Billaluna Diana Simmonds
Die Amerikanerin Jody Johnson, Königin der Countrymusik, hat ihr Publikum im Sturm erobert. I...
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Billaluna Diana Simmonds
Die Amerikanerin Jody Johnson, Königin der Countrymusik, hat ihr Publikum im Sturm erobert. Ihre Fans sind so begeistert von ihrer Stimme und ihrer Ausstrahlung, daß sie die ferne Traurigkeit in ihren Augen überhaupt nicht bemerken. Die Australierin Grace Davanzo, Malerin und Illustratorin, ist nach einer gescheiterten Ehe in ihr Elternhaus, den Davanzo
Truckstop
zurückgekehrt.
im
australischen
Outback
Dunkle Erinnerungen lassen sie alle
Annäherungsversuche der Trucker und Touristen abwehren. Jody und ihre Band
müssen auf einer Australientournee
beim Davanzo Truckstop unfreiwillig einen Halt einlegen. Schnell etwickelt sich zwischen Jody und Grace eine leidenschaftliche Beziehung. Den beiden bleibt nur wenig Zeit,
doch
diese
paar
Tage
verändern
ihr
Leben.
1 Hinter den getönten Scheiben des klimatisierten Busses flirrte die Landschaft in der gleißenden Sonne; rote und ockerfarbene Erde und silbergraue Wüstenvegetation erstreckten sich, soweit das Auge reichte. Im fortgeschrittenen Frühling des australischen Outback schmückten noch massenhaft Wildblumen das Land. Gelegentlich stoben Herden ausgewachsener grau verstaubter Känguruhs in großen Sprüngen davon, und langbeinige scheue Emus flüchteten durch das Buschwerk. Davon abgesehen rührte sich nichts in der glitzernden unberührten Landschaft. Es war ein faszinierender Anblick sofern überhaupt jemand hinsah -, und kein menschliches Wesen zeigte sich in der grenzenlosen Wildnis jenseits der unbefestigten Bankette des Highway. Im Bus war es still; auf der Konsole über dem Kopf des Fahrers flimmerten Bilder über den Fernsehschirm, der Ton war schon lange abgeschaltet, und es sah niemand mehr hin. Hinter dem Fahrer saß ein großer Mann mit rotem Gesicht über einem unglaublich grellen Hawaiihemd und tippte abwechselnd auf die Tasten eines kleinen Notebook-Computers und des Taschenrechners. Es war Ed Doulan, Manager der Jody Johnson-Band. Hinter ihm dösten die Mitglieder der Band, manche schnarchten mit offenem Mund in ihren zurückgeklappten Sitzen, umgeben von Utensilien, die man auf langen Reisen so mit sich führt: Spielkarten, Zeitschriften, CDs und CD-
Spieler, Gitarren, Getränkedosen und Pizzareste. Red Douglas, Leitgitarrist und selbsternanntes Sexsymbol, schlief, die Daumen hinter den Gürtel geklemmt, Speichel sabberte unappetitlich auf sein hautenges schwarzes T-Shirt. Der einsilbige Ben Dunn, Schlagzeuger und Schachspieler, kauerte in fast fötaler Haltung in seinem Sitz und offenbarte unwissentlich seinen permanenten Zustand zufriedener Melancholie. Levine Brown, ein Computerfreak, der Steelgitarre und Fiedel spielte, lag völlig entspannt da, während Darren Juneau, Bassist und zweite Stimme, selbst im Schlaf ein Lächeln auf den Lippen hatte und der Komiker der Truppe war. Der ewige Dreitagebart, die abgeschabten Cowboystiefel und die ausgefallene Kleidung ließen keinen Zweifel aufkommen, daß sie Musiker waren. Hinter ihnen, der eine schlafend, der andere Kreuzworträtsel lösend, befanden sich Jeff, der bleiche Toningenieur, eine Nachteule, und Paolo, ein muskulöser, unerschütterlicher australischer Roadie. Im Heck des Busses hing die Bühnengarderobe auf einer Stange, je dreifach für vier Personen, einmal in dunkelrot, in dunkelblau und sonnenblumengelb. Unter den Bügeln stapelten sich akkurat frischgewaschene Jeans, und im Schuhfach daneben befanden sich vier Paar Cowboystiefel. Auf einer anderen Stange baumelten drei volle Garderoben aus Hemden und Hosen in Plastikbeuteln: alle drei schwarz, paillettenverziert und mit den Initialen "JJ" in Perlenstickerei versehen. Der Aufzug der Jody JohnsonBand machte durchaus was her. Auf der anderen Seite des Ganges, sowohl symbolisch als auch räumlich von den übrigen getrennt, saß die Daseinsberechtigung der Band: Jody Johnson. Vor ihr auf dem Sitz lag eine Akustikgitarre in hellem Holz, auf dem sich die verschnörkelten, altmodischen Perlmuttintarsien "JJ"
befanden. Neben ihrem Sitz auf dem Boden stand eine halb leere Wasserflasche aus Plastik, auf einem Stapel von Büchern und Zeitschriften lag ein dicker Notizblock, in dessen Spirale zwei grüne Stifte steckten. Auf den Titelseiten diverser Zeitungen daneben prangte Jodys lachendes Gesicht unter der zerzausten blonden Haarmähne, versehen mit der kaum variierten Schlagzeile: "Ja, ich bin lesbisch." Dann folgten Artikel, die in etwa wiedergaben, was die größte Tageszeitung in Sydney vermeldete: „Für einen Eklat sorgte heute die sich zur Königin der neuen Country-Music mausernde Jody Johnson. Auf ihrer Pressekonferenz in Sydney erklärte sie freimütig: 'Ja, ich bin lesbisch.' Auf die Frage, warum sie sich in Australien oute, antwortete Johnson, 30, den Reportern: 'Weil ihr mich gefragt habt. Es ist ja kein großes Geheimnis. Nur wart ihr Jungs einfach höflicher. Ihr habt mich gefragt, bevor ihr losgegangen seid und eure Geschichte geschrieben habt. Wer mir eine Frage stellt, bekommt meistens eine Antwort!'" Dann hieß es weiter: Jody und ihre Band unternehmen in Australien eine ungewöhnliche Outback-Tour-nee, die gefilmt wird. Auf die Frage, warum sie sich für Australien entschieden hat, antwortete Jody: 'Schließlich hat es bisher noch niemand gemacht.' Man geht davon aus, daß der einstündige Dokumentarfilm für einen U.S.-Sender an das australische Fernsehen verkauft wird." Nachdem Ed Doulan auf dem Flug von Sydney nach Adelaide jede Zeitung eingehend studiert hatte, hatte er erleichtert aufgeatmet und nervös grinsend zu Jody gesagt: „Na ja, Jody, ich schätze, du hast das Richtige getan. Ich war zwar nicht deiner Meinung, aber die Sache hier läßt sich wirklich gut an. Die Aussies scheinen dich eher noch mehr zu mögen als vorher. Diese Publicity ist echt stark einfach unbezahlbar. Gut gemacht, Mädel." Jody hatte die Stirn gerunzelt und scharf gekontert:
„Nichts da, Ed. Ich hab' doch keine Reklame gemacht, ich hab's für mich getan. Ich hab' die Gerüchteküche satt. Schließlich geht es niemanden etwas an. Aber jetzt sind sie alle im Bilde, und damit wird es langweilig. Vielleicht kann ich jetzt einfach Musikerin sein." Ed hatte ihr beschwichtigend den Arm getätschelt. „Sicher, Jody, sicher." Dennoch war ihm nicht entgangen, mit welcher Aufmerksamkeit das Flugpersonal Jody bedachte, vor allem die Stewardessen, woraus er den Schluß zog, daß sie in den Augen der Öffentlichkeit eben nicht einfach Musikerin war und daß seine Investition in die Jody Johnson-Band noch immer eine gute war. Und weil sie so hartnäckig Risikofreude gefordert hatte - weshalb ihm auf dem Flug über den Pazifik noch flauer war als sonst -, war es ein Investment, das sich womöglich weit mehr auszahlte, als er sich im Lauf seiner wechselvollen Karriere erträumt hatte. Dieser Trip nach Australien war in Eds Augen eine Tournee zur Festigung des immer ausgeklügelteren Konzertprogramms, nachdem sich das letzte Album ein Jahr zuvor glänzend verkauft hatte. Dieser Trip war die Vorbereitung auf eine dreimonatige Ochsentour durch die Vereinigten Staaten, bei der sie alles auf eine Karte setzten. Ed hoffte auch, daß der Film dazu beitrüge, Jodys Position als großer Star zu festigen. Er hatte wochenlang täglich zwölf Stunden in seinem engen Büro in Los Angeles zwischen Fax und Computer verbracht, um die komplizierte Tournee durch den australischen Kontinent mit den Veranstaltern vertraglich festzuklopfen und mit dem Film abzustimmen. Schließlich hatte er den Bus für den OutbackTrip gebucht, den Daumen gedrückt und im stillen ein Stoßgebet gen Himmel geschickt, daß es das nächstemal Fünfsternehotels und nur noch Flüge erster Klasse wären. Als Jody darauf bestanden hatte, daß die Band
geschlossen mit dem Bus in den Outback fuhr, hatte Ed protestiert und es nicht notwendig gefunden, er und Jody könnten es sich leisten, zwischen Drehorten und Konzerten hin und her zu Jetten. Doch Jody hatte sich nicht davon abbringen lassen und die Reise sowohl zur Akklimatisierung als auch zur erneuten Festigung der Gruppe gewollt, die die letzten acht Monate in alle Winde zerstreut gewesen war. „Wir sind immer beieinander gewesen, Ed, genau das hält die Band zusammen. Wenn du uns für die nächste Tournee einen Privatjet buchen willst, mach dich besser sofort an die Arbeit und handle die Daten und Prozente aus. Und sorg vor allem dafür, daß ich das Studio und die Tontechniker kriege, die ich für die Aufnahme will - sonst gibt es keine nächste Tournee." Ed mußte zugeben, wie meistens in den vergangenen sechs Jahren, daß Jody wahrscheinlich recht hatte. Er sah von seinem Rechner auf - die Pressekonferenz hatte den Kartenverkauf noch mal angeheizt - und blickte sich nach seiner Band um. Im Gegensatz zu den Männern schlief Jody nicht, sondern starrte in die vorbeiziehende Landschaft hinaus und sog deren Fremdartigkeit in sich auf: die Bäume, Farben und Formen, die so ganz anders waren als alles, was sie aus ihrer Kindheit in den Wäldern und Bergen des Staates Washington kannte. Eds geübtes Auge sah, daß sie gelassen und ausgeruht wirkte, doch der entschlossene Zug um den Mund und der geistesabwesende traurige Ausdruck in ihrem Blick schmerzten ihn. Er wußte besser als die anderen, wie einsam und leer solch ein Privatleben sein konnte. Im Gegensatz zu den Jungs war sie nicht scharf auf den Trost flüchtiger Nächte auf Tournee, und in all den Jahren, die sie und Ed die Band aufgebaut und zum Erfolg geführt hatten, waren nur wenige Geliebte geneigt oder in der Lage gewesen, den zweiten Platz
einzunehmen und still zu Hause zu sitzen, während Jody unterwegs war, manchmal wochenlang. Oft dankte Ed seinem glücklichen Stern für das Wunder, daß Jody sich mit ihrem Alleinsein abgefunden zu haben schien und sich nicht der üblichen Krücken des Musikerdaseins bediente. Vielmehr hatte sie darauf bestanden, bei den Verträgen mit den Bandmitgliedern zur Bedingung zu machen, daß Drogen tabu waren, woran sich alle hielten, von Bier und Bourbon nach den Konzerten abgesehen. Jody mußte gemerkt haben, daß er sie ansah, vielleicht hatte sie auch seinen Seufzer gehört, trotz des gleichmäßigen Dröhnens des Dieselmotors. Sie blickte zu ihm hinüber und zog fragend die Brauen hoch. Ed grinste und schüttelte den Kopf, und als sie zurückgrinste, tat sein Herz einen Satz, wie so oft, wenn sie ihn unerwartet mit ihrem warmherzigen Lächeln bedachte, das er zu selten bei ihr sah. Er stand auf, balancierte nach hinten zu ihrem Sitz und beugte den Kopf an ihr Ohr. „Der Vorverkauf läuft rasant. Wir könnten ein paar Zusatzkonzerte machen." Jody grinste. „Und wo?" „Sydney, Brisbane und Melbourne. Vielleicht auch Perth, wenn noch Zeit ist." „Lohnt sich das?" „Ich arbeite gerade daran." Er deutete auf sein elektronisches Werkzeug. „So was ist immer ein gutes Geschäft - Zusatzkonzerte sprechen sich schnell herum." „Sicher." Jody streckte seufzend die langen Beine. „Aber es ist doch schon jetzt terminlich sehr eng, Ed, vor allem durch diesen verflixten Film. Und ich muß noch ein paar Lieder schreiben, ehe wir nach L.A. zurückfliegen." Er tätschelte ihr beruhigend die Schulter. „Wir müssen ja nichts übers Knie brechen, Schätzchen. Zuerst müssen wir dies hier mal durchziehen."
Ja, und sag mir noch mal, warum wir eigentlich mitten ins Nichts fahren. Mein Gott, Ed, hier ist ja der Hund begraben." Ed gluckste. „Unterstützung der Farmer. Wohltätigkeitsfest. Großes Rodeo. Letzten Dezember haben sie dir die Unterlagen geschickt, und du warst absolut überzeugt, daß wir da reinpassen. Ich hab' dir gesagt, daß das eine mordsmäßige Tour ist, aber du warst ganz versessen darauf. Und inzwischen hat auch die Filmproduktion Gefallen daran gefunden. Deshalb sind wir jetzt hier." Ächzend verdrehte Jody die Augen. „Aber du bist der Manager, wieso hast du mir nicht gesagt, daß es eine Schnapsidee ist und wir hier zwei Jahre auf Achse sind, um an irgendein Ziel zu kommen?" „Du hast erklärt - und ich zitiere wörtlich: ,Wir sollten unbedingt den Outback sehen, wenn wir schon mal die Möglichkeit haben, Ed. Und diese Leute auf den Farmen könnten eine Abwechslung und Unterstützung gut gebrauchen. Und sie haben uns darum gebeten.' Zitatende." „Wie kommt's, daß du dich so genau daran erinnerst, während dir andere Dinge entfallen sind, wenn ich mal etwas wirklich Wichtiges von dir wissen will?" „Zum Beispiel?" „Weiß ich jetzt auch nicht - deshalb sage ich dir ja immer, was wichtig ist und daß du es nicht vergessen sollst!" Sie knuffte ihm liebevoll das Knie. „Klar doch, Schätzchen, klar. Deshalb fahren wir also zum Farmer-Rodeo nach Nirgendwo, Outback Australiens, Universum, Weltraum." Ehe sie weitersticheln und sich Dinge zum Spaß an den Kopf werfen konnten, ertönte ein dumpfes Knallen aus den Tiefen des Motors. Der Bus schlingerte wie verrückt von einer Straßenseite zur anderen, so daß Ed einen Moment die Balance verlor. Dann gab es einen mächtigen Ruck, der Motor lief rumpelnd weiter, klang aber eher
ungesund - wie ein Zementmischer voller Steine. „Was zum Teufel ist los, Andy?" riefen die unsanft geweckten Mitglieder der Band. Der Fahrer starrte entgeistert auf das Armaturenbrett, während er auf das Rumpeln des Motors hörte. „Weiß nicht!" rief er zurück. „Klingt aber gar nicht gut." Er griff nach der aufgeschlagenen Landkarte auf der Konsole und teilte seine Aufmerksamkeit eine Minute lang zwischen ihr und der Straße vor ihm. „He, Boß", rief er Ed zu, „Wir sind etwa eine Stunde von Davanzos Truckstop am Barralong Creek entfernt. Dort haben sie eine Werkstatt, und ich denke, wir müssen da halten und sehen, was los ist. Mir ist nicht wohl, das alte Mädchen stottert zu sehr, um weiterzufahren." Ed seufzte und sah in die zustimmenden Gesichter seiner Schützlinge. „Na gut, Andy, aber was für ein Flecken ist das? Kriegen wir dort etwas zu essen?" Er starrte skeptisch auf das leere blaugraue Band der Straße vor ihnen. „Auf jeden Fall, Boß. Davanzos ist eine der besten Raststätten auf der Welt. Tolles Futter und sehr nette Leute. Da sind Sie gut aufgehoben." „Also dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, schätze ich. Die Innereien der ollen Tammy sind Ihre Sache." Andy lachte. „Ich glaube kaum, daß Miss Wynette so was gern hört." „Da mögen Sie recht haben." Ed grinste. „Sie weiß ja nicht, daß es eine Ehre ist." Er drehte sich zu seinen Schützlingen um, die ihn etwas ratlos ansahen. „Ladies und Gentlemen, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit", verkündete er mit seiner besten Pilotenstimme. „Wir werden gleich einen kurzen außerplanmäßigen Zwischenstop an irgendeinem Creek einlegen. Dort können wir die Aussicht
betrachten und einen Happen essen, während Andy sich um Ol' Tammy kümmert und nachschaut, was sie plagt. Darf ich Sie bitten, mir vor dem Verlassen Ihre Boardkarten auszuhändigen. Vielen Dank." Unter allgemeinem Aufstöhnen flogen ihm Papierknäuel entgegen, die er an sich abprallen ließ. „Andy sagt, dieser Truckstop ist für gute Küche bekannt, und ich bin sicher, daß es euch dort besser gefällt als irgendwo da draußen." Wedelnd deutete seine Hand auf die menschenleere Gegend hinter den Scheiben. „Sonst noch Fragen?" Raunzen und Sticheleien waren die Antwort, während er sich setzte und ungerührt seinen Computer bearbeitete, obwohl ihm in Wahrheit das Herz in die Hose rutschte. Er warf Jody einen heimlichen Blick zu, doch die schien die Aussicht draußen noch faszinierender zu finden als zuvor. Er wußte, wenn es Probleme gäbe, konnte er sich darauf verlassen, daß sie mit ihrer stoischen Art, ihrem Humor und ihrer Gelassenheit, mit der sie Schicksalsschläge wie verpaßte Flüge, Kurzschlüsse in der Elektrik oder Übelkeit bei Bustouren hinnahm, ihm über die Streitereien mit den hitzköpfigen, arroganten jungen Männern hinweghalf. Manchmal empfand er Jodys coole Art fast schon als ungesund. Dann hatte er das Gefühl, sie resigniere eher, als daß sie die Umstände akzeptierte, emotional war sie dann unerreichbar. Oft kam es ihm auch vor, als verschließe sie sich völlig und reagiere wie ein verwundetes Tier, das sich isoliert und verkriecht. Ed fiel der Abflug aus Adelaide am frühen Morgen ein, als die Presse sie schon erwartete und Mitglieder der Band sich auf sie gestürzt hatten. Allen voran Red Douglas, ein ungehobelter, extrovertierter Bursche, der - wie Ed argwöhnte - unbewußt eifersüchtig auf Jodys Attraktivität für Frauen war, der sich lauthals mit diversen Enthüllungen aufgespielt und nicht einmal den
eisigen Blick Jodys mitgekriegt hatte, die sich in diesem Moment völlig einkapselte, als er sie unbedacht und in gefühlloser Weise mehr demütigte als alles, was man über sie auf die Titelseite hätte schmieren können. Auch jetzt war sie in sich gekehrt und stumm, hatte die Knie unter das Kinn gezogen, die Hände lose um die Knöchel geschlungen; das mulmige Gefühl, das die Männer verbreiteten, prallte einfach an ihr ab. Nach einer Weile raffte sie sich auf und zerstreute die Bedrücktheit der Truppe, indem sie auf eine Gruppe von Känguruhs aufmerksam machte und mitlachte, als Darren Juneau die Tiere imitierend mit halbgeschlossenen Augen, hocherhobener Nase, die Hände unterm Kinn, durch den Mittelgang hopste. Als Andy schließlich rief: „Bitte anschnallen, wir werden jetzt landen", war die bedrückte Stimmung gewichen. Alle starrten erwartungsvoll durch Ol' Tammys Windschutzscheibe auf das hinter Bäumen versteckte große Rasthaus. *** Solange irgendein Lastwagenfahrer zurückdenken konnte, hieß der Truckstop auf dem Highway nach Norden „Davanzos" - seit über vierzig Jahren. Er war all die Jahre in Familienbesitz geblieben und wurde inzwischen von der zweiten Generation geführt, von Margaret und Tony Davanzo, mit tatkräftiger Unterstützung von Tonys Mutter Iris, deren Mann auf dem Hügel hinter dem Haus begraben lag. Andy schaltete die Gänge herunter und ließ den Bus langsam von der Straße auf den Parkplatz unter mächtigen Eukalyptusbäumen rollen, ehe er ihn sachte abbremste. Jody bemerkte, als sie sich umsah, daß sein behutsames
Fahren nur eine kleine rote Staubfahne aufgewirbelt hatte. Sie lächelte ihm im Rückspiegel zu und reckte anerkennend die Daumen. Er errötete tatsächlich und grinste verlegen, was sie amüsierte. Jody hatte es nicht eilig und ließ die Männer zuerst aussteigen. Hinter einem hohen verwitterten Blechdach, das die Zapfsäulen schützte, stand das Rasthaus, ein langgestrecktes zweistöckiges Gebäude aus Holz und verwittertem Eisen, um das sich eine breite, geisblattberankte Holzveranda zog, über die sich eine prächtige magentarot blühende Bougainville erhob. Dahinter konnte Jody die Motelanlage im Schatten alter Pfefferbäume ausmachen, die das gewundene Flußbett säumten, sowie ein halbes Dutzend rustikaler Picknicktische und Bänke und etliche Feuerstellen aus groben Steinen zum Grillen. Die Musiker interessierte das wenig. Sie schlenderten auf das Haus zu, eine lässige, extravagant erscheinende Bande, die einen großen Auftritt abzog. Das Ganze war relativ harmlos, dennoch brachte Jody immer öfter nicht die Energie auf, eine solche Performance mitzumachen. Trotzdem gab es natürlich ein Image zu wahren. Sie grinste in sich hinein, griff unter ihren Sitz, um sich zu vergewissern, daß der verwegene Hut „Nummer zwei", den sie im Park gegenüber dem Hotel in Adelaide erstanden hatte, mit den australischen Papageienfedern in Hellrosa im Netz lag. Sie drehte ihr Haar zu einem Zopf auf dem Kopf und stülpte den Hut darüber, ehe sie aus dem Bus stieg und ihr zum erstenmal die überraschend schwere, heiße, staubige Outbackluft entgegenschlug. Bis sie die Türen des Rasthauses, über denen in poppigen roten Neonlettern „Davanzo" stand, erreichte, liefen ihr bereits Schweißperlen zwischen den Schulterblättern herab. Ben stand im Eingang, wischte sich mit dem
Hemdsärmel übers Gesicht und bemerkte stirnrunzelnd: „Und das soll Frühling sein?" Er klang skeptisch und verstimmt. Jody drückte ihm feixend die Schulter. „Im Februar friert es dir in Oklahoma die Finger ab, das ist mal sicher", sagte sie und schlüpfte an ihm vorbei. „Komm, Drummer, ich spendiere dir ein kühles Gläschen." Drinnen blieb sie wie angewurzelt stehen. Das Haus war überraschend kühl und dämmrig, nach der Hitze und grellen Sonne draußen - was wohl an der umlaufenden Veranda und den abgeschwenkten Holzklappen lag. Nur der Lärmpegel war drinnen höher als erwartet. Mit einem Blick sah sie, daß der Tumult von einer Runde Lastwagenfahrer kam, die sich um die Männer der Johnson-Band scharte. Man klopfte sich unter großem Hallo gegenseitig anerkennend auf die Schultern, ein Männerritual, wie es zwischen CountryMusikern und Truckern oftmals üblich ist. Dazu gehörte, daß auf jeden Fetzen Papier unter lautem Lachen Autogramme gegeben wurden. Einige andere Gäste - unerschrockene Campingbusreisende und Rucksacktouristen in derber Reisekluft - betrachteten interessiert und amüsiert dieses Spektakel. Hinter der Theke standen zwei Leute mit rotweißgepaspelter Schürze und mit Namen verzierter Tasche auf dem Lätzchen. Das mußten die Besitzer Tony und Margaret Davanzo sein, ein ansehnliches grauhaariges Ehepaar, das die Invasion ihres Etablissements einigermaßen verblüfft, aber tolerant zur Kenntnis nahm. Als Red bemerkte, daß Jody und Ben im Eingang standen, stieß er einen Freudenschrei aus, Jo-dee!", woraufhin sich die LKW-Fahrer auf sie stürzten, um ihre Bekanntschaft zu machen. Mitten in diesem Trubel verdrehte Ed die Augen und sah sie flehend an. Jody grinste und schlenderte, bewußt so lässig sie konnte, hinüber. Falls jemand sie für eine krude Männerhasserin gehalten hatte, überzeugte ihr
Gang vom Gegenteil - sie wirkte eher wie ein Model auf dem Laufsteg, vor allem angesichts ihrer verwaschenen Jeans und des ausgebleichten Hemds, die nicht etwa aus dem Supermarkt, sondern eigens für sie angefertigt waren, so daß ihre langen Beine, die schmale Taille und die vollen Brüste gut zur Geltung kamen. *** „Aber es ist keine Verschwendung", hatte sie damals zu Ed gesagt, als sie am Anfang noch jedem Pfennig nachlaufen mußten und er ihr Extravaganz vorwarf. „Ich weiß, wie Ware präsentiert werden muß, und seien wir mal ehrlich, ich bin doch die Ware, die wir verkaufen." Sie hatte es so nüchtern gesagt, daß er in diesem Moment entschied, ein für allemal bei der Stange zu bleiben. Sie hatte Großes vor. An diesen Moment damals mußte er denken, als Jody im Mittelpunkt der Gruppe stand und ihren Charme sprühen ließ, witzige Bemerkungen machte und Autogramme auf eine Weise gab, als ob sie das Beste vom Besten verkaufte. Dann mischte sie sich unter das Volk, als wäre sie „einer der Jungs", und Ed zog sich unbemerkt zurück, um sich an der Theke vorzustellen, Andys Malheur mit dem Bus zu schildern und Essen und Trinken für seine Band zu bestellen. Ed war auf jede Begrüßung gefaßt - von direkter Feindseligkeit bis zu überströmender Freundlichkeit hatte er bereits alles erlebt, und so war er freudig überrascht, als Margaret und Tony ihm herzlich die Hand schüttelten und ihn und die Band willkommen hießen, wobei sie ihm versicherten, daß die Jody Johnson-CD zu den beliebtesten in der Musicbox gehörte. In diesem Moment öffneten sich die beiden Flügel der Küchentür, und Tony deutete auf die große dunkelhaarige Frau, die wegen des
Lärms herausschaute. „Mr. Ed, dies ist meine Tochter Graziella", sagte er voller Stolz. „Komm, ich mache dich mit Mr. Ed bekannt. Er ist der Manager der Jody Johnson-Band." Damit deutete er in die Mitte des Raums. „Ed, Ma'am, einfach nur Ed", stellte Ed sich mit dem Anflug einer Verbeugung vor, als ihn die kühlsten, dunkelsten, tiefsten Augen, die er je gesehen hatte, freundlich musterten. „Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Ed", sagte sie mit ebenso dunklem Timbre. „Alle außer meinem Vater nennen mich Grace, also Grace auch für Sie." „Sie ist unser Stolz und unsere Freude", erklärte Tony Davanzo und strahlte seine Tochter an. „Sie hat die Universität absolviert und einen Abschluß in Geisteswissenschaften, außerdem macht sie sich einen Namen als Malerin und Illustratorin unserer einheimischen Flora und Fauna." „Papa! Bitte!" protestierte Grace lächelnd über den unverhohlenen Stolz ihres Vaters. Margaret Davanzo schlug mit dem Bestellblock nach ihrem Mann. „Alter, du schwätzt zuviel", konstatierte sie grinsend. „Grace, Liebling, wir haben zum Lunch noch ein paar hungrige Mäuler zu stopfen." Dann fragte sie Ed: „Wie wär's mit meiner Spezialität: Pasta mit Fleischklößchen in Tomatensoße, dazu gutes Brot, frischen Salat und Obst?" „Das klingt verlockend, Ma'am", ertönte Jodys Stimme in Eds Rücken. Sie hatte sich aus dem Männerknäuel gelöst und lehnte sich jetzt mit breitem Lächeln an die Theke. „Dies muß der Himmel sein, nur wußten wir noch nicht, daß wir bereits gestorben sind." ***
Das Gelächter verstummte, und Jody, die hinter dem verglasten Tresen stand, in dem Snacks warmgehalten wurden, merkte, daß Grace nicht in das Gelächter eingestimmt hatte, sondern ihre Mißbilligung kaum verhehlte. Die rüde Art der Bandmitglieder stieß sie fraglos ab - typisch Rockmusiker, Jody konnte fast sehen, daß sie das dachte —, und offenbar galt das auch für die Bandleaderin. Doch Tony und Margaret schienen die frostigen Blicke der beiden nicht zu bemerken. Ihnen war die Begeisterung anzusehen, Jody unter ihrem Dach zu haben, und Grace stand die Überraschung im Gesicht, als ihre Eltern sich als große Fans entpuppten. Margaret nannte gerade ihre Lieblingslieder auf der CD. Und zu Jodys Verblüffung redete sie dann über die letzten drei Alben, von denen Jody wußte, daß sie nicht sehr bekannt geworden waren. Die Frage war, wer sich mehr wunderte - Jody oder Grace. „Ich dachte, du interessierst dich nur für Opern, Papa. Was ist mit Callas und Tebaldi passiert?" „Ich glaube, dieses Kind war einfach zu lange von zu Hause fort und zu lange auf der Uni", sagte Tony und umarmte seine Tochter so herzlich, daß es nicht als Kritik zu werten war. „Da hat dein Vater ausnahmsweise recht", erwiderte Margaret. „Du verstehst das nicht, Grace. Jody singt wie ein Engel - sie könnte fast Italienerin sein." Jody prustete vor Lachen und schlug auf den Tresen, sie produzierte sich, um Graces Bild von der blöden CountrySängerin zu bestärken, merkte sie betrübt. „Sie sind zu jung, um sich an Connie Francis zu erinnern!" erklärte Margaret Jody. „Aber Ihre Stimme erinnert mich an sie - nur sind Sie besser." Jody nahm ihren Hut ab und streckte Margaret die Hand entgegen, diesmal produzierte sie sich nicht. „Ich nehme das als ein Kompliment, Ma'am", sagte sie gerührt
und war nur leicht brüskiert, als Margaret sich über die Theke beugte und sie auf beide Wangen küßte. Da wollte Tony nicht zurückstehen, er ergriff ihre freie Hand und küßte sie schwungvoll. Aus schierer Bosheit blickte Jody Grace an, klimperte mit den Wimpern und zog die Augenbrauen hoch, als wollte sie sagen: „Siehst du! Dagegen bist du machtlos." Und Grace, die sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte, verdrehte verzweifelt die Augen. „Okay, Sie haben gewonnen", sagte sie zu Jody, was ihre Eltern und Ed verwunderte, dann fügte sie hinzu: "Jetzt muß ich mich um Ihr Essen kümmern, wenn Sie alle mich entschuldigen wollen." *** Im Trubel des Kommens und Gehens im Restaurant bemerkte nur Ed, daß Jody nicht die einzige war, die Grace nicht aus den Augen ließ, bis sie in der Küche verschwand. Red Douglas hatte unverzüglich seine Antenne ausgefahren, sobald er einer schönen Frau ansichtig wurde, und statt seine lautstarke Unterhaltung mit Levine Brown und einem bärtigen Lastwagenfahrer fortzusetzen, verschlang er Grace mit seinen blaßblauen Augen. Ed hätte nicht sagen können, ob das Flattern in seinem Magen eher eine dumpfe Ahnung war oder etwas Erfreulicheres, als er sich über die Möglichkeiten den Kopf zerbrach.
