DAS
ABENTEUERLICHE
LEBEN
EINES
DONKOSAKEN
Er ist außergewöhnlich aufge weckt und begabt, der Junge aus der Steppe...
49 downloads
492 Views
713KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
DAS
ABENTEUERLICHE
LEBEN
EINES
DONKOSAKEN
Er ist außergewöhnlich aufge weckt und begabt, der Junge aus der Steppe östlich des Dons. Die Nachbarn „leihen" sich ihn aus, wenn schwierige Rechen aufgaben zu lösen sind. Aber sein Vater, ein starrköpfiger Kosak, will ihn nicht auf die Stadtschule lassen-ja, er prü gelt ihn sogar, weil er lernen will. Wowka, so heißt der Junge, reißt aus. Ein Jahr lang stromert er auf den Straßen des Landes herum - gerade war der Bürger krieg zu Ende, alles ging noch drunter und drüber. Eines Tages greift man den Jungen auf. In einem Heim für Obdach lose wird er erzogen. Er lernt, macht sein Abitur, studiert, wird Arzt. Im zweiten Weltkrieg finden wir Wowka (Wladimir Dergatschow) als Major und Leiter eines Divisionslazaretts der Roten Armee wieder. Seine Truppeneinheit wird später in einem Kessel von den Faschisten zerschlagen, er kämpft als Partisan und gerät schließlich in Gefangenschaft. Von diesem Zeitpunkt an beginnt der große Leidensweg, der den sowjetischen Arzt bis in die Hölle der faschistischen Konzentrationslager führt. Von seinen Kameraden „Rußki Doktor" genannt, bewährt er sich als aufopferungsvoller Helfer im Dienste seiner Kameraden. In der Typhusbaracke des KZ Auschwitz erzählte Wladimir Dergatschow dem polnischen Autor, der ebenfalls Häftling war, sein bewegtes Leben. I G O R N E W E R L Y schrieb es nieder — das Buch wurde die Erzählung von einem wahren Menschen, einem Helden.
2. Auflage • Illustriert -
240 Seiten • Halbleinen 4,50 DM
KURT HERWARTH BALL/LOTHAR WEISE
BRAND IM MONDOBSERVATORIUM
VERLAG
NEUES LEBEN
BERLIN
1959
Edward Esterfield verschwand langsam mit beschwörenden Hand bewegungen in den Hintergrund des sich verdunkelnden Raumes. Seine Stimme blieb und zwang die in verzückte Andacht versunkenen Hörer, ihn auch jetzt noch körper lich zu sehen. Niemand von ihnen achtete sonderlich auf das leise Surren, das nun ertönte. Plötzlich brach aus der schwarzen Wand das rotgelbe Leuchten einer sonnen artigen Kugel, und da war auch Esterfield wieder, der nun wie ein schimmernder Schatten daneben stand. Leise und eindringlich klang seine Stimme zu den Gläubigen: „Das All hat Anfang und Ende. Von seinem Anfang erzählen uns die alten Schriften; sein Ende zu bestimmen liegt in der Macht der Menschen. Wehe dem aber, den es unvorbereitet trifft! Seine Seele wird in den höllischen Feuern des brennenden Weltalls gemartert werden. Wehe ihnen! — Die aber fragen: ,Wann wird es geschehen?', um sich vorbereiten zu können auf den Tag der Tage, denen antwor ten die Sterne in ihrer erhabenen Flammensprache: ,Bald — bald wird es geschehen, bald, wenn ihr nicht denen folgt, in deren Hand die Ewigkeit ihre Allmacht gelegt hat.'" Allmählich hatte sich wäh rend dieser Worte der glühende Feuerball auf der schwarzen Lein wand vergrößert, und es schien nun, als wolle er in den dunklen Raum und auf die Knienden zu rollen. Mit dumpfem Flüstern be gann Esterfield seine Prophezei ung: „Höret: Das achte Haus, das Todeshaus, ist einer seltsamen Be
strahlung durch Jupiter und Saturn ausgesetzt. Schon färbt sich die Spitze des Hauses blutrot. Venus und Mars wollen einen abwegigen Zyklus von der Erde einschlagen. Große .Ereignisse stehen bevor. Noch wissen wir nicht, welchen Weg die Sterne nehmen werden, noch wissen wir nicht, ob die Sonne sich tausendfach vergrößern und als eine alles versengende Feuersglut über die Menschen hin brausen wird. Aber es kann ge schehen." Esterfield hob seine Stimme, die nun durch überall im Raum versteckte Lautsprecher zu einem hallenden Dröhnen verstärkt wurde. „Und es wird geschehen, wenn die Menschen undankbar die Gaben des allmächtigen Schöpfers mißachten und seinen Propheten nicht folgen. Beten wir — beten wir, daß die Macht und die Herr lichkeit bei uns bleiben, öffnen wir die Hände zu den Sternen schöpfern, auf daß uns die Ewig keit zuteil wird!" Jäh verlosch die glühende Kugel, grell brach das Licht in den Raum und schlug in die Nacken der Knienden. Sie öffneten nun die Hände und streckten sie mit der Innenfläche nach oben. Als sie auf schauten, war die Bühne vor ihnen leer. Edward Esterfield, Sterndeu ter und Prophet der Astrologischen Gesellschaft zu Manchester, exi stierte nur noch durch seine Stimme, die sanft und gütig aus den Lautsprechern tönte: „Gehet nach Hause und betet. Euer Heim weg sei gesegnet." Gehorsam erhoben sich die Gläu bigen und verließen den Saal. 3
Unterdessen hatte sich Mr. Ester field in einen Nebenraum begeben und wischte sich den Schweiß ab. Das lange schwarze Gewand, mit fluoreszierenden Perlen bestickt, lag achtlos hingeworfen auf einem Stuhl. In seinen schwarzen Augen flackerte noch eine Art fanatischen Feuers, und die Wangenmuskeln zuckten hin und wieder, als habe er sich noch nicht ganz von der Ekstase befreit, in der ihn seine Gläubigen predigen sahen. Dann stand er auf, lang und hager, und öffnale die Tür. Der Saal war leer. Schnell ging er zur Ausgangs tür und blickte in das diesige Däm 4
mern hinaus. Mit einem Ruck wandte er sich nach dem schmalen Kasten neben der Tür zurück und schüttelte ihn. Viel enthielt er nicht; die Gläubigen wurden recht sparsam mit ihren Spenden. Er verzog das Gesicht. Wenn er davon leben sollte, ginge es ihm schlecht, doch glücklicherweise gab es noch zahlungskräftigere Leute — Mr. Charles Grain zum Beispiel. In sein Zimmer zurückgehend, nahm Esterfield die Überlegungen wieder auf, die ihn schon den gan zen Tag beschäftigten. Dieser Char les Grain zählte zwar nicht zu sei nen Gläubigen — nein, aber man konnte mit ihm einträgliche Ge schäfte machen. Grain hatte vor reichlich einem Jahr von der Re gierung den Auftrag erhalten, einen größeren Satelliten für astro nomische Beobachtungen projektie ren zu lassen und später zu bauen. Es handelte sich um die erste Welt raumstation des Vereinigten Kö nigreichs Großbritannien und Nordirland. Grain war es nach schwierigen Verhandlungen gelun gen, alle für derartige Bauten in Frage kommenden Firmen zu einer Gesellschaft zusammenzuschließen, die sich British Society of Rocket nannte und die er als General direktor leitete. Mitten in die Vor bereitungen zu diesem großen Ge schäft war die Nachricht geplatzt, daß von den sowjetischen Inge nieuren und Technikern, die in den letzten Jahren mehrfach den Mond angeflogen hatten, ein Mondobser vatorium gebaut worden war. Von dieser automatisch arbeitenden Station aus konnten nunmehr un ter nahezu idealen Verhältnissen alle erforderlichen Himmelsbeob achtungen durchgeführt werden. Diese Tatsache hatte zu einem vor läufigen Stopp des englischen Sa tellitenprojekts geführt. Kurze Zeit später war es dem Leiter des Astrophysikalischen Instituts der Sternwarte von Manchester, Pro
fessor Robert Sternes, gelungen, mit den sowjetischen Wissenschaft lern ein Abkommen zu schließen, alle Forschungen und Forschungs ergebnisse auszutauschen. Ja, man war in Moskau bereit, mit dem vollautomatisch arbeitenden Mond observatorium von Fall zu Fall auch Forschungen für die Englän der durchzuführen. Die englische Regierung hatte diese Gelegenheit benutzt, den Auftrag für das wis senschaftlichen Zwecken dienende Millionenprojekt zurückzuziehen. Grain hatte dagegen protestiert und alle seine Beziehungen und Verbindungen spielen lassen. Es war zu erregten Auseinanderset zungen in der Presse gekommen und sogar zu einer Parlaments debatte. Doch selbst der mehrfach wiederholte Hinweis auf den alten Ruhm Englands, der auf dem Spiele stehe, hatte nicht geholfen; der Satellitenbau war nicht zu ret ten. Grain mußte die ersten Arbei ter entlassen. Das war die Situation, die Ester field bedachte. Er nickte vor sich hin. Es war anzunehmen, daß Grain, der seine Fabrik in die So ciety eingebracht hatte, nach jedem Strohhalm greifen würde, um aus seinen finanziellen Schwierigkei ten herauszukommen und das Pro jekt doch noch durchzusetzen. Mehrmals hatte Esterfield schon bestimmte Dinge für Grain geregelt, mit denen der Industrielle sich nicht selbst befassen konnte und wollte. Es waren Geschäfte auf Gegenseitigkeit gewesen. Esterfield hatte auch diesmal einen Plan. Eine Stunde später ließ er sich bei Charles Grain melden. Grain, ein mittelgroßer, breit schultriger Mann mit dichtem braunem Haar und dicken Brauen über den grauen Augen, die ihn als einen kalten Rechner erken nen ließen, empfing seinen Be sucher in der Bibliothek. Er deu
