Dan Roberts
… bis zum bitteren Ende Apache Cochise Band Nr. 7 Version 1.0
Prolog Als die weißen Amerikaner Mitte des...
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Dan Roberts
… bis zum bitteren Ende Apache Cochise Band Nr. 7 Version 1.0
Prolog Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre Jagdgründe eingedrungen waren. Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen, widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge, Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten. Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm. Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im Westen und der Gran Desierto im Süden. Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht, blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler, Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube, ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die Geschichte überliefert hat.
1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge. Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen. Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen Apachenangriffen ausgesetzt. Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb: »Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs. Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen: Cochise. Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben werden kann. Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die Ehre zu geben. Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt werden. Ihr Martin Kelter Verlag
*** Die Schatten im Felsenlabyrinth wirkten grau, verwaschen. Ein schwacher Streifen Helligkeit kroch im Osten über den Horizont. Aber hier, inmitten der steil aufragenden Steinsäulen, blieb es noch lange dunkel. Erst beim höchsten Stand der Sonne wich das Zwielicht. Es roch nach Wasser, frischen Kräutern und gutem Gras. Dies war ein geschützter Ort, eine Zuflucht, die nur den Apachen bekannt war. Noch kein Weißer oder Mexikaner hatte diesen Platz gefunden. Ein leises Schaben war zu hören. Aus dem Halbdunkel trat ein Hirsch. Er drehte den Kopf, witterte in alle Richtungen, aber kein Windhauch trug ihm den Geruch von Gefahr entgegen. Zögernd ging das Tier auf die Wasserstelle zu. Immer wieder verharrte es, schnupperte und schien zu fühlen, daß es nicht allein war. Der Durst war stärker als die Mahnungen des Instinkts. Als der Hirsch den schlanken Hals beugte, um aus der flachen, ausgewaschenen Bodenpfanne zu trinken, da geschah es. Der Hirsch zuckte hoch, setzte zu einem gewaltigen Sprung an, aber es war zu spät. Der Pfeil drang zwei Handbreit hinter dem linken Vorderlauf in das Fell und traf das Herz. Drei Yards neben der Wasserstelle sank der Hirsch zu Boden. Eine bronzehäutige Gestalt löste sich aus den Schatten der zerklüfteten Felsen. Der Krieger schritt auf seine Beute zu. Lange blickte er das Tier an, das dicht an seinem Versteck vorbeigelaufen war. Der Apache bückte sich. Gewaltige Muskeln spielten unter
seiner Haut, als er die Beute aufhob und über die Schulter wuchtete. Eine Sekunde schwankte er unter der Last, beugte sich etwas vor und verteilte das Gewicht besser, bevor er losging. Sein Lager befand sich weiter südöstlich. Eine ungeschriebenes Gesetz der Apachen befahl ihnen, niemals in der Nähe des kostbaren Wassers zu lagern. Denn die Orte, an denen das lebenswichtige Naß zu finden war, sollten geheim bleiben. Es war nicht auszudenken was geschah, wenn Weiße, Mexikaner oder andere Feinde Kenntnis von den zahlreichen Wasserlöchern bekamen. Sie haßten die Apachen, die doch nur ihre Heimat, ihre Art zu leben, verteidigten. Die Weißen hätten sich nicht gescheut, Wasserstellen zu vergiften oder mit Sprengstoff zu vernichten. Der Krieger war vorsichtig, als er zum Lager seiner Familie zurückging. Er wartete lange, bis er sich aus der Deckung einer Geröllbarriere löste und auf seine Squaw und die beiden Männer zuging. Stolz wallte in dem Apachen auf, wenn er an die Kinder dachte. Sie waren zwölf und dreizehn Sommer alt. Es dauerte nicht mehr lange, bis sie als vollwertige Krieger galten. Darum streiften sie auch mit ihrem Vater und der Mutter allein durch das wilde, karge Land. Sie sollten Erfahrung sammeln, zeigen, was sie gelernt hatten. Mißtrauisch suchte der Apache mit seinen Blicken die Umgebung des langgestreckten Tales ab. Drei Möglichkeiten gab es, diesen Ort zu erreichen oder zu verlassen. Nun erschien es dem Krieger als Fehler, hier gelagert zu haben. Es war richtig, daß mehrere Fluchtwege Leben retten konnten. Aber genausogut gaben diese Wege den Feinden bessere Möglichkeiten für einen Angriff. Als der Indianer auf die Feuerstelle zuging, hörte er das Surren des Feuerbohrers. Die Squaw bewegte den kleinen
Bogen, in dessen Sehne ein Holzstab stak, geschickt und schnell. Das Holz drehte sich in einem weicheren Stück, dessen Fasern bereits glommen. Sofort schob die Indianerin trockenes Moos heran, und eine Sekunde später loderte eine kleine Flamme auf. Die beiden Söhne halfen ihrem Vater, den Hirsch abzuladen. Sie achteten darauf, daß der Kopf nach Osten wies, als das Tier auf dem Boden lag. Denn aus dem Osten kam jeden Tag die lebensspendende Sonne. Sie brachte weiteres Wild mit, das aus der heiligen Richtung in das Land der Apachen kam. Der Krieger setzte das Stahlmesser an, das er irgendwann erbeutet hatte. Es dauerte nicht lange, bis der Hirsch aus der Decke geschlagen war. »Nahrung für viele Tage«, sagte der jüngste Sohn lächelnd, als er half, den Leib des Tieres aufzubrechen. »Bleiben wir hier?« fragte der andere Sohn. »Wasser ist in der Nähe, das kleine Tal liegt ruhig und verlassen, und wir sind sicher.« »Nein«, antwortete ihr Vater, »wir ziehen weiter, wenn wir den Hirsch zerlegt haben. Bleibe nie an dem Ort, wo du deine Beute geschlagen hast. Das ist ein Gesetz.« »Warum?« fragte der jüngere Sohn. »Du wirst träge«, bekam er zur Antwort. »Du beschäftigst dich mit gutem Essen und achtest nicht genügend auf deine Umgebung. Du wirst unvorsichtig und lockst Fremde, Feinde an.« Das Feuer brannte rauchlos. Aber der Duft gebratenen Hirschfleisches zog langsam nach oben. Besorgt blickte der Krieger zu den Felsen hinauf. Dort oben mündete ein schmaler Weg, der von Süden kam. Spuren wiesen darauf hin, daß beschlagene Pferde diesen Weg benutzt hatten. Der nomadisierende Apache war mit den Gefahren der Wildnis vertraut. Er achtete auf die Mahnungen und Warnungen seines Instinkts, der ihm in diesem Moment Gefahr
signalisierte. »Sa-re-na, nimm deinen Bogen«, sagte der Indianer. »Dort links, auf halber Höhe, wartest du.« Der Blick des Jungen folgte dem ausgestreckten Arm seines Vaters. Der ältere Sohn sprang auf, nahm seine Waffen und lief auf die Felswand zu. Der andere Junge sollte beim Feuer bleiben. »Halte dich bereit«, mahnte sein Vater, ehe er wie ein Schatten lautlos davonglitt. Er lief zur Mündung des Felsenweges, kletterte gewandt und lautlos hinauf und kauerte sich hinter ein abgebrochenes Felsenstück. Aber es war zu spät für ihn. Ein blitzender Lichtreflex erregte die Aufmerksamkeit des Kriegers. Unendlich langsam bog er den Oberkörper so weit zurück, daß er die Kante des Gesteinsmassivs dort oben sehen konnte. Abermals blinkte etwas auf. Zögernd legte der Krieger einen Pfeil auf die Sehne, spannte den Bogen und zielte schräg hinauf. Das Aufblitzen verschwand. Der Apache wußte nicht, daß er die Linsen eines Fernrohres gesehen hatte, in denen sich das Licht brach. Ein menschlicher Oberkörper schob sich vor. Deutlich erkannte der Indianer das Gewehr in den Händen des Mannes. Die Sehne schnalzte, und der Pfeil schwirrte nach oben. Aber der Weiße zuckte blitzschnell zurück. Harmlos prallte das Geschoß gegen die Felsen, bevor es zerbrochen runterfiel. Orangerot blühte es dort oben auf. Der peitschende Knall der Schußdetonation hallte im Tal wider. Der Krieger fühlte einen harten Schlag gegen seine Brust, den unsagbaren Schmerz und brach zusammen. Er war tot. Sein ältester Sohn jagte Pfeil auf Pfeil zu dem Mordschützen
hoch. Doch auch Sa-re-na starb durch die Kugel eines der Weißen. Der Junge fiel aus dem Felsenversteck auf den Talboden hinab. Sein Bruder schnellte zur Seite. Und die Squaw riß unter einem Deckenbündel einen erbeuteten Colt heraus, eilte davon. Aber sie hatten nicht den Hauch einer Chance. Drei, vier Gewehre entluden sich fast gleichzeitig. Ein wahrer Bleihagel ging auf die beiden letzten Menschen im kleinen Tal nieder. Sie starben, ehe sie auch nur eine halbwegs sichere Deckung erreichten. Lange Zeit blieb es still. Nichts rührte sich, weder im Tal noch oben an den Hängen. Die Angreifer brachten Geduld auf. Sie warteten ab, ob sich noch weitere Apachen zeigten. Erst nach etwa einer Stunde ließen sie ihre Pferde angehen, deren Hufeisen den felsigen Grund schrammten. Hintereinander ritten sechs Männer den schmalen Pfad hinab. Sie hielten ihre modernen Gewehre schußbereit mit dem Kolben auf den Oberschenkeln aufgestützt. Keiner der Mörder achtete noch auf die Umgebung. Sie waren sicher, allein zu sein. Aber das Zwielicht verbarg eine Gestalt. Noch war sie zu weit entfernt, doch lange dauerte es nicht mehr, bis der einsame Reiter auf der anderen Seite des Tales sein Pferd zügelte. »Na, das ist ja prima«, sagte einer der sechs Reiter. »Nehmen wir die Skalps? Wenn wir zurück nach Mexiko reiten, gibt es 'ne saftige Belohnung.« Aber der Anführer der kleinen Truppe schüttelte den Kopf, ließ seinen Blick in die Runde schweifen. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Diese halbdunkle Umgebung wirkte unheimlich. »Laß es sein«, sagte der Anführer, ein untersetzter Typ. »Wir verdienen genug mit unserer Ladung. Haben wir die Gewehre
erst in Mexiko verkauft, geht es uns allen gut.« Einer der anderen Kerls lachte heiser auf und sagte: »Aber noch haben wir die Waffen nicht. Jetzt schleppen wir eine Menge Goldpesos mit uns herum.« »Wir bekommen schon, was wir brauchen«, entgegnete der Anführer. »Wichtig ist erst mal, daß wir ungeschoren durchkommen.« »Nehmen wir den gleichen Weg zurück?« fragte ein anderer. »Ich halte es für zu gefährlich. Wenn die Apachen die Toten hier finden, bauen sie eine Falle für uns auf.« Nachdenklich musterte der Anführer das kleine Tal. Schließlich winkte er ab und antwortete: »Nein, wir benutzen einen anderen Weg, Amigo. Du hast recht. Sie finden diese Stinker sicherlich. Und dann drehen sämtliche Krieger durch. Also los, weiter! Und rührt die Toten nicht an. Vielleicht verschafft uns das einen Vorsprung. Möglicherweise ist die Wut der anderen nicht ganz so groß, wenn ihre Brüder noch die Skalps besitzen.« Ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, gab der Anführer seinem Pferd die Zügel frei. In langer Reihe durchquerten die sechs Mexikaner, die wie amerikanische Westmänner gekleidet waren, das Tal und verschwanden auf der anderen Seite zwischen dem zerklüfteten Felsgebiet. Keiner der sechs sah sich um. Keiner von ihnen ahnte, daß sie ohne Chance waren. Die Verfolger sollten schon in wenigen Stunden auf ihrer Fährte reiten. * Der schlanke, mittelgroße Krieger lag nur sechs Yards von den mexikanischen Banditen entfernt, als sie an ihm vorbeiritten. Das Pferd des Indianers stand hinter einer steil aufragenden Klippe.
Vorsichtig hob der Apache den Kopf. Die schwarzen Augen funkelten. Dieser Blick drückte einen unbändigen Zorn aus, der nach dem Tod für die sechs Männer schrie, die sinnlos eine Apachenfamilie niedergemetzelt hatten. Lange verharrte der Indianer. Erst als der Hufschlag der sechs Pferde nicht mehr zu vernehmen war, stand der bronzehäutige Mann geschmeidig auf. Prüfend sog er die Luft ein. Es roch nach Tod und Blut, nach verkohlendem Fleisch und Holzrauch. Der Apache stieß einen kehligen Ruf aus. Sein Mustang trabte hinter der Felsnadel hervor und begrüßte seinen Herrn mit einem Schnauben. Die Sonne stand inzwischen so hoch, daß ihr greller Schein die Hälfte des kleinen Tales in gleißendes Licht tauchte. Auf dem Mustang ritt der Chiricahua in das Valley zu den Toten. Der Krieger, der reglos auf halber Höhe des Hanges lag, war ein Vetter des untersetzten Apachen. Er wollte die Familie besuchen, seinem Vetter mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn er den Jungen die letzten Tricks beibrachte. Denn das war der Sinn des Zuges gewesen: den beiden Jungen beizubringen, was ein Apache im kargen, wüstenhaften Land zum Überleben wissen mußte. Nachdem der Chiricahua das Feuer erstickt und das Hirschfleisch zur Seite geschafft hatte, kauerte er sich mit dem Gesicht nach Osten hin und begann mit dem Sterbegesang für seine Verwandten. Der dumpfe, monotone Singsang hallte durch das ganze Tal. Als das Ritual beendet war, erhob sich der Indianer, breitete die Arme zur Sonne hin aus und sagte laut: »Oh, großer Geist, schenke mir Kraft für meinen Weg, den ich jetzt beginne. Diese unsere Brüder und Schwestern sind tot. Sie leben in den Ewigen Jagdgründen, sind in deiner Obhut. Aber ihre Mörder sollen ihre Tat nicht ungestraft begangen haben. Die
Chiricahuas werden der Fährte folgen und die Mörder vernichten. Weder Bleichgesichter noch die Olivhäutigen aus dem Süden dürfen es wagen, Krieger, Kinder oder Squaws des Stammes zu töten. Ich bitte für meinen Vetter, seine Söhne und seine Frau. Nimm sie auf, obwohl sie nicht mehr kämpfen konnten. Sie sind tapfer gestorben.« Noch einmal betrachtete der Krieger die Toten, das dürftige Lager, das nur die notwendigste Ausrüstung enthielt, und schwang sich auf den Rücken seines Mustangs. Wenig später lag das Tal hinter dem Krieger. Er verschwand im Gewirr der Felsen und kleinen Canyons, die noch kein Weißer erforscht hatte. Unermüdlich stampften die Beine des Mustangs. Er war ein zähes, ausdauerndes Pferd, das große Strecken zurücklegte, ohne zu ermüden. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand schon überschritten, als der Reiter einen gellenden Ruf ausstieß. Der Apache lenkte sein Tier auf ein undurchdringlich wirkendes Felsgewirr zu. Hinter brüchigen Steinsäulen traten die Wächter hervor. In den Armbeugen hielten sie moderne Gewehre, die Beute aus einem der Kriegszüge. »Ist der Jefe da?« fragte der Krieger heiser, denn der Staub brannte in seiner Kehle. »Cochise ist in seinem Jacale«, lautete die Antwort. Das Jacale war die Behausung der Apachen. Die Weißen nannten es Wickiup. Es bestand aus miteinander verflochteten Zweigen und Ästen, über die Gras- und Laubmatten gebreitet waren. Zog der Stamm weiter, blieben die Behausungen zurück. Naiche, Cochises Sohn, kam aus der Hütte, als der Krieger seinen Mustang davor zügelte. Der Sohn des großen Chiricahua-Führers sah dem Gast an, daß er schlechte Kunde brachte. Naiche gab den Weg ins Innere der Hütte frei.
Cochise saß mit untergeschlagenen Beinen hinter der Feuerstelle. Der Chief der Chiricahuas war groß, selbst wenn er saß. Er maß mehr als sechs Fuß, war also wesentlich größer als die meisten Apachen. Die breite Brust war muskulös, und die Adlernase ragte aus dem markanten Gesicht. »Jefe«, meldete der Krieger, »ich bringe Nachricht von Mord und Tod.« Naiche trat hinter dem Krieger ein und ging zur Seite. Cochise hob die Brauen. »So sprich, Saran-tanka«, sagte der Chief. »Mein Vetter und seine beiden Söhne und seine Squaw lagerten im Tal der Stillen Winde«, begann Saran-tanka. Cochise machte eine auffordernde Handbewegung. »Ich weiß. Die beiden Söhne sollen tapfere Krieger werden. Und Sternenglanz ist eine Squaw, die sich jeder Krieger des Stammes als Mutter seiner Söhne gewünscht hat.« Saran-tanka holte tief Luft. Seine Stimme klang belegt, als er sagte: »Sie wird nie wieder Söhnen das Leben schenken. Sie ist tot, Cochise. Die beiden Söhne sind tot, und auch mein Vetter reitet auf dem goldenen Mustang durch die Ewigen Jagdgründe. Ich habe den Sterbegesang gesungen, wie es Sitte ist.« »Und die Mörder?« fragte Cochise voller Grimm. »Es waren sechs. Sie besaßen Pferde mit beschlagenen Hufen. Die Männer kamen von Süden. Sie feuerten sofort, als sie unsere Freunde sahen.« »Du hast sie verfolgt?« wollte Naiche wissen. Saran-tanka schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, aber ich schwor, sie alle zu töten. Doch zuvor müssen mein Vetter, Sternenglanz und ihre beiden Söhne der Sitte gemäß bestattet sein. Ich schwöre bei meinem Leben, daß die Mörder nicht entkommen werden.« Cochise wirkte plötzlich gedankenverloren. Durch den Eingang des Jacale blickte der Chief weit über das zerklüftete
Land seiner Apacheria. Diese Felsenfestung in den Dragoon Mountains war uneinnehmbar. Hier wuchs gutes Gras, wucherten fette Kräuter, und hier gab es Wasser. Es war die ideale Zuflucht für die Krieger nach ihren Raubzügen, die sie manchmal bis tief nach Mexiko führten. Saran-tanka war der einzige männliche Verwandte der Toten. Seine Aufgabe war es, die Trauerzeremonie zu vollführen. Aber bis sie beendet war, wurde die Spur der Mörder kalt. Und das durfte nicht sein. Cochise stand auf. Er musterte Saran-tanka und sagte: »Deine Aufgabe ist es, deinen Verwandten die letzte Ehre zu erweisen. Naiche und ich folgen den Mördern. So wahr ich Cochise und Jefe der Chiricahuas bin: sie werden sterben. Ich habe gesprochen.« Naiche betrachtete seinen Vater. Er kannte die Entschlossenheit, die sich in dessen Blick widerspiegelte. Cochises Züge wirkten hart und verbittert zugleich. Und es beherrschte ihn nur ein Gedanke: Rache den Mördern! Naiche nickte und glitt aus dem Jacale. Wenig später führte er zwei Pferde vor die Hütte. Auf den Tieren lagen Satteldecken, und sie waren mit allem ausgerüstet. Cochise nahm sein Gewehr, prüfte, ob das Messer am Gürtel hing, und verließ ebenfalls den Wickiup. Der Chief sah sich die Ausrüstung an. Alles war so, wie es sein sollte. Auch Naiche hatte ein modernes Gewehr bei sich. Dazu führte er die alten, erprobten Waffen der Apachen mit sich. Schleuder, Kampfkeule, Bogen und Pfeile. Saran-tanka beugte achtungsvoll den Kopf, als der Häuptling und sein Sohn aufsaßen. Sekunden später trabten die beiden Mustangs auf den engen Weg zu, der den einzigen Zugang zur Apacheria bildete. Als der schlauchartige Teil hinter den Indianern lag, gaben sie ihren Pferden die geflochtenen Zügel frei. Im Galopp jagten sie nach Süden auf das Tal der Stillen Winde zu.
