Edmund Hartsch
Böhse Onkelz Danke für Nichts (Biographie) Das Buch geht unzensiert auf alle Höhen und Tiefen, auf alle ...
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Edmund Hartsch
Böhse Onkelz Danke für Nichts (Biographie) Das Buch geht unzensiert auf alle Höhen und Tiefen, auf alle Fehler und alle Probleme ein. Die Kindheits- und Lebensgeschichten der Onkelz, die Entwicklung der (Frankfurter) Punk- und Skinheadszene, deren jeweilige Politisierungen und die Ausstiege der Onkelz aus diesen Szenen, die Anfänge und anfänglichen Entwicklungen der Band, Kevins enorme Drogenprobleme, und und und - nur das Privatleben der Onkelz bleibt weitgehend unberührt. ISBN: 3000017437 Broschiert - Beo Management Erscheinungsdatum: 1997
Inhalt Inhalt .....................................................................................2 Vorwort .................................................................................3 Kapitel 1 ................................................................................7 Kapitel 2 ..............................................................................10 Kapitel 3 ..............................................................................14 Kapitel 4 ..............................................................................17 Kapitel 5 ..............................................................................21 Kapitel 6 ..............................................................................25 Kapitel 7 ..............................................................................28 Kapitel 8 ..............................................................................32 Kapitel 9 ..............................................................................36 Kapitel 10 ............................................................................40 Kapitel 11 ............................................................................43 Kapitel 12 ............................................................................48 Kapitel 13 ............................................................................52 Kapitel 14 ............................................................................55 Kapitel 15 ............................................................................59 Kapitel 16 ............................................................................63 Kapitel 17 ............................................................................67 Kapitel 18 ............................................................................71 Kapitel 19 ............................................................................76 Kapitel 20 ............................................................................79 Kapitel 21 ............................................................................83 Credits.................................................................................86
Vorwort Eine Botschaft an meine Leser und zukünftigen Kritiker... Bei den Arbeiten zu diesem Buch war ich oft erstaunt über die Dimension, die das Thema "Böhse Onkelz" in den Jahren erreicht hatte. Ich hatte viele Gespräche mit Freunden, Verwandten, Fans und Kritikern der Band zu führen, ich hatte meine Eindrücke und Erinnerungen aus 10 Jahren Onkelzfreundschaft zu sortieren und es galt 17 Jahre kontroverse Bandgeschichte aufzuarbeiten. Kiloweise Tagespresse, Printmedien, Tapes, Videos und Bücher, in denen sich Autoren, Journalisten, Politiker, Veranstalter, Musiker und Psychologen auf die eine oder andere Art, dem Thema zu nähern versucht hatten, mußten auf ihre Ehrlichkeit und Genauigkeit hin überprüft werden. Und ich hatte mich immer wieder zu rechtfertigen. "Du schreibst was? Bist Du irre? Das ist doch die Naziband, oder?" Soviel dummes Geschwätz, soviel infame Heuchelei und soviel armselige, ignorante Hetze, soviel schockierende Uninformiertheit, aber auch soviel Witziges, Kluges und Abgedrehtes haben dieses Buch nötig gemacht. Es enthält Politik, aber es ist kein politisches Buch. Mir ging es um die Lebensbeschreibung von vier Menschen, deren Motivation Musik zu machen keine politischen Inhalte hatte. Was man hier lesen wird ist der Bericht über eine deutsche Rockband, die wie keine andere Band vor ihr als Mittel dümmlicher politischer Agitation mißbraucht wurde. Es soll hier auch von Jugendbewegungen und von Formen des Widerstandes die Rede sein, vom Zerfall unseres modernen Weltbildes und der Zerstörung der Individualität, von Kontrolle, Meinungsdiktat, Trendterror und Zensur. Natürlich wäre es naiv, zu behaupten, diese Dinge hätten nichts mit Politik zu tun, nur mußte ich immer wieder beobachten, wie Politiker und Teile der Öffentlichkeit von außen eingriffen, um in jedem Falle das -3 -
Geschehen auf die eine oder andere Weise für sich zu nutzen. Man hat dieser Rockband immer wieder nahe gelegt, ihren Namen zu ändern, um dann im öffentlichen Licht, als gleiche Personen, mit gleicher Vergangenheit, aber unter neuem Namen weiterzumachen. Man forderte, daß sie sich auf die Seite der Lügner stelle, daß sie sich und ihre Vergangenheit leugne und am Leben einer verlogenen etablierten Gesellschaft teilnehme. Dann, so hieß es, sei man bereit, den einen oder anderen Ausrutscher zu verzeihen, und man würde auch wieder für Auftrittsmöglichkeiten sorgen, und über ein Ende des Verkaufsboykotts von Onkelzplatten ließe sich reden. Ich halte das für einen Skandal. Das Schlüpfen in eine Scheinidentität, eine heuchlerische Verkleidung aus Lüge und Leugnung soll erstrebenswerter sein, als eine selbst gewaschene Weste? Es handelt sich um ein typisch deutsches Nachkriegsmißverständ nis, daß ein Wandel der Einstellung, ein Lernen und ein Fortschreiten, ein Einsehen von begangenen Fehlern mit einer Verleugnung der eigenen Person einherzugehen hat. Die Böhsen Onkelz waren immer die Böhsen Onkelz, 1980 genauso wie 1997. Das wird dieses Buch zeigen. Wölfe im Wolfspelz, von mir aus, aber keine Nazis und auf gar keinen Fall politisch, im Gegenteil. Sie haben geschafft, was keine andere Band vor ihnen vermochte. Sie haben einem kleinen Teil der deutsch-sprechenden Jugend ein Stück Identität zurückgegeben, daß ihr von einer profitorientierten Gesellschaft wegkonditioniert wurde. Dieses Buch enthält Gewalt. Viel Gewalt. Es ist laut und gemein. Es ist viel Blut darin und viel Rotze. Viel Erbrochenes und literweise verschwendetes Ejakulat. Kaputte Flaschen, offene Wunden und bittere Säfte. Schlagt dieses Buch auf, wo immer Ihr möchtet, lest, was immer Euch gefällt. Interpretiert frei drauflos und erzählt über dieses Buch oder meine Person was Ihr wollt. Es steht Euch frei und mich ärgert es nicht, ich bin kein Schriftsteller. Dieses Buch wird sich -4 -
nicht in den Dreck ziehen lassen, denn es ist bereits ein dreckiges Buch, an dem Tage, an dem es erscheint. Soll es sich doch suhlen im Sumpf einer primitiven Sensationspresse. Soll es von mir aus verrecken, dieses Buch, und im unerquicklichen Sud von Zu-oft-gesagtem mit anderen Büchern um die Wette quäcken. Möge es sich, wie es ihm beliebt, um Platzierung in dubiosen Lesercharts raufen und um diese oder jene Kritik streiten. Als ich Stephan Weidner und Pe Schorowsky im Juni 1987 kennenlernte, war ich "neu" in Frankfurt. Ich kannte weder Stadt noch Leute und von den Böhsen Onkelz hatte ich nie zuvor gehört. Stephan, ein verheirateter Mann von 24 Jahren, sagte mir damals, daß er und seine Freunde eine Band hätten, daß sie die "Böhsen Onkelz" hießen und in Skinhead- und Hooligankreisen eine Kultband gewesen wären, daß sie aber seit einiger Zeit das Gefühl hatten, diesen Szenen entwachsen zu sein. Sie wollten sich musikalisch weiterentwickeln, und ich erinnere mich, daß ebenfalls die einsetzende Politisierung in der Skinheadszene ein Grund ihres Ausstiegs gewesen ist. Als man mir damals die Texte der ersten LP "Der nette Mann" zeigte, war ich zunächst angeekelt von der beschriebenen Gewalt. Die Lieder passten zwar zu dem, was ich über Skinheads und Brutalität gehört und gelesen hatte und augenscheinlich auch zu den Menschen auf dem Coverphoto, aber nicht zu den zwei Menschen, die ich kennengelernt hatte und zu den Personen, die sie zu sein vorgaben. Sie begegneten mir mit Toleranz und selten erlebter Offenheit und sie nahmen kein Blatt vor den Mund. Ich hatte nicht den geringsten Grund an der Ehrlichkeit ihrer Aussagen zu zweifeln. Vielleicht sollte ich erwähnen, daß ich zu dieser Zeit sehr lange Haare hatte, mit meiner afrikanischen Freundin zusammen wohnte, andere Musik als Stephan und Pe hörte und aus einem komplett anderen Milieu stammte. Von Skinheads hatte ich nur wenig Ahnung. Das war im Sommer ´87, zu einer Zeit, als die Böhsen Onkelz kaum bekannt und die Medien nur -5 -
vereinzelt daran interessiert waren, über eine Skinheadband zu berichten, die keine Skinheadband mehr sein wollte. Es geht hier nicht um Politik, sondern um Widerstand, um Empörung, um Schmutz, Skandal und Zensur. Ein Willkommen an alle Unvoreingenommenen und an alle, die sich gewissenhaft und ohne Vorurteile informieren wollen, wie gering sie an Zahl auch sein mögen. Und an all die Besserwisser und Neunmalklugen, an all die Musikjournalisten und Medienmenschen, die Politiker und Veranstalter, an all die radikalen Fanatiker, linke wie rechte, die immer noch in die alte Kerbe hauen, die, die sich in ihrem persönlichen Onkelzkrieg zu solcher Polemik und Diffamierung haben hinreißen lassen, die das Maul so weit aufgerissen haben, daß sie jetzt nicht mehr zurück können... ...fahrt zur Hölle! Edmund Hartsch Frankfurt am Main, im Juni 1995
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Kapitel 1 1940 -1979 "Erinnerungen" Ich lese im buch der erinnerung ich hör´ mich lachen mein leben war ein spiel erzählt von einem narren ich wußte nicht immer was ich will doch ich wußte wie ich´s kriege ich nahm es leicht auch wenn es härter kam es war ein setzen, ein setzen neuer ziele mein leben war oft wie ein spiel wie ´ne lange reise ohne ziel eine suche nach dem, der ich bin eine suche, die suche nach dem sinn mein leben war ein buch ich mußte es nur schreiben ich wollte alles oder nichts ich mußte mich entscheiden das leben war die antwort und ich stellte viele fragen und dieses endlose geheimnis hatte unendlich viel zu sagen ("buch der erinnerung" © Böhse Onkelz, 1992 Heilige Lieder LP, Bellaphon Records) Der Zwilling ist ein Luftzeichen. Er ist der Mai, der Frühling, die Blüte und das Erwachen. Nach der irdischen Schwere des Stieres im April, gleitet die Welt im Mai in den Taumel der beschwingenden Zwillingssphäre. Sie teilt sich zum Zeichen ihrer Dualität in zwei Geschlechter und macht sich bereit für eine sorgenfreie Befruchtung. Alles ist "noch" offen, Entscheidungen sind "noch" nicht getroffen, Entschlüsse "noch" nicht gefasst. Stephan Weidner wurde als Zwilling am 29. Mai 1963 um 12:57 Uhr in Alsfeld bei Kassel geboren. Er wurde bei seiner Geburt in zwei Hälften geteilt und die erste Ahnung seiner Unvollständigkeit trieb ihn bereits früh in einen zwiespältigen Zustand von traumatischer Angst und unbändiger Wut. Wer auch immer in seinem zukünftigen Leben seine Feinde sein würden, sie würden es mit zwei Weidners zu tun bekommen, mit einem Menschen, der die doppelte Menge an Energie besaß, -7 -
der die Polaritäten der Welt in seiner Persönlichkeit miteinander verband und der schnell von einem Extrem ins andere fiel. Aber der Reihe nach: Sein Vater, Karl-Heinz Weidner, war 1940 in eine zerrüttete, kinderreiche Familie im Frankfurter Nordend hineingeboren worden. Seine ersten Jahre waren auch die letzten Jahre des Krieges. Frankfurt, Mainz und Wiesbaden fielen am 29. März ´45 in die Hände der 3. U.S. Panzerdivision. Tod und Niederlage brachen über das Land herein und die Hakenkreuzfahnen verschwanden praktisch über Nacht aus den Fenstern und von den Balkonen. Zwischen den Häuserzeilen des zerstörten Frankfurts lagen Leichen und Leichenteile und auf den Straßen breitete sich ein übler Geruch von Schuld und Schande aus. Die Erkenntnis ihres Größenwahns machte vielen alten Nazis schwer zu schaffen. Manche waren verbittert und hart, andere brachen unter der Last der Niederlage zusammen. Die Mehrzahl jedoch kroch dahin zurück, wo sie hergekommen war und schwieg. Auch das Haus der Weidners lag in Trümmern und die frühen Jahre nach ´45, verbrachte Karl- Heinz damit, beim Wiederaufbau des Hauses mitzuhelfen. Ziegelsteine, die er auf Leiterwagen zu stapeln hatte, das war seine tägliche Routine als Kind. Sein Vater war seit ´44 vermißt und von seiner Mutter bekam er nicht viel außer Prügel, die er täglich an andere Kinder weitergab. Karl- Heinz war kein großes, starkes Kind, eher schmächtig, aber er konnte eine skrupellose Brutalität an den Tag legen. Viele seiner Spielkameraden fürchteten sich vor ihm und als er zwölf wurde, gab ihn seine Mutter an das Kinderheim Marienhausen ab. Das Don Bosco Internat des Salesianerordens zu Marienhausen, war ein düsterer Ort, eine verfluchte Stätte. Vom Krieg verschont geblieben, lag das Gebäude eingepfercht zwischen dicken Eichenbäumen und sanft ansteigenden Weinbergen hinter den Ortschaften Rüdesheim und Aulhausen. -8 -
Unweit der Hugo Asbach Brennerei. Ein dunkelgelber Sandsteinbau mit schwarzem Schieferdach und Heiligenstatuen, die schweigend in den Nischen standen und kein Wort darüber verloren, was in Marienhausen geschah. "Schwer erziehbar" nannte man die Kinder, die in Marienhausen interniert wurden. Kinder, die sich nicht fügen wollten, deren Eigenarten und Reaktionen von Eltern und Gesellschaft nicht nachvollzogen werden konnten, und die infolgedessen als gefährlich angesehen wurden. Karl- Heinz Weidner war gefährlich, so entschied seine Mutter, eine dominante, hartherzige Frau. In Marienhausen hatte man bestimmte Vorstellungen, wie mit solchen Kindern zu verfahren war. Zunächst einmal mußte man sie immer und beständig prügeln, bei jeder nur er enk lichen Gelegenheit. Zu diesem Zweck benutzten die Lehrer ihre Gürtel, Ruten und Fäuste. Preußischkatholisch waren die Richtlinien dieser Anstalt. Angst und Schrecken waren in Marienhausen allgegenwärtig und die Padres sorgten dafür, daß diese Angst den Kindern niemals ausging. "Unsere tägliche Prügel gib uns heute." Karl-Heinz wohnte mit 49 anderen schwer erziehbaren Knaben in einem Schlafsaal, der in der Nacht von einem Priester bewacht wurde. Es gab Ohrfeigen, sobald sich einer der Jungs rührte. Spaziergänge in Marschkolonnen und Redeverbot vom Aufstehen bis zur zweiten Andacht.
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Kapitel 2 1964 - 1981 "Türkähn rauhs" Der 15. Juni 1964 war eindeutig zu kühl. Der ganze Tag war wolkenverhangen. Es ging ein starker Wind, der erst am späten Nachmittag zur Ruhe kam. Am Abend hatten bei Frau Schorowsky die Wehen eingesetzt und kurz nach 23:00 Uhr war es fast soweit. Falls es ein Junge werden würde, so sollte er Peter heißen. Ihr Heimatort Hösbach war ein kleines Nest in der Nähe von Aschaffenburg. Obwohl es nur eine gute Stunde von Frankfurt entfernt lag, gehörte es bereits zu Bayern. Außer seiner alten Ringertradition hatte dieser Ort nicht viel zu bieten. Tankstelle, Gemeindehaus, Eckkneipe und Eiscafé. Es hatte auch niemals jemanden gegeben, abgesehen von irge ndeinem Ringer vielleicht, der aus Hösbach oder Goldbach stammte und berühmt geworden wäre. Die Schorowskys waren schon lange in dieser ländlichen Gegend ansäßig. Lange genug, um eine feste Position im sozialen Gefüge der Dorfgemeinschaft einzunehmen. Feuerwehrball, Gottesdienst, Schützenfest. Katholischer, biederer Mittelstand, alles andere als aufregend. Das Haus in der Salzgasse war Frau Schorowskys Mädchenhaus, in dem auch sie geboren worden war und in dem sie nun ihren zweiten Sohn Peter zur Welt brachte. Die Sonne stand im Zwilling. Ein weiterer Mensch auf der Suche nach Vollständigkeit. Peter trug die gleichen titanischen und provokanten Anlagen in sich, wie Stephan Weidner, nur fehlten ihm die Wut und der Jähzorn, der im Leben der männlichen Weidners allgegenwärtig war. Als Baby schrie er viel. Das änderte sich auch nicht, als Peter zum Kind heranwuchs und all die Belehrungen und Maßregelungen über sich ergehen lassen mußte, die ein katholisches Kinderleben mit sich brachte. Frau Schorowsky bekam nach Peter und seinem älteren Bruder noch zwei weitere -1 0 -
Söhne und die gesamte Familie, einschließlich der Großeltern, wohnte im Haus in der Seusstraße. Die Kindheit der Brüder verlief ähnlich. Die frühen Jahre verbrachten sie in der unmittelbaren Nähe des Hauses und beschäftigten sich mit dem, was der Hinterhof zu bieten hatte. Bäume erklettern, Kaninchen streicheln, Hühner jagen, Schwert- und Reiterkämpfe. Als Peter fünf Jahre alt war, schaute er zum ersten Mal bewußt auf den Fernseher. Wären in diesem Moment nicht ein paar Livemitschnitte eines 69er Beatleskonzertes über den Schirm geflackert, so wäre vielleicht niemals ein Musiker aus ihm geworden. Diese vier aufgetakelten Gestalten, mitten in ihrer Sgt. Pepper-Epauletten-Freak-Phase, die tausende von Jugendlichen an den Rand des Wahnsinns brachten, hatten ihm schwer imponiert. Er würde "Beatle" werden. Und wenn die Welt aus den Angeln kippen und Hösbach im Erdboden versinken sollte, aus ihm, da war er sich absolut sicher, würde eines Tages ein Beatle werden. Kein Lastwagenfahrer, kein Indianer, Fußballer oder Astronaut, und auch kein Kältemechaniker, wie sein Vater, sondern ein gitarrespielender Beatle. In der dritten Klasse wurden dem Kind einige grundlegende Dinge klar, die den Wunsch nach Ausdruck in seinem Leben noch verstärkten. Der Direktor der Hösbacher Grundschule, Herr Adler, war gleichzeitig Peter´s Klassenlehrer. Er war 63 Jahre alt, stand kurz vor der Pensionierung und war verrufen als ein sadistisches Schwein. Adler war von fiesem, selbstgerechtem Charakter, der häufig seine faschistoide Grundeinstellung erkennen ließ. Mit subtilen und gemeinen Bestrafungen ging er permanent gegen die Kinder vor. Wenn die Grundschüler unaufmerksam waren oder aus dem Fenster schauten und sich in Tagträumen verloren, ließ er sie aufstehen und nach vorne kommen. Dort fragte er sie, ob sie lieber ein Schokoladen- oder ein Zuckerplätzchen wollten. Es war egal für was sich die Schüler entschieden, der einzige -1 1 -
Unterschied zwischen Schoko und Zucker war der, daß er sie mit dem Stock auf die rechte oder die linke Hand schlug. In jedem Falle war es eine unsägliche Pein. Peter war ruhig, er hatte diese Strafe nur selten zu ertragen, aber er hasste seinen Lehrer dafür, daß der zu solchen Mitteln griff. Peter begann früh seine Bücher und Hefte vollzukritzeln. Während der Grundschulzeit malte er unentwegt und einmal hatte ihn Herr Adler erwischt und er hatte für seine Darstellung von Monstern und Fruchtbarkeitssymbolen zwischen den Seiten des Lesebuches eine schallende Ohrfeige bekommen. Er wurde ins Lehrerzimmer geschickt, wo er unter dem Kruzifix sitzen und schmoren sollte. Spätestens von diesem Zeitpunkt an war die Schule für Peter kein Spaß mehr. Er begann die Welt der Erwachsenen in Frage zu stellen. Tief und breit klafften die Schluchten zwischen dem was sie sagten und dem was sie taten und ihre Fehler waren so offensichtlich. Peter begann die Schule als einen Ort anzusehen, an dem er und seine Freunde jeden Tag für ein paar Stunden gefoltert wurden. Das konservativkatholische Elternhaus und die Schule fingen an auf unerträgliche Art und Weise die Grenzen seiner Toleranz auszuloten. Lange wollte er sich das nicht mehr bieten lassen. Seine Lehrer registrierten ihn als einen maulfaulen, träumenden Schüler. Daß er nur wenig sagte, bedeutete nicht, daß ihm irgendetwas entging. Er beobachtete seine Lehrer und die Erwachsenen genau und merkte sich ihre Verfehlungen bis ins Detail. Warum sollte er sich dazu äußern? Es reichte doch, daß er wußte, daß sie Unrecht hatten. Nach der Hösbacher Grundschule ging Peter Schorowsky auf die Hauptschule, die sich im gleichen Gebäude befand. Woche für Woche studierte er mit seinem Freund Andreas die beliebten bunten Zeitungen, die von Erwachsenen herausgegeben wurden und in denen man den Kindern auf hinterhältige Art einimpfte, welche Musik sie zu hören hatten und was sie anziehen sollten. In diesen Blättern, so glaubten Peter und seine Schulfreunde, -1 2 -
wurde die wahre Welt beschrieben. Sweet, Slade und Abba, Elton John, Mud und Rubettes. Mittwochshitparade mit Mel Zandok. In seiner Klasse, wie in allen anderen Klassen auch, war es seit Mitte der siebziger Jahre Bestandteil eines wichtigen Identitätsrituals, sich mit Leib und Seele einer Popgruppe zu verschreiben. Leider gab es schon Schüler, die alles über Sweet, Slade und Abba wußten, die schon lange Material sammelten und deren Archive unerreichbar groß und umfangreich waren. Er würde aber, so riet ihm ein Freund, bestimmt gute Chancen auf Identität besitzen, wenn er Bay City Rollers Fan werden würde. Peter tauschte seine Uhr, das Kommunionsgeschenk einer Tante, gegen das Bay City Rollers Archiv eines Mitschülers, das der Grundstock seiner Sammlung werden sollte. - Zur Hölle mit Bay City Rollers und ihrem englischen Schwuletten-Pop. Es ging ganz schnell, da hatte er von diesen Teenieformationen die Schnauze voll und wechselte ins langhaarige AC/DCLager.