tete auf einen der altväterlichen hochlehnigen Stühle und nahm die Whiskyflasche aus dem Schrank. Esterfield wehrte ab. „Man soll seine Sorgen nicht in Alkohol kon servieren, Mr. Grain." Es klanj gemacht salbungsvoll. ,.Wie Sie wollen." Grain goß sein Glas dreiviertelvoll und spritzt, etwas Sodawasser hinzu. „Wenr Sie meine Sorgen hätten, verging: Ihnen das Predigen, Esterfield." Esterfield bedauerte. „Sie geber den Kampf also auf." Er staunte „Charles Grain hat früher nie a b gegeben." Grain schaute ihn überlegend und zweifelnd an. „Ich muß zu geben. Sie haben gelegentlich ganz gute Gedanken gehabt, Esterfield. aber in dieser Situation . . ." Seine Stimme klang hoffn tgslos. .Dies mal schaffen selbst Sie es nicht', schien es zu heißen. Esterfield schloß die Augen zu einem kleinen Spalt und sagte nur: „Robert Sternes." Der Name ge nügte, um Grain in Erregung zu bringen. „Was soll das? Ich kann den Namen nicht hören. Von Ster nes stammt doch diese blödsinnige Vereinbarung mit den Russen, die mir das Geschäft verdorben hat. Das Geschäft meines Lebens." Gelassen sagte der Astrolog: „Die Vereinbarung muß rückgän gig gemacht werden." Über Grains Stirn zog sich eine Falte. „Ihn am Geschäft beteili gen?" Esterfield lachte auf. „Sternes be teiligen! Schenken Sie ihm einen Fixstern, dann vielleicht. Wenn Sie schon jemand beteiligen wollen, Mr. Grain, wäre es sinnvoller, mich zu nehmen. Vielleicht steige ich ein — es kommt darauf an, was Sie bieten." Er schob ihm sein Glas hin. „Bieten? Wofür? Für ein Horo skop?" Grain füllte beide Gläser. „Soda?" Esterfield schüttelte den Kopf 5
und fragte noch einmal: „Was bie dessen Augen ließ ihn erkennen, ten Sie?" Er griff schnell nach dem daß es nicht gut sein würde, die Glas, um seine Spannung zu ver sen Mann zum Feind zu haben. Er konnte einem gefährlich werden. bergen. „Was kostet ein Horoskop? Ein „Gut", sagte er rasch, „das ist mir Pfund, zwei Pfund?" Die grauen die Sache wert." Augen blickten ironisch auf Ester Sie wird dir noch mehr wert field, der sein Glas langsam hob sein, dachte Esterfield und streckte und fast heiser sagte: „Das Horo Grain die Hand hin. skop über den Kommunisten Ster nes kostet tausend Pfund." Grain Hai Burham, der Assistent von hatte zuerst nur einen Gedanken: Professor Robert Sternes, ein som Esterfield ist verrückt! Dann über mersprossiger, rothaariger, noch legte er: Ein Horoskop über den etwas schlaksiger junger Mann Kommunisten Sternes? mit pfiffigem Gesicht, reckte sich Esterfield spielte den Gelassenen auf die Fußspitzen und blickte und trank sein Glas leer. Seine durch das Sichtfen.s.ter der schall schwarzen Blicke gingen an Grain dämpfenden Trennwand zum Lei auf und nieder. Er sagte: „Das ter des Astrophysikalischen Insti Horoskop muß in der Öffentlich tuts hinüber. keit eine Stimmung erzeugen, die Sternes saß vor dem Steuerpult Sternes unmöglich macht; er muß des riesigen Radioteleskops und re sein Amt verlassen, die maßgeben gulierte die Empfangsfrequenzen. den Leute müssen ihn abberufen. Er vernahm bald ein dünnes, kaum Man kann keinen Kommunisten noch hörbares Zirpen, dann wieder auf einem solchen Posten dulden, einen anschwellenden, langgezoge man kann nicht die Abmachungen, nen Ton, einen nie gehörten Klang, die dieser Mensch getroffen hat, der selbst nach dem Umschalten anerkennen und sich gewisserma auf eine andere Frequenz noch ßen hinter ihn stellen. Wenn Ster sekundenlang im Raum zu stehen nes fällt, fällt die Vereinbarung schien. Ebenso veränderte sich das mit Moskau, ein anderer wird es Bild auf dem schwach erhellten nicht wagen, sie aufrechtzuerhal Milchglas, das bald eine volle, je ten. Die Weltraumstation der Bri doch winzig kleine hellstrahlende tish Society of Rocket muß dann Scheibe» zeigte, bald einen leuch doch gebaut werden." tenden Ring, der auseinanderzu Grain wandte sich dem Fenster fließen schien, bald wiederum nur zu, um seinem Besucher nicht zu einen kleinen Lichtklecks. Sternes zeigen, wie sehr ihn dieser Ge verglich dabei Filme, auf denen danke beeindruckte. An die Mög helle Streifen rhythmisch wechsel lichkeit, Sternes persönlich zu ver ten, mit Tabellen und Kurven. Zu leumden, hatte er nicht gedacht. weilen schüttelte er wie ungläubig Das Horoskop war ein Ausweg. den Kopf. „Fünfhundert Pfund — als Buße Da stieß Hai geräuschvoll die Tür für mich, daß ich nicht selbst dar auf. „Kann ich Ihnen behilflich auf gekommen bin." sein, Professor Sternes?" rief er Esterfield schob sich langsam schnell. Er war auf einen Anranzer hoch. „Und fünfhundert bei Bau gefaßt, doch nichts dergleichen ge beginn." schah, Sternes zog ihn vertraulich Grain verspürte wieder das Zö am Ärmel heran. gern in sich, das immer aufkam, „Da, schauen Sie sich das an, Hai, wenn er mit Esterfield verhan hören Sie! Das ist Musik vom delte. Das fanatische Funkeln in Stern 364 209, im Sternbild des
Kepheus, der vor einer Woche noch gewissermaßen stumm war. Heute sendet er Zentimeter-, Dezimeter-, Meterwellen aus!" Sie standen beide vor der Empfangsanlage des Radioteleskops. Hai verbarg seine Überraschung und setzte sein dümmstes Gesicht auf. Er deutete mit dem Zeigefinger nach oben. „Die Bewohner jenes Himmelskör pers haben wahrscheinlich stär kere Radiosender in Betrieb ge nommen." Sternes sah den' Rotkopf erst verdutzt an, dann brach er in La chen aus. „Ihre Phantasie wird Ihnen noch einmal zu einer gut bezahlten Dauerstellung im Zirkus Brothers and Brothers verhelfen, Hai, mit Anspruch auf Pension, versteht sich." Sternes wies auf die Mattscheibe. „Die Strahlung kommt nicht von einem Planeten, auf dem unter bestimmten Umständen men schenähnliche Wesen leben kön
nen. Nein, das ist der Stern selbst; er hat einige tausend Grad Hitze im Leib. -Ein Fixstern vom Typ der Weißen Zwerge, und was sich da ankündigt, Hai, ist ein in unserem Milchstraßensystem höchst seltenes Ereignis: Es ist eine in der Ent wicklung begriffene Sternexplo sion, eine Supernova." Robert Sternes und Hai Burham analysierten die bisherigen Ergebe nisse sorgfältig. Sternes glaubte, mit den Ergebnissen seiner Be obachtungen zufrieden sein und den nächsten Schritt tun zu kön nen. Er begab sich mit dem Mate rial zu Professor Raiting, dem Direktor der Sternwarte von Man chester, der an der Forschung seines Schülers und wahrscheinlichen Nachfolgers sehr interessiert war. Sternes sagte nach der ersten Un terhaltung: „Ich komme jetzt nicht weiter, Professor. Die Möglichkei ten, die wir in Manchester haben,
sind wahrhaftig nicht klein, doch sie reichen in diesem Falle nicht aus." Raiting, ein sehr lebendiger, weißhaariger kleiner Herr, sah aus dem mächtigen Sessel zu Sternes hoch. „Moskau?" Er sagte es nicht sehr laut. Mit der flachen Hand zu Sternes deutend, meinte er: „Sie haben die Verbindungen ange bahnt, mein lieber Sternes, warum wollen Sie sie nicht ausnützen?" „Herr Professor, ich bin der Mei nung, wenn ich schon gewisse freundschaftliche Beziehungen nach Moskau benutzen konnte, diese Abmachungen zu schaffen, so ist das jetzt aber doch wohl Sache der Sternwarte, ich meine, nicht mehr meine persönliche Angelegenheit." Raiting überlegte. „Stimmt. Ich habe mir die Sache nochmals über legt — wäre es nicht richtiger, wenn Sie selbst zum Mond fliegen würden und die Beobachtung Ihrer Supernova an Ort und Stelle vor nähmen?" Sternes schaute seinen Direktor überrascht an. Das automatisch arbeitende Mondobservatorium ge hörte schließlich der Sowjetunion. Es war schon viel, daß dort manche Beobachtungen für die Engländer durchgeführt wurden, aber nun gar hinauffliegen? Würden nicht vorerst die Ergebnisse der automatischen Beobachtungen genügen, die nach seinen Unterlagen vorgenommen werden konnten? Sie würden viel leicht noch nicht bis ins letzte aus reichen, um den außerordentlichen Wert einer Supernova für die weitere Erforschung des Weltalls und vor allem für die Forschungs arbeiten der Atomphysiker zu be stätigen, doch man mußte sich eben begnügen. Auf jeden Fall konnte man der Sowjetunion nicht zu muten, daß sie ihn, den Wissen schaftler eines kapitalistischen Lan des, auf ihr Mondobservatorium ließ. Direktor Raiting seinerseits über 8
legte laut: „Man müßte bei unseren Regierungsstellen durchsetzen, daß Sie ein entsprechendes Visum er halten. Die Raketen starten ja wohl von Kenia aus. Auf dem Mond haben Sie doch außerordentlich vielseitigere Möglichkeiten, Sternes. Wenn wir jetzt mit Moskau Be obachtungen austauschen können, müssen wir Ihnen dafür dankbar sein, das haben Sie erreicht, und die Regierung sollte Ihnen einen Orden geben. Sie war doch froh, einen Grund zu haben, das Millionen projekt des Satellitenbaus aus dem Budget streichen zu können. Ein Visum wäre der geringste Dank da für." „Nun, Professor Raiting, ich denke, die Regierung würde schon zu stimmen, aber erst müßte man wohl in der Sowjetunion anfragen ..." Er brach ab. In den kleinen Augen des alten Herrn entdeckte er ein Fun keln, und dessen Zunge glitt schnell zwischen den dünnen Lippen hin und her, es machte den Ein druck, als könne er etwas Geheimes und sehr Schönes nun nicht mehr lange verbergen. Sternes fragte zweifelnd: „Oder soll ich Ihre An deutungen dahin verstehen, daß ..." Raiting nickte. Seine schmalen, dickadrigen Hände suchten mit einem Male ganz eifrig auf dem Schreibtisch, oder er tat wenigstens so, denn schließlich nahm er ein obenauf liegendes Schreiben, drehte es herum und reichte den Brief Sternes. „Rat für Astrofragen", las Sternes halblaut und fragte Raiting er staunt: „Sie haben nach Moskau geschrieben?" „Das bin ich ja wohl der Wissen schaft schuldig, Sternes — aber nun lesen Sie doch", drängte er un geduldig. Sternes' Finger zitterten, als er las: „Wir stellen Ihnen für dies bedeu tende Beobachtungsobjekt selbst verständlich die Instrumente des Mondobservatoriums zur Verfü
.»