Niemand begegnete Cochise und Naiche unterwegs. Der Sohn überlegte, daß sein Vater Saran-tankas Verpflichtung zu seiner eigenen gemacht hatte. Das war kluge Stammespolitik. Denn wenn der Jefe voranging, wenn er nicht duldete, daß Fremde eine Apachenfamilie umbrachten, so wuchs sein Ansehen bei den Kriegern ins Unermeßliche. Außerdem war es sinnlos, alle erwachsenen Indianer aufzubieten, um die Mordbanditen zu verfolgen. Denn das führte zu einem neuen Krieg mit den Weißen. Und Cochise hatte dem einarmigen General Howard von Fort Buchanan sein Wort gegeben, während der nächsten sechs Monate Frieden zu halten. Natürlich besaßen die anderen Häuptlinge, die Jefes der Tontos und Mimbrenjos, noch genügend Möglichkeiten, diese Vereinbarung zu umgehen. Aber Cochise hielt sich streng daran. Seine Chiricahuas führten zwar Kriegszüge nach Mexiko durch, aber die Bleichgesichter ließen sie in Ruhe. Naiche dachte für ein paar Minuten über Thomas Jeffords nach. Der Postmeister der Butterfield Overland Line war Cochises Freund gewesen. Aber bei den elftägigen Verhandlungen mit General Oliver Howard und dem Jefe hatte Jeffords nach Abschluß der Unterredung die Forderung gestellt, die Apachen sollten die Kutschen und Passagiere der Postlinie in Ruhe lassen. Aber Cochise war nicht bereit gewesen, noch weiter nachzugeben. Der Streit hatte sich derart zugespitzt, daß der Jefe mit dem Messer auf Jeffords losgegangen war. Nur John Haggerty, dem Blutsbruder Cochises, hatte es der Postmeister zu verdanken, daß er noch lebte. Der Scout Haggerty hatte sich zwischen die beiden geworfen und den tödlichen Stich mit seinem Oberarm abgefangen. Trotz dieses Streites hielt sich Cochise an die Vereinbarung mit dem General. Naiche und sein Vater erreichten die Wasserstelle, an deren
Ufer der Krieger den Hirsch erwartet hatte. Die Spuren waren eindeutig. Das Auge eines Weißen hätte nichts entdeckt, aber für die beiden Chiricahuas lag die Fährte wie ein aufgeschlagenes Buch vor ihnen. Als sie ihre Pferde im Tal des Stillen Windes zügelten, wirkte Cochises Gesicht wie aus Stein gemeißelt. Sogleich machten sich Vater und Sohn an die Arbeit. Sie legten die leblosen Körper behutsam auf Decken, die sie zunähten. Den Leib des Kriegers bargen sie im Hirschfell, in der letzten Beute des Apachen. Anschließend trugen Cochise und sein Sohn die Bündel in eine Felsspalte, die sie mit Steinen verschlossen, daß sich weder Raubwild noch Aasfresser an den Toten vergreifen konnten. »Es ist getan, Sohn«, sagte der Jefe ernst. »Aber die Tat wird den Mördern auf gleiche Weise vergolten. Das schwöre ich.« Naiche trieb seinen Mustang an. Das Tier ging nach Norden, zum Ausgang des kleinen Canyons. Als der Häuptlingssohn die Fährten entdeckt hatte, winkte er seinem Vater. Cochise kam angeritten, beugte sich seitlich vor und prägte sich die unterschiedlichen Hufabdrücke ein. »Sieh hier«, sagte er zu seinem Sohn, »dieses Hufeisen ist gespalten wie der Zeh eines Bisamschweines. Und dort ist das Zeichen eine Nadel, ein scharfer Einschnitt im Metall. Naiche, wir werden die Mörder stellen und töten.« »Was mag die Männer hergeführt haben?« fragte Cochises Sohn nachdenklich. »Sicher bedeutet es nichts Gutes, wenn sechs Bleichgesichter oder Mexikaner heimlich die Grenze überschreiten.« »Denk nicht darüber nach«, riet der Jefe. »Wir fragen sie, wenn wir sie haben. Aber ich weiß, daß Mexikaner einen Aufstand planen. Sie brauchen Waffen, gute Gewehre und Revolver. Vielleicht sind die sechs Mörder Schmuggler, die unerkannt bleiben wollen.«
Naiche sagte nichts mehr. Er trieb sein Pferd an und folgte der deutlich sichtbaren Spur. Einem weißen Mann wäre sie wohl nicht aufgefallen. Aber für einen Apachen bedeutete schon andersfarbiger Staub einen Hinweis. Denn dort war vor nicht allzu langer Zeit von einem Pferdehuf oder Menschenfuß Sand aufgewirbelt worden und hatte sich wieder am Boden abgesetzt. »Es wird eine lange Jagd«, sagte Cochise nach einer Weile und blickte nach Norden. »Ich weiß es, mein Sohn. Aber ich weiß auch; daß wir Erfolg haben werden.« Naiche sagte nachdenklich: »Wenn es überhaupt Mexikaner sind! Wir wissen doch, daß noch immer hundert Pesos für den Skalp eines Kriegers, fünfzig für den einer Frau und fünfundzwanzig für das Haar eines Kindes gezahlt werden. Vater, glaubst du, daß Mexikaner sich dieses Geld entgehen lassen?« Cochise lächelte seltsam, bevor er antwortete: »Es kann eine List sein. Nehmen sie die Skalps nicht, werden wir unsicher, so wie du jetzt. Nehmen sie die Skalps, halten wir sie für Mexikaner und riegeln mit unseren Kriegern die unsichtbare Grenze ab. Jede Gruppe von sechs Reitern wird mir dann gemeldet. Rechne dir selbst aus, wie ein schlauer Mann handeln würde.« Naiche sah seinen Vater verblüfft an. »Du hast recht«, sagte der junge Mann, der fast das genaue Ebenbild des großen Häuptlings war. »Es sind Mexikaner, nehmen aber die Skalps nicht. Sie hoffen, daß sie es dann nicht mit dem ganzen Stamm, sondern nur mit einem Rächer zu tun haben. Und mit einem oder zwei Apachen wollen die Mörder schon fertig werden.« Cochise nickte zufrieden. Sein Sohn hatte begriffen. Aber die Gelbhäutigen begriffen nicht. Sie rechneten nicht damit, daß sie einen Apachen erst dann sahen, wenn er vor ihnen emporschnellte. Die Krieger hatten sich dem kargen
Land, der Halbwüste und den vegetationslosen Gebirgen angepaßt. Apachen waren Meister der Tarnung und im Legen von Hinterhalten. Aber das sollten die sechs Mordwölfe noch erfahren. Denn zwei erbarmungslose Rächer folgten ihrer Fährte. * »Wo will der Boß denn jetzt hin?« fragte Norbert Walker und blickte verblüfft hinter Thomas Jeffords her, der aus dem großen Stationsraum gerannt kam. »Das Essen ist doch bald fertig.« Walter konnte sich nicht vorstellen, was den Postmeister auf die Beine gebracht hatte. Aus dem großen Topf auf der eisernen Herdplatte duftete es nach Schmorfleisch. In der Pfanne brutzelten Rühreier, und der Kaffee blubberte in der zerbeulten Blechkanne vor sich hin. Als Norbert den Hufschlag hörte, ging er ebenfalls zur Tür. Er sah, wie Jeffords aufsaß und fragte: »He, Boß, was hat dich denn gebissen? Wir können gleich essen. Ich wette, so ein feines Futter hast du in den letzten Tagen nicht bekommen.« Jeffords verzog das Gesicht. »Es geht nicht um deine Kochkünste«, gab der Postmeister zurück. »Aber mir steht Schmorfleisch bis über den Kragenknopf. Ich reite jetzt los und schieße uns was Vernünftiges.« Besorgt ging Walker bis dicht an die Schimmelstute heran. Er achtete nicht auf den tückischen Blick des Pferdes, sondern fuchtelte mit der Blechkelle in der Luft umher. »Du bist verrückt, vollkommen übergeschnappt«, tönte Walker. Seine knorrige Figur schien sich zu spannen, geschmeidig zu werden. »Du kommst doch keine zwei Meilen weit, Boß. Die
Apachen sind ganz wild auf deinen Skalp, seit du mit Cochise Streit anfingst. Vielleicht erwischt du wirklich einen Hirsch oder so was. Vielleicht kommst du auch noch ein paar Meilen weit zurück. Aber dann schlagen die Chiricahuas zu.« Jeffords lächelte nur. Die Besorgnis des Pferdehelfers rührte ihn. Aber der Postmeister war ein erfahrener Mann, ein Grenzer, der lange Jahre als Scout im Bürgerkrieg gedient hatte. Er kannte sich aus in der Einsamkeit, und er war fähig, sich durchzuschlagen, wenn es haarig wurde. »Mach dir mal nicht ins Hemd«, sagte Thomas Jeffords und machte eine wegwerfende Handbewegung. Diesen Moment hielt die Schimmelstute für geeignet. Sie schnappte zu wie eine Klapperschlange. Die großen gelben Zähne erwischten Norberts Lederhemd. Ein Ruck, und der halbe Ärmel hing im Maul des tückischen Pferdes. Das Biest sah so aus, als grinste es zufrieden. Walter fluchte in allen Tonarten. Er holte mit der anderen Hand, in der er die Metallkelle hielt, aus und schmetterte sie dem Gaul auf die Nüstern. Aber da explodierte das Tier förmlich. Es sprang wie eine Katze mit allen vieren zugleich hoch, rammte den Kopf vor und traf Walker an der Stirn. Halb benommen taumelte der Posthelfer zurück. Mit seiner Kelle teilte er sinnlose Hiebe aus, die pfeifend die Luft durchschnitten. Jeffords hing halb im Sattel. Er riß am Zügel, aber das Pferd kümmerte sich nicht um den Druck der Trense. Es stürmte hinter Walter her, dem vor Schmerz Tränen in die Augen geschossen waren. Während er zurückwich und mit seiner Suppenkelle den vermeintlichen Gegner abwehren wollte, taumelte er durch die Tür des Stationshauses. Erst an der glühendheißen Herdplatte kam Norbert zum Stehen. Er schrie abermals, als das heiße Eisen ihm den Hosenboden versengte. Mit einem Satz sprang er vor, ließ die
Kelle fallen und stürmte auf die Tür zu. Aber die Öffnung war durch die Stute blockiert. Sie zwängte sich mit aller Gewalt in den Stationsraum. Abwehrend streckte Walker beide Arme aus und rief: »Okay, okay, du verdammtes Biest. Du kannst den Rest meines Hemdes auch noch haben. Aber mach, daß du hier rauskommst!« Jeffords lag auf dem Pferderücken. Die Stute marschierte zum Herd, schnupperte, sog die Dünste des Essens ein und prustete, bevor sie sich umdrehte und wieder rauslief. Seufzend wischte Walker die Tränen aus den Augen. Schwankend folgte er dem Biest zur Tür. Burt Kelly, der zweite Posthelfer, stand ein wenig abseits und grinste von einem Ohr zum anderen. Sofort schwoll in Walker die Wut an. »Sag nichts!« schrie er. »Sag kein Wort, Burt. Ich warne dich, sonst gibt es morgen Burt-Kelly-Stew. Das schwöre ich dir. Der Gaul hat keine Ahnung von richtigem Essen. Es bedeutet überhaupt nichts, daß er bei dem Geruch davongelaufen ist. Hast du das begriffen?« Kelly kratzte sich am Kopf und antwortete: »Schon gut, Partner. Aber wenn es andersrum gekommen wäre, dann hättest du jetzt 'nen Gaul als ständigen Gast in der Station. Ob das den Passagieren gepaßt hätte?« Die Schimmelstute stand wie eine Statue. Kein Muskel zuckte unter dem hellen Fell. Nur die kräftigen Zähne zermahlten das Stück Wildlederhemd. Das Biest war offensichtlich sehr mit sich zufrieden. »Teilt euch das Schmorfleisch«, sagte Jeffords. »Ich versuche, einen Hirsch zu erwischen oder wenigstens ein paar Eselhasen, wenn ich nichts anderes vor die Büchse bekomme.« »Du willst doch nicht auf diesem Teufel reiten?« fragte Walker entsetzt. »Der bringt dich um, Boß!« »Mich nicht«, erwiderte Thomas grinsend, »nur schlechte Köche.«
Norbert fluchte lästerlich, und der Gaul zog die Lippen zurück, prustete unverschämt. Jeffords gab dem Tier die Zügel frei. Es trabte die Paßstraße nach Westen hinunter. Die Sonne trieb den Schweiß aus allen Poren. Sie hatte ihren höchsten Stand erreicht. Wie ein Gluthauch lag die Hitze über den Bergen und den sandigen Ebenen zwischen den Felsen. Alle Kreaturen schienen sich in den Schatten verkrochen zu haben. Jeffords rückte sich den breitkrempigen Hut zurecht. Es war die richtige Zeit für seinen Aufbruch. Am frühen Abend wagten sich die Tiere dieser Wildnis wieder aus ihren Verstecken, suchten die Wasserstellen auf, die in diesem Land kostbarer als Gold waren. Der Postmeister hielt auf die tiefen Schluchten der Berge zu und erreichte einen Canyon, dessen Boden spärlich mit Grasbüscheln bewachsen war. Diesen Einschnitt hatte Jeffords noch nie betreten. Er lag abseits der sonstigen Schluchten und Wege, die in wirren Linien das Land durchschnitten. Ohne zu zögern zupfte Thomas am Zügel. Willig ging der Schimmel in die neue Richtung. Aber plötzlich stellte das Tier die Ohren auf. Jeffords wurde unruhig. Er zog die Sharps aus dem Scabbard und spannte den Hahn der schweren Waffe. Thomas sah sich um. Eine Bewegung dort vorn! Halb über den Kopf seines Pferdes gebeugt trieb ein Apache sein Tier in den Galopp. Blitzschnell musterte Jeffords die zerklüfteten Felsen zu beiden Seiten des Canyons. Auf einmal hetzten zehn Indianerponys auf ihn zu. Sie teilten sich, bildeten eine Zange, in der sie den einsamen Weißen fangen wollten. Thomas hieb der Schimmelstute die Absätze in die Flanken. Mit einem gewaltigen Satz stürmte das Pferd los. Es schien von allein zu wissen, wo die Rettung lag. Denn es hielt auf die kaum drei Längen breite Lücke zwischen den angreifenden
Kriegern zu. Es war zu knapp. Thomas konnte so den Chiricahuas nicht entkommen. Mit bösartigem Zischen sausten die ersten Pfeile heran. Die Apachen wollten diesen Weißen erwischen und töten. Er gehörte zu den Feinden, den Eroberern, die den Stämmen das Land stehlen und sie bekämpften, wo immer sie einen Menschen mit roter Haut antrafen. Drei, vier Schüsse fielen. Die Kugeln fauchten dicht an Jeffords Oberkörper vorbei. Mit einem Ruck zerrte er am Zügel, brachte den Schimmel zum Stehen, der mit eingestemmten Beinen noch fast zwei Längen weiterrutschte. Als das Pferd reglos verharrte, legte Thomas die Sharps an und feuerte. Sofort riß er den Hebel herunter. Der Blockverschluß öffnete sich, schnellte die Hülse heraus, und Thomas lud das mächtige Gewehr und feuerte erneut. Die beiden Krieger, die links und rechts der kleinen Lücke geritten waren, lagen reglos im Sand. »Los, jetzt gilt's!« schrie Jeffords der Schimmelstute in die Ohren. Das Tier griff mächtig aus. Es preschte in voller Karriere durch die Lücke zwischen den Chiricahuas. Doch die Apachen gaben nicht auf. Sie wollten ihr Wild stellen und töten. Und dieses Wild war ein Bleichgesicht. Jeffords drehte sich im Sattel um. Die acht Krieger wahrten respektvollen Abstand. Wenn ich halte und noch zwei aus dem Sattel hole, stehen meine Chancen besser, überlegte sich Thomas. Aber er kam von dem Plan ab. Das Gelände war zu unübersichtlich. Sobald er die Stute herumriß, verschwanden die Apachen hinter herabgebrochenen Steinen oder in Felsspalten. Abrupt bog der Schimmel scharf nach links ab. Die Hinterhand rutschte weg, und nach einer bangen Sekunde saß Jeffords wieder sicher im Sattel.
Die Felswände ragten himmelhoch zu beiden Seiten des schmalen Weges auf. Nur als schwachen, hellen Streifen sah Thomas das Sonnenlicht weit über sich. Die Stute fiel in den Trab zurück. Nadelspitze Gesteinszacken ragten aus den Wänden in den Trail. Ein paar Minuten später änderte sich die Richtung. Nach Jeffords' Gefühl ritt er nun genau zurück. Aber weitere zehn Längen brachten ihn erneut an eine Biegung heran. Einmal mußte sich der Postmeister tief über den Hals des Pferdes beugen, um nicht an eine Felsbrücke zu stoßen. Und dann ging es steil bergauf. Die Beine der Stute stampften unermüdlich wie die Kolben einer Dampfmaschine. Der Atem des Schimmels ging nicht schneller als vorher. Das Tier war ausdauernd und zäh. Der Weg wand sich in Serpentinen weiter hinauf. Manchmal war er gerade noch so breit, daß die Hufe des Pferdes gerade Halt fanden. Prüfend schaute Jeffords weiter nach oben. Aber Felsplatten schoben sich ins Sichtfeld, so daß er den weiteren Verlauf nicht einsehen konnte. Der Pfad endete vor einer steil aufragenden Granitwand. Hier ist Raum für ein halbes Dutzend Pferde, stellte der Postmeister fest. Aber wie kam er weiter? Denn ihm war klar, daß er in der Falle saß. Die Stute wieherte leise, als ob sie sagen wollte: Jetzt bist du dran, Mensch. Ich habe getan, was ich konnte. Jeffords glitt aus dem Sattel und ging auf die Felsplatte zu. Ein schwacher Luftzug streifte ihn. Sofort änderte er seine Richtung. Links hinter der scheinbar unüberwindlichen Barriere entdeckte Thomas einen Spalt, aus dem es kühl herauswehte. Sorgfältig nahm Thomas die Öffnung in Augenschein und kam zu dem Schluß, daß er zu Fuß gehen mußte. Er nahm die Schimmelstute am Zügel und bewegte sich
auf die Spalte zu. Es war fast vollkommen dunkel in diesem Hohlweg. Nach einer scheinbar unendlich langen Zeit schimmerte weit vor Jeffords schwacher Lichtschein. Er atmete auf, als er wenig später ins Freie gelangte. Gras wuchs auf dem Boden des Tales. Büsche und niedrig wuchernde Sträucher standen vereinzelt und bildeten neben Palmlilien und Agaven den einzigen Bewuchs. Nachdenklich blickte Jeffords zurück, suchte die Kanten des Canyons ab und nahm sich vor, zuerst dieses fremde Tal zu erkunden, ehe er sich verschanzte oder nach einem Fluchtweg Ausschau hielt. Thomas schwang sich in den Sattel. Die Stute folgte dem Druck der Fersen und ging an. Nach wenigen Minuten zügelte der Reiter sein Tier wieder und starrte auf den Ring aus Buschwerk, der die Überreste einer Blockhütte umgab. Langsam umritt Jeffords die Ruine. Hier mußte es gutes Wasser geben, denn die meisten Sträucher waren Ecotillos, die Blätter trugen. Jeffords kannte diese Büsche. In Trockenperioden warfen sie die Blätter ab, um Feuchtigkeit zu sparen, lebten aber weiter. Geregnet hatte es seit Monaten nicht mehr. Also gab es hier eine Quelle. Thomas fand sie hinter der Hütte, halb überwuchert von Kräutern mit saftig wirkenden Blättern. Die Stute senkte den Kopf und trank ausgiebig. Nun versuchte auch Thomas das Wasser. Es war klar und rein und hatte keinen fremden Geruch oder Geschmack. Er hatte Glück gehabt, zumindest bis zu diesem Zeitpunkt. Denn die acht Chiricahuas kamen bestimmt. Er hatte zwei ihrer Brüder von den Mustangs geschossen, und seine Spuren mußten wie ein offenes Buch vor den Kriegern liegen.
* Cochise und sein Sohn Naiche parierten die Pferde vor einem breiten Sandstreifen, der im Sonnenglast grell schimmerte. Schwacher Wind fächelte, wechselte ständig die Richtung. Aber diese leichte Luftströmung hatte die Fährte der sechs Mörder verwischt, zugeweht. Unmittelbar vor dem Anfang des sandigen Streifens deutete Naiche auf die letzten Kratzer von Hufeisen. Cochise blickte nach Nordwesten. Irgendwo dort, auf der anderen Seite des meilenbreiten Streifens, führten die Spuren der flüchtenden Halunken weiter. »Reiten wir«, sagte der Chief entschlossen, »wir finden die wieder, Naiche. Wir sind es den Toten schuldig, ihre Mörder zu stellen und zu bestrafen.« Cochises Sohn preßte seinem Mustang die Hacken in die Weichen. Der Häuptling folgte Naiche. Sie sprachen kein Wort miteinander, während sie durch den glühend heißen Sand ritten. Für die Pferde war es eine große Anstrengung, durch den knöcheltiefen, wie zähe Flüssigkeit wirkenden Sand zu stampfen. Die Mustangs prusteten, als sie auf der anderen Seite des Wüstenstreifens ankamen. Scharfe, staubartige Teilchen waren in die Nüstern der Tiere gedrungen und reizte sie. »Du links, ich rechts«, sagte der Jefe. Naiche zupfte am Zügel. Sein Tier ging dicht am Sandstreifen entlang. Dem jungen Krieger entging nichts. Aber selbst nach fast einer halben Stunde hatte er noch keine Spur gefunden. Auf einmal erscholl der Ruf eines Rennkuckucks. Sofort zog Naiche sein Pferd herum und ließ es zu Cochise traben. Der Chief deutete mit der Linken auf den Boden. Naiche sah Kratzer im Gestein. Sie konnten erst wenige Stunden alt sein. »Die Mörder entkommen uns nicht«, sagte der Häuptling
grimmig. Er lenkte sein Pferd in die neue Richtung. Schweigend folgte Naiche seinem Vater. Eine Stunde mochte vergangen sein, als Cochise witternd den Kopf hob. Er zügelte sein Pferd und lauschte. Naiche sog tief die Luft in seine Lungen und sagte nach einer Weile: »Das sind Bleichgesichter, Vater. Sie haben ein Feuer angemacht, aber das Holz ist nicht ganz trocken.« Zufrieden nickte der Jefe. Er hatte es auch längst gerochen. Kein Apache hätte Holz benutzt, das nicht vollkommen ausgedörrt war. Denn der geringste Geruch, der winzigste Rauchfaden verriet einen Krieger. Cochise, der berühmte Häuptling, straffte sich unwillkürlich, nahm die Winchester und legte sie quer über seine Oberschenkel. Naiche folgte dem Beispiel seines Vaters. Sie waren kampfbereit, gleichgültig, welchen Gegner sie trafen. Im leichten Trab hielten die beiden Apachen auf das Lagerfeuer zu. Als sie ein paar Minuten geritten waren, mischte sich der Duft gebratenen Fleisches in den Geruch des brennenden Holzes. Fühlten sich die sechs Halunken so sicher, daß sie eine Rast einlegten? Cochise schüttelte den Kopf. Nein, vor ihnen lagerte eine andere Gruppe weißer Männer. Vorsicht war geboten, denn die meisten Bleichgesichter feuerten zunächst, wenn sie Indianer sahen, und fragten erst danach. Im Schritt ließen die beiden Apachen ihre Ponys weitergehen. Eine mehr als mannshohe Sanddüne versperrte ihnen die Sicht auf das Feuer. Naiche sprang von seinem Pferd. Gewandt wie eine Schlange kroch der junge Chiricahua die Düne hinauf und verharrte auf
der Kuppe. Nicht einmal war Sand unter seinen kniehohen Mokassins aus weichem Wildleder herabgerutscht. Nach langen Minuten glitt Naiche wieder zurück. »Sechs Weiße«, berichtete er seinem Vater. »Alle Männer tragen blitzende Metallsterne an den Hemden. Sie vertreten das Gesetz der Bleichgesichter, Vater.« »Ich reite hin«, entschied Cochise. »Du bleibst mit deinem Gewehr auf dem Kamm dort oben. Siehst du, daß sie mir Übles wollen, so feuerst du, Sohn. Schieße dann, um zu töten.« Der Häuptling beobachtete sekundenlang, wie sich sein Sohn abermals, doch diesmal mit der Winchester unter dem Arm, die Sanddüne hinaufschob. Als der junge Krieger seine Position erreicht hatte, schnalzte der Jefe mit der Zunge. Sein Pferd setzte sich in Bewegung. Als es die Sanddüne umrundet hatte, hielt der Häuptling auf das Feuer zu. Erst als er nur noch etwa 20 Yards von den Weißen entfernt war, sahen sie ihn. Instinktiv brachten die Männer ihre Waffen in Anschlag. Drohend wiesen sechs Mündungen auf den einzelnen Krieger, der gelassen näherritt. »Ein Apache!« rief einer der Sternträger mit schriller Stimme. »Legen wir den Kerl um. Ein Indianer, den wir heute umbringen, brauchen wir morgen oder nächste Woche nicht mehr zu töten.« »Halt, nicht schießen!« Die dunkle Stimme klang grollend. Der Mann, der diesen Befehl gegeben hatte, trat ein paar Schritte vor. Prüfend blickte er den hochgewachsenen Indianer an und sagte: »Ich glaube, das ist Cochise, Leute. Warten wir ab, was er will.« »Umlegen!« forderte der andere Mann. »Er ist der Boß dieser roten Halunken. Wir tun ein gutes Werk für alle, wenn wir ihn zu Manitu schicken.« »David Slattermill«, drohte der Anführer der Posse, »wenn du auch nur einen Schuß abgibst, befördere ich dich persönlich
zur Hölle. Merk dir das!« »Sind Sie etwa so'n verdammter Indianerfreund, Marshal?« wollte der kleine, vertrocknet wirkende Typ wissen. »Auf jeden Fall schieße ich nicht gleich deshalb, weil mir eine Rothaut begegnet.« »Zu schade«, giftete der kleine Kerl, »dann gäbe es nämlich einen Stinker weniger auf der Welt.« »Hast du dir überlegt, warum Cochise so selbstsicher hier auftaucht?« fragte der Marshal. »Denkst du, er kommt einfach so? Oder hat er vielleicht zwei Dutzend Krieger versteckt, die uns alle mit einem Pfeil oder einem Gewehrschuß erwischen können?« Slattermill wurde kalkweiß. Unruhig blickte er hin und her. Aber außer Sand entdeckte er nichts. Doch was wollte das schon besagen? Einen Apachen siehst du erst, wenn du über ihn stolperst, lautete ein Sprichwort an der Grenze im Südwesten. Cochise zügelte seinen Mustang sechs Yards vor dem Feuer. »Was sucht ihr in meinem Land?« fragte der Häuptling hart. »Reitet wieder, denn ihr setzt euer Leben aufs Spiel.« »Der reißt seine Klappe aber ganz schön weit auf«, bemerkte Slattermill halblaut. »Ich bin immer noch der Meinung, daß wir ihn von seinem Gaul schießen sollten, Marshal.« »Halt’s Maul, Mann!« fauchte der Sternträger. »Ich bin U.S. Deputy Marshal Alf Morland«, stellte sich der massige Mann vor. »Ich bin nicht hier, um mit dir über dieses Land zu streiten. Du bist doch Cochise, oder?« Würdevoll nickte der große Indianer. »Vielleicht kannst du uns helfen«, sagte Morland. »Wir sind hinter sechs mexikanischen Schmugglern her. Wir bekamen einen Hinweis aus Mexiko. Die Kerle haben eine schmutzige Sache vor. Sie wollen hier Dinge kaufen und mit Goldpesos bezahlen. Hast du sechs Reiter oder ihre Spuren gesehen, Cochise?« Ausdruckslos blickte der Häuptling den Gesetzeshüter der
Weißen an. Morland wurde unruhig. Was hatte er falsch gemacht? »Das ist nicht deine Sache, Mann des Sterns«, antwortete Cochise gelassen. »Diese sechs Gelbhäutigen gehören den Chiricahuas. Sie werden keine Gewehre kaufen und über die Grenze bringen.« »Verdammt, woher weiß er das?« stieß einer der Männer hervor. Cochise lächelte bitter. »Was kaufen denn die Gelbhäutigen schon hier außer Waffen und Patronen? Ihr könnt zurückreiten. Sie erreichen ihr Ziel nicht.« »Moment mal, so geht das nicht«, widersprach Morland. »Ich habe einen Auftrag, verstehst du? Ich muß den Banditen folgen. Und wenn sie ihr Geschäft abgeschlossen haben, schlagen wir zu. Sie kommen für ein paar Jahre ins Gefängnis. Da bin ich ganz sicher.« Cochise schüttelte den Kopf. »Nein, dies ist Apachenland«, sagte er. »Hier gelten die Gesetze der Chiricahuas. Und ich habe beschlossen, die sechs Männer zu töten. Reitet weiter, kreuzt unseren Weg nicht mehr, sonst sehen wir euch als Feinde an.« »Verdammt, was bildet der sich ein«, knurrte Slattermill. »Wir können nicht unverrichteterdinge zurückreiten«, konterte der US Deputy ungerührt. »Wir müssen die Lumpen erwischen, auf frischer Tat ertappen, Cochise.« »Nein, sie sind nicht für euch bestimmt«, widersprach der Jefe nachdrücklich. »Sie gehören mir.« Morland seufzte. Er hatte kaum eine Chance, den Häuptling des großen Stammes umzustimmen. Irgendwas hatte die Apachen so aufgebracht, daß sie die Mexikaner jagten. Der Marshal wußte, daß die Chance der Schmuggler dünner als ein Haar war. Aber er konnte nichts unternehmen. Alf Morland musterte Cochise. Dieser Häuptling war von faszinierender Ausstrahlung. Seine Selbstsicherheit kam von innen heraus, war nicht gespielt. Er wußte genau, was er tat, auch wenn er den Weißen verbot, weiter nach den
Schmugglern zu suchen. »Ich habe einen Auftrag«, erklärte der Marshal nochmals. »Daran kann ich nichts ändern.« »Reite zurück und sage, daß die sechs gelbhäutigen Hunde so gut wie tot sind«, entgegnete Cochise. Und es klang wie ein Befehl. Er zupfte am Zügel. Das Pferd drehte sich. In voller Absicht wandte der Häuptling den Weißen den Rücken zu, als er davonritt. Er hörte das Knacken eines Gewehrhahns und gleich darauf einen klatschenden Schlag und den wütenden Aufschrei eines Mannes. »Slattermill, ich mache dich zur Schnecke, wenn du nicht endlich vernünftig wirst«, drohte Morland. Cochise lächelte, als er diese Worte hörte. Der Mann mit dem Sternenschild auf dem Hemd schien gerecht zu sein. Es gab nur viel zuwenig Weiße, die den Indianern gegenüber gerecht waren. Der Jefe erreichte die Rückseite der Sanddüne. Naiche stand bereits neben seinem Pferd. »Genau nach Westen«, sagte Cochise. »Wir schütteln die Gesetzesmänner ab, Sohn. Denn dies ist unser Kampf, unsere Rache.« * Thomas Jeffords überprüfte seine Waffen, lud die Sharps und verfluchte sich, daß er statt einer Winchester das Büffelgewehr mitgenommen hatte. Nun kam es darauf an, einen Sperrgürtel aus heißem Blei zu schaffen. Es nützte ihm nicht viel, wenn er einen Angreifer vom Pferd schoß. Bis Thomas nachgeladen hatte, waren die anderen schon ein ganzes Stück weiter gekommen. Angespannt blickte Jeffords auf seine eigene Fährte zurück. Selbst ein Kind mußte sie sehen und ihr folgen können.