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Kapitel 3 1962-1981 "Double life Gonzo und die Frontstadt Frankfurt" Matthias Röhr war der erste und somit älteste von insgesamt vier Jungen. Er wurde am 16.April 1962 im ElisabethenKrankenhaus in Frankfurt-Bockenheim geboren. Sein Vater stammte aus Schlesien, die Mutter aus Ostpreußen. Während der ersten Monate seines Lebens wußte er alles, begreifen konnte er nichts. Die Welt war zähflüssig geworden, groß und kalt. Als er zwei Jahre alt wurde siedelte die Familie von Frankfurt Sachsenhausen nach Eschborn um, das 1964 noch Dorfcharakter hatte und nicht zu den Bürosatelliten Frankfurts zählte. Matthias besuchte hier den Kindergarten und die erste Klasse der Grundschule, bevor die Familie erneut den Wohnort wechselte und nach Kelkheim zog, einem anderen Dorf in Taunusnähe. Nach ihm bekam seine Mutter noch drei weitere Söhne. Matthias war ein Bestandteil der Welt um ihn herum geworden und der Vater, der während der letzten 5 Jahre einen Lebensmittelladen in Frankfurt Höchst betrieben hatte, eröffnete 1965 einen kleinen Kiosk in der Voltastraße in Frankfurt Bockenheim. Matthias sah den Vater während dieser Jahre selten. Der Alte verließ die Wohnung morgens um fünf und war nie vor zehn Uhr abends zu Hause, auch Samstags nicht und Sonntags arbeitete er halbtags. Die Person des Vaters reduzierte sich auf die Stimme, die er manchmal in der Nacht von seinem Kinderzimmer aus hörte und auf den Mann, den er während der kurzen Sonntagnachmittage sah und der oft abgespannt und müde schien. Die Erziehung, die Matthias genoß war katholisch, wie die von Pe Schorowsky. An seinem ersten Schultag schickte man ihn pflichtbewußt und korrekt, im schwarzen Kinderanzug und mit Fliege, in die Schule. Wer einen Anzug trug, brauchte -1 4 -
auch damals nicht auf das Mitleid von Sechsjährigen hoffen. Mathias war schmächtig und hatte ein gespanntes Verhältnis zu allen Klassenstärksten. In den ersten Grundschuljahren hatte er, genau wie Pe, unter seinem Klassenlehrer zu leiden, wurde Fingernagelkontrollen unterzogen und sah sich mit Stöcken und Stäben gemaßregelt. Diese kleinen Gemeinheiten und willkürlichen Züchtigungen empfand er in dem Alter bereits als mies und billig, einfach unangenehm. Trotzdem war es eine Dorfkindheit mit allen Fröschen und Kaulquappen, Eidechsen, Feuern, Baumhäusern und miefenden Strohballen, die dazu gehörten. Mit Schneegestöber im Januar und Hagel im April, mit Amselgesang im Juni und dem Duft von gemähtem Heu im August, Spinnenweben im September und schlechte Noten im November. Hessische Sechzigerjahredörfer. Das Ende der malerischen Kopfsteinpflasterära und der Beginn der Größenwahnepoche. Matthias nahm die Sakramente an, das hieß, er schluckte die Hostie noch bevor er die Kommunion empfangen hatte. Weil er es besonders gut und heilig machen wollte und weil er nicht ahnte, daß so etwas in der Kirche verboten sein könnte. Der Pfarrer zog ihn nach der Messe am Ohr in einen Gang und brüllte ihn an. Da war er ein Sechsjähriger und wieder trug er den schwarzen Kinderanzug. Als ginge er zu einem Begräbnis, so hatte man ihn fein gemacht, und jeden Sonntag hatte er dort aufzukreuzen, und verschwenden sollte er sich und seinen jungen Glauben in diesem kalten Kloster Kelkheim. Matthias hatte schnell begriffen, wofür der Begriff "katholisch" in seinem Leben zu stehen schien und verweigerte sich früh dem kirchlichen System. Er war jetzt schon ziemlich angekotzt von den katholischen Pfarrern und ihrer Einmischung in sein Leben. Eine verlogene Bande, alle miteinander. Später bekam er nochmal eine Ohrfeige von einem Gottesdiener, der ihn auf der EichendorfRealschule in Religion zu unterweisen hatte. Man hätte den Verdacht hegen können, daß die Lehrer das Fach -1 5 -
besonders unangenehm und langweilig gestalteten, gerade damit die Kinder ihr natürliches Interesse an den Fragen der Schöpfung verloren und man das Vakuum mit Katechismus vollstopfen konnte. Dennoch glaubte er daran, daß er im Namen der Musik unterwegs war, sonst hätte er mit elf Jahren nicht schon so einen Wirbel darum gemacht. Es hatte viel Gejammere und Gequengel gekostet, bis die Mutter endlich mürbe wurde und dem Sohn bei Hertie eine Wanderklampfe kaufte. Ein 6saitiger, billiger Sperrholzkörper war das gewesen, der sich schon verstimmte, wenn jemand im Zimmer hustete. Der Vater, der sich auskannte, ahnte bereits, mit was es enden würde. Mit einem langhaarigen, haschrauchenden, diskutierenden, faulenzenden, rebellierenden Sohn, dem ältesten von Vieren, der stets aufgelegt zu einem zünftigen Disput sein, und der Bier saufen und sich daneben benehmen würde. Er konnte sich den Ärger bildlich vorstellen. Söhne, die Gitarre lernen oder Tänzer werden wollten, schwule Theaterfreaks und Töchter mit Tätowierungen, so etwas gab immer Probleme. .....
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Kapitel 4 1981 "Böhse Onkelz" Neuer deutscher synthesizer alfred dreh´ die scheiße leiser jeder gute deutsche kann´s der hippie macht den ersten tanz new romantic neopunk deutsche welle macht mich krank new romantic neopunk deutsche welle macht mich krank das hippiepack steht an den tasten die meute fängt an auszurasten adam wird der schlüpfer feucht wenn gabi in das mikro keucht neuer deutscher glitzerkack weg mit diesem hippiepack alle spielen deutsche welle das ist die echte monetenquelle new romantic neopunk deutsche welle macht mich krank new romantic neopunk deutsche welle macht mich krank ("deutsche welle", © Böhse Onkelz, 1. Demotape 1981, unveröffentlicht, mit "Alfred" war Alfred Hilsberg vom Zick Zack Label gemeint, Text von Patrick Orth) Pia Comtesse war ein Mädchen aus Gravenbruch bei Frankfurt. Die Ehe ihrer Eltern war früh gescheitert. An den jahrelangen Krach und die endlosen Scheidungsprozeduren während ihrer Kindheit konnte sie sich kaum mehr erinnern. Ihrer Mutter Anna war schließlich das Sorgerecht für Pia und ihren jüngeren Bruder zugesprochen worden, und zu dritt bewohnten sie eine Dreizimmerwohnung "am Forsthaus" in Gravenbruch. Gravenbruch war ein kleiner Vorstadtsatellit, der eingekeilt zwischen Neu-Isenburg und Heusenstamm im Staatsforst lag. Ringsherum monokulturelles Ökodesaster, durchschnitten von der A3, eine der Hauptschlagadern des Landes. Die einzigen Attraktionen des Ortes stellten das Autokino und die Reithalle dar, und auch die hingen den Jugendlichen schnell zum Hals heraus. 1981 war Pia sechzehn und sie war zu einem Apfel herangewachsen, wie er reifer und saftiger nicht sein -1 7 -
konnte.Wie endlos viele andere Mädchen und Jungen in ihrem Alter, hatte auch sie ihre Zuneigung zum Punk entdeckt. Anfang ´81 hatte sich der Punkrock gerade bis Gravenbruch herumgesprochen. So wie die "Kronberger", die "NeuIsenburger", die "Bad-Sodener", die "Kelkheimer", die "BadVilbeler" und die "Offenbacher", hatten jetzt auch die "Gravenbrucher" ihre Punkclique. Zu viert, zu dritt und wenn es sein mußte auch zu zweit oder gar alleine, besuchten diese Randgebietepunks die Treffpunkte in und um Frankfurt, Mainz und Wiesbaden. Punks kamen längst nicht mehr nur aus armen und asozialen Familien. Das traf ohnehin nur auf die wenigsten zu. Es vermischten sich Jugendliche aus allen sozialen Schichten miteinander, was eine Verschiebung der Symbole und der Werte zur Folge hatte. Milieubrei aus Pseudopunks, Hardcores, Mods, Teds, New Wavern, Freaks, Intellektuellen, Mohawk-HippiePunks, Linken und den ersten deutschen Skinheads. Anfangs war alles noch überschaubar gewesen, aber schnell hatten sich die Punks in ihrem eigenen Chaos verloren. Für Pia gab es nichts, gegen das sich zu rebellieren lohnte. Nicht, daß ihr keine Mißstände an der Gesellschaft aufgefallen wären, nur war die Rebellion für sie kein Mittel, das sie wirklich in Betracht zog. Sie war ein ruhiges Mädchen, mit einem intakten Schamgefühl, einer ausreichenden Sensibilität für die Menschen um sie herum und einer Fähigkeit zum Ertragen von Dingen, die andere Jugendliche auf die Palme brachten. Sie ertrug ihr Dasein, sie ertrug Gravenbruch und sie ertrug die Schule. Alternativen gab es keine. Pia trank nur wenig Alkohol und nahm außer Nikotin keine Drogen zu sich. Ihr Freund Micha und seine Punkrockkomplizen gründeten eine Band, die sie trotzig "die Pseudos" nannten. Einmal, weil sie in Frankfurt nicht für voll genommen, sondern als Pseudopunks abgestempelt wurden und außerdem weil sie so extrem schlecht waren, daß sie nicht wie "Kreppelkaffee" oder "Boopy Traps" schon wieder geil waren, sondern so schlecht, daß sie abermals -1 8 -
schlecht waren. Doppelt schlecht also. Jenseits von "geilschlecht", wenn man so wollte. Für Freitag, den 8. Mai war ein neuer Konzertabend im JUZ Bockenheim angekündigt. Hofis Band Boopy Traps, Böhse Onkelz, Middle Class Fantasies und Antikörper sollten in dieser Reihenfolge auftreten. Stephan, Kevin und Pe hatten einen Plan gefaßt. Im Proberaum über dem JUZ hatten sie zugehört, wie Antikörper einige Lieder übten und waren auf´s Neue beeindruckt gewesen. Gonzo war ein richtiger Musiker, ein Künstler, ein Virtuose. Er hatte ihnen die Gitarre erklärt und sie die Stimmtechniken gelehrt und so ganz nebenbei den lockeren Gitarrero raushängen lassen. Nicht nur konnte er beinahe alle Sex Pistols Songs fehlerfrei und in eigenen Interpretationen nachspielen, er konnte auch die schönsten Bluesmelodien aus dem Ärmel schütteln, als seien es einige seiner simpelsten Routineübungen. Sie waren hingerissen. Stephan, Kevin und Pe entschlossen sich dazu, diesen Mann abzuwerben, koste es was es wolle. Der Plan war nicht ganz neu. Schon im Februar, nach dem ersten Gig, hatte man eine Anspielung gemacht, auf die Gonzo aber nicht eingegangen war und jetzt im Frühling, wollte man ihn einfach fragen. Geradeheraus, ja oder nein. Gonzo hatte vom ersten Auftritt der Böhsen Onkäls gehört. Wie sie im JUZ mit Kreppelkaffee und Mutation um die Wette gekreischt hatten. Das hatte schon etwas sehr dynamisches gehabt, sagte man ihm, etwas eigenes. Die Jungs aus Hösbach gaben sich Mühe, aber nicht zuviel, nicht soviel, daß sie verkrampft wirkten. Kevins Brüllerei wirkte sehr authentisch. Man konnte ihm leicht glauben, daß er wirklich höllisch angekotzt war von seinem Leben und man konnte zuweilen Angst vor ihm bekommen, so echt war seine Wut. Als sie Gonzo diesmal fragten, ob er nicht bei den Böhsen Onkelz einsteigen wollte, dachte er sofort an den Spaß, den er in dieser Band haben würde. Die waren so krass und fertig und daneben, und dabei so von sich überzeugt, da mußte man einfach mitmachen. Gonzo sagte zu. Er übernahm -1 9 -
den Bass, während Kevin "sang", Stephan die Gitarre "spielte" und Pe auf das "Rimmel Standard" einprügelte. Bei ihrem zweiten Gig am 8. Mai 1981 spielten sie außer ihren alten Hits "Türken raus" und "Harakiri", auch einige neue Lieder. "Mösensaft", "Schöner Tag" und "Hinein in das schäumende Bier". "Hinein in das schäumende Bier, wir scheißen dem Wirt auf die Theke, schenket ein, schenket ein, schenket ein, wir wollen alle besoffen sein..." .....
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Kapitel 5 1980 - 1982 "Oi, Oi, Oi" Deutschland versinkt in schutt und dreck, und ihr, ihr schweine, ihr seht einfach weg die bullen werden den aufstand schon niederschlagen, immer nur draufhaun´, ohne zu fragen lange genug haben wir mitangesehen wie unsere städte zugrunde gehen oi, oi, oi oi, oi, oi jetzt gibt´s einen aufruhr in unserem land, die kids von der straße haben sich zusammengetan, punks und skins im zusammenhalt, gegen euch und eure staatsgewalt oi, oi, oi oi, oi, oi die zeiten von liebe sind jetzt vorbei gewalt ist das mittel gegen ausbeuterei wir haben es satt, vor euch zu kriechen, dazu haben wir keine lust, wir haben ein besseres leben verdient nur bis jetzt haben immer die bullen gesiegt oi, oi, oi oi, oi, oi ("Oi, Oi, Oi", © Böhse Onkelz, 2. Demotape 1982, unveröffentlicht) Aus der Menge an Bands, die dort weiter machten, wo Jimmy Pursey mit Sham 69 im Sommer/Herbst 1979 gescheitert war, gingen zwei Gruppen hervor, die in den wenigen Jahren ihres Wirkens, einem der größten Kulte, der jemals aus der britischen Arbeiterklasse entstanden war, zu neuem Leben verhalfen, dem Skinheadkult. Angelic Upstarts aus Tyneside, einer Werftarbeitergegend in Nord-London und die fußballbesessenen Cockney Rejects aus dem Londoner Eastend. Wie auch die Mitglieder von Sham, waren diese Musiker weder Punks, noch waren sie Skinheads, sondern schlicht Workingclass. Beide Kombos wurden von Pursey produziert und trieben den schnellen atemlosen Streetpunk aus den Tagen der Sham Army voran. Auch zogen diese Bands gewaltige Scharen von Punks und Skinheads in die Hallen und wie schon bei den Sham 69 Konzerten, kam es bei diesen Gigs regelmäßig zu Schlägereien und blutigen Krawallen. Die Cockney Rejects ließen während -2 1 -
keiner ihrer Shows Zweifel daran aufkommen, wie sehr sie hinter ihrem Fußballclub "Westham United" standen. Auch nicht, wenn ihre Gigs von 200 BirminghamFanglatzen heimgesucht wurden. In einer Zeit, in der in England die gewaltätigen Ausschreitungen während der Fußballspiele einen neuen Höhepunkt erreichten, sangen sie "War on the terraces" und "We are the firm". Die Presse war auf blutige Fotos und Geschichten von randalierenden Fußballhooligans ganz besonders scharf. Ihre Berichterstattung war an Recherchefehlern und Lügen kaum noch zu überbieten. Diese Artikel gaben den Jugendlichen erst die präzise Anleitung, wie sie sich in Zukunft zu verhalten hatten, um diesem provokanten Bild zu entsprechen. Feuer wurde mit Benzin gelöscht. Stinky Turner, der Sänger der "Rejects", hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, seine Songs mit einem hastigen "Oi,Oi,Oi" (Oi =Cockney für Hey) anzuzählen, anstelle des üblichen "one, two, three" und lieferte damit der britischen Arbeiterjugend einen griffigen Schlachtruf. Manager der Rejects war Gerry Bushell, der gleichzeitig als Musikjourna list für die "Sounds" arbeitete. Außer ein paar wenigen Artikeln, die Bushell für Sounds schrieb, blieb das OiPhänomen unerwähnt. Obwohl die Veröffentlichungen der Angelic Upstarts und der Cockney Rejects sich regelmäßig in den Top 50 festbissen, wurden diese Bands von den Musikzeitschriften ignoriert. Was für die englische Workingclass Jugend das Größte überhaupt war, galt für die britische Musikindustrie als peinlich und asozial. Ab 1980 stand "Oi" für Punk ohne die Poser, für unsterilen, ehrlichen HardcoreSound direkt aus dem Londoner Untergrund. Die straßentaugliche Glaubwürdigkeit der Musik begeisterte all die Jugendlichen, die sich durch die kommerzielle Einmischung der Industrie in ihre Szene verarscht fühlten. Gerry Bushell war auch der Kopf hinter den Oi-Compilations, die mit "Oi- The -2 2 -
Album" als erste Veröffentlichung 1980 die Bewegung erst richtig auf Trab brachten. Bis 1981 hatte sich Oi in den unteren Schichten Englands ausgebreitet. Neue Formationen oder Bands, die bis dahin erfolglos waren, beackerten in kürzester Zeit den Boden, für das was noch kommen sollte; aus Manchester, aus Sunderland, aus East-London, aus Brighton, aus South-London, aus Dagenham, aus North-London und aus den entlegendsten Orten GroßBritanniens. Cock Sparrer, The Last Resort, Infa-Riot, The 4-Skins, The Gonads, Red Alert, The Business, The Blitz, Peter and the Test Tube Babies... Das war nur die Spitze des Oi-Berges. Oi-the Album, Oi- the movement, Oi-the statement, Oi-dies, Oi-das. Den wenigsten dieser Bands konnte man ein politisch motiviertes Image nachsagen, außer, daß sie mit der konservativen Regierung ihres Landes, der Arbeitslosigkeit in ihren Vierteln und der Unterdrückung ihrer Musik durch staatliche Zensoren nicht einverstanden waren. Was diese Bands im Sinn gehabt haben, war eine unpolitische Bewegung, die sich nicht zwischen rechts oder links entscheiden sollte, sondern zwischen richtig und falsch, ohne dabei auf den Spaß von schnellen Konzerten und guten Partys verzichten zu müssen. Schlägereien inbegriffen. Jugendliche ohne Aussicht auf Arbeit, Punks mit Irokesenschnitt, Bomberjacken und Doc Marten Boots und Hosenträger-Skinheads, denen Margaret Thatcher und die Windsors am Arsch vorbei gingen. Im Sommer ´81 erschien der zweite Oi- Sampler, "Strength through Oi". Der Titel war ein Wortspiel, dem das Hitlersche Reiseprojekt "Kraft durch Freude" = "Strength through joy" zugrundelag. Dummerweise war auf dem schwarz/weißen Cover der berühmt berüchtigte Skinhead Nicky Crane in klassischer Aggropose zu sehen. Crane galt als einer der führenden Köpfe des rechtsradikalen "Britisch Movement" und war angeblich durch einen Irrtum auf das Cover geraten. Die ultrafaschistoiden -2 3 -
Mitglieder des "Britisch Movements" und der rechten Partei der "National Front" hatten schon Mitte der Siebziger damit begonnen, die Skinheadszene massiv zu infiltrieren, nicht ohne Erfolg. Die Rassenkarte war gegenüber der gewaltbereiten Jugend ihr wichtigster Trumpf gewesen, der ihnen bei den Wahlen ´77 ganze 250.000 Stimmen einbrachte. Daß die gesamte Sze ne nach rechts abwanderte, oder das die OiBewegung von Beginn an einer nationalen Gesinnung nachhang, war gelogen. Dennoch, vielen älteren Skinheads waren die jüngeren gefolgt und in der Klasse zu sagen, "ich bin in der NF", brachte damals instant-respect auf dem Schulhof. Jetzt, während des Revivals Anfang der Achtziger, gelang es den rechten Parteien erneut, Streit unter den Jugendlichen zu säen. Immer wieder prügelten sich die Fans untereinander. Niemals würden sich Skinheads und Punks zusammentun, nicht einmal unter dem gemeinsamen Dach, das "Oi" ihnen bot. Aufgrund des politischen Einflusses in ihrer Szene, war ihnen plötzlich nichts mehr gut genug. Der Mop wollte wissen auf welcher Seite seine Bands standen. Wer nicht rechts war, war links und wer kein Kommunist war, der mußte ein Nazi sein. Auf diese Weise erheuchelten sich beide Lager die Legitimierung ihrer Existenz und die Notwendigkeit ihrer Gewalt.
