegschaft oder wissen, welche mittelfristigen Folgen aus der Alterung erwachsen. Notwendig wäre bereits jetzt ein ganzheitliches, intergenerationelles Altersmanagement zur Sicherung des Fachkräftebedarfs und der wirtschaftlichen Zukunft der Betriebe. Dies gilt im Besonderen für kleinere und mittlere Betriebe. Geringe betriebliche und außerbetriebliche Weiterbildungsquoten von Älteren zeigen weiter, dass das betriebliche Lernen im höheren Alter einen zu geringen Stellenwert besitzt. Hoher Beratungsbedarf korreliert hier mit Prozessen zur Sensibilisierung und Entwicklung des betrieblichen Problembewusstseins auf regionaler Ebene. Netzwerke Regionalmanagement und Regionalentwicklung: Regionalmanagement und Regionalmarketing sind optionale Entwicklungskonzepte, deren Realisierung in die Freiwilligkeit und Initiative der Regionen gestellt ist. Demzufolge müssen diese Bottom-up ihren Bezugsraum und dessen Entwicklungsbedarfe auch selbst artikulieren, begründen und in aus Landes- und/oder EU-Mitteln förderfähige Projekte umsetzen. 243
Organisiert sind solche Bottom-up gesteuerten Regionalentwicklungsprojekte in vielfältigen Formen: in Vereinen, kommunalen Arbeitsgemeinschaften, regionalen Entwicklungsagenturen oder Gesellschaften unter kommunaler Trägerschaft, wobei gemäß gemeinsam entwickelter Zielsetzungen Interessensvertreter aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft horizontal und vertikal vernetzt werden. Regionalmanager-Stellen sind häufig bei Ämtern für Wirtschaftsförderung/Landratsämtern angesiedelt. Die Tätigkeitsfelder eines Regionalmanagements und häufig kooperierenden Regionalmarketings sind im Prinzip offen und geeignet für Strategien zur Förderung eines regionalen Übergangsmanagements für Ältere. Das gilt v. a., soweit es um die Erarbeitung, Umsetzung und finanzielle Förderung definierter regionaler Projekte und den Aufbau und die Pflege vernetzter Kontakte zu bestehenden örtlichen Initiativen geht. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die derzeitige Fixierung auf eine klassische Standortpolitik für demografische Fragestellungen deutlich erweitert wird. Regionale Projektszene: Auf regionaler Ebene manifestiert sich gegenwärtig demografisches Problembewusstsein und Handlungsbereitschaft zur Entwicklung von Integrations- und Weiterbildungskonzepten für Ältere vor allem in lokalen und regionalen Projektpartnerschaften, die sich über europäische, nationale und länderspezifische Forschungs- und Entwicklungsprogramme gebildet haben. Beispiele sind Programme wie Lernende Regionen, EQUAL, Perspektive 50plus, INQA, die in regionalen Projekten für Lebenslanges Lernen von Älteren, Altersmanagement, regionalen Beschäftigungspakten für Ältere, Demografie-Beratung sowie einschlägigen Bildungs-, Beratungs- und Kooperationsnetzwerken für KMU innovative Ansätze entwickelt haben. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass eine Projektbeteiligung von Betrieben, vor allem von kleinen und mittleren Betrieben, schwierig ist und diese auf regionale Multiplikatoren und Promotoren angewiesen sind.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass zwar eine Reihe von thematisch relevanten und innovativen Projektergebnissen zur Gestaltung eines Übergangsmanagements für Ältere aus den genannten Programmen vorliegen, deren Transfer in eine vertikal und horizontal vernetzte regionale Entwicklungspolitik jedoch noch nicht vollzogen ist. Dieser nur in der Region funktionierende Innovationstransfer benötigt Akteure und Strukturen, wobei nicht nur an bereits existente Netzwerke angeknüpft werden kann. Es sind darüber hinausgehend die Entwicklung und die Umsetzung einer Strategie zur Zusammenführung der Netzwerke erforderlich, die bislang eher einseitig bildungspolitisch oder regio244
nalentwicklungspolitisch orientiert sind. An dieser Stelle besteht Handlungsbedarf, zu welchem nachfolgend Lösungswege in Form der im Referenzmodell ausgewiesenen Strategiemodule zur Gestaltung eines regionalen Übergangsmanagements für Ältere näher vorgestellt werden.
3
Strategien zur Gestaltung eines regionalen Übergangsmanagements für Ältere
Zur Verankerung einer demografiesensiblen Regionalentwicklung und eines regionalen Übergangsmanagements für Ältere bedarf es in erster Linie einer durchgängig konsistenten und nachhaltigen Strategie, die sich an den jeweiligen spezifischen Bedarfslagen der Region orientiert. Diese Strategie umfasst folgende Bausteine: Bedarfsanalyse und Angebotsentwicklung Ermittlung des regionalen Bedarfs Analyse bestehender Angebotsstrukturen und Dienstleitungen Ableitung des Bedarfs und Entwicklung eines Produktportfolios
Regionalmarketing Verbreitung und Information Bedarfsweckung und Entwicklung der Nachfrage Einbettung in ein regionales Leitbild Nutzung bestehender Strukturen
Regionale Institutionalisierung Identifizierung regionaler Akteure Aufbau von Kooperationsstrukturen und Netzwerkbildung Anbindung an intermediäre Strukturen Entwicklung von Geschäftsmodellen
Qualitätssicherung Regionale Monitoring-Verfahren zur Sicherung von Qualitätsstandards und Nachhaltigkeit Regiestellen zur systematischen Beobachtung, Analyse und Steuerung
Abbildung 2:
Strategische Handlungselemente eines regionalen Übergangsmanagements für Ältere
Die Anforderungen an regionale Strategien sind vielfältig. Die regionalen Akteure benötigen eine breite Datengrundlage zur Ermittlung des Bedarfs; sie müssen Verbündete und Unterstützer gewinnen, die Umsetzung koordinieren und einen Optimierungsprozess durch Qualitätssicherung in Gang setzen.
245
3.1 Bedarfsanalyse und Angebotsentwicklung Ein erster Schritt für bedarfs- und problemorientierte Planung von Konzepten für ein integriertes Übergangsmanagement ist die differenzierte Analyse des regionalen Status und Bedarfs. Es muss ermittelt werden, welche demografischen Herausforderungen in der Region vorliegen und welche Anknüpfungspunkte sich für ein zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement daraus ergeben. Dazu ist eine Erhebung und Analyse von Daten auf verschiedenen Ebenen erforderlich: Bezugsebene
Beispiele für regionale Datenquellen
Ermittlung regionaler Strukturdaten
Ermittlung regionalpolitischer Zielvorgaben
Ermittlung regionaler Angebotsstrukturen
Ermittlung regionaler Bedarfe
Abbildung 3:
Bevölkerungsstatistik, Sozialstrukturdaten, Beschäftigungs- und Arbeitsmarktstatistik Berichte der Kammern Auswertung wissenschaftlicher Studien Entwicklungsziele und Leitbilder der Regionen Zielvorstellungen der Kommunen Politisch verordnete Top-down Ansätze Jahresberichte der regionalen Wirtschaftsförderung Förderprojekte in den Regionen (z.B. Strukturfonds) Anbieterstruktur, Beratungsstellen im regionalen Bildungsmarkt Regionale Entwicklungsprojekte unter Beteiligung von Bildungsträgern Leitlinien und Beschlüsse der regionalen Bildungspolitik Kooperationsstrukturen, z. B. zwischen Bildungsträgern, Hochschule und Wirtschaft Regionale Veranstaltungen und Austauschforen Einschlägige Bedarfsmeldungen von Institutionen Befragung von Adressaten Informelle Gespräche und Netzwerkarbeit Initiierung eines regionalen Dialoges (runder Tisch)
Datenbasis zu Status und Bedarf
Regionalspezifische Informationen über wirtschaftliche, soziale und ökologische Lebensbedingungen bilden die Basis für abzuleitende Programme und Maßnahmen. In der praktischen Umsetzung dienen die erhobenen Daten als Grundlage für die Steuerung und Evaluation. Wege zur Ableitung konkreter Handlungsbedarfe können in einer ersten Stufe auch von den Akteuren auf informeller Ebene 246
wahrgenommene Bedarfslagen sein. Diese gilt es zu überprüfen. Dabei unterstützen die zur Verfügung stehenden Datenstrukturen. Die nächsten Schritte zur Konkretisierung regionaler Dienstleistungsportfolios liegen in der Herstellung von Konsens und Akzeptanz zu den ermittelten regionalen Bedarfslagen und der Verständigung über Realisierungsmöglichkeiten sowie deren Erprobung.
3.2 Regionalmarketing Regionalmarketing verfolgt eine bipolare Zielrichtung: Einerseits gilt es, die regionale Identitätsbildung sowie die Bindung von Unternehmen und Bevölkerung an die Region zu unterstützen. Andererseits will Regionalmarketing extern wirken, um Unternehmen und Institutionen Anreize zur Ansiedelung in der Region zu schaffen. Der Einsatz von zielgerichteten Marketinginstrumenten unterstützt die Verbreitung der Aktivitäten in der Region und sorgt für einen nachhaltigen Transfer der Ergebnisse. Die Verbreitung ihrer Angebote erhöht die Beteiligungsmotivation der regionalen Akteure. Bildungs- und Beratungsleistungen werden popularisiert und Anbieter können das Management ihrer Produkte und Prozesse zielgruppengerecht optimieren. Eine positive Beziehung zu Kunden und Teilnehmern stärkt die Position im Wettbewerb und sorgt für Multiplikatoreffekte.
3.3 Regionale Institutionalisierung Zum Aufbau nachhaltiger Strukturen für ein zielgruppenorientiertes Übergangsmanagement für Ältere spielt die Frage der institutionellen Verankerung eines solchen unter Berücksichtigung langfristig tragfähiger Organisations- und Geschäftsmodelle eine zentrale Rolle. Eine Kooperationsform, die Innovationen befördert, Kompetenzen bündelt und dabei flexibel und reagibel ist, stellt das Netzwerk dar (vgl. Stahl/Schreiber 2003). In vielen Regionen wurden bereits Netzwerke in Form der „Lernenden Regionen“ geknüpft. Kooperationspartner werden dabei nach ihren Kompetenzen ausgewählt: Wer kann zur Zielerreichung beitragen? Wer kann als Türöffner wirken? Wer darf auf keinen Fall übergangen werden? Dabei ist zu beachten, dass ein regionales Netzwerk, das sich zunächst neben den etablierten Strukturen und Politiklinien entwickelt, auch auf Widerstand stößt. Auf Einwände der Art „Das gibt es doch schon alles“ bis hin zu „Das ist nur Zusatzaufwand“ sollte es Antworten geben. Wer über Institutionengrenzen hinweg agiert, sieht sich mit Berührungsängsten konfrontiert. In Anbetracht dieses Spannungsfeldes gilt es, die Verstetigung und nach247
haltige Sicherung von Produkten und Angeboten zum Übergangsmanagement zu koordinieren und abzusichern. Eine zentrale Rolle spielt dabei der stets deutlich erkennbare Nutzen für alle Akteure, wobei für manche schon die Stärkung ihrer Wirkung in die Region hinein ein Vorteil sein kann. Die Anbindung an Projekte und Maßnahmen der regionalen Entwicklungspolitik fördert überdies die Institutionalisierung. Um eine positive Architektur der Wertschöpfung zu gestalten, kann es sinnvoll sein, Übergangsmanagement bei einer kommunalen Verwaltung oder einem Weiterbildungsträger anzusiedeln. An vorhandene Instrumente zur Regionalförderung wie Regionalpläne, Raumordnungsverfahren und das Regionalmanagement kann ebenfalls direkt angeknüpft werden. Weitere Möglichkeiten bestehen in der Gründung eines Vereins, einer Stiftung oder einer kapitalgestützten Gesellschaft (GmbH), was in einzelnen Lernenden Regionen erfolgreich erprobt und umgesetzt worden ist. Regionale Netzwerke können auf Dauer aber nur bestehen, wenn sie ihre Mitglieder nicht unnötig belasten, sondern selbst Ressourcen für das Management des Netzwerks generieren. Das bedeutet die Bereitstellung von Personalkapazitäten und finanziellen Ressourcen durch tragfähige Geschäftsmodelle. Die Lernenden Regionen setzen hier als Wegbereiter mit ihren Projekten unterschiedliche Schwerpunkte mit Kernaktivitäten, die wesentliche Anforderungen an die Gestaltung eines Übergangsmanagements für Ältere beschreiben und zentrale Erfolgskriterien für eine nachhaltige Institutionalisierung darstellen:
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Aufbau regionaler Netzwerke: Aufbau und Entwicklung regional vernetzter Strukturen unter Einbindung von Unternehmen, sozialen Einrichtungen, Bildungsdienstleistern, Initiativen und Interessensvertretungen (z.B. Seniorenbüros) und der kommunalen Steuerungsebene. Ziel ist die Sensibilisierung und Entwicklung sowie Verbreitung von Konzepten und Instrumenten zur Stärkung und Nutzung der Potenziale Älterer in wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Handlungsfeldern. Aufbau institutionalisierter Strukturen: Aufbau von rechtlich selbstständigen Anlaufstellen mit stabiler Finanzierungsgrundlage und einem vielfältigen Dienstleistungsportfolio für Unternehmen, für Akteure aus dem Umfeld der Bildungs- und Arbeitsförderung und für die Älteren selbst. Dies bezieht sich z. B. auf Informationsweitergabe, (Lern-)Beratung sowie auf die Organisation von Seminaren, Fachgesprächen und Tagungen. Etablierung von Maßnahmen des Wissenstransfers: Beratung und Unterstützung insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen zur Nutzung der Kompetenzen Älterer unter dem Gesichtspunkt des Wissenstransfers zwischen „Alt und Jung“, auch auf die Nacherwerbsphase bezogen.
Förderung von Strukturen und Angeboten zum Lebenslangen Lernen: Förderung der formellen und informellen Weiterbildung Älterer innerhalb und außerhalb eines institutionellen Zusammenhangs zur aktiven Teilhabe im Alter. Durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit müssen Ältere künftig dafür Sorge tragen bzw. darin unterstützt werden, durch eine entsprechende Kompetenzentwicklung dauerhaft an betrieblichen Entwicklungsprozessen partizipieren zu können. Aber auch im Bereich zivilgesellschaftlicher Aufgaben wird es zunehmend erforderlich sein, die mit vielfältigen Lebens- und Berufserfahrungen verknüpften Kompetenzen der Älteren aktiv zu nutzen und sie als Leistungsträger, z.B. für bürgerschaftliches Engagement, zu gewinnen und über Lernprozesse entsprechend vorzubereiten.
3.4 Qualitätssicherung Der Prozess der Qualitätssicherung bei der Entwicklung und Umsetzung eines regionalen Übergangsmanagements für Ältere bezieht sich neben der Qualität von Unterstützungsangeboten, Produkten, Dienstleistungen und Anbietern (Input-Qualität) vor allem auf die Gestaltung des Dienstleistungserstellungsprozesses (Throughput-Qualität) und die Bewertung der Effizienz und des Transfererfolgs der Produkte und Dienstleistungen (Output-Qualität). Die notwendige systematische Vorgehensweise setzt die Entwicklung verbindlicher Standards voraus, um über definierte Zielgrößen einen Orientierungsrahmen als Bewertungsgrundlage schaffen zu können. Der Qualitätsbegriff bezeichnet in dem skizzierten Zusammenhang den Grad der Erfüllung von Ansprüchen an ein Angebot oder an eine Dienstleistung sowie an die Prozesserstellung selbst (vgl. Feuchthofen/Severing 1995). Dabei versteht sich Qualitätssicherung als ein die Aktivitäten des regionalen Übergangsmanagements rahmendes Element: Von der Erhebung regionaler Bedarfe angefangen bis zur Überprüfung der Effektivität und Nachhaltigkeit der entwickelten Produkte und Dienstleistungen (vgl. Abbildung 4). Für eine fortlaufende Qualitätssicherung bedarf es der Auswahl und der Entwicklung geeigneter Instrumente, die im Prozess Anwendung finden. Beispiele sind Instrumente klassischer Evaluationsverfahren wie schriftliche Befragungen oder Experteninterviews oder Kennzahlensysteme wie die BalancedScorecard, die auf definierten Ebenen regelmäßig im Sinne eines Monitorings Hinweise zu Zielabweichungen und damit zur Identifizierung von Schwachstellen liefert.
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Abbildung 4:
Quallitätsebenen beim Übergangsmanagement Älterer
Auch die Sicherungg der Professionalität der Akteure im Netzwerk „Reggionales Übergangsmanagem ment“ ist Gegenstand der Qualitätssicherung. Regionaale Akteure benötigen Untterstützung bei der Entwicklung von Modellen und Instrumenten der Qualitättssicherung. Die Umsetzungsdynamik in den Regioneen birgt die Gefahr, dass Enntwicklungsprozesse schnell umgesetzt werden (müsseen) und qualitätssichernde Maßnahmen M wenig Raum zur Wirkung bekommen. Hinzu kommt, dass in deer Regel Instrumente wie Fragebögen, Gesprächsleitfäden, Vorlagen für Reporttings und Referentenprofile neu entwickelt oder an diee regionalen Bedarfe angepasst werden müssen. Dies setzt Kompetenzen voraaus, die u entwickelt werden müssen. erst herausgebildet und
4
Zusammenfasssung: Strategieempfehlungen zur Gestaltung eines regionalen Übeergangsmanagements für Ältere
ment für Ältere ist sowohl unter strukturellen, konzeptiionellen Übergangsmanagem und gestalterischen Aspekten noch entwicklungspolitisches Neuland. Für F die genannten Handlunggsfelder mangelt es an fest etablierten Unterstützungssstrukturen, Finanzierungsggrundlagen sowie klar definierten institutionellen Zusständigkeiten auf der adminnistrativen Entscheiderebene. Zur Überwindung dieseer Defi-
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zite gilt es, v. a. Fragen der institutionellen Verankerung des Übergangsmanagements unter Berücksichtigung langfristig tragfähiger Organisations- und Geschäftsmodelle zu erörtern. Leider gibt es nur für einige der damit angesprochenen Handlungsfelder bisher schon Beispiele guter Praxis, so dass weitere Entwicklungsarbeit zu leisten ist. In Bezug auf regionale Vernetzungsstrategien haben die Lernenden Regionen bereits vorgearbeitet. Deren Erkenntnisse können in der weiteren Entwicklungsarbeit sowohl auf der operativen Ebene zur Entwicklung konkreter Instrumente für das Übergangsmanagement Älterer als auch als Impulsgeber für die Formulierung bildungspolitischer Leitlinien auf der normativen Ebene Verwendung finden. Jede Region ist jedoch anders. Die demografischen Entwicklungsprozesse sind regional sehr disparat, die Problemfelder sehr unterschiedlich, so dass regionalspezifische Lösungskonzepte vor Ort erforderlich sind, um das Lebenslange Lernen für Ältere in wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Handlungsfeldern sowie der regionalen Standortentwicklung umzusetzen. Um die skizzierten strukturellen Defizite zum Übergangsmanagement Älterer auffangen zu können, sind vor Ort Problemlösungen durch eine bildungsbereichsübergreifende Vernetzung voranzutreiben. Entwickelt und etabliert werden sollte ein regionales Portfolio für unterschiedliche Übergangsvarianten: Aus Arbeitslosigkeit in betriebliche und soziale Beschäftigung, von dort in altersgerechte betriebliche und öffentliche Teilzeitbeschäftigung zur Verwirklichung einer individuell und ökonomisch sinnvollen Work-Life-Balance und schließlich auch Übergänge in eine reversible Nacherwerbsphase, die im „dritten“ Lebensalter den Wechsel zwischen bezahlter Beschäftigung (z. B. in befristeten Projekten) und bürgerschaftlichem Engagement (z.B. im Ehrenamt) ermöglicht und fördert. Die daraus resultierenden Gestaltungsanforderungen richten sich sowohl an den Staat zur Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen auf der normativen Ebene als auch an Unternehmen, Sozialpartner, Verbände, Bildungsträger und öffentliche Arbeitgeber in Bezug auf die konkrete Umsetzung. Modelle und Instrumente der Lernenden Regionen unterstützen hierzu die Gestaltung eines lernbiografischen Übergangsmanagements durch integrierte Dienstleistungsportfolios, die strukturbildend auf der regionalen Entscheiderebene wirken und eine bildungsbereichsübergreifende Vernetzung ermöglichen. Beispielsweise werden durch Vereinsgründungen dauerhafte Dienstleistungen für die Zielgruppe angeboten, die mit Professionalisierungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen für Bildungs- und Qualifizierungsberater verknüpft sind. Der Aufbau verbindlicher Kooperationsnetzwerke in den Regionen unter Einbindung der relevanten Interessenvertretungen und Entscheidungsträger sichert zudem eine langfristige Organisation des Übergangsmanagements. In diesem Zusammenhang kommt der Kommune und dem regionalen Raum eine Schlüsselrolle bei der Schaffung von 251
Strukturen und der Umsetzung von Unterstützungsangeboten zu. Dort entscheiden sich Passgenauigkeit und Qualität der Angebote, die für das Erreichen der Zielgruppen und die Zusammenarbeit der Akteure zur Verwirklichung der Idee eines Lebenslangen Lernens zwingend erforderlich sind. Mit Bezug auf die im Referenzmodell beschriebene operative Umsetzungsebene für eine nachhaltige Gestaltung des demografischen Wandels sind die entsprechenden Handlungsfelder – Erwerbsphase im Alter, Übergang von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase sowie nachberufliche Lebensphase – unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Spezifität in Form eines integralen Handlungsansatzes in den Blick zu nehmen und ausgehend von der regionalspezifischen Bedarfslage auszugestalten. In den Lernenden Regionen wurden hierzu erste Konzepte und Instrumentarien entwickelt, die ergänzt um weitere nationale wie internationale Forschungs- und Entwicklungsergebnisse zu den jeweiligen Handlungsfeldern in den nachfolgenden Kapiteln näher dargestellt werden. Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse können andere Regionen folgen.
Literatur Bellmann, L.; Kistler, E.; Wahse, J. (2007): Demografischer Wandel – Betriebe müssen sich auf alternde Belegschaften einstellen. In: IAB-Kurzbericht Nr. 21/11.10.2007. Nürnberg Börsch-Supan, A.; Wilke, C. B. (2007): Szenarien zur mittel- und langfristigen Entwicklung der Anzahl der Erwerbspersonen und der Erwerbstätigen in Deutschland. Mea – Mannheim Research Institute for Economics of Aging. URL: http://www.mea.unimannheim.de/publications/meadp_153-07.pdf (abgerufen am 10.09.2008) Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2006): Raumordnungsprognose 2020/2050. Berichte. Band 23. Bonn Feuchthofen, J./Severing, E. (Hrsg.) (1995): Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung in der Weiterbildung. Neuwied Online-Handbuch zum Übergangsmanagement: URL: www.uebergangsmanagement.info (abgerufen am 29.09.2008) Prognos AG (2007): Der Zukunftsatlas – Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb. URL: www.prognos.com/zukunftsatlas (abgerufen am 15.09.2008) Stahl, T.; Schreiber, R. (2003): Regionale Netzwerke als Innovationsquelle. Das Konzept der „Lernenden Region in Europa“. Frankfurt/New York Stahl, T.; Schreiber, R. (2008): Analyse und Dokumentation nationaler und internationaler Ansätze und Modelle zur Weiterbildung von Älteren (50+) im demografischen Wandel unter besonderer Berücksichtigung regionaler und lokaler Weiterbildungskooperationen (unveröffentlichtes Manuskript) Statistisches Bundesamt (2006): 11. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung – Annahmen und Ergebnisse. Wiesbaden
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Etablierung eines betrieblichen Altersmanagements Mario Gottwald / Melanie Zschunke 1
Die Herausforderungen alternder Belegschaften
Trotz breiter politischer Aktivitäten und Initiativen sind aufgrund der demografischen Veränderungen nur in einzelnen Betrieben Umsetzungsaktivitäten wahrzunehmen. Der Handlungsbedarf ist offensichtlich, denn alternde Belegschaften können bei nicht zu erwartenden abnehmenden Problemlagen schnell zu einem wirtschaftlichen Risikofaktor werden, der durch folgende Faktoren charakterisiert werden kann: Partieller Arbeitskräftemangel, Arbeitskräfteverteuerung, erhöhte krankheitsbedingte Fehlzeiten, Zunahme an Mitarbeitern mit Leistungseinschränkungen, verringerte Personaleinsatzflexibilität, Know-how-Lücken und ein Verlust an Innovationsfähigkeit. Um dem entgegenzuwirken, wurden – zum Teil gestützt durch staatliche Förderung im Rahmen der INQA-Initiative – in den vergangenen Jahren umfangreiche Anstrengungen unternommen, um geeignete Instrumente und Maßnahmen einer demografieorientierten Personalpolitik in den Betrieben zu entwickeln und umzusetzen. Dennoch mangelt es an der Verbreitung systematischer Ansätze im Sinne eines demografiefesten betrieblichen Altersmanagements24 . Dabei gilt es, den Blick verstärkt auf die Umsetzungsprobleme in kleinen und mittleren Betrieben zu richten und für diese Unterstützungsangebote bereitzustellen. Im Unterschied zu Großunternehmen fehlt es im Mittelstand häufig an Expertise zur Bewältigung der sich wandelnden betrieblichen Altersstruktur (vgl. Freiling/Döring 2008, S. 83). Notwendig sind integrierte Handlungskonzepte, die alle Altersstufen berücksichtigen: Hierbei geht es um die Entwicklung strategisch ausgerichteter Umsetzungsmaßnahmen, die vor allem die Leistungsfähigkeit und die Produktivität der Beschäftigten langfristig sicherstellen. Bezogen auf die Gestaltung betrieblicher Rahmenbedingungen ist es erforderlich, die Unternehmenskultur und Führung auf die Wertschätzung Älterer als Leistungsträger im Betrieb auszurichten, Personalentwicklung und Weiterbildung unabhängig vom Alter zu sichern und perspektivisch auf gesundheitsförderliche Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung abzuzielen, die Erwerbstätigkeit bis zur gesetzlichen Erwerbstätigkeitsgrenze und darüber hinaus ermöglichen. 24
Auswertung des IAB-Betriebspanels belegen sogar einen Rückgang der insgesamt geringen Aktivitäten zwischen 2002 und 2006 (vgl. Bellmann u.a. 2007).