Aber noch war kein Apache zu entdecken. Für ein paar Sekunden schloß der Postmeister die Augen und lauschte. Doch alles blieb still. Erstaunt sah er sich um. Jeffords hockte im Buschwerk, das die Überreste der Hütte ringförmig umschloß. Kein Tier, kein Vogel ist zu hören, dachte Thomas verblüfft. Die Sonne zog weiter auf ihrer Bahn nach Westen. Ihr goldener Schein schimmerte auf den kahlen Felsen, überspielte die Blätter der Sträucher, die grell aufleuchteten, und tauchte das kleine Tal in ein unwirkliches Licht. Jeffords nahm die Wasserflasche und trank einen Schluck. Mißtrauisch blickte er zum Eingang des kleinen Canyons. Noch immer ließ sich kein Chiricahua sehen. Was hielt die acht Krieger davon ab, ihm zu folgen und ihn niederzumachen? Allmählich zerrte die Stille an Jeffords Nerven. Immer wieder blickte er sich um, hielt Ausschau, doch keiner der Chiricahuas drang zu ihm vor, um den Tod seiner Brüder zu rächen. Am späten Nachmittag entspannte sich Jeffords etwas. Vorsichtig kroch er zwischen den Büschen umher und suchte trockenes Holz für ein kleines Feuer. Bald ging die Sonne unter, und dann griffen die Apachen nicht mehr an. Aber vielleicht nutzen sie die Dämmerung, jene Zeit zwischen Tag und Nacht, in der die Schatten länger wurden und Zwielicht alles ins Groteske verzerrte. Aber auch diese Zeitspanne verging, ohne daß ein Angriff erfolgte. Es war ganz dunkel. Thomas entzündete mit einem Schwefelholz die aufgeschichteten Zweige. Aus der Satteltasche nahm er ein paar Streifen Fleisch und spießte sie auf einen grünen Zweig, den er in die Flammen hielt. Er konnte es wagen, ein Feuer zu entzünden, denn die Apachen wußten, wo er war.
Die Schimmelstute rupfte die dicken Blätter der Kräuter ab, die um die Quelle herum wucherten. Als der Duft gebratenen Fleisches durch das Tal zog, spürte Jeffords erst, welchen Hunger er hatte. Er legte das Fleisch zum Abkühlen auf einen flachen Stein und holte die kleine Pfanne, Bohnen und Speck und die zerbeulte Blechkanne hervor, in der er sich Kaffee aufbrühen wollte. Immer wieder dachte er darüber nach, was die Chiricahuas von einem Angriff abgehalten hatte. Lagerte er etwa auf Boden, der den Apachen heilig war? Dann hatte er keine Chance, nicht mal eine hauchdünne. Denn sie würden ihn abfangen, wenn er einen Ausbruch versuchte. Die Entweihung eines Heiligtums durch ein Bleichgesicht war eines der schlimmsten Verbrechen für die Indianer. Ich werde es erfahren, dachte der Postmeister. Aber dann wird es wahrscheinlich zu spät sein. Der Kaffee brodelte in der Kanne. Thomas nahm sie aus den Flammen und fluchte leise, weil er sich die Finger am Metallhenkel verbrannt hatte. Genußvoll machte er sich über die gebratenen Fleischstücke her und griff nach der Pfanne, in der Bohnen und Speck brutzelten. »How, weißer Mann«, sagte eine gutturale Stimme nicht weit entfernt. Jeffords zuckte unwillkürlich zusammen. Aber plötzlich warf er sich mit einem mächtigen Satz aus dem Lichtkreis des Feuers, zog den Colt aus dem Halfter und spannte den Hahn. Das metallische Knacken durchbrach die Stille. »Nicht, ich bin ein Freund«, sagte der Fremde, »und allein. Niemand folgt mir. Red Elk hat Hunger. Als er den Duft deines Essens roch, knurrte sein Magen wie ein Rudel Wölfe.« »Komm näher!« befahl Jeffords mit gepreßter Stimme und hielt den Revolver schußbereit. Ein großer Indianer trat in den Lichtkreis. Eine einzelne
Feder stak im lang wallenden schwarzen Haar des Kriegers. Er war kein Apache, stellte Thomas fest. »Welchem Stamm gehörst du an, Red Elk?« fragte Jeffords und blieb wachsam. »Was führt dich in diesen Canyon?« Das Englisch des Indianers war recht gut. »Ich bin ein Ute«, antwortete er. »In Fort Yuma lebte ich zwei Sommer als Späher für die Pferdesoldaten. Jetzt will ich zurück zu meinem Stamm, denn ich habe genug blanke Metallscheiben, um die Dinge zu kaufen, die wir benötigen.« Jeffords lächelte sarkastisch und sagte: »Moderne Gewehre und Patronen, was? Damit ihr auf alle weißen Eindringlinge schießen könnt.« »Ja, auch Gewehre, aber für die Jagd, weißer Mann, nicht zum Töten von Menschen deiner Art.« Thomas war von der Ruhe und Gelassenheit, mit der ihm der Ute entgegentrat, beeindruckt. Vielleicht stimmte es, was er sagte. Aber es konnte genausogut sein, daß ein halbes Dutzend Krieger in der Dunkelheit auf ein bestimmtes Zeichen wartete und dem Weißen dann mit Pfeilen spickte. »Komm zum Feuer«, lud Jeffords den Ute ein und nannte seinen Namen. »Zu essen ist genug da. Bediene dich.« Der Indianer hockte sich und kreuzte die Beine unter seinem Körper. Er schien wirklich Hunger zu haben, denn Jeffords fiel auf, daß der Rote Elch sich mühsam beherrschte, als er zugriff. Aber ein Indianer zeigte einem Weißen gegenüber selten eine Schwäche. Das hielten die Männer der roten Rasse für beschämend. Thomas warf dem Ute den eigenen Blechbecher zu. Erfreut grunzend fing Red Elk ihn auf, füllte ihn mit dem heißen Kaffee und trank schmatzend. Schließlich sagte er: »Ich danke dir, weißer Mann. Ich stehe in deiner Schuld, denn seit zwei Tagen fand ich nichts zu essen. Ich habe mich verirrt in diesen Felsenschluchten, die in alle Richtungen zu
führen scheinen, aber doch nirgendwo enden. Was führt dich hierher? Es ist still, zu still. Ich höre kein Nachttier, keine Springmaus, nichts.« Jeffords antwortete wahrheitsgemäß, daß er auf der Jagd wäre und von zehn Chiricahuas angegriffen worden war. »Zwei der Krieger schoß ich vom Pferderücken«, schloß der Postmeister. »Ich floh hierher. Seitdem warte ich auf den Angriff der restlichen Krieger. Sie müssen meine Spur gesehen haben. Doch sie kommen nicht.« »Was die Apachen davon abhält, dir zu folgen, weiß ich nicht«, sagte der Ute, »aber es hat einen Grund. Wenn die Sonne über den Horizont klettert, suche ich nach diesem Grund, Thomas Jeffords. In der Nacht greifen die Chiricahuas fast niemals an. Ruhe dich aus, ich wache.« Der Postmeister rollte sich in seine Decke und schloß die Augen. Wenig später war er eingeschlafen. Die nervöse Anspannung, unter der er seit dem Angriff der Apachen gestanden hatte, trug dazu bei. * »Laß mich vorausreiten«, bat Naiche seinen Vater. »Wir sind zu langsam. Die Mörder entkommen uns.« Cochise lächelte über die Ungeduld seines Sohnes. Der konnte es kaum erwarten, den gelbhäutigen Mordwölfen gegenüberzustehen. »Unsere Mustangs sind besser und zäher als die Pferde der Mexikaner«, sagte der Häuptling gelassen. »Wenn ihre Tiere ausruhen müssen, sind unsere noch voller Kraft und Frische. Wir bekommen die Mörder, Sohn.« Naiches Gesicht spiegelte nichts von seinen Gefühlen wider. Aber in den dunklen Augen stand Unmut über die Entscheidung seines Vater. »Also reite«, sagte Cochise schließlich. »Bleib in sicherer
Entfernung. Wir kämpfen, wie unser Volk seit ungezählten Sommern kämpft: wie die Schlange, die vorschnellt, zupackt und wieder verschwindet.« Naiche gab seinem Mustang die Zügel frei. Das Pferd stürmte los, als hätte es nur auf diesen Moment gewartet. Cochises Sohn hielt sich seitlich der Fährte und nutzte jede Deckung aus, die sich ihm bot. Der Jefe nickte zufrieden. Naiche war schnell und vorsichtig. Sein Mut grenzte manchmal an Tollkühnheit, aber nie verlor er den Überblick über die Situation. Naiche war seines Vaters würdig. Noch einige Sommer der Erfahrung, und er würde unter den Chiricahuas genauso angesehen sein wie Cochise. Der Häuptling ließ sein Pferd in Trab fallen. Die Fährte lag deutlich vor seinen Augen. Wenig später sah er Naiches Mustang neben einem Orgelpfeifenkaktus stehen. Von seinem Sohn war aber nichts zu sehen. Sie sind schon zu lange unterwegs, dachte der Jefe. Als sie die Apachen-Familie überfielen, waren die Pferde der Mexikaner bereits gefordert worden. Sie mußten eine Pause einlegen, wenn sie nicht riskieren wollten, daß die Gäule total erschöpft zusammenbrachen. Schließlich sah Cochise seinen Sohn. Er lag auf einem flachen Hügel und spähte nach Nordwesten. Dort gab es gutes Wasser. Und so, wie sich Naiche verhielt, beobachtete er die Mörder. Es war windstill. Die Sonne brannte. Cochise glitt vom Pferderücken und nahm die Winchester mit. Lautlos schob sich der Häuptling den flachen Hang hinauf und blieb neben seinem Sohn liegen. »Töten wir alle?« fragte Naiche. »Nein«, raunte der Jefe, »nur einen. Sie sollen wissen, daß sie verfolgt werden. Sie sollen die Angst in ihren Nacken spüren. Das ist unsere Vergeltung, Sohn. Sie sollen um ihr
Leben zittern und nicht wissen, wer der nächste ist, der stirbt. Nimm nicht das Gewehr, sondern den Bogen. Damit sie erkennen, wer auf ihrer Fährte reitet.« Naiche griff neben sich, packte den kurzen Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne. Die Armmuskeln des jungen Mannes spannten sich, als er die Sehne zurückzog. In diesem Moment kam leichter Wind auf und trug Gesprächsfetzen bis zu den beiden Chiricahuas. »Warte!« flüsterte Cochise und legte seinem Sohn eine Hand auf den Arm. »Wieviel Zeit haben wir noch?« fragte einer der Mexikaner. »Erst in der Dämmerung treffen wir uns mit unserem Partner«, antwortete ein anderer. »Er bringt ein halbes Dutzend Mulis mit. Jedes Tier trägt zwanzig Gewehre und genügend Munition.« »Das reicht nicht«, murrte jemand. »Wir brauchen mehr, viel mehr Gewehre.« »Hast du Pesos oder Dollars?« fragte der Anführer. »Natürlich nicht. Wir auch nicht, – aber mit diesen Gewehren sind wir allen überlegen. Wir greifen eine Garnison an und plündern sie. Wenn wir keinen überleben lassen, können wir den Überfall den Apachen in die Schuhe schieben. Sie haben ja erst vor kurzem Colonia Marelas überfallen und geplündert. Danach haben wir Gewehre und Munition.« Cochise spürte heißen Zorn in sich aufflammen. Er mußte sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht sofort zu töten. Er nickte Naiche zu, der die Bogensehne noch immer gespannt hielt. Da öffnete der junge Krieger seinen Griff. Schnalzend schlug die Sehne gegen seinen Unterarm. Der Pfeil sirrte in gerader Linie auf die Mexikaner zu. Der Mann, der gerade von zu wenig Gewehren gesprochen hatte, gurgelte unartikuliert auf. Er warf seine Hände hoch. Entsetzt starrte er auf den wippenden Pfeilschaft, der plötzlich
aus der linken Seite seines Oberkörpers ragte. Sekunden später brach er tot zusammen. Cochise stand auf. In voller Größe, die Gefahr nicht achtend, trat er so weit vor, daß ihn die Mörder sahen. »Ihr bekommt kein einziges Gewehr!« rief er dröhnend. »Ihr werdet sterben, einer nach dem anderen. Denn dies ist die Rache der Apachen für vier sinnlose Morde. Ich, Cochise, vollstrecke die Vergeltung. Ihr werdet nicht wissen, wann ich wieder zuschlage. Aber ich folge euch, wohin ihr auch reitet.« Gelassen machte der Häuptling kehrt und ging zu seinem Pferd. Naiche blieb auf der Hügelkuppe liegen und beobachtete die Mexikaner. Bisher hatten die Kerle wie erstarrt gestanden. Doch nun wirbelten sie durcheinander, als wäre in ihrer Mitte ein Blitz eingeschlagen. Sekunden später waren tackende Hufgeräusche zu hören. Die fünf Banditen flohen. Sie wußten nicht, wie viele Apachen ihnen folgten, aber sie mußten versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Naiche kam zu seinem Vater. »Wann schlagen wir wieder zu?« fragte er. »Wir lassen ihnen einen Vorsprung«, antwortete der Häuptling. »Sie sollen uns eine Falle stellen und dann erkennen, daß sie Apachenkriegern unterlegen sind.« Naiche war einverstanden. Die Gelbhäutigen sollten zweimal sterben: vor Angst und durch einen Pfeil oder eine Kugel. Denn sie hatten sinnlos eine Apachenfamilie ausgerottet. Naiche war ein Kind seiner Zeit. Von klein auf an hatte er erfahren müssen, daß der Stamm nur unter äußersten Anstrengungen überlebte. Das harte, karge Land, die glühende Sonne und die natürlichen Feinde verlangten den Kriegern schon sehr viel ab. Aber als die Weißen und Gelbhäutigen in ihrer Land- und Goldgier immer weiterdrängten, als sie die Indianer zurücktrieben und einen Teil der Apachen sogar in ein
Reservat umsiedelten, begann für Cochise der Kampf ums Überleben. Ihm war wohl klar, daß er die weiße Menschenflut nicht aufzuhalten vermochte. Aber er mußte für seinen Stamm alles tun. Der Jefe der Chiricahuas war davon überzeugt, daß Weiße und Apachen friedlich nebeneinander leben konnten. Doch auf beiden Seiten gab es immer wieder Menschen, die aus Dummheit oder Selbstüberschätzung heraus Unfrieden stifteten. Und ein Streit nahm in wenigen Stunden solche dramatischen Formen an, daß alle, Indianer und Weiße, hineingerissen wurden. »Wieviel Vorsprung wollen wir den Mördern geben?« fragte Naiche. »Drei Stunden«, antwortete Cochise. »Bis dahin sind ihre Pferde erschöpft. Wir töten dann den zweiten Mordwolf.« Die Chiricahuas ritten in weitem Bogen um den Hügel herum. Sie sahen den Toten neben dem Wasserloch liegen. Das Pferd des Mexikaners war verschwunden. »Die anderen haben Waffen, Patronen und Pferd mitgenommen«, sagte Naiche, der die Flucht der fünf Halunken von der Hügelkette aus beobachtet hatte. Cochise nickte. Die Banditen sahen in dem zusätzlichen Pferd vielleicht eine Chance. Wenn eines der anderen ausfiel, konnte der Reiter auf das Reservepferd umsteigen. »Schaffen wir ihn weg?« fragte Naiche seinen Vater. Aber der schüttelte den Kopf als er antwortete: »Nein, er war ein Mörder. Er soll als Warnung für alle anderen Schurken liegenbleiben. Die Aasfresser besorgen die Arbeit für uns.« »Was wird, wenn die Sternträger den Toten finden?« wollte Naiche wissen. »Dann verfolgen sie uns, Vater, und nicht mehr die Mörder.« Das Gesicht des Häuptlings nahm einen grimmigen Ausdruck an.
»Dies ist unser Land, Sohn«, sagte er und machte eine weit ausholende Handbewegung. »So weit du sehen kannst, gehört das Gebiet den Chiricahuas. Die Gelbhäutigen verstießen gegen unser Gesetz. Und nach diesem, unserem Gesetz, ziehen wir die Mörder zur Verantwortung. Die Bleichgesichter mit den blinkenden Sternen an den Hemden sind Eindringlinge. Wir haben ein größeres Recht auf die Gelbhäutigen. Reiten wir, Sohn.« Nach einer Weile fragte Naiche: »Töten wir die Gesetzesmänner, wenn sie unsere Spur kreuzen?« Lange Zeit blieb der Jefe still. Seine schwarzen Augen blickten in unergründliche Fernen. Nur er sah dort so etwas wie eine Vision. Sie verhieß Tod und Verzweiflung für die Chiricahuas. »Nein, Naiche«, antwortete Cochise nach einigen Minuten, »wir dürfen sie nicht töten. Ich gab dem einarmigen Vater der Pferdesoldaten mein Wort, sechs Monde lang Frieden zu halten.« »Aber die Sternmänner brechen das Gesetz des Stammes«, begehrte Naiche auf. »Sie kümmern sich nicht um die Regeln der Chiricahuas.« Der Häuptling lächelte weise. »Die Bleichgesichter sind anders als wir«, sagte er. »Wenn ich einen Befehl gebe, folgen die Krieger. Aber nur solange, bis sie anderer Ansicht werden. Bei den Weißen befolgen Untergebene jeden Befehl, egal, wie sinnlos er ist. Und darum geben die Sternmänner nicht auf. Erst wenn sie alle sechs Gelbhäutigen tot gefunden haben, kehren sie in ihre Städte zurück.« Naiche verstand, doch er wunderte sich darüber. Die Bleichgesichter waren seiner Meinung nach ziemlich verrückt. Sie benahmen sich wie Sklaven, wenn ein hochgestellter Mann etwas befahl. Andererseits hätten die Apachenkrieger etwas mehr Disziplin nötig. Aber nach der grauenhaften Niederlage
am Paß in den Bergen war es schwer, die Kämpfer auf bestimmte Befehle einzuschwören. Die Sonne stand tief im Westen. Ihre Strahlen reichten nicht mehr aus, um wabernde Hitzeschleider über den Sand tanzen zu lassen. Noch immer war es warm. Der Sandboden hatte während des langen Tages die Sonnenglut gespeichert und gab sie nun ab. »Wir folgen ihnen, bis sie ihr Lager aufschlagen«, entschied Cochise. »Wenn sie sich niederlegen, töten wir den zweiten Mörder.« »Sie werden nicht lagern«, widersprach Naiche, »weil große Angst sie plagt. Die krampft ihnen die Herzen zusammen. Sie denken nur an Flucht und werden die ganze Nacht reiten.« Der Jefe war anderer Meinung. »Wie sahen ihre Pferde aus?« fragte er Naiche. »Schlecht, sehr schlecht.« »Also werden sie nicht die ganze Nacht reiten können«, sagte Cochise. »Sie müssen ihnen eine Pause gönnen.« Damit war das Gespräch zwischen Vater und Sohn beendet. Sie konnten nicht ahnen, was noch auf sie zukommen sollte. * Thomas Jeffords erwachte, als der Horizont sich im Osten grau färbte. Red Elk hockte neben der Feuerstelle und benutzte die Glutreste, um eine neue Flamme zu entfachen. Der Ute nickte dem Postmeister zu. Der erhob sich, nahm die Blechkanne und holte Wasser von der Quelle, die hinter der zusammengefallenen Hütte sprudelte. »Bereite du Kaffee und Essen«, sagte der Indianer. »Ich suche nach dem Grund für die Stille in diesem Tal.« Noch immer durchbrach kein Laut die Ruhe. Lediglich Jeffords Hantieren mit der Bratpfanne und Kanne zerschnitten die Stille. Roter Elch glitt geschmeidig davon. Ein paar
Sekunden lauschte Jeffords, aber der Ute bewegte sich leiser als ein angreifender Puma. Kurz darauf ragten die Zweige der Sträucher, zwischen denen der Krieger verschwunden war, wieder reglos nach oben. Jeffords schob die Pfanne über die lodernden Flammen und stieß dabei mit dem Arm die Blechkanne um. Das Wasser sickerte in den Boden. Der Postmeister stand auf und wollte neues Wasser für den Kaffee holen. Ein halblauter Ruf hinderte ihn daran. Was hatte Red Elk gefunden? Jeffords nahm die Sharps und ging zur Quelle. Ihm schien, als wäre der Ruf des Utes von dort gekommen. Aber Roter Elch war nicht da. Thomas verspürte Durst. Er lehnte die Sharps an einen Stein und beugte sich vor, um zu trinken. Red Elk glitt wie ein Schatten durch das dichte Gestrüpp. Nichts entging seinem Blick. Und als er das Skelett sah, war er nicht im mindesten erstaunt. Die Wüsten und Gebirge hatten so manchem Menschen das Leben gekostet. Geier, Füchse und Kojoten nagten die Knochen in wenigen Tagen so ab, daß sie weißlich schimmerten. Der Indianer bückte sich, nahm den Schädel in die Hand und lächelte vergnügt. Vielleicht konnte er dem Bleichgesicht einen Schrecken einjagen. Jeffords hörte und sah nichts von dem Ute. Aber Thomas ging zurück, um die Kanne zu holen, denn Kaffee gehörte zu einem Frühstück. Er packte den Blechtopf und sah aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Die Zweige der Büsche teilten sich. Roter Elch trat aus dem dicht wuchernden Gestrüpp. In seiner Hand hielt der Ute einen menschlichen Knochenschädel. »Das wird die Erklärung sein«, sagte Jeffords. »Während das Raubzeug sich über den Toten hermachte, wurde es für die anderen Tiere zu gefährlich. Sie zogen davon und mieden diesen Ort.«
Roter Elch nickte. Er war um sein Vergnügen gebracht worden, denn der Weiße ließ sich nicht den geringsten Schrecken anmerken. Jeffords richtete sich mit der Kanne in der Hand auf und machte einen Schritt auf die Quelle zu. In diesem Moment vernahm er ein schwirrendes Geräusch, das er nur zu gut kannte. Thomas ließ sich instinktiv fallen. Seine blitzschnelle Reaktion rettete ihm das Leben. Drei, vier Schüsse peitschten. Die Kaffeekanne wurde von zwei Kugeln getroffen und flog durchlöchert hoch. Auch der Ute schmiegte sich an den Boden. Er lag Auge in Auge mit den Höhlen des Totenschädels. Jeffords fluchte laut. Sein Gewehr stand an der Quelle. Mit der weittragenden Sharps hätten sie vielleicht eine Chance gehabt. »Ich versuche, an meinen Karabiner zu kommen«, flüsterte Red Elk. »Sie überrennen uns, Jeffords, wenn wir sie nicht mit unseren Kugeln daran hindern.« Der Ute richtete sich nur eine Handbreit auf. Das war schon zuviel. Drei Pfeile bohrten sich neben dem Kopf des Indianers in das Erdreich. Jeffords zog den Revolver. Es war lächerlich, mit dem Colt gegen die Angreifer vorzugehen, denn die Entfernung war für einen halbwegs sicheren Schuß viel zu groß. Eine Winchester entlud sich krachend. Das Geschoß prallte dicht vor Jeffords' Nase gegen einen flachen Stein und sirrte wimmernd als Querschläger davon. »Das war knapp«, sagte der Postmeister. »Wenn die Kerle so weitermachen, sind wir in fünf Minuten erledigt.« »Sind es Chiricahuas?« fragte der Ute. »Wer kann es sonst sein?« fragte Thomas zurück. »Sie haben ihre Angst vor diesem Tal überwunden.« Die Gewehrschützen wechselten sich ab. Ein Krieger feuerte
ununterbrochen? Die anderen luden in der Zwischenzeit ihre Waffen auf. Die Kugeln lagen immer genauer. Eine riß die brennenden Zweige auseinander und wirbelte Jeffords glühende Holzstücke ins Gesicht. Er stieß einen Schrei aus, als er sich mit der Linken über die Haut tastete. Vier Gestalten schnellten hoch, rannten vorwärts und warfen sich wieder in Deckung. Dann wurde aus allen drei Gewehren gefeuert. Die vier Krieger standen auf. Sie waren sicher, durch den Kugelhagel ihrer Freunde gedeckt zu werden. Mit weiten Sprüngen hetzten die Chiricahuas auf das Lager hinter den Büschen zu. Die Gewehrschützen mußten mindestens 15 Fuß hoch in den Felswänden stehen, denn ihre Kugeln sausten dicht um Jeffords und den Ute. Aus, dachte Thomas, und ich bin selbst schuld. Warum habe ich keine Winchester mitgenommen? Der Ute starrte den weiß schimmernden Knochenschädel an. Plötzlich grinste Roter Elch. Er hatte die Lösung, wußte, wie der Weiße und er dem Angriff der Chiricahuas entkommen konnten. Der Ute legte sich den Totenschädel so auf die flache Hand, daß die Augenhöhlen und der runtergeklappte Unterkiefer nach vorn wiesen. Langsam erhob sich Red Elk. Herausfordernd streckte er den Arm aus und ging ein paar Schritte auf die Apachen zu. »Bist du verrückt?« stieß Jeffords hervor. »In Deckung, los!« »Sie haben Angst vor Knochenresten der Menschen«, sagte Roter Elch gelassen. »Sieh, weißer Mann, sie dringen nicht weiter vor.« Die Waffen schwiegen. Kein Pfeil schwirrte heran. Bedächtig ging der Ute weiter. Zögernd wichen die vordersten Krieger der Chiricahuas zurück. Die alte Furcht vor dem jenseitigen Leben, vor der Macht, die den Knochen Gestorbener anhaftete, zwang die Apachen zur Flucht.
