Alexander Calhoun
Blutsbrüder des Falken Apache Cochise Band Nr. 29 Version 1.0
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Prolog Man nannte die Apachen Bar...
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Alexander Calhoun
Blutsbrüder des Falken Apache Cochise Band Nr. 29 Version 1.0
2
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder. Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen. Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten Rasse führten. Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen Apachen-Skalp. Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«? Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer »Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den Indianern fühlten. Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer- und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von vielen Amerikanern heutzutage 3
bagatellisiert und, wenn die Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung abgetan wird. Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung trieb, nicht mit ansehen muß. Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft, ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen Arizonas. Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet? Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa, Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden. Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich das große graue Leichentuch über die Stämme und Sippenverbände. Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments gegen die rote Rasse gewesen wäre. Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu 4
ihrem Recht zu verhelfen. Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer rauhen Umwelt. Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur in Kurzform gebracht wurde. Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch makabren Hintergrund. Ihr Martin Kelter Verlag.
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*** Bei Sonnenuntergang erreichten John Haggerty, der Häuptling Cochise, sein Sohn Naiche und Carmen Obeira den Rio Moctezuma. Cochise deutete auf eine Lichtung im Chapparal. »Wasser, Futter für die Pferde und Brennholz.« John nickte. Sie machten nie viele Worte, weder Cochise noch er. Sie verstanden sich auch so. Er zügelte seinen Braunen, schwang ein Bein über die Kruppe und sprang aus dem Sattel. Zuerst half er dem völlig erschöpften Mädchen vom Pferd. Sie war so fertig, daß sie dort niedersank, wo sie gerade stand. Naiche suchte Holz und entfachte ein Feuer. Die ersten Schatten krochen vom Fluß herauf und schoben sich wie Geisterfinger zwischen die Büsche. Tierlaute drangen durch den frühen Abend und vereinten sich zu einem Chor in der Wildnis. Sie hatten ihr frugales Mahl beendet. John ging zu Fuß, um Blechteller und Pfannen auszuwaschen. Nichts störte ihn. Unaufhörlich quakten Frösche, Amphibien glitten raschelnd durch Rohr und Mangroven, Wasservögel strichen mit klatschenden Flügeln ab. John war es, als hätte die heraufziehende Nacht ihr Füllhorn voll Glück und Zufriedenheit über der Flußlandschaft ausgeschüttet. Ein seltsamer Laut drang vom unteren Fluß zu John. Er hob den Kopf und lauschte. Das Geräusch wiederholte sich nicht. Und doch war etwas Bemerkenswertes eingetreten: die Tierlaute waren übergangslos verstummt. Den Fluß herauf strich ein Pulk Wildenten und flog mit emsigem Geschnatter in das Unterholz der anderen Flußseite. Stille. 6
Sie war so überwältigend, daß es John Haggerty kalt überlief. Vom Lager drang nicht der kleinste Laut zu ihm. Alles war still, so still, als sei er der einzige Mensch auf der Welt. John ließ das Geschirr liegen und zog den Revolver. Wie ein Wiesel huschte er durch den Chapparal. Die Lichtung schälte sich aus dem grünen Ring des Bewuchses. John zögerte. Er spürte die Gefahr mit jeder Faser seines Nervensystems. Er ließ sich auf die feuchte Erde nieder und kroch das letzte Stück bis zum Dickichtrand. Hier verharrte er und spähte mit wachen Augen prüfend über das Areal des Lagerplatzes. Nichts. Niemand war zu sehen. Keine Bewegung, kein flackerndes Feuer. Sie hatten Feuerholz aufzulegen vergessen und sich entfernt. Weshalb? Warum? Was hatte Cochise veranlaßt, den sicheren Lagerplatz mit einem weniger sicheren zu vertauschen? John blieb bewegungslos liegen. Kein Hauch strich durch die grünfleischigen Blätter des Dickichts. Ihm war, als hielte selbst die Natur ihren Atem an. »Heia, Hombre!« Der Ruf hallte durch die anbrechende Nacht wie ein Geisterruf. John zuckte zusammen. Eine fremde Stimme rief. War er gemeint? »Hombre, komm hervor! Wir wissen, wo du steckst!« Sie meinen dich, sagte sich Haggerty, blieb aber in der sicheren Deckung liegen. »Wirf deine Kanone weg und komm hervor! Was, du willst nicht? Sieh her!« Zweige schwangen wie erschreckte Flügel. Die Büsche auf der anderen Seite teilten sich. Ein Mexikaner erschien. Carmen Obeira an seine Brust gepreßt, den Revolver auf ihre Stirn gerichtet. »Genügt dir das, Hombre?« röhrte die Stimme. »Gib auf, wir haben auch deine rothäutigen Freunde!« Ein Rascheln in seinem Rücken ließ John Haggerty 7
herumfahren. Ein Riese mit den gekreuzten Patronengurten über der Brust warf sich durch die Büsche und setzte sein Gewehr John Haggerty zwischen die Schulterblätter. »Eine einzige Bewegung«, drohte der bärenstarke Mann, »und ich zerschmettere dir das Rückgrat«, fauchte er John an. »Schwing dich und steh auf!« John gehorchte, weil er mußte. Es schien, als sei alles verloren. Mehr und mehr Mexikaner, Indianer und auch Weiße betraten die Lichtung. »Beweg dich, pronto«, knurrte der Kerl in Johns Rücken. »Eine falsche Bewegung, und die Frau stirbt. Du Bastard hast genau drei Sekunden Zeit!« Weitere Soldaten aus Juárez' Armee umringten Haggerty, warfen eine Larriatschlinge über ihn und fesselten ihn zur völligen Bewegungslosigkeit. Dann hoben sie ihn hoch und warfen ihn über ein Gebüsch. Unter dem Gelächter der braunen Männer krachte John neben Cochise und Naiche auf den Boden. »Ein wunderbares Wiedersehen, Jefe. Wie konnten sie dich und Naiche überraschen?« »Mit Schlingen«, war die lakonische Antwort. »Das sind keine Banditen, sondern Juárez' Männer.« John spuckte zur Seite. »Auch nicht viel besser. Jedenfalls genauso von brutaler Gewalt besessen wie die Desperados. Was wollen sie von uns?« »Du wirst es gleich, hören.« Wenigstens dreißig Männer hatten sich inzwischen eingefunden. Ein Mann mit einer roten Schärpe um den Bauch trat näher. »Du bist Cochise, der Häuptling der Apachenhunde, und du, Bleichgesicht, nennst dich John Haggerty. Ich kenne euch. Ich stelle ein paar Fragen, ihr antwortet oder geht zur Hölle. Kapiert?« 8
»Was will Juárez von uns? Wir taten ihm nichts«, sagte John Haggerty. »Nein? Das mag dahingestellt bleiben. Ich will Auskünfte, Informationen.« »Worüber?« »Das wirst du gleich hören. Sind sie gut, lasse ich euch vielleicht laufen. Benito Juárez wird nicht auch noch die Yaquis und Apachen zum Feind haben wollen. Aber ich habe klare Befehle, tut mir leid, Hört sie euch an. Ich suche Lon McFane. Wo ist er?« »In der Hölle.« »Auch gut. Und wie kam er dorthin?« »Mojada, Anführer einer Bande von Dieben, Mördern und Verbrechern erschoß ihn.« »Ausgezeichnet! Und wo ist Mojada?« »Bei McFane, wo er hingehört.« »Wie geschah das? Wer hat nachgeholfen?« »Ich«, antwortete John. »In einem fairen Duell.« »Großartig! Du bist ein großer Pistolero, Gringo. Schade, daß alles nicht stimmt. Nun gut, auf dem Scheiterhaufen werdet ihr reden wie mit Engelszungen und um euer mieses Leben betteln. Adios, ihr Halunken, adios. Bei Tagesgrauen gibt's ein fröhliches Wiedersehen. Inzwischen werde ich ein bißchen die kleine Schönheit trösten. Buenas noches, Señores!« »Schwein!« sagte John, angewidert. »Dreckiges, gemeines Schwein!« Die drei Freunde ergaben sich vorerst ihrem Schicksal. Zu einem Paket verschnürt gab es für sie kein Entkommen. Sie schlossen die Augen und mühten sich ab, die Stricke zu lockern. Am Fluß quakten die Frösche wieder, und alles war so wie vorher.
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* In der Nacht hatten sich Wolken zusammengeballt und mit ihrer Schwärze die Sterne verdeckt. Sturm heulte und bog Büsche und Bäume, peitschte die lehmgraue Flut des Rio Moctezuma und die trieb sie auf die Ufer. Das Unbehagen über die Nacht wich dem fahlen Morgengrau und der Gewißheit, daß nichts mehr sie retten konnte. Beim ersten fahlen Tageslicht hatten einige Mexikaner Scheiterhaufen errichtet. Noch brannten sie nicht. Cochise, Naiche, sein Sohn, und der große Weiße mit dem braunen Haar, das ihm lockig auf die Schultern fiel, lagen zu Paketen verschnürt am Boden und harrten dem Kommenden bangen Herzens entgegen. Nur ein Wunder konnte sie retten. Gab es noch Wunder? Cochise hätte gern eine Hand in Richtung seines weißen Freundes ausgestreckt, wenn er gekonnt hätte. Er konnte es nicht. Sie waren zusammengeschnürt wie seine übrigen Gliedmaßen. Er wußte das Unbehagen, das ihn befallen hatte, nicht zu benennen. Er drehte den Kopf und konnte sehen, daß auch John Haggerty wach war. Aufmerksame Augen erwiderten seinen Blick, und er glaubte, etwas von seiner eigenen Besorgnis in ihnen zu sehen. »Falke«, Cochises Stimme klang beunruhigt und etwas höher als gewöhnlich. »Ich weiß«, sagte John. »Ein Unwetter ist im Anzug.« »Das meine ich nicht. Es kommt auf alle Fälle zu spät. Hast du in der Nacht etwas gehört?« »Denke nicht, Jefe.« »Ein Rascheln hinter uns?« »Ein Rascheln? Ein Nachtbeuter, ganz bestimmt. Hat nichts zu sagen, Jefe, nein, bestimmt hat das keine Bedeutung.« »Es ist das Land der Yaquis. Sie sind überall.« 10
Eine rauhe Stimme hallte über die Lichtung. Die Kochfeuer schickten steilen Rauch zum Himmel. Wieder die Stimme, sie wurde von einem Anruf beantwortet. Bevor er ganz verklang, schrie die erste Stimme wieder: »Wachen einziehen! Los, los, ihr Dummköpfe, ein besonderes Vergnügen wartet auf uns!« Der Obrist mit der roten Schärpe stiefelte vorbei und warf gehässige Blicke auf die Gefangenen. Sein Gesicht trug die Spuren von scharfen Krallen und andere Merkmale eines Kampfes. »Freut euch, ihr Roten, ihr seid bald bei eurem Manitu, oder wie immer ihr ihn nennt. Und du, Gringo, wirst langsam hübsch braun geröstet, bis du wie eine Nachtigall singst, was ich zu wünschen höre.« »Geh zum Henker!« »Du vor mir.« Der Mexikaner lachte. »Noch lange nicht«, gab John mit einem schmalen Grinsen zurück. Das Wolkengebirge wanderte langsam herüber, und schließlich zuckte der erste Blitz durch den grauen Dunst. Der Donner folgte schwach und lange Zeit später. Der Schärpenmann verschwand und tauchte wenig später wieder beim Feuer auf. Er gab Anweisungen, die John Haggerty nicht verstand. Ein Haufen grinsender Soldaten kam herüber und baute sich vor den Gefangenen auf. Unflätige Beschimpfungen prasselten auf die Apachen und den Weißen herab. Der Abschluß der gemeinen Reden waren Fußtritte, von Haß geleitet und durch die Macht ihrer Vielzahl inspiriert. Dann packten sie die drei Männer, hoben sie hoch und trugen sie zu den vorbereiteten Reisigbündeln. Als John auf die harten Stangen krachte, glitt sein innerer Blick nach Süden. Er dachte an das Terrain im Südwesten, die zerklüfteten Vorberge und Hügel, die bis zu den Flüssen vorstießen. Es gab 11
ein paar kleine Dörfer dort, bestenfalls Flecken auf einer Landkarte, aber keine Städte. Es gab auch Stützpunkte der Franzosen und jener Leute, die sich Revolutionäre nannten und der Armee des ehemaligen Präsidenten Juárez unterstanden, aber es gab dort keine Apachen und keine Yaquis. Das bedeutete schlicht und einfach: keine Hilfe aus dieser Richtung und keine Hoffnung. Das schien eine logische Folgerung zu sein, schließlich war John auf sich selbst gestellt und niemand aus seinem Freundeskreis wußte, wo er war und was gerade mit ihm geschah. Der Mexikaner mit Schärpe, gekreuzten Patronengurten und einem Riesensombrero auf dem fettigen Haar, kam näher. Sein Gebahren war das eines Pfaues, der um ein Weibchen balzte. Von Carmen Obeira war weit und breit nichts zu sehen. »Hast du dir alles gut überlegt, Gringobastard?« John gab keine Antwort. Es würde ihm nichts helfen, wenn er dem Greaser die Wahrheit sagte. Kein Wort würde er glauben und höchstens unflätig fluchen oder ihn verlachen. Da! Ein Geräusch! Das Bewußtsein von Gefahr, das seit seiner Gefangennahme nicht von ihm gewichen war, konzentrierte sich auf eine schwache Bewegung in den Büschen. Ein Gewehrlauf erschien. Ein Soldat sah ihn, stieß einen gellenden Schrei aus und ließ sich fallen. Jemand brüllte Befehle, sinnlos, weil sie unausführbar waren. Niemand wünschte ein Stelldichein mit einem gespannten Gewehr. Carmen trat aus dem Dickicht. Das schwere Gewehr schwankte wie ein Rohr im Wind in ihren Händen. Aber wie sah das Mädchen aus? Das Gesicht voller Beulen und anderen Zeichen von Gewalteinwirkung, die Lippen aufgeschlagen, aber die dunklen Augen haßerfüllt auf den Mexikaner gerichtet. »Bindet sie los!« Drei Worte mit besonderem Inhalt. Der Tod stand plötzlich 12
mitten im Lager und streckte seine Knochenhand nach dem Mexikaner aus. »Schwerhörig geworden? Bindet sie los!« Leopoldo Benito Calves wurde grau unter seiner schmutzigen Haut. Mit einer theatralischen Geste schlug er sich auf die Brust. »Du wirst es nicht wagen, einen Offizier der glorreichen Revolutionsarmee zu erschießen. Komm, mein Täubchen, gib mir die Waffe.« Leopoldos Stimme klang einschmeichelnd und schmierig. Ein fettes Lächeln umspielte seine Lippen. Carmen sah die Gefahr nicht, die in ihrem Rücken herankroch. Einer der eingezogenen Posten hatte sich unbemerkt durch die Büsche gearbeitet und glitt heran. John Haggerty stieß einen Warnschrei aus. »Vorsicht, Señorita! Hinter Ihnen!« Zu spät, viel zu spät. Unter einem Nackenschlag brach das Mädchen zusammen und ließ das schwere Gewehr fallen. »Gut gemacht, Enrico, sehr gut.« Calves kümmerte sich nicht weiter um die Bewußtlose. Sie würde später drankommen. Zuerst mußte das hier erledigt werden. Ein Blick zum Himmel kündigte das nahende Unwetter an. Die Wolken öffneten sich zu einem gewaltigen Dom, in dem die Blitze, umgeben von geisterhaften Säulen, zur Erde zuckten. »Ein letztes Wort, Gringo. Hast du dir's überlegt?« »Ich weiß gar nichts.« »Nichts? Nichts von Lon McFane, dem Pistolero?« »Nichts.« »Schlecht für dich, Hombre.« Ein gemeines Feixen glitt über sein zerschrammtes Gesicht. »Hitze und Rauch werden deine Gedanken wieder klären. Zündet die Holzstöße an, Muchachos!« 13
Haggerty warf einen letzten Blick zu Cochise hinüber und lächelte. »Cochise, wir werden uns wiedersehen. In den Ewigen Jagdgründen oder anderswo. Dieser Hundedreck macht seine Drohung wahr. Adios, Jefe!« Cochise nickte, gab keine Antwort. In seinem Unterbewußtsein hörte er Geräusche, die das Knistern der Flammen übertönten. Seltsame Geräusche. Ein Prasseln und Knattern trug der Wind zu ihm, als hätte der Himmel nicht weit von ihnen seine Schleusen geöffnet. Es fiel aber kein Tropfen Regen. Die Flammen leckten und bissen sich in das trockene Holz. Johns Kopf wurde von schwarzem Rauch eingehüllt, der seinen Atem behinderte. Die Hitze wurde infernalisch. Die letzten Laute, die John Haggerty vernahm, war das frenetische Geheul der ausgelassenen Soldaten. Dann überfiel ihn eine wohltuende Ohnmacht und entführte seinen Geist« * Nogales. Nogales in Mexiko, versteht sich. Die Palace Bar war an diesem heißen Nachmittag schlecht besucht. Lustlos spielten ein paar Männer Karten, Amerikaner und Mexikaner. Mitunter war es so still, daß man das träge Summen der Fliegen hören konnte. Schmatzend ging die Flügeltür auf und schlug wieder zu. Sporen klingelten auf den sägemehlbedeckten Dielen. Einer aus der Gruppe der Spieler hob den Kopf und zuckte sichtbar zusammen. »Großer Gott!« flüsterte er. Ein anderer: »Was ist los? Hast du die Heilige Jungfrau von Santa Maria gesehen?« Ein dritter: »Du bist plötzlich so still, Reager? Ist was?« 14
Dan Reager neigte den Kopf, legte den Kartenfächer auf den Tisch, deckte beide Hände darüber und flüsterte: »Nicht grundlos, Curt. Was glaubt ihr, wer soeben den Saloon betrat?« »Wer schon? Der Kaiser der Franzosen vielleicht?« »Dummkopf! John Ringo beehrt uns. Kein anderer als der berühmte Ringo.« Die müden Köpfe der Spieler ruckten herum. Durch den Mittelgang ging ein hochgewachsener und schlanker Mann, der nicht so aussah, als sei er der berühmt-berüchtigte Revolverheld. Alle Augen musterten ihn. Er trug derbe Kleidung, einen flachen, verschwitzten Stetson. Das helle Hemd wurde von einer Buschjacke bedeckt, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. An den Füßen trug der Mann, der Ringo sein sollte, hochschäftige Stiefel mit Radsporen. Er blieb vor der Theke stehen und verlangte ein Bier. »Möchten Sie auch etwas essen, Fremder?« fragte der neugierige Keeper, der die Blicke seiner Gäste bemerkte und sich Gedanken über deren Gedanken machte. »Nein«, sagte der Fremde in ruhigem Ton. »Das habe ich bereits getan. Nur ein Bier, wenn Sie so freundlich sein wollen.« Seine Stimme klang höflich. Wenig Herausforderndes klang aus ihr, wie das sonst bei den Männern seiner Zunft der Fall war. Ringo, wenn er es wirklich war, wirkte bescheiden, höflich und zuvorkommend. »Unmöglich«, sagte Curt La Grange leise und schielte mit einem Auge auf den breiten Rücken jenes Mannes, der John Ringo sein sollte. »Unmöglich, Freunde, das ist nie Johnny Ringo.« »Und warum nicht?« »Ich kenne Ringo zwar nicht persönlich, er wurde mir aber mal beschrieben. Das ist er nicht. Ein harmloser Reiter, nichts weiter.« 15
Er sollte unrecht haben. An einem von vier Männern besetzten Rundtisch in der Fensterecke entstand ein Flüstern und Köpfeschwenken, ein Raunen und Grinsen, ein anzüglicher und herausfordernder Wortabtausch. Besonders ein junger Hüpfer von kaum über zwanzig tat sich hervor. »Wieder einmal Tabor Gall. Der läßt keine Gelegenheit vorbeigehen, sich hervorzutun. Dieser mörderische Bastard von einem Möchtegernrevolvermann«, sagte Reager. Curt antwortete: »Eines Tages kommt der Maulheld an den Unrechten, verlaßt euch drauf. Vielleicht ist dieser Tag nicht mehr fern.« Tabor Gall stand auf, Flasche und zwei Gläser in der Hand. Zwei aus der Tischrunde wollten ihn zurückhalten, aber er schüttelte ihre Hände ab und kam sporenklirrend durch den Mittelgang. »Nur Bier, Stranger?« fragte er zynisch und aggressiv. »Reicht's nicht für ein Glas Brandy?« Der Fremde drehte den Kopf, bewegte sich sonst aber kaum. »Ich mag bei der Hitze keinen Schnaps«, antwortete er halblaut. »Wie wäre es mit einem Glas Milch, Fremder? Milch soll für Kinder sehr bekömmlich sein. Na, soll ich?« Der Mann an der Theke gab keine Antwort und starrte auf sein Bierglas. »Ich heiße Tabor Gall. Schon von mir gehört?« Der Fremde schüttelte den Kopf. »Ich bin also Gall, der schnellste Schütze nördlich und südlich der Grenze. Wer sind Sie?« »Ich heiße John Ringo, und nun machen Sie, daß Sie abrauschen!« »Ach, John Ringo, der Hombre mit den heißen Eisen. Mann, Mann, das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, nicht mir. Ich kenne Ringo, der sieht anders aus. Trinken Sie jetzt ein 16
Glas mit mir oder nicht?« »Scheren Sie sich zum Teufel!« »Wenn's mir paßt, Ringo, nur wenn's mir paßt.« Gall ging stelzbeinig zum anderen Tresenende und stützte den Ellbogen auf. Aufreizend und drohend stand sein Revolverkolben einen ganzen Zoll von der Hüfte ab. John Ringo beachtete ihn nicht. Er ließ sich vom Keeper ein zweites Glas einfüllen, hob es an und blies den Schaum vom Rand. Dann trank er. Ein Mann von Galls Tisch kam heran und stellte sich zwischen den jungen Kampfhahn und Ringo. »Hör auf, Tabor, du hast dir den falschen Mann für deine Unverschämtheiten ausgesucht. Wirklich den Falschen. Ringo schießt einer Biene im Flug ein Bein ab, und er zieht so schnell, daß du ihm nicht zu folgen vermagst.« Er drehte sich zu John Ringo herum. »Nehmen Sie's dem jungen Bucko nicht übel, Mr. Ringo. Die jungen Kampfhähne sind nun einmal so. Sie wollen sich mit großen Namen messen und zeigen, was in ihnen steckt. Nichts für ungut, Mr. Ringo.« Ringo reagierte nicht einmal auf die freundlichen Worte. Er starrte weiter auf sein Glas, als wollte er ergründen, wie der Schaum auf das Bier kam. Gall stieß den Tischgenossen brüsk zur Seite und krähte: »Der und Ringo, daß ich nicht lache! Ein Feigling ist er, ein gottserbärmlicher Feigling, der die Hosen gestrichen voll hat!« Langsam wandte sich Ringo zur Seite. Beinahe absichtslos schob er den Zipfel der Buschjacke zurück. Der Kolben eines großkalibrigen Revolvers wurde sichtbar, ein dunkler Kolben, in den einige Kerben eingeschnitzt worden waren… »Vielen Dank, Mister. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie den jungen Kampfhahn ein wenig zur Ordnung rufen. Ich bin hergekommen, um ein Bier zu trinken, aber nicht, mich mit einem Grünschnabel zu schießen. Nehmen Sie ihn mit hinaus, 17
das wird das beste sein.« »Grünschnabel? Mann, Großmaul, das nehmen Sie sofort zurück!« Ringo gab keine Antwort. Er beachtete Tabor Gall nicht und widmete sein ganzes Interesse dem Bierglas. »Tabor, hör auf!« Die Stimme des anderen klang drängend. »Warum soll ich aufhören, Fitz? Sind wir in einem Saloon oder in einer Wallfahrtskirche? Wenn der Kerl die Beleidigung zurücknimmt, ist die Sache erledigt.« Aber Ringo dachte nicht daran. Er lächelte leicht – ein wissendes Lächeln. Natürlich kannte er die Typen, die sich mit jedem anlegten, um sich einen Namen zu machen. Gall würde nicht aufgeben, und wenn er sich hundertmal entschuldigte. Die höhnische Stimme des Jungen drang wieder auf ihn ein und hämmerte ihm Worte und unflätige Beleidigungen herüber, um ihn aus der Reserve zu locken. »Ein Revolverschwinger will der Kerl sein? Ein Hosenscheißer und Großmaul ist er! Seht ihr denn nicht, daß er die Hosen schon gestrichen voll hat?« »Grünschnabel.« Der Grünschnabel zuckte wie unter einer gezielten Ohrfeige zurück. Er wurde rot wie eine Tomate. Seine Rechte glitt zur Hüfte, packte zu und zog. Es ging alles sehr schnell. Gall hatte den Colt bereits heraus, als Ringo erst zog. Gall kam nicht mehr dazu, die Waffe abzudrücken. Ein Schuß dröhnte von Ringo her und schickte Feuer, Blei und Pulverrauch in Galls Richtung. Wie von einem Schmiedehammer getroffen, brach Gall zusammen. Ringo schob die Waffe ins Halfter, ging auf den ersten besetzten Tisch zu und sagte: »Gentlemen, haben Sie alles beobachtet?« Reager nickte. »Sie schossen in Notwehr, Mr. Ringo. Ich beschwöre es.« Die anderen warfen ihre Köpfe hoch und stießen nach einem 18
