Steve Frazee
BONANZA Bonanza Band 1
Engelbert-Verlag • Balve/Westf.
Verlags-Nr. 708 2. Auflage 1968 Dia und Foto fü...
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Steve Frazee
BONANZA Bonanza Band 1
Engelbert-Verlag • Balve/Westf.
Verlags-Nr. 708 2. Auflage 1968 Dia und Foto für den Umschlag wurden von NBC ENTERPRISES gestellt Illustrationen: Walter Riede Titel der Originalausgabe: BONANZA – Killer Lion (c) 1966 by National Broadcasting Company, Inc. Alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht mit Genehmigung von Western Publishing Company, Inc. Racine USA Alle Rechte der deutschen Buchausgabe 1968 by Engelbert-Verlag, Balve Aus dem Amerikanischen übertragen von Heinrich Gottwald Nachdruck verboten – Printed in Germany Satz, Druck und Einband: Gebr. Zimmermann, Buchdruckerei und Verlag GmbH, Balve/Westf.
Die spannende Geschichte von Hoss Cartwright und seinem Puma, die den Leser ebenso fesseln wird, wie sie die jugendlichen Fernsehzuschauer in ihren Bann schlug.
Der zweite Schuß
Nur eine huschende Bewegung nahm Hoss Cartwright oben im Geröll des Felsenhanges, knapp am Rande seines Gesichtsfeldes, wahr. Mit einem Zügelruck brachte er sein großes Pferd Paiute zum Stehen und spähte angestrengt durch den dichten Vorhang der fallenden Schneeflocken. Irgendeine Bewegung – das war alles, was er gesehen hatte. Vielleicht war es ein Kleinwild, das seinem Bau zustrebte; vielleicht auch ein Vogel, der sich sein Nest unter einem Felsvorsprung gebaut hatte. Jetzt jedenfalls konnte Hoss dort oben nichts anderes entdecken als Felsgestein, das die sofort tauenden Schneeflocken feucht und bräunlich schimmern ließen. Paiute war mit dem Aufenthalt gar nicht einverstanden. Ungeduldig biß das Pferd auf der Zaumstange herum, es sehnte sich nach seinem Stall am nahen Fluß. Mit einem scharfen Ruck wandte es den Kopf und schien seinen Reiter ärgerlich fragen zu wollen, weshalb man denn bei einem solchen Unwetter auch noch stehen bleiben müsse.
Aber Hoss ließ sich nicht beirren und schaute aufmerksam den Felsenhang hinauf. Hochgewachsen, von gemütlichem Naturell, sah er jetzt noch unförmiger aus, als er tatsächlich war: Er hatte sich nämlich in einen weiten Mantel aus Schaffell gehüllt und einen riesigen grauen Hut aufgesetzt. War dort oben etwa ein Wolfsbau? Dann konnte man sich gar nicht früh genug darum kümmern. Der Frühling war nicht mehr fern, dann würde die Wölfin womöglich Mutter werden, und die jungen Welpen hätten Hunger! Mutter und Vater würden also auf die Jagd gehen – und ein Mann, der hier in der Nähe eine Herde kräftiger Rinder weidete, mußte aufpassen. Deshalb hatte Hoss während der letzten Wochen die Augen offengehalten. Sobald das Wetter sich besserte, würde er einmal dort oben hinaufsteigen und in dem unwirtlichen Felsengelände sorgsam Umschau halten. Der Schnee auf seinem Hut schmolz, und von der Krempe tropfte das Wasser herab. Paiute stampfte unwirsch mit den Hufen und warf den Kopf zurück. Trotzdem wartete Hoss noch einige Minuten, ehe er weiterritt. Hier oben in diesem unwirtlichen, unberührten Lande wimmelte es von meist harmlosen
Tieren aller Art. Hoss fühlte sich in der Wildnis wohl. Sein Bruder Joe und der Vater unten in Ponderosa würden nicht schlecht lachen, wenn sie ihn manchmal beobachten könnten – nicht zuletzt wegen der Skunkmutter mit ihren fünf Jungen, die sich ganz nahe seiner Hütte friedlich niedergelassen hatte. Es fehlte nicht viel, daß die niedlichen kleinen Stinktiere sich in dem winzigen Häuschen selbst breitgemacht hätten. Aber um seine Nase zu schonen, achtete Hoss streng darauf, daß die freundschaftliche Zuneigung die Grenze des Erträglichen nicht überschritt. Hoss ließ sein Pferd weitertrotten, warf aber doch noch ab und zu einen Blick zurück. Zum ersten Male kehrte er auf diesem von Espen gesäumten Weg von seiner Herde zum Hof zurück. Gewöhnlich benutzte er einen Pfad, der sich tiefer unten am Gebirge vorbeischlängelte. Heute jedoch hatte er einen schwierigeren Weg gewählt, weil er erheblich kürzer war und Hoss zu Hause sein wollte, ehe der Schneesturm seinen Höhepunkt erreichte. Seit einem Monat bewachte er nun eine kleine Herde von Hereford-Rindern, die der Vater vor kurzem gekauft hatte. Es handelte sich um eine ganz neue Zucht, und ehe der Vater weite-
re Tiere anschaffte, wollte er erproben, wie sie unter den hiesigen Bedingungen gediehen. Noch ein paar Wochen – dann war Joe an der Reihe, hier oben den Hirten zu spielen, und Hoss konnte heimkehren. Plötzlich blieb Paiute stehen. Schnaubend versuchte das Pferd, zur Seite auszuweichen und den Berghang hinunterzustürmen. Hoss hatte alle Hände voll zu tun, das erschrockene Tier wieder in die Gewalt zu bekommen. „Immer mit der Ruhe!“ mahnte er. „Nur nicht aufregen!“ Dort oben im felsigen Gebirge mußte etwas sein – auch Paiute hatte nun Witterung davon bekommen. Als Fohlen hatte das Tier einmal mit Wölfen zu tun gehabt, und seitdem geriet es stets aus dem Häuschen, wenn es die Nähe dieser Raubtiere spürte; sogar Hunde machten es zuweilen nervös. So war es kein Wunder, daß Hoss an Wölfe dachte, als er flink aus dem Sattel sprang und das Gewehr aus der Halterung löste. Sorgsam band er das zitternde Pferd an einen Baum. Von seiner Hutkrempe rann ein Bächlein Schneewasser über den Gewehrlauf, während er die Patrone einschob. Ganz langsam schlich er auf den Hang zu. Aufmerksam suchte er mit den Augen das fel-
sige Gelände nach Höhlen oder Spalten ab. Falls er wirklich einen Wolf erspähen würde, wäre das ein großer Glückszufall. Aber vielleicht gelänge es ihm, wenigstens einen Anhalt zu finden: dann könnte er später wiederkommen, die Höhle aufstöbern und sie ausräuchern. Vorsichtig, ganz langsam, erklomm er den Hang. Auf dem feuchten Boden verursachten seine Schritte fast keinen Laut. Zum Schießen war es kaum noch hell genug, und Hoss wußte, daß er überhaupt nur mit großem Glück würde treffen können – und falls er sehr schnell wäre! Unbeirrt suchte er sich seinen Weg durch Felsspalten und dichtes Gebüsch. Endlich erreichte er eine kleine Lichtung, und beklommen blieb er stehen. Zwar hatte er noch niemals gehört, daß ein Wolf einen Menschen angefallen hätte, aber jedes Raubtier konnte ungemein gefährlich werden, wenn es sich in die Enge getrieben fühlte und keine Möglichkeit zur Flucht mehr sah. Vor ihm zogen sich zahlreiche Spalten und Furchen durch das felsige Gelände. Hoss mußte einsehen, daß es schon zu spät war, um hier noch gründlich suchen zu können. Die Schneeflocken schmolzen nicht mehr, und allmählich
legte sich eine weiße Decke über den Boden. Große Felsbrocken versperrten Hoss den Blick nach unten, wo sein Pferd angebunden war. Immer langsamer bewegte er sich in dem dichten Schneetreiben, und immer wieder blieb er stehen und lauschte. Plötzlich stand er vor einer Enge, durch die er sich nur seitwärts hätte hindurchquetschen können. Vorsichtig wich er ihr aus und zog es vor, den Hang dicht daneben ein Stück hinaufzuklettern. Von hier aus konnte er das ganze Gelände unter sich überschauen und auch sein Pferd sehen. Paiute blickte nicht zu ihm herauf, sondern spähte gebannt nach Westen. Hoss stutzte. Er konnte sich auf die Sehschärfe des Tieres erheblich besser verlassen als auf seine eigene, und so schaute er aufmerksam in die Richtung, die das Pferd ihm wies. Aber er konnte beim besten Willen nichts anderes sehen als dicke Schneeflocken, die auf die Felsen herabsanken. Nach kurzem Überlegen beschloß er, nicht mehr höher hinaufzuklettern. Womöglich käme er dabei ganz dicht an der Wolfshöhle vorbei, ohne sie jedoch zu entdecken, und würde die Wölfin vielleicht so erschrecken, daß sie mit ihren Jungen eilig irgendwo anders Schutz suchte und sich an
einer Stelle verkröche, wo Hoss sie niemals wiederfände. Mit der Hand fuhr er über den Kragen seiner Pelzjacke und streifte den Schnee ab. Ein Blick nach unten zeigte ihm, daß sein Pferd noch immer aufmerksam in dieselbe Richtung schaute und die Ohren spitzte. Hoss blieb unbeweglich stehen und spähte angestrengt am Hang entlang. Endlich verlor er die Geduld und wollte sich abwenden… Da aber sah er sie, unmittelbar unter dem Steilhang oben auf der Höhe: eine lange, gelblich-braune schlanke Gestalt, die gleich einem Pfeil von Felsbrocken zu Felsbrocken sprang. Ein Puma! Ein Berglöwe! Kaum nahm Hoss die flinke Bewegung wahr, da riß er auch schon ganz automatisch das Gewehr hoch. Aber lange bevor er zum Schuß kam, war das Tier mit einem langen Satz hinter einem Felsen verschwunden. Hoss hielt die Waffe im Anschlag. Gespannt wartete er – aber nichts geschah. Diese elenden Raubkatzen! Immer war es so: man sah sie – und im nächsten Augenblick waren sie verschwunden und ließen sich nicht mehr blicken. Der Puma da oben war inzwischen womöglich schon viele hundert Meter weiter!
Dennoch blieb Hoss unbeweglich stehen, das Gewehr schußbereit. Dicht neben der Stelle, wo der Puma aufgetaucht und verschwunden war, ragten die Spitzen von zwei kleinen Fichten in den Himmel. Dahinter schob sich ein Felsvorsprung über den Abgrund – so kahl, daß sich dort gewiß niemand verstecken konnte. Vermutlich hatte sich das Tier hinter dem Felsen durch einen Spalt davongeschlichen, und Hoss durfte nicht hoffen, es jemals wieder zu Gesicht zu bekommen. Aber falls es noch da war und über den kahlen Felsvorsprung fortschleichen wollte, würde Hoss es unweigerlich sehen müssen – gerade lange genug, um einen schnellen Schuß wagen zu können. Von unten herauf klang aufgeregtes Stampfen und Wiehern an sein Ohr, aber Hoss wagte nicht, den Blick von dem Felsvorsprung zu wenden. Mochte sein Pferd sich nur losreißen! Es würde schnell dunkler. In zehn Minuten würde die Nacht hereinbrechen! Ob der Puma dort oben seine Höhle hat? überlegte Hoss. Sobald das Wetter sich besserte und man im Schnee die Spuren deutlich erkennen könnte, würde er wiederkommen.
Schon wollte er sich umwenden und hinunterklettern – da landete der Puma mit einem Satz oben auf dem kahlen Felsvorsprung. Ungefähr drei Sekunden lang bekam Hoss seine Gelegenheit zum Schießen. Ruhig drückte er den Abzug durch und hatte das Gefühl, gut abgekommen zu sein. Die Kugel traf den Puma in die Mitte des schlanken Leibes. Er sackte zusammen, wälzte sich, riß, sich noch einmal hoch und rollte dann den Hang hinunter. Hoss konnte ihn nicht mehr sehen. „Getroffen!“ jubelte Hoss. So begierig er war, das von ihm erlegte Wild zu sehen, nahm er sich doch Zeit und kletterte ganz langsam durch das felsige Gelände. Es wäre auch sträflicher Leichtsinn gewesen, hätte er sich einem getroffenen Raubtier, vor allem einem Puma, einem Berglöwen, unachtsam genähert. So war es schon beinahe dunkel, als er von der Höhe eines Felsvorsprunges aus auf die große Raubkatze hinunterschaute. Anscheinend war sie tot. Dennoch kletterte Hoss nur mit größter Vorsicht weiter, das Gewehr schußbereit in der Armbeuge. Donnerwetter – ein so großer Puma war ihm noch nie
im Leben vorgekommen! Hätten doch nur der Vater und Joe ihn sehen können! Plötzlich stutzte Hoss. Er hatte etwas entdeckt: das tote Tier war ein Weibchen, und es hatte Junge gehabt! Hoss schlug den Hut gegen sein Bein, um den Schnee abzuklopfen. Ungehalten schüttelte er den Kopf. Nun mußte er auch noch die Höhle suchen und die Jungen umbringen! Sonst würden sie elend verhungern. Hoss war Viehzüchter, und er hatte deshalb etwas gegen Raubtiere aller Art. Und doch war ihm der Gedanke an die jungen Pumas, die elendiglich verhungern mußten, einfach unerträglich. Er machte sich an den Abstieg zu seinem wartenden Pferd. Plötzlich erstarrte er: In einer kleinen Lichtung, in der zwei zerzauste Fichten wuchsen, hatte er das Junge erspäht! Es war auf einen der Bäume geklettert, so weit die ungeübten Füße es trugen, und nun hing es dort oben an den schwachen Zweigen. Während Hoss verblüfft hinaufstarrte, gab einer der Zweige nach, und das Pumajunge mußte mächtig strampeln und sich verzweifelt mit einer Pfote am Stamm festkrallen, um ja nicht in die Tiefe zu stürzen. Hoss hob das Gewehr und zielte auf den Kopf des Kleinen. Mit Schnee bestäubt, starrte das
Fellgesicht herunter: ein Ohr hatte das Tierchen gespitzt, das andere angelegt. Wieder gab ein Zweig nach, und das Junge mußte auf so urkomische Weise um neuen Halt kämpfen, daß Hoss nicht anders konnte, als das harte Gesicht zu einem Grinsen zu verziehen. Mensch, war es nicht niedlich, das kleine Wesen da oben auf dem Baum? Wie mochte es sich vorkommen in seiner luftigen Höhe? Bestimmt sehnte es sich auf festen Grund zurück. Ja, niedlich mochte es im Augenblick wohl sein – aber aus Pumajungen wurden große Raubkatzen, natürliche Feinde harmlosen Wildes – und Feinde weidender Rinder und fröhlicher Fohlen. „Armes Kätzchen!“ knurrte Hoss. „Leider muß ich dich erschießen, es geht nicht anders. Je eher, desto besser!“ Der Finger krümmte sich um den Abzug. Wieder brach einer der Zweige, um ein Haar wäre das junge Tier abgestürzt; erst im letzten Augenblick gelang es ihm, sich mit allen vieren am Stamm festzukrallen. Der ganze Baum geriet ins Schwanken, und das Junge starrte mit drolligem Gesichtsausdruck zu dem Menschen herunter. Hoss zuckte ärgerlich die Schultern – und setzte das Gewehr ab!
„Weshalb mußtest du nur auf einen Baum klettern!“ schimpfte er. Und was für ein kümmerlicher Baum es obendrein war! Wäre das Pumajunge auf dem Erdboden dahingelaufen, hätte es zu entkommen versucht – ja, dann wäre alles ganz anders gewesen! Dann hätte man nicht lange zu überlegen brauchen, sondern einfach losgeknallt, und der Fall wäre erledigt gewesen. Noch dichter fiel der Schnee, und es war schon fast stockfinster. Bis zur Hütte waren es fast zwei Kilometer, und Hoss fiel ein, daß er noch Feuerholz würde sägen müssen. Eigentlich hatte er es heute früh tun wollen, aber das Wetter war so schön gewesen, daß er unbedingt hatte ausreiten müssen und überzeugt gewesen war, das Holzsägen noch ohne Mühe am Nachmittag erledigen zu können. Reichlich viel Zeit hatte er nun damit vergeudet, sich über einen kleinen Puma den Kopf zu zerbrechen. Er hob das Gewehr. Diesmal würde er ohne jedes Bedenken den Abzug drücken!
Gefangen
Aber Hoss Cartwright brachte es nicht fertig. Mochte das kleine Wesen mit dem beschneiten Fell später auch einmal ein reißender Berglöwe werden – Hoss konnte es in diesem Augenblick nicht abschießen. Gar zu rührend sah es aus, wie es sich da oben an den Stamm klammerte und auf ihn herabschaute! Merkwürdig! Plötzlich fiel Hoss auf, daß das winzige Tier ihn nicht ein einziges Mal angefaucht hatte. Gewiß hatte es genug damit zu tun gehabt, sich oben festzuhalten. Aber trotzdem… Hoss konnte sich doch nicht einfach abwenden und davongehen! Immerhin lag die Mutter des Pumajungen erschossen dort drüben zwischen den Felsen… Er lehnte das Gewehr an einen Felsen und zog die Pelzjacke aus. Dann hielt er sie so, daß die weiche Seite oben lag, und trat dicht an den Baumstamm heran. Er hob den Fuß, so hoch er konnte, und trat mit aller Wucht gegen den schlanken Stamm.
Der Baum schwankte, schnellte vor und zurück, und gleich darauf verlor das Junge allen Halt und stürzte ab – in die ausgebreitete Pelzjacke hinein. Flink beutelte Hoss sie zusammen und schlug die Enden übereinander. Sogleich wurde ihm klar, daß er einen strampelnden, fauchenden, beißenden kleinen Teufel eingefangen hatte. Geschickt hantierte er so lange mit der Jacke, bis der Kopf des kleinen Raubtieres hervorschaute. Sofort stellte die Katze die Gegenwehr ein. Hoss klemmte sich das gefangene Junge unter den Arm und kletterte zu seinem Pferd hinunter. Paiute hatte den Boden rundum kräftig zerstampft, aber doch nicht ernstlich versucht, sich loszureißen. Nun allerdings, als das Pferd die Witterung des Pumajungen aufnahm, wurde es wild! Blitzschnell packte Hoss die Zügelleine, aber Paiute riß gewaltsam daran, wollte sich umwenden und davonlaufen! „He, blödes Vieh!“ schimpfte Hoss. „Es ist doch nur ein liebes Kätzchen!“ Ob lieb oder nicht, ob Katze oder Kätzchen – für Paiute war die Witterung die gleiche! Es dauerte lange, bis es Hoss endlich gelang, sein Pferd halbwegs zu beruhigen. Jedoch mußte er einsehen, daß es sich unbedingt empfahl, gar
nicht erst den Versuch zu machen, mit seiner Beute in den Sattel zu steigen! So ging er zu Fuß und zerrte sein Pferd am Zügel hinterher. Paiute fand es offenbar schlimm genug, einen Puma so nahe bei sich zu haben. Als sie das Gehöft betraten, trabte Ginger, das zweite Pferd, über die Koppel heran. Plötzlich nahm auch er die Witterung des kleinen Pumas auf. Mit lautem Wiehern fuhr er herum und galoppierte davon. Spätestens in diesem Augenblick wurde Hoss klar, daß er sich allerlei aufgehalst hatte, als er oben im Gebirge darauf verzichtete, den Abzug durchzuziehen. Er ließ Paiute los – auf die Gefahr hin, daß das Pferd das Weite suchen würde. Aber das gute Tier trabte auf die Koppel und schaute sich hinter dem Zaun noch einmal um. Es mußte doch sehen, was sein Herr nun mit dem elenden Stinker anstellte! Hoss trug das Pumajunge in den einzigen Raum seiner winzigen Hütte. Sofort rollte es sich auf dem Fußboden zusammen, kroch dann mit klopfendem Schwanz über die rohen Bohlen und versteckte sich unter dem Bett. „Das ist der richtige Platz für dich, kleiner Stinker!“
Hoss war vom Schnee durchnäßt, da er ohne Jacke hatte marschieren müssen, und erschöpft vom langen Gehen. Aber noch durfte er sich nicht ausruhen. erst einmal mußte das Pferd versorgt werden. Also zog er sich die Felljacke wieder an und ging hinaus. Sofort stürmte Ginger auf ihn zu – kaum aber witterte er die Jacke, da schnaubte er angewidert, fuhr herum und jagte über die Weide davon. „Ich war wirklich ein Vollidiot, als ich einen jungen Puma einfing!“ schalt Hoss sich selbst gehörig aus. „Aber nun habe ich es einmal getan. Und was jetzt?“ Beim Schein einer Laterne sägte er Holz, und mit dicken Flocken sank ihm der Schnee auf die Schultern. „Auch daran hat niemand anders als das elende Löwenvieh schuld!“ knurrte Hoss. Als er, die erste Bürde Holz auf den Armen, in die Hütte kam, hörte er einen dumpfen Laut: das Pumajunge war von seinem Bett heruntergesprungen und verkroch sich soeben mit schlechtem Gewissen wieder unter die Lagerstätte. Die Hütte war aus dicken Baumstämmen errichtet, die Wände mit Lehm verschmiert. Neben dem Tisch befand sich das einzige kleine Fenster, ein paar Regale waren an der Wand befestigt und zum Schutz gegen Ratten sorg-
sam vergittert, und die übrige karge Ausstattung war aus Holzklötzen roh zusammengezimmert. Hier drinnen war es ziemlich gemütlich, obwohl man sich während der langen Wintermonate tüchtig langweilen konnte! Kaum gewann das Feuer ein wenig Gewalt über die Kälte im Zimmer, da zerrte sich Hoss das nasse Hemd vom Leibe und stellte sich dicht an den Ofen. Deutlich hörte er, wie der junge Berglöwe unter seinem Bett an den Holzbohlen kratzte. Plötzlich aber wurde es ganz still. Hoss dachte ans Abendbrot. Dazu mußte er einen Eimer Wasser vom Fluß heraufholen. Als er nach einiger Zeit in die Hütte zurückkehrte, machte er sich darauf gefaßt, den jungen Puma in heller Aufregung zu finden; sicherlich suchte er ein Loch, durch das er entschlüpfen konnte. Aber es war alles still. Hoss stellte die Laterne auf den Boden und kniete nieder. Da lag das junge Tier unter seinem Bett, hatte sich zusammengerollt, und seine riesengroßen Augen blinzelten verschlafen in dem hellen Licht. „Donnerwetter!“ Mehr brachte Hoss nicht heraus.
Er goß Kondensmilch in eine Schale, verdünnte sie mit warmem Wasser und stellte sie neben sein Bett auf den Fußboden. Dann machte er sich daran, sein Abendbrot zuzubereiten. Erst ungefähr eine Stunde später rührte sich das Junge. Hoss hatte sich auf seinem Strohsack ausgestreckt, als er plötzlich ein schlürfendes Geräusch vernahm. Vorsichtig senkte er den Blick: Ja, da schlappte das junge Tier die Milch aus dem Napf, und die Schnurrbarthaare färbten sich weiß. Bewegungslos schaute Hoss dem Pumajungen zu. Irgend etwas stimmte mit dem einen Ohr nicht: mißgestaltet und verstümmelt lag es im dichten Fell. Es sah aus, als habe es jemand zur Hälfte abgefressen. Und jetzt bemerkte Hoss noch etwas: von der Schulter über den rechten Vorderlauf zog sich eine lange Narbe. Offenbar war die Wunde recht tief gewesen. Inzwischen war sie zwar verheilt, doch das Fell war noch nicht nachgewachsen. Plötzlich hustete das Tier, vermutlich hatte es die Schnauze ein wenig zu tief in den Napf getaucht. Wütend fauchte es, als habe der Napf es angegriffen, und wich unter Hoss’ Bett zurück.
Zweimal weckte das Tier Hoss während der kommenden Nacht. Einmal vernahm er, wie es wieder an der Milch im Napf schleckte. Und beim zweiten Male hörte er, wie es mit der Schnalle eines seiner Sättel spielte, die im Zimmer lagen. Als Hoss am Morgen erwachte, saß der junge Puma auf dem Tisch und schnupperte an der Fensterritze. „Hinunter da!“ schimpfte Hoss ungehalten. Vermutlich wirkte mehr der ärgerliche Klang der Stimme als der Befehl selbst – jedenfalls huschte das Tier erschrocken vom Tisch und verkroch sich wieder unters Bett. Hoss trat in die Tür seiner Hütte. Fast ein halbes Meter hoch lag der Schnee, und es schneite immer weiter. Sein erster Gedanke war, daß er wieder Holz schneiden mußte. Während er blinzelnd in die schweigende weiße Welt draußen schaute, huschte das Jungtier ganz dicht an ihm vorbei – in die Freiheit. Kaum aber war es draußen, da sank es tief in dem hohen Schnee ein, und nach ein paar vergeblichen Versuchen, vorwärts zu kommen, bahnte es sich durch die flockige Decke einen Weg zu dem schneefreien Platz unter dem vorstehenden Dach.
Das Pumajunge schüttelte sich heftig und rannte dann um die Ecke, wo in unmittelbarer Nähe der Hauswand ebenfalls kaum Schnee lag. Hoss lief hinterher, und auf einmal machte das junge Tier kehrt, schlüpfte zwischen seinen Beinen hindurch und lief zurück. Machte es sich einfach einen Spaß, oder wollte es tatsächlich entkommen? Hoss wußte es nicht – jedenfalls drehte der Puma unglaublich flink drei Runden um das Blockhaus… Dann huschte er wieder hinein und verkroch sich unter die Schlafstelle. Hoss seufzte. Ihm war klar, daß er das Tier nie im Leben wiedersehen würde, hätte ihm nicht die hohe Schneedecke den Weg versperrt. Jedes Lebewesen, ob Mensch oder Tier, hat seinen ganz eigenen Charakter. Wie es sich entwickelt, hängt von vielen Dingen ab – gewiß nicht zuletzt aber von seiner Veranlagung. Konnte es sein, daß dieser junge Berglöwe gar nicht so wild und unberechenbar war wie die übrigen wilden Tiere, die Hoss bisher kennengelernt hatte? Vermutlich fühlte sich das Junge unter seinem Bett genauso daheim wie in der Höhle, in der es geboren worden war. Seine Geschwister waren vielleicht vollkommen anders. Womög-
lich wären sie, sofern sich ihnen eine Möglichkeit zur Flucht geboten hätte, trotz des Schnees davongestürmt und hätten gegen die weiße Masse angekämpft, bis sie erschöpft liegengeblieben wären! „Mir scheint, du weißt ganz gut, was sich schaffen läßt!“ sagte Hoss lachend. Plötzlich stutzte er. „Ich meine, du müßtest einen Namen haben.“ Er überlegte kurz. „Wie wäre es, wenn ich dich Rimrock nenne? Ein besserer Name fällt mir nicht ein!“ Nach dem Frühstück schüttete Hoss Milch in den Napf. Dann suchte er draußen neue Holzstämme unter dem Schnee. Gewiß gab es reichlich Holz auf dem Hof, aber leider hatte er stets versäumt, genug Ofenholz zu spalten. Nun aber wollte er so viel heizbares Holz in die Hütte schaffen, daß es für den Rest des Winters reichte. Jedesmal, wenn er in die Hütte zurückkam und einen neuen Stapel Holz gegen die Wand schichtete, warf er einen Blick auf die Schale mit Milch. Der Spiegel sank allmählich, daran war nicht zu zweifeln. Rimrock schleckte die Milch, während er draußen Holz sägte! Lange bevor Hoss alles Holz hereingeschafft hatte, war die Satte leer.
Hoss begann zu überlegen. Rimrock war doch eigentlich schon zu groß, um noch als Säugling behandelt zu werden. Zwar wußte er nicht viel über die Lebensweise der Berglöwen, wenn er sich diesen Rimrock so anschaute, dann schien er doch auf jeden Fall groß genug zu sein, um selbst auf die Jagd zu gehen und sich seine Nahrung zu verschaffen. Seit seinem unüberlegten Entschluß, das junge Tier lebend zu fangen, hatte Hoss immer wieder darüber nachdenken müssen, wie unklug das gewesen war. Auf die Dauer ging es nie gut, wenn man ein wildes Tier in ein zahmes Spielzeug verwandeln wollte. Wurde das Tier endlich groß, gab es stets Verdruß. Nachbar Corley Frakes hatte im Frühling eines Tages ein verwaistes Rehkitz heimgebracht. Natürlich freuten sich seine Kinder mächtig, und zwei Jahre lang ging alles gut. Dann auf einmal wurde aus dem sanften Tierkind ein Bock mit spitzem Gehörn, der mit Vorliebe Pferde und Besucher anfiel! Eines Tages versetzte er sogar Corley, der sich gerade über die Futterkiste beugte, einen Stoß, und der Rancher stürzte kopfüber in die Körner. Das war zuviel! Wenige Tage später war der Bock verschwunden, und der Vater erzählte
seinen Kindern, er sei sicherlich in den Wald gelaufen. Hoss konnte nur eines tun: er wollte Rimrock so lange bei sich behalten, bis er alt genug war, in der Wildnis für sich selbst zu sorgen. Dann würde er ihn in einiger Entfernung von seiner Hütte freilassen. Außerdem würde der Puma bestimmt ganz von selbst davonlaufen, sobald er ein Kaninchen oder ein anderes Tier dieser Größe fangen konnte. Es wäre ja noch schöner, wenn er sich in ein Schoßtierchen verliebte! Ein Mann tat so etwas nicht! Nur eine Zeitlang behalte ich ihn bei mir, redete er sich ein. Dann aber jage ich ihn ins Freie, wie es sich gehört! Vermutlich war Rimrock wieder unter das Bett gekrochen, nachdem er die Milch aufgeschleckt hatte. Tiere dieser Art pflegten ja bei Tage zu schlafen und nachts auf die Jagd zu gehen. Plötzlich aber blieb Hoss bewegungslos stehen. Der Puma kam aus dem Haus, stürzte sich in den Schnee, wälzte sich und sprang unbeholfen durch die weiße Pracht. Paiute und Ginger spürten seine Nähe. Sie standen am Koppelzaun, reckten die Hälse
und stießen dampfende Atemwolken aus den geblähten Nüstern. Während Hoss seine letzte Ladung Holz hineintrug, hörte es auf zu schneien. Eigentlich hatte er ja wieder ins Gebirge reiten und nach der Höhle der Berglöwen suchen wollen. Nun aber hielt er es für wichtiger, sich um seine Rinderherde zu kümmern. Rimrock hatte sich wieder ins Innere der Hütte zurückgezogen. Als Hoss aufbrach, ließ er die Tür einen Spalt offen und klemmte ein Holzscheit dazwischen. Die Rinder waren ein wenig weitergezogen. Mit dem Schnee wurden sie offenbar gut fertig. Das eben hatte der Vater erproben wollen: ob sie auch bei schlechtem Wetter für sich sorgen und noch unter einer Schneedecke Futter hervorscharren könnten. Nun, er konnte mit diesen Hereford-Kühen zufrieden sein! Langsam ritt Hoss eine Runde um die Herde. Aufmerksam musterte er die Tiere und suchte nach Anzeichen von Schwäche. Außerdem hielt er Ausschau nach Spuren von Raubtieren. Raubtiere! dachte er erschrocken. Wenn Vater wüßte, daß ich einen Löwen, wenn auch einen kleinen, unter meinem Dach aufgenommen habe!