Gegen Bleichgesichter oder Indianer kämpften sie bis zur letzten Patrone, bis zum letzten Pfeil. Aber gegen Boten aus dem Totenreich hielten sie jeden Angriff für sinnlos. Ein dumpfer Heulton klang auf, durchschnitt die Stille so unerwartet schnell wie ein Blitz, der unvermutet vom Himmel zuckt. Jeffords verrenkte sich fast den Hals, als er nach oben blickte. Eine große Eule segelte über das Tal, schraubte sich herab und fand Platz in den Ästen eines halbhohen Baumes. Die Chiricahuas stießen Entsetzensschreie aus, als die Eule abermals heulte. Für die Apachen war sie der Bote, der direkt aus dem Totenreich kam. In ihrer Sprache nannten sie das harmlose Tier Bü, und den Legenden nach brachte es Nachricht darüber, welcher Krieger in das jenseitige Leben übertreten mußte. Die vier Chiricahuas wirbelten herum und rannten davon, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Deutlich sah Thomas die Gewehrschützen. Sie kletterten nicht aus den Felsennestern, sondern rutschten einfach in das Tal und schlossen sich ihren Freunden an. Wenig später dröhnten Hufgeräusche. Die Krieger trieben ihre Pferde an, als hätte es gegolten, einer tödlichen Gefahr zu entkommen. Verblüfft blickte Jeffords Red Elk an, der lächelnd den Knochenschädel in der Hand wog. »Er rettete uns das Leben, Thomas Jeffords«., sagte der Ute. »Ich kenne die Angst der Apachen vor alten Knochen. Daß die Eule genau im richtigen Moment erschien, gab ihnen den Rest.« Jeffords seufzte erleichtert auf und holte die Sharps von der Quelle. »Wo hast du den Schädel gefunden?« fragte der Postmeister neugierig. »Weit hinten, zwischen den Büschen«, antwortete Roter Elch. »Sieh selbst nach.«
Thomas schlug die Richtung ein, in die des Utes ausgestreckte Hand wies. Red Elk nahm seinen Tomahawk auf, bevor er Jeffords langsam folgte. Aber als der Indianer die Büsche erreichte, verharrte er. Hufschlag klang nicht weit entfernt auf. Kehrten die Chiricahuas um? War ihr Wunsch nach Rache größer als ihre Angst vor den geheimnisvollen Knochenteilen? Roter Elch ging langsam zurück zum Feuer. Der Hufschlag wurde lauter. Die Pferde konnten nicht mehr weit entfernt sein. Dem Geräusch nach tippte der ehemalige Scout auf sechs Tiere. Hatten sich die Chiricahuas geteilt, zwei Gruppen gebildet? Wollten sie nun Jeffords und den Ute in die Zange nehmen? Zwei Reiter bogen um die Ecke. Es waren Weiße. Mißtrauisch wandten sie die Köpfe, bevor einer der Männer rief: »Scheint okay zu sein. Niemand ist hier zu sehen.« Vier weitere Reiter preschten in das kleine Tal. Roter Elch ging weiter. Er hielt den Totenschädel noch immer auf der flachen Hand. »He, da, eine Rothaut!« rief einer der Weißen und schwang sein Gewehr hoch. »Slattermill, ich gebe dir deine Donnerbüchse zu fressen, wenn du abdrückst!« brüllte der stämmige Marshal Morland. »Ihr schießt nur auf meinen Befehl!« »Wo ein Indianer ist, sind noch mehr«, widersetzte sich der mit der Büchse im Anschlag. »Du hast gehört, was ich sagte«, herrschte der Anführer den anderen an. Roter Elch ging gemessenen Schrittes weiter. Die Reiter verhielten ihre Pferde in einer Linie nebeneinander. »Warum dringt ihr hier ein?« fragte der Ute. »Warum stört ihr die Ruhe dieses Ortes?« Er hatte sich überlegt, daß Jeffords sicher nicht daran gelegen war, lang und breit zu erklären, was er hier suchte, daß er auf
der Jagd war, und daß acht Chiricahuas ihn verfolgten. Red Elk kannte die Sterne, die diese Männer trugen. Sie waren die Gesetzeshüter der Weißen. »Wir wußten nicht, daß hier ein heiliger Platz ist«, sagte der stämmige Anführer. »Wir hörten Gewehrfeuer und wollten nachsehen und helfen. Was ist denn passiert?« »Unwürdige störten diesen Ort«, antwortete Roter Elch würdevoll. »Er ist ein Stück des Totenreiches auf dieser Welt. Geht jetzt. Euch geschieht nichts, wenn ihr euren Weg fortsetzt. Wohin wollt ihr, Gesetzesmänner?« »Wir sind hinter sechs Mexikanern her«, erklärte Marshal Morland. »Die Kerle treiben sich irgendwo in dieser verdammten Gegend herum. Aber es gibt so viele Schluchten und Täler, daß ein normaler Mensch den Überblick verliert. Außerdem ist auch noch Cochise hinter den Mexen her. Warum, weiß ich nicht. Und ich weiß auch nicht, weshalb ich dir das alles erzähle.« Verärgert schob Morland seinen Stetson in den Nacken. »Es ist ein heiliger Ort, Gesetzesmann«, sagte Roter Elch geheimnisvoll. »Die unsichtbare Macht hieß dich sprechen. Überlasse Cochise die gelbhäutigen Männer aus dem Süden. Er wird sie nach dem Gesetz der Chiricahuas strafen. Und nun reitet. Es ist Zeit, ich fühle es.« Der U.S. Deputy Marshal zog sein Pferd herum. Seine Begleiter folgten ihm. Lediglich David Slattermill blickte wütend. Er hätte diesem verdammten roten Stinker zu gern eine Lektion erteilt. Aber Morland war der Boß. Und gegen den Marshal wagte Slattermill nicht aufzumucken. Er wollte den Bogen nicht überspannen. »Du bist gut«, sagte Jeffords, als er durch die Büsche brach. »So brauchen wir wenigstens keine dummen Fragen zu beantworten. Die sechs Mexikaner scheinen Schmuggler oder Banditen zu sein. Wenn ich nur wüßte, warum Cochise hinter den Kerlen her ist.«
»Aber du weißt es nicht«, sagte Roter Elch. »Bringen wir die Knochenreste nach deinen Sitten unter die Erde?« »Ja, und anschließend möchte ich mich mal genauer umsehen«, erwiderte Jeffords. »Vielleicht finden wir heraus, wer der Tote war.« * John Haggerty saß leicht vorgeneigt im Sattel. Ein breitkrempiger Hut beschattete das Gesicht des Scouts. Er war nun schon drei Tage unterwegs. Haggerty wollte nach Einbruch der Dunkelheit nach Fort Buchanan zurückreiten. Das Land schien ruhig zu sein. Cochise hielt sein Wort, sechs Monate Frieden halten zu wollen. Natürlich war John auf streifende Apachen getroffen, aber nirgendwo hatte er tote oder ausgeplünderte Weiße oder Mexikaner gesehen. Unschlüssig musterte der Scout die karge Gegend, über der die Gluthitze wie eine Glocke hing. Okay, ich reite noch zu den Adams, dachte John. Ihre kleine Pferderanch liegt abseits. Vielleicht haben sie etwas bemerkt. Der breitschultrige Scout zupfte am Zügel. Der Rappe ging nun in Richtung Südwesten. Bis zu der Pferderanch mußte das Tier noch gut zwei Stunden traben. Aber dafür bekam es dort auch Wasser und gutes Körnerfutter. Slim und Eddie Adams waren noch junge Männer mit ausgeprägtem Geschäftssinn. Sie hatten das Land, auf dem ihre Ranch stand, einem Unterstamm der TontoApachen abgehandelt und bezahlt. Ein breiter, flacher Creek floß durch dieses Gebiet. Der Bach führte selbst in den trockensten Sommern Wasser. Das Geschäft war nur zustande gekommen, weil die Adams-Brüder den Tontos für ewige Zeiten das Recht zugesichert hatten, ihre Pferde dort tränken zu dürfen. Je näher John der Ranch kam, desto stärker spürte er die
Unruhe in sich. Ihm war, als müßte er sich beeilen, dem Rappen die Zügel freigeben, wenn er noch rechtzeitig eintreffen wollte. Haggerty drückte dem Schwarzen die Absätze in die Flanken, daß es sich streckte und weiter ausgriff. Sekunden später jagte es im gestreckten Galopp durch die Felsen- und Sandwildnis. Nach ein paar Meilen sog der Scout prüfend die Luft ein. Es roch nach Feuer und brennendem Holz. Hoffentlich ist den Adams nichts passiert, ging es John durch den Kopf. Sie züchten die besten Kavalleriepferde weit und breit. Die beiden haben eine gute Hand für diesen Job. Unermüdlich stampften die Beine des Rappen. Er schien sich in eine Maschine aus Fleisch, Blut und Muskeln verwandelt zu haben, zeigte noch keine Ermüdungserscheinungen. Aber Haggerty wußte, daß sein Pferd bald langsamer werden mußte. Denn es trug ihn schon den ganzen Tag. Wenig später entdeckte John die fadendünne Rauchwolke, die hinter einigen Hügeln aufstieg. »Nur noch über diese Hügel«, schrie er dem Pferd zu, »dann haben wir's geschafft.« Der Rappe prustete. Noch einmal mobilisierte er seine Kraftreserven, streckte sich und gewann die Steigungen in vollem Galopp. Hart schnitten die Ecken des Gebisses in seine Mundwinkel, als Haggerty an den Zügeln riß. »Heiliger Jason«, flüsterte der Scout, als er das Bild der Verwüstung unter sich sah. Die beiden Ställe waren ein Raub der Flammen geworden. Die kleine Schmiede, der Schuppen mit dem Futter und das Gästehaus, wie die Züchter die kleine Hütte hochtrabend nannten, standen lichterloh in Flammen. Noch war das Feuer nicht auf das eigentliche Wohnhaus übergesprungen. Aber der geringste Windstoß genügte, um
auch das letzte Hofgebäude auflodern zu lassen. Denn in der Gluthitze waren alle Bretter und Balken so ausgedörrt, daß schon ein Schwefelholz genügte, um sie in Brand zu setzen. Wild preßte John Haggerty dem Rappen die Absätze in die Weichen. Das Pferd scheute vor dem Brandgeruch, wollte zur Seite ausbrechen, aber der Scout zwang es auf die Ranch zu. Am vorderen Corral sprang John aus dem Sattel und schlang die Zügel um den Querbalken. Während der Scout auf das Wohnhaus zulief, suchte er den Boden nach Spuren ab. Sechs Pferde hatten hier gestanden. Die Hufabdrücke eines Tieres hatten sich nicht so tief wie die anderen in den Boden gegraben. Es sah so aus, als wäre es reiterlos gewesen. Wo aber waren Slim und Eddie? John hastete ins Wohnhaus. Nach wenigen Sekunden wußte er, daß die Brüder dort nicht waren. Er lief zur Schmiede, sprang vor, sah sich um und hörte ein Rauschen und Knarren. Haggerty blickte hoch. Der Atem stockte ihm. Denn der schwere Firstbalken senkte sich. Jeden Moment drohte er den Scout zu zermalmen. John rannte ins Freie. Krachend sauste das schwere Kantholz hinter ihm herab. Eine Garbe aus brennenden Stücken entfachte sich. Der Scout lief zum Gästehaus. Als er über die Schwelle trat, spürte er etwas Weiches unter seinen Füßen. John bückte sich, packte zu und zerrte den schweren Körper ins Freie. Es war Slim Adams. Haggerty drang noch mal in die Hütte ein. Sehen konnte er nichts. Die Luft war dunkel vor Rauch, der seine Lungen reizte und peinigte. Aber als John mit den Händen den Boden abtastete, fand er einen zweiten Körper. Keuchend und hustend schleppte er auch den anderen Bruder hinaus. Die beiden lagen nebeneinander. Ihre Oberkörper hoben und senkten sich nur langsam in flachen Atemzügen. Behutsam hob Haggerty Slim auf und trug ihn ins Wohnhaus. Anschließend
versorgte er Eddie, so gut er konnte. Die beiden brauchten viel frische Luft. Als Haggerty Eddie auf die gepolsterte Holzbank bettete, fiel ihm die eigroße Schwellung dicht über den Schläfenhaaren auf. Auch Slim war niedergeschlagen worden. John preßte die Lippen zusammen. Ein Rudel Banditen hatte sich hier frische Pferde besorgt. Hoffentlich kommen die beiden bald wieder zu sich, dachte John. Sie können dann wenigstens die Tiere beschreiben, auf denen die Outlaws weitergeritten waren. Doch zuerst galt es, das Feuer zu löschen. Der Scout lief hinaus und besah sich die Ställe und die Schmiede. Hier war nichts mehr zu retten. Aber das Gästehaus brauchte nicht bis auf die Grundbalken abzubrennen. In fieberhafter Eile suchte John Eimer. Der Creek war nur ein paar Yards entfernt. John stapelte alle möglichen Töpfe neben dem Corral auf, bevor er zwei Pferde aus dem Pferch holte. Wenig später trug jedes von ihnen vier Wassereimer. John schwang sich in den Sattel des Rappen. Der Scout hielt in jeder Hand ebenfalls einen Eimer. Mit Zungenschnalzen und lauten Zurufen trieb er die anderen Pferde zum Bach runter. Haggerty sprang auf den Boden und schöpfte mit weit ausholenden Bewegungen Wasser in die Eimer, bevor er seine Behälter füllte. Langsam führte er die Pferde zum Feuer zurück. Aber die zehn Eimer Wasser verzischten in der Gluthitze, als hätte ein Kind hineingespuckt. Haggerty gab nicht auf. Zum zweitenmal hetzte er die Pferde zum Bach und holte Wasser. Nur einen oder zwei Mann brauchte ich, dachte der Scout verbittert und zornig, dann bekämen wir das Feuer schon unter Kontrolle. Aber weit und breit war kein Mensch unterwegs, der helfen konnte.
Wirklich keiner? Durch das Prasseln der Flammen hörte John plötzlich Hufschlag. Der Scout ließ den Eimer fallen, sprang zu seinem Rappen und zog die Winchester aus dem Scabbard. Wenn die Feuerteufel zurückkehrten, sollten sie mit heißem Blei empfangen werden. Erleichtert atmete der Scout auf, als er Cochise und Naiche erkannte. Was führte den Chief der Chiricahuas zu dieser Zeit hierher? Für Sekunden flackerte Mißtrauen in John auf. Aber er nannte sich innerlich einen Narren, denn Apachen hätten alle Pferde mitgenommen und die beiden Züchter getötet. »Bruder«, rief Cochise und legte die rechte Hand in seine Herzgegend, »was ist geschehen?« »Holt Wasser«, bat John. »Reitet, so schnell ihr könnt! Ich möchte wenigstens etwas retten.« »Was ist mit den Männern?« wollte Naiche wissen. »Sie liegen im Haus, bewußtlos«, antwortete der Scout. Cochise beugte sich weit nach unten, nahm zwei Eimer auf und lenkte sein Pferd mit den Knien zum Creek. Naiche folgte dem Beispiel seines Vaters. Sekunden danach goß der Scout Eimer um Eimer in das Feuer. Dichter schwarzer Rauch wallte zum Himmel. Das Gästehaus war gerettet. Nun galt es, die abgebrannten Ställe so zu durchnässen, daß alle Funken erstickten. Wenig später hatte John Haggerty durch Cochises und Naiches Hilfe den Adams-Brüdern einen großen Teil ihres Besitzes gerettet. Der junge Krieger trat an den Corral. Nervös tänzelten die meisten Pferde. Der Brandgeruch, das Knistern des Holzes und das Prasseln der Flammen hatte die Tiere verschreckt. Lediglich sechs Pferde drängten sich in der entferntesten Ecke des Corrals dicht aneinander. Sie wirkten müde und abgetrieben. Naiches schwarze Augen funkelten, als er sich schlangengleich durch die Querstangen des Gatters wand. Der
Apache stieß kehlige Laute aus und sprach auf die Pferde ein, die sofort ruhiger wurden. Dicht vor den erschöpft wirkenden Tieren blieb Naiche stehen. Er täuschte sich nicht. Er brauchte auch nicht die Hufe abzuheben und nach den Markierungen zu sehen. Dieses waren die Pferde, hinter denen Naiche und sein Vater den ganzen Tag hergeritten waren. Langsam wandte sich der Krieger um und ging zurück. »Vater, hier endet die erste Spur. Ich habe die Pferde gesehen, als wir den ersten Mörder töteten. Sie haben sich neue Tiere geholt, sie sind frisch und ausgeruht und gewinnen einen großen Vorsprung.« Cochise hörte den Vorwurf, der in diesen Worten lag. Aber er entgegnete: »Die weißen Züchter werden uns die gestohlenen Pferde beschreiben. Zudem haben wir beide die Gelbhäutigen gesehen. Wir erkennen sie, wenn wir sie vor uns haben, Sohn.« Haggerty verstand einiges von der Apachensprache, aber er wußte nicht, ob er richtig gehört hatte. »Ihr seid auf dem Kriegspfad?« fragte der Scout ungläubig. »Was ist mit deinem Versprechen, Cochise?« »Falke«, antwortete der Chief, »du bist mein Bruder. Ich belüge dich nicht, niemals. Wir sind nicht auf dem Kriegspfad. Aber sechs Gelbhäutige aus dem Süden töteten eine Familie, einen tapferen Krieger, seine beiden Knaben und die Squaw. Der Vetter des Kriegers hält die Riten ab, die nötig sind, den Toten ihren Weg in die Ewigen Jagdgründe zu ebnen. Naiche und ich folgen den Mördern. Einer ist tot.« Haggerty sah den Häuptling lange an. Der ritt also auf der heißen Fährte der Rache. Das war kein Wortbruch gegenüber General Howard. Aber John war trotzdem besorgt. Wenn andere Weiße davon erfuhren, konnten sofort wieder zahllose Gerüchte die Runde machen und die trügerische Ruhe zerstören.
»Sechs Bleichgesichter suchen die Gelbhäute ebenfalls«, fuhr Cochise fort. »Diese Weißen tragen den Stern des Gesetzes. Ich habe ihnen verboten, den Mexikanern zu folgen, weil sie uns gehören, den Chiricahuas. Doch der Anführer gibt nicht auf. Er will seinen Befehl ausführen.« John nickte. Er wirkte besorgt, denn ein Aufgebot in diesem Land konnte genausogut wie jeder andere Vorfall wie eine Lunte wirken, die das Pulverfaß detonieren ließ. Aus dem Haupthaus drang ein Poltern, dem langgezogenes Stöhnen folgte. Cochise stand dicht am Fenster. Er wandte den Kopf und blickte in den Raum. »Also doch Indianer, verflucht«, sagte ein Mann gepreßt. »Ich habe das Kriegsgeschrei gehört, bevor mich die Kerle niederschlugen. Oh, verdammt, warum haben sie uns nicht gleich umgebracht?« »Du irrst, Adams«, sagte Cochise gelassen, »Gelbhäutige aus dem Süden überfielen euch. Sie stahlen fünf Pferde und ließen sechs abgetriebene dafür zurück. John Haggerty, der Falke, hat dir und deinem Bruder das Leben gerettet.« Mit keinem Wort erwähnte Cochise, daß er und Naiche dem Scout geholfen hatten, das Feuer einzudämmen. Der zweite Mann kam auch zu sich. Unsicheren Schrittes wankten die Brüder Adams aus ihrem Haus. Sie starrten entsetzt auf die verbrannten Ställe, die zusammengebrochene Schmiede und das angekohlte Gästehaus. »Nein«, stöhnte Slim, »das darf nicht wahr sein.« »Ihr lagt im Gästehaus«, erklärte John. »Zum Glück kam ich noch rechtzeitig. Cochise und Naiche trafen hinter mir ein. Ohne die beiden hätte ich das Feuer nicht löschen können.« Slim und Eddie reichten Cochise die Hände. Nach Art der Weißen nahm der Chief den Dank der Männer entgegen. »Welche Pferde fehlen dir, Adams?« fragte Naiche. »Wir sind auf der Fährte der Banditen. Sie sind Mörder. Mein Vater versprach, Frieden zu halten, für sechs Mondzeiten. Daher
können wir keine Krieger hinter den Gelbhäutigen herschicken.« Slim ging zum Corral und fluchte erbittert. »Die Burschen verstehen was von Gäulen«, rief der Züchter. »Sie haben die Fuchsstuten genommen.« Auch Eddie wurde wütend. Denn die fünf Fuchsstuten hatten die Adams-Brüder für eine ganz besondere Zucht vorgesehen. »Du bekommst deine Pferde zurück«, versprach Cochise und blickte die Brüder freundlich an. »Ich gebe mein Wort. Zudem erhaltet ihr die Hälfte der sonstigen Beute von uns. Die andere Hälfte steht dem letzten Verwandten der Toten zu. Du hast mein Wort, Adams. – Falke, reitest du mit uns?« Haggerty schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, ich muß zurück zum Fort. Aber ich halte die Augen offen. Wenn ich etwas sehe, gebe ich Rauchzeichen und warte, bis ihr kommt.« Naiche sagte: »Wenn du die Männer mit den Sternen siehst, Falke, so rate ihnen, umzukehren. Dies ist unsere Jagd, nach unseren Gesetzen.« John versprach, sein Möglichstes zu tun. Er und die Brüder Adams sahen zu, wie die Chiricahuas aufsaßen und davonritten. Cochise und Naiche hefteten sich an die Fährte. Sie wollten erst aufgeben, wenn ihr Schwur dem Stamm gegenüber erfüllt war. * Wieder lag die Stille drückend über dem Canyon. Seit die Hufschläge der Aufgebotspferde verklungen waren, hatte sich nichts mehr gerührt. Selbst die Eule war verschwunden. Roter Elch grinste den Totenschädel an, der vor seinen Füßen dicht am Feuer lag. »Du warst ein guter Mann«, sagte der Ute zufrieden. »Du
warst so gut, daß du uns heute noch das Leben gerettet hast. Unser Dank wird dir gewiß sein.« »Woher weißt du, daß es ein Mann war?« fragte Jeffords erstaunt. Red Elk stand auf, schlenderte zu den Sträuchern, wandte sich um und sagte: »Komm, Thomas Jeffords, ich zeige es dir.« Neugierig folgte der Postmeister dem Ute. Thomas konnte sich nicht vorstellen, wie der Indianer an einem Skelett den Unterschied der Geschlechter feststellen wollte. »Sieh diese Knochen«, sagte Roter Elch, »sie sind schmal, passen zu den übrigen Teilen. Eine Squaw besitzt hier viel breitete Knochen.« Der Ute ließ den Totenschädel einfach fallen und stieß mit den Händen gegen seine Hüftknochen. »Glaube mir, Jeffords, ich habe schon viele Tote gesehen, Krieger und auch Squaws.« »Mich interessiert, wer der Mann war«, sagte der Postmeister nach einer Weile. »Aber zuerst frühstücken wir und bringen die Knochen unter die Erde.« Roter Elch folgte Jeffords zum Feuer. Der Speck war soweit. Thomas ließ Bohnen aus einem kleinen Leinensäckchen in die Pfanne rutschen. Der Kaffee duftete schon verführerisch. Wenig später hatten die Männer gefrühstückt und wuschen das Geschirr in der Quelle aus. »Eine Schaufel habe ich nicht«, sagte Jeffords stirnrunzelnd, »aber die Pfanne wird es auch tun.« Abwechselnd schaufelten der Ute und Thomas den Sand beiseite und hoben eine Grube aus, die vielleicht anderthalb Yards lang, einen halben breit und drei Fuß tief war. »Das reicht«, sagte Jeffords und richtete sich auf, um den Schweiß vom Gesicht zu wischen. Der Ute sammelte die Knochen ein, legte sie so in das Grab, daß sie ungefähr zusammenpaßten. »Willst du ein Gebet sprechen?« fragte Red Elk.
Der Postmeister schüttelte den Kopf. Sicher hatte der Ute diese Sitte während seiner Kundschafterzeit beim Militär gelernt. Gemeinsam schaufelten sie die Grube zu. »Jetzt möchte ich doch wissen, wer der Mann war«, sagte Thomas. »Durchsuchen wir die Hütte. Vielleicht finden wir einen Hinweis.« Roter Elch ging auf die zundertrockenen Balken zu, wuchtete einen hoch und warf ihn bald anderthalb Yards weit. Der Mann verfügte über ungeheure Kräfte, stellte Jeffords fest. »Hier liegt Metall«, sagte der Ute nach einer Weile. Thomas ging zu dem Indianer und blickte die Bügelfalle an, deren Auslösestellen verrostet war. Das Fangeisen mußte also länger als ein halbes Jahr dort gelegen haben. Denn in trockener Luft dauert es lange, bis ein Stück Eisen rostet. Jeffords half dem Ute, einen schweren Balken zur Seite zu heben. Als der Indianer zurückging, gab der Boden unter ihm plötzlich nach. Roter Elch stand bis zu den Hüften in einem Loch. »Uff, eine Menschenfalle!« Der Postmeister half dem Ute heraus und beugte sich weit vor. »Felle, noch mehr Fallen, Messer, Abhäuteschaber und viele Dinge mehr«, sagte Jeffords. »Der Tote war ein Trapper.« Gleichgültig nickte Red Elk. Er wußte, daß die Jahreszeiten jede Spur verwischt hatten. Es gab keine Möglichkeit festzustellen, wie der Trapper gestorben war. Vielleicht war es sogar Mord gewesen, aber die Knochenreste waren unversehrt. Doch das besagte nicht viel. Denn ein Messerstich ins Herz war einem Skelett nicht mehr anzusehen. »Ich habe keine Lust mehr zur Jagd«, sagte Jeffords, als sie wieder am Feuer standen. »Ich bin lange genug weg von der Paßstation. Reitest du mit mir, Roter Elch?« »Ich danke dir«, erwiderte der Ute würdevoll, »und nehme
dein Angebot an. Du bist ein guter Mensch, der nichts gegen meine Hautfarbe hat. Aber was werden die anderen Bleichgesichter sagen, wenn du mit mir dort eintriffst?« »Das kümmert mich nicht«, antwortete Jeffords. »Ich bin der Stationsverwalter. Das genügt.« »Du bist der Mann, den Cochise in seinem Zorn beinahe getötet hätte«, stellte der Ute fest und schaute Jeffords prüfend an. »Bist du sicher, daß die zehn Krieger nicht auf seinen Befehl handelten? Sein Versprechen, den Frieden zu bewahren, schließt Einzelfehden nicht ein.« Der Postmeister verzog das Gesicht, als hätte er Essig getrunken. Daran hatte Thomas noch gar nicht gedacht. Aber eine solche Schurkerei traute er Cochise nun doch nicht zu. Begegneten sie sich irgendwo in der Einsamkeit, dann konnte es leicht zu einem Duell kommen. Aber einem Trupp Krieger hätte der Jefe niemals den Befehl gegeben, für ihn Rache zu üben. »Wenn ich je herausfinde, wie sich die Nachrichten in diesem menschenleeren Land so schnell herumsprechen«, sagte Jeffords, »brauchen wir keine Telegrafenlinien mehr.« Roter Elch verschwand wie ein Schatten hinter den Büschen. Minuten später kam er mit einem herrlichen Apfelschimmel zurück, der bereits gesattelt war. Erfreut sah der Ute, wie Jeffords den Hengst bewunderte. »Für ein paar gute Stuten braucht Roter Elch die Metallscheiben der Weißen«, sagte der Ute bedächtig. »Ich kenne ein Tal weit im Nordwesten, in dem süßes Blaugras wächst und das Wasser immerzu fließt. Selbst der zornige Winter mit seinen tobenden Stürmen erreicht dieses Tal nicht. Dort wird Roter Elch Pferde züchten. Der Häuptling meines Stammes hat schon mit den Bleichgesichtern verhandelt. Ihnen ist das Tal zu klein, zu eng. Es gehört uns für alle Zeiten.« Der Krieger machte eine Pause und fragte dann verwundert: »Warum müßt ihr Weißen alles so groß beginnen? Laßt doch
der Natur ihren Lauf. Sie gab uns Indianern alles, was wir brauchten. Aber jetzt bekommen die Menschen meiner Rasse schlechtes Essen in den Reservaten. Sie werden alt und krank davon. Als wir nur die Nahrung besaßen, die uns die Natur gab, lebten unsere Ältesten hundertdreißig Sommer und mehr. Aber nun, da sie das weiche Fleisch der kranken Tiere der Weißen essen, werden auch die Kinder des Großen Geistes krank und siechen dahin. Heißt das, daß unsere Zeit abgelaufen ist? In diesem unendlichen Land schuf Manitu viele rote Völker und gab ihnen Raum zum Leben. Für die Bleichgesichter sah er kein Stück vor. Zuerst nahmt ihr das Land, das im Sonnenaufgang liegt. Ihr branntet alte Bäume nieder, vernichtetet die Freunde des Indianers und pflanztet Getreide. Immer weiter drangen die unersättlichen Menschen vor. Es ist vorbei mit den Zeiten des freien Umherschweifens. Wir können der weißen Flut nichts entgegensetzen. Denn ihre Zungen sind gespalten, und das Papier ihrer Verträge ist so viel wert wie ein entkommenes Wild.« Betroffen hatte Jeffords zugehört. Er kannte die endlose Kette gebrochener Verträge, Versprechungen und Schwüre, mit denen die Indianer immer weiter zurückgedrängt wurden. Aber den Weißen trieb eine merkwürdige Unrast immer weiter, gleichgültig wohin. Die Rothäute schafften es nicht, sich auf gemeinsames Vorgehen zu einigen. Jahrhundertealte Fehden verhinderten, daß sich die Stämme zu einer einzigen Front zusammenschlossen, zu einer Front, die sämtliche Weiße hinweggefegt hätte. »Reiten wir«, sagte Jeffords. »Ich bin ein Freund der roten Männer. Aber meine Haut ist weiß, und ich denke auch wie ein Weißer. Doch ich bin sicher, daß deine Rasse, Roter Elch, und meine eines Tages friedlich nebeneinander leben werden.« Der Ute lächelte nur. In seinen Augen stand ein Wissen, dem Jeffords nichts entgegenzusetzen hatte.