langen Atemzug gemeinsam hervor: »Einwandfreie Notwehr, Sir. Der junge Gockel forderte Sie heraus und zog zuerst.« »Danke, Gentlemen.« Ringo wollte sich wieder abwenden, als Reager den Arm ausstreckte, als wollte er Ringo zurückhalten. »Trotzdem, Mr. Ringo, empfehle ich Ihnen, hundert Meilen zwischen sich und diesen Ort zu klemmen.« »Warum?« »Tabor Gall hat vier Brüder und einen rauflustigen Vater. Sie bilden sich alle ein, die besten Schützen an der Grenze zu sein.« »Danke, Mister, sehr freundlich von Ihnen. Aber das hat keine Eile. Darf ich Sie zu einem Glas einladen? Alle.« * John Haggerty schlug die Augen auf. Ein pochendes Tamtam drang von allen Seiten auf die Lichtung, und das Geräusch des sintflutartigen Regens und das Krachen des Donners wurde von dem infernalischen Kriegsgeschrei aus hundert Yaquikehlen nahezu verschluckt. Bündelweise stießen grelle Blitze durch den Regenvorhang, der die brennenden Scheiterhaufen löschte und Johns Brandwunden kühlte. Es gab Zurufe und Fragen, aber sie kamen aus einer anderen Richtung. Cochise und Naiche, ebenfalls bei Bewußtsein, verhielten sich wie Haggerty still und lauschten dem Toben der Elemente. Die pochenden Geräusche der Tamburins wurden drängender, die Schreie spitzer und greller Schüsse donnerten durch den Regen und ließ selbst für einen Augenblick den Donner verstummen. John warf einen Blick zur Seite. Cochises Gesicht wirkte ernst und verschlossen. »Yaquis«, sagte er. »Blutsbrüder des Falken.« 19
Haggerty bewegte die Hände und versuchte mit ständigem Reiben und Zerren die Stricke an seinen Handgelenken zu lockern. Blutsbrüder des Falken, ging es ihm durch den Sinn. Was meinte der Häuptling damit? Als er in seinen Bemühungen, die Fesseln zu lockern, nachließ, um neue Kraft zu sammeln, sah er huschende Schatten im Regen, geschwungene Waffen, und er vernahm ganz nahe das Tamtam der Yaquitrommeln. Männer mit Riesensombreros und Waffen in den Händen warfen sich ihnen entgegen. Die Indianer bewegten sich wie Katzen. Geschmeidig entzogen sie sich den Gewehrkolben, unterliefen sie und suchten den Nahkampf. Messer und Kriegsbeile arbeiteten lautlos wie die Keulen und trafen den Gegner sicherer als manche Kugel. »Juárez' Männer sind verloren.« Cochise zog die Mundwinkel nach unten und antwortete: »Sie werden fliehen, das ist alles. Kein Gelbhäutiger ist wie die Krieger der Yaquis und Apachen.« Aus dem Wasservorhang sprang Tehueco herbei. Ein blutiges Messer blitzte in seiner Faust. Rasch durchschnitt er die Stricke, die John und die beiden Chiricahuas banden. »Zur rechten Zeit, Tehueco!« sagte Haggerty anerkennend und ließ sich von dem aufgeschichteten Holz fallen. »Dir entgeht nichts in deinen Jagdgründen?« »Meine Krieger sind überall«, antwortete der Häuptling stolz. »Tod allen Fremden!« Wie Cochise gesagt hatte, widersetzten sich die Mexikaner nicht lange den wütenden Angriffen der Yaquis. Bei strömendem Regen verschwanden sie in den Büschen und versuchten über den Fluß zu entkommen. Glühendheiß erinnerte sich Haggerty an die Mexikanerin. Er wandte sich an Tehueco und bat, nach dem Mädchen suchen zu lassen. »Das Gewitter wird schlimmer«, sagte er. »Wenn der Rio 20
Moctezuma steigt, wird sie ertrinken.« »Ah, der Sturm«, antwortete Tehueco lachend. »Wind und Wetter sind unsere Verbündeten. Wenn die Stunde der steigenden Flut kommt, ist das Mädchen in Sicherheit. Gegen Frauen und Kinder führen wir keinen Krieg.« John nickte befriedigt. Die Tamtams hatten aufgehört, ihr aufreizendes Pochen und Hämmern in den grauen Regenmorgen zu schicken. Ruhe war eingekehrt. Nur der Donner grollte und ließ die Erde zittern, und wenn ein Blitz seinen schicksalhaften Weg beschrieb, übertönte das Krachen sogar das Rauschen des anschwellenden Flusses. Krieger kehrten zurück. Zwei von ihnen stützten Carmen Obeira, die schlapp und verzweifelt in ihren Armen hing. John Haggerty ging ihr ein paar Schritte entgegen. »Was ist mit Ihnen, Señorita? Sind Sie verletzt?« »Müde. Nichts weiter als müde.« »Das Unwetter wird sich bald ausgetobt haben«, sagte Haggerty und schaute dabei Cochise an. »Was sind deine Pläne, Chief?« Es gab keinen Sonnenaufgang und kein echtes Frühlicht, die von Westen heranziehenden Wolken waren schwer und regengesättigt. Der Wind heulte und orgelte, aber die zuckenden Blitze ließen nach. Cochise, von John Haggerty angesprochen, blickte nach Norden. Dort lag Arizona, die Jagdgründe der Apachen. »Bist du ohne Auftrag des einarmigen Generals in dieses Land gekommen?« fragte er zurück. »Nein«, antwortete John wahrheitsgemäß. »Und wie lautet dein Auftrag?« »Der Friede zwischen Benito Juárez und den Stämmen der Apachen und Yaquis soll durch mich wiederhergestellt werden.« »Kein guter Auftrag, Falke.« »Du wirst mir sagen, warum er nicht gut ist.« 21
»Der Abtrünnige ist falsch und verschlagen wie eine Klapperschlange. Er opfert alles seiner Idee, die Franzosen aus dem Land zu treiben. Er opfert nicht nur seine Soldaten, sondern auch den roten Mann.« »Du bist nicht für Juárez?« Cochise schüttelte den Kopf. »Und warum nicht? Er ist wie du Indianer.« »Er ist ein Abtrünniger, der es mit den Gelbhäutigen hält. Ein Indianer handelt anders.« »Schön, das kann ich zur Not verstehen«, erwiderte Haggerty mit einem Zucken der Achseln. »General Howard handelt auf ein Hilfeersuchen Juárez', und ich muß seinen Befehlen folgen. Kehrst du in deine Jagdgründe zurück, Jefe?« »Tehueco braucht mich. Wir haben einen Beistandspakt geschlossen, den ich halten muß. Ich werde bleiben.« »Okay, dann bleibe ich auch. Wenn ich auch den Krieg nicht verhindern kann, so werde ich doch versuchen, ihn zu mildern und ihm die Härte zu nehmen.« »Das ist ein guter Vorsatz.« Geduld. John hatte gelernt, geduldig zu sein. Nun mußte er die Geduld wieder als Waffe gegen die Angst und die Ungewißheit gebrauchen, die wie erdrückende Gewichte auf ihm lagen. Geduld und sein Verstand, das war alles, was Cochise ihm ließ. Er machte einen letzten Anlauf und richtete seine hellen Augen auf das Antlitz des Indianers. »Ich war der Meinung, du würdest dich gegen die Franzosen wenden. Sie sind es schließlich, die Juárez aus seinem Präsidentensessel vertrieben. Es ist nicht so, Chief?« »Die Indianer kämpfen gegen alles, was vor Jahrhunderten oder vor kurzer Zeit in ihr Land eindrang, gegen den Abtrünnigen genauso wie gegen die Soldaten in den roten Hosen.« Haggerty hatte Klarheit gewonnen, aber sie sagte ihm nicht viel. Ging es dem Häuptling um Beute oder um die Einhaltung 22
des Versprechens, das er einem anderen Stammesführer gegeben hatte? Er bemühte sich verzweifelt um ein klares Bild dieses Abkommens. Und seine Angst nahm zu, als er begriff, daß er gegenüber dieser Schicksalsfalle macht- und hilflos war. Die Ablenkung, die das Geräusch von Pferdehufen in ihm bewirkte, war vollkommen. Die Laute kamen von der anderen Seite des Dickichts herüber und lösten in Haggerty ein beklemmendes Gefühl der Niedergeschlagenheit aus. Tehueco hob die Hand und deutete auf die nickende Gestalt eines Weißen, der auf einem Pferd saß und einem unsichtbaren Weg folgte, der jenseits des Gebüschstreifens im spitzen Winkel zum Fluß verlief. Den Hut tief in die Stirn gezogen, eine Ölhaut über dem durchnäßten Rücken, so sah die Gruppe auf der Lichtung die Hälfte des Fremden, den sie als einen Weißen erkannten. Zwei Yaquis traten heran, wechselten schnelle Worte mit Tehueco. Der warf einen fragenden Blick zu Cochise. Aber der Jefe schüttelte den Kopf. Schulter und Kopf schwebten wie vom übrigen Körper losgelöst über dem Grünstreifen. Jetzt sah der Fremde herüber, sah die Gruppe, reagierte aber nur mit einem Winken. »Toller Bursche!« sagte John laut und anerkennend. »Eiskalt – und uneingeschüchtert von unserer Streitmacht.« Der Reiter hielt an, trieb sein Pferd in den Chapparal und durchbrach ihn. Als er auf der Lichtung auftauchte, hielt er ein mehrschüssiges Henrygewehr in den Händen. »Howdy!« rief er grüßend herüber. »Ein Weißer unter Indsmen, das hat was zu bedeuten. Hier hat wohl ein Krieg stattgefunden?« Er deutete auf die Scheiterhaufen und auf ein paar Tote, die am Boden lagen. Ein langer Blick galt Carmen Obeira. Ein zweiter Cochise und ein dritter Tehueco. »Chiricahuas und Yaquis, nicht wahr? Und wenn meine Augen nicht mit Blindheit geschlagen sind, steht Cochise, der 23
Häuptling der Apachen, vor mir?« »Sie haben Mut, Fremder«, antwortete John. »Kein anderer Weißer würde sich freiwillig der Gefahr aussetzen, skalpiert zu werden. Wie heißen Sie, und was suchen Sie in Sonora?« »Sicherlich keine Indianer«, der Fremde lachte und wurde wieder ernst. »Ich bin John Ringo, und wenn Sie mich fragen, was ich in Sonora suche – ich nahm gerade ein Bad.« Er deutete zum Himmel, der seine Schleusen schloß und den Regen nur noch tropfenweise auf die Lichtung schickte. »Klingt gut«, antwortete Haggerty und lächelte ebenfalls. »Das Bad hat Ihnen sicher gutgetan?« »Ich fühle mich ausgezeichnet, Mr. Unbekannt. Ganz bestimmt würde ich mich noch besser fühlen, wenn ich nicht fünf Kerle auf meiner Fährte wüßte, die lüstern wie 'ne Rothaut auf meinen Skalp sind.« John hatte von Ringo gehört. Er musterte ihn mit einem langen Blick. Der Mann sah eigentlich freundlich und sympathisch aus, nicht wie ein abgebrühter Mörder und Revolvermann, als der er überall galt. »Erzählen Sie«, forderte John den Mann auf, der auf seinem nassen Pferd saß, das den Kopf hängen ließ. »Ich bin John Haggerty, ehemaliger Chiefscout der Siebenten, jetzt in Sonora, um ein Blutbad zu verhindern. Erzählen Sie mir, wie es zu der Verfolgung kam.« »Das war gestern«, hob Ringo an. »Ich genehmigte mir in Nogales ein Bier und wurde von einem jungen Dachs angestänkert. Als er schließlich zog, machte ich's ihm nach und erschoß ihn.« »Notwehr«, sagte Haggerty. »Sie und ich wissen das. Wir beide kennen das stille Gesetz des Westens, Haggerty. Aber der Vater und vier Brüder des Getöteten wollen nichts davon wissen. Sie sind hinter mir her.« »Klingt nicht sehr freundlich, Ringo.« Ringo klopfte auf seine Halfter. 24
»Kann ich bei Ihnen bleiben und versuchen, sie vielleicht auf diese Art abzuschütteln? Die Spuren meines Pferdes werden vom Regen ausgelöscht. Ich habe eine relativ gute Chance.« »Sie können sich uns anschließen, Ringo«, antwortete Haggerty. Er warf fragende Blicke zu Cochise und Tehueco, in deren Gesichter kein Muskel zuckte. Ringo sagte: »Danke. Das ist Musik für meine Ohren.« * Die braune Hand griff nach dem Revolver auf dem Tisch. Matt funkelte sein langer Lauf im Kerosinlicht. Die Hand hob ihn an und wog ihn spielerisch. Die Waffe war ebenso schwer wie tödlich. »Wenn das der einzige Rat ist, den Sie mir geben können, ist es ein schlechter Rat.« Juárez' Stimme grollte. »Señor Präsident, es gibt keinen besseren. Feuer muß mit Feuer bekämpft werden«, erwiderte Colonel Destinguez bitter. »Colonel, Feuer wird seit altersher mit Wasser bekämpft. Stets nur mit Wasser. Woher wollen Sie Wasser nehmen?« »Navarro ist Feuer und Wasser zugleich, je nach dem, welche Befehle er erhält.« Destinguez' Blätterteiggesicht verzog sich uneinheitlich in die Breite. Colonel Albergue rührte kein Glied, ihm beizustehen. Es war seine Idee, seine ganz allein. Juárez stand auf. Er wirkte erregt. Mit einem heftigen Ruck legte er den Colt zurück auf den Tisch. Hastig zog er seine Hand zurück, als hätte er ein giftiges Reptil angefaßt. Verfolgt von den Augen der beiden Männer bewegte er sich schnell und mit abgezirkelten Trippelschritten um den Tisch. Er blieb stehen, schüttelte den Kopf, ging weiter und blieb schließlich wieder stehen. »Mexiko besteht nur noch aus aufrührerischen Indianern, 25
Desperados und Soldaten Maximilians. Kann ein solches Sodom und Gomorrha noch regiert werden?« Albergue schaltete sich ein. »Unser eigentliches Problem sind die Yaquis und Apachen, nicht die Franzosen. Unsere tapfere Armee wird sie binnen eines halben Jahres aus dem Land treiben, wenn wir den Rücken frei haben.« »Wenn! Ja, Señor, wenn.« »Die Indianer sind unser Problem, Señor Präsident, da pflichte ich Colonel Destinguez bei. Wir können keinen Schritt tun, der nicht von ihren Spähern beobachtet wird. Ein wagemutiger Mann mit entsprechender Unterstützung kann die beiden Häuptlinge ausschalten. Für uns wäre das nur ein Gewinn, nachdem der Amerikaner Lon McFane versagte.« »Sie meinen töten?« »Töten, Señor Präsident!« Die Stimmen der beiden Männer klangen hart und wie ein Mann. »Cochise töten, nein! Niemals! Das würde zu einem Aufruhr sämtlicher Apachenstämme führen. Navahos, Mescaleros, alle würden sie auf den Kriegspfad gegen die verhaßten Mexikaner gehen. Ich kann mich zu einem solchen Schritt nicht entschließen.« »Cochise wäre gar nicht mal so wichtig. Ihn bindet nur sein Vertrag mit den Yaquis. Tehueco muß beseitigt werden, damit hätte der Spuk ein Ende.« »Colonel, wissen Sie, was Sie da sagen? Maximilian ist zwar kein gerissener Politiker, aber eine solche Situation würde er sofort ausnutzen. Und das wäre wieder Wasser auf die Mühlen der Konföderierten.« Destinguez und Albergue hoben die Köpfe. Unwille bedeckte ihre Mienen. »Wir sind Soldaten und keine Politiker, Señor, und wir können eine Sachlage immer nur mit den Augen von Soldaten 26
sehen, die gewohnt sind, ihre Probleme auf dem Schlachtfeld auszutragen.« »Sie sprechen von Mord und reden von Kampf, Señores. Verstehen Sie doch, daß ich an die Nachwelt denken muß. Was wird man in fünfzig Jahren von uns sagen, wenn wir einem Meuchelmord Vorschub leisten?« »Das Wohlergehen unseres Landes muß über moralischen Bedenken stehen.« »Zugegeben.« Juárez wandte sein scharfgeschnittenes Gesicht nach rechts. Dort stand Colonel Albergue. »Könnte man es machen, ohne daß ich politisch damit in Verbindung gebracht werden kann?« Beide Soldaten zuckten die Achseln. »Das wäre zu überlegen«, antwortete Albergue und schürzte nachdenklich die Lippen. »Antonio Navarro kennt Sie persönlich, Señor Präsident?« »Ich glaube nicht. Warum?« »In einer entsprechenden Verkleidung wäre eine Täuschung möglich. Ein Hazienderos besitzt die Mittel, einen Mord zu bezahlen. Desperados machen für gutes Geld alles. Das wäre meine Idee.« »Wieviel?« fragte Juárez trocken und geschäftstüchtig. »Hm … ich weiß nicht recht. Lassen wir es auf die Verhandlung ankommen. Was meinen Sie, Colonel?« Destinguez nickte. »Ich halte Ihren Einfall für ausgezeichnet, Señor. Zehntausend Goldpesos würden nach meiner Meinung ausreichen. Das ist für einen Desperado ein Vermögen.« Juárez setzte sich wieder, spielte mit dem Colt. »Unser Angebot lautet fünftausend, keinen Peso mehr. Riskieren wir es, Señores. Leiten Sie alle Schritte ein und verabreden Sie eine Zusammenkunft. Ich verlasse mich dabei ganz auf Sie. Noch etwas: Nur der Yaqui, verstanden? Cochise muß unbehelligt bleiben. Wir rufen sonst den Teufel auf den Plan, und das wäre das Ende für unsere Mission. Adelante, 27
Señores, beginnen Sie mit dem Werk!« * Navarro blieb stehen. Eine Druckwelle erfaßte ihn und schleuderte ihn den Rest der Treppe hinunter, dabei blendete ihn ein weißer Explosionsblitz. Er rappelte sich benommen auf, rieb seine geblendeten Augen. Eine geräuschvolle Explosion. Welche Energie auch immer dort unten in der Halle zur Explosion gelangt war, er hatte keine Ahnung, was es war. Rauch erfüllte das Haus, bitter und beißend. Antonio Navarro hustete und versuchte zu sehen, aber seine Augen tränten und ließen Ströme von Tränen fließen. »Fernando, was ist los?« »Sie schossen auf ein Pulverfaß und brachten es zur Explosion. Die halbe Hazienda ist fortgeblasen.« Gestalten kamen die Treppe herauf. Navarro sah spitzkronige Hüte durch den schwarzen Rauch. Hinter Fernando stürmte Chavez. »Antonio«, sagte Fernando hustend. »Da oben, paß auf!« »Was ist dort?« Antonio sah hin. Die Galerie mit der geschnitzten Balustrade, die Zierde eines jeden mexikanischen Herrenhauses, war zum Zufluchtsort zahlreicher Menschen geworden. Frauen befanden sich unter ihnen, Frauen und Kinder. Aber auch Männer. Bewaffnete Männer. Schüsse krachten dumpf im sporadischen Abstand. Die Turbulenz nahm zu. Das Schreien der Frauen und Kreischen der Kinder wollte kein Ende nehmen. Alles in allem übertönte der infernalische Hexensabbat das Knistern der Flammen und das Dröhnen zusammenstürzenden Gebälks. »Wir greifen an!« schrie Navarro wild. »Aber vorsichtig, nicht stürmen.« 28
»Wir überrennen sie!« brüllte Chavez zurück. »Nein, die Peone sind alle schwer bewaffnet. Unsere Verluste sind hoch genug. Der Teufel wird sie alle holen!« Eine Kugel, dort oben abgefeuert, streifte ihn am Kopf und schmetterte Navarro gegen die Wand. Blind vor Wut stürmte er die Treppe hoch. Der Rauch begann abzuziehen, und allmählich sah er wieder. Die Barriere aus Möbelstücken hielt ihn auf. Er befand sich in einem toten Winkel, und keine Kugel konnte ihn mehr treffen. Sein Stiefel krachte gegen die Möbel, trieb ihre Stücke auseinander, schuf eine schmale Gasse, durch die er sich hindurchzwängen konnte. Begleitet von Fernando und Chavez, drang Antonio Schritt für Schritt weiter vor. Sein Revolver spie Flammen und Blei. Kein Geräusch, keine Bewegung im Korridor oder vor den Türen, die sich zu den vielen Räumen öffneten. Vor der ersten Tür blieb er ein wenig überrascht von der gelungenen Flucht des Hazienderos und seiner Familie stehen. Fernandos Stiefel trat in Aktion. Krachend sprang die Tür auf. Sie blickten in ein gut eingerichtetes Zimmer. Das Fenster gegenüber stand offen. Mit einem pantherähnlichen Sprung stand Antonio bei der Öffnung. Vor ihm eine holzbelegte Terrasse, mehr ein großer Balkon, der bis zu dem anderen Gebäude hinüberreichte, in dem der Verwalter und einige Vorarbeiter mit ihren Familien wohnten. Das Haus qualmte aus allen Nähten. Flammen schlugen aus dem Dach und trieben Funken über den kläglichen Rest des Rancho. Aus den Ställen drang das klagende Brüllen von Kühen und ängstliches Wiehern von Pferden. Antonio steckte zwei Finger in den Mund und pfiff schrill. Zwei, drei Desperados, Macheten in den Fäusten, blieben stehen und sahen herauf. »Öffnet die Ställe!« schrie Navarro befehlend. »Kümmert 29
euch nur um die Tiere. Pronto, Leute!« »Geht nicht!« brüllte ein buckliger Mestize zu ihm herauf. »Ein verwundeter Wolf hat immer noch Zähne im Maul!« »Die Ställe auf!« befahl Antonio scharf. »Um den Wolf kümmere ich mich. Ich sag's nicht noch einmal!« Die Männer auf dem Hof stürmten hinüber. Kein Schuß fiel, nichts prasselte auf sie herab. Mit steil erhobenen Schwänzen und gesenkten Hörnern stürmten die Milchkühe an ihnen vorbei. Ihnen folgten ein Dutzend Pferde durch die geöffneten Tore. Nachdem auch der Strom der Kleintiefe wie Schafe, Ziegen und Schweine versiegt war, drangen die Banditen in das große Stallgebäude. Es war verlassen, Flammen schlugen den Männern von allen Seiten entgegen, und der Rauch quoll in dunklen Wolken. Prasselnd stürzte ein Teil des Daches ein. Antonio Navarro und seine Begleiter stiegen über die Fensterbrüstung und gingen auf das Dach. Bohlen knirschten und knackten unter ihrem Gewicht. Antonio sah das helle Oval von Muno Uvalde, dem Herrn der Hazienda. Es schwebte vor ihm an einem Seil, umgeben von Rauch und Ruß. Er hob den Revolver und zielte. Dabei rief er: »Bleib ruhig hängen und ergib dich, ich will nicht dein Leben, Blutsauger!« Aber der Wolf hatte noch Zähne und wollte sich nicht ergeben. Er ließ das Seil los und stürzte mit einem Schrei in die Tiefe. Antonio beugte sich vor, sah den Haziendero auf die Erde prallen und auf die Seite rollen. Dann blieb er liegen. Antonio gab seinen Gefährten einen Wink und stürmte durch das Zimmer zur Treppe. Sekunden später war er unten auf dem Hof. Muno Uvalde lebte noch, aber es ging mit ihm zu Ende. Beim Aufprall hatte er sich schwere innere Verletzungen zugezogen. Mühsam drehte er seinen Kopf zur Seite. Was Antonio sah, waren Schmerzen, ja … und Haß. 30
Drängender, blinder Haß, der wie ein Höllenfeuer in seinen Augen glühte. »Du hast mein Lebenswerk vernichtet, Desperado – alles, was ich besaß. Und nun willst du auch meine Familie vernichten, Frauen und Kinder, die dir nie etwas zuleide taten. Gott wird dich strafen. Er wird dich so furchtbar strafen, daß du nie mehr ein vollwertiger Mensch sein wirst!« »Schwätzer«, höhnte der Bandit. »Blutsauger und Menschenschinder, ja, das bist du. Wo hast du das Geld versteckt?« »Und den Schmuck deiner Frau?« setzte Fernando grimmig hinzu. Uvalde starb, bevor er antworten konnte. Der Hof füllte sich mit Marodeuren. Immer mehr kamen aus den Häusern, von der vergeblichen Suche nach Schmuck und Geld zurück. In zwei dichten Reihen umstanden sie die Gruppe vor dem brennenden Haus. Von irgendwoher drang ein Ruf durch die zerstörte Hazienda. Antonio sah auf, bemerkte den Reiter, der sein Pferd durch das offene Tor drängte. »Alfredo, was willst du hier? Befahl ich dir nicht, auf den Hügeln Wache zu halten?« »Si, Antonio.« Alfredo sprang vom Pferd, hielt die Zügel fest. »Draußen warten zwei Reiter, Antonio. Sie kommen von einer Hazienda im Rio Yaqui-Tal.« »Was wollen sie?« »Ihr Patron bittet dich um Hilfe gegen die Yaquis, Antonio. Er will gut dafür bezahlen.« Antonio Navarro drängte sich brüsk durch die Reihe seiner Leute. Er machte das Zeichen des Geldzählens. »Wieviel?« »Sehr viel, die genaue Summe wurde mir nicht gesagt. Willst du mit ihnen sprechen?« »Warum nicht?« Der Desperado lachte höhnisch, »Worte 31