Nun, der Vater würde es nie erfahren. Auch Joe sollte keinen Wind davon bekommen – sonst würde er bestimmt nicht mit bissigen Bemerkungen sparen. Hoss glaubte, die helle Stimme zu hören, wie sie ihm spöttisch riet, das nächste Mal ein wildes Tier doch lieber abzuschießen statt an die Brust zu ziehen. Nein, wenn Joe kam, um ihn abzulösen, dann mußte der junge Puma der Milch entwöhnt und in die freie Wildbahn entlassen sein! Bei diesem Gedanken fiel Hoss ein, daß er ja ins Gebirge wollte, um nach der Höhle zu sehen. Allerdings stand nicht fest, daß die Pumamutter gerade an der Stelle gehaust hatte, wo sie Hoss über den Weg gelaufen war. Vielleicht war sie nur unterwegs gewesen, um ihren Jungen Jagdunterricht zu geben! Und vielleicht war Rimrock überhaupt ihr einziges Junges. Aber das erschien Hoss unwahrscheinlich. Pumas bekamen gewöhnlich mehrere Junge auf einmal. Morgen wollte Hoss losreiten und der Sache auf den Grund gehen! Hoss hätte sich wegen der Pumajungen keine Sorgen zu machen brauchen. Nur zwei waren
in der Höhle geboren worden, die mehr als drei Kilometer von der Stelle entfernt lag, wo Hoss die Löwin erschossen hatte. Vor dieser Höhle hatten Bruder und Schwester eines Morgens, als die Mutter auf der Jagd war, gespielt und sich gebalgt. Laut fauchend und knurrend rollten sie über den Felsboden und hatten alles um sich herum vergessen – als plötzlich ein Schatten über sie fiel. Mit weit gespreizten Flügeln stürzte sich eine Adlermutter, die ebenfalls Junge zu ernähren hatte, auf die jungen Pumas. Ihre Krallen rissen Rimrock ein halbes Ohr ab und zogen eine tiefe Schramme über seine Brust und den oberen Teil des Vorderlaufes. Die andere Klaue aber grub sich tief in den Nacken von Rimrocks Schwester. Rimrock kam wieder auf die Beine, doch ein schwerer Hieb des mächtigen Flügels streckte ihn nieder, und er rollte davon. Nur mühsam konnte er zur Höhle zurückkriechen, wo er sich in der hintersten, finstersten Ecke verbarg. Die Schwester sah er nie wieder. Aber er wußte, daß ihr etwas ganz, ganz Schlimmes zugestoßen war. Als die Mutter heimkehrte, suchte sie Tag und Nacht zwischen den Felsen nach dem verschwundenen Jungen. Immer wieder ließ sie
ihren Ruf erschallen, bis sie es schließlich aufgab, weil sie fühlte, daß sie ihr Kind nie wiederfinden würde. Sie hatte nun mehr Milch, als sie brauchte. Deshalb säugte sie Rimrock länger, als es nötig war – kein Wunder, daß der Kleine sich reichlich unbeholfen anstellte, als die Mutter endlich doch begann, ihn in die Geheimnisse der Jagd einzuführen. Hoss hielt sich nicht lange bei der Herde auf. Er wurde das dumpfe Gefühl nicht los, daß etwas Unangenehmes auf ihn wartete. Und als er sein kleines Gehöft erreichte, bestätigte sich seine Ahnung. Rimrock hatte seinen Aktionsradius ausgedehnt! Auf dem Pfad, den Hoss zu seinem Holzstoß geschaufelt und getreten hatte, war der junge Berglöwe bis zur Koppel vorgedrungen und hatte versucht, Ginger seine Aufwartung zu machen. Der Junghengst mußte ihn aber wohl mißverstanden haben. Der Schreck hatte seine Kräfte vervielfacht: er hatte ein paar Latten des Koppelzaunes losgetreten und war davongestürmt, nach Ponderosa.
Als Hoss den Schaden betrachtet hatte und zur Hütte zurückkehrte, lugte der Kleine durch die halboffene Tür. „Das hast du fein gemacht!“ knurrte Hoss sarkastisch. Er stieg erst gar nicht aus dem Sattel. Falls Ginger die Ranch des Vaters erreichte, würde man sich dort Gedanken machen und womöglich heraufkommen, um nach dem Rechten zu sehen. Das mußte Hoss verhindern. Er ritt los, um das Pferd zu suchen. In den niederen Landstrichen, wo der Schnee nicht mehr gar so hoch lag, war Ginger langsamer gelaufen. Hier und da hatte er eine Rast eingelegt, dann aber bald wieder den Weg zur heimatlichen Ranch fortgesetzt. Hoss mußte mehr als fünfzehn Kilometer reiten, bevor er das Tier einholte. Willig kehrte es um. Während des Heimritts ins Gebirge peitschte ihnen ein scharfer, eisiger Wind entgegen. Als Hoss dann die Lücke im Zaun endlich geflickt hatte, war es schon fast dunkel. Müde kehrte er in die Hütte zurück. Da trat er auf etwas Hartes, das unter seinem Fuß wegrollte. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Knurrend erhob er sich – und wäre fast zum zweiten Male gefallen. Die Holzscheite, die er so sorgfältig an die Wand gestapelt
hatte, lagen rundherum verstreut, und alles Hausgerät war ebenfalls zu Boden geworfen worden. Rimrock wälzte sich auf Hoss’ Bettstelle und spielte mit dem Revolver, der am Koppel über dem Bett hing. „Du bist wohl heute in Hochform?“ schrie Hoss wütend. Flink glitt der junge Puma herunter und verkroch sich eilig unter das Bett. „Ich an deiner Stelle würde mich auch verstecken!“ fauchte Hoss ihm nach. Er zündete die Lampe an und räumte auf. Rimrock schaute ihm, wie er mit einem Seitenblick bemerkte, unter dem Bett hervor gespannt zu. Sobald aber Hoss einen neuen ärgerlichen Laut vernehmen ließ, zog der junge Löwe sich hastig zurück. Bald jedoch schob er sich vorsichtig wieder nach vorn, um weiter zu beobachten, was da vor sich ging. „Du elender Taugenichts!“ schimpfte Hoss, aber er konnte sich dabei ein Lachen nicht verbeißen. Eine Weile später setzte er die Schale mit Milch auf den Boden. Sofort kam Rimrock unter dem Bett hervor. „Na, du bist gelehrig, was?“ feixte Hoss. „Aber laß dir eins gesagt sein: Wir haben nur noch
ganz wenig Milch da, und ich würde dir empfehlen, dich beizeiten auf andere Nahrung umzustellen.“ Nachts fuhr Hoss aus tiefstem Schlaf auf, als irgend etwas gegen sein Bett bumste. Verschlafen, wie er war, begriff er zuerst gar nicht, was das bedeuten sollte. Dann aber hörte er ein Kratzen auf der Zeltplane, die er sich übers Bett gebreitet hatte: Das Jungtier kletterte zu ihm herauf, tappte vorsichtig herum und rollte sich dann zu Hoss’ Füßen zusammen. „So ein Kerl!“ murmelte Hoss, schon wieder halb eingeschlummert. Und Rimrock ließ als Antwort ein zufriedenes Schnurren hören. Kaum öffnete Hoss am nächsten Morgen die Tür, da rannte Rimrock auch schon an ihm vorbei. Diesmal machte er keinen Kopfsprung in den Schnee, sondern setzte sich ruhig auf die Schwelle, schaute hinaus und lief dann in großen Sätzen um die Hütte herum. Eilig stapfte Hoss zum Pferch. Er hatte keine Lust, wieder hinter Ginger herzureiten. Auch Rimrocks Ziel schien die Koppel zu sein. Aber Hoss verscheuchte ihn, indem er ein paar Schneebälle nach ihm warf. Was sollte Hoss nur mit Ginger machen? Offenbar vertrug der Hengst sich ganz und gar nicht mit dem neuen Hofgenossen. Ob er vielleicht künftig lieber
auf Ginger ausritt statt auf Paiute? Die Stute regte sich nicht halb so sehr auf wie der Hengst. Hoss kehrte ins Haus zurück, um zu frühstücken. Rimrock wollte gerade wieder anfangen, mit den Holzscheiten zu spielen. „He!“ herrschte Hoss ihn an und gab ihm einen harten Klaps aufs Hinterteil. Sofort nahm der junge Puma volle Deckung unter dem Bett. Es dauerte aber gar nicht lange, da kam er wieder zum Vorschein und schleckte die letzten Tropfen aus der fast leeren Milchschale. „Du bist viel zu groß, um wie ein Baby Milch zu trinken!“ schalt Hoss. „Wir beide werden uns auf etwas anderes einigen müssen. Magst du dich auch noch so putzig anstellen, du bleibst doch immer eine Wildkatze, ein Berglöwe. Meinetwegen darfst du noch bei mir bleiben, bis der Schnee schmilzt – aber von heute abend an wirst du Fleisch fressen, verstanden? Und so bald wie möglich wirst du dich in dein Gebirge zurückscheren!“ Nach dem Frühstück bekam das Tier noch einmal seine Milch. „Ich habe keine Molkerei!“ knurrte Hoss seinen schleckenden Kostgänger an. „Hoffentlich machst du dir das endlich einmal klar!“
Rimrock tauchte die Nase so tief in die duftende Milch, daß er laut niesen mußte. Erschrocken fuhr er zurück, setzte sich auf und starrte fassungslos auf den Napf. Dann schmatzte er weiter. Als er fertig war, trat er versehentlich auf den Rand des flachen Napfes – und in einem kühnen Bogen landete das Ding auf Rimrocks Nase. Hoss lachte aus vollem Halse – und das Pumajunge lief unters Bett.
Eine schreckliche Katze
Hoss war ins Bergland geritten und suchte nun unterhalb des Steilhanges nach der Pumahöhle. Aber er konnte nicht die geringste Spur finden. Eigentlich war er herzlich froh darüber – denn hätte er tatsächlich ein paar Junge gefunden, so wäre ihm nichts anderes übriggeblieben, als sie zu erschießen. Ein Jungtier genügte ihm gerade! Eigentlich war es sogar schon reichlich viel. Das jedenfalls war ganz bestimmt Gingers Meinung. Nicht einmal der ferne Duft des wilden Tieres war ihm erträglich, und noch auf der Jacke aus Schaffell, die Hoss trug, nahm er die verhaßte Witterung wahr. Am Abend nach der Heimkehr stellte Hoss endgültig Rimrocks Speisezettel um: für ein Raubtier gehörte es sich nun einmal, daß es Fleisch fraß. Das mußte der junge Puma wohl einsehen! Hinter der Hütte hing an einer Stange zwischen zwei Bäumen ein großes Stück Ochsenfleisch. Es war hartgefroren, denn dort im
Schatten herrschte Tag und Nacht scharfer Frost. Hoss ging hinaus und schnitt ein tüchtiges Stück ab, mit dem er und sein Gast auskommen würden. Rimrock schien von dieser Mahlzeit durchaus angetan zu sein. Es schmeckte ihm, und er aß mit sichtlichem Wohlbehagen. Hinterher aber verlangte er nach der gewohnten Milch. „Willst du dich nicht endlich wie eine ganz gewöhnliche Wildkatze benehmen?“ stöhnte Hoss verzweifelt. „Milch gibt es nicht!“ Entschlossen hing er den Napf an einen Nagel in der Wand. Gleich darauf aber mußte er ihn ein tüchtiges Stück höher hängen, denn Rimrock schlug mit den Pfoten danach, so daß er hin und her schaukelte wie ein Uhrpendel. Mit einigem Geschick brachte Hoss es fertig, Rimrock mehrere Tage lang dem Pferdepferch fernzuhalten. Er hoffte, daß Ginger sich inzwischen doch ein wenig mit dem neuen Hofgenossen abfinden würde – wenigstens so weit, daß er nicht mehr aus dem Koppelgehege ausbrach, wenn der kleine Puma nur in die Nähe kam. Eines Tages aber geschah es… Hoss war auf Ginger zur Herde hinausgeritten und kehrte heim. Er fütterte sein Pferd mit
duftendem Hafer und ließ es dann auf die Weide laufen. Als er zur Rückseite des Hauses ging, sah er, daß Rimrock auf den Koppelzaun zulief. „Zurück!“ schrie Hoss. Aber es nutzte nichts. Paiute blieb halbwegs ruhig, zog sich allerdings vorsichtig zum Stall zurück, wo sie stehenblieb und Rimrock mißtrauisch anstarrte. Ginger aber trabte über die Weide davon. Rimrock wurde vom Jagdfieber gepackt. Er schlüpfte durch den Zaun und lief in tüchtigen Sätzen über den nur mäßig hohen Schnee hinter dem Pferd her. „Brrr!“ schrie Hoss in heller Verzweiflung. „Halt! Zurück!“ Aber Ginger stürmte in gestrecktem Galopp davon, und Rimrock, mit hoch erhobenem Schweif, sorgte dafür, daß der junge Hengst aus Leibeskräften weiterrannte. Hoss sah schon wieder die Zaunlatten wie Streichhölzer zerbrechen. Unvermutet aber wich Ginger zur Seite aus, machte kehrt und stürmte direkt auf das junge Raubtier zu. Rimrock bremste seinen Lauf, rutschte und blieb stehen. Auch das Pferd wurde langsamer… Beide musterten sich. Dem Pferd schien zum Bewußtsein zu kommen, daß die Katze nicht gerade riesengroß war. Gewiß,
sie duftete nach Löwe – aber schließlich war Ginger nicht allein, er wußte Hoss und Paiute in der Nähe. Seine Geduld schien endgültig erschöpft. Dieses winzige Wesen hatte ihn nun lange genug geärgert. Ginger bäumte sich auf, stemmte dann die Vorderhufe in den Schnee und setzte zum Angriff an. Rimrock fuhr herum und suchte sein Heil in eiliger Flucht. Längst hielt er den Schwanz nicht mehr übermütig erhoben. Im letzten Augenblick rutschte er unter dem Zaun hindurch, und das Pferd konnte seinen eiligen Lauf nur mit Mühe bremsen. Sekunden später war Rimrock in der Hütte unter dem Bett verschwunden. Hoss lachte aus vollem Halse. Als er in die Hütte trat, lugte der kleine Puma vorsichtig aus seiner Deckung hervor. „Na, du wild gewordener Handfeger?“ grinste Hoss. Von nun an brauchte er keine Angst mehr zu haben, daß Rimrock die Pferde beunruhigen könnte. Der Kleine dachte nicht daran, noch einmal in die Nähe der Koppel zu kommen. Wenn Hoss ihn zum Gatter trug, um den Pferden zu zeigen, was für ein harmloser Kerl er doch war, dann verkroch er sich ganz unbe-
haglich so tief wie möglich in die bergenden Männerarme. Von nun an wurde Rimrock so schnell zahm, daß Hoss sich gar nicht genug wundern konnte. Gewiß war er verspielt wie alle jungen Lebewesen, und am meisten machte es ihm Spaß, wenn Hoss Zeit fand, sich mit ihm herumzubalgen. Aber er nahm auch Lehren an und ließ sich etwas beibringen. Ohne es zu ahnen, bediente sich Hoss derselben Erziehungsmethode, die Rimrocks Mutter angewandt hatte: hatte der Kleine etwas falsch gemacht, so versetzte ihm Hoss einen Klaps, und Rimrock sprang sofort aufs Bett und bedachte die Lage. Erst wenn er die Luft wieder rein glaubte, kehrte er zurück – um sich bald darauf in neue Abenteuer zu stürzen. Eines Tages war der Schnee geschmolzen. Eigentlich hatte Hoss vorgehabt, seinen Gast nun in die Freiheit zurückzujagen. Aber trotz der Schneeschmelze war es doch noch lange nicht Frühling! Noch standen rauhe, kalte Tage bevor! Also beschloß Hoss, Rimrock weiterhin bei sich zu dulden – bis das arme Tier sich draußen wirklich zurechtzufinden vermochte. Er war schon ein niedliches Kätzchen! Mit seinem verstümmelten Ohr sah es geradezu drollig aus. Die Schramme am Bein war ge-
heilt, jedoch würde es noch eine ganze Weile dauern, bis das Fell darüber vollkommen zugewachsen war. Eigentlich war es schön, jemanden in der Hütte zu haben, mit dem man sich unterhalten konnte. Und Rimrock war nicht irgendein wilder Berglöwe, wie man ihn hier und da im Gebirge antreffen konnte! O nein, keineswegs! Er war ein absolut ungewöhnliches Tier. Tatsächlich schien er mindestens die Hälfte von dem, was Hoss zu ihm sagte, einwandfrei zu verstehen. Unten in Ponderosa hatte Hoss in der Bücherei in einem Buch über Marco Polo geblättert. Darin stand auch zu lesen, daß manche tatarischen Fürsten, wenn sie zur Jagd ritten, hinter sich im Sattel einen Leoparden hocken hatten! Sah dann der Reiter das gesuchte Wild, so rief er sein Kommando – und sofort setzte das Raubtier hinter der Beute her. Hoss war sich klar darüber, daß er auch durch eisernes Training seinen Rimrock gewiß nicht dazu erziehen konnte, solche Kunststücke zu vollbringen. Erstens nämlich hatte der kleine Puma mehr Angst vor Pferden als sie vor ihm, und zum anderen zeigte Rimrock bisher keine Vorliebe für die Jagd.
Sein Appetit war ungeheuer. Nachdem das Ochsenfleisch aufgezehrt war, hatte Hoss hin und wieder im Gebirge ein Stück Wild geschossen, vor allem kräftige junge Böcke, die gut durch den Winter gekommen waren. Das Fleisch schmeckte Rimrock ausgezeichnet, aber er machte nicht die leisesten Anstalten, es selbst heranzuschaffen, obwohl unter den Weiden am Bach so manches Kaninchen durchs Gras hoppelte. Rimrock hielt sich dort besonders gern auf, und natürlich sah er die kleinen Tiere – manchmal liefen sie ihm fast zwischen den Beinen hindurch. Aber obwohl er sie aufmerksam beobachtete, ließ er sie doch stets ungeschoren. „Ich denke, Pumas leben von der Jagd?“ spottete Hoss. „Bist du vollkommen aus der Art geschlagen?“ Ganz kleines Wild allerdings war schon eher Rimrocks Fall. Feldmäuse jagte er mit unermüdlichem Eifer. Er stürzte sich auf sie, wenn sie durchs Gras huschten, hielt sie mit den Tatzen fest und beschnupperte sie voller Interesse. Zuweilen allerdings fand er nach dem Sprung nichts unter den Tatzen, und dann machte er ein unbeschreiblich enttäuschtes Gesicht. Aber oft genug war er erfolgreich.
Zahlreiche Mäuse verspeiste er voller Behagen, andere aber brachte er Hoss und legte sie ihm triumphierend zu Füßen, als wollte er sich brüsten: ,Sieh nur, was ich gefangen habe!‘ „Du siehst wie ein Löwe aus, Rimrock!“ lachte Hoss. „Und tatsächlich bist du ja auch eine Art Löwe. Würde es sich da nicht gehören, daß du etwas Ansehnlicheres jagst und eine Beute heimbringst, von der du auch satt werden kannst?“ Am verhaßtesten waren Rimrock die Raubvögel, die Hoss mit Zwieback fütterte. Anfangs war der Puma sichtlich erschrocken, wenn ihre Schatten dicht neben ihm über den Boden huschten, aber später gewöhnte er sich daran und griff die Vögel beherzt an. Allerdings gelang es ihm nie, einen von ihnen zu erwischen. Seit Rimrock da war, hatte Hoss die Skunkmutter mit ihren Jungen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber das war ihm nur recht. Hoss hoffte immer noch, der Hunger würde den Puma endlich doch einmal veranlassen, sich an ein größeres Jagdwild als Mäuse zu wagen. Deshalb gab er ihm zwei Tage lang nichts zu fressen. Als er am Abend des zweiten Tages von der Herde heimkehrte, deutete je-
doch nichts darauf hin, daß der Puma auf Jagd gewesen wäre. Freudig strich er Hoss um die Beine und blickte sehnsuchtsvoll zum Regal hinauf, wo noch drei Dosen Milch standen. Dann schaute er ihm andächtig beim Abendbrot zu. Hoss konnte das nicht lange mit ansehen. Beim nächsten Ausritt schoß er ein Kaninchen und legte es dem Puma vor die Nase. Rimrock rollte das tote Tier mit den Tatzen hin und her über den Boden, schnupperte aufmerksam daran, und dann riß er ihm den Stummelschwanz aus. Das ist immerhin ein Anfang! dachte Hoss, und er schöpfte Hoffnung. Er ging in die Hütte, und Rimrock folgte ihm, das Kaninchen im Maul. Drinnen legte er es seinem Herrn zu Füßen. Hoss nahm einen Eimer und ging zum Bach. Wieder trug Rimrock das Kaninchen hinterher. Als sie beide in die Hütte zurückgekehrt waren, legte er das Kaninchen wieder vor seinem Herrn auf den Boden. „Ich soll es dir wohl noch abziehen?“ schimpfte Hoss. Und dann tat er genau das! Er häutete es nicht nur, sondern schnitt es obendrein noch in Stücke. Und da fraß Rimrock es voller Behagen. Zum Nachtisch verlangte er nach Milch. Resigniert öffnete Hoss die nächste Büchse.
„Du Faulpelz!“ fauchte er dabei. „Hat der Geschmack des Kaninchens dich nicht ein bißchen ehrgeizig gemacht?“ Am folgenden Tag ging Rimrock wieder auf Mäusejagd, und die Kaninchen hoppelten vollkommen ungefährdet um ihn herum. Abends blieb Hoss noch am Tisch sitzen, während Rimrock schon am Fußende des Bettes selig schnurrte, und überdachte den Fall von neuem. Wenn er sich darauf einließ, dem jungen Berglöwen das Futter mundgerecht zu servieren, würde das Tier nie im Leben selbständig werden. In dieser Hinsicht unterschied es sich nicht von den Menschenkindern. Nein, Rimrock mußte lernen, für sich selbst zu sorgen! Hoss überlegte: Wie würde eine Pumamutter es wohl anfangen, ihrem Jungen beizubringen, sich selbst zu versorgen und sich nicht mehr auf die Fürsorge anderer zu verlassen? Ganz einfach: sie würde ihm Unterricht im Jagen geben! Beim bloßen Gedanken, er selbst müsse das tun, kam sich Hoss reichlich albern vor. Dann aber machte er sich klar, daß ihn ja niemand dabei beobachten konnte, und er beschloß, gleich am nächsten Morgen mit der Ausbildung zu beginnen.
Sofort nach dem Frühstück ging er mit Rimrock zu dem Weidengebüsch am Bach. Fröhlich hüpfte das Pumajunge durch das hohe Gras. Es war ein schlaksiges Kerlchen, das fast nur aus Ohren und Beinen bestand, und doch sah man ihm an, daß es auf dem Wege war, sich zu einer ansehnlichen Raubkatze zu entwickeln. „Zunächst einmal muß man sich anschleichen!“ begann Hoss den Unterricht. Rimrock schien zu begreifen. Er spitzte das heile Ohr, während das zerfetzte wie üblich schlapp herabhing. Er sah aus, als sei er zu allem bereit. Hoss bückte sich tief und schlich langsam vorwärts. Da er nur zwei Füße hatte, machte er wenigstens nur halb soviel Krach wie ein ausgewachsener Bulle. Rimrock erkannte schnell, worauf es ankam: Leise schlich er dahin, den Leib dicht an den Boden gepreßt. Tatsächlich stöberten sie ein Kaninchen auf, das erschrocken zwischen den Weidenstämmen davonhoppelte. „Faß!“ schrie Hoss, und dann stürmte er selbst los. Rimrock blieb ihm auf den Fersen – auch als Hoss wenige Sekunden später über einen Erdhügel stolperte und der Länge nach zu Boden
stürzte. Während er japsend dalag und Rimrock ihn mitleidig beäugte, brachte sich das Kaninchen in Sicherheit. Endlich setzte Hoss sich auf, und Rimrock hockte sich neben ihn. Dann leckte er ihm zum Trost das Gesicht – mit einer Zunge, die rauh war wie mittelgrobes Schmirgelpapier. Mühsam stand Hoss auf. Da sah er, daß Paiute und Ginger am Koppelzaun standen und ihn betrachteten. Sie verzogen die Nüstern, als müßten sie sich ein Lachen verbeißen. Plötzlich machte Rimrock einen Satz – und schon hatte er eine Maus erwischt! Aber nein… Als er die Pranke hob, war keine Maus zu sehen. Nun gab es nur noch eine Möglichkeit: das Tier mußte aus dem Hause! Schon viel zu lange ließ Hoss sich von ihm an der Nase herumführen! Mochte das blöde Vieh sehen, wie es in der freien Wildbahn fertig wurde! Groß genug war es nun, und wenn es nichts lernen wollte, mußte es eben die Folgen tragen. Falls Hoss es noch lange fürsorglich fütterte, würde der kleine Puma nie selbständig werden. Ein anderer Ausweg wäre, das Tier zu erschießen. Und das würde Hoss niemals können, das wußte er ganz genau.
Obwohl Paiute sich nicht mehr um Rimrock kümmerte, wenn er in der Nähe vorbeilief oder wenn Hoss das Katzentier am Koppelzaun hochhielt, damit sie es beschnuppern konnte, wollte es die Stute doch nicht zulassen, daß Hoss sich mit dem Puma in den Sattel setzte. Noch auf dem Hof begann sie zu bocken und zu steigen, und auch zwischen den Weiden, beim Übergang über den Bach und auf der Weide am jenseitigen Ufer wurde es nicht besser. Rimrock sträubte sich wie wild, grub die Krallen tief in Hoss’ Beine, und der Reiter konnte sein Tier nur mit Mühe zügeln. Endlich beruhigte sich das Pferd ein wenig, aber ehe sie bei der Herde anlangten, wollte Paiute noch zweimal durchgehen, wenngleich ihr Ungestüm von Mal zu Mal nachließ. Seit dem Besuch am Vortag war die kleine Rinderherde fast ein Kilometer weiter nach Osten gezogen. Hoch am Hang über dem kleinen Bruch, wo die Tiere weideten, setzte Hoss den abgekämpften Rimrock auf einen Baumstumpf. „Sieh dich schon mal ein bißchen um und mach dich mit deiner neuen Umgebung vertraut!“ redete er ihm gut zu und trat dann einen Schritt zurück. Was würde das Tier nun tun?
Ach, das wußte Rimrock offenbar selbst nicht! Nur eines wurde ihm auf den ersten Blick klar: die großen rotbraunen Wesen da unten im Tal sahen ungemein gefährlich aus. Eine ganze Herde war es, und jedes einzelne Tier erinnerte ihn an Ginger, das große Pferd, das ihn hatte treten wollen. Rimrock warf noch einen verschüchterten Blick in die Talmulde hinunter – dann schlug er sich in entgegengesetzter Richtung in die Büsche. Hoss schaute ihm nach. Immer schneller lief das Tier, und es strebte anscheinend dem Gelände zu, wo Hoss es damals gefunden hatte. Gottlob, das war geschafft! Und zweifellos war es am besten so! Allerdings… Ja, man gewöhnte sich an einen Hausgenossen, selbst wenn es ein nichtsnutziger junger Berglöwe war. Während der nächsten Tage würde Hoss sich bestimmt recht einsam fühlen. Er hatte niemanden mehr, mit dem er sich in seiner Hütte unterhalten konnte. Nie mehr würde er zusehen können, wie Rimrock mit dem Ball aus Kaninchenfell spielte, den Hoss ihm genäht hatte. Zum Teufel – es mußte sein! Eine andere Lösung gab es nicht. Allein die Frage, womit er das junge Tier ernähren sollte, war von Tag zu Tag schwieriger zu lösen.
Hoss wußte, daß er den nächsten ausgewachsenen Puma, der ihm über den Weg lief, abschießen würde. Das war nun einmal nicht zu ändern. Aber wenn dies in vielleicht einem Jahr geschah, würde er nach dem Schuß kaum wagen, sich die Beute näher anzuschauen – aus Angst, das erlegte Tier könnte ein zerfetztes Ohr und eine tiefe Schramme am Vorderbein haben. Nachdem Hoss die Herde noch einmal aufmerksam betrachtet hatte, ritt er in ein Waldstück, wo er bisher immer Jagdglück gehabt hatte. Viel brauchte er nicht; ein junges Reh würde reichen, bis Joe zur Ablösung heraufkam. Wie lange war es noch bis dahin? Erst jetzt fiel ihm auf, daß er seit vielen Tagen den Kalender nicht mehr abgestrichen hatte, weil Rimrock ihn die ganze Zeit über in Atem gehalten hatte. Na, das war nun endgültig vorbei. Tatsächlich stieß er unten auf ein Rudel Rehe, und mit einem einzigen Schuß streckte er einen jungen Bock nieder. Nachdem er das Tier ausgeweidet hatte, legte er es hinter dem Sattel aufs Pferd und ritt zurück. Obwohl er wußte, daß Rimrock ein für allemal davongelaufen war, rechnete er doch fast damit, daß der junge Puma um seine Hütte herumstreunen und
auf ihn warten, daß er sofort herbeispringen und sich schnurrend an seinen Beinen reiben würde. Aber nichts dergleichen geschah. Während Hoss die Leber des Bockes über dem Feuer briet, warf er einen düsteren Blick auf den Kalender an der Wand. Mindestens zwei Wochen war er mit seinen Markierungen im Rückstand, eher mehr! Großartig: Da hatte doch tatsächlich ein ausgewachsener junger Mann jedes Zeitgefühl verloren, nur weil er mit einem jungen Berglöwen, einem Raubtier, einem mörderischen Feind herumgealbert hatte… Hoss verspeiste sein Mahl. In der Hütte war es unerträglich still. Mit einem wütenden Tritt beförderte er den Ball aus Kaninchenfell hinter den Herd. Heller Wahnsinn war es gewesen, das Jungtier überhaupt hierher in die Hütte zu schleppen! Nichts als Ärger und Unruhe hatte ihm das eingebracht! Ein wahres Glück, daß das Vieh aus dem Hause war! Als Hoss einige Zeit später das Geschirr abgewaschen hatte, war es ganz finster geworden. Er öffnete die Tür, um das schmutzige Wasser auf den Hof zu gießen. Da fiel der trübe Lampenschein auf ein struppiges, schlaksiges, einohriges Wesen, das auf der Schwelle saß.
„Rimrock!“ Rimrock schnurrte, stand auf und kam auf steifen Beinen in die Hütte. Dann setzte er sich auf den Boden und begann, sich den Dreck von den Tatzen zu lecken. Er hatte einen weiten Weg zurücklegen müssen, und offenbar hatte er einen Umweg gemacht – denn oben im Bergland gab es nicht diesen Lehm, der sein Fell verklebte. Und der Hunger, den er mitbrachte, bewies eindeutig, daß er unterwegs nicht auf Jagd gewesen war! Fünf Pfund Fleisch verschlang er – und dann wollte er noch mehr haben. „Schluß, du Vielfraß!“ schimpfte Hoss. „Ach, was stelle ich bloß mit dir an?“ Am nächsten Tag wußte Hoss, was er anzustellen hatte: er zog los, um noch einen Rehbock zu schießen.