2 In der vergleichsweise himmlisch ruhigen Küche holte Grace tief Luft und lehnte sich an die kalte Metalltür des Kühlraums. Auch wenn sie inzwischen achtundzwanzig war und verheiratet und geschieden, konnte sie nicht daran rütteln, daß ihr Vater stolz auf sein einziges Kind war und seine Tochter anbetete - nichts hatte sich geändert seit damals, als sie das erstemal mit einem frischgestärkten weißen Taschentuch in die Schule gegangen war. Und doch mußte sie, wieder einmal, feststellen, daß ihr in den Jahren fern von zu Hause einiges über ihre Eltern entgangen war. Es gefiel ihr, wie großzügig und klug sie in ihren Ansichten über die meisten Dinge waren - daß es nie ein Wort der Kritik oder Skepsis gegeben hatte, als sie ihren Mann verließ und psychisch wie physisch verletzt reumütig nach Hause zurückgekehrt war. Und doch überraschten sie sie immer wieder, dachte sie sarkastisch, während sie sich fragte, ob die beiden die Morgenzeitungen gelesen hatten, die mit Bildern und Sensationsstories ihres neuen, spontan ins Herz geschlossenen Gastes gepflastert waren. Was, so fragte sie sich, dachten sich ihre Eltern bei Jody Johnsons offen bekannter Sexualität? Was dachte sie, die guterzogene Grace Davanzo, sich dabei? Sie sah Jodys grinsende, liderklappernde Augen vor sich und erinnerte
sich genau an Jodys Haar, das in wirrem honigblonden Zopf auf die Schulter fiel, als sie den Hut abnahm. Und sie erinnerte sich auch - wie ihr mit großer Erleichterung bewußt wurde — an das anerkennende Glänzen in Reds blauen Augen und an die Sinnlichkeit seines Lächelns, als sein Blick sie langsam, bedächtig, von unten bis oben und von oben bis unten gemustert hatte. Die plötzliche Hitze zwischen ihren Beinen und das unvermittelte Herzklopfen trafen Grace wie ein Schock. Großer Gott, dachte sie, zwei Jahre ohne Mann und ich bin zu allem bereit. Aber, so schalt sie sich selbst, das war ein frivoler Gedanke und so wahrscheinlich wie Frost an einem Sonntag im Hochsommer. .. „Grace! Was stehst du da und träumst?" rief ihre Mutter in der Schwingtür. „Wir brauchen jede Menge Fleischklößchen, um die Armee da draußen abzufüttern. Soll ich dir helfen?" Schuldbewußt fuhr Grace hoch, tat einen Satz von der Kühltür und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Entschuldige! In fünf Minuten kriegst du soviel Fleischklößchen, daß sie dir aus den Ohren kommen." „In den Mund der Gäste würde reichen, mein Schatz." Grace widmete sich der frischen Tomatensoße im Topf, und so entging ihr der aufmerksame, erstaunte, doch liebevolle Ausdruck in Margarets Augen - ein Ausdruck, der haften blieb, nachdem sie bereits ins Restaurant zurückgekehrt war. Kaum eine halbe Stunde später war das Essen fertig. Es kam nicht oft vor, daß Grace die Küche verließ. Die Unterhaltung mit den Gästen liege ihr nicht, hatte sie ihren Eltern erklärt. Sie war von Natur aus eher zurückhaltend, und durch ihre jahrelange Abwesenheit von zu Hause fiel es ihr um so schwerer, den verbindlichfreundlichen Ton zu treffen, der bei ihren
Gästen so gut ankam. Doch als die Schüsseln mit den dampfenden, knoblauchgewürzten Fleischklößchen in pikanter Soße auf den Tabletts standen, um serviert zu werden, legte sie - zur eigenen Verwunderung wie der ihrer Mutter - die Schürze ab, fuhr sich durch die kurzgeschnittenen dunklen Locken und schickte sich an, das Essen auf den Tisch zu bringen. Mit einem Blick erfaßte sie, daß Jody nicht an die Tische der rauhbeinigen Männer zurückgekehrt war, sondern auf einem Hocker an der Theke saß und mit hingerissenem Lächeln Margaret und Tony zuhörte, die ihr offenbar die gesamte Lebensgeschichte des Davanzo-Clans unterbreiteten. „Was für eine Schauspielerin", dachte Grace verdrießlich. Daß sich Margaret und Jody benahmen, als seien sie alte Freundinnen, war unübersehbar. Und dann entdeckte sie Iris, ihre bärbeißige Großmutter, was Grace völlig aus dem Konzept brachte. Die alte Frau hatte es tatsächlich aus ihrem Hinterzimmer vor dem Fernseher weggelockt, von ihrer heißgeliebten und verfluchten mittäglichen Talkshow. Jetzt schüttelte sie sich laut vor Lachen über etwas, das Jody ihr zuflüsterte. Stirnrunzelnd balancierte Grace die Tabletts zu den beiden Tischen, die die Band mit Beschlag belegt hatte. Das Gejohle und die begeisterten Seufzer, als sie den Essensduft schnupperten, fand Grace etwas kindisch, aber auch süß - es nervte sie weniger, als sie gedacht hatte. Während Jenny, die Serviererin, den Tisch mit weißem Prozellan und schlichtem, solidem Besteck deckte, servierte Grace das Essen und ließ sich sogar zu einigen Scherzen hinreißen, als der gutaussehende Red mit ihr anbändelte. Auch wenn ihr kein Wort davon haften blieb, fand sie es doch bestürzender als erwartet, daß sie im Schäkern derart ungeübt war. Mit einem Seufzer der Erleichterung
zog sich sich hinter die Theke zurück, wo sie aus sicherer Entfernung den ganzen Raum überblicken konnte. Jody machte keine Anstalten, sich zu ihrer Band zu gesellen, und schien es nicht eilig zu haben, den Familiengeschichten der Davanzos zu entkommen. Sie wirkte völlig entspannt und hatte eine eigentümliche Aura von Glamour und Eleganz, obwohl sie lediglich ein schlichtes hellblaues Baumwollhemd und verwaschene Jeans trug, dachte Grace und fragte sich, ob dies die typische Kostümierung für Country-Sängerinnen war -die Kleidung saß wie angegossen, wirkte aber bequem, sie zeigte einen schlanken, wohlproportionierten Körper, ohne ihn besonders zur Schau zu stellen. Die unerläßlichen Accessoires im Westernlook fehlten natürlich nicht: ein silber-türkis gewirktes Halstuch und hochhackige schwarze Lederstiefel, staubig und abgetragen, als wäre sie damit verwachsen. So lange Beine hat niemand verdient, dachte Grace gerade, als Jody sich unvermittelt umdrehte und sie mit ihren grünen Augen anlächelte - warmherzig und nüchtern zugleich. Irritiert merkte Grace, daß sie rot wurde, und lächelte enthusiastischer zurück, als sie sich im allgemeinen gestattet hätte. „Sie scheinen hier alle mächtig nett zu sein", sagte Jody in übertriebenem James Stewart-Tonfall und mit einem Schmelz wie Schokolade, was ironisch gemeint war. „Ist es möglich, eine Tasse dieses feinen Aussie-Kaffees aus einer dieser Maschinen zu bekommen?" Ehe Grace sich rühren oder antworten konnte, stand ihre Mutter schon an der Maschine, wobei sie ihren Mann fast über den Haufen wirbelte, und versicherte Jody, sie mache ihr einen „echten Espresso". Unwillkürlich mußte Grace über ihre Mutter lächeln, die vor dieser hübschen und offensichtlich charmanten Fremden total kapituliert hatte. Und sie fragte sich, was für ein Leben ihre Mutter
gewählt haben würde, hätte sie damals nicht Tony geheiratet und säße somit nicht in der täglichen Mühle und Abgeschiedenheit dieser Raststätte. *** Wieder in der Küche, begann Grace mit den weiteren Essensvorbereitungen. Wie wählen wir uns unser Leben? fragte sie sich, während sie Knoblauch und Zwiebeln hackte. Gab es so etwas wie Schicksal, oder war das bloß eine Ausrede? Sie hatte sich entschieden, Scott zu heiraten, und sich entschieden, ihn zu verlassen. Zumindest sollte das eine Wahl gewesen sein. Widerstrebend rief sie sich ins Gedächtnis, wie er sich in ihr Leben gedrängt, es ihr aus der Hand genommen hatte, bis sie sich in diesem absurden System wiederfand, das er sich erträumte. Anfangs war es toll gewesen, nach ihrer behüteten Kindheit und ihrer noch mehr behüteten Klosterschulzeit in Adelaide richtig aufregend. Doch dann, als die Berg- und Talbahn der Ideen, wie Scott zu Geld kommen könnte, sich mehr abwärts als aufwärts bewegte, war das nicht mehr so aufregend, sondern ein beängstigender und schließlich lebensbedrohlicher Absturz. Grace schnitt sich mit der scharfen Klinge in die Kuppe ihres Zeigefingers und legte das Messer hin. Bei dem Gedanken an Scott und an die Jahre ihrer Ehe regte sie sich noch immer auf, und das war so unerfreulich wie gefährlich. Sie atmete ein paarmal tief durch und betrachtete den Schnitt, aus dem dunkles Blut tropfte. Einen Moment lang sah sie das gräßliche Bild vor sich, wie ihr das Blut aus der Nase und aus der klaffenden Wunde in der Augenbraue lief, als er im betrunkenen Zustand eines Nachts ihren alten Wagen zu Schrott fuhr; wie ihr das Blut
den Rücken runterlief, als er sie das letzte Mal prügelte und zu einer anderen ging - „zu einer richtigen Frau, die nicht so 'ne Zicke ist wie du!" hatte er über die Schulter gebrüllt. Das war das vorletzte Mal gewesen, daß sie ihn gesehen hatte. Das letzte Mal war im Büro der Scheidungsanwältin gewesen, als er sie vergeblich daran zu hindern versuchte, die kärglichen Habseligkeiten mitzunehmen, die ihr gehörten. „Grace, mein Schatz..." Grace sprang erschrocken auf, als ihre Mutter den Arm um sie schlang. „Ma! Hast du mich erschreckt!" Grace lutschte das Blut von ihrem Finger und rang sich ein Lächeln ab, doch ihre Mutter ließ sich nie etwas vormachen und sah sie mit ihren dunklen Augen durchdringend an. „Nur ein kurzer Alptraum, Mama. Wie immer beim Zwiebelschneiden. Das läßt mir soviel Zeit zum Grübeln." Grinsend küßte sie ihre Mutter auf die Spitze der Adlernase. Ihre Mutter küßte zurück. „Du hast dir immer den Kopf über die falschen Dinge zerbrochen", erklärte sie und umarmte ihre Tochter. „Im Augenblick sollten wir uns Gedanken über die guten Dinge machen, zum Beispiel, wo wir sie unterbringen, und über das Abendessen." „Ja, bleiben sie denn?" „Das müssen sie wohl. Irgendein ernstes Problem mit dem Bus, und sie brauchen zur Reparatur Ersatzteile aus Adelaide. Die kommen nicht vor morgen abend. Was uns nur recht sein kann." „Stimmt. Die Betten sind jedenfalls frisch bezogen. Das haben Jenny und ich gestern gemacht. Sie können sich gleich hineinlegen." Margaret knuffte sie liebevoll. „Was werden wir nur ohne dich anfangen, wenn du einmal weggehst, Schatz? Dein Vater und ich, wir sind wirklich sehr froh, daß du dich um alles kümmerst. Das weißt du, nicht wahr?"
„Sicher, Ma, aber ich gehe ja nicht weg. Und das letztemal habe ich große Scheiße gebaut. Außerdem reißt man sich ja nicht gerade um mich." Grace widmete sich wieder dem Zwiebelschneiden, doch ihre Mutter unterbrach sie. „Sag so etwas nicht, Grace. Das solltest du auch nicht denken. Du bist ein wunderbares Mädchen, und ein ebenso wunderbarer Mensch wird dir begegnen. Warte, und du wirst es erleben." Grace grinste und spaltete mit einem Hieb eine Zwiebel. „Sicher, Mama. Vielleicht. Aber ich weiß nicht, ob ich für irgendwen zu haben bin, wunderbar oder nicht." „Gerade dann passiert es - wenn du nicht zu haben bist. Warte, und du wirst es erleben. Jetzt laß mal das Zwiebelschneiden und zeige den Gästen ihre Zimmer. Dein Vater steckt bis über die Ohren in diesem Busmotor, und deine Großmutter kommt mit den Schlüsseln nicht klar, und ich..." Sie krempelte die Ärmel auf, seufzte tief und sah überaus glücklich aus. „Ich muß jetzt die Gnocchi für Jody machen." Grace gab sich geschlagen und band die Schürze ab. „Hast du die Anmeldungen schon ausgefüllt, Mama?" erkundigte sie sich, während sie die Hände unter wohltuend kaltes Wasser hielt. „Dein Vater hat den Papierkram mit Mr. Ed erledigt. Die Jungs bekommen drei Bungalows, und Jody kann Nummer acht kriegen." Grace nickte ohne Kommentar. Nummer acht war vom Rasthaus am weitesten abgelegen und durch zwei alte Olivenbäume und eine Hecke aus blühendem Hibiskus und Oleander von der Anlage abgetrennt. Diesen Bungalow reservierten sie immer für Freunde und Verwandte, die zu Besuch kamen, oder für besondere Gäste. Grace wappnete sich für das saloppe Geschäker und die Witzeleien, als sie durch die Schwingtüren ins Restaurant
trat. Wieder fand sie es netter als erwartet. Die Mitglieder der Band hatten ihre eigene Art, schnell Freundschaft zu schließen und der Situation entsprechend flexibel zu sein. Grace nahm im Büro die Schlüssel vom Brett, griff sich einen Stapel weißer Frotteetücher und führte sie unter vielen Verbeugungen und „Bitte nach Ihnen", „Nein, bitte nach Ihnen" im Gänsemarsch aus dem klimatisierten Hauptgebäude. Während sie über den Vorplatz gingen, kommentierten sie die Hitze und die grelle Nachmittagssonne. Jody zog sich den Hut über die Augen und folgte schweigend in einigem Abstand. Grace merkte, daß Jodys Zurückbleiben sie irritierte, war aber zu beschäftigt, um sich darum zu kümmern. Schlagfertig konterte sie die Jungs und wollte sich nicht den Kopf über Sensibilitäten von Gästen zerbrechen, die sich selbst für etwas Besseres hielten, sowohl was die vorhandene Gesellschaft als auch die Unterbringung betraf. Grace öffnete jede Tür und händigte demjenigen Musiker, der ihr am vertrauenswürdigsten erschien, feierlich den Schlüssel aus. „Sie können natürlich jederzeit essen", erklärte sie. „Aber ab sieben Uhr gibt es das Abendmenü. Heute abend gibt es eine Spezialität meiner Mutter Gnocchi mit Soße von wilden Pilzen. Es ist ganz phantastisch." „Wilde Pilze? Woher?" erkundigte sich Jody plötzlich sehr interessiert. „Nicht weit von hier." Grace deutete vage nach Westen. „Mein Großvater hat mal vor vielen Jahren auf einer Kuhweide Pilze aus Europa gezogen, das war noch vor meiner Geburt, und nun wachsen sie jedes Frühjahr wieder. Meine Großmutter trocknet sie, damit wir sie praktisch das ganze Jahr über essen können." „Na so was", murmelte Jody. „Und ich dachte, wir könnten von Glück sagen, wenn wir hier draußen Dosenwürstchen bekommen."
„Dies ist Australien, nicht der Mittelwesten", konterte Grace bissig, woraufhin sie den johlenden Beifall der Band erntete. „Das ist 'n Ding, Jody! Ich glaube, da hast du gerade einen verpaßt gekriegt!" Red Douglas boxte in die Luft, und in Jodys Gesicht spiegelten sich Verlegenheit und Ärger. Doch Darren Juneau in seiner komischen Art trällerte mit überhöhter Kopfstimme „I'm sorry", woraufhin alle in Lachen ausbrachen und sich der Anflug von Spannung zwischen Jody und Red zerstreute. „Was ist hier alles so los, Gracey?" erkundigte sich Red, und der selbstsichere Ausdruck auf seinem Gesicht besagte, daß er beschlossen hatte, Grace sei die Frau für ihn. *** Jody sah zu, wie er seinen Charme spielen ließ. Er war ein attraktiver, aufgeblasener Bursche mit rotgold gelockter Haartolle und klassischem, gutgeschnittenem blassen Gesicht. Für ihn stand außer Zweifel, daß die Frauen ihm zu Füßen lagen. „Es ist nur eine Frage der Zeit", hatte er ihnen vorher erklärt, als sie das Gepäck aus dem Bus holten, „bis mir diese Truckstop-Prinzessin aus der Hand frißt." Jody hatte sich eine Antwort verkniffen und sagte auch jetzt nichts, als Red auf Grace herabgrinste, sondern starrte in die Gegend und tappte mit dem Fuß - gerade so laut, daß alle es hören konnten. Red sah sie an. „Hast du es etwa eilig, Jody, oder was?" Jody wandte den Blick von den fernen blauen Bergkämmen und runzelte leicht die Stirn, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf. „Ich hab' keine Eile, Red", erwiderte sie sanft. „Nimm dir Zeit, Junge, du wirst
sie brauchen." Reds Gesicht lief dunkelrot an, als die Band wieherte. Sogar Grace grinste, doch dann sah sie Reds Wut, und ihr Grinsen erstarb augenblicklich, wie Jody bemerkte. „Gesellschaftlich spielt sich hier nicht sehr viel ab", sagte Grace zu ihm, und Jody hörte aus ihrem beschwichtigenden Ton, daß sie in Seelenmassage für Männer geübt war. „Aber jeden Freitagabend trifft man sich im Rasthaus, und samstags gibt es immer eine Filmvorführung im Gemeindehaus. Falls Sie bis dahin noch hier sind..." Sie hielt ihm den Schlüssel hin, und er nahm ihn nach kurzem Zögern fast sanft aus ihrer Hand. „Vielleicht können wir uns ja heute abend treffen, Gracey", sagte er lässig, „eventuell auf ein Bier oder zwei." Grace lächelte in die Runde. „Vielleicht setze ich mich später auf ein Gläschen zu Ihnen", erklärte sie leichthin. Ich habe um zehn Uhr Feierabend, dann machen wir's uns im allgemeinen gemütlich und trinken einen Schluck mit Freunden, die gerade da sind, oder essen noch eine Kleinigkeit — wenn es kühler ist." Jodys Blick schweifte wieder zu den blauen Bergen, und sie lachte verstohlen in sich hinein. Die „TruckstopPrinzessin" wäre nicht im Handstreich zu erobern, wie Red sich gedacht hatte. Sie wandte sich ab, musterte die kleinen Holzhäuser im Schatten der Bäume und fragte sich, welches ihr zugewiesen würde. Plötzlich gab es für sie nichts Wichtigeres auf der Welt als eine kalte Dusche und aus der staubig-verschwitzten Kleidung zu kommen, ihre klebrige Haut wurde ihr mit einem Mal unerträglich. Wieder sah sie zu Grace hinüber. Jody schätzte sie auf ein paar Jahre jünger, und dieses extreme Klima schien ihr nichts auszumachen. Vielleicht lag es an den italienischen Genen. Und vielleicht bin ich auch nur dumm und habe Klischees im Kopf, schalt sie sich.
Trotzdem hatte sie etwas klassisch Italienisches - das glänzend schwarze Haar, kurz gelockt, der makellose braune Teint, die üppige, wohlproportionierte Figur des durch Arbeit gestärkten Körpers - das alles erinnerte Jody an italienische Filmstars von früher, Sophia Loren vielleicht oder Gina Lollobrigida... Sie versuchte, sich einen bestimmten Film ins Gedächtnis zu rufen, und starrte Grace unverwandt an, als die schwarzen Katzenaugen ihren Blick trafen und sich bei der intensiven Musterung weiteten. Peinlich berührt rang sich Jody ein Grinsen ab, das Grace aber nicht erwiderte. Stolz fuhr ihr Kinn in die Höhe, sie wandte sich demonstrativ wieder den Jungs zu, indem sie ihnen die Handtücher aushändigte. Zu ihrer Verwunderung fühlte sich Jody durch die alberne Reaktion irritiert und dachte plötzlich, daß Grace Red sympathisch fand, vorausgesetzt, er vergaloppierte sich nicht. Schließlich war Grace keine von diesen Groupies, auf denen er im allgemeinen stand und die sich ihm an den Hals warfen. Jody scharrte mit der Stiefelspitze Muster in den Staub, während sie sich unwillkürlich an ihre eigenen Begegnungen mit Frauen, die bei den Bands herumhingen, erinnerte. Beim Gedanken an das letzte Mal schauderte sie, und es rannen ihr Schweißperlen über den Rücken. Es war in einer kalten Winternacht in Albuquerque gewesen, als Jody sich nach einem mitreißenden, tollen Konzert inmitten des typischen Partytrubels plötzlich schrecklich einsam gefühlt hatte. Red hatte irgendwie ein paar reife Früchtchen aufgetrieben, die ihr vorkamen wie Tambourinmädchen auf der falschen Veranstaltung. Sie hätten einer Shampoo- oder Zahnpastareklame entstiegen sein können, so aufgepeppt und ausgeflippt waren sie. Eine nannte sich Sue-Anne, eine andere Dee-Anne. Während Jody ihren Boubon im Glas schwenkte, fragte sie
sich, ob Red sich gleich beide zur Brust nehmen wollte. Da setzte sich Dee-Anne zu ihr auf die Couch. „Kann ich dir Gesellschaft leisten?" hauchte sie in einem Ton, der sie viel Übung gekostet haben mußte, und ließ ihre Hand über Jodys Knie den Schenkel hinaufgleiten. Entgegen ihrer sonstigen Art dachte Jody: Zum Teufel, warum nicht? Das „Warum nicht" ging Jody erst in den frühen Morgenstunden auf, als sie aus unruhigem Schlaf hochschreckte und das Blitzlicht der Kamera wahrnahm. Sie schlug die Augen auf und sah Dee-Anne in ihrer überreifen goldbusigen Nackheit auf dem Bett knien, eine kleine Einwegkamera in der Hand. „Hi, Jody, Darling!" flötete sie munter. „Du hast doch nichts gegen ein kleines Souvenir, oder?" Jody drehte sich der Magen, selbst als sie sich daran erinnerte, wie Dee-Annes geübte Zunge sie zu einem eigentümlich orientierungslosen Orgasmus gebracht hatte. „Glaubst du, du kannst mich erpressen?" fragte sie, und Dee-Annes Antwort war noch deprimierender, als es ein solcher Versuch gewesen wäre. „Verflixt, nein, Schätzchen. Ich möchte bloß was zur Erinnerung. Ich habe nämlich ein kleines Taschenalbum, hier, sieh mal..." Sie schlüpfte vom Bett und wühlte in ihrer Tasche. Jody krümmte sich innerlich, während Dee-Anne ihr glücklich das Album zeigte und Seite für Seite die Sänger und Musiker nannte, mit denen die Jody Johnson-Band nicht nur die Bühne geteilt hatte, wie ihr jetzt klarwurde. Und dann packte sie wildes Entsetzen bei dem Gedanken an die Drogen- und Sexpartys, die vielen dieser Männer zur Gewohnheit geworden waren, deren Gesichter und stolz präsentierte Genitalien ihr auf den Fotos entgegensahen, so daß sich ihr Magen hob. Sie packte die Kamera und stürzte zum Badezimmer.
„Ich glaube, du gehst jetzt besser", murmelte sie noch unter vorgehaltener Hand. „Nimm dir was von dem Geld auf der Kommode und geh, bitte." Sie schaffte es gerade noch, die Tür hinter sich abzuschließen, ehe sie sich unter wütenden Tränen schrecklich erbrach, immer und immer wieder, bis sie sich schließlich völlig entleert und eiskalt fühlte. Das war jetzt über ein Jahr her, doch noch immer schauderte sie bei dem Gedanken daran, der ihr ein Gefühl der Beklemmung verursachte, und sie fühlte sich beschmutzt. „Ist Ihnen nicht gut?" Bei Graces Stimme und der Hand auf ihrem Arm fing sie plötzlich an zu zittern, ohne sich beherrschen zu können. Hastig tat Grace einen Schritt zurück und hob beschwichtigend die Hände. „Tut mir leid. Ich habe Sie erschreckt. Sind Sie okay? Sie sehen..." Jody schnappte nach Luft, wollte automatisch an die berührte Stelle ihres Arms fassen, doch sie fing sich gerade noch rechtzeitig. „Gott, Entschuldigung. Ich war..." Sie schüttelte den Kopf. Wie könnte sie das erklären? „Sie haben an etwas gedacht, woran Sie lieber nicht denken wollen", sagte Grace betrübt. Sie sahen einander lange an, bis Jody schließlich nickte. „Ja, stimmt", gab sie zu. Es schüttelte sie regelrecht. „Manchmal muß man nicht schlafen, um Alpträume zu haben." „Ja", antwortete Grace ernst. Wieder berührte sie Jodys Arm und drückte ihn freundlich. „Sie können es auch so sehen: Was immer Sie geträumt haben mögen, von hier liegt es ziemlich fern." Jody merkte, daß sie lachen mußte und sich gleich sehr viel besser fühlte, während sie in das Grün der Eukalyptusbäume blickte und dahinter die solide Struktur des Rasthauses sah. Hier gab es tatsächlich weder Geister noch Schrecken.
Grace tätschelte ihr die Schulter. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihre Hütte", sagte sie liebenswürdig. „Nachts werden Sie ein paar Dutzend Papageien besuchen, aber nichts, was Sie hochtreibt. Ich denke, es ist ganz bequem, und Sie werden vermutlich erst einmal duschen und abschalten wollen." Jody verkniff sich den Impuls, nein zu sagen, und daß sie sich lieber mit dieser rätselhaften, überraschenden Frau weiter unterhalten hätte. Statt dessen ließ sie sich in die entlegenste Ecke der Anlage führen. Grace schloß die Tür des Holzhäuschens auf. „Da ist die Klimaanlage, wenn Sie wollen." Sie deutete auf den Apparat in der Wand. „Aber im allgemeinen ist die Ventilation ausreichend, glauben wir." Sie grinste Jody entwaffnend an. „Außerdem ist es viel gesünder." Jody nickte und betrachtete die mit Fliegengitter versehenen Luftschächte in der Wand und unter dem Dach, die den Luftstrom regulierten und die Hitze entweichen ließen. „Es gefällt mir", sagte sie bedächtig. „Sehr ungewöhnlich. Wer hat sich solche Mühe gemacht?" Sie deutete auf die Fliegengitter. „Wären Sie im Sommer hier, wüßten Sie, daß Sie sonst aufgefressen würden. Und die Belüftung hat sich mein Großvater ausgedacht. Man könnte vielleicht sagen, er ist ein Vorläufer der Grünen gewesen." Sie blickte aus dem Fenster zu dem Buschland am Barralong Creek hinüber und deutete auf die dunstig-blaue Bergkuppe in der Ferne. „Dort oben ist er begraben." Jody trat zu ihr und folgte ihrem Blick. Das Holzhaus war so geschickt angelegt, daß kein Geräusch vom Truckstop zu hören war, von hier aus gab es nur den Busch. „Wir könnten meilenweit von allem entfernt sein. Es ist wirklich wundervoll." „Freut mich, daß es Ihnen gefällt. Viele, vor allem
Stadtmenschen, finden es eher bedrohlich. Mein..." Grace hielt inne und fuhr dann fort: „Mein Exmann hat es gehaßt." Mit einem Grinsen überspielte Jody den unerwarteten Stich, den ihr diese Worte versetzten. „Ich bin kein Stadtmensch", erklärte sie. „Ich habe zwar nicht in so einer Landschaft gelebt, aber wenn Sie sich vorstellen, daß es vielleicht zweihundert Tage im Jahr regnet, haben Sie in etwa ein Bild." „Woher sind Sie also?" „Aus Washington - aus dem Staat, nicht aus der Hauptstadt - am Pazifik im Nordwesten. Die Heimat von Jimi Hendrix und Kurt Cobain... und Jody Johnson." „Das muß wohl am Wasser liegen." Grace lachte. „Offensichtlich gibt es genug davon." „Apropos", sagte Jody, „wie wär's mit etwas zu trinken?" Ihre Stimme klang ihr ganz fremd in den Ohren, und ihr wurde bewußt, daß sie nicht wollte, daß Grace ging - oder vielleicht wollte sie auch nur nicht allein sein. Dann lächelte Grace, und Jody wußte, das war es nicht; sie wollte, daß Grace blieb. „Das ist sehr freundlich von Ihnen", antwortete Grace. „Aber ich habe noch eine Menge zu tun. Wir sind momentan unterbesetzt." Damit ging sie zur Tür. „Setzen Sie sich doch am Abend auf ein Glas zu uns, meine Eltern würden sich freuen." Jody nickte. „Ja, das wäre fein." Während sie Grace nachsah, merkte sie, wie sie in das bekannte Loch der Einsamkeit zurückglitt, aus dem diese relativ fremde Person sie - ohne es zu wissen - herausgeholt hatte. Geistesabwesend starrte sie der geschmeidigen Gestalt nach, die jetzt die Stufen zur Küchentür hochstieg und sich umdrehte. Ihre Blicke trafen sich. Was auch immer sie erwartet haben mochte, etwas
anderes geschah. Auf Graces Gesicht malte sich Erschrecken, und Jody empfand das gleiche. Beide hoben die Hand und schirmten die Augen ab - und in diesem Moment durchfuhr es sie beide wie ein elektrischer Schlag. Dann wandte sich Grace um und verschwand im Haus, und Jody schloß die Bungalowtür. Dann lehnte sie eine Minute daran, ihr Herz klopfte heftig, sie war völlig durcheinander. Verwirrt hörte sie sich sagen: „Grace. Grace Davanzo." So leise, daß sie sich fragte, ob sie es tatsächlich gesagt hatte. Doch es tat ihr gut und klang noch besser. Dann schüttelte sie sich unwirsch und marschierte ins Bad. „Eine verheiratete Frau", schalt sie sich. Aber ihre immer anwesende innere Stimme korrigierte sie: „Eine geschiedene Frau." Jody streifte sich das verschwitzte Hemd ab und warf es zu Boden. „Eine geschiedene Heterofrau", hielt sie ihrer inneren Stimme entgegen. „Oh, sicher", sagte die irritierende innere Stimme. „Sicher."
3 In der Küche des Rasthauses stürzten tausend Gedanken auf Grace ein. Sie war bis zum Hals rot geworden, ein offensichtliches Zeichen großen inneren Aufruhrs. Der Stich vor Freude, als sie sich umgesehen und Jody sie angeblickt hatte, war schon schockierend genug, auch ohne den inneren Aufruhr und den einzigen klaren Wunsch, länger
mit Jody zusammenzusein. Sie hatte sich zum Gehen gezwungen, obwohl sie das große Bedürfnis hatte, zu bleiben und dieses Angebot, etwas mit ihr zu trinken, anzunehmen. „Eine schlichte Geste der Höflichkeit", redete sie sich ein, „Amerikaner sind immer so höflich. Und ich war eben da. Jody war einfach nur höflich." Trotzdem wurde ihr heiß bei dem Gedanken, wie Jody sie angeblickt hatte und wie sie selbst die Augen nicht hatte abwenden können. Mechanisch griff sie nach dem Kartoffelsack, schüttete den Inhalt in die Spüle und ließ kaltes Wasser darüberlaufen. Es spritzte ihr ins Gesicht, so daß sie das Chaos in ihrem Innern für einen Moment vergaß. Das veranlaßte sie zu der Frage, weshalb Jody sie eigentlich so schrecklich durcheinanderbrachte - und nicht etwa deshalb, das wußte sie genau, weil Jody die erste berühmte Lesbe war, die sie je kennengelernt hatte. Sie nahm die Handbürste und begann, die Kartoffeln abzuschrubben. Und zum erstenmal ereiferte sie sich nicht darüber, daß ihre Mutter immer auf ungeschälten statt geschälten Kartoffeln bestand. Nach einer Weile hatten das mechanische Schrubben und das kalte Wasser einen meditativen Effekt, und der Tumult in ihrem Kopf lichtete sich. Nur einmal zuvor in ihrem Leben hatte sie einen solchen Aufruhr empfunden, und das war bei der ersten Begegnung mit Scott gewesen. Er hatte etwas Charismatisches an sich gehabt, das sie sogleich in Bann schlug. Wie ein Kaninchen in blendendem Scheinwerferlicht. Sie hatte sich so intensiv von ihm angezogen gefühlt und seine Überlegenheit so attraktiv gefunden - am Anfang -, wie sie es im Hause ihres sanften Vaters und Großvaters und der starken Matriarchinnen nie erlebt hatte. Und sie stellte sich zum tausendstenmal die Frage, ob sie nicht hätte sehen können, wie leicht eine solchen Dominanz zu mißbrauchen war.
Warum war sie nicht imstande gewesen, hinter den Charme und das Charisma zu schauen - in das finstere Herz dieses Mannes? Und jetzt, während sie wie eine Wahnsinnige diese unseligen Kartoffeln schrubbte, fragte sie sich, wie es möglich war, daß Jody die gleiche Faszination ausübte, so daß sie völlig außer sich war? Ein Klirren unterbrach ihre Gedanken, Grace wandte sich abrupt um und war erleichtert, ihre Mutter eintreten zu sehen. „Nun, mein Schatz, sind unsere Gäste untergebracht?" Nickend rieb sich Grace mit dem Handrücken über die Stirn. „Alle sind glücklich, glaube ich, Ma", antwortete sie. „Und ich habe so viele Kartoffeln geschrubbt, daß es für ganz Südaustralien reicht." Sie wischte sich die Hände an der Jeans ab und streckte die Schultern. „Vielen Dank, Schatz. Du bist die beste Kartoffelwäscherin, die mir je untergekommen ist. Und laß dir von niemandem etwas anderes aufbinden." Sie lachten. „Gefällt Jody die hintere Hütte?" „Ja. Ich glaube, sie war ziemlich beeindruckt." „Das ist gut. Ich habe es mir gedacht. Sie ist schon eine spannende Person." Und als Grace nichts dazu sagte, fragte sie: „Meinst du nicht auch, Schatz?" „Sie scheint ganz nett zu sein", sagte Grace lahm und nickte, auch wenn ihr nicht klar war, wie sie das meinte. „Ich habe mich gefragt, an wen sie mich erinnert", erklärte Margaret, während sie die Utensilien für die Gnocchi hervorkramte, „und ich kam einfach nicht darauf. Dann sagte ich zu deinem Vater: ,Diese Jody erinnert mich an jemand', und er sagte - einfach so -" sie schnippte mit den Fingern, „'sie könnte Scotts Schwester sein. Sie sehen sich sehr ähnlich. Es ist das Haar', und da wurde mir klar, daß er recht hatte. Natürlich ist es auch der Teint. Im Grunde haben sie ja überhaupt keine
Ähnlichkeit, außer eben das Haar und vielleicht noch die Nase - wäre er ein Mädchen gewesen, hätte er vielleicht so ähnlich ausgesehen. Oder wenn er eine Schwester gehabt hätte." Sie hielt in ihren Vorbereitungen inne und sah Grace an, die sich mit beiden Händen an die Spüle klammerte. „Was meinst du, Schatz? Nur eine kleine äußere Ähnlichkeit, natürlich. Ansonsten ist sie ihm mit Sicherheit überhaupt nicht ähnlich." Grace hatte es einen Moment lang die Sprache verschlagen. Wieso ihr selbst das nicht aufgefallen war, konnte sie nur ahnen angesichts der Tatsache, wie sehr sie sich tagtäglich darum bemühte, Scott aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen. Aber die Ähnlichkeit fiel ins Auge: das dicke honigblonde Haar, die Wangenknochen und die Adlernase, die langgliedrige Gestalt und die distanzierte, doch magnetische Aura, die zu besagen schien: „Laßt mich allein", selbst wenn sie Aufmerksamkeit heischte. Grace nickte zögernd. „Du hast recht", sagte sie mit dünner Stimme. „Es war mir nicht aufgefallen, aber du hast recht." Sie sah ihre Mutter an, die besorgt zu ihr trat. „Mein Schätzchen", sie nahm ihre Tochter in den Arm, „du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen." Sie strich ihr übers Haar. „Er ist fort, Schatz. Schon lange. Das alles ist vorbei. Und diese Jody - sie kann ja nichts für ihr wundervolles honigblondes Haar und das Gesicht einer ägyptischen Statue! Wir dürfen nicht unfreundlich zu ihr sein, weil sie nicht so verbeult aussieht wie dieser alte Bus. Und selbst wenn sie Scotts Schwester hätte sein können, bin ich mir sicher, daß sie sehr nett ist und nicht im geringsten so wie er. Ich glaube, sie ist etwas Besonderes, meinst du nicht?" Grace mußte grinsen. „Sie scheint sehr nett zu sein, Mama", sagte sie. „Ob nun etwas Besonderes, weiß ich
nicht. Ich glaube, du bist in unsere berühmte Sängerin ein bißchen verschossen." Margaret zuckte kichernd die Achseln und begab sich wieder an ihren Tisch. „Kann schon sein." Sie summte ein paar Takte aus einem Song von Jody. „Vielleicht ist es das, weshalb die Welt sich dreht." „Mama, Jody ist —", verlegen hielt Grace inne. Margaret sah sie scharf an. „Jody ist was?" Ihre Aufgekratztheit erstarb, und sie wirkte so ernst, wie Grace sie selten gesehen hatte. „Was meinst du, Grace?" „Mama, das ist zu blöd, lassen wir das...", stotterte Grace. Doch der Blick ihrer Mutter forderte eine Antwort. Ein Blick, der Grace von früher bekannt war, wenn sie etwas richtig Böses getan hatte. „Hast du heute die Zeitung gelesen?" wich sie aus. Margaret nickte. „Ich hab' sie mir alle angeschaut", antwortete sie mit einer Stimme, bei der sich Grace noch immer der Magen zusammenzog. „Nun, dann weißt du ja, was ich meine", hörte sich Grace verschämt und heuchlerisch sagen. Sie reckte die Schultern und hob das Kinn. „Sie ist lesbisch", sagte sie. Und es schien, als hingen die drei Worte schwer zwischen ihnen. Margaret starrte ihre Tochter mit unergründlichem Ausdruck an, bis es Grace ganz mulmig wurde, und fragte schließlich: „Ist das ein Problem für dich, Grace?" Grace schüttelte den Kopf und hob hilflos die Hände. „Nein, Mama, natürlich nicht." „Wenn es kein Problem ist, warum erwähnst du es dann?" „Mama", Grace war den Tränen nahe, „das ist nicht fair. Ich habe ja nur gemeint —", sie stockte. Ja, was hatte sie gemeint? Warum hatte sie es nötig gefunden, das Thema anzusprechen? Vielleicht war es doch ein Problem für sie?