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Auf der Basis des aktuellen Forschungs- und Entwicklungsstandes werden im Folgenden die Handlungsansätze zur Umsetzung des betrieblichen Altersmanagements skizziert und die zur nachhaltigen Etablierung erforderlichen Voraussetzungen aufgezeigt. Abschließend werden hierzu der weitere Handlungsbedarf und strategische Handlungsempfehlungen formuliert. Aus der Perspektive des Übergangsmanagements für Ältere zeigt der Beitrag Lösungsansätze auf, wie die Erwerbsphase im Alter für Betriebe und Beschäftigte altersübergreifend und lebenslauforientiert gestaltet werden kann.
2
Handlungsansätze und inhaltliche Faktoren einer demografiefesten Unternehmensstrategie
Zur Schaffung alternsgerechter Arbeitsbedingungen sind einerseits die Kompetenzen und Fähigkeiten der Beschäftigten selbst zu berücksichtigen, andererseits sind die Anforderungen und Bedingungen am jeweiligen Arbeitsplatz relevant. Das Konzept der Arbeitsfähigkeit greift diesen Sachverhalt im Modell des „Hauses der Arbeits(bewältigungs)fähigkeit“ (vgl. Ilmarinen/Tempel 2002) auf. Nach diesem Modell kann die Arbeitsfähigkeit durch die Optimierung von Arbeitsbedingungen und die Förderung der Beschäftigten (auf gesundheitlicher Ebene, durch angepasste Qualifizierung und adäquate Führung bzw. Personalmanagement) erhalten und verbessert werden. Das Konzept der Beschäftigungsfähigkeit ist neben dem der Arbeitsfähigkeit ein weiterer Ansatzpunkt, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger an das Unternehmen binden zu können. Unter Beschäftigungsfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, fachliche, soziale, personale und methodische Kompetenzen unter sich wandelnden Rahmenbedingungen zielgerichtet und eigenverantwortlich anzupassen und einzusetzen, um entweder eine Beschäftigung zu erlangen oder diese längerfristig zu erhalten (vgl. Naegele 2005, S. 214; Rump/Eilers 2007, S. 49 ff.). Die individuelle Beschäftigungsfähigkeit bildet die Grundlage für ein Kompetenzmanagement als nachhaltige Unternehmensstrategie im demografischen Wandel. Der gegenwärtige Forschungsstand zeigt unterschiedliche Handlungsansätze auf, die sich zur Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels anbieten (vgl. Schleiter 2006; Morschhäuser 2006; f-bb/vbm/BayME 2006). Zur Gestaltung eines nachhaltigen betrieblichen Altersmanagements sind unterschiedliche Handlungsfelder sowohl auf der organisationalen Ebene als auch der individuellen Entwicklungsebene in einem heuristischen Ansatz zusammenzuführen, wie die folgende Abbildung verdeutlicht.
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Abbildung 1:
Konzzeptioneller Ansatz zur Entwicklung eines betrieblichen Alterrsmanagements
l Konzept (vgl. Abbildung 1) greift die Erfahhrungen Das hier zugrunde liegende und Erkenntnisse auuf, die im Rahmen des Modells „Haus der Arbeits(bbewältigungs)fähigkeit“ geesammelt und entwickelt wurden (vgl. Ilmarinen/Tempel 2002), und ergänzt diese d um Elemente des Konzepts zur Beschäftigungsfäähigkeit in einem integriertenn Ansatz. Die Realisierunng von Aktivitäten in den unterschiedlichen Handluungsfeldern ist jedoch nichht als eindimensionales Erfolgsrezept zu verstehen. Erfolg versprechend ist in jedem Fall, ein umfassendes, auf die jeweilige Bedaarfslage im Unternehmen anngepasstes Portfolio von Maßnahmen zu planen und laangfris-
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tig durchzuführen (vgl. Naegele/Walker 2007, S. 37; Morschhäuser u. a. 2008). Folgend werden die einzelnen Dimensionen des Ansatzes skizziert.
2.1 Personalgewinnung und -bindung Aufgrund der Tatsache, dass zukünftig weniger junge Nachwuchskräfte rekrutiert werden können und parallel dazu erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den vergangenen Jahren frühzeitig freigesetzt wurden, bedarf es der Entwicklung von zusätzlichen alternativen Wegen zur Personalgewinnung und Personalbindung. Neben der Verbesserung des Images des jeweiligen Berufsbildes geht es darum, künftig verstärkt Zielgruppen aus der so genannten „Arbeitsmarktreserve“ wie Frauen, Migranten und Ältere als Fachkräfte zu gewinnen und zu entwickeln (vgl. Morschhäuser/Ochs/Huber 2008 S. 53; Bellmann u. a. 2006). Eine dazu notwendige vorurteilsfreie Haltung beinhaltet ein beschäftigungs- und aufgabenbezogenes Bewertungs- und Auswahlverfahren, speziell geschulte Personalverantwortliche, die Zusammenarbeit mit lokalen Arbeitsvermittlern und eine langfristige Personalplanung (vgl. Naegele/Walker 2007, S. 13; Morschhäuser 2008, S. 49). Um Beschäftigte dauerhaft an das Unternehmen zu binden, sind die individuellen Bedürfnisse und Wünsche derer in die Arbeitsgestaltung mit einzubeziehen. Flexiblere Arbeitszeiten, Arbeitszeitkonten oder JobEnlargement (vgl. Rump/Eilers 2007, S. 52 f.) sowie horizontale Karrierewege, Berater- und Mentorenrollen (vgl. Geldermann 2007, S. 34 f.) sind dabei wichtige Instrumente. Wenn zudem Laufbahnplanungen und systematische Kompetenzentwicklungen betrieben werden, können die Beschäftigten nicht nur länger in den bisherigen Arbeitsbereichen verbleiben, sondern können auch Führungsaufgaben übernehmen. Zudem gilt es, die Qualifikationsreserven bei der Gruppe der an- und ungelernten Kräfte besser auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. Dazu braucht es tragfähige Bildungs- und Qualifizierungskonzepte auf betrieblicher Ebene. Beispielsweise kann mittels einer Kompetenzbilanzierung das Kompetenzspektrum des Einzelnen analysiert werden, und der tätigkeitsbezogene Weiterbildungsbedarf als Grundlage für die weitere Laufbahnplanung abgeleitet werden.
2.2 Kompetenz und Entwicklung Hinsichtlich der Frage, wie weit spezielle personalpolitische Maßnahmen für ältere Beschäftigte zur Weiterbildung und Kompetenzentwicklung eingesetzt werden, zeigt sich sowohl in Bezug auf die betrieblichen Aktivitäten als auch in 256
Bezug auf die Weiterbildungsbeteiligung von Beschäftigten insgesamt noch Handlungsbedarf. Mit Blick auf Personalentwicklungsmaßnahmen zeigen die Ergebnisse des IAB-Betriebspanels, dass nur ein Viertel der Betriebe speziell Maßnahmen für Ältere – und hierunter ist vor allem die Altersteilzeit zu fassen – anbieten (vgl. Bellmann/Leber/Gewiese 2006). Aktuelle Auswertungen im Rahmen des Continuing Vocational Training Survey (CVTS3) – in dem die Weiterbildungsbeteiligung Älterer europaweit erstmalig erhoben wurde – verweisen zudem auf eine geringe beruflich ausgerichtete Weiterbildungsbeteiligung älterer Beschäftigter. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass betriebliche Weiterbildung noch nicht als strategischer Faktor zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit von älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in europäischen Unternehmen verbreitet ist. Nur rund ein Viertel der Beschäftigten über 55 Jahre ist in betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen eingebunden (vgl. BIBB 2008). Vielfach handelt es sich hierbei um ein „hausgemachtes Problem“ der Betriebe im Rahmen ihrer bislang praktizierten Personaleinsatzplanung, welche die systematische Verschränkung individueller Entwicklungs- und Qualifizierungsplanung, gerade für ältere Beschäftigte, weitestgehend ausblendet (vgl. Morschhäuser 2006, S. 47). Entsprechend gilt es, hier präventiv anzusetzen, um „Lernentwöhnung“ der aktuell jüngeren Beschäftigten frühzeitig zu vermeiden. Zudem sind geeignete Formen für gemeinsames Lernen Älterer und Jüngerer zu nutzen, die den jeweiligen Lern- und Erfahrungsvoraussetzungen besser gerecht werden als die bisherige Praxis. Eine Möglichkeit, um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen, kann die Orientierung betrieblicher Strategien an dem Konzept der biografieorientierten Kompetenzentwicklung nach Wittwer sein. Diese verknüpft individuelle Lebenserfahrungen mit im Berufsleben erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten. Durch die Orientierung an der Biografie kann Personalentwicklung zielgerichtet ansetzen, um – anknüpfend an bestehende Kompetenzen der Beschäftigten – die passgenaue Einsetzbarkeit am Arbeitsplatz zu fördern und weiterzuentwickeln (vgl. Wittwer 2001). Für den gesteuerten Kompetenzentwicklungsprozess ist in diesem Zusammenhang eine spezielle Didaktik zum Lernen Älterer pauschal nicht zu befürworten. Vielmehr gilt es, erwachsenengerechtes Lernen zu gestalten. Hierfür ist die Umorientierung der Weiterbildung hin zur Etablierung neuer Lernkulturen in der betrieblichen Bildungspraxis notwendig. Dies impliziert die stärkere Erfahrungs- und Praxisorientierung der Bildungsangebote. Als wesentliche Gestaltungskriterien sind Teilnehmerorientierung, Bezug zur Lernbiografie, gruppen- und arbeitsplatzbezogene Lernformen, erfahrungsorientierte Problembearbeitung und beruflicher Verwertungsbezug anzuführen.
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2.3 Arbeitsorganisation und Gestaltung Ziel der Organisation und Gestaltung von Arbeit ist es, ein lernförderliches und physisch sowie psychisch verschleißreduziertes Arbeitsumfeld zu schaffen, das es einerseits ermöglicht, möglichst lange motiviert, kompetent und gesund zu altern als auch andererseits den zeitlichen Einsatz der Beschäftigten mit den individuellen Anforderungen des Privatlebens, beispielsweise durch Familie oder Pflegetätigkeit, in Einklang zu bringen. Dies ist v. a. dann ein wichtiges Thema, wenn besonders belastende Arbeitsbedingungen – z.B. durch Schichtarbeit – vorherrschen. Notwendig ist hier ein über alle Altersphasen reichendes Gesamtkonzept zur Gestaltung von Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit (vgl. Frerichs/Naegele 1998, S. 249). Die Schaffung eines lernförderlichen Arbeitsumfeldes kann beispielsweise durch Job-Rotation ermöglicht werden. Entlastung von körperlich intensiven Tätigkeiten kann durch horizontale Karrierewege geschaffen werden, die aufbauend auf bisherigen Erfahrungen einen kompetenzorientierten Arbeitseinsatz mit einem anderen Tätigkeitsprofil beinhalten (vgl. Morschhäuser 1999, S. 122). Ebenso fällt in den Bereich der Arbeitsorganisation die Möglichkeit, einen flexiblen, an den Leistungsmöglichkeiten und Interessen der Beschäftigten ausgerichteten Ausstieg aus dem Erwerbsleben frühzeitig zu planen und sowohl für die Gruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber sinnvoll zu organisieren (vgl. Freiling/Schulte in diesem Band). Die zeitliche Gestaltung von Arbeit kann direkt als Anwesenheit im Unternehmen oder auch durch Angebote von „außen“, beispielsweise mittels Telearbeitsplätzen, erfolgen. Angebote zu Sabbaticals oder Arbeitszeitkonten ermöglichen die Nutzung von Freistellungsphasen für die eigene Weiterbildung (vgl. Priebe 2007, S. 74).
2.4 Gesundheit und Arbeitsbedingungen Die Prävention vor Gesundheitsrisiken und der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz stellen umfassende Gestaltungselemente des betrieblichen Altersmanagements dar. Durch gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden nicht nur die betrieblichen Kosten sowie die sozialen Sicherungssysteme entlastet; es wird auch den Beschäftigten ein gesünderer und längerer Verbleib im Erwerbsleben ermöglicht (vgl. Faulstich 2007, S. 23). Gesundheitsmanagement umfasst eine Vielzahl von präventiven Maßnahmen zum Erhalt der physischen und psychischen Gesundheit. Dies ist besonders in Berufen nötig, in denen hohe Arbeitsbelastungen und geringe Entwicklungsmöglichkeiten eine Tätigkeit bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter erschweren. Dies zeigt sich bei der Betrachtung 258
der Gründe eines vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand. Beispielsweise sind Beschäftigte mit langer Tätigkeitsdauer in Berufen des Handwerks, der Pflege und im Gesundheitsbereich besonders betroffen (vgl. Kistler u. a. 2006, S. 50; Morschhäuser 2004, Koller 2001). Durch ein umfassendes Disability- und Gesundheitsmanagement im Betrieb gilt es, nicht nur Krankheiten am Arbeitsplatz vorzubeugen, sondern die Gesundheitspotenziale der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz durch den Einsatz von präventiven und gesundheitsförderlichen Maßnahmen zu unterstützen (vgl. Athenstedt u. a. 2007, S. 17). Wenn das Arbeitsumfeld gesundheitsförderlich gestaltet wird, wirkt sich dies positiv auf die Arbeitsproduktivität und Leistungsbereitschaft aus. Gestaltungsoptionen ergeben sich durch die Herstellung eines Belastungsmixes durch Arbeitsteilung und Tätigkeitswechsel. Weitere Möglichkeiten bestehen im Angebot von Fitness-, Ernährungs- und Stressbewältigungsangeboten (vgl. Morschhäuser/Ochs/Huber 2007). Andererseits gilt es, die Führungskräfte dahingehend zu sensibilisieren, dass ein Verständnis für die Gesundheitserhaltung der Beschäftigten vorhanden ist. Dies kann beispielsweise durch Informations- und Sensibilisierungsworkshops geschehen. Präventionsmaßnahmen, die die Arbeitsplatzgestaltung betreffen, müssen jedoch mit Weiterbildungskonzepten systematisch verknüpft werden, wenn nachhaltige Erfolge erzielt werden sollen. Eine nachhaltige Verbesserung der betrieblichen Gesundheitsförderung setzt also neben der Analyse der unternehmensspezifischen Problemlagen auch eine umfassende Analyse des präventionsorientierten Weiterbildungsbedarfs voraus. Die aktive Partizipation der Beschäftigten ist dabei unerlässlich. Sie sind die Experten ihres Arbeitsplatzes und seiner gesundheitsgefährdenden Schwachstellen. Die Beschäftigten können und werden stärker Verantwortung für Maßnahmen zur Gesundheitsförderung übernehmen, wenn sie an ihrer Erarbeitung beteiligt wurden (vgl. Hofmann/Gottwald 2009). Zudem gilt es, die Beschäftigten auch zur privaten Gesundheitsvorsorge zu sensibilisieren und zu motivieren. Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben müssen Führungskräfte entsprechend qualifiziert sein.
2.5 Führungs- und Unternehmenskultur Die Führungs- und Unternehmenskultur ist ein Querschnittsthema, das alle Handlungsfelder des betrieblichen Altersmanagements betrifft. Die bisher beschriebenen und definierten Gestaltungselemente können nicht umgesetzt werden, wenn die Unternehmensleitung keinen Nutzen darin erkennt, z. B. in der Erhaltung vorhandener Kompetenzen oder der Reduzierung von altersbedingten Arbeitskosten. Da Ältere bei Einstellungen immer noch weniger berücksichtigt 259
werden, in geringem Maße an Weiterbildungen teilnehmen und vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, wird deutlich, dass sich ein positiv besetztes Altersbild noch nicht in den Führungsetagen der Unternehmen durchsetzen konnte. Ältere werden zwar hinsichtlich ihrer zugeschriebenen „positiven“ Eigenschaften wie Arbeitsmoral, Qualitätsbewusstsein oder Erfahrungswissen geschätzt, demgegenüber steht allerdings ihre geringe Integration in den Arbeitsmarkt und eine unzureichende betriebliche Investitionspolitik für ältere Beschäftigte (vgl. Gottwald/Keck 2008). Im Handlungsfeld „Führung und Unternehmenskultur“ gilt es, die Führungskräfte systematisch für die Anforderungen des demografischen Wandels zu sensibilisieren und zu qualifizieren. Eine wichtige Aufgabe besteht in der Entwicklung eines entsprechenden Wertebildes gegenüber älteren Beschäftigten. Zudem sind Fähigkeiten gefragt, entsprechende Bedarfe und Entwicklungspotenziale bei den Beschäftigten zu identifizieren und personalpolitisch aufgreifen zu können. Die zuvor genannten Aspekte sind eine wichtige Voraussetzung dafür, das häufig noch vorzufindende Vorruhestandsdenken abzubauen und Motivation für längere Lebensarbeitszeiten aufzubauen. Führungskräfte sind wichtige Promotoren einer Unternehmenskultur, die sich an den Kompetenzen und Arbeitsergebnissen statt an Kategorien wie dem Alter orientieren. Dem Führungsstil kommt v. a. bei älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine hohe Bedeutung zu. Die älteren Beschäftigten – und nicht nur diese – möchten für das, was sie im Betrieb leisten, Anerkennung erhalten. Damit Ältere künftig besser ihr Erfahrungswissen und ihre Fähigkeiten einbringen können, ist es wichtig aufzuzeigen, worin der Sinn ihrer Tätigkeiten liegt und warum sie Neues lernen und sich auch weiterhin für den Betrieb engagieren sollen. Personalverantwortliche haben es dabei immer mit spezifischen, individuellen Lebensund Berufsverläufen zu tun, welche die weitere Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit prägen. Führungskräfte sind hier gefragt, die persönlichen Profile und Motivlagen der Beschäftigten zu erfassen und frühzeitig Maßnahmen einzuleiten, damit die Beschäftigten ihr Potenzial möglichst lange im Arbeitsprozess einbringen können. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels verändert sich das Rollenbild der Führungskraft im mittleren Management. Zum einen müssen sie als Promotoren agieren, indem sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die sich ändernden Bedingungen vorbereiten, eine alternsgerechte Unternehmenskultur fördern und hierzu neue Führungsleitlinien entwickeln und umsetzen. Zum anderen ist die Führungskraft zunehmend auch Personalentwickler, wenn es darum geht, die Potenziale der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erkennen und zu fördern, Entwicklungsgespräche zu führen und zentrale Personalentwicklung und Führungsarbeit miteinander zu verzahnen (vgl. f-bb/ vbm/ BayME 2007, S. 24 f.). 260
3
Erfolgsbedingungen zur Etablierung eines betrieblichen Altersmanagements
Die Einführung eines betrieblichen Altersmanagements trägt dafür Sorge, dass ein produktiver Umgang mit alternden Belegschaften und die Förderung der Diversifizierung der Altersstruktur in Betrieben erfolgen. Ebenso dient Altersmanagement zur Eingrenzung von Altersbarrieren und Diskriminierung. Eine integrierte Strategie der anzuwendenden Maßnahmen berücksichtigt die generelle Vermeidung von Gesundheitsbelastungen und Dequalifizierungsprozessen während des gesamten Arbeitslebens für alle Altersgruppen und legt weniger einen Schwerpunkt auf eine nachträgliche oder kompensatorische Problemlösung (vgl. Naegele/Walker 2006). Altersmanagement fokussiert sich im politischen Verständnis der Länder der Europäischen Union dabei nicht ausschließlich auf die betriebliche Ebene, sondern integriert die zur Umsetzung geeigneten gesetzlichen Rahmenbedingungen genauso wie die individuelle Perspektive der Beschäftigten. Dies umfasst die horizontale Verbindung der Maßnahmen innerhalb des Betriebes und darüber hinaus die vertikale Integration von Politik und Praxis. Neben kurzfristigen Aktivitäten, wie Weiterbildungsmaßnahmen, gilt es, langfristig ein Umdenken sowohl im Betrieb als auch in der Gesellschaft zu erreichen. Von zentraler Bedeutung in Bezug auf die nachhaltige Gestaltung betrieblichen Altersmanagements im Rahmen des Übergangsmanagements ist es, der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen auf politischer Ebene sowie der Förderung von Projektinnovationen auf der regionalen Ebene Bedeutung beizumessen.
3.1 Schaffung von Rahmenbedingungen auf politischer Ebene Gesetzliche Interventionen und Regelungen stellen eine strategische Ebene dar, durch Rahmenbedingungen und „Druck von oben“ zur breiten Implementierung eines Altersmanagements in die betriebliche Praxis beizutragen. Innerhalb der Länder Europas richten sich diese sowohl auf die (Re-)Integration von älteren Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt als auch darauf, den Verbleib von Beschäftigten im Erwerbsleben bis ins höhere Alter zu forcieren. Vor diesem Hintergrund wurden und werden in den meisten Ländern der EU die Renten- und Sozialsysteme sowie die Arbeitsmarktsysteme reformiert. Die Reformen sind darauf ausgerichtet, die „Push- und Pull- Faktoren“ des Austritts aus dem Erwerbsleben so zu verändern, dass Unternehmen ihre Beschäftigten länger an das Unternehmen binden und die Beschäftigten wiederum länger bereit sind, im Arbeitsprozess zu verbleiben. „Push-Faktoren“ prägen den betrieblichen Umgang mit Älteren, z.B. 261
aufgrund negativer Einstellungen gegenüber der Leistungsfähigkeit Älterer, hohe Lohnkosten oder strikte Arbeitsschutzbestimmungen. „Pull-Faktoren“ sind diejenigen Einflussgrößen, die dafür erklärungsrelevant sind, warum Beschäftigte vielfach die Option des vorzeitigen Ruhestands in Anspruch nehmen. Hierzu gehören Möglichkeiten zur Frühpensionierung, Altersteilzeit und Renten aufgrund von Erwerbsminderungen (vgl. OECD 2006, S. 63). Beiden Einflussgrößen wird durch eine Reihe staatlicher Interventionsansätze entgegengewirkt, z. B. durch die Reduzierung der Bezugsdauer von staatlichen Transferleistungen bei Arbeitslosigkeit, die Minderung der Rentenabschläge bei vorzeitigem Renteneintritt, Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber die Ältere einstellen, Übernahme von Weiterbildungskosten sowie durch die Schaffung von flexiblen Arbeitsgestaltungsmöglichkeiten (vgl. Ketsetzopoulou 2007). Ziel dieser Maßnahmen ist es, Negativanreize und Diskriminierungen abzubauen, die die Einstellung Älterer verhindern oder deren vorzeitigen Austritt aus dem Erwerbsleben erleichtern. Die gesetzliche Interventionsebene umfasst dabei die Politikbereiche Gesundheit, Arbeitsrecht, Bildung, Altersversorgung und Fiskalpolitik und ist eng verbunden mit der umfassenden Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Herausforderungen des demografischen Wandels. Den administrativen Akteuren auf nationaler wie auch regionaler bzw. lokaler Ebene kommen dabei drei entscheidende Funktionen zu: Erstens können sie die erforderlichen Initiativen finanzieren und lokale Aktionspläne aufstellen. Zweitens wirken sie durch den gezielten Abbau von Altersbarrieren und der Umsetzung von Beschäftigungsrichtlinien regulierend auf den Arbeitsmarkt ein und tragen damit zu einer konsequenten Politik des aktiven Alterns bei. Und drittens bewirken sie durch Sensibilisierungskampagnen und Informationsverbreitung den Abbau von Vorurteilen gegenüber älteren Beschäftigten (vgl. Naegele/Walker 2006, S. 33). Als ein gelungenes Beispiel einer national koordinierten Intervention mit Fokus auf veränderte Einstellungen und Förderung von Unternehmen in Deutschland kann die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) angeführt werden. Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) Die Initiative ist das Ergebnis einer Kooperation zwischen Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern, Ländern, Bund und Unternehmen. Der Fokus der Tätigkeiten der Initiative ist die Entwicklung von Vorschlägen für innovative Arbeitsgestaltung durch Konzepte und Maßnahmen zur Stärkung flexibler Arbeitsbedingungen und lebenslangen Lernens sowie gesundheitspolitische Maßnahmen in Unternehmen und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Verbreitet werden die Ergebnisse über die öffentliche Informationskampagne „INQA Kampagne: 30,40,50 plus – Älter werden in Beschäftigung“. Diese wurde 2002 initiiert, um Unternehmen auf den demografischen Wandel vorzubereiten und diesen eine Informationsaustauschplattform anzubieten. Unter
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dem Motto „30,40, 50 plus – Gesund arbeiten bis ins hohe Alter“ hat INQA eine Broschüre herausgegeben, die sich ausgiebig mit dem Thema befasst und zahlreiche Tipps für die berufliche Praxis gibt25.