Das Stinktier
Einen untrüglichen Beweis dafür, daß Rimrock kein gewöhnlicher Puma war, lieferte die Tatsache, daß er – wenn man von den Gewohnheiten der Berglöwen ausgeht – Tag und Nacht vertauschte: er schlief, wenn auch Hoss schlief, und tagsüber kletterte er auf Bäume oder tollte zwischen den Weiden und auf dem Hof umher. Während der ersten Zeit hielt Hoss die Tür nachts verschlossen, aber bald wurde es ihm lästig, daß er morgens in aller Frühe aufstehen mußte, um das Tier ins Freie zu lassen. Das Wecken ging nämlich immer ungemein stürmisch vor sich: Rimrock kroch einfach auf den Schlafenden, klopfte ihm mit den Tatzen auf die Brust und schnurrte freundlich, aber unüberhörbar. Also ging Hoss dazu über, die Tür offenzulassen, so daß das Tier ganz nach Belieben kommen und gehen konnte. Das tat er sogar dann, wenn er unterwegs war, um die Herde aufzusuchen oder auf die Jagd zu gehen. Inzwischen hatte der junge Puma gelernt, daß er manches
in der Hütte nicht anrühren durfte – unter anderem das Feuerholz und die Gerätschaften auf dem Tisch! Hoss hoffte, daß das junge Raubtier tapfer und wachsam genug sein würde, um unliebsame Fremde zu vertreiben, die versuchen könnten, in die Hütte einzudringen – ebenso wie Ratten und andere Nagetiere. Allerdings bezweifelte er, daß Rimrock einer Invasion von Kaninchen wirkungsvollen Widerstand entgegensetzen würde – falls es zu einem derartigen, im höchsten Grade unwahrscheinlichen Zwischenfall kommen sollte! Eines Morgens, in aller Frühe, kurz nach der ersten Dämmerung, bemerkte Hoss im Halbschlaf, daß Rimrock von draußen hereinschlich und wieder aufs Bett sprang. Kurze Zeit später wachte Hoss erneut auf, diesmal aus einem höchst peinlichen Anlaß: Er schnupperte, holte tief Luft… Es stank! Nach Stinktier! Jawohl, in seiner Hütte mußte sich ein Skunk befinden! Hoss fuhr auf, wollte aus dem Bett springen – aber im letzten Augenblick bezwang er sich und blieb lieber, wo er war. Es mußte die Skunkmutter mit ihren Jungen sein; zweifellos hatte sie mitsamt ihrer ganzen Kinderschar Einzug in die Hütte gehalten!
Hoss griff nach Rimrock. Auf keinen Fall sollte der Puma sich in den Fall einmischen und dadurch alles nur noch schlimmer machen. Puh! Der Gestank war überwältigend! Man bekam ja kaum noch Luft! Mit weit aufgerissenen, rollenden Augen spähte Hoss im dämmerigen Zimmer umher. Wo steckte nur die Ursache all dieses Übels? Im Lichtschein, der allmählich durchs Fenster hereindrang, konnte er schon alles recht genau erkennen. Nirgendwo aber erblickte er ein weißgestreiftes Stinktier. Offenbar hatte die Familie sich nur kurz im Zimmer umgesehen und war gleich wieder ausgezogen. Hoss seufzte erleichtert. Plötzlich aber zuckte er zusammen. Ein fürchterlicher Gedanke war ihm gekommen: wenn die Familie es sich nun unter seinem Bett gemütlich gemacht hatte? Er ließ Rimrock los und beugte sich vorsichtig über die Bettkante. Dabei näherte sich seine Nase der linken Hand, die soeben noch den Berglöwen festgehalten hatte. Und da überfiel ihn die schreckliche Erkenntnis. Er schnappte nach Luft. Rimrock! Er verbreitete den Gestank! Er, der da in aller Gemütsruhe auf dem Bett lag. Offenbar war er draußen mit dem Skunk zu-
sammengestoßen – und es schien ein sehr nachhaltiger Zusammenstoß gewesen zu sein! Hustend, mit tränenden Augen, taumelte Hoss ins Freie. Während der nächsten vier Tage ließ er den Puma nicht mehr in die Hütte. Ein wenig hoffte er, die Verbannung könnte Rimrock veranlassen, nachts auf die Jagd zu gehen und dabei seine wahre Löwennatur zu entdecken. Vielleicht kehrte er dann niemals mehr zurück. Aber Hoss täuschte sich. Rimrock kratzte an der Tür und bat schnurrend um Einlaß. Dann krallte er sich an der Wand fest und lugte zum Fenster herein. Wie ein verstoßenes Waisenkind sah er aus. In der folgenden Nacht sprang er auf einen alten Ofen, der draußen an der Hütte lehnte, und kletterte von dort aus aufs Dach, wo er versuchte, sich durch die mit einer dicken Schmutzschicht bedeckten Balken einen Weg zu graben. In der dritten Nacht konnte er einen Teilerfolg verzeichnen: Er drang bis zu den nackten Balken vor und scharrte so viel Moos und Gras los, das Hoss in die Rillen gestopft hatte, daß Sand ins Innere hineinrieselte – genau auf den Tisch, wo Hoss die Überreste vom Abendbrot hatte stehen lassen.
Angefeuert von diesem guten Gelingen, kratzte Rimrock auch in der nächsten Nacht am Dach. Als er nach getaner Arbeit hinabkletterte, warf er den alten Ofen um. Es gab ein gewaltiges Getöse, so daß Hoss aufwachte und erschrocken aus dem Bett sprang. Draußen sah es schlimm aus: Rimrocks Schwanz war unter dem Ofen eingeklemmt, und nun saß das Tier fest und jaulte verzweifelt. Hoss befreite es aus seiner mißlichen Lage. Kaum war Rimrock frei, da sauste er durch die offene Tür in die Hütte und verkroch sich unter das Bett. Hoss gab es auf. Wenigstens war der schreckliche Gestank inzwischen einigermaßen verflogen. Oder kam es ihm nur so vor, weil er sich schon daran gewöhnt hatte? Ein paar Tage später betrachtete Hoss das Tier, wie es sich gähnend reckte. Nein, ein Baby konnte man Rimrock kaum noch nennen, und er wuchs zusehends. Bald würde er so groß sein, wie es sich für einen richtigen Puma gehörte. Immerhin war er schon jetzt dreimal so groß wie das rührende Tierchen, das Hoss damals aus dem Bergwald heimgebracht hatte. Daß Rimrock so tüchtig wuchs, wunderte Hoss gar nicht – bei dem mächtigen Appetit, den das Tier entwickelte! Dabei hatte er, soviel
Hoss wußte, noch nie ein größeres Wild erlegt als eine Maus. Es war wirklich zum Auswachsen! „Wenn du halb so wild auf Kaninchen wärst wie auf Mäuse“, schimpfte Hoss, „wäre ich ja schon zufrieden!“ Aber Rimrock war guten Ratschlägen nicht zugänglich. Die hervorstechendsten Eigenschaften des jungen Pumas waren Neugier und Freundlichkeit. Beides veranlaßte ihn, es noch einmal mit den Pferden zu versuchen. Ginger wollte nach wie vor nichts mit ihm zu tun haben; zweifellos hätte er ihn am liebsten klaftertief in den Erdboden gestampft. Paiute hingegen erwies sich als aufgeschlossener. Nachdem Rimrock ihr ein paar Tage lang den Hof gemacht hatte, senkte sie bei seinem Kommen den Kopf und schnaubte fast freundschaftlich. Bisher war Rimrock, wenn Hoss fortritt, ruhig auf dem Hof oder in der Hütte zurückgeblieben. Plötzlich aber fing er an, ihm nachzulaufen, so daß Hoss absteigen und ihn mit ein paar Klapsen heimscheuchen mußte. Dann pflegte der Puma aufs Dach zu klettern und seinem Herrn nachzuschauen, solange er ihn nur sehen konnte.
Obwohl Hoss es aufgegeben hatte, die Tage auf seinem Kalender abzuhaken, war er doch davon überzeugt, daß Joe nun sehr bald eintreffen würde. Vielleicht fiel Rimrock ihm auf die Nerven, und Joe würde… Aber schnell wies Hoss den Gedanken von sich. Nein, Joe würde nicht daran denken, sich von seinem älteren Bruder die traurige Aufgabe andrehen zu lassen, die Hoss selbst nicht erfüllen mochte… Einzig und allein er, Hoss, war dafür verantwortlich, den Berglöwen in die Wildnis zurückzuschaffen. Darüber war er sich seit jenem Tage klar, als er das junge Tier heimgebracht hatte. Nun, jetzt mußte er handeln. Er würde Rimrock so weit von der Hütte entfernt aussetzen, daß er bestimmt nicht mehr zurückfand. Jawohl! Gleich am folgenden Tag in aller Morgenfrühe machte sich Hoss daran, den Plan in die Tat umzusetzen. Paiute duldete Rimrock ohne nennenswerten Widerstand auf ihrem Rücken. Mehr als zehn Kilometer weit ritt Hoss nach Westen, bog dann nach Norden in Richtung auf den Signalberg ab und ritt noch sechs Kilometer. Das Gelände dort war einfach ideal für ein junges Raubtier: zwischen Bäumen und Felsbrocken wimmelte es geradezu von Kleinwild.
Hoss stieg erst gar nicht aus dem Sattel. Er packte Rimrock und setzte ihn auf einen großen Granitblock. „Leb wohl, du trübe Tasse!“ Er wandte sein Pferd und ritt davon. Rimrock machte keinerlei Anstalten, ihm nachzulaufen. Als Hoss sich noch einmal umschaute, war der Puma vollauf damit beschäftigt, den Eingang zu einem Dachsbau zu untersuchen. Hoss ritt in einem weiten Bogen nach Hause, um Rimrock zu verwirren. Und immer wieder hielt er Ausschau, weil er wußte, daß gerade Pumas sich darauf verstehen, dem verfolgten Wild ein Schnippchen zu schlagen. Mehrmals kreuzte Hoss seine eigene Spur, und zweimal ritt er zu beiden Seiten des Pfades hin und zurück, um sich davon zu überzeugen, daß Rimrock nicht verstohlen am Wegrand dahinschlich. Aber er konnte keinerlei Spuren entdecken. Das langsame Reiten, die wiederholten Umwege und all die anderen Vorsichtsmaßnahmen hielten Hoss natürlich mächtig auf. So war es schon ziemlich spät, als er endlich wieder auf den Hof ritt. Nein, Rimrock war ihm nicht nachgelaufen, er hatte sich nicht hinter ihm hergeschlichen.
Er hatte die Umwege nicht mitgemacht – sondern war auf dem kürzesten Wege heimgekehrt! Da saß er vor der Tür und schaute seinen Herrn nachdenklich an, als wolle er fragen: ,Wo hast du bloß so lange gesteckt?’ Hoss wurde den Verdacht nicht los, daß Rimrock schon seit Stunden hier hockte und auf ihn wartete. „Auch das soll dir nichts nützen!“ herrschte er das Tier an. Rimrock reckte und streckte sich und kratzte dann an der geschlossenen Tür. In der folgenden Nacht geschah etwas, das Hoss mit neuer Hoffnung erfüllte: Wollte Rimrock sich etwa doch allmählich wie ein ausgewachsenes Raubtier benehmen? Er erwachte nämlich von einem mächtigen Lärm. Ein heftiger Kampf mußte im Gange sein. Es polterte, fauchte, quiekte – nahe dem Holzstoß in der Ecke ging es hoch her. Hoss ergriff seinen Revolver. Als es ihm eine kleine Weile später gelungen war, die Lampe anzuzünden, war der Lärm verstummt. Rimrock hatte eine Ratte erlegt! Gewiß war sie nicht sehr groß – aber immerhin, es war mehr als eine Maus! In der Hitze des Gefechts hatte er die Holzscheite wieder
über den Fußboden verstreut, aber er hatte den Sieg davongetragen und schien darauf nicht wenig stolz zu sein. Er brachte seine Beute herbei und legte sie zu Hoss’ Füßen nieder. Sein Herr beugte sich hinab, klopfte ihm den Hals und lobte seine Tapferkeit und Einsatzbereitschaft. Dann warf er die Ratte auf den Hof hinaus. Aber sofort holte Rimrock sie wieder herein und legte sie ihm erneut zu Füßen. „Ich denke nicht daran, dir die Ratte abzuhäuten!“ schrie Hoss erbost, während er das tote Tier wieder zur Tür hinauswarf. Am nächsten Morgen lag die Ratte unmittelbar neben seinem Bett auf dem Fußboden. Leider stellte Hoss das aber erst fest, als er beim Aufstehen den nackten Fuß auf das Tier setzte. Mit nacktem Fuß auf eine tote Ratte treten – da kann der stärkste Mann die Nerven verlieren! Verdutzt und staunend hörte Rimrock sich das wütende Geschrei an, zu dem sein Herr sich in aller Morgenfrühe hinreißen ließ. Weiteren Erlebnissen dieser Art ging Hoss aus dem Wege, indem er den toten Nager ins Feuer warf. Seine Hoffnung, der erste Erfolg mit größerem Wild werde Rimrocks Ehrgeiz anstacheln,
schien in Erfüllung zu gehen. Jedenfalls beobachtete Hoss einige Stunden später, wie Rimrock draußen eifrig ein nichtsahnendes Kaninchen anschlich. Das harmlose Tier hockte am Rande des Hofes unter einem Weidenbaum und knabberte an frischem Grün. Jede nur mögliche Deckung ausnutzend, kroch Rimrock mit den federnden, geschmeidigen Bewegungen des anschleichenden Katzentieres immer näher an seine Beute heran. Selbst falls er das Tier schließlich verfehlen sollte, versuchte er doch zum ersten Male ernsthaft zu jagen. Rimrock zeigte Zielstrebigkeit und schien endlich erwachsen zu werden. Dicht an den Boden gepreßt, mit unbeweglichem Schwanz, schlich der Puma immer näher an das Kaninchen heran. Noch einmal schien er Maß zu nehmen – und dann sprang er! Zwei lange Sätze machte er, sprang dann hoch in die Luft – und hockte sich geruhsam hin, um dem aufgescheuchten Kaninchen nachzuschauen, das zwischen den nahen Bäumen davonhoppelte. Hoss schloß die Augen und stöhnte gequält auf – ein Bild des Jammers. In seiner Verzweiflung verdrängte er alle Erinnerungen an frühere Mißerfolge und unter-
nahm einen neuen Versuch, Rimrock das Anschleichen eines Wildes zu lehren. Gewiß gab er sich hinsichtlich der Erfolgsaussichten keinen Illusionen hin, aber er brachte es einfach nicht fertig, in diesem kläglichen Augenblick gar nichts zu tun. Hoss drängte Rimrock hinüber zum Weidenbruch, unweit der Stelle, wo im Bach Biber ihre Burgen zu bauen pflegten. Auf allen vieren kroch er am Rande des Dickichts entlang. Sofort begriff Rimrock, was gespielt wurde. Vorsichtig schlich er neben seinem Herrn dahin. Das unvorsichtige Kaninchen von vorhin – oder auch ein anderes, das Rimrock kannte – hoppelte aus seiner Deckung hervor, knabberte ein wenig am Gras und entfernte sich immer mehr von den Weiden. Bald saß es geradezu auf dem Präsentierteller. Mit Leichtigkeit würde man ihm den Fluchtweg zu den schützenden Weiden abschneiden können. Ein Zeichen von Hoss – und Mann und Löwe brachen los! Tatsächlich schnitt Rimrock dem Kaninchen den Weg ins Weidenbruch ab. Das kleine Tier rannte hinüber zur Hütte, und Rimrock folgte in weiten Sätzen. Bald hatte er das fliehende Kaninchen fast eingeholt.
Sofort wurde er langsamer. Dann machte er noch einen vergnügten Luftsprung – und setzte sich hin! In heller Verzweiflung gab Hoss einen Schuß ab. Den Revolver handhabte er längst nicht so geschickt wie das Gewehr, und so ging die Kugel vorbei. Sie prallte vom gefrorenen Boden ab, schlug ein Loch in die Tür der Hütte und riß drinnen ein noch viel größeres in einen Sattel. „Nie mehr bringe ich dir etwas bei!“ schäumte Hoss. „Ein so blödes Vieh wie du ist mir im Leben noch nicht vorgekommen!“ Am gleichen Tag folgte ihm Rimrock, als er zur Rinderherde hinausritt. Hoss merkte wohl, daß sein Pferd nervös und schlechter Laune war, aber daß der Puma sich an seine Fersen geheftet hatte, stellte er doch erst fest, als er schon wieder kehrtmachen und heimreiten wollte. Von nun an ließ sich der Puma nicht mehr davon abhalten, seiner Spur zu folgen, wohin er auch ritt. Auf dem Heimweg lief Rimrock mit federnden Sätzen vor Ginger her. Zweimal wollte der junge Hengst ihn einholen und offenbar in den Boden stampfen. Beim ersten Male hätte er dabei seinen Herrn um ein Haar in eine Hecke
wilder Rosen geworfen, und beim zweiten Male lief er unter eine Reihe so niedriger Äste, daß sie Hoss den Hut vom Kopf streiften und ihm eine blutende Strieme über die Oberlippe zogen. Während Hoss daheim den soeben abgeschnallten Sattel ins Haus trug, beobachtete er, wie Rimrock erstarrte, aufgeregt die Luft einsog und dann blitzschnell in der Hütte verschwand. Wenige Augenblicke später ertönte Hufgetrappel. Joe! Nein, Joe war es nicht. Hoss stand draußen vor der geschlossenen Tür und sah den Reitern entgegen, die soeben zum Biberteich abbogen. Es waren Sam Hargis, dessen Ranch ein Stück ostwärts von Ponderosa lag, und zwei seiner Cowboys, Slim McCrea und Kansas Weber. Der hochgewachsene, hagere, braungebrannte Hargis war ein angenehmer Nachbar, obwohl er manchmal recht dickköpfig und verbohrt sein konnte. Die drei Männer kamen heran, und Hoss begrüßte sie; dabei mußte er dauernd an Rimrock denken. „Den ganzen Tag über haben wir ostwärts von hier gesucht“, erzählte Hargis. „Vorige Woche haben mir Berglöwen nämlich ein Kalb gerissen. Uns machen in diesem Jahr Pumas
schwer zu schaffen, aber je weiter wir nach Westen kamen, desto weniger Spuren fanden wir von ihnen. Wie geht es denn deiner Herde, Hoss?“ „Wir haben kein einziges Tier verloren, Sam“, erwiderte Hoss, und dicke Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Die Höflichkeit verlangte es, daß er die Männer nun zum Essen einladen und sie sogar übernachten lassen mußte! „Neulich habe ich eine Löwin geschossen – aber es war die einzige, die mir während des ganzen Winters über den Weg gelaufen ist.“ Kansas Weber griff hart in die Zügel, als sein Pferd steigen wollte. Auch die anderen beiden Pferde wurden nervös. „Du scheinst noch danach zu riechen“, meinte Weber. „Das kann sein“, gab Hoss zu. „Ich wollte dem Vieh schon das Fell abziehen, aber dann habe ich mir überlegt, daß die Mühe sich kaum lohnt!“ Slim McCrea rümpfte die Nase. „Und nach Skunks stinkt es auch noch!“ maulte er. „Eine ganze Familie hat sich in meinem Wohnzimmer eingenistet!“ Hoss lachte gezwungen auf. Und dann sagte er verwegen: „Kommt nur herein. Ich werde…“
„Heute nicht! Vielen Dank!“ wehrte Hargis erschrocken ab. „Ruhig!“ Hart riß er sein Pferd am Zügel. „Nicht, daß mir der Geruch des Skunks etwas ausmachte – aber ich möchte heute noch zum Lager zurück.“ Er nickte. „Du hast also nur eine einzige Löwin gesehen?“ Hoss nickte tapfer. „Nur eine!“ bestätigte er. Hargis schüttelte den Kopf. „Das kann nicht die gewesen sein, die mein Kalb gerissen hat“, meinte er. „Die ist nämlich, soweit wir feststellen konnten, nach Norden abgezogen. Und inzwischen hat, wie ich höre, auch Anderson ein Fohlen eingebüßt. Vermutlich müssen wir in absehbarer Zeit eine Treibjagd veranstalten.“ „Gewiß“, murmelte Hoss. „Übrigens – ich habe hier oben ein bißchen das Gefühl für Zeit verloren. Welches Datum haben wir eigentlich?“ „Es müßte der vierzehnte sein“, erwiderte Slim. „Stimmt’s, Hargis?“ „Ungefähr kann es stimmen“, nickte der Rancher. „Hast du auch westlich von hier auf Löwenspuren geachtet, Hoss?“ „Ein wenig schon“, erwiderte Hoss. „Aber viel habe ich auch dort nicht feststellen können.“
„Vor Einbruch der Dunkelheit schaffen wir es doch nicht mehr bis ins Lager, Boß“, warf Weber ein. „Wollen wir nicht wenigstens eine Tasse Kaffee trinken, da Hoss uns so freundlich eingeladen hat?“ „Hm…“ Hargis schien nicht abgeneigt. Aber dann kamen ihm doch Bedenken. „Nein, heute nicht!“ entschied er nach kurzem Überlegen. „Also, Hoss, ich lasse noch von mir hören. Wir tun uns alle zusammen, lassen unsere Hunde los und stöbern die Löwen im ganzen Lande auf!“ Weber warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf die Tür der Hütte. Aber sosehr er auch nach einer Tasse Kaffee lechzte, er ließ sich doch nicht auf eine Auseinandersetzung mit seinem Rancher ein. Er wandte sein Pferd, und Slim tat dasselbe. „In den nächsten Tagen komme ich bestimmt nach Ponderosa“, rief Hargis. „Soll ich deinem Vater etwas ausrichten?“ „Sag ihm, mir und den Kühen ginge es ausgezeichnet!“ rief Hoss. „Und ich freue mich schon, daß Joe nun bald kommt. Ach, Joe könnte vielleicht noch ein paar Dosen Milch mitbringen! Würdest du das ausrichten?“ Kaum aber waren Hoss diese Worte entschlüpft, da hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Drei Kisten Büchsenmilch hatte er
mitgebracht, als er heraufkam, und Joe hatte lachend gemeint, davon brächte er bestimmt die Hälfte wieder zurück. Aber Hargis schien an der Bitte nichts aufzufallen. Er winkte dem jungen Mann noch einmal zu und ritt davon, gefolgt von Hoss’ erleichtertem Seufzer. Puh! Um ein Haar hätte es eine Katastrophe gegeben! Und wäre der Boden nicht noch hartgefroren gewesen, so hätte man überall auf dem Hof und in der ganzen Umgebung die Spuren von Rimrocks Tatzen gesehen! Nein, das ewige Zaudern half nichts mehr. Es mußte Schluß sein – Schluß mit dem Getue um den jungen Puma! In vier Tagen würde Joe heraufkommen. Zu früh würde er sicherlich nicht zur Ablösung eintreffen – das sähe Joe ganz und gar nicht ähnlich. Aber auch verspäten würde er sich bestimmt nicht! Langsam kehrte Hoss in die Hütte zurück. „Rimrock, unsere Wege trennen sich nun endgültig!“ Der junge Berglöwe strich seinem Herrn um die Beine und schnurrte genüßlich. Vier Tage! Wenn es Hoss in drei Monaten nicht gelungen war, sich von dem kleinen Pu-
ma zu befreien, wie wollte er es in vier Tagen schaffen? Sollte er ihn etwa erschießen? Hoss wußte genau, daß er das nicht fertigbringen würde.
Die Höhle
Hätte Hoss wählen dürfen, so hätte er sich für sein Vorhaben bestimmt einen anderen Tag ausgesucht als ausgerechnet den, der auf Hargis’ Besuch folgte: Der Himmel war viel zu klar und blau, und es war für diese Jahreszeit ganz ungewöhnlich warm. Hoss roch geradezu, daß ein Unwetter in der Luft hing. Aber er konnte es nicht ändern. Der Tag, an dem Joe eintreffen würde, war viel zu nahe, als daß Hoss das, was er nun einmal tun mußte, noch hätte aufschieben können. Er ritt auf Ginger. Rimrock wußte genau, daß der Hengst ihn nicht leiden konnte, und deshalb würde sogar er in seiner Verbohrtheit merken, daß er unerwünscht war! Sein Ziel war ein unwegsames, zerklüftetes Gebiet, mehr als dreißig Kilometer von der Hütte entfernt. Hoss zweifelte nicht, daß Rimrock ihm folgte, obwohl er nur ab und zu einen ganz kurzen Blick auf den Puma erhaschen konnte. Erst am späten Nachmittag, als Hoss ein Reh geschossen hatte, wurde das anders.
Ja, Rimrock wußte inzwischen recht gut, was los war, wenn das Gewehr knallte! Kaum war der Schuß verhallt, da sprang er in fröhlichen Sätzen herbei, um seinen Anteil am Festessen einzuheimsen. Zwar wich er Ginger nach Kräften aus, jedoch versuchte er nicht mehr, sich zu verbergen, während Hoss in das graue Felsengelände weiterritt und schließlich auf einem Felshang unmittelbar vor einer Höhle sein Nachtlager aufschlug. Im ersten Augenblick wußte Rimrock offenbar nicht recht, was er vom Lagerfeuer zu halten hatte. In achtungsvoller Entfernung rollte er sich zusammen und schnurrte bedenklich, aber nach einiger Zeit schlich er doch näher heran und begann dann die Höhle zu untersuchen. Schließlich legte er sich auf Hoss’ zusammengerollte Decke, wo er sich offenbar sicher und mollig fühlte. Nur hin und wieder, wenn es im Feuer knackte und die Funken stoben, schaute er bedenklich hinüber. So sehr glich er einem reichlich groß geratenen Schoßkätzchen, daß Hoss sich allen Ernstes seines Vorhabens zu schämen begann. Während der Nacht schlief Rimrock nicht zu Füßen seines Herrn, er zog sich in die Höhle zurück. Kaum aber dämmerte es, da erhob er sich und lief immerzu ganz dicht an Hoss vor-
bei, um ihn zu wecken. Noch war es recht warm, aber der Himmel hatte sich bezogen. Ein Schneegestöber wäre ihm gerade recht gewesen; andererseits wollte er unbedingt auf seinem Gehöft sein, ehe die Nacht anbrach. Schließlich war die Jahreszeit noch nicht vorbei, in der der Winter allerlei Schabernack zu treiben und plötzliche Gefahr heraufzubeschwören vermochte. Da mußte man es sich schon überlegen, ehe man irgendwo im Freien kampierte. „Dir wird es gewiß keinen Spaß machen, Schlappohr!“ knurrte Hoss. „Aber das kann ich nicht ändern.“ Zunächst einmal wälzte Hoss einen dicken Felsbrocken vor den Eingang zur Höhle. So fest wie möglich stemmte er ihn in die Öffnung, und dann rollte er noch ein paar kleinere Felsstücke herbei, bis er genügend Material hatte, um den Ausgang fest und sicher zu verrammeln. Rimrock durfte so viel Rehfleisch fressen, wie er nur wollte, dann schob Hoss ihn durch eine schmale Öffnung in die Höhle hinein – und verschloß sie fest und zuverlässig mit den Felsbrocken. Ein gutes Gewissen hatte Hoss dabei ganz gewiß nicht. Er blieb beklommen vor der Höhle
stehen und redete dem eingesperrten Tier durch die dicke Steinwand gut zu. „Wenn du wirklich willst“, meinte er, „kannst du dir den Ausgang sicherlich freischarren. Und dann kommst du in ein Gelände, in das du gehörst und wo du dich zu Hause fühlen kannst! Hier, den Rest des Rehs lege ich so hin, daß du ihn bestimmt von drinnen riechen kannst. Laß es dir schmecken, und dann – hm – ja…“ Er riß sich los, sattelte Ginger und ritt so schnell wie möglich davon. Diesmal hatte es bestimmt geklappt! Rimrock würde sich sehr schnell aus der Höhle befreien können, sobald er es nur ernstlich darauf anlegte. Allerdings war er im Augenblick satt, und deshalb würde ihn die Witterung des Rehs erst in einigen Stunden locken. Zu fressen hatte er genug für mehrere Tage, daran war kein Zweifel. Und später würde der Hunger ihn schon auf die richtigen Gedanken bringen. Diesmal würde er nicht nur einen freudigen Luftsprung machen, wenn er ein Kaninchen sah, sondern es ernsthaft jagen und verzehren. Zum Donnerwetter – es mußte geklappt haben! Je weiter Hoss jedoch ritt, desto mehr Bedenken kamen ihm. Wenn Rimrock nun zwar zu
graben anfing, aber auf einen Felsbrocken stieß, der doch zu schwer für ihn war? Oder wenn zum Schluß die ganze Sperre zusammenbrach und Rimrock womöglich verletzt wurde? Würde er überhaupt auf den Gedanken kommen, sich den Weg in die Freiheit zu graben und zu scharren? War er stark genug dazu? Natürlich war er stark und klug genug! Und zu fressen hatte er reichlich – vor der Höhle, so daß es für ihn einen Ansporn gab, sich den Weg in die Freiheit zu ertrotzen! Hoss zügelte sein Pferd und blieb eine Weile bewegungslos sitzen. Beklommenen Herzens schaute er zurück. Ganz sacht begann es zu schneien. „Nein!“ schalt er sich selbst. „Es wäre pure Verrücktheit, wenn ich umkehrte!“ Er gab Ginger die Sporen. Aber was war das? Redete da nicht eine Stimme auf ihn ein? Wenn du nicht umkehrst, Hoss Cartwright, wirst du niemals die Angst loswerden, das arme, hilflose Wesen sei in der Höhle elend verhungert! Nie im Leben wirst du Ruhe finden, denn du kannst nicht wissen, ob das arme Tier mit dem Leben davonkommt!
Die Stimme setzte Hoss zu. Wieder überlegte er. Jedes Tier mußte im Notfall imstande sein, sich aus einer solchen Höhle den Weg ins Freie zu bahnen. Rimrock würde es schaffen! Schon fiel der Schnee so dicht, daß Hoss keine dreißig Meter weit sehen konnte. Nach einer Stunde hatte er jede Orientierung verloren. Wo war er? Der Schnee verwischte alle Erkennungsmerkmale, und doch war Hoss überzeugt davon, sich auf einem anderen Weg zu befinden als dem, den er auf dem Ritt zur Höhle benutzt hatte. Wegen des weißen Schleiers mußte er eine Abzweigung verfehlt haben, und nun ritt er bergab, einen schmalen Bach entlang, den er überhaupt nicht kannte. Allerdings wußte er, daß in dieser Gegend alle Gewässer nach Süden flossen. Wenn er dem Bach folgte, würde er in die Ebene gelangen, wo er sich genau auskannte. Der Schnee machte den kümmerlichen, nur vom Wild getretenen Pfad neben dem Bach glitschig. Links erhob sich ein mit dichtem Gebüsch bewachsener Hügel. Zur Rechten wußte Hoss nach wie vor den Bach hinter einem dichten Wall von Weiden und Espen. Immer enger wurde die Schlucht, immer näher rückten die Büsche heran, und Ginger tastete sich behut-
sam auf dem schmalen Pfad voran, der nun zwischen mehreren Bibertümpeln hindurchführte. Plötzlich glitt Ginger aus – an einer Stelle, die nicht schwieriger war als so manche andere, die Roß und Reiter mühelos bewältigt hatten. Unvorstellbar schnell ging alles: der rechte Hinterfuß rutschte aus, der linke verlor ebenfalls den Halt, Ginger stürzte, rutschte den Abhang zum Bibertümpel hinunter, Hoss strampelte verzweifelt, bis er beide Füße aus den Steigbügeln befreit hatte, und stieß sich dann kraftvoll vom Pferdeleib ab. Aber er konnte es nicht verhindern, daß er in dem Bibertümpel landete. Das kalte Wasser schlug ihm über dem Kopf zusammen. Prustend tauchte er auf. Am Ufer stand Ginger, längst wieder auf den Beinen. Hoss packte seinen Hut, der auf dem Wasser trieb. Dann watete er zum Ufer. Aber unversehens trat er in ein von den Bibern gegrabenes tiefes Loch, verlor das Gleichgewicht und tauchte erneut unter. Im gleichen Augenblick gelang es Ginger unter Aufbietung aller Kräfte, den Pfad oben auf dem Hang zu erklimmen. Aber dabei verfing sich der Hengst in einem Dickicht, das den Hang säumte.