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Kapitel 6 82/83 "Das Demotape" Einer von vielen mit rasiertem kopf, du steckst nicht zurück, denn du hast keine angst, shermans, braces, jeans und boots, deutschlandfahne, denn darauf bin ich stolz, man lacht über dich, weil du arbeiter bist, doch darauf bin ich stolz, ich hör nicht auf den mist du bist skinhead, du bist stolz, du bist skindead, schrei´s heraus, du bist skinhead, du bist stolz, du bist skinhead, schrei´s heraus du hörst Onkelz wenn du zu hause bist, du bist einer von ihnen, denn du bist nicht allein du bist tätowiert auf deiner brust, denn du weist, welcher kult für dich der beste ist die leute schauen auf dich mit hass in den augen, sie schimpfen dir nach und erzählen lügen über dich du bist skinhead, du bist stolz du bist skinhead, schrei´s heraus ("Stolz", © Böhse Onkelz, Ska-Version auf 2. Demotape 1983 und auf "Der nette Mann" LP, Rock´O´Rama1984, schnelle Version auf "Mexico"- EP, ROR 1985) Das, was man früher einmal Matrose nannte, hieß jetzt Schiffsmechaniker. Wer sich für diesen schlecht bezahlten Beruf entschied, der mußte mindestens 15 Jahre alt sein, seine Schulpflicht erfüllt haben und seediensttauglich sein. Die Lehre dauerte 36 Monate und endete mit der Matrosenprüfung und der Aushändigung des Matrosenbriefes oder der Bestallung zum Schiffsmechaniker. Nach einem dreiwöchigen Lehrgang über Schiffssicherheit in Hamburg, schrieb die Lehre in ihrem praktischen Teil auf See die Prüfungsgebiete Nautik, Decksdienst und Maschine vor. Dazu kamen Unterrichtsblöcke von 10 Wochen pro Lehrjahr, die in einer Schule für Schiffsmechaniker in Travemünde besucht werden mußten. Kevin erinnerte sich oft an das, was seine Großmutter ihm über die Seefahrt erzählt hatte. -2 5 -
"Fahr doch zur See" , hatte sie gesagt, "da kommst Du auf andere Gedanken und siehst etwas von der Welt". Danach verfiel sie meistens in einen langen Monolog über die Seefahrt und über Kevins Großvater, der einstmals als 3. Maschineningenieur auf der Cap Arkona nach Brasilien gefahren war. Die Cap Arkona war in den ausgehenden zwanziger Jahren tatsächlich der ganze Stolz und das Flaggschiff der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft gewesen. Ein Koloss unter den Passagierschiffen mit drei mächtigen Schornsteinen, Konzertsalon, Festsaal,Tennisplatz und genug Platz für über tausend gutbetuchte Gäste. Dabei stand es jetzt schon fest. Nichts von dem, was seine Oma ihm über die Seefahrt berichtet hatte, traf zu. Hier ging es nicht um Passagierdampfer und feine Gesellschaften in Dinnergarderobe, die den Hummer zentnerweise in sich hinein schaufelten, während sie gemächlich von Hamburg nach Südamerika schaukelten. Auch nicht um die Abenteuer des Leichtmatrosen Russell, der nachts an den Luxuskabinen der alleinstehenden Millionärinnen entlangprüfte, in der Hoffnung in Rio schwer reich für immer von Board gehen zu können, sondern um beschissenes, langweiliges Stückgut; um Container und den Umgang mit ihnen, um Seekarten und nautischen Schnickschnak und um beinharte körperliche Arbeit. Zu Beginn der Lehre war Kevin noch guten Willens. Voller Elan und mit den besten Absichten war er nach Hamburg gekommen, aber schon nach kurzer Zeit saß er in den Unterrichtsräumen und träumte sich durch den Tag. Rio... "Sie sehen also meine Herren, zeeehn Querschotte, hier, hier und hier, eiserne Querwände, die bis zum obersten durchlaufenden Deck gehen, teilen das Schiff in wasserdichtabschließbare Räume, die es schwimmfähig halten sollen, wenn einer oder zwei von ihnen durch einen Wassereinbruch voll laufen..." -2 6 -
Rio... "Sie sehen also meine Herren, hundert-a-vier-kazautvierundzwanzigvierundzwanzig, die 100 A bedeutet: 100% Klasse A, das heißt, daß das Schiff nach den Vorschriften für stählerne Seeschiffe gebaut wurde und demnach bedeutet die 4, daß diese Klasse alle 4 Jahre erneuert werden muß. KAZ ist klar, bedeutet Kühlanlagenerzeugnis und AUT 24/24 steht für automatischen Betrieb vierundzwanzig Stunden wachfrei..." Rio... "Sie sehen also, meine Herren, Kreuzrahmenantenne für Sichtfunkpeiler mit Hilfsantenne, Stopper für die Seezurrung des Portalkrans und hier das Strömungsausgleichsrohr, Ballastwassertank und Schweröltank, so wie Abgasrohre, Schornsteine und Lüfterköpfe. Russell? Russell, sind sie noch bei uns?" .....
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Kapitel 7 1983 "Doc Marten´s Beat" Pe war eine höchst untypische Erscheinung in der deutschen Skinheadzene. Er war, und das mußte mal gesagt werden, die gute Seele der Band. Nicht nur war sein Schlagzeugspiel in den letzten Jahren erheblich besser geworden, er war auch in allen anderen Belangen eine unersetzbare Stütze der Böhsen Onkelz und der beste Freund. Untypisch insofern, daß ihn Gewalt und Fußball kalt ließen. Ins Waldstadion ging er nur selten und während der gesamten Zeit, seit Gründung der Band, hatte er sich niemals an einer Schlägerei beteiligt. Er war aber auch niemals weggelaufen. Pe stand einfach daneben und zog sich rein, was es zu sehen gab. Wenn alles vorbei war, stand er immer noch da, ohne einen Kratzer im Gesicht und tat so, als ob nichts passiert wäre. Pe war auf eine besondere Art ruhig und furchtlos. Es schien, als trüge er nur wenig Zorn in sich, den er durch Aggression artikulieren mußte. Bis auf einen Zwischenfall, bei dem Pe einem schlafenden Nürnberger Skinhead nach einer versoffenen Nacht den Inhalt einer Dose Whiskas ins Maul geschmiert hatte, war von ihm niemals Gewalt ausgegangen. Während Kevin und Stephan nur darauf warteten, daß sie jemand schräg ansah, damit sie endlich loslegen konnten, war Pe das genaue Gegenteil. Seit dem Sommer ´82 war Pe aus Hösbach fort. Beim Abflußservice hatte er aufgehört und arbeitete nun in einer Frankfurter Schloßerei. Pe wohnte mit seinem Freund Oleovnek zusammen. Eine winzige Wohnung auf der Humboldtstraße im Frankfurter Nordend. Das war nur einen Steinwurf entfernt von dem Haus, in dem Stephan, Pia und Gonzo wohnten. Alles war schön. Bis eines Tages die Freundin vom Oleovnek einlief und ein bißchen Acid dabei hatte. Sie drückte Pe zwei Micros in die -2 8 -
Hand und verschwand wieder. Mal abgesehen von einigen Pattexerlebnissen, dem wenigen Dope und dem vielen Bier, hatte Pe noch keine Drogen zu sich genommen, jedenfalls keine harten. Gonzo, der an diesem Abend aus Hamburg zu Besuc h war und mit Pe in dessen Höhle abhing, konnte sich auch nicht rühmen, schon mal eine psychedelische Erfahrung gemacht zu haben. Was konnte schon großartig passieren? Micros, pah, die konnte man ja kaum sehen, so klein waren die. Pe und Gonzo waren gewarnt worden, daß so ein Trip auch schiefgehen konnte, aber was zum Teufel bedeutete "schiefgehen"? Daß man kotzen mußte? Daß man Dünnschiß kriegte? Was meinte sie mit SCHIEFGEHEN? Daß Micros nur so groß wie ein Stecknadelkopf waren, hieß nicht, daß sie schwächer als andere Trips sein mußten. Im Gegenteil. Micros waren hochgradig konzentrierte LSD-Bomben, pure Chemie und äußerst potent. Ein halbes Kügelchen hätte ausgereicht, um einen stabilen Menschen nachhaltig zu verwirren. "Schiefgehen" bedeutete, daß sich die gesamte Wahrnehmung physisch und psychisch in eine unbekannte Ebene verschob und daß soetwas bei einem Anfänger katastrophale und traumatische Erlebnisse hervorrufen konnte. Darum war es immer ratsam, eine nüchterne Vertrauensperson dabei zu haben, die nachfühlen konnte, was im Kopf des erschrockenen Reisenden ablief. Im Klartext hieß das, daß man schräge und schreckliche Sachen sehen konnte und sich vor Angst fast in die Hose machte. Es kam wie es kommen mußte. Unautorisiertes Acid in den Händen von neugierigen Tripnovizen. Mit einem kräftigen Schluck Binding aus der Flasche spülten sie ihre Micros runter, jeder einen und dachten nicht im Traum daran, daß ihr erster Ausflug sie gleich so weit fort tragen würde. Nach einer halben Stunde begannen die Wände zu leben und das, was eben noch ein Rockposter war, wurde nun zu einer Vielzahl von gemeinen Kreaturen und blutrünstigen Fratzen. Nichts war mehr so, wie es -2 9 -
sein sollte, alles schwamm davon. 8 Stunden saßen sich Gonzo und Pe gegenüber und gifteten sich an. Sie sprühten Funken, zischten und schnaubten. Keiften aufeinander los und schreckten voreinander zurück. Alle paar Minuten ein trügerischer Normalflash, währenddessen sie sich anschauten und sich sagten: "HÄÄÄ, was ist denn eigentlich los? Ist doch gar nicht so schlimm, oder? ODER? OOODER?...", dann kurz aus dem Fenster geguckt und... Njooiinnng... schon ging es wieder ab. Der Sog, der Rotor, der Abfluß, alles wurde mit hinabgerissen und weggespült. Die Augen quollen ihnen aus dem Schädel, die Kopfhaut schrumpfte und die Zähne schmolzen. Ohrensausen und die Sinne im Aufruhr. Weit weg und wieder ganz nah dran, rauf und wieder runter, alles in Ordnung, alles oberschräg, und dazwischen konkrete Panik. Die ganze Nacht ging dabei drauf. Bevor der Morgen graute, war an Schlaf nicht zu denken gewesen. Seit diesem Erlebnis waren Fernreisen bei Gonzo und Pe nicht mehr gefragt. Im Frühjahr ´83 kauften Stephan und Pia ihr erstes Auto. Pia hatte durch die Heirat 7000,-DM von ihrer Versicherung bekommen. 5000,- waren für die Kaution der Wohnung draufgegangen und für die verbleibenden zwei kaufte Stephan einen weißen Opel Rekord Olympia. Baujahr 1960 mit "OlimaticHalbautomatik", die dem Wagen den Spitznamen "Olimat" einbrachte. Diese alte Kiste war für eine kurze Zeit der ganze Stolz der Band. Im Olimat, mit "Böhse Onkelz"Schriftzug auf den Türen, waren sie im Februar nach Bayern aufgebrochen. Ihnen war ein Auftritt im Jugendzentrum Ampermoching zugesagt worden. Kevin und Gonzo waren aus Hamburg angereist und zusammen mit ihrem Rimmel Standard, ihren Gitarren und dem Verstärker quetschten sie sich in den Olimat. Auf regennasser Fahrbahn schlich die Karre durch den Nebel und es hatte 5 Stunden gedauert, bis sie endlich ankamen. Im Jugendhaus Ampermoching hatten sich einige hundert Menschen eingefunden. Punks, Skinheads, Rocker und eine -3 0 -
große Abordnung der orientierungslosen Landjugend. Eine grausame Band stand auf der Bühne und versuchte das lethargische Publikum zu motivieren. "Mögts´ ihr koa Punk?" .....
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Kapitel 8 "Der nette Mann" Auch zwölf dunkle jahre in deiner geschichte machen unsere verbundenheit zu dir nicht zunichte es gibt kein land frei von dreck und scherben hier sind wir geboren, hier wollen wir sterben deutschland deutschland, vaterland deutschland deutschla nd, mein heimatland den stolz deutsch zu sein woll´n sie dir nehmen das land in den dreck zieh´n, die fahne verhöhnen doch wir sind stolz, in dir geboren zu sein wir sind stolz darauf, deutsche zu sein. es gibt kein land frei von dreck und scherben hier sind wir geboren, hier wollen wir sterben deutsche frauen, deutsches bier schwarz-rot-gold, wir steh´n zu dir deutschland deutschland vaterland deutschland deutschland, wir reichen dir die hand ("Deutschland", © Böhse Onkelz, "Der nette Mann LP", Rock´O´Rama, 1984) "böhse onkelz, ffm´s beliebteste skin-band, will bei rock´o´rama eine lp aufnehmen..." aus(Patrick Orth´s Fanzine: Primitiefes Leben Nr. 12, April 1984) Im nächsten Jahr meldete sich der Independent Produzent Herbert Egoldt aus Brühl bei den Böhsen Onkelz. Es war ein kurzes Telefonat, in dem er zu Stephan sagte, daß er gerne eine Platte mit den Onkelz machen würde. Er werde die gesamte Produktion finanzieren, hatte er gesagt. Die Band sollte in ein Studio gehen und ihm die fertigen Bänder schicken. Alles andere würde noch geregelt werden. Egoldt war ein Rockfossil. Er besaß schon in den siebziger Jahren ein eigenes Label, das er "Big H" nannte und auf dem er verschollenen Rockklassikern aus den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern zu einem zweiten Frühling verhalf. 1977 hatte Herbert Egoldt seinen Plattenladen "Rock ´O´Rama" in der Weidengasse in Brühl -3 2 -
eröffnet und mit der Gründung seines gleichnahmigen Labels 1982, hatte er seine Position des frühen "Independentpioniers" gefestigt. Neben Egoldt gab es damals nur noch den Hamburger Alfred Hilsberg und dessen "Zick-Zack" Label, als Vorreiter und Aushängeschild der deutschen Indi-Kultur. Aufgrund der katastrophalen Geschäftsprognosen für diese Art von Musik, konnte Egoldt im Schatten der großen Musik häuser bestens bestehen. "Independentmusik" war seit ´77/´78 zu einem festen Bestandteil der deutschen Jugendkultur geworden und es war zu vermuten gewesen, daß progressive neue Zeitungen, wie das 1980 aus der Taufe gehobene "Spex", nur allzu gerne aus Egoldts reichhaltigem Angebot schöpften. Rock´O´Rama in Brühl wurde zu einem der bestsortiertesten unabhängigen Plattenläden, mit vorzüglichen Kontakten nach England und mit eigenem Mailordervertrieb wobei der Schwerpunkt des Angebotes 1984 noch eindeutig auf Punk und New-Wave lag. Alles andere würde also noch geregelt werden. Tatsächlich hatte Egoldt das MTV-Studio in der Frankfurter Voltastraße angemietet, dessen Inhaber Laslo "Lotzi" Viragh war. Den Böhsen Onkelz hatte Egoldt einen Termin für den April ´84 gebucht. Stephan und den anderen wurde es fast schwindelig vor Aufregung. "Wir machen eine Platte", sie konnten es kaum glauben. 1984 war damals eher für den gleichnamigen Roman bekannt, als dafür, daß man als Skinheadband einen Plattenvertrag bekam. Die Aufnahmen im MTV-Studio waren schon nach fünf Tagen abgeschlossen. Anfang Mai ´84 kam "Der nette Mann " auf den Markt. Eine politische Motivation steckte hinter dem ersten Vinyl der Onkelz nicht. Niemand in der Band gab etwas auf Politik. "Der nette Mann" handelte in erster Linie von den klassischen Interessen der Zwanzigjährigen mit asozialem Hintergrund. Saufen, Ficken, Fußball, Mord und Totschlag. Mit 14 Stücken präsentierten sich die Böhsen Onkelz als erste Skinheadband der deutschen Öffentlichkeit und wer -3 3 -
immer "Der nette Mann" als hartes brutales Album empfand, der brauchte ja nur mal den Fernseher anzuschalten oder in die Zeitung zu schauen. So wie sie sich als echte dreckige Punks verstanden hatten, so eindeutig standen sie jetzt hinter dem Skinheadkult. Nicht nur ihr Äußeres glich den englischen Skinheads bis hin zum kleinsten Detail, auch ihre innere Haltung war stark an das englische Ideal der siebziger Jahre angelehnt. Ein Skinhead zu sein, bedeutete für jeden in der Band, daß es das großartigste Gefühl von Gemeinschaft überhaupt war. Nichts war mit diesem Gefühl vergleichbar. Es war wie beim Punk, nur noch tausendmal geiler, stärker, unbesiegbarer. Eigenartiger Weise waren Gonzo und Stephan nie richtig auf die typische Skinheadmusik abgefahren. Last Resort und 4-Skins gehörten nicht unbedingt zu ihren Lieblingsgruppen. Da sie die meisten Texte nicht verstehen konnten, ging es ihnen schon von Anfang an mehr um die Musik, als um die Aussagen ihrer Lieblingsbands. Sie waren immer noch beigeisterte Anhä nger der Gerry Bushell OiCompilations, die inzwischen auf 4 Volumes herangewachsen waren und standen nach wie vor auf den dreckigen englischen Street-Rock´n´ Roll von Cock Sparrer und den Lurkers oder von den Australiern Rose Tattoo. Rose Tattoo? Was die Tattoos anging, hatte sich eine Menge getan. Gonzo hatte ein Paar Doc´s auf seinem linken Unterarm und die Deutschlandfahne auf dem Oberarm. Kevin fühlte sich zu Recht als halber Engländer, was sich auch in dem neuen "Westham United" Tattoo ausdrückte, das Gonzo ihm mit einem Skalpel und einem Glas Tinte zugefügt hatte. Stephan und Kevin ließen sich "SKIN" auf die Innenseiten ihrer Unterlippen tätowieren, Kevin trug die vier Buchstaben auch auf den Fingerknöcheln seiner linken Hand und einen "Skinhead"Schriftzug über dem linken Ohr. Kevins gesamter linker Arm war inzwischen bebildert. Während einer Schiffsreise nach Hull in England hatte er sich Farbe und Nadeln besorgt und schon die -3 4 -
ersten Experimente am eigenen Körper gewagt. Spinnennetz am Ellenbogen und Drachen auf der Schulter. "Ausmalen" nannte der das. Russell hatte es sich zum Ziel gesetzt, alle freien Stellen seines Körpers, außer dem Gesicht, den Fußsohlen und dem Penis, auszumalen. Für ihn war es das erste Mal, daß er eine eigene Identität besaß. Kevin fühlte sich als ein Fasterwachsener in einer verschworenen Gruppe von Freunden. Er war Kevin Russell, Matrose, Skinhead und Sänger, die Stimme der Böhsen Onkelz. Das war etwas, daß ihm so wertvoll war, daß er es nur spüren, aber auf keinen Fall beschreiben konnte. .....