gung. Der -Empfang der Meßergeb nisse ist leider auf dem englischen Territorium nicht möglich. Da die Steuerung der Automaten über die Vermittlungszentrale eines sozia listischen Landes gehen müßte, würde die wissenschaftliche Aus wertung sehr erschwert werden. Dazu kommen noch die Schwierig keiten bei der Funkübertragung spektrographischer Messungen. — Um einwandfreie Forschungsergeb nisse zu sichern, schlagen wir vor, daß Professor Sternes persönlich auf dem Mondobservatorium arbei tet. Wir haben gestern auf der Sit zung des Rates für Astrofragen dies Unternehmen eingehend besprochen und laden in seinem Auftrag heute Prof. Robert Sternes ein, seine vor allem für die Erforschung der Kern reaktionen auf den Himmelskörpern wichtigen Nova-Beobachtungen in dem Mondobservatorium fortzuset zen und zu beenden. — Die weite ren Einzelheiten wollen Sie bitte mit dem Astrophysiker Pjotr Jefi mowitsch Kruglow, Moskau, Zen tralinstitut für Astronautik, klären, der an einer Mitarbeit sehr inter essiert ist. Kruglow war am Auf bau des Mondobservatoriums direkt beteiligt, kennt die Einrichtung dort und die Arbeitsweise der Instru mente auf das genaueste." Robert Sternes ließ die Hand mit dem Brief sinken. Die Augen Rai tings glitzerten. „Die Überraschung ist Ihnen gelungen, Professor. Ich fahre, fliege — fliege mit einer Ra kete zum Mond." Und nun erst schien sich der sonst so ernste Ster nes bewußt zu werden, was ge schehen war. Er sprang auf, den Brief wie eine Fahne schwenkend, lief bis an den Schreibtisch Rai tings, der sich vor dem plötzlichen Überfall in den mächtigen Sessel zurücklehnte. Sternes streckte die Hände über den Tisch. „Verehrter — lieber Professor! Sie sind der beste Mensch, den ich kenne." Er machte Anstalten, um den Tisch
herumzulaufen und Raiting um de i Hals zu fallen-. Der wehrte ab. „Etwas Besonderes möchte ich schon noch getan haben, ehe ich in Pension gehe und Ihnen die Nach folge übergebe, Sternes. Setzen Sie sich doch wieder." Er nickte einige Male vor sich hin, überlegend, wie alte Menschen gern tun. „Als ich in Ihren Jahren war, Sternes, da gab es das noch nicht. Lassen Sie mich nachrechnen — tja, da brauchte ich noch fünfzehn Jahre, um den ersten Satelliten kreisen zu sehen, dann kam der sowjetische Sonnen planet. Es war vorauszusehen, wo hin die Entwicklung gehen würde." Robert Sternes beobachtete sei nen alten Lehrer, dessen Geist so lebendig geblieben war. Immer wieder bewunderte er Raitings un geheure Energie, stundenlang am Refraktor zu sitzen und innerhalb weniger Sekunden von einem Pro blem auf das andere umzuschalten. Schließlich war er über die Achtzig hinaus. „Man wird alt, lieber Sternes, die Vergangenheit lastet auf einem. Sie fliegen nun zum Mond. Sie möch ten fliegen, Sie könnten fliegen —", er wies auf den Brief aus Moskau, „es fragt sich nur, ob Sie fliegen dürfen." „In Anbetracht der Wichtigkeit..." Raiting unterbrach ihn mit leicht erhobener Hand. „In Anbetracht der lediglich wissenschaftlichen Wichtigkeit der Reise zum Mond wird man Schwierigkeiten machen. Ich kenne unsere Herren Beamten. Wo wollen Sie denn hin, Sternes? Nach Kenia? Kenia hat sich seit Beginn seiner Selbständigkeit zum Sozialismus bekannt, so daß jeder Engländer, der nach Kenia reisen will, verdächtig ist. Und ich glaube, die Regierung dort sieht auch Leute von den britischen Inseln nicht gern. Man geht sich gern aus dem Wege. Aber Sie wollen ja gar nicht nach Kenia, da brauchen Sie nur das Durchreise-Visum, Sie wol 3
«
Sternes nickte. „Sehen. Leider !cn ja auf den Mond. Sie wollen Ihre Vereinbarungen mit Moskau aber werden die spektrographi bestätigen, Sternes, genau die Ver schen Untersuchungen noch sehr einbarungen, die der Regierung durch die Erdatmosphäre und das ungenügende Auf willkommener Anlaß waren, das durch Projekt einer Weltraumstation auf lösungsvermögen stark behindert. Ich nehme an, daß sich der Stern zugeben." . Man hat meinen Namen mehr augenblicklich weiter zusammen mals in diesen Diskussionen ge zieht, seine Oberfläche also erneut nannt, ich weiß — wenn Sie dar verkleinert. Die Lithiumkerne ver auf anspielen, Professor Raiting?'' dichten sich im Zentrum zusam Sternes hob die Schultern. „Es men mit hocherhitzten Wasser stoff- und Heliumkernen so weit, geht doch um die Wissenschaft." „Ich weiß, Sternes. Aber die Wis daß schließlich die Atomkerne des senschaft ist kein Ding an sich; es einen Elements in das andere drin gibt auch andere Überlegungen." gen. Diese Synthesereaktion, bei Raiting erhob sich. „Nun schön. der sich hauptsächlich Lithium mit sieben und Ich werde morgen nach London dem Atomgewicht reisen und persönlich Ihre Reise Wasserstoff zu zwei Kernen He erlaubnis durchsetzen." Über sein lium vereinen, setzt unvorstellbar kleines Gesicht glitt ein frohes große Energiemengen frei. Diese Lächeln. Sonst platzt Ihre Nova, werden den Stern von innen her explodieren lassen. Seine Helligkeit ehe Sie den Mond erreichen." ..Sie ist ja längst geplatzt", sagte steigt dabei um das Millionen Sternes lächelnd. „Vor 243 Jahren." fache. Sobald die weißglühenden Er blätterte in seinem Notizbuch Heliumgase ausgestoßen sind, wo und schlug eine eng mit Formeln bei gewaltige Energiemengen ab beschriebene Seite auf. „Die Inten gestrahlt werden, kehrt er in ität der Zentimeterwellenstrah einem gewissen Zyklus in seinen ung hat sich in den letzten Ursprungszustand zurück. Der ge 2 Stunden nahezu verdoppelt. Die samte Vorgang wird sich in eini lessungen ergaben eine leicht pro gen tausend Jahren, vielleicht auch .ressive Kurve; eine entsprechende erst nach Jahrmillionen wieder Fortsetzung läßt darauf schließen, holen." daß nach etwa 360 Stunden das Raiting hörte aufmerksam zu. zweite, aktive Stadium beginnen Seine Augen leuchteten jugendlich wird. Bis jetzt sind es Erscheinun begeistert. „Hoffen wir, daß es gen, die früher mit weniger emp Ihnen mit Hilfe der Instrumente ' indlichen Instrumenten überhaupt des Mondobservatoriums gelingt, nicht registriert werden konnten." exakte Schlüsse zu ziehen, lieber Raiting fragte nach den spektral Sternes. — Aber eine andere Frage: analytischen Messungen. Sie benötigen einen oder zwei Hel Sternes erläuterte: „Am auffal fer, allein können Sie die Beobach lendsten dringen die Wasserstoff- tungen kaum durchführen." und Heliumlinien durch, während Sternes überlegte. . „Ich würde die charakteristische rote Linie, meinen Assistenten Hai Burham Wellenlänge 6703, und die orange mitnehmen. Da der sowjetische larbene Linie des Lithiums, Wel Astrophysiker Kruglow mitfliegt, lenlänge 6108, weiter im Rück genügt das." gehen begriffen sind." Raiting nickte. „So habe ich auch „Daraus lassen sich sehr günstige gedacht. — Ich werde also morgen Schlußfolgerungen über die Kern früh nach London fahren und für umwandlungsprozesse ziehen." Sie und Burham das Ausreise
visum nach dem Mond beantra gen." Er lachte auf. „Das schönste Erlebnis dieser Londonreise werden die Gesichter der Beamten sein. Ein Visum nach dem Mond!'' Charles Grain wartete auf Ester field, den er zu sich gebeten hatte. Unruhig ging er in seinem Arbeits zimmer hin und her. Der Schlag mit dem Horoskop war fehlgegan gen; wie er vor einer Stunde er fahren hatte, war diesem Sternes das Ausreisevisum nach Kenia und damit die Erlaubnis, zum Mond zu fliegen, gegeben worden. Die So wjets gestatteten ihm, seine Be obachtungen auf dem Mond durch zuführen. Diese Tatsache, sobald sie öffentlich bekannt wurde, brachte ihn, Grain, an den Rand des Konkurses. Die British Society of Rocket, in die er Monate und Jahre und viel Geld investiert hatte, konnte sich auflösen. Der Beweis, daß eine englische Welt raumstation überflüssig war, wurde erbracht. Und was wollte er von Esterfield? Sollte der ihm einen Weg zeigen? Nicht einmal das Ho roskop über den Kommunisten Sternes war bis jetzt erschienen. Die andere Seite war schneller, und seine Verbindungen hatten nur dazu gereicht, diese Nachricht zu erhalten. Als Esterfield den Raum betrat, hielt er die neueste Ausgabe seiner Zeitschrift „Astrologisches Wochen blatt" in der Hand und legte sie Grain auf den Tisch; sie enthielt das Horoskop. Doch der von ihm erwartete Effekt blieb aus. Grain schob das Blatt unwirsch zur Seite. „Sternes fliegt zum Mond!" „Das Horoskop —", begann Ester field, um seine plötzliche Ratlosig keit zu überdecken, doch Grain lachte nur auf. „Das können Sie Sternes zum Mond nachschicken!" In Esterfields Gesicht zuckte es: Das waren wieder jene teuflichen
Züge, ganz kurz über die knochi gen Wangen huschend, die selbst einen Mann wie Grain unange nehm berührten, und er kannte gewiß wenig Skrupel. „Das Horo skop nicht gerade, Mr. Grain", quetschte Esterfield zwischen den Zähnen hervor. „Sondern?" „Man muß überlegen. Das Visum ist noch nicht die Fahrt zum Mond. Und wer auf dem Mond ist, muß mit vielerlei Möglichkeiten rech nen, die ihn an der Rückkehr hin dern: Meteoriten, Strahlungen — was weiß ich." „Unsinn. Bis jetzt ist jede Rakete und jeder Mensch zurückgekom men. Wollen Sie auf einen Zufall hoffen?" „Ich warte nie auf einen Zufall, Mr. Grain. Das Geschick der Men schen ist vorausbestimmt." „Blödsinn", knurrt Grain und sprang unwillig auf. „Solche Am menmärchen können Sie Ihren ,Gläubigen' erzählen." „Man kann es vorausbestimmen", betonte der Astrologe beharrlich. Grain horchte auf. „Man kann?" „Man wird! Sternes fährt in den Tod, wenn er England verläßt." „Reden Sie vernünftig, Esterfield." „Vernünftig reden ist teuer, Mr. Grain." „Ich kaufe keine Katze im Sack." Esterfield drehte sich wieder um und deutete auf den anderen Ses sel, als sei er der Hausherr. Wider willig folgte Grain dieser Auffor derung. Esterfield beugte sich über den Tisch und sprach leise, doch mit je nem beschwörenden Ton und je nem Funkeln in den schwarzen Augen, das seine Sektenanhänger zum Niederknien und Beten zwang. Als er geendet hatte, drehte Grain überlegend an seinem Diamant ring an der linken Hand. „Hm. Sie halten den Mann für absolut sicher? Ein solcher — hm — Unfall wird Aufsehen erregen. Die Sache 11
kann viel Staub aufwirbeln, Esteri'icld." Die leingliedri»,e Hand des Pro pheten hob sich beruhigend. „Wenn er sich gelegt hat, wird man die
englische Weltraumstation bauen müssen, Mr. Grain — müssen!" Nach einer Pause fuhr er fort: „Der Mann gehörte zu den Anhängern eines astrologischen Klubs in un serer ehemaligen Kolonie Kenia. Der Klub selbst wurde zwar da mals aufgelöst, aber meine Verbin dung ist trotzdem nicht abgebro chen. Allerdings — das kostet Geld." Er sah, wie Grain die Stirn krauste, und er lächelte, seiner Sache schon gewiß. „Der Mann, an den ich denke, ist auf dem Rake tenstartplatz bei Borati beschäf tigt." Grain konnte damit noch nicht viel beginnen. „Und wie bekommt er Ihren - Auftrag?" „Ein seit Jahren erprobter Weg. Wir haben doch unsere Fernseh sendungen. Die drei als Relaissta tionen arbeitenden Erdtrabanten der britisch-amerikanischen Fern sehgesellschaften werfen die Wel len an jeden beliebigen Punkt der Erde." „Hm — erklärlich. Aber wie kom men Sie in den Besitz der Nach richten?" „Das geschieht ebenfalls über die Erdtrabanten, genauer über deren
Speicherwerke. Mein Vertrauens mann hat einen kleinen UKW-Sen der. Auf ein Zeichen aus Manche ster strahlt der Trabant über Eng land dann das aus, was jener ihm in Kenia zugefunkt hat." Grain schien zufrieden. Er ließ sich in einen Sessel fallen. „Nun schön — wenn Sie die Sache für sicher halten, Esterfield . . ." „Ich denke, wir sollten erst über die Finanzierung des Projektes sprechen, Mr. Grain." Als handele es sich um eine ne r bensächliche Angelegenheit, hob Grain beinahe gelangweilt die Hand. „Bitte. Nennen Sie die Ko sten." „Sie sind nicht so hoch wie der Bau eines neuen Mondobservato riums. Aber bleiben wir beim Mond. Er ist rund 380 000 Kilome ter entfernt." „Na und?" Grain drehte das Ge sicht langsam Esterfield zu, in Geldfragen pflegte er sehr vorsich tig zu sein. „Pro Kilometer ein Pfund. Das gibt eine gute Gewiehtsverteilung." Grain konnte nicht verhindern, daß er aufschreckte. Esterfield sagte gelassen: ..In zehn Jahresraten, Mr. Grain. Ich habe nicht die Absicht, Sie zu rui nieren. Die erste Rate wird mit Eintritt des Ereignisses fällig." Grain hatte blitzschnell über legt. Er ging kein Risiko ein. Die erste Rate konnte er tragen, die nächsten kürzten die Gewinne der British Society of Rocket um mini male Beträge; das ließ sich ver antworten. ,',Es darf nicht der ge ringste Verdacht gegen — gegen irgend jemand auftauchen, wenn die Sache schiefgehen sollte." „Es kann nichts schiefgehen, Mr. Grain", betonte Esterfield, und, seiner Stimme wieder den be schwörenden Klang des Propheten gebend, fügte er hinzu: „Das Schicksal der Menschen ist voraus bestimmt."