Inzwischen hatte Hoss sich freigekämpft, und keuchend erreichte er die Höhe unmittelbar neben dem wiehernden Pferd. Flink ergriff er die Zügelleine. „Immer mit der Ruhe!“ mahnte er. „Ich bringe dich schon wieder nach Hause!“ Tatsächlich beruhigte sich das Pferd, und Hoss machte sich daran, die Schlingen und Ranken zu entfernen, in denen sich Ginger mit den Vorderbeinen verfangen hatte. Plötzlich zuckte er zusammen. Kein Zweifel: Ginger hatte sich das rechte Vorderbein gebrochen! Das Pferd schien zu wissen, was seiner harrte. Es zitterte am ganzen Leibe und schaute Hoss wehmütig an. Kummer und Mitleid verzerrten sein Gesicht, als Hoss seinen Hengst absattelte, das Zaumzeug löste und alles in weitem Bogen an den Hang warf. Dann zog er den Revolver und bemühte sich, das Wasser aus dem Schloß zu schütteln. Schließlich drückte er ab – aber es gab nur ein leises, kaltes Klicken. Dadurch wurde alles noch schlimmer. Aber er mußte es tun! Wenige Minuten später schleppte sich Hoss, mit Sattel und Zaumzeug beladen, den Pfad entlang. Seine Kleidung war gefroren, und sie knirschte laut bei jedem seiner Schritte. Er sah
ein, daß er weitermarschieren mußte, bis er von selbst ein bißchen warm wurde. Und dann würde er ein Feuer anmachen. Der Schnee fiel immer dichter, mit immer größeren Flocken. Endlich verbreiterte sich die Schlucht ein wenig. Espen wuchsen in dichten Hainen zu beiden Seiten. Hoss machte halt und trug einen großen Haufen dürrer Zweige im Windschutz eines dicken Stammes zusammen. Seine Hosentaschen waren zugefroren. Es blieb ihm nicht anderes übrig, als den Stoff zu zerreißen, wenn er an seine in einer Blechdose aufbewahrten Streichhölzer herankommen wollte. Aufatmend stellte er fest, daß die Hölzer trotz des unfreiwilligen Bades trocken geblieben waren. Schnee fiel auf das aufgeschichtete Holz. Beim ersten Versuch gelang es ihm nicht, die Zweige in Brand zu setzen. Hoss’ Finger waren so klamm vor Kälte, daß das zweite Streichholz ihnen entglitt und in den Schnee fiel. Hoss mußte erkennen, daß man leicht den Tod finden kann, wenn man es im verkehrten Augenblick eilig hat. Heftig rieb er sich die Hände, damit die Finger wieder warm und beweglich würden. Dann schaute er sich suchend um. Endlich fand er
am Fuße des Hanges einen Klumpen verdorrten Grases. Er kniete nieder, und seine Hose knackte, als wolle der steinhart gefrorene Stoff brechen. Das aufflammende Streichholz setzte das trockene Gras in Brand, und wenige Augenblicke später zuckten lodernde Flammen aus dem Holzstoß. Nun war alles in Ordnung. Hoss hatte keine Ahnung, wie weit er noch von seinem Gehöft entfernt war; aber daß es noch sehr, sehr weit sein mußte, konnte er sich denken. Vorläufig würde er hierbleiben müssen – – bis er trocken war… Und vielleicht, bis der Schneesturm endete. Ganz taub wurden seine Glieder unter den gefrorenen Kleidungsstücken. Als er nahe ans Feuer trat, dampfte das Zeug in der Hitze. Erst auf der einen und dann auf der anderen Seite ließ er sich von den Flammen wärmen. Ja, es hatte ihn wirklich arg erwischt. Wie mochte es Rimrock gehen? Rimrock fehlte absolut nichts. Die warme, dunkle Höhle ließ ihn wieder an sein erstes Zuhause denken, wo er das dämmerige Licht der Welt erblickt hatte. Draußen war es seltsam still, aber das konnte den Puma nicht
schrecken. Ganz deutlich witterte er das leckere Fleisch jenseits der aufgeschichteten Felsen – für ihn ein untrügliches Zeichen, daß der Mann, dem er von ganzem Herzen vertraute, nicht fern sein konnte. Rimrock rollte sich zusammen und hielt ein Schläfchen. Ausgeruht wachte er auf. Bald würde der Mann wiederkommen, und Rimrock würde ihm folgen, wohin er wollte. Er kratzte ein wenig an den Felsbrocken vor dem Eingang. Sie waren schwer und so geschickt geschichtet, daß sie nicht abrutschten oder wegrollten. Durch die Ritzen schimmerte der helle Tag herein, und am unteren Rand lag ein ziemlich breiter Lichtstreifen auf dem Boden. Rimrock schnupperte an der Öffnung, und er versuchte, mit der Pfote in den Spalt hineinzufahren. Leicht gab der sandige Boden nach. Eifrig kratzte Rimrock weiter, der Spalt wurde schnell breiter, und bald konnte der junge Berglöwe die Schnauze hineinschieben. Ob er sich etwa auch mit dem ganzen Leib hindurchzwängen konnte? Rimrock versuchte es, aber obwohl er sich mit den Hinterbeinen von dem Sandberg abstieß, den er vorhin hinter sich aufgeworfen hatte, kam er doch nicht weiter.
Nach einiger Zeit gab er es auf. Er setzte sich und wartete auf den Mann. Ganz deutlich roch es doch draußen nach ihm. Sogar als der Schnee alles Land und auch die erkaltete Feuerstelle bedeckte, nahm Rimrock die Witterung wahr. Sie haftete an den Felsbrocken, die Hoss vor den Eingang geschichtet hatte, an allem, womit er in Berührung gekommen war. Seltsam aber war es, daß der Mann gar nicht zurückkam! Wieder drängte der junge Puma die Schnauze in die Öffnung und schnurrte sehnsuchtsvoll. Noch einmal kratzte er an den Felsen, die doch nicht nachgaben. Ziellos scharrte er im Sand, versuchte sein Glück an verschiedenen Stellen der dunklen Höhle. Den ganzen Tag über schneite es, und noch nach Anbruch der Dunkelheit fielen die Flocken. Erst irgendwann in der Nacht, als Rimrock längst schlief, hörte es auf. Dann kam der Morgen, und nun ging Rimrock ernsthaft an die Arbeit. Er fing da an, wo er gestern schon einen schönen Anfangserfolg gehabt hatte. Er war hungrig – und draußen, nur wenige Meter von ihm entfernt, lag herrlich duftendes Futter! Aber nicht Rimrock allein witterte das leckere Fleisch!
Eine große braune Bärin mit ihren beiden Jungen hatte seit dem frühen Morgen am Fuße des Berghanges nach Futter gesucht. Die Kleinen waren in ihrem Übermut, ein Stück davongetrollt, und mitten im fröhlichen Spiel hatten sie einen herrlichen Duft wahrgenommen. Während die ersten Sonnenstrahlen die weiße Schneedecke glitzern ließen, waren die beiden jungen Bären der lockenden Witterung nachgegangen. Endlich hatte Rimrock es geschafft. Unter Aufbietung aller Kräfte war es ihm gelungen, sich einen Weg aus der Höhle zu bahnen. Nun stand er da und blinzelte in das grelle Licht. Tatsächlich, da lag das Stück Wild – aber eine Elster tat sich daran gütlich! Zornig stürmte der junge Puma auf den Vogel zu und schlug nach dem frechen Tier, doch die Elster huschte flink davon. Unwillig schüttelte sich Rimrock, und dann machte er sich daran, sein Frühstück zu verzehren – ein gewaltiger Krieger, der den Feind in die Flucht geschlagen hatte. Aber schon nahte neue Gefahr: zwei dunkle Fellgeschöpfe mit merkwürdiger Witterung strolchten heran! Kaum erblickten sie Rimrock, da fuhren sie erschrocken zurück. Und er verstärkte ihre Verblüffung durch wütendes Fauchen.
Alle drei Gegner zauderten, die Flucht zu ergreifen, denn auch die beiden Jungbären spürten den gleichen bohrenden Hunger wie Rimrock. Einer der jungen Bären wagte sich ein paar Schritte nach vorn und packte eine Hinterkeule des Rehs. Zwar war nicht mehr als Haut und Knochen daran, aber immerhin war es ein unter Lebensgefahr erbeutetes Stück! Gierig knabberte der Jungbär daran, wobei er wütende Knurrlaute zu Rimrock hinüberschickte. Empört sprang Rimrock über das tote Tier, versetzte dem Bären einen Hieb übers Ohr und zog sich eilig zurück. Der zweite Bär aber kam dem Bruder zu Hilfe. Beide nahmen das Fleisch in Besitz, während Rimrock ihnen unschlüssig, aber höchst ungehalten zuschaute. Endlich bleckte er die Zähne und peitschte mit seinem Schwanz den Boden. So etwas war ihm noch nie passiert, seit er sich mit seiner Schwester um das Futter gebalgt hatte. Er hatte Hunger, und er sollte zusehen, wie die beiden dunklen Ungeheuer sich an seinem eigenen Fleisch gütlich taten? Wütend stürzte Rimrock sich auf die Räuber, fauchte, kratzte und biß. Leider bissen die beiden beherzt zurück! Auf der Stelle bildeten die drei Tiere ein dickes, hin und her rollendes,
kreischendes Knäuel. Die Bärenjungen hatten nadelspitze Zähne, und sie wußten mit ihren krallenbewehrten Tatzen wirkungsvoll zuzuschlagen. Auch Rimrock landete ein paar tüchtige Hiebe, und unter den Krallen seiner Hinterbeine stoben kleine Fetzen braunen Fells in die Luft. Nach erfolgreichem Angriff wollte er sich vorübergehend zurückziehen, aber das gelang ihm nicht ganz nach Wunsch. Der eine Jungbär biß ihn in die linke Vordertatze, und der andere versuchte, ihm den Schwanz auszureißen. So heftig Rimrock sich auch wehrte, es ging doch über seine Kräfte, sich gleichzeitig nach zwei Seiten verteidigen zu müssen. Zornig riß er sich los, wich zurück – ging aber sofort wieder zum Angriff über und grub seine scharfen Krallen tief in die Schnauze des Bären, der sich soeben an seinem Schwanz vergangen hatte. Plötzlich aber griff noch jemand in den Kampf ein – ein riesenhaftes, knurrendes, fauchendes, braunes Wesen, das entschlossen war, seine Jungen zu schützen. Rimrock erstarrte, als er den aufgerissenen Rachen mit den spitzen Zähnen und die zornig flammenden Augen sah.
Flink rannte er davon und suchte Schutz zwischen den Felsen am Hang. Bären hatte er nun genug gesehen – es würde ihm für den Rest seines Lebens reichen. Gegen Mittag war Hoss zu der Überzeugung gelangt, daß alles, was er während der letzten zwei Tage’ getan hatte, Unsinn und der schlimmste Irrtum seines Lebens war. Schreckliches hatte er Rimrock angetan. Unverzüglich mußte er zu der Felsenhöhle zurückkehren. Daß er Ginger verloren hatte, war auch nur eine Folge des blöden Einfalls, Rimrock auf solche Weise loszuwerden. Und es geschah ihm ganz recht, daß er auch sonst noch allerlei Unbill hatte hinnehmen müssen! Zu allem Überfluß schien er nun auch noch nahe daran zu sein, schneeblind zu werden. Die ganze Nacht über hatte er am Feuer gehockt, seine Kleidung getrocknet und nur ganz kurz, an einen Baumstamm gelehnt, ein bißchen vor sich hin gedöst. Bei Tagesanbruch gelang es ihm, sich halbwegs zu orientieren: er befand sich in einem Seitental, ungefähr zehn bis zwölf Kilometer von seinem kleinen Gehöft entfernt. Der kürzeste Heimweg war ein alter Viehpfad, der durchs Bergland führte. Zu Pferde kam man zweifellos recht gut darauf voran, jetzt
aber lag dort der Schnee zwanzig Zentimeter hoch, und zu Fuß ging man bestimmt besser in der Ebene weiter, wo unterhalb der Berghänge ein Weg entlangführte, der zwar länger war, aber das Gebirge vermied und in das Tal mündete, wo Hoss’ Hütte stand. Obwohl die Sonne noch hinter den Bergen stand, tat der glitzernde Schnee seinen Augen weh. Ganz schlimm aber wurde es, als es richtig hell war. Das grelle Licht brannte in den Augen, und Hoss mußte die Lider zusammenkneifen, bis ihm die Muskeln schmerzten. Kurz bevor er das Flachland erreichte, legte er eine Rast ein und machte Feuer. Mit dem angekohlten Ende eines Zweiges schwärzte er sich die Umgebung seiner Augen. Nun blendete ihn die Sonne doch etwas weniger – aber schnell mußte Hoss einsehen, daß er diese Vorsichtsmaßregel nicht rechtzeitig genug getroffen hatte. Eine halbe Stunde später befand er sich in der Ebene, wo nichts mehr die Gewalt der grellen Sonne zu mildern vermochte. Zu ganz schmalen Schlitzen kniff er die Augen zusammen, verbiß die Schmerzen, während dicke Tränen ihm über die Backen rollten und grelle Blitze vor seinen Augen zuckten. Hin und wieder blieb er stehen, um sich die Augenhöhlen mit
kühlendem Schnee zu reiben. Dann ließ der Schmerz etwas nach, aber besser sehen konnte Hoss trotzdem nicht. Ihm fiel ein, daß ein bekannter Arzt in Virginia City ihn einmal gewarnt hatte: frisch gefallener Schnee, auf den die Sonne scheint, könne zu vollkommener Schneeblindheit führen, noch ehe man selbst es richtig merke. Dann täten die Augen weh, hatte er gesagt, und es sei, als habe man eine Art Sonnenbrand in den Augenhöhlen. Tatsächlich meinte Hoss, genau dies zu fühlen. Obwohl die Sonne vom wolkenlosen Himmel schien, war es doch nicht warm. Im Gegenteil, es wurde immer kälter, und nun wehte auch noch ein eisiger Wind über die Ebene. Hoss ahnte, was ihm bevorstand – eine der kältesten Nächte des Jahres! Er verspürte keinerlei Lust, noch eine Nacht im Freien zu verbringen, fürchtete aber, daß es ihm nicht erspart bleiben würde. In Stiefeln, die nicht für lange Fußmärsche bestimmt waren, zog er durch die weiße, ebene Wüste. Immer wieder riß er die schmerzenden Augen auf und schaute zum Gebirge hinüber. Solange er es zu seiner Rechten sah, hatte er die Richtung nicht verloren.
Er kam ganz gut voran, aber die Augen schmerzten immer mehr, er konnte sie kaum noch offenhalten, und so mußte er schließlich langsamer gehen. Das einzige, was die eintönige, qualvolle Weiße unterbrach, waren dunkle, struppige Büsche – und es fiel Hoss immer schwerer, sie zu erkennen. Vom Schnee und Licht geblendet, stolperte er über Maulwurfshügel und brach in Kaninchenlöcher ein. Immer langsamer wurde er. Mühsam mußte er einen Busch in der Ferne ausmachen, unbeirrt auf ihn zugehen und sich dann einen neuen Orientierungspunkt suchen, um nicht vom Wege abzuirren. Die Berge an seiner Seite waren längst nur noch ein etwas dunklerer Schimmer, und Hoss war nicht einmal sicher, daß er sie wirklich sah. Vielleicht war das, was er für das Gebirge hielt, nichts anderes als die allgemeine Finsternis am Rande seines Blickfeldes. Falls er aber nach links abirrte, würde er in eine baumlose Einöde geraten, die ungefähr zehn Kilometer breit war. Er versuchte, sich nahe an den Bergen zu halten, denn falls er Rast machen mußte, würden die Bäume an den Hängen seine einzige Zuflucht sein. Mit einem tüchtigen Feuer könnte er dort die Nacht verhältnismäßig sicher überstehen.
Aber dann geschah ausgerechnet das, wovor er die meiste Angst gehabt hatte: Er bemerkte Fußspuren, die in seiner Richtung verliefen! Zwar hatte der Wind sie schon teilweise verweht, als er jedoch, die Augen mit der Hand beschattend, angestrengt hinunterstarrte, mußte er sich sehr bald davon überzeugen, daß er vor seinen eigenen Spuren stand. Trotz all seiner Bemühungen, sich am nahen Bergland zu orientieren und von einem Busch zum anderen geradeaus zu gehen, war er im Kreis gelaufen! Er hob den Kopf und spähte angestrengt dorthin, wo er die Berge vermutete. Nun fand er sich überhaupt nicht mehr zurecht. Keinen einzigen Berg konnte er erkennen, und er hatte auch keine Ahnung, in welcher Richtung er vom Weg abgewichen war. Von Panik ergriffen, wäre er am liebsten losgerannt – in die Richtung, die er im Augenblick für die richtige hielt. Aber er mußte einsehen, daß er sich jetzt keinen neuen Fehler erlauben durfte. Es ging um Leben und Tod! Er kniete im Schnee nieder und prüfte seine Fußspuren. Die Augen schmerzten mehr denn je, und da die Flocken die Form der Abdrücke verwischt hatten, konnte er nicht einmal mit Sicherheit erkennen, in welche Richtung seine
Spur führte. Auf Händen und Füßen kroch er ein Stück weiter, und zum Glück fand er an einer windgeschützten Stelle neben einem Busch einen unverwehten Abdruck. Er hob den Blick und schaute in die Richtung, die der Fußtritt ihm anzeigte. Dann streckte er den Arm aus. Dorthin also! Ja, dort mußten die Berge sein! Soeben hatte er noch in panischer Angst die entgegengesetzte Richtung einschlagen wollen. Er riß sich hoch und taumelte vorwärts. Drei Zündhölzer besaß er noch, damit würde er sparsam umgehen müssen. Waren sie noch da? Zögernd fuhr er mit der Hand in die Tasche. Ja, da war die Dose… Aber der Deckel hatte sich gelöst! Vorsichtig trocknete Hoss sich die Hand am Hemd ab, und dann holte er die ungeschützt in der Tasche liegenden Streichhölzer hervor und betrachtete sie. Die Köpfe waren abgeweicht! Jedesmal, wenn er sich vorhin die Augen mit Schnee ausgewaschen hatte, war er anschließend mit den feuchten Händen in die Taschen gefahren, um sie zu wärmen. Und jetzt lagen drei wertlose Holzstäbchen in seiner zitternden Hand! Ich muß den Wald erreichen! dachte er. Aber wo war der Wald?
Im Schneesturm
Nur ein kurzes Stück setzte die empörte Bärenmutter dem flüchtenden Rimrock nach, dann kehrte sie zu ihren Jungen zurück – und zu dem herrlichen Mahl, das ein freundliches Wesen ihnen dort auf dem Felsvorsprung serviert hatte. Der junge Puma aber rannte weiter, bis er sich in Sicherheit wußte. Auf einem Felsvorsprung oberhalb eines Espenhains machte er halt. Eine Weile ruhte er sich hier aus. Er beleckte die verletzte Pranke und schaute auf den Schnee hinunter, der sich auf die Baumkronen gelegt hatte. Irgendwie kam ihm das Land rundum bekannt vor – und doch fühlte Rimrock sich nicht recht zu Hause. Außerdem hatte er bohrenden Hunger. Nachdem er sich ein bißchen erholt hatte, kletterte er zu den Bäumen hinunter. Sollte es hier wirklich keine Mäuse zu jagen geben? Aber zwischen den Stämmen konnte Rimrock beim besten Willen nichts als Schnee entdecken. So verließ er den Hain und lief weiter
bergab. Irgendwo hier in der Gegend mußte der Mann doch stecken! Da! Ein Schatten huschte über die weiße Schneefläche. Hastig lief Rimrock zu den Bäumen zurück und suchte Deckung neben einem Stumpf. Es war nur ein Habicht, der ziemlich tief über das Land strich und nach Beute Ausschau hielt. Rimrock war ihm viel zu groß. Trotzdem blieb der junge Puma in seinem Versteck, bis er ganz sicher war, daß der Raubvogel sich nicht mehr in der Nähe befand. Da! Ein Eichhörnchen schwatzte in einer Fichte. Rimrock lief näher, um sich den Urheber dieser Ruhestörung anzuschauen. Das kleine Klettertier lugte von der Höhe eines Astes auf ihn herab, und der Puma hockte unten, hob eine Tatze und mußte einsehen, daß es vermessen gewesen wäre, einem Eichhörnchen nachzuklettern. Plötzlich nahm Rimrock eine vertraute Witterung wahr. Er folgte ihr und kam an einen dünnen Fichtenstamm, den Hoss und Ginger gestreift hatten. Aufgeregt beschnupperte Rimrock das ganze Gelände, tief grub er seine Schnauze in den Schnee. Der Schwanz tat ihm weh, und er humpelte mühsam weiter. Er war nichts mehr als ein kleiner, armseliger Berglöwe, der Angst hatte, sich in einer frem-
den Umgebung nicht zurechtfand und sich vollkommen verlassen fühlte – am meisten von dem Menschen, der ihm bisher alle Mühen im. Kampf ums Dasein abgenommen hatte… Langsam, schrecklich langsam wuchsen die Baumstämme aus dem Schleier hervor, der vor Hoss’ Augen wallte. Plötzlich stieß er gegen einen Espenstamm, und freudig umarmte er ihn wie einen alten Freund. Dahinter dehnte sich graue Leere, aber Hoss war, als ginge es bergauf; und er glaubte sogar, eine dunkle Wand von Fichten erkennen zu können. Verzweifelt riß er sich zusammen, taumelte weiter und spürte mit innerem Jubel, daß es wirklich bergauf ging. Trotzdem kam er den Fichten nicht näher. Gab es sie überhaupt? Der Schnee überzog sich mit einer harten Kruste, und der Wind, der aus dem Bergland herüberwehte, drang eisig durch Hemd und Jacke. Hoss wollte warten. Später, wenn ihm die Augen nicht mehr so weh taten, würde er die Fichten wohl erreichen können! Tastend sammelte er dürres Espenholz auf, um eine Art Windschirm errichten zu können. Dann
stieß er mit den Füßen den Schnee beiseite. Mehr Vorbereitungen zur Nacht konnte er nicht treffen. Eine Stunde später mußte er einsehen, daß seine Vorsorge kaum ausreichte. Seine enganliegenden Reitstiefel waren durchnäßt, und nun, da er sich zur Ruhe niedergelassen hatte, fingen die Füße an zu erfrieren. Solange er auf den Beinen gewesen und immer wieder herumgestapft war, hatte er den Blutkreislauf in Bewegung gehalten. Nun aber fiel die Kälte mit Ungestüm über ihn her. Hoss sah ein, daß er auf den Beinen bleiben, umhergehen, die ganze Nacht wachen mußte. Aber er bezweifelte, daß er das durchhalten würde… Und doch wußte er, daß ihm keine Wahl blieb! Und morgen? Seinen Augen ging es nicht besser. Was also sollte werden? Vielleicht war er morgen früh schon vollkommen blind. Sollte er vielleicht doch weitergehen und versuchen, seine Hütte wiederzufinden? Immerhin war er nach seiner Schätzung kaum mehr als zehn Kilometer von dem Gehöft entfernt. Und das Marschieren würde ihn wenigstens warmhalten. Wieder drohte die panische Angst ihn ziellos weiterzujagen.
Wenn er Glück hatte, konnte alles noch gut werden! Aber sogleich meldete sich die mahnende Stimme der Vernunft. Falls er der Verlockung folgte und aufs Geratewohl loszog, würde die Erschöpfung ihn sehr bald niederwerfen. Nein, er mußte bleiben, wo er war, mußte durchhalten – selbst wenn er noch zwei Tage und zwei Nächte unterwegs sein sollte! Gewiß durfte er sich hinsichtlich seiner Chancen keinen Illusionen hingeben. Aber Kurzschlußhandlungen brachten ihn auch nicht weiter. Er mußte bedächtig vorgehen – falls er sich ein Bein brach oder auch nur einen Knöchel verstauchte, wäre er erledigt. Lange, lange hielt er sich auf den Beinen. Das Stehen ermüdete ihn mehr als alles Gehen. Und die nassen Stiefel… Es würde qualvoll sein, sie wieder anzuziehen. Und doch – er mußte es einfach darauf ankommen lassen. Mühsam zerrte er sie von den Beinen. Dann schnitt er mit dem Messer ein breites Stück vom Hemd ab, wickelte es um die wunden Füße und erwärmte sie, indem er sie kräftig rieb und die Zehen bewegte. So saß er da. Allmählich ließ er die Hände sinken, und sein Kopf fiel vornüber. Er rührte sich nicht mehr.
Wolfsgeheul weckte ihn. Taumelnd sprang er auf. Waren die Räuber schon so nahe? Deutlich erklang das langgezogene Jaulen durch die kalte Nacht. Es kam von irgendwoher auf der linken Seite. Hoss verstand den Ton: die Tiere setzten einer Beute nach, verfolgten durch den hohen Schnee einen Feind… Zu seiner Erleichterung entfernte sich das Heulen, und bald darauf hörte er nichts mehr. Obwohl er sich fest vornahm, diesmal wach zu bleiben, nickte er doch ein, kaum daß er sich hingesetzt hatte. Zwar fuhr er immer wieder auf, und er brachte es tatsächlich fertig, dann ein paar Schritte hin und her zu gehen – aber sobald er meinte, ganz wach zu sein, wagte er es, sich erneut hinzusetzen. Es fiel ihm nicht auf, daß es allmählich immer länger dauerte, bis er wieder erwachte. Am schlimmsten aber war es, daß er kaum merkte, wie ihm ständig kälter wurde. Es kam der Augenblick, wo er überhaupt keine Kälte mehr spürte. Er hockte da, begann zu erfrieren und träumte von seinem molligen, gemütlichen Vaterhaus in Ponderosa… Joe war bei ihm. Er wollte ihn wecken, denn es war Zeit, aufzustehen und an die Arbeit zu gehen. Er rüttelte ihn, ärgerte ihn, gab ganz
seltsame Laute von sich… Hoss wollte ihn wegschieben. Nein, er hatte gar keine Lust aufzustehen. Ihm konnte es gar nicht besser gehen, er fühlte sich ausnehmend wohl! Aber Joe ließ nicht locker. Er stieß ihn, und die Laute, die er von sich gab, klangen seltsam, aber doch vertraut – wie das Schnurren einer großen Katze. Hoss tastete mit der Hand, und er fühlte weiches Fell. Eine warme Zunge leckte ihm die Hand… Aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis der fast Erfrorene begriff, was da eigentlich los war. „Rimrock!“ murmelte er. Wieder wollte er einschlafen. Man sollte ihn doch in Ruhe lassen! Er wollte schlafen, schlafen… Plötzlich aber fuhr er doch auf. „Rimrock!“ schrie er. Beim Aufstehen merkte er, daß er schon ganz steifgefroren war; seine Glieder schienen aus Holz zu bestehen, und um ein Haar wäre er umgefallen, hätte er sich nicht im letzten Augenblick an einem Baumstamm festhalten können. „Rimrock!“ murmelte er ungläubig. „Wo kommst du denn her?“ Der junge Berglöwe rieb den geschmeidigen Leib an Hoss’ Beinen. Der junge Mann zwang
sich, Arme und Beine zu bewegen, um sein Blut wieder in Wallung zu bringen. Nur mit größter Anstrengung brachte er es fertig, mit den Füßen aufzustampfen, die Arme im Kreise zu schwenken und sie kreuzweise vor die Brust zu schlagen. Jetzt erst wurde ihm bewußt, wie nahe er dem Tode gewesen war. Es tat ihm gut, Rimrock nun in seiner Nähe zu wissen, obwohl das seine Lage nicht im geringsten besserte. Längst hatte Hoss jeden Zeitbegriff verloren. Die Sterne leuchteten am Himmel, aber er konnte sie kaum sehen. Mit seinen Augen stand es schlimmer denn je. Unruhig lief der junge Berglöwe hin und her, verschwand immer wieder zwischen den Bäumen und kehrte kurz darauf zurück. Es war Nacht, und auch er hätte sich gern zur Ruhe gelegt. Aber sein Herr hatte sich einen ausgesprochen ungemütlichen Lagerplatz ausgesucht! Da war es in einer Höhle doch wesentlich gemütlicher, am gemütlichsten allerdings war es daheim in der Hütte auf dem weichen Bett! Immer von neuem lief Rimrock zu den Bäumen hinüber, blieb dort stehen und schnurrte vernehmlich. Er möchte in die Hütte zurück! dachte Hoss.
Er nahm seine Stiefel, und obwohl sie steifgefroren waren, gelang es ihm schließlich doch, sie anzuziehen. Vielleicht würde auch diese letzte Hoffnung trügen, aber Rimrock war ja immerhin bis hierher gekommen; könnte es ihm da nicht gelingen, auch noch das letzte Stück des Weges zu finden? Hoss vertraute sich dem Tier an. Mühselig stapfte er hinter ihm durch die eisige Nacht. Zuweilen lief Rimrock so weit voraus, daß Hoss gar nicht mehr wußte, wo er war. Dann blieb er stehen, rief den Puma, und sofort kam das treue Tier zurück. Mit der Zeit schien Rimrock zu spüren, daß mit seinem jungen Herrn etwas nicht stimmte. Und sofort lief er langsamer und hielt sich stets in Hoss’ Nähe. Der kluge Berglöwe wählte den allerkürzesten Weg: durch sperriges Unterholz, über Gräben und durch Schluchten, über karge Felsenhänge. Hoss beklagte sich nicht. Er stand wieder auf, wenn er hingefallen war, und folgte dem Weg, den Rimrock ihm wies. Er wußte nicht, seit wie vielen Stunden er sich vorwärts schleppte, über Steine stolperte, in tiefen Schnee fiel und immer wieder keuchend stehenblieb, um zu lauschen, ob Rimrock noch in seiner Nähe war. Rimrock war immer da.