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Kapitel 9 1985 "Böse Menschen - böse Lieder" Sie hindern dich so gut es geht deinen weg zu geh´n uns´re herrn politiker sie woll´n dich nicht versteh´n ich hab´n hass, so´n hass ich hab´n hass, so´n hass sie reden nur und reden und nichts kommt dabei raus viele worte, keine taten für nichtstun noch applaus ich hab´n hass, so´n hass ich hab´n hass, so´n hass arbeitslose jugendliche sind heute schon normal die reichen immer reicher alles and´re ist egal meine verachtung haben sie ich kann sie nicht mehr seh´n das sind menschen, die von freiheit reden und nicht dazu steh´n ("Hass", © Böhse Onkelz, "Böse Menschen - böse Lieder" LP, Rock´O ´Rama Records, 1985) Neun Monate nach "dem netten Mann", im Februar 1985, waren die Onkelz wieder im MTV-Studio gebucht. Egoldt hatte angerufen und die Produktion der zweiten LP angeleiert. Obwohl die Böhsen Onkelz noch kein Geld für die erste Platte bekommen hatten, waren sie begeistert. Allein der Gedanke an ein neues Album konnte sie beflügeln. Eine eigene Platte in den Händen zu halten, war das Größte, eine zweite Platte zu machen das Allergrößte. Bis auf Kevin, hatten sie sich die Haare ein Stück wachsen lassen und die Hosenträger abgelegt. Fred Perry Hemden waren out und ihre Docs trugen sie nur noch ab und zu. Die starren Regeln innerhalb der Skinheadszene, in Verbindung mit dem dümmlichen Faschogeschwätz einiger Hamburger und Berliner war es, was sie ankotzte. Kaum war man der einen Schublade entwachsen, saß man schon in der nächsten. Vorschriften, ob es nun um Klamotten oder politische Ansichten ging, waren für Stephan, Gonzo und Pe inzwischen unannehmbar geworden. Kevin konnte seine Skinheadidentität nicht einfach abschütteln. Der Kult war für ihn die einzige -3 6 -
Möglichkeit, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Der Ex-Matrose lebte auf einer Insel, in einem Gefühlsreservat. Seinem düsteren Elterntrauma, den Abweisungserlebnissen während seiner Kindheit und der daraus resultierenden Blockierung stand der Zwang zum Ausgleich gegenüber. Das drückte sich in seiner Tattoobesessenheit und seiner Neigung zu Gewalt gegenüber Anderen aus. Seinen Job bei der Müllabfuhr war er schnell wieder losgeworden und seit ein paar Wochen arbeitete er als Packer beim LufthansaCateringservice. Ein Job, den ihm sein Alter besorgt hatte. Kevin neigte zu schlimmen Ausschweifungen, das wurde immer deutlicher. Wenn er sich prügelte, dann blutig und extatisch und ohne Erbarmen. Wenn er soff oder schnüffelte, dann so, als wollte er sich umbringen. Stephan mußte ihn oft zurechtweisen, gerade wenn es darum ging vor anderen Skins faschomäßig rumzuposen, aber ohne diese wütenden Ausbrüche wäre er wahrscheinlich längst geplatzt. "Böse Menschen - böse Lieder", die zweite Produktion der Onkelz sollte beim "netten Mann" anknüpfen. Die The men waren mehr oder weniger die gleichen. Allerdings waren der anfängliche Patriotismus und die Euphorie für das Vaterland schnell verpufft. Stephan war inzwischen der Meinung, daß es sich nicht lohnte auf ein Land stolz zu sein, daß die Probleme seiner Jugend nicht ernst nahm. Einigkeit und Stolz waren für ihn Dinge, die nichts mehr mit nationalen Grenzen zu tun hatten. Dinge, jenseits des Reisepasses. Auf dem zweiten Album der Onkelz gab es kein Lied mehr, das sich mit dem Thema "Deutschland" beschäftigte. Höchstens mit dem deutschen Fußball. Während "der nette Mann" mit "Stolz" und "Singen und Tanzen" noch zwei Skinhead-SkaNummern im Angebot hatte, wurde auf der neuen Scheibe nur noch der Song "7 Tage ohne Sünde", ein Lied über -3 7 -
eine Geschlechtskrankheit, mit einem Skabeat vorgetragen. Signum des Verrats Es ist kein mal wie du es kennst kein aufgebranntes zeichen man bemerkt es, doch man sieht es nicht und es prägt dich ohnegleichen du glaubst, die intrigen bemerkt man nicht doch dein schleimiges wesen zeichnet dich das signum des verrats steht dir im gesicht für geld verrätst du freunde deine worte sind nichts wert die seite die du wähltest die war verkehrt du glaubst, die intrigen bemerkt man nicht doch dein schleimiges wesen zeichnet dich das signum des verrats steht dir im gesicht "Signum des Verrats" hatten die Böhsen Onkelz für Mitläufer aller Art geschrieben und für diejenigen, die ihre Ideale und ihren Stolz an die Politik oder an irgendjemand anderen verkauften. In den Fußballstadien, den Kneipen und an den Treffpunkten der Skinheads tauchten immer wieder Scheitelträger auf, verteilten rechtes Propagandamaterial und versuchten sich beliebt zu machen. Ebenso ließen sich Journalisten vom Stern, Spiegel oder der Bildzeitung blicken und stellten Fragen über Politik und Rassismus. Die meisten Skinheads hatten nur eine diffuse Vorstellung von Politik und wenn sie diese noch artikulieren sollten, verhedderten sie sich schnell in Widersprüchen. Gerne legten gewiefte Journalisten den Jugendlichen die Worte in den Mund und verlangten nach Bestätigung, oder sie spekulierten sich ihre Artikel zusammen. Sogar wenn ein Reporter ungewohnt gründlich recherchierte, war der darausfolgende Bericht immer noch einseitig und plakativ. Die Medien hielten sich grundsätzlich mit den oberflächlichen, blutrünstigen Symptomen einer kränkelnden Jugendsubkultur auf, anstatt den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Die Böhsen Onkelz hatten sich weder von links, noch vom Kommerzpunk oder der neuen deutschen Welle einfangen lassen. Nun erneut vor einem solchen Problem zu stehen und mitanzusehen, wie das, was man mitaufgebaut hatte nach rechs abglitt, war schmerzhaft. Es gab einige Angebote von -3 8 -
rechstradikalen Parteien und Verbänden an die Böhsen Onkelz. Sie wurden mehrmals gebeten, ge gen eine angemessene Gage auf Grillfesten und Kundgebungen zu spielen, aber jedesmal lehnte die Band diese Anfragen einstimmig ab.Niemals würden sie mit Linken, Rechten, mit Scheitelträgern oder Uniformfetischisten gemeinsame Sache machen und sich vor den Karren einer Partei spannen lassen. In einer Zeit, als Konzerte rar waren, als ihnen die deutsche Skinheadszene zu Füßen lag, als sie jedes Skinheadtreffen mit einem Auftritt ihrer Band dominieren konnten und ihr Einfluß auf die Glatzen groß war, weigerten sie sich für rechte Parteien auch nur eine Note anzuschlagen.
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Kapitel 10 1986 "Der Ausstieg" Ganz egal wie er auch heißt jeder gott hat seinen preis ich geb´meinem leben einen sinn und geb´ mich ganz den onkelz hin die zehn gebote lassen uns kalt nur leere worte, wir sind priester der gewalt liebe onkelz, macht mich fromm euer wort will ich verkünden ich rauf´ nur noch, ich sauf nur noch nur für euch will ich noch sündigen onkelz und bahgwahn, falsche propheten glaubt an euch selbst, hört auf zu beten befreit eure hirne vom falschen schein geht eure wege, eure wege allein ("Falsche Propheten", © Böhse Onkelz, "Onkelz wie wir" LP, Metal-Enterprise, 1987) Der Ausstieg der Frankfurter Band vollzog sich über die Jahre 1985 und 1986. Nicht wenige Altglatzen folgten dem gleichen Impuls. Stephan und Gonzo weigerten sich, ihre Haare noch einmal schneiden zu lassen und Pe blieb mit seiner Frisur irgendwo zwischen Kannisterkopf und Prollbürste hängen. Kevin erkannte zwar die Gefahr, die darin lag, wenn man sie als Band noch weiter in die rechte Ecke drängte, wollte aber dennnoch bei seiner Glatze bleiben. Niemand in der Band zwang ihm eine Entscheidung ab. Daß die Böhsen Onkelz sich und ihre Musik begrenzten, wenn sie noch länger für eine kleine Gruppe von Fanatikern rockten, war auch ihm klar. Gonzo und Stephan hatten die Schnauze gestrichen voll. Es erschien ihnen geradezu lächerlich hart zu sein, um der Härte willen. Sie waren hart genug, jeder von ihnen. Den Nachweis mußten sie nicht tagtäglich auf´s Neue erbringen. Jedes Bier, über das sie sangen, hatten sie getrunken und jede Schlägerei selbst erlebt. Jedes Gefühl von Sieg oder -4 0 -
Niederlage, der ganze Hass, die Härte, der Dreck und all die Kotze und das Bier, das war von ihnen bereits vertont worden. Und wenn die Härte jetzt nur noch darin lag, rechtsradikal zu sein und immer mehr Skinheads dazu kamen, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten, dann war es auch keine Bewegung, der sie noch länger angehören wollten. Etwas Gutes, hatte das große Open-Air im vergangenen Sommer den Böhsen Onkelz gebracht. Sie hatten endlich eine Connection nach England aufgebaut. Der Sänger von "Indescent Exposure", Steve Reeve, hatte ihnen glaubhaft versichert, daß er auf ihre Musik stand, und daß er sich um eine Auftrittsmöglichkeit in London kümmern würde. Beim Abschied hatten sie ihre Telefonnummern ausgetauscht und tatsächlich rief Steve im November bei Stephan an. Er hatte für sie einen Gig klar gemacht, sagte er. Wenn sie wollten, könnten sie rüberkommen und am 17.12.85 in einem kleinen Pub in Hample Hampsteed, einem Vorort im Londoner Nord-Westen, spielen. Wenn sie wollten? Oh, Mann, klar wollten sie, und wie sie wollten. London, Mutterstadt aller Jugendkulte. Sie hätten alles dafür gegeben, einmal in London zu spielen. Außer Gonzo, war noch niemand von ihnen in London gewesen. Seit sie sich für Musik interessierten, war London in ihrer Phantasie zu diesem großen phantastischen und bizarren Ding herangewachsen. Pistols, Stranglers, Clash, Sham, Rejects, Upstarts, Cock Sparrer, und ungefähr 5000 andere Punk- Oi-Ska- Skin- Rock- und ReggaeLegenden kamen aus London. Stephan drehte am Rad, "Böhse Onkelz live in London" ging es ihm immer wieder durch den Kopf. Am 16. Dezember flogen sie nach England. Bei Den-Air gab´s für 260 Mark ein Wochenendticket und weil es so günstig war, hingen sich die Rüsselsheimer Skinheads gleich hintendran. Zu Siebt bezogen sie mit ihren Instrumenten am Freitag ein Hotel in der Londoner Innenstadt und fingen sofort an zu saufen. Sie stolperten im Gänsemarsch durch die Pubs und Kevin -4 1 -
sang "Freitag Nacht in London, das ist wunderschön..." In der Nacht warf Kevin einen Fernseher aus dem Fenster des Hotels. Einmal, weil kein Sender zu finden war und er nicht wußte, daß es in England kein Nachtprogramm gab und zum anderen, weil jeder Rockstar, der etwas auf sich hielt, schon mal einen Fernseher aus einem Hotelfenster in London geworfen hatte. Fernseher waren dazu da. Wie immer kam Kevin auch diesmal ungeschoren davon, als die Polizei am nächsten Morgen zwei unschuldige Jugendliche aus dem falschen Zimmer verhaftete. Am Samstag Abend trafen sie sich mit Steve Reeve in Hample Hampsteed. Steve war hier aufgewachsen und kannte jeden. Der Pub, in dem sie spielen sollten, hieß "No 5". Das war einer von den typischen englischen Pubs, wie man sie sich vorstellte. Verraucht, aber penibel gepflegt. Dunkles Holz und glänzende Messingbeschläge. Mit einem Biertresen, an dem schon Generationen von Werft- und Fließbandarbeitern ihr Guiness getrunken hatten. Eine Musicbox stand in der Ecke und eine Dartscheibe hing an der Wand. Einer von den Pubs mit sauberen Spitzengardinen vor den Fenstern und blankpolierten Fußballpokalen in der Vitrine. Das Konzert sollte um Acht beginnen. Neben den regulären Pubbesuchern, neben den Arbeitern und den alten Männern hatten sich 30 bis 50 englische Skinheads eingefunden. Die Stimmung in diesem Pub war anders, als in einer Kneipe in Deutschland.
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Kapitel 11 1987 "Aus der Ferne betrachtet..." Über den wolken fühl´ ich mich wie zu haus ich such mir hier oben die schönsten plätze aus ich weiß es ist gemein doch die welt ist viel zu klein also laßt euch bombadieren, bombadieren ich bin bomberpilot, bringe euch den tod ich bin bomberpilot, bomberpilot 10.000 meter hoch, schneller als der schall schaue ich meinen bomben nach und warte auf den knall verwüsten und zerstören ist alles was ich kann und seh´ ich was, was mir gefällt fang´ ich zu bomben an ("Bomberpilot", © Böhse Onkelz, "Onkelz wie wir" LP, Metal Enterprise, 1987) Fanzines mochten vielleicht nicht als seriöse, öffentliche Quellen gelten, und wenn schon, innerhalb der Szene waren sie, wie auch beim Punk, lebensnotwendig, um die Bewegung am Laufen zu halten und um Informationen auszutauschen. Im "Singen und Tanzen", einem Duisburger Skinfanzine, nahmen die Onkelz erstmals schriftlich Stellung zu ihrem Ausstieg. In der Szene kursierten seit ´86 die wildesten Splitgerüchte, denen Stephan und die Band jetzt entgegentreten wollten. Stephan: "Ein für allemal: Die Böhsen Onkelz haben sich nicht aufgelöst. Ich weiß nicht, welcher Verrückte auf die Idee gekommen ist, dieses Gerücht in die Welt zu setzen. Es stimmt jedenfalls nicht... ...Wir hatten keine Lust mehr, uns in eine Ecke drängen zu lassen, aus der wir nicht mehr herauskommen. Wir wollten unseren Spaß haben, und das war zum Schluß nicht mehr möglich... ...für die Zukunft der Skinbewegung sehe ich einigermaßen schwarz. Zuviele Leute, die früher die Bewegung geprägt haben, -4 3 -
sind verschwunden, zu viele Leute, die diesen Ruf nicht halten können sind dazugekommen... Wir brauchen uns von diesen Leuten nichts vorwerfen und schon gar nichts sagen lassen. Wir kennen die Sache. Die Skins, die von sich behaupten können, 4-6 Jahre dazu gehört zu haben, kann man an einer Hand abzählen..." Ein weiterer Versuch der Band, sich 1987 öffentlich zu äußern und von der Skinheadszene zu distanzieren, war ein langes Interview, das die zwei ExSkins Markus Eberwein aus Hannover und Josef Drexler aus München mit den Böhsen Onkelz Anfang Juni ´87 im Rahmen eines Buchprojektes führten. "Skinheads in Deutschland - Interviews", war ein dünnes Buch, das die beiden Autoren in geringer Stückzahl und im Selbstverlag veröffentlichten. Neben den Böhsen Onkelz nahmen in dieser Schrift auch der Sozialarbeiter Thomas Schneider, der "Verlierer"- und "Tatort - Voll auf Haß"Regisseur Bernd Schadewald, die Skinheads Jörg aus Hannover, Michelin X aus Wuppertal und Gerd Bornemann, der Vater des am 3. Februar ´87 von Skin-Freunden getöteten Skinheads GerdRoger Bornemann, zu dem Thema "Skinheads in Deutschland" Stellung. Auszüge: Josef: Wie setzt sich euer Publikum zusammen, sind es nur Skinheads oder Fußballfans? Stephan: Die ganze Zeit war´s wohl so, daß hauptsächlich Skins da waren oder Fußballfans. Nur mittlerweile hat sich das schon ein bißchen geändert. Es sind jetzt auch viele Leute, die Heavy Metal hören und Trash. ... Gonzo: Von wegen parteipolitisch, ist nie was gelaufen bei uns. Kevin: Politik ist ja total uninteressant. Das ist überhaupt kein Thema, weil: Politik in diesem Land ist undurchführbar. -4 4 -
Deswegen interessiert mich Politik einen Scheißdreck, ja, ich will nur leben, wie ich will, das ist alles. Politik, und sich politisch überhaupt organisieren ist das Letzte! Das ist so ´ne Zeitverschwendung, also in der Zeit kann ich was Besseres machen. ... Stephan: Man muß sich eins überlegen. Wir waren damals, wo´s in Deutschland angefangen hat, dabei und haben die ganze Bewegung mit aufgebaut. Und dann siehst du, wie ein paar Idioten die ganze Sache kaputt machen. ... Stephan: Und bei uns hat´s aufgehört, wo der Punk ins Linke reingezogen worden ist. Punk war am Anfang nur für uns, Außenseiter zu sein, Spaß zu haben. Kevin: Und so ist es jetzt auch bei den Skins, das wird nur ins Rechte gerückt. Und da hört´s für mich dann auch auf. Genauso war´s damals als Punks. Gonzo: Die Linken haben sich die Punks unter den Nagel gerissen... Josef: Punks in die Linke, Skins in die Rechte. Gonzo: ...und die Rechten versuchen, sich die Skins unter den Nagel zu reißen. Kevin: Also, ein richtiger Skinhead ist politisch total negativ eingestellt, politlos. Josef: Apolitisch? Kevin: Für mich ja. Jeder kann da anders denken und sagen, aber für mich ist es auf jeden Fall so. Weil anders geht es ja gar nicht. ... Kevin: Das kam aus England für uns auch ganz anders. Ich -4 5 -
bin Skinhead geworden, weil ich dachte, das sind irgendwie ein bißchen geordnete Verhältnisse, ein bißchen härter, ja? Ein bißchen mehr Power, ein bißchen ordentlicher gekleidet. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, Stephan ja auch die halbe Zeit, und ich weiß genau, wie das ist. Da wird man jahrelang angepöbelt, nur weil man grüne Haare hat als Punk. Das geht einfach nicht ab. Du wirst auch älter, das hat man doch irgendwann leid, Mann. Ich will doch ein bißchen normaler werden. Und da war Skin halt für mein Denken die beste Ausflucht... ...und nichts mit Politik, von wegen: "Heil Hitler", das überhaupt nicht, was soll das denn? So´n Quatsch. Ich mein´ wenn man damals leben würde...ist doch Scheiße. Stephan: Es fing ja auch so mehr an, Leute zu provozie ren. Kevin: Ich meine, in der Hitlerjugend hier, ich würd´ mir doch die Kugel geben, was soll das denn? ... Stephan: So wie wir leben, so singen wir unsere Texte. Kevin: So ist das! Leckt mich doch am Arsch! Und wer da mitmachen will, der macht da mit, und wer da nicht, der soll sich verpissen. Stephan: Wir laufen genauso rum, wie wir auf die Bühne gehen, wir brauchen uns nicht zu verkleiden. Kevin: Ich lasse mir doch von keinem Arsch sagen: Weil ich Skinhead bin, muß ich jetzt singen "Sieg Heil" und "Gewalt". Auszug-Ende Das reguläre vierte Onkelzalbum, sollte "Die Böhsen Onkelz geben sich die Ehre" heißen. Diesen Namen verwarfen sie wieder und nannten die Scheibe schließlich "Onkelz wie wir". Obwohl der Vertrag mit Nowotny erst im Dezember ´87 anlaufen sollte, kümmerte er sich eifrig um die Produktion dieses Albums und machte auch prompt die ersten Fehler. Die -4 6 -
gesamte Gestaltung der Platte unternahm er im Alleingang. Die Ö-Striche im Wort Böhse auf dem Cover waren schlecht plaziert und das Rose -Tattoo- inspirierte Foto war nicht abgesprochen gewesen. Alles in Allem war die Platte dennoch ein Schritt nach vorne. Auch wenn manch alter Fan jetzt die "Dreckigkeit" in der Abmischung vermißte und "Onkelz wie wir" als zu "glatt" bezeichnete, tat der Wechsel ihnen gut. Die Lieder waren eindeutig rockiger. Inhaltlich blieben die Songs dem Alkohol und der Gewalt treu. .....