Altersmanagement beinhaltet außerdem die Gestaltung von Arbeitsbedingungen über Kollektivverhandlungen der Sozialpartner (vgl. Walker 2005, S. 685). Hierfür wird ein Altersmanagement benötigt, welches sowohl die betriebliche als auch die individuelle Ebene einbezieht und dort Unterstützung leistet, wo die vorhandenen Ressourcen der Akteure nicht ausreichen (vgl. Kistler u. a. 2006; Naegele 2005; Morschhäuser 2003). Die Sozialpartner können zur Förderung von Altersmanagement beitragen, indem sie Beispiele guter Praxis verbreiten, ihre Mitglieder zu Fragen des Alterns weiterbilden und Tarifverträge aushandeln, die in ihren Auswirkungen altersneutral gestaltet sind (vgl. Naegele/Walker 2006, S. 33). Beispielhaft sind hier zu nennen der kürzlich zwischen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und den Chemie-Arbeitgebern abgeschlossene Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ sowie die von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) veröffentlichten Richtlinien für Arbeitgeber zur Beschäftigung Älterer.
3.2 Förderung regionaler Projektinnovationen Eine zweite Herangehensweise zum Aufbau nachhaltiger Strukturen des betrieblichen Altersmanagements ist es, innovative Projekte auf der regionalen Ebene zu fördern. Im Zuge der Umsetzung von zahlreichen Entwicklungsprogrammen und -projekten sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene sind bisher praktische Lösungsansätze v. a. auf dem Feld einer beschäftigungsförderlichen Weiterbildung und Arbeitsgestaltung für Ältere in verschiedenen Wirtschaftssektoren bzw. Branchen erprobt, evaluiert und dokumentiert worden. Die dabei verfolgten Strategien lassen sich exemplarisch wie folgt zusammenfassen:
25
Anpassung überbetrieblicher Konzepte arbeits- bzw. tätigkeitsintegrierten Lernens auf Ältere und ihre Lern- und Erwerbsbiografie; Implementierung von betrieblichen Personal- und Organisationsentwicklungskonzepten, die Älteren Lernen und Arbeiten so lange ermöglicht, wie diese es wünschen, und deren erfahrungsbasierte Kompetenzen für intergenerationelles Wissensmanagement nutzt;
Weiterführende Informationen: www.inqa.de
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Entwicklung innovativer Gestaltungsansätze, die Flexibilität in den Bereichen Arbeitszeit (Konten, Schichtarbeit etc.) einführen und dabei alternsspezifische Bedürfnisse sowie Gesundheitsprävention einbeziehen; Umsetzung regionaler Beschäftigungspakte nach dem Modell 50plus mit Beratungs-, Qualifizierungs- und Begleitungsansätzen zur Reintegration von Arbeitslosen in Beschäftigung; Umsetzung von Modellen zur Bilanzierung, Anerkennung und Entwicklung von Kompetenzen im Alter; Einführung von Orientierungsangeboten (Information und Beratung) für Beschäftigte in den letzten Jahren ihrer Erwerbsarbeitsphase; Entwicklung und Umsetzung von Konzepten zur Nachfolgeplanung und damit verbundenem Wissenstransfer bei der Gestaltung des Übergangs in die Nacherwerbsphase.
Aufgrund des geringen Professionalisierungsgrades von kleinen und mittleren Betrieben in den strategischen Handlungsfeldern der Personal- und Organisationsentwicklung sind externe Unterstützungsangebote und der Aufbau regionaler Infrastrukturen Gegenstand zahlreicher nationaler und internationaler Forschungs- und Entwicklungsprogramme. Die Förderung solcher Netzwerke wurde zuerst in den Gemeinschaftsinitiativen „ADAPT“ und „EMPLOYMENT“ aufgenommen und mit „EQUAL“ fortgesetzt. Ebenso verfolgt die Programmlinie „Local Employment Strategies“ des Art. 6 ESF, aber auch deutsche Innovationsprogramme wie „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ oder „Lernkultur Kompetenzentwicklung“ diesen Ansatz. Der Netzwerkgedanke als Rahmenkonzept ist dabei weit verbreitet (vgl. Stahl/Schreiber 2008, S. 51 ff.). Außerhalb der Projektkontexte sind allerdings solche Netzwerke vornehmlich für kleine und mittlere Betriebe mit Weiterbildungsorientierung noch immer eine Seltenheit. Auch vorhandene Weiterbildungskonzepte von Bildungsdienstleistern benötigen eine verstärkte Akzentuierung der demografischen Fragestellungen im Einzelbetrieb. Kleine und mittlere Betriebe sind oftmals zu wenig über die Auswirkungen des demografischen Wandels informiert. Abhilfe schaffen hier Berater, die nicht nur allgemein beraten, sondern auch in Richtung spezifischer regionaler Bedarfe. Wie Praxisbeispiele aus den Lernenden Regionen zeigen, können durch regionale Beratungsangebote Dienstleistungen für die Zielgruppe der Betriebe (z.B. DemografieBeratung) als auch der Beschäftigten (z. B. außerbetriebliche Weiterbildung und Kompetenzentwicklungsberatung) angeboten werden, die mit Professionalisierungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen für Bildungs- und Qualifizierungsberater verknüpft sind (vgl. Brandel u. a. 2008). In Bezug auf regionale Vernetzungsstrategien haben die Lernenden Regionen bereits viel vorgearbeitet und 264
verbindliche Kooperationsbeziehungen zur Sicherung einer langfristigen Organisation in den Regionen aufgebaut, wie die folgenden beiden Beispiele stellvertretend für viele weitere strukturbildende Ansätze in diesem Zusammenhang aufzeigen26. Modellprojekt „Älter werdende Belegschaften als Chance erkennen“ der LERNENDEN NETZWERK REGION Rheingau-Taunus27 Im Rahmen eines Modellprojekts werden Arbeitgeber darin unterstützt, das Erfahrungswissen und die Potenziale ihrer älteren Beschäftigten zu halten und nachhaltig in deren Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit zu investieren. Des Weiteren geht es darum, die älteren Beschäftigten durch Beratungsangebote auf den Übergang in die Nacherwerbsphase vorzubereiten. Mit einer Workshopreihe werden Arbeitgeber und deren Beschäftigte in der Region zu Fragen des Altersmanagements angesprochen. Die Zielgruppen sind hierbei sowohl Führungskräfte und Personalverantwortliche in Unternehmen bzw. Kommunen als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über 50 Jahre selbst. Für den Zugang zur lokalen Wirtschaft wird mit der regionalen Wirtschaftsförderung des Rheingau-Taunus-Kreises sowie mit der neu eingerichteten kommunalen Stelle der Demografie-Beauftragten eng zusammengearbeitet. Das angestrebte Finanzierungskonzept für das Modellprojekt sieht künftig eine Kostendeckung durch Teilnehmerbeiträge von privatwirtschaftlichen Unternehmen und kommunalen Arbeitgebern vor. Zusätzlich wird angestrebt, sich mit der gegründeten Initiative „Bündnis für den Mittelstand“ zu vernetzen. Diese bietet eine Plattform zur weiteren Sensibilisierung für das Thema „Ältere Belegschaften“ bei den Unternehmen und ein entsprechendes Marketing zur Angebotsverbreitung. Aus dieser Netzwerkarbeit können sowohl weitere Mittelgeber rekrutiert als auch Teilnehmer für die Workshops beworben werden.
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Praxisbeispiele, die im Programmkontext „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ zur Gestaltung regionaler Dienstleistungsportfolios zur Unterstützung des betrieblichen Altersmanagements entwickelt wurden, finden sich im Online-Handbuch Übergangsmanagement (www. uebergangsmanagement.info). 27 Weiterführende Informationen unter http://lnr.vhs-rtk.de (abgerufen am 20.08.2008)
265
Projekt „Regionales Übergangsmanagement“ der Lernenden Region BELOS28 Zentrales Anliegen der Netzwerkarbeit der Lernenden Region BELOS ist die Sensibilisierung der gesamten Region für die Problematik alternder Belegschaften. Die konkrete Umsetzung dieses Vorhabens erfolgt in vier Aktivitätsschwerpunkten: Ältere im Beschäftigungsleben: Aufbauend auf den Ergebnissen der mehr als fünfjährigen Arbeit des BELOS – Netzwerk für Weiterbildung e.V. wurden in Zusammenarbeit mit den Netzwerkpartnern bedarfsgerechte Angebote entwickelt: u.a. ein Seminar für Personalverantwortliche in KMU, ein Workshop für Unternehmerinnen zu Fragen des Altersstrukturwandels im Handwerk sowie eine Multiplikatoren-Qualifizierung zum Demografie-Experten. Demografie-Beratung: Das Aufgabenfeld der Demografie-Berater besteht in der Erstberatung von Unternehmen zum Thema Demografie und im Angebot interner Alterstrukturanalysen. In Kooperation mit dem „rebequa-Programm“ führen die Demografie-Berater so genannte „DemoFit-Beratungen“ zur Erstberatung, Sensibilisierung und Eruierung zielgruppenorientierter Themenfelder durch. Beispiele dafür sind Gesundheitsmanagement oder die Möglichkeit zur Akquise junger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen. In der Lernenden Region BELOS haben die im Netzwerk ausgebildeten Demografie-Berater eine Brückenfunktion zu Unternehmen, um nach einer Bedarfsermittlung die strategische Planung der regionalen Weiterbildungsträger darauf ausrichten zu können. Anbindung an überregionale Projekte: Neue Kooperationspartner und Finanzierungswege des BELOS Netzwerkes e.V. eröffnen sich durch öffentlich geförderte Projekte, wie z.B. WeGebAU (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Unternehmen). Dies ist eine Weiterbildungsinitiative der Bundesagentur für Arbeit und fördert seit 2006 die berufliche Qualifizierung Geringqualifizierter und Älterer in Unternehmen zum Erwerb von Qualifikationen und zur Bewältigung des Übergangs in die Nacherwerbsphase.
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Weiterführende Informationen unter www.belos-net.de (abgerufen am 20.08.2008)
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Public-Private-Partnership der Wachstumsregion Ems-Achse e.V.: Der Verein wurde von den Landkreisen Aurich, Wittmund, Leer, Emsland und Grafschaft Bentheim sowie der Stadt Emden zusammen mit Wirtschaftsunternehmen, Kammern und Verbänden der Region im Jahr 2006 gegründet. Grundsätzliches Ziel ist es, die Ems-Achse als eigenständige Wirtschaftsund Verkehrsader auszubauen. Damit einhergehen der Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur und der Aufbau von Netzwerken für die regionale Wirtschaft. Unter dem Dach der Wachstumsregion Ems-Achse wollen deren Mitglieder verstärkt die regionalen Ressourcen nutzen und durch die Bündelung von Know-how Synergie-Effekte für alle Beteiligten erzielen. Die Region der Ems-Achse ist deckungsgleich mit der BELOS-Region. Das BELOSNetzwerk als Mitglied dieser „Ems-Achse“ bringt das Thema „Ältere und ältere Belegschaft“ ein, um die regionalen Wirtschaftsakteure zu sensibilisieren und um weitere Kontakte knüpfen zu können.
4
Ausblick und Handlungsbedarf
Zentrale Aufgabe des Übergangsmanagements im Handlungsfeld „Erwerbsphase im Alter“ ist die Schaffung unterstützender Rahmenbedingungen zur Etablierung einer lebenslauforientierten Personalentwicklung. Mittelfristig stehen Betriebe vor der Frage, wie eine Personalpolitik gestaltet werden kann, die den demografischen Wandel aufgreift und produktiv mit diesem umgeht. Gefragt sind Konzepte für ein intergenerationelles Personalmanagement, um alternde Belegschaften und die verfügbare Erwerbsbevölkerung produktiv, flexibel und nachhaltig für Wachstum und Innovation einsetzen zu können. Strukturen und Angebote zum lebenslangen Lernen in Betrieben und in der Region sind entsprechend zu entwickeln, die zu den individuellen erwerbsbiographisch gegebenen Bildungsbedarfen passen und für alle zugänglich sind. Zur nachhaltigen Etablierung eines betrieblichen Altersmanagements im regionalen Kontext besteht jedoch noch weitreichender Handlungsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen, welcher im Folgenden abschließend skizziert werden soll.
4.1 Handlungsbedarfe auf der politischen Ebene
Öffentlichen Bewusstseinswandel fördern: Auf der politischen Ebene gilt es, die Förderung der öffentlichen Diskussion und Sensibilisierung zur Beschäftigung Älterer im Sinne des Active-Aging voranzutreiben. Erforderlich ist eine Altersbewusstseinspolitik, die auf Initiativen zum Ab267
bau von Altersbarrieren zielt. Öffentliche Kampagnen zum Bewusstseinswandel sollten dabei weniger die Problemsicht des Alterns in den Vordergrund stellen, wodurch sich das Negativbild von Älteren noch verstärkt, um dadurch auf der appellativen Ebene politische Ziele zu erreichen. Vielmehr geht es darum, den Nutzen Älterer in Wirtschaft und Gesellschaft in den Vordergrund der Debatte zu stellen. Die Förderung aktiven Alterns darf dabei nicht ausschließlich produktivitätsorientiert sein, sondern muss auch die Bedeutung von sozialer Teilhabe, Partizipation und gesellschaftlicher Inklusion betonen. Hierzu gibt es bereits bestehende Initiativen des Bundes wie „Erfahrung ist Zukunft“, „INQA“ u. ä. m. Wichtig bei solchen Maßnahmen zum Ausbau der öffentlichen Debatte ist die Förderung der Kooperation zwischen den für die Umsetzung verantwortlichen Akteuren wie Arbeitgeber, Sozialpartner, lokale und regionale Behörden sowie weiterer Akteure im Nichtregierungsund Non-Profit-Bereich. Frühverrentungsmöglichkeiten weiter abbauen: Auf der Ebene gesetzlicher Gestaltungsmöglichkeiten ist der eingeschlagene Weg zur Einschränkung negativer Anreize und Erhöhung der Wahlmöglichkeiten beim Rückzug aus der Arbeitswelt fortzusetzen und Ausstiegswege aus dem Erwerbsleben zu flexibilisieren. Dies bezieht sich vor allem auf rentenrechtliche, tarifrechtliche, arbeits- sowie arbeitsförderungsrechtliche Rahmenbedingungen.
4.2 Handlungsbedarfe auf der betrieblichen Ebene
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Regionale Unterstützungsstrukturen aufbauen: Auf der betrieblichen Ebene sind Unterstützungsangebote vor allem für kleine und mittlere Betriebe bei der Implementierung und Umsetzung eines betrieblichen Altersmanagements anzubieten. Anzustreben ist hier die Förderung regionaler Lern- und Entwicklungsnetze aus zweierlei Gründen: Erstens bieten sie eine Infrastruktur zur Bedienung der Beratungs- und Unterstützungsbedarfe von Betrieben bei der Entwicklung demografiefester Unternehmensstrategien. In Bezug auf die erforderlichen Dienstleistungsportfolios zur Demografie-Beratung und zur Weiterbildung Älterer ist die Vernetzung von Bildungsdienstleistern und Betrieben hinsichtlich der Organisations- und Finanzierungsmöglichkeiten modellhaft zu erproben und entsprechende Förderungskonzepte zu eruieren. Zweitens sind die intermediären, d. h. überbetrieblich arbeitenden Institutionen aufgefordert, durch ihr jeweiliges Aufgaben- und Tätigkeitsfeld ver-
stärkt auf die Gestaltung der betrieblichen Rahmenbedingungen einer alterns- und altersgerechten Erwerbsarbeit einzuwirken und bereichsübergreifend zusammenzuarbeiten. Insbesondere die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Bildungswerke, Kammern sowie Berufsgenossenschaften können durch gesetzliche und tarifliche Regelungen, durch Beratungs-, Informations- und sonstige Dienstleistungen Unterstützung anbieten und den Transfer von Innovationen aus zahlreichen Forschungsund Entwicklungskontexten zum Altersmanagement in die betriebliche Praxis unterstützen (z. B. durch die Verbreitung von Informationen über erfolgreiche Initiativen und die Veröffentlichung von Anleitungen zu guter Praxis). Betriebliche Umsetzungslücken auflösen: Weiterhin zeigt sich mit Blick auf die konkrete Umsetzung im Betrieb ein weitergehender Forschungsund Entwicklungsbedarf: Unternehmen und Verwaltungen sind für den demografischen Wandel zwar sensibilisiert, allerdings zeigen sie wenig Bereitschaft, Maßnahmen umzusetzen. Diese Diskrepanz zwischen Wissen und Handlung gilt inzwischen als ein hauptsächliches Umsetzungsproblem und ist bisher weitgehend ungeklärt. Über den Verlauf der Veränderungsprozesse bei betrieblichen Demografievorhaben ist noch wenig bekannt. Liegen dort die Erfolgsvariablen und Stolpersteine? Liegt es am Miteinander der Akteure? Ebenso ist der Konnex zwischen Prozessvariablen und inhaltlichem Vorgehen erst noch zu eruieren. Dabei kommen zuerst die betrieblichen Akteure (Geschäftsleitungen, Personalabteilungen und Betriebsräte) in den Blick, die gefordert sind, die betriebliche Personalpolitik auf den demografischen Wandel abzustimmen. Ihnen obliegt es, spezifische betriebliche Strategien zu entwickeln und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um zu einer tragfähigen und nachhaltigen Personalpolitik zu gelangen. Aus der Betrachtung der Prozesse selbst werden Erkenntnisse erwartet zur Qualität der betrieblich erarbeiteten Lösungen, zur Bewältigung auftretender Hindernisse und Konflikte wie auch zur Tragfähigkeit von Implementierungsstrategien. Schließlich sind die betriebliche Kommunikationskultur und der sozialpartnerschaftliche Dialog in ihrem Einfluss auf die Zielerreichung näher zu betrachten.
4.3 Handlungsbedarfe auf der individuellen Ebene
Kompetenzentwicklung im Alter ermöglichen: Auf der individuellen Ebene sind Rahmenbedingungen und Anreize für ältere Beschäftigte zu 269
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schaffen, damit diese länger im Arbeitsprozess bleiben. Ein Schlüsselaspekt hierzu ist die Förderung kontinuierlicher Kompetenzentwicklung im Sinne des Lebenslangen Lernens durch die Stärkung der Rolle Älterer in der betrieblichen Weiterbildung. Betriebliches Altersmanagement mit entsprechenden Formen der Integration von Arbeit und Lernen sowie intergenerationelles Lernens sind hierzu aktuelle Trends betrieblicher Innovationen. Hierfür ist allerdings eine Umorientierung der Weiterbildung durch die Etablierung neuer Lernkulturen in der betrieblichen Bildungspraxis notwendig. Dies impliziert einen stärkeren Bezug zur Lernbiografie der Individuen statt zur Altersfrage mit einer einhergehenden Individualisierung von Lehr- und Lernprozessen. Dies ist nicht gleichzusetzen mit der Forderung nach einer speziellen Weiterbildungsdidaktik für Ältere. Wichtig ist vielmehr eine stärkere Erfahrungs- und Praxisorientierung der Bildungsangebote. Als wesentliche Gestaltungskriterien sind Teilnehmerorientierung, Bezug zur Lernbiografie, gruppen- und arbeitsplatzbezogene Lernformen, erfahrungsorientierte Problembearbeitung und beruflicher Verwertungsbezug anzuführen. Laufbahn- und Kompetenzentwicklungsberatung anbieten: Die absehbare Notwendigkeit zum längeren Verbleib im Erwerbsleben erfordert vom Einzelnen mehr Verantwortung zur Entwicklung eigener Kompetenzen. Gerade Ältere können ihren Marktwert durch eigenständige Weiterbildung und Kompetenzentwicklung steigern. Dem Nachweis informell erworbener Kompetenzen in und außerhalb beruflicher Aktivitäten ist hierbei besondere Bedeutung beizumessen. Bestehende Angebote zur Bildungsberatung – sowohl betrieblich als auch außerbetrieblich – bieten in ihren bestehenden Strukturen jedoch nur begrenzt Unterstützung an. Handlungsbedarf besteht darin, Beratungen als eine individuelle Laufbahn- und Kompetenzentwicklungsberatung auch betriebsunabhängig bereitzustellen. Bislang sind solche Beratungsangebote in der Praxis kaum etabliert. Die außerbetriebliche Weiterbildungs- und Kompetenzentwicklungsberatung ist stark geprägt von einzelnen Zielgruppen, die jeweils schwerpunktmäßig von bestimmten Beratungsanbietern (z.B. Bildungsträger, Beratungsunternehmen) angesprochen werden. Dies ist u. a. auf bestehende Strukturen der Förderpolitik oder der Finanzierung von Beratung zurückzuführen, die die Spezialisierung auf einzelne Zielgruppen begünstigt (z. B. die Beratung von Berufsrückkehrerinnen und Berufsrückkehrern in den selbstständigen Bildungsberatungsstellen und Frauenberatungsstellen). Alternative oder ergänzende Formen von Beratung und Information sowie entsprechende Professio-
nalisierungs- und Finanzierungskonzepte müssen erst noch entwickelt werden. Formell und informell erworbene Kompetenzen anerkennen: Im Zusammenhang mit der stärkeren Betonung und Nutzung von Kompetenzen im Alter gewinnt die Entwicklung von Arbeitsinstrumenten zur Bilanzierung von formell und informell erworbenen Kompetenzen für diese Zielgruppe an Bedeutung. Durch eine systematische Reflexion des Kompetenzbestandes können sich die Älteren selbst ein Bild über ihre Fähigkeiten machen und auch (potenziellen) Arbeitgebern gegenüber eine Dokumentation ihrer Kompetenzen liefern. Gerade ältere Beschäftigte oder auch Arbeitslose verfügen über vielfältige berufliche und außerberufliche Erfahrungen, die ihnen in den meisten Fällen nur zum Teil bewusst und somit nach außen hin wenig transparent sind. Die Möglichkeit daran anschließender Kompetenzentwicklungsprozesse wird dadurch begrenzt. Ansätze für eine alterssensible bzw. altersspezifische Kompetenzerfassung sind noch zu entwickeln. Neben der Spezifizierung und Weiterentwicklung bestehender Ansätze von Kompetenzbilanzierungsverfahren geht es aber auch um flankierende Strukturen, die für eine verlässliche und aussagekräftige Anwendung sorgen. Dabei ist an regionale Bilanzierungszentren nach dem Modell der akkreditierten „Centres interinstitutionels de bilans de compétences“ in Frankreich ebenso zu denken wie an eine neutrale Bildungsberatung, die die individuelle Lebenslaufplanung unterstützt und dabei hilft, aus den Bilanzierungsergebnissen sinnvolle Ziele und Maßnahmen abzuleiten.