können keinen Schaden anrichten. Bring sie her!« * Der einsame Reiter auf dem Pinto hoch auf einem Hügel über der brennenden Hazienda verhielt regungslos und mit unbeweglichem Gesicht. Stille lag über der Landschaft wie ein zudeckendes Tuch. Eine tödliche Stille. Cochises Lippen bewegten sich, wirkten aber starr und verbittert. »Banditos!« »Bist du sicher, Jefe?« Die zweite Stimme blieb unsichtbar wie die dazugehörende Gestalt. John Haggertys Stimme. Im Hügeltal hielt eine Gruppe Yaquis. Ein Weißer und ein schwarzhaariges Mädchen mit flachem Stetson gehörten zu den Indianern, blieben aber im Hintergrund. Dunst lag drückend über der Hügellandschaft. Brandwolken und Asche. Der Wind von der Sierra Madre trieb beides nach Osten, weit hinaus in die flache, sonnendurchglühte Wüste. »Sehr sicher«, antwortete Cochise. Er zerrte seinen Pinto herum und verließ den Hügel. John, der in einem Gebüsch aus Speerdorn gewartet hatte, folgte dem Häuptling »Sie sind wie die Pest«, sagte Cochise. »Und ebenso tödlich.« »Wir müssen etwas für die Überlebenden tun.« Cochise hielt sein Pferd an und warf einen Blick zurück. »Es gibt niemanden mehr, dem wir helfen könnten.« »Davon müssen wir uns überzeugen. Ich reite zur Hazienda.« »Ich komme mit«, sagte Cochise, machte aber ein zweifelndes Gesicht. »Die Yaquis lassen wir hier. Ein Überlebender, wenn es den gibt, wird sich zu Tode erschrecken.« Haggerty mußte lächeln. Es glitt verstohlen um seine Mundwinkel und wirkte geradezu grotesk im Angesicht des 32
nahen Todes, der erbarmungslos zugeschlagen hatte. Cochise bekannte sich mit seinen Worten zu der allgemein vertretenen Ansicht, daß die Yaquis die schlimmsten unter allen Indianerstämmen waren. »Ich glaube«, sagte John, während der Chief sein Pferd wieder antrieb: »Du und Tehueco, ihr müßt euer Urteil und eure Meinung über eure wahren Feinde in Sonora revidieren.« »Das also ist es, was du mir die ganze Zeit über sagen willst?« Kein Ausdruck von Niedergeschlagenheit über Cochises Rüge war in Haggertys ruhigem Blick. »Es sind nicht meine Gedanken, Jefe, noch die irgendeines anderen von uns. Es ist die Situation, in der wir leben, der Augenschein.« Als Cochise wieder sprach, glaubte John eine Andeutung von Mißbilligung herauszuhören. »Du meinst, die Desperados sind das Problem der Indianer, nicht die Franzosen und die Truppen des Abtrünnigen?« »Ich sehe es so«, antwortete Haggerty ernst. »Juárez will keinen Krieg mit den Yaquis und den Apachen. Deswegen schickte er zu dem einarmigen General, und der schickte mich. Einfach, wie? Wie mir scheint, sind die Truppen des Kaisers nicht einmal über die Stämme in Sonora informiert. Wenn ihr sie ständig angreift, wehren sie sich. Niemand läßt sich den Skalp bei lebendigem Leib abziehen.« Haggerty gebrauchte Worte aus dem indianischen Sprachschatz und fühlte langsam Oberwasser. Zweifel waren in Cochise entstanden. Sein schweigendes Nachdenken dauerte lange. Tehueco und Pitcar kamen ihnen entgegen. Cochise erklärte mit wenigen Worten, was er gesehen hatte. Er fügte hinzu: »Ich reite mit den beiden weißen Männern hinüber und bitte Tehueco, in diesem Tal zurückzubleiben. Es ist auf dieser heiligen Erde genug Blut geflossen.« 33
Tehueco begriff sofort. Stolz überzog sein Gesicht. Man hatte Angst vor den Yaquis, und diese Angst war nicht unbegründet. Er nickte mit einem listigen Augenzwinkern. »Cochise mag tun, was ihm beliebt. Tehueco wird warten.« Haggerty gab Ringo ein Zeichen. Carmen, die sich ihm anschließen wollte, winkte er zurück. Naiche würde auf sie aufpassen und dem Mädchen die Angst nehmen, mit den Yaquis allein zu sein. Als sie durch das Tor ritten, fiel ein Schuß. Die Kugel warf vor Cochises Pferd eine Erdfontäne auf. Mit einem Riesensprung war der Apache aus dem Sattel. John Ringo hielt bereits den Colt in der Hand. Nicht einmal die stets wachen Augen Haggertys hatten beobachtet, wie er zog. Dieser Mann mußte ein Virtuose mit der Handfeuerwaffe sein. Haggerty und Ringo sprangen nicht von den Pferden, sondern trieben sie mit spitzen Schreien und ihren Sporen an. Cochise erreichte inzwischen das völlig zerstörte Herrenhaus, aus dem der Schuß gefallen war. Gebückt und gleitend wie eine Raubkatze drang er in die schwelenden Trümmer und warf sich in Deckung. Kein weiterer Schuß fiel. Als sich die Augen des Häuptlings, an das rauchige Halbdämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte er unter der verkohlten Treppe eine Gestalt, die ein Gewehr quer über der Brust liegen hatte. Das Messer in der Hand, glitt er hinüber. Aber er brauchte die Klinge nicht anzuwenden. Der Mann, ein Peon oder ähnliches, war bewußtlos. Cochise ging aufrecht zur Tür und winkte den beiden Weißen. Im Haus herrschte die Ruhe des Todes. Kein Geräusch war zu hören. Lediglich das sich entspannende Holz knackte. John Haggerty warf einen kurzen Blick auf den Schwerverwundeten. Der Mann würde mit seiner Brustwunde 34
keine Stunde mehr leben. »Bei dem anderen Haus und in der Nähe des Stalles liegen mehrere Leichen«, sagte Ringo mit ernstem Gesicht. »Wer hier gehaust hat, war ein wahrer Teufel.« Haggerty gab keine Antwort. Er kniete bei dem Sterbenden am Boden und wartete auf ein Lebenszeichen. Er mußte wissen, wer dieses Massaker angerichtet hatte. Er wollte es deswegen wissen, damit er für Yaquis und Apachen zeugen konnte. Nach einer Weile schlug der Peon die Augen auf. Er sah den hellen Fleck von Haggertys Gesicht vor sich und atmete befreit. »Es war schrecklich, Señor«, stammelte er. »Sie hausten wie die Teufel. Nicht einmal die Frauen und Kinder schonten sie.« »Indianer?« »Desperados, Señor. So etwas bringen nicht einmal die wilden Yaquis fertig.« Haggerty sah auf, blickte in Cochises verschlossenes Gesicht, in dem nicht der kleinste Muskel zuckte. Begriff der Häuptling endlich, wer die wahren Feinde der Apachen und Yaquis waren? Ihm kam es darauf an, Cochise vom Pfad des Krieges abzubringen. General Howard legte den größten Wert auf einen Sieg des abgesetzten und vertriebenen Präsidenten. Maximilian von Österreich unterstützte die Konföderierten, weil Napoleon es so wollte. Wenn Juárez siegte und die Franzosen aus dem Land trieb, würde wieder Ruhe an der Arkansasfront eintreten. Ruhe, die der Norden dringend brauchte, um seine Armeen neu zu formieren. Der Sterbende schloß wieder die Augen. Haggerty beugte sich über ihn, fragte leise: »Wer war es und wie viele waren es? Können Sie sprechen, Hombre?« »Mehr als dreißig … Die Bande des Navarro.« »Antonio Navarro?« 35
Der Sterbende nickte schwach. John hatte von diesem Outlaw gehört. Über Jahre hinweg terrorisierte er die Provinzen Sonora und Chihuahua südlich der amerikanischen Grenze. Für diesen Mann gab es auch kein Halten, in Arizona oder Neu Mexiko einzufallen, wenn er sich Beute versprach. »Wir haben niemanden gesehen, als wir kamen«, fuhr Haggerty gedämpft fort. »Wann sind sie weggeritten?« »Vor zwei oder drei Stunden. Ein Bote kam, Señor. Darauf ritten sie alle zusammen johlend davon.« »Hast du gehört, was der Bote sagte oder was er wollte?« Der Sterbende schloß erschöpft die Augen und rang keuchend mit dem Tod. Nach einer Weile nickte er unmerklich. »Der Reiter brachte eine Nachricht von irgend jemandem, ich weiß nicht, Señor …« John rüttelte ihn sanft an der Schulter und holte ihn noch einmal zu einem flüchtigen Leben zurück. »Was wollte der Unbekannte? Was sagte der Bote? Schnell Mann, und möge mir Gott vergeben, daß ich dich noch so quälen muß.« Der letzte Hauch des Sterbenden formulierte zwei Worte: »Santa Maria«, dann war es vorbei. Haggerty stand auf, reinigte seine Hose von dem Schmutz. Sein fragender Blick wurde von Cochise mit einem Kopfnicken beantwortet. »Santa Maria. Eine alte Klosterruine der frommen Padres im Rio Yaqui-Tal. Tehueco kann uns führen.« Cochise schien endlich zu begreifen, daß John recht hatte. Dies war nicht die Zeit, um politische Probleme zu erörtern. Dies war die Zeit, wo sein Plan vorangetrieben werden mußte. Howard wartete auf ein Ergebnis. *
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Nacht. Der Wind heulte leise von den Bergen ins Flußtal. Eine gespenstische und unruhige Nacht. Voller Schatten und Laute. Auf einem kahlen Hang dräute die Ruine. Yaquis oder Apachen hatten sie damals überfallen, die Jesuiten ermordet, das Kloster mit Kirche und Turm zerstört. Den Rest übernahm die Natur. Niemand konnte sich mehr an die Geschehnisse erinnern, zuviel Zeit war inzwischen verstrichen. Eine Eule schreckte mit heftigem Flügelschlagen auf und strich ab. Schauerlich klang ihr Schrei durch die Finsternis. Die Geister der verstorbenen Padres manifestierten sich in diesem grauenerregenden Schrei und erweckte in den Abergläubischen schüttelnde Furcht vor den Geistern der Berge, Lüfte und der Flüsse. Nicht so Cochise. Sein scharfer Verstand redete ihm ein, daß die seltsamen Laute natürlichen Ursprungs waren. Wenn auch nicht ganz frei vom Glauben an Unholde, Dämonen und anderen heidnischen Vorstellungen, so wußte er doch, daß ihnen der orgelnde Wind Sinnestäuschungen vorgaukelte, die jeden anderen Indianer zur augenblicklichen Flucht veranlaßt hätten. Er saß rittlings auf einem freiliegenden Balken. Ihm gegenüber kauerte John Haggerty in der gleichen Haltung, und beide schwebten fünfzehn Meter im zerstörten Glockenturm über dem Mittelschiff. Unter ihnen zuckte ein Lichtfunke. Er wuchs, wurde zur Flamme, die gierig an dem trockenen Holz der Chorstühle leckte. Eine Hand legte Holzstücke nach. Schatten zuckten über die rohen Mauerwände. Sie wuchsen ins Gigantische, schrumpften gnomenhaft und zerflossen in die Breite. Drei Männer in mexikanischer Kleidung bewegten sich beim Feuer. Cochises Aufmerksamkeit wurde vom klatschenden Flügelschlag einer zurückkehrenden Eule abgelenkt. Etwas Zappelndes in den Fängen, ließ sie sich ihm gegenüber auf einem Balken nieder. 37
Runde Augen, feurig wie glimmende Kohlen, glotzten ihn an. Bù, die heilige Eule aus dem Apachenmythos, flößte dem Häuptling ein kaltes Gruseln ein. Ganz frei von Aberglauben und den mythischen Vorstellungen seiner Rasse war er also doch nicht. Die Eule kümmerte sich nicht um die beiden Menschen. Sie verzehrte in aller Ruhe Ihre Beute und warf höchstens einmal wachsame Blicke herüber. Haggerty mußte unwillkürlich grinsen. Keine fünf Meter von ihm entfernt klammerte sich der Häuptling der Apachen an das Gebälk, vor ihm der Greifvogel, den er am meisten fürchtete, der einem Reptil genüßlich den Garaus machte. John deutete nach unten. Cochise nickte. Sie verstanden sich ohne Worte. Schnell kehrte sein Blick wieder zu der Eule zurück. Er wußte, daß sie mit ihrem seltsamen Gebahren Aufmerksame warnen konnte. Das Feuer prasselte, trieb Rauch und Asche zu ihnen herauf. Aber sein Schein reichte nicht aus, bis zum Gebälk des offenen Turms vorzudringen. Beider Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Vor den Ruinen ertönte ein Ruf. Hufgeräusche verstummten. Eine heisere Stimme stellte eine laut gesprochene Frage. Unter ihnen kam Bewegung in die Gruppe beim Feuer. Haggerty sah deutlich, wie ein Mann Holz nachlegte und ein anderer zum Kirchenportal ging. Er kam hastig zurück und sagte: »Es sind die Erwarteten. Aber sie sind mehr als ich erwartet habe. Das stimmt mich bedenklich.« Der Sitzende machte eine abwehrende Handbewegung. Seine Stimme klang sonor, als er antwortete. Es war die Sprache der Gebildeten in Mexiko. »Desperados halten ihr Wort, wenn die Summe stimmt. Gehen Sie dort hinter die Säule beim Seitenschiff, Señor Destinguez, und vergessen Sie Ihr Gewehr nicht mitzunehmen.« »Sehr wohl, Señor Prä …« Er brach hastig ab und 38
verschwand in der Dunkelheit der Säulenreihe. Klirrende Sporen näherten sich. Vier Gestalten blieben im Portal stehen und starrten auf die Torsos der Heiligen auf ihren Konsolen, die im flackernden Feuerschein neues Leben bekamen. Der mittlere Mann, ein Kerl in malerischer Kleidung und einem Arsenal von Waffen um Hüfte und vor der Brust, trat ein paar Schritte vor. »Ich bin Antonio Navarro«, rief er mit mißtrauischer Stimme. »Ich such einen Mann aus dem Rio Yaqui-Tal. Sind Sie das, Señor?« »Kommen Sie näher, Hombre. Ich bin der, den Sie suchen.« »Warum sagen Sie mir Ihren Namen nicht?« »Ist der so wichtig?« »Caballeros machen keine Geschäfte dieser Art mit Fremden.« »Jesus!« stieß der Mann beim Feuer leise hervor. »Caballeros?« »Nun«, kam es vom Portal, »warum überlegen Sie? Ich kann den Weg wieder zurückreiten, den ich gekommen bin. Macht mir gar nichts.« Cochise wie Haggerty spürten das Zögern des Sitzenden unter ihnen. Dieser Mann war ein schlechter Lügner, und er wußte es. Dazu war er vorsichtig, wachsam und nicht geneigt, seine Karten vorzeitig aufzudecken. Wieder die Stimme des Banditen: »Sagen Sie mir wenigstens, um was es geht? Vielleicht ist die Sache für mich nicht interessant genug.« Er machte das Zeichen des Geldzählens, fuhr fort: »Dann brauchen Sie mir Ihren Namen auch nicht zu nennen. Wie ist's, soll ich raten?« »Versuchen Sie es.« »Sie wollen jemanden aus der Welt geschafft haben, einen Nebenbuhler, den heimlichen Liebhaber Ihrer Frau, einen 39
Rivalen?« »Sie haben nicht einmal schlecht geraten. Wieviel kostet das?« »Je nachdem, wer es gerade ist.« »Sagen wir, es ist ein Indianerhäuptling.« »Was wäre Ihnen sein Leichnam wert, Señor?« »Zehntausend. Zehntausend in Gold.« »Klingt nicht schlecht. Und wer ist der Glückliche, der vom Leben zum Tod befördert werden soll?« »Tehueco, der Kazike der Yaquis.« Cochise erschrak so, daß er fast vom Balken gefallen wäre. Auch Haggerty zuckte zusammen. »Mann, sind Sie wahnsinnig? Wollen Sie das ganze Land in Aufruhr bringen? Ausgerechnet Tehueco? Hombre, wissen Sie nicht, daß dieser Beutelschneider ein guter Freund von Cochise ist, dem Häuptling aller Arizona-Apachen?« »Und? Stirbt er deswegen schwerer durch Ihre Kugel?« »Das nicht. Sie scheinen ein ziemlich kaltschnäuziger Bursche zu sein. Haziendero, daß ich nicht lache! Mann, lassen Sie sich was anderes einfallen. Der Plan taugt nichts. Wo sind übrigens Ihre Gefährten? Sie hatten doch noch ein paar Leute dabei, oder nicht?« Der Mann beim Feuer deutete auf die beiden Säulenreihen an den Seitenschiffen. »Sie haben nichts zu befürchten«, antwortete er ruhig. »Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Ich erhöhe mein Angebot auf das Doppelte.« »Klingt wie Musik in meinen Ohren. Ausgerechnet Tehueco. Mann, suchen Sie sich doch einen anderen für Ihre Mordpläne aus.« Nach einer Pause: »Was haben Sie eigentlich gegen diese Rothaut?« »Persönlich sehr viel. Er brandschatzte mit seinen Kriegern zweimal meine Hazienda. Ich kann es mir nicht leisten, alles zu verlieren.« 40
»Das ist ein Ding!« »Wollen Sie oder wollen Sie nicht?« »Maria und Joseph, sicher will ich. Die Hälfte der vereinbarten Summe als Anzahlung, den Rest in einer Woche an dieser Stelle. Und das Geheimnis Ihres Namens bleibt gewahrt. Einverstanden?« Der Unbekannte beim Feuer griff in die Tasche seines weitfaltigen Umhangs, nahm einen Beutel heraus und warf ihn zu Navarro hinüber. »Planen Sie keinen Verrat, Navarro. Ich bin mächtig genug, Ihnen und Ihrer gesamten Bande einen rauhen Strick zu drehen. Haben Sie verstanden?« »Si, Señor. Ich kann Sie da beruhigen. Ein Bandit wie ich hält stets sein Versprechen. Auf weiterhin gute Geschäfte. Buenas dias, Señor Unbekannt!« Er sprachs, drehte sich herum und verschwand in der Dunkelheit. In der Ferne verklang das Klingeln seiner Radsporen. Aus den dräuenden Schatten der beiden Seitenschiffe traten zwei Gestalten hervor. Sie blieben beim Feuer stehen und rieben sich die Hände. »Konnte gar nicht besser gehen, nicht wahr? War ganz schön eingeschüchtert, dieser Bursche.« Der Unbekannte stand vom Feuer auf und schlug den Umhang fester um die Schultern. Der Schatten seines Sombreros verhüllte sein Gesicht. »Gehen wir, Señores. Die Nacht ist schon weit fortgeschritten. Ich fühle mich hier in der Ruine unsicher, um offen zu sein. Also, reiten wir!« Mit einem langen Blick auf den Turm verließ er die Ruine. * Sie saßen auf dem Gebälk und starrten sich an. Ihnen war es, 41
als könnten sie ihren Ohren nicht mehr trauen. Ein Mordkomplott auf einen Indianerhäuptling, das hatte es sicherlich in diesem Land noch nicht gegeben. »Klettern wir nach unten«, sagte Cochise leise. Über die halbverfallene alte Steintreppe im Turm ging es ganz gut. Als sie unten ankamen, blieben sie zunächst stehen und lauschten. Als sich nichts rührte, wurden sie sicher. Das Feuer war herabgebrannt, und wenn der Wind hereinblies, stoben Funken und Asche. »Hast du den Unbekannten erkannt, Cochise?« Der Jefe nickte. »Der Abtrünnige«, erwiderte er in seiner knappen Art. »Benito Juárez.« Haggerty nickte. »Wir müssen Tehueco warnen, Häuptling.« »Nein«, sagte Cochise düster. »Warnen würde allein nichts nützen. Tehueco verlacht die Gefahr. Wir, du und ich, müssen aufpassen. Er soll nichts von dem Mordanschlag wissen, bis alles vorbei ist.« »Einverstanden«, antwortete Haggerty. »Reiten wir, Chief.« Durch das zerstörte Portal traten sie in den Vorhof. Die das Anwesen umgebende Klostermauer zeigte deutliche Brechen und erhebliche Spuren des Verfalls. Erosion und die stürmischen Bergwinde während der Regenzeit hatten die Mauerkrone abgetragen. Cochise blieb stehen und lauschte. Sterne standen glimmend am Himmel und sahen mit flimmernden Augen beharrlich und teilnahmslos auf das Tochtergestirn. »Der Weg ist frei«, sagte der Häuptling und deutete auf den dunklen Hang vor der Ruine. »Beeilen wir uns.« Lautlosen Schemen gleich huschten sie den Pfad hinunter und verschwanden in einer Bodenfalte. Bei den Pferden verhielt Cochise. »Wo wird der Mordanschlag erfolgen, Falke?« Haggerty zuckte die Achseln. 42
»Das weiß ich nicht, Jefe. Schwer zu sagen. Wir alle stehen Tehueco im Notfall bei. Aber du hast darüber nachgedacht. Ich sehe es dir an. Bist du zu einem Ergebnis gekommen?« »Noch nicht. Ich denke noch«, antwortete Cochise. Haggerty zog den Sattelgurt seines Pferdes nach. »Willst du nicht wissen, was ich denke?« fragte der Häuptling. »Du wirst es mir sagen.« »Ich bin zu dem Ergebnis gekommen«, fuhr Cochise fort, »daß der Angriff auf Tehuecos Leben nicht auf unserem Weg zum oberen Rio Yaqui erfolgt. Erst in dem Tal, wo meine roten Freunde ihre Wohnhöhlen haben, erfolgt der Mordanschlag.« »Ein kühner Gedanke. Kannst du ihn begründen?« Cochise bewegte den Kopf. John ahnte, daß er mehr wußte oder vermutete. Würde eine ablehnende oder zweifelnde Antwort ihn zum spontanen Handeln provozieren? Half Schweigen, das Unvermeidliche hinauszuzögern? John schwankte zwischen der einen und der anderen Überlegung, aber bevor er seine Gedanken in Worte kleiden konnte, sprach Cochise schon wieder. »Die Talhöhen sind vegetationslos, die umliegenden Berge zu steil und zu klippenreich. Es bleibt Navarro keine andere Möglichkeit, Tehueco aufzulauern und in einem geeigneten Moment zu erschießen. Bist du anderer Meinung, John?« »Die Erklärung reicht mir nicht«, erwiderte John. »Sie birgt mehr unkalkulierbare Annahmen als Fakten. Wo in diesem Tal kann der Mordbube dem Kaziken auflauern? Dabei dürfen wir nicht übersehen, daß sich im Lager mehr als dreihundert Krieger aufhalten, die nicht untätig bleiben, wenn ein Schuß fällt. Auch die zahlreichen Wachen auf den Höhen und Zugangswegen sollen nicht unerwähnt bleiben. Ich glaube, mein roter Freund, wir hängen zu sehr an dem dünnen Faden eines wahrscheinlichen Überfalls in jenem Tal.« Haggertys Stimme klang nachdenklich und ein wenig 43
überlegen. Wollte er Cochise reizen, um ihn von der Einseitigkeit seiner Überlegungen abzubringen? Er beobachtete ihn aus schmalen Augen. Vielleicht war seine Taktik falsch, aber er wußte ohnehin nicht, wie und zu welchem Zeitpunkt der Anschlag auf den Kaziken stattfinden würde. Innerhalb von sechs Tagen, das war sicher. Cochise schwang sich wortlos auf den Rücken seines Pferdes. John blieb nichts anderes übrig, als sich anzuschließen. Sein Pferd schnaubte und warf den Kopf in den Nacken. John beachtete die Warnzeichen nicht. Um so mehr Cochise. Aus schmalen Augenschlitzen musterte er wachsam Klippen und Dickicht. Aber die absolute Finsternis legte sich wie eine Barriere zwischen seine Augenschärfe und dem, was sich vor ihm versteckte. »Vorsicht!« zischelte er. »Gefahr!« John war schon an dem Häuptling vorbei und ritt ahnungslos in die Hügel. Die Warnung hörte er nicht. Der Weg endete bei einem mächtigen Gestrüpp aus Speerdorn, Mesquite und Sumachsträuchern. Das hechelnde Schnappen und der schwere Aufschlag in seinem Rücken ließen Haggerty zusammenzucken und heftig an den Zügeln reißen. Aber der Braune drängte instinktiv weiter und nahm die Gebißstange zwischen die Zähne. Mit langen Sätzen fegte er durch das Dickicht und gewann das nächste Hügeltal. Cochise wälzte sich auf der Erde. Eine Schlinge schnürte ihm die Luft ab. Es gelang seinen Fingern, den Zug der geflochtenen Riata zu lockern und Luft zu holen. Katzengewandt wollte er sich aufrichten, aber ein Ruck an der Leine riß ihn wieder zu Boden. Drei lachende Männer kamen aus den Schatten. »Gib dir keine Mühe, Rothaut, wir haben dich.« Cochise blieb auf den Knien und starrte seine Erzfeinde 44
haßerfüllt an. »Du weißt, wer wir sind?« Keine Antwort, nur haßsprühende Augen und geballte Hände. »Abtrünniger Hund!« Die Riata riß ihn wieder zu Boden. Ein Mexikaner setzte ihm den Stiefel in den Nacken und lachte wiehernd. »Eine schmierige Rothaut kann uns nicht beleidigen, nicht wahr, Señores?« Cochise versuchte wieder und wieder aufzustehen, aber jedesmal riß ihn der Lederriemen in seine kauernde Haltung zurück. Das höhnische Gelächter der drei Männer reizte den Jefe zur Weißglut. »Oaxaca-Bastard!« Gelächter, triumphierend und herausfordernd. »Hund von einem Pima!« »Aha, der Rote könnte ein Apache sein.« Der dritte Mann in der Runde der Angreifer trat vor. Seine Augen im Sombreroschatten musterten verstohlen den kauernden Indianer. »Chiricahua?« Cochise spuckte ihm auf die Stiefelspitzen. »Soll ich dem roten Halunken die Leine durchs Gesicht ziehen?« »Nein. Halt! Das ist kein gewöhnlicher Krieger. Entwaffnet ihn und gebt Leine nach.« Hände tasteten Cochise ab. Sie nahmen ihm das Messer und das Kriegsbeil fort, schleuderten beides zur Seite. »Er ist entwaffnet, Señor.« »Ich frage dich noch einmal nach deinem Namen, Indianer.« Cochise stand auf und wölbte stolz seinen Brustkasten. »Ich bin Cochise, der Häuptling aller Apächenstämme. Wer bist du?« »Nur ein Mann, der Sorgen hat. Du bist also Cochise, der 45