Vielleicht war das das Problem: Nicht ihre Mutter hegte Vorurteile, sondern sie - Grace. „Tut mir leid, Mama", sagte sie schließlich. „Ich glaube, ich habe gedacht, du hättest damit Schwierigkeiten, irgendwelche Vorurteile. Aber in Wahrheit bin ich es wohl, die damit Probleme hat." Sie blickte ihrer Mutter in die Augen. „Bitte, entschuldige." „Du solltest dich eher bei Jody entschuldigen", erwiderte Margaret noch immer sehr ernst. „Ich wundere mich über dich, Grace. Du hast wohl die Geschichte vergessen, wie dein Vater und deine Großeltern damals diskriminiert wurden. Du bist zu jung, als daß man dich als Spaghettifresser beschimpft und uns unserer komischen Sprache und unseres merkwürdigen Essens wegen verspottet hätte. Aber das solltest du nicht vergessen niemand sollte das je vergessen." „Ich hab's nicht vergessen, Ma", erwiderte Grace aufgebracht. „Obwohl ich manchmal denke, daß es an der Zeit wäre. All das ist lange her - heute ist eine andere Zeit." Margaret zog scharf die Luft ein, und ihr dunkles Gesicht wirkte noch schockierter und erzürnter. „Oh, Grace. Wie kannst du so etwas sagen? Vergessen bereitet den Boden für Kriege und Konzentrationslager. Erinnerst du dich noch an deine Freundin Jilly Rubenstein? Nun, ihre Großmutter ging ins Konzentrationslager, sie trug einen gelben Stern. Menschen wie Jody hat man auch dahin abtransportiert." Einige Minuten hörte man nichts als das erregte Hacken von Margarets Messer. Dann fragte sie mit noch immer erschütterter Stimme. „Ich möchte, daß du dir klarmachst, warum du es schwierig findest, mein Kind. Was meinst du damit?" Grace schüttelte bedrückt den immer mehr schmerzenden Kopf. „Nichts, Mama", flüsterte sie. „Ich weiß es nicht. Es war dumm und gedankenlos von mir. Vielleicht
habe ich zu sehr auf die Zeitungen gehört, vielleicht hat es damit zu tun, wie die Menschen manchmal so reden - das hat sich bei mir niedergeschlagen. Vielleicht sollte ich mich nicht herausreden. Ich sollte denken, ehe ich den Mund aufmache." Margaret schwieg, und beide arbeiteten eine Weile weiter, bis das Schweigen nichts Bedrückendes mehr hatte. Plötzlich klopfte es munter an die Küchentür, und beide fuhren erschrocken herum. „Oh", entfuhr es Jody überrascht, daß ihr Erscheinen einen solchen Effekt hatte. Die drei starrten einander entgeistert an, dann mußte Margaret lachen. „Was sind Sie nur für eine schreckliche junge Frau", schalt sie Jody, die barfüßig, mit feuchtem zurückgekämmtem Haar, in verblichenem rosa T-Shirt und abgeschnittenen Jeans in der Tür stand, „uns so zu überfallen und einen Todesschreck einzujagen." „Tut mir wirklich leid, Ma'am." Jody sah aus wie ein begossener Pudel. „Was immer ich auch getan haben mag, es tut mir wirklich leid." Margaret grinste besänftigt. „Und wenn Sie ein solches Gesicht machen, kann Ihnen vermutlich niemand böse sein", sagte sie liebenswürdig. Jody grinste auch. „Ich glaube, meine Mutter würde das gleiche sagen. Ich hätte mich natürlich durch Pfeifen bemerkbar machen können, wenn ich dran gedacht hätte, statt mich anzupirschen wie der letzte der Mohikaner, aber ich kann meine Schuhe nicht finden. Und, ehrlich gesagt, mir gefällt Ihr roter Sand." Sie hielt zum Beweis einen rostrot verstaubten Fuß in die Höhe und wackelte mit den Zehen. „Ich hatte gehofft, Ihnen bei den Vorbereitungen fürs Abendessen ein wenig zur Hand gehen zu können." Sie sah Margaret mit großen kindlichen Augen an. „Ich wäre gern spazieren gegangen, doch ich dachte, daß ich dann vielleicht von den Fliegenden Ärzten gerettet werden müßte - oder
von Crocodile Dundee", erklärte sie. „Deshalb dachte ich, ich könnte mich statt dessen nützlich machen." Sie lächelte so gewinnend, daß Grace und ihre Mutter, die sich im ersten Moment auf den Arm genommen gefühlt hatten, überzeugt waren, daß diese seltsame amerikanische Sängerin es wahrscheinlich ernst meinte. Margaret ließ sich nicht lange bitten, sie breitete die Arme aus zum Zeichen, daß Jody Johnson ihr als Küchenhilfe willkommen war. Als erstes verpaßte sie ihr ein Paar lederne Küchenclogs mit Holzsohle und eine Predigt, wie gefährdet nackte Füße in der Küche seien. Dann weihte sie Jody in die Geheimnisse des Gnocchi-Machens ein, was sich bis in den frühen Abend hinzog. Zu Graces Überraschung - und insgeheim auch ein wenig zu ihrem Verdruß - vertraute ihr Margaret auch noch das Fleischklößchenrezept an, und sie durfte bei der Tomatensoße mit Basilikum für die Pasta helfen. Währenddessen verrichtete Grace ihre eigene Arbeit, es wurmte sie, als ihr bewußt wurde, was für stereotype Ansichten sie gehegt hatte; verdutzt merkte sie, was für eine Ignorantin sie im Grunde war. Aber Margaret und Jody schien zu entgehen, wie sie mit sich haderte, und erst als ihre Mutter sie bat, Jody den Krauter- und Gemüsegarten von Iris zu zeigen und frischen Salat, Krauter und Zitronen für das Abendessen zu holen, hatte sie das Gefühl, für die beiden überhaupt noch vorhanden zu sein. Trotzdem hob sich ihre Stimmung, als sie zu dem umrankten Küchengarten hinübergingen, der Himmel leuchtete von Pink bis Bronze, und die Vogelwelt stellte sich zwitschernd auf die Nacht ein. Neben ihr steppte Jody leise pfeifend in ihren Clogs. Über ihrem Arm baumelte ein Körbchen und eine Schere von ihrem Finger. Plötzlich hatte Grace das Gefühl, als kennten sie sich schon seit Jahren. Sie öffnete die Gartentür und fragte Jody: „Wissen Sie,
welche Krauter Sie abschneiden sollen?" „Ihre Mutter möchte Oregano, Thymian für Pizza, Estragon, Rosmarin, Majoran und Minze. Mit Thymian und Estragon kenne ich mich nicht so aus, alles andere dürfte ein Kinderspiel sein. Aber", fügte sie rasch hinzu, „wenn Sie mir helfen, wäre ich froh." Zweifellos wollte sie nicht, daß Grace wegging, doch die hatte gar nicht die Absicht. Sie schritten durch die akkuraten Reihen junger Pflanzen, und Jody bestaunte die Vielfalt, allein sechs Salatsorten machte sie aus, dann kamen Zwiebel-, Knoblauch-, Auberginen- und Kürbispflanzen und Tomatenstauden. In einer Ecke befand sich ein Zitronenund in der anderen ein Linie ttenbaum. Am Zaun prangten Kletterrosen, die über und über mit weißen Blüten bedeckt waren. „Wie wächst das alles bloß?" fragte Jody staunend. „Es ist doch praktisch Wüste hier, nicht wahr?" „Meine Großmutter kultiviert diesen Garten seit rund vierzig Jahren", erklärte Grace, „was sie über organisches Düngen nicht weiß, ist es auch nicht wert. Und mein Vater hat mit dem Wasser vom Creek eine Berieselungsanlage installiert. Früher hat mein Großvater das Wasser in großen Fässern mit dem Lieferwagen heraufgebracht, später hat er es zum Rasthaus hochgepumpt, und vor etwa fünf Jahren hat mein Vater dann ein Solarpumpensystem ausgetüftelt. Bis auf sechs Wochen im Jahr, wenn der Creek austrocknet, funktioniert es tadellos, und in dieser Zeit wird aus der Regenwasserzisterne gepumpt. So versorgt sich der Truckstop selbst - mit wesentlichen schmackhaften Dingen." „Toll. Dies ist ein erstaunlicher Ort. Kaum zu glauben. Kein Wunder, daß Sie hierher zurückgekommen sind." „Ach", Grace grinste schief, „das Komische ist, daß ich ewige Jahre gar nicht hier gelebt habe. Zuerst war ich im
Internat, dann auf der Uni, und dann habe ich geheiratet." Sie roch an einer Zitrone, pflückte sie ab und legte sie in Jodys Korb. Jody wartete eine Weile. „Ist es das hier?" fragte sie dann, kniete sich vor das Estragonbeet und schnippelte etwas ab. „Verraten Sie mir ein wenig mehr, oder ist das rein privat?" Grace setzte sich auf eine umgestülpte Wassertonne. Sie sah Jody einen Moment lang zu, ehe sie fortfuhr: „Nein, ich glaube, so privat ist es nicht, nur eben nicht besonders interessant. Mein Vater hatte eine Bypassoperation, und sie brauchten Hilfe. Meine Ehe ging schief, und so konnte ich mich glücklicherweise hierher flüchten und nützlich machen." „Sie muß wohl schrecklich schief gegangen sein", sagte Jody leise. Als sie aufstand, blickte sie Grace direkt in die Augen. „Sie machen mir nicht den Eindruck, als würden Sie beim ersten Krach zu Muttern nach Hause laufen..." Grace zuckte die Achseln. „Ja, sie ging schrecklich schief", gab sie zu. „Sehr viel schiefer, als ich mir je hätte vorstellen können. Ich bin nicht nur fortgelaufen, sondern förmlich um mein Leben gerannt. Im allgemeinen ist die Polizei nicht sehr interessiert, es sei denn, du bist wirklich tot oder zum Krüppel geschossen." „O je, das tut mir leid. Ich habe nicht flapsig sein wollen." Impulsiv streckte Jody die Hand aus, Grace nahm sie und erwiderte den Händedruck, das aufrichtige Mitgefühl tat ihr gut. „Es scheint, als hätten wir einen schlechten Start erwischt. Vielleicht können wir noch einmal von vorn beginnen und Freundinnen sein? Sie haben mir Ihr Geheimnis erzählt, jetzt erzähle ich Ihnen meins - wie wär's?" Grace nickte lächelnd, doch in diesem Moment durchdrang die Stimme ihrer Mutter den stillen Abend. Das Oregano wurde gebraucht.
Jody schnippte mit den Fingern. „Da muß ich wohl einen Rückzieher machen. Ich schätze, ich werde Sie vertrösten müssen." *** Als der Tag, an dem die Jody Johnson-Band über das Rasthaus gekommen war, zu Ende ging, fühlte sich Grace außergewöhnlich erschöpft. Nach achtzehn Stunden körperlicher Arbeit und nach den unerwarteten emotionalen Höhen und ebenso überraschenden Tiefen war dieses Gefühl der Zerschlagenheit unausbleiblich. Auch wenn sie nur ungern die im Restaurant versammelte Gesellschaft verließ, wußte sie, daß sie in sechs Stunden ein neuer langer Tag erwartete. Während Jody auf ihrer Gitarre die Begleitung zu dem italienischen Volkslied improvisierte, das Iris und Tony den anderen beibrachten, schlüpfte Grace in die kühle Nacht hinaus. Draußen hörte sie noch eine Weile dem Singen und Lachen zu, ehe sie sich zu ihrer Hütte begab. Sie war, wie Jodys, von der Anlage abgelegen. Davor stand eine rustikale Bank. Grace setzte sich, lehnte sich zurück, betrachtete die Sterne und genoß die friedliche Nacht. Sie atmete tief und merkte, wie sich ihre verkrampften Schultern allmählich entspannten. Nach einer Weile streifte sie die Schuhe ab, bewegte die Zehen und seufzte erleichtert. „Daß sie dich hervorgebracht haben - ich könnte sie küssen", klang Red Douglas' unverwechselbare Stimme aus dem Dunkel. Grace sprang hoch, als er aus dem Schatten der alten Pfefferbäume auf sie zu kam. Er hatte den Daumen in die Gürtelschlaufe seiner Jeans gehakt, so daß seine langen Finger beschützend und demonstrativ auf der Wölbung seiner Hose ruhten.
„Sie haben mich erschreckt." Grace machte kein Hehl aus ihrer Irritation. „Welch eine Schande", sagte Red weich. Er pendelte leicht in den Knien, als er vor ihr stand. „Ich habe auf dich gewartet. Ich dachte, wir könnten noch etwas trinken, uns etwas besser kennenlernen - ein bißchen lustig sein." Er hielt ihr eine Whiskyflasche hin. Grace schüttelte den Kopf und wich einen Schritt zurück, in ihrem Kopf schrillten die Alarmglocken. „Ich bin sehr müde, Red", sagte sie überaus beschwichtigend - den Tonfall hatte sie so oft bei Scott praktiziert. „Es war ein langer Tag." Red ginste und salutierte mit erhobener Flasche. „Und es wird eine lange Nacht." Grace wich hinter die Bank zurück und spürte die Stufe der Hütte an ihrer Ferse. „Sie sind ein netter Kerl, Red", erklärte sie im Brustton der Überzeugung, die sie so gar nicht empfand, „aber Sie sind nicht mein Typ, wenn Sie verstehen, was ich meine." Red prustete, und das Grinsen auf seinem Gesicht war nicht angenehm. „Ach, ja?" Seine Stimme war eher ein Flüstern, wobei es Grace kalt den Rücken runterlief. „Und wer wäre dein Typ, Truckstop-Prinzessin? Dir hat doch wohl hoffentlich nicht die Chefin den Kopf verdreht. Ich hab' gesehen, wie du sie heut' abend angeglotzt hast." Er wieherte, als er ihre Verlegenheit sah. „O ja, glaub' nicht, ich hätt's nicht bemerkt. Und jetzt will ich dir mal was erzählen, Mädchen." Er taumelte einen Schritt nach vorn und stieß mit dem Schienbein gegen die Bank. Fluchend richtete er sich auf. Grace hatte die Türklinke in ihrem Rücken erfaßt, zögerte aber, da ihr klarwurde, wie leicht sie dort in der Falle saß. Sie rechnete sich ihre Chancen aus, an ihm vorbei zur Küche zu kommen, auch damit stand es nicht
gut. Da wäre es besser, die Sache hier auszufechten. „Seien Sie nicht albern, Red", sagte sie scharf. „Lassen Sie uns morgen früh zusammen Kaffee trinken." „Albern, hm?" Er trank einen Schluck aus der Flasche. „Wenn wir schon albernes Zeug reden, dann will ich dir mal ein paar Wahrheiten über Miz Jody Johnson verklickern. Wenn du glaubst, du könntest mit ihr anbändeln, hast du aufs falsche Pferd gesetzt. Außer mit ihrer ollen Gitarre steigt die mit niemand ins Bett. Also, Mädel, laß dir verraten, daß es keinen Zweck hat, darauf zu hoffen, daß sie mit dir etwas anfängt. Wenn du ein bißchen Spaß haben willst, dann kommst du besser zu Onkel Red." *** „Red, du könntest im Moment nicht mal 'nein Scheunentor zeigen, was ein bißchen Spaß ist." Scharf durchschnitt Jodys Stimme die Nacht, während sie über den Hof herankam. „Also laß es, mach dich nicht lächerlich, sondern geh in deine Hütte." Sie postierte sich zwischen Red und Grace, verschränkte die Arme und wartete. Red schwankte vor und zurück, seine Hand hielt die Flasche gepackt, als wolle er damit zuschlagen. Doch statt dessen wich er taumelnd ein paar Schritte zurück. „Zum Teufel mit dir, Jody, wieso kümmerst du dich um Dinge, die dich nichts angehen." Seine Stimme bekam etwas Weinerliches. „Wenn du meinen Namen in Mißkredit bringst, geht mich das sehr wohl etwas an", konterte Jody scharf. „Solange du in der Band bist, reist du unter meinem Namen, falls du's vergessen hast. Und jetzt schieb ab." Niemand rührte sich.
„Morgen ist ein langer Tag, Red, und ich verlaß' mich auf dich." Eine Weile lang bearbeitete Red den Flaschenhals, dann seufzte er zornig und trollte sich davon. „Verflucht sollst du sein, Jody", schimpfte er. „Du bist nicht bloß schräg, du tickst nicht richtig." Und damit verschwand er im Dunkeln. Jody sah ihm nach, bis sie sicher war, daß er sich verzogen hatte, dann drehte sie sich zu Grace um. „Tja, was soll ich sagen?" fragte sie ironisch. „Er hat natürlich recht, ich kümmere mich um Dinge, die mich nichts angehen, und ich ticke tatsächlich nicht richtig. Aber es tut mir leid, daß er Sie belästigt hat. Er war vom ersten Moment an scharf auf Sie." Grace zuckte die Achseln. „Schon gut - wirklich. Trotzdem bin ich froh, daß Sie gekommen sind, wie ich zugeben muß." „Das war kein Zufall. Er ist Ihnen nachgegangen, und ich fürchtete, daß es Ärger geben könnte. Im Grunde ist er harmlos, aber das ist hier nicht der Punkt, oder?" Grace schüttelte den Kopf, dann lächelte sie. „Nun, jetzt ist es an mir, Sie zu fragen, ob Sie ein Glas mit mir trinken wollen." Sie deutete auf ihre Hütte. „Ich habe einen sehr guten Weißwein, gekühlt." Jody zögerte kaum merklich, dann seufzte sie. „Es wäre ein perfektes Ende eines wundersamen Tages", sagte sie langsam. „Aber ich glaube, ich muß Sie schon wieder vertrösten - falls man hier überhaupt Trost braucht..." Sie sah in den klaren Sternenhimmel. Ein Gefühl des Bedauerns und der Verlegenheit verursachte Grace einen Kloß im Magen, trotzdem nickte sie verständnisvoll. „Ist gut", sagte sie. „Dann also ein andermal." Und noch ehe sich Jody versah, war Grace in der Hütte verschwunden. Drinnen lehnte sie sich gegen die Tür und war völlig perplex, daß ihr die Tränen in die Augen schössen. Ich bin total übermüdet, sagte sie sich. Übermüdet und ein Sensibelchen, ich muß jetzt duschen und
schlafen. Sie hatte recht, und ein Weilchen später, als sie zwischen den kühlen Laken lag, lauschte sie auf die Geräusche der Nacht. Sie wußte, daß Jody einfach pragmatisch und einfühlsam gewesen war, dennoch warf sie sich im Bett herum und wünschte sich etwas, das sie nicht definieren konnte.
4 Als Grace um sechs Uhr aufstand und unter die Dusche trat, fühlte sie sich wie ausgespuckt. Auf ihrem Weg in die Küche bedankte sie sich in Gedanken bei Jody, daß sie ihre Einladung, noch eine Flasche Wein zu köpfen, ausgeschlagen hatte. Ihre Mutter tummelte sich bereits am Herd, denn die ersten Trucker warteten schon auf ihr Frühstück. „Du siehst müde aus, Kind", bemerkte Margaret, indem sie die Würstchen auf dem Backblech umdrehte. „Ich fühle mich ziemlich zerschlagen", gab Grace zu. „Soll ich jetzt hier weitermachen?" „Das wäre gut. Dein Vater kommt erst später herunter. Er hat heute morgen ein ganz schön schweren Kopf! Jedenfalls hat er sich gestern abend blendend amüsiert. Es war so schön, wie er mit Iris gesungen hat, meinst du nicht auch?" Grace nickte und band sich die riesige rotweiß gestreifte Schürze um. „Es war wirklich ein netter Abend."
„Hast du noch ein Glas mit Jody getrunken?" Margaret sah sie mit hochgezogenen Brauen an, ein offenherziger Blick, den Grace schon von Kind an kannte. Sie schüttelte grinsend den Kopf. „Nein, Mama." Und nach einer Weile fügte sie hinzu: „Wir fanden, daß wir einfach zu müde waren." Margaret schürzte die Lippen und nickte verständnisvoll. „Sehr vernünftig von dir." Grace verbiß sich die Erklärung, daß es nicht von ihr ausgegangen sei. Stattdessen fragte sie sich, wie sie den Ausdruck und das versteckte unschuldige Lächeln ihrer Mutter deuten sollte, fast hätte sie schwören können, daß ihre Mutter die Freundschaft mit Jody forcierte. Aber das machte nun gar keinen Sinn, und Grace verdrängte diesen Gedanken, indem sie sich in die Arbeit stürzte. Der Morgen verging im Nu mit der Zubereitung von Frühstückseiern in allen Variationen. Das Arbeitstempo ließ ihr keine Zeit zum Grübeln, was Grace gefiel, ebenso die simple körperliche Aktivität, da ihre normale Arbeit eher eine inaktive, beobachtende war, wenn sie in der Wildnis seltene Vögel fotografierte oder stundenlang malend vor der Staffelei oder dem Skizzenblock saß, um anatomisch exakt die gefiederten Tiere zu porträtieren. Manchmal empfand Grace die Zubereitung von an die hundert Trucker-Frühstücken als das absolute Gegengift zu der esoterischen Welt der ornithologischen Malerei. Und manchmal auch wieder nicht, dachte sie nun, als ihr heißes Fett vom Eierbackblech auf den Unterarm spritzte. Jedenfalls war es gut zu wissen, daß sie mittags um zwei die Schürze abnehmen und in den alten Transporter steigen und losfahren konnte, und bevor es soweit war, hätte sie sich für Jody eine passende geistreiche Bemerkung über das Vertrösten ausgedacht. Doch als sie das fünfundsechzigste Spiegelei an diesem
Morgen briet, war Grace einer Bemerkung, die etwas Geistreiches oder Witziges gehabt hätte, noch keinen Deut näher gekommen. Was ist schon witzig daran, auf Wiedersehen zu einer Person zu sagen, bevor man noch Gelegenheit hatte, sie richtig kennenzulernen, überlegte sie. Trotzdem zerbrach sie sich weiter den Kopf, ob ihr nicht zumindest etwas Flapsiges einfiel, als ihr Vater in die Küche marschierte. „Desaster, Cara, Desaster", rief er dramatisch. „Was ist los, Papa?" erkundigte sich Grace, ohne den Blick vom Bacon zu nehmen. „Diese Trottel in Adelaide haben die falschen Ersatzteile geschickt. Der Bus fährt heute nirgendwohin." Er spießte zwei Bestellungen vor ihr ans Regal. „Einmal für Mr. Ed, Cara, gib ihm eine Extraportion Bacon, ja? Und dies ist für die Tramper. Ich denke, sie könnten jeder zwei Spiegeleier vertragen - sie scheinen knapp bei Kasse zu sein und sind ziemlich dürr." Noch ehe Grace ihren üblichen Kommentar ablassen konnte, wieso er seine Gäste nicht gleich am Umsatz beteilige und ihr damit das Kochen erspare, war er wieder verschwunden. Doch als die Schwingtür zuschlug, merkte sie, wie sich ihre Stimmung schlagartig hob, und es fühlte sich an, als ginge ihr vor Freude das Herz auf. Urplötzlich mußte sie an ihre beste Schuldfreundin Claris Carver denken: Etwa so hatte sie sich damals gefühlt, als Claris sie in den kurzen Ferien zu sich nach Hause eingeladen hatte. Diese Ferien waren so wundervoll gewesen, daß sie in der Erinnerung auch alle anderen in hellstem Licht erstrahlen ließen. Sie und Claris waren eine Woche lang ausgelassen auf dem Anwesen der Carvers herumgetobt, hatten sich mit der Leidenschaft Neunjähriger geküßt und sich in der letzten Nacht, bevor sie in die Schule zurückgebracht wurden, ewige Liebe geschworen. Claris war mit achtzehn bei einem
Autounfall ums Leben gekommen - als erste ihrer Schulfreundinnen -, doch in Graces Erinnerung blieben sie immer die Neunjährigen, die miteinander Pläne schmiedeten, nach London, New York, Paris oder bloß Sydney - wie sie in einem selten pragmatischen Anflug beschlossen durchzubrennen. „Cara! Der Bacon! Du verbrennst den Bacon!" Tony war mit der nächsten Bestellung in die Küche gestürmt, ein paar Enden vom Bacon hatten tatsächlich Feuer gefangen. Grace zog das Bacontablett beiseite und pustete die Flämmchen aus. „Entschuldige, Papa, ich war in Gedanken." Sie schüttelte sich, um sich besser zu konzentrieren. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, und der Baconduft erinnerte sie daran, daß sie etwas frühstücken sollte. So fischte sie den angebrannten Bacon vom Tablett, schnitt eine Tomate in Scheiben und machte sich ein Sandwich. Um drei Uhr hatte sie ihr Küchenpensum erledigt, geduscht, sich angezogen und die Sachen für ihre Expedition zusammengesucht. Sie hatte einen Auftrag, eine Serie seltener einheimischer Vögel zu malen, die von den gelb-, grünund schwarzgefiederten Port Lincoln-Papageien abstammten, und nicht weit vom Barralong Creek hatte sie an einem verwilderten Seitenarm eine Kolonie dieser spektakulären kleinen Vögel entdeckt. Gerade als sie ihre Utensilien in dem alten Transporter verstaute, kam Jody aus ihrer Hütte herangeschlendert. Sie war den ganzen Morgen noch nicht aufgetaucht und sah ziemlich zerschlagen aus. „Haben Sie gut geschlafen?" erkundigte sich Grace naiv und war nicht überrascht, lediglich ein Kopfschütteln zur Antwort zu bekommen. „Haben Sie etwas gegessen?" Wieder schüttelte Jody ihre zerzauste blonde Mähne, brachte aber immerhin ein krächzendes „Nein" hervor. Sie fuhr sich durchs Haar und schüttelte sich wie ein junger
Hund. „Nein, hab' ich nicht, aber ich bin auch nicht hungrig", sagte sie, gähnte und streckte sich. „Wohin fahren Sie? Kann ich vielleicht mitkommen?" „Ich habe an einem Projekt zu arbeiten", erklärte Grace zugeknöpft und merkte, daß sie ihre Arbeit und ihren geliebten versteckten Seitenarm behüten und nicht exponieren wollte. „Sie würden sich ganz bestimmt langweilen." Jody seufzte und wirkte auf einmal merkwürdig niedergeschlagen. „Ich würde Ihnen nicht im Weg sein", wandte sie ein. „Bitte, sagen Sie ja." Grace zögerte, einerseits wäre es nett, Begleitung zu haben, andererseits käme sie vielleicht unter Druck, für eine wie Jody verantwortlich zu sein, die sich nach zwanzig Minuten Herumstreifens angeödet fühlen könnte. In diesem Moment kam Margaret mit einem Deckelkorb aus der Küche und strahlte ihren Gast an. „Fahren Sie mit Grace, Jody?" fragte sie und sah erwartungsvoll von der einen zur anderen. Jody zuckte die Achseln. „Ich weiß noch nicht, ob ich darf", erklärte sie halb ernst, halb spöttisch. „Vielleicht bin ich ihr ja schrecklich lästig." „Unsinn. Nimm sie mit", erklärte Margaret ihrer Tochter in einem Ton, der keine Widerrede zuließ. „Sie hat schon viel zu lange im Zimmer gehockt. Sie braucht frische Luft. Und Sie werden überrascht sein", sagte sie zu Jody, „wie schön diese Gegend ist. Hier gibt's nämlich nicht nur diesen alten staubigen Highway. Glauben Sie mir. Und die Notversorgung reicht auch für zwei." Sie hielt ihr den Korb hin, den Jody grinsend an sich nahm. Grace fühlte sich leicht irritiert. Sie genoß das Alleinsein nach dem Betrieb im Rasthaus und hatte keine Lust, sich um Jody kümmern zu müssen - und sich womöglich auch noch hänseln zu lassen. Doch die beiden
lächelten sie auf eine Weise an, daß eine Weigerung ungehobelt gewesen wäre und also nicht in Frage kam. So nahm sie Jody den Korb aus der Hand und sagte so freundlich wie möglich: „Steigen Sie ein. Es geht los." Und Jody winkte Margaret beim Abfahren fröhlich zu. Auf ihrem Weg zu dem etwa zwanzig Kilometer vom Barralong gelegenen Seitenarm, der sich durch das Flachland schlängelte und von mächtigen, herrlichen Eukalyptusbäumen gesäumt war, erklärte Grace ihr Ziel. „Es ist eine verlassene Schafsfarm, die ich vor einigen Monaten entdeckt habe, als ich den Papageien auf der Spur war. Sie versammeln sich dort gern spätnachmittags und am frühen Abend zum Fressen und Trinken. Es ist eine herrliche Gegend - und seit der alte Besitzer vor ein paar Jahren in ein Pflegeheim gegangen ist, verwildert das Gelände, und nur wenige kennen den Ort." „Seit wann malen Sie Vögel?" erkundigte sich Jody, die sich aufmerksam umsah und lauschte. „Schon von Kind an. Aber jetzt sehr viel besser." „Sie müssen schon ziemlich gut sein, wenn Sie Aufträge kriegen." Grace zuckte die Achseln. „Es gibt ja nicht viele, die so etwas tun." „Vermutlich können es auch nicht viele. Schon gar nicht so gut wie Sie", antwortete Jody postwendend. „Woher wollen Sie das wissen?" Jody grinste breit. „Naja, gestern nacht konnte ich nicht schlafen - deswegen sehe ich heute auch so durch den Wolf gedreht aus -, also bin ich wieder aufgestanden und rausgegangen, weil ich dachte, ich könnte mit irgendwem noch ein Glas trinken. Und siehe da, ich stieß auf Ihre Mutter. Wir haben uns unterhalten, und sie hat mir Ihre Mappe gezeigt." Ein Seufzer blieb Grace im Hals stecken, als der schwe-
re Geländewagen über die Wurzel eines abgebrannten Baumstumpfs holperte, dem sie geistesgegenwärtig auswich und in einen Pfad einbog. Gemächlich zockelten sie ihn entlang, bis er in einen anderen Pfad mündete, der ein wenig breiter und etwas ebener war. Dann fragte Grace: „Und was hat sie Ihnen sonst noch gezeigt oder erzählt?" „Ach, eigentlich hat sie nur höflich die Fragen eines neugierigen, an Schlaflosigkeit leidenden Gastes beantwortet. Das ist alles." Grace verzog gequält das Gesicht, und Jody beschwichtigte rasch: „Wirklich, nichts, das Sie mir wahrscheinlich nicht selbst gesagt hätten, hätte ich Sie gefragt." Grace konnte sich durchaus ein Bild machen, was Jody alles aus ihrer Mutter herausgekitzelt hatte. Aber in Wahrheit machte ihr das nicht viel aus. Jody versuchte, sowohl die Balance zu halten als sich zu entspannen, was in Anbetracht der Schlaglöcher gar nicht so einfach war. „Dies ist die ursprüngliche Zufahrt, die gleichzeitig Feuerschneise ist", erklärte Grace und schaltete in den zweiten Gang. „Die Einfahrt am Highway ist abgesperrt. Es kommt niemand mehr her, um etwas in Ordnung zu halten." Der Wagen rutschte in dem lockeren roten Sand, und die Hinterräder drehten einige Male durch. Jody hielt sich fest und sah besorgt dem geschickten Manöver zu. Grace sah es aus den Augenwinkeln und lachte. „Alles okay?" überschrie sie den dröhnenden Motor. „Alles bestens", schrie Jody zurück. Grace parkte den Wagen unter dem jadegrünen Blätterdach etlicher Eukalyptusbäume und stellte den Motor ab. Die plötzliche tiefe Stille war ohrenbetäubend. Rings um sie her wogte der Busch in Schattierungen blassen Grüns, darüber wölbte sich Blau bis zum Horizont.
Einen Moment lang war es totenstill - den Vögeln hatte es bei dem Motorlärm offensichtlich die Sprache verschlagen -, dann flöteten und pfiffen sie wieder los. Den sanften laubübersäten Abhang zum Creek hinunter schwatzten urplötzlich die versammelten Elstern fröhlich weiter. Eine Brise zauste die hohen Baumwipfel, und Grace und Jody hatten das Gefühl, als wären sie die einzigen menschlichen Lebewesen auf der Erde. Fasziniert begann Jody, unter den Bäumen umherzuwandern, vom Jubilieren der Vögel angesteckt. Grace atmete erleichtert auf, schulterte ihren Rucksack mit dem Arbeitsmaterial, griff sich Margarets Korb und trollte sich zu ihrem Lieblingsplatz unten am Ufer des Flüßchens. Sie sah sich noch einmal nach Jody um, die zufrieden am Wasser entlangschlenderte, nahm ihr Fernglas aus dem Rucksack, legte Skizzenblock und Bleistift neben sich auf die Decke und konzentrierte sich nach minutenlanger aufmerksamer Betrachtung einiger Papageien, die in den Baumkronen am Ufer turtelten, aufs Skizzieren. Bald hatte sie ihren Gast vergessen, so vertieft war sie in ihre Arbeit, Bewegung und Farbe zu Papier zu bringen. Einige Zeit später bemerkte Grace, wie Jody lautlos über die Lichtung schlich, wobei sie behutsam herabgefallenen Ästen auswich. Sie setzte sich neben Grace auf die Decke und fragte leise: „Macht es Ihnen was aus, wenn ich zusehe?" Ohne aufzublicken, schüttelte Grace den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Aber ich kann jetzt nicht aufhören, erst wenn ich dies fertig habe." Mit sicherem Pinselstrich malte sie die Bewegung eines Papageis, der sich auf einem Zweig niederließ. „Langweilen Sie sich?" „Ganz und gar nicht", antwortete Jody. „Ich wünschte nur, ich hätte mein Notizbuch mitgebracht. Die Ideen
überschlagen sich förmlich." Sie streckte sich auf der Decke aus und blickte durch die verschränkten Finger in das Blätterdach über ihnen. „Dies ist ein traumhafter Platz." „Möchten Sie etwas Papier? Und auch Stifte sind reichlich vorhanden." Jody setzte sich auf. Ja, gern. Aber doch nicht dieses kostbare Zeichenpapier - irgendwas anderes tut's auch." „Ich habe nur das hier. Nehmen Sie's ruhig." Grace riß ein paar Blätter hinten vom Block und reichte sie ihr. Kurz darauf waren beide in ihre eigene Welt eingetaucht, und nur das Geräusch des Bleistifts auf Papier mischte sich mit den anderen Lauten des Nachmittags. Erst als das Licht den Himmel rosig und gold zu färben begann, merkte Grace, wie schnell die Zeit verflogen war. Jody war nicht zu sehen, und weder ein Rascheln noch Vogelflattern ließ darauf schließen, daß sie in der Nähe umherstreifte. Grace packte ihr Material zusammen und fragte sich voller Schuldgefühl, wo Jody wohl steckte und ob sie sich entsetzlich langweilte. Sie stieg die Böschung hinauf und ging zum geparkten Wagen, da sah sie Jody ausgestreckt in der Gabel eines umgestürzten Baums liegen, die Hutkrempe schirmte ihre Augen ab. Plötzlich fühlte Grace sich beobachtet und wurde schüchtern, ohne zu wissen warum. Gleichzeitig merkte sie, daß es sie wurmte, so selbstbezogen gewesen zu sein. „Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat", erklärte sie zugeknöpft. „Sie hätten doch etwas sagen können." Jody setzte sich grinsend auf. „Es gab nichts zu sagen. Ich hatte meine Sache zu Ende gebracht. Sie nicht. Außerdem habe ich mich Ihnen schließlich aufgedrängt. Wie dem auch sei - es ist herrlich hier oben. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir und genießen den Blick." Grace zögerte, und als Jody um so breiter grinste, fühlte sie sich noch idiotischer, denn ihr wurde peinlich
bewußt, daß die Amerikanerin den Gedanken erriet, der ihr durch den Kopf schwirrte. „Ich sagte, kommen Sie rauf und genießen den Blick", wiederholte Jody salopp. „Ich beiße weder, noch mache ich Sie an." Grace merkte, daß sie rot wurde. „Sind Sie immer so frech und anzüglich?" fragte sie scharf. „Sind das die berühmten Starallüren?" Jodys Lächeln erstarb, und bei ihrer Miene hätte sich Grace am liebsten die Zunge abgebissen. „Tut mir leid", sagte sie leise und setzte sich neben Jody auf den Baumstamm. „Es tut mir wirklich leid." Impulsiv drückte sie Jodys Hand, die einen Moment erstarrt in der ihren lag. Dann nickte Jody und erwiderte den sachten Händedruck. „Es tut mir auch leid", erklärte sie. „Ich wollte nicht frech sein und anzüglich schon gar nicht." „Das sind Sie ja auch nicht", beteuerte Grace hastig. „Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Sie sind wirklich nett, und ich mag Sie, aber..." Sie zuckte hilflos die Schultern, völlig bestürzt über das eigene Benehmen. „Aber Sie sind schon genug angemacht worden, belästigt von Leuten, die den großen Star markieren und möchten, daß Sie nach ihrer Pfeife tanzen. Ist es nicht so?" Grace starrte sie an und glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. „Was meinen Sie damit?" flüsterte sie. „Woher wissen Sie..." Jodys grünblaue Augen zwinkerten, und ein kleines Lächeln trat in ihre Mundwinkel. „Wie ich bereits gesagt habe, Ihre Mutter ist eine reizende Frau", sagte sie trocken. „Wenn ein Mensch keinen Schlaf findet, ist es wirklich gut, bei einem Kaffee mit jemand zu plaudern, Geschichten zu hören und Antworten auf alle möglichen Fragen." Sie lächelte verschmitzt.
Grace nickte zögernd. „Man sollte meine Mutter erschießen", sagte sie bestimmt, aber auch sie lächelte. Eine Weile lang saßen sie da und betrachteten den Himmel, der sich im Westen tief indigoblau und die Wolkenränder pink färbte, rote, goldene und rosafarbene Streifen leuchteten in vielen Schattierungen, als der glühende Sonnenball die Landschaft in warmes Licht tauchte und die Vögel ihren Schlafplatz aufsuchten. „Es ist, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt", bemerkte Jody. Grace erschauderte - nicht vor Kälte, sondern Freude. „Ich weiß. Manchmal, so wie heute, wird mir bewußt, wie glücklich ich eigentlich bin, daß ich hierher kommen kann. Egal, wie schlecht du dich fühlst, hier geht es dir gleich viel besser." „Und wenn es dir bereits gut geht, hast du dabei das Gefühl..." Jody deutete auf die Sonne, legte die Hand aufs Herz und suchte nach Worten, während sie Grace in die Augen sah, als könnte sie ihre Gedanken lesen. „Wenn es dir bereits gut geht", wiederholte sie nachdenklich, „und du siehst diesen Sonnenuntergang, ist es... als ob dein Herz brennt." Grace nickte lächelnd, ohne etwas sagen zu können. Sie wußte genau, was Jody meinte, denn in diesem Moment war ihr tatsächlich, als brenne ihr Herz — bei der Schönheit dieses Abends und der Wärme und Sanftheit dieser Frau, die immer noch ihre Hand hielt. Irgendwo in ihrem Innern hörte sie eine Alarmglocke läuten, doch sehr fern und leise, und der Frieden und die Freude dieses Augenblicks, der sie beide in Bann schlug, waren überwältigend. Grace wußte nur, daß sie darin verweilen wollte - ohne einen Gedanken an gestern oder morgen.