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Ausstiegsmanagement zur Flexibilisierung des Überganges in die Nacherwerbsphase Thomas Freiling / Birgit Schulte 1
Anforderungen an Ausstiegsmodelle
Der Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand stellt für Unternehmen und Beschäftigte einen wichtigen Einschnitt dar: Unternehmen sind auf höher qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zukunft verstärkt angewiesen. Die Beschäftigten wollen zum Teil über den Renteneintritt hinaus beruflich tätig sein. Der Ruhestand bleibt gerade bei Höherqualifizierten eine beruflich aktive Phase, was sich an wahrnehmbaren Interessensbekundungen hinsichtlich einer Erwerbstätigkeit oder eines ehrenamtlichen Engagements zeigt (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 15.4.2008). Zwar wird der Übergang in den Ruhestand von den meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern noch als ein Ausstieg von einem Tag auf den anderen praktiziert (vgl. Scheytt 2008, S. 26). Es bilden sich dennoch Strukturen heraus, durch die verrentete Personen weiterhin beschäftigt sein können und wollen29. Für Betriebe kann das wahrzunehmende Interesse an einem über das gesetzliche Rentenalter hinaus beabsichtigten beruflichen Engagements angesichts aktueller Arbeitsmarktprognosen eine Chance darstellen, auf benötigte Kompetenzen und Erfahrungen auch weiterhin zuzugreifen. Schließlich werden zukünftig weniger Erwerbspersonen zur Verfügung stehen (vgl. Gottwald/Zschunke in diesem Band). Vor allem im Bereich der höher Qualifizierten zeichnen sich angesichts zahlreich anstehender Verrentungen Lücken in der Wiederbesetzung vakant gewordener Positionen ab, da auf dem Arbeitsmarkt vor allem Fachkräfte in Zukunft nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Am Beispiel des Ingenieurbedarfs werden die Folgen deutlich: Nach dem Jahr 2015 werden jährlich 43.000 Ingenieure altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden, aber nur etwa 40.000 Personen ein ingenieurwissenschaftliches Studium abschließen. Bei der Wiederbesetzung vakanter Stellen zeichnen sich perspektivisch also Lücken ab (vgl. Koppel 2008, S. 3). Hier könnten höher qualifizierte verrentete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Möglichkeiten finden, um auch nach der Ver-
29
Zum Beispiel Beraternetzwerke bei der Firma Bosch. Weitere Informationen unter www.Erfahrung-deutschland.de (abgerufen am 14.04.2008)
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rentung beruflich aktiv zu sein, Nachfolger einzuarbeiten oder Wissen systematisch an Jüngere weiterzugeben. Um an der Schwelle vom Arbeitsleben in den Ruhestand das Potenzial Älterer (Fach- und Erfahrungswissen) nicht ungenutzt zu lassen, Unternehmen hinsichtlich personeller Kapazitäten erweiterte und flexible Dispositionsspielräume zu eröffnen und dabei die Interessen der Beschäftigten zu berücksichtigen, bedarf es der betrieblichen Verankerung eines Ausstiegsmanagements. Unter Ausstiegsmanagement wird die systematische Kombination unterschiedlicher Instrumente zur Flexibilisierung des Übergangs von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase älterer Beschäftigter und zur Sicherung des Organisationsgedächtnisses von Betrieben verstanden (vgl. Freiling/Schulte 2008, S. 47). Ein Ausstiegsmanagement steht nicht im luftleeren Raum, vielmehr baut es auf bereits bestehende Instrumente des Wissensmanagements und der flexiblen Arbeitszeitgestaltung auf. Diese werden kombiniert gesteuert und in unternehmensspezifischen Ausstiegsmodellen umgesetzt. Die Gestaltungsfelder von Ausstiegsmodellen sind keineswegs neu. Vielmehr unterstreichen sie eine neue und vor allem systematisch ausgerichtete Sicht auf das Thema Flexibilisierung des Übergangs. Aus der Analyse betrieblicher Strategien und Handlungsansätze zur Gestaltung und Flexibilisierung des rentenbedingten Ausstiegs in die Nacherwerbsphase lässt sich ableiten, dass die betriebliche Praxis insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ressourcenbedingt häufig durch einzelne, voneinander unabhängiger Instrumente wie z.B. des Wissenstransfers geprägt ist und systematisierte, d.h. aufeinander aufbauende und abgestimmte Vorgehensweisen noch wenig erkennbar und oftmals kaum vorhanden sind. Im Rahmen der Lernenden Regionen, die einen Bezug zur Thematik des Übergangsmanagements für Ältere aufweisen, wird das Thema „Ausstiegsmanagement“ nicht explizit bearbeitet. Nach Analyse der Einzelaktivitäten der Lernenden Regionen ist allerdings wahrnehmbar, dass einzelne Themenbausteine mit Bezug zum „Ausstiegsmanagement“ punktuell bearbeitet werden. Zu nennen sind die folgenden Themen. Lernende Netzwerkregion RHEINGAU-TAUNUS Über eine Workshopreihe für Führungskräfte in Unternehmen bzw. Kommunen wird auf das Thema „Wissensmanagement“ – eine Dimension eines Ausstiegsmodells – eingegangen. Das Konzept dieser Lernenden Region wird zudem dadurch ergänzt, dass auch für die älteren Beschäftigten ein Beratungsund Informationsangebot zur Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Übergang in die Nacherwerbsphase und somit zur Unterstützung der Eigenaktivität angeboten wird. 276
Lernende Region BELOS Die in der Lernenden Region ausgebildeten Demografie-Berater führen eine demografieorientierte Erstberatung von Unternehmen durch. Das Ziel besteht in der Sensibilisierung von Unternehmen für die Folgen des demografischen Wandels sowie in der Eruierung zielgruppenorientierter Themenfelder zum demografischen Wandel. Zudem wird ein Projekt zur Qualifizierung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Unternehmen durchgeführt, um Qualifikationen zur Bewältigung des Übergangs in die Nacherwerbsphase zu erwerben. In einzelnen Konzepten der Lernenden Regionen findet das Thema „Vorbereitung auf den Ausstieg/Ruhestand“ wie aufgezeigt vereinzelt Verwendung. Es ist aber erkennbar, dass eine integrierte Gesamtstrategie zur Entwicklung und Etablierung eines Ausstiegsmanagements, so wie sie für Unternehmen erforderlich ist, bislang fehlt. Diese wird daher nachfolgend dargestellt und erläutert.
2
Gestaltung eines Ausstiegsmanagements
Die Entwicklung und Implementierung eines Ausstiegsmanagements ist notwendige Konsequenz aus der skizzierten Entwicklung in Unternehmen; Betriebe sind allerdings bislang nur unzureichend auf die Folgen des demografischen Wandels vorbereitet. Besonders in KMU sind strategisch und zukunftssichernd ausgerichtete Umsetzungsmaßnahmen wie z.B. eine Personalplanung wenig verbreitet (vgl. Buck 2006, S. 115). Priorisiert werden verständlicherweise zunächst Aktivitäten zur Bewältigung des Alltagsgeschäfts (vgl. Geighardt 2005, S. 7; Walther 2006, S. 20). Problematisch ist, dass der Umsetzungsgrad betrieblicher Maßnahmen für ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rückläufig ist. Der Anteil der Betriebe mit Maßnahmen für Ältere (z. B. altersgemischte Arbeitsgruppen, Einbeziehung in betriebliche Weiterbildungsaktivitäten) ist laut IAB-Betriebspanel gemessen an allen Betrieben mit über 50-jährigen Beschäftigten zwischen 2002 und 2006 von 19 auf 17 Prozent leicht gesunken (vgl. Bellmann u. a. 2007, S. 3). Die auslaufende Altersteilzeitregelung ist hier als Maßnahme mit eingerechnet. Zwar erkennen Unternehmen den demografischen Wandel als „eines der größten gesellschaftlichen Probleme“ (Bellmann u. a. 2007, S. 106), im eigenen Betrieb sind aber – so die Ergebnisse einer Befragung des Fraunhofer IAO – immerhin 22 Prozent schlecht oder sehr schlecht auf die demografischen Veränderungen vorbereitet. Jeder vierte Befragte sieht keine Konsequenzen für das eigene Unternehmen. Auswirkungen, wie den Verlust von Erfahrungen zum Beispiel durch Verrentungen, erwartet ein nur ebenso geringer Prozentsatz (vgl. 277
ebenda). Eine Reaktion auf die bekannten Folgen des demografischen Wandels in den Unternehmen findet nur unzureichend statt. Zwar sind vor allem in Großunternehmen einzelne Instrumente z.B. zur Sicherung des Wissenstransfers oder der Karriereplanung in unterschiedlichem Ausmaß verbreitet – ihre Integration zu einem ganzheitlichen Ausstiegsmodell im Rahmen eines Ausstiegsmanagements steht bislang aber noch aus. Bewertung und tatsächliche Umsetzung klaffen auseinander: Im Vergleich zu den europäischen Ländern Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien schätzen die deutschen Unternehmen interessanterweise die Auswirkungen des demografischen Wandels ungleich wichtiger ein: Hier ist für 70 Prozent der Unternehmen der demografische Wandel die größte oder zweitgrößte Herausforderung der Zukunft, vergleichsweise sind es in Großbritannien und Nordirland nur 32 Prozent und in Frankreich 48 Prozent (Addecco Institut 2008). Italien und Spanien liegen mit 43 Prozent im Mittelfeld. In allen Ländern zeigt sich, dass Strategien zur Bewältigung der personellen Entwicklungen im Rahmen des demografischen Wandels eine zunehmende Bedeutung und steigenden Einsatz finden und zwar in Kombination mit Strategien aus den Handlungsfeldern Karriere-, Wissens- und Gesundheitsmanagement sowie Weiterbildung und Altersvielfalt. Aus der Adecco-Studie (vgl. Adecco Institut 2008, S. 5) ist ersichtlich, dass Unternehmen in Deutschland und Großbritannien im europäischen Vergleich hinsichtlich der Auswirkungen des demografischen Wandels vergleichsweise gut gerüstet sind. Erkennbar ist aber auch der weiter bestehende Entwicklungsbedarf. Die folgenden Gestaltungsfelder eines Ausstiegsmanagements lassen sich aus der Kombination bereits bestehender mit den erforderlichen Ansätzen zur Bewältigung der durch den demografischen Wandel einhergehenden betrieblichen Anforderungen ableiten. Notwendig ist es, einzelne Instrumente in Beziehung zueinander zu setzen, um ein auf die jeweilige betriebliche Situation zugeschnittenes Ausstiegsmodell zu entwickeln. Die Dimensionen eines Ausstiegsmodells visualisiert die folgende Abbildung:
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Strategische Personalplanung z.B. Karriere- und Nachfolgeplanung; Kompetenzanalyse
Innerbetrieblicher Wissenstransfer z.B. Mentoring; Wissenslandkarten; Storytelling
AUSSTIEGSMANAGEMENT
Flexible Arbeitszeitgestaltung z.B. Lebensarbeitszeitkonten; Job-Sharing
Projektbezogene Rückbindung z.B. Beschäftigung über Werkvertrag Abbildung 1:
Gestaltungsfelder und Instrumente des Ausstiegsmanagements
Im Folgenden werden die einzelnen Gestaltungsfelder und bereits bestehenden Praktiken, die bei der Gestaltung des Ausstiegs aus dem Erwerbsleben relevant sind und Vorbildcharakter haben können, vorgestellt.
2.1 Innerbetrieblicher Wissenstransfer Strategien des innerbetrieblichen Wissenstransfers tragen zur Sicherung des organisationalen Gedächtnisses bei. Mit dem Eintritt in den Ruhestand einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters stehen für Betriebe wichtiges Wissen und damit ökonomische Ressourcen im ungünstigen Fall von einem Tag auf den anderen nicht mehr zur Verfügung. Wissensverlust durch Verrentungen kann weit reichende Konsequenzen haben, wenn es zum Beispiel zu Produktionsverschiebungen oder Produktionsfehlern kommt, weil einzelne Wissensträger das Unternehmen verlassen haben (vgl. Voelpel u. a. 2007, S. 127). Gerade beim rentenbedingten Austritt erhält das Wissensmanagement eine gesteigerte Bedeutung zum Erhalt des betrieblichen Wissensbestandes. Zentrale Aufgabe des in-
279
nerbetrieblichen Wissenstransfers ist das Feststellen, Erfassen und Übertragen von Wissen. Wissensmanagement bietet einen breiten Fundus an Instrumenten zur Gestaltung des innerbetrieblichen Wissenstransfers. Wissenslandkarten beispielsweise stellen in elektronischer Form die visuelle Abbildung des intellektuellen Kapitals eines Unternehmens dar. Häufig werden Geschäftsmodelle und Unternehmensstrukturen, Rollen und Verantwortlichkeiten von Beschäftigten sowie internen Experten, Geschäftsprozesse und Wissen, das für das Tagesgeschäft der Beschäftigten notwendig ist, in derartigen Systemen abgebildet (vgl. Minder 2001, S. 153). Eine besondere Herausforderung bei der Übertragung von Wissen stellt das implizite Wissen dar: Implizites Wissen ist oft nicht einmal bekannt und deshalb nur schwer transferierbar. Eine insbesondere für KMU praktizierbare Möglichkeit, implizites Wissen ohne kostenintensive IT-Verfahren zu transferieren, ist das Storytelling. Beschäftigte schildern ihre Erfahrungen anhand ihrer persönlichen Erlebnisse und geben es so an ihre Nachfolger – leicht memorierbar – weiter (vgl. Schilcher 2006, S. 182 f.). Vor allem auch die Wissensanteile jenseits des Standard-Fachwissens sollen so transferiert werden. Beispiel: Storytelling Storytelling als narrative Methode des Wissenstransfers ist ein auf Organisationen bezogenes Konzept und wird als bewusst gestalteter Prozess verstanden. Das Erzählen von Erfolgsgeschichten, Fehlschlägen oder herausfordernden Ereignissen ist gut geeignet, um richtige Handlungsweisen aufzuzeigen, kritisches Wissen weiterzugeben, Anforderungen klar zu machen sowie persönliche und firmeninterne Werte zu vermitteln. Storytelling ist ein Weg, um Wissen und Erfahrung auf anschauliche Weise zu teilen (vgl. Schilcher 2006, S. 182 f.). In der Praxis wird zudem zur Übertragung von implizitem Wissen auch auf Instrumente zurückgegriffen, in denen der Wissensträger mit seinem Nachfolger zusammenarbeitet. In Tandem- oder Mentoringprogrammen lernt eine ältere erfahrene Mitarbeiterin oder ein älterer erfahrener Mitarbeiter eine jüngere oder einen jüngeren an und überträgt ihr oder ihm so ihr bzw. sein Wissen in der gemeinsamen Arbeit und im gemeinsamen Arbeitsalltag (vgl. Flüter-Hofmann 2006, S. 51). Tandems und Mentorings können vorgesehen werden, wenn der Know-how-Träger noch im Unternehmen beschäftigt ist oder aus dem Ruhestand
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in das Unternehmen zurückgeholt wird (vgl. Bosch Beraternetzwerke)30. Für die Übertragung vor allem impliziten Wissens müssen also längere Zeiträume und personelle Ressourcen eingeplant werden. Seit Mitte der 80er-Jahre entwickelt sich das Informationsmanagement als Vorläufer des Wissensmanagement als Schwerpunktthema der Managementliteratur (vgl. Dick/Wehner 2002, S. 5). Auch von Seiten der Bildungspolitik werden Projekte und Initiativen, v. a. zur Stärkung von Wissensmanagement in KMU gefördert und unterstützt. Dennoch steht eine breite Verankerung und Umsetzung von Praktiken des Wissensmanagements in der betrieblichen Praxis noch aus (vgl. Edler 2003, S. 4 ff.). Vor allem KMU begreifen im Gegensatz zu größeren Unternehmen Wissensmanagement noch nicht strategisch. Dementsprechend nimmt die Anzahl der genutzten Wissensmanagementinstrumente mit der Unternehmensgröße zu (vgl. Ilskensmeier 2001, S. 34 ff.). In KMU stellen sich Hausforderungen an das Wissensmanagement aufgrund der zu verzeichnenden häufigeren Mitarbeiterfluktuation in besonderem Maße, da die Organisationsstrukturen weniger ausdifferenziert und stärker an einzelnen Kompetenzträgern orientiert sind (vgl. Brake u. a., S. 8). Gerade KMU gilt es daher für die Notwendigkeit zur Anwendung von Strategien des innerbetrieblichen Wissenstransfers zu sensibilisieren. Im Vergleich mit Unternehmen in Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien liegen deutsche Unternehmen bei der Anwendung von Instrumenten, die eine intergenerationelle Wissensweitergabe befördern im oberen Mittelfeld: Altersgemischte Teams setzen beispielsweise 43 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland und Frankreich ein – in den Vergleichsländern sind es zwischen 32 (in Großbritannien) und 41 Prozent (in Spanien). Beim Einsatz von internen Online-Foren liegen die deutschen Unternehmen mit 52 Prozent mit Abstand vorne. Lediglich der Einsatz von internen Gelben Seiten wird in Deutschland – im Gegensatz zu den Vergleichsländern am wenigsten praktiziert (21 Prozent der deutschen Unternehmen setzen Gelbe Seiten ein, in Italien sind es 24 Prozent, Spitzenreiter ist Frankreich mit 37 Prozent) (vgl. Adecco 2008, S. 22).
2.2 Strategische Personalplanung Aufgrund der Tatsache, dass Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren knapp werden, gilt es für Unternehmen, die Frage des Personalrekruitings stärker strategisch zu betrachten (vgl. Brandenburg/Domschke 2007, S. 157). Im Besonderen kommt der Personalentwicklung eine stärkere Rolle zu, da verstärkt 30
Vgl. Fußnote 11
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auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den eigenen Reihen zurückgegriffen werden muss, die es über geeignete Entwicklungs- und Weiterbildungsmaßnahmen tätigkeitsbezogen zu qualifizieren gilt. Ebenso gilt es, Entwicklungs- und Austrittswünsche der Beschäftigten – jenseits kalendarischer Altersgrenzen wie dem gesetzlich vorgegebenen Rentenalter – zu erfassen, um rechtzeitig die Nachfolgeplanung einleiten zu können. Um eine Position im Unternehmen zu erfüllen, bedarf es, wie unter Punkt 3.1 bereits erwähnt, eines breiten Spektrums an inhaltlichem, kulturellem, sozialem, explizitem und implizitem Wissen. Dieses Wissen ist zum Teil Ergebnis eines langjährigen erfahrungsorientierten Aneignungsprozesses, den Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz durchlaufen. Ein strategisches Personalmanagement trägt dem Umstand Rechnung, dass persönliche Kompetenzen und Erfahrungen zusätzlich in jahrelanger praktischer Erfahrung, persönlicher Weiterentwicklung und Weiterbildung erworben werden, Beschäftigte langfristige Perspektiven in Unternehmen erhalten und ihr Austritt langfristig geplant werden kann. Gestaltbare Handlungsfreiräume für eine Karriereplanung ermöglicht beispielsweise die Quelle AG mit einem eigenen Programm der lebenszyklusorientierten Personalarbeit31. In diesem Programm werden Workshop-Reihen zur Weiterbildung mit personalstrategischen Maßnahmen kombiniert. Dieses Instrument ist nicht auf eine spezielle Altersgruppe fokussiert, sondern wird altersunabhängig, aber altersspezifisch angewandt. Lebenszyklusorientierte Personalpolitik der Quelle AG Als personalpolitische Strategie will die Quelle AG neue Laufbahnoptionen im Unternehmen anbieten. Im Rahmen eines dafür entwickelten Programms sollen selbst gestaltbare Handlungsfreiräume eröffnet, bereichsübergreifende Netzwerke aufgebaut und aktives praxisrelevantes Wissen erzeugt werden. Die lebenszyklusorientierte Personalarbeit gliedert sich hierbei in fünf Phasen: 1. 2. 3. 4. 5.
31
Erste Berufsphase – grundlegend – Klären durch Ausprobieren Phase der „30-er“ – erfolgsentscheidend – Festigen der beruflichen Erfahrung Mittlere Berufsphase – lebensentscheidend – Umfassende Integration von Vergangenheit und Zukunft Phase beruflicher Reife – altersentscheidend – Entwicklung neuer Perspektiven Aktivphase Ruhestand – abschließend – sinnvoll alt werden
Weiterführende Informationen: www.aeltere-arbeitnehmer.de (abgerufen am 10.03.2008)
282
Die Besonderheit des Ansatzes ist, dass die berufliche (Neu-)Orientierung in jeder dieser Phasen möglich ist. Ein geeignetes Instrument zur Ermittlung des gegenwärtigen und zukünftigen Qualifizierungsbedarfs im Falle des rentenbedingten Ausscheidens aus dem Betrieb stellt die Kompetenzanalyse nach Voelpel dar. In vier Phasen wird über die Bestandsaufnahme des aktuellen Wissens sowie die Rekrutierung und Auswahl der Nachfolger der Prozess der betrieblichen Personalentwicklung beschrieben (vgl. Voelpel u. a. 2007). Die Karriere- und Nachfolgeplanung ist eine Methode, über deren Verbreitung noch zu wenige Erkenntnisse vorliegen. Demzufolge können nur in Ableitung aus dem allgemeinen Einsatz von Personalmanagementstrategien Aussagen getroffen werden. Traditionell sind Großunternehmen, ähnlich wie im Bereich Wissensmanagement, den KMU im systematischen Einsatz strategischer und zukunftsbezogener Personalmanagementstrategien voraus, was vor allem dem Mangel finanzieller und persönlicher Ressourcen in KMU zuzuschreiben ist sowie deren primärer Ausrichtung am operativen Tagesgeschäft (vgl. HaufeAkademie/HRBlue 2002, S. 12). Im Vergleich mit Unternehmen im Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien liegen deutsche Unternehmen bei der Umsetzung alternsgerechter Personalsentwicklungsinstrumente wie der Altersstrukturanalyse vorne. Karrieremanagement nimmt in Deutschland aber im Vergleich zu diesen genannten Ländern eine untergeordnete Rolle ein: Während die befragten Unternehmen im Bereich Karrieremanagement durchschnittlich vier von neun Instrumenten anbieten32, sind es in deutschen Unternehmen nur drei (vgl. Adecco 2008, S. 14).
2.3 Arbeitszeitflexibilisierung: gleitend aus dem Berufsleben aussteigen Eine Möglichkeit zur Flexibilisierung des Ausstiegs über die Arbeitszeit ergibt sich durch Verträge mit reduzierter Stundenzahl: prominentestes Modell hierfür ist die aktuell noch staatlich subventionierte Altersteilzeit. Das Altersteilzeitmodell kann aktuell noch als Teilzeit- oder Blockvariante in Anspruch genommen werden, wobei das Blockmodell von Betrieben wie Beschäftigten stark favorisiert und fast ausschließlich genutzt wird (vgl. Lindecke/Voss-Dahm/Lehndorff 2007, S. 33). Doch gerade dieses ist im Unter32
Hierzu wurden Informationen über das Angebot von Lebensarbeitszeitmodellen, Stellenwechsel, Schaffung neuer Stellen, Förderung von High Potentials, Mentorenprogramme, Trainingsprogramme, interne Karriereberatung, externe Karriereberatung und individuelle Karriereberatung erhoben.