Es war noch immer dunkel, als er auf einmal ein Pferd wiehern hörte. Paiute! Er taumelte in die Hütte. Sollte er Feuer machen? Es schien ihm nicht der Mühe wert. Er kannte ja die Ecke, wo sein weiches, warmes Bett stand. Mühsam zerrte er sich die Kleider vom Leibe, dann ließ er sich stöhnend fallen. Zuerst zitterte und schauderte er vor Kälte, dann aber spürte er, wie ihm warm wurde. Rimrock rollte sich auf dem Bett zusammen, und Hoss spürte, wie herrlich das Tier ihm die Füße wärmte. Zuweilen fühlte Hoss den Schmerz in seinen Augen, meist aber schlief er ganz fest. Als er erwachte, mußte es Nachmittag sein. Wie üblich hatte er beim Heimkommen die Tür hinter sich offengelassen, und nun war es eiskalt im Zimmer. Außerdem taten ihm die Augen gräßlich weh. Plötzlich begriff Hoss deutlicher denn je, was aus ihm geworden wäre, hätte Rimrock ihn nicht draußen in der Eiseskälte gefunden. Nur tastend konnte er sich durch die Hütte bewegen. Das Wasser im Eimer auf dem Regal gleich neben der Tür war gefroren. Hoss machte Feuer und setzte den Kessel auf den Herd. Nach einigem Herumtasten fand er auf dem Regal eine Dose Corned beef. Ein Büch-
senöffner lag daneben. Schon warf er den Block Fleisch in die Bratpfanne. Ein Schnurren erklang: Rimrock war von einem Ausflug nach draußen heimgekehrt und wollte etwas fressen. Ein Glück, daß Hoss noch immer ein Stück von dem Rehbock hinter der Hütte hängen hatte! Nachdem er sich ein altes Hemd so um den Kopf gebunden hatte, daß es seine Augen beschirmte, tastete er sich hinaus. Eisiger Wind schlug ihm entgegen, als er um das Haus schlurfte. Mit einem Messer schnitt er den Strick durch und ließ das gefrorene Fleisch zu Boden fallen. Freudig zerrte Rimrock es in die Hütte und legte es so hin, daß Hoss beim Eintreten stolperte und beinahe hingefallen wäre. „Sogar das lasse ich dir durchgehen!“ stieß er hervor. Nachdem er zum Bach gewankt war und Wasser geholt hatte, verließ er die Hütte den ganzen Tag über nicht mehr. Als es Abend wurde, ging es seinen Augen schon wesentlich besser. So gut konnte er immerhin wieder sehen, daß er Rimrocks Verletzungen an einem Bein und am Schwanz bemerkte. „Wir beide sind schon elend dran, wie?“ Zärtlich kraulte er das schnurrende Tier zwischen den Ohren. „Und morgen kommt Joe. Was soll dann aus dir werden, Rimrock?“
Jeder Versuch, den Puma loszuwerden, war kläglich gescheitert. Aber es mußte doch einen Ausweg geben… Hoss brauchte Zeit, um den Fall neu zu überdenken. Diese Zeit mußte er gewinnen! Am nächsten Tag wartete Hoss auf einem nahen Berg. Wieder hatte er sich das Hemd vor die Augen gebunden, und nur ab und zu hob er es an, um Ausschau zu halten. Endlich entdeckte er weit hinten in der Ebene Joes Pferd und noch zwei Packtiere, die hinterherliefen. Sofort ritt Hoss bergab und dem Bruder entgegen. Es wunderte ihn nicht, daß Joe laut loslachte. „Du willst wohl unter die Bankräuber gehen, Hoss?“ „Hör auf!“ fauchte Hoss. „Ich bin schneeblind – das kommt daher, daß ich hier oben arbeiten mußte, während gewisse andere Leute es sich daheim gut sein ließen!“ Er hob seine Augenmaske und schaute den Bruder zornig an. „Du hast dir ja die Gegend um die Augen mit Kohle geschwärzt!“ „In der Ebene blendet die Sonne mächtig“, erwiderte Joe. „Meinst du, daß du allein nach Ponderosa reiten kannst?“
„Ich werde nicht hinunterreiten!“ „Wieso nicht?“ Joe sprang aus dem Sattel. Er war ein hübscher, gutgewachsener Bursche und sehr viel kleiner als der ältere Bruder. „Ich mag nicht nach Hause“, erklärte Hoss. „Nachdem ich die blöden Rinder nun durch die schlimmsten Wintermonate gebracht habe, möchte ich mir die letzten Wochen nicht entgehen lassen!“ „Wie?“ staunte der Bruder. „Mehr fällt dir wohl nicht ein?“ fauchte Hoss ihn an. „Wie geht es dem Vater?“ „Vater?“ Joe hatte seine Verblüffung noch immer nicht überwunden. „Ach, dem geht es gut. Aber daß du dich nicht ablösen lassen, sondern weiter hier oben bleiben willst…“ „Na, ich will es eben!“ brummte Hoss. „Außerdem habe ich keine Lust, mit dem Hemd um den Kopf heimzureiten und mich zum Gespött der Leute zu machen…“ Joe verzog das Gesicht zu einem Grinsen. „Weshalb mußte ich eigentlich so viel Büchsenmilch mitbringen?“ fragte er. „Bist du zum Säugling geworden?“ „Ich habe öfter Eierkuchen gebacken!“ Joe pfiff zwischen den Zähnen. „Und wer hat die gegessen?“ fragte er anzüglich. „Die Pferde vielleicht?“
Hoss lüftete ein wenig seine Maske. „Hör doch auf mit deinem frechen…“ Er verstummte. Am Rande seines Gesichtsfeldes hatte er eine Bewegung auf dem Berghang bemerkt, und wenig später erkannte er Rimrock. Dabei hatte er ihn doch in der Hütte eingesperrt! Ach, er hätte sich denken können, daß es schiefgehen würde! „Was ist los?“ Joe schaute den Berg hinauf. „Nichts!“ brummte Hoss unwirsch. „Ich habe nur keine Zeit, hier herumzuschwatzen. Also, ich bleibe im Lager, bis Vater mich zurückruft. Nimm dein Gepäck nur wieder mit und reite heim! Und richte dem Vater aus, mit den Kühen sei alles in Ordnung.“ „Das will ich tun, Hoss“, erwiderte der Bruder verdutzt. „Weißt du, die Rinder machen mir gar keine Sorgen – du aber dafür um so mehr. Was hast du zum Beispiel mit der vielen Milch gemacht? Ziehst du etwa eine Ziege groß?“ „Nein!“ brüllte Hoss. „Ich nähre sieben Berglöwen und vier Bären! Eigentlich wollte ich es dir nicht sagen, aber vor einem so gewitzten Burschen kann man ja doch nichts verbergen. So, und nun nimm dein Gepäck, laß mir das eine Packpferd da, und scher dich heim!“
Aber so schnell ließ sich Joe nicht abschütteln. „Weshalb hast du eigentlich diesen abgenutzten alten Sattel aufgelegt?“ bohrte er. „Weil ich meinen guten Sattel neulich zurücklassen mußte, nachdem Ginger sich ein Bein gebrochen hatte!“ „Und bei dieser Gelegenheit bist du auch schneeblind geworden?“ „Allerdings!“ „Man wird doch noch fragen dürfen!“ Joe zuckte die Achseln. „Aber nachdem du solches Pech hattest, sollte man meinen, daß du besonders gern heim möchtest…“ „Ich bleibe!“ fauchte Hoss. „Jede weitere Diskussion ist überflüssig!“ „Schon gut“, sagte Joe friedfertig, während er seinen Knappsack vom Packpferd zerrte. „Glaub ja nicht, daß ich enttäuscht bin! Ich lege keinen besonderen Wert darauf, mir mein Essen selbst zu kochen, um acht ins Bett zu gehen, während der Nacht alle halbe Stunde mit Holzscheiten nach Ratten zu werfen und…“ „Den Ratten habe ich ihre nächtlichen Ausflüge abgewöhnt“, knurrte Hoss. „So, daheim schaffe ich das Zeug, was das Packpferd trägt, in meine Hütte, und dann lasse ich das Tier
einfach laufen. Vermutlich trifft es dann nicht später als du in Ponderosa ein.“ „Und das zweite Pferd behältst du hier?“ „Nein, das kannst du gleich mitnehmen!“ erklärte Hoss verächtlich. „Es würde doch nach spätestens zwei Tagen unter mir zusammenbrechen! Paiute und ich, wir bringen die letzten paar Tage auch noch hinter uns!“ „Hast du während des Winters Scherereien mit Berglöwen gehabt, Hoss?“ „Keine Spur!“ „Im Osten sollen sie ziemlich wüst gehaust haben, wie man mir erzählte!“ Hoss hob das schützende Hemd vor den Augen wieder ein wenig an und spähte verstohlen zum Berghang hinüber. Rimrock aber blieb in guter Deckung! „Du redest wie Sam Hargis“, brummte er. „Wenn man dem zuhört, möchte man meinen, er habe mindestens fünfzig fette Rinder eingebüßt. Als er mich neulich besuchte, hat er mächtig gejammert!“ „Aber er hat wirklich mehrere Kälber verloren“, beharrte Joe. „Und verschiedene andere Rancher haben mir versichert, in diesem Jahr seien die Pumas besonders aufdringlich gewesen. Jack Sayers hat mit seinen Hunden…“
„Hat Vater dir gesagt, wie lange ich noch hier oben bei den Rindern bleiben muß?“ fiel Hoss dem Bruder ins Wort. „Ich glaube, du bist schon viel zu lange oben!“ schimpfte Joe. „Woher hättest du sonst deine schlechte Laune?“ Er schüttelte den Kopf. „Vater hat mir gesagt, ich solle selbst entscheiden, wie lange die Herde noch gehütet werden muß. Das kannst du dann ebensogut tun wie ich.“ „Drei Wochen genügen bestimmt“, erwiderte Hoss. „Dann komme ich heim.“ Hoss wußte, daß er sich um die Rinder überhaupt nicht mehr zu kümmern brauchte. Aber die drei Wochen benötigte er, um eine andere Aufgabe zu lösen. „Na, jetzt hast du ja genug Büchsenmilch!“ feixte Joe. „Mach dir in der Hütte nur recht viele süße Pfannkuchen, damit deine Stimmung sich ein bißchen hebt!“ Er lachte und machte sich auf den Weg zurück nach Ponderosa. Dem Packpferd mißfiel die Witterung des Berglöwen. In Hoss’ Kleidung hatte es sie sogleich entdeckt. Und als es nun zum Gehöft geleitet wurde, da nahm es den schrecklichen Geruch ganz dicht neben dem Weg wahr – dort nämlich, wo Rimrock seinem Herrn nachgeschlichen war.
Zuweilen mußte Hoss das Tier voranzerren, dann wieder mußte er es kräftig festhalten, um nicht selbst mitgezerrt zu werden. Neben der Hütte angekommen, sattelte Hoss das Pferd vollkommen ab, und sofort bäumte es sich auf, schnaubte und stürmte im Galopp den Weg zurück, den es gekommen war. Hoss schaute ihm nach. In der Ebene würde es schon vorsichtig weiterlaufen. Es würde bald begreifen, daß kein Berglöwe es dort unten bedrohte. Zufrieden schleppte Hoss die neuen Vorräte in die Hütte. Er hatte gehofft, Rimrock hätte sich unter der Wand einen Weg ins Freie gebuddelt oder er wäre so lange gegen die Tür geprallt, bis das Schloß aufsprang – aber nein: der Berglöwe war durchs Fenster entkommen. „Auf den Satz bist du wohl gar noch stolz?“ knurrte Hoss. „Na, ich werde die Öffnung zunageln. Du hast es dir selbst zuzuschreiben, wenn es dann drinnen finsterer ist als im Bauch eines Ochsen!“ Rimrock schien die neue Öffnung sehr praktisch zu finden. Er sprang auf den Tisch, schlüpfte durchs Fenster hinaus, und Hoss verfehlte sein Hinterteil ganz knapp, als er ihm einen kräftigen Klaps versetzen wollte.
„Ich dachte, ich hätte es dir abgewöhnt, auf den Tisch zu springen!“ schimpfte er. Dann löste er das Problem, indem er den Tisch ein gutes Stück vom Fenster fortschob. Wenig später kehrte Rimrock auf demselben Weg zurück – und machte eine ziemlich harte Bauchlandung auf dem Fußboden. Hoss schüttelte sich vor Lachen. Aber noch standen andere Überraschungen bevor: gegen Abend kam Rimrock von einem Ausflug zurück ins Haus und – trug ein Kaninchen im Maul! „Großartig!“ lobte ihn sein Herr. „Offenbar willst du doch noch zur Vernunft kommen.“ Aber anscheinend hielt Rimrock gar nichts von zu stürmischen Fortschritten. Er trottete heran, legte das Kaninchen zu Hoss’ Füßen nieder und wartete, bis sein Herr es ihm abhäutete. Anschließend verlangte er nach einem Napf Milch!
Abschied
Am Tage nach Joes Ankunft und Rückkehr ritt Hoss durch den tauenden Schnee, um die längst fällige Inspektion der Herde nachzuholen. Den Tieren fehlte offenbar nichts. Was sie anging, so hätte Hoss ganz bestimmt noch am selben Tag endgültig nach Ponderosa heimreiten können. Drei Wochen hatte er sich noch bewilligt. Wozu? Hatte er nicht schon alles versucht, was auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg bot? Hatte er nicht jeden Kniff ausprobiert? Konnten drei weitere Wochen ihn auch nur einen einzigen Schritt weiterbringen? Nur immer schwerer würde es ihm fallen, sich endgültig von dem anhänglichen Tier zu trennen. Da oben saß der Puma. Wie stets hockte er brav im Blickfeld seines Herrn und schaute mißtrauisch auf die Rinderherde herunter. Er wahrte immer einen Abstand von mindestens zweihundert Metern. Hoss hätte keinen Eid darauf geleistet, aber er wurde doch den Verdacht nicht los, daß Rimrock insgeheim schreckliche Angst vor allen Tieren in Wald
und Feld hatte – solange sie auf ihren vier Beinen standen. In geschlachtetem Zustand mochte er sie ausgesprochen gern! Immerhin gab die Tatsache, daß Rimrock ein erfolgreicher Kaninchenjäger geworden war, zu einiger Hoffnung Anlaß. Gewiß mußte Hoss sie ihm nach wie vor abhäuten, aber ihn tröstete doch der Gedanke, daß der Puma die flinken Tiere wenigstens zu fangen vermochte. Sogar an einen Biber hatte sich Rimrock drunten am Teich schon herangemacht. Das kleine Tier aber hatte sich verteidigungsbereit hingehockt und die gelben Zähne gebleckt. Da hatte Rimrock doch gezaudert und war zu seiner alten Gewohnheit zurückgekehrt, einen Luftsprung zu machen und sich dann geruhsam auf allen vieren niederzulassen. Immerhin – der Angriff hatte doch von Tapferkeit gezeugt. Der Biber hatte nämlich dicht am Wasser gesessen, und kein halbwegs vernünftiges Tier wird sich an einen Biber heranwagen, der sich in seinem feuchten Element befindet. Und wenn Hoss es recht bedachte, war der letzte Luftsprung Rimrocks der eleganteste gewesen, den er jemals vollführt hatte. Aufmerksam betrachtete Hoss die Herde. An den Spuren erkannte er, daß die Tiere sich
während der kältesten Tage in einem Dickicht verkrochen hatten. Das war wirklich ausgesprochen klug von ihnen gewesen. Zwischen den Büschen stieß Rimrock zu seinem Herrn. „Na, hast du heute ein bißchen dazugelernt?“ fragte ihn Hoss. „Weißt du inzwischen, was es heißt, ein Löwe zu sein?“ Rimrock setzte sich aufs Hinterteil und kratzte sich hinter dem verstümmelten Ohr. Während des Heimweges sprang er munter umher, und daheim sauste er mit einem gewaltigen Satz mitten durch das brüchige Segeltuch, das Hoss vor das Fenster genagelt hatte. Seufzend hängte sein Herr eine alte Satteldecke vor die Öffnung. Oben befestigte er sie sorgfältig, ließ sie aber locker herabhängen. Nun mochte Rimrock herein- und hinausspringen, sooft er wollte. „Alles hier richtet sich nur nach dir!“ knurrte Hoss böse. Einen neuen Höhepunkt erreichte Rimrocks Geselligkeit an dem Tag, als er mit Hoss ausritt, um die Sachen heimzuholen, die Hoss damals nach Gingers Tod im hohlen Baum verstaut hatte. Inzwischen war der Schnee fast vollkommen geschmolzen, die Sonne schien warm, und der Tag verlockte zu einem fröhli-
chen Spazierritt. Genau das dachte offenbar auch Rimrock. Hoss holte das Geschirr aus dem Versteck, tauschte die Sättel aus, band den alten hinter sich auf und das Schaffell dazu. Lange ritt er dann am Rande der Ebene dahin, während Rimrock sich zwischen Büschen und Felsen hielt. Als echter Berglöwe setzte er sich bei Tage nicht gern den Gefahren der deckungslosen Ebene aus. Als Hoss einige Zeit später den Pfad entlangritt, der durch die Berge führte, folgte der Puma dicht hinter ihm. Noch näher drängte er sich, als Hoss zwischen Felsgeröll besonders vorsichtig und langsam reiten mußte. Und plötzlich sprang Rimrock hinten auf das aufgeschnallte Sattelzeug. „Hallo!“ Hoss erschrak, denn er war sicher, daß Paiute sofort steigen würde. Aber Paiute trottete weiter, als sei überhaupt nichts geschehen. „Ich werd’ verrückt!“ murmelte Hoss verdutzt. Kurze Zeit später sprang Rimrock wieder ab. „Bleib ja unten!“ ermahnte ihn sein Herr. „Einmal ist es noch gutgegangen, aber… Hallo!“
Rimrock schwebte durch die Luft heran, landete sicher auf dem Schaffell, blieb hocken – und machte ein verschmitztes Gesicht, als sei er mit sich selbst höchst zufrieden. Hoss war außer sich. „Paß doch auf!“ rief er besorgt. Wenn Rimrock aus Versehen das Pferd mit seinen Klauen verletzte… „Und nimm deinen dicken Schwanz von Paiutes Flanke!“ Auf dem ganzen Heimweg wiederholte Rimrock unablässig das herrliche neue Spiel. Geschickt und gewandt, wie Raubkatzen nun einmal sind, landete er stets sicher auf dem Schaffell. Aber Hoss zitterte bei dem bloßen Gedanken daran, daß der Puma schließlich auch einmal schlecht abkommen konnte. Am meisten peinigte ihn die Vorstellung, daß Rimrock das feine Spiel von nun an auch dann versuchen würde, wenn Paiute nicht durch ein aufgeschnalltes Schaffell geschützt war. Hoss sah sich schon mit dem Kopf auf einem Felsbrocken am Wege landen, während Paiute, außer sich, auf Nimmerwiedersehen davonstürmte. Dem wollte er vorbeugen. Am nächsten Tage fertigte er ein dickes Kissen aus alten Decken und mehreren Fellen. Die Felle wurden naß gemacht und so geformt, daß sie genau auf
Paiutes Rücken paßten, dann nähte Hoss oben und, unten Decken darüber. Sobald die Felle getrocknet waren, würden Rimrocks Krallen nicht mehr durchdringen können. Zum Schluß wurde das Kunstwerk mit Riemen fest verschnürt, so daß man es hinter den Sattel schnallen konnte. Mit lebhaftem Interesse schaute Rimrock zu, wie die Arbeit an dem eigens für ihn zugeschnittenen Sattel fortschritt. Allerdings rannte er auch manchmal mit dem Material davon, zerrte an den Riemen und Fellen, fauchte und knurrte gewaltig – und auf einmal verhedderte er sich, stolperte und fiel gefesselt zu Boden. Nun war er gefangen, und Hoss konnte ihm ungehindert ein paar deftige Klapse geben. Schnell lernte der Puma, daß es gefährlich war, das feine Spiel zu treiben, solange das Polster Paiute nicht schützte. Die zusätzliche Belastung machte dem braven Pferd gar nichts aus, und mit dem neuen Bewohner des Berghofes hatte es sich seit langem abgefunden. Bald kam es so weit, daß Paiute von selbst stehenblieb, wenn sie den Puma auf einem Felsblock warten sah, und geduldig ausharrte, bis Rimrock mit gekonntem Satz hinten landete. Hoss war nicht wenig stolz auf dieses neue Kunststück. Wie ein Tatarenkhan fühlte er
sich, wenn er zusammen mit dem Löwen über Land ritt. Er hatte einmal gelesen, daß dies bei den Steppenvölkern ein Zeichen höchster Würde gewesen sei. Und in seiner Kindheit hatte er im Zirkus einen Löwen auf dem Rücken eines Ponys reiten sehen. Allerdings war das wohl kein Puma gewesen. Noch nie war es jemandem gelungen, einen Puma so großartig zu dressieren! Ein Jammer, daß Hoss seine Kunststücke niemandem vorführen und nicht damit angeben durfte! Jawohl, Rimrock war ein ausgezeichneter Reiter, aber als Jäger ließ er sich noch immer im Höchstfall mit Kaninchen ein. Hoss hatte alle Hände voll zu tun, um immer genug zu schießen, damit sein Schützling zu fressen bekam. Jeden Abend, wenn er einen Tag auf dem Kalender durchstrich, meldete sich Hoss’ schlechtes Gewissen. Die Zeit raste dahin. Und anstatt sich von Rimrock zu trennen, duldete er es, daß das Tier immer anhänglicher wurde. Und Rimrock wuchs und wuchs… Vor vielen Jahren hatte irgendwo drüben im Wald ein alter Einsiedler namens Plato gehaust, der allerlei Getier aufgezogen hatte. Vögel und Vierbeiner waren es gewesen, darunter auch ein Löwenjunges. Und wie Rimrock
hatte der Löwe sich nie gezeigt, wenn Fremde kamen. Die Cowboys waren Platos Hütte des Löwen wegen am liebsten ferngeblieben, aber der eine oder andere war doch regelmäßig zu dem Alten geritten, um ihm Verpflegung zu bringen und nach dem Rechten zu sehen. Eines Tages hatte Sam Hargis’ Vater den alten Plato tot aufgefunden. Er war buchstäblich zerfetzt worden. Natürlich hatte der Verdacht sich sofort gegen den Löwen gerichtet, alle Bewohner der Umgegend waren zur Löwenjagd aufgebrochen, und man hatte sogar drei Berufsjäger mit Hundemeuten engagiert. Schon am zweiten Tag hatten alle außer den Berufsjägern die Suche aufgegeben. Diese erlegten in den Bergen drei oder vier große Tiere und mehrere Junge. Dann waren auch sie davongezogen, und die ganze Geschichte geriet in Vergessenheit. Hoss mußte jetzt daran denken, als er in seiner Hütte saß und Rimrock anstarrte. Ohne Zweifel war Rimrock eine ganz große Ausnahme unter allen Raubtieren; er hatte sich gern zähmen lassen und war ausgesprochen gutmütig. Trotzdem blieb die Tatsache bestehen, daß ein ausgewachsener Berglöwe zu den wildesten und unberechenbarsten Bes-
tien der Welt gehört. Der liebe Gott hatte sie nun einmal nicht zahm geschaffen! Die Zeitspanne, in der Hoss sich von Rimrock lösen wollte, verstrich, und plötzlich war der Tag da, an dem Hoss kopfschüttelnd feststellte, daß er morgen das vorletzte Kreuz machen würde. Zwei Tage blieben ihm noch! Es war sinnlos, sie hier abzusitzen! Am besten ritt er morgen früh heim nach Ponderosa. Blödsinn war es gewesen, drei Wochen länger als nötig hier oben mit Rimrock auszuharren! Inzwischen liebte er den Puma inniger denn je! Den entscheidenden Fehler hatte er an jenem Tage begangen, als er gezaudert hatte, das Pumajunge vom Baum herunterzuschießen! Am nächsten Tag verrammelte Hoss die Hütte, und er nagelte die Tischplatte vor das Fenster, so daß Rimrock auf keinen Fall hineingelangen konnte. Dann ritt er davon, wobei es ihm nichts ausmachte, daß der Puma hinter ihm aufs Pferd sprang. Mochte er sich auf seinem letzten Ritt noch vergnügen! Am Fuße des Berglandes aber sprang Rimrock ab und hielt sich zwischen den Bäumen, während Hoss auf die weite Ebene ritt, wo er das Kissen abknotete und es fortwarf.
„Wir sind geschiedene Leute!“ schrie er. „Lauf dahin, wohin du gehörst, und laß dich nicht mehr blicken!“ Damit galoppierte er über die Ebene davon. Rimrock folgte ihm bis hart an den Rand des Waldes, wagte sich sogar ein paar Meter aus der Deckung hervor, schauderte aber vor der endlos weiten Ebene doch zurück. So begab er sich schnell wieder in den Schutz der Bäume. Vergeblich suchte er einen Weg, der ihn in Hoss’ Nähe bringen würde, ohne daß er über die nackte Ebene laufen müßte. Aber einen solchen Weg gab es nicht, und der Reiter entfernte sich immer mehr, wurde kleiner und kleiner… Ein elender Abschied! dachte Hoss. Aber was sonst hätte er tun sollen? Vielleicht waren die acht Kilometer baumloser Ebene die einzige Schranke, die ihn von Rimrock trennen konnte. Falls der Puma sich bei Nacht übers Flachland wagte, würde er sehr bald den merkwürdigsten Dingen begegnen: weidenden Herden, fremden Pferden, Straßen, Wagen, unbekannten Witterungen und Geräuschen – allerlei betriebsamen Dingen, vor denen er sehr schnell in seine geliebten Berge entweichen würde. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber würde Rimrock sich erst gar nicht auf die Ebene trau-
en, nicht einmal bei Nacht! Vielmehr würde er zur Hütte zurücklaufen und dort bleiben, bis sogar ihm die Erkenntnis dämmerte, daß er ein wildes Tier war, daß niemand mehr für ihn sorgte und ihm die Kaninchen abhäutete. Sogar zahme Hauskatzen wurden doch oft innerhalb erstaunlich kurzer Zeit wieder zu wilden Tieren. Sobald Rimrock einmal eine Woche lang für sich selbst gesorgt hatte, würde er vermutlich sehr schnell vergessen, daß er jemals Gefährte eines Menschen gewesen war!
Ponderosa
Herrlich war es, wieder zu Hause zu sein. Die festgefügten Ställe und Pferche und das große, solide Ranchhaus standen in wohltuendem Gegensatz zu der winzigen Hütte, in der Hoss fast den ganzen Winter hatte verbringen müssen. Ben Cartwright, der stämmige, grauhaarige Mann, dem man ansah, mit wieviel Kraft und Zuversicht er sein Leben zu meistern suchte, hieß den Sohn herzlich willkommen. Dann wollte er natürlich genau wissen, wie es der Herde draußen in den Bergen ging. „Ich will nicht behaupten, daß die Tiere sehr fett geworden wären, während sie sich kümmerliches Gras unter dem Schnee hervorkratzen mußten“, sagte Hoss lachend. „Aber sie sind jedenfalls ganz prächtig durchgekommen!“ Es war alles andere als ungewöhnlich, daß in Ponderosa auch Gäste übernachteten. Einen der Männer, die heute dablieben, kannte Hoss: Mel Stark, Angestellter eines Mietstalls in Virginia City – ein junger Bursche, der sich gern
nach der letzten Mode kleidete und sich seiner Schönheit offenbar bewußt war. Heute hatte er einen Viehhändler im Einspänner von Ranch zu Ranch gefahren. Der Händler hieß J. T. Orton und war ein ansehnlicher Herr mittleren Alters mit Melone und einer dicken goldenen Uhrkette über der eleganten, gestickten Weste. Die Unterhaltung zwischen dem Vater und Orton beim Abendbrot brachte sehr schnell zutage, daß Orton etwas von seinem Beruf als Viehhändler verstand. Er hatte sein Büro in Omaha, bereiste fast den ganzen Westen und wußte mancherlei Interessantes zu erzählen. Hoss merkte, daß sein Bruder Joe das Gesicht zu einem Grinsen verzog, als Orton das Gespräch auf Pumas brachte. Gewiß war dieses Thema Hoss im Augenblick nicht sehr angenehm, aber Orton hatte vor wenigen Tagen mit Sam Hargis gesprochen und ließ sich nicht ablenken. „Man hat mir erzählt“, berichtete er, „daß die Wildkatzen nachts auf einen Baum klettern, dort auf der Lauer liegen und den Reiter anspringen, bevor der überhaupt weiß, was geschieht!“ sagte er. „Haben Sie das von Hargis?“ fragte der Vater lachend.
„Aber nein!“ wehrte der Händler ab. „Der beklagte sich nur darüber, daß er schon mehrere Kälber eingebüßt hat. Nein, was ich eben sagte, habe ich in Kentucky erfahren. Dort nennt man diese Berglöwen Panther!“ Der Vater nickte. „Panther, Kuguars… Richtig aber heißen sie Pumas. Wir hierzulande nennen sie Berglöwen!“ „Und sie fallen Reiter von den Bäumen herab an?“ fragte Orton gespannt. „Davon habe ich noch nie etwas gehört“, versicherte Vater Cartwright, während er Joe zuzwinkerte, um ihn vor einer vorwitzigen Bemerkung zu warnen. „Tatsächlich habe ich überhaupt noch nie gehört, daß in unserer Gegend ein Berglöwe Menschen angefallen hätte – es sei denn, daß er verwundet war.“ „Wer – der Mensch oder der Löwe?“ warf Joe ein. Orton lachte, aber es klang so gepreßt, daß man ihm anmerkte, wieviel Angst er vor Raubtieren hatte. „Und die Sache mit Plato?“ fragte Stark. „Ja, das war ungewöhnlich!“ meinte der Vater. „Aber jedes ausgewachsene wilde Tier, das man als Haustier bei sich behielte, würde eine Gefahr darstellen.“
Hoss wurde es allmählich ungemütlich. Immer wieder warf er Joe verstohlene Blicke zu. Gar zu gern hätte er gewußt, ob sein Bruder etwa doch ahnte, warum er länger droben im Lager geblieben war. „Manches habe ich von Plato natürlich gehört“, nahm Stark den Faden wieder auf. „Als die Geschichte sich abspielte, war ich gerade nicht hier. Aber in Tennessee, woher ich stamme, war es keine Seltenheit, daß Panther unvermutet Menschen anfielen.“ „Hier jedenfalls hat es so etwas noch nie gegeben“, erklärte Hoss entschieden; er konnte einfach nicht länger schweigen. „Im übrigen ist es wohl schon oft vorgekommen, daß man Pumas und anderen Katzentieren Verbrechen in die Schuhe geschoben hat, an denen sie vollkommen unschuldig waren. Dabei bringt ein Bär es fertig, eine kleine Herde Rinder zu reißen, und Wölfe treiben es womöglich noch schlimmer.“ Orton horchte auf. Ganz genau wollte er wissen, ob man hier etwa damit rechnen müsse, auf Bären zu stoßen, und ob sie gar Menschen angriffen. „Bären sind gar nicht so gefährlich“, meinte Joe. „Sie lassen gern mit sich ringen, und
wenn man ihnen dabei etwa noch die vierte Rippe krault…“ „Joe!“ Streng schaute der Vater seinen Jüngsten an, und dann warf er Orton einen entschuldigenden Blick zu. „Der Bursche hat manchmal einen etwas ungewöhnlichen Humor…“ Nun wandte sich die Unterhaltung anderen Dingen zu, und Hoss atmete auf. Der Vater eröffnete dem Viehhändler, daß er eine seiner Rinderherden verkaufen wolle, und er schlug vor, am nächsten Morgen zu zweit loszureiten, um sich die Tiere anzusehen. „Morgen geht es leider nicht, Herr Cartwright“, erwiderte Orton: „Ich bin nämlich mit Holcomb auf seiner Ranch verabredet, anschließend muß ich noch auf zwei andere Höfe, und so werde ich vermutlich erst in drei Tagen wiederkommen. Dann aber will ich mich gern wieder bei Ihnen melden!“ „Ausgezeichnet!“ Der Vater nickte. „Drei Tage lang habe ich zusammen mit den Jungen noch genug Arbeit. Wir wollen nämlich ein neues Förderband legen, so daß wir das Heu bequem in die Scheune bringen können.“ „Donnerwetter!“ fuhr Hoss auf. „Wäre ich doch lieber draußen im Berglager geblieben.