5 Im Truckstop machten sich die Mitglieder der Band für die Party fertig. In Eds Brusttasche steckte das Fax mit der Versicherung, daß ein Mechaniker aus Adelaide am nächsten Morgen einträfe, und sobald Ol' Tammy repariert war, würden sie weiterfahren. „So sehr sie Ihre Kochkunst auch genießen, sie wollen weiter", sagte Ed mit Bedauern zu Margaret. „Sie wissen ja, wie Jungs so sind. Da gibt es Freundinnen, mit denen sie beim Rodeo verabredet sind." Nur Red Douglas schien es nicht eilig zu haben. Er hatte zwei und zwei zusammengezählt, als er ruhelos das Gelände durchstreift und sowohl Jody als auch Grace vermißt hatte. „Wo sind die beiden Turteltäubchen?" fragte er Margaret nun, als er das Restaurant betrat, um etwas Kaltes zu trinken. Sie runzelte die Stirn. Der offensichtliche Charme dieses ansehnlichen Gitarristen verfing bei ihr nicht, und seine Bemerkung freute sie nicht - schon gar nicht sein Grinsen, das sie schlicht lüstern fand. „Was meinen Sie?" fragte sie befremdet in eisigem Ton. Red grinste breit und hämisch. „Prinzessin Grace und meine Chefin, Miz Jody Johnson", sagte er, wobei er jedes Wort einzeln durch seine weißen Wolfszähne stieß. „Grace hat zu arbeiten, und Jody ist mitgefahren",
erwiderte Margaret schmallippig. „Arbeiten, hm?" Red lachte schallend. „Bei der wird sie sich mächtig abarbeiten müssen", erklärte er höhnisch. Jody ist nicht so einfach aufs Kreuz zu legen, wissen Sie, egal, was in der Zeitung steht." Noch ehe Margaret ihn wütend anfahren konnte, sagte hinter ihr eine Stimme: „Apropos aufs Kreuz legen, mein Freund, da kennst du dich sicher besser aus." Red trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er Jodys Gesicht sah, obwohl sie hinter der Theke stand. „He, ist doch bloß Spaß, Mädel. Ist bloß Spaß", versicherte er und schluckte schwer. Er sah, daß Grace mit undurchdringlicher Miene hinter Jody stand, und grinste gewinnend. „He, Gracey, Baby." Er lachte nervös. „Sag ihr, sie soll's nicht so ernst nehmen, okay? Wir sind schließlich auf Tour. Ich wollte sie nur etwas hochnehmen. Bißchen Spaß. Das bedeutet doch alles nichts." Graces Gesicht versteinerte noch mehr. „Ihr seid auf Tour. Es bedeutet alles nichts. Das weiß ich", stimmte sie zu. Jody drehte sich um und sah sie hilflos an. Bei Reds höhnischem Blick und Margarets ängstlichem Ausdruck fehlten ihr die Worte. Grace neigte skeptisch den Kopf. „Meinen Sie nicht auch, Jody?" Einen Moment lang hörte Jody nichts anderes als den Ton, mit dem Grace ihren Namen sagte. Sie wußte, sie benahm sich wie ein Schulmädchen, und fühlte sich außerstande, richtig zu reagieren. Sie schüttelte den Kopf und blickte Margaret hilfesuchend an. Margaret nahm ihren Arm und machte der verklemmten Situation ein Ende. „Kommen Sie, Jody. Bevor wir ans Essen denken, probieren Sie mit mir in der Küche einen sehr delikaten Käse und dazu einen köstlichen Rotwein", sagte sie beruhigend.
„Grace, ich weiß, daß du heute deinen freien Abend hast, aber würde es dir etwas ausmachen, mir zu helfen? Heute wird sehr viel los sein." Sie tätschelte Jodys Hand. „Sie wissen es ja noch gar nicht - die Jody Johnson-Band gibt heute abend ein außerplanmäßiges Wohltätigkeitskonzert." *** Die Nachricht, daß bei Davanzo ein Folkloreabend stattfand, hatte sich buschtrommelartig verbreitet. Aus der ganzen Region rollten die Farmer an, und etwa drei Dutzend Lastzüge standen bereits auf dem Parkplatz. Grace kam nicht dazu, einen Blick nach draußen zu werfen, sie hatte alle Hände voll zu tun, die Davanzo-Spezialitäten aufzutischen, und es kam ihr vor, als reiße der Strom hungriger Mäuler einfach nicht ab. Schließlich waren doch alle Gäste abgefüttert, und Grace konnte sich in die Küche zurückziehen, wo sie sich ein Glas Wein einschenkte. Die Band hatte in einer Ecke des Restaurants ihre Instrumente aufgebaut. Ein Auftritt, wie Jody dem erwartungsvollen Publikum durch das einzige Mikrophon erklärte, „ohne hunderttausend Volt, dafür hautnah, okay?" Sie nahm ihre schimmernde Gitarre zur Hand und stimmte sie auf Levines Fiedel und Reds Mandoline ein. Darren Juneau stellte sich hinter seinen Baß und zupfte einige Akkorde, dann drehte sich Jody zu ihm um und schnippte mit den Fingern: „A-one-two-three-four", und dann ging's los. Bald wurde allen Anwesenden klar, daß beim Auftritt der Band ohne die übliche Verstärkeranlage und Lasershow das Publikum keineswegs zu kurz käme. Die fünf zogen ihr volles Konzertprogramm durch, und als anschließend der Beifall und das Gejohle kein Ende
nahmen, spielten sie auf Wunsch klassische Country-Hits als Zugabe, und das Publikum sang mit. Nach mehr als zwei Stunden ging Jody vor der ausgelassenen Margaret aufs Knie und rief: „Und jetzt kommt eine besondere Zugabe für die beste Köchin Australiens!" Red beugte sich über die Mandoline und intonierte den neuesten Hit von Patsy Cline, und Jody begann zu singen: „I-fall-topieces..." Der Rest ging fast in der Begeisterung unter. Grace betrachtete das verzückte Gesicht ihrer Mutter und das Leuchten in den Augen des Publikums, dieser einfachen, ungebildeten Leute vom Land, und ihr wurde auf einmal bewußt, wie begabt Jody war, wie sie es verstand, die Leute mit ihren Songs zu berühren und mitzureißen. Das warme Timbre ihrer Stimme, die mühelos die Höhen nahm, füllte den Raum und sprach die Menschen an, sie schlug sie in ihren Bann, und die Begeistung hatte etwas Ansteckendes. Sie ist wirklich ein Star, dachte Grace, jetzt verstehe ich, was das bedeutet. Als der Applaus sich langsam legte, hob Jody die Hand und bat um Gehör. „Leute, amüsiert ihr euch heute abend?" Donnerndes Trampeln war die Antwort. „Okay, das ist gut, denn jetzt geht's ans Zahlen." Verdutzt blickte Grace ihre Mutter an, doch Margaret zog nur die Brauen hoch und legte einen Finger auf die Lippen. „Ihr alle kennt Jenny." Jody deutete auf die Serviererin, die erschöpft an der Theke lehnte und einen verdatterten Eindruck machte. Jenny gehört zum Davanzo, und Davanzo gehört zu dieser verrückten Welt der Trucker und Weltenbummler, und wir alle wären ein bißchen hungriger und ein bißchen unglücklicher, wenn wir nicht ab und zu herkommen könnten. Habe ich recht?" Tosender Beifall erfolgte.
„Aber -", wieder hob Jody die Hand und bat um Ruhe. „Aber ich frage mich, ob ihr wißt, was Jenny zur Zeit durchmachen muß?" Jenny sah Margaret fragend an, die nur lächelnd die Achseln zuckte. „Jenny hat ein kleines Mädchen, und manche von euch haben sie vielleicht schon hier im Restaurant gesehen. Und einige werden sich gewundert haben, wieso sie in letzter Zeit nicht hier war. Nun, die Antwort ist: Sie ist in einer Spezialklinik in Adelaide, und dort braucht sie eine besondere fachärztliche Behandlung, ehe sie wieder nach Hause darf. Diese Behandlung ist schrecklich teuer - und darum geht's. Wenn Jenny die Behandlung bezahlt, kann sie es sich nicht leisten, nach Adelaide zu fahren, um bei ihrem kleinen Mädchen zu sein. Und die Kleine braucht ihre Mutter, wenn sie diese Behandlung durchstehen und nach Hause kommen soll." „Reich den Hut rüber", brüllte eine tiefe Stimme im Publikum. „Her mit dem Hut." „Also lassen wir jetzt für Jenny und ihre Kleine den Hut herumgehen", sagte Jody grinsend, „und ich mache den Anfang." Damit warf sie einen Fünfzigdollarschein in ihren Hut und reichte ihn weiter, während die Band eine altmodische Polka spielte. *** Spätnachts, als der letzte Farmer seinen klapprigen Kleinlaster bestiegen hatte und hupend in der Dunkelheit verschwunden war, der letzte Trucker sich in seine Schlafkoje verzogen hatte, schenkte sich Grace ein Glas Wein ein und ließ ihre Mutter, Jenny und Jody plaudernd und Geld zählend zurück. Sie setzte sich draußen auf die Küchentreppe, ihre Füße schmerzten, und der Rücken tat
ihr weh. Es war ein herrlicher Abend gewesen, dachte sie müde, aber glücklich, und sie mußte ihrer Mutter zustimmen, daß Jody tatsächlich etwas ganz Besonderes war. Als sie Schritte im Dunkeln vernahm, drehte sie sich lächelnd um, sicher war es ihre Mutter. „Du wartest auf mich, nicht wahr?" Red ergriff ihre Hand, zog sie hoch und nahm sie so ungestüm in die Arme, daß der Wein aus dem Glas auf ihre Jeans schwappte. Er roch nach Bier und Zigarettenqualm, sie wehrte sich heftig, um sich zu befreien, aber Red war muskulös und entschlossen. „Ach, komm schon", protestierte er, drückte sie an sich und betatschte sie. „Ich weiß, daß du mich magst, und mit meiner Chefin wird es sowieso nichts. Ich hab' dir doch gesagt, sie ist ein verrücktes Huhn." Grace versuchte, ihn wegzustoßen und seinem feuchten Mund auszuweichen, der sich auf ihre Lippen preßte. „Laß mich los", zischte sie ihn wütend an. Hoffentlich beobachtete niemand ihren Ringkampf, sie fühlte sich der Lächerlichkeit preisgegeben und wollte auf keinen Fall, daß ihre Mutter oder Jody aufmerksam wurden. Bei dem Handgemenge riß ein Knopf von ihrer Bluse ab, und er grapschte nach ihrer Brust. Zornentbrannt über den Übergriff und wütend auf sich selbst, daß sie zu Anfang mit ihm herumgeschäkert hatte, zielte sie auf seinen Knöchel und trat mit aller Macht zu. Die steife Kappe ihres Stiefels traf ihn mit voller Wucht. Gleichzeitig riß ihm jemand von hinten die Schulter herum. Wie aus dem Boden gewachsen stand Jody da. „Ich glaube, Grace möchte von dir in Ruhe gelassen werden", sagte sie, wobei ihre Hand wie ein Schraubstock seine Schulter umklammerte. Red war vor Schmerz die Luft weggeblieben, jetzt sah er rot und holte mit der Faust aus, doch Jody duckte sich rasch. „Markier hier
nicht den wilden Mann, Red, du machst dich nur noch lächerlicher", sagte sie angeödet. „Zisch ab und leg dich aufs Ohr. Du hast morgen eine lange Fahrt vor dir." Red starrte Jody an, und Jody starrte zurück, es erschien Grace wie eine Ewigkeit. Schließlich fluchte er böse, wobei er Jody fast ins Gesicht spuckte, dann hinkte er schimpfend über den Hof. Grace holte tief Luft, raffte ihre Bluse zusammen und versuchte, ihre Kleidung in Ordnung zu bringen; Verlegenheit und Erleichterung wechselten einander ab. „Es hat den Anschein, als müßten Sie mich unentwegt retten", sagte sie erbittert. „Normalerweise kann ich auf mich selbst aufpassen." Jody lachte. „Ich bin sicher, daß Sie das können. Seinen Knöchel möchte ich morgen früh nicht sehen. Aber der Trottel hat es verdient. Sind Sie okay?" „Ja. Er hat wohl zuviel getrunken." „Es war ein toller Abend. Einer der besten. Es tut mir wirklich leid." „Alles okay. Ehrlich. Ich muß nur meine Jeans einweichen - es ist meine beste, und Rotwein macht sich darauf nicht so gut." „Vielleicht sollten wir Sie in Salz tunken!" Obwohl es dunkel war, wußte Grace, daß Jody zwinkerte. „Vielleicht sollten wir in Ruhe ein Glas Wein trinken und die Füße hochlegen. Ich weiß ja nicht, wie es Ihren geht, aber meine schreien Zeter und Mordio." Jody massierte sich die Fingerspitzen der linken Hand und betrachtete ihre Schwielen. „Ja, nun, so hab' ich es zwar noch nicht ausgedrückt gehört, aber ich weiß, was Sie meinen. Sie und Jenny müssen an die zwanzig Meilen gelaufen sein. Zu Ihnen oder zu mir?" „Bei mir steht noch immer diese Flasche trockener Weißwein - kalt. Was haben Sie zu bieten?"
„Ein paar Flaschen Bier. Ich glaube, Sie haben gewonnen." Sie überquerten den Hof und schlenderten zu Graces Hütte, die sich äußerlich nicht von den anderen unterschied. Um so mehr drinnen. Ein Sofa, Sessel und ein kleiner Tisch mit Stühlen waren durch einen L-förmigen Raumteiler mit Kühlschrank abgetrennt. Dahinter befand sich der Schlafbereich, den sich Grace sehr gemütlich zurechtgemacht hatte. Ein großes Moskitonetz hing an die Decke drapiert, die helle Holzverschalung der Wand hatte sie mit Stoffbahnen in warmen Erdfarben und Mustern in der Tradition zentralaustralischer Aboriginesfrauen dekoriert, so daß es wie ein farbenprächtiges Zelt wirkte. Auf dem Boden lagen große weiche Kissen und auf dem Bett ein Quilt aus den gleichen Stoffen. Das Ganze wirkte anheimelnd und lebendig. „Es ist wunderschön hier", sagte Jody und sah sich um. Sie machte es sich auf den Kissen bequem, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, so daß Grace sich völlig entspannt und unverkrampft fühlte, wie sie es kaum für möglich gehalten hatte. Sie ging ins Badezimmer, um die bekleckerte Jeans einzuweichen, dann zog sie sich ihren Sarong über und band die Bänder zu. Sie betrachtete ihr Spiegelbild - salopp, aber nicht anzüglich -, atmete zweimal tief durch und kehrte zu Jody zurück, die inzwischen die Weinflasche geöffnet und zwei Gläser eingeschenkt hatte. Bald waren sie ins Gespräch vertieft, erzählten sich Episoden aus ihrem Leben und sprachen über Dinge und Ideen, die für sie zählten. Grace hatte sich aufs Sofa gekuschelt und ihre schmerzenden Füße rasch vergessen. Die Zeit verflog, während sie einander auf eine Weise kennenlernten, für die sie unter anderen Umständen vielleicht Jahre gebraucht hätten - wenn es überhaupt je dazu gekommen wäre. Sie hörte Jodys liebevollen Schilderungen ihrer Kindheit an der wilden, herrlichen
Küste von Washington zu, und aus der Art, wie sie redete, begriff Grace allmählich den Hintergrund und die lyrische Sprache ihrer Lieder. Und Jody brachte Grace dazu, von ihrer ungewöhnlichen Kindheit als einziger Tochter einer Familie zu erzählen, die es hierher in die Wildnis verschlagen hatte, so daß sie in und mit der Natur aufgewachsen war und sie liebte. Die beiden kamen an den Punkt gegenseitigen Verständnisses und Interesses, auch wenn sie geographisch und klimatisch kaum gegensätzlicherer Herkunft hätten sein können. Schließlich streckte sich Jody und sah auf die Uhr. „Großer Gott", sagte sie übertrieben schockiert. „Es ist bereits vier." Grace lachte, und beide rappelten sich auf die Füße. In diesem Moment nahm Jody sie in die Arme, was Grace unvermeidbar erschien und sie in einen Taumel versetzte. „So habe ich noch nie mit einem Menschen geredet", sagte Jody und sah Grace mit verwirrter, besorgter Miene an. Grace strich über Jodys bestickte Ärmel und fühlte die Muskeln darunter. „Ich auch nicht." Einen Augenblick lang sahen sie einander an, dann beugte Jody sehr langsam den Kopf - so daß Grace genügend Zeit gehabt hätte, ihr auszuweichen, wenn sie gewollt hätte, wie ihr später klarwurde - und küßte sie. Und Grace machte keine Anstalten, ihr Einhalt zu gebieten. Ihre weichen Lippen trafen sich vorsichtig, zögernd, als Grace fühlte, wie ihr Herz zu flattern begann, schlang sie die Arme um Jodys Hals und zog sie ganz nah heran. Jody küßte sie fester, und dann drängten sie zueinander, ihre Lippen suchten sich fieberhaft. Jodys schlanker Körper preßte sich an Graces, die sich hingerissen an sie schmiegte. Und als ihre Zungen sich ineinander verschlangen, war es
wie eine plötzliche Explosion für Grace, die schier außer sich geriet. Sie hörte sich seufzen, als Jodys Hände über ihre nackte Haut strichen, sie sehnte sich leidenschaftlich nach dieser Berührung ihres Körpers, der vor Begehren zu schmelzen schien, und sie empfand ein Verlangen, wie sie es nie zuvor gekannt hatte. Plötzlich hielt Jody inne. „Grace", flüsterte sie, „nein, nicht..." Sie versuchte, sich abzuwenden, doch Grace zog sie umso fester an sich, und ihre Zunge suchte Jodys, sanft, aber bestimmt. „Bitte...", murmelte sie, während sie lockend Jodys Lippen küßte. „Bitte..." Jodys Körper an ihrem erfüllte sie mit unendlicher Lust, und ihr Herz raste, doch nicht laut genug, um die Antwort zu übertönen: „Nein, nein, nein." Mit einem Seufzer der Verzweiflung riß Jody sich schließlich los, der Schmerz stand in ihren Augen. „Morgen früh werden wir wieder auf der Straße sein", sagte sie unglücklich. „Dann sind wir fort. Ich kann das nicht tun, Grace, ich kann's einfach nicht." Grace starrte sie ungläubig an, ihr Atem ging stoßweise, und sie wußte, daß sie nie zuvor in ihrem Leben so ausgesetzt gewesen, so eindeutig verschmäht worden war, wenn auch aus Sorge und mit Behutsamkeit. Sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, als sie den gequälten Blick in Jodys Augen sah. Langsam schüttelte sie den Kopf und sagte bitter, doch mit dem Rest an Stolz und schwarzem Humor, den sie aufbieten konnte: „Nach all diesen Jahren lerne ich endlich ein anständiges menschliches Wesen kennen, und es ist ausgerechnet eine herumziehende CountrySängerin." Sie trat zurück und lächelte, obwohl ihr das Herz im Hals klopfte und Tränen in ihren Augen standen. „Jody Johnson, Sie sind mir eine." Sie öffnete die Tür. Auf der Schwelle hielt Jody inne und sah sie mit so
traurigen Augen an, daß Grace den Blick nicht ertragen konnte. Sachte streichelte sie Jodys Wange und küßte kurz die zusammengepreßten Lippen. Jody schüttelte bedauernd den Kopf und verschwand in den Schatten der fahlen Morgendämmerung. Grace sah ihr nach, das Bild der geraden Schultern und der elastische Gang gruben sich unvergeßlich in ihre Erinnerung, so wie sie nie das Gefühl vergäße, als sie Jodys Körper an ihrem gespürt hatte. Dann schloß sie die Tür und lehnte sich gegen das Holz. Tränen strömten ihr über die Wangen, die Hitze zwischen ihren Beinen frustrierte sie tief. Unwillkürlich mußte sie an ihren Exmann denken. Scott war groß und langbeinig gewesen wie Jody und hatte das gleiche ungewöhnlich dicke honigblonde Haar. Aber seine Augen waren nicht sanft oder ruhig gewesen, hatten nichts von diesem blaugesprenkelten Grün, sondern waren dunkelbraun gewesen und undurchdringlich schwarz, wenn er wütend war. Sie konnte sich kaum vorstellen, daß Jody je zu solch unkontrollierter Wut, zu solcher Gemeinheit fähig war wie Scott, der ihr damit das Leben schwer gemacht hatte, bis sie nur noch in Angst lebte. Konnte sie es sich nur deshalb nicht vorstellen, weil Jody eine Frau war? Wie konnte sie überhaupt auf den lächerlichen Gedanken verfallen, die beiden miteinander zu vergleichen, bloß weil sie ein wenig Ähnlichkeit hatten - und selbst das stimmte nicht mal. Jodys Haar hatte sich ganz anders angefühlt, samtweich und nicht drahtig wie Scotts. Und im Wesen hätten sie kaum gegensätzlicher sein können, wann hatte sie Scott je charakterfest erlebt? Er hatte sich immer nur aufgeblasen. Sie dachte daran, wie eisig Jody Red in die Schranken gewiesen und gezwungen hatte, von ihr abzulassen. Und trotz der behutsamen Abfuhr, die Grace erfahren hatte, spürte sie noch immer Jodys zärtliche Lippen, die sie mit
unvorstellbarer Wärme erfüllt und schließlich auf eine Weise erregt hatten, daß sie völlig außer sich geraten war, als sie, Grace Davanzo — ehedem verheiratet und heterosexuell bis auf die Spitzenunterwäsche -, Jody in die Arme genommen und an sich gepreßt hatte, so fest sie konnte. „Ich war einfach zu lange allein", sagte sie laut zu sich selbst. Aber das klang gar nicht überzeugend. Sie seufzte, wischte sich ungeduldig die Tränen vom Gesicht und ging ins Badezimmer. Eine lauwarme Dusche, hoffte sie, würde das Flattern in ihrem Inneren und die ungewohnte Erregung, die ihren Körper so heftig und verwirrend erschauern ließ, beruhigen. Sie stellte sich unter den Wasserstrahl und spülte den Schweiß des anstrengenden Arbeitstages und der langen Nacht von ihrem Körper, während sie versuchte, den Gedanken an den anderen Körper, der sich an ihrem so atemberaubend angefühlt hatte, zu verdrängen. „Was habe ich für ein Glück", sagte sie sich. „Nachdem ich zwei Jahre lang geglaubt habe, nie wieder etwas empfinden zu können, passiert es doch; und ausgerechnet eine Frau erweckt in mir die Gefühle, eine Frau, deren Interesse sich in Grenzen hält und die in etwa fünf Stunden abreisen wird und die ich nie wiedersehen werde. Mein Gott, was für ein hoffnungsloser Fall!" Wieder schwankte Grace zwischen Lachen und Weinen, bis sie der Situation ein Ende machte, indem sie das Wasser abdrehte, nach dem Handtuch griff und beschloß, sich noch ein paar Stunden aufs Ohr zu legen.
6 Als Grace aufwachte, war es nach acht. Sie blieb noch ein paar Minuten liegen und ließ vor ihrem inneren Auge das Video der vergangenen Nacht ablaufen. Als es zu den mit Jody verbrachten Stunden kam, konnte sie nicht anders als die Pausentaste drücken, bei ihrem Kuß blieb das Band vollkommen stehen, und sie hörte sich stöhnen und spürte eine verräterische Hitze vom Herzen in ihren Unterleib strömen. Ihre Hände glitten zu der Stelle, wo sie sich, ohne einen Moment zu zweifeln, Jody wünschte, aber die pulsierende Erinnerung war unerträglich, und sie sprang aus dem Bett und ein weiteres Mal unter den tröstenden Strahl der Dusche. „Wenn du noch länger unter der Dusche bleibst, wirst du dich in eine verschrumpelte alte Backpflaume verwandeln", sagte sie zu sich. Aber ein anderer Trost fiel ihr nicht ein. Während das Wasser ihren schmerzenden Körper entspannte, dachte sie darüber nach, das Rasthaus zu meiden, bis die Johnson-Band abgereist wäre, dann aber verwarf sie den Gedanken und kleidete sich statt dessen mit ungewöhnlicher Sorgfalt - in ihre zweitbesten Jeans, kurzärmeliges schwarzes T-Shirt und die hochhackigen schwarzen Reitstiefel, die ihre Beine besonders schlank wirken ließen. Sie grinste in den Spiegel, während sie ihre ohnehin langen schwarzen Wimpern tuschte und den Lippen ein raffiniertes Rosa verpaßte. Sie überprüfte das Ergebnis. „Du
bist ein hoffnungsloser Fall, Grace Davanzo", erklärte sie ihrem Spiegelbild. „Nein, bin ich nicht", antwortete ihr zweites Selbst. „Ich bin nicht hoffnungslos, sondern hoffnungsvoll - vielleicht ein bißchen verrückt, aber nicht total dumm. Ich weiß, das Ganze ist nur ein Tagtraum, und es gefällt mir so, wie es ist." Auch beim zweitenmal klang es nicht überzeugend. Sie straffte die Schultern und schlenderte so locker, wie sie nur konnte, über den Hof und ins Restaurant. Dort waren nicht nur ein Dutzend bulliger Trucker, die ungeheure Mengen Frühstück in sich hineinschaufelten, sondern die Mitglieder der Johnson-Band hatten zwei Tische besetzt, und es lag eindeutig Ärger in der Luft. Sie schlüpfte hinter die Theke und in die Küche, wo Jenny offenbar völlig entnervt mit den Bestandteilen Dutzender Frühstücksbestellungen kämpfte. „Was ist denn los?" fragte Grace, band sich die Schürze um und überprüfte den Speckbräter. „Chaos, denke ich", antwortete Jenny. „Der Mechaniker aus Adelaide ist bereits unterwegs, aber Andy glaubt, er habe das falsche Ersatzteil bestellt, und der Mechaniker ist nicht über sein Handy zu erreichen. Wenn er also ankommt, kann er auf dem Absatz kehrtmachen und gleich wieder zurückfahren. Und der Bus wird nicht losfahren können." Graces Herz sprang aus seiner Verankerung, und sie war dankbar für die Hitze des Backofens, denn sie wußte, daß sie purpurrot geworden war. Die nächsten zwanzig Minuten war sie voll damit beschäftigt, die Frühstücke zusammenzustellen, für die das Davanzo berühmt war, und hatte Zeit, ihre Fassung zurückzugewinnen. Am Ende war sie soweit überzeugt, sie werde sich nicht verraten, daß sie es fertigbrachte, sich im Restaurant einen Espresso zu machen. Sie war sich Reds
mürrischen Blicks bewußt, noch mehr war sie sich bewußt, daß Jody ihre Anwesenheit überhaupt nicht bemerkte. Es brauchte nicht länger, als es dauert, Kaffee in den Behälter zu füllen, diesen in das Gewinde zu setzen und den Hebel zu bewegen, um den Dampfstrahl hindurchzujagen, bis ihr Herz sich normalisiert hatte, genauer: in ihre Stiefel gesunken war. Ohne weiteren Blick in Richtung der beiden Tische kehrte Grace in die Küche zurück und fragte sich, ob es physikalisch möglich ist, daß ein Herz schwerer als Blei wird. Gegen zehn war die Krisensituation gelöst. Jenny hastete aufgeregt in die Küche und berichtete, daß Andy, der Fahrer, auf dem Weg nach Adelaide war, um sicherzugehen, daß die richtigen Ersatzteile kamen, und die anderen es arrangiert hatten, von hilfreichen LKW-Fahrern mitgenommen zu werden, und innerhalb einer Stunde fort sein würden. Graces Herz konnte nicht noch weiter sinken, und sie beantwortete Jennys Neuigkeiten schlicht mit: „Ist das nicht prima? Sie müssen sehr froh sein." Sie arbeitete verbissen und verpaßte der Küche eine Reinigung, wie sie sie seit langem nicht gesehen hatte. Nach einiger Zeit hatte der Rhythmus des Schrubbens einen Teil der Melancholie, die sie zu überwältigen drohte, schwinden lassen. Grace war ziemlich zufrieden mit sich und der Art, wie sie die Kontrolle über ihre mit ihr durchgegangenen Emotionen zurückgewonnen hatte. Dann kam Margaret in die Küche, und obwohl sie den Glanz auf Oberflächen und Gerätschaften sehr wohl bemerkte, zog sie nur die Augenbrauen hoch und bestand darauf, daß Grace herauskäme und sich von ihren Gästen verabschiedete. Graces Herz verriet sie, indem es noch ein bißchen weiter abstürzte, aber ihr fiel keine Ausrede ein, ihre Mutter nicht nach draußen zu begleiten, wo eine LKW-Flotte darauf wartete, mit den Jungs der Band abzufahren. Grace zwang
sich zu einem Lächeln und beobachtete ihre Vorbereitungen. Alle schüttelten Margaret und Tony die Hand, umarmten Jenny und tauschten freundschaftliche Schläge auf den Rücken und Autogramme mit den Fahrern. Iris kam mit ihren uralten Kamera heraus, und es gab viel Gedrängel und Geschubse, bis alle mit allen fotografiert waren. Grace brauchte einige Minuten, bis sie merkte, daß Jody nirgendwo zu sehen war. „Ist Jody schon abgereist, Mama?" Margaret sah sie überrascht an. „Gütiger Himmel, nein, mein Schatz. Hat sie es dir nicht gesagt?" Grace schüttelte den Kopf. „Mir was gesagt? Ich habe sie heute morgen noch nicht gesehen." „Sie bleibt und kümmert sich um die Sache mit dem Bus." Mit leiserer Stimme fügte sie hinzu: „Ed sagt, es ist einfacher für Jody als für die Jungs, weil niemand auf sie wartet. Ist das nicht traurig?" Grace antwortete nicht, aber ihre Mutter schien auch keine Antwort zu erwarten, denn sie fuhr fort: „Ed glaubt, sie möchte die Zeit nutzen, um ein bißchen zu schreiben. Sie kann entspannen und für sich arbeiten, ohne daß diese schrecklichen Kerle sie stören." Margaret schlang den Arm um ihre Tochter. „Vielleicht kannst du sie noch mal auf einen deiner Ausflüge mitnehmen, mein Kind. Das macht dir doch nichts aus, oder? Ich denke, ihr wird es gut tun, und es schien ihr ja auch gut zu gefallen." Ob aus Verlegenheit oder Schuldgefühl, wußte Grace nicht, aber sie war kaum imstande zu sprechen und brachte nur ein gemurmeltes „Natürlich nicht, Ma" heraus, als sie Jody im ernsten Gespräch mit Ed über den Hof spazieren sah. Nach vielem Posieren und Gruppieren fürs Fotografieren war es Zeit für die Trucker, sich auf den Weg zu machen, und es gab einen letzten Abschiedswirbel. Red machte sich an Grace heran, ein schiefes Grinsen auf seinem hübschen
Gesicht, und in der Annahme, er wolle bloß etwas wiedergutmachen und sich verabschieden, gestattete sie ihm, sie auf die Wange zu küssen, aber dann flüsterte er ihr ins Ohr: „Wie war's mit einem zweiten Versuch, he? Letzte Nacht war ja wohl nichts, was?" Wütend trat Grace einen Schritt zurück und unterdrückte den Impuls, ihm ins Gesicht zu schlagen, als sie sah, daß Jody sie beide nachdenklich beobachtete. Deshalb lächelte sie so frostig wie möglich. „Sie begreifen aber auch gar nichts", sagte sie zu Red mit tiefer, giftiger Stimme. „Mach dir nichts vor, Prinzessin", krähte Red. „Unsere Jody ist ziemlich merkwürdig, worauf du dich verlassen kannst. Ich bin seit drei Jahren mit ihr unterwegs, und ich habe noch nie gesehen, daß eine bei ihr ein Bein an die Erde gekriegt hat." „Sie sind das letzte", sagte Grace wütend. Aber sie wußte, daß ihre Wut damit zusammenhing, was in den frühen Morgenstunden geschehen war. Ihre Empörung war zum Teil Verlegenheit, weil sie sich so leichtfertig Jody in die Arme geworfen hatte. Und die Zartheit, mit der sie zurückgewiesen worden war, ließ ihr Gesicht brennen und ihre Fäuste krampfhaft zucken in dem dringenden Wunsch, Red an die Gurgel zu gehen. Dann sah sie Jodys Miene, und ihr Herz machte einen unbeherrschten Purzelbaum bei dem boshaften Grinsen und dem Zwinkern in ihren Augen. Jody spitzte die Lippen, runzelte die Stirn und schüttelte leicht den Kopf, als wüßte sie nur zu gut, was Grace vorhatte. Grace merkte, daß sie auf eine Weise zurücklächelte, die für einen Beobachter sehr entlarvend gewesen wäre, und niemand beobachtete genauer als Red. Grace spürte, wie seine verengten Augen von Jody zu ihr und wieder zurück schnellten, als registrierten sie jede Nuance des Ausdrucks und die unbewußte und
unangestrengte Wärme zwischen ihnen. Er spuckte wütend in den roten Staub und wandte sich von der Emotion ab, an der er nicht teilhaben konnte, um in seinen Truck zu steigen.