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Kapitel 12 1988 Kneipenterroristen Feuchte träume in der nacht mir ist furchtbar heiß mein laken ist ein wäscheknäul ich bade mich in schweiß die dame in der schattenwelt kenne ich sehr gut sie hat sich schon oft vorgestellt so wie sie´s immer tut lack und leder, lack und leder lack und leder, lack und leder ein heißer hauch aus ihrem mund weht singend mir ins ohr ihr nackter körper windet sich am boden zu dem chor lack und leder, lack und leder lack und leder, lack und leder ("Lack und Leder", © Böhse Onkelz, "Kneipenterroristen" LP, Metal Enterprise 1988, Text von Pe Schorowsky) Die Band war der wichtigste Inhalt im Leben der Musiker. Hier fanden sie den Zusammenhalt und den Antrieb, den sie sonst wahrscheinlich nach dem Ausstieg aus der Skinheadszene verloren hätten. "Böhse Onkelz" war etwas, was ihnen Verantwortung brachte, die jeder der Vier gewillt war zu tragen. Eine Existenz außerhalb der la ngweiligen Norm, unabhängig von Regeln, Uniformierungen und Routinen. Ihre Rebellion hatte sich auf einen Kern von vier Personen verdichtet. Reduziert auf das Wesentliche. Stephan hatte fast alle Texte geschrieben und zum größten Teil die Musik komponiert. Außerdem kassierte er Onkelzgeld und investierte es in Merchandising-Produkte der Band. T-Shirts, Poster und Autogrammkarten, die per Nachnahme an die Fans verschickt wurden. Solche Arbeiten erledigte Stephan nebenbei, neben seinem regulären Job als Fahrer für Büromaterial und neben seiner kreativen Arbeit für die Band. Obwohl jeder einzelne Onkel seinen festen Platz hatte und als absolut unersetzbar galt, war Stephan der Anfang und das Ende. Die Böhsen Onkelz -4 8 -
stiegen und fielen mit ihm und seinem Engagement. Stephan liebte diese Verantwortung. Er war auch derjenige, der alles abcheckte. Er hatte die Verbindungen zu Egoldt, zu Lotzi und schließlich zu Nowotny geknüpft. Er hatte die Vertragsverhandlungen mit Lotzi und Nowotny geführt und die Bedingungen gestellt. Auf einen einfachen Künstlervertrag über drei Studioalben hatte man sich schließlich geeinigt. Die Rechte an den Songs würden, wie üblich, bis auf Lebzeiten bei der Plattenfirma, in diesem Falle, bei Metal Enterprises bleiben. Dieser Vertrag war am 24.12.´87 unterzeichnet worden. Stephan Weidner, der große Priester des Profanen. Er wuchs mit der Band. Das war eine Entwicklung, die die Fans mitmachen konnten. Vorausgesetzt, sie verfügten über ein Mindestmaß an ähnlichen Erfahrungen oder besaßen die gleichen milieuspezifischen Prägungen. Die Texte waren meistens in der ersten Person Singular geschrieben und beliebig interpretierbar, so daß jeder, der die Songs hörte, sich unweigerlich seinen eigenen Reim darauf machte, oder die Inhalte mit persönlichen Erfahrungen verknüpfte. Wie alle anderen Alben der Böhsen Onkelz, setzte sich auch das 88er Album "Kneipenterroristen" aus Erlebtem und Erfahrenem zusammen. Die 28 war der Ort, an dem die Böhsen Onkelz am lautesten lachten. Lauter noch als im Hösbacher Friedhofstraßenkeller oder im JUZ Bockenheim. Ihre Verbundenheit und ihre verschworene Gemeinschaft, die für Außenstehende kaum zu begreifen war, ging soweit, daß sich Trimmi und Stephan die Zahl 28, wie einen geheimen Code, auf die Innenseite ihrer Unterlippen tätowierten. Ironischerweise war die 28 aber auch der traurigste Ort, den sie jemals aufgesucht hatten. Der Ort, wo sie den Rausch suchten, nur um größtes Leid zu erfahren. Nicht nur Kevin und Stephan, auch Gonzo und Pe hingen mit drin. -4 9 -
Stephan und Gonzo komponierten eine instrumentale Vision, ein musikalisches Foto der klassischen 28-Situation, das genau die erlebte Stimmung wiedergeben sollte. Worte waren in diesem Fall nicht wichtig, dieses Gefühl war nur in ihren Köpfen und niemand, der nicht in der 28 dabei gewesen war, würde es jemals verstehen. Weberstraße 28, die Kapelle der Gefahren. "28" das Lied, eine bittere Pille. Gonzos hoffnungsvolle, aber schwermütige Gibson SG klagte die Tonleitern rauf und runter, während Mysto-Schwaden und astrales Geschnatter den Raum zwischen den Noten mit Paranoia anfüllten und nur langsam, ganz langsam, dort wo das peitschende Schlagzeug und der böse Bass einsetzten wurde es klar, daß die 28 der Einstieg in die Hölle war, die glitschige Treppe in den Keller. "Guten Tag, erkennt ihr mich? Wißt ihr nicht, wer ich bin? Seht ihr den Hass in meinem Gesicht, ich nehm´ dem Leben jeden Sinn. Ich zeige Dir eine andere Welt, komm reich mir Deine Hand. Ich bin das Böse, tief drin in Dir, ich nehm Dir den Verstand. Ich bin das Schlechte, das in Dir steckt, ich bin die Angst und Deine Qual Ich bin der, der in Dir Dinge weckt, von denen Du nichts ahnst..." "Manchmal spürt man nicht, wie die Angst mit einem spielt Und Du fürchtest Dich vor Dingen, die es gar nicht gibt Paranoid, nennen sie Dich, Dich ziehts zum Wahnsinn wie die Fliegen in das Licht. Tanz für mich den Tanz der Teufel, tanz ihn noch ein letztes Mal Du möchtest schreien, doch Du bleibst stumm spürst Du den Wahnsinn und die Angst um Dich herum Reich mir die Hand, schenk mir Dein Herz nur diesen Tanz und ich nehme Dir den Schmerz..." Dort wo Kevin in den Alptraum abglitt, dort wo er das Scheitern und den Schmerz suchte, dort stand Stephan im -5 0 -
Gegenwind und schwang seinen Bass gegen die Fluten eines blutigen Horrortrips. Auf Stephan Weidner war Verlaß. Wenn es um Freunde oder Familie ging, war er die Loyalität in Person, mit einem Rückgrat aus Stahl. Er würde niemals weichen, niemals, komme was wolle. Wenn sie "drauf" waren, führten Kevin und Stephan ihre Freunde gerne bis an die Pforte einer dunkleren Welt und dort wo Kevin sich weit hinauslehnte und darauf hoffte, daß ihn endlich jemand über die Schwelle schubste, dort sprach Stephan unbeschwert von Hoffnung, dort wuchsen ihm Hörner des Trotzes und dort lachte er als wäre er auf einem Kindergeburtstag. "Das nennst Du Hölle? Hier, Alder, ich zeig Dir gleich mal was Hölle ist!!" Die 28, das Lied und der Rausch. Von den Mysto-Schwaden geführt, blindlings durch den Keller stolpernd, strebten sie am Ende des Stückes einem strahlenden Furioso entgegen. Gonzo und sein klagendes Thema überschlugen sich in rasendem Aufstieg und in taumelnder Euphorie, so wie ein Rabe, der fliegend dem Waldbrand entkam. Mit dem Stück "28" wurde der Ort zu einem Bild, einem kurzen Moment, der Zeit ließ für die erschrockene Betrachtung... ...und immer wieder Weidner/Röhr/Schorowsky.
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Kapitel 13 1989 Nightmare on Weberstaße Sonniger tag, wonniger tag klopfendes herz und der motor ein schlag lachendes ziel, lachender start und eine herrliche fahrt rom und madrid nahmen wir mit so ging das leben im taumel zu viert über das meer über das land hatten wir eines erkannt ein freund, ein guter freund ist das beste was es gibt ein freund bleibt immer freund und wenn die ganze welt zusammenbricht drum sei doch nicht betrübt auch wenn dein schatz dich nicht mehr liebt ein freund, ein guter freund das ist das schönste was es gibt ("Ein guter Freund", © Böhse Onkelz, "Lügenmarsch" Picturedisc LP, Metal Enterprise, 1989, © UFA) Der erste offizielle Fernsehauftritt der Böhsen Onkelz nach dem AlabamaDebakel 1985 fand im November ´88 statt. Das "Hard & Heavy Magazin" des Münchener Tele 5 Senders lud die Band zu einer kurzen Talkrunde in ihr Studio ein. Alle vier waren hingefahren und bezogen ihre Positionen auf bereitgestellten Barhockern. Eine unprofessionelle Moderatorin stellte Fragen über Tattoos, über den Namensursprung der Band und über Auftrittsverbote. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Interviews wurde jetzt nicht mehr auf der Skinheadphase herumgeritten, sondern über zukünftige Auftrittsmöglichkeiten gesprochen und darüber, daß sich die "Kneipenterroristen" in drei Monaten, ohne Medienpräsenz und Videoschnickschnack, 20.000 mal verkauft hatte. Geschichten aus dem Leben, das seien ihre Lieder, sagte Kevin, und Pe, der permanent auf seinem Hocker, oder seinen Schenkeln trommelte, wies ein weiteres Mal daraufhin, daß man solche Texte, wie sie von ihnen vorgetragen wurden, auch in -5 2 -
jeder x-beliebigen Tageszeitung finden konnte. Ein kurzer unspektakulärer Auftritt, an dessen Ende ein paar T-Shirts verlost wurden, an jene, die die Quizfrage nach dem Titel der "verbotenen Platte" richtig beantworten konnten. Zum Abschluß wurde ein Video gezeigt, was die Produktionscrew von Tele 5 auf dem Dach eines Münchener Hochhauses gefilmt hatte. Die Redaktion bestand auf Freddy Krüger, also spielten sie Freddy Krüger. Wenn träume euch zum wahnsinn treiben wenn eure seelen tausend qualen leiden wenn ihr eure schlimmsten träume lebt dann ist es freddy´s reich vor dem ihr steht freddy krüger ist ein freund von mir in deinen träumen kommen wir zu dir freddy krüger ist ein freund von mir in deinen träumen kommen wir zu dir dein leben hängt an seidenen fäden und freddy krüger spielt mit dir diese nacht kannst du nur einmal leben dann bleibst du für immer hier Falls es Eltern gegeben haben sollte, die sich über diese Texte aufregten, dann hätten sie sich bei ihren zwölfjährigen Kindern erkundigen können, denn immerhin war der teuflische Freddy Krüger in den endlosen "Nightmare on Elmstreet 1-6" Videos zum Liebling der Jugend hochstilisiert worden. Auch wenn es viele Eltern nicht wahrhaben wollten, aber das amerikanische Kino hatte schon lange die Erziehung übernommen und die geschickte Konditionierung der Gewalt gab es bereits, bevor die Onkelz geboren wurden. In den Freddy Krüger Videos wurde auf Teufel komm raus geschockt, geköpft, amputiert und geschlitzt. So krass konnte "Der nette Mann" niemals gewesen sein. Ein Gig in Limburg, den Stephan in diesem Fernsehbeitrag noch optimistisch ankündigte, fiel aus altbekannten Gründen ins Wasser. Aber dann...endlich...Wiesbaden, April ´89. Drei Jahre und zwei Monate lang hatten sie kein Konzert mehr gegeben. Seit ihrem letzten Auftritt in der Rüsselsheimer Kirche, im Frühjahr ´86, war die Band auf keiner Bühne mehr zu sehen gewesen. Von dem verkorksten Zehnminutendeal während der -5 3 -
Sexauer-Show einmal abgesehen. Eine wichtige Tatsache, die bei späteren Diskussionen niemals Erwähnung fand. Die Enttäuschung über das erbärmliche Abrutschen der Skinbewegung in den Strudel von Politik und Mitläufertum war groß gewesen und der Abnabelungsprozeß hatte seine Zeit gebraucht. In der Presse wurden die Böhsen Onkelz und ihr Austritt aus der Glatzenszene nicht etwa nur totgeschwiegen, sondern man mußte davon ausgehen, daß die Presse, mit Ausnahme einiger Fachmagazine, überhaupt nichts von den Onkelz wußte. Obwohl man meinen konnte, daß es interessant gewesen wäre, zu erfahren, wie es einer Skinheadband ergangen war, die auf dem Höhepunkt ihres Erfolges die Szene verlassen hatte, wurde über dieses erste Konzert nach der Neuorientierung nirgendwo berichtet. Interviews, wie die von Klüsener oder Eberwein und Drexler, waren selten. Nach dem Tele 5 Auftritt gab es lange keine redaktionellen Beiträge mehr, die die Böhsen Onkelz ermutigten oder bestätigten, in dem was sie taten. Die vorherrschende Meinung über die Band, wenn es eine gab, war die, daß es sich um die Kultband der Skinheads handelte, daß Skinheads per se rechtsradikal waren, und daß sich die Böhsen Onkelz in Wirklichkeit nur verstellten, sich aus finanziellen Interessen von der Skinheadszene abgewandt hatten und jetzt halbherzig und unglaubwürdig gegen ihr Image ankämpften. .....
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Kapitel 14 1990 "Auf dem Rücken der Klapperschlange" Du sagst ich nehm´ dir deine sorgen den schmerz, die einsamkeit deine ängste vor dem morgen mach dich für mich bereit willst du was erleben, was noch nicht geschehen ist suchst du jemanden zum reden der gar nicht bei dir ist hast du sehnsucht nach der nadel nach ´ner kleinen injektion kannst du es kaum erwarten ich bin deine religion du rufst nach mir, ich bin bereit erst der rausch, dann tiefes leid du stehst vor deinem eigenen grab sieh´hinein, bald kommt der tag ("Sehnsucht nach der Nadel", © Böhse Onkelz, "Es ist soweit" LP, Metal Enterprise, 1990) Wie einzigartig und wundervoll war die Baja California! Ein steiniger Garten, in dem es ein bißchen so aussah wie auf Nexus 7. Die Baja, das war der trockene Zipfel, der von Südkalifornien herunterhing und durch die Sea of Cortez vom mexikanischen Festland getrennt wurde. Zum größten Teil bestand die Baja aus Bergen, Wüsten und flimmernder Hitze unter einem gnadenlosen Himmel. Hier und dort standen verlassene Wohnwagen und lagen Autowracks, zum Gedenken an fehlgeschlagene Versuche. Fliegendes Gestrüpp und Straßen voller Schlaglöcher. Eine grelle Phantomsonne tanzte über den Köpfen der Menschen und ließ sie mitunter irre werden. Kalifornien-Mexico, war die krasseste Grenze der Welt, seit der Mauer, das fiel Stephan sofort auf. Von Imperial Beach auf der einen Seite, wo die Reichen und Oberreichen in komfortablen Strandvillen wohnten, rüber nach Tijuana, wo junge Mexikanerinnen ihre Kinder im Dreck ernährten. Gilamonster, Lucky-LukeKakteen und verweste Rinder. Die Baja war Stephans Mexikoflash schlecht hin. -5 5 -
Ein brauner, verrosteter Toyota, ohne Reifen. Kompletter Irrsinn, gottverlassen und windgepeischt. Tequilla y motta y un poco esperanza para los niños, intiendes? Stephan und Pia ergatterten mit viel Glück und Geld, für das Frühjahr 1990 eine Kabine auf einem amerikanischen Walforschungsschiff, das für drei Wochen durch die Sea of Cortez fahren wollte, um Grauwale zu studieren. Stephan fuhr ab auf Mexico. Nach diesem Trip war er nicht mehr wiederzuerkennen. Wale und Delphine, die sie während ihrer Reise aus nächster Nähe hatten beobachten und anfassen können, die Atmosphäre dieser ruhigen Lagune und die spröde ausgeflippte Schönheit der Baja California hatten Pia und ihn nachhaltig beeindruckt. Noch auf dem Schiff entschloß sich Stephan dazu, Vegetarier zu werden. Kein Tier sollte jemals wieder für ihn geschlachtet werden, vielleicht ein paar Fische, aber keine Thunfische. Wer Stephan kannte und wußte, wie gerne und wie oft er ins "Buffalo" auf der Alten Rothofstraße lief, um ein Filetsteak zu essen, der wußte, wie schwer ihm dieser Entschluß gefallen sein mußte. Was er ansagte, das zog er meistens auch durch. Stephan aß nach seinem Mexicotrip nie wieder ein Stück Fleisch. Als er wieder in Frankfurt war, sprach er von nichts anderem, als von Mexico. Die Baja, sagte er, wäre ein Platz, wo er sich zur Ruhe setzen wollte. In einer zerfallenen Holzhütte am Strand wollte er wohnen. An einem Ort, der so weit weg von Frankfurt war, daß ihn nichts und niemand mehr erreichen könnte. Dort vor seiner schäbigen Bude, an seinem "Playa Sombrero", wollte er auf einem Schaukelstuhl sitzen und Gitarre spielen. Fast so wie im Film, nur war das eine dieser richtigen Weidner-Visionen und kein billiger Streifen aus dem Fernsehen. Eine "Corona- Leitung" müßte allerdings gelegt werden und einen großen Hut und eine Hängematte brauchte er auch, sonst nichts. Für´s erste könnte er sich aber auch vorstellen eine kleine mexikanische Kneipe in Frankfurt zu eröffnen, sagte er. Ein Laden sollte das sein, wo er nur die -5 6 -
schlechteste Mariachi-Musik laufen lassen wollte. Wo seine untersetzten, mexikanischen Kellner, die er eigens zu diesem Zwecke anstellen würde, immer viel laufen müßten, damit sie ja viel schwitzten. In dreckigen Unterhemden natürlich, und mit Zigarrenstummeln in ihren unrasierten Gesichtern und mit einem versifften Handtuch über dem Arm, mit dem sie sich abwechselnd den Schweiß von der Stirn wischten und dann damit die Gläser abtrockneten. Genau so authentisch und real, wie in einer echten, asozialen, mexikanischen Soda in San Miguel oder Santa Rosalia. Staubig und schmutzig sollte der Laden sein, mit Plastiktischdecken, Plastikbesteck und einem Plastikjesus an der Wand. Gleich neben einem "Dos XX Poster", auf dem sich eine scharfe Mexikanerin in weißen Cowboystiefeln eine gefrorene Dose Bier vor die Brüste hielt. Frijoles molidos und Nachos con salsa, mehr gäbe es dort nicht zu essen. Allenfalls noch gebratenes Huhn. Weil es in Deutschland aber fast immer kalt war, müßte man natürlich heizen in dem Laden. Am besten auf 35 bis 38 °. Trimmi schlug vor, Schuhkartons, voll mit importierten Fliegen und Mücken, über den Gästen auszuschütten und ihnen Fliegenklatschen auf die Tische zu legen. Mexikaner waren eigentlich genau wie Hessen, fanden sie. Ebenso schlecht gelaunt, ebenso bizarr. Stephan liebte es, solche Geschichten zu erzählen, je grotesker, desto besser. Trimmi, Pe oder Kevin wußten immer etwas Doofes darauf zu antworten. Sie waren Profis im "Herbeilabern", das hatte schon damals in Hösbach angefangen. Immer mußten sie sich in ihren psychotischen Stories übertrumpfen. Immer mußte jemand noch einen draufsetzen und wenn sich Trimmi mit seiner lispelnden Stimme erst einmal ereiferte, war alles zu spät, dann lachten sie Tränen. Genauso laberten sie den Tod herbei. Das viele "Rauschen" in der 28, der Horror und die Pornos, all das Koks und die HSchnupperei, das konnte nicht ungestraft bleiben. Anfangs war der Tod ein flüchtiger Besucher, der sich selten sehen ließ. Er -5 7 -
nahm hier und dort eine Person aus dem Spiel und lauerte ansonsten geduldig auf eine Möglichkeit zum Zugriff. Als sie die Lieder für ihr neues Album komponierten, hatten sie heftig an seiner Sphäre gesogen und ab 1990 strich er durch die Weberstraße wie ein Triebtäter, der darauf wartete, daß Kevin nach Hause kam. Dann schlüpfte er mit ihm in die 28 und setzte sich ungesehen auf eine der Sofalehnen. Sense, Kapuze und alles. .....