Tschirenko, der Direktor des Ra ketentlugplatzes, wollte eben den Lagerraum betreten, als er in der wenig erleuchteten hinteren Ecke der Halle einen Mann knien sah, der sein Gesicht und die Hand flächen gegen die Decke erhoben hatte. Unbeweglich verharrte er so. Tschirenko überkam ein Lachen, das seinen mächtigen Leib erschütterte. Er hatte auf dem Raketenstart platz hier in Kenia schon manches erlebt, was es in Kiew, seiner Ge burtsstadt, nicht gab. Was sollte das nun wieder heißen? Das war doch Martyr, der Lagervormann. Er schlug die Tür hinter sich zu; der Knall ließ den Mann zusam menschrecken, seine Arme fielen schlaff herab, er drehte sich um und sah den Eintretenden an. Tschirenko hatte das Gefühl, Mar tyr blicke durch ihn hindurch. Dann sprang der Vormann auf, ein harmloses Lächeln im Gesicht. „Na, Martyr, Sie sind wohl dem Sportverein beigetreten?" Der Vormann, etwa vierzig Jahre alt, schüttelte den Kopf. „Das nicht, Mr. Tschirenko, doch ich nehme an dem Fernseh-Morgen sport teil. Die letzten Übungen hatten es in sich." Er betrachtete die außergewöhnliche Rundung Tschirenkos, der trotz Obst- und Gemüsekuren und Sauerfruchtdiät nicht unter zweihundert Pfund kam. „Das wäre wichtig für Sie, Mr. Tschirenko, sollten Sie auch mal machen." Martyr sackte ein paar mal in die Kniebeuge, lachte. „Wie wär's?" Wortlos, nur mit einem nicht eben freundlichen Blick ging Tschi renko an Martyr vorbei. Soweit kam es noch, daß er sich wegen seiner Figur auslachen ließ. Wenn er einige Stunden später das kleine Haus Martyrs betreten hätte, würde der Direktor eine noch interessantere Entdeckung gemacht haben. In dem fast dunk len Raum hockte Martyr vor einem 13
Fernsehapparat und begleitete die vorbeihuschenden Gestalten und Bilder mit einem undeutlichen, monotonen Gesang. Plötzlich er schien auf der Mattscheibe ein bizarres, aus winzigen Kugeln zu sammengesetztes Muster, das, wie ein Sprecher erklärte, zur Ver suchssendung eines britischen Sen ders gehörte. Hastig griff Martyr nach einer Schablone, die er schnell in winzige Halterungen vor das Bild schob. Dann beobachtete er genau und aufmerksam den Lichtwechsel, der sich ihm in einem Ausschnitt an der linken unteren Seite zeigte. Eifrig setzte er diese schnell wechselnden Lichtzeichen in Punkte und Striche um. Nach einer kurzen Pause wur den die Zeichen wiederholt. Martyr verglich sie und nickte befriedigt. Er nahm die Schablone vom Bild schirm und schrieb bei dessen kargem Licht Buchstaben unter die Morsezeichen. Sekundenlang blickte er starr auf die Sätze, zog über legend die Lippe zwischen die Zähne. Dann preßte er die Lider über die Augen und nickte mehr mals, bis sein Kinn in einer ergebe nen Gebärde auf der Brust ruhen blieb. So verharrte er eine Weile. Dann sprang er auf, fingerte sein Feuerzeug hervor, und während er angestrengt nach Geräuschen außer halb des Raumes horchte, ließ er das Papier mit den Zeichen und Buchstaben zu Asche verbrennen. Seine Augen blitzten dabei trium phierend auf, seine Zähne leuchte ten im Schein der kleinen Flamme. „Die günstigen Stellungen von Mond und Sonne schwinden schon in wenigen Tagen. Der Aszendent ist geschwächt durch Mars und Saturn. Das achte Haus, das Todes haus, ist einer abwegigen Stellung des Jupiter ausgesetzt. Die Gesamt zahl der Aspekte, gedeutet über die Bestrahlung der Hausspitze und der Stellung des Herrn des Hauses, 14
lassen diesen Mann als eine Gefahr für unsere Ordnung erkennen. Der Glockenschlag der astronomischen Uhr..." Eine Tür schlug zu. Und zugleich grollte Sternes' Stimme: „Sind Sie des Teufels, Hai! Was beten Sie denn da?" Hai Burham schrak hoch und nahm eilig die Hände herab. Sternes trat an den Tisch und drehte die Zeitschrift, in der Hai gelesen hatte, herum. „, Astro logisches Wochenblatt, Heraus geber Edward Esterfield' — was soll das heißen, Hai?" Der lachte verlegen. „Ach — ich dachte, man könnte sich hier über den stärkeren Radiosender des Weißen Zwergs Auskünfte ein holen. Aber bis jetzt habe ich nichts gefunden." Es klang ziem lich ernsthaft. Sternes sah seinen Assistenten zweifelnd an. Er hatte diesen jungen Menschen gewisser maßen aufgezogen, hatte ihn, der einmal ein junger talentierter und wißbegieriger Transportarbei ter war, studieren lassen. Hai hatte seine Examina mit Auszeichnung bestanden und zeigte sich bisher als ein sehr tüchtiger Assistent. Nur manchmal schien er die Wissen schaft nicht ganz ernst nehmen zu wollen. „Suchen Sie nur weiter." Sternes wandte sich um und wollte gehen. Hai war mit zwei langen Schrit ten bei ihm. „Sie verstehen doch sonst einen Scherz, Professor Ster nes. Und wo es hier um Sie selbst geht," „Wieso?" fragte Sternes verständ nislos. „Hier!" Hai las die Überschriften mit der Stimme eines Zeitungs verkäufers: ,„Das ewige Geheimnis der Sternenallmacht läßt sich nicht von Menschenhand enträtseln', — ,Wer die Hände danach ausstreckt. wird an der Wahrheit sterben', — ,Horoskop eines Astrophysikers, der die reinen Wissenschaften in den
roten Fluten falscher Sterne er tranken will'." Mit einer groß artigen Gebärde deutete Hai über die Schlagzeilen hin. „Damit sind Sie gemeint, Professor." Robert Sternes las flüchtig dar über hin. „Das ist doch blühender Unsinn. Nein, das ist widerlich. Glauben Sie, daß es Menschen geben kann, die das ernst nehmen?" Mit einer unwilligen Gebärde wischte er die Zeitschrift zur Seite. Hai sagte betont langsam: „Ernst nehmen oder nicht — auf jeden Fall kann solch ein Artikel Aufsehen erregen.'1 Sternes überlegte. .„Wir werden diesen — wie heißt er —", er sah nach der Zeitschrift, „Esterfield — wir werden ihn nächstes Jahr an seinen astrologischen Glocken sehlag erinnern." Er tat, als wenn er elwas bedenke. „Übrigens, Hai, Sie müssen noch einen kurzen Ar tikel über die Geschichte der NovaSterne schreiben." ..Aber gern, Professor Sternes." Hai Burham stand auf, griff vor sich in die Luft, zwirbelte einen nicht vorhandenen Schnurrbart, legte dann die Hände auf den Rük ken und stelzte vor Sternes auf und ab. „Beschränken wir' uns auf die wichtigsten Fakten", näselte er dabei. „Die Astronomie ist eine umfangreiche Wissenschaft." „Wer ist denn das?" erkundigte sich Sternes. „Richtig — das ist doch Professor Kennedy." „Stimmt." Hai lachte. „Ich habe bei ihm Geschichte der Astronomie gehört, und manchmal, wenn er nicht pünktlich war, gab ich für ihn Unterricht. Bis er mich einmal dabei erwischte." Er wurde sach lich und eifrig. „Der Artikel kann sehr einfach sein, Professor Ster nes. Das gelegentlich beobachtete plötzliche Auftauchen eines relativ hellen Sternes deutete man als einen schöpferischen Akt Gottes, der einen neuen Himmelskörper entstehen ließ; daraus ergab sich
die Bezeichnung Nova. Heute m, sen wir, daß diese Sterne imm; vorhanden waren, allerdings so lichtschwach, daß sie mit den da maligen Fernrohren nicht gesehen werden konnten. Erst die Him melsfotografie bewies ihr Vorhan densein, man zählte sie zu den ver änderlichen. Während sich ein so genannter veränderlicher Stern jedoch in bestimmten Grenzen sei ner Helligkeit bewegt, ist das bei einer Nova anders. Diese vergrö ßert ihren Umfang außerordentlich, allerdings in einem über Jahrtau sende oder Jahrmillionen gehenden Rhythmus. Die ersten Aufzeich nungen stammen aus dem chinesi schen Schrifttum, es handelte sich um die Nova Tauri, die 1054 die Helligkeit des Jupiter erreichte. 1572 wurde von dem dänischen Astronomen Tycho Brahe die Nova Cassiopeiae beobachtet, die sogar am Tage zu sehen war." Hai hob die Hand, ließ sie sinken, als sei das übrige nicht mehr wichtig. ..Kepler beobachtete 1604 die Nova Ophiuchi, später gab es die Nova Persei, die Nova Aquiliae. die Nova Herculis, die Nova .. ." „Und in wenigen Wochen gibt es die Nova Kepheus, beobachtet von Robert Sternes und Hai Burham", unterbrach Sternes seinen Assisten ten und fügte langsam hinzu: „Beobachtet im Mondobservato rium." Hai begriff nicht gleich. „Durch das automatische Mondobservato rium." „Nein. Auf dem Mond im Obser vatorium." „Eh — das hieße — das heißt. .." Jäh begriff Hai: „Wir fliegen zum Mond?" Er wollte Sternes um armen, wagte es aber doch nicht. Sein Blick fiel auf die astrologische Zeitschrift. „ ,Wer die Hände da nach ausstreckt...' Ja, wir strek ken die Hände danach aus! Wann fliegen wir, Professor Sternes?" Hais Augen leuchteten erregt.
/
Der Professor lächelte; die Über raschung war ihm geglückt. „In etwa acht bis zehn Tagen, Hai. Von Kenia aus. Professor Raiting hat heute früh die Papiere aus London mitgebracht." „Und wie lange bleiben wir oben? Solange wie möglich hoffentlich!" „Selbstverständlich, Hai. Aller dings werden wir uns nach unseren Moskauer Freunden richten müs sen. Schließlich ist es ihre Station. Die sowjetischen Wissenschaftler sind aber selbst sehr interessiert an dem Unternehmen. Den Vor gang und die Wirkung solcher Sternexplosionen zu enträtseln ist auch für ihre Forschungen äußerst wichtig. Das Weltall ist ein gigan tisches Laboratorium, in dem die Materie Temperaturen und Drük ken unterworfen ist, die wir vor läufig selbst mit riesigem Kosten aufwand nicht nachahmen können. Die vielen Probleme der Kern fusion werden wir — das hoffe ich sehr stark — durch unsere Beob achtungen der Nova wesentlich klären helfen können. Deshalb auch die direkte Beobachtung auf dem Mond. Das Observatorium liegt auf der der Erde abgewand ten Mondseite, in Polnähe. Die uns zur Verfügung stehenden vierzehn Tage Beobachtungszeit werden aus reichen. Innerhalb dieses Zeit raums dürfte die Nova das Höchst maß ihrer Helligkeit überschritten haben." In Hai Burhams Gesicht wechsel ten Freude und Glück. „Wir flie gen zum Mond", sagte er, und es klang immer noch beinahe un . gläubig. Die Raketenpilotin Galina Bel strojowa gehörte mit ihren acht undzwanzig Jahren zu den jüng sten Weltraumfliegern. Sie war vor wenigen Minuten, aus Moskau kommend, auf dem Flugplatz Bo rati gelandet und schritt jetzt dem Tunneleingang' zu, um mit der 16
Rolltreppe zu der unterirdischen Zentrale des Raketenstartplatzes zu gelangen. Ihre Bewegungen ver rieten Energie und Tatkraft. Mit einer kurzen Bewegung strich sie das schwarze lockige Haar zurück, ehe sie in den Raum des Raketen meisters Sergej Suskow trat. Suskow erhob sich, lachend, er freut. „Galinka! Gut, daß du da bist. Hast du Pjotr Jefimowitsch nicht mitgebracht — wo ist er?" „Pjotr hörte, daß Professor Ster nes schon hier ist, da wollte er ihn sofort begrüßen." „Und du kommst zuerst zu dei nem alten Sergej Suskow — das -ist fein, Mädchen. Komm, setz dich. Was macht Moskau?" Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, den auch die Klimaregelung des Zimmers nicht verhindern konnte. „Einmal wieder Winter haben und Schnee — so hoch!" Er deutete mit der Hand bis an seine Hüften. „Also du willst zum Mond fliegen, Galinka. Da wirst du mich ja bald einholen, ich bin dir nur mit vier Flügen noch voraus. Aber dem Pjotr fliegst du noch nicht weg, der hat elf, du hast zwölf." Galina Belstrojowa hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht. „Nun ja, er hat die Station auf dem Mond mit erbaut." „Wie war der Flug von Moskau?" Galina hob die Hände. „Die Fernsteuerung arbeitet so ausge zeichnet, daß man fast nicht mehr weiß, wann und wo man seine schwer erarbeiteten Kenntnisse anwenden soll." Suskow verzog den Mund. „Die Beobachtung der Instrumente ist auch bei Fernsteuerung eine reich lich anstrengende Angelegenheit. Und wenn der Flugkörper einmal den Leitstrahl verlieren sollte, wenn die empfindlichen Apparatu ren versagen, die die Steuerim pulse empfangen, wie bei meinem dritten Flug..." Suskow wollte sich eben wieder einmal in die ge
liebten Erinnerungen aus der Zeit der ersten Mondflüge vertiefen, als die Tür geöffnet wurde. Der schlanke, drahtige Pjotr Kruglow und Robert Sternes traten ein. Der blonde Pjotr ähnelte dem Englän der sehr, nur war er jünger. „Da haben wir ja die Reisegesell schaft beisammen", sagte Suskow und machte Galina mit Sternes be kannt. „Fehlt nur noch Ihr Assi stent, Professor Sternes." Sternes lachte. „Hai Burham stu diert den Raketenflugplatz. Ich habe ihn in Verdacht, er wird nach un serer Rückkehr auch in England einen bauen wollen." Sie besprachen nun die Einzel heiten des Fluges. Als Pjotr Krug low erklärte, daß er und Sternes auf dem Mond sofort mit den Be obachtungen beginnen würden, sagte Galina: „Dann übernehme ich natürlich die Steuerung, Pjotr, damit du ausgeruht bist." Suskow lächelte wieder. „Lang sam, Galinka, sagen wir für die zweite Hälfte des Fluges. Du möch test zu gern beweisen, daß du auch allein zum Mond fliegen kannst. Es gibt da glücklicherweise Vorschrif ten. Also — Pjotr die erste Hälfte, du die zweite Hälfte, vorher für alle die ärztliche Untersuchung. Die Unterweisung unserer englischen Freunde..." ,,... übernehme ich", sagte Krug low schnell. „Um die Rakete küm mert sich Galina, ja — dann wäre das auch hübsch geteilt."