7 Um Mittag herrschte im Davanzo wieder Normalität. Die Johnson-Band war fort, alles war wieder ruhig. Als der letzte Truck laut hupend verschwunden war, zog Jody sich in ihre Hütte zurück - um zu schreiben, wie sie Margaret mitteilte. Für Grace war es ein langer und seltsam zerstückelter Tag. Zum erstenmal seit Jahren war sie sich der Nähe einer anderen Person beunruhigend bewußt und wußte doch, daß sie nichts dagegen tun konnte. Mehr noch: Sie verstand nicht die gereizte, zwanghafte Sehnsucht nach der Gesellschaft einer Frau. Wenn sie an Jodys Rückzug dachte und daran, was sie über ihr Leben gehört hatte, begriff sie noch weniger, was sie davon halten sollte. Diese Empfindungen lagen jenseits ihrer Erfahrung, und sie war abwechselnd irritiert und erheitert über einen Tag, der sich langsam als ungemütliche Achterbahn entpuppte. Die Stunden bis zum späten Nachmittag,
wenn sie mit Skizzenblock und Stiften in ihrem Truck fliehen konnte, schienen nicht vorbeigehen zu wollen. Endlich krochen die Uhrzeiger auf Vier, und sie füllte die Thermosflasche mit Kaffee. „Warum siehst du nicht nach, ob Jody mitkommen möchte?" fragte Margaret. Grace schüttelte heftig den Kopf. „Sie arbeitet sicher oder ruht sich aus", antwortete sie bestimmt. „Wenn sie irgend etwas möchte, wird sie sich melden." „Da haben Sie recht", sagte die bereits vertraute Geschmolzene-Schokolade-Stimme direkt hinter ihr. „Und ich würde gern mitfahren. Wenn das nicht zu aufdringlich ist." Grace wirbelte herum, wütend, daß ihr Gesicht schon wieder brannte und daß Jody wieder einmal so schnell aufgetaucht war, als wollte sie sie vollkommen entwaffnen. Sie versuchte lässig zu grinsen, aber es klappte nicht. Sie hatte den Verdacht, daß ihr Blick und ihr Lächeln so offensichtlich funkelten, wie ihr Herz klopfte. „Oh, hallo, Jody", sagte sie. Zu ihrer Verwunderung klang ihre Stimme ziemlich normal. „Natürlich können Sie gern mitkommen." Sie hätte ihre Mutter, die Jody selig anhimmelte, am liebsten in den Arm gekniffen und gesagt, sie solle das lassen! *** Während der Fahrt konzentrierte Grace sich auf die Straße, als hinge ihr Leben davon ab. Neben ihr saß Jody, einen Fuß auf das Armaturenbrett gestützt, und wirkte so selbstverständlich und unbefangen, wie Grace verkrampft war. Grace stellte sogar fest, daß sie leise durch die Zähne pfiff. Vielleicht, dachte Grace plötzlich, rührte
Jodys Gelassenheit daher, daß sie glaubte, sie würden - und könnten -Freundinnen werden, daß das, was letzte Nacht passiert war, hinter ihnen lag. Vielleicht kam der Tumult in ihrem Herzen aus purer Einsamkeit, und Jody hatte das mit größerer Reife und Pragmatismus erkannt, als sie selbst aufbringen konnte. Auf eine bestimmte Weise war das ja auch logisch, grübelte sie. Immerhin ergab es absolut keinen Sinn, daß sie im Alter von achtundzwanzig sich plötzlich zu Frauen hingezogen fühlen sollte. Sie konnte sich nicht erinnern, derartiges in den Frauenmagazinen und Ratschlagkolumnen je gelesen zu haben. Eine Mischung aus Beruhigung und Enttäuschung begann sich tröstend um Graces aufgewühltes Herz zu legen. Mit Jody befreundet zu sein, dachte sie, wäre etwas, das sie schätzen konnte - auch wenn die Sängerin bald wieder aus ihrem Leben verschwände und zurückkehrte in eine Welt, in der eine, die in einem Truckstop mitten in der Wüste arbeitete, zweifellos eine seltsame und malerische Erinnerung wäre. Bevor dieser Gedanke sie in neue Verzweiflung stürzte, nahm Grace eine Gabelung der Piste und überquerte einen Hügel. „Ich dachte, es würde Ihnen gefallen, das originale Billaluna-Gehöft zu sehen", sagte sie. „Es gehört zu den ältesten in diesem Teil des Landes." „Großartig!" Mehr sagte Jody nicht, als sie über das unebene Gelände rumpelten. Grace sah zu ihr hinüber und merkte, daß sie in die Umgebung vertieft war, und als der Transporter plötzlich in ein Schlagloch krachte, fiel ihr auf, daß sie in Jodys Profil vertieft war. Als sie aus dem Krater schlingerten, wandte Jody sich ihr zu, hielt ihren Blick fest und grinste entwaffnend und eindeutig zärtlich. Das Gehöft stand auf einer Klippe über einem Wasserloch, einem Billabong, und Grace hielt am Beginn
der Zufahrt. Zwischen hohen Pfosten, die einst weiß gestrichen waren, hing ein Holztor schief in den Angeln. Auf der obersten Torstrebe war noch der Name Billaluna sichtbar. Das Haus war ein langgestrecktes, flaches hellgraues Steingebäude, umgeben von großen Veranden. Auf der Südwestseite schützten es vier Pappeln gegen Sommersonne und Winterwinde. „Sind das australische Bäume?" fragte Jody und wies auf die anmutigen, schwarzgrünen hohen Bäume. Grace verneinte. „Die Erbauer des Hauses haben sie gepflanzt. Sie wollten sich an ihre alte Heimat erinnern - was zu der Zeit in der Regel irgendwo in Europa war", sagte sie, dankbar für die Normalität, die Jodys Frage der Szene verlieh. Zu beiden Seiten der Zufahrt lagen ehemals gepflegte Rosenbeete; die massiven, dornigen alten Pflanzen waren schon so lange verwildert, daß sie wuchernde Triebe in alle Richtungen geschickt hatten, aber an manchen Stellen gab es Büschel erlesener altmodischer Blüten, die gut in die einsame Schmerzlichkeit der Szenerie paßten. Auf den Stufen, die zur doppelflügeligen Eingangstür führten, lag eine riesige schwarz-blaue Echse und röstete ihre ein Meter achtzig Länge in der Sonne. Grace zeigte auf sie und flüsterte: „Goanna." „So etwas wie ein Leguan?" flüsterte Jody zurück. „Ich glaube, ja", antwortete Grace. Sie nahm den Gang heraus und rollte die Zufahrt hinunter. Der Goanna sah auf, zischte irritiert und verschwand steifbeinig in einem Dickicht von Kamelienbüschen auf der Ostseite des Hauses. Grace hielt an, und beide stiegen aus, jede nahm einen der Rucksäcke an sich, von denen der eine Graces Zeichenutensilien, der andere Margarets „Notfallversorgung" enthielt. Nichts rührte sich, als sie um das Gebäude herumgingen, ihre Stiefel knirschten auf dem vertrockneten Gras, das
einmal ein Rasen gewesen war. An der Nordseite gab es einen ausgetrockneten zerfallenden Teich mit einem ebenso zerfallenen Springbrunnen in der Mitte. Unter dem Steilhang ging der frühere Garten in Buschland über, und noch weiter hinten lag das Wasserloch. Es war ein großer Billabong, das Wasser glitzerte grün und golden in der Nachmittagssonne, die kräftigen Eukalyptusbäume an seinem Rand warfen Schatten auf den Waldboden. Hoch oben jubilierten die allgegenwärtigen Elstern, und Schwärme von Papageien schossen in rosa und grauen und grünen Blitzen über den Weg, auf dem die beiden Frauen zu einer Lichtung am Wasser gingen, wo Grace anhielt und eine Decke ausbreitete. „Noch ein magischer Ort", sagte Jody fast flüsternd. „Ich weiß", antwortete Grace lächelnd. „Mein Traum - ich bin sicher, hier wurde ich empfangen. Mein spiritueller Geburtsort. Aber meine Mutter weiß nicht, daß ich das weiß." „Phantastisch!" Jody gluckste in sich hinein und musterte die Szenerie interessiert. „Deshalb sind Sie so -" Sie unterbrach sich, und mit plötzlich ernst gewordenen Gesichtern sahen die beiden Frauen sich an. Jody streckte die Hand aus und zog sie dann wieder zurück. Sofort erinnerte Grace sich an Reds Worte und brachte sie mit Jodys Widerstreben letzte Nacht zusammen. „Es ist gut", sagte sie gleichmütig. „Wir können einfach Freundinnen sein." Jody runzelte die Stirn. „Möchten Sie das?" „Wenn es das ist, was Sie möchten." Grace zuckte die Schultern. „Für mich geht es in Ordnung." Jody setzte ihren Rucksack ab und nahm auch den von Grace; dann legte sie die Hände auf Graces Schultern und blickte sie prüfend an, als suchte sie nach etwas. „Wenn Sie möchten, daß wir bloß Freundinnen sind, werde ich es
versuchen", sagte sie ernst. „Ich mag Sie nämlich sehr. Aber ich muß Sie warnen - es wird schwer für mich werden, denn die Wahrheit ist, daß ich sehr viel mehr wünsche." Grace stockte der Atem, und wie magnetisch angezogen, trat sie auf Jody zu. „Ich möchte, daß wir Freundinnen sind", sagte sie mit einer Stimme, die sie kaum wiedererkannte. „Weil Sie wahrscheinlich die beste Freundin sind, die eine Frau haben kann. Aber auch ich will mehr. Viel mehr." Mit einer nachtwandlerischen Sicherheit, die von ganz innen kam, umfaßte sie Jody. „Grace... Grace...", flüsterte Jody, als Graces Hände zögernd über ihre Arme und den dünnen Stoff der Hemdsärmel glitten und auf ihren Schultern zur Ruhe kamen. „Ich möchte..." Grace schwieg, unfähig auszusprechen, was ihr Körper Jody bereits sagte. Sie hob sich auf die Zehenspitzen, und Jodys Lippen und Zunge erforschten die Umrisse von Graces Mund, und ihre Brüste antworteten unmittelbar auf Graces Nähe. Grace fühlte Hände die Kurven und Umrisse ihres Nackens und Rückens erkunden und ergab sich den Schauern des sinnlichen Gefühls, das von dieser Berührung ausging, und gestattete ihren Händen, die Erkundung zu erwidern. „Ich kriege ganz weiche Knie", sagte Jody zwischen kurzen flachen Atemstößen. „Jedenfalls wenn du so weitermachst." Sanft zog sie Grace auf die Decke, aber Grace zögerte, beunruhigt. „Ich weiß... ich weiß nicht, was zu tun ist", sagte sie zaghaft. Jody lehnte sich zurück und betrachtete sie einen Augenblick spöttisch, dann lachte sie entzückt. „O doch, das weißt du. Glaub mir, du weißt es." Sie stemmte sich auf einen Ellbogen, sah Grace in die Augen, und mit einem Finger zeichnete sie die Linien ihrer Augenbrauen, ihrer Nase und ihres Mundes nach. „Hast du das denn noch nie
getan, mein Schatz?" Grace fühlte, wie sie rot wurde, und schüttelte den Kopf. „Mit einer Frau noch nicht, nein, tut mir leid." Wieder lachte Jody. „Wieso leid? Was tut daran leid? Ich bin nur ein bißchen überrascht, weil..." Sie hielt inne, und wieder der spöttische Blick, unter dem Grace errötete. „Weil ich mich dir an den Hals geworfen habe?" fragte sie und reckte herausfordernd das Kinn. Jody schüttelte den Kopf, legte ihren Arm um Grace und hinderte sie daran, sich zurückzuziehen. „Nein, das habe ich nicht gemeint, du schienst nur... zu wissen, was du willst." Grace sah Jody in die Augen und nickte hilflos. „Das stimmt", sagte sie. „Ich habe es noch nie getan, aber ich weiß, daß ich dich will." Während sie aussprach, was sie dachte, war es, als hörte sie die Wahrheit selbst zum erstenmal, und eine Hitzewelle durchströmte sie; wieder spürte sie, wie sie nach Jody griff wie eine Ertrinkende. „Ich will dich so sehr", sagte sie, und ihre Stimme zitterte vor angestautem Verlangen, daß die Worte wie Schluchzen klangen. Jody strich ihr übers Haar, und Grace fühlte die Seidigkeit der eigenen kurzgeschnittenen Locken. Ihr Mund glitt über Jodys Wange und kostete die weiche Haut und die feingeschnittene Linie von Hals und Kehle. Behutsam streifte Jody Grace das T-Shirt über den Kopf und küßte die feine Spitze ihres Büstenhalters. Grace hielt den Atem an, und ihr Körper bäumte sich auf; ihre Finger griffen krampfhaft in Jodys dichtes Haar. Sie wollte, daß dies Gefühl nie endete, aber Jody öffnete den Verschluß des Büstenhalters und streifte ihn ab, erst von der einen, dann von der anderen Brust, dann hielt sie inne, um zu betrachten, was sie enthüllt hatte.
„Oh, Jody", flüsterte Grace. Dann öffnete sie die Augen und traf Jodys Blick, ihre Augen hielten sich fest, ohne zu flackern. Dankbar faßte Grace nach Jody, aber Jody griff ihre Finger und küßte sie; ihre Hand glitt zu den Knöpfen an Graces Jeans und zerrte spielerisch daran. „Die muß runter", sagte sie sanft und grinste auf Grace herab, bevor sie deren Gesicht in honigblondes Haar und einen forschenden, drängenden, verzehrenden Kuß hüllte. Sie öffnete die Knöpfe ihrer Jeans und dann die von Grace. Als sie den einengenden blauen Stoff fortzerrte, dachte Grace flüchtig, daß sie sich nie zuvor so verzweifelt nach der Berührung eines Menschen gesehnt hatte, dann glitt Jodys warme Hand zwischen ihre Beine, und Denken und momentaner Schock schwanden, als sie fühlte, wie ihr Körper ein eigenes Leben, einen eigenen Rhythmus, einen eigenen Bogen annahm und sich Jodys leichter und sicherer Erkundung öffnete. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte sie den gierigen Griff der Angst und einen scharfen jähen Schmerz. Jody hielt den Atem an und zog sich zurück, die Augen geweitet von Verwirrung. „Es tut mir leid", flüsterte sie. Aber Grace schüttelte heftig den Kopf und umklammerte Jodys Hand. „Bitte", flüsterte sie. „Bitte, ich möchte dich in mir spüren. Bitte." Ihr Atem kam stoßweise. Behutsam nahm Jody ihre Suche nach dem pulsierenden Zentrum wieder auf. Jody, bitte...", stöhnte Grace leise, dann wurde die Liebkosung von Jodys Körper auf dem ihren zum atemberaubenden Kontrast zu der glühenden Spur, die von Jodys sensiblen Fingern tief innen direkt zu den Wogen der Lust führte, die Jodys Zunge in ihren aufgerichteten Brustwarzen erzeugte. Jody erstarrte angesichts dessen, was sie hervorgerufen hatte, bei Graces nicht zu mißdeutendem Schmerzenslaut,
aber unerbittlich wurde sie in den Brunnen des Begehrens gezogen, zu dem Graces Körper geworden war. „Komm für mich, mein Engel", flüsterte Jody, und ihr Atem kühlte für einen Moment die Hitze von Graces Brüsten. „Komm für mich. Ich möchte spüren, wie du für mich kommst." Wie ein Mantra klangen die Worte in Graces Ohr, ihr Körper hörte den zarten Befehl und antwortete. Und sie empfand etwas, von dem sie spürte, daß es Orgasmus sein mußte, musikalische Akkorde, ausgelöst von Jodys kräftigen Musikerinnenfingern. Tief in ihr schwoll es an und durchströmte den ganzen Körper, bis alle Glieder zitterten und bebten und sie spürte, wie sie am Ende in bisher unbekannte Regionen ihres Selbst flog. Ihre Glieder waren plötzlich ganz schwer, sie konnte sich nicht mehr bewegen, aber sie wußte, sie war mit dem Leben und der Erde durch Jodys Hände verbunden, die auf ihr spielten, sie hielten, sie gehen ließen, in ihr wirbelten, sie überredeten, in einem Universum zu schwimmen, das die grün-blaue Farbe von Jodys Augen hatte. Und die hielten sie sicher, als ihr Körper sich aufbäumte und ein letztes Mal öffnete, und sie schrie in Furcht und Freude, als sie fiel, in die Welt wirbelte und stürzte und so auf geheimnisvolle Weise wiedergeboren wurde. *** „Hush, little baby, don't say a word..." Von irgendwo weit entfernt hörte Grace ein Schlaflied. „Momma's gonna buy you a mocking bird..." Ohne sich zu rühren - und sie merkte, daß sie sich nicht rühren konnte, weil sie angefüllt
zu sein schien mit Mattheit, schwer und süß wie Honig -, überlegte sie die Möglichkeiten. Sie wußte, sie lag in einer sanften, aber festen Umarmung, gestützt und gehalten von einem Bein, das um ihres geschlungen war. „And if that mocking bird don't sing..." Finger streichelten und kräuselten ihr Haar zum Rhythmus des Lieds, das von einer geliebten und vertrauten Stimme gesungen wurde. Bewußtsein flutete herein wie Sonnenaufgang. Sie öffnete die Augen in Jodys festen Blick, und ihr Herz machte einen gewaltigen Sprung. „Du bist so schön", hörte sie sich sagen. Jody grinste und küßte Grace auf die Nasenspitze. „Du bist es", gab sie zurück und fuhr fort zu singen und Graces Haar in Strähnen zu teilen. „Du erinnerst mich an eine Zeichnung in einem alten Buch, die ich sehr mochte. Alle diese Cherubine mit Locken wie Mützchen aus Blumenblättern." Sie runzelte die Stirn und sah in die Baumwipfel, als käme von dort eine Eingebung. „Du siehst aus wie eins dieser Wasserkinder - du weißt schon, Charles Kingsley." Grace lachte. „Ein Engel! Ich! Dann mußt du eine Göttin sein." Sie sah in das grün-goldene kathedralartige Gewölbe über dem Billabong, dessen Stützpfeiler die emporstrebenden glatten rosa-grau-weißen Zweige der Eukalyptusbäume bildeten. „Eine Göttin des Waldes vielleicht." Jody schnaubte und legte ihr Gesicht auf Graces Brust. Grace nahm ihren Kopf in beide Hände und streichelte das dichte leuchtende Haar, und ihr Herz verkündete die Gefühle, die ihre Hände weitergaben. „Jody, Jody, was hast du mit mir gemacht?" fragte sie flüsternd den Himmel. Jody antwortete, nachdem ihre Zunge in Graces rechter Brust eine Erwiderung erzeugt hatte. „Ich habe mit dir
geschlafen, mein Engel." Sie richtete sich auf einem Ellbogen auf und sah sie mit einer Mischung aus tiefstem Ernst und fragend amüsierter Zuneigung an. „Aber du hast mir nicht gesagt, daß du noch Jungfrau bist, Schatz." Ihre Stimme zwitscherte, um die Bedeutung dessen, was sie sagte, zu überdecken. Grace barg den Kopf an Jodys Schulter, eine Sturzflut vergangener Demütigung erschütterte sie und löschte für einen Moment die Empfindungen aus, die ihren noch immer bebenden Körper in langsam zurückgehenden Wellen durchströmten. „Grace, Schatz." Jodys Arme umschlangen sie zart, aber fest. „Sprich mit mir, Grace. Es gibt nichts, wofür du dich schämen müßtest. Oder wovor du Angst haben müßtest." Trotzdem brauchte es mehrere Anläufe und lange Pausen, bevor Grace mit fast unhörbarer Stimme Jody die ganze grausame Wahrheit ihrer Ehe berichten konnte. Von einem Ehemann, dessen bizarre Erziehung in einem Haushalt mit verqueren religiösen Ansichten es ihm unmöglich gemacht hatte, mit seiner Frau auf irgendeine übliche Weise zu schlafen, und dessen Jahre des Leidens dazu geführt hatten, daß er das größte Vergnügen darin fand, sie zu erniedrigen. „Das habe ich noch keiner Menschenseele erzählt", sagte Grace, das Gesicht immer noch an Jodys Schulter verborgen. „Die einzigen, die davon wissen, sind die Leute in dem Krankenhaus, in das ich eingeliefert wurde, nachdem er... nachdem er... - weil ich genäht werden mußte." „Mein Gott", flüsterte Jody und streichelte Graces Gesicht mit unendlicher Zärtlichkeit. „Warum... warum bist du nicht zur Polizei gegangen? Was er getan hat... natürlich war das strafbar." Grace schüttelte den Kopf. „Ich war zweiundzwanzig. Gut katholisch erzogen. Und ich wollte eine gute Ehefrau sein.
Ich wußte nichts, nur daß ich nicht ertragen würde, wenn irgend jemand erfuhr, was er mir antat. Kannst du dir vorstellen, was das für meine Eltern bedeutet hätte?" „Grace, das ist doch verrückt. Er hätte dich umbringen können." Grace seufzte und kuschelte sich noch tiefer in Jodys Arme, so daß ihr Gesicht nun zwischen Jodys Brüsten lag. „Heute weiß ich das. Aber damals... du mußt begreifen, daß ich bloß überleben wollte und niemand wissen sollte, was mir geschehen war. Ich war schon gedemütigt genug, es mußte nicht auch noch öffentlich werden." Jody runzelte die Stirn. „Was ich nicht verstehe - wie bist du davongekommen? Wo ist er jetzt?" Grace seufzte so tief, daß ihr ganzer Körper bebte. „Ich hatte eine hervorragende feministische Anwältin. Sie erzwang eine gütliche Trennung mit der Drohung, alles offenzulegen. Sie konnte ihn davon überzeugen, daß das für ihn schlimmer sein würde als für mich." Jody schüttelte in einer Mischung aus Sorge und Ungläubigkeit den Kopf. „Mein Gott. Du Arme." Sie küßte Grace auf die Stirn und hielt sie noch fester. „Also, wo ist er jetzt?" Als Grace antwortete, war ihre Stimme, auch für ihre Ohren, wie körperlos, so kalt war der Ton, aber ihr Körper bebte. „Er ist tot. Er wurde verhaftet, nachdem er bei einer Prostituierten versucht hatte, was er mit mir gemacht hatte. Glücklicherweise war sie weniger feige und zeigte ihn an. Als er die Kaution nicht aufbringen konnte, brachte er sich um." Jody wiegte sie hin und her und sagte gar nichts. Hoch über ihnen gingen die anderen Bewohner des friedvollen Nachmittags ihrem fröhlich zwitschernden Geschäft nach. Die Geräusche waren beruhigender als alle Worte, und langsam ließ Graces Zittern nach, und sie kuschelte sich
noch enger in Jodys Umarmung. „Seltsam", sagte sie, ihre Stimme hatte wieder ihr normales warmes Timbre. „Ich habe nicht gedacht, daß ich jemals davon sprechen könnte." Sie sah Jody klar und direkt in die Augen. „Und nun, da ich es getan habe, fühle ich mich so gut wie schon lange nicht mehr. Es ist, als wäre es plötzlich weggeblasen. Es ist verschwunden." Jody küßte sie auf die Nase. „Ich glaube, das nennt man Katharsis", sagte sie lächelnd. „Jetzt müssen wir uns meinem Trauma zuwenden." „Was ist es?" fragte Grace voller Anteilnahme. „Daß du noch Jungfrau warst und so. Ich glaube, ich habe einen Schock. Ich brauche Hilfe." Ihre Augen weiteten sich, sie stieß einen schweren, zitternden Seufzer aus. Einen Moment war es ganz still, während Grace sich bemühte, den letzten Schritt von vergangener Scham zu gegenwärtigem Gelächter zu tun, dann brach die Hölle los, als sie sich aus Jodys Umarmung befreite und mit der nächstbesten Waffe auf sie einzudreschen begann - zufällig ein Brötchen aus dem Notvorratkorb. „Du Schwein!" schrie Grace, gleichzeitig gekränkt und lachend. „Du Schwein! Ich wette, du wirst es all den Typen erzählen und mich am nächsten Morgen nicht mehr respektieren." Sie schubste Jody mit aller Kraft, und Jody fiel lachend auf den Rücken. „O weia! Und dein Vater ist mit dem Schießprügel hinter mir her, und ich muß um deine Hand anhalten..." Jody summte den „Hochzeitsmarsch", bis Graces Eintrommeln ihr zuviel wurde, dann griff sie nach Graces Fäusten und hielt sie fest. „Küß mich, Liebling", keuchte sie melodramatisch. „Was hast du noch zu verlieren? Du bist ruiniert." Grace ließ sich von Jodys Lachen anstecken, aber immer mehr wurde sie sich des goldbronzenen Körpers
neben sich bewußt. Zum erstenmal in ihrem Leben nahm sie die vertraute und doch so unbekannte Schönheit eines weiblichen Körpers in sich auf. Ihre Augen wanderten von den perfekt geschnittenen Gesichtszügen, dem vollen Mund und kräftigen Kinn zur Symmetrie der Schlüsselbeine und der breiten Schultern, die gut entwickelt waren wie bei einer Meisterschwimmerin. Die Haut ihrer Brüste war blasser, bläulich geädert und auf eine Weise einladend, die Grace mit einem fast narzißtischen Blitz der Erinnerung sofort verstand; die Brüste wiederholten die sanfte Rundung des Bauchs, von dem Graces Blick durch eine goldene Strömung hinuntergezogen wurde zu dem Dreieck der Schamhaare, das die muskulöse Länge ihrer Schenkel teilte. Auf einem Knöchel saß die schmutzigblaue Tätowierung einer kleinen Eidechse, auf dem einen Knie eine verblaßte, aber böse Narbe. Ein Körper zum Anbeten, dachte Grace, beugte den Kopf und nahm eine von Jodys schokoladenbraunen Brustwarzen in den Mund. Es kam ihr wie das Natürlichste von der Welt vor und wie der Anfang einer Erkundung auf unbekanntem Gelände, die bedeutete, wie sie plötzlich ganz sicher wußte, daß es für sie keinen Weg zurück gab. Nie wieder würde sie einfach eine geschiedene Frau sein, die eines Tages Mr. Richtig treffen und mit ihm glücklich werden könnte. Was das für die Zukunft hieß, verdrängte sie aus ihrem Kopf, ihre Zunge kräuselte die Oberfläche einer makellosen Aureole, und Grace hörte Jody seufzen und spürte, wie ihr Körper sich lachend ergab. Sie bewegte sich instinktiv, verführerisch, sie wollte Kontur und Beschaffenheit von Jodys Fleisch mit ihrem eigenen fühlen. Nach einem Moment des Zögerns kniete sie sich über Jody und beugte sich vor, so daß ihre kleinen festen Brüste Jodys berührten. Die Empfindung von Brustwarze, die Brustwarze streichelt, wurde verstärkt
durch die Sanftheit von Zunge an Zunge, und Grace hörte sich selbst stöhnen angesichts der erstaunlichen Lust. Ihre Finger streichelten Jodys Haut mit langsamen, stetigen Bewegungen, die mit den Nervenenden in jedem empfindlichen Teil ihres Körpers direkten Kontakt zu haben schienen. Dann, halb seufzend, halb klagend, umschlang Jody ihre Hüften, und als sie sich zu bewegen begann, öffnete sich Grace und kam ihr entgegen. Jodys Berührung war so leicht wie der Kuß einer Feder, aber ihre drängende Beharrlichkeit entzündete in Graces Körper ein Feuer, daß sie ganz ergriff, bis alle Empfindung aus dem Rhythmus von Jodys Berührung zu kommen schien. Wieder spürte Grace, wie sie die Beherrschung verlor, als das Feuer sich rasend ausbreitete und sie überflutete, und schließlich war sie verbrannt, und ihr Körper bäumte sich auf in ein, zwei, drei, vier, fünf Orgasmen von reinster, tiefster, dunkelster Ekstase. Als sie hineinstürzte, schrie sie in den stillen Nachmittag: „Jody, Jody, Jody!" Und dann fing sie die Sonne auf und Jodys Arme, die sie umschlangen. Mit einer übermäßigen Anstrengung fiel Grace nicht wieder in die lockende unbewußte Seligkeit. Sie lag keuchend in Jodys Umarmung und lauschte mit ungewohnter Freude auf das Herz, das in der Brust neben ihrem Ohr heftig klopfte. Wieder flüsterte sie Jodys Namen, aber diesmal war das Staunen in ihrer Stimme unverhüllt. Jody tätschelte ihr beruhigend die Schultern, aber in dem Maß, in dem sich ihr Atem allmählich wieder normalisierte, begann Grace ein neues Gefühl von Erregung und Begehren zu spüren, und nun waren es ihre Hände, die tiefer glitten, unerbittlich getrieben vom Wissen um die Hitze und das Entzücken, das auf sie wartete, wie sie wußte.
Ihre Finger erkundeten das lohfarbene Haar, das naß war von ihrer Leidenschaft, und Jody wimmerte leise, ihre Hüften bewegten sich, um die schüchtern forschende Hand zu treffen. Graces Finger erforschten die wollüstig nasse Hitze, und sie fühlte die gleiche Feuchtheit ihren eigenen Körper überfluten. Ihr Mund war plötzlich voller Speichel, und das Verlangen, dessen Ziel sie nun kannte, ließ sich trotz ihrer Nervosität nicht beherrschen. Sie verließ den Hafen der seidigen Brüste, glitt hinunter zwischen Jodys Beine und spreizte sie auseinander. Sie legte die rosa Blüte dazwischen frei, mit äußerster Scheu und Zärtlichkeit streichelte ihre Zunge zuerst die Blütenblätter und dann die Knospe in ihrer Mitte. Jodys Seufzen und das leichte Flattern ihrer Bauchmuskeln steigerten Graces Erregung, und ihr Mund begann eine intuitiv rhythmische Anbetung dieser schönsten, süßesten, salzigsten Blume. Wie ihre Zunge und Lippen, so bewegten sich auch Graces Hände, vibrierten auf den zitternden Muskeln der weichen, kräftigen Beine und der sanften Rundung der samtigen, festen Gesäßbacken, bis sie glaubte, selbst von der entfesselten Kraft dieser zutiefst vertrauten Lust vergiftet zu sein. Instinktiv folgte Grace dem Takt, den die heftigen Schwingungen, die Jody zu schütteln begannen, ihr vorgaben; dann wurde ihr Atem schneller und keuchender, und Jodys Beine spreizten sich noch weiter, als wollte sie Graces nicht enden wollenden Kuß ganz in sich aufnehmen. Während ihre Zunge diesen Körper, den sie mehr als alles andere liebte, prüfte und stillte, spürte Grace einen noch tieferen Spalt sich öffnen, und ihre forschenden Finger betraten ihn verwegen, aber instinktiv sicher und fanden spontan den geheimnisvollen Rhythmus darin. Als
Jody in wachsendem Verlangen stöhnte, wurde Grace sich noch mehr ihres inneren Tempos bewußt und richtete sich nach dem Wink der langsam steigenden Höhe von Jodys Wimmern. „Ich kann nicht... ich kann nicht...", flüsterte Jody verzweifelt, aber bei Graces zarter Beharrlichkeit konnte sie doch. *** Grace und Jody lagen eng umschlungen am stillen grünen Ufer des Billabong. Lange bewegten beide sich nicht, und beide spürten den einzigartigen neuen Gefühlen nach, die jede in der anderen hervorgerufen hatte. Dann rührte Jody sich träge, küßte Grace und fragte: „So schmecke ich?" Grace fuhr mit der Zunge langsam über die Lippen und nickte. „So schmeckst du." Dann riß sie die Augen auf. „Halt mal! Ich dachte, ich sei die Jungfrau! Hat es keine bisher so mit dir gemacht?" Jody lächelte schüchtern. „Keine, die ich danach geküßt habe", sagte sie wehmütig. Für einige Minuten sahen sie einer Schar Papageien zu, die in den Baumwipfeln hin und her schossen, während jede für sich diese Enthüllung bedachte. Keine von beiden war darauf vorbereitet, zuzugeben, daß ihr Liebemachen nichts glich, das beide je zuvor erlebt hatten. Für Grace gab es außerdem das Gespenst der baldigen Abreise Jodys und für Jody das Wissen um die Unmöglichkeit ihrer Lebensweise und ihre alte Überzeugung und Erfahrung, daß sie und jede Art einer dauerhaften Beziehung nicht miteinander zu vereinbaren waren. Sie versuchte diese Gedanken beiseite zu schieben und fiel in einen Zustand glückseliger Halbwachheit,
lauschte den Vögeln hoch über ihnen und fühlte Graces festen Herzschlag an ihrer Wange. Lebhaft erinnerte sie sich an das, was Grace eben getan hatte. Sie durchlebte noch einmal den Augenblick, als eisige Glut in ihr aufgestiegen und durch das Schleusentor lange nicht eingestandener Leidenschaft gebrochen war, ihre Distanz und Kontrolliertheit in einem Schrei reiner Lust zerschlagen hatte, der in der Stille des Billabong wiederhallte. Sie war frei gewesen und Hals über Kopf in einen Orgasmus gestürzt, wie er ihrer Meinung nach nur anderen passierte. Sie fröstelte. Grace streichelte Jodys langes Haar und fragte sich träge, wie sie zu dem Ruf gekommen war, zu spinnen -und auch, ob Red recht haben könnte, daß sie auf Tournee keine anderen Beziehungen gehabt habe. Es schien nicht möglich. Und auch sie fröstelte bei der Erinnerung. „Frierst du?" flüsterte Jody. Grace schüttelte den Kopf und richtete sich auf, so daß sie auf Jody herabsah. „Nein, mir ist noch nie so warm gewesen", lächelte sie. „Und was ist mit dir?" Jody seufzte glücklich. „Ich bin..." Sie schwieg und überlegte einen Moment, dann seufzte sie wieder und sagte: „Ich war noch nie so glücklich." Graces Herz machte einen Purzelbaum, und sie wandte schnell das Gesicht ab, um die Mischung aus Freude und Verzweiflung, die sich darauf malte, zu verbergen. Jodys Liebemachen war so anders gewesen als die ermüdenden, unbefriedigenden sexuellen Begegnungen ihrer Jugend und die brutalen und gemeinen Akte, die sie mit Scott erlebt hatte, daß es fast unerträglich war, daran zu denken. Sie sah einem Käfer zu, der über den Billabong ruderte, und der Gedanke kam ihr in den Sinn, daß sie hier am Ort ihrer Empfängnis als sexuelles Wesen wiedergeboren worden war. Wieder fröstelte sie, und Jody nahm sie schützend in den
Arm. „Ich glaube, wir müssen zurück", flüsterte Jody, und Grace war sicher, einen Hauch von Bedauern in ihrer Stimme zu hören.
8 Als sie zum Rasthaus zurückkamen, war es Abend. Sie waren spät dran, und Grace vermutete, auf ihren Gesichtern müßte in roter Neonleuchtschrift zu lesen sein, was sie getan hatten. Sie parkte den Transporter und stellte Motor und Scheinwerfer ab. In der Stille nahm Jody ihre Hand, und sie saßen noch eine Minute schweigend da, dann stiegen sie aus und machten sich bereit, der Welt ins Gesicht zu sehen. Grace war sehr dankbar, daß dies ihr üblicher freier Abend war und sie sich nicht unmittelbar den hellen Lichtern und den fragenden Gesichtern ihrer Eltern und der Einheimischen stellen mußte. Sie beschloß, zumindest zu versuchen, leichten Herzens zu sein, und nahm ihre unberührten Zeichenutensilien aus dem Wagen. „Ich würde dich gern ins Kino einladen", sagte sie zu Jody. „Aber wir hätten etwa vierhundert Meilen zu fahren. Ich könnte dir auch ein Abendessen in einem Rasthaus ganz in der Nähe anbieten." Jody küßte ihre Hand. „Ich nehme die Einladung zum Abendessen an", sagte sie. „Und dann würde ich dich gern
auf einen Schlummertrunk zu mir bitten." Grace lachte. „Abgemacht. Wir treffen uns in der Küche in circa zwanzig Minuten. Ich hätte dir vorher sagen sollen, daß ich kochen werde und nicht meine Mutter, aber ich fürchte, manchmal kenne ich keine Skrupel." „Ich werde daran denken." Widerstrebend machte sich Grace auf den Weg zu ihrer Hütte. Unter dem kräftigen Strahl der Dusche fühlte sie lange nicht benutzte und untrainierte Muskeln ihres Körpers empfindlich prickeln. Da waren auch kleine Schmerzen und Empfindungen, die sie zuvor nicht gekannt hatte. Sie mußte nicht bewußt überlegen, um zu wissen, daß sie in Jody verliebt war, so tief und leidenschaftlich, wie sie es nicht für möglich gehalten hätte. Lächelnd merkte sie, daß sie die innere Zufriedenheit empfand, die sie oft auf dem Gesicht ihrer Mutter gesehen, aber für sich selbst nie für denkbar gehalten hatte. Ihr war allerdings auch bewußt, daß sie die klassische Verrücktheit begangen und sich in den durchreisenden Star verknallt hatte, und während das Wasser auf sie prasselte, bemühte sie sich verzweifelt, nicht daran zu denken, was sein würde, wenn die alte Tammy wieder fahrtüchtig war und ihr Jody entführte. *** Jody blieb in der Tür stehen und nahm das Bild lebhaften häuslichen Lebens in sich auf. Das Herz tat ihr weh vor Sehnsucht nach dieser Wärme und Gewöhnlichkeit. Der große Tisch war für sechs gedeckt, und Iris und Ed waren bereits tief in ein Gespräch über die Chancen, in Texas gutes italienisches Essen zu bekommen, vertieft. Wenn sie es richtig verstand, hatte Iris sich selbst zu ihrer Amerikatour eingeladen, und die beiden schienen diese
Vorstellung durch und durch zu genießen. Graces Vater entkorkte Weinflaschen und summte glücklich vor sich hin, seine Frau polierte langstielige Weingläser mit einem weichen Tuch. Grace stand am Gasherd und konzentrierte sich voll auf einen Topf mit brodelnder Soße, sie goß kleine Mengen Weißwein hinein und schnupperte den duftenden Dampf. Von Zeit zu Zeit rührte sie mit einem langen Holzlöffel in einem Topf, in dem Arborioreis kochte. Jody beobachtete das Muskelspiel ihres Rückens mit einer Lust, deren Intensität ihr den Atem nahm. In ihrem schlichten roten TShirt und ausgewaschenen Jeans bot Grace ein Bild knabenhaften Sinns fürs Praktische, nur daß an ihren Brüsten, dem Schwung ihrer Taille und Hüften nichts Knabenhaftes war. Sie war stark und weiblich - eine berauschende Kombination, und Jody war ganz benommen davon. „Buona sera, Jody!" Tony hatte sie im Türrahmen erspäht, und ihre auf Wolken schwebende Träumerei war augenblicklich vorüber. „Kommen Sie, kommen Sie!" Er küßte sie herzlich auf beide Wangen und führte sie zum Tisch, wo Iris und Margaret sie ebenso herzlich begrüßten. Ed sah lächelnd zu, und Grace blickte sie an, daß ihr Herz höher flog. „Kann ich irgendwas helfen?" fragte Jody, obwohl ihr nicht im geringsten nach Helfen zumute war. Grace schüttelte den Kopf. „Wenn es dir nichts ausmacht, paß auf sie auf, in fünf Minuten ist das Essen fertig." „Jody, bringen Sie Grace ein Glas Wein." Tony reichte Jody ein Glas, und dankbar ergriff sie die Gelegenheit, Grace nahezukommen, sie hielt das Glas fest, bis Grace das letzte Hühnchenfilet gewendet hatte, und reichte es ihr. Ihre Finger berührten sich einen Moment länger
als nötig, und Jodys Herz klopfte schmerzhaft. „Das wird nicht exakt das intime Dinner, das ich eigentlich wollte", sagte Grace bedauernd. „Aber es wird schmecken." „Es ist perfekt", erwiderte Jody. „Ich wüßte keinen Ort, wo ich lieber wäre, und keine Menschen, mit denen ich lieber zusammen wäre. Ich weiß ja, daß ich dich später ganz für mich allein habe." Sie wandte sich ab, bevor Graces Nähe etwas allzu Magnetisches bekam, und kehrte zum Tisch zurück, wo Iris prompt Ed sitzen ließ und sich flirtend Jody zuwandte. „Erzählen Sie mir von Amerika, Jo-dee", sagte sie und klopfte auf den Stuhl neben sich. „Erzählen Sie mir von den Wolkenkratzern und den Mördern und den Drogen." „O Iris", stöhnte Jody. „Es tut mir ja so leid, aber da, wo ich herkomme, gibt es keine Wolkenkratzer." Sie setzte sich und legte das Gesicht in sorgenvoll komische Falten. Dann reckte sie sich und sagte strahlend: „Aber Mörder gibt es gelegentlich, und eine Menge Drogen auch, glaube ich." Wieder machte sie ein bekümmertes Gesicht. „Aber ich weiß nicht viel davon. Fragen Sie Ed, er weiß wirklich alles über Drogen - und böse Weiber." Als das Gelächter abflaute, nahm Iris Jodys Hand und schüttelte sie. „Sie sind ein böses Weib, Jody, Sie machen sich lustig über eine alte Frau, die noch nie in Amerika war. Jetzt erzählen Sie mir, woher Sie kommen, und keine Tricks, oder es setzt was." Jody tätschelte Iris' Hand und versuchte ernsthaft zu bleiben. „Ich verspreche, ich werde mich nicht lustig machen, Iris. Großes Ehrenwort." Iris blickte immer noch argwöhnisch, vor allem weil die übrigen nicht aufhörten zu kichern, nickte dann und bedeutete Jody fortzufahren. „Nun, Ma'am, ich stamme aus dem Staat Washington,
das ist im Nordwesten am Pazifik - direkt gegenüber von Australien, was uns praktisch zu Nachbarinnen macht -, und bin in einem winzigen Ort namens Cannon Beach aufgewachsen. Er liegt direkt am Pazifik, und südlich davon gibt es einen großen Felsen, der sehr schön ist - nicht wie Ihr großer Berg, aber ein hübscher Berg -, und im Sommer sind da viele Touristen, und im Winter ist es sehr still. Der Strand ist lang und leer, und das Meer ist immer kalt, und ich lebte mit meiner Mutter in einem hübschen kleinen Haus außerhalb des Orts. Mein Vater verschwand, als ich noch sehr klein war, ich erinnere mich nicht an ihn, und meine Mutter schuftete im Sommer und tat, was sie konnte, im Winter, damit wir zu essen und was anzuziehen hatten. Das ist alles. Mit dem Singen begann ich, als ich zehn war, in der Einkaufszone, einen Sommer gewann ich sogar einen Talentwettbewerb, aber ernsthaft fing ich erst an, nachdem ich die Schule beendet hatte. Das College konnten wir uns nicht leisten, außerdem wollte ich endlich Profi werden. Das wurde ich auch, und seitdem habe ich immer gearbeitet und bin jedes Jahr ein bißchen besser geworden und ein bißchen weiter nach oben gekommen." „Hm." Iris dachte über das Gehörte einen Augenblick nach, dann sah sie Jody ruhig an. „Warum sind Sie nicht verheiratet? Sie sind doch alt genug." Eine Stecknadel hätte zu Boden fallen können und wäre gehört worden, so still war es plötzlich. Bis Margaret sagte: „Aber Mama!" Jody legte Margaret beruhigend eine Hand auf den Arm und grinste Iris an. „Ich bin nicht der Typ fürs Heiraten", sagte sie leichthin. „Ich kann mir nicht vorstellen, einen Hausstand zu gründen." Iris nickte und schürzte leicht verwirrt die Lippen. „Also stimmt es, was in der Zeitung steht, ja?" Vom Herd kam ein Klirren, Grace hatte einen Schöpflöffel fallen lassen, aber
Iris fuhr ungerührt fort: „Warum haben Sie dann keine Freundin? Sie scheinen doch ein ganz nettes Mädchen zu sein, warum sind Sie allein?" Diesmal war sogar Jody platt, und wie die anderen um den Tisch starrte sie Iris mit offenem Mund an. Dann stieg Gelächter in ihr auf, ihr Verstand kam wieder in Gang, und sie sagte: „Nun, würde es Ihnen gefallen, entweder zu Hause zu sitzen und auf mich zu warten und sich die Zeit mit Sticken oder Ähnlichem zu vertreiben oder zehn Monate des Jahres aus dem Koffer zu leben, Iris? Das ist kein passendes Leben für ein nettes Mädchen." Wieder kräuselte Iris die Lippen und wiegte den Kopf. „Dann müssen Sie bisher die falsche Sorte Mädchen getroffen haben. Eine, die Sie liebt, würde tun, was notwendig ist. Als Alphonse und ich nach Australien kamen, hatten wir keinen Pfennig Geld, er nahm einen Job als Lastwagenfahrer an, ich sah ihn nur, wenn er nach Hause kam. Manchmal, wenn ich dachte, er geht für zwei Wochen fort, kam er heim nach sieben oder acht. Dann fand er diesen Ort, ich konnte an seinen Augen sehen, daß wir bleiben würden. Und da sind wir geblieben." Sie sah in Jodys ernstes Gesicht und fing an zu lachen, warf den Kopf zurück und griff Jodys Hand. Dann schlug sie kokett die Augen nieder und streichelte die gebräunte Hand, die ihre hielt. „Also, Jodee! Was Sie brauchen, ist eine Frau wie ich." Wieder brandete Gelächter auf, und Jody konnte wegen des Schmerzes, der ihr Herz packte, Grace nicht ins Gesicht sehen. Auch Grace vermied es, Jody anzublicken, deshalb sah sie die böse Miene ihres Vaters, der sich kein Lachen abringen konnte. Jody sah es ebenfalls, ihr Herz sank in ihre Stiefel, und trotz der Wärme und Freundlichkeit, die sie umgab, schwand all ihre Hoffnung.