Die Pferde trabten an, als sie die Hacken ihrer Reiter in den Flanken spürten. Jeffords ritt voraus. Er nahm den gleichen Weg, den er tags zuvor benutzt hatte, und der sich wie eine Schlange durch die Berge wand. Als die Pferde den großen Canyon erreichten, atmete der Postmeister erleichtert auf. Er hatte es geschafft, leider ohne Wild, ohne Beute, aber dafür besaß er noch seinen Skalp. Jeffords ritt auf den Apache-Paß zu. Red Elk folgte dem Postmeister in kurzem Abstand. Die Pferde waren ausgeruht und schafften die Steigung, ohne auch, nur einmal anzuhalten. * Eine Kutsche stand vor dem Stationshaus. Walker spannte die müden Deichselpferde aus und führte sie in den Corral. Von den Passagieren war nichts zu sehen. Sie saßen sicher im Gastraum und ließen sich eine Mahlzeit schmecken. »Ho, der Boß ist zurück!« rief Walker lauthals und ließ die Pferde allein weitergehen. Er lief auf Jeffords zu, umrundete die Schimmelstute in respektvollem Abstand und schüttelte den Kopf, als er den Ute ansah. »Hör mal, Thomas«, sagte Walker bedächtig, »du wolltest doch Wild schießen. Statt dessen kommst du mit einer Rothaut zurück.« »Paßt dir das nicht?« fragte Jeffords. »Es ist mir egal, verdammt noch mal«, maulte Walker, »aber verlange nicht von mir, daß ich den Kerl kochen oder braten soll. So was mache ich nicht. Wenn das dein Wild ist, mußt du ihn schon selbst zubereiten.« Roter Elch grinste über das ganze Gesicht. Er hielt plötzlich seinen Tomahawk in der Rechten und sagte: »Thomas Jeffords, deine Beute wehrt sich, wenn du sie in eine Pfanne stecken
willst.« »Englisch kann er auch«, stöhnte Walker, »das wird ja immer toller. Wo hast du den Burschen aufgegabelt, Boß?« »Später. Das ist 'ne lange Geschichte, Norbert«, antwortete der Postmeister. »Zuerst die Kutsche und die Passagiere. Wie viele sind es überhaupt?« »Drei. Ein süßes, schnuckeliges Tanzhallengirl«, sagte Walker und verdrehte schwärmerisch die Augen. »Dann noch ein sauertöpfischer Methodisten-Prediger und ein Bursche, den ich für einen Revolverschwinger halte.« Kopfschüttelnd wies Jeffords auf das geöffnete Fenster des Gastraumes. Die Passagiere hatten jedes Wort verstanden. Und die meisten Revolverhelden reagierten empfindlich, wenn man sie mit herabsetzenden Worten titulierte. Aber es geschah nichts. Walker zuckte mit den Achseln und machte die Geste des Ausspuckens. Ihm war vollkommen egal, was die Leute von ihm hielten. Jeffords saß ab. Der Ute nahm den Zügel der Schimmelstute und führte sie zum Stall, wo der Indianer die beiden Pferde versorgte. Zuerst sah Walker ein paar Minuten mißtrauisch zu. Aber danach wußte er, daß der Indianer diese Arbeit nicht zum erstenmal machte. Norbert holte die ausgeruhten Gespannpferde aus der Koppel und schirrte sie an. Aus den Augenwinkeln bemerkte Norbert, daß Jeffords die Gaststube betrat. »Maritoba Jones!« rief Thomas erfreut und ging auf den Kutscher zu. »Wie sieht es unterwegs aus? Seid ihr überall gut durchgekommen?« Der Fahrer bestätigte, daß sich die Apachen zur Zeit ruhig verhielten. Thomas wandte sich an die drei Gäste, die ihren Kaffee tranken. In wenigen Minuten ging es weiter. »Lady, Gentlemen«, sagte der Postmeister, »ich bin Thomas
Jeffords, der Leiter dieser Station. Ich hoffe, unser Essen hat Ihnen geschmeckt.« Das Flittergirl nickte und trank ihren Kaffee. Der angebliche Revolverschwinger rührte sich gar nicht. Er hielt den Kopf gesenkt und schien hingebungsvoll den Kaffee zu studieren. »Der Herr sorgt für die Seinen«, verkündete der Prediger salbungsvoll. »Er nährt die Vögel, die nicht säen, nicht ernten, und er nährt auch uns.« Das Mädchen stand ungeschickt auf und stieß an den Arm des Revolvermannes, der gerade die Kaffeetasse zum Mund führte. Für einen Moment sah der Fremde hoch, murmelte aber kaum hörbar: »Schon gut, Miss, macht nichts.« Seine Stimme hatte flach und kalt geklungen. Jeffords drehte sich Maritoba Jones zu und krümmte den Zeigefinger in Richtung Tür. Der Kutscher nickte unmerklich. Sein Beifahrer und Wächter räusperte sich kurz. Die beiden hatten verstanden. Hoffentlich ist dem Coltman die kurze Verständigung entgangen, dachte Thomas. »Ich sehe mal nach den Gäulen«, dröhnte Maritoba Jones Stimme. »Ich will nicht wieder solche Ziegenböcke wie bei der letzten Fahrt von Walker bekommen. Wenn die Biester nichts taugen, gäbe ich sie Norbert stückweise zu fressen.« »Ich komme mit«, sagte der Beifahrer. »Ich habe die Pferde gesehen«, sagte Jeffords, »sie sind einwandfrei, Jones. Du kannst dich selbst davon überzeugen. Los, komm schon.« Gemeinsam verließen die drei Männer den Gastraum und gingen zur Kutsche. »Was ist los?« fragte Jones leise. »Dieser Revolverheld«, antwortete Jeffords. »Ich habe sein Gesicht schon mal auf 'nem Steckbrief gesehen. Laßt euch nur nicht auf Verdruß mit ihm ein. Aber in Tombstone verständigt ihr den Sheriff, klar? Solche Typen bringen nur Unruhe ins
Land.« »Weißt du, wer der Bursche ist?« fragte der Beifahrer. »Ich denke, Claude Atkins«, antwortete Thomas. »Er ist ein Killer, der für Dollars jeden Auftrag erledigt. Bleibt wachsam, Freunde, sonst schickt er euch zur Hölle.« »So einfach geht das auch wieder nicht«, brummte Maritoba Jones und kümmerte sich um die Pferde. »Die Tiere sind gut«, gab er schließlich zu. »Von mir aus können wir weiterfahren. – He, Leute nach Tombstone einsteigen! Wenn ihr eine brodelnde Hölle erleben wollt, müßt ihr euch beeilen. Ich fahre in einer Minute.« Der Methodisten-Prediger kam gemessenen Schrittes ins Freie. Er hielt dem Flittergirl zuvorkommend den Wagenschlag auf und ließ ihr den Vortritt. Der Coltschwinger kam als letzter aus der Station. Noch immer beschattete die Krempe des Hutes sein Gesicht. Aber für eine halbe Sekunde sah der Killer den Postmeister an. Nun wußte Jeffords es endgültig. Dieser Mann war Claude Atkins, der eiskalte, skrupellose Mörder. Hoffentlich hat er nichts bemerkt, dachte Thomas besorgt. Er verfolgte, wie sich Atkins geschmeidig in den Wagenkasten schwang. Maritoba Jones ließ die Peitsche knallen. Die sechs Gespannpferde stemmten sich in die Geschirre. Knirschend mahlten die Eisenreifen über Sand und Gestein. Das letzte, was Jeffords von dem Coltman sah, war ein spöttischer Blick. * Maritoba Jones fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Der Fahrer spürte, daß etwas in der Luft lag. Auch der Begleitmann saß mit eingezogenem Kopf auf dem Kutschbock und fingerte nervös an den Hähnen seiner Parkerflinte herum.
Die Pferde gingen im gleichmäßigen Rhythmus. Len Lindfors, der Begleiter, nestelte eine lange, dünne Zigarre aus seiner Jackentasche, schob sich den Glimmstengel in den Mundwinkel und riß am Sitzbrett ein Schwefelholz an. Len hatte kaum zwei Züge gemacht, als die kleine Glasscheibe hinter ihm zerklirrte. Der Beifahrer rutsche zur Seite, wandte den Kopf und kaute heftig auf seiner Zigarre, als er in die Mündung starrte. »Anhalten!« fauchte der Revolvermann. »Sofort, sonst bekommt einer von euch 'ne Kugel.« Atkins stand in der Kutsche. Durch das kleine Fenster, das zum Kutschbock hin lag, konnte er Jones und auch Lindfors erwischen, wenn er feuerte. »Mann, was soll das?« fragte Maritoba heiser. »Wir rollen doch gerade so schön.« »Ich sag's nicht noch mal«, warnte Atkins mit kalter, schneidender Stimme. Knackend rastete der Hahn ein. Jones wechselte einen Blick mit Lindfors. Der zuckte resigniert mit den Achseln. Was sie auch versucht hätten, der Coltschwinger wäre schneller gewesen. Maritoba zügelte das Gespann. Die Kutsche wurde langsamer, kroch nur noch dahin und stand schließlich. Jones riß den großen Bremshebel hoch. Die Räder waren blockiert. »Jetzt hast du deinen Willen, Mann«, sagte der Fahrer. »Wie geht dein komisches Spielchen weiter?« Atkins gab keine Antwort. Er ließ den Colt sinken und befahl dem Prediger und dem Tanzhallengirl: »Steigt aus! Los, macht schon!« »Mein Sohn, was hast du vor?« fragte der Prediger. »Denk immer an das Wort: Wer mit dem Schwert lebt, wird durch das Schwert umkommen.« »Spar dir dein Gewäsch für alte Weiber auf«, knurrte Atkins.
»Raus mit euch, aber schnell!« Maritoba holte tief Luft und rief: »Verdammt, Mister, was soll das? Wir haben keine wertvolle Fracht an Bord. Und die paar Bucks in unseren Taschen reichen für ein halbes Dutzend Drinks, mehr nicht. Wenn das ein Hold-up sein soll, hast du dir die falsche Kutsche ausgesucht!« »Runter vom Bock!« zischelte Atkins. »Und kommt nicht auf dumme Gedanken, sonst habt ihr die längste Zeit gelebt.« Widerwillig kletterte Lindfors runter. Jones folgte ihm. Sie stellten sich etwas seitlich von dem Girl auf. »Ihr haltet mich wohl für blöde, wie?« fragte Atkins und grinste verzerrt. »Ich habe genau gesehen, daß euch der Briefträger in der Station was geflüstert hat. Nur darum seid ihr rausgegangen.« Jones sah den Outlaw erstaunt an, blickte zu Len Lindfors und vollführte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung an seiner Schläfe. »Der spinnt«, sagte Maritoba, »oder er hat eine blühende Phantasie.« »Du kannst mich nicht reizen.« Atkins winkte ab. »Ich lasse euch keine Chance.« Jones seufzte. »Paß auf, Mister, du setzt dich jetzt wieder friedlich in die Kutsche, und wir fahren weiter. Niemand trägt dir nach, daß du durchgedreht bist. Okay?« »Ich will wissen, was euch der Postmeister gesagt hat«, forderte Atkins scharf. »Vergeßt nicht, daß ihr für die Passagiere Verantwortlich seid.« Maritobas Gesicht wurde ausdruckslos. Genau das hatte er befürchtet. Wenn Claude Atkins auf die Passagiere losging, mußte er – Maritoba – reden. Er durfte das Leben Unbeteiliger nicht gefährden. »Es ging um die Gäule, weiter nichts«, sagte Lindfors. »Und wenn du das nicht glaubst, ist das deine Sache, Mister.« »Ich will die Wahrheit wissen«, drängte Atkins flach. »Ich
bekomme sie schon raus. Paßt mal auf, ihr beiden Spaßmacher. Der Prediger hat sicher keine Angst vorm Sterben. Und was kümmert mich schon so ein Kerl, der nur dummes Zeug von sich gibt.« Mit zwei langen, gleitenden Schritten gelangte Atkins vor den Mann in Schwarz, hob den Revolver und schlug ihm den Lauf auf die Schulter. Der Prediger stöhnte und brach in die Knie. »Das war 'ne Warnung, Leute«, krächzte der Outlaw. »Wie ist es jetzt mit der Wahrheit?« Der Killer wartete nur ein paar Sekunden. Als keine Antwort kam, versetzte er dem Prediger einen Fausthieb in die Seite. »Es geht noch weiter!« warnte Atkins. »Er ist noch lange nicht fertig.« »Hör auf!« brüllte Maritoba Jones. »Was hat dir der Mann getan? Laß ihn in Ruhe, du verdammte Ratte.« Atkins grinste breit. Nun hatte er die Kerle da, wo er sie hinhaben wollte, »Packt aus, Freunde«, forderte er, »dann bleibt ihr ungeschoren.« »Jeffords erkannte dich, Claude Atkins«, begann Maritoba zögernd. »Er sah dich auf einem Steckbrief. Wir sollten in Tombstone den Sheriff benachrichtigen. Das ist alles.« Der Killer war sichtlich erleichtert. Es ging um seinen Kopf. Er mußte alles tun, um seinen Vorsprung zu vergrößern. Denn er nahm an, daß die Männer der Paß-Station bereits zu diesem Zeitpunkt hinter der Kutsche herjagten. »Schirrt mir zwei Pferde aus!« befahl Atkins. »Bist du verrückt?« erkundigte sich Len. »Das sind Gespanngäule. Darauf kannst du kaum reiten. Außerdem haben wir keinen Sattel.« »Zwei Pferde!« wiederholte Atkins scharf. »Beide müssen Zügel an den Gebißstücken haben. Kapiert?« Langsam gingen Lindfors und Maritoba nach vorn. Die zwei vordersten Pferde ließen sich geduldig ausspannen. Jones
richtete erst die Riemen und Leinen der übrigen vier Gäule, ehe er Zügel an die Gebißstangen knüpfte. »Bring sie her!« zischelte Atkins. Er behielt die Männer ständig im Auge, so daß sie keine Möglichkeit hatten, mit den Pferden etwas anzustellen. »Wie heißt du?« fragte der Coltman das Flirtergirl. »Kate Chandler.« »Okay, Kate, wir bleiben in der nächsten Zeit zusammen«, sagte der Outlaw grinsend. »Wenn du meine Befehle befolgst, passiert dir nichts. Stellst du dich quer, geht's dir dreckig. Ich kenne eine Menge Dinge, die für dich ziemlich unangenehm werden könnten.« Das Mädchen wich unwillkürlich zurück, hob abwehrend beide Arme, streckte sie aus und rief: »Nein, nein, ich will nicht mit. Ich habe Ihnen nichts getan. Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?« Atkins lachte rauh und antwortete: »Wenn die Kerle von der Station die Verfolgung aufnehmen, zeige ich dich vor. Sie werden sich hüten, mir zu nahe auf den Pelz zu rücken. Du bist ein besseres Druckmittel als der alte Geier in Schwarz.« »Mensch, laß sie doch hier«, sagte Maritoba Jones. »Bevor die Leute von der Station hier sind, hast du einen großen Vorsprung, wenn du in die Berge reitest. Da brauchst du das Girl doch nicht, Atkins.« Ein gemeines Grinsen verzerrte das Gesicht des Banditen. »Das denkst du dir auch nur, Mann. Wenn ich allein bin, fange ich mir 'ne Kugel aus dem Hinterhalt ein. Kate ist meine Lebensversicherung. – Los, Mädchen, auf einen Gaul! Warte, bis ich komme!« Unsicher ging Kate Chandler auf das schwere Gespann zu. Behende kletterte sie auf den breiten Rücken des Tieres und nahm die Zügel auf. »Schnallt eure Gurte ab!« befahl Atkins. »Werft sie rechts den Hang runter! Anschließend nehmt ihr vorsichtig eure
Gewehre und laßt sie ebenfalls runterrutschen. Ich habe keinen Appetit auf heißes Blei.« Maritoba und Lindfors sahen sich kurz an. Sie wußten, daß sie keine Chance gegen diesen Revolvermann hatten. Also befolgten sie dessen Aufforderung. Der Prediger lag bewußtlos am Boden. »In den Kasten mit euch!« rief Atkins. Len und Jones stiegen in die Kutsche. »Dieser Kerl denkt an alles«, sagte Maritoba Jones wütend. »Bis wir wieder draußen und an unseren Gewehren sind, ist er schon zwischen den Felsen verschwunden. Verdammtes Miststück!« Atkins sprang aus dem Stand auf den Pferderücken. Der Revolver wies auf die Kutsche. »Los, Kate«, befahl der Killer, »nach links, in den Einschnitt! Und reite richtig. Wenn ich sehe, daß du es dem Gaul schwer machst, bekommst du Prügel.« Das Mädchen preßte die Absätze in die Flanken des Pferdes. Nach ein paar Schritten hatte es sich an die ungewohnte Last gewöhnt und ging gleichmäßig voran. Atkins wartete, bis nur noch der helle Schweif des Tieres zu sehen war und trieb sein eigenes Pferd an. Sekunden später hörten Jones und Len nicht mal mehr den Hufschlag. Die Bergwildnis hatte die beiden verschlungen. * Thomas Jeffords fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Ruhelos lief er vor der Station auf und ab. Er schien Norbert Walker und Burt Kelly, die ihn beobachteten, gar nicht zu sehen. Schließlich betrat der Postmeister den Gastraum, ging zu dem Tisch, an dem der Revolvermann gesessen hatte, und blickte aus dem Fenster. Verflucht, dachte Thomas, dieser Killer hat sicher gehört,
wie ich Maritoba Jones den Tip gab. Die bangen Ahnungen verdichteten sich bald zur Gewißheit. Jeffords eilte wieder hinaus, ging zum Stall und sattelte die Schimmelstute. Am Zügel führte er sie ins Freie. »Du hast verloren«, sagte Walker triumphierend zu Burt. »Also, rück den Dollar raus.« »Was ist denn mit euch los?« wollte Jeffords wissen. »Nun, wir haben darum gewettet, daß du hinter der Kutsche herreiten wirst«, antwortete Walker. »Burt hielt dagegen. Jetzt reitest du, Boß, und ich habe einen schönen, runden Dollar gewonnen.« »Du willst doch nicht allein losziehen, wie?« erkundigte sich Kelly. »Doch, ihr beide bleibt hier«, erwiderte Thomas. »Die Kutschen müssen versorgt werden. Alles geht weiter seinen normalen Gang. Ich suche Atkins. Wenn er nichts gemerkt hat, bleibe ich hinter der Kutsche zurück und folge ihr bis Tombstone.« »Und wenn der Halunke schon auf und davon ist?« wollte Walker wissen. »Dann bleibe ich auf seiner Spur, bis ich ihn habe«, versprach Jeffords grimmig. »Das bin ich der Gesellschaft schuldig. Immerhin trage ich eine gewisse Verantwortung für die Sicherheit der Passagiere.« »Nimm besser 'ne Winchester mit«, riet Walker. »Deine Sharps ist zwar auf große Entfernungen eine feine Waffe, aber jetzt kommt es darauf an, ein paar Kugeln in Reserve zu haben.« Jeffords schwang sich in den Sattel und wartete, bis Norbert Walker ihm die Winchester brachte. »So long, Boß«, sagte Burt Kelly, »laß dich nicht von dem verdammten Killer erwischen. Schieß zuerst, wenn du ihn siehst.« Der Postmeister hob grüßend die linke Hand und ließ die
Schimmelstute angehen. Im Trab lief sie die Paßstraße nach Westen hinunter. Jeffords achtete nicht auf die herbe Schönheit der Landschaft. Er beschäftigte sich mit dem Revolvermann Claude Atkins, dem steckbrieflich gesuchten Mörder. Beiderseits des Weges ragten Kiefern mehr als mannshoch auf. Ihre Wurzeln umklammerten sich in Felsspalten, in die der Wind gute Erde geweht hatte. Bergkräuter wucherten breitblättrig an feuchten Stellen, und ab und zu glänzte eine gelbe Nachtkerze im Sonnenschein golden auf. Ich muß ihnen helfen, wenn er sie bedroht, dachte Jeffords. Es ist meine Pflicht. Es genügt nicht, auf der Station den Postmeister zu spielen. Dazu gehört mehr. Ja, so dachte der ehemalige Scout. Er war ein Mann, auf den sich die Butterfield Overland-Line verlassen konnte. Ein mächtiges, kahles Felsmassiv ragte vor dem Reiter auf. Der Weg beschrieb eine Biegung, wand sich um diesen gewaltigen Brocken herum und führte danach direkt Richtung Tombstone. Jeffords zügelte sein Pferd vor der Biegung. Er ahnte, daß er zu spät kam. Im Schritt ließ er die Schimmelstute weitergehen, während er die Winchester aus dem Scabbard zog und schußbereit auf dem Oberschenkel aufstützte. Da stand die Stagecoach. Der Postmeister preßte die Lippen zusammen. Ein schwarzes Bündel lag am Boden. Die Kutscher kümmerten sich um den Mann. Es mußte der Prediger sein. Hatte Atkins den Mann Gottes erschossen? Und wo war das Mädchen? Als Maritoba Jones den Hufschlag hörte, wirbelte er herum und riß den Colt hoch. »Jeffords, Gott sei Dank!« rief der Fahrer. »Ich dachte schon, der verdammte Halunke käme zurück. Beinahe hätte ich dir 'ne Kugel verpaßt.« Thomas glitt aus dem Sattel und beugte sich über den immer
noch bewußtlosen Prediger. In diesem Moment flatterten die Lider. Der Mann kam zu sich. Ein leises Stöhnen drang über seine Lippen. Unsicher tasteten die Hände umher, berührten das Kinn und fielen schlaff auf den Oberkörper. »Wie ist das passiert?« fragte Jeffords grimmig. Jones erzählte mit wenigen Sätzen, wie Claude Atkins sie zum Anhalten gezwungen hatte. »Er schlug wie ein Irrer auf den Prediger ein, Thomas«, schloß der Fahrer, »wenn wir nicht geredet hätten, wäre der Priester jetzt tot. Und das Girl nahm er als Faustpfand mit. Falls er verfolgt wurde, wollte er sie als Druckmittel benutzen. Sie heißt Kate Chandler und wollte nach Tombstone. Dort hinten, in diese Felsspalte sind sie geritten.« Jeffords spürte kalte Wut in sich aufsteigen. Es genügte offenbar nicht, daß er sich mit den Apachen herumschlagen mußte, um die Kutschen sicher an ihre Ziele zu bringen. Nun mußten ihm auch noch weiße Mörder das Leben schwermachen. »Ich hole mir den Lumpen«, sagte der Postmeister entschlossen. »Und wenn ich noch so lange reiten muß, ich hole diesen verdammten Killer ein und bringe ihn verschnürt nach Tombstone.« Der Prediger stöhnte laut und richtete sich auf. Blut rann ihm über das Gesicht. »Sei vorsichtig, mein Sohn«, sagte der Mann in Schwarz mit unsicherer Stimme, »er ist eine Ausgeburt der Hölle und tötet ohne Skrupel. Er achtet nicht Gottes Gesetze und nicht die der Menschen.« »Sobald Sie wieder einigermaßen klar sind«, sagte Jeffords, »setzt die Kutsche die Fahrt nach Tombstone fort. Ihr schafft es auch mit vier Gespannpferden.« Maritoba Jones blickte den Postmeister kopfschüttelnd an. »Du willst allein hinter diesem Halunken her?« fragte der
Fahrer. »Er gehört zur anderen Sorte, Thomas. Er kämpft nicht fair. Der feuert aus dem Hinterhalt, sobald er auch nur einen Zipfel von dir sieht.« »Ich muß«, entgegnete Jeffords hart. »Ich habe die Verantwortung für die Linien in dieser Gegend und für die Sicherheit zu sorgen. Wenn sich herumspricht, daß die Männer der Butterfield Line Schwächlinge sind, haben wir bald keine Fahrgäste mehr. Begreifst du, Jones? Ich muß alles daransetzen, den Killer zu erwischen. Ich muß zeigen, daß wir uns nicht einfach auf der Nase herumtanzen lassen.« Maritoba Jones kratzte sich am Kopf und murmelte Unverständliches. Vielleicht war es gut, daß Jeffords nicht verstand, denn Maritoba hatte ihn gerade einen verdammten Idioten genannt. »Macht euch auf den Weg, sobald der Prediger das Rütteln aushält«, sagte der Postmeister und saß auf. Die Fahrer blickten dem breitschultrigen, stämmigen Postmeister nach, der seine Schimmelstute in die Felsausbuchtung lenkte, in der auch Claude Atkins mit seiner Geisel verschwunden war. »Viel Glück«, murmelte Maritoba Jones. »Alles Glück der Erde, Jeffords. Du wirst es brauchen.« * John Haggerty trieb sein Pferd durch dichtes Buschwerk. Der Scout ritt fast nie auf den normalen Wegen. Er zog kreuz und quer durch das Land und registrierte alles, was eventuell wichtig werden konnte. Unvermutet tat sich eine Lichtung vor John auf. Er parierte den Rappen und sah sich um. Das kurze Gras in der Mitte des ovalen Platzes war niedergetreten. Vor nicht mehr als drei bis vier Stunden hatten hier Reiter gerastet. Haggerty glitt aus dem Sattel und beugte sich prüfend über
die Spuren. Fünf Pferde hatten hier gestanden, und fünf Pferde hatten die Mexikaner den Brüdern Adams gestohlen. Ein Trick, ging es John durch den Kopf, sie halten genau auf Süden, der Grenze zu. Die Kerle wissen ja, daß ihnen Cochise auf den Fersen ist. Haggerty konnte sich nicht vorstellen, daß die Mexikaner ihre zwielichtigen Geschäfte so einfach aufgaben. Deshalb legten sie nun eine falsche Spur. Aber glaubten sie denn wirklich daran, daß sie einen Apachen überlisten konnten? Der Scout folgte der Fährte beinahe eine Stunde lang. Die Reiter trieben ihre Tiere genau südwärts. Wenn sie diese Richtung beibehalten, mußten sie irgendwo östlich von Douglas die Grenze überqueren. John überlegte, ob er Cochise mit Rauchzeichen benachrichtigen sollte. John verehrte den Häuptling. Er hielt ihn für einen der größten indianischen Führer überhaupt. Denn der Jefe der Chiricahuas bewies Weitblick und Instinkt. Er wußte sicher, daß die Zeiten des roten Mannes vorbei waren. Aber er versuchte, seinem Volk die angestammte Lebensweise zu erhalten. Cochise wollte den Frieden mit den Bleichgesichtern. Aber genau wie bei den Weißen, gab es auch unter den verschiedenen Apachenstämmen widersprüchliche Meinungen. Und obwohl Cochise der anerkannt größte Häuptling war, richteten sich die Chiefs der anderen Stämme oftmals nicht nach seinen Worten. John Haggerty kämpfte mit sich. Rief er den Häuptling und Naiche durch Rauchzeichen herbei, so besiegelte er damit das Schicksal der fünf Mexikaner. Aber hatten diese Kerle denn etwas anderes als den Tod verdient? Sie hatten grundlos einen Krieger, dessen Söhne und seine Squaw umgebracht. Die Mexikaner wollten in den Staaten wahrscheinlich Waffen kaufen. Unter dem Deckmantel einer Revolution würden sie in Mexiko zahllose Raubzüge
durchführen und Feuer und Tod über das Land bringen. Haggerty sammelte trockenes Holz, das er mitten auf der Lichtung stapelte. Erst wenn die dürren Zweige brannten, wollte er frische grüne Äste auflegen und mit seiner Wildlederjacke den Rauch einfangen und in bestimmten Abständen zum Himmel steigen lassen. Der Scout zog seine Jacke aus, bevor er die belaubten Äste in die Glut schob. Im Nu qualmte es dicht. Wenig später stiegen die Signale auf. John Haggerty wiederholte sie einmal, bevor er das Feuer sorgfältig löschte. Mehr konnte John nicht tun. Er setzte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm und wartete. Das Pferd graste auf der Lichtung. Es mochte eine gute Stunde vergangen sein, als John das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Er blieb ruhig sitzen, sagte aber laut und deutlich: »Komm schon raus, Jefe! Ich spüre, daß du hier bist.« Die Büsche teilten sich. Naiche glitt auf die Lichtung. Die Zügel seines Pferdes hielt er in der Hand. Unmittelbar hinter dem jungen, hochgewachsenen Häuptlingssohn kam Cochise. Er überragte Naiche noch um zwei Inches. »Du hast die Fährte, Falke?« fragte der Häuptling beinahe gleichgültig. »Ja, Chief. Sieh selbst – dort.« Haggerty streckte die Linke aus und deutete auf die gut erkennbaren Hufspuren, die von der Lichtung nach Süden führten. »Eine List«, sagte Cochise, »sie wollen uns nach Süden locken und im Gebirge ihre Richtung ändern.« »Das denke ich auch«, sagte John. »Lassen wir ihnen den Spaß, oder folgen wir den Kerlen sofort?« »Du reitest mit uns?« fragte Naiche beunruhigt. Er dachte wohl daran, daß Haggerty ein Weißer war, daß er Mexikanern sicher näherstand als den Apachen. Die Vergeltung der Chiricahuas war gefährdet, wenn sich ein Bleichgesicht einmischte.