283
schied zu der Teilzeitvariante schlechter geeignet, um beispielsweise einen innerbetrieblichen Know-how-Transfer oder eine parallele Aufnahme eines außerberuflichen Engagements durch einen gleitenden Ausstieg zu gewährleisten. 2009 läuft die Phase der öffentlichen Förderung aus. Das Altersteilzeitmodell gilt als „teuer und anfällig für Fehlanreize“ (vgl. Kremer 2008, S. 27). Faktisch praktiziert schon heute ein hoher Anteil der Unternehmen Altersteilzeitregelungen ohne Zuwendungen des Staates, da nur rund ein Drittel der Stellen, die durch Altersteilzeit frei werden mit Arbeitslosen oder Auszubildenden besetzt werden (vgl. Kremer/ Meiners 2008, S. 28). Altersteilzeitmodelle existieren in fast allen europäischen Staaten (Finnland, Dänemark, Niederlande). In anderen Ländern sind nicht wie in Deutschland zwei unterschiedliche Varianten der Altersteilzeit vorgesehen. In Dänemark und den Niederlanden werden vor allem Varianten des Vorruhestands in Anspruch genommen (vgl. Kraatz et al. 2006, S. 5). Vorteil dieser Teilzeitvariante ist, dass während der Jahre reduzierten Arbeitens bereits parallel ein außerberufliches Engagement aufgenommen werden kann oder in dieser Zeit Maßnahmen des innerbetrieblichen Wissenstransfers durchgeführt werden können. Beim „Job-Sharing-Modell“ teilen sich mindestens zwei Beschäftigte einen Arbeitsplatz. Arbeitsplatzteilung bietet für den Beschäftigten den Vorteil, die Arbeitszeit und -dauer individuell zu gestalten (vgl. Voelpel u. a. 2007, S. 243). Vorteile dieses Modells für Unternehmen sind z. B. ein Gewinn an Wissen, mehr Kapazität bei hohem Arbeitsaufkommen und die verbesserte Möglichkeit, eine ausfallende Mitarbeiterin bzw. einen ausfallenden Mitarbeiter zu vertreten. Als kritisch sind der erhöhte Kommunikations- und Informationsaufwand zu betrachten. Als bislang noch eher selten genutzte Möglichkeit zur flexiblen und individuellen Gestaltung des Ausstiegs können des weiteren Arbeitszeitkontenregelungen betrachtet werden. Bei gleichbleibender Entlohnung können die Beschäftigten zyklische Schwankungen des Arbeitsaufkommens besser bewältigen. Auf den Konten können, je nach betrieblicher Vereinbarung, Plus- bzw. Minusstunden, nicht genommene Urlaubstage oder – bei geringerer Entlohnung und gleicher Arbeitszeit – ein entsprechender Wert an Arbeitszeit angespart werden, um diesen zu einem späteren Zeitpunkt einzulösen (vgl. BAuA 2008, S. 23). Mit diesen Konten können „sowohl die Lage als auch die Dauer der Arbeitszeit über den gesamten Erwerbsverlauf hinweg flexibilisiert“ (vgl. Flüter-Hofmann 2006, S. 16) werden. Neben Überstunden und stundenweisem Ausgleich kann auf diesem Weg auch ein längerer Ausstieg auf Zeit (Sabbatical) erfolgen, der häufig von jüngeren Beschäftigten gewählt wird. Alternativ kann ein schrittweiser Ausstieg aus dem Erwerbsleben über angesparte Arbeitszeit umgesetzt werden. Lebensarbeitszeitkonten finden in Deutschland noch wenig Verbreitung – im inter284
nationalen Vergleich liegen deutsche Unternehmen beim Einsatz von Lebensarbeitszeitmodellen mit 28 Prozent der befragten Unternehmen an vorletzter Stelle. In Spanien haben 25 Prozent der befragten Unternehmen, im Vereinigten Königreich über 48 Prozent, in Frankreich 55 Prozent und in Italien 69 Prozent der befragten Unternehmen Lebensarbeitszeitkonten im Einsatz. (Adecco 2008, S. 14). Flexible Arbeitszeitmodelle sind ein Gestaltungsfeld im Rahmen eines Ausstiegsmanagements und bieten Vorteile für Beschäftigte und Arbeitgeber: So können gesundheitliche Belastungen älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemindert und außerdem den Transfer von Wissen zwischen älteren und den nachfolgenden jüngeren Beschäftigten gefördert werden.
2.4 Projektbezogene Rückbindung: Fachwissen zurückholen, Lücken schließen Unter Rückbindung aus der Nacherwerbsphase sollen hier Modelle gefasst werden, bei denen verrentete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Unternehmen (zurück-)geholt werden. Hierdurch können Unternehmen also auf Wissen ehemaliger Beschäftigter zurückgreifen. Noch sind keine Daten zu dem Ausmaß von Rückholungen in Betriebe vorhanden. Das steigende Ausmaß der Erwerbstätigkeit im Rentenalter verweist allerdings auf eine zunehmende Relevanz dieses Themas: Seit 2003 ist die Zahl der Personen, die nach Erreichen des offiziellen Renteneintrittsalters (über 65 Jahre) weiterhin erwerbstätig sind, in Deutschland von 439.000 auf 543.000 im Jahre 2006 angestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt 2007). Die einzelnen Motive dieser Gruppe, eine Tätigkeit nach dem Renteneintritt aufzunehmen, können aus den Daten des Statistischen Bundesamtes nicht identifiziert werden. Gründe sind neben dem Wunsch, länger beruflich aktiv zu sein, das steigende Risiko von Altersarmut und das damit verbundene niedrige Einkommen. Insgesamt handelt es sich bei der entgeltlichen Tätigkeit in der Nacherwerbsphase in Deutschland und Europa noch um ein relativ seltenes Phänomen (vgl. Eurostat 2008, S. 131). Aus Perspektive der Betriebe weisen vor allem Artikel in der Tagespresse auf die steigende Relevanz und die Nutzung von Rückholungen in Unternehmen hin (vgl. WirtschaftsWoche vom 28.05.2008). In der Regel sind Führungskräfte und Hochqualifizierte betroffen, wie das Beispiel der Asea Brown Boveri in der Schweiz zeigt33.
33
Weiterführende Informationen: www.arbeitundalter.at (abgerufen am 18.02.2008)
285
Förderung des Ausstiegs bei der ABB (Asea Brown Boveri) in der Schweiz Asea Brown Boveri ist ein Schweizer Unternehmen in der Energie- und Automationstechnik. Das Unternehmen gründete die ABB Consulting AG, die auf folgenden Prinzipien beruht: Die oberen Kadermitglieder der ABB treten im Alter von 60 Jahren obligatorisch aus der Firma aus. Es steht ihnen anschließend frei, ob sie die vorzeitige Pensionierung mit 60 Jahren wählen oder ob sie in die ABB Consulting AG eintreten. In diesem Fall steht ihnen jedoch kein Beschäftigungsanspruch zu. Sie müssen ihr Arbeitspensum selbst akquirieren. Selbst wenn die Personen in die Consulting AG eingetreten sind, können sie jederzeit zum Monatsende zwischen dem 60. und dem 65. Lebensjahr in Pension gehen. Die ABB Consulting AG bietet Dienstleistungen in vier verschiedenen Tätigkeitsfeldern an: Führungsfähigkeit, Spezialwissen, Öffentlichkeitsarbeit und Übernahme öffentlicher Mandate. Dieses Modell sieht die Beschäftigung verrenteter Experten über eine eigens für diesen Zweck gegründete Aktiengesellschaft vor, die Organisations- und Dienstleistungsaufgaben zur Vermittlung der ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt. Die Installation der ABB Consulting AG hat also die Funktion einer Art Beschäftigungsgesellschaft, über die eine Beschäftigung ehemaliger erfahrener Beschäftigter möglich wird und das Wissen für das Unternehmen länger erhalten bleibt. Ebenso kann durch die Freiwilligkeit des Angebots den Interessen der ehemaligen Beschäftigten entsprochen werden. Möglichkeiten zur Berufstätigkeit nach Renteneintritt sind trotz rechtlicher Einschränkungen in Deutschland bereits gegeben. So existieren mehrere vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Beschäftigung von bereits verrenteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: vor allem geringfügige Beschäftigungen oder freiberufliche Tätigkeiten im Rahmen von Dienst-, Arbeits-, und Werkverträgen bieten sich als Vertragsformen an34..Eine befristete abhängige Beschäftigung eines vormals unbefristet beschäftigten Arbeitnehmers ist jedoch nicht möglich (vgl. Teilzeit- und Befristungsgesetz §14).
34
Vgl. §§ 611ff BGB; 631ff BGB
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Abbildung 2:
Vertrragsvarianten mit Rentenbeziehern
Den Wünschen vonn Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu einem betrieeblichen Einsatz jenseits des Renteneintritts kann durch die zuvor vorgestellten Vertragsw Mit einem politischen Kurswechsel von der Fördearten entsprochen werden. rung der Frühverrenntung hin zu einer Unterstützung des verlängerten beruuflichen Engagements wird Berufstätigkeit B bei Rentenbezug über dem gesetzlicheen Renteneintrittsalter zudeem honoriert: Rentner und Rentnerinnen über 65 Jahrren dürfen ohne Abschlägee zu ihrer Rente hinzuverdienen und sind der Abgabepflicht zur Renten- und Sozzialversicherung enthoben. Es bestehen aber noch gesetzliche Hürden bei der Beschäftigung voon Rentenbeziehern, insbessondere bei denen, die vor dem gesetzlichen Renteneinntrittsalter in den Ruhestandd gehen: Eine vorzeitige Verrentung führt zu Rentenaabschlägen. Zuverdienstmöglichkeiten vor Erreichen des 65. Lebensjahres sind begrenzt b und führen bei Überrschreitung dieser Grenzen zu einer Kürzung der Rentte (SGB IV § 34). Die Zuverrdienstgrenzen errechnen sich individuell nach dem EinkomE men der letzten dreii Erwerbsjahre, dem Beschäftigungsort (alte oder neuue Bundesländer) und der Höhe H des zusätzlichen Einkommens.
3
Ausblick und Handlungsbedarf H
Der Austritt aus dem m Erwerbsleben ist ein neuralgischer Punkt, an dem die d Interessen von Staat, Wirtschaft W und der einzelnen Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer zusammentrreffen. Sollen vor dem Hintergrund einer Erhöhung der d Flexibilisierung des Auusstiegs, einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit, dem d Erhalt der Beschäftiguungsfähigkeit und der Beschäftigungsmotivation Älteerer Bedingungen angepassst werden, so bedarf es neben weitergehenden Forschuungsansätzen auch Strategiien der Politik, um den strukturellen Rahmen zur Ausgestaltung betrieblicher Ausstiegsmodelle A herzustellen. Handlungsbedarf bestteht auf allen drei Ebenen: Organisation, O Individuum und System.
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3.1 Ebene der Organisationen (Unternehmen) Konzepte zur Gestaltung eines Ausstiegsmanagements im Rahmen der Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels sind im betrieblichen Kontext noch wenig verankert. Die Ursachen liegen oftmals darin, dass zum einen der Sensibilisierungsprozess noch nicht weit genug vorangeschritten ist und zum anderen vor allem in KMU das operative Tagesgeschäft vordringlich ist. Langfristig ausgerichtete strategische Planungen, wie die Entwicklung von Konzepten zur Bewältigung der Alterung der Belegschaft mit Folgen für die Fachkräfterekrutierung und -entwicklung, werden vernachlässigt (vgl. Edler 2003, S. 6; Ilskensmeier 2001, S. 38). Weiterhin sind nicht ausreichende personelle und materielle Ressourcen ursächlich für fehlende betriebliche Initiativen in diesem Sektor. Zwar werden in KMU beispielsweise einzelne Instrumente des Wissensmanagements z.B. zur Wissensweitergabe von Älteren auf Jüngere eingesetzt, diese sind aber nicht mit den im Kapitel 3 skizzierten Dimensionen und Instrumenten zu einem ganzheitlichen Modell (Ausstiegsmodell) zusammengeführt (vgl. Brake u.a. 2006, S. 8). Vor diesem Hintergrund lassen sich folgende Empfehlungen zur Unterstützung der Etablierung eines Ausstiegsmanagements in Unternehmen ableiten:
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Der Sensibilisierungsprozess für Betriebe (insbesondere KMU) ist weiter zu unterstützen. Die betriebliche Knappheit zeitlicher und personeller Ressourcen verlangt nach Unterstützungs- und Informationsinstrumenten wie Handlungsleitfäden, um Beispiele guter Praxis weiter zu tragen. Dazu bedarf es Sensibilisierungskampagnen mit Informationsveranstaltungen. Entscheidend auf Ebene der Organisation ist, dass insbesondere KMU Unterstützung benötigen, Ausstiegsmodelle zu entwickeln und einzuführen. Vorzugsweise in den KMU ist der Beratungsbedarf groß: beginnend mit den juristischen Fragen wie Beschäftigungsmöglichkeiten, Integration praktikabler Instrumente des Wissenstransfers bis hin zu regionalen Fördermöglichkeiten zur Umsetzung von Ausstiegsmodellen. Ein regionales Übergangsmanagement sollte daher unternehmensbezogene Beratungsdienstleistungen integrieren, wie dies in einzelnen Lernenden Regionen bereits wahrnehmbar ist, allerdings speziell fokussiert auf Aspekte der Entwicklung von Ausstiegsmodellen. Qualifizierungsberatung als organisationsbezogene Beratungsdienstleistung kann dazu einen Beitrag leisten (vgl. Döring u. a. 2008). Beratungsdienstleistungen können über bestehende Strukturen wie Kammern und Verbände angeboten werden. Die beratenden Institutionen sollten organisatorisch und
personell in die Lage versetzt werden, diese Beratungsleistung anbieten zu können. Daher spielt der Aspekt der Professionalisierung in diesem Kontext eine wichtige Rolle: Die Qualifizierung der Beraterinnen und Berater selbst sollte in die Richtung gehen, Kompetenzen zum Thema Ausstiegsmanagement einschließlich handhabbarer Instrumente aufbauen zu können. Der Aufbau und das Angebot regionaler Beratungsstrukturen für Betriebe beinhaltet somit nicht nur die Etablierung eines Beratungsangebotes selbst, sondern auch die Qualifizierung der beratenden Akteure. Dazu kann die Entwicklung von Weiterbildungsangeboten (wissenschaftliche Weiterbildung) zusammen mit Bildungsdienstleistern und Hochschulen einen nachhaltigen Beitrag zur Etablierung derartiger regionaler Strukturen leisten.
3.2 Ebene der Individuen Die erkennbaren Wünsche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sich nach dem Eintritt in den Ruhestand beruflich zu engagieren, gilt es zu fördern, zu unterstützen und institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, um individuellen und erkennbaren Gestaltungswünschen des Übergangs gerecht zu werden und dort, wo es gewünscht ist, verlängerten beruflichen Einsatz zu ermöglichen. Die persönliche Entscheidung des Renteneintritts ist nicht nur vom jeweiligen Qualifikationsniveau und der Art der ausgeübten Tätigkeit abhängig, sondern auch von weiteren Faktoren wie Gesundheit, Weiterbildungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen, ökonomischen Verhältnissen und familiärer Situation (vgl. Wübbeke 2005, S. 50 ff.). Folgende Empfehlungen zur Unterstützung der Interessen des Individuums lassen sich ableiten:
Um konkret den Übergang vom Erwerbsleben in die Nacherwerbsphase flüssiger zu gestalten und vorhandene Potenziale sowohl für Unternehmen als auch für die Gesellschaft nicht verloren gehen zu lassen, bedarf es einer stärkeren Vernetzung von Unternehmen, Kommunen, Bildungseinrichtungen und Älteren in einem regionalen Kontext. Hier gilt es, vor allem Zugangsmöglichkeiten zu Beschäftigungsformen, die die jeweiligen Qualifikationen und individuellen Gestaltungswünsche der Älteren berücksichtigen, zu schaffen. Mögliche Instrumente, um MatchingProzesse zwischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarfen sowie der Nachfrage seitens älterer Menschen zu verbessern, können die in 289
einen regionalen Kontext eingebetteten zentralen Informationsstellen mit dem Ziel der Information und Vermittlung von Arbeitskräften in Unternehmen sein. Personenbezogene Beratung als lebensbegleitendes Angebot zur Unterstützung bei der Planung und Realisierung von Übergangen in die Nacherwerbsphase sollte als ein betriebsübergreifendes regionales Angebot etabliert werden und kann durch Berater von Betrieben oder Kommunen betrieben werden.
3.3 Ebene des Systems (rechtliche Grundlagen) Das Rentensystem in Deutschland rahmt und definiert den Übergang in die Rente. Hier gilt es, das bestehende System weiter daraufhin zu prüfen, inwiefern es Möglichkeiten zur Gestaltung des Übergangs in Abhängigkeit der Bedarfe von Unternehmen und Arbeitnehmern gibt. Es gilt, rechtliche Rahmenbedingungen förderlich zu gestalten. Die Ebene des Systems stellt die Rahmung des organisations- und individuumbezogenen Handlungsbedarfs dar, um einen flexiblen Übergang in die Nacherwerbsphase gestalten zu können. In Bezug auf Arbeitszeitregelungen lassen sich aus obigen Darstellungen folgende Anregungen und Themen für notwendige Aushandlungsprozesse zwischen den Sozialpartnern ableiten:
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Arbeitszeitkonten können einen gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben unterstützen. Besonders geeignet sind in diesem Zusammenhang Kontenmodelle, die einen langfristigen Auf- und Abbau der Zeitguthaben zulassen. Es existieren bereits Möglichkeiten zur Gestaltung solcher Konten. Insbesondere gilt es, die Verbreitung dieser Kontenmodelle zu fördern. Ein in diesem Themenfeld von den Sozialpartnern vorzunehmender Aushandlungskontext betrifft die sozial und wirtschaftlich verträgliche Umsetzung von Arbeitszeitkonten und die Absicherung des Zeit-/Wertguthabens beispielsweise gegen Insolvenz (vgl. BDA 2008; Seifert 2008). Die staatlich subventionierte Altersteilzeit wurde bislang als Mittel zur vorzeitigen Verrentung genutzt (vgl. Stößel 2006, S. 9). Während von gewerkschaftlicher Seite nun auf die Verlängerung der öffentlichen Förderung bei der Altersteilzeitregelung gedrängt wird, winken die Arbeitgeber eher ab. Sie signalisieren einen Bedarf, ältere Beschäftigte länger im Unternehmen zu halten (vgl. Wirtschaftswoche vom 2. Juli 2008).
Modelle in Anlehnung an die Altersteilzeitvariante sollten allerdings einen stärkeren Fokus auf Teilzeitbeschäftigung legen. Das Rentensystem in Deutschland basiert auf einem gemeinschaftlich organisierten Umlageverfahren. Alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beteiligen sich automatisch daran, zahlen in die Rentenkassen ein und erhalten dadurch ein Anrecht auf spätere Rentenzahlungen. Parallel zu der auf EU- und Bundesebene beschlossenen Anhebung des Renteneintrittsalters wird seit einiger Zeit über die Flexibilisierung des Ausstiegs diskutiert. Entscheidend sind dabei bereits existierende Möglichkeiten zum Ausstieg vor oder nach dem gesetzlichen Renteneintrittsalter:
Bei der Verhandlung von Rentenabschlägen sowie eines flexiblen Renteneintritts gilt es außerdem zu berücksichtigen, dass diese nicht ohne die Förderung von Maßnahmen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und den Einsatz weiterreichender Maßnahmen zum Abbau der hohen Erwerbslosigkeit in der Gruppe der über 55-Jährigen diskutiert werden können. Denn der existente ungleiche Zugang von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (vor allem Älterer) zum Arbeitsmarkt verschlechtert ihre Situation im Rentenalter durch niedrigeren Rentenbezug (vgl. Kistler/Ebert 2007). Und zwar insbesondere dann, wenn sie ihn vorzeitig aus der Arbeitslosigkeit heraus in Anspruch nehmen. Die Diskussion über und Aushandlung von rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Sozialpartner sollten dementsprechend auch diese Punkte berücksichtigen.
Die akzentuierte Betonung einer staatlichen Rentenversicherung begrenzt flexible Handlungsspielräume. Der Vergleich mit anderen Ländern wie der Schweiz oder Australien zeigt, dass die Anteile privater Vorsorge im Rentenkonzept in Deutschland eher unterrepräsentiert sind. Es ist zu prüfen, ob das derzeitige Umlageverfahren des deutschen Rentenversicherungssystems (GRV) die notwendige Flexibilität zur Bewältigung der zukünftigen demografischen Veränderungen mit sich bringt. Daher ist zudem zu prüfen, ob die Bewältigung anstehender Probleme durch eine Umstellung des derzeitigen Umlageverfahrens der GRV auf ein teilweise kapitalgedecktes System möglich ist. Hierbei gilt es allerdings, sorgfältig mögliche Konsequenzen zu prüfen, da die finanzielle Vorsorge durch die Einkommenssituation des Einzelnen und durch die individuellen finanziellen Möglichkeiten beeinflusst wird. Erste Schritte in die Richtung des Ausbaus der privaten Altersvorsorge wurden bereits durch Modelle wie die Riester-Rente eingeleitet. Deutlich ist, dass die Umstellung selbst über einen langen Übergangszeitraum erfolgen muss, um Doppelbelastungen der Übergangsgeneration 291
(Zahlung der Rentenbeiträge/Rente für die Rentnerinnen und Rentner und Bildung eines eigenen Kapitalstocks) zu vermeiden. Zur erforderlichen Information der Bürger über die Möglichkeiten der sozialen Absicherung im Alter sollten unabhängige staatliche Beratungsstellen geschaffen werden, die einen umfassenden Überblick über alle Möglichkeiten der Altersvorsorge geben und auf diese Weise eine zentrale, objektive Beratung gewährleisten. Eine Flexibilität des Übergangs in die Nacherwerbsphase setzt voraus, dass die Finanzierung und Vorsorge für den Einzelnen geregelt ist und vor allem rechtzeitig ein Vorsorgekonzept entwickelt und umgesetzt wird.
3.4 Weitergehender Forschungsbedarf Ausstiegsmodelle zum Übergang von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase sind für Unternehmen von entscheidender Bedeutung, da es für sie künftig verstärkt darum gehen wird, mit einer älter werdenden Belegschaft wettbewerbsfähig zu bleiben und das Know-how ihrer Erfahrungsträger trotz Verrentungswellen im Unternehmen zu halten. Solche Ausstiegsmodelle beinhalten Wissensmanagementprozesse ebenso wie eine frühzeitige, transparente und nachhaltige Kompetenz- und Nachfolgeplanung sowie flexibel gestaltbare Arbeitszeitmodelle, die einen gleitenden Ausstieg ermöglichen. Solche Instrumente werden in der betrieblichen Praxis von einzelnen Unternehmen durchaus eingesetzt, haben aber bisher noch nicht die nötige Aufmerksamkeit erhalten, wenn es darum geht, Strategien für den Umgang mit alternden Belegschaften zu entwickeln und dem demografischen Wandel mit einem ganzheitlich angelegten Alternsmanagement zu begegnen. Hier besteht für einen Großteil der Unternehmen in Deutschland noch Nachholbedarf. Gleichzeitig besteht auf Forschungsseite die Notwendigkeit, Modelle und Konzepte zu entwickeln, die Unternehmen angeboten und die bedarfsgerecht umgesetzt werden können. Dieser Bedarf wird in der Forschung durchaus erkannt. Zahlreiche Publikationen thematisieren die Herausforderungen des demografischen Wandels für Wirtschaft und Gesellschaft und unterstreichen die Notwendigkeit einer betrieblichen Personalpolitik, die lebensphasengerecht auf die Mitarbeiter reagiert und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Betriebs sichert. Jedoch werden in der Forschungsliteratur nahezu keine Austrittsmodelle als Gesamtkonzept eines Ausstiegsmanagements thematisiert. Zwar werden etliche Handlungsfelder im Umgang mit dem demografischen Wandel identifiziert, für einzelne Bereiche – insbesondere für Wissenstransferprozesse – werden zahlreiche Instrumente und Konzepte vorgestellt. Aber es existiert kein Ansatz mit konkreten Hinweisen und Konzepten, wie von Unternehmensseite Austrittsmo292
delle für Ältere zu gestalten sind. Beispielsweise wird die Notwendigkeit der Flexibilisierung von Arbeitsprozessen, Arbeitszeiten und Renteneintrittsmodellen durchaus erörtert. Die festgestellten Notwendigkeiten werden auch häufig mit guten Beispielen aus der Praxis untermauert. Dennoch fehlt es in der Folge an Ableitungen von praxisbezogenen, unternehmensübergreifenden Austrittsmodellen aus diesen Best-Practice-Beispielen. In diesem Zusammenhang bedarf es einer weitergehenden Forschungsarbeit, die Szenarien entwickelt, wie Unternehmen unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit die Beschäftigungsfähigkeit ihrer (älteren) Beschäftigten erhalten und verlängern können. Zudem geht es darum, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger in Beschäftigung zu halten bzw. wichtige Mitarbeiter überhaupt längerfristig ans Unternehmen zu binden. Hierfür gilt es die Frage zu erörtern, wie sinnvoll gestaltete Modelle zur Förderung eines schrittweisen Ausstiegs im Rahmen des Übergangsmanagements aussehen könnten.
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Strategien zur Aktivierung und Kontinuierung bürgerschaftlichen Engagements Älterer Kornelius Knapp 1
Stellenwert bürgerschaftlichen Engagements im demografischen Wandel
Bürgerschaftliches Engagement stellt eine wichtige Tätigkeitsperspektive für die Zeit nach der Erwerbstätigkeit dar. Wenn die Nacherwerbsphase erreicht ist und neue den Alltag strukturierende Aufgaben und Tätigkeiten in den Blick kommen, ist das Engagement für viele ein wichtiges Medium, um sich gesellschaftlich aktiv einzubringen und gleichzeitig Anerkennung zu erhalten. Bürgerschaftliches Engagement kann das Leben nach dem Übertritt in die neue Lebensphase strukturieren und ihm Sinn verleihen. Der Übertritt von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase erscheint dann nicht als ein Ausstieg, sondern lediglich als ein Wechsel in der Form der Aktivität. Was ehemals unter dem Begriff des Ehrenamtes verhandelt wurde, wird heute zumeist unter dem Begriff des bürgerschaftlichen Engagements diskutiert. Der ältere Begriff erscheint nicht mehr angemessen, weil bürgerschaftliches Engagement heute kaum noch in Form eines Amtes geleistet wird, das Ehre einbringt. Zusätzlich kursieren unterschiedliche Begriffe wie Freiwilligenarbeit, Zivilengagement oder Laienhilfe, die jeweils andere Assoziationen wecken (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 200 f.; BMFSFJ 2005b, S. 49 f.; Schüll 2004, S. 18 ff.). Aufgrund dieser begrifflichen Vielfalt sind die Bestimmungen des Gegenstandes unterschiedlich. Eine Folge ist, dass sich Aussagen zur Situation des Ehrenamtes aus unterschiedlichen Studien nur schwer vergleichen lassen (vgl. Künemund 2006, S. 324). Aktuell scheint sich der Begriff „Bürgerschaftliches Engagement“ durchzusetzen und mit ihm die Definition, die die Enquetekommission des deutschen Bundestages „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ vorgelegt hat. Demnach zeichnet sich bürgerschaftliches Engagement dadurch aus, dass die Tätigkeiten freiwillig erbracht werden, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet (die vielfach bezahlte Aufwandsentschädigung bleibt dabei unbeachtet), gemeinwohlorientiert und im öffentlichen Raum angesiedelt sind sowie in der Regel gemeinschaftlich, also kooperativ ausgeübt werden (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 341).