*** Der Verlauf des restlichen Abends gestaltete sich so wie die beiden folgenden: gemeinsames Abendessen, das Grace zubereitet hatte, dann ein allmählicher und nervend langsamer Abgang - zuerst ging Iris, dann verschwanden Ed und Andy, und schließlich überzeugten Grace und Jody die Eltern Tony und Margaret, sie könnten die Küche sehr wohl allein aufräumen, die beiden stiegen die Treppe hinauf zu ihren Privaträumen über dem Restaurant und überließen den Rest Jody und Grace. Es war ein häusliches Ritual, das sie mit dem unausgesprochenen, aber leidenschaftlichen Verlangen nach einer gemeinsamen Zeit der Normalität durchspielten - ungeachtet der fast unerträglichen Stunden mit dem Rest der Familie. Sie wuschen ab und putzten die Stahlund Kupfertöpfe und -pfannen, wischten den Fußboden und die Oberflächen der Tische und Schränke, manchmal redeten sie dabei, öfter aber schwiegen sie und genossen die intime, elektrisch aufgeladene Stille. Gelegentlich kamen sie sich in die Quere und tauschten eine Berührung, einen flüchtigen Kuß. Wenn alles für den nächsten Tag vorbereitet war, traten sie leise nach draußen und gingen über den Hof zu Graces Hütte. Den ersten Abend konnte Grace kaum erwarten, bis die Tür hinter ihnen zugefallen war, sie warf sich in Jodys Arme und forderte hungrig die Empfindungen zurück, die sie erst wenige Stunden zuvor entdeckt hatte. Jody lachte und und stoppte sie. „Hast du nicht genügend gegessen?" Dann sah sie die Verzweiflung in Graces Augen und zog sie an sich. „Mein Engel", sagte sie und küßte ihre Stirn. „Das war ein blöder Scherz. Es tut mir leid." Grace schüttelte den Kopf. „Ich muß mich entschuldigen.
Es ist nur, daß ich ausgerechnet meine Großmutter den ganzen Abend mit dir habe flirten sehen, sie hat ja praktisch angeboten, dich zu heiraten. Wahrscheinlich war alles ein bißchen..." Sie zuckte die Schultern und sah Jody offen an. „Ich weiß nicht. Ich - ich will dich so sehr, und ich bin nicht sehr gut darin, das zu verheimlichen." Jody hielt sie fest. „Das mußt du auch nicht. Der Abend war wunderschön, aber ich konnte es kaum erwarten, mit dir zusammen zu sein und dich hier zu küssen... und hier... und dir dein T-Shirt auszuziehen, so, und meine Arme um dich zu legen, so wie jetzt, und dich an mir zu fühlen... und deine Hände unter meinem Hemd zu spüren und, o Gott, daß du mich hältst wie eben jetzt, daß ich an dich geklammert bin und mich nicht rühren kann... ach Grace, ich wünsche das so sehr, daß es wehtut." „Dann laß mich dich gesundküssen", murmelte Grace und führte sie zum Bett. Dort sank sie auf die Knie und mit einer Sicherheit, die sie selbst verblüffte, öffnete sie die Knöpfe an Jodys Jeans mit einer einzigen fließenden Bewegung, zog den seidenen Slip herunter und spreizte Jodys Beine. „Laß mich, Jody, laß mich", flüsterte sie, als Jody einen halbherzigen Protest murmelte und sie von sich zu schieben versuchte. „Laß mich ein." Und ihre Zunge begann sanft, aber unerbittlich nach dem tiefen Geheimnis von Honig und Salz zu forschen. Und als Jody endlich aufschrie, hielt Grace sie fest und streichelte ihren bebenden Körper, bis ihr Atem sich allmählich beruhigte. Jody drehte sich um, rollte sich in Graces Umarmung wie ein Kind zusammen und schlief ein. Grace küßte sie und flüsterte „Ich liebe dich" in Jodys blonde Mähne, sicher, daß sie die einzige war, die diese verräterischen Worte hörte. ***
Den zweiten Morgen wurde Jody von den Geräuschen der Elstern geweckt, die im Pfefferbaum, der die Hütte überschattete, schwatzten und jubilierten. In ihrem Herzen war die Erinnerung an unglaubliche Süße und sanfte Lust, in ihrem Körper waren die Schmerzen grenzenloser Leidenschaft und unendlichen Verlangens. Sie streckte sich und drehte sich Grace zu, deren Körperkonturen sie im grauen Morgendämmern schemenhaft erkennen konnte. Sie legte zart eine Hand auf Graces Bein, denn sie wollte sie nicht aufwecken, und genoß das seltene Gefühl, neben einem anderen menschlichen Wesen wachzuliegen. Anstelle des Bedauerns und unbestimmter Verlegenheit, die sie früher empfunden hatte, spürte sie etwas, von dem sie annahm, es sei Glück, und noch etwas, das sich verdächtig wie Zufriedenheit anfühlte. Die Elstern flogen schwatzend davon, das Grau verwandelte sich in Farben, und Jody gab sich ihren Gedanken und Erinnerungen hin. Sie erinnerte sich an ebenso friedliche Morgen, an denen sie in dem kleinen Haus in den Dünen von Cannon Beach aufgewacht war, ihre Mutter in der Küche singen hörte und wußte, daß es sich um einen der seltenen Tage handeln mußte, der nicht von Geldsorgen oder dem Gedanken an den nächsten Job überschattet war. Sie stellte sich vor, Grace dorthin mitzunehmen - mit dem Auto von Seattle, ihr die Küste zu zeigen und vielleicht die Olympischen Berge, falls sie so gnädig wären und ihre Wolkenschleier fallen ließen. In seinem regengetränkten Grün war dieser Teil der Welt so verschieden von dem Ort hier, und doch war da etwas an seiner stillen und unberührten Weite, das sie sich vergleichbar wohlfühlen ließ, im Unterschied zu den Städten, in denen sie ruhelos und melancholisch wurde. Grace bewegte sich unter Jodys Hand und rutschte ein
bißchen näher an sie heran. „Mom", würde sie sagen, stellte Jody sich vor. „Mom, ich möchte, daß du Grace kennenlernst." Sie lag auf dem Rücken und schloß die Augen, sie erinnerte sich an damals, als sie die Frau mit nach Hause genommen hatte, die sie für die Liebe ihres Lebens hielt. Jody lächelte bitter bei dieser Erinnerung. Achtzehn Jahre war sie und überzeugt, daß ihre Mutter Louise ebenso auf den ersten Blick anbeten würde. Während Louise vor dem Fernseher hockte, was, wie Jody sich erinnerte, sie die meiste Zeit tat, wenn sie nicht Keyboard spielte oder Dope rauchte, hatte Kathy Johnson ihre Tochter mit auf die Terrasse genommen. Sie saßen und sahen dem Sonnenuntergang zu, und Kathy rauchte eine ihrer täglichen zwei Zigaretten. „Mom", sagte Jody und blickte auf die blauschwarze Brandung des Pazifik. „Louise und ich -" Sie schwieg und hoffte, ihre Mutter würde die Lücken ausfüllen, aber Kathy schwieg auch und zog noch konzentrierter als sonst an ihrer Zigarette. Schließlich schob Jody ihr Kinn vor und sagte: „Mom, Louise ist mein Mädchen. Ich bin lesbisch, Mom." Nach einer langen Pause seufzte Kathy und drückte ihre Zigarette aus. „Ich nehme an, es wäre dumm zu fragen, was ich falsch gemacht habe?" sagte sie schließlich. Jody griff nach der Hand ihrer Mutter, schockiert über die Müdigkeit in ihrer Stimme. „Du hast überhaupt nichts falsch gemacht, Mom. Ich denke, so war ich schon immer. Es ist... für mich ganz natürlich." Kathy mußte kichern und drückte die Hand ihrer Tochter. „Jody, und wenn ich hundert Jahre alt würde, ich schwöre, du wärest noch immer imstande, mich zu überraschen." Sie legte Jody den Arm um die Schulter. „Nicht daß du lesbisch bist, überrascht mich, Liebling. Ich
denke, das weiß ich schon lange. Es ist die Art, wie du Dinge sagst, die gleichzeitig vollkommen logisch und ganz und gar ungewöhnlich sind, wie ,Es ist für mich ganz natürlich', und manchmal frage ich mich, wer von uns beiden die ältere ist. Du bist so klug und vernünftig, und ich..." Sie zuckte die Schultern, und Jody umarmte sie heftig. „Du bist klug und vernünftig und eine wundervolle Mutter", murmelte sie an ihrer Schulter. „Wenn du nicht wärst, wäre ich eine unbedeutende armselige Närrin." „Nun, mein Liebes", sagte ihre Mutter zweifelnd. „Ich muß sagen, ich glaube, du bist eine unbedeutende armselige Närrin, wenn du annimmst, daß du diese Louise heiraten wirst, aber du mußt tun, was dich glücklich macht, und was immer das ist, ich werde zu dir halten." Sie machte eine perfekt abgemessene dramatische Pause und schloß dann: „Selbst wenn du eine absolute Idiotin bist." Louise hörte ihr Gelächter und riß sich lang genug von ihrem Fernsehprogramm los, um nachzuschauen. Aber da war es schon zu spät. Kathy Johnsons Haltung gegenüber Jodys Erklärung hatte den Effekt, als sei ein kräftiger Scheinwerfer eingeschaltet worden — plötzlich war Louise für Jody nicht mehr eine sehr aufregende, etwas ältere Frau, sondern eine rauschgiftbenebelte Langweilerin. Am nächsten Morgen verschwand sie ohne einen Ausdruck des Bedauerns. Als Jody am Abend allein auf der Terrasse saß, weinte sie, aber nur über ihre Einfältigkeit und jugendliche Dummheit. Und nun strich sie mit der Hand über Graces Schenkel und verharrte an der Stelle, wo die Kurve zwischen Hüftknochen und Bauch geküßt werden wollte. Zum erstenmal seit zehn Jahren fühlte sie diesen Impuls - ihre Geliebte und ihre Mutter miteinander bekanntzumachen. Aber nun war es zu spät.
„Ich möchte, daß du glücklich bist, mein Schatz", hatte ihre Mutter geflüstert, als sie im Sterben lag und der Krebs ihren einst so starken Körper zerfressen hatte. „Ich möchte so sehr, daß du glücklich bist." Sie hatte Jodys Hand gedrückt, und eine Stunde später war sie tot. Plötzlich stiegen Jody Tränen in die Augen, und ein Schluchzen kam aus ihrer Kehle. Sie merkte, wie Grace sich unter ihrer Hand versteifte, und versuchte still zu sein, aber es war zu spät. Grace drehte sich um, mit hellwachen und ernsten Augen. „Was ist los?" flüsterte sie, ihre Finger berührten die Tränenspuren auf Jodys Wangen. „Was ist los, mein Schatz?" Hätte Grace etwas anderes gesagt, hätte Jody vielleicht ihre Fassung bewahrt, aber der Klang ihrer Stimme - weich und voller Besorgtheit - und der vertraute Kosename warfen sie aus dem Gleichgewicht, und lang unterdrückter Kummer und Einsamkeit strömten aus ihr heraus in einer Tränenflut, die sie fast zu zerreißen drohte. Grace machte nicht den Versuch, sie zu hindern, sondern hielt sie nur fest, wiegte sie, streichelte ihr Haar und ließ sie sich ausweinen. *** Grace merkte, daß ihre Gedanken sich in die Zukunft richteten. Bevor Jody aufgetaucht war, hatte sie nicht im geringsten an das gedacht, was vor ihr liegen könnte, so sehr war sie damit beschäftigt, die Vergangenheit zu bewältigen, und darauf konzentriert, etwas in sich wiederzufinden, das nicht durch Prügel und Angst beschädigt war. In freien Augenblicken hatte die angeschlagene Gesundheit ihres Vaters ihr erlaubt,
weitergehende Gedanken zu verdrängen, sich nicht zu fragen, was sie tun würde, da es doch ihre klare Pflicht war, zu bleiben und zu helfen. Nicht nur ihre Pflicht, sondern auch sichere Zuflucht, mußte sie zugeben. Ein Hafen, in dem sie keine Verantwortung für persönliche Entscheidungen übernehmen mußte, denn die waren ihr abgenommen. Bis Jody gekommen war. Grace fuhr mit den Fingern Strähne um Strähne durch Jodys Haar, die Bewegung, das wußte sie, würde die quälenden Schluchzer allmählich beruhigen, die Jodys Körper schüttelten. Aber in dem Maß, in dem Jodys Weinen abklang, wuchs ihre Beklommenheit und böse Vorahnung. Sie wußte, bald würde es Zeit sein, ihre Ferienromanze -denn etwas anderes war es nicht - an einem sicheren Ort zusammen mit anderen wertvollen Erinnerungsstücken aufzubewahren, wenn das wirkliche Leben wieder sein Recht verlangte. Und die Aspekte des wirklichen Lebens waren bedrohlich genug, um sie frösteln zu lassen. Einerseits lastete die Erinnerung an den grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters schwer auf ihr, auf der anderen Seite wußte sie genug über den aufregenden Lebensstil und die Karriere, die vor Jody lag, um sicher zu sein, daß darin kein Platz für eine ziemlich normale, geschiedene Australierin war. Du hast gewußt, worauf du dich einläßt, sagte sie zu sich. Und du weißt, daß du selbst sehen mußt, wie du damit klarkommst. Das waren vernünftige, aber keineswegs angenehme Gedanken. Körperlich und geistig wandte sie sich von dem trübgrauen Morgenlicht ab, das den Rest ihres Lebens signalisierte, und wandte sich der Gegenwart zu. Auf Jodys Wangen lagen immer noch Tränenspuren. „Liebste", flüsterte Grace. „Willst du mir sagen, was los
war?" Jody streichelte Graces Gesicht, dann richtete sie sich auf. „Ich brauche ein Taschentuch." Sie schniefte und wischte sich mit dem Handrücken die Augen. Grace langte nach der Schachtel mit Papiertaschentüchern auf ihrem Nachttisch und gab sie ihr. Jody zog große Mengen hervor und putzte sich laut die Nase, wie ein kleines Kind. Die Traurigkeit, die immer noch in ihr war, schüttelte sie. Einen Augenblick saß sie ganz still und atmete tief, dann sah sie Grace an, die Augen voller Schmerz. „Meine Mutter." Ihre Stimme zitterte. „Ich mußte plötzlich an meine Mutter denken. Sie ist vor vier Jahren gestorben, und manchmal ist es, als sei es gestern gewesen. Es tut mir leid." Wieder standen ihr Tränen in den Augen, und sie kehrte in Graces ausgestreckte Arme zurück. „Jody, Jody." Graces Umarmung war wie ein Mantel und ihre Stimme Balsam für Jodys verwundetes Herz. „Ich bin sicher, in gewisser Weise wird es immer wie gestern sein", sagte sie weich. „Wir irren, wenn wir glauben, wir kämen über einen großen Verlust hinweg. Daß es sich irgendwie beruhigt, und das war's dann. Es beruhigt sich nicht. Wir lernen nur im Lauf der Zeit, damit zu leben. Aber es werden immer wieder Zeiten kommen, da es dich so hart trifft, daß du eine Weile am Boden liegst." Beruhigend strich sie Jody über die Stirn. „Aber das hat auch seine guten Seiten, Liebste, denn es bedeutet, daß deine Mutter immer bei dir sein wird. Nur wenn du es zuläßt, werden die schmerzvollen Zeiten, in denen du dich an ihr Sterben erinnerst, gewichtiger sein als die, in denen du sie lebendig und bei dir erinnerst - nur wenn du es zuläßt." Jody dachte lange darüber nach und umarmte dann Grace so heftig, daß es ihr den Atem nahm. „Du bist eine außergewöhnliche Frau, Grace." Es klang
dumpf, weil Jodys Mund an Graces Kehle lag. „Eine wirklich außergewöhnliche Frau." Sie schloß die Augen und sagte dann: „Ich werde dir schreiben, Grace." Die Worte trafen Grace mitten ins Herz. *** Diesen Nachmittag fuhren sie zu ihrem Lieblingsversteck, dem Billabong unterhalb von Billaluna, und wortlos, wie selbstverständlich suchten sie sich einen Fleck zum Arbeiten. Grace zeichnete und malte und machte sich Notizen, und Jody saß in einiger Entfernung auf dem glatten Stamm eines umgestürzten Eukalyptusbaums. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie an diesem Morgen an das Unmögliche gedacht und fast dem Impuls nachgegeben Grace zu bitten, alles aufzugeben, ihre Familie, ihre Arbeit, ihre Heimat, und gegen die Unsicherheiten eines Lebens in fremdem Land, in der fremden Umgebung der Welt der Musik einzutauschen, deren harte Bedingungen Grace nicht kannte: das Umherreisen und Schallplatten Aufnehmen. Eine Welt, in der Grace immer nur warten mußte, im Schatten, einen Schritt hinter Jody. Sie hatte aufgeblickt und Graces stolzes Profil betrachtet und die Worte hinuntergeschluckt. Das Risiko für sie beide war zu groß. Das Risiko des Schmerzes und der Qualen, die mit absoluter Sicherheit die Konsequenzen eines solchen übereilten Sprungs ins Ungewisse wären. Entschlossen verwarf sie den Gedanken. Nach einer Weile begann sie auf der Gitarre verschiedene Akkordfolgen und Melodiefetzen auszuprobieren und sie am Bleistift kauend in ihr Notizbuch zu kritzeln. Es war ein Nachmittag beglückender Nähe und einer, der sich als überaus produktiv erweisen sollte. Als das Licht
schwächer wurde, packte Grace langsam und schweren Herzens ihre Ausrüstung zusammen, wissend, daß jede Handlung zu einer Reihe „letzter Male" gehörte. Schließlich stand sie neben Jody und sagte leise: „Ich glaube, wir müssen gehen. Mama wollte für deinen letzten Abend etwas Besonderes vorbereiten." Jodys Abreise war unausweichlich, trotzdem fühlte sich Grace überwältigt von dem Kummer, der sie einzuhüllen begann. Als sie sich an diesem Abend mit Jody, Margaret und Tony, Iris, Ed und Andy an den Tisch setzte - es war so schnell der gemütliche und vertraute Abschluß des Tages geworden -, brachte sie kaum ein Wort heraus, und es war ihr ganz unmöglich, sich am Geplänkel und Gelächter der anderen zu beteiligen. In einem ungeschützten Moment bemerkte sie, daß Ed und Andy sie besorgt anblickten, sie zwang sich zu einem Lächeln. Die Anstrengung schmerzte geradezu körperlich, und sie hatte das Gefühl, daß ihr Gesicht wie ihr Herz in Stücke fiel. Sie wußte, daß sie keine Ansprüche an Jody hatte Jodys ernstes Gesicht kam ihr in den Sinn, wie sie in den frühen Morgenstunden der vergangenen Nacht gesagt hatte: „Grace, du weißt, daß ich fort muß." Dabei hatte sie sie angstvoll angesehen, als erwartete sie das Schlimmste. Mit leichter Stimme, von der sie nicht wußte, woher sie sie nahm, hatte Grace ihr versichert: „Wir haben uns keine Versprechungen gemacht, Jody. Die einzige Gewißheit bei deiner Ankunft hier war, daß du wieder abreisen würdest. Und wenn es soweit ist, werde ich versuchen zu schlafen und vielleicht etwas zu arbeiten." Ihr Lächeln hatte sie große Anstrengung gekostet, aber es reichte, um die Besorgnis in Jodys Augen schwinden zu lassen. Zumindest war sie dankbar, daß Jody geradeheraus und ehrlich zugegeben hatte, ihr fahrendes Leben sei der
Grund, warum sie sich nie in Beziehungen engagierte. Das war für Grace leichter zu akzeptieren als die Vorstellung, daß sie nur ein Intermezzo war. „Das Rock 'n' Roll-Leben ist keine Basis, um sich auf Beziehungen einzulassen", hatte Jody gescherzt, als Grace sie bei Gelegenheit gefragt hatte, wie das sei, das Leben als Tournee. „Ich habe zu viele miese Trennungen gesehen, wenn zurückgelassene Geliebte sich irgendwo Trost suchen, und ich mag das Risiko nicht, immer noch einmal zu erfahren, wie schnell Liebe sich in Haß verwandelt." Grace wußte nur zu gut, wie es ist, von solchen Erfahrungen ausgebrannt zu werden, und ihr Stolz hätte ihr nicht erlaubt, dagegen zu argumentieren. Dennoch war, als sie an diesem frühen Morgen in Jodys Armen lag, ihr Herz schwerer als je zuvor, und sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. Als sie das Gesicht, das sie zu lieben begonnen hatte, berührte, merkte sie, daß es feucht war. Und schließlich hatte Jody gesagt: „Es bricht mir das Herz, dich zu verlassen, Grace." „Ich weiß", sagte Grace und hielt sie ganz fest. Und dennoch: Als Jody sie heftig und verzweifelt küßte, begriff Grace nicht, warum sie nicht sagte: „Komm mit mir." Hätte sie es gesagt, da war Grace sich sicher, wäre sie ihr bis ans Ende der Welt gefolgt. Aber Jody sagte es nicht, und bald wurde der Himmel hell, und ein Vogel begann zu singen.
9
Ol' Tammy war abfahrbereit. Jody küßte Margaret auf beide Wangen, schüttelte dem sehr gedämpften Tony die Hand, umarmte die auf ewig dankbare Jenny und blieb dann vor Grace stehen. Sie legte eine Hand aufs Herz und versuchte ein Grinsen. „Du hast mir ein paar ganz besondere Orte gezeigt, Grace", sagte sie herzlich. Sie wollte sie küssen, aber Grace empfand einen so unerträglichen Schmerz, daß sie ihr Gesicht abwandte und Jodys Lippen nur ihre Wange trafen. „Wann immer ich an sie und an dich denken werde, wird mein Herz brennen." „Vielleicht ist es nur eine Magenverstimmung", versuchte Grace mit tränenerstickter Stimme zu scherzen. „Von dem guten italienischen Essen." Jody wollte lachen, aber es gelang ihr nicht sehr gut. „Ich werde schreiben." Grace schüttelte den Kopf. „Du wirst viel zu tun haben. Eine Postkarte aus Alice wäre nett." Sie wagte nicht aufzublicken, Jody nicht in die Augen zu sehen, sondern starrte auf die Spitzen ihrer schwarzen Stiefel, bis ihr die Augen schwammen. „Bestimmt." Jody drehte sich abrupt um und stieg in den Bus, die Hydrauliktür schloß sich zischend, und während Grace kämpfte, um die Schluchzer, die ungebeten und unerwünscht in ihrer Kehle aufstiegen, zu unterdrücken, verschwand Ol' Tammy in einer Staubwolke. Grace schaffte es gerade noch bis zu ihrer Hütte, bevor die Verzweiflung, die sie schüttelte, die Dämme ihrer Selbstbeherrschung durchbrach. Eine Stunde später, als die Tränen langsam nachließen, kam ihre Mutter mit zwei Kognakgläsern. „Ich denke, das können wir gebrauchen", sagte sie traurig zu ihrer Tochter. „Und anschließend vielleicht noch einen." Sie schwenkte die Flasche, die sie unter den Arm geklemmt hatte.
Grace lachte und weinte gleichzeitig und umschlang ihre Mutter aus purer Verzweiflung und dankbarer Zuneigung mit einer fast knochenbrechenden Umarmung. „Mama", sagte sie hilflos. „Ich weiß, Liebling, ich weiß", antwortete Margaret und strich ihr über den Kopf, und Grace hörte die Tränen in ihrer Stimme. Bald hatte Grace keine Tränen mehr, und langsam und präzise begann sie die verstreuten Teile ihres Selbst zusammenzufügen. „Es geht doch nichts über einen guten Kognak." Margaret goß sich einen zweiten ein. „Immer wenn ich auf die Franzosen wütend bin, muß ich ihnen wegen ihres Kognaks und Champagners doch wieder verzeihen." Grace grinste und kippte den Rest ihres goldbraunen Stärkungsmittels. „Wann wirst du denn wütend auf die Franzosen, Mama?" „Ziemlich oft, Liebling. Ich bin Italienerin, und sie - sie sind Franzosen!" Die beiden Frauen lachten, und Margaret goß Grace noch ein Glas ein. „Runter damit, Liebling. Ich fürchte, dann gibt es keinen mehr, bis der Brauereilaster kommt. Dein Vater wird wütend sein." Grace seufzte. „Ich fürchte, mein Vater ist so oder so wütend." Margaret zuckte die Schultern. „Er ist ein Mann. Männer werden schnell wütend wegen Dingen, die sie nicht verstehen." „Und du, Mama? Macht es dich nicht wütend?" fragte Grace zögernd. „Mich macht es traurig, daß du unglücklich bist. Mich macht es traurig, daß dein Lebensweg sich nicht zum Einfachen wendet. Wütend hat mich gemacht, was die Ehe mit Scott dir Schreckliches angetan hat. Da war ich wütend. Jetzt bin ich nur sehr, sehr traurig. Und ich werde beten, daß du... über alles... schnell hinwegkommst."
Grace runzelte die Stirn und fuhr zögernd fort: „Mama, weißt du, warum ich traurig bin?" „Du bist mehr als traurig, mein Liebling. Ich denke, vielleicht hat das, was dir durch Scott widerfahren ist, dich anfällig gemacht für —" Sie schürzte die Lippen. „Für eine Person, die zartfühlend ist und anders als dein Mann. Aber du wirst über diese Verrücktheit hinwegkommen. Du warst nur zu lange allein, und Jody — nun, ich nehme an, sie ist in derartigen Dingen sehr erfahren. Du weißt schon wehrlose Mädchen verführen." Grace verschluckte sich, schüttelte heftig den Kopf und schluckte noch einen Mundvoll des brennenden Kognaks. „Nein, Mama, so darfst du nicht denken. Das ist nicht fair. Auch wenn du das nicht gern hören wirst, aber Jody hat mich nicht zu verführen versucht. Es war genau andersherum." Margaret schwenkte den Kognak in ihrem Glas und schwieg. Endlich sah sie auf und seufzte traurig. „Ich wußte es", sagte sie bedrückt. „Ich wollte es nicht zugeben, aber ich wußte es. Es ist meine Schuld. Ich habe euch zusammengebracht. Ich dachte, es sei gut für dich, zur Abwechslung mit einer Frau deines Alters zusammenzusein. Ich dachte, es würde dich ablenken." Sie schüttelte den Kopf, und ihre Augen wurden hart. „Alle Heiligen wissen, daß ich nicht glaubte, du könntest den Verstand verlieren. Diese Verrücktheit muß eine verspätete Reaktion auf das, was mit Scott zusammenhängt, sein. Vielleicht solltest du mit jemandem darüber reden - Hilfe suchen." Grace seufzte; ihr Herz drohte noch tiefer zu rutschen, als es ohnehin schon gesunken war. Dann richtete sie sich auf und sah ihrer Mutter gerade in die Augen. „Mama, bitte hör mir zu. Ich liebe Jody, und sie ist fort. Ich wußte, daß sie gehen würde. Ich habe versucht, sie nicht zu lieben. Ich habe nicht erwartet, sie zu lieben. Nie zuvor ist mir etwas
derartiges passiert, aber ich weiß, daß ich sie liebe." Sie sah ihrer Mutter unverwandt in die Augen. „Es tut mir leid, daß ich dir das antue, Mama, und ich denke, es wird irgendwann vorbei sein, aber ich liebe sie." „Warum bist du nicht mit ihr gegangen?" fragte Margaret. Sie wirkte geschlagen. Grace zuckte hilflos mit den Schultern. „Sie hat mich nicht darum gebeten." Margaret schlug die Augen zum Himmel. „Hast du denn gar nichts aus der Vergangenheit gelernt? Konntest du nicht selbst entscheiden?" Grace schüttelte den Kopf. „Ich konnte es nicht, Mama. Sie sagte von Anfang an, daß sie sich auf keine Beziehung einläßt. Sie war ehrlich. Es ist mein Fehler, daß ich so empfinde." Margaret war verblüfft. „Grace, ich habe gesehen, wie sie dich angeblickt hat an dem Tag, an dem sie ins Restaurant kam, auch wenn ich es nicht geglaubt habe. Und du..." Sie sah in ihr Glas, als läge dort die Wahrheit. „Mein Liebling, ich kann nicht glauben, daß ihr zwei so töricht sein könntet. Oder warst du zu stolz, deine Gefühle zu zeigen?" Grace verneinte gequält. „Wie hätte ich das gekonnt, Mama? Das wäre ja gewesen, als hätte ich ihr eine Falle stellen wollen - etwas aus ihr herausholen. Das machen alle Leute mit ihr. Ich konnte es nicht, Mama, ich konnte es einfach nicht." Margaret seufzte wieder und nickte, schweren Herzens begriff sie das Dilemma ihrer Tochter. „Erinnerst du dich, wie ich dir wegen deiner Vorurteile Bescheid gesagt habe?" Grace nickte grinsend. „Und du hattest recht." „Vielleicht, aber auch ich war eine Heuchlerin, denn als ich zwei und zwei zusammenzählte und mir klarzumachen begann, was passierte, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, muß ich doch zugeben, daß ich nicht glück-
lich war. Wie hätte ich es sein können? Ich wünsche mir Enkelkinder und einen wunderbaren Schwiegersohn... aber..." Sie stockte und griff nach Graces Hand, und für eine Weile saßen sie schweigend da, bis Margaret sagte: „Ich wünsche mir, daß dein Leben nicht schwierig ist. Ich möchte, daß du eine Person findest, die dich so liebt, wie du es verdienst. Einen Mann zu heiraten, ist keine Garantie, daß dein Leben nicht schwierig ist oder daß er dich liebt - ich habe darüber nachgedacht, und ich glaube es. Aber ein Leben mit Jody, wenn es das ist, was du dir wünschst, heißt einen Weg von so großer Schwierigkeit und voller Unglück zu gehen - nicht nur für dich, sondern auch für deine Familie -, daß ich nur hoffen kann, es kommt nicht dazu. Ich versuche, ganz ehrlich zu sein." Ungeachtet ihres Kummers umarmte Grace ihre Mutter. „Mama, ich bin dankbar für deine Ehrlichkeit, und ich begreife, wie du empfindest. Aber was immer mit meinem Leben geschieht", sie schluckte schwer, „es wird nichts mit Jody zu tun haben." *** Zwei Wochen später war Grace so weit, einen Tag zu überstehen, ohne in ein schwarzes Loch tiefer Depression zu fallen - da kam eine Postkarte aus Alice Springs. Alice Springs war Alice Springs, stand da in Jodys gerader Handschrift. Die Filmaufnahmen nahmen kein Ende,
verliefen aber gut. Ich schreibe viel. Ich vermisse dich.Jody.
Grace las die Sätze wieder und wieder und suchte nach einer verborgenen Bedeutung. Sie war gezwungen zuzugeben, daß es keine Botschaft jenseits der neunzehn Worte gab und daß das Bild — eine flammendrote Aufnahme
der Stadt vor dem Hintergrund der Macdonnell Ranges bei Sonnenuntergang - nichts Symbolisches enthielt. Es ist eine Postkarte, sagte sie sich, nichts als eine Postkarte von einer Freundin. Dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem anderen Umschlag, der an sie adressiert war. In der linken oberen Ecke trug er das Wappen und die Adresse ihrer alten Universität und des Fachbereichs, an dem sie studiert hatte. „Von wem kommt er?" Ihr Vater konnte seine Neugier nicht zügeln. Der Absender hatte seinen Namen handschriftlich unter das Wappen gesetzt. „Cameron Gardner, mein ehemaliger Professor", hatte Grace geantwortet. Seine Handschrift war wie seine Unterschrift - zaghaft und anmutig -, aber sein Anliegen war klar genug. Er hatte einen Sponsor für die Finanzierung eines dreimonatigen Forschungsaufenthalts in Macquarie Harbour an der Westküste Tasmaniens aufgetrieben, wo eine seltene Spezies eines vom Aussterben bedrohten Fischadlers erforscht und registriert werden sollte. Er wollte, daß Grace sich dem Team anschloß - wie alles, was er tat, am liebsten schon vorgestern. Grace las den Brief zweimal, sie genoß die Freude, für ein solches Projekt ausgewählt worden zu sein, und spürte Bläschen von Furcht und Vorfreude in ihrem Magen aufsteigen und zerplatzen. Aber da war noch ein Gefühl ein irrationales Gefühl, das ihr sagte, so nahe wie möglich an dem Ort zu bleiben, an dem sie mit Jody zusammengewesen war, als könnte das irgendwie ihre Liebe am Leben halten. Grace grübelte über die Dummheit dieses Gefühls, als sie zwei Augenpaare auf sich ruhen fühlte. Margaret und Tony konnten ihre Neugier kaum verbergen, und Grace verzog das Gesicht und gab ihnen den Brief.
„Entschuldigt", sagte sie. „Hier, lest selbst." Ihr Vater nahm den Brief und las ihn laut vor, seine Stimme begann vor Stolz zu zittern, als ihm die Bedeutung des Inhalts aufging. Schließlich legte er ihn auf den Küchentisch und strahlte Grace und Margaret an. „Das ist ja wundervoll, Grace! Darauf hast du doch die ganze Zeit gewartet!" Grace nickte, obwohl sie noch immer eine verrückte Bedrücktheit empfand. „Das ist es, Daddy. Ich habe Glück gehabt." „Glück gehabt! Du verdienst es, du hast soviel Arbeit in deine Ausbildung gesteckt. Du verdienst es." „Ich danke dir. Aber kommt ihr denn ohne mich zurecht?" Tony und Margaret sahen einander an. Welche unausgesprochenen Botschaften auch immer zwischen ihnen hin und her gingen, es war offensichtlich, daß sie ihre einzige Tochter liebten und nichts sehnlicher wünschten, als daß sie einige tausend Meilen entfernt wäre. Und aus welchem Grund auch immer, Grace wollte in diesem Moment auch nicht weiter darüber nachdenken. Der Rest des Tages verging in einer Flut von Faxen zwischen Cameron Gardner und der Faxmaschine im Büro des Davanzo-Rasthauses. Es schien, als wäre das Team schon fast auf dem Weg in den Inselstaat, und Grace sollte ihnen so bald wie möglich folgen.