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Kapitel 15 1991 "Noch lange nicht genug" Endlich wieder neue noten neue schweinerein fiese lieder, harte worte so soll es sein ich seh´ euch schon im dreieck springen eure eltern hör´ ich schrei´n lieber gott, steh´ uns bei das muß die neue onkelz sein wir ham´ noch lange nicht noch lange nicht genug auf in ein neues jahr wir ham´ noch lange nicht genug wo genie und wahnsinn sich verbinden wo worte nicht nach lüge stinken gibt es noch ´nen andern weg der steinig ist, aber den es lohnt zu geh´n ("wir ham´ noch lange nicht genug", © Böhse Onkelz, "Wir ham´ noch lange nicht genug" LP, Bellaphon Records, 1991) ´89 - ´91, drei Jahre und sieben Gigs. Vor der Bühne der Böhsen Onkelz flogen regelmäßig die Fetzen. Das war schon immer so gewesen und das sollte auch so bleiben. Diese brutal aussehenden Schubsereien, waren in Wirklichkeit nichts anderes als ein simples Ritual. Besessenes Abreagieren und freies Aussichherausgehen. Tanz und Aggression, Gesänge und tatsächliche Anbetung in der ersten Reihe. Zu wirklichen Verletzungen kam es während dieser Pogokämpfe nur selten und meistens unbeabsichtigt. Wenn jemand stürzte, gehörte es seit jeher dazu, ihm wieder aufzuhelfen. ´89 - ´91 war eine Zeit, in der die Onkelz häufiger Ansagen von der Bühne herab machen mußten. Immer wieder tauchten Glatzen auf, von denen einige meinten, durch das Vortragen von rechten Parolen, auf sich aufmerksam machen zu müssen. Seit dem historischen Mauerfall im November ´89 traten in Deutschland die Skandale, Affären, Vertuschungen und die Korruption noch offener zu Tage. Große Verunsicherung und Frustration hatte sich in -5 9 -
Ostdeutschland breitgemacht. Die Jugend war ohne Halt. Da hatte es zunächst ein autoritäres Regime gegeben, das keinen Ausbruch duldete, aber plötzlich war diese Autorität verschwunden. Honnecker und Mielke waren zu geistigen und körperlichen Wracks geworden und das, was vorher noch als unantastbar und unstürzbar gegolten hatte, entpuppte sich als billiges Kartenhaus. Aus Eltern wurden auf einmal Kollaborateure und Denunzianten. Lehrer und Nachbarn wurden als Spitzel enttarnt. Die Skinheadszene West/Ost war inzwischen zu großen Teilen nach rechts abgewandert, in den Bereich der letztmöglichen Ausgrenzung. Red- oder Sharpskins mit linkspolitischer Prägung fielen kaum ins Gewicht und fanden in den Artikeln der Presse ohnehin keine Erwähnung. Es war nicht die Politik, die hier eine primäre Rolle spielte, sondern die Gewaltakzeptanz, die im Alltag entstand und anschließend von den Gewaltausübenden politisch zu legitimieren versucht wurde. Während die Gesellschaft unterschwellig zum Gebrauch von Ellenbogen gegenüber Schwächeren riet, war sie gleichzeitig schockiert über die Zunahme dieser Gewalt. Während sie auf der einen Seite damit beschäftigt war, eine konsumgeile und denkfaule Jugend heranzuzüchten, in jeder nur erdenklichen Art abhängig von zensierten Medien, überschüttete sie auf der anderen Seite diese Jugendlichen mit Gewalt, Trendterror, Meinungsdiktat und Brutalität, lehnte die Übernahme der Verantwortung für diese Zustände jedoch kategorisch ab. Schon in den Zeichentricksendungen für Fünfjährige wurden Konflikte mit Gewalt gelöst. Im Osten, wie im Westen, schlossen sich Brüderhorden von Versagern zusammen, die eine flammende Ablehnung für die empfanden, die noch erfolgloser waren als sie selber. Ohne Aussicht auf eine Veränderung ihrer Situation, waren sie voll und ganz auf den Staat als mütterliches ernährendes Wesen angewiesen. Der Hass gegen Ausländer reduzierte sich immer -6 0 -
wieder auf das Gefühl der Wut gegenüber unliebsamer Konkurrenz. Es tat gut zu wissen, daß es Menschen gab, die noch unter einem standen. Dazu kamen Erfahrungen des Alleingelassenseins, die die komplette Lebensspanne von der Kindheit bis zur Jugend prägten. Rockmusik war vielerorten das einzige gemeinsame Kommunikationsmittel, um in der ausweglosen Lage die Aggresionen gemeinsam zu transportieren und zu verschwenden. Keine Gnade für unfähige Eltern, unfähige Lehrer, unfähige Politiker und Lehrmeister, keine Gnade für alles das, was fremd war. Daß, wer keine Gnade zeigte, auch keine Gnade von seinem Schicksal erwarten durfte, war den meisten 15-20-jährigen nicht klar. Und daß viele der gewalttätigen Übergriffe gegen Ausländer von Jugendlichen angezettelt wurden, die in ihrer Freizeit unter anderem Onkelzmusik hörten, dürfte bei einer deutschen Hard-Rock-Formation, die 60 - 100.000 Einheiten verkaufte, nicht überraschen. Gaben sich diese Leute jedoch auf Konzerten zu erkennen, dann war die Band in jedem Falle dazu aufgerufen, klipp und klar Stellung zu beziehen. Ein wichtiger Punkt im Zuge der Beurteilung an der Mitschuld der Onkelz an ausländerfeindlichen Übergriffen, war daher die gewissenhafte Überprüfung ihres Verhaltens auf der Bühne, ihrer Auftritte, deren Anzahl und deren Besucher. Nur 3 Gigs hatten sie als Skinheadband von ´83 - ´85 gegeben. Einen davon vor einer größeren Crowd von 6-700 Leuten in der Nähe von Lübeck im August ´85. Dazu kam der Gig im Berliner "Loft", anläßlich der Dreharbeiten zu "Zagarbata" und ein Auftritt in London-Hample Hampsteed vor einem gemischten englischen Publikum. Von Anfang ´86 in Rüsselsheim, bis Anfang ´89 in Wiesbaden, hatte es keine Konzerte der Band gegeben. Von ´89 bis zum Januar ´91 waren es sieben Gigs in vier Städten. Drei Doppelgigs in Erlensee, Wiesbaden und Offenbach und ein Auftritt in ReichelsheimWeckesheim. Auf dreien dieser Konzerte, die im Schnitt vor einer Zuschauermenge von 500 Leuten stattfanden, -6 1 -
tauchten Skinheads auf, deren Anzahl sich auf je 30-40 Personen belief, und die sich durch das Rufen von ausländerfeindlichen Parolen und durch Hitlergrüße unbeliebt machten. Jedesmal hatte es großen Protest der übrigen Fans gegeben. Alle drei Konzerte verliefen nach einer entsprechenden Ansage der Band friedlich und ohne Gewalt. Ausschreitungen gab es keine, wohl aber kleinere Handgemenge zwischen Autonomen und Onkelzfans. Die Polizei, die während jeder Show in großer Zahl anwesend war, sich jedoch als Eingreifreserve in einiger Entfernung zu den Hallen aufhielt, hatte bisher niemals einschreiten müssen. Die restlichen Fans waren dem Heavy-Metal-Spektrum zuzuordnen. Lange Haare, Lederjacken, Stiefel. Niemals wieder, seit Lübeck ´85, wurden Böhse Onkelz Konzerte von Scheitelträgern oder Parteiangehörigen aus dem rechten Lager aufgesucht. Bereits seit den ersten Konzerten 1989 war die Security von der Band angewiesen worden, solche Leute schon am Eingang abzuweisen. Vorausgesetzt man konnte sie erkennen. Anfragen von rechten Parteien, nach einem Auftritt der Band während einer Parteiversammlung oder einer Kundgebung, per Telefon oder per Brief, waren jedesmal unter lautem Gelächter abgesagt worden. Die Vertragsunterzeichnung bei Bellaphon blieb von den Medien zunächst unbeachtet. Die Bildzeitung Frankfurt brachte einen kurzen Artikel in dem Stil: "Super Jungs, weiter so", ansonsten gab es nur Schmähkritiken in geringer Anzahl. Einige Heavy-Metal-Fanzines hatten eine Annäherung an die Band gewagt und sich anschließend positiv über sie geäußert, aber im Grunde kümmerte sich kein Mensch um die Böhsen Onkelz und deren Produkte. -6 2 -
Kapitel 16 1992 "El señor es mi pastor, nada me faltara" Hörst du diese lieder böhse onkelz immer wieder sie sind ein teil von meinem leben sie sind ein teil von mir sie sind für dich, ich schenk´ sie dir mehr kann und will ich dir nicht geben weißt du wirklich wer ich bin wie ich denke, wie ich fühle liebst du mich, weil ich es bin oder weil ich dich belüge ich bin in dir wohin du gehst doch siehst du auch, das was ich seh´ ich seh´ mich an und frag´ mich ich seh´ mich an und frag´ mich warum warum bin ich wie ich bin warum lach´ ich, wenn ich traurig bin kann ich sehen oder bin ich blind ich such´ die antwort auf meine fragen die gedanken malen bilder doch ich finde keinen rahmen der wind spricht zu mir, er wünscht mir glück er flüstert meinen namen ich bin in dir, wohin du gehst doch siehst du auch, das was ich seh´ ich warte auf ein zeichen ich warte auf ein zeichen von dir ich will die antwort auf meine fragen ("Ich bin in Dir", © Böhse Onkelz, "Heilige Lieder" LP, Bellaphon Records,1992) Als die Böhsen Onkelz im Juni ´92 nach Hennef bei Bonn reisten, um mit Helmut Rüssmann die Songs für ihr achtes Studioalbum einzuspielen, wußte niemand außerhalb der Band, wie schlimm es wirklich um ihren Sänger stand. Kevins Eskapaden und Exzesse waren nicht mehr zu überbieten gewesen. Ständig hatten ihm Tod oder Kollaps gedroht. Allmächtiger, was hatte dieser Mensch einen Bock auf seinen Tod gehabt. Wäre er nur nicht so ein Lappen gewesen, dann hätte er sich bestimmt einen sauberen Luftröhrenschnitt oder einen präzisen Kopfschuß beigebracht. Es war klar, er hatte die Arschkarte gezogen. Bis zu diesem Tage war sein Leben ein einziger -6 3 -
finsterer Novembernachmittag gewesen. Ein kurzer Lichtblick gegen 3:00, ein klarer Moment gegen 3:30, der Rest war Sturm und Regen. Edgar-Wallace-Wetter, wann immer er die Augen öffnete. Alles, was sich noch in ihm geregt hatte, hatte er erschlagen, alle seine Lampen hatte er ausgetreten. Als Sänger der Onkelz trug er für gewöhnlich den Mantel des Härtesten und er trug ihn gerne, aber das war seit Trimmis Tod vorbei. Er war am Boden zerstört, im Keller. Auf dem Weg ins schlimmste, asozialste Elend, in das ein Mensch nur abrutschen konnte. Seit zwei Jahren war Kevin Fixer und schwerer Alkoholiker. Windmühlenkriege und weiße Mäuse. Die Schwärze hatte ihn beim Wickel. Die Aura des Härtesten war von ihm gewichen und darunter kam die Nacktheit des Traurigsten zum Vorschein. Auf´s härteste tätowierte und bebartete Gestalt. Der Herr der Augenringe. Wann immer im Zusammenhang mit den Böhsen Onkelz von der Hölle die Rede gewesen war, dann war es Kevin gewesen, der am weitesten in diese Hölle vorgedrungen war. So weit, daß er nicht ohne fremde Hilfe und nicht ohne schwere Verstümmelungen an Leib und Seele zurückkehren konnte. "Golden Sword" war schnell zur Kloake verkommen. Kevin war aus der 28 ausgezogen und hauste nun im Hinterzimmer seiner Tattoobude. Tagsüber war Auge da und versuchte die Geschäfte so gut wie möglich zu regeln. Das war nicht einfach, weil Kevin keine Termine einhielt. Er ließ Leute stehen, oder er war nicht aufzufinden. Andere Kunden brüllte er an und warf sie aus dem Laden, oder er ließ sich von ihnen das Geld im voraus zahlen, lief damit zum Dealer, setzte sich einen Schuß und fing dann erst an zu stechen. Zweimal hatte er bereits versucht zu entziehen. Da hatte er sich mit Kartoffelbrei und Dosensuppen und einer großen Flasche Valium eingesperrt. Einmal in der 28 und einmal bei Moni. Als er anfing durchzudrehen und die Schmerzen unerträglich wurden, gab es keinen Menschen auf der Welt, der ihn davon hätte abhalten -6 4 -
können, sich erneut Heroin zu besorgen. Dieser Teufelskreis, in den Kevin hineingetreten war, ließ ihn nicht mehr los. Er hatte schon lange die Kontrolle über sein Leben verloren, falls er sie überhaupt je richtig besessen hatte. Im Sommer ´92 traten die junkieüblichen Verletzungen auf. "Druff" wie der krasseste Bahnhofspenner flog er durch die Glastür vom Golden Sword und schnitt sich den Ellenbogen auf. Genauso druff lief er dann in die Bullenwache nach nebenan und flatschte seinen triefenden Arm auf die Theke. Da hingen Fleischstücke heraus, Sehnen waren duchtrennt und sofort brach im 1. Revier Hektik aus. "Schafft dieses ramponierte Schwein hier raus" brüllte ein Kommissar, "und ruft ihm einen Krankenwagen..." Das war nur der Anfang. Einmal kamen Polizisten von der Wache herein. Zwei junge Beamte, die sich von Kevin tätowieren lassen wollten. Pe, der im Laden abhing, mußte sie abwimmeln und ihnen sagen, daß der Meister unpäßlich war, während Kevin hinten auf seiner Hundedecke lag und langsam verreckte. Kevin zahlte seine Rechnungen nicht mehr und schnell waren Strom und Wasser abgestellt. Bald wußte er auch nicht mehr, wieviel Kohle er welchem Dealer schuldete. H-Dealer waren ja keine harmlosen Männer, schon gar nicht in Frankfurt. Das waren Leute, die überhaupt keinen Spaß verstanden, bei denen Knarre und Messer locker saßen. Extrem verspannte Typen. Irgendwann war die Tür vom Golden Sword aufgebrochen und irgendwann standen zwei von diesen Dealern auf der Matte. Kevin konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie ihm eine Metallstange ins Genick schlugen und seinen Laden zerlegten. Was außerdem niemand wußte... ... der Bassist und Songschreiber der Böhsen Onkelz war kurz vor dem Überkochen. Stephan war außer sich vor Wut und Enttäuschung über die Ereignisse der letzten Jahre. Der Tod Trimmis, das Drama um Kevin, die Liquidierung der Cadillac-6 5 -
Ranch und alles das, was über ihn in der Presse zu lesen war, hatte ihn an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Wie oft hatte er seine Stirn gegen die Wand geschlagen, damit er in seiner Raserei niemanden außer sich selbst verletzte? Seine Telefonnummer hatte sich unter den Onkelzfans herumgesprochen und sein Anrufbeantworter hätte auch der einer Telefonseelsorge sein können. Da gab es reihenweise Fans, die ihre Nöte und Ängste auf sein Tape schluchzten. Junge Mädchen, die sich das Leben nehmen wollten, und Mütter, die um einen Rat baten, der ihnen vielleicht die Kontrolle über ihre mißratenen Söhne zurückgeben könnte. "...ich dachte, vielleicht könnten Sie ja einmal mit ihm reden..." .....