berühmte Häuptling!« Juárez hatte es erwartet, und doch war der Gedanke, Cochise gegenüberzustehen, unfaßbar für ihn. Er kam noch näher und starrte dem Jefe ins Gesicht. Cochises Frage überging er. »Du hast in der Klosterkirche der frommen Padres mein Gespräch mit dem Desperado belauscht. Wieviel hast du gehört?« Cochise erwiderte: »Alles.« »Und wie und was denkst du jetzt über mich? Du weißt, wer ich bin?« »Ein abtrünniger Meuchelmörder.« »Die Politik ist dazu da, daß man sie benutzt, wenn man einer ganzen Nation helfen will.« »Warum?« Cochise stand wie im Traum vor Juárez, seine Augen auf die beiden anderen Mexikaner gerichtet. »Warum?« Er brachte nur dieses eine Wort über seine Lippen. Juárez trat auf ihn zu, löste die Schlinge von seinem Hals und ließ sie zu Boden fallen. »Du bist frei«, sagte er. »Einen Cochise könnte ich sowieso nicht gefangen halten.« »Ich kann gehen?« Cochises Verblüffung machte einem finsteren Zorn Platz, »Du hast nicht den Mut, mich zu töten.« »Warum sollte ich dich töten, Chiricahua? Du hast mir nichts getan. Wenn du in der Kirche gelauscht hast, so lag das in meiner Absicht. Wenn du noch wissen willst, was dich und den Americano verriet, dann will ich es dir sagen: die Eule. Ja, die Eule verriet dich. Weißt du auch, warum?« Cochise starrte ihn finster und verschlossen an. Er glaubte dem Mann kein Wort. »Während sie fraß, ließ sie kein Auge von euch. Raubvögel sind nun einmal so. Ich sah es durch einen Zufall, Jefe, und was ich dir soeben sagte, ist wahr. Jedes Wort, das ich spreche, ist wahr.« 46
Cochises Gehirn rotierte. Etwas stimmte nicht. Vor seinen Augen glitt kaleidoskopartig das düstere Bild eines Mordes an einem Indianer vorbei, und schließlich hatte er Juárez gegenüber zugegeben, seinen Mordauftrag mit angehört und jedes Wort verstanden zu haben. Trotzdem ließ ihn der Rebell frei. Und das war es wohl, was dem Chief nicht in den Kopf wollte. »Ich bin wirklich frei und kann gehen, wohin ich will?« »Frei wie der Vogel in der Luft. Alles war ein Mißverständnis. Wir dachten, Navarros Nachhut treibe sich hier herum. Tut mir leid, Cochise, in der Dunkelheit konnten wir dich nicht erkennen.« Cochise glaubte es nicht. »Ich werde Tehueco warnen«, pokerte er. Juárez lachte. »Genau meine Absicht. Ich sagte doch, daß ich von deiner und des Weißen Anwesenheit wußte. Politik ist nun einmal ein schmutziges Geschäft.« Cochises Antwort war kurz: »Woher wußtest du, daß gerade ich es war, der euch belauschte? Ebensogut hätte es ein Fremder sein können.« Wieder amüsierte sich Juárez. »Das konnte ich natürlich nicht wissen. Aber ich konnte es annehmen. Meine Scouts stießen auf eine Menge Spuren, und wer weiß in Sonora nicht, daß der Häuptling der Apachen mit den Yaquis unterwegs ist? Sie warten hinter jenen Hügeln. Stimmt, oder?« Er deutete nach Norden, drehte sich wieder zu Cochise. »Wenn du noch Fragen hast, so will ich sie dir gern beantworten.« Cochises Geist schien sich in den innersten Bereich seines Bewußtseins zurückzuziehen und von dort aus zu operieren. »Du willst Tehueco also nicht töten lassen? Warum?« »Ist das so schwer zu verstehen? Ich habe keinen Grund 47
dazu.« »Er ist dein Feind.« Cochise zögerte, fuhr mit rauher Stimme fort: »Auch ich bin dein Feind, Abtrünniger.« »Die Yaquis sind nicht meine Feinde, weil ich Indianer wie sie bin. Das ist es wohl, und, falls ich das in deiner Gegenwart sagen darf, die Chiricahuas auch nicht. Kleine Scharmützel soll man nicht überbewerten.« »Aber Navarro soll Tehueco umbringen?« Juárez stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Es wird ihm nicht gelingen, sondern er selbst wird bei diesem Unternehmen getötet werden. Das Land wird von einer Geißel befreit, und das war mein Plan.« »Das ist dir zwanzigtausend in Gold wert?« »Zehntausend«, erwiderte Juárez lächelnd. »Dieses Geld war der Köder, aber ich werde es zurückerhalten. Du kannst reiten, Cochise, niemand hält dich auf. Adios!« »Nicht so hastig, Señores!« drang eine harte Stimme aus der Dunkelheit. »Ich habe auch noch ein paar Fragen, die ich beantwortet haben möchte. Cochise, tritt zurück!« Aus den Schatten trat ein Mann mit angeschlagenem Gewehr. * Unruhe bemächtigte General Otis O. Howard. Er war allein, wie Generäle immer auf einem Feldzug allein waren. So sehr er sich auch bezwang, die Unruhe wuchs und nahm Formen an, die den eisenharten Mann überraschten. Zwei lange Wochen hatte er von Haggerty nichts gehört. Er schritt unruhig zum Schreibtisch, ordnete mit der Linken Papiere, die der Luftzug verweht hatte. Dann setzte er sich, um nach Sekunden schon wieder aufzustehen. Mit ein paar Schritten ging er zur Zeltklappe. Im zweiten Abteil saß eine Ordonnanz bei Lampenlicht und beschrieb ein 48
Papier. Howard hüstelte. Der Captain sah kurz auf, erhob sich und stand stramm. »Sir?« »Holen Sie bitte Colonel Walman, Captain.« »Sehr wohl, Sir – Colonel Walman zum General!« Walman kam. Militärisch gerade und so steif, als hätte er einen Ladestock verschluckt, knallte er die Hacken zusammen. »Sir, melde mich zur Stelle.« »Kommen Sie, Colonel, setzen Sie sich. Sie können sich denken, daß ich über Haggertys Schweigen beunruhigt bin. Keine Meldung, nicht einmal die kleinste Nachricht. Es ist zum Ko …« »Sehr wohl, General, Sir – ich pflichte Ihnen bei. Überhaupt keine Nachricht?« Howard schüttelte den Kopf. »Nur solche von Leuten, die sich viel mit einer Whiskyflasche beschäftigen. Ich zweifle solche Gerüchte an.« Walman setzte sich ebenso steif wie er ging. Howard zog sich einen zweiten Feldstuhl herbei. »Wir schickten Haggerty nach Süden, um Cochise von Unüberlegtheiten abzuhalten. Haggerty, ein verdammt kluger Kopf, hat genau begriffen, worauf es dem Gtneralstab ankommt, wenn es auch nicht haargenau erörtert wurde. Und jetzt? Nichts.« »Sind Sie sicher, General Howard, daß John Haggerty den Kern seiner Mission verstanden hat? Dieser Mann ist so zuverlässig wie der Blitz. Er haut immer dort hinein, wo man es am wenigsten erwartet.« Howard nickte. »Er hat begriffen, worum es geht. Ich sah es an dem verständnisvollen Blitzen seiner Augen. Manchmal bezweifle ich, daß er wirklich den Einfluß über Cochise besitzt, den wir ihm zurechnen. Spärliche Nachrichten aus dem Süden sagen eindeutig, daß in Sonora nichts läuft, keine Kampfhandlungen und keine anderen Aktionen. Ich weiß nicht, 49
was ich denken soll?« »Und in Chihuahua?« »Nach der verlorenen Schlacht in der Bolson de Mapimi kann sich Juárez dort nicht wieder blicken lassen. Die Franzosen haben überall Stützpunkte und passen gut auf. Außerdem wird dieser unselige Krieg in Sonora und Durango entschieden, nicht in Chihuahua. Nur wann, das ist die Kapitalfrage, mit der wir es zu tun haben.« »Soll ich einen erfahrenen Scout Haggerty hinterherschicken?« »Er käme nicht mal durch die Gran Desierto. Die Yaquis riegeln das Land dort unten völlig ab und lassen keinen Fremden durch.« »Ich meine einen Apachenscout, Sir.« Howart verneinte mit einem Kopfschütteln. »Sir, was ich tun kann, wird geschehen. Weshalb haben Sie mich rufen lassen?« »Wir müssen uns was einfallen lassen, Colonel. Das Hauptquartier erwartet Nachrichten. Keine Regierung der Welt investiert Geld in eine Revolutionsarmee, wenn sich keine Erfolge zeigen. Der Krieg gegen die Konföderierten verschlingt Unsummen, und Juárez macht's auch nicht gerade billig. Was soll ich General Sheridan sagen? Was nur soll ich ihm mitteilen? Mein Gott, es ist zum Auswachsen!« Walman starrte betreten auf seine Fingerspitzen. Nach einer Weile hob er den Kopf und schaute den General an, dem die Sorgen auf dem Gesicht geschrieben standen. »Sir, lassen Sie mir bitte bis morgen Zeit. Ich will mich mit Colonel White besprechen, und gemeinsam graben wir etwas Brauchbares sicher aus. Bis morgen?« »Gut, bis morgen dann. Morgen abend um die gleiche Zeit.« Walman stand auf, grüßte zackig. Nach einer Kehrtwendung verließ er Howards Befehlszelt.
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* »Nehmen Sie getrost die Flossen etwas höher, Señores!« Das war ein ernstzunehmender Befehl, den Juárez mit seinen beiden Begleitern nicht ignorieren durfte. Er kannte diese helläugigen Gringos nur zu gut. Schnell mit der Waffe waren sie, zu schnell, aber ohne Verstand. »Noch höher!« kam der zweite Befehl. Drei Armpaare streckten sich zum Himmel. Cochise machte ein ernstes Gesicht, rührte sich aber nicht von der Stelle. John Haggerty trat aus den deckenden Schatten, das Gewehr im Anschlag. »Ich bin kein Gefangener, Falke«, sagte der Chief. »Ich weiß es, keine Sorge, ich habe jedes Wort mitgehört. Ein raffinierter Schachzug, Benito Juárez. Alle Achtung.« Juárez zuckte die Achseln. »Ich bin Politiker, was wollen Sie? Irgendwie muß ich mir meine Feinde vom Hals schaffen. Haben Sie vor, mich zu erschießen?« Haggerty lachte. »Sie erschießen? Sie, die Stütze der mexikanischen Nation? Gewiß nicht, Señor Präsident. Es wundert mich nur, und das mit Recht, wieso ein Mann wie Sie seine Armee verläßt, um sich auf Abenteuer zu begeben.« »Ich, hatte gute Gründe, Señor Haggerty. Muß ich darüber reden?« »Sie kennen mich?« »Jetzt sind Sie es, der sich unterschätzt. Natürlich kenne ich Sie. Bringen Sie mir eine Botschaft? Eine bestimmte Botschaft?« »Kommt darauf an, Señor Juárez.« »Worauf?« »Auf Ihre guten Gründe.« John hielt das Gewehr noch an die Hüfte gepreßt. Er kannte das lebhafte Temperament der Mexikaner und jener Leute, die 51
sich als Begleiter des Präsidenten ausgaben. Juárez machte eine fahrige Handbewegung. Danach strich er sich wie nachdenkend über das Gesicht und zuckte wieder die Achseln. »Ich glaube, Sie wissen bereits alles. Sie und Cochise belauschten meine Unterredung mit dem Desperado Navarro in der Klosterkirche. Was soll ich Ihnen noch sagen? Nicht die Yaquis und Apachen und nicht die französischen Truppen sind mein Problem, sondern die zahlreichen Desperadobanden mit ihren Raub- und Mordinstinkten. Mein Plan war demnach doch nicht so genial, wie ich dachte.« »Genial oder nicht, Señor, er wirft auf alle Fälle ein falsches Licht auf Ihre Person. Die geringste Panne nur, und Sie hätten die Hölle über Sonora heraufbeschworen. Einen Indianerhäuptling läßt man nicht ermorden, nicht einfach so.« Juárez hob schnell den Kopf. »Señor«, sagte er entrüstet. »Ich sprach von einem politischen Schachzug.« »Weiß ich, weiß ich, aber wissen das die einfachen Leute in Ihrem Volk? Ich sagte auch: wenn es schiefgeht. Und so eine Sache kann leicht danebengehen und kommt auf einen zurück, ehe man es sich versieht. Außerdem ist das Geld, das Sie von der Union erhalten, zu wertvoll, um es für triste Spielchen auszugeben, das Sie Diplomatie nennen. Meinen Sie nicht auch?« Juárez wurde rot, aber wegen der herrschenden Dunkelheit sah man seine Schamröte nicht. »Tun Sie doch endlich das Ding da weg«, bat er mit leiser Stimme. »Nicht eher, bevor Ihre Begleiter ihre Revolver abgelegt haben. Ich sehe es ihnen förmlich an, wie es in ihren Händen juckt.« »Das sind die Señores…« »Weiß ich«, winkte John ab. »Wir auf der anderen Seite der 52
Grenze sind auch nicht auf den Kopf gefallen, wenn Sie das auch manchmal zu denken scheinen, Señor Präsident. Nun, wie ist's, fallen die Hüllen?« Juárez, der ausgezeichnet englisch sprach, verstand die derbe Sprache von Howards Sonderbeauftragten. Er gab den beiden Offizieren durch ein Nicken zu verstehen, daß sie Haggertys Befehl folgen sollten. Zwei Halfter prasselten auf die Erde, dazu die Gurte und die Waffen. »Zurücktreten!« John ließ sich auf nichts ein. Nicht einmal das kleinste Risiko zog er ins Kalkül. Zähneknirschend traten Destinguez und Albergue drei Schritte nach hinten. John hob die Waffen auf und hing sich ihre Patronengurte über den Arm. Das Gewehr stellte er so gegen seine Hüfte, daß es nicht umfallen konnte. Cochise sah mit seinen scharfen Augen, daß es nicht einmal entsichert war. Ein vergnügtes Lächeln glitt über seine Züge. »Was nun?« fragte Juárez mit einem feinen Unterton. »Die Situation ist eine ausgesprochene Pattstellung.« Haggerty grinste. »Mitnichten, Señor. Wie kommen Sie überhaupt auf die Pattstellung? Wir spielen kein Schach. Dieses Spiel ist viel gefährlicher und tödlicher als eine Schachpartie. Ich sagte, daß das Geld der Union zu wertvoll ist, um es leichtfertig zu riskieren. Ihre Antwort habe ich sicherlich überhört? Tut mir leid.« »Ich antwortete Ihnen gar nicht«, sagte Juárez wahrheitsgemäß. »Der Zweck heiligt die Mittel, das ist auch so in Mexiko.« »Sie gehen also davon aus, daß wir Ihnen den Sack mit Goldpesos zurückgeben, wenn wir, Cochise und ich, den Mörder …« Er brach ab, fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. Seine Stimme wurde trocken. Benito Pablo Juárez riß seine Gedanken gewaltsam aus 53
seiner eigenen Vorstellungswelt, in der es neben seinen Problemen mit der Revolutionsarmee auch das der Desperadobanden gab. Er hatte Städte gesehen, deren Häuser Gräber für die massakrierten Bewohner geworden waren. Die Kämpfe zur Vertreibung oder Vernichtung der Banditen aus diesen Totenstädten hatten seine Kraft und sein Geld verzehrt. Es war wie ein schrecklicher Alptraum, in den man nicht gern zurückkehrt. In diesem Augenblick entdeckte er, daß es außer diesen Greueln noch andere Gründe gab, die ihm die ganze Revolution verhaßt machte. Es war seine eigene Zwiespältigkeit und der Geist der Fremden, der sich in seiner Armee ausbreitete. Er wartete auf den stechenden Schmerz, der solche Erinnerungen zu begleiten pflegte. Aber diesmal war er kaum spürbar. Und fast hatte es den Anschein, daß die Anwesenheit Cochises und Haggertys ihm neues Vertrauen einflößte. Juárez nickte. Er sagte: »Das hatte ich erwartet, Señor Haggerty. Mein Plan ließ sich gut an, als ich Sie im Dachgebälk der Ruine bemerkte. Das war gewollt.« »Klingt mir alles wie ein Märchen, Señor. Kein Mensch kann so weit vorausdenken, um die Fäden der Zufälle zu einem gewünschten Ganzen zu verknüpfen. Auch Sie nicht, Sie Politiker.« »Das klingt gehässig.« »Ist es aber nicht. Wie geht's weiter?« »Das muß ich Ihnen und General Howard überlassen. Meine Person spielt dabei die kleinste Rolle. Ich habe Sie unterschätzt, das gebe ich zu, und ich habe den Häuptling der Apachen falsch eingeschätzt. Señores, wenn ein Mann wie ich einen so tiefen Kotau vor Ihnen macht, dann tut er das aus Überzeugung.« Haggerty machte eine geringschätzige Geste, blieb aber stumm. Die Sterne kamen mehr und mehr heraus, funkelten 54
wie Brillanten auf einem schwarzen Samtkissen. Man konnte besser sehen. Juárez fuhr fort: »Ich bin ein Indianer. Man wirft mir das immer wieder vor. Warum? Schließlich sind wir Indianer die Ureinwohner dieses Landes und nicht die Spanier und Franzosen. Mexiko gehört den Mexikanern, und das wird so lange bleiben, wie es ein Mexiko gibt.« Juárez steigerte sich mit jedem Wort in eine hektische Rolle, die er sonst vermied. Seine Hände bewegten sich mit selbstverständlicher Gewandtheit beim Sprechen, aber als er zu reden begann, klangen seine Worte schwach und überzeugungslos. »Señores, die Macht, mich und mein Werk, die Revolution, zu vernichten, liegt nun in Ihren Händen. Das wäre Mexikos Untergang.« Etwas von seiner Verklärung schwand dahin, als er merkte, daß ihm das sprachliche Werkzeug fehlte, John Haggerty zu überzeugen. Er fuhr fort: »Ich sagte es. Nichts wäre mehr klar und gäbe Maximilian wieder die Oberhand, und alles ist wie hinter treibenden Nebeln. Nicht aber für Maximilian und Napoleon. Ihre Waffenlieferungen über Texas an die Arkansasfront gingen nach wie vor weiter. Liegt das im Interesse der Union?« Erste Erfolge zeichneten sich für Juárez wie ein Silberstreifen am Horizont ab. Er spürte die Wandlung in Cochise. Wenn Haggerty immer noch mit Zweifeln behaftet war, so lag das an der Art der Erklärung, die Juárez abgab. Er schüttelte den Kopf, starrte beharrlich auf eine Stelle in der Dunkelheit, als könne er hindurch und bis zu einem Punkt sehen, auf den es ihm ankam. Cochise nahm ihm die Entscheidung aus der Hand. »Das Kriegsbeil zwischen den Chiricahuas und dem Abtrünnigen ist begraben – vorerst.« Juárez sah schnell auf. 55
»Gilt deine Entscheidung für alle Stämme der Apachen?« »Ich werde Geronimo, Victorio und die anderen Führer bitten, ihre Kampfeswut auf die weißen Eindringlinge im Norden zu richten. How!« John Haggerty atmete auf. Ein Teilsieg war errungen. Wenn es auch nicht im Sinne des Generals liegen konnte, daß sich die Apachen wieder mehr auf weiße Siedler und die Army konzentrierten, so war doch eines wichtig. Der Krieg gegen die Südstaaten mußte gewonnen werden, egal wie. Und das schnell, bevor noch weiteres Blut floß. »Laßt uns aufbrechen«, sagte er. »Es gibt viel zu tun. Das wird ein heißer Sommer werden.« Ein Übel konnte man nur bekämpfen, und das wußte keiner besser als John Haggerty, der Sonderbeauftragte General Howards. * Der Chiricahua kniete am Boden, in der Hand die aufgestützte Lanze und den Schild. Nichts war an ihm anders als bei anderen Kriegern seines Volkes. Und doch gab es einen kleinen Unterschied: der runde Schild mit dem aufgemalten Wappen des sitzenden Falken. Aufmerksam verfolgte der Indianer die zahlreichen Spuren. Sein Pferd, ein Schecke, stand mit hängendem Kopf in seinem Rücken und bewegte nicht einmal die Ohren. Das Land vor ihm war öde, zeigte ausgesprochenen Wüstencharakter, aber allenthalben waren die Kräfte der Natur auf dem Vormarsch. Gras, Staudengewächse und niedrige Büsche begannen sich von einem bestimmten Zentrum her auszubreiten, und Regengüsse hatten tiefe Erosionsrinnen in die Oberfläche gefressen. Ein Trupp Chiricahuas kam von der anderen Seite in einer breiten Rinne herauf. Der Anführer gab das Zeichen zum 56
Halten. Sie bewegten die Köpfe langsam von links nach rechts, als ob sie Witterung von einem Feind aufzunehmen versuchten. Aber Büffelschild hatte die Fährte bereits gefunden. »Waren es viele?« rief der Anführer. »Sehr viele«, war die grunzende Antwort. Die Aufmerksamkeit des Spähers konzentrierte sich auf die anscheinend nicht sehr alte Fährte, die nach Südwesten verlief. Sie konnte nicht älter als sechs bis sieben Stunden sein, und die Reiter, die sie verursacht hatten, mußten während der Nacht diesen Weg geritten sein. »Über dreißig, würde ich sagen«, sagte der Späher und spreizte sechsmal die rechte Hand. »Beschlagene Pferde?« »Drei waren mit Eisen beschlagen, die anderen tragen keine Hufeisen.« »Brüder des Falken«, murmelte der Anführer, ohne von seinem Pinto zu steigen. Mit einem seltsamen Glitzern in den Augen setzte er hinzu: »Yaquis, unsere Vettern.« »Sie sind nach Sonnenuntergang geritten«, fuhr Büffelschild fort. Seine Finger berührten behutsam die schwachen Einkerbungen. »Der Boden ist zu steinig, mehr kann ich nicht sehen.« Der Anführer trieb sein Pferd vorwärts, und die anderen folgten ihm. Mehr als zwanzig Krieger, alle mit dem sitzenden Falken auf dem Schild. Der Anführer ließ nach beiden Seiten ausschwärmen und beide Flügel vorziehen. Das Gelände war für einen Hinterhalt wie geschaffen, und ein Apache war nie ein Freund von unnötigen Risiken. Von den Yaquis hatten sie bestimmt nichts zu fürchten. Aber in diesem Landesteil von Sonora gab es nicht nur Yaquis. Banditen trieben hier ihr Unwesen und feindliche Indianer anderer Stämme, die vor Urzeiten aus dem Süden gekommen waren, verfolgt von kriegerischen Stämmen aus dem Innern 57
von Mexiko. Der Trupp ritt durch menschenleeres, wegloses Hügelland. Disteln und dornige Sträucher gediehen zwischen braunen Lehmriffen und Felstrümmern. Der Westwind brachte den Geruch von Wasser. Es konnte nicht mehr weit bis zum Rio Yaqui sein. Der Anführer kannte dieses Land einigermaßen, und er wußte, daß die Hügel sich bis zum Fluß hinziehen würden. Für ihn gab es kein Zurück. Der Häuptling aller Apachenstämme hatte gerufen, und wenn Cochise mit dem Finger winkte, standen die Chiricahuas sowie die anderen Stämme wie ein Mann auf. Zwei Stunden waren vergangen, seit sie die Hügel durchquert hatten, und die Sonne stand hoch über den westlichen Bergen, als das Pferd des Anführers den Kopf hob und wieherte, um von weiter voraus Antwort zu erhalten. Sie näherten sich dem Fluß und wurden noch vorsichtiger. Flankenreiter schwärmten aus und drangen in eine Talmulde ein, die sich zum Fluß hin öffnete. Auf einer Wiese grasten Pferde. Ein Flankenreiter kam zurück. Scharf parierte er sein Pferd vor Ulzana, dem Anführer. Seine Hand deutete auf ein helles Bündel im Gras, das wie ein Bündel Abfall nahe beim Flußufer lag. Ulzana ritt hin. Vom Rücken des Pferdes aus sah er, daß das Bündel ein toter Mexikaner war. Sein Gesicht wirkte ruhig und entspannt, obwohl seine Hände noch die Klinge umklammerten, die in seine Brust gestoßen war. »Wer hat ihn getötet?« rief Ulzana. »Sucht nach Spuren!« Reiter sprangen von ihren Ponys und gingen gebückt über die Fläche. »Ulzana!« Er sah auf und einen der Krieger winken und auf eine Lanze zeigen, die nahe beim Ufer in der feuchten Erde steckte. 58
Ulzana ritt hinüber. Es war eine Lanze, die tief in die weiche Erde getrieben war. Ihr Ende hatte man mit einem abgebrochenen Pfeil geschmückt. Ulzana starrte das Zeichen an, das keiner Erklärung bedurfte. Chiricahuas hatten die Nachricht angebracht und dabei den Mexikaner getötet. Ulzana starrte den Apachenpfeil an. Man hatte ihn mit der Spitze nach unten am Lanzenschaft festgebunden und seine eiserne Spitze rot gefärbt. Dieses Zeichen eröffnete beunruhigende Ausblicke. Cochise und Naiche waren in Bedrängnis und erwarteten schnelle Hilfe. Dazu war er mit den Kriegern seiner Sippe ausgeritten. Cochise würde Hilfe bekommen, so wahr er Ulzana hieß. Seine Gedanken kamen und gingen. Hinter ihm weideten mehr als zehn ungesattelte Pferde. Zu wem gehörten sie? Es waren keine Apachenpferde, er sah es an ihren Ohrmarkierungen. Aber es waren auch keine Reittiere von Weißen. Zwar waren sie alle beschlagen, aber das wollte nicht viel bedeuten. Pferde konnten gestohlen, gekauft oder sonstwie durch Tausch erworben werden, auch beschlagene Tiere. »Seid vorsichtig!« schrie er gellend. »Dringt in die Büsche und sucht sie!« Seine braune Hand machte eine kreisende Bewegung zu den fremden Pferden hinüber. Als hätte der Blitz in die Lichtung geschlagen, waren alle Apachen nach dem Kommando verschwunden. Nur ein paar ältere Krieger saßen auf ihren Pintos und lauerten zum Fluß. Schleichend und lautlos wie große Katzen sondierten die Chiricahuas den Chapparal. Man hörte nicht das geringste Geräusch, kein Ast oder Zweig schwankte und kein trockenes Holz knackte unter weichen Mokassins. Ein Krieger kehrte zurück, lief über die Lichtung und blieb bei Ulzanas Pferd stehen. Aufgeregt zeigte er mit ausgestreckter Hand nach Süden. Braune Klippen drängten an dieser Stelle nach oben. Klippen, die an Haifischzähne 59