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Bürgerschaftliches Engagement ist nicht nur dem Einzelnen von Nutzen, indem er durch eine neue Tätigkeits- und Erfahrungsperspektive gesellschaftliche Anerkennung findet und zugleich seine psychische und physische Konstitution festigt (vgl. Grimm/Spring/Dietz 2007; Grimm u. a. 2006, S. 8). Auch aus gesellschaftlicher Sicht lässt sich ein Nutzen feststellen. Die Älteren verfügen über vielfältige Kompetenzen, die für die Gesellschaft von Bedeutung sein können. Insbesondere im Zusammenhang mit den demografischen Veränderungen werden die Älteren als wichtige Akteure gesehen (vgl. Backes 2006, S. 63 ff.; Naegele/Rohleder, 2001). Ihr gesellschaftliches Engagement kann helfen, die kommenden Herausforderungen, wie sie beispielsweise mit dem demografischen Wandel zu erwarten sind, zu meistern. Dies gilt in besonderer Weise für die sozialen Sicherungssysteme. Nachdem diese in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter ausgebaut wurden, erkennt man nun die Grenzen der staatlichen Versorgungsnetze. Ergänzend zu den öffentlichen Systemen sollen die Leistungen auf mehr Schultern verteilt werden. Neben dem Ausbau der privaten Vorsorge, werden in zunehmendem Maße Stimmen laut, das bürgerschaftliche Engagement stärker in die Versorgung einzubeziehen. Demnach soll künftig beispielsweise die Pflege, insbesondere die Altenpflege eine kooperative Aufgabe werden, bei der familiäre, professionelle und ehrenamtliche Kräfte zusammenarbeiten (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 349; Rothgang/Preuss 2006, S. 10; Dörner 2007). Schon heute zeichnen sich Ansätze für eine Entwicklung in diese Richtung ab. Im Bundesmodellprojekt „Pflegebegleiter“ unterstützen eigens ausgebildete bürgerschaftlich Engagierte die häusliche Pflege35. In eine ähnliche Richtung geht die sukzessive Einführung der Pflegestützpunkte, denn sie ermöglichen die Kooperation mit bürgerschaftlich Engagierten im Bereich der Pflege. Generell und über die Pflege hinaus kann von einem anhaltenden Bedarf an bürgerschaftlichem Engagement ausgegangen werden. Nicht nur in Betreuung und Pflege, sondern auch in den Bereichen Politik, Bildung, Kultur und Umwelt werden auch künftig freiwillige Helferinnen und Helfer gebraucht. Wenn das bürgerschaftliche Engagement ausgebaut werden soll, sind die gesellschaftlichen Ressourcen zum bürgerschaftlichen Engagement systematisch zu nutzen. Wie das bürgerschaftliche Engagement als Tätigkeitsperspektive in der Nacherwerbsphase gestärkt werden kann, zeigt der vorliegende Beitrag. Neben der gesellschaftlichen Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements ist es in der Nacherwerbsphase eine wichtige Strategie zum Übergangsmanagement Älterer. Dabei geht es darum, wie die Phase nach dem Beruf aktiv gestaltet werden 35
Weiterführende Informationen unter: www.pflegebegleiter.de (abgerufen am 15.09.2008)
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M wie das bürgerschaftliche Engagement eine Persspektive kann. Indem dem Maße, für ein erfülltes Lebben in der Nacherwerbsphase wird, verhilft es zu einnem erfolgreichen Einstieg in eine neue und ebenfalls produktive Lebensphase.
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Bürgerschaftlicches Engagement in der Nacherwerbsphase
E ist in ganz Europa weit verbreitet. Dies gilt g auch Bürgerschaftliches Engagement für die Menschen in i der zweiten Lebenshälfte. Insgesamt leistet jederr zehnte Europäer, der das 50. Lebensjahr überschritten hat, freiwillig unbezahltee Arbeit (vgl. Corda/Gonzaleez-Chapela 2005, S. 265). Wie groß die Unterschiedde zwischen den Ländern sind, s zeigt Abbildung 1.
Abbildung 1:
Beteiligung an bürgerschaftlichem Engagement nach Altersgrupppen in Prozent (vgl. Hank/Erlinghagen 2005, S. 260; eigene Darstellungg)
Die Daten verdeutlicchen die weite Verbreitung des Engagements. Zugleicch zeigt sich auch, dass die Menschen in der zweiten Lebenshälfte mehrheitlicch nicht bürgerschaftlich enggagiert sind. In Deutschland steigt das bürgerschaftlicche Engagement im Lebensverlauf bis in die Lebensmitte, um dann allmählich und u erst in der letzten Lebennsphase deutlich abzunehmen. Nach wie vor sind diie Menschen in der Nacherrwerbsphase weniger bürgerschaftlich engagiert als beeruflich Aktive (vgl. BMFSF FJ 2005b, S. 67). Dem steht entggegen, dass Ältere im Vergleich zu Jüngeren, die noch n erwerbstätig sind, in der d Nacherwerbsphase über Ressourcen verfügen, diee sie für bürgerschaftliches Engagement E geradezu prädestinieren.
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Finanzielle Absicherung: Nach wie vor sind die meisten Rentnerinnen und Rentner in ausreichendem Maße durch die gesetzliche und private Rentenversicherung abgesichert. Hinzu kommen noch Vermögenswerte wie Immobilienbesitz. Auch wenn es immer wieder und wohl künftig in verstärktem Maße zu Fällen der Altersarmut kommt (vgl. Giersberg 2008, S. 40 f.), ist die gegenwärtige Generation der Rentenbezieher finanziell gut situiert. Familiäre Ungebundenheit: Da die Kinder trotz steigendem Alter der Eltern bei der Geburt zum Zeitpunkt des Renteneintritts der Eltern längst selbstständig sind, ist die Phase der Betreuung der eigenen Kinder abgeschlossen. Wenn sich nicht die Pflege des eigenen Partners, der Eltern oder Schwiegereltern oder nahestehenden Verwandten an die Stelle der Kinderbetreuung anschließt, ist eine familiäre Ungebundenheit vorhanden. Vergleichsweise hohe Leistungsfähigkeit: Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer kann, statistisch gesehen, im Alter von 65 Jahren mit durchschnittlich 17,9 Jahren weiterer Lebenszeit rechnen, und hat er das 80. Lebensjahr erreicht, kann er durchschnittlich weitere 8,3 Jahre erwarten (vgl. BMFSFJ 2007, S. 15). Aufgrund der deutlich verbesserten medizinischen Versorgung wird die Zeit nach der Berufstätigkeit in vermehrtem Maße bei körperlicher und geistiger Gesundheit mit weitgehender Leistungsfähigkeit verbracht (vgl. Kruse 2008, S. 24 f.). Zeitliche Verfügbarkeit: Studien belegen, dass Menschen in der Nacherwerbsphase über mehr freie Zeit verfügen. Im Vergleich zu Erwerbstätigen haben über 60-jährige Männer durchschnittlich knapp zwei Stunden und Frauen knapp eineinhalb Stunden mehr frei verfügbare Zeit, die für Kultur, Sport, Unterhaltung oder bürgerschaftliches Engagement genutzt werden. Der Wegfall der beruflichen Pflichten gibt demnach Raum für Tätigkeiten, die bislang aus Zeitgründen nicht möglich waren (vgl. Menning 2006, S. 450 ff.).
Auch wenn die Voraussetzungen gegeben und die Rahmenbedingungen günstig sind, sind viele Ältere nicht bürgerschaftlich aktiv. In verstärktem Maße können sie demnach als Zielgruppe zur Aktivierung zum bürgerschaftlichen Engagement angesehen werden. Dazu ist hilfreich, die Gruppe der Inaktiven zu differenzieren. Es gibt Menschen, die weder aktiv sind noch aktiv sein wollen, und es gibt Menschen, die nicht aktiv sind, es sich aber gut vorstellen können (vgl. Abbildung 2). Diese zweite Gruppe der bürgerschaftlich Interessierten lässt sich prinzipiell durch kurzfristige Werbestrategien erreichen, wohingegen die Gruppe der bürgerschaftlich Desinteressierten nur durch langfristige Aktivitäten gewonnen 300
werden kann. Entscheidend für deren Gewinnung zum bürgerschaftlichen Engagement ist die Tatsache, dass die Bereitschaft zum Engagement mit beruflichem Erfolg, hohem Bildungsniveau und schon früheren Erfahrungen bei bürgerschaftlichen Einsätzen positiv korreliert (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 364; Erlinghagen 2007, Naegele/Rohleder 2001, S. 5).
100% 50% 0% 45-54 Abbildung 2:
55-64
65-74
ab 75
Bürgerschafltich Desinteressierte Bürgerschaftlich Interessierte Bürgerschaftlich Engagierte
Interesse an bürgerschaftlichem Engagement nach Altersgruppen (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 361, eigene Darstellung)
Angesichts der Tatsache, dass die Bereitschaft für bürgerschaftliches Engagement stark davon abhängt, dass schon Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt wurden, wiegt die Tatsache schwer, dass Berufstätige oft nicht über die erforderlichen Ressourcen für ein bürgerschaftliches Engagement verfügen. Häufig ist es der Fall, dass die prinzipielle Bereitschaft für bürgerschaftliches Engagement aus Zeitmangel nicht realisiert werden kann. Lange Arbeitszeiten insbesondere bei Führungskräften, wechselnde Arbeitszeiten bei Schichtarbeitern oder lange Fahrtwege bei Pendlern können das Engagement verhindern (vgl. Olk/Klein 2008). Die Abstinenz Berufstätiger bringt das Problem mit sich, dass diese im Alter nur schwer für bürgerschaftliches Engagement gewonnen werden können. Mangelnde Vorerfahrungen stehen dann dem Eintritt in das Engagement entgegen. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigen, dass das bürgerschaftliche Engagement gesteigert werden kann. In allen Alterskohorten der Gesellschaft hat die Verbreitung des bürgerschaftlichen Engagements zugenommen. Die Gruppe der über 65-Jährigen hat dabei überdurchschnittliche Zuwachsquoten. Von 1985 bis 2005 ist eine Steigerung des bürgerschaftlichen Engagements der über 50-Jährigen um gut 10 Prozent in den alten und von 1992 bis 2005 von gut 7 Prozent in den neuen Bundesländern zu verzeichnen (vgl. Erlinghagen 2008, S. 102 f.). Bestätigt werden diese Daten durch den Vergleich der beiden Freiwilligensurveys von 1999 und 2004 (vgl. Abbildung 3).
301
Abbildung 3:
Freiwillig Engagierte nach Altersgruppen 1999 und 2004 (vgl. BMFSFJ 20055b, S. 67; eigene Darstellung)
b Engagement ist, das belegen verschhiedene Der Zuwachs beim bürgerschaftlichen Studien, mit einem Wandel in der Motivation zum bürgerschaftlichen EngageE ment einhergegangeen. Der Wandel vollzog sich in den letzten Jahrzehntten von der Ausrichtung auff Pflichterfüllung und Altruismus hin zu eher ereignis-, spaßund selbstverwirklicchungsbezogenen Motiven (vgl. Backes 2006, S. 69; Student 2008, S. 2; BMBF 2005a, 2 S. 342 f.; Hepp 2001). Gleichwohl sich dieser Wandel W erst allmählich bei den d Älteren ausprägt, lässt sich dennoch von einem allgemeinen Trend sprechenn, bei dem sich die in der Vergangenheit leitenden Motive „Pflicht“ und „Veranntwortung“ mit den neuen Motiven verschmelzen (vggl. Hepp 2001, S. 32; BMFS SFJ 2005b, S. 96 ff.; Kolland/Oberbauer 2006, S. 166). 1 In dieser intrinsischen Motivation zum bürgerschaftlichen Engagement kannn man n Selbstbewusstsein sehen, das sich nicht zulettzt über ohne weiteres ein neues Ansprüche an die Arbeit A zeigt. Dies bringt neue Anforderungen an die AktivieA rung von freiwilligen Helfern mit sich. Zur Aktivierung genügt es deemnach mmuninicht, Tätigkeiten annzubieten und die Notwendigkeit der Tätigkeit zu kom zieren. Es ist erfordeerlich, plausibel zu machen, welchen Nutzen bürgerschhaftlich Engagierte durch diie Arbeit haben können (vgl. Bertelsmann Stiftung 2007, 2 S. 12). Die freiwilligenn Helfer und Helferinnen erwarten beispielsweise Annerkennung ihrer Leistunggen, Weiterbildungsmöglichkeiten und verantwortunngsvolle Tätigkeitsfelder (BM MFSFJ 2005b, S. 101 ff.). Projekte und Einrichtunggen, die diese neuen Wünschhe berücksichtigen, können äußerst erfolgreich in der Rekrutierung neuer bürgerrschaftlicher Kräfte sein (vgl. Student 2008). Der Wunsch von v bürgerschaftlich Engagierten, anspruchsvolle undd bereichernde Aufgaben zu z übernehmen, korrespondiert mit den vielfältigen KompeK 302
tenzen der Interessierten. Projekte, Initiativen und Einrichtungen tun gut daran, die beruflich bewährten Kompetenzen im Engagement aufzugreifen. Da die Gruppe der Senioren vielfach über wichtige Kompetenzen, Erfahrungen und Fertigkeiten verfügen, können sie auch verantwortungsvolle Tätigkeiten übernehmen. In unterschiedlichen Projekten und Initiativen werden sie direkt als Kompetenzträger angesprochen. Dabei gilt es, das Wissen und Können der Älteren auch nach dem Beruf für die Gesellschaft zu erschließen. Im Projekt „Erfahrungswissen für Initiativen“ (EFI) wurden Ältere beispielsweise zu so genannten „SeniorTrainernInnen“ ausgebildet36 oder in der Lernenden Region Schwandorf sind so genannte „SeniorBeraterInnen“ im Einsatz37. Menschen in der Nacherwerbsphase werden dann nicht nur als tatkräftige Helfer eingesetzt, sondern auch ihr reichhaltiges Wissen und ihre wertvolle Erfahrungen für Projekte und gemeinnützige Einrichtungen genutzt. Ein großes Potenzial für ein bürgerschaftliches Engagement bietet die Baby-Boomer-Generation der 60er-Jahre. Die Generation ist gut ausgebildet und finanziell gut ausgestattet. Damit sind die Voraussetzungen gegeben, dass das bürgerschaftliche Engagement in den nächsten Jahren zunehmen kann. Um diese Chance zu nutzen, ist es erforderlich, Strategien zur Aktivierung Älterer für ein ehrenamtliches Engagement zu entwickeln und umzusetzen. Im Folgenden werden mögliche Ansätze ausgeführt.
3
Strategien zur Steigerung des bürgerschaftlichen Engagements
Bei der Aktivierung neuer Freiwilliger sind sowohl diejenigen anzusprechen, die an einem Engagement interessiert sind als auch diejenigen zu bewerben, die sich eine Aktivität bislang nicht vorstellen können. Auch langfristig ausgerichtete Strategien, die schon früh im Lebenslauf ansetzen, spielen dabei eine wichtige Rolle. Denn soll das bürgerschaftliche Engagement in der Nacherwerbsphase eine Perspektive für Ältere darstellen, ist es sehr hilfreich, wenn schon auf Erfahrungen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements zurückgegriffen werden kann (vgl. Erlinghagen 2007). Übergangsmanagement für Ältere muss demnach biografisch frühzeitig einsetzen. Neben der Aktivierung stellt die Kontinuierung des Engagements eine weitere Herausforderung dar. Ziel ist es dabei, die einmal gewonnenen freiwilligen 36
Weiterführende Informationen unter: www.seniorentrainer.de (abgerufen am 15.09.2008) 37 Weiterführende Informationen unter: www.seniorenberatung.de (abgerufen am 15.09.2008)
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Helferinnen und Helfer möglichst dauerhaft zu binden und damit häufige Wechsel zu vermeiden. Denn sollen die Kompetenzen der Älteren genutzt werden, sind deren Einarbeitung und deren Aufgabenausgestaltung in einem Projekt oder einer Einrichtung immer auch mit Qualifizierungsprozessen verbunden. Ein kurzfristiges Engagement verhindert demgegenüber eine angemessene Einarbeitung. Anspruchsvolle Aufgaben – wie sie die neue Motivlage zum bürgerschaftlichen Engagement beschreibt – können dann nicht übernommen werden. Zur Aktivierung und Kontinuierung lassen sich stellvertretend für viele weitere einige Strategien nennen. Sie können von Seiten der Projekt- oder Einrichtungsleitung geplant und durchgeführt werden (vgl. Abbildung 4). Vorerfahrungen
Ansprache
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Erfahrungen generieren I: Corporate Volunteering, die Freistellung von Beschäftigten durch den Arbeitgeber für gemeinnützige Zwecke, stellt eine gute Möglichkeit dar, Menschen frühzeitig mit bürgerschaftlichem Engagement vertraut zu machen, so dass die Schwelle für den Einstig in das Engagement in der Nacherwerbsphase gering ist. (vgl. Knapp 2009) Erfahrungen generieren II: Über die Kooperation mit Bildungsinstitutionen wie Schulen, Berufsschulen oder Universitäten können langfristig wirkende Bezüge zum bürgerschaftlichen Engagement hergestellt werden. Erfahrungen nutzen: Für bürgerschaftliches Engagement kann leichter geworben werden, wenn dabei an frühere Erfahrungen angeknüpft wird. Dies können Erfahrungen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements selbst oder Erfahrungen aus Beruf oder Familie sein. Direkt ansprechen: Für die Gewinnung neuer freiwilliger Kräfte ist die direkte Ansprache am erfolgreichsten, denn nur so kann angemessen auf Vorbehalte, Ängste und individuelle Bedürfnisse eingegangen werden. Medial ansprechen: Groß angelegte Werbestrategien für bürgerschaftliches Engagement können die Engagementbereitschaft bei den Menschen in der Region stärken (vgl. Bertelsmann Stiftung 2007, S. 11 f.). Kommunikation ermöglichen: Insbesondere auf Kontaktmessen kann der Austausch zwischen Interessierten und Einrichtungen hergestellt werden. Der direkte Vergleich zwischen verschiedenen Einrichtungen kann zu einer besseren Passung der Ziele aller Akteure führen. Agenturen einbinden: Die Vermittlung von bürgerschaftlich Interessierten in gemeinnützige Einrichtungen über Freiwilligenoder Seniorenagenturen kann eine optimale Allokation der Engagierten unterstützen.
Anerkennung
Bildung
Abbildung 4:
Zusammenarbeit stärken: Die Kooperation von bürgerschaftlich Engagierten und hauptamtlichen Kräften ist in den Einrichtungen zu regeln. Denn der reibungslose Austausch ermöglicht deren optimalen Einsatz in der Einrichtung und fördert die Anerkennung der Leistung der Freiwilligen. Anerkennungskultur schaffen: Die Stärkung einer Anerkennungskultur sowohl in der Einrichtung als auch in der Region unterstützt maßgeblich die Bereitschaft der Engagierten in ihrer Tätigkeit. Finanzielle Anreize geben: Vorsichtig eingesetzt und differenziert nach Zielgruppen können finanzielle Anreize die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement unterstützen, wenn dadurch nicht der Charakter der Freiwilligkeit untergraben wird (vgl. Olk/Klein 2008, S. 5). In der Regel ist die finanzielle Freistellung der Engagierten erforderlich. Versicherungsschutz ist zu gewähren. Verantwortung übertragen: Angesichts der neuen Motivlage der Engagierten ist es wichtig, qualifizierte Tätigkeiten anzubieten und Verantwortung zu übertragen (vgl. Student 2008). Bildung lebenslang organisieren: Lebenslanges Lernen unterstützt bürgerschaftliches Engagement. Insofern sind (Bildungs)Strategien zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugleich als Investition in deren Engagement-Bereitschaft zu sehen. Bildung nutzen: Qualifizierung und Weiterbildung kann sowohl bei der Einmündung zum bürgerschaftlichen Engagement helfen als auch die Übernahme anspruchsvoller Tätigkeiten ermöglichen. Bildung ermöglichen: Wird (Weiter-)Bildung in den Einrichtungen als Entlohnung verstanden, fördert dies nicht nur die Anerkennung der Leistungen, sondern trägt auch den neuen selbstbewussten Motiven der Engagierten Rechnung. Strategien zur Beförderung bürgerschaftlichen Engagements in der Nacherwerbsphase
Die in Abbildung 4 dargestellten Strategien zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements in der Nacherwerbsphase unterstützen sowohl die Aktivierung als auch die Kontinuierung des bürgerschaftlichen Engagements. Entscheidend für den Erfolg der Strategien ist neben der jeweiligen Verwirklichung der Strategie selbst, dass ein strategisch geplantes und in sich stimmiges Maßnahmenbündel umgesetzt wird. Erfolgreiche Modelle der Stärkung des bürgerschaftlichen En305
gagements zur Gestaltung des Übergangs in die Nacherwerbsphase, wie sie in den Lernenden Regionen verwirklicht wurden, zeichnen sich dadurch aus, dass unterschiedliche Strategien in Verbindung treten. Ein Referenzmodell zum Übergangsmanagement, das regionale Aspekte beachtet, kann dabei helfen, auf der operativen Ebene der Projektarbeit übergreifende Strategien und Leitlinien zu berücksichtigen. Wird das bürgerschaftliche Engagement entsprechend gestaltet, können ausgehend von den übergeordneten normativen Erwägungen regional angepasste Tätigkeiten des bürgerschaftlichen Engagements ermöglicht werden. Dies kann dann den Übertritt in die Nacherwerbsphase begleitend unterstützen, wie folgende Beispiele zeigen.