Russe mit, dieser Kruglow, eben-, falls ein Astrophysiker, und dann natürlich ein Pilot." Grain schien nicht sehr zufrieden zu sein. „Hm", er zupfte sich an der Nase, „vier Personen ..." „Daß Sternes einige Begleiter bei seinem Flug in die Ewigkeit hat — das wird sich nicht vermeiden lassen." „Und — ich meine, wie wird es —• was geschieht?" Grain wollte nicht zugeben, daß ihm nicht ganz behag lich war. Esterfield erläuterte, als handele es sich um eine alltägliche Sache: „Natürlich kann man nicht mit
Charles Grain ließ Esterfield in die Bibliothek vorangehen. Noch die Hand an der Türklinke, sagte er: „Ich erfahre soeben, daß vier Personen zum Mond fliegen wer den, Esterfield." Der Astrolog wandte sich gelas sen um. „Na und? Schließlich kann Sternes die Beobachtungen nicht allein durchführen. Sein Assistent begleitet ihn, außerdem fliegt ein 17
Giftgas oder vergifteten Nahrungs mitteln arbeiten. Das wäre zu un sicher und gefährlich. Man wird die Räume dort oben gewissermaßen .entlüften'. Sie nehmen nur Sauer stoffbehälter mit hinauf; denn sie atmen reinen Sauerstoff. Die menschliche Lunge kann bei einem Druck von 360 mm durchaus reinen Sauerstoff verarbeiten." Esterfield hatte sich genau unterrichtet. „In einem solchen Behälter wird sich ein Brandsatz mit Zeitzünder be finden. In reinem Sauerstoff ent flammt Metall mit furchtbarer Glut. Die Wände des Mondobservatoriums werden schmelzen. Da die Leute ohne Raumanzüge arbeiten, ist die Folgerung höchst einfach: Sie wer den im luftleeren Raum zerrissen." „Vier Menschen ..." Esterfield sah Grain spöttisch an. „Humane Gefühle, Mr. Grain? Ich denke, daß Sie mit Humanitäts duselei bisher noch keine Geschäfte gemacht haben." Er zuckte die Schultern hoch. „Das Entscheidende dürfte die Tatsache sein, daß einer der bedeutendsten englischen Wis senschaftler ausgerechnet in — hm, in einer sozialistischen Weltraum station verunglückt. Man wird in London sehr ernsthaft überlegen müssen, ob es nicht richtiger ist, eine eigene Station zu bauen." Grain sah ihn an und nickte. „Sie haben recht, Esterfield. Man darf um der vaterländischen Sache willen nicht kleinlich sein." Aber man darf an einer solchen Ge schichte nicht beteiligt sein, setzte er in Gedanken hinzu. Der Direktor des Raketenflug platzes beobachtete die Arbeit bei den Vorbereitungen zum Start. Mit einem Auge schielte er zu den Elektrokränen hinüber, mit dem andern blickte er auf die große Elektrouhr. Jetzt durfte es. nicht mehr eine Minute Verzögerung ge ben, sonst hätte die Berechnung des Programms für den Steuerautoma
ten der Mondrakete neu durchge führt werden müssen. Nun wurde das. Wichtigste verladen: der Sauer stoff — diese mächtigen Kessel mit den eingebauten Kühlanlagen. Eine Tonne Sauerstoff in zwei Tonnen Stahl. Tschirenko mußte auflachen. Dieser Martyr schien sich ja bei seiner Fernseh-Morgengymnastik in Form gebracht zu haben; wie eine Gazelle sprang er um die Kessel. Und wie aufmerksam, jeden Kessel hatte er mit großen leuchtend wei ßen Nummern versehen — von eins bis acht. Eine Vorsichtsmaßnahme, hatte Martyr gemeint, gut gut, es war zwar auch ohne Numerierung noch kein leerer Kessel auf den Mond geflogen, aber immerhin .. . Tschirenko betrachtete die Rakete mit Wohlgefallen, vierzig Meter hoch, ein mächtiger Silberpfeil, dessen nadelscharfe Spitze mit bloßem Auge gerade noch wahrzu nehmen war. Jetzt fuhr der große Raupenschlepperkran zurück, der mit seinem mächtigen Arm die Materialien in den riesenhaften Flugkörper gehoben hatte. Zu der gewaltigen Nutzlast gehörten auch 650 000 Liter destilliertes Wasser, der Kraftstoff für die thermischen Atomtriebwerke. Die Rakete ruhte auf drei gespreizten, federnden Bei nen. Zwischen ihnen befand sich der Fahrstuhlschacht, der aus einer starken, strahlungsschützenden Me tallwandung bestand. Galina Belstrojowa, Pjotr Krug low, Robert Sternes und Hai Bur ham betraten den Fahrstuhl; unter ihnen verschwand der Erdboden, den sie nach dem Willen E&terfields nie wieder betreten sollten. Während sich Sternes und Hai, in unförmigen Raumanzügen stek kend, im Passagierraum in wannen artigen Sesseln anschnallten, taten Galina und Pjotr das gleiche im Pilotenraum. Sie schalteten die sich gegenseitig kontrollierenden Präzi sionsuhrvverke ein, welche die Pro grammsteuerung betätigten.
Fünf Minuten vor dem Start heulten die Warnsirenen über das Gelände. Kilometerweit vom Start podest entfernt, richteten Ultra kurzwellenfunk- und Radargeräte ihre seltsamen Antennengebilde gegen den Himmel. Sie hielten die Rakete unter Kontrolle und konn ten selbständig die Programmsteue rung korrigieren. Galina und Pjotr, die wußten, daß ein vielköpfiger Stab von Ingenieuren ihren Flug überwachten, konnten trotzdem ein leises Kribbeln in der Magen gegend nicht ganz unterdrücken. Schließlich war ein Mondflug keine Spazierfahrt. Auf dem mächtigen Instrumenten brett flammte jetzt eine rote Kon trollampe auf, die Reaktorenbrenn kammern waren bereit, den Treib stoff zu zerlegen, die dann mit un Bestandteile Wasserstoff und Sauer stoff zu zerlegen, die dann'mit un erhörter Gewalt den Düsen ent strömen würden. Kruglow und Ga lina warfen sich einen kurzen Blick zu, die Uhren zeigten „Start" an, ein leichtes Zittern ging durch den Metallkoloß, langsam, fast zenti meterweise, schob er sich hoch, schien stillzustehen und jagte dann schneller und schneller gegen den Himmel — einen blendend weißen Feuerschweif hinter sich. Die Zurückbleibenden sahen in ihren Beobachtungsgeräten das immer wieder gleiche Schauspiel: In den ersten Sekunden hob sich die Rakete nur meterweise von ihrem Platz, dann riß die Beschleunigung sie immer schneller vorwärts, in der hundertsten Sekunde durch raste sie schon vier Kilometer... Bei der kurzen Unterweisung, die Sternes und Hai in den letzten achtundvierzig Stunden erhalten hatten, um die ungewöhnlichen Bedingungen einer Weltraumfahrt kennen und beherrschen zu lernen, hatte sich Hai Burham recht un bekümmert gezeigt. Das aber war
jetzt die Praxis der Fahrt, und da lag er festgeschnallt in seinem druckfesten Anzug in der Wanne. Viel zu gespannt auf die Erleb nisse dieser Reise, reizte es ihn, die Haltegurte zu lösen und auf zustehen. Er drehte den Kopf zu dem neben ihm liegenden Profes sor. „Hallo, Professor Sternes, wie fühlen Sie sich?" Hai schrie in das Mikrophon, an das er überhaupt nicht gedacht hatte. Sternes verzog das Gesicht unter dem Glashelm. „Schonen Sie meine Trommelfelle, Hai." Die Sommersprossen des Jünge ren schienen zu glänzen. „Entschul digung. Aber bequem ist es hier gerade nicht. Wenn man wenigstens zum Fenster hinaussehen könnte, um noch einmal „ ." Schnarrend unterbrach ihn ein Automat: „Achtung, Achtung! Die Rakete startet. Beschleunigung setzt ein. Achtung, Achtung!" Als Hai noch einmal auf die Haltegurte schauen wollte, preßte ihn eine unsichtbare Faust in die elastische Polsterung, er wollte atmen, konnte es nicht, doch, aber welch eine Qual war es: Das Blut rann wie heißes Eisen durch die Adern, vor den Augen stiegen Nebelwände hoch. Irgendwo in Hals Gehirn schien noch eine Stelle freigeblieben von dem unsäglichen Druck. Er stellte sich vor, wie jetzt die riesigen Federbeine der Rakete mit ihren mehrere Quadratmeter großen Metallfüßen sich nach außen herumschwangen und sich dann in den äußeren Raketenkörper ein fügten. Aber das war ja schon längst vorbei, in den Sekunden des Starts geschah dies, ehe die über hitzten Gase die stählernen Heu schreckengliedmaßen zerschmelzen konnten. Allmählich wich der Druck, und damit begann die Schwerelosigkeit, ein eigenartiges, kaum zu beschreibendes Gefühl. Das Denken, die Atmung, das 1!)