erinnerten. »Gelbhäutige, Ulzana!« Ulzana beugte sich vor. »Wie viele?« Der Krieger spreizte zehn Finger, zog sie wieder zurück und ließ noch einmal zwei hochschnellen. »Gut gemacht, Elchgeweih. Die Krieger mögen zurückkehren.« Sie kamen aus dem Dickicht, einer nach dem anderen, lautlos und gleitend, als schwebten sie. Die ganze Schar umringte Ulzana, der sich die Meldungen der Krieger anhörte. »Es sind zwölf«, sagte ein hochgewachsener Apache. »Sie sitzen an einem Feuer und reden.« »Gelbhäutige?« Der Krieger nickte. »Eine leichte Beute, Ulzana.« »Was tun sie? Nur reden?« »Sie reden und ritzen Linien in den Boden.« »Du hast sie belauscht, Wolfszahn? Worüber reden sie?« »Sie sprechen über das gelbe Metall, das sie Gold nennen, Ulzana. Yaquis hätten es den Kriegern in den roten Hosen abgenommen, und nun wollen sie es sich von den Yaquis holen.« »Haben sie gesagt, wann das war, Wolfszahn?« »Darüber redeten sie. Die Sonne ging in der Zwischenzeit achtmal unter.« »Wir werden sie töten«, erklärte Ulzana. Es war eine Feststellung. Er dachte noch immer über das Gehörte nach und fragte sich, ob sich Cochise für diese Nachricht interessieren würde. Apachen hatten für Gold keine Verwendung. Aber die mexikanische Revolutionsarmee. Für Juárez wäre der Schatz eine willkommene Beute gewesen, aber Cochise mochte den ehemaligen Präsidenten von Mexiko nicht und verachtete ihn. Von der eingetretenen Wende wußte Ulzana nichts. Was 60
würde sein, wenn Cochise den Goldraub inszeniert hatte? Über das mögliche Warum machte sich Ulzana keine Gedanken. Er war von Cochise gerufen worden, und nur das zählte im Augenblick. »Wir greifen an!« befahl er mit erhobener Stimme. Im gleichen Moment kamen ihm Bedenken. Cochise war es vielleicht nicht recht, wenn er mit seinen Kriegern auf eigene Faust handelte. Schnell setzte er hinzu: »Wir greifen die Gelbgesichtigen an, machen aber keine Skalps. Wer sich ergibt, bleibt am Leben.« »Zastee!« schrien die Krieger. »Zastee! Tötet!« Ulzana sprang vom Pferd und zerrte sein Gewehr aus dem Futteral. Er schwang es über dem Kopf und gab das Zeichen zum Angriff. * Feuer prasselten und schickten Flammenschein in alle Richtungen. Über die Talhänge krochen verzerrte Schatten als Giganten oder Gnome, je nachdem, ob die Flammen im Luftzug aufflackerten oder ruhig brannten. Das Tal war erfüllt von vielen unruhigen Stimmen, vom Wiehern der Pferde und vom trunkenen Gesang der Krieger. Haggerty stand im Höhleneingang und lauschte. Er sah Cochise nicht, auch nicht Naiche, seinen Sohn. Er sah keinen der anderen fünf Apachen und machte sich Gedanken. Die Turbulenz im Tal nahm zu und wurde übermächtig. Trunkene Krieger tanzten im Takt der Tamburins um die Feuer, und wenn die große Trommel aufbrüllte, stieß ein gemeinsamer Schrei wie ein flammendes Schwert in den Himmel. Wilder und ekstatischer wurden die Tänzer, lauter ihr Geschrei, gräßlicher die Drohungen, die sie aus schäumenden Mündern ausstießen. John Haggerty lehnte sich mit dem Rücken an den kühlen 61
Stein und starrte wie gebannt auf die abstoßende Szenerie dort unten im Tal. Das Bild hätte nicht treffender Dantes Schilderung von der Hölle beschreiben können. Von einer Sekunde zur anderen sah er Cochise. Nicht nur ihn. Naiche und die Apachenkrieger folgten ihm auf der gegenüberliegenden Hangseite über einen Ziegenpfad zur Höhe. Die Apachen hielten sich zusammen, das mußte einen Grund haben. Cochise bemerkte ihn im Höhleneingang und deutete mit dem Finger in die Höhe. John war sich nicht klar darüber, ob er seine oder die andere Seite meinte. Plötzlich verschwand der Chief mit seinen Apachen aus Haggertys Gesichtsfeld. Er ging tiefer in die Höhle, spürte einen schwachen Luftstrom und verharrte bei dem kleinen Feuer, dessen Flämmchen bei dem Licht der in der Wand befestigten Fackel kümmerlich wirkte. Der Hintergrund der Höhle wirkte stockdunkel. Aber von dorther kam der Zugwind. John ging weiter. Ein Oval öffnete sich wie der Mund einer weiteren Höhle. So war es auch. Haggerty ging hindurch, die Hand am Revolverkolben. Die zweite Höhle war kleiner und niedriger. Ruß schwärzte die Wände, und hier, bei der rauchgeschwärzten Wand spürte er den Luftzug doppelt so stark. Er ging in die erste Höhle zurück, riß die Fackel aus dem Wandspalt und hielt sie hoch. Gleich darauf drang er wieder in die zweite Höhle ein und drehte sich im Kreis. Auf der linken Seite war eine Öffnung im Fels, der Gang schmal und niedrig. John mußte sich bücken, wenn er ihm folgen wollte. Es ging ständig aufwärts und tief in den Berg hinein. Ein weiterer Tunnel kreuzte. Eine Treppe kam in Sicht. Mit scharfen Werkzeugen war sie aus dem brüchigen Fels gehauen worden. Eine Arbeit, die die handwerklich unbegabten Yaquis nie gemacht haben konnten. John blieb stehen und bestaunte die alte Meißelarbeit. Jahrhunderte waren vergangen, seit Urbewohner dieses Tales 62
oder zugewanderte Stämme aus dem Süden eine dauerhafte und feindgeschützte Bleibe aus dem Fels gestemmt hatten. Urbewohner? Wer waren sie? Er würde es nie ergründen und zuckte die Achseln. Über die Treppe gelangte er in einen dritten Stollen. Auch hier Spuren von Werkzeugen. Seltsame farbige Abbildungen von Menschen und Tieren, mythologisch verzerrt, bedeckten die Wände. Haggerty tat einen weiteren Schritt, den Revolver in der schweißfeuchten Hand. Er gelangte in einen domähnlichen großen Raum. Die Decke war so hoch, daß sie das Fackellicht nicht erreichte. Kurz darauf hörte er voraus ein leises Geräusch, und sein wachsamer Instinkt ließ ihn blitzschnell hinter eine Säule zurückweichen, wo er nicht gleich gesehen werden konnte. Die Fackel flackerte und qualmte. War sie am Ausgehen? Schritte. Deutlich und ganz nahe. Unter leichten Sohlen rollten Sand und Kies. Das Geräusch verstummte. Der Fremde, Freund oder Feind, sah vermutlich den Lichtschein. Der Luftzug war so stark geworden, als befände sich vor John ein Ausgang ins Freie. Wieder Schritte. So sehr John auch seine Augen anstrengte, er sah niemanden. Aber die tappenden Schritte mit ihrem Gleiten und Kratzen auf dem Fels waren wieder deutlich zu hören. Die Boshaftigkeit des Augenblicks schickte ein herbes Gruseln über Johns Rücken. Schauer über Schauer überfielen ihn. Gab es Unsichtbare in diesem Labyrinth von Höhlen und Gängen? Durfte er seinen Sinnen nicht mehr trauen? Er spannte den Colthahn. Das scharfe metallische Knacken riß ihn aus seinem Brüten. Die Schritte waren verstummt. John strengte alle seine Sinne an, vernahm aber nichts. Sein Gegner – unzweifelhaft ein Gegner! – wartete lauernd irgendwo auf einen Fehler oder auf eine Unvorsichtigkeit von ihm. John hatte seine Selbstsicherheit wiedergefunden und grinste. Der Hombre würde bis zum Jüngsten Gericht warten. 63
Die Fackel flackerte und rußte, sie war am Ausgehen und verbreitete einen beißenden Geruch, der Johns Augen tränen ließ. Und dann war es plötzlich dunkel. Mit einem letzten Zucken versiegte die Lichtquelle, absolute Dunkelheit umquoll ihn mit greifenden Schattenfingern. Zum drittenmal die Schritte: Sie klangen nah, aber doch nicht so nahe, daß er den Gegner vor sich vermuten könnte. Ein Hauch berührte den Weißen, dessen Pulsschlag auszusetzen drohte. Beinahe wäre John versucht gewesen, den Revolver abzudrücken, um im stechenden Mündungslicht etwas erkennen zu können. Er hielt sich aber zurück und beruhigte seine Nerven. Lauschend stand er an die Säule gelehnt und strengte seine Ohren an. War da nicht der heftige Atem, eines Menschen? Hallten da nicht schleichende Schritte durch die dunkle Kathedrale unterweltlicher Höhlungen, Schritte, die für ihn den raschen Tod bedeuten konnten? Der Luftzug strich an seiner Kleidung vorbei, zupfte und zerrte mit unsichtbaren Fingern. Ein leises Rascheln knisterte wie trockenes Pergament in seiner Nähe und versiegte. John Haggerty brach der Schweiß aus. Sein Gesicht, seine Brust, sein Rücken und seine Hände wurden naß und glitschig. Seine Augen gewöhnten sich langsam an die beklemmende Finsternis. Er sah Umrisse, wo sicher keine waren. Und dann geschah es so abrupt, daß er nur schwach reagieren konnte. Ein weißes Gesicht hing wie ein Spuk vor ihm. John starrte mit angehaltenem Atem in die verzerrten Züge, erschrocken und abgestoßen von dem, was er schemenhaft umrissen sah. Wut und Haß. Grenzenloser Haß. Und etwas, das jenseits von Wut und Haß lag: eine drohende Ausstrahlung, so fremd und unheimlich, daß sich seine Haare aufstellten. Als ihn ein Schlag von hinten traf, spürte er ihn kaum. Zuerst 64
sank er in die Knie, dann tief und noch tiefer in absolute Bewußtlosigkeit. * Cochise und Naiche, gefolgt von den Kriegern, wanden sich durch Gänge, Höhlen und Dome, deren Vielzähligkeit sie weder schätzen noch zählen konnten. Cochise trug eine müde flackernde Fackel, die er irgendwo aufgetrieben hatte. Wie auch John Haggerty, hatte er das verschlungene System von Gängen entdeckt. Naiche murmelte: »Die Tunnel führen in den Berg hinein, nur in welche Richtung, wissen wir nicht. Was ist, wenn wir uns verirren?« »Wir bewegen uns in westlicher Richtung.« »Dann wären wir bereits am Talende.« »Das sind wir«, antwortete Cochise. »Wir folgen der Krümmung und bewegen uns später nach Osten. Zweifellos stoßen wir auf den Falken, wenn wir auf unterschiedlichen Ebenen nicht aneinander vorbeilaufen.« Die Gruppe glitt lautlos weiter und folgte geraden und gekrümmtem Gängen, durchmaßen ehemalige Wohnhöhlen und stießen immer wieder auf weitere Gänge, die kreuz und quer den Berg durchzogen. »Wer hat das alles geschaffen?« »Die Hohokams aus dem Süden«, sagte Chochise. »Ein Volk, das vor Jahrhunderten ihre alten Städte, Pyramiden und Tempel verließ.« Übergangslos stockte Cochises Fuß. Sein scharfes Gehör vernahm ein Geräusch. Undefinierbares Schaben, Kratzen und Schleifen durch die Gänge. Der Schrei, der durch die verschlungenen Gänge und Korridore der prähistorischen Felsenburg zitterte, war so laut und gräßlich, daß selbst Cochise zusammenzuckte. Er 65
wiederholte sich nicht, hallte aber lange, schwächer und schwächer werdend, in den unterirdischen Verliesen nach. Naiche fing sich zuerst. Das Kriegsbeil in der Hand, stürmte er an Cochise vorbei. Cochises Hand hielt ihn zurück. »Warte«, hauchte er. »Worauf?« »Wir müssen zuerst wissen, was der Schrei bedeutet.« »Das war John Haggerty …« »Nein«, unterbrach ihn der Häuptling der Apachen. »Das war ein Irrer. Warte, Naiche.« Sie verhielten sich still und warteten in dem transparenten Lichtkreis der Fackel. Sie flackerte und qualmte. Ein scharfer Luftzug verlöschte sie schließlich. Dunkelheit und Stille wurden zu einem verhängnisvollen Alptraum peinigender Angst. Cochise zog sein Messer und trat an Naiches Seite. Seine Stimme hauchte: »Ich gehe allein vor. Gib auf meinen Rücken acht.« Fort war er, lautlos und unsichtbar wie ein Geist. Naiche dachte nicht daran, seinen Vater einer unbekannten Gefahr auszusetzen. Er flüsterte ein paar Worte mit seinem Hintermann und glitt davon. Cochise war dem kurzen Gangstück gefolgt und stand im Eingang eines mächtig hohen Felsendoms. Brandgeruch traf seine Nase. Zwei aus dem nackten Fels gehauene Säulenreihen versperrten ihm die Sicht, so weit er überhaupt etwas sehen konnte. Kein noch so leiser Laut drang zu ihm. Cochise huschte von Säule zu Säule, die blanke Klinge in der vorgestreckten Hand. Sein Fuß stieß gegen etwas Weiches, Nachgiebiges. Fast wäre er über einen leblosen Körper gefallen. Er kniete nieder. Seine Hand tastete über den Körper eines Mannes, erreichte das Gesicht, den Kopf. Klebriges Blut näßte seine Finger. Ein Luftzug berührte ihn, etwas Körperloses 66
huschte an seiner rechten Seite vorbei. Cochise stieß das Messer in die Richtung und traf Fleisch. Ein grausiger Schrei der Überraschung zitterte wie blanker Irrsinn durch die Höhlen. Zu seinen Füßen bewegte sich ein Körper. Eine Hand packte zu und riß ihn von den Beinen. »Hund, jetzt habe ich dich!« Cochises Bewegungen erlahmten. »Falke«, hauchte er. »Laß ab, ich bin's.« »Allmächtiger Himmel! Warum schlugst du mich nieder, Cochise?« Haggerty richtete sich auf und versuchte etwas zu erkennen. Neben ihm stand Cochise, das blanke Messer in der Hand. »Das war ich nicht«, antwortete er. »Ich fiel über dich, als ich den unsichtbaren Gegner verfolgte. Was nun?« »Keine Ahnung.« John Haggerty zog sich an der Säule hoch und stand schwankend gegen sie gelehnt. Sein Kopf schmerzte. Gleich darauf spürte er das tropfende Blut in seinem Nacken. »Der hat verdammt hart zugeschlagen. Wer, bei allem, was uns lieb ist?« »Wir werden ihn finden«, antwortete Cochise leise. »Ich habe ihn mit meiner Klinge verwundet.« »Schwer?« »Kann ich nicht sagen. Er schrie, als ich ihn traf. Wie fühlst du dich, Falke?« »Ich werd's überleben, Jefe. Suchen wir weiter?« »Nach wem? Nach was?« John Haggerty verweilte längere Zeit bei diesen Fragen. Dies war eine besondere Spezialität von ihm, jeden Schachzug genau zu überdenken, bevor er handelte. Als er sich mit dem Rücken von der Säule abstieß, zeigte sein Gesicht zum erstenmal Bewegung, Unruhe und Bestürzung. Cochise sah es nur nicht. Die Dunkelheit war nicht 67
nur beängstigend, sie war auch verwirrend und brachte das Gefühl für Raum und Zeit durcheinander. Haggerty hob die Hand an seinen Kopf. Wieder dieses Schwindelgefühl. Es war so stark, daß er schwankte. »Nach was wir suchen? Hier unten gibt es etwas Bösartiges und Geheimnisvolles, das wir wegen unserer eigenen Sicherheit willen ergründen müssen. Ja, müssen!« Cochise schwieg. Die Bedrohung, die von den Klippen im Talende ausging, hatte ihn veranlaßt, nach Ulzana zu schicken. Die Blutsbrüder des Falken bildeten eine Elitetruppe der Chiricahuas, auf die sich der Häuptling in allen Lagen verlassen konnte. »Du glaubst an eine Gefahr?« fragte Haggerty. »Ich weiß es. Nur kann ich dir nicht sagen, von wem sie ausgeht. Wir sind in ein Hornissennest eingedrungen und werden auf Schritt und Tritt beobachtet.« »Tehueco?« »Glaube ich nicht. Wir brauchen Licht«, lenkte Cochise ab. »Deine Wunde muß verbunden werden.« »Das hat Zeit. Sie blutet kaum noch. Gehen wir weiter.« »In deine Richtung oder in meine?« »Weder noch. Mein Gegner kam aus einem Seitengang hinter den Säulen.« Beide setzten sich in Bewegung. Ein neuer Korridor nahm sie auf. Feuchte Luft drang ihnen entgegen und brachte modrigen Fäulnisgeruch, der an abgestandenes Wasser und verrottete Vegetation erinnerte. Cochise blieb überrascht stehen, das Messer mit der blanken Klinge wie eine Lanze vorgestreckt. Es geschah nichts. Auch war nicht das leiseste Geräusch zu hören. Er gab John einen Rippenstoß und schlich weiter. Das Gewölbe, in das sie eindrangen, war riesengroß. Grünliche Schlammtümpel fluoreszierten wie Leuchtflächen. Abgestorbene Baumskelette streckten ihre gespenstisch weißen 68
Äste zur unsichtbaren Decke. »Das ist doch …!« Cochise nickte. »Ein Geheimnis bei den Yaquis, wer hätte das gedacht?« Er schlich weiter und hielt sich auf einem Saumpfad, der zur Rechten von dem gewachsenen Fels begrenzt wurde. »Cochise!« sagte John scharf, aber wenn er ihn gehört hatte, beachtete er den Anruf nicht. John hatte keine Ahnung, wo sie waren und wie der unterirdische Sumpf hierhergekommen war. Der faulige Modergeruch schien seine Kopfschmerzen noch zu steigern. Er folgte dem Häuptling, der am Ende des Pfades ratlos stehenblieb. »Das ist eine Falle«, raunte Cochise und deutete auf die Öllachen des Sumpfes. »Wir können nicht weiter, zurück auch nicht.« Haggerty wandte sich um. »Warum nicht? Ich sehe keine Gefahr …« Eine Handbewegung schnitt ihm das Wort ab. »Sehen nicht, aber fühlen. Warte es ab.« Ein seltsamer glitzernder Nebel stieg vom Sumpf auf. Grau und träge schob er sich heran, hüllte die beiden Männer ein und erschwerte ihnen das Atmen. Cochise wollte den Pfad zurücklaufen und sich in Sicherheit bringen, aber seine Beine wurden schwer wie Blei. »Sie haben uns«, lallte er mit schwerer Zunge. »Wer, zum Teufel? Welche Lebewesen können hier unten leben, ohne Luft und Licht und …?« John Haggerty schwieg. Er fühlte die Trägheit seines Geistes und seines Körpers, das Rinnen seines Körperschweißes, und mit seinen letzten Gedanken wurde er sich bewußt, daß sie tatsächlich offenen Auges in eine Falle gerannt waren. Als er zu Boden sank und über Cochise fiel, glaubte er ein dämonisches Antlitz vor sich zu sehen, das körperlos wie eine Ampel im Nebel hing. 69
* Die namenlose Ortschaft am oberen Flußlauf des Rio Yaqui bestand aus wenigen Häusern und Blechbuden, besaß aber drei Kneipen, die sich über Gästemangel nicht beklagen konnten. Am frühen Nachmittag trabten drei Reiter in den Ort und ritten rasch an den plärrenden Saloon-Pianos entlang, die Straße hinunter, wo ein einsames Haus mit einer roten Laterne über der Tür sich an das Vergnügungsviertel anschloß. Auf der Höhe des eingeschossigen Lehmziegelhauses flogen plötzlich die Schwingtüren im Kugelwind der Revolverschüssen auf, und ein angeschossener Mann taumelte mit einem Colt in der Hand rückwärts auf die Straße. Er wurde von zwei rauhbeinigen Hünen verfolgt, die das Feuer erwiderten. Sie säbelten ihn mit ihrem heißen Blei direkt vor den Vorderbeinen von Navarros Pferd nieder und richteten dann ihre Revolver nach oben, um einer Einmischung der vorbeireitenden Reiter frühzeitig zu begegnen. Antonio Navarro zügelte sein Pferd nur, damit der niedergeschossene Revolvermann nicht unter die Hufe des feurigen Andalusiers kam. »Hallo!« sagte er mit einem freundlichen Lächeln auf den aalglatten Zügen. »Hallo, Muchachos, eine kleine Auseinandersetzung, wie?« »Geht dich 'n Dreck an, Hombre. Mach, daß du weiterkommst!« »Warum so unhöflich? Ich bin ein harmloser Reiter, und wenn vor meinen Füßen ein Mann tot zusammenbricht, beginne ich mich für die Sache zu interessieren. War wegen einer Puta, was?« »Hau ab, du brauner Bastard! Verdufte, bevor ich dir ein Ohr abschieße!« »Na, na, warum so bösartig? Mir ist's doch egal, weshalb ihr euch totschießt. Aber da fällt mir gerade ein, daß ich zwei gute 70
Schützen gebrauchen könnte. Schützen, die auch Mumm in den Knochen haben.« Interessiert hob einer der Riesen den Kopf. »Was springt dabei heraus?« »Tausend für jeden, wenn die Arbeit getan ist.« Das war klar und deutlich. »Was denn, Dollar?« »Wir sind in Mexiko. Pesos.« »Großer Gott, die versaufe ich in einer Nacht.« Antonio Navarro lächelte. »Goldpesos, Señores.« »Das ist was anderes. Was müssen wir dafür tun?« Navarro zeigte auf den Toten im Staub. »Das gleiche.« »Nicht gerade viel, Spic. Komm rein in die Kneipe, wir bereden die Sache.« »Doch nicht in die Casa de Putas?« »Warum denn nicht? Ein Haus wie jedes andere. Die haben es nicht mal nötig, Schnaps zu panschen. Komm nur, Hombre.« Der Amerikaner wurde um einen Deut freundlicher und grinste sogar. Aber es war das Grinsen einer Katze, die sich beim Anblick der Maus die Barthaare strich. Sein Begleiter hatte sich mit keinem Wort beteiligt. Seine hellen Augen lagen in beredter Drohung auf Navarros Gefährten. Muno Garrido und Paolo Neyra erwiderten den Blick ungeniert. Ein amerikanischer Pistolero brachte ihnen noch lange nicht das Laufen bei, und – bei der heiligen Jungfrau – auch nicht das Zittern. Antonio schwang ein Bein über die Pferdekruppe, stieg ab und schlang die Zügel um den Hitchrail. Muno und Paolo taten es ihm nach. Im Innern der Schankstube brannte eine einsame RochesterHandlampe auf einem Tisch in der Mitte. Obwohl es heller Tag war, verbreitete sie ein grelles Licht. Es roch nach Kerosin, Tabak, Schnaps und billigem Parfüm. 71
Antonio drückte die staubige Pendeltür nach innen und trat ein. Von der Wand seitlich von ihm löste sich eine Gestalt. Eine zweite griff rasch nach der Lampe, um sie auszublasen. Navarro spannte sich, drehte sich jedoch nicht um. »Ich nehme an«, sagte er ruhig, »daß ich mit einer Waffe bedroht werde?« »Mit abgesägten Schrotflinten«, antwortete einer der beiden Amerikaner lachend. »Das genügt mir, Amigos«, sagte Antonio. Hinter der Theke tauchte ein weiterer bärtiger Kerl auf, der dem Mexikaner den Weg nach vorn versperrte. Er fragte leise: »Gordon?« »Ist tot, liegt draußen. Schick ein paar Greaser, die ihn fortschaffen und beerdigen. Diesen braunen Affen hier laßt ihr in Ruhe. Kapiert?« »Ein Spic …« »Einer Gans, die goldene Eier legt, haut man nicht den Kopf ab. Sputet euch, Freunde!« Antonio ließ den Blick kreisen. Acht Amerikaner zählte er. Drei spielten lustlos Poker, zwei weitere beschäftigten sich mit den Mädchen. Die anderen kümmerten sich um die Mexikaner oder gingen hinaus, um den Toten von der Straße schaffen zu lassen. Um einen Erschossenen machte man sich hier kaum Gedanken. Das passierte täglich. Die Menschen in dieser Ortschaft war es gewohnt, mit dem Tod auf du und du zu stehen. Er war ihr ständiger Begleiter, ihr Freund und ihr Erretter aus manch schlimmer Situation. »Setz dich, Mex!« Auf dem Gesicht Navarros, nicht deutlich sichtbar im Halbschatten, breitete sich ein leichtes Lächeln aus. Er nickte seinen Begleitern zu und rückte einen Stuhl zurecht. Der eine Amerikaner, der den tödlichen Schuß auf Gordon abgefeuert hatte, ließ sich krachend auf einem zweiten Stuhl 72