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Verwirklichung der Strategien in der Praxis
Sowohl in den Lernenden Regionen als auch darüber hinaus lassen sich Projekte finden, die auf exemplarische Weise mehrere der genannten Strategien erfolgreich einsetzen. Entscheidend für den Erfolg ist immer die individuelle Anpassung der Strategien in den jeweiligen regionalen Kontext. Daraus wird schon deutlich, dass es nicht eine modellhafte Strategie geben kann, sondern die Besonderheit in der jeweiligen konkreten Verwirklichung eines passenden Arrangements von Strategien besteht. Beispiel 1: SeniorBeraterInnen im Städtedreieck (Lernende Region Schwandorf) Im Städtedreieck Burglengenfeld, Maxhütten-Haidhof und Teubliz hat die ortsansässige Volkshochschule in enger Kooperation mit der Lernenden Region Schwandorf in dem Projekt „Lernen ab 50“ eine niederschwellige Beratungsdienstleistung von Senioren organisiert und implementiert. Ausgehend von einer differenzierten Bedarfserhebung wurden die Anforderungen festgelegt und engagierte und erfahrene Menschen, die sich in der zweiten Lebenshälfte befinden, zu so genannten SeniorBeraterInnen ausgebildet. Diese werden in zwei Bereichen aktiv: Einerseits bieten sie in ihrer Region die Beratung an. Die Inhalte der Beratung hängen dabei von ihren Erfahrungen und Kompetenzen ab. Andererseits sind sie selbstorganisiert bürgerschaftlich aktiv und unterstützen gemeinnützige Initiativen und Projekte in der Region mit ihren Kompetenzen38. 38
Weiterführende Informationen unter: www.seniorenberatung.de und www.uebergangsmanagement.info (abgerufen am 15.09.2008)
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In dem Projekt „Lernen ab 50“ werden zugleich mehrere der genannten Strategien verfolgt. Das Projekt trägt insofern den Motiven der bürgerschaftlich Aktiven nach ausfüllenden Tätigkeiten in der Nacherwerbsphase Rechnung, als die älteren Menschen in verantwortungsvollen Positionen eingesetzt werden. Wenn sie als Berater aktiv sind, werden sie zu unterstützenden Gesprächspartnern in der Region. Aus diesem Grund wurden die Beraterinnen und Berater in vorbereitenden Kursen umfassend geschult. Sie durchliefen mehrere kostenlose Kurse zu Themen wie Beratungskompetenz, Projektmanagement, Netzwerkarbeit, Zeitmanagement, Konzeptarbeit oder Gesprächsführung. Außerdem lernten sie bei Hospitation verschiedene öffentliche und gemeinnützige Organisationen kennen. Weitere interne Weiterbildungen sichern die Qualität, geben den Senioren die erforderliche Sicherheit und tragen zur Anerkennung ihrer Tätigkeit bei. Aufbauend auf und anknüpfend an die vorhandenen Erfahrungen der Senioren finden die Senioren ihre Beratungsschwerpunkte. Im Vordergrund dieses Projekts stehen demnach Strategien der Bildung, durch die neue Berater und Beraterinnen gewonnen und die bereits Aktiven in der Tätigkeit gehalten werden. Beispiel 2: Freiwilliges Jahr für Senioren (Lernende Region Hannover) Die Lernende Region Hannover arbeitet unter dem Titel FLUXUS an der Förderung des Lebenslangen Lernens in allen Altersgruppen. Die Teilprojekte bieten Lernanlässe und Lernmöglichkeiten für Menschen jeden Alters. Um Angebote für Ältere an der Schwelle zur Nacherwerbsphase zu entwickeln, wurde die „Werkstatt Drittes Alter: Ehrenamtliches Engagement und Lernen ab 50“ als Teilprojekt der Lernenden Region eingerichtet. Dabei bieten Träger aus unterschiedlichen Feldern (Soziales, Kultur, Bildung, Ökologie, Gesundheit) ein „Freiwilliges Jahr für Senioren“ an. Mit diesem sollen Senioren zu freiwilligem Engagement motiviert und ausgebildet werden. Workshops dienen der Findung einer passenden Einrichtung und helfen im Jahresverlauf dazu, in der Gruppe der engagierten Senioren die Erfahrungen zu reflektieren und auszutauschen39. Zentraler Anknüpfungspunkt für das „Freiwillige Jahr für Senioren“ sind die Erfahrungen der Senioren. Abhängig davon sollen sie den für sie interessanten Einsatzbereich finden. Dazu gehört, dass einerseits die Freiwilligen eigene Ideen und Vorstellungen einbringen und andererseits die Träger diese bei der Entwicklung von Projektansätzen berücksichtigen. Die Workshops helfen zur Richtungsfindung und zur Einmündung in die Tätigkeit. Die begleitenden Workshops, die 39
Weitere Informationen unter: www.fluxus-hannover.de und www.uebergangsmanagement.info (abgerufen am 15.09.2008)
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während des freiwilligen Jahres stattfinden, dienen dazu, die gewonnenen Erfahrungen zu reflektieren und bei Problemen frühzeitig zu intervenieren. Die Workshops fördern zugleich den Kontakt zwischen den Engagierten. Dem vielfach formulierten Motiv, andere aktive Senioren kennen zu lernen, wird damit Rechnung getragen. Die Beschränkung auf ein Jahr ist ebenfalls der neuen Motivlage der Engagierten geschuldet. Denn durch die Begrenzung können die Senioren relativ bald die Tätigkeit wieder verlassen, wenn sie nicht die Anregungen bekommen und Erfahrungen sammeln können, die sie sich erhofft haben. In Köln helfen groß angelegte Werbestrategien, Kontaktmessen und öffentlichkeitswirksame Events sowohl das Bewusstsein in der Bevölkerung von der Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements zu steigern als auch die bürgerschaftliche Aktiven zu würdigen. In der Werbung von bürgerschaftlichem Engagement spielen Unternehmen eine wichtige Rolle. Sie werden angesprochen, Corporate Volunteering-Projekte durchzuführen. In diesem Rahmen sammeln Beschäftigte der aktiven Unternehmen wertvolle Erfahrungen, die ihnen auch als Anknüpfungspunkte in der Nacherwerbsphase dienen können. Indem die Kommunalstelle in Kooperation mit Fachstellen und Agenturen Leitlinien für das bürgerschaftliche Engagement formuliert hat, hilft dies die öffentliche Anerkennung zu stärken. Denn in diesen Leitlinien wird das Verhältnis der Engagierten zu den hauptamtlichen Kräften geregelt und es werden Hinweise zur finanziellen Entschädigung und zum Versicherungsschutz gegeben. Beispiel 3: Kommunalstelle FABE in Köln Die Stadt Köln engagiert sich intensiv bei der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Deshalb wurde 2001 die Kommunalstelle zur „Förderung und Anerkennung Bürgerschaftlichen Engagements“ (FABE) im Amt des Oberbürgermeisters der Stadt eingerichtet. Ziele der Kommunalstelle FABE sind es, mehr öffentliche Anerkennung für das bürgerschaftliche Engagement zu erreichen, das Bewusstsein für das Thema in der Kommune zu stärken und die Rahmenbedingungen für Engagierte zu verbessern. Der Aktionsradius der Kommunalstelle FABE ist groß. Neben der Mitarbeit in verschiedenen Arbeitskreisen und der Förderung von unterschiedlichen Netzwerken unterstützt die Kommunalstelle FABE alle Bereiche des bürgerschaftlichen Engagements. Das Übergangsmanagement für Ältere in der Nacherwerbsphase ist zwar kein explizites Handlungsfeld, dennoch wird es dadurch gestaltet, dass die Bemühungen um ein bürgerschaftliches Engagement auch einen direkten Beitrag zum Übergangsmanagement leisten40. 40
Weiterführende Informationen unter www.stadt-koeln.de und www.uebergangsmanagement.info (abgerufen am 15.09.2008)
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Die drei skizzierten Beispiele zeigen, dass es große Unterschiede in der Auswahl der Strategien gibt. Der jeweilige Erfolg macht zugleich deutlich, dass es darauf ankommt, die individuell relevanten Strategien auszuwählen und in einer angemessenen Weise zu implementieren. Die jeweils einzigartigen Bedingungen machen das individuelle Vorgehen in den Regionen und in den Einrichtungen erforderlich. In dem Projekt „Lernen ab 50“ stehen die Bildungsangebote im Zentrum. Das Projekt „Freiwilliges Jahr für Senioren“ ist ganz auf die modernen Bedürfnisse der bürgerschaftlich Engagierten fokussiert und bei der Kommunalstelle FABE steht die öffentliche Ansprache und Anerkennung im Zentrum. Da die Maßnahmenbündel immer individuell auf die jeweiligen Bedingungen der Region, des Tätigkeitsfeldes und des Ziels angepasst werden müssen, ist die Konzeption und Durchführung solcher Projekte sehr anspruchsvoll. Dennoch lassen sich einige externe Aspekte nennen, die die Arbeit in den Projekten erleichtern. Damit kommen die Aspekte in den Blick, mit denen das bürgerschaftliche Engagement von Seiten der regionalen und überregionalen Politik gefördert werden kann.
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Ausblick und Handlungsbedarf
Strategien zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements als Tätigkeitsperspektive für die Nacherwerbsphase wurden in Abbildung 4 genannt. Daraufhin wurde exemplarisch gezeigt, wie Modelle zu deren Verwirklichung auf der operativen Ebene gestaltet sein können. Von Seiten der regionalen und überregionalen Politik sind Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die das bürgerschaftliche Engagement gestärkt werden kann. Von besonderer Bedeutung sind die folgenden sechs Punkte:
Versicherungsschutz: Wichtig für die Ermöglichung von bürgerschaftlichem Engagement in der Nacherwerbsphase ist der Versicherungsschutz. In Großbritannien hat sich gezeigt, dass mangelnder Versicherungsschutz selbst in einem Land, in dem bürgerschaftliches Engagement eine große Verbreitung hat, die Aktivitäten unterbinden kann (vgl. Gramke/Heimer 2006, S. 182 f.). Die Einführung von subsidiären Ehrenamtsversicherungen auf Landesebene, die eine Haftpflicht- und Unfallversicherung beinhaltet, stellt daher einen wichtigen Schritt dar. Eine Ausdehnung dieses Versicherungsschutzes auf eine Rechtsschutz- und eine PKW-Zusatzversicherung wäre wünschenswert. Nach der Einführung der Leistungen sind diese entsprechend zu kommunizieren.
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41
Kompetenzpässe: Auf überregionaler Ebene empfiehlt sich die Einführung von Kompetenzpässen zur anerkennenden Dokumentation von bürgerschaftlichem Engagement. Wenn diese Pässe nicht nur auf ein Bundesland beschränkt sind, sondern bundesweit Anerkennung finden, kann dies das Engagement weit besser fördern. Beispielhaft ist ein solcher Pass in der Schweiz verwirklicht41. Kleinräumige Förderstrukturen: Mit dem Förderprogramm „Lernende Regionen“ wurde dem Prinzip der „Regionalität“ große Bedeutung zugemessen. Dies ist insbesondere für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements wichtig. Da das Engagement in kleinräumigen regionalen Einheiten angesiedelt ist, ist es erforderlich, auch weiterhin die Förderstrukturen auf solche kleinräumigen Projekte zu fokussieren. Dabei kann auch die Orientierung an Stadtteilen oder Gemeinden sinnvoll sein, damit ein bedarfsspezifischer Zuschnitt in den Projekten möglich ist (vgl. Naegele/Rohleder 2001, S. 6). Kommunale Einbettung und Förderung: Für den Erhalt und den Ausbau von Initiativen und Projekten des bürgerschaftlichen Engagements ist es erforderlich, in der Kommune die notwendigen Strukturen zu erhalten oder einzurichten. Viele Projekte sind auf Räumlichkeiten oder überschaubare finanzielle Mittel angewiesen, ohne die sie nicht realisiert und dauerhaft betrieben werden können. Kommunale Förderpläne und transparente Richtlinien können das bürgerschaftliche Engagement auf kommunaler und regionaler Ebene nachhaltig stärken (vgl. Bertelsmann Stiftung 2007, S. 14). Infrastrukturförderung: Die verstetigende Förderung von Modellprojekten stellt eine besondere Herausforderung dar. Viele interessante und lohnenswerte Projekte sind entstanden und haben sich zum Teil bundesweit verbreitet (vgl. die Projekte „Pflegebegleiter“ und „SeniorTrainerinnen“). Entscheidend wird es sein, Strukturen zu entwickeln und zu fördern, die die dauerhafte Arbeit in solchen Projekten ermöglichen. Die Finanzierung der bundesweiten Koordination und Qualitätssicherung ist ebenso schwierig wie erforderlich. Eine Infrastrukturförderung erscheint unabdingbar (vgl. BMFSFJ 2005a, S. 348) Frühzeitiger Kontakt: Da die frühzeitige Berührung mit bürgerschaftlichen Engagement großen Einfluss auf die Bereitschaft zum Engagement in der Nacherwerbsphase hat, ist es erforderlich, biografisch frühzeitig
Weiterführende Informationen unter: www.berlin.de/freiwilligenpass (für Berlin), www.kompetenznachweis.de (für Hessen), www.sozialzeitausweis.ch (für die Schweiz) (abgerufen am 15.09.2008)
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Bezüge zum Engagement herzustellen, die jenseits von privaten Zufälligkeiten liegen. Es wäre sinnvoll, dazu Freiräume in den Bildungsinstitutionen wie Schulen oder Universitäten zu schaffen (vgl. Engels 2008). Die Forschung hat in den letzten Jahren viele Erkenntnisse hinsichtlich des bürgerschaftlichen Engagements gewonnen. In wichtigen Studien wie beispielsweise den Freiwilligensurveys, Altenberichten und European Social Survey sind wichtige Daten erhoben worden. Weitere werden folgen. In umfassenden Programmen wurden in Modellversuchen Strukturen aufgebaut und in ihrer Leistungsfähigkeit abgewogen. Das Programm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Trotz dieser weitreichenden Forschungspraxis lassen sich Aspekte nennen, für die noch ein Forschungsbedarf besteht.
Zielgruppenorientierte Modellprojekte: Da nach wie vor bildungsferne Schichten, Menschen mit geringerem Einkommen, Migrationshintergrund oder hohem Alter sich von bürgerschaftlichem Engagement weniger angesprochen fühlen, ist es erforderlich, nach Wegen zu suchen, wie diese Zielgruppen gezielt eingebunden werden können (vgl. Naegele/Rohleder 2001, S. 5; Bertelsmann Stiftung 2007, S. 13). Zielgruppenspezifische Modellprojekte sind dafür sinnvoll. Ursachenanalysen: Forschungsergebnisse zeigen, dass die erhöhte Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement mit Persönlichkeitsmerkmalen der betreffenden Personen korreliert. Beispielsweise wird die größere Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement durch unterschiedliche im Lebensverlauf gesammelten Erfahrungen und permanente Lernprozesse gefördert. Diese Korrelationen können mit großer Wahrscheinlichkeit als kausale Verhältnisse gedeutet werden. In qualitativen und quantitativen Quer- und Längsschnittstudien ist dieser vermutete kausale Zusammenhang zu überprüfen. Quantitative Studien zu den Motiven: In den letzten Jahren hat sich ein Motivwandel im bürgerschaftlichen Engagement vollzogen. Zwar weiß man, dass den Engagierten beispielsweise Weiterbildung, Aufwandsentschädigung, Anerkennung und Versicherungsschutz wichtig sind. Es ist aber nach wie vor unbekannt, in welchem Ausmaß diese Motive für die Aktivierung und die Kontinuierung des Engagements eine Rolle spielen. Derartige Studien, die den gemeinnützigen Einrichtungen helfen, gezielt die nachgefragten Motive der Engagierten zu bedienen, fehlen bislang. Lediglich Ansätze dazu finden sich in den Freiwilligensurveys (vgl. BMFSFJ 2005b, S. 192). 311
Der ausgewiesene Forschungsbedarf, die aufgezeigten Herausforderungen für die regionale und die überregionale Politik und die genannten Strategien auf der Ebene der Projekte und Einrichtungen zeigen, dass die Aktivierung und Kontinuierung bürgerschaftlichen Engagements nach wie vor Aufgaben für unterschiedliche Akteure mit sich bringen, durch die das Engagement gestärkt werden kann. Diese Stärkung befördert dann insofern das Übergangsmanagement für Ältere, weil sie für sich darin eine Tätigkeitsperspektive entdecken können. Davon haben nicht nur sie selbst einen Nutzen, sondern auch die gemeinnützigen Projekte und Einrichtungen erhalten Unterstützung. Die Erfahrungen aus den Lernenden Regionen zeigen, wie auf regionaler Ebene bürgerschaftliches Engagement zur Gestaltung der Nacherwerbsphase genutzt und gestaltet werden kann. Die realisierten Modelle in diesem Handlungsfeld des Übergangsmanagements sind beispielhaft für gute Praxis und können in andere Regionen transferiert werden.
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Möglichkeiten zur entgeltlichen Beschäftigung in der Nacherwerbsphase Kornelius Knapp / Susanne Zirkler 1
Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Renten
Die Alterung der Gesellschaft hat deutliche Auswirkungen auf die Finanzsituation der sozialen Sicherungssysteme. Dies lässt sich insbesondere für den Fall der Rente zeigen. Während 2001 noch 168 Beitragszahler für 100 Bezieher aufkamen, entwickelt sich dies nach den Berechnungen der Bundesregierung bis 2050 zu einem Verhältnis von 120 Beitragszahlern für 100 Bezieher. Weniger optimistische Schätzungen sehen dagegen nur 93 oder gar nur 82 Beitragszahler 100 Beziehern gegenüber (vgl. Pimpertz 2004, S. 248). Wenn die Beitragssätze angesichts dieser Verschiebungen nicht über die Maßen ansteigen sollen, sind Interventionsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen denkbar: Erhöhung des (realen) Renteneintrittsalters (bereits in der Umsetzung), Ausweitung der beitragspflichtigen Einkommen, Steigerung der sozialversicherungspflichtigen Erwerbsbeteiligung, Reduzierung des durchschnittlichen Rentenzahlbetrags (vgl. Pimpertz 2004, S. 244 f.). Mit der Einführung des so genannten Nachhaltigkeitsfaktors in die Rentenformel 2001 werden demografische Aspekte in die Bemessung der Rentenhöhe dadurch eingeschlossen, dass der Rentenzahlbetrag an das Verhältnis von Beitragszahlern und Beitragsempfängern angebunden wurde. Die Steigerung der Renten wird dadurch begrenzt. Die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Rentenversicherung führen dazu, dass das Rentenniveau, also das Verhältnis von durchschnittlicher Rente und durchschnittlichem Einkommen in Zukunft weiter sinken wird. Die skizzierten Entwicklungen verdeutlichen, dass in Zukunft der Renteneintritt für Viele mit einer deutlichen Reduktion des monatlichen Einkommens in der Nacherwerbsphase – verglichen mit der vorherigen Einkommenssituation im Berufsleben – verbunden ist. Dies bedeutet, dass zunehmend mehr Menschen entweder zur Erhaltung ihres Lebensstandards oder zur Vermeidung prekärer Altersbiografien nach Wegen der nachberuflichen Erwerbsarbeit suchen müssen. Sowohl die finanzielle Notwendigkeit zur nachberuflichen Erwerbstätigkeit als auch der Wunsch zu mehr Aktivität in der Rentenphase bringen mit sich, dass die erwerbsmäßige Gestaltung der Rentenzeit für das Übergangsmanagement eine relevante Perspektive darstellt. Es gilt, Möglichkeiten zur nachberuflichen Erwerbsarbeit abzuwägen. Der vorliegende Beitrag soll die damit verbundenen 315
Probleme und Herauusforderungen aufzeigen und Wege aufweisen, wie allternative Tätigkeitsformenn zur entgeltlichen Beschäftigung in der Nacherwerbbsphase gestaltet werden könnnen.
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Verbreitung naachberuflicher Erwerbsarbeit
Innerhalb und außerhalb der EU werden unterschiedliche Strategien reealisiert, um entgeltliche Tätiigkeiten in der Nacherwerbsphase zu ermöglichen. Eiinheitliche Strukturen zur genauen Ausgestaltung existieren jedoch nicht, zum mal die men und die arbeitsrechtlichen Bedingungen, wie beeispielsBeschäftigungsform weise die Renteneinntrittsgrenzen, variieren (vgl. Eurostat 2008, S. 135 ff.; OECD 2006, S. 86 ff.). Eiine eindeutige Erfassung zu tatsächlichen Formen unnd zum Umfang von Beschääftigung in der Nacherwerbsphase ist demnach nur bedingt möglich. Entgeltliche Täätigkeit in der Nacherwerbsphase ist in Europa unterrschiedlich stark ausgepräggt. Besonders hoch ist diese beispielsweise in Portugaal: Hier sind 36 Prozent der Männer und 22 Prozent der Frauen auch noch in deer Rente erwerbstätig. In Deuutschland liegt die Quote bei Männern mit 8 Prozennt unterhalb des EU-Durchsschnitts von 11 Prozent. Im Vergleich dazu entsprichht diese bei Frauen dem EU--Durchschnitt von 5 Prozent. (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1:
Bescchäftigungsrate der 65- bis 69-jährigen Frauen und Männer inn ausgesuchten Staaten der EU, 2005 (Quelle: Eurostat 2008, S. 1331, eigenne Darstellung)
B Für die Realisierungg von nachberuflicher Erwerbsarbeit ist der gesamte Bereich des Arbeitsmarktes und staatlicher Beschäftigungspolitik mit entsprecchenden 316
Förder- und Sanktionsinstrumenten von zentraler Bedeutung. Unterschiede entlang der so genannten „employment regimes“ (vgl. Esping-Andersen 1999) machen sich dabei deutlich bemerkbar. Gleichwohl sich innerhalb der EU Angleichungstendenzen als Resultat der Europäischen Beschäftigungsstrategie und den Prozeduren der „offenen Koordinierung“ in der Arbeitsmarktpolitik der Mitgliedsstaaten zeigen, sind die Unterschiede nach wie vor hinsichtlich des Umgangs mit nachberuflicher Erwerbstätigkeit deutlich. Grob vereinfacht fördern „liberal employment regimes“ wie beispielsweise in Großbritannien42, in den USA43, in Australien44 oder in Kanada45 die nachberufliche Erwerbsarbeit direkt über spezifische Supportstrukturen und indirekt über relativ geringe staatliche Grundrenten. Ein Beispiel unter vielen aus den USA für die offensive Beteiligung der Älteren am Arbeitsmarkt findet sich mit dem Angebot von Sharon O’Brian „50-plus and Looking for Work?“, einer auf Ruheständler spezialisierte Arbeitsvermittlungsagentur46. Nicht aus marktwirtschaftlichen, sondern aus sozialstaatlichen Aspekten fördern die skandinavischen Länder Schweden, Dänemark und Norwegen, die traditionell als „sozialdemokratische employment regimes“ anzusehen sind, die nachberufliche Erwerbsarbeit (vgl. Gramke/Heimer 2006). Hier werden im Rahmen von Antidiskriminierungskampagnen gegenüber Älteren die Chancen für nachberufliche Erwerbsarbeit verbessert und durch flankierende Kompetenzentwicklungsstrategien für eine „Ageing Workforce“ zusätzlich gefördert. In der Förderung von entgeltlicher Beschäftigung in der Nacherwerbsphase steht Deutschland sowohl liberalen als auch sozialdemokratischen „employment regimes“ nach. Die Bedeutung dieses Themas nimmt mit dem sich immer weiter ausdehnenden Bedarf an zusätzlichen Erwerbsmöglichkeiten in der Rentenphase – sei es zur Sicherung des Lebensstandards oder zur Gestaltung einer Lebensphase – zu.
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Weiterführende Informationen unter: http://www.financingretirement.co.uk/ (abgerufen am 15.09.2008) 43 Weiterführende Informationen unter http://www.ssa.gov/retire2/ und http://pewresearch.org/pubs/ (abgerufen am 15.09.2008) 44 Weiterführende Informationen unter http://www.eoc.sa.gov.au/ (abgerufen am 15.09.2008) 45 Weiterführende Informationen unter http://jobsetc.ca/ (abgerufen am 15.09.2008) 46 Weiterführende Informationen unter http://seniorliving.about.com/ (abgerufen am 15.09.2008)
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Sicherung des Lebensstandards und Abwehr von Altersarmut
Arbeitslosigkeit bringt das Risiko der Altersarmut mit sich. Mit zunehmender Dauer wächst das Armutsrisiko im Ruhestand (vgl. Wübbeke 2007). Auch prekäre Erwerbsbiografien und atypische Beschäftigungsformen führen dazu, dass selbst Personen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, nur einen geringen Rentenanspruch haben (vgl. Bogedan/Rasner 2008, S. 134 f.). Insbesondere trifft dies gering Verdienende oder Mini-Jobber. Sie sind in Phasen wirtschaftlicher Krisen und gegen Ende ihres Erwerbslebens vermehrt von Arbeitslosigkeit bedroht. Bei einem Stellenabbau fallen ihre Arbeitsplätze oftmals zuerst weg, so dass die Betroffenen häufiger einen Arbeitswechsel in Kauf nehmen müssen. Typisch für diese Personengruppe sind vielfach gebrochene Erwerbsbiografien mit mehreren Phasen der Arbeitslosigkeit. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Zeitarbeitskarrieren sind mit zunehmenden Alter bei dieser Personengruppe häufig zu beobachten (vgl. Gottwald/Franke 2008, S. 80). Für Neueinstellungen sind diese dann auf der einen Seite irgendwann zu alt, und auf der anderen Seite noch zu jung, um Rente zu beziehen (vgl. Helmer/Meiners 2008, S. 17 f.). Durch den daraus oft resultierenden vorgezogenen Rentenbezug, müssen hohe Rentenabschläge in Kauf genommen werden (vgl. Menning/Hoffmann/Engstler 2007, S. 24 f.). Während im Durchschnitt der Industrieländer die Bezieher niedriger Einkommen 73 Prozent ihres Bruttoeinkommens bekommen, sind es in Deutschland lediglich 39,9 Prozent (vgl. OECD 2007). Um Einnahmen oberhalb der Grundsicherung in der Nacherwerbsphase zur Verfügung zu haben, sind gerade diese Personengruppen auf Möglichkeiten für eine zur Rente zusätzlichen entgeltlichen Beschäftigung angewiesen. Die zunehmende Notwendigkeit von Zuverdienstmöglichkeiten zur Rente zeigt sich neben den schon erwähnten Aspekten auch an den sinkenden Rentenansprüchen in Deutschland. Die männlichen Ruheständler, die zwischen 1942 und 1946 geboren sind, werden durchschnittlich über 967 Euro verfügen gegenüber 820 Euro der Jahrgänge von 1957 bis 1961. Bei Frauen zeigt sich ein Rückgang von 820 Euro auf 690 Euro (vgl. Manager Magazin vom 14.04.2008). Dass Altersarmut in den kommenden Jahren insbesondere für Geringverdiener in Deutschland zur Realität werden kann, betont die OECD nach einem Vergleich der Rentensysteme in ihren Mitgliedstaaten (vgl. OECD 2007; Queisser 2008). Während aktuell das Rentenniveau bei 67 Prozent liegt, werden nach einer Studie der OECD die gegenwärtigen Berufseinsteiger in Deutschland im Alter lediglich knapp 40 Prozent ihres Bruttoverdienstes aus der Rentenkasse erhalten (vgl. OECD 2007).