I
Heben und Senken der Lider, alles ging spielend vor sich. Wie auf aus gelaufenen Kugellagern, behauptete Hai nachher. Minuten oder Viertel stunden später entschloß sich Hai aufzustehen. Er holte, so kam es ihm vor, seine Arme und Beine aus der Luft herunter, löste die Schnallen der Haltegurte — und schon schwebte er oben an der Kabinendecke. Oben? War nicht Sternes, der noch in der Polster wanne lag, auch oben? Eine un-. widerstehliche Heiterkeit überkam Hai, als er den Professor mit einem Male neben sich schweben sah. Sie sahen sich an, lachten, mußten ein fach lachen, bis endlich Sternes sich zwang, ernst zu werden. „Ich meine, wir sollten uns etwas vernünftiger bewegen, Hai. Sonst kann das Lachen noch zur Krankheit wer den." Mit leichten Handbewegungen schwammen sie vorwärts durch die Tür, hinter der sie Galina trafen, die sich eben um sie kümmern wollte. Hai entdeckte ein Fenster und wandte sich mit einer heftigen Bewegung dorthin, doch der Ruck war so stark, daß er erst einmal wie ein Gummiball hin und her flog. Schließlich klammerte er sich an einem Griff unterhalb des mehr schichtigen Fensters fest und fragte eifrig: „Arbeitet der Antrieb noch? Wie hoch sind wir?" Lächelnd beantwortete Galina seine Fragen. „Die Raketentrieb werke arbeiteten sechs Minuten. Da wir in Äquatornähe starteten, er hielten wir zu unserer eigenen Beschleunigung noch die Dreh geschwindigkeit der Erde mit, das macht noch 460 Meter in der Se kunde aus. Der Beschleunigungs druck auf unsere Körper ließ in einer Entfernung von 1800 Kilo metern von der Erde allmählich nach. Jetzt sind wir —", sie warf einen Blick auf die Uhr, „etwa 20
6000 Kilometer von der Erde ent fernt." Hai starrte ins Weltall. Greifbar nahe standen die Sterne als grelle Lichtfünkchen vor ihm, während ein riesiger silbergrauer Fleck hin ter ihm den Sternenhimmel ver deckte. Neben Hai sagte Sternes: „Unsere Erde bei Nacht, nur von der schmalen Mondsichel beleuch tet." Wenig später blitzte es am Rande des matten Fleckes golden auf, ein sprühendes Brillantfeuerwerk stob durch die Erdatmosphäre. „Die Sonne geht auf", flüsterte Hai. Ein goldblauer, grünweißer Lichtbogen schoß empor, mäßigte sich allmäh lich in seiner strahlenden Kraft, ein schmaler blauweiß schimmern der Reif legte sich um die eine Seite des matten Silberballs ffl-de. Dieses wundersame Spiel wurde von der blechernen Stimme des Automaten unterbrochen: „Ach tung! Achtung! In zwei Minuten Steuermanöver der Rakete. Be schleunigungssitze einnehmen!" Die Zeitzeichen setzten ein, und Galina sagte: „Um die Kursänderung vor zunehmen, werden die ausströmen den Gase auf ein Steuerruder ge leitet, das wie das Steuer eines Schiffes" arbeitet. Im Prinzip jeden falls, es ist schon etwas komplizier ter ..." Da wurden sie schon von der Riesenfaust in die Polsterun gen gepreßt. Als Hai sich wieder aufrichten konnte und zum Fenster hinaus schauen wollte, war es mit einer starken Metallschicht verschlossen. „Die Sonne", erläuterte Galina, „sie trifft uns jetzt, ein Hineinr schauen ist gefährlich. Die Außen haut der Rakete absorbiert so viel Sonnenenergie, wie wir für eine normale Innentemperatur benöti gen, das heißt also, daß der größte Teil der direkten Sonnenbestrah lung zurückgeworfen wird." Galina und nachher Pjotr hatten
mehr mit Hai zu tun als mit der programmgesteuerten Rakete. Er wollte alles wissen. Unentwegt schwebte er von einem Raum in den anderen. Für ihn schien die Zeit nicht zu vergehen, und er er schrak, als plötzlich der Automat sie wieder aufforderte, die Be schleunigungssitze einzunehmen. „Wir sind da", sagte Pjotr und lächelte in Hals erstauntes Gesicht. „Die Raketendüsen arbeiten be reits unserer Geschwindigkeit ent gegen. Vor etwa fünfundfünfzig Minuten hat sich die Rakete um gedreht. Wir fliegen seitdem ge wissermaßen rückwärts vorwärts." „Die Bleikiste", stöhnte Hai unter dem furchtbaren Druck, der jedoch wenig später wieder nachzulassen begann. Eine starke Erschütterung durchlief den Flugkörper. Pjotr Kruglow sagte ohne sonder liche Betonung: „Wir sind auf dem Mond."
Auf dem Mond? Hai starrte ihn ungläubig an. Er hatte sich das anders vorgestellt, feierlicher, groß artiger. Die erhitzten Triebwerke ver boten ihnen, die -Rakete mit dem Fahrstuhl zu verlassen. Galina führte Sternes und Hai in eine Luftschleuse und überprüfte noch einmal ihre Raumanzüge. Dann, als Galina mit einem Hebeldruck die Tür öffnete, schlug ihnen grelles Licht entgegen, kaum gemindert, durch die weiß-trübe Staubwolke, die die Rakete bei ihrer Landung aufgewirbelt hatte. Der Silberlcib stand in einem Mondkrater, der durch Sprengungen entsprechend vorbereitet worden war. Die drei betraten eine Plattform, Kruglow, noch im Innern des Flugkörpers, bediente den Raketenkran, der sei nen mächtigen Arm hinausschob, die Plattform erfaßte, sie leicht an hob, ausrastete und langsam auf
n
die Mondoberfläche niederließ. Knietiefer Staub, locker wie Pulver schnee — das war der Mondboden. Als Hai Burham stehenblieb und sich umschaute, vernahm er das leise Knistern, mit dem der immer noch schwebende Staub auf seinen Raumanzug niederregnete. Überhell, gelbweiß, durch keine Atmosphäre gemildert, schlug das Sonnenlicht auf sie nieder. Der Himmel war dabei nachtschwarz, die Sterne leuchteten stechend. Der grell erhellte Gürtel eines Ring gebirges verlor seine schimmernden Spitzen in der völligen Schwärze, die sich langsam weiter ausbreitete. Hai begriff, daß dies der Sonnen untergang auf dem Mond war. Er wollte den anderen nacheilen und machte groteske Sprünge, bei denen er „Die Sonne verschwindet!" rief. Man blieb stehen, bis er heran gehüpft war. Allmählich ver schwanden die Bodensenken im schwarzen Meer der Nachtschatten; da und dort leuchteten noch Erhe bungen. Hai, an sich herabschauend, bemerkte nur noch seinen Leib von den Hüften aufwärts. Die Rakete schwebte, so schien es, über der Mondoberfläche, die nadelscharfe Spitze leuchtete. Von den drei Ge fährten sah Hai nur noch drei Köpfe — sah sie nicht mehr. Un willkürlich schrie er auf und hörte in seinem Kopfhörer das helle Lachen Galinas. „Wir sind noch da", sagte sie und ließ zugleich die Lampe in ihrem Helm aufstrahlen. „Ein phantastischer Sonnenunter gang", sagte Sternes, und Hai, der sich wieder gefangen hatte, fügte trocken hinzu: „Und' selten — monatlich einmal." Jetzt flammten auch in halber Höhe der Rakete starke Schein werfer auf und schnitten Teile des Mondbodens aus dem undurch dringlichen Dunkel. Hai sah vor sich eine Art Tunneleingang, aus dem eine Schienenspur kam. Er
wollte sich umwenden, als Galina ihm ein „Achtung!" zurief; er trat zur Seite, um einen niedrigen Elektrozug an sich vorbeirollen zu lassen. Pjotr Kruglow hatte in der Rakete Direktverbindung mit der Automatik des Observatoriums auf genommen; dieser Zug war das erste „Lebenszeichen" der Mond sternwarte. Er rollte bis neben die Rakete, der sehr bewegliche Arm des Raketenkrans griff in die mäch tige Ladeluke hinein und holte einen der großen Sauerstoffbehälter heraus. Im Scheinwerferlicht leuch tete die Eins, die Martyr ihm auf gemalt hatte, gespenstisch weiß. Galina, Sternes und Hai hatten inzwischen den Tunnel betreten; es war, trotz der Leichtigkeit, mit der sie sich bewegen konnten, dennoch in den Raumanzügen ein unbehol fenes Gehen. Sie sprachen kaum. Nur einmal sagte Galina: „Die Sternwarte wurde in den Felsen hineingebaut und bildet einen quadratischen Komplex. Sie liegt gewissermaßen jenseits der Zone, die wir von der Erde aus auf dem Mond wahrnehmen." Als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, erreichte Pjotr Kruglow sie mit seinem kleinen Zug. Er hielt an und ließ sie auf steigen. Wenig später gelangten sie in den Laderaum. Automatisch arbeitende Hebezeuge entluden den kleinen Zug, stellten die acht Sauer stoffbehälter nebeneinander hin, hoben andere Kisten herab und schoben sie durch eine Tür in den nächsten Raum. Kruglow verband die Sauerstoff behälter mit den Rohrleitungen des Lufterneuerungssystems, und nun strömte über Reduzierventile der Sauerstoff in die Räume des Obser vatoriums. Als er dann das zweite Mal zur Rakete fahren wollte, bot Hai sich an mitzukommen. Galina sagte zu Sternes: „Uns bleibt in zwischen nichts weiter übrig, als
22
*
zu warten, bis sich die Räume mit Sauerstoff gefüllt haben." Dieser Augenblick trat nach etwa zwei Stunden ein, als die automa tischen Druckregler für alle Räume einen Druck von 360 Millimeter Quecksilbersäule anzeigten. Krug low, der alle Meßgeräte immer wieder beobachtete, sagte auf eine Frage Hals: „Wir werden reinen, verdünnten Sauerstoff atmen." Die einzige Gefahr, wenn überhaupt davon gesprochen werden konnte, bestand darin, daß ein kleiner Brand sich relativ schnell aus breiten konnte. Pjotr hatte deshalb auch das Feuermeldesystem ein geschaltet, das mit einer Signal anlage gekoppelt war, die jede Gefahr sofort meldete, auch der Erdzentrale. Nachdem sie nun die Türen hinter sich geschlossen hatten, öffnete Kruglow als erster seinen Raumanzug. Prüfend atmete er die vorgewärmte und vor gefeuchtete Sauerstoffatmosphäre ein und nickte befriedigt den ande ren drei zu. Sie betraten nun nacheinander die übrigen Räume des Mond observatoriums, den anderen Lager raum mit den Energie- und Funk anlagen, die Aufenthaltskammer und schließlich den Bedienungs raum unterhalb einer Plattform aus starkem Glas. Zwischen allen die sen Räumen befanden sich Luft schleusen mit automatisch arbeiten den Sperrtüren, die sich nur nach einander öffneten, so daß bei Un glücksfällen die Menschen im Ob servatorium weitgehend gesichert waren. Fiel ein Raum aus, blieben die anderen von ihm abgeschirmt, die Schleusen gestatteten es aber, jeden Raum zu verlassen, ohne daß die unter Druck stehende Sauer stoffatmosphäre nach außen ent wich. Als sie den Bedienungsraum unter der Glasplattform betraten, blieben Sternes und Hai erstaunt stehen. Irgendwie kam ihnen das
alles bekannt vor, von ihrer eigenen Sternwarte in Manchester her, und trotzdem schien hier alles anders zu sein. Durch das starke Glas über sich sahen sie im nachtschwarzen Weltall die hellen Lichtfunken der Sterne. Der massige Metallkörper eines großen Spiegelteleskops auf der Plattform über ihnen schwenkte, während sie zu viert darunter stan den, wie von Gespensterhand be wegt, in eine andere Richtung. ,j2r stellt sich schon auf das Sternbild Kepheus ein", bemerkte Kruglow. Der lange Hals eines Refraktors folgte. Hilfsspiegel schimmerten, die die Bilder der Beobachtungsgeräte in den Bedienungsraum vermittel ten, in dem auch die Steuer- und Übertragungseinrichtungen für den vollautomatischen Betrieb waren. Eine Zeitlang standen die vier Menschen in einem fast ehrfürchti gen Schweigen, das auch Kruglow selbst immer wieder ergriff. Hand räder drehten sich selbständig un entwegt oder ruckartig, vor klicken den Schaltrelais arbeiteten Fivnseh kameras automatisch, Transforma toren summten kaum hörbar, Elektromotoren surrten, wie geister hafte Hände bewegten sich unaus gesetzt von der Erde aus gesteuerte Manipulatoren. „Das Zauberreich des Menschen", bemerkte Galina leise. „Und wir wollen es nicht stören", sagte Kruglow. „Ich denke, wir wer den den automatischen Betrieb weit gehend beibehalten. Das hat sich immer als das einfachste erwiesen; wir erleichtern uns die Arbeit, und außerdem — das Teleskop und die anderen Geräte, die sich oben auf der Plattform, also im luftleeren Raum befinden, würden eine höchst umständliche Arbeit in Rai'ni anzügen bedingen." Er blickte Ster nes auffordernd an. „Beginnen wir mit unserer Arbeit." Nach kurzer Zeit hatten sie dys Ungewohnte der neuen Umgebung vergessen, die Instrumente waren