»Nur ein kurzes Stück«, antwortete John. »So lange, bis die Spur wieder nach Südwesten weist. Ich denke mir, daß diese Mörder in die Nähe von Tombstone wollen. Nur dort können sie Waffen kaufen. Und ich bin sicher, daß es um Gewehre und Revolver geht.« »Reiten wir«, entschied der Häuptling. »Falke, du hältst dich an meiner Seite. Ich möchte mit dir sprechen, Bruder.« Naiche verstand und ritt voraus. Gemeinsam brachen Cochise und John auf. »Schmerzt dein Arm noch, Bruder?« wollte der Jefe wissen. Lächelnd schüttelte Haggerty den Kopf und antwortete: »Nein, es war ein glatter Stich. In ein paar Tagen ist alles verheilt.« »Ich verlor die Beherrschung«, gab Cochise zu. »Aber Hellauge reizte mich so, daß ich ihn töten wollte.« Lange Zeit schwiegen die Freunde. Behutsam sagte Haggerty nach einer Weile: »Er ist noch immer dein Freund, Jefe. Thomas Jeffords weiß, daß er durch seine Unbesonnenheit beinahe einen Krieg ausgelöst hätte. Es schmerzt ihn, daß er deine Freundschaft verlor.« »Er ist ein kühner Mann«, sagte der Häuptling. »Ich verstehe auch, daß er Sicherheit für seine rollenden Wickiups haben will. Aber in den elf Tagen der Verhandlung habe ich schon zuviel nachgegeben. Die anderen Jefes sind zornig. Sie sprechen davon, daß ich das Land der Apachen, das uns von Usen gegeben wurde, verschenkte. Sie lechzen nach Kampf und Blut, nach Beute und Skalps der Bleichgesichter. Ich weiß nicht, wie lange sie noch auf mich hören.« »Du bist der größte Führer«, entgegnete Haggerty. »Du bist Rotärmels Nachfolger und setzt sein Werk fort.« Rotärmel nannten die Weißen Mangas Coloradas, der ein großer Jefe unter den Mimbrenjos gewesen war. Aber Cochise gehörte den Chiricahuas an. Und darin lag schon ein Groll begründet. Denn Victorio, der Chief der
Mimbrenjos, wollte die Nachfolge von Mangas Coloradas antreten und seinen Stamm wieder an die Spitze aller Apachen setzen. Aus diesem Grund kümmerte sich Victorio auch nicht darum, daß die Chiricahuas die schwerfälligen ConcordKutschen ungeschoren ließen. Die Krieger der Mimbrenjos überfielen dagegen immer wieder die Fahrzeuge der Butterfield. Länger als drei Stunden begleitete Haggerty den berühmten Häuptling. Naiche erwartete sie an einem Ort, der aus blankem Fels bestand. »Hier also haben die Kerle die Richtung geändert«, sagte John. »Trennen wir uns und reiten Kreise?« Naiche wechselte mit seinem Vater einen Blick und schüttelte kaum merklich den Kopf. »Falke, dies ist unser Kampf, unsere Rache«, erklärte Cochise würdevoll. »Es geht nicht um dich. Aber wenn eines Tages ein schlechter Mensch sagt, der Scout Haggerty machte gemeinsame Sache mit den Apachen und brachte fünf Mexikaner um, dann ist das schlecht für dich und für uns.« John war klar, daß Cochise ihn schützen wollte. Denn in der rauhen Grenzregion des Südwestens hatten Gerüchte und Halbwahrheiten schon so manchen ehrlichen Mann ruiniert. »Häuptling, ich respektiere deine Entscheidung«, sagte John deshalb. Er hob die Hand, lächelte dem großen Jefe und seinem Sohn zu und zupfte am Zügel. Naiche trieb sein Pferd an, verhielt es dicht neben dem Rappen Haggertys und fragte: »Soll ich nicht Grüße ausrichten, Hellauge?« John lächelte und seine Augen bekamen einen sonderbaren Glanz. Er wußte, was Naiche meinte: Cochises Schwester Tlaina, was in der Sprache der Weißen soviel wie »Sanfter Wind« bedeutete.
»Ja, Naiche, grüße sie von mir«, erwiderte John. »Diese Grüße sind das einzige, an dem wir uns erfreuen können. Niemand weiß, wann ich wieder in eure Apacheria komme.« Haggerty zerrte an den Zügeln. Cochises Sohn sollte nicht sehen, daß der Scout seiner innerlichen Regung kaum Herr wurde. Aber der junge Krieger bemerkte es doch. Denn ein Apache sieht nicht nur, er fühlt auch. Diese Schwäche verzieh Naiche allerdings dem Bleichgesicht. * Thomas Jeffords kam nur langsam voran. Der Outlaw Claude Atkins war so clever gewesen, mehr als ein halbes Dutzend Meilen nur über kahlen Fels zu reiten. Ständig mußte der Postmeister aus dem Sattel und die winzigen Anzeichen der Fährte suchen. Einmal fand er einen frischen Kratzer im Gestein, der nur von Metall herrühren konnte. Ein anderes Mal lag ein kleiner Stein mit der dunklen Seite nach oben. Thomas drehte ihn um und wußte, daß er noch der richtigen Spur folgte. Denn die andere Seite des Steines war hell, von der Sonne gebleicht. Bisher ritt Atkins nach Norden. Aber das war sicher eine Finte. Für Typen wie ihn gab es nur in der Umgebung einer wilden Town wie Tombstone eine Chance. Irgendwann mußte er die Richtung ändern. Aber wenn das nicht bald geschah, geriet er in die Dragoon Mountains. Und dort lagerten die Chiricahuas. Vielleicht löst sich das Problem auf diese Weise von selbst, dachte Jeffords. Aber sofort verdrängte er diesen Gedanken. Kate Chandler würde genau wie Atkins sterben. Und das Tanzhallengirl war unschuldig. Die Schatten wurden länger. Prüfend blickte Jeffords zur Sonne. Sie stand schon weit im Westen. In spätestens anderthalb Stunden war es dunkel. Aber diese Zeitspanne
wollte der Postmeister noch nutzen. Er mußte unbedingt den Vorsprung des Banditen verkürzen. Aufmerksam betrachtete Jeffords das zerklüftete Land. Weite Sandflächen wechselten mit verwitterten Felsklippen ab. Es gab Leben in diesem so tot scheinenden Gebiet. Eselhasen, Springhörnchen, Känguruhratten und Vögel hatten sich der kargen Natur angepaßt. Thomas sah ein Bisamschwein, das vorsichtig aus einer kaum sichtbaren Felsspalte lief. Das Tier witterte in alle Richtungen, schien sicher zu sein und umrundete einen steil aufragenden Block. In diesem Moment sprang ein Rotluchs schräg von oben herab. Das Bisamschwein hatte nicht einmal mehr Zeit, ein Quieken auszustoßen. Die Zähne des Raubtieres zermalmten sein Genick. Jeffords dachte an seinen kargen Proviant und schnalzte mit der Zunge. Die Schimmelstute trabte an. Der Rotluchs schnellte herum, angriffsbereit. Fauchend erwartete er seinen größten Feind: den Menschen. Jeffords zog das Messer aus der Scheide, lenkte sein Pferd genau auf das Raubtier zu und beugte sich weit aus dem Sattel. Thomas vollführte einen halbkreisförmigen Hieb mit der Klinge, doch der Luchs sprang mit allen vieren zugleich hoch und lief davon. Thomas saß ab und schnitt sich die besten Stücke aus dem Bisamschwein. Anschließend suchte er einen Lagerplatz. Denn er wollte das Fleisch gebraten haben, bevor die Dunkelheit einsetzte und das Glimmen des Feuers seinen Standort verriet. Schon bald fand Jeffords eine überhängende Felsplatte, die ihn wie ein Dach beschützte. Wenig später brannte ein rauchloses Feuer, und der Duft gebratenen Fleisches verwehte im auffrischenden Wind. Als Jeffords gegessen hatte, band er der Stute den Futtersack um. Anschließend machte er sich auf die Suche nach Wasser. Denn wo Rotluchs und Bisamschwein lebten, mußte es Wasser geben.
Aber die Quelle war ausgetrocknet. Mißmutig schaufelte der Postmeister den Sand des kleinen Beckens aus. Nach Minuten wurde der Boden dunkler, feucht. Und als Jeffords fast zwei Fuß tief gegraben hatte, sammelte sich Wasser in der Grube. Thomas wartete eine Weile. Endlich erreichte er mit seinen Lippen das lebensspendende Naß und trank in langen Zügen. Auch der Schimmel trank, als Jeffords ihn zur Quelle führte. Die Ruhepause hatte Pferd und Reiter gutgetan. Schwach leuchtete der dunkelrote Sonnenball im Westen dicht über dem Horizont. »Komm, wir machen noch ein paar Meilen«, sagte Thomas zur Stute und saß auf. »Jeder Schritt näher an Atkins heran ist wichtig.« Thomas ritt, bis er die Hand nicht mehr vor Augen erkennen konnte. Mißmutig zügelte er sein Pferd. Es war sinnlos, sich und das Tier in Gefahr zu bringen. Die Berge bargen zuviel Unsicherheit. Ein Fehltritt des Pferdes genügte, um jegliche Chance zunichte zu machen. Jeffords sattelte ab, wickelte sich in seine Decke und legte den Kopf auf den Sattel. Träumend blickte der Mann zu den Sternen auf, die als winzige Lichtpunkte am Nachthimmel glitzerten. Im Norden leuchtete ein besonders heller Stern. Jeffords drehte sich etwas um und staunte nicht schlecht. Das war kein Stern, sondern ein Feuer. Gleich darauf hörte er das dumpfe Pochen einer Trommel. Der monotone Rhythmus fand weiter westlich ein Echo. Bald war die Stille der Nacht von den Signalen der Apachen erfüllt. Überall entdeckte Jeffords kleine Feuer, aber sie waren weit entfernt. Besorgt dachte Thomas darüber nach, wer wohl Atkins und das Girl zuerst erreichte, eine Horde wilder Krieger oder er. Jeffords hoffte inbrünstig, daß er es war. Denn der Tod des Mädchens durch Apachen würde eine Menge Staub aufwirbeln
und abermals Unfrieden an der Grenze stiften. Trotz der dumpfen Trommelschläge schlief der Postmeister schließlich ein. Aber in seinen Träumen wurde er von bösen Vorstellungen geplagt. Er sah eine Rotte Krieger unter triumphierendem Geheul davonjagen. Zwei der Apachen hielten Skalps in den Händen. Und als Jeffords endlich den Ort des Überfalls erreichte, lagen Kate Chandler und Claude Atkins tot am Boden. Sofort sprang Jeffords hoch. Er atmete tief durch, blickte sich um und beruhigte sich. Im Osten stand ein grauer Streifen am Horizont. Es war Zeit, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Wenig später war die Schimmelstute gesattelt. Thomas band ihr den Futtersack um und aß selbst den Rest des Bisamschweines. An der Quelle stand das Wasser bis zum Rand. Fährten verrieten, daß schon andere Tiere zur Tränke gekommen waren. Das Pferd trank ausgiebig. Jeffords löschte seinen Durst ebenfalls an der Tinaja. »So, heute müssen wir dem Lumpenhund aber auf den Pelz rücken«, sagte Thomas zur Stute. Er fand die Spur, die sich nunmehr deutlicher abzeichnete. Aufmerksam beobachtete der Postmeister die Umgebung. Die zahlreichen Feuer in der Nacht bewiesen ihm, daß eine Menge Krieger unterwegs waren. Vielleicht sammelten sie sich für einen Raubzug nach Mexiko. Am späten Vormittag entdeckte Jeffords Staubfahnen am Horizont. Eine ganze Rotte mußte dort reiten. Besorgt behielt der breitschultrige Mann diese Staubwolke im Auge. Erst nach unendlich lang scheinender Zeit drehten die Reiter ab und schlugen die östliche Richtung ein. Allmählich erkannte Jeffords, wohin Atkins fliehen wollte. Er rechnete sich wohl eine Chance aus, seine Verfolger in den südlichen Ausläufern der Dragoon Mountains abzuhängen.
Der Postmeister trieb die Stute an. Immer wieder sah er sich von Staubfahnen umgeben, die von den Ponys streifender Indianer aufgewirbelt wurden. Stunde um Stunde verging. Jeffords fühlte, daß er dem Revolvermann näherkam, aber noch war nichts von dem Killer und seiner Geisel zu entdecken. * Cochise und sein Sohn folgten der Fährte der fünf Mexikaner. Als sich die Dämmerung wie ein graues Tuch über das Land legte, zügelte der Häuptling sein Pferd. »Sieh dort«, sagte Cochise und deutete mit ausgestrecktem Arm nach Südwesten. Naiche erkannte einen Reiter auf einem hellen Pferd. Die Haltung des Mannes im Sattel kam Naiche bekannt vor. Er sah seinen Vater an und fragte: »Ist es Hellauge Thomas Jeffords?« »Ja, und ich frage mich, was ihn so weit in das Gebiet der Chiricahuas treibt«, antwortete der Jefe. »Er ist mutig, daß er sich nach unserem Streit in unser Land wagt.« Cochise ruckte am Zügel. Sein Mustang trabte an. »Du willst Jeffords folgen«, stellte Naiche fest, als sie die Fährte der Mexikaner verließen. »Ja. Ich muß wissen, was er sucht«, antwortete der Häuptling. »Vielleicht entsteht neuer Streit aus seinem Vorhaben. Vielleicht sucht er einen anderen Weg für die rollenden Wickiups.« »Die Mörder, Vater«, erinnerte Naiche den Jefe an den eigentlichen Grund ihres Rittes. »Wir finden sie wieder«, erwiderte Cochise. »Sie haben Angst. Die Furcht läßt sie Fehler machen, Naiche. Oh, ja, wir finden sie wieder und erfüllen unseren Schwur.« Der junge Indianer betrachtete seinen Vater von der Seite.
Dem bronzefarbenen Gesicht war keine Regung anzumerken. Die Adlernase verlieh dem Häuptling etwas Kühnes, Verwegenes. Was ging wohl gerade in Cochises Kopf vor? Warum wollte er unbedingt dem weißen Postmeister folgen? War es, um den Streit endgültig auszutragen, die Fehde zwischen Jeffords und Cochise mit Jeffords' Tod zu beenden? Der Häuptling schien zu ahnen, was sein Sohn dachte. »Falke hat recht«, sagte Cochise nach einer Weile, »Jeffords ist ein Freund der Apachen. Aber er trägt die Verantwortung für die rollenden Wickiups. Und deshalb müssen wir ihn beobachten.« Die beiden Indianer hielten weiten Abstand von Thomas Jeffords. Sie ritten Parallel zu ihm, blieben aber immer geschickt in Deckung. Er sollte nicht merken, daß er beobachtet wurde. Nach einigen Stunden zügelte Naiche seinen Mustang und sagte: »Er folgt einer Fährte, Vater. Hellauge ist hinter einem Feind her. Warum sollen wir ihn noch weiter verfolgen?« Cochise blickte seinen Sohn an und antwortete: »Weil er ein Freund ist, Naiche. Einem Freund hilft man, wenn er in Schwierigkeiten gerät. Und ich ahne, daß Hellauge unsere Hilfe bald nötig hat.« Aber der Tag verging, ohne daß Jeffords auf Wild stieß. Cochise und Naiche lagerten. Aufmerksam hielten sie Ausschau, doch Jeffords schien kein Feuer anzuzünden. »Er ist seinem Feind nahe«, vermutete Cochise. »Er will sich nicht verraten und dadurch seinen Gegner warnen. Jeffords ist ein kluger Mann.« Wieder hallten dumpfe Trommelschläge durch die Nacht. »Sie tanzen«, sagte Naiche leise zu seinem Vater. »Noch tanzen sie nur. Was geschieht aber, wenn die Krieger Kampf und Blut wollen?« Der Häuptling wußte, daß er nur seine Chiricahuas fest in der
Gewalt hatte. Die anderen Häuptlinge hörten zwar auf ihn, aber wenn es ihnen gefiel, vergaßen sie einfach seine Anweisungen. Hier lag die große Gefahr eines langdauernden Krieges im Südwesten. Die Verlierer standen für Cochise schon jetzt fest: es waren die Apachen aller Stämme. Sie hatten den gut bewaffneten und ausgebildeten Pferdesoldaten nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Aber sie konnten nach Apachenart kämpfen, wie die Schlange: zustoßen, Beute schlagen und wieder in einem Versteck verschwinden. Cochise war sich darüber im klaren, daß der Untergang seines Volkes nur eine Frage der Zeit war. Die Weißen drangen selbst in die kargen Wüstenregionen ein, leiteten Flüsse um, bewässerten Land und schufen so fruchtbaren Boden. Und die Lebensweise der Apachen hatte keinen Platz mehr zwischen diesen veränderten Landschaften. Der Jefe legte sich hin und schlief ein. Er war ein Mann der Wildnis. Das geringste Geräusch vermochte ihn zu wecken. * Jeffords hatte den Abstand zu Atkins erheblich verkürzt. Aber noch war der Mörder zu weit entfernt. In der Nacht dröhnten wieder die Apachentrommeln. Der Postmeister beschloß, sich nicht darum zu kümmern und schlief diesmal ohne Alpträume. Mit dem Einsetzen der Morgendämmerung verzehrte er sein karges Frühstück und spülte das Trockenfleisch mit Wasser herunter. Der Futtersack war schon fast geleert. Die Schimmelstute mußte im Laufe des Tages Kräuter und Gras fressen, um bei Kräften zu bleiben. Jeffords wollte den Banditen Atkins unbedingt an diesem Tage stellen. Gelang ihm das nicht, war eine weitere Verfolgung sinnlos. Denn mit einem müden Pferd holte er den Halunken niemals ein.
Aber auch der Revolvermann mußte erschöpft sein. Seine Tiere waren zwar kräftiger, brauchten aber auch mehr Nahrung. Während des ganzen Tages trieb Jeffords seine Schimmelstute an. Er spürte, daß er aufholte, dem Mörder und Mädchenentführer näherrückte. Doch erst als es dunkelte, sprang ein Gefühl der Gefahr den Verfolger wie ein Tier an. Sofort parierte Thomas sein Pferd und glitt aus dem Sattel. Zu Fuß schlich er weiter, bis er ein Geröllstück erreichte, das völlig unübersichtlich war. Dort irgendwo mußte Atkins mit Kate Chandler stecken. Jeffords glitt zu Boden und kroch schlangengleich weiter. Geschickt wand er sich von Deckung zu Deckung. Er strebte im rechten Winkel von dem mit Steinen übersäten Stück weg, um dort plötzlich aufzutauchen und den Outlaw zu überraschen. Aber Atkins war mit allen Wassern gewaschen. Er wußte, daß ihm ein Mann auf der Spur war. Im Laufe des Tages hatte der Revolvermann den Verfolger mehr als einmal gesehen. Jeffords erreichte den letzten großen Felsbrocken, richtete sich auf und zog den Colt, als er langsam vortrat. Orangerot flammte es genau gegenüber auf. Das dumpfe Wummern eines Revolverschusses dröhnte überlaut. Die Kugel klatschte dicht neben Jeffords gegen den Felsen. Mit einem Sprung gelangte Thomas in Deckung. Atkins hatte ihn also die ganze Zeit beobachtet! Thomas spürte unbändige Wut in sich aufsteigen. Er wollte den Halunken stellen, ihn unschädlich machen und nach Tombstone schaffen. Der Postmeister rollte sich zur nächsten Deckung. Sofort drückte der gesuchte Mörder ab, doch das Blei sauste weit über Jeffords hinweg. Er kroch zurück zu seinem Pferd, das etwas abseits stand,
und zog die Winchester aus dem Scabbard. Erleichtert hebelte Thomas die erste Patrone in das Lager. Ein paar Sekunden lang konzentrierte er sich, dann sprang er auf, hetzte gebeugt vor und jagte Schuß um Schuß aus dem Lauf. Ein wahrer Kugelhagel prasselte gegen Atkins Deckung und hielt ihn nieder. Jeffords machte sich erst flach, als der Hahn leer klickte. Auf dem Rücken liegend zerrte der Postmeister die Patronen aus den Gurtschlaufen und schob sie in die Ladeklappe des Gewehrs. Angespannt lauschte Thomas Jeffords. Nach langer Zeit hörte er ein schwaches Geräusch. Metall schabte über Stein, und plötzlich wieherte ein Pferd vor Schmerz gellend und galoppierte in panischer Angst durch das Geröllfeld auf Jeffords zu. Thomas dachte an den alten Comanchentrick, bei dem ein Mann – dem Gegner abgewandt – seitlich am Pferd hing und sich auf diese Weise seinem Ziel näherte. Als das Tacken der Hufe dicht bei Jeffords aufklang, schnellte er hoch und feuerte. Wie vom Blitz getroffen brach das Wagenpferd zusammen. Kein Körper löste sich von dem massigen Leib des Tieres. Kein Mann hing an der Seite und griff an. Doch dafür entlud sich der Colt des Banditen krachend. Die Geschosse sirrten dicht an Jeffords' Kopf vorbei. Eine Kugel bohrte sich in ein mürbes Gestein, zersplitterte es und wirbelte die kleinen, nadelscharfen Bruchstücke davon. Der Postmeister lag fast genau in der Mitte des Geröllfeldes. Wenn er die andere Seite erreichte, ging es ums Ganze. Jeffords sprang noch einmal auf und schoß die Winchester leer, während er vorwärtslief. Mit einem großen Sprung brachte er sich hinter einem Felsbrocken in Sicherheit, der beinahe senkrecht an einer Bodenwelle lehnte. Atkins hatte das Feuer nicht erwidert. Welchen schmutzigen Trick plante der Revolvermann?