Aber ich hatte gedacht, ich könnte ein bißchen ausgehen und mich amüsieren…“ „Das kannst du auch noch, mein Junge!“ tröstete der Vater. „Kommt es denn auf zwei oder drei Tage an? Ich zahle doch eine Menge Miete, weil ich mein Heu in der Stadt lagern muß. Deshalb möchte ich, daß unsere Scheune schnellstens in Ordnung kommt.“ Joe verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Reg dich nur nicht auf, Hoss!“ meinte er. „Deine Freundin hat inzwischen einen anderen geheiratet und ist schon vor Monaten nach San Franzisko verzogen. Ich habe ihr nämlich verraten, wie gut es dir oben in den Bergen gefällt, und ihr gesagt, daß du dich entschlossen hast, den Rest deiner Tage in vollkommener Einsamkeit zu verbringen.“ „Hätte ich geahnt, daß du ein so elender Witzbold geblieben bist“, fauchte der große Bruder ihn an, „wäre ich gleich dort oben geblieben!“ Orton lächelte über die Neckerei, aber er konnte die Gedanken nicht lange vom Geschäft fernhalten. „Falls Sie mir ein Pferd leihen, Herr Cartwright“, sagte er zum Vater, „würde ich Stark nach Hause fahren lassen. Ich glaube
nämlich, mich hierzulande genügend auszukennen, um auch allein zurechtzukommen.“ „Wir sind kein Mietstall und verleihen keine Pferde gegen Geld“, sagte der Vater lachend. „Aber natürlich borge ich Ihnen oder Ihrem Vormann gern ein Reittier. Vielleicht…“ „Natürlich gebe ich es nicht gern zu“, meinte der Viehhändler verlegen, „aber mit meinen Reitkünsten ist es nicht weit her. Also müßten Sie schon ein ziemlich frommes Tier haben…“ Der Vater nickte. „Ganz bestimmt finden wir eins, mit dem sie in Frieden auskommen!“ versprach er dem Gast. „Gleich morgen früh wird sich Joe darum kümmern. Meiner Meinung nach müßte Geronimo genau das Richtige für Sie sein, Herr Orton.“ „Geronimo?“ fuhr der Händler erschrocken auf. „Der Name klingt aber mächtig kriegerisch!“ Alle lachten. „Er ist brav wie ein Baby!“ versicherte ihm Joe. Aber Orton schien ihm nicht recht zu glauben. Fragend blickte er den Vater an. Der nickte beruhigend. „Ich glaube bestimmt, daß Geronimo Ihnen gefallen wird!“
Später, während die anderen am Tisch saßen und heißen Kaffee schlürften, vertiefte sich Boss in seine Geschichte über Marco Polo. Begeistert las er von den Hunnenfürsten, die über die Steppen brausten und einen Leoparden hinter sich auf dem Sattel hocken hatten. Ach, es war doch eine Schande, dachte er dabei immer wieder, daß ihm nie im Leben jemand glauben würde, wenn er berichtete, daß er draußen in den Bergen genau dasselbe mit einem Puma getan hatte! Und noch andere Erlebnisse mit Rimrock würde man ihm bestimmt nicht glauben. Schuldbewußt starrte er vor sich hin. Er glaubte zu hören, wie der brave Berglöwe schnurrend um die Hütte strich und darauf wartete, daß Hoss endlich, endlich heimkehrte. „Mensch!“ ertönte, auf einmal Joes Stimme. „Du liest? Eine Ewigkeit ist es her, seit ich dich zuletzt mit einem Buch vor der Nase gesehen habe. Was liest du denn da so Spannendes?“ Flink blätterte Hoss ein paar Seiten weiter. Auf gar keinen Fall sollte der Bruder sehen, womit er sich soeben beschäftigt hatte! „Ich habe eben keine Lust, mein Leben lang ungebildet zu bleiben – wie andere Leute!“ maulte er.
Noch eine ganze Weile stritten sie weiter. Als Orton seinen Begleiter Stark entlohnte, erstarrte Joe plötzlich, und er pfiff leise durch die Zähne. Mensch, was für ein dickes Bündel Geldscheine hatte der Viehhändler soeben aus der Tasche gezogen! „Wie wäre es, Herr Orton“, wandte der Vater sich an den Gast, „wenn ich das Geld heute nacht im Panzerschrank aufbewahrte? Zwar ist Mord und Totschlag bei uns nicht gerade an der Tagesordnung – aber hin und wieder passiert doch einmal etwas.“ Orton lächelte. „Danke sehr“, meinte er. „Ich gebe zu, daß ich zuweilen etwas ängstlich bin. Aber noch nie habe ich befürchtet, man könnte mich berauben! Komisch, nicht wahr?“ Als Hoss zehn Minuten später in die Küche ging, um einen Schluck Wasser zu trinken, hörte er die Pferde draußen im Pferch laut schnauben. Dann folgte ein dumpfes Poltern im Stall, heftig schlugen die Hufe der Tiere gegen die Wände der Boxen. Hoss bezwang seinen Wunsch, gleich hinauszulaufen, und kehrte äußerlich ruhig ins Wohnzimmer zurück. „Es hört sich an, als bekäme eins der Pferde einen Anfall!“ sagte er. „Ich sehe mal nach.“ Mit einem Ruck sprang Stark auf.
„Bestimmt ist mein Kutschpferd in der fremden Umgebung nervös geworden“, meinte er. Hinter Hoss rannte er ins Freie. Zumindest eins der Pferde im Stall gab sich alle Mühe, seine Box in Klumpen zu treten. Hoss begann zu laufen. Ihn peinigte ein Verdacht, den er sich selbst nicht eingestehen wollte. Stark hatte recht gehabt: es war sein Wagenpferd, das sich wie verrückt gebärdete. Allerdings waren auch die anderen Tiere ziemlich aufgeregt – alle außer Paiute. Hoss zündete eine Laterne an und begann mit Starks Hilfe, die stampfenden, schnaubenden Pferde zu beruhigen. „Komisch!“ rief Stark plötzlich aus. „Ihr eigenes Pferd, auf dem Sie heute geritten sind, scheint nicht im geringsten beunruhigt zu sein!“ „Paiute?“ Hoss lachte. „Na, da müßte schon mindestens ein Wolf kommen, ehe die sich aufregt!“ „Eben das meine ich aber! Die anderen benehmen sich genau so, als witterten sie einen Bären.“ Damit ging er auf den Hof hinaus. Wenige Augenblicke später hörte Hoss ihn einen Schrei ausstoßen.
Hastig rannte auch er aus dem Stall. Er fand Stark an der Rückseite des Gebäudes. „Ich habe einen Berglöwen gesehen, Hoss!“ flüsterte er. „Blödsinn!“ stieß Hoss hervor. „Das ist unmöglich.“ „Ich kann es beschwören!“ beteuerte Stark. „Dort drüben war er, direkt hinter dem Zaun. Er ist zu den Bäumen da gelaufen!“ „Es muß ein Luchs auf der Mäusejagd gewesen sein!“ „Auf keinen Fall!“ wehrte der Fremde ab. „Dafür war das Tier viel zu groß.“ „Was gibt es denn?“ ertönte von der Haustür her die Stimme des Vaters. „Nichts!“ rief Hoss. „Irgendein Tier muß über den Hof geschlichen sein.“ „Jedenfalls kein kleines Haustier!“ beharrte Stark. „Es war auffallend groß, Hoss!“ „Drei Meter lang, wie?“ feixte der junge Mann. „Nein, so groß nun auch wieder nicht. Aber es sah aus wie ein Puma, und…“ „Es war ein Luchs, Stark!“ sagte Hoss nachdrücklich. „Oder ein Kater, eine ganz gewöhnliche männliche Hauskatze!“ „Hm, aber…“ „Haben Sie das Tier denn genau gesehen?“
„Nein“, gestand Stark. „Nur ganz kurz habe ich etwas vorbeihuschen sehen, aber…“ „Haben Sie je erlebt, daß ein Berglöwe bis hierher vorgedrungen wäre?“ „Das wäre ungewöhnlich, muß ich zugeben!“ Hoss nickte entschieden. „Das kann man wohl sagen“, bekräftigte er. Und Stark senkte betreten den Kopf. „Es muß tatsächlich ein Luchs gewesen sein.“ Hoss glaubte, seinen Gast überzeugt zu haben. Plötzlich griff der nach der Laterne in Hoss’ Händen. „Kommen Sie, wir sehen uns die Spur an!“ Hastig riß Hoss die Lampe an sich. „Was soll der Blödsinn?“ knurrte er. „Die Familie nebenan hat im vorigen Jahr angefangen, Hühner zu züchten, und seitdem kommen immer wieder Luchse, um zu sehen, ob sie nicht mal ein saftiges Küken erwischen können.“ „Ach so!“ Stark nickte ergeben. „Ja, ich weiß, daß Luchse eine Vorliebe für Geflügel haben.“ Während er Hoss zum Stalleingang folgte, lachte er plötzlich auf. „Mensch, würde Orton einen Schrecken bekommen, wenn wir jetzt drinnen einfach behaupteten, wir hätten einen Puma gesehen!“
Die Pferde hatten sich beruhigt. Hoss blies die Laterne aus und hängte sie an die Stallwand. Rimrock! flehte er im stillen. Mach, daß du fortkommst! Scher dich in deine Berge zurück! Ruhig traten die beiden wieder ins Wohnzimmer. „Es war nur ein Luchs, der auf Hühnerjagd ging“, meinte Stark. „Wie groß werden Luchse?“ fragte Orton schnell. Der Vater mußte ein Lächeln unterdrücken, und Joe spitzte schon die Lippen, um wieder einmal eine seiner Räuberpistolen zum besten zu geben. Aber der Vater kam ihm zuvor. „Sie sind wirklich nicht groß, Herr Orton“, tröstete er. „Vor denen braucht man bestimmt keine Angst zu haben.“ Für einen Mann, der den ganzen Westen bereist hatte, verstand Orton erstaunlich wenig von wilden Tieren! Verdutzt starrte Hoss ihn an und schüttelte verstohlen den Kopf. Während der ersten Nacht daheim fand Hoss keinen geruhsamen Schlaf. Nach der langen Zeit, die er auf dem Berghof verbracht hatte, kam ihm nun sein Bett viel zu weich und die Luft im Haus viel zu stickig vor. So stand er auf, öffnete das Fenster, blieb dort eine Weile stehen und schaute über das Dach der Veranda
hinweg auf die dunklen Umrisse der Gebäude, die den Hof begrenzten. Dieser vertrackte Rimrock… Da war er doch tatsächlich quer durch die weite Ebene gelaufen. Sicherlich hatte er sich bei Sonnenuntergang oder kurz danach auf den Weg gemacht. Offenbar hatte Hoss sich getäuscht, als er annahm, die baumlose Ebene würde den Berglöwen schrecken. Nur eines konnte Hoss nun noch tun. Bisher war ihm das nicht eingefallen, und jetzt griff er diesen Gedanken nur widerwillig auf: er konnte Rimrock an einen Zoo oder Zirkus verkaufen! Vor seinem geistigen Auge sah er all die vielen halbverhungerten Tiere, die er im Zirkus in Virginia City schon mehrmals besichtigt hatte. Sie waren in winzige, schmutzige Käfige gesperrt und wurden Hunderte von Kilometern weit durch Staub und Hitze gekarrt. Aber immerhin – dort wäre Rimrocks Leben nicht mehr gefährdet; zumindest würde er eine ganze Weile länger leben als hier in der sogenannten Freiheit, wo tausend Gefahren ihn umgaben. Aber zu was für einem Leben würde er gezwungen sein? Der bloße Gedanke daran ließ Hoss erschauern.
Ehe er Rimrock so etwas antat, würde er ihn lieber erschießen! Und doch wollte er dies nur im alleräußersten Notfall tun. Vielleicht hatte Rimrock inzwischen genug von aller Zivilisation? Vielleicht rannte er in diesem Augenblick schon in gestrecktem Galopp in seine Berge zurück? Hoss versuchte, sich selbst einzureden, daß Stark vorhin wirklich einen Luchs erspäht hätte. Aber er wußte genau, daß es kein Luchs gewesen war.
Besuch bei Nacht
Lange bevor Hop Sing, der chinesische Koch der Ranch Ponderosa, in der Küche mit den Vorbereitungen zum Frühstück begann, schlich Hoss bereits hinter den Stallungen durchs Gelände und verwischte mit seinen großen Stiefeln die Spuren eines Berglöwen. In unmittelbarer Nähe der Gebäude fand er glücklicherweise nicht sehr viele, und zwischen den nahen Bäumen lag eine dicke Schicht dürren Laubes, so daß er dort überhaupt keine entdecken konnte. Nach dem Frühstück beobachtete er, wie Stark sich in derselben Gegend zu schaffen machte. „Sie werden nichts finden!“ rief er ihm zu. „Ganz bestimmt war es ein Luchs! Ich habe vorhin ein paar Spuren entdeckt!“ „Ich hingegen kann überhaupt keine Spuren finden – außer Ihren!“ war die knurrige Antwort. „Dann habe ich sie wohl versehentlich verwischt!“
Joe kam auf den Hof, am Zügel führte er Geronimo, das bravste Pferd der Ranch. „Habe ich Ihnen nicht schon erzählt“, feixte er, „wie Hoss einmal die Spuren von mehr als fünfzig Bullen zertrampelt hat, nur indem er hinter ihnen herging? Ha, ich kann Ihnen sagen: seine Schuhgröße ist ungewöhnlich und bemerkenswert!“ „Soll ich dir wohl mal zeigen, was ich mit nur einem Fuß fertigbringe?“ schrie Hoss empört, und Joe suchte lachend hinter Geronimo Schutz. Eine Rolle Decken unter dem Arm, kam Orton aus dem Haus, vom Vater begleitet. „So, nun bin ich abmarschbereit“, meinte er mit säuerlicher Miene, während er auf Geronimo starrte. „Das also ist der Gaul?“ „Er wird Ihnen bestimmt keine Schwierigkeiten machen, Herr Orton“, versicherte ihm Vater Cartwright. Aber der Viehhändler schien ihm das nicht ohne weiteres abzunehmen. Zweimal umrundete er das fromme Tier und suchte nach irgendeinem Zeichen von Boshaftigkeit und Verstocktheit. Inzwischen schnallte der Vater ungerührt die Deckenrolle hinten auf den Sattel.
„Sie brauchen sich gar keine Sorge zu machen!“ tröstete er im Brustton der Überzeugung. „Jedes Kind könnte Geronimo reiten!“ „Das ist es ja eben!“ stöhnte der Viehhändler. „Ich bin kein Kind!“ Joe lachte auf – und handelte sich einen strengen Blick des Vaters ein. Schließlich gelang es Orton, so viel Mut zusammenzuraffen, daß er in den Sattel kletterte. Nichts geschah, nur ein müder Seufzer entrang sich Geronimos Brust. Der Reiter blickte zu Boden. „Der ist aber ziemlich hoch!“ brummte er. „Seine Beine sind lang“, gab der Vater zu. „Deshalb kommt er auch gut vorwärts!“ „Dafür brauche ich ihn schließlich auch.“ Der Händler nickte. „Er soll vorankommen.“ „Dann lassen Sie den Zügel locker!“ riet ihm Joe. „Auch wenn Sie die Leine einfach loslassen, trottet er ganz gemütlich weiter.“ Bedächtig ritt Orton vom Hof. „In drei oder vier Tagen bin ich wieder da, Herr Cartwright“, rief er über die Schulter zurück. Vater und Söhne schauten ihm nach, bis er hinter den Stallungen ihren Blicken entschwand. Hoss und Joe sahen sich an, schüttelten die Köpfe und grinsten.
Kurz darauf fuhr Stark mit dem Einspänner vom Hof, in die Stadt zurück. „Nun habt ihr euren Spaß gehabt, Jungens“, erklärte der Vater. „Aber laßt euch etwas gesagt sein: Orton ist keineswegs der Schlappschwanz, als der er zuweilen auftritt! Gewiß ist er kein wüster Cowboy, aber auch nicht so ein Greenhorn, wie er es uns eben vorgespielt hat.“ „Weshalb stellt er sich dann so an?“ wollte Joe wissen. „Weil er meint, die Rancher würden ihm deshalb keine großen Kenntnisse als Viehhändler zutrauen“, sagte der Vater lachend. „So mancher hat schon geglaubt, einen harmlosen Anfänger vor sich zu haben – bis er plötzlich feststellen mußte, daß er für seine Rinder pro Kopf zwei Dollar weniger bekommen hatte, als er hätte erlösen können!“ Joe grinste. „Na, ich habe ihn jedenfalls gleich durchschaut.“ Der Vater zog sich die Handschuhe an. „So, und nun wieder an die Arbeit!“ kommandierte er. Bis es dunkel wurde, schufteten sie in der riesigen Scheune. Sie bauten ein Gerüst, das ei-
nen großen Aufzug tragen sollte, mit dem man das Heu hoch aufstapeln konnte. Beim Zubettgehen mußte Hoss sich eingestehen, daß er oben auf dem Berghof nicht viel getan hatte, um sich körperlich gut in Form zu halten. Er wußte, daß er am folgenden Morgen einen Muskelkater haben würde; aber er wußte auch, daß die reichliche Arbeit hier in Ponderosa ihn schnell wieder gelenkig machen würde. Wie ein Stein schlief er, rührte und regte sich fast während der ganzen Nacht nicht. Morgens beim Frühstück spitzte er unruhig die Ohren. Aber niemand erwähnte, daß es etwa irgendwelche Unruhe auf der Pferdekoppel gegeben habe. Hoss glaubte deshalb hoffen zu dürfen, daß Rimrock die Nase voll habe und aus der Zivilisation schleunigst in seine Bergeinsamkeit geflohen sei. Sicherlich war er in diesem Augenblick schon wieder oben im Lager und benahm sich wie ein richtiger Berglöwe! Tatsächlich taten Hoss die Muskeln und Gelenke nach der schweren Arbeit des gestrigen Tages weh, aber die Arbeit wartete nicht, und am Abend war er zum Umfallen müde. Wieder schlief er wie ein Stein, und er träumte, er läge
in seinem Bett oben in der Hütte, und Rimrock käme herein, um ihn zu wecken. Seufzend räkelte er sich und wälzte sich auf die andere Seite. Aber es war kein Traum. Irgend etwas Schweres lag tatsächlich auf ihm! Plötzlich war Hoss hellwach. „Du?“ Zur Antwort schnurrte es freundlich. Und dann strich eine rauhe Zunge dem jungen Mann über die Backe. So ungestüm sprang Hoss aus dem Bett, daß er gegen einen Stuhl trat, der durchs halbe Zimmer flog. Natürlich polterte es beängstigend laut – und außerdem schmerzte Hoss die linke große Zehe ganz fürchterlich. Stöhnend ließ er sich aufs Bett sinken und hielt sich den Fuß. Mitleidig schmiegte sich Rimrock an seine Beine. Nachdem Hoss sich davon überzeugt hatte, daß die Zehe nicht gebrochen war und daß trotz des Lärms nicht das ganze Haus zusammenlief, packte er den Puma und schleppte ihn zum Fenster. „Scher dich zurück, woher du gekommen bist!“ herrschte er ihn an. „Los, übers Dach und den Baum hinunter!“
Dann aber drängte er das Tier doch nicht übers Fensterbrett. Plötzlich sah er ein, daß dadurch nichts zu retten war. Wenn er Rimrock hinauswarf und dann das Fenster hinter ihm schloß, würde der Puma vermutlich auf dem Verandadach sitzen bleiben und die ganze Nacht über am Fenster kratzen und pochen. Nein, am besten war es wohl, das Tier jetzt dazubehalten. Beim ersten Morgengrauen würde es sich sowieso davonmachen. Damit wäre das Problem zwar nicht gelöst, aber zumindest gewann Hoss ein wenig Zeit zum Überlegen. Vielleicht fand er doch einen Ausweg! Gewiß mußte er sich eingestehen, daß er nun seit Monaten versuchte, „Zeit zu gewinnen“, und daß ihm dennoch nichts eingefallen war. Nach wie vor befand er sich in der gleichen elenden Zwickmühle. „Soll ich dich vielleicht in einen Zoo einliefern?“ flüsterte er, und dabei betastete er Rimrocks Magen. „Na, viel gegessen hast du offenbar nicht in letzter Zeit!“ Er ließ ihn los. „Jedenfalls paß auf, daß du hier kein Unheil stiftest, und mach vor allem keinen Lärm.“ Hoss öffnete die Tür. Noch nie war ihm aufgefallen, daß sie quietschte. Bewegungslos blieb er in der Diele stehen und lauschte ange-
strengt. Kein Laut kam aus Joes Zimmer, das dem seinen unmittelbar gegenüberlag. Jedes Brett des Fußbodens und jede Treppenstufe knarrte, so kam es Hoss vor, während er sich so leicht wie möglich machte und barfuß hinunterstieg. Beim Durchqueren des Eßzimmers stieß er mit der verstauchten Zehe gegen ein Tischbein und konnte nur mit aller Gewalt einen Schmerzensschrei unterdrücken. Durch die Küche gelangte er in Hop Sings Eiskeller. Auf der Hackbank lag ein gewaltiges Stück Fleisch. Hoss wollte sich nicht erst lange beim Anschneiden aufhalten, deshalb nahm er das ganze große Stück und machte sich auf den Rückweg in sein Zimmer. Joe war von einem Rutschen und Poltern im Zimmer des Bruders halb erwacht. Sogleich aber schlief er wieder fest ein – bis er den Bruder über den Flur und die Treppe hinunterschleichen hörte. Aber auch dabei dachte er sich nichts weiter. Wer wie Hoss monatelang in einer einsamen, dürftigen Hütte gehaust hatte, der hielt es nicht gleich eine ganze Nacht über zwischen vier festen Wänden aus, sondern mußte zwischendurch frische Luft schnappen gehen! Vielleicht wollte Hoss auch nur ein Glas Wasser trinken. Oder es mochte sein, daß er drau-
ßen etwas gehört hatte, daß der Luchs wieder die Pferde erschreckte. Joe drehte sich gähnend auf die andere Seite, als er plötzlich, gar nicht weit entfernt, irgendwo im Obergeschoß des Hauses, ein Kratzen hörte! Ob das Orton war? Aber nein. Im Haus waren ja keine Fremden mehr. Das Geräusch hörte nicht auf – aber Joe war zu verschlafen, als daß er sich darüber aufgeregt hätte. Wieder wollte er einschlafen, da hörte er Hoss die Treppe heraufkommen. Noch immer im Halbschlaf, stand Joe auf und öffnete seine Tür. Da sah er den großen Bruder den Flur entlangkommen. „Was ist denn los?“ brummte er. Hoss zuckte zusammen. Er blieb stehen und verbarg beide Hände auf dem Rücken. „Nichts!“ flüsterte er. „Gar nichts ist los. Leg dich nur wieder ins Bett.“ „Was hast du denn da?“ „Nur einen kleinen Imbiß!“ „Ach so!“ Schon wollte Joe seine Zimmertür hinter sich zuziehen. Müde lehnte er am Türrahmen, wandte sich langsam ab, um ins Bett zurückzutaumeln – da fiel ihm etwas auf: Hoss, der nun weiter zu seinem Zimmer schlurfte, hatte einen ziemlich umfangreichen „Imbiß“ bei sich:
sicherlich fünfzehn Pfund schwer mochte das Stück Fleisch sein. Mensch, der Bruder hatte wirklich einen gesegneten Appetit! Joe wankte zum Bett zurück und ließ sich hineinsinken. Gerade als ihm die Augen wieder zufallen wollten, fuhr er plötzlich auf. Nun war er hellwach! Das Fleisch war doch roh gewesen! Joe hielt es nicht mehr im Bett aus. Er stand wieder auf, verließ sein Zimmer, huschte über den Flur und öffnete Hoss’ Tür. Der Bruder saß im Nachthemd auf dem Bett, zu seinen Füßen aber hockte etwas, das wie ein riesiger Hund aussah, und tat sich an dem großen Stück Fleisch gütlich. „W-w-was…“ stotterte Joe. „Rimrock!“ stellte Hoss sein Schoßtier vor. „Ich gebe ihm gerade zu fressen. Er hat nämlich…“ „Komische Zeit, einen Hund zu füttern!“ murrte Joe, machte die Tür wieder zu und kehrte in sein Zimmer zurück. Plötzlich aber blieb er wie angewurzelt stehen und überlegte. Für einen Hund hatte das Tier aber doch ungewöhnlich ausgesehen! Er fuhr herum und stürmte zu Hoss ins Zimmer.
„Das ist ja gar kein Hund!“ keuchte er. „Das ist ja ein – ein – ach, du meine Güte!“ Eilig verkroch sich Rimrock unter das Bett. „… ein Berglöwe!“ brachte Joe verzweifelt hervor. „Sei doch still!“ flehte der Bruder ihn an. „Weck den Vater nicht auf! Ich erkläre dir alles!“ Joe ging ums Fußende des Bettes herum. Plötzlich war ihm, als habe er noch immer ein wenig geträumt, als er den Mut aufbrachte, ins Zimmer des Bruders zurückzukehren. „Was machst du bloß mit einem lebendigen Löwen?“ fragte er. „Pst!“ zischte Hoss. „Willst du den Vater mit Gewalt wach machen?“ In diesem Augenblick kroch Rimrock, durch die Anwesenheit eines zweiten, fremden Menschen verängstigt, unter dem Bett hervor und – huschte in wenigen geschmeidigen Sätzen durch die Tür auf die Diele hinaus. „Das hast du fein gemacht!“ stöhnte Hoss, indem er den Bruder vorwurfsvoll anschaute. Deutlich hörten sie, wie Rimrock die Treppe hinunterlief. „Vater darf nichts merken!“ ächzte Hoss verzweifelt.
„Nichts erfahren?“ wimmerte Joe. „In wenigen Minuten wird der Löwe ihn gefressen haben!“ „Rimrock tut keinem etwas zuleide!“ versicherte Hoss. „Er ist völlig zahm.“ Fest packte er den Bruder beim Arm. „Du mußt mir helfen, ihn aus dem Haus zu schaffen!“ „Dafür wäre ich auch!“ gab Joe zu. „Aber…“ „Er tut dir bestimmt nichts. Komm!“ Mit wehendem Nachthemd lief Hoss aus dem Zimmer. „Zerr mich doch nicht so!“ beklagte sich Joe. „Ich komme ja freiwillig mit – obwohl ich nicht weiß, weshalb ich es tue!“ Dicht hintereinander erreichten die Brüder das dunkle Wohnzimmer. Nichts regte sich, und Rimrock war nicht zu sehen. „Mach du die Vordertür auf!“ befahl Hoss. „Ich gehe inzwischen zu Vaters Zimmer.“ Er suchte tastend den Weg, und Joe schlich gehorsam zur Vordertür. Aber er stolperte über einen Stuhl und stöhnte vernehmlich. Hoss erstarrte. In Ben Cartwrights Zimmer hatte sich etwas geregt: der Vater sprang aus dem Bett. „Mach die Tür doch endlich auf!“ fauchte Hoss den Bruder an.
„Sie ist auf!“ kam wenige Augenblicke später die leise Antwort. „Ist er draußen?“ „Ich weiß nicht, ob er hinausgelaufen oder ob ein anderer hereingekommen ist!“ sagte Joe. „Ach, Hoss, du elender…“ „Was ist denn los?“ brüllte der Vater aus seinem Zimmer. „Nichts!“ rief Hoss so unbefangen wie möglich. Dann wandte er sich wieder Joe zu. „Wo ist er?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete der kläglich. „Gerade deshalb bin ich ja so beunruhigt!“ Fast im selben Augenblick begriffen sie, wo Rimrock sich befand: in der Küche polterte und klapperte es laut. Teller klirrten zu Boden. Dann blitzte ein Licht auf, und der Koch stieß mit kreischender Stimme chinesische Laute aus. Noch ein gewaltiges Klirren und Krachen – und Hoss wußte, daß Rimrock den Weg durchs Fenster gewählt hatte. Mit wirrem Haar, den Revolver in der einen, eine Lampe in der anderen Hand, stürmte der Vater kurz hinter seinen Söhnen in die Küche. Ein wüstes Durcheinander bot sich ihren Augen. Hop Sing hüpfte durch den Raum und schwang ein blitzendes Fleischermesser, wäh-
rend seine andere Hand die Lampe umklammerte. „Es war der Luchs“, meinte Hoss ruhig. „Wie ist er nur hereingekommen?“ Dabei gab er Joe einen warnenden Rippenstoß. Plötzlich konnte Hop Sing wieder englisch sprechen. „Löwe!“ keuchte er. „Sehl gloße Löwe!“ „Ausgeschlossen!“ Hoss winkte entschieden ab. Der Vater trat mit dem nackten Fuß auf die Scherbe eines Tellers und verzog schmerzvoll das Gesicht. „Was ist denn nun eigentlich los?“ grollte er. „Ich kann mir nur vorstellen, Vater, daß der Luchs, den Stark gestern abend gesehen hat, eingedrungen ist“, meinte Hoss. „Jemand muß die Vordertür offengelassen haben, und da…“ „Löwe!“ jaulte Hop Sing. „Wie käme ein Löwe hier herein?“ wandte Hoss ein. „Gloßel Löwe!“ beharrte der Chinese. „Ganz langel Schwanz!“ Er breitete die Arme aus, um die Größe anzudeuten, und dabei kam das Messer der Nase des Vaters bedenklich nahe. Ben Cartwright packte den Koch beim Handgelenk und entwaffnete ihn.
„Stell ja die Lampe weg“, herrschte er den Chinesen an, „ehe du das ganze Haus in Brand setzt! Du hast also einen Löwen gesehen?“ Hop Sing nickte entschieden und redete dann in flinkem Chinesisch auf den Vater ein. Der Vater blickte Joe grollend an. „Und du hast einen Luchs gesehen?“ fragte er. „Gehört habe ich ihn“, korrigierte Joe. „Gesehen hat ihn Hoss!“ „Löwe!“ mischte Hop Sing sich wieder ein. „Liesig gloß! Langel Schwanz!“ „Der Luchs ist dort durchs Fenster entwischt, Vater!“ Hoss zeigte auf die zerbrochene Scheibe. „Ich veltleiben ihn!“ brüstete sich der Chinese. „Vertrieben hast du ihn?“ Der Vater kratzte sich den Kopf. „Irgend etwas stimmt hier nicht.“ Mißtrauisch musterte er erst seine Söhne und dann den Koch. „Hast du je im Leben schon einen Puma, einen Berglöwen, gesehen, Hop Sing?“ fragte er. „Heute nacht gesehen!“ antwortete der Koch. „Sehl gloß. Lange Schwanz!“ Der Vater schüttelte den Kopf. Er war verärgert, weil er nicht wußte, was er von alledem halten sollte. Außerdem hatte er sich an der Scherbe verletzt. „Wenn aber doch die Tür of-
fenstand – warum ist er dann nicht dort hinausgerannt?“ fragte er. Hoss zuckte die Achseln. „Wilde Tiere benehmen sich eben komisch!“ brummte er. Hop Sing hatte gerade am Fensterbrett ein paar Haare entdeckt. „Da!“ rief er triumphierend, indem er sie dem Vater vor die Nase hielt. „Sehen? Gloßel Löwe! Haal von Löwe, bestimmt!“ „Löwenhaar?“ Hoss lachte. „Luchshaar, wolltest du sagen!“ Der Vater winkte ab. „Genug für heute nacht!“ verkündete er. „Marsch, ins Bett, alle miteinander! Hoss, überzeuge dich davon, daß die Vordertür fest verschlossen ist. Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, daß sie vorhin offengestanden haben soll.“ „Meine Tül machen zu, bestimmt!“ gelobte Hop Sing. „Gloßel…“ „Schon gut! Marsch, ins Bett!“ Der Vater musterte seinen verletzten Fuß. „Luchs… Puma… Donnerwetter!“ Die Brüder gingen ins Obergeschoß. Joe folgte dem Bruder in sein Zimmer. „Und nun erzähl mir alles von deinem Zweizentnerluchs!“ forderte er ihn auf.