nieder und brüllte nach Baconora. »Kommen wir zum Geschäft«, knurrte er und strich mit der Hand über seine tagealten Bartstoppeln. »Wie heißt du?« »Juan Gonzales«, log Navarro. »Ein harmloser Hombre aus dem Süden.« »So harmlos siehst du nun nicht gerade aus, Freundchen. Du trägst deine Kanone wie ein echter Revolvermann.« Antonio winkte ab. »Das sieht nur so aus, Señor«, sagte er und gähnte ungeniert. »Ja, zum Geschäft. Weißt du was, Amigo? Du schickst deine Aufpasser hinaus und ich erzähle dir alles. Si?« Navarro hatte sich eine tolle Geschichte zurechtgelegt, die er dem dämlichen Americano auftischen wollte. Aber mehr als einen Zuhörer vertrug diese erfundene Geschichte nicht. »Ja, klar.« Der Mann mit dem gefährlichen Revolver wandte sich seinen Komplicen zu. »Ihr könnt verduften. Wartet bei den Mädchen in den Zimmern.« Er drehte den Kopf, sah seinen Spießgesellen an und blinzelte. »Der hier bleibt«, sagte er scharf. »Hugh ist mein Partner und soll mithören. Vielleicht schnappen wir dich bei einer Unwahrheit.« Er legte den riesigen Colt auf den Tisch und grinste. »So, nun kannst du singen wie eine Nachtigall, Amigo. Aber ein unwahres Wort, dann stirbst du. Mich hintergeht keiner!« »Du bist Mel O'Neal?« bluffte Antonio. »Quatsch!« war die grobe Antwort. »Ich heiße Rich Antoine und bin aus Texas. Mir wurde dort der Boden zu heiß. Erst mal abwarten, bis man sich wieder ein bißchen beruhigt hat. Also?« Navarro grinste boshaft in sich hinein. Antoines Namen war ebenso falsch wie der, den er genannt hatte. Am liebsten hätte er laut gelacht, aber er bezwang seinen Heiterkeitsausbruch und machte eine geheimnisvolle Miene. »Schon einmal von einem Schatz der Yaquis gehört, Rich?« »Dummes Geschwätz. Ich denke, es geht um einen lieben, kleinen Mord?« 73
»Der hängt mit dem Schatz zusammen. Gütiger Himmel, Rich, das ist kein dummes Geschwätz, weil…« Er brach mitten im Satz ab und tat, als hätte er schon zuviel gesagt. »Weil? Mensch, quatsch dich aus oder scher dich zum Teufel!« »Weil man an das Gold nur herankommt, wenn man den Häuptling umbringt, der ihn bewacht«, beendete er seinen unterbrochenen Satz und schloß die Falle. »Das ist doch kein Kunststück«, der Amerikaner lachte roh. »An den Schatz aus Gold glaube ich nicht, selbst dann nicht, wenn du auf einen ganzen Stapel Bibeln schwörst.« »Es stimmt aber.« »Nicht bei den Yaquis. Die sind so arm, daß sie den Dreck aus ihren Fingernägeln fressen, Okay, weiter.« Antonio gab das maliziöse Lächeln des Texaners zurück, mit einem scharfen, trockenen Grinsen garniert, mit etwas Überlegenheit und einer tüchtigen Portion Selbstsicherheit gewürzt. »Alles falsch, Amigo. Ich habe monatelang ihre Geschichte studiert. Ihre Herkunft liegt im dunkeln, aber man kann sie bis zu den Tolteken zurückverfolgen. Und die waren reich an Schmuck, Kultgegenständen und goldenen Gefäßen. Als sie aus Zentralmexiko fliehen mußten, nahmen sie das mit, was ihnen wertvoll erschien. Es ist in den Yaquibergen versteckt.« Rich Antoine lachte schmetternd, spreizte die Hände und schoß eine Flut von Fragen und Verwünschungen auf den Mexikaner ab. »Ich wünschte, du gäbst dieses dämliche Katz- und MausSpiel auf, Señor Spic. Ich war neugierig, weshalb du dich an mich heranmachtest, und bis jetzt hast mich nur mit ein paar lächerlichen Appetithappen abgespeist, die nicht mal meine Magensäfte anregen. Also hör auf, deinen Käse als Köder im Kreis herumzustreuen, verdammter Greaserbastard!« »Was soll ich dir denn noch sagen, Mann? Du glaubst mir 74
nicht, und andere, zwingende Beweise habe ich nicht.« Antonio Navarro sah sich von der aggressiven Lautstärke des Texaners aus dem Konzept gebracht und spielte den Beleidigten. »Also gut, Texaner«, sagte er. »Dann muß ich eben ein bißchen deutlicher werden und dir selbst die Butter aufs Brot schmieren. Ich würde die Sache selbst mit ein paar Jungs drehen und dir wahrlich nicht auf die Nerven gehen. Aber ich habe diese Art von Jungs nicht, und wenn ich sie hätte, könnte ich ihnen nicht trauen.« »Aha! Jetzt läßt du die Katze aus dem Sack! Weiter, Hombre, weiter!« Navarro legte sich den nächsten Vers zurecht und schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel. »Als ich dich dort draußen auf der Straße mit dem Revolver in der Hand sah, wußte ich sofort, daß du der richtige Mann für ein solches Unternehmen bist.« »Immer noch Käse! Komm endlich zur Sache oder schwing dich.« »Nun, Texaner, es ist dein Leben und unser Geld. Sind wir uns einig?« »Nichts sind wir. Wieviel?« »Für jeden die Hälfte, klar. Du trägst das Risiko, ich lasse mich für den Tip bezahlen.« »Und die Details?« »Sage ich dir, wenn wir an Ort und Stelle sind.« »Ausgeschlossen. Du bist mir zu gerissen, Spic. Jetzt oder gar nicht.« Antonio Navarro fühlte Oberwasser, schielte nach dem Colt auf dem schmutzigen Tisch und holte tief Luft. »Es wird viel über den Schatz der Yaquis erzählt, aber nur ein Teil von dem Geschwätz ist wahr. Es ist mir gelungen, Fama und Wahrheit zu trennen. Hör zu: Der Stamm lebt in einem hufeisenförmigen Tal, das zum Rio Yaqui hin offen ist. 75
Die das Tal einschließenden Berge sind steil, unbegehbar und wie eine Bienenwabe von Höhlen und Gängen durchzogen. Falls die Festung von Menschenhand geschaffen wurde, haben die Roten vor Jahrhunderten ein gewaltiges Stück Arbeit geleistet.« »Zur Sache«, mahnte der Texaner. »Wo ist das Gold?« »Weiß ich nicht. Wir müssen es suchen. Da kann man nur vermuten, beobachten und immer wieder beobachten, um daraus Schlüsse zu ziehen.« Rich Antoine winkte ab. Er gähnte und brachte seine Langeweile zum Ausdruck. »Wir haben nicht die geringste Chance, Hombre, wenn wir nicht genau wissen, wo sich das Gold befindet.« Mit neu erwachendem Interesse fügte der Texaner hinzu: »Wie kommt man eigentlich ungesehen in die unterirdischen Gänge? Weißt du das?« »Es soll eine Hölle auf der anderen Seite des Berges geben, die einen direkten Zugang zu dem Höhlensystem hat. Dürfte nicht schwerfallen, sie zu finden.« »Ist mir zu unklar, Spic. Mach das Geschäft mit einem anderen.« »Kann ich dich nicht irgendwie umstimmen?« Antoines Männer kamen mit ihren Mädchen herein und brüllten nach Schnaps. Der Texaner erhob sich. Seine Hand packte den Revolver. »Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt euch mit den Putas auf deren Zimmer vergnügen? Verdammt will ich sein, wenn ich euch Hundesöhnen nicht Beine mache!« Die Meute verzog sich wieder unter Mitnahme von einigen Flaschen Pulque und den Mädchen. Rich Antoine wirbelte herum. »Wir machen das Geschäft, Greaser. Fiftyfifty, zu gleichen Teilen. Aber du kommst mit und führst uns zu der Höhle. Ist das klar?« Antonio Navarro nickte. 76
Was der Texaner im Augenblick dachte, wußte er nicht. Er selbst jubelte in seinem Innern und malte sich den Gedanken an ein schnelles Ende des großmäuligen Americanos förmlich aus. Wenn der Mohr seine Schuldigkeit getan hatte, brauchte man ihn nicht mehr. Er, Antonio Navarro, würde kassieren. Bei Juárez, nicht bei den armen Indianern, das war klar. * Der Tod lauerte in ihrer Nähe. Sie wußten es nicht und taten nichts, ihn abzuwehren. Selbst wenn sie es gewußt oder nur geahnt hätten, wäre alles zu spät gekommen, die Gefahr abzuwenden. Leger saßen oder lagen sie um das kleine Feuer und beschäftigten sich mit der Füllung ihrer Mägen. Ihre Eßgewohnheiten waren entsprechend ihrer Existenz primitiv und rüpelhaft. Gesprochen wurde so gut wie nichts, es gab nichts zu erzählen oder zu berichten. Als versprengte Gruppe des erschossenen Carlos Porfiro Mojada suchten sie Anschluß an eine der größeren Banden in Sonora. Ihr selbsternannter Anführer liebäugelte mit Antonio Navarros Desperadohaufen. Er hoffte, zwischen dem Rio Yaqui und dem Rio Moctezuma auf ihn zu stoßen und willkommen zu sein. Sie wußten nicht, daß der Tod in Gestalt von mehr als dreißig Apachen in ihrer Nähe lauerte. Die zwölf Mexikaner hatten nur Augen für die gebratenen Hammelstücke, die an einem Drehspieß über dem Feuer rösteten. Keine zwanzig Yards von ihnen entfernt lag Ulzana zwischen Yuccas und Färberdisteln, die glühenden Augen auf das Lager gerichtet. Neben ihm kauerte ein junger Krieger, den bereits die Unrast quälte. Endlich streckte Ulzana die Hand in die Höhe. Ringsum dröhnte ein markerschütterndes Kreischen und Heulen auf die 77
Lichtung, daß den mexikanischen Banditen das Blut zu Eis gefror. Gebückte Gestalten sprangen auf die Füße und rannten auf leisen Mokassinsohlen in die Senke. Das langgezogene Kriegsgeschrei der Chiricahuas schallte von allen Seiten zurück, und das Schreien war es, das die Mexikaner zunächst lähmte. Messer und Kriegsbeile blitzten, Kürbisrasseln schepperten, und wenn die Schleudern in Aktion traten, schrien die Getroffenen, als steckten sie bereits am Spieß. Bevor sich die Banditen von der ersten Überraschung erholen konnten, waren die Apachen unter ihnen. Schüsse krachten, Todesschreie, hastig herausgestoßene Gebete und wütende Flüche bildeten den Kern des frenetischen Getöses, das sich von Sekunde zu Sekunde steigerte. Ulzana war mitten unter den Kriegern. Um ihn herum Kämpfer, Tote und am Boden erste Verwundete, die wie Kinder jammerten. Seine Streitaxt wurde zur erbarmungslosen Tötungsmaschine, flitzte hierhin und dorthin, und ihre Schneide färbte sich rot vom Blut der Erschlagenen. »Zastee!« schrien die Apachen. »Tötet!« Weniger und weniger wurden die Desperados. Fünf von ihnen kämpften noch gegen die anstürmenden Apachen. Aber auch die roten Krieger hatten Verluste. Wenigstens acht Apachen lagen tot am Boden und starrten aus glasigen Augen in den lichten Tag. Viele bluteten aus Kugelwunden. Mit Todesverachtung stürzten sie sich immer wieder auf die verhaßten Gelbhäutigen, wenn ihre Schleudern in Aktion getreten waren. Ulzana hatte einen Streifschuß an der Stirn abbekommen und wischte sich das Blut mit dem Ärmel seines Hemdes aus dem Gesicht. Wie ein Berserker stürzte er sich mit erhobenem Tomahawk auf die Mexikaner. Die letzten Banditen starben. Der Kampf war vorbei. Die Apachen sammelten Waffen und andere Beutestücke ein 78
und fingen die Pferde der Desperados. Schließlich kehrte wieder Ruhe ein. Die ersten Indianer saßen beim Feuer und nahmen die Fleischstücke von der Gabel. Halb roh wurde der fette Hammel verschlungen. »Blutsbrüder des Falken«, hob Ulzana an. »Brüder, wir müssen weiter. Cochise darf nicht länger auf Verstärkung seiner Streitmacht warten.« »Wohin weiter?« knurrte ein Krieger. »Über den Fluß?« Ulzana hatte beim Anschleichen an das Lager etwas gesehen: einen alten Pfad, der am Flußufer entlanglief und sich im Westen jenseits des Chaparrals im Busch verlor. »Kommt mit!« Er war überzeugt, daß er Cochise im Südwesten finden würde. Wenn er über den Fluß ging, würde er tiefer in Sonora eindringen, als es seine Mission erforderte. Nach Südwesten mußte er, und dazu war der alte Trampelpfad wie geschaffen. Sie waren fertig mit essen und standen auf. Um die Toten kümmerte sich niemand. Für Apachen bedeutete der Tod nichts. Für sie war er nur Pforte zu einem anderen Leben. Sie bestiegen ihre Ponys und trieben die Mexikanerpferde mit Schreien und Hieben in die gewollte Richtung. * John Haggerty schlug die Augen auf. Er wähnte sich noch mitten im Sumpf, umgeben von faulenden Algen und Pflanzenresten. Der Schmerz in Johns Kopf schien eins mit dem hellen Licht um ihn her. Aber der Schmerz ließ ihn nicht vergessen, wo er war. Hastig wollte er sich aufrichten. Aber seine gefesselten Hände rissen ihn wieder zurück. Er lag auf einer Steinplatte, nackt, und seine Hände waren mit Riemen an schwere kupferne Ringe, gefesselt worden, die zu beiden Sockelseiten herabhingen. 79
Er wandte den Kopf. Cochise, der mit ihm zusammen in jenem rätselhaften Sumpf gewesen war, den es eigentlich gar nicht geben konnte, lag neben ihm auf einer ähnlichen Steinplatte. Der Chief war ganz gespannter Haltung und ein Zeugnis intensiver Konzentration. Er starrte zur Decke, schien intuitiv zu empfinden, daß John Haggerty erwacht war und sagte gedämpft: »Wo waren wir, Falke? In einem Sumpf mit abgestorbenen, gespenstisch bleichen Bäumen und einem schleimigen Zeug auf dem Wasser?« »Wie fühlst du dich?« überging John die Frage. »Gut. Uns ist nichts geschehen. Und das hier?« Er rasselte mit den Ringen, die ihn festhielten. Obwohl ihre Lage verzweifelt und ernst war, grinste Haggerty. »Wir liegen auf Opfersteinen«, sagte er. »Schlachtopfer?« kam es von drüben. John antwortete trocken: »Sieht so aus. Schafe auf der Opferbank. Hmhm, ich fühle mich gar nicht wie ein Opfertier. Du, Jefe?« Cochise kam auf seine erste Frage zurück: »Was ist das für ein Sumpf hier unten? Woher kommen die Bäume, die es viele Meter unter der Erde gar nicht geben kann?« John rüttelte und zerrte an den klirrenden Ringen, die keinen Millimeter nachgaben. Wenn er den Kopf drehte, sah er ihre Kleider wahllos verstreut herumliegen. »Ist nicht einfach zu erklären, Cochise«, antwortete John auf die Frage. »Gewachsen sind sie nicht hier unten, das ist sicher. Vermutlich wurden sie von außen hereingeschwemmt. Hier unten starben sie und wurden vom Sumpf konserviert.« »Dann hat der Tümpel einen Zufluß?« »Möglich, während der Regenzeit.« »Wozu diente der Sumpf den Hohokams?« »Als Feuchtigkeitsreservoir. Kein lebendes Wesen kann ohne 80
Wasser existieren. Damals gab es Zu- und Abfluß. Aus irgendwelchen Gründen verschwanden sie. Das stehende Wasser faulte, wurde zu Sumpf und mumifizierte die hereingeschwemmten Baumstämme.« »Das alles taten die Hohokams?« »Ich weiß keine andere Erklärung. Die Uralten waren gute Baumeister und schufen eine Festung, in die sie sich im Kriegsfall zurückzogen. Im Frieden lebten sie in ihren Wohnhöhlen, gingen auf die Jagd und bauten Mais und Kürbisse an.« Cochise schwieg. Er hing seinen Gedanken nach und folgte ihnen bis zu jenem Punkt, wo sie im grauen Nebel bewußtlos wurden. Das schreckliche Gesicht, das er flüchtig wahrgenommen hatte, fiel ihm ein und gab ihm zu denken. »Hast du die Fratze gesehen, als der Nebel kam?« »Eine Maske«, antwortete John. »Nichts weiter als Mummenschanz und Kinderschreck.« »Darunter steckt ein Mensch.« »So etwas ist immer Menschenwerk, was sonst? Sie entsprechen den religiösen Vorstellungen eines Volkes und sind Teil einer den Weißen unverständlichen Mythologie. Wie gesagt, geschnitzte Holzmasken sind stets das Werk von Menschen. Dabei ist nichts Übersinnliches.« Cochise, dessen Hände ständig in Bewegung waren, riß, zerrte und drehte an den Riemen. Nach geraumer Zeit spürte er, wie sich die Knoten lockerten. »Wir sollen geopfert werden?« fragte er zweifelnd. »Sieht so aus. Wenn es Naiche mit den Kriegern nicht gelingt, uns zu befreien, wird man uns zu Ehren irgendeiner Gottheit schlachten.« Cochise arbeitete mit zäher Verbissenheit weiter an der Lockerung der Handfesseln. »Naiche wird uns nicht finden. Wie kamen wir hierher, und wer zog uns aus?« 81
»Keine Ahnung.« Doch in einem entfernten Winkel von Johns Gedächtnis war eine dumpfe Erinnerung trotz seiner Kopfschmerzen haften geblieben – der Sumpf. Natürlich, der übel riechende Sumpf. Welches Geheimnis barg er? Außer den braunen Flechten und den toten Baumrippen? Da war noch der Nebel, giftiger Nebel, der ihnen das Bewußtsein raubte. Die Dinge zogen noch einmal wie ein Kaleidoskop an John vorbei. Aber wie er hierher gekommen war, wußte er nicht. John furchte die Stirn und versuchte nachzudenken, obwohl er glaubte, sein Schädel müsse zerspringen. Erfolglos. Das Labyrinth der Yaquis lüftete sein Geheimnis nicht. Cochise fühlte das Nachgeben des Riemens und arbeitete verbissen weiter. Der Knoten gab nach. Noch Sekunden, und er würde seine Hände aus der Schlinge ziehen können. Er wollte weitere Fragen stellen, kam aber nicht mehr dazu. Pochende Trommelklänge drangen durch die unterirdischen Verliese: ein seltsames rhythmisches Klopfen, untermalt von den klagenden Tönen einer Flöte. Haggerty rang sich ein Grinsen ab. Er sagte: »Sie kommen, Cochise.« »Um uns ihren Gottheiten zu opfern?« »Wie dem auch sei, sie sind im Anmarsch. Wie verhalten wir uns? Hast du eine Idee?« »Eine gute Frage«, murmelte der Häuptling der Apachen. »Was sollen wir machen, nackt und gefesselt? Es gibt keine Gegenwehr. Tut mir leid, Falke, ich habe keine.« »Wenn nur Naiche mit seinen Kriegern käme.« Cochise antwortete nicht. Seine Augen hingen an der ovalen Mündung eines der zahlreichen Korridore. Lichtschein kroch durch den Tunnel, Lichtschein und Schatten. Dumpfer Gesang untermalte die gespenstische Szene. Verzweifelt riß John an den Fesseln. Ermüdet und schweißgebadet gab er auf. Beide spähten sie auf die Felsöffnung. Eine seltsame Prozession trat ins Licht der Fackeln und Öllampen. Sechs 82
maskierte Gestalten, Holzmasken auf den Köpfen, bewegten sich lautlos näher. Weite Gewänder umflossen ihre Körper, und in den breiten metallisch glänzenden Gürteln steckten blitzende Klingen. Sechs. Es war nur ein Hoffnungsschimmer, aber in der endlosen Einsamkeit des Tempelgewölbes, oder was es immer darstellte, tat man gut daran, jedem noch so kleinen Hoffnungspunkt zu folgen. Umgebung und die fremdartig gekleideten Gestalten in ihrer stummen Drohung wären für die Hilflosen noch zu ertragen gewesen, aber die bleichen Masken mit ihren hörnerartigen Auswüchsen und symbolischen Verzierungen trieb ihnen den Schweiß auf die Haut. Vier der vermummten Gestalten ließen ihre Finger auf kleinen Tamburins spielen, den berüchtigten Yaquitrommeln. Die beiden anderen, hochgewachsen und stämmig, zogen ihre Messer. Das alles geschah völlig lautlos, als hätten die Vermummten Angst, ihre Stimmen hören zu lassen. Empörung durchflutete Haggerty. Er versuchte wieder, sich aufzurichten und entdeckte erneut, daß sein Körper ihm nicht gehorchte. Er lag ganz still und fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Es war kein Traum, denn sein Verstand war klar und arbeitete normal. Und doch war ihm, als würde er das alles im Unterbewußtsein vernehmen, Wie in Trance. Der abscheuliche Maskenkopf, umgeben von gebleichtem Bast, neigte sich über ihn. Kalter Stahl blitzte in seiner Hand. »Höre«, kam es dumpf aus dem bewegungslosen, Mundschlitz. »Höre, Bleichgesicht, und stirb dann. Wir, der Rest der alten Rasse, haben keinen Streit mit den Indianern dieses Landes. Zwischen ihnen und uns gibt es weder Freundschaft noch Feindschaft. Wir sind seit langem mit diesem Tal verwurzelt, ein Häuflein noch, das sich an Zeiten erinnert, als wir die Herren des Landes waren. Und wir wollen mit den Weißen aus dem Norden nichts zu schaffen haben. Du 83
bist gekommen, um uns in einen Krieg hineinzuziehen, der uns nicht betrifft. Du mußt sterben!« John Haggerty spürte sein Blut einfrieren. Die ganze Szene stieß ihn ab. Mit schwerer Zunge lallte er: »Und Cochise, werdet ihr ihn freilassen?« »Wenn du tot bist, kann er gehen, wohin er will. Er ist ein roter Mann.« Die blitzende Klinge erhob sich zum Stoß. John Haggerty schloß die Augen und wartete auf den scharfen Schmerz des zustoßenden Messers. * »Was ist passiert?« fragte Antoine, die Augen weit vor Entsetzen. »Ich weiß nicht. John ist tot. Ich sah ihn da liegen und seine gebrochenen Augen starrten zu den Sternen. Apachen!« brüllte Glenn Morrow zum Feuer hinüber. »Blöder Hammel! Du hast mir zu antworten, nicht denen dort drüben. Wo sind Apachen?« Glenn deutete zu den braunen Felsen. Seine Hand zitterte wie Espenlaub. »Hast du sie gesehen? Hast du einen gesehen, du …« »Nein!« heulte der verängstigte Mann. »Ich sah den Toten, einen von uns. Wer, außer Apachen oder Yaquis, kann ihn umgebracht haben?« »Komm mit!« Rich packte den völlig Verstörten beim Arm und zerrte, ihn aus dem Lagerkreis. »Zeig mir die Stelle.« Sie blieben beide wie angewurzelt vor John stehen. Er war tot, daran gab es nichts zu deuteln. In seiner Brust steckte bis zum Heft ein Messer. Verkrümmt wie ein zertretener Wurm lag er am Boden. Als ihn das Wurfmesser traf, war seine letzte Reaktion ein Griff nach dem Gewehr gewesen, aber er hatte es nicht mehr erreicht. 84
Unheimliche Stille lag über dem Geröllhang, eine geradezu tödliche Ruhe, die nicht einmal von den Schreien der Nachtfalken unterbrochen wurde, die nach Fledermäusen jagten. Rich Antoine wirbelte herum und rannte zum Feuer. »Alarm!« schrie er. »Zu den Waffen!« Navarro trat ihm entgegen. »Schrei nicht so, du weckst die ganze Gegend auf. Sei still, laß uns lauschen.« Die Männer griffen zu ihren Waffen und zogen sich aus dem Lichtkreis zurück in die Schatten. Sie alle waren hartgesottene Revolvermänner aus dem Süden und dem Mittelwesten der Vereinigten Staaten, und so leicht waren sie nicht aus der Ruhe zu bringen. Antoine schüttelte Navarros Hand ab, machte einen Sprung zum Feuer und stieß das brennende Holz auseinander. Seine Stiefelsohle qualmte, als auch das letzte Stück Glut ausgetreten war. »Verdammt, was für eine Pest, in diesem Land leben zu müssen!« »Ein gutes Land«, sagte Navarro und grinste. »Ein bißchen wild, aber gut und zuverlässig, wenn man sich von ihm ernähren muß.« Wie er es meinte, wußte er nur selbst. Rich runzelte die Stirn und versuchte, ihn mit seinem Blick so lange festzuhalten, daß er trotz der Dunkelheit in seinen Zügen nachforschen konnte. Doch der Versuch mißglückte, und der Bandit aus Texas ließ es dabei bewenden. Mit dem Colt in der Hand stand er lauernd da und starrte in die Finsternis. Da war nichts, gar nichts, und seine grauen Augen wurden enger. Eiserne Finger krampften sich nun um seinen Magen. Gedanken an das Messer in Johns Brust belasteten ihn. Er hätte das Messer untersuchen sollen, aus der Wunde ziehen und seine Identität feststellen müssen. 85
Ein häßlicher Verdacht kam ihm. Weit und breit war nichts von Indianern zu bemerken, nicht einmal der Hauch von einer Rothaut. Trotzdem war ein Mann aus seiner Crew getötet worden. Langsam, ganz langsam drehte er sich zu Antonio Navarro herum. »Ihr Mexe könnt doch gut mit einem Messer umgehen, auch werfen, nicht wahr?« »Willst du was andeuten?« »Nicht unbedingt, Amigo. Es ist nur eine Frage.« »Um sie zu beantworten: ja, das können wir. Ich auch. Aber ich habe mein Messer noch. Willst du es sehen?« »Und deine Leute?« »Weiß ich nicht. Warte.« Er legte die Hände muschelförmig an die Lippen und rief gedämpft: »Muno! Paolo! Kommt mal her!« Sie kamen wie hungrige Wölfe angeschlichen, lautlos und gefährlich. »Wo sind eure Klingen? Zeigt sie vor!« Beider Messer steckten in Lederscheiden und hingen am Gürtel. »Gracias, Muchachos. Verschwindet und haltet die Augen offen.« Er drehte sich herum, setzte ein öliges Lächeln auf, das der Texaner jedoch nicht sehen konnte, und sagte mit leiser Stimme: »Doch Apachen oder Yaquis. Wir haben kein Interesse daran, die Kuh zu schlachten, die uns Milch gibt.« »Dafür kannst du dir nichts kaufen, Mr. Mex. Ich traue euch braunen Brüdern nicht über den Weg. Da mußt du schon einen anderen Song anstimmen, wenn du mich übertölpeln willst. Seit zwei Tagen kraxeln wir in diesen verdammten Bergen herum, ohne die geringste Spur von dem Tal der Yaquis, geschweige von der Höhle, zu finden, die in den Berg führt. 86