Vorsichtig stand Thomas auf. Inch für Inch schob er sich vor, bis er die Kante der Felsplatte erreichte. Nach einer Sekunde des Zögerns streckte er den Kopf vor, bereit, sofort wieder zurückzuzucken. Aber nichts geschah, kein Schuß fiel. Langsam trat Jeffords aus seiner Deckung heraus. Die einsetzende Dämmerung verzerrte die Schatten der Felsen, Bäume und Sträucher zu bizarren Gebilden. Der Postmeister ging langsam weiter. Er lauschte angespannt, hörte aber nur die Geräusche der Tiere und das sanfte Rascheln der Zweige im schwachen Wind. Wo war Atkins mit dem Mädchen? Was hatte der Revolvermann vor? Für ihn ging es um seinen Kopf. Denn als steckbrieflich gesuchten Mörder war ihm der Strick sicher, sobald er vor eine Jury kam. Thomas verharrte am Ende des Geröllfeldes. Mißtrauisch blickte er zu den gähnenden Felsspalten hinüber, die das Gestein durchbrachen. In einer dieser Spalten mußte Atkins verschwunden sein. Irgendwo lauerte er darauf, seine Verfolger zu Gesicht zu bekommen. Der Postmeister lief dem Killer vor die Mündung, wenn er in dieses Labyrinth von Gängen eindrang. Atkins war dort im Vorteil. Zudem hatte er immer noch das Girl als Geisel. Oder lebte Kate Chandler bereits nicht mehr? Jeffords unterdrückte einen Fluch. Ihm war klar, daß er näher an den Mörder heran mußte, wollte er ihn stellen und niederkämpfen. Aber seine Chance war hier so groß wie die eines Schneeballs in der Hölle. Alle Vorteile lagen auf Seiten des Outlaws. Thomas zog sich zur anderen Seite des Geröllfeldes zurück. Es war schon dunkel, als er den rettenden Einfall hatte. Er mußte die verschiedenen sich kreuzenden Gänge umgehen, in den Rücken des Banditen gelangen und ihn festnageln. Aber das ging nur gut, wenn Jeffords sehen konnte, auf
welchem Weg er war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Nacht abzuwarten. Im Morgengrauen wollte er es riskieren. Atkins hatte ein Pferd geopfert, um seinen Verfolger abzulenken. Er mußte Jeffords töten, um an ein zweites Reittier zu kommen. Aber vielleicht ließ er auch Kate Chandler hilflos zurück und machte sich allein aus dem Staub. Ein Menschenleben galt dem Killer nichts. Der Postmeister führte die Stute am Zügel weit hinter dem Geröllfeld nach Nordwesten. Dort mußte es irgendwo einen Zugang zu dem zerklüfteten, unübersichtlichen Felsenlabyrinth geben. Schließlich sattelte Jeffords ab und benutzte den Sattel wieder als Kopfkissen. Der Futtersack war leer. Die Stute mußte sich mit den kargen Gräsern und Kräutern begnügen. Thomas kaute einen Streifen Trockenfleisch und trank einen Schluck Wasser. Er schloß die Augen und schlief ein. Aber es war der Schlaf eines Raubtieres, dem kein Geräusch entgeht. * Atkins lag flach auf einer Steinplatte. Nur ein einzelner Mann war hinter ihm her. Das verbesserte seine Chancen gewaltig. Der Revolvermann beobachtete, wie sich der Postmeister der Apachen-Station zurückzog. Zähneknirschend stellte Atkins fest, daß die Distanz für einen Coltschuß viel zu groß war. Das Zwielicht der Dämmerung machte ein genaues Zielen außerdem unmöglich. Langsam rutschte der Killer auf dem Sims zurück, glitt herab und grinste Kate Chandler an. Die lag gefesselt und geknebelt auf dem Boden. Ihr Gesicht war vor Anstrengung verzogen, denn die dreitätige Flucht auf dem nackten Pferderücken hatten ihren Tribut gefordert. Kates Oberschenkel und ihr Sitzfleisch schmerzten derart, daß sie es kaum noch ertragen konnte.
»Er zieht sich zurück«, verkündete Atkins selbstgefällig. »Aber aufgeben wird er nicht, dieser Sturkopf. Und das kostet ihm das Leben. Wenn er nicht spurt, bist du dran, Mädchen.« Kate stöhnte. Atkins beugte sich vor und löste den Knebel. »Wasser, bitte, einen Schluck nur!« flüsterte Kate. »Verdammt, ich habe kein Wasser mehr«, brummte Atkins. »Denkst du, ich hätte keinen Durst?« »Was wird aus mir? Was haben Sie vor?« Der Bandit fuhr sich mit der flachen Hand über die Bartstoppeln seines Kinns. Er schien zu überlegen. Aber der gemeine Ausdruck in seinem Gesicht verriet Kate, daß ihr Schicksal längst feststand. Sie konnte den Angstschauer nicht unterdrücken, der ihr plötzlich den Rücken hochkroch. Dieser Kerl war brutal, skrupellos, wenn es um ihn selbst ging. Er entledigte sich notfalls seiner Geisel, ohne auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden. »Das überlege ich mir noch«, wich Atkins aus. »Vielleicht nehme ich dich mit, wenn ich den verbohrten Postmeister umgebracht habe. Vielleicht tausche ich dich gegen sein Pferd und seine Wasserflasche ein.« Der Outlaw lachte gehässig, als er fortfuhr: »Dann könnt ihr euch ja gegenseitig beim Verdursten trösten.« Kate war völlig verzweifelt. Sie starrte zu Boden. Nein, mitnehmen konnte der Killer sie nicht. Sobald sie in die Nähe einer Ansiedlung gelangten, war sie zu gefährlich für Atkins. Denn Kate konnte dann einen Gesetzeshüter alarmieren. Die Folgerung daraus war, daß Atkins sie tötete, ehe er seine Flucht mit einem richtigen Reitpferd fortsetzte. »Was nützt Ihnen mein Tod?« fragte sie nach einer Weile. »Ich habe nicht gesagt, daß ich dich umbringe«, antwortete der Revolvermann. »Vielleicht besorgen das die Apachen für mich. Du hast doch in der Nacht ihre Feuer gesehen. Sie verschaffen sich erst eine Menge Spaß mit 'ner weißen Frau, bevor sie kurzen Prozeß machen.«
Wieder lachte der Outlaw gemein. Ihn schien die Vorstellung, was die Krieger mit Kate anstellen konnten, zu erheitern. »Sie sind ein Satan«, sagte das Mädchen angeekelt, »und kein Mensch.« Atkins trat dicht an Kate Chandler heran. Sie blickte zu ihm auf, und er schien turmhoch über ihr zu stehen. »Sag so was nie wieder«, zischelte er wütend, »oder du hast keine Gelegenheit mehr, es zu bereuen. Verlaß dich drauf, du Drei-Dollar-Hure. Schreib's dir hinter deine Ohren.« Atkins schnippte mit zwei Fingern. »He, mir kommt da eine prima Idee«, prahlte er. »Ich bringe dich um und nehme deinen Skalp. Jeder wird glauben, die Apachen hätten dich getötet. Und jeder denkt, daß ich auf und davon hin, um den Rothäuten zu entwischen.« Angewidert drehte Kate Chandler den Kopf zur Seite. Sie konnte diese Mördervisage nicht länger ansehen. Am liebsten hätte sie schon alles hinter sich gehabt. Aber noch klammerte sie sich verbissen an die hauchdünne Hoffnung, die ihr der Verfolger gab. Wenn es Jeffords gelang, den Outlaw unschädlich zu machen, blieb sie am Leben. Es wurde schnell dunkel. Atkins packte das Mädchen unter den Achseln und zerrte es tiefer in das Gewirr von Wegen und Gängen. Als er weit genug war, ließ er Kate einfach fallen. Sie stieß einen leisen Schrei aus, denn sie war mit dem Rückgrat genau auf einen Steinbrocken geprallt. »Was ist? Halt’s Maul!« knurrte Atkins. »Ich will hören, ob sich der Trottel heranschleicht.« Kate Chandler krümmte sich wie eine Schlange, scharrte mit den Füßen über den Boden und rutschte schließlich ein Stück weiter. Erleichtert atmete sie auf, als der Druck in ihrem Rücken nachließ. Lange Zeit lag sie reglos und beobachtete Atkins, der auf den
Hacken kauerte und in die Nacht lauschte. Als sich nichts rührte, entspannte sich der Revolverschwinger. Er rutschte dicht an Kate heran und flüsterte: »Na, wie ist es mit uns? Willst du mich nicht etwas verwöhnen?« Kate antwortete nicht. Atkins riß ihr den Kopf an den Haaren hoch und zischelte wuterfüllt: »Gib Antwort, wenn ich mit dir rede!« Das Mädchen wollte den Banditen anspucken, aber ihr ausgetrockneter Mund gab keinen Speichel mehr her. »Eher würde ich mit einem Apachen schlafen«, sagte sie schließlich. Atkins lachte heiser. »Das kannst du bald Lilien, wette ich. Bin ich erst einmal unterwegs, tauchen die Rothäute schon von selbst auf. Ich weiß nur nicht, ob ich dich vorher umbringe.« Kate spürte, daß er mit ihr spielte. Er wollte ihre Angst schüren, sie zu einem willenlosen, jammernden Bündel machen, das um sein Leben flehte. Aber er kannte Kate Chandler nicht. Sie hatte schon so manches hinter sich, das weniger zähe Frauen zerbrochen hätte. Seine Hände glitten über ihren Leib. Kate lag reglos auf dem Boden. Sie spürte die Berührungen zwar, aber sie drängte ihren Ekel vor diesem Killer zurück. Sie war wie eine leere Hülle, eine menschengroße Puppe unter den Händen des Banditen. Er tastete nach den Knöpfen ihrer Bluse, öffnete sie und strich über ihre warme Haut. Aber Atkins merkte, daß Kate seine Gier einfach ignorierte. Mit einem lästerlichen Fluch stand er auf, ging ruhelos hin und her. Was wird dieser Jeffords unternehmen? Wie würde ich mich in dessen Situation verhalten, dachte Atkins. Nachdem er zahllose Möglichkeiten erwogen und verworfen hatte, blieb nur noch eine übrig: Jeffords versuchte kurz vor der Morgendämmerung in seinen Rücken zu gelangen, um ihn zu überwältigen.
Grinsend blieb der Bandit stehen. Das wollte er dem verdammten Postmeister gründlich verderben. Der Killer legte sich auf den Felsboden und schlief sofort ein. Genau zur richtigen Zeit erwachte er. Prüfend blickte er nach Osten. Noch war kein heller Schimmer zu entdecken, und die Sterne spendeten genug Licht, um Atkins seinen Weg finden zu lassen. Kate drehte sich um, als sie seine Schritte hörte. Entsetzt zuckte sie zurück, als sie die Hände des Halunken an ihrem Hals spürte. »Noch ist es nicht soweit«, sagte Atkins. »Ich knebele dich zur Vorsicht. Sonst schreist du noch durch die Gegend, daß ich weggegangen bin. Und das kann ich nicht brauchen.« Kate würgte, als der Schurke ihr das Tuch in den Mund preßte und mit einem weiteren Fetzen Stoff sicherte. »Laß dir die Zeit nicht zu lang werden«, spottete Atkins, als er losging. Er glitt fast lautlos durch das zerklüftete Felsmassiv. Nach einer Weile erreichte er ein Gebiet, das kurz hinter dem Geröllfeld lag. Das ist der ideale Ort, dachte Atkins. Wenn Jeffords kommt, dann hier entlang. Der Killer zog sich auf eine Felssäule, die mindestens 12 Fuß hoch aufragte. Der Outlaw legte sich flach auf den glatten Stein. Von hier aus übersah er die gesamte Umgebung. Und hier mußte der Postmeister vorbeikommen, wenn er überhaupt diesen Weg nahm. * Thomas Jeffords hatte kaum geschlafen. Er wußte, daß der nächste Morgen die Entscheidung brachte. Er mußte all seine Kraft einsetzen, um den Mörder unschädlich zu machen und Kate Chandler zu retten.
Hoffentlich lebt sie noch, dachte Thomas. Wenn er sie umgebracht hat, ihr vielleicht sogar den Skalp nahm, dann brennt Arizona wieder. Denn wenn sich das herumspricht, knallt jeder Weiße sofort los, wenn er auch nur einen Fetzen roter Haut sieht. Dann ist der richtige Krieg da. Am Stand der Sterne sah Jeffords, daß es Zeit war. Langsam erhob er sich, bewegte Arme und Beine, um sie aufzulockern. Sorgfältig überprüfte er seinen Revolver. Das Gewehr konnte er nicht mitnehmen. Es war zu unhandlich und behinderte ihn nur. Minuten später glitt Thomas Jeffords lautlos davon. Er machte einen weiten Bogen, lief bis hinter das Geröllfeld und dann zur Seite. Links und rechts ragten Steinsäulen empor. Der Boden war sandig und knirschte leicht unter Jeffords' Stiefelsohlen. Er ging noch langsamer, denn er wollte sich nicht vorzeitig verraten. Einmal wich Thomas einem Orgelpfeifenkaktus aus, der schattenhaft vor ihm auftauchte. Ein langgezogener Ruf klang auf, gefolgt von Flügelschlägen. Jeffords zuckte zusammen. Er sah die Silhouette der Kaktuseule gegen den Sternenhimmel. Sie flog wohl zum letztenmal aus, um Beute zu machen. Denn bald ging die Sonne auf und trieb die Nachttiere in ihre Verstecke. Vorsichtig bewegte sich Thomas weiter. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er das Gewirr der Gänge und Wege zwischen den Felsen erreichte. Zögernd nahm er den Revolver in die Rechte. Sobald Atkins erschien und Jeffords den Halunken sah, mußte er sofort schießen. Denn dem Coltschwinger war der Postmeister sicher unterlegen, was die Schnelligkeit betraf. Thomas erreichte eine Klippe, die doppelt so groß war wie er selbst. Nur ganz kurz wollte er stehenbleiben, in die Nacht lauschen, ob er nicht durch ein Geräusch die Richtung
feststellen konnte, die er einschlagen mußte. Da! Ein leises Scharren, ein Knirschen! Jeffords wurde plötzlich klar, daß die Geräusche von oben kamen. Er blickte hoch, hob die Rechte mit dem Colt, aber es war zu spät. Mit ausgebreiteten Armen ließ sich Atkins auf Jeffords fallen und begrub ihn unter sich. Im gleichen Atemzug sprang der Killer auf die Beine. Mit seinem Revolver schlug er zu. Besinnungslos sank Jeffords zurück. Verdammter Narr, dachte er noch, bevor es dunkel wurde und er in einen scheinbar endlos tiefen schwarzen Schacht stürzte. Der Bandit grinste zufrieden, als er sich Jeffords auf die Schulter gewuchtet hatte. Das hatte ja besser geklappt als erwartet. Statt eines Faustpfandes hatte er nun zwei. Hoffentlich kam dieser Trottel bald wieder zu sich, denn Claude wollte einen Handel mit ihm machen. Der Revolvermann lief zurück zu seinem Lager und warf den Bewußtlosen einfach ab. Jeffords fiel schwer zu Boden und stöhnte nicht einmal. Besorgt prüfte Atkins, ob er so hart zugeschlagen hatte, aber der Mann atmete noch. Der Outlaw fingerte ein Schwefelholz aus der Tasche, riß es an und entzündete einige Zweige, die er noch am Abend aufgeschichtet hatte. Durch die Flammen sah er Kates Gesicht, das Verzweiflung, Trauer und Hoffnungslosigkeit ausdrückte. »Pech gehabt, was?« Atkins lachte gemein. »In zwei Minuten ist dein Retter genauso verschnürt wie du.« Atkins löste ihren Knebel. »Was wollen Sie denn mit ihm anfangen?« fragte Kate lauernd. »Ich brauche sein Pferd«, antwortete der Killer. »Mit einem richtigen Reitpferd verschwinde ich so schnell, daß mich niemand mehr einholt.«
Kate kam das irgendwie falsch vor, aber sie erkannte nicht, was daran nicht stimmte. Sie blickte hinter dem Mörder her, als er davonging. Diesmal bemühte er sich nicht, möglichst keine Geräusche zu verursachen. Wenig später kam er mit Jeffords Schimmelstute zurück. Die mißachtete den harten Druck der Zügel und ging zu ihrem Herrn, der noch immer am Boden lag. Das Pferd senkte den Kopf und prustete Thomas ins Gesicht. Als er sich nicht rührte, bleckte die Stute die Zähne. »Hierher, los, komm schon!« fauchte Atkins und riß mit aller Kraft an der Trense. Scheinbar willig folgte das Pferd. Aber als es den Jackenärmel des Halunken dicht vor seinen Lippen witterte, packten die großen Zähne zu. Atkins schrie, zerrte an dem Stoff, aber die Stute schlenkerte zweimal den Kopf und riß den Ärmel ab. »So ein Mistvieh!« fluchte Atkins und hieb dem Tier die geballte Hand auf die Nüstern. Das Pferd stieß einen beinahe menschlichen Schrei aus, steilte und strampelte mit den Vorderhufen. Aber Atkins war auf der Hut. Er packte im richtigen Moment zu, riß am Gebißstück und zwang das Tier runter. Lammfromm stand die Stute nun vor Atkins und zermalmte die Reste seines Jackenärmels. Der Revolvermann nahm die Wasserflasche, schraubte sie auf und trank in langen Zügen. Es lag in seiner Natur, zuerst an sich selbst zu denken. Außerdem interessierte er sich nicht mehr für Kate Chandler. Sie war der Einsatz in dem Spiel, das er mit Jeffords beginnen wollte. Der Postmeister stöhnte und bewegte den Kopf. Ein stechender Schmerz zuckte durch den ganzen Schädel und ließ Thomas in der Bewegung innehalten. Es dauerte noch ein paar Minuten, bis er klar war. Er öffnete die Augen, sah sich um und dachte voller Wut: du verdammter Idiot bist dem Halunken
genau in die Falle gelaufen. »Na, hast du deinen Schönheitsschlaf beendet?« erkundigte sich Atkins hämisch. »Fahr zur Hölle!« antwortete Jeffords verächtlich. »Vorsichtig, Mister«, warnte der Bandit. »Du stehst mit einem Bein schon im Grab. Vergiß das nicht. Du hast nur eine Chance: bring mich heil aus dem Indianerland, dann lasse ich dich und das Girl laufen.« »Glauben Sie ihm kein Wort, Mr. Jeffords«, sagte das Mädchen bitter. »Er bringt uns beide um, sobald er in Sicherheit ist.« »Mit dir fange ich jetzt sofort an, wenn du nicht die Klappe hältst«, drohte Atkins. »Vielleicht bringt dein Schreien unseren guten alten Jeffords auf den richtigen Einfall, he?« Thomas ließ sich die Worte des Halunken durch den Kopf gehen. »Bisher haben Sie es doch auch geschafft«, sagte der Postmeister. »Warum soll ich jetzt den Führer spielen?« »Weil zu viele verdammte Rothäute unterwegs sind«, antwortete der Bandit. »Ich kenne die Wasserstellen nicht. Und ich habe keine Zeit, stundenlang zu suchen, bis ich was zu trinken finde. Na, wie ist es? Oder soll ich dem Flittergirl das Gesicht etwas verschönern?« Atkins zog ein langes, schmales Messer aus der Innentasche seiner Jacke und ging auf Kate Chandler zu. Langsam beugte er sich hinab. Die nadelscharfe Spitze des Dolches berührte die Wange des Mädchens. »Nur zu, los doch«, stieß Kate hervor. »Sie bringen uns ja doch um. Da macht es mir nichts aus, wann es geschieht.« Es gelang ihr, die Angst zu unterdrücken. Ihre Stimme klang herausfordernd. »Du machst dir doch selbst was vor«, sagte Atkins. »Wenn ich wirklich Ernst mache, bettelst du um Gnade.« »Schluß damit!« sagte Thomas Jeffords. »Welche andere
Möglichkeit habe ich?« »Keine«, antwortete Atkins gnadenlos. »Und wenn ich mich weigere?« »Dann bleibt ihr hier, tot und skalpiert. Die Fesseln nehme ich euch danach ab. Irgendwann werdet ihr gefunden. Wenn du nicht zu deiner dämlichen Station zurückkommst, suchen dich die Postleute schon. Und dann geht der Tanz hier so richtig los. Denn jeder muß annehmen, daß die Apachen euch erwischten. In dem Getümmel kann ich ungestört abhauen.« Jeffords hatte keine andere Wahl. Er mußte Kates und sein Leben so lange wie möglich erhalten. Vielleicht ergab sich doch eine Möglichkeit zur Flucht. Jeffords fixierte den Killer. »Okay, Atkins«, sagte Thomas. »Ich bringe uns aus dem Apachenland raus. Aber es ist nicht einfach. Wenn ich sage, anhalten, dann hältst du. Verstanden? Wenn ich sage, Galopp, dann jagen wir los, als sei der Teufel hinter uns her.« »Schon gut, brich dir nur nichts ab.« Thomas faßte einen verwegenen Plan. Wenn er gelang, waren alle Probleme gelöst. Aber es konnte auch so enden, daß Jeffords neben dem Mörder am Marterpfahl stand. Denn der Postmeister wollte den Banditen direkt zu Cochises Apacheria in die Dragoon Mountains führen. Vielleicht hatte der große Häuptling seinen Groll inzwischen etwas besänftigt und half. Wenn nicht, dann war wenigstens Kate Chandler gerettet. Denn diese Forderung wollte Jeffords stellen. »Ihr reitet auf dem Wagenpferd«, sagte Atkins. »Ich hebe euch rauf und fessele euch aneinander. Wenn einer einen krummen Trick versucht, fallt ihr wenigstens beide in den Dreck.« Jeffords wünschte, die nächsten sechs oder sieben Stunden wären schon vergangen. Denn nach dieser Zeit mußten sie am Zugang zu dem versteckten Hochtal ankommen, in dem Cochises Stamm lagerte.