Wir wollen das Beste aus der Zeit herausholen, die wir in Tasmanien haben, hatte Professor Gardner geschrieben. Sie wissen, wie unsicher das Wetter dort ist, je früher wir also ankommen, um so besser.
Grace hatte das Fax ihrer Mutter gezeigt, die nickte, eine Mischung aus Erleichterung und Trauer in den Augen. „Es ist das Beste so, Grace", hatte sie ruhig gesagt. „Dies ist ein Gottesgeschenk, das weißt du."
Grace konnte nicht anders als zustimmen, obwohl, wie sie vermutete, aus ein wenig anderen Gründen. Hier im Rasthaus zu sein, wo ständig Erinnerung an und Klatsch über Jody sie ins Herz trafen, weil die Zeitungen täglich über den Fortgang der Tournee und des Films berichteten, wurde durch den Verlauf der Zeit nicht erträglicher. Sie fürchtete die täglichen Zeitungen und daß Iris darin aufgeregt jede noch so kleine Nachricht über die junge Frau vorlas, die sie weiterhin hartnäckig „meine Freundin" nannte. Und obwohl sie es sogar irgendwie fertiggebracht hatte, die Insassen eines Reisebusses höflich, wenn auch nicht besonders liebenswürdig abzufertigen, die sehen wollten, „wo Jody Johnson übernachtet hatte", hatte der Unterhaltungswert solcher Besuche sich doch schnell abgenutzt. Alte Stammkunden baten sie praktisch täglich, doch noch einmal die Geschichte zu erzählen, wie ein halbes Dutzend junger Frauen mit schweren schwarzen Arbeitsstiefeln, Ringen in der Nase, Tätowierungen und den schrecklichsten Haarschnitten der südlichen Hemisphäre ins Restaurant gestampft kamen. Grace hatte sich zusammengerissen und ihre atemlosen Fragen beantwortet und sie dann zu Jodys Hütte geführt. In einem selten Anfall von Humor war ihr eingefallen, daß ihre Auskünfte nicht besonders wahrhaftig waren. Jody hatte wenig Zeit in dem Doppelbett verbracht, auf dem sie mit großer Ehrfurcht Platz nahmen. Wenn sie fair hätte sein wollen, hätte sie sie zu ihrem eigenen Bett geführt. Aber, sagte sie sich nachträglich, solche Fairness empfand sie nicht. Und würde es wahrscheinlich nie. Dann hatte Iris vom Besuch der Fans Wind bekommen, und ihr Vorschlag, sie sollten T-Shirts mit der Aufschrift „Hier übernachtete Jody Johnson" bedrucken und an die Groupies verkaufen, war ein Scherz, der für ihre Enkelin denn doch entschieden zu weit ging. Als in einer Woche bereits der
dritte Bus voller blasser junger Frauen auf den Hof rollte, die alle Jodys wegen kamen, überließ Grace es Margaret, sie herumzuführen, auch wenn die ihre Zweifel hatte, ob das überhaupt eine richtige Entscheidung war. Ihre leuchtenden Augen und ihr Entzücken, gegenseitig voneinander Schnappschüsse „vor Jodys Tür" zu machen, ließen sie, wenn auch widerwillig, beschließen, es könne nichts Schlechtes daran sein. Besonders wenn es ein Zusatzgeschäft in einer ansonsten eher ruhigen Zeit des Jahres war. Am Abend, nachdem Cameron Gardners Brief gekommen war, begann Grace ihre Feldausrüstung aus dem Schrank zu holen und in wasserdichte Plastiktaschen zu packen. Da waren dicke warme Hemden, Hosen und Pullover, zwei wasserdichte Feldstecher, eine tragbare Entwicklungseinheit, mehrere Kameras, ein maßgefertigter Flugkoffer für drei verschiedene Teleobjektive und all die anderen Siebensachen, die für das Beobachten und Aufnehmen extrem scheuer Vögel und ihrer Umwelt notwendig waren. Ihre Gefühle waren in Aufruhr, als sie jedes Teil einzeln an seinem Platz verstaute. Die Erregung war unleugbar, besonders das Gefühl der Genugtuung, daß ihre Arbeit von ihren Kolleginnen und Kollegen geschätzt wurde, aber der Schmerz darunter war ebenfalls nicht zu leugnen. Barralong zu verlassen, würde beschleunigen, was, wie sie tief innen wußte, sie ohnehin eines Tages tun mußte: ihren schlimmsten Ängsten und dem Vier-Uhr-Morgens-Elend ins Gesicht zu sehen, daß Jody, wieder auf Tour und das lockende Amerika vor sich, in ihr altes Wanderleben zurückkehren und ihre Raststättenromanze vergessen würde. ***
Grace hatte gleichzeitig recht und unrecht. Die Australientournee und die parallel dazu verlaufenden Dreharbeiten waren für Jody wie durch einen Schleier schmerzlicher Zielstrebigkeit abgelaufen. Als sie das Rasthaus auf der Straße nach Norden verlassen hatten, war sie in Eds Arme gefallen und hatte geweint, wie er sie nie vorher hatte weinen sehen. Sie mußte ihm nichts erklären, ihren Zustand nicht begründen. Er hatte sie gehalten, als sie in Scherben fiel, und er hielt sie, bis sie höchst kläglich beginnen konnte, sich wieder zusammenzusetzen. Es hatte Stunden gedauert, und sie waren beide dankbar für das höhlenartige leere Fahrzeug und Andys Diskretion. Andy konzentrierte sich wütend auf die Straße vor sich und drehte die Rückspiegel so, daß er auf keinen Fall etwas sehen konnte. Traurig mußte Ed bald erkennen, daß er ebenfalls nichts tun konnte. Nachdem der erste stürmische Kummer vorüber war, baute Jody Barrieren aus einer strahlenden Fassade auf, um den Verlust zu verbergen, und weigerte sich kategorisch, jemanden dahinter zu lassen, auch Ed nicht. In Alice Springs hatten sie an einem frischen frühen Morgen auf die rot und purpurn leuchtende Bergkette der Macdonnell Ranges geblickt, und Ed sagte: „Du hättest nicht gewußt, was für ein unglaublich schönes Land dies ist, wenn du nicht hier gewesen wärst." Jody hatte Tränen in den Augen und nickte bloß. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und fuhr stockend fort: „Und du würdest nicht wissen, daß es unglaublich schwer sein kann, eine Person zu lieben, bevor du nicht liebst." Jody schwieg eine Ewigkeit, dann strafften sich ihre Schulter, ihr Kinn streckte sich vor, und sie sagte: „Sie war eine wundervolle Person, Ed. Sie gab mir das Gefühl -" Sie zuckte die Achseln und zog die Stirn in Falten. „Ich weiß nicht... als sei ich eins mit mir, verstehst du?" Er nickte und drückte ihre Schulter. „Ich verstehe",
sagte er. „Und warum ist sie dann nicht hier?" Jody schüttelte seine Hand ab und legte einen kleinen Abstand zwischen sich und ihn. „Im wirklichen Leben geht es anders zu, Ed. Dies ist kein Märchen mit einer guten Fee und einem guten Schluß. Es ist, wie es ist." Ed war so verblüfft, daß er schwieg. Der Augenblick ging vorbei, so wie die Farben der Morgensonne, die die Bergkette getroffen hatten, sich änderten. Es war ein Moment großer Nähe gewesen, den, soviel wurde schnell deutlich, Jody nicht zu wiederholen wünschte. Zuerst hatte sie jeden Morgen die Faxe und Nachrichten durchgesehen, aber nie war etwas vom Barralong Creek darunter. Einmal hatte Ed zu erklären versucht, daß Grace bestimmt nicht auf solche Art Kontakt aufnehmen würde, aber Jody hatte seine Worte ärgerlich beiseite gewischt und brüsk erklärt: „Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest." Sie distanzierte sich körperlich und seelisch auf eine Weise von ihm, die eine neue Phase ihrer Beziehung markierte. Eds Traurigkeit wurde noch vertieft durch seine Überzeugung, daß das, was sie tat, ihr nichts als Kummer einbringen würde. Dann, als die Tage und Wochen verstrichen, gewann Jodys eiserner Vorsatz, damit fertigzuwerden und in ihrer Arbeit bis an die Grenzen ihres Talents zu gehen, die Oberhand. Dazu verdammt, am Rande zu stehen, wachte Ed dennoch über sie mit einer Besorgheit, die er früher in diesem Ausmaß nicht empfunden hatte. Etwas Abwesendes, Gehetztes in ihrem Blick gab ihrer Schönheit und ihrer Kunst eine Prägnanz, die vorher so nicht dagewesen war, nicht einmal nach dem Tod ihrer Mutter. Es war eine Wirkung, auf die sie, so dachte Ed, verzichten konnten, so gefährlich fragil machte sie sie. Tag für Tag sah sie sich den Stundenplan an, den er ihr
aushändigte, fragte nach, vergewisserte sich, daß sie verstanden hatte, was verlangt wurde, dann nickte sie und machte sich an die Arbeit. Unbeugsam, entschlossen, nicht aufzuhalten. Wenn der letzte Punkt auf der Liste abgehakt war, verschwand sie in ihrem Hotelzimmer, bestellte den Zimmerservice und — aber das sollte er erst später entdecken - schrieb an ihren Liedern bis zur Erschöpfung. Eines Abends gegen Ende der Tournee warfen Jody und Ed sich in Schale, er in seinen geliebten blaßrosa Smoking, sie in ein aufreizend elegantes schwarzes Kleid, und gingen in das Restaurant im Sydney Opera House. Dort an einem der weißgedeckten Tische wollte Ed so etwas wie Aussöhnung feiern. Und daß Jody ebenso empfand, wurde bestätigt durch ihre Zustimmung zu dem Festakt und der Sorgfalt, mit der sie sich darauf vorbereitet hatte. Nach einem Essen, daß beide erinnernswert und hervorragend fanden, sagte Jody: „Grace würde es hier gefallen." Es war das erstemal, daß sie Graces Namen erwähnte, und Ed war einen Moment lang sprachlos. Dann stellte er sein Weinglas hin und wiederholte schlicht die Frage, die er schon mal gestellt hatte. „Warum ist sie dann nicht hier?" Jody spielte mit ihrem Glas und hielt es gegen das Licht, um Ed nicht direkt ansehen zu müssen. „Sie hat ihr eigenes Leben. Es würde nicht funktionieren", sagte sie mit einer Stimme, aus der keine Empfindung herauszuhören war. „Woher willst du das wissen? Nach meinem Eindruck schien es sehr gut zu funktionieren." Jody schüttelte den Kopf. „Das war - wie eine Auszeit. Es war nicht real. Das wußten wir beide. Diese Art Leben ist nichts für Grace." Ed schnaubte und zeigte auf das sich emporschwingende Dach und die heitere Szenerie des Hafens hinter den Glaswänden. „Dies ist nicht Graces Art zu leben? Barralong
ist nicht Graces Art zu leben. Hast du sie gefragt?" „Sei nicht albern, Ed. Du weißt, was ich meine. Wie auch immer, ich habe meine Regeln gebrochen, und jetzt bezahle ich dafür. Es wird nicht wieder vorkommen." „Was?" Ed zuckte zusammen, denn seine Stimme war lauter, als er beabsichtigt hatte, und er beugte sich vor und sagte leiser: „Jody, du hast in deinem Leben schon manchen Unfug geredet, aber das ist einfach nur blöd. Tu mir den Gefallen und sag, was du meinst." Seine Wut war nicht zu übersehen. Verblüfft sagte Jody gar nichts, sondern schwenkte den Wein im Glas, als sei sie völlig fasziniert von Farbe und Form. Aber diesmal ließ Ed nicht locker. „Also?" verlangte er mit eisiger Stimme. Schließlich sah sie ihn an, von seinem Zorn sichtlich überrascht. „Also nichts, Ed. Ich... ich hatte unterwegs eine romantische Affäre. Und so etwas mache ich nicht. Was soll ich sonst noch sagen?" „Du sollst ein ehrliches Wort sagen", zischte er zwischen zusammengepreßten Zähnen. „Wenn Grace Davanzo eine Liebesaffäre auf der Tour war, dann haben du und Red Douglas mehr gemein, als ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt hätte." Mit grimmigem Blick lehnte er sich zurück und beobachtete den Effekt seiner Worte. Sie sah auf die nächtlichen Lichter Sydneys und sagte lange Zeit gar nichts. Dann drehte sie sich zu ihm und fragte kalt: „Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Zu Kreuze kriechen? Mich entschuldigen?" Bestürzt sah er sie an. „Jody, vergiß nicht, mit wem du redest. Ich bin's - Ed. Erinnerst du dich?" Jodys Gesicht zeigte keine Regung. „Okay, ich bin also eine Lügnerin. Ich hätte ihr nichts vormachen sollen. Ist es das? Ist das deine Wahrheit?"
Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Nein, Jody, ich möchte deine Wahrheit. Und ich denke, die heißt, daß du sie liebst und Angst hast, das zuzugeben." Sie stand abrupt auf. „Ich gehe zur Toilette", sagte sie steif. „Vielleicht könntest du die Rechnung ordern. Ich bin sehr müde." Und damit ging sie quer durchs Restaurant davon, geistesabwesend und sich des Aufsehens nicht bewußt, das entstand, als die Gäste die hochgewachsene elegante Gestalt erkannten und miteinander flüsterten und Vermutungen anstellten. Mit seinem Latein am Ende, beschloß Ed später am Abend, etwas zu tun, das er vorher nie getan hatte sich einzumischen. Er rief das Rasthaus an, um mit Grace zu sprechen. Tony meldete sich und übertönte begeistert brüllend die vertrauten Geräusche des vollbesetzten Restaurants. „Ed! Wie geht es Ihnen? Wo sind Sie? In Amerika?" „In Sydney", schrie Ed zurück. „Dachte, ich sage mal Hallo - und vielleicht auch Guten Abend zu Grace -" „Sie haben sie verpaßt", rief Tony. „Sie ist abgereist." „Abgereist?" „Nach Tasmanien. Sie hat einen Forschungsauftrag. Es ist eine große Sache für sie. Wir sind alle sehr stolz. Sehr glücklich. Hat Jody es Ihnen nicht erzählt? Sie hat gestern mit Iris telefoniert." „Äh, nein, sie hat nichts gesagt", erklärte Ed, er verstand gar nichts mehr. „Aber wir waren... wir waren auch sehr beschäftigt, wissen Sie." „Natürlich, klar doch, ihr Unterhaltungsleute. Das verstehen wir." Ja, also... Sie wissen ja, wie das ist. Wir fliegen morgen zurück in die Staaten." „Oh! Aufregend! Wir bleiben in Kontakt. Sie vergessen uns doch nicht, he?"
Ed lächelte sein Spiegelbild im Fenster an, das zwischen ihm und den glitzernden Lichtern des Hafens von Sydney siebenundzwanzig Stockwerke unter ihm lag. „Wir vergessen Sie nicht, Tony. Danke für alles." Am nächsten Morgen, versteckt hinter einem mürrischen Gesichtsausdruck, vermied Jody jeden Kontakt mit Ed. Auf dem Rückflug über den Pazifik verschwand sie hinter einer Augenmaske und schlief oder gab vor, zu schlafen, und trotz Eds vorsichtiger Hinweise, wie gut ein paar Urlaubstage sein könnten, ging sie wenige Stunden nach der Landung in L.A. direkt ins Aufnahmestudio. Da erfuhr er, daß sie, wie auch immer, mitten in all dem Stress und dem Elend der letzten Wochen rund zwanzig Songs geschrieben hatte. Und bereits nach dem ersten Durchgang, bei dem Jody sie der restlichen Band vorgesungen hatte, nur begleitet von ihrer Gitarre, wußte Ed, daß sie aufnahmereif waren. *** Jedes Mitglied der Band nahm eine Demo-Kassette von Jodys Vorsingen mit nach Hause. Innerhalb einer Woche hatten sie sich eingespielt und trafen sich im Studio wieder, hinzu kamen extra engagierte Musiker. Alle waren davon überzeugt, bei der Entstehung eines außergewöhnlichen Albums dabei zu sein. Es war eine extrem schöpferische Zeit. Jody aß und schlief kaum und dachte an nichts anderes als an die Musik, das Arrangement, die Instrumentierungen und die Texte. Sie arbeitete mit einer Intensität und Leidenschaft, wie sie sie nie zuvor entwickelt hatte. Die Atmosphäre im Studio war wie elektrifiziert. Alle, von den Musikern bis zu den Tontechnikern - lauter abgebrühte Profis -, waren sich bewußt, daß sie an etwas ganz
Besonderem beteiligt waren. Alle wußten von Anfang an, daß es ein Hit werden würde. In den seltenen Augenblicken, in denen sie allein war, oft genug war es vier Uhr morgens nach anstrengenden achtzehn Stunden im Studio, warf Jody sich auf ihr Bett und driftete ganz gegen ihren Willen in Gedanken zu den magischen Orten, an denen sie mit Grace gewesen war. Und so sehr sie es auch versuchte, sie konnte Grace nicht daran hindern, den halbbewußten Zustand des Wachträumens zu besetzen, in den sie nach großer Erschöpfung fiel. Meist ergab sie sich den Träumereien und Erinnerungen an die goldenen Nachmittage mit schwatzenden Elstern und über die Lichtung schwirrenden Papageien, die für kurze Zeit ihr eine Welt von Ruhe und Sicherheit eröffnet hatten. Was die anderen nicht wußten: Diese Erinnerungen an eine Zuflucht waren die Quelle der Inspiration, aus der sie ihre Lieder geschrieben hatte, und auch deshalb konnte sie ihnen nicht entkommen. Auf der anderen Seite stand die Genugtuung, die bisher beste Musik ihrer Karriere zu machen, und diese Mischung war eine schmerzhafte und absolut neue Erfahrung. Schließlich konnte sie nicht anders als zumindest sich selbst einzugestehen, daß sie Grace liebte und daß sie - wie sie erst jetzt begriff - durch ihr gefühlloses Fortgehen ihre Chancen vergeben hatte. Allerdings war sie Profi und ehrgeizig genug, zu wissen, daß sie nichts unternehmen konnte, bevor die Aufnahmen abgeschlossen waren. Sie standen unter enormem Zeitdruck. Das Datum der Präsentation in den USA und die Termine der Promotiontournee waren schon vor Monaten festgelegt worden. Jody spürte es in den Knochen, daß dieses Album sie ein für allemal an die absolute Spitze bringen würde, und diese Chance wollte sie nicht vergeben. Als sie die erste Pressung der CD und das ansprechend
gestaltete Beiheft in der Hand hielt, empfand Jody einen Stich aus Qual und Freude. „Das ist es", sagte sie zu Red. „Das ist es, Red." „Ich weiß, Jody", antwortete der Gitarrist, und für einen Moment fiel die ganze Angeberei von ihm ab. „Ich sage dir, etwas wie dies habe ich noch nie gemacht. Es ist absolute Klasse. Und ich sage dir noch etwas - es ist besser, du gehst los und holst dir deine Frau, oder du wirst nie wieder so etwas schreiben können." „Was willst du damit sagen?" fragte Jody schockiert, obwohl sie trotz ihrer unschuldig aufgerissenen Augen ganz genau wußte, was er meinte. „Grace", sagte Red und grinste wie ein Wolf. „Du bist nicht mehr die gleiche, seit du dich von ihr verabschiedest hast - mich kannst du nicht täuschen. Dies Album handelt nur von ihr. Du kannst nur einmal aus Kummer eine solche Aufnahme machen, beim zweitenmal wird es verlogen. Wenn ich dir also was raten darf, tu uns allen den Gefallen und geh und hol sie." Jody fiel der Unterkiefer herunter, und er lachte und schlug ihr liebevoll auf die Schulter. „Übrigens", sagte er nur halb scherzend, „werde ich für den Rest meines Lebens auf dich eifersüchtig sein." In diesem Moment tauchte seine neueste Flamme auf, die Augen hinter einer großen schwarzen Sonnenbrille verborgen, die nur so tat, als wollte da eine inkognito bleiben, die doch in Wirklichkeit aller Augen auf sich zu ziehen wünschte. Red zuckte wehmütig die Schultern. „Ja, ich werde eifersüchtig sein, aber ich werde versuchen, mich zu trösten. Du verstehst, was ich meine?" Er schlang seinen Arm um die Blondine und überließ Jody ihren traurigen Gedanken. Später fand Ed sie, wie sie, die Knie ans Kinn gezogen, aus dem Fenster auf die Dächer und Häuserschluchten starrte. Bei seinem Eintritt lächelte sie, aber es war kein
fröhliches Lächeln. „Wie geht's, Ed?" „Gut, Jody, gut. Eben habe ich mit Maxfield Rose telefoniert. Es gibt eine kleine Änderung bei der Promotionstour." Sein Tonfall veranlaßte sie, ihren Blick von der Aussicht abzuwenden. Fragend sah sie ihn an. „Wirklich?" „Die Vorverkäufe in Australien schlagen alle Rekorde. Es gibt eine Platin-CD, bevor das Album noch in den Läden ist. Deshalb schlagen sie vor, der Tournee einen einmaligen Auftritt in der Oper in Sydney vorzuschalten, den das Fernsehen überträgt. Das würde erst den richtigen Kick geben." Jodys Augen verdüsterten sich. „Ich glaube nicht, daß ich gerade jetzt nach Australien möchte, Ed. Nicht mal in die Oper von Sydney." Nun war es an ihm, aus dem Fenster zu blicken. Er seufzte, dann sah er auf ihr schmal gewordenes Gesicht und legte impulsiv den Arm um sie. „Ich weiß, sie ist irgendwo im Dschungel verschwunden", sagte er sanft. Unwillkürlich mußte Jody grinsen. „Tasmanien ist eigentlich kein Dschungel." „Wie auch immer. Ich denke, wir sollten diesen Auftritt wahrnehmen. Es spricht eine Menge dafür." Er machte eine Pause und fuhr dann zögernd fort: „Und ich denke, du solltest Grace wenigstens eine CD schicken, und ich denke auch, du solltest versuchen, mit ihr in Kontakt zu kommen. Vielleicht haben sie da unten Buschtrommeln oder etwas Ähnliches. Ich denke, es wäre gut für dich. Finde eine Lösung, so oder so und ein für allemal, damit wir alle weiterleben können." Damit ging er und überließ Jody einem neuen Gedankenwirrwarr. Nach einer Weile setzte sie wie zur Tarnung eine Baseballkappe auf und brachte jene symbolische erste CD zur Post, kaufte eine Verpackung dafür und steckte eine
Nachricht hinein, die nur sagte: Ich hoffe, dies gefällt dir,
vielleicht erkennst du es. Bitte komm zum Konzert in der Oper von Sydney am 1.Juli. Du fehlst mir. Jody. Sie schrieb
die Adresse der Davanzo-Raststätte auf den Umschlag, versiegelte ihn mit einem Kuß, neutralisierte die sentimentale Geste mit einem „Was soll das?" und warf das Päckchen in den Briefkasten.
10 Die CD reiste auf ihrem Weg zu Grace fast über ein Drittel des Globus. Nach einer Woche landete sie im üblichen Postsack auf dem Tresen des Rasthauses. Am nächsten Tag, nachdem Tony und Margaret eine Nacht lang argumentiert und ihr Gewissen geprüft hatten, wurde sie umadressiert und auf den Weg nach Süden gebracht. Über Bass Strait kam das Flugzeug in die für das stürmische Winterwetter hier üblichen Turbulenzen, und die CD wurde mit dem Rest der Post kräftig durchgeschüttelt. Dann holperte sie über die gewundenen Bergstraßen Richtung Südwestküste der Insel und erreichte schließlich Strahan, das Fischerdorf mit seinem großen geschützten Hafen, wo die Forschungsexpedition ihren Stützpunkt hatte. An diesem Morgen ließ Grace sich Zeit, nahm ein heißes Bad und leistete sich ein ausgedehntes Frühstück nachdem sie eine Woche draußen in den feuchten nebel-
durchtränkten Tiefen eines drei oder vier Meilen entfernten Waldgebiets campiert hatte. Ihr ging es ziemlich gut. Ihr Vorhaben machte Fortschritte, und sie wußte, daß sie exzellente Arbeit leistete. Der Rest des sechsköpfigen Teams waren nette Männer und Frauen, die sie seit Jahren - mehr oder weniger gut - kannte. Sie fühlte sich wohl in ihrer Gesellschaft, sowohl beruflich wie persönlich. Die Gegend, in der sie arbeiteten, war atemberaubend schön, eine praktisch unerforschte Wildnis, und trotz der Kälte und des Regens genoß sie auch das. Und dann war da noch Cameron Gardner. Beim Dinner im französischen Restaurant im Ort am Abend zuvor hatte ihr Professor ihr tief in die Augen geblickt und gesagt: „Ich weiß nicht, warum ich Sie nicht schon früher wahrgenommen habe, Grace. Irgendwie haben Sie sich verändert. Sie waren immer sehr nett und eine gute Studentin, aber jetzt... ist da noch etwas anderes. Sie sind sehr schön." Grace hatte nach ihrem Weinglas gegriffen, um Zeit zum Überlegen und Abwarten zu gewinnen, bis ihr Herz sein plötzliches Taumeln beendete. In den vergangenen Wochen hatte sie zwar bemerkt, daß Cameron sie beobachtete, aber sie hatte es vorgezogen zu denken, der Grund sei, weil ihm gefiel, daß sein Schützling sich so gut anließ. Nun wußte sie nicht, wo sie sich verstecken sollte. „Sie sind sehr freundlich", sagte sie schließlich und lächelte ihn über den Rand des Glases an. Das war ein Fehler; das sanfte Licht der kleinen Lampe auf ihrem Tisch warf seinen Schein auf sein auf herbe Weise hübsches Gesicht und das dichte silbrig-rötliche Haar und ließ sie an Robert Redford denken. Seine blauen Augen zwinkerten, und ihre Botschaft war eindeutig. „Ich... ich habe eine wundervolle Zeit hier", sagte sie, unfähig, ihre Gedanken für etwas Sinnvolleres oder Intelligenteres zusammenzu-
halten. Sie wußte, wohin diese Unterhaltung führte, und war unsicher, ob sie bereit oder willens war, mitzugehen. Er hatte nicht versucht, über den Tisch hinweg ihre Hand zu ergreifen, und hatte auch sonst nichts getan, an dem sie hätte Anstoß nehmen können. Sie kannte und schätzte diese sehr vorsichtige und altmodische Höflichkeit, die ihren unterschiedlichen Positionen in der Hierarchie des Teams entsprach. Außerdem war da das allseits bekannte Gerücht, daß er von seiner Frau getrennt war, einer Wissenschaftlerin, die in Washington ein eigenes Forschungsprojekt hatte. „Sie wissen, Grace, daß ich Sie sehr attraktiv finde." Seine Stimme brach in ihre Gedanken ein und zwang sie zurück in die Gegenwart. „Ich möchte -" Er räusperte sich und grinste jungenhaft entwaffnend. „Ich möchte Sie besser kennenlernen." Grace war wie gelähmt und dankbar, daß ausgerechnet in diesem Moment ein junger Kellner ihre Teller abräumte und sich nach ihren Wünschen zum Dessert erkundigte. Es gab ihr den Raum, ihren Verstand zusammenzunehmen, und als sie wieder allein waren, war sie fähig, ohne Zittern in der Stimme zu sagen: „Ich würde Sie auch gern besser kennenlernen, Cameron. Aber ich brauche etwas Zeit." Er nickte und strahlte. „Aber natürlich, Sie müssen doch nichts erklären. Es genügt mir zu wissen... nun, es genügt..." Später begleitete er sie am Hafen entlang zu ihrer Unterkunft, einer gemieteten Ferienhütte. Die Nacht war kalt, der Himmel klar und voller Sterne. Es war wunderschön und Camerons Gegenwart - seine tiefe Stimme erzählte eine Geschichte von irgendeinem lang zurückliegenden komischen Mißgeschick - hypnotisierend und reizvoll. An ihrer Tür blieb sie stehen und wendete sich langsam ihrem Begleiter zu. „Gute Nacht, Cameron", sagte sie und hielt still, als er sich vorbeugte und sie küßte.
Sie überließ sich dem Kuß, um den Funken zu entzünden, der kommen mußte, wie sie wußte, wenn sie in der Lage sein sollte, mit ihm ins Bett zu gehen. Sein Mund war fest und stark, seine Umarmung sicher und beruhigend. Seine Zunge schmeckte nach gutem Wein und erkundete ihre warm und nachdrücklich. Und als er sie an sich drückte, spürte sie durch ihre Wintermäntel hindurch die Härte seines Körpers. Die Vertrautheit seiner Männlichkeit war angenehm und seine Berührung zärtlich, aber... sie unterbrach den Kuß und trat einen Schritt zurück... aber es war nicht genug - noch nicht. „Ich muß gehen, Cameron", flüsterte sie und atmete schwer, denn sie hatte in seiner Umarmung kaum Luft bekommen. „Natürlich." Auch er trat einen Schritt zurück, aber sie sah, daß er nur ungern ging. „Gute Nacht, Cameron", sagte sie fest und schloß ihre Tür auf, und einen flüchtigen Moment lang spürte sie einen Hauch von Panik. Aber die war überflüssig. Er blieb stehen, bis er sah, daß sie sicher drinnen war, dann wendete er sich zum Gehen und führte die Hand an die Stirn zu einem ironischen Salut und überließ sie einer ruhelosen Nacht. Und jetzt, an einem naßkalten und regnerischen Morgen, gerade als sie sich mit einer zweiten Tasse Kaffee und gebuttertem Toast an den Kanonenofen setzen wollte, klingelte es an der Tür. Sie trug noch ihren Pyjama und einen dicken wollenen Umhang. Wenn es Cameron ist, soll er sich früh genug an den Anblick gewöhnen, sagte sie zu sich und öffnete die Tür. Es war nicht ihr Professor, sondern der Postbote mit einem Päckchen mit eindeutig US-amerikanischen Briefmarken und Stempeln. „O Gott", sagte Grace laut, und ihr Herz machte auf die nur zu vertraute unkontrollierbare Art einen Sprung. Es war entnervend, auch wenn es bewies,
daß sie immer noch Emotionen hatte. „Nur ein Päckchen, Miss", sagte der Postbote beruhigend. „Würden Sie bitte hier unterschreiben?" Gehorsam setzte Grace ihre Unterschrift an die mit einem Bleistiftkreuz bezeichneten Stelle in seinem Buch, nahm das Päckchen und kehrte in die warme Küche zurück. Sie strich mit dem Finger über Jodys unverkennbare Handschrift, dann öffnete sie vorsichtig die Schachtel. Sie las die Notiz und legte sie beiseite, dann betrachtete sie die CD. Das Cover war eine Postkarte, eine Ansicht von Alice Springs und den Macdonnell Ranges, in die Jodys lächelndes Gesicht hineinkopiert war. Der Titel Postcard from the Alice war quer darüber geschrieben, und als sie die CD umdrehte, war da eine Postkartenansicht der roten Wüste, darauf die Titel der Songs und, ganz am Ende der Liste, in dünner weißer Schrift drei Worte: Für
Grace Davanzo.