auf die Nova im Sternbild des Kepheus eingesteuert, die Beobach tung und die Auswertung der Er gebnisse begann. Während die drei Männer arbeite ten, übernahm Galina die hausfrau liche Tätigkeit und bereitete auf einem elektrischen Herd die erste Mondmahlzeit vor. Der Herd und der gesamte Mechanismus des Ob servatoriums erhielten ihren Ener giebedarf von einem Halbleiternetz, das, etwa 20 000 Quadratmeter groß, auf der Mondoberfläche ausgebrei tet worden war und die auftreffen den Sonnenstrahlen mit hohem Wirkungsgrad in Elektrizität um wandelte. Während des Mondtages wurden damit auch Batterien ge speist, die groß genug waren, den Strombedarf während der Mond nacht zu sichern. Die Tage und mit ihnen die un unterbrochene Arbeit vergingen verhältnismäßig schnell. Da sie keine Pause einzulegen brauch ten, wie es auf der Erde durch den Tag- und Nachtwechsel bedingt wurde, waren die Beobach tungsergebnisse geradezu großartig. Robert Sternes gab immer wieder seiner Freude darüber Ausdruck. „Ich weiß gar nicht, wie dankbar ich Ihnen sein soll, Pjotr", sagte er einmal, „Ihnen und dem Astrorat — Ihrem ganzen Land." Hai, sonst immer zu Scherzen aufgelegt, schien von dem beinahe zeitlosen Rhythmus der Arbeit ver ändert. Für ihn gab es nur noch die Probleme der Nova. Am sieben ten oder achten Tag — er hatte das Zeitmaß fast verloren — sagte er zu Galina: „Nun haben wir es bald ge schafft." Die Pilotin, die ihm beim Aus wechseln von Filmen zur Hand ging und eben die Entwicklungskasset ten schloß, fragte: „Haben Sie Sehnsucht nach der Erde, Hai, nach Sonnenschein?" „Ja und nein. Ich weiß auch 24
nicht." Er besann sich. „Das ist auch nicht wichtig, Galina. Die Haupt sache ist, der Flug hat sich gelohnt, und das hat er, Unsere Supernova blüht in voller Größe —", er deutete auf den Bildschirm des Radiotele skops, „vor drei Wochen noch ein Stern dreizehnter Größe, heute ein feuerspeiendes Gestirn, dem bloßen Auge so hell sichtbar wie der Mars." Galina wollte etwas erwidern, als aus dem Lautsprecher ein leises Pfeifen ertönte. „Unsere Suppe mel det sich", sagte Galina. „In fünf Minuten können wir essen." Sie verschwand durch die Luftschleuse. Hai beendete seine Arbeit und deckte dann den kleinen Tisch in der Mitte des Bedienungsraumes. „Ich helfe Galina alles hereinbringen", sagte er zu Sternes, der nur nickte. Für den Professor war das Essen zur Nebensache geworden, seinet wegen hatte Galina vorgeschlagen, hier im Raum unter der Glasplatt form auch zu essen, was sie vor her in einer der Aufenthaltskam mern getan hatten. Aber da war Sternes immer erst nach drei-, vier maliger Aufforderung gekommen. Auch jetzt, während sie speisten, warf er immer wieder Blicke nach dem Bildschirm hinüber und ver folgte unruhig die anderen Geräte, die doch automatisch weiterarbeite ten. Pjotr sagte: „Ich denke, die Er gebnisse unserer Beobachtungen werden einiges Aufsehen auf der Erde erregen, Sternes. Unsere Atomphysiker können kleine Freu densprünge tun." Sternes erwiderte: „Wir wären nie zu diesen Erkenntnissen ge kommen, wenn nicht Ihr Mond observatorium u n s . . . " Ein dumpfer Schlag — sie nah men die Köpfe lauschend hoch, Kruglow sprang empor. „Was war das?" Er wandte sich zur Tür und prallte förmlich vor der schnarren den Automatenstimme zurück:
„Achtung — Brand — Raum IV — Gefahr..." Der dumpfe Schlag wiederholte sich, irgendwo ein Kreischen, dann verlosch das Licht — und draußen verbrannten mit grellen Stich flammen die Sauerstoffbehälter. Das Feuer zerfraß die Mefallwände, schmolz Türen — noch zwei, drei harte Explosionen. Stille. Stille und Finsternis. Nur über ihnen, durch das Glas hin durchleuchtend, die Lichtpunkte der Sterne. Galina schloß die Augen, als sei das nötig, tastete sich bis zur Wand, fühlte — hier mußte eine Stablampe liegen. Eine Sekunde zögerte sie noch, dann ließ sie das Licht aufblitzen. Sie sahen sich an. Jedes Gesicht war von einer furcht baren Erkenntnis gezeichnet: Sie waren eingeschlossen. Kruglow starrte wortlos durch die offene Innentür der Luftschleuse auf die nach außen führende Tür. Dahinter befand sich das Chaos. Er sah sich um, sein Blick traf Galina. Sie schüttelte den Kopf. „Wir haben » keine Raumanzüge hier." Damit strich sie die letzte Hoffnung aus. Sie konnten nicht zu der Rakete hinaus... • Kruglow hob seine Hand in das Licht und blickte auf die Uhr. „In zwanzig Minuten ist das ständige automatische Funksignal zur Erde fällig. Da es ausbleiben wird, weiß man in Moskau, daß wir Hilfe brau chen, dann wird man Kenia benach richtigen. Setzen wir uns." Er deu tete auf die Stühle am Tisch. Die Gebärde wirkte etwas grotesk unter den Umständen, und auch sein Lächeln schien verzerrt. „Zweimal zehn Stunden müssen wir warten, zehn brauchen sie, um ein Raum schiff startbereit zu machen, zehn Stunden dauert der Flug. Zwanzig Stunden, sie sind auszuhalten. Haben wir noch mehr Lampen?" „Wir können doch weiter beob achten", sagte Hai.
Galina legte eine Stabbatterie auf den Tisch, „Ich glaube, sie ist schon angebraucht." „Beobachten ist schlecht, Hai", meinte Sternes. „Wir können uns den Sternenhimmel ansehen, das ist alles, denn da wir keinen Strom mehr haben, alle Motoren ausge fallen sind, steht das Teleskop still. Die Nova wird schon aus dem Blick feld verschwunden sein." Sie mußten warten. In der Moskauer Zentrale des automatischen Mondobservatori ums flammte ein rotes Licht auf. Dann schnarrte der Automat wie im Observatorium: „Achtung — Brand — Raum I V . . . " Aus. Eine halbe Minute später glich die Zentrale einem wirr durchein anderredenden Diskussionsklub — aber auch nur eine halbe Minute. Dann setzte die systematische Ar beit ein. Während man versuchte, mit dem Ultrakurzwellensender über eine der den Mond umkrei senden Relaisstationen das Mond observatorium zu erreichen, wäh rend man an alle Verbindungs stationen Nachricht gab und sie aufforderte Nachricht gab und sie Observatorium anzupeilen, erhielt der Raketenflugplatz in Kenia den Befehl: „Sofort Rettungsrakete startbereit machen. Startbereit schaft melden. Start auf Anwei sung von hier." Minuten später wurde Tschi renko auf der Direktleitung von Moskau angerufen. „Überprüfen Sie sofort alle Vorbereitungen für den Start der ersten Rakete." Tschirenko wollte ablehnen. Es war ausgeschlossen, daß es hier jemand gab, der an diesem Un glücksfall auf dem Mondobserva torium schuld sein konnte. Er schüttelte den Kopf. „Selbstver ständlich. Es wird alles getan." In Moskau tickten die Apparate: i „Verbindungsstation Zürich... Ver 25
bindungsstation Potsdam . . . Ver bindungsstation Mexiko C i t y . , . Verbindungsstation Antarktis ..," Nichts — nichts — n i c h t s . . . In Kenia wurde die Rettungs rakete startklar gemacht. Die Mi nuten reihten sich zu Stunden. Tschirenko schob seinen mächti gen Leib über das Gelände. Nichts entging seinen funkelnden Augen. Hai stellte eine kurze Berech nung an. Der Raum war fünf mal fünf mal drei Meter — das waren 75 000 Liter ' Rauminhalt. Bei 360 mm Druck ergab das 52 kg Sauerstoff — sie verbrauchten in der Stunde 120 Gramm, in zwan zig Stunden — er sah Kruglow überrascht an. „Sauerstoffmangel wird nicht eintreten!'' Pjotr blickte ernst auf das Pa pier von Hai. „Sie haben die Ge genrechnung vergessen, Hai. Sauer stoffmangel werden . wir vorerst nicht haben, das stimmt. Aber Kohlendioxyd bekommen wir zu viel, das stellen wir selbst her." Hai begann zu rechnen. „In zwanzig Stunden kommen wir auf reichlich fünf Prozent Kohlen dioxyd"; sagte er halblaut. Kruglow nickte. Das bedeutete Erstickungs gefahr. Niemand sagte etwas. Jeder dachte: Vielleicht kommen sie schon früher. Unablässig während der ganzen Vorbereitungsarbeiten hatte Tschi renko sich gefragt, wer seine Hand im Spiel haben konnte. Er hatte mit dem Raketenmeister Suskow gesprochen, er hatte mit dem" Sicherheitsbeauftragten den ge nauen Vorgang der Verladearbei ten rekonstruiert — außerdem wie derholten sie sich ja jetzt Punkt für Punkt. Der Sicherheitsbeauftragte wandte den Kopf langsam zu Tschirenko. „Diesmal haben Sie die Sauerstoff behälter nicht numeriert, Tschi renko." 26
Die Augen des Direktors wei teten sich, schmerzhaft groß wur den sie. „Martyr . . ." Er sah ihn in der halbdunklen Hallenecke k n i e n . . . Da oben, überlegte ei% konnte nur etwas geschehen, wenn die Sauerstoffbehälter in Brand ge rieten — eine Explosion — Brand satz, Zeitzünder : , . Tschirenko um krallte den Arm des neben ihm Stehenden mit hartem Griff. „Kom men Sie — Martyr war es." Sie näherten sich dem eifrig um die Verladearbeiten bemühten Martyr. Sie blieben stehen, schauten zu, dann griff Tschirenko nach Martyr, als dieser vorbeieilen wollte. „In welchem Behälter war der Brandsatz?" Die Frage brach so blitzschnell auf Martyr herein, daß er die bei .den Männer nur anstarren konnte. Er riß den Mund auf, wollte schreien. Der Sicherheitsbeauf tragte führte ihn ab. Zehn Minuten später war die Rakete startklar. Tschirenko drückte Suskow die . Hände. „Bring' sie wieder mit, Sergej." In Martyrs Wohnung fand man den Sender im Fernsehempfangs jgerät eingebaut, fand man die Schablone. Martyr versuchte nicht, seine Tat zu leugnen. Kruglow quälte seine Lider aus einander. Er spürte eben, wie er vom Stuhl sacken wollte, und hielt sich an der Tischkante fest. Mit offenem Mund biß er nach Atem luft> Seine Hand tastete über den Tisch. Da war doch — da mußte doch eine Lampe sein? Er ließ sie aufbrennen. Der Tisch war leer. Wo waren die anderen? Der Scheinwerfer suchte — Hai — Galina — Sternes — sie lagen im Schlaf zusammengekrümmt auf dem Boden. Das Licht verlosch. Kruglow wollte sich niederbeu gen, zu Hai. Er rutschte vom Stuhl, kniete, wandte sich um — er sah
über sich Lichtfunken tanzen. Sterne, Sterne — seine Hand tastete sich hoch — nach den Sternen — nach der Lampe, wie spät war es? Aber ehe er nach der Uhr schauen konnte, verließ ihn wieder die Kraft... Draußen aber tastete derSchein » werter der Rettungsrakete bereits riesenfingrig über die Mondober üäche, fand die Rakete der Wissen schaftler, glitt daran hoch. Suskow sah, sie war unversehrt und ge schlossen. Die Freunde mußten sich im Observatorium befinden. Er richtete den Scheinwerfer auf den Tunneleingang, der offen und un versehrt schien. Er versuchte, in Direktverbindung den Elektrozug heranzuholen. Nichts. Natürlich. Drinnen war alles zerstört. Alles? Sie verließen die Rakete und be wegten sich auf den Tunnel zu, verschwanden darin. Als sie das letzte Drittel erreicht hatten, stan den sie vor Trümmerblöcken. „Wir müssen von oben hinein", sagte einer der Rettungsmann schaft. „Durch die Glasdecke." „Wir müssen durch eine Luft schleuse, Nikolai." Sie quäken sich, die überein ander versteiften Blöcke zur Seite zu bringen. Schrittweise kamen sie vorwärts, und glücklicherweise fan den sie hinter dieser ersten Mauer kein zweites gleichstarkes Hinder nis. Sie konnten bis in die Neben räume des Observatoriums vor dringen und atmeten erleichtert auf, als sie hier niemand fanden. Das ließ darauf schließen, daß sich die vier bis in den letzten Raum unter der Glasplattform hatten retten können. Als sie die Tür vor dem Bedie nungsraum erreichten, wollte Niko lai den Schweißapparat ansetzen, den er von der Rakete geholt hatte. Suskow schob ihn zurück. „Das geht doch nicht. Die Tür sperrt,
also ist die Innentür nicht ge schlossen. Würden wir jetzt auf schweißen, entweicht die Sauer stoffatmosphäre, und die drinnen werden zerrissen. Wir müssen den Eingeschlossenen melden, daß wir hier sind, sie müssen die Innentür schließen." Er hob den Hammer und schlug schwer und unbeholfen gegen die Metalltür. — Irgendwer kroch über Kruglow und wollte ihn erwürgen. Er wehrte sich. Aber der andere war stärker, schlug ihm auf den Schä del, einmal, zweimal, dreimal. Pjotrs Schädel dröhnte. Er stieß mit der Faust nach dem Gegner, es schmerzte — er begriff: das Tisch bein. Aber das Tischbein konnte ihn doch nicht schlagen! Vor seinen Augen wogten Nebel, Lichter blitz ten auf, die Schläge dröhnten. Wieso Schläge — wieso Dröhnen — oder — klopfte da einer — klopfen? Pjotr holte seine Gedanken heran, sie drohten ihm immer wieder zu entgleiten, wie kleine Fische aus einem Netz. Dann begriff er — das konnte nur von draußen kommen — das war die Rettung — warum kamen sie denn nicht herein? Sollte er ihnen die Tür aufmachen? Er sackte wieder zusammen. Die Schläge zwangen ihn erneut hoch. Neben ihm stöhnte jemand, flü sterte. Er beugte sich nieder. Galinas Lippen zitterten. „Die Schleuse." Kruglow begriff. Die Luft schleuse, die Tür zu ihnen war offen. Er wälzte sich dorthin, wo er sie vermutete, rutschte an der Wand entlang, auf allen vieren. Die Tür — er tastete sich hoch, drängte sie mit seinem Leib zu, hängte sich an den Hebel, zog ihn mit seinem Gewicht herunter. — „Nikolai!" schrie Suskow. „Die Mechanik!" Der Verschlußdeckel der äußeren Sperrtür gab nach. Suskow hielt ihn fest. „Raumanzüge — holt Raumanzüge — vier Stück."