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Kapitel 17 1992 "Bezirksmeisterschaften im Geschicklichkeitsgrillen" Ich hör´ euch reden doch niemals fragen ich hör´ euch reden reden, doch nichts sagen worte, nichts als worte ich hab´ fast alles schon gehört nichts als leere phrasen die nicht wehtun und nicht stör´n ihr wollt mir sagen, was ich tun und lassen muß wo fängt was an und wo ist schluß ich hasse eure lügen eure doppelte moral und eure sogenannte freiheit ist mir scheißscheißegal was ist verboten, was legal was ist entartet, was normal was soll ich hör´n was darf ich seh´n wen darf ich hassen wohin darf ich geh´n wen darf ich lieben wem stell´ ich fragen wer darf mein freund sein was darf ich sagen wenn ich reden will dann tu ich´s ihr bringt mich nicht zum schweigen wenn ich kämpfen muß dann tu ich´s niemand bringt mich zum verneigen denn ich hasse eure lügen eure doppelte moral und eure sogenannte freiheit ist mir scheißscheißegal was ist verboten, was legal was ist entartet, was normal was soll ich hör´n was darf ich seh´n wem stell´ ich fragen wohin darf ich geh´n wen darf ich hassen wen betrügen und wer zensiert die, die mich belügen ("Scheißegal", © Böhse Onkelz, "Heilige Lieder" LP, Bellaphon Records, 1992) Das, was für die Band wie das Licht am Ende eines Tunnels aussah, waren die Scheinwerfer eines Personenzuges, der den Onkelz mit Empörung entgegenkam. Auf ihm saßen fahnenschwingende Musikjournalisten, willenlose Medienmenschen, Politiker, deren Wiederwahl bevorstand, oder solche, die zum ersten Mal zu irgendetwas gewählt werden wollten. Dazu ein Grüppchen etablierter Musiker, denen die -6 7 -
Gelegenheit günstig schien, sich selbstgerecht in Szene zu setzen. Hornbläser, Wasserträger und Trittbrettfahrer. Hinten in der ersten Klasse hatte die Musik- und Veranstaltungsindustrie, in Zusammenarbeit mit einigen Partydiensten und Cateringagenturen einen hübsch aufgemachten "Rock gegen Rechts"-Waggon angemietet und dort schüttelten Vertreter der Kommunen, Bürgermeister, Kulturdezernenten und Inhaber von VIP-Ausweisen die Köpfe über den Chartneuzugang. Dort enterten sie zum zweiten Mal das Buffet und beratschlagten, was zu tun sei. Der Zug rollte näher und im Winter ´92, als sich die frohe Kunde der Heiligen Lieder schon längst unter den Jugendlichen herumgesprochen hatte, kam er in Frankfurt an. Ein wenig verspätet. Die Freunde der Jagd und Meister der Hatz. Manche beschwipst und manche auch ein bißchen angekokst, nur der besseren Kommunikation wegen, so stolperten sie aus dem Zug. Trotz der Kälte sollte es ein Tag im Freien werden, mit Gulaschkanone und Klapptischen. In ihrer saloppen Winterkleidung waren sie angetreten, schön Pfeifchen schmauchend, im schwarzen Rolli oder mit Jeans und gefährlichen Bikerboots. Alle hatten sie irre viel mit Rock´n Roll zu tun. Mit aufgerissenen Augen und einem Halbschweller in der Hose, berichteten sie, die wenigen, die da waren und auch die, die nicht da waren, von Ausschreitungen bei früheren Onkelzkonzerten, von der faschistoiden Vergangenheit der Bandmitglieder, von den Scharen kreischender Teenies und von brutalen Glatzendelegationen, die man während der Konzerte habe sehen und hören können, wie sie den rechten Arm hoben und "Türken raus" sangen. Man gefiel sich auch in der Rolle des Aufklärers, des Warners, des Genauwissenden. Weidner und die Böhsen Onkelz seien gerade deshalb so gefährlich, weil sie so subversiv und verschlagen seien, sie seien jetzt in der Mitte, weil rechts jetzt die Mitte sei, weil sie sich als Märtyrer gefielen und gerade weil sie so lange Haare hatten und daß man später nicht sage, man sei -6 8 -
nicht gewarnt worden. Zum besseren Verständnis: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt". (Artikel 5 Grundgesetz) Die Münsteraner Forschungsgruppe "Journalistik" war in ihrer repräsentativen Studie "Journalismus in Deutschland" auf folgende Erkenntnisse gestoßen: "Nach eigenen Angaben bezogen zwei Drittel der Journalisten ihre Informationen aus dem "Spiegel". Weiterhin dienten die "Süddeutsche Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine", sowie "Stern", "Zeit" und "Focus" als Inspirationsquelle und jeder fünfte gab an, auch schon mal in die "Bildzeitung" zu schauen. Darüber hinaus wurden Fernsehsendungen wie Tagesschau, Tagesthemen und Heute Journal zu einem großen Teil genutzt." Der Journalismus bezog sich demnach auf sich selbst. Es war etwas passiert, was nach den Berechnungen und Prognosen der deutschen Musikindustrie niemals hätte passieren dürfen. Eine Band hatte mit ihrer Musik die Top Ten geknackt, ohne daß sie von oben "kontrolliert", "gehyped" oder "gepusht" wurde. Im Gegenteil, trotz massiven Boykotts und beispielloser Diffamierungskampagne. Da die Journalisten nicht viel über die Böhsen Onkelz wußten, und sich ihre Recherche zumeist im Nachfragen bei anderen Kollegen erschöpfte, mußte dieses Phänomen folgerichtig mit den wenigen Informationen erklärt werden, die vorlagen. Die wenigsten machten sich überhaupt die Mühe, bei den Onkelz persönlich nachzuhaken. Seit dem Charteintritt der "Heiligen Lieder "benutzte die Presse zum ersten Mal den neuen und sehr einprägsamen Begriff "Rechtsrock". Mit dem "Rechtsrock" -6 9 -
schuf man ein Medienphänomen von erlogener Größe und stellte die 200.000 Käufer der Heiligen Lieder als eine große radikale Bedrohung dar. Die Verkaufszahlen der wirklich rechten Bands ließ man dabei unter den Tisch fallen. Auf der ultra-rechten Seite war man bemüht, diese Scheinanteile am Bewußtsein der deutschen Jugend zu halten. Hier sah man zwei Möglichkeiten. Entweder es gelang, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß die Band immer rechts war und noch rechts ist, das hätte den zusätzlichen Vorteil, daß man die Namen der "unbekannten" echten Faschogruppen im Windschatten der Onkelz in die Diskussion mit einbringen könnte, was ihnen einen Status verschaffen würde, den sie alleine mit ihrer Musik niemals erreichen würden, oder aber die Onkelz würden sich weiterhin gegen die Diffamierungen zu Wehr setzen, dann müßte man sie in noch größerem Maße diskreditieren/vermarkten und verleumden, um ihnen endlich das Rückgrat zu brechen. Auf der konservativen Seite, war man ebenfalls bemüht Bewußtseinsanteile der Öffentlichkeit zu halten, oder dazuzugewinnen. Hier wollte man ebenfalls die Böhsen Onkelz im rechten Meinungsspektrum halten und ebenfalls die 200.000 Käufer als eine Bedrohung darstellen. So könnte man den Rechtsrock als Aufhänger dazu benutzen, härtere Maßnahmen der Überwachung einzuleiten und diese mit dem Bedürfnis nach Sicherheit rechtfertigen. Desweiteren ließe sich der Begriff "Rechtsrock" im Zuge der Asyldebatten noch auf die ein oder andere Weise politisch ausschlachten. .....
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Kapitel 18 1993 "Hessisch Baja" Unser leben war nicht keimfrei nicht von engeln bewacht doch es ist schon ganz schön hart was ihr daraus macht was glaubt ihr zu wissen was glaubt ihr wer ihr seid ihr habt jahrelang gelogen die presse stinkt für die blinden und die tauben noch ein allerletztes mal ihr wollt es immer noch nicht glauben ihr könnt´s nicht ändern, es ist wahr fahrt zur hölle mit euren lügen die wirklich niemand braucht wir lassen uns nicht unterkriegen niemand hält uns auf fahrt zur hölle ihr habt wie hunde uns gehetzt unsere lieder verboten ich weiß warum, denn wenn wir treten dann nach oben das ist das leben, das wir wählten wir woll´n kein anderes haben ihr hört eh´ nur was ihr hören wollt nicht was wir sagen fahrt zur hölle ("Fahrt zur Hölle", © Böhse Onkelz, "Weißes Album", Bellaphon Records, 1993) Kevin wollte nicht mehr leben. In der Obermainstraße, in seiner neuen Wohnung, sah es bald schlimmer aus, als im Golden Sword. Seit einiger Zeit war sein Gesicht wieder einmal mit frischen Schnittwunden übersät. Links und rechts trug er zahlreiche Pflaster, unterhalb der Koteletten. Rasiermesserschnitte, die ihm irgendwelche Dealer zugefügt hatten. Manche Wunden gingen sicherlich auch auf sein eigenes Konto. Wer konnte schon genau sagen, wie er sich manchmal zurichtete, mit Messern oder mit Scherben? Der Winter ´92/´93 war, so wie der Sommer ´90, als Trimmi getötet wurde, eine Zeit, in der die Anwesenheit des Todes förmlich spürbar war. Kevin konnte seine Schuhe nicht mehr anziehen. Kein Muskel tat mehr das, was er sollte. Barfuß, mit offener Hose, vollbärtig und ein Bein nachziehend schleppte er sich zur Trinkhalle Ost -7 1 -
und ließ den Jägermeister anschreiben. Die Penner, die dort tagtäglich abhingen, nahmen sich gegen Kevin, wie disziplinierte Asketen aus. Jedes Mal, wenn er um die Ecke bog und um Schnaps bettelte, den sein Freund Stephan irgendwann bezahlen würde, lachten sie ihn aus und schlugen sich auf die Schenkel, so froh waren sie, daß es da einen gab, dem es noch dreckiger ging. Auf Kevin trafen all die Superlative zu, die man im allgemeinen mit dem Wort "Gosse" assoziierte. Das ging im Januar ´93, als er halb erfroren und halb tot war, soweit, daß er, als das H. alle war und er den "Affen" kriegte, den Jägermeister auf die Kanüle zog und ihn wegballerte. Man mußte es zweimal sagen, um zu begreifen, wie Russell drauf war. Er zog den ekelhaften klebrigen Sud von Jägermeistergülle auf die Pumpe und jagte ihn sich in die Vene, bis sie platzte. Nun man konnte darüber denken, was man wollte, man konnte es verurteilen, belächeln oder bewundern, eins wurde immer wieder klar, Kevin Russell kam krass. abnormitäten sind das zeichen der zeit ist es nur ein traum oder ist es wirklichkeit mit dem rücken zur wand überlegt man nicht der himmel ist für helden die hölle ist für mich Manchmal schaffte er es, sich anzuziehen und bis zum Sandweg zu kommen. Dort brach er dann weinend und um Alkohol flehend auf Monis Türschwelle zusammen. Im Sandweg floßen die Tränen ohne Unterlaß. Moni hatte sich bei verschiedenen Ärzten erkundigt.Sie war in Krankenhäusern gewesen, bei der Drogenberatung und in mehreren Therapiezentren, oft mit Stephans Hilfe. Ohne Geld ging schon mal gar nichts, das hatten sie schnell herausgefunden. Eine Bekannte, die als Nachtschwester arbeitete, klaute Pillen und Medikamente, die die Schmerzen des Entzugs lindern sollten. Es half nichts. -7 2 -
Tätowieren konnte Kevin schon lange nicht mehr. Die letzten Bilder, die er gestochen hatte, waren grauenhaft verwackelt. Viel Geld hatte er verdient, mit dem "piken", geblieben war ihm nichts. Immer wenn ein wenig Onkelzkohle reinkam, brach Kevin alle Entzugsversuche ab und ging "was Braunes" kaufen. Meistens reichte das Geld gerade um alte Schulden zu bezahlen und um über die nächsten Wochen zu kommen. Dann fing das Elend von Neuem an, solange, bis es wieder Geld gab. Eines Tages wurde Moni von Kevins Junkiefreunden alarmiert. Sie sollte so schnell wie möglich in die Wohnung in der Obermainstraße kommen. Kevin saß vor dem Tisch auf dem Teppich und in seinen Augen war nur noch das Weiß zu sehen. In ihrer Verzweiflung und Panik rief Moni die Polizei und den Notarztwagen herbei, um Kevin sofort in Zwangsentzug bringen zu lassen. Als Kevin zu sich kam, weigerte er sich mit den Beamten mitzugehen, oder sich von den Sanitätern anfassen zu lassen. Weil Moni keine Angehörige war und Kevin freiwillig nicht mitkommen wollte, hatten die Polizisten, so sagten sie, auch kein Recht ihn mitzunehmen. Moni hatte den Eindruck, daß sie sich auf gar keinen Fall an diesem Fixer die Finger schmutzig machen wollten. So wie das alte Jahr aufgehört hatte, so fing das neue Jahr an. Probleme von Frankfurt bis zum Horizont. 7 Stellungnahmen im Januar. "Also, wenn ich das heute hör´ und wenn ich dran denke, daß das von uns vertont wurde, muß ich ganz ehrlich gesagt kotzen, ich kann´s mir heute nicht mehr anhören, ich kann´s heute in keinster Weise mehr nachvollziehen und würde sowas auch heute in keiner Weise mehr machen. Das ist für mich wie ein Teil aus einem anderen Leben, praktisch." Gonzo, Kultur Report, ARD 31.1.93 "Ich habe keine Lust eine Tournee mit den Böhsen Onkelz durchzuführen, weil ich nicht der Meinung bin, daß die Böhsen Onkelz sich von ihrer -7 3 -
Vergangenheit, die äußerst bedenklich ist, seit den früheren Platten, vor 8/10 Jahren, distanziert haben." Fritz Rau, Konzertveranstalter, Kultur Report, ARD 31.1.93 "Ich halte Ausgrenzung also immer für falsch. Vor allen Dingen, dann, wenn man sich nicht richtig damit befaßt hat, mit dem ganzen Thema. Wenn man, wie soll ich sagen, auf so ein Ding reinfällt, so daß, jetzt hat man den Watschenmann irgendwo gefunden, und irgendeiner ist schuld, und dann immer feste druff. Das ist alles falsch. Spätestens seit dem Wegfall des ganzen Ostblocks, stimmen die Begriffe, äh, West- Nord- Gradund Himmelsrichtungen nicht mehr. Man muß das ganze jetzt neu sortieren und dann neu bewerten." Wolfgang Niedecken, Sänger der Gruppe BAP, Kultur Report, ARD 31.1.93 "Das Quartett Böhse Onkelz, Frankfurts erste Adresse in Sachen Rechtsrock... ihre faschistischen Botschaften ballern die Onkelz ihrer braunen Jungschar zwischen Flensburg und Passau mit satten Bassläufen und Punk- Rhytmen ins Mark... Politische Aussagen sucht man vergebens, dafür gibt´s reichlich völkisches Ejakulat. Subtil und unterschwellig suggerieren die Texte Gewalt und lassen sich auf einen einzigen Kerngedanken reduzieren: "Gebt uns wieder einen Führer!"... Liest man etwa den Titel "Noreira" rückwärts, wird flugs "Arier on" daraus - sinnistre Wortklaubereien als Balsam für die rechte Seele... Für Städte und Gemeinden sollte deshalb die Devise stets lauten: Halle schließen, Saft abdrehen..." Thomas Herget, "Völkisches Ejakulat", Klappe, Darmstadt vom Januar 1993 "... den Punks galt "No Future" oder "Null Bock" als Motto, den Skins dagegen "Joy", das inzwischen nur noch "Oi" heißt..." "Enterbte Erben", Der Spiegel vom 18.1.1993 "Und ausgerechnet zwei Protagonisten der "antiautoritären Revolte" stellen sich vor, daß ein paar beschwichtigende Worte von der -7 4 -
Bühne einen Haufen Saulus Hools in Paulus Hools verwandeln könnte, wie Fritz Rau sagen würde. Leute, die an einen derart schlichten Bekehrungsmechanismus glauben, stellen sich ein Böhse Onkelz Konzert offenbar vor wie ein Adorno-Seminar (und selbst die - erinnert ihr euch noch? verliefen mitunter unplanmäßig)... Klaus Walter "Pater Danny und die Prollhools" in "Konkret" vom Januar 1993 "Den als Hass auf ungroovy Spielverderber codierten Klassenhaß hat es in Frankfurt schon immer gegeben, im Dance Sektor, wie im Punk (ich weiß, Klassenhass ist ein großes Wort, aber viele Dance Aktivisten kommen von unten und sind stolz auf ihren Aufstieg, vorbei an all den Studenten). Man kann also den kommerziellen (und politischen) Erfolg der Onkelz, ebenso wie den von Snap!, Väth und anderen als späte kapitalistische Rache am linken Frankfurter Spielverderber lesen." Klaus Walter "das böhse Erbe der linken Onkelz" in Spex vom Januar 1993 .....