„Ich glaube, ich werde ohnmächtig", sagte Grace zum Kanonenofen, der fortfuhr, gelassen vor sich hin zu bullern. Sie starrte auf die Widmung, wollte, daß sie mehr preisgab, als sie ahnen konnte. Sie las die Nachricht noch einmal - Komm zum Konzert in der Oper von Sydney -ziemlich eindeutig. Du fehlst mir. Grace runzelte die Stirn. Ihr fehlte ihre Großmutter, ihr fehlte ihr Zuhause - ja, Jody fehlte ihr -, aber bedeutete es mehr als das? „Ich weiß es nicht", erklärte Grace ihren Unmut dem Kanonenofen. „Worauf lasse ich mich da ein? Noch eine Nacht und dann, vielen Dank und auf Wiedersehen'? Ich glaube nicht, daß ich das ertragen könnte. Wirklich nicht." Spontan griff sie nach dem Telefonhörer und rief zu Hause an. Ihr Vater meldete sich und nach einer Begrüßung, die ans Nichtssagende grenzte, rief er ihre
Mutter. Bevor sie es sich noch überlegt hatte, erzählte Grace ihr von den Ereignissen des gestrigen Abends - und von der Bombe heute morgen in der Post. „Mein Liebling, wenn ich dir helfen könnte, würde ich es tun", sagte Margaret traurig. „Wenn ich diese Verletzung und Konfusion beenden könnte, täte ich es. Aber ich kann nur denken, du solltest hinfahren und sie sehen. Du mußt es zu einem Ende bringen. Du kannst nicht den Rest deines Lebens damit zubringen, dich zu fragen, was gewesen wäre, wenn... Du hast soviel mehr verdient als das, mein Liebling." Trotz der Nähe des bullernden Kanonenofens fröstelte Grace, dann holte sie tief Luft und nickte. „Ja, ich weiß, du hast recht." „Was wirst du deinem Professor sagen?" Margarets Angst war sogar durchs Telefon spürbar. „Nur daß ich nach Sydney muß", sagte Grace unbestimmt. Die Vorstellung, Cameron zu erklären, warum sie floh, war undenkbar. Eines Tages vielleicht, wenn alles vorüber wäre und sie immer noch Freunde waren - oder mehr -, würde sie ihm vielleicht die Wahrheit über das Gespenst in ihrer Vergangenheit erzählen können. Für den Augenblick mußte eine erfundene Familienkrise als Erklärung ausreichen. Dann tauchte eine reale Krise auf, denn ihre Mutter sagte: „Was ist mit deinem Vater, Grace? Ich denke, du mußt mit ihm sprechen. Er ist verletzt, daß du soviel vor ihm verheimlicht hast." Grace seufzte. „Ich weiß, Mama, aber... wie kann ich mit ihm über etwas sprechen, das ihn so sehr aufregt? Als ich eben mit ihm geredet habe, war er so abweisend." „Was soll ich dazu sagen, Liebling? Ich weiß, wie schwer das für dich ist. Aber für ihn war es auch schwierig. Du bist immer noch sein kleines Mädchen, und du fragst ihn nicht um seine Zustimmung - das ist es doch, was die meisten
Männer wollen." Sie lachten beide wie in alten Zeiten, und Grace empfand erneut die Liebe zu ihrer direkten, herzlichen und so praktischen Mutter. „Du mußt eine Lösung finden, so oder so - mit beiden, mein Schatz." „Ich weiß, Mama, ich weiß. Und was gibt es sonst Neues bei euch? Von hier ist nichts weiter zu berichten außer Nebel und Regen und Nebel." „Nachts ist es schon ziemlich kalt, aber es hat drei Wochen lang nicht geregnet. Wir könnten ein paar Tropfen gebrauchen. Ach, und noch etwas - Billaluna ist verkauft. Der Besitzer scheint gestorben zu sein, einer der Viehzüchter aus Bandjuung war vor kurzem hier und hat es uns erzählt. Er sagte, es sei an jemand aus der Stadt verkauft worden." Vor Graces innerem Auge lief ein Film ab, einander schnell ablösende Bilder von glücklichen Kindertagen, in denen sie mit ihrem Vater im Billabong geangelt hatte; von Picknicks mit ihren Großeltern; von den idyllischen Nachmittagen mit Jody. Beinahe wäre sie schon wieder in Tränen ausgebrochen, und sie holte tief Luft, um sie zurückzuhalten. „Ich kenne es, seit ich ein Kind war", sagte sie wehmütig zu ihrer Mutter. „Das ist furchtbar. Was haben sie damit vor?" „Niemand scheint das zu wissen. Dein Vater sagt, daß sie vielleicht Ziegen züchten werden oder Alpakas oder Strauße oder etwas Derartiges. So, und nun bleib mal dran, ich gehe und hole ihn." Grace wartete und empfand so etwas wie Ironie, während sie sich erinnerte, wie sie leichthin zu Jody klug dahergeredet hatte über die Mischung aus Trauer und Glück, die die Vergangenheit bilde und sie real mache. Sie straffte die Schultern und sah dem Gespräch mit ihrem Vater widerstrebend, aber ruhigeren Herzens entgegen. Mit angespannter Stimme begrüßte Tony Davanzo seine
Tochter. „Ich habe gerade an meinem neuen Computer geübt", sagte er, und es klang wie ein Friedensangebot. „Darf ich dich einen Augenblick stören, Papa?" Am anderen Ende entstand eine Pause, dann räusperte er sich heftig und sagte fast weinend: „Immer, Graziella, immer. Ich spiele ja bloß mit dem neuen Programm herum. Ich weiß gar nicht, wie ich früher ohne den Computer klargekommen bin." „Ich weiß noch, wie wir versucht haben, dich zu überreden, wenigstens mal einen Blick auf Computerausdrucke zu werfen. Du sagtest zu Mama, daß..." Tony lachte. „Ich weiß. Ich war ein alter Narr. Aber sieh mich jetzt an. Ich denke, bald gehe ich ins Internet." Grace stöhnte. „Hast du es Mama gesagt?" „Nicht direkt. Aber ich bin sicher, sie wird sich damit abfinden, wenn sie denkt, es tut mir gut." Dem konnte Grace nur zustimmen. Dann war sie es, die sich nervös räusperte und tief Luft holte. „Papa, ich muß mit dir reden." „Du klingst sehr ernst, Cara", sagte er schroff. „Das bin ich auch, Papa." Grace klopfte das Herz. „Papa, du weißt, wie lieb ich Mama und dich habe, oder? Und du weißt, daß ich dankbarer bin für alles, was ihr für mich getan habt, als ich möglicherweise je gesagt habe - und daß ich nach Hause kommen durfte, als ich es so dringend brauchte -" „Und wir sind auch dankbar, Cara. Ohne dich wären wir nach diesem blöden Herzanfall nicht fertiggeworden. Es wäre für deine Mutter und auch für Iris eine schreckliche Anstrengung geworden. Und außerdem - es ist dein Zuhause, mein Kind, auf immer dein Zuhause." „Ich weiß, Papa. Es wird immer mein Zuhause sein." Sie zögerte, dann fuhr sie fort: „Aber ich muß meinen eigenen Weg gehen, und ich bin sicher, das erwartest du auch von
mir." Tony sagte nichts. „Ich weiß, daß ich mit Scott einen schrecklichen Fehler begangen habe, und du hast nie auch nur ein böses Wort darüber zu mir gesagt." Tonys Schnauben konnte alles Mögliche bedeuten. „Und so weiß ich, daß du mich auch in Zukunft selbst entscheiden lassen wirst, selbst wenn du meine Entscheidungen nicht immer sehr gut findest." Tony seufzte. „Selbst wenn ich denke, daß du so verrückt bist wie deine Mama. Ich werde dir immer deinen Willen lassen, Cara. Manchmal wird es eben ein bißchen Zeit brauchen, bis ich es begreife." „Ich fürchte, für das, was ich jetzt sage, wirst du ein bißchen Zeit brauchen, um es zu akzeptieren, Papa, und ich möchte auf keinen Fall deine Gefühle oder sonst etwas verletzen, aber du sollst wissen, daß Jody für einen kurzen Aufenthalt nach Australien kommt und mich gebeten hat, sie in Sydney zu treffen." Tiefes Schweigen. Grace setzte alles auf eine Karte, sie wußte, wenn sie jetzt nicht weiterredete, würde sie nie mehr die Worte finden. „Papa, ich verstehe es, wenn du das nicht billigst, aber du sollst wissen, daß..." Sie stockte, schluckte, holte tief Luft und fuhr fort: „Du sollst wissen, daß ich sie liebe. Und wenn sie es möchte, werde ich mit ihr nach Amerika gehen - oder wohin immer sie will." Grace schwieg und überlegte, was sie sagen sollte, wenn ihr Vater jetzt nicht sprach. Aber er seufzte noch einmal und sagte dann: „Und was ist, wenn sie dich nicht will?" Eine kalte Hand hielt Graces Herz umklammert, sie schüttelte die Empfindung ab. „Darüber werde ich nachdenken, wenn es soweit ist, Papa. Mama glaubt..." „Deine Mama! Ich sagte doch, sie ist eine verrückte Frau. Was soll das denn? Sie ist doch diejenige, die sich Enkel wünscht. Und jetzt sagt sie, du sollst dein Leben
wegwerfen für eine... für eine..." Das Telefon knackte, und Grace hielt den Hörer vom Ohr. „Sie macht eine Lesbe aus dir!" Er spuckte das Wort aus, als sei es schmutzig oder giftig. Grace zuckte zusammen, sagte aber nichts. „Warum, cara? Warum? Weil Scott so schrecklich zu dir war? Habe ich etwas falsch gemacht, als du noch klein warst?" „Mit Scott hat das nichts zu tun, und mit dir auch nicht, Papa. Du bist ein wundervoller Vater, und ich habe dich sehr lieb. Es geht nicht darum, daß ich Männer hasse, sondern darum, daß ich Jody liebe." Seine Stimme bekam einen Anflug von Hoffnung. „Heißt das, wenn... wenn sie nicht will, daß du mit ihr gehst... daß du sie dann vergessen wirst und dir einen netten Mann suchst, he? Zum Beispiel diesen Professor..." Grace mußte lachen. „Nein, Papa. Das glaube ich nicht." Aber es stimmte: Eine Beziehung welcher Art auch immer mit Cameron Gardner konnte sie sich vorstellen. Die Gefühle, die sich zwischen ihnen in den letzten Monaten entwickelt hatten, waren mehr als nur fachliche Bewunderung. „Cameron ist..." Sie schwieg. Was war Cameron? Sie wußte es nicht wirklich. Die dröhnende Stille kam Grace unendlich lang vor, während ihr Vater auf Erlösung von seinen Ängsten hoffte. Dann hörte sie die Stimme ihrer Mutter. „Nun, Antonio, bist du ein eifersüchtiger Papa oder ein alter Betbruder?" „Was ist schlimmer, Cara mia?" hörte Grace ihn seine Frau fragen. „Soll ich raten?" „Schlimmer ist, wenn du vergißt, daß Grace unsere Tochter ist und nichts daran etwas ändert. Und noch schlimmer ist, wenn du vergißt, daß wir nichts mehr wünschen, als daß sie glücklich ist, und wie unglücklich sie gewesen ist." Grace hörte das Geräusch eines schmatzenden Kusses. „Ansonsten kannst du ein
eifersüchtiger alter Papa oder ein närrischer alter Betbruder sein, mir ist es egal. Solange du nicht vergißt, was wichtig ist." Mit zunehmend warmer Stimme wandte sich Tony wieder Grace zu. „Manchmal erinnere ich mich, warum ich deine Mutter geheiratet habe", sagte er zu ihr. „Und manchmal, wenn sie mich alter dies und alter das nennt, vergesse ich es total." Grace merkte, daß in ihr ein Kichern aufstieg. Ihre Mutter hatte die richtigen Worte gefunden und das Schlimmste verhütet - wie sie es ihr ganzes Leben getan hatte. „Sag Mama, ich danke ihr, aus tiefstem Herzen", flüsterte sie. „Und dir danke ich auch, Papa. Ich weiß, wie schwierig das für dich ist." Tony seufzte schwer. „Nicht halb so schwierig wie für dich, Cara. Und du sagst dieser... dieser Jody, wenn sie auch nur ein Haar auf deinem Kopf krümmt, bekommt sie es mit mir zu tun. Selbst wenn sie singt wie ein Engel."
11 Am nächsten Abend stand Grace im Gästezimmer des Hauses ihrer Tante in einem östlichen Vorort von Sydney vor dem Spiegel und überlegte, was sie anläßlich des Konzerts einer Country-Sängerin an der Spitze der Hitliste im
Opernhaus von Sydney anziehen sollte. Mit vergleichbaren Ereignissen hatte sie bisher keine Erfahrungen gemacht, und ihre Auswahl war begrenzt durch den Mangel an Abendkleidern in ihrer tasmanischen Garderobe. Also entschied sie sich relativ schnell für ihre schwarzen hochhackigen Lieblingsstiefel, hellblaue Jeans und ein weißes Seidenhemd mit lose fallenden weiten Ärmeln. Darüber zog sie die schwarze Wildlederjacke ihrer Tante, um sich gegen die Winterwinde Sydneys zu schützen. Dazu lieh sie sich Perlenkette und -ohrringe aus der Schmuckschatulle ihrer Tante und beschloß, das müsse reichen. Es unterschied sich um Lichtjahre von der Aufmachung, die in Tasmanien ihre tägliche Einheitskleidung gewesen war. Dort hatte sie einen verwirrten Cameron Gardner zurückgelassen, dem sie eine Ausrede aufgetischt hatte, die lange nicht so einleuchtend klang, wie sie gewünscht hätte. Er hatte darauf bestanden, sie zum Flughafen zu fahren, und war so besorgt gewesen, daß sie ihm beinahe die Wahrheit erzählt hätte; aber am Ende brachte sie es doch nicht fertig. Die närrische Fragwürdigkeit ihres Vorhabens erlaubte es nicht. Und nun war sie hier und konnte genausogut jetzt ein Taxi rufen und es hinter sich bringen. Ihr Gefühl, „das müsse reichen", hatte viel mit der seltsamen Gefühlsmischung aus Fatalismus und böser Vorahnung zu tun, die sie schon beim Betreten des Flugzeugs auf dem Hobart Airport gespürt hatte, als ihnen als erstes mitgeteilt wurde, daß ihr Flug sich um zwei Stunden verspäten würde; während des ungemütlichen Flugs nach Sydney war dies Gefühl nicht verschwunden, sondern gewachsen. Es erinnerte sie sehr an den kalten Klumpen Angst im Magen, als sie das erstemal von zu Flause weggegangen war, um die Schule zu besuchen, und dann, als sie den Schritt aus dem Familienleben hinaus gemacht und zur Universität gegangen war, und schließlich, als sie den
Mittelgang in der Kirche entlanggeschritten war, um Scott zu heiraten. Die ominösen Vorzeichen, dachte sie, hätten sie eigentlich warnen sollen, daß es nicht gutgehen würde, aber sie war unbekümmert weitergegangen — und hatte überlebt, mehr oder weniger. Aber dies war anders. Diesmal türmte sich vor ihr eine Reihe von Unbekannten auf, die größer und komplexer waren als alles, dem sie bisher gegenübergestanden hatte. Diesmal ging es nicht um ein Schuljahr, das sich säuberlich in Unterricht und Ferien teilte. Diesmal war es nicht eine Eheschließung mit all ihren Gegebenheiten und wohlbekannten Erwartungen. In Wahrheit hatte sie keine Vorstellung, was es werden würde - ein Wochenende, eine Woche, der gelegentliche Trip an irgendeinen exotischen Ort. Oder, wahrscheinlicher, eine nette Art, sich endgültig zu verabschieden. *** Als sie an der Oper ankam, sah Grace die Menschenmenge, die sich in der Halle des riesigen Konzertgebäudes drängte, und ihr ohnehin angeschlagener Mut sank, als ihr einfiel, daß sie nicht einmal eine Karte hatte. Sie ging die Stufen empor, stieg über Fernsehkabel, wich blendenden Scheinwerfern und Gruppen aufgeregter Fans und wild entschlossenen Kartenanbietern aus. Ihre Lebensgeister reduzierten sich zusehends. Es war ein großes glitzerndes Ereignis, sah sie, und es gab keine Chance, wie Jody entdecken könnte, daß sie gekommen war. Zögernd näherte sie sich einem der Schwarzhändler. „Ich verkaufe nur paarweise, meine Süße", sagte der Mann und hüllte sie in einen Mantel aus Tabak und Knoblauch. „Wieviel kostet ein Paar?" fragte Grace.
„Weil Sie's sind, zweihundertfünfzig", antwortete er grinsend. Grace schüttelte den Kopf und ließ ihn stehen. Sie ging zurück zum Kai und überlegte, in welchem Hotel Jody wohnen könnte. Da hörte sie eine bekannte Stimme ihren Namen rufen. Red Douglas winkte ihr vom Trittbrett eines riesigen Übertragungswagens, von dem aus sich endlose bunte Kabel ins Irgendwo schlängelten. „Hallo! Gracey!" schrie er. „Prinzessin! Hierher!" Grace war überrascht und erfreut, ihn zu sehen, und bahnte sich, so schnell sie konnte, ihren Weg durch die Menge. Er streckte eine Hand aus und zog sie die Stufen hoch. „Gut, dich zu sehen", sagte er, und seine Umarmung war herzlich und brüderlich. „Dich auch, Red", sagte sie atemlos. Er führte sie ins vollgestopfte Innere des Übertragungswagens, wo an einem Mischpult ein riesengroßer, langhaariger, bärtiger Mann saß, der ihren Eintritt komplett ignorierte. „Das Konzert wird aufgezeichnet", erklärte Red. „Ich habe gerade mit dem Maestro hier die Tonqualität überprüft. Weiß Jody, daß du da bist?" „Nein, ich wußte nicht, wie ich sie erreichen konnte. Aber bitte, stör sie jetzt nicht." „Nein, das werde ich nicht tun, nicht vor dem Auftritt. Es geht ihr ohnehin nicht besonders. So habe ich sie noch nie erlebt. Dies Album ist der Hit, weißt du? Wie auch immer, hast du eine Karte?" Sie verneinte. „Okay. Du kommst gleich mit mir, und ich besorge dir einen guten Platz. Lieber im Parkett oder auf dem Rang?" „Keine Ahnung. Ich war noch nie hier, was meinst denn du?" „Nun, vom Parkett aus siehst du mehr - besonders von mir." Als er ihre zweifelnde Miene sah, lachte er und umarmte sie wieder. „Schon gut, Grace, ich weiß, wann ich
besiegt bin. Also komm schon, wir wollen sehen, wo wir dich unterbringen." Der Lärm und die Unruhe im hochgewölbten Inneren des Opernhauses entsprach genau dem Tumult in ihrem Kopf, dachte Grace. Auf wundersame Weise besorgte Red ihr einen Platz in der fünften Reihe am Mittelgang direkt vor der Bühne. „Hier ist es okay, Grace. Und ich sorge dafür, daß jemand dich vor Schluß abholt." Er beugte sich herab und drückte ihr einen Kuß auf die Wange. „Viel Vergnügen!" Er winkte und verschwand. Als das Licht ausging und Jodys Erkennungsmelodie ins Auditorium flutete, brodelte die Atmosphäre. Das Publikum war ein Querschnitt durch die gesamte Bevölkerung Australiens. Jede Hautfarbe, jedes Alter und alle nur denkbaren Stadien der Vorfreude waren vertreten. Sie konnte gar nicht anders, als sich der Stimmung zu öffnen. Dann, plötzlich, blendeten die Scheinwerfer auf und beleuchteten die Band auf der Bühne, mit Jody im Zentrum, in glänzendes Schwarz gekleidet, ihr blondes Haar leuchtete und schimmerte bei jeder Bewegung. Grace schnappte nach Luft, als hätte ihr jemand einen Stoß versetzt. Jody war so schmal, so schön, so strahlend - sie lächelte in das Dunkel vor der Bühne, aber ihre Augen waren so traurig, daß Graces Entschluß, kühl zu bleiben, dahinschmolz. Sie rutschte in ihren Sitz, zu überwältigt, um sich zu rühren. Nachdem Jody mit drei älteren Hits das Publikum eingestimmt hatte, nahm sie das Mikrofon und begann zu sprechen. „Wir sind wegen des neuen Albums hier, Leute", sagte sie. „Ich vermute, ihr hattet noch keine Gelegenheit, es zu kaufen." Sie grinste unschuldig, als ein Stimmengetöse ihr mitteilte, daß sie falsch lag, falsch, falsch, falsch. „Nun, die drei unter euch, die es noch nicht haben, macht euch keine Sorgen. Dazu ist später Gelegenheit." Sie
wartete, bis das Gelächter sich legte, und fuhr dann fort: „Und jetzt werden wir einige meiner Lieblingssongs spielen. Als erstes den Titelsong, er heißt ,Postcard from the Alice', und er handelt davon, daß es ein weiter Weg nach Hause ist, ein weiterer zu der Person, die du liebst, und ein noch weiterer, bis du ihr sagen kannst, daß du sie liebst." Vor der Bühne kreischten weibliche Fans einen ohrenbetäubenden Chor, aber als die Anfangsakkorde von Reds Gitarre sich über die Menge schwangen, zog Graces Herz sich zusammen, denn was Jody gesagt hatte, hallte im Dunkeln wider. Sie hörte kaum den Text des Songs, aber die Melodie kannte sie - seit einem Nachmittag an einem grüngoldenen Wasser -, und sie konnte den Blick nicht von Jodys Gesicht wenden und nicht von den starken schlanken Händen, die auf ihrem Körper Melodien gespielt hatten, wie sie jetzt auf den Saiten der Gitarre spielten. Grace war wie gelähmt, als Lied auf Lied daherströmte, und alle sprachen von einer Liebe, die gewonnen und sorglos weggeworfen wurde, von kostbaren Tagen in einer dunklen, leeren Welt, von Liebe an verborgenen Plätzen und der Erinnerung daran in der Hoffnungslosigkeit eines Lebens im Jetzeitalter. Als der Kloß in ihrer Kehle fast nicht mehr zu ertragen war, sah sie, wie Red an Jodys Seite trat und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie sah, wie das schmale Gesicht wie von innen her aufleuchtete und Jody die Hände schützend über die Augen hielt, um durch das blendende Bühnenlicht ins Dunkel zu blicken. Schüchtern hob Grace die Hand und winkte, und über Jodys Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln. Sie hob die Hand und legte sie aufs Herz, und Grace wußte, daß diese Geste immer ihr Innerstes nach außen kehren würde, dann trat Jody vor und ergriff das Mikrofon. „Der letzte Song ist die erste Single dieses Albums",
sagte sie. „Ihr habt ihn wahrscheinlich schon gehört, deshalb ist er hier und zu Hause die Nummer eins - wofür wir euch danken." Sie verbeugte sich leicht und machte eine Pause, in der der Lärm der Menge das Gebäude erzittern ließ. „Ihr wißt es nicht, aber das hat mir geholfen, einen Traum zu verwirklichen. Das bedeutet sehr viel für mich, und ich hoffe wirklich, daß es auch für euch etwas bedeuten wird. Das Lied handelt vom Land und wie wir es lieben. Ob das Australien ist oder Amerika oder sonstwo. Und es handelt davon, wie eine Person all das verkörpern kann, was wundervoll ist an dem Ort, den du liebst, und wie du am Ende das eine vom anderen nicht mehr trennen kannst - du liebst beide so sehr, daß du weißt, dein Herz wird brechen, wenn du sie nicht bei dir hast. Also, wenn du Glück hast, kratzt du die Anzahlung für den Ort zusammen und hoffst, daß du die Person überzeugen kannst, eine Anzahlung auf dich zu leisten. Dies Lied, auch wenn ihr das vielleicht nicht ahnt, handelt von einem Ort namens Billaluna und einer Frau namens Grace Davanzo. Und es heißt ,Wenn das Herz brennt'." Der Aufschrei des Wiedererkennens und der Dankbarkeit, der ihre Einleitung und die ersten Töne des Songs beantwortete, übertönte beinahe die Musiker und Graces Herzschlag, der plötzlich außer Kontrolle geriet. Und als Jody und Darren ihre Stimmen zu einem Refrain vereinten, der zu wirbelnden Harmonien aufstieg, erkannte Grace Melodie und Gefühle wieder, deren Entstehung sie einer einzelnen Akustikgitarre entlocken gehört hatte, als Jody auf ihrem Bett saß, nackt und alles ringsum vergessend außer den Tönen in ihrem Kopf. Grace verlor sich in einem Kaleidoskop der Erinnerungen an die kurze Zeit, die sie zusammen verbracht hatten. Eine große Hand legte sich auf ihre Schulter und zog sie aus der Vergangenheit und dem zauberhaften Trost der
Harmonien. Es war Andy, überaus beeindruckend anzusehen in seinem Roadie-Outfit - schwarzes T-Shirt, großes Schlüsselbund, Mobiltelefon und einen Backstage-Paß um den Hals gehängt. Er grinste über beide Ohren und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Wie betäubt erhob sie sich von ihrem Sitz und stolperte hinter ihm her, blind gegen die neugierigen und neidischen Blicke, die ihr folgten. Sie sah zurück auf die Bühne und wollte die Augen nicht von Jody lassen, denn - in Wiederholung einer plötzlich aufgetauchten Erinnerung an einen Kindheitsaberglauben, den sie immer dann hatte, wenn ihr Vater weggefahren war nach Adelaide — es hätte ja sein können, daß in dem einen Moment, in dem sie nicht hinsah, etwas Schreckliches passierte und sie Jody nie wiedersähe. Aber Andy nahm sie sanft am Arm und schrie ihr ins Ohr: „Ich bring dich hinter die Bühne, bevor die Menge losstürmt." Grace nickte und folgte ihm, so gut es ihre zitternden Knie erlaubten. Es war, als wäre - den unmöglichen Traum fast schon in Sicht - ihre Angst noch größer als in den nicht enden wollenden Tagen und Nächten schwarzer Verzweiflung. Ihre Füße waren bleischwer, und ihr Herz klopfte unerträglich. Andy führte sie durch eine kaum sichtbare Tür an der Seite der Bühne, durch die sie in den höhlenartigen Bereich hinter dem öffentlichen Raum kamen. Grace war noch nie hinter einer Bühne gewesen. Es roch nach Farbe und Holz, und die Düsterheit, mit den Arbeitslichtern, Stricken und Kabeln, die nach oben verschwanden, mit den ungestrichenen Wänden und verstaubten schwarzen Vorhängen, war verblüffend häßlich und fabrikmäßig. Hier und da bedienten undefinierbare Männer undefinierbare Knöpfe an blinkenden elektronischen Geräten und murmelten in die Mikros von Kopfhörern, die sie aus irgendeinem Grund nur über ein Ohr gestülpt hatten.
„Paß auf, wo du hintrittst, Grace", sagte Andy in ihr Ohr. „Du kannst dir hier leicht den Hals brechen." Grace drückte seinen Arm, sie begriff, daß es seine Art war, höflich zu umschreiben: „Paß auf, wo du hintrittst, Anfängerin, sonst kracht uns die ganze Show auf den Kopf." Er führte sie in einen Raum zwischen zwei großen Öffnungen, und sie merkte, daß sie sich in der Seitenkulisse befand und kaum zehn Meter entfernt von Jody und Darren, die gemeinsam in ein Mikrofon sangen, die Augen geschlossen, es waren die letzten Noten des Lieds, und sie brachten die Harmonien zu dem gleichen schwirrenden und fast überirdischen Crescendo, das Grace im Radio gehört hatte. Als sie mit einer synchronen Verbeugung vom Mikrofon zurücktraten, explodierte das Publikum - für Grace hinter den blendenden Scheinwerfern nicht sichtbar — in einer Mauer aus Lärm, die fast mit Händen zu greifen und bedrohlich war. Jody und ihre Band quittierten das Brüllen, Trampeln, Pfeifen der Menge mit Rufen, endlosen Verbeugungen und Winken. „Ich danke euch!" rief Jody ins Mikro. „Vielen, vielen Dank!" Und jedesmal, wenn sie sprach, schwappte eine neue Welle von Beifall über die Scheinwerfer. „Du liebe Güte, ist das immer so?" schrie Grace Andy ins Ohr. Er nickte und beugte sich zu ihr, damit seine Antwort auch gehört wurde. „In Philadelphia waren es fast zwanzig Minuten." Sie schüttelte verblüfft den Kopf, und dann, als der Jubel in rhythmisches Stampfen überging, sah sie Jody und Red sich kurz beraten, bevor Jody sich der Band zuwandte, mit der Faust hoch in der Luft den Rhythmus angab, „One, two, three, four!" und die Gruppe in die hämmernden Eröffnungstakte einer letzten Zugabe einfiel.
Es dauerte nur Sekunden, und schon stand das ganze Publikum, völlig aus dem Häuschen, und der Boden unter ihr erzitterte vom Trampeln der zweitausend begeisterten Fans. Wieder beugte sich Andy zu Grace und legte seine Hände an ihr Ohr. „Es wäre besser, wenn du jetzt nach hinten in die Garderobe gingst, Grace. Hier kann es in der nächsten Minute ziemlich haarig werden, wenn die da draußen durchbrechen." Sie nickte. „Sicher, ganz wie du meinst." Er nahm ihren Arm und führte sie an zwei stämmigen Männern in T-Shirts vorbei, und dann stießen sie mit Ed zusammen, der einen Blick auf Grace warf und sie dann wie ein Bär umarmte, was nur leicht behindert wurde durch seine zwei Handys und sein Notebook. „Grace!" schrie er und hob sie hoch. „Wie geht's dir, Mädchen?" Grace, zwischen Lachen und Weinen, versuchte zu Atem zu kommen. „Mir geht es gut, Ed", sagte sie, und er wirbelte sie noch einmal herum, ohne Rücksicht auf die Bühnenausrüstung. Am Ende wurde sie nur dadurch gerettet, daß sein Handy klingelte und ihr die Flucht mit dem besorgten Andy ermöglichte. Wenn nur, dachte sie, wenn nur Jody sich wenigstens halb so freut, mich zu sehen. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, drückte Andy ihre Hand und sagte: „Es ist wirklich toll, daß du hier bist, Grace. Wirklich toll." Der Ernst in seiner barschen Stimme trieb ihr die Tränen in die Augen, und sie hing blind an seinem Arm, als sie einen Bereich hinter der Bühne durchquerten, in dem Instrumentenkoffer und anderes Gerät herumstanden. Dann stieß er eine schalldicht gepolsterte Tür auf, und sie waren jenseits der Mauer aus Lärm und Geräusch und in einem Gewirr von hell erleuchteten Fluren, Treppen, Schwingtüren und Türen, die zu Um-
kleideräumen führten. Zu ihrem Erstaunen waren auf dem Flur fast so viele Menschen wie hinter der Bühne. Einige sahen aus, wie Grace sich Leute vorstellte, die sich um Musiker herumtreiben, und einige hatten Hundemarken um den Hals, die sie als „Presse" auswiesen. Drei Gruppen spielten an Aufnahmegeräten für Bild und Ton herum und sahen sehr gelangweilt aus. Uninteressiert blickten sie auf, als Andy und Grace sich einen Weg zwischen Kameras und anderem Gerät und herumlümmelnden Körpern zur Tür ganz am Ende bahnten. „He, Mann, was gibt's?" fragte ein junger Typ, der aussah, als hoffte er, die Leute würden ihn als einen vom Rolling Stone ausmachen. Hinter dunklen Gläsern sah er Grace prüfend an, aber Grace glaubte nicht, daß er viel sehen konnte. „Sie werden in fünf Minuten hier sein", antwortete Andy höflich. Mit zwei Schlüsseln von seinem Schlüsselbund öffnete er die Tür, auf der diskret „Nr. l" stand. „Hier hinein, Grace", sagte er und schützte sie mit seinem stämmigen Körper vor dem verspäteten Interesse der Medien. „Hier wird dich niemand stören. Mach es dir gemütlich, wir sind gleich wieder da." Grace streckte sich und gab ihm einen Kuß auf seine stoppelige Wange. „Danke, Andy", sagte sie ernst. „Du bist wirklich ein Freund." Er wurde rot und rieb sich die Backe, grinste und drehte sich um, nur um von einem Reporter angemacht zu werden, der ohne jede Scham auf Grace zeigte und fragte: „Wer ist das?" Grace wartete die Antwort oder gar deren Folgen nicht ab. Sie schloß die Tür und sah sich in ihrer zeitweiligen Zuflucht - oder ihrem Gefängnis, da war sie sich nicht so sicher - um. Der Raum war nicht besonders groß und
überraschend wenig luxuriös. Er hatte kein Fenster, durch einen Alkoven sah man ein kleines Badezimmer, auf einer bequem aussehenden Couch, bedeckt mit weichen Kissen, lagen Jodys Alltagskleider, ihr gegenüber stand ein ebenso bequem und weich aussehender Sessel. Gegenüber der Tür stand an der Wand ein weißer Schminktisch, über dem ein weiß umrandeter beleuchteter Spiegel hing. Auf dem Tisch lagen Jodys Utensilien für das Bühnen-Makeup, ein Halsspray und Halstabletten, halbleere Flaschen mit Mineralwasser, ein Korb mit exotischen Früchten, und an der Seite stand ein Bilderrahmen mit Fotos von Grace zusammen mit Mitgliedern der Band, aufgenommen an dem Tag, an dem sie Barralong Creek verlassen hatten. Zu ihrem maßlosen Erstaunen war da auch ein Bild von ihr und Jody. Sie hatten die Arme umeinander gelegt und lachten in die Kamera. Sie konnte sich nicht erinnern, wann das Bild entstanden war, und nahm es aus dem Rahmen, um es näher zu betrachten. Auf der Rückseite stand in der zittrigen, aber unverwechselbaren Handschrift ihrer Großmutter: „Für meine Freundin von Iris Davanzo." Grace seufzte und stellte das Bild wieder an seinen Platz. Seit sie die CD in Empfang genommen hatte, hatten sich ihre Gefühle in einem ständigen und heftigen Wechselbad befunden, und allmählich fühlte sie sich emotional und körperlich ausgelaugt. Sie setzte sich in den Sessel, lehnte sich zurück, atmete tief durch und versuchte, die Verspannung in ihren Schultern zu lösen. Über die knackende Gegensprechanlage hörte sie, wie Jody das Publikum davon zu überzeugen versuchte, diese Zugabe sei nun wirklich die letzte gewesen. So also würde das Leben mit Jody sein, dachte Grace und fand es ironisch, daß das ungefähr so aufregend war wie das Warten auf schwer auszumachende kleine Papageien. Es war
ein auf unerwartete Weise angenehmer Gedanke: daß das glamoröse Leben eines internationalen Stars tatsächlich in der Hauptsache genauso prosaisch war wie das aller anderen Menschen. Impulsiv preßte Grace Jodys T-Shirt an ihr Gesicht und atmete den vertrauten Duft ihres Körpers. Ihr ging das Herz über, und sie schloß die Augen. „Bitte, bitte, mach, daß es für uns beide gut wird", flüsterte sie. „Und was immer dabei herauskommt, bitte sorg dafür, daß wir uns gegenseitig nicht wehtun." Das Geräusch des Applauses in der Gegensprechanlage verwandelte sich abrupt in wildes Pfeifen und Johlen. Eine seltsam körperlose Fernsehansagerstimme intonierte: „Meine Damen und Herren - die Jody Johnson-Band." Grace wurde klar, daß die Band ein letztesmal auf die Bühne gekommen war. Eine Minute später hörte sie, wie es auf dem Flur jenseits der geschlossenen Tür zu tosen begann, die Vertreter der Presse schrien: „Jody! Jody! Hierher! Nur eine Aufnahme!" Grace stand auf, um die Tür zu öffnen, aber da war Andy schon da, grinste nachsichtig und hielt die Meute in Schach, und Jody schlüpfte unter seinem Arm durch herein. Die Zeit war außer Kraft gesetzt und lief rückwärts, Jody und Grace erlebten noch einmal den Augenblick, als sie sich am Barralong Creek zum erstenmal gesehen hatten. Das unmittelbare Abschätzen, die offene Überprüfung durch die grünen Augen und Graces weit aufgerissener Blick. Dann stieß Jody die Tür zu, taub und blind gegen die hektischen Rufe und Fragen hinter sich. Sie lehnte sich einen Moment gegen die Tür, und in diesem Bruchteil einer Sekunde verloren ihre Augen und ihr Gesicht den schrecklich traurigen Ausdruck, den Grace im Konzert gesehen hatte. Sie lächelte Grace an, mit dem gleichen leicht schiefen Grinsen, das, dachte Grace, ihr Herz immer wie Butter in der Sonne schmelzen lassen würde.
„Du bist hier", sagte Jody mit heiserer Stimme. „Ich wußte nicht, ob du kommen würdest." Grace breitete die Arme aus, wie zum Beweis, daß sie da war, rührte sich aber nicht. „Ich wußte ja nicht, ob du kommen würdest." Jody verzog das Gesicht, fuhr sich durch das feuchte Haar und schüttelte sich wie ein Hund. „Um ehrlich zu sein, ich wußte es auch nicht", sagte sie. „Ist es eine gute Idee, Grace?" Sie zeigte über die Schulter dorthin, wo sie Andy und Ed hörten, die versuchten, die Presse zu vertrösten. „In einer Minute muß ich eine Pressekonferenz geben, und dann gibt es eine Party mit einem Haufen versoffener Leute und ihrem Anhang, die glauben, ihnen gehörte ein Teil von mir." Sie seufzte. „Ist es eine gute Idee? Willst du wirklich mit all dem irgend etwas zu tun haben?" Grace tat das Herz weh angesichts der Müdigkeit und Unsicherheit, die sie in Jodys Stimme hörte - und wieder sah sie ihr ins Gesicht. „Fragst du mich, ob ich ein Star sein will und das alles tun muß?" fragte sie. „Oder fragst du, ob ich dasitzen und warten will, während du es tun mußt?" Jody zuckte die Achseln. „Vielleicht beides, vielleicht keins von beidem." „Ich bin nicht gekommen, Jody, um Spielchen zu treiben", erklärte Grace fest. „Du wirst mir vertrauen müssen. Und ich werde dir vertrauen müssen." Jody stieß sich leicht schwankend von der Tür ab. „Ich bin müde", sagte sie fast unhörbar. „Ich bin so müde, Grace. Ich dachte, ich schaffe es ohne dich, und ich kann es nicht. Ich dachte, ich müßte es ohne dich schaffen, und ich kann es nicht. Ich dachte, ich wollte es ohne dich schaffen, und ich kann es nicht." Sie machte einen Schritt auf Grace zu und und streckte bittend die Hand aus. „Das alles bedeutet nichts ohne dich. Ohne dich ist es sinnlos."
Grace umschloß Jodys Finger mit ihren beiden Händen. „Du mußt nichts mehr allein ausfechten, wenn du das nicht willst, meine Liebste. Aber du mußt mir sagen, was du willst. Ich muß wissen, woran ich bin." Jody war verwirrt. „Was meinst du mit - was ich will? Was willst du?" Ihre Finger umklammerten Graces Hände, als wollten sie nie wieder loslassen. „Was möchtest du, Grace?" Grace zog sie an sich und lächelte. „Mein Schatz, ich möchte, daß wir glücklich sind. Ich möchte, daß du glücklich bist, und ich möchte, daß ich glücklich bin - was immer es kostet. Ich weiß, dein Leben ist kompliziert und anstrengend, und vielleicht wird es ganz unmöglich, wenn das so weitergeht." Sie zeigte auf die Gegensprechanlage, aus der immer noch das jubelnde und doch noch auf eine Zugabe hoffende Publikum zu hören war. „Und was die Meute draußen auf dem Flur angeht, habe ich keine Ahnung, wie damit umzugehen wäre. Aber wenn du es kannst, schaffe ich's auch." Sie legte ihre Hände auf Jodys Arme, ihre Finger zitterten, als sie die glatte Haut spürten, nach der sie sich so gesehnt hatte. „Grace", murmelte Jody. „Dir ist klar, was passiert, wenn wir diese Tür öffnen? Wenn sie dich mit mir zusammen sehen, ändert sich dein Leben für immer." Grace umfaßte Jodys Schultern. Jodys Hemd war schweißnaß und klebte ihr am Rücken, als Grace darüber strich. „Mein Leben hat sich für immer an dem Tag geändert, als du hineingetreten bist, Jody", erinnerte sie. „Willst du also mit mir kommen? Australien verlassen?" „Wenn ich richtig verstanden habe, hast du ein Stück davon gekauft." Sie fuhr mit dem Finger die Kontur von Jodys Brüsten nach und fühlte, wie ein Schauer ihren Körper durchlief. „Ja, ich habe Billaluna gekauft." Mit halbgeschlossenen
Augen genoß Jody die Berührung. „Da du mitverantwortlich bist für das neue Album, war es das mindeste, was ich tun konnte. Wie dem auch sei." Sie schwankte und fiel fast gegen Grace. „Ich dachte, du würdest vielleicht eher mit mir kommen, wenn wir Billaluna hätten und dorthin zurückkehren können, wenn wir das wollen." Graces Herz machte einen Sprung. „Du willst, daß ich bei dir bleibe?" Jody fuhr zurück, ihre grünen Augen, die so müde waren, blickten erschreckt. „Natürlich will ich das", sagte sie verwirrt. „Darum geht es doch die ganze Zeit. Ich kann nicht ohne dich sein, Grace. Ich liebe dich." Als Grace sie küßte, schmeckte und roch sie das scharfe Salz von zwei Stunden harter Arbeit und spürte, wie Jodys adrenalingeladener Körper zitterte. Sie konnte es nicht aushalten, ihre Konfusion auch nur noch eine Sekunde zu verlängern. „Ich bete dich an, Liebste", flüsterte sie. „Und ich werde alles tun, damit wir zusammen sind, wenn du es willst." Sie begann Jodys Bluse aufzuknöpfen. „Und im Augenblick, denke ich, gehört dazu eine Dusche und frische Kleider." Jody griff nach ihren Händen. „Du bist meine Geliebte, nicht mein Dienstmädchen", sagte sie ängstlich. Grace schüttelte grinsend den Kopf und beugte sich herab, um das Salz von Jodys Brust zu lecken. „Wenn ich deine Geliebte bin, kann ich dich auch ausziehen, wenn mir danach ist", sagte sie bestimmt. „Aber du hast recht. Wir werden das Ganze beizeiten besprechen. Einschließlich dessen, was wir der Presse sagen." Sie öffnete Jodys Büstenhalter und nahm ihre Brüste in beide Hände. „Wenn wir noch lange hier drinnen bleiben, werden wir überhaupt nichts mehr erzählen müssen", murmelte Jody benommen. Sie küßte Grace auf den Mund, als wollte sie wütend ihr Territorium verteidigen. Als sie begann, die
Knöpfe an Graces Hemd zu lösen, nahm das Hämmern gegen die Tür zu. Grace wich zurück. „Ich fürchte, wir werden uns damit konfrontieren müssen. Von allein werden sie nicht verschwinden." Jody nickte seufzend. „Du hast recht. Wirst du bei mir bleiben?" „Immer." „Und ich werde immer bei dir sein." „Dann sollten wir es schon schaffen." „Wo immer wir auch sein werden."