Minuten vergingen, ehe die Hel fer von der Rakete mit den Raum anzügen zurückkamen , . . Als die Rettungsrakete in Kenia startete, wurde von Moskau aus bekanntgegeben, daß die im Mond observatorium befindlichen Astro physiker offenbar einen Unfall er litten hätten. Über den Verlauf der Rettungsaktion würde ständig be richtet werden. Edward Esterfield fuhr sofort zu Charles Grain, den er vor seinem Fernsehapparat fand. Grain hob die Hand, ohne sich umzuwenden. „Kommen Sie schnell, Esterfield, eben wird eine neue Sendung aus Kenia angekündigt." Esterfield nahm Platz; ein flüchtiger Blick Grains in das Gesicht des Astrolo gen zeigte ihm dessen unverhohle nen Triumph. Er aber war sich nicht ganz sicher. Auf dem Bildschirm beruhigten sich die schwingenden Lichtstrei fen, helle Lichter irrten vorbei, dann erschien das Innere eines Zimmers und plötzlich ein Gesicht, verzerrt und auch wieder verzückt. „Martyr!" stieß Esterfield hervor. Seine Hände griffen nach dem Bild. Grain schloß die Augen. Martyr? Esterfields Gewährsmann? Durch sein Hirn jagten die Gedanken. Sie waren verloren, wenn der Mensch sprach. Und er sprach, tonlos, gleich mäßig, wie eine Maschine. „Es ist, wie Sie sagen. Im Sauer stoffbehälter sechs befand sich ein Brandsatz mit Zeitzünder." Eine Stimme fragte: „Sie wußten, daß Sie durch diese Tat Menschen gefährdeten?" In dem starren Gesicht Martyrs bewegten sich die Lippen: „Ich hatte den Auftrag. Ihre Zeit war abgelaufen." „Wie erhielten Sie den Auftrag?" „Durch die Fernsehsendung der Astrologischen Gesellschaft."
Esterfields Hände begannen zu zittern. „Wer gab Ihnen den Auftrag?" Esterfield kniff die Augen zu. Martyr sagte: „Die Astrologische Gesellschaft. Es stand in den Ster nen, ihr Schicksal war vorausbe stimmt." „Mit wem standen Sie in Verbin dung? Nennen Sie Namen!" „Die Astrologische Gesellschaft..." Esterfield wandte sich zu Grain. „Wir haben gewonnen. Er wird kei nen Namen nennen — weil er kei nen nennen kann." Grain stand auf. Durch sein Hirn zuckten unaufhörlich Überlegungen. Er wußte nicht, ob es in England mehr als eine Astrologische Gesell schaft gab; er wußte nur, daß zwei Engländer tot waren, und wenn sie nicht tot waren, so war ein Mord anschlag auf sie vei-übt worden. Der Anstifter war die Astrologische Gesellschaft — war Esterfield. Und Esterfield würde ihn bestimmt be lasten. „Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Esterfield", sagte er mit plötzlichem Entschluß und stand auf. Der Prophet sah ihm nach, er hob sich und wollte ihm folgen, blieb dann stehen und goß sich einen Whisky ein. Man würde dort oben nur einen Trümmerhaufen finden — Grain konnte zahlen. Daß Martyr die Astrologische Ge sellschaft genannt hatte — nun schön. Wenn man ihn fragte, ein Irrer, ein Verrückter. Außerdem besaß Grain Verbindungen, die einen ausreichenden Schutz ge währten. Grain bemühte diese Verbindun gen bereits mit einem Telefon gespräch. „Geben Sie mir bitte den Polizeipräsidenten persönlich. —• Hallo, Mr. Kelling, hier spricht Grain — haben Sie. die Sendung aus Kenia — ja! Werden Sie ein schreiten müssen, Kelling? — Na türlich, diese Astrologische Gesell
schaff ist verantwortlich für den Was habe ich mit der Angelegenheit Tod zweier Engländer. — Richtig, zu tun! Oder glauben Sie, jeman dem weismachen zu können, daß ich Esterfield. Ich kann Ihnen da einen Tip geben, der Mann befindet sich etwas davon gewußt hätte?" „Aber es liegt doch klar aöf der bei mir — Sie wissen ja, mich Hand, daß allein Sie aus der Ver suchen allerhand Leute auf. Sie nichtung des Mondobservatoriums sollten schnell zugreifen. Kann nur durch Ihren Satellitenbau Profit von Vorteil für Sie sein, Kelling. — O bitte, bitte. Übrigens — der gezogen hätten." Um Grains Mund zuckte ein iro Mann könnte versuchen, mich zu nisches Lächeln. „Womöglich hätte belasten. — Sie verstehen, Kelling. Am besten, Sie kommen selbst mit, ich aus einem Unglücksfall, bei dem das Mondobservatorium zerstört Kelling ..." Grain legte den Hörer worden wäre, als Unternehmer, hm, auf. Als er in die Bibliothek zurück Vorteile gezogen. Aber kein Gericht kam, goß Esterfield sich den zwei in England kann daraus den Ver ten Whisky ein. Er hob das Glas. dacht ableiten, daß ich zu einem Verbrechen meine Hand geliehen „Auf unser Geschäft, Mr. Grain!" Grain machte ein verständnisloses hätte." „Und ich behaupte, der Plan, Gesicht. „Auf unser Geschäft?" Esterfield setzte das Glas nieder. diesen-Sternes zu ermorden, stammt „Nun, Sie haben den Auftrag doch von Ihnen!" schrie Esterfield. „Ich zeige Sie an, ich, ich! Sie haben sozusagen in der Tasche?" In diesem Augenblick wurde vom mich gezwungen, mißbraucht, Sie Sprecher des Fernsehfunks eine haben Gewalt angewendet..." Es läutete draußen. Dann kamen neue Nachricht über das Unglück auf dem Mondobservatorium verlesen: Schritte die Treppe heraufgeeilt. „Nach soeben von der Retturigs Kelling, der Polizeipräsident von rakete eingetroffenen Meldungen Manchester, betrat mit drei Beam konnten die Wissenschaftler und die ten die Bibliothek. Esterfield saß Pilotin lebend geborgen werden; wie erstarrt. Die Zerstörungen am Observato rium sind verhältnismäßig ' gering, Robert Sternes öffnete die Augen. die Reparaturen werden in wehigen Das beklemmende Erstickungsge Wochen durchgeführt sein." fühl der letzten Stunden lastete Esterfield starrte Grain an. Der nicht mehr auf ihm. Er befand sich verzog keine Miene. Das Satelliten in einem gläsernen Behälter und projekt mußte er wohl endgültig lag angeschnallt auf einer weichen abschreiben, gut. Aber jetzt galt es Matratze. Es war angenehm warm. vor allem, sich von Esterfield zu Seine Lunge sog sich mit gefilterter distanzieren. Atemluft voll. Unendlich beruhigt „Man wird in England nach dem schloß er die Augen. Anstifter zu diesem Verbrechen Dann beugte sich ein Gesicht über suchen," sagte er unbeteiligt. „Ich ihn. Sternes erinnerte sich, das war möchte nicht in dessen Haut stek Sergej Suskow, der Raketenmeister. ken." Suskow hob die Hand. Seine Esterfields Gesicht verzerrte sich, , Stimme drang leise in die gläserne er beugte sich vor. „Was soll das Hülle: „Nicht sprechen, still liegen." heißen? Wenn hier die Sache auf Dann, als errate er alle Fragen, gerollt wird, hängen Sie doch mit die in Sternes aufbrannten, sagte drin." er: „Galina Belstrojowa, Pjotr und Grain runzelte die Stirn: „Ich Ihr Assistent befinden sich gleich kann Ihnen nicht folgen, Esterfield. falls in Beatmungsgeräten. Sie sind 30
alle außer Lebensgefahr. In sieben Stunden sind wir wieder auf der Erde. — Ihre Filme und die Arbeits protokolle liegen drüben." Suskow wies zur Seite. Sternes nickte nur. Er mußte lächeln, als der alte erfahrene Ra ketenpilot mit sicheren Bewegun gen hinausschwamm. Dann schloß Sternes die Augen, ein befriedigtes Seufzen glitt über seine Lippen. Er wollte überlegen — was war eigent lich geschehen? Dann wieder dachte er an das Künftige, die Unter suchungsergebnisse mußten schrift lich ausgearbeitet werden, die Atomphysiker warteten, die Vor gänge auf der Nova sollten ihnen
ihre Vermutungen bestätigen, die weitere Arbeit erleichtern. Hai würde ihm helfen, K*uglow auch, natürlich — vielleicht blieben sie erst noch in Moskau . . . Er drehte den Kopf herum, schlief. Mit einer Geschwindigkeit von 40 000 Kilometern in der Stunde raste die Rakete dem heimatlichen Planeten entgegen. Dann kam der Augenblick, in dem sich der Flug körper drehte; die Triebwerke arbeiteten mit voller Gewalt gegen die Anziehungskraft der Erde, die Radargeräte erfaßten die Rakete in ihrem Leitstrahl, und langsam senkte sie sich in die Erdatmosphäre hinab...
Copyright by Verlag Neues Leben Berlin . Lizenz Nr. 303 (305/99/39)
Umschlagzeichnung und Illustrationen: Hans-Hermann Schlicker
Druck: (140) Neues Deutschland, Berlin N 54 . 7776
ES 9 D 4/5
„Der
9Alte
i
hatte so seine Eigenarten. An Bord trug er ständig einen sehr weiten, abgewetzten blauen Mantel, der nur am obersten Knopf geschlossen wurde und ihm wie ein Sack von den breiten, knochigen Schultern hing. Wenn es stiemte, umflatterte er ihn wie der Mantel des fliegenden Holländers. Als einziger Kapitän der Fischereiflotte setzte er nie eine Mütze auf - und den Südwester auch nicht bei jedem Sturm. Neben diesen augenfälligen Besonderheiten besaß er aber noch eine andere: Er konnte stundenlang erzählen. Dann saß er gern auf der Back zwischen den Jungen, die Hände in den Taschen des blauen Mantels vergraben, groß, hager und steif, wie eine Krähe inmitten halbflügger Spatzen. Bisher war es noch nicht vorgekommen, daß er eine Geschichte wiederholte; denn er hatte bereits zwanzig Jahre seines Lebens auf Schiffsplanken zugebracht, auf festen und morschen, dreckigen und tranbeschmierten und auf solchen, die täglich zweimal geschrubbt wurden. Wenn er erzählte, vergaß Hanjo, der jüngste Matrose an Bord, daß sie mit ihrem Trawler zu den Fangplätzen am Fladestgrund oder zur Barentssee dampften. Dann träumte er von Abenteuern in der weiten Welt." Als sie eines Tages in dem schottischen Hafen Aberdeen Aufenthalt haben, springt Hanjo über Bord, um auf ein australisches Handelsschiff zu gelangen. Doch der „Alte" holt ihn zurück und erzählt ihm ein eigenes Erlebnis: die abenteuerliche Geschichte von seiner Suche nach dem Goldschatz der „Santissima Trinidad".
ULRICH WALDNER
HEFT
Das Gold der Santissima Trinidad I. T E I L