Aber es sollte anders kommen. Atkins wandte sich ab, ging tiefer in das Gewirr der Gänge und holte das Schwere Wagenpferd. Jeffords blickte ihm nach. Inzwischen war es so hell, daß er die Augenfarbe des Mädchens erkennen konnte. Es war ein helles Grau, in dem grünliche Punkte schimmerten. Der Postmeister schaute dann dorthin, woher er eigentlich kommen wollte, um Kate zu befreien. Plötzlich stockte Thomas der Atem. Denn er sah einen bronzefarbenen Arm, der einen Tomahawk hielt. Die Apachen waren ihnen schon auf den Fersen! Sie standen keine zehn Yards entfernt und warteten auf den günstigsten Moment. Jeffords sagte kein Wort, als Atkins zurückkam. Vielleicht lag hier die Chance, derentwegen sich der Postmeister das Gehirn zermartert hatte. Und als sich der Bandit zu dem Mädchen runterbeugte, glitt der Apache um die Ecke. * Cochise lag dicht neben Naiche. Sie sahen, wie Jeffords von Atkins überwältigt wurde. Vorsichtig zogen sich die Apachen zurück. Naiche betrachtete seinen Vater. Dem Gesicht war keine Regung anzumerken. Aber Naiche kannte den Vater gut genug. Er spürte, daß der in einem Zwiespalt war. Noch immer nagte die Beleidigung am Stolz des Häuptlings. Thomas Jeffords war einmal Cochises Freund gewesen. Nun standen sie sich als Feinde gegenüber. Der Häuptling erkannte mit hellsichtiger Klarheit, daß der Postmeister sein Leben aufs Spiel gesetzt und es fast schon verloren hatte. Cochise ahnte, warum Jeffords dem weißen Mörder gefolgt
war und das Mädchen befreien wollte. Denn der Jefe und sein Sohn hatten jedes Wort gehört, das im Camp des Halunken gesprochen worden war. »Hellauge dachte an uns«, sagte Cochise leise zu seinem Sohn. »Wenn der Bandit seine Absicht durchführt, wenn er die Squaw und Hellauge tötet und ihnen die Skalps nimmt, kann ich die Krieger nicht länger zügeln. Wir müssen dann einen Kampf beginnen, der unser Untergang sein wird.« Der Häuptling war tief beeindruckt von Jeffords' Handlungsweise. Er schützte die Schwachen, versuchte, Unrecht wieder gutzumachen und wollte gleichzeitig die Apachen vor den Nachstellungen weißer Männer schützen. Thomas Jeffords wollte Frieden. Das ging aus seiner Handlungsweise klar hervor. Cochise kämpfte lange mit sich. Schließlich hob er in einer resignierenden Geste beide Arme zum Sternenhimmel und flüsterte: »Usen, großer Geist, zürne deinem Kind nicht, wenn es nun deinen Weg verläßt und einen falschen einschlägt. Du gabst uns dieses Land. Wir leben hier seit unendlich langen Jahren. Wir verteidigen es gegen alle Feinde. Aber jetzt kommen die Bleichgesichter und fressen das Land. Aber es gibt auch unter den Weißhäutigen gute Männer, wie Thomas Jeffords. Ich muß ihm helfen, denn er war mein Freund, mein Bruder.« Naiche hatte respektvoll zugehört, wie sein Vater den Großen Geist anrief. Als Cochise geendet hatte, klang gar nicht weit entfernt der Ruf eines Rennkuckucks auf. Die für Naturerscheinungen sehr empfänglichen Apachen deuteten diesen Ruf als Zeichen. »Du hörst«, sagte der Häuptling lächelnd, »wir handeln richtig, Sohn. Also schleiche lautlos wie ein Puma vor. Ich klettere auf die Felsen. Achte darauf, daß der weiße Bandit keine Gelegenheit bekommt, seinen Revolver abzufeuern.« Naiche nickte nur und glitt lautlos davon. Stück für Stück
schob er sich weiter und achtete darauf, daß die umgestülpten Enden seiner fast kniehohen Wildlederstiefel nicht am Gestein entlangscheuerten. Nichts sollte Naiche verraten. Wie ein Puma sollte sein Angriff sein. Und wie ein Puma wollte er seine Beute beim ersten Ansturm töten. Cochise kletterte in die Felsen. Im Dämmerlicht des grauenden Morgens sah er vor sich eine kaum fußbreite Felsbrücke. Der Häuptling schätzte den Abstand zwischen den beiden Steinsäulen. Ohne Anlauf kam er nicht auf die andere Seite. Also mußte er die Brücke benutzen. Der Jefe setzte Fuß vor Fuß. Er glitt förmlich vorwärts und verlagerte ganz behutsam sein Gewicht. Schließlich stand er auf der zweiten Säule. Ungefähr zehn Fuß unter sich sah er das Lager des weißen Halunken. Der führte das schwere Wagenpferd heran. Cochise stieß das leise Fiepen einer Springmaus aus. Das war das Zeichen! Atkins bückte sich, als Naiche vortrat und mit drei großen, lautlosen Sprüngen dicht hinter den Revolverschwinger gelangte. Kate verdarb den Überraschungseffekt. Sie schrie ängstlich auf. Atkins reagierte instinktiv. Er stieß sich ab, landete auf allen vieren und sprang hoch. Wie durch Zauberei lag der Revolver in seiner Rechten. Naiche fintete mit dem Tomahawk. Mit der Linken zog er das Messer aus dem Gürtel. Als Atkins den Finger krümmte, ließ sich der Apache fallen. Die Kugel sirrte weit über ihn hinweg. Aus dem Liegen heraus schleuderte Naiche das Kampfbeil. Mit der flachen Seite des Metallkopfes prellte es den Revolver aus der Hand des Banditen. Der stieß einen Wutschrei aus, bückte sich, schnappte seine Waffe mit der Linken, wollte erneut feuern, als der Häuptling
vom Felsen sprang und Atkins unter sich begrub. Schon blitzte Cochises Tomahawk im ersten Sonnenlicht, als Jeffords brüllte: »Nicht, er soll hängen! Er soll die Angst kennenlernen, bevor er stirbt!« Im letzten Moment drehte der Jefe seine Hand. Es gab ein dumpfes Geräusch, als die flache Seite den Schädel des Outlaws traf. Kate Chandler war leichenblaß. Sie sah sich wohl schon als Squaw in einer Zweighütte, verachtet von den anderen Frauen, verhöhnt von den Kindern und hin und her gestoßen von den Kriegern. Cochise ging auf das Mädchen zu. Plötzlich hielt er ein Messer in der Hand. Er erkannte die Furcht der weißen Frau und lächelte ihr zu. »Du sollst keine Angst haben, weiße Blume«, sagte der Häuptling. »Dir geschieht nichts mehr. Du bist jetzt frei.« Kate glaubte es erst, als die Klinge die Fesseln durchtrennte und sie aufstehen konnte. Noch immer hatte sie Angst, denn in diesem stattlichen Indianer hatte sich etwas verändert, als er sich Jeffords zuwandte. Thomas blickte dem Häuptling in die Augen, wich dem harten Blick nicht aus und zuckte nicht zurück. Cochise zerschnitt die Fesseln. Der Postmeister erhob sich, ließ sich den rasenden Kopfschmerz nicht anmerken. Schweigend standen sich die beiden so ungleichen Männer gegenüber. Der eine war der hochgeachtete Anführer eines starken Apachenstammes, der oberste Chief für die anderen Gruppen und verkörperte die wahre Macht dieses Landes. Der andere war vier Inches kleiner als der Jefe, aber auch er, ein Weißer, verkörperte etwas. Er war der Vertreter der neuen Zeit. Und er wünschte nichts sehnlicher, als daß Apachen und Weiße friedlich miteinander lebten. Wärme stand auf einmal in Cochises Blick. Auch Thomas
Jeffords wurde klar, daß ihre Freundschaft eine Belastungsprobe überstanden hatte. Cochise und Jeffords waren durch unzerreißbare Bande miteinander verknüpft. Der Jefe streckte nach Art der Weißen die Rechte aus. Thomas schlug ein. Er spürte, daß der Häuptling seinen Groll begraben hatte. »Ich schulde dir mein Leben, Freund«, sagte der Postmeister fast heiter. »Ich schenke es dir«, entgegnete der Indianer großzügig. »Naiche und ich sind seit Tagen auf deiner Fährte. Wir wollten wissen, welches Wild du jagst.« Jeffords deutete auf den besinnungslosen Atkins und sagte: »Menschenwild, Jefe. Einen Mörder, den ich bei der Station in einer Kutsche erkannte: Er bemerkte, daß ich den Fahrer warnte und schleppte das Mädchen mit.« Naiche fesselte Atkins kunstgerecht so, daß er sich auf keinen Fall selbst befreien konnte. »Wie bringen wir den Halunken nach Tombstone?« fragte Jeffords. »Wir haben nur noch zwei Pferde.« »Ich zeige dir einen neuen Weg von hier aus«, versprach der Häuptling. »Der Mörder kann laufen. Für die Squaw richtet Naiche aus deinen Decken und Zweigen einen Sattel.« So geschah es auch. Kate Chandler überwand ihre Angst erst, als sie auf dem Rücken des Wagenpferdes saß und den Sitz wundervoll bequem fand. Ihr wurde bewußt, daß nicht alle Apachen Schurken, daß sie Menschen ihrer Zeit waren und nach jahrhundertealten Gesetzen lebten, die ihnen die karge Umgebung aufgezwungen hatte. »Danke«, sagte Kate und lächelte Naiche an. Der Häuptlingssohn erwiderte das Lächeln und nickte ihr zu. Wenig später kam Atkins zu sich. Er versuchte, sich
hochzustemmen, fiel aber stöhnend wieder zurück. »Verfluchte rote Stinker«, krächzte er rauh. »In der Hölle sollt ihr alle braten.« Cochise winkte ab, als Jeffords den Kerl handgreiflich zurechtweisen wollte, denn das war Hellauge seinem Freund doch schuldig. »Seine Worte sind wie Staubkörner im Wind«, sagte der Jefe. »Er weht weiter und ist nicht mehr aufzufinden.« Der Postmeister nahm von Naiche eine rohlederne Leine entgegen, die er mit den Handfesseln des Outlaws verband. Das andere Ende knotete Jeffords um sein Sattelhorn. »Es kann losgehen«, sagte Thomas zufrieden. »Wer führt?« »Naiche«, erwiderte der Jefe, »Er bringt uns erst zu gutem Wasser.« »Seit ihr verrückt geworden?« kreischte Atkins. »Ihr könnt mich doch nicht zu Fuß laufen lassen. Ich will ein Pferd, verdammt noch mal.« Jeffords blickte den Killer verächtlich an, als er sagte: »Du hast noch zwei andere Möglichkeiten. Erstens: Du läßt dich über den Boden schleifen. Zweitens: Wir lassen dich hier. Cochise wird einige seiner Krieger herbeiholen, die sich ihren Spaß mit dir machen. Du kannst es dir aussuchen.« Atkins fluchte, drohte und bettelte – umsonst. Er wurde auf die Beine gezerrt und mußte hinter der Schimmelstute herlaufen. Naiche ritt an der Spitze. Ihm folgten Kate Chandler, und – hinter ihr – Seite an Seite, Cochise und der Postmeister. * Nach einer Stunde änderte Naiche die Richtung und führte sie in eine Schlucht. Zu beiden Seiten wölbten sich die Felsen so weit über das kleine Tal, daß der blaue Himmel nur als schmales Band zu sehen war.
Der junge Krieger schob eine Felsplatte zur Seite. Staunend blickte Jeffords auf einen fußbreiten Wasserlauf, der nach knapp zwei Yards in einem Loch in der Felswand verschwand. Sie löschten alle ihren Durst und füllten die Wasserflaschen auf, ehe Cochise zum Weiterreiten mahnte. Jeffords spürte, daß dem Häuptling die Zeit auf den Nägeln brannte. Aber es war unhöflich, nach seinen Absichten zu fragen. So erzählte Thomas von dem merkwürdigen Tal und dem verschlungenen Weg, der in den kleinen Canyon führte. »Eine Hütte stand dort, aber jetzt ist sie zerfallen«, schloß der Postmeister. »Ich fand Fallen und Tellereisen und andere Dinge, die ein Trapper braucht. Hinter den Büschen lag ein Skelett, Cochise. Ich konnte nicht erkennen, woran der Mann gestorben war.« Der Jefe nickte bedächtig. »Ich erinnere mich an den Pelztierjäger«, sagte er. »Er war ein guter und gerechter Mensch, ging den Apachen aus dem Weg, und wir ließen ihm auch seinen Frieden. Der große Canyon ist das Tal der Seufzer, Hellauge. Niemand weiß, warum es so heißt. Vor langen, langen Sommern marterten unsere Vorfahren dort zwei Männer in langen Kutten zu Tode. Diese Kapuzenträger kamen aus dem Süden, aus dem Land der Eisenmänner.« Land der Eisenmänner, dachte Thomas. Wie lange sich die Erinnerung an die Eroberung durch Spanier in metallenen Rüstungen doch hält. Sie ritten eine Weile schweigend. Nur ab und zu stieß Atkins wüste Beschimpfungen und Drohungen hinter ihnen aus. Sie achteten nicht auf den Mörder, dem in Tombstone sicher der Prozeß gemacht wurde. »Ich traf Falke, den du John Haggerty nennst«, sagte der Häuptling unvermittelt. »Er sprach davon, daß Freundschaft kein Ding für einen Tag ist. Er sagte es nicht so deutlich, aber
ich verstand ihn.« Konnte Thomas es wagen, nun seinen Wunsch vorzubringen? War dies der richtige Zeitpunkt, das Thema der schutzlosen Kutschen anzuschneiden? Der Postmeister entschied sich dagegen. Cochise hatte es eilig. Also wäre die erneuerte Freundschaft sofort wieder einer Zerreißprobe ausgesetzt worden. »Wie weit begleitet ihr uns?« fragte Thomas. Cochise antwortete lächelnd: »Bis zu jener unsichtbaren Grenze, die heute das Gebiet der Bleichgesichter vom Land der Apachen trennt. Naiche und ich leisteten einen Schwur. Wir müssen ihn erfüllen, wenn wir nicht unsere Ehre verlieren wollen.« »Teufel auch«, sagte Jeffords beeindruckt, »da muß ja etwas Furchtbares geschehen sein.« Cochise blinzelte und erwiderte: »Ja, Hellauge, sechs Gelbhäutige ermordeten einen meiner besten Krieger, dessen zwei Söhne und die Squaw, die noch vielen Söhnen hätte das Leben schenken können. Ich habe geschworen, die Gelbhäutigen zu töten, um das Gesetz des Stammes zu vollziehen.« Jeffords schwieg. Was konnte er dagegen schon einwenden? Er selbst war ja bereit gewesen, den gesuchten Verbrecher zu töten, wenn ihm keine andere Wahl blieb. Aber bei den Apachen lagen die Gesetze eben anders. Sie forderten für den Tod eines der ihren den Tod des Schuldigen. »Männer mit Sternen an den Hemden sind unterwegs«, sagte Cochise nach einer Weile. »Sie suchen ebenfalls die Mörder, jedoch aus einem anderen Grund. Sie vermuten, daß die Gelbhäutigen Waffen über die Grenze schaffen wollen. Ich möchte nicht, daß mir die Sternenmänner mein Wild vertreiben oder wegfangen.« Der Häuptling schilderte ausführlich die Begegnung mit dem Aufgebot.
Jeffords wiegte bedenklich den Kopf. »Scheint eine harte Mannschaft zu sein«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß deine »Worte sie beeindruckt haben.« »Dann sind sie unsere Feinde«, entgegnete Cochise hart. »Das Recht des Stammes und das der Toten geht vor.« Thomas kannte diesen Tonfall. Es war zwecklos, den Jefe von seiner Meinung abbringen zu wollen. * Am frühen Nachmittag überquerten die Reiter und Atkins einen langgezogenen Hügel. Verblüfft zügelte der Postmeister sein Pferd und starrte auf die Town hinab. Dort unten lag Tombstone vor ihm. »Wie, viele solcher Wege kennst du noch, Cochise?« fragte Jeffords. Aber der Jefe winkte ab. Er durfte nicht alle Geheimnisse der Chiricahuas preisgeben. »Da, aus Richtung Winter!« rief Naiche und legte schützend die Hand Über die Augen. Jeffords machte es ihm nach. »Sechs weiße Reiter«, sagte Naiche. »Sie haben uns gesehen, Vater, wir sollten uns von hier entfernen.« Würdevoll entgegnete Cochise: »Nein, wir sind die Herren dieses Landes. Nicht jene Männer, die mit der Macht des Mundes, der doppelten Zunge sprechen.« Die sechs Reiter brachten ihre Tiere in Galopp und stürmten den Hügel hinauf. Von weitem schon sah Thomas Jeffords die Sterne an den Hemden blitzen. Es war die Posse, von der Cochise vor wenigen Minuten berichtet hatte. Die Männer formierten sich zu einer Linie, machten breite Front zu der seltsamen Gruppe, die auf der Kuppe gewartet hatte.
»Wir haben einen toten Mexikaner gefunden«, sagte jemand mit harter Stimme. »Den Spuren nach hatte er noch fünf Begleiter. Wo sind sie?« Der Häuptling übersah den Mann einfach und sagte zu seinem Sohn: »Ich höre, daß ein Gilatier spuckt. Geh hin und vertreibe es, Naiche.« Der Marshal wurde vor Wut puterrot. »Verdammt, ihr könnt hier nicht einfach rumreiten und Leute aus dem Sattel schießen!« rief er. David Slattermill goß Öl ins Feuer. »Und was ist das da? Ein Mädchen und ein Weißer als Gefangene? Oha, Marshal Morland, wir sollten diesen beiden roten Hundesöhnen ganz schnell das Fell über die Ohren ziehen.« Claude Atkins rappelte sich auf. Er war vor Müdigkeit zu Boden gesunken. »Hölle und Pestilenz!« fauchte der Marshal. »Macht sofort den Mann los! Was soll das, einen Weißen so zu quälen?« Jeffords konnte nicht mehr an sich halten. »Sie gehören wohl zu der ganz besonderen Sorte von Dummköpfen, was, Marshal?« fragte der Postmeister spöttisch. Morland fuhr auf, wollte losbrüllen, aber ein Blick in Jeffords graue, kalt wirkende Augen ließen den Gesetzeshüter schweigen. »Sie sehen etwas und denken, daß Sie auch wissen, was los ist«, fuhr Jeffords fort. »Das ist nicht nur dumm, Marshal, das ist in diesem Land sogar lebensgefährlich und unverantwortlich allen anderen Menschen gegenüber. Erstens sind Miss Kate Chandler und ich keine Gefangenen. Im Gegenteil. Cochise und sein Sohn befreiten uns aus der Gewalt dieses üblen Vogels, der da am Seil hängt. Und der Kerl hat mehr verdient, als einen halben Tag Fußmarsch. Er gehört an den Strick. Und das möglichst schnell.« »Wer ist der Mann?« fragte Marshal Morland einigermaßen
friedlich. »Claude Atkins«, antwortete Thomas. »Vielleicht erkennen Sie ihn nicht auf Anhieb, denn der Spaziergang hat ihn doch etwas erschöpft, aber er ist es.« Morland tat sich schwer mit seiner Entschuldigung, aber er brachte sie über die Lippen. Cochise nickte nur. »Ich bin Thomas Jeffords«, stellte sich der Postmeister vor, »und ich gebe Ihnen den Rat, in Zukunft vorsichtiger mit Ihren Anschuldigungen zu sein Morland. Zwei normale ApachenKrieger hätten sich jetzt schon in wilde Teufel verwandelt, um die Beleidigung zu rächen. So etwas kann einen Krieg auslösen.« Slattermill konnte seinen Mund nicht halten. »Na, wenn schon«, krähte er, »dann wird wenigstens schnell aufgeräumt in Arizona. Es wird Zeit, daß die Rothäute verschwinden. Ihre Zeit ist abgelaufen.« »Ihre auch, Mister«, entgegnete Jeffords drohend. »Wenn ich Sie in Tombstone mal zwischen die Fäuste kriege, schlage ich Ihnen Ihr großes Maul so breit, daß Sie kein vernünftiges Wort mehr rausbekommen. Narren wie Sie sollte man ganz schnell an die Leine legen, bevor sie Unheil anrichten.« »Genug jetzt!« sagte Morland. »Mußte Atkins denn laufen? Konnte ihn nicht einer von Ihnen aufs Pferd nehmen?« Jeffords grinste, als Kate Chandler sagte: »Sie müssen ziemlich naiv sein, Mr. Sternträger. Oder nehmen Sie 'ne Klapperschlange vor sich aufs Pferd? Dieser Dreckskerl hat mich entführt und tagelang gefesselt durch die Wildnis getrieben. Mann, Marshal, sollte ich mich dafür vielleicht noch dankbar erweisen? Einen Outlaw noch belohnen? Nein.« Die Männer der Posse murmelten zustimmend. Der Marshal verlor an Boden. Er wollte das gleich wieder aufholen und sagte: »Das alles erklärt aber nicht den toten Mexikaner.« »Apachengesetz«, sagte Jeffords. »Wenn Sie schlau sind,
halten Sie Ihre Nase aus der Sache.« Wieder lief Morland rot an, aber bevor er explodieren konnte, hob Cochise die linke Hand. Von dieser Geste ging etwas so Zwingendes aus, daß sich der Sternträger schlagartig beruhigte und den Häuptling anstarrte. »Die anderen fünf Männer sind tot«, verkündete Cochise. »Sie überfielen eine Pferderanch, stahlen die besten Tiere und steckten die Wickiups in Brand. Mein Freund Falke, den die Weißen Lieutenant John Haggerty nennen, half uns, dem Fraß der Flammen Einhalt zu gebieten. Mein Sohn und ich folgten den Gelbhäutigen und töteten sie im Süden. Das ist alles. Wir reiten.« Cochise nickte Jeffords freundlich zu und zog sein Pferd herum. Naiches Mustang folgte, und wenige Minuten später schienen die beiden Apachen wie vom Erdreich verschluckt zu sein. »Hol mich der Geier«, stöhnte Morland, »so erwischen wir die Schmuggler nie. Jeffords, Hunderte von modernen Gewehren werden über die Grenze gebracht. Bald bricht in Mexiko eine Revolution aus. Und wir schlagen uns dann mit sämtlichem Gelichter herum, das es nur gibt.« »Das ist doch was für Slattermill«, bemerkte Thomas sarkastisch. »Kann ich Ihnen Atkins und Miss Chandler übergeben und zu meiner Station zurückreiten?« Abwehrend hob Morland die Hände und antwortete: »Auf keinen Fall. Sie müssen mit, ein Protokoll unterschreiben und so weiter. Aber wir begleiten Sie nach Tombstone runter.« Während des kurzen Rittes lenkte der Marshal sein Pferd dicht neben das von Jeffords und fragte mit gedämpfter Stimme: »Sind die Mexikaner wirklich tot? Was meinen Sie?« »Spätestens heute abend sind sie es«, gab Jeffords zurück. »Vergessen Sie das alles am besten. Und wenn dieser Slattermill in der Town sein Maul aufreißt, müssen sie es ihm irgendwie stopfen. Die Gerüchte verbreiten sich schneller als
ein Präriefeuer.« * Cochise und Naiche hielten sich noch einige Minuten in ihrer Deckung auf und blickten den Weißen nach. »Hellauge weiß, daß die Gelbhäutigen noch leben«, sagte Naiche lächelnd. »Aber er achtet unser Gesetz«, entgegnete sein Vater. »Darum ist er mein Freund, der Freund aller Apachen. Er möchte Frieden, wie ich. Aber auf beiden Seiten, der weißen und der roten, gibt es Menschen, die Frieden für etwas Verwerfliches halten. Reiten wir, Sohn, jagen wir die Mörder.« Auf Pfaden, die noch keines Weißen Auge gesehen hatte, ritten die Chiricahuas dorthin, wo sie die Verfolgung der Mörder abgebrochen hatten, um Jeffords zu folgen. »Die Spuren sind noch deutlich zu erkennen«, sagte Cochise zufrieden. Aber für das Augen eines Weißen gab es auf dem Boden nichts zu sehen. Vielleicht konnte ein erfahrener Scout wie Haggerty etwas erkennen, aber auch er hätte nicht von einer deutlichen Fährte geredet. Cochise und Naiche trieben ihre Pferde an. Die zähen Tiere schienen unermüdlich zu sein und fielen in Galopp. Nach einer weiteren Stunde scharfen Rittes teilten sich die Spuren plötzlich. Drei Pferde waren nach Osten abgebogen, die anderen zwei gingen in die entgegengesetzte Richtung. »Du nach Westen, ich nach Osten?« fragte Naiche, dem es förmlich auf den Nägeln brannte. Aber der Jefe schüttelte den Kopf. »Nein, das ist eine List«, antwortete er. »Sie wollen uns trennen, Sohn. Wir reiten nach Süden. Denke darüber nach, wie weit die beiden Gruppen kommen.« Naiche verzog nach einer Weile das Gesicht. Er hatte einen
Fehler gemacht. Denn im Osten lag der Apache-Paß mit Fort Buchanan. Und die Gelbhäutigen mußten den Pferdesoldaten aus dem Weg gehen. Die Gruppe, die nach Sonnenuntergang ritt, geriet immer tiefer in das Felsengewirr der Dragoon Mountains. Und dort war die Heimat, die Zuflucht der Chiricahuas. »Sie treffen sich am Hirschplatz«, sagte Naiche, als er seine Überlegungen beendet hatte. Cochise lächelte stolz. Sein Sohn war seiner würdig. »Ja, am Hirschplatz«, wiederholte der Jefe. »Und dort werden sie sterben.« Die Chiricahuas ließen die Mustangs galoppieren. Der Hirschplatz war vielen Menschen bekannt, Indianern, Mexikanern und auch weißen Scouts. Dort war die Salzlecke der Tiere, eine flache Pfanne, die gut zwei Yards breit war. Rundherum hatte das Wild die Büsche abgefressen und das Gras niedergetrampelt. Erst in einiger Entfernung fand sich wieder Deckung. Zwei Stunden scharfen Rittes lagen hinter Naiche und seinem Vater, als sie ihre Pferde zügelten. Auf einen Blick hin lenkte der junge Krieger seinen Mustang nach links und verschwand wie ein Schatten im Unterholz. Cochise trieb sein Pferd genau gegenüber in die Sträucher. Es würde geduldig an diesem Platz verharren, bis es sein Herr abholte. Das war das Ergebnis der indianischen Dressurmethode. Bei ihr wurde der Wille des Tieres nicht gebrochen, sondern der Mensch erwarb dessen Zuneigung und Freundschaft. Geduld galt als eine der größten Apachentugenden. Ein Krieger blieb unter Umständen tagelang in einem Versteck, um etwas auszukundschaften. Und wenn er glaubte verfolgt zu werden, blickte er stundenlang auf die eigene Fährte zurück. Von der anderen Seite der Salzlecke klang zweimal der Ruf der Wüstenspottdrossel auf.
Cochise nickte lächelnd. Naiche hatte zwei der Feinde ausgemacht. Wenig später gab der Häuptling den Vogelschlag dreimal zurück. Die Fronten waren klar. Doch es dauerte noch fast 20 Minuten, bis die Gelbhäutigen es wagten, das Unterholz zu durchbrechen und sich zu begrüßen. »Haben wir die Kerle abgeschüttelt?« fragte ein Mexikaner, dem der Schweiß in wahren Bächen vom Kopf lief. »Scheint so, Ramon«, antwortete ein anderer, »aber wir wollen trotzdem nicht unvorsichtig werden. Kein Feuer jetzt. Und nach Einbruch der Dunkelheit über die Grenze. Sollen andere das große Geschäft mit den Gewehren machen. Uns sitzen die Apachen im Nacken.« »Hätten wir die Sippe doch bloß nicht umgenietet«, stöhnte ein hagerer Mexikaner, »dann brauchten wir jetzt nicht wie die Hasen davonzulaufen.« »Quatsch«, sagte wieder ein anderer. »Der Krieger wäre uns gefolgt, hätte seine Freunde alarmiert, und dann wären wir auch dran gewesen. Du weißt doch, daß uns die Apachen nicht ausstehen können.« »Wir hängen so oder so in der Falle.« Cochise sagte laut in gutem Spanisch: »Da habt ihr recht, Gelbhäutige.« Zwei Pfeile durchschnitten sausend die Luft, und zwei Mexikaner brachen zusammen. Ehe sich die restlichen drei Kerle von ihrem Schrecken erholen konnten, starben auch sie. Cochise hatte seinen Schwur erfüllt. Naiche skalpierte die Toten. Die Skalps wurden in der Apacheria durch den Schamanen dem Großen Geist Usen geopfert, damit die Seelen der toten Chiricahuas gnädige Aufnahme in die Ewigen Jagdgründe fanden. Der Jefe durchsuchte die Taschen der Mexikaner. Er fand
sechs Beutel, prall gefüllt mit goldenen Pesos. Cochise teilte gerecht, bevor er sich der Waffen annahm. Diese Beute war fast noch wichtiger für die Apachen als das gemünzte Gold. Denn mit Feuerwaffen konnte ein Krieger seinen Feind auf weite Entfernung bekämpfen. Er konnte so kämpfen, wie die Bleichgesichter. Cochise schnürte alles zusammen, was für den Stamm gedacht war, und verbarg es hinter einem großen Felsen, der in der Nähe der Salzlecke stand. Nun galt es, den Pferdezüchtern Adams ihre Tiere und den Anteil am Gold zu bringen, damit sie ihren Besitz wieder aufbauen konnten. Cochise hielt sein Wort unter allen Umständen, dafür war der berühmte Häuptling bekannt. Aber er kämpfte auch bis zum bitteren Ende, wenn er einen Schwur getan hatte.
ENDE