Alles Schwindel, Spic!« Antonio Navarro fuhr hoch, als hätte sein nackter Fuß einen Skorpion zerquetscht. »Kein Schwindel, Gringo. Jedes Wort ist wahr. Ich kann auch nicht zaubern, wenn deine Leute in der verkehrten Richtung suchen. Ich sagte immer, mehr im Süden suchen. Weiter im Süden ist die große Schleife des Rio Yaqui.« »Davon hast du Hundesohn nie etwas gesagt.« »Sag nicht Hundesohn zu mir, du blöder Gringo. Ich kann nichts dafür, wenn deine Leute dumm sind …« Ein gellender Schrei unterbrach ihn. Beide ruckten herum. Wie hingezaubert lagert ihre Revolver in den ausgestreckten Händen. Zwei Hähne knackten. »Was ist jetzt wieder los?« brüllte Rich Antoine. In seiner Stimme klang ein Unterton von Angst und Grauen mit. Die Stimme aus den Schatten antwortete: »Einer von uns ist tot, Rich, nur wer, weiß ich nicht.« »Forscht nach!« »Den Teufel werden wir tun. Ich lasse mich nicht gern aus dem Hinterhalt abschlachten. Geh selbst, wenn dir nichts Besseres einfällt!« »Mistbock!« »Selber einer. Geh doch, wenn du Mumm hast. Sieh nach, wer diesmal ins Gras biß. Vielleicht bist du der nächste.« Rich warf wieder einen unsteten Blick durch den Lagerkreis. Indianer waren mörderisch, und sie konnten im Dunkeln genauso gut kämpfen wie bei Licht. Angst beschlich ihn. »Hosen voll?« tönte hinter ihm Navarros Stimme. »Geh zur Hölle, Greaser!« Er tauchte zwischen Randklippen ein, suchte sich eine dunkle Ecke aus und verschwand darin. Den gespannten Colt hielt er in der Hand. Zunächst kämpfte er noch mit einem seltsamen, beklemmenden und ein wenig verwirrenden Gefühl, das er sich nicht erklären konnte. 87
Von Indianern war nichts zu sehen, und doch mußten sie in der Nähe sein, wie die Todesschreie bewiesen. Zwei seiner Leute hatten ins Gras gebissen, und mehr und mehr wurde er sich bewußt, daß er mit allen seinen Leuten in eine Falle gegangen war. Erdrückende Stille. Da, ein Schatten! Huschend wie ein Wiesel zuckte er an der Insel aus Yuccas vorbei und verschwand konturenlos. Antoine ließ den erhobenen Revolver wieder sinken. Schon wieder! Diesmal waren es zwei, die die Deckung von Gesteinstrümmern und trockener Vegetation suchten. Rich schoß von der Hüfte aus. Donnernd entlud sich der Schuß und schickte das Projektil genau in die Richtung, in der eine hellgekleidete Gestalt untertauchen wollte. Diesmal klang der Todesschrei anders als vorher. Er erstarb abrupt auf verzogenen Lippen, die im schnellen Ende zwei Zahnreihen freigaben. »Du hast einen erwischt!« schrie Hugh Monroe begeistert. »Ruhe!« Rich Antoine lauschte mit angespannten Sinnen. Er setzte sich in Bewegung, glitt wie eine große Echse durchs Unterholz. Wie durch einen Stromschlag zuckte er zusammen, als er über einen regungslosen Körper fiel. Zunächst blieb er liegen und lauschte. Er vernahm nichts. Vielleicht hatte das Auge Erfolg, wo das Ohr versagte. Noch eine Enttäuschung. Er konnte das Summen des Windes hören, der im Salbei raunte, aber keine Stimmen. Rich Antoine erschrak zu Tode, als sich vor ihm eine Gestalt aufrichtete, wie aus dem Nichts gewachsen, und das herabzuckende Messer sah. Spontan reagierte er. Sein Stiefel schoß vor, traf den Angreifer mit aller Härte in den Unterleib. Der Krieger überschlug sich rückwärts, stieß einen kehligen Schrei aus und wollte sein Messer nach dem verhaßten 88
Bleichgesicht werfen. Das Aufbrüllen aus Antoines Colt kam ihm zuvor. Er ging zu dem Gefallenen, stieß den starren Leichnam mit dem Fuß an und gab dem Messer einen Tritt. Ein Rascheln in seinem Rücken ließ ihn blitzartig herumschwenken. »Hast du ihn erwischt?« »Hugh, du bist der größte Idiot unter dieser Sonne! Weißt du auch, warum?« »Sag's mir.« »Wer sich von hinten an einen Freund heranschleicht, lebt meist nicht lange. Dämlicher Hammel!« Hugh beugte sich nieder und untersuchte die beiden Toten. »Yaquis«, sagte er. »Vorgeschobene Posten.« »Woher willst du das wissen?« Hugh Monroe lachte trocken. »Wenn sie mehr wären, hätten sie uns längst den Garaus gemacht. Das beweist mir, daß wir ganz in der Nähe ihres Tales sind. Wenn es hell wäre, könnten wir bestimmt die Höhle sehen, die in die unterirdischen Gänge führt. Höllentor!« Er lachte. »Verdammt will ich sein, wenn wir nicht ganz dicht dabei sind!« »Geh in Deckung«, erwiderte Antoine bissig. »Dein Wasserkopf gibt ein prächtiges Ziel ab, falls du dich nicht ein bißchen unsichtbar machst.« »Viel zu dunkel«, sagte Hugh unbekümmert. »Außerdem waren sie das alle. Mehr von den roten Bastarden schleichen bestimmt nicht…« »Was ist, wenn du unrecht hast?« unterbrach ihn Rich brüsk. »In einer halben Stunde geht der Mond auf. Wenn wir sehen können, werden wir auch gesehen. Sie haben die schärferen Augen. Was hältst du von dem Spic?« »Was soll ich von ihm halten? Aalglatt und glitschig wie Schmierseife. So sind sie doch alle, die mandeläugigen Bastarde.« 89
»Gib ein wenig auf ihn acht, klar? Nicht aus den Augen lassen, keine Sekunde, stets in Tuchfühlung bleiben.« »Okay, mach ich, Boß.« Hugh drehte sich um und warf einen spähenden Blick auf die grauen, braunen und gelben Felshänge. »Es wird bereits heller. Was ist das dort oben? Kannst du die große Mulde erkennen?« »Ja. Kommt mir höchst interessant vor. Vielleicht sind wir doch näher bei dem Tal als wir denken. Wollen wir?« »Wir beide?« »Natürlich. Die anderen bewachen unsere Rücken. Komm!« Jede Deckung ausnutzend, schlichen sie gebückt bis zur Basis der Felswand. Ein Ziegenpfad schlängelte sich schräg über den Hang. Im gleichen Augenblick schob sich der Mond hinter einer Wolkenbank hervor und warf sein volles Licht auf die eintönige Felslandschaft. »Dort«, rief Hugh aufgeregt und stieß mehrmals seinen ausgestreckten Finger in eine bestimmte Richtung. Rich Antoine sah die schlüsselförmige Mulde und das schwarze Loch dahinter. »Das ist es. Wir haben es geschafft.« * Das blitzende Messer hing sekundenlang bewegungslos über John Haggerty. Er öffnete die Augen, starrte wie hypnotisiert auf die Klinge und erwartete den Todesstoß. Er kam nicht. Die Hand, die das Messer hielt, wurde von nervigen Fingern zur Seite gedrückt. Klirrend fiel die Waffe zu Boden. Ein Schrei gellte in Johns Ohren, der von Wut über Enttäuschung bis hin zum Schmerz alles ausdrückte. Cochise stand hinter dem Vermummten und schlang seinen muskulösen Arm um dessen Hals. »Laßt die Waffen fallen!« befahl Cochise den anderen. 90
»Schnell! Oder soll ich ihn erdrosseln?« Messer, Tamtams und Leuchten fielen zu Boden. Fünf Vermummte wichen bis an die Wand zurück. Cochise zerrte die sich wehrende Gestalt unter der mächtigen Holzmaske bis zu dem Altar, auf dem John ebenso nackt festgebunden lag. Ein schneller Schnitt, Johns rechter Arm war frei. Dann klatschte die Klinge mit dem Holzgriff auf seine Brust. In diesem Augenblick wußte John, daß er frei und die Gefahr, geschlachtet zu werden, vorbei war. Er befreite sich von der linken Schlinge und richtete seinen Oberkörper auf. »Gut gemacht, Häuptling. Was fangen wir mit den Kerlen an?« Cochise zögerte mit der Antwort. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Kleidungsstücke neben den Opfersteinen. »Zieh dich an, Falke.« John beeilte sich. Als er die Stiefel überzog, vernahm er ein kurzes Rascheln und das Schlappen davoneilender Maisstrohsandalen. »Soll ich sie nicht aufhalten, Jefe?« »Laß sie, sie sind verblendet. Der hier genügt uns.« Cochise riß dem Zappelnden in seinem Arm mit der freien Hand das Ungetüm von Maske von der Schulter und warf sie angewidert zu Boden. Ein zerknittertes Blätterteiggesicht, umgeben von weißen Haarsträhnen, blitzte ihn wuterfüllt an. »Tezcatlipoca wird diesen Frevel bestrafen, Jefe!« »Schweige! Mörder!« schrie ihn Cochise an. Er übergab den Greis Haggerty, der ihn in den Würgegriff nahm und sich abwandte, als der Häuptling der Apachen seine Kleidung überstreifte. »Wer ist dieser runzelige Kürbis?« »Goh-in-ka, der Schamane der Yaquis.« »Ich verfolge die anderen«, sagte John Haggerty scharf. Cochise winkte ab. »Das wäre unklug, Falke. Warum, erkläre ich dir später.« 91
Cochise kam näher, blieb vor dem zitternden Alten stehen und sah ihm in die haßerfüllten Augen. »Du wolltest meinen weißen Freund ermorden, Goh-in-ka. John Haggerty ist ein Freund des roten Mannes und ein Freund der Yaquis. Warum?« »Tod den Spaniern und den Weißen!« Cochise gab dem Bündel Mensch einen Stoß, daß es gegen den Altar taumelte. »Du bist ein Narr, Schamane. Geh, ich halte dich nicht auf. Werden wir noch einmal angegriffen, schießen wir. Verschwinde!« Der Greis raffte seinen Plunder zusammen, unter anderem ein Pyritspiegel, der kultischen Zwecken diente, und verschwand in dem Stollen, um den anderen nachzueilen. Haggerty und Cochise sahen sich ernst und schweigend an. »Das wäre fast ins Auge gegangen, Chief. Woher kennst du den Greis?« »Ich sah ihn beim Feuer. Er hat keine Macht über Tehueco.« »Weshalb sollte ich die anderen nicht verfolgen und unschädlich machen?« »Wäre es klug gewesen, Pitcars Geheimnis zu lüften oder ihn gar zu töten?« John zuckte wie unter dem Schlag einer Peitsche zusammen. »Pitcar? Der Häuptlingssohn? Großer Gott, wer konnte das wissen?« »Ich erkannte ihn an seinen verzierten Sandalen, Falke. Ein Verblendeter und Fanatiker, der noch der alten Religion anhängt und seinem tapferen Vater keine Ehre macht. Gehen wir!« Sie waren beide angekleidet und gegürtet. John hatte seinen Revolver umgeschnallt, Cochise Messer und Tomahawk an sich genommen. John konnte sich nicht beruhigen und wedelte aufgeregt mit den Händen. »Warum wollte er mich töten? Ich sehe da keinen 92
Sinn.« »Es hat einen Sinn, Falke«, erwiderte Cochise in seiner knappen Art. »Einen widerwärtigen Sinn. Die Uralten waren damals schon religiöse Fanatiker, und ihre heutigen Nachkommen erinnern sich nur allzugern an die damalige Macht der Kaziken und Schamane und möchten die alten Zeiten wieder aufleben lassen. Hast du den glitzernden Spiegel gesehen?« John Haggerty erinnerte sich. Er nickte. »Was ist damit?« »Damals, bevor die Spanier kamen, benutzten sie die Pyritspiegel bei ihren rituellen Schlachtopfern. Ich wußte Bescheid, als Pitcar damit hereinkam.« »Welcher war der Häuptlingssohn?« »Der Große, der mit den breiten Schultern.« Cochise hatte kaum ausgesprochen, als ein mächtiges Getöse durch die Gänge klirrte. Ihm folgten Schüsse, Kriegsgeschrei und bösartiges Fluchen von Weißen. John und Cochise blickten sich an. Der Häuptling machte ein ernstes Gesicht. Seine Augen funkelten wie Obsidian-Splitter und wirkten so kalt wie ein Grönlandgletscher. »Die Überraschungen reißen nicht ab«, murmelte John Haggerty. »Frage: Was ist jetzt schon wieder los? Naiche?« Cochise verneinte mit einem Kopfschütteln. »Weiße«, antwortete er in seiner lakonischen Art. »Wie konnten die durch das Tal gelangen? Irrst du auch nicht, Chief?« »Indianer fluchen nicht«, war die kurze Antwort. »Die Männer suchen nach dem Gold der Franzosen«, fuhr er fort und runzelte die Stirn. Haggerty bewunderte seinen Scharfsinn, der stets genau den Kern der Sache traf. »Zugegeben«, erwiderte er. »Ganz Sonora weiß von dem Gold, aber woher wissen es Banditen? Um solche handelt es sich wohl, oder?« 93
Cochise gab keine Antwort. Unvermittelt setzte er sich in Bewegung und tauchte lautlos in den dunklen Schlund eines Tunnels ein, der zurück in die alte Richtung führte. Wohl oder übel mußte ihm John folgen. Geschrei und Gefechtslärm wurden lauter, klangen mit jedem Schritt näher, blieben aber für die beiden unerreichbar. Der Kampf mußte sich auf einer höherliegenden Ebene abspielen und nahm minütlich an Heftigkeit zu. So plötzlich wie er begonnen hatte, flaute er wieder ab. Ein paar Schreie verklangen in den Gängen und hallten nur kurz als Echo nach. »Sie sind abgeschlagen«, sagte Cochise und blieb stehen. Dunkelheit umgab sie. »Wollen wir's hoffen«, antwortete Haggerty und tastete sich an der Wand weiter voran. Eine Treppe sperrte seinen Fuß. Er betrat sie. John eilte aufwärts, gefolgt von Cochise, und er zählte unbewußt die Stufen. Als er aus der Mündung in den Quergang schoß, stolperte er über ein lebloses Bündel. Er kniete am Boden, sah nichts und verhielt sich still. Ein Streichholz wagte er nicht anzuzünden. Als sich nichts ereignete, betastete er den Toten. Zweifellos ein Weißer, stacheliger Bartwuchs bedeckte Gesicht und Kinn, und der Stetson, auf dem er lag, identifizierte noch genauer. Haggerty erhob sich. Seine Augen suchten die verschwommenen Umrisse des Häuptlings. Aber der lehnte hinter ihm an der Stollenwand und ließ ein leises Schnaufen vernehmen. »Du hattest recht, Jefe. Es sind tatsächlich weiße Banditen eingedrungen. Wer hätte das gedacht.« Hundert Yard weiter stießen sie auf einen weiteren Leichnam. Der Tote lehnte mit dem Rücken an der Wand und stützte den müde gewordenen Kopf auf die Brust. So war er gestorben, mit einer Kugel über dem Herzen. Beide verspürten den frischen Luftzug, als sie weiter zum Tor der Unterwelt eilten. Wenig später hob sich vor ihnen ein 94
transparentes Oval aus der ewigen Finsternis wie eine Milchglasscheibe. John Haggerty blieb stehen. »Was soll das nun wieder heißen?« »Ein Fuchs bewohnt keine Höhle mit nur einem einzigen Zugang.« Sie legten die kurze Wegstrecke im Schritt zurück, ständig darauf gefaßt, angegriffen zu werden. Als sie durch die Gangöffnung ins Freie traten, umfloß sie die Nacht mit Mondund Sternenlicht. Ein Märchenland von erhabener, wilder Schönheit breitete sich vor ihren Augen aus. Das glitzernde Bett eines ausgetrockneten Sees dehnte sich vor ihnen bis zum jenseitigen Hang. Erodierte Rinnen durchzogen die Landschaft wie Streifen bei einem Zebra. Drüben war Wald, bescheiden und krüppelhaft zwar, aber er erklärte die konservierten Stämme in jenem Sumpf tief unter der Erde. »Das Geheimnis des Sumpfes ist geklärt, denke ich«, murmelte Haggerty und starrte wie verzaubert auf die nächtliche Landschaft. »Siehst du die Erhebungen da drüben, Cochise? Was sind sie?« »Tote Yaquis und Weiße. Die Weißen büßten für ihre Habgier und den Frevel, die Ruhe dieses Volkes zu stören. So wird es immer wieder sein, Falke. Die Gier nach Gold treibt sie ins Verderben. Der Große Geist möge ihnen gnädig sein. Komm, laß uns gehen!« * Antonio Navarro stand bewegungslos im tiefen Schatten einer Felsnase, neben ihm Muno Garrido und Paolo Neyra. Zu dritt starrten sie zum flachen Plateau hinauf, auf dessen Hintergrund sich deutlich die Höhlenöffnung abzeichnete. Antonio grinste faunisch. »Wie dumme Kälber rennen sie zur Schlachtbank. So 95
einfältig können auch nur die Gringos sein. Suchen den Schatz der Yaquis, hahahaha!« Muno und Paolo stimmten in das Gelächter mit ein und hieben sich gegenseitig höchst belustigt auf die Schultern. »Dummköpfe von Gringos. Sie sind wirklich so dumm, daß sie schon die Schweine beißen. Hahahaha!« »Nicht so laut«, warnte Antonio und rieb sich genüßlich die tagealten Bartstoppeln. »Niemand mehr hier unten, außer uns«, sagte Muno und wollte sich ausschütten vor Lachen. »Der Hammel von einem Americano hat sie alle nach oben geholt. Wir sind ganz allein in diesem gesegneten Land, allein mit unseren und ihren Pferden. Wann gehen wir kassieren, Antonio?« »Wartet noch. Ich muß erst wissen, was oben auf dem Plateau geschieht.« »Die Yaquis werden sie abmurksen, das geschieht. Was meinst du, Muno?« Antonio antwortete statt seiner: »Daran liegt mir nichts. Die Kerle sollen Tehueco töten, das ist mein Ziel. Vorher können wir nicht vor Juárez hintreten.« »Warum nicht?« fragte Paolo Neyra Antonio. »Der fette Molch kann unsere Angaben doch gar nicht nachprüfen.« »Er kann und wird, verlaß dich drauf. Es gibt nichts Ausgekochteres als diesen Möchtegern-Präsidenten. Haltet die Ohren offen, Amigos.« »Du glaubst, er schickt jemand zu den Yaquis? Nie! Ich sage dir, daß er für alles Gold der Welt keinen Mann finden wird, der ein solches Risiko auf sich nimmt.« »Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Diesem Juárez traue ich nicht über den Weg. Der Oaxaca-Indianer hat's faustdick hinter den Ohren.« Er drehte sich rundum, schickte seine Augen im Kreis. »Sind wir wirklich allein? Muchachos, habt ihr euch davon überzeugt?« 96
»Allein wie bei der Erschaffung der Erde. Sie sind dort oben, alle ohne Ausnahme«, antwortete Muno und belüftete seine Mandeln durch ein Gähnen. Paolo Neyra setzte hinzu: »Dieser räudige Hundesohn von einem Gringo holte sie alle zu sich, als er die Höhle sah. Wenn ich nicht irre, beginnt der Zauber gleich.« »Na, na«, entgegnete Antonio zweifelnd. »Die Gringos sind besser bewaffnet und verstehen ihre Revolver zu gebrauchen.« »Warten wir es ab.« Sie brauchten nicht lange zu warten. Ein Schuß fiel oben im Becken, der zweite schickte seinen rollenden Donner gleich hinterher. Im Anschluß daran krachte eine Salve, daß sie glaubten, der ganze Berg wackele. Zu sehen war kaum etwas. Für ein bloßes Auge war die Entfernung zu groß. Ein paar mausgroße Schatten waren flüchtig wie Blütenstaub auszumachen. Nur die Akustik manifestierte sich in einem langgezogenen Heulen und Todesschreien. »Die Yaquis haben sie beim Wickel«, sagte Antonio. »Donnerwetter, die gehen aber ran!« Was auf dem Plateau wirklich geschah, konnten die drei Desperados nicht einmal ahnen. Wahrscheinlich wären sie längst auf und davon gerannt. Stakkatoartig prasselten die Gewehr- und Revolverschüsse, ausgefüllt von sporadischem Feuer. Dazu drang das Kriegsgeschrei der Yaquis in ihre Ohren. Nach etwa einer Stunde ließ das Feuer nach. Beklemmende Stille legte sich über die Wildnis, eine Stille, die nur gelegentlich von einem einzelnen Schuß unterbrochen wurde. Antonio wußte, was das zu bedeuten hatte. Die Indianer waren Sieger geblieben und töteten mit den erbeuteten Waffen die Verwundeten. »Das war's«, sagte er, aber diesmal versagte er sich ein Grinsen. »Machen wir, daß wir verschwinden, bevor sie 97
herunterkommen und nach den Pferden suchen.« »Weg? Wohin? Uns fehlt der Beweis für Juárez.« »Hör zu, Paolo. Wir bekommen dicken Ärger, wenn sie uns erwischen. Ich habe da eine Idee.« »Laß hören.« »Ein Indianerskalp ist so gut wie ein anderer, meint ihr nicht auch?« »Worauf willst du hinaus?« Muno quetschte die Worte durch die Lippen, als seien sie mit Stacheln behaftet. »Hinter den Steinen dort drüben liegen zwei tote Krieger. Einem von ihnen wird's nichts ausmachen, wenn er ohne Skalp in seine Ewigen Jagdgründe kommt. Geh hin, Muno, und schneide ihm das Haar ab.« »Was denn, ich soll einen Toten skalpieren?« Entsetzen klang aus Garridos Stimme und Ekel. »Meinst du, es tut ihm noch weh? Wenn du Schiß hast, gehe ich.« Er verschwand. Muno und Paolo wechselten einen sprechenden Blick. Schritte. Antonio Navarro kehrte schon wieder zurück und schwang die Kopfhaut eines Yaquis an den langen Haaren. »Das genügt«, sagte er kalt. »Jetzt verduften wir.« »Ob sie alle getötet wurden?« fragte Mono. »Alle sicher nicht. Die Indianer sind hinter ihnen her und jagen sie durch die Berge. Das gibt uns die nötige Zeit, unbemerkt zu verschwinden. Adelante, Amigos!« Mit einem letzten Blick auf den Eingang zur Unterwelt drehte er sich herum. Aber er zögerte. Was war das dort oben gewesen? Zwei Gestalten traten vorsichtig aus der Stollenöffnung und verweilten im hellen Mondlicht. Antonio konnte sie deutlich erkennen. Der hochgewachsene Indianer deutete auf einen Punkt, den Antonio nicht erkennen konnte. Beide, der Weiße und der Indianer, gingen zu jenem Punkt und knieten dann nieder. 98
»Was treiben die dort oben?« Munos Stimme war voller Unglauben. »Das sind keine Yaquis.« Antonio gab keine Antwort. Er starrte in die Höhe und versuchte zu ergründen, mit was sich die beiden Männer beschäftigten. Abrupt fiel es ihm ein. »Die sind auf einen Verwundeten gestoßen. Jetzt wird's kritisch.« »Warum?« »Sie werden erfahren, was sie besser nicht wissen sollten. Der Sterbende, oder was er immer ist, wird sich alles von der Seele reden.« »Mierda!« Muno spuckte zur Seite. »Und wer sind die beiden?« »Cochise und sein weißer Freund.« »Was, der Chiricahua?« »Kein anderer. Der Americano nennt sich Haggerty, John Haggerty.« »Man sollte ihnen 'ne Kugel vor den Latz geben.« »Nonsens. Das würde bedeuten, sämtliche Yaquis auf den Fersen zu haben. Sie sind mit den Chiricahuas eng befreundet. Machen wir, daß wir wegkommen, Amigos.« »Zu Juárez?« Antonio nickte. »Kassieren, dann nach Norden zu unseren Freunden. Zusammen reiten wir nach Arizona und sehen uns ein bißchen nach lohnenden Geschäften um. Ist das nach eurem Geschmack, Muchachos?« »Klar«, sagte Patolo, »hauen wir ab!« * Cochise und Haggerty hatten von dem Schwerverwundeten, der unter ihren Händen starb, erfahren, warum der Angriff der Weißen auf die Yaquisiedlung erfolgt war. »Gold«, murmelte Cochise verächtlich. »Immer wieder 99
Gold.« John gab keine Antwort. In seinem Herzen stimmte er Cochise zu, aber … Nun, es lohnte nicht, weiter darüber nachzudenken oder gar Worte zu verlieren. Der Apache und er konnten die Menschen jener Region nicht ändern. »Reiten wir zu Juárez«, sagte Cochise und warf einen Blick auf die Sterne. »Es wird bald Tag werden, Falke.« »Moment mal!« rief John, »womit wollen wir reiten? Wir haben keine Pferde.« Cochise deutete auf die Tunnelöffnung. »Ich kenne den Weg«, sagte er. »Bei Tagesanbruch können wir reiten.« »Du glaubst also, was der Sterbende gesagt hat?« »Wer auf der Schwelle des Todes steht, lügt nicht. Ich glaube ihm.« Die Dunkelheit der Gänge nahm sie wieder auf. Und während sie treppauf, treppab ihren Weg verfolgten, fielen John Haggerty wieder die Abenteuer ein, die sie unten erlebt und zusammen durchgestanden hatten. Endlich traten sie in eine Wohnhöhle, um deren erkaltete Feuer sich schnarchende, grunzende und im Schlaf röchelnde Sippen gruppierten. Die Minuten schlichen so langsam vorüber, daß man förmlich hören konnte, wie Cochise und Haggerty ihre Füße durch den raschelnden Sand schleppten. Doch auch dies ging vorüber. Als sie im verblassenden Sternenlicht vor der Höhle standen, röchelten die Schläfer hinter ihnen ungestört weiter. Nichts war verändert worden – von einer bemerkenswerten Ausnahme abgesehen. Dämonisch glühten die Feueraugen der erlöschenden Feuer im Tal. Aber kein Krieger saß an ihnen, kein Tamtam ertönte, und wenn man wie Cochise und John über das große Tal blickte, sah man weder Pferde noch Nutztiere. »Sind dort drüben«, sagte Cochise und deutete nach Osten. 100