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Zugleich weitet sich mit der Stärkung der Eigenverantwortung der Rentenvorsorge das Risiko niedriger Renten auch auf weitere Beschäftigungsgruppen aus. Ruheständler, die nicht frühzeitig vorsorgen konnten oder vorgesorgt haben, müssen aufgrund des niedrigeren Rentenniveaus mit einer deutlichen Reduktion ihres monatlichen Einkommens rechnen (vgl. Queisser 2008). Die Nachfrage nach Beschäftigungsmöglichkeiten wird sich demnach mittelfristig auch im mittleren Lohnniveau ausbreiten. Das Absinken des monatlichen Einkommens bei Bezug der Rente und eine möglicherweise nicht ausreichende private Vorsorge können eine Lücke entstehen lassen, die die Rentnerinnen und Rentner dann durch nachberufliche Erwerbsarbeit decken wollen. Dies betrifft nicht nur Personen mit geringem Rentenanspruch, sondern auch solche, die auf höherem Niveau ein Absinken ihres Lebensstandards vermeiden wollen. Mit welchen Strategien und Strukturen diese nachberufliche Tätigkeit gestützt und gestärkt werden kann, gilt es im Folgenden auszuführen.
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Strategien zur Förderung nachberuflicher Erwerbsarbeit
Eine sinnstiftende Tätigkeit in der Nacherwerbsphase ist ein Merkmal aktiven Alterns. Dementsprechend zielt ein Übergangsmanagement für Ältere darauf ab, Perspektiven zur Gestaltung der Nacherwerbsphase zu entwickeln. Dazu gehört auch die Ermöglichung von entgeltlichen Tätigkeiten. Bislang zählen beispielsweise Putzstellen, Taxi fahren, Arbeit in Wach- und Sicherheitsfirmen zu gängigen Beschäftigungsformen in der Nacherwerbsphase. Weitere Aufgaben im einfachen Dienstleistungsbereich, die von Rentnerinnen und Rentnern ausgeführt werden, sind Schnee schieben, Krankendienste und die Aushilfe in der Landwirtschaft. Auch Tele- und Heimarbeit werden angenommen sowie kurzzeitige Projektaufgaben (vgl. Giersberg 2008). Jedoch für höher Qualifizierte, die über vielfältige Kompetenzen und berufliche Erfahrungen verfügen, ist das Angebot bislang noch sehr eingeschränkt. In der Regel finden hauptsächlich Leistungsträger des öffentlichen Lebens attraktive Beschäftigungsformen. Zur Bewältigung der skizzierten Herausforderungen sind ein adäquates Altersbild zur Ermöglichung alternativer Tätigkeitsformen zur entgeltlichen Beschäftigung in der Nacherwerbsphase umzusetzen (vgl. Gottwald/Knapp in diesem Band), regionale Netzwerke zur Unterstützung hierzu zu stärken, bedarfsgerechte Weiterbildungsangebote für Senioren anzubieten und die systematische Sensibilisierung von Unternehmen zu leisten.
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4.1 Das Altersbild des Alterspatchwork Der individuelle Lebensentwurf ist ausschlaggebend für eine Fortführung oder Neuaufnahme einer entgeltlichen Tätigkeit in der Nacherwerbsphase. Nachdem das Ideal einer kontinuierlichen Biografie im Erwerbsverlauf nicht weiter trägt und durch Beschreibungen des Diskontinuierlichen abgelöst wurde (vgl. Wittwer 2001, S. 109 f.; Wessler-Possenberg/Vomberg 2007, S. 69), ist dies auch auf das Bild der Nacherwerbsphase zu übertragen. Das Bild des Alterspatchwork ermöglicht dabei dem Einzelnen, die Betätigung in der Nacherwerbsphase aufzunehmen, die den eigenen Interessen, Wünschen und Fähigkeiten entspricht. Das beinhaltet zugleich die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich auch im Alter auf Neues einzulassen und damit das Leben flexibel zu planen und zu gestalten. Altersbilder betreffen immer auch gesellschaftliche Erwartungen. Zur Unterstützung eines individuellen Selbstbildes für das Alter, bei dem Flexibilität an die Stelle der Stetigkeit tritt, ist es erforderlich, dass gesellschaftliche Ansichten zum Alter differenzierte Lebensentwürfe in der Nacherwerbsphase ermöglichen. Denn die gesellschaftlichen Erwartungen stehen mit dem Altersbild des aktiven Alterns insofern in Verbindung, als sie das Handeln der Älteren prägen. Bei einer Abkehr von der negativen Sichtweise, die Leistungsdefizite der Älteren fokussiert, hin zu einer positiven Einschätzung ihrer Kompetenzen, werden Ältere auch in der Nacherwerbsphase als gesellschaftliche Leistungsträger wahrgenommen (vgl. Kruse 2006, S. 13; Backes/Clemens/Künemund 2004, S. 7 ff.). Damit wird ihnen auch die Möglichkeit zu Phasen der Beschäftigung in der Nacherwerbsphase zugestanden. Das Bild des Alterspatchworks ermöglicht also ein Lebensentwurf für die Zeit nach dem Erwerbsleben, der je nach Wünschen, Möglichkeiten und Fähigkeiten die individuelle Vorstellung von Berufs- und Freizeitgestaltung miteinander verknüpft. Phasen von erwerbsmäßiger Tätigkeit wechseln sich dann diskontinuierlich mit Phasen der Erholung ab. Das eröffnet die Chance, sich in neue Rollen einzufinden und neuen Herausforderungen positiv entgegenzutreten. Damit werden wesentliche Grundlagen im Sinne einer Work-Life-Balance im Alter gelegt, die für ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen und Wünschen des Privatlebens und den Anforderungen der Arbeitswelt sorgen (vgl. BMFSFJ 2005, S. 5 f.). Dabei kann die Rentenzeit flexibel gestaltet werden und zudem neben einer entgeltlichen Tätigkeitsform auch Phasen des bürgerschaftlichen Engagements beinhalten (vgl. Knapp im vorliegenden Band).
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Durch Angebote wie in der Lernenden Region Schwandorf wird die flexible Tätigkeit von älteren Menschen unterstützt. Ermöglicht wird das flexible Leben im Alter durch die Selbstgestaltungsoptionen in der Nacherwerbsphase. Im Vergleich zur Erwerbsphase, die durch wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen beeinflusst ist, ist die Zeit nach dem Erreichen des Renteneintrittsalters deutlich freier gestaltbar (vgl. Menning 2006, S. 450 ff.). Das Bild des Alterspatchwork kann ermöglichen, dass die Zeit der Nacherwerbsphase gemäß den individuellen Vorstellungen genutzt werden kann. Im Idealfall werden einzelne Lebensbereiche des Alters im Sinne eines Übergangsmanagements aufeinander abgestimmt, um so eine optimierte Nutzung der Kompetenzen und Potenziale zu erreichen. SeniorBeratung in der Lernenden Region Schwandorf In der Lernenden Region Schwandorf wurden in dem Projekt „Lernen ab 50“ erfahrene Menschen zu so genannten „SeniorBeratern“ ausgebildet, die nun in flexiblem Einsatz Bürgerinnen und Bürger des Städtedreiecks Burglengenfeld, Maxhütte-Haidhof und Teublitz mit ihrer Hilfe unterstützen. Ihre Aufgabe ist es allen Bürgern des Städtedreiecks, insbesondere älteren Menschen, bei den Herausforderungen des Alltags zur Seite zu stehen. Sie beantworten zum Beispiel Fragen zur Kranken- und Pflegeversicherung, informieren über helfende Einrichtungen und Beratungsangebote, bieten Unterstützung bei Antragstellungen und Behördengängen oder initiieren Besuchsdienste. Zwar beruht dieses Angebot auf ehrenamtlicher Basis, doch kann das Projekt in der Förderung einer flexiblen Lebensgestaltung als Vorbild auch für entgeltliche Tätigkeiten gelten. Flexibel bieten die „SeniorBerater“ die Dienstleistungen an, die von den Mitbürgern nachgefragt werden. Dadurch wandelt sich das Angebot immer wieder, um sich der Nachfrage anzupassen.
4.2 Regionale Netzwerke Für die nachberufliche Erwerbsarbeit sind Netzwerke von großer Bedeutung. Diese können in unterschiedlicher Weise realisiert sein:
Soziale und personale Netzwerke: Kontakte zu Geschäftspartnern und Kollegen sorgen neben den sozialen Beziehungen im familiären Umfeld für gesellschaftliche Integration und fördern die aktive Teilhabe in der Gesellschaft. Umso wichtiger werden Netzwerke gegen Ende des Berufslebens, in denen sich Ruheständler zusammenfinden und Möglich321
keiten von nachberuflicher Erwerbstätigkeit abwägen. Dabei können sie ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten und darüber hinaus Perspektiven für eine entgeltliche Tätigkeit in der Nacherwerbsphase entwickeln. Der Zweck solcher Netzwerke beruht auf dem Interesse der Älteren an einer Erwerbstätigkeit. Netzwerke der regionalen Entwicklung: In Abhängigkeit der spezifischen demografischen Entwicklung in einer Region können die Partnerschaften im Rahmen von regionalen Netzwerken als Instrument regionaler Entwicklungsprozesse fungieren und Felder der nachberuflichen Tätigkeit schaffen. Sie vereinen Akteure aus Politik und Kommunalverwaltung, Wirtschaft, Weiterbildung und Einrichtungen des dritten Sektors (vgl. Stahl/Schreiber 2003, S. 73 ff; Freiling/Gottwald in diesem Band). Diese Netzwerke prägen die Regionalentwicklung und können auch die nachberufliche Erwerbstätigkeit stärken.
Unterstützende Angebote in der Lernenden Region Rheingau-Taunus In der Lernenden Region Rheingau-Taunus wurde das Lernen in das Zentrum gestellt. In unterschiedlichen Angeboten konnten Arrangements vorgefunden werden, die gezielt auf die Lernbedürfnisse einzelner Lebensalter abzielten. Für Ältere wurde das Angebot eines „freiwilligen Jahres für Senioren“ geschaffen. Durch dieses Angebot konnten Ältere unterschiedliche Formen des Engagements ausprobieren und sich darüber im Netzwerk austauschen. Diese gemeinsame Plattform, die zudem durch entsprechend ausgebildete Kräfte betreut wurde, ermöglichte einen deutlich leichteren Zugang zu den Tätigkeiten. Auch wenn diese Tätigkeiten ehrenamtlich ausgeführt wurden, zeigt das Beispiel dieser Lernenden Region, wie durch die rege Interaktion die Aktivität der Senioren effektiver und für alle Beteiligten befriedigender durchgeführt werden kann. Als Modell für regionale Netzwerke, in denen entgeltliche Aktivitäten für Senioren gestaltet werden, kann die Lernende Region RheingauTaunus ohne weiteres dienen. Netzwerkstrukturen zur Förderung entgeltlicher Beschäftigungsformen können nicht, das zeigen auch die Erfahrungen in der Lernenden Region RheingauTaunus, durch Top-down-Prozesse eingeleitet werden. Den zugrunde liegenden Anforderungen kann dann nur ungenügend entsprochen werden. Es fehlen konkrete Kenntnisse über Entwicklungen und Ansprüche in der Region. Vielmehr liegen das Bewusstsein und die notwendige Sensibilität bei den Akteuren vor Ort. Durch Bottom-up-Initiativen – unterstützt durch finanzielle Starthilfen – kann unmittelbar an die Erfordernisse der Älteren in der Region angeknüpft und 322
durch gezielte Unterstützung die entgeltliche Tätigkeit in der Nacherwerbsphase ermöglicht werden. Dadurch erwachsen den lokal ansässigen Unternehmen zugleich neue Handlungsspielräume. Neben der Deckung ihres Personal- und Kompetenzbedarfs erhalten sie Möglichkeiten, ihre soziale Verantwortung zu demonstrieren, indem sie durch die Beschäftigung der Älteren diesen zu mehr Chancengleichheit und sozialer Integration verhelfen (vgl. Stahl/Schreiber 2003, S. 183). Zu dem individuellen und dem unternehmerischen Nutzen lässt sich weiter noch die Bereicherung auf kommunaler Ebene nennen. Durch den regionalen Zusammenschluss unterschiedlicher Partner entsteht ein neues Innovationspotential, das maßgeblich bei der Verbesserung der regionalen Strukturen mitwirken kann (vgl. Stahl/Schreiber 2003, S. 68 ff.). Aufgrund dieses vielfältigen Nutzens bei unterschiedlichen regionalen Akteuren kann von einer „Winwin-Situation“ gesprochen werden, wie auch folgendes Beispiel aufzeigt. Alt hilft Jung Bayern e.V. In diesem Verein unterstützen Senioren mit ihrem Expertenwissen aus langjähriger Berufserfahrung junge Unternehmen. Damit tragen sie zum Erfolg der Unternehmen bei und sorgen zugleich für die Stärkung der regionalen Wirtschaft. Organisiert sind sie in einem Netzwerk mit einer zentralen Organisation. Dort werden Anfragen aufgenommen und an die entsprechenden Senioren weitergeleitet. Ebenso werden Weiterbildungen auf dieser Ebene organisiert und Kontakte zu Unternehmen gepflegt und verwaltet. Auch wenn die Tätigkeit in diesem Verein unentgeltlich vollzogen wird, können diese Netzwerkstrukturen als Vorbild für den Aufbau entgeltlicher Tätigkeitsformen dienen, denn in gleicher Weise könnte in diesem Netzwerk auch Beratung angeboten werden, die auf Gewinn abzielt47. Um Kontinuität in regionalen Netzwerkstrukturen zu gewinnen, sollten diese in Form von Dienstleistungs- und Serviceinstitutionen installiert werden. Dabei ist es ratsam, auf bestehende Strukturen zurückzugreifen. Denkbar wäre beispielsweise eine Ausweitung des Aufgabenbereichs der mehr als 200 bundesweit organisierten Seniorenbüros. Als Kontaktstelle vor Ort haben sie Zugänge zu kommunalen Einrichtungen, Non-Profit-Organisationen und Weiterbildungseinrichtungen. Eine Einbeziehung von interessierten Unternehmen würde alle relevanten Akteure erschließen und zusammenführen. Den Netzwerkakteuren obliegt es dann, in Eigenverantwortung innerhalb ihrer Struktur für Transparenz zu sorgen. So könnten Unternehmen ihren Bedarf an Mitarbeitern im Netzwerk mel47
Weiterführende Informationen unter: www.alt-hilft-jung.de (abgerufen am 15.09.2008)
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den, Senioren ihre Bereitschaft artikulieren und ihre Kompetenzen registrieren. Bildungseinrichtungen könnten passgenaue Angebote für die Senioren bereitstellen und die Netzwerkadministration könnte die Vermittlung leisten. Außerdem könnte dort die erforderliche Beratung zu den rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit in der Nacherwerbsphase geleistet werden. Es könnten regionale Datenbanken entstehen, mit deren Hilfe Anfragen zeitnah beantwortet werden können. Im Bedarfsfall könnte aus einem bestimmten Bewerberkreis die Nachfrage von Unternehmen gedeckt oder einem Beschäftigungswunsch eines Nachfragers im Ruhestand schnell nachgekommen werden (vgl. Stahl/Schreiber 2003, S. 80 ff.).
4.3 Handlungsspielräume ermöglichen – Kompetenzen entwickeln Die Erwerbstätigkeit in den ersten Jahren nach dem gesetzlichen Renteneintrittsalter korreliert deutlich mit dem Bildungsgrad. In der gesamten EU waren 2005 19 Prozent der Männer und 11 Prozent der Frauen mit Hochschulbildung erwerbstätig gegenüber lediglich 9 Prozent der Männer und 4 Prozent der Frauen mit Pflichtschulabschluss. In Italien sind es sogar 44 Prozent der 65- bis 69jährigen Männer, die einer Beschäftigung nachgehen (vgl. Eurostat 2008, S. 133). Daraus lässt sich schließen, dass ein höherer Bildungsstand die Erwerbsmöglichkeiten nach dem Renteneintrittsalter erhöht. Bildung kann als zentraler Aspekt zur Gestaltung der nachberuflichen Erwerbstätigkeit angesehen werden. Die Herausforderung besteht darin, Lernentwöhnung und Dequalifizierungsprozesse im Alter zu vermeiden. Im Sinne des Konzepts des Lebenslangen Lernens sind daher Bildungsprozesse im Lebensverlauf miteinander zu verschränken. Eine darauf abgestimmte Personal- und Beschäftigungspolitik, die Lebenslanges Lernen fördert und die Rolle der älteren Beschäftigten in der betrieblichen Weiterbildung stärkt, kann die Aktivität über die Erwerbstätigkeit hinaus unterstützen (vgl. Morschhäuser/Ochs/Huber 2008, S. 75). Die Bildungsangebote sollten dabei nicht nur die Bildungsgewohnten erreichen, sondern auch die Zielgruppe der gering und niedrig Qualifizierten in den Blick nehmen, um biografisch kumulierende Benachteiligungen zu kompensieren und das Risiko von Altersarmut zu minimieren. Denn bei einer mangelnden Kompetenzentwicklung werden ihre Handlungsoptionen geringer, so dass es ihnen an Integrationsmöglichkeiten und Zugängen zur Beschäftigung fehlt (vgl. Geldermann 2008, S. 68 f.).
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4.4 Sensibilisierung von Unternehmen Wenn nachberufliche Erwerbstätigkeit aufgrund der individuellen Bedarfslagen zusätzlich zur Rente als weitere Einkommensmöglichkeiten gestärkt werden soll, sind neben dem Bild des Alterspatchworks, den fördernden Netzwerken und den Möglichkeiten zur Kompetenzentwicklung auch die Arbeitgeber in den Blick zu nehmen. Fachkräftebedarf kann auch durch die Weiter- oder Wiederbeschäftigung von Rentnerinnen und Rentnern bedient werden. Das Wissen und die Erfahrung von Älteren macht diese für Unternehmen zu attraktiven Kräften (vgl. Voelpel/Leibold/Früchtenich 2007), die sie über einen vereinbarten Zeitraum für spezifische Aufgaben einstellen können. Der zweiseitige Nutzen liegt auf der Hand: Erstens decken Unternehmen durch die Beschäftigung von Rentnerinnen und Rentnern den Bedarf an Expertenwissen und schließen Lücken in Arbeitsprozessen, wenn keine jüngeren Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Dies gilt insbesondere für kurzfristige und vorübergehende Auftragsspitzen. Aufgrund der finanziellen Grundabsicherung der Ruheständler sind diese für Gelegenheitsjobs oder kleinere Arbeitsaufträge prädestiniert. Ihre zeitlich befristete Tätigkeit eröffnet somit einen flexiblen Einsatz, der auch die Möglichkeit eröffnet, konjunkturelle Schwankungen in der Auftragslage auszugleichen. Zweitens profitieren die Rentnerinnen und Rentner durch die Zuverdienstmöglichkeiten und erfahren zudem eine Anerkennung ihrer Leistung. Soll die nachberufliche Erwerbsarbeit befördert werden, sind die Vorteile von erwerbstätigen Rentnerinnen und Rentnern den Unternehmen aufzuzeigen, denen vielfach nicht bekannt ist, dass diese nach dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters ohne Berücksichtigung von Hinzuverdienstgrenzen erwerbstätig sein können. Einkommenssteuern fallen erst bei Überschreitung des gesetzlichen Steuerfreibetrags von 7.664 Euro an und reduzierte Beiträge zur Krankenund Pflegeversicherung sind nach dem Übersteigen der 400 Euro-Grenze abzuführen. Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge sind lediglich von den Arbeitgebern zu leisten (vgl. Freiling/Schulte in diesem Band).
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Ausblick und Handlungsbedarf
Aufgrund der zu erwartenden finanziellen Schlechterstellung mit dem Übertritt in die Nacherwerbsphase und der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse, durch die oft nur ein geringer Rentenanspruch resultiert, entsteht vielfach der individuelle Bedarf, auch in der Nacherwerbsphase einer entgeltlichen Tätigkeit nachzugehen. Dieser Bedarf wird in dem Maße wachsen, wie die Renten aufgrund der demografischen Veränderungen in Relation zu den vormals bezogenen 325
Einkommen sinken. Bei Reformen des Rentensystems sind also auch die Wirkungen auf die nachberufliche Erwerbsarbeit zu berücksichtigen. Denn Veränderungen bei der Gestaltung der Rente insbesondere der Rentenhöhe haben Auswirkungen auf den Bedarf nach alternativen Tätigkeitsformen zur entgeltlichen Beschäftigung nach dem Renteneintritt. Da der Trend zu niedrigeren Renten absehbar ist und schon heute vermehrt nachberufliche Erwerbsarbeit nachgefragt wird, ist eine Diskussion darüber erforderlich, wie die Bedingungen für nachberufliche Erwerbsarbeit seitens der Sozialpartner ausgehandelt werden können. Bei dieser Diskussion gilt es, die Vorteile für Rentnerinnen und Rentner und Unternehmen gegenüber möglichen Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt abzuwägen. Die 2009 auslaufende Altersteilzeit hatte maßgeblich zum Ziel, die Arbeitsplätze der älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Jüngeren zur Verfügung zu stellen. Nicht zuletzt wegen der demografischen Entwicklungen wird die Altersteilzeit in der bisherigen staatlich subventionierten Form nicht mehr weitergeführt. Eine Steigerung wäre es nun, die nachberufliche Erwerbsarbeit zu stärken und auszubauen. Ältere Beschäftigte würden dann nicht ihre Arbeitsplätze Jüngeren frühzeitig überlassen, sondern mit diesen über den Eintritt in die Nacherwerbsphase hinaus im Wettbewerb stehen. Wenn die nachberufliche Erwerbsarbeit gestärkt werden soll, sind Aktivitäten in den oben genannten Bereichen erforderlich. Aufgrund der regionalen Besonderheiten kann diese nicht mit Pauschallösungen gefördert werden. Die regional differierenden Bedarfslagen erfordern ein regional gestaltetes Übergangsmanagement, das sich nur durch ein Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure realisieren lässt. Notwendig ist eine genaue Analyse vorliegender Strukturen und Bedarfe. Zudem ist im Sinne einer Steigerung der entgeltlichen Tätigkeit im Alter sowohl der individuelle als auch der gesellschaftliche Bedarf noch deutlicher auf die politische Agenda zu setzen. Aus diesem Grunde ist den rahmenden Elementen des Alterspatchworks und der regionalen Netzwerke eine hohe Bedeutung beizumessen. Sie ermöglichen dem Einzelnen, sein Wissen, seine Kompetenzen und seine Fähigkeiten nach eigenen Wünschen einzusetzen und in der Zeit nach den beruflichen Verpflichtungen neuen Herausforderungen zu begegnen. Werden die Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen in der Nacherwerbsphase verbessert, profitieren davon nicht nur die Unternehmen, indem sie kompetente und erfahrene Mitarbeiter zur Verfügung haben. Auch die Ruheständler selbst haben die Chance, wo erforderlich die Rente aufzubessern und wo gewünscht, an der Erwerbsarbeit aktiv teilzunehmen. Dadurch wird zudem dem Anspruch des aktiven Alterns, wie er auf europäischer Ebene gefordert und ge-
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fördert wird, Rechnung getragen. Ob und wie diese Form des aktiven Alterns in Deutschland gefördert werden soll, steht noch zur Diskussion aus.
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Die Autorinnen und Autoren
Dr. Rolf Brandel, Gelsenkirchen Dr. Thomas Freiling, Projektleiter im Kompetenzfeld Wissenschaftliche Weiterbildung, Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), Nürnberg Mario Gottwald, Projektleiter im Kompetenzfeld Bildung und Demografie, Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), Nürnberg Elke Katharina Klaudy, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsabteilung Bildung und Erziehung im Strukturwandel (BEST), Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen Dr. Kornelius Knapp, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), Nürnberg Claudia Muche, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim Tabea Noack, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim Dr. Andreas Oehme, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Professor am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim Birgit Schulte, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), Nürnberg PD Dr. Sybille Stöbe-Blossey, Leiterin der Forschungsabteilung Bildung und Erziehung im Strukturwandel (BEST), Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen Anika Torlümke, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsabteilung Bildung und Erziehung im Strukturwandel (BEST), Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen 329
Susanne Zirkler, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), Nürnberg Melanie Zschunke, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), Nürnberg
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