„Ach, Rimrock wiegt höchstens einen halben Zentner, verhungert, wie er ist!“ wehrte Hoss ab. „Das arme Tier!“ „Genau so kam er mir vor!“ brummte Joe. „Ausgehungert!“ Hoss ließ sich auf sein Bett fallen. „Vor einigen Monaten habe ich seine Mutter erschossen“, berichtete er. „Das winzige Junge war kaum größer als ein Eichhörnchen. Und…“ Hoss rieb sich die verstauchte Zehe. „Du brachtest es wohl nicht übers Herz, das putzige Tierchen abzuschießen?“ meinte Joe. „Richtig!“ knurrte der Bruder. „Also habe ich es mit in die Hütte genommen.“ Er zuckte die Achseln. „Na, dann wurde das Tierchen zahm, es wuchs… Es wuchs mir ans Herz und…“ „Und nun sitzt du da: mit einem großen Vieh und einem ebenso großen Problem! Eine Löwenmutter bist du geworden!“ „Laß die Witze, Joe!“ stöhnte Hoss. „Der Fall ist ernst!“ „Von Witz kann nicht die Rede sein. Laß nur den Vater erfahren, daß du ein Löwenjunges wie ein Schoßhündchen großgezogen hast – in unmittelbarer Nähe einer Herde erstklassiger Zuchtrinder!“ Joe grinste breit. „Die Rancher im ganzen Land werden ebenfalls begeistert sein, wenn sie von deiner Heldentat erfahren.
Ich würde dir vorschlagen, nach San Franzisko auszuwandern – oder noch besser: nach Paris!“ „Hör auf!“ Hoss seufzte. „Hilf mir lieber aus der Patsche!“ „Wie könnte ich dir helfen?“ maulte Joe. „Schließlich habe ich den Puma durchs Haus und aus dem Küchenfenster gescheucht! Ehrlich gesagt, mir war gar nicht heldenhaft zumute dabei! Als ich so allein durch die Finsternis schlich, um mich herum alles ganz still war… Ach, da wäre am liebsten i c h durchs Fenster entwichen!“ „Rimrock hätte dir nie im Leben ein Haar gekrümmt!“ „Um mein Haar hatte ich auch weniger Angst als um Kopf und Kragen.“ „Paß auf! Ich will dir sagen, wie du mir helfen kannst: wir müssen unbedingt bei der Geschichte von dem Luchs bleiben!“ Joe deutete auf den Fleischrest vor dem Bett. „Meinst du, Hop Sing wird dem Vater nichts erzählen, wenn er merkt, daß der Braten fehlt?“ Hoss verzog das Gesicht. „Vielleicht fällt Hop Sing gar nichts auf.“ Joe lachte. „Da täuschst du dich aber! Bereite dich nur darauf vor, daß du erklären mußt,
wie ein Luchs sich gewaltsam Eingang in den Eiskeller verschaffen konnte!“ Hoss stöhnte gequält auf. „Wir müssen eben abwarten!“ meinte er. „Vielleicht ist Rimrock doch der Schreck in die Knochen gefahren, und er hat sich für immer davongemacht…“ „Ein Berglöwe, der dir acht Kilometer weit durch die Ebene nachläuft, der gibt so schnell nicht auf“, sagte Joe. „Ich wette, daß er zurückkehrt. Schließlich bist du sein einziger Angehöriger, Hoss!“ „Am besten erzähle ich dem Vater sofort die ganze Geschichte.“ Hoss stand entschlossen auf. „Ausgezeichnet!“ bestätigte Joe. „Morgen früh tue ich es!“ Hoss ließ sich wieder aufs Bett sinken. „Ganz bestimmt?“ „Ich weiß nicht.“ Joe stand auf und ging grinsend zur Tür. „Gute Nacht, Löwenmutter!“ Dann schloß er flink die Tür hinter sich.
Der Überfall
Am folgenden Morgen behauptete Hop Sing immer wieder, er habe einen sehr großen Löwen gesehen. Hoss seinerseits beharrte auf der Version, es sei ein Luchs gewesen. Nachdem es nun zu spät war, die Wahrheit zu sagen, hoffte er, daß mit der Zeit Gras über den ganzen Fall wachsen würde. Seltsamerweise schien dem Vater gar nichts mehr daran gelegen, die Angelegenheit mit seinen Söhnen oder dem Koch zu erörtern. Das war ein böses Zeichen – Hoss wußte es nur zu genau. Der Vater wartete ab, bis Hoss sich in seinem eigenen Lügengewebe verfing. Ehe sie sich an die Arbeit in der Scheune machten, suchten sie die Umgebung des Gehöftes nach Spuren ab. Offenbar hatte Rimrock das Haus von der Seite her angeschlichen, wo er im dürren Laub keine Spuren hinterließ. Nach dem Satz aus dem Fenster war er wohl auf dem gleichen Weg fortgelaufen. Nein, der Vater sagte kein Wort. Aber sein ruhiger, nachdenklicher Blick ging den Söhnen durch Mark und Bein. Das Fleisch hatte
Hoss beseitigt, indem er es aus Joes Fenster so weit wie möglich ins dichte Unterholz warf. Und Hop Sing schien es tatsächlich nicht zu vermissen. Jedenfalls hatte er dem Vater, soviel Hoss wußte, nichts davon gesagt. Wieder verbrachten Vater und Söhne einen Tag bei anstrengender Arbeit in der Scheune. Heute wurden das Fließband und der Lift fertig, und anschließend probierten sie die Anlage aus. Nur noch das Gerüst mußte entfernt werden. Da der Vater die nächtlichen Abenteuer mit keinem Wort erwähnte, ließen auch seine Söhne den Fall nur zu gern auf sich beruhen. Nach dem Essen zog Joe seinen Bruder beiseite. „Wenn nun dein teurer Freund heute nacht wiederkommt?“ fragte er grinsend. „Was dann?“ Dieser Gedanke hatte Hoss den ganzen Tag über gequält. „Jedenfalls darfst du ihn dann nicht wieder aus meinem Zimmer entwischen lassen!“ knurrte er. „Deswegen mach dir nur keine Sorgen! Ich werde mich hüten, überhaupt in dein Zimmer zu kommen.“
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit verkündete Hoss, er wolle noch einmal in den Stall, um Paiute das dichte Winterhaar aus dem Fell zu kämmen. Allerdings fand er dann den Striegel nicht – aber das machte ihm wenig aus. Nachdem er sich eine Weile im Stall aufgehalten hatte, trat er durch die Hintertür ins Freie und suchte im nahen Wald nach Rimrock. Falls der Puma wirklich in der Nähe war und ihn entdeckte, würde er bestimmt sofort herbeigelaufen kommen. Als er so weit vom Haus entfernt war, daß der Vater ihn ganz bestimmt nicht hören konnte, rief er Rimrock. Aber der Berglöwe zeigte sich nicht. Vielleicht hatte Rimrock tatsächlich in der vorigen Nacht im Haus einen solchen Schrecken bekommen, daß ihm endgültig alle Lust vergangen war, sich je wieder in die Nähe menschlicher Behausungen zu wagen. Hoss sah ihn im Geiste über die finstere Ebene traben, zurück in die Berge, wo er zu Hause war. Der Gedanke hatte etwas Tröstliches – und doch Vermochte Hoss nicht so recht daran zu glauben. Ihn hätte es gewiß nicht überrascht, wäre Rimrock in diesem Augenblick zwischen den Baumstämmen hervorgehuscht!
Erst als es längst ganz dunkel war, kehrte Hoss ins Haus zurück. Der Vater war bei der Buchführung. Er schaute nicht einmal auf, um Hoss zu fragen, wie man ein Pferd so lange striegeln könne. Joe blickte ihn fragend an. Hoss schüttelte den Kopf. Während der Nacht schlief Hoss sehr unruhig; immer wieder schrak er auf und meinte, Rimrock auf der Türschwelle gehört zu haben. Zweimal stand er auf und schaute vor die Tür. Aber nichts deutete darauf hin, daß der Puma sich wieder in die Nähe des Hauses gewagt hätte. Das arme Vieh muß doch mächtigen Hunger haben! überlegte Hoss. Falls Rimrock nicht in die Berge zurückgelaufen war, suchte er bestimmt etwas zu fressen. Als Ben Cartwright und seine Söhne am nächsten Morgen soeben die letzten Teile des Gerüstes aus der Scheune schleppten, ritt Sheriff Roy Coffee auf den Hof. Er brachte eine schlimme Nachricht. „Der Viehhändler Orton ist in der vorigen Nacht ungefähr zehn Kilometer von hier, nahe dem Indianer-See, getötet worden“, berichtete
er, während er sich aus dem Sattel gleiten ließ und seine Beine streckte. „Die ganze Nacht über bin ich geritten, ich muß sehen, daß ich schnell in die Stadt zurückkomme; dort erwartet mich weitere Arbeit.“ Die Einladung des Vaters, schnell eine Tasse Kaffee zu trinken, lehnte er ab. „Wenn ich mich erst hinsetze, Ben, bleibe ich bestimmt mindestens eine Stunde lang hocken!“ „Wie ist es eigentlich geschehen?“ fragte Joe gespannt. „Gestern am frühen Nachmittag ist er von Halsteads Ranch aufgebrochen“, erwiderte der Sheriff. „Auf dem Wege hierher, in der Nähe des Sees, ist er angefallen worden.“ „Wieso – angefallen?“ stieß Hoss hervor. Der Sheriff fuhr sich mit der Hand über den staubigen Schnurrbart. „Alles deutet darauf hin, daß ein Puma ihn gerissen hat“, sagte der Sheriff. „Ein Puma – so seltsam das klingen mag!“ „Unsinn!“ rief Hoss. Coffee nickte. „Das habe ich zuerst auch gesagt“, gab er zu. „Ein paar Goldgräber, die im Wohnwagen fuhren, haben ihn gegen sechs Uhr gefunden. Kurz vorher hatten sie Spuren eines Pumas entdeckt, und dann fanden sie Orton zerbissen
und zerkratzt unter einem Baum. Sie haben ihn sofort in die Stadt gebracht.“ „Und er war schon tot?“ fragte der Vater. Wieder nickte der Sheriff. „Bei Tagesanbruch war ich draußen und habe mich umgesehen“, fuhr er fort. „Ganz dicht neben der Straße waren deutlich Pumaspuren zu erkennen.“ „Und auch an der Stelle, wo man Orton gefunden hat?“ drängte Hoss. Der Sheriff fuhr sich noch einmal über den Schnurrbart. „Die Goldgräber mit ihren großen Füßen hatten alles zertrampelt“, knurrte er. „Ich konnte nichts mehr erkennen. Die Burschen aber schworen, sie hätten, als sie hinkamen, neben dem Toten Tatzenspuren gesehen.“ Joe und Hoss wechselten Blicke, und dann schaute Joe zu Boden. „Und das Pferd?“ fragte der Vater. „Das ist zur Halstead-Ranch zurückgelaufen“, erwiderte der Sheriff. „Einer der Cowboys hat es heute früh eingefangen.“ Er runzelte die Stirn. „Das Tier hat eine lange Schramme auf dem Leib. Es trug noch immer Ortons Deckenrolle.“ „Orton hatte eine Menge Geld bei sich, Roy“, meinte der Vater bedächtig.
„Das habe ich gehört“, bestätigte der Sheriff. „Halstead sagt, er habe es in die Innentasche der Jacke gesteckt.“ Der Vater nickte. „Das habe ich auch gesehen.“ „Sehr unvorsichtig von ihm!“ knurrte der Sheriff. „Aber das tat er wohl schon immer.“ Er machte eine Pause. „Als die Männer ihn fanden, hatte er jedenfalls keinen Pfennig bei sich!“ „Da haben Sie es!“ rief Hoss. „Er wurde nicht von einem Berglöwen getötet, sondern ein Räuber hat ihn überfallen und den Eindruck erwecken wollen, als sei der Tote das Opfer eines wilden Tieres geworden.“ Fragend schaute er den Sheriff an. „Was halten Sie denn von den Goldgräbern?“ „Phantasiere nur nicht, Hoss!“ mahnte Coffee. „Vielleicht haben sie ihn von seinem vielen Geld befreit, nachdem sie ihn gefunden hatten; vielleicht hat sich sonst etwas am Wegrand abgespielt. Aber das alles kann ich nicht beweisen! Und Vermutungen bringen mich nicht weiter.“ Er kratzte sich hinter dem Ohr. „Falls sie nur vorspiegeln wollten, daß der Tote von einem wilden Tier gerissen wurde, hätten sie doch bestimmt nicht den Boden rund um ihn herum zertrampelt!“ Der Sheriff nickte be-
dächtig. „Und sie hätten ihn auch nicht in die Stadt geschafft!“ „Sie meinen also, es sei ein Puma gewesen?“ fragte Hoss. Die Frage schien den Sheriff zu verärgern. „Ich habe gesagt, es sähe so aus!“ knurrte er. „Trotzdem verliere ich die Goldgräber schon nicht aus den Augen! Leider ist der Arzt nicht daheim, deshalb kann ich seine Meinung über die Todesursache erst morgen einholen. Vielleicht ist Orton am Herzschlag gestorben, weil ihm der Löwe einen solchen Schreck eingejagt hat.“ . Hoss selbst war der Schreck in die Glieder gefahren. „Finden Sie heraus, wo Ortons Geld geblieben ist!“ flehte er den Sheriff an. „Dann werden Sie auch den Mörder finden.“ Coffee musterte den jungen Mann scharf. „Vielleicht“, sagte er unbestimmt. „Roy versteht sein Geschäft!“ tröstete der Vater seinen Ältesten, und dann zwinkerte er dem Sheriff nochmals einladend zu. „Willst du wirklich keine Tasse Kaffee trinken?“ „Heute nicht, Ben. Vielen Dank!“ Der Sheriff sprang aufs Pferd. „Übrigens hat es gestern abend in der Stadt eine große Aufregung gegeben, als die Goldgräber ankamen. Vermutlich
bricht spätestens morgen eine Gruppe zur Löwenjagd auf. Sam Hargis ist schon lange scharf auf so etwas, und wie ich höre, hat er schon einen Boten zu Curly Joe geschickt, damit der mit seiner Hundemeute herüberkommt.“ Der Sheriff winkte ihnen zu und ritt davon. Hoss starrte bewegungslos zu Boden. Rimrock hatte den Mann nicht getötet! Ganz bestimmt nicht! Sicherlich konnte man im Augenblick überall seine Spuren entdecken – doch sie waren kein Beweis dafür, daß er Orton angefallen hatte! Aber alle würden sie jetzt durch die Gegend streifen! Rancher und Landstreicher würden Jagd auf den Löwen machen! Die Hunde würde man loshetzen, und Rimrock würde sich nicht retten können. Die Hunde würden seine Witterung aufnehmen – und dann konnte es sich nur noch um Tage handeln, bis sie ihn stellten! „Hoss!“ Die Stimme des Vaters schreckte ihn aus seinen trüben Gedanken auf. Voll böser Ahnungen blickte er ihn an. „Vorgestern nacht ist bei uns im Haus ein wildes Tier gewesen“, begann der Vater mit strenger Stimme. „Es hat allerlei erstaunliche Taten vollbracht – zum Beispiel hat es die Tür
zum Eiskeller aufgemacht und einen Braten herausgeholt, den Hop Sing für den kommenden Tag bereitgelegt hatte!“ „So?“ fragte Hoss kläglich. „Ich meine, du solltest mit der Wahrheit herausrücken“, drängte der Vater seinen ältesten Sohn. „Los, rede!“ „Ich wollte es dir längst sagen“, murmelte Hoss mit einem Seitenblick auf Joe. „Ganz bestimmt! Es kam nur immer wieder etwas dazwischen.“ „Nun, jetzt soll nichts mehr dazwischenkommen!“ „Tatsächlich war ein Puma im Haus“, gab Hoss zu. „Ein ganz kleiner, Vater – kaum der Rede wert!“ „Die Beurteilung überlaß nur mir! Weiter!“ „Er heißt Rimrock! Oben in der Berghütte ist er mir gewissermaßen zugelaufen, wir haben uns aneinander gewöhnt… Und dann muß er mir hierher nachgelaufen sein!“ Dem Vater sackte der Unterkiefer herab. „Du hast ein Löwenjunges auf den Hof gelassen?“ brachte er mühsam hervor. „Obwohl du doch unter Pferden und Rindern aufgewachsen bist? Du hast freiwillig ein wildes Tier zu dir genommen?“
„Hm…“ Hilfesuchend schaute Hoss den Bruder an, aber von dort winkte keine Hilfe, vielmehr zog Joe sich, vorsichtig in Richtung auf die Scheune zurück. „Ja, das habe ich wirklich getan.“ „Bleib hier, Joe!“ herrschte der Vater den Jüngeren an. „Du hast mit Hoss unter einer Decke gesteckt, versuche dich jetzt also nicht zu drücken!“ „Nein, Vater!“ stammelte Joe. „Nie im Leben habe ich…“ „Los, Hoss!“ befahl der Vater. „Ich will alles hören!“ „Viel mehr gibt es gar nicht zu berichten!“ beteuerte Hoss. „Als das Tier noch ganz klein war, habe ich es zu mir genommen und aufgezogen. Es schlief auf meinem Bett, begleitete mich zur Herde…“ „Zur Herde hast du es mitgenommen?“ „Anfangs lief es mir gegen meinen Willen nach. Den Rindern hat Rimrock nie etwas getan! Dafür hatte er viel zuviel Angst vor ihnen!“ „Das kann ich mir vorstellen!“ spottete der Vater. „Ganz bestimmt, Vater!“ beharrte Hoss. „Sobald ich mich der Herde näherte, sprang
Rimrock ab und…“ Er stockte. Zu spät begriff er, was er sich da hatte entschlüpfen lassen. „Wovon sprang er ab?“ brachte der Vater hervor. „Von Paiute“, gab Hoss zu. „Wie?“ Der Vater mußte sich erst ein wenig sammeln. „Du hast doch nicht etwa einen Puma auf dem Pferd gehabt?“ „Er hockte hinter mir“, berichtete Hoss. „Ich hatte für ihn ein Kissen hinten am Sattel befestigt.“ Unter dem wütenden Blick des Vaters hätte Wasser zu Eis erstarren können, aber für Hoss gab es nun kein Halten mehr. Begeistert berichtete er von seinen Erziehungsversuchen und von der sanften Liebenswürdigkeit des jungen Berglöwen. „Ich kann mir vorstellen, was du jetzt denkst, Vater“, schloß er. „Aber du hast unrecht. Nie im Leben hätte er Orton oder sonst jemanden angefallen. Dazu war er Fremden gegenüber viel zu scheu. Sogar vor fremden Pferden hatte er Angst! Ach, er hat doch immer…“ „Hör auf!“ Der Vater hob beide Hände. „Rimrock ist also ein wahrer Engel – aber wer wird es glauben, wenn er ihm im Wald oder sonstwo begegnet? Und woher willst du wissen, daß er nicht vielleicht auf Geronimos Hin-
terteil gesprungen ist, um einen kleinen Ritt zu machen?“ Ungestüm schüttelte Hoss den Kopf. „Bestimmt hat er das nicht getan!“ beteuerte er. „Er hat Angst vor allen Pferden – außer Paiute!“ „Womöglich hat ihn diese Angst vorübergehend verlassen?“ meinte der Vater ungerührt. „Auf alle Fälle ist das Fell des Pferdes von Krallen zerkratzt, und Orton ist ums Leben gekommen!“ „Bestimmt war es nicht Rimrock!“ beharrte Hoss verstockt. „Woher willst du das wissen?“ meinte der Vater. „Du hast doch selbst gesagt, daß dein Puma ausgehungert war. Dazu befand er sich in fremder Umgebung, hatte Angst – und er ist nun einmal ein Berglöwe, ein wildes Tier – eins der gefährlichsten Raubtiere, die es hierzulande gibt. Wer immer ihn sieht, wird ihn abschießen!“ „Niemand soll ihn sehen!“ schrie Hoss auf. „Ich suche ihn und bringe ihn ins Bergland zurück!“ „Ach?“ Fassungslos schaute der Vater ihn an. „Selbst wenn er Orton gerissen hat, bringst du ihn in die Berge zurück?“
„Rimrock hat niemanden getötet, das weiß ich ganz genau!“ wimmerte Hoss. „Jedenfalls werden wir darüber niemals Gewißheit erlangen. Du darfst ihn nicht suchen, um ihn in Sicherheit zu bringen, Hoss!“ Ganz fest schaute der Vater seinen Sohn an. „Ja, Hoss, geh ihn suchen. Aber wenn du ihn gefunden hast, wirst du ihm eine Kugel durch den Kopf schießen!“ „Nein!“ „Doch!“ „Er hat mir das Leben gerettet, als ich schneeblind durch die Wildnis irrte!“ „Und nun hat er vielleicht ein anderes Leben auf dem Gewissen!“ mahnte der Vater. „Ihr seid quitt.“ „Ich kann ihn nicht erschießen!“ „Aber ich kann es!“ erklärte der Vater verbissen. „Sobald er mir vor die Augen kommt, knalle ich ihn ab!“ „Er wird dir nie vor die Augen kommen!“ Mit einem Ruck fuhr Hoss herum und lief in den Stall, um Paiute zu satteln. Draußen redete Joe dem zornigen Vater begütigend zu. Als Hoss wenig später mit dem gesattelten Pferd auf den Hof kam, schaute er dem Vater fest in die Augen. „Du solltest meinem Rat folgen, Hoss!“
„Diesmal nicht, Vater!“ rief Hoss, während er vom Hof ritt. „Ausnahmsweise will einmal ich recht behalten!“ Nach zwei Stunden vergeblichen Suchens kamen Hoss doch Bedenken. Gewiß konnte er sich noch immer nicht vorstellen, daß Rimrock über Nacht zu einem blutrünstigen Mörder geworden war – aber bekanntlich sind Pumas unberechenbar. Hoss bog nach rechts ab, schlug die Richtung zum Indianer-See ein. Es dauerte nicht lange, da hatte er die Stelle gefunden, wo Orton unter einer großen Fichte vom Tod ereilt worden war. Sheriff Coffee hatte recht: Hier war wirklich so gut wie nichts mehr zu erkennen. Die Goldgräber hatten alle Spuren zertrampelt, dann war der Sheriff selbst mit seinen gewaltigen Stiefeln kreuz und quer herumgestapft, und schließlich hatten sich offenbar noch mehrere andere Leute nachträglich an der Unglücksstelle umgeschaut. Vermutlich waren es einige von Halsteads Cowboys gewesen. Hoss hielt sich nicht lange auf. Hier konnte er doch nichts mehr finden. Lieber wollte er Rimrock suchen und Wald und Busch nach ihm durchkämmen. Erst spät am Nachmittag
kehrte er von Westen her nach Ponderosa zurück. Einen weiten Kreis hatte er geschlagen – ohne den geringsten Erfolg! Kein Wunder, daß er in bedrückter Stimmung war, als er zum Haus stapfte, nachdem er Paiute abgesattelt hatte. „Nichts?“ fragte der Vater, und Hoss hörte ihm an, daß sein Zorn verraucht war. Hoss schüttelte den Kopf. „Nicht einmal eine Spur von ihm habe ich gefunden!“ „Vielleicht ist er ins Bergland zurückgelaufen“, vermutete Joe. „ Hoffentlich!“ meinte der ältere Bruder skeptisch. „Brenneman ist vorhin dagewesen“, sagte der Vater. „Natürlich ist die ganze Gegend in Aufruhr. Morgen früh wollen mehr als dreißig Mann mit Curly Joe und seinen Hunden losreiten!“ „Was soll ich nur machen?“ stöhnte Hoss. „Ich bin doch an allem schuld! Hätte ich Rimrock nicht so lange bei mir behalten, bis er ganz von mir abhängig wurde… Ach, was könnte er gegen die Hunde ausrichten? Sobald sie ihn wittern, werden sie ihn innerhalb einer halben Stunde stellen. Hier kann er sich nicht so gut verstecken wie in den Bergen!“
„Ich wüßte nicht, was du dagegen tun könntest.“ „Jedenfalls kann ich die Leute nicht ausreiten lassen…“ „Nun hör aber auf!“ Der Vater schien Mitleid zu empfinden, blieb aber streng. „Willst du dich gegen unsere Nachbarn auflehnen? Immerhin sind sie alle felsenfest davon überzeugt, daß Rimrock der Mörder Ortons ist!“ „Bist auch du dieser Überzeugung?“ „Hm, ich weiß nicht“, wich der Vater aus. „Aber auf mich kommt es ja auch nicht an. Du weißt doch, wie schlecht die Leute auf Pumas zu sprechen sind!“ „Ja, doch!“ stöhnte Hoss. „Ehe ich Rimrock kennenlernte, habe ich nicht anders gedacht. Aber er ist nun einmal ganz anders! Weißt du, als ich schneeblind war…“ Der Vater und Joe lauschten interessiert dem Bericht, und hin und wieder wechselten sie verständnisvolle Blicke. Dann schwiegen sie alle eine lange Weile. „Nun begreife ich, weshalb dich die Sache so quält“, gab der Vater endlich zu. „Trotzdem kannst du nicht verhindern, daß die Leute auf die Hetzjagd gehen!“ „Nein, gewiß nicht!“ sagte Hoss. „Aber wenn ich ihn finden könnte…“
„Den ganzen Nachmittag über hast du ihn gesucht – und nicht gefunden!“ tröstete Joe. „Sollte das kein Zeichen dafür sein, daß er sich davongemacht hat? Wäre er noch im Gelände, so wäre er doch bestimmt zu dir gekommen!“ „Das möchte ich meinen!“ Hoss nickte. Ja, daß er Rimrock nicht gefunden hatte, war ein wahrer Trost. Ein wenig zuversichtlicher ging er zu Tisch. Aber Hoss’ Hoffnung trog: Rimrock war nicht ins Bergland zurückgelaufen! Gegen Mitternacht schlich er von Westen her lautlos auf die Ranch Ponderosa zu, sprang gewandt auf den Baum dicht neben der Veranda, kroch aufs Dach und schaute lange vorsichtig auf den finsteren Hof hinunter. Dann schlüpfte er durchs offene Fenster. Hoss zuckte zusammen, als er den großen Katzenleib an seinen Füßen fühlte. „Donnerwetter!“ Er streckte die Hand aus und kraulte dem Berglöwen den Kopf. Rimrock reckte sich wohlig. Blitzschnell sprang Hoss aus dem Bett und schloß das Fenster. Dann machte er Licht und betrachtete Rimrock. Der Puma schnurrte zu-
frieden, und als Hoss ihm das verstümmelte Ohr kraulte, schloß er genußvoll ein Auge. Besorgt befühlte Hoss Rimrocks Leib. „Na, hast du etwa doch gelernt, dich selbst zu versorgen?“ fragte er beruhigt. Rimrock rieb sich an seinem Bein und sprang dann wieder aufs Bett. „O nein!“ rief Hoss. „Wir beide machen einen kleinen Ritt!“ Er trat zur Tür, öffnete sie und rief Joe. Wenig später lugte der Bruder vorsichtig herein. „Um Gottes willen!“ stöhnte er. „Und was wird nun?“ „Sieh ihn dir doch an!“ sagte Hoss. „Meinst du, ein so lieber kleiner Kerl könnte einen Menschen umbringen?“ „Darauf möchte ich keinen Eid ablegen – schon gar nicht um Mitternacht“, maulte Joe. „Ich bin auch nicht hergekommen, um das festzustellen.“ „Sattele sofort Paiute für mich!“ bat Hoss. „Binde ihr hinter den Sattel ein paar dicke Zeltplanen, wie sie in der Scheune liegen, und bring das Pferd dann vor die Haustür.“ „Und wer soll das Pferd halten, während du mit diesem Untier aufsteigst?“ fragte Joe beklommen.
„Du jedenfalls brauchst Paiute nicht zu halten“, beruhigte ihn Hoss. „Bleibe schön im Hintergrund, damit Rimrock nicht nervös wird!“ „Darauf kannst du dich verlassen!“ versicherte ihm Joe. Kurze Zeit später war Joe wieder da und teilte mit, daß Paiute bereitstehe. Dann verzog er sich blitzschnell die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer brannten sämtliche Lampen, als Hoss hereinwankte, den Berglöwen auf den Armen. Die Vordertür stand weit offen. Vater und Joe hatten im Hintergrund Posten bezogen, während Hop Sing hinter der einen Spalt geöffneten Küchentür hervorlugte, ein Hackmesser in der Hand. „Liesige, gefähliche Fleischdieb!“ murmelte er. „Sieh dich vol, Hoss!“ So viel Publikum machte Rimrock nervös. Er wollte Hoss’ Armen entschlüpfen, aber der junge Mann hielt ihn eisern fest. „Daß mir ja keiner auf den Hof hinauskommt!“ schärfte er den anderen ein. Der Vater hatte auch die Lampen auf der Veranda angezündet, und deshalb war es auf dem Hof recht hell. Die drei Leute im Haus konnten also gut beobachten, was vorging.
Hoss spürte nun doch eine gewisse Beklommenheit, als er Rimrock absetzte, um sich in den Sattel zu schwingen. Blitzschnell huschte der Löwe davon, wurde von der Finsternis aufgesogen – aber als Hoss ihn rief, kam er sofort zurück. Paiute senkte den Kopf und beschnupperte den alten Freund. Drinnen schüttelte der Vater ungläubig den Kopf. Hoss saß auf. Zu seinen Füßen hockte Rimrock. „Los, Kamerad!“ flüsterte Hoss. „Spring auf!“ Mit einem gewandten, mühelosen Satz landete Rimrock auf dem Polster, machte es sich bequem, rollte den langen Schwanz ein und legte den Kopf dicht an Hoss’ Rücken. „Unglaublich!“ murmelte Joe. Auch der Vater schüttelte den Kopf. „Mir ist, als hätte ich das geträumt“, gab er zu. „Ich habe gesehen!“ bekräftigte der chinesische Koch. „Aber wenn dich morgen die Jäger danach fragen, hast du nichts gesehen! Verstanden?“ schärfte der Vater ihm ein. Hop Sing grinste übers ganze Gesicht. „Habe keinen Fleischdieb gesehen! Habe nichts gesehen!“
Wie um seine Worte zu unterstreichen, schwenkte er sein Hackmesser, so daß Joe erschrocken den Kopf einzog. Eine halbe Stunde vor der Morgendämmerung hatte Hoss das Bergland erreicht. Sofort sprang Rimrock ab und lief in die Deckung der Bäume. Als er aber sah, daß Hoss ihm nicht folgte, kam er schleunigst zurück. „Hier trennen sich nun unsere Wege endgültig, Rimrock!“ schärfte Hoss ihm ein. „Wir sind geschiedene Leute, klar? Wenn du von jetzt an jemals wieder einen Menschen siehst – dann suchst du sofort das Weite! Verstanden? Ich weiß, daß es meine Schuld ist, wenn du so geworden bist, wie du nun einmal bist. Aber jetzt muß es damit endlich anders werden…“ Obwohl Hoss wußte, daß Rimrock seine Worte nicht verstand, redete er doch geradezu beschwörend auf ihn ein: Immer wieder sagte er ihm, was er von nun an tun müsse, um sein Leben zu fristen. Noch immer stand Hoss am Rand der weiten Ebene, als das Morgenlicht hinter dem Horizont hervorgekrochen kam. Rimrock trieb sich irgendwo ganz in der Nähe im Gebüsch herum.