Die Tiere wurden am Abend zur großen Flußschleife getrieben, wo sie Wasser und genügend Futter fanden. Am Morgen wurden sie dann wieder ins Tal zurückgebracht. »Wo ist Naiche?« fragte John und sandte suchend seine Blicke umher. »Der weiß, was er zu tun hat. Er wartet auf Ulzana.« »Ulzana? Hast du ihn hergerufen?« Cochise nickte. »Gehen wir, Falke; Bei Tagesanbruch müssen wir in der Ebene sein.« Das Flüstern Haggertys war ein bißchen atemlos, was im Angesicht der schlafenden Yaquis begreiflich war. »Warum ist Ulzana unterwegs, Chief?« »Eine Vorsichtsmaßnahme. Naiche wird sich um ihn und die Krieger kümmern.« Sie gingen hintereinander den Saumpfad hinab und verließen das Tal. Im Osten graute der neue Tag und ließ mit seinem ersten Licht die Sterne verblassen. Der Mond hatte sich inzwischen längst zur Ruhe begeben. Sie stießen auf Wachen, als sie das Rauschen des Rio Yaqui hörten. Wie aus dem Boden gewachsen standen sie vor ihnen und richteten die Läufe ihrer vorsintflutlichen Mausergewehre auf Cochise und Haggerty. »Wollt ihr die Freunde der Yaquis erschießen?« Die Gewehrläufe senkten sich. Betreten glotzten drei Krieger den Häuptling und John Haggerty an, schüttelten die Köpfe und wagten kein Wort der Erwiderung. Cochise war in Sonora in aller Munde und zur lebenden Legende geworden. Von dem Weißen hatten sie viel gehört und respektierten ihn. »Wo sind unsere Pferde?« fragte Cochise den jungen Krieger und sah sich um. Dem Yaqui versagte die Zunge. Vor lauter Ehrfurcht fand er keine Worte, nickte wie ein Taubstummer und deutete auf ein Gehölz. Sie gingen beide hinüber und drangen durch die Büsche. Man hatte die Apachenponys von den anderen abgegrenzt, und das hatte einen guten Grund: Sie vertrugen sich nicht mit 101
anderen Pferden und bissen sich mit ihnen. Cochise steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Sein Pinto löste sich aus der grasenden Gruppe und trabte zu seinem Reiter. Haggerty machte es nicht anders. Armeepferde waren darauf geschult, einem bestimmten Zeichen ihrer Reiter unverzüglich zu folgen. Das konnte in der Wildnis lebenswichtig sein. John stellte befriedigt fest, daß sein Pferd unter dem Sattel ging. Er zog die Gurte stramm an und tätschelte dem Braunen den Hals. »Langeweile gehabt, mein Junge?« Das Pferd schnaubte zufrieden. John lächelte. Wenn er mit seinem Reittier allein war, sprach er oft mit ihm. Aus alter Gewohnheit tat er das auch heute. »Nun denn, machen wir Bruder Juarez unseren Besuch.« Seite an Seite verließen sie den Weideplatz und kreuzten weiter oben bei der Furt den Fluß. Bei Sonnenaufgang waren sie bereits auf der Ebene. Als sie über einen Hügel ritten, zügelte Cochise seinen Pinto. Seine Hand zeigte auf eine, hohe Staubwolke. »Ulzana!« sagte Cochise stolz. »Großer Gott, was treibt er dort?« »Er jagt Gelbhäutige.« Der Staub wurde dünner und lichtete sich ganz, als die dahinfegende Pferdeherde auf festes Gestein geriet. Drei Reiter trieben eine Remuda von mehr als zehn gesattelten Pferden. Hinter ihnen her preschten kleine, zähe Ponys der Apachen, und das Geschrei, das die Krieger vollführten, drang bis auf den Hügel hinauf. Die Jagd konnte nicht lange dauern. Es ließ sich nicht umgehen, daß die Chiricahuas sekündlich aufholten und schnelle Flankenreiter vorschickten. Antonio Navarro erkannte die Gefahr, rief seinen Spießgesellen Kommandos zu und gab seinem Andalusier die Radsporen zu fühlen. Mit steigender 102
Geschwindigkeit raste das edle Pferd über die Ebene und entfernte sich von der Remuda. Muno und Paolo folgten ihrem Anführer und überließen die Pferde der Weißen den Apachen. »Das sind sie«, sagte Haggerty überflüssigerweise. »Wir brauchen nicht erst lange nach Spuren zu suchen. Begrüßen wir Ulzana.« Sie trieben ihre Pferde wieder an und gelangten in das breite Tal, das in die Sandebene auslief. Wildes Geschrei empfing sie. Die Krieger schwangen ihre Waffen und brüllten einzeln und im Chor: »Cochise!« Als der Hexensabbat abklang, mußte der Häuptling Hände drücken, ein Lob aussprechen und sich den Bericht Ulzanas anhören. John Haggerty beachteten die ausgelassenen Krieger nicht. Cochise berichtete kurz, was geschehen war. Er gab Ulzana den Auftrag, zu den Yaquis zu reiten, ihnen die Beutepferde zu überlassen und sich mit Naiche zu vereinen. Danach trennten sie sich von der wilden Horde. Am Nachmittag kreuzten sie einen anderen Fluß. Der Abend sah sie auf einem felsigen Kamm und der aufgehende Mond sandte sein mildes Licht. * Die Zeltwände bewegten sich in der kühlen Abendbrise. Juárez stand hinter seinem Schreibtisch auf und schickte einen scharfen Blick zu den drei schmutzigen Gestalten im Zelteingang. Er war allein. »Wie sind Sie an den Posten vorbeigekommen?« Navarro fletschte die Zähne. »Ich hielt ihnen Tehuecos Skalp unter die Nase und sie fielen in Ohnmacht, Senor Präsident.« 103
»Abscheulich! Obszön! Was wollen Sie?« Antonio Navarro schleuderte den Yaquiskalp Juárez vor die Füße und streckte ihm die flache Hand entgegen. »Geld, Señor, die versprochene Restbelohnung.« »Wozu bringen Sie dieses schreckliche Ding da mit?« »Dafür. Es ist die Kopfhaut des Kaziken. Wie anders sollten wir sonst seinen Tod beweisen?« »Das ist… das …« Benito Juárez versagte die Stimme. Ekel würgte ihn. »Sie erschossen und skalpierten ihn?« »Wie Sie sehen, Señor Juárez. Geben Sie uns den Rest der Belohnung, wie es vereinbart war, und wir werden Sie von diesem schrecklichen Ding da befreien.« Juárez blickte an den drei Mexikanern vorbei. Seine dunklen Augen wurden starr, und sie weiteten sich ungläubig. Zwei hochgewachsene Männer waren hinter den Desperados eingetreten. Sie verhielten sich still. Haggerty war gespannt, wie Juárez sich aus der Schlinge ziehen würde und hatte nur Augen für ihn. Cochise richtete sein Augenmerk auf die Banditen. Nichts ahnend von der Gefahr, die hinter ihnen lauerte, setzten sich die Desperados in Positur. Juárez starrte sie immer noch an, an ihnen vorbei, und schließlich senkte er den Blick. John ahnte, was in dem Mann vorging. Seine Rechnung war nicht aufgegangen, und seine Intrige, die er als politischen Schachzug angesehen hatte, kam wie ein Bumerang auf ihn zurück. Nicht Tehueco hatte er töten lassen wollen, sondern den Anführer einer Banditenbande, die brutal das Land und dessen Bevölkerung terrorisierten. Seine Rechnung war indes nicht aufgegangen und mußte korrigiert werden. »Ich … Nein, so habe ich das nicht gemeint, Señores. Von Mord war keine Rede, nicht auf so brutale und ekelhafte Art.« »Schnauze!« zischte Navarro. Seine Hand glitt zur Hüfte. »Her mit den goldenen Mäusen, sonst knallt's!« 104
»Ich werde die Posten rufen.« »Du wirst hübsch brav sein, dein Maul halten und die Kohlen herausrücken. Nun, wird's bald?« Die Hände der drei Mexikaner legten sich um die Griffschalen der Revolver. Eine drohende Geste, aber auch eine tödliche. Für Juárez, oder auch für sie selbst? »Die Pfoten von den Revolvern, Greaser!« Navarro überlief es eiskalt. Die Stimme in seinem Rücken klang hart wie brechendes Eis. Alle drei wagten nicht sich umzudrehen, nicht einmal Luft zu holen. Sie standen da, als hätten sie einen Ladestock verschluckt. Hölzern und wie abgezirkelt waren ihre schwachen Bewegungen. Der nächste Befehl kam und wurde mit der gleichen Gefühllosigkeit vorgetragen wie der erste: »Abschnallen! Dalli, Greaser! Eine falsche Bewegung von euch, dann knallt's!« Muno und Paolo griffen gleichzeitig zur Gürtelschnalle. Antonio Navarro zögerte, weil er sich trotz der mißlichen Lage noch eine Chance ausrechnete. Sie war gering, aber trotzdem eine Chance, den Kerl hinter ihm mit einer schnellen Drehung und einem Schuß zu erwischen. Juárez starrte wie benommen auf die Szene. Er vergaß alles um sich herum, sogar die Möglichkeit, hinter dem Schreibtisch in Deckung zu gehen. Unbeweglich, wie zur Salzsäule erstarrt, war er nicht einmal in der Lage, die Hand zu heben und Worte zu formulieren. Als die beiden schweren Patronengürtel auf den harten Lehmboden polterten, sah Navarro seine Chance gekommen. Wie eine Katze glitt er um seine Achse und zog. John Haggerty ließ ihn bis zu einem bestimmten Punkt gewähren. Der war erreicht, als der Desperado die Kehrtwendung vollendet hatte und den Colt aus dem Halfter riß. Die donnernde Detonation entlud sich und brachte die Zeltwände zum Schwingen. 105
Ein zweiter Schuß, wahllos und ohne Kraft abgefeuert, fuhr vor John in den Boden und schickte eine Wolke von Pulverdampf in seine Richtung. Navarro ließ die Waffe fallen, schickte sich an, ihr zu folgen und brach mit einem trockenen Schluchzen in die Knie. Cochise war schon bei den beiden anderen und hieb ihnen die stumpfe Seite des Tomahawks auf die Schädel. Anschließend fesselte der Häuptling die Banditen. Um Navarro brauchte er sich nicht mehr zu kümmern. Der war tot. »Sie haben den Mann vor meinen Augen getötet. Heilige Mutter Gottes, mußte das sein?« »Sie haben Ihren Teil zu dem Morden beigetragen, Señor Juárez«, erwiderte John Haggerty kalt. »Seien Sie froh, daß es so gut für Sie auslief. Wären wir zehn Minuten später gekommen, lägen Sie jetzt statt seiner am Boden.« Er deutete auf Navarro, wandte sich Cochise zu, der Juárez grimmig fixierte. »Jefe, es wird Zeit«, sagte er ruhig. »Señor Juárez wird seinen Abscheu vor Toten überwinden und das Geld in Navarros Taschen finden. Mit den gefesselten Desperados mag er tun, was ihm beliebt. Adios, Mr. Präsident! Falls Sie wieder einmal Lust haben, sich politisch zu betätigen, dann tun Sie es in Mexiko City vom grünen Tisch aus. Hasta la vista, Señor!« »Warte, Falke.« Cochise trat auf ihn zu und ergriff seinen Arm. »Ich werde zuerst nachsehen, ob die Luft draußen rein ist.« »Hast du was gehört?« »Stimmen. Man kann die Schüsse nicht überhört haben.« »Okay, Chief. Ich werde inzwischen deine beiden Wickelkinder bewachen.« Johns Stimme klang unbeschwert und fast heiter. »Aber laß mir dein eisernes Schlafmittel hier, falls die beiden etwas zur Beruhigung brauchen.« Er deutete auf den Tomahawk in Cochises Gürtel. Cochises erheitertes Lächeln war kurz und flach, aber 106
herzlich. Er reichte John das Kriegsbeil, der es wie spielerisch in der Hand wog und mit Verblüffung seine Schwere feststellte, Cochise kam schon kurze Zeit später wieder zurück. »Sie rotten sich zusammen. Der Abtrünnige soll vors Zelt treten und ein paar Worte zu seinen Leuten sprechen.« John gab Juárez mit dem Beilstiel einen Wink. »Wollen Sie uns ein wenig den Weg ebnen, Señor? Ich denke, das ist für beide Teile besser so. Meinen Sie nicht auch?« Juárez kam durch die langgestreckte Feldbehausung und trat vor das Zelt. Pathetisch hob er beide Arme. Sofort trat Ruhe ein, eine Ruhe, in der man das Knistern der Spannung förmlich heraushörte. »Muchachos, diese beiden Caballeros retteten mir das Leben. In meinem Zelt liegt ein Toter. Schafft ihn heraus. Und die beiden Gefesselten bringt ihr in den Calabozo. Ihnen wird der Prozeß wegen Hochverrats gemacht. Adelante, Muchachos!« Männer brüllten begeistert und ließen Juárez hochleben. Das Geschrei wollte kein Ende nehmen. Als sich der Präsident Cochise und Haggerty wieder zuwenden wollte, waren sie wie vom Erdboden verschluckt. * Er ahnte den Verdruß, bevor sie zu der Anhöhe kamen, die ihnen einen Weitblick auf den Canyon und die letzten vierzig Meilen ihres Weges nach Arizona gestattete. Sie rochen den Rauch gleichzeitig und wußten, daß er nur von einem Lagerfeuer stammen konnte. Weit und breit gab es so nahe der Grenze keine Ansiedlung, außer den Städten Nogales, Naco und Agua Prieta. Aber die waren weit weg. Cochise hielt sein Pferd an und schnüffelte wie ein Jagdhund. John Haggerty tat es ihm nach, erging sich anschließend aber nicht in Mutmaßungen über die Herkunft des Brandgeruchs, 107
sondern überließ es dem Chiricahua und dessen besserer Nase, mit diesem Problem fertigzuwerden. »Lagerfeuer«, sagte Cochise wenig später. Ebenso kurz fragte John; »Naiche und die Krieger?« Cochise schüttelte den Kopf. Er deutete nach Westen, gab aber keine weitere Erklärung ab. Nach einer Weile sagte er: »Großes Feuer. Dumme Weiße.« »Warum dumm?« Cochises Hand kreiste rund um den Hügel. »Land der Chiricahuas. Sie sind überall.« Haggerty verstand. Ihn drängte es, nach Tucson in das Militärlager zu kommen, um General Howard Bericht über das Gelingen seiner Mission zu erstatten. Trotzdem ließ er keine Vorsicht außer acht. »Sehen wir nach«, antwortete er kurz. Cochise liebte lange Reden nicht, wenn man es mit wenigen Worten sagen konnte, und der Weiße wußte das. Sie trieben ihre Pferde an und ritten über die Hügelflanke in das dunkle Tal hinunter. Der Rauch wurde stärker. Die Sonne war lange vorher untergegangen, trotzdem war es noch drückend schwül. John wischte sich den Schweiß vom Gesicht und machte sich Gedanken über die Leute, die leichtfertig ein großes Feuer unterhielten, und das auf dem Territorium der Chiricahuas. Nach einer Weile hielt Cochise bei einem Speerdorngestrüpp an und schwang sich von seinem Pinto. John Haggerty machte es ebenso und knüpfte die Zügel um einen starken Ast. »Ich gehe nachsehen«, sagte Cochise gedämpft. »Jefe, ich komme mit.« Zu Fuß schlichen sie durch den dunklen Schlund weiter. Der Feuerrauch wurde stärker, und bald darauf sahen sie einen Lichtschein, der flackernd über die Hänge kroch und eine gespenstische Szene beleuchtete. Wie von Zauberhand weggewischt war und blieb Cochise 108
vom Erdboden verschwunden. John suchte nicht lange. Er ließ sich zu Boden und kroch, jede Deckung ausnutzend, weiter. Rechts von sich vernahm er ein gedämpftes Knistern und Knirschen. Cochise räumte trockene Äste und Zweige und zundertrockene Kakteen zur Seite. Zwischen dem Feuer und ihrem Standort lag eine Yuccainsel im vollen Blütenstand. Ein betäubender Duft zog durch den Canyon. Als hätte ein mitleidiger Gott ein Einsehen mit der Monotonie der Landschaft gehabt, ließ er auf dem trockenen Boden Pflanzen wachsen, die ihre Bedürfnisse mit dem Tau der Nacht stillten. Diese Yuccas waren Johns Ziel. Cochise hatte den gleichen Gedanken gehabt, denn nach wenigen Metern trafen sie wieder aufeinander und ringelten sich wie Schlangen ihrem Ziel entgegen. Das Feuer war wirklich leichtfertig groß und schickte Rauch und einen Funkenregen wie einen Meteoritenschwarm zum Himmel. Sechs Männer in malerischer Kleidung hockten mit untergeschlagenen Beinen vor den Flammen und redeten unbekümmert miteinander. Johns Blick glitt in die Runde. Er zuckte heftig zusammen und hätte beinahe einen lauten Ruf des Entsetzens ausgestoßen. Cochise an seiner Seite knirschte hörbar mit den Zähnen und ballte die Hände in grimmiger Wut. Hinter dem Feuer, schon fast im Schlagschatten des aufstrebenden Hanges, standen wenige Säulenkakteen wie Finger der Mahnung in der Nachtschwärze. Ihre Arme streckten sich melancholisch zur Seite, und das Bild, das sich den beiden Lauschern bot, war das des Gekreuzigten. In John Haggerty sprang der kalte Zorn wie ein bösartiges Raubtier auf. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte sich auf die Kerle am Feuer gestürzt, um sie mit seinen Händen zu erdrosseln. 109
Cochises Hand glitt zu ihm und legte sich fest und mahnend um seinen Unterarm. Aber John spürte, wie diese Hand zitterte. Empörung drängte sich auf seine Lippen, Empörung und Rachegefühle, die er nur mühsam beherrschen konnte. Was sich seinen Augen darbot, war so entsetzlich, daß er an seinem Verstand zweifelte. An drei mächtigen Kakteen hingen Nahlekadeya, Cochises zweite Frau, Tla-ina, Cochises Schwester und Nahaye, dessen Sippe bei Agua Prieta von den Federales massakriert worden war. Cochise rückte ganz nahe an John heran und hauchte an seinem Ohr: »Sieh dir den Hintergrund an, Falke. Erkennst du unsere Chance?« John studierte das Gelände vor ihnen. »Ich bin deiner Meinung«, hauchte er zurück. »Dort führt kein Weg mehr weiter.« Geröllschutt und die Fächerhalde aus Bruchsteinen würden ein Anschleichen erlauben. »Mehr kann man nicht verlangen. Riskieren wir es.« Cochise kroch schon davon. Er mußte einen Umweg wählen, um nicht im zufälligen Aufflackern des Feuers gesehen zu werden. Nach etwa einer halben Stunde hatten sie es geschafft und lagen zwischen Felsbrocken und Unkraut wenige Meter hinter den Riesenkakteen. Haggerty mußte ein Keuchen unterdrücken und seinen Atem zur Ruhe zwingen. Dabei rieb er sich den Schweiß aus den Augen und kroch an Cochises Seite. Wieder drückte die Hand des Häuptlings Johns Unterarm. Schweigend deutete er nach vorn. Er streckte den Zeigefinger aus und krümmte ihn zur Erde. Er erwartete und verlangte keine kollektive Entscheidung von seinem weißen Freund. Haggerty war Individualist genug und mit dem Land vertraut. John verstand ihn. Zentimeter für Zentimeter kroch der Häuptling vorwärts, die blanke Klinge zwischen den Zähnen. Noch zwei Schritte, und er lag hinter Nahaye. 110
Vom Feuer brüllten Stimmen und Gelächter. Ein krummbeiniger Mexikaner stand auf, warf die Arme wie Windmühlenflügel und krähte wie ein liebestoller Hahn: »Schlagt euch weiter die Bäuche voll, Amigos. Ich werde mich derweil mit der süßen, kleinen Rothaut befassen. Ihr habt doch nichts gegen ein …« »Halt!« rief einer der Weißen, ein Mann mit Bart und breiter Brust. »Laß deine schmutzigen Finger von ihr, Spic. Die habe ich für mich bestimmt. Nimm dir die andere, wenn dir danach ist!« Der Rest der Kerle lachte obszön und geizte nicht mit schmutzigen Bemerkungen. John erschrak, wenn einer der Outlaws sich den Gefangenen näherte, mußte er Cochise und auch ihn sehen. Jetzt kam es darauf an. John setzte sich wieder in Bewegung, und seine schmerzenden Hände trugen den schweren Körper weiter den Gefesselten entgegen. Cochise war bereits bei Nahlekadeya und hob im Liegen das Messer. John sah, wie er zuerst die Handfesseln und danach die Stricke um die Beine zerschnitt. Schweiß blendete John. Aber er gab nicht nach und schaffte es bis zu Tla-ina mit dem Aufgebot seiner ganzen Kräfte. Sein Hauchen war kaum zu hören. »Ich bin's, John«, flüsterte er. »Ruhig, Sanfter Wind, ganz ruhig.« In Tla-inas Gesicht bewegte sich kein Muskel. Unverwandt starrte sie zum Feuer, als hätte sie Johns Worte gar nicht gehört. John zerrte sein Messer aus der Scheide und setzte die Klinge zum Schnitt an. John hatte gehofft, die Befreiung ohne weiteres Blutvergießen bewerkstelligen zu können, doch er irrte. Der krummbeinige Mex kam herüber und ging zu Nahlekadeya. Ein süffisantes Grinsen der Erwartung bedeckte seine Züge. Johns Messer zerschnitt Tla-inas Stricke, danach wandte er 111
den Kopf und sah zu Cochise hinüber. Der Jefe hatte sein Messer weggesteckt und hielt das Kriegsbeil in der Hand. Sein Gesicht wirkte wie starre Bronze, unbelebt, wie durch eine innere Kälte erstarrt, richtete er sein Augenmerk auf den näherkommenden Mexikaner. Der war so mit sich selbst und seinem Vorhaben beschäftigt, daß er den am Boden kauernden Indianer gar nicht bemerkte. Er blieb vor Nahlekadeya stehen, griff ihr an die Brust und … sah ein augenblickliches Blitzen und Funkeln vor sich, bevor das Tomahawk ihn traf. Mit einem gräßlichen Entsetzensschrei brach er tot zusammen. Cochise sprang auf, stieß den schrillen Kriegsruf der Chiricahuas aus und warf dem vorspringenden Nahaye sein Messer zu. John blieb noch den Bruchteil einer Sekunde wie gelähmt hinter Tla-ina liegen, aber als er sich schließlich bewegte, geschah dies mit der ganzen Kraft seines sehnigen Körpers. Er riß seinen Revolver hervor, spannte den Hahn. Mit der Linken drückte er Cochises schöner Schwester sein Messer in die Hand. Dann sprang er vorwärts, zielte und schoß von der Hüfte aus. Der Weiße, der sich für Tla-ina stark gemacht hatte, brach zusammen. Die anderen beim Feuer sprangen auf und griffen zu den Waffen. Aber der Angriff kam so überraschend für sie, daß sie sekundenlang wie gelähmt waren. Nachdem sie sich wieder gefaßt hatten, waren Cochise und Nahaye schon unter ihnen. Messer und Tomahawk wüteten wie das Schwert der rächenden Nemesis. Auch John war heran. Er benutzte den Kolben seiner Waffe als Keule. Sekunden später war der Kampf vorbei. Zwei Mexikanern war die Flucht gelungen. Sie würden nicht weit kommen. Ohne Pferde und Ausrüstung waren sie so nahe bei der mexikanischen Wüste Gran Desierto hilflos einem grausamen Schicksal ausgeliefert. 112
»John! Falke!« Haggerty ließ die Waffe sinken und drehte sich herum. Tlaina flog ihm entgegen und an seine Brust. Sie schluchzte. Sanft strich ihr John über das blauschwarze lange Haar. Auch Nahlekadeya kam, ging auf Cochise zu und lächelte. Der Jefe nahm sie in seinen Arm, während Nahaye Waffen und Beute zusammentrug. * Die Toten hatten sie vor ihrem Weiterritt der Erde übergeben, ihren Pferden die Freiheit wiedergegeben. Allein konnten sie sich durchschlagen und irgendeine Ansiedlung erreichen. »War alles sehr schlimm?« fragte John Tla-ina. Sie nickte. »Gehst du zu den Chiricahuas, John?« fragte Tlaina. Wieder redete sie ihn mit seinem Vornamen an, wie damals in jenem finsteren Canyon beim Blütensammeln. Johns Kopfschütteln war eine Absage. Hastig schloß er seine Worte an, als er den Schatten auf dem ovalen Braun gewahrte: »Ich muß zu dem großen weißen Häuptling mit dem einen Arm, Tla-ina. Er wartet auf meinen Bericht. Aber sobald ich kann, komme ich dich besuchen. Das ist ein Versprechen.« Beim ersten Licht des frühen Morgens gelangten sie in den Canyon der Seufzer. Cochise hielt am Scheideweg an. Seine Hand deutete auf den schmalen Schlauch einer Seitenschlucht. »Ich danke dir, Falke, was du für mich getan hast.« »Jefe, was hatte ich tun können? Nichts.« »Du öffnetest mir die Augen über die wahren Feinde der Indianer. Dafür gebührt dir Dank und Anerkennung. Du bist ein guter Freund meiner Rasse und in den Jacales der Chiricahuas willkommen. Reite, Freund, und berichte dem einarmigen General, daß es keinen Krieg zwischen Yaquis und 113
Juárez einerseits und Cochise und Juárez andererseits geben wird. Der Friede bleibt gewahrt, Falke, sage das dem General.« John fühlte ein Glücksgefühl des Stolzes durch seine Adern rieseln und ein weiteres Gefühl des Dankes an das Schicksal, das mit dazu beigetragen hatte, den Häuptling aller Apachenstämme umzustimmen.
ENDE
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