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Kapitel 19 1994 "Das Rainbow Projekt" Ich will keine garantie auf meinen morgen es ist mir scheißegal, ob ihr mich liebt ich sehe meine lüge, ich bin nicht blind geboren ich lerne aus meinen fehlern und mache daraus ein lied ich frage nicht erst andere, was ich darf wenn ich an etwas glaube, handle ich danach ich mache was ich will, wenn es freude bringt ich will jemand sein, der sein schicksal selbst bestimmt ich bin so wie ich bin wollt ihr euch beschwer´n ich weiß ich bin ein bastard scheißegal, ob ihr mich liebt, ich hab mich gern manchmal sag´ ich ja und meine nein manchmal bin ich wirklich nett und mal ein schwein ja, man schafft sich nicht nur freunde wenn man ausspricht, was man denkt ich brauch´ kein klopfen auf der schulter solang´ das feuer in mir brennt manchmal befahre ich den weltraum meiner seele manchmal muß ich leiden um zu spüren, daß ich lebe ich brauche keine falschen freunde ich weiß am besten wer ich bin ("Ich bin wie ich bin", © Böhse Onkelz, "Schwarzes Album", Bellaphon Records, 1993) Der Bellaphonvertrag lief zunächst vom 1.1.91 bis zum 31.12.92 und wurde danach bis zum 31.12.93 um ein Jahr verlängert. Mit Abgabe der Masterbänder zu "schwarz" und "weiß", war der Vertrag erfüllt und ab dem 1.1.94 waren die Böhsen Onkelz erneut ohne Partner. Seit einer fetten Nachzahlung, die Stephan der Firma im vergangenen September abverlangt hatte, war die Stimmung zwischen den Onkelz und Bellaphon gespannt. Durch den Verkauf der letzten 4 Veröffentlichungen, "W.h.n.l.n.g.", "Live in Vienna" Platte und Video, "Heilige Lieder" und jetzt "schwarz" und "weiß" hatte sich Bellaphon Records saniert. Die Böhsen Onkelz -7 6 -
waren ihr meistverkaufter Act gewesen. Grund genug, für die Frankfurter Plattenfirma schnell noch ein "Best of..." Album herauszubringen, das Anfang ´94 als regulärer Sampler erscheinen sollte. Die Böhsen Onkelz, obwohl sie gegen diese Veröffentlichung waren, hatten keine rechtliche Handhabe, die Herausgabe dieses Doppelalbums zu verhindern. Bellaphon, das war deutlich geworden, würde diesen Sampler auf jeden Fall rausbringen, mit oder ohne die Zustimmung der Band. Das einzige, was sie in diesem Falle tun konnten, war darauf zu achten, daß die Gestaltung des Covers ihren Wünschen entsprach und daß die Aufnahmen von guter Qualität waren. "Gehasst, verdammt, vergöttert... die letzten Jahre..." enthielt nicht viel, was wirklich neu war. "Ich lieb mich", ein Demotrack aus dem Jahre ´81 wurde bei Helmut Rüssmann neu abgemischt, es gab zwei "saubere" Versionen von "Erinnerungen" und "Mexiko" und 4 Bonus Tracks, die Stephan und Gonzo geremixed hatten. Das Cover, war von Ex-Middle-Class-FantasiesSänger Christoph Schnee entworfen worden. Christoph hatte inzwischen eine gut gehende Werbeagentur im Westend und stieg ab ´94 als Haus- und Hofgraphiker bei den Onkelz ein. Vorne war ein Computer-Fraktal-Suchbild abgebildet, auf dem man, wenn man stark genug schielte, den Namen Böhse Onkelz lesen konnte, und im Booklet brachte die Band, über der Figur einer "Justitia" mit Waage und verbundenen Augen, eine Nachricht unter: "Die Wahrheit erschließt sich einem nicht auf den ersten Blick.." ´93 - ´96 waren somit auch die Jahre, in denen sich die Anwälte der Band ausgiebig mit den aus ihrer Sicht vorliegenden Vertragsverletzungen der Firmen Rock´o´Rama, Metal Enterprises und Bellaphon Records befaßten. Ab ´93/´94 sollte all das aufgearbeitet werden, was sich die Plattenfirmen und die Medien während der Vergangenheit "im Namen der Gerechtigkeit" geleistet hatten. Da Herbert Egoldt zunächst nicht auffindbar und anscheinend zum großen Phantom der -7 7 -
internationalen rechtsradikalen Musikszene geworden war, fingen sie mit Metal Enterprises an. Ingo Nowotny hatte keine Gelegenheit ausgelassen, die Böhsen Onkelz in den Schmutz zu ziehen, ihre Distanzierungsversuche zunichte zu machen und auf jede nur erdenkliche Art Profit aus dem Namen der Band zu pressen. Angefangen bei seinen miserablen Samplern "6 für Deutschland I+II". Wie der Name dieser Compilations schon vermuten ließ, waren darauf nur die dumpfesten Prollbands vertreten. Abgestandenes Glatzensurrogat, kein Kult. Natürlich plazierte er auch ein paar Onkelzstücke auf "6 für Deutschland II". Nowotny konnte nur auf das Material zurückgreifen, an dem er die Rechte hielt. Also nur auf alte Songs von ´ 87-´90, von "Onkelz wie wir" bis "Es ist soweit". Am 21.3.94 veröffentlichte er einen weiteren Umsatzträger, der aus dem Namen "Böhse Onkelz" Kapital schlagen sollte. "Könige für einen Tag" war quasi eine "Best of..." CD, die nur Stücke aus der NowotnyPeriode enthielt und die besonders durch eine Covergestaltung unangenehm auffiel, die aus der Sicht der Band und zahlreicher anderer Betrachter, einen nationalistischen Eindruck vermittelte. Das Booklet war braun mit Goldrand, in der Mitte war ein schwarzer Adler abgebildet und darüber in altdeutscher Schrift der Name "Böhse Onkelz" und der Titel "Könige für einen Tag". Ingo Nowotny wurde wegen dieser Covergestaltung von den Anwälten der Onkelz abgemahnt, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, weil die Onkelz mit dieser Gestaltung wegen des damit aus ihrer Sicht verbundenen nationalistischen Eindrucks, nicht einverstanden waren. Nowotny weigerte sich jedoch, eine solche Erklärung abzugeben. Die Onkelz schalteten daraufhin die Gerichte ein. Ihrem Antrag wurde stattgegeben. Das Landgericht Hamburg verbot Nowotny im Wege einer einstweiligen Verfügung, den Tonträger "Könige für einen Tag" weiterhin zu verbreiten. -7 8 -
Kapitel 20 1995 "Die Elvis-Falle" Auf einmal mögt ihr uns wie kann das sein gepusht wird was verkauft schließt das uns ein gestern noch verschwiegen heute auf´m cover morgen mama´s liebling futter für die gaffer du bist nicht wie ich wie kannst du für mich reden du weißt nicht wie ich denke ich leb´ mein eigenes leben du weißt nicht wo ich herkomm selbst wenn du es weißt du weißt nicht was es heißt ich zu sein komm sag mir was ich meine komm sag mir wer ich bin analysier mich, finde nichts und bleib ein dummes kind wir sind noch lange, noch lange keine freunde wir sind noch lange nicht so weit danke für nichts du hilfst mir dich zu hassen danke für nichts, danke für nichts ändert euren namen sagst du ändere deinen nur weil du alles besser weißt fang ich nicht an zu schleimen nichts würde sich ändern nicht in tagen nicht in jahren die wahrheit ist in dir und nicht in deinem namen ("Danke für nichts", © Böhse Onkelz, "Hier sind die Onkelz" LP, Onkelz Productions licensed to Virgin Records, 1995) Erfolg lähmte die Rebellion. Erfolg machte satt und ein satter Bauch rebellierte nicht gern. Ohne Hunger keine Wut. Seit ´92 klingelte es in der Onkelzkasse. Es wäre gelogen, wenn jemand behauptete, daß sie den Erfolg nicht genossen. Es wurde schwer konsumiert, aber dennoch mußte erwähnt werden, daß sie viele Leute an ihrem Glück teilhaben ließen. Sie waren nie geizig. Stephan gab gerne. Nicht nur bezahlte er Pias Studium der Tiermedizin, er versorgte auch seine Mutter, seine Schwestern und sogar seinen Vater, als dessen Geschäfte mehr und mehr den Bach runtergingen. Stephan fühlte sich permanent für seine Umgebung verantwortlich. Viele Jobs im B.O. -7 9 -
Management wurden von Freunden erledigt. Während Pe, Gonzo und Kevin sich mit weniger zufrieden gaben und ein abgesichertes Leben in getrennten Freundeskreisen lebten, vollführte Stephan Weidner einen schwindeligen Drahtseilakt zwischen Aufruhr, Wut, Einsicht, Luxus, Rock und Rebellion. Er fuhr einen Sportwagen und leistete sich die teuersten Dinge, sprach dabei über Widerstand und Revolte und machte es den Menschen in seiner Umgebung schwer, ihm noch zu vertrauen. Trotzdem glaubten ihm die meisten, nicht weil sie belogen werden wollten, sondern weil Stephan den Eindruck machte, als wenn er wirklich wüßte, wovon er sprach. Im Ernstfall, und das nahm ihm jeder ab, würde er wissen, worauf es ankäme, dann würde er den Wagen stehenlassen, Zündschlüssel und alles, dann würde er seinem Haus, seiner Stadt und seinem Land den Rücken zukehren, ohne sich noch einmal umzudrehen. Das Verständnis und die Einsicht würden ihn langsam aber sicher in die Einsamkeit treiben, vorausgesetzt er würde auf den Ruhm verzichten können. Weidner legte die moralische Meßlatte sehr hoch. Er war angefüllt bis an den Rand mit seinen eigenen Idealen. "Ich werde nicht lang genug in Deutschland bleiben, um zu mutieren, mir wird Geld nicht den Charakter verderben..." (Stephan in Break Out, März ´95) Glaubte man den Onkelz, dann würden sie ihren Weg an die Spitze der deutschen Hardrockszene gehen, kontrovers bis unter die Schuppen, und würden dann, wenn sie ganz oben ständen, den Laden dicht machen, vom Sockel steigen und sagen: "Leckt uns, das war´s!" Das war die Mission, von Anfang an. Dagegen sein und den Weg zu Ende gehen, als Beispiel und Vorbild der Ablehnung, ohne sich parteipolitisch mißbrauchen zu lassen. Daß dieser Weg eine Strategie war, wäre gelogen gewesen. Er ergab sich mit jedem Schritt, den sie taten, er kam aus ihnen heraus, aus dem Bauch. Auf dem Höhepunkt des Erfolges, auf der Spitze des Berges anzugelangen und dann zufrieden die Koffer zu packen, war ein Versprechen, daß 1995 noch nicht eingelöst -8 0 -
war. Würden die Böhsen Onkelz eine Geschichte werden, mit Anfang, Mittelteil und Ende, oder würden sie sich an den traurigen Abstieg heranwagen, den Weg nach unten in eine von Altersschwäche und Geldgier gezeichnete Mittelmäßigkeit? Wie oft konnte man die Leistung vom Vorjahr noch überbieten? Als die Onkelz in die Top Ten vorrückten, ließ man bei WOM zunächst das enstprechende Feld im Regal frei. Stattdessen war dort ein Schild angebracht: "Dieses Produkt wird von uns nicht geführt!" Das hatte aber den nachteiligen Effekt, daß die Kunden neugierig wurden und genau nach diesem Produkt fragten. Daraufhin entschloß sich WOM, während dieser Wochen die nachfolgenden Bands alle eine Postion aufrutschen zu lassen. So war jedes Feld belegt und niemand störte sich mehr daran. Die Onkelz standen, obwohl auf Platz 5 in den Top Ten, bei WOM niemals in den Longplay-Charts. Möglicherweise wußte das WOM-Management gar nicht, daß man in ihren Filialen die Platten von Screwdriver und andere Rock´O´Rama Produkte noch bis 1990 auf dem Kopfhörer probehören konnte. Es gab auch Radiosendungen, die eineinhalb Stunden lang über deutsche Bands und Musiker berichteten, die den Sprung in die Top Ten geschafft hatten, ohne die Onkelz mit einem Wort zu erwähnen. Ich ich sitz´ nicht hier und schweige ich lebe nicht in angst ich kann auch anders ich kann das was du nicht kannst ich trag mein innerstes nach außen damit auch ihr es seht um euch zu zeigen daß es anders geht ich laufe gegen mauern ich laß mich nicht kontrollieren ich laß mich nicht benutzen und nicht von blinden führ´n nichts bringt mich zum schweigen nicht wenn ich dazu steh´ ich will mindestens die welt verändern bevor, bevor ich geh´ ein abend mit mir setzt deinen geist in bewegung wie ein vergifteter pfeil eine geistige blähung ich bin ein antidepressivum depressionsdiät wenn ich euch nicht mehr helfen kann ist´s sowieso, sowieso zu spät ich laufe gegen mauern ich laß mich nicht kontrollier´n ich laß mich nicht -8 1 -
verarschen und nicht von blinden führ´n ich kann eigenständig denken ich zweifle nicht ihr steht im dunkeln und ich und ich und ich im licht und ich im licht .....
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Kapitel 21 95/96 "Unter dem Auge des Gonz" Du bezahlst für ihren segen für die angst vor dem tod dein geld hält sie am leben gibt ihnen ihr täglich brot du hängs t an ihren lippen und du glaubst daß du sie brauchst dann klammer´ dich an sie bis du verfaulst bis du verfaulst bis du verfaulst ich scheiße auf die kirche ihren papst und seinen segen ich brauch ihn nicht als krücke ich kann alleine leben falls du das nicht kannst ja, falls du ihn brauchst dann werde mit ihm glücklich doch zwing mir nicht deinen glauben auf zensur und moralismus ist alles was sie bringt eine halbe erlösung der himmel stinkt und du willst für sie sterben in ihrem namen für die kirche für ein Amen ich pisse auf den papst und seine römische zentrale auf den vatikan und seine sklaven ich glaube nicht an eure worte ich bin doch nicht bekloppt denn wer keine angst vor´m teufel hat braucht auch keinen gott ("Kirche", © Böhse Onkelz, "E.I.N.S." CD, Onkelz Productions licensed to Virgin Records, 1996) "... Für mich repräsentiert die Kirche eher Machtgier, geheucheltes Mitgefühl und Geldgeilheit als Gott und Nächstenliebe. Ich rede hier nicht von Christen, die ihren Glauben wirklich leben, sondern von einem Unternehmen mit eigenem Staat. Der Papst ist der Verwalter dieser Firma, die ideologisch längst bankrott ist. Die Kirche ist womöglich die reichste und mächtigste Organisation unter unserem Himmel, doch leider sehen Bedürftige nur einen verschwindend geringen Bruchteil davon. Nur Moslems und Christen führten Glaubenskriege. Dabei ging es nicht nur darum, andere zu missionieren, sondern um Territorien und Bodenschätze, kurz um Macht. -8 3 -
Religion ist für mich nichts anderes als eine psychologische Heilkur. Sie antwortet auf die Urängste der Menschheit. Gerade in ländlichen Gebieten wird die Einfältigkeit, der Aberglaube, die Schwäche der Menschen und ihre Angst vor dem Tod auf das Übelste ausgenutzt. Wer glaubt, daß die Kirche nur Gutes tut, hat sie nicht mehr alle. Es liegt mir fern, Gläubige mit diesen Zeilen, oder meinem Text beleidigen zu wollen, aber ich wähle in den meisten Fällen solche krassen Worte, um auch deren Gehör zu erlangen, die auf einem Ohr taub bzw. auf einem Auge blind sind. Wenn alle Kirchengläubigen beginnen, vor ihrer eigenen Haustür zu kehren, ihren Glauben zu hinterfragen, anstatt blind Götzen anzubeten, fange ich an, meine Meinung zu ändern." (Stephan Weidner über den Song "Kirche", aus B.O.S.C. Fanzine Nr.5, ´96/´97) Die Böhse Onkelz Deutschland -Tour mit der New Yorker Band "Merauder" als Support, im Herbst des Jahres 1995 verlief nicht ohne größere Probleme. Die Presse hetzte in Hamburg und in Stuttgart wurde Strafanzeige gegen die Band erhoben, weil sie den "netten Mann" spielt en, trotz ausdrücklichen Verbots. In Hannover drohte eine radikale linke Gruppe, die sich "die rote Zora" nannte, mit einem Bombenattentat und in Österreich fuhr Thomas Hess einem seiner Securityjungs mit dem Gabelstapler über das Bein. Trotz dieser Zwischenfälle, war es eine Tour, wie sie erfolgreicher für die Böhsen Onkelz nicht hätte laufen können. Ausverkaufte Häuser von Kiel bis Wien. Über 100.000 Fans sahen die Band in mehr als 20 deutschen Städten. Die Polizei hielt sich im Hintergrund und nach den Konzerten blieb den Hauptkommissaren meistens nichts anderes übrig, als Thomas Hess für die hervorragende Zusammenarbeit zu danken. Ausschreitungen gab es nicht und wenn es einmal Ärger gab, dann mit 15- bis 20-jährigen Punks, wie in Kiel, die von ein paar Polizisten in die Flucht geschlagen wurden. Scharmützel, die so albern und geringfügig waren, daß noch nicht einmal die -8 4 -
Tagespresse etwas Spannendes daraus machen konnte, außer: "... Chaostage - Zoff in Hannover und große Angst in Kiel... Flugblätter kündigen Randale an..." (aus Dithmarscher Landeszeitung, 20.10.95) Große Angst? Wohl kaum. Eher großes Fragezeichen. Die Flugblätter sahen so aus, als wenn Sechstklässler sie vollgekritzelt hatten. "Böhse Onkelz? Nö, die sollen sich nicht etablieren..." stand da drauf. Die Rock Hard Leser wählten die Böhsen Onkelz im Frühjahr ´96 mit Abstand zur "beliebtesten Band 1995" und Stephan Weidner zur "Persönlichkeit des Jahres" hinter Ozzy Osbourne auf Platz 2. "Hier sind die Onkelz" war das "viertbeste Album" und Stephan war der zweite der "verehrtesten Musiker". Außerdem landeten die Onkelz in der Sparte der "besten LiveBand" auf Platz zwei hinter Blind Guardian. Der Onkelzkult war angesagter denn je. Was andere Bands an Glaubwürdigkeit vermissen ließen, die beste Stimmung, die größte Party, war nun bei den Onkelz zu finden. Es war zwar schon die ganze Zeit so gewesen, aber 1995 war das Jahr, in dem es sich überall herumsprach. "Hier sind die Onkelz" stand im Sommer ´96 kurz vor der Vergoldung und ein Open Air in Frankfurt Dietzenbach am 6.7.96, als Headliner zusammen mit Motörhead, Blind Guardian und Pro Pain brachte ganze 14.000 Zuschauer auf die Beine. .....
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Credits Ich bedanke mich erstmal bei: meiner Familie für ein Leben voller Liebe, Unterstützung und Rückhalt, bei Stephan Weidner für eine Freundschaft ohnegleichen, bei Kevin Russel, Mathias "Gonzo" Röhr und Pe Schorowsky für ihre Mitarbeit, ihr Riesenvertrauen, für ihre Songs und dafür, daß wir uns immer wieder gegenseitig die Augen geöffnet haben. Außerdem bedanke ich mich bei meinen Freunden und bei allen, die mir bei meiner Arbeit geholfen haben. Bei Nadine Pause, Matthias Martinsohn, Markus HollmannLoges, Richard Elpers ganz besonders bei: Stephan Höschele, Pauli Steinbach, Patrick Dechent und Yogi, aus der legendären K17-WG und bei: Axel Glittenberg, Mo Sudmann, Martina Hoffmann, Robert Deibele, Silke Friedebold, Tatjana Buljan, Irene Fajardo, Hot Dog und Ökbert, Roderik, John Seydman, Tom von "lick the frog", Joey und Michelle, Edie, Nicky, Brad, Rusty + Elvis + Chico, Jason, Stephen und Brad von Ecotreks, Peter Specks, Markus Löffel, Beatrice, Andy Peierl, Robert Klanten, Henni, Ebel, Pia Comtesse, Anna Comtesse, Frau Trimborn, Julie, Nika und Arian Beheshti, Danni Heidgen, Thomas Hess, Hassmütz-Stefan, Boris Klitoris, Marc und Eric Voss, Karl-Heinz Weidner, Gisela, Carmen und Moni Weidner, Günther Meißburger, Frau Russell, Auge, Kid, Yvonne, Hofi, Donald, Ariane, Söhnke, Mime und Mücke, Kuchen, Patrick Orth, Mirco Beltz, Moses Pelham (me and mo on the go...), Thomas H., Frank Beißwanger, Edgar Straub für astrologischen Beistand, Pit, Bilke, Otto und Ines, David Kornowski, Daggi (unbekannterweise), Christoph Schnee, Joern Zimmermann, Michael Decker, Sven und allen Freunden aus der Kanzlei des Grauens, Dr. Bernd Schmidt und Aimee, Alex Porschitz und Amir, Ralf Hübers, Stefan Lechtaler, Hennes Wassermé, B.O.Security,Tony, Michel, Schaffner, Mike, Bomber, Danni Spreng, Norman Winter vom Body Styler, Familie Wendorff, -8 6 -
Dag Lerner, Daniel Barsan, Thomas Munke, Sascha, Bettina, Stefan Wagner und Mone, Wolfi Steingruber, Martin Broich, Rheinhold Becker, Lars Bey, Jens Brunholz, Jörn Schreiber, Mareile und Silke, Thilo, Maren Winter, Heike Rehker, Stella, Iris, Nicole Belsler, Sven Väth, Patzi, Jenny, Sue, Faridah, Tamara, Angela, Denise, Sybille, Micki, Mike Maurice, Virna, Michi, Tania, Jane, Xavier Fux, Andi, Susi und Fabienne, Thomas Koch, Felix Houzer, Araba, Lollo, Tamara und Francesco, Pino, der andere Pino, Nadja, Conny, Markus Büttner, Dorian, Maureen, Hamlet, Björn, Lea, Milly, Martin Wagner, Daniel Beck, Percy, Olli, Jörg Keller, Punk, Boris Dechent, Christian v. Seydlitz-Kurzbach, Katsche, Achim von Pit Bull, Mader, Stefan Österreich, Eva Schnitzler, Ralf Hildenbeutel, Ute, Mischka Iljine-Lund und Stammi, Robert Zakich, Kerstin Greiner, Henry und Saskia, Florian Böhm, Helge Tscharn, Puschkin und Mathias Hoffmann, Luca und Niccole Anzilotti, Alex Azary, DJ Atta, Yves, Fitti, Micha Eurich, Kai Sehr, Nina, Guiliette, Almut, Alvin und Familie Bubendorfer, Arno Wiedefeld, Hulk, DJ Special, Claire, Anja von Viva (trotzdem), Monika Kruse, Lars Langer, Carsten Weinrich, Harry Gunz und Pauli Gruber (sorry, daß ich einfach so verschwunden bin), Mike Schraft und Stephan Scheler (cool, sehr, sehr), Tim und Sven, Jürgen Wolf, Holgi, Andrea und Homeboycrew (nach all den Jahren) und ganz besonders bei den Onkelzfans, aber bestimmt nicht bei allen! Aus der Mitte kommt die Kraft, ihr Deppen. Außerdem bei Lopez und Doerner für Inspiration und Oceanknowledge bei Axel und Marc für die "Fahrt im Bus", den "Vossfaktor" und die "Theorie des Herbeilaberns" - Tavarua ´98 Bei Klaus "Holzweg" Walter für lustige Presseartikel und bei all denen, die ich vergessen habe... "Es war nicht alles Gold was glänzte, und es wird nicht alles Pech sein was schwarz scheint," RESPEKT, Mach´s gut Alder - Alder , mach´s gut!! -8 7 -