Bei Tage würde er es nicht wagen, die Ebene zu durchqueren, dessen war Hoss ganz sicher. Nicht einmal hinter ihm auf Paiutes Rücken würde er nach Ponderosa zurückkehren! Hoss wandte sein Pferd und trabte davon. Wie oft hatte er das nun schon getan! Und jedesmal hatte er von Herzen gehofft, es möge ein Abschied für immer sein. Als er sich umschaute, erblickte er Rimrock, der vorsichtig witternd ins Freie trat, ein paar Schritte hinaus auf die Ebene trottete – und dann kehrtmachte und im Gebüsch verschwand. „Lauf ins Gebirge!“ flehte der Reiter, als könnte das Tier seine gepreßte Stimme hören und ihn verstehen. „Lauf ins Gebirge!“
Der Mörder
Fast fünfzig Mann hatten sich zusammengefunden; es war eine stattliche Schar Löwenjäger, die kurz nach Hoss’ Heimkehr von seinem geheimen Ritt auf den Hof Ponderosa getrabt kam. Einigen der wackeren Jäger war deutlich anzumerken, daß sie sich zur Vorbereitung in den Kneipen der Stadt tüchtig gestärkt hatten. Vermutlich würden sie ihre Jagdgefährten erheblich mehr gefährden als das gesuchte Wild! Auf einem leichten Wagen hatte man einen Käfig angebracht, und darin jaulten und knurrten Curly Joes Hunde. Sie konnten den Beginn der Hetze schon gar nicht mehr abwarten. Joe selbst war ein hochgewachsener, hagerer Mann in alten, blankgewetzten Lederhosen, und dunkles Haar hing ihm bis auf die Schultern herab. Anführer der wilden Jagd war Sam Hargis. „Seid ihr fertig, Cartwright?“ rief er dem Vater entgegen, während er sein Pferd vor dem Wohnhaus zügelte. „Wir kommen!“ Der Vater hatte Hoss erlaubt, daheim zu bleiben, aber Hoss wollte nicht
kneifen. „Wo willst du die Hunde loslassen, Sam?“ „Curly Joe meint, es habe keinen Sinn, sie freizulassen, ehe wir nicht die Ebene hinter uns haben“, erwiderte der Anführer. „Er ist überzeugt davon, daß der Löwe, der den Viehhändler angefallen hat, allerhöchstens einen Tag hier unten geblieben ist und sich dann in seine Berge zurückgezogen hat!“ Hoss zuckte unmerklich zusammen. Er hatte gehofft, Curly Joe würde seine Meute nahe der Stelle freilassen, wo man den Toten gefunden hatte. Und nun? Anstatt Rimrock zu helfen, hatte Hoss ihn dorthin gebracht, wo die Hunde ihn am allerschnellsten ausmachen würden! Hargis wollte noch etwas hinzufügen, aber einer der leicht angetrunkenen Jäger gab einen Schuß in die Luft ab und stieß einen gellenden Schrei aus. „Hör doch mit der Knallerei auf!“ schimpfte Hargis aufgebracht. „Wir wollen reiten!“ grölte eine Stimme. Hoss erkannte Mel Stark, den Mann vom Mietstall, der neulich Orton gefahren hatte. Während er neben dem Vater und Joe vom Hof ritt, blickte er immer wieder zu Mel Stark hinüber. Die Männer der Jagdgesellschaft hielten reichlich Abstand voneinander, um dem
von den Pferden aufgewirbelten Staub auszuweichen. Deshalb mußten sie um so lauter sprechen, sie lachten und schrien lärmend durcheinander und benahmen sich ausgelassen wie bei einem Volksfest. „Du konntest wirklich nicht wissen, Hoss“, meinte der Vater tröstend, „daß Curly seine Hetzjagd ausgerechnet am Rand des Gebirges anfangen würde!“ Hoss starrte düster vor sich hin. „Es ist zum Verzweifeln“, stöhnte er. „Ich mache aber auch alles falsch!“ Die meisten Männer ritten am Ostufer des Indianer-Sees entlang, einige aber trennten sich von den anderen und durchkämmten für alle Fälle das Unterholz am westlichen Ufer. Kreuz und quer ritten sie durch das Gelände, denn sie hatten genügend Zeit, weil der Wagen mit den Hunden viel langsamer vorwärts kam als sie. „Hast du eigentlich den Sheriff gesehen?“ fragte Hoss. „Reitet er nicht mit?“ Joe schüttelte den Kopf. Plötzlich zügelte Hoss sein Pferd. „Ich bin gleich wieder da!“ Damit lenkte er Paiute zum Wasser zurück. Sein Bruder zauderte und schien zu überlegen, ob er sich ihm anschließen solle.
„Bleib hier!“ riet ihm der Vater. „Kannst du dir nicht vorstellen, weshalb Hoss sich davonmacht? Er mag nicht zusehen, wie das Tier umgebracht wird. Übrigens mache ich kein Hehl daraus, daß auch ich mich nach dem, was ich von Hoss gehört habe, auf den Ausgang dieser elenden Jagd nicht mehr recht freuen kann!“ Hoss ließ Paiute an dem Baum zurück, unter dem Orton den Tod gefunden hatte. Drei bis vier Meter über der Straße ragte ein kräftiger Ast hervor, und er schien so recht dafür geschaffen, daß ein Puma sich dort auf die Lauer legte. Hoss schauderte: Wirklich, die Behauptung, das Raubtier habe dort gelegen und sei dem ahnungslosen Reiter ins Genick gesprungen, leuchtete ohne weiteres ein! An der Ostseite des gewaltigen Baumes führte ein sanfter Hang zum Seeufer hinunter, im Westen erstreckte sich unübersichtliches, dicht bewachsenes Gelände. Hoss wandte sich in diese Richtung. Plötzlich stutzte er. Deutlich erkannte er Fußspuren! Offenbar hatte sich schon jemand anders hier umgesehen. Der Sheriff! In immer weiteren Kreisen suchte Hoss das Gelände ab, aber er fand keinerlei Hinweise und begann einzusehen, daß er nur seine Zeit
vergeudete. Bestimmt hatte der Sheriff nichts übersehen. Dann aber fand er etwas: eine Stelle, wo längere Zeit ein Pferd gestanden hatte! Beinahe wäre Hoss die Spur gar nicht aufgefallen, denn es lag ein dünner Teppich von Tannennadeln darüber. Aber sein scharfes Auge erspähte ein paar helle Bruchstellen an den benachbarten Büschen. Vor nicht allzulanger Zeit waren mehrere kleine Zweige abgeknickt worden. Hoss kniete nieder und fuhr mit den Fingern vorsichtig durch den Nadelteppich. Jawohl, kein Zweifel: hier hatte ein Pferd gestanden! Und dann wurde ihm klar, daß nicht der Wind die Tannennadeln über die Spur geweht hatte, sondern daß jemand bemüht gewesen war, die Spur gut zu verbergen. Hoss blieb auf dem Boden hocken und spähte umher. Da, wenige Meter entfernt, lag etwas unter einem Busch. Er stand auf, ging hinüber und nahm das Ding in die Hand. Es war sein bester Striegel! Jemand hatte fünf der scharfen, spitzen Metallzähne aus dem Holzboden herausgezogen, so daß sie weit vorstanden, und dann hatte er sie mit einer Feile messerscharf geschliffen. Die anderen Zähne des Striegels hatte er flachgeklopft.
Und an den vorstehenden, scharfen Zähnen verrieten dunkle Flecke, wozu das Werkzeug benutzt worden war! Hoss’ Gedanken wirbelten durcheinander. Auf der Stelle mußte er dem Sheriff Meldung machen! Oder nein, er wußte noch etwas Besseres! Der Mann, der Orton getötet und den Verdacht auf einen harmlosen kleinen Puma gelenkt hatte, ritt ja mit den Jägern über Land! Hoss stand auf und ging zu seinem Pferd zurück. Nach zwei Schritten aber ließ eine harte Stimme ihn erstarren. „Schade, Hoss, daß du das Ding gefunden hast!“ Der junge Mann fuhr herum. Hinter einem Baumstamm war Stark hervorgetreten. Nun stand er breitbeinig da und richtete drohend einen Revolver auf Hoss. „Schnalle sofort dein Revolverkoppel ab, Hoss!“ kommandierte er mit eiskalter Stimme. Hoss knirschte mit den Zähnen, aber er mußte gehorchen. „Meinst du etwa, das Märchen von dem Raubtier könnte die anderen auf die Dauer hinters Licht führen?“ „Bisher hat alles ganz prima geklappt!“ feixte Stark. „Bis du angefangen hast, deine Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen! Du
kannst dir wohl vorstellen, was ich nun tun muß?“ Hoss schätzte ab, wieviel Meter ihn von dem Verbrecher trennten. Der Abstand war groß – aber mit zwei oder drei Sprüngen mußte er ihn doch überwinden können. Er ballte die Hände zu Fäusten. „Ich warne dich!“ stieß Stark hervor. „Mach keine Dummheiten!“ Mindestens eine Kugel würde er einstecken, falls er sprang, das wußte Hoss. Aber wenn es ihm gelänge, die Hände wenigstens dreißig Sekunden lang um die Gurgel des niederträchtigen Schurken zu legen, dann würde er sich reichlich belohnt fühlen! Mit allen Fibern verlangte Hoss danach, sich auf Stark zu stürzen, und schon war er bereit, alles auf eine Karte zu setzen, als ihn sein gesunder Menschenverstand doch noch im allerletzten Augenblick davon abhielt. Kein Auge ließ er von seinem Gegenüber. Die Hand, die den Revolver hielt, zitterte nicht, aber Starks Augen flackerten unruhig. Er gehörte zu den Menschen, die rücksichtslos und impulsiv zur Waffe greifen und denen es auf einen Schuß mehr oder weniger nicht ankommt.
Warum hatte er eigentlich nicht längst geschossen? Ich muß Zeit gewinnen! dachte Hoss verzweifelt. Etwas sagen! Und versuchen, ihm näher zu kommen! „Du hast genau gewußt, daß an jenem Abend auf unserer Ranch ein Puma gewesen ist, nicht wahr, Stark?“ sagte er. „Du hast nur so getan, als hätte ich dich davon überzeugt, daß es ein Luchs war.“ „Das spielt nun keine Rolle mehr. Dreh dich um, Hoss, und geh langsam vorwärts! Los, wir machen einen Spaziergang zum See hinunter!“ Dorthin also wollte er. Am See sollte es geschehen! Ein Schuß in den Rücken… Einen Stein ans Bein gebunden – und hinunter in die Tiefe! „Nein!“ erklärte der junge Mann. „Ich gehe nicht. Ich denke nicht daran, Stark!“ Stark hob den Revolver und stieß einen mitleidigen Seufzer aus. Aber Hoss hielt seinem Blick stand. „Auch wenn du noch so gut zielst, Stark“, sagte er zähneknirschend, „wirst du mich doch nicht aufhalten: Ehe ich sterbe, packe ich dich. Noch mit letzter Kraft reiße ich dich in Stücke, darauf kannst du dich verlassen.“
Der andere blickte ihn unschlüssig an. Hoss sah, daß Starks Augen immer unruhiger flackerten. Ein gemeiner Feigling war er, ein niederträchtiger Wegelagerer… „Ich gebe dir eine einzige Chance“, begann Stark stockend. „Ich brauche einen Vorsprung von sechs Stunden, um mich aus dem Staube zu machen. Wenn du mir die garantierst, lasse ich dich laufen! Meinst du, es macht mir Spaß, mein Gewissen auch noch mit dir zu belasten?“ Hoss dachte nicht daran, dem Burschen zu vertrauen. Aber noch immer kam es ihm darauf an, Zeit zu gewinnen. „Wie soll das denn vonstatten gehen?“ fragte er, während er einen halben Schritt auf den Gegner zuging. „Stehenbleiben!“ fauchte Stark. „Mach keine Dummheiten, Hoss!“ Mit verzerrtem Gesicht stand er breitbeinig da, den Revolver im Anschlag. Hoss sah ihm an, daß er schießen würde, sobald er sich ernsthaft bedroht fühlte. Stark fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Ich will dir sagen, wie ich es mache“, knurrte er. „Wir gehen jetzt zusammen zum Ufer hinunter, dort fessele ich dich, und dann nehme ich dein Pferd mit. Wenn du dich endlich be-
freit haben und zu eurer Ranch gelaufen sein wirst, bin ich längst über alle Berge!“ Der See! Immer wieder kreisten Starks Gedanken darum. Wenn Hoss mit ihm ans Ufer hinunterging, würde er nie mehr nach Ponderosa zurückkehren. „Du willst mich also wirklich nur fesseln?“ fragte er. „Ganz bestimmt!“ gelobte Stark. „Siehst du denn nicht ein, daß dies der einzig mögliche Ausweg ist? Sind wir nicht bisher immer gut miteinander ausgekommen?“ „Hm, eigentlich ja“, gab Hoss zu, und er runzelte die Brauen, als erwäge er Starks Vorschlag ernsthaft. „Du hast also Orton tatsächlich umgebracht?“ „Das habe ich nicht gesagt!“ fuhr der andere auf. „Aber nun komm schon, zum See hinunter!“ „Ich möchte aber genau wissen…“ „Nun hast du genug geschwatzt!“ herrschte Stark ihn an. „Los, dreh dich um!“ Vielleicht würde er auf dem Weg hinunter eine Möglichkeit finden… Ein flinker Sprung ins Gebüsch… Aber ein Blick in Starks Gesicht verriet Hoss, daß der andere seine Gedanken ahnte. Hoss rang sich zu einem Entschluß
durch. Jetzt oder nie! Er setzte zum Sprung an, um sich auf Stark zu stürzen. „Halt! Hände hoch!“ ertönte in diesem Augenblick eine scharfe Stimme. Dann trat hinter Stark eine kräftige Gestalt aus dem Gebüsch – Sheriff Coffe! Stark fuhr herum und schoß. Aber er drückte zu spät ab, und der Schuß ging vorbei. Im nächsten Augenblick traf ihn die Kugel des Sheriffs in den rechten Arm. Der Revolver entfiel der kraftlosen Hand. Und das war Hoss’ Augenblick: Er sprang den Feind an! Beide stürzten zu Boden. Hoss hielt Stark eisern umklammert. Dann rief der Sheriff: „Danke, Hoss! Ich möchte ihn gern lebend haben!“ Hoss stand auf. Er begriff noch immer nicht recht, wie sich die Lage so plötzlich verändert hatte. Benommen reichte er dem Sheriff Starks Revolver, den er vom Boden aufgehoben hatte. „Wie kommen Sie denn hierher, Sheriff?“ Coffee lachte. „Wie i c h herkomme? Viel eher dürfte wohl ich fragen, wie d u herkommst! Du hast dich in eine schöne Lage gebracht und hättest um ein Haar eine Kugel in den Kopf bekommen.“
„Hm, ja, gewiß“, murmelte Hoss. „Das stimmt, aber ich dachte…“ „Ich weiß schon, was du gedacht hast!“ schnauzte der Sheriff ihn gutmütig an. „Du hast gedacht, ich sei zu alt und dumm, um einen Mörder zu überführen. Du meintest, ich hätte das blöde Märchen von dem Löwen geglaubt! Glaubst du, ich sei nicht mehr in der Lage, eine Spur zu lesen und einen Schluß zu ziehen? Den Striegel habe ich dort, wo du ihn vorhin entdeckt hast, schon vor Tagen gefunden!“ „Wirklich?“ staunte Hoss. „Allerdings! Aber ich dachte nicht daran, ihn aufzuheben und mitzunehmen. Sobald der Täter den Verlust bemerkte, würde er wiederkommen und das Beweisstück beiseite schaffen – das wußte ich genau!“ „Und Sie wußten schon lange, daß es Stark war?“ fragte Hoss. „Immerhin hatte ich ihn in Verdacht. Ich habe ihn beobachten lassen, habe mir meine Gedanken gemacht, und als dann Dr. Inman mir gestern sagte, Orton sei mit einem Messer ermordet worden – na, da schien mir alles ganz fein zusammenzupassen!“ „Erstochen?“ rief Hoss erstaunt aus. „Das wußte ich ja gar nicht!“
Coffees Laune schien sich zu bessern. „Schon gut!“ Er lächelte. „Wenn du nur mit dem Leben davongekommen bist!“ Er riß Stark hoch und untersuchte die Verwundung am Arm. „Davon stirbt man nicht! Wo ist das Geld?“ fragte er barsch. „Was für Geld?“ „Na, laß nur! Ich habe es längst entdeckt: hinter einem Wandbrett in eurem Mietstall!“ Stark sackte zusammen. „Weshalb mußte er so viel Geld haben?“ zischte er. „Das war ungerecht, und ich…“ „Ruhe!“ donnerte der Sheriff. „Komm, Hoss, opfere ein Stück von deinem Hemd, damit ich ihn fesseln kann. Und dann hol sein Pferd! Dort drüben steht es, ungefähr zweihundert Meter weiter.“ Zwanzig Minuten später ritt Sheriff Coffee mit seinem grollenden Häftling davon, und Hoss galoppierte hinter der Jagdgesellschaft her. Vielleicht würde mancher der Männer die Lust an der Hetzjagd verlieren, wenn er berichtete, was mit Stark los war! Vielleicht könnte er damit Rimrock doch ein bißchen helfen… Noch während er über die Ebene ritt, hörte er in der Ferne die Hunde bellen, und erschrocken erkannte er am Klang, daß sie offenbar
eine frische Witterung aufgenommen hatten. Er gab dem Pferd die Sporen. Als er wenig später die erste Gruppe der Jäger einholte, schien sich das Hundegebell noch weiter entfernt zu haben. Die Männer waren an einem Bach abgestiegen und tränkten ihre Pferde. „Wo ist denn die Hauptgruppe?“ fragte Hoss. „Als wir uns den Bergen näherten, scheinen die Hunde irgend etwas gewittert zu haben“, berichtete einer der Männer. „Dann fielen dort drüben mehrere Schüsse, und offenbar sind die Hunde nach allen Richtungen auseinandergelaufen!“ Eilig berichtete Hoss über sein Erlebnis mit Stark. „Ich habe sowieso nie geglaubt, daß ein Löwe den Viehhändler getötet hat“, brummte einer der Männer, während er düster zum Bergland hinüberschaute. „Eine Gemeinheit ist das! Ich reite heim!“ Und mehrere andere nickten beifällig. Hoss ritt weiter. Am Fuße eines steilen Felshanges holte er eine zweite Gruppe ein. Die Hunde waren noch immer weit voraus. Die Reiter schauten den Hang hinauf und überlegten, wie sie ihn erklimmen könnten, ohne abzusteigen.
„Ich kenne einen Umweg“, erklärte Hoss. „Aber er ist weit, und eine längere Strecke müßt ihr auch dort zu Fuß gehen!“ Einer der Jäger schüttelte den Kopf. „Wenn wir dann endlich da sind, haben die Hunde ihren Vorsprung noch vergrößert“, meinte er, „und mindestens vier neue Steilhänge werden uns von ihnen trennen.“ Hoss hielt sich nicht damit auf, noch einmal von Stark zu erzählen. Er sah den Männern an, daß sie ohnehin keine Lust mehr zur Jagd verspürten. „Hat einer von euch etwa einen Löwen gesehen, als vorhin geschossen wurde?“ fragte er beklommen. „Ja“, sagte einer der Männer. „Er war halb ausgewachsen, klemmte den Schwanz ein und sauste davon, als sei der Teufel hinter ihm her.“ „Und niemand hat ihn getroffen?“ „Jedenfalls habe ich nichts davon gemerkt.“ So schnell wie möglich ritt Hoss nach Osten, um den Steilhang zu umgehen. Vier der Jäger begleiteten ihn, und auch von ihnen gaben zwei auf, als sie bald darauf einen schwierigen Felsenpfad erreichten.
Als Hoss kurze Zeit darauf abstieg und erklärte, nun käme man nur noch zu Fuß weiter, strich auch der Vorletzte die Segel. Nur Hargis’ Cowboy Slim hielt durch. Zusammen mit Hoss kletterte er dem Klang des Hundegebells nach.
Verbellt!
Nachdem sie den halben Hang geschafft hatten, blieb Slim keuchend stehen. Auch Hoss rang nach Atem. Sie ruhten sich ein wenig aus. Dann zuckte Hoss zusammen: Der Klang des Hundegebells verriet eindeutig, daß die Hunde ihr Wild gestellt hatten. Rimrock war verbellt! „Komm!“ Hoss trieb seinen Gefährten zur Eile an. Kaum hatten sie mit Mühe den ersten Hang genommen, da wuchs über ihnen schon der zweite auf. Dahinter aber mußten die Hunde sein. Keuchend kämpften sie sich weiter empor. Plötzlich stießen sie auf eine Gruppe Reiter, die auf der anderen Seite des Berghanges offenbar einen bequemeren Weg gefunden hatten. Hoss erkannte seinen Vater, Bruder Joe und Hargis. Er winkte. „Wo ist denn Curly Joe?“ rief Hargis. „Den habe ich zuletzt in Ponderosa gesehen!“ „Unten haben wir das Vieh aufgestöbert“, berichtete Hargis. „Das hat unsere Jagd ein biß-
chen durcheinandergebracht. Die Hunde waren nicht mehr zu halten. Joe ist zurückgeblieben, und nun wissen wir nicht, wo er steckt!“ „Am besten warten wir hier auf ihn“, schlug Hoss vor. „Weshalb?“ wandte Hargis ein. „Der Löwe ist verbellt – nur darauf kommt es mir an.“ „Aber erst muß ich euch noch etwas berichten!“ Mit wenigen Worten erzählte Hoss, was mit Stark geschehen war. „Das ist ja noch mal gutgegangen“, sagte Hargis. „Und nun kommt zu dem Puma!“ Der Vater zog Hoss beiseite und meinte, er könne Rimrock nun doch nicht mehr helfen. Aber Hoss ritt weiter. „Bestimmt ist es dein Puma“, sagte der Vater. „Als die Hunde ihn aufstöberten, konnte ich ihn einmal ganz gut sehen.“ Nach kurzem Ritt mußten sie alle absteigen und das letzte Stück zu Fuß hinaufklettern. Als Hoss einen Blick zurückwarf, sah er in der Ferne Curly Joe auf seinem Maultier heranschaukeln. Auch Hargis sah ihn, aber er war zu ungeduldig, um auf den Gefährten zu warten. Entschlossen zog er das Gewehr aus der Halterung am Sattel. „Den brauchen wir nicht für den letzten Akt!“
Der Vater warf Hoss einen verständnisvollen Blick zu und reichte ihm sein Gewehr. Schweren Herzens nahm Hoss die Waffe. Als einer der ersten erklomm er die Höhe. Dort drüben, unter einer Fichte, waren die Hunde, bellten und bissen in den Stamm, schnappten nacheinander, jaulten, sprangen ein Stück hoch… „Da ist er!“ schrie Slim. „Ich sehe ihn – auf dem großen Ast, drei Meter über dem Boden!“ Nun war es um Rimrock geschehen! Hoss war, als habe er den jungen Puma erst gestern gefunden. Deutlich sah er das kleine Wesen, wie es sich verzweifelt an den verschneiten Stamm klammerte – und wie er das Gewehr sinken ließ! Neben ihm hob jemand das Gewehr. Erschrocken stieß Hoss den Lauf beiseite. „Auf diese Entfernung würdest du ihn höchstens verwunden!“ Begütigend legte ihm der Vater die Hand auf die Schulter. „Nimm dich zusammen, Hoss!“ mahnte er. Vor allen anderen kletterte Hoss den Hang hinunter, auf den Baum zu. Eines wußte er gewiß: er würde sorgsam zielen und einen einzigen Schuß abfeuern. Jawohl! Er selbst wollte der Schütze sein!
Erst kurz vor dem Baum blieb Hoss keuchend stehen. Dort oben war der Puma, ganz deutlich sah er ihn. Beide Ohren hatte er angelegt, wütend fletschte er die Zähne und starrte grollend auf die aufgeregten Hunde hinunter. Aber es war gar nicht Rimrock, sondern ein ausgewachsener Berglöwe! Joe blieb neben dem Bruder stehen. „Das ist er ja gar nicht!“ keuchte er. „Nein.“ Hoss fiel ein Stein vom Herzen. „Halt!“ schrie Hargis. Aber der Befehl kam zu spät. Einer der Männer gab einen voreiligen Schuß mit dem Revolver ab. Der Puma wankte, fiel aber nicht herab. Hoss hob das Gewehr, doch dem Löwen gelang es, um den Stamm herumzuklettern, so daß Hoss’ Kugel ihn nicht erreichen konnte. Es regnete Fichtennadeln. Bellend rannten die Hunde unter dem Baum hin und her. Allmählich verlor das angeschossene Tier den Halt, begann zu rutschen… Dann fiel es zwischen die Hunde, ging unter in einem bellenden, kläffenden, jaulenden Wirbel. Einer der Hunde überschlug sich mehrmals, schrie auf und blieb leblos liegen. Trotz seiner Verwundung kämpfte der Puma um sein Leben. Die Jäger aber mußten taten-
los zuschauen, weil sie nicht schießen konnten, ohne auch die Hunde zu gefährden. Dreimal hob Hoss das Gewehr, ließ es aber immer wieder sinken. Zum zweiten Male verlor der Jäger, der vorhin so vorschnell geschossen hatte, die Nerven. Wieder knallte sein Revolver. Einer der Hunde sank zusammen. In diesem Augenblick kam Curly Joe den Hang heruntergelaufen. Mit vor Wut verzerrtem Gesicht stürzte er sich mitten in die Meute und erlegte den Puma mit einem einzigen Revolverschuß. „Ihr Dummköpfe!“ schimpfte er dann los, indem er von einem der betreten niederblickenden Männer zum anderen schaute. „Habe ich nicht gesagt, Hargis, ihr solltet unbedingt auf mich warten, falls die Hunde ihn verbellten?“ Hargis mochte sonst noch so grob sein – diesmal wagte er keinen Widerspruch. „Schon gut, Joe“, murmelte er. „Du hast es gesagt, ja. Leider aber…“ „ Wer hat den Puma angeschossen?“ „Das wissen wir nicht“, murmelte Hargis. „Einer muß den Kopf verloren haben…“ „Dafür reiße ich ihn ihm von den Schultern!“ tobte Curly Joe weiter. „Heraus mit der Sprache: Wer war es?“
„Wer hätte das bei all der Aufregung feststellen können?“ „Blöde Hammel seid ihr alle miteinander!“ tobte der Hundehalter weiter. Dann betrachtete er seine Hunde: drei waren tot, und ein vierter schien so schwer verletzt zu sein, daß ihn nur noch der Gnadenschuß erlösen konnte. Aber so schnell gab Curly Joe nicht auf. Flink holte er Nadel und Faden hervor und begann, dem armen Tier den aufgeschlitzten Leib behutsamen und geschickt zuzunähen. Vater Cartwright und seine Söhne, Hargis und sein Cowboy Slim halfen ihm. Die anderen Teilnehmer an der wilden Jagd schlichen sich betreten davon. „Es sieht schlimm aus!“ murmelte Hoss mitleidig, während er dem Tier den Kopf hielt. „Er hat schon Schlimmeres überlebt!“ knurrte der Hundehalter. „Wer war denn nun der Idiot, der den Löwen angeschossen und nur verwundet hat?“ „Das weiß ich wirklich nicht“, erwiderte Hoss. „Es tut mir leid, daß Sie solchen Schaden haben“, versicherte Hargis. „Natürlich werde ich Ihnen die Hunde bezahlen.“ Curly Joe schüttelte den Kopf. „Meinen Sie etwa, Geld könne einen guten Jagdhund ersetzen?“
Hargis hob bedrückt die Schultern. „Schließlich kann ich die Tiere nicht wieder zum Leben erwecken“, murmelte er. Auch Hoss war mit dem Ausgang der Jagd ganz und gar nicht zufrieden: drei tote Hunde, ein mühsam erlegter Puma – das alles schien keine Ruhmestat zu sein! Vorsichtig trug Curly Joe den verletzten Hund zu den Pferden hinüber. Er war offenbar auf solche Unfälle vorbereitet, denn er holte eine zusammengerollte Hängematte hervor, knüpfte die beiden Enden so um eine Stange, daß man den winselnden Hund in das provisorische Bett legen konnte, nahm es auf und ging zu Fuß davon, das Maultier am Zügel führend. „Wir begleiten ihn, Slim und ich“, sagte Hargis. „Um seine Hunde tut es mir wirklich leid!“ Vater und Söhne schauten ihnen nach. Ben Cartwright ließ den Blick über das Land gleiten, das sich drunten erstreckte. „Man sollte meinen, es gäbe Platz genug für uns alle“, murmelte er. „Für Menschen, Viehherden und wilde Tiere, die immerhin als erste hier waren – und sogar für die Berglöwen!“ Hoss und Joe sagten nichts. Schweigend blickten auch sie in die weite Ebene hinunter.
„Der Puma, den ich unten gesehen habe, war ganz bestimmt dein Rimrock, Hoss!“ fügte der Vater mit ruhiger Stimme hinzu. „Die Hunde müssen ihn verloren haben, als sie die Witterung der großen Raubkatze aufnahmen. Vielleicht wird er nun doch noch groß – ein richtiger, wilder Puma!“ „Das habe ich immer gehofft.“ Hoss lächelte erleichtert. Der Vater ergriff die Zügel seines Pferdes. „Du mußt ja zu Fuß zu deinem Pferd zurück“, sagte er. „Wir treffen uns unten!“ Bergab kam Hoss langsamer vorwärts als vorhin bergauf, aber er hatte es nun gar nicht mehr eilig. Curly Joe würde so bald seine Meute nicht mehr für eine Löwenjagd zur Verfügung stellen. Rimrock hatte also die Möglichkeit, sich an das Leben in der Wildnis zu gewöhnen. Endlich erreichte Hoss die Pferde. Er schwang sich in Paiutes Sattel und führte Slims Tier am Zügel. Kaum zehn Minuten später erblickte er Rimrock! Der Puma kauerte auf einem großen Felsbrocken und schaute zu ihm herunter. „Um Gottes willen!“ rief Hoss erschrocken. „Wenn du mir nun wieder nachläufst…“
Einen Augenblick lang überlegte er, ob er Rimrock vielleicht erschrecken sollte, indem er ganz dicht neben ihm das Gewehr abschoß. Aber dann begnügte er sich damit, dem jungen Tier empörte Vorwürfe zuzurufen. Abschließend wollte er erproben, ob seine Worte die richtige Wirkung gehabt hatten. „Komm, komm, Rimrock!“ lockte er. Der Berglöwe sprang herunter und verschwand für einen Augenblick hinter allerlei Geröll. Hoss schlug sich vor die Stirn. „Was für eine Verrücktheit!“ schalt er sich. „Nun habe ich ihn wieder auf dem Hals!“ Aber Rimrock kam gar nicht zu ihm! Vielmehr zeigte er dich erst wieder in einiger Entfernung, und Hoss schaute ihm nach, wie er einen steinigen Hang erklomm. Noch einmal rief Hoss – mit dem Erfolg, daß Rimrock noch schneller fortlief! Offenbar hatte er nun doch gemerkt, wo seine Heimat war. Hunde, Pferde, Gebrüll und Getrampel – all das Schreckliche, das einen erwartete, wenn man den Menschen zu nahe kam… Nein, Rimrock lief nun dahin, wohin er in Wirklichkeit gehörte! Hoss riß das Gewehr hoch und schoß zwischen die Felsblöcke, mindestens dreißig Me-
ter an dem Puma vorbei, Schuß auf Schuß, bis das Magazin leer war. Lauf, Rimrock, lauf [dachte er. Und begreife, daß von nun an jeder Mensch dein Feind ist! Zeige dich nie einem Menschen, sondern laufe davon und führe dein eigenes Leben, für das du geboren wurdest! Als der letzte Schuß verhallte, war Rimrock nicht mehr zu sehen. Eine lange Weile schaute Hoss in die leblose, steinerne Bergwelt hinauf – und in seinem Gesicht spiegelten sich Erleichterung und Schmerz.
Ende